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German Pages 337 [361] Year 2017
Studien zum Privatrecht Band 69
Johannes Weigel
Organvermittlung und Arzthaftung Regelungskonzept, Verfassungsmäßigkeit, Rechtsnatur und arzthaftungsrechtliche Konsequenzen des Systems der Organvermittlung
Mohr Siebeck
Johannes Weigel, geboren 1992; Studium der Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maxi milians-Universität München und Betriebswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin; 2015 Erste Juristische Prüfung; 2016 Promotion; seit 2017 Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin.
ISBN 978-3-16-155454-4 ISSN 1867-4275 (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit zum Thema „Organvermittlung und Arzthaftung“ entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Rechtsanwaltssozietät Hengeler Mueller in München. Sie wurde vom Promotionsausschuss der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität im Februar 2017 zur Dissertation angenommen. Für die kurze, aber recht intensive Zeit am Lehrstuhl möchte ich mich an dieser Stelle ebenso wie bei den vielen Weggefährten und Begleitern bedanken, die mich während des vergangenen Jahres besonders unterstützt haben. Zunächst gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater, Prof. Dr. jur. Andreas Spickhoff, für seine exzellente Betreuung während der Fertigstellung der Arbeit sowie die jederzeitige Diskussionsbereitschaft. Für die zügige Korrektur danke ich ihm und ebenso Prof. Dr. jur. Ulrich Schroth, welcher das Zweitgutachten zur vorliegenden Arbeit verfasste, von ganzem Herzen. Besonderen Dank schulde ich zudem der Hanns-Seidel-Stiftung und ins besondere der Referatsleiterin der Universitätsförderung, Dr. theol. Gabriele- Maria Ehrlich, für die beispiellose Förderung während meines gesamten Studiums im Sinne des christlich-sozialen Werteverständnisses. Mit vielen hoch interessanten und wertegeleiteten Seminaren wird mir die Zeit in der Universitätsförderung und in der Hochschulgruppe von Prof. Dr. med. vet. Reinhard Straubinger immer in bester Erinnerung bleiben. Darüber hinaus möchte ich mich bei meinen guten Freunden Konstantin Pfannmüller, Ludwig Schnur sowie Johannes Rogge-Balleer bedanken, die mir während der Fertigstellung der Arbeit jederzeit als kritische Diskussionspartner zur Verfügung standen und mit wertvollen Anregungen zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben. Konstantin Pfannmüller möchte ich für die tolle Unterstützung in der finalen Phase der Fertigstellung besonders danken. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, meiner Mutter Irene Weigel, geb. Rath, sowie meinem Vater Dr. med. Hans-Ulrich Weigel, die meine Geschwister und mich jederzeit und in jeder Hinsicht bedingungslos unterstützt haben. Ihnen habe ich alles zu verdanken. Ohne sie hätte ich diese Arbeit nicht geschrieben.
VIII
Vorwort
An letzter Stelle gilt mein tief empfundener Dank meinen Großeltern, Rolf und Anneliese Weigel sowie Arnold und Emmy Rath, von denen leider nur letztere die Fertigstellung dieser Arbeit erleben durfte. Sie alle haben mich bis zum heutigen Tag in meinem Denken und Handeln tief geprägt. Ihr Lebensweg, gekennzeichnet durch das Unrecht von Heimatvertreibung, Enteignung, Entrechtung und Gefangenschaft sowie den Neubeginn in der Bundesrepublik, ist typisch für die Lebenswege von Millionen unserer Landsleute. Die Lebensleistung ihrer Generation bleibt für uns alle Vorbild und Verpflichtung zugleich. München im Frühjahr 2017
Dr. Johannes Weigel
Inhaltsübersicht Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 I. Recht der Organvermittlungen als gesetzgeberische Herausforderung . . . 5 II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands und Gang der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Organspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 III. Organmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Rechtsrahmen nach dem TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Allokationsrechtliche Kriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer . 40 III. Dogmatische Einordnung der Richtlinien und Verfassungsmäßigkeit . . . 56
§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag . . . . . . . . 107 I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung . . . . . . . . . . . . . 126 IV. Pflichtenprogramm transplantationsmedizinischer Behandlungsverträge . 162 V. Wesentliche Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht . . . . . . . . . 181 I. Facharztstandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Apparativer und personeller Sollstandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Bestimmung des medizinischen Standards als vertragliche Hauptpflicht . . 186 IV. Medizinischer Standard als verkehrsübliche Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 V. Transplantationsmedizinischer Standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
X
Inhaltsübersicht
§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I. Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Fehlerhafte Gesundheitsmeldung an Eurotransplant . . . . . . . . . . . . . 288 III. Die fehlgeschlagene Organvermittlung durch Organisationsdefizite . . . . 310
§ 7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI
§ 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 I.
Recht der Organvermittlungen als gesetzgeberische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands und Gang der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . 11 I. Organtransplantation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Anwendungsbereich des Transplantationsgesetztes (TPG) . . . . . . . 13 1. Begriffsverständnis der „Transplantation“ . . . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Medizinische Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 b) Häufigkeit der einzelnen Organübertragungen . . . . . . . . . . . . 15
II. Organspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Lebendspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Postmortale Organspende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Irreversibler Ausfall der Gesamthirnfunktion: „Gesamthirntod“ . . 17 b) Erweiterte Zustimmungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 aa) Regelungsinhalt, §§ 3, 4 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 bb) Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
III. Organmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Diskutierte Gründe für den Organmangel . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Empirische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 a) Divergenz zwischen gespendeten und medizinisch benötigten Organen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Vergleich zu anderen EU-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
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Inhaltsverzeichnis
§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.
Rechtsrahmen nach dem TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1. Organisationsrechtlicher Ablauf der Organübertragung . . . . . . . . . 29 a) Entnahme: Entnahmekrankenhäuser, §§ 9, 9a TPG . . . . . . . . . . 29 b) Warteliste und Übertragung: Transplantationszentren, § 10 TPG . . 31 c) Koordinierungsstelle, § 11 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 d) Vermittlungsstelle, § 12 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2. Kontrollinstanzen und Überprüfung der Einzelfallentscheidungen . . . 36 a) Überwachungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Prüfungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Strukturprobleme und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
II. Allokationsrechtliche Kriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Richtlinien für die Wartelistenführung und Organvermittlung . . . . . 40 a) Regelungen der §§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 12 Abs. 3 S. 1 TPG . . . 40 b) Erlassene Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG . . . . . 41 aa) Regelungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . 43 cc) Konkretisierung der Allokationskriterien . . . . . . . . . . . . 44 (1) Medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 (2) Kontraindikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 (3) Erfolgsaussicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 (4) Dringlichkeit und High Urgency-Status . . . . . . . . . . . 48 (5) Beschleunigtes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (6) Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 (7) Allokationskriterien der einzelnen Richtlinien . . . . . . . . 50 (a) Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 (b) Lunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (c) Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 (d) Niere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (e) Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 (f) Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Zusammenfassung der allokationsrechtlichen Kriterien . . . . . . . . . 55
III. Dogmatische Einordnung der Richtlinien und Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Rechtnatur der „Richtlinien“ und Vermutungswirkung . . . . . . . . . 57 a) Begriff der „Richtlinie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Interpersonaler Verbindlichkeitscharakter . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Verfassungsrechtliche Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Verfassungsrechtliche Bindung: Ausübung von „Staatsgewalt“ . . . 63
Inhaltsverzeichnis
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aa) Richtlinien als öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung . . 63 bb) „Staatliche Gewalt“: Beleihung der Bundesärztekammer . . . . 65 cc) Prinzip der „regulierten Selbstregulierung“? . . . . . . . . . . . 66 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Rechtsstaatsprinzip und Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . 68 aa) Einwand der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 bb) Praktikabilitätserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Demokratieprinzip und Legitimationsniveau . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Personelle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Materielle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (1) Regelungsdefizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (2) Kategorienfehler des Gesetzgebers und Einwand der „Expertise“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (3) Weisungs- und Kontrollrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (4) Genehmigungsvorbehalt, § 16 Abs. 3 TPG . . . . . . . . . . 83 (5) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 d) Grundrechtskonformität einzelner Allokationskriterien . . . . . . . 86 aa) Maßstab: Grundsatz der Lebenswertindifferenz . . . . . . . . . 87 bb) Kontraindikation: Fehlende Compliance . . . . . . . . . . . . . 88 cc) Exkurs: Fehlende Sprachkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (a) Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . 93 (b) Art. 3 Abs. 1 GG und „Neue Formel“ des BVerfG . . . . 93 dd) Medizinische Kriterien, insb. Alkohol- und Drogenabusus: Kontraindikation und sechsmonatige Abstinenzpflicht . . . . . 96 (1) Diskussion um die sechsmonatige Abstinenzregel . . . . . . 96 (2) Verfassungsrechtlicher Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . 97 (3) Medizinische Analyse von Glp. A.III.2.1 BÄK-LeberRichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (4) Zudem: Falsche Rechtsfolgenebene . . . . . . . . . . . . . . 102 ee) „Old for Old“: Eurotransplant Senior Program . . . . . . . . . . 103 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag . . . . . 107 I.
Allgemeines Behandlungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Rechtsnatur des Behandlungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Allgemeine Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Gesetzlich krankenversicherte Patienten . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Der Behandlungsvertrag nach §§ 630a ff. BGB . . . . . . . . . . . . . 113 a) Haupt- und Nebenleistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Abgrenzung zu Werk- und Dienstverträgen . . . . . . . . . . . . . . 117
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Inhaltsverzeichnis
3. Zustandekommen und Verbotsgesetze nach § 134 BGB . . . . . . . . . 119 a) Kontrahierungszwänge der Transplantationszentren . . . . . . . . . 120 b) Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 121
II. Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung . . . . . . . . . . . . . 122 2. Behandelnde Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 a) Ambulante Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Niedergelassene Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Ambulante Behandlung im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . 124 b) Stationäre Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung . . . . . . . . . 126 1. Spannungsfeld aus öffentlichem Recht und Zivilrecht . . . . . . . . . . 127 2. Abgrenzungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Öffentlich-rechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Privatrechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5. Auslegung und Rechtsnatur der Pflichten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Wertungen des Gesetzes selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Auslegungsmaßstab: Objektivierter Wille des Gesetzgebers . . 135 bb) Einwand der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . . . . 137 (1) Entwertung der Grundrechtspositionen . . . . . . . . . . . 139 (2) Rechtsweggarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (3) Demokratieprinzip und Volkssouveränität . . . . . . . . . . 145 (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Auslegung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG . . . . . . . . . . . . 147 b) Sachnähe zum bürgerlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 6. Divergierende Rechtsnatur der Vermittlungsentscheidungen . . . . . . 154 a) Divergierende Interessenslage der Patienten . . . . . . . . . . . . . 154 b) Unterschiedliche Maßstäbe der Entscheidungsfindung . . . . . . . . 155 c) Dogmatische Bedenken hinsichtlich vertragsrechtlicher Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 d) Eigene Wertungskriterien durch Eurotransplant . . . . . . . . . . . 159 e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 f) Art. 24 Abs. 1 GG und Charakterisierung als Verwaltungsakt . . . . 160 g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
IV. Pflichtenprogramm transplantationsmedizinischer Behandlungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Überweisungspflicht des ambulant behandelnden Arztes . . . . . . . . 162 2. Untersuchungs- und Vermittlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Sonderfall: Beschleunigtes Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4. Informations- bzw. Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 166
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a) Therapeutische Aufklärung und Richtlinien der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . 168 c) Belehrung über Wartelistenaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Zeitpunkt der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 bb) Dogmatische Einordnung: Wartelistenführung als „Behandlung im weitesten Sinne“ oder medizinische Maßnahme i. S. d. § 630e BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (1) Begriff der „medizinischen Maßnahme“ . . . . . . . . . . . 171 (2) Rechtsgutgefährdung durch ärztliches Handeln . . . . . . . 172 (a) Ablehnung der Wartelistenaufnahme . . . . . . . . . . . 173 (b) Aufnahme in die Warteliste . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (3) Funktionale Abgrenzung anhand § 630h Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 5. Organisationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
V. Wesentliche Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Rechtsnatur der Entscheidungen über die Wartelistenführung . . . . . 178 3. Rechtsnatur der Vermittlungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . 179
§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht . . . . . . 181 I. Facharztstandard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Apparativer und personeller Sollstandard . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Bestimmung des medizinischen Standards als vertragliche Hauptpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Grundsätze der evidenzbasierten Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Veröffentlichungen der Fachgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 b) Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Sachverständigengutachten und Grenze zwischen juristischer und medizinischer Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
IV. Medizinischer Standard als verkehrsübliche Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 V. Transplantationsmedizinischer Standard . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Bedeutung der Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG . . . . 194 a) Wartelistenführung als „Behandlung“ im Sinne des § 630a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
XVI
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b) Verhältnis zwischen Erkenntnisstand und fachlichen Standards . . . 195 2. Anwendbarkeit der Vermutung auf normative Regelungstatbestände . . 197 a) Ansätze der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Wortlautargumentation und hypothetischer Gesetzgeberwille . . . . 198 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 I.
Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung . . . . . . . . . . . . 202 1. Primärrechtsschutz gegen Wartelistenentscheidungen . . . . . . . . . . 202 2. Verfassungswidrige Kontraindikation als Behandlungsfehler . . . . . . 203 a) Unterschreiten des medizinischen Standards . . . . . . . . . . . . . 205 aa) Unter Berücksichtigung der Richtlinien der Bundesärztekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Auswirkungen der Verfassungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . 207 (1) Exkurs: Verfassungswidrigkeit der Delegation nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG: Nichtigkeit oder Unvereinbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 (2) Inhaltliche Festsetzungen der Richtlinien . . . . . . . . . . 211 (3) Wartelistenführung als voll beherrschbares Risiko? . . . . . 212 cc) Wesentliche Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Beweishürde der Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Kausalität für Primärschaden: Gesundheitsverletzung . . . . . . 214 bb) Grundsätze des Anscheinsbeweises . . . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 dd) Schutzzweck von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . 219 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Wartelistenführung und grober Behandlungsfehler, § 630h Abs. 5 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Sachverhalt: VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 . . . 222 b) Schuldhafter grober Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Kausalitätsvermutung nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB . . . . . . . . . 225 aa) Grundsätzliche Verletzungsgeeignetheit . . . . . . . . . . . . . 226 bb) Rechtsprechungskorrektiv: „Nicht äußerst unwahrscheinlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) Teleologische Reduktion von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB? . . . . . . . . 229 aa) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 bb) Teleologischer Hintergrund von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB . . . . 230 cc) Keine verschlechterte Beweissituation im Einzelfall . . . . . . . 231 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Rechtsirrtum der Behandelnden und Richtigkeitsgewähr der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 a) Fahrlässigkeit und medizinischer Standard . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Rechtsirrtum in der privatrechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . . 236
Inhaltsverzeichnis
XVII
aa) Abgrenzung zum Tatsachenirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . 237 bb) Schuldhafter Irrtum des (Rechts-)Beraters . . . . . . . . . . . . 238 c) Sorgfaltsniveau nach der ständigen Rechtsprechung des BGH . . . . 239 d) Modifizierung des Sorgfaltsniveaus durch Richtigkeitsgewähr . . . 241 aa) Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge . . . . . . . . . . . . . . . 242 (1) Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Individualvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (2) Haftungsrechtliche Bedeutung bei Tarifverträgen . . . . . . 245 (3) Kritik an tarifvertraglichem Vertrauensschutz . . . . . . . . 248 bb) Übertragbarkeit auf die transplantationsrechtlichen Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (1) Keine Gewähr des Richtlinienprozesses . . . . . . . . . . . 250 (2) Divergierender Rechtsgüterausgleich im Transplantationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 (3) Wertung der Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 e) Nicht lösbare Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Sinn und Zweck des hohen Sorgfaltsmaßstabs . . . . . . . . . . 256 bb) Entscheidungsmaxime in der Transplantationsmedizin . . . . . 257 f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5. Unzureichende Information über Kriterien der Wartelistenführung . . 260 a) Beweislast und Beweislastmodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Unzureichende therapeutische Aufklärung als grober Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 6. Derivatives Teilhaberecht und Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Zivilrechtlicher Schutz des derivativen Teilhaberechts . . . . . . . . 263 b) Deliktsrechtlicher Schutz des derivativen Teilhaberechts . . . . . . 266 aa) Sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . 266 bb) Transplantationsrechtliche Normen als Schutzgesetze? . . . . . 267 (1) § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 (2) § 12 Abs. 3 S. 1 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (3) Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Ansprüche aus der Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr, § 21 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Anwendbarkeit der §§ 19 ff. AGG im Arzt-Patienten-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Mittelbare Benachteiligung wegen fehlender Sprachkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 (1) Sprache als benachteiligendes Kriterium . . . . . . . . . . . 273
XVIII
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(2) Unmittelbare und mittelbare Benachteiligung, § 3 Abs. 1 und 2 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (3) Richtlinienbestimmung als sachlicher Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (4) Unmittelbare Benachteiligung bei körperlichen Behinderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (5) Fahrlässige mittelbare Benachteiligung . . . . . . . . . . . 275 cc) Haftungsausfüllender Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (1) Beseitigung der Benachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . 276 (2) Ersatz erhöhter Heilungskosten: Differenzhypothese und beweisrechtlicher Gleichlauf zur Behandlungsfehlerhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (3) Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 d) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . 279 aa) Allgemeines Persönlichkeitsrecht bei der Wartelistenführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 bb) Güter- und Interessensabwägung: Relevanz der medizinischen Notwendigkeit der angenommenen Kontraindikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 cc) Haftungsausfüllender Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (1) Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (2) Behandlungskosten durch Verzögerung . . . . . . . . . . . 283 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 7. Abschließende Betrachtung der Haftungsverhältnisse . . . . . . . . . . 284 a) Vertragliche Haftung des Transplantationszentrums . . . . . . . . . 284 b) Deliktische Haftung des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 c) Deliktische Haftung des Transplantationszentrums . . . . . . . . . 285 d) Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr und allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 e) Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
II. Fehlerhafte Gesundheitsmeldung an Eurotransplant . . . . . . . . . 288 1. Zu hohe Dringlichkeitsstufe: Konstellation der „Organspendeskandale“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 a) Fallkonstellation: LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13 . . . 290 b) Haftung des handelnden Arztes in Manipulationsfällen . . . . . . . 291 aa) Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (1) Generelle Nachweisbarkeit der Zuteilungsverdrängung . . . 291 (a) Strafrechtliche Kontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (b) Nachweis der Organannahme im Zivilprozess . . . . . . 293 (c) Nachweis der erfolgreichen Organübertragung . . . . . 295
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XIX
(2) Exkurs: Individueller Rechtsgüterschutz der Organverteilungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (a) Divergierende Auffassungen in der Strafrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (b) Stellungnahmen in der strafrechtlichen Literatur . . . . 298 (c) Ungenauigkeit der Allokationskriterien . . . . . . . . . 299 (d) Bestimmung des Schutzzwecks der Verhaltensnormen durch Auslegung . . . . . . . . . . . 300 (e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 bb) Zivilrechtlicher Schutz des derivativen Teilhaberechts . . . . . . 302 (1) Unmittelbar vermittlungsrelevante Regelungen . . . . . . . 303 (2) § 10 Abs. 3 S. 2 TPG als Schutzgesetz . . . . . . . . . . . . 303 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Richtlinienwidrige Wartelistenaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Rechtswidrige Richtlinienbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Rechtmäßige Richtlinienbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Verspätete Mitteilung nach § 13 Abs. 3 S. 3 TPG . . . . . . . . . . . . 308 4. Zu niedrige Dringlichkeitsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
III. Die fehlgeschlagene Organvermittlung durch Organisationsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Übernahmeverschulden, Zumutbarkeit sowie Treu und Glauben . . . . 311 2. Gegenläufige Richtlinienbestimmungen und AGB-Recht . . . . . . . . 313 3. Kausalitätsvermutung des § 630h Abs. 4 BGB bei Organisationsmängeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315
§ 7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Auffassung a. a. O. am angegebenen Ort a. E. am Ende a. F. alte Fassung Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz allg. allgemein Alt. Alternative Anh. Anhang AR Arztrecht (Fachzeitrschrift) Art. Artikel Aufl. Auflage BAG Bundesarbeitsgericht BÄK Bundesärztekammer BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BR-Drs. Bundesratsdrucksache BRJ Bonner Rechtsjournal BSG Bundessozialgericht BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BW Baden-Württemberg bzw. beziehungsweise ca. circa ders. derselbe DSO Deutsche Stiftung Organtransplantation Dt. Ärztebl Deutsches Ärzteblatt Ebda. Ebenda Einl. Einleitung ELAS Eurotransplant Liver Allocation System f. folgende(r/s) ff. folgende (Plural) Fn. Fußnote
XXII
Abkürzungsverzeichnis
FS Festschrift (für) gem. gemäß GesR Gesundheitsrecht, Zeitschrift für Arztrecht, Krankenhausrecht, Apotheken- und Arzneimittelecht GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls Glp. Gliederungspunkt GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber HU High Urgency i. F. d. in der Fassung der i. S. d. im Sinne des i. Ü. im Übrigen i. V. m. in Verbindung mit insb. insbesondere IRODaT International Registry on Organ Donation and Transplantation JA Juristische Ausbildungsblätter (Fachzeitschrift) jew. jeweils Jura Juristische Ausbildung (Fachzeitschrift) JR Juristische Rundschau (Fachzeitschrift) JZ Juristenzeitung LAS Lung Allocation Score Lfg. Lieferung LG Landgericht LKHG Landeskrankenhausgesetz med. medizinisch(e/en) Med Klin Intensiv- Medizinische Klinik – Intensivmedizin und Notfallmedizin med Notfmed (Medizinische Fachzeitschrift) MedR Medizinrecht (Fachzeitschrift) m. w. N. mit weiteren Nachweisen m. w. Rspr.Nachw. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen Nachtr. Nachtrag N. Engl. J. Med. The New England Journal of Medicine NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht OLG Oberlandesgericht PatRG Patientenrechtegesetz RG Reichsgericht des Deutschen Reiches RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rlp Rheinland-Pfalz Rn. Randnummer Rz. Randziffer r+s Recht und Schaden (Fachzeitschrift) S. Seite / Siehe / Satz
Abkürzungsverzeichnis
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SGb Die Sozialgerichtsbarkeit (Fachzeitschrift) Sog. sogenannte(r/s) SoldatenG Soldatengesetz StGB Strafgesetzbuch St. Rspr. Ständige Rechtsprechung StV Der Strafverteidiger (Fachzeitschrift) TPG Transplantationsgesetz TFG Transfusionsgesetz TVG Tarifvertragsgesetz u. a. unter anderem U. K. Universitätsklinikum USA Vereinigte Staaten von Amerika v. vom VermV Vermittlungsstellenvertrag (mit Eurotransplant) VersR Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof Vgl. Vergleiche Vorb. Vorbemerkung WzS Wege zur Sozialversicherung (Fachzeitschrift) z. B. zum Beispiel ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZMGR Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
„In den entscheidenden Augenblicken seiner Tätigkeit befindet sich der Arzt in einer unvertretbaren Einsamkeit, in der er – gestützt auf sein fachliches Können – allein auf sein Gewissen gestellt ist.“ Bundesverwaltungsgericht Urteil v. 18.7.1967 – I C 9/66 = NJW 1968, 218, 219.
§ 1 Einleitung Die transplantationsmedizinische Behandlung hat für die betroffenen Patienten existenzielle Bedeutung. Im Gefolge von irreversiblen Schädigungen oder Erkrankungen lebenswichtiger Organe besteht für die Patienten oftmals ihre letzte Überlebenschance in der rechtzeitigen Zuteilung und erfolgreichen Übertragung eines gespendeten Ersatzorgans.1 In dieser Situation legen die betroffenen Personen ihr Rechtsgut Leben in die Hände des behandelnden Transplantationszentrums, dem dadurch notgedrungen besonderes Vertrauen entgegenbracht wird. In der Transplantationsmedizin gewinnt die ärztliche Behandlung somit über ihr spezifisches Vertrauensverhältnis2 eine herausragende Bedeutung. Dabei setzen die Patienten ihr besonderes Vertrauen auf Wiederherstelllung von Gesundheit und Wohlergehen3 in die jeweiligen Behandlungsträger, welche ihrerseits darauf vertrauen, den Patienten auf der Grundlage medizin-theoretischer Kenntnisse und praktischen Erfahrungswissens behandeln zu können.4 Die transplantationsmedizinische Behandlung unterscheidet sich von einem üblichen Arzt-Patient-Verhältnis nicht zuletzt dadurch, dass die erfolgreiche Therapie in erster Linie von der rechtzeitigen Zuteilung eines Spenderorgans abhängt. Neben dem Transplantationseingriff selbst und dem postoperativen Risiko immunologischer Abstoßungsreaktionen5 stellt die Vermittlung eines kompatiblen Organs vor dem Hintergrund des bereits Jahrzehnte andauernden Mangels an postmortal gespendeten Organen regelmäßig die größte Hürde für den Heilungsprozess der Patienten dar. Die Transplantationsmedizin ist damit zu einem Paradebeispiel für die Verwaltung und Verteilung knapper Ressourcen in der Gesundheitsversorgung geworden6, welche vor dem Hintergrund lebensgefährlicher Erkrankungen eine Söffker/Komm/Kluge, Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 396, 396. BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 = NJW 1979, 1925, 1930. Vgl. allg. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 17; Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, 119, 124; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 5 ff.; Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 9. 3 Vgl. Deutsch, in: Spickhoff, TPG, Einl. Rn. 16. 4 Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 1 Rn. 13. 5 Vgl. Oduncu, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Einl. Rn. 34. 6 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 1 f.; Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, 119, 125; Höfling, JZ 2007, 481, 481. 1 2
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§ 1 Einleitung
außerordentliche Grundrechtsrelevanz aufweist. Seit Beginn des einheitlichen Organspende- und ‑vermittlungsverfahrens steht nicht annähernd die notwendige Zahl an transplantationsfähigen Organen zur Verfügung, was hauptsächlich daran liegt, dass die nach einem irreversiblen Hirntod potentiell für eine Organübertragung in Betracht kommenden Organe aufgrund juristischer Hemmnisse nicht für eine postmortale Organspende gewonnen werden können.7 Zu dieser ohnehin schon schwierigen Situation im deutschen Transplantationsrecht gesellte sich in den letzten Jahren ein erheblicher Vertrauensverlust in der Bevölkerung hinzu, welcher durch die bekannt gewordenen Manipulationen beim Ranking der Patienten auf den vermittlungsrelevanten Wartelisten genährt wurde.8 Damit sind vor allem die Vorgänge an mehreren deutschen Universitätskliniken9 angesprochen, bei denen die verantwortlichen Ärzte vorsätzlich eine erheblich schlechtere Einstufung des Gesundheitszustandes ihrer Patienten und damit einen höheren Dringlichkeitsstatus10 an die internationale Organvermittlungsstelle Eurotransplant weiterleiteten, sodass sich die Chancen auf eine erfolgreiche Organzuteilung signifikant erhöhten. Darüber hinaus wurden Vorwürfe erhoben, wonach die behandelnden Ärzte kontraindizierende Tatbestände der von der Bundesärztekammer erlassenen Vermittlungsrichtlinien ignoriert hätten, sodass Patienten regelwidrig bei der Organvermittlung berücksichtigt worden seien.11 Als Reaktion auf die bekannt gewordenen und medial aufgegriffenen Skandale kam es in den letzten Jahren zu einem dramatischen Einbruch bei der Anzahl an verfügbaren Organspendern, welche schließlich einen neuen historischen Tiefstand erreichte.12 Die Problematik der Organknappheit in der Transplantationsmedizin und das sich hieraus ergebende Verteilungsproblem haben sich infolgedessen noch einmal in erheblichem Maße verschärft. 7 Vgl. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), Jahresbericht 2015, S. 4 4 ff.; ausführlicher zu diesem Befund unter Glp. § 2 II. f. 8 Vgl. Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3398. 9 Vgl. Universitätsklinikum (U.K.) Göttingen: Nefzger, in: FAZ v. 5.5.2015, abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/im-organspende-prozess-in-goet tingen-steht-das-system-mit-vor-gericht-13576624.html, zuletzt am 20.9.2015; U.K. Heidelberg: Berndt, in: SZ v. 15.10.2015, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/gesund heit/-skandal-um-herztransplantationen-weitet-sich-aus-1.2694599, zuletzt am 20.9.2016; U.K. München: Berndt, in: SZ v. 13.11.2015, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/ muenchen/klinikum-grosshadern-aerzte-tricksten-bei-lungen-trans-plantationen-1.273 6001, zuletzt am 20.9.2016; U.K. Regensburg: Berndt, in: SZ v. 22.3.2013, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/organspende-skandal-in-regensburg-als-aerzte-be sonders-freigiebig-mit-lebern-waren-1.1630759, zuletzt am 20.9.2016. 10 Vgl. LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13; OLG Braunschweig, Beschluss v. 20.3.2013 – Ws 49/13 = BeckRS 2013, 12038. 11 Vgl. LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13. 12 Eurotransplant, Annual Report 2015, S. 41.
I. Recht der Organvermittlungen als gesetzgeberische Herausforderung
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I. Recht der Organvermittlungen als gesetzgeberische Herausforderung Bei jedem Mangelzustand stellt sich zwangsläufig die Frage, nach welchen Kriterien, durch welchen Entscheidungsträger und an welchen Empfänger die knappe Ressource verteilt werden soll. Auf dem Gebiet der Organentnahmen und Organverteilung gehört die medizinisch sinnvolle und „gerechte“ Vermittlung13 der entnommenen Organe zu den schwierigsten Fragestellungen, welche der transplantationsrechtliche Regelungskomplex aufweist. Die Verteilung einer nicht ausreichenden Zahl an Organen ist für den einzelnen Patienten eine Frage von Leben und Tod.14 Insoweit zielt das System der Organvermittlung auf das vom BVerfG15 als „Höchstwert der Verfassung“ und „Basisgrundrecht“ bezeichnete Rechtsgut Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und erhöht den „Legitimationsdruck“16 des Rechts der Organvermittlung in besonderem Maße. Nicht zuletzt deshalb stellte das gesetzlich ungeregelte Gebiet der Transplantationsmedizin über mehrere Jahrzehnte hinweg eines der „drängendsten rechts- und gesundheitspolitischen Reformvorhaben der Nachkriegszeit“17 dar. Während in den 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Entnahme und Verteilung von Geweben und Organen in den jeweils explantierenden Krankenhäusern vor Ort erfolgte, etablierte sich erst ab dem Jahr 1969 durch die Gründung der Stiftung Eurotransplant, welche in der niederländischen Universitätsstadt Leiden ansässig ist, ein zumindest in Teilen institutionalisiertes Vermittlungsverfahren.18 Im Gegensatz zum heutigen Verfahrensstandard des Transplantationsgesetzes gab es seinerzeit noch keine klaren Kompetenzzuweisungen an Eurotransplant, sondern vielmehr eine „zweigleisige Organisationsstruktur“.19 In deren Rahmen bestand für das örtliche Transplantationszentrum die Wahl zwischen einer Zentralvermittlung durch Eurotransplant oder einer lokalen Verteilung (sog. „lokaler Selbstbehalt“), welche über eigenständige Wartelisten und selbst definierte Verteilungskriterien vonstatten
13 Als gesetzgeberischer Erwägungsgrund liegt die „gerechte“ Organzuteilung auch dem TPG zugrunde, vgl. BT-Drs. 13/4355, S. 14. Zur Frage der gerechten Organzuteilung als ein von medizinischen Befunden losgelöstes Allokationskriterium vgl. die Ausführungen unter Glp. § 3 III.2.c).bb).(2) sowie Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 102 ff. 14 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 2 15 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 – 1 BvF 1–6/74 = NJW 1975, 573, 575. 16 Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, Vorb. Rn. 1. 17 König, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Einl. Rn. 1. 18 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 80. 19 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit, S. 7.
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§ 1 Einleitung
ging.20 Als Ordnungsrahmen des lokalen Selbstbehalts diente der sog. Transplantationskodex21, welcher im Jahre 1987 auf der Grundlage einer von den Transplantationszentren verfassten Selbstverpflichtung eingeführt wurde und die wichtigsten medizinischen, juristischen und ethischen Grundsätze zusammenfasste.22 Dieses Vorgehen änderte sich nach mehreren gescheiterten Länderinitiativen 23 erst mit In-Kraft-Treten des heutigen Transplantationsgesetzes24 am 1.12.1997, welches nunmehr eine zentrale und einheitliche Erfassung, Entnahme, Verteilung und Übertragung der Organe festlegt. Durch das TPG sollte vor allem ein klarer Rechts- und Handlungsrahmen für die am Vermittlungs- und Transplantationsprozess beteiligten Stellen geschaffen und die Anzahl an Organspendern durch ein wertungsgerechtes System sowie eine zivil- und strafrechtliche Absicherung von Organspenden und -entnahmen 25 gesteigert werden.26 Die letztere Erwägung fand durch eine Gesetzesänderung im Jahre 201227 in § 1 Abs. 1 S. 1 TPG explizit Eingang in den Gesetzestext, wonach es das Ziel des Gesetzes ist, die Bereitschaft zur Organspende innerhalb der in Deutschland lebenden Bevölkerung zu fördern. In den Regelungsbereich des TPG fallen unter anderem die Feststellung des Hirntodes, die Voraussetzungen der postmortalen Organspende, die Wertentscheidung zugunsten der Subsidiarität der Lebendspende und die diesbezüglichen Voraussetzungen, insbesondere die Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Organspende, sowie das strikte Verbot des Organhandels.28 Zudem soll das TPG im Gegensatz zum früheren Prinzip des lokalen Selbstbehalts die Einheitlichkeit der Organverteilung sowie die damit einhergehende Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit der Patienten durch die einheitliche Warteliste nach § 12 Abs. 3 S. 2 TPG sicherstellen.29 Die konkrete Ausgestaltung der gesetzge20 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 80 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit, S. 7. 21 Transplantationskodex der Deutschen Transplantationsgesellschaft e.V. (DTG), in der Fassung von 2013, abrufbar unter: http://d-t-g-online.de/index.php/ueber-uns/transplantationskodex, zuletzt am 20.9.2016. 22 Middel/Scholz, in: Spickhoff, TPG, Medizinrecht, Vorb. Rn. 4; Ulsenheimer, in: Laufs/ Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 2. 23 Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 2. 24 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz ‑ TPG), i.F.d. Bekanntmachung v. 5.11.1997, BGBl. I S. 2631 ff. 25 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 4. 26 BT-Drs. 13/8017, S. 26; König, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Einl. Rn. 1; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, Vorb. Rn. 2. 27 Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz i.F.d. Bekanntmachung v. 12.7.2012, BGBl. I S. 1504. 28 Middel/Scholz, in: Spickhoff, TPG, Vorb. Rn. 2. 29 Middel/Scholz, in: Spickhoff, TPG, Vorb. Rn. 2.
I. Recht der Organvermittlungen als gesetzgeberische Herausforderung
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berischen „Regulierung“ sowie einzelne Wertentscheidungen des Gesetzgebers stießen von Anfang an auf rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik, die in uneingeschränkter Form bis heute aufrechterhalten wird.30 Besonderer Aufmerksamkeit kommt in diesem Zusammenhang sowohl der rechtspolitisch umstrittenen erweiterten Zustimmungslösung31 nach den §§ 3, 4 TPG als auch der verfassungsrechtlichen Diskussion über das Regelungssystem der Verteilungskriterien (sog. „Allokationskriterien“) zu. Gerade letzteres gehört aufgrund der Unbestimmtheit der Kriterien, der an die Bundesärztekammer delegierten Konkretisierung und einzelner weiterer inhaltlicher Bestimmungen zu den umstrittensten, problematischsten und „fragwürdigsten“32 Regelungen des gesamten Medizinrechts.33 Die Subsidiarität und rechtspolitische Begründung des paternalistischen Verbots der uneingeschränkten Lebend organspende stießen ebenfalls auf scharfe Kritik 34, welche im Hinblick auf den sich verschärfenden Organmangel in Zukunft wohl weiter zunehmen wird. In der Transplantationsmedizin treffen Verteilungs- und Rationierungskonflikte auf elementare Rechtsgüter der Staatsbürger. Dabei liegt es auf der Hand, dass sich eine gesetzgeberische Lösung dieses Spannungsverhältnisses immer am Maßstab des Verfassungsrechts und der Gerechtigkeitsanschauungen der Bevölkerung orientieren muss. Gerade der Gerechtigkeitsaspekt spielt insofern eine keinesfalls untergeordnete Rolle, als eine höhere Bereitschaft zur Organspende nur durch ein rechtspolitisch überzeugendes System erreicht werden kann. Damit steht der Gesetzgeber vor der Herausforderung, die Verteilung der Organe als Lebenschancen der Patienten nach objektiven, nachvollziehbaren und in den Augen der Bürger transparenten Kriterien zu ordnen.35 Hierzu bedarf es eines Ausgleichs zwischen den Verteilungsinteressen der Patienten einerseits und des Persönlichkeitsrechts der potentiellen Organempfänger andererseits, welches vor Diskriminierungen sowie Eingriffen durch Dritte in die Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit schützen soll.36 Aus der enormen Grundrechtsrelevanz der Allokationsentscheidungen folgt bereits, dass die 30
Ausführlich unter Glp. § 3 II. f. Die zum Teil als „Entscheidungslösung“ titulierte Gesetzgebungsänderung 2012 mit Informationsanstrengungen der Krankenhassen hinsichtlich einer Entscheidung über die Zustimmung zu Organspenden brachte keine neuen Voraussetzungen für die Organspende mit sich. 32 Bader, Organmangel und Organvermittlung, S. 173 f.; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 1; zustimmend Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 1. 33 Vgl. Lang, MedR 2005, 269, 269 ff. 34 Vgl. Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 78 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 211 f.; Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 4. 35 Ach/Anderheiden/Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 185. 36 Vgl. Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, Vorb. Rn. 2. 31
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§ 1 Einleitung
Materie der Verteilung postmortal gespendeter Organe nur auf der Grundlage einer ausreichenden demokratischen Legitimation vernünftig geregelt werden kann. Schlussendlich kann sich die Frage, wie eine Mangelverwaltung in Ansehung der hervorgehobenen Rechtsgüter rational, gerecht und angemessen zu regeln ist, nicht allein auf medizinische Erkenntnisse stützen.37 Wie im Folgenden zu zeigen ist, bedarf es vielmehr bei den Kriterien, welche nicht nur technischer, sondern vorwiegend normativer Natur sind, einer grundsätzlichen Wert entscheidung des Gesetzgebers. Ob das derzeitige System der Organvermittlung diesen Ansprüchen genügt, wurde in der Literatur zwar bereits mehrfach untersucht, bleibt im Ergebnis jedoch weiterhin umstritten.38 Darüber hinaus ist noch weitgehend ungeklärt, wie sich die Erkenntnisse der verfassungs- und auch strafrechtlichen Diskussion auf die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen den Transplantationszentren und den einzelnen Patienten auswirken. Die Mitwirkungspflichten der Transplantationszentren, insbesondere bei der Aufnahme der Patienten in die Warteliste, sind dabei von einer tiefen Rechtsunsicherheit geprägt. Die Fragen, wie zentrale Wertungskriterien im Einzelfall auszulegen sind, wann ein Patient in eine Warteliste aufgenommen werden darf und ob entgegenstehende Festsetzungen der Bundesärztekammer im Zweifel ignoriert werden müssen, stehen beispielhaft für den gesamten Regelungskomplex der derzeitigen Organvermittlung und können für die zivilrechtlichen Verhältnisse zwischen Behandlungsträger und Patient nicht folgenlos bleiben. Für diejenigen Patienten, die bei entsprechender medizinischer Indikation als potentielle Organempfänger in Betracht kommen, sind die Kriterien für die Aufnahme in eine Warteliste somit in ungewöhnlichem Maße von rechtlichen Wertungen abhängig39, die durch die Gesetzeslektüre allein von den behandelnden Ärzten nicht abgrenzungssicher bestimmt werden können. Der Arzt soll sich grundsätzlich an den Patienteninteressen orientieren, die im Mittelpunkt der ärztlichen Behandlungspflichten stehen, was als sog. patientenzentrierte Therapie bezeichnet wird.40 In einer Thematik, welche die genuine Verteilungs- und Gleichbehandlungsinteressen der Gesamtheit aller Patienten betrifft, ist der Gesetzgeber jedoch gehalten, diese Zentrierung in einen tragba37 Vgl. Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Vorb. § 12 Rn. 4; Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, 119, 126; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 1. 38 Vgl. etwa die monographischen Untersuchungen bei Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 195 ff.; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 173 ff., 291 ff.; Mohammadi-Kangarani, Dir Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 99 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 33 ff. 39 Vgl. Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 29 40 Söffker/Komm/Kluge, Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 396, 396.
II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands und Gang der Betrachtung
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ren Gemeinwohlausgleich zu bringen. Wie sich die offensichtlich beispiellose Rechtsunsicherheit bei den Vermittlungskriterien auf die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen Arzt und Patient auswirkt, wird spätestens nach der strafrechtlichen Aufarbeitung der in jüngster Zeit publik gewordenen Organspendeskandale an Bedeutung gewinnen. Auch in zivilrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, welche Konsequenzen für die Beteiligten daraus erwachsen, dass der Gesetzgeber nicht selbst rechtssicher vorgegeben hat, „wer sterben soll, wenn nicht alle leben können“ 41.
II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands und Gang der Betrachtung An diese zentrale Problemstellung des Transplantations- und Medizinrechts knüpft die vorliegende Untersuchung an. Sie soll, auf dem bisherigen wissenschaftlichen Stand der juristischen Erkenntnisse aufbauend, neben der verfassungsrechtlichen Diskussion um die Defizite der Regelungssystematik der §§ 10, 12 und 16 TPG vor allem der Frage nach den zivilrechtlichen Konsequenzen der verfassungsrechtlichen Erkenntnisse nachgehen. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die vertragsrechtlichen Beziehungen der transplantationsrechtlichen Akteure untereinander sowie die sich daran anschließenden Haftungsfragen. Zudem soll auf die Verortung der Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG in der Dogmatik des neuen Behandlungsvertragsrechts der §§ 630a ff. BGB sowie auf die Rechtsnatur der vermittlungsrelevanten Entscheidungen der Transplantationszentren und Eurotransplants eingegangen und die sich hieraus ergebenden Problemstellungen untersucht werden. Die Frage nach dem Primärrechtsschutz und den direkt gegen Eurotransplant gerichteten Ansprüchen sind dagegen nicht Hauptschwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Im Vordergrund steht vielmehr die Einordnung des Transplantationsrechts in das System der Arzthaftung, wonach vor allem den Rechtsbeziehungen zwischen den Transplantationszentren und den Patienten eine besondere Bedeutung zukommt. Entsprechend dieser Zielsetzung gliedert sich die vorliegende Arbeit. Nach einer Erläuterung der grundlegenden transplantationsrechtlichen und -medizinischen Termini sowie einer quantitativen Analyse der derzeitigen Transplantationspraxis (§ 2) soll der aktuelle transplantationsrechtliche Rechts- und Organisationsrahmen analysiert werden (§ 3). Hierbei ist einerseits auf den geltenden 41 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 2; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Vorb. § 12 Rn. 1; ähnlich Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 2: „Entscheidung über Leben und Tod“.
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§ 1 Einleitung
transplantationsrechtlichen Verfahrensablauf sowie die dogmatische Verortung der Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG sowie andererseits auf die Verfassungsmäßigkeit des derzeitigen Rechts der Organallokation und den zugrunde liegenden Allokationskriterien einzugehen. Nach einer Übersicht über das bürgerlich-rechtliche Behandlungsvertragsrecht aus transplantationsrechtlicher Sicht und den einzelnen Vertragsbeziehungen soll die Einordnung der verschiedenen vermittlungsrelevanten Pflichten nach öffentlichem oder bürgerlichem Recht thematisiert werden (§ 4). Hieran schließt sich die Untersuchung des medizinischen Standards in der heutigen Transplantationsmedizin (§ 5) an, wobei insbesondere dessen Ermittlung und Bedeutung im Zusammenhang mit den Richtlinien der Bundesärztekammer eruiert werden sollen. Die angesprochenen Problemkreise, welche sich maßgeblich aus einem Zusammenspiel von Transplantations-, Verfassungs- und Behandlungsvertragsrecht ergeben, sollen sodann in einer fallgruppensystematischen Betrachtungsweise haftungsrechtlich untersucht werden (§ 6). In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Frage nach einer verschuldensrelevanten Richtigkeitsgewähr der transplantationsrechtlichen Richtlinien sowie einer zivilrechtlichen Betrachtung der öffentlich thematisierten „Organspendeskandale“ eingegangen. Die Arbeit schließt mit einem Blick auf die wesentlichen Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung (§ 7).
§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme Seit der ersten Herztransplantation im Jahre 1967 ist die Transplantationsmedizin wie kein anderer medizinischer Fachbereich zum Sinnbild für den wissenschaftlichen Fortschritt in einer hoch entwickelten, gesundheitlich orientierten Gesellschaft geworden.1 Durch die in den letzten Jahrzehnten vollzogenen Entwicklungen auf immunologischem und molekularbiologischem Gebiet wurde es möglich, das Leben tausender Patienten zu retten. Allerdings sind dem Erfolg dieser Errungenschaften durch einen chronischen Mangel an transplantationsfähigen Organen in erheblichem Maße Grenzen gesetzt, sodass nicht jedem potentiellen Organempfänger auch tatsächlich ein Organ zugeteilt werden kann. Diese Gegebenheiten prägen das Transplantationsrecht in seiner derzeitigen Form und sind für das Verständnis der geltenden Allokationsregeln von elementarer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund soll zunächst der Begriff der Organtransplantation erläutert und der Anwendungsbereich des Transplantationsgesetzes bezüglich vermittlungspflichtiger Organe dargestellt werden. Danach werden die rechtlichen Voraussetzungen für die verschiedenen Formen einer Organspende genannt und es wird ein Überblick über die Anzahl der in den letzten Jahren gespendeten Organe gegeben. Die Bestandsaufnahme schließt mit der quantitativen Betrachtung des aktuellen Organmangels und einer Darstellung der in diesem Zusammenhang diskutierten Gründe und Ursachen. Bezüglich rechtspolitischer Lösungsansätze und Strategien zur Überwindung des Organmangels sei an dieser Stelle auf entsprechende Untersuchungen der letzten Jahre verwiesen.2 Der organisationsrechtliche Ablauf des Organtransplantationsverfahrens nach dem TPG ist Gegenstand des nächsten Kapitels.
I. Organtransplantation Der Begriff Transplantation leitet sich von dem lateinischen Verb transplantare (deutsch: verpflanzen) ab und bezeichnet die Übertragung von Zellen, Geweben Vgl. Middel/Scholz, in: Spickhoff, TPG, Vorb. Rn. 1. So ausführlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 9 ff.; ferner auch Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 8 ff. 1 2
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§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
und Organen zum Zwecke einer medizinischen Heilbehandlung.3 Das therapeutische Ziel besteht darin, irreversibel geschädigte und funktionseingeschränkte Organe dauerhaft zu ersetzen.4 Die Geschichte der Transplantationsmedizin beginnt nach unserem heutigen Verständnis im Jahre 1900 mit der Entdeckung des AB0-Blutgruppensystems durch den Wiener Arzt Karl Landsteiner. Weiterere Meilensteine sind die erste Nierentransplantation bei einem Tier im Jahre 1906 durch den französischen Chirurgen Alexis Carrel sowie die erste Übertragung einer Augenhornhaut (Cornea) durch den österreichischen Arzt Eduard Zirn im Jahre 1905.5 Seitdem haben sich die Möglichkeiten der Transplantationsmedizin rasant fortentwickelt: Gefolgt von der ersten Nierenübertragung zwischen Zwillingsbrüdern in Boston durch den Arzt Joseph Murray im Jahre 19546 wurden in der Bundesrepublik seit 19637 über 124.269 Organe8 transplantiert. Durch die Entdeckung des weitverzweigten Humanen Leukozytenantigen-Systems (HLA-System), dessen Gene die sog. Gewebsmerkmale codieren, und die Entwicklung des Immunsuppressivums Zyklosporin konnten Organübertragungen auch bei genetisch divergierenden Spender-Empfänger-Konstellationen mit einer nunmehr deutlich geringeren Gefahr von lebensbedrohlichen immunologischen Absto ßungsreaktionen9 durchgeführt werden.10 Dadurch etablierte sich die Transplantationsmedizin zu einer Behandlungsmethode, welche für viele Patienten mit irreversiblen Organerkrankungen die einzig verbleibende kurative Therapieoption darstellt.11 Seit dem Jahr 1997 sind die wesentlichen juristischen Rahmenbedingungen einer Organverpflanzung im Transplantationsgesetz geregelt. Dieses umfasst die Voraussetzungen für die Lebend- und postmortale Organspende sowie die 3 Ausführlicher zu der medizinischen Unterscheidung Borowy, Postmortale Organentnahme und zivilrechtliche Folgen, S. 29, insbesondere mit Bezügen zur Histokompatibilität im Rahmen allogener Organtransplantationen; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 1. 4 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 168 Rn. 1. 5 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 168 Rn. 1. 6 Durchgeführt von Joseph Murray in Boston 1954, der hierfür im Jahre 1990 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, vgl. Söffker/Komm/Kluge, Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 396, 396. Hierzu auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 10; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 168 Rn. 2. 7 Die erste Nierentransplantation zwischen Verwandten in Deutschland wurde 1963 durch den Berliner Chirurgen Wilhelm Brosig am Klinikum Charlottenburg durchgeführt; vgl. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 10. 8 DSO, Jahresbericht 2015, S. 10. 9 Ausführlich hierzu Oduncu, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Einl. Rn. 34. 10 Söffker/Komm/Kluge, Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 396, 396. 11 Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, Vorb. Rn. 1; Söffker/Komm/Kluge, Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 396, 396.
I. Organtransplantation
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Durchführung von Entnahme, Vermittlung und Übertragung vermittlungspflichtiger Organen.
1. Anwendungsbereich des Transplantationsgesetztes (TPG) In § 1a Nr. 1 TPG werden solche Organe dem Anwendungsbereich des TPG zugeordnet, welche aus verschiedenen Geweben bestehen und als differenzierte Teile des menschlichen Körpers hinsichtlich ihrer Struktur, Blutgefäßversorgung und Fähigkeit zum Vollzug physiologischer Funktionen eine funktionale Einheit bilden. Explizit ausgenommen vom transplantationsrechtlichen Organbegriff ist nach § 1a Nr. 1 TPG die Haut, die im Gegensatz zum medizinischen Begriffsverständnis transplantationsrechtlich lediglich als Gewebe gem. § 1a Nr. 4 TPG zu klassifizieren ist.12 Hingegen sind Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse und Darm nach § 1a Nr. 2 TPG explizit vermittlungspflichtige Organe im Sinne des TPG. Blut13, Blutbestandteile sowie entnommene Gewebe zum Zwecke einer intraoperativen Rückübertragung fallen unabhängig von einer etwaigen Organqualität nicht unter den Anwendungsbereich des TPG, § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 TPG. Auch künstliche Transplantate oder medizinische Hilfsprodukte, wie z.B. Prothesen oder Herzschrittmacher, fallen ebenfalls nicht unter den Anwendungsbereich des TPG.14 Die Knochenmarkspende wird in den §§ 3, 8, 8a TPG mitgeregelt und steht ebenfalls nicht unter dem Anwendungsbereich der TPG-Regelungen für vermittlungspflichtige Organe.15 Obwohl der transplantationsrechtliche Organbegriff eine beachtenswerte Weite besitzt16, kommt hingegen nur den in § 1a Nr. 2 TPG abschließend genannten Organen Herz, Leber, Lunge, Niere, Bauchspeicheldrüse und Darm eine Vermittlungspflichtigkeit zu. Ihre Entnahme und Vermittlung an potentielle Organempfänger erfolgt im Rahmen des in den §§ 3 und 4 TPG sowie §§ 9 ff. TPG verbindlich geregelten Entnahme- und Organisationsverfahrens.17 Erweitert wird der Katalog an vermittlungspflichtigen Organen durch Organteile sowie einzelne Gewebe oder Zellen menschlicher Organe, die unter Aufrechterhaltung der Anforderungen an Struktur und Blutgefäßversorgung zum gleichen 12 Zur Diskrepanz im Hinblick auf den medizinischen Organbegriff vgl. Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 1a Rn. 3; Prütting, FAKomm Medizinrecht, TPG, § 1a Rn. 4. 13 Für die Blutspende und die diesbezüglichen Sendeeinrichtungen sowie deren Versorgungsauftrag sind aufgrund der besonderen Komplexität der transfusionsmedizinischen Sorgfaltspflichten die speziellen Regelungen der §§ 1 ff. Transfusionsgesetz (TFG) maßgeblich. 14 Czerner, in: Höfling, TPG, § 1a Rn. 19; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 5. 15 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 5 a. E. 16 Vgl. Czerner, in: Höfling, TPG, § 1a Rn. 3; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1244 f. 17 Vgl. ausführlich hierzu Glp. § 3 I.
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§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
Zweck wie das ganze Organ im menschlichen Körper Verwendung finden.18 Dies betrifft unter anderem die Leberlappen, Lungenflügel oder Herzklappen.19 Maßgeblich ist somit der funktionelle Charakter der entnommenen Organteile und Organgewebe, welcher mit der physiologischen Funktion des Organs in seiner Gesamtheit in Beziehung steht. Exemplarisch nennt der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung „Leber- und Lungenlappen“, die an die Stelle des bisherigen Gesamtorgans Leber bzw. Lunge treten.20 Die nicht zur Regeneration befähigten Organe nach § 1a Nr. 3 TPG beziehen sich auf die Lebendspende und umfassen entgegen dem weiten funktionellen Organbegriff aus § 1a Nr. 1 und 2 TPG nur das Organ als Ganzes, sodass es insoweit auch keine Rolle spielt, ob sich beispielsweise die Leber nach einer Teilexplantation in bestimmtem Umfang regenerieren kann.21
1. Begriffsverständnis der „Transplantation“ Der Begriff der Übertragung ist in § 1a Nr. 7 TPG legaldefiniert und umfasst die Verwendung von Organen oder Geweben in oder an einem menschlichen Empfänger sowie die Anwendung beim Menschen außerhalb des Körpers. Unabhängig von diesem juristischen Begriffsverständnis wird in der Transplantationsmedizin zwischen verschiedenen Arten der Übertragungen unterschieden, welche jeweils Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des TPG haben. a) Medizinische Differenzierungen Bei transplantationsmedizinischen Eingriffen unterscheidet man grundsätzlich zwischen autogenen, syngenen, allogenen und xenogenen Organübertragungen. Während die autogene Transplantation eine Übertragung innerhalb ein und desselben Individuums bezeichnet, wird unter einem syngenen Transplantationseingriff eine Übertragung zwischen zwei genetisch identischen Individuen 22 verstanden, bei der keine immunologische Abstoßungsreaktion des Empfänger organismus zu befürchten ist.23 Während autogene Transplantationen aus § 1 Abs. 1 TPG ersichtlich 24 nicht unter den Anwendungsbereich des TPG fallen, Czerner, in: Höfling, TPG, § 1a Rn. 19; Middel/Scholz, in: Spickhoff, TPG, § 1a Rn. 3. König, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 1 Rn. 5. 20 BT-Drs. 16/3146, S. 24 sowie Roth, in: Prütting, FAKomm Medizinrecht, TPG, § 1a Rn. 5. 21 Czerner, in: Höfling, TPG, § 1a Rn. 25; Middel/Scholz, in: Spickhoff, TPG, § 1a Rn. 5. 22 So zum Beispiel bei eineiigen Zwillingen, vgl. Borowy, Postmortale Organentnahme und zivilrechtliche Folgen, S. 30. 23 Borowy, Postmortale Organentnahme und zivilrechtliche Folgen, S. 30. 24 Vgl. Wortlaut von § 1 Abs. 1 TPG: „(…) zum Zwecke der Übertragung auf andere Menschen“; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 30, ebenso König, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 1 Rn. 16. 18
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II. Organspende
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sind die transplantationsrechtlichen Entnahme- und Vermittlungsvorschriften auf syngene Organübertragungen ohne weiteres anwendbar. Darüber hinaus ist zwischen allogenen und xenogenen Transplantationen zu unterscheiden. Allogene Transplantationen stellen in der Transplantationsmedizin den Regelfall dar und beschreiben die Übertragung entnommener Organe auf einen Empfänger derselben Spezies. Es handelt sich mithin um sämtliche Mensch-zu-Mensch-Übertragungen, die nicht bereits unter die autogenen oder syngenen Transplantationsverfahren fallen. Xenogene Transplantationen erfolgen zwischen Spendern und Empfängern verschiedener Spezies25 und sind nach dem klaren Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 1 TPG vom Anwendungsbereich des TPG ausgenommen. Zusammenfassend unterliegen die syngenen und allogenen Organtransplantationsvorgänge dem Geltungsbereich des TPG, während autogene und xenogene Übertragungen davon explizit nicht erfasst werden. b) Häufigkeit der einzelnen Organübertragungen Von den insgesamt 124.269 Organen, die in der Zeit von 1963 bis einschließlich 2015 in der Bundesrepublik Deutschland transplantiert wurden, handelt es sich mit insgesamt 80.294 Fällen größtenteils um Nierenübertragungen, gefolgt von 22.850 Lebertransplantationen. An dritter Stelle stehen die Herztransplantationen mit 12.218 realisierten Eingriffen. Demgegenüber entfallen auf Lunge und Pankreas jeweils nur 5.243 bzw. 3.664 durchgeführte Transplantationen.26
II. Organspende Jede Übertragung eines Organs beginnt mit dessen Spende. Zu diesem Zweck wird das zu übertragende Organ vom Organspender operativ entnommen und im Rahmen der jeweils maximalen Konservierungszeit dem Organempfänger zugeteilt. Die Transplantationsmedizin sowie das deutsche Transplantationsrecht unterscheiden hierbei zwischen einer Lebendspende, d. h. einer Organent25 Borowy, Postmortale Organentnahme und zivilrechtliche Folgen, S. 31; zum juristischen und medizinischen Problemfeld der Xenotransplantationen vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1289 m. w. N. Zur Anwendbarkeit des AMG bei Xenotransplantationen vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 30. Zu medizinischen Besonderheiten Reichart et al., in: Organ Transplantation in Times of Donor Shortage, 209, 212 ff. 26 Zum ganzen Eurotransplant, Gesamtzahl der Organtransplantationen in Deutschland im Zeitraum von 1963 bis 2015 nach Organen. Statista. Verfügbar unter: http://de.statista. com/statistik/daten/studie/202037/umfrage/anzahl-der-organtransplantationen-in-deutsch land/, zuletzt am 20.9.2016.
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§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
nahme beim lebenden Menschen, und einer postmortalen Organspende, d. h. einer Organentnahme nach irreversiblem Ausfall der Gesamthirnfunktion (sog. „Hirntod“). Unter den im Jahre 2015 realisierten Organtransplantationen erfolgten 3.083 Übertragungen nach einer postmortalen Organentnahme.27 Ihnen stehen 691 Organübertragungen im Zuge einer Lebendspende gegenüber, was einem Verhältnis von 81,6% an postmortalen Organspenden zu 18,4% an Lebendspenden entspricht.28
1. Lebendspende Wie jeder andere medizinische Eingriff am Körper ist auch die Entnahme eines Organs beim lebenden Menschen ein Eingriff in dessen körperliche Integrität.29 Als solcher bedarf die Organentnahme der rechtfertigenden Einwilligung des Organspenders. Sowohl die Voraussetzungen der Lebendorganspende als auch deren Verfahren sind explizit in den §§ 8 – 8c TPG geregelt, wobei das deutsche Recht die Zulässigkeit äußerst restriktiv handhabt. So ist die Organspende einer volljährigen, medizinisch geeigneten und einwilligungsfähigen Person30 gem. § 8 Abs. 1 S. 2 TPG nur zugunsten von Verwandten ersten und zweiten Grades, Ehegatten, Verlobten und anderen Personen zulässig, die dem Organspender in einer besonderen persönlichen Verbundenheit offenkundig nahe stehen. Darüber hinaus darf der Spender nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet werden. Eine Lebendspende muss nach dem Grundsatz der Subsidiarität gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG ebenfalls unterbleiben, wenn zum Zeitpunkt der geplanten Organspende ein postmortal gespendetes Organ nach Maßgabe der §§ 3, 4 TPG zur Verfügung steht.31 Der Hintergrund einer derartig restriktiven Ausgestaltung von Lebendspenden besteht darin, ein „Höchstmaß an Seriosität und Rechtssicherheit“32 legislativ gewährleisten zu wollen. Dabei verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, durch die zurückhaltende einfachgesetzliche Ausprägung der Lebendspende die Gesundheit des Spenders vor Schäden zu schützen, die Freiwilligkeit der Spende zu garantieren und eine möglichst effektive PräventiDSO, Jahresbericht 2015, S. 70. DSO, Jahresbericht 2015, S. 70, wobei mit 3 Übertragungen 0,1% der Organübertragungen im Rahmen einer sog. „Dominospende“ erfolgten, bei der gesunde Organteile des versagenden Organs reimplantiert werden können. 29 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 180 Rn. 30. 30 Zur Rechtfertigung beider Kriterien Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 5. 31 Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 15; kritisch gegenüber der Subsidiaritätsregel etwa Gutmann, Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 78 ff. 32 BVerfG, Beschluss v. 11.8.1999 – 1 BvR 2181–98 = NJW 1999, 3399, 3402. 27
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II. Organspende
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on des Organhandels zu etablieren.33 An dieser paternalistischen Einschränkung der Lebendspende, die sowohl die Handlungsfreiheit des hypothetischen Spenders als auch die Gesundheit des potentiellen Organempfängers berührt, wird immer wieder Kritik vorgebracht.34 Die Problematik der Organvermittlung stellt sich bei Lebendorganspenden schon aufgrund des eingeschränkten Spender- und Emfpängerkreises nicht. Die haftungsrechtlichen Fragestellungen einer Organentnahme vom lebenden Spender wurden bereits untersucht.35 Für die Organvermittlungstätigkeit im Rahmen der Arzthaftung wird die Lebendorganspende daher an dieser Stelle nicht weiter betrachtet.
2. Postmortale Organspende a) Irreversibler Ausfall der Gesamthirnfunktion: „Gesamthirntod“ Die mit Abstand häufigste Form einer Organspende ist die Organentnahme bei einem „toten“ Spender, was nicht zuletzt auf die gesetzlich in § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG angeordnete Subsidiarität zurückzuführen ist. Die Voraussetzungen der postmortalen Organspende sind in §§ 3 und 4 TPG geregelt und wurden hinsichtlich des Todeszeitpunkts durch die Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 1a TPG konkretisiert. Als medizinische Mindestvoraussetzung für die Entnahme von Organen bei einem potentiellen Organspender gilt der irreversible Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm, welcher im Gesetz als sog. „Gesamthirntod“ bezeichnet wird, § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG. Dabei muss der Tod des Organspenders gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft festgestellt werden, was wiederum durch die Bundesärztekammer in einer Richtlinie auf der Grundlage einer Ermächtigung von § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG konkretisiert wurde. Durch die Verweisungsanordnung auf die Bundesärztekammer entging der Gesetzgeber der Herausforderung, selbst den Zeitpunkt des Todes für die Organentnahme verbindlich festzulegen, was die lebhafte „Hirntoddebatte“ bezüglich der Bestimmung des juristischen Todeszeitpunkts weiter angefacht hat.36 Als deren Ergebnis muss die 33 BT-Drs. 13/4355, S. 20; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 3; Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 4; Weyd, Jura 2013, 437, 441. 34 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 8 Rn. 27 ff.; Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 4. 35 Vgl. Fritz, Zivilrechtliche Ersatzansprüche nach Organentnahmen, S. 33 ff. 36 Vgl. hierzu Breidenbach, in: Organ Transplantation in Times of Donor Shortage, 115, 119; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 139. Während auf der einen Seite das Erlöschen der Hirnfunktion als Kern menschlicher Persönlichkeit für den juristischen
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§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
heutige Hirntoddiagnostik neben den Symptomen für einen Ausfall der Gesamthirnfunktion auch eindeutige Nachweise einer Irreversibilität erheben. Sofern der Hirntod nach den in der Richtlinie der Bundesärztekammer niedergelegten Kriterien nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann, scheidet eine Organentnahme auch bei einem unveränderten Zustand des potentiellen Spenders aus.37 Insoweit ist der Gesamthirntod sowohl in der medizinischen Wissenschaft als auch in der juristischen und insbesondere strafrechtlichen Diskussion weitgehend anerkannt.38 b) Erweiterte Zustimmungslösung aa) Regelungsinhalt, §§ 3, 4 TPG Im internationalen Rechtsvergleich folgt das deutsche Recht dem Prinzip der sog. „erweiterten Zustimmungslösung“, mit der insbesondere dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen Rechnung getragen werden soll.39 Die Einwilligung des Organspenders, welche nicht zwingend in schriftlicher Form vorliegen muss, ist dabei eine unbedingte rechtliche Voraussetzung für die Entnahme von Organen aus einem Patienten mit irreversiblem Gesamthirnausfall, § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 TPG. Anders als im Rahmen der Geschäftsfähigkeit setzt eine wirksame Einwilligung nicht etwa eine feste Altersgrenze, sondern vielmehr die natürliche Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung und Tragweite der getroffenen Entscheidung voraus.40 Die Feststellung der natürlichen Verstandesreife hängt daher maßgeblich von der Bedeutung der Willensbetätigung ab, was diesbezüglich die Disponierung über Bestandteile der postmortalen körperlichen Integrität als Unterfall des postmortalen Persönlichkeitsrechts bedeutet. Die natürliche Einwilligungsfähigkeit kann in Anlehnung an § 2229 Abs. 1 BGB, welcher die Testierfähigkeit ab der Vollendung des 16. Lebensjahres anordnet, und an den Rechtsgedanken des § 2 Abs. 2 S. 3 TPG regelmäßig ab dem 16. Lebensjahr angenommen werden, soweit im Einzelfall keine gravierenden Umstände dieses Ergebnis in Frage stellen.41 Liegt seitens des Verstorbenen Todeszeitpunkt entscheidend sein soll, stehen dem Bedenken am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie des „In-dubio-pro-vita“-Grundsatzes gegenüber, nach welchem im Zweifel davon auszugehen ist, dass der Sterbevorgang noch nicht abgeschlossen sei; zusammenfassend Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 7 ff. 37 Für weitere Einzelheiten der Hirntoddiagnostik und der Problematik der „Non-heart-beating donors“ wird auf Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 138 ff. verwiesen. 38 Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 2. 39 Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 1. 40 Schroth, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 3 Rn. 3. 41 Middel/Scholz, in: Spickhoff, MedR, TPG, § 3 Rn. 2; Schroth, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 3 Rn. 3.
II. Organspende
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keine schriftliche Manifestation seines Organspendewillens vor, ist nach § 4 Abs. 1 S. 1 TPG zunächst der gegenüber dem nächsten Angehörigen auch unter Umständen mündlich geäußerte Wille maßgeblich. Unter den Sammelbegriff der nächsten Angehörigen fallen in erster Linie der Ehegatte, die volljährigen Kinder, die Eltern oder nachranging auch die Großeltern.42 Ist eine solche Erklärung gegenüber einem nächsten Angehörigen nicht erfolgt, tritt an die Stelle des Willens des Organspenders der Wille des nächsten Angehörigen, welcher nunmehr einer Organentnahme zustimmen muss, § 4 Abs. 1 S. 2 TPG. Eine Entscheidungsbefugnis kann dabei neben den Angehörigen der niedrigsten Verwandtschaftsgrade nach § 4 Abs. 2 S. 2 TPG auch sonstigen Personen zukommen, die dem Organspender bis zum „Tode in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahegestanden“ haben. Betrachtet man die Entscheidungen für oder gegen eine Organentnahme im Jahr 2015, so verfassten immerhin 15,2% aller potentiellen Spender eine schriftliche Einverständniserklärung, wohingegen nur in 3,1% der Fälle eine schriftliche Ablehnung vorlag.43 Stellt man auf die Entscheidungen der Angehörigen ab, zeigte sich ein entgegengesetztes Bild: Hier wurde in insgesamt 358 Fällen die Zustimmung zur Organentname verweigert, so dass auf diese Gruppe 31,8% aller fehlenden Zustimmungen entfielen.44 Demgegenüber lag die Zustimmungsrate der Angehörigen bei lediglich 12,7%.45 Während vergleichsweise wenige Personen explizit eine Ablehnung der postmortalen Organspende fixieren, entscheiden sich in überdurchschnittlich vielen Fällen die Angehörigen gegen die Organentnahme. Somit stellt die erweiterte Zustimmungslösung, die an den Willen der Angehörigen anknüpft, ein Hemmnis dar, das vorhandene Potenzial an möglichen postmortalen Organspendern auszuschöpfen. bb) Empirische Befunde Zum Stichtag des 31.12.2015 befanden sich in Deutschland insgesamt 10.239 Patienten46 auf verschiedenen Wartelisten einer Organvermittlung. Im Vergleich zu dieser großen Zahl an Patienten im Wartestand wurden lediglich 3.777
42 Breidenbach, in: Organ Transplantation in Times of Donor Shortage, 115, 120; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 131 Rn. 11. 43 DSO, Jahresbericht 2015, S. 50. 44 DSO, Jahresbericht 2015, S. 50. 45 DSO, Jahresbericht 2015, S. 50. 46 DSO, Jahresbericht 2015, S. 60, wobei die mit Abstand größte Gruppe von Patienten auf eine Niere wartet (7.781), gefolgt von Leberpatienten (1.280). Hieran schließen sich Herz(790), Lungen-(409), Bauchspeicheldrüsenpatienten (243) an. Am geringsten fällt die Warteliste für Dünndarmübertragungen mit lediglich 13 Patienten aus.
20
§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
Organübertragungen47 von insgesamt 877 deutschen Organspendern48 durchgeführt, wobei die Anzahl an postmortal gespendeten Organen stark rückläufig ist. So sind von allen durchgeführten Organübertragungen lediglich 2.900 Organe auf postmortale Organspenden aus Deutschland zurückzuführen, wodurch sich gegenüber dem Berichtsjahr 2010 ein Minus von 1.305 entnommenen Organen und damit ein Rückgang von 31% ergibt.49 In gleichem Maße sank die Zahl der Organspender von 1.296 im Jahre 2010 auf die genannte Zahl von 877 Organspendern für das Jahr 2015.50 Von den insgesamt 2.245 „organspendebezogenen Kontakten“ der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden lediglich 877 in eine tatsächliche Organspende überführt, was einem Ausschöpfungsanteil von lediglich 39% entspricht.51 Ein organspendebezogener Kontakt entsteht dabei nach den ersten Anzeichen eines Hirntodes und erstreckt sich mit Unterstützung der DSO über die gesamte Dauer des Organspendeverfahrens. Von diesen organspendebezogenen Kontakte endeten 41% mit einer Ablehnung der Organentnahme,52 wobei bundesweit 47% auf medizinische Kontraindikationen und 14% auf eine fehlende Feststellung des Hirntodes entfielen.53 Rechtspolitisch am relevantesten ist der Patientenanteil mit definitivem und irreversiblem Hirnfunktionsausfall, bei denen nach §§ 3, 4 TPG keine Zustimmung zur Organentnahme erfolgte. Diese Konstellation traf im Jahre 2015 auf 324 Personen zu, was einem Anteil von 35% der organspendebezogenen Kontakte entspricht.54 Vernachlässigt man die Zahl derjenigen Patienten, bei denen im Ergebnis ohnehin kein Hirntod diagnostiziert werden konnte, relativiert sich der Anteil der verweigerten Zustimmungen zur Organentnahme nur leicht auf 27% aller möglichen Spender. Diese Zahl spiegelt sich auch in der individuellen Bereitschaft der Deutschen zur postmortalen Organentnahme wider. So gaben bei einer repräsentativen DSO, Jahresbericht 2015, S. 70, wovon 3.366 Organtransplantationen aufgrund postmortaler Organspenden erfolgten, die allerdings auch gespendete Organe aus dem europäischen Ausland enthalten und sich damit von der oben genannten Zahl von 2.900 postmortalen Organspenden unterscheiden. 48 DSO, Jahresbericht 2015, S. 4 4, 84, was durchschnittlich 3,3 entnommenen Organen pro postmortalem Organspender entspricht, vgl. DSO, Jahresbericht 2015, S. 54. 49 DSO, Jahresbericht 2015, S. 60. 50 DSO, Jahresbericht 2015, S. 55. 51 DSO, Jahresbericht 2015, S. 4 4. 52 DSO, Jahresbericht 2015, S. 4 4. 53 DSO, Jahresbericht 2015, S. 46. 54 DSO, Jahresbericht 2015, S. 46, wobei der Anteil der verweigerten Zustimmungen im Land Baden-Württemberg mit 52% aller organspendebezogener Kontakte außergewöhnlich hoch ist und sich deutlich vom Bundestrend (35%) sowie den Teilergebnissen Norddeutschland (37%) oder im Süddeutschen Raum am Beispiel Bayern (35%) absetzt, vgl. DSO, Jahresbericht 2015, S. 47. 47
II. Organspende
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Umfrage der Bertelsmann Stiftung und der Barmer GEK im Jahre 201155 insgesamt 61,7% der befragten Personen ohne Spenderausweis an, „auf jeden Fall“ oder zumindest „eher schon“ im Falle des eigenen Todes mit einer Organentnahme einverstanden zu sein. Dagegen gaben 30,4% an, einer postmortalen Organspende „eher nicht“ zuzustimmen, während immerhin 7,9% der Befragten dies kategorisch ausschlossen. Somit sprach sich ein Anteil von insgesamt 38,3% der befragten Personen ohne Spenderausweis tendenziell gegen eine Organspende aus. Bezog sich die Organspende auf einen möglicherweise verstorbenen Angehörigen, gaben immer noch 31% der Befragten an, einer Organentnahme nicht zustimmen zu wollen, während nur 46% grundsätzlich keine Einwände gegen die postmortale Organspende sahen.56 Führt man sich vor Augen, dass die Entscheidungen der Patienten sich zumeist nicht an eigenen, klar strukturierten Präferenzen orientieren, sondern häufig von der bestehenden Rechtslage vorgeprägt sind und durch „Willensschwächen“ und „Schwächen in der Kognition“ beeinflusst werden57, ist der Feststellung von Schroth grundsätzlich zuzustimmen, dass „zur Beseitigung des Organmangels (…) die erweiterte Widerspruchslösung eingeführt werden“58 sollte. Anhand dieser Zahlen lässt sich das quantitative Problem im Bereich des Transplantationsrechts in drei zentralen Aussagen zusammenfassen: 1. Es besteht ein chronisches Ressourcendefizit an Organspenden. 2. Die Zahl möglicher und für eine Organtransplantation in Betracht kommender Spender wird in erheblichem Maße aufgrund von verweigerten Zustimmungen zur Organentnahme unzureichend ausgeschöpft. 3. Die Zahl der Organspender ist in den letzten fünf Jahren stark zurückgegangen.
55 Barmer GEK, Bertelsmann Stiftung, Bereitschaft zur Organspende für den Fall des eigenen Todes in Deutschland im Jahr 2011. Statista. Abrufbar unter: http://de.statista.com/ statistik/daten/studie/233941/umfrage/bereitschaft-zur-organspende-in-deutschland/, zuletzt am 6.9.2016. 56 European Commission, Wenn Sie im Krankenhaus gefragt würden, würden Sie Ihre Zustimmung zur Organentnahme bei einem verstorbenen Angehörigen geben? Statista. Abrufbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/158905/umfrage/zustimmung-zurorganspende-nach-dem-tod-eines-angehoerigen/, zuletzt am 6.9.2016. 57 Schroth, NStZ 2013, 437, 438 mit den entsprechenden Darstellungen zur „Behavioral Law and Economics“-Forschung m. w. N. 58 Schroth, NStZ 2013, 437, 438; mit ausführlicher Begründung ders., in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 8 f.
22
§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
III. Organmangel Zum Abschluss dieser Bestandsaufnahme soll auf den herrschenden Organmangel näher eingegangen werden. Wie bereits angesprochen, wird die Zahl an potentiell für eine postmortale Organspende in Betracht kommenden Personen aufgrund von verweigerten oder nicht einholbaren Zustimmungen nur ungenügend ausgeschöpft. Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, warum in einem vergleichsweise hohen Umfang die Zustimmung durch die Angehörigen verweigert wird.
1. Diskutierte Gründe für den Organmangel Als Ursachen für die zurückhaltende Organspendebereitschaft in der deutschen Bevölkerung werden ganz unterschiedliche Faktoren angeführt. Hierbei ist zunächst eine grundlegende Skepsis gegenüber der Praxis der Transplantationsvorgänge im Allgemeinen und der exakten Bestimmung des Todeszeitpunktes im Besonderen zu nennen. In diesem Zusammenhang bestehen auch dahingehend Ängste, vorzeitig und medizinisch ungerechtfertigt für eine Organtransplantation herangezogen zu werden.59 Ergänzt wird diese Haltung durch eine religiös motivierte oder allgemein-ethisch begründete Skepsis gegenüber Organentnahmen an sich.60 Darüber hinaus gab es auf Seiten der Krankenhäuser sowohl Defizite bei der Meldung hirntoter Patienten61 als auch wiederholte, stark öffentlichkeitswirksame Skandale bezüglich einer korrekten, den medizinischen Standards entsprechenden Diagnosestellung und Dringlichkeitsmeldung. Gerade diese als „Organspendeskandale“ in der Öffentlichkeit wahrgenommenen und diskutierten Vorfälle haben die Anzahl der Organspenden gera-
59 Vgl. bspw. die Kontroverse um falsche Todesdiagnosen bei Berndt, in: Süddeutsche Zeitung v. 18.2.2014, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/falsche-todes diagnosen-in-krankenhaeusern-aerzte-erklaeren-patienten-oft-faelschlich-fuer-hirntot1.1891373, zuletzt am 20.9.2016; Fritz, Zivilrechtliche Ersatzansprüche nach Organentnahmen, S. 23. Auf die Kritik hat die Bundesärztekammer mit der 4. Fortschreibung der Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls im Juli 2015 reagiert und die Qualitätsanforderungen an die diagnostizierenden Ärzte sowie Maßnahmen zur Qualitäts sicherung verschärft, vgl. DSO, Jahresbericht 2015, S. 12. 60 Vgl. ausführlich zur Organtransplantation aus christlicher, jüdischer und islamischer Sicht Körtner, in: Oduncu/Schroth/Vossenkuhl, Transplantation, 102, 102 ff.; ferner Fritz, Zivilrechtliche Ersatzansprüche nach Organentnahmen, S. 22 f. m. w. N.; im Hinblick auf strukturelle Defizite des Transplantationsrechts Sickor, GesR 2014, 204, 204. 61 Vgl. Hess, NZS 2015, 761, 761 sowie Schroth, NStZ 2013, 437, 437, der auf eine Melderate von lediglich 40% verweist.
III. Organmangel
23
dezu einbrechen lassen.62 Aus rechtspolitischer und rechtspraktischer Sicht werden daher Rechtsordnungen, welche von einer Widerspruchslösung63 ausgehen, als wesentlich „spendenfreudiger“ wahrgenommen, was sich durch eine deutlich gestiegene Zahl an Organspenden in Staaten mit Widerspruchslösung belegen lässt.64 Betrachtet man die Beweggründe, welche bei den Angehörigen zur Verweigerung einer postmortalen Organentnahme im Falle eines endgültig festgestellten Hirntods führten, findet sich ebenfalls kein eindeutiges Meinungsbild. So ergab eine Nachbefragung der Deutschen Stiftung Organtransplantation vom Jahre 2015 65, dass bei ca. 38,6% der 347 Angehörigen, welche die Zustimmung zur Organentnahme verweigerten, die ablehnende Haltung des Verstorbenen bereits im Vorfeld bekannt gewesen sei. Bei 6,9% bestand Uneinigkeit unter den Angehörigen, während bei 4,6% religiöse Motive und bei ebenfalls 4,6% ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Körperintegrität als Gründe angeführt wurden.
2. Empirische Analyse a) Divergenz zwischen gespendeten und medizinisch benötigten Organen Zum Stichtag des 1.1.2016 standen insgesamt 10.238 Patienten auf den Wartelisten der deutschen Transplantationszentren.66 Mit 7.781 Patienten im Wartestand stellt die Gruppe der Nierenkranken die bei Weitem größte Gruppe unter allen Registrierten dar. Von den übrigen Patienten warten 1.280 auf eine Spender leber, 790 auf ein Spenderherz und 409 auf eine Spenderlunge. Auf die Vermittlung einer Bauchspeicheldrüse hoffen immerhin 243 Patienten, während lediglich 13 Patienten für eine Dünndarmtransplantation registriert sind.67 Im Zeitraum des vergangenen Jahres 2015 gab es lediglich 877 Organspender, von
62 Vgl. zu dieser Einschätzung BT-Drs. 17/13897, S. 2: „Die Organspendezahlen sind seither eingebrochen“; Bartens/Berndt, in: Süddeutsche Zeitung v. 13.11.2013, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/geringe-bereitschaft-zur-organspende-nein-mei ne-niere-geb-ich-nicht-1.1817047, zuletzt am 20.9.2016; Sickor, GesR 2014, 204, 204; 63 Nach der (erweiterten) Widerspruchslösung ist grundsätzlich jeder Mensch potentieller Organspender, solange der postmortalen Organentnahme nicht ausdrücklich widersprochen wurde. 64 Vgl. Neft, MedR 2013, 82, 84; Schroth, NStZ 2013, 437, 437. 65 DSO, Gründe für die Ablehnung einer Organspende von Angehörigen im Falle des endgültig festgestellten Hirntodes in Deutschland im Jahr 2015. Statista. Abrufbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/441525/umfrage/gruende-fuer-die-ablehnung-ei ner-organspenden-von-angehoerigen-im-falle-des-hirntodes/, zuletzt am 20.9.2016. 66 Eurotransplant, Kennzahlen, abrufbar unter: https://www.eurotransplant.org/cms/in dex.php?page-=pat_germany, zuletzt am 20.9.2016. 67 Alle Zahlen aus DSO, Jahresbericht 2015, S. 60.
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§ 2 Begriffsbestimmung und Bestandsaufnahme
68 denen durchschnittlich 3,3 Organe entnommen wurden. Für die Gesamtzahl A. Einleitung 1 an Wartelistenpatienten standen, einschließlich der im Ausland entnommenen und nach Deutschland vermittelten Ersatzorgane, insgesamt 3.083 postmortal gespendete Organe zur Verfügung69, sodass sich statistisch eine Divergenz von 7.155 zusätzlich benötigten, transplantationsfähigen und im Einzelfall auch medizinisch passenden Organen ergibt. Die Zahl der Organspender blieb damit im Jahr 2015 auf einem historisch niedrigen Niveau, das sich nach dem im Jahr 2013 beobachteten Rückgang von 1.046 auf 876 Spender weiterhin auf dem Niveau von 864 Organspender des Jahres 2014 bewegt. Der Vergleich zwischen der Anzahl der registrierten Patienten auf den Wartelisten der deutschen Transplantationszentren und den in Deutschland rekrutierten postmortalen Organspender im Zeitraum von 2009 bis einschließlich 2015 zeigt die folgende Darstellung:
Abbildung 1: Postmortale Organspender, realisierte Transplantationen und potentielle Organempfänger 14.000 11.711
12.000
11.562
11.586
11.233 10.784
10.585
10.239
10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0
4.050 1.217
2009
4.318 1.296
4.054 1.200
3.706 1.046
3.169
3.248 876
864
2010 2011 2012 2013 Postmortale Organspender In Deutschland transplantierte Organe Registrierte Patienten auf den deutschen Wartelisten
3.083 877
2014
2015
Divergenz zwischen postmortalen Organspendern, realisierten Organtransplantationen (einschließlich im Ausland entnommener und nach Deutschland vermittelter Organe) sowie potentiellen Organempfängern in Deutschland.70 DSO, Jahresbericht 2015, S. 54. DSO, Jahresbericht 2015, S. 70; die leicht erhöhte Gesamtanzahl an gespendeten Organen erklärt sich über einen Überschuss der von Eurotransplant Deutschland zugewiesenen Organe. 70 Zum Zahlenmaterial der postmortalen Organspender DSO, Anzahl der postmortalen Organspender in Deutschland in den Jahren von 1998 bis 2015. Statista. Abrufbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/70873/umfrage/anzahl-der-postmortalen-organ spender-in-deutschland/, zuletzt am 20.9.2016; bzgl. der Anzahl der seit 2009 realisierten Transplantationen in Deutschland (ohne lebendgespendete Organe), DSO, Jahresbericht 68 69
III. Organmangel
25
b) Vergleich zu anderen EU-Staaten Beim internationalen Vergleich mit anderen europäischen Ländern sowie den USA und Kanada lag Deutschland im Erhebungsjahr 2014 mit durchschnittlich 10,3 postmortalen Organspendern auf eine Million Einwohner im hinteren Mittelfeld.71 Neben Litauen und Luxemburg haben nur noch Zypern, Griechenland und Russland deutlich niedrigere Spendequoten. An der Spitze liegt hingegen Spanien mit 35,9 postmortalen Organspenden auf eine Million Einwohner, wobei dort ebenso wie in Österreich und Belgien rechtspolitisch zugunsten der Widerspruchslösung entschieden wurde.72 Die Zahlen für Österreich und Bel gien liegen mit 25,5 bzw. 26,8 Organspendern auf jeweils eine Million Einwohner ebenfalls in einem vergleichsweise hohen Bereich. c) Zusammenfassung Der chronische Organmangel tritt bereits über mehrere Jahre hinweg in einem immer deutlicheren Maße zutage. Seit dem starken Rückgang an postmortalen Organspendern im Jahre 2013 auf einen bis dahin historischen Tiefstand von 876 Fällen lagen die Gesamtzahlen seitdem nahezu unverändert bei 864 bzw. 877 Spendern in den Jahren 2014 und 2015. Diesen Spenderzahlen stehen über 10.000 in Deutschland lebende Patienten gegenüber, die von den Transplantationszentren auf Wartelisten zur Organvermittlung geführt werden. In Spanien, Österreich oder Belgien, in denen eine reine Widerspruchslösung angewendet wird, bestehen signifikant höhere Spenderquoten als in Deutschland, welches mit gerade 10,3 Spendern pro eine Million Einwohner einen der hinteren Plätze im internationalen Vergleich mit anderen europäischen und nordamerikanischen Staaten belegt. Im Hinblick auf den herrschenden Organmangel erweist sich somit die erweiterte Zustimmung nach §§ 3, 4 TPG als eine strukturell nachteilhafte Lösung.
2015, S. 61 ff., abrufbar unter: Statista, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167212/ umfrage/organspenden-in-deutschland/, zuletzt am 20.9.2016; hinsichtlich der registrierten Wartelistepatienten handelt es sich um selbst errechnete Werte aus den Eurotransplant, Yearly Statistics Overview, jew. 2009 – 2015, abrufbar unter: http://statistics.eurotransplant. org/index.php?search_type=overview, zuletzt am 6.8.2016. 71 IRODaT, Durchschnittliche Anzahl postmortaler Organspender in ausgewählten Ländern im Jahr 2014 (Spender je Million Einwohner). Statista. Abrufbar unter: http://de.statista. com/statistik/daten/studie/226978/umfrage/anzahl-postmortaler-organspender-in-ausge waehlten-laendern/, zuletzt am 20.9.2016. 72 Vgl. Schroth, in: Duttge/Dochow et al., Recht am Krankenbett, 1, 7.
§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen Das nunmehr ausdrückliche gesetzgeberische Ziel des nach jahrelangem politischen Ringen 1997 in Kraft getretenen Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (kurz: Transplantationsgesetz, TPG1) ist es, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern, § 1 Abs. 1 S. 1 TPG. Damit reagierte der Gesetzgeber auf den signifikanten und chronischen Mangel an transplantationsfähigen Organen, der als gesamtgesellschaftliches Problem des deutschen Gesundheitssystems dem TPG und den in ihm enthaltenen Wertungen zugrunde liegt.2 Aus diesem chronischen Mangelzustand heraus ergeben sich zwei grundlegende Pro-blemstellungen: Zum einen besteht die eher realpolitische Sachfrage, wie die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung bezüglich der vermittlungsfähigen postmortal gespendeten Organe erhöht werden kann. Zum anderen steht die für die weitere Untersuchung bedeutsamere gesetzgeberische Herausforderung einer adäquaten und am Maßstab der Gesamtrechtsordnung zu messenden Verteilungssystematik (sog. Organallokation) im Raum.3 Solange eine massive Divergenz aus benötigten und transplantablen Organen besteht, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie dieses mangelbedingte Spannungsfeld und die widerstreitenden Interessen der potentiellen Organempfänger legislativ aufgelöst werden können. Im gesetzgeberischen Ringen um eine medizinisch sachgerechte, verfassungsmäßige und ethisch überzeugende Verteilungssystematik4 sind neben medizinisch-wissenschaftlichen Aspekten vor allem normative Wertentscheidungen des Gesetzgebers selbst bzw. der gesetzlich beauftragten Organisationen von
1 I.F.d. Bekanntmachung v. 4.9.2007, BGBl. I S. 1574, 1574 ff., zuletzt geändert am 15.7.2013, BGBl. I S. 2423, 2429 ff. 2 Vgl. bereits den erheblichen und fachspezifisch thematisierten Organmangel bei Schreiber/Haverich, in: Deutsches Ärzteblatt, 2000, S. 97: A-385 f; Zur aufgezeigten Divergenz vgl. i.Ü. die Kennzahlen von Eurotransplant für Deutschland 2015, wonach 10.585 der am 1.1.2015 auf der Warteliste eingetragenen Patienten 3488 Organe von 2014 verstorbenen Patienten gegenüberstehen. 3 Vgl. hierzu bereits Glp. § 1 I. 4 Ach/Anderheiden/Quante, Ethik der Organtransplantation, S. 185.
28
§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
maßgeblicher Bedeutung.5 Die Entscheidung über die Zuteilung eines Organs hat für den Patienten nahezu immer existenzielle Bedeutung6, wodurch das Handeln der beteiligten Stellen – vom behandelnden Arzt bis hin zur Vermittlungsstelle Eurotransplant – stets über die Zuteilung von Lebenschancen7 eines Menschen mitentscheidet. Die gesetzgeberische Herausforderung, eine rechts- und verfassungskonforme, sozialadäquate und effiziente Organvermittlung zu gewährleisten, durchzieht die auf Grundlage des TPG erlassenen Richtlinien der Bundesärztekammer sowie die gesellschaftspolitische Diskussion um eine nicht diskriminierende und transparente Organverteilung im Allgemeinen.8 Für die weitere Betrachtung hinsichtlich zivilrechtlicher Haftungsansprüche bei fehlerhaften Organvermittlungen soll zunächst der rechtliche Organisationsrahmen bei postmortalen Organspenden und Organvermittlungen nach der Struktur des TPG analysiert werden. Hieran anschließend wird auf die Konkretisierung der Allokationskriterien des TPG bei der Aufstellung der Wartelisten sowie der konkreten Organvermittlung durch die Richtlinien der Bundesärztekammer eingegangen und das Regelungskonzept des § 16 TPG erläutert. Soweit für die weitere Betrachtung erforderlich, wird zudem die dogmatische Einordnung und die Verfassungsmäßigkeit der Richtlinien und der Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG sowie die rechtstechnische Ausgestaltung der Vermutungsregel in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG dargelegt.
I. Rechtsrahmen nach dem TPG Durch das deutsche Transplantationsgesetz wurde erstmals ein gesetzlicher Rahmen für den organisatorischen Ablauf, die zuständigen Stellen sowie die Kriterien für organtransplantationsmedizinische Eingriffe und verbindliche Vermittlungsentscheidungen gespendeter Organe geschaffen.
Vgl. zur Organallokation ausführlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 75 ff., 109 ff. 6 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 435. 7 Hinsichtlich der Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen an Hochschulen prägte bereits das BVerfG den Begriff der „Zuteilung von Lebenschancen“, vgl. BVerfG, Urteil v. 18.7.1971 = NJW 1972, 1561, 1564; im Kontext der Organallokation Höfling, JZ 2007, 481, 483; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 4; Lilie, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 331, 336. 8 Vgl. Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Vorb. zu § 12 Rn. 1 ff.; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, Vorbemerkung Rn. 1; Schroth, NStZ 2013, 437, 437. 5
I. Rechtsrahmen nach dem TPG
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1. Organisationsrechtlicher Ablauf der Organübertragung Der Ablauf und die für eine Organtransplantation notwendigen organisatorischen Einrichtungen sowie Kontroll- und Vermittlungsstellen sind im vierten Abschnitt des Transplantationsgesetzes in den §§ 9 –12 TPG als zwingendes und abschließendes Recht9 geregelt. Den Grundstein des Organisationsrechts bei Organtransplantationen legt § 9 TPG, der zwischen der postmortalen Entnahme (Abs. 1, Abs. 2 S. 1), Vermittlung (Abs. 2 S. 3) sowie der Übertragung von (postmortal und lebend gespendeten) Organen (Abs. 2 S. 1) differenziert. Grund für diese systematische Differenzierung ist das Ziel des Gesetzgebers, die Bereiche der Entnahme, Vermittlung und Übertragung nicht nur begrifflich, sondern auch organisatorisch voneinander zu trennen, um ein möglichst hohes Maß an Spezialisierung zu erreichen.10 Der Gesetzgeber verfolgt mit der funktionalen Trennung der am Vermittlungsprozess beteiligten Stellen das Ziel, durch unterschiedliche Funktionsträger innerhalb des bis dato vorherrschenden transplantationsrechtlichen Verantwortungsgeflechts Missbräuche zu reduzieren und Interessenskonflikte zu verhindern.11 Durch die Einbindung von (postmortalen) Organspendern, die regelmäßig in Entnahmekrankenhäusern intensivmedizinisch behandelt werden, und Transplantationszentren als Behandlungsträger der Organempfänger kommt es neben der Vermittlungs- und Koordinierungsstelle zu einer Vielzahl am Organvermittlungsprozess beteiligter, vorwiegend privatrechtlich ausgestalteter Akteure. a) Entnahme: Entnahmekrankenhäuser, §§ 9, 9a TPG Die Entnahme postmortal gespendeter Organe darf gem. §§ 9 Abs. 1, 9a TPG nur in solchen Krankenhäusern12 durchgeführt werden, die hinsichtlich ihrer räumlichen und personellen Ausstattung zu Organentnahmen von möglichen Spendern in der Lage sind, sog. Entnahmekrankenhäuser. In aller Regel werden sich potentielle Organspender bereits vor dem Eintritt des Gesamthirntods in einer stationären intensivmedizinischen Behandlung befinden, sodass den
9 Zur Verbindlichkeit des Organisationssystems ausführlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 111 ff.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 9 Rn. 1. 10 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 9 Rn. 1; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG § 9 Rn. 1; Rixen, in: Höfling, TPG, § 9 Rn. 1 sowie als gesetzgeberisches Ziel im Rahmen von § 11 TPG vgl. Lang, in: Höfling, TPG, § 11 Rn. 4 sowie allgemein Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 110 f. mit Verweis auf die Wertung des § 5 Abs. 2 TPG. 11 BT-Drs. 13/4355, S. 21; Weyd, Jura 2013, 437, 440. 12 Der Begriff des Krankenhauses ist i. S. v. §§ 107 Abs. 1 SGB V, 2 Nr. 1 KHG zu verstehen.
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§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
Krankenhäusern bei der Feststellung und Meldung des Gesamthirnausfalls des potentiellen Organspenders eine Schlüsselfunktion zukommt.13 Als Organspender kommen namentlich solche Patienten in Betracht, die entweder gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG in die postmortale Organ- oder Gewebeentnahme eingewilligt oder zumindest nicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 TPG widersprochen haben, wenn in letzterem Falle der nächste Angehörige nach Maßgabe des § 4 Abs. 1 S. 2 TPG unterrichtet wurde und dieser der Organentnahme zugestimmt hat. Damit folgt das deutsche Recht der „erweiterten Zustimmungslösung“, wobei an die Stelle der Zustimmung der Angehörigen nach § 4 Abs. 2 S. 5 TPG auch die einer weiteren, dem Patienten bis zum Tod offenkundig nahestehenden Person treten kann.14 Die Entnahmekrankenhäuser werden nach Maßgabe der § 108 SGB V bzw. § 30 GewO ohne spezielle Voraussetzungen zugelassen15 und übernehmen im Hinblick auf bevorstehende Organtransplantationen organisatorische Vorbereitungs- und Kontrollpflichten. So sind sie beispielsweise verpflichtet, den Hirntod16 nach Maßgabe des § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG von Patienten, die als Organspender in Betracht kommen, an die zuständige Koordinierungsstelle im Sinne des § 11 Abs. 1 TPG weiterzuleiten. Gemäß § 9b Abs. 2 Nr. 3 und 4 TPG ist der von den Entnahmekrankenhäusern bestellte Transplantationsbeauftragte verpflichtet, die internen Zuständigkeiten festzulegen (Nr. 3) und sowohl Ärzte als auch Pflegepersonal über die Bedeutung und den Prozess des Organspendeverfahrens in regelmäßigen Abständen aufzuklären (Nr. 4). § 9a Abs. 2 Nr. 2–4 TPG regelt personelle und apparative Qualitätssicherungs- und Überwachungspflichten der Entnahmekrankenhäuser. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Mitteilungspflicht der Krankenhäuser aus § 11 Abs. 4 S. 4 TPG. Demnach sind die Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, nach einer Prüfung der Voraussetzungen für die Organspende durch die Koordinierungsstelle, die für den Transplantationsvorgang erforderlichen und medizinisch relevanten Daten an die Koordinierungsstelle weiterzuleiten.17
Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 100; Weyd, Jura 2013, 437, 440. Vgl. hierzu bereits Glp. § 2 II. 15 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 102. 16 Nach § 9a Abs. 2 Nr. 1 TPG ist hierunter der irreversible Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms zu verstehen. 17 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1269 sowie den Hinweis, dass eine Verletzung der Mitteilungspflicht de lege lata weder durch eine Strafvorschrift noch eine Bußgeldandrohung sanktioniert wird, wodurch zivilrechtliche Ersatzansprüche und die Frage eines etwaigen Drittschutzes in den Mittelpunkt rücken. 13 14
I. Rechtsrahmen nach dem TPG
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b) Warteliste und Übertragung: Transplantationszentren, § 10 TPG Die Übertragung eines Organs verstorbener Spender darf gem. § 9 Abs. 2 S. 1 TPG ausschließlich in sog. Transplantationszentren durchgeführt werden, welchen insoweit ein sog. Implantationsmonopol18 zukommt. Diese funktionelle Einschränkung soll gesundheitliche Risiken im Zusammenhang mit Organtransplantationen reduzieren und durch die ihnen auferlegten Pflichten zu einem gerechten Verteilungsverfahren beitragen.19 Vor diesem Hintergrund ist Zdie Regelung bei lebend gespendeten Organen zu verstehen, wonach § 9 Abs. 2 S. 1 TPG der Komplexität physiologischer Lebensvorgänge Rechnung trägt, indem die Norm bei Lebendspenden sowohl die Entnahme als auch Übertragung von Organen dem Zentrum zuweist. Durch diese Konzentrierung und Schwerpunktbildung soll eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung der Organempfänger gewährleistet werden.20 Nach § 10 Abs. 1 S. 1 TPG handelt es sich bei Transplantationszentren um Krankenhäuser oder deren Einrichtungen, „die nach § 108 SGB V oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Übertragung von Organen verstorbener Spender (…) zugelassen sind“. Die „personellen, apparativen und strukturellen Voraussetzungen“21 werden hierbei nicht spezifisch in einem transplantationsrechtlichen Zulassungsverfahren geprüft, sondern vielmehr in das GKV-Verfahren nach § 108 SGB V sowie ohne kassenrechtliche Zulassung nach § 30 GewO integriert.22 Nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser benötigen darüber hinaus eine von der rein sozialrechtlichen Zulassung zu unterscheidende behördliche Zuweisungsentscheidung als Transplantationszentrum.23 Die Zulassung nach § 10 Abs. 1 S. 1 TPG setzt eine bewusste, eindeutige und ausdrückliche Zulassungserklärung der je nach Bundesland zuständigen
Höfling, JZ 2007, 481, 482. Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 10 Rn. 1. 20 BT-Drs. 13/4355, S. 22. Vgl. zudem Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1267. 21 So die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 13/4355, 22, zu § 9 Abs. 1 des damaligen Gesetzentwurfs. 22 BT-Drs. 13/4355, S. 22; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 120; Genzel/Degener-Hencke, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 83 Rn. 6; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 109. Das Zulassungsverfahren nach § 30 GewO ist bei Krankenhäusern maßgeblich, die lediglich Privatpatienten behandeln, vgl. Gutmann, in: Schroth/ König/Gutmann/-Oduncu, TPG, § 10 Rn. 2. 23 Genzel/Degener-Hencke, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 83 Rn. 6. Die Zulassungsentscheidung muss die zugelassenen Organe explizit aufführen und wird unabhängig von einer etwaigen Zulassung als Entnahmekrankenhaus benötigt, vgl. hierzu VG Sigmaringen, Urteil v. 19.3.2003 – 1 K 558/01 = MedR 2003, 696, 696 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1267. 18
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Stelle voraus.24 Entscheidend ist, dass zweifelsfrei und ausdrücklich die Erlaubnis zum Ausdruck kommt, bestimmte Organe übertragen zu dürfen.25 Neben Mitwirkungs- und Meldepflichten (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 TPG) sowie der Pflicht zur Dokumentation (Nr. 4, 5, 6), Qualitätssicherung (Nr. 8) oder Patientenbetreuung (Nr. 7)26 sind im Rahmen der weiteren Betrachtung vor allem die Pflichten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG von gesteigerter Bedeutung. Die Regelung umfasst zum einen die Entscheidung über die „Annahme eines Patienten zur Organübertragung“. Zum anderen haben die Transplantationszentren sodann über „seine Aufnahme in die Warteliste“ zu entscheiden, § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG. Beide Pflichten korrelieren sehr stark, sodass die Annahme eines Patienten zur Organübertragung zwangsläufig auch die Pflicht zur Aufnahme in die Warteliste nach sich zieht. Die Annahme des Patienten zur Organübertragung ist sowohl begrifflich als auch zeitlich von den zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen des Krankenhaus- und Behandlungsvertrages zu trennen.27 Während der Krankenhausaufnahmevertrag bereits bei der stationären Aufnahme des Patienten zustande kommt, erfolgt die Annahme zur Organübertragung erst nach Durchführung der medizinisch gebotenen Untersuchungen zur Absicherung der Diagnose und medizinischen Indikation der Organübertragung.28 Neben der medizinisch gesicherten Indikation muss die Organübertragung dem jeweiligen „Zentrumsprofil“ entsprechen, das dem Transplantationszentrum im Rahmen seiner Spezialisierung und organisatorischen Ausrichtung zukommt.29 Wird der Patient zur Organübertragung angenommen, hat dies in der Regel zwangsläufig die Aufnahme in die vom Zentrum geführte Warteliste zur Organvermittlung zur Folge. Die Transplantationszentren30 sollen hierüber auf der Grundlage des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entscheiden. Den Kriterien der Notwendigkeit und Erfolgsaussicht der Organübertragung soll gemäß § 10Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG eine besondere Bedeutung zukommen. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 TPG wird dabei zu ihren Gunsten vermutet, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand eingehalten zu haben, wenn sie bei der Aufnahmeentscheidung 24
BVerwG, Urteil v. 13.9.2001 – 3 C 41/00 = NVwZ 2002, 480, 480. BVerwG, Urteil v. 13.9.2001 – 3 C 41/00 = NVwZ 2002, 480, 480. 26 Zu den organisatorischen Pflichten Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 111 ff. 27 Vgl. hierzu die Ausführungen unter Glp. § 4 V, insbesondere die Konkretisierung der Hauptleistungspflichten bei indizierter Organtransplantation. 28 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 169. 29 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 169. 30 Innerhalb des Transplantationszentrums soll eine ständige, interdisziplinäre und organspezifische Transplantationskonferenz über die Aufnahme von Patienten in die Warteliste entscheiden, vgl. hierzu für die entsprechenden Richtlinien Bundesärztekammer, Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, Glp. A.I.5. 25
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nach den Kriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer gehandelt haben. Die durch die einzelnen Transplantationszentren aufgestellten Wartelisten werden bei der Vermittlungsstelle Eurotransplant sodann nach § 12 Abs. 3 S. 2 TPG als einheitliche Warteliste geführt, die wiederum als Grundlage für die endgültige Zuteilungsentscheidung dient. Damit kommt den Transplantationszentren durch das Führen und Besetzen der Wartelisten als Vorstufe jeder Organvermittlungsentscheidung eine „filternde“ Rolle zu, wodurch sie zumindest funktional an der Verteilung transplantationsfähiger Organe mitwirken.31 c) Koordinierungsstelle, § 11 TPG Unterstützung bei den Pflichten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG erhalten die Transplantationszentren von der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die Koordinierungsstelle im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 2 TPG ist. Als Koordinierungsstelle soll sie die Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäuser bei der Organisation ihrer Aufgaben mit Blick auf die Entnahme, Vermittlung und Übertragung der Organe verstorbener Spender unterstützen, § 11 Abs. 1 S. 1 TPG. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, die einzelnen Verfahrensschritte der Organtransplantation nicht allein oder schwerpunktmäßig den Transplantationszentren zu überlassen.32 Vielmehr wurden Entnahme, Vermittlung und Übertragung jeglicher postmortal gespendeten Organe als Gemeinschaftsaufgabe aller Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäuser ausgestaltet, § 11 Abs. 1 S. 2 TPG. Der DSO kommt hierbei eine Organisations- und Koordinierungspflicht des gemeinschaftlichen Aufgabenbereichs zu, die durch Vertrag33 zwischen der DSO als Auftragnehmerin und den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Bundesärztekammer sowie der Krankenhausgesellschaft als Auftraggebern34 festgelegt wird.35 31 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 121, der auf die „gesundheitspolitisch gewollte Filterfunktion“ aus § 10 II Nr. 1, 2 TPG verweist; Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 24 f.; Höfling, JZ 2007, 481, 482; Lang, in: Höfling, TPG, Einführung IV. Rn. 30. 32 Vgl. Lang, in: Höfling, TPG, § 11 Rn. 4. 33 Koordinierungsstellenvertrag, abrufbar unter:http://www.dso.de/servicecenter/downloads/dso-spezifische-dokumente.html, zuletzt am 20.9.2016. 34 Vertragspartner des am 27.6.2000 genehmigten Vertrages: Bundesärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie Spitzenverband der Krankenkassen (AOK-Bundesverband, Bundesverband der Betriebskrankenkassen, IKK-Bundesverband, Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen, Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V., See-Krankenkasse) und der Deutschen Stiftung Organtransplantation im Einvernehmen mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. 35 Vgl. Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger nach dem TPG, S. 22; Höfling, JZ 2007, 481, 482; Lang, in: Höfling, TPG, § 11 Rn. 5 ff.
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§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
Der Vertrag zwischen den in § 11 Abs. 1 S. 2 TPG genannten Verbänden und der DSO konkretisiert die Anforderungen an die Organentnahme, Kommunikation und Zusammenarbeit mit der Vermittlungsstelle und setzt die zu treffenden Maßnahmen mit Blick auf die Qualitätssicherung und Kontrollkommissionen fest.36 Gemäß § 11 Abs. 4 S. 2 TPG prüft die Koordinierungsstelle, ob der von den Entnahmekrankenhäusern gemeldete Patient die Voraussetzungen für eine postmortale Organspende erfüllt. Wird dies bejaht, ist es Aufgabe der Koordinierungsstelle, die Entnahme zu organisieren und die hierfür notwendigen Ärzte mit der Durchführung zu beauftragen, § 11 Abs. 4 S. 5 TPG. Konkretisiert werden diese Pflichten in § 2 Abs. 3 des DSO-Vertrages nach § 11 Abs. 2 TPG, der die konkreten Maßnahmen zur effektiven und effizienten Unterstützung des Organentnahme- und –übertragungsprozesses regelt.37 d) Vermittlungsstelle, § 12 TPG Der Grundgedanke der organisatorischen und funktionalen Trennung der einzelnen Verfahrensabschnitte bei Organtransplantationsvorgängen zugunsten aller Patienten auf den Wartelisten38 zeigt sich auch bei der Organvermittlung, die ihre gesetzliche Regulierung in § 12 TPG gefunden hat. Die hierin vorgesehene Vermittlungsstelle ist nicht etwa auf der Ebene der Transplantationszentren oder bei einer zentralen staatlichen Stelle, wie beispielsweise dem Bundesgesundheitsministerium, angesiedelt, sondern vielmehr einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft, der Stichting Eurotransplant als Stiftung niederländischen Rechts, anvertraut worden. Die funktionale Ermächtigung für die letztendliche Vermittlungsentscheidung und die Etablierung des Vermittlungsmonopols erfolgte durch Beauftragung der in § 12 Abs. 1 S. 1 TPG genannten Verbände im Vertrag über die Vermittlungsstelle vom 20.4.2000.39 Im Organvermittlungsprozess erhält Eurotransplant die medizinisch relevanten Daten von der DSO, die insbesondere die Labor- und Untersuchungsbefunde an sie weiterleitet.40 Hieran anschließend erfolgt die Vermittlung der postmortal 36 Vgl. zur Qualitätssicherung die vertiefenden Ausführungen sowie die Kritik am derzeitigen Qualitäts- und Kontrollmanagement unter Glp. § 3 I.2. Unmittelbar zur Vertragskonstruktion der DSO vgl. Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 12 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1269. 37 Vgl. ausführliche Darstellung bei Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 120 ff. 38 So die Gesetzesbegründung BT-Drs. 13/4355, 23. 39 Vermittlungsstellenvertrag, abrufbar unter: http://www.aok-gesundheitspartner.de/bu nd/krankenhaus/transplantation/vertraege/index.html, zuletzt am 20.9.2016; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 127; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 9 ff. 40 Vgl. Lang, MedR 2005, 269, 270; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Vorb. Rn. 20.
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entnommenen Organe gem. § 12 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 TPG mithilfe eines computergestützten Allokationsalgorithmus.41 Die von den Transplantationszentren aufgestellten Wartelisten behandelt Eurotransplant hierbei als einheitliche Warteliste und trifft die Vermittlungsentscheidung entsprechend dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, unter besonderer Berücksichtigung der Erfolgsaussicht und Dringlichkeit der Organübertragung bei den geeigneten Patienten, § 12 Abs. 3 S. 2 TPG. Diese in den §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG verwendeten Oberbegriffe der Erfolgsaussicht, Notwendigkeit und Dringlichkeit lassen freilich keine treffsichere Subsumtion im Einzelfall zu. Vielmehr bedürfen sie einer fachspezifischen und rechtssicheren Konkretisierung, welche der Gesetzgeber über die Richtlinienermächtigung des § 16 Abs. 1 S. 2, 1 TPG zugunsten der Bundesärztekammer delegiert.42 Zum Zwecke der Einzelfallentscheidung wird für jedes Organ, welches Euro transplant gemeldet wird, eine neue, organspezifische Rangliste gebildet, sog. „Match-Liste“, die sich aus einem auf die Richtlinien der Bundesärztekammer sowie das Eurotransplant-Handbuch („ET-Manual“) gestützten Algorithmus ergibt.43 Nachdem der jeweilige Erstplatzierte der Match-Liste für das konkrete Organ ausgewählt wurde, obliegt es zunächst dem Transplantationschirurgen zu entscheiden, ob das Organ für den konkreten Patienten zur Transplantation geeignet ist, wobei ihm hierfür ein erheblicher, nach medizinischen Erwägungen geleiteter Ermessens- und Entscheidungsspielraum zukommt.44 Bejaht er die Verwendungstauglichkeit des Organs im konkreten Fall, liegt die Letztentscheidung beim behandelten Patienten, der in die Organübertragung als medizinische Maßnahme im Sinne des § 630d Abs. 1 BGB einwilligen muss. Die bloße Erstplatzierung auf der Match-Liste führt damit nicht zwangsläufig zur Zuteilungsentscheidung, die vielmehr erst dann erfolgt, wenn alle Voraussetzungen, insbesondere die ärztliche Zustimmung und Einwilligung des Patienten, vorliegen. Wurden die entsprechenden Erklärungen erteilt, erfolgt die endgültige Organzuteilung. Hieran schließt sich der Organtransport innerhalb der jeweiligen Überlebensdauer des Organs an, sog. kalte Ischämiezeit45. Die kalte Ischämiezeit divergiert je nach Organ und deckt bei den vermittlungspflichtigen Organen Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Vorb. Rn. 20. Hierzu sogleich unter § 3 II. 43 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 - 6 Ks 4/13, S. 23. 44 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 - 6 Ks 4/13, S. 24. 45 Zur Begriffsbestimmung vgl. Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Vorbemerkung Rn. 22 sowie Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 182, wonach die kalte Ischämiezeit die Zeitspanne umfasst, in der das Organ vom Organismus getrennt und bei einer Temperatur von ca. 4° C gekühlt wird. Dieser Zeitraum ist Maßstab für die Transport- und Organisationszeit und Voraussetzung für eine erfolgreiche transplantationsmedizinische Behandlung. Zur Bedeutung der kalten Ischämiezeit als Allokationskriterium Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 436. 41
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nach § 1a TPG einen Zeitraum von 4 bis 6 Stunden bei Herz und Lunge, 10 bis 12 Stunden bei Leber und Bauchspeicheldrüse sowie bis zu 24 Stunden bei der Entnahme von Nieren ab.46 Nach erfolgreichem Organtransport findet die Organ implantation gem. § 10 Abs. 1 S. 1 TPG a. E. in dem jeweiligen Transplantationszentrum statt. e) Zusammenfassung Die §§ 9 – 12 TPG regeln den organisatorischen Rechtsrahmen für die Entnahme, Vermittlung und Übertragung vermittlungspflichtiger Organe. Dabei erfolgt die Ermittlung und Meldung konkreter Organspender durch die behandelnden Entnahmekrankenhäuser bzw. Transplantationszentren. Sie melden den Patienten an die Koordinierungsstelle (Deutsche Stiftung Organtransplantation), die hieran anschließend die Voraussetzungen für eine Organentnahme prüft. Transplantationszentren führen zum Zwecke der Organvermittlung Wartelisten und nehmen mögliche Organempfänger in die Liste auf, wobei die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sowie die Notwendigkeit und Erfolgsaussicht der Organübertragung als entscheidende Kriterien der Aufnahmeentscheidung zugrunde zu legen sind. Die Listen der Transplantationszentren werden bei der zentralen Vermittlungsstelle (Stichting Eurotransplant) als einheitliche Liste geführt. Wird die Vermittlungsentscheidung durch Eurotransplant getroffen, setzt die Koordinierungsstelle diese Entscheidung um, indem sie die Entnahme organisiert und die behandelnden Ärzte mit der Organübertragung beauftragt. Der Transport und die sich anschließende Implantation des Organs müssen innerhalb der jeweiligen Ischämiezeit des Organs stattfinden. Die Übertragung des vermittlungspflichtigen Organs darf dabei ausschließlich an einem hierfür zugelassenen Transplantationszentrum durchgeführt werden.
