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German Pages 326 Year 2012
Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen Band 16
Die Kriminalprognose im Recht der Sicherungsverwahrung Bedeutung der Prognoseabhängigkeit für Anordnung, Vollstreckung und Rechtskraft
Von Julian Lange
Duncker & Humblot · Berlin
JULIAN LANGE
Die Kriminalprognose im Recht der Sicherungsverwahrung
Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen Begründet als „Kriminologische Forschungen“ von Prof. Dr. Hellmuth Mayer
Band 16
Die Kriminalprognose im Recht der Sicherungsverwahrung Bedeutung der Prognoseabhängigkeit für Anordnung, Vollstreckung und Rechtskraft
Von Julian Lange
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Potsdam hat diese Arbeit im Sommersemester 2011 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam im Sommersemester 2011 als Dissertation angenommen. Für die Betreuung der Arbeit danke ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Mitsch, für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens Herrn Prof. Dr. Georg Küpper. Des Weiteren möchte ich Herrn Prof. Dr. Ulrich Eisenberg danken, der mein Interesse für strafrechtliche Rechtsfolgen im Allgemeinen und das behandelte Thema im Besonderen weckte. Herrn Prof. Dr. Joachim Bohnert, an dessen Lehrstuhl ich während der Erstellungszeit dieser Arbeit mitzuarbeiten das Vergnügen hatte, danke ich für die Möglichkeit, über den Rand des Themas hinauszuschauen. Der größte Dank gebührt den Menschen, die mich, nicht nur im Hinblick auf diese Arbeit, immer unterstützt und ermutigt haben. Dies waren und sind Ulrike, Otto, Nele und Kathrin. Der Arbeit liegt der Rechtszustand vom September 2010 zu Grunde. Die nachfolgenden Änderungen des Rechts der Sicherungsverwahrung wurden nach Abgabe der Arbeit an den passenden Stellen eingearbeitet. Durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung hat der Gesetzgeber weit gehende Änderungen am Gegenstand der Arbeit vorgenommen. So wurde die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, wie auch in der Arbeit vorgeschlagen, auf die Fälle der nachträglichen Überweisung aus dem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Für die bisherigen Fälle der nachträglichen Sicherungsverwahrung wurde die Möglichkeit der Unterbringung nach dem ThUG geschaffen, die einer verfassungsrechtlichen Überprüfung noch harrt. Mit guten Gründen ist davon auszugehen, dass in diesem Gesetz zwar die Vorgaben der EMRK eingehalten sind, der Spagat zwischen strafrechtlichem Zusammenhang der Unterbringung mit der Anlasstat einerseits und der Lösung von strafrechtlichem und -prozessualem Denken andererseits zugunsten verwaltungsrechtlicher Flexibilität erneut, wie schon bei den StrUBG des Landesrechts, nicht gelungen ist. Dem ist hier jedoch nicht vorzugreifen. Dagegen wurde die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausgebaut. In dieser Form ist auch die kritikwürdige Anordnung auf Grundlage einer Straftat weiter möglich. Gänzlich abgeschafft wurde die Anordnung von Sicherungsverwahrung wegen der Erwartung von Straftaten, die schweren wirtschaftlichen Schaden verursachen.
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Vorwort
Außerdem wurde das Prüfungsprogramm des § 67d III StGB dahingehend verändert, dass die Strafvollstreckungskammer keine hangbedingte Gefährlichkeit des Täters mehr feststellen muss. Als Folgeänderung muss sich das sachverständige Gutachten für diese Entscheidung gemäß § 463 III 4 StPO nicht mehr zu einer hangbedingten Gefährlichkeit äußern. Die letzten beiden genannten Änderungen beseitigen den zuvor bestehenden unbefriedigenden Rechtszustand. Das Verdikt des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit aller materiellen Regelungen der Sicherungsverwahrung lässt das Erfordernis einer Neuregelung entstehen. Im Sinne der Arbeit bleibt zu hoffen, dass diese Gelegenheit genutzt wird, eine stringente Regelung der Materie endlich zu finden, die im Geist des oben genannten Gesetzes von der vorangegangenen ständigen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Sicherungsverwahrung abkehrt. Angesichts der oben genannten vielfältigen Änderungen bleibt dem Verfasser nur die Hoffnung, zum Verständnis der Sicherungsverwahrung mit dieser Arbeit beigetragen zu haben. Berlin, 28. Oktober 2011
Julian Lange
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung und historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stand der Vorarbeiten und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter . . . . . 1. Entwicklung bis zum Ende der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gewohnheitsverbrechergesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Sicherungsverwahrung bis zur Strafrechtsreform 1969 . . . . . . . 5. Die Änderungen durch das Erste Strafrechtsreformgesetz 1969 . . . 6. Die Auswirkungen des Ersten Strafrechtsreformgesetzes . . . . . . . . . 7. Entwicklung seit dem Ersten Strafrechtsreformgesetz . . . . . . . . . . . . 8. Renaissance der Sicherungsverwahrung seit 1998 . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . I. Verwirkung der Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Notwehr des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Staatliche Schutzpflicht bei überwiegendem Allgemeininteresse . . . . . V. Sicherungsverwahrung als Feindstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Kritik an präventiven strafrechtlichen Maßnahmen a) Legitimationsdefizit der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimationsfunktion der Anlasstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überlegungen zu zusätzlichen Legitimationsfaktoren . . . . . . . . . aa) Androhung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vortaten und Gefährlichkeitsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Katalog der prognosebegründenden Anlasstaten . . . . . . . . . . 2. Strafähnlichkeit der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis a) Ethische Farblosigkeit der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand der ethischen Beurteilung bei der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme zur Strafähnlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . I. Der Hang zu erheblichen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definitionen des Hanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Elemente des Hanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Normative Annäherung an den Hang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfasste Tätergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis von Hang und Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Empirische Annäherung an den Hang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit: Kriminalprognose als zentrale materielle Voraussetzung . . II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Weg zur Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intuitive Erstellung der Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Statistische Erstellung der Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Prognoseinstrumente und Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beispiele für standardisierte Prognoseinstrumente . . . . . . . . c) Klinische Erstellung der Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit zur Erstellung der Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das zu fordernde Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsanwendung: Setzung des Umschlagspunktes . . . . . . . . . . . c) Gegenmodell: Interessenorientierte Bewertung des Risikosachverhaltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ablehnung des Gegenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Probleme einer legitimierenden Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff und Bedeutung falscher Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimation durch das Ergebnis der Prognose . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fehler der Prognose und Häufigkeit der Verwahrung Ungefährlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Niedrige Basisrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Fehlerquellen für das Prognoseergebnis . . . . . . . . . . c) Legitimation durch Anforderungen an die Prognoseerstellung . . aa) Darstellung besonderer Verfahrensregelungen . . . . . . . . . . . . bb) Geltung des Zweifelssatzes bei der Prognoseerstellung . . . . cc) Geltung bei Vollstreckungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . dd) Fazit zur Geltung des Zweifelssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit zu den Problemen einer legitimierenden Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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97 98 100 101 102 104 106 109 110 113 115 120 121 121
Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V.
4. Zeitpunkt der Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit: Anforderungen an eine legitime Kriminalprognose . . . . . . . . Prognosegegenstand: Die zu erwartenden erheblichen Straftaten . . . . . 1. Schwere körperliche oder seelische Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schwerer wirtschaftlicher Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Straftaten in der Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlichkeit des Täters in der Gesamtwürdigung . . . . . . . . . . . . . . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 62 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eignung und Erforderlichkeit der Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Integrative Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Kriminalprognose 4. Verschärfte Anforderungen an die Fortdauer der Unterbringung . .
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D. Die formellen Voraussetzungen als Mindestbasis und Geltungsschwelle der Kriminalprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anordnung nach § 66 I StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anlasstat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorverurteilung und Vorvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeitliche Abfolge von Vorverurteilung und Anlasstat . . . . . . . . . b) Vorvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anordnung nach § 66 II StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besonderheiten der materiellen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anordnung nach § 66 III 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besondere Anforderungen an Anlasstat und Straflänge bei § 66 III 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorverurteilung und Vorvollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten der materiellen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anordnung ohne Vorverurteilung nach § 66 III 2 StGB . . . . . . . . . . . . . V. Fazit: Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB durch das Tatgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB . . . . . . . . . . . . I. Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit einer Hangfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unsicherheit über die Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Empirische Unsicherheit – Probleme mit dem Zweifelssatz . . . b) Experiment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Normative Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorgehen im Mittelfeldbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis II. III.
Auswirkungen der Vorbehaltsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . 1. Eingeschränkte Prognoserelevanz des Vollzugsverhaltens . . . . . . . . . 2. Prognoserelevanz bei Entlassungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorläufiges Fazit zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung . . . . . . .
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB . . . . . . . . . . . . I. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b I StGB . . . . . . . . 1. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erkennbar gewordene Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzicht auf erkennbar gewordene Tatsachen nach § 66b I 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit: Änderung der Prognosegrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fallgruppen der erkennbar gewordenen Tatsachen . . . . . . . . . . . . e) Erkenntniszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hang als Voraussetzung der nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fazit zur nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b I 1, 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b II StGB . . . . . . . . 1. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hang als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bei schuldhafter Tat . . V. Die Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus nach § 66b III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erledigungserklärung auf identischer Tatsachengrundlage . . bb) Erledigungserklärung aufgrund veränderter Bewertung . . . . cc) Fazit: Erkennbar gewordene Tatsachen bei § 66b III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit bei ausstehender Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . aa) Keine Anwendung auf Fälle ausstehender Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erkennbar gewordene Tatsachen bei ausstehender Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit zur Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus . . . . . . . . VII. Ermessen bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . VIII. Fazit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172 176 176 177 180 183 183 188 190 190 191 195 196 196 197 197 199 200 202 202 203 204 204 205 205 206 207 208 210 210 211
Inhaltsverzeichnis G. Vollstreckungsentscheidungen bei der angeordneten Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prognoseabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung . . . . . . . . 1. Auflösend bedingte Legitimation der Vollstreckung durch die Anordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begründung und Widerlegung dieser Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Permanente Justizpflicht – Notwendigkeit aktueller Legitimation . . III. Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach § 67c I StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen an das Ergebnis der Vollstreckungsprognose . . . . . . 2. Geltung für §§ 66a, b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gefährlichkeitswechsel während des Strafvollzugs . . . . . . . . . . . . . . IV. Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung nach § 67d II StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen an das Ergebnis der Vollstreckungsprognose . . . . . . 2. Gefährlichkeitswechsel während des Vollzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ablehnung des Vorrangs der Ausgangsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt des Sachverständigengutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Entscheidung über die Erledigung nach § 67d III StGB . . . . . . . . . . . . . 1. Veränderung des Umschlagspunkts nach zehn Jahren . . . . . . . . . . . . 2. Erhöhte Anforderungen an die Erstellung der Kriminalprognose . . 3. Erledigung oder Aussetzung der Vollstreckung bei weiterer Unterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Entscheidungen nach beendeter Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Fazit über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtskraft der Strafverurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft und Folgeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gestaltungswirkung des Strafurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prozessgegenstand des Strafurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessgegenstand bei Strafverurteilung und Anordnung von Sicherungsverwahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sicherungsnotwendigkeit als Verfahrensgegenstand . . . . . . . . . . . b) Identität des Verfahrensgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessgegenstand bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung . . . . . 3. Prozessgegenstand bei nachträglicher Sicherungsverwahrung . . . . . a) Erkennbar gewordene Tatsachen als Verfahrensgegenstand . . . . b) Besonderheit: Fortlaufender Gefahrensachverhalt . . . . . . . . . . . . . c) Kritik der Eigenständigkeit erkennbar gewordener Tatsachen . .
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215 216 217 218 219 222 224 224 226 226 227 227 231 232 233 234 235 237 238 239 240 241 243 244 244 246 247 248 251 251 253 253 254 255 255
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Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
aa) Empirische Argumentation gegen die Beschränkung des Prozessgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normative Argumentation gegen die Beschränkung des Prozessgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Widerspruch zur Auslegung des § 67d VI StGB . . . . . . (2) Widerspruch zur Begründung der Prognose mit der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gleichsetzung von Tat und Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wiederholbarkeit der Sicherungsanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der Täter als Verfahrensgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verkennung von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dynamik als Spezifikum der Sicherungsverwahrung . . . . . . f) Fazit: Tat als Prozessgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beendigungswirkung einer Anordnung von Sicherungsverwahrung . . . 1. Keine Beendigungswirkung bezüglich der Sicherungsfrage . . . . . . . 2. Eingeschränkte Rechtskraft bei Maßregelanordnung . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme: Bezugspunkt der Rechtskraft und Beendigungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bindungswirkung bei Entscheidungen über Sicherungsverwahrung a) Bindung bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung . . . . . . . b) Bindung im Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Innerprozessuale Bindung an Tatsachenfeststellungen . . . . . bb) Bindung an die Ausgangsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abweichung auf identischer Tatsachenbasis . . . . . . . . . . (2) Kein maßgeblicher Unterschied zu § 63 StGB . . . . . . . (3) Keine Bindung an das Prognoseergebnis . . . . . . . . . . . . . c) Bindung bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . aa) Bindung an Feststellungen und rechtliche Würdigungen im Ersturteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umfang der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine umfassendere Bindung aufgrund der Teilrechtskraft der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bindung bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung . . . . . . . . aa) Keine innerprozessuale Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine Bindung wegen der Rechtskraft des Ersturteils . . . . . cc) Keine Bindung an Bewertungen im Ersturteil . . . . . . . . . . . . e) Sonderfall: Bindung bei der Anordnung nach § 66b III StGB . . Folgerungen der Überlegungen für die Sicherungsverwahrung . . . . . . . 1. Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils über die Tat . . . . . . . . . . 2. Notwendigkeit der Begründung der Prognose mit der Tat . . . . . . . . 3. Identität der Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 257 258 259 260 262 263 263 264 265 267 268 269 271 272 273 274 276 277 278 279 280 282 282 282 284 285 287 288 289 290 291 291 292 293 294
Inhaltsverzeichnis 4. Gleichbehandlung von Anordnung mit Nichtanordnung – Verzicht auf Beendigungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten der Regelung des § 66b I 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . 6. Besonderheiten der Regelung des § 66b II StGB . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Besonderheiten der Regelung des § 66b III StGB . . . . . . . . . . . . . . .
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295 296 298 299
I. Ergebnis und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. a. F. ALR Anl. Art. Az. BGBl. BGHR BGHSt BT-Drucks. BVerfG BVerfGE CCC CJA ders. DVJJ E EGMR EGStGB EMRK et al. f. ff. Fn. GA GE GewVerbrG GKG GVG HCR ICD 10 i. d. F. i. E.
anderer Ansicht Absatz alte Fassung Preußisches Allgemeines Landrecht Anlage Artikel Aktenzeichen Bundesgesetzblatt BGH-Rechtsprechung Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Constitutio Criminalis Carolina Criminal Justice Act derselbe Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen Entwurf Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Europäische Menschenrechtskonvention und andere folgende folgende Fußnote Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gegenentwurf Gesetz über gefährliche Gewohnheitsverbrecher Gerichtskostengesetz Gerichtsverfassungsgesetz Historical Clinical Risk Scheme Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der Fassung im Ergebnis
Abkürzungsverzeichnis InfSchG i. S. d. JGG JR JZ KG KMR LK LR MDR MüKo m. w. N. n. F. NJW NK Nr. NStZ NStZ-RR OLGSt PCL-R R&P RGSt Rn. Rspr. RStGB s S. Sch/Sch SK Sog. StGB StPO StraFo StRRG StRUBG StV StVollzÄndG StVollzG SVR
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Infektionsschutzgesetz im Sinne des Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristenzeitung Kammergericht Kleinknecht, Müller, Reitberger, Kommentar zur Strafprozessordnung Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch (die nachfolgende Zahl bezeichnet die Auflage) Löwe Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar Monatsschrift für deutsches Rechts Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Nummer Neue Strafrechts Zeitschrift Neue Strafrechts Zeitschrift – Rechtsprechungs Report Rechtsprechung der Oberlandesgerichte in Strafsachen Psychopathie Checklist-Revised Recht und Psychiatrie Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Rechtsprechung Strafgesetzbuch für das deutsche Reich section Seite Schönke/Schröder Systematischer Kommentar So genannte Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum Strafrechtsreformgesetz Straftäterunterbringungsgesetz Strafverteidiger Änderungsgesetz zum Strafvollzugsgesetz Strafvollzugsgesetz Sexual Violence Risk Scheme
18 ThUG UBG u. U. VE Ziff. ZStR ZStW
Abkürzungsverzeichnis Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter Unterbringungsgesetz unter Umständen Vorentwurf Ziffer Schweizerische Zeitfschrift fürs Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
A. Einleitung und historische Entwicklung Die Sicherungsverwahrung als zur Verhinderung erheblicher Straftaten dienende Sanktion ist von der Möglichkeit einer den Freiheitsentzug legitimierenden Kriminalprognose abhängig. Die Anforderungen an eine solche Prognose und das Zusammenspiel von empirischer Prognose und normativer Rechtsanwendung soll hier untersucht werden. Die Sicherungsverwahrung muss einen angemessenen Ausgleich zwischen beiden Grundsätzen herstellen: Dem Staat ist es erlaubt, zur Abwehr dringendster Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter auch schuldgelöste Eingriffe in die Freiheitsrechte des Einzelnen vorzusehen.1 Dabei darf das Gesetz aber nicht sehenden Auges den Rechtsanwender überfordern, die gesetzlichen Anforderungen an die Kriminalprognose müssen eine den Freiheitsentzug legitimierende Prognose ermöglichen.2 Die Einführung von vorbehaltener und vor allem nachträglicher Sicherungsverwahrung hat das System von Strafverurteilung und Anordnung der Sicherungsverwahrung neu geordnet. Es soll untersucht werden, was aus der Prognoseabhängigkeit der Sicherungsverwahrung für die Rechtskraft des Strafurteils folgt. Dabei steht der Widerspruch zwischen der die endgültige Erledigung des Strafverfahrens bedeutenden Rechtskraft und dem fortlaufenden, jeweils vom aktuellen Zeitpunkt auf die Zukunft gerichteten Blick der Prognose3 im Mittelpunkt. Es wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen, dass eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in der aktuellen Gestalt im Strafprozess zu legitimieren ist. Dass eine polizeirechtliche Ausformung verfassungsrechtlich unzulässig ist, ist bereits festgestellt.4 Materiell hat das BVerfG dabei festgestellt, dass „gerade und ausschließlich das schwerwiegende und dem Betroffenen zurechenbare Indiz der Anlasstaten, (. . .) den Staat berechtigt, die Gefährlichkeit seiner Bürger zu überprüfen und auf das Ergebnis dieser Überprüfung eine langfristige und schuldunabhängige Freiheitsentziehung zu gründen.“5
Es soll hier untersucht werden, wie sich dieser materielle Zusammenhang auswirkt. Von der Beantwortung dieser Frage hängen weitere Fragen ab.6 1 2 3 4 5
Rosenau, 2006, S. 291; Kinzig, 1996, S. 39 ff.; LK11-Hanack § 66, Rn. 21 ff. Nowakowski, 1963, S. 115 f. Dazu: Pollähne, 2004, S. 46 f. BVerfGE 109, 190. BVerfGE 109, 190 (220).
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A. Einleitung und historische Entwicklung
Es ergeben sich so zwei zentrale Fragen: Unter welchen Voraussetzungen ist es vertretbar, den verantwortlichen Täter einer Kriminalprognose zu unterstellen? Welchen Anforderungen muss diese Kriminalprognose selbst genügen, wenn auf sie Freiheitsentziehung gestützt wird?
I. Stand der Vorarbeiten und Gang der Untersuchung Der Schwerpunkt der Untersuchungen zur Sicherungsverwahrung liegt bei den Voraussetzungen der Anordnung der Maßregel und dort vor allem bei den formellen Voraussetzungen.7 Dabei ist es für die Erfassung des Zusammenspiels der prognoseabhängigen Sicherungsverwahrung mit repressiver Sanktionierung erforderlich, neben den Vorschriften über die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch die Regelungen ihrer Vollstreckung zu untersuchen. Die Untersuchung beginnt mit einem Überblick über die Geschichte der Sicherungsverwahrung. Anschließend werden die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung, insbesondere die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit untersucht. Es folgt die Darstellung der formellen Voraussetzungen der Anordnung von Sicherungsverwahrung und die Darstellung von vorbehaltener und nachträglicher Sicherungsverwahrung. Nach dieser Darstellung der Anordnung von Sicherungsverwahrung erfolgt ein Überblick über die Entscheidungen zur Vollstreckung der Sicherungsverwahrung. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Klärung des Verhältnisses von Erst- und Folgeentscheidungen liegen. Abschließend wird die Frage der Rechtskraft von Entscheidungen über die Sicherungsverwahrung und die Bindung des Gerichts an Vorurteile erörtert. Um den Umfang der Arbeit nicht ausufern zu lassen, wird die Sicherungsverwahrung gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden Tätern hier nicht betrachtet. Dies scheint deshalb möglich, da die Unterschiede gegenüber der Sicherungsverwahrung gegen erwachsene Täter weniger im normativen, als vielmehr im empirischen Bereich zu liegen scheinen.8 Denn die Erstellung einer legitimierenden Kriminalprognose gegen noch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung befindlichen Personen begegnet größeren Schwierigkeiten.9 6 Das auffälligste Beispiel ist die Frage, ob mehrere Anträge der Staatsanwaltschaft zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung möglich sind und wann die dazu notwendigen erkennbar gewordenen Tatsachen verbraucht sind. 7 Als Beispiel für die Unsicherheit bei den materiellen Voraussetzungen lässt sich der Streit um das Erfordernis eines Hanges zu erheblichen Straftaten bei §§ 66a, b StGB anführen. 8 Zu den formellen Voraussetzungen der §§ 7 II, III, 106 III JGG: Baltzer (2008).
II. Begriffsklärungen
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II. Begriffsklärungen Adressaten der Sicherungsverwahrung sind Täter, die aufgrund ihres Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sind. Da das vermeintlich zentrale Merkmal des Hanges zu Straftaten entweder inhaltslos oder von der Kriminalprognose nicht zu trennen ist, muss insbesondere geklärt werden, wann ein Täter gefährlich ist. Seit Exner eine Theorie der Sicherungsmittel erarbeitete, wird als entscheidend angesehen, ob eine bestimmte Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten besteht.10 Denn die „Gefährlichkeit einer Person (bedeutet) die Wahrscheinlichkeit, dass von ihr strafbedrohte Handlungen zu erwarten sind“.11 Es ist eine Kriminalprognose zu erstellen, deren Ausgang die Gefährlichkeit des Täters erweist. Obwohl sich der Begriff der Gefährlichkeit seit Exner nicht deutlich weiterentwickelt hat,12 ist doch ein rein empirisches Verständnis der Gefährlichkeit nicht durchzuhalten. Normative Kriterien sind schon entscheidend wenn es darum geht, festzulegen wie hoch die Wahrscheinlichkeit der erneuten Straftatbegehung sein muss, um die schuldübersteigende Freiheitsentziehung im Einzelfall zu begründen.13 Zu beachten sind außerdem rechtliche Anforderungen an die Ermittlung dieser Wahrscheinlichkeit.14 Die Feststellung der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Verläufe als Gesamtvorgang ist eine Prognose. Da sich die Prognose auf erhebliche Straftaten richtet, wird im weiteren Verlauf von einer Kriminalprognose gesprochen. Dabei wird zwischen einer positiven und einer negativen Kriminalprognose unterschieden. In Anlehnung an das empirische Schrifttum15 wird hier eine Kriminalprognose als negative bezeichnet, wenn keine weiteren Taten erwartet werden. Umgekehrt wird die Erwartung weiterer Taten als positive Kriminalprognose benannt. Aus Sicht des Täters ist die negative Kriminalprognose günstig, da sie nicht zur Anordnung von Sicherungsverwahrung führt, ungünstig ist die positive Kriminalprognose. 9
Eisenberg (2009) S. 219. Auf die von Frisch (1983) vorgebrachten Einwände wird unter C.II.2.c) eingegangen. 11 Exner (1914), S. 112; ders., (1933) S. 633; Müller (1981), S. 61; Bruns (1959), S. 224. Ähnlich: Flandrak (1932), S. 16 f. der eine Beschränkung auf die Tatgefährlichkeit fordert. Aus psychiatrischer Sicht gibt Kröber (1999), S. 594 eine ähnliche Definition. 12 Dessecker (2004), S. 181. 13 Vgl. schon Feuerbachs Theorie des psychologischen Zwangs, der notwendig ist, da ausreichender physischer Zwang nicht möglich ist. Dazu: Naucke (2007), S. 96; kritisch zum Menschenbild Feuerbachs aber Hassemer (1990), S. 309. 14 Dazu Bae, 1985, S. 130, nach dem das Programm der Maßregeln mit einer scheinbaren Empirie der Prognose einen besonderen Legitimationsbedarf aufweist. 15 Beispielsweise Dahle, 2006, S. 13 ff.; Pollähne (2006), S. 225. 10
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A. Einleitung und historische Entwicklung
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter Besondere Maßnahmen gegen zukünftige Deliktsbegehung waren unnötig, solange die regelmäßig bei einer Straftat verhängte Sanktion eine zukünftige Deliktsbegehung ausschloss. Harte Strafen bewirkten weitgehend, dass der einmal Bestrafte keine weiteren Taten ausführte.16 Erst nachdem keine Lebens- oder schweren Leibesstrafen mehr diese Funktion übernahmen, trat das Problem der wiederholten Deliktsbegehung durch einen Straftäter in erheblichem Umfang auf.17 1. Entwicklung bis zum Ende der Weimarer Republik Die Constitutio Criminalis Carolina Karls des V. von 1532 kannte bereits vereinzelt besondere präventive Sanktionen. Hier interessiert vor allem die Freiheitsentziehung wegen der Gefahr der Begehung zukünftiger Straftaten nach Art. 176 CCC. Dieser sah vor, dass um: „. . . solchen künfftigen unrechtlichen Schaden und Übels zu fürkommen, soll dieselbig unglaubhafftige person inn gefengknuss, als lang biss die nach erkandtnuss dess selben gerichts, gnugsame caution, sicherung, und bestand für solche unrechtliche thätliche handlung thut, durch die schöffen rechtlich erkanndt werden, jedoch soll solch straff nit leichtfertiglich oder ohn mercklich verdächtlichheyt künfftigs übels (als obsteht) sonder mit rath der rechtsverstendigen beschehen.“
Adressiert waren neben verurteilten Tätern auch solche die sich bereits im Gefängnis befanden, aber noch nicht verurteilt waren, so dass auf eine Nähe zum heutigen § 112a StPO hingewiesen wird.18 Daneben bestimmte Art. 162 CCC, dass als Strafschärfung auf den dritten Diebstahl eines Täters die Todesstrafe zu folgen hatte19. Eine systematische Trennung von Strafe und Maßregel wurde noch nicht vorgenommen.20 Der Schutz der Gesellschaft vor Rückfalltätern war im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 besonders geregelt. Bei der Begründung speziell präventiver Sanktionen gelangte E. F. Klein zu einer Trennung von 16 Geisler (1967), S. 29; Weichert (1989), S. 266; Mushoff (2008), S. 10 m. w. N. Milde (2006), S. 5 folgert daraus, dass das Strafensystem im Mittelalter vor allem auf die Sicherung der Gesellschaft ausgerichtet war. 17 Zu beachten ist dabei auch, dass erst die Möglichkeiten zur Erkennung der Mehrfachtäterschaft geschaffen werden mussten. 18 Mushoff (2008), S. 11 m. w. N. 19 Dazu: Weichert (1989), S. 266; zu strafschärfenden Rückfallvorschriften ausführlich: Frosch (1976). 20 Eisenberg (1967), S. 3 m. w. N.
