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German Pages 221 [222] Year 1967
HARTWIG ROHMEYER
Geschichte und Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozess
Schriften zum Prozessrecht
Band 7
Geschichte und Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozess und ihre Konsequenzen für die einstweilige Anordnung in Ermessens· und Beurteilungsangelegenheiten
Von
Dr. Hartwig Rohmeyer
DUNCKER & HUMBLOTjBERLIN
Alle Rechte vorbehalten
@ 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1967 bei Frankensche Buchdruckerei, Berlln 65 Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis 13
Einleitung Erster Teil
Die Gescl1ichte der einstweiligen Anordnung
17
1. Kapitel: Die Entwicklung der drei Grundtypen der einstweiligen Anordnung .............. :...............................................
18
A. Die G€schichte der Sicherungsanordnung
18
B. Die G€schichte der Regelungsanordnung ..........................
23
c.
Die Geschichte der Leistungsanordnung ............................
28
2. Kapitel: Die einstweilige Anordnung in den Prozeßordnungen des Inund Auslandes ........................................................
3·3
A. Interimsmaßnahmen in Zivilprozeßordnungen ...................... 33 1. Die einstweilige Anordnung in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit 33·
II. Die einstweilige Anordnung im ausländischen Zivilprozeß ......
36
B. Interimsmaßnahmen im Strafprozeß ..............................
38
C. Interimsmaßnahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit ..............
40
I. Die einstweilige Anordnung im deutschen Verfassungsprozeß ..
40
11. Interimsmaßnahmen im ausländischen Verfassungsprozeß
43
D. Einstweilige Anordnungen in internationalen Streitverfahren
44
E. Interimsmaßnahmen im Verwaltungsprozeß ......................
45
I. Die Entwicklung der einstweiligen Anordnung im deutschen allgemeinen Verwaltungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 45 1. Die geschichtlichen Hemmnisse ............................
45 a) Eingriffsverwaltung mit Suspensiveffekt als hinreichender Interimsregelung ........................................ 46 b) Die behördlichen Interimskompetenzen .................. 49
2. Die Entwicklung bis zum Jahre 1945 ........................
53
3. Die allmählich eintretende Anerkennung bis zur Verwaltungsgerichtsordnung von 1960 .............................. 55
Inhaltsverzeichnis
6
H. Die einstweilige Anordnung im deutschen besonderen Verwaltungsprozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59 1. Geschichtlicher überblick ..................................
59
2. Das sozialgerichtliche Verfahren .... . . . .....................
60
3. Das finanzgerichtliche Verfahren
62
4. Zusammenfassung ......... .. ..... ... ................... . ...
63
IH. Interimsmaßnahmen im ausländischen Verwaltungsprozeß ....
64
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
65
2. Schweiz ............................................. .......
1. Österreich
66
3. Frankreich
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
67
4. England ....................................................
69
5. Vereinigte Staaten. . . . . . ... . . .. . . .... ... . . . .. .. ... . .. .. .. ...
70
6. Dänemark ..................................................
71
7. Zusammenfassung ..........................................
72
Zweiter Teil Das Wesen der einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozeß
73
1. Kapitel: Die prozeßrechtliche AusgestaZtung des Instituts der einstweiligen Anordnung ..................................................
75
2. Kapitel: Der rechtliche Gehalt interimistischer EntscheidungsgewaZt 82 A. Einführung
82
B. Die Rechtsnatur von Sicherungsanordnung und Regelungsanordnung 86 I. Vorbemerkung zum Rechtsprechungsbegriff ....................
86
H. Die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt nach dem rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre 88 1. Der rechtsfindende Rechtsprechungsbegriff der herrschenden
Lehre ......................................................
88
2. Einstweilige Anordnung und Rechtsfindung ............ . ... a) Die positiv-gesetzliche Regelung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Tatbestandsseite .................................. ß) Die Rechtsfolgeseite .......................... .. ...... y): Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Vollzug interimistischen Gewohnheitsrechts? ............ a) Die These von der materiellen Stillhaltepfticht der Parteien ......... ... ................................ ß) Kritische Stellungnahme . ... .. . . .... ........ .. . . ...... y) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
97 98 99 103 115 115 116 117 120
Inhaltsverzeichnis
7
c) Ausfluß umfassender Urteilsgewalt? a) Die Lehre von der richterlichen Streitherrschaft und das argumentum a maiore ad minus .................. ß) Stellungnahme und Kritik ............................ y) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
120 122 128
d) Rechtsfindende ,Schnellprüfung'? ........................ a) Die einstweilige Anordnung als Schnellprüfung ...... ß) Kritik ................................................ y) Ergebnis ..............................................
129 129 130 131
3. Ergebnis
120
132
III. Die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt nach der Lehre vom letztentscheidenden Rechtsprechungsbegriff ........ 132 1. Der Rechtsprechungsakt als Letztentscheidung .............. 132 2. Die einstweilige Anordnung als Letztentscheidung .......... 134 3. Kritik am letztentscheidenden Rechtsprechungsbegriff ...... 138
4. Ergebnis .................................................... 141 IV. Die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt nach dem historischen Rechtsprechungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 141 1. Die Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff
........ 141
2. Die einstweilige Anordnung als historischer Bestand richterlicher Gewalt, Bedenken für den Bereich des Verwaltungsprozesses .................................................. 142 3. Kritik am historischen Rechtsprechungsbegriff .............. 144 4. Ergebnis .................................................... 146 V. Die einstweilige Anordnung als ein dem Richter übertragener Executivakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 146 1. Die Qualifikation als Akt executiver Gewalt ................ 146
2. Überprüfung der dogmatischen Qualifikation .............. a) Rechtsgeschichtliche Bestätigung b) Rechtsvergleichende Bestätigung ........................ c) Th[ängel der Gegenansicht ................................ d) Der Wortsinn ............................................ e) Die entsprechende Qualifikation vergleichbarer Entscheidungsarten .............................................. a) Der ,soziale Ausgleich durch Richterspruch' ............ ß) Insbesondere: Die ,Regelungsstreitigkeiten' ............ f) Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
148 148 149 150 151 151 152 154 155
3. Vereinbarkeit des Ergebnisses mit Art. 19 Abs. IV GG ...... 155
VI. Ergebnis ...................................................... 163
8
Inhaltsverzeichnis
C. Die Rechtsnatur der Leistungsanordnung .......................... 165 I. Die Leistungsanordnung als Akt der Rechtsfindung ............ 166 1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen ...................... 166
2. Die Rechtsfolgeanordnung ............ . ..................... 168 3. Ergebnis .................................................... 170 11. Die Leistungsanordnung als Letztentscheidung ................ 171 111. Ergebnis ...................................................... 172 D. Ergebnis: Die Rechtsnatur von Sicherungs-, Regelungs- und Leistungsanordnung .................................................. 173 Schlußbetrachtung
Auswirkungen des executiven Charakters der einstweiligen Anordnung, dargestellt am Beispiel der Beurteilungs- und Ermessenssachen 177 I. Das allgemeine Problem der Grenzen einstweiliger Anordnungen 179 1. Das Verbot irreparabler Anordnungen ........ , ............. 179
2. Einschränkungen dieses Verbotes ............................ 181 11. Die einstweilige Anordnung in Beurteilungs- und Ermessensangelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 187 1. Die grundsätzliche Unzulässigkeit nach der herrschenden
Lehre ............ . ............... . ......................... 187
2. Stellungnahme und Kritik .................................. 189 3. Die Lösung nach der gesetzlichen Regelung ................ 198 Thesen ................................................................ 205 Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207
Abkürzungsverzeichnis a.A.
aaO. abI. Abs. ACP aE. aF. AG AHKAmtsBl ALR amtI. AmtsBIKR Anh. Anm. AöR ArbGG Art. AS Auf I. (A.) AVG Az
B.
BAG Ba-Wü Bay, Bayr BayVBI BB BBauBI. BBauG BBG Bd. BerSlg, BS BFH BGB BGBl. BGH,BGHZ BGHSt Breithaupt Brem BRS BSG BStBl. BT-Drucks. BVerfG
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz Archiv für die Zivilistische Praxis am Ende alte Fassung Ausführungsgesetz Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 amtlich Amtsblatt des Kontrollrats Anhang Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgerichtsgesetz Artikel amtliche Sammlung Auflage Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Aktenzeichen Beschluß Bundesarbeitsgericht Baden-Württemberg Bayern, bayrisch Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebsberater Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Bundes·b eamtengesetz Band Bereinigte Sammlung Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof, (Zivilsachen) Bundesgerichtshof, (Strafsachen) Breithaupt, Sammlung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Sozial- und Arbeitslosenversicherung Bremen Thiel, Baurechtssammlung Bundessozialgericht Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht
10 BVerfGG BVerwG BVerwGG BritZ CGO Diss DJT DJZ DNotZ DÖV DR DRiG DRiZ DtApothZtg DV DVBI DWW E
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EFG EG ErgBd Entw ES FamRZ FG FGG FGO G
GBI GBO GewO GG GoltdArch GruchB
GS GVBI GVG Hamb Hann HdbDtStR Hess hL HRR i. d. F. IGH i. e/w. S. JR JW JZ KO
Abkürzungsverzeichnis Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Bundesverwaltungsgerichtsgesetz Britische Zone Cammer Gerichtsordnung Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Notar-Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Deutsches Richtergesetz Deutsche Richter-Zeitung Deutsche Apotheker-Zeitung Deutsche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Wohnungswirtschaft Entscheidung Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 Entscheidungen d€r Finanzgerichte Einführungsgesetz Ergänzungsband Entwurf Entscheidungssammlung Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht Finanzgericht Reichsgesetz über die Freiwillige G€richtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Gesetz Gesetzblatt Grundbuchordnung Gewerbeordnung Grundgesetz Goltdammers Archiv für Strafrecht Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gesetzsammlung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Hamburg Hannover Handbuch des Deutschen Staatsrechts Hessen herrschende Lehre Höchstrichterliche Rechtsprechung in der Fassung Internationaler Gerichtshof im engeren/weiteren Sinn Juristische Rundschau Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Konkursordnung
AbkijIzungsverzeichnis KRG
LAG LG LM
LSG Lts LVG LVO LZ MDR Meckl MRVO MuW Nachw nF NF NJW
n. v.
ObLG Oest Oldbg OLG OS OVG PBefG Pr., Preuß PVG RAO RdK Rdn RDP RegBl RFH RG, RGZ RGBI RGSt Rh-Pf RPfl RStGH RuPrVBI RVO
S.
Saarl Schl-HAnz SGG SJZ SOG Sp
11
Kontrollratsgesetz Landesarbeitsgericht Landgericht Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Lammers-Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich und des Reichsgerichts auf Grund des Art. 113 Abs. II der Reichsverfassung, Bd. I-IV, Berlin 1929 -1932 Landessozialgericht Leitsatz Landesverwaltungsgericht Landesverwaltungsverordnung Leipziger Zeitschrift Monatsschrift für Deutsches Recht Mecklenburg Militärregierungsverordnung Marltenschutz und Wettbewerb Nachweis neue Fassung Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift nicht veröffentlicht Oberstes Landesgericht Oesterreich Oldenburg Oberlandesgericht Officielle Sammlung Oberverwaltungsgericht Personenbeförderungsgesetz Preußen Polizeiverwaltungsgesetz Reichsabgabenordnung Das Recht des Kraftfahrers Randnote Revue du Droit Public Regierungsblatt Reichsfinanzhof Reichsgericht (Zivilsachen) Reichsgesetzblatt Reichsgericht (Strafsachen) Rheinland-Pfalz Der Deutsche Rechtspfleger Reichsstaatsgerichtshof Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt Reichsversicherungsordnung Seite Saarland Schleswig -Holsteinische-Anzeigen Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung Sicherheits- und Ordnungsgesetz .Spalte
12 StGB StGBI StGH StPO stRspr StuW Thüring
U
VereinStrS VerfGH VersR VerwArch VG VGG VGH vgl. VO Vorb VRspr VVDStRL VwGO VwVerfG WRV Wü-Ba ZaöRuVR zB ZBR zit. b (n) ZMR ZPO ZZP
Abkürzungsverzeichnis Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt Staa tsgerich tshof Strafprozeßordnung ständige Rechtsprechung Steuer und Wirtschaft Thüringen Urteil Vereinigte Strafsenate Verfassungsgerich tshof Versicherungsrecht Verwal tungsarchiv Verwal tungsgerich t Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwal tungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerich tsordnung Verwal tungsverfahrensgesetz Weimarer Reichsverfassung Württemberg-Baden Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht zitiert bei (nach) Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Zivilprozeß Zitierweise
Es werden grundsätzlich die allgemein üblichen Abkürzungen verwandt. Wird ein Nachweis wiederholt angeführt, so wird der volle Titel nur einmal angegeben. Bei mehreren Beiträgen des gleichen Autors werden wiederholte Nachweise nur unter einem Stichwort geführt, das dem jeweiligen Titel entnommen ist. Bei Verweisungen innerhalb der Arbeit kennzeichnen die angegebenen Ziffern die Gliederungspunkte stets vom jeweiligen Hauptteil an, so daß zum Beispiel die Verweisung "oben II, 2, B, II, 2, a" bed€'lltet: "oben Zweiter Teil, 2. Kapitel, Abschnitt B, Unterabschnitt II, zu 2 a". Lediglich bei Verweisungen innerhalb eines Unterabschnittes sind die übrigen Gliederungspunkte nicht gesondert aufgeführt, zum Beispiel: "vgl. unten 2 a".
Einleitung Vielleicht theilen meine Leser in der Folge mit mir die überzeugung, daß die im Gebrauche der Provisorien herrschende Willkühr nur aus der Gleichgültigkeit herstammt, mit der man, zufrieden, den allgemeinen Grund alles provisorischen Zustandes in Rechtsverhältnissen aufgefunden zu haben, sich um die Erforschung des eigenthümlichen Charakters jeder Art von Provisorien gar nicht bekümmerte.
Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd. IV (2. Aufl., 1805), S. 298 Die Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 behandelt in ihrem elften Abschnitt die "Einstweilige Anordnung" im allgemeinen Verwaltungsprozeß. Mit der Regelung des § 123 VwGO, der einzigen Vorschrift jenes Abschnittes, hat der Gesetzgeber einen langwährenden Streit um die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen im Verwaltungsprozeß beendet, der in gleichem Maße unfruchtbarer und unbefriedigender geworden war, in dem sich die Überzeugung von der sachlichen Notwendigkeit eines solchen Institutes im Verwaltungsprozeß mit der fortschreitenden Entwicklung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durchgesetzt hatte. So liegen heute die Aufgaben, die Rechtsprechung und Lehre im Rahmen der einstweiligen Anordnung des Verwaltungsprozesses zu erfüllen haben, nicht mehr in dem Fragenkreis der Verwendbarkeit dieses Institutes durch den Verwaltungsrichter überhaupt, sondern sie sind im Bereich der Grenzen und des zulässigen Inhalts der richterlichen Interimsrnacht zu suchen. Die Energie, die auf den heute überholten Streit um die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen im Verwaltungsprozeß verwandt worden ist, ist damit frei geworden für die Untersuchung des eigentlichen Umfanges richterlicher Interimskompetenz im Verwaltungsprozeß. Rechtsprechung und Rechtslehre haben so inzwischen zu diesem Thema eine Vielzahl von Grundsätzen erarbeitet, die jedenfalls in großen Zügen schon ein festes Bild dieses neuen verwaltungsprozessualen Institutes erkennen lassen1 • 1
Als grundlegende Untersuchung sei hier an erster Stelle genannt:
Quaritsch, Die einstweilige Anordnung im Verwaltungsprozeß, VerwArch 51 (1960) S. 2lO, 342; vgl. ferner (nur zur VwGO): Knoll, Die einstweilige Anordnung, Die Arbeiterversorgung 1961, 97; Rambeck, Die einstweilige An-
14
Einleitung
Gleichwohl läßt es sich nicht länger übersehen, daß die tägliche Praxis der Gerichte vielfach mit eben diesen Grundsätzen in völlig gleich gelagerten Fällen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen gelangt, eine These, für die die Rechtsprechung über einstweilige Anordnungen in Versetzungsangelegenheiten2 beredtes Zeugnis ablegt. Die Entstehung dieser Unsicherheit ist begünstigt worden durch einen Gesetzgeber, der sich bei der Kodifizierung des § 123 VwGO nicht an dem Unterfangen versucht hat, auf der Rechtsfolgeseite der Norm eng fixierte Maßnahmen aufzuführen und damit dem Richter bestimmte Einsatzmittel seiner Interimsrnacht in die Hand zu geben, wie es älteren Prozeßordnungen bekannt war 3 , sondern der bewußt einen weiten, inhaltlich kaum fest zu umreißenden Begriff gewählt hat, der zu Maßnahmen aller denkbaren Art, eben zu "einstweiligen Anordnungen" ermächtigt, deren Inhalt in das Ermessen des Richters gestellt ist (§§ 123 Abs. III VwGO, 938 ZPO). Schon bei der ersten Einführung richterlicher Interimsbefugnisse in das deutsche Prozeßrecht blieb die hier begründete Gefahr nicht unerkannt: Als im Jahre 1555 die Kammergerichtsordnung einen Vorläufer der heutigen einstweiligen Anordnung aus dem italienischen Prozeß übernahm4, reichten die deutschen Fürsten eine Beschwerdeschrift ein, nach der jenes Institut zwar "ein billig Ansehen" habe, in Wahrheit aber "ganz beschwerlich, dunkel, weitläufig und ganz gefährlich" sei und in seinen Grenzen vom Kammergericht nicht eingehalten werde5 • Solche Sorgen auszuschließen ist der Zweck der oben erwähnten Grundsätze, die in Rechtsprechung und Lehre entwickelt worden sind und die in diesem Rahmen auch ihre Berechtigung haben. Bei diesen Grundsätzen, die nach Art von Faustregeln ständig in der Praxis verwandt werden, haben sich nun aber einige Regeln eingeschlichen, die mit Sinn und Zweck des verwaltungsgerichtlichen Interimsschutzes unvereinbar sind und dadurch zu den oben angedeuteten Widersprüchen in Rechtsprechung und Lehre geführt haben. Um der sich hier anbahnenden Fehlentwicklung bei dem Einsatz der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung entgegentreten zu können, ist es notwendig, sich auf den rechtlichen Gehalt der richterlichen Interimskomordnung im Verwaltungsprozeß, NJW 61, 1333; RuckdäscheZ, Vorbeugender Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, DÖV 61, 675; UZe, Verwaltungsprozeßrecht (2. Aufl.), S. 216 ff.; sowie die Kommentierung zu § 123 VwGO bei: UZe, Verwaltungsgerichtsbarkeit (2. Aufl.); Eyermann-FröhZer, Verwaltungsgerichtsordnung (3. Aufl.); Klinger, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung (1960); KoehZer, Verwaltungsgerichtsordnung (1960); Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung (1960); Schunck-de CZerck, Verwaltungsgerichtsordnung (1961). 2 Vgl. dazu unten SchZußbetrachtung, Anm. 7, 8. 3 Wie z. B. in Bayern, vgl. unten I, 1 zu Anm. 51, 52. 4 Dazu unten I, 1, zu Anm. 44. 5 Zitiert nach Bruns, Das Recht des Besitzes im Mittelalter und in der Gegenwart (1848), S.379.
Einleitung
15
petenz, auf den "eigenthümlichen Charakter" und die Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung zu besinnen, eine Frage, die in Rechtsprechung und Lehre bisher kaum gestellt, geschweige denn erörtert oder gar gelöst worden ist. Mit der Antwort auf diese Fr.age stehen und fallen nämlich insbesondere alle jene Faustregeln, die von der Prämisse ausgehen, daß die einstweilige Anordnung ebenso wie die richterliche Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG sei und damit den gleichen Grenzen und Beschränkungen wie das richterliche Urteil unterliege. Die Legitimation solcher Faustregeln läßt sich nur prüfen nach einer exakten Untersuchung des Wesens der einstweiligen Anordnung, dem Kernthema dieser Arbeit. Diese Frage nach dem Wesensgehalt der einstweiligen Anordnung ist aber nicht allein im Rahmen einer bloßen Norminterpretation des § 123 VwGO zu beantworten, sondern ihre Lösung setzt die Kenntnis von der historischen Entwicklung des Instituts der einstweiligen Anordnung voraus. Diese Behauptung erfährt ihre Rechtfertigung durch einen Gesetzgeber, der sich bei der Abfassung des § 123 VwGO auf das engste an den Wortlaut der Vorschriften über Interimsentscheidungen einer anderen Gerichtsbarkeit angelehnt hat, nämlich an die §§ 935, 940 ZPO, auf deren verfahrensrechtliche Ausgestaltung in § 123 VwGO denn auch ausdrücklich verwiesen wird. Es wird sich zeigen, daß die Entwicklung gerichtlicher Interimsmaßnahmen6 im Gegensatz zu landläufiger Auffassung in einer jahrhundertelangen Geschichte zurückzuverfolgen ist und daß in ihr von Anbeginn an typische Merkmale der gerichtlichen Interimsmacht zu erkennen sind, die auch heute noch für die Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung bestimmenden Einfluß haben. Wieweit auch ausländische Prozeßrechte die dabei zu findenden Ergebnisse bestätigen können, soll jeweils in rechts vergleichenden Abschnitten untersucht werden. An den Ergebnissen, die in dieser historischen und dogmatischen Untersuchung gefunden werden, sollen dann in einer Schlußbetrachtung einige jener Faustregeln geprüft werden, von denen oben die Rede war. An dem Beispiel der einstweiligen Anordnung in Ermessens- und Be6 Die vom Gesetzgeber und in Rechtsprechung und Lehre verwandten Bezeichnungen sind stets sehr schwankend gewesen. Soweit ersichtlich, ist der terminus "Einstweilige Anordnung" zuerst in §§ 701, 712 des Entwurfs einer Prozeßordnung für den Norddeutschen Bund von 1869 (vgl. unten I, 1, Anm. 13) anzutreffen. Der Begriff "Einstweilige Verfügung" ist zuerst in §§ 204 Abs. II, 205 der hannoverschen Prozeßordnung von 1847 (unten I, 1, Anm. 8) verwandt worden. Vorher findet man z. B. "vorsorgliche Verfügung" (v. Savigny, Das Recht des Besitzes, 1. Aufl. (1803) S. 462 = 7. Aufl. (1865) S. 524), "Vorsichtsverfügung" (Art. 605 der Bayrischen Prozeßordnung von 1869, unten I, 1, Anm. 15) und "Provisionalverfiigung", "Provisorium" oder "Interimisticum" (vgl. Gönner, aaO. S. 294).
16
Einleitung
urteilungsangelegenheiten wird darzustellen sein, daß gerade die mangelhafte Erforschung des "eigenthümlichen Charakters" gerichtlicher Interimsentscheidungen zu einer Verkürzung des vorläufigen Rechtsschutzes duch eben solche Faustregeln geführt hat, wie sie mit Sinn und Zweck des § 123 VwGO unvereinbar sind.
Erster Teil
Die Geschichte der einstweiligen Anordnung Ein Überblick über die Entwicklung gerichtlicher Interimsbefugnisse läßt sich nach zwei systematisch unterschiedlichen Gesichtspunkten gliedern: Einerseits kennt das Prozeßrecht drei Grundtypen der einstweiligen Anordnung und es läßt sie andererseits in den verschiedensten Verfahrensarten zu. Die Geschichte der einstweiligen Anordnung soll daher zunächst an der Entwicklung der drei Spielarten des Institutes aufgezeigt werden, danach soll sich die Untersuchung auf die Frage richten, in welchen Prozeßarten sich die Befugnis zu Interimsentscheidungen des Richters hat durchsetzen können. Im Rahmen dieser zweiten Frage wird sich die Betrachtung dabei nicht auf das innerdeutsche Recht beschränken, sondern parallel zu den einzelnen Verfahrensgesetzen sollen auch die Interimsbefugnisse ausländischer Rechtsordnungen rechtsvergleichend behandelt werden.
Erstes Kapitel
Die Entwicklung der drei Grundtypen der einstweiligen Anordnung In § 123 Abs. I VwGO unterscheidet der Gesetzgeber zwischen der einstweiligen Anordnung, die zum Schutz vor einer Rechtsvereitelung zu Gunsten des Antragstellers gegeben wird, und derjenigen, die einen vorläufigen Zustand in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis regeln soll. Diese beiden Arten kehren in den §§ 935 und 940 ZPO wieder. Sie sollen im Folgenden jeweils als "Sicherungsanordnung" und "Regelungsanordnung" bezeichnet werden. Über diese Typen hinaus hat das Institut der einstweiligen Anordnung eine dritte Spielart herausgebildet, die der vorläufigen Befriedigung von Geldansprüchen dient, welche den notdürftigen Unterhalt des angeblichen Gläubigers gewährleisten. Diese einstweilige Anordnung lautet im Gegensatz zu den beiden anderen auf eine Leistung; sie ist im Gesetz nicht geregelt und soll in dieser Arbeit durch den Begriff "Leistungsanordnung"l gekennzeichnet werden. Obwohl die Leistungsanordnung keinen ausdrücklichen Niederschlag in der VwGO gefunden hat, muß auch sie hier behandelt werden. Denn sie ist von der Rechtsprechung in extensiver Auslegung des § 940 ZPO entwickelt und als dessen Unterfall gewertet worden. Daraus wird für die VwGO die Frage erwachsen, ob die wörtliche Übernahme des § 940 ZPO in die VwGO zugleich die Anerkennung der Leistungsanordnung im Verwaltungsprozeß bedeutet. Diese Unterscheidung der drei Arten der einstweiligen Anordnung soll nicht die hier zu erörternde Frage einer Typologie der einstweiligen Anordnung aufwerfen. Im Rahmen der geschichtlichen Betrachtung ist nämlich an dieser herkömmlichen Gruppierung festzuhalten, weil sich zeigen wird, daß jede aufgezeigte Grundform der einstweiligen Anordnung auf einen eigenen Werdegang in der Geschichte des Prozeßrechts zurückblicken kann. A. Die Geschichte der Sicherungs anordnung Im heute geltenden Recht ist die sichernde einstweilige Anordnung in den §§ 935 ZPO und 123 Abs. I S. 1 VwGO anzutreffen; dazu wird 1 Für den Zivilprozeß spricht Pothmann, Die einstweilige Verfügung als Ersatz einer Verurteilung (1949), S. 53, von "Leistungsverfügung". Für den
A. Sicherungs anordnung
19
auch die "einstweilige Anordnung zur Sicherung der Konkursmasse" in § 106 Abs. 1 S. 2 KO zu diesem Grundtypus der einstweiligen Anordnung gerechnet2 • Ihr charakteristisches Merkmal liegt nach der an den Normen der ZPO ausgerichteten Lehre - von der hier vorbehaltlich späterer Erkenntnisse auszugehen ist, - darin, daß der Gefährdung eines "individuellen" (d. h. nicht auf Geld ausgerichteten) Anspruchs begegnet wird, indem man den status quo vor Veränderungen schützP. Man hat versucht, die Geschichte der Sicherungs anordnung bis auf die Sequestrationen des römischen Rechts zurückzuführen4 • Im römischen Prozeß wurde eine in Streit befangene Sache für die Prozeßdauer einer Vertrauensperson, dem Sequester, zur Verwahrung übergeben. Ursprünglich beruhte dessen Bestellung auf rechtsgeschäftlicher übereinkunft der Parteien5, später ordnete der Richter sie an und konnte sie seit dem Codex Theodosianus (438 n. Chr.) auch zwangsweise durchsetzen6 • Dieses Verfahren kennt damit schon eine auf Prozeßdauer bestimmte Anordnung. Historisch gesehen ist es jedoch nicht zu den Vorläufern des Verfahrens der Sicherungsanordnung zu zählen. Denn das Sequestrationsverfahren erhielt sich noch bis weit in das gemeine Prozeßrecht hinein und stand dort selbständig neben den Verfahren, die unten als die eigentlichen Vorläufer des heutigen einstweiligen Verfügungsverfahrens darzustellen sein werden7 • Dieses selbständige Sequestrationsverfahren geriet erst danach in Vergessenheit. Seine Funktionen wurden dann von den Vorläufern des Instituts der Sicherungs anordnung mitübernommen8 , und heute finden wir in § 938 Abs.I1 ZPO Verwaltungsprozeß spricht wohl als erster von "Leistungsanordnung" Quaritsch, aaO. S. 353. 2 v. Wilmowski, Deutsche Reichskonkursordnung (6. Aufl.) § 106 Anm. 3; wohl a. A.: Jaeger-Weber, Konkursordnung, Bd. II (8. Aufl.) § 106 Rdn. 1 und 2. 3 Begründung des Entwurfs (II) einer Deutschen Civilprozeßordnung (Berlin 1872) S. 580; Stein-Jonas-Schönke, ZPO (18. Aufl.) § 935 Anm. II; Wieczorek, ZPO, § 935 Anm. A III b; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts (9. Aufl.) S. 1103. 4 Eichhorn, Die einstweilige Verfügung in ihrem Verhältnis zum Arrest (1909), S. 3 ff.; Markett, Einstweilige Verfügung mit Befriedigungserreichung (1935) S. 8.
5 Dazu: Sohm-Mitteis-Wenger, Institutionen (17. Aufl.) S. 397; Muther, Sequestrationen und Arrest im Römischen Recht, (1856), S. 62 ff. 6 Dazu: Muther, aaO. S. 247 ff., 348. 7 Vgl. Gönner, aaO. S. 368 ff.; v. Savigny, aaO. S. 524 Anm. 1; v. Bayer, Theorie der summarischen Prozesse (6. Aufl.), S. 168 Anm. 10; WetzeH, System des ordentlichen Zivilprozesses (3. Aufl.) S. 325. 8 Danz, Grundsätze der summarischen Prozesse (3. Ausg.) S. 184 f.; vgl. z. B.: "Allg. bürgerl. ProceßO. f. d. Königr. Hannover" vom 4. 12. 1847 (GS. 1847, S. 383/385) und dto. vom 8. 11. 1850 (GS. 1850, S. 341), die neben besonderen Titeln für Arrest-, Besitz- und Einstweiligen Verfügungs-Prozeß noch den Titel "Von Sequestrationen" kennen, während schon nach §§ 553, 557 des
20
1. Teil: Geschichte -
1. Kapitel: Grundtypen
die Sequestration als ein Mittel des Instituts der einstweiligen Anordnung aufgeführt9 , das für den Verwaltungsprozeß durch § 123 Abs.III VwGO ebenfalls anwendbar ist. Die Sequestration des römischen Prozeßrechts ist mithin kein Vorläufer des Instituts der einstweiligen Anordnung, sondern eine Verbindung zu jenem Verfahren läßt sich nur funktionell darin sehen, daß heute die Aufgaben des untergegangenen Sequestrationsverfahrens von den einstweiligen Anordnungen mit wahrgenommen werden. Geht der Versuch fehl, schon im römischen Recht die Wurzel des Instituts der Sicherungsanordnung zu finden, so ist es doch auch unrichtig, erst in dem Gesetzgeber der ZPO den Schöpfer der Sicherungsanordnung zu sehenlO • Die amtliche Begründung zur ZPO nimmt nämlich ausdrücklich auf die Rechtsordnungen Bezug, die das Vorbild der einstweiligen Verfügungen des Zivilprozesses geworden sind, und gerade mit einem Hinweis auf jene früheren Gesetze verzichtete der Gesetzgeber von 1877 auf eine sachliche Begründung für die Normen über die einstweiligen Verfügungen der ZPOl1. Abgesehen von den Entwürfen zu der Zivilprozeßordnung für das Deutsche Reich12 und den Entwürfen zu einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Norddeutschen Bund13 , die als reine Vorläufer der ZPO den Bestimmungen der heutigen §§ 935 und 940 ZPO völlig entsprechen, stützt sich die Begründung zur ZP01 4 auf die Regelungen der Prozeßgesetze Hannovers, Badens, Württembergs und Bayerns, in denen schon jeweils Bestimmungen über einstweilige Anordnungen oder ähnliche Institute enthalten sind 15 . Außerdem kann "Hannov. Entwurfs" einer "Allg. dt. CPO" von 1866 (Hannover 1866) die Sequestration nur noch Mittel des Arrestes und der einstweiligen Verfügung ist. 9 Dazu Rosenberg, aaO. S. 1066, 1106 m. Nachw. 10 So aber (ohne Begründung): Rosenberg, aaO. S. 1103; Pothmann, aaO. S.l f. 11 Begründung des Entwurfs (Il) einer Deutschen Civilproceßordnung (Berlin 1872), S. 592. 12 Entwurf zur ZPO des preußischen Justizministeriums (Berlin 1871) §§ 731,736; Entwurf (Il) zur ZPO (1872), §§ 746, 751; Entwurf (IIl) zur ZPO (1875), §§ 759, 764; - vgl. zur Geschichte der Entwürfe: Rosenberg, aaO. S. 18; Wach, Handbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, Bd. I S. 129 ff. (151 f.). 13 Entwurf einer Proceßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Norddeutschen Bund (Berlin 1869) §§ 701, 712; Vervollständigter Entwurf (Berlin 1870), §§ 729, 740. 14 aaO. S. 592; vgl. auch: Entwurf einer Proceßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Preußischen Staat von 1864 nebst Motiven (Berlin 1864), S. 206. 15 Hannover: Allgemeine bürgerliche Prozeßordnung von 1847 (oben Anm. 8) §§ 205 ff.; von 1850 (oben Anm. 8), §§ 519 f.; Baden: CivilproceßO. in bürgerl. Rechtsstreitigkeiten v. 18. 3. 1864, §§ 625 ff.; Württemberg: CivilproceßO. v.
A. Sicherungsanordnung
21
sie auf den Entwurf einer preußischen Prozeßordnung16 verweisen und auf den Entwurf einer Allgemeinen deutschen Prozeßordnung, die für den Deutschen Bund von einer eigenen Komission ausgearbeitet wurde 17 • Eine Untersuchung dieser Normen zeigt, daß wohl § 823 des preußischen Entwurfs von 1864 "vorläufig vollstreckbare Anordnungen ... zum Zwecke der Erhaltung oder Sicherstellung eines Rechtes" kennt und daß die bayrische Prozeßordnung von 1869 in Art. 605 Abs. I Ziff.1 von "Vorsichtsverfügungen ... zur Sicherung der künftigen Vollstreckung" spricht, daß sich aber über diese Regelungen hinaus keine präzise Normierung einer Sicherungsanordnung findet. In den übrigen Gesetzen entfällt vielmehr die aus der ZPO (§§ 916 ff.) bekannte Abgrenzung des Instituts der Sicherungsanordnung von dem des in die VwGO nicht übernommenen Instituts des Arrestes, der im Unterschied zur einstweiligen Anordnung gerade nicht einen Individualanspruch im gekennzeichneten Sinn, sondern einen Geldanspruch (oder in eine Geldforderung übergehenden Anspruch) zu sichern bestimmt ist18 • Die Sicherungs anordnung und der Arrest, deren Abgrenzung auch heute in der ZPO im Grenzbereich der Fälle, wo ein Individualanspruch in einen Geldanspruch übergehen kann, fließend ist1 9 , gehen hier auch rechtsgeschichtlich ineinander über: Die sichernde einstweilige Anordnung wird mit dem Arrest gleichgestellt. Dabei sind die Begriffe oft sehr unscharf2°. Bald wird der Arrest als Unterfall einer Sicherungsanordnung behandelt21 , bald steht der Arrest selbständig neben der Sicherungsanordnung22 und schließlich geht die Sicherungs anordnung - insbesonders in den älteren Regelungen - völlig im Institut des Arrestes auf2 3 3. 4. 1868 (Amt!. Ausg., Stuttgart 1869), Art. 844 ff.; Bayern: ProzeßO. in bürger!. Rechtsstreitigkeiten v. 1. 2. 1869 (München 1869), Art. 605 ff. 16 Von 1864, § 823 (vg!. oben Anm. 14). 17 "Hannoverscher Entwurf" von 1866 (vgl. Anm. 8) § 540; ebenso schon der Entwurf 1. Lesung dieser Bundeskommission von 1864 (Hannover 1864), §§ 555 f. 18 Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb. vor § 916, Anm. H, V; BaumbachLauterbach, ZPO (27. Auf!.) Grdz. vor § 916 Anm. 2 A; Rosenberg, aaO. S.1087. 19 Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb. vor § 916, Anm. V. 20 Vg!. z. B.: § 205 Abs. I Hann. Allg. bürger!. ProceßO. v. 4. 12. 1847: "Einstweilige Verfügungen finden ... statt, wenn ... unersetzlicher ... Schaden bevorsteht." 21 So Art. 605, 607 der Bayr. ProzeßO. von 1869. 22 So: §§ 186 f., 205 f. Hann. ProceßO. v. 1847; §§ 508 f., 519 f. Hann. ProceßO. v. 1850; §§ 799, 823 Preuß. Entw. v. 1864; §§ 534 f., 555 f. "Hann. Entw." 1. Lesung 1864 = §§ 519, 540 "Hann. Entw." v. 1866; §§ 669 f., 701, 712 Entw. f. d. Norddt. Bund v. 1869 = §§ 692 f., 729, 740 Vervollst. Entw. v. 1870; ferner alle Entwürfe zur ZPO. 23 So: Allg. GerichtsO. für die Preuß. Staaten vom 6. 7. 1793 i. d. F. vom 4. 2. 1815 (Amt!. Ausg. 2. Auf!. Berlin 1842), 29. Tit., §§ 1 f., 30, 47; und 31. Tit.; vgl. auch R.osenberg, aaO. S. 1103; Markett, aaO. S. 10; Pothmann, aaO. S. 2.
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r. Teil: Geschichte - 1. Kapitel: Grundtypen
oder ihr Ziel wird gemeinsam mit dem des Arrestes in einem einheitlichen, besonders bezeichneten Verfahren erreicht. 24 Die die spätere Zwangsvollstreckung sichernde einstweilige Anordnung hat somit rechtsgeschichtlich die gleichen Wurzeln wie der Arrest25 • über dieses Institut 26 läßt sie sich daher zurückführen auf dessen früheste Vorläufer, die "eigenmächtigen Pfändungen" des alten deutschen Rechts. Sie bildeten vor der Entwicklung geordneter Rechtsschutzverfahren eine besondere Ausprägung des alten Selbsthilferechts. Der Arrestprozeß ist auf die überwindung dieser Art der Selbsthilfe zurückzuführen. In seiner ältesten Form richtete er sich gegen die Person des "auf handfester Tat" ergriffenen Diebes, entwickelte sich später vom reinen Fugitiven-Arrest zu den Formen des Fremden- und Repressalien-Arrestes und schuf darüberhinaus noch weitere Typen27 • Seine wesentliche juristische Ausgestaltung erfuhr dieser Prozeß in Oberitalien28 , wo die langobardische Ausprägung jenes deutsch-rechtlichen Instituts seit dem 13. Jahrhundert in den oberitalienischen Städten zu einem geregelten Verfahren entwickelt wurde. Dieses Verfahren sah die Sicherung der gefährdeten Zugriffsmöglichkeit durch feste Formen der Pfändung und der persönlichen Haft vor. Vor allem gestattete es im Gegensatz zum üblichen Prozeß ein abgekürztes Verfahren mit Erleichterung der Beweisführung, das selbständig neben dem eigentlichen Hauptprozeß stand%9. In der hier ausgebildeten Form gelangte das Institut als italienischer Arrestprozeß bei der Rezeption in den gemeinen Prozeß des deutschen Rechtes, von dem es nur einen weiteren Schritt zu den oben angeführten partikular-rechtlichen Kodifikationen der deutschen Staaten im 18. und 19. Jahrhundert bedeutete. Eine Ergänzung zu diesen Stufen der Entwicklung der Sicherungs anordnung im deutschen Recht bildet der Abschnitt über das Refere-Verfahren des französischen Code de procedure civile von 1806 3°, wo bei Gefahren für die etwaige Vollstreckung provisorische Maßnahmen angeordnet werden können. 24 So: Codex Iuris Bavarici Iudicarii von 1753 (Amtl. Ausg. München o. J.), II!. Kap. § '3; - mit Anordnungen, die Seujjert (Kommentar über d. bayr. GerichtsO., Bd. I! (2. Aufl.) S. 38 f.) als "Provisionalverfügungen" bezeichnet. 25 Seuffert, Kommentar zur ZPO (8. Aufl.) , Vorb. vor § 916 Anm. 1; Stern, Arrest und einstweilige Verfügungen nach der deutschen ZPO, (1912), S. 10; Markett, aaO. S. 10; Pothmann, aaO. S. 1 f. 26 Zur Geschichte des Arrestes vgl.: Wach, Der Arrestprozeß in seiner geschichtlichen Entwicklung (1868); Rosenoerg, aaO. S. 1087; Stern, aaO. S. 10 f.; Markett, aaO. S. 9 f. 27 Dazu: Rosenoerg, aaO. S. 1087. 28 Kohler, Zivilprozeß- und Konkursrecht, S. 189, 195; Stern, aaO. S. 10 f.; Markett, aaO. S. 9. 29 Rosenberg, aaO. S. 1087; Stern, aaO. S. 10; Markett, aaO, S. 9. 30 Code de ProcMure Civile, Decret du 14. 4. 1806 (abgedr. in: Les cinq codes; Treves 1844), I. Part. livre V, titre XVI: "Des Referes", (art. 806 ff.); vgl. auch dazu: Motive zum preuß. Entw. von 1864, aaO. S. 206; Begründung jes Entw. (I!) zur ZPO, aaO. S. 592.
B. Regelungsanordnung
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Die Geschichte der Sicherungsanordnung führt also von der Selbsthilfe des deutschen Rechts über eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Selbstpfändung durch das Gericht zum übergang der Sicherungskompetenz auf das Gericht selbst3 t, die sich erst im 19. Jahrhundert in die beiden Institute des Arrestes und der Sicherungsanordnung aufteilt. B. Die Geschichte der Regelungsanordnung Das Institut der regelnden einstweiligen Anordnung ist in folgenden Normen des heutigen Rechtes zu finden: §§ 627, 940 ZPO; § 32 BVerfGG und § 123 Abs. I S. 2 VwGO. Das Charakteristikum dieser einstweiligen Anordnung wird gemeinhin darin gesehen, daß sie sich auf ein streitiges Rechtsverhältnis bezieht, aus dessen Zustand ohne ein vorläufiges Eingreifen des Richters Gefahren für den Rechtsfrieden erwachsen können32 • Im Gegensatz zur Sicherungsanordnung läßt sich die Entstehungsgeschichte der Regelungsanordnung bis auf ein Institut zurückverfolgen, das unter ausdrücklicher Berufung auf Bestimmungen des römischen Prozeßrechts angewandt wurde. Nun kannte aber der römische Prozeß kein der heutigen regelnden einstweiligen Anordnung entsprechendes Instrument des Richters 33 • Vielmehr geht das hier zu behandelnde Verfahren auf eine Rechtsprechung im kanonischen Prozeß des beginnenden 13. Jahrhunderts zurück, die nur durch eine Fehlinterpretation verschiedener Digestenstellen zu erklären ist. Dabei muß jedoch offenbleiben, ob es sich hier wirklich um einen falschen Subsumtionsschluß gehandelt hat, der den Anstoß zu einer bis heute reichenden Entwicklung gab, oder ob nicht in Wahrheit eine richterliche Kompetenz bewußt neu begründet und aus einer scheinbar legitimierenden Grundlage von Digestenstellen abgeleitet wurde, um so einem zwingenden Bedürfnis gerecht zu werden, - ein Weg, der die Erinnerung an Methoden weckt, mit denen man in der Weimarer Zeit den Erlaß einstweiliger Anordnungen vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich und in unseren Tagen im Verwaltungsprozeßrecht der Zeit von 1945 bis 1960 die Interims-Kompetenz der Verwaltungsgerichte zu rechtfertigen suchte 34 • Im beginnenden 13. Jahrhundert sah sich nämlich noch der Richter - d. h. für die damalige Zeit noch, der Gerichtsherr als Inhaber umfassender Gewalt, - der Schwierigkeit gegenüber, daß sich Adlige in Besitzstreitigkeiten nicht etwa der bereits bestehenden RechtsschutzStern, aaO. S. 10. Rosenberg, aaO. S. 1103 f.; Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb. vor § 916, Anm. UI; § 940 Anm. I; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 940 Anm. 1. 33 v. Savigny, aaO. S. 522 Anm. 3; v. Bayer, aaO. S. 160 f.; Markett, aaO. 31
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S.l1. 34
Dazu unten I, 2, zu Anm. 55 und 158 ff.
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1. Teil: Geschichte -
1. Kapitel: Grundtypen
verfahren bedienten, sondern auf der Grundlage des alten Fehderechts eigene Leute unter Waffen stellten und gegeneinander zu Felde zogen 35 • In den frühesten, von den Postglossatoren überlieferten Entscheidungen zu dieser Zwangslage gingen jene ersten Richter (Balduini, Papst Innocenz III.) dazu über, statt des an sich vorgeschriebenen Libellprozesses ex officio ein Verfahren einzuleiten, beide Parteien zu einem Beweisantritt zu laden und dann sofort endgültig den Besitzprozeß zu entscheiden. Hierbei beriefen sie sich ausdrücklich auf die Digestenstelle D VII 1 "De usufructu ... " 1. 13, ~3, wo es heißt: "Sed si inter duos fructuarios sit controversia, Julianus ... scribit aequissimum ,esse quasi communi dividundo iudicium dari ... : cur enim, inquit Julianus, ad arma et rixam procedere patiatur praetor, quos potest iurisdictione sua componere? ... "38
Etwa ein halbes Jahrhundert später verband dann der berühmteste Prozeßrechtslehrer seiner Zeit, der Postglossator Durantis37 , diese Präjudizfälle und die angeführte Digestenstelle zu einem allgemeinen Rechtssatz, in dem er generell dem Richter in Besitzstreitigkeiten das Recht gab, drohende Gewalt durch eigenes Vorgehen zu unterbinden, wozu er ex officio den gesamten Streit an sich ziehen und sofort endgültig entscheiden konnte 38 • Statt in dem normalen Libellprozeß fanden diese Streitigkeiten damit in einem besonderen Prozeßan Stelle des Hauptverfahrens ihre Entscheidung39 • Erst später entstand dann im weltlichen italienischen Recht das Institut, das in den deutschen gemeinen Prozeß übernommen werden sollte und als "possessorium summarissimum" zum direkten Vorläufer der Regelungsanordnung wurde40 • In Anlehnung an den allgemeinen Rechtssatz des Durantis entwickelte sich dort der Satz, daß im Besitzstreit die richterliche Amtsgewalt (das 35 Vgl. die Fälle, die v. Savigny, (aaO. S. 521 Anm. 2) und Bruns (aaO. S. 232 f.) darstellen: Adlige streiten sich um den Besitz an Erbschaftsgegenständen und Waldgebieten und schicken sich an, ihre Bediensteten bewaffnet gegeneinander zu schicken, statt das Gericht anzurufen. 36 Zit. nach: Corpus Iuris Civilis (11.Ausgabe; Hrsg. Krüger-Mommsen; Berlin 1908) Bd. I, S. 129. 37 Gest. 1296; sein Hauptwerk "speculum iuris" (1272) war das maßgebende Prozeßrechtscompendium der Zeit. Vgl. Enneccerus-Nipperdey, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. I, Allg. Teil, 1. Halbbd. (15. Aufl.) S. 113; Wetzell, aaO. S. 12 f. 38 "Ubi duo contendunt de possessione, ... iudex potest ex officio eos citare, et cogere suam petitionem offere; ... ex officio enim suo debet partes cohibere ne veniant ad arma et rixas." Speculum iuris, lib. 2, tit. de petitor. et possessor., § 1 N. 38. (Zit. nach Bruns, aaO. S. 235). 39 Bruns, aaO. S. 236. 40 v. Savigny, aaO. S. 521 ff.; Bruns, aaO. S. 261 ff. (vgl. S. 263: Die ursprüngliche Bezeichnung lautete beim Postglossator Baldus noch "possessorium summarium"!); Wetzell, aaO. S. 325 (ebenfalls "possess. summarium"!); Bayer, aaO. S. 160 ff.; Stein-Jonas-Schönke, aaO. § 940 Anm. I; vgl. Rosenberg, aaO. S. 1103.
B. Regelungsanordnung
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die umfassende Kompetenz beinhalte, für die Dauer des eigentlichen Verfahrens nach kurzer, d. h. "summarischer" Prüfung den Besitzstand ganz allgemein zu regeln und gegen Beeinträchtigung zu schützen; dieses Verfahren wurde allerdings nur noch auf Antrag eingeleitet, war aber im Gegensatz zu Durantis auch gegeben, wenn keine unmittelbare Waffengewalt bevorstand 41 • Erst damit war der Schritt vom Sonderverfahren, das bei Durantis an die Stelle des normalen Prozesses trat, zum bloßen Nebenverfahren vollzogen, das eine nur vorläufige Regelung für die Dauer der Litispendens ermöglichte und auf der Zulassung einer oberflächlich-summarischen Sachprüfung basierte 42 • Dieses auf Besitzstreitigkeiten beschränkte Verfahren des possessorium summarissimum ging unverändert in den deutschen gemeinen Prozeß über. Der Rechtswissenschaft blieb bei diesem Institut für die folgenden Jahrhunderte nur der Streit, ob die Regelungsbefugnis nur im Falle drohender Waffengewalt gegeben sei, wofür die ursprüngliche Entstehungsgeschichte sprach, oder ob es bereits - wie bei den späten Italienern - in jedem Falle schwebender Besitzstreitigkeiten anwendbar sei, wobei man sich dann darauf berief, daß schon die bloße Möglichkeit einer Gewaltanwendung ausreichen müsse. Lediglich auf jenen engen Anwendungsbereich der Abwehr des "timor armorum" beschränkte die Rechtsprechung des Reichskammergerichts und des Reichshofgerichtes 43 das Institut des possessorium summarissimum; hierbei fand sie allerdings zunächst keine Stütze im Wortlaut der frühesten deutsch-rechtlichen Normierungen des Institutes44 , sondern diese Judikatur beruhte auf einer verfassungs-politisch bedingten Zurückhaltung der beiden Gerichte, die erst in späteren Zusätzen zur Kammergerichtsordnung von 1613 ihre normative Bestätigung erfuhr 45 • Im Gegensatz dazu setzte sich die Auffassung vom weiten, nicht auf Waffengefahr beschränkten Anwendungsbereich des Instituts des possessorium summarissimum im wesentlichen durch; fast alle Partikularrechte der folgenden Jahrhun"officium")
41 Vgl. den Fall des Paulus de Castro (gestorben 1441): Zwei Besitzer benachbart liegender Schleifstein gruben in Bergamo treffen mit ihren Schachtstollen aufeinander und lassen ihre Arbeiter zu einer Schlacht unter Tage aufmarschieren. Das dazu erstattete Gutachten wurde Jahrhunderte lang zitiert (abgedr. bei Bruns, aaO. S. 266 f.; dazu: v. Savigny, aaO. S. 723; Bruns, aaO. S. 264 f.). 42 Vgl. zum Unterschied zwischen Haupt- und Nebenverfahren das zit. Gutachten des de Castro: "ma affert perpetuum praeiudicum, ..., ista durat quousque lis durat . .. " (Bruns, aaO. S. 267). 43 Für die Stellung des Reichstags als Gericht und dessen provisorische Verfügungen vgl. Arndt, Richter, Gericht und Rechtsweg in der Reichsverfassung, AöR 60 (1932), 183 (196 Anm. 28). 44 Wormser CammerGerichtsO v. 1521, (abgedr. bei Bergmann, Corpus Iuris Iudicarii, S. 68 f.) Tit. XXXII § 1; Augsburger CammerGerichtsO v. 1555 (abgedr. bei Bergmann, aaO. S. 119 f.) P. II, tit. 21 § 3; Conc. Ord. Camer. (zit. nach v. Savigny, aaO. S.525), P. II, tit. 22, §§ 4, 5. 45 Bruns, aaO. S. 381 m. Nachw.; Wetzell, aaO. S. 326.
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1. Teil: Geschichte -
1. Kapitel: Grundtypen
derte schlossen sich ihr an 46 • Auch die Rechtsprechung folgte dieser weiten Auffassung und stellte die Regelung der Kammergerichtsordnung als eine für sie nicht in Betracht kommende restriktive Übernahme der italienischen Spielart des possessorium summarissimum hin4748 • Der übergang von diesem nur auf Besitzstreitigkeiten zugeschnittenen Institut des possessorium summarissimum zu der einstweiligen Maßnahme des Richters, die in alle Rechtsverhältnisse regelnd eingreifen darf, läßt sich zuerst im Schrifttum des beginnenden 19. Jahrhunderts nachweisen49 • Schon dort findet sich zu seiner Rechtfertigung der Gedanke, daß die Gefahren des Schwebezustandes im Prozeß typischerweise bei jedem Streitgegenstand, in jeder Prozeßart und in allen Situationen des gerichtlichen Verfahrens auftreten könnten und mithin gerichtliche Provisorien rechtfertigten50 • Zu einer Kodifikation dieser allgemeinen Regelungsanordnung kam es dann erst in den Prozeßgesetzen der Mitte des 19. Jahrhunderts. Während dabei die Hannoverschen Prozeßordnungen von 1847 und 1850 noch durch einen besonderen Titel "Besitzprozeß" neben der allgemeinen einstweiligen Verfügung die Herkunft des Instituts sichtbar werden lassen 5t, ist im Preußischen Entwurf von 1864 in § 823 bereits die völlige Gleichbehandlung aller zu regelnden Verhältnisse vorausgesetzt, und die Bayrische Prozeßordnung von 1869 nimmt durch die ausdrückliche Aufnahme einer "Vorsichtsverfügung zur vorläufigen Besitzeinweisung" im Katalog der übrigen Regelungsmöglichkeiten (Art. 606 Ziff. 4) auch direkt auf die Entstehungsgeschichte dieses Provisoriums Bezug. Mit diesem Stadium erreicht die Entwicklung des Instituts der allgemeinen Regelungsanordnung den 46 Hannov.O.A.G.-Ordnung v. 1713, II 8, 1 § 8; Hann.U.G.-Ordnung v. 1827, § 134 (jeweils zit. nach Bruns, aaO. S. 420 mit weiteren Nachw. für Sachsen
und Schleswig-Holstein); - Codex Iuris Bavarici Iudicarii von 1753 (München o. J.) Kap. III § 5; - Allg. GerichtsO. f. d. Preuß. Staaten v. 6. 7. 1793 i. d. F. v. 4. 2. 1815 (oben S. 10 Anm. 1), Tit. 31, §§ 1 f.; Preuß. Allg. Landrecht v. 5. 2. 1794 (zit. nach der Ausgabe von Land~, Berlin 1882), Einl. § 98 u. §§ 155 f. Teil I Tit. 7. 47 Vgl. die Nachweise bei Bruns, aaO., S. 397 ff., 419 ff.; Wetzell, aaO. S. 326. 48 Interessant ist, daß hier gelegentlich eine Modiftzierung zu finden ist: Soweit der "timor armorum" gegeben war, sollte die Interimsregelung ex officio vom Richter getroffen werden, sonst nur auf Antrag der Parteien (vgl. Nachw. bei: Martin, Lehrbuch des Teutschen gemeinen bürgerl. Proces ses (11. Ausg.) S. 550 Anm. f.; v. Bayer, aaO. S. 168 Anm. 10; ebenso noch: § 204 Hann. ProceßO. v. 1847; § 507 Hann. ProceßO. v. 1850). Hier zeigt sich besonders der polizeirechtliche Charakter dieses Institutes; dazu im einzelnen unten zu Anm. 57 f.; I, 2, Anm. 120; II, 2, Anm. 79, 338, 364 f. 49 Gönner, aaO. S. 291 ff.; Danz, aaO. S. 179 ff.; Martin, aaO. S. 549 ff. 50 Gönner, aaO. S. 306; Danz, aaO. S. 179. 51 ProceßO. v. 1847, Tit. II B: V. "Besitzprozeß", VI. "Von Einstweiligen Verfügungen"; - ProceßO. v. 1850, Teil IV, 5. Tit. "Besitzproceß", 7. Tit. "Von Einstweiligen Verfügungen".
B. Regelungsanordnung
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Punkt, an den die Begründungen der Entwürfe zur ZPO von 1877 unmittelbar anschließen52 • Es zeigt sich, daß das Institut der allgemeinen Regelungsanordnung auf einem ganz anderen Boden gewachsen ist, als es oben von der Sicherungsanordnung festzustellen war. Die Sicherungsanordnung ist aus einem Selbsthilfe recht hervorgegangen, das angesichts des Mangels öffentlicher Rechtsschutzformen völlig legitim war und das gerade mit dem Entstehen solcher Rechtsschutzmöglichkeiten zurückgedrängt wurde und zum Erlöschen kam; diese überwindung von Selbsthilfemaßnahmen durch ein prozessuales Institut steht im Einklang mit den Entwicklungswegen des gesamten Prozeßrechts, das -mehr oder wenigerüberall seine Wurzeln im Selbsthilfesystem alter Rechtsordnungen hat53 • Ganz anders ist es hingegen bei der Regelungsanordnung: Ihre Entstehung geht darauf zurück, daß man sich der bereits gegebenen Rechtsschutzformen nicht bediente und stattdessen zu einer neben diesem Verfahren unzulässigen Selbsthilfe schritt. Ihr Ziel lag daher von Anbeginn an in der Abwehr von Verstößen gegen die bereits gegebene Rechtsordnung; es sollten "Gefahren für die öffentliche Sicherheit"54 ausgeräumt werden, die durch "eigenmächtige Störungen des öffentlichen Friedens durch Privatgewalt"55 hervorgerufen wurden. Ihr eigentlicher Zweck lag daher, überspitzt formuliert, in der "Verhütung von Verbrechen"58. Angesichts all dieser uns aus dem heutigen Polizeirecht bekannten Begriffe57 nimmt es nicht Wunder, daß schon die Vorgänger der allgemeinen Regelungsanordnung als "Polizeimaßregel unter der Form eines Rechtsinstituts" charakterisiert wurden58 , und daß die Regelungsanordnung des § 940 ZPO auch heute in der Rechtslehre als Maßnahme der Rechtspolizei zur Sicherung des Rechtsfriedens beVgl. oben Anrn. 11 und 12. Stein, Grundriß des Zivilprozeßrechts und des Konkursrechts (3. Aufl.) S. 1; Rosenberg, aaO. S. 2; Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer 62
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Reform der Zivilgerichtsbarkeit (Bonn 1961), S. 167. 64 v. Savigny, aaO. S. 526; vgl. auch Augsb.CGO (oben Anm.44) P. II, tit. 21 § 3: " ... , daß ... sorgliche Empörung, Weiterung oder Aufruhr zu besorgen, ... ". 55 v. Bayer, aaO. (3. Aufl.) S. 176 Anm. 9; v. Savigny, aaO. S. 527; Martin, aaO. S. 549. 56 v. Savigny, aaO. S. 524, 525. 57 Vgl. z. B.: Preuß. ALR (oben Anm. 46) § 10 T. H, Tit. 17; Thür. LVO v. 10. 6. 1926 (GS. S. 177) § 32; Preuß. Polizeiverwaltungsgesetz v. 1. 6. 1931 (GS. S. 77) § 14; Hambg. PVG v. 7. 11. 1947 (GVBl. 73) § 1; Nieders. SOG v. 21. 3. 1951 (GVBl. S. 79) § 1; Brem. PolizeiG. v. 5. 7. 1960 (GBl. 73) § 1; - vgl. eingehend m. w. Nachw.: Drews-Wacke, Allgemeines Polizeirecht (7. Aufl.) S. 24 ff. ;;8 v. Savigny, aaO. S. 525, 528; vgl. Wetzen, aaO. S. 325; Mitteis, Deutsches Privatrecht, S. 70.
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I. Teil: Geschichte -
1. Kapitel: Grundtypen
zeichnet wird 59 • Ob und wieweit diese historischen Wesensmerkmale der Regelungsanordnung einen Einfluß auf die Charakterisierung und die Anwendungsmöglichkeiten der einstweiligen Anordnung nach der heutigen VwGO haben, wird später noch eingehend zu untersuchen sein. C. Die Geschichte der Leistungsanordnung Die Leistungsanordnung, die dem Gläubiger eine vorläufige Befriedigung seines Anspruches verschafft, hat nach allgemeiner Meinung im positiven Recht keine Normierung erfahren60 • An dieser Auffassung ist jedenfalls soviel ohne Zweifel richtig, daß der Gesetzgeber der ZPO keine Regelung über sie getroffen hat. Denn auch die §§ 627, 627 b ZPO dürfen nicht als solche dem Klagebegehren provisorisch stattgebenden Anordnungen verstanden werden, was, soweit sie Unterhaltsregelungen treffen, immerhin denkbar wäre. In keiner dieser beiden Vorschriften wird nämlich der Klaganspruch des Statusprozesses selbst berührt 61 : während in § 627 ZPO die Regelung eine unterhalts rechtliche Interimsentscheidung für die Dauer eines familienrechtlichen Statusstreites nach § 606 ZPO bedeutet, enthält sie in § 627 beine Adhaesionsentscheidung zu dem Urteil eines solchen Statusprozesses, die allenfalls als vorläufige Befriedigung einer nach § 627 b Abs. IV ZPO zu erzwingenden Unterhaltsklage anzusprechen ist. In keinem dieser Fälle betrifft die dortige einstweilige Anordnung mithin den Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens, wie es der Gesetzgeber regelmäßig für Interimsentscheidungen verlangt62 ; jene Vorschriften sind vielmehr nur aus rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen in die Normen über eherechtliche Statusklagen eingereiht worden63 • Ist demgemäß die Leistungsanordnung nicht in die Vorschriften der ZPO aufgenommen worden, so hat es doch nicht an dem Versuch gefehlt, diesen Typus richter59 Stein, Grundriß aaO. S.331; Stein-Jonas-Schänke, aaO. Vorb. v. § 916 Anm. !II; Pütz, Der Erlaß von einstw. Verfügungen durch denStändigenIGH (1939), S. 18; Fuß, Die einstweilige Anordnung im verfassungs gerichtlichen Verfahren, DÖV 59, 201 f.; OLG München, B. v. 12. 7. 51, RdL 52, 16; Bericht des oest. Verf.-Ausschusses zum Entw. § 57 AVG (zit. n. HellbHng, Kommentar, Bd. I, 328): "Maßnahme der Gefahrenpolizei". Vgl. ferner oben Anm. 48 m. w. Hinweisen. 60 Markett, aaO. S. 37; Pothmann, aaO. S. 59; Stein, Grundriß, aaO. S.331; Stein-Jonas-Schänke, aaO. Vorb. v. § 916 Anm. IV; Stein, Voraussetzungen des Rechtschutzes, S. 10; vgl. aber auch unten zu Anm. 72. 61 Vgl. OVG Münster, U. v. 22.4. 55, ZBR 55, 282 (285). 62 Vgl.: § 935 ZPO, § 123 Abs. I S.l VwGO: " ... in Bezug auf den Streitgegenstand ... "; § 940 ZPO, § 123 Abs. I S. 2 VwGO: " ... in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis .. ."; dazu (für § 123 VwGO): Quaritsch, aaO. S. 232 ff. 63 Vgl. z. B. die besondere Erwähnung der §§ 627,627 b ZPO bei BaumbachLauterbach, aaO. übers. v. § 606, Anm. 1 B.
C. Leistungsanordnung
29
licher Interimskompetenzen für die ordentliche Gerichtsbarkeit gesetzlich zu verankern: der Versuch, sie in dem Entwurf einer ZPO von 1931 zu normieren, scheiterte jedoch dar an, daß die Gesetzesvorlage insgesamt nicht angenommen wurde64 . In den jüngeren Gesetzen der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit finden sich jedoch zwei Vorschriften, die eine legislatorische Anerkennung der Leistungsanordnung beinhalten: Einerseits kennt das Sozialgerichtsgesetz von 195365 in § 180 Abs. IV eine einstweilige Anordnung, die den Schuldner zur vorläufigen Leistung verpflichtet, obwohl von diesem Sonderfall abgesehen das Sozialgerichtsgesetz keine einstweiligen Anordnungen vorsieht66 . Zum anderen aber muß man eine mittelbare Anerkennung dieses Institutes in der Bestimmung des § 170 Abs. V der VwGO von 1960 sehen; denn wie sich aus § 170 Abs. I S. 1, Abs. V VwGO ergibt, setzt jene Bestimmung eine einstweilige Anordnung voraus, aus der wegen einer Geldforderung vorläufig gegen einen Hoheitsträger vollstreckt werden so1l67. Ein die Leistungsanordnung kennzeichnender Inhalt geht auch aus den genannten beiden Bestimmungen nicht hervor. Wesentlich ist für diesen Grundtypus, daß ein Geldleistungsanspruch vorläufig befriedigt wird, weil der Lebensunterhalt des angeblichen Gläubigers ohne vorläufige Leistungen des Schuldners ernsthaft gefährdet ist68 . Diese vorläufig befriedigende Leistungsanordnung, deren Inanspruchnahme Stein als eine besondere Art der Verurteilungsklage (= Leistungsklage) bezeichnet69 , ist ohne gesetzliche Regelung gewohnheitsrechtlich in der ordentlichen Gerichtsbarkeit entwickelt worden70 . Hier64 Entwurf einer Zivilprozeßordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium (Berlin 1931), § 1017 Abs. II, wo sie gesetzestechnisch als Unterfall der Regelungsanordnung gewertet wurde; dazu: BZomeyer, Arrest und einstweilige Verfügung, ZZP 65 (1952), S.52 (65). 65 v. 3. 9. 53 (BGB!. I, 1239) i. d. F. v. 16. 5. 60 (BGB!. I, 305). 66 § 198 Abs. II SGG, dazu unten I, 2, Anm. 180. 67 Die Zulässigkeit der Leistungsanordnung auf Grund des § 123 VwGO bejahen z. B., allerdings ohne auf die hier angeführte gesetzliche Anerkennung einzugehen: UZe, VwGO § 123 Anm. I; ders., Verwaltungsprozeßrecht S. 217, 218; Eyermann-FröhZer, VwGO § 123 Rdn. 15; Redeker- 'V. Oertzen, VwGO, § 123 Anm. 8; Quaritsch, aaO. S. 352 f.; Knoll, aaO. S. 102. 68 Rosenberg, aaO. S.1104/1105; Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb . v. § 916 Anm. IV; Wieczorek, ZPO, § 940 Anm. C II a; Baumbach-Lauterbach, aaO. Grdz. v. § 916 Anm.2 B b; Schönke-Baur, Zwangsvollstreckungs recht und Konkursrecht (6. Aufl.) S. 188; Markett, aaO. S. 16 ff.; Pothmann, aaO. S. 9 H.; Schuler, Die auf Leistung lautende einstweilige Verfügung, NJW 59, 1801; jeweils mit weiteren Nachweisen. 69 Stein, Voraussetzungen, aaO. S. 9. 70 Stein, Voraussetzungen, S. 10; Markett, aaO. S. 37; Pothmann, aaO. S. 55 f.; RG 9, 334; 15, 377; 27,429; vgl. ferner alle Zitate oben Anm. 68; a. A.: BZomeyer, aaO. S.64.
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I. Teil: Geschichte -
1. Kapitel: Grundtypen
bei hat sich die Rechtsprechung allerdings auf die Vorschriften der §§ 627 (= 584 a. F.) ZPO, 1617 BGB gestützt und ist gleichzeitig unter Zuhilfenahme des § 940 (= 819 a. F.) ZPO davon ausgegangen, daß bei fortlaufenden Bezügen, die der Gläubiger zu seinem Unterhalt benötigt, in Weiterentwicklung der Unterhaltsregelung des § 627 die Zustandsregelung des § 940 unter Umständen nur so getroffen werden könne, daß der Schuldner provisorisch zu Abschlagszahlungen verurteilt werde71 • Diese Rechtsprechung bedeutete aber der Sache nach nicht mehr eine extensive Anwendung der Vorschriften über die Regelungsanordnung 7273 , sondern sie führte zu einer der ZPO selbst unbekannten Prozeßart, in der die bloße Glaubhaftmachung eines Anspruches bestimmter Art7' zu einer provisorischen Verurteilung zur Leistung genügt7 5• Eine zusammenhängende Entwicklung der Leistungsanordnung, die sachlich auch in Entscheidungen der Staatsgerichtsbarkeit in der Weimarer Zeit wiederzuerkennen ist7 6 und die später von der Verwaltungsrechtsprechung in der Bundesrepublik allmählich, vor allem in Beamtensachen, ausdrücklich übernommen worden ist77 , läßt sich daher nicht weiter als bis zu der dargestellten gewohnheitsrechtlichen Begründung durch das Reichsgericht und die übrige höchstrichterliche Rechtsprechung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zurückverfolgen78 • Inhaltlich aber ist die vorläufig verurteilende Leistungsanordnung eine Wiederaufnahme des gemeinrechtlichen unbedingten Mandatsprozesses79 , der im deutschen Recht wurzelt und dessen langobar71 RG 9, 334; 27, 429; anders: RG 15, 377; Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb. v. § 916 Anm. IV. 72 So aber vielfach, z. B.:Hamelbeck, Die Einstweilige Verfügung auf vorläufige Befriedigung des Gläubigers, ZZP 55 (1930),233 (235); Blomeyer, aaO. S.65; Schuler, aaO. S.1802; - vgl. eingehend: Markett, aaO. S. 14 ff., aber S.37. 7S Eine eingehende Stellungnahme dazu kann erst bei der Untersuchung der Eigenart der Leistungsanordnung gegeben werden, vgl. unten II, 2, C. 74 Regelmäßig sind Ansprüch'e aus einem auf Dauer angelegten Grundverhältnis vorauszusetzen: RG 15, 377 (378); 27, 429 (430). 75 Vgl. Nachweise oben Anm. 68, 70. 78 RStGH, E. v. 17.11.28, L-S I, 156 (= RG 122, Anh. S.17): betr. Biersteuer-Verteilung; E. v. 17./18.7.30, L-S IV, 95 (= RG 129, Anh. S. 28): betr. Polizeikostenzuschüsse an Thüringen, - hier hat der StGH jene Leistungsanordnung aber nicht gewährt, weil sie der Endentscheidung vorgreife (zu dieser Frage vgl. unten Schlußbemerkung I, 1); wie hier: Schüle, aaO. S. 85 Anm.4. 77 Dazu unten I, 2 Anm. 165. 78 Die größte Bedeutung dürfte die Leistungsanordnung heute neben den Gebieten der Unterhalts- und Unfallrenten-Prozesse im Bereich des arbeitsgerichtlichen Verfahrens haben. Vgl. z. B.: LAG Kiel, U. v. 26.8.1958, BB 58, 915; LAG Tübingen, B. v. 19.4.61, NJW 61, 2178. 79 Stein, Voraussetzungen, aaO. S.ll; Stern, aaO. S.ll; Stein - JonasSchönke, aaO. Vorb. v. § 916 Anm. IV; Seuffert, ZPO aaO. Vorb. v. § 916 Anm. 1; J. Goldschmidt, Zivilprozeßrecht (2. Aufl.) S.421.
C. Leistungsanordnung
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dische Spielart mit ihrer Verfeinerung aus dem oberitalienischen Stadtrecht in den gemeinen deutschen Prozeß gelangt war 80 . Dort erließ der Richter ohne sachliche Prüfung des Anspruchs81 ein Befriedigungsgebot ("bot") an den Schuldner; hauptsächlich entwickelte sich das Verfahren an dem Institut der "guarantigierten Urkunden"82, die noch heute in § 794 Abs. I Ziff.5 ZPO als Vollstreckungstitel anerkannt sind, hier allerdings mit der einen Schritt weitergehenden Regelung, daß der Richter überhaupt nicht mehr den Vollstreckungstitel erläßt, sondern die Urkunde selbst die unmittelbare Basis der Zwangsvollstreckung bildet83 . Eine weitere historische Parallele zur Leistungsanordnung dürfte neben dem unbedingten Mandat auch in den Entscheidungen des gewohnheitsrechtlich neben dem gemeinen Prozeß entstandenen84 Executivprozesses zu sehen sein, den eine nahe Verwandtschaft zum unbedingten Mandat kennzeichnet85 . Diese eigentlichen Wurzeln der Leistungsanordnung lassen sich auch in älteren Prozeßgesetzen nachweisen: In den §§ 205, 207, 210 der Hannoverschen Prozeßordnung von 1847 und den §§ 519 ff. der Hannoverschen Prozeßordnung von 1850 wird eine einstweilige Verfügung in die Form eines unbedingten Mandates gekleidet, wenn der Richter bei dringender Gefahr unersetzlichen Schadens sofort "mittels unbedingten Mandats" "einstweilige Verfügungen" erlassen darf. Insoweit läßt sich daher auch eine innere Verbindungslinie zwischen der heutigen Leistungsanordnung und dem alten Mandatsprozeß ziehen; angesichts der völlig selbständigen, oben dargestellten gewohnheitsrechtlichen Herausbildung der Leistungsanordnung in der Rechtsprechung ist es dagegen nicht zu rechtfertigen, die Leistungs.! anordnung schlechthin als ein aus dem Mandatsprozeß hervorgegangenes Prozeßinstitut zu charakterisieren86 . Rechtsvergleichend ist hier allerdings interessant, daß das später zu behandelnde österreichische Verwaltungsverfahren87 bei der Anforderung von Geldleistungen durch die Verwaltungsbehörde ein abgekürztes Eintreibungsverfahren gemäß § 57 AVG88 kennt, das noch heute als "Mandatsverfahren" bezeichnet 80 Dazu eingehend: KleinfeHer, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts (3. Aufi.) S. 523 f.; vgl. Danz, aaO. S. 90 ff.; Martin, aaO. S. 427 ff. 81 KleinfeHer, aaO. S. 523; Danz, aaO. S. 110. 82 KleinfeHer, aaO. S.524; Danz, aaO. S.114; Martin, aaO. S.437 Anm. L; v. Bayer, aaO. S. 87 ff. 83 Rosenberg, aaO. S.896; Kohler, über executorische Urkunden, ACP 72 (1888) S. 1 f. 84 Gönner, aaO. S. 194; Danz, aaO. S. 111; Martin, aaO. S. 437 f. 85 Gönner, aaO. S. 196; Danz, aaO. S. 110 ff.; KleinfeHer, aaO. S. 523 f. 86 So aber: Seuffert, ZPO aaO. Vorb. v. § 916 Anm.l; Stern, aaO. S.l1; Pothmann, aaO. S.5. 87 Dazu unten I, 2, E, III, 1. 88 Allg. Verw.VerfGes. v. 21. 7.1925 (BGBl. Nr. 274) i. d. F. d. Kundmachung v. 23. 5.1950 (BGBl. Nr.172).
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1. Teil: Geschichte -
1. Kapitel: Grundtypen
wird 89 ; hier ist mithin - mit gewissem Vorbehalt - eine rechtsgeschichtliche Kontinuität zwischen dem Mandatsprozeß und der Leistungsanordnung festzustellen. Einen völlig unbekannten Vorläufer in Gesetzesform aber hat die verurteilende Leistungsanordnung schließlich in Bayrischen Prozeßgesetzen gehabt: der Codex Juris Bavarici Judicarii von 1753 DO schrieb in Kapitel III, § 3 vor, daß der Richter "in Alimentations- und anderen dergleichen ohne Gefahr nicht leicht aufschiebbaren Dingen . . . mit summarischer Einsicht nach abgekürzten Terminen verfahren" solle, und nach Art. 606 Ziff. 1 der Bayrischen Prozeßordnung von 1869 konnte durch eine "Vorsichtsverfügung" die "einstweilige Verurteilung zu einer bestimmten Leistung oder Handlung" erfolgen. Eine Verbindung der Rechtsprechung und Lehre über die verurteilende Leistungsanordnung der ZPO zu diesen sachlich wie auch historisch naheliegenden Vorbildern läßt sich aber nirgends feststellenD1 • Im Vergleich zur Sicherungs- und Regelungsanordnung ist die Leistungsanordnung mithin nicht aus einer längeren geschichtlichen Entwicklung erwachsen. Ihre ersten geschichtlichen Vorläufer gerieten sogar völlig in Vergessenheit und können daher nicht von großer praktischer Bedeutung gewesen sein. Die gewohnheits rechtliche Neuentwicklung dieses Institutes seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mag in gewissem Umfang auch dadurch veranlaßt worden sein, daß neben anderen staatlichen Funktionsträgern auch die Gerichte sich genötigt sahen, ein Mindestmaß an sozialen Schutzgedanken zu verwirklichen92 ; denn bei den durch diese Leistungsanordnung begünstigten Gläubigern handelt es sich, wie aus dem Wesen der Leistungsanordnung folgt, immer um sozial schwächere Personen, die auf laufende Geldleistungen, seien es nun Gehalts-, Unterhalts- oder Rentenzahlungen, angewiesen sind, also überwiegend um Rechtsschutzsuchende, wie sie für eine Industriegesellschaft charakteristisch sind. Parallelen zu den entwicklungsgeschichtlichen Gründen der Sicherungs- und Regelungsanordnung weist die Leistungsanordnung nicht auf.
89
169).
Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren (5. Aufl.) AVG § 57 Anm.1 (S.
Vgl. oben Anm. 24. Das RG geht allerdings einmal (RG 9, 334 (336» kurz auf eine Bestimmung der Bayr. ProzeßO. v. 1869 (§ 641) ein und setzt sich mit deren Einfluß auf die ZPO auseinander. Dabei handelt es sich aber nicht um Fragen der Leistungsanordnung. 92 Vgl. auch: v. Turegg-Kraus, Lehrbuch des Verwaltungsrechts (4. Aufl.) S. 5 Anm. 1 (a E): "Auch die Rechtsprechung hat die wirtschaftlichen und sozialen Folgen ihrer Maßnahmen nicht aus den Augen zu verlieren." Wie hier: Piltz, aaO. S. 29. 90 91
Zweites Kapitel
Die einstweilige Anordnung in den Prozeßordnungen des In- und Auslandes Der Überblick über die Entwicklungswege der drei Grundtypen der einstweiligen Anordnung hat dieses Institut seiner Herkunft nach als ein Kind des zivilgerichtlichen Verfahrens ausgewiesen. Gerade mit einem Hinweis auf diese Herkunft hat man versucht, den Anwendungsbereich gerichtlicher Interimsrnaßnahmen einzuschränken und sie außerhalb der Zivilgerichtsbarkeit für illegitim zu erklären1 • Ob es sich hierbei aber wirklich um eine wesensmäßige Beschränkung auf das Gebiet der bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten handelt oder ob jene Auffassung auf einer Überbewertung des nur historisch bedingten "Entwicklungsortes" der einstweiligen Anordnung beruht, soll erst später untersucht werden2 • Immerhin könnte es sich nämlich auch um ein Institut handeln, das wesensmäßig jedem gerichtlichen Verfahren eigen ist3 und das ebenso wie andere Prozeßinstitute seine Ausformung nur deshalb in der Zivilgerichtsbarkeit erfahren hat, weil deren Verfahren die älteste ausgeformte Prozeßart ist. Ohne auf diese Frage schon jetzt näher einzugehen, soll doch immerhin eine Darstellung der Interimsbefugnisse in den einzelnen Verfahrensarten zeigen, daß heute keine Prozeßordnung der fast unübersichtlich zahlreich gewordenen Gerichtsbarkeiten dem Richter jegliche Interimskompetenz versagt, sondern daß fast eine jede Ausformungen des Instituts der einstweiligen Anordnung kennt. A. Interimsmaßnahmen in Zivilprozeßordnungen I. Die einstweilige Anordnung in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit
Mit Rücksicht auf den vorangegangenen Abschnitt der Untersuchung kann sich der Überblick hier auf eine chronologische Aufzählung der Interimsbestimmungen beschränken, die den Zivilrichter in der Verz. B.: VerfGH RhPf., E. v. 10.4.53, in AS. OVG RhPf. 2, 271 (282). Vgl. dazu unten Anm. 162, 254 und II, 2, B, II, 2, c. 3 So schon im Jahre 1805: Gönner, aaO. S. 306; vgl. ferner z. B.: Jerusalem, Die Staats gerichtsbarkeit, S.184; Simons, Nachtrag in Hdb. d. DtStR. II S. 737 (740); Niemeyer, Einstweilige Verfügungen des Weltgerichtshofs, ihr Wesen und ihre Grenzen, S.l1 f. (16); Pütz, aaO. S.10f. - vgl. Quaritsch, aaO. S.216. 1
2
3 Roruneyer
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I. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
gangenheit zu einstweiligen Maßnahmen befähigten und die ihm heute eine entsprechende Befugnis verleihen. Die ältesten Wurzeln hat die Sicherungs anordnung, die sich aus dem alten deutsch-rechtlichen Selbsthilferecht über den in Oberitalien entwickelten und in den deutschen gemeinen Prozeß übernommenen Arrestprozeß erst im 19. Jahrhundert zu einem eigenen prozessualen Institut entwickelt hat4 • Die Regelungsanordnung kommt demgegenüber aus dem kanonischen Rechtskreis, sie wurde im weltlichen italienischen Prozeß ausgeformt und so als possessorium summarissimum in den gemeinen deutschen Prozeß übernommen, wo sie durch reichsrechtliche und partikularrechtliche Normen der folgenden Jahrhunderte stets anerkannt wurde 5 ; der übergang zur Regelungskompetenz in allen Rechtsstreitigkeiten findet sich dann zunächst in der Literatur des beginnenden 19. Jahrhunderts und später in der Gesetzgebung der Mitte des 19. Jahrhunderts6 • Die vorläufig befriedigende Leistungsanordnung schließlich hat Vorläufer im gemeinrechtlichen Mandats- und Executivprozeß sowie in den Bayrischen Prozeßgesetzen von 1753 und 1869, die jedoch in Vergessenheit geraten sind. Als "einstweilige Verfügung" - eine Bezeichnung, die zuerst in der Hannoverschen Prozeßordnung von 1847 (§§ 204, 205) gebraucht wird und die auch die Bayrische Prozeßordnung von 1869 (Art. 620 ff.) für besonders dringliche Fälle kennt, - wird dann endlich dieses Institut nach Maßgabe der verschiedenen Entwürfe von Zivilprozeßordnungen für den Norddeutschen Bund und für das Deutsche Reich in die Zivilprozeßordnung von 1377 aufgenommen7 • Während dabei die Sicherungs anordnung in den heutigen § 935 ZPO und die Regelungsanordnung in den heutigen § 940 ZPO übernommen worden sind, hat die Leistungsanordnung vom Gesetz keine Anerkennung gefunden und ist erst von der Rechtsprechung gewohnheitsrechtlich neu entwickelt worden. Eine Sonderform von Interimsrnaßnahmen für eherechtliche Statusprozesse, die außer auf die bereits oben für das allgemeine Institut angeführten geschichtlichen Wurzeln auch auf Sonderbestimmungen des kanonischen Rechts und des evangelischen Kirchenrechts zurückzuführen ist8 , hat zusätzlich in den §§ 627 ff. ZPO als "einstweilige Anordnung" Eingang in die ZPO gefunden9 • Darüber hinaus hat der Gesetz4
6 6 7
8 9
Vgl. oben I, 1, A. Oben I, 1, Anm.44, 46. Oben I, 1, Anm.49. Oben I, 1, Anm. 11, 12, 52. Heinrich Rohmeyer, Die einstweilige Verfügung in Ehesachen, S. 13 f. Dazu eingehend m. Nachw.: Rosenberg, aaO. S. 813 ff.; Rohmeyer, aaO.