2. Kontrollinstanzen und Überprüfung der Einzelfallentscheidungen Wie bereits dargelegt, stellt jede Entscheidung über die Zuteilung eines Organs zu einem bestimmten Patienten zugleich eine Entscheidung über die Heilungsund damit Lebenschancen der begünstigten und abgelehnten Personen dar.47 Diese existenzielle Tragweite der jeweiligen Einzelfallentscheidung muss zum einen bei der Festlegung der maßgeblichen Auswahl- und Zuteilungskriterien (Allokationskriterien), zum anderen aber auch bei der Prüfungs- und Kontroll organisation der im Einzelfall getroffenen Entscheidungen ausreichende Berücksichtigung finden. Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, Vorb. Rn. 20. Vgl. Augsberg, in: Middel et al., Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, 163, 163; Lilie, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 331, 333. 46 47
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Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass das Transplantationsgesetz im Gegensatz zu anderen Gesetzen, wie dem Bundesimmissionsschutz- oder Wasserhaushaltsgesetz48, keine eigenständigen Kontrollmechanismen festschreibt. Vielmehr wird die Etablierung eines Kontroll- und Prüfungssystems den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Bundesärztekammer sowie der Krankenhausgesellschaft zur Vertragsgestaltung in §§ 11 Abs. 3 S. 3, 12 Abs. 5 S. 3 TPG überlassen.49 Neben den Straf- und Bußgeldvorschriften sind die institutionellen Kontrollmechanismen dagegen nur sehr schwach ausgeprägt.50 Die auf §§ 11 und 12 TPG beruhenden Vertragswerke etablieren sowohl eine allgemeine Überwachungskommission als auch eine fachspezifisch kontrollierende Prüfungskommission.51 a) Überwachungskommission Die Überwachungskommission wurde im Rahmen des Vertrages mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation durch § 4 Abs. 1 etabliert und setzt sich organisatorisch aus neun Mitgliedern zusammen, die jeweils für einen Zeitraum von drei Jahren von den jeweiligen Auftraggebern52 in das Gremium gewählt werden.53 Die Überwachungskommission soll dabei in erster Linie die Aufgabenerfüllung durch die DSO ‑ nämlich Koordinierung der Organspende und der an ihr beteiligten Stellen ‑ beobachten und kontrollieren.54 Ferner prüft sie, ob der organisatorische Rechtsrahmen und die jeweiligen Mitteilungs- und Kooperationspflichten im Prozess der Vorbereitung der Organentnahme, -vermittlung und -übertragung eingehalten wurden.55 Nach § 11 Abs. 3 S. 5 TPG sind die DSO, Transplantationszentren sowie Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, die für die Kontrolle notwendigen Unterlagen und Dokumente zur Verfügung zu stellen. Die Einhaltung der Verpflichtungen der beteiligten Organisationen aus dem Eurotransplantvertrag prüft die Überwachungskommission nur insoweit, als sie nicht die einzelnen Vermittlungsentscheidungen nach § 12 Vgl. insbesondere die § 52 BImSchG sowie §§ 9, 21 WHG; Lilie, a. a. O. Lilie, Medizin und Haftung, FS Deutsch, 331, 333. 50 Vgl. Lilie, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 331, 333. 51 Ausführlich zu Differenzierungen Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 82 ff. 52 Die genaue Zusammensetzung erfolgt je nach Auftraggeber gestaffelt: So entfallen auf den GKV-Spitzenverband, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft jeweils drei Vertreter, die Gesundheitsministerkonferenz der Länder entsendet zwei stimmberechtigte Vertreter, während auf die DSO als Koordinierungsstelle, Eurotransplant und den Verband der Privaten Krankenversicherungen jeweils nur ein Vertreter entfällt, § 3 Abs. 1, 2 GGO-PÜK. 53 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 61. 54 Lilie, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 331, 334. 55 DSO, Jahresbericht 2015, S. 12. 48 49
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§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
Abs. 3 TPG zum Gegenstand haben. Sie werden nach § 12 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 TPG spezialgesetzlich erwähnt und der Prüfkompetenz der Prüfungskommission zugeteilt.56 b) Prüfungskommission Während die Überwachungskommission der DSO die Organspende und die Einhaltung der transplantationsrechtlichen Bestimmungen im Ganzen verfolgt, steht bei der Prüfungskommission der Vermittlungsstelle Eurotransplant die jeweilige Einzelfallentscheidung der am Organvermittlungsprozess beteiligten Stellen im Vordergrund. Die Prüfungskommission setzt sich nach dem gleichen Verhältnis wie die Überwachungskommission aus den jeweils für drei Jahre gewählten Mitgliedern zusammen, § 3 Abs. 1, 2 GGO-PÜK 57. Vertreten sind insbesondere zwei Fachärzte für Transplantationsmedizin, die der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer angehören.58 Zur Kernaufgabe der nach § 12 Abs. 5 S. 3 TPG etablierten Prüfungskommission zählt die stichprobenartige Kontrolle der Vermittlungsentscheidungen von Eurotransplant sowie die Einhaltung der Allokationskriterien und Auffälligkeiten bei den Wartelisten der Transplantationszentren.59 Maßgeblich sind hierbei vor allem die rechtmäßige Zuteilung der Organe im Einzelfall sowie die ordnungsgemäße Anwendung der deutschen Allokationskriterien für gespendete und zur Transplantation zur Verfügung stehende Organe. c) Strukturprobleme und Kritik Die Kontroll- und Überwachungstätigkeit der Prüfungs- und Überwachungskommission wird in der Literatur erheblich kritisiert.60 So sei insbesondere die Delegation der Kontrolltätigkeit an die Auftraggeber in Ansehung des grundrechtssensiblen Charakters der Organallokation unangemessen und verstoße gegen das verfassungsrechtliche Untermaßverbot.61 Zudem fehle es an wirksa-
Vgl. Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 82 f. Gemeinsame Geschäftsordnung der Prüfungs- und Überwachungskommission, abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ord ner/GO/2016–02–18_GGO-PUEK.pdf, zuletzt am 20.9.2016. 58 Vgl. Lilie, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 331, 334. 59 Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 94. 60 Vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 31; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 62; Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 334 f.; Lang, MedR 2005, 269, 271 ff.; Neft, NZS 2010, 16, 20; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 131 ff. 61 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 62; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 58 f.; Neft, NZS 2010, 16, 20. 56 57
I. Rechtsrahmen nach dem TPG
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men Sanktionsinstrumenten und einer organisatorisch-personellen Trennung zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem.62 Besonders kritisch wird in diesem Zusammenhang die Überwachung des Vertrages mit Eurotransplant gesehen, die gem. § 12 Abs. 5 S. 3 TPG gemeinsam durch die Bundesärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Bundesverbände der Krankenhausträger erfolgen soll.63 So sei zwar einerseits das Erfordernis ministerieller Genehmigung als „rechtsstaatliches Minimum“64 zu begrüßen. Dies ändere aber nichts am grundlegenden Strukturdefizit, dass die von den Auftraggebern beauftragte Prüfungskommission wiederum von der Eurotransplant bestimmt wird.65 Dies führe dazu, dass sich DSO und Euro transplant „kontrolliert kontrollieren“66 lassen können und damit der Verdacht erheblicher Interessenskonflikte im Raum stünde, die eine effektive Kontrolltätigkeit gefährde.67 Zwar unterliegen heute die Richtlinien der Bundesärztekammer selbst der Genehmigungspflicht durch das Bundesgesundheitsministerium nach § 16 Abs. 3 TPG und es kann deswegen auch das Argument, die BÄK sei selbst ohne jede staatliche Kontrolle, nicht mehr ohne weiteres angeführt werden.68 Wie allerdings noch an späterer Stelle zu zeigen sein wird69, führt dieser neu eingeführte Genehmigungsvorbehalt zu keiner neuen Qualität an staatlicher Aufsicht. Die zentrale Frage, nach welchen Kriterien kontrolliert und wann eine Richtlinie im Zweifelsfall vom Ministerium abzulehnen ist, bleibt nach wie vor unklar. Insoweit wurde für die BÄK zwar eine formale Kontrollinstanz eingeführt, die aber auf dem Niveau einer Plausibilitäts- und Evidenzkontrolle stehen bleibt. Auch vor diesem Hintergrund bleibt die Einsetzung der unterkontrollierten BÄK als Kontrolleur von Eurotransplant ausgesprochen kritikwürdig.70
62 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 31: „Letztlich handelt es sich dabei (…) nur um eine Selbstkontrolle“; Neft, NZS 2010, 16, 20. 63 Vgl. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 132. 64 Höfling, JZ 2007, 481, 483. 65 Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 205; Höfling, JZ 2007, 481, 483. 66 Wörtlich Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 205. 67 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 62. 68 So noch nach alter Rechtslage Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 334 f.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 133. 69 Vgl. § 3 III.2.c).bb).(4). 70 Im Ergebnis ebenfalls kritisch Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 133 ff.
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§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
II. Allokationsrechtliche Kriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer Nachdem der organisatorische Ablauf der Organvermittlungen nach dem TPG beschrieben wurde, soll nun auf die einzelnen Kriterien bei der Organvermittlung eingegangen werden. Relevant sind hierbei neben den Kriterien, nach welchen die Transplantationszentren die Aufnahmeentscheidung in die von ihnen geführte Warteliste treffen, jene, die der Vermittlungsentscheidung von Euro transplant zugrunde liegen.
1. Richtlinien für die Wartelistenführung und Organvermittlung Wie bereits erwähnt, wird im organisatorischen Ablauf der verschiedenen beteiligten Stellen bereits bei den Transplantationszentren eine Vorauswahl unter den empfangsbedürftigen Patienten getroffen, indem die zugelassenen Transplantationszentren gem. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG über die Besetzung der Wartelisten mit potentiellen Organempfängern entscheiden.71 Die Wartelisten sollen nach dem gesetzgeberischen Willen durch einheitliche medizinische Kriterien geführt und in regelmäßigen Abständen, dem Gesundheitszustand des Patienten entsprechend, aktualisiert werden.72 a) Regelungen der §§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 12 Abs. 3 S. 1 TPG Das Transplantationsgesetz definiert nur in sehr vagem Umfang die Kriterien, nach denen die Aufnahme in die Wartelisten durch die Transplantationszentren erfolgen soll. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG verlangt lediglich entscheidungserhebliche Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, wobei besonderes Augenmerk auf die (medizinische) Notwendigkeit und Erfolgsaussicht der Organübertragung zu legen ist. Diese in hohem Maße auslegungsbedürftige Formulierung ist kaum subsumtionsfähig und bietet keine trennscharfe und für den Einzelfall verbindliche Abgrenzungsregel. Gleiches gilt für die unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 12 Abs. 3 S. 1 TPG, die bei der Vermittlungsentscheidung auf Erfolgsaussicht und Dringlichkeit der Organübertragung abstellen. Sie bedürfen einer auf greifbare medizinische Kriterien gestützten Konkretisierung, die eine rechtssichere Einzelfallentscheidung erlaubt. Unklar bleibt auch das Rangverhältnis der als Unterpunkte genannten Kriterien, die keineswegs linear korrelieren, sondern vielmehr strukturell widersprüchlich verlaufen. Je niedriger die konkrete Notwendigkeit oder Dring71
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Vgl. hierzu bereits § 3 I.1.b). BT-Drs. 13/4355, S. 22 zu Nr. 1.
II. Allokationsrechtliche Kriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer
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lichkeit der Organtransplantation ist – weil bspw. der Krankheitsverlauf noch nicht allzu weit fortgeschritten ist – desto höher wird im Einzelfall die konkrete Erfolgsaussicht des Eingriffs sein.73 Dieses Spannungsfeld wird vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber nicht aufgelöst. Vielmehr wird über die Richtlinienermächtigung des § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG die Bundesärztekammer mit der Ausgestaltung der Verteilungskriterien und der Konkretisierung der Allokationsmaßstäbe betraut.74 b) Erlassene Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG aa) Regelungskonzept Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG obliegt es der Bundesärztekammer als Pflichtaufgabe, in Form von Richtlinien den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft festzustellen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Aufnahmeentscheidung für die Warteliste nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG, vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG, als auch hinsichtlich der Vermittlungsentscheidung nach § 12 Abs. 3 S. 1 TPG durch Eurotransplant, § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG. Hieraus folgt ein weitreichender Entscheidungs- und Festsetzungsspielraum zugunsten der Bundesärztekammer bei der Frage, welche medizinische Behandlungspraxis unter den Stand der medizinischen Erkenntnisse sowie die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste zu fassen ist.75 Hintergrund dieser Aufgabendelegation zugunsten der Bundesärztekammer ist das gesetzgeberische Bestreben, die gesetzliche Entscheidungsgrundlage der einzelnen Verfahrensschritte unmittelbar an die Erkenntnisse der medizinischen Fachwelt und wissenschaftlichen Forschung zu binden.76 Die genaue Konturierung der im Transplantationsgesetz nur als Oberbegriffe genannten Kriterien wurde auf die Bundesärztekammer übertragen, die eigenverantwortlich die unbestimmten Rechtsbegriffe durch medizinisch-naturwissenschaftliche, jedoch zunehmend auch normative Wertungen ausfüllt.77 Die Bundesärztekammer erhält durch das Regelungskonzept des § 16 Abs. 1 TPG keine direkte Rechtsetzungsbefugnis, sondern den Auftrag, die vom Gesetzgeber verwendeVgl. insbesondere Lang, MedR 2005, 269, 274; ferner auch Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 449, der im Grundsatz noch eine Korrelation zwischen hoher Erfolgsaussicht und „wenig dringlichem Zustand“ anerkennt, aber eine Gegenläufigkeit der Kriterien explizit ablehnt. 74 Zu den hieraus folgenden verfassungsrechtlichen Problemen vgl. Glp. § 3 III.2.b). ff. 75 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1274. 76 Augsberg, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 45, 48; Middel/ Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 1. 77 Zum Streit über die normativen Kriterien vgl. Glp. § 3 III.2.c).bb).(2); Wie hier Augsberg, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, 45, 48; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 167 ff., 173. 73
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§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
ten unbestimmten Rechtsbegriffe konkretisierend auszufüllen. Funktional ist innerhalb der Bundesärztekammer die „Ständige Kommission Organtransplantation“ für die Ausarbeitung der Richtlinien zuständig, ehe sie vom Vorstand der Bundesärztekammer verabschiedet werden.78 Rechtstechnisch werden die Feststellungen und Konkretisierungen der Richtlinien der Bundesärztekammer als Vermutungsregel im Wege der dynamischen Verweisung79 ausgestaltet. So wird gem. § 16 Abs. 1 S. 2 TPG die Einhaltung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet, wenn die jeweils gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet wurden. Rein prozessual ist diese Vermutung grundsätzlich dem Gegenbeweis zugänglich (vgl. § 292 S. 1 ZPO), der aber in der Praxis kaum gelingen dürfte.80 Da die wesentlichen medizinischen Standards ihren allgemeinverbindlichen Charakter durch die Feststellungen der Bundesärztekammer erhalten, ist es kaum möglich, hinsichtlich der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft den schlüssigen Gegenbeweis anzutreten. Die Richtlinien weisen damit eine Verbindlichkeit auf, die über eine bloß prozessuale Vermutungsregel hinausgeht. Der von Kreße hiergegen vorgebrachte Einwand, ein medizinischer Sachverständiger könne die „wissenschaftlich fundierte[n] Bandbreiten des medizinischen Standards aufzeigen, ohne dass er deshalb die Rolle des Sachverständigen verließe“81, kann im Ergebnis nicht überzeugen. Selbst wenn man davon ausginge, dass im Einzelfall eine konkrete Bestimmung der BÄK-Richtlinien nicht vom medizinischen Standard gedeckt ist, sieht sich der Patient mit einer erheblichen Beweislastverschiebung konfrontiert, die im Vergleich zu den allgemeinen Arzthaftungsprozessen entsteht. Der behandelnde Arzt kann sich außerhalb des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG nicht per se mit dem Hinweis auf eine BÄK-Richtlinie vom Vorwurf des Behandlungsfehlers entlasten. Übersehen wird zudem, dass der medizinische Standard wesentlich von den Anschauungen und Erkenntnissen der praktizierenden Fachwelt lebt, wonach den Festsetzungen der Bundesärztekammer ein umso höheres Gewicht zukommt. Durch die Übernahme der in den Richtlinien aufgestellten Regeln und Leitsätze werden wesentliche Inhalte erst zum medizinischen Standard erhoben, sodass die Richtlinien insoweit in der Praxis konstituierende Funktion aufweisen. Geht man von diesem Konvergenzverhältnis aus Richtlinienfestsetzung und ärztlicher Berufspraxis aus, wäre es Sache des Patienten, gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 TPG zu beweisen, dass die Festsetzungen der Bundesärztekammer nicht mit 78
Vgl. BT-Drs. 13/4355, S. 29. Zur dynamischen Verweisung Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 100 ff. 80 Zu dieser Problematik Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 135 f.; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1274; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 20; Neft, NZS 2010, 16, 18; a. A. wohl Kreße, MedR 2016, 491, 494. 81 Kreße, MedR 2016, 491, 493. 79
II. Allokationsrechtliche Kriterien der Richtlinien der Bundesärztekammer
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den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft, insbesondere der konsentierten Facharztpraxis, übereinstimmen. Diese Überlegung stellt die Rechtstatsächlichkeit geradezu auf den Kopf, wo doch die Transplantationszentren darauf vertrauen, dass die Bundesärztekammer den medizinischen Standard verbindlich feststellt, und dementsprechend im transplantationsmedizinischen Alltag die Maßnahmen am Richtlinieninhalt ausrichten. Nach der Konzeption des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG sollen die Richtlinien den medizinischen Standard feststellen, faktisch legen sie ihn fest. Die Tätigkeit ist damit nicht deskriptiv, sondern im Wesentlichen normativ. Der Gegenbeweis dürfte unter diesen Bedingungen, wenn überhaupt, nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sein, in denen die Richtlinien evident veraltet oder drucktechnisch fehlerhaft sind.82 Hieraus folgt trotz der Einschränkung durch die rein theoretische Möglichkeit des Gegenbeweises ein erheblicher und im praktischen Ergebnis kaum relativierter normativer Geltungsanspruch der auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 S. 1 TPG erlassenen Richtlinien.83 bb) Rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik84 Die gesamte rechtstechnische Ausgestaltung des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG, welche die Ausfüllungs- und Konturierungskompetenz zentraler Begriffe, wie die Feststellung des Todes (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG), die Regeln zur Aufnahme in die Wartelisten durch die Transplantationszentren (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG) sowie die Ausfüllung der in § 12 Abs. 3 TPG genannten Kriterien zum Zwecke der Organvermittlung (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 TPG), in die Hände der privatrechtlich ausgestalteten Bundesärztekammer85 legt, steht seit ihrem Bestehen86 unter 82 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 135 f.; Neft, NZS 2010, 16, 18; Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 439. In Betracht kommen sollen etwa sinnentleerte Druckfehler oder andere für den Durchschnittsleser evidente formale Mängel. 83 Hierzu später vertiefend unter Glp. § 3 III.1.b); vgl. bereits an dieser Stelle Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 136; Höfling, in Höfling, TPG, § 16 Rn. 29; Middel/ Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 2; Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 439; Weyd, Jura, 437, 443. 84 Die ausführliche Untersuchung der verfassungsrechtlichen Probleme erfolgt unter § 3 III.2. 85 Als bloße Arbeitsgemeinschaft der als öffentlich-rechtliche Personalkörperschaften ausgestalten 17 Ärztekammern auf Landesebene handelt es sich bei der Bundesärztekammer um einen nicht eingetragenen Verein im Sinne des § 54 BGB, vgl. Berger, Die Bundesärztekammer, S. 44 ff, insb. S. 46; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 2; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 6; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 13 Rn. 13;. 86 Vgl. die bereits im Gesetzgebungsverfahren geäußerte Kritik von Höfling, Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, 9.10.1996, Ausschuss-Drs. 599/13, S. 4 ff.
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massiver Kritik.87 Insbesondere die weite Regelungs- und Ausfüllungskompetenz führe zu einer (vermeintlichen) Selbstverwaltung, in deren Zuge der Gesetzgeber seiner Aufgabe nicht nachkomme, normativ-wesentliche Angelegenheiten durch das Parlamentsgesetz in ausreichendem Maße selbst zu regeln, sog. Wesentlichkeitstheorie.88 Die Aufgabenzuweisung des § 16 TPG führe zu einer Delegation existenzieller Entscheidungen, die bei einer privat-rechtlichen Gesellschaft wie der Bundesärztekammer als nicht eingetragener Verein i. S. v. § 54 BGB auch rechtspolitisch falsch aufgehoben sei.89 Fraglich sei zudem die demokratische Legitimation in Ansehung der nach Art. 20 Abs. 2 GG zu fordernden ununterbrochenen Legitimationskette. Angesprochen sind damit elementare Pro-blemstellungen des Verfassungsrechts, welche an späterer Stelle noch einmal gesondert betrachtet werden. 90 cc) Konkretisierung der Allokationskriterien Die Bundesärztekammer ist ihrem in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG niedergelegten Pflichtauftrag91 nachgekommen und hat für alle sechs vermittlungspflichtigen Organe, Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse (Pankreas) sowie Dünndarm, Richtlinien für die Wartelistenführung und die Organvermittlung92 verabschiedet. Diese sind im Einzelnen: – Richtlinien zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation – Richtlinien zur Lungentransplantation
87 Vgl. hierzu BVerfG 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728; Bader, Organmangel und Organvermittlung, S. 173 ff.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 1; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 1 f. 88 Zur verfassungsmäßigen Dimension des Regelungskonzepts von § 16 TPG ausführlich unter Glp. § 3 III.2 ff.; instruktiv Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 3 ff., 5 ff., 17 ff.; a. A. Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 4, die allerdings übersehen, dass es hier nicht nur um die „Entscheidung des Arztes“ geht, eine Behandlung vorzunehmen oder nicht. Vielmehr geht es bei der Organvermittlung um eine gesamtstaatliche Aufgabenerfüllung grundrechtsrelevantester Art, sodass eine legislative „Vorprägung durch den Gesetzgeber“ (§ 16 Rn. 4) nicht nur „weiterführen“ würde, sondern verfassungsrechtlich als Mindestmaß normativer Wertentscheidung zu fordern ist. 89 So z.B. Sickor, GesR 2014, 204, 205; Engels, WzS 2013, 199, 203. Bezüglich der Rechtsnatur vgl. § 1 Satzung der Bundesärztekammer, Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammer, in der Fassung des 104. Deutschen Ärztetages 2001. Zur GbR abgrenzend Berger, Die Bundesärztekammer, S. 44 ff. 90 Vgl. § 3 III.2.c). 91 Zur pflichtgebundenen Ausgestaltung von § 16 TPG sowie mangelnde Aufsichtsstrukturen vgl. Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 2. 92 Alle Richtlinien sind abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/ richtlinien/transplantationsmedizin/richtlinien-fuer-die-wartelistenfuehrung-und-die-or ganvermittlung/, zuletzt am 20.9.2016.
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– Richtlinien zur Lebertransplantation93 – Richtlinien zur Nierentransplantation – Richtlinien zur Pankreastransplantation – Richtlinien zur Dünndarmtransplantation Die bisher erlassenen Richtlinien der Bundesärztekammer folgen einem einheitlichen Aufbau. Zunächst werden jeweils unter dem Gliederungspunkt I. die allgemeinen Grundsätze für die Aufnahmeentscheidung des Transplantationszentrums in die Warteliste aufgeführt, an die sich unter II. eine Darstellung der für die Allokation entscheidenden Organvermittlungsgrundsätze, insbesondere eine Zusammenfassung der rechtlichen Grundlagen sowie grundlegenden medizinischen Definitionen, anschließt. Unter dem Gliederungspunkt III. folgen schließlich die organspezifischen Besonderheiten und Modifikationen bei der Wartelistenführung und Organvermittlung sowie die Beschreibung der einzelnen Verteilungsverfahren und –algorithmen. Der Begriff der „Warteliste“ wird dabei in letzter Zeit zu Recht kritisch betrachtet, da insoweit suggeriert wird, dass das entscheidende Kriterium der Organallokation die verstrichene Wartezeit wäre.94 Tatsächlich spielen neben der Wartezeit, die vor allem bei der Nierenallokation bedeutsam ist, gesundheitsrelevante Daten sowie die im Einzelfall gegebene Dringlichkeit eine bedeutsamere Rolle. (1) Medizinische Indikation Voraussetzung für eine Aufnahme in die Warteliste für die Organvermittlung ist zunächst, dass eine Organübertragung zur Behandlung des Krankheitsbilds des Patienten medizinisch überhaupt sinnvoll ist. Die Notwendigkeit ist demnach aus der medizinischen Indikation zu folgern.95 Die Organtransplantation muss zu einer Lebensverlängerung oder Verbesserung der Lebensqualität führen, die mit anderen Behandlungsmethoden jeweils nicht erreicht werden kann.96 Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer sind Organtransplantationen zunächst in Fällen nicht rückbildungsfähiger (irreversibler) oder durch einen genetischen Defekt bedingter Erkrankungen indiziert.97 Voraussetzung ist, dass die Erkrankung das Leben gefährdet oder zumindest die Lebensqualität des 93
Insbesondere mit den Änderungen der Richtlinie in der Bekanntmachung vom 3.8.2015. Vgl. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 166 f.; Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 7. 95 Am Beispiel der Nierentransplantationen Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 204 ff. 96 Beispielhaft für sämtliche Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 TPG Bundesärztekammer, Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lebertransplantation, Gliederungspunkt A.I.2 (im Folgenden: BÄK, Leber, Glp. A.I.2.). 97 Vgl. exemplarisch BÄK, Leber, Glp. A.I.3. 94
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Patienten hochgradig einschränkt. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist maßgeblich, ob die Erkrankung durch die Transplantation erfolgreich behandelt werden kann.98 Ist auch dieses Kriterium zu bejahen, ist eine Organtransplantation grundsätzlich indiziert. (2) Kontraindikationen Die medizinische Indikation entfällt, wenn Gründe vorliegen, welche die Übertragung eines Organs und dessen Implantation beim Patienten unter Berücksichtigung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses nicht mehr als angemessen erscheinen lassen, weil sie den Erfolg der Transplantation ernsthaft in Frage stellen, sog. Kontraindikationen.99 Diese können nach den Richtlinien der BÄK bereits dann angenommen werden, wenn Befunde, Erkrankungen oder Umstände vorliegen, die das Operationsrisiko erheblich erhöhen.100 Soweit hierdurch der Erfolg der operativen Heilbehandlung ernsthaft in Frage gestellt wird, ist eine Organübertragung kontraindiziert. Exemplarisch nennen die Richtlinien nicht kurativ behandelte bösartige Erkrankungen, Infektionen, die sich durch die postoperative Immunsuppression verschlimmern würden (bspw. HIV-Infektion), schwerwiegende Erkrankungen anderer Organe und, allgemeiner gehalten, operativ-technische Probleme.101 Auf den ersten Blick überraschend ist in diesem Zusammenhang, dass auch die unzureichende oder fehlende Mitarbeit des Patienten (sog. non-Compliance) zu einer Kontraindikation hinsichtlich der angestrebten Organtransplantation führen kann. Bereits die Bestimmung medizinisch relevanter Compliance bereitet in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten. Da es maßgeblich auf die Bestimmung der Erfolgsaussichten ankommt, erscheint es sinnvoll, den Begriff dahingehend auszulegen, dass nur dann von fehlender oder unzureichender Compliance auszugehen ist, wenn diese den Patienten aufgrund konkreter Anhaltspunkte wiederholt als „unzuverlässig im weitesten Sinne“ erscheinen lässt und dadurch der konkrete „Behandlungserfolg gefährdet“ ist.102 Obwohl es sich bei der Compliance des Patienten nicht um ein unveränderbares Persönlichkeitsmerkmal handelt, soll eine völlig fehlende Compliance die Organübertragung grundsätzlich ausschließen.103 Die Kontraindikation aufgrund fehlender oder mangelnder Compliance gehört zu den problematischsten Bestimmungen und Inhalten der Richtlinien der Bundesärztekammer. So wird zum Beispiel BÄK, Leber, Glp. A.I.3. Unter Verallgemeinerung der Erwägungen in BÄK, Leber, Glp. I.1.4. (n. F.); Vgl. hierzu die Fallgruppenanalyse bei Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 206 ff. 100 Vgl. BÄK, Leber, Glp. A.I.4. 101 Vgl. bspw. BÄK, Pankreas, Glp. A.I.4.; Dünndarm, Glp. A.I.4.; Lunge, Glp. A.I.4. 102 Vgl. hierzu Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 208. 103 BÄK, Leber, Glp. A.I.4, Abs. 2. 98
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das im Rahmen der Compliance zu berücksichtigende Erfordernis ausreichender Sprachkenntnisse vor dem Hintergrund von Art. 3 Abs. 3 GG als höchst problematisch angesehen.104 Insbesondere die Unbestimmtheit des Kriteriums kann im Einzelfall dazu führen, dass Ärzte subjektive Wertungen und sachfremde Kriterien über das Einfallstor der Compliance in die Wartelistenentscheidung einfließen lassen.105 Außerdem bestünde die Gefahr einer durch das Merkmal fehlender Compliance gedeckten, restriktiven Aufnahmepolitik in die Warteliste.106 Liegt eine Kontraindikation vor, wird der Patient als „nicht-transplantabel“ (NT) eingestuft.107 Eine Berücksichtigung ist für die Dauer der bestehenden Kontraindikation weder bei der Aufstellung der Wartelisten noch bei der konkreten Organvermittlung möglich. Es ist offensichtlich, dass dem behandelnden Arzt bei der Beurteilung der medizinischen Indikation von der Bundesärztekammer in den Richtlinien ein sehr weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt wird. Insbesondere die Bewertung, ob defizitäre Compliance des Patienten die Operation ausschließt, lässt keine grenzsichere Bestimmung über den Einzelfall hinaus zu und stellt die grundsätzliche Frage, inwieweit die jeweilige Schlussfolgerung aus dem Verhalten des Patienten tatsächlich medizinische Relevanz aufweist oder nicht vielmehr auf eine pauschale und im Einzelfall sachwidrige Richtlinieninterpretation zurückzuführen ist. (3) Erfolgsaussicht Zur Beurteilung der Erfolgsaussicht der Operation legen die Richtlinien eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung zugrunde. Maßgeblich ist, ob mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Lebensverlängerung oder eine Verbesserung der Le-
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Zur verfassungsrechtlichen Untersuchung dieses Kontraindikationsbefunds vgl. Glp. § 3 III.2.d).cc). Hierzu ausdrücklich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381 f., der die Berücksichtigung der Sprachkenntnisse bei der Compliance-Bestimmung als „absolut unzulässig“ klassifiziert, sowie BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 - 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728, das in diesem Zusammenhang im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde über eine versagte Prozesskostenhilfe bei der verfassungskonformen Auslegung der §§ 114 f. ZPO zur Kontraindikation aufgrund fehlender Sprachkenntnisse von „schwierigen, bislang ungeklärten“ Rechtstatsachen spricht, die sich „auch nicht mit den von der Rechtsprechung bereitgestellten Auslegungshilfen“ beantworten ließen. 105 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 210 f. Anschaulich zudem der Streitgegenstand bei VGH München, Beschluss v. 15.06.2015 – 5 ZB 14.1919, bei welchem aufgrund einer vermeintlichen Drohung des Ehemanns der Patientin gegenüber behandelnden Ärzten fehlende Compliance attestiert und die Patienten im Folgenden als nicht transplantabel eingestuft wurde. 106 Vgl. hierzu Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 211. 107 BÄK, Leber., Glp. A.I.9.
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bensqualität zu erreichen ist.108 Einzelne Kriterien sind hierbei ein längerfristiges Überleben, die längerfristig ausreichende Transplantatfunktion sowie der Grad an verbesserter Lebensqualität.109 Auf die Frage, wie erfolgversprechend die konkrete Organübertragung ist, hat außerdem die Compliance sowie die seelische Verfassung des Patienten entscheidenden Einfluss.110 Je nach transplantiertem Organ bestehen Besonderheiten, die bei der Abschätzung der Erfolgsaussicht im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Insbesondere an der Einbeziehung der Compliance als erfolgsnotwendigem Kriterium zeigt sich, dass die Organallokation keine rein medizinisch-naturwissenschaftlich zu beantwortende Frage ist.111 Vielmehr liegen den Erwägungen sowohl des Transplantationsgesetzgebers, als auch der Bundesärztekammer normative Verteilungserwägungen zu Grunde, die häufig sozialer oder ethischer Natur sind.112 (4) Dringlichkeit und High Urgency-Status Die in § 12 Abs. 3 S. 1 TPG normierte Dringlichkeit wird ebenfalls durch die Richtlinien der Bundesärztekammer konkretisiert. Auszugehen ist von dem Ausmaß des gesundheitlichen Schadens, der durch die Transplantation verhindert werden soll.113 Zudem werden unmittelbar vom Tod bedrohte Patienten ebenso wie Kinder, Jugendliche und Heranwachsende vorranging berücksichtigt, soweit letztere ohne die Transplantation in ihrer Entwicklung beeinträchtigt oder anhaltend gestört wären.114 Der bei Heranwachsenden drohende Schaden bei überlangen Wartezeiten sei demnach ein Indiz für eine besondere Dringlichkeit. Bei Patienten, deren Gesundheitszustand als äußerst kritisch eingestuft wird, erfolgt eine Klassifizierung mit „hoher Dringlichkeit“, sog. „High Urgency (HU)“.115 Wird dieser Zustand des Patienten von zwei unabhängigen Auditoren der Vermittlungsstelle festgestellt116, erfolgt eine bevorzugte Behandlung im Rahmen der weiteren Organzuteilung. Hierzu werden beispielsweise dem potentiellen Empfänger einer postmortal gespendeten Niere 500 Sonderpunkte bei Vgl. beispielhaft BÄK, Leber, Glp. A.I.6. BÄK, Leber, Glp. A.I.6. 110 BÄK, Leber, Glp. A.I.6. 111 Ähnlich Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 42, der die Verwendbarkeit des Kriteriums nur bei „Relevanz“ und „Meßbarkeit“ bezüglich des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bejaht. 112 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 139 ff., 102 ff., 201 ff. 113 BÄK, Leber Glp. A.II.1.e). 114 BÄK, Leber, Glp. A.II.1.e). 115 BÄK, Herz/Lunge, Glp. III.3.2.1.; BÄK, Niere, Glp. III.4.7; BÄK, Pankreas, III.4.2 – sog. „special urgency“. 116 BÄK, Niere, Glp. III.4.7. Abs. 2. 108
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der Ermittlung der Allokationsreihenfolge zugedacht, sodass eine Organzuteilung und -transplantation regelmäßig innerhalb eines Zeitraums von sechs Wochen realisiert werden kann.117 Kommen für das konkrete Organ zwei exakt gleich geeignete High-Urgency-Patienten zur Organübertragung in Betracht, erfolgt die Zuteilung nach einer Priorisierung anhand der bisher verstrichenen Wartezeit der potentiellen Organempfänger.118 (5) Beschleunigtes Verfahren Ist das gespendete Organ in besonders schlechtem Zustand, beispielsweise aufgrund hoher Kreislaufinstabilität des Organspenders119, ist auch die Überlebensdauer des Organs in erheblichem Maße reduziert. Da aufgrund dieser gesunkenen Ischämiezeit eine bundes- oder verbundweite Organverteilung nicht in Betracht kommt, erfolgt in diesen Fällen das sog. „beschleunigte Verfahren“, nach welchem das gespendete Organ in einem lokal begrenzten Einzugsgebiet in Zusammenarbeit der verschiedenen Transplantationszentren verteilt wird. Zu diesem Zwecke bilden die in Frage kommenden Transplantationszentren eine Auswahl der Patienten, die nach Maßgabe der Festsetzungen der Bundesärztekammer am besten für die Organübertragung geeignet sind. Die massiv reduzierte Erklärungsfrist von 30 Minuten des Transplantationszentrums verdeutlicht die besondere Eilbedürftigkeit der Fälle, in denen ein zeitnaher Organverlust droht. Die Bedeutung der beschleunigten Verfahren hat in letzter Zeit von 26,8% aller Fälle im Jahre 2007 auf 38,6% 2011 und zuletzt über 40% im Jahre 2012 stark zugenommen.120 Als Gründe für diesen rasanten Anstieg werden zum einen das deutlich angestiegene Durchschnittsalter der Organspender und zum anderen ein zunehmender Abfall des medizinischen Zustands der gespendeten Organe angeführt.121 (6) Organisationspflichten Die Richtlinien der Bundesärztekammer sehen neben Informations-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten auch spezifische Organisationspflichten vor, die das Transplantationszentrum im Rahmen der Organallokation erfüllen muss. Im Mittelpunkt stehen hierbei die organisatorischen Vorkehrungen hinBÄK, Niere, Glp. III.4.7. Abs. 2. Schroth, NStZ 2013, 437, 438. 119 BÄK, Presseerklärung v. 7.8.2012, abrufbar unter: http://www.aerztekammer-bw.de/ news/2012/2012_08/baek_organ_verfahren/index.html, zuletzt am 20.9.2016. 120 Schroth, NStZ 2013, 437, 439 unter Verweis auf die Presseerklärung der BÄK, vgl. Fn. 121. 121 BÄK, Pressemitteilung v. 7.8.2012, vgl. Fn. 121; kritisch zu diesem Erklärungsversuch Schroth, NStZ 2013, 437, 439. 117
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sichtlich der Wartelistenführung und der operativen Organübertragung. So haben die Transplantationszentren für die Wartelistenführung, insbesondere die Aufnahme und Abmeldung von Patienten, eine hierfür zuständige interdisziplinäre Transplantationskonferenz einzurichten, die zum Zwecke der Organzuteilung in ständigem Kontakt mit der Vermittlungsstelle steht und mit dieser zusammenarbeitet.122 Damit ein durch Eurotransplant zugeteiltes („alloziertes“) Organ auch zeitnah transplantiert werden kann, müssen die Transplantationszentren dafür Vorkehrungen treffen, dass im Falle einer Zuteilungsentscheidung sofort und zeitnah über die Durchführung der Organübertragung entschieden werden kann. Die maximal zulässige Höchstdauer beträgt grundsätzlich 30 Minuten, im Falle einer Nierentransplantation ausnahmsweise 60 Minuten.123 Zudem hat das Transplantationszentrum dafür zu sorgen, dass das allozierte Organ so schnell wie möglich übertragen wird, um so zu einer für den Gesamtprozess der Organübertragung kurzen Ischämiezeit beizutragen. Gemeint sind in erster Linie Vorbereitungen für die Operation selbst sowie den Organtransport zum Transplantationszentrum.124 (7) Allokationskriterien der einzelnen Richtlinien (a) Herz Eine Herztransplantation ist nach Maßgabe der BÄK-Richtlinien bei einer hochgradigen Herzschwäche indiziert. Voraussetzung ist, dass die Herzinsuffizienz irreversibel und behandlungsresistent ist. Zudem ist erforderlich, dass die progressive Herzinsuffizienz zu einer sehr begrenzten Lebenserwartung sowie „hochgradig eingeschränkte(n) Lebensqualität“ führt.125 Hochdringlichkeitspatienten und sog. kombinierte Organtransplantationen werden bei der Ranglistenverteilung bevorzugt behandelt. Der Hochdringlichkeits- oder HU-Status ist bei Herzpatienten insbesondere dann anzunehmen, wenn sich der Gesundheitszustand des potentiellen Organempfängers signifikant verschlechtert und dieser unter intensivmedizinischen Bedingungen stationär behandelt werden muss.126 Bei Patienten, bei denen eine Herztransplantation indiziert ist, die jedoch die Voraussetzungen für den Hochdringlichkeitsstatus nicht erfüllen, sog. „elektive Patienten“, erfolgt die Organverteilung unter Berücksichtigung der Blutgruppenidentität bzw. –kompatibilität sowie der bereits verstrichenen Wartezeit.127 BÄK, Leber, Glp. I.1.5. BÄK, Leber, Glp. II.2. 124 BÄK, Leber, Glp. II.2. 125 BÄK, Herz/Herz-Lunge, Glp. III.1. 126 BÄK, Herz/Herz-Lunge, Glp. III.3.2.1. 127 BÄK, Herz/Herz-Lunge, Glp. III.3.2.2. 122 123
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(b) Lunge Eine Besonderheit weist die Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lungentransplantation im Hinblick auf die Bestimmung von Kontraindikationen auf. So führt unter anderem eine „nicht gelöste Suchtproblematik“ regelmäßig zur Annahme einer Kontraindikation, die einer Aufnahme in die Warteliste grundsätzlich entgegensteht.128 Genannt werden ausdrücklich „z.B. Nikotin, Alkohol, Drogen“.129 Zudem sind Patienten von der Warteliste ausgeschlossen, die wegen einer Tumorerkrankung behandelt wurden und die zweijährige rückfallfreie Periode (sog. rezidivfreies Intervall) noch nicht erreicht haben.130 Aufgrund der hohen Varianz des Sterberisikos bei präterminalen Lungenpatienten wurde ein eigenständiges Allokationskriterium, der sog. „Lung-Alloca tion-Score (LAS)“ etabliert.131 Der LAS legt bei der Faktorbestimmung sowohl das konkrete Maß an Dringlichkeit, als auch die im Einzelfall diagnostizierbare Erfolgswahrscheinlichkeit der Transplantation fest. Konkret wird dabei insbesondere die Überlebenswahrscheinlichkeit auf der Warteliste für das kommende Jahr sowie die geschätzte Überlebenswahrscheinlichkeit für das erste Jahr nach dem operativen Transplantations-eingriff bei der Berechnung berücksichtigt.132 (c) Leber Die Leber stellt mit jährlich etwa 1000 Organtransplantationen nach der Niere das am zweithäufigsten übertragene Organ dar.133 Die für die Leberübertragung geltende Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung wurde zuletzt im Dezember 2015 durch den Vorstand der Bundesärztekammer geändert und am 28. Januar 2016 durch das Bundesministerium für Gesundheit genehmigt. Die in diesem Zuge neu bekanntgemachte Leberrichtlinie ist damit die erste BÄK-Richtlinie, die den neuen Begründunganforderungen des § 16 Abs. 2 S. 1 TPG sowie dem Genehmigungsvorbehalt aus § 16 Abs. 3 S. 1 TPG entsprechend verabschiedet wurde. Die Richtlinie trat bereits am 27.2.2016 in Kraft, die neuen Kriterien und Ausnahmetatbestände gelten jedoch erst seit dem 17.5.2016.134 BÄK, Lunge, III.2. BÄK, Lunge, III.2, 2. Unterpunkt; zu den erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. die Auseinandersetzung hierzu unter Glp. § 3 III.2.d).dd). 130 BÄK, Lunge, III.2, 3. Unterpunkt. 131 BÄK, Lunge, Glp. III.3. 132 BÄK, Lunge, Glp. III.3.2. 133 Vgl. die Darstellung und Statistiken bei Kalmuk/Neuhaus/Pascher, Chirurg 2013, 937, 938; Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg 2013, 391, 392. 134 Vgl. BÄK, Leber, Glp. III.10.3. 128 129
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Bereits in der Vorgängerfassung enthielt die BÄK-Leberrichtlinie eine Spezialregelung für Patienten mit einer alkoholinduzierten Leberzirrhose. Verpflichtend war demnach eine sechsmonatige Mindestabstinenzzeit. Wird diese nicht durchgehend eingehalten, führt dies zu einer Kontraindikation der Lebertransplantation und zur Meldung des NT-Status135 an die Vermittlungsstelle.136 Trotz erheblicher Kritik in der juristischen Literatur137 blieb die sechsmonatige Karenzpflicht auch in der heute gültigen Fassung weitgehend unverändert erhalten. Ergänzt wurde lediglich eine Ausnahmeregelung, wonach „in begründeten Ausnahmefällen“ die funktional zuständige Transplantationskonferenz des Zentrums nach einer Stellungnahme einer Sachverständigengruppe von der Abstinenzzeit abweichen kann.138 Neben den vorübergehend nicht transplantationsfähigen und elektiven Patienten, unterscheidet auch die Leberrichtlinie der BÄK zwischen Hochdringlichkeitspatienten und Patienten mit Kombinationstherapie, die jeweils bevorzugt berücksichtigt werden.139 Der High-Urgency-Status soll bei der Leberallokation dann zuerkannt werden, wenn ohne die Transplantation innerhalb weniger Tage mit dem Tod des Patienten zu rechnen ist.140 Als Indikationen werden u. a. exemplarisch („können sein“) ein akutes Leber- oder Transplantatversagen, ein lebensbedrohliches Lebertrauma oder ein akutes Leberversagen mit toxischem Lebersyndrom genannt.141 Die Priorisierung der High-Urgency-Patienten erfolgt anhand der verstrichenen Wartezeit.142 Neben den priorisierten Allokationsstufen der High-Urgency-Patienten und sog. kombinierten Transplantationen143, erfolgt die Organzuteilung bei der breiten Masse der potentiellen Organempfänger anhand einer Dringlichkeitspriorisierung.144 Zur Bestimmung der Dringlichkeit einer Lebertransplantation wurde der sog. MELD-Score145 entwickelt. Auf der Grundlage verschiedener ge135
Zustand der „Nicht-Transplantabilität“, der einer Wartelistenaufnahme und einer Berücksichtigung im Vermittlungsverfahren entgegensteht. 136 BÄK, Leber, Glp. III.2.1. 137 Vgl. etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 248 f., 380 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 461; Sickor, GesR 2014, 204, 206; hierzu die Untersuchung hinsichtlich der Grundrechtskonformität der Allokationskriterien unter Glp. § 3 III.2.d).dd). 138 BÄK, Leber, Glp. III.2.1 a. E. 139 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 187. 140 BÄK, Leber, Glp. III.6.2.1. 141 BÄK, Leber, Glp. III.6.2.1. 142 BÄK, Leber, Glp. III.6.2.1. a. E. 143 BÄK, Leber, Glp. III.6.5. 144 Schroth, NStZ 2013, 437, 438. 145 MELD = Model for Endstage Liver Disease; zu Deutsch: Berechnungsmodell für Lebererkrankungen im Endstadium.
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messener Leberwerte146 soll für lebererkrankte Patienten im Endstadium eine Wahrscheinlichkeit errechnet werden, mit der innerhalb von drei Monaten von einem Versterben des Patienten ausgegangen werden kann.147 Durch den sich immer weiter verschärfenden Organmangel steigt der MELD-Score, der für eine erfolgreiche Organzuteilung notwendig ist, kontinuierlich an.148 Im Jahre 2013 betrug dieser über 30 Punkte, was einer Todeswahrscheinlichkeit im Dreimonatszeitraum von bis zu 70% entspricht.149 6-MELD-Punkte entsprechen dabei einer Wahrscheinlichkeit von 1% innerhalb der folgenden drei Monate zu versterben, während die 3-Monats-Mortalität bei einem Punktwert von 42 gegen eine Wahrscheinlichkeit von 100% geht.150 Das ET-Manual untergliedert im Leberallokationsverfahren (ELAS151) die Bestimmung des MELD-Scores in drei verschiedene Berechnungsmethoden. Die am häufigsten verwendete Methode wird dabei durch das labMELD-Verfahren beschrieben, das den MELD-Score durch die eingegebenen Laborwerte und Strafabstufungen aufgrund nicht rechtzeitiger Aktualisierungen des Gesundheitszustands errechnet.152 Das Verfahren des PediatricMELD stellt das Berechnungsverfahren im Rahmen der kindermedizinischen Behandlung dar, während die ExceptionalMELD-Methode bei sog. standard exceptions zum Einsatz kommt, die bestimmte schwere Krankheitsbilder wie bspw. hepatozelluläre Karzinome (HCC) beschreiben.153 (d) Niere Voraussetzung der Indikation einer Nierentransplantation ist ein irreversibles, terminales Nierenversagen, sodass zumindest im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang eine Dialysebehandlung lebensnotwendig wird.154 Voraussetzung für den priorisierten HU-Status ist im Zusammenhang von Nierentransplantationen, dass eine lebensbedrohliche Situation vorliegt oder zumindest absehbar ist. Die Richtlinie sieht diesen Status beispielsweise vor, wenn keine Möglichkeit zur Bauchfelldialyse oder etwa eine (aufgrund langjäh146 Der MELD-Score wird grundsätzlich aus den Laborwerten von Serumkreatinin und Serumbilirubin sowie der Blutgerinnungszeit, sog. Prothrombinzeit, berechnet, vgl. BÄK, Leber, Glp. III.4; Zum Ausnahmeverfahren des labMELD vgl. Schroth, NStZ 2013, 437, 438. 147 BÄK, Leber, Glp. III.4.; III.6.2.2. 148 Strassburg, Chirurg 2013, 363, 363. 149 Strassburg, Chirurg 2013, 363, 363. 150 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13, S. 114; Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 691. 151 Englisch: Eurotransplant Liver Allocation System. 152 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 188. 153 Vgl. BÄK, Leber, Glp. II.3.; Norba, ebda. 154 BÄK, Niere, Glp. III.1.
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riger Dialysebehandlung statistisch erhöhte) psychiatrisch diagnostizierte und attestierte Suizidalität besteht.155 Die Organverteilung der übrigen elektiven Patienten richtet sich nach den Kriterien der Blutgruppenkompatibilität, Übereinstimmung der HLA-Merkmale, Mismatch-Wahrscheinlichkeit, Wartezeit und der zu erwartenden Gesamtischämiezeit des Organs. Die Berücksichtigung der verstrichenen Wartezeit rechtfertigt sich aus einer Korrelation mit der Dringlichkeit der Organübertragung, da mit zunehmender Länge der Dialysebehandlung eine konstante Lebensverkürzung einhergeht.156 Problematisch ist die Regelung zur Berücksichtigung der Ischämiezeit und der damit einhergehenden Bevorzugung lokaler Vorteile. So werden Patienten aus der Region des Entnahmekrankenhauses mit 200 zusätzlichen Verteilungspunkten bedacht, wodurch sich deren Chancen auf eine positive Zuteilungsentscheidung erheblich erhöhen.157 Unter der sog. „HLA-Kompatibilität“ versteht man den Grad der Gewebeübereinstimmung auf den Humanen Leukozyten-Antigenen (kurz: HLA) zwischen Spender und Empfänger. Je mehr von den insgesamt sechs relevanten Antigenen übereinstimmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen und hohen Organfunktionsrate, während Nichtübereinstimmungen (sog. Mismatches) das Risiko einer immunologischen Abstoßungsreaktion erheblich erhöhen.158 Hieran knüpft das nächste Kriterium der Mismatch-Wahrscheinlichkeit an. Da beispielsweise Patienten mit der Blutgruppe 0 zwar Universalspender sind, aber lediglich Organe der eigenen Blutgruppe empfangen können, entsteht so eine ständige Chancenverschlechterung, die im Rahmen des Allokationsverfahrens durch eine spezifische Bevorzugung dieser Patienten ausgeglichen werden soll.159 (e) Pankreas Zur Übertragung einer Bauchspeicheldrüse kommt es nach entsprechender medizinischer Indikation häufig nach einer vorangegangenen Nierentransplantation oder anderen schweren Krankheitsbildern der Bauchspeicheldrüse, wie beispielsweise erheblichen Sekundärkomplikationen eines Diabetes mellitus.160 BÄK, Niere, Glp. III.4.7. BÄK, Niere, Glp. III.4.1 ff., insb. Glp. III.4.4. 157 Vgl. die Ausführungen zur Grundrechtskonformität der Allokationskriterien unter Glp. III.2.d). Zum Charakter des Distanzfaktors und der verfassungsrechtlichen Problematik vgl. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 78 ff. 158 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 10 f., 66. 159 Mit diesem Bsp. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 69 f. 160 Mohammadi-Kangarani, Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 59. 155
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Zwar enthält die Richtlinie hinsichtlich der Übertragung von Bauchspeicheldrüsen keine Sondertatbestände der Kontraindikation. Allerdings sind mit Blick auf Diabetes-Erkrankungen „(…) Risiken stärker (…) zu gewichten“161. Der Hochdringlichkeitszustand kann bei Pankreastransplantationen als „special urgency“-Status (SU) bei Versagen des Erstimplantats innerhalb von 14 Tagen sowie bei unbemerkter lebensbedrohlicher Hypoglykämie (sog. „Hypo glycemia unawareness“) oder ausfallender Hypoglykämiegegenregulation zuerkannt werden.162 Erforderlich ist ein unmittelbarer und konkreter lebensgefährdender Zustand, wobei der Festsetzung der genannten hypoglykämischen Krankheitsbilder ein nicht abschließender Vergleichscharakter zukommen kann. Innerhalb der Gruppe der SU-Patienten entscheidet die verstrichene Wartezeit als alleiniges Differenzierungskriterium.163 (f) Dünndarm Die für Dünndarmtransplantationen erlassene Richtlinie der Bundesärztekammer sieht weitestgehend keine Besonderheiten vor. Als Allokationskriterien dienen die Blutgruppenkompatibilität, verstrichene Wartezeit sowie die zu erwartende Ischämiezeit. Kinder im Wachstumsalter sollen vorrangig berücksichtigt werden.164
2. Zusammenfassung der allokationsrechtlichen Kriterien Beim Verfahren der Organzuteilung sind zwei Vorgänge von besonderer Bedeutung: die Aufstellung und Führung der Wartelisten durch die Transplantationszentren (§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG) sowie die konkrete Vermittlungsentscheidung durch die Vermittlungsstelle (§ 12 Abs. 3 S. 1 TPG). Die Kriterien, nach denen die Aufnahme in die Warteliste sowie die Zuteilung erfolgen, sind im Gesetz nur vage und als unbestimmte Rechtsbegriffe vorgegeben. Für die Aufnahmeentscheidung sollen Transplantationszentren vor allem die Notwendigkeit und Erfolgsaussicht, die Vermittlungsstelle für die Vermittlungsentscheidung die Dringlichkeit und Erfolgsaussicht berücksichtigen. Eine Konkretisierung erfahren die unbestimmten Rechtsbegriffe durch Richtlinien der Bundesärztekammer, die gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG hierfür ermächtigt ist. Die Notwendigkeit wird grundsätzlich durch die medizinische Indikation bestimmt und entfällt, soweit eine Kontraindikation festgestellt wird. Neben BÄK, Pankreas, Glp. III.4.2. BÄK, Pankreas, Glp. III.4.2. 163 BÄK, Pankreas, Glp. III.4.2.3. 164 BÄK, Dünndarm, Glp. III.4.1 ff. 161
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streng medizinischen Gesundheitsangaben des Patienten ist auch seine Mitarbeit und Kooperation hinsichtlich des Behandlungserfolgs als sog. Compliance zu berücksichtigen. Die Dringlichkeit wird durch eine vergleichende Betrachtung der Gesundheitszustände der wartenden Patienten bestimmt. Unmittelbar vom Tod bedrohte und minderjährige Patienten werden bevorzugt. Der Hochdringlichkeitsstatus (High Urgency-Status; HU) unterliegt je nach vermittlungspflichtigem Organ divergierenden, im Wesentlichen aber sehr strengen Kriterien. Relevant für die geforderte Erfolgsaussicht sind ein längerfristiges Überleben, eine ausreichend lange Transplantatfunktion sowie ein durch die Transplantation erreichter verbesserter Grad an Lebensqualität. Sofern der Hochdringlichkeitsstatus nicht gegeben ist, gelten im Wesentlichen die Kriterien der verstrichenen Wartezeit, HLA-Übereinstimmung, Blutgruppenkompatibilität, des Ausgleichs von Chancenasymmetrien (MismatchWahrscheinlichkeit) sowie der zu erwartenden Ischämiezeit, die weitestgehend von der Entfernung zum Transplantationszentrum abhängt (Distanzk riterium).
III. Dogmatische Einordnung der Richtlinien und Verfassungsmäßigkeit Für die weitere Untersuchung ist vor dem Hintergrund der zivilrechtlichen Relevanz der Allokationskriterien ein besonderes Augenmerk auf die Richtlinien der Bundesärztekammer zu legen. Da sie die im TPG in §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG genannten unbestimmten Rechtsbegriffe konkretisieren, kommt ihnen in der medizinischen Praxis und hinsichtlich der Definition des ärztlichen Pflichten- und Sorgfaltsmaßstabs eine entscheidende Bedeutung zu. In einem ersten Schritt soll hierfür die für die weitere Untersuchung bedeutsame Frage nach der Einordnung der BÄK-Richtlinien in das Normgefüge geklärt werden. Hieran anschließend wird die Verbindlichkeit der Richtlinientätigkeit der BÄK sowie deren Rechtsnatur dargelegt, bevor auf die verfassungsrechtliche Kritik zum Regelungskonzept als solchem und zu den Allokationskriterien im Speziellen eingegangen wird. Die sich hieran anschließende Frage, wie eventuelle verfassungsrechtliche Defizite im Rahmen der zivilrechtlichen Haftungsansprüche, insbesondere im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten des § 276 Abs. 2 BGB, zu beurteilen sind, wird Gegenstand der Untersuchung der folgenden Kapiteln sein.
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1. Rechtnatur der „Richtlinien“ und Vermutungswirkung Im Zusammenhang mit dem Regelungskomplex des § 16 Abs. 1 TPG stellen sich zwei grundlegende Fragen: Zum einen, wie die konkret auf Grundlage des § 16 TPG erlassenen Richtlinien in das bestehende dogmatische Normgefüge einzuordnen sind und zum anderen, wie die Richtlinientätigkeit der BÄK im Sinne einer „Norm“-Setzung dogmatisch zu klassifizieren ist. Da die letztere Frage nur im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bindung von entscheidender Bedeutung ist, soll im Folgenden zunächst auf die Rechtsnatur der erlassenen (und im Fall der Leberrichtlinie vom Bundesgesundheitsministerium genehmigten) Richtlinien näher eingegangen werden. Die durch die folgenden Betrachtungen gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die in den späteren Kapiteln folgende Darlegung und Herleitung des zu beachtenden medizinischen Standards. a) Begriff der „Richtlinie“ Bereits der in § 16 Abs. 1 S. 1 TPG verwendete Begriff der „Richtlinie“ ist nicht eindeutig und bereitet bei der Frage der Rechtsnormqualität erhebliche Probleme. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist die Rechtsnatur der Richtlinien des § 16 Abs. 1 TPG spezifisch medizinrechtlich zu verstehen und von dem verwaltungsoder europarechtlichen Begriffsverständnis als behördeninterne Binnenrechtssetzung165 oder europarechtlicher Durchsetzungsrechtsakt nach Art. 288 Abs. 3 AEUV grundlegend zu unterscheiden.166 Vielmehr ist zwischen Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen zu differenzieren, die als Bezugspunkt jeweils ihre vertikale Verbindlichkeit und damit den normativen Geltungsanspruch gegenüber dem Regelungsadressaten zum Gegenstand haben.167 Während Leitlinien eine eingeschränkte Verbindlichkeit und Indizwirkung für medizinische Standards und die Einhaltung des medizinischen Standards zukommt, sind Empfehlungen grundsätzlich unverbindlich.168 Dieses medizinrechtliche Begriffsverständnis führt insoweit zur Folgefrage, in wieweit den als Richtlinien bezeichneten Festsetzungen Rechtsnormcharakter zukommt.
Vgl. Maurer, Verwaltungsrecht AT, § 24 Rn. 16 ff. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 178 f. 167 Vgl. die Darstellung bei Taupitz, NJW 2003, 1145, 1146 sowie unter Glp. § 5 III.2. 168 Im Ergebnis zustimmend Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 173 ff.; kritisch zu diesem Ansatz aber Taupitz, NJW 2003, 1145, 1150, wonach in jedem Fall weder Leitlinie noch Richtlinie den Arzt daran hindern, im Einzelfall von den jeweiligen Festsetzungen abzuweichen, sofern dies dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Letzteres dürfte sich aber weniger aus dem Begriff der Richtlinie, als vielmehr der Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG ergeben. 165
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b) Interpersonaler Verbindlichkeitscharakter Kennzeichnend für eine Rechtsnorm ist neben ihrem abstrakt-generellen Regelungsinhalt vor allem die ihr innewohnende Regelungsanordnung, mit anderen Worten die normative Verbindlichkeit, die sie gegenüber dem Rechtsunterworfenen zeitigt.169 Vollständige Rechtsnormen beinhalten dementsprechend – in Abgrenzung zu den sog. „unvollständigen Rechtsnormen“ – ein bestimmtes Geoder Verbot, das für den Regelungsadressaten verbindlich ist und notfalls gegen seinen Willen durchgesetzt werden kann.170 Begriffsnotwendige Voraussetzung ist demnach zunächst, dass die Regelung per se überhaupt eine Außenwirkung mit sich bringt und nicht nur einen auf einen bestimmten Bereich begrenzten binnenorganisatorischen Charakter aufweist.171 Insoweit ist zwischen der Frage, ob es sich bei den BÄK-Richtlinien zur Wartelistenführung und Organverteilung um kammerinternes Binnenrecht oder genuines Außenrecht handelt, und den rechtstatsächlichen Auswirkungen zu differenzieren. Teile der Literatur172 klassifizieren die Richtlinien der Bundesärztekammer nach wie vor als ärztliches Standesrecht, das als Satzungsrecht der Landesärztekammern unmittelbar nur gegenüber den zugelassenen Ärzten als Mitgliedern der Personalkörperschaften gilt.173 Als interne Satzungen kommt dem ärztlichen Standesrecht innerhalb der jeweiligen Landesärztekammern maßgebliche Bedeutung zu, da sie gegenüber der Bundesärztekammer die Regelungen an die Gesamtheit der praktizierenden Ärzte adressiert.174 Eine solche Selbstverwaltung175 sei schon der Rechtsform der Bundesärztekammer als nicht eingetragenem Verein des Privatrechts nach § 54 BGB geschuldet, deren Satzungen insoweit keinen hoheitlichen, normsetzenden oder –konkretisierenden Anspruch erheben könnten.176 Die Verortung als internes Satzungsrecht der Bundesärztekammer, das über die zwingende Mitgliedschaft in der Bundesärztekammer für alle Ärzte geltendes Satzungs- und damit ärztliches Standesrecht darstellt, verkennt jedoch die grundrechtssensible und in ihren faktischen Auswirkungen vor allem den Pati169
Zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen Elementen der Rechtsnormtheorien in diesem Zusammenhang Mohammadi-Kangarani, Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 62 ff. 170 Mohammadi-Kangarani, a. a. O. 171 Zu dieser nicht ganz unumstrittenen Folgerung Mohammadi-Kangarini, a. a. O., S. 6 4. 172 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, § 16 Rn. 4. 173 Zu diesem Ansatz Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 179. 174 Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, § 16 Rn. 4; Taupitz, NJW 2003, 1145, 1145. 175 Zu dem Begriff der Selbstverwaltung vgl. die Darstellung unter Glp. § 3 III.2.a). 176 Augsberg, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 45, 51; Taupitz, NJW 2003, 1145, 1145;.
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enten betreffende Bedeutung der festgelegten Konkretisierungen der Richtlinien.177 Soweit die gefassten Regelungen den Kreis der eigenen Angelegenheiten überschreiten, kann schon begrifflich keine autonome Selbstverwaltung der Berufsverbände vorliegen.178 Während in formaler Hinsicht die Ärzte, das Transplantationszentrum sowie die DSO und Eurotransplant Regelungsadressaten von §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG und damit der Richtlinien der Bundesärztekammer sind, stellt jede Aufnahmeentscheidung durch das Transplantationszentrum sowie jede ablehnende Vermittlungsentscheidung durch Eurotransplant gegenüber dem Patienten eine grundrechtssensible Berührung seiner derivativen Teilhaberechte dar.179 Sofern die Bundesärztekammer den wissenschaftlichen Erkenntnisstand jedoch nur feststellt, nicht aber selbst ethische Verteilungs- und Wertungskriterien festlegt, wäre der normative Charakter durchaus fraglich. Schon der normative Charakter, der den Regelungen der Richtlinien in Teilen zu entnehmen ist180 und sich insbesondere aus den festgesetzten Kontraindikationen bezüglich bestehender Vorerkrankungen oder dem Kriterium der Compliance ergibt, zeigt aber, dass sich die Richtlinientätigkeit keineswegs nur in einer rein deskriptiven Beschreibung des in der medizinischen Wissenschaft vorherrschenden Status Quo erschöpft. Vielmehr versteht die BÄK ihre Richtlinienermächtigung selbst dahingehend, im Interesse der Chancengleichheit die vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien der Erfolgsaussicht, Dringlichkeit und Notwendigkeit zu konkretisieren und ihr internes Rangverhältnis zu klären.181 Dies wird besonders deutlich, wenn man mit den zutreffenden Stimmen der Literatur bedenkt, dass bei gegebener medizinischer Indikation und Operationstauglichkeit kein medizinischer Grund bestünde, ein Organ nicht zu transplantieren.182 Dieser Befund ist keine originäre Erkenntnis der jahrelangen juristischen Diskussion über diesen Themenkomplex, sondern wird selbst von der Bundesärztekammer selbst den Vgl. Höfling, JZ 2007, 481, 483, wonach die Richtlinien „Formen unmittelbarer Gemeinwohlrealisierung“ seien. Zum Ansatz als Satzungskonstruktion und der Bindungswirkung über die kaum widerlegbare Vermutungsregel vgl. die Darstellung bei Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 179 f. Mittlerweile ist dem auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Änderung des Transplantationsgesetzes gefolgt: „Die Richtlinien (…) enthalten vielfach (…) grundrechtsrelevante Festlegungen.“ Die Richtlinien gehören damit nicht „der Selbstorganisationsmacht der BÄK“ an, BR-Drs. 457/11, S. 15. 178 Vgl. hierzu insb. BVerfG, Beschluss v. 9.5.1972 = BVerfGE 33, 125, 160; Gutmann/ Fateh-Moghadam, in: Grundlagen einer gerechten Organverteilung, 37, 48 f.; Sickor, GesR 2014, 204, 205; Vgl. ausführlicher zu dieser Diskussion Glp. § 3 III.2.a).cc). 179 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 ff. 180 Vgl. die Ausführungen zur Natur des Allokationsproblems bei Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 102 ff. 181 Vgl. für alle Richtlinien BÄK, Leber, Glp. II.1.c). 182 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 319; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 30. 177
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Richtlinien als Erwägungsgrund vorangestellt. In der Präambel der BÄK zu den Wartelisten- und Vermittlungsrichtlinien heißt es dazu wörtlich: „Wegen eines zunehmenden Mangels an geeigneten Organen kann nicht jeder Kranke, dem man durch eine Transplantation helfen könnte, rechtzeitig ein Organ erhalten. Das stellt die betreuenden Ärzte vor schwierige Entscheidungen.“183
Dass sich diese „schwierigen“ Entscheidungen einer rein medizinischen Betrachtungsweise entziehen, ist evident. Soweit einem Patienten mit einer Organübertragung gesundheitlich geholfen wäre, er insbesondere operationsfähig ist und den Eingriff auch im gesamtphysiologischen Zusammenhang überstünde, gibt es keine (rein) medizinische Rechtfertigung für ein Versagen der Organzuteilung.184 Soweit hieran anschließend ein Verteilungssystem den medizinischen Zustand zum Anlass eines Rangverhältnisses nimmt, wird das etablierte Zuteilungssystem nicht zu einem rein medizinisch begründeten Allokationssystem. Vielmehr steht hinter dem Regelungssystem der wertende Gedanke, dass eine am Gesamtnutzen orientierte Priorisierung am ehesten zur Realisierung materieller Gerechtigkeit geeignet wäre. Der Sache nach bleibt die derzeitige Systematisierung damit eine normative Wertentscheidung und ist nicht etwa eine sich anhand medizinischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse ergebende, empirische Zwangsläufigkeit. Die Problematik der Organvermittlung ist primär keine medizinisch-naturwissenschaftliche, sondern ethisch-normative Fragestellung, die sich nicht allein durch die Feststellung medizinischer Kriterien beantworten lässt.185 Die Richtlinien beschreiben nicht etwa nur eine Erkenntnis, die ohnehin bereits feststand, sondern treffen Entscheidungsparameter, die für Ärzte, Organisationen und Patienten verbindlich gelten und den Einzelfallentscheidungen zugrunde gelegt werden. Aus dieser Bindungswirkung folgt eine über den verwaltungsinternen Bereich der Landesärztekammer überwirkende Interpersonalität der Rechtswirkungen der Richtlinien, die nicht nur intrapersonalen Wirkungsund Adressateninhalt aufweisen. Um satzungsrechtliche Selbstverwaltung kann es sich dann nicht handeln, wenn der Regelungsgegenstand eine direkte, grundrechtssensible Wirkung gegenüber verwaltungsexternen Bürgern entfaltet.186
183 Bundesärztekammer, Richtlinien zur Organtransplantation gem. § 16 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2 u. 5 TPG, Präambel, S. 2 Abs. 2 (im Folgenden: BÄK, Präambel, S. 2). 184 Vgl. bspw. Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3402. 185 Vgl. Höfling, in Höfling, TPG, § 12 Rn. 30, wonach bereits die Formulierung des § 12 Abs. 3 TPG vor diesem Hintergrund „schlicht falsch“ sei; außerdem Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 105 m. w. N., der diesen Befund als „seit langem unstrittig“ klassifiziert. Im Ergebnis ebenso Lang, MedR 2005, 269, 275. 186 Vgl. hierzu Augsberg, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 45, 51, der auf „rechtsverbindliche normative Verhaltensanweisungen“ abstellt; Berger,
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Unabhängig von der weiteren dogmatischen Verortung als „normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften“ in Form von „formal antizipierten Sachverständigengutachten“187, „Richtlinien mit normativem Charakter“188, dogmatischen Ausnahmeerscheinungen als „Formen privater Rechtssetzung“189 bzw. Rechtsnormen sui generis190, besteht im Ergebnis ganz überwiegend Einigkeit, dass die Richtlinien materiell sowohl hinsichtlich ihres Geltungsanspruchs, als auch im Hinblick auf die von ihr ausgehende Außenwirkung und Verbindlichkeit Rechtsnormen in ihrer Wirkung gleichstehen.191 Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund des § 5 Abs. 1 des Vermittlungsvertrages mit Eurotransplant deutlich, wonach eine direkte Bindungswirkung der Richtlinien gegenüber der Vermittlungstätigkeit von Eurotransplant bestehen soll und nur im Ausnahmefall und ausschließlich aufgrund entsprechender medizinischer Erkenntnisse abgewichen werden darf.192 Damit handelt es sich bei den transplantationsrechtlichen Richtlinien der BÄK ähnlich wie bei den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses im Sozialrecht (§ 91 Abs. 9 SGB V) nicht nur um binnenrechtliche Verwaltungsvorschriften, sondern vielmehr um außenund haftungsrechtlich relevante Rechtsakte.193 Ferner zeigt sich der imperative Charakter auch an § 9 Abs. 1 S. 2 TPG und die hieran anknüpfende Sanktionsandrohung im Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 20 TPG.194 Die Bundesärztekammer, S. 82 f.; Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – Unser höchstes Gut?, S. 119, 126: „(…) in Wahrheit keine Selbstverwaltung, sondern Fremdverwaltung“. 187 Augsberg, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, S. 45, 50; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 180 ff., 184 mit einem Gesamtüberblick über alle vertretenen dogmatischen Einordnungsversuche und Untersuchung der Rechtsnormqualität; Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, § 16 Rn. 20. 188 Berger, Die Bundesärztekammer, S. 82 f., wonach sich die Richtlinien der BÄK aufgrund eines „staatlich legislativen Geltungsbefehls“ erheblich von den sonstigen Festsetzungen der BÄK unterscheiden. 189 Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 13 f.; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 2. 190 Im Ergebnis nach ausführlicher Untersuchung so Mohammadi-Kangarani, Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 84. 191 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 183 f., wonach die Richtlinien formal ein antizipiertes Sachverständigengutachten mit der materiellen Wirkung von Rechtsnormen seien; Berger, Bundesärztekammer, S. 82 f.; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 2; Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 109; Taupitz, NJW 2003, 1145, 1150; Mit der Differenzierung zwischen Rechtsnorm und Rechtssatz und Bejahung eines „quasi-hoheitlichen Charakter(s)“ Mohammadi-Kangarini, Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 83 f.; a. A. Kreße, MedR 2016, 491, 493 f. 192 Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 26; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 2. 193 Vgl. zu den Richtlinien des G-BA Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 435. 194 Mohammadi-Kangarini, Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 83; Rosenau, in: Middel et al., Novellierungsbedarf, 69, 72.
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c) Zusammenfassung Hinsichtlich der rechtstechnischen Ausgestaltung als Vermutungsregel geht der formale Rechtsnormappell nicht unmittelbar von den Richtlinien, sondern vom Gesetzgeber des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG aus. Gleichwohl kommt den Richtlinien nach allgemeiner Auffassung zumindest in ihrer Wirkungsweise einer normkonkretisierenden Verweisung Rechtsnormcharakter zu. Wesentliche Inhalte des Organallokationsrechts werden auf die Bundesärztekammer delegiert, die den ärztlichen Sorgfaltsmaßstab für die beteiligten Stellen feststellt. Die Bundesärztekammer ist hierbei bloße Arbeitsgemeinschaft in der Rechtsform eines nicht eingetragenen Vereins des bürgerlichen Rechts, deren Mitglieder die jeweiligen Landesärztekammern als maßgebliche Personalkörperschaften des öffentlichen Rechts sind. Die Richtlinien wirken über das Regelungskonzept des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG zumindest mittelbar interpersonal und tangieren den Rechtskreis des Patienten als potentiellem Organempfänger.
2. Verfassungsrechtliche Kritik Das Regelungskonzept des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG und die in ihm enthaltene Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer sind seit Inkrafttreten des TPG erheblicher verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen dabei zum einen rechtsstaatliche Bedenken bezüglich der Delegation in Ansehung von Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie. Zum anderen wird vielfach das demokratische Legitimationsniveau der erlassenen Richtlinien zur Organvermittlung als nicht ausreichend erachtet.195 Neben dem Regelungskonzept als solchem sind darüber hinaus auch die erlassenen Richtlinien und inhaltlichen Festsetzungen hinsichtlich ihrer Grundrechtskonformität zunehmend in Kritik geraten. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Allokationskriterien sowie der Richtlinien der Bundesärztekammer nach dem TPG im Allgemeinen waren zuletzt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.196 Im Folgenden soll daher eine Übersicht über den derzeitigen Diskussions- und Meinungsstand gegeben werden. Die sich anschließende verfassungsrechtliche Bewertung des Regelungskonzepts sowie der aktuell geltenden Allokationskriterien ist die Grundlage für die in den folgenden Kapiteln zu untersuchende Frage, wie sich eine eventuelle Verfassungswidrigkeit der Normkonstruktion des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG auf die zivilrechtlichen Haftungskategorien auswirkt. Sofern sich die verfassungsrechtliche Kritik auf das Regelungskonzept des Gesetzgebers be195
Hierzu sogleich. Monographisch Mohammadi-Kangarani, Richtlinien der Organverteilung – verfassungsgemäß?; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation. 196
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zieht, folgt die Grundrechts- und Verfassungsbindung unmittelbar aus Art. 1 Abs. 3 bzw. 20 Abs. 3 GG. Unklar ist, ob darüber hinaus auch die einzelnen Richtlinien am verfassungsrechtlichen Maßstab zu messen sind. a) Verfassungsrechtliche Bindung: Ausübung von „Staatsgewalt“ Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion ist zunächst die Frage, ob die Richtlinien der Bundesärztekammer überhaupt an das Verfassungsrecht und insbesondere die Grundrechte der Patienten gebunden und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit am Maßstab des Grundgesetzes zu messen sind. aa) Richtlinien als öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung Nach Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG besteht eine umfassende Bindung aller drei staatlichen Gewalten und damit der gesamten verfassten Staatsgewalt an die vom Grundgesetz gewährleisteten Grundrechte sowie die verfassungsmäßige Ordnung. Hinsichtlich des Bedeutungsumfangs staatlicher Gewalt ist jeweils ein weites Begriffsverständnis zu Grunde zu legen.197 Die sich aus Art. 1 und Art. 20 GG ergebende Bindungswirkung entfällt nicht bereits deshalb, weil sich der Gesetzgeber in Teilbereichen der Verwaltung oder Rechtssetzung Privater bedient und Normsetzungskompetenzen delegiert.198 Die Ausübung staatlicher Gewalt kann vielmehr durch unterschiedlichste Rechtsformen und Handlungsweisen erfolgen und ist in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei jedem „amtliche(n) Handeln mit Entscheidungscharakter“199 anzunehmen.200 Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten dabei unabhängig von der jeweiligen Handlungsmodalität.201 Solange es sich bei der auf den Ermächtigungsadressaten übertragenen Kompetenz um eine öffentliche Aufgabe handelt, deren Erfüllung dem Staat obliegt, ist auch das Handeln des eingeschalteten Privaten unmittelbar am Maßstab des Grundgesetzes zu messen.202 Ent197 Zum „weiten Begriffsverständnis“ vgl. Badura, Staatsrecht, C. Rn. 18; Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 114 f.; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG I, Art. 1 Rn. 65; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 1 Rn. 77: „Leitsätze für alles staatliche Handeln“; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 1 Rn. 35; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG I, Art. 1 Rn. 51; Lang, MedR 2005, 269, 273; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 145. 198 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG I, Art. 1 Rn. 58; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 33. 199 BVerfG, Urteil v. 31.10.1990 - 2 BvF 3/89 = BVerfGE 83, 60, 73; Beschluss v. 24.5.1995 – 2 BvF 1/92= BVerfGE 93, 37, 68; Beschluss v. 5.12.2002 - 2 BvL 5/98= NVwZ 2003, 974, 975. 200 Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 145 f. 201 Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Vorb. v. Art. 1 Rn. 37. 202 Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 33; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 146.
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scheidend ist daher, ob durch die Bundesärztekammer hoheitliche Gewalt ausgeübt wird, und weniger, ob das handelnde Rechtssubjekt in die unmittelbare oder als Körperschaft öffentlichen Rechts mittelbare Staatsverwaltung eingegliedert ist. Entscheidendes Kriterium ist also, ob die Richtlinien aus § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG der „staatlichen Gewalt“ zuzurechnen sind. Maßgeblich ist dabei die Frage, ob in der Richtlinienermächtigung zugunsten der BÄK zugleich eine Übertragung öffentlicher Aufgaben gesehen werden kann, deren Erfüllung dem Gemeinwohlgedanken und damit überwiegend öffentlichen Interessen verpflichtet ist.203 Als wesentliches Abgrenzungskriterium ist dabei zunächst auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers abzustellen 204, der in der konkreten Ausgestaltung des TPG für die Organvermittlung einen eigenen Rechtsrahmen geschaffen und sich damit selbst den verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen hat.205 Die Regeln des TPG sind unabhängig von der Frage, ob diese nun öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Pflichten begründen, Rechtssetzungsakte des Bundes und damit umfassend den Verfassungsbindungen unterworfen.206 Ferner folgt die Klassifizierung der Organvermittlung als grundsätzlich öffentliche Aufgabe aus der überragenden Bedeutung des Gemeinwohlgedankens der Deutschen Volksgesundheit207 und der für den Patienten oftmals existenziellen Bedeutung der geltenden Allokationskriterien und -algorithmen.208 Der staatlich ausgeformte Charakter der Regeln zur Organvermittlung ergibt sich damit auch aus der hohen Grundrechtsrelevanz der Regelungen zur Organallokation, die regelmäßig die Höchstwerte der Verfassung in Ansehung von Art. 2 Abs. 2, Abs. 1, 1 Abs. 1 GG tangieren, da in ihnen die grundlegenden Kriterien für die „Verteilung von Lebenschancen“209 juristisch und medizinisch festgesetzt werden.210 Die so entstehende Außenwirkung der konkretisierten VerteiKorioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 30 Rn. 134. Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 34. 205 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 192. 206 Soweit unstrittig; zur verfassungsrechtlichen Bindung zwingender privatrechtlicher Vorschriften des Gesetzgebers vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 61; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG I, Art. 1 Rn. 58: „Verweist staatliches Recht auf von Privaten aufgestellte Regelwerke, (…) so müssen auch diese der Grundrechtsordnung gerecht werden“. 207 Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants, S. 173. Zu Begriff und verfassungsrechtlichem Stellenwert der „Volksgesundheit“ vgl. Steiner, MedR 2003, 1, 2. 208 Als „gesetzlich besonders zuerkannte Schlüsselfunktion“ charakterisierend SchmidtAßmann, Grundrechtspositionen, S. 102; insoweit auch noch Kreße, MedR 2016, 491, 491. 209 Hinsichtlich der Zulässigkeit von Zugangsbeschränkungen an Hochschulen prägte bereits das BVerfG den Begriff der „Zuteilung von Lebenschancen“, vgl. BVerfG, Urteil v. 18.7.1971 = NJW 1972, 1561, 1564; im Kontext der Organallokation Höfling, JZ 2007, 481, 483; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 4. 210 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 192; Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 132; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, 203
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lungskriterien ist bei der rechtsdogmatischen Einordnung der Richtliniengebung der BÄK als öffentliche Aufgabenwahrnehmung zumindest indiziell zu berücksichtigen.211 Völlig unabhängig hiervon ist die später zu thematisierende Frage zu beantworten, ob die Pflicht zur Wartelistenführung der Transplantationszentren sowie die Pflichtaufgaben Eurotransplants nun ebenfalls als hoheitliche Aufgabenwahrnehmung und damit öffentlich-rechtliche Pflicht oder privatrechtlich einzustufen sind.212 Die BÄK-Richtlinien prägen in erheblichem Umfang die Maßstäbe der Pflichtenwahrnehmung und die sich anschließende Haftungssituation der Parteien. Diese spezifische Bindungswirkung führt daher unabhängig von der Rechtsnatur der beauftragten Stelle dazu, dass die Richtlinientätigkeit als öffentliche Aufgabe anzusehen ist.213 bb) „Staatliche Gewalt“: Beleihung der Bundesärztekammer In Übereinstimmung mit dieser Erkenntnis muss die mit einem erheblichen Ermessensspielraum ausgestattete Richtlinientätigkeit der BÄK als hoheitliche Aufgabenwahrnehmung nach der Dogmatik des öffentlichen Rechts als Beleihung eingeordnet werden.214 Diese liegt vor, wenn eine dem Privatrecht zuzuordnende Person mit der hoheitlichen Wahrnehmung von Verwaltungshandeln betraut wird.215 Diese Frage muss insbesondere unabhängig von dem formalen Regelungsadressaten ‑ hier dem behandelnden Transplantationszentrum sowie der Vermittlungsstelle Eurotransplant ‑ beantwortet werden. Wird die Richtli§ 16 Rn. 5; Höfling, JZ 2007, 481, 483; ders., in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 14 ff.; Sickor, GesR 2014, 204, 205. 211 Vgl. Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 30 Rn. 14. 212 Glp. § 4 III.3 ff. 213 Ebenso differenzierend Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 101 f.; ders., in: Humaniora, FS Laufs, S. 1049, 1062; a. A. Kreße, MedR 2016, 491, 493, der auf die Rechtsform der BÄK abstellt und von reinen „Feststellungen“ medizinischer Art ausgeht. Insoweit unterliegt er dem gleichen Kategorienfehler wie der Gesetzgeber und übersieht, dass der von ihm ins Feld geführte „Sachverständige“ über normative Ausführungen der Festsetzungen – insb. verfassungsrechtlich bedenklicher Regelungen – keine medizinischen Einschätzungen abgeben kann, da sie gerade nicht medizinischer Natur sind. 214 So die inzwischen herrschende Meinung, vgl. Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 14 m. w. N. in Fn. 34 sowie Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 2; Mohammadi-Kangarini, Richtlinien der Organverteilung - verfassungsgemäß?, S. 98. Im Ergebnis ebenfalls Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 178, 293; Berger, Bundesärztekammer, S. 82 f.; Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 145 f.; explizit a. A. Kreße, MedR 2016, 491, 493; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 195, der aufgrund einer fehlenden „unmittelbaren“ Bindung im Außenverhältnis keine Beleihung der BÄK annimmt. 215 Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG I, Art. 1 Rn. 72.1; Lang, MedR 2005, 269, 273; Maurer, VerwaltungsR AT, § 23 Rn. 56; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 56.
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nientätigkeit (wie hier) als Ausübung öffentlich-rechtlicher Aufgaben mit Entscheidungscharakter angesehen, folgt daraus die Wahrnehmung exekutiver Normsetzung216 durch die BÄK. Die erlassenen Richtlinien sind daher dem Staat als Rechtsetzungsakte Privater zuzurechnen und unmittelbar am Maßstab der Verfassung zu messen.217 cc) Prinzip der „regulierten Selbstregulierung“? Eine Einschränkung dieser Bindungswirkung wird unter dem Begriff der sog. „regulierten Selbstregulierung“ diskutiert, wonach anerkannt ist, dass Regelwerke auf privatautonomer Grundlage nicht als Ausfluss öffentlicher Gewalt zu verstehen und daher auch nicht an den Grundrechten zu messen sind.218 Dieses Prinzip beruht auf dem Leitbild einer zwischen dem Staat und privaten Rechtsträgern geteilten Gemeinwohlkonkretisierung unter staatlicher Funktionsverantwortung.219 Dazu müssten Teile der staatlichen Regelungskompetenz Privaten zur Eigenverwaltung überlassen worden sein, wobei sich der Staat auf Vorgaben hinsichtlich der organisatorischen und verfahrenstechnischen Rahmenbedingungen beschränkt.220 Die Frage, ob die Richtlinienermächtigung in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG diesem System der regulierten Selbstregulierung folgt, wird in der Literatur mittlerweile wohl eindeutig beantwortet.221 Zwar war das Regelungssystem der regulierten Selbstregulierung die gesetzgeberische Leitidee bei Verabschiedung des TPG.222 Allerdings wurde bereits vom historischen Gesetzgeber nicht hinreichend berücksichtigt, dass die erhebliche Bindungswirkung der Vermutungsregel, die nahezu nie widerlegt werden kann 223, den gesetzgeberischen Delegationsspielraum hinsichtlich einer „Eigenverwaltung“ deutlich überschreitet. Auch die Tatsache, dass sich die Ausgestaltung der Allokationskriterien nicht in medizinischen Aspekten erschöpft, steht der Annahme einer „Selbstregulie-
Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 175 ff; Lang, MedR 2005, 269, 273. Vgl. zur Grundrechtsbindung Beliehener Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 101; Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG I, Art. 1 Rn. 72.1. 218 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 100; im Zusammenhang mit der Organallokation nach dem TPG Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 117; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 36 f. 219 Lang, MedR 2005, 269, 270. 220 Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 37. 221 Anderer Auffassung wohl nur noch Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, § 16 Rn. 71, die bereits die Ausübung hoheitlicher Gewalt verneinen. 222 Vgl. Höfling, JZ 2007, 481, 481; Neft, MedR 2013, 82, 85; ders., NZS 2010, 16, 19. 223 Vgl. hierzu insbesondere im Hinblick auf § 292 ZPO die Ausführungen unter Glp. § 3 II.1.b).cc). 216 217
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rung“ im Sinne einer Eigenverantwortlichkeit der geregelten Materie auf Seiten der Bundesärztekammer diametral entgegen.224 Schon aufgrund der normativen Festsetzungen, die über rein medizinischwissenschaftliche Konkretisierungen hinausgehen und keineswegs nur „technisch-prozedurale“ Bestimmungen sind 225, aber zwangsläufig im Rahmen einer sinnvollen Konkretisierung getroffen werden müssen, ist nicht von einer Eigenverwaltung der Bundesärztekammer auszugehen.226 Die Richtlinien der Bundesärztekammer treffen vielmehr genuin ethische Wertungen, die keinen unmittelbaren Bezug zu rein wissenschaftlichen Erkenntnissen aufweisen, sondern in nicht zu vernachlässigender Anzahl Eingriffsbefugnisse zulasten der potentiellen Organempfänger statuieren.227 Deutlich wird dies bereits an den Überschriften der erlassenen BÄK-Richtlinien, die folgerichtig nicht die Formulierung von § 16 TPG228 aufgreifen, sondern vielmehr „Allgemeine Grundsätze für die Aufnahme in die Warteliste zur Organtransplantation“229 erlassen. Aufgrund der hohen Grundrechtsrelevanz und der dadurch betroffenen Rechtsgüter der Patienten ist vielmehr von einer Fremdverwaltung der Bundesärztekammer auszugehen. Die Annahme einer regulierten Selbstregulierung, wie sie der Gesetzgeber ursprünglich bei Inkrafttreten des TPG im Sinn hatte, ist vor diesem Hintergrund ersichtlich verfehlt.230 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 173, sowie die weiteren Ausführungen a. a. O., S. 179. Zur Frage, ob der Gesetzgeber bei Erlass des TPG diesbezüglich einem „Kategorienfehler“ unterlag, vgl. die weiteren Auseinandersetzungen und eigene Stellungnahme unter Glp. § 3 III.2.b).bb). 225 Vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesrats, in: BR-Drs. 457/11, S. 15, wonach die Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG nicht nur „die dynamische Kompilation medizinischen Wissens“ enthalten, sondern „grundrechtsrelevante Festlegungen treffen“. 226 Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 141 ff.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 1; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 3; ders., JZ 2007, 481, 483; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 37 f. 227 Exemplarisch am Beispiel der Compliance-Regelungen der Richtlinien der BÄK Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 181 f.; als „normativ abgestützte Einwirkungsbefugnisse“ einordnend Höfling, JZ 2007, 481, 483. Zur entgegenstehenden Auffassung von Neft, der an die Erkenntnisse der Medizinethik und Medizinsoziologie anknüpfen will, Glp. § 3 III.2.b).bb). 228 Vgl. den Wortlaut von § 16 Abs. 1 S. 1 TPG, wonach die Bundesärztekammer den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft feststellt. 229 Vgl. exemplarisch die Richtlinie der BÄK, Herz/Lunge, S. 2 Glp. I. 230 Soweit die mittlerweile ganz herrschende Meinung, Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 181 f.; Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 141 ff.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 27; Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut?, S. 119, 126; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 3; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 37; Sickor, GesR 2014, 204, 205. 224
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dd) Zwischenergebnis Die von der Bundesärztekammer auf der Grundlage von § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG erlassenen Richtlinien sind dem Bereich öffentlich-rechtlicher Aufgabenerfüllung zuzuordnen. Die BÄK übt im Rahmen der Richtlinientätigkeit staatliche Gewalt aus, die sich aufgrund der umfassenden Verfassungs- und Grundrechtsbindung aus Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG am Maßstab des Grundgesetzes messen lassen muss. In Abgrenzung zur Selbstverwaltung öffentlich-rechtlicher Körperschaften erschöpfen sich die festgelegten Kriterien der Organzuteilung nicht in bloßer Eigenverwaltung. Die von ihr getroffenen Regelungen wirken vielmehr über das ärztliche Berufs- und Standesrecht hinaus und berühren die Patienten in existenziellen Bereichen mit hoher Grundrechtsrelevanz. Bei der Berücksichtigung ihrer normativen Bindungswirkung ist sie eher mit subordinativer Rechtsetzung, als mit privatautonomer Binnenrechtsetzung zu vergleichen. Normative Regelungen der BÄK hinsichtlich der Zuteilung von Lebenschancen fallen nicht unter das Prinzip der regulierten Selbstregulierung. b) Rechtsstaatsprinzip und Wesentlichkeitstheorie Die Richtlinienermächtigung des § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG sieht sich zunächst der Kritik ausgesetzt, den staatsrechtlichen Anforderungen des Vorbehalts des Gesetzes als Unterfall des Rechtsstaatsprinzips und dessen Konkretisierung in Form der Wesentlichkeitstheorie231 aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht zu genügen. Hiernach ist der Gesetzgeber verpflichtet, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen, insbesondere die Kriterien und Verlaufsmaßstäbe der Güterverteilung, selbst zu regeln, soweit diese einer gesetzlichen Normierung zugänglich sind.232 Der Maßstab für die sachliche Dichte der vom Gesetzgeber zu fordernden Regelung ist ebenfalls mithilfe einer Wesentlichkeitsbetrachtung zu ermitteln 233: Nicht jedes Detail eines für die Grundrechtsträger wesentlichen Lebenssachverhalts muss geregelt werden, sondern vielmehr die grundsätzlichen Wert- und Organisationsentscheidungen, die dem Regelungskomplex zugrunde liegen.234 Generell richtet sich die „Wesentlich-
231 Das aus der Wesentlichkeitsformel entspringende Delegationsverbot wird allgemein als Parlamentsvorbehalt bezeichnet, das jedoch dann über den Gesetzesvorbehalt hinausgeht, wenn das Parlament auch durch andere Weise als durch Gesetz handeln kann; vgl. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 76; Schnapp, in: v.Münch/Kunig, GG I, Art. 20 Rn. 77;. 232 St. Rspr. des BVerfG, vgl. für viele BVerfG, Urteil v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 = NJW 1972, 1561, 1564 ff.; BVerfG, Urteil v. 6.12.1972 – 1 BvR 230/70 = BVerfGE 34, 165, 192 f.; BVerfG, Beschluss v. 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 = BVerfGE 83, 130, 152. 233 Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rn. 106. 234 Badura, Staatsrecht, C. Rn. 19.
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keit“ nach der Bedeutung der Grundrechte für den Grundrechtsträger und weniger nach dem Maß ihrer Betroffenheit.235 Überträgt man die Wesentlichkeitstheorie auf das Transplantationsrecht, so muss als Mindestmaß an Regelungsdichte gefordert werden, dass die Allokationskriterien sowie ihre Gewichtung untereinander vom Gesetzgeber selbst festgelegt und nicht an die Exekutive oder Dritte delegiert werden.236 Wenn das BVerfG schon eine Hochschulzulassungsentscheidung als schwerwiegende „Zuteilung von Lebenschancen“ ansieht, die in die Grundrechte der Bewerber eingreift, muss a minore ad maius der gleiche ‑ wenn nicht erhöhte237 ‑ verfassungsrechtliche Maßstab im Bereich der Organallokation gelten.238 Eine für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichere Entscheidung als die über die Zuteilung eines Organs ist schon vor dem Hintergrund der abstrakt-generellen Bedeutung des tangierten Rechtsguts Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als „Basisgrundrecht“ und „Höchstwert der Verfassung“239 sowie des u. a. hiervon abgeleiteten derivativen Teilhaberechts kaum denkbar. Die erhebliche Grundrechtsrelevanz der Organvermittlungskriterien zeigt sich auch daran, dass jede positive Entscheidung zugunsten eines potentiellen Organempfängers zugleich eine Beeinträchtigung des ebenfalls auf ein Spenderorgan wartenden Patienten enthält.240 In Übereinstimmung mit der Dogmatik des BVerfG ist deshalb „in einer rechtsstaatlich-parlamentarischen Demokratie“241 zu fordern, dass die Auswahlkriterien vom Parlament selbst verantwortet werden müssen und nicht in derart wesentlichem Umfang ohne hinreichende gesetzliche Vorprägung an private Stellen delegiert werden. aa) Einwand der Gewaltenteilung Gegen die Übertragung aus dem Hochschulrecht auf das Gebiet der Organallokation wendet sich vor allem Rosenau242. So verkenne der genannte Erst-rechtSommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Abs. 3 Rn. 279. Vgl. im Zusammenhang mit der Numerus-Clausus-Entscheidung BVerfG, Urteil v. 18.7.1972 = NJW 1972, 1561, 1564 ff.; ferner Neft, NZS 2010, 16, 18; Sickor, GesR 2014, 204, 206. 237 So z.B. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 299. 238 Zu diesem Ansatz bspw. Gutmann/Fateh-Moghadam, in: Grundlagen einer gerechten Organverteilung, 37, 39; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 4; Schroth, NStZ 2013, 437, 441; vgl. zudem den Vergleich mit der Rechtsprechung des BVerfG bei Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung nach dem TPG – verfassungsgemäß?, S. 118 ff. 239 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 – 1BvF 1–6/74 = NJW 1975, 573, 575 (Schwangerschaftsabbruch). 240 Schroth, NStZ 2013, 437, 441. 241 BVerfG, Urteil v. 18.7.1972 - 1 BvL 32/70 = NJW 1972, 1561, 1567 f. (Numerus Clausus I). 242 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 446. 235
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Schluss die Bedeutung und Reichweite des im gleichen Verfassungsrang stehenden Gewaltenteilungspostulats, wonach die geforderte umfassende Allokationskodifikation zu einem „Gewaltenmonismus“ führe.243 Im zitierten Kontext der Rechtschreibereform stellt das BVerfG klar: „Zu berücksichtigen ist (…), daß die (…) organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten auch darauf zielt, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel darf nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden.“244
An zwei Stellen scheitern die Übertragbarkeit der zitierten Argumentation des BVerfG und deren Anwendung auf die Kompetenzfülle der Bundesärztekammer. Zum einen ist die Bundesärztekammer nicht die „richtige“ funktionale Stelle, um mit besonderer Sachkunde über normative und sozialerhebliche Tatbestände zu entscheiden. Dies mag für einzelne medizinische Werte im Rahmen der Indikations- und Kontraindikationsdiagnostik gelten. Für zentrale Bereiche der Compliance, die Frage, wie der Zielkonflikt245 zwischen Erfolgsaussicht und Notwendigkeit/Dringlichkeit aufzulösen ist, oder die Frage, ob sozialerhebliche Kontraindikationsbefunde Auswirkung auf die Wartelistenführung der Transplantationszentren haben, ist dies nicht anzuerkennen. Inwiefern in den letztgenannten Fällen überhaupt eine Bewertung am Maßstab „richtig/falsch“ in Betracht kommt, sei dabei noch dahingestellt. Im Übrigen hätte man, wenn man wie Rosenau die Pflicht zur umfassenden Regelung im gegebenen Fall nicht fordern will, sondern mit einer gesetzgeberischen Vorzeichnung zufrieden ist, wenigstens eine klarere Rahmengesetzgebung fordern müssen. Dass der Gesetzgeber aber strukturell gegenläufige Kriterien nur erwähnt, der BÄK aber Gewichtung, Interpretation, Ausgestaltung und Festlegung weiterer Kriterien überlässt, unterschreitet hingegen jedes vernünftige Niveau an legislativer Vorprägung. Wie die aktuellen Richtlinien zeigen, lässt sich unter den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ nahezu alles subsumieren, was nur im Entferntesten mit der Allokationssystematik im weiteren Sinne zu tun hat, wie die verfehlten Rechtfertigungsbemühungen mit dem Verweis auf die Regeln der „Medizinethik“246 zeigen.
Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 446. BVerfG, Urteil v. 14.7.1998 – 1BvR 1640–97 = NJW 1998, 2515, 2520. 245 Zu den hiergegen vorgebrachten Einwänden sogleich. 246 Vgl. Neft, NZS 2010, 16, 17 sowie die ausführliche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem demokratischen Legitimationsniveau in Glp. § 3 III.2.c).bb).(2). 243
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bb) Praktikabilitätserwägungen Als weiteres Argument für die Verfassungsmäßigkeit der Richtliniendelegation und Wahrung des Gesetzesvorbehalts werden Praktikabilitätserwägungen sowie die fachliche Expertise der Bundesärztekammer angeführt, die eine Delegation auch vor dem Hintergrund der Grundrechtsrelevanz für die Patienten rechtfertige. So heißt es unter anderem bei Rosenau247: „Der schnelle Wandel der medizinischen Erkenntnisse und der Fortschritt in der Medizin (verlangen) einen flexibleren Normgeber.“
Grundsätzlich besteht dahingehend Einigkeit, dass der Gesetzgeber zur Verwirklichung des Grundrechtsschutzes auf sich schnell ändernden Gebieten von einer detaillierten Änderung absehen kann.248 Dies gilt insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber „angesichts hoch komplexer Wirkungszusammenhänge“249 bereits fachlich nicht zu einer präzisen Detailregelung in der Lage ist. Dem Wesentlichkeitsgrundsatz ist in so gelagerten Fällen bereits dann genüge getan, wenn und soweit „klare Regelungen“ getroffen wurden, die festlegen, „wer und auf welche Weise“ er die gesetzliche Wertung zu konkretisieren hat.250 Dieser als „wichtiges Argument gegen eine Vergesetzlichung“251 vorgetragene Einwand erscheint im Zusammenhang mit den tatsächlichen Festsetzungen der BÄK-Richtlinien aber sehr fragwürdig. Wie das sich anschließende Beispiel der MELD-Kriterien und die Anlehnung an die Kalkar-Rechtsprechung des BVerfG252 zeigt, wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass die hauptsächlich geäußerte Kritik gerade nicht auf einzelne medizinische Indikationsdetails, sondern vielmehr auf die höchst problematischen normativen und sozial-erheblichen Kriterien abzielt.253 Alleine die (faktische) Kompetenz, die in §§ 10, 12 TPG genannten Kriterien in ihrem Rangverhältnis zu ordnen und auszufüllen, unterschreitet das Minimum, was an normativer Wertentscheidung vom Parlament als unmittelbare legislative Vertretung des Deutschen Volkes zu fordern ist. In fundamentalen grundrechtsrelevanten und gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Fragen gibt es nicht die Alternative eines „flexibleren Normgebers“ als jenen des Bundestags, dessen Mitglieder gerade in biomedizinischen FrageRosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 447. Huster/Rux, in: Epping/Hillengruber, GG I, Art. 20 Rn. 180. 249 Huster/Rux, in: Epping/Hillengruber, GG I, Art. 20 Rn. 180. 250 Huster/Rux, in: Epping/Hillengruber, GG I, Art. 20 Rn. 180. 251 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 447; ders., in: Middel et al., Novellierungsbedarf, 69, 80 f. 252 BVerfG, Beschluss v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 = BVerfGE 49, 89, 137. 253 In diese Richtung auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 194, wonach die Vermittlungsregeln „nicht auf rein medizinische Kriterien gestützt werden“ können, sowie S. 197. 247
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stellungen, auf welche Rosenau verweist, letztlich ihrem Gewissen unterworfen sind. Die Hauptproblematik der Allokationskriterien liegt weniger darin, die Erforderlichkeit der Organübertragungen medizinisch zu bestimmen, als vielmehr in der rechtspolitischen Herausforderung, die Notwendigkeit und Erfolgsaussicht, insbesondere die Frage, inwieweit die Erfolgsaussicht mittel- und langfristig zu bestimmen ist, zu gewichten und ihr Verhältnis zueinander festzulegen.254 Die auch an anderer Stelle255 wiederholten Praktikabilitätserwägungen mit dem Verweis auf die besondere Dynamik des Medizinrechts sind vor dieser demokratietheoretischen Fragestellung weder relevant noch schlüssig. Rechtliche Wertungen, die einer gerechten 256 und an den Grundrechten der Patienten orientierten Verteilung dienen, unterliegen keiner spezifischen Dynamik.257 In diesem Zusammenhang wird weiter vorgetragen, dass der Befund der Gegenläufigkeit der Kriterien „Erforderlichkeit“ und „Erfolgsaussicht“ einer, so wörtlich, „Ahnungslosigkeit eines Juristen“258 entspringe und die Medizin als „ganzheitlich anthropologische Wissenschaft“259 verkenne. Während Ärzte diese Kriterien bei jeder Kinderlähmungsimpfung abwägen, wäre es ein „unsinniges Ergebnis“260, dies der Ärzteschaft nicht auch im Transplantationsrecht zuzugestehen.261 Hiergegen seien an dieser Stelle zwei Aspekte angesprochen: Zum einen führt – wie noch zu zeigen ist262 – schon die systematische und historische Auslegung von § 16 Abs. 1 S. 1 TPG zu einem viel engeren Begriffsverständnis des Gesetzgebers. Zum anderen ist es, anders als etwa bei Impfungen, im Allokationsrecht Vgl. Haverkate, in: Häfner, Gesundheit – unser höchstes Gut, 119, 126, der feststellt, dass mit der Delegation unter der Maxime der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft „das eigentliche Verteilungsproblem (…) schlicht übergangen“ wurde; ferner Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 30. 255 Vgl. Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 134 ff. wörtlich: „Ein Gesetzgebungsverfahren ist nicht nur mehraktiv und somit langwierig, es ist vor allem auch nicht geeignet, auf Änderungen unverzüglich zu reagieren.“ 256 BT-Drs. 13/4355, S. 14, 21. 257 Ähnlich Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 200, wonach die „Entscheidung des Zielkonflikts zwischen Erfolgsaussicht und Dringlichkeit (…) nicht einer solchen Dynamik“ unterliegt. 258 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 449. 259 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 449. 260 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 449. 261 In diese Richtung auch Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 236, die auf der einen Seite konstatiert, dass eine „abstrakt-normativ(e)“ Auflösung des Zielkonflikts „kaum darstellbar“ sei, auf der anderen Seite aber dafür plädiert, die Konkretisierung der Kriterien für den Einzelfall durch Richtlinien zu regeln. Wie sich diese Ausführungen mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbaren lassen und wie eine Verteilung ohne Berücksichtigung normativer Kriterien bei feststehender Indikation erfolgen soll, bleibt allerdings völlig offen. 262 Vgl. BT-Drs. 13/4355 S. 26; zur ausführlichen Interpretation vgl. Glp. § 3 III.c).bb).(2). 254
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gerade die juristische und gesamtgesellschaftliche Herausforderung, festzulegen, von wem und nach welchen Kriterien die zu knappen, aber für das Überleben des Patienten notwendigen Organe gerecht verteilt werden.263 Die Verweisung auf die BÄK-Richtlinien ist weniger aufgrund medizinisch-technischer Bestimmungen, wie etwa der MELD-Kriterien oder des Lung-Allocation-Scores264, sondern vielmehr wegen der fehlenden Grundsatzkonkretisierung rechtlich unhaltbar. Bei der Regulierung der Allokationskriterien auf allgemeine Einschätzungs- und Abwägungskompetenzen der Ärzteschaft abzustellen, ist nicht weniger als die Flucht des Gesetzgebers vor seiner ihm zukommenden Aufgabe, die für die Grundrechtsverwirklichung des Einzelnen maßgebliche Organvermittlung selbst zu regeln. Die Klärung dieser Frage ist nicht Begleiterscheinung, sondern Kern der verfassungsrechtlichen Diskussion. In ihr verbirgt sich letztlich eine ethische Grundsatzentscheidung. Diese obliegt dem volksgewählten Parlament, nicht einem bürgerlich-rechtlichen Verein medizinischer Eliten. cc) Zwischenergebnis Der Gesetzgeber löst die Frage nach dem internen Rangverhältnis der Allokationskriterien nicht selbst, sondern überlasst die Klärung ebenso wie die Ausfüllung der vagen Rechtsbegriffe zur Konkretisierung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft aus §§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 12 Abs. 3 S. 1 TPG der Bundesärztekammer. Die Delegation an die Bundesärztekammer ist in Fragen derartiger Grundrechtsrelevanz und vor dem Hintergrund des aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 3 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatspostulat hergeleiteten, derivativen Teilhabeanspruchs265 hinsichtlich vorhandener Organtransplantationsmöglichkeiten als Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes zu werten.266 263
Vgl. BT-Drs. 13/4355, S. 14, 21. Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 31, der bereits bei Festlegungen hinsichtlich der Gewebeverträglichkeit eine Wertentscheidung nicht medizinischer Art annimmt. Diese dürften insoweit aber tatsächlich nur eine medizinische Konkretisierung des Erfolgsaussichtskriteriums darstellen. Wie hier Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 197 f. 265 Zum derivativen Teilhabeanspruch und zum nicht bestehenden „Recht auf ein Organ“ vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 ff.; Gutmann/Fateh-Moghadam, in: Grundlagen einer gerechten Organverteilung, 37, 39 f., 66 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, 123 f. 266 Im Ergebnis wie hier die ganz herrschende Meinung, vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 189 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 71 ff., 79; Schroth, NStZ 2013, 437, 440 f. Sehr anschaulich Höfling, JZ 2007, 481, 482; ders., in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 25, der von einer „Anti-Wesentlichkeitstheorie“ spricht: „Alles Wesentliche steht nicht im Gesetz“; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1274; Engels, WzS 2013, 199, 203; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 23, § 16 Rn. 6; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 119 f.; Gutmann/Fateh-Mog264 Anders
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c) Demokratieprinzip und Legitimationsniveau Erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der BÄK-Richtlinien werden auch im Hinblick auf das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG vorgebracht. Als bloße Arbeitsgemeinschaft der Landesärztekammern und somit nicht rechtsfähiger Verein im Sinne von § 54 BGB ist die Bundesärztekammer Rechtssubjekt des Privatrechts und unterliegt im Hinblick auf die Binnenorganisation und Beschlussfassung vereinsrechtlichen Maßgaben. Die Tatsache, dass sie auf § 16 Abs. 1 S. 1 TPG gestützte Richtlinien erlässt, die Anknüpfungspunkt von im Einzelfall höchst grundrechtsrelevanten Entscheidungen sein können, lässt vielfach die Frage aufgekommen, inwiefern eine hinreichende rechtliche Rückbindung der erlassenen Richtlinien an das vom Volk gewählte und dadurch unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament gegeben ist. Wie bereits dargelegt, ist die Bundesärztekammer beim Erlass der qualitativ rechtsnormgleichen Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG mit der Ausübung staatlicher Gewalt betraut.267 Ausgangspunkt des Demokratieprinzips ist Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, wonach alle Macht vom Volke als zentrale und einzige Legitimationsquelle staatlicher Gewalt ausgeht. Um den Zusammenhang zwischen Volk und Staatsgewalt herzustellen, muss jede Ausübung staatlicher Gewalt, dem Prinzip der Volkssouveränität entsprechend, im Sinne einer ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette auf das staatstragende Volk 268 zurückzuführen sein.269 Dieser „Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft“270 ist in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Staatsrechtsdogmatik einerseits personell- bzw. organisatorisch-de-
hadam, NJW 2002, 3365, 3365 f.; Lang, MedR 2005, 269, 278; Neft, NZS 2010, 16, 18; Spickhoff, VersR 2006, 1569, 1576. Anderer Auffassung Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 112 ff., 139, der, wie Rosenau, auf den „umfassenden Sachverstand“ der Bundesärztekammer sowie die „flexible(n) Handlungsmöglichkeiten“ abstellt und einen Verstoß gegen den Parlamentsvorbehalt explizit verneint; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 4; Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 445 ff. 267 Zum Streit- und Meinungsstand bzgl. des Rechtscharakters der Richtlinien vgl. Glp. § 3 III.2.a).aa). 268 Zum Begriff des Deutschen Volkes in Abgrenzung zu den auf deutschem Staatsgebiet lebenden Einwohnern stellvertretend für die ganz h.M. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 79; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 51; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 4; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/ Starck, GG II, Art. 20 Rn. 148. 269 Degenhart, Staatsrecht I, S. 11 Rn. 25 f.; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 143. 270 BVerfG, Urteil v. 31.10.1990 - 2 BvF 3/89 = NJW 1991, 159, 160.
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mokratisch im Sinne einer individuellen Legitimation des handelnden Organs festzustellen.271 Darüber hinaus ist eine materiell-demokratische Legitimation 272 notwendig, die den zu regelnden Sachbereich beschreibt, abgrenzt und unter staatlicher Weisung und Beobachtung kontrollierbar macht.273 Dahinter stehen die konkreten Sachfragen, „wer“ und „was“ legitimiert wird und ob das konkret erreichte Legitimationsniveau den verfassungsrechtlichen Maßstäben gerecht wird.274 Beide Kategorien der demokratischen Legitimation stehen dabei in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander, sodass Defizite in der personellen Legitimation durch hinreichende materielle Aufgabenberechtigung kompensiert werden können. Entscheidend ist, dass hinsichtlich der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer ein einheitlich zu bestimmendes, demokratisches Legitimationsniveau nicht unterschritten wird.275 Dieses „Niveau“ an Legitimation muss sicherstellen, dass der Einfluss des Volkes über das Parlament im Tätigwerden des Hoheitsträgers gewahrt ist.276 Ob dies beim Normbefehl des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG mit der Verweisung auf die BÄK-Richtlinien erreicht wurde, ist bis heute umstritten. aa) Personelle Legitimation Unter der personellen demokratischen Legitimation versteht man die Art und das Maß der demokratischen Rückbindung der konkret mit der Ausübung staatlicher Gewalt beauftragten Person.277 Die öffentliche Aufgabenerfüllung durch den Amtswalter muss dabei nach streng logischen Einzelschritten auf die durch
271 Vgl. Beschluss v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 = NJW 1991, 1471, 1474; BVerfG, Beschluss v. 5.12.2002 - 2 BvL 5/98= NVwZ 2003, 974, 975; Degenhart, Staatsrecht I, S. 12 Rn. 29; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35; Sommermann, in. v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 163; 272 Häufig auch als „sachlich-inhaltliche“ demokratische Legitimation bezeichnet. 273 Sinngemäß BVerfG, Beschluss v. 5.12.2002 - 2 BvL 5/98 = NVwZ 2003, 974, 975; Zu den Allokationsrichtlinien vgl. Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 138 ff; Lang, MedR 2005, 269, 272; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 102 ff.; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 81 ff. 274 Lang, MedR 2005, 269, 272. 275 BVerfG, Beschluss v. 5.12.2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 = BVerfGE 107, 59, 87; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 119; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 9; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35; Sommermann, in. v.Mangoldt/Klein/ Starck, GG II, Art. 20 Rn. 170. 276 BVerfG, Beschluss v. 24.5.1995 – 2 BvF 1/92 = BVerfGE 93, 37, 66 f. 277 Lang, MedR 2005, 269, 272; Sickor, GesR 2014, 204, 207.
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ihr Mandat demokratisch unmittelbar legitimierten Parlamentsabgeordneten zurückgeführt werden können.278 Ausgangspunkt ist hierbei Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, wonach die unmittelbare demokratische Legitimation durch personenbezogene Wahlen und sachbezogene Abstimmungen hergestellt wird.279 Nach der Dogmatik der Legitimationsstränge leitet sich hiervon die demokratische Legitimation der hierarchischen Ministerialbürokratie der unmittelbaren Staatsverwaltung ab. Dies erfolgt in der Regel durch Benennung oder Bestellung des Amtsträgers durch den jeweiligen Fachminister, der wiederum durch den vom Parlament direkt gewählten Bundeskanzler ernannt wird. Die höchste demokratische Regierungslegitimation liegt somit beim Bundeskanzler, der vom volksgewählten Parlament gewählt und diesem verantwortlich ist.280 Ist wie im Falle der Bundesärztekammer ein Kollektivorgan für die Aufgabenerfüllung tätig, bedarf die Bestellung der Mitglieder des Entscheidungsorgans ebenfalls der demokratischen Rückbindung. Die für die Bestellung zuständigen Personen, die das sog. „Kreationsorgan“ bilden, müssen dabei zumindest in ihrer Mehrheit „unbeschränkt demokratisch legitimierte(r) Mitglieder“ sein.281 Die Bundesärztekammer erhält zwar die konkrete Aufgabenzuteilung zum Erlass der Richtlinien durch § 16 Abs. 1 S. 1 TPG und damit durch ein Parlamentsgesetz. Auf die Zusammensetzung des Vorstands der BÄK als erlassendes Gremium hat der Gesetzgeber jedoch keinen durchgreifenden Einfluss. Nach § 5 Abs. 1 der Satzung der Bundesärztekammer282 besteht deren Vorstand aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten, den Präsidenten der Landesärztekammern sowie zwei weiteren Ärzten. Der Präsident und die zwei Vizepräsidenten werden durch den Ärztetag jeweils für vier, die zwei ergänzenden Ärzte für zwei Jahre gewählt, § 5 Abs. 2 und 3 BÄK-Satzung. Die Präsidenten der Landesärztekammern werden nach Maßgabe der jeweiligen Landesärztekammersatzungen gewählt.283 Maßgebliches Kreationsorgan ist damit der Deutsche 278 Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 102; Sickor, GesR 2014, 204, 207; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 165. 279 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 20 Rn. 45; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 20 Rn. 157 f. 280 Vgl. zur Begriffsbestimmung Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 102 f. 281 BVerfG, Beschluss v. 24.05.1995 – 2 BvF 1/92 = NVwZ 1996, 574, 575. 282 Satzung der Bundesärztekammer in der vom 117. Deutschen Ärztetag beschlossenen Fassung 2014, abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/satzungen-und -statuten/satzung/, zuletzt am 20.9.2016. 283 Innerhalb der Bayerischen Landesärztekammer wird der Vorstand aus der Mitte der Mitglieder der ärztlichen Kreisverbände für jeweils fünf Jahre gewählt, § 9 Abs. 1, 3 Satzung Bayerische Landesärztekammer, in der Fassung der Bekanntmachung vom 10.10.2009, Bay-
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Ärztetag sowie die Wahlorgane der jeweiligen Landesärztekammern. Eine demokratische Rückbindung an das Parlament findet demnach, wie bei allen funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften, nicht an das Gesamtvolk, sondern lediglich an die mitgliedschaftlich erfassten Berufsträger statt. So wird auch die Bundesärztekammer rein berufsrechtlich durch die Wahl der Mitglieder der Landesärztekammern sowie des Deutschen Ärztetags geprägt. Die Vorstandsmitglieder sind weder direkt vom Parlament gewählt, noch mittelbar auf den in Gesetz oder Verwaltung zum Ausdruck kommenden Parlamentswillen zurückzuführen.284 Eine Rechtfertigung dieses personellen Legitimationsdefizits, wie sie bei funktionalen Selbstverwaltungskörperschaften aufgrund des abgegrenzten berufsrechtlichen Tätigkeitsfelds erfolgt285, versagt im Hinblick auf die erlassenen TPG-Richtlinien. Von einer „Substituierung durch autonome Legitimation“286 kann dann keine Rede mehr sein, wenn die Festsetzungen der BÄK Eingriffscharakter in die Rechte und Rechtsgüter Dritter haben.287 Hierfür wäre eine exakte Vorbestimmung der Aufgaben und Befugnisse der BÄK durch ein Parlamentsgesetz sowie eine durchgehende Aufsicht und Kontrolle demokratisch legitimierter Organe unabdingbare Voraussetzung.288 Die bloß „fragmentierte personelle Legitimation“289 der Bundesärztekammer reicht zumindest dann nicht mehr aus, wenn die von ihr gesetzten Maßstäbe hinsichtlich der Organvermittlung ihre eigentliche grundrechtsrelevante Wirkung gegenüber den potentiellen Organempfängern entfalten. Der Umstand, dass das TPG selbst keine Aussage über die Besetzung und Vertretung im Sinne des § 16 Abs. 2 TPG der für die Ausarbeitung zuständigen Ständigen Kommission Organtransplantation 290 oder des Vorstands des BÄK trifft, der die Richtlinien erlässt, ist hinsichtlich Art. 20 Abs. 2 GG im Ergebnis nicht akzeptabel. Darüber hinaus ist beim Vorstand der Bundesärztekammer als dem für den Erlass der Richtlinien zuständigen Organ auch keine spezifische ExpertenkomÄrzteBl. 12/2009, abrufbar unter: http://www.blaek.de/pdf_rechtliches/haupt/Satzung_In ternet_01012010.pdf, zuletzt am 20.9.2016. 284 Sickor, GesR 2014, 204, 207. 285 Vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 10a; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 44 f.; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 174. 286 Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 174. 287 BVerfG, Beschluss v. 5.12.2002 - 2 BvL 5/98 = NVwZ 2003, 974, 977; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 44a; Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 174. 288 Vgl. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 174. 289 Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art. 20 Rn. 182. 290 Zu unterscheiden ist insofern die für die Erarbeitung zuständige Kommission („Ständige Kommission Organtransplantation“), die zwar Expertenkompetenz aufweist, für die Betrachtung des demokratischen Zurechnungszusammenhangs aber irrelevant ist. Maßgeblich ist insofern der erlassende Rechtsträger; vgl. hierzu Höfling, JZ 2007, 481, 484; Lang, MedR 2005, 269, 274.