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter
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der Strafe.21 Zuvor wurde als Reaktion auf Gefährlichkeit eine außerordentliche Strafe dann verhängt, wenn der volle Beweis der Straftat nicht erbracht werden konnte, die Richter aber dennoch überzeugt waren, einen gefährlichen Straftäter erkannt zu haben.22 Klein trat gegen diese außerordentliche Strafe mit der Begründung ein, sie sei in jedem Fall ungerecht. Gegenüber dem tatsächlichen Täter sei sie zu milde, gegenüber dem Unschuldigen aber nicht zu begründen. An ihre Stelle sollten Maßnahmen ohne Strafcharakter treten, um auf die künftige Gefährlichkeit des Verdächtigen zu reagieren.23 Der exemplarische24 § 5 II 20 ALR sah vor, dass „Diebe und Verbrecher, welche, ihrer verdorbenen Neigung wegen, dem gemeinen Wesen gefährlich werden könnten“ auch nach verbüßter Strafhaft so lange in Haft verbleiben sollen, bis sie bewiesen haben, dass sie sich auf ehrliche Art ernähren können. Auffallend an der Regelung des § 5 II 20 ALR ist das Fehlen formeller Voraussetzungen. Vorverurteilungen oder -taten waren nicht notwendig, lediglich eine verdorbene Neigung musste vorliegen.25 Dies passt in das von Eberhard Schmidt entworfene Bild des preußischen Polizeistaates, der für sich in Anspruch nimmt, den Einzelnen unter strengster Aufsicht zu halten.26 Trotz einer grundsätzlichen Trennung von Strafe und Präventivsanktion wurde die Vermischung strafrechtlicher und polizeilicher Ziele vom Blickpunkt des Strafrechts aus kritisiert.27 Wenig später wurde dennoch die Trennung von Strafe und Maßnahme durch Verordnung vom 26.02.1799 aufgehoben und eine einheitliche Sicherungsstrafe von unbestimmter Dauer eingeführt.28 Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 hingegen enthielt, ebenso wie das preußische Strafgesetzbuch von 1851 keine besonderen präventiven Sanktionen. Enthalten waren lediglich besondere strafschärfende Rückfallvorschriften,29 sowie Vorschriften über Polizeiaufsicht (§ 38 RStGB) und die 21
Finger (2008), S. 26; Rietzsch (1938), S. 27; Dessecker (2004), S. 32 spricht vom „Ansatz einer Dogmatik der Sicherungsmittel“. 22 Dazu ausführlich: Henkel (1937), S. 711 ff. Der Unterschied zur heutigen Sicherungsverwahrung besteht darin, dass diese Sanktion nicht neben die Strafe trat (wenn diese als nicht ausreichend angesehen wird), sondern die mangels Beweises unerreichbare Strafe ersetzte. 23 Henkel (1937), S. 712. 24 Eb. Schmidt (1974), S. 623. 25 Allerdings ist zu beachten, dass § 1160 II 20 ALR eine Besserungsdetention für rückfällige Diebe enthielt. Für den Rückfall nach Entlassung aus dem Vollzug Besserungsdetention sah § 1161 ALR dann lebenswierige Zuchthausstrafe vor. 26 Eb. Schmidt (1974), S. 625. 27 Dessecker (2004), S. 30 m. w. N. 28 Finger (2008), S. 26; Dessecker (2004), S. 31; Geisler (1967), S. 29; Eisenberg (1967), S. 3. 29 In den §§ 244, 250 Nr. 5, 261, 264, 362 II RStGB.
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A. Einleitung und historische Entwicklung
Überweisung gemeinlästiger Täter an die Landespolizeibehörde (§ 362 S. 2 RStGB). Bei Letzteren konnte der Strafrichter nur die Zulässigkeit einer Nachhaft nach vollzogener Strafe erkennen, die Durchführung oblag der Verwaltung.30 Diese Zurückhaltung des Strafrechts im präventiven Bereich wird insbesondere auf die von Kant und Hegel beeinflusste Theorie des psychologischen Zwangs von Feuerbach zurückgeführt.31 Jedoch kam schon kurze Zeit später wieder die Diskussion um besondere präventive Sanktionen auf. So wurde 1879 bereits eine zeitlich unbestimmte Verwahrung für wiederholt rückfällige Diebe und Betrüger gefordert.32 Der „Zweckgedanke im Strafrecht“33 rückte als zentrales Element des vor allem durch das Marburger Programm ausgelösten Schulenstreits im späten 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt strafrechtlicher Diskussionen, wobei vor allem die Begründung der Strafe umstritten war.34 Von Liszt und seine Unterstützer setzten sich für eine einheitliche Zweckstrafe ein, denn: „Gegen die unverbesserlichen muß die Gesellschaft sich schützen; und da wir köpfen und hängen nicht wollen und deportieren nicht können, so bleibt nur die Einsperrung auf Lebenszeit (bezw. auf unbestimmte Zeit).“35
Ziel war es, durch die Strafe die „Unschädlichmachung der Unverbesserlichen, Besserung der Besserungsfähigen“36 zu erreichen. Statt Vergeltung der begangenen Tat, sollte sich die Strafe durch ihre Wirkung auf den Täter begründen. Die Strafe, ursprünglich eine triebhafte Handlung, werde im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung durch den Übergang der Strafgewalt auf den Staat objektiviert. Am Ende der Entwicklung stehe die Indienststellung der Strafe für den Rechtsgüterschutz.37 Rechtsgüterschutz werde durch Verletzung der Rechtsgüter des Täters erreicht, indem die Strafe diesen bessert, abschreckt oder unschädlich macht.38 Die Legitimation der auf diese Weise zielgerichteten Sanktion steht unter der Voraussetzung, dass der individuelle Täter einer der vorgenannten Tä30
Henkel (1937), S. 739. Mushoff (2008), S. 12; Henkel (1937), S. 727 ff. 32 Mittelstädt (1879), S. 71, die allerdings von der Landespolizeibehörde angeordnet werden sollte. 33 So der Titel der Marburger Antrittsvorlesung Franz von Liszt’s aus dem Jahr 1882, abgedruckt in von Liszt (1905), S. 126–179. 34 Vgl. Frisch (1982), S. 568 ff. Die Unterschiede der Konzeption von Liszt’s und des Maßregelrechts nach der Konzeption von Stooß betont Kammeier (1996), S. 1 ff. 35 von Liszt (1905), S. 169; Auf die Ausweisung von ausländischen Straftätern als Element im „Kampfe der nationalen Rechtsordnungen gegen (. . .) das Gewohnheitsverbrechertum im Besonderen“ weist Geerds (1954), S. 177 hin. 36 von Liszt (1905), S. 173. 37 von Liszt (1905), S. 148 f. 38 von Liszt (1905), S. 163 f. 31
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter
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tergruppen tatsächlich zugeordnet werden kann. Ausführungen zu diesem Problem waren rar gesät.39 Dies ist aber nicht unverständlich, da bei einem solchen Strafverständnis eine besondere normative Begründung des Eingriffs der Gefahrenabwehr und damit der Geltung der Kriminalprognose nicht notwendig war. Ein von der Strafe getrenntes Maßregelrecht ist bei diesem Strafverständnis nicht notwendig, ist doch der Schutz der Gesellschaft schon Grund der Strafe.40 Die Anpassung der Sanktion an den Täter ist bei diesem Verständnis ein rein empirisches Problem. Konkret sollte auf die dritte Verurteilung wegen solcher Tatbestände, die als gewohnheitsmäßig begehbar definiert waren, obligatorisch die absolut unbestimmte Sicherungsstrafe folgen.41 Die unter dem Begriff der klassischen Schule42 zusammengefassten Gegner dieser Idee wollten die Schuldbegründung und daraus folgende -bindung der Strafe nicht aufgeben, ihr Ziel war die Beibehaltung der Vergeltungsstrafe,43 um die staatliche Eingriffsmöglichkeit in das bürgerliche Freiheitsrecht zu begrenzen, vor allem aber um die Strafe nicht zu staatlicher Verwaltungstätigkeit absinken zu sehen.44 Die Strafe sollte daher von den polizeilichen Maßnahmen geschieden bleiben.45 39 Frisch (1982), S. 575, 589; Bockelmann (1960), S. 600; Jansing (2004), S. 13 m. w. N. Eine Zuordnung erfolgt zunächst nur nach den begangenen Taten, von Liszt (1905), S. 169 f. Zuordnungskriterien sollten unter Zuhilfenahme von Statistiken entwickelt werden: von Liszt (1905), S. 167. 40 Jansing (2004), S. 12, der aus heutiger Sicht auf den „bedenklichen Verlust der eingriffsbegrenzenden Funktion des Strafrechts und seiner Tatbestände“ hinweist. 41 von Liszt (1905), S. 170; Kammeier (1996), S. 8. Dem empirischen Problem ist damit insoweit ausgewichen, als bestimmte Tatbestände als gewohnheitsmäßig begehbar aufgefasst wurden. 42 Kritisch zur groben Einteilung als „Schulen“ vor allem auf Seiten der „Klassiker“: Dessecker (2004), S. 58 f. 43 Binding (1913), S. XVII: „Es gibt nur einen Strafmassstab, der sich allerdings in Wahrheit aus zweien kombinirt: das ist die Schwere der Tat und die Rücksicht auf Aufrechterhaltung und Stabilirung der durch sie erschütterten Autorität des Gesetzes.“ und S. XVIII, wo für eng begrenzte Fälle eine polizeiliche Nachhaft mit wesentlichen Unterschieden zu Strafhaft zugelassen wird; Birkmeyer (1901), S. 72 ff.; zur Begründung der Strafe bei von Liszt: Jansing (2004), S. 12; Frisch (1982), S. 566 ff. 44 Zu beidem: Birkmeyer (1901), S. 74, 78; Schewe (1999), S. 34; Frisch (1982), S. 568; Eser (2001), S. 224, der den Schulenstreit als in erster Linie weltanschaulich-politischen Streit bezeichnet. Es ist auch zu beachten, dass bei einer strafrechtlichen Regelung die Kosten der Unterbringung dem Justizfiskus und nicht wie bei verwaltungsrechtlicher Regelung den Gemeinden zur Last fallen: Jansing (2004), S. 20. 45 Binding (1913), S. XVI; dazu auch Mushoff (2008), S. 13.
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A. Einleitung und historische Entwicklung
Ein wirkmächtiger Kompromissvorschlag zur Auflösung des Streits kam von dem Schweizer Strafrechtler Carl Stooß, der 1893 seinen Vorentwurf zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch vorlegte,46 in dem er ausdrücklich eine von der Strafe verschiedene Verwahrung vielfach rückfälliger Straftäter in besonderen Anstalten vorsah. Diese Verwahrung sollte zeitlich begrenzt sein und statt einer Strafe verhängt werden. Art. 40 des VE lautete: „Begeht ein Verbrecher, der wiederholt Zuchthausstrafe erstanden hat, innerhalb von 5 Jahren nach Vollzug der letzten Zuchthausstrafe ein neues Verbrechen, und ist das Gericht überzeugt, dass ihn die gesetzliche Strafe nicht von weiteren Verbrechen abzuhalten vermag, so überweist es den rechtskräftig Verurteilten der Bundesbehörde, welche über die Verwahrung von rückfälligen Verbrechern entscheidet. Diese Behörde zieht über das Vorleben des Verbrechers, über seine Erziehung, seine Familienverhältnisse, seinen Erwerb, seine körperliche und geistige Gesundheit, sowie über die Verbrechen, die er begangen, und die Strafen, die er erstanden hat, Erkundigungen ein. Erachtet es die Behörde als unzweifelhaft, dass der Verbrecher nach Vollzug der Strafe wieder rückfällig werden würde, und erscheint es geboten, ihn für längere Zeit unschädlich zu machen, so ordnet sie statt der Strafe seine Verwahrung für die Zeit von bis zu 20 Jahren an. Andernfalls bleibt das Urteil in Kraft. Nach Ablauf von fünf Jahren kann die Behörde die vorläufige Freilassung des Sträflings verfügen, wenn er zum erstenmal verwahrt wird und anzunehmen ist, dass er nicht mehr rückfällig werden wird . . .“47
Damit hatte von Liszt die Aufgabe, Stooß den Weg gewiesen.48 Beachtlich sind die hohen Anforderungen an die Prognose, die erstaunliche Modernität der Risikoindikatoren und der Umstand, dass eine doppelte Prognose vorgesehen war.49 Sehr unbestimmt waren dagegen die formellen Voraussetzungen mit der Erstehung wiederholter Zuchthausstrafen gefasst. Dieser Umstand war Gegenstand von Verhandlungen über den Vorentwurf. In der um die Beratungen ergänzten Fassung war in Art. 41 dieses Vorentwurfs nicht mehr die wiederholte Verurteilung zu Zuchthaus vorausgesetzt, sondern dass der Täter wenigstens zehnmal Freiheitsstrafe verwirkt hatte.50 Grund war das Bedenken, die Hauptadressaten verwirkten nicht durch schwere Delikte lange Strafen, sondern zeichneten sich vor allem durch viele Verurteilungen zu kurzen Zuchthausstrafen aus.51 Ausdrücklich wurde 46
Stooß (1893). Dazu auch: Kammeier (1996), S. 4 ff.; Kaenel (1984). Stooß (1893), S. 49. 48 Exner (1914), S. 239; Schönke (1938), S. 116 f.; Frisch (1982), S. 547; ders. (1990), S. 346, der auf S. 349 auch auf die Bedeutung des Italieners Ferri hinweist. 49 Kinzig (1996), S. 11. 50 Stooß (1894), S. 28. 47
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter
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dennoch darauf hingewiesen, dass ausschließlich solche Taten zur Verwahrung führen sollten, „welche die Gesellschaft schwer schädigen und gefährden und erfahrungsgemäß gewohnheitsmäßig begangen werden.“52 In Deutschland begannen die Anhänger der klassischen und der modernen Strafbegründung unter Zurückstellung ihres Streits auf Initiative des Deutschen Juristentages 1902 gemeinsam mit der Erarbeitung von Vorschlägen für eine Strafrechtsreform. In dem Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch von 1909 war eine von der Strafe verschiedene Verwahrung für schuldfähige53 Rückfalltäter nicht vorgesehen.54 In § 89 war aber eine Strafschärfung für bestimmte Rückfalltäter vorgesehen, in § 87 eine Rückfalldefinition enthalten55 und § 88 sah eine obligatorische Strafschärfung vor. Der § 89 lautete: „(I) Begeht jemand, der schon vielfach, mindestens aber fünfmal, wegen Verbrechen oder vorsätzlicher Vergehen mit erheblichen Freiheitsstrafen, darunter mindestens einmal mit Zuchthaus, bestraft ist und die letzte Strafe vor nicht länger als drei Jahren verbüßt hat, aufs neue ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen, das ihn in Verbindung mit seinen Vorstrafen als gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen Verbrecher erscheinen läßt, so ist, wenn die neue Tat ein Verbrechen ist, auf 51
Stooß (1894), S. 139. Stooß (1894), S. 140 f. mit dem Hinweis, dass geringere Taten zu einer Einweisung ins Arbeitshaus führen sollen. Somit sollte „das Bedenken, es könnten der Verwahrung verhältnismäßig harmlose Personen unterstellt werden, welche nicht Gewohnheitsverbrecher sind, (. . .) endgültig widerlegt sein.“ 53 Eine Verwahrung in einer öffentlichen Heil- oder Pflegeanstalt sah § 65 VE 1909 für unzurechnungsfähige Täter vor. Nach § 43 VE 1909 war eine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt möglich. 54 Allerdings war § 42 VE 1909 unter dem Titel „Strafen. Sichernde Maßnahmen. Schadensersatz.“ die Unterbringung in einem Arbeitshaus für eine Zeit von sechs Monaten bis drei Jahren vorgesehen. Verhängt werden sollte diese Sanktion vor allem gegen Bettler, Landstreicher und andere Täter solcher Delikte, die darauf hindeuten, dass aus ihnen der Lebensunterhalt bestritten wird. Diese auch im RStGB 1871 vorgesehene Sanktion sollte auf die Unempfänglichkeit der Adressaten gegen kurze Freiheitsstrafen reagieren. Die nach Verbüßung der Freiheitsstrafe von der Landespolizeibehörde zu vollstreckende korrektionelle Nachhaft wurde teils als Nebenstrafe, teils als polizeirechtliche Präventivmaßregel oder sichernde Maßnahme angesehen. Sie knüpfte nicht an die Tatschuld sondern an einen Zustand des Täters, nämlich die Verwahrlosung und Arbeitsscheu, an. Dazu: Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch 1909, Begründung Allgemeiner Teil, S. 148 f. 55 „Wer wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens Freiheitsstrafe erlitten hat und binnen fünf Jahren wiederum ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen begeht, wegen dessen er Freiheitsstrafe verwirkt hat, befindet sich im Rückfalle.“ Die Strafschärfung des § 89 sollte aber einen weiter gefassten Rückfallsbegriff zu Grunde legen. Eine Erläuterung dieser Merkwürdigkeit findet sich in Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 364 und 368. 52
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A. Einleitung und historische Entwicklung
Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn sie ein Vergehen ist, auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. (II) . . . (III) Die auf Grund dieses Paragraphen Verurteilten werden in besonderen, für sie ausschließlich bestimmten Strafanstalten verwahrt. (. . .).“
Mit der so geschärften Strafe sollte eine besondere Sanktion gegen solche Täter eingeführt werden, die durch wiederholte Begehung erheblicher Straftaten eine erhebliche Gefahr bilden.56 Im Vollzug sollte auf alle auf Besserung gerichteten Maßnahmen verzichtet werden.57 Im Vergleich zu dem Vorschlag Stooß’ wurden deutlich weniger strenge Anforderungen an Vorverurteilungen gestellt. Die Untersuchung der Täterpersönlichkeit war in geringerem Umfang vorgeschrieben. Als Grund für den Verzicht auf eine besondere präventive Sanktion neben der Strafe wurde unter anderem angeführt, beide Sanktionen seien praktisch nicht zu unterscheiden, da in beiden Fällen eine Einsperrung erfolge und gerade bei erheblicher Kriminalität auch die Schuldstrafe das Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung befriedige.58 Eine sichernde Verwahrung schuldfähiger Täter nach Verbüßung ihrer Strafe wurde als Verstoß gegen den Schuldgrundsatz angesehen.59 Ein weiteres, noch für das heutige Recht wichtiges Bedenken war, dass keine praxistauglichen Anhaltspunkte für den Wegfall der vom Täter ausgehenden Gefahr zu bestimmen seien.60 Darin, dass die Unterbringung in einem Arbeitshaus und andere Maßregeln zulässig sein sollten, eine Verwahrung aufgrund präventiver Zwecke aber abgelehnt wurde, sollte kein Widerspruch bestehen. Denn die im VE 1909 enthaltenen Maßregeln dienten in erster Linie dem Interesse des betroffenen Täters und nur mittelbar dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit. Bei einer schuldunabhängigen Verwahrung der Rückfalltäter werde jedoch das Interesse der Gesellschaft über das des Betroffenen gestellt. Eine Verwahrung des schuldfähigen Täters zum Zweck der Sicherung Dritter könne nur gerechtfertigt werden, wenn der unverbesserliche Täter dem kranken Täter gleichgestellt werde, was aber der Wirklichkeit nicht entspreche.61 56 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 363. 57 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 367. 58 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 360. Ausdrücklich die Doppelfunktion des § 89 herausstellend als Schuldvergeltung und Gefahrbekämpfung: a. a. O., S. 366. 59 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 361; Eser (2001), S. 229. 60 Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 361.
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter
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Der 1911 geschaffene Gegenentwurf wich von dem Vorentwurf erheblich ab. Insbesondere der Verzicht auf eine sichernde Maßregel gegen Gewohnheitsverbrecher und die Konzeption des § 89 VE 1909 trafen auf Widerspruch.62 Zwar sah der GE 1911 in § 97 ebenfalls eine Strafschärfung für gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Täter vor,63 daneben aber bestimmte § 98: „Begeht jemand, der schon vielfach, mindestens aber fünfmal, wegen Verbrechen oder vorsätzlicher Vergehen Freiheitsstrafe, darunter mindestens einmal Zuchthausstrafe, erlitten und die letzte Strafe vor nicht länger als drei Jahren verbüßt hat, aufs neue ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen, das ihn in Verbindung mit seinen Vorstrafen als gewerbs- oder gewohnheitsmäßigen und für die Rechtssicherheit gefährlichen Verbrecher erscheinen läßt, so kann das Gericht neben der Strafe auf Unterbringung des Verurteilten in einer Verwahrungsanstalt erkennen . . .“
Hier waren ebenfalls mindestens fünf Vorverurteilungen vorausgesetzt, aber im Unterschied zu § 89 VE 1909 wurde die vom Täter ausgehende Gefahr hervorgehoben und die zeitlich unbestimmte Verwahrung ermöglicht.64 Eine Verurteilung nach § 97 GE war nicht Voraussetzung für die Verhängung der sichernden Maßnahme nach § 98, diese sollte neben die geschärfte Strafe treten,65 wobei die Anordnung der Unterbringung in einer Verwahrungsanstalt in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde. Im Unterschied zum VE 1909 wurde nicht davon ausgegangen, dass das Sicherungsbedürfnis gegenüber dem Täter durch die geschärfte Schuldstrafe befriedigt wird.66 Ausdrücklich sollten im Unterschied zum § 89 VE 1909 auch Täter geringer Kriminalität wie Landstreicher und Bettler erfasst werden.67 Konkrete Ausgestaltung und Dauer der Unterbringung sollten nicht vom Strafrichter, sondern von der Landespolizeibehörde bestimmt werden.68 Auf 61
Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 362. 62 Kahl et al. (1911), S. 129, 133 sprechen von einer „Halbheit“. Die von § 89 VE 1909 angedrohten Strafen stünden außer Verhältnis zur Tat und befriedigten das Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung nur ungenügend. Außerdem sei die Unterscheidung in Maßnahmen zugunsten des Angeklagten und solcher im Interesse Dritter nicht nachzuvollziehen. 63 Der gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Täter sollte von § 96 erfasst werden, der eine allgemeine Strafschärfung für den Rückfall zum Inhalt hatte. Der Rückfall war in § 95 legaldefiniert. Die dortige Definition war enger als die des § 87 VE 1909. 64 Kahl et al. (1911), S. 133 f. 65 Kahl et al. (1911), S. 131. 66 Kahl et al. (1911), S. 131. 67 Kahl et al. (1911), S. 134. 68 Jansing (2004), S. 17 f. deutet dies als Hinweis darauf, dass die vorgeschlagene Regelung einen Kompromiss darstellt, der den Vertretern der klassischen
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Besserung bedachte Maßnahmen sollten den Untergebrachten im Gegensatz zu der Regelung des Vorentwurfs zur Verfügung stehen.69 In den Jahren 1913 und 1919 erschienen ein Entwurf der Strafrechtskommission und der Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Beide orientierten sich hinsichtlich der Anordnungsvoraussetzungen einer sichernden Verwahrung als Gewohnheitsverbrecher eng am Gegenentwurf von 1911.70 Die wesentlichste Neuerung dieses Entwurfs war die Verknüpfung der präventiven Verwahrung nach § 100 mit der Verurteilung zu einer geschärften Strafe. Dabei stützte sich die Strafschärfung aber nicht nur auf die Verurteilung wegen Rückfalls, sondern setzte gemäß § 120 Entwurf 1919 die Gefährlichkeit des Täters voraus.71 Eine solche Rückfallvorschrift geht nicht von einer Schuldsteigerung aufgrund des Rückfalls aus, sondern sanktioniert die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftatbegehung. Eine insofern ähnliche Regelung ist mit den §§ 20a, 42e RStGB später Gesetz geworden.72 Die darauf folgenden Entwürfe von 1922 und 192573 enthielten in den §§ 46–50 erstmals allgemeine Bestimmungen für primär präventive Sanktionen. Für die Anordnung der erstmals so genannten Sicherungsverwahrung war nach dem in beiden Entwürfen gleichen § 45 erforderlich, dass zwei Verurteilungen wegen Verbrechen oder vorsätzlicher Vergehen zu erheblichen Freiheitsstrafen oder Todesstrafe vorlagen. Damit wurde die Zahl der notwendigen Vorverurteilungen erheblich gesenkt. Weitere Voraussetzung war die Verurteilung zu wegen Rückfalls verschärfter Strafe nach § 77.74 Beide Entwürfe setzen sich von den vorherigen dadurch ab, dass Schule durch die Reinhaltung der Strafe entgegenkommt. Gegen eine solche Interpretation spricht jedoch, dass sich gerade die „Klassiker“ gegen zeitlich unbestimmte strafrechtliche Sanktionen aussprachen, unabhängig von deren Benennung. Vgl. Birkmeyer (1901), S. 76. 69 Kahl et al. (1911), S. 132 f. und Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Begründung Allgemeiner Teil 1909, S. 367. 70 Allerdings sahen sie eine obligatorische Anordnung der Unterbringung in einer Verwahranstalt vor. Für den Entwurf 1919 bestimmte § 100, dass Täter, die als Gewohnheitsverbrecher nach § 120 verurteilt waren, in Sicherungsverwahrung unterzubringen sind. Diese Unterbringung erfolgte zeitlich unbegrenzt. Gemäß § 101 bestimmte die Landespolizeibehörde über die konkrete Ausgestaltung der Unterbringung und auch deren Beendigung. Zu letzterem: Mushoff (2008), S. 16. 71 Hierzu: Flandrak (1932), S. 178 f. So auch spätere Entwürfe. Ausdrücklich in der Begründung zum Entwurf 1927 bei Schubert/Regge (1995), S. 538: „Hier werden also zwei besondere Strafrahmen gegen eine bestimmte Art verbrecherischer Persönlichkeiten festgelegt (. . .). Die Tat tritt gegenüber dem Täter fast völlig in den Hintergrund.“ 72 Vgl. hierzu Frosch (1976), S. 45; Arzt (1971), S. 24 und Fn. 63. 73 Der von Radbruch 1922 vorgelegte Entwurf wurde 1925 nach geringen Änderungen, die das Maßregelrecht nicht betrafen, dem Reichsrat vorgelegt. Hierzu: Schubert/Regge (1995), S. XI; Dessecker (2004), S. 84 ff.; Schewe (1999), S. 38.