S. 9 ff.
A. Zivilprozeß -
I. Inland
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geber eine Reihe verfahrens rechtlicher Interimsmaßnahmen in die ZPO eingefügt, so insbesondere die einstweilige Anordnung im Beschwerdeverfahren (§§ 572 Abs. III) und die einstweiligen Anordnungen und Einstellungen in der Zwangsvollstreckung (§§ 707, 719, 732 Abs. II, 766 Abs. I S. 2, 769, 771 Abs. III und 805 Abs. IV S. 2); ob der herrschenden Lehre zu folgen ist, die diese Maßnahmen nicht als echte einstweilige Verfügungen anerkennt10 , soll an dieser Stelle nicht untersucht werden. Wie im allgemeinen Zivilprozeß besteht auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren hach § 62 ArbGGll die Möglichkeit, einstweilige Verfügungen gemäß den §§ 935, 940 ZPO wie auch in Form der Leistungsanordnungi! zu erlassenl3 • In zivilprozessualen Nebengebieten erscheint die einstweilige Verfügung einerseits in zivilrechtlichen Normen l4 ; dort werden aber in der Regel nicht eigene Arten der Interimsentscheidung entwickelt, sondern nur besondere, zumeist geringere Voraussetzungen der normalen einstweiligen Verfügung erfordert l5 • Darüber hinaus begegnet das Institut der einstweiligen Anordnung in § 106 Abs. I S. 2 KOI6, wo sie hinsichtlich der Gesamtverwertung der Masse eine ähnliche Stellung einnimmt wie die sichernde einstweilige Verfügung des § 935 ZPO hinsichtlich der Einzelverwertung des Schuldnervermögens l7 • Schließlich ist auch dem Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 24 Abs. III FGG18 eine Interimskompetenz ein10 Rosenberg, aaO. S. 893 f.; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 572 Anm.2; Grdz. v. § 704 Anm. 6 E; § 732 Anm. 3; Stein-Jonas-Schänke, aaO. Vorb. VI 5 vor § 704; Stein, Grundriß aaO. S.402. 11 Arbeitsgerichtsgesetz v. 3.9.1953 (BGBl. I S.1267) i. d. F. v. 2.12.1955 (BGBl. I S. 743). 12 Vgl. z. B.: LAG Kiel und LAG Tübingen, oben I, 1 Anm.78. 13 Dietz-Nikisch, Arbeitsgerichtsgesetz, § 62 Rdn. 37 ff.; Dersch-Volkmar, Arbeitsgerichtsgesetz (6. Aufl.), § 62 Anm. 94 f.; Stein-Jonas-Schänke, aaO. Vorb. VII 1 vor § 916. 14 z. B.: §§ 489, 885, 899, 1179, 1263, 1716 BGB; § 25 G. gegen unlauteren Wettbewerb v. 7. 6.1909 (RGBl. 499); § 22c LiteratururheberrechtsG. v. 19. 6. 1901 (RGBl. 227) i. d. F. v. 22.5.1910 (RGBl. 793); § 45 KunsturheberrechtsG v. 9.1. 1907 (RGBl. 7); §§ 4 Abs. VI, 18 MieterschutzG. v. 1. 6. 1923 (RGBl. I 353) i. d. F. v. 15.12.1942 (RGBl. I 712); §§ 11,21 Abs. II SchiffsrechteG. v. 15.11.1940 (RGBl. 11499); vgl. auch: Art. 16 Ziff. 3 EGZPO. 15 Stein-Jonas-Schänke, aaO. Vorb. v. § 916 Anm. IV; Rosenberg, aaO. S. 1107. 16 Vgl. oben I, 1 Anm.2. 17 Quaritsch, aaO. S. 212 Anm. 13. 18 Ob das Rechtsbeschwerdegericht nach § 29 Abs. IV FGG von der Kompetenz des § 24 Abs. III FGG Gebrauch machen darf, ist allerdings streitig. Bejahend z. B.: Jansen, Freiwillige Gerichtsbarkeit, § 24 Anm.5; RG 170, 83 (91 f.); - verneinend: Schlegelberger, Freiwillige Gerichtsbarkeit, § 23 Rdn. 7, § 29 Anm. 10; für Landwirtschaftssachen: BGHZ 13, 218 m. Nachw.
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I. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
geräumt, soweit er in der Beschwerdeinstanz tätig wird l9 ; auch in Nebengebieten der freiwilligen Gerichtsbarkeit finden sich entsprechende Bestimmungen2o • Alle diese einstweiligen Maßnahmen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit haben hauptsächlich für die Regelung eines vorübergehenden Zustandes Bedeutung, sind mithin als Regelungsanordnung anzusprechen21 • 11. Die einstweilig,e Anordnung im ausländischen Zivilprozeß
InterimisUsche Befugnisse des Zivilrichters sind auch den Rechtsordnungen anderer Länder bekannt. Auf die Verfahrensgesetze Österreichs, der Schweiz, Griechenlands und Japans sei hier als Beispiel für die Regelungen hingewiesen, die unter dem Einfluß der Deutschen Zivilprozeßordnung stehen: Die österreichische Executionsordnung22 kennt in den §§ 378 H. ebenfalls das Institut der "einstweiligen Verfügung" und hebt damit die Gleichartigkeit der Institute schon durch ihre gleichlautende Benennung hervor23 • In der Schweiz gibt es zwar keine einheitliche Zivilprozeßordnung für die ganze Eidgenossenschaft, weil hier die Gesetzgebungskompetenz den einzelnen Kantonen zusteht24 ; diese kantonalen Zivilprozeßordnungen kennen aber ebenfalls Interimsbefugnisse des Gerichts, die in ihrer Funktion der deutschen und österreichischen einstweiligen Verfügung entsprechen und als "vorsorgliche Maßnahmen" oder gar ebenfalls "einstweilige Verfügungen" bezeichnet werden25 • Auch die aus dem deutschen Recht bekannte Unterteilung in 19 Für eine gesetzliche Einführung einer allgemeinen Interimskompetenz in der Freiwilligen Gerichtsbarkeit: Bericht der ZPO-Kommission (Bonn 1961), S. 383 f.; Lts. 116 S.524. 20 § 76 Abs. I GrundbuchO. v. 24.3. 1897 (RGBI. 139), § 81 SchiffsRegisterO. v. 19. 12. 40 (RGBl. I 1591) i. d. F. v. 26. 5. 51 (BGBl. I 359); § 35 Abs. III VerschollenheitsG. v. 4.7.1939 (RGBl. I 1186); § 13 Abs. IV HausratsVO v. 21. 10. 1944 (RGBl. I 256); § 19 LandwirtschaftsverfahrensG. v. 21. 7.1953 (BGBl. I 667); § 8 S.2 FreiheitsentziehungsG. v. 29.6.1956 (BGBl. 1599). 21 Keidel, Freiwillige Gerichtsbarkeit (8. Aufl.) § 24 Anm. 4. 22 v. 27. 5. 1896 (RGBI Nr. 79) i. d.F. v. 3. 10. 1945 (StGBl Nr. 188); ebenso schon: §§ 9, 10 d. Kaiser!. VO v. 27. 10. 1849 (RGBl Nr. 12) und § 14 d. Kaiserl. VO v. 16. 10. 1858 (RGBI Nr. 213). 23 Eingehend dazu: Rintelen, Die einstweilige Verfügung, eine Untersuchung nach dem österreichischen Recht. 24 So für den Regelfall; für bestimmte zivilrechtliche Streitigkeiten, insbesondere für die zwischen Bund und Kantonen u. ä., und das Rechtsmittelverfahren am Bundesgericht gilt das Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege v. 22.3. 1893 (AS n. F. 13, 455) i. d. F. v. 16. 12. 43 (BerSlg 3, 531), wonach gemäß Art. 58 (früher Art. 78) auch für Interimsregelungen in diesen Verfahren die Kantonalgerichte zuständig sind. 25 z. B.: § 131 (Zürcherische) ZPO v. 13.4.1913 (OS. d. Eidg. Standes Zürich Bd. XXIX, S.522); - vgl. eingehend m. Nachw.: Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht (2. Aufl.) S. 381 fi. (385/386), 479.
A. Zivilprozeß -
H. Ausland
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Sicherungs-, Regelungs- und Leistungsanordnung ist hier im Prinzip wiederzuerkennen28 • Von besonderem Interesse gerade für den deutschen Juristen ist ferner die Regelung in Griechenland, wo der bayrische Professor von Maurer im Jahre 1834 nach dem Vorbild des gemeinen Prozesses eine heute noch gültige Zivilprozeßordnung geschaffen hat, die in ihrem Art. 618 ff. ein ,Summarisches Verfahren' mit ,Vorsichtsmaßregeln zur Abwendung bevorstehender Gefahr' (Art. 618 Nr. 1) enthält27 • Selbst in Japan hat die frühere Zivilprozeßordnung von 1890 in den §§ 755 und 760 fast wörtlich die in den §§ 935 und 940 der deutschen ZPO geregelten Institute der Sicherungs- und Regelungsanordnung übernommen28 • Im romanischen Rechtskreis ist als maßgebender Beleg für die Anerkennung provisorischer Befugnisse .des Richters das französische Refere-Verfahren anzuführen, das nach den Art. 557 ff. und 806 ff. des Code de procedure civile29 dem im summarischen Verfahren zu gewährenden Schutz vor einer Vereitelung der späteren Zwangsvollstreckung dient. Dazu tritt noch eine unserem Arrest ähnliche Sicherung der künftigen Zwangsvollstreckung nach Maßgabe der Vorschriften der Art. 134 ff. des Code de procedure civile. Neben Holland, das das französische Refere-Verfahren im wesentlichen übernommen hat30 , ist in diesem Zusammenhang endlich die Interimsmacht des italienischen Zivilrichters. anzuführen, die in Art. 275, 389, 572, 802, 839, 921 ff. 938 ff. und 2085 des Codice di Procedura Civile ihren Ausdruck gefunden hatS1 • Im angelsächsischen Rechtskreis schließlich hat England seinen Gerichten, und zwar sowohl dem High Court wie auch den Courts of Common Law, die Befugnis eingeräumt, auf Antrag "interlocutary relief", vorläufigen Rechtsschutz, zu gewähren32 • Hierbei sind zwei Guldener, aaO. S. 382, '385 f. mit weiteren Unterteilungen. Griechisches Gesetzbuch über das Civilverfahren vom 2./14. 4. 1834 (amt!, Ausgabe deutsch-griechisch Nauplion 1834). v. Maurer war mit dem Wittelsbacher Otto 1. nach Griechenland gekommen und schuf in wenigen Jahren die grundlegende Gesetzgebung Griechenlands (z. B.: GVG, ZPO, StGB, StPO), die den großen Einfluß des deutschen Rechts in Griechenland begründete und überwie.!!:end bis in die Gegenwart gilt. 28 Japanische CivilproceßO und GVG v. 21. 4. 1890, übersetzt und herausgegeben von Vogt (Yokohama 1920). 29 Vgl. oben I, 1 Anm.30. 30 Dazu: Niemeyer, aaO, S.22. 31 Dazu: Niemeyer, aaO. S.22. 32 Vgl.: Supreme Court of Judicature (Consolidation) Act (1925), sect. 45; früher: Supreme Court of Judicatur Act (1873), sect. 25/8; - entspr. ferner für die Courts of Common Law: Common Law Procedure Act (1854). Zu allem: de Smith, Judicial Review of Administrative Action, S. 330; Curti, Englands Zivilprozeß S. 20. 125 f" der allerdings diese Interimskompetenz nur für das Verfahren vor der Chancery Division, einer Art freiwilliger Gerichtsbarkeit, anerkennt. 28
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1. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
Arten zu unterscheiden: als "interim order" ergeht eine solche gerichtliche Verfügung nur in dringendster Gefahr und ohne Anhörung des Gegners, sie tritt alsbald wieder außer Kraft; in allen anderen Fällen gibt es dagegen die normale "interlocutary injunction", wenn beide Parteien angehört worden sind. In den Vereinigten Staaten haben schließlich die Gerichte in ständiger Rechtsprechung für sich in Anspruch genommen, durch "injunction" vorläufig regelnd in die Parteibeziehungen einzugreifen33 . Abschließend sei darauf hingewiesen, daß auch das dänische Rechtspflegegesetz von 1916 in Kap. 56, §§ 646 ff. richterliche Verbote ermöglicht, die Ähnlichkeit mit den deutschen einstweiligen Verfügungen haben34, und daß endlich auch Schweden in seinem Prozeßgesetz von 1942 in Kap. 15, § 3 Verbote, Sequestrationen und sonstige Anordnungen des Richters kennt35 .
B. Interimsmaßnahmen im Strafprozeß Der Strafprozeß bildet nach deutschem Recht einen besonderen Zweig der ordentlichen Gerichtsbarkeit neben dem oben behandelten Zivilprozeß38. Im Gegensatz zur Zivilgerichtsbarkeit fehlt es dieser Verfahrensart an einem der einstweiligen Anordnung unmittelbar entsprechenden Institut. Das Strafprozeßrecht hat vielmehr eigene, in Inhalt und Form besonders ausgeprägte Interimistika ausgebildet, die allenfalls in ihrer Funktion an die einstweilige Anordnung erinnern. Vor allem ist dabei an die Maßnahmen zur Sicherung der Durchführung des Strafverfahrens zu denken, die in den §§ 112 ff. StPO geregelt sind37 . Die hier ausgestalteten Rechtsinstitute der Untersuchungshaft (§ 112), der einstweiligen Unterbringung (§ 126 a), der vorläufigen Festnahme (§§ 127-129) und der Fahndung (§ 131) lassen sich auch unter dem Gesichtspunkt einer den Status quo schützenden Maßnahme betrachten, wie er oben38 als charakteristisch für die Sicherungs anordnung bezeichnet worden ist39 . Ein Hauptakzent dieser richterlichen Anordnungen 33 V~l. die Hinweise bei Forkosch, A Treatise on Administrative Law, S. 650 ff. 34 Dazu: Munch-Petersen, Der Zivilprozeß Dänemarks, S. 215 ff. 35 Sims on, Das Zivil- und Strafprozeßgesetz Schwedens, S.64. 38 §§ 12, 13 GVG v. 27. 1. 1877 (RGB!.41) i. d. F. v. 12.9.1950 (BGB!.513); § 2 EG. GVG v. 27. 1. 1877 (RGBl.77) 1. d. F. v. 12.9. 1950 (BGB!.455); dazu: Baumbach-Lauterbach, aaO. § 13 GVG Anm. 2 A, § 2 EG. GVG Anm. 1. 37 Vgl. Kleinknecht-Müller-Reitberger, StPO (4. Auft.) Vorb. v. § 112 Anm. 1; § 111 a Anm. 1. 88 Oben zu I, 1, Anm. 3. 39 BVerfG, B. v. 8.1. 1959, BVerfG 9, 89 (96 f.) = NJW 59, 427 (428), auch für Beschlagnahme und Durchsuchung; E. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO,
B. Strafprozeß
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liegt aber auf der Frage der Beweissicherung und der Unterbindung einer Beweisvereitelung40 und damit auf einem Gebiet, das - wie später darzustellen sein wird41 - grundsätzlich nicht zum Aufgabenbereich der echten einstweiligen Anordnung gehört. Der Charakter dieser Institute ist daher von dem der einstweiligen Anordnung so deutlich zu unterscheiden, daß bei ihnen nur von Interimsbefugnissen eigener Art zu sprechen ist, welche keine Gleichsetzung mit der Ermächtigung zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung erlauben. Immerhin sind aber auch diese vorläufigen Entscheidungen geeignet, abgrenzende Vergleiche zu den Interimsrnaßnahmen anderer Verfahrensordnungen anzustellen'! 43. Eine einstweilige Maßnahme zur Sicherung der Vollstreckung kennt der Strafprozeß allerdings in § 283 StPO, der in bestimmten Fällen die Beschlagnahme von Vermögens gegenständen eines Angeschuldigten zur Deckung der ihn möglicherweise treffenden Geldstrafe und Verfahrenskosten ermöglicht. In dieser Sonderbestimmung handelt es sich aber um ein dem Zivilprozeß nachgebildetes Institut, was schon daraus folgt, daß hier ausdrücklich auf die Vorschriften über den dinglichen Arrest der ZPO verwiesen wird. Für die Problematik interimistischer Entscheidungen ergibt diese Norm daher keine Sonderheit. Eine "einstweilige Anordnung" des Vollstreckungsgerichts im Bereich der Vollstreckung von Maßnahmen der Sicherung und Besserung kennt schließlich § 458 Abs. Irr S. 2 StPO für die Fälle der Untersagung der Berufsausübung. Diese Maßnahme ist aber mit einem Hinweis auf die "Zweispurigkeit des Strafrechts"44 unschwer materiell als eine gerichtliche Interimsanordnung auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts zu kennzeichnen, - eine unter diesem Aspekt für das Reichsrecht bemerkenswerte frühe Anerkennung des gerichtlichen Interimsschutzes auf dem Gebiet des materiellen Verwaltungsrechtes45 • Bd. TI 9. Abschnitt, Vorb. I 1; Löwe-Rosenberg, StPO und GVG (21. A), Vorb. 7 vor §§ 112 ff.: "prozeßsichernde Maßnahme". 40 v. Hippel, Strafprozeßrecht, S.440. 41 Unten Ir, 1, Anm. 19, 20. 42 Zur Gestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes durch Gewährun~ des Suspensiv effektes in der StPO im Vergleich zum öffentlichen Recht: Sieqmund-Schultze, Die vorläufige Vollziehung angefochtener Verwaltungsakte und Art. 19 Abs. IV Grundgesetz, S. 121, 123. 43 Vgl. als Beispiel einerseits für zulässige Parallelen: BVerfG 9, 89 (96 f.), andererseits für die Grenzen der Vergleichbarkeit: BGH, U. v. 14.6.62, VersR 62,955. 44 Dazu: Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch (9. Aufi.) Vorb. v. § 13 Anm. I, Vorb. v. § 42 a Anm. I; Schwarz, Strafgesetzbuch (25. Aufi.) Vorb. v. § 42 a Anm.1. 45 Die Bestimmung wurde durch Art. 2 Nr. 40 d. G. v. 24. 11. 1933 (RGBl. I 1000) eingeführt ("Gewohnheitsverbrechergesetz").
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c.
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
Interimsmaßnahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit
I. Die einstweilige Anordnung im deutschen Verfassungsprozeß
Unter allen Verfahrens arten, die nicht zur ordentlichen Gerichtsbarkeit im heutigen Sinne zählen, hat der Verfassungsprozeß als erster eine Interimskompetenz seiner Richter anerkannt. Bei einer nicht förmelnden Betrachtungsweise kann man schon in den Bestimmungen der Kammergerichtsordnung von 1555 über das possessorium summarissimum46 ein verfassungs rechtliches Moment finden. Denn die restriktive Handhabung dieses Institutes durch das Reichskammergericht ging auf verfassungsrechtliche Bedenken an einer allzu scharfen Rechtsprechung gegenüber den reichsunmittelbaren Fürsten - die allein der Jurisdiction des Kammergerichts unmittelbar unterlagen - zurück und führte schließlich zu einer Gesetzesänderung 47 • Die erste ausdrückliche Normierung einer verfassungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung findet sich dann in einer Mecklenburgischen Verordnung über Verfassungsstreitverfahren vom Jahre 181748 ,die - wiederum völlig dem possessorium summarissimum entsprechend - in Art. X den Richter bei Besitzstreitigkeiten im Verfassungsrecht ermächtigte, " ... ein Inhibitorium zur Erhaltung des vorigen status quo oder ein angemessenes Interimisticum ... " zu erlassen. Etwa zur gleichen Zeit gab der Deutsche Bund in der Wiener Schlußakte von 1820 seiner Bundesversammlung das Recht, bei drohenden Tätlichkeiten unter seinen Mitgliedern vorläufige Maßnahmen zu ergreifen (Art. XVIII der Wiener Schlußakte in Verbindung mit Art. XI der Deutschen Bundesakte 49 ), und eine Parallele dazu findet sich in Art. 76 Abs. I der Reichsverfassung von 1871 5 °, der den Bundesrat allgemein zur EntOben I, 1, Anm. 44. Oben I, 1 zu Anm.44, 45; Bruns, aaO. S. 375 m. Nachw., :382. - Zu vorbehaltlos sieht aber Heinsheimer diese Institute der Kammergerichtsordnungen als verfassungsprozessuale Interimistica an (Heinsheimer, Anm. zum Urteil des RStGH v. 10. 10. 1925 i. S. Lübeck gegen Mecklenburg-Schwerin, L-S. I, 212 (= JW 26, 378), in JW 26, 378), denn wenn sie auch gerade bei "Empörung, Weiterung und Aufruhr zwischen Reichsunmittelbaren" (Bruns, aaO. S. 378) und bei "widerrechtlichen Administrativhandlungen der Behörden und Fürsten" (Bruns, aaO. S.375) Abhilfe schaffen sollten, mithin öffentlichrechtlichen und auch verfassungsrechtlichen Inhalt i. S. der heutigen Begriffsbildung haben konnten, so handelte es sich doch vorwiegend noch um zivilrechtliche Streitigkeiten, in denen sie zur Anwendung kamen. 48 Mecklbg. VO. "über die Mittel und Wege, um bei streitigen Fällen in Angelegenheiten, welche die Landesverfassung betreffen, zur rechtlichen Entscheidung zu gelangen", v. 28.11.1817, Art. X (zit. nach Friesenhahn, Staatsgerichtshof und einstweilige Verfügung, RuPrVBI. 32, 761 (766)). 49 Es handelt sich um das sog. Austrägalverfahren; dazu: Niemeyer, aaO. S. 24; Pütz, aaO. S. 16; Heinsheimer, aaO. S. 378. 50 V. 16. 4. 1871 (BGBl. 63). 68 47
C. Verfassungsprozeß - I. Inland
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scheidung von Verfassungsstreitigkeiten berief51 , ohne daß damit aber in diesen Fällen der Rahmen eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens gegeben war. In der Zeit der Weimarer Republik war es außerordentlich umstritten, ob der für Verfassungsstreitverfahren zuständige Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich Interimsentscheidungen erlassen dürfe oder nicht52 • Der Staatsgerichtshof hat diese Kompetenz in ständiger Rechtsprechung für sich in Anspruch genommen53 • Bezeichnend ist dabei wiederum, daß die erste, grundsätzliche Entscheidung des Staatsgerichtshofs 54 in einer verfassungsrechtlichen Besitzstreitigkeit um die Ausübung der Fischereirechte in der Lübecker Bucht zwischen den Staaten Lübeck und Mecklenburg-Schwerin erging, als beide Seiten sich anschickten, ihre vermeintlichen Rechte mit Hilfe von bewaffneten Polizeibooten durchzusetzen und so einer Entscheidung des Staatsgerichtshofs zuvorzukommen; selbst im 20. Jahrhundert findet man hier mithin gerade wieder den Konfliktsfall, der im 13. Jahrhundert den Anlaß gegeben hat, erste Vorläufer der heutigen Regelungsanordnung herauszubilden55 • Diese Rechtsprechung des Reichsstaatsgerichtshofs führte im übrigen auch zu einer schweren Krise zwischen obersten Reichsorganen58 , als die Reichsregierung die Durchführung einer einstweiligen Anordnung des Staatsgerichtshofs vereitelte, weil sie den Standpunkt vertrat, eine solche Interimskompetenz stehe dem Staatsgerichtshof nicht ZU 57 . Der Versuch der Reichsregierung, dem Staatsgerichtshof diese von ihm für sich selbst in Anspruch genommene Interimsbefugnis durch gesetzliche Vorschrift zu nehmen58 , schlug allerdings fehl, weil Vgl. HeinsheimeT, aaO. S. 378. Grundsätzlich zum Gesamtkomplex: Schüle, Das Problem der einstweiligen Verfügung in der deutschen Reichsstaatsgerichtsbarkeit (1932); FTiesenhahn, Die Staatsgerichtsbarkeit, Hdb. d. Dt. StR Bd. II, S. 523 (544 f.); ders., StGH und einstweilige VerfügunJ~, aaO.; Häntzschel, Der Konflikt Reich Thüringen in der Frage der Polizeikostenzuschüsse, AöR 59,384 (389 ff.); VerfGH RhPf., E. v. 10. 4. 53, AS. OVG. RhPf. 2, 271 (273 ff.); inzwischen auch: Maunz-Sigloch-Schmidt-BleibtTeu-Klein, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 32 Rdn. 1; - jeweils m. w. Nachw. 53 RStGH E. v. 10. 10. 25, L-S I, 212; v. 12. 5. 28, L-S I, 411; v. 17. 11.28, L-S I, 156; v. 13.7.29. L-S II, 98; v. 23.10.29, L-S H. 72 (= RG 126 Anh. S. 1); v. 17./18.7.30, L-S IV, 95; v. 25.7.;32, RuPrVBl. 32,772. 54 RStGH E. v. 10. 10. 25, aaO. 55 Vgl. oben I, 1 Anm. 34. 58 Der Präsident des staatsgerichtshofs und Reichsgerichts. Simons, trat aus Protest gegen das Vorgehen der Reichsregierung zurück. Vgl. auch: ZaöRuVR Bd. I, T. 2, S. 771; Schüle, aaO. S. 48 Anm.3. 57 Vgl. die Erklärung der Reichsregierung in diesem Verfahren (abgedr. in ZaöRuVR I, T.2, S.715); dazu: Schüle, aaO. S.49 Anm.6. 58 Entw. eines EG. zum G. über das Reichsverwaltungsgericht (ReichsratDrucks. Nr.155, Tagung 1930), § 1 Abs. III, wonach an !\ 22 des StGH-Ges. v. 9.7.1921 (RGBl. S. 905) angefügt werden sollte: "Abs.III: Einstweilige Verfügungen dürfen nicht erlassen werden." 51
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1. Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
die entsprechende Gesetzesvorlage nie durchgesetzt wurde. Immerhin wurde aber auch innerhalb der Staatsgerichtsbarkeit der deutschen Staaten der Weimarer Zeit die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen durch die Staatsgerichtshöfe selbst verneint 59 • Die Auffassung des Reichsstaatsgerichtshofs hat eine späte Bestätigung in der Bestimmung des § 32 BVerfGG von 195260 gefunden, die als echte Regelungsanordnung im wesentlichen dem § 940 ZPO nachgebildet worden ist61 • Diese Regelungsanordnung hat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine solche Bedeutung erlangt, daß Quaritsch schon 1959 nicht zu Unrecht "die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik vom Kampf um den Süd-West-Staat bis zur Volksbefragung" (- um die Atombewaffnung der Bundeswehr -) "als die Geschichte dieser Verfahrenseinrichtung" bezeichnen konnte62 ; auch die weitere Entwicklung seither, man denke an den Fernsehstreit63 , hat diese These nur bestätigt. Einen Sonderfall dieser verfassungs gerichtlichen einstweiligen Anordnung behandelt endlich auch, abgesehen von den Bestimmungen der §§ 53, 58 Abs. I, 105 Abs. V BVerfGG, das Wahlprüfungsgesetz von 1951 in § 16 Abs. 11164 • Endlich können heute wie das Bundesverfassungsgericht auch fast alle Verfassungsgerichte der Länder in der Bundesrepublik Interimsentscheidungen erlassen65 • Lediglich der Verfassungsgerichtshof für Rheinland-Pfalz, dem eine 59 Bayr. StGH, E. v .13.7.27, zit. bei Häntzschel, aaO. S. 395 Anm. 16; StGH Thüringen, E. v. 8. 7. 29, L-S lII, 331 (= JW 31, 761 m. krit. Anm. Emig). 60 Eingehend dazu: Fuß, aaO.; Geiger, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, Anm. zu § 32; Maunz-Sigloch-Schmidt-Bleibtreu-Klein, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Anm. zu § 32. 61 Einen Suspensiveffekt kennt das gerichtliche Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hingegen nicht. In Fällen der Verfassungsbeschwerde beschränken sich die Anträge und einstweiligen Anordnungen daher vielfach auf eine Aussetzung der Vollziehung. Vgl. z. B.: BVerfG 12, 276 (279); 14, 11; 14,153; 14, 192; 15, 223; 16, 220; 16, 236; ferner Fuß, aaO. S. 209; Maunz-Klein, aaO. § 32 Rdn. 28 Fußn. 4. 6! Quaritsch, aaO. S. 213; Einen überblick über die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 BVerfGG bis zum Jahre 1958 gibt Fuß, aaO. S.201 Anm. 1; für die spätere Zeit vgl. noch: BVerfG 9, 89 (96 f.); 9, 160 (162); 9, 162 (166); 11, 306; 12, 36; 12,276; 13, 127; 14, 11; 14, 153: 14, 192; 15, 77; 15, 223; 16,220 (226); 16,236; 17, 120; 17, 145; B. v. 27.7.64, DÖV 65, 166. 63 BVerfG, B. v. 17. 12. 60, BVerfG 12, 36 (dazu: U. v. 28. 2. 61, BVerfG 12, 205); vgl. ferner: B. v. 15.3.61, BVerfG 12, 276 betr. Parteienfinanzierung. 64 Vom 12.3.1951 (BGBl. I, 166). 65 Hess. StGH: § 22 Abs. I G. v. 12. 12.47 (GVBI. 3, berichtigt 122); Bayr. VerfGH: § 26 GO. f. d. VerfGH v. 24.5.48 (GVBI. 121) i. Vbdg. m. § 51 Abs. Irr VGG v. 25. 9. 46 (GVBl. 281) u. §§ 935, 940 ZPO, - vgl. Bayr. VerfGH, E. v. 9.3.51, ES n. F. 4, T. lI, 21 (25); NRW-VerfGH: § 27 Abs. I G. v. 4.3.52 (GVBl.'35); Hbg. VerfGH: § 30 Abs. I G. v. 2.10.53 (GVOBl. 231); Ba-Wü. StGH: § 25 Abs. I G. v. 13. 12. 54 (GBI. 171) i. d. F. v. 28. 3. 55 (GBL 66); Nds. StGH: § 16 G. v. 4.4.55 (GVBI. 141) i. Vbdg. § 32 BVerfGG; Saarl. VerfGH: § 21 G. v. 17.7.58 (ABI. 735); - ohne Regelung z. B.: Bremen, vgl. StGH-G. v. 21. 6. 49, (GBl. S. 141), nebst VerfahrensO v. 17.3.56 (GBL S. 35).
C. Verfassungsprozeß -
H. Ausland
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derartige Ermächtigung fehlt, steht dem Erlaß von einstweiligen Anordnungen im verfassungsrechtlichen Verfahren ohne ausdrückliche Ermächtigungsnorm kritisch gegenüber, läßt die Frage aber im Ergebnis offen66 • 11. Interimsmaßnahmen im ausländischen Verfassungs-Prozeß
Wie in der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit gibt es auch in ausländischen Rechtsordnungen die Möglichkeit zu Interimsentscheidungen in Verfassungsstreitsachen, soweit man überhaupt von besonderen Verfassungsstreitverfahren sprechen kann. Nur beispielhaft sei hier auf folgende Regelungen hingewiesen: Im österreichischen Verfassungsprozeß gibt es nur die nach § 86 Verfassungsgerichtshof-Gesetz 67 typisierte Interimsmacht des Verfassungsgerichts, daß der dort vorgesehenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt werden kann68 • Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit, die nach Art. 113 der Bundesverfassung69 dem Bundesgericht obliegt, kennt nach der Rechtsprechung dieses Gerichts keinen Suspensiveffekt7°, vielmehr entscheidet seit dem Jahre 1874 auf Grund der insoweit inhaltlich stets unveränderten Bestimmungen der verschiedenen Organisationsgesetze71 der Präsident des Bundesgerichts durch "vorsorgliche Verfügung" nur darüber, ob der Suspensiveffekt im Einzelfall gewährt wird72 , während an sich der Wortlaut der verschiedenen Gesetzesstellen nicht zu einer solchen einengenden Interpretation Anlaß gibt. Aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis sei hier nur auf die amerikanische Regelung hingewiesen, die Verfassungsstreitigkeiten den Bundesgerichten zuweist7 3 • Auch im verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsbereich der Bundesgerichte sind einstweilige Verfügungen bekannt, und zwar auch ohne ausdrückliche Einräumung der Befugnis zu ihrem Erlaß durch Gesetze des Kongresses7 «. Unter ihnen haben die Vgl. oben Anm. 1. V. 18. 12. 25 (BGBl. Nr. 454) i. d. F. v. 24. 4. 30 (BGBl. Nr. 127) i. d. F. d. Kdmaehg. v. 12. 5. 53 (BGBl. Nr. 85). 88 Ermacora, Der Verfassungsgerichtshof, S. 348 f.; Ringhofer, Der Verwaltungsgerichtshof, S. 189 Anm. 4. 89 V. 29. 5. 1874, AS a. F. xr 474. 70 Nachweise bei: Giacometti, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweizerischen Bundesgerichts, S. 212 Anm. 39. 71 BundesG über die Organisation der Bundesrechtspflege v. 27. 6. 1874 (AS nF. 1, 136), Art. 63; dto. v. 22.3.1893 (oben S. 35 Anm.3), Art. 185; dto. v. 16.12. 43 (oben S. !35 Anm. 3), Art. 94. 72 Giaeometti, Verfassungs gerichtsbarkeit, aaO. S. 213 f. 73 Constitution of the United States of Ameriea (abgedr. b.: Loewenstein, Verfassungs recht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, S. 625 f.), Art. ur seet. Ir; - dazu: Loewenstein, aaO. S. 443 f. 74 Vgl. Loewenstein, aaO. S. 445, 466 m. Nachw. Ähnlich wie in Deutschland (vgl. oben Anm. 49, 50) wurden historisch die ersten verfassungsrechtlichen 88 87
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1. Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
Interimsrnaßnahmen in Normenkontrollangelegenheiten besondere Bedeutung erlangt. Seit dem Jahre 1937 kann der Richter hier mit seiner Anordnung die Anwendung einer als verfassungswidrig gescholtenen Norm vorläufig untersagen75 ; allerdings findet diese Befugnis ihre Grenze an der verfassungsrechtlich gewährleisteten Macht des Präsidenten, in die die richterliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen kann76 •
D. Einstweilige Anordnungen in internationalen Streitverfahren Eine echte internationale Gerichtsbarkeit hat sich erst allmählich herausgebildet, weil es einfach an einem Träger solcher Gerichtsbarkeit gefehlt hat. Entscheidungen internationaler Streitigkeiten erfolgten daher ursprünglich zumeist auf Grund von Schiedsgerichtsklauseln bilateraler oder multilateraler Verträge, und dementsprechend sind auch die ersten Wurzeln von Interimsregelungen in internationalen Streitigkeiten in Vereinbarungen der Streitpartner selbst zu suchen77 , ähnlich wie ursprünglich im römisch-rechtlichen Sequestrationsverfahren die Parteien selbst eine vorläufige Regelung durch privaten Vertrag herbeiführten78 • Diese Schiedsgerichtsklauseln werden auch heute noch häufig zwischenstaatlichen Verträgen eingefügt und enthalten dann zumeist eine Ermächtigung des Schiedsgerichts, Provisorien zu erlassen79 • Aber auch die ständigen internationalen Gerichtshöfe, die im 20. Jahrhundert geschaffen wurden80 , haben die Möglichkeit, mit interimistischen Entscheidungen vorläufig in die Beziehungen streitender Staaten regelnd einzugreifen. Schon der zentralamerikanische Gerichtshof, der 1907 von einigen mittelamerikanischen Staaten eingerichtet wurde, hat von seiner Befugnis, einstweilige Verfügungen zu erlassen, in drei Interimsanordnungen auch in den USA von dem legislativen Gremium, dem Kongreß, erlassen (Niemeyer, aaO. S. 26). 75 Loewenstein, aaO. S. 445. 7G Musterfall: Mississippi v. Johnson (4. Wall. 475,1867); dazu: Loewenstein, aaO. S. 298, 466. 77 Niemeyer, aaO. S. 24 ff. mit Beispielen; Pütz, aaO. S.8. 78 Vgl. oben I, 1 Anm. 5. 79 z. B.: Art. 4 des Vertrages zwischen Frankreich und den USA v. 15.9. 1914 (abgedr. bei Niemeyer, aaO. S.30 Anm.3); Art. 11 ff. (16) des DeutschPolnisch-Danziger Vertrages über den Korridorverkehr v. 21. 4. 1921 (RGBl. 1069); Art. 18 Abs. III des Deutsch-Schweizerischen Schieds- und Vergleichsvertrages v. 3.12.1921 (RGBl.1922 I 217); jeweils Art. 19 der Schiedsabkommen von Locarno v. 16. 10. 1925 (RGBI. II 975 ff. (987, 993, 999, 1007). Vgl.: Heinsheimer, aaO. S. 378; Qttaritsch, aaO. S. 213 f.; Dahm, Völkerrecht, Bd. II 1961, S. 527 (m. w. Nachw.). 80 Zur Wertung dieser Gerichte als "Verwaltungsgerichte" überstaatlicher und internationaler Organisationen vgl.: Bericht über Tagung des Internationalen Instituts für Verwaltungswissenschaften, DVBl. 52, 526; Ule, Verwaltungsgerichte überstaatlicher und internationaler Organisationen, DVBI. 52, 491.
D. Internationale Streitverfahren
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Fällen Gebrauch gemacht81 • So bestimmte das Statut des ständigen Internationalen Gerichtshofs in Den Haag in Art. 41: "La cour a le pouvoir d'indiquer . . . quelles mesures conservatoires du droit de chacun doivent etre prises ci titre provisoire"82. Entsprechend hat der International Court of Justice, der auf Grund der Art. 92 ff. der UNOCharta83 errichtet wurde, nach Art. 41 seines Status vom 26. 6. 1945 eine Interims-Spruchmacht, wobei die Norm wörtlich aus dem IGH-Statut übernommen worden ist; spezifische Bestimmungen dazu enthält dann Art. 61 Ziff. 1-8 der "Rules of Court" vom 6. Mai 194684 • Beide großen internationalen Gerichtshöfe haben zu diesen Bestimmungen eine umfangreiche Spruchpraxis entwickelt und eine reiche literarische Behandlung des Themas ausgelöst, auf die hier nur verwiesen werden kann8s • Endlich ist auch dem ständigen Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in Luxemburg das Institut der einstweiligen Anordnung bekannt: während sich die grundsätzliche Ermächtigung zum Erlaß von einstweiligen Anordnungen in den einzelnen Verträgen findet 80 , enthält die Verfahrensordnung des Gerichtshofes87 in den Art. 83 ff. eine relativ eingehende Behandlung der verfahrens rechtlichen Probleme der einstweiligen Anordnung. E. Interimsmaßnahmen im Velwaltungsprozeß I. Die Entwicklung der einstweiligen Anordnung im deutschen allgemeinen Verwaltungsprozeß
1. Die geschichtlichen Hemmnisse
Obwohl die einstweilige Anordnung nach den vorangegangenen Untersuchungen als ein Verfahrensinstrument anzusprechen ist, das in fast allen Prozeßarten des In- und Auslandes seit langem verwandt 81 Gemäß Art. 18 des Gerichtsstatuts. vgl.: Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. II, (1951), S. 644 Anm. 119. 82 Abgedruckt bei Pütz, aaO. S. 9 Anm. 4. Grundsätzlich dazu die schon wiederholt zitierten Arbeiten von Niemeyer und Pütz; ferner: Guggenheim, aaO. S. 644 f. 83 Abgedr. in: Les Jurisdictions International 1958 - (Paris 1959) S.
510 f. 84
Die Texte der Bestimmungen finden sich wie in der vorst. Anm., S. 512 f.
(518); 524 f. (538).
85 Zusammenstellung von Entscheidungen: Fontes Juris Gentium, Series A, Sect. I, Tom. V: "Handbuch der Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes" 1947-1958 (Berlin 1961), S. 504-512; - w€itere Nachweise bei Quaritsch, aaO. S. 213 Anm. 21; Guggenheim, aaO. S. 643 ff.; Dahm. aaO. S. 527 f. 86 Art. 39 Abs. III des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion; Schuman-Plan) v. 18.4. 1951 (BGBL 52 II 445); Art. 186 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25. 3. 1957 (BGBL II 766); Art. 158 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft - Euratom v. 25. 3. 57 (BGBL II 1014). 87 v. 3. 3. 1959 (AmtsBl. d. Europ. G€meinschaften 1959, S. 349 [Nr. 18]).
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I. Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
wird, hat sie sich doch im deutschen allgemeinen Verwaltungsprozeß erst in jüngster Zeit mehr und mehr durchsetzen und ihre endgültige Anerkennung erst mit der Verwaltungsgerichtsordnung vom Jahre 1960 finden können. Diese bemerkenswert langsame Entwicklung verwaltungsgerichtlicher Interimskompetenzen ist zunächst wesentlich darauf zurückzuführen, daß der Verwaltungsprozeß überhaupt die am jüngsten herausgebildete Disciplin unter den großen Verfahrensarten unseres heutigen Prozeßrechts darstellt. Gerade hier hat es am längsten gedauert, bis die Judicative sich von der Executive trennen und der (funktionelle) Gewaltenteilungsgedanke sich durchsetzen konnte, weil hier die zweite Gewalt beharrlich die überkommenen Positionen verwaltungsinterner Verwaltungskontrolle verteidigte. Zusätzlich zu diesem allgemeinen Retardierungsmoment in der Entwicklung verwaltungsprozessualer Institute standen aber zwei weitere Gründe gerade der Entstehung verwaltungsgerichtlichen Interimsschutzes besonders hemmend entgegen: Einmal das besondere Institut des automatisch wirkenden Suspensiveffektes und zum anderen die weitgehend anerkannte materiell-rechtliche Befugnis der Verwaltungsbehörden, quasi als Partei in eigener Sache vorläufige Regelungen zu treffen. a) Eingrifjsverwaltung mit Supensivefjekt als hinreichender Interimsregelung Die deutsche Wissenschaft und Praxis vom allgemeinen Verwaltungsrecht verlor nach einer Blütezeit der Verwaltungswissenschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts (Robert v. Mohl, Lorenz v. Stein) für lange Zeit den Blick für alle Seiten des Verwaltungsrechts, die nicht als hoheitliche Eingriffsverwaltung zu begreifen waren88 • Hand in Hand mit dieser faktischen Reduzierung des materiellen Verwaltungsrechts auf die Eingriffsverwaltung ging auf dem prozessualen Gebiet einher die Ausrichtung des Verwaltungsprozeßrechts an dEm Maßstäben dieser hoheitlichen Eingriffsverwaltung, eine Erscheinung, deren Relikte auch noch im heutigen Verwaltungsprozeßrecht anzutreffen sind89 • Im Rah88 Naumann, Die gesetzliche Abgrenzung der Kompetenz der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 22; Becker, Vorwort in "Gemeinschaftsaufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden", S. 5; Wolft, H. J., Verwaltungsrecht, Bd. I (4. Aufl.) S. 50; Scheuner, Diskussionsbeitrag, VVdStRL 14 (1956), S. 181 (182). 89 Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch. 51 (1960), 149 (162); Krüger, Herbert, Die Auflage als Instrument der Wirtschaftsverwaltung, DVBL. 55, 380 (381); Bachof, Diskussionsbeitrag, VVdStRL 14 (1956), 173 (176); Baring, Urteilsanmerkung, ZBR 55; 124 (126); OVG Münster, U. v. 22.4.55, DVBl. 56, 53; Ba.-Wü. VGH, B. v. 29. 8. 58, ESVGH8,14.
E. Verwaltungsprozeß - 1. Allgemeiner Verwaltungsprozeß
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men der Kontrolle dieser hoheitlichen Eingrüfsverwaltung galt und gilt noch heute aber in weitem Maße mit dem Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegenüber Verwaltungs akten eine Sonderregelung 90 , die weitgehend alle Rechtsschutzprobleme löst, welche im Schwebezustand der Prozeßdauer entstehen. Ein angefochtener Hoheitsakt darf nach diesem Grundsatz regelmäßig nicht vollzogen werden, bis über seinen Bestand abschließend erkannt ist91 • In dem Bereich hoheitlicher Eingriffsverwaltung, die mit Geboten und Verboten den Bürger belastet, war mit diesem Vollziehungsverbot ein ausreichender vorläufiger Rechtsschutz gewährt; schon das Bedürfnis für weitere Interimsregelungen fehlte, solange man in dem Verwaltungsprozeß nur die Kontrolle hoheitlicher Eingriffsverwaltung sah929s • Die Frage der Anwendbarkeit einstweiliger Anordnungen brauchte in dem so verstandenen Verwaltungsprozeß gar nicht gestellt zu werden. Die Einführung dieses Instituts der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln, des "Suspensiv effektes", bedeutete für den Rechtsschutz in Verwaltungssachen schon einen erheblichen Fortschritt. In der Gerichtsbarkeit des Deutschen Reiches in Verwaltungsstreitigkeiten94 bis zum Jahre 1806 hatten nämlich Beschwerden in der Regel keinen Suspensiveffekt; das galt insbesondere in dem - damals sehr weiten 95 - Be90 Die Interimsgestaltung durch Suspensiveffekt enthält, wie schon § 123 Abs. V VwGO zeigt, eine Spezialregelung im Verhältnis zur allgemeinen vorläufigen Regelung durch einstweilige Anordnungen: UIe, VwGO, § 123 Anm. I; ders., Verfassungsrecht und Verwaltungsprozeß, DVBl. 59, 537 (538 f.); Eyermann-FröhIer, VwGO, § 123 Rdn. 2 ff.; Quaritsch, aaO., S. 219 ff. (221); Knoll, Einstweilige Anordnung, S. 98, 100; Ruckdäschel, aaO., S. 684. 91 Heute findet sich diese Regel in § 80 VwGO in der allgemeinsten Form. Für früher vgl. den folgenden Text. 92 So auch: Ba-Wü VGH, B. v. 31. 3. 49, NJW 49, 838; Knoll, aaO. S. 100; Baring, wie Anm. 89. 93 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß erst mit der Anreicherung hoheitlicher Eingriffsmöglichkeiten durch Maßnahmen der Leistungsverwaltung auch speziell im Bereich des Suspensiveffektes neue, bis dahin nicht erkannte Fragen auftraten: Jetzt wurde problematisch, ob die - bei der reinen Eingriffs~rwaltung entwickelten - Begriffe "Vollziehung" und "Aussetzung der Vollziehung" dieser Erweiterung des Anwendungsgebietes noch gerecht werden konnten, oder ob sie dem sehr viel weiteren der "Wirksamkeitshemmung" zu weichen hatten. Denn die reine vorläufige "Vollziehung" von Verwaltungsakten ist in erster Linie eine Erscheinung der hergebrachten Eingriffsverwaltung (Siegmund-Schultze, aaO. S. 4). Zu dem heute umstrittenen Fragenkomplex vgl. z. B. (jeweils m. w. Nachw.): Siegmund-Schultze, aaO. S. 64 ff.; Quaritsch, aaO. S. 223 Anm. 63, 64; Kayser, Aussetzung der Vollziehung von Verwaltungsakten, DÖV 54, 434 (436); Jung, Die Vollzugsfähigkeit behördlicher Erlaubnisse, NJW 61, 159 (160); Knoll, aaO. S. 100 ff.; Ruckdäschel, aaO. S. 684; E. Eichhorn, aaO. S. 65 f.; Fromm, Die einstweilige Erlaubnis im Personenbeförderungsverkehr, DVBl. 62, 801
(802 f.).
94 Dazu: Genzmer, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in HdbddtStR, Bd. II, S. 506 (507); Stein, Grenzen und Beziehungen zwischen Justiz und Verwaltung, S. 7; Arndt, Richter, Gericht und Rechtsweg, aaO. S. 196 f. 95 Woljf, Lehrb. S. 32, 33; Peters, Lehrbuch der Verwaltung, S. 18 Anm. 1.
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2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
reich der Polizeisachen und bei den Regal- und Steuersachen96 • Sie hob sich gleichzeitig auch bereits bemerkenswert von den damaligen Regelungen ausländischer Staaten, so etwa Österreichs, der Schweiz, Frankreichs und Englands, ab, denen ein Suspensiveffekt in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht bekannt war 97 • Von den deutschen Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten diesen Suspensiveffekt vor allem die beiden größten Staaten eingeführt, nämlich Pr eußen98 und Bayern99 , darüberhinaus galt er grundsätzlich in den Verwaltungsstreitverfahren der Länder Baden10o , Sachsenlot, Oldenburg 102 , dem alten Coburg-Gotha 1oa , dem nach 1918 gebildeten Thüringen104 , Hamburg105 und Bremen106 . Eine solche grundsätzliche und allgemeine 9B Gneist, Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland (2. Aufl.) , S. 71 ff. (84, 93); Siegmund-Schultze, aaO., S. 5, 6. 97 V gl. unten I, 2, III. 98 Preußen: Grundregel war § 53 d. G. über ·die allg. Landesverwaltung vom 30. VII. 1883 (GS. S. 165), nach dem Beschwerde und Klage aufschiebende Wirkung hatten, soweit sie nicht durch Sonderbestimmungen ausgeschlossen war. Dagegen konnte die Behörde nach ihrem Ermessen die Ausführung anordnen, um Nachteile für das Gemeinwesen abzuwenden, § 53 Z. 2 LVG. Vgl. dazu: v. Brauchitseh, Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. I (24. A) LVG § 53 Anm. 1, 2; Kunze, Das Verwaltungsstreitverfahren, S. 149; Friedrichs, Landesverwaltungsgesetz, § 53 Anm. 2-4; ders., Die Besonderheiten des preußischen Verwaltungsstreitverfahrens, VerwArch. Bd. 6 (1898) S. 358 (502) Anm. 17; Hling-Kautz, Hdb. für Verwaltung und Wirtschaft Bd. I (11. A) LVG § 53 Anm. 1; - ausführlich zur Geschichte: Siegmund-Schuttze, aaO. S.8-27. 99 Bayern: Art. 24 d. G. betr. die Errichtung eines VGH u. d. Verfahren in Verwaltungssachen (v. 8. 8. 1878, GVBl. 78, '369) gab den Suspensiveffekt bei Rechtsmitteln gegen Entscheidungen, die bereits im Verwaltungsrechtsweg angegriffen waren. Aus Art. 45 Abs. III wurde gefolgert, daß die Bestimmung allgemein sinngemäß angewandt werden konnte. Dazu: Dyro!!, Bayr.VGG Art. 45 Anm. 4 (S. 636); Bühter, die subjektiven öffentlichen Rechte (1914) S. 374; Siegmund-Schultze, aaO. S. 33 f. 100 Baden: § 80 d. Vollzugs-VO zum Ges. über die Organisation der inneren Verwaltung v. 12. 7. 1864 (GBL 64, S. 333), ferner für Sonderfälle §§ 75, 86 Vollzugs-VO. Dazu: Loening: Deutsches Verwaltungsrecht (1884) S. 795 Anm. 2; Siegmund-Schultze, aaO. S. 27-29. 101 KGR. Sachsen: § 84 d. G. über die Verwaltungsreclltspflege v. 19. 7. 1900 (GVBI. S. 486). Einzelheiten bei: Siegmund-Schultze, aaO. S. 36-38. 102 Oldenburg: § 59 d. G. betr. die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 9. 5. 1906 (GBI. Bd. 35 S. 693). Dazu: SeHmann, Entwicklung und Geschichte, S. 62. 103 Coburg-Gotha: § 9 d. G. z. Ausf. d. Staatsvertrages v. 15. 12. 1910/ 1. 4. 1912 Ü. d. Errichtung eines gemeinschaftlichen Obersten Verwaltungsgerichts, v. 18. 2. 1913 (gemeins. GS Nr. 841). Dazu Knauth, Gesetzgebung über die Verwaltungsrechtspflege in Thüringen (1914) S. 185. 104 Thüringen: §§ 117, 147, 186 der Landesverwaltungsordnung v. 10. 6. 26 . (GS 26, 177) i. d. F. v. 22. 7. 30 (GS 30,123). 105 Hamburg: § 45 d. G. über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 2. 11. 21 (GVBl. 21, 585). Dazu: Giesges, Verwaltungsgerichtsbarkeit in der brit. Zone, S.66. 106 Bremen: § 52 d. G. über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 6. 1. 24, (GBL 1924, S. 23). Dazu: Thiemann, Verwaltungsgerichtsbarkeit in Bremen, S.117.
E. Verwaltungsprozeß - I. Allgemeiner Verwaltungsprozeß
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Anerkennung des Suspensiveffektes fehlte dagegen in den Ländern Hessen, Württemberg, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen; in diesen Ländern wurde vielmehr der Suspensiveffekt entweder nur in gesetzlich vorgesehenen Einzelfällen gewährt (so: Hessen l07 ), oder er wurde durch besondere richterliche Anordnung eingeräumt (so: Württemberg lOB ) oder aber er wurde nach behördlichem Ermessen durch Verwaltungs akt zur Geltung gebracht (so: Sachsen-Altenburg109 , Schwarzburg-Rudolstadt llO und SchwarzburgSondershausenl11 ). Welche Bedeutung das Fehlen jener grundsätzlichen Interimsgestaltung durch den Suspensiveffekt in diesen letztgenannten Ländern für das Institut der einstweiligen Anordnung hat, wird unten ll2 noch zu erörtern sein. Für die übrigen Länder liegt jedenfalls hier ein wesentlicher Grund, der die Entstehung einer verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung verhinderte. b) Die behördlichen Interimskompetenzen
War somit schon für den Kernbereich des Verwaltungsprozesses früherer Auffassung in fast allen deutschen Ländern bereits ein bemerkenswerter Interimsrechtsschutz durch die Gewährung des Suspensiveffektes gegeben, so machte ein weiteres Institut des materiellen Verwaltungsrechts vollends die Frage nach der einstweiligen Anordnung der Verwaltungsgerichte praktisch bedeutungslos: Vor allem im süddeutschen Raum, aber auch in einer Reihe weiterer deutscher Einzelstaaten war nämlich - wohl in Anlehnung an die Rechtslage in Österreich113 und Frankreich114 - den Verwaltungsbehörden generell die Befugniseingeräumt, mit eigenen Interimsregelungen die Lage zwischen 107 Hessen: Art. 67 !II, 80 V d. G. betr. die innere Verwaltung, v. 12. 6. 1874 (RgBl. 1874 S. 251). Dazu: Siegmund-Schultze, aaO. S. 30. lOS Württemberg: Art. 63 d. G. über die Verwaltungsrechtspflege v. 16. 12. 1876 (RgBl. 1876, 485) für die Rechtsbeschwerde zum VGH, anders aber für die Berufung: Art. 47 aaO. Dazu: Amtl. Motive, abgedr. bei Hohl, Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (1877) S. 68. 109 Sachsen-Altenburg: § 6 AusführungsG. zum Staatsvertrag ü. d. Errichtung eines gemeinsamen oberst. Verwaltungsgerichts v. 8. 3. 1912 (GS 12, 46). Dazu: Knauth, Gesetzgebung, S. 167. 110 Schwarzburg-Rudolstadt: § 9 AusführungsG. zum Staatsvertrag ... v. 27. 9. 1912 (GS 12, 233). 111 Schwarzburg-Sondershausen: § 45 G. betr. d. Verfahren vor den Bezirksverwaltungsgerichten und dem Landesverwaltungsgericht v. 12. 10. 1912 (GS 12, 727). Dazu: Knauth, Gesetzgebung, S. 283. In allen Fällen hatte in diesen Ländern die Verwaltungs b e hör d e die Interimskompetenz. 112 Unten I, 2, E, I, 2. 113 Vgl. Hellbling, aaO. Bd. !I S. 512, 513; näheres unten zu Anm. 205-208. 114 Vgl. Drago, La procedure de reiere devant le Conseil d'Etat, RDP 53, 297 (304) m. Nachw.; Einzelheiten unten zu Anm. 221 f.
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2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
den Streitteilen einstweilen zu gestalten 115 • Daß sich diese interimistische Regelungsmacht der Exekutive dabei nicht nur auf partikularrechtliches Denken stützen konnte, sondern offensichtlich auch auf Reichsebene galt, ergibt sich sowohl aus den Materialien über die Ein115 Unzutreffend daher jedenfalls, soweit diese Befugnis für die Vergangenheit in Abrede gestellt wird -: Quaritsch, aaO. S. 218 Anm. 46. Vgl. dazu im einzelnen: a) Ba y ern: Grundsatz: Art. 13 II Z. 2, 24 d. G. betr. d. Errichtung eines VGH und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen v. 8. 8. 1878 (GVBl. S. 369), wo das Recht der Behörde zum Erlaß "vorsorglicher Maßregeln" bzw. "vorsorglicher Anordnungen" vorausgesetzt wird. Dazu: Kahr, Bayr. VGG (1879) Art. 13 Anm. 4a; Art. 24 Anm. 3, 4; DyroH, aaO. Art. 13 Anm. 5, 6 (S. 500), Vorb. zu Art. 24 (S. 636), Art. 24 Anm. 2, ferner S. 801 f. und ErgBd S . 239; Mang, Verwaltungsrecht in Bayern, Bd. I S. 116; Bayr. VGH, U. v. 30. 11. 1881, VGHE 3, 405 (415, 418 ff.); U. v. 6. 7. 26, BayVBl 27, 174. Ferner: Art. 20-22 BayrPolizeiStGB v. 26. 12. 1871, dazu: BVerwG, 8, 317 (318 f.); Kahr, aaO. Art. 24 Anm. 4; BayVGH U. v. 3. 4. 52, VGHE n F 5, 58 (60); - Art. 175 BayrWasserG v. 23. 3. 1907 (GVBI S. 157), dazu: BayVGH, aaO., Mang, aaO. S. 116; Art. 60 II BayrWasserbenutzungsG v. 28. 5. 1852, dazu: BayVGH U. v . 30. 11. 1881, VGHE 3, 406 (416); Art. 60 IV BayrGemeindeO v. 17. 10. 1927 (GVBl S. 293) und § 10 II BayrAngleichungsVO z. dt. GemeindeO v. 1. 4. 35 (GVBI S. 180), dazu: Kneuer, BayrGemeinderecht, S. 42, 96; Mang, aaO. S. 116; BayVGH n F 5, 58 (60). b) W ü r t t e m b erg: Art.5 RechtsmitteIG. v. 13.11.1855; Art. 10 Nr.20 (S. 2), Art. 47 (aE) VerwaltungsrechtspfiegeG (oben Anm. 108); jeweils sind die Verwaltungsbehörden ermächtigt, die "im öffentlichen Interesse gebotenen vorläufigen Verfügungen" bzw. "vorsorglichen Anordnungen" zu treffen; vgl. dazu : Amt!. Motive bei Hohl, aaO. S. 65; Goez, Verwaltungsrechtspfiege in Württemberg, S.93. - Vgl. auch den amtl. Entwurf eines "Verwaltungsverfahrensgesetzes für Württemberg", wo nach Art. 35 die VerwBehörde über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde endgültig entscheiden und nach Art. 73 im Fall der Klage "vorsorgliche Anordnungen" sollte treffen können. Diese Regelung wurde zwar nicht Gesetz, entsprach aber den damaligen rechtspolitischen Tendenzen; vgl. Siegmund-SchuUze, aaO. S. 47, 48. c) Pr e u s sen: Vgl. die grundsätzlichen Bemerkungen unten Anm. 122 ff.; ferner für "echte" vorläufige Anordnungen der Verw.Behörden: §§ 11 II, 24 III, IV JagdO v. 15. 7. 1907 (GS 207); §§ 10 S. 5, 29 S. 4 FischereiG v. 11. 5. 1916; § 27 G. v. 3. 6. 1919 (GS 101); § 25 UmlegungsO v. 21. 9. 1920 (GS 453). Zu allem: Friedrichs, Verwaltungsrechtspfiege, Bd. II S. 1077; KnoU, aaO. S. 98. d) T h ü r i n gen: 1. vor 1919: Sachsen-Altenburg: § 2 Z. 7 AusfG z. staatsvertrag ... v. 18. 3. 1912 (GS S. 46), dazu Knauth, Gesetzgebung, aaO. S. 166 f. (Anm. 7 zu § 2). - Schwarzburg-Sondershausen: § 14 c G. über die Zuständigkeit der Verwaltungs gerichte v. 3. 10. 1912 (GS S. 715), dazu: Knauth: Gesetzgebung S. 252 (Anm. 2 zu § 14); ferner § 86 III G. Ü. d. Schutz gegen fließende Gewässer ... v. 26. 1. 1858 (GS S. 7), dazu: ThüringOVG, U. v. 16. 5. 1923, OVGE 9, 114 (120 f.). - Schwarzburg-Rudolstadt: § 4 Z. 8 AusfG z. Staatsvertrag ... v. 27. 9. 1912 (GS S. 233), dazu: Knauth, Gesetzgebung, S. 298, 302 (zu § 4 Anm. 8). 2. nach 1919: § 128 II Nr. 2 LVO für Thüringen v. 10. 6. 1926 (GS S. 177), dazu: Buchmann, Die Anfechtungsklage d. Thüring. Verwaltungsrechts, S. 65 (m. Nachw.), S. 85; KnauthWagner, LVO für Thüringen, § 128 Anm. 5 und Beispiele S. 59. e) KGR S ach sen: § 75 I Z. 6 d. G. Ü. d. Verwaltungsrechtspflege v. 19. 7. 1900 (GVBI S. 486), dazu: Siegmund-SchuUze, aaO. S. 38.
E. Verwaltungsprozeß -
1. Allgemeiner Verwaltungsprozeß
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führung der einstweiligen Verfügung in die ZP0116 als auch aus Erörterungen des Reichsstaatsgerichtshofs im Rahmen einer Entscheidung über die Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung im Verfassungsprozeß117, wo jeweils gleichsam auf Reichsebene von der Interimsmacht der Verwaltungsbehörden die Rede ist. Angesichts dieser Regelungsbefugnis der Executive, die sich in Bayern jedenfalls auch noch unter dem Herrschaftsbereich des Verwaltungsgerichtsgesetzes von 1946118 erhalten hat11912O , bestand daher allenfalls ein Bedürfnis an der richterlichen Nachprüfung dieser interimistischen Verwaltungsakte, nicht dagegen an vorläufigen Regelungen durch das Gericht selbst l21 • Diese Zuf) Schließlich ist für das R e ich s r e c h t hinzuweisen auf Art. I § 3 II d. NotG. vom 24. 2. 1923 (RGBl. I, 147), dazu: v. Brauchitsch, aaO. § 53 Anm. 2; Knoll, aaO. S. 98. Vgl. auch den folgenden Text und Anm. 116, 117.
116 Protokolle zum Entwurf einer ZPO für die Norddeutschen Staaten (Berlin 1870), Bd. III, S. 1214. 117 RStGH, Entscheidung v. 17.118. 7. 30, L-S IV, 95 f. = RGZ 129, Anh. S. 28 (S. 31): "Polizeikostenstreit" . 118 BayGesetz Nr. 39 v. 25. 9. 46 (BayGVBI. S. 281) i. d. F. v. 30. 9. 49 (BayGVBl. S. 258). 119 So die h. L. zum bayrischen Verwaltungsrecht: Mang, aaO. Bd. I S. 116; BayVGH, U. v. 21. 8. 58, VRspr. 7, 619 (628); BVerwG E 8, 317 (318 f. unter Hinweis auf nicht veröffentlichte Rechtsprechung). Dabei ist allerdings nicht die rein prozessuale Vorschrift des § 51 IV VGG als materielle Grundlage vorsorglicher Maßnahmen anzusehen (so aber: Mang, aaO.), da sie lediglich die Behandlung einer als zulässig vorausgesetzten vorsorglichen Maßnahme regelt (BayVGH, U. v. 21. 8. 53, VRspr 7, 619 [628]; BVerwG E 8, 317 [318 f.]) und insoweit den Art. 13 I Z. 2 BayVGG 1878, § 128 II Z. 2 Thüring. LVO 1926 etc. (vgl. oben Anm. 115) entspricht, während die eigentliche Basis solcher Provisorien der Verwaltungsbehörden im Gewohnheitsrecht liegt (BVerwG aaO.). Diese gewohnheitsrechtliche Anerkennung dürfte sich heute allerdings auf das bayrische Landesrecht beschränken (vgl. die zurückhaltenden Formulierungen des BVerwG aaO.). 120 Generell ablehnend gegen solche behördlichen Interimskompetenzen dagegen Quaritsch (aaO. S. 218), der meint, daß eine rechtsgebundene Verwaltung nie einstweilige Zwischenregelungen treffen dürfe. Diese Auffassung erscheint schon im Hinblick auf die auch heute noch vielfach gegebenen behördlichen Interimskompetenzen (§ 19 a GewO, §§ 35 III aF, 20 nF PBefG etc., vgl. dazu Schlußbetrachtung, zu Anm. 72) als nicht gerechtfertigt. Dabei sei hier schon darauf hingewiesen, daß schon die normalen gefahren-polizeilichen Verfügungen eine der einstweiligen Verfügung verwandte Struktur haben, wie sich denn auch wohl gerade die oben erwähnte behördliche Interimskompetenz in Bayern mit aus dem Fehlen einer polizeirechtlichen Generalklausel in Bayern erklären läßt. Hier liegt eine sowohl sachlich wie auch historisch begründete Nahtstelle zwischen einstweiligen Befugnissen und Polizeikompetenzen (vgl. oben I, 1, Anm. 48, 57 f.; unten II, 2 zu Anm. 79, 338, 364 f.); - vgl. zu allem auch die Formulierungen bei Kahr, aaO., Art. 24 Anm. 4; E. Eichhorn, aaO. S. 114ff.; Drews-Wacke, aaO. S. 111; Neumann, Konkurrenz zwischen zivil- und polizeirechtlichen Ansprüchen und der Einfluß der polizeirechtlichen auf die prozeßrechtliche einstweilige Verfügung, ZZP 59 (1935) S. 321 ff. Beachtenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch die neu eingeführte allgemeine behördliche Interimskompetenz im Aussetzungsverfahren nach der Neuregelung des § 80 IV VwGO. 121 Zur Frage, wieweit eine solche Nachprüfung seinerzeit zulässig war, vgl. z. B. Art. 13 I Z. 2, 24 bayr. VGG v. 1878, § 128 II Z. 2 Thüring. LVO v.
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2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
sammenhänge zwischen behördlicher und verwaltungsgerichtlicher Interimsmacht werden besonders deutlich bei einem Blick auf bayrische und preußische Normen, die gelegentlich als erste Ermächtigungen zu verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnungen in diesen Ländern bezeichnet worden sind122 • Dabei handelte es sich in Preußen um eine Kette von Einzelbestimmungen, in denen eine Interimskompetenz ausgesprochen war123 , während in Bayern eine solche Spruchmacht aus Art. 24 des Verwaltungsgerichtsgesetzes von 1878124 herausgelesen wurde. Selbst wo jedoch die Autoren hier jedenfalls eine Unterscheidung zwischen behördlicher und gerichtlicher Regelungsbefugnis glaubten erkennen zu können125 , übersahen sie, daß eine verwaltungsgerichtliche Anordnung im Sinne unserer heutigen Dogmatik in keinem Falle gegeben war. Denn während es in Bayern eine solche der als Verwaltungsgerichte bezeichneten unteren Instanzen schon nach dem Wortlaut des Art. 24 VGG 1878 ohnehin nicht gab, diese Kompetenz vielmehr ausschließlich den "Behörden der aktiven Verwaltung" zukam126 , handelte es sich in Preußen bei den in den genannten Normen ermächtigten unteren Instanzen der sogenannten Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht um Gerichte im Sinne eines von der Exekutive gelösten Teiles der Dritten Gewalt127, so daß die Entscheidungen zwangsläufig Maßnahmen von Verwaltungsbehörden waren128 , während die eigentlichen Verwaltungsgerichte, d. h. die höheren Instanzen, keine einstweiligen Anordnungen erlassen konnten129 • Immerhin soll hier nicht der aller1926, § 51 Abs. IV VGG 1946 (oben Anm. 115, 119 m. w. Nachw.); für heute vgl. § 80 Abs. IV und Abs. V VwGO. 122 Für das preußische Recht: Friedrichs, Besonderheiten, aaO. S. 502 (m. Nachw.); ders., Verwaltungsrechtspfiege Bd. II S. 1075ff.; Schüle, aaO. S. 20 Anm. 43; F. Klein, Die Zulässigkeit von einstweiligen Verfügungen im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten etc., DVBl 50, 200 (202 f.); Knoll, aaO. S. 98; - für das bayrische Recht: Schüle und F. Klein, jeweils wie vorstehend. 123 Vgl. z. B.: §§ 9 II, 26 II, 126 II, 149 Z. 2 d. G. über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden (ZustG) v. 1. 8. 1883 (GS S. 237); § 21 d. G. betr. Schutzwaldungen und Waldgenossenschaften v. 6. 7. 1875 (GS S. 416); § 11 d. G. v. 25. 8. 1876 (GS S. 405); § 93 S. 3 WasserG. v. 7. 4. 1913; § 31 S. 2 FischereiG. v. 11. 5. 1916 (GS S. 55); § 78 VI KommunalabgabenG.; vgl. Friedrichs, Verwaltungsrechtspfiege Bd. II S. 1075 ff.; KnolL, aaO. S. 98. 124 Vgl. oben Anm. 115 a. 125 So: Friedrichs und Knoll, wie in Anm. 123. 126 Kahr, aaO. Art. 24 Anm. 3. 127 Friedrichs, Verwaltungsrechtspfiege Bd. I S. 1, 2; v. Elbe, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit nach den Gesetzen der deutschen Länder (1925) S. 33; Friesenhahn, Staatsgerichtshof und einstweilige Verfügung, aaO. S. 763 Anm.13. 128 Daher spricht sich auch Stier-Somlo, Zeitschriftenliteratur, VerwArch 10 (1902) S. 515 (581) für eine konstitutive Einführung der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung aus. 129 Illing-Kautz, aaO. § 53 Anm. 2; PrOVG, U. v. 19. 1. 98, n. v., zit. b. Illing-Kautz, aaO.
E. VerwaItungsprozeß - I. Allgemeiner VerwaItungsprozeß
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dings rechtspolitisch bedeutende Umstand außer acht bleiben, daß in Preußen in diesen Fällen nicht eine Behörde als Glied der aktiven Verwaltung die Maßnahmen traf, sondern ein besonderer Kreis- oder Bezirksausschuß als Spruchkörperl3o • Gerade an diesen aber eben doch nur verwaltungsbehördlichen Interimsmaßnahmen zeigt sich jedoch, wie sehr gerade durch solche Befugnisse nicht-richterlicher Instanzen die echte verwaltungsgerichtliche Interimsanordnung in ihrer Entwicklung gehemmt werden mußte131 • 2. Die E n t wie k I u n g bis zum J a h r e 1 9 4 5 Angesichts der Vielzahl von Zwischenregelungen, die das materielle Verwaltungsrecht und das Verwaltungsverfahrensrecht für den Zustand der Streitdauer bald in Form des automatisch eingreifenden Suspensiveffektes, bald in Gestalt aktiver Regelungsbefugnisse der Verwaltungsbehörden dem Rechtsschutzsuchenden bot, konnte sich das Institut der einstweiligen Anordnung in den frühen Verwaltungsprozeßgesetzen Deutschlands nicht durchsetzen. Fast ausschließlich dort, wo jenes vielseitige Interimssystem unvollkommen war, findet man in den Prozeßgesetzen jener Zeit die Ermächtigung zu verwaltungsgerichtlichen Interimsmaßnahmen. Der gelegentlich anzutreffende Hinweis auf die angeblich Beispiel gebenden Vorbilder mancher früheren Verfahrensordnungen132 verliert daher erheblich an Gewicht, wenn man sieht, wie jene ersten Interimsbefugnisse von Verwaltungsgerichten nur jeweils den Mangel des fehlenden Suspensiveffektes ausglichen und den Bürger dabei zwangsläufig hinsichtlich der Voraussetzungen und der Beweislast für den vorläufigen Rechtsschutz schlechter stellten, als es die Gewährung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln getan hätte133 • So kannte zwar Württemberg seit 1879 "einstweilige Verfügungen" der Verwaltungsgerichtel34 , räumte dagegen der Rechtsbeschwerde keine aufschiebende Wirkung einl3S ; Coburg-Gotha führte zwar 1899 die BeFriedrichs und v. Elbe, wie Anm. 127. Vgl. auch die Forderung nach einer Einführung richterlicher Interimsbefugnisse bei Schultzenstein, Arrest und einstweilige Verfügung im Verwaltungsstreitverfahren, DJZ 1898, Sp. 232 f. 132 So etwa: F. Klein, Zulässigkeit einstweiliger Verfügungen, aaO. S. 202 f.; Bachoj, Diskussionsbeitrag 38. DJT (1950) Teil D, S. 90; Quaritsch, aaO. S. 211; Knoll, aaO. S. 98 f. 133 Hier im Sinne einer objektiven Beweislast oder Feststellungslast, vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 155 f.; dazu: Amtl. Begründung zu § 122 Entwurf VwGO v. 9. 12. 52 (BT-Drucks. I WahlPer, Nr. 4278, S. 46); Hamann, Einstweilige Anordnungen im Verwaltungs streit, NJW 50, 891 (892). m Art. 6 G. v. 18. 8. 1879 (RegBl 202) i. d. F. v. 20. 7. 21 (Reg.Bl 357) u. d. G. v. 6. 9. 27 (Reg.Bl 291), u. d. VO v. 26. 3. 24 (RegBl 173), in Vbdg. m. § 943 ZPO und d. G. v. 16. 12. 1876 (oben Anm. 108); dazu Bachoj, 38. DJT aaO.; Quaritsch, aaO. S. 211 Anm. 3. 135 Vgl. oben Anm. 108. 130
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2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
fugnis zum Erlaß verwaltungsgerichtlicher einstweiliger Verfügungen ein 136 , ließ dieses Institut aber wieder fallen, als es im Jahre 1913 bei dem Anschluß an das gemeinsame Thüringische Oberverwaltungsgericht allgemein den Suspensiveffekt anerkannte137 ; Hessen gab sich im Jahre 1911 dieses Institut138 , gewährte es aber nur als Ersatz für die Lücken im Schutzsystem des nur casuistisch gewährten Suspensiveffektes 139 ; Schwarzburg-Sondershausen schließlich ließ einstweilige Anordnungen des Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts ZU 140 , weil die Gewährung der aufschiebenden Wirkung in das Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellt war141 • So bleibt als einzige Interimsbefugnis einer älteren Verwaltungsgerichtsbarkeit nur die einstweilige Verfügung des § 62 Oldenburgischen Verwaltungsgerichtsbarkeits-Gesetz von 1906, das neben der Einräumung des Suspensiveffektes dem Bürger einen selbständigen richterlichen Interimsschutz gewährte142 ; zwar handelte es sich bei den Verwaltungsgerichten Oldenburgs ähnlich wie bei den Preußischen Bezirksverwaltungsgerichten nur um Kollegialausschüsse bei den Selbstverwaltungskörperschaftenl43 , aber das Oldenburg ische Oberverwaltungsgericht war ein echtes Gericht mit persönlich und sachlich unabhängigen Richtern 144 und erließ, da § 62 auch für das OVG galt, echte gerichtliche einstweilige Anordnungen. Nur ergänzend sei dazu bemerkt, daß diese Kompetenz zum Erlaß verwaltungsgerichtlicher Interimsmaßnahmen in Oldenburg bis zum Inkrafttreten der Militärregierungsverordnung Nr. 165 145 gaW 46147 • Trotz vereinzelter Bestimmungen in einigen Ländern kann nach allem nicht davon gesprochen werden, daß sich das Institut der einst136 137 138
265).
§ 24 d. G. v. 14. 11. 1899 (GS 99, 187). Vgl. oben Anm. 103. Art. 69 d. G. betr. die Verwaltungsrechtspflege v. 8. 7. 1911 (RegBl. 11,
Vgl. oben Anm. 107; Siegmund-Schultze, aaO. S . 31. § 41 d. G. betr. d. Verfahren vor dem Bezirksverwaltungsgericht ... v. 12. 10. 1912 (GS 727). 141 §§ 41, 45 VVG, oben Anm. 111; dazu: Knauth, aaO. § 41 Anm. 1 (S. 282). 142 §§ 62, 59 d. G. betr. die Verwaltungsgerichtsbarkeit v. 9. 5. 1906 (GBI Bd. 35,693); dazu : Schultzenstein, Gesetz für das GrHzgt Oldenburg, betr. die Verwaltungsgerichtsbarkeit, VerwArch 14 (1906) 439 (443 f.); Sellmann, aaO., S. 62; Kammer, Kurzbeitrag, DVBI 50, 589. 143 Vgl. §§ 7, 9 Oldbg. VerwaltungsgerichtsbarkeitsG. 144 § 2 Oldbg. VerwaltungsgerichtsbarkeitsG; a. A.: v. Elbe, aaO. S. 39 (ohne jede Begründung). 145 v. 15. 9. 1948, VOBl. BritZ 1948, S. 263. 146 So: Kammer, wie Anm. 142. 147 Vgl. außerdem für den Vorbescheid nach § 21 II Hambg.VGG (oben Anm. 105), der einer Leistungsanordnung ähnelte und neben dem Institut des Suspensiveffektes (oben Anm. 105) eingeführt war: Schüle, aaO. S. 20 Anm. 43; F. Klein, Zulässigkeit einstweiliger Verfügungen, S . 202. 139
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E. Verwaltungsprozeß - 1. Allgemeiner Verwaltungsprozeß
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weiligen Anordnung in den deutschen Verwaltungsgerichtsgesetzen vor 1945 wirklich eingeführt, geschweige denn durchgesetzt hätte. Auch das Gesetz über das Reichsverwaltungsgericht geriet nicht über das Entwurfsstadium hinaus l48 und setzte sich mit der Frage der einstweiligeh Anordnung ohnehin nicht auseinander. Der Erlass, der im Jahre 1941 das Reichsverwaltungsgericht schuf l40 , führte lediglich eine Verschmelzung verschiedener Spruchkörper, insbesondere des Preußischen Oberverwaltungsgerichts und des Wiener Verwaltungsgerichtshofes herbei und brachte für das hier behandelte Verfahrensinstrument keine günstigere Position im deutschen Verwaltungsprozeß. 3. Die a 11 mäh 1 ich ein t r e t end e A n e r k e n nun g bis zur Verwaltungsgerichtsordnung von 1960 Die föderalistische Zersplitterung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland blieb auch nach dem zweiten Weltkrieg bestehen und brachte - wie zu anderen Fragenkomplexen - auch zu dem Problem interimistischer Maßnahmen der Verwaltungsgerichte eine Vielzahl versc."'iedenster Auffassungen150. In Mitteldeutschland nahmen zwar die früheren Verwaltungsgerichte nach dem Kriege ihre Tätigkeit zunächst wieder auf; da aber die in Art. 138 der DDR-Verfassung vorgesehene gesetzliche Regelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit ausblieb und statt dessen die "Volkskontrolle" der Executive durch andere Organe eingesetzt wurdel5l , fehlt es mit der Verwaltungs gerichtsbarkeit überhaupt heute schon an der ersten Voraussetzung für gerichtliche Interimsmaßnahmen, so daß die Rechtslage in diesem Teil Deutschlands für die Arbeit im Folgenden unbeachtet bleiben kann. Im westdeutschen Bereich war das Institut der einstweiligen Anordnung ausdrücklich gesetzlich geregelt in § 64 des Rheinland-Pfälzischen 148 Reichsratsdrucks., Sitzungs-Periode 1930, Nr. 155; vgl. dazu und zu den vorangegangenen Entwürfen: Genzmer, aaO. S. 522 f. 149 RGBl. 1941, I, 201. 150 Grundsätzliche Kritik an föderalistischer Zersplitterung im Verfahrensrecht übt Quaritsch, aaO. S. 210. 151 Ursprünglich waren nach Kriegsende die alten Verwaltungsgerichte der Länder wieder eingesetzt worden (Kontrollratsgesetz Nr. 36 v. 10. 10. 46, AmtsBl. KR Nr. 11 S. 183). Der spätere Verfassungs auftrag des Art. 138 DDRVerfassung wurde jedoch nie durchgeführt. Nach Auflösung der mitteldeutschen Länder wurden die Verwaltungsgerichte durch reine innerdienstliche Weisung aufgelöst, allerdings ohne daß Art. 138 der Verfassung oder die früheren Normen außer Kraft gesetzt wurden. Vgl. dazu eingehend m. Nachw.: Meyer, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Ostzone, DVBl 50, 561 ff.; Baring, Verwaltungsrechtsschutz, in: Recht in Ost und West 1958,45 (46 m. Anm. 3).