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petenz hinsichtlich der normativen Wertungen vorhanden, durch welche sich die vorgenannten strukturellen Legitimationsmängel kompensieren ließen.291 bb) Materielle Legitimation In materiell-demokratischer Hinsicht verlangt das Demokratieprinzip, dass die konkrete Aufgabe – also nicht nur der angewiesene Handlungsträger selbst – auf das Volk als staatstragendes Gebilde zurückgeführt werden kann. Während alles staatliche Handeln vom Volk ausgeht, erfolgt die Ausführung dieses staatlichen Handelns durch von ihm eingesetzte Organe, denen die staatliche Aufgabe zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung überlassen wird.292 Neben der demokratischen Rückbindung an das Parlament, bedarf es auch ständiger Weisungs-, Eingriffs-, sowie Kontroll- und Überwachungsrechte gegenüber dem angewiesenen Handlungsträger.293 (1) Regelungsdefizit Im Hinblick auf die sachlich-inhaltliche Legitimation fehlt es bereits an einer hinreichenden Bestimmtheit der vorgegeben Rechtsbegriffe. Das alleinige Abstellen auf den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ ist keine die Richtlinien tragende und klar konturierte materielle Ermächtigung, die eine sichere Grenzziehung hinsichtlich des Umfangs der Richtlinienkompetenz zulässt. So lässt der deutlich zu eng geratene Wortlaut im Grunde nur wissenschaftliche Feststellungen, nicht aber eigenständige Wertungskriterien durch die Bundesärztekammer zu.294 Wie bereits dargelegt, enthalten die Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG aber nicht nur Feststellungen hinsichtlich medizinischer Fakten und Erkenntnisse. Vielmehr legen sie Parameter für den weiteren Verfahrensablauf und spezifische Wertungen im Hinblick auf die Organzuteilung fest, die von den Transplantationszentren und der Stiftung Eurotransplant bei der Wartelistenführung und Vermittlungsentscheidung zu Grunde zu legen sind.295 Aufgrund dieser Festsetzungen, wie sie beispielsweise in den Regelungen zu den Kontraindikationen aufgrund fehlender Compliance deutlich werden, sieht sich die Bundesärztekammer mit dem Vorwurf erheblicher Kompetenzüber291
Hierzu sogleich ausführlicher im Rahmen der materiellen Legitimation. Im Ergebnis ebenso Höfling, JZ 2007, 481, 484. 292 Vgl. Lang, MedR 2005, 269, 272; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 103 f. 293 Sickor, GesR 2014, 204, 207. 294 Explizit anderer Auffassung Neft, NZS 2010, 16, 17. 295 Zur Frage, ob der Gesetzgeber bei § 16 Abs. 1 TPG einem Kategorienfehler unterlag, sogleich.
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schreitung konfrontiert. Obwohl sie schon ausweislich des Wortlauts von § 16 Abs. 1 TPG nur den medizinischen Erkenntnisstand feststellen soll, legt sie in den Richtlinien auch materielle Entscheidungsmaximen fest, zu denen sie nicht ermächtigt ist.296 Zudem bleibt der Gesetzgeber in den §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 und 16 TPG die Vorgabe eines verbindlichen Rangverhältnisses der Kriterien der Erfolgsaussicht, Notwendigkeit und Dringlichkeit nach wie vor schuldig.297 Während die Erfolgsaussicht im Sinne einer Maximierung des angestrebten Heilerfolgs durch den Transplantationseingriff zu verstehen ist, orientiert sich das Kriterium der Dringlichkeit an Ausmaß und Unmittelbarkeit der Gesundheitsgefährdung des Patienten. Während die Transplantation bei Patienten der höchsten Dringlichkeitsstufe oftmals aufgrund der einhergehenden schlechten körperlichen Verfassung den geringsten langfristigen Erfolg verspricht, sind Patienten mit den besten Erfolgsaussichten als weniger dringliche Fälle bei den aufgestellten Match-Listen posteriorisiert. Diese Erkenntnis ist auch in der medizinischen Fachwissenschaft unbestritten. So heißt es beispielsweise bei Seehofer/Schöning/Neuhaus298: „Viele Patienten werden während oder unmittelbar nach einer akuten Verschlechterung der Leberfunktion transplantiert, nur dann liegt ein ausreichender MELD vor. Dies ist oft nicht der medizinisch-optimale Zeitpunkt für eine LT (Lebertransplantation).“
Der sich hieraus ergebende Zielkonflikt dieser im Grunde gegenläufigen Kriterien hätte in einer dem Demokratieprinzip entsprechenden Weise vom Gesetzgeber aufgelöst werden müssen.299 Dies ist bis heute nicht erfolgt. (2) Kategorienfehler des Gesetzgebers und Einwand der „Expertise“ Dieser nicht von der Hand zu weisende Widerspruch aus Ermächtigungsgrundlage und rechtstatsächlicher Ausgestaltung in den konkreten Richtlinien ist Er296 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 187 f.; ders., JZ 2007, 481, 484; Gutmann, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 19; ders., in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 19; Gutmann/Fateh-Moghadam, NJW 2002, 3365, 3368 ff.; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 26 ff. 297 Zu beiden Kritikpunkten Höfling, JZ 2007, 481, 484. 298 Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg 2013, 391, 391 sowie 392: „Konsekutiv steigt das Risikoprofil der Empfänger, da die Allokation nach Dringlichkeit erfolgt.“ Zu diesem Dilemma im medizinischen Fachbereich auch Strassburg, Chirurg 2013, 363, 366, wonach Patienten mit niedrigen MELD-Werten, die „unter Umständen gute Transplantationskandidaten mit guten Erfolgsaussichten wären“, nicht in die Warteliste aufgenommen würden. 299 Vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 675; Gutmann/Fateh-Moghadam, in: Grundlagen einer gerechten Organverteilung, 37, 46 f.; Neft, NZS 2010, 16, 18; Schroth, NStZ 2013, 437, 440; ders., in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 459; Sickor, GesR 2014, 204, 206.
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gebnis einer grundlegenden Fehleinschätzung des Gesetzgebers, der davon ausging, dass sich die Frage der Organallokation im Wesentlichen durch die Festlegung rein medizinischer Parameter beantworten ließe. Im Wesentlichen unbestritten ist hingegen mittlerweile die Erkenntnis, dass es sich angesichts des massiven und nachhaltigen Organmangels bei der Verteilungsfrage, wem ein Organ zugeteilt werden soll und wem nicht, um eine genuine Gerechtigkeitsproblematik handelt.300 Diese ist vielmehr nach ethischen als nach medizinischen Gesichtspunkten aufzulösen, wobei § 10 Abs. 2 und § 12 Abs. 3 TPG und die Bezugnahme in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG diesen „Kategorienfehler“ des Gesetzgebers unverändert aufgreifen.301 Die Frage, ob diese Überschreitung des in § 16 Abs. 1 TPG festgelegten Ermächtigungsrahmens vermeidbar oder nach Bader vielmehr „zwangsläufig“ aus der Natur des Allokationsproblems und dem Regelungsdefizit des Gesetzgebers folge302 , ist für die Frage der demokratischen Legitimation an dieser Stelle noch unerheblich. Zu einem anderen Ergebnis könnte man höchstens dann gelangen, wenn man mit Neft303 den Begriff der „Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ aus §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG auch auf solche „Erkenntnisse“ erstreckt, die sich aus den Teildisziplinen der Medizinethik oder Medizinsoziologie ergäben.304 300 Vgl. Bundesrat, BR-Drs. 457/11, S. 15; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 28 ff.; Engels, WzS 2013, 199, 204; Gutmann/Fateh-Moghadam, in: Grundlagen einer gerechten Organverteilung, S. 37, 37; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 32 f.; Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3403; Lang, MedR 2005, 269, 272, 275 f.; Schroth, NStZ 2013, 437, 440. 301 Ausführlich zur Natur des Allokationsproblems Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 102 ff.; Bundesrat, BR-Drs. 457/11, S. 15. Im Ergebnis mittlerweile wohl herrschende Meinung, vgl. beispielsweise Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 27; Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 675; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 20 f.; ders., Für ein neues Transplantationsgesetz, S. 120 ff.; Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3403; Schroth, NStZ 2013, 437, 440. Interessant zudem der rechtsvergleichende Hinweis von Höfling, JZ 2007, 481, 484, wonach der Schweizerische Bundesrat explizit feststellte, dass der allein an medizinischen Kriterien ausgerichtete Ansatz „falsch“ sei und sich die „Zuteilung (…) nach ethischen Prinzipien“ richte, Schweizer Bundesrat, Botschaft zum TPG, S. 83, abrufbar unter: https://www.admin.ch/ ch/d/ff/2002/29.pdf, zuletzt am: 12.4.2016. Anderer Auffassung Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 137, der die normative Dimension der Materie grundsätzlich nicht durch Parlamentsgesetz regeln will, wodurch auch eine spezielle Ermächtigung in § 16 Abs. 1 TPG nicht notwendig sei. Zur gegenläufigen Auffassung von Neft, NZS 2010, 16, 17 sogleich. Anderer Auffassung auch Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 236; Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 448. 302 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 188; in diese Richtung auch Middel/ Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 7. 303 Vgl. Neft, NZS 2010, 16, 17. 304 Ähnlich auch Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 236.
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Nach Neft habe der Gesetzgeber dieses Spannungsfeld selbst gesehen, was aus der zugrunde liegenden Regierungsbegründung ersichtlich werde. Soweit der Gesetzgeber auf den Begriff der „Chancengleichheit“ rekurriert, habe er die ethische Dimension der Problematik erkannt.305 Dieses weite Begriffsverständnis zugunsten einer Berücksichtigung medizin ethischer wissenschaftlicher Erkenntnisse ist weder intuitiv noch überzeugend.306 Zum einen ist bereits die Prämisse abzulehnen, der Gesetzgeber hätte mit der Richtlinienermächtigung dem Begriff der „medizinischen Wissenschaft“ ein solches Verständnis zugrunde gelegt und damit das Spannungsfeld aus medizinischen und normativen Wertungen gesehen. Vielmehr ergibt sich aus der zugrunde liegenden Gesetzesbegründung das genaue Gegenteil: Soweit auf die „Chancengleichheit“ als bestimmende Leitlinie der Allokationskriterien abgestellt wird, geschieht dies stets mit einer (naturwissenschaftlich) funktionalen Einschränkung. So heißt es in der Gesetzesbegründung307 zu § 12 Abs. 3 TPG wörtlich308: „Die Vorschriften dienen der Chancengleichheit nach Maßgabe medizinischer Kriterien“. In systematischem Vergleich zum vorstehenden Begründungsabsatz wird deutlich, dass „medizinische Kriterien“ im Sinne des Gesetzgebers keineswegs die gesamte Bandbreite der medizinisch-akademischen Wissenschaft, sondern vielmehr die naturwissenschaftlich-physiologische Dimension derselben im Auge hatte. So werden beispielsweise „eingetretene oder absehbar zusätzliche gesundheitliche Belastungen“ als medizinische Umstände angesehen, die „(…) nach medizinischer Beurteilung Einfluss auf Dringlichkeit und Erfolg einer Transplantation haben können“309. Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind nach diesem Verständnis solche, die einen zumindest mittelbaren Gesundheitsbezug aufweisen und sich nicht in ethischen Fragen oder Gerechtigkeitspostulaten erschöpfen. Vielmehr wird auch im allge305 So der Verweis bei Neft, NZS 2010, 16, 17, der auf die Bezugnahme der Chancengleichheit in: BT-Drs. 13/4355 S. 26 abstellt. 306 Kritisch hierzu auch Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 30, der sich allerdings mit der Feststellung begnügt, man könne die Kriterien auch als rein „juristische Begrifflichkeiten“ verstehen, wenn man bedenkt, dass die Rechtswissenschaften „die Fächer des Arznei-, Arztund Medizinrechts“ kenne. Richtig an der Kritik ist allerdings, dass bei der Auslegung der „medizinischen“ Kriterien gerade das typisch und spezifisch Medizinische zugrunde zu legen ist. Vgl. auch Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3403, die in diesem Zusammenhang von einer „fundamentalen Kategorienverwechslung“ sprechen. 307 Zur Heranziehung der Regierungsbegründung bei der historischen Normauslegung Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 149 ff., 164; kritisch Waldhoff, in: Fleischer, Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 75, 86. Zur historisch-teleologischen Auslegung im Zusammenhang mit der transplantationsrechtlichen Aufgabenübertragung vgl. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 170, 176; ausführlicher unter Glp. § 4 III.5. 308 BT-Drs. 13/4355 S. 26. 309 BT-Drs. 13/4355 S. 26.
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meinen Sprachverständnis Medizin als „Wissenschaft vom gesunden und kranken Menschen, von den Ursachen, Wirkungen und der Vorbeugung und Heilung der Krankheiten“310 verstanden. In diesem Sinne verwendet auch der Gesetzgeber den Begriff der medizinischen Wissenschaft.311 Zudem ist dem Begründungsansatz von Neft auch in teleologischer Hinsicht entgegenzutreten. Sinn und Zweck der dynamischen Richtlinienverweisung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG ist es, die Bestimmung des medizinischen Standards funktional und organisatorisch an die medizinische Wissenschaft anzubinden. Nicht ersichtlich ist aber, weshalb gerade der Bundesärztekammer eine spezifische Kompetenz zur Beantwortung derart fundamentaler grundrechtsrelevanter Wertentscheidungen zukommen soll. Die Bundesärztekammer mag zwar über eine eigene Ethikkommission verfügen. Besondere Fachkunde zur Bestimmung normativer Auswahlkriterien, die losgelöst von medizinisch-naturwissenschaftlichem Fachwissen festgesetzt werden müssen, ist ihr nicht zu bescheinigen. Während die Fragen nach operativen Risiken und prognostizierten Heilverläufen mit medizinischem Sachverstand zu beantworten ‑ und insoweit auch nur medizinische Maßstäbe anzulegen ‑ sind, ist die Bewertung dieser Erkenntnisse, insbesondere die Frage, ob Behandlungen aufgrund dieses Risikos abgebrochen, Operationen vorgenommen oder Organe nicht vermittelt werden, eine normative Betrachtung, die den Rechtswissenschaften obliegt.312 Bei den normativen Allokationskriterien handelt es sich demnach nicht um medizinische, sondern um rechtsethische Fragen „reinsten Wassers“, deren Delegation auf die Bundesärztekammer nicht dem Sinn und Zweck von § 16 TPG entspricht, die Richtlinien an den Ort höchster Fachkunde und Spezialisierung zu verlagern. Die weite Auslegung von § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG ist daher auch vor diesem Hintergrund zu verwerfen. Zudem ist der Auffassung entgegenzutreten, die besondere „Expertenkompetenz“313 der Bundesärztekammer, in der „alle fachwissenschaftlichen Vertreter aller Transplantationsrichtungen vertreten“314 seien, kompensiere die Legitimationsdefizite. Weder sind die in den Richtlinien getroffenen normativen Wer310 Vgl. die Definition bei Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Medizin; hierauf eingehend Gutmann/Fateh-Moghadam, in: Grundlagen einer gerechten Organverteilung, 37, 41; Ferner auch Reuter, Springer Lexikon Medizin, Stichwort: Medizin: „Heilkunst, Heilkunde“ als ärztliche Wissenschaft. 311 Vgl. Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 4 4 im Zusammenhang mit der evidenzbasierten Medizin, wonach sich die Medizin gerade durch das Maß „empirischer Wahrnehmung und Erfahrung“ auszeichne und von „erfahrungswissenschaftlichen Modellen beherrscht“ werde. 312 Zur Grenzziehung zwischen juristischer und medizinischer Aufgabenverteilung Spickhoff, JZ 2015, 575, 577. 313 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 443. 314 Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 443.
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tentscheidungen von rein medizinisch-naturwissenschaftlichem Gehalt, noch sind diese durchgehend Ergebnis eines ständigen fachwissenschaftlichen Diskurses. Eine solche Kompensation käme höchstens dann in Betracht, wenn sich die Richtlinientätigkeit der BÄK auf die Festlegung medizinischer Kriterien, wie bspw. die Bestimmung der MELD-Kriterien oder der Kompatibilitätsmaßgaben, beschränkte. Durch losgelöste Sozialkriterien wie der viel zu weit ausgelegten non-Compliance bewegt sich die BÄK aber eindeutig außerhalb des Bereichs einer nur ihr zuzubilligenden Expertise. (3) Weisungs- und Kontrollrechte Darüber hinaus ist in materieller Hinsicht zu fordern, dass die konkrete Ausübung der delegierten Aufgabenbereiche durch das Parlament oder die von ihm eingesetzten Gremien kontrolliert wird, sog. Weisungsgebundenheit der Verwaltung.315 Im Ergebnis muss daher eine durchgehende Rechtsaufsicht gewährleistet sein, da andernfalls das „letzte Wort“ der konkreten staatlichen Eingriffsmaßnahme vollständig außerhalb des staatlichen Organisationsrahmens läge, wodurch das Parlament die Funktionshoheit über den maßgeblichen Aufgabenbereich verlöre. Im Falle eines funktional zuständigen Kollektivorgans muss dessen Besetzung und Kontrolle im Parlamentsgesetz selbst festgelegt werden, sodass das zuständige Gremium die hoheitlichen Aufgaben auf Grundlage einer „ununterbrochene(n) Legitimationskette“ hinsichtlich der individuellen Berufung sowie des ausgeübten Sachgebiets wahrnehmen kann.316 Die von der Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien erreichen dieses demokratische Legitimationsniveau nicht. Zwar liegt der Richtlinienermächtigung mit § 16 Abs. 1 TPG ein formelles Gesetz zugrunde, in dem sich der im Parlament repräsentierte Volkswille (sog. volonté générale) realisiert. Für eine personelle Legitimation fehlt es jedoch an ausreichenden Weisungs- und Aufsichtsrechten der Regierung317, die für die Rückkoppelung an die demokratische Verwaltungspraxis sowie die Einhaltung des den Volkswillen verkörpernden Parlamentsgesetzes notwendig sind. (4) Genehmigungsvorbehalt, § 16 Abs. 3 TPG Nach diesen Erwägungen fehlt es an einem ausreichenden demokratischen Legitimationsniveau und zwar sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht. Der Gesetzgeber hat auf diesen Zustand und die hieran anknüpfende Kritik der Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 10. BVerfGE 83, 60, 65 f.; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung im TPG – verfassungsgemäß?, S. 103. 317 Zum aktuellen Kontroll- und Qualitätsmanagement und den de lege lata bestehenden Strukturproblemen vgl. bereits die Ausführungen unter Glp. § 3 I.2. 315 316
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wissenschaftlichen Literatur reagiert und mit dem „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung“318, das am 1. August 2013 in Kraft trat, das Begründungserfordernis der BÄK in § 16 Abs. 2 S. 2 und den neuen § 16 Abs. 3 TPG eingeführt. Der neu geschaffene § 16 Abs. 3 TPG sieht vor, dass die auf Grundlage des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG erlassenen Richtlinien sowie deren Änderungen vor Inkrafttreten dem Bundesgesundheitsministerium zur Genehmigung vorzulegen sind. Nach § 16 Abs. 3 S. 2 TPG kann das Bundesministerium für Gesundheit hierfür zusätzliche Informationen und Stellungnahmen von der Bundesärztekammer anfordern. Nach der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit soll durch die Neuregelungen in erster Linie erhöhte Transparenz und leichtere Verständlichkeit der Richtlinien vor allem im Blick auf die transplantationsmedizinische Praxis gewährleistet werden.319 Der Gesetzgeber hat mit § 16 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 TPG explizit auch auf die verfassungsrechtlichen Defizite des Normkomplexes reagiert320 und wollte das durch zahlreiche medienwirksame Skandale erschütterte Vertrauen in die Organvermittlungs- und -transplantationspraxis zurückgewinnen.321 Durch die vorgesehene Genehmigungspflicht des Bundesgesundheitsministeriums soll die Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer einer nachträglichen Kontrolle zugeführt werden. Das Bundesministerium selbst ist dabei zum einen durch die Anwendung der Parlamentsgesetze, zum anderen über den vom Bundeskanzler ernannten Fachminister demokratisch legitimiert. Die Auswirkungen dieses neu etablierten Genehmigungsvorbehalts auf die dargelegten verfassungsrechtlichen Mängel sind hingegen nicht eindeutig. Unzweifelhaft ohne Einfluss bleibt der Genehmigungsvorbehalt auf die verfassungsrechtlichen Defizite in Ansehung des verletzten Gesetzesvorbehalts.322 Insoweit ist unerheblich, ob ein demokratisch stärker legitimierter Verwaltungsakteur Rechtsetzungsakte schwächerer bis gar nicht legitimierter Gremien billigt oder nicht. Entscheidend bleibt, dass sich der Bundestag der Verantwortung begibt, selbst die für die Grundrechtsverwirklichung der Patienten elemen318
Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung i.F.d. Bekanntmachung v. 15.7.2013, BGBl. I Nr. 38, S. 2423, 2429 ff. Die Änderung des Transplantationsgesetzes erfolgt gemäß Art. 5d Nr. 2 des Gesetzes; die Einführung des Genehmigungsvorbehalts aus § 16 Abs. 3 TPG folgt aus Art. 5d Nr. 2 lit. b). 319 Vgl. die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses, BT-Drs. 17/13947, S. 40. 320 Vgl. BT-Drs. 17/14527, S. 9; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 3. 321 BT-Drs. 17/13947, 53; Engels, WzS 2013, 199, 199; Höfling, in: Höfling, TPG, Nachtrag 2013, zu § 16 Rn. 50; Sickor, GesR 2014, 204, 204. 322 Ebenso Sickor, GesR 2014, 204, 207; bereits zu früheren Diskussionen ebenso Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 443.
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taren Allokationskriterien festzusetzen und widerstreitende Interessen auszugleichen. Ob strukturelle demokratische Legitimationsdefizite der Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer damit überwunden werden, erscheint ebenfalls äußerst fraglich. Dies wird zum Teil ohne weiterführende Begründung in der Literatur vorgebracht323 und auch der Gesetzgeber selbst hat auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ geantwortet und dabei diese Zielsetzung dem eingeführten Genehmigungsvorbehalt zugrunde gelegt. In der Antwort der Regierung heißt es wörtlich324: „Mit dem Genehmigungsvorbehalt wird sichergestellt, dass die staatliche Aufsicht über diese Richtlinien effektiv wahrgenommen werden kann. Die demokratische Legitimation der Richtlinienerstellung durch die Bundesärztekammer ist jedenfalls durch diesen Genehmigungsvorbehalt hinreichend gesichert.“
Diese Herangehensweise des Gesetzgebers entspringt einer schematischen Denkweise und greift im Fall der Richtlinien der Bundesärztekammer zu kurz. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass nun zwar eine Kontrolle der BÄK durch das Gesundheitsministerium erfolgt. Nach welchen Kriterien sich diese Kontrolle richtet, insbesondere wie das Ministerium prüfen will, ob Rangverhältnis der Kriterien sowie medizinische Konkretisierungen richtig erfolgten, bleibt aber offen.325 Spätestens wenn es um normative Festsetzungen geht, zu denen die Bundesärztekammer nach der Konzeption des Gesetzgebers nur bedingt ermächtigt ist und die sich eher hinter dem Vorwand medizinischer fachwissenschaftlicher Erkenntnisse verstecken326, überzeugt der Genehmigungsvorbehalt nicht. Das Begründungerfordernis aus § 16 Abs. 2 S. 1 TPG gewährleistet insoweit nur eine auf Plausibilitätserwägungen gestützte Beurteilung der Richtlinientätigkeit und führt nicht zu der gewünschten materiellen Kontrollfunktion des Bundesgesundheitsministeriums. Eine inhaltliche Rückbindung an den im Parlamentsgesetz zum Ausdruck kommenden Volkswillen kann nur dann erfolgen, wenn überhaupt ein Parlamentsgesetz besteht, das für die Ausübung staatlicher Gewalt ausreichend bestimmte Kriterien zur Verfügung stellt. Nur unter dieser Prämisse macht auch eine Kontrolle durch hinreichend demokratisch legitimierte Verwaltungsträger Sinn. Die Kriterien der Erfolgsaussicht, Notwendigkeit und Dringlichkeit der Organübertragung widersprechen sich in Teilen und sind keine ausreichende Maxime, nach der gehandelt und kontrolliert werden kann. Am derzeitigen Un323 So z.B. die Ausführungen von Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 16 Rn. 3, wonach das Legitimationsdefizit durch den Genehmigungsvorbehalt ausgeglichen worden sei. 324 BT-Drs. 17/14527, S. 9. 325 Vgl. Engels, WzS 2013, 199, 203; Sickor, GesR 2014, 204, 207. 326 Zu diesem Befund gelangt bereits Lang, MedR 2005, 269, 276.
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terschreiten des personellen demokratischen Legitimationserfordernisses vermag die Neuregelung ohnehin nichts zu ändern.327 Die Kontrolle und Genehmigung des Ministeriums fußen daher auf ebenso nebulösen Rahmenbedingungen und Vorgaben, wie die Maßgaben zur Richtlinienerstellung selbst. § 16 Abs. 3 TPG ist damit nicht geeignet, die Legitimationsdefizite des Regelungskonzepts zur Wartelistenführung und Organvermittlung zu überwinden.328 (5) Zwischenergebnis Die Bundesärztekammer ist nicht ausreichend personell-demokratisch legitimiert. In materieller Hinsicht versäumt es der Gesetzgeber, die strukturell gegenläufigen Allokationskriterien der Dringlichkeit und Erfolgsaussicht zu gewichten und deren Rangverhältnis zu klären. Bei der Konzeption der §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG unterliegt der Gesetzgeber einem Kategorienfehler, indem er die Problematik einer gerechten Verteilung der knappen Organe als rein medizinisch-naturwissenschaftliche Fallfrage ansieht und die ethisch-normative Dimension der Problematik ausblendet. Der neu geschaffene Genehmigungsvorbehalt aus § 16 Abs. 3 TPG vermag hieran nichts zu ändern, solange keine konkreten Kriterien für die Vermittlung sowie den hierauf aufbauenden Kon trollmaßstab bestehen. Das für die Richtlinienermächtigung der Bundesärztekammer zu fordernde Legitimationsniveau wird somit nicht erreicht.329 d) Grundrechtskonformität einzelner Allokationskriterien Neben den vorstehend erörterten Defiziten hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungskonstruktion aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG stehen auch zahl327 Vgl. hierzu bereits Engels, WzS 2013, 199, 203; Höfling, in: Höfling TPG, Nachtrag 2013, zu § 16 Rn. 54 f. 328 In diese Richtung auch Höfling, in: Höfling, TPG, Nachtrag 2013, zu § 16 Rn. 54 f., der durch den Genehmigungsvorbehalt das Legitimationsdefizit nur als „teilweise kompensiert“ betrachtet; a. A. wohl Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 675: „Legitimationsdefizit (…) behoben“. 329 Mittlerweile ganz herrschende Auffassung. Vgl. insbesondere die jüngste Kritik von Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 674 f.; Engels, WzS 2013, 199, 202; Höfling/ Lang, NJW 2014, 3398, 3403; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 79 ff.; 86; Sickor, GesR 2014, 204, 207; ebenso Augsberg, in: Höfling, Die Regulierung der Transplantationsmedizin, 45, 53; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 187 ff.; Clement, Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 143; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 6; Höfling, JZ 2007, 481, 483 f.; ders., in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 18 ff; Mohammadi-Kangarani, Die Richtlinien der Organverteilung nach dem TPG – verfassungsgemäß?, S. 110 ff.; Neft, NZS 2010, 16, 19; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 104 f. Anderer Auffassung wohl nur noch Rosenau, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 435, 440 ff.
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reiche inhaltliche Allokationskriterien der Richtlinien in der verfassungsrechtlichen Kritik. aa) Maßstab: Grundsatz der Lebenswertindifferenz Als Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Betrachtung dient zunächst die Lehre des BVerfG von der sog. Lebenswertindifferenz, die eine Abwägung hinsichtlich der Wertigkeit des konkret zu schützenden Lebens durch den Staat verbietet. Es „verbiete“ sich insbesondere jede „pauschale Abwägung von Leben gegen Leben“.330 Aus dem Grundsatz der Lebenswertindifferenz folgt auch der Prüfungsmaßstab für die Grundrechtskonformität der in den Richtlinien niedergelegten Allokationskriterien. Folgt man den Vertretern einer rein dringlichkeitsbezogenen Organallokation, verbietet sich jede Zuteilungsentscheidung, die als Anknüpfungspunkt die „medizinische“ oder „soziale“ Werthaltigkeit des menschlichen Lebens – insbesondere das Abstellen auf eine quantitative Bemessung einer prognostizierten Restlebensdauer – zum Gegenstand hat.331 Soweit im Rahmen der Erfolgsaussicht auf die prognostizierte Restlebensdauer nach der Organtransplantation abgestellt wird, stellt dies eine quantitative Abwägung dar, die im Widerspruch zu Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG stünde.332 Wird hingegen ein enger Erfolgsbegriff der Betrachtung zugrunde gelegt, der nur den prognostizierten Erfolg des konkreten Transplantationseingriffs sowie seine unmittelbaren postoperativen Nachwirkungen betrachtet, ist dies im Hinblick auf den Grundsatz der Lebenswertindifferenz zulässig, sog. Mindestnutzenschwelle.333 Sofern man mit der gegenläufigen Auffassung eine Berücksichtigung des Erfolgskriteriums über eine reine Minimalnutzschwelle hinaus berücksichtigen will, ist zwischen der Aufnahmeentscheidung hinsichtlich des Wartelistenzugangs und der konkreten Vermittlungsentscheidung von Eurotransplant zu differenzieren: Während im Rahmen der Aufnahmeentscheidung in die Warteliste die Erfolgsaussicht nur bis zur eben beschriebenen Mindestnutzschwelle berücksichtigt werden könne, sei hinsichtlich der Organzuteilungsentscheidung auch eine 330 Grundlegend das Urteil über Schwangerschaftsabbrüche BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 = NJW 1975, 573, 579 f.; im Zusammenhang mit Organtransplantationen Neft, NZS 2010, 16, 18; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 136. 331 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 45. 332 Vertreter dieses Ansatzes Augsberg, in: Middel et al., Novellierungsbedarf des Transplantationsrechts, 163, 165; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 316 f.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 45; Vgl. zum Begriffsverständnis die Darstellung bei Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 675 f. 333 Ausführlich sowohl zur Herleitung der Konkretisierungen, als auch zum verfassungsrechtlichen Maßstab Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 334 ff., 374 f.
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erfolgsbezogene Betrachtungsweite im weiteren Sinne zulässig, soweit dies zu einer Maximierung der Zahl der geretteten Menschenleben diene.334 Richtigerweise ist den Vertretern des engen Erfolgsverständnisses vor dem Hintergrund der Lebenswertindifferenz zu folgen. Vergegenwärtigt man sich die Rechtsprechung des BVerfG335, die eine pauschale Abwägung Leben gegen Leben untersagt, folgt hieraus in gleichem Maße die Absage an quantitative Abwägungen hinsichtlich prognostizierter Restlebenslängen. Kann mit einem Spenderorgan das Leben eines Patienten um prognostizierte fünf Jahre verlängert werden, ist dies in gleichem Maße schutzwürdig, wie das Leben eines Patienten, der unter Umständen eine höhere Restlebenserwartung hätte. Auch wenn die Erfolgsaussicht unabhängig vom kalendarischem Alter ausschließlich unter Berücksichtigung der Organfunktionsdauer sowie eines objektiv bestimmten Niveaus an Lebensqualität ermittelt wird, folgt hieraus, dass im Wesentlichen gleiche Sachverhalte, nämlich die Therapie- und Lebenschancen der Patienten mit unterschiedlicher Restlebenserwartung, ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt werden.336 Insoweit ist es vorzugswürdig, das Kriterium der Erfolgsaussicht aus §§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 12 Abs. 3 S. 1 TPG verfassungskonform im Lichte der Lebenswertindifferenz auf die Berücksichtigung der engen perioperativen Risiken337 und der Mindestnutzenschwelle zu verengen. Nahezu jedes von der Bundesärztekammer bemühte Kriterium, das nicht ausschließlich die medizinisch-naturwissenschaftliche Erkenntnisdimension im engeren Sinne als Anknüpfungspunkt wählt, sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, im Widerspruch zur Verfassung und dem aus ihr folgenden Teilhabeanspruch zu stehen.338 Im Folgenden soll für die problematischsten Kriterien überblicksartig ein Problemaufriss gegeben und der vertretene Meinungsstand dargelegt sowie eine eigene Stellungnahme zum jeweiligen Kriterium abgegeben werden. bb) Kontraindikation: Fehlende Compliance Eine erfolgreiche medizinische Heilbehandlung ist, insbesondere in vielen Fällen der Langzeittherapie, ohne die hinreichende Mitarbeit des Patienten kaum
334 Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 20114, 673, 676; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93 ff. 335 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 = NJW 1975, 573, 579 f. 336 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 335. 337 Risiken, die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang vor (präoperativ), während (intraoperativ) und nach der Operation (postoperativ) auftreten. 338 Zum Prüfungsmaßstab und zur verfassungsrechtlichen Bewertung der aktuellen und hypothetischen Allokationskriterien Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 369 ff.; auch Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 112 ff.
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denkbar.339 Unter dem Begriff der Compliance werden die an diese Erkenntnis anknüpfende Mitwirkungsbereitschaft des Patienten und deren Einfluss auf den Erfolg der Behandlung zusammengefasst.340 Vor diesem Hintergrund finden sich in sämtlichen gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG erlassenen Richtlinien der Bundesärztekammer Festsetzungen über die Folgen fehlender Compliance. Für den Patienten als potentiellen Organempfänger gehört der Befund fehlender Compliance zu den gravierendsten „Diagnosen“, da in schwerwiegenden Fällen als Konsequenz eine Kontraindikation und damit die Einstufung als „nicht transplantabel“ erfolgt. Die Richtlinien selbst definieren Compliance als die „Bereitschaft und Fähigkeit, an den erforderlichen Vor- und Nachuntersuchungen und -behandlungen mitzuwirken“.341 Die Compliance sei aber „kein unveränderliches Persönlichkeitsmerkmal, sondern kann aus verschiedenen Gründen im Laufe der Zeit schwanken“.342 Der besonderen Tragweite eines solchen Urteils ist die Pflicht geschuldet, vor der Annahme fehlender Compliance den Rat einer psychologisch erfahrenen Person einzuholen.343 Verallgemeinernd wird man von fehlender Compliance sprechen können, wenn der Patient hinsichtlich der konkreten Behandlungsmethode als „unzuverlässig im weitesten Sinne“344 anzusehen ist und damit der Erfolg der Behandlung ernsthaft in Frage gestellt wird. Vor allem mit Blick auf die tatbestandliche Weite des Begriffs und die damit einhergehende Unbestimmtheit des zu fordernden Niveaus an Compliance bestehen zunehmend verfassungsrechtliche Bedenken. Durch die Unbestimmtheit des Kriteriums steht die Gefahr im Raum, die Diagnose der fehlenden Compliance könnte sich in einem Urteil über sozial-adäquates Verhalten oder medizinisch irrelevanter sozialer Kriterien erschöpfen, sog. „social worth“-Kriterien.345 Insoweit ist richtigerweise zu differenzieren: Soweit zwar tatbestandlich eine fehlende Mitwirkung des Patienten gegeben ist, dieser in diesem Sinne auch als „unzuverlässig“ erscheint, aber den unmittelbaren Heilerfolg als solchen nicht gefährdet, kann das Compliance-Kriterium bei der Bestimmung einer Kon339 Vgl. Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 32. Zu denken ist beispielsweise als Mindestmaß zu fordernder Compliance die Einnahme der immunsuppressiven Medikamente oder die Einwilligung zu weitergehenden Untersuchungen, vgl. hierzu Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 116. 340 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 116. 341 BÄK, Leber, Glp. A.I.4; in den übrigen BÄK-Richtlinien findet sich die wortlautidentische Definition und Konkretisierung. 342 BÄK, Leber, Glp. A.I.4. 343 BÄK, Leber, Glp. A.I.4. 344 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 208. 345 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 117; Lang, MedR 2005, 269, 278. Eine Auflistung der einzelnen Social worth-Kriterien findet sich bei Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 36 f.
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traindikation keine Relevanz haben. Nur wenn sich die fehlende Kooperationsbereitschaft im physiologischen oder psychologischen Zustand des Patienten aktualisiert und dadurch den Transplantationseingriff im Sinne der oben beschriebenen engen Erfolgsaussicht mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet, kommt eine Kontraindikation aufgrund fehlender Compliance in Frage. Maßgeblich ist demnach, ob durch die non-Compliance des Patienten die Mindestnutzenschwelle der Organtransplantation unterschritten und das perioperative Risiko unvertretbar erhöht wird. Dies gilt umso mehr, als die Richtlinienermächtigung des § 16 Abs. 1 S. 1 TPG nach ihrem Wortlaut zunächst nur die Feststellung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft umfasst. Daraus folgt, dass ein spezifischer medizinisch-wissenschaftlicher Bezug der Regelungen der Richtlinie zu fordern ist. Für ein bloßes Werturteil über vermeintlich sozial-adäquates Verhalten des Patienten fehlt es, von rechtsstaatlichen und grundrechtsbezogenen Bedenken einmal abgesehen, evident an einer tragenden gesetzgeberischen Ermächtigung. Gelöst werden kann dieses Spannungsfeld mit einer am Maßstab der Grundrechte zu messenden restriktiven Auslegung des verwendeten Compliance-Merkmals, nach der ein fehlendes Kooperationsverhalten des Patienten den Behandlungserfolg nach medizinischen Erfahrungssätzen nicht nur erschwert, „sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit gänzlich ausschließt“.346 cc) Exkurs: Fehlende Sprachkenntnisse Sämtliche Richtlinien der Bundesärztekammer führen aus, dass die für die Organtransplantation notwendig vorausgesetzte Compliance fehlen kann, wenn „sprachliche und somit unüberbrückbare“ Schwierigkeiten vorliegen.347 Sofern Schwierigkeiten dieser Qualität anhaltend bestehen, wäre nach Maßgabe der Richtlinien fehlende Compliance zu diagnostizieren, die bereits der Aufnahme auf die Warteliste entgegenstünde. Das Anknüpfen an fehlende Sprachkenntnisse der Patienten ist dabei sowohl in medizinischer als auch verfassungsrechtlicher Hinsicht fragwürdig, da es in hohem Maße die Gefahr einer medizinisch verkleideten Diskriminierung in sich trägt.348 346 So auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 375: nur „minimale Erfolgsaussichten i. S. v. Transplantationseignung verfassungsrechtlich zulässig“, als auch auf S. 378; daneben Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 13, 16. Wohl anderer Auffassung Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 117, 119, der per se von einem Zusammenhang zwischen Compliance und medizinischem Erfolg (im weiteren Sinne) ausgeht. 347 Vgl. bspw. jeweils unter dem Glp. A.I.4. BÄK, Dünndarm; Herz-Lunge; Pankreas; Lunge. 348 Insoweit verkennen Huster und Ströttchen die eigentliche Problematik hinsichtlich der Wartelistenentscheidungen bei Asylbewerbern. Sie stellen zwar fest, dass das TPG eine „Dif-
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(1) Literatur und Rechtsprechung Der Ansatz, fehlende Sprachkenntnisse als Anknüpfungspunkt für eine etwaige fehlende Compliance zu wählen, wird in der Literatur als evident unverhältnismäßig oder in jedem Fall unzulässig349 angesehen.350 Bader sieht hierin einen Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Differenzierungsverbot nach der Sprache.351 Zudem sei bereits durch die Möglichkeit der Hinzuziehung von Dolmetschern die Fallkonstellation schlechthin „unüberbrückbarer“ Schwierigkeiten durch fehlende Deutsch- oder Englischkenntnisse nicht vorstellbar.352 Fehlende Sprachkenntnisse wären danach als Entscheidungskriterium unzulässig. Die bisherige Rechtsprechung tritt dem teilweise entgegen, indem sie trotz des Hinzuziehens von Dolmetschern „sprachliche Schwierigkeiten“ als fehlende Compliance und damit als Ablehnungsgrund der Aufnahme in die Warteliste ansieht.353 Demnach sei bereits die „mangelnde Möglichkeit der jederzeitigen Kontaktaufnahme sowie der nicht möglichen Nachbetreuung“354 für die Feststellung fehlender Compliance ausreichend. Zudem sei das Merkmal der sprachlichen Schwierigkeiten auch angemessen, um eine sachgerechte Nachsorge sowie „eine sachgerechte Verteilung der Spenderorgane“ zu gewährleisten.355 Das Bundesverfassungsgericht hatte über diese Problematik zwar noch nicht unmittelbar zu entscheiden. Allerdings war die Frage aufgrund einer versagten ferenzierung nach Nationalität oder Aufenthaltsstatus“ nicht vorsehe, sehen aber nicht, dass erstens die Richtlinien der BÄK und nicht das TPG selbst für die Einzelfallentscheidung praxisrelevant sind und zweitens das Diskriminierungspotenzial zwar nicht aus einer expliziten Herkunftsdifferenzierung, dafür umso mehr aus den nahezu immer fehlenden Deutschkenntnissen herrührt; vgl. daher die verfehlte Schlussfolgerung von Huster/Ströttchen, MedR 2016, 415, 416 f.: „Insofern besitzen auch Asylbewerber (…) den ungeschmälerten Anspruch aus § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG.“ 349 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381 f. 350 So zum Beispiel Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 181; ähnlich Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381 f., der fehlende Sprachkenntnisse als „absolut unzulässig(es)“ Kriterium für die Feststellung einer Kontraindikation ansieht. Kritisch auch Lang, MedR 2005, 269, 279. Ohne verfassungsrechtliche Bewertung Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 116 m. w. N. (dort Fn. 289). 351 Bader, Organmangel und Organverteilung, 381; ähnlich Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 43; wohl auch Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 128, die aber eine Begründung für den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 3 GG schuldig bleibt. 352 Bader, Organmangel und Organverteilung, 382. 353 Vgl. LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11 sowie in der sofortigen Beschwerde OLG Hamm, Beschluss v. 22.12.2011 – 26 W 21/11, I-26 W 21/11 im Rahmen eines (abgelehnten) Prozesskostenhilfeantrags. 354 LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, Rn. 12. 355 LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, 2. Orientierungssatz.
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Prozesskostenhilfe am Rande Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde.356 Im konkreten Fall wurde dem Beschwerdeführer aufgrund „gravierender Verständigungsprobleme“ fehlende Compliance diagnostiziert und eine Aufnahme des Patienten in eine Warteliste durch das Transplantationszentrum abgelehnt. Der Beschwerdeführer, der daraufhin von einem anderen Transplantationszentrum in die entsprechende Warteliste aufgenommen wurde, machte im Folgenden zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen das Transplantationszentrum geltend. Die hierfür begehrte Prozesskostenhilfe wurde ihm jedoch aufgrund fehlender Erfolgsaussichten der Hauptsache sowohl vom Landgericht Bielefeld357 als auch vom Oberlandesgericht Hamm358 verwehrt. Das BVerfG stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Frage, ob das Abstellen auf fehlende Sprachkenntnisse rechtlich haltbar sei, eine schwierige und in der Rechtsprechung nicht geklärte, im konkreten Fall aber entscheidungserhebliche Frage sei, die auch nicht ohne weiteres mit der herkömmlichen Methodenlehre beantwortet werden könne.359 Entscheidungsrelevant sei insbesondere die bislang ungeklärte Frage, ob „hinreichende Sprachkenntnisse“ für eine erfolgreiche Organtransplantation medizinisch notwendig seien.360 (2) Stellungnahme Der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist nach der sog. Neuen Formel des BVerfG dann verletzt, wenn zwischen zwei Gruppen von Normadressaten eine Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber besteht, obwohl die Unterscheidungsmerkmale der Vergleichsgruppen nicht „von solcher Art und solchem Gewicht sind, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.“361 Eine solche Rechtfertigung durch eines der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale ist grundsätzlich ausgeschlossen. Hintergrund ist die Vermutung, dass eine hierauf gestützte Ungleichbehandlung den Wert- und Achtungsanspruch der Betroffenen und damit deren Menschenwürde verletzt.362 Dass die Richtlinien der BÄK fehlende Sprachkenntnisse als einen klassischen Unterfall fehlender Compliance aufführen, erscheint, bei Vergegenwärtigung der Grundrechtsbindung der BÄK im Rahmen der Richtliniensetzung363, hinsichtlich des unzulässigen Differenzierungskriteriums der Sprache in Art. 3 356
BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1727 ff. LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11. 358 OLG Hamm, Beschluss v. 22.12.2011 – 26 W 21/11, I-26 W 21/11. 359 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728. 360 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1729. 361 BVerfG, Beschluss v. 7.10.1980 – 1 BvL 50, 89/69 = BVerfGE 55, 72, 88; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anh. Rn. 6 f.; Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 13; 362 Dürig/Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 1. 363 Glp. § 3 III.2.a). 357
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Abs. 3 GG bedenklich. Unstreitig liegt eine Ungleichbehandlung zwischen den Patienten mit und ohne hinreichende Deutschkenntnisse vor. Übersehen wird jedoch, dass keineswegs geklärt ist, ob das Differenzierungsverbot in Art. 3 Abs. 3 GG auch fehlende Sprachkenntnisse erfasst.364 Bader stellt lediglich fest, dass vorliegend gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen werde.365 (a) Kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG Alle übrigen in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Kriterien, wie Heimat, Rasse, Geschlecht, Abstammung und Herkunft, zeigen die Gemeinsamkeit der Geburtsbedingtheit.366 Das Verbot der Diskriminierung anhand der Sprache meint in diesem Verständnis eher die Zugehörigkeit zu einem (geburtsbedingten) Sprach- und Kulturkreis367, ist also mehr als ein der Herkunft und Rasse vorgelagertes Kriterium zur Verhinderung der Kulturdiskriminierung zu verstehen. Fehlende Deutschkenntnisse sind in diesem Sinne aber nicht bei der Geburt schicksalsbedingt determiniert, sondern ein leistungsabhängiges Ergebnis der eigenen Bemühungen um die „kulturell-sprachliche Einordnung in die deutsche Nation“368. Als solche passen sie nicht in das Begriffsverständnis der Differenzierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG. Wenn also an fehlende Sprachkenntnisse für eine Ungleichbehandlung angeknüpft wird, liegt keine Benachteiligung aufgrund der Sprache im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG vor.369 (b) Art. 3 Abs. 1 GG und „Neue Formel“ des BVerfG Die Frage nach der Rechtfertigung der Kontraindikation aufgrund fehlender Sprachkenntnisse richtet sich demnach allein nach dem Maßstab des Art. 3 364 Dafür etwa Starck, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG I. Art. 3 Abs. 3 Rn. 381 f, 393; wohl auch Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 42 a. E. 365 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381 f. 366 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 58. 367 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 69; Osterloh-Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 298; Starck, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 389: „sprachlich-völkische Minderheiten“. 368 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 3 Rn. 73 im Zusammenhang mit den Sprachkenntnissen der Gastarbeiter und den sich hieran anschließenden Differenzierungsmöglichkeiten. 369 Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, Art. 3 Rn. 228; im Ergebnis auch das BVerwG, Urteil v. 30.3.2010 – 1 C 8/09 = NVwZ 2010, 964, 971 Rn. 53 ff.; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 3 Rn. 81, wonach im Hinblick auf Ungleichbehandlungen aufgrund der Deutschen Sprache dem GG kein „Verständnis von Mehrsprachigkeit“ entnommen werden kann; insoweit auch Starck, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 392, der zwar überzeugend „die Dominanz der deutschen Sprache“ für „rechtlich gesichert“ hält, im Ergebnis aber unzutreffend Art. 3 Abs. 3 GG auf fehlende Deutschkenntnisse anwendet.
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Abs. 1 GG. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang die Tragweite einer „diagnostizierten“ Kontraindikation aufgrund fehlender Compliance, ist in jedem Fall erforderlich, dass die festgestellte fehlende Mitwirkungsbereitschaft der erfolgreichen Organübertragung aus medizinischen Gründen dauerhaft im Weg steht. Ein solches Hindernis kann nicht aufgrund von bestehenden Verständigungsproblemen angenommen werden. Völlig unklar bleibt, mit welcher Begründung das LG Bielefeld als Vorinstanz der BVerfG-Entscheidung in den fehlenden Sprachkenntnissen ein „angemessenes Kriterium“ und einen Beitrag zur „sachgerechte(n) Verteilung der Spenderorgane“ 370 erblicken kann. Bezogen auf die wohlverstandene Compliance als Mindestmaß an Mitarbeit der behandelten Patienten für den Heilungserfolg ist nicht ersichtlich, wie trotz der Hinzuziehung von Dolmetschern371 Verständigungsprobleme von solchem Gewicht bestehen können, dass die Aufnahme in die Warteliste als filternde Vorstufe der Organvermittlung und -übertragung abgelehnt werden müsste. Der Einwand, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei, da ein Dolmetscher nicht 24 Stunden am Tag zur Verfügung stünde372 , ist ersichtlich verfehlt. Gerade wenn das LG auf den „längerfristigen Erfolg“373 der Organübertragung abstellt, ist nicht ersichtlich, warum eine 24-stündige Besprechungsbereitschaft und Kontaktmöglichkeit während der Gesamtdauer der medizinischen Behandlung bestehen muss. Gerade unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten wird verkannt, dass die Aufnahme in die Warteliste für Organübertragungen in ihrer filternden Funktion bereits eine (letztendliche) Vorentscheidung über die Zuteilung von Lebens- und Überlebenschancen darstellen kann. Im Gegensatz zu den Erwägungen des Landgerichts ergibt sich ein deutliches Übergewicht des Interesses des Patienten an einer Aufnahme, der keine ernstlichen Zweifel medizinischer Art entgegenstehen.374 Unter diesem Blickwinkel kann auch die Erwägung nicht tragen, dass „die Kosten (…) nicht im Verhältnis zu der Möglichkeit (stehen), Grundkenntnisse in der deutschen Sprache zu erlernen“.375 Wenn die Pflicht zur Hinzuziehung von Übersetzern bereits im Rahmen der zivilrechtlichen Aufklärungspflicht aus dem Behandlungsvertrag nach § 630c BGB bejaht wird 376, gilt dies umso mehr im Rahmen der Wartelistenentscheidung 370
LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, Rn. 12. Vgl. Osterloh/Nußberger, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 300. 372 LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, Rn. 12. 373 LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, Rn. 11. 374 Zumindest müsste aber im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte des Patienten die Transplantationszentren bei der Einzelfallentscheidung eine erheblich höhere Darlegungslast hinsichtlich der Unmöglichkeit einer transplantationsmedizinischen Behandlung treffen. Eine solche Unmöglichkeit wurde aber weder dargelegt, noch ist sie schlüssig oder naheliegend. 375 LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, Rn. 12. 376 Vgl. Heyers, BRJ 2012, 135, 142; Spickhoff, ZMGR 2016, 21, 26. 371
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nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 TPG, zumal die Frage nach der Kostentragungspflicht von herangezogenen Dolmetschern immer noch nicht geklärt ist.377 Zwar mag es rechtspolitisch wünschenswert sein, dass Ausländer, gerade wenn sie sich dauerhaft in Deutschland aufhalten, die deutsche Sprache zeitnah und fehlerfrei erlernen. In keinem Fall kann das erlernte Sprachniveau aber Kriterium einer „sachgerechten Verteilung der Spenderorgane“378 sein. Die Behandlungsmöglichkeit auch hochkomplexer medizinischer Eingriffe kann über sachkundige Dolmetscher medizinischen Laien erläutert werden. Entscheidender Maßstab muss immer die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte sein, nach der – verglichen mit dem Rechtsgut Leben als „Höchstwert der Verfassung“379 und dem hiervon abgeleiteten derivativen Teilhabeanspruch an der Vermittlung der Organe – immer Alternativlösungen gesucht und bevorzugt gewählt werden müssen, soweit diese ernstlich in Betracht kommen. Das Abstellen auf Zumutbarkeits- und Kostenerwägungen ist angesichts dieser für den Patienten existenziellen Dimension verfehlt. Auch der Einwand eines erhöhten Aufklärungs- und Beratungsaufwands im Rahmen der prä- und postoperativen Behandlung vermag an der Überbrückbarkeit der bestehenden Verständigungsschwierigkeiten nichts zu ändern. Die Annahme fehlender Compliance aufgrund mangelnder Deutsch- oder Englischkenntnisse ist unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich nicht haltbar. Vielmehr führt ein derartiger Kontraindikationsbefund zu einer unsachgemäßen Differenzierung i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG.380 Für die bei Art. 3 Abs. 1 GG zuweilen geforderte Evidenz381 spricht zudem folgende Überlegung, die bisher in der Diskussion noch nicht thematisiert wurde: Wenn und soweit nach der Instanzrechtsprechung und der Bundesärztekammer eine 24-stündige Kommunikationsbereitschaft als zwingende Voraussetzung für eine Organübertragung angesehen wird, geschieht dies vor der Überlegung, dass die Einbeziehung eines Dolmetschers dies nicht zulasse oder unzumutbar sei. Die gleiche Situation würde sich aber auch bei körperlich behinderten Patienten stellen, die entweder gehörlos oder stumm sind. Das ungewöhnlich hohe Erfordernis der jederzeitigen verbalen Kommunikationsmöglichkeit würde zwangsläufig dazu führen, dass die genannte Personengruppe von jeder Organübertragungsmöglichkeit ausgeschlossen wäre. Allein hieran zeigt sich, dass mangelnde Sprachkenntnisse in Ansehung der existenziellen Zum Streit- und Meinungsstand vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630e Rn. 8. LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11, 2. Orientierungssatz. 379 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 – 1BvF 1–6/74 = NJW 1975, 573, 575 (Schwangerschaftsabbruch). 380 Im Ergebnis auch Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381 f.; Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 44. 381 BVerfG, Beschluss v. 7.10.1980 – 1 BvL 50, 89/69 = BVerfGE 55, 72, 88. 377 378
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Tragweite eine derartige Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen können. Sollten sich im Einzelfall ganz außergewöhnliche Schwierigkeiten ergeben, die unter Berücksichtigung der möglichen Einbeziehung von Dolmetschern aus rein medizinischer Sicht fließende Deutschkenntnisse des Patienten voraussetzen, verbleibt dem Transplantationschirurgen immer noch die Möglichkeit, das angebotene Organ abzulehnen. Ein Ausschluss von der Warteliste ist damit weder notwendig, noch sachgemäß. dd) Medizinische Kriterien, insb. Alkohol- und Drogenabusus: Kontraindikation und sechsmonatige Abstinenzpflicht Unter Berücksichtigung des dargelegten engen Erfolgsverständnisses sind auch medizinische Kriterien nur insoweit als Verteilungskriterium heranzuziehen, als sie den konkreten Transplantationseingriff sowie die unmittelbare postoperative Phase betreffen. Folgerichtig ist daher die Erkenntnis, dass grundlegende chronische Autoimmun- oder Infektionskrankheiten ohne einen unmittelbaren operativen Bezug grundsätzlich außer Betracht bleiben müssen. Sie können nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie den Operationserfolg ernsthaft in Frage stellen. (1) Diskussion um die sechsmonatige Abstinenzregel Vor diesem Hintergrund sehen sich auch die Regelungen hinsichtlich des Drogenmissbrauchs, insbesondere des Alkoholabusus, erheblicher verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt.382 Vor allem die Regel, wonach bei Patienten mit einer alkoholinduzierten Leberzirrhose eine Aufnahme in die Warteliste erst erfolgen darf, nachdem grundsätzlich eine ununterbrochene, sechsmonatige Abstinenzzeit eingehalten wurde383, ist Gegenstand der verfassungsrechtlichen Diskussion. So heißt es wörtlich bei Gutmann, die starre Abstinenzpflicht von sechs Monaten sei „keinesfalls haltbar“ und kein Transplantationszentrum dürfe „dieser ‚Feststellung‘ der BÄK folgen“384. Sickor sieht hierin gar ein „weitgehend willkürlich“385 definiertes Kriterium und keine „durch die medizinische Wissenschaft determinierte Erkenntnis“386, während Bader die Regel „in ihrer mediziBader, Organmangel und Organverteilung, S. 248 f., 380 f.; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 15; Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 41 f.; Schroth, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 461; Sickor, GesR 2014, 204, 205. 383 Vgl. BÄK, Leber, Glp. A.III.2.1. 384 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 15; ähnlich Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 41 f. 385 Sickor, GesR 2014, 204, 205. 386 Sickor, GesR 2014, 204, 206. 382
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nischen Begründung in mehrfacher Hinsicht (für) überaus fragwürdig“387 hält. Unter medizinischen Aspekten könne vielmehr auch die Lebenserwartung des nicht abstinenten Alkoholikers durch eine Lebertransplantation gesteigert und ihm dadurch gesundheitlich geholfen werden.388 Auf diese Kritik hat die Bundesärztekammer in der letzten Änderung der Leberrichtlinie vom 10./11.12.2015 reagiert und in Glp. A.III.2.1, letzter Abs. eine Ausnahmeregelung eingefügt. Sofern in „begründeten Ausnahmefällen“ die Organübertragung trotz Nichteinhaltens der sechsmonatigen Karenzzeit notwendig und erfolgversprechend ist, kann unter Berücksichtigung einer Stellungnahme der Sachverständigengruppe von der Regel abgewichen werden. Die Festlegung des NT389 -Status ist damit nicht mehr kategorisch zwingend, sondern vielmehr abweichenden Entscheidungen zugänglich. Ob diese Ausnahmevorschrift hinsichtlich der noch immer bestehenden hohen Hürden für Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose nunmehr verfassungsrechtlichen Maßstäben genügt, ist fraglich. (2) Verfassungsrechtlicher Maßstab Verfassungsrechtlich evident ist die Erkenntnis, dass das Compliance-Urteil freilich nicht am abstrakten Vorverhalten des Patienten festgemacht werden darf.390 Auch ist insoweit anzuerkennen, dass eine ausnahmslose Anwendung der Abstinenzregel ohne eine medizinische Plausibilitätskontrolle im Einzelfall unzulässig wäre. Insbesondere das spätere Transplantatversagen oder immunologische Abstoßungsreaktionen nach der Operation müssen als Prüfungskriterien bei der weiteren Betrachtung aufgrund des Dogmas der Lebenswertindifferenz als Charakterisierung des Rechts auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG außen vor bleiben.391 Maßgeblich ist insoweit wieder das Erreichen der Mindestnutzenschwelle. Die Bundesärztekammer rechtfertigt die Abstinenzpflicht mit höheren Abstoßungsreaktionen und einer gesamtphysiologischen Belastung, die der alkoholgeschwächte Organismus nur unter äußerst hohem Risiko überstehen könne.392 Die Regel beruht jedenfalls nach der Intention der Bundesärztekammer Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 248 f., 380 f. Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 674 ff.; Sickor, GesR 2014, 204, 205. 389 Vgl. BÄK, Leber, Glp. A.III.2.1, 6. Abs.; NT-Status = Klassifizierung als „nicht transplantabel“, die bei Kontraindikationen erfolgt und den Patienten von der weiteren Organvermittlung ausschließt, solange der Zustand besteht. 390 Insoweit auch der folgerichtige Verweis auf Art. 3 Abs. 1 GG und den derivativen Teilhabeanspruch bei Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 677. 391 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 15. 392 So rechtfertigen Schreiber/Haverich, Dt. Ärztebl 2000, A-385, A-386 die Abstinenzpflicht mit „vermeidbaren gesundheitlichen Risikofaktoren“, die durch den sechsmonatigen Alkoholverzicht abgestellt werden könnten. 387
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auf medizinisch-naturwissenschaftlichen Kriterien.393 Bei dem Sechsmonatszeitraum handelt es sich zudem um einen medizinischen Erfahrungswert, der auch in anderen Rechtsordnungen, wie der US-amerikanischen, entsprechend Anwendung findet.394 Soweit sich das operative Risiko eines transplantationsmedizinischen Eingriffs ohne die einzuhaltende Abstinenzpflicht signifikant erhöhen würde395, wäre auch die angeordnete Kontraindikation in verfassungsrechtlicher Hinsicht, insbesondere vor dem Hintergrund der Lebenswertindifferenz, nicht zu beanstanden. Dies gilt umso mehr, als die Richtlinienermächtigung aus § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG gerade für die Feststellung medizinischer Standards und Erfahrungssätze konzipiert wurde und der Bundesärztekammer insoweit auch ein genuiner Kompetenzbereich zukommt. Gerade die Feststellung der operativen und (unmittelbar) postoperativen Risiken ist Kern- und Kompetenzgebiet der medizinischen Naturwissenschaft, sodass dahingehende Erkenntnisse auch nur von medizinischem Sachverstand geprägt sein können.396 Gerade hierfür gilt die Richtlinienermächtigung aus § 16 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 5 TPG zugunsten medizinisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Soweit man die Abstinenzregel also als medizinisch-physiologischen Erfahrungssatz hinsichtlich des konkreten operativen Risikos versteht, von dem im Einzelfall bei gegebener Indikation abgewichen werden kann (und muss), ist die Regel durchaus auch mit Blick auf die Lebenswertindifferenz haltbar. Nach diesem Verständnis wäre die Abstinenzpflicht dann gerechtfertigt, wenn die medizinische Analyse ergäbe, dass ohne Einhaltung der sechsmonatigen Karenzzeit eine Organübertragung aus operativ-anästhetischen Gründen kontraindiziert wäre. Verfassungswidrig wäre sie spätestens dann, wenn gezeigt werden könnte, dass die Lebertransplantation bereits vor Ablauf der 6-Monats-Regel aus medizinischer Sicht den Gesundheits- und Lebensinteressen des Patienten mehr dient, 393 Insoweit greift der pauschale Hinweis von Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/ Oduncu, TPG, § 16 Rn. 15 zu kurz, die Regel entbehre bereits einer „haltbaren medizinischen Begründung“ und verstoße deswegen „in evidenter Weise“ gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. 394 Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg 2013, 391, 393. 395 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381, der es zumindest für nicht ausgeschlossen hält, dass schwerer Alkoholabusus „unmittelbare Auswirkungen auf die Kooperationsfähigkeit und –bereitschaft“ hat, im Ergebnis auch Bader kritisch zu den negativen Auswirkungen, vgl. ders. a. a. O., S. 248 f.; Sehr kritisch Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 676, wonach in medizinischen Fachkreisen die Auswirkungen auf den Transplantationserfolg hoch umstritten seien. Vgl. hierzu die medizinische Analyse sogleich. 396 Im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung von Medizinern und Juristen ebenso Spickhoff, JZ 2015, 576, 677, wonach bei der Beantwortung der Frage, „(…), wie hoch ein bestimmtes Risiko zu Lasten des Patienten bei der Behandlung prozentual ist (…), medizinischer Sachverstand gefragt“ sei.
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als ein Verstreichenlassen der sechsmonatigen Karenzphase. Ermittelt wird explizit nicht der medizinische Standard, der maßgeblich durch die ständige Facharztpraxis und wissenschaftliche Erkenntnisse bestimmt wird, sondern das Maß an medizinischer Evidenz, das für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich geboten ist. Hieraus ergibt sich auch kein Widerspruch zu der vorgehenden Erkenntnis, dass Feststellung und Einschätzung des gesundheitlichen Risikos der medizinischen Wissenschaft, die Bewertung dieses Risikos aber den Rechtswissenschaften obliegt.397 Um eine wie auch immer geartete, insbesondere verfassungsrechtliche Bewertung der Abstinenzpflicht vornehmen zu können, müssen zunächst verlässliche medizinische Erkenntnisse hinsichtlich des tatsächlich bestehenden Risikos vorliegen. Eine bloße Überzeugung der Bundesärztekammer hinsichtlich der Richtigkeit des Kontraindikationsbefunds ohne gesicherte empirische Prognosekriterien kann aufgrund der schon mehrfach dargelegten existenzverwirklichenden Bedeutung der Organvermittlung nicht ausreichen. Zu fragen ist danach, ob die medizinisch am besten gesicherte Erkenntnis darin besteht, dass das Nichteinhalten der sechsmonatigen Karenzzeit ein regelmäßig unüberbrückbares Hindernis für eine Organübertragung darstellt. Maßstab hierfür ist das Erreichen der Mindestnutzenschwelle.398 (3) Medizinische Analyse von Glp. A.III.2.1 BÄK-Leber-Richtlinie Bei Patienten mit einer terminalen Leberinsuffizienz ist die Lebertransplantation die einzige medizinische Möglichkeit, die Lebenserwartung des Patienten und damit dessen verbleibende Lebenserwartung nachhaltig zu erhöhen.399 Unter den Indikationen für eine Lebertransplantation stellt die alkoholinduzierte Leberzirrhose seit einigen Jahren die größte Gruppe der potentiellen Organempfänger dar.400 Zeitgleich erfolgt die Organzuteilung nach den MELD-Krite397 Vgl. die obigen Ausführungen zur Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen des § 16 Abs. 1 TPG einem Kategorienfehler unterlag, unter Glp. § 3 III.2.c).bb).(2). 398 Insoweit ist Gutmann zuzustimmen, wenn dieser klarstellt, dass die Anforderungen auf die Dauer des „Überlebens des Empfängers“ nach der Übertragung „keinesfalls zu hoch angesetzt“ werden dürfen, vgl. Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 13. 399 Vgl. Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg, 2013, 391, 391; Soyka/Stickel, Chirurg 2013, 1075, 1075, wonach insbesondere die symptomatische Behandlung der Leberzirrhose „keine entscheidende Lebensverlängerung“ bewirkt. Im Zusammenhang mit der alkoholinduzierten Leberzirrhose Dew/DiMartini et al., in: Liver Transpl. 2008, 159, 160; Strassburg, Chirurg 2013, 363, 363. 400 DSO, Jahresbericht 2015, S. 79: Die Gruppe der Leberzirrhose und –fibrose ist mit 349 registrierten Patienten an erster Stelle aller lebererkrankten Patienten auf der Warteliste, die wiederum auf den Alkoholkonsum als Hauptinduktion zurückzuführen sind. Die Alkoholische Leberkrankheit folgt an zweiter Stelle als Vorstufe zur alkoholinduzierten Leberzirrho-
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rien und damit dringlichkeitsorientiert zu einem Zeitpunkt, in dem sich der Patient bereits in der Phase des terminalen Leberversagens befindet. Der Allgemeinzustand des Alkoholikers ist dementsprechend schlecht, wodurch die Patienten ein hohes Maß an Morbidität aufweisen.401 Ungeachtet dieser Tatsache liegt die 1-Jahres-Überlebensrate im hier maßgeblichen postoperativen Zeitraum bei vergleichsweise hohen 84% und sinkt im weiteren Verlauf kontinuierlich bis zum 10-Jahres-Zeitraum, nach dem die Überlebensrate nur noch 58% beträgt.402 Nach medizinischen Kriterien unstrittig ist die Tatsache, dass ein sechsmonatiger Alkoholverzicht das Rückfallrisiko bezüglich des Alkoholismus (Rezidivrisiko) gegenüber Patienten ohne Abstinenzzeit signifikant verringert und die Prognose auf 72% im Vergleich zu 44% bei kontinuierlich trinkenden Patienten damit deutlich erhöht.403 Als Hauptursachen für die hohe Morbidität dieser Patientengruppe im 1-Jahres-Zeitraum wird vor allem eine signifikant erhöhte Infektanfälligkeit in Verbindung mit den postoperativen Immunsuppressiva 404 sowie einem deutlich erhöhten Thromboserisiko405 angeführt. In Verbindung mit der immunsuppressiven Behandlung tragen Gallengangsnekrosen und ein erhöhtes Sepsisrisiko maßgeblich zur Reduzierung der Prognose bei.406 Zudem begünstigt regelmäßiger Alkoholkonsum in Kombination mit Rauchen die Entstehung von Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus mit insgesamt hoher Komplikationsrate und schlechter Prognose.407 Allgemein umstritten ist hinge-
se mit 302 Krankheitsfällen. Bei einer Gesamt-registrierung von 1.282 Leberpatienten entsprechen die ersten beiden Krankheitsbilder über 50% aller lebererkrankten potentiellen Organempfänger. Allgemein zu den empirischen Befunden Soyka/Stickel, Chirurg, 2013, 1075, 1076, Tab. 1; Strassburg, Chirurg 2013, 363, 364. 401 Vgl. Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg 2013, 391, 391; Soyka/Stickel, Chirurg 2013, 1075, 1075, wonach unter anderem bereits in frühen Phasen extensiven Alkoholkonsums regelmäßig Muskel- und Hodenatrophie, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Gerinnungs-, Potenz- und Libidostörungen sowie in fortgeschrittenem Stadium Infekte sowie eine hepatische Enzephalopathie auftreten; Strassburg, Chirurg 2013, 363, 363; 402 Soyka/Stickel, Chirurg 2013, 1075, 1076; Strassburg, Chirurg 2013, 363, 366;. 403 Soyka/Stickel, Chirurg 2013, 1075, 1076 unter Berufung auf Verrill/Markham/Templeton, Addiction 2009 (104), 768 ff.; Strassburg, Chirurg 2013, 363, 367, der sich auf ein 10-Jahres-Überleben bei Alkoholabstinenz von 82% im Vergleich zur Prognose mit Rezidiv von 47% bezieht. 404 Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg, 2013, 391, 391: Indikatoren für eine ungünstige Ausgangslage sind: sehr hoher MELD-Score, längere Hospitalisierung, vorangegangene Intensivtherapie. 405 Kalmuk/Neuhaus/Pascher, Chirurg 2013, 937, 937. 406 Kalmuk/Neuhaus/Pascher, Chirurg 2013, 937, 937. 407 Kalmuk/Neuhaus/Pascher, Chirurg 2013, 937, 943.
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gen die Frage, ab wann von einem vollständigen Rückgang des Vollbilds der Alkoholabhängigkeit ausgegangen werden kann.408 All diese Kriterien haben jedoch die langfristigen Erfolgsaussichten der Organübertragung im Auge und beziehen sich nicht nur auf die verfassungsrechtlich maßgebliche Mindestnutzenschwelle. Die dargestellten Erkenntnisse können daher zu keiner zielführenden Rechtfertigung der Kontraindikationsvorschriften der Bundesärztekammer beitragen, deren Festsetzungen am Maßstab des konkreten Gesundheitsinteresses des jeweiligen Patienten zu messen sind. Vor diesem Hintergrund sind Vorschläge der medizinischen Fachwelt, die sogar noch eine Verschärfung der Allokationskriterien mit der Ausrichtung am „optimalen Nutzen“ der Spender-Empfänger-Konstellation fordern409, zurückzuweisen. Der optimale Nutzen ist zumindest dann kein tragfähiges Allokationskriterium, soweit dieser an die postoperative Entwicklungs- und Transplantatüberlebensprognose anknüpft. Von erheblicher Bedeutung sind in diesem Zusammenhang aber Ergebnisse einer jüngeren Studie410, die Patienten mit indizierter Lebertransplantation und einer therapieresistenten, alkoholbedingten Leberentzündung untersuchte. Im Rahmen der Studie wurden die Teilnehmer in zwei Gruppen eingeteilt. Während Teilnehmer der ersten Gruppe ungeachtet der sechsmonatigen Karenzregel direkt auf die Wartelisten für die Organvermittlung gesetzt wurden, wurde die zweite Gruppe nach geltendem Recht behandelt und von der Wartelistenführung zunächst ausgeschlossen. Da Patienten mit einer alkoholbedingten Leber entzündung in diesem Stadium eine sechsmonatige Überlebensrate von durchschnittlich nur 30% aufweisen411, waren die Patienten der ersten Gruppe als High-Urgency-Patienten einzustufen, sodass die Organübertragung innerhalb der sechs Monate realisiert werden konnte. Im Vergleich der untersuchten Gruppen zeigte sich im Ergebnis bei den Patienten mit einer frühen Lebertransplantation bei Anerkennung einer 8%igen Fehlertoleranz eine deutlich gesteigerte Überlebensrate von 77%, während bei der Kontrollgruppe unter Einhaltung des sechsmonatigen Alkoholverzichts bei hoher statistischer Signifikanz412 eine Überlebensquote im gleichen Zeitraum von lediglich 23% vorlag.413
408 Vgl. exemplarisch die Untersuchung der Havard Medical School bei Vaillant, Addiction 2003 (98), 1043, 1044 f., wobei eine definitive Spannbreite von sechs Monaten bis zu fünf Jahren besteht. 409 Vgl. das Fazit für die medizinische Praxis von Seehofer/Schöning/Neuhaus, Chirurg 2013, 391, 396. 410 Studie von Mathurin/Moreno/Samuel et al., N Engl J Med 2011, 1790, 1790 ff. 411 Mathurin/Moreno/Samuel et al., N Engl J Med 2011, 1790, 1790 ff. 412 Der für die Signifikanz maßgebliche p-value lag bei p 0,001. 413 Mathurin/Moreno/Samuel et al., N Engl J Med 2011, 1790, 1790 ff.
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Im Ergebnis kann daher für die oben aufgeworfene Frage festgehalten werden, dass die Nichteinhaltung der sechsmonatigen Karenzzeit zwar die Rückfallquote auf mittel- und langfristige Sicht erhöht und den Heilungsverlauf erschwert. Medizinische Erkenntnisse, wonach eine frühe Organübertragung in diesem Stadium eher schädigen als nützen würde, medizinisch verfehlt wäre oder als aussichtslos erschiene, bestehen allerdings nicht. Im Gegensatz dazu konnte gezeigt werden, dass selbst unter schwieriger alkoholgeprägter Anam nese die Leberübertragung bereits in einem frühen Stadium die Überlebensrate des Patienten signifikant erhöht. Die festgelegte Kontraindikation der Bundesärztekammer in der Leberrichtlinie nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG kann daher nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nicht gerechtfertigt werden. Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin, welche den verfassungsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich des Dogmas der Lebenswertindifferenz genügen, liegen nicht vor.414 (4) Zudem: Falsche Rechtsfolgenebene Problematisch bleibt zudem, dass die Kontraindikation wegen der nicht hinreichenden Alkoholkarenz bereits bei der Entscheidung über die Wartelistenaufnahme eingreift. Richtig wäre nach der Argumentation der Bundesärztekammer vielmehr, das durch den Alkoholkonsum erhöhte operative Risiko im Einzelfall als Anlass für eine Zurückstellung (Posteriorisierung) bei der Bildung der Match-Listen von Eurotransplant für die konkrete Zuteilungsentscheidung zu nehmen.415 Die sachgemäße Differenzierung zwischen beiden Ebenen liegt bereits dem Gesetz zugrunde, was zum einen durch den unterschiedlichen Prüfungsmaßstab von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und § 12 Abs. 3 S. 1 TPG und zum anderen durch die nummerische Trennung von Wartelisten- und Vermittlungsrichtlinien in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 (Warteliste) und Nr. 5 TPG (Vermittlung) deutlich wird. De lege lata führt die Nichteinhaltung der Abstinenzphase aber zu einer Kontraindikation, die der Wartelistenaufnahme durch das Transplantationszentrum entgegensteht. Da dies zu einer vom konkreten Einzelfall losgelösten, gänzlichen Nichtberücksichtigung des Patienten bei der Organverteilung führt, kann die derzeitige Richtlinienmaßgabe keinen Bestand haben.416
414 Kritisch gegenüber einer medizinischen Rechtfertigung Schroth, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 461. 415 So auch Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 41. In diese Richtung, wenn auch weniger deutlich, wohl auch Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 677, die eine „schwache Posteriorisierung nicht-abstinenter Patienten“ nicht per se als verfassungswidrig klassifizieren. 416 Wie hier Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 41.
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ee) „Old for Old“: Eurotransplant Senior Program Eines der im Hinblick auf Chancengleichheit und Lebenswertindifferenz fragwürdigsten Allokationskriterien findet sich im Eurotransplant-Handbuch („ET-Manual“). Gestützt auf die in § 5 Abs. 7 des Vermittlungsvertrags zugestandene „Entwicklungsklausel“417, entscheidet Eurotransplant bei der Nierenallokation unter anderem nach dem „Eurotransplant Senior Program“ (ESP), wonach Nieren von Spendern über 65 Jahre ausschließlich an Empfänger verteilt werden, die ebenfalls das 65. Lebensjahr vollendet haben.418 Erst wenn unter den über 65-jährigen Patienten kein medizinisch tauglicher Empfänger gefunden werden kann, wird das gespendete Organ im Standardverfahren zur Verteilung freigegeben.419 Durch die gesonderte Zuteilungspräferenz der gespendeten Organe wird mit dem Differenzierungskriterium des numerischen Alters in das derivative Teilhaberecht aller potentiellen Organempfänger eingegriffen. Die insgesamt gespendeten Organe stehen nicht mehr allen Wartelistenpatienten im Rahmen der Verteilung nach den allgemeinen Kriterien in gleichmäßigem Umfang, sondern nur noch subsidiär zur Verfügung. Vielmehr wird eine Gruppe von Patienten aufgrund des fortgeschritten Alters und durch einen separaten Verteilungsraum bevorzugt. Begründet wird das Programm zum einen mit dem Verweis auf die Erfolgsaussicht, da sich die geringere Transplantatfunktion vor allem bei solchen Patienten anböte, die ohnehin eine verkürzte Restlebensdauer aufweisen.420 Zum anderen diene die Vorschrift der Chancengleichheit, da ältere Wartelistenpatienten aufgrund schlechterer Erfolgsprognosen im Organvermittlungsverfahren strukturell benachteiligt seien.421 Zum Teil wird angeführt, dass diese Regel auch deshalb verfassungskonform sei, da die Ischämiezeit verkürzt und die erwartete verkürzte Funktionsfähigkeit des von älteren Personen gespendeten Organs vornehmlich für ältere Patienten geeignet sei.422 Diese Erwägungen sind für die Begründung der Verfassungsmäßigkeit im Sinne einer sachgemäßen Differenzierung gänzlich untauglich. Eine pauschale Regel, die ältere Patienten auf der Grundlage einer strikten Altersgrenze bevorzugt, kann unter Berücksichtigung der Lebenswertindifferenz nicht als sachgerechtes Differenzierungskriterium herangezogen werden. Die Frage, für wen das gespendete Organ die Mindestnutzenschwelle erreicht, ist eine Frage des Kritisch Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 27: „Experimentierklausel“; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 129. 418 Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 129 f. 419 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 387. 420 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 388. 421 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 388. 422 So etwa Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organtransplantation, S. 214 f. 417
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konkreten Einzelfalls, die unter Berücksichtigung verfassungskonformer Kriterien zugunsten des Erstplatzierten der Match-Liste zu beantworten ist. Klammert man nun von vornherein alle Patienten aus, die das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, geschieht dies aufgrund von vermeintlichen Gerechtigkeitserwägungen und nicht nach Maßgabe medizinischer Erfahrungssätze. Andernfalls ließe sich nicht erklären, warum anstatt einer linear-progressiven Gewichtung, die Einzelfallabweichungen erlauben würde, eine apodiktische Altersgrenze etabliert wird. Für eine derartige „gerechtigkeitsorientierte“ Betrachtung, die im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 GG und das Verbot der Al tersdiskriminierung nur schwer vertretbar ist, bleibt schon deshalb kein Raum, da Eurotransplant für die Festlegung normativer Kriterien weder befugt noch inhaltlich prädestiniert ist. Schneider, die diesen Verteilungsmechanismus mit dem Argument der „eingeschränkten Funktionstüchtigkeit“ und „verkürzten Ischämiezeit“ für verhältnismäßig hält423, verkennt, dass alle zur Rechtfertigung angeführten Kriterien schon per se nicht zur Vergleichsgruppendifferenzierung herangezogen werden dürfen. Wie Schneider selbst hervorhebt, tritt die verkürzte Ischämiezeit auch bei jüngeren Patienten ein, sodass sich hieraus kein Raum für eine Verhältnismäßigkeitsabwägung ergibt. Sofern sie die Funktionstüchtigkeit des Organs als „Hauptargument“424 heranzieht, stellt sie die prognostizierte Restlebensdauer des Organempfängers in die Abwägung ein und kommt so indirekt zu einer zeitlichen Lebensabwägung, die vor dem Hinblick der Lebenswertindifferenz über die verfassungsmäßig erlaubte Differenzierung der Mindestnutzenschwelle weit hinausgeht.425 Die fixe Altersgrenze stellt eine Diskriminierung der unter 65-Jährigen dar, die pauschal von der Verteilung der Organe ausgeschlossen sind und nur subsidiär in die Verteilung einbezogen werden. Anders als Bader ausführt, ist hierin auch keine Regel der medizinischen Wissenschaft zu sehen426, da schon gar nicht einsichtig ist, warum das Organ bei physiologischer Gleichrangigkeit nicht ebenso gut einer 60-jährigen Patientin zu Gute kommen soll. Es wird zwar richtigerweise erkannt, dass die Chancengleichheit das eigentliche materielle Ziel der Regelung ist.427 Die Etablierung eines gerechten und ausgewogenen Verteilungssystems ist aber keine medizinische, sondern ethisch-normative Frage, die nicht unter das Begriffsverständnis des „Stands der Erkenntnisse der mediziniSchneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 214 f. Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 215. 425 Wie hier Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 389; ähnlich zum Alter Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 108; a. A. wohl auch Gutmann, in: Schroth/Gutmann/König/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 37; Opper, Die gerechte und rechtmäßige Verteilung knapper Organe, S. 214 f.: „hinnehmbar (…); allgemein akzeptiert“. 426 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 388. 427 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 389. 423
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III. Dogmatische Einordnung der Richtlinien und Verfassungsmäßigkeit
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schen Wissenschaft“ fällt, sondern rechtsethischer Natur ist und als wesentliche rechtspolitische Frage dem demokratisch unmittelbar legitimierten, volksgewählten Parlament obliegt.428 Sie ist weder Sache der Bundesärztekammer noch der Vermittlungsstelle Eurotransplant. Die Regel findet daher in § 16 Abs. 1 TPG keine Rechtsgrundlage und kann somit keine Geltung beanspruchen. In rechtspolitischer Hinsicht ist sie zu pauschal, altersdiskriminierend und nach dem Maßstab des § 12 Abs. 3 S. 1 TPG verfehlt. Die Altersdifferenzierung, die ohne Berücksichtigung der Gewebekompatibilität429 an rein normative Gesichtspunkte anknüpft, verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen elementares Verfassungsrecht und kann nicht durch sachwidrige Differenzierungskriterien aufrechterhalten werden.430 e) Zusammenfassung Die Richtlinien selbst sind rechtstechnisch als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, materiell kommt ihnen aber eine rechtsnormentsprechende Verbindlichkeit gegenüber Dritten zu. Sie sind unter Zugrundelegung eines materiellen Begriffsverständnisses (ohne Berücksichtigung der Rechtsnatur der einzelnen Entscheidungen der Transplantationszentren oder Eurotransplants) Akte hoheitlicher Rechtsetzung und in vollem Umfang an den Grundrechten und den Anforderungen des Grundgesetzes zu messen. Bei der Konkretisierung der Rechtsbegriffe aus § 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG handelt es sich nicht etwa um eine „regulierte Selbstregulierung“, sondern vielmehr um eine Fremdregulierung, die in die Teilhabe- und Gleichheitsrechte der Patienten regelnd eingreift. Das Regelungskonzept der dynamischen Verweisung zur Konkretisierung der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft aus § 16 Abs. 1 TPG verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes in der Ausprägung der Wesentlichkeitstheorie. Die hierauf erlassenen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Wartelistenführung und Organvermittlung unterschreiten zudem das notwendige demokratische Legitimationsniveau in materieller und personeller Hinsicht. Die inhaltlichen Festsetzungen sind weitgehend normativer Natur. Der Begriff der non-Compliance ist eng auszulegen und nur anzunehmen, wenn fehlende Mitarbeit des Patienten dem medizinischen Gesamterfolg der geplanten Organübertragung entgegensteht. Sofern die Richtlinien fehlende Sprachkenntnisse und pauschale Abstinenzzeiten als grundsätzlich zwingende Vorausset428
Vgl. Glp. § 3 III.2.c).bb).(2). Vgl. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 129 f. 430 Wie hier nur Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 108; wohl auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 130: „Verstoß gegen das Gebot der Einheitlichkeit der Warteliste“; a. A. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 387 ff.; Gutmann, in: Schroth/Gutmann/König/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 37; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 214 f. 429
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§ 3 Rechtsrahmen der Organvermittlungen
zung für die Wartelistenaufnahme voraussetzen, verstoßen sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das derivative Teilhaberecht der Patienten an einer gleichberechtigten Berücksichtigung im Organvermittlungsverfahren aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 2 S. 1, 1 Abs. 1 S. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip. Die starre Altersgrenze des Old-for-old-Programms von Eurotransplant ist altersdiskriminierend und medizinisch nicht gerechtfertigt. Als normativer Verteilungsgrund, der strukturelle Chancenasymmetrien zu überwinden sucht, verstößt es gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist damit ebenfalls in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht haltbar.
§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag Wie jede Heilbehandlung ist auch die medizinische Betreuung eines Patienten mit indizierter Organtransplantation zunächst ein klassisches Arzt-Patienten-Verhältnis, in welchem sich die Ärzte bzw. das Krankenhaus zur entgeltlichen medizinischen Behandlung des Patienten verpflichten. Die im Behandlungsvertragsrecht ausgestaltete Rechtsbeziehung zwischen Behandelndem und Patient ist maßgebliche zivilrechtliche Grundlage der zwischen Ärzten und Patienten bestehenden Rechte und Pflichten. Als freiheitlich-demokratische Grundordnung garantiert die Bundesrepublik Deutschland die Privatautonomie im Sinne einer selbstbestimmten Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen der Individuen untereinander.1 Aus diesem grundlegenden Verfassungsprinzip aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG folgt für das Arztrecht die grundsätzliche Notwendigkeit der Einwilligung des Patienten in die geplante Heilbehandlung.2 Auf der anderen Seite sind die Rechtsbeziehungen zwischen Arzt und Patient „weit mehr als eine juristische Vertragsbeziehung. ‚Die Standesethik steht nicht isoliert neben dem Recht. Sie wirkt allenthalben und ständig in die rechtlichen Beziehungen des Arztes zum Patienten‘“3. Aus diesem Zusammenwirken von Vertragsrecht und ärztlicher Berufsethik folgt nicht zuletzt, dass neben Aufklärung und Einwilligung (sog. informed consent) auch die medizinische Indikation des Heileingriffs die Behandlung rechtfertigen muss.4 Ein schwerer medizinischer Eingriff kann nur dann pflichtgemäß sein, wenn die dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung auf der Grundlage einer Einwilligung des aufgeklärten Patienten und der gesicherten medizinischen Indikation vorgenommen wird.5 Diese Voraussetzungen sind typische Strukturelemente des Behandlungsvertrags- und Arzthaftungsrechts. Je nach Dringlichkeit der medizinischen Maß1 BVerfG, Beschluss v. 7.2.1990 - 1 BvR 26/8 = NJW 1990, 1469, 1470: Privatautonomie als „Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung“; Heyers, BRJ 2012, 135, 135. 2 BVerfG, Beschluss v. 25.7. 1979 - 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1931. 3 BVerfG, Beschluss v. 25.7. 1979 - 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1932. 4 Heyers, BRJ 2012, 135, 135 f. 5 Heyers, BRJ 2012, 135, 135 f.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
nahme kann die Bedeutung von Einwilligung und Indikation variieren, sodass etwa bei Eingriffen innerhalb der plastischen Chirurgie höhere Anforderungen an Aufklärung und Einwilligung zu stellen sind, als bei transplantationsmedizinischen Maßnahmen, die regelmäßig die letzte dauerhafte Überlebenschance des Patienten darstellen.6 Bei ihnen rückt die medizinische Indikation in den Vordergrund. Aus der Notwendigkeit der medizinischen Indikation für die rechtmäßige Heilbehandlung folgt grundsätzlich ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Behandelnden, der sowohl Befunderhebung als auch medizinische Einschätzung und Therapieauswahl zu verantworten hat.7 In wohl keinem anderen Bereich des Medizinrechts führt die Frage nach Geltung und Reichweite dieses Spielraums zu heftigeren Auseinandersetzungen als im Recht der Transplantationsmedizin. Die Übertragung eines postmortal gespendeten Organs soll zum einen medizinisch geboten und sinnvoll sein, was sich schon aus dem eklatanten Mangel an übertragbaren Organen als zwingendes Gebot aufdrängt. Auf der anderen Seite führt eine vermeintliche Kontra indikation zu existenziellen Folgen für den Patienten, der auf die erfolgreiche Organzuteilung und ‑übertragung als regelmäßig einzige verbleibende Therapiemaßnahme dringend angewiesen ist. Mit diesem Spannungsfeld ist die grundsätzliche Frage aufgeworfen, wie nachprüfbar die Entscheidungen des Arztes sein müssen, auf welcher Grundlage der medizinische Standard zu bestimmen ist und wie sich all dies mit den im Transplantationsgesetz festgelegten Pflichten in Einklang bringen lässt. Insbesondere in der Diskussion um die Rechtsnatur der allokationsrelevanten Entscheidungen wird in letzter Zeit die Annahme vertreten, die Entscheidungen der behandelnden Ärzte seien, soweit sie Bestandteil der Organvermittlung sind, weitgehend unabhängig von dem zugrunde liegenden Behandlungsvertrag als öffentlich-rechtliche Pflichten einzuordnen, da sie über denjenigen Pflichtenumfang hinausgingen, der sich aus dem Interessenskreis von Arzt und Patient ergäbe.8 Angesprochen ist damit die Auseinandersetzung, ob eine vermittlungsrelevante Frage im Prozess der Organallokation überhaupt medizinisch beantwortet werden kann oder nicht vielmehr überwiegend von ethisch-normativen Erwägungen beeinflusst wird. Dass die Beantwortung dieser Frage nicht ohne Folgen für das zivilrechtliche Arzt-Patienten-Verhältnis bleiben kann, liegt auf der Hand. Unter diesem Gesichtspunkt laufen verfassungs-, verwaltungs- und behandlungsvertragsrechtliche Wertungen zusammen, die am Ende zugunsten Heyers, BRJ 2012, 135, 135. Heyers, BRJ 2012, 135, 135. 8 So etwa VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077; Augsberg, GesR 2009, 78; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 106; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 98 f. 6 7
I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht
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einer sachgemäßen und dem objektivierten Gesetzessinn entsprechenden Rechtskonstruktion in Einklang zu bringen sind.
I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht Die Behandlungsbeziehung als spezifisches Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist von einer besonderen Intimität und Komplexität geprägt.9 Im Mittelpunkt der Patienteninteressen steht das persönliche und körperliche Integritäts- und Heilungsinteresse. Dem Interesse an der Unversehrtheit der höchstpersönlichen Rechtsgüter von Leben und Gesundheit entspräche eine möglichst strenge Ausgestaltung des Pflichtenumfangs und der Haftungsverfassung. Auf Behandlungsseite ist bei jeder rechtspolitischen Betrachtung zu bedenken, dass haftungsrechtliche Vereinfachung und Verschärfung der Rechtslage zugunsten des Patienten die Gefahr einer „Verrechtlichung“10 der medizinischen Heilbehandlung und die daraus folgende Gefahr einer Tendenz zur „Defensivmedizin“ 11 in sich trägt. Der Arzt wäre geneigt, nur noch das rechtlich abgesicherte Mindestmaß an medizinischer Heilbehandlung vorzunehmen, was dem Patienteninteresse an möglichst effektiven und umfassenden Heilungs- und Therapiebemühungen widerspräche. Die Abwägung der insoweit widerstreitenden Interessen beider Parteien ist Hauptanliegen der vertragsrechtlichen Ausgestaltung der zwischen Behandelndem und Patienten bestehenden Rechtsbeziehungen.12 Ihm tragen die richterrechtlich entwickelten und konkretisierten Rechtsgrundsätze zum Behandlungsvertrag Rechnung, die im Jahr 2013 im BGB als besonderer Dienstvertrag in Form des Behandlungsvertrags in den §§ 630a ff. BGB kodifiziert wurden.13 In Ausnahmefällen ist zudem an Werk- oder Dienstverträge im engeren Sinne zu denken. Auf die typologische Einordnung der Vertragsbeziehungen bei Patienten mit Organtransplantationsindikation soll im Folgenden näher eingegangen werden.
9 Vgl. hierzu grundlegend BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 = NJW 1979, 1925, 1930 m. w. N.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 103; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 5 ff.; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38 Rn. 1; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 1. 10 Katzenmeier, MedR 2012, 576, 577. 11 Broglie, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 727; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 4; kritisch hinsichtlich der bereits jetzt sehr strengen Arzthaftung im internationalen Vergleich Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 100. 12 Broglie, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 727. 13 BT-Drs. 17/10488, S. 11.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
1. Rechtsnatur des Behandlungsvertrages Das Rechtsverhältnis zwischen dem behandelnden Arzt bzw. dem Rechtsträger des sich zur Behandlung verpflichtenden Krankenhauses und dem Patienten ist grundsätzlich zivilrechtlicher Natur.14 Der Behandlungsvertrag statuiert die Rechtspflichten von Behandelndem und Patient und stellt damit die vertragliche Rechtsgrundlage für etwaige Ersatzansprüche bei Verletzungen des durch ihn begründeten Pflichtenprogramms dar. Der bürgerlich-rechtliche Charakter des Arztvertrages gilt unabhängig davon, ob der Krankenhausträger (wie etwa bei Universitätskliniken) als juristische Person des öffentlichen Rechts oder privatrechtlich organisiert ist.15 Der zivilrechtliche Charakter des Rechtsverhältnisses folgt auch nicht erst aus der systematischen Kodifikation des Behandlungsvertrags im Bürgerlichen Gesetzbuch.16 Vielmehr sind das Arzt-Patienten-Verhältnis und dessen Besonderheiten seit jeher teleologisch in die Rechtsprinzipien des bürgerlichen Rechts einzuordnen. So lassen sich die grundlegenden und allgemein anerkannten Patientenrechte wie die freie Arztwahl, die ärztlichen Unterrichtungs- und Aufklärungspflichten sowie das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Selbstbestimmungsrecht des Patienten nur mit dem im Zivilrecht geltenden Grundsatz der Privatautonomie im Sinne einer eigenverantwortlichen Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse17 sinnvoll regeln.18 Die „freie Wahl von Zielen und Mittel durch den Bürger“19 gewinnt selten so an Bedeutung, wie in Behandlungsverhältnissen, in denen der Patient entscheiden muss, wem er seine höchsten Rechtsgüter anvertraut und in welche Behandlungen er einwilligt. Das Krankenhaus und der Patient befinden sich damit in einem für die zivilrechtli-
14 St. Rspr. des BGH, für viele BGH, Urteil v. 9.10.2008 ‑ VI ZR 277/ 07 = NJW 2009, 993, 995; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38 Rn. 1; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 870. 15 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 101; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 61. Rn. 1; Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 7 f. 16 Durch die Kodifikation hat sich der Gesetzgeber der privatrechtlichen Verortung jedenfalls angeschlossen, vgl. BT-Drs. 17/10488, 18 f.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 61. Rn. 1; Spickhoff, VersR 2013, 267, 270. 17 Zur Privatautonomie im Bereich des Arztrechts anschaulich Ballhausen, Das arztrechtliche System als Grenze der arbeitsteiligen Medizin, S. 164: „Nur der Patient kann im Rahmen seiner Patientenautonomie das Tor zu seinen Rechtsgütern öffnen“. 18 Zur Thematik der zivilrechtlichen Verortung des arztrechtlichen Vertragsverhältnisses Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 101. 19 Als Grundlage der freiheitlichen Gesellschaft Canaris, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, 873, 875.
I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht
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che Vertragsgestaltung typischen Gleichordnungsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten.20 a) Allgemeine Ausnahmen Ausnahmen von diesem Grundsatz sind selten. Vor allem die Behandlung von Soldaten als Angehörige der Bundeswehr, die während ihres Dienstes gemäß § 30 SoldatenG der freien Heilfürsorge unterliegen 21, oder die Durchführung amtsärztlicher Untersuchungen, wie sie vor der Aussetzung der Wehrpflicht im Rahmen der Tauglichkeitsmusterung für den Grundwehrdienst in den deutschen Streitkräften durchgeführt wurden, sind aufgrund der wehrinternen Verwaltungsstruktur dem öffentlichen Recht zuzuordnen.22 Im Fall der amtsärztlichen Untersuchung im Rahmen der Tauglichkeitsmusterung folgt der öffentlich-rechtliche Charakter schon aus dem der Vorladung innewohnenden Subordinationscharakter. Soweit die Durchführung der Untersuchung als belastender Verwaltungsakt auf staatlicher Anordnung beruht und ggf. auch gegen den Willen des Wehrpflichtigen durchgesetzt werden kann, bleibt für die tragenden zivilrechtlichen Grundsätze der Privatautonomie und Selbstbestimmung kein Raum mehr. Die Ersatzansprüche des Soldaten im Falle einer Fehlbehandlung richten sich in diesem Fall nach den Grundsätzen des Staatshaftungsrechts.23 b) Gesetzlich krankenversicherte Patienten Die Frage nach der Rechtsnatur des Behandlungsverhältnisses zwischen Patient und Transplantationszentrum stellt sich vor allem bei der Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten und spielt im Rahmen des Rechtsschutzes, insbesondere bei der später zu behandelnden Frage nach der Rechtsnatur und der Rechtswegeröffnung bei Aufnahmeentscheidungen in die Warteliste, eine erhebliche Rolle.24 20 Im Zusammenhang mit der transplantationsrechtlichen Kontroverse um die Rechtsnatur der Transplantationspflichten LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527. 21 Vgl. Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 40; Nebendahl, in: Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 871. 22 Im Rahmen der freien Heilfürsorge entspricht dies der ständigen Rechtsprechung des BGH, für viele BGH, Urteil v. 6.7.1989 - III ZR 79/88 = NJW 1990, 760, 760 f.; BGH, Urteil v. 12.11.1992 – III ZR 19/92 = NJW 1993, 1529, 1529; BGH, Beschluss v. 29.2.1996 – III ZR 238/94 = NJW 1996, 2431, 2431; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 40. 23 BGH, Urteil v. 12.11.1992 – III ZR 19/92 = NJW 1993, 1529, 1529 ff. 24 Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630a Rn. 21 a. E.; zur Problematik des Primärrechtsschutzes gegen ablehnende Entscheidungen vgl. Glp. § 6 I.1. In diesem Zusammenhang auch Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
So war lange Zeit unklar, ob der Krankenhausaufnahmevertrag zwischen Rechtsträger der Klinik und Kassenpatient als öffentlich-rechtliches Versorgungsverhältnis im Sinne des § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V oder privatrechtlicher Behandlungsvertrag einzustufen ist. Nach überzeugender Auffassung kommt auch zwischen gesetzlich versicherten Patienten und dem Behandelndem ein zivilrechtlicher Vertrag zustande, sog. Vertragskonzeption 25. Hierauf deutet nicht nur § 76 Abs. 4 SGB V hin, der ausdrücklich auf die Sorgfaltspflichten des bürgerlichen Vertragsrechts verweist.26 Auch der Grundsatz der freien Arztwahl und die zumindest für den Patienten uneingeschränkt geltende Vertragsfreiheit sind Konkretisierungen der bürgerlich-rechtlichen Privatautonomie und widersprechen der Einordnung als rein sozialrechtliches Rechtsverhältnis.27 Im Zuge des Patientenrechtegesetzes hat sich der Gesetzgeber nun wohl eindeutig für die vertragsrechtliche Konzeption entschieden, wenn er explizit in § 630a Abs. 1, 2. Hs. BGB feststellt, dass ein Behandlungsverhältnis auch dann besteht, wenn ein Dritter (gemeint ist die gesetzliche Krankenversicherung) die Zahlungsverpflichtung übernimmt.28 Der zwischen Transplantationszentrum und gesetzlich versichertem Patienten zum Zwecke der Organtransplantation geschlossene Krankenhausaufnahmevertrag ist demnach ebenfalls unabhängig vom Versicherungsschutz des Patienten als privatrechtlich einzustufen. Dies schließt an dieser Stelle jedoch nicht aus, dass neben den Pflichten aus dem Behandlungsvertrag einzelne im TPG aufgeführte Pflichtaufgaben des Transplantationszentrums öffentlich-rechtlicher Natur sein können.29 Die geschilderten Ausnahmen, insbesonZum Begriff Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 53. Vgl. Müller-Glöge, in: MünchKomm § 611 Rn. 84. 27 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 19, wonach Arzt und Kassenpatient einen „privatrechtlichen Behandlungsvertrag abschließen“. St. Rspr., vgl. BGH, Urteil v. 28.4.1987 - VI ZR 171/86 = NJW 1987, 2289, 2289 f. Glp. 2.a).; BGH, Urteil v. 20.12.2005 - VI ZR 180/04 = NJW 2006, 767, 768; mit Ausnahme sozialrechtlicher Bearbeiter ganz herrschende Meinung, vgl. Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 52; Greiner, in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A. Rn. 9; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 7 f.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 86. Rn. 52; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 12; Müller-Glöge, in: MünchKomm, § 611 Rn. 84; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 61; Rehborn, GesR 2013, 257, 258; Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 53; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 20; ders., VersR 2013, 267, 270; Wagner, VersR 2012, 789, 790; für die Annahme eines rein versorgungsrechtlichen Rechtsverhältnisses Baltzer, in: SGb 1998, 437, 441; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 101; Schnapp/Düring, NJW 1989, 2913, 2914; Zuck, in: Sozialverwaltungsverfahrensrecht, S. 343 Rn. 21. 28 BT-Drs. 17/10488, S. 18 f.; Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 282; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 20; Wagner, VersR 2012, 789, 790. 29 Ein Beispiel für diese Differenzierung findet sich bei Gutmann, in: Schroth/König/ Gutmann/-Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14, der auch bei Anerkennung des privatrechtlichen Cha25
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I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht
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dere wehrrechtliche Vorladungen und verwahrungsrechtliche Unterbringungen, die eindeutig dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, bleiben im Folgenden außer Betracht.
2. Der Behandlungsvertrag nach §§ 630a ff. BGB Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten“30, sog. Patientenrechtegesetz (PatRG), trat am 26.2.2013 das Gesetz zur Kodifikation des bisher rein richterrechtlich geprägten31 und ausgestalteten Behandlungsvertragsrechts in Kraft. Vorausgegangen war eine Gesetzgebungsinitiative der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahre 2009, welche im Zuge der darauffolgenden 17. Legislaturperiode aufgegriffen und am 23.5.2012 vom Bundeskabinett der CDU/CSU, FDP-Koalition verabschiedet wurde.32 Das erklärte gesetzgeberische Ziel war es hierbei, die Anwendung der behandlungsvertraglichen Rechtslage durch eine positivrechtliche Kodifikation zu erleichtern. Den Patienten sollte es künftig einfacher fallen, ihre Rechte „zu kennen und entsprechend einzufordern“33. Neben der Kodifikation von transparenten, rechtssicheren und ausgewogen gestalteten Patientenrechten sollte die Rechtsstellung der Patienten im Hinblick auf Behandlungsfehler verbessert und hierdurch eine „Fehlervermeidungskultur“ etabliert werden.34 Am deutlichsten wird der Vereinfachungsanspruch in der gesetzesbegründenden Erwägung, dass Patienten ihre Rechte „möglichst selbst im Gesetz nachlesen können“35 sollen. In systematischer Hinsicht handelt es sich beim Behandlungsvertrag um einen besonderen Unterfall des Dienstvertrages, wobei im Zuge des Patientenrechtegesetzes der achte Titel, der Terminologie des (werkvertraglichen) neunrakters des Behandlungsvertrages die Pflichtaufgabe der Wartelistenführung dem öffentlichen Recht zuweist. 30 Gesetz zur Verbesserung der Rechte der Patientinnen und Patienten i.F.d. Bekanntmachung v. 20.2.2013, BGBl. I S. 277 ff. 31 Grundlegend BGH, Urteil v. 9.12.1974 – VII ZR 182/73 = NJW 1975, 305, 305 ff. 32 Ausführlicher zu den einzelnen Entwürfen und Entwicklungsstufen Hart, MedR 2013, 159, 159; ferner Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, Vorb. §§ 630a ff. Rn. 1 sowie zusammenfassend Spickhoff, MedR 2015, 845, 846. 33 Gesetzesbegründung in BT-Drs. 17/11710, S. 2 , zu Buchst. a); skeptisch, ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wurde Deutsch, MedR 2013, 708, 712. 34 BT-Drs. 17/11710, S. 2 , zu Buchst. a). 35 Begründung zum ersten Entwurf des BMJ in BT-Drs. 17/10488, 9. Katzenmeier, MedR 2012, 576, 577 f.; Thurn, MedR 2013, 153, 153 f. Mit dem Hinweis, dass dies im Hinblick auf das BGB, das nie „Volksgesetzbuch“ sein wollte, ein grundsätzlich systemwidriger Erwägungsgrund sei Spickhoff, MedR 2015, 845, 846; ders., in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 2 sowie ebenfalls kritisch zu Zielsetzung und Zielerreichung Wagner, VersR 2012, 789, 798.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
ten Titels entsprechend, von „Dienstvertrag“ in „Dienstvertrag und ähnliche Verträge“ umbenannt wurde.36 Als Variante des Dienstvertrages ist dem Behandlungsvertrag eine übernommene Heilungs- oder Gesundheitsgarantie grundsätzlich fremd.37 Vielmehr knüpft der Pflichtenkatalog primär an die Einhaltung der allgemein anerkannten fachlichen Standards durch die behandelnde Vertragspartei und damit an handlungsbezogene Hauptleistungspflichten an, § 630a Abs. 2 BGB. Einen speziellen zivilrechtlichen Haftungstatbestand sehen die §§ 630a ff. BGB als Unterfall des Dienstvertrages nach den §§ 611 ff. BGB nicht vor, sondern beschränken sich auf Konkretisierungen des ärztlichen Pflichtenkanons sowie Regelungen zur Beweislastverteilung. Die vertragliche Haftung für Pflichtverletzungen der Parteien folgt demnach aus der zentralen Haftungsnorm des allgemeinen Schuldrechts, aus § 280 Abs. 1 BGB als maßgebliche vertragsrechtliche Anspruchsgrundlage.38 Das Verhältnis zur deliktischen Haftung hat sich mit Einführung des Behandlungsvertrages ins BGB nicht grundlegend geändert. Die Ansprüche aus Vertrag und unerlaubter Handlung stehen nach wie vor in Idealkonkurrenz zueinander, wobei sich die Bedeutung des Deliktsrechts auf Arzthaftungsansprüche beschränkt, die sich gegen Ärzte richten, die selbst nicht Partei des behandlungsvertragsrechtlichen Schuldverhältnisses sind.39 Neben angestellten Ärzten in Krankenhäusern wird dies ebenso für nachgeordnete Ärzte in größeren medizinischen Praxen relevant, die unter Umständen über §§ 823 ff. BGB neben der aus dem Vertrag verpflichteten Partei haften.40
36 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 13 wobei es sich „methodisch um rein formale Änderungen der Gesetzesgrundlage ohne eine inhaltliche Änderung“ handeln soll (Gesetzesbegründung S. 13 unter Glp. 2 a).aa).); Zudem Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 1; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Dienstvertragsrecht 1, Vorb. Zu § 611 Rn. 55 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 5 f.; ders, MedR 2015, 845, 847. 37 Vgl. BT-Drs. 17/10488; Broglie, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 731; Frahm/ Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 2; Hart, MedR 2013, 159, 159 f.; Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 159 ff.; Spickhoff, MedR 2015, 845, 847; ders., in: Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 5. 38 BT-Drs. 17/10488, S. 10 f., 27; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 3; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 10; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 870. 39 BT-Drs. 17/10488, S. 17 f.; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 59; Laufs/ Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 17; Walter, GesR 2013, 129, 130; kritisch zu dieser Einschätzung Katzenmeier, NJW 2013, 817, 823. 40 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 303; Rehborn, GesR 2013, 257, 258; Thurn, MedR 2013, 153, 155.
I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht
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a) Haupt- und Nebenleistungspflichten Die Hauptleistungspflichten sind der notwendige, „essentielle“ Kern des vertraglichen Schuldverhältnisses und unbedingte Bestandteile des Vertrages, sog. essentialia negotii.41 Sie bringen das vertragliche Schuldverhältnis als solches erst zum Entstehen und charakterisieren die Vertragstypen in ihren jeweiligen Eigenarten.42 Die Hauptleistungspflichten können generell in einem reinen Tun oder Unterlassen des Schuldners (sog. verhaltensbezogene Hauptleistungspflichten) oder in einem durch das Tun zu bewirkenden Erfolg bestehen (sog. erfolgsbezogene Hauptleistungspflichten).43 Der Behandlungsvertrag ist nach der gesetzgeberischen Konstruktion ein Unterfall des Dienstvertrages und kennt lediglich verhaltensbezogene Hauptleistungspflichten.44 Durch das Patientenrechtegesetz hat dies insbesondere in § 630a Abs. 2 BGB seinen Niederschlag gefunden. Hiernach verpflichtet sich der behandelnde Arzt bzw. im Rahmen einer stationären Behandlung der Rechtsträger des Krankenhauses durch Zustandekommen des Behandlungsvertrages zu einer umfassenden und den allgemein anerkannten medizinischen Standards entsprechenden medizinischen Versorgung des Patienten.45 Die Einhaltung der „Sorgfalt“ als „Sorgfaltspflicht“ ist damit nicht etwa als bloße Schutzpflicht im Sinne einer untergeordneten Integritätspflicht, sondern vielmehr als echte Hauptleistungspflicht zu verstehen und umfasst die „Aufmerksamkeit, Überlegung (und) Willensanspannung“46 des Behandelnden. Schon aufgrund der Kompliziertheit der physiologischen Lebensvorgänge47 sieht das Behandlungsvertragsrecht keinen vertraglich zugesagten Heilungserfolg vor, zumal ein „Erfolg“ im werkvertragsrechtlichen Sinn bei Maßnahmen am lebenden Organismus nie restlos garantiert werden kann.48 Vielmehr steht die Pflicht zur sachgemäßen Behandlung und die Einhaltung der medizinischen Qualitätsstandards im Zentrum des behandlungsvertraglichen Schuldverhältnisses. 41 Zu den essentialia negotii als die den Vertrag kennzeichnenden Hauptleistungspflichten Wolf/Neuner, BGB AT, § 37 Rn. 4; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 11. 42 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 2 I S. 8; Olzen, in: Staudinger, BGB, § 241 Rn. 146. 43 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 2 I S. 8; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 16. 44 Ausführlich zum dienstvertraglichen Charakter der §§ 630a ff. BGB vgl. Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 138 ff.; Wenzel, in: Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, 4. Kap. Rn. 396. 45 Spickhoff, MedR 2015, 845, 847. 46 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 2 I S. 10. 47 BT-Drs. 17/10488, S. 17; zum Begriff vgl. Bergmann/Middendorf, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 2; im Zusammenhang mit dem Regelungscharakter des medizinischen Standards vgl. Velten, Medizinischer Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 59. 48 RegE, BT-Drs. 17/10488, S. 17; Rehborn, GesR 2013, 257, 259.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
Im Ergebnis stellt damit die Vornahme der fehlerfreien Heilbehandlung49 die einheitliche Primärleistungspflicht des Behandelnden dar.50 Der Arzt übernimmt dabei lediglich die der konkreten Heilbehandlung innewohnenden Risiken, sog. iatrogene Risiken, während das Schadensrisiko der Krankheit, wie schon vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes, beim jeweiligen Patienten verbleibt.51 Gegenstand der medizinischen Versorgung ist die Steuerung der physiologischen Abläufe und Prävention der Gesundheitsrisiken im jeweiligen Verantwortungsbereich des behandelnden Arztes.52 Dies umfasst neben der Diagnose und Therapie grundsätzlich „sämtliche Eingriffe am Körper eines Menschen“53, um das diagnostizierte Krankheitsbild „zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.“54 Dem Behandlungsvertragsrecht liegt ein weites Verständnis der medizinischen Behandlung zugrunde, das auch organisatorische Vorkehrungen und Vorbereitungshandlungen des Arztes oder Krankenhauses erfasst.55 Zur Behandlung als Hauptleistungspflicht des Behandlungsvertrages gehört letztlich alles, was nach dem medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand in „gehöriger Weise zu veranlassen ist“.56 Ebenfalls als Hauptleistungspflicht unterfallen dem Behandlungsvertrag die Informationspflicht nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB sowie Aufklärungspflichten nach § 630e Abs. 1 BGB, wohingegen die Behandlungsfehlerinformation nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB und die wirtschaftliche Aufklärung nach § 630c Abs. 3 BGB vertragliche Nebenpflichten darstellen.57 Ebenso sind die Pflicht zur Fehleraufklärung nach § 630c Abs. 2 S. 2 BGB und zur Einsichtgewährung in die Patientenakte nach § 630g BGB als Nebenpflichten des Behandlungsvertrages einzuordnen.58 Anknüpfend an § 630a Abs. 2 BGB ist in der Unterschreitung des medizinischen Sollstandards ein Behandlungsfehler und damit eine hauptleistungsbezo49
Zum weit verstandenen Begriff der Heilbehandlung vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 17. Hart, MedR 2013, 159, 160; Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630a Rn. 36. 51 Greiner, in: Spickhoff, BGB, §§ 823 ff. Rn. 117; ders., in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B. Rn. 1; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, S. 2; Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 159. 52 Pauge Arzthaftungsrecht, Rn. 1. 53 BT-Drs 17/10488, S. 17. 54 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 42 Rn. 3 f.; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 5; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 1. 55 Hart, MedR 2013, 159, 160; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 44. 56 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts,§ 42 Rn. 3; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 29; Greiner, in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A. Rn. 2. 57 Hart, MedR 2013, 159, 160 ff.; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 57 Rn. 14; Spickhoff, VersR 2013, 267, 271. 58 Spickhoff, VersR 2013, 267, 271. 50
I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht
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gene Pflichtverletzung zu sehen.59 Entscheidend ist, dass der zu fordernde Sorgfaltsmaßstab in negativ abweichender Art und Weise nicht eingehalten wurde. Der Sorgfaltsmaßstab ist dabei unabhängig vom jeweiligen Einzelfall und der Lage des konkreten Arztes objektiv-typisierend nach medizinischen Maßstäben zu bestimmen.60 Hieraus folgt, dass der behandelnde Arzt auch dann für die Außerachtlassung der objektiv erforderlichen Sorgfalt einzustehen hat, wenn er zwar individuell nach seinem besten Können gehandelt, aber objektiv das zu fordernde Niveau an medizinischem Standard unterschritten hat.61 b) Abgrenzung zu Werk- und Dienstverträgen In vertragstypologischer Hinsicht wird der Behandlungsvertrag im Sinne der §§ 630a ff. BGB den absoluten Regelfall bei der Durchführung medizinsicher Heilbehandlungen darstellen.62 Eine Abgrenzung des Vertragstypus zu Werkund Dienstverträgen im engeren Sinne wird in Grenzfällen63 allerdings weder durch die frühere Rechtsprechung, noch durch das Patientenrechtegesetz entbehrlich.64 Sofern ausnahmsweise nicht nur handlungsbezogene Pflichten, sondern ein konkret zu erbringender Erfolg als „Werk“ im Vordergrund der Hauptleistungspflichten steht, kommt eine Einordnung als Werkvertrag nach §§ 631 ff. BGB in Betracht. Ein in diesem Sinne geschuldetes „Werk“ kann jedenfalls dann nicht von vornherein als geschuldeter Vertragsgegenstand ausgeschlossen werden, wenn Modifikationen der geschuldeten medizinischen Leistungen vorliegen, die hinter der vollen Heilbehandlung zurückbleiben. So wird beispielsweise eine werkvertragliche Qualifikation für reine Diagnoseverträge, sog. „second opini-
Vgl. Spickhoff, VersR 2013, 267, 271. Vgl. st. Rspr. des BGH, BGH, Urteil v. 13.2.2001 – VI ZR 34/00 = NJW 2001, 1786, 1787; BGH, Urteil v. 6.5.2003 – VI ZR 259/02 = NJW 2003, 2311, 2313; BGH, Urteil v. 24.2.2015 – VI ZR 106/13 = JZ 2015, 573, 575; Greiner, in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B. Rn. 2; Heyers, BRJ 2012, 135, 136; Spickhoff, MedR 2015, 845, 848; ders., JZ 2015 576, 576. 61 BGH, Urteil v. 24.2.2015 – VI ZR 106/13 = JZ 2015, 573, 575. 62 Vgl. hierzu bereits BGH, Urteil v. 09.12.1974 = NJW 1975, 305, 305 ff., der hinsichtlich der Prothesenherstellung das werkvertragliche Mängelrecht der §§ 633 ff. BGB anwendet, sowie Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 138; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 2; Müller-Glöge, in: MünchKomm, § 611 Rn. 79. 63 Auf die Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnissen wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Vgl. hierzu die Ausführungen unter Glp. § 4 I.1.a) sowie ausführlicher bei Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 4 ff. 64 BT-Drs. 17/10488, S. 17; Spickhoff, MedR 2015, 845, 847; ders., VersR 2013, 267, 268; ders, in: Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 7; Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 282; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 881 f. 59
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
on“-Verträge, erwogen65 und auch im Zusammenhang mit konkreten Herstellungspflichten, wie zum Beispiel bei der Anfertigung von Zahnprothesen, diskutiert.66 Reine labormedizinische Leistungen67, die über die bloße Untersuchung und Gutachtenerstellung nicht hinausgehen, bspw. histologische Untersuchungen im Rahmen dermatologischer Exzisionen, können ebenfalls werkvertraglich verstanden werden. Das zentrale Abgrenzungskriterium ist dabei zunächst der gemeinsam vereinbarte Pflichtenkanon der Parteien und dessen Übereinstimmung mit kodifizierten Vertragstypen.68 Konkret ist bei der vertragstypologischen Zuordnung danach zu fragen, ob der vertraglichen Einigung der Parteien ein erfolgsbezogenes Leistungsverständnis im Sinne der §§ 631 ff. BGB zugrunde liegt69 und ob die Rechtsfolgen des dann einschlägigen Vertragstypus als interessensgerechter Ausgleich zwischen den Parteien angesehen werden kann. Die Qualität des Werks und Einhaltung der „Gutleistungspflicht“ ist Regelungsgegenstand des Sekundärleistungsrechts der §§ 633 ff. BGB. Legt man bei der Abgrenzung richtigerweise auch rechtsfolgenorientierte Kriterien zugrunde, ist ergänzend zu fragen, ob ein Erfolg vereinbart wurde, welcher am Maßstab des werkvertraglichen Mängelrechts der §§ 633 ff. BGB messbar ist.70 Stellt man auf diesen Funktionszusammenhang mit dem werkvertraglichen Mängelrecht ab und beachtet man die gesetzgeberische Intention, nach der mit dem neu kodifizierten Behandlungsvertrag die Patientenrechte ohne weitergehende Differenzierung praktikabler und nachvollziehbarer gestaltet werden sollten, besteht in Grenzfällen eine allgemeine Tendenz, von einem Behand65 In diese Richtung Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 8; eher ablehnend Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 140. 66 Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, Rn. 3; Müller-Glöge, in: MünchKomm, § 611 Rn. 81; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Dienstvertragsrecht 1, Vorb. zu § 611 Rn. 55 a. E. 67 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 104. 68 Für das allgemeine Dienstvertragsrecht vgl. insbesondere die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, bspw. in BGH, Urteil v. 19.06.1984 = NJW 1948, 2406, 2406 f.; BGH, Urteil v. 16.7.2002 = NJW 2002, 3323, 3324; sowie Fuchs, in: Bamberger/Roth, BGB, § 611 Rn. 11; in medizinrechtlicher Hinsicht Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 7. 69 Als klassisches Unterscheidungsmerkmal gilt die „Erfolgsbezogenheit“ als Faustformel, vgl. BGH Urteil v. 16.7.2002 = NJW 2002, 3323, 3324; Fuchs, in: Bamberger/Roth, BGB § 611 Rn. 11; Müller-Glöge, in: MünchKomm, § 611 Rn. 22; Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Dienstvertragsrecht 1, Vorb. zu § 611 Rn. 28. 70 Explizit für die methodische Berücksichtigung der Rechtsfolgen im Rahmen der Vertragsabgrenzung Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Dienstvertragsrecht 1, Vorb. zu § 611 Rn. 36, wobei jedoch zu beachten ist, dass das für den Werkvertrag konstitutive Erfolgsversprechen auch in dem in der Arbeit liegenden Erfolg an sich und nicht in einem „Erfolg des Arbeitserfolgs“ liegen kann; ebenfalls rechtsfolgenorientiert abgrenzend Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 7; Müller-Glöge, in: MünchKomm, § 611 Rn. 23.