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ein Vikariieren von Strafe und Maßregel in großem Umfang ermöglicht wurde75 und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bei Verurteilung zu einer wegen Rückfalls geschärften Strafe nur fakultativ war.76 Gemeinsam mit der nur fakultativen Verurteilung zu geschärfter Strafe nach § 77 bestand doppeltes Rechtsfolgenermessen. Die Regelung der Entlassung aus der Maßregel trug in diesem und in den folgenden Entwürfen dem Zweifel Rechnung, ob hier Straf- oder Verwaltungsrecht geregelt war: Entscheiden sollte die für die Vollstreckung der Unterbringung zuständige Verwaltungsbehörde, das Gericht musste zustimmen, bei vorzeitiger Entlassung aber sollte das Gericht allein entscheiden.77 Die Sicherungsverwahrung durfte drei Jahre nur überschreiten, wenn das Gericht (und nicht die Verwaltungsbehörde) diese erneut anordnete.78 Der im Jahr 1927 vorgelegte Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs79 regelte die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in § 59. Dieser setzte formell voraus, dass der Täter schon einmal zum Tod oder zu Zuchthausstrafe verurteilt worden war und anschließend nach § 78 als für die öffentliche Sicherheit gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu Zuchthaus oder einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Eine solche Verurteilung nach § 78 erforderte zwei Vorverurteilungen wegen Verbrechen oder vorsätzlicher Vergehen zum Tod oder zu Freiheitsstrafe80 von mindes74 Der § 77 war in beiden Entwürfen fast gleich, es bestand lediglich der Unterschied, dass § 77 E 1922 eine Verurteilung zu erheblicher Freiheitsstrafe, § 77 E 1925 eine Verurteilung zum Tode oder zu erheblicher Freiheitsstrafe erforderte. Dabei sollte die Rückfallstrafe nicht eine erhöhte Schuld ausgleichen, sondern sich auf den Zustand des Täters beziehen. Die sollte auf Täter angewendet werden, bei denen der „Rückfall als Symptom für eine besonders eingewurzelte verbrecherische Neigung“ anzusehen war, Begründung des E 1925 in Schubert/Regge (1995), S. 294 f. 75 Das Gericht konnte nach dem jeweiligen § 48 die Sicherungsverwahrung anstelle der Strafe anordnen. Hierzu auch: Dessecker (2004), S. 84 m. w. N. zu Begründung und Kritik an der Möglichkeit des Vikariierens. 76 Der E 1919 sah in § 100 eine zwingende Unterbringung vor, wenn der Täter nach § 120 verurteilt worden war. 77 Kammeier (1996), S. 95 f.; Mushoff (2008), S. 16 f. 78 Diese Einschränkung enthielten die §§ 46 der Entwürfe 1922 und 1925. Diese galt als allgemeine Vorschrift für die Maßregeln auch für die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Heil- oder Pflegeanstalt. 79 Dieser Entwurf wurde nach umfangreichen Diskussionen aus der Reichsratsvorlage von 1925 entwickelt. Zu den Entwürfen 1925 und 1927 ausführlich: Haße (1931). 80 Es fällt auf, dass die Strafschärfung nach § 78 die Verurteilung zu Freiheitsstrafe, die Sicherungsverwahrung aber die Verurteilung zu Zuchthaus erfordert. Vor der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, sollte erwiesen sein, dass auch die „Verurteilung zur schärfsten Art der Freiheitsstrafe nicht genügt hat, um den Täter von weiteren Straftaten zurückzuhalten.“ Begründung des E 1927, S. 48 in Materialien zur Strafrechtsreform, 4. Bd.
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tens sechs Monaten. Materielle Voraussetzung war die aus der neuen Tat in Verbindung mit den früheren Taten hervorgehende Eigenschaft des Täters als ein für die öffentliche Sicherheit gefährlicher Gewohnheitsverbrecher. Sowohl die Verurteilung zu verschärfter Strafe nach § 78 als auch die Anordnung von Sicherungsverwahrung waren in richterliches Ermessen gestellt. Für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung entfiel die Möglichkeit zu vikariieren.81 Nach Ablauf von drei Jahren musste die richterliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 60 erneuert werden. Eine Einbeziehung noch nicht entdeckter Serientäter in den Anwendungsbereich der Strafschärfung des § 78 und damit in den der Sicherungsverwahrung wurde ausdrücklich abgelehnt, da die Feststellung der Gewohnheitsverbrechereigenschaft ohne die Stütze zweier Vorverurteilungen als zu unsicher eingeschätzt wurde.82 Für die Maßregeln war eine Anordnung durch die Strafgerichte vorgesehen, die dann von der Verwaltungsbehörde in eigener Verantwortung geprüft werden sollte. Für die Sicherungsverwahrung, die der Strafe am nächsten stehe, sollte dieser Vorbehalt der Verwaltungsbehörde gerade nicht gelten.83 Der 1930 von Kahl vorgelegte Entwurf brachte für die Sicherungsverwahrung keine erheblichen Neuerungen,84 ergänzte aber den Entwurf 1927 dahingehend, dass die Anlasstat zu einer Verurteilung zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr führen musste. Außerdem sollte die Notwendigkeit der erneuten Anordnung nach drei Jahren entfallen, stattdessen sah § 60 des Entwurfs 1930 in diesen Abständen jeweils eine gerichtliche Prüfung vor, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist.85 2. Zusammenfassung Die formellen Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung oder funktionale Äquivalente vom Entwurf 1922 bis 1930 wurden stetig angehoben.86 Dies ist aber vor dem Hintergrund zu sehen, dass der von Radbruch maß81 Grund dafür war, dass die Möglichkeit des Vikariierens den Strafgedanken zu sehr abschwäche, Begründung des E 1927 bei Schubert/Regge (1995), S. 525, vgl. auch Jansing (2004), S. 18 m. w. N. 82 Begründung des E 1927, S. 58 in Materialien zur Strafrechtsreform, 4. Bd.; Jansing (2004), S. 18. 83 Begründung des E 1927, S. 44 in Materialien zur Strafrechtsreform, 4. Bd.; Mushoff (2008), S. 17, Fn. 62. 84 Eine Vikariierungmöglichkeit war z. B. weiterhin nicht vorgesehen, vgl. Dessecker (2004) S. 86. 85 Dazu: Schewe (1999), S. 40. Das Gericht sollte auch einen kürzeren Zeitraum festlegen können. 86 Schewe (1999), S. 40; Jansing (2004), S. 18. Vgl. auch Exner (1933), S. 629.
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geblich erarbeitete Entwurf 1922 eine erhebliche Absenkung der erforderlichen Vorstrafen vornahm. Die zuvor für erforderlich gehaltene Schwelle wurde dann auch nicht mehr erreicht. Die Entwürfe 1909, 1911, 1913 und 1919 setzten für die Verwahrung bzw. die Strafschärfung jeweils mindestens fünf Vorverurteilungen voraus, der überarbeitete Vorentwurf zu einem schweizerischen StGB gar noch zehn. Als Ausgleich für diese Absenkung der formalen Anforderungen sah der Entwurf 1922 mit der doppelten Prognose materiell eine höhere Schwelle vor. Diese Verschärfung der formellen Voraussetzungen in der Folgezeit bis 1930 deutet nicht auf eine gewachsene Skepsis gegenüber präventiven Sanktionen. Eher lässt die Verschärfung der formellen Voraussetzungen, vor dem Hintergrund, dass bei den Bestrebungen, die materiellen Kriterien gleichermaßen praktisch handhabbar und ausreichende Rechtssicherheit gewährleistend zu formulieren, keine Fortschritte erzielt wurden,87 den Schluss zu, dass sich die Kennzeichen der Täter, für die Sicherungsverwahrung vorgesehen wurde, änderten. Sollten zunächst Täter erfasst werden, die oft weniger erhebliche Straftaten begangen, so kann die Absenkung der erforderlichen Vorverurteilungen und die Steigerung bei der durch die Anlasstat verwirkten Strafe darauf hindeuten, dass mehr und mehr Täter erheblicher Kriminalität erfasst werden sollten. Der Streit um die Zugehörigkeit der Maßregeln zum Straf- oder Verwaltungsrecht wirkte sich in den Entwürfen aus, die Kompetenzen von Verwaltungsbehörden und Strafrichter bei Anordnung und Vollzug der Maßregeln wurden immer wieder anders verteilt.88 Letzteres gilt für die Sicherungsverwahrung aber nur eingeschränkt. Die Dauer der Sicherungsverwahrung war im Großteil der Entwürfe (1922, 1925, 1927) auf drei Jahre mit der Möglichkeit einer erneuten Anordnung beschränkt, während der Entwurf 1930 die unbestimmte Dauer bei regelmäßiger Überprüfung vorsah.89 3. Die Einführung der Sicherungsverwahrung durch das Gewohnheitsverbrechergesetz Zu positivem Recht wurde die Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Gewohnheitsverbrecher, das am 24.11.1933 in Form der vereinfachten Kabinettsgesetzgebung verabschiedet wurde.90 Die lange Vorgeschichte präventiver Sanktionen gegen Täter, von denen weitere Straftaten erwartet werden, spricht gegen eine pauschale Einstufung der Si87 88 89 90
Jansing (2004), S. 18. Dazu: Kammeier (1996), S. 72; Mushoff (2008), S. 17. Kritisch dazu: Kammeier (2002), S. 34. Kinzig (1996), S. 16.
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cherungsverwahrung als faschistisches Unrecht.91 Ebenso die Schaffung strafrechtlicher präventiver Sanktionen im nicht faschistischen Ausland.92 Andererseits zeigt die Einführung zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, ebenso wie die Nichteinführung während der Weimarer Republik,93 dass die täterorientierte Sicherungsverwahrung den nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen entgegenkam.94 Von der Frage nach dem generellen politischen Charakteristikum präventiver strafrechtlicher Sanktionen ist die nach der konkreten Ausgestaltung, die die Sicherungsverwahrung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher gefunden hat, zu unterscheiden. Die von den Nationalsozialisten eingeführte Regelung ging jedenfalls deutlich über die vorangegangenen Entwürfe hinaus. Der 1934 in Kraft getretene § 42e RStGB bestimmte: „Wird jemand nach § 20a als ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.“
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung war bei Feststellung der Erforderlichkeit für die öffentliche Sicherheit im Gegensatz zu den vorherigen Entwürfen erneut obligatorisch.95 Eine Vorverurteilung zu Todes- oder Zuchthausstrafe war nicht mehr notwendig.96 Ein weiterer Unterschied zwischen den vorangegangenen Entwürfen und den Gesetz gewordenen Regelungen bestand darin, dass eine Überprüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach 3 Jahren nicht mehr zwingend vorgesehen war.97 91 Zu dem Streit ob die Sicherungsverwahrung ein spezifisch nationalsozialistisches Rechtsinstitut ist Mushoff (2008), S. 45 ff.; Dessecker (2004), S. 90, 93 f.; Schewe (1999), S. 43 f. 92 Genannt sei nur die Einführung der Preventive Detention in England und Wales durch den Prevention of Crime Act 1908. 93 Exner (1933), S. 629: „Der Weimarer Staat war zu schwach die Aufgabe zu erfüllen und, wie der zuletzt beschlossene Entwurf zeigt, auch zu ängstlich.“; Mushoff (2008), S. 49 m. w. N. 94 Vgl. Dessecker (2004), S. 87. 95 Allerdings wies Exner (1933), S 651 darauf hin, dass die Einstufung des individuellen Täters als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher weiterhin im Ermessen des Richters verblieb. Dazu auch: Schewe (1999), S. 48. Rechtsfolgenermessen bestand aber nur bei der Strafschärfung nach § 20a II RStGB, die Einstufung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher setzte vielmehr die Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs voraus. Allgemein zum Einfluss der nationalsozialistischen Weltanschauung bei der Ausfüllung strafrechtlicher Generalklauseln: Werle (1989), S. 28. 96 Dessecker (2004), S. 93 sieht zudem noch eine nicht näher erläuterte Lockerung der formellen Voraussetzungen zu den Vorbildern früherer Entwürfe. Gemeint ist wohl die Möglichkeit der Strafschärfung nach § 20a II RStGB, der auf Vorverurteilungen verzichtete und der Umstand, dass im Fall des Abs. 2 schon drei vorsätzliche Übertretungen ausreichten. So auch Schewe (1999), S. 48.
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Wie in den vorigen Entwürfen, war die Anordnung der Sicherungsverwahrung an eine Verurteilung aufgrund einer speziellen Rückfallvorschrift gekoppelt. Der § 20a RStGB bestimmte: „(I) Hat jemand, der schon zweimal rechtskräftig verurteilt worden ist, durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheitsstrafe verwirkt und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist, soweit die neue Tat nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren und, wenn die neue Tat auch ohne diese Strafschärfung ein Verbrechen wäre, auf Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen. Die Strafschärfung setzt voraus, daß die beiden früheren Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens ergangen sind und in jeder von ihnen auf Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten erkannt worden ist. (II) Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten begangen und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so kann das Gericht bei jeder abzuurteilenden Einzeltat die Strafe ebenso verschärfen, auch wenn die übrigen in Abs. 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.“
Die Interessen der Straftäter sollten denen der Volksgemeinschaft untergeordnet werden.98 Dies zeigt sich an der obligatorischen Strafschärfung nach Absatz 1. Sehr weit im Vergleich zu früher vorgeschlagenen Regelungen ging auch die in Absatz 2 vorgesehene fakultative Strafschärfung bei Vorliegen von mindestens drei vorsätzlichen Taten. Eine Vorverurteilung war nicht erforderlich. Diese Regelung sorgte für eine erhebliche Ausweitung des möglichen Adressatenkreises der Sicherungsverwahrung.99 Auch die Herabsetzung der Anforderungen an die durch die Vortaten verwirkte Freiheitsstrafe von einem auf ein halbes Jahr hatte eine Ausweitung des Adressatenkreises zur Folge.100 Zur Beurteilung der Persönlichkeit des Täters, vor allem der Frage nach der Gewohnheitsmäßigkeit der Straftaten wurde das Gutachten eines kriminalbiologischen Sachverständigen empfohlen, um eine Entscheidung zu erlangen, ob die Taten auf „anlagemäßig bedingten abnormen Charaktereigenschaften beruhen“.101 Die Verknüpfung von Strafschärfung und Sicherungsverwahrung wurde kritisch beurteilt.102 Die nach § 20a RStGB geschärfte Strafe knüpfte vor 97
Jansing (2004), S. 28 m. w. N. Werle (1989), S. 87 m. w. N.; Jansing (2004), S. 25 m. w. N.; Schewe (1999), S. 41; aufschlussreich ist die Diktion der Allgemeinen Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 3.3.1938 bei Freisler (1938), S. 140 ff. 99 Eser (2001), S. 234; Schewe (1999), S. 48; kritisch auch Exner (1933), S. 655. 100 So auch im Ergebnis: Kinzig (1996), S. 18, der von einer Verlagerung des Schwergewichts auf die materielle Seite spricht. 101 Allgemeine Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 3.3.1938 bei Freisler (1938), S. 140 ff. 98
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allem an einen schuldfremden Zustand des Täters an.103 Denn die nach § 20a RStGB vorausgesetzte Gewohnheitsverbrechereigenschaft musste nicht im Tatzeitpunkt sondern im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vorliegen.104 Diese Täterbezogenheit aber ist Kennzeichen der Maßregeln. Offenkundig wurde der präventive Zweck des § 20a RStGB, als dieser durch § 1 des Gesetzes zur Änderung des RStGB vom 4.9.1941 geändert wurde. Dieses Gesetz bestimmte, dass der Verbrecher der Todessstrafe verfällt, wenn „der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordert“.105 Die geschärfte Strafe übernahm daher zumindest teilweise die Funktion, die ursprünglich der Sicherungsverwahrung zukommen sollte.106 Die Sicherungsverwahrung wurde neben der nach § 20a RStGB geschärften Strafe für nötig erachtet, da sie eine Verwahrung auf unbestimmte Zeit ermöglichte.107 Diese Verknüpfung der Sicherungsverwahrung mit einer solchen Strafvorschrift konterkarierte die Zweispurigkeit.108 Deshalb überrascht es, dass gerade das Modell der Verknüpfung von (schuldabhängiger) geschärfter Strafe und (schuldunabhängiger) präventiver Sanktion sich durchgesetzt hat. Die Bemühungen, den § 20a RStGB mit dem Schuldprinzip in Einklang zu bringen,109 führten zum Aufkommen des Begriffes der Lebensführungsschuld,110 der sich aber nicht durchsetzen 102 Henkel (1938), S. 178, der sich gegen die Verknüpfung von Sicherungsverwahrung und Strafschärfung ausspricht und auf die diese Verbindung einschränkende Entscheidung des RGSt 70, 129 hinweist; Exner (1933), S. 655. 103 RGSt 68, 385 (389 f.); Müller (1981), S. 51; Mezger (1958), S. 124; zum Strafzweck des § 20a RStGB a. F. aus damaliger Sicht: RGSt 76, 323 (325). Das wird auch daran deutlich, dass nach Hellmer (1961), S. 11 f. Fn. 3 fast jede Anwendung des § 20a RStGB auch die Anordnung von Sicherungsverwahrung zur Folge hatte. 104 Henkel (1938), S. 178; Werle (1989), S. 94 f.; Schröder (1970), S. 93; Müller (1981), S. 52; Jansing (2004), S. 27; Die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderliche Kriminalprognose bezog sich dagegen auf den Zeitpunkt der Haftentlassung, Schröder (1970), S. 93. 105 Dazu: RGSt 79, 323 (325); Werle (1989), S. 95. 106 Zur Einordnung des § 20a StGB a. F. im zweispurigen System ausführlich: Werle (1989), S. 93 f. und S. 107: „Die Nähe der Voraussetzungen von Strafschärfung und Sicherungsverwahrung unterscheidet die Regelung im Ergebnis (. . .) kaum von der unbestimmten Strafe, also von der einspurigen Lösung.“ 107 Werle (1989), S. 95. 108 So auch Frosch (1976), S. 45; Arzt (1971), S. 24 und Fn. 63: „Trennt man vergangenheitsorientierte Tatschuld und zukunftsorientierte Tätergefährlichkeit, trennt man Strafe und Maßregel, erscheinen Kombinationen wie § 20a StGB als Fremdkörper.“ Aus damaliger Sicht gegen die Verbindung: Henkel (1938), S. 177 f. 109 Im Grundsatz sahen die Nationalsozialisten aber von der Einführung der Zweckstrafe ab und wollten zumindest teilweise am Schuldstrafrecht festhalten. Dazu: Jansing (2004), S. 26 m. w. N.; Werle, (1989), S. 93.
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konnte. Der in der Bundesrepublik zunächst fortgeltende § 20a StGB wurde dann auch überwiegend als präventive Sanktion eingeordnet.111 Die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 42e RStGB konnte nach Art. 5 I Nr. 1, 2 GewVerbrG nachträglich erfolgen bei einer vor dem Inkrafttreten des Gewohnheitsverbrechergesetzes begangenen, noch abzuurteilenden Tat (Nr. 1) und, durch ein neues, unabhängiges Verfahren, bei bereits abgeurteilten Tätern, die zum Zeitpunkt des in Krafttretens des Gewohnheitsverbrechergesetzes noch inhaftiert waren (Nr. 2).112 Die Möglichkeit der Anordnung bei bereits abgeurteilten Straftätern besteht heute nach § 66b StGB erneut. Beachtlich ist vor diesem Hintergrund, dass die Möglichkeit nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Art. 5 Nr. 1, 2 GewVerbrG als besonderes Kennzeichen des faschistischen Charakters dieses Gesetzes angesehen wurde.113 Die heute bestehende Möglichkeit der nachträglichen Anordnung nach § 66b StGB ist aber gegenüber diesen Regelungen umfassender.114 Ebenso befremdet, dass § 66b I 1, II, III StGB keine Übergangsvorschriften sind.115 Erfasste Art. 5 I des Gewohnheitsverbrechergesetzes nur die bei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht abgeurteilten oder aus dem Strafvollzug entlassenen Täter, schreiben § 66b I 1, II, III StGB die Möglichkeit nachträglicher Anordnung in die Zukunft fort.116 Diese Merkwürdigkeit relativiert sich aber, wenn nicht nur das Recht der Sicherungsverwahrung betrachtet wird. Denn ein isolierter Vergleich der da110 Dazu Jansing (2004), S. 27 m. w. N.; Werle (1989), sieht die Täterschuldlehren als Versuch, den Widerspruch zwischen der auch präventiven Strafe des § 20a StGB a. F. und dem grundsätzlichen Festhalten an der Tatschuldbindung der Strafe auszuräumen. 111 Müller (1981), S. 52 f.; Mezger (1958), S. 125 ff. 112 Hierzu: Werle (1989), S. 95 f.; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 6 f.; Schewe (1999), S. 44. Zum Verfahren in diesen Fällen: Henkel (1938), S. 183 ff. 113 Mushoff (2008), S. 46; Laubenthal (2004), S. 735 weist auf die Aufhebung der Möglichkeit der Anordnung bei solchen Altfällen nach 1945 aufgrund ethischer und verfassungsrechtlicher Bedenken hin. 114 Horstkotte (2005), S. 18 sieht hier ein „wenig leuchtendes Vorbild“ für die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Gegen einen solchen Vergleich: LK12-Rissingvan Saan/Peglau § 66b, Rn. 6 f. die den Unterschied beider Regelungen darin sehen, dass § 66b StGB keine Korrektur rechtskräftiger Urteile ermöglicht. Richtig ist, dass die formellen Voraussetzungen des § 66b StGB viel höher sind. 115 Mushoff (2008), S. 576. Allerdings gilt dies nur für die normative Seite. Während die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung im Nationalsozialismus sehr häufig genutzt wurde, halten sich die Zahlen der Verurteilung nach § 66b StGB in Grenzen. Dazu für § 42e RStGB: Jansing (2004), S. 34; Werle (1989), S. 97; Müller (1997), S. 55; Hellmer (1961), S. 33 Fn. 5 zählt 3296 Verurteilungen im nachträglichen Sicherungsverfahren. 116 Es wurde gefordert, die nachträgliche Anordnung in weiterem Umfang zuzulassen, vgl. Henkel (1938), S. 184. Dies konnte sich aber nicht durchsetzen: Jansing (2004), S. 35; Mushoff (2008), S. 22, 51 f.
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maligen mit der heutigen Regelung ist nicht möglich. Mit den polizeirechtlich eingeordneten Möglichkeiten der Vorbeugungs- und Schutzhaft konnte Menschen völlig unabhängig von der Begehung einer Anlasstat die Freiheit entzogen werden.117 Die Sicherungsverwahrung wurde nach ihrer Einführung häufig angeordnet, die Anordnungszahlen gingen bis 1937 dann aber zurück und stiegen ab 1939 wieder an.118 Für die Zeit nach 1943 liegen keine Zahlen vor, vermutet wird aber ein Rückgang der Anordnungen, der allerdings nicht auf eine engere gerichtliche Auslegung des Gesetzes sondern auf den exzessiven Gebrauch von langen Freiheits- und Todesstrafen119 und polizeilicher Vorbeugungshaft zurückgeführt wird.120 4. Die Sicherungsverwahrung bis zur Strafrechtsreform 1969 Nachdem der Alliierte Kontrollrat sich dagegen entschieden hatte, alle von den Nationalsozialisten eingeführten Änderungen des Strafgesetzbuches abzuschaffen, wurden die betroffenen Regelungen einzeln auf ihre Rechtsstaatlichkeit geprüft. Dieses Verfahren der sog. Individualisation führte nicht zur Abschaffung der Sicherungsverwahrung. Zwar wurde die Abschaffung des § 42e RStGB gefordert,121 insbesondere die Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung nach einer Verurteilung aufgrund des § 20a II RStGB ohne Vorliegen einer Vorverurteilung wurde angegriffen.122 Argumente der Kritiker dieser Regelung waren, dass eine ausreichende Beurteilung der Täterpersönlichkeit nicht möglich sei, wenn keine Vorverurteilung bestehe, vor allem aber der Umstand, dass § 20a II RStGB die Strafschärfung ohne Rücksicht auf Gleich- oder Verschiedenartigkeit der begangenen 117 Hierzu: Jansing (2004), S. 37 f.; Werle (1989). Das Verfahren für polizeiliche Sicherungshaft gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher beschreibt Henkel (1938), S. 221 f. 118 Bender (2007), S. 22; Werle (1989), S. 97 vermutet für die auf das Inkrafttreten des Gewohnheitsverbrechergesetzes direkt folgenden Jahre einen „Nachholbedarf“. Zum Ganzen: Hellmer (1961). Vgl. hierzu auch die Allgemeine Verfügung des Reichsministers der Justiz vom 3.3.1938 bei Freisler (1938), S. 140, die ein „rücksichtsloses Ausschöpfen“ der „Abwehrmittel“ im „Kampf gegen das Gewohnheitsverbrechertum“ von den Justizbehörden forderte. Daraus lässt sich schließen, dass das nationalsozialistische Regime mit der Anordnungshäufigkeit nicht zufrieden war. 119 Das Gesetz zur Änderung des RStGB vom 4.9.1941 bestimmte in § 1, dass der gefährliche Gewohnheitsverbrecher i. S. d. § 20a RStGB der Todesstrafe verfällt, wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne dies erfordert. 120 Werle (1989), S. 97 m. w. N. 121 Jansing (2004), S. 49; Etzel (1992), S. 177. 122 Etzel (1992), S. 176; Jansing (2004), S. 49.
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Delikte vorsah.123 Diese Stimmen konnten sich nicht durchsetzen. Beachtlich ist, dass die gegen den Widerspruch deutscher Strafrechtler erhobene Forderung des Kontrollrates nach Streichung des § 42e RStGB auf dem tatsächlichen Missbrauch der Vorschrift beruhte. Auch für die Zukunft trauten sie den deutschen Strafrechtsanwendern eine rechtsstaatliche Handhabung der Sicherungsverwahrung nicht zu, dagegen begründete sich die Ablehnung nicht in prinzipiellen Argumenten gegen die Zulässigkeit von Maßregeln.124 Es wird deutlich, dass im Bereich präventiver Sanktionen die praktische Möglichkeit der Erfassung der Adressatengruppe der entscheidende Faktor ist.125 Nur wenn gefährliche Straftäter so identifizierbar sind, dass die Verwahrung auch ihnen gegenüber legitimierbar ist, kann ein solches Rechtsinstitut rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen.126 Die im Nationalsozialismus aufgezeigte Missbrauchsanfälligkeit beeinflusste die Diskussion um die Sicherungsverwahrung in der Bundesrepublik auf zweierlei Weise: Einerseits wurde erkannt, dass eine reine Begründung über den zu erreichenden Zweck rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügt.127 Außerdem wurden aufgrund der ins Auge gefassten umfassenden Reform des Allgemeinen Teils des StGB erneut die Vorzüge der Einspurigkeit bzw. des Dualismus diskutiert.128 Dennoch galten die §§ 20a, 42e StGB bis zum 1. Strafrechtsreformgesetz unverändert weiter, tatsächlich war aber ein deutlicher Rückgang der Anordnungszahlen zu verzeichnen.129 Aufgehoben wurde die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Art. 5 Nr. 2 GewVerbrG.130 5. Die Änderungen durch das Erste Strafrechtsreformgesetz 1969 Dass die Sicherungsverwahrung vor der Reform des Allgemeinen Teils nicht die Täter schwerer Straftaten erfasste, ist unstreitig.131 Es waren überwiegend Täter von Vermögensdelikten in der Sicherungsverwahrung unter123 124 125
Etzel (1992), S. 176 f. Etzel (1992), S. 197; Jansing (2004), S. 50. So auch Ullenbruch (2007), S. 68; Kinzig (2006), S. 154; Kaiser (1990),
S. 17. 126 Zur Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung gegenüber dem zu Verwahrenden: Frisch (1990), S. 375 m. w. N. 127 Eindringlich: Welzel (1969), S. 244 f. 128 Dazu: Hall (1958) einerseits, Bruns (1959) andererseits, jeweils m. w. N. 129 LK11-Hanack § 66, Rn. 24; Laubenthal (2004), S. 712. 130 Laubenthal (2004), S. 735. 131 Jansing (2004), S. 59 m. w. N.; Kern (1997), S. 189; Kinzig (1996), S. 137; Geisler (1967), S. 193; Für die Zeit des Nationalsozialismus: Hellmer (1961), S. 24 f.