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Verwaltungsgerichtsgesetzes von 1950152 und in § 30 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes von 1952 153 , wo es allerdings nur in erstinstanzlich vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Streitigkeiten Anwendung fand 154 • Im übrigen lassen sich vor allem zwei Rechtskreise unterscheiden: während die von den Ländern der amerikanischen und französischen Besatzungszone sowie vom Saarland erlassenen Verwaltungsgerichtsgesetze zwar nichts über Interimsbefugnisse der Verwaltungsgerichte aussagten, aber immerhin allgemeine Verweisungsnormen auf die Zivilprozeßordnung enthielten155 , war für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone nach der Militärregierungsverordnung Nr.165 (MRVO 165) ebenfalls nichts über eine verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung ausgesagt, aber es war daneben nur an einzelnen Gesetzesstellen auf bestimmte Vorschriften der Zivilprozeßordnung verwiesen156 • So kam es, daß in Süddeutschland jedenfalls zU einem Teil die Gerichte nach anfänglich einhelliger Ablehnung157 schon früh die Vorschriften der §§ 935, 940 ZPO anwandten und dem Bürger vorläufigen Rechtsschutz einräumten158 • In der britischen Zone wurde dagegen lange 152 G. v. 14.4. 50 (GVBl S. 103); vgl. dazu z. B.: Schunck-de CleTck, Landesgesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit für Rheinland-Pfalz, Anm. zu § 64; LVG Koblenz, B. v. 19. 1. 53, DÖV 53, 643; OVG Koblenz, B. v. 12.9.53 DÖV 54, 733 Nr. 278; B. v. 18. 10. 53, E 1, 400; B. v. 27. 7. 56, E 5, 189 (m. w. Nachw.); B. v. 18. 4. 57, E 5, 412; B. v. 19. 1. 58, E 6, 386 (387); B. v. 31. 5. 58, VRspr. 11, 879. 153 G. v. 23. 9. 52 (BGBI I S. 625); vgl. dazu z. B.: UZe, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, Anm. zu § 30; Schunck-de CleTck, Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht, Anm. zu § 30; BVerwG, B. v. 11. 12. 53, E 1,45; B. v. 12. 9. 55, DÖV 55, 697; B. v. 30. 11. 55, DVBl 56, 445; B. v. 16. 7. 56, ZMR 56,357; B. v. 14. 11. 56, E 4, 151 = JZ 57, 72:3 m. Anm. de CleTck; B. v. 7. 5. 57, NJW 58, 194 m. Anm. Danckelmann; B. v. 11. 5. 59, DVBl. 59, 663. 154 BVerwG, B. v. 14. 11. 56 und v. 7. 5. 57; offen noch: B. v. 11. 12. 53 und v. 12. 9. 55 (jeweils wie Voranmerkung); aA: Schunck-de CleTck, BVerwGG, Anm. zu § 30. 155 § 34 der süddeutschen VGG von 1946; § 37 VGG Rh-Pf.; § 41 saarl.VGG. Allgemein dazu: MengeT, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (1954) S. 65 ff. 156 z. B.: §§ 38, 63, 70, 79, 100, 107 (vgl. auch 117) MRVO 165. 157 Vgl. z. B.: Bayr. VGH, B. v. 22. 8. 47, VGH E 1, 22; U. v. 23. 12. 47, VGH EI, 36 (38); B. v. 20. 2. 48, n. v., zit. in VGH E 6,176 [179]; U. v. 29.3.50, DÖV 50,725; B. v.4.11.53, VGH E 6, 176 (179); offen dagegen: U. v. 23. 6. 47, VGH E 1, 8 (16). - Hess. VGH, B. v. 7. 1. 49 (n. v., zit. b. Bachof, NJW 49, 838 [839]); B. v. 2. 3. 49, DVBI 49, 567 (Nr. 332); B. v. 13. 8. 52, NJW 52, 200; B. v. 16. 3. 53, ESVGH 2, 221; B. v. 27. 8. 53, VRspr. 6, 398; - VG Baden-Baden, U. v. 16. 2. 50, DÖV 50, 410; VG Freiburg, (n. v.; zit. b. VG Baden-Baden, wie vorst.); - VGH Bremen, B. v. 19. 10. 53, DÖV 54, 60 (für Normenkontrollverfahren, im übrigen zweifelnd). 158 Vgl. z. B.: Wü-Ba VGH, B. v. 7. 11. 47, DÖV 49,160 (Nr. 7); B. v. 31. 3. 49, NJW 49, 838 (m. zust. Anm. Bachof); B. v. 25. 10. 56 und 21. 6. 57 (n. v., beide zit. in VRspr. 11, 1031); B. v. 13. 2. 58, VRspr. 11, 758; B. v. 4. 12. 58, VRspr. 11,
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Zeit mit dem Umkehrschluß gearbeitet, daß die Einzelverweisungen auf die ZPO jede Verwendung anderer ZPO-Vorschriften im Verwaltungsprozeß, mithin also auch diejenigen über die einstweilige Verfügung, verböten159 • Die Gerichte versuchten hier gelegentlich mit gesetzestechnischen Kunstgriffen diesem Ergebnis zu steuern160 ; andere Argumentationen bemühten sich, tiefer zu gehen und die richterliche Interimsmacht entweder aus einer Analogie zur Vedassungs- wie Zivilgerichtsbarkeit abzuleiten161 oder sie gar, ebenfalls unter Berufung auf die Verfassungs- und Zivilgerichtsbarkeit, als Ausfluß eines allgemeiVGH Bebenhausen (n. v., zit. b. Baring, ZBR 54, 44 [45 Anm. 9]); Bayr.VGH, U. v. 30. 12. 55, BayVBl 56, 187; B. v. 7. 7. 58, VGH E 11, 93; B. v. 25. 7. 58, VRspr. 10, 1018; B. v. 25. 2. 60, VRspr. 12, 889; - Hess.VGH, B. v. 26. 7. 56, ESVGH 5, 226; B. v. 7. 8. 57, NJW 58, 36; B. v. 30. 1. 58', ESVGH 8, 22; B. v. 14. 10. 58, NJW 59, 1940; B. v. 21. 1. 50, VRspr. 12, 118;VGH Bremen, B. v. 4. 7. 58, (n. v., Az.: B 17/58); B. v. 16. 2. 59, (n. v., Az.: BA 40/58); B. v. 1. 4. 59, (n. V., Az.: B 9/59); - OVG Saarlouis, Vorbescheid v. 27. 9. 57, DÖV 58, 423; - Ebenso: Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsgesetz (2. A) Anh. nach § 51, Anm. 2; Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, S. 52; ders., Urteilsanmerkung, NJW 49, 838 f., (auch: S. 328 f. und 814 f.); - a. A.: Hufnagl, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 22; van de Sandt, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 116 (§ 51 Anm. 6); Oswald, Die einstweilige Anordnung im verwaltungsgerichtIichen Verfahren, DÖV 56, 236 f. (außer für Parteistreitigkeiten, wohl aber in Fällen der Verpflichtungsklage). 159 Allgemein: OVG Münster, Plenar-B. v. 24. 2. 50 (n. v., zit. b. Menger, System, S. 66 f.); B. v. 14. 3. 50, AS 1, 102 (105 f.); OVG Lüneburg, B. v. 16. 5. 50, DVBI 50, 579 m. Anm. Naumann; Klinger, Verwaltungsgerichtsbarkeit in der britischen Zone (2. A) S. 8 ff.; v. Werder-Labs-Ortmann, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, S. 226. - Insbesondere zur einstweiligen Anordnung: OVG Hamburg, B. v. 13. 11. 50, (n. V., Az.: Bs I 373/50); B. v. 12. 7. 54, NJW 54, 1264; B. v. 6. 7. 55 (n. v., zit. in B. v. 4. 8. 55); B. v. 4. 8. 55, MDR 56, 58; B. v. 7. 11. 57 (n. v., Az.: Bs. I 50/57). - OVG Münster, B. v. 18. 12. 50, HMR 51, S. 99; B. v. 10. 5. 51, 31. 1. 52, 27. 3. 52, 28. 1. 53, 11. 3. 53, 22. 4. 53, 29. 7. 53 (sämtI. n. v., zit. in B. v. 27. 1. 55, ZBR 55, 124 und B. v. 22. 4. 55, ZBR 55, 282 [283]); B. v. 29. 10. 53, MDR 54, 502; B. v. 4. 3. 54, 22. 9. 54 (beide n. v., zit. in B. v. 27. 1. 55, ZBR 55, 124). - OVG Lüneburg, U. v. 20. 11. 51, AS 5, 385 ff. - Ebenso: Hufnagl, aaO. S. 220; Giesges, aaO. S. 66; van de Sandt, aaO. S. 116; a. A.: Klinger, aaO. § 51 Anm. B 9. 160 So LVG Düsseldorf, B. v. 19. 2. 54, DVBl 54, 477 (m. abI. Anm. UZe) = MDR 54, 504 (m. abI. Anm. Naumann) = JZ 54, 544 (m. abI. Anm. Wolff); danach sollte die MRVO 165 dul,"ch die MRVO 284 (v. 24. 11. 52, AHK-AmtsBl Nr. 97, S. 2166) soweit geändert sein, als sie nicht den Vorschriften des BVerwGG entsprach, so daß die Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung aus § 30 BVerwGG folge. - Dagegen auch z. B.: OVG Lüneburg, B. v. 28. 6. 57, VRspr. 9, S. 881 (883). Wie LVG Düsseldorf aber: Martin, Einstweilige Verfügungen im Verwaltungsstreitverfahren, NJW 56, 90; Lazar, Die Änderung der MRVO Nr. 165 durch das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, DÖV 56,265. 161 VgI. zur Problematik sämtliche Zitate oben Anm. 158; zur MRVO 165 insbesondere: Müller-Heidelberg, Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Verfügung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, NJW 49, 814; F. Klein, Zulässigkeit, aaO. S. 203 f.; Baring, Die einstweilige Verfügung im Verwaltungsstreitverfahren, ZBR 54, 44 (47 ff.); ders., Urteilsanmerkung,ZBR 55, 124 (126); de Clerck, Einstweilige Anordnung im Verwaltungsgerichts1031; -
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1. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
nen Grundsatzes des Prozeßrechts anzusehen 162 • Endlich wurde als wichtigste Grundlage verwaltungsgerichtlicher einstweiliger Anordnungen der Art. 19 Abs. IV GG herangezogen, weil mit ihm effektiver und damit notwendigerweise auch vorläufiger Rechtsschutz garantiert werde163 , so daß bei einer Verneinung verwaltungsrichterlicher Interimsmacht sonst nach Art. 19 Abs. IV S. 2 GG als subsidiärer Rechtsweg für den vorläufigen Rechtsschutz in Verwaltungsstreitsachen der ordentliche Rechtsweg eröffnet sein müsse 164 • Auf dem Boden dieser Auseinandersetzungen gab schließlich eine - in dieser Konsequenz vorher wohl kaum gesehene - Norm den äußeren Anstoß für die meisten Verwaltungsgerichte, die einstweilige Anordnung als legitimes Prozeßinstrument des Verwaltungs richters anzuerkennen: im Zuge der Neugestaltung des deutschen Beamtenrechtes wurden nämlich die Beamten mit allen ihren Ansprüchen gegen den Dienstherrn, auch mit den Versorgungsansprüchen, nach § 172 Bundesbeamtengesetz 1953 und § 126 Beamtenrechtsrahmengesetz auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen; die daraus erwachsende Frage, ob diese Änderung zur Folge haben sollte, daß die bis dahin im Zivilrechtswege mögliche einstweilige Regelung der Unterhaltsbezüge durch Leistungsanordnung in Beamtenprozessen nunmehr ausgeschlossen sein sollte, führte dann beim Oberverwaltungsgericht Münster zur Aufgabe der alten Rechtsprechung und zur Anerkennung der Leistungsanordnung im Verwaltungsprozeßl65. In Folgewirkung zu dieser Rechtsprechung setzte sich dann auch allverfahren, NJW 56, 1337; Buri, Einstweilige Anordnungen - einstweilige Verfügungen - in Anfechtungssachen, DÖV 57, 100 (der allerdings die praktische Verwendbarkeit des Instituts weitgehend bezweifelt); E. Eichhorn, Die einstweilige Anordnung im Verwaltungsprozeß, S. 107 ff.; Bettermann, Rechtsweg, aaO. S. 763. 162 So in Wiederaufnahme einer These von Gönner, JerusaZem etc. (vgl. oben Anm. 3; unten Anm. 254 und II, 2, B, II, 2 c): Baring, Einstweilige Verfügung, aaO. S. 48; E. Eichhorn, aaO. S. 135 ff. (143, 204); OVG Lüneburg, B. v. 28. 6. 57, VRspr. 9, S. 881 (885 unten); - entspr. für das sozialgerichtliche Verfahren: Haueisen, Lücken im System des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes, NJW 63, 321 (322 f.). 163 So schon früh: Bachof, Entgegnung, NJW 49, 814 (815); ders., Vornahmeklage, S. 52; Amtl. Begründung zum Entw. VwGO § 122 v. 9. 12. 52 (BTDrucks., I Wahlp., Nr. 4278) S. 46; Reuscher, Zur Frage der aufschiebenden Wirkung der Anfechtung von Verwaltungs akten, DVBI 53, 428 (429 f.); OVG Lüneburg, wie Voranrn.; UZe, Verfassungsrecht und Verwaltungsprozeß, S. 538 f.; E. Eichhorn, aaO. S. 131 ff. Im einzelnen vgl. unten II, 2, B, V, 3. 164 Naumann, Vom vorbeugenden Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, Gedächtnisschrift Walter Jellinek, S. 391 (404 Anm. 56); OVG Münster, B. v. 22. 4. 55, ZBR 55, 282 (283 sub II 2 a. E.); eingehend dazu: unten II, 2, B, V, 3 zu Anm. 416 ff. 165 OVG Münster, B. v . 5. 2. 53, (n. v., zit. im B. v. 27. 1. 55, ZBR 55, 124); B. v. 27. 1. 55, ZBR 55, 124; B. v . 25. 3. 55 (n. V., zit. in:) B. v. 22. 4. 55, ZBR 55, 282; B. v . 28. 4. 55, ZBR 55, 277; stRspr, vgl. B. v . 24. 10. 58. MDR 59, 606. Vgl. auch Bettermann, Rechtsweg, aaO. S. 763; Robel, Über Rechtsweg unQ Vorbescheid im Bundesbeamtengesetz, ZBR 54, 100.
E. Verwaltungsprozeß -
II. Besonderer Verwaltungsprozeß
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mählich, vor allem in Verpflichtungsstreitigkeiten, das Institut der einstweiligen Anordnung allgemein im Verwaltungsprozeß durch 166 • Bei dem Erlaß der Verwaltungsgerichtsordnung von 1960, die in § 123 die gesetzliche Anerkennung dieses Institutes brachte, stand damit das Oberverwaltungsgericht Hamburg unter den Verwaltungsgerichtshöfen und Oberverwaltungsgerichten Deutschlands allein mit seiner Auffassung, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sei dem Verwaltungsrichter verwehrt 167 • 11. Die einstweilige Anordnung im deutschen besonderen Verwaltungsprozeß
1. Geschichtlicher Überblick
Dem allgemeinen Verwaltungsprozeß ist historisch gesehen eine Reihe verschiedenster besonderer Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsverfahren vorausgegangen 168 • Auf Reichsebene beispielsweise wurden im Laufe der Zeit zahlreiche Spezialverwaltungsgerichte geschaffen, die jeweils für Einzelmaterien zuständig waren, ohne daß es - zunächst - zur Schaffung eines zentralen Reichsverwaltungsgerichts mit umfassender Zuständigkeit kam, obwohl das jedenfalls seit der Einführung der Weimarer Reichsverfassung von 1919 durch Art. 107 in Verbindung mit Art. 31 Abs. II, 161 WRV vorgesehen war169 ; als derartige besondere Verwaltungsgerichte waren - ohne daß es hier auf eine Untersuchung des echten Gerichts-Charakters dieser Institutionen ankommen kann - beispielsweise errichtet worden die Reichsrayon166 OVG Münster, Bescheid v. 28. 5. 57, BB 57, 950; B. v. 30. 7. 57, MDR 58, 370; B. v. 29. 8. 57, MDR 58, 370; U. v. 10. 9. 57. MDR 58, 368 = AS 13, 6; Bescheid v. 8. 10. 57, DVBI 58, 68; B. v. 13. 11. 57, AS 13, 119; Bescheid v. 19. 11. 57, AS 13, 126; B. v. 22. 11. 57, MDR 58, 370; B. v. 1. 7. 58, NJW 58, 2036 m . Anm. Haueisen = DVBl 59, 289 m. Anm. Sellmann; B. v. 26. 8. 58, MDR 59, 605; B. v. 23. 9. 58, MDR 59, 336 = AS 14, 56; B. v. 12. 11. 58, MDR 59, 429; B. v. 26. 11. 58, MDR 59, 335; U. v. 5. 1. 59, DVBl 59, 402 (m. Anm. Nedden S. 666); U. v. 15. 12. 59, BRS 9, S. 93. OVG Lüneburg, B. v. 28. 6. 57, AS 11, 503; B. v. 24. 6. 58, VRspr. 11, 104; B. v. 28. 1. 59, NJW 59, 1196 = Dt.Apoth.Ztg. 59, 494 m. Anm. Sellmann; B. v. 11. 3. 59 (n. V., Az.: V B 8/59); B. v. 10. 11. 59 (n. v., Az.: V B 25/59); B. v. 15. 8. 60, NJW 60, 1879; LVG Düsseldorf, B. v. 17. 11. 55, BBauBl 56,660; U. v. 6. 5. 57, MDR 57, 574; LVG Schleswig, U. v. 19. 6. 58, Schl-H.Anz. 58,353. 167 Abweichend: Quaritsch, aaO. S . 212 Anm. 10, nach dem auch in Bayern die Gerichte die einstweilige Anordnung nicht gegeben haben sollen. Vgl. dagegen die Entscheidungen des BayVGH oben Anm. 158. 168 Vgl. dazu eingehend: Sellmann, Der Weg zur neuzeitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in Staatsbürger und Staatsgewalt, 1963 Bd. I S. 25 ff. 169 Vgl. Siegmund-Schultze, aaO. S. 49 f., soweit Suspensiveffekt und Aussetzungsentscheidungen gegeben waren; im übrigen allgemein: Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I Allgemeiner Teil (8. A) S. 473; Lefringhausen, Untersuchungen zur materiellen Abgrenzung der Rechtsprechung von der Verwaltung (1961), S. 192 f.; Kuntzmann-Auert, Verwaltungsgerichte des Reichs außerhalb des Bereichs der Sozialleistungen und des Reichswirtschaftsgerichts, in Staatsbürger und Staatsgewalt Bd. I, S. 117 ff.
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I. Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
kommission17O , die Seeämter und das Oberseeamtl7l , das Aufsichtsamt für Privatversicherung172 , das Reichswirtschaftsgericht173, die Versorgungsgerichte und das Reichsversorgungsgericht174 und schließlich die Finanzgerichte und der Reichsfinanzhof175. Mit der enumerativen Aufführung der verschiedenen oberen Bundesgerichte in Art. 96 GG176 hat der Verfassungsgesetzgeber die Zulässigkeit einer besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Gebiete des Sozialrechtes und des Finanzrechtes beschränkt; allein auf die Sozialgerichtsbarkeit und die Finanzgerichtsbarkeit soll sich daher hier die Untersuchung über Interimsbefugnisse des Richters im besonderen Verwaltungsprozeß richten. Für die weiteren früheren besonderen Verwaltungsgerichte sei hier lediglich bemerkt, daß keinem die Kompetenz zukam, einstweilige Anordnungen in den von ihm zu entscheidenden Streitsachen zu erlassen; auch im übrigen waren die Grenzen des vorläufigen Rechtsschutzes eng gesetzt, da der Suspensiveffekt und die Befugnis des Richters zu Aussetzungsentscheidungen in jenen Verwaltungsstreitsachen nicht überall vorbehaltlos vom Gesetz zugelassen waren111. 2. Das s 0 z i a 1 ger ich t 1 ich e Ver f a h ren Das heutige sozialgerichtliche Verfahren hat die Aufgaben des schon erwähnten früheren Verfahrens in Versorgungssachen vor den Versorgungsgerichten und dem Reichsversorgungsgericht übernommen. Auch jenes frühere Verfahren kannte wie die übrige besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Regel keine richterliche einstweilige Anordnung. 170
S.50.
Durch Gesetz v. 21. 12. 1871 (RGBI 459), dazu Siegmund-Schultze, aaO.
171 Durch Gesetz v. 27. 7. 1877 (RGBl 549), dazu: Siegmund-Schultze, aaO. S. 50; Pfeiffer, Die Seeämter und das Bundesoberseeamt (1959), S. 4 ff. 172 Durch Gesetz v. 12. 5. 1901 (RGBI 139); dazu Siegmund-Schultze, aaO. S.51. 173 Durch die SicherstellungsVO v. 24. 6. 1915 (RGBl 357) und Erlaß v. 20. 5. 1919 (RGBI 469); dazu: Klinger, Reichswirtschaftsgericht und Kartellgericht, in Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I S. 103 ff. 174 Durch Gesetz über das Verfahren in Versorgungssachen, v. 10. 1. 22 (RGBI I 59); dazu Siegmund-Schultze, aaO. S. 51 f.; Forsthoff, aaO. S. 473; Knoll, Die Entwicklung der Gerichtsbarkeit des Reichs bei Sozialleistungen, in Staatsbürger und Staatsgewalt Bd. I S. 87 ff. 175 §§ 25 ff. des Ges. über die Finanzverwaltung v. 10. 9. 1919 (RGBl 1591); vgl. später: §§ 52 ff. RAO i. d. F. v. 22. 5. 1931 (RGBl I, S. 161). 176 v. MangoZdt-KZein, Das Bonner Grundgesetz (2. A) Art. 94 Anm. 4; Art. 96, Anm. 2; HoZtkotten in Bonner Kommentar, Art. 96 Anm. II 2; UZe, Bundessondergerichte? , DVBI 53, 396 (397); ders., VwGO, § 42 Anm. IV 3 a; Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte und der gesetzliche Richter, Grundrechte III, 2, S. 523 (S. 574; 637 Anm. 621; 820); Pfeiffer, aaO. S. 66; jeweils m. w. Nachw.; a. A.: Maunz, Deutsches Staatsrecht (11. A) S. 224, 225 (aber S. 223). 177 Vgl. dazu im Einzelnen: Siegmund-SchuZtze, aaO. S. 50·ff. m. Nachw.
E. Verwaltungsprozeß - H. Besonderer Verwaltungsprozeß
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Eine Interimsgestaltung war lediglich durch die Gewährung des Suspensiveffektes gegeben, der gemäß § 96 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen nur zu Gunsten des klagenden Versorgungsempfängers galt, da aber auch wiederum nur in den Fällen, in denen eine Rente aus bestimmten Gründen entzogen war oder in denen es sich um die Rückzahlung zu Unrecht erhobener Gebührnisse handelte. Im übrigen gab es gemäß § 128 die Möglichkeit, die Gewährung vorläufiger Leistungen anzuordnen 178 • Im Ergebnis lief die Regelung darauf hinaus, daß grundsätzlich Leistungen an die Beschädigten erst nach rechtskräftiger Entscheidung erbracht werden mußten, daß aber für die Zeit des Rechtsstreites die Existenz des Beschädigten nicht durch die Einstellung von Rentenzahlungen gefährdet werden sollte179 • Das für die heutige Rechtslage maßgebende Sozialgerichtsgesetz von 1953 hat diese Regelung im Prinzip übernommen: Auch hier wird der Suspensiveffekt gemäß § 97 Abs. I SGG nur in einer - allerdings erweiterten - Reihe von enumerativ aufgeführten Fällen zu Gunsten des Klägers gewährt und nach § 198 Abs. II SGG dürfen die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die einstweilige Verfügung trotz der im übrigen in § 202 SGG aufgestellten allgemeinen Verweisungsklausel auf die ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren nicht angewandt werden180 • Von grundsätzlicher Bedeutung ist daneben aber die Bestimmung des § 97 Abs. II, nach der die Sozialgerichte die Vollziehung von Verwaltungsakten einstweilen aussetzen können, mit denen eine laufende Leistung herabgesetzt oder entzogen wird. In einer Reihe von weiteren Einzelbestimmungen regelt dann das Gesetz noch besondere Fälle, in denen das Sozialgericht oder der Vorsitzende vorläufige Leistungen anordnen kann, so insbesondere beim Erlass eines Grundurteils gemäß § 130 SGG und dann gemäß §§ 180 Abs. VI, 199 Abs. II SGG in den Fällen der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Aussetzung einer Vollstreckung l81 • Trotz dieser Bestimmungen aber fehlt es im sozialgerichtlichen Verfahren nach dieser Regelung an einem lückenlosen Dazu: Reichsversorgungsgericht, U. v. 29. 4. 1937, AS 12, 302. Siegmund-Schultze, aaO. S. 52. 180 So die ganz herrschende Auffassung: Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit (2. A), § 97 Anm. 10; MeUwitz, Sozialgerichtsgesetz, § 198 Anm. B (a. E.); Miesbach-Ankenbrank, SoziaIgerichtsgesetz (3. A) § 198 Anm. 1; LSG Stuttgart, B. v. 31. 1. 55, NJW 55, 647; B. v. 13. 7. 60, Breithaupt 61,96; LSG München, B. v. 16.2.61, NJW 61, 2039; LSG Dortmund, B. v. 24. 7. 61, Ärztl. Mitteilungen 61, 2597; OVG Münster, U. v. 15. 11. 61, VRspr. 14, 880 (884). Die Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung bejahen dagegen, u. a. unter Hinweis auf Art. 19 Abs. IV GG: Haueisen, Die einstweilige Verfügung im sozialgerichtlichen Verfahren, NJW 59, 18; ders.; Lücken im System des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes aaO.; KnaU, aaO. S. 106. 181 Die Bestimmungen entsprechen etwa §§ 707, 719 ZPO; vgl. LSG Hamburg, B. v. 20. 7. 56, Breithaupt 57, 418; Haueisen, Lücken aaO. S. 323. 178
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1. Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
vorläufigen Rechtsschutz, der ohne eine generelle Ermächtigung der Sozialgerichte zum Erlaß einstweiliger Anordnungen nicht gegeben sein kann und dessen Einführung sich aus rechtspolitischen Gründen de lege ferendaempfiehIt182. 3. D ,a s f i n a n z ger ich t I ich e Ver f a h ren
Wesentlich ungünstiger hoch stellt sich die Gestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes in dem anderen Zweig der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit dar, in der Finanzgerichtsbarkeit1 98 . Hier entspricht es schon einer alten Rechtstradition, daß ein Rechtsmittel in Steuersachen grundsätzlich keinen Suspensiveffekt hat. Schon die ,querela' wegen Mißbrauchs der Regal- und Steuerhoheit im alten deutschen Reich vor dem Jahre 1806 hatte, wenn die Zuständigkeit der Reichsgerichte überhaupt gegeben war, keine aufschiebende Wirkung, vielmehr oblag es diesen Gerichten, "dem Prozeß schleunigst abzuhelfen, inmitteist aber die Untertanen zum schuldigen Gehorsam gegen die Obrig~eit anzuweisen"183. Ähnliches galt auch im preußischen Recht, wo, soweit § 79 II tit. 17 ALR überhaupt den Rechtsweg eröffnete, die dann zulässige sogenannte Prägravationsklage in der Regel keinen Suspensiveffekt hatte184. Der schon in diesen frühen Regelungen zum Ausdruck kommende Grundgedanke, den Steuerpflichtigen gar nicht erst in Versuchung zu führen, durch die Einlegung von Rechtsmitteln jedenfalls vorerst den Leistungsverpflichtungen gegenüber der öffentlichen Hand zu entgehen, entsprach und entspricht einer so verbreiteten Rechtsauffassung 185 , daß selbst die Bestimmungen über den Suspensiveffekt in den Verfahrensordnungen der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit sowohl früher 186 wie heute in § 80 Abs. II Ziff. 1 VwGO grundsätzlich einen Ausschluß der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln für die Fälle anordneten und anordnen, in denen es sich in Streitfällen vor den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit um Abgabe- und Kostensachen handeln kann l87 . In der eigentlichen Finanzgerichtsbarkeit aber gilt sowohl für das Verwaltungsverfahren vor den Finanz182 Vgl. dazu die eingehenden Ausführungen bei Haueisen und Knoll, ferner LSG München (jeweils oben Anm. 180). 183 Gneist, aaO. S. 92 f.; Siegmund-Schultze, aaO. S. 6. 184 Siegmund-Schultze, aaO. S. 11 m. Nachw. 185 Kühn, Abgabenordnung (7. Aufl.) § 251 Anm. 1; Hübschmann-HeppSpital er, Kommentar zur Reichsabgabenordnung (1.-4. A) § 251 Rdn. 1. 186 Vgl. § 51 Abs. II VGG amerik. Zone; § 51 Abs. II MRVO 165, § 29 Abs. II BVerwGG. 187 Vgl. dazu: Eyermann-Fröhler, VwGO § 80 Rdn. 17-20; UZe, VwGO, § 80 Anm. I 2 a; de CZerck, Aufschiebende Wirkung der Anfechtung von Verwaltungs akten, NJW 61, 2233 (2234 f.) m. Nachw.
E. Verwaltungsprozeß -
H. Besonderer Verwaltungsprozeß
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behörden wie für den Prozeß vor den Finanzgerichten die grundlegende Bestimmung des § 251 RA01ss, nach der die Einlegung eines Rechtsmittels in Steuersachen keine aufschiebende Wirkung hat. Ausschließlich die Behörde, die den angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat, kann in diesen Fällen nach der Bestimmung des § 251 S.2 RAO die Vollziehung des Bescheides aussetze'n 1S9 und es ist streitig, ob diese Aussetzungsbefugnis über den Wortlaut dieser Bestimmung hinaus auch den Finanzgerichten zusteht190 . Neben dieser aufs äußerste eingeschränkten Regelung der Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsaktes, deren Verfassungsmäßigkeit jedenfalls nicht ohne weiteres zu bejahen sein wird 19 t, ist die Möglichkeit einer eigenen freien Interimsgestaltung durch die Finanzgerichte in Form einer einstweiligen Anordnung völlig ausgeschlossen. Auch der von der Bundesregierung wiederholt vorgelegte Entwurf einer Finanzgerichtsordnung192 bringt nach dem bisherigen Bearbeitungsstadium in § 69 lediglich die Möglichkeit, daß das Gericht eine Aussetzungsentscheidung erläßt1 93 , wird aber nicht den Finanzgerichten die Befugnis verleiheh, einstweilige Anordnungen zu treffen l9s . 4. Z usa m m e n f ass u n g
Der vorläufige Rechtsschutz zu Gunsten des Bürgers ist nach allem in der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit völlig auf die Fragen des Suspensiveffektes und der Aussetzungsbefugnis des Verwaltungsrichters zurückgedrängt, während die Kompetenz zu freigestaltenden Interimsmaßnahmen fast ganz negiert wird. Das mag seinen Grund darin haben, daß es sich hier ganz überwiegend um Fragen der nachträglichen Verw,altungsrechtspfiege194 aus dem Bereich des Subjektionsverhältnisses vom Bürger zum Staate handelt, also um die Fälle der reinen Eingriffsverwaltung. Auf dem Gebiete der Sozialgerichtsbarkeit 188
RAO v. 13. 12. 1919 (RGBI 1993) i. d. F. v. 22. 5. 31 (RGBI I 161);
(= § 235 a. F. RAO).
189 über die Voraussetzungen dazu vgl.: Kühn, aaO. § 251 Anm. 2; Hübschmann-Hepp-Spitaler, aaO. § 251 Rdn. 2-6; de Clerck, aaO. S. 235. 190 Verneinend: Kühn, aaO. § 251 Anm.'3 a E; Hübschmann-Hepp-Spitaler, aaO. § 251 Rdn. 8; Messmer, Zur Neuordnung des Rechtsmittelverfahrens in
Abgabesachen, BB 62, 145 (150 Anm. 73); RFG, U. v. 26. 11. 20, Bd. 4, 54 (56); FG Düsseldorf, E. v. 11. 4. 56, EFG 1956, 297; FG Kassel, E. v. 16.12.58, EFG 59, 289; - bejahend: Fließbach, Erläuterungen zur Rechtsprechung, Stuw 55, 201 (206 zu Anm. 2); ders., StuW 54, 335 (341); - für Ausnahmefälle unter Hinweis auf Art. 19 IV GG: BFH, U. v. 25. 1. 61, BB 61, 472. 191 Vgl. BFH wie Voranmerkung. 192 Entwurf einer Finanzgerichtsordnung in Art. I des Entwurfs eines "G. zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit", BT-Drucksache, 2. Wahlperiode Nr. 1716; 3. Wahlperiode Nr. 127. - Vgl. Anm. 198. 193 Dazu: Siegmund-Schultze, aaO. S. 200 f.; Messmer, aaO. S. 150 f.; Vgl. jetzt Anm. 198. 194 Vgl. dazu: Menger, System, S. 134ff. (137-~39).
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1. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
dürfte dagegen in Zukunft entscheidende Bedeutung gewinnen, daß es sich hier materiell um Fragen der Leistungsverwaltung zu Gunsten des Bürgers handelt, bei der die in die Form einer Verpfiichtungsklage gekleidete Leistungsklage immer größeres Gewicht gewinnt, so daß es mehr und mehr zu Fällen kommt, in denen die herkömmlichen Interimsgestaltungsformen der Sozialgerichtsbarkeit nicht ausreichen195 • Man wird sich dann daran zu erinnern haben, daß auch auf dem Gebiet der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit gerade die Fälle der Verpfiichtungsklagen den Verwaltungsgerichten Anlaß gegeben haben, den vorläufigen Rechtsschutz nicht nur auf die Fragen des Suspensiveffektes und der Aussetzungsentscheidung zu beschränken, sondern allgemein die einstweilige Anordnung als gegebenen Interimsschutz anzuerkennen 196 • Diese Gesichtspunkte aber werden auch für die künftige Finanzgerichtsbarkeit nicht unbeachtet bleiben können: gerade die besondere Leistungsklage des § 43 Nr.3 des Entwurfs einer Finanzgerichtsordnung 197 wird, so relativ selten auch diese Klagen voraussichtlich durchgeführt werden mögen, die gleiche Problemstellung aufwerfen und die Frage nach einstweiligen Anordnungen der Finanzgerichte aktualisieren198. 111. Interimsmaßnahmen im ausländischen Verwaltungsprozeß
Ein Blick auf die Regelungen, die das Ausland199 im Verwaltungsprozeßrecht kennt, soll in diesem Zusammenhang einer Ergänzung der Übersicht dienen, die die Frage nach der Entwicklung der einstweiligen Anordnung im deutschen Verwaltungsprozeß ergeben hat. Auch hier kann man wiederum die Gestaltungen der einzelnen Länder nach verschiedenen Rechtskreisen unterteilen, wie es oben20o schon im Abschnitt über die zivilprozessuale einstweilige Anordnung geschehen ist. Besondere Schwierigkeiten wirft in diesem Zusammenhang auf, daß viele Rechtsordnungen weder die Unterscheidung von materiellem bürgerlichen und öffentlichen Recht noch diejenige von Zivilprozeß- und Verwaltungsprozeßrecht kennen; hier soll dann für einige beispielhaft aufgeführte Länder gezeigt werden, welche Interimskompetenzen die dort zuständigen Gerichte in den Fällen haben, die nach rechtsvergleichenden Maßstäben als öffentlich-rechtliche Streitigkeiten zu werten sind. Vgl. dazu: Haueisen und Knoll (oben Anm. 180). Vgl. oben Anm. 166. 197 Dazu: Messmer, aaO. S. 148. 198 Nach Fertigstellung der Arbeit ist nunmehr diese Frage im Sinne der vorstehenden Ausführungen geregelt durch § 114 der Finanzgerichtsordnung vom 6. 10. 1965 (BGBl I S. 1477), der dem § 123 VwGO fast wörtlich nachgebildet ist. Dazu Kühn, aaO., 8. Auf!. Anm. zu § 114 FGO. 199 Zur internationalen Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. oben zu Anm 80 ff. 200 Oben I 2 A H. 195
196
E. Verwaltungsprozeß - III. Ausländischer Verwaltungsprozeß
65
1. Österreich Österreich kennt keine gerichtliche Interimsanordnung während der Dauer des Verwaltungsprozesses; im Gegensatz zu den Zivilgerichten201 kann der Verwaltungsgerichtshof keine einstweiligen Verfügungen erlassen202 • Auch die unserer Klageerhebung entsprechende Einlegung der Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof gegen Verwaltungsakte hat nicht automatisch eine aufschiebende Wirkung 203 • Nur auf Antrag ist die Suspension des Verwaltungs aktes durch die Behörde anzuordnen, wenn eine Vereitelungsgefahr für die angeblichen Rechte des Antragstellers besteht und wenn die sofortige Vollstreckung nicht durch öffentliche Rücksichten geboten ist204 • Darüberhinaus können die Verwaltuhgsbehörden in Eilfällen auf Grund provisorischer Sachprüfung Verwaltungs akte gemäß § 57 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1925205 erlassen, die in ihrer Funktion Interimsregelungen sind206 , und nach § 8 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes von 1925207 können sie auch "einstweilige Verfügungen" unter den Voraussetzungen treffen, die uns bei gerichtlichen Maßnahmen dieser Art geläufig sind208 • Bei diesen zuletzt genannten Interimskompetenzen der Verwaltungsbehörden in Österreich ist allerdings zu beachten, daß sie ihre Wurzeln in der anderen, dem schweizerischen Recht verwandten Ihterpretation des Prinzips der "Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" haben,
Oben Anm. 22, 23. Zur geschichtlichen Entwicklung: Für das 19. Jahrhundert (seit 1799) vgl. Tezner, Handbuch, S. 208 f., (331, 440-44). Zum Gesetz betr. d. Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofs v. 22. 10. 1875 (ÖstRGBl 1876, Nr. 36), insb. zu § 17 (Ausschluß des Suspensiveffekts) vgl. Siegmund-Schultze, aaO. 201
202
S. 38 f.
203 § 30' I Zif. 1 VerwaltungsgerichtshofG. 1952, vom 6. 5. 1952 (öst.BGBl Nr. 96;. entspr. vorher § 17 VerwGHG. 1875). Anders ist es allerdings im verwaltungsinstanzlichen Berufungsverfahren nach § 64 I d. Allg. Verwaltungs-Verfahrens-Gesetzes v. 21. 7. 1925 (BGBl Nr. 274) i. d. F. d. Kundmachung v. 23. 5. 1950 (BGBl Nr. 172), wo der Berufung die aufschiebende Wirkung zukommt. Dazu: Herrnritt, Verwaltungsverfahren, S. 135; ders" Oest. Verwaltungsrecht S. 122; Hellbling, aaO. Bd. I, Anm. zu § 64 AVG (S. 389 f.) m. w. Nachw. 204 § 30 II VerwGHG 1952; vgl. zu allem: Ringhofer, aaO. S. 187 ff. m. Nachw.; Adamovich, Handbuch (5. A) Bd. I S. 301; Hellbling, aaO. Bd. I S. 391 (zu § 64 I AVG); Herrnritt, Oest. Verwaltungsrecht, S. 138. 205 Vgl. Anm. 203. 206 Herrnritt, Verwaltungsverfahren, S. 105, 106 m. weit. Beisp. 207 Vom 21. 7. 1925 (BGBl. Nr. 276) i. d. F. d. Kundmachung v. 23. 5. 1950 (BGBI Nr. 172). 208 Vgl. dazu: Herrnritt, Verwaltungsverfahren S. 237 f.; Mannlicher, aaO. zu § 8 VVG (S. 408); Hellbling, aaO. Bd. II zu § 8 VVG (S. 513). Der Bericht des österreichischen Verfassungsausschusses zum Entwurf d. § 57 AVG 1950 bezeichnet die Interimsregelungen schlechthin als "Maßnahmen der Gefahrenpolizei" (vgl. Hellbling, aaO. Bd. I S. 328).
5 Rohmeyer
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1. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
die schärfer ist als das deutsche Verständnis dieses Begriffes209 und die zu einer Vorverlegung der Zwischenregelungs-Kompetenz führt. 2. Sc h w e iz Die Verwaltungs gerichtsbarkeit in der Schweiz ist in die eidgenössische und kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit gegliedert. Im bundesrechtlichen Bereich fehlt der Verwaltungsbeschwerde der Suspensiveffekt, nur der Bundesrat oder das einzelne Departement kann durch "vorsorgliche Verfügung" einer Beschwerde gemäß Art. 128 des Organisationsgesetzes21o aufschiebende Wirkung beilegen211 • Auch die unserer Klage entsprechende Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat regelmäßig keine aufschiebende Wirkung; nur das Bundesgericht, dem die Verwaltungsgerichtsbarkeit übertragen ist212 , kann durch seinen Präsidenten eine "vorsorgliche Verfügung" nach Art. 106 des Organisationsgesetzes erlassen, die dann die aufschiebende Wirkung anordnet213 • Auch in der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit der Eidgenossenschaft gibt es eine Interimskompetenz des Gerichtes; hierher zählen beispielswe1se die" vorsorglichen Maßnahmen" des eidgenössischen Versicherungsgerichts nach Art.14 des eidgenössischen Versicherungsgerichtsgesetzes 214 • Als Beispiel der kantonalen Verwaltungsrechtspflege sei hier die Regelung der Zürcherischen Verwaltungsrechtspflege von 1959215 , dargestellt: Zunächst begegnet in § 6 des Verwaltungsrechtsschutzgesetzes eine allgemeine Ermächtigung der Verwaltungsbehörde zu "vorsorglichen Maßnahmen", die wegen der strengen schweizerischen Begriffsvorstellung vom Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 216 erforderlich ist, weil nach ihm der Erlaß von Verwaltungsakten in verfahrensrechtlicher Hinsicht unter Umständen von einem förmlichen und zeitraubenden Verfahren abhängig ist, das vorübergehende Zwischenlösungen notVgl. MengeT, System, S. 26 (Anm. 10). 1. d. F. vom 16. 12. 1943, vgl. oben Anm. 24; früher entsprechend: Art. 25 BGes. über d. eidgenöss. Verwaltungs- und Disciplinarrechtspflege v. 11. 6. 28 (AS n. F. 44, 779). 211 Ruck, Schweizerisches Verwaltungsrecht; 1. Bd., Allgemeiner Teil, (3. A), S.226. 212 Zur Entwicklungsgeschichte: Ruck, aaO. S. 235. 213 Ruck, aaO. S. 246; (früher entspr.: Art. 12 BGes. v. 11. 6. 28, oben S. 89 Anm.3). 214 BBeschluß betr. die Organisation und das Verfahren des Eidgenöss. Versicherungsgerichts v. 28. 3. 1917 (AS n. F. 33, 517). 215 Gesetz über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen vom 24. 5. 1959, in Kraft seit dem 1. 5. 60, (Zürich. Officielle Slg. Bd XL, S. 546). 216 Dazu Ruck: aaO. I, S. 18, 194 f.;vgl. auch: Giacometti, Gewaltentrennung und Verwaltungsrechtspflege in Festschrift Fritzsche, S. 9 (11 ff.). 209
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E. Verwaltungsprozeß - Hr. Ausländischer Verwaltungsprozeß
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wendig macht. Im verwaltungsinstanzlichen Rekursverfahren hat dann der Rekurs nach § 25 Abs. I Verwaltungsrechtsschutzgesetz regelmäßig einen Suspensiveffekt; nach § 25 Abs. II kann außerdem die Rekursinstanz einstweilige Verfügungen verschiedensten Inhalts treffen217 . Im eigentlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren schließlich ist die unserer Klage entsprechende Beschwerde nach § 55 Abs. I grundsätzlich mit dem Suspensiveffekt ausgestattet; gemäß § 55 Abs. II ist das Verwaltungsgericht aber auch zu eigenen interimistischen Verfügungen ermächtigt 218 . - Während mithin in der Schweiz die Regelung über den Suspensiveffekt zwischen eidgenössischer und kantonaler Gesetzgebung divergiert, ist doch eine vorläufige Regelungsmacht des Verwaltungsgerichtes übereinstimmend stets gegeben.
3. Fra n k r eie h Der Verwaltungsprozeß Frankreichs 219 kennt wie das Verfahren nach dem Code de procedure civil220 ein Ref{~re-Verfahren221. Diese Ermächtigung zu einstweiligen Maßnahmen war aber bis zum Jahre 1955 sehr viel enger als der Typus der einstweiligen Anordnung, wie er bisher darzustellen war. Im Gegensatz zum Zivilrichter war die Macht des Verwaltungsrichters hierbei nämlich eingeschränkt auf die bloße Feststellung eines Sachverhalts, der durch natürliche Beeinträchtigung sich zu verändern drohte; "le refere administratif" ernannte nur einen Sachverständigen, der den in seiner Feststellbarkeit gefährdeten Sachverhalt zu konstatieren hatte 222 . Das Verfahren war also eine Art Beweissicherungsverfahren22 3, das wir nicht als echtes Verfahren über eine einstweilige Anordnung ansehen224 • Eine ausdrückliche Beschränkung der Interimsbefugnisse des Verwaltungsrichters auf derartige Beweissicherungsfragen enthielten die 217 Vgl. die Zusammenstellung bei Bosshart, Zürcherische Verwaltungsrechtspflege, § 25 Anm. 3 . .218 Dazu: Bosshart, aaO., § 55 Anm. 2, 3; § 56 Anm. 4; § 25 Anm. 3. 219 Allgemein dazu: Lücking, Die Grundlagen der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (1955); Landron, Die französische Verwaltungs gerichtsbarkeit, DVBl 54, 105; Lederer, Verwaltungs gerichtsbarkeit und Justiz in Frankreich, AöR 81, (1956) 449; Choublier-Compain, Les nouveaux Tribuneaux Administratifs (1954). 220 Vgl. oben I, 1 zu Anm. 30; I, 2, Anm. 29. 221 Dazu insbesondere: Lücking, aaO. S. 85 ff.; Waline, Droit Administratif (8. M.) S. 216 ff.; ders., Notes de Jurisprudence, RDP 57, 296 ff.; Drago, La procMure de ref€~re devant le Conseil d'Etat, RDP 53, 297 ff.; ChoubZierCompain, aaO. S. 152 f. 222 Lücking, aaO. S. 86. 223 Vgl. die Entscheidung des Conseil d'Etat vom 4. 3. 1960, abgedruckt bei Drago RDP 1960, 839 (842 Nr. 12). 224 Vgl. unten H, 1 Anm. 20.
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1.
Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
Vorschriften, nach denen vor dem "tribunal administratif" prozediert wurde225 ; nach ihnen konnte der Präsident des tribunal administratif lediglich Sachverständige zur vorläufigen Tatsachenfeststellung ernennen. Für den Conseil d'Etat richtete das Gesetz selbst zwar solche Schranken nicht auf, vielmehr konnte er nach dem Wortlaut des Art. 34 der Ordonnance von 1945226 "toutes mesures utiles" anordnen; aber auch dieser höchste Gerichtshof legte sich in seiner Rechtssprechung auf die gleiche enge Basis fest, wie sie für die Tribuneaux Administratifs von Gesetzes wegen gaW 27 • Gleichzeitig war und ist die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln dem französischen Verwaltungsprozeß grundsätzlich unbekannt228 ; sowohl nach der Novelle des Gesetzes über die Tribuneaux Administratifs229 wie nach Art. 48 der Ordonnance über den Conseil d'Etat von 1945 gibt es grundsätzlich - von Sondergesetzen abgesehen - keinen automatisch eintretenden Suspensiveffekt230 • Lediglich der Richter kann und konnte die Aussetzung (le sursis) auf Antrag in Ausnahmefällen anordnen; während die Rechtssprechung des Conseil d'Etat aber von dieser Befugnis nur in denkbar geringem Maße Gebrauch machte23 1, hatte sich vor den Tribuneaux Administratifs nach dem Gesetz von 1889 ein fester Gerichtsgebrauch über die Aussetzung herausgebildet, der jedoch durch die Novelle von 1953 modifiziert wurde232 • Diese Aussetzungsmöglichkeit bildete bis vor kurzem neben der Sachverständigenbestellung die einzige Interimskompetenz des französischen Verwaltungsrichters; von ihr wurde darüberhinaus nur in engem Rahmen Gebrauch gemacht. Der vorläufige Rechtsschutz der Parteien in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten war in Frankreich daher bemerkenswert gering entwickelt und in gleichem Maße unbefriedigend233 • 225 Art. 24 d. G. v. 22. 7. 1889, dazu jetzt Art. 23 bis i. d. F. d. Decrets v. 10. 4. 59, vgl. Conseil d'Etat, E. v. 7. 10. 59, abgedr. b. Drago, Revue, RDP 60, 166 (168 Nr. 7). 226 Ord. v. 31. 7. 1945; vgl. WaHne, Droit Administratif, S 217. 227 WaHne, Droit Administratif S. 217; ders., Notes, aaO. S. 297; vgl. Conseil d'Etat, E. v. 25. 6. 1952, abgedr. b. Drago, Procedure de reiere, RDP 53, 297 (316). 228 Tourdias, Le sursis a EXEkution des Decisions administratives (1957), S. 5 ff.; Lücking, aaO. S. 85. 229 Vom 30. 9. 1953, vgl. Tourdias, aaO. S. 6, 199. 230 Im Verfahren vor dem Conseil d'Etat schon so seit 1806 (Art. 3 d. Decret v. 22. 7. 1806; ebenso: Art. 24 d. G. v. 24. 5. 1872 und v. 18. 12. 1940); vgl. Tourdias, wie vorstehend. 231 Tourdias, aaO. S. 199. 232 Tourdias, aaO. S. 6, 199. 2SS WaHne, Droit Administratif, S. 216; ChoubHer-Compain, aaO. S. 152;
anders nur in den Fällen, wo Zivilgerichte in öffentlichen Streitigkeiten mit "injonctions" eingreifen können, vgl. dazu: Lederer, aaO. S. 463.
E. Verwaltungsprozeß - IH. Ausländischer Verwaltungsprozeß
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Erst im Jahre 1955 wurden die Verwaltungsgerichte Frankreichs allgemein zu "toutes mesures utiles" ermächtigt23 4, die über eine bloße "constatation de fait" und "prononciation du sursis a l'execution" hinausgehen. Trotz dieser gesetzlichen Neuregelung blieb jedoch die Rechtssprechung bisher zurückhaltend und der Conseil d'Etat, der ja auch schon vorher entsprechend befugt war, geht heute nicht über die alten Grenzen hinaus235 • Dabei spielen zahlreiche mehr unwägbare Vorstellungen über die Begriffe des Ordre public und der Gewaltenteilung eine Rolle236 und im Ergebnis ist es mithin noch heute dem "juge de reiere" untersagt, "d'injunctions a l'administration" zu erlassen237 • 4. Engl a nd
Anders als in den kontinental-europäischen Ländern kennt der angloamerikanische Rechtskreis keine einerseits von der Verwaltung, andererseits von der ordentlichen Gerichtsbarkeit streng geschiedene Verwaltungsgerichtsbarkeit238 • In England 239 kann nur in einem sehr begrenzten Bereich von einem eigenen Rechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten gesprochen werden240 , wobei - der schweizerischen Regelung vergleichbar - der High Court in einer besonderen Abteilung die Verwaltungsgerichtsbarkeit in obel'ster Instanz wahrnimmt und nicht etwa ein besonderes Gericht. Sowohl das Institut der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln wie das einer Interimsanordnung des Gerichts sind hier - jedenfalls im Prinzip - anerkannt. Die grundsätzliche Geltung des Suspensiveffekts hält dabei die Möglichkeit von Vollzugs aussetzungen durch das Gericht - auch innerhalb jenes begrenzten Bereiches - in engem Rahmen241 • Daneben besteht für das Gericht auch die Möglich234 Art. 24 d. G. v. 1889 i. d. F. d. G. Nr. 55-1557 v. 28. 11. 1955; dazu: WaHne, Droit Administratif, S. 216. 235 WaHne, Notes, RDP 57, 296 (298 f.); ders., Droit Administratif S. 217. 236 Vgl. insbesondere: ChoubHer-Compain, aaO. S. 152 f.; Tourdias, aaO.,
S. 12 f., 197 (m. Nachw.). 237 Conseil d'Etat, E. v. 15. 7. 57 (Abgedr. b. Drago, Revue, RDP 57, 1081 [1086 Nr. 18]): "Le juge des referes ne peut adresser d'injunctions a l'administration" . 238 Vgl. für England: Tourdias, aaO., S. 213; für Amerika: Tourdias, aaO., S. 215; Loewenstein, aaO., S. 464 f. 239 Zur Regelung in weiteren Commonwealth~Staaten vgl. de Smith, aaO., S. 340 Anm. 94 (wo ein überblick über "injunctions against governments" in Südafrika, Australien, Neuseeland, Canada und Indien gegeben wird). 240 Zur Abgrenzung: de Smith, aaO., S. 140 H.; Koellreutter, Verwaltungsrecht in England, S. 140 ff.; Stein, Grenzen und Beziehungen, S. 7; für früher: Gneist, aaO. S. 13, 14. 241 Im einzelnen dazu: Tourdias, aaO. S. 213 f.; vgl. auch: Koellreutter, aaO., S. 133.
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1. Teil: Geschichte -
2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
keit, einstweilige Regelungen in Form von "injunctions" zu treffen242 , wenn auch hier wiederum große Abstriche von der ohnehin unbedeutenden Kompetenz zu machen sind, so insbesondere bei "injunctions against the Crown" oder "against officers of the Crown"243. Der gerichtlichen Interimskompetenz in Verwaltungsstreitigkeiten kommt danach in England kaum eine wirkliche Bedeutung ZU244 . 5. Ver ein i g t e S t a a t e n
Die Gerichtsbarkeit der Vereinigten Staaten ist streng dualistisch in Bundes- und Staatsgerichtsbarkeit gegliedert245 ; für die Rechtsvergleichung sollen hier nur die Regeln der Verfahren vor den Bundesgerichten dienen, die sich einerseits als "Constitutional Courts" in die dreistufige Pyramide von "District Courts", "Courts of Appeals" und "Supreme Court" gliedern246 , während andererseits daneben durch einfaches Kongreßgesetz gebildete "Legislative Courts" besondere Gerichte bilden 247 . Allgemeine Grundsätze für ein VerwaItungsstreitverfahren vor diesen Gerichten stellte erst der "Federal Administrative Procedure Act" von 1946 248 auf, der als Grundlage einer amerikanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfahren vor den Bundesgerichten zu bezeichnen ist249 . Der Suspensiveffekt als automatisch wirkende Interimsregelung ist dem amerikanischen Recht unbekannt25o . Ungleich bedeutender als im englischen und französischen Recht ist dagegen die Befugnis der amerikanischen Bundesgerichte, in VerwaItungsstreitsachen die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln durch besondere Anordnung herbeizuführen251 . Diese Kompetenz ist nach der Rechtsprechung des Supreme Court als traditioneller Bestandteil gerichtlicher Verwaltungskontrolle auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung gegeben und hat in der Praxis großes Gewicht gewonnen 252 . Dagegen soll die de Smith, aaO., S. 323 ff., insbes. 330 f. Nach der Crown Proceedings Act 1947, Section 21 (abgedr. bei McMiUan, Crown Proceedings [1948] S. 172 f.); dazu: de Smith, aaO., S. 339 f. und McMillan, aaO., S. 148 f. 244 de Smith, aaO. S. 365 ("except as a remedy for actionable civil wrongs committed by public authorities"). 245 Loewenstein, aaO ., S. 442 f. 246 Loewenstein, aaO. S. 397 f. 247 Loewenstein, aaO. S. 404 f. 248 GO Stat. 237 (abgedr. bei: Forkosch, A Treatise on Administrative Law, 1956, S. 784 ff.). 249 Dazu: Loewenstein, S. 464 f. 250 Tourdias, aaO. S. 215. 251 Vgl. z. B.: Administrative Procedure Act, Section 10 (d) (Satz 2). Nach Satz 1 der Sec. 10 (d) ist auch jede Behörde im Streitfalle befugt "to postpone the effective date of any action". Vgl. dazu auch Forkosch, aaO., S. 189 f. 252 Tourdias, aaO., S. 215 (m. Nachw.); Scripps Howard Radio v. Federal Communications Commission, 316 USA 4 (1942). 242
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E. Verwaltungsprozeß - IIr. Ausländischer Verwaltungsprozeß
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gleichfalls bedeutend gewordene253 Befugnis der Bundesgerichte zum Erlaß von einstweiligen Verfügungen ("injunctions") in Verwaltungsstreitsachen nach der bei Löwenstein angeführten Rechtssprechung nur bei besonderer gesetzlicher Ermächtigung, nicht dagegen "nach Art eines judiziellen Naturrechts" bestehen254 • Auch ein flüchtiger Blick auf die amerikanische Praxis rechtfertigt aber die These, daß die Interimsbefugnis der Bundesgerichte ein bestimmendes Element des amerikanischen Verwaltungsstreitverfahrens geworden ist255 und damit eine im Vergleich zu anderen Ländern ungleich größere Bedeutung erlangt hat. 6. D änem ark Nur der Ähnlichkeit halber sei endlich auf die Lage in Dänemark hingewiesen, das wie die ganze Ausrichtung des Landes stark von England beeinflußt ist. Auch hier gibt es keine besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern nur einen einheitlichen allgemeinen Rechtsweg, der am seit 1661 bestehenden HflJjesteret endet. Besondere Verfahrensregeln für den Verwaltungsrechtsstreit vor diesen Gerichten sind noch nicht normiert. Ein rechtlich fundierter Interimsschutz des Bürgers besteht überhaupt nicht: sowohl nach § 70 S.2 der Dänischen Reichsverfassung von 1915 256 wie nach § 63 Abs. I S. 2 der Dänischen Verfassung von 1953 257 ist den Rechtsmitteln jeder Suspensiveffekt von Verfassungs wegen versagt, und eine Interimsentscheidungsmacht der Gerichte in Gestalt der im übrigen Zivilprozeß möglichen "Verbote" ist gegenüber dem Staat und den Gemeinden als Hoheitsträgern gemäß § 646 des Rechtspflegegesetzes von 1916 258 unbekannt259 • Allerdings hält sich die Verwaltung in Streitfällen üblicherweise mit dem Vollzug von hoheitlichen Maßnahmen auch so zurück, daß hier noch keine Probleme entstanden sind260 • 253 Forkosch, aaO., S. 650-657 mit eingehenden Nachweisen, ferner S. 198, 215; Schwartz, Introduction, S. 178; Loewenstein, aaO., S. 469. 254 Loewenstein, aaO. S. 469 mit Nachweisen. (Im Gegensatz dazu allerdings die Darstellung S. 466 für den Bereich verfassungsrechtlicher Streitigkeiten vor den Bundesgerichten). Vgl. zu dieser These: oben Anm. 3, 162 und grundsätzlich unten II, 2, B, II, 2 c. 255 Vgl. Schwartz, aaO. S. 178. 256 Dänische Reichsverfassung v. 5. 6. 1915 i. d. F. v. 10. 9. 1920 (i. d. übersetzg. abgedruckt bei Kath, Entwicklung des dänischen Regierungssystems, S. 74 f.). 257 Dänische Verfassung v. 5. 6. 1953 (in engl. übersetzg. abgedruckt bei Peaslee, Bd. I S. 733 f.). 258 Vgl. oben zu Arun. 34. 259 Munch-Petersen, aaO. S. 215. 260 Nach einer dem Verfasser erteilten persönlichen Auskunft von S. Exz. Kaarsberg, Präsident des HflJjesteret in Kopenhagen, und Herrn Advokat Poul Schlüter, M. d. Folketings, Kopenhagen.
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1. Teil: Geschichte - 2. Kapitel: Einzelne Prozeßarten
7. Zu sam m e n f ass u n g Zusammenfassend ist für das ausländische Recht festzuhalten, daß ein wirklich vollständiges System vorläufigen Rechtsschutzes fast in allen Ländern, deren Rechtslage hier untersucht wurde, fehlt. Lediglich die kantonale Verwaltungsgerichtsbarkeit der Schweiz, also nicht einmal auch die eidgenössische schweizerische Verwaltungsgerichtsbarkeit, kennt nebeneinander die Institute des automatisch eingreifenden Suspensiveffektes und der richterlichen Interimskompetenz. Im übrigen aber fehlt es in den ausländischen Regelungen weitgehend an dem für das deutsche Recht grundlegenden Institut der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegen Verwaltungsakte; soweit in diesem Rahmen überhaupt vorläufiger Rechtsschutz gewährt wird, bedienen sich die meisten Rechtsordnungen des Instituts der richterlichen Aussetzungentscheidung als eines Unterfalls der im übrigen nur in einigen Ländem bekannten allgemeinen Interimskompetenz des Richters in Verwaltungsstreitigkeiten. Als Rechtsor.dnung, die mit diesen Gestaltungsmitteln einen wirklich durchgreifenden vorläufigen Rechtsschutz gewährt, ist dabei die bundesrechtliche Regelung in den Vereinigten Staaten zu nennen; als Rechtsordnung, die einen vergleichsweise auffallend eingeschränkten Rechtsschutz in Verwaltungsstreitigkeiten bietet, fällt dagegen in diesem Zusammenhang die GesetZigebung Frankreichs auf.
Zweiter Teil
Das Wesen der einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozeß Auf der Grundlage, die die Untersuchung der geschichtlichen Entwicklung des Instituts der einstweiligen Anordnung und seiner heutigen Verbreitung in den verschiedenen Prozeß- und Rechtsordnungen geschaffen hat, soll nunmehr die Frage behandelt werden, welche Kriterien den Charakter dieser gerichtlichen Interimistika überhaupt und insbesondere den der durch § 123 VwGO eingeführten einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozeß bestimmen. Diese Frage drängt sich umso mehr auf, als die Interpretation des § 123 VwGO nicht nur weitgehend auf die Entwicklungsgeschichte und die Ergebnisse von Rechtsprechung und Lehre zu den Interimsbefugnissen anderer Prozeßordnungen zurückgreifen wird, sondern als hier auch - im Gegensatz zu der Lage bei der Einführung von Interimsbefugnissen in anderen Prozeßordnungen - eine Kollision mit den bisher weitgehend gegebenen Interimskompetenzen der einen Streitpartei gegeben ist, nämlich mit der Befugnis der Verwaltungsbehörden, selbst die Schwebelage während des Prozesses durch einstweilige Maßnahmen zu gestalten!. Zwei Quellen werden daher den Strom der Argumente bei der Handhabung dieses verwaltungsprozessualen Institutes speisen: Einerseits werden vielfach F1austregeln übernommen, die in anderen Verfahrensordnungen, zumeist der ZPO, herausgebildet worden sind2 , andererseits aber wird die frühere Auffassung von der verwaltungsbehördlichen Interimsmacht als auch für den neuen Rechtszustand wesentliche Vorstellung mit Wendungen aufrecht erhalten, die die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts als "materiellen Verwaltungsakt" charakterisierens. In solchen Wendungen aber offenbart sich eine allzu große Bereitschaft, kritiklos Auslegungsergebnisse, die bei anderen Bestimmungen gefunden worden sind, auf eine neue Norm zu übertragen und damit deren sachlichen Gehalt und eigentliches Ziel von vornherein überhaupt Vgl. dazu oben I, 2 zu Anm. 115 ff. m. Nachweisen. Zu den daraus entstehenden Problemen, mit typischen Beispielen, vgl. unten Schlußbetrachtung I, 1 und II, 2. 3 Eyermann-Fröhler, VwGO, Rdn. 9; dieselb., VGG, Anh. nach § 51, Anm. I 3, a; Oswald, aaO. S. 237. !
2
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II. Teil: Wesen
nicht zu erkennen4 • Schon das allein rechtfertigt die Frage nach dem eigentlichen rechtlichen Gehalt dieser neuen Interimsspruchmacht. Darüberhinaus aber pflegen solche vorbehaltlos übernommenen Wendungen "die Normauslegung zu überschatten"5, so daß ihre Überprüfung nicht nur für die angedeuteten, später zu behandelnden Grenzfälle der Anwendbarkeit einstweiliger Anordnungen, sondern ganz allgemein für die Handhabung dieses neuen Instituts im Verwalt'ungsprozeßrecht in jedem einzelnen Falle von praktischer Bedeutung ist6 • Eine Differenzierung bei der Untersuchung dieser Frage hinsichtlich der verschiedenen Spielarten des Instituts der einstweiligen Anordnung ist zwangsläufig dort geboten, wo ihr Inhalt und ihre Bedeutung für die sachlich-rechtlichen Partei beziehungen untersucht wird. Dagegen läßt sich die formelle Ausgestaltung dieses neuen verwaltungsprozessualen Instituts einheitlich für Sicherungs-, Regelungs- und Leistungsanordnung behandeln.
4 Das gilt insbesondere in den in der Schlußbetrachtung zu behandelnden Fällen der einstweiligen Anordnung in Beurteilungs- und Ennessenssachen für die bisher unbestrittene h. L. 5 Quaritsch, aaO. S. 215. 6 Quaritsch, wie vorstehend.
Erstes Kapitel
Die prozeßrechtliche Ausgestaltung des Instituts der einstweiligen Anordnung Das wesentliche Merkmal der einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozeß ist ihre Stellung als eine Maßnahme des Gerichts1 • Nicht eine Partei, sondern das Gericht ist ihr Urheber; die Partei setzt nach § 123 VwGO durch ihren Antrag nur eine notwendige Voraussetzung zum Erlaß einer Interimsmaßnahme2 • Diese heute als selbstverständlich anmutende Feststellung ist deshalb unerläßlicher Ausgangspunkt dieser Untersuchung, weil gerade im Verwaltungsprozeßrecht hier eine Hauptschwierigkeit lag, die die Befürworter der verwaltungsgerichtlichen efnstweiligen Anordnung in der Auseinandersetzung über deren Zulässigkeit zu überwinden hatten. Nach alter Tradition nahm nämlich die Executive in vielen deutschen Staaten für sich die Kompetenz in Anspruch, jedenfalls vorläufig die umstrittene Sachlage hoheitlich zu regeln3 • Für die Charakteris,ierung der v,erwaltungsgerichtlichen Interimsmacht ist diese Feststellung unumgänglich, weil - weitgehend unbewußt - die Befugnis zum Erlaß einstweiliger Anordnungen eben doch vielfach noch als eine der Verwaltung zukommende Gestaltungsmacht angesehen wird4 • Als "Prozeßhandlung des Gerichts"S kann die einstweilige Anordnung als "richterliche Willenserklärung"6 angesprochen werden, mit der das 1 Die Stellung der Verwaltungsgerichte als echter Gerichte "i. S. d. Art. 92 GG bedarf heute angesichts der Regelung in § 1 VwGO keiner Erörterung mehr; für früher vgl. Menger, System, S. 58 ff. m. Nachw. 2 Das ist nicht überall so; nach § 32 BVerfGG kann auch von Amts wegen eine einstweilige Anordnung erlassen werden. Ob durch solche Eigeninitiative des Richters der Gerichts-Charakter des Bundesverfassungsgerichts berührt und es zu einem Staatsorgan eigener Art wird, kann hier nicht behandelt werden; vgl. dazu: Fuß, aaO. S. 203; Georg JeHinek, Allgemeine Staatslehre (3. A) S. 620; Walter JeHinek, Gesetz, Gesetzanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung (1913), S. 194; Forst hoff, aaO. S. 5. Vgl. ferner: Art. 3 Ziff. 4 Schutz VO i. d . F. v . 4. 12. 43 (RGBI I, 666) , dazu BaumbachLauterbach, aaO. Anh. nach § 247. Für die geschichtliche Entwicklung dieses Problems vgl. oben I, 1 Anm. 48. Für die Aussetzungsentscheidung früher vgl.: VGH Kassel, B. v. 27. 8. 57, NJW 58, 115; heute: § 80 Abs. V VwGO. 3 Oben I, 2, zu Anm. 115 ff. 4 Hier handelt es sich allein um die Frage der Interimskompetenz, die nach § 123 VwGO grundsätzlich dem Gericht zusteht; die Frage der rechtlichen Qualität wird erst unten zu behandeln sein (unten H, 2). 5 Rosenberg, aaO. S. 236; Stein-Juncker, aaO. S. 145 f.; vgl. Gotdschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 136 f. 6 HeHwig, System des Deutschen Zivilprozeßrechts, I. Teil (1912) S. 486; Baumbach-Lauterbach, aaO. übers. v. § 300 Anm. 1 A; anders (nur der
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Ir. Teil: Wesen -
1. Kapitel: Prozessuale Ausgestaltung
Gericht seiner Ansicht über die Lösung einer konkreten Situation Geltung verschafft. Diese Willenserklärung würde eine rein prozeßrechtliche Maßnahme darstellen, wenn sich ihre Finalität in der bloßen Ausgestaltung des V,erfahrens erschöpfte7 • Sie würde sich damit ,als Maßnahme der Prozeßleitung darstellen8 • Daß die einstweilige Anordnung nicht der "förmlichen Prozeßleitung", der Sorge für einen äußerlich geordneten Verfahrensablauf 9 ,
dient, folgt daraus, daß sie grundsätzlich nicht auf Art und Form des Parteiauftretens in der Verhandlung abzielt, sondern auf "den Streitgegenstand" (§ 123 Abs. I S. 1 VwGO, § 935 ZPO) bzw. auf das "streitige Rechtsverhältnis" (§ 123 Abs. I S. 2 VwGO, § 940 ZPO), mithin auf die dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden sachlich-rechtlichen Beziehungen der Parteien. Darüberhinaus schließt schon das Verfahrensrecht durch seine systematische Gliederung im Gesetz es aus, daß eine einstweilige Anordnung als Mittel der förmlichen Prozeßleitung verwandt wird, wenn es in § 55 VwGO ausdrücklich die Vorschriften des ordentlichen Prozeßweges (§§ 176 ff. GVG) über die förmliche Verfahrensleitung für anwendbar erklärt und damit für dieses Aufgabengebiet des Richters eine eigene, besondere Ermächtigungsgrundlage schafft. Näher läge es, die einstweilige Anordnung als ein Institut der "sachlichen Prozeßleitung" anzusehen, mit der einem zweckmäßigen Ver-
fahrensablauf, insbesondere der sachgerechten Beschaffung des Prozeßstoffes10 , Sorge getragen wird. So findet sich - neben einer Reihe von Stimmen aus der Rechtslehre l1 - vor allem in der Rechtsprechung des Reichsstaatsgerichtshofes der Weimarer Zeit die Ansicht, die Befugnis zum Erlaß von Interimsrnaßnahmen sei inbegriffen in das aus § 23 des Verwaltungsakt sei Willenserklärung), aber mit anderer, psychologischer Begriffsbildung: Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch, Gedächtnisschrift Jellinek, S. 361 (376); Goldschmidt, aaO. S. 496 f. 7 So die Begründung zur ZPO von 1877, die der einstweiligen Verfügung jede Wirkung auf die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien abspricht; vgl. dazu Stern, aaO. S. 18. 8 Vgl. § 146 Abs. II VwGO. 9 Eyermann-FröhIer, VwGO, § 103 Rdn. 2 ff.; Baumbach-Lauterbach, aaO., übers. v. § 128, Anm. 2 A a; Nikisch, Zivilprozeßrecht, (2. A) S. 226; vgl. Schönke-Schröder-Niese, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts (8. A.) S. 226; Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951) S. 146; Stein-Juncker, Grundriß, S. 182 ("Sitzungspolizei 10 Eyermann-FröhIer, VwGO, § 103 Rdn. 5; Baumbach-Lauterbach, übers. v. § 128 Anm. 2 A b; Rosenberg, aaO. S. 266; Schönke-Schröder-Niese, aaO.; Nikisch, aaO. 11 Lammers, Urteilsbesprechung, JW 26, 376 (377); FIad, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reichsexekution (1929), S. 112; Simons, Nachtrag, aaO. S. 740; vgl. dazu SchüIe, aaO. S. 9 f. U ).
II. Teil: Wesen -
1. Kapitel: Prozessuale Ausgestaltung
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Staatsgerichtshofgesetzes folgende Recht des Gerichts, sein Verfahren selbst zu gestalten l2 . Um wirklich die Macht zu haben, einen Rechtsstreit endgültig zu entscheiden, wurdeargumenti,ert, sei eine derartige Interimskompetenz schlechthin eine notwendige Verfahrensvor,aussetzung. Ein Anklang an die Auffassung ist schon bei Kisch13 zu finden, der das Arresturteil- und damit impliciteauch das Urteil im Verfahren über die einstweilige V:erfügung gemäß §§ 936, 922 Abs. I ZPO - als "Gestaltungsurteil mit prozeßrechtlichem Gegenstand" bezeichnet, das für die materiell-rechtlichen Parteibeziehungen völlig irrelevant sei1 4 • Diese Thesen werfen die Frage auf, ob die Vorschriften über die einstweilige Anordnung lediglich prozessualen Inhalt besitzen oder ob sie darüber hinausgehen und von materiell-rechtlicher Bedeutung sindl5 • Als rein dem Prozeßrecht dienende Normen wären sie anzusehen, wenn die "Erhaltung des Prozeßstoffes", der die einstweilige Anordnung jedenfalls u. a. auch dient1 6 , der prozeßleitenden "Beschaffung des Prozeßstoffes"17 gleichzusetzen wäre: Die "Beschaffung des Prozeßstoffes" ist ureigenstes Merkmal richterlicher Tätigkeit, sie ist als vorbereitender Akt des Erkennens Voraussetzung des Urteilens l8 • Diese Tätigkeit hat ihr unmittelbares Ziel im Richten, im Essentiale des Prozesses. Die "Erhaltung des Prozeßstoffes" dient der Urteilsjindung dagegen nicht. Sie ist kein Mittel, die Urteilsfindung zu ermöglichen oder ihre Unmöglichkeit zu verhindern: Diesen Zweck verfolgt die vorbeugende Beweissicherung, die ausschließlich darauf abzielt, daß die Erkenntnis des wahren Lebenssachverhaltes, der zur Beurteilung ansteht, nicht dadurch vereitelt wird, daß die für solches Erkennen maßgeblichen 12 RStGH, E. v. 10. 10. 1925, L-S I, 212 (215), auf die Entscheidung wird dann ständig Bezug genommen (vgl. Nachweise oben I, 2 Anm. 52); gegen diese Rechtsprechung (ohne Begründung): Heinsheimer, aaO. S. 378; ebenso a. A. für das zwischenstaatliche Prozeßrecht: Pütz, aaO. S. 14 f. 13 Kisch, Beiträge zur Urteilslehre (1903), S. 162. 14 Vgl. auch Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 58, 337, der die Problematik der einstweiligen Anordnung als eine Frage nach prozessualen Maßnahmen hinstellt, die die künftige Endentscheidung sichern sollen. 15 Vgl. Quaritsch, aaO. S. 357, der aber "die problematische Frage ... , ob § 123 Abs. I VwGO und die richterliche Anordnung für das Handeln der Verwaltung eine eigene Rechtsgrundlage zu schaffen vermag ... ", offen läßt. 16 Pütz, aaO. S. 24: "Erhaltung des Sachverhalts". 17 Eyermann-Fröhler, VwGO, § 103 Rdn. 5, § 86 Rdn. 1, 3; BaumbachLauterbach, aaO., übers. v. § 128, Anm. 2 C; Rosenberg, aaO. S. 268. 18 Unerheblich ist hier, wer den Prozeßstoff beizubringen hat. Diese für den Verwaltungsprozeß durch § 86 VwGO im Sinne der Untersuchungsmaxime geregelte Frage behandelt nur das Problem einer Rollenverteilung zwischen Gericht und Parteien, das in diesem Zusammenhang irrelevant ist. Vgl. Rosenberg, aaO. S. 268.
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II. Teil: Wesen -
1. Kapitel: Prozessuale Ausgestaltung
Erkenntnisquellen verloren gehen, und für die die deutschen Prozeßordnungen grundsätzlich Sonderregelungen enthalten19 • Hier liegt der Grund, Fragen dieses Komplexes nicht in den Aufgabenbereich der einstweiligen Anordnung miteinzubeziehen20 • Die "Erhaltung des Prozeßstoffes" so, wie sie hier verstanden wird, verfolgt dagegen ein ganz anderes Ziel: Sie soll vermeiden, daß ein gefundenes Urteil ins Leere geht, weil die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse die beurteilte Streitfrage überholt hat. Denn für das Urteil an sich als einen Spruch über eine konkrete historische Situation21 ist es gleichgültig, ob es wegen neuer faktischer Ereignisse überholt ist oder nicht; hierin liegt ein Wesensmerkmal des richterlichen Urteils, dessen Konsequenz u. a. in dem Satz "fiat justitia, pereat mundus" ihren Niederschlag findet 22 • Das Urteil kommt eben begriffsnotwendig "post eventum" und mag sogar in der Mehrzahl aller Fälle zu spät kommen23 • Die einstweilige Anordnung dagegen dient nicht der zweckmäßigen Abwicklung eines laufenden Verfahrens, sie ist bestimmt, daß ein - den Regeln der Prozeßökonomie selbst völlig gerecht werdendes - abgeschlossenes Verfahren nicht insgesamt seines Sinnes beraubt wird. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, daß Entscheidungen, die den Erlaß einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich für unzulässig erklärt haben, mehrfach auf mögliche künftige Prozesse hinweisen mußten, die mangels 19 § 98 VwGO; §§ 485 ff. ZPO; vgl. dazu z. B.: Eyermann-Fröhter, VwGO, § 96 Rdn. 11, § 98 Rdn. 20; ute, VwGO, § 98 Anm. I 8; Rosenberg, aaO. S. 566 f.; Schönke-Schröder-Niese, aaO. S. 270 ff. 20 a. A.: SchWe, aaO. S. 85, der die Beweissicherung als Unterfall der Rege-
lungsanordnung ansieht, aber das oben bezeichnete Spezialitätsverhältnis nicht b.eachtet. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch, daß sich das Beweissicherungsverfahren aus dem Verfahren über den "Beweis zum ewigen Gedächtnis" des kanonischen Rechts entwickelt hat (Rosenberg, aaO. S. 566), also eine ganz andere geschichtliche Wurzel hat als die einstweilige Anordnung (oben I, 1, A-C). - Anders ist es allerdings teilweise im Ausländischen Prozeßrecht. Im schweizerischen Zivilprozeß gibt es einstweilige Verfügungen zur Beweissicherung (Gutdener, aaO. S. 384, 389), die allerdings zumeist auf besonderer gesetzlicher Regelung beruhen (Nachweise b. Gutdener, aaO. S. 389 Anm. 25) und dann begrifflich von der echten einstweiligen Verfügung zu unterscheiden sind (Gutdener, aaO. S. 384 Anm. 11). In der besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit der Schweiz gilt entsprechendes nach Art. 15 des eidgenössischen Versicherungsgesetzes (oben I, 2 Anm. 214). Daß endlich das Interimsverfahren im französischen Verwaltungsprozeß überwiegend Beweissicherungscharakter hat, ist oben (I, 2, E, III, 3) ausführlich belegt. 21 Stein-Juncker, aaO. S. 10; JeHinek, Walter, Gesetzesanwendung S. 167; Schindter, Schiedsgerichtsbarkeit und Friedenswahrung, in Recht - StaatVölkergemeinschaft (1948) S. 319 (326 f.); Hussert, Recht und Zeit (1955), S. 59. Es handelt sich hier um eine Konsequenz des - von der ganz herrschenden Lehre vertretenen - rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes (dazu unten II, 2, B, II, 1; Kritik zu diesem Begriff unten II, 2, D). 22 Stein, Grenzen und Beziehungen, S. 2. 23 Schmitt, Der Hüter der Verfassung (1931), S. 32; vgl. W. JeHinek, Schindter und Hussert (oben Anm. 21).
II. Teil: Wesen -
1. Kapitel: Prozessuale Ausgestaltung
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E-iner vernünftigen Zwischenregelung erforderlich wurden24 . Das Institut der einstweiligen Anordnung sprengt eine "rein prozessuale Betrachtungsweise", die sich "allein auf das in sich geschlossene Internum des prozessualen Raumes a1s solchen mit der Frage richtet, welche Schritte hier in Richtung auf ein richterliches Urteil hin getan werden dürfen"25. Die Aufgabe der einstweiligen Anordnung beschränkt sich hier auch nicht nur auf die Rechtsschutzinteressen der von ihr begünstigten Partei 26 , der an einem durch die faktischen Ereignisse überholten Urteil ohnehin wenig liegt27 , sondern sie dient darüberhinaus der staatlichen Institution der Gerichtsbarkeit selbst, die .. die Wirksamkeit des eigenen Erkenntnisses vor einem ,zu spät!' zu bewahren" berechtigt wird 28 • In diesem Sinne handelt es sich aber bei der Erhaltung der Prozeßlage nicht mehr um Fragen der Prozeßökonomie als einer allein auf den Innenbereich eines Prozesses abzielenden Aufgabe - die mit den Mitteln der sachlichen Prozeßleitung wahrgenommen werden soll -, sondern die einstweilige Anordnung dient einer "äußeren Prozeßökonomie", die besser als eine "Staatsökonomie" in dem Sinne verstanden wird, daß staatliche Institutionen wie die Gerichte sich nicht selbst von vornherein dadurch ad absurdum führen, daß sie die Erreichung der Ziele ihrer Tätigkeit selbst vereiteln29 . Sowohl im Interesse eines umfassenden, über die Aufgaben des konkreten Prozesses hinausgehenden Rechtsschutzes zugunsten des Bürgers wie auch im Interesse der Öffentlichkeit an einer echten Staatsökonomie liegt daher die eigentliche Aufgabe richterlicher Interimsentscheidungen, die Aufgabe, den dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Sachverhalt überhaupt entscheidungsfähig zu erhalten 3o • Zu diesem Zweck verleiht die Rechtsordnung dem Richter die Macht, mit dem prozessualen Institut der einstweiligen Anordnung in die materiell-rechtlichen Beziehungen der Parteien einzugreifen: Auf Grund einer solchen Interimsentscheidung erhält die 24
Vgl. z. B.: OVG Lüneburg, B. v. 20. 11. 51, AS 5, 385 (386/387).
2. So grundsätzlich für den Umfang prozessualer Maßnahmen im Rahmen
des Hauptverfahrens: Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, Teil I (1952) Rdn. 55. 26 a. A.: Stein-Juncker, Grundriß S. 331, und Schille, aaO. S. 86 f., die die einstweilige Verfügung des Zivilprozesses nur von der Schutzfunktion für die Individualinteressen der Partei her sehen. 27 Vgl. OVG Münster, U. v. 21. 8. 61, JZ 62, 322, wo sogar erwogen wird, ob bei einem solchen Verfahren, dessen Urteil in diesem Sinne "zu spät" kommt, nicht das Rechtsschutzinteresse für die Klage fehlt. 29 Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 58, 337. 29 Vgl. Pütz, aaO. S. 10: Das Fehlen der Interimsmacht "stellt den Sinn der Institution eines Gerichts als solchen in Frage". Ebenso: Niemeyer, aaO. S. 18; Siegmund-Schultze, aaO. S. 120: Die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes führt zur Beeinträchtigung des Ansehens der beteiligten staatlichen Organe, wenn das später ergehende Urteil praktisch überholt ist. 30 Vgl. dazu auch Schlußbetrachtung I, 2 und II, 2 zu Anm. 60.
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II. Teil: Wesen - 1. Kapitel: Prozessuale Ausgestaltung
eine Partei der anderen gegenüber das Recht auf einstweilige Sicherung oder auf Duldung einer vorübergehenden Regelung des umstrittenen Zustandes und die andere Partei wird im gleichen Maße verpflichtet, diese einstweilige Gestaltung für die Prozeßdauer hinzunehmen31 • Es kann in diesem Zusammenhang noch dahinstehen, ob die einstweilige Anordnung lediglich eine schon mit der Rechtshängigkeit eingetretene materielle P,arteiverhaltenspflicht, die zwar nicht auf Grund gesetzlicher Regelung, wohl aber gewohnheits rechtlich die Parteien für die Prozeßdauer binden könnte, konstatiert oder aber ob sie selbständig schöpferisch eine solche Gestaltung überhaupt erst herbeiführt 32 • In jedem Falle geht die einstweilige Anordnung mit der Begründung materiell-rechtlicher Sicherungspositionen über den Rahmen einer Maßnahme mit rein verfahrensrechtlichem Gehalt hinaus; sie erschöpft sich nicht in prozessualer Gestaltungwirkung und überschreitet damit die Grenzen, die den Befugnissen einer sachlichen Prozeßleitung des Richters gesteckt sind33 • Die Aussonderung aus dem Gebiet der Prozeßleitung verweist die einstweilige Anordnung - bei allen Vorbehalten, die die uneinheitliche Begriffsbildung hier erfordert -, in die Kategorie der echten richterlichen Entscheidung 34 • Sie ist eine autoritative Regelung der Folgen konkreter Tatbestände35 , das ihr vorangehende Verfahren ist ein echter "Prozeß", d. h., ein rechtlich geordneter, von Lage zu Lage sich entwickelnder Vorgang zwecks Gewinnung einer richterlichen Entscheidung über ein materiell-rechtliches Rechtsverhältnis 36 • Die systematische Einordnung des Instituts der einstwemgen Anordnung in den Aufbau der Verwaltungsgerichtsordnung könnte daher als falsch erscheinen, wenn sie der einstweiligen Anordnung einen eigenen 11. Abschnitt im II. Teil des Gesetzes zuweist; nach formellen Gesichtspunkten wäre die einstweilige Anordnung dem 10. Abschnitt des Ir. 31 Inkonsequent, praktisch undurchführbar und logisch nicht vertretbar dagegen J erusalem, aaO. S. 184 f., der zwar die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen des StGH bejaht, demgegenüber eine Pflicht der Länder, solche Interimsentscheidungen zu befolgen, verneint. Wodurch unterschiede sich, wäre diese Auffassung richtig, eine solche einstweilige Anordnung von einer unverbindlichen Rechtsansicht des Gerichts? 32 Vgl. dazu unten II, 2, B, II, 2 bund II, 2 Anm. 212. 33 So auch (ohne Begründung): Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, aaO. S. 362 (zu Anm. 10). 34 Stein-Jonas-Schänke, aaO., Vorb. v. §300, Anm. I; Baumbach-Lauterbach, aaO., übers. v. § 300 Anm. I; vgl. auch Bettermann, wie Voranmerkung. Die Begriffe werden jedoch nicht einheitlich gebraucht, z. T. werden auch die Maßnahmen der Prozeßleitung als Entscheidungen ("Lw.S.") bezeichnet; vgl. Rosenberg, aaO. S. 236. 35 Stein-Jonas-Schänke, aaO., Vorb. v. § 1, Anm. I; Rosenberg, aaO. S. 237. 36 Eb. Schmidt, aaO. Rdn. 50; Goldschmidt, Prozeß, 151.