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lungsvertrag im Sinne der §§ 630a ff. BGB auszugehen.71 Betrachtet man diese Kriterien im Lichte des konkreten Arzt-Patienten-Verhältnisses, zeigt sich, dass ein Werkvertrag nur dann ernsthaft in Betracht kommt, wenn die allgemeinen Behandlungspflichten im Vergleich zu den Idealpflichten der §§ 630a ff. BGB deutlich reduziert sind.72 So wird eine erfolgsbezogene Hauptleistungspflicht nur dann für beide Parteien interessengerecht sein, wenn sich die typische Gefährdungslage der Komplexität physiologischer Lebensvorgänge nicht oder jedenfalls nur in erheblich reduziertem Maße realisiert.73 Hierfür lassen sich exemplarisch die Aufklärungs-, Dokumentations- und Einsichtspflichten aus den §§ 630e ff. BGB anführen, welchen bei rein labortechnischen Leistungen oder bloßen Diagnosegutachten gegenüber dem werkvertraglichen Mängelrecht nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Die Annahme eines Werkvertrags ist dann im Hinblick auf die jeweilige Interessenslage der Parteien geboten.74 Bei Zugrundelegung dieser Kriterien und Anerkennung einer grundsätzlichen Tendenz zugunsten des Behandlungsvertrages lassen sich die vertragsrechtlichen Beziehungen im transplantationsrechtlichen Kontext durchgehend dem Behandlungsvertragsrecht zuordnen. So unterfällt das Vertragsverhältnis zu einem Patienten, der beispielsweise aufgrund einer fortschreitenden Niereninsuffizienz dialysepflichtig ist und auf die Vermittlung einer Spenderniere wartet, dem Behandlungsvertragsrecht. Die medizinische Heilbehandlung besteht in der Vornahme der Dialyse als Ersatztherapie und damit verhaltensbezogene Hauptleistungspflicht und ist am Maßstab des § 630a Abs. 2 BGB zu messen. Die eigentliche Organübertragung setzt sich aus der Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge der Operation zusammen und ist damit Paradebeispiel des dienstvertraglichen Charakters der behandlungsvertraglichen Hauptleistungspflicht. Die anästhetischen und chirurgischen Sorgfaltspflichten sind dem Facharztstandard entsprechend einzuhalten.
3. Zustandekommen und Verbotsgesetze nach § 134 BGB Folgt man mit der ganz herrschenden Meinung wie hier der Vertragskonzeption, richtet sich der Vertragsschluss nach den Vorschriften des Algemeinen Teils des BGB. Hierzu bedarf es insbesondere eines objektiv-normativen Konsens‘ der In diese Richtung im Ergebnis auch Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 10, wonach Arztverträge soweit möglich dem neuen Vertragsrahmen zugeordnet werden sollen. 72 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 104, die u. a. auf ein „verdünntes“ Vertrauensverhältnis zwischen Laborarzt und Patienten abstellen. 73 Vgl. Wagner, VersR 2012, 789, 790. 74 Zu weiteren Abgrenzungskriterien vgl. die ausführliche Darstellung bei Richardi/Fischinger, in: Staudinger, BGB, Dienstvertragsrecht 1, Vorb. zu § 611 Rn. 33 ff. 71
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
Erklärungstatbestände beider Parteien. Besonderheiten sind insofern nicht ersichtlich.75 a) Kontrahierungszwänge der Transplantationszentren Der Grundsatz der Privatautonomie umfasst grundsätzlich auch die Freiheit des Krankenhauses, bestimmte Patienten nicht behandeln zu wollen.76 Eingeschränkt wird diese Auswahl- und Vertragsabschlussfreiheit zunächst durch das ärztliche Standesrecht. So sieht beispielsweise § 7 Abs. 2 S. 2 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO) vor, dass der Arzt in Notfällen zur Behandlung des Patienten gehalten ist. Er hat bei darüber hinausgehenden Entscheidungen über die Behandlung von Patienten jedoch sachgemäß vorzugehen, was eine willkürliche Ablehnung der medizinischen Behandlung berufsrechtlich ausschließt.77 Eine individuelle Pflicht zur Behandlung kann sich unabhängig von einem Vertragsschluss auch in behandlungsbedürftigen Notfällen über § 323c StGB ergeben.78 Darüber hinaus sind öffentlich-rechtlich organisierte Krankenhäuser aus ihrer Einbindung in das staatliche „Planungs- und Finanzierungssystem“ verpflichtet, stationär behandlungsbedürftige Patienten aufzunehmen und entsprechende Behandlungsverträge abzuschließen.79 Für gesetzlich versicherte Patienten ergibt sich die Pflicht zum Abschluss eines Krankenhausaufnahmevertrags aus dem Versorgungsvertrag nach § 109 Abs. 1 SGB V.80 Zudem ergibt sich eine Kontrahierungspflicht der Krankenhäuser aus speziellen landesgesetzlichen Bestimmungen der Krankenhausgesetze81 oder, wo vergleichbare Vorschriften (wie z.B. in Bayern) nicht existieren, direkt aus der Bedeutung des Grundrechts auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.82 Bei den Transplantationszentren kommt es darüber hinaus aufgrund einer faktischen Monopolstellung hinsichtlich der Wartelistenführung aus § 10 Abs. 2 75 Zum Behandlungsvertragsabschluss bei Bewusstlosen und Minderjährigen vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 126 ff.; Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 54 f. sowie ausführlich zum Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger im Medizinrecht Diederichsen, in: FS Hirsch, 355, 355 ff. 76 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 125; Krieger, MedR 1999, 519, 519. 77 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 73 f. Rn. 22. 78 Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 54. 79 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 25. Im transplantationsmedizinischen Kontext Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 12. 80 Genzel/Degener-Hencke, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 80 Rn. 31. 81 So zum Beispiel §§ 28, 29 Landeskrankenhausgesetz Baden-Württemberg (LKHG-BW), § 28 Abs. 1 LKHG-BW: „Wer der stationären Versorgung bedarf, hat Anspruch auf Aufnahme in ein geeignetes Krankenhaus.“ oder § 1 Abs. 3 Landeskrankenhausgesetz Rheinland-Pfalz (LKG-Rlp). 82 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 125.
I. Allgemeines Behandlungsvertragsrecht
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S. 1 Nr. 1 TPG und der begrenzten Anzahl von lediglich knapp über 50 Transplantationszentren zu umfassenden Kontrahierungszwängen.83 Dieses Ergebnis ist insbesondere zur Sicherung der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit bei der Verteilung der zur Verfügung stehenden Organe zwingend.84 Etwas anderes kann sich nur daraus ergeben, dass äußerste Kapazitätsgrenzen überschritten sind und die standardentsprechende Behandlung am konkreten Transplantationszentrum nicht mehr gewährleistet werden kann.85 In diesem Fall müsste der potentielle Organempfänger aber umgehend an das nächstgelegene Transplantationszentrum mit passendem Zentrumsprofil verwiesen werden.86 b) Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB Verstößt der Inhalt des Behandlungsvertrages gegen ein gesetzliches Gebot, ist der Vertrag als Ganzes gem. § 134 BGB nichtig und die Rechtspflichten der Parteien treten nicht ein. Bei der Behandlung von potentiellen Organempfängern kann die Nichtigkeit aus Verstößen gegen Verbotsvorschriften des TPG folgen. Dabei ist insbesondere für § 8 TPG anerkannt, dass die Norm die zwingende Zivilrechtswidrigkeit der entsprechenden Rechtsbeziehungen bezweckt und Verträge, die gegen die Vorschriften der Lebendspende verstoßen, ethisch missbilligt.87 Werden die gesetzlich beschrieben Mindestvoraussetzungen der Lebendspende nicht eingehalten, haben die dennoch geschlossenen Verträge keinen Bestand. Nichtig sind ferner Vertragsschlüsse, die gegen das Verbot des Organhandels und damit gegen § 17 TPG verstoßen.88 In allokationsrechtlicher Hinsicht kann eine Nichtigkeit nach § 134 BGB bei Behandlungsverträgen vorliegen, die entgegen §§ 10 Abs. 3 und 19 Abs. 2a TPG eine Bevorzugung auf der Warteliste oder eine absichtlich unrichtige Gesundheitsmeldung des Patienten an die Vermittlungsstelle (konkludent) vorsehen. Dass dies tatsächlich einmal Eingang in den objektiv-normativen Erklärungstatbestand des Behandlungsvertrages zwischen Transplantationszentrum und Patient findet, darf allerdings bezweifelt werden. So sind aufgrund der verwendeten und in jedem Transplantationszentrum durchstandardisierten Vertragswerke Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 12; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 169. 84 Vgl. BT-Drs. 13/4355, S. 22, 23; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 169. 85 Vgl. Krieger, MedR 1999, 519, 520 f. 86 Anders als Clement meint, führen die Kontrahierungszwänge aber nicht zu einem zwingenden öffentlich-rechtlichen Charakter der Vermittlungsvorschriften, vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 110; ausführlich unter Glp. § 4 III.3 ff. 87 Zur Anerkennung als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB vgl. Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 43 Rn. 7. 88 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38 Rn. 66. 83
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
Nebenabreden, von Zusatzverträgen hinsichtlich einer wahlärztlichen Behandlung einmal abgesehen, so gut wie ausgeschlossen. Relevanter sind insoweit Abreden im Rahmen eines nach §§ 1 Abs. 2, 17 TPG verbotenen Organhandels, die per se zur Nichtigkeit der dennoch geschlossenen Verträge führen.89
II. Vertragsparteien 1. Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung Die in § 630a Abs. 1 BGB skizzierte Vertragskonstruktion trifft in dieser einfachen Form zwischen behandelndem Arzt und behandeltem Patienten nur bei privat krankenversicherten Patienten zu.90 Bei der ambulanten Behandlung eines Privatpatienten kommt der auf die ärztliche Heilbehandlung abzielende Vertrag unmittelbar zwischen Patient und niedergelassenem Arzt durch die Aufnahme der Behandlung bzw. expliziten Vertragsabschluss zustande.91 Mit der herrschenden Meinung92 ist auch bei Behandlungen von gesetzlich versicherten Patienten von einem separaten Behandlungsvertrag zwischen Arzt (Krankenhaus) und dem Patienten auszugehen. Deutlich wird dies auch mit Blick auf die Formulierung des § 630a Abs. 1, 2. Hs. BGB, wonach auch ein Dritter – hier die gesetzliche Krankenkasse – zur Vergütung verpflichtet werden kann. Dieser Behandlungsvertrag ist, wie grundsätzlich alle anderen Behandlungsverträge, dem bürgerlichen Recht zuzuordnen. Bei der ambulanten oder stationären Heilbehandlung gilt grundsätzlich der gleiche Sorgfaltsmaßstab wie bei Privatpatienten.93 Während der privatversicherte Patient unmittelbar Adressat der Gegenleistungspflicht ist, richtet sich die Honorarforderung des Arztes bei der Behandlung von gesetzlich Versicherten gegen den Versicherungsträger. Die Auftrennung zwischen Behandlungsansprüchen des Patienten und der Vergütungspflicht des Kassenträgers wird durch eine öffentlich-rechtliche Vertragskonstruktion zwischen Kassenarzt, Kassenärztlicher Vereinigung, Krankenkasse und Patient erVgl. zum Verbot Bernsmann/Sickor, in: Höfling, TPG, §§ 17, 18 Rn. 4; König, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, Vor §§ 17, 18 Rn. 2 ff.; Rixen, in: Höfling, TPG, § 1 Rn. 29 f. 90 BT-Drs. 17/10488, S. 18 a. E.; Schneider, Neue Methoden im Arzthaftungsrecht, S. 55; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 19. 91 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 12 f.; Knorr, Rechtsstellung des Kassenpatienten, S. 45 f.; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 72. Rn. 20. 92 Vgl. Glp. § 4 I.1.a). 93 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 106; Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 63; Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 63; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 4; Spickhoff, VersR 2013, 267, 270. 89
II. Vertragsparteien
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reicht. Hierbei sind die Kassenärzte mitgliedschaftlich in den kassenärztlichen Vereinigungen organisiert, die mit der jeweiligen Krankenkasse als maßgeblichem Sozialversicherungsträger einen Gesamtvertrag abschließen, nach welchem medizinische Dienstleistungen erbracht sowie abgerechnet und vergütet werden.94 Der Vergütungsanspruch des Behandelnden folgt aus der mitgliedschaftlichen Beziehung zur kassenärztlichen Vereinigung, § 85 Abs. 4 SGB V. Die zivilrechtliche Vertragsbeziehung zum behandelnden Arzt oder Krankenhaus aus den §§ 630a ff. BGB wird demnach durch die öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisse zwischen (1) Kassenärztlicher Vereinigung und Kassenarzt, (2) Kassenpatient und Krankenkasse sowie (3) durch den Gesamtvertrag zwischen Krankenkasse und Kassenärztlicher Vereinigung flankiert.95 Durch die Leistungsverpflichtung des Behandelnden auf der einen Seite und die vom Versicherungsträger übernommene Vergütungspflicht auf der anderen Seite, reduziert sich der ansonsten gegenseitige Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB mit den grundsätzlich synallagmatischen Hauptleistungspflichten Behandlung und Vergütung zu einem „partiell einseitigen Vertragsverhältnis“.96
2. Behandelnde Personen Im Gegensatz zur vertraglichen Einbeziehung des Patienten ist die Frage nach dem behandelnden Vertragspartner nicht einheitlich zu beantworten. Neben der im Grunde selbstverständlichen rechtsformspezifischen Differenzierung des jeweiligen Rechtsträgers97, z.B. bei personengesellschaftsrechtlich organisierten Arztpraxen, ist zwischen ambulanter und stationärer Heilbehandlung zu unterscheiden. a) Ambulante Heilbehandlung aa) Niedergelassene Ärzte Ambulante Behandlungen sind regelmäßig als reine Behandlungsverträge zwischen dem niedergelassenen Arzt und dem Patienten ausgestaltet. An die Stelle des einzelnen Arztes kann je nach Rechtsnatur der freiberuflich ausgeübten Tätigkeit auch ein Ärztekollektiv wie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach §§ 705 ff. BGB, die speziell für die freien Berufe konzipierte Partnerschaftsge-
94 Vgl. neben den Ausführungen insbesondere die Abbildungen bei Quaas, in: Quaas/ Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 4 f. sowie Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 106 ff. 95 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 106 ff.; Hess, in: Wenzel, Handbuch des Fachanwalts Medizinrecht, Kap. 2 Rn. 75 ff.; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 4 f. 96 BT-Drs. 17/10488, S. 19. 97 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 18.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
sellschaft nach dem PartGG oder die Arzt-GmbH98 treten. Die haftungsrechtlichen Besonderheiten, insbesondere die akzessorische Gesellschafterhaftung bei den Personengesellschaften, richten sich dann nach der jeweiligen Rechtsform. Medizinrechtliche Besonderheiten ergeben sich hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der gemeinsamen Arztpraxis. So ist v. a. zwischen der Praxisgemeinschaft und der Berufsausübungsgemeinschaft (oder auch Gemeinschafts praxis) zu unterscheiden.99 Die Praxisgemeinschaft ist auf die gemeinsame organisatorische Nutzung von Personal, Apparaten und Räumlichkeiten ausgelegt und beschränkt sich gleichsam als „reine Organisationsgemeinschaft“100 auf die binnenrechtliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen der Ärzte.101 Im Außenverhältnis zum Patienten tritt lediglich der behandelnde Arzt hervor und wird Partei des Behandlungsvertrags.102 Hiervon unterscheidet sich die Gemeinschaftspraxis, die auch im Außenverhältnis als Kollektiv auftritt. Sämtliche Partner der Gemeinschaftspraxis werden gegenüber dem Patienten Vertragspartei und sind Gläubiger der Honorarforderung.103 Für etwaige Haftungsansprüche bei ärztlichen Kunstfehlern stehen sie ebenfalls unabhängig von der vorgenommen Behandlung gesamtschuldnerisch ein.104 Das Transplantationsrecht richtet sich primär an Transplantationszentren und nicht an einzelne niedergelassene Ärzte. Eine explizite Pflicht der behandelnden Ärzte findet sich aber in § 13 Abs. 3 S. 1 TPG, der den behandelnden Arzt dazu verpflichtet, den Patienten unverzüglich an ein Transplantationszentrum zu melden, wenn eine Übertragung vermittlungspflichtiger Organe angezeigt ist und der Patient in die Übermittlung der personenbezogenen Daten einwilligt. bb) Ambulante Behandlung im Krankenhaus Betrachtet man im nächsten Schritt die Rechtsbeziehungen bei Behandlungen in Krankenhäusern, wird die Abgrenzung zwischen stationären und ambulanten Behandlungen in der Klinik bedeutsam. Soweit sich ein Patient zur ambulanten Behandlung in einem Krankenhaus befindet, wird, soweit es sich nicht um krankenauseigene Ambulanzeinrichtungen handelt, nicht der Krankenhausträger, sondern vielmehr der nach Maßgabe der §§ 95, 116 SGB V ermächtigte
Vgl. Schlund, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 18 Rn. 17. Rehborn, GesR 2013, 257, 258. 100 Rehborn, GesR 2013, 257, 258. 101 Rehborn, GesR 2013, 257, 258. 102 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 5; Rehborn, GesR 2013, 257, 258. 103 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 6. 104 Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 39 Rn. 6. 98
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II. Vertragsparteien
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Krankenhausarzt (in aller Regel hierzu ermächtigte Chefärzte) verpflichtet.105 Die in der Ambulanz tätigen und an der Heilbehandlung beteiligten Ärzte sind nicht Teil des zwischen dem Ambulanzträger und dem Patienten bestehenden Behandlungsvertrages.106 Der zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigte Vertragsarzt muss sich jedoch etwaige Fehlbehandlungen der als Erfüllungsgehilfen therapierenden Ärzte nach Maßgabe des § 278 BGB zurechnen lassen. Zudem kann im Einzelfall auch eine deliktsrechtliche Haftung für vermutetes Übernahmeverschulden aus § 831 BGB entstehen.107 In transplantationsrechtlicher Hinsicht wird die Differenzierung bei der Durchführung von Ersatztherapien bedeutsam. Wird etwa die Dialysebehandlung eines Patienten mit Niereninsuffizienz während der Wartezeit auf ein passendes Spenderorgan in einer nicht krankenhauseigenen Ambulanz oder einem privaten Dialysezentrum vorgenommen, ergeben sich hieraus hinsichtlich der Vertragsbeziehungen zum Transplantationszentrum keine Besonderheiten. Sieht man die Wartelistenführung als Teil des Behandlungsvertrags, tritt neben die Rechtsbeziehung zum Ambulanzträger der Behandlungsvertrag zum Transplantationszentrum, der insoweit die Betreuung hinsichtlich der geplanten und medizinisch indizierten Organübertragung beinhaltet. b) Stationäre Heilbehandlung Der vertragsrechtliche Regelfall bei stationären Behandlungen ist der sog. totale Krankenhausaufnahmevertrag, der sich aus behandlungs-, werk- und mietvertraglichen Elementen zusammensetzt und als Vertragspartner und späteren Haftungsadressaten den Rechtsträger des Krankenhauses verpflichtet.108 Die Einigung z folgt unmittelbar mit der Unterzeichnung zu Beginn der stationären Aufnahme im Krankenhaus, wodurch der private oder öffentlich-rechtliche Rechtsträger der Klinik Vertragspartner des Patienten wird.109 Neben der haftungsrechtlichen Verpflichtung des Krankenhausträgers scheidet eine vertragli-
Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 29; Greiner, in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A. Rn. 18; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 64 Rn. 6; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 26; zur kassenärztlichen Zulassung der Krankenhausambulanz vgl. § 95 SGB V. 106 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 6 4 Rn. 6. 107 Vgl. zum Ganzen sowie zum Spezialfall der sog. „Institutsgarantie“ Greiner, in: Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A. Rn. 19 ff. 108 BT-Drs. 17/10488, S. 18; Broglie, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 736 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 113; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 25 f. 109 Knorr, Die Rechtsstellung des Kassenpatienten, S. 45 ff. 105
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
che Eigenhaftung des behandelnden Arztes grundsätzlich aus.110 Hinsichtlich einer persönlichen Eigenhaftung des behandelnden Arztes gewinnen in diesem Fall deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen besondere Relevanz.111 Eine vertragsrechtliche Besonderheit besteht hinsichtlich solcher Vertragskonstruktionen, die den Rechtsträger des Krankenhauses als Leistungsverpflichteten ausdrücklich ausschließen, soweit sich die Vertragspflichten nicht ausschließlich in der bloßen Krankenhausversorgung erschöpfen, sog. „gespaltener Krankenhausaufnahmevertrag“.112 Geschuldet wird von Seiten des Klinikträgers lediglich die pflegerische Versorgung des Patienten, während der Behandlungsvertrag zwischen dem Belegarzt und dem Patienten zustande kommt.113 Anstelle des Krankenhausträgers haftet der behandelnde (und liquidationsberechtigte) (Chef-)Arzt selbst für Behandlungsfehler, die sich aus dem behandlungsvertraglichen Rechtsverhältnis ergeben.114 Der totale Krankenhausaufnahmevertrag ist bei Patienten mit Hochdringlichkeitsstatus der Regelfall, die aufgrund des sich rapide verschlechternden Gesundheitszustands häufig eine intensivmedizinische Betreuung benötigen. Jedenfalls erfolgt spätestens zur Vorbereitung des operativen Eingriffs zur Organübertragung die stationäre Aufnahme in das Transplantationszentrum.
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung Die Pflicht zur Wartelistenführung ergibt sich als vermittlungsrelevante Aufgabe des Transplantationszentrums aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG und hat, wie bereits dargelegt, für den weiteren Ablauf der Organvermittlung hinsichtlich der einheitlichen Warteliste bei Eurotransplant für den Patienten und sein Recht auf eine gleichberechtigte Teilhabe an der Organverteilung erhebliche Bedeutung. Dabei ist unklar, ob § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG eine den Behandlungsvertrag prägende Pflicht des Zivilrechts begründet oder vielmehr eine öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung im Sinne einer Mangelverwaltung darstellt.
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Vgl. BGH, Urteil v. 10.5.2010 – VI ZR 252/08 = NJW 2010, 2580, 2580 ff., wonach dem einzelnen Patienten auch kein Anspruch auf Heilbehandlung durch einen bestimmten Arzt zusteht. 111 Heyers, BRJ 2012, 135, 136; Spickhoff, VersR 2013, 267, 281. 112 Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 66. Rn. 9. 113 BGH, Urteil v. 19.2.1998 – III ZR 169–97 (KG) = NJW 1998, 1778, 1779; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 119; Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 66 Rn. 9. 114 Broglie, in: Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht, Rn. 738.
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung
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1. Spannungsfeld aus öffentlichem Recht und Zivilrecht Die damit aufgeworfene Frage nach der Rechtsnatur der Pflicht zur Wartelistenführung und der konkreten Organzuteilung ist bis heute Gegenstand der transplantationsrechtlichen Diskussion. Obwohl der historische Gesetzgeber bei Verabschiedung des TPG eindeutig davon ausging, im Wesentlichen eine privatrechtliche Organisation und Pflichtenverteilung konstruiert zu haben115, wird zunehmend die privatrechtliche Natur der Pflichten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG sowie § 12 Abs. 3 TPG in Frage gestellt. Die Brisanz der aufgeworfenen Problematik zeigt sich vor allem hinsichtlich des eröffneten Rechtswegs. Je nach Gericht wurde bisher sowohl der Weg vor die ordentlichen Gerichte als auch der Verwaltungsrechtsweg für zulässig erklärt.116 Trotz dieser erheblichen Unsicherheit hält das BVerfG aber nach wie vor die der Verfassungsbeschwerde aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG vorgelagerte Rechtswegerschöpfung nicht für unzumutbar i. S. d. § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, sodass auch kein Verstoß gegen die Rechtschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG anzunehmen sei.117 Über die umstrittene Frage nach der Rechtswegzuständigkeit hinaus ist die Thematik auch für das materielle Haftungsrecht von Bedeutung: Soweit die verteilungsrelevanten Entscheidungen dem öffentlichen Recht zuzuordnen wären und die Transplantationszentren je nach Rechtsnatur als staatliche Behörde oder Beliehene handelten, kämen statt behandlungsvertraglicher Arzthaftungsansprüche vor allem Ansprüche aus dem Staatshaftungsrecht nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG in Betracht. Für deren Anwendbarkeit ist entscheidend, dass „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ im Sinne von Art. 34 GG gehandelt wurde, der als Beamten im haftungsrechtlichen Sinn grundsätzlich jeden umfasst, der öffentlich-rechtlich handelt.118
115 Vgl. etwa BT-Drs. 13/4355, S. 14: „Die Organvermittlung ist keine zwingende Staatsaufgabe“. 116 Den Weg vor die Zivilgerichte bejahten LG Essen, Urteil v. 21.11.2007 – 1 O 312/07 = BeckRS 2009, 03085 sowie LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527 a. E.; dagegen hielt das VG München den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet, VG München, Urteil v. 26.6.2014 ‑ M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 29. Der VGH München als Nachinstanz musste sich mit der Frage des zuständigen Rechtswegs aufgrund einer rügelosen Einlassung der Gegenseite nicht mehr auseinandersetzen. Zur gesamten Problematik Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3399. 117 BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rn. 3 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 = juris, Rn. 18. 118 Bonk/Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 34 Rn. 51; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 58; Grzeszick, in: Epping/Hillgruber, GG I, Art. 34 Rn. 5 f.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
2. Abgrenzungsmaßstab Die Abgrenzung zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Normen und daraus entstehenden Rechten und Pflichten geht bereits auf das Römische Recht zurück und durchzieht unsere Rechtsordnung bis heute als Kennzeichen des modernen Verfassungsstaats.119 Grundlegend ist dabei die Trennung zwischen den überwiegend kollektiven Interessen des Gemeinwesens im öffentlichen Recht und den Interessen der einzelnen Rechtssubjekte im Privatrecht.120 Während das öffentliche Recht regelmäßig die Wahrnehmung von Staatsaufgaben und öffentlichen Interessen sowie die Ausübung staatlicher Autorität gegenüber den insoweit untergeordneten Regelungsadressaten zum Gegenstand hat, liegt der Privatrechtsordnung die Privatautonomie und die damit verbundene selbstbestimmte Gestaltung der eigenen Rechtsverhältnisse zugrunde.121 Aus der Zuordnung eines Rechtsverhältnisses leitet sich darüber hinaus der Rechtsweg ab. Bei privatrechtlichen Lebenssachverhalten ist gemäß § 13 GVG der Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte, bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet.122 Maßgeblich für eine Qualifikation einer Streitigkeit ist hiernach die Natur des Streitgegenstands, also des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.123 Entscheidend ist weniger die Vorstellung der Parteien von der Rechtsnatur, sondern vielmehr die Frage, ob die zugrundliegenden Tatsachen einen Sachverhalt beschreiben, der dem öffentlichen oder bürgerlichen Recht zuzuordnen wäre.124 Nach den herkömmlichen Theorien zur Abgrenzung des öffentlichen Rechts von zivilrechtlichen Normen ist zwischen der Subordinations-, Interessen- und (modifizierten) Subjekttheorie zu unterscheiden.125 Da sich auch bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag die Parteien auf Augenhöhe gegenüberstehen und kein Subordinationsverhältnis vorliegt, ist zur Einordnung des Vertragsverhältnisses dessen Gegenstand und Zweck entscheidend.126 Führen die herkömmliBadura, Staatsrecht, A. Rn. 6. Badura, Staatsrecht, A. Rn. 6. 121 Badura, Staatsrecht, A. Rn. 6. 122 Badura, Staatsrecht, A. Rn. 6. 123 GmS-OGB, Beschluss v. 10.4.1986 – GmS-OGB1/85 = NJW 1986, 2359, 2359; Beschluss v. 4.6.1974 – GmS-OGB 2/73 = NJW 1974, 2087; Bonk/Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 34 Rn. 51; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 43. 124 Bonk/Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 34 Rn. 51; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 43 m. w. N. 125 Bonk/Detterbeck, in: Sachs, GG, Art. 34 Rn. 51. 126 GmS-OGB, Beschluss v. 1004.1986 – GmS-OGB 1/85 = NJW 1986, 2359, 2359; BVerwG, Urteil v. 5.10.1965 – IV C 26/65 = NJW 1966, 219, 219. 119
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chen Abgrenzungstheorien zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist nach dem Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes der Schwerpunkt des Gesamtcharakters der für den Streitgegenstand entscheidenden Normen maßgeblich.127 Zusammenfassend lassen sich mit der Judikatur des Gemeinsamen Senats der Obersten Bundesgerichte folgende zwei Auslegungsgrundsätze festhalten128: 1. „Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich (…) danach (…), ob die Beteiligten in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient.“129 2. „Solche Verhältnisse werden als öffentlich-rechtlich angesehen, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen überwiegend den Interessen der Allgemeinheit dienen, wenn sie sich nur an Hoheitsträger wenden oder wenn der Sachverhalt einem Sonderrecht der Träger öffentlicher Aufgaben unterworfen ist und nicht Rechtssätzen, die für jedermann gelten.“130
Die dargestellten Auslegungsmaximen gelten dann, wenn eine ausdrückliche oder durch Auslegung zu ermittelnde Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt.131 Eine dem Gesetz und dessen zugrunde liegenden Wertungen selbst zu entnehmende Qualifikation ist demnach den zitierten Einordnungsgrundsätzen vorrangig. Die zitierten Grundsätze, die insoweit alle drei Abgrenzungstheorien zusammenfassen, führen bei der Einordnung der vermittlungsrelevanten Regelungen zu keinem von vornherein klaren Ergebnis. Ob das Transplantationszentrum als Hoheitsträger dem Patienten im Über-/Unterordnungsverhältnis gegenübertritt oder § 10 Abs. 2 TPG überwiegend den Interessen der Allgemeinheit dient, ist jeweils wieder von der Auslegung und dem Normverständnis der Pflichtaufgabe abhängig. Gleiches gilt für die Frage, ob die Norm als Teil der „Mangelverwaltung“ klassisches öffentlich-rechtliches Sonderrecht begründet. Insofern besteht Einigkeit, dass die Frage nach der Normqualifikation im Ergebnis nur durch Auslegung der vermittlungsrelevanten Regelungen des TPG zu beantworten ist.132 127
GmS-OGB, Beschluss v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 = NJW 1986, 2359, 2359. Auf eine weitere Darstellung der Abgrenzungskasuistik des BVerfG wurde an dieser Stelle verzichtet. Für eine umfassendere Darstellung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts sei auf Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 52 ff. verwiesen. 129 GmS-OGB, Beschluss v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 = NJW 1986, 2359, 2359. 130 GmS-OGB, Beschluss v. 10.7.1989 – GmS-OGB 1/88 = NJW 1990, 1527, 1527. 131 GmS-OGB, Beschluss v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85 = NJW 1986, 2359, 2359, Glp. III.1. 132 Vgl. etwa Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 106 ff. 128
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
3. Öffentlich-rechtliche Qualifikation Eine zunehmend an Popularität gewinnende Ansicht möchte die verteilungs relevanten Regelungen des TPG und die auf ihnen beruhenden Entscheidungen in ihrer Gesamtheit dem öffentlichen Recht zuordnen.133 Im Gegensatz zu Entscheidungen des LG Gießen134 und LG Essen135 ging das VG München explizit von einem öffentlich-rechtlichen Aufgabencharakter aus, klassifizierte die Ablehnung der Wartelistenaufnahme durch das Transplantationszentrum als Verwaltungsakt und hielt folglich den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet.136 Entgegen der Intention des Gesetzgebers dienten die Verteilungsregeln der Verwirklichung des Rechts auf Chancengleichheit bei der Vermittlung der knappen Organe und erfüllten somit einen öffentlichen Zweck.137 Bereits dieser öffentliche Zweck deute auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Normen und damit auch der Wartelistenentscheidung hin.138 Mit Ausgestaltung des TPG habe der Gesetzgeber zudem seinen Willen verdeutlicht, die Organverteilung als öffentliche Aufgabe anzunehmen.139 Die durch das TPG geschaffene Monopolstellung der Verfahrensbeteiligten, konkret der Transplantationszentren, Eurotransplants und der Bundesärztekammer, seien ebenfalls Indizien, die für eine öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung sprächen.140 Entscheidend sei jedoch eine verfassungskonforme Auslegung der vermittlungsentscheidenden Normen als öffentlich-rechtliche Ermächtigungen, da ansonsten die Grenzen der öffentlichen Aufgabenprivatisierung überschritten wären.141 Das Argument, dass der Gesetzgeber mit der Ausarbeitung des TPG eine staatliche Aufgabenwahrnehmung konstituiert habe, wird auch unter dem Begriff der „Mangelverwaltung“ vorgebracht. So seien die Organvermittlung und die ihr vorgelagerten Entscheidungen Maßnahmen der Verwaltung knapper Ressourcen, an denen die Grundrechtsträger ein derivatives Teilhaberecht hätten, und die Allokationsregelungen somit per se dem öffentlichen Recht zuzu133 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077; So auch Augsberg, GesR 2009, 78, 78; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 106; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14; Lang, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 45 ff.; wohl auch Schroth, NStZ 2013, 437, 440, 446: „Ausübung von Hoheitsrechten (…), jedoch keine rechtlich legitime“. Ohne wesentliche Auseinandersetzung mit der Problematik auch Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 98 f. 134 LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527. 135 LG Essen, Urteil v. 21.11.2007 – 1 O 312/07 = BeckRS 2009, 03085. 136 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077. 137 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 106. 138 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 106. 139 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 107; Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 335; 140 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 110. 141 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 111 ff.
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung
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ordnen.142 Der Rückgriff auf die Gesetzesbegründung sei, sofern dies überhaupt von Bedeutung sei143, verfehlt, da dem Gesetzgeber nicht klar gewesen sei, dass das Problem der Organvermittlung nicht allein mit medizinischen Kriterien zu lösen sei, und dieser daher die Dimension der Mangelverwaltung verkannt habe.144 Das Gesamtsystem der Organvermittlung und dem folgend auch die vorgeschaltete Problematik der Wartelistenführung sei öffentlich-rechtlicher Natur, sodass sich auch hieraus der Verwaltungsrechtsweg eröffne.145 Besonders pointiert trägt Augsberg die in diese Richtung zielende Kritik vor, wonach mit der zivilrechtlichen Charakterisierung „ein multipolares, verschachteltes und (…) undurchsichtiges System in einer äußerst pragmatischen, aber auch unterkomplexen Weise auf ein vertragliches Synallagma heruntergebrochen“ 146 werde. Die Transplantationszentren würden danach im Ergebnis bei der Wartelistenführung als Beliehene agieren und hoheitlich tätig werden.147 Die Entscheidungen über Aufnahme in die bzw. Herausnahme aus der Warteliste seien konsequenterweise als Verwaltungsakte im Sinne des § 35 VwVfG zu qualifizieren, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit der Versagungsgegenklage aus § 42 Abs. 1 Alt. 2 UF 1 VwGO zu erstreiten wären.148 Zuletzt taucht in der Diskussion um die Rechtsnatur der streitentscheidenden Normen und die hieraus folgende Rechtswegeröffnung immer wieder das Argument auf, § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG ermächtige das Transplantationszentrum, über die gespendeten Organe zu verfügen.149 Wenn ein so weitreichender Handlungsspielraum bestünde, müsse in gleichem Maße auch eine unmittelbare Grundrechtsbindung bestehen150, die aber nur über das öffentliche Recht erreicht werden könne, nicht hingegen über das Zivilrecht, das nur eine mittelbare
142 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 29; besprochen bei Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3399; Hufen, JuS 2015, 574, 574 ff.; ähnlich auch Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14. 143 Kritisch hierzu Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 105; anders aber Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 215. 144 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 29. 145 Neft, NZS 2010, 16, 21. 146 Augsberg, GesR 2009, 78; Engels, MedR 2011, 541, 541. 147 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 28; Augsberg, GesR 2009, 78; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14; Hufen, JuS 2015, 574, 575; explizit anderer Auffassung Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 101: Transplantationszentren als „Nicht-Träger öffentlicher Gewalt“. 148 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 36; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14. 149 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 30; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14. 150 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 30; in diese Richtung auch Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 14.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
Drittwirkung der Grundrechte über die verfassungskonforme Anwendung und Auslegung von Generalklauseln kenne. Bevor nun die Argumente für die privatrechtliche Charakterisierung dargestellt werden, lohnt es sich an dieser Stelle, die Argumente, die für eine öffentlich-rechtliche Einordnung ins Feld geführt werden, noch einmal zu strukturieren. So wird von den Vertretern der öffentlich-rechtlichen Einordnung angeführt: 1. Der Gesetzgeber habe mit der Ausgestaltung des TPG die Mangelverwaltung als staatliche Aufgabe etabliert; diese Aufgabenwahrnehmung sei per se öffentlich-rechtlicher Natur; 2. Die Grundrechtssensibilität der Thematik und die Gefährdungslage der Patienten erforderten eine umfassende Grundrechtsbindung, die nur bei einer Behörde mit öffentlich-rechtlicher Aufgabenwahrnehmung bestünde, sowie 3. Gemeinsam mit der im Zivilrecht drohenden Entwertung der Grundrechtspositionen der Patienten zwängen die Garantie effektiven Rechtsschutzes sowie demokratische Legitimationsdefizite zu einer verfassungskonformen Auslegung der Rechtsgrundlagen. Diese seien mithin als öffentlich-rechtliche Pflichtaufgaben auszulegen, da ansonsten die Grenze der staatlichen Aufgabenprivatisierung überschritten würde.
4. Privatrechtliche Qualifikation Dem steht die zunehmend in Kritik geratene Auffassung der privatrechtlichen Qualifikation gegenüber.151 Insbesondere die letzte Erwägung, wonach ein umfassender Grundrechtsschutz im Transplantationsrecht angezeigt sei und deshalb die Wartelistenentscheidungen vorzugswürdig dem öffentlichen Recht zuzuordnen seien, ist innerhalb der Rechtsprechung auf Kritik gestoßen. So geht das LG Gießen152 in seiner Entscheidung vom 19.9.2014 nach wie vor von einer privatrechtlichen Qualifizierung der Wartelistenentscheidungen aus. Zuvor hatte bereits das LG Essen153 die Aufnahme in die Warteliste als privatrechtlich qualifiziert und damit, allerdings ohne weitere Begründung, die ordentliche Gerichtsbarkeit nach §§ 13, 23 Abs. 1, § 71 Abs. 1 GVG für zuständig erklärt. 151 Für eine privatrechtliche Qualifikation Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organ allokation, S. 98 f.; Kreße, MedR 2016, 491, 493 ff.; Middel/Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, TPG, § 10 Rn. 4; Schmidt-Aßmann, in: Humanioria, FS Laufs, S. 1049, 1062; ders, Grundrechtspositionen, S. 101; Spickhoff, VersR 2006, 1569, 1576; für Privatpatienten Zuck, in: Sozialverwaltungsverfahrensrecht, S. 343 Rn. 21; ders., GesR 2009, 244, 248 f.; ders., in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 68 Rn. 160; im Zusammenhang mit Gewebeübertragungen im Ergebnis ebenfalls für die privatrechtliche Qualifikation Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 53; Gott, Schnittstellen zwischen Organ- und Gewebespenden, S. 178 f. 152 LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527 a. E. 153 LG Essen, Urteil v. 21.11.2007 – 1 O 312/07 = BeckRS 2009, 03085 Rn. 29.
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung
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Der Einwand, eine „unmittelbare Bindung an die Grundrechte sei wünschenswert oder erforderlich“, sei für die Qualifizierung eines Rechtsverhältnisses nicht entscheidungserheblich.154 Insbesondere könne ein privatrechtliches Rechtsverhältnis wie der Behandlungsvertrag nicht als öffentlich-rechtlich qualifiziert werden, um eine höhere Grundrechtsbindung zu erreichen.155 Vielmehr sei das Behandlungsverhältnis im Krankenhaus von einer Gleichordnung der Vertragspartner geprägt und gerade kein Subordinationsverhältnis.156 Relevant sei in diesem Zusammenhang die Bezugnahme des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG auf den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft als Maßstab für die Entscheidungen des Transplantationszentrums. Dieser sei in Anlehnung an den medizinischen Standard und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach § 276 Abs. 2 BGB Teil der vertraglichen Pflichten des Transplantationszentrums und kein Rechtssatz des öffentlichen Rechts.157 Für den Patienten zähle letztlich nur das „abschließende Behandlungsergebnis“158 der erfolgreichen Organtransplantation, das neben der Diagnose und der fachgerechten Indikation auch die Komponente der Organbeschaffung beinhalte.159 Besonders in der älteren Literatur160 findet sich oftmals lediglich der pauschale Hinweis auf die Gesetzesbegründung, in der es wörtlich heißt161: „Die Annahme zur Organübertragung und die Aufnahme in die Warteliste sind Voraussetzung und Bestandteil eines Vertrages über die Krankenhausbehandlung zum Zwecke der Organtransplantation.“
Kreße leitet die privatrechtliche Qualifikation hingegen aus zwei Erwägungen her: Zum einen werde durch § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG der Pflichtenumfang des Transplantationszentrums nicht geändert, da es bereits durch den zuvor geschlossenen Behandlungsvertrag zur Einhaltung des medizinischen Standards und des damit verbundenen Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft verpflichtet sei.162 Zum anderen seien die Richtlinien der BÄK nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG reine „Feststellung“ des medizinwissenschaftlichen Erkenntnisstands, „der normativen Regelbildung somit vorgelagert“163 und damit 154
LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527. LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527. 156 LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527. 157 LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527 a. E. 158 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 233. 159 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 233. 160 Etwa bei Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 233; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 101; ders., in: Humanioria, FS Laufs, S. 1049, 1062. 161 BT-Drs. 13/4355, S. 22. 162 Kreße, MedR 2016, 491, 493. 163 Kreße, MedR 2016, 491, 493. 155
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keine Rechtssätze des öffentlichen Rechts.164 Insoweit versage sowohl die Zweistufentheorie als auch die modifizierte Subjekttheorie, da das „Ob“ der Zulassung durch die Norm nicht tangiert werde und § 10 Abs. 2 TPG nach diesem Verständnis auch keine spezifisch öffentlich-rechtliche Vorschrift sei, die einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtige oder verpflichte.165
5. Auslegung und Rechtsnatur der Pflichten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG a) Wertungen des Gesetzes selbst Die Gesetzesbegründung nimmt in der Diskussion um die Rechtsnatur der Normen über die Wartelistenführung eine herausgehobene Rolle ein. Inwieweit der in der offiziellen Begründung dargelegte Hinweis auf den zugrunde liegenden Krankenhausvertrag166 überhaupt relevant und für das Ergebnis des Streits um die Rechtsnatur entscheidend ist, wurde bisher von den Befürwortern der privatrechtlichen Einstufung aber nicht dargelegt. Ebenso wenig haben sich die zitierten ordentlichen Gerichte mit der Bedeutung der historischen Auslegung im Zusammenhang mit der Wartelistenführung aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG auseinandergesetzt. Dabei ist die Beantwortung dieser Frage für die Auslegung der Ermächtigungsnorm elementar, da nur so geklärt werden kann, ob § 10 Abs. 2 TPG eine objektivierte Zuordnung der Wartelistenführungspflicht zum Privatrecht zu entnehmen ist. Innerhalb der Argumentation zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Normcharakterisierung wird der entgegenstehende Wille des historischen Gesetzgebers mit Blick auf die allgemeine Auslegungsdogmatik167 in ihrer Bedeutung stark relativiert sowie für die Debatte als nicht entscheidungserheblich erklärt.168
Kreße, MedR 2016, 491, 493. Kreße, MedR 2016, 491, 493; kryptisch und im Ergebnis wenig überzeugend Böning, Kontrolle im Transplantationsgesetz, S. 52, 70, der die entsprechenden Normen öffentlich-rechtlich, die Einzelentscheidungen und Rechtsbeziehungen aber privatrechtlich klassifizieren will. 166 BT-Drs. 13/4355, S. 22 zum damaligen § 9 Abs. 2 TPG a. F. 167 Bei der Auslegung des TPG gelten die üblichen Auslegungsmethoden, BVerfG, Beschluss v. 11.8.1999 – 1 BvR 2181–98 = NJW 1999, 3399, 3400; Rixen, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 8. 168 So sind insbesondere die Ausführungen von Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 105 f., zu verstehen, der auf die methodischen Auslegungsgrundsätze in der BVerfG-Rechtsprechung hinweist und sodann auf die historische Erwägung des Gesetzgebers in der Diskussion nicht mehr Bezug nimmt. 164 165
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aa) Auslegungsmaßstab: Objektivierter Wille des Gesetzgebers Soweit die privatrechtliche Qualifikation in der älteren Literatur als unstrittig dargestellt wurde, geschah dies mit einem Verweis auf die Gesetzesbegründung des TPG, in der die gesetzgeberische Einordnung als Privatrecht eindeutig zum Ausdruck komme.169 Innerhalb beider Auffassungen ist unstreitig, dass der ursprüngliche Wille des historischen Gesetzgebers auf eine privatrechtliche Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse abzielte. Fraglich ist aber, welche Bedeutung diesem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Willen bei der rechtlichen Qualifikation der Pflichten im Ergebnis beizumessen ist. Hierzu bedarf es zunächst eines Blicks auf die allgemeine Dogmatik zur Auslegung nicht eindeutiger Gesetzesvorschriften. Die Frage nach der methodischen Berücksichtigung des „ursprünglichen“ gesetzgeberischen Willens wird von den Vertretern der „subjektiven“ und „objektiven“ Theorie unterschiedlich beantwortet. Kern der Problematik ist, inwieweit die ursprünglichen Wertungen, Vorstellungen und Beweggründe der am Gesetzgebungsprozess beteiligten Organe zur Auslegung mehrdeutiger Begriffe herangezogen werden können.170 Während Vertreter der subjektiven Theorie im Sinne Savignys das rechtsmethodische Ziel der Auslegung darin sahen, den „historisch-psychologischen Willen des Gesetzgebers“171 zu erforschen, zielt die objektiv verstandene Auslegung auf die „Erschließung des dem Gesetz selbst innewohnenden Sinnes“172 ab. Ziel der objektiven Theorie ist also der „Wille des Gesetzes“, nicht des historischen Gesetzgebers.173 Weitgehend Einigkeit besteht heute dahingehend, dass weniger nach den subjektiven Anschauungen des historischen Gesetzgebers, als vielmehr nach dem Sinn des Gesetzes als solchem zu fragen ist.174 Die erlassene Norm prägt den geregelten Lebenssachverhalt und entfaltet regelmäßig eine „eigene Wirklichkeit, die über das hinausgeht, was der Gesetzgeber beabsichtigt hatte“.175 Der 169 So z.B. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 233; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 101; ders., in: Humanioria, FS Laufs, S. 1049, 1062; 170 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 137. 171 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 137; Rixen, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 12; Würdinger, JuS 2016, 1, 2 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 17. 172 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 137. 173 Waldhoff, in: Fleischer, Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 75, 86; Würdinger, JuS 2016, 1, 2 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 17; 174 St. Rspr. BVerfG, Urteil v. 30.3.2005 – 2 BvR 1520/01 = NJW 2004, 1305, 1306; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 434 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 138; Waldhoff, in: Fleischer, Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 75, 75 ff.; zum TPG Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 47 f.; Rixen, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 12. 175 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 138.
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damit verbundenen objektiven Auslegungstheorie folgt auch die höchstrichterliche Rechtsprechung des BVerfG, die ausführt, dass bei der Auslegung von Gesetzesbestimmungen „der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Norm hineingestellt ist“,176
maßgeblich sei. Clement weist dementsprechend zu Recht darauf hin, dass allein die subjektive Einschätzung des Gesetzgebers, dass § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG Pflichten aus dem zugrunde liegenden Krankenhausvertrag begründe, für eine privatrechtliche Qualifikation nicht ausreiche.177 Die subjektiven Gesetzesvorstellungen und Regelungsabsichten des Gesetzgebers sind aber insoweit relevant, als sie den „normativen Sinn des Gesetzes“ prägen.178 Soweit Gesetzesmaterialien existieren, sind sie insoweit beachtlich, wie sie als taugliche Argumente für ein bestimmtes Normverständnis des historischen Gesetzgebers anzusehen sind.179 Der Gesetzessinn ist unter Verwendung des ursprünglich auf Savigny zurückgehenden und in der Methodenlehre fortentwickelten Auslegungskanons nach grammatikalischem, systematischem, historischem und teleologischem Element zu ermitteln180, wobei – abgesehen von der herausgehobenen Bedeutung des Wortlauts im Strafrecht181 – keiner Auslegungsmethode ein unbedingter Vorrang zukommt, sog. interpretatorische Abwägungslösung.182 Damit kommt der Gesetzesbegründung als Zeugnis des historischen Gesetzgeberwillens aber keinesfalls nur eine untergeordnete Rolle zu, sondern sie entfaltet neben den anderen Auslegungsmaximen zumindest indiziellen Charakter, der die Hürden für eine gegenläufige Auslegung entsprechend anhebt.
176 BVerfG, Beschluss v. 17.5.1960 – 2 BvL 11/59 = NJW 1960, 1563, 1564; BVerfG, Urteil v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95 = NJW 2002, 1779, 1781; BVerfG, Urteil v. 30.3.2005 – 2 BvR 1520/01 = NJW 2004, 1305, 1306. 177 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 105. 178 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 139. 179 Würdinger, JuS 2016, 1, 5. 180 Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 35. 181 BVerfG, Urteil v. 20.3.2002 – 2 BvR 794/95 = NJW 2002, 1779, 1781, wobei hinsichtlich der Auslegung strafrechtlicher Vorschriften die „unübersteigbare Wortlautgrenze“ aufgrund von Art. 103 Abs. 2 GG von „herausgehobene(r) Bedeutung“ ist. 182 BVerfG, Urteil v. 20.3.2002 ‑ 2 BvR 794/95 = NJW 2002, 1779, 1781; Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141, 144; differenzierend Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 163 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, Einf. Rn. 39;
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bb) Einwand der verfassungskonformen Auslegung Die klassischen Auslegungskanones werden durch die allgemein anerkannte Notwendigkeit ergänzt, bei der Auslegung einfacher Gesetze die Vorgaben und Bestimmungen des Grundgesetzes sowie insbesondere die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte zu berücksichtigen, sog. „verfassungsorientierte Auslegung“.183 Ist die bisher gefundene Auslegung für die Frage der Verfassungsmäßigkeit entscheidend, gelangt man zur verfassungskonformen Auslegung184 der ansonsten gegen höherrangiges Recht verstoßenden Norm.185 Eine Vorschrift, deren bisheriges Auslegungsergebnis im Widerspruch zu Bestimmungen des Grundgesetz steht, ist nach Verwerfung durch das BVerfG unwirksam, wenn und soweit nicht zuvor eine Auslegungsvariante gefunden werden kann, deren Inhalt mit den Vorgaben der Verfassung übereinstimmt.186 Entscheidend ist insoweit, ob nach den vorstehenden Kriterien ein Auslegungsergebnis möglich ist, dass im Einklang mit dem Verfassungsrecht steht, ohne dabei Wortsinn und Bedeutungszusammenhang des Gesetzes zu ignorieren.187 Im Verhältnis zu den anderen Auslegungskanones kommt der verfassungskonformen Auslegung ein echter Vorrang und nicht etwa nur eine erhöhte Bedeutung im Sinne einer Abstufung zu.188 Seine dogmatische Rechtfertigung findet dieser Vorrang zum einen in der Höherrangigkeit der Verfassung im mehrstufigen Normenaufbau und zum anderen in dem Bemühen einer funktionsgerechten Abgrenzung von Rechtsprechung und Gesetzgebung, das nicht zuletzt aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz folgt.189 Der in Art. 20 Abs. 3 GG angelegte Vorrang der Gesetzgebung gebietet, eine Norm erst dann mit dem „Verdikt der Verfassungswidrigkeit“190 zu belegen, wenn sich selbst an den äußersten Wortlautgrenzen des Gesetzes kein verfassungsmäßiges Ergebnis finden lässt.191 Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Vorb. v. Art. 1 Rn. 21; Sachs, in: Sachs, GG, Einf. Rn. 52. 184 Sachs, in: Sachs, GG, Einf. Rn. 52. 185 Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141, 142; Sachs, in: Sachs, GG, Einf. Rn. 52. 186 St. Rspr. des BVerfG seit BVerfG, Beschluss v. 7.5.1953 – 1 BvL 104/52 = BVerfGE 2, 266, 282. 187 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 161; kritisch zur Bedeutung des Wortsinns aber Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141, 155, wonach die verfassungskonforme Rechtsfortbildung hierin keine Grenze finde. 188 Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141, 145. 189 Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141,147 ff. unter Verweis auf BVerfG, Urteil v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01 u. 2 BvR 1521/01 = NJW 2004, 1305, 1311 Rn. 4a: „Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt“. 190 Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141, 151. 191 Canaris, in: Privatrecht und Methode, FS Kramer, 141, 151. 183
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Überträgt man diese argumentative Legitimierung des Vorrangs der verfassungskonformen Auslegung auf das Transplantationsrecht, folgt hieraus, dass die Regelungen der §§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 und 12 Abs. 3 S. 1 TPG so ausgelegt werden müssen, dass eine Verfassungswidrigkeit möglichst vermieden wird. Hinsichtlich der Richtlinien der Bundesärztekammer gilt dieser Vorrang freilich nicht. Zum einen wird die Frage nach der funktionalen Abgrenzung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung nicht aufgeworfen, da die Bundesärztekammer als Beliehene strukturell der Exekutive zuzurechnen ist192 , mithin kein „Respekt“ vor dem demokratisch unmittelbar legitimierten Gesetzgeber zu fordern ist, indem man die Norm lieber aufrechterhält als sie zu kassieren. Zum anderen kann der Höherrangigkeit der Verfassung durch einfache Kassation der Rechtssetzungsakte Genüge getan werden, da insoweit kein Verwerfungsmonopol des BVerfG besteht.193 Dadurch besteht keine Notwendigkeit, das durch die klassischen Auslegungskanones gefundene Ergebnis durch einen Vorrang der verfassungskonformen Auslegung zu korrigieren. Verstoßen einzelne Bestimmungen der Richtlinien nach einer interpretatorischen Abwägung der Auslegungsmaximen gegen das Grundgesetz, sind sie verfassungswidrig und als untergesetzliche Rechtsakte vom Gericht außer Acht zu lassen. Aus dem anzuerkennenden Vorrang der verfassungskonformen Auslegung rechtfertigt sich auch die hier gewählte Auslegungsreihenfolge: Wenn sich eine Auslegungsmaxime im Verhältnis zu den anderen Kriterien strukturell immer durchsetzt, sollte zunächst geklärt werden, ob diese Auslegung überhaupt angezeigt und für die betrachtete Verständnisfrage entscheidungserheblich ist. Erst wenn insoweit keine eindeutige Auslegungsweise verfassungsrechtlich geboten ist, macht es Sinn, die Norm unter Betrachtung der allgemeinen Kanones vertiefend zu untersuchen. Auf den Vorrang der verfassungskonformen Auslegung wird in der Diskussion um die Verortung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG Bezug genommen. So seien nach Clement die Rechts- und Organisationswahlfreiheit durch den Gesetzgeber überschritten, wenn die vermittlungsrelevanten Entscheidungen in die Hände Privater gelegt werden.194 Die möglichen Auslegungsvarianten zwischen öffentlichem und bürgerlichem Recht seien zugunsten der öffentlich-rechtlichen Auslegung zu verengen, da ansonsten die Regelung im Widerspruch zur Verfassung stünde.195 § 10 Abs. 2 S. 1 TPG wäre dementsprechend Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG I, Art. 1 Abs. 3 Rn. 101 f. BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rn. 4, das die Verwerfungskompetenz der Gerichte für die Richtlinien nach § 16 TPG ausdrücklich hervorhebt. 194 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 111 ff. 195 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 131 f. 192 193
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als öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe zu sehen, zu deren Erfüllung das Transplantationszentrum je nach Krankenhausträger als Beliehener (Behörde im weiteren Sinne) oder als staatliche Behörde196 im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung agiere. Die angeführte Grenze der Organisationswahlfreiheit ergebe sich aus der Schutzwirkung der Grundrechte197, des Gebots effektiven Rechtsschutzes sowie des Prinzips der Volkssouveränität.198 Im Folgenden soll auf alle drei Einwände eingegangen und die Frage nach der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung beantwortet werden. (1) Entwertung der Grundrechtspositionen Bereits im vorherigen Kapitel wurde festgestellt, dass die Ausgestaltung einer an den Grundrechten der Patienten und dem Gerechtigkeitspostulat orientierten Organverteilung als „wesentliche“ Entscheidung dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt.199 Damit ist die Frage, inwiefern hieraus auch ein Verbot der privatrechtlichen Ausgestaltung der nach diesen Regeln ergehenden Einzelfallentscheidungen folgt, jedoch nicht beantwortet. Für sie ist entscheidend, dass die Grundrechtspositionen der Regelungsbetroffenen durch den Einbezug Privater nicht entwertet werden.200 Überträgt man die Diskussion aus der staatlichen Schutzaufgabe des Sicherheitsbereichs auf das Transplantationsrecht, ergibt sich daraus, dass eine Privatisierung nicht von vornherein, sondern nur dann ausscheidet, „wenn die Grundrechte nicht mehr hinreichend gesichert sind“.201 Kern der Auseinandersetzung ist damit die Frage, ob eine solche Entwertung dadurch droht, dass das Transplantationszentrum die Pflicht zur standardentsprechenden Wartelistenführung auf der Grundlage des geschlossenen Behandlungsvertrages wahrnimmt. Gerade an dieser Stelle vermag die Lösung von Clement nicht zu überzeugen. Er weist zwar zu Recht auf die Grundrechtssensibilität der Einzelfallentscheidungen hin, die nahezu immer das Grundrecht auf Leben bzw. körperliche Unver-
196 Was insbesondere bei den Universitätskliniken angenommen werden kann, deren Rechtsträger die Universität als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. 197 Insoweit auch Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 335, wobei nicht ganz klar wird, ob die privatrechtliche „Einkleidung“ rechtspolitische Kritik oder öffentlich-rechtliche Aufgabencharakterisierung sein soll. Der Verweis auf die „staatliche Aufgabe“ spricht für letzteres. 198 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 114, 130. 199 Vgl. Glp. § 3 III.2.b). 200 BVerfG, Beschluss v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81 = NJW 1983, 1179, 1180; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 131; Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Vorb. v. Art. 1 Rn. 25. 201 Sachs, in: Sachs, GG, Vorb. Art. 1 Rn. 37.
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sehrtheit oder den derivativen Teilhabeanspruch tangieren.202 Die Frage, was sich materiell im Ergebnis für die Rechtsstellung des Patienten ändern sollte, wenn die Transplantationszentren diese Pflicht nun losgelöst vom behandlungsvertraglichen Pflichtenprogramm wahrnähmen, bleibt aber offen.203 Die auf den ersten Blick willkürlich anmutende Verantwortungsdelegation hinsichtlich der Wartelistenführung ist eher der Unbestimmtheit der Allokationskriterien und weniger der Aufgabenzuweisung an das Transplantationszentrum geschuldet. Die Bezugnahme in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG auf den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist vage, unbestimmt und in Ansehung der Bedeutung und Tragweite der geregelten Materie für die Grundrechte des Patienten im Ergebnis nicht mehr akzeptabel. Ebenso unhaltbar ist die Übertragung der abstrakt-generellen Konkretisierung der Allokationskriterien auf die Bundesärztekammer, zumindest soweit diese das Rangverhältnis und die Ausfüllung normativer Allokationskriterien betrifft. Aber selbst bei Berücksichtigung dieser Umstände kann die Argumentation nicht über den Befund hinwegtäuschen, dass die Aufgabe der Transplantationszentren auch bei einer Einordnung als zwingendes Privatrecht im Wesentlichen nach den gleichen Maßstäben und Kriterien wahrgenommen wird wie bei einer öffentlich-rechtlichen Pflichtencharakterisierung. Nach der Gesetzeskonzeption sollen die Transplantationszentren den medizinischen Zustand des Patienten erheben und anschließend bewerten, ob für ihn eine Organzuteilung sinnvoll erscheint oder als kontraindizierte Maßnahme ausscheiden muss. Begrenzt man das Aufgabenspektrum auf die medizinische Indikationsbeurteilung, kann sich der Patient bei pflichtwidrigem Unterlassen der Aufnahme in die oder der unberechtigten Herausnahme aus der Warteliste auf dem Zivilrechtsweg gegen die Entscheidung wehren. Seine Grundrechtspositionen werden über eine verfassungskonforme Auslegung der Allokationskriterien aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG berücksichtigt204, die sich als förmliche Gesetze des Bundes unabhängig von ihrer privatrechtlichen Natur unmittelbar nach Art. 1 Abs. 3 GG an den
202 Die Grundrechtsrelevanz der Entscheidung nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG ist allgemein anerkannt und wird auch von Vertretern der privatrechtlichen Einordnung nicht bestritten, vgl. Lang, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 66. 203 Vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 131 f., der zwar auf das Grundrecht auf Leben als „Höchstwert“ der Verfassung und die damit einhergehende Schutzpflicht des Staates verweist, aber nicht ausführt, warum diese Schutzpflicht durch eine zwingende privatrechtliche Pflichtenregelung wesentlich unterschritten sei. Dies ist aber gerade der Kern der ganzen Debatte; zur prozessualen Situation sogleich. 204 Ähnlich Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 337 in der rechtspolitischen Betrachtung de lege ferenda sowie Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/ Oduncu, TPG, § 10 Rn. 11, der aber unter Rn. 14 a. a. O. zu einer öffentlich-rechtlichen Einordnung tendiert.
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Grundrechten, insbesondere am Grundsatz der Lebenswertindifferenz und dem Gleichheitssatz, messen lassen müssen.205 Soweit diese Auslegung ergibt, dass das Transplantationszentrum den medizinischen Erkenntnisstand verlassen hat und normativen Kriterien folgt, die einer verfassungskonformen Betrachtung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG widersprechen, handelt es pflichtwidrig.206 Sofern man also über den Vorrang einer verfassungskonformen Auslegung den Grundrechtsschutz und den staatlichen Schutzauftrag gewährleisten möchte, spricht vieles dafür, unmittelbar am Prüfungsmaßstab des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG anzusetzen. Wird dieser auf ein rein medizinisches Begriffsverständnis verengt, ist eine unzumutbare Entwertung der Grundrechte durch die privatrechtliche Ausgestaltung nicht ersichtlich. Ob die Grundrechtsbindung im konkreten Einzelfall nun über die öffentlich-rechtliche Beleihung unmittelbar oder im Wege der mittelbaren Drittwirkung bei der privatrechtlichen Qualifikation hergeleitet wird, dürfte bei der Wartelistenführung im Ergebnis keine Rolle spielen. Verfassungsrechtlich anerkannt ist insoweit, dass bei steigender „Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung“207 der Abwägungsspielraum im Rahmen der Drittwirkung zwischen Privaten stark reduziert wird.208 Die sonst bei der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zur Abwägung drängende Privatautonomie der Vertragspartner ist in der konkreten Wertigkeit bei der Wartelistenführung eindeutig dem Rechtsgut Leben des Patienten als verfassungsrechtlichem Grund- und Höchstwert209 untergeordnet. Insoweit prägt die objektivrechtliche Bedeutung210 des Rechtsguts Leben die Vertragspflichten zwischen Transplantationszentrum und Patient, sodass die Kriterien der Wartelistenführung dieser Schutzdimension auch in der Einzelfallentscheidung des Zentrums Rechnung tragen müssen. Die Auslegung wird in beiden Fällen zum gleichen Ergebnis führen, wonach die Grundrechtspositionen des Patienten auch bei Annahme einer privatrechtlichen Pflichtaufgabe ausreichend gewahrt bleiben.
Canaris, AcP 1984, 201, 212: „Denn auch der Privatrechtsgeber ist Gesetzgeber und daher nach Art. 1 III GG unmittelbar und nicht nur auf eine – überdies ziemlich mysteriöse – mittelbare Weise an die Grundechte gebunden. Dabei gelten diese in ihrer herkömmlichen Funktion als Eingriffsverbote und Abwehrrechte (…).“ 206 Ähnlich Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 99, wenn er feststellt, dass die Verwendung „gesellschaftliche(r) Argumente (…) im Einzelfall eine Vertragsbzw. Pflichtverletzung seitens des Arztes (…) bedeutet“. 207 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 6 4. 208 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 6 4 f. 209 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 – 1 BvF 1–6/74 = NJW 1975, 573, 575. 210 In anderem Kontext BVerfG, Beschluss v. 17.11.1992 – 1 BvR 162/89 = MedR 1993, 232. 205
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(2) Rechtsweggarantie Ferner wird angeführt, aus Art. 19 Abs. 4 GG folge, dass „grundrechtsrelevante und damit typisch öffentlich-rechtliche Entscheidungsbefugnisse“ auch die öffentlich-rechtliche Natur der hieraus folgenden Ansprüche zur Folge hätten.211 Art. 19 Abs. 4 GG garantiert dem Grundrechtsträger das Individualschutzrecht, sich gegen Akte der öffentlichen Gewalt gerichtlich zur Wehr zu setzen und dabei einen wirksamen Rechtsschutz zu erfahren.212 Als individuelles und subjektives Recht213 gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG „demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wurde, die gerichtliche Überprüfung der ihn beeinträchtigenden Maßnahme in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht“214. Für grundrechtsverletzende Maßnahmen durch Private, die in ihrer Funktion nicht dem Staat zurechenbar sind, folgt die Rechtsschutzgarantie aus dem Rechtsstaatsprinzip in Form der Justizgewährungspflicht und des Justizgewährungsanspruchs sowie als Individualrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.215 Aber auch vor dem Hintergrund der Schutzposition aus Art. 19 Abs. 4 GG ist Clement nicht zuzustimmen, der die Aufgabendelegation an Private für unzulässig erachtet, wenn dies zu einer privatrechtlichen Qualifikation eines öffentlich-rechtlichen Anspruches führe.216 Begründet wird dies mit der Erwägung, dass aufgrund der „günstigeren Ausgestaltung des Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrechts“ der optimale Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten zu erhalten sei.217 Dies mag für das Verwaltungsprozessrecht im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz aus § 86 Abs. 1 VwGO zutreffen, der für jeden beweislastintensiven Rechtsstreit eine erhebliche Erleichterung in der Prozessführung mit sich brächte. Im Widerspruch zu Clements Befund stellt aber das BVerfG in diesem Zusammenhang explizit klar, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, Entscheidungen in diejenige Rechtsform zu kleiden, „die dem Bürger in jedem Fall den Rechtsbehelf der verwaltungsgerichtlichen“218 Klagen ermöglicht oder ihm den „bestmöglichen Rechtsschutz gewährleistet“ 219. Dies gilt auch bei der EinClement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 137. Huber, in: v.Mangoldt/Klein/-Starck, GG I, Art. 19 Abs. 4 Rn. 341; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 6. 213 Huber, in: v.Mangoldt/Klein/-Starck, GG I, Art. 19 Abs. 4 Rn. 341; Sachs, in: GG, Art. 19 Rn. 126; sinngemäß Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 7 ff. 214 BVerfG, Beschluss v. 27.7.1971 – 2 BvR 443/70 = BVerfGE 31, 364, 367 Rn. 8. 215 Huber, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 19 Abs. 4 Rn. 419; Lang, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 71. 216 Vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 137. 217 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 133 f. 218 BVerfG, Beschluss v. 14.5.1985 – 2BvR 397–399/82 = NJW 1985, 2315, 2316. 219 BVerfG, Beschluss v. 14.5.1985 – 2BvR 397–399/82 = NJW 1985, 2315, 2316; BVerfG, Beschluss v. 29.5.1990 – 7 B 30/90 = NVwZ 1991, 59, 59. 211
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beziehung Privater in äußerst grundrechtssensible Bereiche. Die „hieraus resultierende(n) Grundrechtsbindungen (…) [sind] nicht rechtswegbestimmend; vielmehr haben darüber die ordentlichen Gerichte im Rahmen ihrer Rechtswegzuständigkeit nach § 13 GVG mitzuentscheiden.“220 Zivil- und Verwaltungsrechtsweg sind dementsprechend „unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes prinzipiell gleichwertig“221. In keinem Fall zwingt Art. 19 Abs. 4 GG aufgrund einer erstrebten Grundrechtsverwirklichung zu einem Vorrang der Verwaltungsgerichtsbarkeit.222 Hieraus ergibt sich mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie eine funktionale Äquivalenz zwischen öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Anspruch. Hieran ändert auch der Einwand nichts, die ablehnende Entscheidung des Transplantationszentrums sei für den Patienten ein schwerer Grundrechtseingriff. Dies ist zweifelsohne der Fall. Die Frage aber bleibt, weshalb dieser Befund für eine öffentlich-rechtliche Qualifikation sprechen sollte. Sofern der Gesetzgeber Freiheitsbeschränkungen als zwingende Vorschriften des Privatrechts ausgestaltet, ist in ihnen ebenso ein Eingriff in den Schutzgehalt der Grundrechte zu sehen, wie er bei einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung vorläge.223 Im gleichen verfassungsrechtlichen Umfang bedürfen sie der Rechtfertigung.224 Für den verfassungsrechtlichen Schutzmaßstab spielt es also keine Rolle, ob sich der Gesetzgeber für eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Pflichtenstatuierung entscheidet.225 Vielmehr überprüfen auch die ordentlichen Gerichte bei der Anwendung und Auslegung von Privatrechtsnormen, ob die Trag-
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BVerfG, Beschluss v. 29.5.1990 – 7 B 30/90 = NVwZ 1991, 59, 59. BVerfG, Beschluss v. 29.5.1990 – 7 B 30/90 = NVwZ 1991, 59, 59; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 150 a. E.: „Gleichwertigkeit der Rechtswege“. 222 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 178; Huber, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 19 Abs. 4 Rn. 451 ff. Ein anderes Ergebnis wäre zudem vor dem Hintergrund sehr erstaunlich, dass gerade das grundrechtssensible Strafrecht ‑ obgleich öffentliches Recht ‑ ebenfalls der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugeordnet ist. 223 BVerfG, Beschluss vom 4.5.1971 – 1 BvR 636/68 = NJW 1971, 1509, 1510; BVerfG, Beschluss v. 7.2.1990 – 1 BvR 26/8 = NJW 1990, 1469, 1470; Badura, Staatsrecht, C. Rn. 23; Canaris, AcP 1984, 201, 212; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 61. 224 Anderer Auffassung Epping, Grundrechte, Rn. 373. 225 Explizit BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 = juris, Rn. 18; so auch Neft, NZS 2010, 16, 20, der unabhängig von der Qualifikation der Rechtsbeziehungen den gleichen verfassungsrechtlichen Maßstab bei der „grundrechtsspezifische(n) Chancengleichheit und ‑gerechtigkeit“ konstatiert, wenig später aber für eine „einheitliche Verweisung an die Verwaltungsgerichte“ votiert; a. A. Epping, Grundrechte, Rn. 373, der auch bei Privatrechtsnormen nur die hinreichende Beachtung der Grundrechte prüfen will. 221
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
weite und wertsetzende Bedeutung der Grundrechte in der privatrechtlichen Umsetzung gewahrt bleiben.226 Das BVerfG hat sich im Zusammenhang mit dem Rechtsschutz gegen ablehnende Wartelistenentscheidungen bereits zu dem Einwand geäußert, die Rechtswegunsicherheit führe zu einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG.227 Hierzu stellte es klar, dass offene Rechtswegfragen den Kläger nicht daran hindern, zunächst vor den Fachgerichten Rechtsschutz zu suchen. Beide in Betracht kommenden Gerichtsbarkeiten hätten hinsichtlich der BÄK-Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG eine Verwerfungskompetenz und würden zu ausreichendem Rechtsschutz führen.228 Würde der Privatrechtsweg zu der behaupteten verfassungsrechtlich unzumutbaren Rechtsschutzverkürzung führen, wäre eine Stellungnahme des BVerfG hinsichtlich des einzuschlagenden Rechtswegs notwendig gewesen. Die als unzulässig abgewiesene Verfassungsbeschwerde zeigt aber vielmehr, dass das BVerfG auch im Rahmen der vermittlungsrelevanten Entscheidungen im TPG von einer Rechtsschutzäquivalenz zwischen den ordentlichen Gerichten und der Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgeht. Dem Rechtsschutz des klagenden Patienten ist insbesondere durch die Möglichkeit der Rechtswegverweisung Genüge getan.229 Vor diesem Hintergrund lässt sich das Spannungsverhältnis auch mit dem Grundsatz der Rechtswegklarheit auflösen, der fordert, dass unklare Regelungen und Schwierigkeiten bei der Ermittlung des eröffneten Rechtswegs den Rechtsschutz des Bürgers nicht verkürzen dürfen.230 Jedenfalls durch die rechtswegübergreifende Verweisungspflicht der Gerichte aus § 17a Abs. 2 S. 1 GVG besteht eine solche Gefahr der Verkürzung des richterlichen Gehörs nicht.231 Bestehende Unsicherheiten sind der Komplexität der Regelungsmaterie geschuldet und im Rahmen des Zumutbaren hinzunehmen. Auch hiergegen vorgebrachte Einwände hinsichtlich des einstweiligen Rechtsschutzes232 rechtfertigen im Ergebnis keine andere Bewertung. Der besonderen Eilbedürftigkeit transplantationsrechtlicher Entscheidungen haben die Gerichte durch schnelle Ver-
226 Badura, Staatsrecht, C. Rn. 23; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, Art. 1 Rn. 78. 227 BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rn. 4 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 = juris, Rn. 18; aber explizit a. A. Lang, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 78. 228 BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rn. 5. 229 BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rn. 4 f.; a. A. Höfling/Lang, in: NVwZ 2014, 3398, 3401, die in diesem Zusammenhang von einem „unübersehbaren ‚Annahmerisiko‘ und daraus resultierender nachteiliger Folgen“ sprechen. 230 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG I, Art. 19 IV Rn. 91. 231 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 = juris, Rn. 18. 232 Vgl. Lang, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 80 f.
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung
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weisungen Rechnung zu tragen, die verbindlich entscheiden und damit ein „Rechtswegkarussell“ ausschließen.233 Soweit aus Gründen der Rechtswegklarheit eine gesetzliche Rechtswegzuordnung vom Gesetzgeber gefordert wird 234, ist nicht ersichtlich, warum nicht stärker auf die Gesetzeskonzeption, Normabsicht und ursprüngliche Regelungsvorstellung des historischen Gesetzgebers als privatrechtliche Pflichtenregelung zurückgegriffen wird. Bei genauerer Betrachtung könnte sich die zivilrechtliche Einkleidung der Pflicht für den Patienten eher als vorteilhaft darstellen: Während er im Verwaltungsprozess nur insoweit gehört wird, als § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG gerade in drittschützender Weise seinen Interessen zu dienen bestimmt ist (sog. „Schutznormtheorie“), ergäbe sich bereits aus der Einbeziehung der Wartelistenführung in den Behandlungsvertrag der ihm zugutekommende Anspruch auf eine standardentsprechende Wartelistenführung. Entscheidend ist diese Erwägung freilich nicht, sie zeigt aber, dass insoweit auch kein zwingendes prozessuales Bedürfnis nach dem Verwaltungsrechtsweg vorliegt. (3) Demokratieprinzip und Volkssouveränität Zuletzt wird das Prinzip der Volksouveränität als Unterfall des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 2 GG hervorgehoben und betont, dass die „gesetzlich geschaffene Monopolstellung“235 der am Vermittlungsverfahren beteiligten Stellen für den freiwilligen Willensentschluss der Patienten keinen Raum mehr lasse, dieser aber notwendige Voraussetzung sei, wenn die Kompetenz zu „hoheitsähnliche(n) Akte(n)“ auf andere Funktionsträger als den Staat übertragen werde.236 Zu trennen sind zunächst zwei Ebenen: zum einen die Diskussion um die Richtlinienermächtigung der BÄK in § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG und zum anderen die aufgeworfene Frage nach der demokratischen Rückbindung der Transplantationszentren und der von ihnen getroffenen Wartelistenentscheidungen. Hinsichtlich § 16 TPG sei an dieser Stelle auf die Ausführungen des vorherigen Kapitels verwiesen.237 Die in diesem Zusammenhang relevante Frage liegt nunmehr darin, ob das privatrechtliche Handeln der Transplantationszentren dem Prinzip der Volkssouveränität zuwiderläuft, sodass die Rechtsgrundlage des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG verfassungskonform als öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe ausgelegt werden muss. 233 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 = juris, Rn. 18; vgl. aber Lang, in: Höfling, TPG, Einf. Rn. 80 f. 234 So etwa Neft, NZS 2010, 16, 21. 235 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 141. 236 Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 141. 237 Glp. § 3 III.2.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
An dieser Stelle ist schon der apodiktische (wenngleich ursprünglich von Herzog238 stammende) Befund unrichtig, jede außerhalb der klassischen Staatsverwaltung wahrgenommene hoheitliche Tätigkeit könne nur dann rechtmäßig sein, wenn sich der Grundrechtsträger ihr völlig freiwillig unterwirft.239 Der sodann folgende Verweis auf die Monopolstellung ist auf der Ebene der Transplantationszentren nicht richtig und in der Abgrenzungsfrage auch nicht relevant. Wie auch sonst kommt es bei der Aufgabenerfüllung durch Private auf ein einheitlich zu begründendes Legitimationsniveau des Handelnden in personeller und materieller Hinsicht an.240 Zudem übersieht Clement, dass die Transplantationszentren – und insoweit hat der Patient zwischen bundesweit über 50 Zentren 241 die Wahl – durch den privatautonomen Abschluss des Krankenhausaufnahmevertrages nach dem insoweit doch freien Willen des Patienten als Grundrechtsbetroffenen legitimiert sind. Die materielle Legitimation folgt durch die Gesetzesausführung, genauer § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG. Nun mag man freilich einwenden, dass die Norm zu unbestimmt sei, am Thema der (eigentlich normativ zu bestimmenden) Allokationskriterien vorbei gehe und daher nicht zur materiellen Legitimation beitragen könne. Das ist zwar richtig, würde aber in gleichem Maße auch für eine öffentlich-rechtliche Pflichtenregelung gelten. Die insoweit Beliehenen oder von den Universitäten getragenen Behörden sähen sich dem gleichen Problem gegenübergestellt. Dieses Spannungsverhältnis kann nur dahingehend aufgelöst werden, dass man auf der Ebene der Allokationskriterien ansetzt und diese in grundrechtskonformer Weise auf rein medizinische Kriterien reduziert. Dass dies zu keinem sinnvollen Allokationssystem führen kann, da dieses, wie gezeigt, nicht ohne normative Wertungsmaßstäbe auskommt, liegt auf der Hand. Hier ist, wie bereits mehrfach angeklungen, der Gesetzgeber gefragt, tätig zu werden. Zudem stellt sich rein praktisch die Frage, wer, wenn nicht die Transplantationszentren und die behandelnden Ärzte des potentiellen Organempfängers, über die Indikation einer Organtransplantation entscheiden sollte. Dass es bei der rein medizinischen Indikations- und Kontraindikationsdiagnostik in der Praxis nicht bleibt, sondern über die Befundsicherung hinaus normative Kriterien Berücksichtigung finden, ist rechtswidrig und kann insoweit auch nicht den Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 54 (Stand: Juni 1978). Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 141. 240 Vgl. BVerfG, Beschluss v. 5.12.2002 – 2 BvL 5/98, 2 BvL 6/98 = BVerfGE 107, 59, 87; Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 2 Rn. 119; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 9; Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 35; Sommermann, in. v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG II, Art. 20 Rn. 170. 241 DSO, Jahresbericht 2015, S. 36. Diese Zahl wird freilich dadurch relativiert, dass sich die Transplantationszentren auf bestimmte Organe spezialisieren. Aber auch bei Berücksichtigung dieses Umstands ergibt sich für den Patienten kein (auch kein faktischer) Kontrahierungszwang zu Lasten eines bestimmten Transplantationszentrums. 238 239
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Ausschlag für die Bestimmung der gesetzlichen Funktionszuteilung geben. Die funktionale Einbeziehung der Wartelistenführung ist vielmehr denknotwendig mit der medizinischen Behandlung und Betreuung des Patienten verbunden.242 So verfehlt die Argumentation zur Einbeziehung Privater aufgrund der besonderen Expertise bei der Diskussion um § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG war, deren Handeln eindeutig hoheitliche Rechtskonkretisierung darstellt, so berechtigt ist der Einwand hinsichtlich der Legitimation der Wartelistenentscheidungen durch die Transplantationszentren. Auch die verfassungsrechtlichen Defizite mit Blick auf das Legitimationsniveau der berechtigten Akteure fordern keine verfassungskonforme Auslegung zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Normcharakterisierung. (4) Zwischenergebnis Durch ein privatrechtliches Verständnis der Pflicht zur Wartelistenführung und Entscheidung über die Annahme der Patienten zur Organtransplantation kommt es weder zu einer Entwertung der Grundrechte, noch sprächen die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie Schwächen im demokratischen Legitimationsniveau der Transplantationszentren für eine öffentlich-rechtliche Kategorisierung der Pflicht zur Wartelistenführung. Ein ausreichender Grundrechtsschutz der Patienten lässt sich ebenso gut über eine verfassungskonforme Auslegung des medizinischen Erkenntnisstands erreichen. Eine öffentlich-rechtliche Normkategorisierung ist insoweit keineswegs zwingend. cc) Auslegung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG Da kein verfassungskonformer Auslegungsvorrang zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Einordnung eingreift, stellt sich nun die Frage, wie die Norm nach der klassischen Auslegungsmethodik zu verstehen ist. In den Worten der modifizierten Subjekttheorie ist danach zu fragen, ob sich im Gesamtzusammenhang der Norm der Eindruck einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift ergibt, welche die Transplantationszentren als Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt und verpflichtet.243 Unzweifelhaft führt eine rein am Wortlaut orientierte Auslegung bei § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG nicht weiter. Die Frage, welche Rechtsnatur die Pflicht zur 242 Insoweit auch Zuck, in: Quaas/Zuck, § 68 Rn. 16, der betont, dass alle Wartelistenentscheidungen „im Zusammenhang mit der Behandlung des Patienten getroffen“ und „in untrennbarem Zusammenhang mit der Aufnahme“ ins Krankenhaus stehen, sich aber für eine sozialrechtliche Qualifikation bei der Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten entscheidet. 243 Kreße, MedR 2016, 491, 493.
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Wartelistenführung vom objektivierten Gesetzeswillen her hat, mithin wie die Norm bei einer auslegenden Gesamtschau zu verstehen ist, kann aus dem Wortlaut, der insoweit nur von „verpflichtet“ spricht, nicht geklärt werden. Der Gesetzgeber hat damit keine explizite Bewertung der Rechtsnatur vorgenommen. Im Bedeutungszusammenhang des Wortsinns kann § 10 Abs. 2 S. 1 TPG sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich ausgelegt werden, ohne eine etwaige Wortlautgrenze zu überschreiten. Der sodann für die Auslegung maßgebliche Bedeutungszusammenhang des Gesetzes, mithin der einzelnen Regelung im Gesamtsystem, dürfte verbunden mit der zugrundeliegenden Teleologie der Norm den Kern der Auseinandersetzung ausmachen. Hierauf ist sogleich noch einmal ausführlich einzugehen. An dieser Stelle kann aber bereits festgehalten werden, dass sich aus der Gesetzessystematik des TPG allein ebenfalls keine eindeutige Zuordnung ergibt. Die Konkretisierung in Nr. 2 mit der Bezugnahme auf den wissenschaftlichen Erkenntnisstand deutet zwar eher auf eine zivilrechtliche Pflichtenkonkretisierung hin 244, trifft aber über die Qualifikation keine klare Aussage. Für die „sachliche Zusammengehörigkeit“245 bedarf es einer genaueren Betrachtung unter Berücksichtigung der „maßgeblichen Wertentscheidungen und Prinzipien“246 des Gesetzes.247 Unter den historischen Regelungswillen fallen zum einen die Grundabsicht des historischen Gesetzgebers sowie die Leitgedanken und Vorstellungen der befassten Gremien, Ausschüsse und Organe, die unwidersprochen zum Ausdruck gekommen sind.248 Stellt man in diesem Zusammenhang auf die Gesetzesbegründung zum TPG249 ab, ergibt sich völlig unstreitig die gesetzgeberische Absicht, die Pflichten des Transplantationszentrums privatrechtlich auszugestalten.250 Gewollt war eine zwingende privatrechtliche Konkretisierung der vertraglichen Behandlungspflichten, keine öffentlich-rechtliche Regelung. An dieser Stelle bleibt somit festzuhalten, dass sich aus dem Wortlaut kein Hinweis auf eine öffentlich-rechtliche Pflichtenkonkretisierung ergibt. Der Wille des historischen Gesetzgebers spricht, eingebettet in die Auslegungsdogmatik, für eine klare Zuweisung zum bürgerlich-rechtlichen Pflichtenkatalog. Dieses vorläufige Ergebnis sieht sich dem Einwand einer gegenläufigen systematisch-teleologischen Verortung der vermittlungsrelevanten Regelungen ausgesetzt. 244
Insoweit auch LG Gießen, Beschluss v. 19.9.2014 – 3 O 290/14 = BeckRS 2014, 19527. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 147 246 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 149. 247 Hierzu sogleich im folgenden Gliederungspunkt. 248 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 150. 249 BT-Drs. 13/4355, S. 22 zum damaligen § 9 Abs. 2 TPG a. F. 250 Vgl. bereits die Ausführungen unter Glp. § 4 IV.4. 245
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b) Sachnähe zum bürgerlichen Recht Entscheidungserheblich ist nach den bisherigen Erkenntnissen also der sachliche Bedeutungszusammenhang der Norm unter Berücksichtigung ihrer teleologischen Ausrichtung. Zu fragen ist demnach, in welche sachliche Zugehörigkeit die Pflichtenregelung fällt und welche Auslegungsmöglichkeit bei Vergegenwärtigung des objektiven Zwecks des Gesetzes als sachgemäß angesehen werden kann.251 Die Versagung der Aufnahme in die Warteliste soll nach der unbestritten eindeutigen Formulierung des Gesetzgebers nach medizinischen Kriterien erfolgen. In ihr wird die ursprüngliche Zielbestimmung deutlich, die Zuteilung auf der Grundlage sozialer und nicht-medizinischer Kriterien zu verhindern.252 Insoweit unterliegt der Gesetzgeber freilich der Fehlvorstellung, die Vermittlung könne durch rein medizinische Kriterien sachgerecht erfolgen.253 Dass sich der Gesetzgeber, möglichst in einer grundlegenden Neuordnung des Allokationsrechts, von dieser Vorstellung trennen sollte, ist bereits mehrfach angeklungen, an dieser Stelle für die rechtliche Qualifizierung des heutigen Systems aber irrelevant. Der Gesetzgeber hat ein System konzipiert, in dem es vermeintlich auf rein medizinische Kriterien ankommt, sodass auch die Nichtaufnahme in die Warteliste von rein medizinischen Befunden und Kontraindikationen geprägt sein soll. Die Funktion des Arztes besteht nun darin, medizinische Befunde zu erheben, Diagnosen zu erstellen und den Patienten zu therapieren. Das hierauf aufbauende Arzt-Patienten-Verhältnis muss als besonderes Vertrauensverhältnis, das über ein gewöhnliches Vertragsverhältnis hinausgeht254, aber unstreitig dem bürgerlichen Recht mit seinen Maximen der Privatautonomie und Gestaltungsfreiheit unterfallen. Im System des Gesetzgebers fließen an dieser Stelle der medizinische Behandlungsauftrag in Form der Befunderhebung und Feststellung etwaiger Kontraindikationen sowie die Annahme zur Organübertragung als funktional kongruente Elemente eines einheitlich zu bewertenden medizinischen Versorgungsverhältnisses zusammen. Soweit eine Aufnahme in die Warteliste als organisatorische Vorstufe der Organvermittlung erfolgt, geschieht dies auf der bürgerlich-rechtlichen Grundlage des Behandlungsvertrages.255 Ebenso
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 148, 153 f. Vgl. etwa die Beschlussempfehlung zum TPG, BT-Drs. 13/8017, S. 42 zu § 9 Abs. 2 Nr. 1a TPG a.F sowie Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 29. 253 Vgl. die Diskussion um den Kategorienfehler des Gesetzgebers unter Glp. § 3 III.2.c). bb).(2). 254 BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1930; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 5 ff.; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38 Rn. 3. 255 Wie hier Kreße, MedR 2016, 491, 493, der ebenfalls darauf hinweist, dass der privatrechtliche Behandlungsvertrag schon zeitlich vor der Wartelistenentscheidung geschlossen 251
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verhält es sich bei einer ablehnenden Entscheidung oder einer materiell nicht anders zu bewertenden späteren Herausnahme aus der Warteliste. Die Wartelistenentscheidung ist das zugespitzte Ergebnis der arztvertraglichen Behandlung, die mit der Befunderhebung beginnt und bestenfalls mit der Heilung des Patienten abschließt. Soweit sich demnach die Kriterien der Aufnahmeentscheidung als rein medizinische präsentieren, besteht eine zwingende Sachidentität zwischen der Wartelistenentscheidung und der sach- und fachgerechten Behandlung des Patienten durch den behandelnden Arzt. Mit anderen Worten: Die Wartelistenentscheidung besteht, wenn man in der Theorie von einer rein medizinischen Verteilungssystematik ausgeht, nur noch in der Evaluierung der medizinischen Befunderhebung. Steht eine medizinische Kontraindikation im Wege, ist die Organtransplantation nicht die dem medizinischen Standard entsprechende Heilbehandlung der Wahl. In letzterem Fall ist es dann auch die ärztliche Pflicht aus dem Behandlungsvertrag, der Gesundheit des Patienten entsprechend, eine Aufnahme in die Warteliste nicht vorzunehmen. Kern der Problematik ist danach kein spezifischer „Verknappungsauftrag“256, der in der Geringhaltung der Anzahl potentieller Organempfänger bestünde, sondern vielmehr eine Konkretisierung der Pflichten des behandelnden Arztes gegenüber seinem Patienten. Der Ausgleich der Interessen zwischen Arzt und Patient ist aber genuine Materie des zivilrechtlichen Behandlungsvertragsrechts. Ob das vom Patienten ausgewählte Transplantationszentrum die der Organvermittlung vorgeschaltete Mitwirkungspflicht der Wartelistenführung dem medizinischen Facharztstandard entsprechend erfüllt hat, ist eine Frage, die sich nur bei Betrachtung des zwischen Zentrum und Patient geschlossenen Behandlungsvertrags beantworten lässt, der die Beachtung des medizinischen Standards gemäß § 630a Abs. 2 BGB zur Hauptleistungspflicht erklärt. Insoweit geht es um die Lösung von privaten Interessenkonflikten als Kernauseinandersetzung des bürgerlichen Rechts.257 Dies wird besonders am Beispiel der Informations- und Aufklärungspflichten deutlich. Geradezu typisch für das Arztund Arzthaftungsrecht sind die zwischen Behandelnden und Patienten bestehenden Informationsasymmetrien 258 zu Lasten des Patienten. Hierfür sehen die §§ 630c und 630e BGB einen Ausgleich vor, der die Patienten zu einer eigen-
wird und die Anwendung des medizinischen Standards insoweit unabhängig von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG eingreift. 256 Gegen die „restriktive Wartelistenpolitik“ Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 357. 257 Vgl. zum Wesen des bürgerlichen Rechts BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1927. 258 Vgl. Wagner, VersR 2012, 789, 791.
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung
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ständigen und selbstbestimmten Entscheidung befähigen soll.259 Folgerichtig statuiert das TPG, von dem Ausnahmefall des § 13 Abs. 3 S. 4 TPG einmal abgesehen 260, selbst keine Informationspflichten. Sie sind auch nicht nötig, wenn man die Pflicht zur Wartelistenführung als Interessenausgleich zwischen zwei gleichgeordneten Rechtssubjekten des Privatrechts auffasst. Ebenso verhält es sich mit dem in § 630g BGB statuierten Recht des Patienten auf Einsichtnahme in die Patientenakte.261 Hieran kann der Patient gerade im Falle einer Ablehnung der Wartelistenaufnahme ein enormes Interesse haben, um die Beweggründe und Kriterien der Entscheidung nachvollziehen und einen Anspruch sachgemäß untermauern zu können. All dies zeigt, dass die typischen Rechte und Pflichten im Arzt-Patienten-Verhältnis exakt der Gefährdungslage beider Parteien bei der Wartelistenführung entsprechen. Der Gesetzgeber hat dieses arztrechtliche Spannungsverhältnis in den §§ 630a ff. BGB gesetzlich aufgelöst. In dieses Rechtsgebiet ist die Wartelistenführung einzuordnen. Würde man der öffentlich-rechtlichen Kategorisierung folgen, entfiele die Wartelistenführung als „Behandlung“ im Sinne der Hauptleistungspflicht des § 630a BGB und damit deren Einbettung in den zivilrechtlichen Pflichtenkontext – im Ergebnis zum Nachteil des Patienten. Die Frage bleibt aber nun, wie sich die Diskrepanz aus gesetzgeberischer Intention und Rechtstatsächlichkeit auf die vorgetragene Argumentation auswirkt. Schließlich ist eine auf rein medizinische Kriterien gestützte Organvermittlung schlechthin nicht möglich, wenn eine erhebliche Differenz aus benötigten und gespendeten Organen das Transplantationsrecht prägt.262 Die Konkretisierung der Kriterien aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG durch die Bundesärztekammer hat dazu geführt, dass nicht-medizinische Kriterien großen Einfluss auf die Wartelistenführung gewonnen haben. Dies gilt sowohl für die Auslegung der non-Compliance-Kontraindikation als auch für medizinisch getarnte Kriterien wie der Alkoholabstinenzpflicht, die sowohl verfassungsrechtlich als auch medizinisch nicht haltbar sind. An dieser Stelle könnte mit Blick auf Larenz und Canaris argumentiert werden, dass die Regelung des TPG-Gesetzgebers „eine eigene Wirklichkeit entfaltet, die über das hinausgeht, was der Gesetzgeber beabsichtigt hatte“263, die Berücksichtigung normativer Kriterien mithin zwin259 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 434 ff.; Hart, MedR 2013, 159, 161; Rehborn, GesR 2013, 257, 260; Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630c Rn. 1. 260 Hierzu ausführlicher unter Glp. § 4 IV.4. 261 In anderem Zusammenhang wohl auch Schmidt-Aßmann (2006), in: Humanioria, FS Laufs, 1049, 1062, der auf die Notwendigkeit einer verfahrensrechtlichen Absicherung verweist, die Wartelistenführung aber als „subjektiv konnotierte Auswahlentscheidung“ klassifiziert. 262 VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rn. 29. 263 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 138.
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§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
gend geboten ist und hierin das eigentliche, öffentlich-rechtliche Normumfeld liege, das der Gesetzgeber nicht „zu übersehen vermochte“264. Eine solche Betrachtungsweise wäre vielleicht im Rahmen der tatsächlichen Transplantationspraxis realitätsnäher. Juristisch stehen ihr aber bereits die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber, die im vorherigen Kapitel dargelegt wurden. Soweit normative Verteilungskriterien herangezogen werden und diese grundrechtskonform ausgestaltet sind, müssen sie vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst durch förmliches Gesetz geregelt werden. Auf keinen Fall kann der Verweis auf den medizinischen Erkenntnisstand so gelesen werden, dass dieser auch die Verteilung aufgrund nicht-medizinischer Kriterien erfassen würde. Möchte man § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG als Ausführungsregel erhalten, muss man sie auf die rein-medizinische Dimension (mithin Indikation und Fehlen von rein medizinischen Kontraindikationen) verengen, da ansonsten die verfassungsrechtlichen Defizite des gesamten Normenkomplexes265 auch auf die Ebene der Wartelistenführung durchschlagen würden. Die Verwendung nicht-medizinsicher Kriterien stellt bei dieser gebotenen Auslegungsmaxime einen Bruch mit der Rechtskonstruktion des historischen Gesetzgebers dar. Soweit diese Kriterien Berücksichtigung finden sollten, ginge die Aufgabe des Transplantationszentrums über eine Evaluierung der Befund ergebnisse hinaus, es träfe vielmehr eine eigene Auswahlentscheidung zwischen Patienten, denen der Zugang zum Vermittlungsprozess verwehrt bliebe. Soweit Patienten auf der Grundlage sozialerheblicher Kriterien die Aufnahme in die Warteliste verweigert wird, geschieht dies aufgrund einer Richtlinienkonkretisierung der BÄK, die im Widerspruch mit höherrangigem Recht steht. Das Problem liegt dann aber auf der Ebene der rechtswidrigen Richtlinien der BÄK, weniger in der Rechtsnatur der Pflichten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG. Sie bleiben vom objektivierten Gesetzeswillen in engem Sachzusammenhang mit der medizinischen Behandlungsleistung der Ärzte und stehen damit im behandlungsvertraglichen Normkontext. Wenn sich nach alledem das Behandlungsvertragsrecht als das inhaltlich passendere und sachgerechtere Recht erweist und Patient sowie Transplantationszentrum sich ferner darüber einig sind, einen Behandlungsvertrag abzuschließen, zu dessen Pflichtenkatalog die standardentsprechende Befunderhebung, Prüfung der Wartelistenaufnahme und medizinische Betreuung gehört,
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 138 Insbesondere die Verletzung des Parlamentsvorbehalts und Unterschreitung des Legitimationsniveaus durch die Bundesärztekammer würde dann gleichsam auf die Ebene der Transplantationszentren verlagert, wenn diese bei der Ausübung der Wartelistenführung normative Kriterien berücksichtigen dürften und insoweit auch noch „rechtmäßig“ handelten. 264 265
III. Rechtscharakter der Pflicht zur Wartelistenführung
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besteht für eine öffentlich-rechtliche Qualifikation des Verhältnisses nur noch wenig Raum. Vergegenwärtigt man sich darüber hinaus den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers, der aus guten Gründen zu einer privatrechtlichen Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse sowie der Erfüllung der Wartelistenführungspflicht tendierte, muss eine öffentlich-rechtliche Qualifikation im Ergebnis ausscheiden. Der objektivierte Wille des Gesetzes spricht damit für eine zivilrechtliche Einordnung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG. Rechtsmethodische Einigkeit besteht aber dahingehend, dass sich die Auslegung über „die erkennbare Regelungsabsicht und die von ihm bewusst getroffenen Wertentscheidungen“266 nicht hinwegsetzen darf. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass auch das Bundesverfassungsgericht in den bisher anhängigen Individualverfassungsbeschwerden dieser Auffassung auch und gerade im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht entgegengetreten ist. Vielmehr führt es im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde über versagte Prozesskostenhilfe im Jahr 2013 aus, dass die Frage der Rechtmäßigkeit einer Wartelistenentscheidung „für die Beurteilung eines Schadensersatzanspruchs aus § 21 Abs. 2 AGG“267 – also beim Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr – maßgeblich sei. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Richtlinien, nach welchen die Wartelistenentscheidung erfolgt, sei zudem für die „Beurteilung der vom Beschwerdeführer geltend gemachten [Anm.: zivilrechtlichen 268] Ansprüche“269 entscheidungserheblich. c) Ergebnis Die Pflicht zur Wartelistenführung ist bei einer Gesamtschau der Auslegungskanones aufgrund der Entstehung sowie der systematisch-teleologischen Zu gehörigkeit der Aufgabe zum privatrechtlichen Normkontext als bürgerlich- rechtliche Vertragspflicht einzuordnen. Sie entsteht durch den Abschluss des Behandlungsvertrags und ist in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG als ius cogens ausgestaltet. Sieht sich der Patient zu Unrecht von der Warteliste ausgeschlossen, steht ihm der Weg vor die ordentlichen Gerichte gem. § 13 GVG offen. Diese entscheiden mit Vorfragenkompetenz über Anwendbarkeit und Vereinbarkeit der BÄK-Richtlinien mit höherrangigem Recht.
Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 139. BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1729, Rn. 19. 268 Insbesondere BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728, Rn. 16, wo das BVerfG explizit klarstellt, dass die aufgeworfenen Fragen für „vertragliche und deliktische Schadensersatzansprüche“ entscheidungserheblich sind. 269 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728, Rn. 18. 266 267
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6. Divergierende Rechtsnatur der Vermittlungsentscheidungen Die Vermittlungsentscheidung, die im Standardverfahren allein durch die Vermittlungsstelle Eurotransplant erfolgt, ist von der eben thematisierten Wartelistenführung durch das Transplantationszentrum sinnvollerweise zu trennen. Beide im TPG normierten Pflichten unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich des Regelungsadressaten, sondern auch mit Blick auf den Inhalt beider Pflichten. Letztere Überlegung legt nahe, dass die Rechtsnatur der vermittlungsrelevanten Entscheidungen divergieren kann. a) Divergierende Interessenslage der Patienten Anders als bei der Wartelistenführung, stellt sich auf der Ebene der Vermittlungsentscheidung eines konkreten Organs zwangsläufig eine Auswahlproblematik, die mit einer vertragsrechtlichen Pflichtenverortung nicht abgedeckt werden kann. Während bei der Entscheidung über die Aufnahme eines Patienten in die Warteliste zwei medizinisch gleich geeignete Patienten nicht in eine Konkurrenzsituation eintreten, die das Transplantationszentrum durch eine selektive Entscheidung auflösen müsste, ist dieser Umstand gerade das Wesen der Vermittlungsentscheidung. Zwar ist richtig, dass den Transplantationszentren mit der Aufnahmeentscheidung in die Wartelisten eine erhebliche Bedeutung zukommt und die Wirkung einer ablehnenden Entscheidung in diesem Fall den Patienten hart trifft. Anders als bei der endgültigen Organvermittlung ist das Transplantationszentrum an dieser Stelle aber nur dem einzelnen Patienten verpflichtet. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit das Zentrum verpflichtet sein soll, sich an anderen als medizinischen Kriterien zu orientieren. Schließlich stellt die Aufnahmeentscheidung nach § 10 Abs. 2 TPG nur eine der letztendlichen Vermittlung vorgelagerte Entscheidung dar. Eine Auswahl zwischen mehreren gleichrangigen Patienten ist zu diesem Zeitpunkt weder nötig noch rechtmäßig. Die Vermittlungsentscheidung ist demgegenüber ohne Berücksichtigung normativer Kriterien schlechthin nicht denkbar, auch wenn diese in medizinisch verpackter Form wie der Transplantatfunktion oder dem Grad der gesteigerten Lebensqualität270 formuliert werden. Unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen dem Patienten und der Vermittlungsstelle, die den Grundrechtsschutz der Patienten ausreichend berücksichtigen könnten, bestehen schon gar nicht. Die Bedeutung der Vermittlungsaufgabe ist daher schon aufgrund der Natur der Sache eine völlig andere als die Wartelistenführung, die für den Patienten zwar empfindliche Auswirkungen haben kann, aber von keinem mit der Vermitt270 So z.B. sämtliche Richtlinien der BÄK, exemplarisch: BÄK, Lunge, Glp. I.6 a. E.; Niere, Glp. I.6 a. E.; Pankreas, Glp. I.6. a. E.: „Längerfristig ausreichende Transplantatfunktion und die verbesserte Lebensqualität“.
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lungsentscheidung vergleichbaren Interessensgegensatz geprägt ist. Der Pflicht erfüllung aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG stehen keine widersprechenden Interessen Dritter gegenüber, die das Zentrum in eine Situation brächten, zwischen zwei identischen Interessenslagen zu entscheiden. Die Vermittlungsentscheidung hat diesen Interessensgegensatz zum Kerngegenstand. Zwischen mehreren Patienten muss eine Entscheidung getroffen werden, die unter Berücksichtigung der medizinischen Rahmenbedingungen möglichst gerecht erfolgen soll.271 In dieser Hinsicht unterscheiden sich beide Pflichten in materieller Hinsicht fundamental. Während die Transplantationszentren bei der Wartelistenführung ausschließlich dem Interesse des Patienten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben verpflichtet sind, steht die Vermittlung knapper Ressourcen als „Auswahlentscheidung“ immer im Interesse eines gerechten, gesamtgesellschaftlich getragenen und akzeptierten Verteilungssystems. Unabhängig von der v. a. im Strafrecht umstrittenen Frage, ob § 12 Abs. 3 TPG überhaupt individuellen Lebensschutz bezweckt272 , ist an dieser Stelle eindeutig, dass die Gemeinwohlinteressen gegenüber den individuellen Rechtspositionen einzelner Patienten überwiegen. Dies wird nicht zuletzt durch § 1 Abs. 1 S. 1 TPG deutlich, der zeigt, dass die höhere Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung nur durch gesteigertes „Systemvertrauen“273 zu erreichen ist. Der Charakter der Vermittlungsentscheidung unterscheidet sich damit nicht nur maßgeblich von der Pflicht zur Wartelistenführung, er steht auch einer bürgerlich-rechtlichen Qualifikation diametral entgegen, deren Aufgabe es ist, „Interessenskonflikte zwischen rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten sachgerecht zu lösen“274. Eine Gleichordnung muss dann von vornherein ausscheiden, wenn die Vermittlungsstelle zwischen zwei gleichgeordneten Grundrechtsträgern eine den einen begünstigende Entscheidung trifft, die über das Pflichtenprogramm eines Vertragsverhältnisses hinausgeht. Die Entscheidung folgt vielmehr einem Maßstab, der sich nicht mehr an den alleinigen Interessen eines Vertragspartners orientiert, sondern allgemeine Wertungen als Entscheidungskriterien heranzieht. b) Unterschiedliche Maßstäbe der Entscheidungsfindung Auch kommt im Falle der Vermittlungsentscheidung die hinsichtlich der Wartelistenführung vorgebrachte Argumentation nicht zum Tragen, die gesetzgeberische Intention sei auf die Berücksichtigung rein medizinischer Kriterien begrenzt gewesen und müsse entsprechend (notfalls verfassungskonform) ausgeVgl. BÄK, Präambel zu den Richtlinien. Hierzu ausführlich der Exkurs unter Glp. § 6 II.1.b).aa).(2). 273 Verrel, MedR 2014, 464, 468. 274 BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1927. 271
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legt und verstanden werden. Während diese Lesart, die allein auf die medizinische Indikation und das Nichteingreifen von Kontraindikationstatbeständen Bezug nimmt, bei der Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste ohne Weiteres in Betracht kommt, ja dem Wesen der „Warteliste“ entspricht und damit von vornherein keinen Widerspruch zu den Interessen des Patienten mit sich bringt, scheidet eine rein auf medizinische Kriterien gestützte Vermittlungsentscheidung von vornherein aus.275 Wenn der Gesetzgeber in der Begründung davon spricht, dass der Maßstab des „Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ nicht von „nichtmedizinischen“, zum Beispiel „sozialen Erwägungen“ abhängig gemacht werden darf276, kann dies trotz des zugrundeliegenden Kategorienfehlers277 auf der Ebene der Wartelistenführung auf das verfassungsrechtlich zulässige Maß reduziert werden. Auf der Ebene der Vermittlungsentscheidungen taugt dieser Gedanke schon deshalb nicht, da bei einer derartigen Reduzierung des Maßstabs auf die medizinische Indikation keine Differenzierungskriterien mehr bestünden, nach welchen die Organe unter den in Betracht kommenden Patienten verteilt würden. Mit anderen Worten: eine verfassungskonforme Reduzierung der Verteilungskriterien des § 12 Abs. 3 S. 1 TPG scheidet aus, weil eine Organverteilung nach rein medizinischen Maßstäben nicht möglich ist. Auf die unterschiedlichen Maßstäbe, die den Entscheidungen zugrunde liegen, deutet auch der auf den ersten Blick nur unerheblich divergierende Wortlaut zwischen § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG und § 12 Abs. 3 S. 1 TPG hin. Während für die Wartelistenentscheidung Erfolgsaussicht und Notwendigkeit maßgeblich sind, tritt an die Stelle der Notwendigkeit bei der Vermittlungsentscheidung die Dringlichkeit des jeweiligen Eingriffs. Bereits dieser Hinweis verdeutlicht, dass im Zuge der konkreten Organvermittlung mehr zu berücksichtigen ist, als der bloße medizinische Indikationsbefund einer Organübertragung, der richtigerweise für die Wartelistenentscheidung das maßgebliche Kriterium ist.278 Von Kreße wird der Einwand vorgebracht, die Verteilung erfolge nicht nach öffentlichen Rechtssätzen, sondern vielmehr nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft, die keine hoheitlichen Wertungen enthielten.279 Zwar ist richtig, dass der Gesetzgeber die Allokationskriterien nur in geringem Umfang selbst ausformt. Entscheidend aber ist, dass bereits das Kriterium der DringlichZum diesbezüglichen Kategorienfehler statt vieler Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 20 f.; Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3403; Schroth, NStZ 2013, 437, 440; vgl. ausführlich Glp. § 3 III.2.c).bb).(2). 276 BT-Drs. 13/4355, S. 22 f. 277 Vgl. Glp. § 3 III.2.c).bb).(2). 278 In diese Richtung auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 171 f., die bei Feststellung der Indikation einen „Anspruch auf Registrierung“ annimmt. 279 Kreße, MedR 2016, 491, 495. 275
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keit eine rechtliche Wertentscheidung darstellt, die ebenso wenig medizinisch-wissenschaftlicher Natur ist wie die einzelnen Festsetzungen der Bundesärztekammer. Vielmehr dient das Dringlichkeitskriterium der Verwirklichung eines gerechten Verteilungssystems zur Stärkung des Systemvertrauens, es ist aber kein medizinisch zwingendes Kriterium, das sich dem individuellen Lebensschutz widmet und rein medizinisch zu beantworten wäre.280 c) Dogmatische Bedenken hinsichtlich vertragsrechtlicher Konstruktion Sofern in der jüngeren Literatur in der Gesetzesbegründung und in der privatrechtlichen Rechtsform der Stichting Eurotransplant starke Indizien für eine privatrechtliche Qualifikation der Vermittlungsentscheidungen gesehen werden 281, gehen diese Argumente an der Sache vorbei. Zu der Bedeutung der Gesetzesbegründung sei nach oben verwiesen. Entscheidend ist die Bedeutung der Norm im rechtstatsächlichen Gesamtgefüge, weniger die methodischen Anschauungen des historischen Gesetzgebers. Ihnen kommt in einer Gesamtanschauung neben den anderen Auslegungskanones nur eine gleichgeordnete Auslegungs- und Indizfunktion zu. Die gesellschaftsrechtliche Verfassung der Stichting Eurotransplant und der Bundesärztekammer als nicht eingetragenem Verein der Landesärztekammern ist kein Argument für eine privatrechtliche Qualifizierung der Vermittlungsentscheidung.282 Vielmehr liegt der Kern der Auseinandersetzung in der Frage, ob die privatrechtlich verfassten Einrichtungen mit der Ausführung hoheitlicher Maßnahmen im Wege der Beleihung betraut wurden oder vielmehr privatrechtlich handeln. Für letztere Frage wird angeführt, der Vermittlungsstellenvertrag (VermV) mit Eurotransplant nach § 12 Abs. 4 S. 1 TPG sei als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegenüber den potentiellen Organempfängern einzuordnen.283 Verletzt Eurotransplant die im Vertrag statuierten Pflichten, stünden den Patienten eigene Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis gegen Eurotransplant zu, die sie dementsprechend vor den ordentlichen Gerichten geltend machen müssten.284 Zunächst fordert die Vertrags- oder Leistungsnähe eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, das der Dritte bestimmungsgemäß mit der geschuldeten Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer PflichtverVgl. Verrel, MedR 2014, 464, 468. So nahezu wörtlich Kreße, MedR 2016, 491, 495. 282 U.a. mit diesem Einwand aber Kreße, MedR 2016, 491, 495. 283 So Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 334; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 239; Kreße, MedR 2016, 491, 495. 284 So Kreße, MedR 2016, 491, 497. 280 281
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letzung in gleichem Maße ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst.285 Durch die in § 5 Abs. 1 VermV statuierte Vermittlungspflicht Eurotransplants kommen die Patienten als Dritte zwar regelmäßig mit der Verteilungstätigkeit als materiell Hauptbetroffene der jeweiligen Einzelfallentscheidung in Berührung. Bedenklich erscheint aber die insoweit völlig divergierende Rechts- und Interessenslage im Vergleich zu den vertragsschließenden Verbänden. Während die Spitzenverbände der Krankenkassen, die Krankenhausträger, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft bei Abschluss des Vermittlungsvertrages rein organisatorische Zwecke verfolgen, betrifft die Entscheidung Euro transplants die Gesundheit und das Leben der Patienten als hochrangiges Individualrechtsgut. Sie kommen damit in ganz anderem Umfang und hinsichtlich verschiedener Rechtsgüter mit den Gefahren einer Pflichtverletzung in Kontakt als die Auftraggeber. Hiergegen kann freilich ein Erst-recht-Schluss angeführt werden, wonach die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gerade auch denjenigen umfassen müssen, der in noch höherem Maße – die jeweilige Erkennbarkeit vorausgesetzt – von einem Fehlverhalten einer Vertragspartei betroffen ist. Die Gläubigernähe als weitere Voraussetzung des Rechtsinstituts gestaltet sich demgegenüber noch einmal als weitaus komplizierter. In diesem Zusammenhang ist eine persönliche Fürsorge- und Obhutspflicht, mindestens jedoch eine rechtliche Schutzpflicht zwischen Vertragspartner und Drittem zu fordern.286 Hintergrund des besonderen Näheverhältnisses ist die Erwägung, dass der Gläubiger an der Einbeziehung des konkreten Dritten ein besonderes Interesse hat und der Vertrag „dahin ausgelegt werden kann, dass der Dritte in Anerkennung dieses Interesses in den vertraglichen Schutz einbezogen werden soll“.287 Zweifelsfrei fehlen vertragliche schuldrechtliche Nähebeziehungen zwischen dem potentiellen Organempfänger und den vertragsschließenden Verbänden. Kreße leitet die dennoch entstehende Gläubigernähe aus § 12 Abs. 4 S. 1 TPG und dem wortlautidentischen § 1 Abs. 1 VermV her, wonach die Parteien den Vermittlungsstellenvertrag „mit Wirkung für die Transplantationszentren“ schließen.288 Dieser sei damit als gesetzlicher Vertrag zu Lasten Dritter einzustufen. Mit den Transplantationszentren wiederum bestünden von Seiten des Patienten unmittelbare behandlungsvertragliche Beziehungen, die für eine Gläubigernähe ausreichten.289 285 BGH, Urteil v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03 = NJW 2006, 830, 835 Rn. 55; Gottwald, in: MünchKomm, BGB, § 328 Rn. 11; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 328 Rn. 24. 286 Gottwald, in: MünchKomm, BGB, § 328 Rn. 182 f. 287 BGH, Urteil v. 26.6.2001 – X ZR 231/99 = NJW 2001, 3115, 3116; Janoschek, in: BeckOK, BGB, § 328 Rn. 52. 288 Kreße, MedR 2016, 491, 496. 289 Kreße, MedR 2016, 491, 496.