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gebracht; Verwahrte, bei denen die Anlasstat ein Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung war, machten nur einen kleinen Anteil der Untergebrachten aus.132 Durch das Erste Strafrechtsreformgesetz sollte der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung eingeschränkt werden. Es sollten künftig nur noch Straftäter erfasst werden, in denen eine wirkliche Gefahr für die Gesellschaft gesehen wurde. Die bloß lästigen Täter sollten nicht mehr betroffen sein, um den Charakter der Sicherungsverwahrung als „letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik“133 stärker herauszustellen.134 Zu diesem Zweck wurden die formellen Anforderungen an das durch die Anlasstat verwirkte Strafmaß und die durch die Vortaten verwirkten Strafen erhöht, die Voraussetzung des vorverbüßten Strafvollzuges wurde eingeführt, die missratene Vorschrift § 20a StGB a. F. wurde abgeschafft135 und es wurde ausdrücklich das Verhältnismäßigkeitsprinzip als allgemeine Begrenzung der Maßregeln der Besserung und Sicherung festgeschrieben. Weiter setzte die neue Fassung des § 42e StGB materiell voraus, dass vom Verurteilten „erhebliche rechtswidrige Taten“ drohten. Neu eingeführt wurde das noch heute konkretisierungsbedürftige Erfordernis eines „Hanges zu erheblichen Straftaten“.136 Der Zweifel, ob eine legitimierende Kriminalprognose im Urteilszeitpunkt für die Zeit nach der Strafvollstreckung möglich sei,137 führte zu weiteren Änderungen: Nach neuem Recht musste sich die Prognose nicht mehr auf den Zeitpunkt der Entlassung aus dem Strafvollzug, sondern auf den Urteilszeitpunkt beziehen. Um dadurch nicht Täter zu erfassen, bei denen schon die Strafvollstreckung die Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung ausreichend gesenkt hatte, wurde durch § 42g I StGB a. F. eine erneute Gefährlichkeitsprüfung nach Ende des Straf- und vor Beginn des Maßregelvollzugs vorgesehen. Diskutiert wurde eine weitere Einschränkung der Sicherungsverwahrung, die im Alternativ-Entwurf von 1966 vorgesehen war, sich aber nicht durchsetzen konnte. Danach sollte die Anordnung von Sicherungsverwahrung erst möglich sein, nachdem der Verurteilte eine sozial132 Vgl. Hellmer (1961); Geisler (1967), S. 86 ff.; Kinzig (1996), S. 136; Blau (1998), S. 765. 133 BT-Drucks. V/4094, S. 19. 134 Jansing (2004), S. 62; Kinzig (1996), S. 21; LK11-Hanack § 66, Rn. 13. Vgl. auch Köhler (1975), S. 1150. 135 Bruns (1959), S. 217 spricht von einer „sachwidrigen Verklammerung“ der Sicherungsverwahrung mit § 20a StGB a. F. An die Stelle trat die Strafschärfungsvorschrift für den Rückfall in § 48 StGB a. F. 136 Milde (2006), S. 142; Haße (1931), S. 11 f. Zuvor wurde der Begriff in der Rechtsprechung des Reichsgerichts genutzt um das Tatbestandsmerkmal des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers auszufüllen: RGSt 68, 174; 73, 74. 137 Kritisch: Müller (1981), S. 54 f.; Bruns (1959), S. 226.
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therapeutische Behandlung durchlaufen hat, ohne dass diese seine Gefährlichkeit beseitigen konnte.138 Es war eine Subsidiarität der Sicherungsverwahrung nicht nur gegenüber der Freiheitsstrafe sondern auch gegenüber der, nach dem Alternativentwurf von 1966 sowie nach § 65 StGB i. d. F. des 2. StrRG139 als Maßregel ausgestalteten Unterbringung in einer sozialtherapeuthischen Anstalt vorgesehen. 6. Die Auswirkungen des Ersten Strafrechtsreformgesetzes Diese Rechtsänderungen haben sich in der Praxis bewährt. Neuere empirische Untersuchungen belegen, dass sich der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung von bloß lästigen Wiederholungstätern auf Täter erheblicher Kriminalität verlagerte. Die Untergebrachten hatten schwerere Anlasstaten oder mehr Vortaten begangen, die wegen Vermögensdelikten Verwahrten schweren wirtschaftlichen Schaden verursacht.140 Insgesamt ging die Anzahl der Anordnungen zurück.141 Es ist allerdings zu vermuten, dass die neueren gesetzgeberischen Aktivitäten zu einer häufigeren Anordnung dieser Maßregel führen werden,142 was erste empirische Untersuchungen auf Grundlage des neuen Rechts bestätigen.143
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Alternativ-Entwurf, 1966, S. 121. Das Inkrafttreten dieser Vorschrift wurde aus praktischen Erwägungen mehrmals verschoben, bis sie durch das StVollzÄndG vom 20.12.1984 (BGBl. I, 1984, S. 1654) zugunsten der sog. Vollzugslösung abgeschafft wurde. Diese Vollzugslösung sah in § 9 StVollzG die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt für gewisse Strafgefangene vor. Die Adressaten des § 9 StVollzG waren aber nur teilweise identisch mit denen der Sicherungsverwahrung. 140 Jansing (2004), S. 62; Kern (1997) S. 189; zu den Vortaten der Sicherungsverwahrten: Kinzig (1996), S. 207 ff., 232 f. 141 Eisenberg (2005), S. 450; Jansing (2004), S. 63; Kern (1997), S. 190; Kinzig (1996), S. 144 f. der aber betont, dass nach den formellen Voraussetzungen sehr viel mehr Täter vom Anwendungsbereich erfasst waren; ders. (2006), S. 163. 142 So auch Eisenberg (2006), S. 450 und Dessecker (2004), S. 135 f. Ein erheblicher Anstieg der Untergebrachten lässt sich seit 1998 feststellen. Es wurden verwahrt: 1998: 202, 1999: 206, 2000: 219, 2001: 257, 2002: 299 (Quelle: MüKo-Ullenbruch § 66 Rn. 23), 2003: 306; 2004: 304; 2005: 350; 2006, 375; 2007: 427; 2008: 448 (Quelle: Strafvollzugsstatistik destatis, Fachserie 10, Reihe 4.1 des jeweiligen Jahres); ebenso: Brandt (2008), S. 7; Kinzig (2006), S. 163 f.; Jansing (2004), S. 63 Fn. 328; Göppinger (2008), S. 748 f. Die Anordnungszahlen (Quelle: Strafverfolgungsstatistik: destatis Fachserie 10, Reihe 3 des jeweiligen Jahres) entwickelten sich ähnlich: 2002: 56; 2003: 66; 2004: 65; 2005: 75; 2006: 83; 2007: 79. 143 Bartsch (2008), S. 284. 139
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7. Entwicklung seit dem Ersten Strafrechtsreformgesetz Durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 04.07.1975144 wurde § 42e StGB in den inhaltsgleichen § 66 StGB umbenannt. Damit war das vorläufige Ende der gesetzgeberischen Tätigkeiten erreicht.145 Auch die wissenschaftliche, vor allem empirische Forschung über die Sicherungsverwahrung stagnierte.146 Praktisch spielte die Sicherungsverwahrung eine geringe Rolle. So wurde die Maßregel 1991 nur in 38 Fällen angeordnet und an 187 Personen vollstreckt.147 Dies ist insbesondere beachtlich, da durch die weitgehende Einschränkung der Rechtsfigur der fortgesetzten Tat148 mehr Täter die formellen Voraussetzungen des § 66 I, II StGB erfüllten. 8. Renaissance der Sicherungsverwahrung seit 1998149 Die Sicherungsverwahrung rückte wieder in den Vordergrund gesetzgeberischer Aktivitäten.150 Ihr Anwendungsbereich wurde in den Jahren seit 1998 durch folgende Gesetzesänderungen erheblich ausgeweitet: a) Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten Nach Aufsehen erregenden Sexualdelikten an Kindern im Jahr 1998,151 sollte der Schutz der Bevölkerung vor Sexualdelikten und anderen gefähr144
BGBl. I 1969, S. 717. Hinzuweisen ist allerdings auf die Übernahme der Maßregeln der Besserung und Sicherung auf das Gebiet der neuen Bundesländer durch das Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung vom 16.06.1995 (BGBl. I, S. 818), nachdem diese in den Einigungsverträgen zunächst die Maßregeln nicht in ihr Strafrecht übernommen hatten. Dazu: Kinzig (1996), S. 25 f.; Bender (2007), S. 25. 146 Kinzig (2006), S. 145; Milde (2006), S. 33; Streng (2003), S. 630. 147 Jescheck/Weigend (1996), S. 814. 148 BGHSt 40, 138. 149 Außer Betracht soll hier das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003 (BGBl. 2003, 3001) bleiben, dass die vorbehaltene Sicherungsverwahrung teilweise auf Heranwachsende ausdehnte und in § 66 III 1 StGB die Verweisung auf § 179 I-III StGB auch auf dessen Abs. 4 erstreckte. 150 Dazu der gleichnamige Beitrag von Laubenthal (2004) m. w. N. Die Auswirkungen auf den Vollzug von Strafe und Sicherungsverwahrung beschreiben Bartsch/ Kreuzer (2009), S. 53 ff. 151 Bender (2007), S. 25 weist auf die damalige Konstanz der polizeilich erfassten Zahl der Sexualverbrechen gegen Kinder nach der Polizeilichen Kriminalstatistik hin; Laubenthal, 2004, S. 703 f. betont die „dramatisierende Berichterstattung über Kriminalität in den Massenmedien“. 145
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter
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lichen Straftaten mit dem gleichnamigen Gesetz152 verbessert werden. Hierzu wurde das Recht der strafrechtlichen Sanktionen, insbesondere der Sicherungsverwahrung, verändert: – Die zeitliche Begrenzung einer erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre fiel weg. Nach dem neuen § 67d III StGB kann diese Zeit überschritten werden, wenn das Vollstreckungsgericht die Unterbringung bestätigt. Diese Regelung gilt aufgrund der Änderung des Art. 1a III EGStGB auch für Täter, die zur Zeit der Gesetzesänderung bereits in erstmals angeordneter Sicherungsverwahrung untergebracht waren. – Durch die Einführung des § 66 III StGB wurden die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei der Verurteilung wegen bestimmter Katalogtaten herabgesetzt. Außerdem wurde durch § 66 III 2 StGB die Möglichkeit geschaffen, Sicherungsverwahrung anzuordnen wenn der Täter zwei Katalogtaten begangen hat, eine Vorverurteilung aber nicht vorliegt.153 – Die Schwelle für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung wurde angehoben. Sollte nach altem Recht die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden, „wenn verantwortet werden kann, zu erproben, ob der Untergebrachte außerhalb des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird“ (§ 67d II 1 StGB a. F.), so ist gemäß § 67d II 1 StGB n. F. Voraussetzung, dass „zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird“. Es ist allerdings inzwischen überwiegend anerkannt, dass damit keine inhaltliche Änderung der Anforderungen an die Prognose des Legalverhaltens verbunden ist.154 Ebenfalls wurden die Voraussetzungen für die Aussetzung des Strafrests geändert. Eine Aussetzung der Strafrestvollstreckung setzt nunmehr voraus, „dass dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“. Die bei der Abwägung zu beachtenden Aspekte wurden um „das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts“ erweitert (§ 57 I 2 StGB). Die Änderung wirkt sich über § 67c I 1 StGB auch auf die Aussetzung der Vollstreckung von Siche152 Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 (BGBl. I, S. 160). 153 Die Gesetzesbegründung sieht dabei das Problem der geringen Tatsachengrundlage, sieht den Ultima-Ratio Charakter der Sicherungsverwahrung aber durch die Höhe der erforderlichen Freiheitsstrafe und eine sorgfältige Prüfung des Vorliegens eines Hanges aber gewahrt: BT-Drucks. 13/8586, S. 8. Kritisch: Streng (2003), S. 632. 154 Milde (2006), S. 82 f.; Leygraf (2004), S. 442; NK-Böllinger/Pollähne § 67d Rn. 15. Die Gesetzesbegründung spricht von einer „Klarstellung“, BT-Drucks. 13/8586, S. 5, 8. Vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2004, 77 ff.
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A. Einleitung und historische Entwicklung
rungsverwahrung aus, denn wenn die Strafrestaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, wird auch der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordern.155 – Durch den § 454 II StPO wird das Vollstreckungsgericht verpflichtet bei der Entscheidung über die Aussetzung der Strafrestvollstreckung zur Bewährung ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob auszuschließen ist, dass Gründe der öffentlichen Sicherheit einer vorzeitigen Entlassung des Verurteilten entgegenstehen. Dies gilt sowohl bei einer lebenslangen als auch einer zeitigen Freiheitsstrafe, die zwei Jahre übersteigt und wegen einer Tat des Katalogs des § 66 III StGB verhängt wurde. Die Notwendigkeit der Begutachtung wurde durch die im gleichen Gesetz eingeführte Verweisung des § 463 III StPO auf § 454 II StPO auch für die Entscheidungen über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach §§ 67c I, 67d II, III StGB festgelegt. – Der neu geschaffene § 9 I StVollzG sah die zwingende Verlegung von Sexualstraftätern in eine sozialtherapeutische Anstalt vor.156 b) Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Durch das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.08.2002157 wurde mit § 66a StGB die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt. Es sollte eine Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung geschaffen werden, wenn sich die Gefährlichkeit eines Verurteilten erst während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zeigt.158 Für 155
So auch: Milde (2006), S. 80; Sch/Sch-Stree § 67c Rn. 3 und § 57 Rn. 19; MüKo-Veh § 67c Rn. 23. Zum Unterschied von Straf- und Maßregelvollstreckung: Unten G. II. 156 Diese Gesetzesänderung betrifft nicht unmittelbar die Sicherungsverwahrung. Eine Erwähnung ist aber gerechtfertigt, da Sexualstraftäter bei den Verwahrten überrepräsentiert sind, Bartsch (2008), S. 287; Habermeyer (2006), S. 52; Müller-Metz (2003), S. 42; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 9; LK11-Hanack § 66, Rn. 26; Göppinger (2008), S. 749; für das Jahr 2002 in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen: Kinzig (2006), S. 172; Blau (1998), S. 765, und sie aufgrund des § 66 III StGB explizit Adressat der Sicherungsverwahrung sind, Jansing (2004), S. 137 ff., 459. 157 BGBl. I, S. 3344. 158 BT-Drucks. 14/8586, S. 6; Bender (2007), S. 28; Milde (2006), S. 123. Beachtlich ist, dass Henkel (1938), S. 189 f. bereits eine solche Regelung anregt: „. . . ob man die Möglichkeit des nachträglichen Sicherungsverfahrens auch für solche Fälle eröffnen soll, in denen das Gericht bei der Strafentscheidung noch keine feste Grundlage für die Beurteilung der Sicherungsfrage besitzt, eine Klärung aber
III. Entwicklung präventiver Maßnahmen gegen schuldfähige Täter
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§ 66 StGB wurde die Beschränkung der Sicherungsverwahrung auf eine zeitige Freiheitsstrafe abgeschafft, so dass die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe möglich ist. c) Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung159 Nachdem das BVerfG die Straftäterunterbringungsgesetze der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen160 als verfassungswidrig verworfen und die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages festgestellt hatte,161 ermöglichte dieser durch Einführung des § 66b StGB die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Bedarf dafür wurde von dem Bundes- und jeweiligen Landesgesetzgeber auch nach Einführung des § 66a StGB gesehen. Es sollte insbesondere der Fall des bereits verurteilten Täters, bei dem kein Vorbehalt der Sicherungsverwahrung angeordnet war, erfasst werden.162 Das Gesetz änderte außerdem Art. 1a EGStGB, so dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch solche Täter erfassen kann, die zuvor nach den StrUBG der Länder untergebracht waren163 und die Sicherungsverwahrung auch nach § 66 III StGB angeordnet werden kann, wenn keine der dort geforderten Straftaten nach dem Inkrafttreten der Regelung begangen wurden.164 Seit ihrer Einführung steht die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Zentrum der politischen und wissenschaftlichen Diskussion.165 Auch die Gerichte haben sich mit dieser Vorschrift bereits intensiv auseinander gesetzt.166 Das Spannungsverhältnis zu dem verfassungsrechtlichen Verbot der von der Beobachtung des Verurteilten im Strafvollzug erhofft. Es würde sich dabei um eine Trennung der Sicherungsfrage von der Straffrage und um eine Aussetzung der Sicherungsentscheidung mit dem Vorbehalt späterer Prüfung und etwaiger nachträglicher Anordnung (. . .) handeln.“ 159 Vom 23.07.2004, BGBl. I, S. 1838. 160 Im Einzelnen: Baden-Württemberg: StrUBG (GBl. BW Nr. 5/2001, S. 188 vom 14.03.2001); Bayern: BayStrUBG (Bay. GVBl. Nr. 26/2001, S. 978 vom 24.12.2001); Thüringen: ThürStrUBG (Thü. GVBl. Nr. 5/2003, S. 195 vom 17.03. 2003); Sachsen-Anhalt: UBG (GVBl. LSA Nr. 12/2002, S. 80 vom 06.03.2002); Niedersachsen: NUBG (Nds. GVBl, S. 368 vom 30.10.2003). 161 BVerfGE 109, 190. 162 Milde (2006), S. 123; BT-Drucks. 15/2887, S. 1. 163 Kritisch dazu: Brandt (2008), S. 13. 164 Dies war durch Art. 1a EGStGB in der Fassung vom 01.04.2004 bis zum 28.07.2004 ausgeschlossen. 165 Vgl. Bender (2007); Brandt (2008); Finger (2008); Peglau (2006); Kinzig (2004).
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A. Einleitung und historische Entwicklung
Doppelbestrafung, dem Rückwirkungsverbot und zur Rechtskraftwirkung des Urteils ist evident. Außerdem werden erhebliche negative Auswirkungen auf den Strafvollzug erwartet.167 Insbesondere werden die Dokumentationslast der Vollzugsbehörden und die eingeschränkte Bereitschaft zur Mitarbeit an Behandlungen oder Therapien aufgrund der Möglichkeit des erkennbar werden relevanter Tatsachen angesprochen.168 d) Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung169 Dieses Gesetz erweitert den Anwendungsbereich des § 66b I StGB dadurch, dass auch solche Tatsachen berücksichtigt werden können, die im Urteilszeitpunkt erkennbar waren, wenn zu diesem Zeitpunkt die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtlich nicht möglich war. Außerdem wird klargestellt, dass die übrigen Voraussetzungen des § 66 im Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vorliegen müssen. Gerade die erstgenannte Änderung zeigt den fortbestehenden Willen des Gesetzgebers auf, durch die Sicherungsverwahrung einen umfassenden Schutz der Bevölkerung vor erheblichen Straftaten zu gewährleisten.
166 Ullenbruch (2008), S. 6 zählt 27 Entscheidungen des BGH zu § 66b StGB. In der Folge erging insbesondere ein Urteil des Großen Senats für Strafsachen. Dazu kommen vier Entscheidungen des BVerfG. 167 Kinzig (2008), S. 315; Kreuzer/Bartsch (2008), S. 667 f.; Alex (2006), S. 105 ff.; NK-Böllinger/Pollähne § 66b, Rn. 4; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 35 ff. 168 Kinzig (2008), S. 315. 169 Vom 13.04.2007, BGBl. I, S. 513. Ausführlich dazu: Brandt (2008), S. 46 ff.
B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung Bereits Exner stellte fest, Verbrechensvorbeugung sei nicht der Zweck, der alle Mittel heilige.1 Dabei seien vielmehr folgende Elemente in ein angemessenes Verhältnis zu bringen: Auf staatlicher Seite müsse das durch den Freiheitsverlust des Täters dem Staat zugefügte Übel geringer wiegen als der durch den Schutz der Bürger erreichte Nutzen für den Staat.2 Gleichzeitig müsse auf individueller Ebene die dem Opfer ersparte Belastung die Belastung des Täters überwiegen.3 Es blieben die Fragen nach der über die Zweckmäßigkeit des Eingriffs hinausgehenden Rechtfertigung der schuldübersteigenden Freiheitsentziehung und nach der konkreten Bemessung der Individualrechte des Täters gegenüber denen der Gemeinschaft. Lange wurde eine solche Zweckbeschreibung als ausreichend angesehen, andere Erwägungen wurden nicht für notwendig erachtet.4 Besondere Bedeutung wurde dem Argument beigemessen, der Verwahrte werde aufgrund eigener Schuld als gefährlich eingeschätzt und habe die Folgen dieser Einschätzung daher zu tragen.5 Allerdings war auch hier noch der Zweck die Begründung gegenüber dem Betroffenen. Erst nach 1945 wurde eine rein utilitaristische Begründung der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Es bestand ein Bedürfnis nach darüber hinausgehender Rechtfertigung.6 Es 1
Exner (1914), S. 5. So auch Nowakowski (1963), S. 104. Exner (1914), S. 5: „Und wenn nun der Wert des Schutzes nicht der Größe der Zerstörung entspricht, so haben sie einen negativen Wert produziert und die Gesamtheit geschädigt, der sie nutzen sollten.“ Insoweit argumentiert Exner streng utilitaristisch. Dazu: Frisch (1982), S. 591 f. 3 Exner (1914), S. 5 f. 4 Bei der Einführung der Sicherungsverwahrung wurde diese durch die Nationalsozialisten nicht eingehend begründet. Dies mag der vorausgegangenen Diskussion über die E 1909 bis 1930 geschuldet sein. Was an Begründung gegeben wurde, war ausschließlich utilitaristisch und vom Gedanken der Unterordnung von Individualunter Gemeinschaftsinteressen geprägt. Dazu: Werle (1989), S. 87 m. w. N.; Schewe (1999), S. 43. 5 Vgl. E. F. Klein bei Henkel (1937), S. 714. Danach versetzt der Täter durch die Tat den Staat in einen Zustand, in dem das Recht der Verteidigung auszuüben ist. Diese Argumentation hat aus heutiger Perspektive Berührungspunkte mit der Lebensführung- bzw. Lebensentscheidungsschuld, worauf Köhler (1986), S. 82 Fn. 133 hinweist. Aus neuerer Zeit: Milde (2006), S. 109 f; ähnlich BVerfGE 109, 190, (220) nach dem die Anlasstat die Prüfung der Gefährlichkeit legitimiert. 2
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
bildeten sich folgende Ansätze zur Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung heraus:
I. Verwirkung der Freiheit Voraussetzung für den Genuss voller sozialer ist nach diesem Begründungsansatz die Befähigung zu innerer, sittlicher Freiheit. Dies ergebe sich aus der Gemeinschaftsgebundenheit der Freiheit.7 Wer nicht fähig sei, seine Freiheit ohne Verletzung anderer zu gebrauchen, müsse diese Freiheit beschränken lassen.8 Zwar kann dieser Gedanke für Maßregeln gegenüber kranken Rechtsbrechern Geltung beanspruchen, die Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung mit dieser Argumentation begegnet aber dem zentralen Widerspruch der Sicherungsverwahrung: Obwohl der Täter schuldhaft also gerade verantwortlich handelt, wird ihm akzeptable Nutzung seiner Freiheit in Zukunft nicht zugetraut.9 Die Handlung des Täters wäre gleichzeitig frei und unfrei,10 der Täter müsste sich für die begangene Handlung vorwerfen lassen, nicht anders gehandelt zu haben, die Möglichkeit zukünftig anders handeln zu können aber wird ihm abgesprochen.11 Der Ansatz der Verwirkung scheidet aber nicht nur aufgrund dieses Widerspruchs aus. Die Verwirkung der Grundrechte ist in Art. 18 GG abschließend geregelt,12 diese Regelung gilt zudem nicht für Art. 1 I GG13, der einschlägig ist, wenn das Schuldprinzip aus der Menschenwürde gefolgert wird.14 Eine Rechtfer6 Hall (1958), S. 53: „So wie der Zweck nicht heiligt, so rechtfertigt er auch nicht.“; Bruns (1959), S. 211 spricht davon, dass man die Gefahren des Zweckdenkens erkannt habe; Bockelmann (1960), S. 611 f.; Geisler (1967), S. 27; Welzel, 1969, S. 244 f.; Bae (1985), S. 84. Kritisch zu diesen Versuchen: Nowakowski (1963), S. 101 ff. 7 Welzel (1969), S. 245. 8 Welzel (1969), S. 244 f. der allerdings auch das Gebot der Achtung der Menschenwürde des Betroffenen betont. 9 Jescheck/Weigend (1996), S. 86; LK11-Hanack vor § 61 Rn. 31; Frisch (1990), S. 365 f. 10 Jescheck/Weigend (1996), S. 86; Kinzig (1996), S. 33; LK11-Hanack vor § 61 Rn. 31; Frisch (1990), S. 365 f.; Köhler (1986), S. 81. 11 Stratenwerth/Kuhlen (2004), S. 20 weisen zusätzlich darauf hin, dass es nur eine Rückfallprognose darstelle, wenn dem Täter die Fähigkeit zu normkonformen Verhalten abgesprochen werde, so dass gegenüber einer utilitaristischen Begründung nichts gewonnen ist. 12 Frisch (1990), S. 366 der in Fn. 105 auf ein Unterlaufen dieser Regelung hinweist. 13 BVerfGE 109, 133 (150): „Selbst durch unwürdiges Verhalten geht sie nicht verloren.“; Kunz (2005), S. 1391. 14 BVerfGE 96, 96 (136).
IV. Staatliche Schutzpflicht bei überwiegendem Allgemeininteresse
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tigung über den Gedanken der Verwirkung der Freiheitsfähigkeit scheidet demnach aus.
II. Notwehr des Staates Eine Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung aus dem Gedanken der Notwehr des Staates gegen den dauerhaft erheblich Kriminellen15 scheitert ebenfalls. Es bestehen schon Zweifel, ob der Staat sich auf die Notwehr gegenüber seinen Bürgern berufen kann. Wird nicht die Notwehr sondern das dahinter stehende Prinzip herangezogen, so ist für eine Eingriffsbegrenzung aber nichts gewonnen, außerdem muss die vom Täter in Zukunft erwartete erhebliche Straftat als gegenwärtiger Angriff gedeutet werden. Demgegenüber bestehen aber Bedenken,16 insbesondere dürfte sich ein Bürger zu einem solchen Zeitpunkt noch nicht gegen den Untergebrachten wehren. Daher ist es mit diesem Ansatz nicht begründbar, dem Staat eine Berufung auf das Notrecht zu gestatten.17
III. Notstand Überwindet man die Zweifel daran, ob Notrechte dem Staat zustehen, dann liegt die Heranziehung des Gedankens des Notstands näher.18 Zum einen ist das Bestehen einer Dauergefahr ausreichend, zum anderen ist die nach § 62 StGB notwendige Verhältnismäßigkeit auch in der Forderung des wesentlichen Überwiegens des geschützten Rechtsguts in § 34 StGB enthalten.