II. Teil: Wesen - 1. Kapitel: Prozessuale Ausgestaltung
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Teils der VwGO über "Urteile und andere Entscheidungen" zuzurechnen. Denn die einstweilige Anordnung ergeht grundsätzlich zunächst nach § 123 VwGO durch Beschluß und im Falle eines daraufhin eingereichten Antrags auf mündliche Verhandlung durch Urteil (vgl. §§ 123 Abs.III, IV; 136 VwGO; 924, 925 ZPO)37, in jedem Falle also durch richterliche Entscheidung 38 . Daß der Gesetzgeber hier einen richterlichen Ausspruch schaffen wollte, der auch der Form nach sui generis wäre, ist, auch wenn der Wortlaut diesen Schluß zuläßt, bei einem so ausgeprägten Institut angesichts des Schweigens des Gesetzgebers nicht anzunehmen. Die einstweilige Anordnung ist daher auch nicht aus formellen, sondern aus sachlichen Gründen aus dem Titel über "gerichtliche Entscheidungen" ausgesondert. Mit dieser Sonderstellung sollte nicht ihre Form als besonderes Institut hingestellt werden, sondern ihr Inhalt. Daß der Gesetzgeber allerdings in jenem 10. Titel die Entscheidungsgattung "Urteil" ausführlich hinsichtlich ihres Inhalts regelt (vgl. § 113 VwGO), ist angesichts des Sondertitels über die einstweilige Anordnung eine systematische Inkonsequenz. Insoweit hätte die Regelung über die einstweilige Anordnung ebenso wie die über das Urteil hier Platz im Rahmen des Titels über "Urteile und andere Entscheidungen" finden müssen39 . Als Ergebnis der Untersuchung über die prozeßrechtliche Ausgestaltung des Instituts der einstweiligen Anordnung ist aber, abgesehen von dieser Kritik an der Systematik des Gesetzgebers, hier festzuhalten, daß die Interimskompetenz nicht in den Bereich der Befugnisse zu prozeßleitenden Maßnahmen des Richters fällt, sondern daß sie das Gericht zum Erlaß echter Sachentscheidungen ermächtigt.
37 UIe, VwGO, § 123 Anm.IV; ders. Verwaltungsprozeßrecht, S. 219; Klinger, VwGO, § 123 Anm. C 4 a; Eyermann-FröhIer, VwGO, § 123 Rdn. 21 und 25. 38 Und zwar in dem formellen Sinn des § 160 Abs. II ZUr. 5 ZPO, der auch im Rahmen des § 105 Abs. II VwGO gilt (Eyermann-FröhIer, VwGO, § 105 Rdn. 4; UIe, VwGO, § 105 Anm. I 2). 39 Dem entspricht auch nunmehr die Einordnung des § 114 FGO in den IV. Abschnitt "UrteiLe und andere Entscheidungen" des Ersten Teils der Finanzgerichtsordnung vom 6. 10. 1965 (vgl. oben I, 2 Anm. 198), die nach Fertigstellung der Arbeit verkündet worden ist.
6 Rohmeyer
Zweites Kapitel
Der rechtliche Gehalt interimistischer Entscheidungsgewalt A. Einführung Die förmliche Kennzeichnung der einstweiligen Anordnung als gerichtliche Entscheidung wirft die Frage auf, ob diese Kompetenz der Institution "Gericht" sich auf einen Akt der Funktion der "rechtsprechenden Gewalt" im Sinne des Art. 92 GG bezieht, ob also der Erlaß einer einstweiligen Anordnung die Ausübung rechtsprechender Gewalt bedeutet. Diese Frage wird nicht schon allein durch den Gerichtscharakter der die einstweilige Anordnung erlassenden Entscheidungsinstanz beantwortet: Auch Gerichte können Verwaltungsfunktionen durch Akte erfüllen, die materiell Verwaltungsakte sind, ohne daß die Art. 92, 20 GG das hindern1 , und die Konsequenzen der Möglichkeit, den Erlaß einstweiliger Anordnungen als verwaltende Tätigkeit des Gerichts zu qualifizieren, werden unten noch eingehend darzustellen sein. Mit dieser Frage nach dem rechtlichen Gehalt interimistischer Entscheidungsbefugnisse wird ein Problem angeschnitten, das sich nicht nur in der laufenden Handhabung des Instituts der einstweiligen Anordnung auswirkt, sondern das daneben auch staatsrechtliche und rechtspolitische Konsequenzen in sich birgt, deren Folgen gegenwärtig zwar nicht sonderlich aktuell sind, die hier aber jedenfalls kurz angesprochen werden sollen: Die staatsrechtlichen Folgerungen, die sich an die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten dieser Frage knüpfen, sind bisher im wesentlichen stets dort umstritten gewesen, wo einem Gericht die Kompetenz zu Interimsentscheidungen nicht ausdrücklich vom Gesetzgeber einge1 Maunz, aaO. S. 220; Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 49 (1958) S. 178; Ute, Verfassungsrecht und Verwaltungsprozeß, aaO. S. 537; ders. Urteils anmerkung, JZ 58, 628 (629); Lefringhausen, aaO. S. 3; BVerwG, st.Rspr., vgl. z. B. E. 5, 69; U. v. 8. 5. 58, NJW 58, 1697 (1698) m. Nachw. - Für die frühere Zeit vgl.: Triepet, Die Reichsaufsicht (1917), S. 136 (Anm. 2 m. Nachw.); G. JeHinek, aaO. S. 609 f. § 39 VwGO, der einen Rückfall der Verwaltungsgerichte in die Stellung einer Hausgerichtsbarkeit der Verwaltung verhindern will, steht dem nicht entgegen, da es sich hier nicht um die Frage der übertragung von Verwaltungsgeschäften, sondern um die Qualifikation zugewiesener richterlicher Aufgaben handelt.
A. Einführung
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räumt war, so insbesondere in der Verfassungsgerichtsbarkeit der Weimarer Zeit2 und in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem zweiten Weltkriege3 bis zur Einführung des § 123 VwGO. Das Problem war dann regelmäßig in die Frage gekleidet, ob die Kompetenz zum Erlaß einstweiliger Anordnungen etwa einen notwendigen Nebeninhalt der bestehenden richterlichen Urteilsgewalt darstelle. Thesen und Antithesen gleichen Inhalts lassen sich daher im Streit um die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen des früheren Reichsstaatsgerichtshofes ebenso finden wie in dem um die Zulässigkeit von Interimsmaßnahmen im Verwaltungsprozeß4. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß auch die Befürworter von Interimsmaßnahmen des Gerichts in der besonderen VerwaltungsgerichtsbarkeitS nunmehr die Argumente aus jenen früheren Auseinandersetzungen wieder aufgreifen. Für die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit aber entbehrt diese Seite des Problems seit der ausdrücklichen Zulassung der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung in § 123 VwGO jeder Aktualität. Diese Kodifizierung der Interimskompetenz kann heute lediglich noch zu der - zur Zeit allerdings mit Sicherheit rein akademischen - Frage berechtigen, ob der Gesetzesgeber befugt ist, den Gerichten diese neue vorläufige Entscheidungsmacht wieder zu entziehen: Wenn der Inhalt der interimistischen Entscheidungsgewalt die einstweilige Anordnung zu einem Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG qualifiziert, so ist die Kompetenz des § 123 VwGO den Gerichten unangreifbar zugeordnet6 , andernfalls aber steht diese Zuordnung zur Disposition des Gesetzgebers 7 • Aber abgesehen davon, daß der Gesetzgeber seine in Vgl. oben I, 2 zu Anm. 52 ff. Oben I, 2 zu Anm. 157 ff. 4 Vgl. z. B.: JerusaIem, aaO. S. 184, Simons, Nachtrag aaO. S. 184, einerseits und Baring, Einstweilige Verfügung, aaO. S. 48, E. Eichhorn, aaO. S. 143, 204, OVG Lüneburg, B. v. 28. 6. 57, VRspr. 9, 881 (885), andererseits; vgl. oben I, 2 Anm. 162. ~ Haueisen und Knoll, oben I, 2 Anm. 180. 6 Wenn man der These der h. L. folgt, daß Art. 92 GG für echte Rechtsprechungsakte ein Richtermonopol begründe. So: v. Mangoldt, aaO. Art. 92 Anm. 3 (S. 500); Hamann, Das Grundgesetz (2. A) Art. 92 Anm. A, B, Cl; Friesenhahn, über Begriff und Arten der Rechtsprechung, Festschrift Thoma (1950) S. 21 (31); Baur, Der Begriff der Rechtsprechung und die freiwillige Gerichtsbarkeit, DNotZ 55, 507 (511); ders., Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, JZ 57, 193; Arndt, Ist eine Strafgewalt des Finanzamts mit dem Grundgesetz vereinbar? NJW 57, 249; ders., Urteilsanmerkung, NJW 59, 1230; Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51 (1960),64 (67); UIe, Verfassungs recht und Verwaltungsprozeß, aaO. S. 537; Brüggemann, Die Rechtsprechende Gewalt (1962), S. 55; BVerwG 2, 210; 8, 350; OVG Münster, AS. 5, 247; BGHZ 11, Anh. S. 34 (50). - Dagegen zuletzt: Lefringhausen, aaO. S. 209 ff. (231) m. Nachw.; Maunz, aaO. S. 220; BGHSt 13, 102 2
S
(106).
7 Soweit man nicht in Art. 19 Abs. IV GG eine gesetzesfeste Verfassungsgarantie vorläufigen Rechtsschutzes sieht; dazu eingehend: unten H, 2, B, V,3.
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2. Kapitel: Materieller Gehalt
§ 123 VwGO zum Ausdruck gekommene Entschei,dung zu Gunsten verwaltuhgsgerichtlicher Interimskompetenz kaum durch eine neuerliche Entziehung dieser Befugnis als Fehlentscheidung hinstellen dürfte, kann lediglich ein Umschwung in der zur Zeit allgemein herrschenden, dem Grundgesetz folgenden Idee vom "Rechtsweg-Staat"8 diese Frage wieder zu einem aktuelleh Problem werden lassen. Von dieser Seite her aber droht der neuen verwaltungsgerichtlichen Interimskompetenz angesichts der heute einhelligen Rechtslehre keinerlei Gefahr. Eine solche Gefährdung wäre allerdings durch neue politische Entwicklungen auf dem Wege zur Rechtsvereinheitlichung im westlichen Europa möglich: Hier besteht nämlich durchaus nicht in allen Ländern einheitlich eine gerichtliche Befugnis zu Interimsentscheidungen, man vergleiche nur die Rechtslage in Österreich und Frankreich9, wo Interimsregelungen während öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten entweder völlig verwaltungsinterne Executivaufgabe sind (Österreich) oder wo sie nur in engem, kompromißbestimmtem Rahmen richterliche Aufgabe darstellen (Frankreich). Bei einem Fortschreiten der europäischen Integration ist es daher nicht ausgeschlossen, daß die hier zum Ausdruck kommenden AufLassungen von -e iner der Exeoutive zustehenden Interimskompetenz sich auch in etwa neu einzuführ-e nden Verfahrensordnungen Geltung verschaffen und daß bei einer weiteren - heute natürlich noch nicht abzusehenden - Rechtsvereinheitlichung solche Vorstellungen auch wieder für das nationale Recht maßgebend werden. Auch dieser Frage ist heute noch keine Aktualität beizumessen. Selbst wenn sie aber einmal spruchreif werden sollte, so werden die Verfechter der heute in Deutschland herrschenden Idee von der verwaltungsgerichtlichen Interimskompetenz ins Feld führen können, daß in der vorläufigen Regelungsmacht des europäischen Gerichtsho~es nach Art. 83 ff. seiner Verfahrensordnung und nach den verschiedenen europäischen VerträgenlO eine wichtige Vorentscheidung zu Gunsten der gerichtlichen Interimskompetenz gefallen ist. Aber ganz abgesehen von diesen staatsrechtlichen und politischen Erwägungen kann einfach die gerichtliche Praxis einer Untersuchung der materiellen Rechtsnatur des Aktes der einstweiligen Anordnung nicht ausweichen. Gerade in zweifelhaften Grenzfällen der Anwendbarkeit dieses Instituts kann die Einordnung der Interimsentscheidung in die Staatsfunktionenlehre den Schlüssel zur Lösung der Probleme geben. Ungeprüfte Gemeinplätze von der Rechtsnatur der Interimskompetenz 8 Jahrreiß, Demokratischer Rechtsstaat und Rechtsprechung, in RechtStaat-Wirtschaft Bd. II (1950) S. 203 (213). 9 Vgl. oben I, 2, E, III 1 und 3. 10 Dazu oben I, 2, Anm. 86, 87.
A. Einführung
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können in solchen Zweifelsfällen die Normauslegung unbewußt bestimmen, sie pflegen sie zu "überschatten", wie Quaritsch diesen Einfluß irrationaler Momente treffend bezeichnet hatl l • Nur eine saubere begriffliche Klärung und die Kenntnis der historischen Entwicklung des Institutes darf die Grundlage einer rechtsentwickelnden Praxis bilden. Das "Hantieren mit staatsrechtlichen Etiketten ohne Vergewisserung, ob dahinter etwas eindeutiges steht"12 hat auch im Bereich des Instituts der einstweiligen Anordnung schon Früchte hervorgebracht und ist mindestens dabei, für neue Früchte Blüten zu treiben: lange Zeit hat es im Kampf um die Anerkennung der einstweiligen Anordnung als einsatzbereites Instrument der Verw,altungsgerichtsbarkeit seit 1945 die Anwendung der richterlichen Interimsmacht gehemmt1 3 und auf dem Gebiet der einstweiligen Anordnung gegenüber Ermessensmaßnahmen der Executive hat sich, wie im letzten Abschnitt dieser Arbeit zu zeigen sein wird14 , ebenso schon eine Fehlentwicklung in der Rechtsprechung angebahnt, die auf einer typischen Verkennung des Wesens der richterlichen Interimsmacht beruht. Die Voraussetzungen zu schaffen, diese These zu belegen, sei Aufgabe des folgenden Abschnitts. Bei der Untersuchung des Rechtsprechungscharakters der einstweiligen Anordnung wird sich zeigen, daß zwei spezifisch diesem Institut innewohnende Momente in besonderem Maße Probleme aufwerfen: Einer solchen Charakterisierung könnte einerseits entgegenstehen, daß bei der einstweiligen Anordnung die anzuordnende Regelung in - im einzelnen noch darzulegenden Umfang - das Ermessen des Gerichts gestellt ist (§ 123 Abs. III VwGO, § 938 ZPO). Zum anderen aber könnte die Vorläufigkeit, die jeder einstweiligen Anordnung begriffsnotwendig eigen ist, die Rechtsprechungsqualität dieser Entscheidungsgattung ausschließen. Während diese Fragen, wie hier der Einführung halber vorweg genommen sei, bei der Sicherungs- und Regelungsanordnung im wesentlichen gleich gelagert sind, ist der Interimscharakter der Leistungsanordnung schon ihrer Befriedigungsaufgabe wegen ganz anders zu beurteilen und auch die Frage der Ermessensbetätigung hat beim Erlaß der Leistungsanordnungeine andere, sehr viel engere Bedeutung als bei den beiden anderen Spielarten der einstweiligen Anordnung. Diese Unterschiede berechtigen dazu, zunächst nur die Sicherungs- und Regelungsanordnung zu betrachten und erst später die Rechtsnatur der Leistungsanordnung zu untersuchen. 11 Quaritsch, aaO. S. 215. 12 Jahrreiß, Demokratischer Rechtsstaat, aaO. S. 207; vgl. Menger, System, S. 20 Anm. 28. 13 Zunächst allgemein, später im Bereich der MRVO 165, vgl. oben I, 2 zu
Anm. 157, 159. 14 Schlußbetrachtung, insbes. H, 2.
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B. Die Rechtsnatur von Sicherungsanordnung und Regelungsanordnung Der Gesetzgeber unterscheidet sowohl in der ZPO wie in der VwGO zwischen der SicheI1Ungs- und der Reg,elungsanordnung (§§ 935, 940 ZPO; § 123 Abs. I S. I,S. 2 VwGO). Wie die Entwicklungsgeschichte des Instituts 15 zeigt, berechtigt ihn die Verschieden artigkeit der Wurzeln der heutigen einheitlichen einstweiligen Anordnung zu dieser Differenzierung. Ob über diese historische Legitimation hinaus die kodifizierte Materie heute noch zu einer solchen Entscheidung berechtigt oder ob eine zusammenfassende Regelung dem Gesetzeszweck genüge tun würde, sei in diesem Rahmen ebenso dahingestellt wie die Frage nach der gen auen Abgrenzung der Sicherungsanordnung und der Regelungsanordnung; immerhin hat der Gesetzgeber im Verfassungsprozeß und in den Verwaltungsprozeßgesetzen der Nachkriegszeit stets nur einen Tatbestand als ausreichend für alle Bedürfnisse betrachtet (vgl. § 32 BVerfGG; § 64 VGG-Pf; § 30 BVerwGG)16. Für die Frage nach dem Rechtsprechungscharakter dieser beiden Typen der einstweiligen Anordnung ergeben sich keine Gesichtspunkte, die zu einer gesonderten Untersuchung veranlassen, insbesondere gelten die oben herausgehobenen Regeln über die Ermessensbetätigung und die Vorläufigkeit der Anordnung für beide Arten in gleicher Weise. In diesem Abschnitt dient der Begriff "einstweilige Anordnung" mithin der Kennzeichnung von Sicherungs- und Regelungsanordnung unter Ausschluß der Leistungsanordnung. I. Vorbemerkung zum Rechtsprechungsbegrift
Die Frage, ob die einstweilige Anordnung oder, ganz allgemein gesehen, irgendeine Maßnahme staatlicher Gewalt als Akt der Rechtsprechung zu charakterisieren ist, führt in eines der umstrittensten Gebiete des Staatsrechtes. Sie wäre mit dem Ergebnis eines einfachen Subsumtionsschlusses zu beantworten, wenn Gesetz, Wissenschaft oder Praxis einen exakten Begriff der "Rechtsprechung" besäßen. An ihm fehlt es jedoch17 ; es gibt fast ebenso viele Begriffe für die rechtsprechende Tätigkeit, wie es Stimmen gibt, die sich um ihn bemüht haben18. Diese Arbeit hat weder die Aufgabe, sich in diesem "begrifflichen und 15 Oben I, 1, A-C. 16 Die Regelungsanordnung der §§ 123 Abs. I S. 2 VwGO, 940 ZPO wird weitgehend als der Grundtypus der einstweiligen Anordnung angesehen; vgl. z. B.: Markett, aaO. S. 34; Reuseher, aaO. S. 430 Anm. 18; Quaritsch, aaO. S. 243, 344. 17 Vgl. z. B.: BVerwG, U. v. 13. 6. 59, NJW 59, 1507; Baur, Begriff der Rechtsprechung, aaO. S. 510. 18 Den jüngsten überblick über Sach- und Streitstand der Auseinandersetzung um den Rechtsprechungsbegriff gibt: Lefringhausen, aaO., mit eingehender Erörterung; vgl. ferner z. B.: Menger, System, S. 17 ff. (insb.
S.21-62).
B. Regelungsanordnung pp. - I. Zum Rechtsprechungsbegriff
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terminologischen Chaos"19 mit den Argumenten aller unterschiedlichen Meinungen auseinanderzusetzen, noch kann sie so anmaßend sein, dem bisherigen Streit wirklich neue Thesen hinzufügen zu wollen. Ziel dieses Abschnittes ist nur, rein feststellend zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen die Interimsmacht des .Richters als Ausfluß rechtsprechender Staatsgewalt anerkannt werden kann und insbesondere, ob sich diese Voraussetzungen mit den Elementen des Rechtsprechungsbegriffs der heutigen Lehre decken. Allerdings wird sich zeigen, daß das Wesen des Instituts der einstweiligen Anordnung dann Anlaß gibt, manche Ansicht hierzu neu zu überprüfen. Die aufgeworfene Frage geht davon aus, daß die einstweilige Anordnung nicht schon deshalb Rechtsprechungsakt ist, weil die Entscheidungsinstanz Gerichtscharakter trägt, sie selbst also "richterliche" Entscheidung ist20 • Schon diese Basis ist nicht unumstritten; die Definition der "jurisdiction comme l'acte du juge"21 hat auch im deutschen und österreichischen Rechtskreis Vertreter. Am ausgeprägt esten leugnet Merkl22 jeden materiellen Rechtspres:hungsbegriff und stellt ausschließlich auf die rein dezisionistische Zuordnung der Staatsaufgaben an die Organe der einzelnen Funktionen ab: was dem Richter übertragen ist, ist Rechtsprechung 23 • Allein, soviel Argumente diese Lehre auch für die These aufstellen kann, daß die Bildung eines materiellen Rechtsprechungsbegriffes schlechthin unmöglich sei24, - dieser Satz ist jedenfalls mit dem geltenden Staatsrecht unvereinbar25 • Wenn Art. 92 GG "die 19 Menger, System, S. 21. 20 Vgl. oben zu Anm. 1. 21 WaHne, Droit Administratif, S. 6 f. 22 Merkl, Allgemeines Verwaltungs recht (1927), S. 21 ff. (34 ff., 42); vgl. ferner: Kelsen, Allgemeine Staatslehre (1925), S. 238, 259 f.; Hatschek, Lehrbuch des deutschen und preußischen Verwaltungsrechts (7./8. A), S. 12 ff.; Gossrau, Ist die StrafgewaLt und die Bußgeldkompetenz von Verwaltungsbehörden mit Art. 92 GG vereinbar? NJW 58, 929 (931, der sich zu Unrecht auf Schönke-Schröder-Niese, aaO. S. 74 f., beruft (S. 930 Anm 17) vgl. dazu unten Anm. 38 a. E.). 23 Ähnlich, wohl ungewollt mißverständlich: Ule, VwGO, § 42 Anm. IV 3 a: Prozeßleitende Verfügungen seien "Verwaltungs akte schon deshalb nicht, weil die Gerichte als Rechtsprechungskörper keine Verwaltungsbehörden sind". Dieser Satz ist nur i. S. des positivistischen Verwaltungsakt-Begriffes des früheren § 25 MRVO 165 richtig. Andere Stimmen, die angeblich auch einen materiellen Rechtsprechungsbegriff leugnen, gehören nicht hierher: Sie leugnen nur die Möglichkeit einer abstrakt-logischen Bestimmung des materiellen Begriffes und beziehen andere, historische Elemente mit ein; zu ihnen vgl. unten Ir, 2, B, IV, 1. 24 Das Hauptargument geht dahin, daß bisher noch kein exakter Begriff des Rechtsprechungsaktes erarbeitet worden sei, aus dem nicht sogleich wieder erhebliche Ausnahmefälle ausgegliedert werden mußten; vgl. Merkl, aaO. S. 21 ff. 25 Daß es bei der Frage der Qualifikation einer staatlichen Tätigkeit als Rechtsprechung auch auf das geltende Verfassungsrecht ankommt, bemerkt
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
rechtsprechende Gewalt dem Richter anvertraut", so geht er über die frühere Regelung des Art. 103 WRV hinaus, die die Wahrnehmung der ordentlichen Gerichtsbarkeit dem Reichsgericht und den Gerichten der Länder übertrug und bei der es sich um eine rein formelle Begriffsbildung handelte26 • Art. 92 GG enthielte eine leere Tautologie, wollte man den Begriff der "rechtsprechenden Gewalt" nicht in einem materiellen, vom Inhalt der Staatstätigkeit her bestimmten Sinne verstehen2728 • Geht aber Art. 92 GG von einem materiellen Begriff aus, so wäre die logische Konsequenz der Merkl'schen Lehre von der Unmöglichkeit eines materiellen Rechtsprechungsbegriffs der Schluß, daß Art. 92 eine auf Unmögliches gerichtete Verfassungsnorm, mithin nichtig sei29 • Dieser Schritt jedoch ist bisher noch nirgends getan worden und seine Berechtigung zu untersuchen ist hier nicht der Platz. Im folgenden sollen diese Zweifel unberücksichtigt bleiben und es soll auf der Grundlage der Konzeption des Verfassungsgesetzgebers die Qualifikation der einstweiligen Anordnung nach den Maßstäben der Thesen zum materiellen Rechtsprechungsbegriff geprüft werden. 11. Die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt nach dem rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre
1. Der rechtsfindende Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre Die Versuche zur Abgrenzung materieller Wesensmerkmale von Rechtsprechung und Verwaltung - die Scheidung vom Begriff der Gezu Recht: MengeT, System, S. 47 m. Nachw.; ders., Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 50 (1959), 193 (194). 28 Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. 8. 1919 (14. A), Art. 103 Anm. 1; RGZ 107, 123; Holtkotten im Bonner Kommentar, Art. 92 Anm. II 1 b; LefTinghausen, aaO. S. 214. 27 So heute ganz h. L., vgl.: v. MangoZdt, aaO., Vorb. 3 a vor Art. 92; HoZtkotten wie Voranrn.; FOTsthoff, aaO. S. 5; WoZft, H.-J., Verwaltungs recht, S. 70; Rumpf, Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, VVdStRl 14 (1956), 136 (149); Bachof, Diskussionsbeitrag, VVdStRl 14, 173 (178); BetteTmann, Der Schutz der Grundrechte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in Die Grundrechte, Bd. II 2 (1959) S. 779 (876 f.); UZe, Verfassungsrecht und Verwaltungsprozeß, aaO. S. 537; ders., Urteils anmerkung, JZ 58, 628; LefTinghausen, aaO. S. 216; - jeweils m. w. Nachw.; BVerfG 4, 344; BVerwG 8, 350 (352 f); BGHSt 13, 102 (104 f), und U. v. 29. 9. 55, JZ 56, 167 m. Anm. Kern; - a. A. dagegen Gossrau, aaO. S. 931. 28 Im Anschluß an MengeT (System, S. 21 ff., 36 ff., 49 f., und Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 49 (1958) S. 178 f; VerwArch 51 (1960), S. 65 ff. [67]) ist hier allerdings vielfach nicht von materieller, sondern von funktioneller Begriffsbildung die Rede. Hierauf kommt es an dieser Stelle aber nicht an, weil es hier allein um den Gegensatz zur rein formellen Begriffsbildung geht. In diesem Sinne ist die Funktion Teil eines materiellen Rechtsprechungsbegriffes, vgl. Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 59, 1230. 29 Von "ungültig i. S. einer Nichtigkeit" spricht hier für Verwaltungsakte WoZf!, Lehrb. S. 263, 271.
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Ir. Als Rechtsfindung
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setzgebung erübrigt sich in diesem Zusammenhang30 - gehen überwiegend von einer Grundeinteilung der Staatsgewalten in Rechtssetzung und Rechtsanwendung aus 31 • Auf diesen Ebenen können - mit den Ausführungen in der jüngsten Untersuchung zu dieser Frage32 wiederum Gruppen herausgearbeitet werden, die einerseits die Bestimmung von Rechtsprechung und Verwaltung nach ihren Aufgaben und Zwecken innerhalb des Staatsganzen suchen, und die andererseits auf die Modalitäten des Tätigwerdens, auf die "Methoden ihres Wirkens", abstellen. Zur ersten Gruppe mag man mit jener Arbeit (die Berechtigung dieser Einteilung soll hier nicht erörtert werden) alle Stimmen zählen, die das Kriterium der rechtsprechenden Gewalt darin sehen, daß das Recht als Selbstzweck angewandt wird, während es die Verwaltung als Mittel zum Zweck benutzt3 3 , ferner die Autoren, die die "Bewahrung des Rechts" als das Merkmal der Rechtsprechung bezeichnen34 und endlich die Vertreter der Auffassung, das Moment der "Streitentscheidung" qualifiziere staatliche Betätigung zur Rechtsprechung 35 • Der anderen Gruppe kann man bei aller Flüssigkeit der Abgrenzungen die Meinungen zurechnen, bei denen die Verschiedenartigkeit der Bindungswirkung zwischen rechtsprechenclem und verwaltendem 30 Das ergibt sich schon daraus, daß die einstweilige Anordnung grundsätzlich nur einen Einzelfall regelt und damit jedes generellen Charakters entbehrt. Zur Frage, wieweit in solchen Fällen gleichwohl die Qualiflkation als Normsetzung denkbar ist, vgl. z. B. (m. w. Nachw.) Thoma, Grundbegriffe und Grundsätze, HdbDtStR Bd. II (1932), S. 108 (129 f. Anm. 49). 31 Vgl. Schneider, Zur Problematik der Gewaltenteilung im Rechtsstaat der Gegenwart, AöR 82 (1957) S. 1 (12), der allerdings selbst mehr auf die Kriterien der Rechtsgestaltung und Rechtsbewahrung abstellt. 32 Lefringhausen, aaO. S. 8 ff. (insb. 10 ff.; 82 ff.). Vgl. auch für die Schweiz: Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem (1960) S. 1 ff. 33 Stein, Grenzen und Beziehungen, S. 2; Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts (8. A), S. 7 f.; Nebinger, Verwaltungsrecht, Allgemeiner Teil (2. A) S. 24 f.; Rosenberg, aaO. S. 33; Schönke-Schröder-Niese, aaO. S. 74 f; - vgl. auch Bötticher, Inwieweit sichern die Art. 102 ff. der Reichsverfassung die Unabhängigkeit des Richters und den Rechtsweg? ZZP 51 (1926), 201 (208 f.); ferner Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51 (1960), S. 64 (66); - dazu unten zu Anm. 290 ff. 34 v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege (1880), S. 71 ff. (82); Anschütz, aaO. Vorb. vor Art. 102; v. Turegg-Kraus. aaO. S. 4 f.; v. Turegg, Gerichte, NJW 53, 1201 (1202); Schneider, aaO. S. 12 f.; vgl. auch Jerusalem, aaO. S. 5 f. (10). 35 Wohl schon: Otto Meyer, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft in Verwaltungssachen, AöR 21 (1907), S. 1 (42); - ferner: Bötticher, Art. 102 ff. WRV, S. 207 f; Friesenhahn, Staatsgerichtsbarkeit, S. 524; ders. Justiz und Verwaltungsrechtsschutz, (in: Justiz und Verfassung 1948) S. 103 (104); ders., Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 26 ff.; Kern, Rechtspflege, Grundsätzliches und übersicht, HdbdDtstR Bd. II (1932) S. 475 f; Forsthoff, aaO. S. 5 f.; Wolff, H. J. Verwaltungsrecht, S. 67 ff.; JeHinek, W., Verwaltungsrecht (3. A) S. 5 (10 f.); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. II (2. A) S. 583 f.; Giacometti, Gewaltentrennung, S. 15 f.; Ule, VwGO, § 42 Anm. IV 3 a;
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II. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
Handeln das Qualifikationsmerkmal bildet, welches den rechtsprechenden Akt als verselbständigten Ausspruch dessen kennzeichnet, was im Einzelfall Rechtens seiS 6 , und ferner die Autoren, die auf die Stellung des Entscheidenden als (Partei-) Unabhängigen und neutralen Dritten abstellen37 • Bei allem Streit um den Begriff der Rechtsprechung, der sich hinter den beispielhaft aufgeführten Lehrmeinungen nur andeuten läßt, sind sich die dogmatischen Stimmen doch in einem Kriterium nahezu einig, das sie als unerläßliches Merkmal der Rechtsprechung ansehen: Rechtsprechung liege nur dort vor, wo eine Entscheidung im Wege der Rechtsanwendung getroffen werde, wo ihr Inhalt einem Rechtssatz entnommen werde 38 • So sehr auch immer der Meinungsstreit ders., Urteilsanmerkung, JZ 58, 628 (629); Klinger, VwGO § 1 Anm. Cl; Rosenberg, aaO. S. 32; - für die Schweiz: Eichenberger, S. 8; für Oesterreich: Adamovich, aaO. S. 2; - vgl. auch: Fleiner, aaO. S. 14; v. Sarwey, aaO. S. 82; - a. A. dagegen: Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch
50 (1959), S. 193 (194 f.). 36 Wohl schon: G. Jellinek, aaO. S. 611; ferner: Thoma, Die Funktionen der Staatsgewalt, Grundbegriffe und Grundsätze, HdbDtStR Bd. II (1932), S. 108 (127, 129); Maunz, aaO. S. 219; Maunz-Dürig, Grundgesetz (Stand 1962) Art. 20 Rdn. 85; WoljJ, Verwaltungsrecht, S. 68; Quaritsch, aaO. S. 216; Bettermann, Die Freiwillige Gerichtsbarkeit im Spannungsfeld zwischen Verwaltung und Rechtsprechung, Festschrift Lent (1957), S. 17 (24); ders., Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 362; Arndt, Strafgewalt der Finanzämter? Zum Begriff der rechtsprechenden Gewalt, NJW 59, 605 (607); BGHSt 13, 102 = NJW 59, 1230 (1231) m. Anm. Arndt; vgl. auch: Jerusalem, aaO. S. 8; Hamann, Grundgesetz, Art. 92 Anm. B 1 a, bb; b; Lefringhausen, aaO. S. 87 f. 37 So insbes.: Menger, System, S. 46 ff. m. Nachw. (anders aber später, vgl. dazu unten II, 2, B III, 1); UIe, Das Bonner Grundgesetz und die Justiz, DRiZ 50, 225 (226); Schönke-Schröder-Niese, aaO. S. 74 f; Jahrreiß, Die Rechtspflege im Bonner Grundgesetz, Verhandlungen d. 37. DJT, S. 26 ff.; BVerwG 5, 69 ff.; BFH, U. v. 7. 4. 54, NJW 54, 1422. - Ferner fast alle Autoren, die die Streitentscheidung als Kriterium bezeichnen (oben Anm.35). 3B Vgl. schon: Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (1748; übers. v. Forsthoff, 1951) Bd. I S. 109 (= Buch VI, Kap. 3): "Unter der republikanischen Regierungsform entspricht es dem Wesen der Verfassung, daß die Richter sich an den Buchstaben des Gesetzes halten." - Eichhorn, K.-F., Betrachtungen über die Verfassung des deutschen Bundes (1833), S. 42: "Außer dem Gebiet des positiven Rechts gibt es keine wahre richterliche Gewalt, die immer wesentlich einen Streit über ein nach bestimmten Rechtsnormen erworbenes Recht voraussetzt . . . Der Richter, der außerhalb des positiven Rechtsgebietes ... Streitigkeiten entscheiden soll, muß sich das Recht ... erst nach seiner individuellen Ansicht selbst bilden; er möchte vom Gesetzgeber ... schwer zu unterscheiden sein"; v. Sarvey, aaO. S. 71 ff. (S. 77: "Die Rechtsregel muß dem Richter gegeben sein ... "; S. 82);-0. Mayer, aaO. S. 42: " ... auszusprechen, was Rechtens sein soll, weil es schon Rechtens ist und als solches erkannt wird. Das ist die Rechtsprechung im genauen Sinn des Wortes ... die richterliche Rechtsanwendung." - Stein, Grenzen und Beziehungen, S.2: "Gesetzesanwendung"; - Triepel, aaO. S. 135 f.: "Niemals ist Rechtsprechung etwas anderes als bindende Aussage über vorhandenes Recht." G. Jellinek, aaO., S. 611: "Rechtspruch subsumiert konkreten Fall unter abstrakte Norm und entscheidet ihn, d. h. erstellt ihn in autorativer Weise und spricht die an ihn ... sich knüpfende Rechtsfolge aus." Fleiner, aaO. S.7; Friedrichs, aaO. Bd. I S. 2; Bötticher, Art. 102 ff. Reichsverfassung, aaO. S.
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II. Als Rechtsfindung
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um den Rechtsprechungsbegriff sich an anderen Merkmalen entzündet hat, etwa an dem Kriterium der "Streitentscheidung" zwischen gegenüberstehenden Parteien oder am institutionellen Begriff des entscheidenden "neutralen Dritten", der rechtsanwendende Gehalt rechtsprechender Tätigkeit wird fast überall ausdrücklich oder doch stillschweigend vorausgesetzt. Dieser Feststellung steht es nicht entgegen, daß nach heute wohl unstreitiger Ansicht nicht jede rechtsanwendende Tätigkeit schon Rechtsprechungscharakter hat, ein Satz, der stets mit dem Hinweis auf den auch rechtsanwendend tätig werdenden Verwal207: "Parteienstreit im Wege der Rechtsanwendung zu entscheiden, ist Zweck und Wesen der Rechtspflege" (i. S. eines materiellen Rechtsprechungsbegriffes) ; Häntzschel, aaO. S. 393 f.; J ertLsalem, aaO. S. 5 f.: "Feststellung der Rechtslage ... am Maßstabe der Rechtsnormen" (vgl. unten Anm. 190); Schüle, aaO. S. 8; Anschütz, aaO. Vorb. v. Art. 102; Thoma, aaO. S. 129: "Rechtsprechung im materiellen Sinn ist der verselbständigte Ausspruch dessen, was in Anwendung geltenden Rechts auf einen konkreten Tatbestand im Einzelfall Rechtens ist, durch staatliche Autorität."; S. 129 Anm. 49: "Staatsakte, die nicht Rechtsregeln anwenden, sind nicht Rechtsprechung . . . "; - Kern, aaO. S. 475: "Entscheidung eines Streites nach Maßgabe der Gesetze." Friesenhahn, Staatsgerichtsbarkeit, S. 524: "Anwendung des Rechts auf einen konkreten Tatbestand zum Zwecke der Entscheidung eines Streites ... durch unabhängigen Dritten."; ders., Staatsgerichtshof und Einstweilige Verfügung, S. 763: "typisches Merkmal ... , daß der Richter seinen Spruch auf den Grund von Rechtsnormen zu basieren, ihn daraus abzuleiten habe."; ders., Justiz und Verwaltungsrechtsschutz, S. 104; ders., Begriff und Arten der Rechtsprechung, S. 29: "streitentscheidende Gesetzesanwendung." - v. Mangoldt, aaO. Vorb. 3 a vor Art. 92: "Gesetzesanwendung zur Entscheidung eines Rechtsstreits."; Holtkotten in Bonner Kommentar, Art. 92 Anm. II 1 b (wie Thoma und Jahrreiß); Maunz-Dürig, aaO. Art. 20 Rdn.85 (wie Thoma); Hamann, Grundgesetz, Art. 92 Anm. B 1 b; Maunz, aaO. S.219 (wie Thoma); Jahrreiß, Demokratischer Rechtsstaat, S. 212 f.: "Der Rechtsprechende darf als Richtmaß nur die für den Fall geltenden Normen . .. beachten."; ders., Die Rechtspflege, S. 26(31 f.); Giacometti, Gewaltentrennung und Verwaltungsrechtspflege, S. 15 f.; Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch S.362 (unter Hinweis auf § 839 Abs. II BGB!); ders., Freiwillige Gerichtsbarkeit S.28: "Erste Voraussetzung für die Zurechnung einer richterlichen Entscheidung zur Rechtsprechung ist die volle Rechtsgebundenheit des Richters. Er darf in derselben Sache keine Wahl zwischen mehreren Entscheidungen, sondern nur die Aufgabe haben, im Recht die einzig richtige Entscheidung zu finden und zu fällen."; ders., Schutz der Grundrechte, S. 876 f.; Menger, System, S. 46 f. (49), 59, 210: " ... in Anwendung des geltenden Rechtes auszusprechen, was Rechtens ist."; (anders aber später; dazu unten II, 2, B, III, 1); Ule, VwGO, § 42 Anm. IV 3 a (wie Friesenhahn); ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 2 ff., 8 f.; ders., Bonner Grundgesetz und Justiz, S.226; ders., Urteils anmerkung, JZ 58, 628 (629); Eyermann-Fröhler, VwGO, § 1 Rdn.1; § 2 Rdn. 1; Klinger, VwGO, § 1 Anm. C 1 (wie Bötticher, Friesenhahn); Rumpf aaO. S.151 ff.; W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S. 193, 200; ders., Verwaltungsrecht, S.5, 6, 10; F01·sthoff, aaO. S. 5 f.: "streitentscheidende Gesetzesanwendung", S. 73, 77; v. Turegg-Kraus, aaO. S. 4 f.; Wolff, Verwaltungsrecht, Bd. I S.67 (68); Nebinger, aaO. S.24; Scheuner, Probleme und Verantwortungen, S.296 (anders später, dazu unten II, 2, B, IV, 1); v. Turegg, aaO. S.1202; Arndt, Richter, Gerichte und Rechtsweg, S.216; ders., Strafgewalt der Finanzämter, S. 605 ff.; ders., Urteilsanmerkung, NJW 59, 1230; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S.150, 246, 496; Rosenberg, aaO. S. 31 ff. (wie Bötticher); Schönke-SchröderNiese, aaO. S. 64 ff. (74 f.): " ... diejenige Rechtsanwendung, die funktionell
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II. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
tungsbeamten belegt zu werden pflegt39 • Der rechtsanwendende Gehalt staatlicher Tätigkeit wird lediglich als ein Spezifikum des Rechtsprechungsaktes angesehen, zu dem dann weitere, eben jene heftig umstrittenen Merkmale hinzutreten müssen, die den einzelnen Akt zum Rechtsprechungsakt qualifizieren. Die Rechtsanwendung aber ist für alle hier behandelten Stimmen ,schlechthin eine Grundvoraussetzung für den Begriff der rechtsprechenden Staatstätigkeit im materiellen Sinn. Da dieser rechtsanwendende Rechtsprechungsbegriff weithin in der Diskussion zivilprozessualer und öffentlich-rechtlicher Probleme entwickelt worden ist, soll kurz untersucht werden, ob auch das Urteil des den ... unabhängigen Gerichten übertragen ist." - Nikisch, Zivilprozeßrecht, S.2; ders., Die Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten, in: Hundert Jahre dt. Rechtsleben (1960), S.317: "Rechtsprechung ... besteht in der Anwendung des geltenden Rechts auf den konkreten Streitfall."; - Eb. Schmidt, Lehrkommentar, Teil III (1960), Vorb. 12 v. § 1 GVG; ders., Das Deutsche Richtergesetz, JZ 63, 73 (74); Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz (1962), § 1 Rdn.415; Husserl, aaO. S.59; Schindler, aaO. S. 326 f.; Brüggemann, aaO. S. 55 f.; Lefringhausen, aaO. S. 141; Quaritsch, aaO. S. 216 (nach Bötticher und Thoma); Pfeiffer, aaO. S. 33 ff. (38: "Rechtsprechung ist Rechtsanwendung bei der Entscheidung eines Rechtsstreits oder einer Strafsache.). - BVerfG 3, 377 (381 f.); 4, 74 (93); 4, 331 (346); vgl. auch 2, 380 (393f.); ferner: B. v. 29.4. 54, JZ 54, 452; B. v. 9.11.55, JZ 56, 164; B. v. 28.11. 57, NJW 58, 97 (98: "zu den wesentlichen Begriffsmerkmalen der Rechtsprechung gehört auf jeden Fall das Element der Entscheidung, der Feststellung und des Ausspruchs dessen, was Rechtens ist."); - RG (VereinStrS.), B. v. 2. 5. 34, RGSt. 68, 257 (259: Rechtsprechung als Rechtsanwendung); BGRSt, U. v. 21. 4. 59, NJW 59, 1230 (1231 "Aufgabe, verbindlich auszusprechen, was Rechtens ist") m. Anm. Arndt, = BGHSt. 13, 102 (105); BGHZ. 11, Anh. S.34 (51 ff.: Der Rechtsprechung müssen vollziehbare Normen vorgegeben sein, aus denen der Richter das Recht finden kann; vgl. Zitate in Anm. 141.); BVerwG 1, 4; 5, 69; BFH, U. v. 7.4.54, NJW 54, 1422; VerfGH Rh.-Pf., E. v. 10. 4. 53, AS. OVG Rh.-Pf. 2, 271 (281 f.). Vgl. zum Nachweis dieser h. L. auch die Reformbestrebungen, die dem Richter Gestaltungsaufgaben übertragen wollen (dazu auch unten S.174 f.): Zeiler, Die "vermittelnde Entscheidung", LZ 33, Sp. 1353 ff.; Lange, Entscheidung und Ausgleich im bürgerlichen Recht, DJZ 34, Sp. 1297 ff.; Wieacker, Richtermacht und privates Rechtsverhältnis, AöR 68 (1938), S. 1 (2, 4, 11); Oeschey, Rechtsgestaltung durch Richterspruch, AöR 68 (1938), S.40 (44 f.); Geiger, K., Richterliche Gestaltung privater Rechtsverhältnisse (1941), S. 4 f., 14 f., 92 ff.; Bericht der ZPO-Kommission 1961, aaO. S. 169; Ipsen, Politik und Justiz, S. 308 f. Für das Ausland vgl. z. B.: Österreich: Adomovich, aaO. S.2; England: de Smith, aaO. S. 27 ff. (S. 35 Anm. 39 m. Nachw.; S. 41: "it determines an issue conclusively by the application of a pre-existing rule"); USA: Loewenstein, aaO. S. 397 (mit Zitat des Supreme Court: "The power to decide cases and controversies in conformity with law"). Vgl. zu allem auch unten zu Anm.203-219. 39 Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, in Gedächtnisschrift W. Jellinek, S.361 (365); Bötticher, ZZP 51, 201 (206); Baur, DNotZ 55, 507 (510); Schönke-Schröder-Niese, aaO. S.73; Menger, System, S. 28 ff.; jeweils mit weiteren Nachweisen; vgl. auch: Giacometti, Gewaltentrennung, S. 15 f.: Verwaltung sei jede Rechtsanwendung, die nicht Streitentscheidung ist.
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Strafrichters solche Rechtsanwendung bedeutet 4o • Zwar läßt sich auch aus der strafrechtlichen Judikatur und Literatur ohne weiteres die Rechtsanwendung aLs notwendiges Kriterium rechtsprechender Tätigkeit ,belegen41 , aber anders als für zivil- oder öffentlich-rechtliche Streitigkeiten wird hier v,ielfach die Auffassung vertreten, daß die strafrichterliche Entscheidung, in Sonderheit hinsichtlich der Stmfzumessung, in erheblichem Umfange Ermessensbetätigung enthalte. Es ist hier noch nicht der Platz, im einzelnen darzulegen, daß Rechtsanwendung und Ermessensbetätigung in diametralem Gegensatz stehen. Unter Vorgriff auf spätere Erörterungen muß hier der Hinweis genügen, daß von der Idee her Rechtsanwendung stets eine einzige richtige Entscheidung zum Ziel hat, während Ermessensbetätigung gerade vor,aussetzt, daß mehrere verschiedene Entscheidungen ,a ls rechtlich gleich richtig anerkannt werden42 • Folgt man aber dieser heute unbestrittenen Abgrenzung rechtsanwendender und ermessensausübender Betätigung, ,so stellt sich die Frage, ob der oben gefundene rechtsanwendende Rechtsprechungsbegriff haltbar ist, wenn er möglicherweise fast die ganze Strafrechtsprechung nicht mitumfaßt. Denn die Strafzumessung, um beim Hauptproblem der strafrichterlichen Entscheidung zu bleiben 43 , wird zwar nicht im Gesetz, wohl aber in Rechtsprechung und Literatur durchweg als Ausübung richterlichen Ermessens bezeichnet44 • Bevor aber aus dieser üblichen Formulierung Bedenken gegen den rechts anwendenden Rechtsprechungsbegriff hergeleitet werden, gilt es zu untersuchen, ob es sich bei der Strafzumessung wirklich um Ermessensbetätigung handelt oder ob hier nicht die strafrechtliche Literatur nur einer terminologischen Ungenauigkeit fröhnt, deren Klarstellung lediglich unterblieb, weil es ihr an einer Kontrolle der verwendeten Begriffsbildungen an den Maßstäben der anderen Rechtsdisziplinen fehlt. Diese Frage ist umso berechtigter, wenn man bedenkt, daß das 40 Die folgenden überlegungen sind der Arbeit nach ihrer Abfassung eingefügt worden im Hinblick auf die kürzlich erschienene, dem Verfasser erst jetzt zugänglich gewordene Untersuchung von Warda, Dogmatische Grundlagen des richterlichen Ermessens im Strafrecht. 41 Vgl. Eb. Schmidt, RG (VereinStrS), BGHSt, jeweils oben Anm. 38. 42 Vgl. dazu näher: unten zu Anm. 58 ff., 115 ff. 43 Zu weiteren Fällen strafrichterlicher Ermessensbetätigung vgl. Warda, aaO. S. 82 ff. Dort handelt es sich weitgehend um Fälle der Prozeßleitung, die hier unerheblich sind, oder um strafrechtliche Sonderprobleme des Absehens von Strafe etc., deren Untersuchung zu weit vom Thema fortführen würde. 44 Warda, aaO. S. 83 f.; Schönke-Schröder, aaO. Vorb. v. § 13, Rdn. 35 ff.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar Ir, StPO § 337 Rdn. 44 ff.; Löwe-Rosenberg, StPO und GVG, Bd. I, 21. Aufl., § 267 Anm. 11; Maurach, Deutsches Strafrecht, Allg. Teil, 2. Aufl. S. 660 ff.; Sarstedt, Die Revision in Strafsachen, 4. Aufl. S. 255 ff.; Bader, Das Ermessen des Strafrichters, JZ 55, 525 f.; Schneidewin, Anm. zu BGHSt 7,28 = JZ 55,504 (505); W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 40; Wolff, Verwaltungsrecht, S. 146; jeweils m. w. Nachw.
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materielle Strafrecht, zu dem auch die Strafzumessung mit ihrem Strafrahmensystem zählt, bald 100 Jahre alt ist und aus einer Zeit stammt, in der die theoretische Erforschung des Ermessensbegriffes kaum eingesetzt hatte 45 • Daß daher die bloße Terminologie hier nicht entschejden sein kann, liegt auf der Hand. Entscheidend für die Abgrenzung ist der sachliche Gehalt der Spruchmöglichkeit, d. h.: kann die Strafzumessung von der Idee des Gesetzes her im gleichen Fall gleich ,richtig' auf etwa 2 Jahre oder 4 Jahre Zuchthaus lauten, hat der Richter wirklich eine echte Wahl zwischen mehreren Strafaussprüchen im konkreten Fall? Die Frage zu stellen heißt schon, sie zu verneinen. Ziel des Strafverfahrens kann - im Verurteilungsfalle - nur sein, die eine gerechte und richtige Strafe zu finden, die diese Tat dieses Täters verdient 46 • Im Ergebnis steht auch der BGH auf diesem Standpunkt, wenn er mit der These arbeitet, daß der Strafrichter die ,schuldangemessene Strafe' zu finden habe, wobei er dem Strafrichter innerhalb des Strafrahmens einen ,Spielraum' zuerkennt, in den er als Revisionsgericht nicht eingreift 47 • Diese Spielraumtheorie arbeitet im Grunde genommen gen au mit den Begriffen und kommt zu eben den Ergebnissen, die im öffentlichen Recht die Lehre vom Beurteilungsspielraum erarbeitet hat 48 • Sie ist zwar nicht unbestritten; aber wo sie angegriffen wird, geschieht es mit dem Zweck darzutun, daß nicht ein Spielraum für die eine gerechte Strafe bestehe, sondern daß überhaupt nur eine einzige bestimmte Strafe in Betracht komme 49 • Ob nun die übernahme der Lehre vom Beurteilungsspielraum in das Strafrecht sinnvoll ist oder nicht 50 , bedarf hier keiner Untersuchung, weil in jedem Fall eine rechtsfindende Entscheidung im Strafurteil zu sehen wäre 51 • Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Revisibilität der Strafzumessungsfragen: Hier wird nämlich nicht nur, wie bei einer echten Ermessensentscheidung allein möglich wäre, die Rechtsfrage der Einhaltung der Ermessensvoraus45
Ähnliches gilt auch für die ZPO, vgl. unten zu Anm.114.
Schneidewin, aaO. S.507; Jescheck, Rechtsprechung des BGH in Strafsachen, GoltdArch 1956, 97 (109); Jagusch, Anm. zu BGH in LM Nr.14 zu § 385 StPO; Bruns, Zum gegenwärtigen Stand der Strafzumessungslehre, NJW 56, 241 (242 f.); Dreher, Rezension zu Warda, GoItdArch 1963, 255 (256); Schwarz-Dreher, aaO. Vorb. 1 A a vor § 13; vgl. ferner unten Anm. 122. 47 BGHSt 7, 28 ff.; ebenso Schönke-Schröder, aaO. Vorb. v. § 13, Rdn. 36 m. 46
w. Nachw. n Vgl. Jescheck, SChneidewin, Dreher, jeweils aaO.; ferner Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen in rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht, AöR 82 (1957), 163 (204 Anm. 161). 49 Eingehend: Schneidewin, aaO. S. 507; Jescheck, aaO. S. 109; Eb. Schmidt, Lehrkommentar Bd. II StPO § 337 Rdn. 52; vgl. ferner Dreher, aaO. S.256 einerseits, Schwarz-Dreher, aaO. Vorb. 1 A a vor § 13 andererseits. 50 Dazu Schneidewin, aaO. S. 506 f.; Bader, aaO. S. 526; Dreher, aaO. S.256; Jesch, aaO. S.204 Anm. 161, jeweils m. w. Nachw. 61 Vgl. auch unten zu Anm. 117 ff.
B. Regelungsanordnung pp. -
II. Als Rechtsfindung
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setzungen geprüft 52 , sondern es wird daneben auch die ,Ermessensausübung' bis zu einem Grade geprüft, die im Ergebnis gen au der Kontrolle der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht entspricht53 • Diese insoweit im wesentlichen übereinstimmenden Grundsätze der strafrechtlichen Dogmatik rechtfertigen daher den Satz Sarstedts, daß auch Strafzumessung Rechtsanwendung sei5455 • Aus allem folgt die Rechtfertigung der These, daß mit dem Begriffsmerkmal der Rechtsanwendung ein Kriterium gefunden ist, das nach den hier erörterten Auffassungen alle Rechtsprechungsakte einschließlich der Strafurteile notwendig auszeichnet. Diese "Anwendung von Rechtssätzen auf konkrete Sachverhalte" soll im folgenden - lediglich der terminologischen Klarheit wegen - mit Stimmen aus der neueren Rechtssprechung und Lehre 56 als "rechtsfindende" Staatstätigkeit bezeichnet werden, ein Begriff, der mithin allein durch den Inhalt des staatlichen Aktes gekennzeichnet wird (und der damit sowohl für verwaltende wie für rechtssprechende Akte anwendbar ist, so daß seine Verwendung kein Präjudiz für die Bewertung der executiven oder iudiciellen Qualität einer staatlichen Maßnahme bedeutet). 62 Dazu z. B. Eb. Schmidt, aaO. § 337 Rdn. 44 ff.; Sarstedt, aaO. S.259; Schönke-Schröder, aaO. Vorb. v. § 13, Rdn. 62. 53 Vgl. Eb. Schmidt, aaO. § 337 Rdn. 50 ff.; Schönke-Schröder, aaO. Vorb. v. § 13 Rdn. 64; Sarstedt, aaO. S. 256 ff.; Jescheck, aaO. S.109; Schneidewin, aaO. S. 507; Warda, aaO. S.178. 54 Sarstedt, aaO. S.258; ebenso schon früher: von Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, S. 287 ff.; Jerusalem, aaO. S.7; Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S. 365; Jesch, aaO. S.204 Anm. 161; Lefringhausen, aaO. S. 94. - Vgl. auch unten zu Anm.117 ff. 55 Ebenso auch ausdrücklich in der jüngsten Untersuchung: Warda, aaO.
S.118/119; 178, 181. Wenn Warda dabei allerdings vom Ermessen spricht, obwohl er sich eingehend mit dem heutigen Stand der Ermessenslehre befaßt (S. 5 ff., 46 ff. und fortlaufend), so erliegt er folgendem Fehler: Er setzt sich mit der Lehre von den unbestimmten Rechtsbegriffen und dem dort gegebenen Beurteilungsspielraum nur auseinander für den Bereich der Tatbestandsseite gesetzlicher Regelungen (aaO. S. 19 ff.), übergeht aber einfach die Verwertbarkeit dieser Lehre auf den Bereich der Rechtsfolgeanordnung und spricht dort generell von Ermessensausübung (aaO. S. 81 ff.) auch in den Fällen, wo die Kategorien der Lehre vom Beurteilungsspielraum eingreifen. Nur so kommt er zu dem nach der heutigen Ermessenslehre widerspruchsvollen Satz, ermessende Entscheidungstätigkeit sei Rechtsanwendung (aaO. S. 119). 56 Vgl. z. B.: BVerfG 2, 380 (391, 393 ff.); BGHZ (Gutachten) 11, Anh. S.34 (51 ff.); Forsthoff, aaO. S. 145; Schüle, Der streitentscheidende Verwaltungsakt, in Festschrift Hochschule Speyer, S. 277 ff. (insb. 285); Menger, Der Schutz der Grundrechte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in Die Grundrechte Bd. III 2, S.717 (725 Anm. 40); ders., Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 49 (1958), 272 (273 Anm.3), - dagegen verwendet er in "System" (S. 25 ff., 32) hier noch den Begriff "Rechtspflege"; vgl. Oeschey, aaO. S.44.
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II. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
Dieses Erfordernis der Ausrichtung des Rechtsprechungsaktes an einer vorgegebenen Norm, diese rechtsfindende Qualität also, wird zwar von den einzelnen Autoren unterschiedlich stark betont57 • Angesichts der Vielzahl der Stimmen aus Rechtsprechung und Lehre darf hier aber ein Merkmal des materiellen Rechtsprechungsbegriffes gesehen werden, das diese Meinungen integrierend zu einer herrschenden Lehre verbindet. Es wird sich zeigen, daß gerade in diesem verbindenden Element der sonst so unterschiedlichen Ansichten ein Hauptproblem der Einordnung des Instituts der einstweiligen Anordnung begründet liegt. Alle übrigen Streitpunkte hintanstellend soll daher im folgenden die richterliche Interimsentscheidung an dem Maßstabe des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffs der herrschenden Lehre untersucht werden. Erst später sollen die Ansichten zum materiellen Rechtsprechungsbegriff einbezogen werden, welche auf das RechtsfindungsKriterium glauben verzichten zu können. Der Untersuchung der Frage, ob die einstweilige Anordnung als rechtsfindende Maßnahme zu qualifizieren ist und damit ein Grundkriterium des Rechtsprechungsbegriffs der herrschenden Lehre in sich trägt, sei hier nur kurz zunächst vorangestellt, in welcher Situation sich der staatliche Hoheitsträger befindet, der einen solchen rechtsanwendenden Akt zu erlassen hat 58 : Rechtsfindung in unserem Sinne beinhaltet die Anwendung vorgegebener Rechtssätze auf konkrete Sachverhalte, wobei die Anwendbarkeit der jeweiligen Norm durch einen subsumierenden Urteils syllogismus festgestellt wird59 • Diese dem rechtsfindenden Staatsakt vorgegebenen Normen werden vom Gesetzgeber geschaffen, der einen häufig auftretenden Interessengegensatz in einem Tatbestand typisiert und der dann die von ihm vorgenommene Interessenabwägung in einer bestimmten Rechtsfolgeanordnung fixiert, um so seiner Wertung der widerstreitenden Interessen Geltung zu verschaffen. Soweit ein solcher wertender, das Prinzip der Gerechtigkeit verwirklichender Ausspruch des Gesetzgebers im Kleide einer Norm vorliegt, vollzieht der Hoheitsträger, der mit jeder entscheidenden Maßnahme 57 Vielfach wird zwar das Erfordernis des rechtsfindenden Gehaltes nicht ausdrücklich genannt, aber doch stillschweigend von ihm ausgegangen, vgl. z. B. Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes (1950), S. 128. 58 Zum folgenden eingehend: Menger, System, S. 25 ff. (m. Nachw.); Jesch, Unbestimmter Rechtsbegriff und Ermessen in rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht, AöR 82 (1957) 163 (168 f.); WoZft, Über die Gerechtigkeit als principium iuris, in Festschrift Sauer, S.103 (112 f., 119); J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1956) S. 51 f. 59 Vgl. auch Bötticher, ZZP 51, 201 (206); Forsthoff, aaO. S. 77; Jesch, aaO. S. 188, der gleichzeitig zur Problematik des Richters als bloßen Subsumtionsorganes Stellung nimmt (S. 169 ff., 182 m. Nachw.). - Siehe auch unten zu Anm.203 f.
B. Regelungsanordnung pp. - H. Als Rechtsfindung
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einen bestimmten Interessengegensatz zu überwinden hat60 , jene Wertung des Gesetzgebers im Wege der Rechtsanwendung, d. h. also durch einen rechtsfindenden Akt. Bei dieser rechtsfindenden Tätigkeit nimmt der Hoheitsträger also keine eigene Interessenwertung vor, sondern er verwirklicht die Interessenwertung des Gesetzgebers durch die Anwendung der vorgegebenen Norm61 • Im Gegensatz zu dieser rechtsfindenden Tätigkeit stehen dann die freigestaltenden Maßnahmen des Hoheitsträgers, bei denen dieser eine eigene Wertung des von ihm zu lösenden Interessengegensatzes vorzunehmen hat, ohne daß seine Entscheidung in ihrem Inhalt schon abstrakt durch eine Norm des Gesetzgebers vorgegeben ist. Diese zweite Form staatlicher Tätigkeit bezeichnet Menger 62 vOI1behaltlos als "gestaltende Verwaltung", es wird später noch zu untersuchen sein, ob diese vorbehaltlose Zuordnung der gestaltenden Staatstätigkeit zum Bereich der Verwaltung haltbar ist oder ob auch dem Richter derart freigestaltende Maßnahmen möglich sind. Diese kurze Erläuterung sei zum besseren Verständnis der im folgenden verwandten Terminologie vorausgeschickt. 2. Ein s t w eil i g e A n
0
r d nun gun d R e c h t s f i n dun g
Daß die durch einstweilige Anordnung ergehende Entscheidung nun ein solcherart vom Gesetzgeber durch Tatbestand und Rechtsfolgeanordnung vorbestimmter rechtsfindender Staatsakt sei und damit ein grundlegendes Kriterium des Rechtsprechungsbegriffes der herrschenden Lehre in sich trage, könnte die Untersuchung über das Wesen dieser Entscheidungsart aus verschiedenen Gründen ergeben. Zunächst wird zu untersuchen se1n, ob § 123 VwGO - und das gleiche gilt für die entsprechenden Bestimmungen anderer Verfahrensordnungen als die zum Erlaß einstweiliger Anordnungen ermächtigende Norm in ihrer Ausgestaltung dem üblichen Bilde einer Gesetzesvorschrift entspricht, ob in ihr also in festen, auslegungsfähigen Begriffen63 ein Tatbestand niedergelegt und eine Rechtsfolgeanordnung ausgesprochen ist; dabei wird zu berücksichtigen sein, daß die schon wiederholt angedeutete Weite in den Begriffsbildungen zu diesem verfahrensrechtlichen Institut auch dann noch zuläßt, diese Entscheidungsart als rechtsanwendenden Rechtsfindungsakt anzusprechen, wenn die Begriffsbildungen des Gesetzgebers sich als sogenannte unbestimmte Rechtsbegriffe im 66
Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch, S.369.
Vgl. oben Anm.58; ferner z. B.: RG (VerStrS), B. v. 2.5.1934, RGSt 68, 257 (259). 62 System, S. 28 (noch mit der alten Terminologie, vgl. oben Anm. 56); vgl. auch UZe, Verwaltungsprozeßrecht, S.5. 63 So insbesondere BGHZ 11, Anh. S.34 (51 ff.; S.58: "Untersuchung ..., ob die Norm ... durch die Rechtsprechung vollziehbar ist"). 61
7 Rohmeyer
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Sinne der neueren Lehre darstellen sollten. Weiterhin wird zu prüfen seih, ob die vom Gesetzgeber niedergelegte Norm etwa, wie gelegentlich vertreten wird, durch ungeschriebenes Gewohnheitsrecht eine Ergänzung dahin erfährt, daß sich die richterliche Interimsentscheidung als "gewohnheitsrechts-anwendende" und damit als rechtsfindende Entscheidung qualifizieren läßt. Sodann wird die verbreitete Auffassung zu erörtern sein, die die richterliche Interimsmacht als einen Teil der richterlichen Entscheidungsgewalt überhaupt ansieht und die die einstweilige Anordnung deshalb wie die richterliche Hauptentscheidung als Rechtsprechungsakt qualifiziert. Diesen Abschnitt abschließend soll dann die Frage aufgeworfen werden, ob eine bestimmte, rechtsgeschichtlich jedenfalls zu rechtfertigende Interpretation des vorläufigen Charakters dieser Entscheidungsgattung dazu berechtigen kann, die Tätigkeit des Richters beim Erlaß einer einstweiligen Anordnung als Rechtsfindungsakt anzusprechen.
a) Die positiv-gesetzliche Regelung Folgende Bestimmungen, deren Auslegung über die Antwort auf die aufgeworfene Frage nach dem Rechtsfindungscharakter der einstweiligen Anordnung entscheiden muß, hat der Gesetzgeber dem um eine Interimsmaßnahme angegangenen Richter vorgegeben: § 123 Abs. I S. 1 VwGO: Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klagerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 123 Abs. I S. 2 VwGO:
Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. § 123 Abs. III VwGO i. Vbdg. m. § 938 Abs. I ZPO:
Das Gericht bestimmt nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind. Mit diesen Sätzen hat der Gesetzgeber den Kern der interimistischen Entscheidungsbefugnis des Richters umschrieben; es wird sich zeigen, daß gerade auch die Bestimmungen der §§ 123 Abs. II! VwGO, 938 Abs. I ZPO zu den grundlegenden Regeln über die Interimskompetenz zu zählen sind.
B. Regelungsanordnung pp. - II. Als Rechtsfindung
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a) Die Tatbestandsseite Schon eine philologische Interpretation führt zu dem Tatbestand, dessen Interessenkollisionen der Gesetzgeber mit der Einführung des Instituts der einstweiligen Anordnung hat gestalten wollen. Sowohl bei der Sicherungsanordnung des § 123 Abs. I S. 1 wie bei der Regelungsanordnung des § 123 Abs. I S.2 ist die Tatbestandsseite der Norm in dem Konditionalsatz niedergelegt, der mit "wenn . .. " beginnt64 • Die in diesen Konditionalsätzen aufgeführten tatsächlichen Anknüpfungspunkte der interimistischen Entscheidungsbefugnis (Gefahr der Rechtsvereitelung etc.) lassen jedoch den grundlegenden Ansatzpunkt dieser Interimskompetenz unbenannt und setzen ihn unausgesprochen voraus; beide Anordnungstypen gehen von einem Streit zwischen zwei verschiedenen Rechtsträgern aus, die fähig sind, vor dem Gericht einen Rechtsstreit auszutragen. Daß ein solcher - vorerst juristisch noch nicht zu qualifizierender - Streit das Hauptelement unter den tatbestandlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung ist, scheint so selbstverständlich zu sein, daß es, soweit ersichtlich, noch nirgends ausdrücklich ausgesprochen worden ist65 • Diese These läßt sich jedoch einmal daraus rechtfertigen, daß der Gesetzgeber bei bei den Typen der einstweiligen Anordnung jeweils schon von dem Vorliegen eines "Streitgegenstandes" oder "streitigen Rechtsverhältnisses" ausgeht66 , zum anderen ist sie auch aus den prozeßrechtlichen Erwägungen herzuleiten, nach denen das Institut der einstweiligen Anordnung zu einem echten prozessualen Verfahren führt 67 und einem echten Prozeß stets begriffsnotwendig ein Streit zwischen verschiedenen parteifähigen Rechtssubjekten zu Grunde liegt68 • Die aus einem solchen Streit zwischen verschiedenen Rechtsträgern erwachsenden - im einzelnen in den Konditionalsätzen des § 123 Abs. I S.l und S. 2 VwGO angesprochenen - Gefährdungssituationen für rechtlich erhebliche Belange der Parteien sind es, die der Gesetzgeber in den Normen über die einstweilige Anordnung tatbestandsmäßig typisieren wollte, wie es oben als erster Schritt jeder Normsetzung charakterisiert worden ist69 • Andere 64 Schille, aaO. S.63 (m. Anm. 4); vgl. auch Friesenhahn, Staatsgerichtshof und einstweilige Verfügung, S. 763 f. 65 Vgl. allerdings Quaritsch, aaO. S. 232 f., 342 f., der jeweils bei der Prüfung der "Anordnungstatbestände" eingehend die Begriffe "der Streitgegenstand" bzw. "das streitige Rechtsverhältnis" als Tatbestandskriterien untersucht, obgleich sie nicht in den Konditionalsätzen erscheinen, sondern nur bei der Zweckbestimmung der jeweiligen Anordnung auf der Rechtsfolgeseite genannt sind; Ktinger, VwGO § 123 Anm. B 1. 86 So ist wohl auch Quaritsch (vgl. Voranm.) zu verstehen, ohne daß er sich jedoch hierzu äußert. 67 Vgl. oben II, 1 zu Anm. 34 f. 68 Goldschmidt, Zivilprozeßrecht S. 156; vgl. auch Rosenberg aaO. S. 1 ff. 6~ Vgl. oben zu Anm. 58 ff.
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Gefährdungssituationen außer- oder vorprozessualer Art hat der Gesetzgeber in bestimmten Fällen im materiellen Recht geregelt, man denke nur an die Sicherungsrechte der §§ 1051, 1389 (ähnlich früher: 1391 a. F.), 2128 BGB, 62 Abs. I S.3 EheG und die besonderen Leistungsverweigerungs- und Widerrufsrechte der §§ 321, 610 BGB, 370 Abs. I HGB70. Dagegen läßt das kodifizierte materielle Recht die in den Bestimmungen über Interimsrnaßnahmen des Richters vorausgesetzte Gefährdungssituation während eines schwebenden Rechtsstreites regelmäßig ungelöst71 , nur ausnahmsweise finden sich in einer Rechtsordnung materiell-rechtliche Normen, die die Bedürfnisse dieses besonderen Schwebezustandes befriedigen. Als eine derartige Ausnahme könnte beispielsweise das preußische Allgemeine Landrecht anzusehen sein, das in § 98 seiner Einleitung eine solche Regelung traf72. Ebenso kennt das heutige schweizerische Recht bei Interessenkollisionen in Besitzfragen eine solche materiell-rechtliche Interimsgestaltung73 . Die Gefährdungssituationen während eines schwebenden Rechtsstreites werden dagegen in der heutigen Rechtsordnung in allen Rechtsgebieten, im Verwaltungsprozeß ebenso wie im Zivilprozeß und im verfassungsgerichtlichen Verfahren, nicht in materiell-rechtlichen Gesetzen behandelt, sondern sind vom Gesetzgeber in den jeweiligen Verfahrensordnungen erfaßt und tatbestandsmäßig typisiert worden74 . Danach ist Voraussetzung für eine Interimsentscheidung des Richters eine Gefährdung von Parteibelangen in einem noch nicht entschiedenen Rechtsstreit. Eine nähere Betrachtung dieser damit nur grob umrissenen Tatbestandsmerkmale richterlicher Interimsrnacht läßt erkennen, daß der Gesetzgeber - jedenfalls für den Regelfall75 - darauf verzichtet hat, 70 Vgl. schon Gönner, aaO. S. 308 f.; ebenso für heute Stein-Jonas-Schönke, aaO., Vorb. III 2 vor § 916. - Diese Rechte sind im ordentlichen Verfahren geltend zu machen, in dessen Rahmen dann wieder einstweilige Anordnungen ergehen können. 71 Stein-Juncker, aaO. S.25; Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, aaO. S.763. Ob insoweit (materielles) Gewohnheitsrecht gegeben ist, wird unten noch zu erörtern sein, vgl. unten II, 2, B, II, 2, b. 72 § 89 E.ALR: "Bis zur erfolgenden richterlichen Bestimmung des entstandenen Collisionsfalles muß die Sache zwischen den Berechtigten in dem Stande bleiben, in welchem sie bis dahin gewesen ist." Vgl. auch §§ 155, 156 I 7 ALR. - Ebenso für das gemeine Recht: Gönner, aaO. S.293. 73 Gutdener, aaO. S.384 Anm. 13 c m. Nachw. 74 Vgl. oben I, 2, A-E. 75 Anders dagegen in bestimmten Fällen, in denen alle Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Maßnahme in Sondernormen präzise fixiert worden sind, vgl. z. B. § 899 BGB. Hier ist der Tatbestand - und, wie noch zu zeigen sein wird (unten Anm.96), die Rechtsfolgeanordnung - eindeutig vorgegeben; hinsichtlich der Gefährdungslage wird gesetzestechnisch zwar nur die Erforderlichkeit einer Glaubhaftmachung ausgeschlossen, im Hinblick auf die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs nach § 892 BGB ist aber die Gefahrenlage eindeutig fixiert.
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die hier niedergelegten Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung in jedem Punkt in juristisch eindeutigen Begriffen zu fixieren. Wenn das Gesetz im Falle der Sicherungsanordnung von einer "Veränderung des bestehenden Zustandes" und einem "Recht des Antragstellers" oder im Falle der Regelungsanordnung "von dauernden Rechtsverhältnissen" spricht, so sind dem um eine Interimsentscheidung angegangenen Richter damit zwar eindeutige, bestimmte Rechtsbegriffe an die Hand gegeben, deren begrifflicher Gehalt in Rechtssprechung und Lehre durch eine detaillierte Interpretation dargelegt worden ist und deren Vorliegen im Einzelfall stets ohne Schwierigkeiten durch subsumierende Rechtsfindung festgestellt werden kann; für die Ergebnisse, zu denen die Auslegung dieser Begriffe geführt hat, kann dabei an dieser Stelle auf die einschlägige Erläuterungsliteratur verwiesen werden76 . Anders dagegen steht es mit den Begriffen, die der Gesetzgeber verwendet, um das eigentliche Auslösungsmoment richterlicher Interimsmacht zu umschreiben: Wird im Falle der Sicherungsanordnung die konkrete Gefähvdungssituation ganz allgemein mit dem Begriff der "Gefahr" einer Vereitelung der Rechtsverwirklichung angesprochen, so wird bei dem Institut der Regelungsanordnung noch unschärfer einfach auf die Notwendigkeit abgestellt, eine Regelung für die Streitdauer zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen zu treffen. Im Gegensatz zu den schon oben kurz erwähnten Sonderfällen einstweiliger Anordnungen, bei denen sich eine ganz bestimmte typisierte Gefährdungssituation unmittelbar aus dem Gesetzeszusammenhang ergibt77 , handelt es sich hier bei den allgemeinen Begriffen der "Gefahr" und "Notwendigkeit" um Tatbestandsvoraussetzungen, die unverändert von den geschichtlichen Vorläufern dieses Institutes übernommen worden sind78 und deren eigentliche Heimat im materiellen Polizeirecht zu suchen ist7 9 • Bei diesen Begriffen handelt es sich im Sinne der jüngeren Dogmatik um sogenannte "unbestimmte Rechtsbegriffe"80, die 76 Eingehend m. Nachw.: Quaritsch, aaO. S. 232 H., 342 ff.; vgl. ferner: Eyermann-FröhZer, aaO. § 123 Rdn. 6 ff.; UZe, VwGO, § 123 Anm. II 2; Klinger, VwGO § 123 Anm. B 1, 2. 77 Vgl. oben Anm.75. 78 Oben I, 1, Anm. 54 f. 79 Vgl. oben I, 1, Anm.48, 54 f.; I, 2, Anm.120; unten Anm.338, 364 f. Für den Begriff der Notwendigkeit etc. vgl. z. B. § 41 pr. PVG; ferner DrewsWacke, aaO. S.282; WoZft, Verwaltungs recht, S.138; W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 34. 80 Vgl. z. B. UZe, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, in Gedächtnisschrift Jellinek, S. 309 H.; Jesch, aaO.; Bachoj, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, JZ 55, S. 97 ff.; zuletzt z. B.: Kellner, Zum Beurteilungsspielraum, DÖV 62, 572 ff. (m. Rechtsprechungsübersicht); Czermak, Zum gerichtsfreien Beurteilungsspielraum im Verwaltungsrecht, JZ 63, 276 ff.
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sich dadurch auszeichnen, daß bei ihnen der in jedem Gesetzesbegriff neben dem eigentlichen Begriffskern enthaltene Bereich von Randfällen, der sogenannte Begriffshof, ungewöhnlich groß und diffus ist, während der eigentliche Kernbereich im Vergleich dazu außerordentlich klein erscheint81 • Es ist hier nicht der Raum, auf die teilweise sehr umstrittenen Fragen aus dem Bereich dieser unbestimmten Rechtsbegriffe einzugehen82 ; im hier behandelten Zusammenhang ist allein wesentlich, daß nach früher zwar bestrittener, heute aber gefestigter Ansicht die Anwendung derartiger unbestimmter Rechtsbegriffe durch einen Hoheitsträger stets rechtsanwendende Rechtsfindung bedeutet83 , wie sich auch im Rückschluß aus der grundsätzlichen Zulassung der Revisibilität dieser Begriffe im Verfahrensrecht der verschiedenen Verfahrensordnungen ergibt84 • Stellen sich mithin die tatbestandlichen Umschreibungen der Gefährdungssituationen als derartige unbestimmte Rechtsbegriffe dar, so ist die gesamte Tatbestandsseite der richterlichen Interimsrnacht vom Gesetzgeber in auslegungsfähigen Rechtsbegriffen typisiert, deren Anwendung im Einzelfall sich stets im Rahmen echter Rechtsfindung hält85 • Bei der Prüfung der tatbestandlichen Vor,aussetzungen einer einstweiligen Anordnung bleibt der Richter mithin auf dem Boden rechtsfindender Tätigkeit, wie sie die herrschende Lehre als Grundelement materieller Rechtsprechung ansieht. 81 Die Darstellung folgt insoweit der Abhandlung von Jesch, aaO. (vgl. hier insb. S. 176, 177 f.). 82 Vgl. Anm.80, ferner: Maunz-Dürig, aaO. Art. 20 Rdn. 90; Ule, VwGO § 114 Anm. H; ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 6 ff., 13 f.; Reuss, Das Ermessen, DVBI 53, 585 (586 ff.); ders., Der unbestimmte Rechtsbegriff, DVBl 54, 649 ff.; Bachof, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, JZ 62, 701; Müller-Tochtermann, Über die praktische Brauchbarkeit der Lehre vom Beurteilungsspielraum, Schl-HAnz 62, 157 ff.; Klein, Die Kongruenz des verwaltungsrechtlichen Ermessensbereiches und des Bereiches rechtlicher Mehrdeutigkeit, AöR 82 (1957) S. 75 ff.; Czermak, Verwaltungs gerichtliche Nachprüfbarkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe, NJW 61, 1905. 83 So im Ergebnis schon: Triepel, Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern, in Festgabe Kahl, S.16; - heute: Reuss, Das Ermessen, S. 587; Menger, System, S.125 ff. m. Nachw.; Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, aaO. S. 311; ders., Verwaltungsgerichte überstaatlicher Organisationen, S.497; ders., Verwaltungsprozeßrecht S.7; v. Turegg-Kraus, aaO. S. 28 f.; OVG Berlin, U. v. 13.2.1952, DVBI 52, 770 (771); BVerfG, B. v. 8.12. 52, NJW 53, 17 (19). 84 Dazu Jesch, aaO. S. 197 ff. m. eingehenden Nachw.; Reuss, Das Ermessen, S. 589; vgl. z. B. aus der Rechtsprechung: BGHZ 10, 14 (16 f.); BAG AP Nr.1 zu § 23 BetrVerfG mit Anm. lIueck und Bötticher; BVerwG 4, 305 (307); 6, 177 (= JZ 58, 703 m. Anm. Jesch); 8, 234 (235). 85 Vgl. Anm.83, ferner Quaritsch, aaO. S.217; Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S.763; - a. A. anscheinend: VerfGH Rh.-Pf., E. v. ·i\.0. 4. 53, AS OVG Rh.-Pf. 2, 271 (282); Klinger, VwGO § 123 Anm. B 1 ("ob eine Gefährdung vorliegt, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen").
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ß) Die Rechtsfolgeseite
Allein dieser Blick auf die rechtsfindende Qualität der Prüfung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für hoheitliches Handeln vorliegen, kann jedoch noch nicht zur Beantwortung der Frage führen, ob der zu erlassende Staatsakt rechtsfindenden Gehalt hat und damit das Grundkriterium des materiellen Rechtsprechungsbegriffs der herrschenden Lehre in sich trägt. In irgendeinem, sei es .auch noch so weit gesteckten Rahmen werden die Voraussetzungen des Tätigwerdens eines Hoheitsorganes stets durch Rechtsbegriffe vorbestimmt, deren Prüfung rechtsfindenden Charakter hat. Jedes Organ eines Hoheitsträgers verdankt nämlich seine Existenz und Zuständigkeit unmittelbar oder mittelbar Rechtssätzen und jedes Tätigwerden eines derartigen Organs ist daher zum mindesten eine Vollziehung jener Rechtssätze, "nach denen es angetreten ist"86. Insoweit ist alle Tätigkeit öffentlicher Organe rechtsgebunden 87 und auch die - wie noch auszuführen sein wird88 - gerade im Gegensatz zu rechtsfindenden Staatsakten stehenden Ermessensentscheidungen stehen in diesem Sinne nicht etwa frei außerhalb der Rechtsordnung 89 (wie sich schon daran zeigt, daß einer der Hauptfälle der Fehlerhaftigkeit dieser Ermessensakte darin liegt, daß "die gesetzlichen Grenzen des Ermessens" überschritten werden90 , ein Fall, der im übrigen zu Unrecht als Ermessensfehler bezeichnet wird 91 ). Gerade im Hinblick auf die Normen, nach denen ein Staatsorgan im Rahmen seines HandeIns antritt, kann an dieser Stelle auch unerörtert bleiben, ob jener Grundsatz von den normativ festgelegten Voraussetzungen staatlichen HandeIns dort eine Einschrähkung erfährt, wo das Gesetz - jedenfalls dem Anscheine nach - dem Hoheitsorgan Ermessensfreiheit einräumt bei der Prüfung der Frage, ob solche Voraussetzungen gegeben sind oder nicht; diese gesetzgeberische Ausgestaltung, deren Rechtsgültigkeit von der herrschenden Lehre mit dem 88 Wolff, Der Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Recht, AöR 76 (1950) S,.205 (209); Menger, System, S.27, 32 f., 112 ff. 87 BayrVGH, E. v. 9. 6. 1949, VGHE nF 2, S. 33 (41); vgl. Menger, System, S.27, 114. 88 Vgl. unten zu Anm. 109 ff., 156, 202 ff. m. Nachw.; auch schon oben zu Anm.58ff. 8V z. B.: Wolft, Verwaltungs recht, S. 143 f.; Klein, Rüdiger, aaO. S. 75 ff. (insb. S. 116); Bachof, Rechtsprechung des BVerwG, aaO. S. 702; BVerwG 11, 95 (96 f.) .. 90 Wolft, Bachof und BVerwG wie Voranm., jeweils m. Nachw.; BVerfG 9, 137 (147 ff.). 91 So z. B. Peters, aaO. S. 10 ff. Es liegt jedoch kein Ermessensfehler vor, sondern es fehlt an den Voraussetzungen der Ermessensbetätigung, es liegt also ein Rechtsfehler vor; vgl. RÜdiger Klein, aaO. S. 91 ff. (insb. S. 95); Wotfj, Verwaltungs recht, S. 144.