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Liegt allerdings ein „Vertrag zu Lasten Dritter“ vor, auf dessen Inhalt der Dritte keinerlei Einfluss nehmen kann, gelingt auch keine „Auslegung“ im Sinne der schützenswerten Interessen des Patienten als „Vierten“. Ein besonderes Interesse an dem Einbezug des konkreten Patienten besteht schon deshalb nicht, da die Festsetzungen des Vermittlungsstellenvertrages ein gerechtes und einheitliches Verteilungssystem etablieren möchten, nicht aber auf die spezifischen Interessen des einzelnen Patienten zugeschnitten sind. Verträge, die das Transplantationszentrum nur verpflichten, nicht aber berechtigen, lassen keinen Raum für eine Einbeziehung weiterer Rechtsschutzadressaten. Dass die Regeln den Patienten materiell am stärksten in seinen Rechtsgütern betreffen, wird durch die vertragliche Konstruktion eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht widergespiegelt. d) Eigene Wertungskriterien durch Eurotransplant Erschwerend kommt hinzu, dass Eurotransplant keineswegs nur mit der technisch-prozeduralen Ausführung festgelegter Bestimmungen betraut ist. Vielmehr ergänzt es den Kanon der durch die Richtlinien der Bundesärztekammer festgesetzten Allokationskriterien durch eigene Wertungskriterien, was am Beispiel der Länderaustauschbilanz290 oder dem Eurotransplant Senior Program 291 deutlich wird.292 Damit kommt Eurotransplant ein echter Gestaltungsspielraum zu, der in die Grundrechte Dritter eingreift und vom Gesetzgeber nicht hinreichend rechtlich vorgeprägt wurde.293 e) Zwischenfazit Nach den vorherigen Ausführungen lassen sich die Vermittlungsentscheidungen trotz der privatrechtlichen Natur der beteiligten Stellen nicht mehr als privatrechtliche Pflichten klassifizieren. Dies folgt zum einen daraus, dass die Regelungsadressaten der Wartelistenpatienten selbst nicht in den Mechanismus der Vertragsgestaltung eingebunden sind. Zum anderen entspringen die Ausgestaltung der Pflicht und die sie konkretisierenden Maßstäbe nicht der Interessenslage eines Patienten, sondern der Patienten in ihrer Gesamtheit, die an eiVgl. Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 61. Vgl. hierzu Glp. § 3 III.d).ee). 292 Gutmann, in: Schroth/Gutmann/König/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 10; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 14 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 209 ff.; Krüger, Die Organvermittlungstätigkeit Eurotransplants, S. 68 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 129; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 106; Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 61. 293 Kritisch hierzu auch Hollenbach, Grundrechtsschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis, S. 335, der seit Inkrafttreten des TPG eine Einkleidung in privatrechtlich organisierte Tätigkeiten auf der Ebene der Vermittlungsentscheidungen für ausgeschlossen hält. 290 291
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nem systemgerechten, adäquaten und gleichmäßigen Vermittlungsverfahren interessiert sind. Das bürgerliche Recht, das von einem Interessenwiderstreit zwischen zwei oder mehreren gleichgeordneten Rechtssubjekten ausgeht, und das aus ihm folgende synallagmatische Grundverständnis der bestehenden Pflichten im gegenseitigen Vertrag, werden dem Wesen der Organvermittlung in seiner auswählenden Letztentscheidung nicht gerecht. Damit unterscheidet sich die Vermittlungsentscheidung nach § 12 Abs. 3 S. 1 TPG grundlegend von der Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste, die in besonderem Maße den behandlungsvertraglichen Rechtsbeziehungen zwischen Patient und Transplantationszentrum geschuldet ist. Da sich, wie gezeigt, die Vermittlungsentscheidung anders als die Entscheidung über die Wartelistenaufnahme nicht ohne erhebliche Strukturbrüche in ein vertragliches Synallagma einfügen lässt, handelt es sich bei Vermittlungsentscheidungen um typisches hoheitliches und damit öffentliches Recht. f) Art. 24 Abs. 1 GG und Charakterisierung als Verwaltungsakt Sieht man in der Vermittlungsentscheidung eine typische hoheitliche Aufgabe, stellt sich nunmehr das Problem, dass die in § 12 Abs. 4 TPG beauftragten Verbände mit Eurotransplant in der niederländischen Universitätsstadt Leiden eine Vermittlungsstelle außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes beauftragt haben. Dies ist staatsrechtlich problematisch, da Art. 1 Abs. 3 GG sowie Art. 23 Abs. 1 GG die deutsche Hoheitsgewalt auf das deutsche Staatsgebiet beschränken und die Übertragung hoheitlicher Gewalt294 auf zwischenstaatliche Einrichtungen nur unter den Voraussetzungen des Art. 24 GG zulässig ist.295 Nach Art. 24 Abs. 1 GG ist der Bund berechtigt, durch formelle Gesetze Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen.296 Dazu bedarf es zum einen eines formellen Gesetzes zur Übertragung der Hoheitsrechte nach Art. 24 Abs. 1 GG sowie eines zusätzlichen Gesetzes, das nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG den völkerrechtlichen Vertrag bekräftigt.297 Der Anwendbarkeit von Art. 24 Abs. 1 GG steht jedoch entgegen, dass es sich bei Eurotransplant aufgrund der privatrechtlichen Rechtsform zum einen nicht um eine zwischen-
Gleichbedeutend mit Akten öffentlicher Gewalt, vgl. Streinz, in: Sachs, GG, Art. 24 Rn. 12. 295 Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants, S. 327; auch Schroth, MedR 2013, 645, 645, dort unter Fn. 2 a. E. 296 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Rn. 28; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 24 Rn. 22. 297 Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants, S. 328; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 108. 294
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staatliche Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG handeln kann.298 Zum anderen fehlt es an der erforderlichen völkerrechtlichen Regelung, worauf bereits die Gesetzesbegründung hinweist.299 Zu Recht wird daher vorgetragen, dass es bei der Beleihung Eurotransplants an einer ausreichenden personellen und materiellen demokratischen Legitimation mangelt.300 Trotz der insoweit entgegenstehenden Regierungsbegründung, die von einer rein privatrechtlich geprägten Vermittlungsentscheidung ausgeht, ist die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants – sofern man sie als deutschen Verband denkt – typisches öffentliches Recht.301 Die im derzeitigen Rechtssystem vorherrschenden demokratischen Legitimationsdefizite ändern nichts an dem Befund, dass die Vermittlungsentscheidungen in Wirkung und Tragweite gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO als Verwaltungsakte zu klassifizieren wären. Das Problem, dass diese nicht unmittelbar von der deutschen Verwaltung, sondern einer privatrechtlichen Stiftung niederländischen Rechts erlassen werden, kann über § 12 Abs. 4 TPG gelöst werden, wodurch die deutsche Staatsverwaltung einer gewissen Bindungswirkung hinsichtlich der aus diesem Regelungskonzept folgenden Rechtsakte unterliegt.302 Da aufgrund der supranationalen Entscheidungsfindung und Rechtswirkung der Organallokation eine Kassation durch die deutschen Gerichte nicht in Betracht kommt, ist vor dem Hintergrund der sonst drohenden Rechtsschutzlücke303 im Primärrechtsschutz die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Für die Herstellung rechtmäßiger Zustände sind insbesondere die Vertragspartner aus § 12 Abs. 4 S. 1 TPG sowie Euro transplant selbst verantwortlich. Fest steht aber auch, dass die erheblichen de298 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 197 f.; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 18; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 11; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants, S. 331 f.; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 107 f. Juristische Personen, die einem Staat eingegliedert sind, fallen per se nicht unter den Begriff der zwischenstaatlichen Einrichtung i. S. d. Art. 24 Abs. 1 GG, vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 Rn. 52; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 24 Rn. 20. 299 Engels, MedR 2011, 541, 542; BT-Drs. 13/4355, S. 14 f., 25 f. 300 Allgemeine Auffassung, vgl. etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 198; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 151; Engels, MedR 2011, 541, 542; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 17; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Euro transplants, S. 331 ff; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 131. 301 Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 106. 302 Im Ergebnis wie hier Schneider, Verfassungsmäßigkeit des Rechts der Organallokation, S. 61 f., wonach anknüpfend an BVerwG, Urteil v. 24.3.2011 – 3 C 23/10 = NVwZ 2011, 1020, 1020 ff. ein mittelbares, vertragliches Beleihungsverhältnis Eurotransplants anzuneh men ist. Explizit anderer Meinung Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3402; Kreße, MedR 2016, 491, 494 f., die beide für eine privatrechtliche Einordnung plädieren; in dieser Richtung wohl auch Schroth, MedR 2013, 645, 645. 303 Vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 155 ff.; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 63 ff.; Taupitz, NJW 2003, 1145, 1150.
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mokratischen Legitimationsdefizite und die sich eröffnende Rechtswegunsicherheit in Ansehung von Art. 19 Abs. 4 GG unbefriedigend sind und sich in ihrem derzeitigen Zustand nicht in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz befinden.304 Der Gesetzgeber ist daher dringend gehalten, die Rechtswegfrage eindeutig zu klären und die Rechtsnatur der Vermittlungsentscheidung entsprechend auszugestalten. g) Ergebnis Die Vermittlungsentscheidung steht nicht nur in einem anderen Sachzusammenhang, sondern ist auch verfassungsrechtlich anders zu beurteilen als die Aufnahmeentscheidung in die Warteliste. Zwar mögen die Folgen einer ablehnenden Wartelistenentscheidung für den Grundrechtsträger mit Blick auf den dauerhaften Ausschluss von der Organvermittlung gravierender sein. Hinsichtlich der Interessenslage und des zwingenden normativen Maßstabs der Organvermittlung ergibt sich für den Grundrechtsträger eine intensivere Gefährdung seiner Grundrechte, die privatrechtlich nicht aufgefangen wird. Insbesondere die Konstruktion über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stößt auf dogmatische Bedenken. Vielmehr dient die Vermittlungsentscheidung der Realisierung einer öffentlichen Aufgabe mit subordinativem Charakter und ist damit als öffentlich-rechtliche Pflichtaufgabe zu charakterisieren.
IV. Pflichtenprogramm transplantationsmedizinischer Behandlungsverträge Das TPG regelt neben dem rein organisationsrechtlichen Ablauf und den Voraussetzungen für die Organspende spezifische Pflichten der Entnahmekrankenhäuser und Transplantationszentren. Diese Pflichten adressieren in erster Linie das jeweilige Krankenhaus und nicht den konkret behandelnden Arzt, der nur mittelbar über das Angestelltenverhältnis in den Pflichtenkreis des behandelnden Krankenhauses eingebunden ist.
1. Überweisungspflicht des ambulant behandelnden Arztes Wird durch den bisher behandelnden, in der Regel niedergelassenen Arzt ein Krankheitsbild diagnostiziert, das im Rahmen der weiteren Heilbehandlung eine Organübertragung indiziert, ist der Arzt gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 TPG nach 304 Vgl. etwa Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 198; Krüger, Die Vermittlungstätigkeit Eurotransplants, S. 331 ff.; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 131.
IV. Pflichtenprogramm transplantationsmedizinischer Behandlungsverträge
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Einwilligung des Patienten verpflichtet, diesen beim Transplantationszentrum zu melden, bei dem die Betreuung des Patienten und die spätere Organübertragung durchgeführt werden soll. § 13 Abs. 3 S. 2 TPG stellt klar, dass die Meldung unabhängig von der derzeitigen Ersatztherapie erfolgen muss. Der Überweisungspflicht des Arztes kommt somit eine Anstoßfunktion hinsichtlich der weiteren Heilbehandlung und Organübertragung zu, die im Ergebnis bei jedem nicht anders therapierbaren Krankheitsbild des Patienten zu erfolgen hat. Unterlässt der behandelnde Arzt diese für die Heilungschancen des Patienten wichtige Überweisung, kommen sowohl vertragliche als auch deliktische Arzthaftungsansprüche des Patienten in Betracht.305
2. Untersuchungs- und Vermittlungspflichten Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Rechtsträger des Transplantationszen trums und dem Patienten beginnen regelmäßig nach der Mitteilung des bisher behandelnden Arztes. Für die Annahme zur Organübertragung und Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG erfolgt zunächst eine eigenständige Untersuchung des Patienten zur fachärztlichen Absicherung des ärztlichen Befundes und die Erhebung der für die Meldung an Eurotransplant benötigten Datensätze des Patienten.306 Der Behandlungsvertrag zwischen dem Transplantationszentrum und dem Patienten kommt zeitlich bereits vor der Entscheidung über die Annahme zur Organübertragung zustande.307 Bereits die der Entscheidung vorgelagerte Untersuchung stellt in aller Regel einen rechtfertigungsbedürftigen Heileingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten dar, in deren Vornahme der Patient einwilligen muss.308 Damit ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein Behandlungsvertrag anzunehmen, der auf eine standardentsprechende Untersuchung als Voraussetzung einer Organvermittlung und ‑übertragung gerichtet ist. In diesem Stadium ist das Transplantationszentrum zunächst zur fachgerechten Untersuchung und Entscheidung über die Annahme zur Organübertragung verpflichtet. Ergibt sich aus der Untersuchung des Patienten ein Befund, bei dem Patientenprofil und Zentrumsprofil hinsichtlich der notwendigen Organübertragung
Vgl. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 168. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 170. 307 Wie hier Kreße, MedR 2016, 491, 493. 308 Vgl. zur Einwilligungslösung st. Rspr. seit RG, Urteil v. 18.5.1894 = RGSt 25, 375; instruktiv BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1931.; zu denken ist insbesondere an Blutproben zur Bestimmung des kleinen oder großen (Differential-)Blutbilds, das bereits eine tatbestandliche Körperverletzung sowohl in strafrechtlicher (§ 223 Abs. 1 StGB) als auch deliktsrechtlicher Hinsicht (§ 823 Abs. 1 BGB) darstellt. 305
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übereinstimmen309, ist das Zentrum verpflichtet, den Patienten zur Organübertragung anzunehmen. Hieraus folgt zwangsläufig die Pflicht zur Aufnahme in die Warteliste, vgl. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG. Beide Pflichten sind materiell untrennbar miteinander verbunden und können grundsätzlich zu keinen gegenläufigen Ergebnissen führen.310 Wird die Annahme zur Organübertragung bejaht, muss in dieser Konsequenz auch die Aufnahme in die zentrumsgeführten Wartelisten erfolgen. Als zwingende Vorstufe für den weiteren Vermittlungsprozess über Euro transplant realisiert sich schon bei der Entscheidung der Transplantationszentren über die Aufnahme die weitreichende Bedeutung des Organvermittlungsrechts.311 Lehnt das Transplantationszentrum nach den Kriterien der auf § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG gestützten BÄK-Richtlinien die Aufnahme ab, ist der Patient von der Teilnahme an den Organvermittlungen über die jeweiligen Match-Listen von Eurotransplant ausgeschlossen und seine Teilhaberechte an der Verteilung der knappen Ressource der postmortal entnommenen Spenderorgane gehen ins Leere. Alle drei Pflichten des Transplantationszentrums (medizinische Befunderhebung, Annahme zur Organübertragung, Aufnahme in die Warteliste) stammen als Behandlungspflichten unmittelbar aus dem geschlossenen Behandlungsvertrag. Sie sind in Übereinstimmung mit der dargelegten Argumentation bürgerlich-rechtliche Pflichten des Transplantationszentrums, das sich insoweit bereits mit der ersten Untersuchung des Patienten umfassend nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG verpflichtet. Scheidet eine Registrierung und Behandlung des Patienten bereits von vornherein aus organisatorischen Gründen aus (beispielsweise im Rahmen einer Behandlung eines Patienten mit High-Urgency-Status und fehlender apparativer Vorkehrungen), müssen bereits bei der Mitteilung des Arztes nach § 13 Abs. 3 S. 1 TPG eine unverzügliche Absage und ein Verweis an das nächstgelegene Transplantationszentrum erfolgen.312 Andernfalls ist die Behandlung des Patienten und dessen Berücksichtigung im Organvermittlungsprozess gefährdet, was zu zivilrechtlichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen kann. Wie beschrieben folgen die Pflicht zur Wartelistenführung und zur Organübertragung als wesentliche Pflichten aus dem Behandlungsvertrag zwischen dem Rechtsträger des Transplantationszentrums und dem Patienten. Für SozialNorba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 111. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 170. 311 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 121; Conrads, Rechtliche Grundsätze der Organallokation, S. 41; Gutmann, in: Schroth/Gutmann/König/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 9: „‚Eingangstrichter‘ in den Allokationsprozess“; Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 16; Norba, Rechtsfragen der Organtransplantationsmedizin, S. 166 f. 312 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 123. 309 310
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versicherte wird die Leistung auch in § 39 SGB V hinsichtlich des Versorgungsauftrags konkretisiert.313
3. Sonderfall: Beschleunigtes Verfahren Abweichend von § 12 Abs. 3 TPG werden schwer vermittelbare Organe behandelt, die aufgrund von medizinischen Funktionsbeeinträchtigungen oder organisatorischen Ausnahmesituationen sofort transplantiert werden müssen.314 In diesem Zusammenhang wird zwischen dem modifizierten und dem beschleunigten Vermittlungsverfahren unterschieden. Im modifizierten Vermittlungsverfahren beschränkt sich die Zuteilung der Organe von vornherein auf solche Transplantationszentren, die sich zuvor zur Annahme derartiger Organe bereit erklärt haben, wenn im Übrigen Zentrums- und Patientenprofil übereinstimmen.315 Droht das Organ binnen kurzer Zeit unterzugehen oder kann aus sonstigen medizinischen oder organisatorischen Gründen (z.B. Kreislaufinstabilität des Spenders316) das modifizierte Vermittlungsverfahren nicht abgewartet werden, kommt es zum beschleunigten Vermittlungsverfahren, sog. Rescue Allocation.317 Um die Zeit zwischen Entnahme und Übertragung des Organs so gering wie möglich zu halten, wird das Spenderorgan beim beschleunigten Verfahren vorwiegend innerhalb der Entnahmeregion angeboten. Die Transplantationszentren wählen daraufhin bis zu zwei potentielle Organempfänger aus, deren Daten sodann an Eurotransplant weitergeleitet werden.318 Zwar kommt dieser Auswahlentscheidung ebenfalls eine filternde und bei medizinisch gleich bedürftigen Patienten normativ auszufüllende Funktion zu. Die letztendliche Vermittlungsentscheidung, die das Organ zunächst verbindlich einem bestimmten Empfänger zuordnet und dem Transplantationschirurgen zur Übertragung anbietet, verbleibt aber bei Eurotransplant. Sofern man die Mitwirkungspflicht des Transplantationszentrums als hoheitliches Verwaltungshandeln begreift, wäre hierin in jedem Fall nur eine unselbstständige Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO zu sehen. Jedenfalls ergibt sich die Pflicht, den einzelnen Patienten bei dieser Auswahl entscheidung ausreichend zu berücksichtigen und damit dessen derivative Teilhaberechte zu schützen, nicht aus den BÄK-Richtlinien oder dem ET-Manual. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 169. Bader, Organmangel und Organvermittlung, S. 164. 315 Bader, Organmangel und Organvermittlung, S. 164. 316 Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 38. 317 Eurotransplant-Manual, Chapter 3, S. 5 Glp. 3.2.3.3, abrufbar unter: http://eurotransplant.org/-cms/mediaobject.php?file=Chapter3_allocation3.pdf, zuletzt am 20.9.2016; Höfling, in: Höfling, TPG, § 12 Rn. 38; Bader, Organmangel und Organvermittlung, S. 164. 318 DSO, Jahresbericht 2015, S. 65. 313 314
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Soweit die Pflicht im Interesse bestimmter Patienten vorgenommen wird, folgen deren Ansprüche gegen das Transplantationszentrum auf gleichmäßige Berücksichtigung bei der Verteilung aus dem zugrunde liegenden Behandlungsvertrag.
4. Informations- bzw. Aufklärungspflichten Um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu gewährleisten und ihm eine freie und eigenverantwortliche Entscheidung hinsichtlich der medizinischen Behandlung zu ermöglichen, treffen den Behandelnden gegenüber dem Patienten umfassende Informations- und Aufklärungspflichten.319 Bereits vor der Kodifizierung des Behandlungsvertrages waren diese aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2 GG hergeleiteten Pflichten im Arzt-Patienten-Verhältnis anerkannt.320 Grundsätzlich wird in diesem Zusammenhang zwischen der Selbstbestimmungsaufklärung und der Sicherungsaufklärung (auch therapeutische Aufklärung) unterschieden.321 Die Sicherungsaufklärung ist Teil der ärztlichen Gesundheitsleistung und verpflichtet den Arzt zur Beratung und Aufklärung des Patienten hinsichtlich der Diagnose, des Krankheitsverlaufs sowie bestimmter, für eine Heilung notwendiger Verhaltensweisen des Patienten.322 Sie hat in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB eine gesetzliche Regelung gefunden323 und verpflichtet den Arzt, den Patienten über alle wesentlichen Umstände der Behandlung zu informieren. Diese umfassen u. a. die Diagnose, die abzusehende Entwicklung im Laufe der Krankheit sowie die medizinisch in Betracht kommenden Behandlungsmaßnahmen, § 630c Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BGB. Die Selbstbestimmungsaufklärung soll den Patienten dagegen in die Lage versetzen, mit ausreichender Sachkenntnis über eine Einwilligung in eine bestimmte medizinische Maßnahme zu entscheiden.324 Dies wird durch einen Dreiklang aus Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung erreicht, die gemeinsam dem Patienten Bedeutung und Tragweite des indizierten Eingriffs verdeutlichen und auf Risiken hinweisen sollen.325 Der Gesetzgeber unterscheidet terminologisch zwischen der bisherigen Sicherungs- und SelbstbestimmungsaufLaufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 57 Rn. 14. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 407; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 57 Rn. 7; Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 8. 321 Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630c Rn. 12 f. 322 Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 7; Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 58 Rn. 1; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630c Rn. 12. 323 Explizit als Kodifizierung der bisherigen Rechtsprechung: BT-Drs. 17/10488, S. 21; zur Übereinstimmung von Sicherungsaufklärung und § 630c Abs. 2 S. 1 BGB vgl. Preis/ Schneider, NZS 2013, 281, 283; Rehborn, GesR 2013, 257, 260. 324 BT-Drs. 17/10488, S. 23; Hart, MedR 2013, 159, 161. 325 Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 59 Rn. 11; Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 283. 319
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klärung, indem er die Sicherungsaufklärung als Informationspflicht326, die Selbstbestimmungsaufklärung als die einwilligungsrelevante Aufklärungspflicht bezeichnet. Letztere ist in § 630e BGB geregelt und garantiert die Einwilligung auf der Grundlage einer sachverständigen Entscheidungsfindung des Patienten, sog. informed consent.327 Diese ist Pflicht- und Rechtmäßigkeitsvoraussetzung jeder medizinischen Maßnahme, die nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung die „seelische und körperliche Integrität“328 und damit den „ureigensten Bereich der Personalität des Menschen“329 berührt. Konkret haben die Behandelnden über Art, Umfang, Durchführung, Folgen, Risiken, Notwendigkeit und Dringlichkeit sowie Eignung und Erfolgsaussichten des Eingriffs mündlich330 aufzuklären, § 630e Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Hiermit sollte die bisherige Rechtsprechung kodifiziert und die Aufklärungspflichten zusammengefasst werden.331 Obwohl das Gesetz die bisherige terminologische Differenzierung zwischen Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung nicht aufgreift, gelten deren Maßstäbe unverändert im Rahmen von § 630e Abs. 1 BGB fort.332 Insbesondere die Verlaufsaufklärung, mit der dem Patienten eine eigene Risikoabwägung dadurch ermöglicht werden soll, dass ihm der Verlauf sowohl mit als auch ohne die konkrete medizinische Maßnahme beschrieben wird, ist als Unterfall der Aufklärung über die Notwendigkeit der Maßnahme Teil des arztrechtlichen Pflichtenprogramms.333 Kommen mehrere indizierte und für die Heilbehandlung gleich geeignete Maßnahmen in Betracht, verpflichtet § 630e Abs. 1 S. 3 BGB zum Hinweis auf alternative Behandlungsmethoden. Besondere Informations- und Aufklärungspflichten gegenüber dem potentiellen Organempfänger regelt das TPG, mit Ausnahme von § 13 Abs. 3 S. 4 TPG, nicht. Eine detaillierte Regelung hat bisher nur die Aufklärung potentieller Lebendorganspender in § 8 Abs. 2 TPG gefunden. 326 Wodurch klar werden soll, dass es sich hierbei nicht um einen Bestandteil der Risikoaufklärung, sondern um rein informatorische Pflichten während der Behandlung handeln soll, Rehborn, GesR 2013, 257, 260; ob durch diese terminologische Differenzierung viel gewonnen ist, erscheint fraglich, kritisch insb. Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 283. 327 Vgl. Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 59 Rn. 11; Rehborn, GesR 2013, 257, 262; zum Erfordernis der aufgeklärten Einwilligung, das aus den Grundprinzipien der Verfassung stammt, BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1931 f unter 4. 328 Instruktiv BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1931. 329 BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1931. 330 Vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630e Rn. 3a. 331 BT-Drs. 17/10488, S. 24; Rehborn, GesR 2013, 257, 263. 332 Hart, MedR 2012, 395, 396; Rehborn, GesR 2013, 257, 263. 333 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 437; Hart, MedR 2012, 395, 396; Rehborn, GesR 2013, 257, 263; Hart, MedR 2012, 395, 396.
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a) Therapeutische Aufklärung und Richtlinien der Bundesärztekammer Die Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB umfasst alle wesentlichen Umstände der „Behandlung im weitesten Sinne“334, zu der sich der Behandelnde vertraglich gemäß § 630a BGB verpflichtet hat. Art und Weise der Behandlungsinformation müssen sich wie die Behandlung selbst am medizinischen Standard messen lassen. Die gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5 TPG erlassenen Richtlinien sehen in diesem Zusammenhang selbst „Aufklärungspflichten“ vor. So statuiert Gliederungspunkt I.7 der Richtlinie für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Lungentransplantation, dass vor Aufnahme in die Warteliste über „Erfolgsaussicht, Risiken und längerfristige medizinische, psychologische und soziale Auswirkungen“ aufzuklären ist.335 Diese Ausführungen innerhalb der BÄK-Richtlinien verwundern in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird in der Literatur zu Recht festgestellt, dass die ärztliche Pflicht zur Aufklärung dem Behandlungsvertrag entspringt und keine spezifische medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis ist, die für eine erfolgreiche Organvermittlung zu beachten wäre.336 Zum anderen ist die Festlegung von Art und Umfang der Aufklärungspflichten eine juristische und keine medizinische Frage.337 Selbst wenn der BÄK hierfür eine Richtlinienermächtigung zukäme, könnte sie lediglich die spezifisch medizinischen Besonderheiten und Risiken einer bestimmten Maßnahme konkretisieren, auf die hingewiesen werden sollte. Wenn aber die BÄK-Richtlinien davon sprechen, dass bereits im Vorfeld der transplantationsmedizinischen Maßnahmen über die „notwendige Immunsuppression“, „Nebenwirkungen“ sowie spätere „Kontrolluntersuchungen“ aufzuklären sei, geben sie nur wieder, was sich ohnehin bei Aufnahme des Patienten aus § 630c Abs. 2 BGB bzw. vor dem konkreten Eingriff aus § 630e Abs. 1 BGB ergibt. Ein Mehrwert kommt ihnen in diesem Zusammenhang nicht zu. b) Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Nach der Überweisung durch den behandelnden ambulanten Arzt an das Transplantationszentrum gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 TPG trifft dieses zunächst die Pflicht, bereits vor der Annahme- und Aufnahmeentscheidung nach § 10 Abs. 2 TPG den Patienten über die Untersuchung, den Krankheitsverlauf sowie die einzelnen in Betracht kommenden Ersatztherapien zu informieren. Zu den wesentlichen Umständen wird man sowohl die Bedeutung, Art und Dauer der ErMüller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 9. BÄK, Lunge, Glp. I.7. 336 Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 102 f.; Steffen, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 615, 631 f. 337 Steffen, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 615, 631 f. 334 335
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satztherapie sowie etwaige Nebenwirkungen als auch die Organübertragung und die damit verbundene immunsuppressive Behandlung sowie deren Nebenwirkungen fassen können. Den Ausführungen der BÄK-Richtlinien kommt insoweit lediglich indizielle Bedeutung bei der Frage zu, ob der medizinische Standard eingehalten wurde.338 Zudem wird man bereits zu diesem Zeitpunkt erwarten dürfen, dass der Patient über den Ablauf der Organvermittlung, nach den bisherigen Erfahrungssätzen zu erwartende Wartezeiten sowie maßgebliche Mitwirkungsobliegenheiten aufgeklärt wird.339 c) Belehrung über Wartelistenaufnahme Hinsichtlich der einzelnen Kriterien, nach denen das Transplantationszentrum die Wartelisten führt und die Aufnahme von Patienten ablehnt, ist zum einen fraglich, zu welchem Zeitpunkt die Belehrung des Patienten stattzufinden hat, und zum anderen, ob diese unter die Informationspflichten im Sinne des § 630c Abs. 2 BGB oder die Aufklärungspflichten nach § 630e Abs. 1 BGB fällt. aa) Zeitpunkt der Aufklärung In den Richtlinien der Bundesärztekammer heißt es hierzu lediglich, dass die Aufklärung „vor Aufnahme in die Warteliste“ zu erfolgen hat.340 Von dem grundsätzlichen Kompetenzdefizit hinsichtlich der Festlegung von Aufklärungspflichten einmal abgesehen, ist hiermit auch inhaltlich nicht viel gewonnen. Die Frage ist gerade, ob das Transplantationszentrum bereits bei stationärer Aufnahme in das Krankenhaus bzw. bei Aufnahme der ambulanten Ersatztherapie umfassend über die Art und Weise der Besetzung der Warteliste informieren muss oder hierzu erst nach der Annahme zur Organtransplantation gem. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG verpflichtet ist. Auch die Annahme des Patienten zur Organtransplantation geht der Aufnahme in die Warteliste zeitlich voraus. Mit anderen Worten: Muss die Belehrung über Kriterien und Maßstäbe der Wartelistenführung bereits vor den erstmaligen Untersuchungen oder erst dann erfolgen, wenn der Patient aus Sicht des Zentrums alle Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Warteliste erfüllt? Die Bestimmung des § 13 Abs. 3 S. 3 TPG, wonach das Transplantationszentrum zur Weitergabe der Daten an Eurotransplant nur nach schriftlicher Einwilligung des Patienten berechtigt (aber dann auch verpflichtet) ist, kann jedenfalls nicht als Indiz für eine zeitlich spätere Aufklärung gesehen werden. Man könnBÄK, Lunge, Glp. I.7; zur Bedeutung der Richtlinien bei der Bestimmung des medizinischen Standards in der Transplantationsmedizin vgl. Kap. § 5. 339 Vgl. zur Notwendigkeit der therapeutischen Aufklärung bei non-Compliance des Patienten BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 103. 340 BÄK, Lunge, Glp. I.7. S. 1. 338
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te zwar argumentieren, dass auch die Aufklärung nach § 13 Abs. 3 S. 3 TPG einen informed consent voraussetzt, sodass hierfür umfassend im Sinne des § 630e Abs. 1 BGB aufzuklären ist. Diese Aufklärung wäre auch erst nach Annahme zur Organübertragung durchzuführen, da vorher eine Weiterleitung der Daten an Eurotransplant keinen Sinn ergäbe und auch nicht vorgesehen ist. Nicht ersichtlich ist aber, inwiefern dem Patienten mit einer Aufklärung zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch geholfen wäre, wo doch die Entscheidung über die Annahme zur Organübertragung bereits gefallen ist und der Patient im Falle einer ablehnenden Entscheidung gar keine Aufklärung erhielte. § 13 Abs. 3 S. 3 TPG dient dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Daten und medizinischen Befunde und, wie sich schon bei einer rein zeitlichen Betrachtung ergibt, nicht primär der Unterrichtung über die Maßstäbe der Wartelistenführung. Zu fordern ist vielmehr, dass die Information zu einem Zeitpunkt erteilt wird, der dem Patienten noch ausreichend Zeit lässt, dass er reflektiert über die Behandlung als solche und wesentliche Teilschritte nachdenken und entscheiden kann.341 Gerade wenn in der Praxis häufig an das unbestimmte Merkmal der Compliance angeknüpft wird, muss dem Patienten auf Grundlage des Arzt-Patienten-Verhältnisses zu Beginn der medizinischen Betreuung durch das Zen trum erläutert werden, welches Verhalten eine Kontraindikation aufgrund fehlender Compliance begründet und nach welchen, insbesondere nicht rein medizinischen Kriterien das Transplantationszentrum Kontraindikationsbefunde erhebt. In jedem Fall muss bereits bei Aufnahme der Untersuchungen und Behandlungen des Patienten über die Wartelistenführung, die Kriterien, nach denen über die Aufnahme entschieden wird, sowie das Vermittlungsverfahren durch Eurotransplant aufgeklärt oder entsprechend informiert werden. bb) Dogmatische Einordnung: Wartelistenführung als „Behandlung im weitesten Sinne“ oder medizinische Maßnahme i. S. d. § 630e BGB? Mit dem Zeitpunkt der Belehrung ist noch nicht geklärt, ob sich diese Pflicht aus § 630c Abs. 2 BGB oder § 630e Abs. 1 BGB ergibt. Maßgeblich für die Beantwortung dieser Frage ist, ob die Entscheidung über die Warteliste eine „medizinische Maßnahme“ im Sinne des § 630d BGB darstellt, die per se rechtfertigungsbedürftig wäre, oder nur der „Behandlung im weitesten Sinne“342 unterfällt. Dass diese Frage nicht rein akademischer Natur ist, zeigt § 630h Abs. 2 S. 1 BGB, wonach nur für Aufklärungen im Sinne des § 630e BGB die modifizierte Beweislastregel zugunsten der Patienten und zu Lasten der Behandelnden 341
342
S. 9.
Vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630c Rn. 10. Zu § 630c Abs. 2 S. 1 BGB: Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers,
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eingreift.343 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die an vielen Transplantationszentren gängige Praxis, den Patienten über Umfang, Bedeutung und Tragweite der Wartelistenkriterien ausschließlich mündlich aufzuklären, gewinnt die aufgeworfene Frage nach der dogmatischen Verortung für die Transplantationszentren unmittelbare haftungsrechtliche Relevanz.344 Verfehlt wäre es, bereits aus dem Einwilligungserfordernis des § 13 Abs. 3 S. 3 TPG zu folgern, dass der Gesetzgeber die Wartelistenführung als medizinische Maßnahme im Sinne des § 630d BGB sieht. § 13 Abs. 3 S. 3 TPG betrifft die datenschutzrechtliche Selbstbestimmung, nach der es dem Patienten obliegt zu entscheiden, ob und an wen seine persönlichen Gesundheitsdaten übermittelt werden. Dies zeigt auch § 13 Abs. 3 S. 4 TPG, wonach darüber zu unterrichten ist, an welche Stellen seine personenbezogenen Daten übermittelt werden.345 Daneben verfolgt § 13 Abs. 3 S. 3 TPG den Zweck, sicherzustellen, dass der Patient nicht erst unmittelbar vor der Operation das Für und Wider des operativen Eingriffs reflektieren kann.346 Die BÄK-Richtlinien, die in diesem Zusammenhang von der „Aufklärung“ des Patienten sprechen, sind in zweifacher Hinsicht irrelevant. Zum einen fehlt der Bundesärztekammer hierfür die nötige Regelungskompetenz, da sie zur Feststellung des medizinischen Standards, nicht aber zur Konkretisierung rechtlicher Pflichten wie der Aufklärungspflichten in § 16 Abs. 1 TPG ermächtigt wurde. Zum anderen ist die terminologische Differenzierung zwischen Informations- und Aufklärungspflichten erstmals durch das Patientenrechtegesetz eingeführt worden347, sodass die eingeschränkte Bedeutung des Begriffs der „Aufklärung“ im Zusammenhang mit der Einwilligung der BÄK bei Erlass der derzeitigen Richtlinien fremd war. Die Frage bleibt daher, ob die Aufnahmeentscheidung nach allgemeinem Behandlungsvertragsrecht eine medizinische Maßnahme im Sinne des § 630d Abs. 1 BGB darstellt, die eine Aufklärungspflicht nach § 630e Abs. 1 S. 1 BGB nach sich zieht. (1) Begriff der „medizinischen Maßnahme“ Der Gesetzgeber ging bei der Kodifikation des Patientenrechtegesetzes davon aus, dass medizinische Maßnahmen zum einen „Eingriffe in den Körper oder Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 451 f. Vgl. haftungsrechtliche Untersuchung unter Glp. § 6 I.4. 345 Zu § 13 Abs. 3 TPG im Rahmen der Datenschutzbestimmungen vgl. Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers, S. 89. 346 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 7. 347 Vgl. zur neuen Terminologie; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 451; Hart, MedR 2013, 159, 160; Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 283; Rehborn, GesR, 257, 260; Spickhoff, in: ZRP 2012, 65, 66 ff. 343
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die Gesundheit des Patienten“348, zum anderen aber auch „alle sonstigen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen im Rahmen der Behandlung“349 sind. Hintergrund der Einwilligungspflicht ist die Überlegung, dass Eingriffe in Körper oder Gesundheit des Patienten nicht ohne Folgen für „dessen Leben, Körper und/oder Gesundheit“350 bleiben werden. Ein Eingriff in die körperliche Integrität darf nur erfolgen, wenn er dem Wunsch des Patienten entspricht, dessen Selbstbestimmungsrecht mithin gewahrt bleibt.351 Bereits der Wortlaut von § 630d BGB („insbesondere“) legt nahe, dass der Begriff der medizinischen Maßnahme mehr umfasst, als nur den unmittelbaren Eingriff am Körper. So sind ausweislich der Gesetzesbegründung auch „alle sonstigen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen im Rahmen der Behandlung“352 von § 630d Abs. 1 BGB erfasst. Entscheidend ist, dass die medizinische Tätigkeit des Arztes das Bedürfnis nach einer das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wahrenden Einwilligung hervorruft. Letzteres wird bei Eingriffen in die körperliche Integrität in jedem Fall, bei sonstigen Rechtsgütern dann angenommen, wenn persönlichkeitsrechtlich geschützte Interessen des Rechtsgutsträgers durch die Maßnahme betroffen sind.353 Ob dies bei der Wartelistenführung durch das Transplantationszentrum der Fall ist, lässt sich auf den ersten Blick nicht eindeutig beantworten. Daher ist es angebracht, zunächst einen Blick auf den genauen Gegenstand der Einwilligung zu werfen. Im Wesentlichen unterscheidet man drei sog. Ausrichtungen: die Einwilligung in den Eingriff, der insoweit (delikts- und strafrechtlich354) gerechtfertigt ist, in die Gefahr sowie in die Erhebung persönlicher Daten.355 (2) Rechtsgutgefährdung durch ärztliches Handeln Sofern durch die Wartelistenentscheidung in die seelische oder körperliche Integrität eingegriffen wird, wäre zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten auch dessen Einwilligung erforderlich. Unstreitig ist zunächst, dass die Wartelistenentscheidung keine unmittelbare Behandlungsmaßnahme am Körper des Patienten und dessen Organismus darstellt. Durch die Entscheidung des Transplantationszentrums, wie auch immer sie ausfallen mag, wird der Patient nicht unmittelbar an seiner körperlichen In348
BT-Drs. 17/10488, S. 23. BT-Drs. 17/10488, S. 23. 350 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 351 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 352 BT-Drs. 17/10488, S. 23. 353 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630d Rn. 2. 354 Zur strafrechtlichen Relevanz der §§ 630d f. BGB vgl. Lechner, MedR 2013, 429, 431; Spickhoff, VersR 2013, 267, 281. 355 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 415 ff. 349
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tegrität geschädigt. Eine solche Schädigung kann sich nur mittelbar über eine Nichtberücksichtigung im Organvermittlungsverfahren ergeben, die aber voraussetzen würde, dass ihm bei hinzugedachter Aufnahme in die Warteliste ein Organ zugeteilt worden wäre. Der völlige Ausschluss von der Organvermittlung führt aber dazu, dass in sein derivatives Teilhaberecht an den zur Verfügung stehenden Organen eingegriffen wird. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich die grundrechtssensible Gefährdungslage des Patienten. (a) Ablehnung der Wartelistenaufnahme Ob diese Erwägungen für die Frage nach dem Rechtfertigungsbedürfnis entscheidungserheblich sind, erscheint zweifelhaft. Das Einwilligungserfordernis soll das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schützen.356 Eine Maßnahme im Sinne des § 630d BGB setzt nach der Vorstellung des Gesetzgebers eine Tätigkeit des Arztes voraus, die nicht gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden darf.357 Von dieser Gefährdungslage unterscheidet sich die Wartelistenführung aber erheblich. Zum einen ist die Wartelistenführung eine Pflichtaufgabe des Transplantationszentrums. Dieses muss die Warteliste als organisatorische Vorstufe im Organvermittlungsprozess aufstellen, die sodann von Euro transplant gemeinsam mit den Listen der anderen Zentren als einheitliche Warteliste geführt wird, § 12 Abs. 3 S. 2 TPG. Die Wartelistenführung bedarf daher aufgrund zwingender zivilrechtlicher Anordnung des Gesetzgebers nicht der Rechtfertigung durch eine Einwilligung. Während der Eingriff am Körper tatbestandlich eine Verletzung der körperlichen Integrität mit sich bringt, wird die mittelbare Gesundheitsverschlechterung durch das Versagen der Aufnahme vom Gesetzgeber selbst gesehen. Sie ist, soweit der relevante medizinische Standard eingehalten wurde, keine taugliche Verletzungshandlung bezüglich der Gesundheit des Patienten. Auch ist eine Risiko- oder Verlaufsaufklärung, wie sie aus § 630e Abs. 1 BGB folgen würde, nicht sinnvoll, da der Aufnahme in die Warteliste von vornherein keine Alternative gegenüber steht, ihr als organisatorische Aufgabe keine Nebenwirkungen folgen und damit keine für § 630d BGB typische medizinische Gefährdung mit ihr einhergeht.358 Die Nichtaufnahme in die Warteliste ist vor diesem Hintergrund ein ärztliches Unterlassen, das nicht der Einwilligung und Aufklärung nach den §§ 630d f. BGB bedarf. Es wird nicht dadurch pflichtgemäß bzw. rechtmäßig, dass der Patient in das Unterlassen einwilligt, sondern dadurch, dass es medizinisch ge356
BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1931. BT-Drs. 17/10488, S. 23. 358 Hiervon ist die konkrete Organübertragung zu unterscheiden, die selbstverständlich ein Eingriff in den Körper des Patienten und mithin einwilligungsbedürftig ist. Ebenso alle Maßnahmen der Untersuchung und Ersatztherapie. 357
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boten ist und den Arzt schon daher nicht die Rechtspflicht (bzw. delikts- und strafrechtliche Garantenpflicht) zum Handeln trifft, eine vom Patienten präferierte, aber dem medizinischen Erkenntnisstand entgegenlaufende Behandlung vorzunehmen. (b) Aufnahme in die Warteliste Möchte der Patient nicht in die Warteliste aufgenommen werden, kommt die Maßnahme zum einen aufgrund der dann regelmäßig fehlenden (medizinisch relevanten) Compliance schon gar nicht mehr in Betracht. Zum anderen ist das betroffene Rechtsgut der Selbstbestimmung in diesem Fall nicht mehr hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung und körperlichen Integrität durch einen nicht gewollten Eingriff betroffen. Eine gegen den Willen des Patienten erfolgende Wartelistenaufnahme berührt vielmehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht hinsichtlich des Schutzes der medizinisch-personenbezogenen Daten vor nicht gewollter Registrierung und Weitergabe an Dritte. Hierfür hat § 13 Abs. 3 S. 3 TPG bereits den notwendigen Ausgleich aus schriftlicher Aufklärung und Einwilligungspflicht getroffen. Gleichwohl ist die standardgemäße Entscheidung über die Warteliste Teil der Behandlung des Patienten im weiteren Sinne. Sie ist eine organisatorisch zwangsläufige Mitwirkungshandlung des Transplantationszentrums, die eine unbedingte Voraussetzung für die Berücksichtigung im Organvermittlungsprozess darstellt. Ebenso wie bei anderen Organisationspflichten, die zu den Hauptpflichten des Behandlungsvertrages gehören359, ist über ihre Durchführung keine Risiko- oder Verlaufsaufklärung notwendig. Davon bleibt die Notwendigkeit, den Patienten vor den vermittlungsrelevanten Entscheidungen des § 10 Abs. 2 S. 1 TPG über Verlauf und Maßstab der Entscheidungsfindung zu unterrichten, unberührt. Diese Pflicht betrifft aber die „Behandlung im weitesten Sinne“360 und ist dogmatisch Teil der therapeutischen Informationspflicht des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB. (3) Funktionale Abgrenzung anhand § 630h Abs. 2 S. 1 BGB Gestützt wird dieses Ergebnis durch einen Blick auf § 630h Abs. 2 S. 1 BGB361, der die Beweislastumkehr zu Lasten der Ärzte hinsichtlich der Einwilligung und Aufklärung anordnet. Zu fragen ist danach, ob die angeordnete Vermutung im betrachteten Sachzusammenhang sinnvoll ist, sodass eine funktionale Abgren359
360
S. 9.
Vgl. Hart, MedR 2013, 159, 160 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, VersR 2013, 267, 271. Zu § 630c Abs. 2 S. 1 BGB: Müller, Die Aufklärung des Organspendeempfängers,
Zur Bedeutung der funktionalen Abgrenzung Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 452. 361
IV. Pflichtenprogramm transplantationsmedizinischer Behandlungsverträge
175
zung zur Bejahung einer medizinischen Maßnahme führen würde. Während bei herkömmlichen Untersuchungen und Operationen die Aufklärung und Einwilligung zwingende Rechtfertigungskriterien des Eingriffs in die körperliche Inte grität des Patienten darstellen, wird die Ablehnungsentscheidung oder ungewollte Wartelistenaufnahme nur in datenschutzrechtlicher Hinsicht einwilligungspflichtig. Hierfür ist aber nicht die Belehrung über die Wartelistenführung, sondern vielmehr § 13 Abs. 3 S. 3 TPG speziell. Die rechtfertigende Bedeutung, die der Einwilligung in eine medizinische Maßnahme zukommt und die daher die Beweislastumkehr aus § 630h Abs. 2 S. 1 BGB rechtfertigt, besteht bei der Wartelistenführung nicht. Auch aus diesem Blickwinkel spricht mehr für die Einordnung in die Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB. d) Ergebnis Die Transplantationszentren haben zu Beginn der medizinischen Betreuung des Patienten über den Verlauf der Krankheit, die voraussichtlichen Untersuchungen und Therapiemaßnahmen sowie Nebenwirkungen der in Betracht kommenden Behandlungen zu informieren. Die Pflicht, den Patienten umfassend über den Ablauf der Organvermittlung, die Wartelistenführung und insbesondere die hierfür herangezogenen Kriterien zu informieren, muss zeitlich vor der Entscheidung über eine Annahme zur Organtransplantation erfolgen. Eine Belehrung, die gleichzeitig mit der Einwilligung nach § 13 Abs. 3 S. 3 und 4 TPG erfolgt, ist verspätet und genügt dieser Pflicht nicht. Die Erläuterung von Ablauf, Kriterien und Entscheidungsfindung hinsichtlich der Führung der Warteliste nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG ist dogmatisch als Informationspflicht im Sinne des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB einzuordnen. Auch hieraus ergibt sich der Beginn der Behandlung als informationsrelevanter Zeitpunkt. Die Aufklärungspflicht aus § 13 Abs. 3 S. 4 TPG bleibt hiervon unberührt.
5. Organisationspflichten Durch den angestrebten Gleichlauf aus vertraglichem und deliktischem Pflichtenprogramm im Bereich des Arzthaftungsrechts362 ergibt sich ein einheitlicher Pflichtenkanon hinsichtlich der Haupt- und Nebenleistungspflichten bzw. Garantenpflichten des Arztes, der sowohl zur Haftung aus unerlaubter Handlung als auch aus Pflichtverletzung im Hinblick auf die zugrunde liegenden Behandlungs- und Krankenhausverträge führen kann.363 Dieser Grundsatz der inhaltli362 Vgl. Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 17, 19; Spickhoff, MedR 2015, 845, 845; Wagner, VersR 2012, 789, 801. 363 St. Rspr., vgl. BGH, Urteil v. 20.9.1988 – VI ZR 37/88 = VersR 1988, 1273; BGH, Urteil v. 25.6.1991 – VI ZR 320/90 = NJW 1985, 2749; Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 3.
176
§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
chen Identität des vertraglichen und deliktischen Pflichtenkanons lässt sich auf den ärztlichen Behandlungs- oder Krankenhausvertrag bei einer angestrebten Organtransplantation übertragen. Hieraus folgt, dass die Pflicht zur richtigen und unverfälschten Erhebung und Ermittlung der medizinisch relevanten Daten nach § 10 Abs. 3 S. 1 und 2 TPG sowie die ärztliche Meldepflicht aus § 13 Abs. 3 S. 3 TPG nicht nur das gesetzliche Pflichtenprogramm des Arztes, sondern gleichzeitig eine vertragliche Nebenpflicht beschreiben. In den Behandlungsvertrag sind nach § 241 Abs. 2 BGB als konkretisierte Schutz- und Sorgfaltspflichten zahlreiche weitere Pflichten des TPG eingezogen. So gehen als Nebenpflichten in diesem Sinne insbesondere die Dokumentationspflicht über die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 TPG sowie die Pflicht zur lückenlosen Dokumentation des Organübertragungsprozesses nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 TPG in den Behandlungsvertrag zwischen Transplantationszentrum und Patient ein. Sie dienen maßgeblich der Empfängersicherheit und sollen im Interesse des Patienten eine lückenlose Rückverfolgung des Organspende- und Vermittlungsvorgangs erlauben.364 Die Sicherstellung und Durchführung der psychischen Betreuung, zu der die Transplantationszentren spätestens durch § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 TPG verpflichtet sind, ist Teil der medizinischen Heilbehandlung und unter Berücksichtigung des weiten Begriffsverständnisses des § 630a Abs. 1 BGB als Behandlung und mithin als synallagmatische Hauptleistungspflicht zu verstehen. Das im vertraglichen Synallagma notwendige do-ut-des-Verhältnis besteht aus Vergütungspflicht und Heilbehandlung im weiteren Sinne, also dem unmittelbaren ärztlichen Eingriff sowie aller in diesem Zusammenhang medizinisch notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesserung des gesundheitlichen Zustands des Patienten. Qualitätssicherungspflichten ergeben sich für die Transplantationszentren auch aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 8 TPG sowie hinsichtlich der im Zentrum entnommenen Organe aus §§ 10 Abs. 2 S. 2, 9a Abs. 2 Nr. 2 und 3 TPG. Ob diese Pflichten primär der Konkretisierung vertragsrechtlicher Nebenpflichten dienen, scheint zweifelhaft. Sofern diese gegenüber einem bestimmten Patienten verletzt wurden, ergibt sich jedenfalls der identische Umfang an Schutz- und Sorgfaltspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB und dem regelmäßig damit einhergehenden Übernahmeverschulden. Wer vertragsrechtlich die Übernahme der Heilbehandlung eines Patienten mit indizierter Organübertragung zusagt, hat auch privatrechtlich dafür Sorge zu tragen, dass die Organübertragung im Einzelfall nach einer positiven Vermittlungsentscheidung durch Eurotransplant technisch und organisatorisch umgesetzt werden kann (vgl. §§ 10 Abs. 2 S. 2, 9a Abs. 2 Nr. 2
364
Vgl. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 113.
V. Wesentliche Erkenntnisse
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TPG) und nicht an mangelnden Vorkehrungen oder medizinisch nicht geeignetem Personal (vgl. §§ 10 Abs. 2 S. 2, 9a Abs. 2 Nr. 3 TPG) scheitert.365 Die Pflicht des Transplantationszentrums, Eurotransplant die für eine erfolgreiche Vermittlung benötigten Patientenangaben mitzuteilen, gehört inhaltlich als logische Folgemaßnahme im Anschluss an die Aufnahme in die Warteliste in den Regelungskontext der Wartelistenführung aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG. Technisch wird die Mitteilungspflicht aus § 13 Abs. 3 S. 3 TPG über die Registrierung im 1995 installierten Eurotransplant Network Information System (ENIS) umgesetzt, sodass neben den zentrumsinternen Wartelisten ein eigener, interklinischer Patientenpool zur Erstellung der einheitlichen Warteliste nach § 12 Abs. 3 S. 2 TPG zur Verfügung steht.366
V. Wesentliche Erkenntnisse Die allgemeinen Rechtsbeziehungen zwischen Ärzten oder Krankenhausträgern und Patienten sind im Rahmen der medizinischen Heilbehandlung unabhängig vom jeweiligen Krankenversicherungsschutz privatrechtlich einzuordnen. Das Behandlungsvertragsrecht regelt in den §§ 630a ff. BGB die Pflichten beider Parteien und ist abgesehen von wenigen und im Transplantationsrecht unbedeutenden Ausnahmen dienstvertraglicher Natur. Dem Behandlungsvertrag liegt zudem ein weites Begriffsverständnis der „Behandlung“ zugrunde, das bereits Vorbereitungs- und organisatorische Mitwirkungspflichten erfasst.
1. Vertragsschluss Der Behandlungsvertrag zwischen Patient und Transplantationszentrum kommt regelmäßig nach der Meldung des behandelnden Arztes an das Zentrum aufgrund der angezeigten Organübertragung nach § 13 Abs. 3 S. 1 TPG, aber vor der Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste und Annahme zur Organtransplantation nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG zustande. Durch die Annahme zur Organtransplantation konkretisiert sich der Pflichtenumfang des Zen trums hinsichtlich der nun angestrebten Organübertragung, insbesondere vor dem Hintergrund der Melde- und Aktualisierungspflichten gegenüber Euro transplant. Lehnt das Transplantationszentrum die Wartelistenaufnahme des Pa tienten ab, ist dies in der Regel zugleich eine Kündigung des auf die Wahrnehmung transplantationsrechtlicher Pflichten gerichteten Behandlungsvertrages. 365
Zu den sich hieran anschließenden Haftungsfragen vgl. die Darstellung unter Glp. § 6
366
Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 170.
III.
178
§ 4 Der transplantationsmedizinische Behandlungsvertrag
2. Rechtsnatur der Entscheidungen über die Wartelistenführung Ob die Aufgabe aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG dabei selbst Teil des Behandlungsvertrages ist, wird in Rechtsprechung und Literatur uneindeutig beantwortet. Die für eine öffentlich-rechtliche Einordnung vorgetragenen Argumente der verfassungskonformen Auslegung sowie der genuinen Nähe zum öffentlichen Recht können im Ergebnis nicht überzeugen. Durch die privatrechtliche Ausgestaltung der Pflicht zur Wartelistenführung kommt es weder zu einer Entwertung der Grundrechte noch ist hierdurch Art. 19 Abs. 4 GG und die Garantie effektiven Rechtsschutzes verletzt. Durch eine abstrakt-generelle verfassungskonforme Auslegung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG und die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Rahmen der jeweiligen Einzelfallentscheidung wird aufgrund der überwiegenden Bedeutung des derivativen Teilhaberechts des Patienten und dessen Rechtsgut Leben materiell das gleiche grundrechtliche Schutzniveau erreicht wie bei einer öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung. Art. 19 Abs. 4 GG setzt demgegenüber bereits eine öffentlich-rechtliche Aufgabe voraus und wird auch nicht durch einen privatrechtlichen Leistungsanspruch des Patienten ausgehöhlt. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht den effektivsten und für den Grundrechtsträger günstigsten Rechtsweg, sondern nur ein nicht zu unterschreitendes Schutzniveau. Auch mit Blick auf den Einwand der Volkssouveränität ergibt sich kein anderes Ergebnis. Insbesondere kann von der zweifelhaften Richtliniensetzung der BÄK und der Konkretisierung der gesetzlich vorgegebenen Kriterien nicht auf die Rechtsnatur des gesamten Regelungskomplexes geschlossen werden. Dem steht eine erhebliche Sachnähe zum bürgerlichen Recht gegenüber. Die Pflicht zur Wartelistenführung fügt sich in das weite Begriffsverständnis der „Behandlung“ aus § 630a BGB ein. Die im Rahmen der transplantationsmedizinischen Einschätzung notwendige Evaluierung des Gesundheitszustands des Patienten ist ohne vorausgehende Untersuchungen als Kernbestandteil der medizinischen Heilbehandlung nicht denkbar. Die Untersuchung eines Patienten setzt aber aufgrund der besonderen Intimität und Komplexität eine Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient voraus, die nur durch eine privatautonome und bürgerlich-rechtliche Rechtsbeziehung gewährleistet wird. Die funktionale Sachidentität zwischen der medizinischen Untersuchung und Befunderhebung sowie der Aufnahme in die Warteliste auf der Grundlage der durch die Untersuchung gewonnen Erkenntnisse spricht für ein einheitlich privatrechtliches Rechtsverhältnis zwischen dem Rechtsträger des Transplantationszentrums und dem Patienten. Zudem entsprechen zentrale Rechte und Pflichten der Parteien des Behandlungsvertrags, wie beispielsweise das Recht auf Einsicht in die Krankenakten aus § 630g BGB oder die Aufklärungs- und Informationspflichten der §§ 630c, 630e BGB, der Interessenslage des Patienten.
V. Wesentliche Erkenntnisse
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3. Rechtsnatur der Vermittlungsentscheidungen Demgegenüber erfolgt die Entscheidung über die Vermittlung des konkreten Organs anhand von Differenzierungskriterien, die anders als bei § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG nicht auf das Erfordernis der medizinischen Indikation (und das Nichteingreifen von spezifisch medizinischen Kontraindikationstatbeständen) reduziert werden können. Die Auswahlentscheidung zwischen mehreren gleichgeordneten Patienten ist damit keine Interessensauseinandersetzung zwischen gleichgestellten Personen des Privatrechts, sondern eine wertende Entscheidung im Über-/Unterordnungsverhältnis. Im Gegensatz zur Wartelistenführung der Transplantationszentren nimmt Eurotransplant damit eine hoheitliche Pflichtaufgabe war.
4. Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Neben der Aufklärungspflicht des Transplantationszentrums und dem Erfordernis der Einwilligung des Patienten aus § 13 Abs. 3 S. 3 TPG trifft das Transplantationszentrum auch Informationspflichten nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB. Es hat dabei bereits vor Beginn der Untersuchungen und der Entscheidungen nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG den Patienten über den Ablauf der Organspende, die bei der Wartelistenentscheidung zugrunde gelegten Kriterien und insbesondere die Bedeutung, Tragweite und Ausfüllung des eigenen Verhaltens des Patienten im Sinne der Compliance zu informieren. Im Zusammenhang mit dem Behandlungsvertragsrecht ist die Entscheidung über die Annahme zur Organübertragung und Aufnahme in die Warteliste zwar Teil der Behandlung im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB, jedoch keine aufklärungspflichtige medizinische Maßnahme im Sinne des § 630d Abs. 1 BGB. Die beschriebene Belehrungs- und Unterrichtungspflicht ergibt sich aber aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB als Informationspflicht. Die Beweislast für etwaige Verletzungen der Informationspflicht bleibt damit beim Patienten, da die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 2 BGB den Fall der Informationspflichtverletzungen nicht umfasst. Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die haftungsrechtliche Bedeutung der derzeitigen Transplantationspraxis, nach welcher der Patient regelmäßig nur mündlich über die Wartelistenführung aufgeklärt wird. Die Dokumentationspflichten aus § 630f Abs. 2 BGB bleiben hiervon unberührt.
§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht Der medizinische Standard hat durch die Kodifizierung des Behandlungsvertragsrechts Eingang ins Bürgerliche Gesetzbuch gefunden. Nach § 630a Abs. 2 BGB verpflichtet sich der Behandelnde zur Beachtung des zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards. Damit wird zum einen die „Qualität“1 der medizinischen Heilbehandlung abstrakt umschrieben und zum anderen klargestellt, dass die ärztlichen Maßnahmen grundsätzlich, soweit nichts anderes vereinbart wurde, einem objektiven Vergleichsmaßstab unterliegen. Die Herausbildung und Vereinheitlichung des medizinischen Standards dient der Objektivierung des medizinischen Leistungs- und Sorgfaltsniveaus.2 Nach der gesetzgeberischen Konzeption soll der Standard hierbei als gesichertes Wissen die fachliche Grundlage und den konkreten Maßstab der jeweiligen Heilbehandlung darstellen.3 Für etwaige Haftungsansprüche ist die Unterschreitung des medizinischen Standards als Fallgruppe der Behandlungsfehler4 maßgeblich von objektiven und einheitlichen Kriterien abhängig. Diese Kriterien sind als Sorgfaltspflichten unabhängig vom vertrags- oder deliktsrechtlichen Haftungskontext zu bestimmen.5 Das zentrale Vertragsversprechen des behandelnden Arztes besteht in der Übernahme der medizinischen Behandlung und der „Zusage“ des fachlich anerkannten medizinischen Standards.6 Der zentrale Haftungsgrund liegt nicht im Misslingen der ärztlichen Therapieversuche, sondern vielmehr in der schuldHart, GesR 2011, 387, 388; Rehborn, GesR 2013, 257, 259. Vgl. Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 159; Velten, Medizinischer Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 40. 3 Velten, Medizinischer Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 40. 4 Zur terminologischen Abgrenzung zwischen dem medizinischen Standard und den „Regeln der ärztlichen Kunst“ vgl. Velten, Medizinischer Standard im Arzthaftungsprozess, S. 41. Der Begriff des „Behandlungsfehlers“ wird im Folgenden synonym zur Unterschreitung des medizinischen Standards verwendet. 5 OLG Karlsruhe, Urteil v. 12.10.2005 – 7 U 132/04 = NJW-RR 2006, 459, 459; Gaßner/ Strömer, MedR 2012, 159, 159; Greiner, in: Spickhoff, BGB, §§ 823 ff. Rn. 1. 6 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 68; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 278. 1
2
182
§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
haften Unterschreitung des standardisierten Pflichtenprogramms.7 So ist für eine behandlungsvertragliche Pflichtverletzung in Form eines Behandlungsfehlers nicht entscheidend, ob die Vornahme einer bestimmten Maßnahme „zwingend geboten“ war, sondern vielmehr, ob die in Rede stehende Behandlung als vertragliche Pflicht aus dem medizinischen Standard folgt.8 Die konkrete Bestimmung des medizinischen Standards für ganze Fachbereiche und einzelne Behandlungen erweist sich in bestimmten Teilbereichen, so auch in der Transplantationsmedizin, als äußerst schwierig. Es handelt sich hierbei um eines der „besonders heiklen Probleme“9 des Behandlungs- und Arzthaftungsrechts, das im konkreten Einzelfall zu erheblichen Unsicherheiten auf Behandlungs- und Patientenseite führen kann. Anerkannt ist, dass sich der medizinische Standard im Wesentlichen aus den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft sowie den erprobten und bewährten behandlungsspezifischen Erfahrungssätzen zusammensetzt und auf einem fachlichen Konsens der Ärzteschaft beruht.10 Er gibt insbesondere darüber Auskunft, „welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung vorausgesetzt und erwartet werden kann“.11 Es handelt sich damit um gesicherte Erkenntnisse, von denen zum Zwecke der Vereinheitlichung und Qualitätssicherung grundsätzlich nicht abgewichen werden soll.12 Der Standard richtet sich sowohl nach wissenschaftlichen als auch nach berufspraktischen Maßstäben13 und ist prozessual vom Tatrichter mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln.14 Bei der Ermittlung des medizinischen Standards wird ein objektiv-typisierter Maßstab zugrunde gelegt.15 Entscheidend ist, was im jeweiligen Fachgebiet als praktizierter Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse anerkannt wird. Subjek7 Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 159; Hart, GesR 2012, 387, 388; Quaas, in: Quaas/ Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 128. 8 BGH, Beschluss v. 22.12.2015 – VI ZR 67/15 = NJW 2016, 713, 714, Rz. 8; Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 781. 9 Thurn, MedR 2013, 153, 154. 10 BGH, Urteil v. 15.4.2014 – VI ZR 382/12 = NJW-RR 2014, 1053, 1054; Deutsch, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 276 Rn. 12; Katzenmeier, Arzthaftung, 278 f.; Rehborn, GesR 2013, 257, 259; Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 11. 11 St. Rspr. des BGH, vgl. BGH, Urteil v. 21.12.2010 – VI ZR 284/09 = NJW 2011, 1672, 1672 f.; BGH, Urteil v. 24.2.2015 – VI ZR 106/13 = NJW 2015, 1601, 1601; BGH, Urteil v. 15.4.2014 – VI ZR 382/12 = NJW-RR 2014, 1053, 1054, Rz. 11; 12 Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 135. 13 Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160; Hart, MedR 2013, 159, 160. 14 BGH, Urt. v. 24.2.2015 – VI ZR 106/13 = NJW 2015, 1601, 1601 = JZ 2015, 573, 574, mit Anm. Spickhoff, JZ 2015, 576, 576 ff.. 15 St. Rspr. BGH, Urteil v. 6.5.2003 – VI ZR 259/02 = NJW 2003, 2311, 2313; Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 781; Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 432; Terbille, in: Terbille/Clausen/
I. Facharztstandard
183
tiv-individuelles Versagen ist weder sorgfaltsbestimmend noch verschuldensrelevant, soweit der Arzt nicht über individuelle Spezialkenntnisse verfügt, die er sich entgegen der objektiven Standardbestimmung zurechnen lassen muss.16 Im Ergebnis erfordert die standardgemäße Heilbehandlung des Patienten, dass 1. die Indikation der medizinischen Maßnahme nach dem medizinischen Erkenntnisstand erfolgt, 2. die Behandlungsmethode in der Berufspraxis etabliert ist und 3. Rechtsprechung und Fachliteratur die Maßnahme als sorgfaltsgemäßen und standardentsprechenden Eingriff anerkennen.17 Hieraus ergibt sich eine Spannbreite zwischen Minimalstandard und optimalem Standard, in der sich die konkrete Behandlungsleistung des Arztes bewegen muss.18 Sofern im Folgenden auf den „medizinischen Standard“ Bezug genommen wird, soll es um den ärztlichen Handlungsstandard gehen. Der medizinische Versorgungstandard im Sinne eines „politisch determinierten Leistungs- und Qualitätsvermögens des Gesundheitswesens“19 ist demgegenüber nur von untergeordneter Bedeutung.
I. Facharztstandard Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards aus § 630a Abs. 2 BGB konkretisiert und ergänzt den Begriff der verkehrsüblichen Sorgfalt aus § 276 Abs. 2 BGB.20 Damit gewinnt § 630a Abs. 2 BGB im haftungsrechtlichen System eine doppelte Bedeutung: Zunächst bei der Frage, ob überhaupt eine Pflichtverletzung – z.B. in Form der Unterschreitung des geforderten Facharztstandards – vorliegt, und zudem bei der Frage, ob diese fahrlässig in Form einer objektiv vorhersehbaren und vermeidbaren Sorgfaltspflichtverletzung und somit schuldhaft erfolgte.21 Schroeder-Printzen, MAH Medizinrecht, § 1 Rn. 461; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 776. 16 St. Rspr., statt vieler BGH, Urteil v. 6.5.2003 – VI ZR 259/02 = NJW 2003, 2311, 2312; BGH, Urteil v. 21.12.2010 − VI ZR 284/09 = NJW 2011, 1672, 1672; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 332, 356; Heyers, ArztR 2016, 201, 204; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1021; Terbille, in: Terbille/Clausen/Schroeder-Printzen, MAH Medizinrecht, § 1 Rn. 463. 17 Golbs, in: NK-KastrG, § 2 Rn. 14. 18 Stöhr, MedR 2010, 214, 214; ders., in: FS Hirsch, 431, 432: „Korridor“ des medizinischen Behandlungsstandards. 19 Schneider, Neue Behandlungsmethoden im Arzthaftungsrecht, S. 11. 20 BT-Drs. 17/10488, S. 19 („ergänzen“); Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 36 f. 21 Zum Zusammenhang beider Ebenen im Bereich der ärztlichen Sorgfaltsstandards Bolsinger, Dogmatik der Arzthaftung, S. 40.
184
§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
Als Maßstab dient dabei dasjenige Verhalten, das ein gewissenhafter und aufmerksamer Berufsträger in der konkreten Behandlungssituation anwenden würde.22 Der Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach den im jeweiligen Fachgebiet gewonnenen Erkenntnissen, die grundsätzlich von einem durchschnittlich qualifizierten Arzt, der auf dem jeweiligen Gebiet tätig wird, erwartet werden.23 Eine qualifizierte medizinische Heilbehandlung des Arztes muss sich dabei stets an den Fähigkeiten, der Ausbildung und dem Wissensniveau eines Facharztes orientieren, sog. Facharztstandard.24 Bei der medizinischen Behandlung kommt es aber lediglich auf die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten und beherrschten Standards an, während die formelle Facharzternennung weder ein notwendiges noch hinreichendes Kriterium für die Einhaltung des Facharztstandards darstellt.25 Der festgestellte und angewandte Facharztstandard ist objektiv-gruppenbezogen zu bestimmen und als Ergebnis der medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse unabhängig vom jeweiligen individuellen Leistungsvermögen des Behandelnden.26 Dem medizinischen Forschungs- und Entwicklungsstand entsprechend hat der einzuhaltende Facharztstandard einen dynamischen Charakter. Hieraus leitet sich die Pflicht der behandelnden Ärzte ab, sich kontinuierlich auf fachärztlichem Niveau über Neuerungen und Entwicklungen des fachmedizinischen Bereichs zu informieren.
II. Apparativer und personeller Sollstandard Durch die Zusage der Behandlung und die daraus folgende Vertrags- und Garantenpflicht übernimmt der Behandelnde neben der Pflicht zur Einhaltung des Facharztstandards auch die Pflicht, für eine angemessene und für die Behandlung notwendige personelle und materielle Ausstattung zu sorgen.27 Hinsichtlich der apparativen Ausstattung ist grundsätzlich nicht der neueste Stand der Technik, Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 16 f.; Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 431 f. Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1022 f. 24 St. Rspr., für viele BGH, Urteil v. 5.4.2005 – VI ZR 216/03 = NJW 2005, 2072, 2073; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 16 f.; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 67; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 134; Spickhoff, MedR 2015, 845, 847; ders., in: Spickhoff, BGB; § 630a Rn. 37; Stöhr, in: FS Hisch, 431, 431; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a Rn. 10. Kritisch zum objektivierten Sorgfaltsmaßstab des Facharztes Bolsinger, Dogmatik der Arzthaftung, S. 41. 25 Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 134, wonach es einzig auf die Kenntnis und Erfahrung eines typischen Facharztes ankommt; Teichner/Schröder, GesR 2013, 577, 577. 26 Deutsch, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 276 Rn. 15; Mansel, in: Jauernig, BGB, § 630a Rn. 16 f.; Weidenkaff, in: Palandt, BGB, § 630a Rn. 9. 27 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025. 22 23
II. Apparativer und personeller Sollstandard
185
sondern lediglich eine sachliche Grundausstattung zu fordern (insbesondere die jederzeit zu gewährleistende „unverzichtbare Basisschwelle“28).29 Die Bandbreite des konkret zu gewährleistenden Ausstattungsniveaus variiert naturgemäß je nach Größe, Spezialisierung und Versorgungsniveau des Krankenhauses30, sodass von einem Transplantationszentrum schon aufgrund der in §§ 9, 10 TPG beschriebenen Anforderungen ein hohes Maß an Organisations- und Ausstattungsstandards zu fordern ist. Dies gilt insbesondere für solche Transplantationszentren, die an einem für die Maximalversorgung ausgelegten Universitätsklinikum angesiedelt sind.31 Maßgeblich ist insoweit eine gruppenspezifische Betrachtungsweise des einzuhaltenden Standardniveaus, die sich an den „typischen Aufgaben und Gefahren“ des jeweiligen Kliniktyps orientiert.32 Ist eine Technik in der Medizin unumstritten und bietet sie für den Patienten eine nebenwirkungs- und risikoärmere Behandlungsmethode bei konstanten oder gesteigerten Heilungsperspektiven, ist der apparative Sollstandard verletzt, wenn diese Behandlungsmethode aufgrund eines sachlichen Mangels nicht angewandt wird.33 Übertrifft die apparative Ausstattung des Behandelnden den zu fordernden Sollstandard, muss sie, den Regeln zu Spezialkenntnissen der behandelnden Ärzte entsprechend, auch zur Anwendung kommen.34 Ein Verweis auf den objektiv-typisierten Standard entlastet den Behandelnden insoweit nicht. Für die Transplantationszentren folgt hieraus die Pflicht, für die regelmäßig kurzfristigen Organvermittlungsentscheidungen die personelle und sachliche Ausstattung sicherzustellen, um das vermittelte Organ innerhalb der Ischämiezeit transplantieren zu können. Damit sind sowohl allgemeine sachliche Standards von Krankenhäusern, wie etwa ein ausreichender Vorrat an Arzneimitteln (z.B. postoperativer Immunsuppressiva) und Blutkonserven35, als auch spezifisch transplantationsmedizinische Besonderheiten, wie die kurzfristige Verfügbarkeit des Transplantationschirurgen36, angesprochen.37 Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 129. Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025. 30 Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 785; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025. 31 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 128; Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 432. 32 Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 101 Rn. 4; Quaas, in: Quaas/ Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 128. 33 BGH, Urteil v. 26.11.1991 – VI ZR 389/90 = NJW 1992, 754, 755; Nebendahl, in: Igl/ Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025. 34 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 376; Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 785; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025. 35 Vgl. Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025. 36 Zur personellen Ausstattung: Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 101 Rn. 14 f.; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 129. 37 Zu entsprechenden Haftungskonstellationen Glp. § 6 III. 28 29
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
III. Bestimmung des medizinischen Standards als vertragliche Hauptpflicht Der medizinische Standard umschreibt den ärztlichen Qualitätsstandard und die Regeln der ärztlichen Kunst.38 Gleichzeitig ist der Begriff der in der medizinischen Wissenschaft anerkannten fachlichen Standards, insbesondere in der Kodifizierung in § 630a Abs. 2 BGB, ein Rechtsbegriff, sodass der Standard im Arzthaftungsprozess festgestellt werden muss. Dies gilt unabhängig davon, dass Juristen mangels medizinischen Sachverstands regelmäßig selbst nicht viel zur Bestimmung und Ausprägung des medizinischen Standards im Einzelfall beitragen können.39 Die Bestimmung medizinischer Standards dient in erster Linie der Vereinheitlichung und Objektivierung der geltenden Pflichten im Rahmen der Heilbehandlung.40 Gerade im Bereich des Medizinrechts, in dem schwierige Behandlungsmethoden und sich schnell ändernde Erkenntnisgrade eine Objektivierung erschweren, ist aufgrund der rechtsgutsensiblen Tragweite des Heileingriffs für den Patienten die Herausbildung allgemein verbindlicher Rahmenbedingungen von erheblicher Bedeutung.41
1. Grundsätze der evidenzbasierten Medizin Als Ansatz zur Bestimmung des medizinischen Standards können die Grundsätze über die evidenzbasierte Medizin42 herangezogen werden. Diese wurden zunächst im sozialversicherungsrechtlichen Kontext entwickelt, finden aber zunehmend auch haftungsrechtlich hinsichtlich der Objektivierung und Konkretisierung des medizinischen Standards Anwendung.43 So haben die sozialrechtlichen Maßstäbe auch im Arzthaftungsrecht zu einer „Akzentverschiebung“ geführt, mit der der wissenschaftlichen Evidenz gegenüber der praktischen ärztlichen Erfahrung ein genereller Vorrang zukommt.44
Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 1. Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 1. 40 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 40. 41 Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 40. 42 Englisch: evidence-based medicine; Hart, MedR 2015, 1, 2; Hase, GesR 2012, 601, 602 f.; ausführlich Mommertz, Einflüsse und Auswirkungen der Evidenzbasierten Medizin auf das Medizinrecht. 43 Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160; Steffen, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 615, 615 ff.; zum weitgehenden Gleichlauf zwischen medizinischem und medizinrechtlichem Verständnis der evidenzbasierten Medizin Hart, MedR 2015, 1, 8 ff. 44 Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 4 f.; Hart, MedR 2015, 1, 2; 38 39
III. Bestimmung des medizinischen Standards als vertragliche Hauptpflicht
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Unter der evidenzbasierten Medizin wird zunächst das wissenschaftstheoretische Konzept verstanden, im Rahmen der jeweiligen ärztlichen Behandlung diejenige Behandlungsmethode zu wählen, die medizinisch-wissenschaftlich am besten gesichert ist und daher die am höchsten ausgeprägte Nachweisbarkeit (Evidenz) mit sich bringt.45 Soweit die Wirksamkeit einer medizinischen Vorgehensweise oder therapeutischen Methode bei einem bestimmten Krankheitsbild nach bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen (externe Evidenz) als gesichert gilt, entspricht deren Anwendung dem medizinischen Standard.46 Davon bleibt die Notwendigkeit, den Besonderheiten des Einzelfalls durch gezielte Abweichungen auf der Grundlage „individuell-klinischer Expertise“ (interne Evidenz) Rechnung zu tragen, jedoch unberührt.47 Ist die Wirksamkeit hingegen in erhärtetem Maße widerlegt, ist unabhängig von der tatsächlichen medizinischen Praxis der Standard dahingehend zu konkretisieren, dass die in Rede stehende Vorgehensweise zur Therapie des Patienten dem medizinischen Standard zuwiderläuft und die Anwendung daher sorgfaltswidrig wäre.48 Im sozialversicherungsrechtlichen Kontext fordert die evidenzbasierte Medizin, dass neue Untersuchungs- und Therapieverfahren erst dann vom Vertragsarzt am Patienten angewendet werden dürfen, wenn deren Nutzen in der medizinischen Fachwelt anerkannt und durch objektive wissenschaftliche Untersuchungen gesichert ist.49 Bei der Bestimmung der Sorgfaltspflicht gilt ein relativer Maßstab: Zulässig ist nicht nur die den wissenschaftlichen Standards entsprechende, nachgewiesenermaßen effektive Therapie, sondern auch eine unsichere und weniger erforschte Methode, soweit sich diese im Vergleich zu möglichen Alternativbehandlungen als die „noch am besten nachgewiesene Methode“ 50 darstellt.51 In jedem Fall muss aber wissenschaftlich evident sein, dass die geplante Behandlungsmethode „mehr nützt als schadet“52. Die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin schränken damit den Maßstab, nach dem der medizinische Standard zu bestimmen ist, erheblich ein. Entscheidend sind die objektiv-wissenschaftlichen Erkenntnisse der Medizin und weniger die individuelle ärztliche Erfahrungspraxis. Im Rangverhältnis ist die wissenschaftliche Evidenz somit bei der Bestimmung des medizinischen Standards vorrangig. Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160. Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160; Hart, MedR 2015, 1, 2. 47 Hart, MedR 2015, 1, 11. 48 Sog. „Therapiewahlfehler“, vgl. Becker, MedR 2014, 475, 475; Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160. 49 Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 5. 50 Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160. 51 Gaßner/Strömer, MedR 2012, 159, 160; Hase, GesR 2012, 601, 602; 52 Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 5. 45
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
2. Veröffentlichungen der Fachgesellschaften Ausgehend von diesem wissenschaftlichen Begriffsverständnis stellt sich nunmehr die Frage, wie der evidenzbasierte Standard einerseits für die Fachärzte sowie andererseits rechtlich im Arzthaftungsprozess zu bestimmen ist. Neben Lehrbüchern, Fachzeitschriften53 oder wissenschaftlich anerkannten Studien54 sowie Sachverständigengutachten gewinnen in zunehmendem Maße die Veröffentlichungen von medizinischen Fachgesellschaften an Relevanz, die sich hinsichtlich ihrer Aussagekraft aber deutlich unterscheiden. Im herkömmlichen medizinrechtlichen Verständnis differenziert man zwischen Empfehlungen, Leitlinien und Richtlinien. Sie sollen den Arzt bei der Heilbehandlung des Patienten unterstützen und eine möglichst einheitliche Zusammenfassung des medizinischen Standards ermöglichen.55 a) Empfehlungen Die Veröffentlichungen medizinischer Fachgesellschaften mit dem geringsten Aussagewert für die Bestimmung des Facharztstandards finden sich in den sog. Empfehlungen. Sie beschreiben keine eindeutigen Handlungsweisen, sondern lediglich auf allgemeinen Prognosen beruhende Handlungsmöglichkeiten.56 Sie sind weder verbindlich, noch haben sie direkte Indizwirkung für die Bestimmung des medizinischen Standards, da Empfehlungen für die ärztliche Praxis auch ohne eine – im Sinne der Evidenzbasierung notwendige – Absicherung durch wissenschaftliche Erkenntnisse und medizinische Fakten abgegeben werden können.57 b) Leitlinien Daneben bestehen über 700 bisher erlassene Leitlinien ärztlicher Fachgesellschaften, die zentral von der AWMF gesammelt und den Ärzten zur Verfügung gestellt werden.58 Ihnen kommt im „Prozess der Normbildung“ des medizinischen Standards vor dem Hintergrund der evidenzbasierten Medizin erhebliche Bedeutung zu.59 Bis heute hat sich zwar keine einheitliche Definition in der Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029; Taupitz, AcP 2011, 352, 360 f. Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 6; Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 782 ff.; Taupitz, AcP 2011, 352, 360. 55 Heyers, ArztR 2016, 201, 201. 56 Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 139; Heyers, ArztR 2016, 201, 204. 57 Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 139; Heyers, ArztR 2016, 201, 204. 58 Zentral gesammelt von der „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.“ (AWMF); Hart, MedR 2015, 1, 2; Heyers, ArztR 2016, 201, 201; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029. 59 Hart, MedR 2015, 1, 2. 53
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III. Bestimmung des medizinischen Standards als vertragliche Hauptpflicht
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Rechtsprechung oder Literatur durchgesetzt, allerdings besteht hinsichtlich der wesentlichen Voraussetzungen, die an eine medizinische Leitlinie zu stellen sind, allgemeine Einigkeit: So kommen sie durch einen systematischen und konsensbetonten Entstehungsmechanismus zustande, dienen der Orientierung der Ärzte im Rahmen eines speziellen Krankheitsbilds und fassen die medizinischen Erkenntnisse in einer medizinisch adäquaten Art und Weise zusammen.60 Leitlinien beziehen sich jeweils auf typische Situationen der ärztlichen Heilbehandlung, welche die Notwendigkeit unberührt lassen, im Einzelfall aufgrund individueller Besonderheiten hiervon abzuweichen.61 Sie sichern die Qualität der medizinischen Behandlung und stellen für den Arzt eine verlässliche Grundlage für die Bestimmung des medizinischen Standards in typisch gelagerten Fällen bereit.62 Daneben sollen sie als „Steuerungselemente für die ärztliche Versorgung“63 den Arzt unterstützen und zur Einheitlichkeit der Schulmedizin beitragen. Je nach methodischer Entwicklungsstufe (S1, S2 oder S3) kommt den Leitlinien bei der Bestimmung des medizinischen Standards ein besonderes Gewicht zu.64 Grundsätzlich gilt, dass mit höherem Evidenzgrad auch von einer gesteigerten Belastbarkeit der Festsetzungen bei der Bestimmung des medizinischen Standards auszugehen ist. Während die S1-Leitlinien nur den unsystematischen und informellen Diskurs und Konsens einiger weniger Experten widerspiegeln, beruhen Leitlinien mit einer S2-Einstufung (mit weiteren Differenzierungen65) auf einem „strukturierten Konsensprozess“ und stellen damit das Ergebnis einer „systematischen Evidenzbasierung“66 dar.67 Die höchste Evidenzstufe weisen die S3-Leitlinien auf, die auch als evidenzbasierte Konsensusleitlinien68 bezeichnet werden.69 Davon bleibt die Möglichkeit eines hiervon abweichenden Standards unberührt, sodass ein unhinterfragtes Gleichsetzen des Leitlinieninhalts mit dem tatsächlichen medizinischen Standard die ärztliche Pflicht zur sorgfältigen ErHeyers, ArztR 2016, 201, 202, insb. ausführlich zur Erstellung der ärztlichen Leitlinien 201 f.; Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 17. 61 Heyers, ArztR 2016, 201, 202; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 137 f. 62 Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 431. 63 Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 431, 433 ff. 64 Hart, GesR 2011, 387, 387; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029. 65 Vgl. Hart, MedR 2015, 1, 3: S2k = vorwiegend konsensbasiert; S2e = vorwiegend evidenzbasiert. 66 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029. 67 Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 6. 68 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 363. 69 Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 6; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 363; Ollenschläger, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 17, 21; kritisch zur „Verbindlichkeit“ der S3-Leitlinien Steffen, in: Medizin und Haftung, FS Deutsch, 615, 622 ff. 60
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
mittlung dieses Standards verletzt.70 Je höher die Evidenzstufe der Leitlinie ist, desto höher ist auch der Begründungs- und Rechtfertigungsaufwand des Arztes, wenn er sich von den Inhalten der S2- oder S3-Leitlinien entfernt. Für S3-Leitlinien ist anerkannt, dass die Befolgung der skizzierten Behandlungsweisen die Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt indiziert, während Verstöße gegen aufgeführte Maßnahmen und Maximen einen (in der Regel einfachen71) Behandlungsfehler indizieren.72 Sie stellen damit einen gewichtigen Aspekt der medizinischen Gesamtabwägung dar.73 Rechtstechnisch handelt es sich bei den Leitlinien damit um fachspezifische Veröffentlichungen mit (abgestufter) Indizfunktion74 im Sinne eines antizipierten Sachverständigengutachtens75 für typisch gelagerte (und daher von der Leitlinie umfasste) Fälle. Sie sind weder Rechtsnormen im Sinne des Art. 2 EGBGB, noch Schutzgesetze gemäß § 823 Abs. 2 BGB.76 c) Richtlinien Im Gegensatz zu Empfehlungen und Leitlinien werden Richtlinien von rechtlich hierzu ermächtigten Stellen und Einrichtungen, v. a. Landesärztekammern sowie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), erlassen und weisen dementsprechend eine höhere Normqualität und gesteigerte77 rechtliche Verbindlichkeit auf.78 Neben den transplantationsrechtlichen Richtlinien nach § 16 Abs. 1 TPG finden sich medizinische Richtlinien vor allem im Sozial- und im ärztlichen Berufsrecht.79 Grundsätzlich handelt es sich bei Richtlinien im vorgenannten Begriffsverständnis um binnenrechtliche Rechtsakte der Bundesärztekammer, die durch entsprechende Übernahme der Landesärztekammern die Ärzte 70 Vgl. BGH, Beschluss v. 28.3.2008 – VI ZR 57/07 = BeckRS 2008, 07852 Rz. 4 f.; Ollenschläger, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 17, 23; Schneider, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 11, 12 ff., der am Beispiel der Neurologie ein anschauliches Beispiel für die Divergenz aus Leitlinieninhalt und medizinischem Standard gibt; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1029. 71 Heyers, ArztR 2016, 201, 207. 72 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 372; Heyers, ArztR 2016, 201, 206 f. 73 Vgl. Taupitz, AcP 2011, 352, 382. 74 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 372. 75 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 367. 76 Allgemeine Auffassung, vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 364; Hart, MedR 2015, 1, 5; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 56 ff. 77 Vgl. insbesondere den Klammerzusatz in BGH, Beschluss v. 28.3.2008 – VI ZR 57/07 = BeckRS 2008, 07852 Rz. 4, der auf eine erhöhte Verbindlichkeit der Richtlinien der Bundesausschüsse hinweist; Rehborn, GesR 2011, 391, 391; zu Recht kritisch Hart, GesR 2011, 387, 389. 78 Heyers, ArztR 2016, 201, 203; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 135. 79 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 362.
III. Bestimmung des medizinischen Standards als vertragliche Hauptpflicht
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verpflichten. Abweichungen sind grundsätzlich nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar.80 Den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 SGB V kommt ebenfalls eine im Ergebnis gegenüber Leitlinien deutlich höhere Indizfunktion hinsichtlich des medizinischen Standards zu.81 Sie werden insoweit auch als eigenständige Rechtsquellen angesehen,82 wobei zu berücksichtigen ist, dass sowohl Leitlinien als auch Richtlinien den medizinischen Standard nur deklaratorisch wiedergeben, jedoch nicht selbst begründen können.83
3. Sachverständigengutachten und Grenze zwischen juristischer und medizinischer Aufgabenverteilung Aufgrund der regelmäßig fehlenden medizinischen Sachkenntnis sind die Gerichte gehalten, den medizinischen Standard im Arzthaftungsprozess mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln.84 Dem Sachverständigen kommt die Aufgabe zu, den Behandlungsstandard zu beurteilen und damit einen rein medizinischen Standard zu bestimmen, den das Gericht zur Bestimmung des rechtlich relevanten Standards im Sinne des § 630a Abs. 2 BGB heranzieht und der Entscheidung maßgeblich zugrunde legt.85 In seinem Sachverständigengutachten vermittelt der Arzt medizinisches Fachwissen und legt damit die Grundlage für eine eigenständige Bewertung des Gerichts, das darüber entscheiden muss, ob das Handeln des Arztes innerhalb der Spannbreite des medizinisch Vertretbaren liegt.86 Dem Gericht kommt damit die letztverbindliche Entscheidung über die Einhaltung des medizinischen Standards zu, bei der es das Sachverständigengutachten insbesondere auf Plausibilität und Kohärenz überprüfen muss.87 Der Sachverständige orientiert sich bei seiner Einschätzung grundsätzlich ebenfalls an Leitlinien und Richtlinien, die bei typisch gelagerten Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 137. Ausführlicher Stöhr, MedR 2010, 214, 215 ff. 82 Taupitz, AcP 2011, 352, 365. 83 OLG Hamm, Urteil v. 27.1.1999 – 3 U 26/98 = NJW 2000, 1801; Stöhr, in: FS Hirsch, 431, 433. 84 Heyers, ArztR 2016, 201, 208 f. (Richter als „medizinischer Laie“); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 373; Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 9; Stöhr, MedR 2010, 214, 214; ders., in: FS Hirsch, 431, 432; Teichner/Schröder, GesR 2013, 577, 577. 85 BGH, Urteil v. 29.11.1994 – VI ZR 189/93 = NJW 1995, 776, 776 ff.; Buchner, in: Jorzig/ Uphoff, Standard-Chaos, 1, 1. 86 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1020; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 110; ferner auch Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 29; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 55 f. 87 BGH, Urteil v. 21.12.2010 − VI ZR 284/09 = NJW 2011, 1672, 1673 Rz. 17; Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 2; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 396 ff. 80 81
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
Fällen in der Regel den medizinischen Standard wiedergeben.88 Sie können den Tatrichter indiziell89 bei der Ermittlung des medizinischen Standards als haftungsrechtliche Tatsache und Voraussetzung unterstützen, ersetzen aber nicht das notwendigerweise einzuholende Sachverständigengutachten.90 Die Bewertung der vorgetragenen Indizien und die letztendliche Feststellung des medizinischen Standards, der sich innerhalb der Profession der Ärzte herausgebildet hat, bleibt aber als wesentliche Subsumtionstätigkeit Aufgabe der Gerichte.91 Die Frage, ob der „Korridor“92 der standardgemäßen Behandlung im konkreten Fall eingehalten wurde, muss im Behandlungsprozess durch den Richter geklärt werden und ist demnach Sache der Rechtswissenschaften.93 Besonders deutlich zeigt sich die juristische Prägung des medizinischen Standards in der Kongruenz zur verkehrsüblichen Sorgfalt, sodass auch der medizinische Standard objektiv-typisiert zu betrachten ist und systematische oder rechtliche Defizite – auch wenn sie zur ständigen ärztlichen Berufspraxis zählen – nicht standardprägend sind.94
IV. Medizinischer Standard als verkehrsübliche Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB Dem medizinischen Standard kommt im Arzthaftungsprozess zum einen hinsichtlich der Bestimmung eines Behandlungsfehlers im Rahmen der vertraglichen und deliktischen Haftung als Pflichtverletzung bzw. Verletzungshandlung Bedeutung zu. Zum anderen dient der medizinische Standard als zentraler Anknüpfungspunkt zur Ermittlung der verkehrsüblichen Sorgfalt im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB, deren Verletzung nicht nur hinsichtlich des Behandlungsfeh-
Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 373; Heyers, ArztR 2016, 201, 208. Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 782; Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630a Rn. 39. 90 BGH, Beschluss v. 28.03.2008 – VI ZR 57/07 = BeckRS 2008, 07852 Rz. 4; Rehborn, GesR 2011, 391, 391. 91 Vgl. hierzu BGH, Urteil v. 15.4.2014 – VI ZR 382/12 = NJW-RR 2014, 1053, 1054 Rz. 11; BGH, Urteil v. 24.2.2015 – VI ZR 106/13 = NJW 2015, 1601, 1602 Rz. 10; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 367; Hase, GesR 2012, 601, 602; Hart, GesR 2011, 387, 388; Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630a Rn. 39. 92 Stöhr, MedR 2010, 214, 214. 93 Hart, MedR 2013, 159, 160; Heyers, ArztR 2016, 201, 201; Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 9; § 110 Rn. 10; a. A. Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1025: „Die ärztlichen Standards sind medizinische Standards und keine juristischen. Sie werden vom Gericht durch Sachverständigengutachten nachvollzogen“. 94 Buchner, in: Jorzig/Uphoff, Standard-Chaos, 1, 3 f. 88 89
IV. Medizinischer Standard als verkehrsübliche Sorgfalt gem. § 276 Abs. 2 BGB 193
lers, sondern auch mit Blick auf den Fahrlässigkeitsvorwurf zur Beurteilung herangezogen wird.95 Durch die beschriebenen Erkenntnisquellen der Fachzeitschriften, Veröffentlichungen, Leitlinien und Richtlinien kann ermittelt werden, welches Maß an Sorgfalt im fachärztlichen Berufskreis als „erforderlich“ anzusehen ist. In der Fahrlässigkeitsdogmatik nach § 276 Abs. 2 BGB konkretisieren sie zugleich die Sorgfaltspflichten, die in herkömmlicher Weise zwischen innerer und äußerer Sorgfalt aufgeteilt werden.96 Raum für eine verschuldensabhängige Haftung besteht nur, wenn das verkehrsrichtige Verhalten nach objektiv-typisierter Betrachtung erkennbar war. Die äußere Sorgfalt umschreibt dementsprechend den im Außenverhältnis gegenüber dem Patienten zu beobachtenden medizinischen Standard97, während die innere Sorgfalt als „intellektuell-emotionale(r) Vorgang“98 die Erkennbarkeit der konkret geschuldeten Sorgfaltspflicht sowie die Vermeidbarkeit durch „geistig-seelische“ sowie „norm- bzw. sachgemäße“99 Vorkehrungen und Einrichtungen umschreibt.100 Nach der auf die Rosenberg‘sche Normentheorie zurückgehenden Beweislastverteilung im Zivilprozess hat der Patient grundsätzlich die für ihn günstigen Tatbestandsmerkmale, also insbesondere das schuldhafte Unterschreiten des medizinischen Standards, die Kausalität sowie den eingetretenen Schaden zu beweisen. Den Behandelnden trifft für alle anspruchshindernden, -erlöschenden und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs hindernden Tatsachen die Beweislast.101 Im Verhältnis zur vertraglichen Vermutung des Vertretenmüssens nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB liegt auf der Hand, dass hierdurch keine Vermutung des Behandlungsfehlers an sich über die äußere Sorgfaltswidrigkeit erfolgen kann. Vielmehr wird zu Recht darauf hingewiesen, dass in der vertraglichen Haftung die Vermutungswirkung des § 280 Abs. 1 S. 2 regelmäßig – soweit sich die Dif-
Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 304; Hart, GesR 2011, 387, 388. Vgl. Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 97 Rn. 35; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 210 ff., 309 f. 97 Deutsch, in Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 94; ders., NJW 1993, 1506, 1508; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 87. 98 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 96 ff; ders., NJW 1993, 1506, 1508. 99 Heyers, AR 2016, 201, 205; 100 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 469 f., wonach freilich auch die innere Sorgfalt anhand eines objektiv-typisierten Verkehrsmaßstabs zu bestimmen ist; zur arzthaftungsrechtlichen Differenzierung Heyers, ArztR 2016, 201, 205; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 88 ff. 101 Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 285; Walter, GesR 2013, 129, 129. 95
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
ferenzierung überhaupt anbietet102 – auf die innere Sorgfaltswidrigkeit beschränkt bleibt, wenn der Verstoß gegen die äußere Sorgfaltspflicht gleichzeitig die haftungsbegründende Pflichtverletzung in Form des Behandlungsfehlers darstellt.103
V. Transplantationsmedizinischer Standard Der rechtlich verbindliche Standard der Transplantationsmedizin unterscheidet sich hinsichtlich der Entstehung weder grundlegend noch systematisch von dem anderer medizinischer Teildisziplinen. Eine Besonderheit findet sich lediglich auf rechtlicher Ebene bei der Bestimmung des vorherrschenden Standards durch die Beweislastumkehr des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG zugunsten der Transplantationszentren. Halten sie sich an die Bestimmungen und Feststellungen der Richtlinien der Bundesärztekammer, greift zu ihren Gunsten die Vermutung, dass der Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und damit der Sorgfaltsmaßstab des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG eingehalten wurde. Im Arzthaftungsprozess kann diese Beweislastumkehr für eine etwaige Schadensersatzpflicht aufgrund eines vermeintlichen Behandlungsfehlers von entscheidender Bedeutung sein.
1. Bedeutung der Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG Der Inhalt der verkehrsüblichen Sorgfalt sowie des im jeweiligen Fachgebiet anzuwendenden medizinischen Standards kann ohne weiteres durch konkretisierende Gesetze festgelegt werden.104 Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden untersucht werden, wie sich das Regelungskonzept des TPG, insbesondere die Richtlinienermächtigung und Vermutungsregel in § 16 Abs. 1 TPG, auf die Bestimmung des medizinischen Standards und die Einhaltung der verkehrsüblichen Sorgfalt auswirkt. Für das Transplantationszentrum ist damit zunächst die Aufgabe der Wartelistenführung aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG angesprochen. Dabei ist in einem ersten Schritt zu fragen, ob die Wartelistenführung schon unter den Begriff der „Behandlung“ im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB fällt. An zweiter Stelle soll ein Blick auf die Frage geworfen werden, wie sich 102 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 314, wonach bspw. bei Diagnoseirrtümern das Erkennen der Krankheit und damit „keine feststehenden äußeren Verhaltenspflichten“ im Vordergrund stehen. 103 Deutsch, NJW 2012, 2009, 2012; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 317; Spickhoff, NJW 2002, 2530 2536 f.; ablehnend hinsichtlich eines Anwendungsbereichs von § 280 I 2 BGB bei tätigkeitsbezogenen Pflichten des Arztes Taupitz, AcP 2011, 352, 355. 104 Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 65.
V. Transplantationsmedizinischer Standard
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die Maßstäbe des „Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG sowie der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ nach § 630a Abs. 2 BGB zueinander verhalten. a) Wartelistenführung als „Behandlung“ im Sinne des § 630a BGB Mit der Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus bzw. spätestens ab dem Beginn der medizinischen Behandlung kommt zwischen dem Transplantationszentrum und dem Patienten ein Behandlungsvertrag mit dem Pflichtenumfang und Leistungsinhalt der §§ 630a ff. BGB zustande. Die Hauptleistungspflicht der zur Behandlung verpflichteten Vertragspartei besteht in der Leistung der standardgemäßen Heilbehandlung des Patienten.105 Unter dem Begriff der „Behandlung“ ist dabei jede Heilbehandlung im weiteren Sinne zu verstehen, sodass darunter neben der Diagnose und der Therapie auch solche „Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen“106 zu verstehen sind, die vorgenommen werden, um auftretende Krankheitsbilder und Beschwerden „zu verhüten, zu erkennen oder zu lindern“107. Der Gesetzgeber fasst unter den Behandlungsbegriff selbst organisatorische Vorkehrungen in der Klinik108, sodass auch diese Pflichten den fachlichen Standards aus § 630a Abs. 2 BGB entsprechen müssen. Aus der Zugrundlegung dieses weiten Begriffsverständnisses folgt, dass auch die ordentliche Anmeldung und die rechtmäßige Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste als elementare Voraussetzung einer späteren Therapie Gegenstand der so verstandenen „Behandlung“ aus § 630a Abs. 1 BGB sind. Bei der Führung und Besetzung der Wartelisten handelt es sich um eine unbedingte Mitwirkungspflicht des Transplantationszentrums und nicht etwa nur um eine Maßnahme im „Behandlungsumfeld“.109 Sie ist am Maßstab von § 630a Abs. 2 BGB und den dort geforderten, zur Zeit der Behandlung geltenden fachlichen Standards messbar, sodass sich auch insoweit die Frage nach der Bestimmung des medizinischen Standards stellt. b) Verhältnis zwischen Erkenntnisstand und fachlichen Standards Zur Konkretisierung der ärztlichen Sorgfalt können in erster Linie alle Normen herangezogen werden, die auf eine Gefahrvermeidung zielen und entsprechende 105
Vgl. zum allgemeinen Behandlungsvertragsrecht Glp. § 4 I. und II. So wörtlich die Gesetzesbegründung zu § 630a BGB, in: BT-Drs. 17/10488, S. 17. 107 BT-Drs. 17/10488, S. 17; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 12. 108 BT-Drs. 17/10488, S. 20; Hart, MedR 2013, 159, 160 f; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 44. 109 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 276, wobei selbst „Fehler im Behandlungsumfeld“ Behandlungsfehler im Sinne eines Unterschreitens des medizinischen Standards darstellen. 106
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
direkte oder im Wege der Auslegung zu ermittelnde Handlungsgebote enthalten.110 Insoweit kommen auch die auf Grundlage der Ermächtigung des § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG erlassenen Richtlinien zur Wartelistenführung und Organvermittlung als Sorgfaltskonkretisierung in Betracht, bei deren Einhaltung nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG wiederum die Einhaltung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet wird.111 Die unterschiedliche Terminologie im Transplantations- und Behandlungsvertragsrecht führt zu keinen wesentlichen inhaltlichen Divergenzen. In der Diktion der §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3, 16 Abs. 1 TPG gesprochen, kann der medizinische Standard als Ergebnis der in einem bestimmten Gebiet gewonnenen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zusammenfasst werden. Dieses zwangsläufige Komplementärverhältnis aus dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und dem medizinischen Standard bezieht die Richtlinien der Bundesärztekammer, die auf Grundlage von § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG zur Bestimmung des medizinischen Erkenntnisstands erlassen wurden, mit ein.112 Der medizinische Standard ist folglich nichts anderes als die Zusammenführung des medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und dessen Anwendung in der Praxis.113 Greift die Vermutung nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG ein, wird sie der Patient durch den widersprechenden Tatsachenvortrag in aller Regel nicht widerlegen können.114 Die Einhaltung des medizinischen Standards, der sich wie beschrieben maßgeblich aus den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den in der Praxis verwendeten Behandlungsmethoden der Wahl zusammensetzt, würde damit ebenfalls zugunsten des Transplantationszentrums vermutet. Die faktische Bindungswirkung der BÄK-Richtlinien setzt sich nach der Gesetzeskonstruktion des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG im Zusammenspiel mit § 630a Abs. 2 BGB somit auf behandlungsvertraglicher Ebene fort. Soweit sich der Arzt an die Richtlinien der BÄK hält, greift die Vermutung, dass er auf GrundNowak, Leitlinien in der Medizin, S. 96. Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 27; mit Verweis auf die Regelungen zur Kontraindikation Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 96. 112 Vgl. Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 229, der ohne weiteres in den BÄK-Richtlinien nach § 16 Abs. 1 TPG eine Konkretisierung des Standards sieht; Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 96; allgemein Gutmann, in: Schroth/König/ Gutmann/-Oduncu, TPG, § 16 Rn. 27 a. E., wonach Richtlinien dieser Art „grundsätzlich geeignet sein können, Standards und Sorgfaltsgebote im Rahmen des § 276 BGB darzustellen“. 113 Vgl. hierzu im Zusammenhang mit den transfusionsmedizinischen Richtlinien nach § 12a TFG Tag, in: MünchKomm, StGB, TFG, § 12a Rn. 4.; allgemein Zuck, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 68 Rn. 23. 114 Vgl. hierzu bereits ausführlich die Problematik um die normative Geltungskraft der Vermutungswirkung nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG in Glp. § 3 II.1.b).aa). 110 111
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lage des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft handelt und damit auch den ärztlichen Standard beachtet. § 16 Abs. 1 S. 2 TPG ist damit auch für die behandlungsvertragsrechtliche Bestimmung der einzuhaltenden Sorgfalt im Sinne des Facharztstandards entscheidende Beweislastnorm.115 Der Arzt hat folglich darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass er die Maßgaben der Richtlinien der BÄK bei Diagnose, Therapie und Behandlung des Patienten beachtet hat. Das wechselseitige Verhältnis zwischen dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und dem medizinischen Standard führt jedoch auch dazu, dass der (insoweit zwingende) Maßstab des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG einer – behandlungsvertraglich grundsätzlich möglichen116 – Abweichung vom medizinischen Standard gem. § 630a Abs. 2 BGB entgegensteht. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG ordnet insoweit den medizinischen Standard als zwingendes Recht an.
2. Anwendbarkeit der Vermutung auf normative Regelungstatbestände Von erheblicher Bedeutung für die weitere haftungsrechtliche Untersuchung ist die Frage, inwieweit die Vermutungswirkung von § 16 Abs. 1 S. 2 TPG, die auch auf die bürgerlich-rechtliche Ebene des medizinischen Standards fortwirkt, solche Kriterien der BÄK-Richtlinien erfasst, die als normative und nicht-medizinische Festsetzungen charakterisiert wurden. Zu denken ist dabei in erster Linie an die problematischen Kontraindikationsbestimmungen aufgrund fehlender Compliance oder der Nichteinhaltung der sechsmonatigen Karenzzeiten, das Anknüpfen an fehlende Sprachkenntnisse oder ähnlich gelagerte Sachverhalte. Die Beantwortung dieser Frage ist eng mit der Entstehungsgeschichte des TPG und der fälschlichen Vorstellung des Gesetzgebers verknüpft, die Frage der Organverteilung könne nach rein medizinischen Kriterien erfolgen.117 Insoweit ist auch die Einhaltung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu verstehen, die bei Einhaltung der BÄK-Richtlinien vermutet wird. a) Ansätze der Literatur Soweit ersichtlich, wurde diese Problematik in der Literatur bisher nur am Rande aufgenommen. Nach Gutmann118 sei eine haftungsrechtliche Anknüpfung an So auch Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 229. Vgl. Preis/Schneider, NZS 2013, 281, 282. 117 Vgl. Glp. § 3 III.2.b).cc).(2); den Befund des Kategorienfehlers stützend VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077, Rz. 29 sowie Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 29: „Abzulehnen ist deshalb die (…) gelegentlich ventilierte These, die Entscheidung über die Aufnahme auf die Warteliste orientiere sich an rein medizinischen Kriterien“. 118 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 27 a. E. 115 116
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§ 5 Der medizinische Standard im Transplantationsrecht
die BÄK-Richtlinien jedenfalls für die „problematischen Dezisionen normativer Natur“ ausgeschlossen, da diese per se nicht mit der vermuteten Kategorie der ärztlichen Sorgfalt oder „mit Fragen ‚gewissenhafter Berufsausübung‘“ in einem inhaltlichen Zusammenhang stünden. Junghanns119 hält einen Rückgriff auf normative Wertungskriterien bei der Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 TPG zwar für verboten; inwieweit sich dieses Verbot des Rückgriffs auf die Vermutung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG auswirkt, dieser also für solche Kriterien überhaupt eine Beweislastmodifizierung bewirkt, bleibt aber unklar. b) Wortlautargumentation und hypothetischer Gesetzgeberwille In der Gesamtschau der Vermutungswirkung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG kann keine klare Wortlautgrenze gezogen werden. Zwar kann auf die das TPG durchziehende Formulierung des „Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ abgestellt werden und bei Zugrundelegung eines engen medizinischen Verständnisses eine Beschränkung auf solche wissenschaftlich gesicherten Feststellungen vorgetragen werden. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber selbst die normative Dimension der Verteilungskriterien verkannte, kann darin aber wohl kaum eine solche Beschränkung gesehen werden. Wenn der Gesetzgeber heute nach ganz herrschender Auffassung normativ klassifizierte Kriterien als medizinisch eingestuft hat, kann aus der so entsprungenen Formulierung keine Begrenzung auf rein medizinische Kriterien nach modernem Verständnis geschlussfolgert werden. Wenn der Gesetzgeber beispielsweise das Allokationskriterium der Erfolgsaussicht auch in der Form „verbesserter Lebensqualität“120 als medizinisch charakterisiert, nur weil die Bestimmung derselben nach medizinischen Kriterien erfolgt, kann aus der Formulierung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG gerade nicht herausgelesen werden, dass derartige Kriterien von der Beweislastmodifizierung nicht erfasst sein sollen. Vergegenwärtigt man sich aber demgegenüber aber die erheblichen Legitimationsdefizite der Delegationsandordnung sowie der Unvereinbarkeit hinsichtlich des verletzten Vorbehalts des Gesetzes, entspricht es der verfassungsrechtlich vorzugswürdigeren Alternative, § 16 Abs. 1 S. 2 TPG möglichst restriktiv auszulegen. Entsprechend den dargestellten Grundsätzen zum Vorrang der verfassungskonformen Auslegung121 ist demnach die Auslegungsvariante zu wählen, die rein wertende Elemente nicht erfasst. Unstreitig ausgeschlossen ist die Anwendbarkeit der Vermutungsregel jedenfalls auf solche Bestimmungen der
Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 230, 233 f. BT-Drs. 13/4355, S. 10. 121 Glp. § 4 III.5.a).bb). 119
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Richtlinien, die gegen höherrangiges Recht, insbesondere Verfassungsrecht, verstoßen.122 c) Ergebnis § 16 Abs. 1 S. 2 TPG bildet zur Bestimmung des medizinischen Standards im Behandlungsvertrags- und Transplantationsrecht die auch privatrechtswirksame zentrale Beweislastnorm. Kann das Zentrum nachweisen, die Bestimmungen der Richtlinien eingehalten zu haben, wird zu ihren Gunsten eine standardentsprechende Behandlung vermutet. Für Bestimmungen, die im Wesentlichen rein wertender Natur sind, über die Richtlinienermächtigung des § 16 Abs.1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG hinausgehen oder gegen sonstiges höherrangiges Recht, insbesondere die Grundrechte der potentiellen Organempfängern, verstoßen, findet § 16 Abs. 1 S. 2 TPG keine Anwendung.
122
BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rz. 4; vgl. ferner die Ausführungen unter Glp. § 6 I.2.a).bb).(2).
§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche Aus dem Zusammenspiel zwischen transplantationsrechtlichen und behandlungsvertraglichen Pflichten ergeben sich mit Blick auf arzthaftungsrechtliche Ansprüche eine Reihe von klärungsbedürftigen Fragestellungen, die in der Rechtsprechung schon mehrfach, wenn auch nicht in entscheidungserheblichen Fallkonstellationen, thematisiert wurden.1 Im Wesentlichen geht es immer um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Nichtaufnahme in die sowie Herausnahme aus der Warteliste pflicht- und rechtswidrig erfolgen und zu Haftungsansprüchen des Patienten führen. Als neue Konstellation tritt dabei die Problematik rund um die als „Organspendeskandale“ titulierten Manipulationen der Wartelisten durch behandelnde Ärzte hinzu, in denen vor allem Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche der in der Wartelistenplatzierung übergangenen Patienten im Vordergrund stehen. Die dritte haftungsrechtlich betrachtete Fallgruppe thematisiert fehlgeschlagene Organvermittlungen, die auf organisatorische Defizite der Transplantationszentren zurückgehen. Diesen Problemkreisen soll sich anhand einer fallgruppenorientierten Betrachtung genähert werden. Zu diesem Zweck wird auf einige Fallkonstellationen der bisherigen Rechtsprechung, die zum Teil in der bisherigen Betrachtung bereits erwähnt wurden, erneut zurückgegriffen. Hierzu sollen die Haftungsverhältnisse im Rahmen der Wartelistenführung (I.), der fehlerhaften Organvermittlung durch Beiträge des Transplantationszentrums (II.) sowie die Fallgruppe der fehlgeschlagenen Organübertragungen (III.) untersucht und relevante Problemstellungen herausgestellt werden. Bezugspunkt bleibt bei allen Fallgruppen die Haftung der Behandlungsseite, mithin des Transplantationszentrums, sowie die – in erster Linie deliktsrechtliche – Haftung der nachgeordneten behandelnden Ärzte.
1
So etwa bei LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11 Rz. 12; VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077.