IV. Staatliche Schutzpflicht bei überwiegendem Allgemeininteresse Die Sicherungsverwahrung wird jenseits ihrer angenommenen Nützlichkeit aber überwiegend mit der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern begründet.19 Dieses Rechtsinstitut ist zunächst nur eine mögliche, nicht die zwingende Folge der Schutzpflicht, da Schutz auch auf andere LK11-Hanack vor § 61 Rn. 29; Schüler-Springorum (1989), S. 149. Frisch (1990), S. 367; Jakobs (1991), S. 31. 17 Frisch (1990), S. 367; Jakobs (1991), S. 31. 18 Den Gedanken des Staatsnotstandes zieht Laubenthal (2004), S. 709 heran. Zum Gesamten: Frisch (1990), S. 367 und Fn. 107. Kritisch: Streng (2003), S. 620 f. 19 BVerfGE 109, 190 (236); Laubenthal (2004), S. 708; LK12-Schöch vor § 61, Rn. 39; Frisch (1990), S. 367 f. vgl. auch BVerfGE 109, 133 (155); 45, 187 (242). 15 16
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
Weise gewährt werden kann. Es ist dem Gesetzgeber lediglich verwehrt, innerhalb seines Gestaltungsspielraums zu wenig für den Schutz seiner Bürger vor Straftaten zu tun.20 Das individuelle Recht des Täters ist gemeinschaftsgebunden.21 Überwiegt das Interesse der Gemeinschaft das Interesse des Täters an der Erhaltung seiner Freiheit, so hat er diese aufzuopfern.22 Zwar ist ein konkreter Maßstab für die Gewichtung des Interesses auch so nicht gewonnen,23 jedoch sind folgende Grenzen gesetzt: Das Prinzip des überwiegenden Interesses legt fest, dass Freiheitsentziehung zur Wahrnehmung der Schutzpflicht nur eingreifen soll, wenn die durch Freiheitsentziehung geschützten Rechtsgüter nicht schwächer wiegen als die Freiheit des Täters und mit hinreichender Sicherheit ein Angriff durch den Täter zu erwarten ist.24 Lediglich wenn Schutz nur durch Freiheitsentziehung möglich ist, darf dem Individuum die Freiheit entzogen werden. Dabei muss der notwendige Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit der künftigen Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit stehen. Der Eingriff darf außerdem nicht die Würde des Täters verletzen, diese ist nicht antastbar, also auch nicht abwägbar.25 Bei einer solchen Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung ist vor allem ein Punkt zu konkretisieren: Da Sicherheit über die Begehung einer zukünftigen Straftat nicht zu erlangen ist,26 muss ausreichende Wahrscheinlichkeit vorliegen. Die verschiedenen Versuche, hier eine Konkretisierung herbeizuführen werden bei der Erläuterung 20
BVerfGE 56, 54 (80); 77, 170 (214); 88, 203 (254); 109, 190 (236). Jescheck/Weigend (1996), S. 86 f. Vgl. dazu auch die Argumentation mit grundrechtsimmanenter Freiheitsbeschränkung bei Jansing (2004), S. 56. 22 Vgl. BVerfGE 109, 133 (151); 45, 187 (242); Laubenthal (2004), S. 708 f.; Kretschmer (1999), S. 216 f.; kritisch: Kunz (2005), S. 1387. 23 Jakobs (1991), S. 30 f. Auch Exner (1914), S. 5 wies auf die Relativität dieses Maßstabs hin. Danach ist die Gewichtung der Interessen von dem wandelbaren Werturteil des Volkes abhängig. Um eine konkrete Gewichtung bemüht sich Frisch (1990), S. 382 f., 385. 24 Stratenwerth/Kuhlen (2004), S. 21; Kaiser (1990), S. 12 f. Frisch (1982), S. 593 sieht in der Ausdifferenzierung der Verhältnismäßigkeit den entscheidenden Fortschritt gegenüber einer utilitaristischen Maßregelrechtfertigung. 25 Dass die Sicherungsverwahrung die Würde des Verwahrten verletzt, wurde vor allem vor dem Ersten StrRG vertreten: Hall (1958), S. 54; Weichert (1989), S. 272. Anders BVerfGE 109, 133 (151 f.). Dabei ist zu trennen in die Frage nach der Würdeverletzung durch das konkret bestehende Rechtsinstitut Sicherungsverwahrung – dazu: Weichert (1989) – und die Frage nach der Würdeverletzung durch Behandlung eines gleichzeitig als verantwortlich beurteilten Menschen als Gefahrenquelle (dazu: Köhler (1997), S. 56). 26 Dies verlangte noch Stooß (1894), S. 28. Zwar ist auch retrospektiv keine absolute Sicherheit über die bereits begangene Tat möglich, allerdings ist, wie noch aufzuzeigen sein wird, die Unsicherheit bei der Feststellung eines Hanges bzw. der Gefährlichkeit viel größer. So auch Frisch (1983), S. 68. 21
V. Sicherungsverwahrung als Feindstrafrecht
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der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung von Sicherungsverwahrung dargestellt. Aus der grundsätzlichen Entscheidung für die Begrenzung der Strafe durch die Schuld des Täters und die notwendige Unsicherheit über die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung folgt einerseits, dass diese Sanktion die Ausnahme bleiben muss, andererseits, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gegenüber dem schuldfähigen Täter nur zu rechtfertigen ist, wenn die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten mit Legitimationswirkung27 festgestellt ist. Legitimationswirkung hat eine solche Feststellung, wenn die Prognose auf einer ausreichenden Erfahrung basiert und dem aktuell Möglichen entspricht. Die ausreichende Erfahrungsbasis schließt auch Erfahrung mit dem konkreten Täter mit ein (Vortaten, Vorvollzug, Vollzugsverhalten). Auf die Legitimationsanforderungen der Prognose wird noch genauer eingegangen. Nicht übersehen werden soll aber, dass bei einer solchen Argumentation mit dem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht viel Begrenzung gewährt, ist doch immer die Gefährlichkeit festgestellt.28 Daher ist die Verhältnismäßigkeit schon bei der Erstellung der Prognose zu beachten. Durch den Versuch landesrechtlicher Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung trat deutlicher als bisher zu Tage, dass nicht nur die Kriminalprognose selbst den Anforderungen des Rechts zu genügen hat, sondern dass vielmehr auch ein Grund für die Geltung der Kriminalprognose gegenüber dem schuldfähigen Täter anzugeben ist. Dieser Grund ist die begangene Tat. Wird die Sicherungsverwahrung mit der staatlichen Pflicht zur Verhinderung von Straftaten begründet, dann muss das angemessene Verhältnis von Täterinteressen und Interessen der Allgemeinheit bestimmt werden. Dieses Verhältnis ist von der begangenen Tat und der Unsicherheit der Vorhersage neuer Taten geprägt.
V. Sicherungsverwahrung als Feindstrafrecht Wenn Jakobs die Aufgabe der strafergänzenden Maßregel Sicherungsverwahrung darin sieht, dasjenige Maß an kognitiver Sicherheit normgemäßen Verhaltens herzustellen, ohne das die normative Garantie keine hinreichende Organisationsgrundlage abgibt,29 so beschreibt er den mit der Sicherungs27
Dazu: Frisch (1990), S. 372 f.; Mushoff (2008), S. 577 spricht bei voll schuldfähigen Tätern von einer Vermutung gegen die Rückfälligkeit. 28 Vgl. das Bedenken von Alex (2006), S. 107 f., der bei einer Abhängigkeit der Sanktionen von den Prognosen Sachverständiger vor dem Verlust des judikativen Anspruchs auf die Regelung gesellschaftlicher Konflikte warnt, wenn auf vermeintlich wissenschaftlich Festgestelltes reagiert wird.
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
verwahrung verfolgten Zweck, begründet die Zulässigkeit der Verfolgung dieses Zwecks aber nicht.30 Nähme man diesen Gedanken als eine Rechtfertigung,31 so würde er zurückschreiten zum Verwirkungsgedanken. Der Gedanke geht über den der Verwirkung hinaus, da der Verwirkende seinen eigenen Rechtsverlust wenigstens veranlasst hat, während derjenige, der zu maßregeln ist, weil er das Vertrauen in normgemäßes Verhalten nicht begründen kann, nicht notwendig eine Ursache für dieses Misstrauen gesetzt haben muss. Dieser Ansatz geht von der Grundannahme aus, dass Normwirksamkeit ihre Verankerung, also ihre Befolgung im Faktischen voraussetzt.32 Die Abweichung vom Sollen muss die Ausnahme sein. Die normative Freiheit der Person muss sich tatsächlich beweisen. Daher muss wer personale Freiheit in Anspruch nehmen will, hinreichende kognitive Sicherheit personalen, also normkonformen Verhaltens bieten.33 Diese, ob als Beschreibung oder als Begründung eines Feindstrafrechts gedachten Äußerungen, lassen sich auf die Sicherungsverwahrung übertragen.34 Jakobs argumentiert ausdrücklich mit dem Begriff der Person als Rechtssubjekt im Unterschied zum boßen vor- oder außerrechtlichen Mensch.35 Die Menschenwürde aber ist nach Art. 1 I GG unantastbar, sie gilt unabhängig vom tatsächlichen Verhalten des Rechtsträgers. Würdeträger ist der Mensch unabhängig von seiner Personalität und damit unabhängig von der Gewährleistung hinreichender Sicherheit der Normbefolgung,36 Darüber hinaus kann zu einer klareren Konturierung der Anforderungen an die Sicherungsverwahrung so nichts gewonnen werden. Ab wann die hinreichende Sicherheit personalisierten Verhaltens nicht mehr besteht, bleibt unklar, was 29
Jakobs (1991), S. 32. Dabei nimmt er eine überindividuelle Betrachtung vor: Zweck der Sicherungsverwahrung ist nicht in erster Linie Resozialisierung (also Herstellung ausreichend sicherer Erwartung normkonformen Verhaltens bezüglich des Täters). Sicherungsverwahrung soll somit durch Ausschluss des Täters generell für die Allgemeinheit normkonformes Verhalten sichern. 30 Kunz (2006), S. 77 weist darauf hin, dass der Umschlagspunkt ab dem eine kognitive Sicherheit personalen Verhaltens nicht mehr vorliegt nicht objektiv feststellbar ist. Dies begegnet bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung in Gestalt der Kriminalprognose. 31 Dagegen auch von Freier (2008), S. 296, der danach fragt, was das Rechtliche am Feindstrafrecht ausmacht, wenn Kennzeichen des Feindstrafrechts ist, den Mensch nur als Gefahrsachverhalt anzusehen. 32 Jakobs (2004), S. 91. 33 Jakobs (2004), S. 93. 34 Jakobs (2004), S. 90, 92; Kunz (2006), S. 71. 35 Jakobs (2004), S. 91. 36 Kunz (2005), S. 1391 m. w. N. Darüber hinaus müsste eine solche Sicherheit, die nicht evident ist, zugeschrieben werden. Ähnlich von Freier (2008), S. 300 Fn. 96 und Nowakowski (1963), S. 107 f. gegen den Gedanken der Verwirkung.
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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Jakobs selbst erkennt, wenn er für den anderen Fall das von ihm gewählte Wort der Normaltat als ungenau bezeichnet.37 Ab wann der Personenstatus in Frage steht, weil der Mensch prinzipiell abweicht, ist nicht geklärt. Wann ausreichende Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten vorliegt und unter welchen Voraussetzungen irgendeine Wahrscheinlichkeit von Straftaten zu Freiheitsentziehung führen kann, können so keiner überzeugenden Klärung zugeführt werden, die über die Angemessenheit des Ausgleichs der Interessen im Verhältnis Täter zu Allgemeinheit hinausgeht.
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel Die Begehung einer Straftat durch eine erwachsene Person in Deutschland, die nicht schuldunfähig gemäß § 20 StGB ist, wird durch eine Strafe sanktioniert. Die Strafe wird durch die Schuld des Täters begründet38 und begrenzt,39 was § 46 I 1 StGB zum Ausdruck bringt. Bei den Adressaten der Sicherungsverwahrung wird davon ausgegangen, dass die Einwirkung auf den Täter, die durch die (vom Schuldprinzip begrenzte) Strafe ermöglicht wird, nicht ausreicht, um präventiven Zwecken zu genügen,40 also das Risiko der erneuten Straftatbegehung auf einen akzeptabel niedrigen Wahrscheinlichkeitsgrad zu senken. Einer längeren oder intensiveren Einwirkung auf den Täter aber steht das Schuldprinzip entgegen.41 Entweder wird daher die Begrenzung aufgehoben42 bzw. so verstanden, dass innerhalb der ge37
Jakobs (2004), S. 91. BVerfGE 57, 250 (275); 80, 244 (255); Eser (2001), S. 215; Frisch (1990), S. 385 betont, dass „auch die Schuldstrafe letztlich nur über die Bedürfnisse der Bewährung des Rechts für die Zukunft zu rechtfertigen ist.“ 39 BVerfGE 45, 187, (260); 50, 5 (12); Dessecker (2004), S. 17; Mushoff (2008), S. 101. 40 BVerfGE 109, 133 (174); Frisch (1990), S. 390 f.; Kaenel (1984), S. 10 f.; Bruns (1959), S. 214; Flandrak (1932), S. 12, 17; Haße (1931), S. 3; LK11-Hanack vor § 61 Rn. 5; Mushoff (2008), S. 10. 41 Eser (2001), S. 215: „Mit diesem Schuldstrafrecht können aber nicht alle Schutz- und Sanktionierungsinteressen der Gesellschaft erfüllt werden.“; Bruns (1959), S. 214. Hier soll nicht verkannt werden, dass die Schuld eine normative Kategorie hat, sie nicht unabänderlich feststeht, vgl. Eisenberg (1967), S. 48 f.; Kaenel (1984), S. 15. Aber indem auf jegliche Begrenzung auf diesem Wege verzichtet wird, ist nichts gegenüber einer Zweckstrafe gewonnen. So auch Roxin (2006), S. 866 gegen das Verständnis der Schuld bei Jakobs. Zur Diskussion um Tat- oder Täterschuld: Eb. Schmidt (1957), S. 372 f. Frisch (1990), S. 391 und Fn. 214 argumentiert überzeugend, dass auch bei abweichendem Verständnis die Schuld nicht mit der Gefährlichkeit eines Täters in Einklang zu bringen ist. 42 Dies entspräche weitgehend der von von Liszt geforderten Zweckstrafe. 38
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
setzten Grenzen das als notwendig Erscheinende auch rechtlich zulässig ist43 oder es wird eine rein präventiv begründete Sanktion geschaffen, die durch die Schuld des Täters weder begründet noch begrenzt ist. Der letzte Weg wurde in Deutschland durch die Einführung der Sicherungsverwahrung im Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher gegangen. Dabei wird diese gerade deshalb sehr kritisch gesehen, weil sie am tiefsten in dem aufgezeigten Spannungsfeld verhaftet ist. Die Sicherungsverwahrung setzt mit der Anlasstat gerade eine schuldhafte Tat voraus44, so dass aus deren Anlass zwei Sanktionen verhängt werden. Diese doppelte Reaktion wurde als „Gipfel der Widersprüchlichkeit“45 bezeichnet, da einerseits der Täter durch die Verhängung einer Schuldstrafe als vernünftig akzeptiert, auf der anderen Seite aber als Naturprozess behandelt werde.46 Damit nimmt die Sicherungsverwahrung das, was das Schuldprinzip für den normalen Straftäter47 garantiert.48 Dass zwei sich ausschließende Überlegungen zwei Sanktionen aus Anlass einer Tat begründen, bedarf besonderer Rechtfertigung. Eine solche kann nur gelingen, wenn die Gruppe der Adressaten der präventiven Sanktionen von der Gruppe der Nicht-Adressaten im Einzelfall tatsächlich mit ausreichender Legitimationswirkung unterschieden werden kann:49 43 Ähnlich von Liszt (1905), S. 174: „Die Schutzstrafe ist also die richtig verstandene Vergeltungsstrafe.“ Wobei er aber die Frage, ob Täter oder Tat Anknüpfungspunkt der Strafe ist, übergeht. 44 Insofern ist die Sicherungsverwahrung (mit Ausnahme von § 66b III StGB) schuldabhängig, vgl. Baumann/Weber/Mitsch (2003), S. 795; H.-J. Albrecht (2006), S. 203; Baltzer (2005), S. 47. Dazu auch Eisenberg (1967), S. 4, der die doppelte Sanktionierung einer Tat als besonders rechtfertigungsbedürftig einstuft. 45 Köhler (1986), S. 81; Streng (2002), S. 151; ders. (2003), S. 630; von Freier (2008), S. 294. Nach Kunz (2005), S. 1385 ist die Maßregel nach der Strafe ein der Verantwortungszuweisung durch Strafe widersprechendes venire contra factum proprium. 46 Köhler (1997), S. 55; Mushoff (2008), S. 283 f.; von Freier (2008), S. 283; ähnlich Kinzig (1996), S. 33, 590; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 31; Eisenberg (1967), S. 7 f. 47 Zur Diskussion um die Normalität oder Pathologie delinquenten Verhaltens: Eisenberg (2005), S. 30 ff. m. w. N. 48 Ausdrücklich: Jescheck/Weigend (1996), S. 87; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 14; Mushoff (2008), S. 10, 206; Kunz (2006), S. 83; Mushoff (2008), S. 573 sieht in der Herabsetzung der formellen Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung eine Aufweichung des Schuldprinzips. Frisch (1990), S. 364 Fn. 92 wendet sich aber gegen eine solche Betrachtung indem er argumentiert, dass Maßregeln das Schuldprinzip deswegen nicht unterliefen, da dieses Prinzip eben nur die Strafe und nicht die Maßregeln binde. 49 Hörnle (2006), S. 385; Streng (2003), S. 621. Nach Dessecker (2004), S. 18 und Kaiser (1990), S. 17 ist die Operationalisierbarkeit der Gefährlichkeit zentrale Voraussetzung für die Rechtfertigung präventiver Sanktionen. Geerds (1954),
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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„Sache des Gesetzgebers ist es, die Voraussetzungen so festzulegen, daß vorbeugende Maßnahmen nur in Fällen in Betracht kommen, die eine entsprechend gesicherte Prognose ermöglichen.“50
Immer wieder fällt die Nähe der Sicherungsverwahrung zu einer Strafschärfung wegen Rückfalls auf.51 Eine solche Strafschärfung wurde (teils für § 20a StGB und überwiegend für § 48 StGB) mit einer erhöhten Schuld begründet, die sich daraus ergebe, dass der Täter sich die vorherigen Verurteilungen nicht zur Warnung habe gereichen lassen.52 Auch wenn die Strafschärfung für Rückfalltäter ihre Legitimation aus den bereits begangenen Taten erfuhr, die Sicherungsverwahrung dagegen aus den Taten, die der Täter wahrscheinlich begehen wird, ist beiden Regeln gemeinsam, dass sie überwiegend an dieselben Faktoren anknüpfen und im Ergebnis ähnliche Wirkungen zeigten.53 Dies bezieht sich aber vor allem auf die Anordnungsentscheidung. Dass die Sicherungsverwahrung sich trotz ihrer empirischen Nähe von einer Strafschärfung wegen Rückfalls deutlich unterscheidet, wird bei der Betrachtung der Folgeentscheidungen und der Frage der Rechtskraft einer Anordnung deutlich. Damit bleibt die Sicherungsverwahrung, obwohl sie selten verhängt wird,54 der stärkste Bruch mit dem Grundsatz der S. 176, 192 weist darauf hin, dass im Ausland die Notwendigkeit gesehen wurde, der Normierung von präventiven Sanktionen eine kriminologische Bestandsaufnahme voranzustellen. 50 Nowakowski (1963), S. 115. 51 Kinzig (1996), S. 378 für die Begründung des Hanges mit einschlägigen Vortaten und -strafen und die Annahme, die begangene Tat sei auch die zukünftige. Zur Einbeziehung der Vortaten in den aktuellen Strafprozess: von Freier (2008), S. 287 ff. 52 Zu speziellen Rückfallbestimmungen BGHSt 2, 261; Frosch (1976), S. 48 f., der von dem „im Rückfall vermuteten – allerdings von schuldfremden Gesichtspunkten oft nicht eindeutig geschiedenen – höheren Schuldgrad“ spricht. Die allgemeine Vorschrift des § 48 I 1 StGB a. F. machte zur Voraussetzung der Strafschärfung, dass „ihm (. . .) vorzuwerfen ist, daß er sich die früheren Verurteilungen nicht hat zur Warnung dienen lassen . . .“ Nach Frosch (1976), S. 50 war die konkrete Feststellung der erhöhten Schuld des Rückfalltäters notwendig. von Freier (2008), S. 286, Fn. 48 weist darauf hin, dass diese Erwägungen noch heute die (bis auf den Sonderfall des § 176a I StGB) nicht mehr normierte Strafschärfung tragen. 53 Weshalb Frisch (1990), S. 365 feststellt, dass die Argumente gegen die Sicherungsverwahrung häufig im Kern gegen Individualprävention gehen. Auf der Parallelität von Vollzug und Wirkung von Strafe und Sicherungsverwahrung gründen sich die Einwände des EGMR gegen die Sicherungsverwahrung (EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/07) sowie die Erklärung des BVerfG der Sicherungsverwahrung als mit dem Grundgesetz für unvereinbar (BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 128). 54 Blau (1998), S. 765 sieht dies als Ausdruck eines verantwortungsbewussten Umgangs. MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 3, 12 konstituiert für die Sicherungsverwahrung ein Gebot der Zurückhaltung.
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
Schuldstrafe. Die Vereinbarkeit der Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz, internationalen Rechtsgrundsätzen oder der Systematik des Strafrechts wurde ebenfalls immer wieder überprüft und wird nicht einheitlich eingeschätzt.55 Im Zentrum stand immer und steht auch heute noch die Frage nach der ausreichenden Legitimationswirkung der Prognose als zentraler Eingriffsvoraussetzung. Diese kann nur ausreichende Legitimationswirkung entfalten, wenn in der forensischen Praxis mit ausreichender Genauigkeit erneute Straftaten vorhergesagt werden können.56 Die Rechtsentwicklung, die der Kriminalprognose die Basis entzieht, legt den Schluss nahe, dass die Sicherungsverwahrung immer stärker zu einer Sanktion der Anlasstat wird. 1. Grundsätzliche Kritik an präventiven strafrechtlichen Maßnahmen Immer wieder wurde bezweifelt, ob Freiheitsentziehung für noch nicht begangene Straftaten gerechtfertigt werden kann.57 Nach Feuerbach steht solche direkte Prävention in der Nähe zum Gesinnungsstrafrecht.58 Nur durch Handlungen könne das Recht verletzt werden. „Ein Hang, eine Anlage zu Uebertretungen“ begründe eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Deliktsbegehung, aus einer solchen ein Zwangsrecht abzuleiten widerspreche der Gerechtigkeit.59 Ein konsequentes (physisches) Präventionsstrafrecht bedeutete „daß der Staat das Recht habe, alle seine verdächtigen Bürger anzugreiffen und sie, aus Gründen der moralischen Prävention, ein wenig zu brandmarken, oder, wenn die Gefahr gar zu groß ist, ihr Leben der künftigen Sicherheit aufzuopfern.“60
Zentral für die Legitimation wie auch für die Effektivität eines strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes61 ist nach dieser Theorie des psychologischen Zwangs die vorherige exakte Androhung einer Strafe für eine bestimmte Handlung und die aus der Bestrafung der Täter erwachsende Abschreckung der potentiellen Täter. Diese Bedenken wirkten sich auf die spätere Diskus55
Ausführlich: Mushoff (2008). Streng (2003), S. 621; Bae (1986), S. 129 f.; Frisch (1990), S. 372; Jansing (2004), S. 104 f. der die empirische Kritik an den Gutachten zusammenträgt. 57 Vgl. das praktisch sinnvolle, dogmatisch aber schwer begründbare Gebot der Zurückhaltung bei MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 12. 58 Zitiert nach Dessecker (2004), S. 40. 59 Zitiert nach Dessecker (2004), S. 41. 60 Zitiert nach Dessecker (2004), S. 41. 61 Kritisch hierzu Pawlik (2004), S. 217 f. 56
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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sion um die Maßregeln aus. So wurde im Vorentwurf zum Strafgesetzbuch von 1909 lediglich eine Strafschärfung für den Rückfall verankert, denn „da es an jedem sicheren Kennzeichen eingetretener Besserung oder Ungefährlichkeit fehlt, würde jede solche Entscheidung (über spätere Entlassung), auch wenn sie mit noch so großen Kautelen umgeben würde, mehr oder minder willkürlich erscheinen können.“62
Auch heute noch taucht der Gedanke der notwendigen aber strafrechtsuntypischen Weite präventiver Tatbestände auf. So kritisiert Römer die vom Gesetzgeber aufgezählten Umstände, die zu einer Prüfung der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung führen können. Diese seien so unbestimmt, dass eine Strafbarkeit nicht an sie geknüpft werden könnte.63 a) Legitimationsdefizit der Sicherungsverwahrung Zwar lässt sich die Sicherungsverwahrung gegenüber solchen Einwänden mit der Schutzpflicht des Staates zur Verhinderung erheblicher Straftaten rechtfertigen, es stehen aber noch immer grundsätzliche Bedenken an präventiven Sanktionen in der Diskussion. Dass eine Wahrscheinlichkeit erneuter Straftatenbegehung überhaupt zu Freiheitsentziehung führen kann, dass der Täter einer Kriminalprognose unterstellt werden kann, ist als gesetzgeberische Wertentscheidung grundsätzlich zu akzeptieren. Folge dieser Entscheidung ist die Notwendigkeit, die Anforderungen an die nicht hinnehmbare Wahrscheinlichkeit der Straftaten anzugeben. Außerdem müssen die Anforderungen an die Geltung der Kriminalprognose deutlich gemacht werden. Entscheidend ist nicht nur das Bestehen der Wahrscheinlichkeit, sondern die rechtliche Begründung der Bedeutsamkeit der Wahrscheinlichkeit. Vor dem Hintergrund der Ausweitung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung im vergangenen Jahrzehnt und der anschließend erfolgten Verwerfung des Systems der Sicherungsverwahrung durch das BVerfG, ist zu fragen, wie beide Anforderungen zu erfüllen sind. Es bleibt das Bedenken, dass die inkludierende Strafe mit der exkludierenden Verwahrung gekoppelt wird, die letztere aber an die unsichere und wandelbare Definition des Nötigen gekoppelt sei: Die Strafe ist danach gerecht aber hart, die Sicherungsverwahrung ist hart, nicht gerecht, aber nötig.64 Ähnliche Bedenken gegen die Berechtigung präventiver Freiheitsentziehung finden sich bei Köhler. Dieser stellt auf die prinzipielle Unverein62 Vorentwurf zu einem Allgemeinen deutschen Strafgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 1909, S. 361. 63 (2006), S. 6 f. mit dem Beispiel des Kontakts zu gewaltbereitem Milieu. Finger (2008), S. 175 f. 64 Kunz (2006), S. 83.