104
H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
Argument der Unzulässigkeit des sogenannten cognitiven Ermessens verneint wird 92 , berührt die hier zu behandelnde Frage nicht, weil auch in diesem Bereich stets normative Tatbestandsvoraussetzungen - eben jener Ermessensrahmen - aufrecht erhalten bleiben, die ein Mindestmaß an tatbestandlicher Rechtsgebundenheit beinhalten. Für einen rechtsfindenden Staatsakt ist es über diese normativ-tatbestandliche Vorausbindung hinaus wesentlich, daß auch sein Inhalt vom Gesetz in einer auslegungsfähigen, d. h. durch Rechtsbegriffe bestimmten Rechtsfolgeanordnung vorgegeben ist 93 . Es liegt im Wesen des Rechtssatzes begründet, daß über die tatbestandlichen Merkmale hinaus verbindlich (kategorisch) ausgesprochen wird, welche Rechtsfolgen sich nach dem Willen des Gesetzgebers an diesen typisierten Tatbestand knüpfen sollen94 . Es gilt daher nun zu untersuchen, ob die richterliche Interimsrnacht nicht nur in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen, sondern auch in den inhaltsbestimmenden Rechtsfolgeanordnungen vom Gesetzgeber durch auslegungsfähige, d. h. vom Richter "vollziehbare"95 Rechtsbegriffe vorbestimmt ist. Vorweg sei bemerkt, daß eine solche Vorbestimmung des Inhalts richterlicher Interimsrnaßnahmen unserer Rechtsordnung nicht unbekannt ist. Schon bei der einstweiligen Verfügung im Zivilprozeß sind in diesem Zusammenhang die Entscheidungen zu nennen, durch die den typischen Gefährdungen, die einem materiell-rechtlichen Anspruch aus den Gutglaubensvorschriften bei öffentlichen Registern entstehen können, begegnet werden soll: Hier wird stets eine bestimmte Entscheidung mit einem typisierten Entscheidungsinhalt getroffen, die zur vorläufigen Sperrwirkung gegenüber jenem Gutglaubensschutz führt; als Beispiel sei hier lediglich hingewiesen auf die einstweilige Verfügung des § 899 Abs. II BGB, mit der der sperrende Widerspruch in das 02 Bachof, Beurteilungsspielraum, S.99; Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe, S. 329; Jesch, aaO. S. 206 (208); Quaritsch, aaO. S. 217; Lefringhausen, aaO. S. 100; Kellner, aaO. S.575, 577; E. Stein, Die Bindung des Richters an Recht und Gesetz, S. 51 f.; Menger, Schutz der Grundrechte, S. 754 f.; ders., Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51, 64 (71); Wolff, Verwaltungsrecht, S.142; - a. A.: früher W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S.132, 188 f.; anscheinend noch heute: Forsthofj, aaO. S.81; vgl. auch den allerdings wohl mehr terminologischen Streit zwischen Bachof und R. Klein, dazu R. Klein, aaO. S. 85 Anm.31, S.87 Anm.35, S. 95 f; - anders wohl auch bei der einstweiligen Verfügung im schweizerischen Zivilprozeß, vgl. Guldener, aaO. S. 385; - aus der Rechtsprechung vgl. z. B. für die h. L.: BayrVGH, U. v. 18. 2. 55, VGHE nF 8 (I) S. 30 (33 f.); BVerfG, B. v. 5. 2. 63, DVBI 63, 362. 93 Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S. 763 f.; Menger, System, S. 129; Esser, Grundsatz und Norm, S.51. 94 Menger, System, S. 27; vgl. oben S. 133 ff. 95 BGHZ 11, Anh. S.34 (51 ff., 54, 58); Esser, aaO. S.51: "Der moderne Rechtssatz des kontinentalen Systems muß ,anwendbar' sein, d. h., in seinem Bereich und seiner Wirkungsweise durch Kriterien festgelegt sein."
B. Regelungsanordnung pp. - 11. Als Rechtsfindung
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Grundbuch hineingebracht wird 96 . In dieser Hinsicht ähnlich liegen die Verhältnisse auch bei den besonderen Interimsmaßnahmen des Strafprozesses97 , wo beispielsweise unter den Voraussetzungen des dringenden Tatverdachtes und der Flucht- bzw. Verdunkelungsgefahr als typisierter Entscheidungsinhalt die Anordnung der Untersuchungshaft nach § 112 StPO vorgegeben ist98 • Ähnliches gilt endlich auch, wie noch an anderer Stelle zu erörtern sein wird, von der spezialisierten Interimsmaßnahme des Verwaltungsrichters nach § 80 Abs. V VwGO: Auch hier kann der Richter durch seine interimistische Entscheidung nur die aufschiebende Wirkung anordnen, sie im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung wiederherstellen oder die Aufhebung einer etwa schon durchgeführten Vollziehung anordnen, ohne daß ihm die Möglichkeit gegeben ist, eine andere, ihm zweckmäßiger erscheinende Interimslösung durch freigestaltende Maßname zu treffen99100. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, daß der Richter, der einen zur Entscheidung anstehenden Sachverhalt unter die (vorher zu interpretierende101 ) Tatbestandsseite der Norm subsumiert hat, in der Rechtsfolgeanordnung auf einen vom Gesetzgeber vorbestimmten Inhalt seiner Entscheidung festgelegt ist, daß er also nur die Interessenwertung des Gesetzgebers vollzieht und ihm insoweit eine eigene Wertung versagt ist. Bei diesen Spezialtypen von Interimsentscheidungen liegen mit96 Der Inhalt der Interimsmaßnahme, also die Rechtsfolgeanordnung, ist dem Richter mit der Anordnung der Eintragung eines Widerspruches vorgegeben. Dazu, daß auch die Tatbestandsseite präzise fixiert ist, vgl. oben Anm.75. 97 Vgl. oben I, 2, B m. Nachw., insb. BVerfG 9, 89 (96 f.). 98 Die eigene Wertung des durch die tatbestandlichen Voraussetzungen (dazu: Eb. Schmidt, Lehrkom. I S. 62 f. (100); Siegmund-Schultze, aaO. S.123) umrissenen Interessenkonfliktes ist dem Richter entzogen: Soweit die Voraussetzungen vorliegen, kann der Richter nur die Untersuchungshaft anordnen und darf keine andere, ihm etwa zweckdienlicher erscheinende Entscheidung treffen; vgl. KG, B. v. 10.9.25, JW 26, 1247 f.; Löwe-Rosenberg, aaO. § 112 Anm. 13; etwas abweichend: Goldschmidt, Inwieweit kann die Untersuchungshaft durch andere Sicherungsmaßregeln ersetzt werden? JW 26, 1113 f.; Eb. Schmidt, Lehrkom. !I Vorb. 21 ff. vor § 112 StPO (S. 270 f.) m. Nachw. 99 a. A.: Baring, Einstweilige Verfügung, aaO. S. 48: "Wenn einstweilen alles beim alten bleiben kann, ... Aussetzung der Vollziehung. Wenn dagegen vorübergehend eine andere Regelung notwendig erscheint, . . . einstweilige Verfügung." Das ist heute schon durch § 123 Abs. V VwGO verboten; die These von Baring ist nur historisch aus dem Streit um die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen im Verwaltungsprozeß zu verstehen. Die einzige Möglichkeit zu flexibler Interimsgestaltung im Aussetzungsverfahren bietet die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung, § 80 Abs. V 1 VwGO. 100 Anders im Anfechtungsprozeß in Österreich und der Schweiz; vgl. Hellbling, aaO. Bd. II, VVG § 8 Anm. !II a. E. (S. 520); Herrnritt, Verwaltungsverfahren, S. 237; Ruck, aaO. S. 226, 246; Bosshardt, aaO. § 25 Anm. 3, § 55 Anm. 2, 3, ~ 56 Anm. 4. 101 Jesch, aaO. S. 178 ff. (191 f.).
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H. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
hin die charakteristischen Kriterien rechtsfindender Hoheitsmaßnahmen vor102 • Diese Fixierung des Inhaltes der Interimsmaßnahmen wird in den Fällen der Gutglaubensschutz-Sperrung öffentlicher Register (z. B.: § 899 BGB) und der Vollziehungsaussetzung bzw. der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. V VwGO) daran liegen, daß es sich hier um Gefährdungssituationen handelt, die so häufig und in so typisch sich wiederholenden Fällen auftreten, daß bei ihnen der Gesetzgeber einen genügenden Erfahrungsschatz gesammelt hatte, um eine generalisierende normative Lösung dieser Interessenkonflikte vornehmen zu können103 ; daß eine solche Typisierung im Bereich des Verwaltungsprozesses gerade für die Interimsmaßnahmen bei der Anfechtung von Verwaltungsakten, bei den sogenannten nachträglichen Verwaltungsstreitsachen104, erfolgen konnte, kann nicht verwundern, denn gerade in diesem Bereich lag geschichtlich das Hauptgewicht bei der Entstehung des deutschen Verwaltungsprozesseslos, so daß dem Gesetzgeber hier auch am ehesten das empirische Material für eine typisierende Regelung zur Verfügung stand. Für die Interimsmaßnahmen des Strafprozesses aber wird ein Hauptgrund für die detaillierte normative Inhaltsbestimmung der richterlichen Entscheidung darin liegen, daß aus Gründen der Rechtssicherheit zu Gunsten des Beschuldigten eine freie Wertung der Interessengegensätze durch den Richter nicht angängig war106 • Ob eine solche normierte Vorbestimmung des Inhalts der richterlichen Interimsmaßnahme auch für das allgemeine Institut der einstweiligen Anordnung gilt, soll nach dieser abgrenzenden Voruntersuchung im Folgenden geprüft werden. Die Rechtsfolgebestimmung, die der Gesetzgeber dem um eine Interimsregelung angegangenen Richter unter den oben umrissenen Voraussetzungen vorgegeben hat, erschöpft sich darin, daß eine "einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand" oder eine "einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in 102 103
Vgl. oben zu Anm. 58 ff.
Menger, System, S. 28: Die Normsetzung erfolgt, wenn dem Gesetzgeber
für typisierende Regelungen "das empirische Wissen" zur Verfügung steht. Vgl. auch Bacho!, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, S. 702, und BVerfG 8, 332 (346): seit dem Beginn der Weimarer Zeit sei eine "fortschreitende allgemeine Bindung des Verwaltungsermessens" festzustellen. Das ist im reinen Verwaltungsbereich die Parallele zur hier aufgezeigten Beobachtung. 104 Zu diesem Begriff: O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I S. 152; Fleiner, aaO. S. 253 f.; Genzmer, aaO. S. 510 f.; Menger, System, S. 137 f. m. w. Nachw. 105 Vgl. oben I, 2, E, I, 1. 106 So insb.: BVerfG 9, 89 (96 f.); vgl. auchEb. Schmidt, Lehrkommentar Bd. I S.32 (Nr. 18 ff., 20).
B. Regelungsanordnung pp. - II. Als Rechtsfindung
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Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis" erlassen werden kann, wobei "das Gericht nach freiem Ermessen bestimmt, welche Anordnungen zur Erreichung des Zweckes erforderlich sind". Eine weitergehende Ausgestaltung der Rechtsfolgebestimmung über diese aus § 123 Abs. I S. 1, S. 2; Abs. III VwGO, § 938 Abs. I ZPO sich ergebenden Rechtsfolgen hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen; die in § 938 Abs. II ZPO aufgeführten bestimmten Einzelmaßnahmen (Sequestration, Gebote und Verbote) können dabei hier für die grundsätzliche Untersuchung außer Betracht bleiben, weil sie sowohl nach dem Wortlaut des Gesetzes wie auch nach ganz unstreitiger Lehre und Praxis lediglich beispielhaft aufgeführte Maßnahmen darstellen, die den Richter nicht daran hindern, einer von ihm zu erlassenden einstweiligen Anordnung einen anderen Inhalt zu geben107 • Schon oben108 ist dargelegt worden, daß bei einer rechtsfindenden Maßnahme der Hoheitsträger stets nur eine schon in genereller Form normierte Interessenwertung des Gesetzgebers vollzieht, während bei einer freien, d. h. einer nicht gebundenen Entscheidung die Interessenwertung des jeweiligen Hoheitsorganes zu rechtlicher Relevanz gelangt. Innerhalb dieser zweiten Gruppe der inhaltlich freien Entscheidungen ist dann weiter zu unterscheiden, ob der Hoheitsträger eine Maßnahme treffen soll, hinsichtlich deren weder tatbestandliche Voraussetzungen noch inhaltliche Rechtsfolgeanordnungen vom Gesetzgeber vorgegeben sind, d. h., ob der Hoheitsträger "rechtliches Neuland"lo9 betritt, oder aber ob der Gesetzgeber jedenfalls den zu entscheidenden Sachverhalt schon tatbestandlich erfaßt und typisiert hat und lediglich die Rechtsfolgebestimmung der Eigenwertung des Hoheitsträgers überantwortet hat, ob insoweit also eine Art Delegation der Wertung eines tatbestandsmäßig typisierten Interessenkonfliktes vom Gesetzgeber auf den - executiven oder judiziellen - Hoheitsträger vorliegt llO • Während man in der ersten Fallgestaltung dabei von einer "ungebundenen" oder "freigestaltenden" Staatstätigkeit sprechen mag, liegt die zweite Fallgestaltung typischerweise bei der echten Ermessensentscheidung vor, deren Voraussetzungen stets in den gesetzlichen Schranken des sogenannten Ermessensrahmens normiert zu werden pflegen1ll • 107 Vgl. die Erläuterungsliteratur zu § 938 ZPO, z. B.: Stein-Jonas-Schänke, aaO. § 938 Anm. I, Anm. II 1; Wieczorek, aaO. § 938 Anm. B, Anm. B II c; Rosenberg, aaO. S. 1106; RG 120, 118 (120). 108 Oben zu Anm. 58 ff. 109 Vgl. auch Menger, System, S.28, 32. 110 Für den Bereich der unbestimmten Rechtsbegriffe benutzt hier Jesch (aaO. S.167) den Begriff der Delegation. Vgl. auch Ule, Verwaltungsgerichte überstaatlicher Organisationen, S.497. 111 Vgl. zu allem: W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 30 ff.; Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51, 64 (69 ff.); Peters, aaO. S.10 ff.; Wolft, Verwaltungsrecht, S. 141 ff. (144); Forsthoff, aaO. S. 84 ff., jeweils m. w. Nachw.
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Ir. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
Da bei der richterlichen Interimsmacht des § 123 VwGO die tatbestandlichen Voraussetzungen, wie oben gezeigt112 , in einem auslegungsfähigen Tatbestand normiert sind und da der Gesetzgeber selbst ausdrücklich dem "freien Ermessen" des Gerichtes anheim gibt, welche Anordnung es treffen will, ist im folgenden zu untersuchen, ob die einstweilige Anordnung nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung jener zweiten Fallgruppe, derjenigen der echten Ermessensentscheidung, zuzurechnen ist und damit aus dem Bereich der Rechtsfindung ausscheidet113 • Die Lösung der damit aufgeworfenen Frage kann nicht schon darin gesucht werden, daß der Gesetzgeber hier ausdrücklich von der Betätigung richterlichen Ermessens spricht. Bei solchem Vorgehen würde übersehen werden, daß die hier auszulegende Norm des § 938 Abs. I ZPO aus einem - in den Vorentwürfen jedenfalls - schon vor fast 100 Jahren formulierten Gesetz stammt114 , aus einer Zeit also, die weit vor der im wesentlichen im Verwaltungs recht entwickelten dogmatischen Durchdringung des Ermessensbegriffes lag. In einer Vielzahl von Bestimmungen hat der Gesetzgeber nämlich den Begriff des Ermessens verwandt, ohne mit ihm die für die heutige Ermessenslehre notwendige Konsequenz verbinden zu wollen, daß mehrere innerhalb des Ermessensrahmens ergehende Entscheidungen "rechtlich gleich richtig"115 seien. Nur beispielsweise seien hier genannt die Bestimmungen der §§ 315,317,319,343, 660, 745 Abs. II, 847, 971 Abs. I S. 2, 1024, 1246, 1300,2048,2156 BGB; 744 Abs. I HGB; 43 Abs. II Wohnungseigentumgesetz; 2 der 6. DVO zum EheG116; auch die richterliche Strafzumessung im Strafverfahren, die nach gängiger Formulierung innerhalb des Strafrahmens in das Ermessen des Richters gestellt ist ll7 , gehört in diesen Zusammenhang. In allen diesen Fällen verwendet der Gesetzgeber den Begriff des Ermessens nämlich mehr oder weniger in dem Sinne Oben a) . Vgl. Lefringhausen, aaO. S. 90 ff. (97, 102 f.). 114 Vgl. oben I, 1 Anm. 12 f. 115 Zum Begriff der Ermessensentscheidung Vgl. z. B.: Forsthoff. aaO. S.72 ff., 84 ff.; Wolff, Verwaltungsrecht, S. 142; W. Jellinek, aaO. S. 30 ff.; Menger, System, S. 31 ff.; ders., Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51, 64 (69 ff.); Peters, aaO. S. 10 f.; Reuss, Das Ermessen, aaO.; Bachof, Beurteilungsspielraum, aaO.; R. Klein, aaO; Jesch, aaO. (insb. S. 204 ff.); Ule, VwGO, § 114, Anm. H, IH; ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 5 ff.; Eyermann-Fröhler, VwGO, § 114 Rdn. 7 ff.; - aus der Rechtsprechung vgl. z. B. die Grundsatzentscheidung BVerfG, B. v. 3.2. 59, NJW 59, 931. 116 euro grano saUs gehört hierher auch § 287 ZPO (dazu z. B. Rosenberg, aaO. S.544); weitere Bestimmungen z. B. bei Lefringhausen, aaO. S. 91 ff.; Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, S.366. 117 So z. B. ausdrücklich: W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S.40; Wolff, Verwaltungsrecht, S. 146; vgl. oben Anm.44. 112
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eines "billigen Ermessens", wie es in einigen Bestimmungen sogar ausdrücklich formuliert ist. Mit dem Hinweis auf die Billigkeit aber wird deutlich, daß der Gesetzgeber in all diesen Fällen nur eine einzige Entscheidung als richtige gewollt haben kann, denn " billig " ist stets nur eine Entscheidung 1l8 , Billigkeit ist kein Gegensatz, sondern eine Erscheinungsform des Rechts119 , und die nähere Präzisierung des Entscheidungsinhaltes ist in all diesen Fällen vom Gesetzgeber nur deshalb unterlassen worden, weil er vor der Aufgabe kapitulieren mußte, den Inhalt der im Einzelfall jeweils billigen Entscheidung bereits in genereller Form bestimmt zu formulieren. Auch der Begriff des "billigen Ermessens" stellt sich mithin als Verlegenheitslösung des Gesetzgebers120 dar, als ein unbestimmter Rechtsbegriff mit - allerdings sehr weitem - Begriffshof121 und seine Verwendung durch ein Hoheitsorgan stellt mithin stets rechtsanwendende Rechtsfindung, nicht aber echte Ermessensbetätigung dar122 • Nach allem läßt sich aus der Formulierung "Das Gericht bestimmt nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwekkes erforderlich sind" (§ 938 ZPO), nicht ohne weiteres herleiten, daß die Betätigung richterlicher Interimsrnacht nach § 123 VwGO zu Ermessensentscheidungen und nicht zu rechtsfindenden Akten führe. Vielmehr ist im einzelnen zu untersuchen, ob das Gesetz den Begriff des Ermessens hier im Sinne eines billigen Ermessens, d. h. also als unbestimmten Rechtsbegriff, verwendet oder ob es ihm die Aufgabe beigelegt hat, den Richter zu freier, selbstwertender Entscheidung im Sinne der heutigen Ermessenslehre zu ermächtigen. In der Tat fehlt es nicht an Stimmen, nach denen der Inhalt der richterlichen Interimsentscheidung dem Richter vom Gesetzgeber dergestalt in der Form unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Rechtsfolgeseite der Interimsnormen vorgegeben sein soll. In einer jüngsten Untersuchung über die verfassungsgerichtliche Interimskompetenz geht FUß123 davon aus, daß nicht nur das "ob", sondern auch das "wie" , also der Inhalt einstweiliger Anordnungen durch unbestimmte Rechtsbegriffe normativ fixiert sei und daß dem Richter hier ein - ja gerade bei unbestimmten Rechtsbegriffen gegebener - Beurteilungsspielraum eingeräumt 118 Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch, S. 366 f.; Lefringhausen, aaO. S. 95; Esser, Grundsatz und Norm, S. 151 ff. 119 Bettermann, wie Voranm.: "ius aequum est ius." 120 Ule, Verwaltungsgerichte überstaatlicher Organisationen, S.497. 121 Lefringhausen, aaO. S. 95. 122 Vgl. oben Anm.83; ferner: Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch, S. 366 ff.; Lefringhausen, aaO. S. 95 f.; R. Klein, aaO. S. 98 f.; O. Mayer, Verwaltungs recht, S.,98; W. JeHinek, Gesetzesanwendung, S.72; vgl.
insb. für den Bereich richterlicher Strafzumessung oben zu Anm.40-54. 123 Fuß, aaO. S, 205, 208 f.
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H. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
sei124 • Schon früher hat Schüle125 - ebenfalls für den Bereich verfassungsgerichtlicher Interimistica - gerade unter Hinweis 126 auf einige der oben angeführten Normen, die auf das "billige Ermessen" abstellen, ausgeführt, daß das Ziel einer richterlichen einstweiligen Verfügung stets durch einen unbestimmten RecMsbegriff umrissen sei, bei dessen Interpretation zwar ein breites Feld rechtlich nicht näher gebundener Dezision offen stehe, was aber einer Qualifikation der einstweiligen Verfügung als echten Rechtsprechungsakt nicht entgegenstehe, weil schon "ein einziger rechtlicher Richtpunkt, und sei er noch so allgemein gehalten," die Entscheidung zum Rechtsprechungsakt ausgestalte127 • Die damit für maßgeblich erklärte Zweckbestimmung der einstweiligen Anordnung sieht Schüle in einem späteren Abschnitt seiner Arbeit1 28 dann - allerdings beschränkt auf den Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit - darin, daß sie der "Friedensbewahrung im öffentlichen Interesse" zu dienen habe. Schon früher hat sich gezeigt, daß in der Entwicklungsgeschichte des Instituts der einstweiligen Anordnung die friedensbewahrende Funktion ein grundlegendes, auch heute noch anerkanntes Merkmal dieser Entscheidungsgattung ist 129 und daß es wegen seiner Bedeutung für die, wie es oben genannt wurde, Staatsökonomie in der Tätigkeit staatlicher Hoheitsorgane stets, also nicht nur im Rahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit, in grundlegender Weise öffentlichen Interessen dient1 30 ; die Formulierung, mit der Schüle die Zweckbestimmung einstweiliger Anordnungen umschreibt, wird daher sowohl der geschichtlichen wie der dogmatischen Stellung richterlicher Interimsentscheidungen gerecht, wobei offen bleiben kann, ob diese Formulierung noch zu weit gefaßt ist oder nicht. Eine andere Frage ist es aber, ob diese Zweckbestimmung schon in hinreichendem Maße bestimmt ist, ob sie also schon, und sei es in noch so genereller Weise, auslegungsfähige, d. h. für den Richter vollziehbare Rechtsbegriffe enthältl3l , oder ob mit ihr lediglich der rechtspolitische Grundsatz umrissen ist, der den Gesetzgeber zur Einführung richterlicher Interimsbefugnisse veranlaßt hat, der selbst aber 124 Gerade entgegengesetzt: VerfGH Rh.-Pf., E. v. 10. 4. 53, in AS. OVG RhPf, 2, 271 (282): Weder das "ob" noch das "wie" sei rechtlich fixiert, sondern es sei nur nach Zweckmäßigkeits erwägungen zu entscheiden. Dafür, daß das jedenfalls hinsichtlich der Tatbestandsseite nicht zutrifft, vgl. oben zu Anm.85. 125 Schüle, aaO. S. 62 ff. (64/65), 83 ff.; ähnlich neuerdings auch für die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung: E. Eichhorn, aaO. S. 109 ff. 126 Schüle, aaO. S. 65 Anm.9. 127 Schüle, aaO. S. 64 Anm.6, S.65 . 128 Schüle, aaO. S. 83 ff. (89). 129 Oben I, 1 zu Anm. 54 f. 130 Vgl. oben H, 1 zu Anm.29, 30. 131 Vgl. oben Anm. 93 f., insb. auch BGHZ 11, Anh. S.34 (51, 54).
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noch "so unbestimmt, vieldeutig und unvollziehbar ist, daß der Richter seine Aufgabe, notfalls auch über das Gesetz hinaus Recht zu finden, nicht lösen kann"132. Schüle selbst sieht in jener Zweckbestimmung, die er als unbestimmten Rechtsbegriff bezeichnet133, nur einen "allgemein gehaltenen rechtlichen Richtpunkt"134 und meint, daß es für die rechtliche Qualifikation des Begriffes nicht auf die Weite der Begriffsbildung ankommen könne135 • Nun ist es zwar zweifelsohne richtig, daß innerhalb des Bereiches der Rechtsbegriffe die Abgrenzung zwischen unbestimmtem und bestimmtem Rechtsbegriff nur auf quantitativen Unterscheidungsmerkmalen beruht, nicht aber auf qualitativen136, wobei dieses Quantitätskriterium gerade in der Weite der Begriffsbildung, in der Ausdehnung des Begriffshofes besteht1 37 . Bei der hier mit Schüles Thesen aufgeworfenen Frage handelt es sich aber nicht mehr um die Abgrenzung zwischen unbestimmtem und bestimmtem Rechtsbegriff, sondern darum, ob eine Formulierung überhaupt noch einen Rechtsbegriff darstellt oder ob sie nicht mehr Rechtsbegriff ist. Während nämlich die Anwendung von - bestimmten wie unbestimmten - Rechtsbegriffen stets Rechtsfindung bedeutet138 , bei der der Rechtsbegriff die Grundlage der zu erlassenden Maßnahme enthält, kommt dem Nicht-mehr-Rechtsbegriff allenfalls die Bedeutung eines Motivs der jeweiligen Maßnahme zu, ohne daß in ihm noch ein objektiver Maßstab für den Hoheitsakt enthalten wäre. Auch bei dieser Abgrenzung handelt es sich nun zunächst zwar ebenfalls um eine Quantitätsfrage, nämlich um die Frage, was alles durch den Vorstellungsgehalt einer Formulierung erfaßt wird. Ein bloßes Quantitätsmerkmal kann aber von einer bestimmten Grenze an in ein Qualitätsmerkmal umschlagen139 . Diese Grenze ist dort zu suchen, wo - um einen urheberrechtlichen, "unbestimmten Rechtsbegriff" zu verwenden - eine Verwässerungsgefahr für das Institut des unbestimmten Rechtsbegriffs überhaupt entsteht. Der Sinn der Bildung von unbestimmten Rechtsbegriffen durch den Gesetzgeber liegt darin, dem in einer Norm angesprochenen Hoheitsorgan die normative Wertung des Gesetzgebers zu vermitteln, die dieser jeweils im konkreten Einzelfall verwirklicht sehen will140 , 132 133
134 135 136
137
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BGHZ 11, Anh. S. 34 (54).
Schüle, aaO. S. 64. Schüle, aaO. S. 64 Anm. 6. Schüle, aaO. S. 65. Jesch, aaO. S. 167 ff. (m. Nachw. in Anm. 19). Jesch, aaO. S.177 f. m. Nachw.
Oben Anm.83.
Woltt, Verwaltungsrecht, S. 128; Brügelmann-Förster, Bundesbaugesetz, § 2 Anm. VI 7. 140 Vgl. oben zu Anm. 58 ff. Siehe auch Esser, Grundsatz und Norm, S. 24, 139
der von dem kodifizierten Recht als einer "Garantie für vorbedachte Lösungen" spricht.
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II. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
Die äußere Grenze des unbestimmten Rechtsbegriffs und damit des Rechtsbegriffs überhaupt ist daher dort erreicht, wo die verwandte Formulierung einen so weiten Sinngehalt umspannt, daß der - executive oder judizielle-Hoheitsträger jene Wertung nicht mehr durch eine echte Interpretation, eine "bloße Entfaltung" des verwandten Begriffes vollziehen kann141 • Ein Begriff, der auch im konkreten Einzelfall nicht mehr aus sich heraus vollzogen werden kann, ist kein Rechtsbegriff mehr, weil er der spezifischen Zweckbestimmung des Rechtsbegriffes, im Einzelfall angewandt zu werden, nicht genügt1 42 • Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob diese Grenze des Rechtsbegriffs überhaupt zusammenfällt mit der verfassungsrechtlichen Schr,anke, die dem Gesetzgeber verbietet, bei dem Erlaß von Rechtsnormen inhaltlich zu weit gefaßte, praktisch nicht mehr bestimmbare unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden143 • Immerhin aber läßt sich daraus, daß auch von Verfassungs wegen der Verwendbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe Schranken gesetzt sind, schließen, daß nicht jeder allgemein gehaltene rechtliche Richtpunkt schon einen vollziehbaren unbestimmten Rechtsbegriff bedeutet. Diese These wird schließlich auch noch durch folgende Erwägung gestützt: die bloße Ausrichtung an einem rechtlichen Richtpunkt, die Orientierung ,an irgendwelchen Grundvorstellungen, die in der Rechtsordnung ihren Ausdruck finden, ist kein ausschließliches Kennzeichen rechtsfindender Staatstätigkeit, sondern sie ist in einem Rechtsstaat jeder hoheitlichen Maß141 BGHZ 11, Anh. S.34, S.51: "Anders stünde es jedoch, wenn ... dem Richter angesonnen würde, allgemein verbindliches Recht nicht durch die Entfaltung ihm ... vorgegebener und vollziehbarer allgemeiner Rechtssätze zu finden, sondern es ohne diese Stütze kraft eigener bloßer Willensentschlüsse nach bloßen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten selbst zu schaffen (zu erzeugen).", S. 54: "Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung ... könnte ... in Frage stehen, wenn der Grundsatz von der Gleichberechtigung ... so unbestimmt, vieldeutig und unvollziehbar wäre, daß der Richter seine Aufgabe, notfalls auch über das Gesetz hinaus Recht zu finden, nicht lösen könnte, insbesondere auch wenn der Grundsatz so beschaffen wäre, daß der Richter ihn ganz oder teilweise nur vollziehen könnte, wenn er, statt durch seine bloße Entfaltung das Recht zu finden, das Recht durch Willensakte nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten setzen würde." - Vgl. auch Esser, aaO. S.51. 142 E. Wolft, Die Nachprüfbarkeit des wichtigen Grundes durch das Bundesarbeitsgericht, NJW 61, 8 (9), wendet sich überhaupt gegen den terminus "unbestimmter Rechtsbegriff" und bezeichnet ihn als contradictio in adiecto. Ein nicht bestimmbarer Begriff sei ein "Unbegriff". Jedenfalls in den hier angesprochenen Fällen wird man diese Folgerung uneingeschränkt übernehmen müssen. 143 Dazu: Jesch, aaO. S. 234 ff. m. Nachw.; Hildegard Krüger, Die Verfassungswidrigkeit der lex Schömer, DVBI 55, 758, 791 (796): nur präzis bestimmte Normen an den Richter seien verfassungsgemäß. - Vgl. aber auch Bachof, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, S. 705 (Nr. 110) zu BVerfG 12, 20 (26). - Der Gesetzgeber steht vor der Aufgabe, den Mittelweg zwischen einer "Flucht in die Generalklauseln" und einem reinen "archaisch geregelten Fallrecht" (Jesch, aaO. S. 240; vgl. E. Wolff, aaO. S.9) zu finden.
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nahme - jedenfalls im Prinzip - eigen144. Jede entscheidende Maßnahme eines Hoheitsträgers enthält, soweit sie überhaupt nach außen wirksam wird, eine Wertung der sich jeweils entgegenstehenden Interessen. Diese wertende Abwägung kann der Gesetzgeber niemals vollständig, in einer alle Fälle umfassenden Weise in Normen ausdrücken. Auch wo aber eine normative Wertung des Gesetzgebers nicht vorliegt, wo der Gesetzgeber die wertende Entscheidung dem einzelnen Hoheitsorgan überlassen hat oder wo er überhaupt noch nicht tätig geworden ist, wo also das Hoheitsorgan rechtliches Neuland betritt, hat das einzelne Organ diese Wertung selbst dort am Gerechtigkeitsprinzip auszurichten, wo es im Einzelfall nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten tätig wird 145 . Ebenso wie im Bereich rechtsfindender Gesetzesanwendung in Zweifelsfragen der Interpretation wie der Subsumtion der entscheidende Hoheitsträger stets in einem - sei es auch noch so schwer zu umreißenden - Maße auf Zweckmäßigkeitserwägungen zuzückgreift146 , die einer echten Rechtsfindung an sich fremd sein müßten, kann sich auch bei einer Ermessensentscheidung oder bei einer völlig freigestaltenden Maßnahme der Hoheitsträger nicht völlig von rechtlichen Gesichtspunkten lösen, obwohl auch sie ihrerseits vom Begriff her nicht im Bereich reiner Zweckmäßigkeitserwägungen zum Tragen kommen dürften. Auch an dieser "vorjuristischen"147, auf jeden Fall aber nicht begriffsjuristischen Verflechtung aller staatlichen Tätigkeitsformen zeigt sich daher, daß allein die Beachtung "rechtlicher Richtpunkte" noch nicht zur Qualifikation eines Aktes als (Rechtsbegriffe anwendender) Rechtsfindungsmaßnahme berechtigt148 . Legt man die Maßstäbe, die aus diesen Erwägungen folgen, den Ausführungen von Schüle, Fuß und Eichhorn149 an, so tritt sehr rasch zu Tage, daß hier mit viel zu weiten Begriffsbildungen gearbeitet wird, als daß man noch von einer Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe 144 Das folgt schon aus Art. 20 Abs.III GG, vgl. Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 110. Vgl. auch oben Anm. 86 f. 145 Vgl. dazu schon oben zu Anm. 60 f.; eingehend zu diesen hier nur anzudeutenden Problemen: Menger, System, S. 26 f.; R. Klein, aaO. S. 86 f.; vgl. auch z. B. BVerfG 9, 137 (147); BVerwG 10, 202 (205), dazu Bachof, Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, S.703, 704 Anm.75: "G€rechtigkeitsbezogenes Ermessen"; - hierher gehört auch die aus Art. 3 GG folgende "Selbstbindung der Verwaltung" in Ermessenssachen, vgl. z. B. BVerwG 7, 180 (185 f.), 8, 4 (10), dazu kritisch Bachof, aaO. - Speziell für den Bereich der einstweiligen Anordnung z. B.: Koehler, VwGO, § 123 Anm. III 6. 146 Triepel, Reichsaufsicht, S.407 Anm.3 (408); Schüle, aaO. S.64, 65; Zorn, Kritische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, VerwArch 2 (1894) S. 74 (143); vgl. auch Häntzschel, aaO. S.393 Anm. 12; R. Klein, aaO. S. 85 f. 147 R. Klein, aaO. S. 78 ff. 148 So schon, allerdings ohne Begründung, im Ergebnis: Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S.763. 149 Vgl. oben Anm. 123, 125. 8 Rohmeyer
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
durch den Gesetzgeber sprechen dürfte. Daß Schüle selbst expressis ver bis unzulässigerweise von einer Gleichsetzung von "allgemein gehaltenem rechtlichen Richtpunkt" und "unbestimmten Rechtsbegriff" ausgeht, könnte zwar als terminologische Ungenauigkeit hingehen, zumal wenn man bedenkt, daß sich diese Formulierungen in einem heute 30 Jahre alten Werk finden, das sich noch nicht auf eine breite Erörterung dieser Probleme in der Rechtswissenschaft stützen konnte. Die "Friedensbewahrung im öffentlichen Interesse", die Schüle zur Grundlage seiner These von der rechtsfindenden Qualität der einstweiligen Anordnung machPso, ist aber auch nach unseren heutigen Maßstäben nur als rechtspolitischer Grundsatz, nicht aber als unbestimmter Rechtsbegriff zu werten. Das zeigt sich schon daran, daß diese Zweckbestimmung durchaus nicht allein dem Institut der einstweiligen Anordnung oder sonstiger Interimsrnaßnahmen eigen ist, sondern daß sie viel weitergehend einer großen Zahl prozeßrechtlicher und auch anderer öffentlich-rechtlicher Institute, ja sogar dem Prozeßrecht in seiner Gesamtheit und darüber hinausgehend auch weiten Gebieten der Rechtsordnung überhaupt zukommPS1. Daß man aber bei einem so weitgefaßten Prinzip nicht mehr davon sprechen kann, daß es sich um einen aus sich selbst heraus auslegungsfähigen Rechtsbegriff handele, liegt auf der Hand 1S2 • Zu dem gleichen Ergebnis aber muß auch eine kritische Wertung der von Fuß aufgestellten These führen, daß der Begriff "einstweilige Anordnung", also das Institut selbst als solches, zu dem der Gesetzgeber den Richter ermächtigt, einen inhaltsbestimmenden unbestimmten Rechtsbegriff darstelle 1S3 • Schon vom gesetzestechnischen Aufbau der Bestimmungen über die richterliche Interimsrnacht her kann dieses Argument nicht verfangen; eine solche Interpretation würde nämlich die Bestimmung des § 938 Abs. I ZPO, die der Gesetzgeber der VwGO ausdrücklich zum Inhalt seiner Neuregelung gemacht hat, erübrigen und zu einer inhaltsSchüle, aaO. S. 64 f., 83 f. Vgl. z. B. schon oben I, 1 Anm. 53; ferner Heinsheimer, aaO. S.378, der allgemein von dem "Friedenszweck, dem alle Gerichtsbarkeit dient" spricht. Vgl. im übrigen auch z. B. für die Friedensschutzfunktion des Strafrechts die "relativen Strafrechtstheorien" (Feuerbach, moderne Schule: punitur, ne peccetur; dazu z. B. Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 211 f.); entsprechend für das Polizeirecht oben I, 1 zu Anm. 54 f. und Drews-Wacke, aaO. S. 56 ff. 152 Vgl. Esser, Grundsatz und Norm, S. 51 f. (für das kontinental-europäische Recht in Abgrenzung zum anglo-amerikanischen Recht): "Für uns unterscheidet nicht die ,Abstraktheit' oder der ,generelle Charakter' das Prinzip von der Norm, sondern die Bestimmbarkeit der Anwendungsfälle, welche den ,Rechtssatz' auszeichnet. ... Das Prinzip ist nach kontinentaler Vorstellung nicht selbst ,Weisung', sondern Grund, Kriterium und Rechtfertigung der Weisung ..." (wobei Weisung offensichtlich als Rechtsfolgeanordnung verstanden wird!). 163 Vgl. oben Anm. 123, 124. 150
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leeren Gesetzesphrase entwerten. Aber auch von dieser mehr formalistischen Erwägung abgesehen läßt sich jene These nicht halten, denn es war, wie selbst in den Motiven der einzelnen Prozeßgesetze vom Gesetzgeber stets ausgeführt wurde 15 4, gerade die in der legislativen Vorausschau gegebene Unbestimmbarkeit des Inhalts einstweiliger Anordnungen, die zu der Formulierung führte: "Das Gericht bestimmt nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Erreichung des Zwekkes erforderlich sind." 155. r) Ergebnis
Nach allem ist hier als Ergebnis festzuhalten, daß der Gesetzgeber keine Rechtsfolgeanordnung in - bestimmten oder unbestimmten Rechtsbegriffen dem Richter kodifiziert vorgegeben hat, sondern daß hier dem Richter eine echte Ermessensentscheidung anheim gegeben ist, die sich nicht als Ausübung eines "billigen Ermessens" begreifen läßt156 • Damit ist aber zugleich klargestellt, daß die einstweilige Anordnung mangels vorgegebener rechtlicher Interessenwertung des Gesetzgebers keine Rechtsfindung im Sinne der herrschenden Lehre bedeutet und daß sie damit wiederum auch aus dem Bereich rechtsprechender Maßnahmen im Sinne der herrschenden Lehre auszuscheiden ist. Dabei kann im Rahmen dieser negativen Abgrenzung die Frage nach dem positiven Gehalt interimistischer Richtermacht vorerst noch dahingestellt bleiben. b) Vollzug interimistischen Gewohnheitsrechts?
Wenn auch das Fehlen einer im Wege der Auslegung vollziehbaren Rechtsfolgeanordnung in der Kodifikation des Gesetzgebers die einstweilige Anordnung aus dem Kreis rechtsfindender Hoheitsakte und damit aus dem Bereich rechtsprechender Maßnahmen im Sinne der herrschenden Lehre auszuscheiden scheint, so könnte doch der Inhalt derartiger Interimsrnaßnahmen gewohnheitsrechtlich im Laufe der U4 Z. B. Motive zum preuß. Entw. v. 1864 (oben I, 1 Anm.14) S.206; Begründung des Entw. 11 zur ZPO (oben I, 1 Anm. 12) zu § 749, S. 592. 165 Vgl. Z. B. Rosenberg, aaO. S. 1106; Stein-Jonas-Schönke, aaO. § 938 Anm. I; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 938 Anm. 1; Quaritsch, aaO. S.218: "Die Mittel ... entziehen sich jeder begrifflichen Kategorisierung." 156 Es ist im übrigen bezeichnend, daß bei der Behandlung der richterlichen Ermessensentscheidung stets nur auf diese Fälle unbestimmter Rechtsbegriffe eingegangen wird (vgl. oben zu Anm. 116 f.), ohne daß der bedeutsame Fall des § 938 ZPO überhaupt erwähnt wird, während z. B. selbst die rein prozessualen Ermessensmaßnahmen der Prozeßleitung nicht vergessen werden (z. B. Lefringhausen, aaO. S. 94, 143 f.). Hier, bei der einstweiligen Anordnung, handelt es sich nämlich gerade um eine echte Ermessensmaßnahme des Richters, die nicht im Wege einer Auslegung als Entscheidung über unbestimmte Rechtsbegriffe in den Bereich der Rechtsfindung und damit der materiellen Rechtsprechung einzubeziehen ist.
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Entwicklung interimistischer Maßnahmen in bestimmter Weise fixiert sein, so daß jede vom Gericht erlassene Interimsmaßnahme nur den Vollzug dieses Gewohnheitsrechtes, mithin also eine rechtsanwendende Maßnahme darstellt. In der Tat wird nicht nur vereinzelt die Ansicht vertreten, daß den Parteien eines Rechtsstreites die Einhaltung ungeschriebener Stillhalteverpflichtungen obliege, eine These, nach der der Erlaß richterlicher Interimsentscheidungen ipso jure Rechtsanwendung vorgegebenen Gewohnheitsrechtes wäre. a) Die These von der materiellen Stillhaltepflicht der Parteien Dem materiellen Recht ist es, wie schon an anderer Stelle gezeigt wurde157 , nicht fremd, Regelungen über bestimmte Stillhaltepflichten und über Einschränkungen der Rechtsmacht der Parteien zu treffen. Auch im gemeinen Recht bildete eine derartige materiell-rechtliche Friedenspflicht der Parteien den Ansatzpunkt, an den die Problematik richterlicher Interimsrnaßnahmen anknüpfte; diese beide Parteien gleichermaßen treffende Verpflichtung fand ihren Ausdruck in dem Satze: "Lite pendente nihil innovandum"158. Der in diesem Grundsatz zum Ausdruck kommende Gedanke hat in neuerer Zeit vor allen Dingen maßgebliche Vertreter für das Verfahren der internationalen Gerichtsbarkeit gefunden159 , wobei dort die ständig anzutreffende Berufung auf ungeschriebenes Recht natürlich dadurch begünstigt wird, daß es sich im Völkerrecht ganz allgemein um eine Rechtsdisziplin handelt, die ohne Kodifikationen auszukommen hat; gefördert wurde diese These von gewohnheitsrechtlichen Stillhaltepflichten der Streitparteien dadurch, daß einerseits viele Schiedsgerichtsverträge des internationalen Rechts ausdrücklich derartige Klauseln über vorläufige Friedenspflichten enthalten160 und daß andererseits auch die amtlichen Erläuterungen zu den Interimsvorschriften, die die ständige internationale Gerichtsbarkeit kennt l6l , ausdrücklich davon sprechen, daß sich die Parteien jeglicher der Entscheidung des Gerichts vorgreifenden Maßnahmen zu enthalten hätten 162 • Gleiche Grundgedanken wurden für den innerVgl. oben zu Anm. 70, 72. Gönner, aaO. Bd. IV S. 293 f. 159 Niemeyer, aaO. S. 16 ff., 39; Pütz, aaO. S. 9 ff. (insb. S. 15, 16); Guggenheim, aaO. Bd. II S. 645 f.; Dahm, aaO. Bd. II S. 527 f. 160 Vgl. oben I, 2 Anm. 79; ferner Niemeyer, aaO. S. 4 f.; Dahm, aaO. S. 527 Anm. 27. 161 Vgl. oben I, 2 Anm. 81 ff. 162 Vgl. z. B.: Erl.Bem. II 1 zu Art. 41 IGH-Statut, S. 312 (zit. nach Pütz, aaO. S. 10) : "Qes les parties a un litige, lorsqu'elles soumettaient leurs controverses a la cour, pouvaient etre considerees comme comparaissant avec l'obligation de ne pas faire disparaitre le sujet qui faisat la matiere de leurs controverses ou, en tout cas, avec l'obligation de ne pas anticiper sur le jugement de la cour en prenant l'initiative de certains mesures." ;157
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staatlichen Bereich vor allem für das Gebiet der Verfassungs gerichtsbarkeit ins Feld geführt, als in der Zeit der Weimarer Republik eine gesetzliche Regelung des Verfahrens vor dem Reichsstaatsgerichtshof und damit zugleich auch eine Norm über den Erlaß einstweiliger Anordnungen durch den Reichsstaatsgerichtshof fehlte l63 ; eine Friedenspflicht der Parteien für die Dauer des Rechtsstreites wurde dabei teils aus anderen materiell-verfassungs rechtlichen Bindungen der Streitteile hergeleitet1 64 , teils wurde sie auch darüber hinaus als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens angesehen l65 • Soweit im übrigen Bereich innerstaatlicher Verfahrensordnungen gesetzliche Regelungen richterlicher Interimsmacht vorlagen, erlangten diese Fragen mangels Bedürfnisses keinerlei Bedeutung; das gilt insbesondere für den Bereich des Zivilprozesses, in dem das Institut der einstweiligen Anordnung auf eine lange Geschichte zurückblicken kann l66 • Für den Bereich des Verwaltungsprozesses dagegen glaubte man, in dem Institut des Suspensiveffektes eine solche friedensschützende materiell-rechtliche Beschränkung der Handlungsfreiheit der Parteien in Bezug auf den streitbefangenen Sachverhalt sehen zu können167 und Anklänge an diese Grundvorstellung lassen sich bis in die Gegenwart nachweisen l68 • ß) Kritische Stellungnahme
Eine kritische Untersuchung dieser Thesen hat zunächst einem naheliegenden Mißverständnis vorzubeugen: diese vorgenannten Stimmen Ferner: Völkerbundsdrucksache "Arbitrage et S€curite, Etude Methodique Des Conventions D'Arbitrage ..." v. 15.12.1927 (zit. nach Schüle, aaO. S.56 Anm. 18): Titel ,Conduite a tenir par les parties en litige pendant la procecture': ,,(Les parties) s'abstiendront, durant le cour de la procedure judiciaire, de toute mesure pouvant avoir une repercussion prejudiciable sur l'execution de l'arret a rendre par la Cour de Justice" ... "et ·en general de ne pro ce der a aucun acte, de quelque nature qu'il soit, susceptible d'aggraver ou d'etendre le differend."; vgl. zu allem: Schüle, aaO. S. 56; Pütz, aaO. S. 10, 16. 163 Vgl. oben I, 2 Anm. 52, 58. 164 So: Jerusalem, aaO. 8.185 f., Schüle, aaO. S.57 ff., mit dem Hinweis auf die Pflicht zu reichs- bzw. bundesfreundlichem Verhalten, als deren Konkretisierung die prozessuale Friedenspflicht bezeichnet wird. Vgl. auch Linz, Reichsregierung und Staatsgerichtshof, DJZ 29, Sp. 197 (199). 165 So: Schüle, aaO. S. 55 f. Dabei spricht er zwar nicht von bereits entstandenem Gewohnheitsrecht, aber seine Ausführungen sollen offensichtlich der Bildung einer opinio iuris dienen, wie sie zur Entstehung des Gewohnheitsrechts nötig ist. 166 Vgl. oben I, 1 A-C. 161 Schüle, aaO. S. 56. 168 Vgl. Henke, Die Staatsverwaltung unter der Verwaltungsgerichtsordnung, DVBI 61, 109 (115): "Hier ruht sozusagen die öffentliche Gewalt der Executive für die Dauer des Verfahrens." - Ähnlich wohl auch Knoll, aaO. S. 106, für das Sozialgerichtsverfahren.
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behandeln nicht etwa die Frage, ob die interimistische Regelungsmacht des Richters, das Institut der einstweiligen Anordnung selbst, auf einem allgemeinen Rechtsgedanken oder auf Gewohnheitsrecht beruht; dabei handelt es sich nämlich um die Frage, ob den Parteien eines Rechtsstreites die Duldungspflicht obliegt, eine ad hoc ergehende Entscheidung des Richters als verbindlich hinzunehmen. Von diesem Problem wird später noch zu sprechen sein169 • Die an dieser Stelle zu behandelnden Thesen aber gehen weiter. Nach ihnen nämlich sollen ganz bestimmte Parteiverhaltenspflichten für die Prozeßdauer grundsätzlich von vornherein, also auch ohne jedes Eingreifen einer richterlichen Instanz, bestehen. Die Anerkennung einer solchen Friedenspflicht für die Prozeßparteien setzt voraus, daß schon allein aus der Tatsache eines Streites rechtliche Bindungen für die Streitteile erwachsen können. Daß das nicht ausgeschlossen ist, folgt einerseits schon aus den früher genannten materiell-rechtlichen Normen, die an einen prozessualen Schwebezustand anknüpfen17O , es ergibt sich zum anderen aber auch daraus, daß der Gesetzgeber selbst in verschiedenen Fällen mit der prozessualen Rechtshängigkeit eines Streites bestimmte materiell-rechtliche Folgen verknüpft, worauf § 267 ZPO ausdrücklich hinweist1 71 • Es wäre jedoch mit Sicherheit verfehlt, die hier untersuchten materiellen Parteiverhaltenspflichten wie in diesen vorgenannten Fällen an den Eintritt erst der Rechtshängigkeit zu knüpfen; schon die allgemeine Zulassung richterlicher Interimsanordnungen in den verschiedenen Prozeßgesetzen vor Eintritt der Rechtshängigkeit der Hauptsache172 macht deutlich, daß auch gerade schon vor Rechtshängigkeit der Hauptsache die Interimsregelung möglich sein muß, die die Verfechter der hier behandelten Ansicht als durch materiell-rechtliche Normen vorgegeben erachten. Wenn aber die hier behandelten materiellen Stillhaltepflichten schon vor Rechtshängigkeit der Klage in der Hauptsache entstehen sollen, so müßte für die Anerkennung dieser Thesen die Frage beantwortet werden, an welchen Tatbestand diese Bindungswirkungen überhaupt angeknüpft werden sollen. Anknüpfungspunkt könnte überhaupt nur die tatsächliche Entstehung des Streites sein. Dieser tatbestandliche Vgl. unten e; siehe auch schon oben I, 2 Anm. 3, 162, 254. Vgl. oben zu Anm. 70, 72. 171 z. B.: Unterbrechung der Verjährung, §§ 209, 210 BGB; Unterbrechung der Ersitzung, § 941 BGB; Begründung eines Anspruchs auf Prozeßzinsen, § 291 BGB; Haftungsverschärfungen, §§ 987, 989, 991, 994 H, 996 BGB; Ermöglichung der übertragbarkeit von Ansprüchen, §§ 847, 1300 BGB; ete. vgl. Baumbach-Lauterbaeh, aaO. § 267 Anm. 1; für den Verwaltungsprozeß vgl. UZe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 131. 172 Arg. §§ 936, 926 ZPO; §§ 123 Abs. IH VwGO, 926 ZPO, 123 Abs. I S. 1 VwGO; für das Aussetzungsverfahren vgl. § 80 Abs. V S. 2 VwGO. 169 170
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Anknüpfungspunkt aber erscheint als Grundlage materiell-rechtlicher Bindungswirkungen viel zu unbestimmt, als daß man aus ihm für die Parteien erkennbare Verhaltenspflichten herleiten könnte. Denn bestünde schon bei jedem Ausbruch eines Streites automatisch die materiell-rechtliche Pflicht zu einer "entscheidungserwartenden Haltung"173, so wäre jeder Akt einer Partei, die eigenen Rechte zur Verwirklichung zu führen, ein Verstoß gegen diese materielle Parteiverhaltenspflicht und mithin rechtswidrig, obwohl noch nicht einmal feststeht, ob es überhaupt zu einem Prozeß und zu einer richterlichen Entscheidungsbefugnis in konkretem Fall kommen wird. Auch das Vorgehen einer Partei, deren Recht später vom Gericht im Urteil festgestellt werden würde, würde damit schon rechtswidrig werden. Gegen ein derartiges Ergebnis aber würden schon aus Gründen der Rechtssicherheit Bedenken bestehen174 . Darüber hinaus aber ist zu beachten, daß gerade in den Konfliktsfällen, gerade bei der Entstehung von Streitigkeiten in der Regel den Parteien überhaupt erst bewußt wird, daß sie Rechte haben und Rechte geltend machen, während sonst gemeinhin im täglichen Leben die Wahrnehmung von Rechten im Unterbewußten erfolgt, ohne daß eine "Geltendmachung" von Rechten überhaupt darin gesehen wird. Gerade in diesen Fällen der bewußten Geltendmachung von Rechten im Rahmen von Streitigkeiten aber sollte nach den hier behandelten Thesen das Recht zur Geltendmachung durch ungeschriebene Normen suspendiert werden. Daß eine solche Einschränkung normierter Rechtsbefugnisse durch nichtnormiertes Gewohnheitsrecht nicht vorliegen kann, folgt schon aus den vorstehend erwähnten Gedankengängen: die wesentlichen Voraussetzungen für die Bildung von Gewohnheitsrecht 175 , nämlich eine tatsächliche ständige Einhaltung derartiger Friedenspflichten und eine damit verbundene Vorstellung einer rechtlichen Verpflichtung, die opinio iuris für eine solche Beschneidung der Parteirechte ist weder tatsächlich nachzuweisen noch wäre sie psychologisch v'erständlich. Aus dem gleichen Grund aber ist auch ein allgemeiner Rechtsgedanke des Inhaltes, daß die Parteien eines Streites materiell-rechtlich zur Einhaltung bestimmter Stillhaltepflichten gezwungen seien, schlechthin ausgeschlossen176. Im Ergebnis läßt sich daher festhalten, daß sich weder aus allgemeinen Rechtsgedanken noch aus Gewohnheitsrecht eine materiell-rechtliche Verpflichtung streitender Vgl. Pütz, aaO. S. 10, 17; Niemeyer, aaO. S. 16 ff. Das ist gerade anders, wenn die einstweilige Anordnung als Hoheitsakt mit einer für alle Beteiligten überschaubaren Regelung Klarheit schafft. Vgl. dazu Fuß, aaO. S. 202. 175 Vgl. dazu z. B. W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 123 ff; Forsthof], aaO. S. 131 ff.; Wolf], Verwaltungsrecht, S. 99; Peters, aaO. S. 79 f. 176 Ebenso Fuß, aaO. S. 202 Anm. 9, der sich gegen die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgedankens von derartigen materiell-rechtlichen Stillhaltepflichten ausspricht. 173
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Parteien ergibt, die von ihr geltend gemachten Rechte in irgendeiner Weise nur eingeschränkt oder gar überhaupt nicht wahrzunehmen 177. y) Ergebnis
Mit diesem Ergebnis aber wird zugleich die oben aufgeworfene Frage verneint, ob die richterliche einstweilige Anordnung etwa deswegen einen rechtsanwendenden Rechtsfindungsakt darstellt, weil sie gewohnheitsrechtliche oder aus allgemeinen Rechtsgedanken fließende, über das kodifizierte Recht hinausgehende Rechtsfolgebestimmungen der Rechtsordnung vollzieht. Wenn aber auch auf diesem Wege die einstweilige Anordnung nicht als rechtsfindende Maßnahme qualifiziert werden kann, so berechtigt auch dieser Teil der Untersuchung nicht dazu, die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsmaßnahme im Sinne der herrschenden Lehre zu bezeichnen. c) Ausfluß umfassender Urteilsgewalt? a) Die Lehre von der richterlichen Streitherrschaft und das
argurnenturn a maiore ad minus
Gingen die bisherigen Überlegungen über die Rechtsprechungsqualität einstweiliger Anordnungen von der Frage aus, ob dem Interimsrichter der Inhalt seiner Entscheidung durch materiell-rechtliche Normen, die er nur anzuwenden brauche, vorgegeben sei, so führt die Frage nach der Stellung des Instituts der einstweiligen Anordnung im Verfahrenssystem178 von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus zu dem gleichen Problem, zur Frage nach der rechtsfindenden Qualität richterlicher Interimsrnaßnahmen. Wann immer die Zulässigkeit des Erlasses einstweiliger Anordnungen durch ein Gericht grundsätzlich umstritten war, sei es im Streit in dem Verfahren des Reichsstaatsgerichtshofes der Weimarer Zeit oder in dem der Verwaltungsgerichte vor Verkündung der Verwaltungsgerichtsordnung179 , stets wurde die These vertreten, die Kompetenz zum Erlaß richterlicher Interimsentscheidungen sei "Ausfluß und notwendiger Bestandteil jeder Gerichtsbarkeit"180, sie sei eine "der Gerichtsgewalt innewohnende Befugnis"181 177 Flad, aaO. S. 142 Anm. 1 (143); Giese, Zum Konflikt zwischen Staatsgerichtshof und Reichsregierung, DJZ 29, Sp. 129 (133); Glum, Staatsrechtliche Bemerkungen zu dem ,Konflikt' zwischen dem Staatsgerichtshof und der Reichsregierung, ZaöRuVR I, 1, S. 458 ff. (462 f.); Erklärung der Reichsregierung im Reichsbahn-Verwaltungsratsstreit, abgedr. in ZaöRuVR I, 2, S. 715; Fuß, aaO. S. 202 Anm. 9. 178 Vgl. Quaritsch, aaO. S. 214 ff. 179 Vgl. oben I, 2, C, I und I, 2, E, I, 3. 180 J erusalem aaO. S. 184. 181 Simons Nachtrag, aaO. S. 740.
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oder sei "Ausübung und Ausfluß eigentlicher Gerichtsgewalt"182. Nur in ein anderes Gewand gekleidet, im Kern aber inhaltsgleich fand sich diese These auch ständig in einer Formel wieder, die vorwiegend von den Gerichten nach Art einer Faustregel verwandt wurde: wenn ein Richter schon zur endgültigen Sachentscheidung berufen sei, so könne er erst recht eine nur vorläufige Zwischenregelung treffen, die Befugnis zum Erlaß einer vorläufigen einstweiligen Anordnung sei - a maiore ad minus - als die geringere Spruchmacht enthalten in der Kompetenz zur endgültigen Sachentscheidung l83 . Es fällt nicht schwer, in diesen Gedankengängen eine Verwandtschaft zu den oben behandelten Thesen wiederzuerkennen, nach denen den Streitteilen eines Prozesses materiell-rechtliche Stillhaltepflichten obliegen sollten: Gingen die dort behandelten Ansichten davon aus, daß schon das materielle Recht den Parteien eines Prozesses bestimmte einschränkende Verhaltenspflichten auferlege, so handelt es sich hier um eine auf das gleiche Ziel hinweisende prozessuale Betrachtungsweise, nach der derartige Friedenspflichten den Parteien stets, auch ohne geschriebene Norm, durch Richterspruch, eben durch die einstweilige Anordnung, auferlegt werden können 184 . Eine tiefer fußende Begründung, als sie das bloße argumentum a maiore ad minus von der Urteilsgewalt zur Interimsmacht des Richters bedeutet, bringt Quaritsch mit seiner Lehre von der richterlichen Streitherrschaft: "Ein rechtshängiger Streit muß der Herrschaft des angerufenen Gerichts unterworfen sein, bis es endgültig über Recht und Unrecht entscheidet. Es widerliefe dem Sinn der Gerichtsbarkeit als letztentscheidender und allein entscheidender Instanz, müßte der Richter tatenlos zusehen, wenn sich ein Beteiligter anschickte, das von ihm gewünschte oder gefürchtete Verfahrensergebnis eigenmächtig vorwegzunehmen oder zu vereiteln. Dieser Eigenmacht entgegenzutreten, dienen einstweilige Anordnungen. "185. Dem Rechtshistoriker wird 182 Quaritsch, aaO. S. 216; vgl. auch die entsprechenden Thesen bei Gönner, Niemeyer, Pütz, Baring, E. Eichhorn, Haueisen (oben I, 2 Anm. 3, 162), Knoll aaO. S. 98. - Ebenso für das amerikanische Recht: Supreme Court i. S. Stark vs Wickard 321 US 288, 1944 (zit. nach Loewenstein, aaO. S. 466) für den amerikanischen Verfassungsprozeß; anders aber für den Verwaltungsprozeß Loewenstein, aaO. S. 469 (vgl. oben I, 2 Anm. 254). 183 So vor allem der RStGH in st. Rspr., vgl. oben I, 2 Anm. 53; ebenso z. B.: OVG Münster, B. v. 27. 1. 55, ZBR 55, 124; B. v. 22. 4. 55, DVBI 55, 53 (56); Görres, über die Bedeutung der einstweiligen Verfügung für das Verfahren vor den Gerichten des öffentlichen Rechts, JW 29, 3360 (3361); Wieczorek, aaO. § 935 Anm. A I d 1, Anm. A I d 4; Berger, Der Steuerprozeß, S. 342 f. - Vgl. auch Quaritsch, aaO. 366 (nach Anm. 280; aber unten Anm. 222). - Vgl. aber OVG Münster, unten Anm. 220. J84 Vgl. oben b. 185 Quaritsch, aaO. S. 216; ihm folgend auch Ruckdäschel, aaO. S. 686; Knoll, aaO. S. 106.
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hierbei zunächst auffallen, daß diese Begründung eine sinngetreue Wiederholung der Digestenstelle ist, auf die sich schon 700 Jahre früher Papst Innocenz II!. berufen hatte, als er zum ersten Mal eine Entscheidung erließ, die später der Vorläufer der heutigen Regelungsanordnung werden sollte: "Cur enim ... ad arma et rixam procedere patiatur praetor, quos potest jurisdictione sua componere?"186. Der in diesem Satz zum Ausdruck kommende Gedanke hatte im kanonischen Recht dazu geführt, die normale richterliche Tätigkeit - soweit man von einer solchen in einem Gemeinwesen des 13. Jahrhunderts überhaupt sprechen darf - durch ein besonderes Spruchverfahren anstelle des sonst üblichen Prozesses zu ersetzen 187 , und diese Eigenständigkeit des Interimsverfahrens hat sich während der ganzen geschichtlichen Entwicklung jedenfalls in der Weise erhalten, daß das summarische Verfahren stets als selbständiger Prozeß neben dem Hauptverfahren galt und gilt1 88 . Bei der heute vertretenen Lehre von der richterlichen Streitherrschaft aber soll die Notwendigkeit interimistischer Maßnahmen nicht nur dazu dienen, ein vorläufiges summarisches Verfahren neben dem Hauptprozeß zu rechtfertigen, sondern aus ihr soll sich darüber hinaus die qualitative Gleichwertigkeit von Endurteil und Interimsentscheidung ergeben, wobei jede Entscheidungsart als Rechtsprechungsmaßnahme gekennzeichnet sein soll. Dabei ist zu betonen, daß alle Vertreter der hier behandelten Thesen bei ihren Gedankengängen von dem Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre189 ausgehen, also einen Rechtsprechungsakt nur dann annehmen, wenn es sich um eine rechtsfindende Entscheidung handelt1 90 • Diese Theorie geht daher zwangsläufig davon aus, daß die einstweilige Anordnung eine rechtsfindende Maßnahme ist. ß) Stellungnahme und Kritik
Es liegt auf der Hand, daß diese von der Urteilsgewalt ausgehende Deduktion Anlaß zu einer überprüfung der bisherigen Ergebnisse dieser Arbeit gibt, nach denen auf Grund einer rein analytischen Betrachtung der Interimsnormen die richterliche einstweilige Anordnung Vgl. oben I, 1, Anm. 36. Oben I, 1, Anm. 39. ISS Oben I, 1, Anm. 39, 42; II, 1 zu Anm. 34 ff. 189 Oben II, 2, B, II, 1. 190 Vgl. die Nachweise oben Anm. 38, insb.: Jerusalem, aaO. S. 5 f.: "Im Rechtsprechungsakt wird ... lediglich die Normativität eines Verhaltens geprüft; das bedeutet, daß Normen vorhanden sind, an denen jene Prüfung möglich ist. Fehlen sie, so kann Rechtsprechung nicht stattfinden."; Quaritsch, aaO. S. 216: Rechtsprechungsakt ist der" ... Ausspruch, was in Anwendung des geltenden Rechts auf einen konkreten Tatbestand im Einzelfall rechtens ist ..."; Ruckdäschel, aaO. S. 684. 186 187
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gerade keinen rechtsfindenden Charakter hatte. Während sich die früheren überlegungen im wesentlichen darauf beschränkten, nur negativ abgrenzend festzustellen, daß der richterlichen einstweiligen Anordnung die grundlegenden Merkmale einer rechtsfindenden Entscheidung fehlen l9l , gehen die Thesen der Lehre von der richterlichen Streitherrschaft davon aus, daß der positive Gehalt einer Interimsmaßnahme nur einen Teil der umfassenden richterlichen Urteilsgewalt, des "officium" im Sinne des Paulus de Castro192 , widerspiegele. Um zu sehen, ob die früheren Ergebnisse einer Korrektur bedürfen, ist daher nunmehr die bisher offen gebliebene Frage nach dem positiven Gehalt der einstweiligen Anordnung zu stellen. Bei dieser Untersuchung kann weitgehend auf die früheren überlegungen zurückgegriffen werden. Im einzelnen ist oben schon herausgearbeitet worden, daß das Anwendungsgebiet einstweiliger Anordnungen in dem Bereich der Gefährdungssituationen während eines schwebenden Rechtsstreites liegt193 , daß die Kodifikationen des materiellen Rechts selbst überhaupt keine Regelung über die Interessenkollisionen eines schwebenden Rechtsstreites enthaltenl9 4, daß ferner die Kodifikationen des Prozeßrechts über Interimsmaßnahmen dem Richter keine normierten Konfliktslösungen des Gesetzgebers vorgeben195 und daß schließlich auch eine derartige Regelung der Interimskollisionen weder aus ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgedanken noch aus ungeschriebenem Gewohnheitsrecht folgt l96 • Es hat sich vielmehr ergeben, daß der Inhalt der Interimslösung - von einigen nicht bindenden, beispielhaft im Gesetz aufgeführten Maßnahmen abgesehen - dem Richter überhaupt nicht vorgezeichnet ist und daß dem Richter bei dem Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein echter Ermessensspielraum zur Verfügung steht, der nicht im Sinne des (irreführenden) Begriffes eines "billigen Ermessens" eingeengt ist1 97 . Dieses Ergebnis, nach dem die einstweilige Anordnung eine echte Ermessensentscheidung darstellt, leidet keine Beeinträchtigung dadurch, daß der Inhalt einer einstweiligen Anordnung nie über den Rahmen hinausgehen darf, der einerseits durch die prozeßrechtliche Voraussetzung eines Antrages der ParteP98, andererseits Vgl. oben a, y. Vgl. oben I, 1 Anm. 40, 41. 193 Oben zu Anm. 69 ff. 194 Oben Anm. 71 f. 195 Oben a, p, y. 196 Oben b, y. 197 Oben a, y. 198 Vgl. z. B.: Eyermann-FröhZer, VwGO § 123 Rdn. 17; UZe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 217; Redeker-v. Oertzen, VwGO § 123 Anm. 13; Wieczorek, aaO., § 938 Anm. A, Anm. Alb; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 938 Anm. 1 B; RG Gruch-B. 48, 402. 191 192
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durch das gesetzliche Merkmal der Erforderlichkeit (§938 Abs. I ZPO) vorgezeichnet wird: Bei diesen Kriterien, deren Vorliegen vor der Betätigung des Ermessens festgestellt sein muß, handelt es sich gerade um die Grenzen, die jeder Ermessensbetätigung in der Gestalt des "Ermessensrahmens" vorgegeben sind 199 . Ebenso wie die Erläuterungsliteratur zu den Normen über einstweilige Anordnungen200 kommen daher auch die Vertreter der Lehre von der richterlichen Streitherrschaft zu dem Ergebnis, daß die einstweilige Anordnung eine richterliche Maßnahme darstellt, deren Inhalt dem Ermessen des Gerichts anheim gegeben ist201 . Ist aber die einstweilige Anordnung mithin in ihrem Kern eine echte Ermessensentscheidung, so bleibt die Frage, ob die Befugnis zu ihrem Erlaß wirklich ein minus, ein Ausfluß der richterlichen Urteilsgewalt ist, die man ja als Inbegriff richterlicher Rechtsfindungsmacht bezeichnen kann. Schon an früherer Stelle gab diese Arbeit wiederholt Anlaß, auf das Wesen der rechtsfindenden Entscheidung und auf den Charakter der Ermessensentsche~dung einzugehen202 : Bei jeder rechtsfindenden Maßnahme gibt es nur einen Spruch, der sagt, was Rechtens ist, das Gesetz zwingt zu einem eindeutigen Urteilssyllogismus203 ; wesentlich ist, daß der Gesetzgeber einen bestimmten typisierten Interessengegensatz normativ gewertet hat und daß der rechtsfindende Hoheitsträger diese ihm vorgegebene Wertung durch Anwendung der Rechtsnorm vollzieht204 . Nicht so bei der Ermessensentscheidung: Ihr Kennzeichen ist es gerade, daß das Gesetz mehrere verschiedene Lösungsmöglichkeiten als gleichermaßen "richtig"205 anerkennt; bei solchen Ermessensmaßnahmen hat der Gesetzgeber zwar auch einen bestimmten InterVgl. oben Anm. 111; ferner Baumbach-Lauterbach, aaO. § 938 Anm. 1. Ure, VwGO, § 123 Anm. IV; ders. Verwaltungsprozeßrecht, S. 220; Eyermann-Fröhler, aaO. § 123 Rdn. 9, 22; Stein-Jonas-Schönke, aaO. § 938 Anm. I; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 938 Anm. 1; Rosenberg, aaO. S. 1106; Häntzschel, aaO. S. 392 f.; Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S. 763 f.; VerfGH Rh-Pf, E. v. 10.4.53, in AS OVG Rh-Pf 2, 271 (281 f.) für das Ausland z. B.: USA: Forkosch, aaO. S. 651: "An injunction is an extraordinary remedial process, which is granted not as matter of right, but in the exercise of asound judicial discretion." England: de Smith, aaO. S. 331: "The injunction is pre-eminently a discretionary remedy ... " 201 Quaritsch, aaO. S. 217, 218; Jerusalem, aaO. S. 183 f; E. Eichhorn, aaO. S 155 f; RStGH, E. v. 10.10.25, L-S I, S. 212 (214). 202 Vgl. oben zu Anm. 111 ff. 203 Vgl. oben zu Anm. 59; ferner: W. Jellinek, Gesetzesanwendung, S. 159; v. Laun, Freies Ermessen, S. 59; Wach, Handbuch, I S. 269; PrOVG, 7, 117. 204 Vgl. oben zu Anm. 58 ff. m. Nachw.; insb.: BGHZ 11 Anh. S. 34 (oben Anm. 141); Esser, Grundsatz und Norm, S. 51. 205 Vgl. oben Anm. 115; beachte auch R. Klein, aaO. S. 83 und Jesch, aaO. S. 206 f.: Es kommt für den Begriff ,richtig' auf die rechte Qualitätsbeziehung an; eine Argumentation, daß Ermessensentscheidungen immer im Sinne des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes ,rechtsanwendend rechtens' (weil 199
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essengegensatz in der Regel tatbestandsmäßig typisiert, hat aber keine eigene Interessenwertung vorgenommen, keine Rechtsfolgeanordnung gegeben, sondern die abwägende, wertende Lösung innerhalb eines bestimmten Rahmens dem Hoheitsträger überantwortet, er hat die im Einzelfall zu treffende Wertung dem entscheidenden Hoheitsträger delegiert20G • Schon nach den Erkenntnissen der allgemeinen Verwaltungsrechtslehre läßt sich daher grundsätzlich sagen, daß zwischen rechtsfindenden Maßnahmen und Ermessensentscheidungen ein diametraler Gegensatz besteht207 • Dieser Gegensatz ist zwar gelegentlich in Abrede gestellt worden und als eine nur quantitative Unterscheidung gewertet worden, wobei darauf hingewiesen wurde, daß die rechtsfindende Gesetzesanwendung sich in Zweifelsfragen ebenso auf Zweckmäßigkeitserwägungen zurückziehen müsse, wie es bei der Ermessensbetätigung - nur eben in größerem Umfange - ohnehin der Fall sei208 • Gegen diese Argumentation, die die Ermessensentscheidung konsequenterweise als rechtsfindenden Spruch bezeichnen müßte, kann aber zunächst schon ganz allgemein ins Feld geführt werden, daß sie die schon früher behandelte vorjuristische Verflechtung überbewertet, die allen staatlichen Tätigkeitsformen eigen ist209 • Daß in irgendeinem, in der Regel ganz unbestimmbaren Maße auch bei rechtsfindenden Entscheidungen auf scheinbare Zweckmäßigkeitserwägungen zurückgegriffen wird, kann die grundsätzliche Unterscheidung von rechtsfindenden und ermessensbestimmten Maßnahmen schon deswegen nicht beseitigen, weil es sich hier im wesentlichen gar nicht so sehr um Zweckmäßigkeitserwägungen handelt, sondern um Zweckerwägungen, die angesichts der völlig unbestrittenen teleologischen Interpretationsmethode von Rechtsnormen durchaus ihren legitimen Platz im Rahmen der Rechtsfindung haben210 • Es kommt eben darauf an, ob eine vom Gesetz eindeutig geforderte Rechtsfolge durch teleologische Interpretation der Norm gewonnen wird, oder ob das Gesetz ausdrücklich keine Rechtsfolge anordnet, sondern sie wertender Beurteilungseinsicht überläßt. vom Gesetzgeber aus ,richtig') seien, verkennt den Sinn der Worte ,was rechtens ist·, wie ihn die h. L. verwendet: sie bedeuten nicht eine rechtlich zulässige Entscheidung, sondern die Feststellung einer übereinstimmung mit vorgegebenem Recht. 206 Vgl. oben zu Anm. 62, 110; ferner: W. JeHinek, Gesetzesanwendung, S. 190; O. Mayer, aaO. I S.84 f., 100 f., 164 f.; Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, I S. 178; v. Laun, Freies Ermessen, S. 62, 70. 201 Vgl. sämtliche Nachweise in Anm 115 und Voranrn.; ferner Häntzschel, aaO. S. 392 f.; Friesenhahn, Staatsgerichtsbarkeit, S. 544; ders., StGH und einstweilige Verfügung, S. 763 f.; VerfGH Rh-Pf, (wie oben Anm. 200); ThürStGH E. v. 8. 7. 29, L-S IH, 331 (334). 208 So vor allem: Triepel, Reichsaufsicht, S. 407 Anm. 3 (408); ähnlich auch: Schüle, aaO. S. 64, 65; Zorn, aaO. S. 143; jeweils m. w. Nachw. 209 Dazu oben Anm. 86 f.; 144 ff. 210 Häntzschel, aaO. S. 393 Anm. 12.
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
überall, wo das Gesetz eine bestimmte Rechtsfolge fordert, hat es die wertende Entscheidung über die widerstreitenden Interessen bereits generell antizipiert, die Rechtsfindung ist nur Realisierung dieser Wertung in concreto. Wo aber das Gesetz diese Wertung nicht vorgenommen hat, wo nach seinem Willen die Wertung durch die entscheidende Instanz vorgenommen werden soll, liegt eben keine Rechtsfindung vor211 • Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen rechtsfindender und ermessensbestimmter Maßnahme wird aber vor allem deutlich an der Verschiedenheit der Aufgaben, die auf dem Gebiet richterlicher Entscheidungen einerseits der einstweiligen Anordnung als der Ermessensmaßnahme, andererseits dem endgültigen Sachurteil als rechtsfindendem Spruch im Rahmen des Prozesses zukommen: Schon ,bei der Untersuchung der prozessualen Ausgestaltung des Instituts der einstweiligen Anordnung hat sich bei der Abgrenzung richterlicher Interimsentscheidungen von Maßnahmen auf dem Gebiet der sachlichen Prozeßleitung gezeigt, daß die einstweilige Anordnung über den Bereich rein prozessualer Gestaltungswirkung hinausgeht und in die materiell-rechtlichen Parteibeziehungen eingreift212 • Die späteren Abschnitte der Arbeit haben ergeben, daß die Lösung der prozeßbedingten Interessenkollisionen während des schwebenden Rechtsstreites vom Gesetzgeber inhaltlich nicht geregelt wor.den sind, und im Hinblick auf die oben beschriebene Eigenart der Ermessensentscheidungen kann hier weiter gefolgert werden, daß diese vom Gesetzgeber offengelassene Konfliktssituation bewußt dem Richter mit dem Auftrage überlassen worden ist, sie durch selbstwertenden Spruch zu lösen und die vom Gesetzgeber nicht geregelten Interimsbeziehungen der Parteien selbständig rechtlich zu gestalten. Das Mittel zur Erfüllung dieser Aufgabe ist die einstweilige Anordnung, die dem Richter in der konkreten Prozeßsituation die wertende Macht gibt, den Parteien für die Prozeßdauer die sichernden Rechte und Pflichten zu geben, deren Regelung sich das materielle Recht enthält21S • Die einstweilige Anordnung stellt also nicht fest, was nach vorgegebenen Normen Recht ist, sondern der Richter setzt mit ihrer Hilfe fest, was an sichernden Rechten für die Prozeßdauer gelten soll. Die einstweilige Anordnung ist nicht feststellender Rechtsfindungsakt, sie ist auf die konkrete Situation bezogener, gestaltender Rechtsschöpfungsakt. Ganz abgesehen von dem rechtfindenden Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre, dem dieser Rechtsschöpfungsakt nicht genügen würde, zählen rechtsgestaltende Maßnahmen nicht zum eigentlichen Tätigkeitsbereich des Richters, zur Rechtsprechung im materiellen Sinn. Es kann dabei die grundsätzliche U1 Menger, System, S. 25 ff. (27,28); Lefringhausen, aaO. S. 15 f.; R. Klein, aaO. S. 86; Wolfj, Gerechtigkeit, S. 112 ff., 133; Husserl, aaO. S. 58 fi. 212 Oben H, 1 zu Anm. 29 ff.; Schlußbetrachtung zu Anm. 19, 60. 113 Vgl. auch Pütz, aaO. S. 11.
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Frage offen bleiben, ob Gestaltungsurteile - soweit die einstweilige Anordnung durch Urteil erlassen wird, handelt es sich um ein Gestaltungsurteil214 "begrifflich" als verwaltende Staats tätigkeit hingestellt werden müssen215 • Immerhin gibt es im Bereich der Gestaltungsurteile eine Kategorie von Entscheidungen, in denen die Form des richterlichen Gestaltungsurteiles allein aus Gründen sozialer OrdnungsfUhktionen vom Gesetzgeber gewählt ist, obwohl der Inhalt der Entscheidung durchaus rechtlich vorgegeben, die Entscheidung mithin rechtsfindendes Urteil ist; man denke hier beispielsweise an die Scheidungsklage des Familienrechtes oder an die Auflösungsklage im Gesellschaftsrecht216 , bei denen die prozessuale Einkleidung in Gestaltungsklagen im wesentlichen nur eine rechtstechnische Form darstellt, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in diesen bedeutungsvollen Gebieten zu gewährleisten217 • Von diesem Vorbehalt, der für das Gebiet der richterlichen Interimsentscheidung ohne Bedeutung ist, abgesehen aber läßt sich eine deutliche Trennungslinie zwischen rechtsfindenden und gestaltenden Maßnahmen des Richters ziehen: Rechtsprechung im materiellen Sinn liegt nur vor, wenn Recht (durch Interpretation und Subsumtion) gefunden, nicht dagegen, wenn es (frei wertend) geschaffen wird218 • "Judges ought to remember that their office is 'ius dicere' and not to interprete law and not to make law, or to give law ... " wie es Francis Bacon einmal formuliert hat219 • Die Aufgabe
'ius dare', -
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Stein-Juncker, aaO. S. 25 f.; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 922 Anm.
215 Stein-Juncker, Baumbach-Lauterbach, jeweils wie Voranrn.; ebenso wohl auch BVerfG 9, 89 (96 ff) mit der dort wiedergegebenen Stellungnahme des Bundesjustizministers; Oeschey, aaO. S. 45. 216 Vgl. §§ 41 EheG, 133 HGB. 211 Baur, Sozialer Ausgleich, S. 194. 218 v. Sarwey, aaO. S. 77: "Die Rechtsregel muß dem Richter gegeben sein; er kann sie nicht schaffen"; Stein, Grenzen und Beziehungen, S. 2; SteinJuncker, aaO. S. 10; Kern, Rechtspflege, S. 491; Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S. 763; Häntzschel, aaO. S. 393 f; Arndt, Richter, Gericht und Rechtsweg, S. 216; ForsthojJ, S. 7, 77; Bettermann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 28; Husserl, aaO. S. 58 ff.: "Es ist nicht seine Aufgabe zu sagen, was das Recht sein soll, sondern was es ist: welches die Rechtslage ... ist nach Maßgabe der Rechtssätze, die vor seiner Entscheidung geschaffen wurden."; Schindler, aaO. S. 327; Rosenberg, aaO. S. 738; Schönke-SchröderNiese, aaO. S. 318; Nikisch, Zivilprozeßrecht S. 2; ders., Schlichtung, S. 317 f.; Baumbach-Lauterbach, aaO. übers. 1 B vor § 300; RG 94, 276; 129,248; BGHZ 11, Anh. S. 34 (51 ff., vgl. oben Anm. 141); Oeschey, aaO. S. 44 f.; Wieacker, aaO. S. 2 ff., 11; Bericht der ZPO-Kommission 1961, S. 169 f.; vgl. auch Scheuner, Probleme, S. 296; E. Schmidt, Richtergesetz, S. 74 Anm. 20; K. Geiger, aaO. S. 4 f., 14 f., 92 ff.; Ipsen, aaO. S. 292 f., 307 f. - vgl. im übrigen auch die weiteren Nachw. oben Anm. 38, ferner unten II, 2, D. - Inzwischen auch: Maunz-Sigloch-Klein, aaO. § 32 Rdn. 11 f.: "Das Gericht hat seine Entscheidungen stets so einzurichten, daß es nicht selbst positiv gestaltet, sondern nur die Gewalten kontrolliert." 219 Zit. nach de Smith, aaO. S. 41.
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Ir. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
der einstweiligen Anol'dnung, rechtsgestaltend neu es Interimsrecht zu schaffen, unterscheidet dieses Institut daher deutlich von dem normenvollziehenden, rechtsfindenden Urteil in der Hauptsache. y) Ergebnis
Nach allem zeigt die Überprüfung der Thesen von der richterlichen Streitherrschaft und von der a maiore ad minus Argumentation, daß durchaus zu Unrecht die einstweilige Anordnung als Ausfluß richterlicher Urteilsgewalt, als minus zu einem maius der r,ichterlichen Entscheidung in der Hauptsache bezeichnet wird. Die einstweilige Anordnuhg ist kein minus der Entscheidung im Hauptprozeß, sondern ein aliud22 °,welches nicht zuläßt, richterliches Urteil und richterliche Interimsmaßnahme qualitativ gleich zu bewerten und beide, vom richterlichen Urteil ausgehend, als materiellen Rechtsprechungsakt hinzustellen. Auch die Vertreter der Lehre von der richterlichen Streitherrschaft können an dieser Erkenntnis nicht vorübergehen und bezeichnen denn auch in anderem Zusammenhang die einstweilige Anordnung im Verhältnis zur Hauptentscheidung ausdrücklich als aliud 221 oder stellen sie expressis verbis dem ,,(nur) an der Rechtmäßigkeit ausgerichteten Endurteil" antithetisch gegenüber222 oder führen gar ausdrücklich aus, der Unterschied zwischen einstweiliger Ano~dnung und Endurteil "begründe keine nur graduelle Abstufung der Entscheidungswirkung, verändere vielmehr die Entscheidungssubstanz"223. Die These, die einstweilige Anordnung sei als Ausfluß richterlicher Streitherrschaft qualitativ ebenso wie das Endurteil in der Hauptsache ein Rechtsprechungsakt im materiellen Sinn, stellt sich, solange die Autoren auf dem Boden der herrschenden Lehre von der rechtsfindenden Qualität materieller Rechtsprechungsakte stehen, angesichts dieser 220 Heinsheimer, aaO. S. 378; HäntzscheL, aaO. S. 392; Friesenhahn, Staatsgerichtsbarkeit, S. 544; ders., StGH und einstweilige Verfügung, S. 763; Pütz, aaO. S. 14 f.; Ritter, Die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten vor dem StGH für das deutsche Reich S. 64 f.; SchilLe, aaO. S. 8; Ringe, Zur Unterlassungs- und Beseitigungsklage bei Verwaltungsakten und einfachen Verwaltungshandlungen, DVBI58, 378 (381); ThürStGHE. v. 8. 7. 29, L-S IrI, 331 f.; VerfGH Rh-Pf, E. v. 10.4.53, AS OVG Rh-Pf 2,271 (281 f.); vgl. auch unten Anm. 327, 336. Entsprechend auch für das Verhältnis zwischen (endgültiger) Genehmigung und einstweiliger Erlaubnis im Verwaltungsrecht (,aliud', nicht ,minus'): OVG Münster, Bescheid v. 19. 11. 57, DÖV 58, 236; dazu offen: OVG Lüneburg, B. v. 24. 6. 58, VRspr 11, 104 (105); vgl. dazu auch SchLußbetrachtung, zu Anm. 69 f. 221 So: JerusaLem, aaO. S. 183, OVG Münster, wie Voranm. 222 So: Quaritsch, aaO. S. 235 223 Quaritsch, aaO. S. 366, allerdings vorwiegend im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der einstweiligen Anordnung. Aber selbst wenn die Unterscheidung nur aus diesem Gesichtspunkt in ihrer rechtlichen Qualität von der Hauptentscheidung abzusondern wäre, wäre der Deduktion von der richterlichen Streitherrschaft der Boden entzogen.