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§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche
I. Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung Ausgehend von der vertragsrechtlichen Untersuchung aus § 4 und des medizinischen Standards in § 5 kann sich nunmehr der Frage gewidmet werden, inwieweit „Fehler“ bei der Wartelistenführung durch das Transplantationszentrum zu Ersatz- und Schmerzensgeldansprüchen des Patienten führen können. In Betracht kommen jeweils Ansprüche gegen das Transplantationszentrum aus dem zugrunde liegenden Behandlungsvertrag sowie deliktsrechtliche Haftungstatbestände, sowohl gegen den behandelnden Arzt als auch gegen das Transplantationszentrum selbst. Der Haftungsadressat lässt sich dabei allgemein für alle Fallgruppen der vertraglichen Haftung bestimmen. Die vertraglichen Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld richten sich gegen den Vertragspartner des Behandlungsvertrags. Während ein Patient mit alkoholinduzierter Leberhepatitis etwa stationär behandelt wird, erfolgt die Behandlung von dialysepflichtigen Patienten über viele Jahre hinweg ambulant im jeweiligen Dialysezentrum. Entsprechend variieren auch die Vertragspartner: Während im Rahmen der stationären Aufnahme das Transplantationszentrum 2 durch den totalen Krankenhausaufnahmevertrag als Behandelnder berechtigt und verpflichtet wird, ist bei der ambulanten Dialysebehandlung zunächst der nach §§ 95, 116 SGB V zum Betrieb der Ambulanz ermächtigte Krankenhausarzt verpflichtet und für eventuelle Haftungsansprüche verantwortlich.3 Für schuldhaftes Handeln der nachgeordneten Ärzte haben das Transplantationszentrum sowie der zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigte Träger der Ambulanz nach Maßgabe des § 278 BGB vertragsrechtlich einzustehen. Zudem kommt eine deliktsrechtliche Haftung durch vermutetes Auswahlverschulden nach § 831 Abs. 1 BGB in Betracht. Sofern sich diesbezüglich Besonderheiten und Problemstellungen ergeben, wird an den entsprechenden Stellen hierauf näher eingegangen.
1. Primärrechtsschutz gegen Wartelistenentscheidungen Sieht sich der Patient zu Unrecht von der Warteliste ausgeschlossen, wird das Hauptaugenmerk seines Rechtsschutzinteresses auf der Erzwingung der Aufnahme in die Transplantationswarteliste des Zentrums liegen.4 Die Frage nach 2 Genauer: der Rechtsträger des Transplantationszentrums als juristische Person des öffentlichen oder bürgerlichen Rechts. Auf diese Selbstverständlichkeit wird im Folgenden nicht mehr explizit hingewiesen. Sofern von den Transplantationszentren als Haftungsadressat gesprochen wird, sind jeweils die Rechtsträger des Zentrums, in den meisten Fällen die Universitäten, gemeint. 3 Vgl. Glp. § 4 II.2. 4 Vgl. Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger nach dem TPG, S. 32.
I. Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung
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Sekundärleistungsansprüchen, wie Schmerzensgeld- und Schadensersatzforderungen, wird sich in aller Regel erst zu einem späteren Zeitpunkt stellen. Voraussetzungen und Zulässigkeit des Primärrechtsschutzes sind seit Inkrafttreten des TPG in weiten Teilen ungeklärt. Das betrifft maßgeblich die Frage, welche Gerichtsbarkeit überhaupt zur Klärung des Rechtsschutzziels des Patienten zuständig ist, insbesondere ob die Aufnahme in die Warteliste durch verwaltungsgerichtliche Versagungsgegenklage nach § 42 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 UF 2 VwGO5 oder durch Leistungsklage vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit6 erreicht werden kann.7 Da sich der zuständige Klageweg nach dem Klagegenstand richtet, ist der Argumentation der vorherigen Kapitel8 entsprechend der zivilrechtlichen Qualifikation der Wartelistenentscheidungen den Vorzug zu geben.9 Der Kern der Problematik ist, ob die Grenzen des medizinischen Indikationsspielraums des Arztes überschritten wurden, der bei transplantationsmedizinischen Behandlungsverhältnissen eng zu fassen ist. Die fachgerechte Diagnose ist eine originär arztrechtliche Pflicht, die als Grundvoraussetzung einer rechtmäßigen und pflichtgemäßen Heilbehandlung dem Behandlungsvertragsrecht zuzuordnen ist.10 Der Primärrechtsschutz erfolgt damit vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit unter Berücksichtigung der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte des Patienten bei der Auslegung des medizinischen Erkenntnisstandes i. S. d. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG.11
2. Verfassungswidrige Kontraindikation als Behandlungsfehler Der Ausgangspunkt der arzthaftungsrechtlichen Ersatzansprüche der Patienten besteht in der Regel in dem Vortrag des Patienten, der behandelnde Arzt habe in einer dem Transplantationszentrum zurechenbaren Weise den medizinischen Standard bei der Wartelistenführung schuldhaft unterschritten. Der medizinische Standard bei der Wartelistenführung, insbesondere bei der Frage, unter 5 So nach VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = BeckRS 2014, 55077 Rz.28, 36, wonach die Meldung als „nicht-transplantabel“ ein Verwaltungsakt i. S. v. Art. 35 BayVwVfG (§ 35 VwVfG) darstelle. 6 LG Essen, Urteil v. 21.11.2007 – 1 O 312/07 = BeckRS 2009, 03085 Rz. 29, wonach es sich um einen Anspruch aus dem Behandlungsvertrag handele und der Zivilrechtsweg nach §§ 13, 23 Abs. 1, 71 Abs. 1 GVG eröffnet sei. 7 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 13 f.; Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3399. 8 Glp. § 4 III.5 f. 9 Zur gegenläufigen Auffassung sehr ausführlich Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger, S. 105 ff. 10 Vgl. Heyers, BRJ 2012, 135, 135 f. 11 Zur gegenläufigen Auffassung Glp. § 4 IV.3.; zuletzt Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3402.
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§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche
welchen Voraussetzungen der Aufnahmewunsch des Patienten abgelehnt werden kann, wird nach der bisherigen Rechtslage grundsätzlich zivilrechtswirksam durch die Richtlinien der BÄK konkretisiert.12 Die Bestimmung einer Pflichtverletzung im Sinne eines Unterschreitens des im Schuldverhältnis angelegten Pflichtenprogramms ist Grundvoraussetzung des vertraglichen Schadensersatzanspruchs aus § 280 Abs. 1 BGB.13 Eine solche Pflichtverletzung liegt im transplantationsmedizinischen Kontext als Behandlungsfehler zunächst dann vor, wenn der berufliche Heilauftrag des Arztes die vorgesehene Organtransplantation gebietet, die Vornahme der medizinischen Maßnahme mithin indiziert ist14, aber bei der Diagnose und Therapie nicht (ausreichend) berücksichtigt wird. Durch den von Rechtsprechung und Gesetzgeber angestrebten Gleichlauf aus vertraglichem und deliktischem Pflichtenprogramm im Bereich des Arzthaftungsrechts15 ergibt sich ein einheitlicher Pflichtenkanon hinsichtlich der Handlungspflichten des Arztes.16 Die fehlerhafte Verweigerung der Aufnahme in die Warteliste wirft in haftungsrechtlicher Hinsicht einige Probleme auf. Dabei ist insbesondere die Frage zu klären, inwieweit bei Befolgung der Bestimmungen der BÄK-Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG ein objektiver Behandlungsfehler zu Lasten des Transplantationszentrums sowie des handelnden Arztes angenommen werden kann. Ebenso problematisch ist die Folgefrage, ob verfassungswidrige Kriterien die Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG auslösen und inwieweit sie für die Beteiligten haftungsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben können. Zur Untersuchung der streitigen Probleme, die aus dem Zusammengreifen von Transplantations-, Verfassungs- und Behandlungsvertragsrecht herrühren, soll der bereits in § 3 skizzierte Rechtsprechungsfall des Patienten mit unzureichenden Deutschkenntnissen erneut aufgegriffen werden. In diesem Fall hatte der Patient zunächst vor dem LG Bielefeld17 Prozesskostenhilfe beantragt und nach deren Zurückweisung sofortige Beschwerde zum OLG Hamm18 eingelegt. Der Patient wollte mit der gewährten Prozesskostenhilfe einen vermeintlichen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen das behandelnde Transplantationszentrum geltend machen. Hintergrund war die Ablehnung 12
Zu den Auswirkungen der BÄK-Richtlinien zur Wartelistenführung und Organvermittlung auf den Begriff des medizinischen Standards nach § 630 Abs. 2 BGB vgl. Glp. § 5 III. 13 Olzen, in: Staudinger, BGB, Einl. zum Schuldrecht Rn. 39; Unberath, in: Bamberger/ Roth, BGB, § 280 Rn. 11 f. 14 Gehrlein, Grundriss der Arzthaftpflicht, S. 39 Rn. 4a. 15 Vgl. Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 93 Rn. 17, 19; Spickhoff, MedR 2015, 845, 845; Wagner, VersR 2012, 789, 801. 16 Vgl. Pauge, Arzthaftungsrecht, Rn. 3. 17 LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11 Rz. 5 ff. 18 OLG Hamm, Beschluss v. 22.12.2011 – 26 W 21/11 u. I-26 W 21/11, Rz. 7 ff.
I. Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung
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der Aufnahme in die Warteliste, die das Zentrum damit begründete, dass unzureichende Sprachkenntnisse des Antragstellers zu einer non-Compliance führten und daher eine Kontraindikation darstellten, die der Aufnahme entgegenstünde. Das LG Bielefeld folgte der Auffassung des Transplantationszentrums, wonach ausreichend sei, dass die „Möglichkeit der jederzeitigen Kontaktaufnahme“19 nicht gegeben sei. In der Begründung, mit der das OLG Hamm die sofortige Beschwerde des Patienten zurückwies, folgte es im Wesentlichen der Argumentation des Landgerichts. Erst das BVerfG sah hierin einen Verstoß gegen die Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. 20 Abs. 3 GG und stellte fest, dass die Ausgangsgerichte den Umfang der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten bei Zurückweisung des Antrags auf Prozesskostenhilfe überspannt hätten.20 Zu den materiell-rechtlichen Problemen, die dieser Fall in sich trägt, hat das BVerfG mangels Entscheidungserheblichkeit freilich nicht Stellung genommen, sondern lediglich die streitentscheidenden Probleme skizziert und eventuelle Lösungsansätze angedeutet. Insbesondere stellten sich hier im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Problematik und den Folgen für den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch „(…) schwierige und im Anwendungsbereich ärztlicher Richtlinien bisher ungeklärte Rechtsfrage[n]“21. Zur Klärung der entscheidungserheblichen Fragen müsse dem Patienten zumindest Prozesskostenhilfe gewährt werden. Im Rahmen der haftungsrechtlichen Beziehungen zwischen Transplantationszentrum und potentiellem Organempfänger soll an dieser Stelle untersucht werden, wie der dem Rechtsschutzbegehren des Patienten zugrunde liegende Lebenssachverhalt haftungsrechtlich aufzulösen ist. Anknüpfungspunkt des Schadensersatz- und Schmerzensgeldbegehrens ist die Weigerung der Aufnahme in die Warteliste durch das Transplantationszentrum aufgrund vermeintlich fehlender Compliance. In diesem Zusammenhang soll zunächst die Haftung aufgrund eines vermeintlichen Behandlungsfehlers in vertraglicher und deliktsrechtlicher Hinsicht untersucht werden. Auf subsidiäre Verstöße gegen das AGG sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird an späterer Stelle noch einmal gesondert eingegangen.22 a) Unterschreiten des medizinischen Standards Zwischen dem klagenden Patienten und dem Transplantationszentrum bestand als zivilrechtliches Rechtsverhältnis ein Behandlungsvertrag nach Maßgabe der 19
LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11 Rz. 12. BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728. 21 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728. 22 Vgl. Glp. § 6 I.6.c). 20
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§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche
§§ 630a ff. BGB. Die in § 630a Abs. 2 BGB beschriebene Pflicht, die Heilbehandlung nach den jeweils aktuellen, allgemein anerkannten fachlichen Standards vorzunehmen, wird durch den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und die Beweislastmodifizierung aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG konkretisiert. Die ordnungsgemäße und dem medizinischen Standard entsprechende Ausführung dieser Pflichtaufgabe des Transplantationszentrums gehört zum Hauptpflichtenkatalog aus dem Behandlungsvertrag.23 Hierbei haben die Transplantationszentren sowie die angestellten Ärzte als deren Erfüllungsgehilfen i. S. d. § 278 BGB den medizinischen Standard zu wahren, der sich bei der Wartelistenführung gem. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft richtet. Die Einhaltung des wissenschaftlichen Erkenntnisstands wird wiederum vermutet, wenn und soweit die inhaltlichen Vorgaben der BÄK-Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG eingehalten wurden. Sofern den Bestimmungen der Richtlinie zuwider gehandelt wurde, wirken diese grundsätzlich indiziell hinsichtlich eines behaupteten Behandlungsfehlers.24 aa) Unter Berücksichtigung der Richtlinien der Bundesärztekammer Überträgt man den Fall des LG Bielefeld auf die arzthaftungsrechtliche Ebene, so ist zunächst die Unterschreitung des medizinischen Standards fraglich. Soweit das Transplantationszentrum darlegen kann, auf Grundlage der entsprechenden BÄK-Richtlinie gehandelt zu haben, würde die Einhaltung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vermutet. Dies gelänge dem Zentrum im vorliegenden Fall mit Verweis auf die (exemplarisch für alle BÄK-Rechtssätze herangezogenen) Richtlinien für die Wartelistenführung und Organvermittlung zur Nierentransplantation. Dort heißt es unter Glp. I.4, dass „auch die unzureichende oder sogar fehlende Mitarbeit des Patienten (Compliance) eine Kontraindikation begründen kann. Deren Fehlen kann auch auf sprachlichen und somit unüberbrückbaren Schwierigkeiten beruhen“25. Legt man an dieser Stelle nur die vom Gesetzgeber gewollte und derzeit praktizierte Rechtslage zugrunde, wäre die Beweislast für das Transplantationszentrum darauf reduziert, darzulegen, dass die sprachlichen Defizite des Patienten zu „unüberbrückbaren Schwierigkeiten“ führten. Dass dies der Fall ist, kann als evident angesehen werden. Sprachliche Schwächen bzw. das völlige Nichtbeherrschen der deutschen Sprache führen in jedem Fall zu „Schwierigkeiten“, da Glp. § 5 III.1; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 12; entsprechend weit ist der Begriff des „Behandlungsfehlers“, vgl. Elster, Ärztliche Leitlinien in der Arzthaftung, S. 41. 24 Vgl. zu S3-Leitlinien Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630a Rn. 40. 25 BÄK, Niere, Glp. I.4, Abs. 2. 23
I. Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung
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die deutsche Sprache die in den deutschen Transplantationszentren verwendete Umgangs- und Behandlungssprache ist. Dass die Sprachdefizite nur in den wenigsten Fällen „überbrückbar“ sein werden, liegt ebenfalls auf der Hand. Bedenkt man gerade die Eilbedürftigkeit von Organvermittlungsentscheidungen im Rahmen des HU-Status‘, wird regelmäßig keine Zeit bleiben, um die deutsche Sprache auf einem für die transplantationsmedizinische Behandlung notwendigem Niveau zu erlernen. Eine dahingehende Einschränkung, dass fließende Deutschkenntnisse für die Vor- und Nachbehandlung notwendig seien, sodass deren Fehlen eine Organübertragung unmöglich machen würde, trifft die Richtlinie nicht. Die Vermutungsvoraussetzungen des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG könnte das Transplantationszentrum mithin erfüllen. bb) Auswirkungen der Verfassungswidrigkeit Die verfassungsrechtliche Unzulänglichkeit der Regelungskonstruktion des § 16 Abs. 1 TPG sowie die äußerst unglückliche Ausgestaltung „weicher“ inhaltlicher Kriterien wie der Compliance wurde bereits dargelegt.26 Die bislang völlig ungeklärte Frage, inwieweit die durch die Richtlinien konkretisierten Allokationskriterien dennoch von dem Transplantationszentrum für die Wartelistenführung herangezogen werden können bzw. müssen, soll im Folgenden untersucht werden. In der Vergangenheit hat das OLG Frankfurt a. M.27 sowie das BVerfG28 hierin eine rechtlich „äußerst schwierig(e)“ Problematik 29 gesehen, aber aufgrund des Streitgegenstands nicht näher zur Lösung dieser Fragen Stellung beziehen müssen, da in beiden Fällen die Problematik für die Tenorierung nicht erheblich war. Zunächst ist zwischen den einzelnen Befunden der Verfassungswidrigkeit zu trennen. So muss im Folgenden zwischen der nicht verfassungsgemäßen Ausgestaltung der Aufgabendelegation an die BÄK – genannt seien die dargelegten Defizite im Hinblick auf Wesentlichkeitstheorie und Legitimationsniveau – und den inhaltlichen Mängeln der BÄK-Richtlinien unterschieden werden. Während bei letzteren grundsätzlich an die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung zu denken ist30, haften die Mängel im Hinblick auf Demokratie- und 26
Vgl. Glp. § 3 III.2 ff. OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 5.3.2015 – 16 U 192/14 = BeckRS 2015, 06810 Rz. 24, das nach einer einseitigen Erledigungserklärung die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache für den Kostentragungsbeschluss nach § 91a ZPO offen lässt und aus Billigkeitsgründen das Entscheidungsrisiko gleich aufteilt. Die äußerst schwierige Problematik solle vielmehr in einem Hauptverfahren geklärt werden. 28 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727. 29 OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 5.3.2015 – 16 U 192/14 = BeckRS 2015, 06810 Rz. 24. 30 Der aber anders als bei der Auslegung formeller Gesetze kein Vorrang einzuräumen ist, vgl. Ausführungen unter Glp. § 4 III.5.a).bb). 27
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Rechtsstaatsprinzip der Regelungssystematik des § 16 Abs. 1 TPG und damit den formellen TPG-Regelungen dauerhaft an. Dies führt auch zwangsläufig zu einer Differenzierung nach dem betrachteten Gegenstand der verfassungsrechtlichen Kritik. So gewinnt für die haftungsrechtliche Frage die Unterscheidung zwischen der Verfassungswidrigkeit des Regelungskonzepts und der Verfassungswidrigkeit der einzelnen Richtlinien erhebliche Bedeutung. (1) Exkurs: Verfassungswidrigkeit der Delegation nach § 16 Abs. 1 S. 1 TPG: Nichtigkeit oder Unvereinbarkeit? Förmliche Gesetze, wie § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG als Grundnorm der Allokationskriterien bei der Wartelistenführung oder Art. 16 Abs. 1 S. 2 TPG, unterliegen dem Verwerfungsmonopol des BVerfG aus Art. 100 Abs. 1 GG. Es entscheidet gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG mit Rechtskraft, mithin allgemeinverbindlich und unanfechtbar, über das Unwerturteil der Verfassungswidrigkeit der Norm.31 Darüber hinaus entwickelte das BVerfG im Zusammenhang mit Art. 3 GG die Rechtsfolgenanordnung durch Unvereinbarkeitserklärung. Danach soll die Regelung nicht als verfassungswidrig, sondern lediglich als unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass ansonsten gar keine Rechtsgrundlage für das ursprünglich im Widerspruch zur Verfassung geregelte Verfahren bestünde. Hierdurch soll verhindert werden, dass durch verfassungsrechtliche Kassation der Regelung ein Zustand entstünde, der von der Verwirklichung materiellen Verfassungsrechts noch weiter entfernt wäre, als der beanstandete Regelungskomplex.32 Mit der Unvereinbarkeitserklärung wird gleichzeitig eine befristete Fortgeltung der verfassungswidrigen Regelung angeordnet, innerhalb welcher der Gesetzgeber aufgefordert wird, für eine verfassungskonforme Neukonzeption der Materie zu sorgen.33 Dies gilt sowohl für die entwickelten Institute der Geltungsanordnung und Übergangsregel, bei denen dem Gesetzgeber eine Frist zur Nachbesserung eingeräumt wird, als auch bei der Anordnung der ex-nunc-Wirkung, nach der die Norm nur für die Zukunft, nicht aber die Vergangenheit für verfassungswidrig und nichtig erklärt wird. Das Regelungskonzept der normkonkretisierenden Verweisung des § 16 Abs. 1 S. 2 i. V. m. §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG ist insoweit verfassungswidrig, 31 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31 Rn. 27; Rixen, in: Höfling, TPG, Einführung Rn. 7; im Zusammenhang mit § 16 Abs. 1 S. 2 TPG (aber nicht den Richtlinien) zutreffend Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 237. 32 BVerfG, Urteil v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 = BVerfGE 33, 303, 347, Rz. 88; Bartone, in: Linien der Rechtsprechung des BVerfG II, S. 79. 33 Bartone, in: Linien der Rechtsprechung des BVerfG II, S. 79.
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als es die Auflösung von Zielkonflikten bei den Allokationskriterien und deren nicht-medizinische, sondern normative Konkretisierung der Bundesärztekammer anvertraut. Hierbei stellt sich die Frage, wie eine möglichst verfassungskonforme Regelung erreicht werden kann, ohne dass ein rechtliches Vakuum entstünde, das den Teilhaberechten der Patienten an der Verteilung der knappen Spenderorgane noch stärker entgegenstünde als die derzeitige Rechtslage. Auf den ersten Blick scheint die Unvereinbarkeitserklärung als das passendere Instrument, um einem drohenden Rechtsvakuum entgegenzuwirken. Die für die Patienten geradezu lebenswichtige Frage der Allokationskriterien wäre bei Nichtigkeit des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG überhaupt nicht spezifiziert und konkretisiert. Die Transplantationszentren hätten bei der Entscheidung über die Wartelistenaufnahme nur noch die vagen und unbestimmten Rechtsbegriffe aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG als Orientierung zur Hand. Hierdurch entstünde freilich die Gefahr, dass noch stärker als bisher sozialerhebliche Wertungskriterien bei den Entscheidungen über die Aufnahme und Herausnahme aus der Warteliste an Einfluss gewinnen. Die ohnehin schwierige Abgrenzungsfrage nach der wissenschaftlichen Natur der Kriterien wäre nunmehr völlig in den Händen der Transplantationsärzte, was gerade durch die Konkretisierungen in den BÄK-Richtlinien verhindert werden sollte. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass beide möglichen Entscheidungsfolgen in der zivilrechtlichen Betrachtung34 hier zu einer weitgehend gleichen Rechtslage führen: Erklärt das BVerfG die Richtlinienermächtigung und Vermutungswirkung aus § 16 Abs. 1 TPG für verfassungswidrig, würde, wie oben beschrieben, § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG als einzige Maxime für die Wartelistenführung fortgelten. Die unbestimmten Rechtsbegriffe der Erfolgsaussicht und Notwendigkeit wären verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sozialerhebliche und normative Faktoren nicht berücksichtigt werden dürfen, sondern jeder Patient mit gesicherter medizinischer Indikation aufzunehmen ist.35 Bei der Bestimmung der Kontraindikationen wäre allein auf medizinische Kriterien zurückzugreifen, die zweifelsfrei darlegen, dass der gesundheitliche Zustand des Patienten oder eine bestehende Krankheit der Organübertragung entgegenstehen, sodass die Mindestnutzenschwelle nicht mehr erreicht werden kann. Nur wer bestimmt nun, wann dem medizinischen Standard entsprechend eine Kontraindikation in diesem Sinne gegeben ist, sodass eine Ablehnungsentscheidung bei der Warteliste gerechtfertigt wäre? Wie in anderen Bereichen des Medizinrechts kann auch an dieser Stelle zur Bestimmung des medizinischen Standards auf Empfehlungen, Leitlinien und Richtlinien zurückgegriffen werden, denen, 34
Vgl. Glp. § 4 III.5.c). Zum geltenden Recht ähnlich Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 677; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 171 f. 35
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je nach methodischer Entwicklungsstufe, eine indizielle Wirkung zukommt.36 Nach medizinrechtlicher Dogmatik ist die indizielle Berücksichtigung von S3-Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften sowie Richtlinien der Bundesärztekammer außerhalb des Transplantationsrechts einhellig anerkannt.37 Soweit sich die Richtlinien der BÄK auf die Beschreibung medizinischer Werte zur Bestimmung des Gesundheitszustands des Patienten beschränken, kommt auch den Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG diese Bedeutung bei der Bestimmung des medizinischen Standards zu. Nichts anderes ergäbe sich bei temporär befristeter Fortgeltung der Vermutungswirkung nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG. Der Regelungskomplex würde aufgrund des nicht erreichten demokratischen Legitimationsniveaus und des Verstoßes gegen die Wesentlichkeitstheorie als unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, die Vermutungswirkung aber hinsichtlich der inhaltlich nicht zu beanstandenden Regelungen aufrechterhalten. Die Vermutungswirkung würde für die medizinischen Kriterien bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber bestehen bleiben. Somit wäre die gleiche Rechtslage erreicht, die ebenso bestünde, wenn eine Nichtigkeitserklärung nach § 31 BVerfGG erfolgen würde. Der Unterschied in der Beweislastverteilung (echte Vermutungswirkung oder nur indizielle Berücksichtigung) ist nicht geeignet, derartige Verfassungsunsicherheiten zu erzeugen, dass auf die Unvereinbarkeitserklärung zurückgegriffen werden müsste. Als Fazit kann danach festgehalten werden, dass die verfassungsrechtlichen Defizite des Regelungskomplexes hinsichtlich Wesentlichkeitstheorie und Legitimationsniveau zur Nichtigkeit der Richtlinienermächtigung nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG sowie der Vermutungswirkung aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG führen werden. Die medizinischen Festsetzungen der Richtlinien entfalten jedoch unabhängig von der Vermutung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG eine indizielle Wirkung bei der Bestimmung des medizinischen Standards hinsichtlich der medizinisch zu bestimmenden Befunde der Organvermittlung, also im Wesentlichen der Indikation und Kontraindikation der Organübertragung. Die dargelegten Grundsätze gelten freilich erst nach einer Entscheidung des BVerfG. Insoweit ist – abgesehen von der Möglichkeit der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG – haftungsrechtlich zunächst von der Geltung der Vermutungswirkung hinsichtlich medizinischer Kriterien auszugehen. Für die weitere Betrachtung wird daher die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 16 Abs. 1 S. 2 TPG zugrunde gelegt.
Vgl. Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 40; i.Ü. Glp. § 5 III.2. Vgl. Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 52; sowie Glp. § 5 III.2.c). 36 37
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(2) Inhaltliche Festsetzungen der Richtlinien Für den Haftungsanspruch des Patienten wäre aber selbst bei einer Nichtgeltung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG nicht viel gewonnen. Ihm bliebe es lediglich erspart, sich mit den erhöhten Beweislastanforderungen bei der – in der Praxis kaum möglichen – Widerlegung der Richtlinienbestimmungen der BÄK abzufinden. Wie gezeigt greift aber selbst bei Außerachtlassung der Vermutungswirkung zugunsten der Festsetzungen der BÄK in den auf Grundlage des § 16 Abs. 1 TPG erlassenen Richtlinien eine indizielle Wirkung bei der Bestimmung des medizinischen Standards. Zu klären bleibt daher, wie sich die verfassungsrechtlichen Problemkreise auf die generelle Tauglichkeit der inhaltlichen Bestimmungen der BÄK-Richtlinien bei der Ermittlung des medizinischen Standards auswirken. Obwohl für die Richtlinien ein beachtenswerter normativer Geltungsanspruch besteht, sind sie freilich keine förmlichen Gesetze. Das BVerfG stellte erst vor kurzem im Zusammenhang mit einer auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützten Verfassungsbeschwerde klar, dass die Fachgerichte die Richtlinien umfassend „auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüfen, falls es für ihre Entscheidung darauf ankommt“38. Die dogmatische Einordnung der Richtlinien spiele insoweit keine Rolle.39 Entscheidend sei nur, dass kein förmliches Gesetz im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG vorliege.40 Das Gericht hat demnach die Festsetzungen der BÄK in zweierlei Hinsicht zu überprüfen: Zum einen hinsichtlich der Richtlinienkompetenz, die nur für den medizinischen Erkenntnisstand gilt. Zum anderen müssen die Kriterien auf ihre Grundrechtskonformität hinsichtlich der Lebenswertindifferenz, des Gleichheitssatzes und des derivativen Teilhabeanspruchs aus Art. 2 Abs. 2 i. V. m. 1 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip untersucht werden.41 Die zweite Ebene ist für den vorliegenden Beispielsfall entscheidungserheblich. Wie bereits unter § 342 gezeigt wurde, verstößt das Abstellen auf defizitäre Sprachkenntnisse gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, was zwar nicht mithilfe von Art. 3 Abs. 3 GG, dafür aber anhand der genannten Abwägungs- und Differenzierungsbetrachtung der Vergleichsgruppen begründet werden kann. Hieraus folgt ein klares Verbot der Berücksichtigung dieser Kriterien bei der Wartelistenführung, was über das Maß der verfassungsrechtli38
BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rz. 4. BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rz. 4; bereits vor der Entscheidung des BVerfG ebenso Zuck, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 68 Rn. 164. 40 BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rz. 4; ebenso Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 678. 41 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 ff.; Gutmann, in: Schroth/König/ Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 10. 42 Glp. § 3 III.2.d).cc). 39
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chen Bindung der privatrechtlich ausgestalteten Aufgabe der Wartelistenführung dogmatisch konstruiert werden kann. Legt das Transplantationszentrum wie im vorliegenden Fall nun doch die defizitären Sprachkenntnisse zur Bestimmung einer Kontraindikation der Entscheidung als non-Compliance zugrunde, handelt es pflichtwidrig. Als Ergebnis ist daher an dieser Stelle festzuhalten, dass das Transplantationszentrum hinsichtlich des objektiv zu bestimmenden medizinischen Standards pflichtwidrig gehandelt hat. Zwar führen die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse zu einer Erschwerung der medizinischen Heilbehandlung. Als ausschlaggebendes Kriterium für eine (medizinisch zu bestimmende) Kontraindikation dürfen sie aber nicht herangezogen werden, sofern es lediglich um die Aufnahme in die Warteliste und nicht den konkreten Übertragungseingriff an sich geht. Der medizinische Standard wurde somit falsch festgestellt und objektiv unterschritten. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Defizite der Kontraindikationsbestimmung lässt das Gericht sie bei der Bestimmung der Erforderlichkeit und Notwendigkeit der Organübertragung gemäß § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG außer Acht. Die Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG greift in diesen Fällen nicht ein. (3) Wartelistenführung als voll beherrschbares Risiko? § 630h Abs. 1 BGB sieht eine Fehlervermutung für Fälle vor, in denen sich ein allgemeines Behandlungsrisiko43 realisiert. Gemeint sind damit die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen zu sog. voll beherrschbaren Risiken.44 Entstammt die Verletzung einem voll beherrschbaren Aufgabengebiet, wird ein Behandlungsfehler zu Lasten der Behandelnden vermutet, während die Beweislast für die Verletzung und für die volle Beherrschbarkeit ebenso wie für den Schaden beim Patienten verbleibt.45 Betrachtet man die hiervon erfassten Fallgruppen, die vor allem der fehlerhaften Organisation von Behandlungsprozessen46 entspringen, zeigt sich, dass ein allgemeines Behandlungsrisiko in der medizinisch und juristisch hoch komplexen Thematik der Organallokation nicht gegeben ist. § 630h Abs. 1 BGB setzt voraus, dass sich das allgemeine Behandlungsrisiko in der Verletzung der Gesundheit des Patienten verwirklicht.47 Dies kann im Einzelfall aufgrund des Ausschlusses vom Vermittlungsverfahren vorliegen; von einem allgemeinen Erfahrungssatz, wonach „sämtliche Risiken (…) ärztliKritisch zur Terminologie Spickhoff, VersR 2013, 267, 279. Überblicksartig bei Hart, MedR 2013, 159, 163. 45 Hart, MedR 2013, 159, 163. 46 Hart, MedR 2013, 159, 163. 47 Deutsch, NJW 2012, 2009, 2011. 43
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cherseits voll ausgeschlossen werden können“, kann jedoch nicht die Rede sein.48 Vielmehr lässt sich die Wartelistenführung nicht auf rein technische Vorkehrungen und vermeidbare Fehler reduzieren. Sie muss unter Berücksichtigung der juristischen Wertungen immer umfassend dem Einzelfall gerecht werden und kann daher nicht als in jeder Hinsicht vermeidbares Risiko angesehen werden. cc) Wesentliche Erkenntnisse Bevor im nächsten Schritt auf die Frage der Kausalität eingegangen wird, sollen an dieser Stelle noch einmal die bis hierhin gewonnenen Erkenntnisse rekapituliert werden: 1. Die Verletzung der Wesentlichkeitstheorie und die Unterschreitung des notwendigen demokratischen Legitimationsniveaus werden zur Nichtigkeit der Richtlinienermächtigung aus § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG sowie der Vermutungswirkung aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG führen. Bis zur Entscheidung des BVerfG wirken sie dennoch zunächst als geltendes Recht fort. Insoweit ist bei gegebener Entscheidungserheblichkeit ein konkretes Normenkontrollverfahren durch das Gericht angezeigt, Art. 100 Abs. 1 GG. 2. Die medizinischen Festsetzungen der Richtlinien der Bundesärztekammer wirken, wie auch sonst im allgemeinen Behandlungsvertragsrecht, unabhängig von der Vermutung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG indiziell bei der Bestimmung des medizinischen Standards im Sinne des § 630a Abs. 2 BGB. 3. Den ordentlichen Gerichten kommt hinsichtlich der Richtlinien eine umfassende Prüf- und Verwerfungskompetenz bezüglich der Verletzung höherrangigen Rechts zu. Zur Bestimmung des medizinischen Standards sind normative Festsetzungen der Richtlinien sowie Regelungen, die gegen höherrangiges Recht, insbesondere die Grundrechte der potentiellen Organempfänger, verstoßen, außer Acht zu lassen. Dies gilt unabhängig von der innerhalb der Profession üblichen Praxis der Wartelistenführung. 4. Das Transplantationszentrum unterschreitet den medizinischen Standard und handelt pflichtwidrig, wenn es bei der Erhebung von Kontraindikationen nicht-medizinische oder verfassungsrechtlich zu beanstandende Kriterien heranzieht. Das Merkmal der fehlenden Compliance ist verfassungskonform res triktiv auszulegen. Mangelnde Sprachkenntnisse sind nicht geeignet, eine Nichtaufnahme in die Warteliste zu begründen.
Walter, GesR 2013, 129, 134; ähnlich Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 4 m. w. N. 48
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b) Beweishürde der Kausalität Die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler als vertragliche Pflichtverletzung sowie deliktsrechtliche Verletzungshandlung einerseits und der Gesundheitsverletzung als Rechtsgutsverletzung und Primärschaden andererseits gehört zu den Beweisschwierigkeiten, an denen regelmäßig die meisten Arzthaftungsprozesse scheitern.49 So gehört es grundsätzlich zu den prozessualen Aufgaben des Patienten, den Kausalzusammenhang zwischen standardwidriger Behandlung und eingetretenem Primärschaden darzulegen und zu beweisen.50 Während sich die haftungsbegründende Kausalität beweisrechtlich nach § 286 ZPO richtet, gelten für den Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität, hier des Zusammenhangs zwischen Primärschaden und Sekundärschäden, die Erleichterungen des § 287 ZPO.51 Geht man von einem einfach fahrlässigen Behandlungsfehler aus, der keinen nicht verantwortbaren und objektiv nicht mehr verständlichen, groben Behandlungsfehler darstellt, kommt auch die Beweislast umkehr nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB an dieser Stelle nicht in Betracht.52 Vielmehr bestimmt sich die Kausalitätsermittlung nach den allgemeinen Regeln. aa) Kausalität für Primärschaden: Gesundheitsverletzung Nach allgemeiner zivilrechtlicher Lehre ist die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler des Behandelnden und dem hier eingetretenen Gesundheitsschaden als dem maßgeblichen Primärschaden des Patienten in drei Stufen nach Äquivalenz, Adäquanz und dem Schutzzweck der Norm zu ermitteln. Da es sich bei der Nichtaufnahme des Patienten in die Warteliste wertungsmäßig um ein Unterlassen des Zentrums handelt, ist zunächst im Sinne der Äquivalenz- oder Bedingungstheorie zu fragen, ob der Schaden bei Hinzudenken der Wartelistenaufnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
49 Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 113; Kothe-Pawel, MedR 2010, 537, 538; allgemein zum Beweis der Kausalität Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 311 ff. 50 BGH, Urteil v. 27.3.2007 – VI ZR 55/05 = BGHZ 172, 1, 1 ff. (Vigabitrin-Verordnung); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 758 f.; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 7; Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 139 ff.; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1042. 51 Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 113; Olzen/Kaya, GesR 2013, 1, 3; Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 823 Rn. 20 ff.; Spickhoff, VersR 2013, 267, 280; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 56; im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 315 f. 52 Ausführlich zur Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB bzw. der richterrechtlichen Grundsätze zum Behandlungsfehler in Glp. § 6 I.3.c).
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entfiele.53 Eine bloße Wahrscheinlichkeit oder überwiegende Wahrscheinlichkeit ist grundsätzlich nicht ausreichend.54 Der BGH konkretisiert in ständiger Rechtsprechung das zu fordernde Niveau nach Maßgabe von § 286 ZPO, sodass für eine Zurechnung schon ausreicht, dass „ein Grad von Gewissheit“ besteht, „der Zweifeln eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers Schweigen gebietet“55.56 Entscheidend ist, dass durch Beachtung des medizinischen Sollstandards der richtige Befund und die richtige Therapie den Primärschaden verhindert hätten.57 Ein adäquater Kausalzusammenhang58 ist anzunehmen, wenn das Unterlassen der Wartelistenaufnahme „im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach regelmäßigem Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung eines Erfolgs geeignet ist“.59 Die Adäquanz ist von dem Standpunkt eines objektivierten Beobachters und nach der Prognose eines objektiv urteilenden Dritten zu bestimmen.60 Wendet man diese Grundsätze auf das Verhalten des Transplantationszentrums an, das den Patienten aufgrund von vermeintlich unüberbrückbaren Verständigungsproblemen nicht in die Warteliste zur Organvermittlung aufnahm, liegt das wesentliche Beweisproblem im Nachweis des Bedingungszusammenhangs. Evident ist, dass der behauptete Kausalzusammenhang zwischen Nichtaufnahme in die Warteliste und Gesundheitsschädigung jedenfalls nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Wahrscheinlichen oder generell Erwartbaren liegt. 53 Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 30 Rn. 3; Larenz, Lehrbuch des Schuld rechts, § 27 III, S. 443; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 977. 54 Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1034. 55 BGH, Urteil v. 8.7.2008 – VI ZR 274/07 = NJW 2008 2845, 1845. 56 St. Rspr., vgl. BGH, Urteil v. 9.5.1989 – VI ZR 268/88 = NJW 2948, 2949; BGH, Urteil v. 8.6.2004 – VI ZR 230/03 = NJW 2004, 2828, 2829; BGH, Urteil v. 22.11.2006 ‑ IV ZR 21/05 = NJW-RR 2007, 312, 313 Rz. 12; BGH, Urteil v. 8.7.2008 – VI ZR 274/07 = NJW 2008 2845, 1845; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 56 ff. 57 Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 117 f.; während bei der Widerlegung der Kausalitätsvermutung aus § 630h Abs. 5 BGB nicht einmal eine über 90%ige Unwahrscheinlichkeit des Kausalverlaufs genügen soll, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 384. 58 Hiergegen Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 58, der bereits den Bedingungszusammenhang über eine Zurechnung zur „Pflichtverletzung“ normativ einschränken will und das Kriterium der Adäquanz für „überflüssig“ hält. 59 RG, Urteil v. 22.6.1931 – VI 46/31 = RGZ 133, 126, 127; BGH, Urteil v. 9.10.1997 – III ZR 4/97 = NJW 1998, 138, 140; BGH, Urteil v. 16.4.2002 – VI ZR 227/01 = NJW 2002, 2232, 2233; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 30 Rn. 8; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 27 III, S. 435 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 983 f.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 681. 60 Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 984; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 681.
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Der Patient muss darlegen und beweisen, dass die Nichtaufnahme in die Warteliste und die damit verbundene Nichtberücksichtigung im Vermittlungsverfahren zu dem konkreten Gesundheitsschaden geführt hat. Dieser müsste mithin bei Hinzudenken der Wartelistenaufnahme mit einem gesicherten Grad an Wahrscheinlichkeit entfallen, sodass nach Sicht eines objektiven Betrachters keine tragenden Zweifel am vorgetragenen Kausalverlauf bestehen.61 Selbst dieses (bereits abgeschwächte) Maß an Beweisführung bedeutet für den Patienten eine große prozessuale Anstrengung. Er muss beweisen, dass ihm bei erfolgter Wartelistenaufnahme ein Organ vermittelt und übertragen worden wäre und dies den Gesundheitsschaden verhindert hätte. Konkret stellt sich die Frage nach dem Zurechnungszusammenhang des Gesundheitsschadens62 , da so gut wie nie ausgeschlossen werden kann, dass der Schaden auch bei Beachtung des medizinischen Standards deshalb eingetreten wäre, da die erfolgreiche Organvermittlung im kritischen Zeitraum eher Ausnahme als Regel in der Transplantationsmedizin ist. Zwar ist für die Berücksichtigung von Reserveursachen oder eines rechtmäßigen Alternativverhaltens die Behandlungsseite beweispflichtig.63 Hierauf käme es aber nur an, wenn zunächst der Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Primärschaden sicher feststünde.64 Gerade diesen Beweis wird der Patient aber regelmäßig nicht führen können. Besteht der Behandlungsfehler in einem Unterlassen des Arztes, trifft den Patienten die Beweislast, dass pflichtgemäßes Handeln den Schaden verhindert hätte.65 Unproblematisch entfällt der Zurechnungszusammenhang bereits dann, wenn der Patient zum fraglichen Zeitpunkt aus anderen, medizinisch gesicherten Gründen von der Warteliste ausgeschlossen gewesen wäre. Hat sich beispielsweise nach der Ablehnungsentscheidung beim Patienten ein nicht operativ behandelbarer, bösartiger Tumor gebildet, stehen spätestens zu diesem Zeitpunkt meist zwingende medizinische Gründe einer Aufnahme im Weg. Das Transplantationszentrum hätte den Patienten nach Erhebung dieses Befunds wieder von der Warteliste herausnehmen müssen, weil vor diesem Hintergrund die Organtransplantation nach der geltenden Rechtslage keine geeignete und Vgl. Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 17. 62 Vgl. Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 118. 63 Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 85; Greiner, in: Spickhoff, §§ 823 ff. Rn. 154. 64 BGH, Urteil v. 22.5.2012 − VI ZR 157/11 = NJW 2012, 2024, 2025 Rz. 12; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, C. Rn. 151; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 17 f.: Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 823 Rn. 31 ff. 65 BGH, Urteil v. 17.10.2002 – IX ZR 3/01 = NJW 2003, 295, 296 (dort unter Glp. II.2.a); BGH, Urteil v. 7.2.2012 – VI ZR 63/11 = NJW 2012, 850, 850 f. Rz. 11; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 17 f. 61
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standardgemäße Behandlungsmethode mehr darstellt.66 Ersetzbar wäre insoweit nur noch der erlittene Verzögerungsschaden, wenn der Nachweis gelänge, dass bereits vor dem Eintritt der Kontraindikation eine erfolgreiche Organübertragung möglich gewesen wäre. Sieht man von zwischenzeitlich eintretenden Kontraindikationstatbeständen ab, bleibt das allgemeine Beweislastproblem des Patienten bestehen, der nicht nur beweisen muss, dass ihm ein Organ zugeteilt worden wäre, sondern auch, dass der zuständige Transplantationschirurg das angebotene Organ angenommen, er selbst den Eingriff überlebt hätte und dadurch die Gesundheitsverletzung nicht eingetreten wäre. Diesen Beweis wird der Patient nicht führen können. bb) Grundsätze des Anscheinsbeweises Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang, ob jenseits der Beweislastumkehr aus § 630h Abs. 5 S. 1 BGB eine Beweislasterleichterung aus den Grundsätzen des Anscheinsbeweises bei transplantationsmedizinischen Behandlungen hinsichtlich der Organvermittlung in Betracht kommt. Nach den sog. Prima-facie-Grundsätzen des BGH, ist von einer Beweislast erleichterung aufgrund des ersten Anscheins nur auszugehen, wenn „eine konkrete Schädigung typischerweise auf einen bestimmten Vorgang zurückzuführen ist“67. Eine solche Typizität kommt dann in Betracht, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung der konkrete Geschehensablauf unterstellt werden kann,68 sich also der Kausalzusammenhang zwischen Fehlbehandlung und Schaden nach medizinischen Erfahrungssätzen geradezu aufdrängt.69 Sofern man dies bejaht, spricht eine typische Vermutung für einen solchen Kausalverlauf, den der Behandelnde wiederum durch den Vortrag erschüttern kann, dass aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls der beschriebene Geschehensablauf nicht mehr als typisch angesehen werden kann.70 Eine solche Typizität des Kausalverlaufs kann bei der Vermittlung von Organen nicht angenommen werden.71 Aufgrund des eklatanten Organmangels ergeben sich außerhalb des Hochdringlichkeitszustands enorme Wartezeiten von
Vgl. etwa BÄK, Leber, Glp. A.I.4; BÄK, Lunge, A.I.4. OLG Düsseldorf, Urteil v. 22.6.1995 – 8 U 137/94 = NJW 1995, 3060, 3060. 68 OLG Düsseldorf, Urteil v. 22.6.1995 – 8 U 137/94 = NJW 1995, 3060, 3060; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 286 Rn. 24; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 31 f.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 429; Prütting, in: MünchKomm, ZPO, § 286 Rn. 48 ff.; Saenger, in: Saenger, ZPO, § 286 Rn. 44 f. 69 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 762; Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 155 f. 70 BGH VersR 1981, 462; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 764. 71 Vgl. auch Kudlich, NJW 2013, 917, 918. 66 67
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durchschnittlich fünf bis sieben Jahren.72 Wurde der Patient in die Warteliste aufgenommen, ist damit keineswegs gesichert, dass er innerhalb dieser langen Zeitspanne ein Organ zugeteilt bekommen hätte, das den medizinischen Anforderungen einer Organübertragung genügt. Vielmehr ist es bis heute der Regelfall, dass Patienten nicht rechtzeitig geholfen werden kann. So starben etwa im Jahre 2012 von insgesamt ca. 2100 deutschen Wartelistenpatienten, die auf eine Spenderleber hofften, 273 Patienten und weitere 87 Patienten wurden aufgrund zwischenzeitlicher Gesundheitsverschlechterung abgemeldet, da ihr Zustand eine Organübertragung nicht mehr erlaubte.73 Die allgemeine jährliche Sterblichkeit aufgrund fehlender Spenderorgane liegt damit bei ca. 17%.74 An diesem Befund ändert auch die Berücksichtigung des Hochdringlichkeitszustands nichts, der besteht, wenn ohne zeitnahe Transplantation von einem baldigen Versterben des Patienten auszugehen ist. Zwar soll dann die Vermittlung eines Organs in der Regel innerhalb weniger Wochen erfolgen.75 Die Fälle, in denen die Patienten aber zwischenzeitlich einen Gesundheitszustand erreichen, der eine Operation grundsätzlich oder den intensivmedizinischen Eingriff der Organübertragung im Speziellen nicht mehr zulässt, sind hiervon allerdings nicht erfasst. Verschlechtert sich bei einem Patienten mit HU-Status der Gesundheitszustand so rapide, dass neben dem ursprünglich betroffenen Organ noch weitere Organe ausfallen, es insoweit zu einem Multiorganversagen kommt, wird dieser Fall von keinem Verteilungsmechanismus mehr abgebildet. Auch mit Blick auf den HU-Status besteht innerhalb der Mangelverwaltung in der Transplantationsmedizin kein Erfahrungssatz, der eine Organvermittlung bei Aufnahme in die Warteliste per se als sich aufdrängenden Geschehensablauf nahe legen würde. Vielmehr gehört die späte Berücksichtigung bei der Organvermittlung zu den Risiken, die der Erkrankung des Patienten anhaften und grundsätzlich nicht auf den Arzt verlagert werden dürfen. Da sich der Patient auf die Fehlbehandlung des Zentrums stützt, obliegt es auch ihm nachzuweisen, dass die Nichtaufnahme ursächlich für die ausbleibende Organvermittlung und die Gesundheitsverschlechterung war. Hinsichtlich der anderen nachweispflichtigen Kausalzusammenhänge besteht ebenfalls kein allgemeiner Erfahrungssatz, der einen Anscheinsbeweis für den Patienten rechtfertigen würde. Allein im Jahr 2012 stand eine transplantierte Leber durchschnittlich 4,3 vom zuständigen Transplantationschirurgen abgelehnten Organen gegenüber, da entweder die Organqualität oder sonstige phy72 So am Beispiel der Niere: DSO, 2015, abrufbar unter: http://www.dso.de/organspen de-und-transplantation/warteliste-und-vermittlung/niere.html, zuletzt am 6.9.2016. 73 Zahlenmaterial bei Verrel, MedR 2014, 464, 465. 74 Verrel, ebda.; diese Zahl darf auf keinen Fall mit der Wahrscheinlichkeit verwechselt werden, mit der ein Patient von einer rechtzeitigen Organzuteilung ausgehen kann. 75 BÄK, Niere, Glp. III.4.7; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 228.
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siologische Umstände eine Organübertragung nach dem medizinischen Beurteilungsspielraum des Arztes nicht zuließen.76 Der Nachweis, dass der Patient den Eingriff überlebt hätte, wird ebenso wenig durch einen Anscheinsbeweis erleichtert. Vielmehr liegt die unmittelbare Sterblichkeit der Patienten am Tag und am Folgetag der Operation bei ca. 5%, während die stationäre Gesamtsterblichkeit bei ca. 20% liegt.77 Besteht kein in der medizinischen Fachwelt anerkannter Erfahrungssatz für dieses Kausalverhältnis, sind die Grundzüge des Prima-facie-Beweises auch nicht sachgemäß, da es ansonsten zu einer Vermischung aus krankheitsbedingten und iatrogenen Risiken im Rahmen des Bedingungszusammenhangs käme. cc) Zwischenergebnis Aufgrund nicht überbrückbarer Beweishindernisse scheitert ein haftungsrechtlicher Anspruch ohne Beweislastumkehr an der vom Patienten nachzuweisenden Kausalität zwischen der ungerechtfertigten Nichtberücksichtigung in der Wartelistenführung und dem eingetretenen Gesundheitsschaden des Patienten. Eine allgemeine Lebenserfahrung, wonach einem gelisteten Patienten grundsätzlich ein Organ so rechtzeitig zugeteilt wird, dass keine Verschlechterung des Gesundheitszustands einträte, besteht angesichts des gravierenden Organmangels nicht. Vor diesem Hintergrund kommen auch die Prima-facie-Grundsätze zum Anscheinsbeweis nicht in Betracht. dd) Schutzzweck von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG Die Frage nach einer Haftung des Transplantationszentrums wirft darüber hinaus auch Probleme hinsichtlich der Reichweite des Schutzzwecks der verteilungsrelevanten Regelungen des TPG auf. Sieht man von den ohnehin nicht zu überwindenden Beweisschwierigkeiten des Bedingungszusammenhangs ab, müsste nach der Schutzzwecklehre die verletzte Pflicht aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG zumindest auch den Eintritt dieses Gesundheitsschadens des Patienten verhindern, unabhängig davon, ob der Schaden bei pflichtgemäßem Verhalten entfiele.78 Verstünde man den Schutzzweck des gesamten Organvermittlungssystems wie das LG Göttingen79 einzig im allgemeinen, nicht aber im konkreten Lebensschutz80, wäre fraglich, ob eine Haftung wegen einer VerletVerrel, MedR 2014, 466, 465. Verrel, MedR 2014, 464, 466. 78 Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 30 Rn. 12; Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 257; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 27 III, S. 440 f.; Looschelders, Schuld recht AT, Rn. 988 ff.; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 59. 79 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 389 ff. 80 So etwa LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 389 ff. 76
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zung dieser Pflichten noch in Betracht käme. Die Ausführungen des LG Göttingen sind vor diesem Hintergrund haftungsrechtlich relevant. So ist der Schutzbereich der verletzten Sorgfaltspflicht auf das von der Norm umfasste Interesse beschränkt.81 Eingetretene Gesundheitsschäden sind nur insoweit vom Schutzzweck der Haftungsnorm des § 823 Abs. 1 BGB erfasst, als die verletzte Pflicht gerade vor individuellen Gesundheitsverletzungen schützen möchte.82 Sofern sich die Ausführungen des LG Göttingen bei der Schutzzweckbestimmung der Organverteilungsregeln nicht nur auf § 12 Abs. 3 TPG, sondern ebenfalls auf Pflicht und Maßstab der Transplantationszentren aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG beziehen, ist es rechtsirrig, wenn es davon ausgeht, dass auch die Pflicht des Transplantationszentrums nur allgemeinen, nicht individuellen Interessen zu dienen bestimmt ist. So geht die Gesetzesbegründung zum Transplantationsgesetz, wie bereits erwähnt, eindeutig von einer privatrechtlichen Pflicht zur Wartelistenführung aus dem Behandlungsvertrag aus.83 Wie bereits in § 484 gezeigt wurde, ergibt sowohl die subjektiv-historische als auch die objektiv-teleologische Auslegung eine privatrechtliche Pflicht gerade gegenüber dem behandelten Patienten.85 Dies folgt insbesondere aus der weitgehenden Identität zwischen medizinischem Erkenntnisstand und medizinischem Standard sowie der Tatsache, dass § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG, anders als § 12 Abs. 3 TPG, nicht an die Dringlichkeit anknüpft, sondern allein die Notwendigkeit zum Bezugspunkt der Wartelistenaufnahme nimmt. Bejaht man mit dem historischen Gesetzgeber auch im heutigen System den privatrechtlichen Charakter dieser Pflicht, ist im Übrigen evident, dass die Wartelistenaufnahme als Vorbereitungshandlung für eine spätere Organvermittlung und -übertragung gerade dem Gesundheitsinteresse des einzelnen Patienten zu dienen bestimmt ist.86 Die Zentren sind mit der Berücksichtigung des medizinischen Standards bei der Wartelisteaufnahme dem Interesse des Patienten verpflichtet, die medizinische Indikation zum Anlass der Wartelistenaufnahme zu nehmen. Dass aber die Einhaltung des medizinischen Standards innerhalb eines Behandlungsvertrages den Gesundheitsinteressen des Patienten Rechnung trägt, ist insoweit unstrittig. Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 370. Vgl. Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 118 f.; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 1032 ff.; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 370; 83 BT-Drs. 13/4355, S. 22. 84 Glp. § 4 III.5. 85 Wie hier Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 677; Gutmann, in: Schroth/ König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 10 („subjektiv-individuellen Anspruch“); Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 11; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S.171 f. 86 Vgl. insoweit zutreffend auch Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S.171 f., die bei gesicherter Indikation ein „subjektives Recht auf Registrierung“ annimmt. Ebenso Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 10, der in § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG eine Schutznorm zugunsten des behandelten Patienten sieht. 81
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Die Verletzung des medizinischen Standards bei der Wartelistenentscheidung soll eindeutig auch den Gesundheitsinteressen des vom Zentrum behandelten Patienten dienen. Die Frage nach dem Schutzzweck der Organvermittlungs regeln nach § 12 Abs. 3 TPG ist hiervon strengstens zu trennen.87 c) Ergebnis Ob der Patient trotz der hohen Beweislasthürde den Kausalitätsnachweis führen kann, erscheint sehr zweifelhaft, ist aber zentrale Tatfrage des jeweiligen Einzelfalls. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Patient ohne die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern den Kausalzusammenhang zwischen Nichtaufnahme in die Warteliste und konkreter Gesundheitsschädigung nicht führen kann. Weder greift zu seinen Gunsten die verkürzte Beweislast über die Grundsätze des Anscheinsbeweises ein, noch kann er durch eigene Beweisführung die haftungsbegründende Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsverletzung darlegen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht in besonders gelagerten Hochdringlichkeitsfällen. Zwar ist hier in lebensnaher Betrachtung von einer zeitnahen Organvermittlung auszugehen. Den Nachweis aber, dass daraufhin der Transplantationschirurg der Annahme des Organs zugestimmt hätte, die Operation erfolgreich verlaufen wäre und immunologische Abstoßungsreaktionen nicht eingetreten wären, wird ohne die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB nicht zu führen sein.
3. Wartelistenführung und grober Behandlungsfehler, § 630h Abs. 5 S. 1 BGB An die bisherigen Betrachtungen anknüpfend, soll nunmehr Anwendbarkeit und Einschränkung des Kausalitätsvermutung des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB für grobe Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Wartelistenführung des Transplantationszentrums haftungsrechtlich untersucht werden. Zur Veranschaulichung soll folgender Fall aufgegriffen werden, den das Verwaltungsgericht München88 im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu entscheiden hatte, aber aufgrund des fehlenden Fortsetzungsfeststellungsinteresses abwies. Der Berufungszulassungsantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof 89 blieb erfolglos. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht schon gar nicht zur Entscheidung angenommen.90 87
Glp. § 6 I.2.b).aa).(2). VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = NJW 2014, 3467, 3467 ff. 89 VGH München, Beschluss v. 15.6.2015 – 5 ZB 14.1919 = BeckRS 2015, 48093. 90 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 – , juris. 88
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a) Sachverhalt: VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 Geklagt hatte eine Patientin, die an einer chronischen Autoimmunerkrankung litt und deshalb eine Spenderniere benötigte. Nachdem bereits im Jahre 2001 eine Nierentransplantation über die Lebendspende der Mutter der Patientin durchgeführt wurde, das Transplantat aber bereits ein Jahr später aufgrund Transplantatversagens ausfiel, befand sich die Klägerin zur Behandlung im Dialysezentrum des behandelnden Transplantationszentrums. Im Jahre 2012 erwog der Ehemann ebenfalls eine Lebendspende zugunsten der Ehefrau durchzuführen. Nach einer Blutentnahme, die im weiteren Verlauf aber nicht vom Zentrum untersucht wurde, und einem Beratungsgespräch mit dem zuständigen Leiter der Chirurgie für Nierentransplantationen wurde eine Lebendspende des Ehemanns als ungeeignet abgelehnt. Hiergegen wandte sich der Ehegatte in einer E-Mail, in der er zum einen kritisierte, dass er wegen eines negativen Bescheids von Coburg nach München anreisen musste. Zum anderen sei für ihn nicht verständlich, weshalb die entnommenen Blutproben nicht einmal untersucht wurden. Anlass der nun folgenden rechtlichen Problematik war jedoch der Schlusssatz der E-Mail: „Ich nehme an, dass ich mich mit der Beantwortung meiner Fragen nicht an die Klinikleitung bzw. die KV o. ä. wenden muss.“91 Was nun folgt ist eine in jeder Hinsicht erstaunliche Reaktion des behandelnden Arztes, welcher im letzten Satz eine „unverhohlene Drohung“ sah, weshalb „eine vertrauensvolle Behandlung“ der Ehefrau nicht weiter möglich gewesen sei. Die Patientin wurde daraufhin bei Eurotransplant aufgrund vermeintlich fehlender Compliance als „nicht transplantabel“92 gemeldet. Eine inhaltliche Auseinandersetzung dieser Fallkonstellation ist durch die Fachgerichte nicht erfolgt. Da sich der Gesundheitszustand rasant verschlechterte und eine Transplantation aufgrund medizinischer Kriterien ausschied, habe sich die Sache erledigt. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wurde sowohl durch das VG München als auch den Bayerischen VGH verneint und die Klage wegen fehlender Zulässigkeit daraufhin abgewiesen. Die hiergegen vorgebrachte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.93 b) Schuldhafter grober Behandlungsfehler Der geschilderte Sachverhalt zeigt in ungewöhnlichem Maße, wie stark die „weichen“ Kriterien der Compliance und das Erfordernis eigener Mitarbeit des Patienten durch die Praxis fehlinterpretiert werden können. In medizinrechtlicher Hinsicht stellt sich hierbei zum einen die Frage, unter welchen Vorausset91
VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808 = NJW 2014, 3467, 3467 ff. Zur Bedeutung des NT-Status vgl. Darstellung unter Glp. § 3 II.1.b).cc).(2). 93 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 6.7.2016 – 1 BvR 1705/15 – , juris. 92
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zungen das Transplantationszentrum und der behandelnde Arzt selbst zu Verantwortung zu ziehen sind. Zum anderen gewinnt die Frage nach beweisrechtlichen Modifizierungen zugunsten des Patienten an Bedeutung. Unter dem Gesichtspunkt, dass der behandelnde Arzt an primär nichtmedizinische Kriterien zur Begründung der Herausnahme aus der Warteliste anknüpft, kommt ein grober Behandlungsfehler nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB in Betracht. Der Gesetzgeber knüpft durch das Patientenrechtegesetz zwar an die bisherige Rechtsprechung zur Kausalitätsvermutung an, definiert den Begriff aber ebenso wenig, wie der bisherigen Rechtsprechung eine allgemeingültige Definition zu entnehmen war.94 Die Bewertung eines „groben“ Behandlungsfehlers muss das erkennende Gericht vielmehr nach einer „Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände“ treffen.95 Nach den Rechtsprechungsgrundsätzen ist jedenfalls anerkannt, dass ein grober Behandlungsfehler bei einem Fehlverhalten anzunehmen ist, das aus „objektiver Sicht und bei ex-ante Betrachtung nicht mehr verständlich und verantwortbar ist, weil einem Arzt ein solcher Fehler schlechterdings nicht unterlaufen darf“96. Ein grober Behandlungsfehler muss sich bei einer Gesamtbetrachtung des konkreten ärztlichen Verhaltens als „fundamentalen Irrtum“97 und „elementaren Fehler“98 darstellen, der als „Verstoß gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse“99 zu werten ist. Relevant ist die objektive Tragweite des Behandlungsfehlers nach den Umständen des Einzelfalls100, wogegen der Schwere der subjektiven Vorwerfbarkeit keine Bedeutung zukommt.101 Gemessen an diesem Maßstab stellt die Herausnahme der Patientin im hier betrachteten Fall einen groben Behandlungsfehler dar. Die medizinisch indizierte Wartelistenführung der Patientin wird abgebrochen und dadurch der Weg zur Organvermittlung und Organübertragung durch das Transplantationszen trum beendet. Dem Herausnehmen aus der Warteliste, das wie hier eindeutig 94 Deutsch, NJW 2012, 2009, 2012; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 4 41 f.; Rehborn, GesR 2013, 257, 271. 95 BGH, Urteil v. 8.3.1988 – VI ZR 201/87 = NJW 1988, 1511, 1512; BGH, Urteil v. 10.11.1987 – VI ZR 39/87 = NJW 1988, 1513, 1514; OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134, 1134. 96 St. Rspr. vgl. BGH, Urteil v. 3.7.2001 – VI ZR 418/99 = VersR 2001, 1116, 1117; BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 103 sowie BT-Drs. 17/10488, S. 30; Rehborn, GesR 2013, 257, 271. 97 BGH, Urteil v. 10.11.1987 = NJW 1988, 1513, 1513. 98 BT-Drs. 17/10488, S. 30; Spickhoff, VersR 2013, 267, 280. 99 St. Rspr., vgl. BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 103; BGH, Urteil v. 20.9.2011 – VI ZR 55/09 = NJW 2011, 3442, 3442; BGH, Urteil v. 25.10.2011 – VI ZR 139/10 = NJW 2012, 227, 228. 100 BT-Drs. 17/10488, S. 30. 101 Walter, GesR 2013, 129, 131 m. w. Rspr.Nachw.
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auf nichtmedizinischen Kriterien beruht, geht in aller Regel eine konkludente Kündigung des Behandlungsvertrages einher.102 Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass das nachdrückliche Verlangen einer nicht indizierten ärztlichen Maßnahme das Krankenhaus zur Kündigung des Behandlungsvertrages berechtigen kann.103 Diese Fallkonstellation ist aber in zweifacher Hinsicht nicht gegeben: Zum einen fehlt es an einem dauerhaften Verlangen, da lediglich Art und Weise der ärztlichen Behandlung, nicht aber die ärztliche Methodenwahl an sich (hier die Ablehnung der Lebendorganspende) kritisiert wird. Zum anderen fehlt es an einer Zurechnungsnorm, nach der sich die Patientin das Verhalten ihres Ehemanns zurechnen lassen müsste.104 Der bloße Hinweis auf weitere Schritte hinsichtlich der als unsachgemäß empfundenen Umgangsweise führt nicht zu einer Zerrüttung des Arzt-Patienten-Verhältnisses, die einer Organübertragung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft endgültig im Weg stünde. Letzteres ist für die Herausnahme aus der Warteliste aufgrund fehlender Compliance aber mit Blick auf die objektive Grundrechtswirkung des Rechtsguts Leben und des derivativen Teilhabeanspruchs der Patienten unter Berücksichtigung der Chancengleichheit bei der Vermittlung und Zuteilung postmortal gespendeter Organe zu fordern.105 Die Pflichtwidrigkeit der Herausnahme hätte sich jedem vernünftig denkenden Arzt aufdrängen müssen. Auch auf der juristischen Laienebene ist evident, dass man das Instrument der Wartelistenführung nicht als Druck- oder Sanktionsmittel für vermeintlich ungebührliches Verhalten der Patienten oder deren Ehegatten einsetzen kann. Die Besetzung der Warteliste hat vielmehr nach medizinischen Kriterien, die sich am Gesundheitszustand des Patienten orientieren, zu erfolgen und darf nicht zum ärztlichen Ventil für unsachgemäße Gegenschläge werden. Ebenfalls unerheblich wäre der Einwand, der Arzt sei von einer medizinischen Relevanz des vermeintlich zerrütteten Vertrauensverhältnisses ausgegangen und die fehlende Compliance hätte sich als tatsächliche Kontraindikation dargestellt. Zweifelsfrei handelte es sich dann hinsichtlich der non-Compliance als Kontra indikation um einen fundamentalen Diagnosefehler, der, wie die ständige Rechtsprechung106 und die Gesetzesbegründung107 eindeutig klarstellen, als Unterfall102
VG München, Urteil v. 26.6.2014 – M 17 K 13.808, Rn. 33. Vgl. Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 40 Rn. 7 f. (insb. dort Nr. 7); Krieger, MedR 1999, 519, 520 ff.: Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 73 Rn. 22. 104 Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3400: „offen rechtswidrig“. 105 Vgl. zur Auslegung von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG die Ausführungen unter Glp. § 4 III.5; zudem Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 377 f. 106 Vgl. etwa BGH, Urteil v. 10.11.1987 – VI ZR 39/87 = NJW 1988, 1513, 1514; BGH, Urteil v. 14.7.1992 – VI ZR 214/91 = NJW 1992, 2962, 2963; BGH, Urteil v. 12.2.2008 – VI ZR 221/06 = NJW 2008, 1381, 1382. 107 BT-Drs. 17/10488, S. 31. 103
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gruppe von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB dem groben Behandlungsfehler gleichzusetzen ist. Das diesbezügliche Leitbild des medizinischen „Examenskandidaten“108, dem ein grober Behandlungsfehler grundsätzlich aufzufallen hat, kann hier als erfüllt angesehen werden. Evident ist, dass eine vermeintliche Kränkung des behandelnden Arztes, zumal in derart harmloser Form, keine tragende Erwägung für eine Herausnahme aus der Warteliste sein kann. In diesem Zusammenhang kann zudem auf eine Entscheidung des OLG Stuttgart verwiesen werden, in der das Nichtweiterleiten von Befundergebnissen über einen längeren Zeitraum als grober Behandlungsfehler eingestuft wurde.109 Insoweit kann zu Recht angenommen werden, dass ein wissentliches Herausnahmen des Patienten von der Warteliste auf ungesicherter Rechtsgrundlage erst recht einen schweren, nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB groben Behandlungsfehler begründet.110 An diesem Beispiel zeigt sich sehr anschaulich, dass nicht nur die Gesetzeskonstruktion des TPG-Gesetzgebers, sondern auch die inhaltlichen Festsetzungen der BÄK‑Richtlinien in der Praxis zu erheblichem Missbrauch verleiten können. Die weite Formulierung, mit der das Compliance-Kriterium als Anknüpfungspunkt für eine Kontraindikation für zulässig erklärt wird, suggeriert, dass die Berücksichtigung der „Mitarbeit“ des Patienten zum Katalog sachgemäßer Auswahlkriterien bei der Wartelistenführung zählen würde. Dabei wird nicht ausreichend deutlich, dass unter Berücksichtigung der Grundrechtspositionen der Patienten eine fehlende Compliance als absolute Ausnahmekonstellation nur dann der Wartelistaufnahme im Wege stehen kann, wenn dadurch die Operation und die Chancen auf das Erreichen der Mindestnutzenschwelle nach medizinischen Maßstäben ernsthaft in Frage gestellt werden. Die Anforderungen hierfür sind erheblich höher anzusetzen, als die anerkannten Fallgruppen, die das Krankenhaus sonst zur Kündigung des Behandlungsvertrages berechtigen. Ob dies in Ausnahmefällen der Fall ist, bleibt der Klärung der Gerichte unter Berücksichtigung medizinischer Sachverständigengutachten vorbehalten. In dem hier gelagerten Fall bestehen an der offen rechtswidrigen111 Prüfungsentscheidung des Transplantationszentrums keine ernsthaften Bedenken. c) Kausalitätsvermutung nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB Die größte für den Patienten zu überwindende Hürde ist im Prozess der Nachweis, dass das Unterschreiten des medizinischen Standards kausal zu einer Ver108
BT-Drs. 17/10488, S. 31. OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134, 1134 f.; Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1280. 110 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1280. 111 Feststellend Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3400. 109
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schlechterung des Gesundheitszustands führte. Dies wird ihm, wie bereits in der vorherigen Fallgruppe, durch eine eigene Beweisführung kaum gelingen. Der Patient müsste beweisen, dass bei Hinwegdenken der sachwidrig in die Entscheidung einbezogenen Kriterien, eine Aufnahme in die Warteliste erfolgt und ihm im Vermittlungsverfahren ein Organ zugeteilt sowie erfolgreich implantiert worden wäre, sodass es nicht zur eingetretenen Gesundheitsverschlechterung gekommen wäre, sog. conditio sine qua non.112 Diese in der Regel unüberwindbare Beweislasthürde des Patienten könnte im vorliegenden Fall des groben Behandlungsfehlers mit Hilfe der in § 630h Abs. 5 S. 1 BGB angeordneten Beweislastumkehr für den Kausalzusammenhang überbrückt werden. § 630h Abs. 5 S. 1 BGB vermutet, dass der grobe Behandlungsfehler kausal für den Eintritt des Primärschadens des Patienten war.113 Möchte man die Vermutung widerlegen, was nach § 292 S. 1 ZPO grundsätzlich möglich ist, muss der Gegenbeweis zur vollen Überzeugung des Gerichts, mithin gemäß § 286 ZPO, erfolgen. Die Beweishürde der (widerlegbaren) Vermutung und der Beweislastumkehr ist identisch.114 Aus dem angestrebten Gleichlauf aus vertraglicher und deliktischer Haftung ergibt sich insoweit die unmittelbare Anwendung der Norm im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB und die analoge Anwendung115 für deliktsrechtliche Haftungstatbestände. aa) Grundsätzliche Verletzungsgeeignetheit Neben einem als grob eingestuften Behandlungsfehler setzt die Kausalitätsvermutung voraus, dass der Behandlungsfehler grundsätzlich geeignet sein muss, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art hervorzurufen, § 630h Abs. 5 S. 1 BGB An diesem Erfordernis zeigt sich der Grund für die Kausalitätsvermutung. Die ständige Rechtsprechung116 und der Gesetzgeber117 gehen davon aus, dass jedem ärztlichen Fehler eine Erschwernis der Aufklärbarkeit der Kausalverhältnisse anhaftet und grobe Behandlungsfehler aus Billigkeitsgründen dazu füh112 Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 27; BGH, Urteil v. 24.6.1986 – VI ZR 21/85 = VersR 1986, 1121, 1122; BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 103. 113 BGH, Urteil v. 21.9.1982 – VI ZR 302/80 = NJW 1983, 333, 334; BGH, Urteil v. 28.6.1988 – VI ZR 210/87 = NJW 1988, 2948, 2948 f.; BGH, Urteil v. 16.11.2004 – VI ZR 328/03 = NJW 2005, 427, 428; Deutsch, NJW 2012, 2009, 2012; Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447, 450; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 15; Walter, GesR 2013, 129, 131. 114 Katzenmeier, NJW 2013, 817, 821; Prütting, in: MünchKomm, ZPO, § 286 Rn. 132 f. 115 Spickhoff, VersR 2013, 267, 281; ders., in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 3. 116 BGH, Urteil v. 21.9.1982 – VI ZR 302/80 = NJW 1983, 333, 334; BGH, Urteil v. 16.11.2004 – VI ZR 328/03 = NJW 2005, 427, 428. 117 BT-Drs. 17/10488, S. 30.
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ren, dass dem Patienten die Belastung mit dem Kausalitätsnachweis nicht mehr zumutbar ist. Nur wo der grobe Behandlungsfehler abstrakt-generell nicht geeignet sein kann, einen (zusätzlichen) Kausalbeitrag für den konkret eingetretenen Schaden zu darzustellen, bleibt für die Verschiebung der Beweislastsymmetrie aus Billigkeitsgründen kein Raum mehr.118 Für die Erfolgsgeeignetheit im Sinne des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB genügt, dass eine Mitursächlichkeit des groben Behandlungsfehlers für die eingetretene Verletzung der Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Patienten nicht von vornherein ausscheidet, sondern ernsthaft in Betracht kommt.119 Wie die bisherige Korrektivrechtsprechung120, nach der ein vermuteter Zurechnungszusammenhang nicht völlig unwahrscheinlich sein darf, zeigt, ist es nicht Gegenstand der grundsätzlichen Verletzungsgeeignetheit an dieser Stelle eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung vorzunehmen.121 Vielmehr genügt die theoretische Mitursächlichkeit des Handelns in Anbetracht der konkreten Verletzung des Patienten.122 Die Kausalitätsvermutung läuft dem Billigkeitsgedanken nicht etwa deshalb entgegen, weil sich im Einzelfall die „Überlebenschancen nur etwas verschlechtert haben“123. Die Herausnahme aus der Warteliste führt dazu, dass der Patient in der einheitlichen Warteliste von Eurotransplant nach § 12 Abs. 3 S. 2 TPG nicht aufgenommen und im Vermittlungsprozess der einzelnen Organe nicht berücksichtigt wird. Verschlechtert sich daraufhin der Gesundheitszustand, der durch eine erfolgreiche Organvermittlung und ‑übertragung nicht eingetreten wäre, realisiert sich in dieser Verschlechterung der körperlichen Verfassung des Patienten die fehlerhafte Wartelistenentscheidung. Von dem Nachweis der konkreten Kausalität einmal abgesehen, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Herausnahme aus der Warteliste eine mögliche Organübertragung verhindert und daher zumindest mitursächlich für den verlängerten und ihm Rahmen progressiv verlaufender Krankheiten verschlechterten Krankheitsverlauf ist.
118 Zum Motiv der Vermutung: Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 21 f.; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, XI. Rn. 75 ff. 119 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 14. 120 St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil v. 28.6.1988 – VI ZR 217/87 = r+s 1989, 254, 256; BGH, Urteil v. 16.11.2004 – VI ZR 328/03 = NJW 2005, 427, 428; BGH, Urteil v. 7.6.2011 – VI ZR 87/10 = NJW 2011, 2508, 2508. 121 Walter, GesR 2013, 129, 131; insoweit ist die Regierungsbegründung verfehlt, die annimmt, dass bei unwahrscheinlichen Kausalverläufen auch die grundsätzliche Erfolgsgeeignetheit entfiele, vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 56 sowie Walter, a. a. O.: „Flüchtigkeitsfehler“. 122 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 14; ders., VersR 2013, 267, 280; Katzenmeier, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, XI. Rn. 71. 123 BGH, Urteil v. 21.9.1982 – VI ZR 302/80 = NJW 1983, 333, 334.
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§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche
Dem steht nicht entgegen, dass der Arzt bei der Übernahme der Behandlung nur die behandlungsspezifischen, nicht aber die der Krankheit selbst innewohnenden Risiken übernimmt. Die Verschlechterung des Gesundheitszustands ist Folge der iatrogenen Risiken, wenn sie, wie im Rahmen der Wartelistenführung, durch eine sachgemäße Behandlung vermeidbar gewesen wäre. Nur soweit sich eine behandlungsunabhängige Krankheitsentwicklung im konkreten Gesundheitsschaden aktualisiert, scheidet eine Verletzungsgeeignetheit aus.124 Die fehlerhafte Wartelistenführung ist daher grundsätzlich, d. h. vom konkreten Einzelfall abstrahiert, geeignet, die Organübertragung zu vereiteln und damit für einen ungünstigeren Krankheitsverlauf (mit-)ursächlich. bb) Rechtsprechungskorrektiv: „Nicht äußerst unwahrscheinlich“ Vor der Kodifizierung des Behandlungsvertragsrechts entsprach es der ständigen Rechtsprechung des BGH, die richterrechtlich entwickelte Beweislastumkehr für grobe Behandlungsfehler korrigierend einzuschränken. So kam sie in solchen Fällen nicht in Betracht, in denen der Ursachenzusammenhang trotz des groben Behandlungsfehlers äußerst unwahrscheinlich war und die Beweislast umkehr zu realitätsfernen Ergebnissen führte sowie nicht mehr von einem zugrunde liegenden Erfahrungssatz getragen war.125 Es reicht insbesondere nicht aus, dass der Kausalverlauf bei einer Gesamtbetrachtung nur als unwahrscheinlich anzusehen ist.126 Die Beweislast trägt das Krankenhaus, das den Beweis führen muss, dass die in Rede stehende Kausalitätsbeziehung „äußerst unwahrscheinlich“ ist.127 Dass diese Korrektivrechtsprechung in § 630h Abs. 5 S. 1 BGB nicht aufgenommen wurde, ist zweifellos in Anbetracht der Zielsetzung des Gesetzgebers bei Erlass des Patientenrechtegesetzes unglücklich128 und hätte mit einem einfachen Halbsatz leicht umgesetzt werden können. Dennoch zeigt die Gesetzesbegründung129 und die grundsätzlichen Wertungen der Ausnahme, dass auch nach neuem Recht die Rechtsprechungsgrundsätze unverändert fortgelten sollen.130
Vgl. Greiner, in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, B. Rn. 195 ff. Vgl. für die st. Rspr. BGH, Urteil v. 28.6.1988 – VI ZR 217/87 = r+s 1989, 254, 256; BGH, Urteil v. 16.11.2004 – VI ZR 328/03 = NJW 2005, 427, 428; BGH, Urteil v. 7.6.2011 – VI ZR 87/10 = NJW 2011, 2508, 2508; Thurn, MedR 2013, 153, 156; 126 Spickhoff, NJW 2004, 2345, 2345. 127 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 777; Spickhoff, VersR 2013, 267, 280; Thurn, MedR 2013, 153, 156; Walter, GesR 2013, 129, 131. 128 Ähnlich Rehborn, GesR 2013, 257, 271. 129 BT-Drs. 17/10488, S. 31. 130 Vgl. Rehborn, GesR 2013, 257, 271; Thurn, MedR 2013, 153, 156; Walter, GesR 2013, 129, 131; für die Praxis vgl. Haak, Der freie Zahnarzt 2015, 50, 51. 124 125
I. Ansprüche aus fehlerhafter Wartelistenführung
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Kausalverläufe sollen insbesondere dann als äußerst unwahrscheinlich anzusehen sein, „wenn sich eindeutig nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt“131. Die Gesetzesbegründung ist insofern missverständlich, als sie die Realisierung eines anderweitigen Risikos als Unterfall des äußerst unwahrscheinlichen Kausalverlaufs ansieht. Bereits der Bundesrat wies darauf hin, dass beide Fallgruppen grundsätzlich getrennt voneinander zu betrachten sind.132 Unterbleibt die Wartelistenaufnahme aufgrund schlechterdings völlig unverständlicher Motive, realisiert sich in der Nichtzuteilung und Verzögerung der Heilungschance nach einer theoretischen Betrachtung im geltend gemachten Gesundheitsschaden das Risiko, dass den Behandlungsfehler als grob erscheinen lässt. Dem Patienten wird sein Recht auf derivative Teilhabe an der Verteilung der gespendeten Organe vorenthalten. Da die Organübertragung die einzige therapeuthische Maßnahme darstellt, die zur Behandlung des Organversagens angezeigt ist, scheint trotz der im Einzelfall bestehenden Kausalitätsprobleme ein derartiger Kausalverlauf nicht als äußerst unwahrscheinlich. Die Kausalitätsvermutung läuft auch dem Billigkeitsgedanken nicht etwa deshalb entgegen, weil sich im Einzelfall die „Überlebenschancen nur etwas verschlechtert haben“133. Für einen äußerst unwahrscheinlichen Kausalverlauf geht es an dieser Stelle weniger um die statistische Schadenshäufigkeit, sondern vielmehr um die theoretische Denkmöglichkeit des behaupteten Kausalzusammenhangs.134 d) Teleologische Reduktion von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB? aa) Problemstellung Betrachtet man die haftungsrechtlichen Voraussetzungen der Haftung des Transplantationszentrums, kann ein schuldhafter und im Sinne des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB grober Behandlungsfehler nunmehr bejaht werden. Insoweit ist die fehlerhafte und damit pflichtwidrige Verweigerung der Wartelistenaufnahme auch geeignet, die Chancen auf eine Organzuteilung auf null zu reduzieren, wodurch aufgrund der nicht erfolgten Organübertragung ein fortschreitender und auch rapid-progressiv verlaufender Gesundheitsverfall eintreten kann. Nach allgemeinem Haftungsrecht fehlt es für den vertraglichen Arzthaftungsanspruch gegen das Transplantationszentrum nach §§ 630a Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB an der haftungsbegründenden Kausalität. Erforderlich ist demnach 131
BT-Drs. 17/10488, S. 31. BT-Drs. 17/10488, 43; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 38 f.; Walter, GesR 2013, 129, 131. 133 BGH, Urteil v. 21.9.1982 – VI ZR 302/80 = NJW 1983, 333, 334. 134 BGH, Urteil v. 21.9.1982 – VI ZR 302/80 = NJW 1983, 333, 334; BGH, Urteil v. 16.11.2004 – VI ZR 328/03 = NJW 2005, 427, 428. 132
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§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche
der Beweis, dass die versagte Wartelistenaufnahme nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG zu der rasanten Verschlechterung des Gesundheitszustands der Patientin geführt hätte. Diesen Beweis bräuchte die Patientin im vorliegenden Beispielsfall freilich nicht zu führen, da die in § 630h Abs. 5 S. 1 BGB normierte Beweislastumkehr in diesem Fall die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und der Verletzung des Lebens, Körpers oder der Gesundheit vermutet. Diese Beweislastmodifizierung führt dazu, dass sich auf Seiten des Patienten die Beweislast auf die Darlegung bzw. den Beweis des groben Behandlungsfehlers, der grundsätzlichen Erfolgsgeeignetheit und der tatsächlichen Verletzung der in Abs. 5 S. 1 genannten Rechtsgüter sowie den Schaden reduziert. Das Transplantationszentrum befände sich in der misslichen Lage, die Vermutung nach § 292 S. 2 ZPO zu widerlegen, indem es nachweist, dass der Patientin ein Organ im beurteilungserheblichen Zeitraum nicht zugeteilt worden oder der Schaden an der Gesundheit aus anderen Gründen nicht eingetreten wäre. Dem steht die grundsätzlich schlechte Chance der Transplantationspatienten gegenüber, innerhalb der benötigten Zeit ein Organ vermittelt zu bekommen, dass vom Transplantationschirurgen angenommen und erfolgreich übertragen wird. In dieser Risikosphäre realisiert sich üblicherweise das allgemeine Verteilungsrisiko, das aus dem gravierenden Organmangel herrührt. Es erscheint zumindest fragwürdig, ob der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, das allgemeine Verteilungs- und Operationsrisiko dem Patienten abzunehmen und auf das Transplantationszentrum zu verlagern. bb) Teleologischer Hintergrund von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB Die Rechtsprechung des BGH sieht den hauptsächlichen Grund für die Beweislastumkehr in der durch den groben Behandlungsfehler erschwerten Aufklärungsmöglichkeit der Kausalverhältnisse.135 So führt der Fehler des Arztes dazu, dass neben den sonstigen physiologischen Umständen des Einzelfalls nun ein weiterer Umstand hinzutritt, der den Kausalitätsnachweis eines bestimmten Faktors und dem Primärschaden zusätzlich erschwert. Die Regeln der Beweislastführung sind auch vor dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit besonders geeignet, einen Ausgleich für die vom Arzt hervorgerufene Beweislasterschwerung zu gewähren.136 Damit folgt die Beweislastumkehr der generell verschobenen Interessenslage der streitenden Parteien und ist nicht etwa
135
Vgl. BT-Drs. 17/10488, S. 30. BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 – 2 BvR 878/74 = NJW 1979, 1925, 1927; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 1. 136
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verschuldensbezogen als Sanktion des Arztes zu verstehen.137 Dieser Ausgleich ist vor dem Hintergrund des schweren ärztlichen Fehlers gerechtfertigt, wodurch im Wesentlichen darüber Einigkeit besteht, dass weniger das besondere Aufklärungserschwernis im Einzelfall, als vielmehr Billigkeitsgründe den Ausschlag für die Beweislastumkehr geben.138 cc) Keine verschlechterte Beweissituation im Einzelfall Insoweit könnte freilich argumentiert werden, dass die Kausalität zwischen Nichtaufnahme in die Warteliste, rechtzeitiger Organzuteilung, erfolgreicher Übertragung und Nichteintreten der Gesundheitsverletzung ohnehin nicht zu beweisen ist. Wenn man ernst nimmt, was die herrschende Strafrechtsliteratur und die Rechtsprechung feststellen, dass Annahme durch den Transplantationschirurgen und damit die „wahre Warteliste“ ohnehin nicht nachweisbar sind139, würde auch ein weiterer, unter Umständen grober Behandlungsfehler zu keiner Aufklärungserschwerung führen. Denn was schlechterdings nicht bewiesen werden kann, wird auch durch weitere Umstände nicht „schwieriger“ zu beweisen. Unabhängig davon, ob man der generellen Nichtnachweisbarkeit folgt oder für Ausnahmekonstellationen durchaus den Nachweis für möglich erachtet, führt der Einwand ohnehin nicht zu einer Divergenz zwischen Gesetzeswille und tatsächlichem Anwendungsbereich von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB. Zwar liegt der Grund für die Beweislastumkehr in der Erwägung, dass die durch einen groben Fehler erschwerte Nachweisbarkeit nicht mehr dem Patienten obliegen soll. Entscheidend ist aber nicht die erschwerte Nachweisbarkeit im Einzelfall, sondern vielmehr, dass die Beweislast nach Treu und Glauben dem Patienten nicht mehr zuzumuten ist.140 Richtigerweise ist in der grundsätzlich erschwerten Beweislast nur das gesetzgeberische Motiv, nicht aber eine weitere für den Einzelfall nachzuweisende Voraussetzung der Beweislastumkehr zu sehen.141 Damit kommt es im Einzelfall auf gestiegene Nachweisschwierigkeiten nicht an. Es reicht, wenn das Beweisrisiko aus Billigkeitsgründen dem Patienten nicht mehr zumutbar ist. Das gilt auch dann, wenn, wie hier, ein grundsätzlich nicht 137
St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil v. 24.9.1996 – VI ZR 303/95 = VersR 1996, 1535, 1536; BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 103; hierzu Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 20; Laufs/Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 110 Rn. 5 ff. 138 Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 20 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630h Rn. 14 f. 139 Ausführlich unter Glp. § 6 II.1.b).aa). 140 BT-Drs. 17/10488, S. 30; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 630h, Rn. 21. 141 Glanzmann, ebda, Rn. 21; ähnlich Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, § 630h Rn. 14.
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§ 6 Arzthaftungsrechtliche Ansprüche
auflösbares non liquet durch einen groben Behandlungsfehler hervorgerufen wird. § 630h Abs. 5 S. 1 BGB führt daher ohne Abstriche zur Kausalitätsvermutung zwischen der grob behandlungsfehlerhaften Ablehnung der Wartelistenaufnahme und dem eingetretenen (Verzögerungs-)Schaden.142 e) Ergebnis In Fällen, in denen die Herausnahme des Patienten aus der Warteliste als offen rechtswidrig zu bewerten ist, kann das ärztliche Verhalten, ungeachtet der in der Transplantationsmedizin vorherrschenden Praxis der Wartelistenführung, als objektiv nicht mehr verständlicher, grober Behandlungsfehler angesehen werden. Der hypothetische Kausalverlauf zwischen der Nichtaufnahme in die Warteliste und dem eingetretenen oder verlängerten Gesundheitsschaden verstößt weder gegen theoretische Denkgesetze noch ist hierin ein „äußerst unwahrscheinliches“ Verletzungsgeschehen zu sehen. Vielmehr kommt die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB uneingeschränkt zur Anwendung. Eine teleologische Reduktion von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB aufgrund einer sonst vermeintlich drohenden Risikoverlagerung der schlechten Allokationschancen aufgrund des vorherrschenden Organmangels überzeugt im Ergebnis nicht. Vielmehr gründet die Beweislastumkehr für grobe Behandlungsfehler nicht auf allgemeinen Erfahrungssätzen oder typischen Kausalverläufen, sondern ist Ausfluss eines am Billigkeitsgedanken orientierten Beweislastausgleichs. Es kommt gerade nicht darauf an, ob eine erschwerte Beweislage hinsichtlich der Kausalität im Einzelfall gegeben ist.
4. Rechtsirrtum der Behandelnden und Richtigkeitsgewähr der Richtlinien Die Fallkonstellationen der fehlerhaften Annahme der non-Compliance führen neben den thematisierten Kausalitätsproblemen auch zu Problemen bei der Feststellung fahrlässigen Verhaltens. Hierzu soll zunächst noch einmal auf den Ausgangsfall des LG Bielefeld und die Herausnahme aus der Warteliste aufgrund fehlender Sprachkenntnisse des Patienten zurückgegriffen werden. Bisher wurde dargelegt, dass das Transplantationszentrum bei der Berücksichtigung der fehlenden Sprachkenntnisse im Rahmen der Wartelistenführung den medizinischen Standard objektiv durch die Einbeziehung nicht primär medizinischer Kriterien verletzt hat. Das Vertretenmüssen wird für die vertragli-
142
1134 f.
Im Ergebnis wie hier OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134,
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che Haftung nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.143 Da im dienstvertraglichen Behandlungsvertrag keine besondere Risikozuordnung oder Garantieübernahme vereinbart wurde, kommt als maßgeblicher Zurechnungsgrund nur das Verschulden gemäß § 276 Abs. 1 BGB in Betracht.144 Im Rahmen der deliktsrechtlichen Haftung findet § 280 Abs. 1 S. 2 BGB selbstverständlich keine Anwendung. Allerdings indiziert der objektive Sorgfaltspflichtverstoß die Verletzung der „inneren Sorgfalt“ als typisiertes Verschulden im engeren Sinne. 145 Eine Widerlegung des vermuteten Verschuldens wird dem Behandelnden regelmäßig nicht gelingen. Für den Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient ist insoweit anerkannt, dass eine Entschuldigung am Maßstab des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB mit dem Verweis auf persönliches Unvermögen und subjektive Entschuldigungsgründe grundsätzlich nicht in Betracht kommt.146 Aufgrund des objektiven Sorgfaltsmaßstabs stellt der unverschuldete Rechts- oder Tatsachenirrtum regelmäßig die einzige Konstellation einer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung im Arzthaftungsrecht dar.147 Vergegenwärtigt man sich die Bindungswirkung der Richtlinien für die transplantationsmedizinische Praxis sowie den Umstand, dass der Gesetzgeber den medizinischen Standard gerade durch die Bundesärztekammer festgestellt wissen wollte, stellt sich die Frage, ob dem Transplantationszentrum ein Vorwurf bezüglich der unhinterfragten Befolgung der BÄK-Richtlinien gemacht werden kann. In Betracht kommt ein entschuldbarer Rechtsirrtum, den die Transplantationszentren gemäß § 286 ZPO darlegen und beweisen müssen. Hintergrund des entschuldbaren Rechtsirrtums ist die Überlegung, dass dem Transplantationszentrum insoweit keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen sein könnte, als es auf die Richtigkeit der Richtlinien und deren Konkretisierung des medizinischen Erkenntnisstands vertraut. a) Fahrlässigkeit und medizinischer Standard Nachdem das pflichtwidrige Unterschreiten des medizinischen Standards festgestellt wurde, muss zunächst geklärt werden, ob das Transplantationszentrum 143
Nunmehr durch die Kodifizierung der §§ 630a ff. BGB eindeutig klargestellt, vgl. BT‑Drs. 17/10488, S. 28; Deutsch, NJW 2012, 2009, 2012; Rehborn, GesR 2013, 157, 269; Spickhoff, MedR 2015, 845, 845; ders., VersR 2012, 267, 278; Wagner, VersR 2012, 789, 791; Walter, GesR 2013, 129, 130; bereits vor dem PatRG h.M. vgl. etwa BGH, Urteil v. 16.3.1999 – VI ZR 34/98 = NJW 1999, 1778, 1779; Müller, MedR 2009, 309, 310. 144 Vgl. Ernst, in: MünchKomm, BGB, § 280 Rn. 21. 145 Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 30. 146 Heyers, BRJ 2012, 137; Wagner, VersR 2012, 789, 791. 147 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 316 a. E.; Elster, Ärztliche Leitlinien in der Arzthaftung, S. 55; Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2537.
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diese Unterschreitung zu vertreten hat. Die Kausalitätsproblematik wird hierfür außer Acht gelassen. Das schuldhafte Unterschreiten des medizinischen Standards der angestellten Ärzte muss sich das Zentrum nach § 278 S. 1 BGB zurechnen lassen. Als Anknüpfungspunkt für das Vertretenmüssen kommt ein Verschulden in Form von Fahrlässigkeit nach § 276 Abs. 1 BGB in Betracht. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Im Zentrum des Fahrlässigkeitsvorwurfes steht die Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit des rechtlich missbilligten Erfolgs in Ansehung der verkehrsüblich gebotenen Sorgfaltspflichten.148 Der Fahrlässigkeitsvorwurf zielt auf die Verwirklichung des Haftungsgrunds, mithin der Fehlbehandlung, nicht auf den durch sie eingetretenen Schaden.149 Bei der Bestimmung der Fahrlässigkeit ist ein objektiv-typisierter Sorgfaltsmaßstab anzulegen.150 Dies führt dazu, dass subjektives Können und fachliches Vermögen des Schuldners für die Bestimmung der Fahrlässigkeit nicht von Bedeutung ist, sondern vielmehr zählt, was der Verkehrskreis an Kenntnissen und Fähigkeiten erwartet.151 Daran ändert auch die Regierungsbegründung zum Patientenrechtegesetz nichts, die missverständlich davon spricht, dass eine Haftung dann ausscheide, wenn der Behandelnde „die objektiv fehlerhafte Behandlung subjektiv nicht zu vertreten hat“152. Nach wie vor gilt der auch sonst in der zivilrechtlichen Haftung relevante objektive Verschuldensmaßstab, der auf das objektive Unterschreiten des medizinischen Standards Bezug nimmt.153 Die verkehrsübliche Sorgfalt wird durch § 630a Abs. 2 BGB in Form des Facharztstandards ergänzt.154 Im Arzthaftungsrecht entspricht der Terminus des medizinischen Standards der gesetzgeberischen Vorstellung der verkehrs üblichen Sorgfalt, sodass sich eine grundsätzlich synonyme Bedeutung beider Begriffe eingebürgert hat.155 148 Grundmann, in: MünchKomm, BGB, § 276 Rn. 52; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 358 f.; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 23. 149 Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 276 Rn. 13. 150 Grundmann, in: MünchKomm, BGB, § 276 Rn. 55; Larenz, Lehrbuch des Schuld rechts, § 20 III, S. 285 f.; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 276 Rn. 15; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 276 Rn. 23. Im Ergebnis auch Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 68; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 19. 151 Grundmann, in: MünchKomm, BGB, § 276 Rn. 55; Larenz, Lehrbuch des Schuld rechts, § 20 III, S. 284; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 476; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 359; Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 276 Rn. 15. 152 BT-Drs. 17/10488, S. 28. 153 Katzenmeier, NJW 2013, 817, 821; Spickhoff, in: ZRP 2012, 65, 69; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozess, S. 19 f. 154 Katzenmeier, NJW 2013, 817, 818; Glp. § 5 I. 155 BT-Drs. 17/10488, S. 19; Velten, Der medizinische Standard im Arzthaftungsprozeß, S. 38; mit leichter Differenzierung Spickhoff, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, § 630a Rn. 37.
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Eingeschränkt wird diese Konkretisierung durch die ärztliche Therapiefreiheit und die in § 630a Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommende Möglichkeit, ein abweichendes Standardniveau zu vereinbaren. Der dispositive Charakter des § 630a Abs. 2 BGB kann bei der Wartelistenführung keine Rolle spielen. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB stellt insoweit einen zwingenden Maßstab dar, der daraus resultiert, dass die im Zentrum erstellten Wartelisten als Grundlage für die einheitliche Warteliste von Eurotransplant gemäß § 12 Abs. 3 S. 2 TPG herangezogen werden. Daraus folgt auch das Erfordernis eines einheitlich verstandenen und angewandten Standardbegriffs, der im Interesse der Patienten bei der Wartelistenführung zu Grunde zu legen ist. Vergegenwärtigt man sich darüber hinaus die Methodik zur Bestimmung des medizinischen Standards in der Transplantationsmedizin, stellt sich erneut die Frage nach Geltung und Reichweite der nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG erlassenen Richtlinien der Bundesärztekammer. Eine beweisrechtliche Erleichterung erfährt der Patient durch die Beweislast umkehr nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB, der das Vertretenmüssen der Vertragspartei grundsätzlich vermutet, sodass es dem Haftungsgegner obliegt, die Vermutung nach § 292 S. 1 BGB zu widerlegen.156 In der vertraglichen Arzthaftung tritt folglich die Vermutung ein, sobald der Patient das Unterschreiten des medizinischen Standards als Behandlungsfehler bewiesen hat oder dies ohnehin unstreitig feststeht.157 Im Rahmen der Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Sorgfalt kommt der Vermutung aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB demnach nur hinsichtlich der inneren Sorgfalt eine Bedeutung zu, da als Pflichtverletzung die äußere Unterschreitung des medizinischen Standards (mit Ausnahme voll beherrschbarer Risiken, vgl. § 630h Abs. 1 BGB) vom Patienten bewiesen werden muss.158 Hinsichtlich der deliktsrechtlichen Haftung ergibt sich das Verschulden aus der äußeren Sorgfaltspflichtverletzung durch den Nachweis des Patienten, dass der medizinische Standard unterschritten wurde.159 Der äußere Sorgfaltsverstoß indiziert sodann einen Verstoß gegen die Gebote der inneren Sorgfalt.160 Eine Verletzung des medizinischen Standards liegt im betrachteten Fall vor. Indem der Arzt bei der Wartelistenführung auf sachwidrige Differenzierungskriterien abgestellt und damit nicht auf der Grundlage der rein medizinisch relevanten Umstände entschieden hat, wurde der medizinische Standard unter156 Ausführlich zur Anwendbarkeit im Arzthaftungsrecht Elster, Ärztliche Leitlinien in der vertraglichen Arzthaftung, S. 46 ff. 157 BT-Drs. 17/10488, S. 28; Deutsch, NJW 2012, 2009, 2012; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 299; Katzenmeier, NJW 2013, 817, 821. 158 Deutsch, NJW 2012, 2009, 2012; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 313 ff., 318. 159 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 318. 160 BGH, Urteil v. 17.3.1981 – VI ZR 191/79 = NJW 1981, 1603, 1606; BGH, Urteil v. 12.11.1991 ‑ VI ZR 7/91 = NJW 1992, 560, 561 f.; vgl. Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 30.
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schritten. Der Einwand, dies sei gängige Praxis der Transplantationszentren, ist insofern unbedeutend, als das Anknüpfen an die Sprache im Anwendungsbereich des TPG ein unzulässiges, weil nicht ausschließlich medizinisches K riterium darstellt. Insoweit verstößt die Richtlinienbestimmung der Bundes ärztekammer in dieser Pauschalität gegen Verfassungsrecht und ist für die Rechtsanwender unverbindlich. In verschuldensrelevanter Hinsicht stehen die Richtlinienbestimmungen der Annahme einer äußeren Sorgfaltspflichtverletzung im Rahmen des § 276 Abs. 2 BGB nicht im Wege. b) Rechtsirrtum in der privatrechtlichen Haftung Neben der Verletzung des medizinischen Standards als nicht sachgemäßes Verhalten gegenüber den Rechtsgütern des Patienten müssen auch die (objektiviert betrachteten) Gebote der inneren Sorgfalt nicht beobachtet worden sein.161 Hierunter fallen die „Aufwendung von Mühe und Willenskraft“ sowie ein bestimmtes auf Vermeidung der Rechtsgutsverletzung gerichtetes „Denken und Wollen“ der Vertragspartei.162 Der Begriff der inneren Sorgfalt umfasst auch solche Sorgfaltspflichten, die auf die Kenntnis der rechtswidrigen Tatbestandsverwirklichung sowie die „Erkenntnis sonstiger Tatumstände“ gerichtet sind.163 Aus den allgemeinen Grundsätzen des Haftungsrechts folgt, dass der Irrtum über die geltende Rechtslage grundsätzlich in den Risikobereich des Schuldners fällt. Andernfalls blieben Verstöße gegen die Rechtsordnung auf zivilrechtlicher Ebene folgenlos und das Risiko der Fehleinschätzung wäre zum nunmehr kompensationslosen Gläubiger verschoben.164 Innerhalb der Vertragsbeziehungen und deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten ist daher eine Sorgfaltspflicht zur Überprüfung und Einhaltung der geltenden Rechtslage grundsätzlich von jedem Schuldner zu fordern.165 Wird die Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Rechtserkundung eingehalten und unterliegt der Schuldner dennoch einem Irrtum über die Rechtslage, entfällt der Schuldvorwurf und mithin die Haftung nach vertraglichen und deliktsrechtlichen Haftungstatbeständen.166 An die Bestimmung des Umfangs der hierauf gerichteten Sorgfaltspflichten des objektiv-typisierten Verkehrskreises und die Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 94 f. Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 94. 163 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 95. 164 Vgl. BGH, Urteil v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80 = NJW 1982, 635, 637; BGH, Urteil v. 26.1.1983 ‑ IV b ZR 351/81 = NJW 1983, 2318, 2321; BGH, Beschluss v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218; BGH, Urteil v. 12.7.2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, 3272 Rn. 19; Caspers, in: Staudinger, BGB, § 276 Rn. 55; Harke, NZM 2016, 449, 452. 165 Vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 23 I, S. 347. 166 St. Rspr., vgl. BGH, Urteil v. 9.2.1951 – I ZR 35/50 = NJW 1951, 398, 398 f.; BGH, Urteil v. 26.1.1983 – IV b ZR 351/81 = NJW 1983, 2318, 2321; BAG, Urteil v. 14.12.1999 – 3 161
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Anerkennung eines unverschuldeten Rechtsirrtums sind aber hohe Anforderungen zu stellen, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass der Schuldner mit bloßem Verweis auf seinen Irrtum die haftungsrechtlichen Risikosphären zwischen ihm und dem Gläubiger verschiebt.167 Für den Fahrlässigkeitsvorwurf ist bei objektiv-typisierter Betrachtung entscheidend, ob der Rechtsirrtum bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt für den konkreten Verkehrskreis erkennbar und vermeidbar gewesen wäre. aa) Abgrenzung zum Tatsachenirrtum Die irrtumsbedingte Unterschreitung des medizinischen Standards stellt grundsätzlich einen Irrtum über ein Faktum, nämlich den durch ein Sachverständigengutachten nachweisbaren Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft dar.168 Von diesem Tatsachenirrtum ist der Rechtsirrtum zu unterscheiden, der auf einer Verkennung der geltenden Rechts- und Pflichtenlage sowie der juristischen Wertungen im Einzelfall beruht. Er kommt im Behandlungsvertragsrecht etwa bei einer Verkennung des Umfangs der Aufklärungsund Einwilligungspflichten nach §§ 630d f. BGB in Betracht, wenn sich der behandelnde Arzt insoweit über die Anforderungen des Vertragsrechts für den standardgemäßen Heileingriff im Irrtum befand.169 Irrt das Transplantationszentrum bei der Bestimmung des medizinischen Standards über tatsächliche medizinische Befunde des Patienten und seinen aktuellen Gesundheitszustand, beruht die Unterschreitung des medizinischen Standards auf einer fehlerhaften Beurteilung der Sachlage.170 Anders verhält es sich hingegen, wenn der Pflichtenverstoß auf eine Verkennung der Rechtslage zurückzuführen ist, er mithin entfallen würde, wenn und soweit sich der Behandelnde im maßgeblichen Zeitpunkt des Unterschreitens des medizinischen Standards über wesentliche juristische Wertungen im Klaren gewesen wäre.171 Bei der Berücksichtigung der Sprachkriterien als Grundlage für die angenommene Kontraindikation wird vom Transplantationszentrum im Ausgangsfall vor dem LG Bielefeld ein zwingendes medizinisches Bedürfnis der jederAZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350; OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 – 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204; Caspers, in: Staudinger, BGB, § 276 Rn. 55 m. w. Rspr.Nachw. 167 BGH, Urteil v. 9.2.1951 – I ZR 35/50 = NJW 1951, 398, 398 f.; BGH, Urteil v. 3.6.1953 – II ZR 236/52 = NJW 1953, 1426, 1426 f.; BGH, Beschluss v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218; BGH, Urteil v. 12.7.2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, 3272 Rn. 19; BGH, Urteil v. 11.7.2012 − VIII ZR 138/11 = NJW 2012, 2882, 2883; Ernst, in: MünchKomm, BGB, § 286 Rn. 111; Schwarze, in: Staudinger, BGB, § 280 Rn. F 47. 168 Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2537. 169 Vgl. Spickhoff, NJW 2002, 2530, 2537. 170 Vgl. Ernst, in: MünchKomm, § 286 Rn. 116. 171 Vgl. Ernst, ebda., Rn. 111 f.
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zeitigen Kontaktmöglichkeit angeführt, sodass bereits die formale Einbettung der non-Compliance als „Kontraindikation“ auf den ersten Blick eine Verkennung der medizinischen Sachlage und die Annahme eines Tatsachenirrtums nahelegen würde.172 Bei näherer Betrachtung stellt sich die Irrtumskonstellation aber anders dar: Zum einen resultiert die Fehleinschätzung des „zwingenden“ Charakters der jederzeitigen Kommunikationsmöglichkeit nicht aus einer Verkennung medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse. Vielmehr folgt sie aus Verhältnismäßigkeitserwägungen, welche die unter anderem aus „Kostengründen“173 für unzumutbar gehaltene Einbeziehung eines Dolmetschers als doch zumutbar erscheinen lassen. Zum anderen folgt die Rechtswidrigkeit der BÄK-Festsetzung aus Art. 3 Abs. 1 GG. Sofern die Transplantationszentren als Bezugspunkt zur Bestimmung des medizinischen Standards die BÄK-Richtlinien heranziehen, basiert der Sorgfaltsverstoß bei der fehlerhaften Bestimmung nicht auf einer Fehlinterpretation medizinischer Fakten und Erkenntnisse, sondern vielmehr auf der Verkennung elementarer juristischer Wertungen, die den „zwingenden“ Charakter der hinreichenden Deutschkenntnisse hinsichtlich des (rechtlich) Zumutbaren relativieren. Insoweit ist der Schwerpunkt des Irrtums im rechtlichen und nicht im tatsächlichen Bereich angesiedelt. Das Zentrum unterlag insoweit einer Fehleinschätzung des geltenden Rechts. Da die zivilrechtliche Rechtsprechung stark dazu tendiert, hinsichtlich des anzuwendenden Sorgfaltsniveaus und der Annahme eines entschuldbaren Irrtums Rechts- und Tatsachenirrtümer in Voraussetzungen und Rechtsfolgen gleich zu behandeln174, relativiert sich die Bedeutung der Abgrenzung erheblich. Sofern von einem Tatsachenirrtum ausgegangen wird, gelten die nachfolgenden Erwägungen in gleichem Maße bei der Prüfung der Sachlage und bezüglich einer Richtigkeitsgewähr der BÄK-Richtlinien und ihrer tatsächlichen medizinischen Validität. bb) Schuldhafter Irrtum des (Rechts-)Beraters Ein schuldhaftes Verkennen der Rechtslage durch externe Rechtsberater muss sich der Rechtsträger des Transplantationszentrums nach § 278 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Zwar schuldet das Zentrum dem Patienten keine Rechtsbera-
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LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11 Rz. 12. Das Landgericht zieht allen Ernstes Kostenerwägungen als tragendes Argument für die Ablehnung der Wartelistenaufnahme heran, vgl. LG Bielefeld, Beschluss v. 30.6.2011 – 4 O 106/11 Rz. 12. 174 BGH, Urteil v. 11. 7. 2012 − VIII ZR 138/11 = NJW 2012, 2882, 2883; dazu Ernst, in: MünchKomm, BGB, § 286 Rn. 111; Harke, NZM 2016, 449, 452; Hinz, NJW 2013, 337, 338. 173
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tung und es könnte insoweit argumentiert werden, die Auskunft über die Rechtslage gehöre nicht zum Pflichtenkreis des Zentrums gegenüber dem Patienten, in dessen Rahmen der Erfüllungsgehilfe tätig wird.175 Jedoch ist das Zentrum zur Bestimmung des medizinischen Standards verpflichtet, nach dem es die Wartelistenführung gegenüber dem Patienten vornimmt. In den Pflichtenkreis zählen auch rechtliche Prüf- und Sorgfaltspflichten, wenn sich hieraus eine juristische Vorbestimmung der in Betracht kommenden Indikationskriterien ergibt. Insoweit genügt eine mittelbare Pflichteinbindung für die Eigenschaft des Erfüllungsgehilfen.176 Dieser ist bei der Bestimmung des medizinischen Standards als notwendige Vorbereitung der medizinischen Heilbehandlung im Pflichtenkreis des Zentrums gegenüber dem Patienten tätig. c) Sorgfaltsniveau nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Grundsätzlich ist anerkannt, dass der Haftungsadressat auch im Hinblick auf die fehlerhafte Einschätzung der Rechtslage schuldhaft irrt, wenn er nicht zuvor sachgemäße Beratung über die streitige Rechtsfrage einholt, da ihn insoweit eine Prüfungs- und Beratungspflicht trifft.177 Allgemeine Zweifel an der geltenden Rechtslage rechtfertigen keine zivilrechtliche Entschuldigung des Schuldners und damit auch keine Haftungsfreistellung.178 Sofern der Schuldner mit dem Risiko rechnen muss, dass das entscheidende Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen wird, ist ihm die fehlerhafte Verkennung der Rechtslage schuldhaft zuzurechnen.179 In der zurückliegenden Rechtsprechung wurde ein schützenswertes Vertrauen des Schuldners selbst dann verneint, als bereits ein rechtskräftiges Urteil eines Oberlandesgerichts in einer gleichgelagerten Streitsache vorlag, da der Schuldner auch zu diesem Zeitpunkt noch mit einer abweichenden Beurteilung anderer Gerichte oder des Bundesgerichtshofs
175 Vgl. zur Diskussion um die Haftung für einen Berater als Erfüllungsgehilfen im Zusammenhang mit dem Irrtum über Primärleistungspflichten Harke NZM 2016, 449, 451. 176 Grundmann, in: MünchKomm, BGB, § 278 Rn. 21 ff.; Harke, NZM 2016, 449, 451; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 506; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 381; Stadler, in: Jauernig, BGB, § 278 Rn. 11. 177 Vgl. BGH, Urteil v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80 = NJW 1982, 635, 637; BGH, Urteil v. 12.7.2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, 3272 Rn. 19; Ernst, in: MünchKomm, BGB, § 286 Rn. 112. 178 BGH, Urteil v. 26.1.1983 – IV b ZR 351/81 = NJW 1983, 2318, 2321; OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 – 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, § 23 I, S. 348; Unberath, in: Bamberger/Roth, BGB. § 286 Rn. 56. 179 BGH, Urteil v. 9.2.1951 – I ZR 35/50 = NJW 1951, 398, 398 f.; BGH, Beschluss v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218.
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rechnen musste.180 Hierzu führt der BGH in einer Urteilsbegründung181 wörtlich aus: „Die rechtskräftigen Entscheidungen eines OLG, (…), genügen nicht, um dem Schuldner die Gewißheit zu geben, das OLG habe die Rechtslage zutreffend beurteilt und er müsse nicht mit einer abweichenden Entscheidung anderer Gerichte oder des BGH rechnen.“
Bei der Änderung der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH wurde die Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums hingegen explizit bejaht.182 Aus diesem äußerst hohen Sorgfaltsniveau folgt, dass für einen unverschuldeten Rechtsirrtum besonders außergewöhnliche Umstände der Rechtsunsicherheit zu fordern sind, die eine alleinige Risikozuordnung zum Schuldner nicht rechtfertigen würden.183 Unverschuldet ist der Rechtsirrtum nur, wenn der Schuldner bei Beachtung aller zumutbaren Prüfungspflichten mit einer abweichenden Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen braucht.184 Wenn man sich insoweit das vom BGH geforderte Sorgfaltsmaß für die Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums vergegenwärtigt, kann dieser nur in Betracht kommen, wenn für den Verkehrskreis des Schuldners bei Zugrundelegung eines objektiv-typisierten Vergleichsmaßstabs der Rechtsirrtum unvorhersehbar und unvermeidbar war. Dies wäre dann der Fall, wenn keine verkehrsübliche Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Kenntnis einer möglicherweise abweichenden Entscheidung durch den BGH zu fordern wäre. Der BGH stellt jedoch gleichzeitig fest, dass sich diese Sorgfaltspflicht grundsätzlich verkehrskreisübergreifend aus den allgemeinen Schutz- und Sorgfaltspflichten ergibt. Auf keinen Fall kann sich der Schuldner auf bloße subjektive Gewissens- und Gerechtigkeitspostulate verlassen.185 Er ist selbst dann nicht entschuldigt, wenn er bei der Bildung seiner Rechtsauffassung sorgfältig vorging, aber eine abweichende Entscheidung des BGH nicht ausschließen konnte.186 Das Transplantationszentrum hätte dementsprechend zu beweisen, dass es unter Ausnutzung aller zumutbaren Beratungsquellen mit einer Rechtswidrigkeit der non-Compliance-Regelung aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht 180
BGH, Urteil v. 18.4.1974 – KZR 6/73 = NJW 1974, 1903, 1904 f.; BGH, Urteil v. 26.1.1983 – IV b ZR 351/81 = NJW 1983, 2318, 2321. 181 BGH, Urteil v. 18.4.1974 – KZR 6/73 = NJW 1974, 1903, 1905. 182 BGH, Urteil v. 18.4.1974 – KZR 6/73 = NJW 1974, 1903, 1904. 183 Schwarze, in: Staudinger, BGB, § 280 Rn. F 47. 184 BGH, Urteil v. 9.2.1951 – I ZR 35/50 = NJW 1951, 398, 398 f. 185 Vgl. BGH, Urteil v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80 = NJW 1982, 635, 637; BGH, Urteil v. 12.7.2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, 3272 Rn. 19; Ernst, in: MünchKomm, BGB, § 286 Rn. 112; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 46. 186 BGH, Urteil v. 9.2.1951 – I ZR 35/50 = NJW 1951, 398, 398 f.; BGH, Beschluss v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218.