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
barkeit der Annahme von Schuld und gleichzeitiger Gefährlichkeit des Täters ab: „Im Übrigen schließt es aber die Verantwortlichkeit der selbständigen Person aus, sie unter relativ offenen Prognosebedingungen wie einen gefährlichen Naturprozess zu behandeln.“65
Im Einklang mit Frisch ist jedoch davon auszugehen, dass das aus der Unsicherheit einer Prognose folgende Legitimationsdefizit der Sicherungsverwahrung nicht nur gegen dieses Rechtsinstitut spricht, sondern gegen eine Folgenorientierung und besonders Individualprävention bei schuldfähigen Tätern allgemein.66 Das Problem der Unsicherheit der Prognose kann nur dann überwunden werden, wenn die Voraussetzungen geklärt werden, unter denen die unsichere Prognose gegen den Täter gelten soll. Dies ist insbesondere die Frage nach den notwendigen formellen Voraussetzungen. b) Legitimationsfunktion der Anlasstat Gegen eine solche Kritik, die sich auf die Unsicherheit der Kriminalprognose stützt, wird angebracht, dass die Sicherungsverwahrung als ultima ratio des Strafrechts nur eingreift, wenn der Täter durch Erfüllung der Voraussetzungen selbst den Beweis für seine Gefährlichkeit erbracht hat.67 Eine ähnliche Argumentation findet sich schon bei E.F. Klein nach dem das Präventionsübel nur den Schuldigen treffe „nemlich den, welcher mich durch eine vorhergehende Rechtsverletzung in den Zustand eines Menschen versetzt hat welcher nun das Recht der Verteidigung ausüben muß.“68
Der Täter, der durch vergangene, ihm vorwerfbare Taten erwiesen hat, dass er gefährlich ist, darf verwahrt werden. Gefährlichkeit heißt: Eine nicht tolerierte Wahrscheinlichkeit erneuter (erheblicher) Straftaten. Der Täter erbringt aber nicht den Beweis zukünftiger Taten durch Vergangene. Er erbringt nur bei jeder neuen Tat den Beweis, dass die bisherige Gesamtheit seiner Handlungsbedigungen nicht zu normgemäßem Verhalten führte. Für die Frage, ab welchem Punkt der Staat davon ausgehen darf, dass dieser Täter auch in Zukunft erhebliche Straftaten begeht, ist mit dieser Argumentation nichts gewonnen. 65 Köhler (1997), S. 55; 1986, S. 81; von Freier (2008), S. 294 betont den Widerspruch von Schuld- und Hangfeststellung. 66 Frisch (1990), S. 365; ähnlich Jansing (2004), S. 115. 67 Milde (2006), S. 109 f.; ähnlich Frisch (1990), S. 374 f. nach dem nur eine Vielzahl gleichartiger Taten die grundsätzlich zugestandene Fähigkeit der Normbefolgung widerlegt. 68 E. F. Klein, zitiert nach Henkel (1937), S. 714 Fn. 7.
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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Zentral ist dieses Argument jedoch für die Begründung der Geltung einer unsicheren Prognose: Der Täter verschafft dem Staat durch Erfüllung der formellen Voraussetzungen, insbesondere durch die zurechenbare Anlasstat das Recht, seine Gefährlichkeit zu überprüfen.69 Diese so entstandene Legitimation einer Gefährlichkeitsprüfung schließt es auch ein, unter relativ offenen Prognosebedingungen die Gefährlichkeit festzustellen und den Täter dann zu verwahren, wenn im zweiten Schritt alle für eine legitimierende Prognose notwendigen Voraussetzungen eingehalten werden. Wenn dem Täter Freiheit zugestanden wird, muss sich die Annahme der Wahrscheinlichkeit erheblicher Taten begründen lassen. Normativ setzt das voraus, dass die Freiheit auf eben diese Weise ausgeübt wurde.70 Das bedeutet zunächst, dass die Erstellung einer Prognose gegenüber dem Schuldfähigen nur durch eine Straftat begründet werden kann, und im zweiten Schritt, dass eine Kriminalprognose abgelöst von der Straftat keine strafrechtlichen Rechtsfolgen auslösen kann. Diese Argumentation kann es zwar legitimieren, Freiheitsentzug von unsicheren Prognosen abhängig zu machen. Es scheint aber fraglich, ob sich eine solche Argumentation damit verträgt, dass die Sicherungsverwahrung als nicht durch die Schuld des Verurteilten begründet angesehen wird. Hier wird deutlich, dass die strafrechtlichen Garantien des Art. 103 GG ohne Widersprüche mit dem System der Zweispurigkeit für die Anordnung von Sicherungsverwahrung gelten können.71 Denn wenn die Verwahrung aufgrund unverschuldeter Gefährlichkeit erfolgt, die Verbindung der Freiheitsentziehung mit der (unsicheren) Kriminalprognose aber mindestens eine zurechenbare Tat voraussetzt, können die aus der Verschuldensabhängigkeit (und damit der subjektiven Zurechnung) sich ergebenden Garantien auch hier gelten. Dass eine Person aufgrund des notwendig unsicheren Ergebnisses einer Prognose inhaftiert wird, muss begründen, warum diese Prognose gegen den Freien gilt. Grund ist entweder Unfreiheit (Krankheit, §§ 63, 64 StGB) oder betätigte Freiheit (Straftaten, § 66 StGB). Die Sicherungsverwahrung ist also nur dann gegen die oben angeführten Einwände zu verteidigen, wenn einerseits die Freiheitsentziehung auf einer legitimierenden Kriminalprognose beruht. Die Geltung der Kriminalprog69 Milde (2006), S. 109 f.; ähnlich BVerfGE 109, 190 (220): „Denn es ist gerade und ausschließlich (Hervorhebung vom Verf.) das schwerwiegende und dem Betroffenen zurechenbare Indiz der Anlasstaten, welches den Staat berechtigt, die Gefährlichkeit seiner Bürger zu überprüfen und auf das Ergebnis dieser Prüfung eine langfristige schuldunabhängige Freiheitsentziehung zu gründen.“ 70 von Freier (2009), S. 281, der normativ nur betätigte Freiheit als Grundlage einer Gefahr anerkennt. 71 Das BVerfG hält jedoch auch nach der Gleichsetzung von Strafe und Sicherungsverwahrung im Hinblick auf Art. 7 EMRK an der Nichtgeltung des Art. 103 GG für die Sicherungsverwahrung fest, BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 100 f.
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
nose gegen den verantwortlichen Täter muss sich aber selbst auch begründen lassen. Die Geltung der Kriminalprognose kann nur mit der zurechenbar begangenen Anlasstat begründet werden. c) Überlegungen zu zusätzlichen Legitimationsfaktoren Die Sicherungsverwahrung als strafergänzende Maßregel erweitert den Zugriff über das Maß der Schuld nur, wenn die schuldabhängige Strafe präventiv nicht genügt. Wann der Freiheitsentzug von einer unsicheren Prognose abhängig gemacht werden kann, ist durch die formellen Voraussetzungen festgelegt. Diese haben somit in doppelter Hinsicht materiellrechtliche Bedeutung: Sie sind die Mindestanforderungen an die Erstellung der Kriminalprognose,72 sie konkretisieren aber vor allem die Schwelle, ab der das Ergebnis der Kriminalprognose eine Freiheitsentziehung begründen kann. Damit setzen an den formellen Voraussetzungen die Überlegungen zu einer Eingrenzung des Legitimationsdefizits der Sicherungsverwahrung an. aa) Androhung der Sicherungsverwahrung Frisch schlägt zur Stärkung der Begründung einer Verwahrung gegenüber dem Verurteilten eine formelle richterliche Androhung der Sicherungsverwahrung in einer Verurteilung für den Fall der Begehung weiterer entsprechender Taten vor.73 Die Wirkung wäre ein deutlicher Gewinn an Rechtsstaatlichkeit, allerdings wäre die momentan bestimmende Flexibilität im Recht der Sicherungsverwahrung aufgegeben. Frisch hält dem entgegen, dies sei Preis der rechtsstaatlichen Legitimation.74 Die Praxis ging diesen Weg teilweise,75 was als Beleg für die Strafähnlichkeit der Sicherungsverwahrung angesehen wird.76 Auch soll gegen dieses Vorgehen sprechen, dass zumindest die Sicherungsverwahrung nach § 66 I StGB nicht im Ermessen des Gerichts steht.77 Gegen beide Argumente lässt sich vorbringen, dass es weder Ermessensausübung noch Bestrafung darstellt, auf die Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung erst zu reagieren, wenn die Inkaufnahme der mit der Prognose einhergehenden Unsicherheit begründet werden kann.78 Gegen eine solche Lösung spricht aber das Bedenken der schematischen 72 73 74 75
Köhler (1975), S. 1152 f. Frisch (1990), S. 375. Frisch (1990), S. 375. Kinzig (1997), S. 103. Gegen diese Praxis BGH JR 1962, 25 zu § 42e StGB
a. F. 76 77 78
Best (2002), S. 110; Kinzig (1997), S. 103. Zu § 42e StGB a. F. BGH NJW 1968, 997, 998. Ähnlich Frisch (1990), S. 275, Fn. 144.
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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Anordnung im Fall der erneuten Tatbegehung nach Androhung. Weiter problematisch ist die Bestimmung der Voraussetzungen einer solchen Androhung: Wenn nur eine gewisse Zahl von Taten79 gefordert wird, stellt sich die Frage nach materiellen Anforderungen. Gerade vor dem Hintergrund der Befürchtung einer nach der Androhung erfolgenden schematischen Anordnung wäre schon für die Androhung eine Kriminalprognose zu fordern. Ganz aus dem Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung fielen die bisher unentdeckten Serientäter, die von § 66 II, III 2 StGB adressiert sind, da die Sicherungsverwahrung nach dieser Konzeption zwingend wenigstens eine Vorverurteilung erforderte. bb) Vortaten und Gefährlichkeitsvermutung Dieser Weg wird im Ausland eingeschlagen. So ist die der Sicherungsverwahrung entsprechende imprisonment for public protection im englisch/walisischen Recht80 von der Begehung einer Katalogtat abhängig. Im Fall einer entsprechenden Verurteilung ist die Verhängung einer relativ unbestimmten Strafe zulässig, wenn der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist. War der Täter zuvor bereits wegen einer Katalogtat verurteilt worden, so wurde nach section 229 (3) Criminal Justice Act 2003 die Gefährlichkeit des Täters widerleglich vermutet. Ähnlichen Überlegungen in Deutschland wird entgegengehalten, dass ein solcher Schematismus Rechtssicherheit nur auf Kosten materieller Rechtsstaatlichkeit schaffe.81 Wie bei der Überlegung zur Androhung der Sicherungsverwahrung ist hier zu sehen, dass die Unsicherheit der Prognose aufgewogen werden soll mit der Vorhersehbarkeit des Eingriffs für den Täter. Die Legitimation soll durch die bewusste und freie Entscheidung für eine erneute Tatbegehung trotz des Wissens um die Folgen entstehen. Die Vermutung der Gefährlichkeit hat sich jedoch nicht als kriminalpolitisch sinnvoll erwiesen, sie wurde nach fünf Jahren durch section 17 (4) Criminal Justice Act 2008 wieder abgeschafft. Die Vermutung der Gefährlichkeit führte zu einem Automatismus in der Anordnung der Strafe und erfasste nicht die wirklich gefährlichen Täter.82 79
Frisch (1990), S. 375. S. 225 CJA 2003. 81 Nowakowski (1963), S. 115. 82 Außerdem war die mit der großen Zahl der Verurteilungen zu imprisonment for public protection einhergehende Überfüllung der Gefängnisse und die mangelnde Möglichkeit, den Tätern innerhalb des gefährlichkeitsunabhängig zu verbüßenden Zeitraums eine Möglichkeit zur Entkräftung der Gefährlichkeitsannahme zu verschaffen, ausschlaggebend für diese Änderungen: House of Commons Justice – Fifth Report unter: http://www.parliament.the-stationery-office.co.uk/pa/cm200708/ cmselect/cmjust/184/18406.htm#n112, Rn. 49 ff. 80
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
cc) Katalog der prognosebegründenden Anlasstaten Dies ist der Weg der sich mit dem aktuellen Recht der Sicherungsverwahrung am deutlichsten verbindet. Während die Literatur bereits seit längerem die Schaffung eines Katalogs der Anlasstaten fordert,83 ist dies erkennbar in den neuen Formen der Sicherungsverwahrung umgesetzt: Alle seit 1998 eingeführten Varianten der Sicherungsverwahrung stellen einen Katalog der Anlasstaten auf. Allerdings ist dabei zu beachten, dass diese Entwicklung mit dem Rückgang der geforderten Vortaten, -verurteilungen und der vorverbüßten Strafe im Zusammenhang steht. Im Ergebnis ist die Entwicklung zu einem Katalog der die Anordnung der Prognose begründenden Taten zu begrüßen, allerdings nicht statt, sondern neben weiteren formellen Voraussetzungen, die die Stellung einer legitimierenden Kriminalprognose ermöglichen. Denn wenn die Sicherungsverwahrung stärker von den begangenen Straftaten abhängig wird und die Gefährlichkeit mangels Feststellungsmöglichkeit zurücktritt, wird die Sicherungsverwahrung strafähnlicher.84 Die Katalogtaten können einen Hinweis darauf geben, welche Straftaten von dem Täter drohen. Auch kann die Inkaufnahme einer unsicheren Prognose gegenüber dem Täter schwerer Straftaten leichter begründet werden als gegenüber anderen, zu einer Einschätzung, ob weitere Taten drohen, kann ein Katalog der Anlasstaten allerdings nur eingeschränkt beitragen. 2. Strafähnlichkeit der Sicherungsverwahrung Neben der notwendigen Unsicherheit der zentralen Eingriffsvoraussetzungen, ist der Einwand der Strafähnlichkeit der Sicherungsverwahrung der beachtenswerteste. Der Vorwurf der Ununterscheidbarkeit von Sicherungsverwahrung und Strafe lässt sich unter dem Stichwort des Etikettenschwindels bis in Diskussionen um eine schuldunabhängige Verwahrung in der Weimarer Zeit zurückverfolgen.85 Hauptargument ist, dass die Sicherungsverwahrung auf den Betroffenen wie eine Strafe wirkt86 und dass nicht dogmatische Konstruktionen über die Rechtsnatur der Freiheitsentziehung bestimmen.87 Aus der Sicht des öffentlichen Rechts spricht für die Strafähnlichkeit der Sicherungsverwahrung, dass sowohl klassischer, als auch 83
Vgl. Dessecker (2004), S. 298. Mushoff (2008), S. 286 f. 85 Dazu: Kohlrausch (1924), S. 29 ff., 33; Kunz (2005), S. 1381; Mushoff (2008), S. 302 f. 86 Weichert (1989), S. 270 f.; Kinzig (1997), S. 163. Zum Vollzug: Laubenthal (2004), S. 710 f. 87 Kinzig (2004), S. 913; Jansing (2004), S. 426; Weichert (1989), S. 270. 84
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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moderner Grundrechtseingriff identisch behandelt werden, so dass die Sicherungsverwahrung nicht schon deswegen ein aliud zur Strafe im Sinne des Art. 103 GG ist, weil eine Grundrechtsverletzung nicht intendiert ist.88 Für die Gleichsetzung spricht auch, dass die Funktion der Sicherungsverwahrung ebenso von einer Rückfallstrafe übernommen werden kann,89 wie das im Ausland teils auch geschieht.90 Mit dem Argument, eine rechtliche Reaktion könne wie eine Strafe wirken ohne ein Strafübel zu intendieren oder eine Strafe zu sein, ist nicht viel gewonnen: Auch die zivilrechtliche Schadensersatzpflicht kann wie ein Strafübel wirken.91 Niemand bestreitet aber die Unterscheidbarkeit von der Geldstrafe.92 Das Problem liegt aber nicht in der Intention oder Wirkung als Strafübel, sondern darin, dass die Sicherungsverwahrung eine schuldhafte Tat voraussetzt und die Funktion der Sicherungsverwahrung ebenso von einer Rückfallstrafe übernommen werden kann. Kinzig bringt das Problem auf den Punkt:93 Soll ausgerechnet die schärfste Rechtsfolge einer Straftat keine Strafe sein? Sollen für die Unterstellung des Straftäters unter die jeweils aktuelle Kriminalprognose weniger Anforderungen gelten als für die Bestrafung des Täters? a) Ethische Farblosigkeit der Sicherungsverwahrung Gegen die Gleichsetzung von Strafe und Sicherungsverwahrung und gegen die Geltung des Art. 103 GG wird vorgebracht, die Strafe enthalte ein sozialethisches Unwerturteil über die Tat, das der Sicherungsverwahrung fehle. Die Strafe intendiere die Übelszufügung während die Sicherungsverwahrung das Übel nicht zufügen will, aber um Willen der Zweckerreichung zufügen müsse.94 Die Sicherungsverwahrung sei nicht als Missbilligung zu verstehen, sondern vielmehr als unumgängliche Maßnahme ohne Werturteil,95 sie sei 88
Best (2002), S. 109 f. Kinzig (2004), S. 913. 90 So wird in England nach dem CJA 2003 die Funktion der Sicherungsverwahrung von der life sentence und der imprisonment for public protection übernommen, die als Strafen ausgestaltet sind. 91 Teilweise ist sogar ein Strafübel intendiert, vgl. die Schadensersatzbemessung im Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der anglo-amerikanische Rechtskreis kennt den Strafschadensersatz. 92 So auch schon Stooß (1905), S. 5. 93 (2004), S. 913. 94 Mushoff (2008), S. 214 f. 95 BVerfGE 109, 133, (167 ff.); 109, 190 (219); BVerfG NJW 2009, 980, 981; Frisch (1990), S. 361 f.; Dessecker (2004), S. 162; Flandrak (1932), S. 11. Anders Mushoff (2008), S. 578, der aus der grundsätzlichen Abhängigkeit der Sicherungsverwahrung von einer schuldhaften Anlasstat folgert, dass die Maßregel ein Unwerturteil ausspricht. 89
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
ethisch farblos.96 Die Nichtanwendung des Art. 103 GG auf die Sicherungsverwahrung ist dann Folge dieser Auffassung.97 Auch wenn eine solche Bestimmung der Rechtsnatur einer Sanktion ausschließlich aus dem Blickwinkel ihrer Bestimmung für möglich gehalten wird, so begegnet die These der ethischen Farblosigkeit doch einigen Einwänden.98 Die vielfältigen Verschränkungen von Strafe und Sicherungsverwahrung im einfachen Recht unterlaufen die scharfe theoretische Trennung.99 So kann nach § 154 I Nr. 2 StPO die Strafverfolgungspflicht der Staatsanwaltschaft entfallen, wenn gegen den Täter in anderer Sache eine Maßregel verhängt wurde oder eine solche Verhängung zu erwarten ist, ein Urteil wegen der Tat nicht in angemessener Frist zu erwarten ist und die Maßregel zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint. Eine als Maßregel wertfreie Sicherungsverwahrung kann aber nicht die Rechtsordnung verteidigen, wie § 154 I Nr. 2 StPO dies voraussetzt.100 Eine Negation der vom Täter negierten Rechtsgeltung erfolgt gerade nicht, wie dies für die Strafe wegen der begangenen Tat kennzeichnend ist. Ebenso scheint die Geltung des Verbots einer reformatio in peius nach §§ 331, 358 StPO für Strafe und Sicherungsverwahrung101 widersprüchlich,102 wenn die Bestimmungen für die Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB nicht gelten. Auch wird die fehlende Vikariierung von Strafe und Sicherungsverwahrung teilweise auf Schulderwägungen zurückgeführt.103 Für die Sicherungsverwahrung wird die ethische Farblosigkeit mit dem Argument bestritten, dem Untergebrachten werde gerade verschuldete Gefährlichkeit vorgeworfen.104 Für eine weitreichende Verflechtung von Strafe und Maßregel spricht auch der Umstand, dass im Anschluss an lange Strafverbüßungen in der Regel 96 Frisch (1990), S. 358 f.; Jescheck/Weigend (1996), S. 802; LK11-Hanack vor § 6, Rn. 26 f. So auch bereits für § 42e RStGB: Henkel (1938), S. 168. 97 BVerfG 109, 133 (167 ff.); 109, 190 (219); BVerfG NJW 2009, 980, 981; BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08; BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 141 f. 98 Vgl. das von der Rechtsprechung des BVerfG abweichende Urteil des EGMR vom 17.12.2009, Az.: 19359/04, Rn. 127 ff., nach dem die Sicherungsverwahrung eine Strafe im Sinne des Art. 7 I 2 EMRK darstellt. Das BVerfG hält dagegen an der Unterscheidung und der Nichtgeltung des Art. 103 GG weiter fest, 2 BvR 2633/08; BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 141 f. 99 H.-J.-Albrecht (2006), S. 203; Mushoff (2008), S. 301 f.; Best (2002), S. 118 ff. 100 Jansing (2004), S. 429. 101 Dazu: Mushoff (2008), S. 292; Kinzig (2000), S. 334; im Einzelnen: Kretschmer (1999), S. 220 ff.; Jansing (2004), S. 261 ff. 102 Peglau (2004), S. 3599 ff. 103 Mushoff (2008), S. 293; Gössel bei Küpper (1990), S. 453 f. sieht generell eine Annäherung von Strafe und Maßregeln. 104 Best (2002), S. 110; Mushoff (2008), S. 283.
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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eine kurze Verwahrzeit folgt, während lange Unterbringungszeiten sich an kurze Strafen anschließen.105 Dies legt die Unterstellung nahe, dass beide Sanktionen trotz fehlender Vikariierungsmöglichkeit als Einheit aufgefasst werden.106 b) Gegenstand der ethischen Beurteilung bei der Sicherungsverwahrung Wenn die Sicherungsverwahrung zur Erfüllung der Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern dient, dann setzt ihre Anordnung voraus, dass das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit das Freiheitsinteresse des Täters überwiegt. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist dann Ergebnis einer Abwägung beider Interessen. Dann kann sie nicht wertneutral sein, da sie im Fall ihrer Anordnung die Interessen des Täters niedriger bewertet als die der Allgemeinheit.107 Diese Bewertung und damit das Unwerturteil über die Interessen des Täters betrifft aber nicht die Tat. Die Sicherungsverwahrung bewertet Interessen an der Verhinderung von Übel (Straftatbegehung oder Freiheitsverlust). Die Strafe dagegen bewertet die begangene Tat. Zwar ist auch die Strafe nicht zweckfrei, aber während die Sicherungsverwahrung unmittelbar der Verhinderung von Straftaten dient, soll die Strafe dies nur mittelbar erreichen. Beide unterscheiden sich daher notwendig bezüglich des Untersuchungsgegenstandes. Für den Strafausspruch wird vor allem die Tat betrachtet und damit die Vergangenheit. Die Sicherungsverwahrung fordert die ständig zu aktualisierende Betrachtung des kompletten Täters.108 Die Strafe sanktioniert nach Maßgabe der individuellen Vorwerfbarkeit die Gefährlichkeit eines (durch einen Straftatbestand bestimmten) Verhaltens, die Sicherungsverwahrung das Bestehen der von einem Menschen ausgehenden Gefahr. Die Strafe trägt mit dem Schuldgrundsatz ihre Begrenzung in sich, der Sicherungsverwahrung ist das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht immanent.109 Die Strafe intendiert ein Übel, die Sicherungsverwahrung will als Maßregel ein Übel so weit wie möglich vermeiden. Der Streit um die Strafähnlichkeit entscheidet sich daran, ob diese Unterschiede die Entscheidenden sind, oder ob es auf die Wirkung ankommt. Nicht zu folgen ist jedenfalls der oftmals vorgebrachten Parallele der Maß105
Kinzig (1997), S. 162. Kinzig (2000), S. 334; Best (2002), S. 120. 107 Nowakowski (1963), S. 109. 108 von Freier (2008), S. 305 spricht von einer „permanenten Justizpflicht“. 109 Vgl. Frisch (1982), S. 574; Schreiber/Rosenau (2004), S. 87. Denn die Schuld begründet die Strafe, während die Verhältnismäßigkeit die Maßregeln nicht begründet, Mushoff (2008), S. 219. 106
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
regeln zu anderen gefahrenabwehrrechtlichen Freiheitsentziehungen. Insbesondere wird die Quarantäne zu einem Vergleich herangezogen.110 Wie die Sicherungsverwahrung wirke diese für den Betroffenen wie ein Strafübel, ohne ein solches zu intendieren. Gegen diesen Vergleich spricht, dass der gefahrbegründende Zustand im § 30 InfSchG konkreter geregelt ist, die abzuwehrende Gefahr also besser zu prognostizieren ist als (in der Regel) eine erneute Straftatbegehung. Der entscheidende Unterschied ist aber der Grund des Eingreifens der Gefahrenabwehr: Die Quarantäne setzt nicht die Verurteilung wegen eines vorwerfbaren Rechtsbruchs voraus. Die Gefahrenabwehr greift wegen des Zustands ein. Wenn die Sicherungsverwahrung als strafrechtsspezifische Maßregel begründet werden soll, ist der Zustand des Täters erst in zweiter Linie entscheidend. Nur die begangene Anlasstat kann zuvor die Geltung einer unsicheren Kriminalprognose gegenüber dem Täter, also die rechtliche Relevanz des empirischen Zustands, begründen.111 Die Freiheitsentziehung auf Grundlage einer Kriminalprognose ist somit keine Strafe. Sie unterscheidet sich in Grund und Ausgestaltung. Die Geltung der Prognose gegen den schuldfähigen und damit verantwortlichen Verurteilten muss aber mit der Straftat begründet werden. Damit ist die Tat Rechtsgrund für die Geltung einer Kriminalprognose. Nur betätigte Freiheit kommt als normative Grundlage einer Gefahrenabwehr im Strafrecht in Betracht.112 c) Stellungnahme zur Strafähnlichkeit Es geht bei dem Streit um die Frage, welche Begrenzungen auch für die präventive Sicherungsverwahrung gelten113 oder gelten sollen. Für den Vollzug der Sicherungsverwahrung geht es darum, wie weit sich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von der Freiheitsstrafe unterscheiden soll, wie stark derjenige, der seine Freiheit zugunsten der Gemeinschaft aufopfert, gegenüber demjenigen, der für seine Schuld bestraft wird, privilegiert werden soll.114 Denn dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe ist, 110
So beispielsweise Frisch (1990), S. 357; Mushoff (2008), S. 214. BVerfGE 109, 190 (220). 112 von Freier (2008), S. 281 f. 113 Frisch (1982), S. 575, exemplarisch für das strafrechtliche Rückwirkungsverbot: S. 587 f.; vgl. auch schon Stooß (1905), S. 2: „Auch wenn die sichernden Massnahmen als Strafe erklärt sind, können sie nicht den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen unterstellt werden.“ 114 Laubenthal (2004), S. 710 f.; Bartsch (2008), S. 280 ff.; Weichert (1989), S. 271. Die praktische Durchführbarkeit einer solchen Privilegierung wurde früh bestritten, vgl. Kohlrausch (1924), S. 33. Eine konkrete Auswirkung hat die Sonderstellung der Sicherungsverwahrung als Maßregel bei den Gerichtskosten: Nach Anl. 1 zum GKG, Ziff. 3115 werden bei der Anordnung einer Maßregel Kosten von 111
VI. Einwände gegen die Sicherungsverwahrung als Maßregel
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ist ein lediglich formales Argument, das die Nichtgeltung der strafspezifischen Garantien für die mindestens ebenso belastende Sicherungsverwahrung nicht überzeugend erklären kann.115 Die spezifisch strafrechtlichen Garantien gelten, weil sie gegenüber den strengen Rechtsfolgen im Strafrecht freiheitssichernd wirken116 und weil die Strafe ein staatliches Unwerturteil über die Tat117 ausspricht. Mit der Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten ist die zentrale Voraussetzung der Sicherungsverwahrung notwendig weniger sicher feststellbar, als die Anforderungen an die Bestrafung, so dass das Bedürfnis an Freiheitssicherung dem bei der Bestrafung wenigstens entspricht. Aus der Interessenabwägung folgt, dass die Sicherungsverwahrung ein Unwerturteil beinhaltet, das allerdings nicht auf die begangene Straftat bezogen ist. Entscheidend ist aber, dass die Geltung der Kriminalprognose nur durch die zurechenbare Straftat gegen den verantwortlichen Straftäter begründet werden kann. Zusätzlich zu der Argumentation, dass die Praxis sich bei der Annahme von Hang und Gefährlichkeit auf schuldrelevante Aspekte stützt,118 dass die Geltung einer Kriminalprognose bei der Sicherungsverwahrung Rechtsfolge einer zurechenbaren Anlasstat ist und diese Anlasstat Symptom der Gefährlichkeit sein muss,119 ist auch die neue Entwicklung der Sicherungsverwahrung zu beachten. Insbesondere die Entwicklung der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung seit 1998 gibt Anlass, die Nichtgeltung der strafrechtlichen Garantien anzugreifen.120 Die ohnehin problematische Prognose wird durch die stetige Verkleinerung der Prognosebasis immer problematischer. Wenn aber wie erläutert, die Sicherungsverwahrung im Spannungsfeld zwischen reiner Maßregel und reiner Strafe mehr zu letzterer 50,00 e erhoben, während es bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahre 350 e (Ziff. 3112) und bei Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren 500 e (Ziff. 3114) sind. 115 Exner (1933), S. 643, sieht darin das „einzig mögliche Argument, dass das Individualinteresse in diesen Fällen leichter wiegt als das Interesse der Gesamtheit.“ 116 Best (2002), S. 95 m. w. N., 103 ff.; Kinzig (2000), S. 332 f.; Ullenbruch (1998), S. 329. 117 BVerfGE 109, 133; BVerfGE 105, 135 (153). 118 Kinzig (1996), S. 378 f.; Schönberger (2000), S. 172 f.; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188; ähnlich Feltes (2000), S. 281 bezüglich der normativen Konstruktion des § 66 StGB. 119 Exner (1933), S. 638 nennt diese symptomatische Beziehung „etwas der Schuldbeziehung ähnliches“. 120 So auch Kinzig (2000), S. 333, wenn er sich wundert, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der präventiven Sicherungsverwahrung nicht über die Erwartung neuer Taten, sondern über Absenkung der formellen Voraussetzungen erweitert.