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Widersprüche weniger als ein Ergebnis rechtsdogmatischer Prüfung als vielmehr als Ausspruch eines rechtspolitischen Postulates dar, von dem aber erst später gehandelt werden soll224. Die überprüfung der früheren Ergebnisse dieser Arbeit, die durch die Thesen von der richterlichen Streitherrschaft notwendig wurde, hat nach allem nur eine Bestätigung dafür erbracht, daß die einstweilige Anordnung nicht als rechtsfindende Maßnahme bezeichnet werden darf und daß sie damit auch nicht den Erfordernissen genügt, die die herrschende Lehre an die Qualifikation von Rechtsprechungsakten im materiellen Sinne stellt. d) Rechtsfindende ,Schnellprüjung'? a) Die einstweilige Anordnung als Schnell prüfung
Einen letzten Weg, die einstweilige Anordnung als Rechtsfindungsmaßnahme und damit als materiellen Rechtsprechungsakt im Sinne der herrschenden Lehre zu qualifizieren, scheint eine bestimmte Interpretation des interimistischen Charakters, der Vorläufigkeit einstweiliger Anordnungen zu eröffnen. Schon im rechtshistorischen Teil dieser Arbeit wurde gezeigt, daß die Entwicklung des Institutes des possessorium summarissimum im oberitalienischen Recht zu einem Verfahren führte, in dem die richterliche Entscheidung allein auf die Grundlage einer oberflächlich-summarischen Sachprüfung gestellt wurde225 • Der Gedanke, eine richterliche Interimsentscheidung bei,nhalte eine Rechtsentscheidung auf der Basis nur vorläufiger tatsächlicher Erkenntnisse, scheint heute in Thesen wiederzukehren, nach denen " ... der vorläufige Charakter der einstweiligen Verfügung darin besteht, daß diese rechtliche Prüfung" (gemeint ist die Frage nach der Rechtslage in der Hauptsache) "auf der Grundlage eines vorläufigen Materials erfolgt"226. Diese Auffassung von der Vorläufigkeit richterlicher Interimsmaßnahmen würde zu einer Art richterlicher "Schnellprüfung"227 führen, bei der die Entscheidung von einer nur vorläufigen Tatsachenfeststellung ausgeht und dann die daraus zu ziehenden Rechtsfolgen ausspricht. Wären diese Thesen richtig, so führte der interimistische Charakter einstweiliger Anordnungen in der Tat dazu, die einstweilige Anol'dnung lediglich als ein minus im Verhältns zur Hauptsachenentscheidung anzusehen, bei dem es allein an der vollstänVgl. unten zu Anm. 479 ff. Vgl. oben I, 1 Anm. 40 f. 228 Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S. 765; anklingende Gedanken auch bei Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 58, 337. 227 Fuß, aaO. S. 208 Anm. 75 zu Arndt aaO. 224 225
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digen Tatsachenermittlung mangelte 228 , und sie wäre zugleich als Rechtsfindungsmaßnahme im Sinne der herrschenden Lehre anzusprechen. ß) Kritik
Die derartigen Thesen zu Grunde liegende Auffassung von der Vorläufigkeit einstweiliger Anordnungen geht jedoch fehl. Wäre sie richtig, so müßte bei hinreichend glaubhaft gemachten Tatsachenbehauptungen die einstweilige Anordnung in aller Regel schon den gleichen Inhalt wie die Entscheidung in der Hauptsache haben, ein Ergebnis, das beispielsweise wohl bei den Vorbehaltsurteilen des Urkundenprozesses richtig ist229 , dessen Unzulässigkeit aber angesichts der jedenfalls allgemein geltenden Faustregel vom Verbot, die Hauptsachenentscheidung durch die einstweilige Anordnung vorwegzunehmen, keinem Zweifel unterliegen dürfte23o • Darüber hinaus aber würde eine solche Lehre die oben schon näher dargestellten231 grundsätzlichen Unterschiede zwischen der rechtsgestaltenden Interimsentscheidung und dem rechtsfindenden Urteil in der Hauptsache außer acht lassen, die auch von den Vertretern dieser Auffassung nicht in Frage gestellt werden232 • Diese Lehre würde dem Richter gerade das nehmen, was das Gesetz (§ 938 Abs. I ZPO) ihm als wesentliche Kompetenz beim Erlaß einstweiliger Anordnungen einräumt: die Freiheit der Ermessensentscheidung. Denn nach dieser Theorie wäre dem Richter bei der Festsetzung der Rechtsfolge kein wertendes Ermessen mehr eingeräumt, er hätte lediglich - in gleicher Weise wie beim Erlaß des Urteils in der Hauptsache - die für die Hauptsache geltenden Rechtssätze anzuwenden; - daß aber andererseits auf der Tatbestandsseite, bei der Feststellung der Voraussetzungen der einstweiligen Anordnungen, kein Beurteilungsermessen bestehen kann und darf, so daß diese Lehre die Ermessenskompetenz nicht auf die Tatbestandsfeststellung verlagern dürfte, folgt schon aus rechtsstaatlichen Grundsätzen, wie die Thesen von der Unzulässigkeit cognitiven Beurteilungsermessens heute wohl unstreitig geklärt haben dürfte 233 • Schließt diese Auffassung somit das Ermessens228 Im übrigen gälte dann der Satz: "iura novit curia", vgl. Friesenhahn, aaO. S. 765. 229 § 599 ZPO, vgl. dazu z. B. Rosenberg, aaO. S. 247 f., 788 ff.; BaumbachLauterbach, aaO. § 599 Anm. 2, 3. 230 Dazu eingehend m. Nachw. und Kritik an der herrschenden Lehre: Schlußbetrachtung, 1. 231 Oben zu Anm. 207 ff., 218 ff. 232 Friesenhahn, Staatsgerichtsbarkeit S. 544: "Rechtsentscheidung und einstweilige Regelung nach Zweckmäßigkeitserwägungen sind grundverschiedene Dinge .. ."; noch ausführlicher: ders., StGH und einstweilige Verfügung, S. 763 f. 233 Vgl. die eingehenden Nachweise oben Anm. 92.
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element aus der Interimsentscheidungsmacht des Richters vollständig aus, so steht diese Charakterisierung der "Vorläufigkeit" einstweiliger Anordnungen nicht mit dem Gesetz im Einklang und ist mit § 938 ZPO unvereinbar. Sie beruht im Grunde darauf, daß sie die Selbständigkeit des Interimsverfahrens gegenüber dem Verfahren in der Hauptsache 234 nicht hinreichend berücksichtigt und insbesondere übersieht, daß der Gesetzgeber die Regelung der Parteirechte bei prozeßbedingten Gefährdungssituationen ausdrücklich deI' Gestaltung des Richters überantwortet hat235 • r) Ergebnis Nach allem ist auch dieser letzte Weg, die einstweilige Anordnung als rechtsfindenden Spruch zu charakterisieren, nicht gangbar. Auch er eröffnet nicht die Möglichkeit, die einstweilige Anordnung als materiellen Rechtsprechungsakt im Sinne der herrschenden Lehre anzusprechen. Allerdings liegt hier, wie später noch auszuführen sein wird 236 , ein Ansatzpunkt für den selbständigen Charakter der Leistungsanordnung im Verhältnis zur Sicherungs- und Regelungsanordnung. 3. Erg e b n i s Die eingangs dieses Abschnittes aufgeworfene Frage, ob die einstweilige Anordnung als rechtsfindende Maßnahme in dem Sinne verstanden werden kann, wie sie von der herrschenden Lehre als grundlegendes Kriterium des materiellen Rechtsprechungsbegriffes errichtet worden ist, ist mithin im Gegensatz zu manchen unklaren Stellungnahmen in Rechtsprechung und Lehre zu verneinen. Nach unserem Verständnis des Begriffes der "Rechtsfindung" fallen die rechts schöpferischen Gestaltungsmaßnahmen der Sicherungs- und Regelungsanordnung nicht in den durch ihn umschriebenen Bereich staatlicher Tätigkeit. Sie müssen daher nach der -insoweit herrschenden - Lehre vom rechtsfindenden materiellen Rechtsprechungsbegriff aus dem Bereich der Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG ausgeschieden werden. Nach dem bekannten negativ-ausscheidenden Lehrsatz des Staatsrechtes, daß "Alles, was weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung ist, Verwaltung 234 Vgl. oben Anm.188 m. w. Nachw. Unzutreffend insoweit auch Häntzschel, aaO. S.394, der den rechtsfindenden Charakter der einstweiligen An-
ordnung deshalb verneint, weil "das Recht" (in der Hauptsache!) "ja noch nicht gefunden" sei und es sich daher nur um eine Zweckmäßigkeitsentscheidung handeln könne. Damit wird aber die Möglichkeit eines eigenen - materiellen - Interimsrechtes übersehen, die immerhin denkbar, wenn bei uns auch praktisch nicht gegeben ist, vgl. oben Anm. 70 ff., 157 ff. 235 Vgl. oben zu Anm. 213 f. Nicht hierher gehört die Frage, wieweit dabei dann Rechtsfragen der Hauptsache zu berücksichtigen sind, dazu Schlußbetrachtung, Anm. 92 f. 236 Vgl. unten zu Anm. 464. 9·
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2. Kapitel: Materieller Gehalt
ist"237238, muß die herrschende Lehre die einstweilige Anordnung daher konsequenterweise materiell als Verwaltungstätigkeit betrachten239 . Wieweit dieses hier einstweilen nur angedeutete Ergebnis rechtshistorisch begründet ist, ob es verfassungsrechtlich den Anforderungen des Grundgesetzes im Prinzip genügt, und ob es rechtspolitisch zu vertreten ist, soll einer späteren eingehenden Betrachtung240 vorbehalten bleiben. Vorerst ist zu prüfen, ob eine der beiden Theorien, die auf das rechtsfindende Element im Rechtsprechungsbegriff des Art. 92 GG glauben verzichten zu können241 , zu einer anderen Antwort auf die in diesem Teil der Arbeit behandelte Frage führt, ob die einstweilige Anordnung eine Maßnahme materieller Rechtsprechungsgewalt darstellt. 111. Die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt nach der Lehre vom 1 e t z t e n t s ehe i den den Rechtsprechungbegriff
1. Der Rechtsprechungsakt als Letztentscheidung Während nahezu die gesamte Rechtsprechung und Lehre, soweit sie überhaupt einen selbständigen, von der Entscheidungsinstanz gelösten Rechtsprechungsbegriff in Art. 92 GG aufgestellt sieht242 , das rechtsfindende Element als materielles, grundlegendes Kriterium dieses Rechtsprechungsbegriffes ansieht243 , hat sich Menger in jüngerer Zeit unter 237 O. Mayer, aaO. I S. 1 f. (7); Laband aaO. II S.175; G. JeHinek, aaO. S. 612; W. JeHinek, Verwaltungsrecht, S. 5, 6; Hatschek, aaO. S. 5 f.; Thoma, Grundbegriffe; S. 133; v. Turegg-Kraus, aaO. S. 5 ff. (19); Adamovich, aaO. I S.2 f.; Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch, S.362; Brüggemann, aaO. S. 54 f.; - im Ergebnis auch: Forsthoff, aaO. S. 1 (m. Anm.l), der diese ,Subtraktionsdefinition' für die einzig mögliche hält, im übrigen aber die descriptive Umschreibung für fruchtbarer hält; Jerusalem, aaO. S. 8; - a. A. Wolff, Verwaltungsrecht, S.7 ff. (12). 238 Im Bereich der Executive oder auch als selbständige ,Vierte Gewalt' wird - im Anschluß an das französische und englische Recht (vgl. de Smith, aaO. S. 27 ff.) - heute auch in Deutschland eine eigene ,Regierungsgewalt' anerkannt (vgl. z. B. Thoma, Grundbegriffe, S.135 f.; Wolff, Verwaltungsrecht, S. 63 f.; Lefringhausen, aaO. S. 18; BVerfG 9, 268 (280 ff.». Die Problematik dieses Begriffs spielt in unserem Zusammenhang aber keine Rolle; besonders eingehend (mit Rechtsvergleichung) Ipsen, aaO. S. 15 ff. 239 Lefringhausen (aaO. S. 140 ff., 145) will in den Rahmen einer ,Rechtsprechung i. w. So' noch die richterliche Prozeßleitung, die nicht Rechtsprechung im materiellen Sinn ist, einbeziehen. Auch diese Begriffsbildung braucht hier nicht erörtert zu werden, weil die einstweilige Anordnung nicht zur förmlichen oder sachlichen Prozeßleitung gehört (oben II, 1). 240 Unten II, 2, B, V, 2. 241 Nicht behandelt werden die schon oben angesprochenen Theorien, nach denen es überhaupt keinen materiellen Rechtsprechungsbegriff gibt (oben Anm. 21 ff.) . 242 Abweichende Ansichten oben Anm, 21 f. 243 Oben Anm. 38, 56.
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bewußter Ahkehr von seinen früheren Thesen244 zu einem eigenen Rechtsprechungsbegriff bekannt, der von dem materiellen Kriterium der Rechtsfindung absieht und allein auf die Aufgaben abstellt, die funktionell dem jeweiligen Staatsakt zukommen245 • Die Schwierigkeiten, in die - abg.esehen vom gemeinsam anerkannten rechtsfindenden Element - der Streit um die einzelnen Kriterien des materiellen Rechtsprechungsbegriffes die Rechtsprechung und Lehre führt246 , veranlassen Menger, völlig von dem materiellen Inhalt des einzelnen Aktes (sei es nun Rechtsfindung oder freie Gestaltung) abzusehen und die Antwort auf die Frage nach dem Rechtsprechungscharakter allein darauf zu gründen, ob der jeweilige Akt nach seiner Funktion, seiner Aufgabe den Zweck hat, eine "abschließende, endgültige Entscheidung" herbeizuführen247 • Allein diese Zielrichtung, das letzte Wort in der Sache zu sein, kennzeichne einen Akt als Maßnahme rechtsprechender Gewalt; typisches, wenn auch nicht ausschließliches Kennzeichen für diese Zielrichtung sei beispielsweise die materielle Rechtskraft des richterlichen Urteils248 • Die Frage, ob der im einzelnen zur Erörterung anstehende Akt die Funktion einer derartigen abschließenden Entscheidungswirkung habe oder nicht, sei allein durch Auslegung der Norm, die ihm zu Grunde liege, zu prüfen249 • Die "Funktion der Letztentscheidung"250 kennzeichne den Inhalt des Rechtsprechungsbegriffes, wie ihn Art. 92 GG verwende. Alle anderen Fragen seien von diesem Rechtsprechungsbegriff gelöst und bildeten nur ein Maß, die Zulässigkeit der Ausübung dieser Rechtsprechung zu kontrollieren251 • Dieses funktionelle Kriterium der Letztentscheidung ist von Menger nicht neu in den Rechtsprechungsbegriff eingeführt worden, sondern eine Reihe von Stimmen aus Rechtsprechung und Lehre haben ihm schon früher grundlegende Bedeutung für einen von rein formellen Gesichtspunkten gelösten Rechtsprechungsbegriff beigemessen252 • Maßgebend für die Eigenständigkeit der Auffassung Mengers ist dagegen, MengeT, System, S. 46 f. (49), 59, 210. Vgl. zum folgenden MengeT, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 49, 178 ff., 273 ff.; 50, 193 ff.; 51, 64 ff. 246 Vgl. oben Anm. 31 ff. 247 MengeT, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 49, 179. 248 VerwArch 51, 66. 249 VerwArch 49, 180. 250 VerwArch 50, 193. 251 z. B. die Frage, ob eine solche "Letztentscheidung" einem Gericht im Sinne der Art. 92, 97 GG anvertraut ist oder nicht und damit dem jeweiligen Hoheitsorgan verfassungsrechtlich wirksam übertragen worden ist. Vgl. MengeT, VerwArch. 50, 194 f. 252 Thoma. Grundbegriffe, S. 129: "Verselbständigter Ausspruch .. . durch staatliche Autorität ... ", ebenso die ihm folgenden Autoren (vgl. oben Anm. 38); JahTTeiß. Demokratischer Rechtsstaat, S. 212 f.; ders., Rechtspflege, S. 244
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
daß er im Gegensatz zu allen diesen Auffassungen das Moment der Letztentscheidung als das einzige, ausschließlich den Charakter des Rechtsprechungsbegriffes ausmachende Kriterium ansieht und alle übrigen Fragen, etwa die nach dem institutionellen Begriff des neutralen Dritten oder die nach dem streitentscheidenden Gehalt des Aktes (und auch, wie schon dargelegt, die Frage nach dem rechtsfindenden Inhalt der Maßnahme), aus dem begrifflichen Gehalt der rechtsprechenden Gewalt verweist. 2. Die ein s tw eil i g e A n 0 r d nun g als Letztentscheidung Menger selbst bezeichnet diese seine Theorie als einen noch nicht abschließend geklärten, unvollständigen Lösungsversuch der gesamten Problematik253 • Bevor in einer kritischen Stellungnahme versucht wird, die Haltbarkeit der Gedankengänge dieser Auffassung zu prüfen, soll hier kurz dargestellt werden, welche Bedeutung gerade dieser Rechtsprechungsbegriff für die Einordnung des Institutes der einstweiligen Anordnung haben kann: Mit diesem allein auf funktionelle Merkmale abgestellten, auf das inhaltliche Kriterium der Rechtsfindung verzichtenden Rechtsprechungsbegriff erschließt sich die Möglichkeit, allen denjenigen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, die bei dem rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre der einstweiligen Anordnung als einer rechtsschöpferischen Ermessensentscheidung die Rechtsprechungsqualität verwehrten. Denn abschließender, endgültiger Spruch kann auch die Ermessensentscheidung sein und ihr typisches Kennzeichen ist es jedenfalls im Verhältnis zwischen Exekutive und Judicative gerade, daß sie die maßgebliche unangreifbare Letztentscheidung darstellt254 • Wenn bei der einleitenden Betrachtung dieses Teiles der Arbeit darauf hingewiesen wurde, daß gerade in dem Ermessenselement der einstweiligen Anordnung eine besondere Schwierigkeit für die Einordnung dieses Institutes in das System der rechtsprechenden Gewalt liege255 , und wenn sich dann später ergab, daß für die herrschende Lehre gerade darin das entscheidende Hindernis besteht, die einstwei31 f.; Scheuner, Diskussionsbeitrag, S. 185 f.; Le!ringhausen, aaO. S. 87 f.; Hamann, Grundgesetz, Art. 92 Anm. B 1 a, bb und BI b; Arndt, Strafgewalt der Finanzämter, S.606, 607; BVerfG 2, 380 (394). 253 VerwArch 49, 179. 254 Im Sinne einer keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegenden Maßgeblichkeit, § 114 VwGO. Vgl. Forsthoff, aaO. S. 84 ff.; Wolf!, Verwaltungsrecht, S. 141 ff.; ferner alle Nachw. oben Anm. 115. Hier liegt aber auch gerade ein Ansatzpunkt für die Kritik an Menger, vgl. unten 3. 255 Oben H, 2, A.
B. Regelungsanordnung pp. -
IIr. Als Letztentscheidung
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lige Anordnung materiell als Rechtsprechungsakt anzuerkennen256 , so ist hier für den Mengerschen Rechtsprechungsbegriff von der Letztentscheidung festzuhalten, daß jedenfalls dieses Ermessenselement keinen Hinderungsgrund darstellt, die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG anzuerkennen. Gleichreitig tritt aber der zweite Problemkreis auf den Plan, der oben neben die Ermessensfrage als besonderer Angelpunkt der Problematik, die einstweilige Anordnung rechtsdogmatisch zu klassifizieren, hingestellt wurde257 : Es erhebt sich die Frage, ob nicht die Vorläufigkeit, der interimistische Charakter der einstweiligen Anordnung es verbietet, die richterliche Interimsmaßnahme als Letztentscheidung im Sinne des Mengerschen Rechtsprechungsbegriffes anzusprechen. Schon an anderer Stelle wurde gezeigt, daß dieser interimistische Charakter der einstweiligen Anordnung nicht darin besteht, daß sie nur eine richterliche Schnellprüfung auf der Grundlage vorläufigen Tatsachenmaterials darstellt258 • Diese Vorläufigkeit äußert sich vielmehr zunächst in dem Umstand, daß die Wirksamkeit der einstweiligen Anordnung mit dem Spruch in der Hauptsache - jedenfalls ex nunc 259 - endet260 • Setzt man aber nun die einstweilige Anordnung in Beziehung zur Streitfrage des Hauptprozesses, so ist sie nur vorläufige, d. h. gerade nicht "endgültige und abschließende" Entscheidung; im Hinblick auf diese Relation liegt daher der Schluß nahe, daß der interimistische Charakter der einstweiligen Anordnung dem Rechtsprechungsbegriff von der Letztentscheidung verbiete, dieses Institut als Rechtsprechungsmaßnahme im Sinne des Art. 92 GG zu qualifizieren. Allein, diese Betrachtungsweise würde die schon wiederholt herausgestellte261 Selbständigkeit des interimistischen Rechtsschutzverfahrens übergehen: Im Verfahren über die einstweilige Anordnung geht es ja gar nicht um die Streitfrage des Hauptprozesses262 • Streitgegenstand im Interimsverfahren ist nicht das zu sichernde Recht oder das zu regelnde RechtsverhältOben II, 2, B, II, 3. Oben II, 2, A. 258 Oben II, 2, B, II, 2, d. %59 Vgl. unten Anm. 266. 260 Quaritsch, aaO. S.216, 347 f.; KnoU, aaO. S. 102; beide Autoren sprechen von einer ,auflösenden Bedingtheit' der einstweiligen Anordnung. - Für die Aussetzungsentscheidung vgl. entsprechend: OVG Hamburg, B. v. 9.6.53, n. v., Aktz.: Bs I 58/53. - Für den Zivilprozeß greift § 927 ZPO ein, vgl. Rosenberg, aaO. S. 1110, 1095. 261 Vgl. oben Anm. 188, 234. 262 Stein-Junker, aaO. S. 25 f.; Bettermann, Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform, S. 73, 93; Grundmann, Einstweilige Anordnungen bei behaupteter Verfasungswidrigkeit von Gesetzen, DVBI 59, 875 (877); Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 58,337; BVerfG 7,175. 256 257
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11. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
nis, um das es im Hauptprozeß geht, sondern nur die Zulässigkeit und die Gestaltung der vorläufigen Sicherung oder Regelung263 • Die einstwenige Anordnung ist eben nicht nur vorläufige Gestaltung eines endgültigen Zustandes, sondern im Rahmen der Parteibeziehungen ist sie selbständig endgültige, abschließende Gestaltung des vorläufigen Zustandes der Litispendenz; sie regelt zwar einen nur vorübergehenden Zustand, diesen aber abschließend, und insoweit ist sie ihrem eigentlichen Inhalt nach selbst nicht nur vorläufiger Natur264 . So zeitigt sie auch Rechtswirk,ungen über die Zeit des prozessualen Schwebezustandes hinaus: Ihr Vollzug bleibt rechtmäßig, auch wenn die aus der einstweiligen Anordnung berechtigte Partei im Hauptprozeß unterliegt; deren Gegner ist dann gemäß §§ 123 Abs. III VwGO, 945 ZPO auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen, der - wie im Falle des § 717 Abs. II ZPO - nicht für rechtswidriges, sondern für rechtmäßiges, wenngleich risikobeladenes Verhalten gegeben wird265 . Mit dieser Kraft zu fortdauernder Rechtswirkung266 erreicht die einstweilige Anordnung eine Macht, die von der wohl herrschenden Lehre als echte materielle Rechtskraft anerkannt wird267268; auch wo aber die Fähigkeit der einstweiligen Anordnung, in materielle Rechtskraft zu erwachsen, in Abrede 263 Rosenberg, aaO. S.744, 1088; Lent, Urteils anmerkung, NJW 51, 721 f.; RStGH, E. v. 23.10.29, L-S 11 72 (78); BVerfG 4, 271; für das Aussetzungsverfahren: OVG Hamburg, B. v. 5.10.55, Bs 111 26/55 und 29/55 (beide n.v.). - Die Konsequenz dieser Erkenntnis zeigt sich vor allem in dem allgemein anerkannten Satz, daß Entscheidungen des Interimsverfahrens keine Rechtskraft für die Entscheidung in der Hauptsache zeitigen; BVerfG 4, 250 (271). 264 So eingehend: RStGH, wie Voranm., S. 79: Die einstweilige Anordnung regelt ". . .. zwar einen vorübergehenden Zustand, diesen aber . . . abschließend", sie ist dagegen nicht " ... selbst nur vorläufiger Natur." Vielmehr ist die einstweilige Anordnung in dem aufgezeigten Rahmen "endgültig". - Ebenso: OLG Frankfurt, B. v. 23. 5. 51, NJW 51, 721 m. zust. Anm. Lent (722: "endgültige Entscheidung über vorläufige Rechtsfrage"); Baumbach-Lauterbach, aaO. § 322 Anm. 4; Bettermann (wie Anm. 262) S. 73. 265 Es handelt sich um einen Fall der Gefährdungshaftung, vgl. Palandt, BGB, 22. A., § 276 Anm. 10 b; Baumbach-Lauterbach § 717 Anm. 2 C, § 945 Anm. 1 (dort allerdings etwas unklar); - a. A. PrOVG 31, 39 (42), das hier von ,nachträglicher' Rechtswidrigkeit spricht, wobei offen bleibt, ob eine solche nachträgliche Unrechtsqualifikation mit ex-tunc-Wirkung rechtlich möglich ist. Streitig ist auch die Lage in der Schweiz, vgl. Guldener, aaO. S. 389 Anm. 35. 266 RStGH (wie Anm. 263); Knall, aaO. S. 102: Jede einstweilige Anordnung zeitigt zwangsläufig für die Dauer ihres Bestandes "zum mindesten zeitliche Wirkungen ohne die Möglichkeit, diese in Natur rückgängig zu machen." 267 Rosenberg, aaO. S. 744; Stein - Jonas - Schönke, aaO. § 922 Anm. VI; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 322 Anm. 4; OLG Frankfurt, Lent, wie Anm. 264; Quaritsch, aaO. S. 346. - Vgl. auch für die StPO: nach Aufhebung eines Haftbefehls ist die Wiederverhaftung nur eingeschränkt möglich, siehe Schwarz, StPO, § 123 Anm. 1 B b. 268 Zu beachten ist, daß es sich dabei nie um eine Rechtskraftwirkung für die Hauptsache handelt, vgl. oben Anm.263, 264 und Stein-Jonas-Schönke, Rosenberg, Baumbach-Lauterbach (jeweils wie Voranm.); BVerfG 4, 271.
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III. Als Letztentscheidung
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gestellt wird269 , - und zwar deshalb, weil sie zu sehr mit dem Risiko der g,egenteiligen Hauptentscheidung beladen und insoweit einem Vorbehaltsurteil vergleichbar sei270 , das nach ganz unstreitiger Ansicht auch keiner materiellen Rechtskraft fähig ist271 - , läßt sich angesichts der oben aufgezeigten Fähigkeit zu fortdauernder Rechtswirkung jedenfalls nicht leugnen, daß diese Fähigkeit in ihrer Zielsetzung für die Gestaltung der vorläufigen Parteibeziehungen die Aufgabe übernimmt, die beim Endurteil die materielle Rechtskraft für die endgültigen Parteibeziehungen erfüllt272 • Damit aber genügt die einstweilige Anordnung insoweit den Anforderungen einer abschließenden Letztentscheidung, wie sie Menger 273 als ausschlaggebendes Wesensmerkmal des Rechtsprechungsaktes ansieht. Diese Funktion der Letztentscheidung könnte allerdings bei der einstweiligen Anordnung noch deswegen in Frage gestellt sein, weil die durch die einstweilige Anordnung getroffene Regelung nach einer Reihe von Prozeßgesetzen (vgl. §§ 927 ZPO, 30 Abs. V S. 2 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz) vom Gericht noch inhaltlich wieder geändert werden kann. Obgleich die verwaltungsprozessuale einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO eine solche Änderungsbefugnis des Gerichtes nicht vorsieht - § 927 ZPO ist in § 123 Abs. III VwGO nicht mit angezogen274 - , soll auch diese Frage kurz angeschnitten werden, weil diese Änderungsbefugnis angesichts der zivilprozessualen Regelung als charakteristisch für die einstweilige Anordnung angesehen werden kann und weil der Gesetzgeber eine solche Änderungsbefugnis auch dem Verwaltungsrichter jederzeit durch Gesetz einräumen könnte. Bei genauerer Betrachtung einer solchen Änderungsbefugnis, wie sie § 927 ZPO vorsieht, zeigt sich aber, daß es sich hier nur um einen Sonderfall der Abänderungsmöglichkeit des § 323 ZPO handelt, der bei veränderter Sachlage eine Durchbrechung der - an sich ebenso - endgültigen und rechtskräftigen Erstentscheidung gestattet275 : Hier ist eben nur 209 Wintrich-Lechner, Verfassungsgerichtsbarkeit, in Grundrechte III 2, 643 (710); KG, JW 29, 2616; für die Schweiz vgl. Guldener, aaO. S. 390. 270 Hier wird m. E. wiederum der Unterschied zwischen dem Streitgegenstand des Interimsverfahrens und dem des Hauptprozesses verwischt: Der ,abschließende Spruch' über die vorläufige Gestaltung wird als solcher ja nicht geändert. 271 Rosenberg, aaO. S. 745; Schönke-Schröder-Niese, aaO. S.335; SteinJonas-Schönke, aaO. § 322 Anm. IV 3; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 322 Anm. 1 B; RG 159, 175. 272 Vgl. Baumbach-Lauterbach, aaO. § 322 Anm.4; OLG Frankfurt, Lent, wie Anm. 264. 273 Vgl. oben 1. 274 Eyermann-Fröhler, VwGO, § 123 Rdn.27; Schunck-de Clerck, VwGO § 123 Anm. 4 d ff.; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S.220; - anders ist es im Aussetzungsverfahren, vgl. § 80 VI VwGO. 275 Vgl. Rosenberg, aaO. S. 765; Stein-Jonas-Schönke, aaO. § 323 Anm. II. 2; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 323 Anm. 2 A.
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II. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
dem besonderen Eilbedürfnis des beschleunigten Verfahrens über einstweilige Anordnungen Rechnung getragen276 ; das aber bedeutet nur eine prozessuale Ausgestaltung, die der Schwerfälligkeit eines normalen Verfahrens bei einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO Rechnung trägt. Ebenso wenig, wie die Änderungsmöglichkeit des § 323 ZPO als Ausnahmeregelung im Prinzip die materielle Rechtskraft von richterlichen Endurteilen aufhebt, beeinträchtigt eine Änderungsbefugnis im Sinne des § 927 ZPO den abschließenden, letztentscheidenden Charakter der einstweiligen Anordnung. Auch eine etwaige Änderungsbefugnis des Gerichtes würde somit nach Mengers Begriffsbildung die Kennzeichnung der einstweiligen Anordnung als einen Akt rechtsprechender Staatsgewalt nicht berühren. Die der kritischen Würdigung der Theorie von dem letztentscheidenden Rechtsprechungsakt vorgezogene Untersuchung, welche Konsequenzen diese Theorie für die Qualifizierung der einstweiligen Anordnung als Maßnahme rechtsprechender Gewalt zeitigt, führt danach zu folgendem Ergebnis: Die einstweilige Anordnung ist als Letztentscheidung in Interimsfragen Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG, ohne daß ihr Wesen als Ermessensentscheidung einer solchen Qualifikation - wie bei der herrschenden Lehre - entgegensteht und ohne daß der interimistische Gehalt dieser Entschetdungsart eine solche Bewertung als Letztentscheidung hindert. 3. Kri ti k am letztentscheidenden Rechtsprechungsbegriff Eine Kritik an dieser - die Rechtsprechungsqualität einstweiliger Anordnungen mithin bejahenden - Auffassung von dem "letztentscheidenden" Rechtsprechungsakt hat in dem Punkt anzusetzen, der bereits oben angedeutet wurde277 : Auch im Bereich der echten verwaltenden Staatstätigkeit gibt es eine Reihe von typischen Betätigungen staatlicher Hoheitsgewalt, die sowohl nach der Konzeption des Gesetzgebers, auf dessen Willen Menger ja abstellen will 27B , wie auch nach ganz unstreitiger herkömm1icher Auffassung die Aufgabe haben, das letzte Wort in der Sache zu sein, funktionell "Letztentscheidung" darzustellen. In diesem Zusammenhang braucht noch nicht einmal die Problematik der sogenannten justizfreien Hoheitsakte279 oder die SonVgl. Schuler, aaO. S. 1803. Oben Anm. 254. 278 Vgl. Anm.249. 270 Die Frage, ob es angesichts der Regelung des Art. 19 IV GG überhaupt gerichtsfreie, keiner richterlichen Prüfung unterliegende Executivakte gibt, ist streitig; vgl. dazu m. w. Nachw.: Maunz-Dürig, aaO. Art.19 Abs. IV Rdn. 23, 24; UZe, Verwaltungsprozeßrecht, S. 11, 110; Eyermann-FröhZer, VwGO § 42 Rdn. 35 f .; für früher : Ipsen, aaO. S. 171 f. 276
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IIr. Als Letztentscheidung
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derfrage des gerichtsfl'eien Gnadenaktes280 herangezogen zu werden, wo stets executive Stellen mit der Aufgabe, das letzte Wort zu sprechen, betraut sind, und wo es sich mit Sicherheit nicht um den Erlaß von Rechtsprechungsakten im Sinne des Art. 92 GG handelt. Schon in dem weiten Anwendungsgebiet des heute so umstrittenen "Beurteilungsspielraumes" der Executive bei der Handhqbung unbestimmter Rechtsbegriffe281 handelt es sich ja gerade darum, eine Letztentscheidung der Verwaltung gegenüber der Justiz zu sichern und den Richter aus der Entscheidungsmacht über der,artige Fragen "auszuschalten"282; gleichgültig, ob es sich etwa um "persönlichkeitsbedingte Werturteile" des Personalgutachterausschusses im Beamtenrecht hande1t2 83 oder ob andere Prüfungsentscheidungen staatlicher Stellen284 oder Versetzungsbeschlüsse aus dem Schulrecht285 in Frage stehen286 , stets erhält hier die jeweilige Behörde als die für den konkreten Fall allein zuständige Stelle das letzte Wort in der Sache. Vollends deutlich aber wird diese Aufgabe der Verwaltung, selbst Letztentscheidungen zu treffen, auf dem Gebiet der Ermessensentscheidungen: Schon in anderem Zusammenhang wurde erörtert, daß der Gesetzgeber mit der Einräumung einer Ermessensbefugnis stets dem jeweils mit dieser Ermessensmacht ausgestatteten Organ die letztlich entscheidende Wertabwägung überträgt287 ; schon aus der prozeßrechtlichen Regelung des § 114 VwGO läßt sich dabei rückwirkend für das materielle Recht schließen, daß, soweit 280 Bei Gnadenakten handelt es sich um Maßnahmen, die außerhalb der Rechtsordnung stehen in dem Sinne, daß ,das Recht' gerade zurücktritt hinter der Begnadigungsmacht. Sie sind injustitiabel und damit auch ,endgültige Letztentscheidung'. Vgl. Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 Abs. IV Rdn. 27; UZe, Verwaltungsprozeßrecht, aaO. S.l1, 111; Eyermann-Fröhler, VwGO § 42 Rdn. 37; BVerwG 6, 167; OVG Münster, E. v. 21. 4. 53, VRspr 5 Nr.187. 281 Vgl. dazu oben Anm. 80 ff. 282 So wörtlich: Kellner, aaO. S.575. 283 BVerwG 12, 20 (28); für weitere beamtenrechtliche Fragen vgl.: BVerwG 8, 192; 11, 139; 12, 29 (34); ferner Kellner, aaO. S.574, 580 f. m. Nachw. 284 Dazu z. B. Quaritsch, aaO. S.364 Anm.267, 268; Kellner, aaO. S. 576 f.; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S. 13 f. 285 Vgl. z. B. Wolft, Verwaltungsrecht, S.141; UZe, VwGO § 123 Anm. I; ders., Verwaltungsprozeßrecht S. 13 f.; Quaritsch, aaO. S. 363 f.; Kellner, aaO. S. 578 ff.; BVerwG 12, 29 (34); OVG Lüneburg, E. v. 19.9.57, DVBl 58, 105; OVG Münster, E. v. 22.9.58, DVBI 59, 72 f.; jeweils m. w. Nachw. 286 Für weitere Bereiche ist die Frage der Anerkennung eines Beurteilungsspielraumes umstritten. Unstreitig räumt aber nicht jeder unbestimmte Rechtsbegriff einen unüberprüfbaren Beurteilungsspielraum ein (z. B.: Bachoj, Beurteilungsspielraum, S.100; Müller - Tochtermann, aaO. S.161; Kellner, aaO. S. 575 f., 582), sondern es ist von Fall zu Fall durch Auslegung zu ermitteln, ob der Gesetzgeber der Executive einen Eigenbereich an Entscheidungsgewalt zuweisen will (Bachoj, aaO. S. 99 f., 102; Kellner, aaO. S. 582). Besonders streitig sind beispielsweise diese Fragen im Falle des § 9 Abs. II PersBefG, dazu z. B.: Quaritsch, aaO. S. 362 ff.; Kellner, aaO. S.582; Fromm, Einstweilige Erlaubnis, aaO. 287 Vgl. oben zu Anm. 60 ff., 110 ff., 206.
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II. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
ein solches Ermessen einer Verwaltungsbehörde eingeräumt ist, diese "Schaffung von Ermessenstatbeständen der sachverständigen Behörde . .. ein unüberprüfbares Entscheidungsmonopol"288 zuweist. Wenn aber auf diesen weiten Gebieten der Verwaltung die deutsche Rechtsordnung den executiven Stellen die abschließende und endgültige Entscheidung anfallender Fragen überläßt, so kann das von Menger aufgestellte Kriterium der "Letztentscheidung" nicht das allein maßgebliche Kriterium des in Art. 92 GG vorausgesetzten selbständigen Rechtsprechungsbegriffes sein289 . Auch der Versuch, eine weitere Abgrenzung des Begriffes der Letztentscheidung darin zu suchen, ob die jeweilige Maßnahme "auf Rechtskraft gezielt" ist oder nur der "Erledigung des Falles" dient290 , kann schon im Hinblick auf längst vorliegende Erkenntnisse der Rechtslehl'e nicht weiterführen: In diesen Formulierungen wird nämlich nur die alte These wieder aufgenommen, daß der Rechtsprechung die Rechtsverwirklichung Selbstzweck, der Verwaltung dagegen Mittel zum Zweck sei291 , ein Satz, der zwar eine psychologisch richtige Beobachtung enthält, der im übrigen aber schon nach den eigenen eingehenden Ausführungen Mengers292 keine Lösungsmöglichkeit für die Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung eröffnet, weil "bei rechtsimmanenter Betrachtung alle Staatsorgane in jedem Falle Rechtssätze vollziehen und damit der Verwirklichung des Rechts dienen, während sie bei rechtstranszendenter Betrachtung alle mit den Mitteln der Rechtsverwirklichung die Realisierung öffentlicher Interessen anstreben"293. Das Gesetz, das der Richter zur Entscheidung eines Streitfalles heranzieht, ist nicht weniger ein Mittel zur Verwirklichung außerhalb seiner selbst liegender Zwecke als die Verwaltungsrechtsnorm, die Form und Inhalt des Verwaltungshandelns regelt294 . Mit der heute wohl herrschenden Lehre, auf deren eingehende Begründung hier im übrigen nur verwiesen werden kann, ist daher dieses psychologische Kriterium als ungeeignet anzusehen, eine inhaltliche Unterscheidung der Rechtsprechungsakte von den Verwaltungsmaßnahmen durchzuführen 295 . Auch mit Hilfe der Zusatzerwägung, welcher Zweck mit der 288 So wörtlich: Quaritsch, aaO. S. 359. 289 Im Ergebnis ebenso: Lefringhausen, aaO. S. 87 f., unter Hinweis auf die aber wohl etwas anders gelagerte Problematik der streitentscheidenden Verwaltungsakte. 290 So Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51, 64 (66) im Anscliluß an die Patentamts-Entscheidung in BVerwG 8, 350. 291 Vgl. oben Anm.33; dazu: Lefringhausen, aaO. S. 51 f.; Menger, System, S. 25 f . 292 Menger, System, S. 25 ff. m. Nachw. (S.40). 293 Wolff, Verwaltungsrecht, S. 67 ; Menger, System, S.26. 294 Lefringhausen, aaO. S.53. 295 Forsthoff, aaO. S. 4 ff.; Wolff, wie Anm.293; Lefringhausen, aaO. S.53 bis 63 (m. eing. Nachw.); Menger, System, S. 26 ff.; Merkl, aaO. S.25.
B. Regelungsanordnung pp. - IV. Als historischer Akt
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abschließenden und endgültigen Maßnahme verfolgt werde, läßt sich daher die Theorie Mengers von dem Rechtsprechungsakt als "Letztentscheidung" nicht halten. 4. Erg e b n i s
Obwohl nach dieser Lehre von dem letztentscheidenden Rechtsprechungsakt die einstweilige Anordnung mithin als echte Rechtsprechungsmaßnahme im Sinne des Art. 92 GG qualifiziert werden könnte, läßt sich diese Auffassung nicht als Grundlage für eine von der herrschenden Lehre abweichende Lösung verwerten, weil der Begriff des letztentsche1denden Rechtsprechungsaktes selbst keine gültige Grundlage für die Prüfung des rechtlichen Gehaltes einer staatlichen Maßnahme abgeben kann. IV. Die einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt nacll dem his tor i s ehe n Rechtsprechungsbegriff
Noch eine zweite Auf.fassung endlich meint, den Begriff der "rechtsprechenden Gewalt" im Sinne des Art. 92 GG ohne das für die herrschende Lehre wesentliche Kriterium der Rechtsfindung verstehen zu dürfen: Die Lehre vom historisch gewachsenen Rechtsprechungsbegriff2 96 • Auch hier ist zu untersuchen, ob die Begriffsbildungen dieser Ansicht einen zulässigen Weg eröffnen, die einstweilige AnOIldnung als Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG zu qualifizieren; dabei sollen wiederum zunächst die Thesen dieser Auffassung und ihre Konsequenzen für die Einordnung der einstweiligen Anordnung dargestellt werden, bevor in einer kritischen Würdigung die Zulässigkeit ihrer Deduktionen erörtert wird 291 • 1. Die Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff
Die Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff zeichnet sich dadurch aus, daß sie den Gehalt der "rechtsprechenden Gewalt" des Art. 92 GG nicht so sehr begrifflich~dogmatisch, sondern vor allem histo296 Bachof, Vornahmeklage, S.18; ders., Diskussionsbeitrag, S.178; Scheuner, Diskussionsbeitrag, S. 185 f. (in offensichtlicher Abweichung seiner älteren Thesen in: Probleme und Verantwortungen, aaO. S.296); BaUT, Begriff
der Rechtsprechung, S. 511 ff., 519 (anders aber wohl in: Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, aaO. S. 193 ff., wo derartige herkömmliche Aufgaben des Richters als soziale Verwaltung bezeichnet werden, aaO. S. 195); Habscheid, Grundfragen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, RPfl 57, 164 (166); Lent-Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit (4. A.) S. 23 ff. (25, 27), anders die Vorauflage, S. 6 ff. (10); Keidel, Freiwillige Gerichtsbarkeit, FGG § 1 Rdn.2. 297 Wie in dem vorstehenden Abschnitt erscheint diese systematisch falsche Reihenfolge der Erörterung zweckmäßig, um eine größere Klärung für das Institut der einstweiligen Anordnung zu erreichen.
142
Ir. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
risch-teleologisch versteht298 • Alle die Grundmerkmale, die im einzelnen bei den Vertretern des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes umstritten sind (insbesondere: Streitentscheidung, neutrale Selbständigkeit und autorativ-bindende Rechtsfeststellung 299), sollen zwar für den Kern rechtsprechender Staatstätigkeit zutreffen; wesentlich sei aber, daß das Grundgesetz in Art. 92 nicht weitere, diesen Begriffsbildungen nicht gerecht werdende Aufgabenbereiche aus der echten rechtsprechenden Tätigkeit habe eliminieren wollen, soweit sie nach traditionellem Herkommen historisch als richterliche Tätigkeitsformen überliefert seien30o • Nicht die begriffliche, sondern die überlieferte Qualifikation der jeweiligen Maßnahme sei insoweit entscheidend, an ihr habe das Grundgesetz nichts ändern wollen. Hauptbeispiel dieser Auffassung von dem historisch ausgeweiteten Rechtsprechungsbegriff ist die richterliche Tätigkeit im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die nach heute wohl herrschender Ansicht im Sinne der Gewaltenteilungslehre überwiegend als - nur den Gerichten übertragene - Verwaltungstätigkeit angesehen wirdSOl, während die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach der historischen Auffassung als Ausübung echter rechtsprechender Gewalt anzusehen ist302 • Der Sinn des Begriffes, von dem das Grundgesetz ausgehe, liege darin, "alle die Aufgaben der Rechtspflege dem Richter zu übertragen, die wegen ihrer Bedeutung für den Lebensbereich des einzelnen nach der Entscheidung eines sachlich und persönlich unabhängigen Organs verlangen"; die geschichtliche Entwicklung zeige dabei den für diesen Bereich maßgebenden Rahmen auf303 • 2. Die ein s t w e i li g e An 0 r d nun g als his tor i s c her Bestand richterlicher Gewalt, Bedenken für den Bereich des Verwaltungsprozesses Im Hinblick auf die Untersuchung über die geschichtlichen Quellen des Institutes der einstweiligen Anordnung 304 scheint nichts näher zu liegen, als auch die einstweilige Anordnung des § 123 VwGO als herkömmlicherweise den Gerichten zugewiesene Entscheidungsart im BaUT, Begriff der Rechtsprechung, S. 519 Vgl. oben Anm. 31 ff. 300 Bachof, Vornahmeklage S. 18; ders., Diskussionsbeitrag S.178; BauT, Begriff der Rechtsprechung S. 512, 513; ScheuneT, Diskussionsbeitrag S. 185 f.; Habscheid, aaO. S. 166. 301 LefTinghausen, aaO. 8.171 ff.; BetteTmann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, insb. S.24; Schmidt-Räntzsch, aaO. § 1 Rdn.5; Münzel, Freiwillige Gerichtsbarkeit und Zivilprozeß, ZZP 66 (1953), S.334 (340, 352 ff.); jeweils m. eing. Nachw. 302 80 vor allem: BaUT und Bachof, wie Anm. 300. 303 BaUT, Begriff der Rechtsprechung, S. 519 f. 304 Vgl. oben I, 1, A-C. 298
299
B. Regelungsanordnung pp. -
IV. Als historischer Akt
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Sinne dieses historischen Rechtsprechungsbegriffes anzusehen: Obgleich Streitentscheidung zwischen den widerstreitenden Interessen des prozeßbedingten Schwebezustandes305 , zählt sie doch nicht zum Kernbereich rechtsprechender Staatstätigkeit im Sinne dieser historischen Lehre, weil es ihr an dem von der herrschenden Lehre vorausgesetzten und von der historischen Betrachtungsweise für diesen Kernbereich anerkannten rechts findenden Element feh1t30 6; da die richterliche Interimsmacht aber auf einer bis in das Mittelalter zurückgehenden Tradition fußpo7, müßte sie als traditioneller Bestand der mit der Rechtsprechung betrauten Staatsorg.ane zu dem historisch begründeten, von Art. 92 GG anerkannten Rechtsprechungsbereich zählen. Allein, dieses Ergebnis308 begegnet für die in dieser Untersuchung behandelte einstweilige Anordnung im Verwaltungsprozeß nicht unerheblichen Bedenken. Hier kommt zum Tragen, was in dem geschichtlichen Teil dieser Arbeit im Hinblick auf die verwaltungsprozessuale Interimsmacht des Richters festgestellt wUl'de309 : Anders als bei der einstweiligen Verfügung des Zivilprozeßrechtes kann bei der einstweiligen Anordnung des Verwaltungsrichters kaum von einem geschichtlichen Herkommen die Rede sein und von einer traditionellen Anerkennung dieses Instituts im Verwaltungsprozeßrecht haben nicht einmal die Verfechter der Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung im Verwaltungsprozeß im nunmehr durch § 123 VwGO abgeschlossenen Kampf um die Zulässigkeit dieser Interimsmacht gesprochen. Wo überhaupt- und das war sowohl nach der Größe wie nach dem politischen Gewicht ohnehin nur in den weniger bedeutenden Ländern der Fall eine einstweilige Anordnung in den älteren Verwaltungsprozeßgesetzen vorgesehen war 31O , handelte es sich fast ausschließlich um ein Ersatzinstitut für das nicht vorgesehene, in anderen Ländern aber überall anerkannte Institut des Suspensiveffektes und wurde in der Praxis dementsprechend auch nur im Sinne einer Aussetzungsbefugnis des heutigen § 80 Abs. V VwGO verstanden 311 312; diese Vorläufer der selbständig neben der einstweiligen Anordnung stehenden Aussetzungsent305 Vgl. oben II, 1 Anm. 34 f.; II, 2 Anm. 67,71 ff. 306 Vgl. oben II, 2, B, II, 3. 307 Vgl. oben I, 1, A, B. 308 Mit Rücksicht darauf, daß die Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff auf klare Begriffsabgrenzungen verzichtet und daß keiner ihrer Vertreter zu der Einordnung der einstweiligen Anordnung bisher Stellung genommen hat, läßt sich ein solches Ergebnis nur als theoretisch unterstellen. 309 Vgl. oben I, 2, E, I, 1. 310 Vgl. oben I, 2 Anm. 134-142. 311 Vgl. Voranm.; angesichts dieser geschichtlichen Zusammenhänge leugnet Quaritsch, aaO. S.220, 221, zu Unrecht die Aussetzungsbefugnis der Verwaltungsgerichte in der Weimarer Zeit. 312 Anders nur Oldenburg, vgl. oben I, 2 Anm. 142 f.
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2. Kapitel: Materieller Gehalt
scheidung lassen sich daher nicht einfach als Beleg für ein traditionelles Herkommen der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung verwerten. Das w.ird vollends deutlich, wenn man das oben vielfach belegte Recht der Verwaltungsbehörden in Betracht zieht, von sich aus selbständig die Interimsregelungen zu treffen, die ger.a de den Verwaltungsgerichten durch den Ausschluß der einstweiligen Anordnung in jener Zeit vorenthalten waren313 ; neben dem Institut des Suspensiveffektes war es nämlich gerade diese im materiellen Verwaltungsrecht begründete Interimsbefugnis der Verwaltungsbehörden, die der Anerkennung einer verwaltungsgerkhtlichen Interimsmacht im Wege stand und sie - auf legislatorischer Ebene - im wesentlichen bis in das Jahr 1960 mit Erfolg verhinderte314315 • Die späteren, aus den Jahren 1950 und 1952 stammenden einstweiligen Anordnungen der §§ 64 VGG Rheinland-Pfalz und 30 BVerwGG müssen in diesem Rahmen ebenso unberücksichtigt bleiben wie die einstweiligen Anordnungen, die allmählich von der Rechtsprechung der Verw,a ltungsgerichte in der Bundesrepublik zugelassen worden sind316 : Der "historische Bestand", von dem nach der Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff Art. 92 GG ausgehen soll, kann schlechterdings nur den status quo des Jahres 1949 erfassen und muß schon logischerweise spätere Entwicklungen unberücksichtigt lassen. Geht man aber von dem Entwicklungsstadium der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung im Jahre 1949 aus, so kann nach allem auch dieser historische Rechtsprechungsbegriff - g.anz abgesehen von seiner noch aufzuzeigenden Problematik - nicht dazu dienen, die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung als Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG zu qualifizieren. 3. K r i t i kam his tor i s c h e n R e c h t s p r e c h u n g s beg r i f f Auch wenn man jedoch im Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung - etw.a im Hinblick auf die lange Entwicklungsgeschichte der richterlichen Inter.imsmacht in anderen Prozeßordnungen und mit Rücksicht auf die alte Anerkennung verw.altungsgerichtlicher Interimsmaßnahmen in Form von Aussetzungsentscheidungen - die einstweilige Anordnung des Verwaltungsrichters als rechtsprechende Maßnahme im Sinne des historischen Rechtsprechungsbegriffes verstehen wollte, so bliebe doch zu prüfen, ob der historische Rechtsprechungsbegriff überhaupt eine zulässige Interpretation des Art. 92 GG beinhal313 314
154.
315
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Oben I, 2 Anm. 115 ff. Abgesehen von §§ 64 VGG Rh-Pf, 30 BVerwGG; oben I, 2 Anm. 152 bis Vgl. oben I, 2, E, I, 1-3. Dazu oben I, 2 Anm. 158, 160 ff.
B. Regelungsanordnung pp. - IV. Als historischer Akt
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tet. Schon früher ist darauf hingewiesen worden, daß Art. 92 GG nicht von einem nur formellen Rechtsprechungsbegriff ausgehen kann, nach dem "Rechtsprechung ist, was den Gerichten zugewiesen wird"317. Diese Verfassungsnorm will gerade verhindern, daß der Aufgabenkreis der rechtsprechenden Gerichte dadurch zur Disposition des Gesetzgebers gestellt wird, daß allein die deZlisionistische Zuordnung einer Aufgabe im Gesetz die Erfüllung dieser Aufgabe zur Rechtsprechung oder Verwaltung qualifizieren kann. Diese Zielsetzung des Art. 92 GG läßt jedoch die Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff außer acht: Soweit sie den "historisch gewachsenen Bestand" richterlicher Tätigkeit ohne Rücksicht auf seinen materiellen oder funktionellen Gehalt318 als echte Rechtsprechung werten will, stellt sie nämlich die Rechtsprechungsaufgaben in die Dezision der Geschichte und damit, wie u. a. gerade die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung zeigt, mittelbar doch wieder in die Dezision des Gesetzgebers. Wenn der Gesetzgeber nämlich die verwaltungsprozessuale einstweilige Anordnung in Ausübung seines freien legislativen Ermessens schon vor Inkrafttreten des Grundgesetzes eingeführt hätte, so wäre dieses Institut dem von Art. 92 GG übernommenen Bestand von Rechtsprechungsaufgaben zuzurechnen gewesen; da er aber von jener ihm freistehenden Befugnis erst später Gebrauch gemacht hat, kann die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung nicht von ihm erfaßt sein319 • Allein der in die freie Entschließungsbefugnis des Gesetzgebers gestellte Entscheid würde mithin über die Qualifikation als rechtsprechende oder nicht rechtsprechende Maßnahme entscheiden, ein im Hinblick auf den oben dargelegten Sinn des Art. 92 GG unhaltbares Ergebnis. Zeigt sich schon an diesem allein auf den historischen Zufall abstellenden Ergebnis, daß der historische Rechtsprechungsbegriff nicht den Voraussetzungen des in Art. 92 GG niedergelegten, gerade vom Willen des Gesetzgebers gelösten Rechtsprechungsbegriffes genügt, so verdeutlicht eine weitere überlegung auch noch, daß die von der historischen Betrachtungsweise verfolgten Ziele auch ohne die angeblich notwendige historische Ausweitung des Rechtsprechungsbegriffes erreicht werden: Der Weg, dem Richter "alle die Aufgaben zu übertragen, die wegen ihrer Bedeutung für den Lebensbereich des einzelnen nach der Entscheidung eines sachlich und persönlich unabhängigen Organs verlangen"320, steht dem Gesetzgeber auch dann offen, wenn derart grundlegende Aufgaben sich nicht als Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG darstellen, denn Art.92 GG enthält kein Verbot, dem Richter nicht rechtsprechende Ganz h. L., vgl. oben Anm. 27. BaUT, Begriff der Rechtsprechung, S.519; ScheuneT, Diskussionsbeitrag, S.185 f. 317
318
319 320
Vgl. oben zu Anm.316. BaUT, vgl. Anm.303.
10 Rohmeyer
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II. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
Aufgaben zuzuweisen 321 ; andererseits aber wird auch in diesen bedeutungsvollen Angelegenheiten selbst dann dem Richter die letzte Entscheidung vom Grundgesetz garantiert, wenn sie bisher "historisch" den Gerichten zugewiesen waren (etwa auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit) und nunmehr vom Gesetzgeber der Verwaltung übertragen werden, denn dann bleibt stets der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 VwGO) oder zu den ordentlichen Gerichten (§ 23 EGGVG bzw. subsidiär gemäß Art. 19 Abs. IV GG) eröffnet, so daß der dem einzelnen gewährte Rechtsschutz keine Beeinträchtigung erleidet322 • Die Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff kann daher nicht zur rechtlichen Einordnung einer staatlichen Maßnahme dienen, weil sie in ihren Voraussetzungen nicht den Anforderungen des Art. 92 GG genügt und im übrigen Zielsetzungen verfolgt, die das Grundgesetz schon auf andere Weise, nämlich durch die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV GG, erreicht. 4. Erg e b n i s Auch der historische Rechtsprechungsbegriff gibt daher, selbst wenn man im Gegensatz zum früheren Ergebnis 323 die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung als traditionelle Aufgabe des verwaltungsrichters ansieht, nicht die Möglichkeit, diese Interimsmaßnahme des § 123 VwGO als Rechtsprechungsakt ,im Sinne des Art. 92 GG anzusehen, weil diese Begriffsbildung ebenso wie die schon früher behandelte Lehre von der richterlichen "Letztentscheidung" keinen zulässigen Prüfungsmaßstab für die Erfordernisse des Art. 92 GG abgibt.
v. Die einstweilige Anordnung als ein dem Richter übertragener Executivakt 1. Die Qualifikation als Akt executiver Gewalt Aufgabe der Untersuchung über die Rechtsnatur von Sicherungsanordnung und Regelungsanordnung in diesem Teil der Arbeit war es, den Standort zu bestimmen, den diese Spielarten des Institutes der einstw~iligen Anordnung im System der Staatsfunktionenlehre einnehmen. Die gemeinhin bejahte, wenngleich nirgends näher untersuchte Frage, ob diese allgemeine einstweilige Anordnung ein Akt rechtsprechender Gewalt im Sinne des Art. 92 GG sei, ist nach den Maßstäben der rechtsdogmatischen Interpretation des Art.92 GG in Rechtsprechung und Lehre jedoch im Hinblick auf die Ergebnisse dieses Teils der Arbeit zu verneinen: Den Anforderungen der absolut herrschenden Vgl. oben Anm. 1. So ausdrücklich für das Beispiel der Freiwilligen Gerichtsbarkeit: Ham.ann, Grundgesetz, Art. 92 Anm. B 1 b. 323 Oben zu 2. 321
322
B. Regelungsanordnung pp. -
V. Als Executivakt
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Lehre vom rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriff genügt die einstweilige Anordnung deswegen nicht, weil sich ihre rechtsschöpferische Gestaltungsmacht unter keinem nur eI'denklichen Gesichtspunkt als rechtsfindende Anwendung vorgegebener Rechtssätze auf konkrete Sachverhalte qualifizieren läßt 324; die Auffassung von dem Rechtsprechungsakt als Letztentscheidung läßt zwar eine Anerkennung dieser Interimsmaßnahme als einen Akt rechtsprechender Gewalt zu, genügt aber ihrerseits selbst nicht den Voraussetzungen, die nach Art. 92 GG für einen Rechtsprechungsakt zu fordern sind325 ; nach dem schließlich noch vertretenen historischen Rechtsprechungsbegriff aber kann die allgemeine verwaltungsprozessuale einstweilige Anordnung kein Rechtsprechungsakt sein, weil sie weder zum historischen Bestand richterlicher Aufgaben im Sinne dieser Lehre gehört noch überhaupt dieser historische Rechtsprechungsbegriff mit Art. 92 GG vereinbar ist326 • Damit ist die allgemeine einstw1eilige Anordnung nach § 123 VwGO kein Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG327. Die nach dieser negativen Abgrenzung erforderliche positive Bestimmung des Gehalts der interimistischen Entscheidungsgewalt ist schon oben angedeutet worden328 : Die einstweilige Anordnung ist nach der auch heute noch herrschenden subtr,ahierenden Definition des Verwaltungsbegriffs als executive Maßnahme im Sinne der Gewaltenteilungslehre zu qualifizieren, weil sie weder ein Akt gesetzgebender329 noch rechtsprechender noch - was hier im Hinblick auf die neuere Lehre mit berücksichtigt werden muß - regierender 330 Staatsgewalt ist331 . Soweit dieser das Ergebnis der bisherigen Untersuchung tragende negativ-ausscheidende Verwaltungsbegriff in jüngerer Zeit angegriffen worden ist und man versucht hat, ihn durch positive Angaben zu fixieren332 , handelt es sich nicht mehr um dogmatisch haltbare Definitionen, Oben II, 2, B, II, 2 und 3. Oben II, 2, B, III, 4. 326 Oben II, 2, B, IV, 2-4. 327 Im Ergebnis ist diese These schon früher, allerdings nur unter kurzer Prüfung der rechtsanwendenden Qualität einstweiliger Anordnungen, für verfassungsgerichtliche Interimsmaßnahmen vertreten worden: Friesenhahn, StGH und einstweilige Verfügung, S. 763 f.; Häntzschel, aaO. S. 392 f. (395 bis 397); Bilfinger, aaO. S. 98. Offen, wenngleich zur hier vertretenen Auffassung neigend: VerfGH Rh-Pf, E. v. 10. 4. 53, in AS-OVG Rh-Pf 2, 271 (282). Vgl. auch Poetzsch-Heftter, Zuständigkeiten des Staatsgerichtshofs, DJZ 29, Sp. 1507 (1512: "Ein Heraustreten aus dem engeren Kreise der Rechtsprechung"); Fuß, aaO. S. 202 ("Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzips"). - Für den Zivilprozeß vgl.: Wetzell, aaO. S. 326; Kisch, aaO. S. 162. - Für den Verwaltungsprozeß vgl. unten Anm. 336. 828 Oben II, 2, B, II, 3. 329 Vgl. oben Anm. 30. 330 Oben Anm.238. 331 Oben II, 2, B, II, 3 und Anm. 237. 33! So vor allem: Wolft, Verwaltungsrecht, S. 7 ff., 12; Peters, aaO. S. 3 ff.; Rumpf, aaO. S. 153, 172. 324 325
10·
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11. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
sondern um Beschreibungsversuche, die zwar typische Merkmale verwaltender Tätigkeit hervonheben, die den Bedürfnissen einer exakten Untersuchung jedoch nicht gerecht werden, weil sie allenfalls beispielhafte, nie aber erschöpfende Begriffsbildungen aufstellen können333 • Obwohl sie daher im Rahmen dieser einstweilen noch rein dogmatischen Betrachtung nicht verwertbar sind, soll doch noch später dargestellt werden, daß die verwaltungsgerichtliche Interimsmaßnahme auch diesen descriptiven Umschreibungen der Verwaltungstätigkeit gerecht w.ird334 • Für die allein an den Maßstäben der dogmatischen Lehre ausgerichtete, rein konstatierende Untersuchung des Gehalts der einstweiligen Anordnung 335 ist daher als Ergebnis festzuhalten, daß die einstweilige Anordnung rechtsdogmatisch nur als Akt verwaltender Staatstätigkeit qualifiziert werden kann336 • 2. Übe r p r ü f
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g m a t i s c h e n Qua I i f i kat ion
Es bleibt zu prüfen, ob dieses Erg.ebnis der praktischen Bedeutung des Instituts der einstweiligen Anordnung gerecht wird oder ob es das Produkt eines "theoretischen Sandkastengefechtes" (Quaritsch) ist, ob es, um mit Rudolf von Ihering zu sprechen, auf dem " ... eigenthümlichen Vorzug des juristischen Theor.etikers, auf der Fähigkeit beruht, sich bei dem Denken juristischer Dinge von den Voraussetzungen ihrer praktischen Verwirklichung freizumachen" und sich weltfremd "Im juristischen Begriffshimmel" zu bewegen337 • Dabei soll gezeigt werden, daß das gewonnene begrifflich~dogmatische Ergebnis rechtshistorisch ebenso wie rechtsvergleichend und praktisch fundiert ist, während sich rechtspolitische Bedenken nur ergeben, wenn in dem Gehalt des Rechtsprechungsbegriffs ein grundlegender Wandel eintritt.
a) Rechtsgeschichtliche Bestätigung Schon im geschichtlichen Teil dieser Arbeit wurde aufgezeigt, daß die Regelung·sanordnung in ihren historischen Vorläufern bis in das kanonische Recht hinein stets einen ausgesprochen "polizeilichen", d. h. exe333 Vgl. die Nachweise oben Anm.237, insb. Forsthoff, Verwaltungsrecht S. 1 (m. Anm. 1). 334 Vgl. unten zu Anm.362. 335 Vgl. oben II, 2, B, I. 336 Für den Verwaltungsprozeß ist diese Auffassung schon gelegentlich, aber stets ohne Begründung, vertreten worden, vgl.: Hufnagl, aaO. S.220; Hillmann, Diskussionsbeitrag, 38. DJT 1950, Teil D S. 76; Eyermann-Fröhler, VGG Anh. I 3 a zu § 51; dies., VwGO § 123 Rdn. 9: "materieller Verwaltungsakt"; Oswald, aaO. S.237. Jetzt auch Kühn, aaO., 8. Aufl., FGO § 114 Anm.3: "vorläufiger Verwaltungsakt, zu dessen Erlaß der Gesetzgeber das Finanz-
gericht ermächtigt hat."
337 Vgl. die gleichnamige ironische Studie von Rudolf von Ihering (1885) S.273.
B. Regelungsanordnung pp. -
V. Als Executivakt
149
cutiven Charakter g,ehabt hat 338 • Gerade dieses Grundinstitut der einstweiligen Anordnung 339 ist von vornherein ein Instrument zur Abwehr von Verstößen gegen die gegebene Rechtsordnung gewesen, das unzulässiger Selbsthilfe vorbeugen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit abwenden sollte und dementsprechend stets - im Einklang mit unseren heutigen polizeirechtlichen BegriffsbHdungen - als Polizeimaßregel in der Form eines Rechtsinstitutes bezeichnet worden ist, ja, diese Regelungsanordnung wird auch heute noch in der Erläuterungsliteratur üblicherweise als Maßnahme der Rechtspolizei zur Sicherung des Rechtsfriedens gekennzeichnet340 • Neben diesem historisch zu belegenden Executivcharakter der allgemeinen Regelungsanordnung wird die verwaltende Qualität der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung insbesondere auch deutlich, wenn man die Interimskompetenzen der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten in Betracht zieht3 41 : Sie waren in den alten deutschen Ländern weithin gegeben und sind dort stets als Ausfluß polizeilicher Executivgewalt zum Kernbereich der Verwaltungskompetenzen gezählt worden342 • Auch sie bilden geschichtlich gesehen eine Brücke zwischen dem executiven Charakter der einstweiligen Anordnung und ihrer formellen Ausgestaltung als gerichtliche Entscheidung. b) Rechtsvergleichende Bestätigung
Ebenso sei in diesem Zusammenhang auch hingewiesen auf die Regelungen in Österreich und Frankreich, zwei Ländern, in denen der Gewaltenteilungslehre stets besonderes Gewicht beigelegt worden ist und deren Standpunkt daher für die hier behandelte Frage Beachtung verdient: In beiden Staaten gesteht die Rechtsordnung den Verwaltungsbehörden Interimskompetenzen als Verwaltungsangelegenheit zu, und zwar in Österreich dergestalt, daß die Verwaltungsgerichte daneben übemaupt keine einstweilige Anordnung erlassen dürfen343 , während in Frankreich die erst neuerdings allgemein eingeführte verwaltungsgerichtliche Interimsmacht gerade im Hinblick auf die Gewaltenteilungslehre bemerkenswert zurückhaltend gehandhabt wird 344 • Oben I, 1 zu Anm. 48,57 f.; I, 2 Anm. 120; II, 2 Anm. 79 und unten 364 f. das in der Regelungsanordnung zu sehen ist, vgl. oben Anm. 16. 340 Vgl. oben I, 1, Anm. 58, 59. 341 Eingehend dazu oben I, 2, E, I, 1, b mit Anm. 115 ff. 342 Wie Voranm.; insb. I, 2 Anm.120, wo schon auf diese ,Nahtstelle' zwischen gerichtlichen Interimsmaßnahmen und dem Polizeirecht hingewiesen wurde. 343 Vgl. oben I, 2, E, IH. 1. 344 Oben I, 2, E, III, 3 mit Anm. 236. 338
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11. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt c) Mängel der Gegenansicht
Angesichts dieser historischen und rechtsvergleichenden Zusammenhänge ist es daher durchaus berechtigt, wenn die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung gelegentlich - allerdings stets ohne nähere Begründung - als "materieller Verwaltungsakt" charakterisiert worden ist345 , als eine Maßnahme, mit der die Verwaltungsgerichte executive Kompetenzen an sich ziehen und an die Stelle der Verwaltung treten346 . Einer solchen Betrachtungsweise kann nicht vorgeworfen werden, sie richte sich unzulässigerweise am Gegenstand der Entscheidung aus, sie bezeichne die verwaltungsgerichtliche einstweilige Anordnung nur deswegen als Maßnahme verwaltender Staatstätigkeit, weil die Verwaltungsgerichte sich mit verwaltungsrechtlichen Fragen auseinanderzusetzen hätten 347 : Wie eine einstweilige Anordnung nach § 627 ZPO "materiell" kein Akt ehelichen Lebens ist, nur weil das Gericht sich mit eherechtlichen Fragen auseinanderzusetzen hat, so ist auch die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts nicht etwa deswegen eine Executivmaßnahme, weil sie sich auf einen verwaltungs rechtlichen Streit bezieht348 . Die Auffassung von der einstweiligen Anordnung als einem Akt executiver Staatsgewalt richtet sich nicht an dem gegenständlichen Bereich des beurteilten Sachverhaltes aus, sondern fußt, wie oben eingehend dargelegt worden ist, auf einer kritischen Würdigung dieses prozessualen Instituts anhand der Maßstäbe der zu Art. 92 GG entwickelten Rechtsprechungsbegriffe. Die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO ist daher nicht deshalb Verwaltungsakt, weil "die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Fortsetzung der Verwaltung mit anderen Mitteln ist"349350, sondern weil diese rechts schöpferische Gestaltungs345 So: Eyermann-Fröhler, VGG Anh. nach § 51 Anm. I 3 a; dieselb., VwGO § 123 Rdn. 9. - Vgl. auch Oswald, aaO. S. 237: Die einstweilige Anordnung
gleiche in ihrer Wirkung einem Verwaltungsakt; VerfGH Rh-Pf (oben Anm. 327) und B. v. 27.7.56, in AS OVG Rh-Pf 5,189 (194): § 64 VGG Rh-Pf räume den Verwaltungsgerichten die Möglichkeit ein, "aktiv in die Verwaltung einzugreifen" . 346 So: Begründung zum VwGO-Entwurf der Vereinigung der Verwaltungsgerichtspräsidenten 1950 (zit. nach van Husen, Vorarbeiten aaO. S.550), der aus diesem Grunde die Einführung einer einstweiligen Anordnung ablehnte. 347 So aber: Quaritsch, aaO. S. 215 ff. 348 Diese Gedankengänge unterstellt Quaritsch, wie vorstehend, der hier behandelten Ansicht. 349 So früher verbreitete Ansicht, vgl. z. B. Zorn, aaO. S. 74 ff.; Oeschey, aaO. S.41, 42; nach 1945 z. B. noch: Loening, Die VO Nr. 165 und der Rechtsstaat, DV 49, 85; Meiss, Die gesetzliche Abgrenzung der Kompetenz der Zivilund Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 28; vgl. auch Peters, aaO. S. 194 f. - Anders dagegen heute die h. L., vgl. oben II, 1 Anm.1; ferner z. B. Naumann, Die gesetzliche Abgrenzung der Kompetenz der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 19 ff.; Menger, System, S. 58 ff.; Quaritsch, aaO. S.217. 350 Auch dieses Argument unterstellt Quaritsch, aaO. S.217, um dann zu seiner oben (vgl. II, 2, B, II, 2, c) abgelehnten Auffassung von der einstweiligen Anordnung als Ausfluß richterlicher Streitherrschaft zu kommen.
B. Regelungsanordnung pp. -
V. Als Executivakt
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maßnahme der rechtsdogmatischen Lehre vom Rechtsprechungsbegriff unter keinem Aspekt gerecht wird. Die an dieser Auffassung geübte Kritik geht daher fehl; sie wird auch durch rechtshistorische und rechtsvergleichende Gesichtspunkte widerlegt. d) Der Wortsinn
Die These von der einstweiligen Anordnung als einem materiellen Verwaltungsakt gewinnt vielmehr noch eine andere Stütze in der logischen Wortbedeutung der Begriffe einstweilige "Anordnung" bzw. einstweilige "Verfügung": Wenn auch die Wortbedeutung im allgemeinen nicht zwingend den Gehalt eines prozeßrechtlichen Begriffes wiedergeben wird 351 , so kann hier doch im Hinblick auf die Ergebnisse der Untersuchung auch diese Wortbedeutung ein weiteres Argument für die hier vertretene Auffassung abgeben. "Anordnung" oder "Verfügung" charakterisieren nämlich im allgemeinen Sprachgebrauch ein aktiv gestaltendes, schöpferisches Handeln 352 und diese Begriffe werden vom Gesetzgeber ebenso wie von Rechtsprechung und Lehre ganz allgemein zur Kennzeichnung des typischen Verwaltungshandelns verwandt353 • "Nomen est omen" - auch dieser Gesichtspunkt sollte bei dem Institut der einstweiligen Anordnung nicht völlig unberücksichtigt bleiben, da er sowohl die rechtshistorischen wie auch die rechtsvergleichenden wie auch endlich vor allem die begrifflich-dogmatischen Qualifikationen dieses Prozeßinstruments zu tragen imstande ist. e) Die entsprechende Qualifikation vergleichbarer Entscheidungsarten
Eine Abrundung erfahren alle diese überlegungen, wenn man sich von dem hier behandelten Fr,a genkomplex richterlicher Interimsentscheidungen löst und in die Betrachtung vergleichend bestimmte Entwicklungstendenzen einbezieht, die in jüngerer Zeit im richterlichen Tätigkeitsbereich zu beobachten sind: Es ,handelt sich um die Strömungen in Gesetzgebung wie auch Rechtsprechung und Lehre, die dem Richter unter bewußter überschreitung des Bereichs rechtsprechender Aufgaben völlig neue Funktionen zuweisen, die ihrem Inhalt nach schlagwortartig als "soziale Verwaltungs aufgaben" bezeichnet werden mögen354 • Vor allem auf dem Gebiet aller Arten von Gemeinschaftsver351
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Wieczorek, aaO. § 300 Anm. A II a. Wieczorek, wie vorst.; Fleiner, aaO. S. 186; Pütz, aaO. S. 8.
353 Vgl. z. B.:§§ 40,58 PreußPVG, 48 ThürLVO, 25 MRVO 165, 22 VGG 1946. Im übrigen eingehend z. B.: Wolff, Verwaltungs recht, S.241, 252; Forsthoff, aaO. S.180 f.; Drews-Wacke, aaO. S. 265 ff., 428 f.; Eyermann-Fröhler, VwGO § 42 Rdn. 12 ff.; vgl. auch HessVGH, U. v. 6.10.55, VRspr 10, 81 f.; Oeschey, aaO. S.44. 354 Eingehend zum folgenden: Bötticher, "Regelungs streitigkeiten", Festschrift Lent S. 89 ff.; Baur, Sozialer Ausgleich durch Richterspruch, aaO.
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II. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
häItnissen, insbesondere denen des Familienrechts, des Miet- und Pachtrechtes, des Wohnungseigentumsrechtes und des kollektiven wie des einzelvertraglichen Arbeitsrechtes 355 , hat der Gesetzgeber vielfach zunächst in Zeiten kriegsbedingter Notstände und Ausnahmelagen, später aber auch ganz allgemein - darauf verzichtet, bestimmte Interessenkonflikte generell tatbestandsmäßig zu typisieren und in einer Rechtsfolgeanordnung zu werten; stattdessen hat er unter Verzicht auf ein eigenes Werturteil dem Richter die Entscheidung dieser Angelegenheiten vorbehaltlos übertragen, und zwar in dem Sinne, daß dieser jeweils von Fall zu Fall selbst die konkrete Interessenwertung vornehmen soll und in ausgleichender Funktion eigene Gestaltungen zu treffen hat357 . Das tertium comparationis dieser Entscheidungen zu der einstweiligen Anordnung liegt, bei aller Unterschiedlichkeit im übrigen, darin, daß auch hier der Richter bei seiner Entscheidung nicht auf vorgegebene Rechtssätze zurückgreifen kann, daß er freigestaltend eigene Wertungen schöpferisch zu verwirklichen hat und keinen rechtsfindenden Spruch fällt 358 • a) Der "soziale Ausgleich durch Richterspruch" Bemerkenswert im Rahmen dieser Arbeit ist nun die Qualifikation, die diesen neuen Tätigkeitsbereichen des Richters nicht nur nach Maßgabe begrifflich-dogmatischer Deduktion, sondern auch gerade im Rahmen einer rechtssoziologischen Untersuchung zuteil wird: "Im Gegensatz dazu (d. h. zu den echten Rechtsprechungsaufgaben) bemüht sich der Richter in Ausübung der ihm neuerdings übertragenen Ausgleichsfunktion um die Ordnung, Gestaltung eines in seinem Bestand angegriffenen, gefährdeten Lebensverhältnisses. Man kann diesen Gegensatz etwas überspitzt vielleicht so formulieren: In diesem neuen Bereich hat der Richter nicht darüber zu entscheiden, wer Recht hat, sondern wie Recht wird . .. In Wahrheit handelt es sich hier um soziale Verwaltung mit Hilfe und in den Formen der Rechtspflege. An die Stelle des aus einer Subsumtion gewonnenen Urteils ist also dj,e Maßnahme getreten, die gemeinhin Funktion des Verwaltungsbeamten kennzeichnend 1st"359. Alle diese Gedankengänge lassen sich im Hinblick auf die Er355 Vgl. die Zusammenstellungen bei Bötticher (wie vorst.) S. 95 f.; BaUT (wie vorst.), S. 194, 195. 356 Baur (wie vorst.), S. 194. 357 BaUT (wie vorst.), S. 194 f.; Bötticher (wie vorst.), S. 98 ff. 358 Vgl. oben insb. zu Anm. 212 ff. 359 So Baur (wie vorst.), S. 195. Vgl. auch Bötticher (wie vorst.), S. 100: "Die Aufgabe des Richters hat ihren Schwerpunkt ... in der Kognition ... Im Regelungsstreit liegt der Schwerpunkt in der Auswahl der geeignetsten Regelung ... Der Richter soll sein Handlungsermessen walten lassen. Er soll eine Synthese finden zwischen den widerstreitenden Interessen der Parteien.
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V. Als
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gebnisse dieser Arbeit vorbehaltlos auf die rechtsschöpferischen Interimsrnaßnahmen der einstweiligen Anordnung übertragen, die ja auch gerade der gestaltenden Ordnung von -prozessual bedingten - Gefährdungssituationen dienen so1l360. Sie rechtfertigen dabei gleichzeitig die schon oben aufgestellte These361 , daß die einstweilige Anordnung nicht nur nach der negativ-ausscheidenden Definition der herrschenden Lehre vom Verwaltungsbegriff als Executivmaßnahme anzusprechen ist, sondern daß sie auch den descriptiven Merkmalen entspricht, die nach mancher Auffassung an Stelle jener negativen Definition den Verwaltungsbegriff mit positiven Umschreibungen dergestalt ausfüllen sollen, daß Verwaltung "zukunftsorientierte Sozialgestaltung" o. ä. 362 sei. Es handelt sich also, betrachtet man das alt überlieferte Institut der allgemeinen einstweiligen Anordnung, durchaus nicht um eine neuere Erscheinung, wenn im Aufgabenkreis des Richters executive Gestaltungsmaßnahmen erscheinen363 . Typisch bei der einstweiligen Anordnung ist hier nur eben die von vornherein auf die Prozeßdauer beschränkte, aber insoweit gleichzeitig wieder notwendig,e rweise zukunftsorientierte Gestaltung, die der Richter trifft. Daß diese Interimsbefugnis in erheblichem Maße "polizeilichen" Charakter trägt364 , steht dabei einer Einbeziehung in den Bereich sozialer Leistungsverwaltung nicht entgegen: Wenn auch grundsätzlich allein die Gefahrenabwehr Aufgabe der Polizei ist (vgl. § 10 Teil II Titel 17 ALR)365, so läßt sich doch nicht übersehen, daß schon auf dem Wege über die Amtshaftung die Rechtsprechung stets mittelbar die Polizei insoweit als Leistungsträger anerkannt hat, als ein Einschreiten zum Zwecke der Gefahrenabwehr zur Amtspflicht der Polizei qualifiziert wurde 366 , und daß die höchstrichterliche Rechtsprechung in jüngster Zeit sogar dem durch eine Polizeiwidrigkeit Bedrohten einen unmittelbaren Anspruch auf Einschreiten der Polizei zur Gefahrenabwehr zugesprochen hat S67 ; bei allen Vorbehalten kann daher auch die Polizei in gewissem Sinne Diese Synthese ist so wenig vorausbestimmt wie der Inhalt eines aus,z uhandeInden Vertrages. Es handelt sich eben nicht um Rechtsstreitigkeiten, die nach dem Gesetz zu entscheiden sind, wobei der Richter zur Rechtsbehauptung des Klägers nur ja oder nein sagt." 360 Vgl. oben zu Anm. 212 ff. 361 Oben zu Anm. 334. 362 Vgl. Forsthoff, aaO. S. 3; ferner oben Anm. 332. 363 So aber Baur, wie vorst., S. 193, 194. 364 Vgl. oben zu I, 1, Anm. 48, 57 f.; I, 2, Anm. 120; 11, 2, Anm. 79, 338. 365 Drews-Wacke, aaO. S. 3 ff., 21 ff. m. Nachw. 366 Vgl. Z. B.: RG 99, 254 (256); 121, 225 (232 ff.); 147, 179 (183); dazu eing. Drews-Wacke, aaO. S. 455 ff. (461 ff.). 361 BVerwG, U. v. 18.8.60, BVerwG 11, 95 = DVBI 61, 125 m. eing. zust. Anm. Bachof. Abweichend dazu Drews-Wacke, aaO. S.160; vgl. aber auch OVG Bremen, U. v. 14.2.61, DVBI 61, 250.