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zu rechnen bräuchte. Dies wird ihm schon deswegen nicht gelingen, da bereits das BVerfG zu diesem Streitstand ausführte, dass die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Sprachregelungen „in der Rechtsprechung nicht geklärt“ sei und sich auch nicht „ohne Schwierigkeiten“ beantworten lasse.187 Wenn die Komplexität der Frage bereits der summarischen Prüfung der Rechtslage in der Antragsentscheidung über die Prozesskostenhilfe im Wege steht, muss verkehrskreisübergreifend mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass die obersten Gerichte die in Rede stehende Regelung aufgrund einer Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht kassieren.188 Zudem wird regelmäßig ein „unvermeidbarer“ Irrtum schon deshalb nicht vorliegen, da der von der Warteliste ausgeschlossene Patient die Rechtswidrigkeit der Entscheidung als gegenläufige Ansicht vortragen wird.189 Sieht man von der seit Erlass der Richtlinien andauernden Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit einzelner Festsetzungen einmal ab, gibt spätestens die abweichende Rechtsansicht des Patienten für das Transplantationszentrum einen erhöhten Anlass, die Rechtmäßigkeit, Bedeutung und Tragweite der BÄK-Richtlinien und ihrer Kriterien für den konkreten Einzelfall auf ihre rechtliche Stichhaltigkeit hin zu überprüfen.190 Nach diesem Sorgfaltsniveau liegt auf Seiten des Transplantationszentrums kein entschuldigender Rechtsirrtum vor. d) Modifizierung des Sorgfaltsniveaus durch Richtigkeitsgewähr Dieses Ergebnis überrascht auf den ersten Blick deshalb, weil der Gesetzgeber gerade dem Risiko der Bestimmung des medizinischen Erkenntnisstands durch die Beweislastmodifizierung des § 16 Abs. 1 S. 2 BGB Rechnung tragen wollte. Nun zeigt sich aber, dass dem Transplantationszentrum bei einer Unvereinbarkeit einer Richtlinienregelung mit höherrangigem Recht sowohl eine objektive Verletzung des medizinischen Standards als auch eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung hinsichtlich der verkannten materiellen Rechtsklage vorzuwerfen ist. Vor dem Hintergrund der Einzelfallgerechtigkeit stellt sich die Frage, ob der vom BGH in ständiger Rechtsprechung aufgestellte Maßstab für die Bestimmung eines unverschuldeten Rechtsirrtums aufgrund der besonderen Bedeutung der BÄK-Richtlinien zugunsten des Transplantationszentrums abgesenkt 187
BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728, Rz. 17; ebenso OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 5.3.2015 – 16 U 192/14 = BeckRS 2015, 06810 Rz. 24. 188 Ebenso scheiterte eine summarische Prüfung hinsichtlich der Kostentragung nach § 91a ZPO, OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 5.3.2015 – 16 U 192/14 = BeckRS 2015, 06810 Rz. 24. 189 Vgl. Harke, NZM 2016, 449, 451 f. 190 Vgl. bei der unberechtigten Zahlungsverweigerung eines Mieters Harke, NZM 2016, 449, 451.
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werden muss. Mit anderen Worten: Ist ein schützenswertes Vertrauen des Transplantationszentrums in die Rechtmäßigkeit der Richtlinien anzuerkennen, sodass die Annahme eines unverschuldeten Rechtsirrtums bereits unterhalb der Schwelle der Rechtsprechung gerechtfertigt wäre? Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich ein wertender Vergleich zu anderen Rechtsgebieten an, in denen private Rechtssubjekte in die Normsetzung bzw. ‑konkretisierung eingebunden sind oder zumindest Entscheidungen treffen, die einen bestimmten Personenkreis normativ binden. Insoweit ist jeweils zu fragen, ob die haftungsrechtlichen Konsequenzen bei Irrtümern über die Fehlerhaftigkeit der privat gesetzten Regelungen auf die Rechts- und Interessenslage zwischen Bundesärztekammer, Transplantationszentrum und Patient übertragbar sind. Konkret bietet sich dabei der Blick auf die Tarifverträge des Kollektivarbeitsrechts an, denen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Richtigkeitsgewähr191 zukommt, die der Annahme hoher Prüfpflichten entgegensteht.192 aa) Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge Die Tarifverträge stellen das Ergebnis der Vertragsverhandlungen der Tarifparteien dar und regeln in weitem Umfang Rechtsverhältnisse Dritter, die nicht am Vertragsabschluss beteiligt sind.193 Um die vom BVerfG aufgeworfene Frage194 nach der Anwendung der Richtigkeitsgewähr im Bereich der transplantationsrechtlichen Richtlinien beantworten zu können, soll zunächst die dogmatische Grundlage der invidualvertraglichen Richtigkeitsgewähr herausgearbeitet und sodann die Besonderheiten des Tarifvertrags betrachtet werden. In einem dritten Schritt ist schließlich danach zu fragen, ob eine Richtigkeitsgewähr nach Vorbild des Kollektivarbeitsrechts unter Berücksichtigung des Regelungskonzepts des TPG und der teleologischen Vergleichbarkeit der beiden Rechtsmaterien für die Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 TPG anzuerkennen ist. (1) Lehre von der Richtigkeitsgewähr des Individualvertrages Die auf Schmidt-Rimpler195 im Jahre 1941 zurückgehende Lehre von der Richtigkeitsgewähr wird im Rahmen des Individualvertrages mit dem „Mechanis191 BAG, Urteil v. 14.12.1999 – 3 AZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350; OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 – 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204. 192 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728, Rz. 18. 193 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 16. 194 BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728, Rz. 18. 195 Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 149 ff.
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mus des gegenseitigen Nachgebens und Abwägens“196 der vorausgehenden Vertragsverhandlungen und des in der Interessensabwägung zum Ausdruck kommenden Machtausgleichs197 „zum Richtigen hin“ begründet.198 Durch ein rationales und sinnvolles Abwägen der beiderseitigen Interessen werden zum einen gesamtgesellschaftlich wünschenswerte und in diesem Sinne Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit entsprechende „richtige“ Ergebnisse erzielt.199 Zudem – und hierauf weist Schmidt-Rimpler im Gegensatz zu früheren Standpunkten ab 1950 hin 200 – ergebe sich die Richtigkeit der vertraglichen Ergebnisse aus dem „Wert der Freiheit“201, der auch ohne kollektive und volkswirtschaftliche Interessen dazu führe, dass grundsätzlich 202 von einer „prozeduralen Gerechtigkeit“203 der Vertragsergebnisse im Lichte der Gesamtrechtsordnung auszugehen sei.204 Sofern man in der anzunehmenden Richtigkeit der Vertragsergebnisse die rechtstheoretische Rechtfertigung der Vertragsfreiheit sehen möchte205, ist diese Lehre mit Geltung des Grundgesetzes und der Garantie der Privatautonomie als intrinsischer Wert von Verfassungsrang, der sich aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt206, gegenstandslos geworden. Als Grundlage für die Richtigkeitsgewähr als allgemeiner Rechtssatz hat sich aber der in der Lehre zum Ausdruck kommende Grundgedanke durchgesetzt, dass
Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 23. Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 149. 198 Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 152 f.; vgl. Bydlinksi, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 62 f.; Canaris, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, 873, 882 f.; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 42 f.; Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 23; Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 149. 199 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 43; Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 153. 200 Vgl. Schmidt-Rimpler, in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen, FS Raiser, 3, 7 ff. 201 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 23. 202 Zu den einzelnen Voraussetzungen für eine solche „Richtigkeit der Vertragsergebnisse“ (z.B. der Parität der Vertragspartner) beim Individualvertrag vgl. Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 23 ff., 46 ff., 55 ff. 203 Canaris, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, 873, 883. 204 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 22 f. 205 So insb. Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 152 ff., der insoweit die Vertragsfreiheit vor dem Zugriff der Nationalsozialisten schützen wollte. Eindrucksvoll lässt sich dies am Aufsatz ablesen, der unmittelbar zuvor an gleicher Stelle von Heldrich, AcP 1941, 89, 92 veröffentlicht wurde und unter anderem für eine „Überwachung im Sinne des Gemeinschaftsinteresses“ plädiert sowie hierfür „die Wirksamkeit des Vertrages von der Genehmigung einer Behörde abhängig“ machen will. 206 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 47. 196
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die Mechanismen beim Zustandekommen des Vertrages207 in der Regel eine materielle „Richtigkeit“ der Ergebnisse indizieren.208 Folgerichtig stellt der BGH bei der Verwendung von AGB fest, dass die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsgestaltungsfreiheit diesen Mechanismus negativ beeinflusst, sodass das AGB-Recht nach einem „Ausgleich für das Fehlen der Richtigkeitsgewähr“ sucht (Grund der sog. „inequality of bargaining power“209).210 Geht man von dieser Bedeutung des Vertrages für die individuelle Freiheitsverwirklichung aus, kann man den Begriff der „Richtigkeit“ weiter konkretisieren. Bei gegebener Parität der Verhandlungspartner spricht eine erste Vermutung dafür, dass die Abwägung der gegenseitigen Interessen beim synallagmatischen Austauschvertrag zu einem Äquivalenzverhältnis aus Leistung und Gegenleistung führt.211 Während ein sachgemäßer, individueller Interessensausgleich angenommen werden kann, gilt dies nicht für eine objektive Angemessenheit im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit.212 Sie kann dem Individualvertrag schon deshalb nicht entnommen werden, da unter Berücksichtigung der Relativität der Schuldverhältnisse für die Vertragsparteien regelmäßig kein Grund bestehen wird, Drittinteressen zu berücksichtigen.213 Bei „schematisierten Verträgen“ könne aber zumindest davon ausgegangen werden, dass „grobe Ungerechtigkeiten“ nicht vorlägen.214 Bei der Auslegung der Individualverträge und hinsichtlich der haftungsrechtlichen Fragen wurde diese Diskussion von der Rechtsprechung nicht aufgegriffen. In der haftungsrechtlichen Betrachtung bleibt die Diskussion damit überwiegend akademischer Natur. An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass sich die dogmatische Grundlage für eine Richtigkeitsgewähr in der Interessens- und Willensabwägung findet, die durch die vorausgehenden Vertragsverhandlungen in ein synallagmatisches Äquivalenzverhältnis gebracht wird.215 Zwingende Voraussetzungen für 207 Bydlinksi, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 62: „gegenseitige(s) Abschleifen gegenseitiger Interessen im Verfahren der Vertragsbildung“. 208 Canaris, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, 873, 882 f.; Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 14 ff.; Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 25 f.; Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 149. 209 Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 253. 210 BGH, Urteil v. 29.11.2002 – V ZR 105/02 = NJW 2003, 888, 890; vgl. zudem Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 15. 211 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 51: „Angemessenheitsgewähr“; Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S. 64 f. 212 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 48. 213 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 67: „Richtigkeitsgewähr (…) auf die Verwirklichung intersubjektiver Austauschgerechtigkeit beschränkt“. 214 Canaris, in: Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS Lerche, 873, 883 ff. 215 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 54 f.
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die Annahme einer Richtigkeitsgewähr sind ein genuiner Autonomiebereich, die Verwirklichung des mangelfreien Willens im Vertragsinhalt sowie eine paritätische Verhandlungsposition der vertragsschließenden Parteien.216 Die Richtigkeitsgewähr des Individualvertrages folgt demnach aus verfassungsrechtlichen (sowie rechtsethischen) und rechtsökonomischen Begründungsansätzen, wonach die Vertragsfreiheit als Selbstbestimmung und Selbstverantwortung217 zu einem Interessensausgleich der Parteien führt, an dessen Ende vernünftige und gerechte Ergebnisse erzielt werden.218 Wo irrationale Verhaltensweisen Eingang in den Vertrag finden, sind entstehende „Reibungsverluste an objektiver Richtigkeit“219 von der Rechtsordnung unter der Garantie der Eigenverantwortung und des Vertrauensschutzes hinzunehmen.220 Nur im Einzelfall kann es zur Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Inhaltskontrollen kommen, wie die hohe Kontrollschwelle des § 138 BGB für sittenwidrige Rechtsgeschäfte zeigt.221 (2) Haftungsrechtliche Bedeutung bei Tarifverträgen Tarifverträge stellen das Ergebnis der Vertragsverhandlungen zwischen den Tarifparteien dar und regeln in weitem Umfang Rechtsverhältnisse Dritter, die nicht am Vertragsabschluss beteiligt sind.222 Der Vertragsinhalt gibt damit nicht nur den Interessensausgleich von zwei gleichgestellten Privatrechtssubjekten wieder, sondern entfaltet für Dritte normative Bindungswirkung.223 Mit der verfassungsrechtlich verankerten Tarifautonomie224 kommt den Vertragsparteien ein eigenständiger Autonomiebereich zu, während sich die Gleichordnung der Parteien im Sinne einer Machtparität insbesondere durch die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des Arbeitskampfes225 in Form von organisierten Arbeits niederlegungen durch die Gewerkschaften ergibt.226 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 73. Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 14. 218 Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 253; ders., in: Thüsing/Braun, Tarifrecht, I. Rn. 57. 219 Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 15. 220 Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 15. 221 Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 15. 222 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 16. 223 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 16 f. 224 Zur Tarifautonomie und Art. 9 Abs. 3 GG vgl. Franzen, in: ErfK, TVG, § 1 Rn. 3 ff. 225 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 = NJW 1991, 2549, 2550 f.; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 247 ff.; ders., in: Thüsing/Braun, Tarifrecht, I. Rn. 57; Wiedemann, in: Wiedemann, TVG, Einl. Rn. 39. 226 St. Rspr. des BAG, vgl. etwa BAG, Urteil v. 24.11.1988 ‑ 6 AZR 243/85 = BAGE 60, 219, 227; BAG, Urteil v. 7.6.2006 – 4 AZR 316/05 = BAGE 118, 232, 239 f.; Hamacher, in: Moll, MAH Arbeitsrecht, § 67 Rn. 9; Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 73 f.; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rn. 1; Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 150; Rieble/ 216 217
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt auch den Festsetzungen der Verträge eine „gewisse Richtigkeitsgewähr“ zu.227 Sie ist dogmatisch wie bei den Individualverträgen zivilrechtlich herzuleiten und rechtfertigt sich nach dem ursprünglichen Ansatz von Schmidt-Rimpler aus dem Vertragsverfahren im Sinne eines „Verhandelns zum Richtigen hin“228. 229 Die Ausdehnung der normativen Rechtsfolgen auf Dritte, die nicht selbst Vertragspartei geworden sind, rechtfertigt sich aus Zurechnungsgesichtspunkten in wertender Vergleichung zum bürgerlich-rechtlichen Stellvertretungsrecht.230 Wie Vollmachtserteilung und Vertragsschluss nach § 164 Abs. 1 S. 1 BGB eine Zurechnung der durch Dritte gesetzten Rechtsfolgen auslöst, ergibt sich diese Zurechnungsrechtfertigung für das Kollektivarbeitsrecht aus dem selbstbestimmten Beitritt zur Koalition sowie den Tarifabschluss als Ergebnis der Vertragsverhandlungen zwischen den Tarifparteien.231 Haftungsrechtlich gelte für die Tarifparteien hinsichtlich der Tarifverträge „eine materielle Richtigkeitsgewähr; sie haben die Vermutung für sich, daß ihre Regelungen den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln. (…) Daraus folgt, daß den Tarifvertragsparteien (…) bei der Gestaltung von Rechtsbeziehungen außerhalb des Bereichs von Verfassungs- und zwingendem Gesetzesrecht ein weiter Ermessenspielraum zuzuerkennen ist.“ 232
Nach dieser „Richtigkeitsgewähr“233 können die Parteien grundsätzlich von der Angemessenheit der Bestimmungen der Tarifverträge ausgehen, ohne dabei die verkehrsübliche Sorgfalt zu verletzen. Ihnen kann „nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie sich an die tariflichen Regelungen“ gehalten und auf den recht-
Klumpp, in: MünchArbR, § 163 Rn. 9, 17; kritisch zu diesem Befund Schiek, in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 229, 232. 227 St. Rspr. des BAG, vgl. BAG, Urteil v. 3.10.1969 ‑ 3 AZR 400/68 – BAGE 22, 144, 151; BAG, Urteil v. 14.12.1999 ‑ 3 AZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350; OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 ‑ 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204; sowie die Gesetzesbegründung zum AGG, vgl. BT‑Drs. 16/1780, S. 38: „höhere Richtigkeitsgewähr“; kritisch zur automatischen Richtigkeitsgewähr Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 153 ff.: „Richtigkeitschance“ (Rn. 158). 228 Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 153; Rieble/Klumpp, in: MünchArbR, § 163 Rn. 8. 229 Hamacher, in: Moll, MAH Arbeitsrecht, § 67 Rn. 9; Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 73 f.; Rieble/Klumpp, in: MünchArbR, § 163 Rn. 8; Schiek, in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 229; Schmidt-Rimpler, AcP 1941, 130, 151. 230 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 120 f. mit ausführlicher Untersuchung der Übereinstimmungen und Unterschiede zum Stellvertretungsrecht nach §§ 164 ff. BGB. 231 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 120 ff. 232 BAG, Urteil v. 3. 10.1969 – 3 AZR 400/68 = BAGE 22, 144, Rn. 30 f. 233 BAG, Urteil v. 3.10.1969 – 3 AZR 400/68 – BAGE 22, 144, 151; BAG, Urteil v. 14.12.1999 – 3 AZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350; OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 – 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204.
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lichen Bestand der Tarifvertragsbestimmungen vertraut haben.234 Für die gerichtliche Kontrolle bleibt der zugestandene Ermessensspielraum nicht ohne Folgen. So verengt die Rechtsprechung des BAG den Prüfungsmaßstab auf Bestimmungen des Grundgesetzes235 und zwingenden Rechts.236 Eine Inhaltskontrolle, wonach richterlich beurteilt wird, ob die Vertragsergebnisse als angemessener Interessensausgleich zu sehen sind, findet mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG nicht statt.237 In diesem Zusammenhang wurde vom BAG der Begriff der „Angemessenheitsvermutung“ geprägt.238 Verstößt eine Bestimmung gegen höherrangiges Recht, ist sie unwirksam und entfaltet grundsätzlich keine Bindungswirkung.239 Die Richtigkeitsgewähr beschränkt die Rechtskontrolle hinsichtlich solcher Mängel, die sich aus einem Missverhältnis der Interessensgewichtung herleiten. Verstöße gegen die Verfassung oder sonstige zwingende Rechtsvorschriften unterliegen dagegen der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle. Stellt sich im Nachhinein durch Entscheidung des Gerichts heraus, dass die Bestimmung des Tarifvertrags (etwa aus verfassungsrechtlichen Gründen) rechtswidrig ist, wirkt sich die Richtigkeitsgewähr auch auf der Ebene der Sorgfaltspflichten der Parteien aus. Sie sind schon deshalb erheblich reduziert, da die Parteien davon ausgehen dürften, dass im Vertragsprozess angemessene (und damit auch verfassungskonforme) Verhandlungsergebnisse erzielt würden.240 Für Rechtsfragen, die bisher noch nicht durch die Rechtsprechung geklärt wurden, ist der Vorwurf mangelnder Sorgfalt hinsichtlich der fehlerhaften Bestimmung der Rechtslage zwar nicht per se ausgeschlossen.241 Jedoch sind Zweifel dann nicht als „hinreichend“ für einen Schuldvorwurf anzusehen, wenn „die Entwicklung schwer einzuschätzen“ ist.242 Gemeint ist damit die richterliche Bestimmung der Rechtslage sowie der rechtliche Bestand der einzelnen in Rede stehenden Vertragsbestimmung.243 Als Kriterien zur Bestimmung der „schweren Einschätzungsmöglichkeit“ können sowohl das in der Fachwelt ge234
BAG, Urteil v. 14.12.1999 – 3 AZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350. Zum früheren und heutigen Streitstand hinsichtlich der Grundrechtsbindung bei Tarifverträgen Schiek, in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 169 ff. 236 Coester-Waltjen, AcP 1990, 1, 7 f.; Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 74 f.; Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, Rn. 151; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 257. 237 Rieble/Klumpp, in: MünchArbR, § 163 Rn. 10; BAG, Urteil v. 20.2.2008 – 4 AZR 64/07 = BAGE 126, 75, 86, Rn. 41; Schiek, in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 211. 238 Vgl. etwa BAG, Urteil v. 20.2.2008 – 4 AZR 64/07 = BAGE 126, 75, 86, Rn. 41; zu terminologischen Unterschieden Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 75. 239 Franzen, in: ErfK, TVG, § 1 Rn. 52; Schiek, in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 309. 240 Reim/Nebe, in: Däubler, TVG, § 1 Rn. 150. 241 OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 – 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204. 242 BAG, Urteil v. 14.12.1999 – 3 AZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350; OLG Karlsruhe, Urteil v. 19.6.2008 – 12 U 4/08 = VersR 2009, 203, 204. 243 Nebeling/Miller, RdA 2007, 289, 289. 235
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schärfte „Problembewusstsein“ für die Materie sowie der diesbezügliche Stand der „Meinungsbildung“ herangezogen werden.244 Ein Schuldvorwurf kann trotz der Richtigkeitsgewähr der Richtlinie nur dann in Betracht kommen, wenn das Vertrauen in Richtigkeit und Rechtmäßigkeit der Richtlinien erheblich erschüttert wurde, wie dies etwa durch die Einführung des AGG angedacht wurde.245 Vergleicht man diesen Sorgfaltsmaßstab mit den Grundsätzen, die der BGH für die Entschuldbarkeit eines Irrtums entwickelt hat, wird deutlich, dass die Rechtsprechung des BAG zu einer erheblichen Absenkung der Hürden eines entschuldbaren Rechtsirrtums führt. Während eine schwer einschätzbare Rechtslage den Schuldner nach dem BGH nicht entlastet, er vielmehr aufgrund dieser Unsicherheit auf die Durchsetzung eigener Interessen verzichten muss, führen nicht auflösbare Zweifel an den tarifvertraglichen Bestimmungen nach ständiger Rechtsprechung des BAG zum Entfallen des Schuldvorwurfs aufgrund eines unverschuldeten Rechtsirrtums des Rechtsanwenders. (3) Kritik an tarifvertraglichem Vertrauensschutz Der weitreichende Vertrauensschutz und die Herabsenkung des Sorgfaltsmaßstabs sehen sich jedoch Kritik ausgesetzt.246 So stellt Krämer klar, dass die Angemessenheitsvermutung zwar beim äquivalenten Interessensausgleich, nicht aber bei den gesetzlichen Grenzen der tarifvertraglichen Gestaltungsfreiheit anzuerkennen ist.247 Die Richtigkeitsgewähr hinsichtlich des materiellen Verhandlungsergebnisses sei insbesondere keine Rechtmäßigkeitsgewähr, da Dritt interessen und zwingende Grenzen des Gesetzgebers nicht am Interessensausgleich der Parteien teilnähmen.248 Dieser Kritik ist im Wesentlichen zuzustimmen. Wenn man den Verhandlungsmechanismus gleichsam als vom Gesetzgeber vorgeprägtes Spiel gleichrangiger Kräfte begreift, ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob auch die vom Gesetzgeber oder von der Verfassung auferlegten Grenzen der kollektiven Privatautonomie eingehalten wurden. Das gegenseitige Fordern und Nachgeben schafft nur dort einen adäquaten Interessensausgleich, wo die in Rede stehenden Interessen auch Gegenstand der Vertragsverhandlungen sind. Gerade wenn man bedenkt, dass die Mechanismen der Vertragsverhandlungen Auslöser der Richtigkeitsgewähr sind, zeigt sich, dass ein besonders gesteigertes Vertrauen in die Einhaltung nicht unmittelbar interessensrelevanter Bestimmungen höherrangigen Rechts nicht gegeben ist. 244
BAG, Urteil v. 14.12.1999 – 3 AZR 713/98 = NZA 2000, 1348, 1350. Vgl. hierzu Nebeling/Miller, RdA 2007, 289, 289 ff. 246 Siehe Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 201 f. 247 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 201 f. 248 Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 83; Krämer, ebda., S. 201. 245
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Hieraus folgt freilich nicht, dass die Tarifvertragsbestimmungen überhaupt keinen Vertrauensschutz auslösten. Wenn richtigerweise festgestellt wird, dass der eigentliche Grund der Richtigkeitsgewähr in Art. 9 Abs. 3 GG und der damit einhergehenden kollektiven Privatautonomie liegt249, wird dies in der zivilrechtlichen Dogmatik durch die Überzeugung widergespiegelt, dass Verhandlungen zwischen paritätischen Parteien zu sachgemäßen Interessensausgleichen führen. Auf der Ebene des Fahrlässigkeitsvorwurfes bei verschuldensabhängigen Haftungstatbeständen folgt hieraus, dass die Parteien auf die Angemessenheit des Verhandlungsergebnisses und damit darauf vertrauen konnten, dass die Verträge nicht an einer unverhältnismäßigen Interessens-asymmetrie des Vertragsinhalts scheitern. Nur soweit sich der Rechtswidrigkeitsvorwurf gerade aus der Unverhältnismäßigkeit der Bestimmungen zu Lasten einer Partei herleitet, muss die Richtigkeitsgewähr auf die Ebene des Verschuldens als Rechtmäßigkeitsgewähr durchschlagen. Wird aber etwa um den Gleichheitsgrundsatz gestritten, weil die Arbeitnehmervertreter nicht ausreichend auf die Interessen von Minderheiten innerhalb der Koalition Rücksicht genommen haben, gilt diese Rechtmäßigkeitsgewähr schon nicht mehr. Im Vordergrund steht nämlich nicht mehr der Interessensausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern vielmehr die binnenrechtliche Meinungsbildung der Arbeitnehmervertreter, die das Ergebnis in rechtswidriger Weise beeinflusst haben könnte. Insoweit bestünde schon während der Verhandlungen ein Vertretungsdefizit der Minderheitsinteressen, das der Annahme einer Richtigkeitsgewähr entgegenstünde. Denn unstreitig ist, dass die Voraussetzungen der Richtigkeitsgewähr (Parität, Verhandlung, Autonomiebereich) für jeden Einzelfall dargelegt werden müssen.250 Eine pauschal verstandene Richtigkeitsgewähr, die zunehmend als Rechtmäßigkeitsgewähr Eingang in die Rechtsprechung findet251, ist vor diesem Hintergrund bereits im Kollektivvertragsrecht verfehlt. Sie ist hinsichtlich etwaiger Rechtsmängel insoweit zu begrenzen, als sie ihren Grund in der Unangemessenheit des Vertragsinhalts findet. Damit beschränkt sich die Richtigkeitsgewähr lediglich auf die „intersubjektive Austauschgerechtigkeit“252 des zustande gekommenen Vertrages sowie hieraus folgende Rechtsmängel.
249 BAG, Urteil v. 20.2.2008 – 4 AZR 64/07 = BAGE 126, 75, 86, Rn. 41; Rieble/Klumpp, in: MünchArbR, § 163 Rn. 10. 250 Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 73. 251 Zur Rechtmäßigkeitsgewähr Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 201 f. 252 Zum Individualvertrag Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, S. 83.
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bb) Übertragbarkeit auf die transplantationsrechtlichen Richtlinien Nach diesem engen Verständnis der materiellen Richtigkeitsgewähr stellt sich nunmehr die Frage, inwieweit eine Richtigkeitsgewähr der Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG in Betracht kommt. § 16 Abs. 1 S. 2 TPG gewährt grundsätzlich insoweit Vertrauensschutz, als angenommen werden kann, dass die Bestimmungen der Richtlinien den medizinischen Standard widerspiegeln. Zugunsten der Zentren wird vermutet, dass sie standardgemäß gehandelt haben, wenn und soweit sie die Richtlinien befolgen. Dies erscheint auf den ersten Blick auch für die Verschuldensebene als Hinweis, dass die Zentren auf die Übereinstimmung von medizinischem Standard und Richtlinieninhalt vertrauen dürfen und nicht etwa umfassende Rechtmäßigkeitserwägungen vornehmen müssen. Vor diesem Hintergrund ist zu klären, ob die Dogmatik der (eingeschränkten) Richtigkeitsgewähr auf die Richtlinien der BÄK übertragbar ist und ob sich eine Richtigkeitsgewähr eventuell auch aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG direkt herleiten lässt, sodass es auf einen derartigen Vertrauensschutz nicht mehr ankäme. (1) Keine Gewähr des Richtlinienprozesses Zunächst kann vor dem Vergleich beider Regelungssysteme festgehalten werden, dass eine Verengung des Prüfungsmaßstabs, wie sie das Kollektivarbeitsrecht durch die Richtliniengewähr kennt, für die transplantationsrechtlichen Richtlinien von vornherein ausscheidet. Würde man diese Grundsätze übertragen, könnten die Gerichte nicht mehr überprüfen, ob und inwieweit die Richtlinien tatsächlich mit den geltenden medizinischen Standards übereinstimmen. Die volle Überprüfbarkeit der Richtlinien hinsichtlich medizinischer Vorgaben mithilfe von Sachverständigen ergibt sich jedoch bereits unmittelbar aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG, der den Gegenbeweis durch den Patienten ausdrücklich zulässt. Dem steht auch nicht entgegen, dass in der prozessualen Praxis der Patient diesen Gegenbeweis – von evidenten Druck- und Formfehlern einmal abgesehen – nicht führen kann. Es reicht, wenn sich aus der gesetzgeberischen Zielvorstellung ergibt, dass die Möglichkeit des Gegenbeweises zulässig sein soll, da bereits hierdurch feststeht, dass die Regelungen und ihre Übereinstimmung mit dem medizinischen Standard gerichtlich voll überprüfbar sind.253 Damit bleibt die Frage im Raum, inwieweit die Transplantationszentren als mittelbare Regelungsadressaten und als durch die Beweislastmodifizierung Begünstigte von einer Übereinstimmung zwischen Richtlinieninhalt und medizi-
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Vgl. insoweit auch BVerfG, Beschluss v. 18.8.2014 – 1 BvR 2271/14 = BeckRS 2014, 57411 Rz. 4, das die volle Überprüfbarkeit der Richtlinieninhalte ausdrücklich hervorhob.
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nischem Standard ausgehen dürfen und ob dies zu einer Rechtmäßigkeitsgewähr der nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG erlassenen Richtlinien führt. Sofern an die Dogmatik der individual- und kollektivvertraglichen Richtigkeitsgewähr angeknüpft wird und hierüber ein unverschuldeter Rechtsirrtum konstruiert werden soll, muss sich die Rechtswidrigkeit der Bestimmung gerade auf die Nichtübereinstimmung mit dem medizinischen Standard beziehen. So wie tarifvertragliche Regelungen richtigerweise nur für die Angemessenheit und Interessensäquivalenz der Tarifverträge einer Richtigkeitsgewähr unterliegen, steht bei den BÄK-Richtlinien von vornherein die Anwendung dieser Grundsätze nur hinsichtlich der nichtrichtigen Feststellung des medizinischen Standards im Raum. Diese Frage ist entscheidungserheblich. Sofern man eine solche Richtigkeitsgewähr bejaht, wird man zumindest dann keinen Fahrlässigkeitsvorwurf erheben können, wenn vorgetragen wird, dass die BÄK den medizinischen Standard nicht richtig wiedergegeben oder ihre Regelungskompetenzen überschritten habe. Die Frage nach der Übertragbarkeit der Grundsätze aus dem Tarifvertragsrecht ist durchaus für eine Vielzahl von Fällen relevant, in denen zwar die Rechtswidrigkeit der Regelung festgestellt und ein objektiver Behandlungsfehler angenommen wurde, die Verletzung der rechtlichen Prüfpflicht jedoch fragwürdig erscheint. Zur Klärung dieser Frage soll zunächst ein Blick auf das auslösende Moment der Richtigkeitsgewähr geworfen werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass Vertragsverhandlungen zum Ausgleich antagonistischer Interessen, wie sie Individual- und Tarifverträgen vorausgehen, beim einseitigen Erlass der Richtlinien durch den Vorstand der Bundesärztekammer254 und neuerdings mit Genehmigung des Bundesministeriums für Gesundheit nach § 16 Abs. 3 S. 1 TPG nicht stattfinden. Damit würde es bereits an der Grundvoraussetzung der Richtigkeitsgewähr fehlen, wenn insoweit kein Äquivalent an die Stelle der Vertragsverhandlung tritt, das in gleichem Maße den Erfahrungssatz verkörpert, dass der eingeschlagene Weg der Entscheidungsfindung zu einem grundsätzlich „richtigen“ Ergebnis führt. Ein solches Substitut kann nicht in der besonderen fachlichen Expertise der Bundesärztekammer gesehen werden. Zwar ist diese Fachkunde der BÄK für medizinisch-wissenschaftliche Festsetzungen unstrittig anerkannt. Eine solche Betrachtungsweise würde verkennen, dass der besonderen Bedeutung der Vertragsgestaltung neben einem schlichten Erfahrungssatz vor allem fundamentale Verfassungswertungen der Vertragsfreiheit zugrunde liegen.255 Die Richtigkeitsgewähr ist nicht nur Ergebnis angenommener rationaler Verhaltensweisen 254 255
Zur Vorbereitung durch die Ständige Kommission Organtransplantation vgl. Glp. § 3 II. Vgl. Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 34 f.
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der Individuen, sondern auch zwingender verfassungsrechtlicher Freiraum, der von niemandem als den Individuen selbst besser ausgestaltet werden kann. Eine solche besondere verfassungsrechtliche Bedeutung kommt Festsetzungen von Berufskörperschaften, die über den berufsinternen Bereich hinauswirken, nicht zu. Vielmehr versucht der Gesetzgeber durch die Aufgabendelegation und Verbindung mit der Vermutungswirkung aus § 16 Abs. 1 S. 2 TPG den Richtlinien eine für das Transplantationsrecht entscheidende Ordnungsfunktion zuzumessen, die aber nicht dem freiheitsverwirklichenden Wert der Privatautonomie, sondern vielmehr dem Bemühen um Rechtssicherheit geschuldet ist. Würde man insoweit eine Richtigkeitsgewähr der Richtlinien anerkennen, hieße das, dass nunmehr jeder Festsetzung eines Expertengremiums oder einer Fachgesellschaft ein gesteigertes Vertrauen zukäme, das den Sorgfaltsmaßstab auf ein entschuldigendes Niveau reduzieren würde. Denn Anknüpfungspunkt wäre der Verfahrensmechanismus, nach dem die Richtlinien erlassen werden, mithin deren methodische Entwicklungssufe und konsensbasierte Entwicklung. Die zwingende Argumentation einer solchen Richtigkeitsgewähr bestünde darin, dass der Richtlinienfeststellung durch eine Berufskörperschaft gleiches Vertrauen hinsichtlich der Richtigkeit des beruflichen Standards zukäme, wie es bei Verträgen durch die gegenseitige Interessensabwägung in den Verhandlungen anerkannt ist. Aber weder geht es um kollektive (staatsunabhängige) Selbstbestimmung noch um kollektive Privatautonomie.256 Die Annahme einer methodologisch begründeten Richtigkeitsgewähr kann auch schon deshalb nicht richtig sein, da der Sachverständigenbeweis als Regelfall der medizinrechtlichen Beweisführung ohne weiteres geeignet ist, die inhaltlichen Festsetzungen herkömmlicher Leit- und Richtlinien von Fachgesellschaften zu entkräften. Auch für die Transplantationszentren kann vor diesem Hintergrund nichts anderes gelten. Befolgen sie die Richtlinien, wird auf objektiver Ebene die Befolgung des medizinischen Standards vermutet. Sie tragen aber dennoch das beweisrechtliche Risiko der Widerlegung der Vermutung nach § 292 S. 1 ZPO. Hieraus ergibt sich wiederum der Maßstab für den Fahrlässigkeitsvorwurf aus § 276 Abs. 2 BGB, wonach es an dieser Stelle allein auf die Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit des Rechtsirrtums ankommt. Ein besonderes Vertrauen, wonach es für die Zentren ausgeschlossen erschiene, dass ihre Festsetzungen nicht mit dem medizinischen Standard übereinstimmen, ergibt sich hieraus nicht. Im Vergleich zur vertraglichen Richtigkeitsgewähr fehlt es insoweit am rechtfertigenden Zurechnungszusammenhang aus Willens- und Interessenswiderspiegelung der Regelungsadressaten im Rechtssetzungsergebnis.
Vgl. zur Bedeutung im Kollektivarbeitsrecht Schiek, in: Däubler, TVG, Einl. Rn. 189 ff.; Thüsing, in: Wiedemann, TVG, § 1 Rn. 254. 256
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Dieses Ergebnis wird auch mit Blick auf die tatsächlich erlassenen Richtlinien der BÄK plausibel. Der „Mechanismus“ der Richtlinienerstellung schützt nicht davor, dass grundsätzliche Ebenen aus medizinischen und normativen Kriterien vermischt, verfassungswidrige Pauschalierungen festgesetzt oder die Rechtsgüter und Interessen der Patienten nicht in ausreichendem Maße abgewogen werden. (2) Divergierender Rechtsgüterausgleich im Transplantationsrecht Die Tarifverträge unterscheiden sich auch hinsichtlich der abstrakten und konkreten Wertigkeit der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter erheblich von den transplantationsmedizinischen Richtlinien zur Wartelistenführung und Organvermittlung. Während im Kollektivarbeitsrecht arbeitsvertragliche Regelungen, also vor allem materielle Werte, im Vordergrund stehen, tangieren die Richtlinien der Bundesärztekammer mit Leben, Körper und Gesundheit elementarste Rechtsgüter der Patienten. Die Divergenz aus „Entscheidungszuständigkeit und Entscheidungsbetroffenheit“257 der erlassenen Regelungen hat eine viel größere Tragweite, die eine besonders gründliche Ermittlung und Anwendung des medizinischen Standards erfordert. Wenn im Zusammenhang mit dem Patientenrechtegesetz erneut betont wird, dass eine Entschuldigung gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB durch subjektives Unvermögen im Arztrecht grundsätzlich nicht in Betracht kommt258, muss dies gerade in der Transplantationsmedizin zunächst uneingeschränkt gelten. Veröffentlichungen von Fachgesellschaften zur Ermittlung der fachlichen Standards sind im Medizinrecht omnipräsent259 und kein Spezifikum des Transplantationsrechts, das die Absenkung von Sorgfaltspflichten zu Lasten des Patienten rechtfertigen würde. Von einem durchschnittlich qualifizierten Facharzt auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin wird man deshalb fordern müssen, dass er die Bestimmungen der BÄK nicht unhinterfragt anwendet, sondern im Bewusstsein der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter kritisch und unter Hinzuziehung von (ggf. externem) Rechtsrat auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht. Eine Abkehr vom grundsätzlichen Sorgfaltsniveau des BGH, das schließlich auch bei weniger rechtsgutsintensiven Vertragstypen uneingeschränkt gilt, ist daher beim transplantationsmedizinischen Behandlungsvertragsrecht nicht angezeigt.
257 Für das Kollektivarbeitsrecht Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 112. 258 Rehborn, GesR 2013. 257, 259; Wagner, VersR 2012, 789, 791. 259 Vgl. Rehborn, GesR 2013. 257, 259.
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(3) Wertung der Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG Diese Wertung ist letztlich auch dem Gesetz selbst zu entnehmen. So zeigt die rechtstechnische Ausgestaltung von § 16 Abs. 1 S. 2 TPG anschaulich, dass die haftungsrechtliche Letztverantwortung für die Einhaltung des medizinischen Standards beim Transplantationszentrum verbleiben soll. Während der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 TVG die normative und unmittelbare Geltung der Tarifvertragsbestimmungen explizit angeordnet hat260, geht er in § 16 Abs. 1 S. 2 TPG von der Widerlegbarkeit und damit Fehleranfälligkeit der BÄK-Richtlinien aus. Zwar kommt der Gesetzgeber den Transplantationszentren insoweit entgegen, als § 16 Abs. 1 S. 2 TPG bei der Ausführung der Richtlinien die Einhaltung des medizinischen Standards vermutet. Jedoch zeigt die grundsätzliche Widerlegbarkeit nach § 292 S. 1 ZPO, dass das Transplantationszentrum trotz der modifizierten Beweislast mit einer Widerlegung der Vermutung rechnen muss und es einer Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Prüfung der Plausibilität und Rechtmäßigkeit der einzelnen Festsetzungen unterliegt. Die Notwendigkeit des kritischen Hinterfragens folgt für die tatsächlich medizinischen Festsetzungen auch aus den ständigen Neuerungen auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin. So können aufgestellte Regeln inhaltlich bereits veraltet sein. Hinsichtlich der Einbeziehung normativer Kriterien, die keiner spezifischen Dynamik unterliegen 261, folgt die erhöhte Sorgfaltspflicht aus der nun schon über fünfzehn Jahre anhaltenden Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit einzelner inhaltlicher Festsetzungen der Richtlinien.262 Von praktizierenden Fachärzten wird man verlangen können und müssen, dass die wesentlichen Grundzüge der verfassungsrechtlichen Probleme der BÄK-Festsetzungen sowie die Entscheidungen des Bundesverfassungsrechts zur Komplexität der Materie nachvollzogen werden. Legt man dieses Mindestmaß an rechtlichem Verständnis zugrunde, zeigt sich, dass ein unreflektiertes Vertrauen in die „Richtigkeit“ der Feststellungen der Bundesärztekammer auf der Wertungsebene nicht gerechtfertigt ist. Alle Beteiligten des Allokationssystems müssen damit rechnen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung künftig gegen die normativen Kriterien der BÄK-Richtlinien entscheiden wird.263 Vergegenwärtigt man sich diese aktuelle Konfliktstellung, spricht vieles dafür, den Transplantationszentren eher noch höhere Anforderungen an die Prüfung Franzen, in: ErfK, TVG, § 4 Rn. 4; Hamacher, in: Moll, MAH Arbeitsrecht, § 67 Rn. 10; Krämer, Die Richtigkeitsgewähr des Tarifvertrags, S. 86; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rn. 29 ff; Rieble/Klumpp, in: MünchArbR, § 163 Rn. 1 ff. 261 Vgl. Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 200 sowie Glp. § 3 III.2.b).bb). 262 Z. B. im Jahr 2005 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 12 Rn. 46; bereits im Jahr 2000 hierzu Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 80 ff. 263 Siehe auch Höfling/Lang, NJW 2014, 3398, 3404. 260
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der Rechtslage aufzuerlegen. Hätte der Gesetzgeber insoweit den Zentren ein bedingungsloses Vertrauen in die Richtigkeit der Richtlinien zubilligen wollen, hätte er § 16 Abs. 1 S. 2 TPG als unwiderlegliche Fiktion ausgestaltet. Der vermeintlichen Dynamik der Materie wäre durch die Pflicht der Bundesärztekammer zu regelmäßigen Aktualisierungen Rechnung getragen worden. Der Gesetzgeber wollte es aber erkennbar anders. Kann der Patient den Gegenbeweis führen, dass die Richtlinien entweder rein tatsächlich nicht den medizinischen Standard wiedergeben oder mit höherrangigem Recht unvereinbar sind, verletzt das Klinikum den medizinischen Standard und trägt hierfür die haftungsrechtliche Verantwortung. Eine Widerspiegelung der Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG auf der Verschuldensebene ist weder notwendig, noch wäre sie im Arzt-Patienten-Verhältnis vor dem Hintergrund der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter sachgemäß. cc) Ergebnis Die Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge rührt aus der besonderen Bedeutung der Vertragsverhandlungen als Mechanismus des Vertragsschlusses her. Insoweit besteht ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass die Tarifparteien durch die rechtlich zugebilligte Möglichkeit zur Arbeitsniederlegung gleichgeordnet sind und die erzielten Vertragsergebnisse einen sachgemäßen Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern widerspiegeln. Hieraus ergibt sich ein verfassungsrechtlich garantierter Freiraum aus Tarifautonomie und kollektiver Privatautonomie, der hinsichtlich der Angemessenheit der Bestimmungen eine Inhaltskontrolle durch die Gerichte ausschließt. Ist eine Norm deshalb rechtswidrig, weil sie aufgrund einer evidenten Unangemessenheit gegen höherrangiges Recht verstößt, ist zugunsten der Normadressaten eine Rechtmäßigkeitsgewähr anzuerkennen. Sie müssen ebenso wenig wie die Gerichte den Tarifvertrag auf eine Unangemessenheit hin kontrollieren. Diese Grundzüge können auf die BÄK-Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG nicht übertragen werden. Zum einen fehlt es an dem dogmatischen Grund für die Richtigkeitsgewähr, da den Richtlinien kein gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützter und effizienter Interessensausgleich zugrunde liegt. Die besondere Expertise der Bundesärztekammer stellt sich als kein taugliches Substitut zur Begründung einer Richtigkeitsgewähr dar. Zum anderen widerspricht die Wertigkeit der in der Transplantationsmedizin betroffenen Rechtsgüter der Patienten einer Absenkung des zu fordernden Sorgfaltsniveaus. Diese Wertung ist auch dem TPG zu entnehmen, da § 16 Abs. 1 S. 2 TPG als Vermutungsregel und nicht als Fiktion ausgestaltet wurde und der Gesetzgeber die am Vermittlungsprozess beteiligten Stellen mit der Möglichkeit einer Divergenz aus Richtlinieninhalt und medizinischem Standard konfrontiert.
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Damit bleibt es grundsätzlich beim Sorgfaltsniveau, welches der BGH in ständiger Rechtsprechung von den Vertragsparteien einfordert. Ein Rechtsirrtum ist erst dann entschuldigt, wenn mit einer abweichenden Entscheidung durch den BGH im konkreten Einzelfall vom betroffenen Verkehrskreis nicht mehr gerechnet werden kann. Dass dies angesichts der über zehn Jahre andauernden Diskussion und der jüngsten Zweifel des BVerfG an der Rechtmäßigkeit der Richtlinien nicht der Fall sein kann, liegt auf der Hand. e) Nicht lösbare Pflichtenkollision An diesem Ergebnis bestehen aber nach wie vor ernsthafte Zweifel. So sind die Anforderungen, die der BGH in seinen Grundätzen prägt, so hoch, dass das Transplantationszentrum nahezu bei jeder Kontraindikation damit rechnen müsste, dass der BGH im Rahmen einer umfassenden Interessensabwägung zwischen den Erwägungsgründen der Richtlinien und den Patienteninteressen zu einem divergierenden Ergebnis gelangt. Daher soll an dieser Stelle noch einmal ein Blick auf den Sinn und Zweck der Grundsätze der BGH-Rechtsprechung im Zusammenhang mit entschuldbaren Rechtsirrtümern geworfen werden. aa) Sinn und Zweck des hohen Sorgfaltsmaßstabs Bereits erwähnt wurde die grundsätzliche Überlegung, wonach der Schuldner in der synallagmatischen Vertragsbeziehung das Risiko der Verkennung der materiellen Rechtslage trägt.264 Damit soll verhindert werden, dass auf Kosten fremder Rechte eigene Interessen durchgesetzt werden, obwohl hinsichtlich des geltenden Rechts Unsicherheiten und Zweifel bestehen, die durch eine sorgfältige Prüfung der Rechtslage ausgeräumt oder zumindest entdeckt werden können.265 Diese Erwägung trägt im Fall des auf Grundlage der BÄK-Richtlinien entscheidenden Transplantationszentrums aber nicht vollständig. Es geht hier weniger um die Durchsetzung eigener Interessen als vielmehr um die Ermittlung einer Rechtspflicht, die das Zentrum im Interesse des Patienten wahrzunehmen hat. Insoweit drängt sich die Problematik des „nicht lösbaren Pflichtenwiderstreits“266 auf. Eine solche Fallkonstellation ergibt sich dann, wenn das Zentrum nach sorgfältiger Prüfung der Rechtslage zum Ergebnis kommt, das eine Kontraindikationsbestimmung der Bundesärztekammer aufgrund rechtlicher Erwä264 Vgl. BGH, Urteil v. 1.12.1981 – VI ZR 200/80 = NJW 1982, 635, 637; BGH, Urteil v. 26.1.1983 ‑ IV b ZR 351/81 = NJW 1983, 2318, 2321; BGH, Beschluss v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218; BGH, Urteil v. 12.7.2006 – X ZR 157/05 = NJW 2006, 3271, 3272 Rn. 19; Caspers, in: Staudinger, BGB, § 276 Rn. 55; Harke, NZM 2016, 449, 452. 265 BGH, Urteil v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218. 266 BGH, Urteil v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218.
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gungen nicht trägt. Kann es aber gleichzeitig eine gegenläufige höchstrichterliche Entscheidung nicht ausschließen, wäre es dennoch zur Ablehnung des Patienten verpflichtet, da es andernfalls das Risiko einer Fehlbehandlung durch Aufnahme in die Warteliste einginge. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum käme nach diesem Maßstab nicht in Betracht. Ergäbe sich aber ebenfalls die Möglichkeit, dass das erkennende Gericht die Ansicht des Zentrums teilt und die Anwendbarkeit der Bestimmung verneint, wäre das Transplantationszentrum zur Aufnahme des Patienten in die Warteliste verpflichtet. Hieraus ergibt sich ein Pflichtenwiderstreit, dem das Transplantationszentrum ausgesetzt ist und den es mit den herkömmlichen Prüfpflichten nicht auflösen kann. Vor diesem Hintergrund wird auch die BGH-Rechtsprechung einsichtiger. Wenn der Schuldner auf derart unsicherer Rechtsgrundlage agiert, geht die Wahrnehmung eigener Interessen zu seinen Lasten. Dies betrifft das Grundverständnis des synallagmatischen Vertrags, nach dem ein Verkennen der eigenen Verpflichtung den Schuldner nicht entlasten soll. Er gibt schließlich seiner Rechtsauffassung gegenüber jener des Gläubigers den Vorzug, obwohl er nach materiellem Recht zur Vornahme der Leistungshandlung verpflichtet wäre. In den Fallkonstellationen des BGH besteht also eine klare Maxime, nach welcher der Pflichtenwiderstreit aufzulösen ist: Kann der Schuldner nicht ausschließen, zur Leistung verpflichtet zu sein, muss er von der Verfolgung seiner vermeintlichen Rechte absehen. bb) Entscheidungsmaxime in der Transplantationsmedizin Diese vertragliche Risikoverteilung zu Lasten des im eigenen Interesse Handelnden kann auf den Fall des Transplantationszentrums, das die Aufnahme aufgrund fehlender Sprachkenntnisse ablehnt, nicht angewendet werden. Weder versucht das Transplantationszentrum eigene Interessen contra legem zu Lasten des Patienten durchzusetzen, noch zeugt es von einer Treu und Glauben widersprechenden Rücksichtslosigkeit, wenn sich das Zentrum im Prozess auf diese Pflichtenkollision beruft. In einer ähnlichen Fallkonstellation nahm der BGH bereits einen Beurteilungsspielraum bei nicht auszuschließenden Rechtszweifeln an.267 So wurde einem Verwalter ein Beurteilungsspielraum bei der Frage zugestanden, ob ein wichtiger Grund zur Verweigerung einer Zustimmung vorlag. Zwar sei dies eine Rechtsfrage mit den sich hieraus ergebenden Zweifeln. Da er aber sowohl bei Annahme als auch bei Nichtannahme eines wichtigen Grundes zu einer Zustimmungshandlung oder einem Unterlassen verpflichtet war, wurde ihm insoweit ein eigener Entscheidungsspielraum zugestanden, der, solange er sorgfältig 267
BGH, Urteil v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218.
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ausgewählte Kriterien bei der Entscheidung zugrunde legt, einem Schuldvorwurf entgegensteht.268 Überträgt man diese Rechtsprechung auf die Transplantationsmedizin, käme dem Transplantationszentrum ein Beurteilungsspielraum bei der Frage zu, ob die Bestimmung der Bundesärztekammer nun dem medizinischen Standard entspricht und verfassungsgemäß ist. Geht es bei der Prüfung sorgfältig vor und kommt schließlich zum Ergebnis, dass die Bestimmung der Bundesärztekammer nicht trägt, und entscheidet es daraufhin im Interesse des Patienten zugunsten der Aufnahme, müsste konsequenterweise auch der Schuldvorwurf entfallen. Hintergrund des zugestandenen Beurteilungsspielraums ist die Überlegung, dass je nach Ergebnis eine Verpflichtung gegenüber dem Patienten und nicht die Wahrnehmung eigener Interessen im Vordergrund steht. Keine der Entscheidungsoptionen würde das Zentrum in seiner Rechts- oder Interessenslage begünstigen, sodass die teleologischen Grundzüge des herkömmlichen Sorgfaltsniveaus nicht passen. Auf der anderen Seite ergibt sich die Besonderheit gegenüber gewöhnlichen Behandlungsverträgen, dass sich die Bestimmung des medizinischen Standards in der Transplantationsmedizin durch den besonderen Einfluss juristischer Wertungen als äußerst kompliziert darstellt. Der verschuldensrelevante Beurteilungsspielraum würde demnach auch für die Transplantationsmedizin gelten. Sofern sich objektiv erhebliche rechtliche Zweifel an der Haltbarkeit einer Norm ergäben, würde das Transplantationszentrum bei der Frage, ob der medizinische Standard durch die Richtlinie ordnungsgemäß wiedergegeben wird, über einen pflichtgemäßen Spielraum verfügen. Zieht es bei der Ausfüllung dieses Spielraums alle relevanten Gesichtspunkte in Betracht und wägt diese nach ihrer Bedeutung für den konkreten Fall gegeneinander ab, könnte ihm ein dennoch unterlaufener Irrtum nicht zur Last gelegt werden. Aber auch diese Konstruktion zur Absenkung der Sorgfaltspflichten bleibt nicht frei von Wertungswidersprüchen. Zum einen gehört die Bestimmung des medizinischen Standards zur vertraglich übernommenen Hauptleistungspflicht und damit zum schuldrechtlichen Risikobereich des Behandelnden. Zum anderen gibt das Transplantationszentrum wie bereits in den Ausgangsfällen des BGH der eigenen Rechtsauffassung gegenüber jener des Patienten den Vorrang. Ob die Tatsache, dass daraus keine Verbesserung der Rechtsstellung des Zen trums folgt, für einen solchen Beurteilungsspielraum ausreicht, erscheint zweifelhaft. Jedenfalls müsste ein anerkannter Beurteilungsspielraum wiederum durch die vertraglichen Beziehungen zum Patienten eingeschränkt werden, sodass dessen Interessen, insbesondere das Interesse an der Aufnahme in die Wartelis268
BGH, Urteil v. 21.12.1995 – V ZB 4/94 = NJW 1996, 1216, 1218.
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te, innerhalb dieses Spielraums berücksichtigt werden müssten. Die Entscheidungsfreiheit und Verantwortung des handelnden Arztes hat sich auch innerhalb des Beurteilungsspielraums an dem Wohl und dem Willen des Patienten im Rahmen der patientenzentrierte Therapie269 zu orientieren, Dies gilt umso mehr bei der Bestimmung der inneren Sorgfaltspflichten, die im Besonderen die „Minimierung und Beherrschung der Gefahr für den Patienten“270 im Auge haben. Im Zweifel hat sich das Transplantationszentrum über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte so zu entscheiden, dass die Grundrechtspositionen des Patienten und damit seine objektivierte Interessenslage gewahrt blieben. Dies wird dadurch erreicht, dass sich das Zentrum jedenfalls dann nicht der Haftung entziehen kann, wenn es die Bedeutung der Rechtsgüter der Patienten bei der Auslegung des Stands der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft verkannt hat. Insoweit ist § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG eng zu fassen und im Interesse des Pateinten bei sich ergebenden Zweifelsfragen so auszulegen, dass normative Kriterien, wie im vorliegenden Fall die fehlenden Sprachkenntnisse, nicht dem medizinischen Standard entsprechen und daher außer Betracht bleiben müssen. Insoweit kann von einer in-dubio-pro-vita-Maxime gesprochen werden, nach der die bestehende Pflichtenkollision aufzulösen ist. Ergeben sich gravierende Rechtsunsicherheiten, die nach der BGH-Rechtsprechung zu einem unüberwindbaren Pflichtenwiderstreit führen würden, ist dem Transplantationszen trum dann kein Vorwurf zu machen, wenn es in dubio pro vita der Aufnahme in die Warteliste den Vorzug gibt. Damit kommt dem ursprünglich medizinethischen Prinzip auch im transplantationsmedizinischen Einzelfall rechtliche Bedeutung zu, da nur bei der hier präsentierten Entscheidungsmaxime das Grundrecht Leben als Basisrechtsgut und Höchstwert der Verfassung271 (konkretisiert im hiervon abgeleiteten derivativen Teilhaberecht an der Vermittlung postmortal gespendeter Organ) überhaupt in die Auflösung der Problematik einbezogen wird. Erfolgt eine nach diesem juristischen und medizinethischen Prinzip strukturierte Entscheidung in elementaren Zweifelsfragen, kann von einer Außerachtlassung der verkehrsüblichen Sorgfalt nicht mehr ausgegangen werden. Dogmatisch lässt sich die Berücksichtigung der Patienteninteressen bei der Feststellung eines objektiv zu bestimmenden medizinischen Standards auf der Verschuldensebene mit der teleologischen Grundlage der Rechtsprechungsgrundsätze zum entschuldbaren Rechtsirrtum begründen. Denn die tragende Erwägung beim schuldhaften Rechtsirrtum besteht darin, dass die Parteien das Risiko der fehlerhaften Rechtsauslegung nicht auf den Vertragspartner verlagern dürfen. Daraus ergibt sich, dass jedenfalls dann die hohen Hürden der 269
Im med. Kontext Söffker/Komm/Kluge, Med Klin Intensivmed Notfmed 2014, 396,
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Deutsch, NJW 1993, 1506, 1509. BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 – 1 BvF 1–6/74 = NJW 1975, 573, 575.
396.
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Rechtsprechung nicht sachgemäß sind, wenn dem Interesse des Patienten bei der Vermeidung des Rechtsirrtums ausreichend Rechnung getragen wurde, die Interessen des Behandelnden bei der Feststellung der Rechtslage mithin weder bewusstseins- noch entscheidungsdominant waren. Handelt das Zentrum im wohlverstandenen Gesundheitsinteresse des Patienten und geht im Zweifel von der Unbeachtlichkeit der Kontraindikationsbestimmung nach dem Salusaegrotisupremalex-Grundsatz aus, hat es die Gebote der inneren Sorgfalt erfüllt. Im Ergebnis besteht damit eine eindeutige in dubio pro vita-Maxime zur Auflösung der Pflichtenkollision, sodass es auf einen rechtlichen Beurteilungsspielraum der Transplantationszentren im Ergebnis nicht mehr ankommt.272 f) Ergebnis Geht das Transplantationszentrum auf der Grundlage einer rechtlich zu beanstandenden Bestimmung der BÄK-Richtlinien von einer Kontraindikation aus, verletzt es hinsichtlich der Nichtaufnahme des Patienten in die Warteliste den medizinischen Standard und damit die verschuldensrelevante äußere Sorgfalt. Hinsichtlich der Gebote der inneren Sorgfalt steht eine Verletzung der rechtlichen Prüfpflicht im Raum. Eine Richtigkeitsgewähr wie etwa für Tarifverträge des Kollektivarbeitsrechts, welche die Sorgfaltspflichten in erheblichem Maße reduziert, kommt aus dogmatischen und normlogischen Gründen im Zusammenhang mit § 16 Abs. 1 S. 2 TPG nicht in Betracht. Da die Rechtsprechungsgrundsätze zum entschuldbaren Rechtsirrtum zu einer vermeintlichen Pflichtenkollision auf Seiten des Transplantationszentrums führen, ist zu dessen Gunsten grundsätzlich ein eingegrenzter Beurteilungsspielraum anzuerkennen. In Zweifelsfällen hat sich das Zentrum aber an den Gesundheits- und Lebensinteressen des Patienten zu orientieren. Diese zwingen im Regelfall zur Verwirklichung des derivativen Teilhabeanspruchs des Patienten und damit zur Aufnahme in die Warteliste. Legt das Zentrum diese Überlegung der Entscheidung zugrunde, ist von der Einhaltung der Gebote der inneren Sorgfalt auszugehen.
5. Unzureichende Information über Kriterien der Wartelistenführung Informiert das Krankenhaus den Patienten nicht in ausreichendem Maße über die wesentlichen Umstände der Behandlung, ist hierin eine Pflichtverletzung zu sehen, die zu Schadensersatz- und ggf. Schmerzensgeldansprüchen des Patienten führen kann. Wie bereits in § 4273 hergeleitet, trifft das Transplantationszen272 Etwaige Drittinteressen anderer Patienten auf der Warteliste sind ebenfalls nicht berührt, vgl. hierzu bereits Glp. § 4 III. sowie Glp. § 6 II.2. 273 Glp. § 4 IV.4.c).
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trum im Zusammenhang mit der transplantationsmedizinischen Betreuung des Patienten die Pflicht, über die zugrunde gelegten Kriterien der Wartelistenführung umfassend aufzuklären. Dies umfasst insbesondere die Information, inwieweit eigenes zurechenbares Verhalten als non-Compliance zum Ausschluss aus der Warteliste führen kann.274 a) Beweislast und Beweislastmodifizierung Unter Berücksichtigung des teleologisch-systematischen Zusammenhangs von § 630e Abs. 1 BGB ist die Pflicht, den Patienten über die Wartelistenkriterien zu belehren, nach der neuen Terminologie des Patientenrechtegesetzes keine Aufklärungs-, sondern Informationspflicht nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB. Dies hat mit Blick auf die Beweislastmodifizierung des § 630h Abs. 2 S. 1 BGB haftungsrechtliche Konsequenzen. Soweit man entgegen der hier vertretenen Ansicht in der Wartelistenführung eine medizinische Maßnahme im Sinne des § 630d Abs. 1 S. 2 BGB sähe, müsste das Transplantationszentrum im Arzthaftungsprozess den Nachweis führen, entsprechend den Anforderungen aus § 630e Abs. 1 BGB aufgeklärt zu haben. Dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist die Tatsache geschuldet, dass die Aufklärung grundsätzlich mündlich erfolgen muss und der Patient sie mit Blick auf § 630h Abs. 2 S. 1 BGB in der Regel schriftlich bestätigt. Dies entspricht nicht der gängigen Praxis der derzeitigen Transplantationszentren, die in ihren Aufklärungsbögen zwar regelmäßig über den Verlauf der Krankheit und die in Betracht kommenden Heilmethoden informieren, die Allokationskriterien aber nur mündlich mit dem Patienten besprechen. Stellt sich der Patient nun auf den Standpunkt, er sei durch das Klinikpersonal nicht über die Bedeutung seiner Mitwirkungshandlung aufgeklärt worden, sähe sich das Transplantationszentrum in der Situation, beweisen zu müssen, dass hie rüber sehr wohl aufgeklärt worden sei, § 630h Abs. 2 S. 1 BGB. Dieses non liquet ginge zu Lasten der Transplantationszentren, die für Verzögerungsschäden oder Gesundheitsverschlechterungen, die kausal durch die Nichtberücksichtigung im Organvermittlungsverfahren entstünden, einzustehen hätten.275 Anders verhält sich die haftungsrechtliche Situation, wenn man von einer Informationspflicht nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ausgeht. Hiernach hat der Patient, wie auch sonst im allgemeinen Prozessrecht, die für ihn günstigen und anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen, zu denen die unzureichende Information über Mitwirkungspflichten des Patienten als maß274 Vgl. Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 57 Rn. 1, wonach unter die therapeutische Pflicht fällt, den Patienten durch Belehrung „vor Schaden zu bewahren“. 275 Die Problematik des Kausalitätsnachweises stellt sich für den Patienten freilich in gleichem Umfang wie in den oben betrachteten Fällen.
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gebliche Pflichtverletzung zählt. Dieser Beweis muss zur vollen Überzeugung des Gerichts erfolgen. Der Umstand, dass die Transplantationszentren in der Praxis mündlich aufklären, würde demnach zunächst nicht ins Gewicht fallen. Dennoch sei geraten, von dieser Praxis Abstand zu nehmen und die mündliche Belehrung schriftlich in entsprechenden Informationsbögen bestätigen zu lassen. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund sinnvoll, dass die mündliche Information auf diese Weise dauerhaft fixiert wird und dem Patienten nachlesbar zur Verfügung steht. Letzteres ist insofern relevant, als § 630c Abs. 2 S. 1 klarstellt, dass auch während des Verlaufs der Behandlung „soweit erforderlich“ Informationspflichten eingreifen können. Vergegenwärtigt man sich die durchschnittliche Wartedauer eines Patienten für die Zuteilung eines Organs, die regelmäßig fünf bis sieben Jahre dauern kann, versteht es sich von selbst, dass eine einmalige mündliche Belehrung zu Beginn der transplantationsmedizinischen Betreuung den Anforderungen aus § 630c Abs. 2 BGB nicht genügt. Insoweit würde die schriftliche Fixierung einen in diese Richtung zielenden Vorwurf nicht ausreichender Belehrung relativieren.276 Die Verpflichtung zur Dokumentation der Belehrung in der Patientenakte nach §§ 630f Abs. 2 S. 1, 630h Abs. 3 BGB bleibt hiervon freilich unberührt. b) Unzureichende therapeutische Aufklärung als grober Behandlungsfehler Unabhängig von der Beweislastmodifizierung des § 630h Abs. 2 S. 1 BGB hätte der Patient die Kausalität zwischen der mangelnden Information und dem eingetretenen Schaden zu beweisen. Etwas anderes könnte sich aber dann ergeben, wenn ein besonders schwerer Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung vorliegt. Wenn etwa im Fall des VG München der Patient trotz ersichtlicher Verständigungsprobleme in der deutschen Sprache nicht auf die Notwendigkeit eines Dolmetschers hingewiesen wurde und die Aufnahme in die Warteliste daraufhin mit Verweis auf das Fehlen eines Dolmetschers abgelehnt wurde, wäre hierin ein schwerer Verstoß gegen § 630c Abs. 2 S. 1 BGB zu sehen. Beweisrechtlich hätte dies eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität zur Folge, die bereits vor der Kodifizierung der §§ 630a ff. BGB in der Rechtsprechung für schwere Fehler der therapeutischen Aufklärung bejaht wurde und nach dem Willen des Gesetzgebers unverändert fortgelten sollte.277 Bei der therapeutischen Aufklärungspflicht handele es sich demnach um eine
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Insoweit kann auf die Wertung von § 630e Abs. 2 S. 2 BGB abgestellt werden, der dem Patienten ein Recht auf eine Abschrift der Aufklärung zugesteht. 277 BT-Drs. 17/10488, S. 31; zur st. Rspr. statt vieler BGH, Urteil v. 25.4.1989 – VI ZR 175/88 = NJW 1989, 2318, 2319; BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 102; sowie Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 58 Rn. 2.
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„selbstverständliche Behandlungspflicht“278, deren Verletzung jedenfalls dann als „grob“ zu werten ist, wenn der behandelnde Arzt „unschwer“ erkennen konnte, dass die durchgeführte Information nicht „den gewünschten Erfolg“279 haben konnte. c) Ergebnis Im Ergebnis lässt sich damit festhalten, dass die mangelnde Belehrung über die Wartelistenkriterien eine Verletzung der Informationspflichten aus § 630c Abs. 2 BGB darstellt, die aber vom Patienten zu beweisen ist. § 630h Abs. 2 S. 1 BGB greift nicht ein. Für die Praxis ist mit Blick auf § 630c Abs. 2 S. 1, 2. Hs. BGB eine schriftliche Fixierung und Bestätigung durch den Patienten ratsam. Ein schwerwiegender Fehler bei der Wahrnehmung der Informationspflichten stellt einen groben Behandlungsfehler im Sinne des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB dar, sodass über die Kausalitätsvermutung eine Haftung des Transplantationszen trums in erheblichen Fällen bejaht werden kann.
6. Derivatives Teilhaberecht und Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr a) Zivilrechtlicher Schutz des derivativen Teilhaberechts Dem Patienten kommt kein originäres Recht auf die Zuteilung eines Organs, dafür aber ein abgeleitetes Recht auf gleichmäßige Teilhabe an den gespendeten Organen zu.280 Dies folgt im Wesentlichen aus den verfassungsrechtlichen Wertungen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip.281 Dass neben der liberalstaatlichen Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen die Staatsgewalt auch Schutz- und Leistungsfunktionen bestehen, ist mittlerweile anerkannt.282 Wenn es um knappe Güter im Rahmen der Mangelverwaltung geht, die im Rahmen des Vermittlungsmonopols des Staates verteilt werden, kann sich für den einzelnen Bürger nur ein Recht auf gleichmäßige Teilhabe, aber kein Anspruch auf eine erfolgreiche Zuteilung der Ressource ergeben.283 Ginge man insoweit von einem originären Leistungsrecht aus, müsste jedem medizinisch geeigneten Patienten ein Organ vermittelt werden. Aufgrund des chronischen Organmangels liegt ein originäres Leistungs278
BGH, Urteil v. 25.4.1989 – VI ZR 175/88 = NJW 1989, 2318, 2319; BGH, Urteil v. 16.6.2009 – VI ZR 157/08 = MedR 2010, 101, 103. 279 BGH, Urteil v. 25.4.1989 – VI ZR 175/88 = NJW 1989, 2318, 2319. 280 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 10; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 492. 281 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297. 282 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93. 283 Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 491.
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recht aller Patienten aber außerhalb der tatsächlichen Möglichkeiten der staatlichen Leistungsverwaltung.284 Da aufgrund des chronischen Defizits an Organen nicht jedem Patienten ein Organ zugeteilt werden kann, scheidet ein gegen den Staat gerichtetes, originäres Leistungsrecht auf eine Organzuteilung mithin aus. An seine Stelle tritt ein derivatives Recht, dass sich aus der vorangegangenen Verteilung von Organen durch den Staat ableitet.285 Der Patient hat ein subjektives Recht darauf, unter gleichen Voraussetzungen die gleiche Leistung aus den vorhandenen staatlichen Mitteln zugeteilt zu bekommen, wie andere vor ihm begünstigte Patienten.286 Dieses Teilhaberecht gilt insbesondere dort, wo ein staatliches Monopol hinsichtlich der Leistungsverteilung besteht und die in Rede stehende Leistung die notwendige Voraussetzung für die Grundrechtsverwirklichung ist.287 Bader geht in diesem Zusammenhang sogar davon aus, dass im Einzelfall „sehr wohl ein Recht auf ein Organ bestehen“ kann und sich jede fehlerhafte Zuteilung „für den unrechtmäßig übergangenen potentiellen Organempfänger als Grundrechtsverletzung“ darstellt.288 Der Anspruch sei insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als subjektives Freiheitsrecht herzuleiten und gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG in der Schrankenbestimmung vorgängig.289 Im Zusammenhang mit dem derivativen Teilhaberecht als abgeleiteter Leistungsanspruch des Patienten ist zu bedenken, dass sich das Gebot eines effizienten Allokationssystems nicht zuletzt aus der Schutzpflicht des Staates hinsichtlich des individuellen Lebensschutzes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG herleitet und diesem verpflichtet ist.290 Jedes Allokationssystem folgt dem aus den Individualgrundrechten hergeleiteten „Optimierungsgedanken“, das Rechtsgut in möglichst hohem Maße zu realisieren.291 Diese Hervorhebung trifft auch das BVerfG im Urteil über die Verfassungsmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen 292: 284 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 296; Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien, S. 63. 285 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 296. 286 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 298. 287 BVerfG, Urteil v. 18.7.1972 – 1 BvL 32/70 = NJW 1972, 1561, 1561 ff. (Numerus-Clausus I); Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 298. 288 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 300. 289 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 299 f. 290 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93; Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 348. 291 Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 93: „Der Individualcharakter des Abwehrgrundrechts wird hierdurch nicht berührt“. 292 BVerfG, Urteil v. 25.2.1975 – 1 BvF 1 – 6/74 = NJW 1975, 573, 580 (Schwangerschaftsabbruch I); zum Grundsatz der Lebenswertindifferenz Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 349.
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„Der Effizienz der Regelung im Ganzen darf der Grundrechtsschutz im Einzelnen nicht geopfert werden. Das Gesetz ist nicht nur Instrument zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse nach soziologischen Erkenntnissen und Prognosen, es ist auch bleibender Ausdruck sozial ethischer und – ihr folgend – rechtlicher Bewertung menschlicher Handlungen; es soll sagen, was für den Einzelnen Recht und Unrecht ist.“
Die aufgestellten Regeln eines Verteilungssystems dienen damit niemals der Effizienz an sich oder einem abstrakten Systemvertrauen, sondern sind gleichsam Ausdruck eines individuellen Schutzauftrages, der sich nur wegen beschränkter Leistungsmöglichkeiten des Staates zu einem hiervon abgeleiteten, derivativen Leistungsrecht verengt. Der individuelle Schutzauftrag zeigt sich aber auch unmittelbar in der teleologischen Rechtfertigung des Dringlichkeitskriteriums. Danach soll derjenige das Organ erhalten, der es am dringendsten benötigt, dessen Rechtsgut mithin am meisten gefährdet ist.293 Damit knüpft der Gesetzgeber unmittelbar an die Dogmatik der staatlichen Schutzpflichten an, die sich aber unstrittig aus den Individual-, nicht Kollektivrechtsgütern herleiten.294 Bereits aus dem Grundsatz der Lebenswertindifferenz folgen die Relevanz des Lebensschutzes und die Absage an saldierte Gesamtnutzenbetrachtungen.295 Ob das „Optimierungsziel“ nun durch konkret individualschützende Normen oder vielmehr durch die Steigerung des konkreten Systemvertrauens sowie die damit einhergehende erhöhte Spendebereitschaft der Bevölkerung erreicht werden soll, bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Die Frage, ob die vermittlungsrelevanten Normen individuellen Lebensschutz bezwecken, lässt sich hieraus nicht beantworten. Auf diese Frage wird im Folgenden noch einmal einzugehen sein.296 In jedem Fall dient es der Verwirklichung allgemeinen Lebensschutzes und gewährt dem einzelnen Patienten ein subjektives Recht auf gleichmäßige Teilhabe gegen den Staat. In das derivative Teilhaberecht des Patienten gegen den Staat kann durch zwei denklogische Verhaltensweisen eingegriffen werden. Die erste Gefährdungslage für das Teilhaberecht entsteht durch die Wartelistenführung des Transplantationszentrums. Wird der Patient ohne ausreichende sachliche Rechtfertigung von der Warteliste ausgeschlossen, wird auf sein Recht der gleichmäßigen Berücksichtigung im Verteilungsverfahren eingewirkt. Die hiergegen gerichteten Ansprüche können sich zum einen auf den Behandlungsfehler stützen. Zum anderen kommen Ansprüche aufgrund der Verletzung des derivativen
Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 352. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 352. 295 Vgl. Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 348 f.; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 58: Organverteilung als „individuelle Nutzenmaximierung“. 296 Glp. § 6 II.1.b).aa).(2). 293
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Teilhaberechts als eigenständig zu denkende Rechtsposition in Betracht. Sie sollen im Folgenden untersucht werden. Eine weitere Gefährdungslage für das Teilhaberecht der Patienten entsteht durch unrichtige und Dritte richtlinienwidrig begünstigende Gesundheitsangaben der Ärzte anderer Patienten. Durch Falschangaben besteht die Gefahr, dass Erstplatzierte der konkreten Match-Liste regelwidrig „überholt“ und von einem aussichtsreichen Listenplatz verdrängt werden. Die in dieser Fallkonstellation auftretenden Kausalitäts- und Nachweisschwierigkeiten, die Frage, ob die Verhaltenspflicht der §§ 10 ff. TPG vor individuellen Gesundheitsschäden schützen möchte und ob darüber hinaus haftungsrechtliche Ansprüche aufgrund des Eingriffs in derivative Teilhaberechte in Frage kommen, wird an späterer Stelle297 erneut aufgegriffen. b) Deliktsrechtlicher Schutz des derivativen Teilhaberechts aa) Sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB Völlig ungeklärt ist die Frage, ob sich ein Anspruch des Patienten gegen den behandelnden Arzt nicht nur aufgrund einer (hinsichtlich der Kausalität in der Regel nicht nachweisbaren) Gesundheitsschädigung, sondern bereits aus der Verletzung des derivativen Teilhaberechts als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB begründen lässt. Während bei der vorgebrachten Gesundheitsschädigung als Rechtsgutsverletzung die Kausalität ohne die Kausalitätsvermutung nach § 630h Abs. 5 BGB grundsätzlich nicht nachweisbar ist, steht hinsichtlich des nicht berücksichtigten Patienten sicher fest, dass durch die Nichtaufnahme in sein Recht auf gleichmäßige Berücksichtigung eingegriffen wurde. Die Rechtsgutsverletzung wäre dann nicht die Gesundheitsverletzung, sondern unmittelbar das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Vermittlungssystem. An der Kausalität zwischen Nichtaufnahme in die Warteliste und Verletzung des derivativen Teilhaberechts bestehen keine Bedenken. Die eigentliche Problematik stellt sich dahingehend, ob das gegen den Staat gerichtete derivative Teilhaberecht ein Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB und der (eintretende) Gesundheitsschaden nunmehr auf haftungsausfüllender Ebene vom Normzweck der verletzten Verhaltenspflicht umfasst ist. Unter dem Begriff des sonstigen Rechts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB versteht man absolute Rechte, die in Anlehnung an das zuvor genannte Eigentumsrecht eine positive Nutzungs- oder Zuweisungsfunktion sowie eine Ausschlussfunktion gegenüber Dritten entfalten.298 Eine solche Zuständigkeitsfunktion ist 297
Glp. § 6 II.1. BGH, Urteil v. 18.1.2012 − I ZR 187/10 = NJW 2012, 2034, 2036 Rn. 23; Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 143; Wagner, in: MünchKomm, § 823 Rn. 206. 298
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dem derivativen Teilhaberecht aber nicht zu entnehmen. So ist allgemein anerkannt, dass die Befugnis zur Ausübung des Gemeingebrauchs nur den Staat gegenüber dem Grundrechtsadressaten verpflichtet.299 Ein subjektives Leistungsrecht des Bürgers ist lediglich ein aus dem Rechtsgut Leben abgeleiteter Anspruch gegen den Staat auf Gleichbehandlung und zeigt damit relativen Charakter. Aus der garantierten Schutzfunktion von Art. 3 Abs. 1 i. V. m. 2 Abs. 2 GG ergibt sich weder eine positive Zuweisungsfunktion, noch eine negative Abwehrfunktion. Vielmehr leitet sich das Recht aus dem vorangegangenen Verhalten des Staats selbst ab, der nach Verfassungsvorgaben zur Gleichbehandlung verpflichtet ist. Hieraus ergibt sich auch keine Unterschreitung der staatlichen Schutzpflicht im Sinne des Untermaßverbots. Vielmehr werden die Chancengleichheit und Systemintegrität durch § 19 Abs. 2a TPG als strafrechtlich geprägter, subsidiärer Rechtsgüterschutz in verfassungsrechtlich ausreichendem Maße geschützt.300 Gelegentlich wird vorgetragen, dass derivative Teilhaberecht verdichte sich zu einer Art „Anwartschaftsrecht“301, wenn und soweit der Patient bei richtlinienkonformer Match-Listen-Bestimmung als Erstplatzierter gesetzt wurde. Dann habe er eine Rechtsposition hinsichtlich der Zuteilung des Organs erlangt, die nur noch widerrechtlich beeinträchtigt werden könne.302 Hofmann und Schroth weisen zu Recht darauf hin, dass eine solche verfestigte Rechtsposition im Sinne eines Anwartschaftsrechts am Organ realiter nicht besteht.303 Nach den Richtlinienwerken der Bundesärztekammer und des Euro transplant-Manuals besteht eine Verpflichtung auf Vermittlung des Organs erst, nachdem alle tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, insbesondere die Zustimmung des Transplantationschirurgen und die medizinische Eignung des Organs beim potentiellen Organempfänger, gesichert vorliegen. Das derivative Teilhabrecht verdichtet sich demnach erst zu einem viel späteren Zeitpunkt zu einer konkreten Vermittlungsaussicht. Zum Zeitpunkt der Wartelistenaufnahme besteht damit noch kein Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, auf das durch das Transplantationszentrum eingewirkt wird. bb) Transplantationsrechtliche Normen als Schutzgesetze? Knüpft man an diese Argumentation hinsichtlich der Rechtsnatur des derivativen Teilhaberechts der Patienten an, muss folgerichtig auch die Frage nach der 299
300
Wagner, in: MünchKomm, § 823 Rn. 238. Zur strafrechtspolitischen Bewertung des § 19 Abs. 2a TPG Schroth, MedR 2013, 645,
645 ff. 301 Rissing-van Saan, NStZ 2014, 486, 492. 302 Rissing-van Saan, NStZ 2014, 486, 492. 303 Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 491.
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Schutzgesetzeigenschaft der in Rede stehenden Normen des TPG entsprechend beantwortet werden. Bei dem Schutzgesetz muss es sich um eine Rechtsnorm im Sinne des Art. 2 EGBGB handeln, die den Inanspruchgenommenen mit einem Ge- oder Verbot adressiert und darüber hinaus (zumindest auch) Individualschutz zugunsten des Anspruchstellers bezweckt.304 Der Individualschutzcharakter ist dabei anspruchsbegründende Voraussetzung von § 823 Abs. 2 BGB und für die Frage nach dem persönlichen Schutzbereich der Norm präjudizierend.305 Der Schutz der individuellen Rechtsgüter darf nicht nur bloßer Rechtsreflex des Gesetzes sein, sondern muss auch der Zwecksetzung der Norm entsprechen.306 (1) § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG schützt als formelle Rechtsnorm mit den besonders hervorgehobenen Kriterien der „Erfolgsaussicht“ und „Notwendigkeit“ das Interesse des Patienten an der Verwirklichung seines derivativen Teilhaberechts. Darüber hinaus verpflichtet sie auch das Krankenhaus bei der standardentsprechenden Heilbehandlung zum individuellen Gesundheitsschutz des Patienten. Die objektiv-teleologische Auslegung der Pflichtaufgabe führt zu einer Einordnung als privatrechtliche Pflicht, die überwiegend im Interesse des konkreten Patienten steht.307 Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt, die insoweit klarstellt, dass die Pflicht aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG dem Behandlungsvertrag entspringt und als zwingendes Privatrecht ausgestaltet ist. Die Schutzgesetzeigenschaft von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 gegenüber dem Transplantationszentrum als unmittelbaren Regelungsadressaten wird innerhalb der transplantationsrechtlichen Literatur einhellig anerkannt.308 Sie konkretisiert die Rechtsposition des Patienten im Hinblick auf die Wartelistenführung und führt zu einem konkreten Anspruch auf Aufnahme, wenn keine der grundsätzlichen Heilbehandlung des Patienten entgegenstehenden Kontraindikationen vorliegen. Letztere müssen sich dabei auf rein medizinische Umstände beziehen.
Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 107 ff. Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 113. 306 Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 57. 307 Vgl. ausführlich Glp. § 4 III.5. 308 Vgl. Clement, Der Rechtsschutz potentieller Organempfänger nach dem TPG, S. 167; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 10; Lang, in: Höfling, TPG, Einf. IV. Rn. 38; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen, S. 110. 304 305
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(2) § 12 Abs. 3 S. 1 TPG Dass es sich bei der Bestimmung des § 12 Abs. 3 S. 1 TPG um eine Rechtsnorm im Sinne des Art. 2 EGBGB handelt, ist unzweifelhaft. Ob die hierin festgelegten Vermittlungsmaßstäbe über den kollektiven Gesundheitsschutz hinaus auch den individuellen Schutz von Körper, Gesundheit und Leben des konkreten Patienten bezwecken, wird vielfach bezweifelt und soll an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen werden.309 Für die Schutzgesetzeigenschaft reicht jedenfalls, dass § 12 Abs. 3 TPG der dem derivativen Teilhaberecht zu dienen bestimmt und insoweit dem „Schutz eines anderen“ verpflichtet wäre.310 Ob dies der Fall ist oder das derivative Teilhaberecht nicht vielmehr originär aus dem Verfassungsrecht fließt und von § 12 Abs. 3 TPG reflexhaft bezweckt wird, ist an dieser Stelle nicht entscheidungserheblich. Zwingende Voraussetzung für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist nämlich, dass der Haftungsadressat gegen das Schutzgesetz „verstößt“, mithin selbst Normadressat des Schutzgesetzes ist.311 Zwar enthält § 12 Abs. 3 S. 1 TPG ein Vermittlungsgebot sowie ein Verbot der Einbeziehung nichtmedizinischer Kriterien. Regelungsadressat ist aber die Vermittlungsstelle und nicht das Transplantationszentrum, das im funktionalen Ablauf des Organtransplantationsverfahrens – vom beschleunigten Vermittlungsverfahren einmal abgesehen – an der Vermittlung der Organe selbst nicht beteiligt ist. (3) Richtlinien der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG Sofern die Richtlinien im Fall des Patienten eine Aufnahme in die Warteliste vorsehen, stellt sich die Frage, ob eine dennoch erfolgte Ablehnung des Transplantationszentrums einen Schadensersatzanspruch des Patienten nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. der jeweiligen Richtlinienbestimmung begründet. Die Schutzgesetzeigenschaft scheitert jedenfalls nicht daran, dass die Richtlinien der BÄK keine förmlichen Gesetze sind. Insoweit ist anerkannt, dass auch untergesetzliche Rechtsnormen, wie Verordnungen und Satzungen, vom Rechtsnormverständnis des Art. 2 EGBGB umfasst sind.312 Insbesondere für Tarifverträge wird aufgrund von § 1 TVG die Rechtsnormeigenschaft nach Art. 2 EGBGB bejaht.313 Unklar ist, ob die Rechtsnormeigenschaft auch für die Richtlinien nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG zu bejahen ist, die nach herrschender Auffassung 309
Vgl. Glp. § 6 II.1.b).aa).(2). Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 157. 311 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 157. 312 Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 265 f.; Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 77; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 389 f. 313 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 77. 310
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zwar keine formalen Rechtsnormen im herkömmlichen Sinne sind, jedoch eine rechtsnormähnliche Verbindlichkeit und Wirkung aufweisen.314 Vor diesem Hintergrund erscheint es vorzugswürdig, mit Blick auf die vielfach kritisierte und im Gesamtniveau unzureichende staatliche Legitimation315 nicht von einem Schutzgesetz im Sinne des obigen Rechtsnormverständnisses auszugehen und die schwach legitimierten Rechtssätze nicht noch zur Begründung von Haftungsansprüchen heranzuziehen.316 Jedenfalls geht von den Richtlinien kein eigenständiger Individualschutz zugunsten der Patienten aus. Nach der gesetzgeberischen Konzeption, die ihren Ausdruck in der Vermutungswirkung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG findet, sollen sie nur die vorgegebenen Verteilungsparameter aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 12 Abs. 3 S. 1 TPG medizinisch konkretisieren. Der Normappell und die normative Wertentscheidung zugunsten bestimmter Allokationskriterien folgen nicht aus den Richtlinien, sondern aus den formellen Gesetzen selbst. Die Richtlinien sollen innerhalb ihres Ermächtigungsspielraums keine eigenständigen rechtlichen Wertungen und damit auch keinen über die Maßstabsnormen der §§ 10, 12 TPG hinausgehenden Individualschutz gewährleisten. Dass die Richtlinien entgegen der Ermächtigung den Richtlinienrahmen überschreiten und eigenständige Wertungskriterien setzen (zu denken sei an die weitreichende und unscharfe Kontraindikation der non-Compliance), vermag an dem gesetzgeberischen Schutzauftrag und der Bestimmung des teleologischen Individualschutzcharakters nichts zu ändern. Insoweit ergibt sich auch aus § 1 Abs. 1 MBO317 nichts anderes, der zwar die Ärzte standesrechtlich zum individuellen Gesundheitsschutz verpflichtet, aber über gesetzlich vorbestimmte Konkretisierungen in Form von inhaltlich abgegrenzten und lediglich medizinisch ausfüllungsbedürftigen Oberbegriffen keine Aussage trifft. Insoweit kommt es auf die §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG und nicht auf die rechtskonkretisierenden Richtlinien an.
314 So Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 183: „materiell handelt es sich jedoch um Rechtsnormen“; Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 16 Rn. 6; Höfling, in: Höfling, TPG, § 16 Rn. 17 ff.: „gesetzestechnisch (aber) nur indizielle Wirkung“; Vgl. Glp. § 3 III.1 f. 315 Vgl. Glp. § 3 III.2.c); zur Relevanz bei Art. 2 EGBGB vgl. Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 77 f. 316 Mit Blick auf das Genehmigungsbedürfnis durch das BGM nach § 16 Abs. 3 S. 1 TPG erscheint unter Berücksichtigung eines funktionalen Normverständnisses die Rechtsnormqualität jedenfalls gut vertretbar; vgl. an „Wirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages“ zu §§ 19, 22 Heimarbeitsgesetz anlehnend Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 78. 317 (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte, i. d. F. des Beschlusses des 118. Deutschen Ärztetages 2015 in Frankfurt am Main, abrufbar unter: http://www.bundesaerztekammer.de, zuletzt am 20.9.2016.
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c) Ansprüche aus der Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr, § 21 AGG Die Zulassung und Ablehnung von potentiellen Organempfängern und das Anknüpfen an „weiche“, normative Kriterien geht mit einer erheblichen Gefahr von Diskriminierungen und Stigmatisierungen einher.318 So führt jede pauschale Richtlinienfestsetzung zu (grundsätzlich notwendigen) Verallgemeinerungen, die den Patienten dann besonders hart in seiner Rechtsposition treffen, wenn die besondere Gefährdungslage des Befunds im Einzelfall nicht besteht. Andere Kriterien sind generell in verfassungsrechtlicher Hinsicht, insbesondere mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG, fragwürdig und können nicht ausreichend medizinisch begründet werden. Wird dennoch in der Praxis auf sie abgestellt und erfolgt auf dieser Grundlage ein Ausschluss von den Wartelisten, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob hierin eine Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr und damit ein Verstoß gegen privatrechtliche Diskriminierungsverbote gesehen werden kann. Konkret kommen unter dieser Prämisse Ansprüche des Patienten gegen das Transplantationszentrum in Betracht. Das am 18. August 2006 in Kraft getretene „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG)319, das auf mehrere EG-Richtlinien, unter anderem die sog. „Antirassismus-Richtlinie“320 zurückgeht, ist hierfür der zentrale gesetzliche Anknüpfungspunkt. Das in § 1 AGG erklärte Ziel des Gesetzes ist es, vor Benachteiligungen „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ zu schützen. Rechtspolitischer Hintergrund der Einschränkung der Privatautonomie ist insoweit, ähnlich wie bei Art. 3 Abs. 3 GG, die Erwägung, dass Differenzierungen anhand der genannten Kriterien als besonders schwerwiegender Angriff auf den „fundamentalen Wert der Gleichheit“ einzustufen sind und daher legislativ verhindert und beseitigt werden sollen.321 Für die hier betrachteten Haftungsverhältnisse sind überwiegend der erste Abschnitt des Gesetzes in den §§ 1 – 5 AGG, der als Allgemeiner Teil Grundsatzfragen hinsichtlich des zivil- und arbeitsrechtlichen Teils beantwortet, sowie der dritte und vierte Abschnitt der §§ 19 – 23 AGG relevant, die Vorschriften für einzelne Verträge sowie prozessuale Modifizierungen vorsehen.322
Ach/Anderheiden/Quante, Ehtik der Organtransplantation, S. 183. Umgesetzt in Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien i.F.d. Bekanntmachung v. 14.8.2006, BGBl. I. 1897. 320 Richtlinie 2000/43/EG des Rates v. 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft. 321 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 5. 322 Zu Aufbau und Ziel des Gesetzes Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, Einl. Rn. 12 ff. 318
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aa) Anwendbarkeit der §§ 19 ff. AGG im Arzt-Patienten-Verhältnis § 2 Abs. 1 AGG regelt allgemein für alle erfassten Vertragsverhältnisse und Rechtsbeziehungen die Anwendbarkeit des Gesetzes, wobei das Behandlungsver hältnis unstreitig als Gesundheitsdienst unter § 2 Abs. 1 Nr. 5 Fall 3 AGG fällt.323 Der Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr wird durch § 19 Abs. 1 AGG weiter eingeschränkt, wonach Differenzierungen anhand der in § 1 AGG genannten Kriterien nur bei Massengeschäften sowie privatrechtlichen Versicherungen erfasst werden.324 Für Diskriminierungen aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft bleibt es ausweislich des § 19 Abs. 2 AGG bei der umfassenden Geltung des Benachteiligungsverbots für alle zivilrechtlichen Verträge. Auf den ersten Blick scheint § 19 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 AGG den Anwendungsbereich für das Arzt-Patienten-Verhältnis auszuschließen, wonach besondere Nähe- oder Vertrauensverhältnisse vom Benachteiligungsverbot ausgenommen sind. Zwar ist das Arzt-Patienten-Verhältnis im allgemeinen Begriffsverständnis und verfassungsrechtlich anerkannt zweifelsfrei ein „besonderes Vertrauensverhältnis“.325 Aus einer historischen und systematischen, insbesondere europarechtskonformen326 Auslegung ergibt sich aber, dass das „besondere Vertrauen“ nur hinsichtlich der Privats- und Familiensphäre des Leistungsanbieters von § 19 Abs. 5 S. 1 AGG geschützt wird.327 Eine solche Konstellation liegt bei Ärzten gewiss nicht vor, sodass unabhängig vor der auf den ersten Blick einschlägigen Formulierung der Ausnahmetatbestand nicht eingreift.328 Ob eine „Vielzahl von Fällen“, wie sie § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG fordert, in der Transplantationsmedizin gegeben ist, hängt vom zugrunde gelegten Begriffsverständnis ab. Vergegenwärtigt man sich die Gesetzesintention, wonach „einmalige Fälle“ ausgeschlossen werden sollten und häufig auftretende Fälle im Vordergrund stehen329, birgt die Transplantationsmedizin vor dem Hintergrund der auf dem Spiel stehenden Rechtsgütern erhebliches Diskriminierungspotenzial. Hinsichtlich der Diskriminierungsverbote des § 19 Abs. 2 AGG kommt es hierauf im Ergebnis allerdings nicht an. Vielmehr sind auch mittelbare Diskri323 Franke, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 2 Rn. 46; Thüsing, in: MünchKomm, BGB, AGG § 19 Rn. 4 ff. 324 Vgl. Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, Einl. Rn. 24. 325 BVerfG, Beschluss v. 25.7.1979 = NJW 1979, 1925, 1930; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 5 ff.; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, § 38 Rn. 1. Zum neuen Behandlungsvertrag der §§ 630a ff. BGB: Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, IV. Rn. 103; Quaas, in: Quaas/Zuck, Medizinrecht, § 14 Rn. 1; konkret im Rahmen von § 19 Abs. 5 AGG: Thüsing, in: MünchKomm, BGB, AGG § 19 Rn. 106. 326 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, Einl. Rn. 77 ff. 327 Ambrosius, in: Däubler/Bertzbach, § 19 Rn. 59; Thüsing, in: MünchKomm, BGB, AGG § 19 Rn. 107. 328 Ebenso Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, S. 72 Rn. 23. 329 BT-Drs. 16/1780 S. 41; Thüsing, in: MünchKomm, BGB, AGG § 19 Rn. 107.
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minierungen aufgrund der Rasse und ethnischen Identität umfassend und nicht nur im Umfang des § 19 Abs. 1 AGG geschützt. bb) Mittelbare Benachteiligung wegen fehlender Sprachkenntnisse Eine Benachteiligung könnte wegen der Begründung angenommen werden, der Patient hätte keine für die Heilbehandlung zu fordernden Sprachkenntnisse. Hierin könnte insbesondere eine Benachteiligung aufgrund der ethnischen Herkunft von in Deutschland lebenden Ausländern gesehen werden. (1) Sprache als benachteiligendes Kriterium Zwar gehört die Sprache nicht zum abschließenden330 Katalog der unzulässigen Benachteiligungskriterien aus § 19 Abs. 1 AGG. Anerkannt ist jedoch, dass eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft in Betracht kommen kann, sofern die geforderte Sprache für den Patienten eine Fremdsprache darstellt und damit gleichsam auf die Nationalität oder Rasse des Patienten zurückzuführen ist.331 Es liegt auf der Hand, dass die benachteiligenden Stellen im Privatrechtsverkehr nur in den wenigsten Fällen direkt an eines der in § 1 AGG genannten Kriterien anknüpfen werden, sondern sich vielmehr auf andere Eigenschaften oder Umstände berufen, die mit einem vom AGG erfassten Merkmal aber eng verbunden sind.332 Insoweit soll für eine Benachteiligung bereits ausreichen, dass ein „typischer oder regelmäßiger Zusammenhang“ zwischen einem in den §§ 1, 19 AGG genannten Kriterien und der in Rede stehenden Spracheigenschaft besteht.333 Hinsichtlich der Sprachkenntnisse wurde dies zumindest dann als sachwidrige Benachteiligung aufgrund der Ethnie angesehen, wenn auf Dialekte oder Akzente bei ansonsten ausreichenden Sprachkenntnissen abgestellt wird.334 Die Sprache muss einen Rückschluss auf die Nationalität zulassen, wobei in Deutschland lebende Ausländer nicht zum Deutschen Volk gehören, vielmehr Angehörige eines fremden Volkes335 sind und daher eine jeweilige ethnische Gruppe bilden, die vom Anwendungsbereich des AGG erfasst werden.336 Die Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 6. Vgl. zum Arbeitsrecht Hinrichs/Stütze, NZA-RR 2011, 113, 113 f.; insoweit meint „Ethnie“ die Zugehörigkeit zu einer religiösen, sozialen, geschichtlichen, sprachlichen und/oder kulturellen Wertegemeinschaft, Göbel-Zimmermann/Marquardt, in: ZAR 2012, 369, 370. 332 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 14. 333 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 14; ähnlich auch BR-Drs. 329/06. 334 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 16. 335 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 38. 336 Am Beispiel der in Deutschland lebenden Ausländer Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 38, wobei zu Recht darauf hingewiesen wird, dass sich durch die Annahme der Deutschen Staatsangehörigkeit die ethnische Fremdzugehörigkeit nicht ändert. 330 331
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Tatsache, dass fehlende Sprachkenntnisse nicht Deutsch sprechende Ausländer in ihrer Gesamtheit und nicht nur einzelne ethnische Gruppen betrifft, ist insoweit unerheblich.337 (2) Unmittelbare und mittelbare Benachteiligung, § 3 Abs. 1 und 2 AGG § 3 AGG unterscheidet zwischen unmittelbaren (Abs. 1) und mittelbaren Benachteiligungen (Abs. 2). Während unmittelbare Benachteiligungen voraussetzen, dass die Ungleichbehandlung auf untersagten Kriterien beruht, diese explizit benannt wurden oder die Ungleichbehandlung motiviert haben338, liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn vermeintlich neutrale Kriterien herangezogen werden, die aber Personen „wegen eines der in § 1 genannten Gründe (…) in besonderer Weise benachteiligen können“, § 3 Abs. 2 S. 1 AGG. Ausweislich des § 3 Abs. 2 S. 2 AGG gilt dies nicht, sofern die Kriterien „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“ sind. Eine zulässige Ungleichbehandlung aufgrund der ethnischen Herkunft, die zwar nicht intendiert, aber aufgrund des Sprachkriteriums eine faktische Benachteiligung bewirkt, liegt demnach dann nicht vor, wenn ein bereits auf Tatbestandsebene339 zu berücksichtigender sachlicher Erwägungsgrund vorliegt.340 Die Berücksichtigung des Rechtfertigungsgrunds auf Tatbestandsebene führt zu der ungewöhnlichen Situation, dass der Antragsteller darlegen und beweisen muss, dass sachliche Rechtfertigungsgründe nicht vorliegen.341 Ein Fall der unmittelbaren Benachteiligung liegt zweifelsfrei nicht vor. Weder wurde die Ungleichbehandlung durch eines der genannten Kriterien, insbesondre nicht der Rasse oder ethnischen Herkunft, motiviert noch zur Begründung herangezogen. Als Grund für die Sprachkenntnisse ist vielmehr die der Richtlinienbestimmung zugrunde liegende medizinische Begründung zu nennen, die von der Bundesärztekammer vertreten wird, aber im Ergebnis den Verhältnismäßigkeitsanforderungen des Verfassungsrechts nicht mehr genügt.342 Vielmehr liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, da das Kriterium fehlender Deutschkenntnisse vor allem Personen trifft, die anderer ethnischer Herkunft
Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 44. Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 15. 339 Hierbei handelt es sich um die dogmatisch ungewöhnliche Konstellation einer Art „negativen Tatbestandsmerkmals“, Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 52. 340 Franke/Schlichtmann, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 20 Rn. 3. 341 Nun auch Schrader/Schubert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 3 Rn. 65; insoweit schränkt die Möglichkeit des Indizienbeweises des § 22 AGG diese Beweislast wieder ein. 342 Vgl. Glp. § 3 III.2.d).cc). 337
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und Abstammung sind, die mithin einem „fremden Volk“343 angehören, aber dennoch in Deutschland aufenthaltsberechtigt leben. (3) Richtlinienbestimmung als sachlicher Rechtfertigungsgrund Unzweifelhaft sind die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft, die im Interesse des Patienten Eingang in den Behandlungsvertrag finden, ein sachlicher Rechtfertigungsgrund, welcher der Annahme einer mittelbaren Benachteiligung bereits auf Tatbestandsebene hindernd im Weg stünde. In Bezug auf die Sprachkenntnisse wird dieser medizinische Erkenntnisstand jedoch nicht wie vom Gesetzgeber beabsichtigt nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG vermutet, da die Vorschrift bereits abstrakt-generell nicht auf einem verfassungsrechtlich zu fordernden Niveau medizinisch belegt werden kann. Für sie greift damit weder die Vermutungswirkung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG noch sonstige Erfahrungssätze der evidenzbasierten Medizin. Im Rahmen einer Vergleichsgruppenbildung (tertium comparationis) zeigt sich, dass auch dem Patienten ohne Sprachkenntnisse mit einer Organvermittlung und –übertragung medizinisch geholfen werden kann. Die fehlenden Sprachkenntnisse sind auch in Ausnahmekonstellationen bei der Wartelistenführung als unverhältnismäßiger Erwägungsgrund kein tragfähiges Allokationskriterium. Vielmehr kann bei außergewöhnlichen Einzelfällen die konkrete Übertragung durch den Transplantationschirurgen abgelehnt werden. Der Annahme einer wartelistenausschließenden Kontraindikation bedarf es daher nicht.344 (4) Unmittelbare Benachteiligung bei körperlichen Behinderungen Sofern auf die besondere Bedeutung der verbalen Kommunikation im Arzt-Patienten-Verhältnis angeknüpft wird, ist zu bedenken, dass die Kontraindikationsmerkmale insoweit auch zu einem kollektiven Ausschluss von tauben oder taub-stummen Patienten führen würden und damit eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne der §§ 1, 19 AGG vorläge. Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund nach § 20 Abs. 1 AGG liegt in Übereinstimmung mit der oben bereits skizzierten Argumentation ebenfalls nicht vor. (5) Fahrlässige mittelbare Benachteiligung § 21 Abs. 2 AGG setzt nach dem Wortlaut ein Vertretenmüssen im Sinne der §§ 276, 278 BGB voraus. Dieses Erfordernis wird in der Literatur weitgehend Däubler, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rn. 38. Vgl. Schlachter, in: ErfK-Arbeitsrecht, AGG, § 3 Rn. 9; zur Verhältnismäßigkeitsprüfung vgl. ausführlich Glp. § 3 III.2.d).cc)., sowie Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 381. 343
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als europarechtswidrig angesehen.345 Sofern man entgegen der herrschenden Meinung sowie der Tendenz des EuGH346 für die Europarechtskonformität des Vertretenmüssens ausgeht347, ergibt sich aus § 21 Abs. 2 S. 2 AGG eine Beweislastumkehr zu Lasten des Transplantationszentrums. Dieses wird sich mit dem Hinweis auf einen Rechtsirrtum aus den bereits dargelegten Gründen nicht entlasten können. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Die Ansprüche aus §§ 21 Abs. 1, Abs. 2 AGG scheitern jedenfalls nicht am Verschuldenserfordernis. cc) Haftungsausfüllender Tatbestand (1) Beseitigung der Benachteiligung Aus § 21 Abs. 1 AGG ergibt sich der Anspruch des Patienten auf Beseitigung, mithin auf sachgemäße Prüfung der Wartelistenaufnahme nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG ohne Berücksichtigung der fehlenden Sprachkenntnisse, soweit diese durch Dolmetscher überbrückt werden können. Ein direkter Anspruch auf Aufnahme in die Warteliste ergibt sich hieraus nicht. Vielmehr schützen die Vorschriften des AGG nur vor entsprechenden Benachteiligungen nach §§ 1, 19 AGG, die spätestens mit einer fehlerfreien Prüfung der Wartelistenaufnahme und verfassungsmäßigen Auslegung des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG „beseitigt“ sind. Ins Zentrum der Sekundäransprüche rücken damit Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen, deren rechtliche Behandlung sich nach § 21 Abs. 2 AGG richtet. (2) Ersatz erhöhter Heilungskosten: Differenzhypothese und beweisrechtlicher Gleichlauf zur Behandlungsfehlerhaftung Umfang und Höhe des Schadensersatzanspruchs des mittelbar benachteiligten Patienten richten sich nach den in §§ 249 ff. BGB geltenden Grundsätzen, insbesondere nach dem Grundsatz der Differenzhypothese.348 Vergleicht man die Vermögenslage des Patienten mit und ohne Berücksichtigung der Benachteiligung als schädigendes Verhalten, kommt es für den Ersatz von erhöhten Be345 Vgl. Braunroth, in: Ernst/Braunroth/Wascher, AGG, § 21 Rn. 8; Deinert, in: Däubler/ Bertzbach, AGG, § 21 Rn. 37 f.; Thüsing, in: MünchKomm, BGB, AGG § 21 Rn. 44 ff.; a. A. Bauer/Krieger, AGG, § 21 Rn. 10. 346 Gegen das Verschuldenskriterium als ausreichende Sanktionierung bei Benachteiligung von Arbeitgebern: EuGH, Urteil v. 8.11.1990 – Slg. 1990, I-3941 = NJW 1991, 628, 628 ff. (Decker); im Zusammenhang mit § 611a Abs. 2 BGB: EuGH, Urteil v. 22.4.1997 – Rs. C-180/95 (Draehmpael); Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 44 ff. 347 So etwa Bauer/Krieger, AGG, § 21 Rn. 10. 348 Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 21 Rn. 41; Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 54.
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handlungskosten maßgeblich auf den Nachweis an, dass der Patient ohne Berücksichtigung der fehlenden Sprachkenntnisse zum einen in die Warteliste aufgenommen worden wäre. Zudem hat er zu beweisen, dass er bei der Organverteilung im maßgeblichen Zeitpunkt ein passendes Spenderorgan erhalten hätte, es daraufhin zur Organübertragung gekommen und der Schaden durch eine erfolgreiche Behandlung entfallen wäre. Um Wertungswidersprüche zum allgemeinen Behandlungsvertragsrecht und zur deliktischen Haftung aufgrund von Behandlungsfehlern zu vermeiden, müsste aufgrund der fehlenden „Heilungsgarantie“ im Arztrecht vom Anspruchsteller gefordert werden, dass er auch im Rahmen des Anspruchs nach § 21 Abs. 2 AGG die haftungsbegründende Kausalität zwischen Benachteiligung und Gesundheitsschaden nachweist. Dies muss insbesondere mit Blick auf die durch die Verlängerung der Heilbehandlung erhöhten Arzt- und Therapiekosten als Sekundärschäden gelten, da sonst die identische arzthaftungsrechtliche Sorgfaltspflichtverletzung unter unterschiedlichen Voraussetzungen zu divergierenden Ersatzansprüchen führt. Gegen diese am Maßstab des § 286 ZPO erhöhten Beweislastanforderungen bestehen auch keine durchgreifenden europarechtlichen Bedenken, da die allgemeinen im Privatrechtsverkehr herausgebildete Kausalitäts- und Beweislastgrundsätze nur Art und Umfang des nationalen Haftungsrechts modifizieren, die Sanktionswirkung der Ersatzansprüche aber nicht vereiteln.349 Zwar wird man insoweit für diesen konkreten Kausalitätsnachweis eine analoge Anwendung von § 630h Abs. 5 S. 1 BGB aufgrund einer entsprechenden Regelungslücke und teleologischen Identität annehmen können. Jenseits dieser Beweislastumkehr scheitert der Ersatzanspruch jedoch hinisichtlich der Behandlungskosten aufgrund der vermeintlichen Verletzung der körperlichen Integrirät am haftungsbegründenden Kausalitätsnachweis. (3) Schmerzensgeld Ein Schmerzensgeldanspruch ergibt sich für den Patienten aus § 21 Abs. 2 S. 3 AGG, sofern ein Nichtvermögensschaden vorliegt. Die Verletzung des Benachteiligungsverbots führt zu einer gleichzeitigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts, sodass ohne eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch keine Entschädigung nach § 21 Abs. 2 S. 1, 3 AGG gewährt werden kann.350 Nach den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ist hierfür eine schwerwiegende Verletzung zu fordern, die nicht auf andere Weise in auseichendem Umfang ausgeglichen werden kann.351 Die „schwerwieVgl. zum nationalen Spielraum Armbrüster, in: Erman, AGG, § 21 Rn. 1. Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 60. 351 Armbrüster, in: Erman, AGG, § 21 Rn. 12; Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 60. 349 350
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gende“ Verletzung soll anhand der „Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung, den Beweggründen des Benachteiligenden und dem Grad des Verschuldens beurteilt werden“352. Im arbeitsrechtlichen Kontext wurde hierfür bereits entschieden, dass die Benachteiligung dann als schwerwiegend einzuordnen ist, wenn dem Benachteiligten „die Chancen einer gleichberechtigten Teilnahme am Wirtschaftsleben einzig aufgrund seines ‚Soseins‘ genommen wurden“353. Überträgt man diese Grundsätze auf die Benachteiligung bei der Wartelistenführung aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, wird man zwar den Verschuldensgrad als niedrig und die medizinischen Beweggründe als verständlich bewerten müssen. Die existenzielle Tragweite der Wartelistenentscheidung für die Verwirklichung des derivativen Teilhabeanspruchs spricht noch mehr als im Wirtschaftsleben für die Annahme einer „schwerwiegenden“ Verletzung. Die Maßstäbe sind deutlich weniger streng als bei der Bestimmung eines „groben“ Behandlungsfehlers nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB, der medizinisch schlechthin unverständlich sein muss und daher in explizit von der Richtlinie genannten Sachverhalten selten gegeben sein dürfte. Die Höhe des Schmerzensgelds bestimmt sich nach der Genugtuung des Opfers sowie der Intensität der Benachteiligung. Da das Schmerzensgeld bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keine strafrechtliche Sanktion darstellt, spielen pönale Elemente bei der Präventionsfunktion eine untergeordnete Rolle.354 dd) Ergebnis Wird der Patient aufgrund fehlender Sprachkenntnisse von der Warteliste ausgeschlossen, liegt hierin eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG, die als Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr zu Ansprüchen aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz führen können. Während § 21 Abs. 1 AGG dem Patienten einen Anspruch auf Beseitigung der Benachteiligung einräumt und somit das Transplantationszentrum auf sachgemäße Prüfung der Aufnahmeentscheidung am Maßstab des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG verpflichtet, gewährt § 21 Abs. 2 S. 1 AGG einen Schadensersatzanspruch gegen das behandelnde Zentrum, das sich die Pflichtverletzungen der behandelnden Ärzte nach § 278 BGB zurechnen lassen muss.
352 Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 21 Rn. 60 ff.; Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 60. 353 Armbrüster, in: Erman, AGG, § 21 Rn. 13 f.; Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 60. 354 Vgl. Armbrüster, in: Erman, AGG, § 21 Rn. 14; Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 21 Rn. 58 f.; Thüsing, in: MünchKomm, AGG, § 21 Rn. 63.
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Begehrt der Patient Ersatz für erhöhte Arzt- und Therapiekosten, ist in Übereinstimmung mit der bisherigen medizinrechtlichen Dogmatik zur vertraglichen und deliktischen Haftung aufgrund von Behandlungsfehlern der Nachweis einer kausalen Gesundheitsverletzung zu fordern. Den Nachweis hat der Patient am Maßstab des für die haftungsbegründende Kausalität maßgebenden § 286 ZPO zu erbringen. Eine schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, die gem. § 21 Abs. 2 S. 1 und 3 AGG zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld führt, wird in der Regel aufgrund der besonderen Tragweite der Entscheidung gegeben sein. d) Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Durch das Anknüpfen an Sprachkenntnisse wird in Übereinstimmung mit der bereits dargelegten Argumentation355 zwar nicht gegen ein Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. In Anbetracht weniger einschneidender Mittel, wie der Hinzuziehung von Dolmetschern, verstößt das Sprachkriterium aber gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sodass die Vermutung des medizinischen Erkenntnisstands nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG nicht eingreift. In der Spezialkonstellation der verfassungswidrigen Wartelistenkriterien, die an persönliche Eigenschaften des Patienten anknüpfen, kommt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht.356 aa) Allgemeines Persönlichkeitsrecht bei der Wartelistenführung Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch den handelnden Arzt oder das Transplantationszentrum tritt grundsätzlich neben den Anspruch aus den Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.357 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannt und schützt das „Recht des Einzelnen gegenüber jedermann auf Achtung seiner Menschenwürde und Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit“ 358. Im Rahmen der Organverteilung wird das Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG hinsichtlich der staatlichen Gewährleistung der Gesundheitschancengleichheit359 relevant, das insoweit den Staat und das 355
Glp. § 3 III.2.d).cc). Vgl. BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728 Rn. 18. 357 Bauer/Krieger, AGG, § 21 Rn. 14; Deinert, in: Däubler/Bertzbach, AGG, § 21 Rn. 88 f.; Staudinger, in: Schulze, BGB, § 823 Rn. 103; 358 Grundlegend BGH, Urteil v. 2.4.1957 – VI ZR 9/56 = NJW 1957, 1146, 1146 ff. Vgl. Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 176; Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 823 Rn. 64 f.; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 241 ff. 359 Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien, S. 61. 356
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auf ihn zurückgehende Regelverfahren zu sachgemäßer und verhältnismäßiger Differenzierung verpflichtet. Für die nachfolgenden Betrachtungen wird die grundsätzliche Subsidiarität der Ansprüche aus den Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht znnächst außer Betracht gelassen. bb) Güter- und Interessensabwägung: Relevanz der medizinischen Notwendigkeit der angenommenen Kontraindikation Zur Begrenzung der tatbestandlichen Weite des Rahmenrechts360 bedarf es einer umfassenden Güter- und Interessensabwägung zwischen den Interessen und Rechtspositionen von Verletztem und Handelndem, die zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit und zur Abgrenzung gegenüber erlaubtem Handeln herangezogen werden müssen.361 Grundrechte und Gewährleistungen der EMRK sind auf beiden Seiten „interpretationsleitend zu berücksichtigen“ 362. Überwiegt das Schutzinteresse des Verletzen gegenüber den schützenswerten Belange der anderen Seite, ist der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht rechtswidrig.363 Auf der Seite des Verletzenden sind dessen Motive, der Zweck der Handlung, das bei der Verletzung verwendete Mittel sowie die konkrete Art und Weise der Verletzungshandlung zu berücksichtigen und zu klären, ob rechtfertigende Umstände des konkreten Einzelfalls vorliegen.364 Wendet man diese Grundsätze auf die gegebene Fallkonstellation an, in der das Transplantationszentrum auf Grundlage der nicht tragenden Richtlinienbestimmung eine Kontraindikation aufgrund fehlender Compliance durch unzureichende Sprachkenntnisse annimmt, ergibt sich gewöhnlich folgende Abwägung: auf der Seite des Patienten ist sein Recht auf gleichmäßige Berücksichtigung innerhalb des Vermittlungsverfahrens berührt, da bereits vor dem Hintergrund der Lebenswertindifferenz jede ungerechtfertigte Ungleichbehandlung als Abwertung des sozialen Geltungs- und Teilhabeanspruchs verstanden werden kann. Das Transplantationszentrum geht demgegenüber davon aus, dass ein medizinisches Bedürfnis bestünde, knüpft also nur insoweit an das Kriterium der Sprachdefizite an, als es davon ausgeht, dass umfassende Deutschkenntnisse für eine Heilbehandlung eine unabdingbare Voraussetzung darstellen. Damit liegt im Ergebnis zwar kein ehrverletzendes Motiv und ebenso wenig eine bewusste zweckentsprechende Rechtsverkürzung durch das Transplantationszentrum vor. Dennoch wird man davon ausgehen müssen, dass der derivative Teilhabeanspruch auf gleichmäßige Berücksichtigung bei der OrWagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 242. Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 823 Rn. 65 ff. 362 BGH, Urteil v. 25.10.2011 − VI ZR 332/09 = NJW 2012, 767, 769 Rn. 23. 363 St. Rspr. vgl. etwa, Urteil v. 25.10.2011 − VI ZR 332/09 = NJW 2012, 767, 769 Rn. 23. 364 Staudinger, in: Schulze, BGB, § 823 Rn. 106. 360 361
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ganvermittlung im Sinne der Gleichbehandlung zugleich eine Verwirklichung des sozialen Geltungsanspruchs365 des Patienten in der Gesellschaft darstellt. Auf der Seite der Behandlungsträger sind sodann – gerade vor dem Hintergrund der besonderen Tragweite der Wartelistenentscheidung und der Lebenswert indifferenz mit Blick auf die Menschenwürdegarantie – grundsätzlich nur solche Umstände von Relevanz, die ein tatsächliches medizinisches Bedürfnis an Differenzierung begründen. Denn anders als in sonstigen Verletzungen der Privatsphäre oder des informationellen Selbstbestimmungsrechts, treten auf der anderen Seite beim Behandlungsträger keine ebenso schützenswerten Grundrechtspositionen wie das Recht auf Meinungsfreiheit in den Vordergrund. Legt man dieser Haftungsfrage die gesetzgeberische Konzeption des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG zugrunde, würde vermutet, dass das Abstellen auf die Sprachkenntnisse dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspräche. Es läge dann beim Patienten, die Divergenz aus Richtlinieninhalt und medizinischem Erkenntnisstand zu beweisen. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Defizite der inhaltlichen Bestimmung366 sowie des Kassationsrechts der einfachen Gerichte367 kommt weder die einzelne Richtlinienbestimmung noch die Vermutungswirkung des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG in der gegebenen Konstellation zum Tragen. Es kommt damit darauf an, ob nachgewiesen werden kann, dass ungeachtet der Pauschalbestimmung der BÄK-Richtlinien die Berücksichtigung der Sprachkenntnisse aus medizinischen Gründen eine unabdingbare Voraussetzung und sachgemäße Kontraindikation darstellt. Sofern der Nachweis der medizinischen Notwendigkeit der angenommenen Kontraindikation nicht gelingt, der Ausschluss vom Transplantationszentrum mithin nicht medizinisch plausibel dargelegt werden kann, ist der Patient durch die Verkürzung der Teilhaberechte in seinem sozialen Geltungsanspruch innerhalb der Gesellschaft sowie seiner künftigen Persönlichkeitsentfaltung als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG widerrechtlich verletzt.368 An dieser Stelle realisiert sich die Schutzdimension des derivativen Teilhaberechts, die weniger aus einem individuellen Lebensschutz, sondern vielmehr aufgrund einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten zu einer deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB führt. Hinsichtlich des Verschuldens des handelnden Arztes stellen sich die gleichen Fragen hinsichtlich einer Richtigkeitsgewähr der BÄK-Richtlinien oder eines ausnahmsweise gegebenen Beurteilungsspielraums der Ärzte aufgrund Vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rn. 125. Glp. § 3 III.2.d).cc). 367 Glp. § 6 I.2.a).bb).(2). 368 Zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht im Transplantationsrecht ebenfalls Ulrich, Durchbrechungen der Allokationskriterien, S. 61. 365
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einer nicht auflösbaren Pflichtenkollision.369 In Übereinstimmung mit der Argumentation bei der Haftung wegen Behandlungsfehlern ist im Ergebnis weder eine Richtigkeits- noch Rechtmäßigkeitsgewähr der Richtlinien nach § 16 TPG anzuerkennen. Die vermeintliche Pflichtenkollision ist hier durch eine Verpflichtung zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als objektiviertes Rechtsinteresse des Patienten aufzulösen. Im Zweifel ist es dem Transplantationszentrum zumutbar, diese Handlungsalternative zu wählen und damit dem Grundgedanken des vertragsrechtlichen Synallagmas bzw. dem deliktsrechtlichen Rechtsgüterschutz Rechnung zu tragen. cc) Haftungsausfüllender Tatbestand (1) Schmerzensgeld Die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Anknüpfen an sachwidrige Differenzierungskriterien realisiert sich im haftungsausfüllenden Tatbestand primär in der Forderung eines angemessenen Schmerzensgelds nach § 253 Abs. 1 BGB. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn und soweit die Kontraindikation überhaupt nicht kausal für die Wartelistenablehnung wurde, sondern daneben weitere, medizinisch gesicherte Kontraindikationsbefunde zur Nichtaufnahme geführt haben. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei Fällen der Aufklärungspflichtverletzung im Rahmen der §§ 630d f. BGB, die primär eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Insoweit ist anerkannt, dass die verletzte Aufklärungspflicht kausal für die Einwilligung in die Operation gewesen sein muss.370 Die Ersatzfähigkeit der immateriellen Schäden bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts folgt unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG und wird in der ständigen Rechtsprechung für schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen gewährt. Für die Einordnung als „schwerwiegende“ Verletzung zählen dabei erneut die Bedeutung und Schwere der Rechtseinbuße371 sowie die Erkennbarkeit des persönlichkeitsverletzenden Merkmals. Zudem gewinnt die tatsächliche Divergenz aus Kontraindikation und medizinisch gesicherter Evidenz an Relevanz. Vor dem Hintergrund der existenziellen Bedeutung372 des derivativen Teilhaberechts wird die Annahme einer schwerwiegenden Verletzung dem Regelfall entsprechen.