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B. Begründung und Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung
tendiert, so wäre auch die Übernahme der Begrenzungen der Strafe folgerichtig,121 insoweit als die Geltung der Kriminalprognose angeordnet wird. Für die weiteren Entscheidungen, die sich aus dieser Anordnung ergeben, ist dagegen der Unterschied zur Strafe zu betonen.
121 Mushoff (2008), S. 303; Weiter Best (2002), S. 127, der alle Maßregeln in den Geltungsbereich des Art. 103 GG einbezieht. Für die Garantien des Art. 7 EMRK auch EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04, Rn. 127 ff.
C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung Die Sicherungsverwahrung kann nach § 66 I Nr. 3 StGB nur angeordnet werden, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist. Materielle Voraussetzungen sind also das Vorliegen eines Hanges zu erheblichen Straftaten und die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. Festzustellen ist deren Vorliegen durch eine Gesamtwürdigung von Täter und Taten. Dabei muss die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 62 StGB verhältnismäßig sein.
I. Der Hang zu erheblichen Straftaten Der Täter muss aufgrund seines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sein. Dieser Hang zu erheblichen Straftaten ist die umstrittenste materielle Voraussetzung der Sicherungsverwahrung. Wird teilweise die Abschaffung gefordert,1 so wird auf der anderen Seite betont, dieses Tatbestandsmerkmal schränke den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung ein.2 Gleichzeitig wird aus empirischer Sicht angenommen, dass über den Hang die Anordnung von Sicherungsverwahrung am stärksten gesteuert wird, da viel mehr Täter die formellen Voraussetzungen erfüllen, als tatsächlich verwahrt werden.3 War vor der neueren Rechtsentwicklung unklar, was den Hangtäter vom lediglich Rückfälligen unterscheidet, so ist im Extremfall des § 66b II StGB auch das Spezifikum gegenüber dem Straftäter zu erklären.
1 Dessecker (2004), S. 404; Schönberger (2000), S. 203; Schönberger/Eisenberg (1998), S. 248; Kinzig (1996), S. 378 f., 591; Kaiser (1990), S. 34 f.; Schüler-Springorum (1989), S. 153 f.; Mrozynski (1985), S. 8 f.; kritisch auch Jansing (2004), S. 118 f. 2 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 111; Finger (2008), S. 43; Schewe (1998), S. 145. Vgl. auch Jescheck/Weigend (1996), S. 816, die aber den Hang nur bei einer „rechtsfeindlichen Gesinnung“ des Täters annehmen. 3 Baltzer (2005), S. 96 f.; Kinzig (1998), S. 14.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
1. Definitionen des Hanges Der Hang wird definiert als eingeschliffener Zustand, der den Täter immer neue Straftaten begehen lässt.4 Der Täter muss dauernd zu Straftaten entschlossen sein oder bei sich bietender Gelegenheit aufgrund seiner fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig werden.5 Dabei ist ein willentliches Verharren in der Kriminalität nicht erforderlich, auch die Schwäche, die den Täter immer wieder Straftaten begehen lässt, erfüllt das Merkmal.6 Betont wird ein über die bloße Rückfälligkeit hinausgehendes Element.7 Das Spezifikum des Hangtäters gegenüber dem Rezidivisten wird teilweise in der Strafunempfänglichkeit des Hangtäters gesehen8 oder der Hang wird nur bei der Neigung des Täters zu kriminologisch verwandten Delikten angenommen.9 Oder das Spezifikum des Hangtäters gegenüber dem Rückfalltäter wird im willentlichen Verharren in der Kriminalität gesehen.10 Ein anderer Bestimmungsversuch definiert den Hang als „nach heutigem kriminologischen Wissensstand mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversibel zu betrachtende Verfestigung der Persönlichkeit in ihrer inneren, psychischen und äußeren, sozialen Struktur und Integration“,11
wobei betont wird, dass ein so beschriebener Zustand nur in extremen Ausnahmefällen anzunehmen sei. Wieder anders bestimmt Kröber den Hang als eine spezifisch persönliche Inklination der Straftatbegehung, die von der raBGHR § 66, Hang Nr. 8; Kinzig (1998), S. 14; LK11-Hanack § 66, Rn. 84. BGH NStZ-RR 2003, 201; NStZ 1999, 502, 503; BGHR § 66, Hang Nr. 3; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 19. 6 BGHR § 66, Hang Nr. 4; LK11-Hanack § 66, Rn. 84. 7 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 24; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 109. Vgl. aber auch: Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 20: „Die Feststellung, dass der Angeklagte mehrere Straftaten begangen hat, stellt bereits ein gewisses Indiz für seine Rückfälligkeit und damit seinen Hang dar.“ LK11-Hanack § 66, Rn. 65 sieht dieses Spezifikum des Hangtäters darin, dass sich seine Resozialisierung nicht anders erreichen lässt. Fraglich ist dabei die so vorgenommene Gleichsetzung von Verwahrung und Resozialisierung. Den Unterschied zum Rückfalltäter vergeblich sucht Kinzig (1996), S. 578, ihm folgend: Jansing (2004), S. 79 ff. 8 LK11-Hanack § 66, Rn. 65; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 115; ähnlich Jansing (2004), S. 112 der in der Sicherungsverwahrung die Reaktion auf Täter sieht, bei denen die Kriminalitätskurve nicht wie durchschnittlich in einem bestimmten Alter abflacht. Dann aber ist nicht der Hang zentral, sondern die Erwartung weiterer Taten, die Prognose. 9 Jescheck/Weigend (1996), S. 816. 10 Horstkotte (1970), S. 155; Jescheck/Weigend (1996), S. 816. Ähnlich: Haße (1931), S. 12, nach dem nicht die stetige Begehung gleichartiger Delikte sondern die „stetige Verdrängung und endliche Ertötung von Hemmungen zur Befriedigung eines maßlos gewordenen Bedürfnisses“ entscheidet. 11 NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 90. Kritisch Dessecker (2004), S. 301. 4 5
I. Der Hang zu erheblichen Straftaten
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tionalen, also aufgrund ökonomischer Überlegungen nachvollziehbaren Delinquenz abzugrenzen ist.12 Andere wollen den Begriff des Hanges durch den Begriff der „kriminell geprägten Persönlichkeit“ ersetzen. Dieser Begriff soll die Beziehung zur dissozialen Persönlichkeitsstörung im Sinne der ICD-10 F60.2 herstellen.13 Eine wiederum andere Inhaltsbestimmung ist, dass der Hang als besonderes Maß an fehlender Selbstkontrolle aussagekräftig genug ist, um Anlasstat, Vortaten und erwartete Tat in einen gemeinsamen Erklärungszusammenhang zu stellen.14 2. Elemente des Hanges Kennzeichnend für die Probleme bei der Auslegung des Hangtäterbegriffs ist das häufig anzutreffende Vorgehen, von den genannten Definitionsversuchen nahtlos dazu überzugehen, die den Hangbegriff formenden Tatsachen zu nennen.15 Eine solche Aufzählung von den Hang begründenden Tatsachen wird damit begründet, dass eben diese die Basis der Kriminalprognose seien.16 Als Faktoren des Hanges werden neben der Erfüllung der formellen Voraussetzungen ausgemacht: erziehungswidrige Verhältnisse,17 Frühkriminalität, schlechte schulische und berufliche Ausbildung, lange Haftaufenthalte, eine brutale Vorgehensweise bei der Straftatenbegehung,18 Arbeitsscheu, Willensschwäche, der soziale Empfangsraum wie Zusammensetzung des Bekanntenkreises, das Trinkverhalten, die (Un-)Fähigkeit zu festen Partnerschaften.19 Neben den genannten Faktoren ist auch die Kriminalität wichtig, die nicht bereits durch die formellen Voraussetzungen in die Gesamtwürdigung eingeführt ist,20 insbesondere die Schnel12 Kröber (2004), S. 268. Dabei betont er die hohe Bedeutung erwiesener Bestrafungsresistenz. 13 Baltzer (2005), S. 41, der allerdings auf die auch nach diesem Ansatz bestehende Gefahr einer zirkelschlüssigen Argumentation hinweist. 14 Meier (2009), S. 302. 15 SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 18 bezeichnet den Hang als Sammelausdruck für die tatsächlichen Umstände, die den Rechtsbegriff der Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten tragen müssen. Vgl. auch Streng (2003), S. 631, nach dem der Hang das bisherige Geschehen zentriert, während die Gefährlichkeit auch unter Berücksichtigung zukünftiger Verläufe beurteilt wird. Dabei ist der Hang ebenfalls ein Oberbegriff für die prognostisch relevanten Tatsachen. 16 SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 18. Vgl. auch schon Geisler (1967), S. 54; RGSt 72, 356 f. Zur Trennbarkeit von Hang und Gefährlichkeit im Folgenden. 17 OLG Frankfurt NJW 1971, 903, 906. 18 BGHR § 66 Hang 5. 19 Kern (1997), S. 95; Jansing (2004), S. 78. 20 BGHSt 1, 94 (99); LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 131; Sch/SchStree § 66, Rn. 25; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 141.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
ligkeit der Tatabfolge21 und die zeitliche Nähe einer Straftat zu dem letzten Strafvollzug.22 Diese Aufzählung von Definitionsversuchen und Merkmalsausprägungen zeigt die immer wieder kritisierte Unschärfe dieses Begriffs auf. Will der Gesetzesanwender einen Täter, der die formellen Voraussetzungen erfüllt, als Hangtäter kennzeichnen, wird es ihm gelingen.23 Ebenfalls ist es aufgrund der Unschärfe des Merkmals möglich, die Vortaten anders als auf einem Hang beruhend zu erklären.24 Dabei liegen die Probleme bei der Auslegung auf verschiedenen Ebenen. Einmal ist das Verhältnis des Hanges nach § 66 StGB zu den die Gefährlichkeit begründenden Merkmalen der anderen freiheitsentziehenden Maßregeln zu bestimmen. Weiter ist das Verhältnis von Hang und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit klärungsbedürftig. Erst nach dieser Vorarbeit kann auf die Frage eingegangen werden, ob es möglich ist, eine trennscharfe Inhaltsbestimmung vorzunehmen. a) Normative Annäherung an den Hang Der Hang muss nicht durch vorwerfbare Lebensführung schuldhaft erworben sein. Er kann sich sowohl in der (biologischen) Anlage25 gründen als auch von der (sozialen) Umwelt erworben sein.26 Dies wollte der Reformgesetzgeber 1969 mit der Streichung des Begriffs „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ und der Einführung des Hanges ausdrücken.27 Die Vor- und Anlasstat(en) müssen symptomatisch für den Hang des Täters sein,28 was 21 OLG Frankfurt NJW 1971, 903, 906; Kinzig (1996), S. 356; Jansing (2004), S. 77. 22 BGHR Hang Nr. 5; BGH NStZ-RR 2006, 105 f. 23 Schüler-Springorum (1989), S. 151; Kern (1997), S. 123: „Es kann zwar immer das Ergebnis festgestellt werden (sic: Hang), aber nicht die einzelnen ausschlaggebenden Faktoren einer solchen Entwicklung.“; Jansing (2004), S. 79, 118 f., fürchtet, die Sicherungsverwahrung werde zwar selten, aber willkürlich angeordnet. Nach Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188 sind Hang und Gefährlichkeit in hohem Maße rechtspolitisch disponible Begriffe. Ähnlich schon Geisler (1967), S. 196. 24 Vgl. aber Dessecker (2004), S. 302, der darauf hinweist, dass die Annahme eines Hanges in der Regel akzeptiert, der Ablehnung eines Hanges dagegen häufiger widersprochen wird. 25 Kinzig (1996), S. 362, berichtet von der Annahme eines angeborenen Hanges. Ebenso LK11-Hanack § 66, Rn. 87. 26 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 33; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 110. 27 LK11-Hanack § 66, Rn. 64, der darauf hinweist, dass auch nach früherem Recht beide Tätertypen erfasst waren. 28 BGHSt 21, 263 f.; Exner (1933), S. 639; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 218; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 144; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 19.
I. Der Hang zu erheblichen Straftaten
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auch bei verschiedenartigen Straftaten möglich ist.29 Die Annahme eines Hanges kann nicht auf solche Taten gestützt werden, die durch äußere Umstände allein verursacht werden.30 Gemeint sind damit Taten, die der Täter aufgrund einer Notlage oder aus einem Affekt heraus begeht. Gleichzeitig kann sich aber ein Hang auch durch Affekttaten ausdrücken, wenn diese Ausdruck innerer Spannungen des Täters sind, die ihn zu Straftaten besonders bereit machen.31 Die „rechtsstaatlich bedenklich von einem Polizisten provozierte Tat“ beruht in der Regel nicht auf einem Hang.32 aa) Erfasste Tätergruppen Eingeteilt33 werden Hangtäter traditionell in die Gruppe der passiven, haltungsschwachen Täter aus Willensschwäche und die der aktiv, chronisch delinquenten Berufsverbrecher.34 Ein Hang kann auch dann vorliegen, wenn der Täter willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht widerstehen kann.35 Zwar wird teilweise die Einbeziehung des passiven Täters kritisiert,36 dabei ist deren Einbeziehung in der Zweispurigkeit angelegt. Denn bei dem willentlich ständig kriminellen Täter wird in der Regel das willentliche Verharren in der Kriminalität als Lebensweise vorliegen, was auch zentraler Anknüpfungspunkt einer mit Lebensführungsschuld begründeten längeren Strafe wäre.37 Wenn mit der Sicherungsverwahrung ein Vorwurf wegen der vergangenen Tat gerade nicht verbunden ist, muss auch das Risiko nicht vorwerfbar sein.38 Gegen die Einbeziehung 29 BGHSt 16, 296; BGHSt 24, 243 f.; BGH NStZ-RR 2003, 107; LK12-Rissingvan Saan/Peglau § 66, Rn. 219. 30 BGH NJW 1980, 1055; Kinzig (1998), S. 14; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 110; LK11-Hanack § 66, Rn. 89; bei Augenblicks-, Gelegenheits- und Konflikttaten ist eine besondere Prüfung notwendig: LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 122. 31 BGHR § 66 Hang Nr. 6; BGH NStZ 1994, 280. 32 BGHR § 66, Hang Nr. 10. 33 Müller-Metz (2003), S. 43 nennt dies aus erfahrungswissenschaftlicher Sicht unbrauchbar. Habermeyer (2005), S. 22 will die Beschreibung als willens- und haltschwache Täter durch die der „sozial desintegrierten Straftäter mit Persönlichkeitsauffälligkeiten bzw. -störungen“ ersetzen. 34 Vgl. LK11-Hanack § 66, Rn. 70, 71; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 32, 33. 35 BGHR § 66, Hang Nr. 4, 8; BGH NStZ-RR 2003, 107; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 33; Kern (1997), S. 139. 36 Horstkotte (1970), S. 155; Jescheck/Weigend (1996), S. 816. 37 Kritisch zur Möglichkeit eines verschuldeten Hanges bei der schuldunabhängigen Sicherungsverwahrung: Schüler-Springorum (1989), S. 150. 38 Im Ergebnis auch BGHSt 24, 160 (161); LK11-Hanack § 66, Rn. 82; Sch/SchStree § 66, Rn. 32. Ähnlich bereits Exner (1914), S. 88 f.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
auch solcher Täter, die aufgrund ungünstiger Umstände und nicht durch eigene Entscheidung wiederholt erheblich straffällig werden, sprechen viele gute rechtspolitische Argumente,39 de lege lata sind diese Täter von dem Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung erfasst.40 bb) Historische Auslegung Eine historische Auslegung hilft bei der Bestimmung des Hangbegriffs trotz dessen langer Geschichte über das obige nicht hinaus.41 Das Erfordernis eines Hanges zu erheblichen Straftaten wurde durch das Erste Strafrechtsreformgesetz eingeführt.42 Zuvor wurde der gefährliche Gewohnheitsverbecher über seinen Hang zum Verbrechen definiert.43 Aus der Geschichte des Hangmerkmals lässt sich jedoch Verständnis für die heutigen Auslegungsprobleme gewinnen: Dass der Täter ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, stellte nach § 20a StGB a. F. Anknüpfungspunkt für eine Strafschärfung aus präventiven Erwägungen dar. Gleichzeitig war mit der Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher die Prüfung der Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung nach § 42e StGB a. F. großenteils vorweggenommen.44 Das neue Recht ersetzte den gefährlichen Gewohnheitsverbrecher durch den Hang und knüpfte daran nur noch die präventive Sicherungsverwahrung. Damit sind das unklare Verhältnis von Hang und Gefährlichkeit ebenso wie die praktisch festzustellende Doppelrelevanz des Hanges zwischen Schuld und Gefährlichkeit schon in dessen Geschichte angelegt. cc) Systematische Auslegung Ertragreicher ist die systematische Auslegung.45 Bei der Untersuchung des Hanges im Sinne des § 66 StGB fallen Unterschiede gegenüber dem 39
Horstkotte (1970), S. 155; i. E. auch Mrozynski (1985), S. 12. Kröber (2004), S. 269 stellt zutreffend fest, dass es bei Einbeziehung dieser Täter nicht um die Vorhersagbarkeit der Delinquenz sondern um die Angemessenheit der Sanktion gehe. 41 Mrozynski (1985), S. 8; LK11-Hanack § 66, Rn. 90. 42 Milde (2006), S. 142 verfolgt die Begriffsgeschichte des Hanges in den Gesetzesentwürfen bis 1909. Vgl. auch Haße (1931), S. 11 f. der den Begriff zusätzlich in einem italienischen Entwurf findet. 43 Vgl. RGSt 68, 174: die abgeurteilten Vortaten müssen ergeben, „daß dem Täter ein in seiner Persönlichkeit begründeter Hang zum Verbrechen innewohnt, der es wahrscheinlich macht, dass er auch in Zukunft weitere erhebliche Straftaten begehen wird.“; RGSt 73, 44; LK11-Hanack § 66, Rn. 64, 90. 44 Grünwald (1969), S. 233. 45 So auch Dessecker (2004), 302 f. 40
I. Der Hang zu erheblichen Straftaten
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von § 63 StGB geforderten Zustand und dem bei § 64 StGB vorausgesetztem Hang zu Rauschmitteln auf. Die freiheitsentziehenden Maßregeln sanktionieren das Risiko erheblicher Straftaten, das der Täter aufgrund gewisser Tatsachen46 darstellt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB setzt Gefährlichkeit aufgrund eines Hanges zu alkoholischen Getränken oder anderen Rauschmitteln voraus. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB erfordert die Gefährlichkeit aufgrund des die Schuldfähigkeit ausschließenden oder mindernden Zustands des Täters. Beide anderen freiheitsentziehenden Maßregeln setzen eine bestimmte, vom Strafrecht selbst unterschiedene Ursache der Wahrscheinlichkeit erneuter Delinquenz voraus. Die Sicherungsverwahrung dagegen benennt mit dem Hang zu erheblichen Straftaten keinen vergleichbar konkreten Zustand47 als notwendige Ursache der Gefährlichkeit des Täters.48 Es werden nicht Straftaten aufgrund des konkreten Zustands des Täters erwartet, sondern weil der Täter eben Straftaten begeht, gleichgültig49 aus welcher Ursache.50 Während die Anlasstat und die Wahrscheinlichkeit erneuter Taten bei §§ 63, 64 StGB Symptom und Folge einer Verfassung des Täters sein müssen, welche unabhängig vom Strafrecht bestimmbar ist, ist die Sicherungsverwahrung gerade hier speziell, eine Bestimmung der Gefahrenursache losgelöst vom Strafrecht ist nicht möglich. Wenn das Ergebnis der Subsumtion sein muss, dass der Täter in Zukunft erheblich de46 Gerade für den Hang i. S. d. § 66 ist allerdings strittig, ob dieser eine Tatsache darstellt, Vgl. BGHR § 66, Hang Nr. 2, Kinzig (1998), S. 14; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 117. BVerfG NJW 2006, 3483, 3484 sieht den Hang als psychologische Tatsache an. 47 Müller-Metz (2003), S. 43; Schüler-Springorum (1989), S. 149 sieht den Unterschied der Sicherungsverwahrung zu den anderen beiden freiheitsentziehenden Maßregeln vor allem darin, dass bei der Sicherungsverwahrung nicht Krankheit die Ursache der Gefährlichkeit ist. Ähnlich BGHR § 66, Hang Nr. 4, nach dem die Sicherungsverwahrung nicht aus medizinischen, sondern aus strafrechtlichen Gründen angeordnet wird. 48 Dessecker (2004), S. 299, nach dem bei der Sicherungsverwahrung ein der Abhängigkeit von psychotropen Stoffen vergleichbarer Bezugspunkt fehlt; Müller-Metz (2003), S. 43; LK11-Hanack § 66, Rn. 65; Schewe (1999), S. 142; Schüler-Springorum (1989), S. 147 f.; Kinzig (1996), S. 103. 49 Für Rechtsprechung und Literatur ist die Ursache des Hanges unerheblich, BGH NStZ 1995, 78; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 33; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 110; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 80; LK11-Hanack, § 66, Rn. 65 m. w. N. 50 Schüler-Springorum (1989), S. 149, 153 spricht daher von dem direktesten, gänzlich ungeschönten Fall gesellschaftlicher Notwehr und der Sicherungsverwahrung als Maßregel in Reinkultur. NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 87 kritisieren den Hang als ein Konstrukt, das empirisch nicht belegbar, im Sinne rationaler Theoriebildung nicht erklärbar sei und einseitig dem Sicherungszweck diene; Volckart (1997), S. 39 f.: „Wir treffen eine ungünstige Kriminalprognose und geben ihr den zusammenfassenden Namen ‚Gefährlichkeit‘ (oder ‚Hang‘ . . .).“
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
linquieren wird, weil er zum erheblichen Delinquieren neigt, ist die Gefahr tautologischer Bestimmungsversuche groß.51 b) Verhältnis von Hang und Gefährlichkeit Häufig wird, so vor allem die Kritik an der Praxis, aus der Begehung von Straftaten auf das Vorliegen eines Hanges52 und von diesem auf die Erwartung zukünftiger Taten geschlossen.53 Ein so verstandener Hang ist nicht von bloßer Rückfälligkeit in bestimmte Deliktstypen zu unterscheiden. Einigkeit ist in der Literatur über das Spezifikum des Hangtäters gegenüber dem Rückfalltäter wie oben gesehen nicht vorhanden. Es ist fraglich, ob der Hang überhaupt eine eigenständige Bedeutung haben kann, oder ob bei der Feststellung des Hanges tatsächlich ein pseudorationales Spiel aufgeführt wird.54 Hier wird die Frage vom Verhältnis der materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung untereinander relevant. Dabei ist vor allem zu beantworten, ob der Hang wesentliche Voraussetzung der Sicherungsverwahrung ist und bei einem Hangtäter in der Regel auch die Gefährlichkeit vorliegt.55 Dann müsste sich die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten, also die positive Kriminalprognose, aus den tatsächlich vorliegenden Faktoren des Hanges ergeben. Diese Faktoren des Hanges sind jedoch so weit, dass sie keine über das Ausscheiden von Gelegenheitsund provozierten Taten hinausgehende Begrenzungsfunktion erfüllen.56 Nur wenn der Hangtäterbegriff eine scharfe Kontur gewinnen kann, ist die Auslegung sinnvoll, dass die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten aus 51 Kinzig (1998), S. 15; Blau (1998), S. 764; Jescheck/Weigend (1996), S. 816 m. w. N.; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 78; LK11-Hanack § 66, Rn. 65; SchülerSpringorum (1989), S. 149 sieht die Tautologie schon in der Konstruktion des § 66 StGB. 52 Kinzig (1996), S. 19; ders. (1998), S. 14; Schönberger (2000), S. 175; Fischer § 66, Rn. 27; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 24: „In der Praxis wird meist das Hauptgewicht auf die Zahl der Vorstrafen gelegt.“; BGHR § 66 StGB, Hang Nr. 5 „Seine Vorstrafen weisen ihn (. . .) als gefährlichen, durch gerichtliche Ahndungen kaum zu beeindruckenden Gewalttäter aus.“ Zur alten Rechtslage: Hellmer (1961), S. 306. 53 Vgl. aber auch Rosenau (2006), S. 293 der von einer „Hangprognose“ spricht. 54 So Schüler-Springorum (1989), S. 152. 55 So die Rspr. und Teile der Literatur: BGHR § 66, Gefährlichkeit Nr. 1, 5; BGH NStZ 1990, 334, 335; OLG Frankfurt NJW 1971, 903, 906; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 17; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 36. 56 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 111 sieht den Hang als zentrale Voraussetzung, gesteht ihm aber nur eine kleine zusätzliche Sicherungsfunktion zu. Kern (1997), S. 139, kommt zu dem Ergebnis, es werde deutlich, aus welchen Persönlichkeitszügen Gutachter und Gerichte den Hang herleiten, dass diese aber wohl bei dem Großteil der Strafgefangenen vorliegen dürften.