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als Träger leistender Verwaltung i. w. S. angesehen werden 368 . Die einstweilige Anordnung ist eben "prozessuale Soforthilje"369 in der Gefahrensituation des prozeßbedingten Schwebezustandes. ß) Insbesondere: Die ,Regelungsstreitigkeiten'
Symptomatisch ist auch die Bezeichnung "Regelungsstreitigkeiten", die Bötticher auf diese neuen Aufgabengebiete des Richters unter Ausdehnung des ursprünglich nur auf das Arbeitsrecht beschränkten Begriffes angewandt hat370 • Neben die vorstehend aufgezeigte inhaltliche übereinstimmung dieser Regelungsstreitigkeiten mit den Interimsstreitverfahren tritt daher auch die Parallelität in der Bezeichnung, denn zur schlagwortartigen Charakterisierung der Regelungsanordnung nach § 123 Abs. I S. 2 VwGO, § 940 ZPO liegt schon im Hinblick auf den Wortlaut der Gesetzestexte nichts näher, als diese Inter,imsverfahren als Regelungsstreitigkeiten zu bezeichnen. Mit diesem Hinweis auf den von Bötticher zum Oberbegriff ausgeweiteten terminus der "Regelungsstreitigkeiten" schließt sich aber auch der Sache nach ein zusammenhängender Kreis, der im Hinblick auf die verfassungsgerichtliche Interimsentscheidung schon früh gesehen worden ist371 : Sowohl nach ihrer Funktion wie auch nach ihrer begrifflichen Konstruktion weist die richterliche Interimsentscheidung eine bemerkenswerte Parallelität zu den Schlichtungsentscheidungen des Arbeitsrechtes auf, für die der Begriff der Regelungsstreitigkeiten ursprünglich geprägt wurde372 • Sowohl im gerichtlichen Interimsverfahren wie auch im arbeitsrechtlichen Schlichtungsverfahren wird ein Ausgleich widerstreitender Interessen vollzogen, für dessen Lösung der Gesetzgeber keine normativen Wertungen vorgegeben hat, dessen Inhalt er vielmehr dem gestaltenden Ermessen der Entscheidungsinstanz anheim gegeben hat373 • In beiden Fällen handelt es sich - hier um einen vorläufigen, dort um einen endgültigen - gestaltenden Zwangsausgleich374 , bei dem es nicht um eine Rechtsentscheidung, sondern um eine Inter368
Vgl. Bachof, wie Voranm. (insb. S.129 ff.); kritisch: Drews-Wacke, aaO.
S. 21 f., 117. 3G9 Fuß, aaO. S. 201.
370 Bötticher, Regelungsstreitigkeiten, aaO.; ebenso Nikisch, Arbeitsrecht I, S.12. 371 Vgl. Häntzschel, aaO. S.396, 397. 372 Bötticher, Regelungsstreitigkeiten, S. 90 ff.; Nikisch, Schlichtung, S.318; ders., Arbeitsrecht, S. 12. 373 Für die einstweilige Anordnung vgl. oben zu Anm. 213 f. Für die Schlichtung vgl. Bötticher, wie vorst. S. 90, 102; Nikisch, wie vorst. SH Häntzschel, aaO. S.397; Nikisch, Schlichtung, wie vorst.; vgl. ferner für ähnliche Entscheidungen im Verfassungsprozeß: Jerusalem, aaO. S.109.
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V. Als Executivakt
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essenregelung geht, die ihrem Wesen nach dem Rechtsprechungsakt fremd ist 375 • Daß es sich bei solchem in die Ermessensmacht gestellten Interessenausgleich der Sache nach nicht um Rechtsprechung handelt, zeigt sich daran, daß die arbeitsrechtliche Form dieses Zwangsausgleiches auch heute noch nicht vom Richter, sondern von Schlichtungsstellen vorgenommen wird, die Verw,altungsbehörden der Länder sind376 • Hier wird in prägnanter Form deutlich, daß nicht nur nach einer leeren begrifflich-dogmatischen Deduktion oder nach überholtem geschichtlichen Herkommen die nach freiem Ermessen gestaltende, zum Interessenausgleich führende Entscheidungsgewalt ihrem Wesen nach auch nach heute gültiger und anerkannter Auffassung nicht dem Rechtsprechungsbereich angehört, sondern dem Aufgabenkreis der gestaltenden Executive. 1) Ergebnis
Die Qualifikation der einstweiligen Anordnung als eine ihrem Wesen nach der Executive zugehörende, dem Richter lediglich zugewiesene Maßnahme wird nach allem nicht allein von einer strengen begrifflichdogmatischen Überprüfung dieses Institutes nach den Maßstäben der verschiedenen Rechtsprechungsbegriffe getragen, sondern sie wird bestätigt durch die rechtshistorische Entwicklung der gerichtlichen einstweiligen Anordnung, ebenso durch den Status, den die Interimsentscheidungen in ausländischen Rechtsordnungen haben, ferner durch den Wortgehalt ihrer Bezeichnung als einstweilige "Anordnung" und schließlich auch allgemein durch einen Vergleich mit anderen gerichtlichen Maßnahmen, die in jügerer Zeit den Gerichten zugewiesen sind, die den Interimsrnaßnahmen in Struktur und Funktion parallel gelagert sind und nach unstreitiger Auffassung ihrem Wesen nach Executivmaßnahmen darstellen. 3. Ver ein bar k e i t des Erg e b n iss es mit Art. 19 A b s. I V G G Gesondert soll in diesem Rahmen untersucht weIden, ob die hier vertretene Auffassung von der einstweiligen Anordnung als einer Executivmaßnahme mit Art. 19 Abs. IV GG und, was davon deutlich zu scheiden sein wird, mit der wohl herrschenden Interpretation dieser Verfassungsnorm vereinbar ist. Nach Art. 19 Abs. IV S. 1 GG steht demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. 375 Triepel, Streitigkeiten, S.28; Häntzschel, aaO. S.396; Thoma, Grundbegriffe, S.129 Anm.49; Bötticher, Regelungsstreitigkeiten S.100 (vgl. oben Anm.359), 102; Nikisch, Schlichtung, Arbeitsrecht, jeweils wie vorst. 376 Vgl. Art. IV ff. KRG Nr. 35.
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Diese Bestimmung ist in teleologischer Interpretation mit dem Ziel einer umfassenden Rechtsschutzgewährung 377 grundsätzlich extensiv auszulegen 378 . Für den Fragenkreis richterlicher Interimsmaßnahmen hat nun diese extensive Auslegung des Art. 19 Abs. IV GG als grundlegendes Ergebnis den Satz gezeitigt, diese Verfassungsnorm garantiere effektiven, allumfassenden Rechtsschutz und enthalte insoweit auch eine verfassungsrechtliche Kodifizierung vorläufigen Rechtsschutzes in der Form von Suspensiveffekt und einstweiliger Anordnung im Verwaltungsprozeß379380. Wenn die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV GG mehr als eine bloß papierene Deklamation sein solle, so müsse mit ihr auch der vorläufige Rechtsschutz durch gerichtliche Interimsmaßnahmen gewährleistet sein, welche ja gerade, wie an anderer Stelle dieser Allbeit bereits gezeigt 38 1, verhüten sollen, daß die richterliche Hauptentscheidung durch anderweitige Ereignisse überholt und ihres Sinnes beraubt wird. Erst die Einbeziehung des vorläufigen Rechtsschutzes in den Garantiebereich des Art. 19 Abs. IV GG verhüte eine Aushöhlung dieser Rechtsweggewährleistung und bedeute damit zugleich die Vollendung des Rechtsschutzsystemes im Grundgesetz a82 . Es stellt sich die Frage, ob diese heute ganz herrschende Lehre über das Verhältnis von Art. 19 Abs. IV GG zu dem verwaltungsgerichtlichen Interimsschutz383 vereinbar ist mit dem Ergebnis dieser Arbeit, daß 371 Allgemeine Ansicht, vgl. z. B.: Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 IV Rdn. 2; v. Mangoldt-Klein, Art. 19 Anm. VII (S.568); Wernicke in Bonner Kommentar, Art. 19 Anm. II 4 g h k; Forsthoff, aaO. S.128 ,175; BGHZ 10,295 (297);
jeweils m. eing. Nachw. 378 Ebenfalls allgemeine Auffassung, vgl. Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 IV Rdn. 9; v. Mangoldt-Klein, Art. 19 Anm. VII (S. 569); F. Klein, Die Tragweite der Generalklausel im Art. 19 Abs. IV des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL 8 (1950) S. 67 (78, 123); vgl. auch die folgenden Anmerkungen. 379 So heute absolut h. L., vgl. z. B.: Bachof, Vornahmeklage' S. 52; ders., Urteilsanmerkung NJW 49, 814; Naumann, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 38. DJT 1950, Teil D, S.27 (28, 47, 106); ders., Vorbeugender Rechtsschutz, S.404 f.; Hamann, Einstweilige Anordnungen, 893; Oswald, aaO. S.238; Ule, Verfassungsrecht im Verwaltungsprozeß, S. 537 ff.; Knoll, aaO. S. 102, 106; Ruckdäschel, aaO. S. 676; E. Eichhorn, aaO. S. 130 ff.; Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 IV Rdn. 14; OVG Lüneburg, B. v. 28.6. 57, AS 11, 503; OVG Münster, U. v. 10.9. 57, AS 13, 6; zuletzt z. B.: Haueisen, Lücken im System, S.322. - Ebenso: Amtl. Begründung zu § 122 Entw. VwGO v. 9. 12. 52 (BT-Drucks. 1. Wahlper. Nr.4278) S. 46 f., unverändert 2. Wahlper. Nr.462 S.45. - Insb. zum Suspensiveffekt: Siegmund-Schultze, aaO. S. 115 ff. 380 Die Effektivitätsgarantie gilt über den Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes hinaus ganz allgemein, vgl. z. B.: Naumann, Vorbeugender Rechtsschutz, wie vorst.; Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 IV Rdn. 12 f.; Becker, Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung, VVDStRL 14 (1956) 96 (118). 381 Vgl. oben II, 1, insb. zu Anm.23-33. 382 Vgl. z. B. Quaritsch, aaO. S. 219, und oben Anm. 379. 383 a. A. nur: OVG Hamburg, B. v. 7. 11. 57, n. v., Aktz. Bs I 50/57; Löwer, Haben unzulässige Rechtsbehelfe aufschiebende Wirkung?, DVBl 63, 343 (349 Anm. 5); offen: HessVGH, B. v. 27.8.53, VRspr 6, S. 398.
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V. Als Executivakt
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eben dieser verwaltungsgerichtliche Interimsschutz in der Gestalt der einstweiligen Anordnung als einer ihrer Natur nach executiven Maßnahme gewährt wird, oder aber ob diese Auffassung von dem executiven Char.akter der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung hier einem bisher nicht beachteten verfassungsrechtlichen Widerspruch begegnet. Anlaß zu einer Untersuchung dieser Frage besteht naturgemäß nur, wenn man überhaupt der These folgt, daß die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. IV GG auf effektiven, mithin also auch vorläufigen Rechtsschutz abziele. Diese Vorfrage eingehend zu untersuchen, ist hier nicht der Raum; insoweit muß im wesentlichen auf die ang.eführte Rechtsprechung und Lehre verwiesen werden. Bemerkt sei lediglich, daß diese These der herrschenden Lehre von der Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes durchaus nicht erst zu Art. 19 Abs. IV GG entwickelt worden ist; schon aus dem Jahre 1805 stammt der Satz von Gönner: "Nicht im bloßen Ausspruch über das Recht, sondern in der Realisierung desselben besteht der eigentliche Schutz, welchen der Staat ertheilen muß"3B4. Bereits in anderem Zusammenhang ist auch oben3B5 dargelegt worden, daß das Rechtsschutzinteresse des Bürgers über das Interesse an der bloßen Entscheidung in der Hauptsache hinausgeht und gerade auch beinhaltet, daß diese Entscheidung in der Hauptsache durch vorläufige Maßnahme davor bewahrt bleibe, de facto überholt zu sein. Mit der herrschenden Lehre soll daher der These gefolgt werden, daß der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV GG extensiv als Garantie effektiven, umfassenden und mithin auch vorläufigen Rechtsschutzes aufzufassen ista B6 . Folgt man aber dieser These, so läßt sich das eingangs angeschnittene Problem auf folgende Fragestellung präzisieren: Ist es mit Art. 19 Abs. IV GG vereinbar, die durch Sinn und Zweck dieser Norm garantierte richterliche Interimsentscheidung als executive Maßnahme anzusehen, oder gewährleistet diese Verfassungsbestimmung nur richterliche Entscheidungskompetenzen, die sich als Ausübung echter rechtsprechender Gewalt darstellen? Für das Institut der einstweiligen Anordnung ist diese Frage bisher nicht erörtert worden; Rechtsprechung und Literatur über das Verhältnis zwischen Art. 19 Abs. IV GG und der verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnung haben stets allein vom Ergebnis her argumentiert, der von Art. 19 Abs. IV GG postulierte effektiv,e Rechtsschutz erfordere die einstweilige Anordnung als verwaltungsprozessuales Institut, dagegen fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob Art. 19 Abs. IV GG einen Rechtsschutz durch das Mittel echter Recht384 385 386
Gönner, aaO. Bd. IV S. 295. II, 1 zu Anm.27. Siegmund-Schultze, aaO. S. 114.
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
sprechungsakte notwendig mache 387 . Allerdings ist dabei offensichtlich stets stillschweigend vorausgesetzt worden, daß es sich bei der gerichtlichen einstweiligen Anordnung um einen echten rechtsprechenden, weil richterlichen Akt handele, ein Gedankengang, der hier nicht zum wiederholten Male w.iderlegt zu werden braucht388 . Diese stillschweigende Gedankenverbindung wird €xpressis ver bis deutlich in einer Untersuchung über die and€re Spielart richterlicher Interimsentscheidungen, über die Aussetzungsentschetdung nach § 80 Abs. V VwGO und deren Verhältnis zu der Rechtsschutzgar,antie des Art. 19 Abs. IV GGS89; in ihr wird die oben aufgeworfene Frage nach der Qualität richterlicher Interimsentscheidungen unter dem Aspekt des Art. 19 Abs. IV GG für das Institut der richterlichen Aussetzungsentscheidung erörtert. Dabei wird zunächst zu Art. 19 Abs. IV GG das Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes bejaht390 . Sodann wird die Frage aufgeworfen, ob die durch Art. 19 Abs. IV GG erforderte Aussetzungsentscheidung echter Rechtsprechungsakt sei oder nicht, wobei insbesondere die Frage untersucht wird, ob diese Interimskompetenz der Gerichte eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzipes enthalte391 • Dabei w.ird dann eingeräumt, daß die Entscheidung üb€r die vorläufige Vollziehung keine Rechtsstreitigkeit im eigentlichen Sinne, sondern eine nach anderen Gesichtspunkten zu entscheidende Frage sei, die in den Bereich der Verwaltung gehöre, und es wird, im Einklang mit den Ergebnissen dieser Arbeit zu der Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung, festgestellt, daß diese Entscheidungskompetenz in den Bereich der Executive gehöre und die Verletzung eines streng durchgeführten Gewaltenteilungsprinzipes enthalte 392 • Im Anschluß daran wird dann jedoch unter Hinweis auf das allgemeine Prinzip der gegenseitigen Hemmung der Gewalten und die notwendig damit verbundene Einschränkung des Gewaltenteilungsprinzips393 ohne nähere Begründung der Satz aufgestellt, daß die richterliche Interimsmaßnahme, weil sie der gegenseitigen Hemmung der Gewalten diene, mit dem Gewaltenteilungsprinzip vereinbar und deshalb echter Rechtsprechungsakt seP94. In dieser Argumentation liegt ein Fehlschluß begründet, der gerade im Hinblick auf das Verhältnis zwiVgl. die Nachweise oben Anm.379, 380. Vgl. oben Anm. 1, 20 ff. 889 Siegmund-Schultze, aaO. S. 100 ff. 390 Wie vorst., S. 114. 391 Wie vorst., S. 115 ff. im Anschluß an ein unveröffentlichtes Gutachten von W. Weber. 892 Wie vorst. S. 116 (in Auseinandersetzung mit einer besonderen These von Oswald, aaO. S.237, zur Aussetzungsbefugnis). 398 Vgl. dazu z. B. Giacometti, Gewaltentrennung, S. 21 ff. (insb. 23); W. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 6 ff.; Schneider, Problematik der Gewaltenteilung, aaO.; jeweils m. eing. Nachw. m Siegmund-Schultze, aaO. S. 117 ff. (119); E. Eichhorn, aaO. S. 134 f. 887
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schen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. IV GG und der Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung als einer Executivmaßnahme aufgezeigt werden muß. Dieser Fehlschluß ist darin zu sehen, daß der in der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV GG gewährleistete Richterspruch gleichgesetzt wird mit einem Akt rechtsprechender Gewalt im Sinne des Art. 92 GG; es wird die - nirgends begründete - These aufgestellt, die in der Rechtsweggarantie enthaltene Rechtsschutzgarantie weise notwendig auf eine Entscheidung durch einen Akt materiell-rechtsprechender Gewalt hin39s • Dieser Satz würde voraussetzen, daß Art. 19 Abs. IV GG und Art. 92 GG begrifflich mit gleichen Kategorien arbeiten; das aber ist gerade nicht der Fall. In Art. 92 GG verwendet der Verfassungsgesetzgeber den Begriff der "rechtsprechenden Gewalt" in einem materiellen, nicht etwa im formellen Sinne396 • Art. 19 Abs. IV S. 1 GG stellt dagegen gerade nicht auf materielle Kriterien, sondern allein auf formelle Merkmale ab. Das ist ganz unstreitig hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzung einer Verletzung durch die "öffentliche Gewalt": Hier ist allein formell die Institution der verletzenden Instanz maßgebend; erläßt eine Verwaltungsbehörde einen Rechtsprechungsakt, etwa einen Strafbescheid397 , so ist auch gegen diesen Rechtsprechungsakt der Rechtsweg nach Art. 19 Abs. IV GG eröffnet, weil die Verletzung formell durch eine Behörde erfolgt ist398 , und trifft andererseits ein Gericht materiell eine Executivmaßnahme, etwa auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit, so greift die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV GG nicht ein, weil es sich formell um einen Akt richterlicher Gewalt handelt und Art. 19 Abs. IV GG nicht den Richter gegen den Richter zur Entscheidung berufen will399 • Art. 19 Abs. IV S. 1 GG arbeitet aber nicht nur, wie dargelegt, bei dem tatbestandlichen Begriff der "öffentlichen Gewalt" mit formellen Kriterien, sondern auch bei der angeordneten Rechtsfolge, daß "der Rechtsweg" offenstehe. Schon dieser Begriff des Rechtsweges selbst ist, im Gegensatz zu anderen Begriffen, bei denen ein Streit möglich ist, seinem Wortsinne nach eindeutig formell nur im Sinne von "Gerichtsweg" zu verS95 Vgl. z. B. Siegmund-Schultze, aaO. S.118: " ... Behandlung dieser Frage unter Gesichtspunkten des Rechtsschutzes und damit (!) der Rechtsprechung ... " 398 Dazu oben Anm. 27. 397 Die Zulässigkeit ist im Hinblick auf die Frage, ob Art. 92 GG ein ,Richtermonopol' begründet (vgl. oben Anm. 6), streitig, vgl. z. B. Arndt, Strafgewalt, S. 605 ff.; Gossrau, aaO. S.929. 39B BGHSt 13, 102 = NJW 59, 1230 (1231 f.) m. Anm. Arndt; Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 51 (1960) 64 (65). 399 Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 IV Rdn. 17; Bettermann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 40; Menger, wie vorst. S. 64; BVerfG, B. v. 5. 2. 63, DVBI 63, 362; BVerwG 8, 350 (351); BFH, U. v. 26.10.62, JZ 63, 261.
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stehen40o , mithin als rein formelle Kategorie. Das gleiche aber ergibt sich auch aus dem Zweck des Art. 19 Abs. IV GG; dem Verletzten soll nämlich nicht etwa eine Entscheidung materiell rechtsprechender Natur garantiert sein, die möglicherweise (auf den Streit in Rechtsprechung und Lehre kann es hierbei nicht ankommen 401 ) auch durch eine Verwaltungsbehörde ergehen könnte, sondern es soll gerade der Weg zum unparteiischen und unabhängigen Richter eröffnet sein, ohne Rücksicht darauf, ob er nun einen Akt executiver oder judizieller Art erlassen wird402 . Gerade für den Fragenkomplex richterlicher Interimsentscheidung-en hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, daß derartige Entscheidungskompetenzen ohne Rücksicht auf den materiellen Gehalt der jeweiligen Maßnahme allein deswegen dem Richter zugewiesen sein können, damit dem Betroffenen der Weg zu einem unabhängigen Dritten im Wege eines justizförmigen Verfahrens gewährleistet werde 403 . Stellt aber Art. 19 Abs. IV GG nach allem allein auf formelle Kriterien ab, so ist der durch dieses "formelle Hauptgrundrecht"404 gewährleistete Richterspruch nicht notwendig ein Akt rechtsprechender Gewalt im Sinne der materiellen Begriffsbildung des Art. 92 GG. Aus der qualitativen Inkongruenz der Begriffsbildungen in Art. 19 Abs. IV und Art. 92 GG folgt vielmehr, daß auch eine durch Art. 19 Abs. IV GG gewährleistete richterliche Entscheidung sich materiell als Maßnahme executiver Staatsgewalt darstellen kann, die den Gerichten lediglich zugewiesen ist. Es zeigt sich hier, daß im Gegensatz zu der oft angedeuteten, wenngleich nie präzisierten Ansicht405 , Rechtsschutz und (materielle) Rechtsprechung seien einander notwendigerweise verbunden, Rechtsschutz auch in der Form materiell executiver Maßnahmen gewährt werden kann, ein Satz, der sich angesichts der langjährigen Geschichte des verwaltungsinternen Verwaltungsrechtsschutzes 406 unschwer auch historisch belegen läßt. Auch der Hinweis auf die Vereinbarkeit einer solchen nur executiven Rechtsschutzmaßnahme durch den Maunz-Dürig, wie vorst. Rdn. 39 m. Nachw. 4111 Vgl. Anm.397. 402 Das zeigt sich besonders in der freiwilligen Gerichtsbarkeit: Auch wenn der Richter dort u. U. einen ,materiell' executiv·en Akt erläßt, ist der Rechtsweggarantie des Art. 19 IV GG genüge getan. Vgl. z. B. Bettermann, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 39 f. 403 BVerfG 9, 89 (96 f) für Interimsentscheidungen des Strafrichters. Das BVerfG spricht ausdrücklich von Akten, die "aus dem Gebiet der spezifisch richterlichen Aufgaben herausfallen" und nur zur Gewährung von Verfahrensgarantien dem Richter zugewiesen sind. 404 So zuerst F. Klein, Tragweite der Generalklausel, S. 85, 123 (später anders: v. Mangoldt-Klein, aaO. Art. 19 Anm. II 3 c); - heute wohl h. L., vgl. Maunz-Dürig, aaO. Art. 19 IV Rdn. 2 m. eing. Nachw. 405 Vgl. Siegmund-Schultze, aaO. S. 118. 406 Vgl. oben I, 2, E, I, 1 m. Nachw. 400
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Richter mit dem Gewaltenteilungsprinzip 407 kann hier zu keinem anderen Erg,ebnis führen: Ein staatlicher Hoheitsakt wird nie deshalb, weil seine Zuweisung zu einer der drei Staatsfunktionen mit dem (durch die gegenseitige Hemmung der Staatsgewalten gemilderten!) Gewaltenteilungsprinzip vereinbar ist, in seinem materiellen Gehalt gewandelt4 08 ; im Gegenteil, die Lehre von der gegenseitigen Hemmung der Gewalten durch Überschneidung der Kompetenzkreise dieser Staatsgewalten setzt gerade voraus, daß ein materiell der einen Gewalt zug,ehörender Akt als solcher der Kompetenz des Trägers einer anderen Staatsgewalt zugewiesen werden kann409 • Im Gegensatz zu jener hier angegriffenen Ansicht besagt daher auch die Vereinbarkeit einer durch Art. 19 Abs. IV GG garantierten executiven richterlichen Rechtsschutzmaßnahme nichts über die materielle Qualität eines solchen Aktes; ein durch Art. 19 Abs. IV GG gewährleisteter vorläufiger Rechtsschutz braucht daher nicht wegen solcher Vereinbarkeit mit dem Gewaltenteilungsprinzip ein Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG zu sein410 • Angesichts der oben aufgezeigten wenig präzisen Vorstellungen in Rechtsprechung und Lehre über das Verhältnis des vorläufigen Rechtsschutzes zur nicht rechtsprechenden Qualität interimistischer richterlicher Entscheidungen und damit über die Inkongruenz des begrifflichen Gehalts der in Art. 19 Abs. IV und Art. 92 GG verwandten Begriffsbildungen muß die Frage offen bleiben, ob die herrschende Lehre in dieser Hinsicht nicht im Grunde einem Zirkelschluß unterliegt411 ; immerhin wil'd bald die verwaltungsprozessuale einstweilige Anordnung als durch Art. 19 Abs. IV GG gewährleistet angesehen, weil sie Ausfluß der r.ichterlichen Urteilsgewalt und damit Rechtsprechungsakt sei412 , während bald wiederum die rechtsprechende Qualität gerichtlicher Interimsrnaßnahmen daraus gefolgert wird, daß diese Maßnahmen zur Gewährleistung des durch Art. 19 Abs. IV GG garantierten effektiven Rechtsschutzes erforderlich seien413 • Die Unvereinbarkeit dieser Gedankenwege ist nur deswegen nie hervorgetreten, weil, wie 407 Siegmund-SchuLtze, aaO. S. 119; E. Eichhorn, aaO. S. 134 f., jeweils m. Nachw. 408 So aber ausdrücklich für die Aussetzungsentscheidung: SiegmundSchuLtze, aaO. S. 117 f. (119). 409 Der Erlaß eines Haushaltsplanes bleibt z. B. materiell ein Akt executiver Gewalt, obwohl seine Feststellung aus Gründen der Gewaltenhemmung der Legislative übertragen worden ist. (Art. 110 Abs. II S. 1 GG). 410 Im Ergebnis ebenso (ohne nähere Begründung): Bettermann, Freiwillige Gerichtsbarkeit S. 39 f. 411 Vgl. Oswald, aaO. S. 238. 412 Vgl. oben zu Anm. 180 ff. m. Nachw., insb. E. Eichhorn, aaO. S. 139 f. (143). 413 So im Ergebnis Siegmund-Schultze, aaO. S. 115 ff. (119).
11 Rohmeyer
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
schon oben gezeigt, die Argumentation über das Verhältnis des gerichtlichen Interimsschutzes zu Art. 19 Abs. IV GG stets allein vom Ergebnis her geführt worden ist. Das aber hat einen historischen Grund in dem heute überholten Streit um die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen durch das Verwaltungsgericht, auf den hier nur hingewiesen werden soll, um die Ungenauigkeit aufzuzeigen, mit der die Gedankengänge zu diesem Fragenkomplex vielfach entwickelt worden sind: Die These von der Effektivität des durch Art. 19 Abs. IV GG gewährleisteten Rechtsschutzes fußt nämlich ursprünglich nicht etwa auf der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV S.1 GG, wie es die heute absolut herrschende Lehre vertritt 41 4, sondern sie ist entwickelt worden und auch erst verständlich aus dem Verhältnis der Subsidiaritätsklausel in Art. 19 Abs. IV S. 2 GG zu der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. IV S. 1 GG. Während nämlich interimistische Maßnahmen des Gerichts in Form der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 395, 940 ZPO auf dem subsidiär eingeräumten ordentlichen Rechtsweg des Art. 19 Abs. IV S. 2 GG möglich waren, waren derartige interimistische Maßnahmen im Rahmen des primär gemäß Art. 19 Abs. IV S.1 GG eröffneten jeweiligen Rechtsweges nicht immer vOl'gesehen, so fehlten sie beispielsweise im Bereich der brit1schen Zone, wo die MRVO Nr.165 galt 415 • Erst als mit Rücksicht auf den fehlenden interimistischen Rechtsschutz in dem primär eröffneten Rechtsweg die Gerichte begannen, den Interimsschutz selbst in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten im Rahmen des subsidiär gegebenen ordentlichen Rechtsweges in der Form der einstweiligen Verfügung nach der ZPO zu g.ewähren 416 , und als andereDseits nach der Überführung aller beamtenrechtlichen Streitigkeiten, auch der Unterhaltsstreitsachen, aus dem ordentlichen Rechtsweg in das Verwaltungsstreitverfahren (§ 172 BBG) der den Beamten in Versorgungssachen bis dahin eingeräumte interimistische Rechtsschutz durch Leistungsanordnungen verloren zu gehen drohte, entschloß sich die Rechtsprechung und Lehre, die These von der Effektivität des durch Art. 19 Abs. IV GG gewährleisteten Rechtsschutzes anzuerkennen417 • Betrachtet man diese historische Entwicklung 418 , so wird deutlich, daß diese These von der Gewährleistung einstweiliger Anordnungen durch Art. 19 Abs. IV GG weniger aus dogmatisch klaren Deduktionen abgeleitet als vielmehr eine zwangsläufig·e Folge rechtspolitischer Notwendigkeiten war. Mit Vgl. oben Anm. 379, 380. Dazu oben I, 2 Anm. 159 ff. 416 VgI. OLG Köln, U. v. 19. 11. 51, DVBI 52, 309 m. abI. Anm. Bettermann; vgI. auch Naumann, Vorbeugender Rechtsschutz, aaO. S. 405 Anm. 62; HessVGH, B. v. 27. 8. 53, VRspr. 6, S. 898. 417 Oben I, Anm. 163-166. 4i18 Die Löwer übersieht, der neuerdings (aaO. S. 349 Anm. 57) die Garantie vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch Art. 19 IV GG in Abrede stellt. 414
415
B. Regelungsanordnung pp. -
VI. Ergebnis
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dieser Feststellung soll durchaus nicht über Weg und Ergebnis der damaligen Rechtsprechung der Stab gebrochen werden, im Gegenteil, sie bedeutete einen Markstein auf dem Wege, der zu dem heutigen § 123 VwGO führte. Es ist aber notwendig, sich vor Augen zu halten, daß angesichts dieser Zusammenhänge es schlechterdings nicht angängig ist, aus der von Rechtsprechung und Lehre entwickelten These von der Effektivität des durch Art. 19 Abs. IV GG gewährleisteten Rechtsschutzes den Schluß zu ziehen, die damit garantierten richterlichen Interimsmaßnahmen seien um dieser Gewährleistung willen Rechtsprechungsakte im Sinne des Art. 92 GG. Auch die verfassungsrechtliche Garantie der einstweiligen Anordnung durch Art. 19 Abs. IV GG steht nach allem nicht der oben begründeten Auffassung entgegen, daß die richterliche einstweilige Anordnung ihrem Wesen nach eine Executivmaßnahme darstellt, die dem Richter lediglich zugewiesen ist. VI. Ergebnis
Zusammenfassend ist für die hier untersuchten Grundtypen Sicherungsanordnung und Regelungsanordnung folgendes festzuhalten: Diese beiden - im Gesetz allein geregelten - einstweiligen Anordnungen sind ihrem Wesen nach Executivakte, die den Gerichten zugewiesen sind. Diese rechtsdogmatische Qualifikation wird durch rechtsgeschichtliche und rechtsvergleichende Gegenüberstellungen mit historischen Vorläufern und ausländischen Parallelinstituten bestätigt; für ihre Zulässigkeit kann daneben auf andere Kompetenzen der Gerichte verwiesen wel1den, die zu Maßnahmen executiver Natur berechtigen und erst in jüngerer Zeit den Gerichten übertragen worden sind. Einer solchen Qualifi~ation stehen auch verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen, weil das Grundgesetz die Zuweisung executiver Maßnahmen an die Träger der rechtsprechenden Gewalt nicht ausschließt und weil auch die in Art. 19 Abs. IV GG liegende Garantie vorläufiger Rechtsschutzinstitute nicht verbietet, solchen vorläufigen Rechtsschutz durch Maßnahmen materiell executiven Charakters zu gewähren. Fragt man zum Abschluß nach der Rechtfertigung der hier angetroffenen Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzipes, nach dem sachlichen Grund dieser Zuweisung executiver Maßnahmen an die Träger rechtsprechender Gewalt, so ist auch hier die Wurzel in der Rechtsgeschichte zu finden. Die Anfänge gerichtlicher Interimsmaßnahmen liegen in einer Zeit, in der das Prinzip der Gewaltenteilung weder theoretisch begründet noch praktisch durchgeführt war, in einer Zeit, zu der der Gerichtsherr noch uneingeschränkt Träger allumfassender
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Staatsgewalt war419 ; von hier aus läßt sich kontinuierlich durch die gesamte Prozeßrechtsgeschichte der Weg richterlicher Interimsmaßnahmen verfolgen, die dem "ofjicium" des Richters verblieben420 • Es wäre aber verfehlt, diese Kompetenzerweiterung richterlicher Spruchmacht über den Bereich materieller Rechtsprechung hinaus allein als historisches Relikt anzusehen, das heute einer sachlichen Legitimation entbehrte. Am deutlichsten läßt sich das nachweisen für die Interimsmaßnahmen des Verfassungsrichters, wobei daI1an erinnert werden soll, daß der -in unserem heutigen Sinne - verfassungsrechtliche Einschlag in der Geschichte der einstweiligen AnoI1dnung mindestens seit der Kammergerichtsordnung von 1555 nicht unterschätzt werden darf 421 • In diesen Fällen verfassungsgerichtlicher Interimistika ist nämlich die einstweilige Anordnung stets die Folge einer verfassungsrechtlichen Ausnahmelage, die in dem - bei dem Erlaß einstweiliger Anordnungen tatbestandlich vorausgesetzten - Moment der drohenden Gefahr für das Gemeinwohl ihren Ausdruck findet 422 • überall in der Rechtsgeschichte wie in den geltenden Rechtsordnungen wird das Gewaltenteilungsprinzip zurückgedrängt oder gar aufgehoben, wo eine solche verfassungs rechtliche Ausnahmesituation entsteht 423 , und die zusammengefaßte Staatsgewalt wird einem Organ überantwortet. Wird sie dabei zumeist einer executiven Stelle treUihänderisch übertragen42 4, so finden wir hier einen Fall, wo sie einem richterlichen Organ anvertraut ist425 , - ein Weg der Gewaltenverteilung, der seinen Grund darin haben wird, daß die dem Staat drohende Gefahr hier immer auf den engen Rahmen eines Rechtsstreites, nicht auf den Bestand des Staates an sich gerichtet sein wird, wenngleich es auch hier Grenzfälle zwischen dem Eingreifen executiver Notstandsgewalt und richterlicher "Notstandsmacht" geben wird, wie sie beispielsweise in der Zeit der Weimarer Reichsverfassung zu einem heftigen Theorienstreit über die Abgrenzung der Kompetenzbereiche von Reichspräsidenten und Staatsgerichtshof geführt haben 426 • Für interimistische Maßnahmen anderer Prozeßarten, auch für die einstweilige Anordnung des Verwaltungsprozesses, ist diese theoretische Untermauerung der Zuweisung executiver Vgl. oben I, 1 zu Anm. 35. Dazu oben I, 1, Bund H, 2 Anm. 192. 421 Vgl. oben I, 2 Anm. 46, 47. m Grundmann, aaO. S. 877 Anm. 10 (zu § 32 BVerfGG): "Ist doch - verfassungsrechtlich gesehen - das Anordnungsverfahren zwar nicht das Spiegelbild des Vollzugs einer Notstandsgesetzgebung, wohl aber hinausschiebende Sicherung einer verfassungsrechtlichen Ausnahmelage . . ." 423 Weber, Gewaltenteilung als Gegenwartsproblem, in Festschrift C. Schmitt, S. 253 (270). 'J!4 Vgl. z. B. Maunz, aaO. S. 160 ff. zur gegenw. Lage. 425 Wohl ähnlich: Fuß, aaO. S. 202. 'J!6 Dazu z. B. Häntzschel, aaO. S. 390 f. 4.19
'J!O
C. Leistungsanordnung
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Interimskompetenzen an den Richter allerdings unbrauchbar; in den in § 123 VwGO vorausgesetzten Gefährdungssituationen wird kaum jemals ein Staatsnotstand zu sehen sein, der aus ausnahmerechtlichen Erwägungen eine Durchbrechung des Gewaltenteilungsprinzipes rechtfertigen würde. Hier greift vielmehr der allgemeinere Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges ein427 , unter dem sich das interimistische Rechtsschutzverfahren trotz seiner rechtlichen Selbständigkeit mit dem Rechtstreit in der Hauptsache zu einer Einheit verbinden läßt. Das Interimsverfahren dient dem Hauptprozeß, die einstweilige Anordnung sichert das Endurteil, ohne ihm deshalb qualitativ gleichwertig zu sein. Dieser sachliche Zusammenhang ist die legitime gesetzgeberische Motivation, auch heute die ihrem Wesen nach executiven Interimsschutzmaßnahmen den Trägern der rechtsprechenden Gewalt zuzuweisen.
C. Die Rechtsnatur der Leistungsanordnung Die Frage nach dem rechtlichen Gehalt der Leistungsanordnung ist oben428 bewußt zurückgestellt worden, um di.e historisch und sachlich begründeten Eigenheiten dieses Institutes klar von der allgemeinen einstweiligen Anordnung abzugrenzen. Die eingehende Untersuchung der Qualifikation von Regelungs- und Sicherungsanordnung gestattet nun, die Frage nach der rechtlichen Qualität der Leistungsanordnung an den Wesensmerkmalen auszurichten, die die Verschiedenheit der Leistungsanordnung von der allgemeinen einstweiligen Anordnung begründen. Im geschichtlichen Teil dieser Arbeit wurde schon gezeigt, daß die Leistungsanor1rlnung in ihrer Entwicklung kaum mehr als den Namen mit der Sicherungs- und Regelungsanondnung gemeinsam hat4 29 • Die Leistungsanordnung wurde und wir:d auch noch heute zwar vielfach als Unterfall der Regelungsanordnung angesehen 430 , während die wohl her:rschende Meinung in ihr ein gewohnheitsrechtlich entstandenes Prozeßinstitut sieht 431 • Wäre jene erste Auffassung richtig, so müßte die Untersuchung der Leistungsanordnung ergeben, daß sie ebenso wie die allgemeine einstweilige AnoI1dnung eine dem Richter zugewiesene Executivmaßnahme ist. Gerade im Hinblick auf die in Rechtsprechung und Lehre aber stets hervorgehobenen besonderen Charakteristika der Leistungsanordnung bedarf diese Frage gesonderter Betrachtung. 427
428 429 430
431
So auch Häntzschel, aaO. S. 395. Oben II, 2, A. Oben I, 1, C. Vgl. die Nachw. oben I, 1 Anm. 71, 72. Nachw. oben I, 1 Anm. 68, 70.
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Die Eigenart der Leistungsanordnung wird in Rechtsprechung und Lehre vor allem in der Befriedigungsaufgabe gesehen, die diese einstweilige Anordnung zu Gunsten des Gläubigers erfüllt 432 • Ohne diese Funktion außer acht zu lassen, die den vorläufigen Charakter dieser Interimsmaßnahme berührt und problematisch erscheinen läßt, muß man doch die Eigenart dieser Leistungsanordnung konstruktiv zunächst unter einem anderen Gesichtspunkt sehen, nämlich dem der einschneidend anderen Bedeutung, die hier dem richterlichen Ermessen zukommt. Denn während die Problematik der Befriedigungsaufgabe und der Vorläufigkeit dieser Entscheidung erst an die bereits ergangene, existente Leistungsanordnung anknüpft, gehört die Frage nach der Ermessensmacht des Richters bei dieser Entscheidungsgattung bereits zu dem Komplex des Zustandekommens dieses Richterspruchs; ihr gebührt daher logisch der Vorrang. I. Die Leistungsanordnung als Akt der Rechtsfindung 1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen
Wie bei der Sicherungs- und Regelungsanordnung sollen auch hier zunächst die tatbestandlichen Voraussetzungen und danach die Fragen der angeordneten Rechtsfolge untersucht werden. Angesichts des Verzichtes des Gesetzgebers, die Leistungsanordnung gesondert zu kodifizieren, fehlt es natürlich an einer tatbestandlichen Fixierung der Voraussetzungen der Leistungsanordnung. Rechtsprechung und Lehre haben sie jedoch herausgearbeitet, wobei hier offen bleiben muß, ob es sich um eine herrschende Lehre zur Interpretation der Regelungsanordnung oder aber um eine gewohnheitsrechtlich entstandene ungeschriebene Norm handelt. Wie immer man die Leistungsanordnung charakterisieren mag, etwa als "einstweilige Anordnung zur Befriedigung notwendiger Lebensbedürfnisse"434 oder als "einstweilige Verfügung mit Befriedigungserreichung"435, am treffendsten formuliert das Landesarbeitsgericht Tübingen die Voraussetzungen der Leistungsanordnung mit der Umschreibung: "einstweilige Verurteilung hinsichtlich fortlaufender Bezüge, auf die der Antragsteller zu seinem Unterhalt angewiesen ist"436. Hieraus ergibt sich zunächst, daß nicht zu Gunsten eines jeden Anspruches überhaupt eine Leistungsanordnung gewährt m Oben I, 1 Anm. 68, 70. ~3 Vgl. oben H, 2, B, H, 2, a. 4S4 So (im Anschluß an Goldschmidt, Zivilprozeßrecht, S. 421 f.): Blomeyer, aaO. S. 63. 435 So der Titel der Schrift von Markett, aaO. m LAG Tübingen, B. v. 19. 4. 61, NJW 61, 2178; ebenso OLG Düsseldorf, U. v. 7. 7. 59, MDR 60, 58 m. eing. Nachw. aus der Rechtsprechung.
c.
Leistungsanordnung - I. Als Rechtsfindung
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werden kann, sondern daß sie nur für Ansprüche bestimmter Artm , und zwar für Geldansprüche aus Dauerschuldverhältnissen oder Schadensfällen, beispielsweise also etwa Unterhalts-, Gehalts- und Rentenansprüche ergehen können 438 • Wesentlich ist, daß es sich um einen Anspruch handelt, der geeignet und auch bestimmt430 ist, dem Antragsteller die Bestreitung seines Unterhaltes zu ermöglichen; dabei ist Unterhalt im weiteren Sinne zu verstehen, so daß beispielsweise auch die - im übrigen früher recht umstrittenen - Ansprüche auf Leistung von Prozeßkostenvorschüssen dazu zählen 440 • Gelegentlich ist allerdings auch in der Rechtsprechung unter Hinweis auf die Zulässigkeit der Leistungsanordnung die vorläufige Befriedigung ganz anderer Ansprüche angeordnet worden, etwa die Herausgabe von Sachen oder die Erteilung von Auskünften441 • Es ist jedoch verfehlt, diese Fälle unbesehen dem Typus der Leistungsanordnung zuzurechnen; geht nämlich der im Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch nicht auf beispielsweise die Herausgabe der Sache, wie es in der Interimsmaßnahme angeordnet wird, so handelt es sich um eine echte Zustands regelung im Sinne der allgemeinen Regelungsanordnung, bei der nur der Besitzstand einstweilen gestaltet wird 442 • Wo aber sonst Ansprüche anderer Art einer vorläufigen Befriedigung zugeführt worden sind, etwa Ansprüche auf Auskunftserteilung, ist einer solchen Rechtsprechung die allgemeine Anerkennung versagt geblieben; eine Leistungsanordnung auf vorläufige Erteilung einer .A!uskunft ist heute nicht zulässig 443 • Auch soweit die Rechtsprechung eine "analoge Anwendung" des Institutes der Leistungsanordnung auf Geldansprüche, die nicht unmittelbar dem Lebensunterhalt des Antragstellers dienen, zugelassen hat, hat sie doch eine solche entsprechende Anwendung beschränkt auf die Fälle, in denen die vorläufige Befriedigung eine Existenzbedrohung des Antragstellers ausschließen sollte44 4, ist mithin also im Rahmen der Befriedigungszwecke So das RG, vgl. oben I, 1 Anm. 74. So besonders klar: Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb. IV vor § 916; Wieczorek, aaO. § 940 Anm. C II a; Baumbach-Lauterbach, aaO. Grdz. 2 B b vor § 916; Schönke-Baur, aaO. S. 188; Pothmann, aaO. S. 9 ff.; Schuler, aaO. S. 1802; OLG Düsseldorf (oben Anm. 436); - insb. für den Verwaltungs prozeß: Redeker- v. Oertzen, VwGO § 123 Anm. 8. t39 Schuler, aaO. S. 1802. 440 RG 15,377 (378); 46, 354 (358); 47, 72, 75; Hamelbeck, aaO. S. 238. m Vgl. die Nachw. bei Rosenberg, aaO. S. 1104, 1105; Wieczorek, aaO. § 940 Anm. C II a. 442 z. B.: Im Rahmen einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung wird die vorläufige überlassung eines Schlüssels angeordnet (OLG Bamberg, B. v. 31. 5. 50, RPfieger 51, 459). 443 Baumbach-Lauterbach, aaO. Grdz. 2 B b vor § 916; OLG Dresden, U. v. 25. 2. 1932, MuW 32, 422; a. A. anscheinend aber Rosenberg, aaO. S. 1104. Vgl. im übrigen auch § 18 MSchG. 444 Vgl. OLG Düsseldorf (oben Anm. 436). 437
438
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geblieben, die eingangs als maßgebend für die Leistungsanordnung hingestellt worden sind. Angesichts des ganz überwiegend anerkannten Satzes, daß die Leistungsanordnung "nur mit größter Vorsicht und unter strengster Beachtung ihrer Voraussetzungen und Vorbilder" erlassen werden so11445 , und angesichts der oben angeführten Praxis, die sich heute ganz ausschließlich auf Geldleistungsanordnungen beschränkt, kann man heute mithin davon ausgehen, daß die allg.emeine Anerkennung der Leistungsanordnung sich nur auf das enge Gebiet erstreckt, das eingangs umrissen ist: auf die vorläufige Befriedigung von Geldleistungsansprüchen, auf die der Antragsteller zu seinem Unterhalt i. w. S. angewiesen ist446 • Tatbestandliche Voraussetzung der Leistungsanordnung ist mithin, daß der Lebensunterhalt des Antragstellers ohne vorläufige Leistungen des Schuldners ernsthaft gefährdet ist und daß der Antragsteller einen Anspruch, der bestimmt und geeignet ist, diese Notlage abzuwenden, geltend und in seinen Voraussetzungen glaubhaft macht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Leistungsanordnung lassen sich damit in unbestimmte Rechtsbegriffe kletden, wie es oben auch für die Voraussetzungen der Sicherungs- und Regelungsanordnung festzustellen war447 • Insoweit bestehen daher bei der Leistungsanordnung konstruktiv keine Besonderheiten gegenüber der allgemeinen einstweiligen Anordnung. 2. D.i e R e c h t s f
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Ig ea n
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Die eigentliche Problematik der Qualifizierung der Leistungsanordnung liegt denn auch nicht auf der Tatbestandsseite dieses Institutes, sondern auf der Rechtsfolgeseite 44B • Bei der Untersuchung der Regelungs- und Sicherungsanordnung nach den Maßstäben der rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes der herrschenden Lehre - und nur von diesem soll hier zunächst die Rede sein - hat sich gezeigt, daß für jene Grundtypen der einstweiligen Anordnung g'erade eine vom Gesetzgeber vorgegebene Rechtsfolgebestimmung fehlt und daß der Gesetzgeber dem Richter in § 938 ZPO stattdessen eine eigene Gestaltungsmacht hinsichtlich der Rechtsfolgen zuerkannt hat, indem er den Inhalt der einstweiligen Anordnung dem freien, echten Ermessen des U5 Rosenberg, aaO. S. 1105; Wieczorek, aaO. § 940 Anm. C 11 a; Blomeyer, aaO. S. 65 f; OLG Düsseldorf, wie vorst. 446 Anders noch 1930: Hamelbeck, aaO. S. 242, der bei jedem vorläufig vollstreckbaren Anspruch die Leistungsanordnung zulassen will. Die Auffassung hat sich jedoch nicht durchgesetzt; im übrigen führt Hamelbeck nur Beispiele der auch heute anerkannten Notbedarfs-Anordnung an. 447 Vgl. oben zu Anm. 85. 448 Die vergleichende Gegenüberstellung mit den geschriebenen Normen der Sicherungs- und Regelungsanordnung verlangt hier die Verwendung gesetzestechnischer Begriffe, die bei der gesetzlich nicht fixierten Leistungsanordnung an sich nicht eingreifen können.
c. Leistungsanordnung -
I. Als Rechtsfindung
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Richters anvertraut hat449 . Eben an dieser schöpferisch freien Gestaltungsmacht, die für die allgemeine einstweilige Anordnung das charakteristische Grundmerkmal ist450 und .deretwegen gerade die herrschende Lehr€ vom rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriff die Rechtspl'echungsqualität der allgemeinen einstweiligen Anordnung verneinen muß451, fehlt es dem Richter aber bei dem Erlaß einer Leistungsanordnung. Die hier anzuordnende Maßregel ist nämlich in der Entwicklung der Rechtsprechung mehr und mehr auf einen ganz bestimmten Inhalt präzisiert worden. Nachdem sich die Rechtsprechung zunächst mehr mit den Voraussetzungen der Leistungsanordnung, insbesondere mit der Eigenart des geltend gemachten Anspruches, auseinandergesetzt hatte 452 , hat sie in übereinstimmung mit ,der Lehre auch auf der Rechtsfolgeseite einen ganz bestimmten Entscheidungsinhalt entwickelt, nämlich die Anordnung von Geldleistungen in der Höhe, wie sie zur Dekkung des notwendigen Bedarfs erforderlich ist 453 • Selbst zu der weiteren Frage, was hier unter erforderlichem Notbedarf zu verstehen sei, liegt inzwischen eine eingehende Rechtsprechung vor, die als maßgeblichen Anhaltspunkt beispielsweise die Arbeitslosenunterstützungen oder die Lohnpfändungsgrenzen ansieht454 . Es hat sich hier daher ein Entscheidungstypus eigener Art entwickelt, in dem auch der Entscheidungsinhalt durch unbestimmte Rechtsbegriffe generell festgelegt ist. Von einer freien rechtsschöpferischen Gestaltungsmacht des Richters kann hier keine Rede mehr sein; § 938 ZPO, die Grundnorm der allgemeinen Interimsentscheidungen, ist auf die Leistungsanordnung nicht anwendbar 455 . Wo immer in der Literatur oder Rechtsprechung zur Leistungsanordnung noch vom "freien Ermessen" des Richters die Rede ist, stellt sich die Verwendung dieses Begriffes bei der Leistungsanordnung lediglich als übernahme eines Schlagwortes aus dem Bereich der allgemeinen einstweiligen Anordnung dar, denn in den näheren Ausfüh44D Vgl. oben II, 2, B, II, a rund 3; Anm. 213 ff. Oben Anm. 213 ff. m Oben II, 2, B, II, 3 und V 1 m. w. Rückverweisungen. 45l! Vgl. oben I, 1 Anm. 74. Für Besonderheiten des Gefährdungsmoments bei der Leistungsanordnung im Unterhaltsprozeß vgl. LG Koblenz, B. v. 31. 10. 57, FamRZ 58, 188 m. Nachw. 453 Schon früh: RG, U. v. 12. 5. 1910, Recht 1910, 2665; vgl. ferner OLG Düsseldorf, U. v. 27. 2. 53, RdK 54, 57; U. v. 7. 7. 59, MDR 60, 58; OLG Tübingen, U. v. 21. 5. 53, MDR 53, 625; LAG Tübingen, oben Anm. 436; SteinJonas-Schönke, aaO. Vorb. IV vor § 916, Fußn. 23 a; Wieczorek, aaO. § 940 Anm. C II a; Rosenberg, aaO. S. 1105; Schuler, aaO. S. 1804; Quaritsch, aaO. S.352. 454 OLG Düsseldorf, RdK 54, 57; LAG Kiel, BB 58, 915; LAG Tübingen, NJW 61, 2178; - die Fürsorgerichtsätze sind dagegen als zu niedrig angesehen worden: OLG Düsseldorf, wie vorst. Für das Beamtenrecht vgl. Quaritsch, aaO. S. 352. 455 So ausdrücklich: Wieczorek, aaO. § 938 Anm. Alb 2 (unter allerdings m. E. nicht einschlägigem Hinweis auf RG 117, 287 (292». 450
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H. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
rungen zu Voraussetzungen und Inhalt der Leistungsanordnung werden stets alle Tatbestandselemente und alle Merkmale der Rechtsfolgeseite, des Entscheidungsinhaltes, durch unbestimmte Rechtsbegriffe wiedergegeben456 • Es zeigt sich hier, daß bei der Leistungsanordnung das stattgefunden hat, was für die allgemeine einstweilige Anordnung oben vergeblich untersucht worden ist457 : Der Entscheidungsinhalt dieser Art der einstweiligen Anordnung ist in seiner Entwicklung auf einen eindeutig bestimmbaren, durch unbestimmte Rechtsbegriffe festgelegten Entscheidungstyp festgelegt worden. Mit dieser Festlegung durch unbestimmte Rechtsbegriffe in Entscheidungsvoraussetzungen und Entscheidungsinhalt stellt sich aber die Leistungsanordnung als eine echte rechtsfindende Maßnahme im Sinne der herrschenden Lehre dar, wie im einzelnen schon bei anderen Sondertypen der einstweiligen Anordnung gezeigt wurde 458 • Freilich mag man einwenden, daß die exakte Höhe der vom Antragsgegner an den Antragsteller zu gewährenden Leistung n~e genau festgelegt sei, sondern daß hier doch eine richterliche Ermessensbetätigung gemäß § 287 ZPO bei der Bemessung der Leistung 459 den Ausschlag geben müsse. Allein, dieses Argument kann gegen die These von der rechtsfindenden Qualität der Leistungsanordnung nicht durchdringen: Schon oben ist dargelegt, daß es sich bei der richterlichen Ermessensbetätigung nach § 287 ZPO um einen Fall handelt, in dem das "billige Ermessen" des Richters zum Zuge kommt 460 ; diese Anwendung billigen Ermessens aber ist, wie oben ebenfalls schon ,gezeigt wurde, echte Rechtsprechung im Sinne des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes und steht der Qualifizierung der Leistungsano~dnung als rechts findenden Hoheitsakt nicht entgegen461 • 3. Erg e b n is Mit diesem Ergebnis aber ist herausgestellt, was die Leistungsanordnung von den anderen Typen der einstweiligen Anordnung unterscheidet: Sie ist nicht schöpferische Gestaltung, sondern rechtsanwendende Rechtsfindung im Sinne der herrschenden Lehre und erfüllt damit das grundlegende Kriterium einer Rechtsprechungsmaßnahme im Sinne des 458 So spricht z. B. Schuler (aaO. S. 1801) noch von "Ausübung des freien Ermessens", gestattet aber gleichzeitig die Leistungsanordnung nur zur "Behebung eines bestehenden Notstandes" (S. 1802), und zwar nur auf Geldleistung in Höhe "des Notwendigen" (S. 1804). 451 Vgl. oben Anm. 95, 123 ff. 458 Dazu oben zu Anm. 96 ff. 458 Vgl. z. B. die entsprechenden Fälle bei Wieczorek, aaO. § 287 Anm. B I a; B H a; ferner OLG München, B. v. 22. 10. 59, NJW 60, 828 (z. T. gegen OLG Düsseldorf, wie vorst.). 460 Bettermann, Verwaltungs akt und Richterspruch, S. 366, 367; vgl. oben Anm.116. 461 Oben Anm. 118-122.
c. Leistungsanordnung - II. Als Letztentscheidung
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Art. 92 GG, wie ihn die herrschende Ansicht interpretiert462 • Steht aber die rechtsfindende Qualität der Leistungsanordnung fest, so ergibt sich damit für die Qualifizierung dieses Entscheidung,stypes nach den Maßstäben der herrschenden Lehre zu Art. 92 GG, daß die Leistungsanordnung im Gegensatz zu der allgemeinen einstweiligen Anordnung eine echte Rechtsprechungsmaßnahme im Sinne der Gewaltenteilungslehre ist. Zu dieser These bedarf es keiner näheren Untersuchung der verschiedenen weiteren Elemente, die die V,e rtreter des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes für Rechtsprechungsakte im Sinne des Art. 92 GG v,erlangen; die Leistungsanordnung ist - ebenso wie die Regelungs- und Sicherungsanordnung - Streitentscheidung durch einen unabhängigen Dritten und enthält einen verselbständigten Ausspruch dessen, was im Einzelfall rechtens ist, so daß es hier keines weiteren Eingehens auf die insoweit streitigen Ansichten der Vertreter des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes bedarf463 • Im Sinne der herrschenden Lehre ist daher die Leistungsanordnung ein echter Rechtsprechungsakt, der sich in seinem Wesen nicht von dem Urteil in der Hauptsache unterscheidet. Die Unterscheiduhgsmerkmale zu dem Urteil in der Hauptsache liegen vielmehr nur darin, daß bei der Leistungsanol'dnung ein Richterspruch auf die Basis vorläufigen Erkenntnismaterials gestellt wird, daß also insoweit eine Art richterlicher "Schnellprüfung" erfolgt, bei der die rechtlichen Schlußfolgel'ungen - nämlich die Zuerkennung vorläufiger Leistungen zur Deckung des Notbedarfs - dem Richter im übrigen ebenso wie bei dem Urteil in der Hauptsache bereits vorg,egeben sind. Es zeigen sich hier also Parallelen zu der bereits oben behandelten Theorie, j,ede einstweilige Anordnung beruhe auf einer derartigen richterlichen Schnellprüfung, eine Auffassung, die allerdings für die allgemeine einstweilige Anordnung oben abgelehnt werden mußte464 • Im Unterschied ~u jener früher behandelten Theorie aber wird hier nicht ein der Endentscheidung inhaltsgleicher Spruch auf die Grundlage vorläufigen Erkenntnismaterials gestellt 465 , sondern der Entscheidungsinhalt ist für die Leistungsanordnung besonders typisiert und auf die Zuerkennung vorläufiger Notbedarfsleistungen beschränkt. 11. Die Leistungsanordnung als Letztentscheidung
Im Gegensatz zu der Theorie vom rechtsfindenden Rechtspr,e chungsakt, die nach allem zwischen der allgemeinen einstweiligen Anordnung als einer Executivmaßnahme und der Leistung,sanordnung als einem 462 463 464 465
Oben II, 2, B II 1. Dazu oben Anm. 31-37. Vgl. oben II, 2, B, II, 2, d, 'Y. Oben Anm. 226 f.
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II. Teil: Wesen -
2. Kapitel: Materieller Gehalt
echten Rechtsprechungsakt unterscheiden muß, ergeben sich für die Lehre vom Rechtsprechungsakt als richterlicher Letztentscheidung 466 bei der Qualifikation der Leistungsanordnung keine besonderen Probleme. Dabei kann die Frage dahinstehen, ob die Leistungsanordnung hinsichtlich des dem Antragsteller zugesprochenen Betrages durch ihre Befriedigungsfunktion467 eine der.artig abschließende und endgültig,e Kraft hat, daß sie für diese Leistungen sogar das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage in der Hauptsache ausschließt4 68 , eine Fr.age, die von der ganz herrschenden Lehre verneint wird 469 • Wenn auch trotz dieses Streites allgemein die Auffassung vertreten wird, daß die Leistungsanordnung jedenfalls nicht die Einwendung der Rechtskraft für den Hauptprozeß begründe 470 , so gilt doch für den vorläufigen Zustand der Prozeßdauer das gleiche wie für die allgemeine einstweilig,e Anordnung: Sie regelt den vorläufigen Zustand der Litispendenz abschließend und endgültig, ist 1hrem Wesen nach daher insoweit nicht vorläufiger Natur und erwächst hinsichtlich dieses vorläufigen Zustandes auch in echte materielle Rechtskraft 471 • Ebenso wie die allgemeine einstweilige Anordnung beinhaltet daher auch die Leistungsanordnung eine echte Letztentscheidung im Sinne der Lehre vom letztentscheidenden Rechtsprechungsakt. Folgt man daher trotz der früher aufgezeigten Bedenken 472 dieser Theorie, so ist auch nach ihr die Leistungsanordnung als echter Rechtsprechungsakt im Sinne des Art. 92 GG anzusprechen. III. Ergebnis
Die zu einer vorläufigen Befriedigung des Antragstellers führende Leistungsanordnung ist mithin nach allen Auf.f,assungen, die zur Lehre vom materiellen Rechtsprechungsbegriff im Rahmen des Art. 92 GG vertreten werden473 , materiell als Rechtsprechungsakt aufzufassen. JeOben II, 2, B, III. Vgl. oben I, 2 Anm. 68, 70; H, 2 Anm. 432. 468 So: Kissel, Einstweilige Verfügung und ordentlicher Rechtsstreit in Unterhaltssachen, NJW 58, 1717 (1718) m. Nachw. aus der älteren Lehre. 469 Stein-Jonas-Schönke, aaO. Vorb. 2 b vor § 253, Vorb. IV vor § 916; Wieczorek, aaO. § 935 Anm. B II a; Baumbach-Lauterbach, aaO. Grdz. 2 B b vor § 916; Rosenberg, aaO. S. 1105; Schönke-BauT, aaO. S. 188; H. Esser, Über die Wirkung der einstweiligen Verfügung und ihrer Vollstreckung für die Klage auf fortlaufende Geldzahlung, NJW 53, 1892; SchuleT, aaO. S. 1804; RG 47, 379 (384). 470 Vgl. alle Nachweise in Anm. 468, 469. 471 Dazu oben zu Anm. 264, 266 ff. 472 Oben II, 2, B III 3 und 4. 473 Vgl. oben II, 2, B II-IV. Eine Auseinandersetzung mit der Lehre vom historischen Rechtsprechungsbegriff (oben H, 2, B IV) erübrigt sich hier, da sie nur eine Ausweitung des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffs in bestimmten Sonderfällen anstrebt (oben zu Anm.300) und mithin nicht zum 468
487
D. Gesamtergebnis
173
denfalls für die herrschende Lehre vom rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriff unterscheidet sie sich damit in ihrer Qualität wesensmäßig von der allgemeinen einstweiligen Anordnung, die nach jener Auffassung als Executivmaßnahme anzusehen ist. Es ist daher verfehlt, daß gleichwohl heute noch von Vertretern des herrschenden Rechtsprechungsbegriffes die Leistungsanordnung als Unterfall der Regelungsanordnung nach §§ 123 Abs. I S. 1 VwGO, 940 ZPO bezeichnet wird474 • Der Antrag auf Erlaß einer Leistungsanordnung ist, wie schon früh von Stein klargestellt wurde 475 , eine besondere Art der Verurteilungsklage im Sinne einer Leistungsklage, die mit der allgemeinen einstweiligen Anordnung nur den Namen gemeinsam trägt. Es wäre daher angezeigt gewesen, daß der Gesetzgeber der Verwaltungsgerichtsordnung diese Leistungsanordnung, die er nach ganz allgemeiner Ansicht mit in das neue Gesetz aufnehmen wollte476 , in einer eigenen Norm kodifiziert hätte, wie es ja auch für di'e Neufassung einer Ziv.ilprozeßordnung schon einmal vorgesehen war 477 •
D. Ergebnis: Die Rechtsnatur von Sicherungs-, Regelungs- und Leistungsanordnung Die schon im Jahre 1805 von Gönner postulierte "Erforschung des eigenthümlichen Characters jeder Art von Provisorien"478 hat für die heute anerkannten Grundtypen der einstweiligen Anordnung gezeigt, daß nur die durchaus angreifbare Lehre von dem Rechtsprechungsakt als richterlicher Letztentscheidung sie einheitlich als materielle Rechtsprechungsakte im Sinne des Art. 92 GG bezeichnen darf; nur für diese Lehre ist es möglich, Sicherungs-, Regelungs- und Leistungsanordnung gleichermaßen als Rechtsprechungsakte zu qualifizieren und sie zwingend richterlichen Instanzen zuzuweisen. Die heute absolut herrschende Lehre vom rechtsfindenden Rechtsprechungsakt kann das dagegen nicht; sie muß differenzieren und in den Hauptfällen, bei der Sicherungs- und Regelungsanordnung, die Rechtsprechungsqualität dieser Entsche~dungskompetenz verneinen. Nur die an diese herrschende Zuge kommt, wenn ein Akt, wie hier die Leistungsanordnung, schon nach jenem rechtsfindenden Begriff der h. L. Rechtsprechungsakt ist. 474 Vgl. oben I, 1 Anm. 72; II, 2 Anm. 430. m. Nachw. Von der Lehre vom letztentscheidenden Rechtsprechungsbegriff hat kein Vertreter zu dieser Frage Stellung genommen, obwohl allein nach ihr die Rechtsprechungsqualität aller einstweiligen Anordnungen bejaht werden kann und damit die hier aufgeworfene Frage u. U. anders zu beantworten ist. 415 Stein, Voraussetzungen, S. 9. 476 Nachw. oben I, 1 Anm. 67. 477 Vgl. oben I, 1 Anm. 64. 478 Gönner, aaO. Bd. IV S. 298.
174
II. Teil: Wesen - 2. Kapitel: Materieller Gehalt
Lehre anknüpfende Auffassung von der histoI1isch bedingten Ausweitung des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes kann für Teilbereiche des Institutes der allgemeinen einstweiligen AnoI1dnung die Rechtsprechungsqualität bejahren; sie muß aber zu verschwommenen und unpräzisen Auslegungen des Grundgesetzes Zufiucht nehmen, wenn sie Interimsentscheidungen des Gerichts generell als unumstößliche Richterm acht deklarieren will, kann sich aber auch dabei für die in dieser Arbeit behandelte einstweilige Anordnung des Verwaltungsprozesses nicht auf ein geschichtliches Herkommen gerichtlicher Interimsentscheidungen berufen. Derartige Versuche zu Notlösungen zeigen aber nur die Schwierigkeiten auf, die auch im Ergebnis dieser Untersuchung zu Tage treten und die hier nur angedeutet werden können: Der Begriff der herrschenden Lehre vom rechtsfindenden Rechtsprechungsakt ist zu eng. Er ist auf konstatierende nachträgliche Beurteilung zugeschnitten, die - nach einem Wort von earl Schmitt479 - typischerweise zu spät kommt. Der Rechtsprechungsbegriff der herrschenden Lehre müßte dynamischer werden, um auch gestaltende Interimistika zu erfassen; der Richter müßte von seiner "Historiker-Rolle" 480 , von seinen Beschränkungen als "Vergangenheitsmensch" 481 befreit werden und schöpferische Gestaltungsmacht erhalten, die ihm als Richter im Sinne eines Rechtsprechungs-Organs die herrschende Lehre verwehrt482 • Der Satz, daß bestimmte Arten von Gestaltungsentscheidungen, die nach herkömmlicher Dogmatik materiell der Executive zuzurechnen sind, allein schon wegen ihrer unter Umständen einschneidenden Bedeutung für den Einzelnen des Ausspruches durch den Richter bedürfen483 , sollte zu der Frage Anlaß geben, ob und in welchem Rahmen echte Gestaltungsaufgaben in einen neu zu bildenden Begriff des materiellen Rechtsprechungsaktes einzubeziehen sind. Derartige Überlegungen sind in der Rechtswissenschaft durchaus schon im Gespräch gewesen484 ; es ist bemerkenswert, daß sie gerade auch an Fälle anknüpften, in denen wie in den summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung "die Klärung des Sachverhaltes unvollkommen bleibt und eine Willensentscheidung erfordert" 485 • Diese heute fast in Vergessenheit geratene ProC. Schmitt, aaO. S. 32. W. JeUinek, Gesetzesanwendung, S. 167. 481 So eingehend: Husserl, aaO. S. 58 ff. f82 W. JeUinek, Husserl, jeweils wie vorst.; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 150 Anm. 826, S. 246, 496; Wieacker, aaO. S. 2, 4, 11 ff; Oeschey, aaO. S. 44 ff., 50 ff.; K. Geiger, aaO. S. 4 ff., 14 f., 91 ff.; Schindler, aaO. S. 326 ff.; Schneider, aaO. S 13. 483 BVerfG 9, 89 (96 f.) für Interimsmaßnahmen der Stpo, vgl. oben zu Anm.403. 484 Vgl. Zeiler, Lange, Wieacker, Oeschey, K. Geiger (jeweils oben Anm. 38); Kern, Der Aufgabenkreis des Richters, S. 24; Ipsen, aaO. S. 308 f. 485 So Lange, aaO. Sp. 1301. Für die Ähnlichkeit der Lage im Anwendungsbereich der einstweiligen Anordnung vgl. oben zu Anm. 213 ff. 479
480
D. Gesamtergebnis
175
blernatik 486 soll hier aber nicht vertieft werden487 • Es ist gezeigt worden, daß die allgemeine einstweilige Anor:dnung nach der heute herrschenden Dogmatik als Executivmaßnahme anzusehen ist und claß diese Qualifikation auch mit den für diese Interimskompetenz grundlegenden Normen der Art. 19 Abs. IV; 92 GG im Einklang steht. Als wesentlichstes Ergebnis dieser Untersuchung aber soll herausgestellt sein, daß diese begrifflich-dogmatische Qualifikation der allgemeinen einstweiligen Anordnung als Executivmaßnahme der geschichtlichen Entwicklung dieses Institutes entspricht, claß sie in einer rechtsvergleichenden Gegenüberstellung mit Interimsinstituten anderer Rechtsordnungen ihre Bestätigung findet und daß es auch im übrigen deutschen Prozeßrecht neue Entscheidungskompetenzen gibt, die der einstweiligen Anordnung in ihrer Funktion vergleichbar sind und ganz allgemein als dem Richter zugewiesene Executivmaßnahmen anerkannt sind. Gerade aus diesen Feststellungen dieser Untersuchung ergeben sich nämlich für den Richter Konsequenzen, die bei der Handhabung des Institutes der allgemeinen einstweiligen Anordnung bisher nicht beachtet worden sind. An dem Beispiel eines bestimmten Anwendungsgebietes der einstweiligen Anordnung soll im Schluß teil dieser Arbeit gezeigt werden, daß allein die Verkennung dieses executiven Charakters der allgemeinen einstweiligen Anordnung zu einer Fehlentwicklung in der Rechtsprechung geführt hat. Dabei muß die Frage offen bleiben, ob es sich um eine Verkennung dieses executiven Charakters der einstweiligen Anordnung gehandelt hat, weil man "mit staatsrechtlichen Etiketten hantiert hat ohne Vergewisserung, ob dahinter etwas Eindeutiges steht"488, oder ob der Rechtsprechung einfach der Mut fehlte, sich der Verwaltung gegenüber darauf zu berufen, daß ihr hier eine echte Verwaltungskompetenz eingeräumt ist. Im Anschluß an den dieser Arbeit vorangestellten Satz von Gönner mag dazu jedenfalls - bewußt provozierend - gesagt sein, daß die im Gebrauch der einstweiligen Anordnung herrschende Rechtsprechung hier nur aus der Gleichgültigkeit herstammt, mit cler man, zufrieden, die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen im Verwaltungsprozeß gesetzlich verankert zu sehen, sich um die Erforschung des eigentümlichen Charakters jeder Art von Interimsentscheidungen gar nicht bekümmerte.
486 Alle Stellungnahmen (oben Anm. 484) sind heute über 30 Jahre alt; vgl. aber neuerdings wieder: Bericht der ZPO-Kommission 1961, aaO. S. 169. 487 Vgl. den Satz Spengters, den Gotdschmidt seinem Werk ,Prozeß als Rechtslage' voranstellt (aaO. S. V.): ,Die Römer schufen eine juristische Statik, unsere Aufgabe ist eine juristische Dynamik'! 488 Jahrreiß, Demokratischer Rechtsstaat S. 207; vgl. oben zu Anm. 12.
Schlußbetrachtung
Auswirkungen des executiven Charakters der einstweiligen Anordnung, dargestellt am Beispiel der Beurteilungs- und Ermessenssachen Die in dieser Arbeit aufgestellte These von dem executiven Charakter der allgemeinen einstweiligen Anordnung hat erhebliche praktische Konsequenzen, deren Möglichkeiten in einer Schlußbetr,achtung aufgezeigt werden sollen. Dies'e Betrachtung soll sich aber beschränken auf ein bestimmtes Anwendungsgebiet einstweiliger Anordnungen, in dem die absolut herrschende und nahezu unbestrittene Rechtsprechung und Lehre jeglichen gerichtlichen Interimsschutz schlechthin verweigert, weil das Wesen der einstweiligen Anordnung als dem Gericht zugewiesene Executivmaßnahme v,erkannt wird. Es handelt sich um die Fälle, bei denen behördliche Maßnahmen im Streite sind, die auf richterlich nicht nachprüfbaren Erwägungen der Behörde beruhen, nämlich um Ermessensentscheidungen und um Akte, bei denen ein "gerichtsfreier Beurteilungsspielraum" zum Tragen kommen soll. Zwar ist die Abgrenzung dieser beiden Fallgruppen bisher weder allgemein theor,etisch völlig geklärt noch im praktischen Einzelfall immer frei von Zweifelsfragen 1 ; trotzdem handelt es sich hier prozessual aus der Sicht des Verwaltungsrichters sowohl bei dem Erlaß des Urteils in der Hauptsache wie bei der Anordnung vorläufiger Rechtsschutzmaßnahmen um weitgehend vergleichbare Probleme: Das Gericht steht in jedem dieser Fälle vor "unüberprüfbaren Entscheidungsmonopolen" der Behörde, die der Executive Reservate gerichtsfreien Sachverstandes einräumen, von denen die Gerichte ausgeschaltet sein sollen 2 ; nichts kennzeichnet diese praktische Gleichstellung besser als der Satz, daß der behördliche Beurteilungsspielraum "eine Art Ermessen im Sinne des Verfahrensrechtes" darstelle 3 . Wenn auch die Unterschiede zwischen den Ermes1 Vgl. die Nachw. oben H, 2 Anm. 80, 82; vielfach werden Fälle, in denen ein Beurteilungsspielraum der Behörde bei der Handhabung unbestimmter Rechtsbegriffe in Frage steht, zunächst als Anwendungsfälle behördlicher Ermessensmacht angesehen, bis eine Klärung durch die Obergerichte erfolgt. Vgl. z. B. für das Schulrecht: Quaritsch, aaO. S. 363 f., und unten zu Anm. 42 ff.; allgemein z. B. unklar: Eyermann-Fröhler, VwGO § 114 Rdn. 9. 2 Dazu oben H, 2 Anm. 282. 3 Kellner, aaO. S. 574; Fromm, Einstweilige Erlaubnis, S. 801 (zu Anm. 11); vgl. Eyermann-Fröhler, VwGO § 114 Rdn. 9; BVerwG, U. v. 19. 10. 60, DVBI
12 Rohmeyer
178
Schluß: Auswirkungen des executiven Charakters
sensmaßnahmen und Entscheidungen im Bereich eines Beurteilungsspielraumes in der Lehre Veranlassung gegeben haben, im Bereich jener angeblich partiell gerichtsfreien Beurteilungsakte vorläufigen Rechtsschutz durch einstweilige Anordnungen zu gewähren4, so läßt sich doch nicht übersehen, daß die Gerichte aus Furcht vor einer Verletzung jenes behördlichen Entscheidungsmonopoles sich fast stets gescheut haben, in allen diesen Fällen überhaupt interimistischen Rechtsschutz zu gewähren. Diese Praxis wurde in der Rechtsprechung und Lehre auf sehr unterschiedliche Erwägungen gestützt, ihre Hauptargumente sollen im folgenden untersucht werden. Die Probleme der einstweiligen Anordnung in Ermessensangelegenheiten und Beurteilungssachen treten typischerweise im Bereich der Verpflichtungsklage nach § 42 VwGO auf, in deren Rahmen vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu erreichen ist. Um angesichts der Vielzahl von Einzelentscheidungen aus den unterschiedlichsten Rechtsgebieten 5 nicht in eine allzu verwirrende Darstellung der herrschenden Lehre zu verfallen, soll im folgenden ein umstrittener Anwendungsfall der einstweiligen Anordnung dargestellt werden, bei dem sich Rechtsprechung und Lehre lange Zeit nicht darüber im klaren waren, ob es sich um eine Ermessensangelegenheit oder um einen Fall behördlichen Beurteilungsspielraumes handele, so daß im Laufe der Zeit alle Argumente zum vorläufigen Rechtsschutz bei Ermessensangelegenheiten und bei Beurteilungsangelegenheiten im Rahmen dieses Anwendungsfalles erörtert worden sind. Es handelt sich um den Fall, daß ein nicht in die näc.'rsthöhere Klasse versetzter Schüler den Beschluß der Lehrerkonferenz anficht, im Rahmen einer Verpflichtungsklage die Versetzung in die höhere Klasse begehrt und beantragt, durch einstweilige Anordnung vorläufig zum Unterricht in der nächsthöheren Klasse zugelassen zu werden 6• Die Stimmen in Rechtsprechung und Lehre reichen in d1esem Fall von der grundsätzlichen Anerkennung der Zuläsigkeit einstweiliger Anordnungen 7 bis zu ihrer 61, 132, jeweils m. w. Nachw.; BVerwG 8, 272 (274). - Im Ergebnis wohl a. A. Quaritsch, aaO. S. 362 ff., dazu kritisch unten zu Anm. 46. t So vor allem Quaritsch, aaO. S. 362 f., vgl. auch unten Anm. 7. 5 Vgl. die Nachw. bei Ule, VwGO § 123 Anm. I; Quaritsch, aaO. S. 358 ff. S Grundsätzlich zu diesem Versetzungs fall vgl. z. B. (jeweils m. w. Nachw.): Ule, VwGO § 114 Anm. III, § 123 Anm. I; Eyermann-Fröhler, VwGO § 123 Rdn.ll; Koehler, VwGO § 123 Anm. III 6; Schunck- de Clerck, VwGO § 123 Anm. 3 c; Quaritsch, aaO. S.348, 363 f.; ReuteT, Verwaltungs akte der Schulen, BayVBl 58, 161; Rambeck, aaO. S. 1334; Erdsiek, Zur Anfechtung von Maßnahmen und Entscheidungen in Schul- und Prüfungsangelegenheiten, NJW 62, 1384; - für die Rechtsprechung vgl. die unten folgenden Nachw. 1 UIe, Eyermann-Fröhler, QuaTitsch, Rambeck, jeweils wie vorst.: LVG Düsseldorf, U. v. 6. 5. 57, MDR 57, 574; OVG Münster, U. v. 21. 8. 61, JZ 62, 322 (vgl. aber Anm. 8); VGH Kassel, B. v. 14. 10. 58, NJW 59, 1940 (aber Anm.8).
1. Allgemeine Abgrenzungsprobleme
179
rigorosen Verneinung8 • Die Unterschiede in dieser Rechtsprechung liegen weitgehend darin begründet, daß die Gerichte zunächst stets mit völlig verschiedenartigen Argumenten arbeiteten, sich dabei kaum mit den tragenden Gedanken ander-er Lösungen auseinandersetzten und es so erst sehr spät zu einer kontinuierlichen Rechtsprechung kommen ließen. Trotzdem lassen sich, soweit die Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen verneint wird, zwei tragende Grundg-edanken erkennen, die jeweils ausschlaggebend für die Entscheidungen wurden. Das eine Hauptargument fußt auf der schon oben angedeuteten überlegung, daß hier in unüberprüfbare Entscheidungsmonopole der Executive eingegriffen werden könne; es wurde erst in jüngerer Zeit von der Rechtsprechung a1s ausschlaggebend angesehenu• Das ursprüngliche Hauptargument hingegen beruhte auf der mehr prozeßrechtlichen Erwägung, daß eine einstweilige Anordnung hier unzulässigerweise die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen müsse 10 ; wenngleich dieser Gedanke nicht unmittelbar die Probleme berührt, die die Rechtsnatur der einstweiligen AnDrdnung als Executivmaßnahme des Gerichts aufwirft, so soll doch hier auch auf ihn eingegangen werden, weil er auch bei allen anderen einstweiligen Anordnungen in Ermessensangelegenheiten und Beurteilungssachen stets eine gewichtige Rolle gespielt hat und vielfach zur Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes führtell. Da mit diesem zweiten Argument eine Frage aufgeworfen wird, die grundsätzlich bei jeder einstweiligen Anordnung zu berücksichtigen ist und daher allgemeinere Bedeutung hat, soll seine Problematik zunächst erörtert werden, bevor auf das oben bezeichnete Kernproblem dieses Schlußabschnittes eing'egangen wird. I. Das allgemeine Problem der Grenzen einstweiliger Anordnungen 1. DasVerbot irreparabler Anordnungen
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seiner ersten grundsätzlichen Entscheidung zu dem oben geschilderten VersetzungsfalP2 den Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, mit der die vorläufige 8
Schunck-de CleTck, KoehleT, ReuteT, jeweils wie vorst.; OVG Münster,
9
OVG Lüneburg, VGH Kassel, wie Anm. 8; vgl. auch OVG Münster,
B. v. 22. 11. 57, MDR 58, 370 (aber Anm. 7); OVG Lüneburg, B. v. 15. 8. 60 NJW 60, 1879; VGH Kassel, B. v. 18. 10. 61, ES VGH 12, I S. 97 (aber Anm. 7); VG Bremen, B. v. 27. 2. 61, n. V., Az. IV V 10/61. JZ 62, 322. 10 Schunck-de Clerck, KoehleT, ReuteT, OVG Münster, VGH Kassel, VG
Bremen, wie Anm. 8. 11 Vgl. Anm. 8, -10; ferner zuletzt z. B.: OVG Lüneburg, B. v. 19. 7. 62, VRspr 15, S. 109 ff. 12 B. v. 22. 11. 57, MDR 58, 370 = DVBI 58, 107 (anders später, vgl. oben Anm. 7); ähnlich (in einer Hilfserwägung) VGH Kassel, oben Anm. 8. 12·
180
Schluß: Auswirkungen des executiven Charakters
Zulassung des nicht versetzten Schüler,s zur nächsthöheren Klasse angestrebt wur.de. Es hat zur Begründung dieser Entscheidung ausgeführt, daß mit einer solchen Interimsregelung das eigentliche Ziel der auf Versetzung gerichteten Klage vorweg genommen würde, "und zwar praktisch unabänderlich"; wenn nämlich ein solcher vorläufig versetzter Schüler später im Hauptprozeß unterliege und in die nächsttiefere Klasse zurücktreten müsse, so würde ihm der normale erneute Durchgang durch die niedrigere Klasse gerade in dem grundlegenden Beginne fehlen und dieser Mangel könne auch jedenfalls in der Regel nicht durch Nachhilfeunterricht wieder ausgeglichen werden, so daß in einem solchen Falle der Schüler in einer nicht wieder auszugleichenden Weise beeinträchtigt sei. Dem Ergebnis dieses Spruches ist in der Rechtslehre vielfach widersprochen worden13 , ohne daß man sich mit dem grundlegenden Argument, eine solche einstweilige Anordnung enthalte eine irreparable Vorwegnahme der EntscheLdung in der Hauptsache, überhaupt auseinandergesetzt hätte. Die einzig,e eingehende Stellungnahme, diejenige von Quaritsch14, unterstellt dem Oberverwaltungsgericht Münster, es habe die einstweilig,e Anordnung mit dem Argument abgelehnt, daß durch sie der mit der Klage erstrebte Zustand hergestellt und schon allein deswegen das Urteil vorweggenommen werde. Hätte das Gericht in seiner Entscheidung wirklich auf jene Erwägung abgestellt, so wäre die Kritik von Quaritsch nicht unberechtigt; der Satz, eine einstweilige Anordnung dürfe nie den mit der Klage er,strebten Zustand herstellen, ist eine jener unkontrollierten Faustregeln, die in der Rechtsprechung oft mißverständlich oder auch sogar fa1sch v,erwandt werden15 , so daß Quaritsch sie nach eingehender Untersuchung, auf die hier vel1wiesen werden kann, nicht zu Unrecht als "prozessuale Legende" disqualifiziert 16 • Diese Kritik geht jedoch am Kern der Entscheidung des Oberverwaltung,sgerichts Münster vorbei, nach dem eine vorläufige Zulassung zur nächsthöheren Klasse eine praktisch unabänderliche, irreparable Vorwegna:hme der Entscheidung in der Hauptsache darstellen so1117 und damit eine Zulässigkeitsgrenze einstweiliger Anordnungen 13 Quaritsch, aaO. S. 347 ff.; Knoll, aaO. S. 102; Ule, Eyermann-Fröhler, Rambeck, oben Anm. 6. Offen: OVG Lüneburg, oben Anm. 8. 14 Quaritsch, aaO. S. 348 f. 15 Vgl. die Nachw. bei Quaritsch, aaO. S. 347 Anm. 183; ferner z. B. OVG
Lüneburg, oben Anm. 11; VG Bremen, oben Anm. 8. 16 Quaritsch, aaO. S. 349; ebenso z. B. Ule, Rambeck, oben Anm. 6; Eyermann-Fröhler, VwGO § 123 Rdn. 13; de Clerck, aaO. S. 1339; Knoll, aaO. S. 102; Ruckdäschel, aaO. S. 685; OVG Koblenz, E. v. 12.9.53, DOV 54, 733.Einschränkend OVG Lüneburg, oben Anm. 11. - Jetzt auch: Maunz-SiglochKlein, aaO. § 32 Rdn. 9. 17 So jetzt auch: VGH Kassel, ES VGH 12 I S. 97.