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BVerfG, Beschluss v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1728 Rn. 18. Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 528;; a. A. OLG Jena, Urteil v. 3.12.1997 – 4 U 687/97 = VersR 1998, 586, 588; ablehnend hierzu Terbille, VersR 1999, 235 f. 371 Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 253 Rn. 10 f. 372 Vgl. insb. BVerfG, Urteil v. 28.1.2013 – 1 BvR 274/12 = NJW 2013, 1727, 1727 f. Rn. 10. 370
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(2) Behandlungskosten durch Verzögerung Gestiegene Behandlungskosten durch eine verzögerte Behandlung, die durch die Ablehnung der unmittelbaren Wartelistenaufnahme entstehen, sind nicht über den Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG ersatzfähig. Der Anspruch gewährt nur Ersatz von Schäden, die den Schutzzweck der Haftungsnorm, mithin das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten, berühren.373 Die gestiegenen Behandlungskosten sind eine Folge der längeren Gesundheitsbeeinträchtigung und damit nur im Rahmen der Haftungsansprüche wegen ärztlichen Behandlungsfehlern ersatzfähig.374 In diesem Zuge hat der Patient darzulegen und zu beweisen, dass die Schädigung an der körperlichen Integrität gerade kausal durch den Behandlungsfehler des Arztes hervorgerufen wurde.375 e) Ergebnis Das derivative Teilhaberecht des Patienten erfährt in der zivilrechtlichen Haftung mit Blick auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG einen speziellen Schutz. Werden andere als medizinische Kriterien, die von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG erfasst sind, bei der Entscheidung berücksichtigt und der Patient somit rechtswidrig von der Warteliste ausgeschlossen, kann er hieraus unter Berücksichtigung der skizzierten Beweisschwierigkeiten Schadensersatz verlangen. Dem gegenüber können Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB mit der Erwägung, das derivative Teilhaberecht sei ein sonstiges Recht im Sinne der Norm, nicht hergeleitet werden. Im betrachteten Fall des VG München kann der Patient zudem Ansprüche aufgrund einer mittelbaren Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr aus § 21 Abs. 1 AGG auf Beseitigung sowie gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 und 3 AGG auf Schmerzensgeld geltend machen. Ein hierauf gestützter Schadensersatzanspruch wird aufgrund der zu fordernden Strukturgleichheit zur Haftung aufgrund von Behandlungsfehlern am beweisrechtlichen Maßstab des § 286 ZPO hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität scheitern. Die Haftung des behandelnden Arztes richtet sich hinsichtlich des Behandlungsfehlers als auch der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Verantwortlichkeit des Zentrums richtet sich hierfür abermals nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB. Vgl. zur Verletzung der Aufklärungspflichten Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 529. 374 Vgl. allgemein Spindler, in: Bamberger/Roth, BGB, § 253 Rn. 25. 375 Ausführlich zur Haftung wegen Behandlungsfehler des Transplantationszentrums bei der Wartelistenführung unter Glp. § 6 I.2 f. 373
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7. Abschließende Betrachtung der Haftungsverhältnisse a) Vertragliche Haftung des Transplantationszentrums Eine vertragliche Haftung des Transplantationszentrums auf Schadensersatz gemäß §§ 630a, 280 Abs. 1 BGB entfällt bei einfachen Behandlungsfehlern regelmäßig aufgrund der nicht nachweisbaren Kausalität zwischen dem Unterschreiten des medizinischen Standards und dem eingetretenen Primärschaden. Bei groben Behandlungsfehlern greift die Kausalitätsvermutung aus § 630h Abs. 5 S. 1 BGB uneingeschränkt ein. Die bloße Unwahrscheinlichkeit einer rechtmäßigen Organzuteilung ohne zwischenzeitliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten rechtfertigt keine normative Einschränkung der Beweislastumkehr. Auch auf der Billigkeitsebene bleibt es Sache des Transplantationszentrums zu beweisen, dass sich der grobe Verstoß gegen ärztliche Pflichten und Standards nicht in der eingetretenen Rechtsgutsverletzung niedergeschlagen hat. Das Vertretenmüssen wird in der vertraglichen Haftung nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. In Fällen, in denen nach § 630h Abs. 5 S. 1 BGB eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten eintritt, kann sich das Transplantationszentrum nicht auf einen entschuldigenden Rechtsirrtum des behandelnden Arztes berufen. Dessen Verschulden wird nach § 278 BGB umfassend dem Transplantationszentrum zugerechnet. Nach diesen Maßgaben kann der Patient sowohl Schadensersatz hinsichtlich der entstandenen Mehrkosten durch die Verzögerung sowie Schmerzensgeld aufgrund der verlängerten Krankheitszeit verlangen. Den Nachweis der Kausalität zwischen Primär- und Sekundärschaden wird er am Beweismaßstab des § 287 ZPO führen können. Sofern das Behandlungsverhältnis innerhalb einer Chefarzt-geführten Ambulanz des Transplantationszentrums zustande kam, wird der Chefarzt als privatliquidationsberechtigter Träger der Ambulanz376 und nicht in amtlicher Eigenschaft des Klinikums tätig. Sein Verhalten muss sich das Zentrum nicht nach §§ 31, 89 BGB zurechnen lassen. Vielmehr bleibt der Chefarzt als Vertragspartner vertraglicher Haftungsadressat.377 b) Deliktische Haftung des Arztes Die deliktische Haftung knüpft an die Übernahme des komplexen Behandlungsprozesses durch das ärztliche Handeln an.378 Durch die entstandene Garantenpflicht des Arztes trifft diesen die Pflicht, zum Schutz der Rechtsgüter des 376
Zur Höhe des Schmerzensgeldes vgl. unter diesem Glp. e). Vgl. zu liquidationsberechtigten Chefärzte Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 884. 378 Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 329; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 883. 377
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Patienten sorgfältig vorzugehen und für schuldhafte Rechtsgutsverletzungen deliktsrechtlich einzustehen.379 Sofern dem Transplantationszentrum der Vorwurf zu machen ist, durch unzureichende interne Organisation die Einbeziehung sachwidriger Kriterien verursacht zu haben, kommt eine direkte Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG statuiert vor diesem Hintergrund nicht nur eine vertragliche, sondern ebenso deliktsrechtliche Organisationspflicht des Transplantationszentrums. Insoweit kommt auch eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG in Betracht, da jedenfalls die Schutzgesetzeigenschaft im Zusammenhang mit der Wartelistenführung der Transplantationszentrum einhellig anerkannt ist.380 Das Verschulden des Arztes ergibt sich aus dem festgestellten und vom Patienten bewiesenen Unterschreiten des medizinischen Standards. An die Voraussetzungen eines entschuldbaren Rechtsirrtums sind die gleichen Anforderungen zu stellen, wie sie bei der vertraglichen Haftung Geltung beanspruchen. Auch hier ist die vermeintliche Pflichtenkollision unter Berücksichtigung der Gesundheit, des Körpers und des Lebens als zu schützende Rechtsgüter des Patienten im Zweifel zugunsten der Wartelistenaufnahme aufzulösen. Eine Einschränkung anhand des Schutzzwecks der Norm kommt ebenso wenig wie bei der vertraglichen Haftung in Betracht. Auch hier geht es um den individuellen Rechtsgüterschutz auf zivilrechtlicher Ebene, der von der Verhaltenspflicht des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG gedeckt ist. Dem steht nicht entgegen, dass die Norm das Transplantationszentrum und nicht den behandelnden Arzt verpflichtet. Die Aufgabendelegation ist auch für die behandelnden Ärzte der verbindliche Handlungsmaßstab. c) Deliktische Haftung des Transplantationszentrums Die behandelnden Ärzte sind – von Chefärzten einmal abgesehen – grundsätzlich Verrichtungshilfen der Transplantationszentren. Sie sind weisungsabhängig in die Organisationsstruktur des Klinikums eingegliedert und in die Heilbehandlung eingeschaltet.381 Die Transplantationszentren haften daher regelmäßig nach § 831 Abs. 1 BGB für das insoweit vermutete Auswahlverschulden hinsichtlich der behandelnden Ärzte. § 831 Abs. 1 BGB verpflichtet das Transplantationszentrum aufgrund eigenen Verschuldens hinsichtlich der Auswahl und Leitung des Verrichtungsgehil379 Statt vieler Förster, in: Beck-OK, BGB, § 823 Rn. 885; Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 329; Nebendahl, in: Igl/Welti, Gesundheitsrecht, Rn. 883; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 726. 380 Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 10 („subjektiv-individuellen Anspruch“); Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 11; Norba, Rechtsfragen der Transplantationsmedizin, S. 171 f. 381 Alberts, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 831 Rn. 9.
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fen, das zunächst aufgrund der widerrechtlichen Schadensverursachung des Verrichtungsgehilfen vermutet wird.382 Von diesem haftungsauslösenden Schuldvorwurf kann sich das Zentrum nur entlasten, wenn es das Verschulden oder die ebenfalls vermutete Kausalität der fehlerhaften Auswahl und Leitung des Verrichtungsgehilfen widerlegt.383 Die widerrechtliche, nicht notwendig schuldhafte Rechtsgutverletzung durch den behandelnden Arzt als Verrichtungsgehilfen ist zwingende Haftungsvoraussetzung. Nach den herrschenden Beweislastgrundsätzen bleibt es aber auch bei § 831 Abs. 1 S. 1 BGB Sache des Patienten, nachzuweisen, dass die Gesundheitsverletzung durch das Verhalten des Verrichtungsgehilfen verursacht wurde.384 Erst wenn er diesen Beweis führen kann, greift die Vermutung des eigenen Auswahl- und Leitungsverschuldens des Geschäftsherrn. Vor diesem Hintergrund scheitert jenseits der Beweislastumkehr für grobe Behandlungsfehler regelmäßig auch eine deliktische Haftung des Transplantationszentrums an der häufig nicht nachweisbaren Kausalität zwischen der Nichtaufnahme in die Warteliste und des eingetretenen Primärschadens, sofern nicht ein grober Behandlungsfehler des Patienten die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB zu Lasten des Transplantationszentrums auslöst. d) Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr und allgemeines Persönlichkeitsrecht Durch die rechtswidrige Nichtaufnahme in die Warteliste wird der Patient allerdings durch das Transplantationszentrum in seinem derivativen Teilhaberecht an einer gleichmäßigen und die Chancengleichheit der Patienten wahrenden Organvermittlung beeinträchtigt. In der gleichmäßigen Berücksichtigung des einzelnen Patienten bei einer lebensentscheidenden Mangelverwaltung des Staates realisiert sich auch der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Patienten in Form des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Wird an rechtswidrige Differenzierungskriterien ohne hinreichende und am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messende, medizinische Erkenntnisse angeknüpft, ergeben sich hieraus Haftungsansprüche des Transplantationszentrums aus § 21 Abs. 2 AGG sowie § 831 Abs. 1 BGB. Der handelnde Arzt haftet insoweit – von der grundsätzlichen Subsidiarität der persönlichkeitsrechtichen Ersatzansprüche einmal abgesehen – di-
Alberts, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, BGB, § 831 Rn. 1; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A. Rn. 63 ff.; Greiner, in: Spickhoff, Medizinrecht, BGB, §§ 823 ff. Rn. 337 f. 383 Vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, A. Rn. 63 ff. 384 Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 831 Rn. 29. 382
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rekt aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG. Alle Ansprüche wegen Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr sowie der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts werden überwiegend auf die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgelds gerichtet sein. Eine Verletzung des derivativen Teilhabeanspruchs ist zudem nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG abgesichert. Hinsichtlich der Beweislastprobleme und des Schadensumfangs ergeben sich die gleichen Problemstellungen wie bei der Haftung aufgrund von Behandlungsfehlern. e) Schmerzensgeld Neben dem Ausgleich von erlittenen Nichtvermögensschäden (sog. Ausgleichsfunktion), dient die Ersatzpflicht für immaterielle Schäden auch der Genugtuung des Geschädigten (sog. Genugtuungsfunktion) für die erlittene Einbuße seiner Rechtspositionen.385 Für die Rechtsgüter Körper und Gesundheit folgt die Ersatzfähigkeit des immateriellen Schadens unmittelbar aus § 253 Abs. 2 BGB. Für Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts folgt die Pflicht zur Geldentschädigung für schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG jeweils in Verbindung mit der vertraglichen oder deliktischen Haftungsgrundlage.386 Die schuldhafte Verursachung einer Verzögerung körperlicher Verletzungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen führen sowohl nach vertraglicher als auch deliktsrechtlicher Haftung zu Schmerzensgeldansprüchen des Patienten gem. § 253 Abs. 2 BGB. Die Höhe des Schmerzensgelds ist eine Einzelfallentscheidung, die den anerkannten Funktionen des Schmerzensgeldanspruchs Rechnung tragen soll. Als Orientierung zur Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe kann eine Entscheidung des OLG Stuttgart aus dem Jahre 1992 herangezogen werden.387 Das Oberlandesgericht hat in diesem Urteil bei einer über zwei Jahre verzögerten Nierentransplantation ein Schmerzensgeld nach einem schwerwiegenden Verstoß in Höhe von 15.000 DM angenommen.388 Nach der gültigen Umrechnungstabelle entspräche dies einer heutigen Schmerzensgeldhöhe von 7.669,38 Euro.389
Oetker, in: MünchKomm, BGB, § 253 Rn. 10 f. Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 253 Rb. 10 ff. 387 OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134, 1134 ff. 388 OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134, 1134 ff. 389 Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeld-Tabelle, IMM-DAT Nr. 1561. 385
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II. Fehlerhafte Gesundheitsmeldung an Eurotransplant Das behandelnde Transplantationszentrum kann sich durch einen Beitrag zu fehlerhaften Organvermittlungen Haftungsansprüchen von potentiellen Organempfängern aussetzen. Insbesondere bei der Pflicht, den Gesundheitszustand des Patienten wahrheitsgemäß zu erfassen und an Eurotransplant zu melden, ist es im Zusammenhang mit den medienwirksamen Skandalen der letzten Jahre390 zu einer beginnenden strafrechtlichen Aufarbeitung des Fehlverhaltens der Ärzte gekommen.
1. Zu hohe Dringlichkeitsstufe: Konstellation der „Organspendeskandale“ Die Fallgruppe, die den unzutreffenden Titel der „Organspendeskandale“ trägt391, thematisiert die öffentlich aufgegriffenen und diskutierten Vorfälle an mehreren deutschen Universitätskliniken der letzten Jahre, bei denen es zu einer Reihe von Unregelmäßigkeiten und Verstößen gegen das derzeitige System der Organverteilung gekommen ist.392 Die juristisch bisher prominentesten Fälle lassen sich an den Universitätskliniken Göttingen393 und Regensburg finden. Dort soll es wiederholt zu Verstößen gegen die Richtlinienbestimmungen der Bundesärztekammer, Falschmeldungen über den Gesundheitszustand an Euro transplant sowie Organübertragungen ohne gesicherte Indikation gekommen sein. Auch wenn in der Mehrzahl der durch die Prüfungskommission kontrollierten Fälle der Manipulationsverdacht nicht erhärtet wurde394, führten die medienwirksam aufbereiteten Vorwürfe und Verdachtsmomente zu einem erheblichen Einbruch der Zahl der Organspenden.395 390
Hierzu sogleich. Es ging schließlich nicht um die „Spende“ der Organe, sondern die Rangfolge der Vermittlung, vgl. Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 690. 392 Vgl. V.M.G. Göttingen: Nefzger, in: FAZ v. 5.5.2015, abrufbar unter: http://www.faz. net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/im-organspende-prozess-in-goettingen-steht-das-system-mit-vor-gericht-13576624.html, zuletzt am 20.9.2015; U.K. Heidelberg: Berndt, in: SZ v. 15.10.2015, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/skandal-um-herztrans plantationen-weitet-sich-aus-1.2694599, zuletzt am 20.9.2016; U.K. München: Berndt, in: SZ v. 13.11.2015, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/muenchen-/klinikum-grossha dern-aerzte-tricksten-bei-lungen-trans-plantationen-1.2736001, zuletzt am 29.8.2016; U.K. Regensburg: Berndt, in: SZ v. 22.3.2013, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/ge sundheit/organspende-skandal-in-regensburg-als-aerzte-besonders-freigiebig-mit-lebernwaren-1.1630759, zuletzt am 20.9.2016. 393 Zur U.K. Göttingen vgl. Verrel, MedR 2014, 464, 464 f. 394 Vgl. Caliskan/Metzinger/Middel, MedR 2014, 21, 22. 395 Vgl. Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 689; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 486. 391
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So zählte die Deutsche Stiftung Organtransplantation 2013 nur noch 876 postmortale Organspender, was einen Rückgang von ca. 16% gegenüber dem Vorjahr ausmachte.396 Der dramatische Rückgang wird zudem durch den Umstand verschärft, dass bereits das Jahr 2012 mit lediglich 1.046 Organspendern und einem Rückgang von 12,8% im Vergleich zum Vorjahr einen historischen Tiefstand darstellte.397 In den Folgejahren lag die Zahl der Organspender mit 851 Personen in 2014398 und 863 Personen in 2015399 auf ähnlich niedrigem Niveau. Eine Trendwende ist nicht ersichtlich. Werden Verstöße gegen die Verteilungsregeln des TPG sowie die Richtlinien der Bundesärztekammer untersucht, unterscheidet man allgemein zwischen „Manipulationsfällen“, soweit regelwidrig in das Vermittlungssystem durch Falschmeldungen oder die Nichtbeachtung von richtliniengemäßen Kontraindikationen eingegriffen wurde, und sog. „Indikationsfällen“. Von letzteren spricht man im Zusammenhang mit durchgeführten Organübertragungen, die nach dem Maßstab des medizinischen Standards nicht angezeigt gewesen wären, bei denen mithin die medizinische Indikation der Organübertragung fehlte. Während die fehlerhaften Gesundheitsangaben den eigenen Patienten bei der Wartelistenplatzierung bevorzugen und dazu führen, dass ihm auf diese Weise schneller ein passendes Organ vermittelt wird, stehen auf der anderen Seite Patienten, die in ihrem Listenplatz überholt und bei der Organvermittlung übergangen wurden.400 Die Chancen der nicht berücksichtigten Patienten auf eine zeitnahe Organvermittlung werden durch den Eingriff in das Allokationssystem im Vergleich zum regelkonformen Vermittlungsverfahren unter Umständen lebensbedrohlich verschlechtert.401 Sowohl wegen der Manipulations- als auch der Indikationsfälle wurde bereits Anklage wegen Totschlags oder versuchten Totschlags erhoben. Während das OLG Braunschweig402 bei einem Manipulationsfall die grundsätzliche Strafbarkeit der vorsätzlichen Falschmeldung wegen versuchten Totschlags bestätigte, verneinte das LG Göttingen403 in einem ähnlich gelagerten Fall bereits die Strafbarkeit aufgrund fehlender und generell nicht nachweisbarer Kausalität. Außerdem dienten die Regeln des Organverteilungsverfahrens nicht dem individuellen, DSO, Pressemitteilung v. 15.1.2014, abrufbar unter: http://www.dso.de/dso-pressemit teilungen/einzelansicht/article/zahl-der-organspender-in-2013-weiter-stark-gesunken.html, zuletzt am 20.9.2016; Verrel, MedR 2014, 464, 464. 397 Vgl. DSO, Pressemitteilung v. 7.1.2013, abrufbar unter: https://www.dso.de/uploads/ media/-PM-Zahlen_Jahreszahlen_2012_Stand_15012013__01.pdf, zuletzt am 20.9.2016. 398 Eurotransplant, Annual Report 2015, S. 41. 399 Eurotransplant, Annual Report 2015, S. 41. 400 Vgl. Schroth, NStZ 2013, 437, 441. 401 Vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 673. 402 OLG Braunschweig, Beschluss v. 20.3.2013 – Ws 49/13 = BeckRS 12038. 403 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13. 396
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sondern lediglich dem allgemeinen Lebensschutz, weshalb eine Strafbarkeit nach § 212 StGB bzw. wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB wegen nicht zurechenbarem Tötungsunrechts ausscheide. Alle weiteren Tatvorwürfe scheiterten meist aus tatsächlichen oder weiteren rechtlichen Gründen. So wurden die Bestimmungen der Bundesärztekammer, gegen die verstoßen wurde, teilweise medizinisch durch Sachverständige angezweifelt, teilweise vom LG Göttingen als verfassungswidrig eingestuft und für unverbindlich gehalten. Eine Strafbarkeit scheiterte damit auch an Art. 103 Abs. 2 GG. Ob diese vom LG Göttingen aufgestellten Grundsätze und Feststellungen überzeugen und welche Auswirkungen sich daraus für die zivilrechtliche Haftung ergeben, soll nun genauer betrachtet werden. Hierfür soll die im Vordergrund stehende deliktsrechtliche Haftung beleuchtet werden. In Betracht kommen Ansprüche des Geschädigten gegen den handelnden Arzt aus § 823 Abs. 1 BGB, §§ 823 Abs. 2 i. V. m. 229 StGB bzw. 19 Abs. 2a TPG sowie § 826 BGB. Gegen das Transplantationszentrum steht ein Anspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB im Raum. a) Fallkonstellation: LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13 Zur näheren Betrachtung soll eine bestimmte Fallkonstellation aus dem Urteil des LG Göttingen404 herangezogen werden. Gegenstand eines der verschiedenen Tatvorwürfe war, dass der behandelnde Facharzt für Transplantationsmedizin – was vom Gericht als erwiesen angesehen wurde – unzutreffende Angaben über die Dialysebehandlung an Eurotransplant weiterleitete, die den betroffenen Patienten in der Angebotsabfolge der konkreten Match-Listen von Eurotransplant bevorzugten. Durch die unrichtige Angabe einer Dialysebehandlung wurde beim Patienten der Höchstwert für Kreatinin von 4.0 angenommen, welcher den MELD-Score ebenso wie die Zuteilungschancen des Patienten erheblich ansteigen ließ.405 Ob der Arzt vorsätzlich handelte, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls scheiterte die Strafbarkeit wegen Totschlags oder Körperverletzung, da eine Kausalität generell nicht nachweisbar und darüber hinaus auch nicht vom sachlichen Schutzzweck der Organverteilungsvorschriften umfasst sei. Damit stellt sich das LG Göttingen in seiner Entscheidung insbesondere gegen das OLG Braunschweig, das insoweit keine Eingrenzung anhand des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs vorgenommen hatte.406 Vertragliche Ansprüche des Patienten, der bei wahrheitsgemäßer Meldung des Gesundheitszustands durch das handelnde Transplantationszentrum an ers404
LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13. Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 691; Schroth, NStZ 2013, 437, 439. 406 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13, S. 22 ff. 405
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ter Stelle der konkreten Match-Liste gestanden hätte (Geschädigter), gegen das Transplantationszentrum, an dem der falsch weitermeldende Arzt angestellt war, bestehen grundsätzlich nicht.407 b) Haftung des handelnden Arztes in Manipulationsfällen Im Vordergrund stehen damit die Ansprüche des Geschädigten aus dem Recht der unerlaubten Handlungen. Die Haftung des Arztes, der persönlich die unzutreffenden Gesundheitsangaben an Eurotransplant meldete, richtet sich grundsätzlich nach deliktsrechtlichen Ansprüchen des Geschädigten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. aa) Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Gesundheit In der vorsätzlichen oder fahrlässigen Falschmeldung der Gesundheitsdaten ist grundsätzlich eine taugliche Verletzungshandlung am übergangenen Erstplatzierten zu sehen. Die Rechtsgutsverletzung des Geschädigten wird regelmäßig in einer Verletzung der Gesundheit bzw. in letzter Konsequenz des Rechtsguts Leben liegen. In letzterem Fall würden etwaige Ansprüche im Wege der Universalsukzession nach §§ 1922 ff. BGB auf die Erben übergehen.408 Während Verletzungshandlung und Rechtsgutsverletzung prozessual als Tatfragen vergleichsweise einfach zu bestimmen sind, stellt der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität den Patienten erneut vor große Beweisschwierigkeiten, die durch die Argumentation des LG Göttingen noch einmal erheblich an Brisanz gewinnen. Denn wie die Tötungs- und Körperverletzungsdelikte des StGB schützt auch § 823 Abs. 1 BGB im Sinne des enumerativen Rechtsgüterschutzes nur vor individuellen Verletzungen der hier relevanten Rechtsgüter Körper, Gesundheit und Leben. (1) Generelle Nachweisbarkeit der Zuteilungsverdrängung Die Falschangaben des Arztes gegenüber Eurotransplant stellen ein aktives Tun und die Nichtzuteilung der Organe an den übergangenen Patienten ein Unterlassen dar.409 Das Eingreifen in die Organallokation als vermeintlich rettender Kausalverlauf beim Erstplatzierten ist jedenfalls im Ergebnis als aktives Tun zu behandeln.410 Höchst problematisch ist allerdings die Zurechnung des Verlet407 Der Sonderfall der gleichzeitigen Behandlung beider Patienten im selben Transplantationszentrum wird für die weitere Betrachtung außer Acht gelassen. 408 Teichmann, in: Jauernig, BGB, § 823 Rn. 2. 409 Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 694; Schroth, NStZ 2013, 437, 443. 410 Kudlich, NJW 2013, 917, 918; Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 694; Schroth, NStZ 2013, 437, 443; Verrel, MedR 2014, 464, 465.
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zungserfolgs durch den Nachweis, dass der Patient ohne die Falschmeldung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Rechtsgutsverletzung erlitten hätte.411 § 823 Abs. 1 BGB schützt lediglich die enumerativ genannten Rechte und Rechtsgüter. Hieraus folgt die Notwendigkeit, dass der Patient die haftungsbegründende Ursächlichkeit zwischen Falschmeldung, Nichtberücksichtigung im Vermittlungsverfahren und Körperverletzung (oder Tod) nach dem Maßstab des § 286 ZPO zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen muss. Ob bereits der Kausalverlauf an sich bewiesen werden kann, ist insbesondere in der Strafrechtswissenschaft hinsichtlich einer Strafbarkeit nach § 212 oder § 223 StGB umstritten. (a) Strafrechtliche Kontroverse Eine Strafbarkeit nach § 212 StGB erfordert im konkreten Fall, dass das Leben des Patienten durch die Organvermittlung und –übertragung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet oder zumindest für kurze Zeit verlängert worden wäre.412 Nach Ansicht des LG Göttingen und Stimmen der strafrechtlichen Literatur413 sei dieser Kausalitätsnachweis schon generell, und nicht nur im betrachteten Einzelfall, strafprozessual nicht zu führen. Im Rahmen eines Tatvorwurfs hinsichtlich § 212 StGB könne nicht nachgewiesen werden, welcher Patient ohne die Falschangabe das Organ erhalten hätte, dass dieser Patient überlebt hätte oder dass eingetretene Gesundheitsverletzungen oder Todesfolgen tatsächlich auf dem Nichtzuteilen des konkreten Organs beruhen.414 Dies werde angesichts der ca. 20%igen stationären Gesamtsterblichkeit nach Organübertragungen, der zahlreichen Abstoßungsreaktionen415 und des Umstands deutlich, dass auf eine zugeteilte Leber durchschnittlich 4,3 abgelehnte Zuteilungsangebote an behandelnde Ärzte folgen.416 Damit stünden dem Anspruch des Geschädigten bereits beweisrechtliche Hindernisse im Weg, die er nach Übertragung der Rechtsprechungsansätze des LG Göttingen nie überbrücken könne.417
411 Schroth, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 464; Verrel, MedR 2014, 464, 465. 412 Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Kap. Rn. 40; Rengier, Strafrecht AT, § 13 Rn. 20; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 33; Verrel, MedR 2014, 464, 465. 413 Etwa Schroth, NStZ 2013, 437, 441 f.; Kudlich, NJW 2013, 917, 918; Verrel, MedR 2014, 464, 465. 414 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13, S. 246 f. 415 Vgl. Schroth, NStZ 2013, 437, 442. 416 Verrel, MedR 2014, 464, 465. 417 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13, S. 247; Verrel, MedR 2014, 464, 465 f.
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Gegen dieses Kausalitätsproblem wird eingewandt, dass die Kausalität mittels des verwendeten ENIS-Systems auch im Nachhinein rekonstruierbar und somit „ohne Schwierigkeiten jederzeit darzustellen und nachzuvollziehen“ sei.418 Aber selbst wenn man diesem Einwand folgen würde, ergäbe sich die nächste Problematik im Nachweis, dass das Organ angenommen, die Übertragung durchgeführt und damit der Gesundheitsschaden nicht verursacht worden wäre.419 (b) Nachweis der Organannahme im Zivilprozess Insoweit wird freilich verkannt, dass bei dem Begriff der Rekonstruierbarkeit weniger die von Eurotransplant zunächst ermittelte Rangfolge der Angebotszuteilungen als vielmehr die Feststellung des tatsächlich angenommenen Organs durch den Transplantationschirurgen und Patienten gemeint ist.420 Der tatsächlich Begünstigte einer hypothetisch regelkonformen Organvermittlung kann im Ergebnis häufig nicht mehr zweifelsfrei individualisiert werden, da zahlreiche weitere Umstände und Faktoren einer erfolgreichen Annahme und Übertragung des Organs im Wege stehen konnten.421 Wird das Angebot von Eurotransplant durch den Transplantationschirurgen des Erstplatzierten abgelehnt, erhält der Zweitplatzierte ein Angebot, nach ihm der Drittplatzierte, bevor es dem Ranglistenvierten und dessen behandelndem Arzt angeboten wird. Die reale Rangliste ist damit in der ex-post-Betrachtung kaum realistisch darstellbar und der konkret „übergangene“ Patient nur in seltenen Fällen überhaupt festzustellen.422 Besteht keine Möglichkeit der Individualisierung des in diesem Sinne „überholten Patienten“, fehlt es – bezogen auf die zivilrechtliche Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB – am Geschädigten, der den vermeintlichen Anspruch und die haftungsbegründende Kausalität darzulegen und zu beweisen hat. Da die Rekonstruierbarkeit der hypothetischen Rangfolge als theoretische Match-Liste einheitlich zugestanden wird423, ergibt sich beim Patienten der ersten Stelle der Match-Liste allerdings eine Besonderheit. Er muss, da er in jedem Fall unabhängig von ausgeschlagenen vorherigen Angeboten ein Organangebot erhalten hätte, lediglich nachweisen, dass das Organ durch den Transplantations chirurgen angenommen und erfolgreich übertragen worden wäre. Nachfolgende Patienten, die angeben übergangen worden zu sein, müssten hingegen beweisen, dass sie tatsächlich auf der „wahren“ Rangliste durch vorherige Ablehnungen Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 241. So nach Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 241. 420 Vgl. die Erwiderung von Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 487. 421 Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 488. 422 Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 696. 423 So auch Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 487. 418
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berücksichtigt worden wären. Aus den dargelegten Gründen ist dies – auch im Zivilrecht ‑ nicht mehr rechtssicher möglich. Kann der Transplantationschirurg des Ranglistenersten aber zweifelsfrei bestätigen, dass das Organ im Rahmen seines medizinischen Beurteilungsspielraums vollumfänglich für die Übertragung geeignet gewesen wäre und er ein Angebot Eurotransplants dementsprechend angenommen hätte, könnte grundsätzlich auch die Annahme durch den Chirurgen nachgewiesen werden. Dem Einwand, die Entscheidung des Transplantationsarztes könne aufgrund der zahlreichen im Einzelfall zu berücksichtigenden Parameter „nicht mehr seriös“424 nachvollzogen werden, ist strafrechtlich vor dem Hintergrund des in dubio pro reo-Grundsatzes zuzustimmen. Auf der Ebene der zivilrechtlichen Haftung des Arztes reicht dieser Umstand jedoch nicht aus, um die haftungsbegründende Kausalität zu verneinen. Schroth und Hofmann führen insoweit beispielhaft an, nicht zur Verfügung stehende Operationssäle oder zu wenig vorhandene „OP-Schwestern“ hätten ebenso gut zu einer Ablehnung durch den Chirurgen führen können.425 Zu einer derartigen Verfügbarkeit sind die Transplantationszentren aber gerade im Gesundheitsinteresse der behandelten Patienten nach dem apparativen und personellen Sollstandard verpflichtet. Im Zulassungsverfahren nach § 10 Abs. 1 S. 2 TPG ist maßgeblich, dass eine bedarfsgerechte Versorgung und die erforderliche Qualität der Organübertragung gesichert ist. Die Einhaltung der organisatorischen Pflichten, die sich aus § 10 Abs. 1 S. 2 TPG und dem apparativen Sollstandard ergeben, ist das gesetzgeberische Leitbild der transplantationsmedizinischen Praxis. Sofern sich eine Partei im Zivilprozess nun darauf beruft, dass im vermeintlichen Fall die Organisationspflicht des Klinikums dergestalt verletzt wurde, dass nicht mehr von einer Annahme durch den Chirurgen auszugehen war, beschreibt der Vortrag ein atypisches Organisationsverschulden des Transplantationszentrums. Während Schroth zu Recht davon ausgeht, dass aufgrund derartiger Unsicherheiten eine strafrechtliche Verurteilung ausscheiden muss, ist im Zivilprozess zumindest nach den Prima-facie-Grundsätzen des BGH für die Einhaltung des organisatorischen Mindeststandards ein Anscheinsbeweis sachgemäß. Hierfür wird, wie bereits erwähnt, eine Typizität gefordert, die es erlaubt, aufgrund einer allgemeinen Lebenserfahrung den konkreten Geschehensablauf zu unterstellen.426 Man wird nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgehen können, dass Transplantationszentren in der Lage sind, die jederzeit anfallende Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 487. Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 487. 426 OLG Düsseldorf, Urteil v. 22.6.1995 – 8 U 137/94 = NJW 1995, 3060, 3060; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 286 Rn. 24; Glanzmann, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, ZPO, § 286 Rn. 31 f.; Prütting, in: MünchKomm, ZPO, § 286 Rn. 48 ff.; Saenger, in: Saenger, ZPO, § 286 Rn. 44 f. 424 425
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und – für ihr Fachbereich typische – kurzfristige Übertragung durchzuführen. Damit entspricht es einem typischen Geschehensablauf, dass ein endgültig zugeteiltes Organ gerade an einem Universitätsklinikum mit Vollversorgungsanspruch innerhalb der Ischämiezeit übertragen werden kann und nicht aufgrund organisatorischer Fehlplanung und Unterbesetzung untergeht. Bei im Einzelfall bestehenden gegenläufigen Anhaltspunkten obliegt es dann dem Haftungsadressaten, diesen Anschein durch seinen Vortrag zu erschüttern. Schließlich kann bei derartigen Befähigungsmängeln im vertraglichen Arzt-Patienten-Verhältnis auf die Wertung der (in dieser Konstellation gegenüber einem „fremden“ Arzt freilich nicht eingreifenden) Kausalitätsvermutung des § 630h Abs. 4 BGB verwiesen werden. Die Vermutungsregel zeigt, dass in strukturell gleich gelagerten Fällen Beweislastmodifizierungen sowohl aus Billigkeitsgründen als auch aufgrund von Erfahrungssätzen anerkannt und vom Gesetzgeber in der unmittelbaren Arzthaftung festgeschrieben wurden. Diese Wertung kann zumindest als Indiz dafür angesehen werden, dass die Beweislast für etwaige Befähigungsmängel der eigenen Ärzte aufgrund nicht eingehaltener apparativer und personeller Sollstandards auch in anderen Haftungskonstellationen modifizierungsbedürftig sein kann. Löst man sich von den beispielhaft ins Feld geführten organisatorischen Hindernissen, ist nicht ersichtlich, warum im Zivilprozess die grundsätzliche medizinische Eignung des Organs für den Patienten nicht nachweisbar sein soll. Soweit medizinische Daten von Patient und Organ vorhanden sind, liegt die medizinische Bewertung innerhalb der Bandbreite der durch Sachverständige darlegbaren medizinischen Tatsachen. Zwar besteht insoweit immer noch die Möglichkeit, dass sich der Transplantationschirurg über diese Bandbreite medizinischen Ermessens pflichtwidrig hinweggesetzt hätte. Der Nachweis des pflichtwidrigen Verhaltens des Annahmearztes ist aber dann richtigerweise Sache des manipulierenden Arztes, der diesen atypischen Kausalverlauf darzulegen und zu beweisen hat. (c) Nachweis der erfolgreichen Organübertragung Die Frage, ob die Organübertragung den konkreten Verletzungserfolg vermieden hätte, dürfte hingegen auch unter Berücksichtigung von Sachverständigengutachten und medizinischen Prognosen nicht am Maßstab des § 286 ZPO nachzuweisen sein. Wenn selbst eine über 90%ige Wahrscheinlichkeit vom sechsten Zivilrechtssenat des BGH für nicht ausreichend angesehen wird427, um den haftungsbegründenden Kausalzusammenhang zwischen Verletzungshandlung und Primärschaden festzustellen, wird dem Patienten angesichts einer BGH, Urteil v. 27.4.2004 – VI ZR 34/03 = NJW 2004, 2011, 2012; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 384; Spickhoff, NJW 2004, 2345, 2345 f. 427
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20%igen stationären Gesamtsterblichkeit nach Organübertragungen dieser Nachweis nicht gelingen. Erschwerend kommen die im physiologischen Einzelfall unkalkulierbaren Risiken immunologischer Abstoßungsreaktionen trotz des Einsatzes von Immunsuppressiva hinzu. Evident ist insoweit, dass angesichts dieser Unvorhersehbarkeit kein Anschein einer grundsätzlich erfolgreich verlaufenden Operation besteht. Auf diese Grundsätze kommt es bei Berücksichtigung der geänderten Beweislast für hypothetische Kausalverläufe an, da, trotz des Eingriffs in die vermeintliche Rettungshandlung, die Nichtzuteilung des Organs zivilrechtlich ein Unterlassen darstellt.428 Da der Patient diese letzte, aber für die haftungsbegründende Kausalität entscheidende Stufe nicht beweisen kann, scheitert auch die deliktsrechtliche Haftung des manipulierenden Arztes an der nicht zu beweisenden Kausalität.429 (2) Exkurs: Individueller Rechtsgüterschutz der Organverteilungsregeln Neben den tatsächlichen Beweisschwierigkeiten, die der Patient nicht zu überwinden vermag, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob ein auf Schadensersatz gerichteter Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Körper und Gesundheit vom Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltenspflicht umfasst ist. Durch die Berücksichtigung des persönlichen, sachlichen und funktionalen Schutzbereichs einer deliktsrechtlichen Sorgfaltspflicht soll der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzungshandlung des Schädigers und der Rechtsgutsverletzung des Geschädigten erfasst werden.430 Voraussetzung ist demnach, dass der Schutzzweck der Norm gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient und strafrechtlich die Tathandlung eine rechtlich missbilligte Gefahr für das konkret geschützte Rechtsgut geschaffen hat.431 Genauso ist zivilrechtlich anerkannt, dass der in § 823 Abs. 1 BGB beabsichtigte Schutz der enumerativ genannten Rechtsgüter ein Verhalten voraussetzt, dessen Verbot auch das individuelle Rechtsgut schützen möchte.432 In der strafrechtlichen Auseinandersetzung um eine Strafbarkeit des behandelnden Arztes wurde jedenfalls ein individueller Lebens- und Gesundheitsschutz durch die Rechtsprechung und die Mehrheit der Stimmen aus der Literatur verneint. Strafrechtlicher Maßstab ist hierfür die objektive Zurechnung des Taterfolgs, die häufig damit beschrieben wird, dass dem Täter der eingetretene VerletVgl. Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 696. Zu § 212 StGB Kudlich, NJW 2013, 917, 919; Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 696. 430 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, § 30 Rn. 12; Larenz, Lehrbuch des Schuld rechts, § 27 III, S. 440 f.; Looschelders, Schuldrecht AT, Rn. 988 ff.; Wagner, in: MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 59, 366 ff. 431 Bülte, StV 2013, 749, 754. 432 Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 60. 428 429
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zungserfolg auch nach wertender Betrachtung „als sein Werk“ objektiv zurechenbar sein muss.433 Dabei muss die konkrete Handlung eine generell missbilligte Verhaltensweise darstellen, die keine Zweifel daran lässt, dass die Art und Weise der Tatausführung aufgrund des tatbestandlichen Erfolgs ein Verbot rechtfertigt.434 (a) Divergierende Auffassungen in der Strafrechtsprechung Das LG Göttingen lässt die Strafbarkeit der Ärzte in mehreren Fällen wegen (versuchten) Tötungs- und Körperverletzungsdelikten unter anderem an der angenommen allgemeinen Schutzbestimmung des Transplantationsrechts scheitern. Dies führe nach einer Auslegung von § 212 StGB und den Organverteilungsregeln dazu, dass ein Tötungsunrecht nicht angenommen werden könne.435 Der lediglich allgemeine, nicht individuelle Schutzzweck der Organverteilungsregeln folge aus der Auslegung der verteilungsrelevanten Vorschriften und der Normsystematik des TPG. Hierauf ergäbe sich, dass die nur Rechtssicherheit durch einen klaren rechtlichen Handlungsrahmen zur Steigerung der Organspenden bezweckten.436 Ein individueller Schutzzweck ergebe sich weder aus der subjektiv-historischen noch aus der objektiv-teleologischen Auslegung der entscheidenden Normen. Ungeachtet der Tatsache, dass ein Verstoß gegen die Vorschriften des TPG eine nach § 19 Abs. 2a TPG „auch strafwürdige Verletzung der Verteilungsgerechtigkeit“ darstelle, seien Verstöße hiergegen nicht als Tötungsoder Körperverletzungshandlungen zu werten.437 Im Vordergrund stehe die Verteilung nach „objektiven, transparenten und gerechten sowie nachvollziehbaren Maßstäben“ zur Steigerung des Vertrauens der Bevölkerung in die Organspende, nicht aber die Gewährleistung einer subjektiven Rechtsposition des konkreten Patienten.438 Gestützt werde dieses Normverständnis durch eine Auslegung von §§ 12 Abs. 3, 16 Abs. 1 TPG, die ebenfalls nur den „gleichberechtigte(n) Anspruch auf Überlebenschance“, nicht aber die individuelle Rechtsposition des überholten Patienten schützten.439 Die Sicherstellung der Verteilungsgerechtigkeit sei aber allgemeiner, nicht individueller Rechtsgüterschutz. Sie habe ihren abschließenden Niederschlag in § 19 Abs. 2a TPG gefunden.440 Mit Blick auf das Kriterium der „Dringlichkeit“ könne nur dann von einem individuellen Rechtsgüterschutz ausgegangen werden, wenn sich nachweisen Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Kap. Rn. 1. Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 10. Kap. Rn. 2 f. 435 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 389 f. 436 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 390. 437 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 392. 438 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 391 f. mit Verweis auf BT-Drs. 13/4355, S. 11. 439 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 391 ff. 440 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 394 a. E.; Verrel, MedR 2014, 464, 468. 433
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ließe, welcher Patient das Organ am dringendsten benötigte und für die anderen Wartelistenplätze immer noch Überlebensaussichten bestünden.441 Wären diese hinreichenden Überlebenschancen ohne die Organzuteilung nicht mehr gewahrt, würde die Dringlichkeitsprüfung zu einer Abwägung Leben gegen Leben führen. Die hinreichende Prognose obliegt aber dem Arzt, sodass die Kriterien des § 12 Abs. 3 TPG nur der Objektivierung der Kriterien im Sinne der Chancengerechtigkeit, nicht aber der Berücksichtigung des medizinischen Einzelfalls dienten.442 Als Beispiel hierfür zieht das LG Göttingen die Erhebung und Aussagekraft des verwendeten MELD-Score zur Bestimmung der Dringlichkeit einer Leberallokation heran, dessen Werte je nach Erhebung deutlich variierten und nicht alle medizinisch gebotenen Werte abdeckten.443 Dieses Ergebnis ergebe sich auch aus der Erwägung, dass die Organverteilungsregeln kein Recht auf eine Organzuteilung, sondern nur das derivative Teilhaberecht der Patienten am Organverteilungssystem aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 i. V. m. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip verwirklichten.444 Da insoweit kein individueller Rechtsgüterschutz von § 12 Abs. 3 TPG bezweckt sei, schützten die Regeln nicht vor Verletzungserfolgen. Eine objektive Zurechenbarkeit scheitere sodann am fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Falschmeldung an Eurotransplant und dem Tod bzw. der Verlängerung des Leidens des Patienten.445 (b) Stellungnahmen in der strafrechtlichen Literatur Auch in der Literatur wird zunächst übergreifend von einer Strafbedürftigkeit der manipulierenden Eingriffe der Ärzte ausgegangen, da insoweit das gesunkene Systemvertrauen446 zumindest mittelbar zu Nachteilen der Organempfänger durch einen Rückgang der Organspender führen.447 Das durch die unrechtsvermittelnden Sorgfaltspflichten des TPG geschützte Rechtsgut sei aber nicht die individuelle Gesundheit, sondern die Verteilungsgerechtigkeit und das damit gesteigerte ‚Systemvertrauen‘ der Bevölkerung.448 Nur sofern der Patient 441
LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 398. LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 400 f. 443 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 403 f. 444 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 394 mit Verweis auf Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 297 ff., 317; Dannecker/Streng, JZ 2012, 444, 445 f. 445 LG Göttingen – 6 Ks 4/13, S. 403 f. 446 Verrel, MedR 2014, 464, 465. 447 Als Reflex des Systemvertrauens Bülte, StV 2013, 749, 758; Schroth, MedR 2013, 645, 645; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 486; Verrel, MedR 2014, 464, 465; a. A. Kudlich, NJW 2013, 917, 918: „Tod des ‚unmittelbar Verdrängten‘ (…) fällt nun gewiss in den Schutzbereich der verletzten Verhaltensnorm“; Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 234, 240 f. 448 Verrel, MedR 2014, 464, 467 f. 442
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ein Recht auf die Zuteilung eines Organs hätte, Eurotransplant also zur Vermittlung gerade gegenüber einem bestimmten Patienten verpflichtet wäre, sei in der Falschmeldung des Arztes ein Eingriff in ein konkretes Recht des Patienten zu sehen.449 Ein solches Recht bestehe aber nicht, sondern lediglich ein derivatives Teilhaberecht an der Verteilung der gesamtgesellschaftlich zur Verfügung stehenden Organe.450 Dem wird entgegnet, die vermittlungsrelevanten Regeln und die Bestimmung der Dringlichkeit dienten ebenfalls dem individuellen Lebensschutz, was nicht zuletzt aus der Formulierung von § 12 Abs. 3 S. 1 TPG folge, nach der einem bestimmten Patienten (und nicht dem Transplantationszentrum) ein Organ zugeteilt werde.451 Zudem verdichte sich die durch die Wartelistenaufnahme „erworbene Anwartschaft“ bzw. das derivative Teilhaberecht zu einem „Anspruch auf das Angebot“, wenn die Voraussetzungen der Verteilungsnorm des § 12 Abs. 3 TPG, also Dringlichkeit und Erfolgsaussicht, gegeben wären.452 Jedenfalls wären die Beteiligten dann zur Vermittlung an einen bestimmten Patienten privatrechtlich verpflichtet, was nur mehr durch rechtswidrige Eingriffe vereitelt werden könne.453 (c) Ungenauigkeit der Allokationskriterien Sofern das LG Göttingen auf Unsicherheiten der bei der Leberallokation verwendeten MELD-Kriterien abstellt 454, kann hierin noch kein Argument dafür gesehen werden, dass § 12 Abs. 3 TPG und die anderen vermittlungsrelevanten Regelungen keinen individuellen Lebensschutz gewährleisten würden. Das System der Leberverteilung anhand der MELD-Kriterien basiert auf der Rechtsnormkonkretisierung durch die Bundesärztekammer. Die Frage nach dem Schutzzweck der vermittlungsrelevanten Regeln lässt sich aber nur mithilfe der Auslegung der formellen Rechtsnormen beantworten. Den untergesetzlichen Richtlinien kommt hierbei lediglich eine konkretisierende Aufgabe zu. Sie sollen den inhaltlichen Bestimmungen des § 12 Abs. 3 TPG Rechnung tragen und das Merkmal der Dringlichkeit bestmöglich abdecken. Dass dies im Einzelfall und mit der Reduzierung auf drei zentrale Werte nicht hinreichend medizinisch umgesetzt worden sei, ist zur Bestimmung der teleologischen Schutzaufgabe der vermittlungsentscheidenden Normen irrelevant. Genauso gut ließe sich argumentieren, § 12 Abs. 3 TPG verpflichte Eurotransplant, im Interesse des LeSchroth, NStZ 2013, 437, 443. Schroth, ebda. ebenfalls zu den Auswirkungen des beschleunigten Verfahrens. 451 Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 234, 240. 452 Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 243. 453 Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 243. 454 LG Göttingen, 6 Ks 4/13, S. 401 ff. 449 450
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bensschutzes das Organ dem ‑ nach medizinisch bestmöglichen Kriterien bestimmten ‑ bedürftigsten Patienten anzubieten. (d) Bestimmung des Schutzzwecks der Verhaltensnormen durch Auslegung Die Frage, ob eine Norm neben Interessen der Allgemeinheit auch dem individuellen Schutz von Rechtsgütern dient, ist in den wenigsten Fällen explizit im Gesetz geregelt. Vielmehr muss der Normzweck durch die allgemeinen Gesetzesauslegungsmethoden ermittelt werden.455 Die Pflicht von Eurotransplant, einem Patienten das Organ anzubieten, ergibt sich unmittelbar aus § 12 Abs. 3 TPG i. V. m. § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG, der den Verteilungsmaßstab festsetzt und die Vermittlungsstelle zur gleichmäßigen Verwaltung verpflichtet.456 So muss danach gefragt werden, ob die Pflicht, auf der Grundlage der BÄK-Richtlinien den dringlichsten Fall zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Erfolgsaussicht zu gewichten, das Transplantationszentrum als objektive Pflicht zur Gewährleistung der Verteilungsgleichheit trifft oder vielmehr im individuellen Interesse des konkreten Patienten steht. Aus dem normsystematischen Zusammenhang der vermittlungsrelevanten Regelungen sowie der Entstehungsgeschichte des TPG folgt zunächst ein klares Übergewicht zugunsten des allgemeinen und nicht des individuellen Lebensschutzes. So war es das erklärte und mittlerweile in § 1 Abs. 1 S. 1 TPG kodifizierte Ziel des Gesetzgebers, die Zahl der Organspenden durch einen klaren und präzisen Handlungsrahmen sowie eine rechtssichere Ausgestaltung der Materie zu erhöhen.457 Der Mangel an transplantablen Organen zwingt dabei zu einem Verteilungsmechanismus, der den Rechtsgütern aller Patienten durch eine optimale Verteilung unter Berücksichtigung der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit ausreichend Rechnung tragen soll.458 Das hieraus folgende „Recht auf ein Angebot“ als gesicherteres (derivatives) Teilhaberecht ist aber weder identisch noch „wesensgleiches Minus“ der zu schützenden Rechtsgüter Leben und Gesundheit.459 Es verkörpert eine gesichertere Rechtsposition im Hinblick auf die Chance, ein Organ zu erhalten, und ist damit eine gesichertere Ausprägung des derivativen Teilhaberechts, nicht aber ein Recht auf das Organ selbst. Ein solches Zuteilungsrecht kann erst ab dem Zeitpunkt angenommen werden, an dem alle für die Vermittlungsentscheidung notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählt insbesondere die im Vgl. Nowak, Leitlinien in der Medizin, S. 57. Anders wohl Schroth, NStZ 2013, 437, 443, der keine Pflicht von Eurotransplant annimmt, das Organ einem bestimmten Patienten zuzuteilen. Jedenfalls ist Eurotransplant aber verpflichtet, dem Erstplatzierten und danach entsprechend der Rangliste das Organ anzubieten. 457 Schroth, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 446. 458 Vgl. Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 490. 459 Vgl. Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 568, 492. 455
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Rahmen der „Erfolgsaussicht“ zu berücksichtigende Zustimmung des Transplantationschirurgen sowie die Sicherung der organisatorischen Übertragung selbst. Dieser Eindruck wird erneut von § 1 Abs. 1 S. 1 TPG gestützt, der als expliziten Gesetzeszweck das Ziel angibt, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern. Aus dieser Zielvorgabe folgt zweifelsfrei eine Auslegungsmaxime, nach der bei unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten einer Norm diejenige zu wählen ist, die dem Ziel, die Bereitschaft zur Organspende zu fördern, am nächsten kommt.460 Der individuelle Lebens- und Gesundheitsschutz wird jedenfalls in auffallender Weise nicht erwähnt. Der Individualschutzcharakter kann auch nicht durch eine teleologische Betrachtung des Dringlichkeitskriteriums erreicht werden. Danach soll zwar derjenige das Organ erhalten, der es am dringendsten benötigt, dessen Rechtsgut mithin am meisten gefährdet ist.461 Hierin wird auch eine unmittelbare Anknüpfung an die Dogmatik der staatlichen Schutzpflichten gesehen, die sich unstrittig aus den Individual-, nicht den Kollektivrechtsgütern herleiten.462 Eine solche Betrachtung kann jedenfalls dann nicht gelten, wenn die Gesundheit von mehreren Patienten in gleichem Maße bedroht ist, jedoch bei einem Patienten leicht verschlechterte Laborwertbefunde vorliegen. Wenn für beide betrachteten Patienten das nächste zu verteilende Organ bereits zu spät käme, sind beide Individualrechtsgüter in gleichem Umfang gefährdet.463 Erhalten sie das Organ nicht, realisiert sich das Todesrisiko. Liegt aber eine solche Rechtsgutskollision vor, kann sie nicht mit der Erwägung aufgelöst werden, einer der beiden Patienten sei unter Berücksichtigung des individuellen Lebensschutzes vorrangig zu behandeln. Eine solche Betrachtungsweise wäre eine direkte Abwägung von Leben gegen Leben und das „Dringlichkeitskriterium“ praktisch nur noch ein selektives Merkmal, das keine Widerspiegelung auf der staatlichen Schutzpflichtebene mehr findet. Die Anknüpfung an den Wert folgt einzig aus der Notwendigkeit, eine rechtssichere, systemkonforme und rechtspolitisch überzeugende Allokationssystematik zu gewährleisten.464 Sie dient damit dem Systemvertrauen465 als Voraussetzung steigender Organspenden, die wiederum allen Patienten und damit dem allgemeinen Lebensschutz zugutekommen.466 Die Auslegung der vermittlungsrelevanten Regelungen spricht für die Annahme ei460 Rixen, in: Höfling, TPG, § 1 Rn. 1d: „Gebot der spendebereitschaftsfördernden Auslegung“. 461 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 352; Junghanns, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, S. 58: Organverteilung als „individuelle Nutzenmaximierung“. 462 Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 352. 463 Ähnlich LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13, S. 27 f. 464 Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 676; Verrel, MedR 2014, 464, 468. 465 Verrel, MedR 2014, 464, 465. 466 Vgl. Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 490; a. A. Böse, in: ZJS 2014, 117, 120.
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ner rein objektiv verstandenen Pflicht im Interesse des kollektiven und nicht des individuellen Lebens- und Gesundheitsschutzes. Unzweifelhaft dienen die vermittlungsrelevanten Regelungen dem Teilhaberecht aller Patienten, das sich aus den verfassungsrechtlichen Höchstwerten von Leben, Menschenwürde, Gleichbehandlung und dem Sozialstaatsprinzip herleitet. Eine „Verdichtung“ der Teilhaberechte zu originären Leistungsrechten ist im Ergebnis aufgrund der Durchbrechungen des Zurechnungszusammenhangs nach dem Zeitpunkt des Angebots (Entscheidungen des Transplantationschirurgen, Gesundheitsverschlechterungen des Patienten467 oder Verschlechterungen des Transplantats) wenig überzeugend.468 (e) Ergebnis Richtigerweise ist nicht davon auszugehen, dass die Vermittlungsentscheidung dem individuellen Lebens- und Gesundheitsinteresse des Patienten verpflichtet ist. Vielmehr garantiert § 12 Abs. 3 TPG ein einheitliches und der Chancengerechtigkeit verpflichtetes Verfahren für die Zuteilung von Überlebenschancen.469 Der grundsätzlich denkbare Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 229 StGB aufgrund einer fahrlässigen Körperverletzung als relevante Schutzgesetzverletzung470 scheitert an den gleichen Kausalitäts- und Zurechnungsproblemen wie eine haftungsrechtliche Verantwortung des manipulierenden Arztes aus § 823 Abs. 1 BGB. bb) Zivilrechtlicher Schutz des derivativen Teilhaberechts Während sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, dass eine Kausalität zwischen der Falschmeldung des Arztes und dem konkreten Gesundheitsschaden des Verletzten nicht nachweisbar und nicht vom sachlichen Schutzzweck der Organvermittlungsregeln umfasst ist, steht ebenso fest, dass der Patient jedenfalls in seinem derivativen Teilhaberecht verletzt wurde. Seine Chancen auf die Zuteilung eines bestimmten Organs wurden durch die Manipulationshandlung wesentlich geschmälert. Statt eines Organangebots und der damit einher-
Kudlich, NJW 2013, 917, 918. Vgl. Schroth, NStZ 2013, 437, 443; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 492. 469 LG Göttingen, Urteil v. 6.5.2015 – 6 Ks 4/13; Bülte, StV 2013, 749, 758; Kudlich, NJW 2013, 917, 918; Schroth, NStZ 2013, 437, 443; Verrel, MedR 2014, 464, 468; wohl auch Dann ecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 676; a. A. Böse, in: ZJS 2014, 117, 120; Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 242; Rosenau, in: FS Schünemann, 689, 698. 470 Hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 229 StGB Schroth, in: Roxin/Schroth, Handbuch des Medizinstrafrechts, 444, 464. 467
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gehenden Vermittlung einer konkreten Lebenschance, wird er von seiner Position im Verteilungssystem verdrängt. (1) Unmittelbar vermittlungsrelevante Regelungen Das derivative Teilhaberecht ist kein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.471 Der von seinem Wartelistenplatz verdrängte Patient ist in der betrachteten Fallkonstellation auch nicht vom persönlichen Schutzbereich der per se individualschützenden Norm des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG umfasst, die als vertragliche Pflicht nur die Parteien des Behandlungsvertrags bindet. Im Rahmen von § 12 Abs. 3 TPG ist der manipulierende Arzt schon nicht Regelungs adressat, sodass er hiergegen auch nicht verstoßen kann. Aus den Richtlinien der Bundesärztekammer kann er ebenfalls keinen Drittschutz herleiten.472 (2) § 10 Abs. 3 S. 2 TPG als Schutzgesetz § 10 Abs. 3 S. 2 TPG statuiert für die Ärzte und die von ihnen beauftragten Personen das Verbot, die für die Organvermittlung erforderlichen Angaben unrichtig zu erheben, zu dokumentieren oder nach § 13 Abs. 3 S. 3 TPG an Euro transplant zu übermitteln. In Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen ist das Verbot in Bezug auf andere Patienten keine Ausprägung individuellen, sondern vielmehr allgemeinen Lebensschutzes.473 Darüber hinaus könnte allenfalls das derivative Teilhaberecht als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vom modalen Schutzbereich des § 10 Abs. 3 S. 2 TPG sowie der strafrechtlichen Erfassung474 absichtlich wahrheitswidriger Gesundheitsmeldungen in § 19 Abs. 2a TPG umfasst sein. So ist allgemein anerkannt, dass Normen, deren Hauptaugenmerk auf dem Institutionenschutz liegt, daneben auch individuelle Interessen umfassen können.475 Die Schutzgesetzeigenschaft scheidet vielmehr erst dann aus, wenn der Individualschutz entweder gänzlich fehlt oder sich nur noch als Rechtsreflex aktualisiert.476 Dabei ist nicht zwingend zu fordern, dass die Norm unmittelbar den Schutz des Geschädigten bezweckt. Vielmehr ist ausreichend, dass auch
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Hierzu bereits Glp. § 6 I.6.b).aa). Vgl. Glp. § 6 I.6.b).bb).(3). 473 Im Ergebnis auch Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 679; Schroth, NStZ 2013, 437, 443; Verrel, MedR 2014, 464, 468; a. A. Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 242. 474 Zur rechtspolitischen Einordnung als „medizinstrafrechtliche(r) Schnellschuss“ Schroth, MedR 2013, 645, 645. 475 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 113. 476 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 118. 472
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„mittelbare Schäden“ vom Schutzzweck der haftungsauslösenden Norm erfasst werden.477 Auch mit Blick auf § 10 Abs. 3 S. 2 TPG erscheint es vorzugswürdig, den Schutzzweck des Verbots sowie der strafrechtlichen Pönalisierung in § 19 Abs. 2a TPG in der Gewährleistung eines einheitlichen, alle Patienten in ihrer Gesamtheit gleich behandelnden Allokationssystems zu sehen. Das Verbot unrichtiger Gesundheitsmeldungen schützt zwar zweifelsfrei den vom meldenden Arzt behandelten Patienten vor einer falschen, ihn unmittelbar benachteiligenden Meldung, wenn sein Gesundheitszustand versehentlich „zu positiv“ angegeben wird. Wird der Zustand aber zu negativ beschrieben und der Patient deshalb in der Warteliste bevorzugt berücksichtigt, gehört es nicht zum Schutzzweck der Norm, allen anderen Patienten in ihrer Gesamtheit Ersatzansprüche gegen den handelnden Arzt an die Hand zu geben. Diese Auffassung wird nicht zuletzt durch die Gesetzesbegründung zu § 19 Abs. 2a TPG478 gestützt, in der wohl eindeutig zum Ausdruck kommt, dass die Manipulationsbekämpfung ausschließlich der Integrität des Allokationssystems und des damit bezweckten Systemvertrauens der Bevölkerung in „ein gerechtes Vermittlungsverfahren“ dient.479 Sofern man davon ausgeht, dass § 10 Abs. 3 S. 2 TPG im „Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems“480 auch den zivilrechtlichen Schutz der übergangenen Patienten im Auge hat, scheitert ein etwaiger Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2 TPG jedenfalls am haftungsausfüllenden Schutzzweck der Norm. Denn der Gesundheitsschaden wird insoweit nicht erfasst, Schmerzensgeld wird in Ermangelung einer Ausnahmevorschrift nach § 253 Abs. 1 BGB nicht gewährt und das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht betroffen, da schließlich die Gesamtheit aller auf der Warteliste notierten Patienten von der Falschmeldung betroffen ist und sich die Manipulation mithin nicht nur bei einem bestimmten Patienten auswirkt.
Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 122 f. BT-Drs. 17/13947, S. 40: „Zur Gewährleistung eines gerechten Vermittlungsverfahrens, in dem ausschließlich nach den medizinischen Kriterien Erfolgsaussicht und Dringlichkeit entschieden wird, ist die Führung der Warteliste von entscheidender Bedeutung. Denn der Platz auf der Warteliste kann darüber entscheiden, wer ein lebensrettendes Organ erhält. Jegliche Manipulation, die Einfluss auf die Rangfolge hat, muss vermieden werden.“ 479 Im Ergebnis wohl genauso Lang, in: Höfling, TPG, Nachtr. 2013, § 10 Rn. 61. 480 Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung, S. 125 f., wonach es allerdings nicht darauf ankommt, dass die Norm „Schadensersatz“ bezwecken soll, da § 823 Abs. 2 BGB geradezu idealtypisch an Norman anknüpft, die selbst in außerdeliktischem Zusammenhang stehen, Spickhoff, Gesetzesverstoß und Haftung S. 123. 477 478
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c) Ergebnis Die haftungsrechtliche Untersuchung der Fallkonstellation der sog. „Organspendeskandale“ hat gezeigt, dass eine unwahre Gesundheitsmeldung im Ergebnis zu keinen Haftungsansprüchen der „übergangenen“ Wartelistepatienten führt. Ein direkter Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. strafrechtlichen Tötung- oder Körperverletzungsdelikten scheitert bereits an der im Ergebnis nicht nachweisbaren Kausalität zwischen der unrichtigen Gesundheitsmeldung und dem beim Patienten eingetretenen Gesundheitsschaden. Darüber hinaus ist der zivilrechtliche Schutz der Gesundheitsinteressen der anderen gelisteten Patienten nicht vom Schutzzweck der transplantationsrechtlichen Verteilungsregeln erfasst. Vielmehr schützen sie nur die Integrität des Allokationssystems zum Erhalt oder Wiederaufbau eines Systemvertrauens der Bevölkerung, um die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern, § 1 Abs. 1 TPG. Daneben ist auch das derivative Teilhaberecht der übergangenen Patienten durch die bevorzugte Behandlung eines unrichtig gemeldeten Kandidaten zivilrechtlich nicht abgesichert. Weder stellt das derivative Teilhaberecht ein sonstiges Recht i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB dar, noch greifen vermittlungsrelevante Vorschriften oder das Verbot unrichtiger Gesundheitsangaben aus § 10 Abs. 3 S. 2 TPG als Schutzgesetze nach § 823 Abs. 2 BGB ein. Auch diese Vorschriften bezwecken lediglich allgemeinen Systemschutz sowie die Integrität der transplantationsrechtlichen Verteilungssystematik. Die Patienten sind nur in ihrer Gesamtheit durch erhöhte Spenderzahlen, nicht aber durch die einzelnen Verbotsbestimmungen an sich geschützt. Selbst wenn entgegen der vertretenen Auffassung Individualschutz bejaht würde, kommt auf dieser Grundlage kein Schadensersatzanspruch zustande. Auch hier realisiert sich hinsichtlich des Primärschadens die Beweislast am Maßstab des § 286 ZPO, die bezüglich der haftungsbegründenden Kausalität nicht erfüllt werden kann. Immaterieller Schadensersatz kann aufgrund der Verletzung des derivativen Teilhaberechts bereits aufgrund des Fehlens einer Vorschrift im Sinne des § 253 Abs. 1 BGB nicht gefordert werden. Eine kausale Gesundheitsschädigung nach § 253 Abs. 2 BGB kann nicht bewiesen werden, während das Persönlichkeitsrecht aufgrund der gleichrangigen Benachteiligung aller übrigen Patienten nicht betroffen ist.
2. Richtlinienwidrige Wartelistenaufnahme Eine Benachteiligung anderer Patienten, die ebenfalls auf der Warteliste Euro transplants geführt werden, kann sich nicht nur daraus ergeben, dass der behandelnde Arzt eines Patienten wahrheitswidrig einen zu schlechten Gesundheits-
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zustand angibt. Vielmehr kann es passieren, dass das Transplantationszentrum einen Patienten auf die Wartelisten aufnimmt, obwohl bei diesem nach den Richtlinien der Bundesärztekammer ein Kontraindikationstatbestand erfüllt ist, die Werte an und für sich aber wahrheitsgemäß sind. Berücksichtigt Eurotransplant nun den Patienten, der eigentlich von der Vermittlung ausgeschlossen sein sollte, kann es ebenfalls dazu kommen, dass Patienten „übergangen“ werden, denen ohne die Aufnahme des Patienten eventuell früher ein Organ zugeteilt worden wäre. Zwar stellen sich auch in dieser Konstellation nahezu dieselben beweisrechtlichen Fragen hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität sowie des Schutzzwecks der vermittlungsrelevanten Normen. Allerdings ist evident, dass „Kontraindikationen“ innerhalb des Arzt-Patienten-Verhältnisses nur im rein medizinischem Interesse des Patienten liegen können, ein Eingriff mithin nur dann kontraindiziert sein kann, wenn er nicht die sachgemäße, im Gesundheits interesse des Patienten verfehlte und daher außer Acht zu lassende Therapiemaßnahme darstellt. Ein solcher Fall wird in den wenigsten angeführten Gründen vorliegen. Vielfach wird der wahre Grund der Kontraindikation nicht im medizinischen Interesse des Patienten, sondern vielmehr im Bemühen liegen, den Kreis der Patienten auf der Warteliste möglichst gering zu halten. a) Rechtswidrige Richtlinienbestimmung Beruft sich der Arzt bei der Aufnahme zu Recht auf die Verfassungswidrigkeit einer Richtlinienbestimmung, ist sein Verhalten schon gar nicht rechtswidrig. Vielmehr ist er in einem solchen Fall dazu verpflichtet, den Patienten nach einer verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG in die Warteliste aufzunehmen, soweit andere gegenläufige Ausschlussgründe nicht vorliegen.481 Ersatzansprüche Dritter scheiden bei dieser Rechtslage im Ergebnis von vornherein aus. b) Rechtmäßige Richtlinienbestimmung Hält der Arzt eine Richtlinienbestimmung irrtümlich für verfassungswidrig und nimmt den Patienten damit objektiv rechtswidrig in die Warteliste auf, sind Schadensersatzansprüche Dritter – von den Kausalitätsansprüchen einmal abgesehen –sowohl mit Blick auf den Schutzzweck der Wartelistenkriterien als auch vor dem Hintergrund der Verschuldensmodifizierung zweifelhaft. So dürfte im Ergebnis jedenfalls unzweifelhaft feststehen, dass richtlinienentsprechende Kontraindikationstatbestände nicht den Lebenschancen anderer Patienten zu dienen bestimmt sind, sondern vielmehr den wohlverstandenen 481
Vgl. im strafrechtlichen Kontext Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 677.
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Gesundheits- und Lebenschancen des betroffenen Patienten dienen. So kommt eine solche Kontraindikation abstrakt-generell genauso wie im konkreten nur dann Einzelfall in Betracht, wenn eine Vorerkrankung des Patienten seine „Transplantabilität mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließt“482. Besteht neben dem ursprünglichen Organversagen zum Beispiel eine zusätzliche, lebensbedrohliche Erkrankung, stellt die Übertragung eines Ersatzorgans schon vor diesem Hintergrund nicht mehr die medizinisch zielführende Behandlung dar. In jedem Fall steht die Annahme eines derartigen Befundes bereits semantisch im unmittelbaren Zusammenhang mit der Diagnoseerhebung und betrifft damit ausschließlich das Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Als vermittlungsrelevante Regel umfasst die Wartelistenaufnahme damit nur die Interessen des Patienten und nicht die Ranglistenplatzierung Dritter. Kommt es im Fall der rechtmäßigen, aber vom Transplantationszentrum nicht beachteten Kontraindikation nun zu einer (unter Umständen ungeprüften) Vermittlungsentscheidung Eurotransplants, spricht vieles dafür, in diesem Fall zudem eine Durchbrechung des Zurechnungszusammenhangs anzunehmen, sodass die bewusste Außerachtlassung der Bestimmung aufgrund vermeintlicher Rechtswidrigkeit sich nicht mehr kausal in der Gesundheitsverletzung des Patienten ausdrückt. Nicht zuletzt aufgrund solcher „Fehlerketten“ der Organvermittlung hat sich der Gesetzgeber für eine funktionale und organisatorische Trennung der am Vermittlungsprozess beteiligten Akteure entschieden.483 So liegt es im Verantwortungsbereich jeder einzelnen Stelle, die ihr zukommende Aufgabe im Vermittlungsprozess sorgfältig und fehlerfrei durchzuführen. Dazu gehört insbesondere die eingehende Prüfung der Angaben der Ärzte bei der Vermittlungsentscheidung. Sofern der Kontraindikationsbefund wahrheitsgemäß mitgeteilt, aber bei der Vermittlung nicht berücksichtigt wurde, fällt dieser Umstand in den alleinigen Verantwortungsbereich der Vermittlungsstelle. Selbst wenn man diese Risikozuteilung im Ergebnis nicht teilt, wird man in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen484 zur verschuldensrelevanten Handlungsmaxime jedenfalls bei gänzlich unsicherer Rechtslage einen unverschuldeten Rechtsirrtum annehmen können. Die hohen Hürden der Rechtsprechung sollen einer Risikoverlagerung im synallagmatischen Vertrag entgegenwirken, nicht aber dem Zentrum das Risiko der allgemeinen Rechtsunsicherheit Bader, Organmangel und Organverteilung, S. 377 f., der zu Recht daraus folgert, dass eine HIV-Infektion ohne eine ausgebrochene AIDS-Erkrankung eine Übertragung nicht hindert und dahernur dann zulässig sein dürfte, soweit die Behandlung mit Immunsuppressiva aus medizinischen Gründen bei HIV-infizierten Patienten kontraindiziert ist; zum Kriterium der Sprache als Unterfall der non-Compliance sowie zu medizinischen Kriterien wie der sechs-Monats-Regel bei Alkoholikern vgl. Glp. § 3 III.2.d). 483 Vgl. Glp. § 3 I.1; BT-Drs. 13/4355, S. 21; Weyd, Jura 2013, 437, 440. 484 Glp. § 6 I.4.d). 482
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des transplantationsrechtlichen Regelungskomplexes aufbürden. Wenn es sich im objektivierten Lebens- und Gesundheitsinteresse der Patienten zugunsten der Wartelistenaufnahme entscheidet, kann ihm eine entgegenstehende Sorgfaltswidrigkeit nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Ranglistenpositionen der anderen Patienten auf der Match-Liste sind demgegenüber als konkrete Zuteilungschancen zivilrechtlich nicht abgesichert. Dem derivativen Teilhaberecht wird über den Anspruch auf Aufnahme in die Wartelisten aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 TPG unmittelbar485 sowie über die im Interesse aller Patienten stehenden Allokationskriterien mittelbar Rechnung getragen. Ansprüche aufgrund einer richtlinienwidrigen Aufnahme anderer Patienten lassen sich hieraus nicht ableiten. c) Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass unabhängig von der tatsächlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Kontraindikationsbestimmung keine zivilrechtlichen Ersatzansprüche durch andere Patienten geltend gemacht werden können. Es liegt nicht im Schutzbereich der einzelnen Kontraindikationsregelungen, die Ranglistenpositionen Dritter zivilrechtlich abzusichern.
3. Verspätete Mitteilung nach § 13 Abs. 3 S. 3 TPG Die ärztliche Mitteilung an das Transplantationszentrum muss unverzüglich, nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB mithin ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen.486 Dieses Erfordernis ergibt sich zum einen unmittelbar aus § 13 Abs. 3 S. 1 TPG und zum anderen mittelbar aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 sowie § 10 Abs. 3 Nr. 2 TPG, die zwar lediglich zu einer unverzüglichen Annahmeentscheidung durch das Transplantationszentrum verpflichten. Die Pflicht zur unverzüglichen Weiterleitung ist für den ärztlichen Behandlungsvertrag aber bereits seit längerem in der ständigen Rechtsprechung des BGH anerkannt487 und lässt sich teleologisch mit dem § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG zugrundliegenden Normappell des Gesetzgebers begründen. Ziel der Pflicht zur unverzüglichen Entscheidung durch das Transplantationszentrum aus § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG ist eine zeitlich nicht schuldhaft in die Länge gestreckte Entscheidung der Aufnahme in die Warteliste und damit des ganzen Vermittlungsverfahrens im Zuge der Organzuteilung.
Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 677. Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 11. 487 Vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134, 1134, das einen Schadensersatzanspruch des Patienten bei zunächst unterlassener Mitteilung anerkannte. 485
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Nur zeitlich gestraffte und effiziente Weiterleitungs- und Mitteilungssysteme stellen sicher, dass eilbedürftige Fälle bevorzugt behandelt 488 und die restlichen Patienten nach den allgemeinen Allokationskriterien berücksichtigt werden können. Dieser gesetzgeberischen Intention würde es freilich zuwiderlaufen, wenn bei der Entscheidung der Transplantationszentren und Vermittlungsstellen eine strenge zeitliche Pflichtenbindung bestünde, diese bei der ärztlichen Erhebung und Weiterleitung aber nicht gefordert würde. Zum gleichen Ergebnis kommt man über eine Herleitung aus § 10 Abs. 3 S. 2 TPG, welcher der Gewährleistung der Chancengleichheit aller potentiellen Organempfängern sowie der Verteilungsgerechtigkeit dient.489 Mit der Annahme des Patienten zur Organübertragung verpflichtet sich das Transplantationszentrum zur Wahrnehmung aller es treffenden transplantationsrechtlichen Mitwirkungs-, Melde- und Organisationspflichten. Dabei entspricht es dem Wesen des Arzt-Patienten-Verhältnisses, dass diese Pflichten gerade im Gesundheitsinteresse des behandelten Patienten vorliegen. Eine Pflichtverletzung ist danach immer dann anzunehmen, wenn ein bestimmtes Verhalten des Arztes dazu führt, dass die Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit im Organzuteilungsverfahren zu Lasten des eigenen Patienten gefährdet ist. Bei einem Unterlassen des Arztes ergibt sich dies aus den Handlungspflichten aus § 13 Abs. 3 S. 1 TPG, im Übrigen in systematischer und teleologischer Hinsicht aus § 10 Abs. 2 und 3 S. 2 TPG.490 Hinsichtlich der zu beweisenden haftungsbegründenden Kausalität kommt in Fällen der schuldhaften Verzögerung die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB in Betracht. So nahm das OLG Stuttgart491 in einer Entscheidung im Jahr 1992 ein objektiv nicht mehr verständliches und damit nicht verantwortbares Verhalten an, wenn ohne rechtfertigende Gründe medizinisch erhobene Befunde nicht bewertet und daraufhin auch nicht an Eurotransplant weitergeleitet wurden. Hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Primärschaden kam es zur Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB und damit zu einem Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch des Patienten.
488 So der Rechtsgedanke hinter den zeitlich bevorzugten Algorithmen bei High-Urgency-Patienten. 489 Zum allgemeinen gesetzgeberischen Ziel exemplarisch für § 10 Abs. 2 Nr. 3 TPG a. F. vgl. Lang, in: Höfling, TPG, § 10 Rn. 53 a. E. 490 Hinsichtlich der Schutzgesetzeigenschaft von § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG Gutmann, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 10 Rn. 4. 491 OLG Stuttgart, Urteil v. 6.2.1992 – 14 U 1/91 = VersR 1992, 1134, 1134.
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4. Zu niedrige Dringlichkeitsstufe Die Ärzte des Transplantationszentrums sind sowohl durch § 13 Abs. 3 S. 3 TPG als auch über § 10 Abs. 3 S. 2 TPG und den Behandlungsvertrag dem Patienten gegenüber dazu verpflichtet, seinen Gesundheitszustand richtig und vollständig zu erheben und an Eurotransplant weiterzuleiten. Wird der Gesundheitszustand unrichtig erhoben, bzw. richtig erhoben aber in einer zu niedrigen Dringlichkeitsstufe weitergeleitet, ergeben sich hieraus Behandlungsfehler, die sowohl nach § 280 Abs. 1 BGB als auch deliktsrechtlich nach §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 i. V. m. § 10 Abs. 3 S. 2, 13 Abs. 3 S. 3 TPG zu Schadensersatzansprüchen führen können. Entscheidend ist wiederum, ob ein grober Behandlungsfehler und damit die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB angenommen werden kann. Weitere arzthaftungsrechtliche Besonderheiten ergeben sich hieraus nicht.
III. Die fehlgeschlagene Organvermittlung durch Organisationsdefizite Gute Organisation gehört zu den Hauptpflichten des Krankenhauses.492 So einfach, wie sich dieser Befund in die Erkenntnisse des medizinischen Standards einfügt, so folgenschwer können Organisationsdefizite für den einzelnen Patienten sein. Gerade in der Transplantationsmedizin, in der Zuteilungs- und Vermittlungsentscheidungen äußerst kurzfristig erfolgen und die Operation innerhalb der Überlebenszeit des entnommenen Organs durchgeführt werden müssen, sind die potentiellen Organempfänger als Patienten des Transplantationszentrums darauf angewiesen, dass der apparative und personelle Sollstandard eingehalten wird und die Organübertragung nach langjährigen Wartezeiten nicht an vermeidbaren organisatorischen Missständen scheitert. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel von eklatantem Organisationsversagen zeigte sich im Jahre 2006 am Transplantationszentrum des Universitätsklinikums Großhadern in München. Nachdem in Zwickau eine postmortale Lungenspende erfolgte und das entnommene Organ sodann einer Münchener Patientin mit intensivmedizinischem Hochdringlichkeitszustand zugeteilt wurde, scheiterte der Organtransport an einem „bizarren Machtkampf“493 zwischen der DSO als Koordinationsstelle und dem zuständigen Transplantationschirurgen. Nach Budgetkürzungen hinsichtlich der Bereitschaftsdienste von TransplantatiHart, MedR 2013, 159, 160. Bendt, in: SZ v. 9.2.2006, abrufbar unter: http://www.anstageslicht.de/themen/mediz in/organ-spenden-skandal/berichte/enthuellung-sueddeutsche-zeitung-2006/begrabene -hoffnung/, zuletzt am 29.8.2016. 492 493
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onschirurgen weigerten sich diverse Kliniken Organisationsverträge mit der DSO abzuschließen, welche die Vergütungs- und Flugkosten sowie den notwendigen Versicherungsschutz übernahmen. Als Folge der mangelnden organisatorischen Ausstattung und Vorbereitung, stellte das Universitätsklinikum für den Organtransport und die sofortige Übertragung keine ständige Rufbereitschaft mehr, sodass im Fall der konkreten Vermittlungsentscheidung des Organs aus Zwickau kein Organtransport durchgeführt wurde. Von Seiten der DSO wurde angeführt, dass entgegen den Ausführungen der Chirurgen sehr wohl Versicherungsschutz bestand.494
1. Übernahmeverschulden, Zumutbarkeit sowie Treu und Glauben Die Tatsache, ob im skizzierten Fall nun der Versicherungsschutz bestand oder nicht, ist im Ergebnis von keiner tragenden Bedeutung. Sofern entgegen den Angaben des Transplantationszentrums ein versicherungsrechtlicher Schutz bestand, fällt der Irrtum über diesen Umstand sowie der Rechtsirrtum hinsichtlich der Nichtverpflichtung zum Transport in den alleinigen Risikobereich der Zentren. In Übereinstimmung mit der Argumentation im Zusammenhang mit den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Rechts- und Tatsachenirrtümern, soll das Risiko der eigenen Interessenswahrnehmung – hier der Kostenersparnis auf ungesicherter Rechtsgrundlage – durch eine Haftungsbefreiung nicht auf den Vertragspartner abgewälzt werden.495 Sofern der Versicherungsschutz nicht bestand, ist dies ein schweres Versäumnis und zugleich eine Unterschreitung des im vorherigen Kapitel dargelegten organisatorischen Mindeststandards, der von den Transplantationszentren zu fordern ist. Das Transplantationszentrum ist mit Abschluss des Behandlungsvertrags bzw. deliktsrechtlich mit der eigenverantwortlichen Übernahme der Behandlung des Patienten mit der Annahme zur Organtransplantation im Sinne des § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 TPG zu umfassenden Vorkehrungen und organisatorischen Sicherstellung der für die Organübertragung notwendigen Vorkehrungen verpflichtet.496 Diese besonderen Anforderungen realisieren sich gleichsam im Zulassungsverfahren des Transplantationszentrums, das den speziellen Umständen des zeitkritischen und hochkomplexen transplantationsmedizinischen
494 Bendt, in: SZ v. 28.1.2006, abrufbar unter: http://www.anstageslicht.de/themen/medi zin/organ-spenden-skandal/berichte/enthuellung-sueddeutsche-zeitung-2006/transplanta tions-streit-eskaliert/, zuletzt am 29.8.2016; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, Rn. 1281; Spickhoff, VersR 2006, 1569, 1576. 495 BGH, Urteil v. 18.4.1974 – KZR 6/73 = NJW 1974, 1903, 1904 f.; BGH, Urteil v. 26.1.1983 – IV b ZR 351/81 = NJW 1983, 2318, 2321. 496 Spickhoff, VersR 2006, 1569, 1576.
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Verfahrens durch eine Schwerpunktbildung an hierfür etablierte Transplantationszentren Rechnung tragen soll. Die Tatsache, dass das Transplantationszentrum aktiv Wartelistepatienten betreute, zeitgleich aber Organisationsverträge mit der DSO auslaufen ließ, ohne für eine adäquate und umfassende Anschlussfinanzierung zu sorgen, stellt eine Unterschreitung des medizinischen Standards zu Lasten der behandelten Patienten dar, die sich im Fall der Lungen-HU-Patientin in München vor dem Hintergrund des dramatischen Organmangels in existenziellem Umfang verwirklichte. Der Haftungsanspruch der Patientin gegen das Transplantationszentrum richtet sich aufgrund eines organisatorischen Behandlungsfehlers aus §§ 630a Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 1 BGB wegen der Nichtdurchführung des Organtransports sowie der Organübertragung trotz deliktischer Pflichtenübernahme. Die Durchführung des Organtransports wäre vor diesem Hintergrund – ungeachtet der versicherungsrechtlichen Situation – zumutbar gewesen, da zum einen die finanzielle Absicherung zumindest subsidiär auch der Patienten überlassen werden könnte. Zum anderen verläuft eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Rahmen der Zumutbarkeit in derartig gelagerten Fällen zugunsten der Patientin, da in keinem Fall eigenes Organisationsversagen des Transplantationszen trums als Anknüpfungspunkt für (Un-)Zumutbarkeitserwägungen herangezogen werden kann, wenn dies vertraglich und deliktisch übernommene Pflichten berührt, die bereits im Vorbereitungsstadium verletzt wurden. In diesem Zusammenhang sind die auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter der Patientin in Form von Leben und Gesundheit nicht nur abstrakt und konkret höherwertig497, sondern vielmehr auch der einzig relevante Belang der Abwägung. Schließlich würde eine Berücksichtigung des eigenen Organisationsversagens des Zen trums, das im konkreten Fall nur eine finanzielle Leistungsunsicherheit umfasste498, ein dem Grundsatz von Treu und Glauben diametral gegenläufiges, widersprüchliches Verhalten des Zentrums darstellen. Die letzte Überlegung lässt sich verallgemeinern: Wenn und soweit das Transplantationszentrum die Behandlung von Patienten übernimmt und sich damit vertraglich sowie deliktsrechtlich hinsichtlich der Rechtsgüter der potentiellen Organempfänger verpflichtet, kann es sich haftungsrechtlich nicht auf apparative oder personelle Engpässe und Defizite berufen, wenn sie deshalb an der Erfüllung von behandlungsrelevanten Pflichten gehindert war. Die Verletzung einer übernommenen organisatorischen Sorgfaltspflicht kann als treuwid-
497 498
Vgl. Spickhoff, VersR 2006, 1569, 1576. Spickhoff, VersR 2006, 1569, 1576.
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riger Vortrag nicht für eine Unzumutbarkeit der Transport- und Übertragungspflicht gehört werden, § 242 BGB.
2. Gegenläufige Richtlinienbestimmungen und AGB-Recht An diesem Befund ändert auch die Bestimmung der BÄK-Richtlinien unter dem jeweiligen Gliederungspunkt I.8499 nichts, in der die Bundesärztekammer die Transplantationszentren verpflichtet, den Patienten bei der Wartelistenaufnahme darauf hinzuweisen, „dass ausnahmsweise ein ihm vermitteltes Organ aus zentrumsinternen organisatorischen oder personellen Gründen nicht transplantiert werden kann.“
Zwar könnte in einer gleichlautenden Aufklärung des Patienten eine Modifizierung des Sorgfaltsstandards aus § 630a Abs. 2 BGB gesehen werden, sodass organisatorische oder personelle Sollstandards ausgeklammert oder jedenfalls keine Haftung des Transplantationszentrums begründen würden. Für eine entsprechende Modifikation des insoweit aber zwingenden TPG-Rechts bleibt aber aufgrund der klaren Zielvorgabe des § 10 Abs. 1 TPG kein Raum. Darüber hinaus wäre eine solche (formularmäßige) Klausel des abgeschlossenen Behandlungsvertrages zum einen unter Transparenzgründen viel zu unbestimmt. Zum anderen wäre dies in Anbetracht der hochrangigen Rechtsgüter der Patienten eine überraschende (§ 305c Abs. 1 BGB), jedenfalls aber unangemessene Bestimmung zu Lasten des Patienten (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB), die im Widerspruch zu den Grundgedanken der Organvermittlung und Gewährung von Chancengleichheit durch einheitliche Standards steht (vgl. §§ 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 12 Abs. 3. 10 Abs. 1 TPG) und damit den Kern des transplantationsmedizinischen Behandlungsvertrages in vertragszweckgefährdender Weise berührt. Eine solche Klausel wäre auch bei einem (jedenfalls bisher nicht vertretenen) dispositiven Charakter der transplantationsrechtlichen Mitwirkungs- und Sorgfaltspflichten nach § 306 Abs. 1 BGB unwirksam. Sie berührt damit weder die vertragliche noch deliktische Haftung des Transplantationszentrums sowie der behandelnden Ärzte.
3. Kausalitätsvermutung des § 630h Abs. 4 BGB bei Organisationsmängeln? Ist die widerrechtliche Weigerung der Durchführung des Organtransports und der Organübertragung als Unterschreitung des medizinischen Standards und relevanter Behandlungsfehler beweisen, stellt sich im haftungsrechtlicher Hin499
Exemplarisch BÄK, Leber Glp. I.8; Herz Glp. I.8.
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sicht die Frage, ob hierdurch eine kausale Gesundheitsverletzung eingetreten ist, wonach insbesondere hierauf kausal beruhende Sekundärschäden ersetzt verlangt werden könnten. In diesem Zusammenhang gewinnt die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 4 BGB an Relevanz. Dieser enthält eine Kausalitätsvermutung für sog. Übernahmeverschulden.500 Kann der Patient im Arzthaftungsprozess nachweisen, dass der Behandelnde zur Übernahme der Behandlung nicht befähigt war, wird zu seinen Gunsten vermutet, dass die mangelnde Befähigung auch ursächlich für die eingetretene Verletzung seiner Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit war, § 630h Abs. 4 BGB. Neben der häufigsten Fallgruppe der sog. „Anfängerfehler“501 von nicht hinreichend ausgebildeten oder praxiserprobten Ärzten, gewinnt die Vermutung auch hinsichtlich fehlender organisatorischer Vorkehrungen an Bedeutung. Soweit § 630h Abs. 4 BGB von „nicht befähigt[en]“ Behandelnden spricht, ist damit die „theoretische Befähigung zur Durchführung“502 der medizinischen Behandlung und das „generelle Verfehlen des Facharztstandards“503 gemeint. Wird auf Seiten des behandelnden Arztes die Einhaltung des fachlichen Standards gefordert, fallen hierunter gleichsam die Standards guter Organisation504 hinsichtlich der personellen und sachlichen Ausstattung.505 Hart stellt daher zu Recht klar, dass „Befähigung“ im Sinne des § 630h Abs. 4 BGB nicht nur die individuelle Ausbildung und das ärztliche Können des behandelnden Arztes, sondern auch die institutionelle Befähigung des Behandelnden bezüglich etwaiger Organisationsmängeln des Krankenhauses erfasst.506 Kann der Patient, wie im betrachteten Fall des Universitätsklinikums in München, Organisationsdefizite bei der Behandlungsübernahme nachweisen, führt die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 4 BGB dazu, dass nunmehr das Zentrum in der Pflicht ist, darzulegen und zu beweisen, dass die mangelnde Befähigung für den eingetretenen Schaden an der körperlichen Integrität nicht ursächlich wurde.507 Zwar wurde im Referentenentwurf neben der Befähigung auch die Eignung des Behandelnden der Kausalitätsvermutung zugeordnet und erst im späteren Gesetzgebungs-
Hart, MedR 2013, 159, 163. BT-Drs. 17/10488, S. 30; vgl. zudem Rehborn, GesR 2013, 257, 271; Spickhoff, VersR 2013, 267, 280; auf die Fallgruppe der Anfängereingriffe verengend Walter, GesR 2013, 129, 134. 502 Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630h Rn. 12. 503 Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 630h Rn. 13. 504 Spickhoff, in: Jahn et al., Medizinrecht, 25, 30. 505 Hart, MedR 2013, 159, 163; im Ergebnis ebenso für eine Anwendbarkeit des § 630h Abs. 4 BGB bei Organisationsmängeln Spickhoff, in: Jahn et al., Medizinrecht, 25, 30. 506 Hart, MedR 2013, 159, 163. 507 Rehborn, GesR 2013, 257, 271. 500 501
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verfahren gestrichen.508 Für die betrachtete Fallgruppe der Organisationsmängel ist dieser Umstand aber nicht ausschlaggebend, da bereits die fehlende Befähigung zur Erbringung der standardgemäßen Behandlung organisatorische Vorkehrungen semantisch umfasst. Zudem stellt § 630h Abs. 4 BGB explizit auf die Befähigung des Behandelnden, mithin des Vertragspartners nach den §§ 630a ff. BGB, und nicht etwa nur des konkret behandelnden Arztes ab. In stationären Behandlungsverhältnissen ist daher primär nach der Befähigung des Krankenhausträgers und damit nach dessen organisatorischen, insbesondere personellen und apparativen Vorkehrungen und Einrichtungen zu fragen.509 § 630h Abs. 4 BGB findet daher auch bei Organisationsmängeln des Krankenhausträgers Anwendung.
4. Ergebnis Weder unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Versicherungsschutzes noch unter Zumutbarkeitserwägungen kommt eine Haftungsbefreiung des Transplantationszentrums als Vertragspartner des Patienten in Betracht. Vielmehr haftet das Zentrum bei Nichtdurchführung des Organtransports (und der ihm zukommenden Finanzierungsverantwortung) vertraglich nach § 280 Abs. 1 BGB sowie hinsichtlich des deliktischen Verhaltens von Vorstandsmitgliedern über die Zurechnung nach §§ 31, 89 BGB direkt über § 823 Abs. 1 BGB bzw. hinsichtlich der behandelnden und verantwortungstragenden Ärzte nach § 831 Abs. 1 BGB. Sofern die Ablehnungsentscheidung nicht auf den klinikleitenden Vorstand zurückzuführen ist, haften die ablehnenden Ärzte direkt aus § 823 Abs. 1 BGB.
508 BMJ/BMG, Referentenentwurf, S. 38, abrufbar unter: http://www.bmg.bund.de/filea dmin/dateien/Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/Laufende_Verfahren/P/Patienten rechte/Referentenentwurf_Patientenrechte_BMJ_BMG_Endfassung_120116.pdf, zuletzt am 20.9.2016. Vgl. die Interpretation bei Walter, GesR 2013, 129, 134. 509 Wohl a. A. Walter, GesR 2013, 129, 134, der insoweit auf die Befähigung des Arztes abstellt.
§ 7 Zusammenfassung 1. Das deutsche Transplantationsrecht wird von einem chronischen Organmangel geprägt, der die zwangsläufige Frage nach sich zieht, wie ein rechtspolitisch überzeugendes und aus Sicht der Bevölkerung gerechtes und rationales Vermittlungsverfahren ausgestaltet werden soll. Der strukturelle Mangel an transplantationsfähigen Organen ist zum einen auf die erweiterte Zustimmungslösung aus §§ 3, 4 TPG zurückzuführen, die für die Ausnutzung des Potenzials an postmortal gespendeten Organen ein großes Hemmnis darstellt. Zum anderen führten die als „Organspendeskandale“ titulierten Manipulationsvorgänge der letzten Jahre zu einem erheblichen Vertrauensverlust in die Integrität des deutschen Organvermittlungssystems. Seit dem starken Rückgang an postmortalen Organspendern im Jahre 2013 auf einen bis dahin historischen Tiefstand von 876 Fällen, lagen die Gesamtzahlen nahezu unverändert bei 864 bzw. 877 Spendern in den Jahren 2014 und 2015. Diesen Spenderzahlen stehen über 10.000 in Deutschland lebende Patienten gegenüber, die von den Transplantationszentren auf Wartelisten zur Organvermittlung geführt werden. 2. Der Rechtsrahmen des derzeitigen Organvermittlungsprozesses findet sich in den §§ 9 –12 sowie § 16 TPG. Das heutige System schließt dabei mit der Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation, der Vermittlungsstelle Eurotransplant, den Entnahmekrankenhäusern und Transplantationszentren sowie der Bundesärztekammer eine Vielzahl privatrechtlich organisierter Akteure ein. a) Der Bundesärztekammer kommt im derzeitigen Rechtsrahmen durch § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und 5 TPG die Aufgabe zu, den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft festzustellen. Werden die Festsetzungen der Richtlinien in der transplantationsmedizinischen Praxis eingehalten, greift die Vermutungsregel des § 16 Abs. 1 S. 2 TPG ein. Zugunsten der Transplantationszentren wird vermutet, dass sie bei der Wartelistenführung dem medizinischen Standard entsprechend gehandelt haben. b) Richtlinien der Bundesärztekammer für die Wartelistenführung und Organvermittlung wurden bisher für alle sechs vermittlungspflichtigen Organe, Herz, Lunge, Leber, Niere, Bauchspeicheldrüse sowie Dünndarm, erlassen. Ihnen kommt trotz der dynamischen Verweisung im Rahmen der Vermutungsregel normähnliche Verbindlichkeit zu. Die von der Bundesärztekammer getrof-
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fenen Regelungen wirken über das Berufs- und Standesrecht hinaus und berühren die betroffenen Patienten in existenziellen Bereichen mit hoher Grundrechtssensibilität. Die Richtlinien gehören dem Bereich öffentlich-rechtlicher Aufgabenerfüllung an und sind unmittelbar am Maßstab höherrangigen Rechts, insbesondere Verfassungsrechts, zu messen. c) Die gesetzlichen Allokationskriterien der Notwendigkeit, Dringlichkeit und Erfolgsaussicht aus §§ 10 Abs. 2, 12 Abs. 3 TPG sind strukturell gegenläufig und können durch medizinische Erkenntnisse allein nicht hinreichend ausgefüllt und bestimmt werden. Die weitreichende Delegation zugunsten der Bundesärztekammer verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz und unterschreitet das staatsrechtlich zu fordernde Legitimationsniveau in materieller und personeller Hinsicht. Zudem sind einzelne inhaltliche Bestimmungen der Richtlinien, wie etwa die Annahme einer non-Compliance aufgrund fehlender Sprachkenntnisse oder eine pauschale sechsmonatige Abstinenzpflicht bei einer alkoholinduzierten Leberzirrhose, auf der Stufe der Wartelistenführung verfassungswidrig. 3. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem behandelnden Transplantationszentrum und dem Patienten sind durchgehend und unabhängig vom jeweiligen Versicherungsschutz privatrechtlicher Natur. Die Entscheidung über die Annahme zur Organübertragung und Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG sind entgegen der Annahme der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Pflichten aus dem transplantationsrechtlich geprägten Behandlungsvertrag zwischen Zentrum und Patient. Durch die privatrechtliche Ausgestaltung droht weder eine Entwertung der Grundrechtspositionen der Patienten noch wird hierdurch ihr Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG oder weitere Justizgewährungsansprüche verkürzt. Die Pflichtaufgabe der Wartelistenführung steht vielmehr in unmittelbarer Sachnähe mit dem bürgerlich-rechtlichen Behandlungsvertragsrecht. Die Vermittlungsentscheidung von Eurotransplant steht demgegenüber in einem anderen Sachzusammenhang und ist auch verfassungsrechtlich anders zu bewerten, als die Entscheidung über die Aufnahme in die Warteliste. 4. Die Transplantationszentren haben zu Beginn der medizinischen Betreuung des Patienten über den Verlauf der Krankheit, die voraussichtlichen Untersuchungen und Therapiemaßnahmen sowie Nebenwirkungen der in Betracht kommenden Behandlungen zu informieren. Die Pflicht, den Patienten umfassend über den Ablauf der Organvermittlung, die Wartelistenführung und insbesondere die hierfür herangezogenen Kriterien zu unterrichten, muss zeitlich vor der Entscheidung über eine Annahme zur Organtransplantation erfolgen. Eine Belehrung, die gleichzeitig mit der Einwilligung nach § 13 Abs. 3 S. 3 und 4 TPG erfolgt, ist verspätet und genügt dieser Pflicht nicht. Die Erläuterung von Ablauf, Kriterien und Entscheidungsfindung hinsichtlich der Führung der War-
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teliste nach § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 TPG ist dogmatisch als Informationspflicht im Sinne des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB einzuordnen. 5. Nach der Rechtskonstruktion des Gesetzgebers ist zur Bestimmung des transplantationsmedizinischen Facharztstandards auf die gemäß § 16 Abs. 1 TPG erlassenen Richtlinien zurückzugreifen. Der nach § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG ermittelte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft ist mit dem haftungsrechtlichen Maßstab der fachlich anerkannten Standards aus § 630a Abs. 2 BGB weitgehend deckungsgleich. Die Richtlinien werden gleichsam zur Konkretisierung der verkehrsüblichen Sorgfalt nach § 276 Abs. 2 BGB herangenzogen. 6. Das Transplantationszentrum unterschreitet den medizinischen Standard und handelt pflichtwidrig, wenn es bei der Erhebung von Kontraindikationen nicht-medizinische oder verfassungsrechtlich zu beanstandende Kriterien heranzieht. Das Merkmal der fehlenden Compliance ist verfassungskonform res triktiv auszulegen. Mangelnde Sprachkenntnisse sind nicht geeignet, eine Nichtaufnahme in die Warteliste zu begründen. Verfassungswidrige Richtlinieninhalte unterliegen der Verwerfungskompetenz der einfachen Gerichte. Die Vermutungswirkung nach § 16 Abs. 1 S. 2 TPG wird in diesen Fällen nicht ausgelöst. 7. Wird die Aufnahme in die Warteliste aufgrund eines Behandlungsfehlers des Transplantationszentrums zu Unrecht abgelehnt, scheitern hierauf gestützte Arzthaftungsansprüche an der am Maßstab des § 286 ZPO zu beweisenden haftungsbegründenden Kausalität zwischen Behandlungsfehler und gesundheitlichem Primärschaden. Hinsichtlich des Organvermittlungsprozesses und des eingetretenen Primärschadens kommen die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Bestimmung der haftungsbegründenden Kausalität nicht in Betracht. 8. Bei groben Behandlungsfehlern greift die Kausalitätsvermutung aus § 630h Abs. 5 S. 1 BGB uneingeschränkt ein. Die bloße Unwahrscheinlichkeit einer rechtmäßigen Organzuteilung ohne zwischenzeitliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten rechtfertigt keine normative Einschränkung der Beweislastumkehr. Auch auf der Billigkeitsebene bleibt es Sache des Transplantationszentrums zu beweisen, dass sich der grobe Verstoß gegen ärztliche Standards nicht in der eingetretenen Rechtsgutsverletzung niedergeschlagen hat. 9. Nimmt das Transplantationszentrum den Patienten zu Unrecht nicht in die Warteliste zur Organvermittlung auf, verletzt es damit die verschuldensrelevante äußere Sorgfalt im Rahmen des § 276 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich der Gebote der inneren Sorgfalt steht eine Verletzung der rechtlichen Prüfpflicht im Raum. Eine Richtigkeitsgewähr wie etwa für Tarifverträge des Kollektivarbeitsrechts, welche die Sorgfaltspflichten in erheblichem Maße reduziert, kommt aus dogmatischen und normlogischen Gründen im Zusammenhang mit § 16 Abs. 1 S. 2
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§ 7 Zusammenfassung
TPG nicht in Betracht. In nicht auflösbaren Pflichtenkollisionen hat das Transplantationszentrum die Auslegungsvariante zu wählen, die den Rechtsgütern des Patienten hinsichtlich Leben und Gesundheit am meisten entspricht. 10. Legt das Transplantationszentrum bei der Nichtaufnahme in die Warteliste den Kontraindikationstatbestand der BÄK-Richtlinien hinsichtlich fehlender Sprachkenntnisse zugrunde, setzt es sich Haftungsansprüchen aus der Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr aus § 21 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 und 3 AGG aus. Daneben kann es durch die Einwirkung auf das derivative Teilhaberecht der Patienten zu Forderungen gegen das Zentrum aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kommen. Das derivative Teilhaberecht der Patienten ist zudem über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 10 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 TPG deliktsrechtlich im Verhältnis zum Behandlungsträger abgesichert. 11. Manipulationen der Wartelisten, die durch eine Falschmeldung des Gesundheitszustands der behandelnden Ärzte gegenüber Eurotransplant erfolgen, führen zu keinen haftungsrechtlichen Ansprüchen von vermeintlich übergangenen Drittpatienten. Dies ist zwei Umständen geschuldet: Zum einen lässt sich der Kausalzusammenhang zwischen unwahrer Gesundheitsmeldung und eingetretener Rechtsgutverletzung nicht nachweisen. Zum anderen schützen die Verteilungsregeln des TPG nur die Integrität des Allokationssystems zum Erhalt oder Wiederaufbau eines Systemvertrauens der Bevölkerung. Die konkreten Wartelistenpositionen der einzelnen Patienten sind weder vom Schutzzweck der §§ 12, 16 TPG noch durch § 10 Abs. 3 S. 2 TPG zivilrechtlich abgesichert. 12. Verletzt das Transplantationszentrum seine Pflichten hinsichtlich des apparativen und personellen Sollstandards, kommt weder unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Versicherungsschutzes noch unter Zumutbarkeitserwägungen eine Haftungsbefreiung in Betracht. Die Beweislastumkehr des § 630h Abs. 4 BGB findet auch bei Organisationsdefiziten der Klinik und institutionellen Befähigungsmängeln des Transplantationszentrums Anwendung.
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Sachregister Abstinenzpflicht bei Alkohol- und Drogenabusus 52, 96 ff. Abstoßungsreaktionen 12, 14, 54, 97 f., 292 Allgemeine Geschäftsbedingungen 313 Allgemeines Persönlichkeitsrecht 279 ff. Allokationskriterien 7, 40 ff., 50 ff., 86 ff., 299 f. Anscheinsbeweis 217 ff. Aufklärungs-/ Informationspflichten 107, 116, 166 ff., 179, 260 ff. Behandlungsvertrag 107 f., 109 ff., 113 ff., 162 ff., 181 – Haupt- und Nebenleistungspflichten, 115 f., 162 ff., 186 ff. – Umsetzung des Patientenrechtegesetzes 113 ff. Beleihung der Bundesärztekammer 65 ff., 141 Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr 271 ff. – Anwendbarkeit des AGG 272 f. – Mittelbare Benachteiligung 273 ff. – Unmittelbare Benachteiligung 275 Berufsausübungsgemeinschaft 124 Beschleunigtes Verfahren 49, 165 ff. Bundesärztekammer im Vermittlungsverfahren 42 f. Chancengleichheit 8 f., 81, 103 f. Compliance/ non-Compliance 46 f., 88 ff., 223 ff., 232 ff. Defensivmedizin 109 Demokratieprinzip 62, 74 ff., 132, 145 ff., 207 f. Demokratische Legitimation 62, 74 ff., 132 – Personelle Legitimation 75 ff. – Materielle Legitimation 78 ff.
– Legitimationsniveau 62, 74 ff. Derivatives Teilhaberecht 130, 178, 263 ff., 283, 286 f., 298, 300, 302 ff. – Deliktsrechtlicher Schutz 266 ff. – Vermittlungsrelevante Regelungen 303 ff. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) 33 f. Diskriminierungsiehe Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr Dringlichkeit 48 f., 297 f. Einwilligung, 107 f., 110, 162 f., 166 Empfehlungen 188 Entnahmekrankenhäuser 29 f. Erfolgsaussicht 47 f. ET-Manual 35, 103, 165 Eurotransplant 5, 34 f., 159 Eurotransplant Senior Program (ESP) 103 ff. Evidenzbasierte Medizin 186 f., 189 Facharztstandard 183 f. Gemeinschaftspraxis siehe Berufsausübungsgemeinschaft Genehmigungsvorbehalt des Bundesgesundheitsministeriums 83 ff. Gesamthirntod 17 f., 20 Gesetzlich krankenversicherte Patienten, 111 ff., 122 f. Gewaltenmonismus 70 f. Gleichberechtigung siehe Chancengleichheit Grober Behandlungsfehler 221 ff., 262 ff. High-Urgency (HU-Status) 48 f., 218 HLA-Kompatibilität 12, 54
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Sachregister
Implantationsmonopol der Transplantationszentren 31, 130 In-dubio-pro-vita 259 f. Individueller Rechtsgüterschutz 109 f., 259 f., 296 ff. Informationspflichten 107 ff. Informed consent 107 Ischämiezeit 35 f. Kategorienfehler des Gesetzgebers 79 ff. Kausalität – Beweishürde 214 ff. – Kausalitätsvermutung 225 ff., 313 ff. – Teleologische Reduktion der Kausalitätsvermutung 229 ff. Kontrahierungszwänge 120 f. Kontraindikationen 46 ff., 108, 203 ff. Koordinierungsstelle siehe Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Krankenhausaufnahmevertrag 125 f. Lebenswertindifferenz 87 f., 97 f., 103 Leitlinien 188 f., 193 Lokaler Selbstbehalt 5 Lung-Allocation-Score (LAS) 51
Organisationspflichten nach den BÄK-Richtlinien 49 f., 175 ff. Organspende 15 ff. – Dominospende 16 – Lebendspende 16 – Organspendebereitschaft 19 ff. – Organspendebezogene Kontakte 20 – Postmortale Organspenden 17 f. Organspendeskandale 4, 201, 288 ff. Öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung siehe staatliche Gewalt Parlamentsvorbehalt 70, 72 Patientenzentrierte Medizin 8, 259 Pflichtenkollision 256 ff. Praxisgemeinschaft 124 Prima-facie-Grundsätze siehe Anscheinsbeweis Primärrechtsschutz gegen Wartelistenentscheidungen 202 f. Primärschaden 214 ff. Prüfungskommission 38
Normkonkretisierende Verweisung 62, 208 f. NT-Status 47, 203
Rechtsirrtum 232 ff., 236 ff. – Irrtum des Rechtsberaters 238 f. Rechtsweggarantie 142 ff. Regulierte Selbstregulierung 66 f. Richtigkeitsgewähr 241 ff., 250 ff., 255 – Individualvertrag 242 ff. – Richtlinien 250 ff., 255 – Tarifvertrag 242, 245 ff. Richtlinien im Medizin- und Transplantationsrecht 41 ff., 44 ff., 56 ff., 165, 190 f., 193, 194 ff., 204, 211 f., 275 ff. – Regelungskonzept 41 f., 194 f. – Vermutungswirkung 190 f., 195 ff., 197 ff., 204, 206
Old for Old, siehe Eurotransplant Senior Program Organ – Organannahme 293 f. – Organmangel 3 ff., 22 ff. – Organspender 16 – Organspende- und -vermittlungsverfahren 29 ff. – Organtransplantation 14 ff. Organisationsdefizite 175 ff., 310 ff.
Sachverständigengutachten 191 f. Schmerzensgeld und Höhe 287 Selbstverwaltung 44 Social worth-Kriterien 89 Sollstandard der Transplantationszentren (apparativ und personell) 31, 184 f. Sorgfaltspflichten 115 f., 117 Special Urgency (SU-Status) 55 Sprachkenntnisse als Wartelistenvoraussetzung 90 ff. 205 ff., 213, 232 f., 273 ff.
Mangelverwaltung 5 ff., 130, 150, 263 Match-Liste 35, 102 f. Medizinischer Standard 133, 181 ff., 205 ff. Mindestnutzenschwelle 87 ff., 104 Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte 131 f., 133, 141 Model for Endstage Liver Desease (MELD) 52 f., 71, 290 f.
Sachregister Staatliche Gewalt 58 ff., 63 ff., 74 Systemvertrauen der Bevölkerung 7, 288 f., 298 f. Tatsachenirrtum 237 f. Therapeutische Aufklärung 168, 261 ff. Transplantationsgesetz – Anwendungsbereich 13 ff. – In-Kraft-Treten 6 f., 27 Transplantationszentren 31 ff., 124 Unvereinbarkeitserklärung durch das BVerfG 208 f. Überwachungskommission 37 f., Überweisungspflicht 162 Verbotsgesetze nach § 134 BGB 119 f., 121 f. Verfassungskonforme Auslegung 132, 137 ff., 147 ff.
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Verfassungsrechtliche Bindung 58 ff. Verkehrsübliche Sorgfalt 192 ff. Vermittlungspflichten 163 ff., 176 f. Vermittlungsstelle siehe Eurotransplant Verwaltungsakt 111, 131, 160 ff., 203 Volkssouveränität siehe Demokratieprinzip Vollbeherrschbares Risiko 212 f. Volonté générale 83 Warteliste 45, 126 ff., 169 f., 195 f., 201 Wartelistenführung als medizinrechtliche Behandlung 170 ff., 195 ff. Wesentlichkeitstheorie 44, 62, 68 ff. Widerspruchslösung 21, 23, 25 Zustimmungslösung 18 f. Zwischenstaatliche Einrichtungen (Art. 24 GG) 160 ff.