I. Allgemeine Abgrenzungsprobleme
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überschreitet, die in Rechtsprechung und Lehre nun allerdings allgemein, auch von Quaritsch, anerkannt ist1 8 • Ob dieser Gesichtspunkt der Unzulässigkeit irreparabler Gestaltungen durch einstweilige Anordnung vom Oberverwaltung,sg,er,icht Münster richtig verwandt ist, soll im folgenden untersucht werden. 2. Ein s ehr ä n k u n gen die ses Ve r bot e s Als das grundlegende Ziel des Instituts der einstweiligen Anordnung ist oben 19 die sowohl im Parteiinteresse wie auch im öffentLichen Interesse liegende Aufgabe herausgestellt worden, den Rechtsstreit überhaupt entscheidungsfähig zu erhalten, ihn davor zu bewahren, daß er durch außerprozessuale Ereignisse de facto überholt wird, und das richterliche Erkenntnis davor zu schützen, daß es zu spät kommt, seine Rechtsschutzaufgabe schon vereitelt vorfindet und so insgesamt seines Sinnes beraubt wird. Schlagwortartig läßt sich der ober·ste Grundsatz bei dem Erlaß intedmistischer Maßnahmen mithin kennzeichnen als die Aufgabe, den Rechtsstreit überhaupt entscheidungsfähig zu erhalten. Aus diesem Grundsatz allein rechtfertigt sich die Auslegung, die die herrschende Lehre für das interimistische Element der "einstweiligen" Anordnungen gefunden hat, die These, daß die einstweilige Anordnung keine die Hauptentscheidung endgültig vorwegnehmende, irreparable Gestaltung herbeiführen dürfe20 • Daß außerhalb dieses Rahmens die einstweilige Anordnung der schließlichen Entscheidung irgendwie immer vorgreift und für die Dauer ihres Bestandes Wirkungen äußert, die einer vorübergehenden teilweisen Verwirklichung der vom Antragsteller erhobenen Ansprüche praktisch gleichkommen mögen, bleibt daneben unbeacht1ich, solange nur die Entscheidungsfähigkeit des Rechtsstreites nicht irreparabel vereitelt wird, solange der status quo ante wieder herstellbar bloeibt21 • Im Hinblick auf das oben umrissene Ziel der einstweilig,en Anordnung, die Entscheidungsfähigkeit des Rechtsstreites aufrecht zu er.halten, erscheint es jedoch verfehlt, daß Rechtsprechung und Lehre bei der Prüfung der Unzulässigkeit einstweiliger Anordnungen allein den Blick darauf richten, ob eine Interimsmaßnahme einen nicht wieder rückgängig zu machenden Zustand herbeiführt, wie es beispielsweise auch
19
Vgl. alle Nachw. Anm. 16. Oben II, 1, zu Anm. 19-33 m. Nachw., II, 2 zu Anm. 212 ff., unten Anm.
20
Vgl. oben Anm. 16, 18.
18
60.
Friesenhahn, Staatsgerichtshof und einstweilige Verfügung, S. 766; ebenso Quaritsch, aaO. S. 348; Knoll, aaO. S.102; Dersch-Volkmar, aaO. § 62 Anm. 21
101; WüBaVGH, B. v. 13.2.58, VRspr 11, Nr.181; anders OVG Lüneburg, oben Anm.11.
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Schluß: Auswirkungen des executiven Charakters
das Oberverwaltungsgericht Münster in seiner ersten Versetzungsentscheidung getan hat. Die jeweilige Konfliktslage kann nämlich ebenso wie durch eine positive Gestaltungsmaßnahme des Richters in Form einer einstweiligen Anordnung auch durch das Nichteingreif~n des Richters, durch die Verweigerung der einstweiligen Anordnung, in einen irreparablen Zustand übergehen, der durch einstweilige Anordnung verhindert wel'den könnte und müßte 22 • Das Ziel jeglichen Interimsschutzes ist die Verhütung einer irreparablen faktischen Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache, gleichgültig, wodurch sie eintritt, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch positives Eingreif,e n des Richters oder durch seine Untätigkeit herbeigeführt wird. Die Grenze der Versagung eines Interimsschutzes liegt dort, wo ohne solches interimistisches Eingreifen ein irreparabler Zustand eintritt23 • Wenn nun aber der Richter in die Situation kommt, entweder eine irreparable Gestaltung durch einstweilige Anordnung treffen zu müssen oder durch die Verweigerung interimistischen Rechtsschutzes ebenso eine irreparable Lage entstehen lassen zu müssen, so erscheint es im Hinblick auf das oben beschriebene Grundprinzip des intel1imistischen Rechtsschutzes nicht angängig, apriori den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu v,erweigern und damit bewußt die Entstehung einer irreparablen Vorwegnahme der Entscheidung zu begünstigen. Vielmehr erscheint es hier erforderlich, das Ausmaß der durch die Gewährung oder Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jeweils eintretenden irreparablen Vorwegnahme der Hauptentscheidung gegeneinander abzuwägen. Denn wenn ein Rechtsstreit weder durch Gewährung noch durch Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in vollem Umfang,e entscheidungsfähig erhalten werden kann, so ergibt sich doch - a maiore ad minus - aus dem oben umrissenen Grundsatz der Erhaltung einer entscheidungsfähigen Lage des Rechtsstreites, daß dann eine endgültige Vorwegnahme der Hauptentscheidung soweit als irgend möglich verhindert werden muß. Dieses Ziel kann aber nur verwirklicht werden dadurch, daß der Richter in eine Abwägung der jeweils nicht wied~rgutzu machenden Folgen seines Verhaltens eintritt. Ist das Gewicht an Unabänderlichkeit, die unumgänglich mit Gewährung oder Versagung der einstweiligen Anordnung verbunden ist, auf der einen Seite geringer als auf der anderen, so muß das geringere Schadensrisiko in Kauf genommen werden gegenüber der Gefahr des erheblicheren irreparablen Schadens. Die einstweilige Anordnung dient dem gerechten Ausgleich aller Konfliktsinteressen; ist eine Verletzung der widerstreitenden Interessen des Schwebezustandes unumgänglich, so hat die einstweiLig.e So auch selbst später: OVG Münster, U. v. 21. 8. 61, JZ 62, 322. So auch für die nach Art. 19 IV GG äußerstenfalls noch zulässigen Grenzen der Einengung des Suspensiveffekts (ohne nähere Begründung): Siegmund-Schultze, aaO. S. 125, 145 f.; OVG Berlin, AS 3, 1 (3). 22
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I. Allgemeine Abgrenzungsprobleme
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Anordnung den Eintritt des größeren Schadens abzuwehren24 ; birgt jede Interimsregelung ebenso wie ihr Unterbleiben die Gefahr in sich, daß ein irreparabler Schaden entsteht, so ist dann eine einstweilige Anordnung zu erlassen, wenn der mögliche Schaden, die mögliche Irreparabilität bei ihr,em Erlaß geringer ist als der Schaden, der unkorrigierbar eintritt, wenn jede gerichtliche Gestaltung des Schwebezustandes unterbleibt. Es gibt keine gesetzliche Regel, die absolut eine irreparable Gestaltung durch einstweilige Anordnung verbietet, sondern Grundsatz des vorläufigen Rechtsschutzes ist, die Vereitelung des Sinns der Hauptentscheidung dadurch zu vermeiden, daß eine irreparable Entwicklung der Partei beziehungen v,erhindert wird. Die Unabänderlichkeit des entstehenden Zustandes ist aLso auch auf der Seite zu beachten und durch einstweilige Anordnung gegebenenfalls zu verhindern, die ohne Interimsmaßnahme entstehen würde25 . Die Zulässigkeit der einstweiligen Anordnung richtet sich nicht allein nach dem Grade der Irreparabilität, die die einstweilige Anordnung schafft, sondern nach der Gesamtabwägung der Korrigierbarkeit aller denkbaren Interimsentwicklungen. Denn die für den Regelfall aufgestellten "institutseigenen Schranken" der einstweiligen Anordnung, die nicht im Gesetz errichtet sind, können nicht dazu herhalten, den Zweck der Normen über einstweiligen Rechtsschutz zu vereiteln. Deshalb ~st ausnahmsweise eine irreparable Gestaltung durch einstweilige Anordnung zulässig, wenn bei einer Versagung der einstweiligen Anordnung das Risiko, die Hauptentscheidung zu vereiteln, sich nur erhöht und größer ist als beim Erlaß einer Interimsentsche1dung. Sowohl aus der Gewährleistung interimistischen Rechtsschutzes ~ür die Parteien durch § 123 VwGO und Art. 19 Abs. IV GG26 wie auch aus dem in diesen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Grundsatz einer übergeordneten Staatsökonomie27 ergibt sich daher für den Richter, der um eine irreparable Interimsgestaltung angegangen wird, die Pflicht zu prüfen, ob bei einer Versagung derartigen interimistischen Rechtsschutzes nicht eine noch größere und einschneidendere Vorwegnahme der Hauptentscheidung eintritt. Ergibt diese Prüfung, daß die begehrte einstweilige Anordnung das geringere Maß an Irreparabilität bedeutet, so darf er nicht zur Versagung der einstweiligen Anordnung auf jene instituts24 Knoll, aaO. S. 104, vgl. auch Quaritsch, aaO. S.351 (nur für offenkundige Rechtswidrigkeit); vgl. ferner Maunz-Sigloch-Klein, aaO. § 32 Rdn. 26: "Dringend geboten ist stets nur der geringste Eingriff in den . . . streitigen Geschehensablauf. " 25 So offensichtlich auch OVG Münster, JZ 62, 322; im übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in stRspr., vgl.: BVerfG 3, 34 (37); 3, 41 (44); 6, 1 (4); 11, 102 (104); 11, 306 (308 f.); 12, 276 (279); B. v. 27.7.64 DÖV 65, 166 (167). 28 Zur Problematik des Art. 19 IV GG in diesem Zusammenhang vgl. oben II, 2 zu Anm. 414 ff. 27 Vgl. oben II, 1 zu Anm. 28-30.
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eigene Schranke zUl1ückgreifen, nach der eine endgültige Gestaltung durch einstweilige Anordnung unzulässig ist, sondern er hat die einstweilige Anordnung zu erlassen zur Abwendung einer noch einschneidenderen irreparablen Vorwegnahme der Hauptentscheidung. Legt man diese Maßstäbe an die eingangs wiedergegebene erste Entscheidung des Oberv'e rwaltungsgerichts Münster an, so zeigt sich, daß das Gericht - wie es auch sonst in der Rechtsprechung allgemein üblich ist 28 - allein die Feststellung getroffen hat, daß die beantragte vorläufige Zulassung des Schülers zur nächsthöheI1en Klasse in bestimmtem Rahmen eine nicht wieder rückgängig zu machende Vorwegnahme der Hauptentscheidung darstelle und daß deswegen mit Rücksicht auf die Unzulässigkeit irreparabler Gestaltungen durch einstw€ilige Anordnung der interimistische Rechtsschutz versagt werden müsse. Begründete Kritik an dieser Ent,scheidung kann nur dort einsetzen, wo das Gericht sich al1ein mit dieser Feststellung, daß die einstweilige Anordnung zu irreparabler Gestaltung führe, begnügt hat, ohne überhaupt zu erwägen, ob die Versagung der einstweiligen Anordnung für den rechtsschutzsuchenden Schüler im Falle seines Obsiegens in der Hauptsache nicht eine sehr viel einschneidendere Vorwegnahme der Hauptentscheidung bedeute, ja, für diesen Fall ein obsiegendes Urteil überhaupt illusorisch macht29 • Daß das Oberverwaltungsgericht Münster in seiner ersten Entscheidung auf diese Fragen überhaupt nicht eingeht, sondern die einstweilige Anordnung a PI1iOri unter Hinweis auf die instituts eigene Schranke der Irreparabilität ablehnt, ist im Hinblick auf die oben dargelegte Notwendigkeit weiterer Prüfungen schon systematisch zu beanstanden; darüber hinaus aber hätte jene oben gefoI1derte Abwägung der möglichen Interimsentwicklungen zu einem anderen Ergebnis führen müssen, wie hier noch kurz aufgezeigt wel1den so1l30. Der in einer Versetzungssache um eine einstweilige Anordnung angegangene Richter sieht sich folgenden Entwicklungsmög1ichkeiten bis zum Prozeßabschluß gegenüber: Erläßt er eine einstweilige Anordnung, die dem Schüler einstweilen den Besuch der nächsthöheren Klasse gestattet, und dringt die Klage in der Hauptsache später nicht durch, so bleibt der Nichtv,ersetzungsbeschluß bestehen und dem Schüler, der nunmehr wieder in die untere Klasse zurückkehren muß, fehlt ein Teil 28 Vgl. z. B. zuletzt: VGH Kassel, ESVGH 12, I S. 97 f.; OVG Lüneburg, VRspr 15, S. 109 ff. 29 Wie es das OVG Münster später (JZ 62, 322) richtig sieht, allerdings auch ohne dort in die hier geforderte Abwägung einzutreten. 30 In JZ 62, 322 kommt das OVG Münster auch zum entgegengesetzten Ergebnis, ohne jedoch die frühere Entscheidung in MDR 58, 370 und die dort behandelte Problematik überhaupt zu erwähnen.
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des Unterrichts in der zu wiederholenden Klasse. Lehnt der Richter dagegen den Erlaß jener einstweiligen AnoI1dnung ab, bleibt der Schüler also vorerst in der bereits einmal absolvierten Klasse, und dringt dann die Klage geg.en den Nichtversetzungsbeschluß mit dem Erfolg durch, daß die Verpflichtung zur VersetZJung in die höhere Klasse ausgesprochen wird, so fehlt dem Schüler der entsprechende Teil des Unterrichts in der nächsthöheren Klasse. Daß mit diesen Konsequenzen in jedem Falle ein gewisses Maß an Irreparabilität der einmal entstandenen Verhältnisse für den Schüler eintritt, liegt auf der Hand. Sowohl der Erlaß einer einstweiligen AnoI1dnung wie auch, was das Oberverwaltungsgericht Münster nur in seiner zweiten Entscheidung gesehen hat, die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes läßt die Gefahr entstehen, daß das später in der Hauptsache ergehende Urteil in seiner Durchführung zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führt. In jedem der beiden Fälle kann der Schüler nur durch nachträglichen Nachhilfeunterricht in den Stand der jeweils anderen Klasse hineingebracht werden, wobei die sachliche Durchdringung des jeweils nachzuholenden Lehrstoffes in der Regel kaum die Qualität des ordentlichen Klassenunterrichts erreichen wird. Trotzdem bestehen, wenn die richterliche Prüfung des Rechtsschutzbegehrens einmal bis zu diesem Punkt vorgedrungen ist3 1 , zwrschen beiden Lösungsmöglichkeiten solche Unterschiede in der praktischen Vorwegnahme der Hauptentscheidung, daß nur die vorläufige Zulassung des Schülers zur nächsthöheren Klasse dem Sinn und Zweck der Garantie interimistischen Rechtsschutzes entspricht. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Klagbegehrens nicht eindeutig beurteilen32 , so ist das Risiko einer irreparablen Vorwegnahme der Hauptentscheidung wesentlich größer und einschneidender, wenn die vorläufige Zulassung zur nächsthöheren Klasse versagt wird als wenn sie erfolgt. Denn in diesem Falle müßte der - nach der ganzen Fallage ohnehin nie zu den besonders begabten Schülern gehörende Kläger durch Nachhilfeunterricht Lehrstoff neu erarbeiten, der ihm noch völlig unbekannt ist, und damit durch Nachhilfeunterricht das erreichen, was nur in seltenen Fällen besonders begabten Schülern gelingen wird. Ein Verpflichtungsurteil, nachträglich die VersetZJung vor31 Im Rahmen der Interessenabwägung ist zunächst, wie bei der Aussetzungsentscheidung nach § 80 V VwGO, eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage vorzunehmen (Eyermann-Fröhler, VwGO § 123 Rdn.7; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S.218; OVG Münster, B. v. 14.3.57, VRspr 9, S.562 (568); OVG Lüneburg, B. v. 28.6.57, VRspr 9, S. 881 ff.; VGH Kassel, B. v. 14.10.58, NJW 59,1940; Knoll, aaO. S. 103; vgl. unten Anm.93), eine Prüfung, die gerade bei Verpflichtungsklagen in Beurteilungs- und Ermessenssachen den Kläger in eine schwierige Position bringt (vgl. z. B. OVG Lüneburg, B. v. 19.7.62, VRspr 15, 109 (112 ff.), dazu unten II, 3). Erst wenn der Richter dabei zu einem ,non liquet' kommt, kann er in die hier behandelte isolierte Interessenabwägung eintreten. 32 Kommt der Richter also zu einem ,non liquet', vgl. Anm.31.
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zunehmen, ist de facto nicht zu realisieren, wenn der Kläger in der unteren Klasse verblieben ist; ein solcher Schüler würde nie in den Rahmen der höheren Klasse hineinwachsen können, sein obsiegendes Urteil in der Hauptsache wäre sinnlos und durch den Gang der Ereignisse völlig überholt 33 • Wesentlich anders ist hingegen die Lage zu beurteilen, wenn der Schüler durch einstweilige Anordnung vorläufig zum Unterricht in der nächsthöheren Klasse zugelassen worden ist und dann in der Hauptsache unterliegt, mithin Lehrstoff der unteren Klasse nachholen muß, in die er nun zurückzukehren hat: Hier hat der Schüler durch korrigierenden Nachhilfeunterricht lediglich Lehrstoff zu wiederholen, den er bereits einmal im Rahmen seiner ursprünglichen Klasse kennengelernt hat; ein hier durchzuführender Nachhilfeunterricht wäre nicht wie in jenem anderen Falle von vornherein zur Erfolglosigkeit verurteilt. Dabei ist nämlich auch noch zu beachten, daß der Schüler, der in der höheren Klasse einstweilen am Unterricht teilnimmt, ohnehin den Lehrstoff der vorangegangenen Klasse praktisch zu beherrschen und daher gegebenenfalls nachzuarbeiten hat, eine Aufgabe, die ihm im Rahmen der einstweiligen Anordnung auf Zulassung zur nächsthöheren Klasse auch durch besonderes Gebot gemäß §§ 123 VwGO, 938 Abs. 11 ZPO sollte auferlegt werden können, ein Weg, von dem die Gerichte bisher noch keinen Gebrauch gemacht haben34 • Selbst wenn man aber von einem solchen besonderen Gebot absieht, zeigt doch d,ie Abwägung der verschiedenen drohenden Interimsentwicklungen, daß während eines solchen Versetzungsstreites, der nicht von vornherein als erfolgreich oder erfolglos zu qualifizieren ist3S , nur die einstweilige Zulassung des Klägers zur nächsthöheren Klasse die Interimsgestaltung ist, die das größte Risiko an irreparabler Vorwegnahme der Hauptentscheidung veI1hindert. In solcherart gelagerten Versetzungsstreitigkeiten ist daher die vorläufige Zulassung zur nächsthöheren Klasse durch einstweilige Anordnung herbeizuführen; diese einstweilige Anordnung darf nicht aus dem Grunde abgelehnt werden, daß sie in gewissem Rahmen eine irreparable Vorwegnahme der Hauptentscheidung herbeiführe. Die gerade in der Rechtsprechung zu Beurteilungs- und Ermessensangelegenheiten häufig mißbrauchte Faustregel von dem Verbot irreparabler Gestaltungen durch einstweilige Anordnung sollte nach allem künftig wesentlich zurückhaltender und kritischer verwandt werden, um dem eigentlichen Zweck interimistischen Rechtsschutzes, der VerSo ganz klar: OVG Münster, U. v. 21. 8. 61, JZ 62, 322. Vgl. allerdings VGH Kassel, B. v. 14.10.58, DVBI 59, 144, wo auf diese Pflicht des Schülers zum Aufarbeiten des Lehrstoffes abgestellt wird, ohne daß aber das Gericht von der Möglichkeit der Erteilung einer Auflage Gebrauch gemacht hätte. 35 Vgl. oben Anm. 31. 33 34
II. Die einstweilige Anordnung in Ermessensangelegenheiten pp.
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hinderung einer endgültig irreparablen Vorwegnahme der Hauptentscheidung, in größerem Maße als bisher zum Erfolge zu verhelfen. Am Beispiel des V.ersetzungsfalles hat sich gezeigt, daß gerade die unkritische Anwendung dieser Faustreg,el Sinn und Zweck der Gewährung interimistischen Rechtsschutzes durch den Gesetzgeber vereitelt. 11. Die einstweilige Anordnung in Beurteilungs- und
Ermessensang.elegenheiten
Nach diesem kritischen Blick auf die bei allen Interimsfragen auftretende Problematik der Grenzen einstweilig.er Anordnungen soll nunmehr, und zwar ebenfalls am Beispiel des Versetzungs falles, untersucht werden, ob die besonderen Grenzen der Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen in Beurteilungs- und Ermessensangelegenheiten, wie sie in Rechtsprechung und Lehre allgemein konstatiert werden, vereinbar sind mit dem grundsätzlichen Ergebnis dieser Arbeit, daß der Erlaß einer einstweiligen Anordnung durch den Richter materiell den Charakter executiver Entscheidungsmacht hat. 1. Die grundsätzliche Unzulässigkeit nach der herrschend,en Lehre
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat in seiner Grundsatzentscheidung zur einstweilig,en Anordnung in Versetzungssachen36 die oben behandelte Problematik der irreparablen Vorwegnahme der Hauptentscheidung ausdrücklich unentschieden gelassen37 und den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung als unzulässig abgelehnt, daß es sich bei dem in der Hauptsache umstrittenen Versetzungsbeschluß um eine Ermessensentscheidung der Schulbehörde handele, die das Gericht auch nicht durch vorläufige Maßnahmen eigenen Ermessens ersetzen dürfe. Mit dieser Begründung stellt das Gericht auf einen nahezu unbestrittenen Kernsatz der herrschenden Lehre ab, nach dem der Erlaß einer einstweiligen Anordnung in Ermessensangelegenheiten grundsätzlich abgelehnt wird38 , soweit sich nicht das ErOVG Lüneburg, B. v. 15.8.60, NJW 60, 1879. Anders dagegen: OVG Lüneburg, B. v. 19.7.62, VRspr 15, 109 ff., wo es um eine Ausnahmeerlaubnis in einer Ermessensangelegenheit ging. 38 Absolut h. L., vgl. z. B. (jeweils m. Nachw.): UZe, VwGO, § 123 Anm. I (S. 415); ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 217; Eyermann-Fröhler, VwGO, § 123 Rdn. 14; Koehler, VwGO, § 123 Anm. III 6; Schunck-de Clerck, VwGO, § 123 Anm. 3 c; dies., VGG Rh-Pf § 64, Anm. 2 a; dies., BVerwGG § 30 Anm. II a; Bachof, Aussetzung der Vollziehung, S.329; Rambeck, aaO. S.1334; Quaritsch, aaO. S. 358 ff.; E. Eichhorn, aaO. S. 161 f.; Forsthoff, aaO. S. 510; BayVGH, E. v. 28.10.57, VRspr 10, 538 ff. (542); OVG Münster, B. v. 13.11.57, AS 58 37
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messen auf eine einzige Entschekiungsmöglichkeit ver,engt; der Antrag auf eine solche einstweilige Anordnung in Ermessensangelegenheiten wird dabei bald als unzulässig 39 , bald als unbegründet 40 angesehen. Bevor die Grundlagen dieser absolut herrschenden Lehre untersucht werden, ist an der Begründung des Beschlusses des Oberverwal1Jungsgerichts Lüneburg auszusetzen, daß das Gericht die Versetzungsentscheidung der Schulbehörde als Ermessensakt ansieht. Denn ihr fehlt das grundsätzliche Kriterium des Ermessensaktes, daß nämlich verschiedene Entscheidungen der Behörde von der Rechtsordnung als gleichermaßen "richtig" anerkannt werden41 ; der Gesetzgeber sieht nicht den Versetzungs- wie den Nichtversetzungsbeschluß als gleich richtigen Spruch im konkreten Fall an. Die ursprüngliche Qualifikation des Versetzungsbeschlusses als Ermessensentsch,eidung42 ist daher nicht aufrechterhalten, sondern von Rechtsprechung und Lehre dahin korrigiert worden, daß es sich bei diesem pädagogischen Werturteil um eine Entscheidung handele, der auf der Tatbestandsseite unbestimmte Rechtsbegriffe 2\U Grunde liegen und der Behörde damit einen verwaltungsgerichtlich nicht nachprüfbaren Beurteilungsspielraum einräumen 43 • Trotz dieses Fehlers in der Qualifikation des Versetzungsbeschlusses brauchen vom Standpunkt der herrschenden Lehre aus jedoch keine Einwendungen gegen das Ergebnis erhoben zu werden, zu dem das Oberverwaltungsg,ericht Lüneburg in seiner Entscheidung gekommen ist. Denn auch der Verwaltungsakt, dem ein behördlicher Beurteilungsspielraum zu Grunde liegt, ist für den Verwaltungsrichter im Kernbereich dieses Beurteilungsspielraumes unüberprüfbar und steht insoweit einer Ermessensentscheidung der Behörde gleich 4 4; dementsprechend hat auch die Rechtsprechung in jüngerer Zeit in diesen als Beurteilungssachen erkannten Versetzungsangelegenheiten die Maßstäbe 13, 119; OVG Lüneburg, B. v. 15.8.60, NJW 60,1879; WüBaVGH, E. v. 20. 4. 60, VRspr. 12, S. 1010 f.; VGH Kassel, B. v. 18.10.61, ES VGH 12, I, S. 97; - offen dagegen: OVG Koblenz, B. v. 27.7.56, OVGE 5, 189 (190); - a. A. (ohne Begründung): de CZerck, aaO. S. 1338. 39 So wohl überwieg{;md, vgl. Quaritsch, UZe, KoehZer, Rambeck, E. Eichhorn, VGH Kassel, insb. auch Schunck-de CZerck, jeweils wie Anm. 38. 40 So anscheinend: OVG Münster, U. v. 21. 8. 61, JZ 62, 322; OVG Lüneburg, B. v. 19.7.62, VRspr 15, 109 (112 f.). 41 Vgl. oben H, 2 Anm. 115, 205. 42 So früher ganz h. L., vgl. z. B. die eing. Nachw. bei UZe, Probleme des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S.169 Anm.124; Quaritsch, S.363. Heute noch ausdrücklich: Eyermann-FröhZer, VwGO § 42 Rdn.51, § 114 Rdn.9. 43 So heute h. L., vgl. z. B. UZe, VwGO, § 114 Anm. III (m. eing. Nachw.); Menger, Höchstrichterliche Rechtsprechung, VerwArch 50,278 ff.; WoZff, Verwaltungsrecht, S. 141; Quaritsch, aaO. S. 363 f.; Kellner, aaO. S. 579 f.; BVerwG 12, 29 (34 m. Nachw.); OVG Münster, U. v. 22. 9. 58, DVBl. 59, 72. U Vgl. oben Anm. 2,3; insb. BVerwG 8, 272 (274 f.).
II. Die einstweilige Anordnung in Ermessensang-elegenheiten pp.
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übernommen, die die herI1schende Lehre in Ermessensang.e legenheiten aufgestellt hat4 '. Gegen diese Gleichstellung von Beurteilungs- und Ermessensangelegenheiten für den Bereich interimistischen Rechtsschutzes wendet sich lediglich Quaritsch46 , der aber eineI1seits auf Gesichtspunkte hinwe1st, die die Problematik des umstrittenen gerichtsfreien Beurteilungsspielraumes überhaupt begründen und auf die hier nicht eingegangen werden kann 47 , und der ander,erseits mit Argumenten arbeitet, die ebenso für den Bereich interimistischen Rechtsschutzes in Ermessensangelegenheiten gelten; von diesen Gesichtspunkten wird aber ohnehin unten noch die Rede sein. Im Sinne der heute als herrschend anzusehenden Rechtsprechung und Lehre liegt es jedenfalls, die Grenzen des Instituts der einstweilig,e n Anordnung in Beurteilungssachen und Ermessensangelegenheiten als identisch anzusehen und damit jene Fehlqualifikation des VeI1setzungsbeschlusses durch das Oberverwaltungsgericht Lüneburg als einen im Ergebnis unbeachtlichen Fehler zu bew.e rten. 2. S t -e 11 u n ,g nah m e und K r i ti k
Die eigentliche Kritik an jener Entscheidung des Oberv,erwaltungsgerichts Lüneburg hat erst später einzusetzen, näm1ich dort, wo die auch von der herrschenden Lehre anerkannte These v,om grundsätzlichen Ausschluß einstweiliger Anordnungen in Ermessensangelegenheiten zur Begründung der Entscheidung her,angezogen wird. Hier ist die Frage aufzuwerfen, ob für diese Grundthese der herrschenden Lehre eine stichhaltige Begründung gegeben wird oder doch gegeben werden kann. Dazu sei zunächst vermerkt, daß nur die wenigsten Vertreter der herrschenden Lehre für den Ausschluß einstweiliger Anordnungen in Ermessensangelegenheiten überhaupt eine Rechtfertigung g,eben, sondern daß sie hier ohne jede nähere Darlegung häufig eine Art Zulässigkeitsgrenze sui generis für das Institut der einstweiligen Anordnung deklarieren48 • Dem OberV'erwaltungsgericht Lüneburg kommt hier das Verdienst zu, jenen Ausschluß der Interimskompetenz in Ermessensangelegenheiten mit einer jedenfalls in sich folgerichtigen 45 Vgl. z. B. OVG Münster, OVG Lüneburg, oben Anm.40; VGH Kassel, oben Anm. 38. 46 Quaritsch, aaO. S. 362 ff. 41 Vgl. dazu oben II, 2 Anm. 80 ff., 281 ff., jeweils m. Nachw. 48 Vgl. z. B. UZe, VwGO § 123 Anm. I (S.415), und Verwaltungsprozeßrecht, S.217: "Steht der Erlaß des beantragten Verwaltungs aktes im Ermessen der Verwaltungsbehörde, so kommt eine einstweilige Anordnung auch aus diesem Grunde (!) nicht in Betracht." - Ähnlich Eyermann-FröhZer, VwGO § 123 Rdn. 14.
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Schluß: Auswirkungen des executiven Charakters
Konstruktion näher begründet zu haben49 • Es greift auf eine jener - gerade beim Lnstitut der einstweiligen Anordnung so häufig verwandten - unkontrollierbaren Faustregeln zurück, nach der im Rahmen des § 123 VwGO nur die Anordnung einer Maßnahme beantragt werden könne, auf die das angerufene Verwaltungsgericht auch durch Urteil erkennen kann 50 , daß "Inhalt und Mittel einer einstweiligen Anordnung aber nicht weiter reichen können als die Urteilskompetenz des Gerichts"51. Mit diesen Formeln wird die Brücke geschlagen von
§ 123 VwGO zu § 113 VwGO, der prozessualen Vorschl1ift über das Urteil in der Hauptsache, wo im Rahmen der - hier allein in Frage stehenden - Verpflichtungsklage in Ermessenssachen ein Verpflichtungstenor nur unter den engen Voraussetzungen der Spruchreife zugelassen wird (§ 113 Abs. IV S. 1 VwGO). Dementsprechend wird die einstweilige Anol1dnung in Ermessensangelegenheiten nur dann gegeben, wenn nach der vorgetragenen Sachlage nur noch eine Ermessensentscheidung rechtmäßig sein ~M!tn52, wobei die Vertreter dieser Auffassung aber einräumen müssen, daß eine solche Spruchreife praktisch nie vor der Entscheidung in der Hauptsache gegeben sein werde 53 . Diese prozeßrechtliche Konstruktion ist der einzige bisher in Rechtsprechung und Lehre unternommene Versuch, dem Richter die Interimskompetenz in Ermessensangelegenheiten zu nehmen; sie bedarf daher einer kurzen Betr,achtung. Grundlage dieser Konstruktion ist die Faustregel, daß durch einstweilige Anol1dnung nicht mehr gewährt werden dürfe, als im Urteil in der Hauptsache zugesprochen werden kann. Diese im Gesetz jedenfalls ausdrücklich nicht verankerte, nirgends überprüfte, aber gleichwohl axiomenhaft stets verwandte Faustregel54 bringt im Vergleich zu frü49 OVG Lüneburg, NJW 60, 1879; ähnlich auch, etwa gleichzeitig, Quaritsch, aaO. S. 358 ff.; Koehler, VwGO § 123 Anm.III 6; ferner Rambeck, aaO.
S.1334. 50 Diese Faustregel wird allgemein verwandt, vgl. z. B.: UIe, VwGO, § 123 Anm. I; Eyermann-FröhIer, VwGO, § 123 Rdn. 6; Koehler, VwGO, § 123 Anm. III 6; Rambeck, aaO. S. 1334; OVG Münster, B. v. 13.11. 57, AS 13, 119; Forsthoff, aaO. S. 510; vgl. für die Schweiz: Guldener, aaO. S.388 Anm. 28 a. 51 Quaritsch, aaO. S.358, 359; vgl. OVG Münster, B. v. 5.1.59, NJW 59, 1989 (1990). 52 UIe, Eyermann-FröhIer, Koehler, Rambeck, Quaritsch, E. Eichhorn, BayVGH, OVG Münster, OVG Lüneburg, oben Anm. 38. 53 Quaritsch, aaO. S.359. Schon dieses Ergebnis sollte der h. L. Veranlassung zu selbstkritischer Prüfung geben, denn im Parallelbereich der Interimsregelung durch Suspensiveffekt und Aussetzungsentscheidung (§ 80 VwGO) heißt es gerade, und zwar ebenfalls nach der h. L., daß die Frage des Eintritts des Suspensiveffektes nicht vom Ausgang der Sache abhängen dürfe; vgl. z. B. Löwer, aaO. S. 343 f. m. Nachw. 54 Kritisch zur bedenkenlosen Befolgung derartiger Faustregeln bei einstweiligen Anordnungen z. B. Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 58, 337 f.; vgl. auch Quaritsch, aaO. S. 348 f.( vgl. oben Anm. 16).
H. Die einstweilige Anordnung in Ermessensangelegenheiten pp.
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heren Ausführungen dieser Al"beit 55 eine schon bekannte These wieder: Die Formel, eine einstweilige Anordnung könne nie mehr gewähren als der endgültige Spruch, ist nichts anderes als die oft aufgestellte 56 , schon bei der dogmatischen Untersuchung aber eingehend wd-derlegte57 These, daß Hauptentscheidung und Interimsmaßnahme im Verhältnis von plus und minus zueinander stehen und daß die einstweilige Anordnung dem Urteil in der Hauptsache gegenüber nur eine engere Spruchmacht bedeute, im übrigen aber gleicher Qualität wie jenes sei. Es bedarf hier keiner Wiederholung des Nachweises, daß diese Qualifizierung der einstweiligen Anordnung im Ansatz falsch ist, daß die richterliche Interimsentscheidung der Hauptentscheidung gegenüber ein aliud und kein minus ist58 • Hier kommt die Kernthese dieser Arbeit zum Tragen, daß die einstweilige Anondnung ihrem Wesen nach eine dem Richter zugewiesene Executrlvmaßnahme ist, sich damit grundlegend von dem echten Rechtsprechungsakt der richterlichen Hauptentscheidung unterscheidet und daß es damit eine Verkennung des Wesens der gerichtlichen einstweiligen Anordnung bedeutet, wenn man ihre in § 123 VwGO besonders geregelte Entscheidungsmacht mit einer "a maiore ad minus"-Argumentation den Regeln des § 113 VwGO unterwirft. Was dabei für die unterschiedliche Rechtsnatur der beiden Entscheidungsarten (Hauptentscheidung und einstweilige Anordnung) gilt, ist gleichermaßen für die Qualität der Entscheidungsmöglichkeiten bestimmend: Die Möglichkeiten des Entscheidungsinhalts der einstweiligen Anordnung richten sich nicht aus an denen des Sachurteils; Zweck und Mittel beider Sprucharten unterscheiden sich "staatsökonomisch" einander verbunden59 - grundlegend. Die Grenzen der Sachurteilskompetenz, wie sie u. a. in § 113 Abs. IV VwGO gezogen werden, bedeuten kein logisch zwangsläufiges Ende der Kompetenz zu vorläufiger Regelung durch die interimistische Gestaltungsmacht der einstweiligen Anordnung. Der Gesetzgeber selbst hat vielmehr klargestellt, daß die interimistische Spruchmacht nicht an die Grenzen der Urteilskompetenz in der Hauptsache gebunden ist: Schon die beispielhafte Aufzählung der (gemäß § 123 Abs. II! VwGO auch im Verwaltungsprozeß geltenden) Entscheidungsmöglichkeiten in § 938 Abs. II ZPO weist stets im Falle der Sequestration und meistens in den Fällen richterlicher Gebote und Verbote Interimsgestaltung auf, auf die der Richter im Endurteil nie würde erkennen können. Die schon aus dem Wesen der einstweiligen Anordnung als Executivmaßnahme folgende Wider55 56 57
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27.
Vgl. oben II, 2, B, II, 2 d. Vgl. die Nachw. oben II, 2 Anm. 180 ff. Wie Anm. 55, insb. oben II, 2 Anm. 220 ff. Oben II, 2 Anm.220 und 327, 336. Vgl. oben II, 1 zu Anm. 28 ff.; II, 2 Anm.427; Schlußbetrachtung, Anm.
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Schluß: Auswirkungen des executiven Charakters
legung der hier behandelten F.a ustregel wird damit durch das Gesetz selbst als Lösung contra legem disqualifiziert. Darüber hinaus läßt sich auch im Weg.e des argument um e contrario die These aufstellen, daß die Grenzen des § 113 Abs. IV VwGO bei der Entscheidung nach § 123 VwGO nicht gelten können. Denn während die Verwaltungsgerichtsordnung für die Entscheidungsgattung der Urteile in der Hauptsache eben jene Schranke des § 113 Abs. IV VwGO errichtet, verzichtet sie auf eine solche Regelung für die Entscheidungsart der einstweiligen Anordnung. Aber auch eine von der Technik des Gesetzes abstrahierende und die Rechtsnatur der Entscheidungsarten nicht berücksichtigende Betrachtungsweise belegt die These, daß jene Faustregel der herrschenden Lehre keine gültigen Grenzen für das Institut der einstweiligen Anordnung umreißt. Denn schon die unterschiedlichen Aufgaben und Zwecke der Regelungen in § 113 VwGO einerseits und § 123 VwGO andererseits weisen die hier erörterte Faustregel als unzulässige Argumentationsbasis bei der Entsche~dung über einstweilige Anordnungen aus. Sinn und Zweck der gesetzlichen Garantie vorläufigen Rechtsschutzes im Verwaltungsprozeß durch § 123 VwGO sind im Rahmen dieser Untersuchung schon erarbeitet und wiederholt herausgestellt worden. Es ist die Aufgabe, den ,Rechtsstreit insgesamt überhaupt entscheidungsfähig zu erhalten und dazu die widerstreitenden Parteiinteressen während des schwebenden Prozesses durch vorläufige Gestaltungsmaßnahmen auszugleichen60 • Dieses Ziel des Gesetzgebers, das allgemein in § 123 VwGO und speziell für die Anfechtungsklage in § 80 VwGO seinen Niederschlag gefunden hat, behält auch in Streitigkeiten in El'messensangelegenheiten ,und Beurteilungssachen seine Bedeutung; auch hier gibt es, w~e schon oben am Beispiel des Versetzungsfalles dargestellt und aus der Rechtsprechung belegt worden ist 61 , die Gefahr, daß die spätere Entscheidung in der Hauptsache durch faktische Entwicklungen außerhalb des Prozesses praktisch überholt und ihres Sinnes beraubt wird. Dem Schüler, der über den Prozeß den Anschluß an seine ursprüngliche Klasse verloren hat, nützt das obsiegende Urteil nichts mehr. Von der Intention des Gesetzgebers her, wie sie in § 123 VwGO zum Ausdruck kommt, kann es also keinen grundsätzlichen Ausschluß interimistischen Rechtsschutzes in Ermessensstreitigkeiten geben. Dem entspricht es auch, daß die herrschende Lehre einstweilige Anordnungen .grundsätzlich im Rahmen aller Klagarten des Verwaltungsprozesses, die echt eh Rechtsschutzcharakter haben, für zulässig hält62 ; da Vgl. oben Anm. 19 m. w. Hinweisen. Oben Anm. 6 ff., 29. 62 Abgesehen natürlich von der Anfechtungsklage, für die die Spezialregelung des § 80 VwGO gilt (§ 123 V VwGO); vgl. z. B. Eyermann-Fröhler, VwGO GO
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§ 123 VwGO für den Teilbereich der verwaltungsprozessualen Verpftichtungsklage keinerlei Ausnahmeregelung trifft, wird man davon ausgehen dürfen, daß jedenfalls der Zweck des § 123 VwGO den vorläufigen Rechtsschutz auch in Ermessensstreitgkeiten mitumfaßt. Denn daß die Verpflichtungsklage, die auch in diesen Streitigkeiten grundsätzlich zulässig ist03 , Rechtsschutzcharakter zugunsten des Klägers hat, folgt schon aus § 42 Abs. II VwGO. Ist sie aber Rechtsschutzklage, so kann der vorläufige Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung jedenfalls nicht apriori ausgeschlossen sein. Fraglich k.ann danach lediglich bleiben, ob die Kompetenz ~um Erlaß einstweiliger Anordnungen eine Begrenzung dort erfährt, wo die richterliche Urteilskompetenz nach §§ 113 Abs. IV, 114 VwGO ihre Schranke findet. Einigkeit herrscht darüber, daß diese Grenze der richterlichen Urteilsgewalt schon aus dem Wesen der Verwaltungsrechtsprechung folgt und daß das Gesetz insoweit nur eine deklaratorische KlarsteIlung beinhaltet64 • Diese der richterlichen Urteilsgewalt immanente Schranke ergibt sich daraus, daß die Verwaltungsrechtsprechung - und zwar auch, soweit sie Rechtsschutzaufgaben erfüllt - reine Rechtskontrolle ist65 • Das eigentliche Kernproblem liegt nun aber in der Frage, ob diese auf die RechtskontroHaufgaben der Verwaltungsrechtsprechung zugeschnittene Schranke der Urteilskompetenz Anwendung finden kann auf die Gestaltungsaufgaben, die die ihrem Wesen nach executive Interimskompetenz des Verwaltungsrichters erfüllt. Hier kommt es darauf an, welchem Zweck die in §§ 113 Abs. IV, 114 VwGO aufgestellte Schranke der richterlichen Urteilskompetenz dient. Das Verbot, das §§ 113 Abs. IV, 114 VwGO für den Verwaltungsrichter aufstellen, schützt den Ermessensbereich der Executive vor eigenem Ermessen des Richters, der Richter soll nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Executive setzen66 • Es .ist die Frage, ob dieser Schutz§ 123 Rdn. 9; Quaritsch, aaO. S.367. - Streitig ist im übrigen nur die Lage im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO; verneinend z. B. UZe, VwGO § 47 Anm.III 3, § 123 Anm. I (S. 416); Eyermann-FröhZer, VwGO § 47 Rdn.37, § 123 Rdn. 16; VGH Bremen, B. v. 19.10.53, DOV 54, 60; bejahend z. B. Quaritsch, aaO. S. 365 ff.; Knoll, aaO. S.99, 103; VGH Mannheim, E. v. 30.6.61, BaWüVBl 61, 138 m. Anm. 63 Allg. Ans., vgl. z. B. UZe, VwGO § 42 Anm. III 3; KZinger, VwGO § 42 Anm. A 2 a; KoehZer, VwGO § 113 Anm. F IV 2 b; BVerwG 11, 95 (98). 64 Vgl. z. B. UZe, VwGO § 114 Anm. I; Eyermann-FröhZer, VwGO § 114 Rdn. 1; KoehZer, VwGO § 114 Anm. A II 2. 65 Vgl. Z. B. FZeiner, aaO. S.257; Forsthoff, aaO. S. 464 f., 494 ff.; UZe, VerwaUungsprozeßrecht S. 8 ff. Im Grunde handelt es sich um eine Konsequenz des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes, vgl. insb. oben II, 2 Anm.38, 218 ff. 66 Allg. Ansicht, vgl. z. B. UZe, VwGO § 113 Anm. II (S. 386); ders., Verwaltungsprozeßrecht, S. 9; Eyermann-FröhZer, VwGO § 114 Rdn. 6; Klinger, VwGO § 113 Anm. D 5 c; Forsthoff, aaO. S. 495; Quaritsch, aaO. S. 359; BVerwG 4, 283 (284); U. v. 6.3.59, DVBI 59, 438; ferner alle Nachw. oben Anm.38. 13 Rohmeyer
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zweck überhaupt verletzt werden kann, wenn man die Schranken der §§ 113 Abs. IV, 114 VwGO auf das Institut der ,einstweiligen Anordnung nicht anwendet. Die aufgezeigte Schutz aufgabe der §§ 113 Abs. IV, 114 VwGO kann sich nur auf den Bereich executiven Handeins beziehen, für den der Executive vom Gesetzgeber Ermessensmacht eingeräumt ist01 • Gegenstand der Ermessensentscheidung der Executive ist aber stets nur die endgültige Entscheidung der jeweils anstehenden Frage, - der abschließend-endgültige Spruch, die Maßgeblichkeit des letzten Wortes der Behörde kennzeichnet jenen der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Ermessensspielraum der Executive68 • Scharf zu trennen von diesem Bereich unüberprüfbarer endgültiger Willensentschlüsse der Behörde ist aber das Aufgabengebiet der Interimsgestaltung des vorläufigen Schwebezustandes im Prozesse. Schon bei der Untersuchung der historischen Entwicklung der einstweiligen Anordnung hat sich ergeben, daß die früher vielfach den Behörden eingeräumte Kompetenz zu vorläufigem Gestaltungsermessen heute nicht mehr besteht, daß sie vielmehr gerade mit der Entwicklung des Verwaltungsprozesses der Executive genommen ist und ausschließlich den Gerichten zugewiesen ist 69 • Ebenso wenig, wie es dort ein ,allgemeines Interimsgestaltungsermessen gibt, gibt es aber in Ermessensangelegenheiten ein besonderes Ermessen der Executive zur überbrückung des Schwebezustandes bis zum Erlaß der endgültigen Ermessensentscheidung, um den ja gerade im Hauptprozeß gestritten wird. Vielmehr bedeutet hier die Kompetenz des nach seinem Ermessen vorläufig gestaltenden Richters eine Spezialregelung der Rechtsordnung für den gesamten Bereich interimistischer Probleme; jene allgemeine Ermessensfreiheit der E~ecutive hinsichtlich der endgültigen Entscheidung tritt zurück hinter der speziellen Ermessensmacht des Richters bei der vorläufigen Regelung: Dem Richter ist hier eine eigene Ermessensmacht eingeräumt, die für den Bereich der vorläufigen Gestaltung jegliche Ermessenskompetenz der Executive verdrängt7°. Hier handelt es sich für den Richter auch nicht um eine Kontrolle der Ermessensentscheidung und der Zwe'ckmäßigkeitserwägungen der Executive, also nicht um eine W,ahrnehmung der für das v,er67 Vgl. § 114 VwGO: "Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln ..." 68 Vgl. oben II, 2, B, III 3, insb. Anm.282, 288. Im Vergleich zu der bekannten Frage ,quis iudicabit?' kommt es hier auf die Frage an ,quis decisionabit?' ! 69 Jedenfalls grundsätzlich, nämlich soweit nicht gesetzliche Sonderregelungen bestehen; vgl. oben I, 2, EIl b, insb. Anm. 115, 120 m. Nachw.; vgl. auch Quaritsch, aaO. S. 218 (zu Anm.46). 70 So ausdrücklich zu der entsprechenden Regelung bei der Aussetzungsentscheidung: Eyermann-FröhZer, VwGO § 80 Rdn.48; UZe, VwGO § 80 Anm. II 1 a; Redeker- v. Oertzen, VwGO § 80 Anm. D 3; OVG Lüneburg, B. v. 25.9. 56, VRspr 9, 902; OVG Koblenz, B. v. 14.11. 61, NJW 62, 1364 (1365); B. v. 3. 10. 62, DÖV 62, 912.
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waltungsgerichtliche Urteil typischen Kontr,ollaufgaben, sondern um eine, wie diese Arbeit gezeigt hat, dem Gericht zugewiesene Executiv .. aufgabe eigener Art, die gar keine Kontrollfunktion enthälF 1 • Gerade erst die oben aufgezeigte Rechtsnatur der einstweiHgen Anordnung als ein der Executive zugehörendes,dem Richter nur zugewiesenes Gestaltungsmittel berechtigt überhaupt dazu, zwischen der generellen Regelung des § 123 VwGO einerseits und den in manchen Einzelgesetzen vorgesehenen behördlichen Interimskompetenzen (vgl. z. B.: § 19 a Gew0., § 20 PBefG etc.) andererseits ein echtes Spezialitätsverhältnis anzunehmen, wie es in Rechtsprechung und Lehre allgemein üblich ,ist72 ; ein solches Spezialitätsverhältnis könnte zwischen echten Rechtsprechungsakt~m und Verwaltungsakten wegen der verschiedenen staatsrechtlichen Kategorien sonst nie angenommen werden. Besteht aber hier hinsichtlich des vorläufigen Gestaltungsermessens von Gericht und Behörde ein echtes Spezialitätsverhältnis, so ist ein entsprechendes Spezialitätsverhältnis auch zwischen der allgemeinen endgültigen Ermessensmacht der Executive und dem - wesensmäßig executiv,en - vorläufigen Gestaltungsermessen des Richters für den Schwebezustand des Prozesses anzuerkennen: Die Ermächtigung der Behörde, nach eigenem Ermessen eine endgültige Dezision zu treffen, kann dort nicht zum Zuge kommen, soweit der Gesetzgeber den Schwebezustand der Parteibeziehungen im Prozesse besonders geregelt und mit einer eigenen Ermessensmacht des Richters ausgefüllt hat. Die Ermächtigung zum Erlaß einstweiliger Anordnungen nach § 123 VwGO bedeutet danach ,im Rahmen von Prozessen um behördliche Ermessensentschetdungen eine spezielle Ermessenskompetenz des Richters hinsichtlich der vorläufigen Gestaltung, die, weil sie mit der richterlichen Rechtskontrolle im Urteil nichts zu tun hat, schon begr.ifflich nicht den Grenzen der Rechtskontrollaufgaben des Gerichts unterliegen kann. Dieses Ergebnis erfährt seine Bestätigung durch einen Vergleich mit der Regelung der gerichtlichen Interimskompetenz nach § 80 VwGO im Rahmen der Anfechtungsklage: Hier gilt zunächst der Suspensiveffekt nach § 80 Abs. I VwGO, der lediglich eine typisierte gesetzliche Interimsregelung darstellt, auch bei der Anfechtung von Ermessensakten, und soweit der Richter gemäß § 80 Abs. V VwGO zu einer Aussetzungsentscheidung 71 OVG Koblenz, wie vorst.; insoweit zutreffend auch Müller-Heidelberg, aaO. S . 814; Hamann, Einstweilige Anordnungen, aaO. S.893; (a. A. OVG Münster, B. v. 5. 1. 59, NJW 59, 1989 (1990»; Hufnagl, aaO. S. 220. Vgl. auch oben II, 2 zu Anm. 213-220. 72 Quaritsch, aaO. S. 218 (zu Anm. 46); Fromm, Einstweilige Erlaubnis, aaO. S. 804; ders., Anfechtungsklage des Nachbarn, S. 986; E. Eichhorn, aaO. S. 116 m. Nachw. aus dem bayr. Verwaltungsrecht; vgl. auch BayVGH, U. v. 23.6. 47, VGHE nF 1, 8 (15), wo der VGH eine Interimsentscheidung als Rekursbehörde nach § 79 IV VGG traf, während die Anwendbarkeit der §§ 935, 940 ZPO offen blieb. Entspr. für den Verfassungsprozeß: Löwenthal, aaO. S.748.
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angerufen wird, kann er auch hier bei der Anfechtung von Ermessensakten ein eigenes Ermessen obwalten lassen, mit dem er nicht etwa die endgültige Ermessensentscheidung der Behörde kontrolliert oder an ihre Stelle tritt, sondern ein eigenes, allein auf den Schwebezustand bezogenes interimistisches Gestaltungsermessen walten läßt73 • Angesichts der in der Rechtslehre erarbeiteten Beobachtung, daß die GestaltUhgsfoI'men von hoheitlicher Eingriffsverwaltung und gewährender Leistungsverw,a ltung heute mehr auf gesetzestechnischen als auf sachbezogenen Erwägungen beruhen74 , würde sich daher hier ein sachlich nicht gerechtfertigter Unterschied im Umfang der gerichtlichen Interimsschutzkompetenzen nach §§ 80 und 123 VwGO ergeben, wenn man die Interimsmacht nach § 123 VwGO im Rahmen von Ermessensstreitsachen nicht als die spezielle Ermessensermächtigung für den Schwebezustand des Prozesses anerkennen würde. Endlich ist bei all diesen Überlegungen zu beachten, daß diese vorläufige Ermessenskompetenz des Verwaltungsrichters ihrerseits überhaupt erst der Erhaltung der Möglichkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung dient: Kommt es im Rahmen einer Verpflichtungsklage zu einem BescheidungsurteiL nach § 113 Abs. IV S. 2 VwGO, so könnte die Behörde die ihr eingeräumte Ermessensmacht nie pflichtgemäß handhaben, wenn das Urteil mangels gerichtlicher interimistischer Zwischengestaltung bereits de facto übeI'holt wäre. Das mag wiederum am Beispiel des Versetzungsfalles aufgezeigt sein: Ist hier der Schüler in der tieferen Klasse geblieben und erzielt er nun ein insoweit obsiegendes Urteil, als die Schulbehörde zum Erlaß eines erneuten Versetzungsbeschlusses verpflichtet wird, so ist jede neue Beschlußfassung illusorisch, wenn der Schüler den Anschluß an seine alte Klasse verloren hat; die Lehrerkonferenz könnte keine neue pflichtgemäße Wertung treffen, weil der Anschluß an die davongelaufene Klasse nicht mehr zu erreichen wäre und dieser Umstand den neuen Beschluß stets so beeinflussen müßte, daß er keine dem ursprünglichen status des Schülers gerecht werdende pflichtgemäße Wertung mehr davstellen könnte. Überhaupt zeigt sich hier an der Möglichkeit des Bescheidungsurteiles in Ermessensangelegenheiten gemäß § 113 Abs. IV S. 2 VwGO, daß die eingangs dargestellte prozeßrechtliche Konstruktion, die einstweilige Anordnung in Ermessensangelegenheiten grundsätzlich auszuschließen75 , den Hauptf,all des Verwaltungs rechtsschutzes in Ermessensangelegenheiten völlig außer acht läßt: Vgl. oben Anm. 70. Herbert Krüger, ,Verbot mit Erlaubnisvorbehalt' und ,Gewährung mit Auslesevorbehalt'·, DÖV 58:, 673 (674' f .) ; ders., Rechtsstaatliche Gesetzgebungstechnik, DÖV 56, 550 (insb. 553 ff,); Quaritsch, aaO. S. 354 ff. (356). 15 vgl. oben Anm. 49 f . 13
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Das Bescheidungsurteil nach § 113 Abs. IV S.2 VwGO stellt gerade bei Verpflichtungsklagen in Ermessensangelegenheiten den bedeutendsten und in der Regel allein erreichbaren verwaltungsgerichtlichen Schutz dar76 ; gerade diese nur dem Verwaltungsprozeßeigentümliche Entscheidungsart aber wird von jener hier kritisierten Konstruktion übersehen. Wenn es Sinn und Zweck der einstweiligen Anordnung ist, die Parteibeziehungen während des schwebenden Prozesses entscheidungsfähig zu erhalten und die richterliche Hauptentscheidung davor zu bewahren, völlig ins Leere zu gehen, so ergibt sich schon aus dem systematischen Aufbau des § 113 Abs. IV VwGO, daß auch ein künftiges Bescheidungsurteil durch interimistischen Rechtsschutz nach § 123 VwGO sicherungsfähig sein muß. Wie aber sollen die im Falle eines Bescheidungsurteils bestehenden Parteibeziehungen gesichert werden, wenn man mit der herrschenden Lehre eine einstweilige Anordnung in Ermessenssachen nur in dem Fall zulassen will, daß nur noch eine einzige Entscheidungsmöglichkeit als ermessensfehler-frei ,a nzusehen ist77 ? In diesem Fialle wäre ja (jhnehin stets die Spruchreife gegeben und es müßte ein Verpflichtungs urteil nach § 113 Abs. IV S. 1 VwGO ergehen; eine einstweilige Anordnung im Falle des Bescheidungsurteils nach § 113 Albs. IV S. 2 VwGO wird dagegen von der herrschenden Lehre, wie sich hier zeigt, ohne jegliche Rechtfertigung apriori abgelehnt. Nur aus dieser Nichtbeachtung des § 113 Abs. IV S.2 VwGO erklärt sich auch jene 'I1hese von Quaritsch, daß das formelle Recht des Klägers auf fehlerfreie Ermessenshandhabung durch die Behörde nicht durch einstweilige Anordnung gesichert werden könne iB • Zunächst spricht schon gegen die Argumentation von Quaritsch, auf die hier insoweit nur verwiesen werden kann, daß dort in unstatthafter Weise aus der - angeblichen 79 - Unzulässigkeit bestimmter Mittel der einstweiligen Anordnung auf die Unzulässigkeit der einstweiligen Anordnung in Ermessenssachen überhaupt geschlossen wirdBo • Außerdem müßte gerade Quaritsch, der sich ja für das Verhältnis zwischen Hauptentscheidung und einstweiliger Anordnung auf den Boden der "a maiore ad minus"Argumentation stelltBt, schon aus diesem Gvunde eine einstweilige Anordnung auch im Falle des Bescheidungsurteils nach § 113 Abs. IV S. 2 VwGO geben. Und wenn er hierbei schließlich die Zulässigkeit der 76
Vgl. z. B. die Ausführungen in BVerwG 11, 95 (98, 99) im Anschluß an
Bettermann, Die Verpflichtungsklage nach der Bundesverwaltungsgerichts-
ordnung, NJW 60, 649 (651 ff.). 77 Vgl. oben Anm. 38,52. 78 Quaritsch, aaO. S. 359, Vgl. auch ebenda S.242. 79 Dazu Schlußbetrachtung, I, 1. 80 Vgl. Arndt, Urteilsanmerkung, NJW 58, 337. 81 Vgl. oben H, 2 zu Anm. 185 ff., wo gezeigt wurde, daß die Lehre von der richterlichen Streitherrschaft trotz gelegentlicher entgegenstehender Äußerungen von Quaritsch auf dieser Argumentation beruht.
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einstweiligen Anordnung nur deswegen ablehnt, weil das formelle Bescheidungsrecht des Klägers keinen Eingriff in die Ermessenskompetenz der Executive gestatte, so ist ihm an dieser Stelle das oben eingehend begründete Ergebnis dieser Arbeit entgegenzuhalten, daß die einstweilige Anordnung eine spezielle, ihrem Wesen nach executive Ermessensgestaltungsmacht des Richters beinhaltet, die schon deswegen keine Verletzung des behördlichen Ermessensspielraumes darstellen kann, weil der Behörde kein eigenes Interimsermessen zusteht. Hier könnte nämlich allenfalls die Frage auftreten, wie weit eine vorläufige Interimsgestaltung durch den Richter die Kompetenz der Behörde zur endgültigen Ermessensgestaltung beeinträchtigt; das ist jedoch nur eine Frage der zulässigen Mittel der Interimsentscheidung, die oben schon behandelt worden ist82 und bei deren Prüfung sich ergeben hat, daß jede einstweilige Anordnung der schließlichen Entscheidung in der Hauptsache immer irg-endwi-e vorgreift und insoweit erst dort unzulässig wird, wo sie eine irreparable Vorwegnahme der Hauptentscheidung herbeiführt83 • Aus alledem ergibt sich, daß allein die Verkennung des Wesens der einstweiligen Anordnung als einer dem Richter zugewiesenen executiven Gestaltungsmacht, die eine spezielle Ermessenskompetenz des Richters für den Bereich des prozessualen Schwebezustandes beinhaltet, zur Ablehnung einstweiliger Anordnungen in Ermessensangelegenheiten durch die absolut herrschende Lehre geführt hat. Es ist gezeigt worden, daß diese in Rechtsprechung und Lehre einhellig vertretene Ablehnung gerichtlichen Interimsschutzes in Ermessensangelegenheiteh allein auf der Verwendung von Faustregeln beruht, die unkontrolliert übernommen worden sind und im Gesetz keine Stütze finden. Daß dagegen der Gesetzgeber für die Prüfung der Zulässigkeit einstweiliger Anordnungen ausdrücklich einen Weg vorgeschrieben hat, auf dem die von der herrschenden Lehre aufgeworfenen Probleme der einstweiligen Anordnung in Ermessensangelegenheiten die ihnen angemessene Berücksichtigung finden, ist weder in der Rechtspn:!chung noch in der Lehre bisher überhaupt gesehen worden. Dieser vom Gesetz vorgezeichnete Weg mag daher zum Abschluß dieser Arbeit kurz aufgezeigt sein. 3. Die Lös u n g n ach der g e set z 1 ich e n R e gel u n g Gemäß § 123 Abs. III VwGO gilt für den Erlaß der verwaltungsprozessualen einstweiligen Anordnung § 920 ZPO entsprechend. Nach einhelliger Rechtsauffassung hat § 920 Abs. II ZPO hinsichtlich des durch einstweilige Anordnung zu sichernden Rechtes oder zu regelnden 82 83
Schlußbetrachtung, I, 1-2.
Oben Anm. 20, 21.
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Rechtsverhältnisses die Bedeutung, daß der zu sichernde Anspruch oder das zu sichernde Rechtsverhältnis schlüssig dargetan und in den tatsächlicheh Punkten glaubhaft gemacht werden muß84. Für die Behandlung eines Antrags auf Erlaß ein~r einstweiligen Anordnung in Beurteilungs- oder Ermessenssachen ergibt sich danach für den Verwaltungsrichter die Notwendigkeit, das Vorbringen des Antragstellers einer Schlüssigkeitsprüfung zu unterziehen. Diese Schlüssigkeitsprüfung bei einer einstweiligen Anordnung im Rahmen einer Verpflichtungsklage in Ermessens- oder Beurteilungssachen wird vielfach zu dem Ergebnis führen; daß - jedenfalls nach dem Vorbringen des Antragstellers - Umstände dargetan sind, die den erlassenen Akt als ermessens- oder beurteilungsfehlerhaft erscheinen lassen, so daß nach dem Vorbringen des Antragstellers diesem zumindest ein Bescheidungsanspruch zustehen wird. In diesen Fällen, in denen der Antragsteller seiner Pflicht zu schlüssigem Vorbringen genüge getan hat, wird die Hauptschwierigkeit für ihn in der Regel auf dem tatsächlichen Gebiet der Glaubhaftmachung liegen85 . Gelingt ihm diese Glaubhaftmachung und kann er im übrigen die für den Erlaß der einstweiligen Anordnung erforderliche Gefährdung dartun, so ist die begehrte einstweilige Anordnung im Hinblick auf das künftige Bescheidungsurteil nach § 113 Abs. IV S. 2 VwGO, wie oben dargetan, grundsätzlich zu gewähren und es ist allein eine Frage des zulässigen Mittels, welche Anordnung im konkreten Fall getroffen wird. Entsprechendes gilt, wenn es dem Antragsteller gelingt, schlüssig darzutun und glaubhaft zu machen, daß sich der Ermessensspielraum der Behörde allein auf eine zulässige Entscheidungsmöglichkeit verengt hat; die einstweilige Anordnung ist dann, wie für diesen Fall auch die herrschende Lehre bisher schon anerkannt hat, grundsätzlich zu geben. In allen Fällen dagegen, in denen es ah einer derartigen schlüssigen Darlegung des Antragstellers fehlt, ist nach diesen zu § 920 Abs. II ZPO entwickelten zivilprozessualen Schlüssigkeitsregeln die einstweilige Anordnung zu versagen. Die Frage ist aber, ob diese von der zivilprozessualen Auffassung entwickelte und geprägte Schlüssigkeitslehre überhaupt im Rahmen des Verwaltungsprozesses verwertbar ist oder ob der in § 123 Abs. III VwGO angezogene § 920 Abs. II ZPO nur eine den Grundsätzen des Ver84 Wieczorek, aaO. § 920 Anm. B I c 1; Stein-Jonas-Schönke, aaO. § 920 Anm. II 1, § 922 Anm. I; Baumbach-Lauterbach, aaO. § 920 Anm.2; Rosenberg, aaO. S.1088, 1091; RGZ 69, 1 (6 ff.); - zum Verwaltungsprozeß: Ule, VwGO, § 123 Anm. IV; Buri, aaO. S.101; vgl. OVG Münster, U. v. 10.9.57, NJW 58, 354 (356); Quaritsch, aaO. S. 367 f. 85 Dazu z. B.: UZe, Verwaltungsprozeßrecht, S.154: Eine ,gewisse Wahrscheinlichkeit' genügt; Quaritsch, aaO. S. 368 (m. Anm. 289): ,überwiegende Wahrscheinlichkeit' .
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waltungsprozesses "entsprechende" (§ 123 Abs.III VwGO) Anwendung finden kann. Anlaß zu dieser Fragestellung gibt die heute überwiegend für den Verwaltungsprozeß geltende Auffassung, daß "der Begriff der Schlüssigkeit auch in begrenztem Sinne nicht für das Verwaltungsstreitverfahren paßt, in dem von dem Kläger die Begründung der Klage zunächst gar nicht verlangt wird und das Verwaltungsgericht berechtigt ist, die Schlüssigkeit im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes selbst herzustellen"88 (§ 82 Abs. I S. 2; § 86 Abs. I VwGO). Diese Problematik der Schlüssigkeitslehre ist im Rahmen des Verwaltungsprozesses allerdings bisher nur erörtert worden für den Bereich der Klage in der Hauptsache, nicht aber für das Interimsverfahren, um das es hier geht. Da aber einerseits der Untersuchungsgrundsatz des § 86 VwGO auch im Rahmen des Interimsverfahrens gilt87 und da andererseits die einstweilige Anordnung ja gerade den Rechtsstreit in der Gestalt entscheidungsfähig halten soll, wie er später entschieden wird, und das heißt, nach Maßgabe eines auf Grund der Untersuchungsmaxime durchgeführten Hauptverfahrens, ergeben sich hier zwischen dem Interimsverfahren und dem Verfahren in der Hauptsache keine Unterschiede, die die Problematik der Schlüssigkeitsprüfung im Rahmen des Interimsverfahrens anders erscheinen lassen als im Rahmen des Hauptprozesses. Danach kann also § 920 Abs. II ZPO im Rahmen des verwaltungsprozessualen Interimsverfahrens nicht uneingeschränkt mit den zivilprozessualen Grundsätzen der Schlüssigkeitslehre angewandt werden. Zwei Wege stehen offen, diese Problematik zu lösen: Der der Regelung des § 920 Abs. II ZPO am nächsten bleibende Weg ist es, die Untersuchungsmaxime im Rahmen des Interimsverfahrens dahingehend anzuwenden, daß der Verwaltungsrichter die in § 920 Abs. II ZPO erforderte Schlüssigkeit des geltendgemachten Rechtes oder Rechtsverhältnisses im Rahmen des Interimsverfahrens selbst erforscht und damit dann zu den schon oben angesprochenen Möglichkeiten kommt, eine einstweilige Anordnung im Hinblick auf das derart schlüssig gemachte Recht oder Rechtsverhältnis zu erlassen, insbesondere also für den Fall eines künftigen Bescheidungsurteiles. Die Schwierigkeit dieser Lösung liegt aber darin, daß es im Eilverfahren unter 86 Schrödter, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung, S.51 (gleichzeitig S.43-51 zum Streit um Anspruchs-, Schlüssigkeits- und Möglichkeitstheorie zu § 42 II VwGO, m. eing. Nachw.). - Vgl. schon 1805 Gönner, aaO. S.300: "Eben darum auch die Bestimmung des Richters ... nur nach der Natur einer jeden geltenden Prozeßart erfolgen kann; und ... voraussetzt, daß nach dem jeder Prozeßart eigenen Grade von Gewißheit das faktische ... zur relativen Gewißheit emporgehoben sey." 87 Naumann, Abgrenzung, S. 27 f.; UZe, VwGO, § 80 Anm. II 1 a; ders., Urteilsanmerkung, DVBI 61, 48; Redeker-v.Oertzen, VwGO § 80 Rdn. 39; § 123 Rdn. 12; Quaritsch, aaO. S. 371 f.; vgl. Klinger, VwGO § 86 Anm.2; - a. A. VG Hannover, B. v. 7.7.60, DVBI 61, 47 m. krit. Anm. UZe.
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Umständen gar nicht mehr möglich sein wird, eine der Sache gerecht werdende Erforschung überhaupt durchzuführen. Jedenfalls in diesen zuletzt genannten Fällen, in denen eine sachgerechte Erfüllung der Erforschungspflicht im Hinblick auf die Eilbedül'ftigkeit nicht möglich ist, bedarf es daher eines anderen Weges, um die Problematik der Schlüssigkeitsprüfung im Interimsverfahren nach § 123 VwGO auszuschalten 88 • Der hier zu lösende Konflikt ist in vergleichbarer Weise vom Gesetzgeber nur an einer einzigen anderen Stelle gesetzlich geregelt worden, nämlich im Rahmen der Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. V VwGO. Da schon früher darauf hingewiesen und belegt wurde, daß einerseits das Interimsverfahren nach § 80 VwGO ein dem Verfahren über den Erlaß einstweiliger Anordnungen verwandtes Spezialverfahren ist89 und daß zum anderen die gesetzlichen Gestaltungsformen von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung - von denen es jeweils abhängt, ob der Weg zu § 80 VwGO oder zu § 123 VwGO eröffnet ist - heute mehr von gesetzestechnischen als von sachbedingten Motiven bestimmt ist 90 , erscheint es gerechtfertigt, für den hier aufgedeckten Konflikt im Rahmen der §§ 123 VwGO, 920 Abs. II ZPO die von Rechtsprechung und Lehre zu § 80 Abs. V VwGO entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden. Das gilt umso mehr, als Rechtsprechung und Lehre schon stets allgemein, also nicht nur in dem hier behandelten Problemfall, die Grundsätze der Interessenabwägung nach § 80 Abs. V VwGO .b ei dem Erlaß von einstweiligen Anordnungen nach § 123 VwGO verwertet haben 91 • Bei der Entscheidung über ein Aussetzungsersuchen nach § 80 Abs. V VwGO ist nun aber nach einhelliger Rechtsauffassung eine Interessenabwägung ausschlaggebend, die in Anlehnung an die Regelung des § 80 Abs. II Ziff.4 VwGO nach folgenden Grundsätzen vorgenommen wird92 : Zunächst ist die Erfolgsaussicht der KI,a ge in der Hauptsache (also der Anfechtungsklage) zu prüfen und festzustellen, ob diese Klage offensichtlich erfolglos oder offensichtlich erfolgreich sein wird 93 ; läßt sich 88 Weitergehend will z. B. Knoll, aaO. S. 103 f., ganz allgemein bei dem Erlaß einstweiliger Anordnungen die Grundsätze des § 80 VwGO verwenden. Dazu besteht jedoch im Hinblick auf §§ 123 111 VwGO, 920 11 ZPO i. Vbdg. m. § 86 VwGO kein Anlaß. Andererseits lehnt me, VwGO, § 123 Anm. IV, die hier folgenden Gedankengänge inzidenter ab, ohne aber die Problematik der Schlüssigkeitsregeln im Verwaltungsprozeß zu behandeln, was er auch bei § 42 11 VwGO unterläßt (dazu kritisch Schrödter, aaO. S. 49). 89 Dazu oben I, 2 Anm. 90; II, 2 zu Anm. 99. 90 Vgl. oben Anm. 74. 91 Vgl. oben Anm. 31; ferner Quaritsch, aaO. S. 370 f. 92 Zum folgenden, jeweils m. eing. Nachw. : UZe, VwGO § 80 Anm. 1I 1; Eyermann-FröhZer, VwGO § 80 Rdn. 47; Klinger, VwGO § 80 Anm. E 3 c. 93 Insoweit erfolgt hier also inzidenter ebenfalls eine Schlüssigkeitsprüfung, wie sie ähnlich für die einstweilige Anordnung durch §§ 123 111 VwGO,
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Schluß: Auswirkungen des executiven Charakters
dabei schon eine eindeutige Entscheidung treffen, so wird darin ein so ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Interessenbewertung gesehen, daß allein nach dieser Prüfung dem Aussetzungsantrag stattgegeben oder nicht stattgegeben wird. In allen Fällen dagegen, in denen sich eine derartig eindeutige Entscheidung über die Erfolgsaussichten nicht treffen läßt, wir.d die Entscheidung, welche Interimsregelung bis zum Ende des Hauptverfahrens getroffen wird, allein davon abhängig gemacht, welche Interimsgestaltung durch die widerstreitenden öffentlichen und privaten Parteiinteressen als geboten erscheint; von dem Ergebnis dieser Abwägung hängt es dann ab, ob das Gericht die - ihm im Falle des § 80 Abs. V VwGO ja bereits inhaltlich typisiert vorgegebene 94 Aussetzungsentscheidung als Interimsregelung erläßt oder nicht 95 . Wendet man nun diese Grundsätze auf den hier behandelten Fall an, daß der Richter im Verfahren über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung die durch die Untersuchungsmaxime gebotene selbständige Erforschung der Schlüssigkeit oder Unschlüssigkeit des Begehrens nicht vornehmen kann, so gilt damit für die Behandlung von Anträgen auf Erlaß einstweiliger Anordnungen in diesen Fällen folgendes: Erscheint die beabsichtigte Klage in der Hauptsache unmittelbar als offensichtlich erfolgreich oder als offensichtlich aussichtslos, so gibt schon das den Ausschlag für die Entscheidung über das Begehren des Antragstellers 96 . Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß nicht schon die bloße Unschlüssigkeit des Vorbringens entscheidend sein darf, denn gerade aus der Untersuchungsmaxime folgt hier ja die Möglichkeit, daß der Richter die Schlüssigkeit des Begehrens noch erforschen und feststellen wird97 ; um zu einer Abweisung des Begehrens schon in diesem Prüfungsstadium zu kommen, ist vielmehr erforderlich, daß auch unter Berücksichtigung der pflichtgemäßen Ermittlungen des Gerichts eine Erfolgsaussicht für die Klage in der Hauptsache zu verneinen ist 98 . Kommt das Gericht dagegen hier zu einem "non liquet"99, so ist in eine 920 II ZPO vorgeschrieben ist. Zu dieser Schlüssigkeitsprüfung im Rahmen des § 80 VwGO vgl. auch Löwer, aaO. S. 348. 94 Dazu oben II, 2 zu Anm.99, 103. 95 Vgl. Anm.92. 96 Daher falsch : OVG Lüneburg, B. v. 10.11. 59, n. v., Az VB 25/59, wonach eine einstweilige Anordnung nur zu erlassen ist, wenn der Antragsteller im Hauptprozeß ,mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit' Erfolg haben wird. Diese These ist im Hinblick auf die allgemein anerkannte Geltung der zu § 80 VwGO entwickelten Grundsätze zu einseitig zum Nachteil des Antragstellers. 97 Gerade das übersieht UZe, vgl. oben Anm. 88. 08 Unrichtig daher HessVGH, B. v. 18. 10.61, ESVGH 12 I S. 97, wo in einer Hilfsbegründung das Fehlen der gerichtlichen Aufklärung und die daraus resultierende Ungewißheit einfach dem Antragsteller angelastet wird. 99 Vgl. oben Anm.31.
II. Die einstweilige Anordnung in Ermessensangelegenheiten pp.
203
Interessenabwägung einzutreten, wie sie aus den Verfahren über die Aussetzungsentscheidung bekannt ist. Hier ergibt sich nur ein grundlegender Unterschied zu der Lage im Vedahren nach § 80 Abs. V VwGO: Während dort jeder Zweifel daran, ob das öffentliche Interesse den Ausschluß des Suspensiveffektes gebietet, zu Lasten des Hoheitsträgers geht, die Feststellungslast mithin beim Antragsgegner liegtl° o, muß hier im Rahmen des Verfahrens über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung das Gegenteil gelten, die Feststellungslast also zum Nachteil des Antragstellers gehen; denn während in den Fällen des § 80 VwGO der Hoheitsträger den regelmäßig gegebenen Suspensiveffekt beseitigen und damit seinem Verwaltungsakt schon vor formeller Rechtskraft Geltung verschaffen will, will hier gerad.e der Antragsteller seinerseits schon vor rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache eigene Rechte durch vorläufige Sicherung geltend machen, so daß nach dem allgemeinen Grundsatz, daß derjenige, der eine günstige Rechtsposition für sich in Anspruch nimmt, ihre Voraussetzungen darzulegen hat101 , die Feststellungslast ihn treffen muß. Im Rahmen dieser allgemeinen Grundsätze lassen sich auch die Erwägungen, die die herrschende Lehre zum grundsätzlichen Ausschluß der einstweiligen Anordnung in Ermessens- und Beurteilungssachen bewogen haben, angemessen berücksichtigen. Es bedarf nicht der weder im Gesetz verankerten noch aus dem Zweck der einschlägigen Bestimmungen zu begründenden Faustregel, daß einstweilige Anordnungen tn Ermessenssachen ausschließlich im Falle der Spruchreife überhaupt zulässig sind. Vielmehr läßt sich im Rahmen der vom Gesetzgeber in den §§ 123 VwGO, 920 Abs. II ZPO, 86 VwGO aufgestellten Richtlinien jeweils für den Einzelfall feststellen, ob und in welchem Umfang der Richter eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu erlassen hat. So ist der Zweck des verwaltungsgerichtlichen Interimsschutzes, den Rechtsstreit entscheidungsfähig zu erhalten, auch in diesen Fällen von Ermessens- und Beurteilungsstreitsachen zu erreichen.
100 KoehZer, VwGO § 80 Anm. E IV 5; Quaritsch, aaO. S. 371; amtl. Begründung 1952, BT-Drucks., 1. Wahlp. Nr.4278, S.46; ebenso 1957, BT-Drucks., Nr.55, S.44; OVG Münster, U. v. 9.3.56, AS 11, 2 (4); vgl. UZe, VwGO § 86 Anm. III. 101 Rosenberg, aaO. S.554 ff. (insb. 555); Wieczorek, aaO. § 282 Anm. B I b; Stein-Jonas-Schönke, aaO. § 282 Anm. IV; UZe, VwGO § 86 Anm. II 2; Eyermann-Fröhler, VwGO § 86 Rdn. 8; jeweils m. Nachw.
Thesen 1. Der Erlaß einstweiliger Anordnungen wird in der Praxis weitgehend von Faustregeln bestimmt, deren Berechtigung zweifelhaft ist. Für ihre Überprüfung kommt es auf Geschichte und Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung an. 2. Bei allem Streit um den materiellen Rechtsprechungsbegriff liegt in dem Moment der rechtsanwendenden Rechtsfindung ein Kriterium, das die Streitmeinungen integrierend zu einer herrschenden Lehre verbindet. Die daneben vertretenen Auffassungen von dem Rechtsprechungsakt als Letztentscheidung und vom historisch gewachsenen Rechtsprechungsbegriff halten einer dogmatischen Prüfung nicht stand. 3. Die allgemeine einstweilige Anordnung (Sicherungs- und Regelungsanordnung) ist nach den Maßstäben des rechtsfindenden Rechtsprechungsbegriffes kein Rechtsprechungsakt, sondern ein dem Richter zugewiesener Akt executiver Gewalt. 4. Die Leistungsanordnung ist dagegen als Akt materiell-rechtsprechender Gewalt zu qualifizieren. 5. Die dogmatische Qualifikation wird bestätigt a) durch die historische Entwicklung der einstweiligen Anordnung, b) durch das Spezialitätsverhältnis zu entsprechenden behördlichen Interimsbefugnissen, c) durch einen Vergleich mit dem ausländischen Recht und d) durch die entsprechende Wertung vergleichbarer Entscheidungsarten im deutschen Recht. 6. Die Qualifikation als Executivakt ist mit Art. 19 Abs. IV GG vereinbar. Art. 19 Abs. IV GG garantiert nur den Weg zum Richter, nicht aber Rechtsschutz durch materiellen Rechtsprechungsakt. 7. Aus dem executiven Charakter der allgemeinen einstweiligen Anordnung folgt, daß die Grenzen der Interimskompetenz nicht identisch sind mit den Grenzen der Urteilskompetenz. Faustregeln, die von einer solchen Prämisse ausgehen, verkennen die Rechtsnatur der einstweiligen Anordnung.
206
Thesen
8. Die Anwendung der Urteilsschranken in §§ 113 Abs. IV, 114 VwGO auf die einstweilige Anordnung in Ermessens- und Beurteilungs-
sachen ist daher verfehlt.
Der Richter hat eine eigene Ermessensmacht zur Interimsgestaltung, die den Ermessensbereich der Behörde zur endgültigen Ermessensbestätigung nicht verletzt, sondern gerade erhält. 9. Die Grenzen der allgemeinen einstweiligen Anordnung liegen insoweit nur in dem Grundsatz ,ne ultra petita' und in dem für den Regelfall geltenden Verbot irreparabler Gestaltung. Bei diesem Verbot ist unter Abwägung aller möglichen Interimsentwicklungen eine
Durchbrechung zulässig, wenn sonst der Sinn der Garantie vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt wird.
10. Ziel des vorläufigen Rechtsschutzes durch einstweilige Anordnungen ist die sowohl im Parteiinteresse wie im öffentlichen Interesse gebotene Erhaltung der Entscheidungsfähigkeit des Rechtsstreites.
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