I. Der Hang zu erheblichen Straftaten
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anderen Gründen als einem Hang nicht von der Sicherungsverwahrung erfasst wird. Nur wenn der Begriff die Erfassung spezifischer, hangbedingter Gefährlichkeit gewährleistet, kann er Ursache der Gefährlichkeit und eigenständige Voraussetzung der Verwahrung sein. Es ist die Erfassung solcher Straftäter gewollt, die dauerhaft erhebliche Straftaten begehen. Im Gegensatz zu den anderen Maßregeln ist keine konkrete Ursache für die Delinquenz angegeben. Die Entscheidung für die Zweispurigkeit hat zur Folge, dass eine Beschränkung auf Gefährlichkeit, die sich aus willentlicher Beharrung in der Kriminalität ergibt, inkonsequent erscheint. Kann der Hang in dieser normativen Gestalt den Anwendungsbereich nicht auf bestimmte Täter mit positiven Kriminalprognosen eingrenzen, ist er überflüssig. Dann liegt mit der Sicherungsverwahrung die Maßregel in Reinkultur vor,57 die die Gefährlichkeit sanktioniert und keine über die Gefährlichkeit im Sinne der Erwartung neuer Straftaten hinausgehende Eigenschaft des Täters,58 Zentrale Unterbringungsvoraussetzung ist dann die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit.59 c) Empirische Annäherung an den Hang Auch empirisch kann das Merkmal nicht von einer Kriminalprognose getrennt werden60. Resultat neuerer Forschung ist, dass die Annahme eines Hanges vor allem von Vorstrafen und -taten,61 der Rückfallgeschwindigkeit,62 der angenommenen Wirkungslosigkeit bisherigen Strafvollzuges63 und dem Sachverständigengutachten abhängt.64 Angeordnet wird die Sicherungsverwahrung, wenn die formellen Voraussetzungen übererfüllt sind und 57
Schüler-Springorum (1989), S. 153. Brandt (2008), S. 225; Jansing (2004), S. 117; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188; Volckart (1997), S. 95; Pollähne (2005), S. 224; Baltzer (2005), S. 40 f. Vgl. auch Leygraf (2004), S. 440, nach dem der nach dem Hang befragte Sachverständige sich darauf beschränken sollte „. . . anderweitige Hintergründe der Delinquenz, die eine Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB begründen könnten, auszuschließen.“ 59 Dessecker (2004), S. 302 f.; Schüler-Springorum (1989), S. 149 ff.; Volckart (1997), S. 95. 60 Schönberger (2000), S. 202 f.; Kern (1997), S. 190; Kinzig (1998), S. 379. Vgl. auch die von Kinzig (1997), S. 14 zusammengestellte Kritik der Sachverständigen am Begriff des Hanges. 61 Kinzig (1996), S. 353; ders. (1998), S. 16; Schönberger (2000), S. 175; Jansing (2004), S. 111 f., 221; Müller-Metz (2003), S. 43; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 39. Für eine positive Kriminalprognose: Hinz (1985), S. 55. 62 Schönberger (2000), S. 172; Kinzig (1996), S. 356. 63 Schönberger (2000), S. 173; Kinzig (1996), S. 357 f.; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188. 64 Kinzig (1998), S. 19; Kern (1997), S. 139. 58
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
der sachverständige Gutachter von der Gefährlichkeit des Täters ausgeht.65 Da das Gericht bei der Begründung des Hanges der Einschätzung des Gutachtens in der Regel folgt,66 wird teilweise der Schluss gezogen, dass die Begutachtung für den die formellen Voraussetzungen erfüllenden Täter das größte Risiko der Unterbringung birgt.67 Gleichzeitig wird die Sicherungsverwahrung auch aufgrund des fehlenden Hanges abgelehnt. Letzteres wird damit erklärt, dass der Hangtäterbegriff so unbestimmt sei, dass das gewünschte Ergebnis herausgelesen werden könne.68 Auffallend ist nach der Untersuchung von Kinzig die Doppelrelevanz der Vorstrafen, die gleichzeitig zur Strafschärfung herangezogen werden sowie bei der Frage nach der Sicherungsverwahrung sowohl die formellen Voraussetzungen erfüllen, wie auch die Annahme des Hanges überwiegend stützen.69 Ähnliches lässt sich für die Argumentation mit der Wirkungslosigkeit bisheriger Sanktionierung feststellen. Auch hier ist das formelle Kriterium der §§ 66 I, 66 III 1; §§ 66b I, 66 III 1 StGB auch für die Annahme eines Hanges (wenn auch in geringerem Ausmaß) relevant.70 Eine Strafschärfung kann an diesen Aspekt ebenso anknüpfen.71 Das Verhältnis von Hang und Gefährlichkeit ist ebenso unbestimmt wie beim Versuch einer theoretischen Klärung. Überwiegend wird aus dem Vorliegen eines Hanges auf die Gefährlichkeit geschlossen.72 Allerdings wird auch umgekehrt die Möglichkeit eines Schlusses von einer 65
Kinzig (1998), S. 19; ders. (1996), S. 320 f.; Jansing (2004), S. 98, 119 spricht von einer zufälligen Reaktion auf wiederholte Delinquenz. Vgl. auch Habermeyer (2006), S. 53 zur Vorstrafenbelastung der Verwahrten. 66 Kinzig (1998), S. 17; Jansing (2004), S. 98. 67 Jansing (2004), S. 98. Ähnlich für die vorzeitige Entlassung auf Bewährung bei Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt nach § 9 I StVollzG: Alex (2006), S. 106. 68 Kinzig (1998), S. 19; Fischer § 66, Rn. 27; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 78; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188. Ähnlich: Kaiser bei Kilchling (1997), S. 167. 69 Kinzig (1998), S. 19; Kröber (2006), S. 160. Kröber (2004), S. 265 betont einen engen Zusammenhang von Hangfeststellung und Erfüllung der formellen Voraussetzungen, insbesondere vorheriger Straftaten und Strafverbüßung. Darauf deutet auch die Untersuchung von Habermeyer (2008), S. 79 ff. hin, der die verschiedenen Ergebnisse der Anwendung von HCR-20 und PCL-R auf Gewalttäter im Vollzug der Sicherungsverwahrung und nach § 63 StGB Untergebrachte und eine Kontrollgruppe lediglich bestrafter Gewalttäter auswertet. Danach ist der deutlichste Unterschied der Sicherungsverwahrten zu den anderen Gruppen bei den statischen Merkmalen der Prognoseinstrumente erkennbar. Diese wiederum beziehen sich vor allem auf Vordelinquenz. 70 Kinzig (1998), S. 17; ders. (1996), S. 357. 71 Streng (2002), S. 237; Meier (2009), S. 180 f. 72 BGHSt 50, 188 (196); BGH NStZ 2007, 464; NStZ 1990, 334, 335; BGHR § 66, Gefährlichkeit Nr. 1, 5. Dazu LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 136; kritisch: NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 106.
I. Der Hang zu erheblichen Straftaten
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positiven Kriminalprognose, also der Gefährlichkeit, auf das Vorliegen eines Hanges für möglich gehalten.73 d) Fazit: Kriminalprognose als zentrale materielle Voraussetzung Der Hang zu erheblichen Straftaten als die vermeintlich zentrale Voraussetzung74 kann inhaltlich nicht bestimmt werden und die Frage nach den Faktoren des Hanges, wird nur mit einer Aufzählung kriminogener Umstände beantwortet.75 Entscheidende materielle Voraussetzung ist demnach die Gefährlichkeit im Sinne einer Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten.76 Diese Interpretation klärt auch die Schwierigkeiten, die in der Bestimmung des Hanges bestehen. Kommt es für die Maßregelanordnung auf das individuelle Risiko erheblicher Taten in Zukunft an, so ist klar, warum keine Trennung von der Gefährlichkeit gelingt.77 Bei der Erstellung einer Kriminalprognose verbietet sich eine abstrakte, auf statistische Wahrscheinlichkeit berufende Bewertung.78 Ob das Individuum erneut delinquiert, lässt 73 BGHSt 50, 121 (132): „Dabei mag zwar nahe liegen, dass die Bejahung einer hohen Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher Straftaten im Regelfall auch auf das Vorliegen eines „Hanges“ hindeutet; zwingend ist dies jedoch nicht, so dass diese Frage der ausdrücklichen Prüfung (. . .) bedarf.“ Dazu Fischer § 66, Rn. 28; Schreiber/Rosenau, 2004, S. 98: „. . . abverlangte negative Prognose, ob der Täter als Hangtäter zu qualifizieren ist.“ 74 So weiter MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 108, der aber die Schwierigkeit sieht, dass im Unterschied zu den funktionellen Äquivalenten des Hanges in §§ 63, 64 StGB keine möglichen Ursachen genannt sind. Dagegen: Dessecker (2004), S. 302; Schönberger (2002), S. 203; Schüler-Springorum (1989), S. 149 ff. 75 Eisenberg (2005), S. 450; Dessecker (2004), S. 302; LK11-Hanack § 66, Rn. 65. Nach Kröber (2004), S. 265 ist die Antwort auf die Fragen nach dem Hang mehr kriminologischer als psychologischer Art. 76 Dessecker (2004), 302; Schüler-Springorum (1989), S. 149 f.; Jansing (2004), S. 119; Volckart (1997), S. 95; Baltzer (2005), S. 41; Streng (2003), S. 631: „Es sind die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung insgesamt prognostischer Natur.“ Vgl. auch Kröber (2006), S. 162; ders. (2004), S. 267. 77 Dessecker (2004), S. 302; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 111; Müller-Metz (2003), S. 50 Fn. 133; Bender (2007), S. 91; Fischer § 66, Rn. 26; Jansing (2004), S. 157; Peglau (2002), 452. Ausdrücklich gegen die Gleichsetzung von Hang und Kriminalprognose: BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 138. Wenn letztere aber die Tatsachen, die Basis für die Hangfeststellung sind, nur deshalb von der Gefährlichkeit also der Kriminalprognose unterschieden, weil die Faktoren des Hanges enger sind als die Basistatsachen der Prognose, ist nichts gewonnen. Der Hang bildet danach einen Befund, die Gefährlichkeit eine Prognose, die sich auch auf andere Befunde stützt. Aber ohne Hang würde die Prognose die Faktoren des Hanges als Basistatsachen auch heranziehen. Und welchen Befund der Hang genau bildet, bleibt unklar. 78 BVerfGE 109, 190 (242); Boetticher et al. (2006), S. 543 f.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
sich nur für das Individuum feststellen.79 Für generelle Festlegungen, wann ein nicht hinnehmbares Risiko erheblicher Delinquenz vorliegt, lassen sich lediglich alle nach bisheriger Erfahrung kriminogenen Merkmale als prognoserelevant zusammentragen.80 Unter dieser Prämisse ist dann die Verschränkung von prognose- und hangrelevanten Tatsachen einleuchtend. Damit liegt mit der Sicherungsverwahrung die von Schüler-Springorum so genannte Maßregel in Reinkultur vor,81 die die Gefährlichkeit sanktioniert und keine über die Gefährlichkeit im Sinne der Erwartung neuer Straftaten hinausgehende Eigenschaft des Täters.82 Liegt der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus materiell eine Diagnose, bei der dogmatische Fragen zunächst nicht interessieren und eine darauf aufbauende Prognose zugrunde,83 so kann für die Sicherungsverwahrung eine solche Zweiteilung nicht erfolgen.84 Entscheidendes Merkmal ist die Prognose, eine Diagnose erfolgt nur insofern die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen müssen, insbesondere die Geltung der Kriminalprognose gegenüber dem Täter durch die Anlasstat zu begründen ist. Der Hang ist eine auf Basis gleichartiger85 Straftaten erstellte positive Kriminalprognose.86 Der 79
Vgl. Dessecker (2004), S. 299. Allgemeiner sieht ders. (2004), S. 195 den Zusammenhang von Individualprognose und individualpräventiver Sanktion. Anders Frisch (1992), S. 116, 119 der von einer möglichen Vertatbestandlichung der möglichen Risikosachverhalte ausgeht, dabei aber an dem Täter selbst gewonnene Erfahrung fordert. 80 Vgl. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 127: „Im Einzelnen geht es um die nachfolgenden Faktoren, bei denen jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob ihnen tatsächlich Relevanz für ein bestimmtes Verhalten zukommt.“ 81 (1989), S. 153. 82 Brandt (2008), S. 225; Jansing (2004), S. 117; Volckart (1997), S. 95: „Der Hang ist eine ungünstige Kriminalprognose und nichts weiter.“; Pollähne (2005), S. 224; Baltzer (2005), S. 40 f.; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188 sehen in Hang und Gefährlichkeit eine juristische Klammer, die Heterogenes umfasst. Vgl. Leygraf (2004), S. 440, nach dem der nach dem Hang befragte Sachverständige sich darauf beschränken sollte „... anderweitige Hintergründe der Delinquenz, die eine Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB begründen könnten, auszuschließen.“ 83 So von Hippel (1976), S. 43 der feststellt der Text des § 63 StGB zeige am deutlichsten worum es geht. 84 Müller-Metz (2003), S. 49. Eine Diagnose der abgeschlossenen „Symptomtat“ und eine darauf aufbauende Prognose scheitert an der Notwendigkeit, die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Taten anzugeben, für die die begangene symptomatisch ist. Dazu: von Hippel (1976), S. 44 f. und 52. 85 Nach der Rspr. können aber ungleichartige Tat Ausdruck eines allgemeinen Hanges zum Verbrechen sein. Vgl. BGHSt 16, 297; LK11-Hanack § 66, Rn. 164 m. w. N. Gefordert wird, dass die verschiedenartigen Taten in einem gleichartigen Verhältnis zur kriminellen Persönlichkeitsstruktur des Täters stehen. Vgl. im Gegensatz dazu den von Flandrak (1932), S. 16 f. geprägten Begriff der Tatgefährlichkeit.
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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Hangtäter ist ein Rückfalltäter,87 bei dem von weiteren Taten ausgegangen wird.88
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit Es ist umstritten, ob die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit neben dem Hang eine eigenständige Voraussetzung darstellt.89 Eine Entscheidung in diesem Streit ist notwendig davon beeinflusst, welche Bedeutung dem Hang zukommt. Wird der Hang als zentrale materielle Voraussetzung angesehen, so ist es konsequent, aus diesem die Gefährlichkeit zu folgern, wie es vor allem die überwiegende Rechtsprechung,90 aber auch Teile der Literatur91 tun. Dann ist die Gefährlichkeit trotz Vorliegens eines Hanges nur zu verneinen, wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen,92 oder die Hangtaten aufgrund der Ungeschicklichkeit des Täters von Vornherein zum Scheitern verurteilt sind.93 86 So auch: Müller-Metz (2003), S. 44; Habermeyer (2006), S. 121; Streng (2002), S. 197; von Harbou (1999), S. 86, 116; Schüler-Springorum (1989), S. 153 f.; Volckart (1997), S. 95. Empirische Arbeiten auswertend, erkennt Jansing (2004), S. 86 nur folgenden Unterschied zwischen Rückfall- und Hangtäter: „Die der Maßregel unterworfenen Täter (. . .) wurden für insgesamt mehr einschlägige Delikte verurteilt und die von ihnen begangenen Taten waren schwerer als die der Vergleichsprobanden.“ (Hervorhebung im Original) Vgl. auch Habermeyer (2005), S. 15, der eigene Gutachten zu § 67c I StGB auswertend, den HCR-20 anwendet, und eine Übereinstimmung von Hangtäter mit den historischen Items dieses Prognoseinstruments erwartet. 87 Zwar ist ein Rückfall bei §§ 66b II, III StGB nicht notwendig, es fragt sich aber, ob die Geltung der Kriminalprognose in diesen Fällen begründet werden kann. 88 So schon Exner (1949), S. 290. Zur tatsächlichen Unterscheidbarkeit der Sicherungsverwahrten von Rückfalltätern: Kinzig (1996) S. 378 f. und 1998, S. 14 ff.; Jansing (2004), S. 101 f.; Kern (1996), S. 139. Vgl. auch Habermeyer/Hoff/Saß (2002), S. 23 nach denen ein Hang vorliegt, wenn die Gefahr besteht, dass der Proband „in eigener Verantwortung erneut kriminell handeln wird“. 89 Dagegen SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 17; Streng (2002), S. 1999: „nur Facetten derselben Erkenntnisdimension“. Das ist verständlich, wenn schon im Hang eine die Unterbringung legitimierende Prognose gesehen wird. 90 BGHSt 50, 188 (196); BGH NStZ 2007, 464; BGH NStZ 1990, 334, 335; BGHR § 66, Gefährlichkeit Nr. 1, 5; OLG Frankfurt NJW 1971, 903, 906. Kinzig (1996), S. 59 stellt fest, dass wenn eine gesonderte Prüfung der Gefährlichkeit erfolgt, diese häufig mit gleichen Erklärungsansätzen wie zur Begründung des Hanges vorgenommen wird. Anders herum soll ein solches Vorgehen nicht funktionieren, nach BGHSt 50, 121 ist eine Prüfung des Hanges auch bei § 66b StGB notwendig, da das Vorliegen einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit nicht zwingend auf das Vorliegen eines Hanges hindeute. 91 SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 17; und jedenfalls für den Regelfall: LK11-Hanack § 66, Rn. 144, 145.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
Dagegen ist nach hier vertretener Auffassung zentrale Voraussetzung, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist. Dass er dies nach dem Gesetzeswortlaut aufgrund seines Hanges zu erheblichen Straftaten sein muss, hat nur Bedeutung für die Anforderungen an die Kriminalprognose.94 Gefährlichkeit für die Allgemeinheit bedeutet, dass eine nicht akzeptierte Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten bei dem Täter besteht.95 Wenn in der Praxis die Gefährlichkeit in der Regel aus dem Hang geschlossen wird, dann deshalb, weil bei solchem Vorgehen die Frage nach dem Hang schon durch eine Kriminalprognose beantwortet wird.96 Grundsätzlich ist es unerheblich, ob die Kriminalprognose unter den Hang97 oder die Gefährlichkeit subsumiert wird, so lange sie ausreichende Legitimation für den Freiheitsentzug bietet.98 Allerdings wird durch die hier vertretene Einordnung deutlich, dass sich die Sicherungsverwahrung allein auf eine Prognose stützt, und dass weder normativ noch empirisch ein Unterschied zwischen Adressaten der Sicherungsverwahrung und Rückfalltätern bestimmt werden kann.99 Die Diskussion über die Legitimität von und Qualitätsanforderungen an Kriminalprognosen gewinnt durch die Offenlegung der entscheidenden Fragen an Klarheit. Durch die Klarstellung, dass eine bestimmte Erwartung und nicht ein Feststehendes100 oder die Bewertung von Vergangenem die Anordnungsgrundlage ist, steht schon fest, 92
BGHR § 66 StGB, Gefährlichkeit Nr. 1, 3, 5; Fischer § 66, Rn. 28. BGHR § 66 StGB Hang 4; BGHSt 50, 188 (193 f.); LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 66, Rn. 135. 94 Denn diese muss sich auf gleichartige begangene Taten stützen: Frisch (1990), S. 374 f. Vgl. Fischer § 66b, Rn. 34 nach dem der Hang vor allem rhetorische Bedeutung hat. 95 LK11-Hanack § 66, Rn. 145; Baltzer (2005), S. 40 f.; Dahle (2006), S. 1; ähnlich bereits Exner (1914), S. 60; Dessecker (2004), S. 181 stellt fest, dass bei der Begriffsklärung seit Exner keine großen Fortschritte gelungen sind. 96 Jansing (2004), S. 99; Schönberger (2000), S. 202 f. und Kinzig (1996), S. 60 weisen auf die teilweise integrative Prüfung von Hang und Gefährlichkeit hin, wenn wie in BGH NJW 1971, 1416 der Täter als „gefährlicher Hangtäter“ charakterisiert wird. Fischer § 66, Rn. 27a geht davon aus, dass der Hangfeststellung eine von der Gefährlichkeitsprognose nicht qualitativ unterscheidbare Bewertung des Legalverhaltens zugrunde liegt. 97 So statt vieler: Jansing (2004), S. 78 m. w. N. nach dem man bei der Prüfung des Hanges nicht nur die Vorstrafenbelastung feststellen dürfe, sondern eine Prognose vorzunehmen habe. 98 So Müller-Metz (2003), S. 44, der die Gleichsetzung von Hang und Gefährlichkeit nicht für sinnvoll erachtet, gleichzeitig aber die Gefährlichkeit als „materielle Kernvoraussetzung“ anerkennt. 99 So auch: Jansing (2004), S. 117; Volckart (1997), S. 40; Müller-Metz (2003), S. 43. 100 Pollähne (2005), S. 224; Jansing (2004), S. 117; Volckart (1997), S. 55. 93
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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dass mit gleicher Sicherheit wie eine Schuldstrafe präventive Freiheitsentziehung wie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht zu begründen ist. Eine Prognose menschlichen Verhaltens kann einen ähnlichen Grad an Sicherheit wie retrospektive Tatsachenfeststellung nicht leisten.101 Die Legitimation der Sicherungsverwahrung hängt entscheidend von der Möglichkeit der Vorhersage menschlichen Verhaltens, insbesondere der Straftatenbegehung, ab.102 Bei der vorzunehmenden Kriminalprognose herrscht weder über Weg noch über Ziel Einigkeit. Speziell zum Prognoseproblem bei der Sicherungsverwahrung hat das BVerfG Stellung genommen. Dabei begnügt sich das BVerfG neben Anforderungen an die Erstellung der Kriminalprognose mit der Feststellung, für Personen mit einer Häufung von Risikofaktoren könnten zuverlässige Aussagen geftroffen werden und dass die Prognose trotz ihrer bekannten Unzulänglichkeiten als Grundlage der Gefahrenabwehr unverzichtbar sei.103 1. Weg zur Prognose Alle Prognosen beruhen auf der Untersuchung des Probanden anhand anderweitig erlangter Erfahrung.104 Bei den im Folgenden aufgezählten Vorgehensweisen bei der Erstellung der Kriminalprognose wird jeweils die bekannte Erfahrung über die Relevanz bestimmter Merkmale auf den Einzelfall übertragen.105 Dabei vollzieht sich diese Übertragung in Form eines syllogistischen Schlusses. Wäre beispielsweise bekannt, dass in allen bisher erfahrenen Fällen bei Vorhandensein einer bestimmten genetischen Konstel101 Jansing (2004), S. 106 m. w. N.; Müller-Metz (2003), S. 43; Volckart (1997), S. 11, 54; von Hippel (1976), S. 41 f. Nach Jung (1986), S. 260 ist die Beantwortung der Schuldfrage von der Erlangung größtmöglicher Sicherheit, die Prognose aber von der Minimierung von Unsicherheit gekennzeichnet. 102 Kaiser (1990), S. 16 f.; eher optimistisch für mögliche Verbesserungen der Prognosefähigkeit: Ullenbruch (2002), S. 346. Frisch (1990), S. 374 ff. betont vor allem die Begründung der Prognose gegenüber dem Täter. 103 BVerfGE 109, 133 (158); 109, 190 (240); Kröber (2004), S. 261; Würtenberger/Sydow (2001), S. 1206. 104 Dahle (2006), S. 15 f.; Jansing (2004), S. 73; Kunz, 2005, S. 1377; Volckart (1997), S. 5. Vgl. für die klinische und statistische Methode auch Leygraf (2004), S. 444. 105 Missverständlich LK12-Schöch vor § 61, Rn. 145, nach dem „auf der Grundlage dessen, was aus der bisherigen Entwicklung eines bestimmten Täters bekannt ist, eine Einschätzung abgeleitet, (. . .) ob von ihm weitere Straftaten zu erwarten sind.“ Dies kann nicht bedeuten, dass nur aus der Entwicklung des Täters Erfahrungssätze abgeleitet werden, da ansonsten einfach der Zustand des Täters bei der Tat und der im Zeitpunkt der Prognose zu vergleichen wäre und reine Vermutungen über die Relevanz etwaiger Veränderungen zu äußern wären. Dies wird auch a. a. O., Rn. 147, 160 deutlich.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
lation in den zwei Jahren nach Bekanntwerden der Konstellation ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen wurde (Erfahrungssatz), so wäre die Hypothese: „Auch der hier zu untersuchende Proband begeht ein Tötungsdelikt innerhalb der nächsten zwei Jahre, wenn er die Konstellation aufweist.“ Der Proband wird auf das Vorliegen dieses Merkmals untersucht. Liegt es vor, so wird der Erfahrungssatz auf den Einzelfall übertragen. Es wird davon ausgegangen, dass auch dieser Proband innerhalb der kommenden zwei Jahre ein vorsätzliches Tötungsdelikt begeht.106 In diesem stark vereinfachten Muster sind gegenläufige Tendenzen nicht berücksichtigt. Ist bekannt, dass das Vorliegen eines bestimmten Merkmals die Begehung eines vorsätzlichen Tötungsdelikte hemmt, so ist der Proband auch hierauf zu untersuchen.107 Liegt es vor, so ist der Ausgleich zwischen den Erfahrungssätzen zu finden. Empirisch ist daher die Aufstellung gültiger Erfahrungssätze zur Kriminalitätsentstehung notwendig, aber dies scheint auf absehbare Zeit nicht leistbar.108 Die notwendige Unsicherheit über aussagekräftige Erfahrungssätze wird durch die Beteiligung eines sachverständigen Gutachters verringert (§§ 86a, 246a StPO). Normativ muss nicht mit Sicherheit das Drohen erheblicher Taten festgestellt werden, das Gericht muss nur von der ausreichenden Wahrscheinlichkeit überzeugt sein. Die prognoserelevanten Tatsachen werden unterteilt in solche, die in der Person des Untersuchten liegen109 und solchen, die in der Außenwelt liegen.110 Für die Rechtsanwendung ist eine weitere Unterteilung wichtig, die in bereits abgeschlossene (statische) und in entwicklungsoffene (dynamische) Zustände,111 was sich insbesondere bei der Frage nach der Bindungswirkung eines vorherigen Urteils für spätere Prognosen und im Vollstreckungsverfahren auswirkt. Ob ein Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, hat der Richter nach einer Gesamtwürdigung von Täter und Taten zu entscheiden. Der Richter muss die Gefährlichkeit feststellen und damit die Kriminalprognose selbst vornehmen.112 Er muss das in der Hauptverhandlung bewiesene Tatsachenmaterial113 vor dem Hintergrund der vom 106 Volckart (1997), S. 5 f.; Dahle (2006), S. 5 ff. der die individuelle Erklärung des Anlassgeschehens fordert und die Notwendigkeit der Anwendung des individuell passenden Erfahrungssatzes betont. 107 LK12-Schöch, vor § 61, Rn. 158 ff. 108 Volckart (1997), S. 10 f. 109 Volckart (1997), S. 13 spricht von „Merkmalen“ bzw. „Prädiktoren erster Klasse“; Frisch (1983), S. 72, 119 von der „personalen Komponente“. 110 Volckart (1997), S. 13 nennt dies „Umstände“ bzw. „Prädiktoren zweiter Klasse“; Frisch (1983), S. 75, 120 „situative Komponente“. 111 Vgl. Dahle (2006), S. 55; Pollähne (2006), S. 46 f. 112 Volckart (1998), S. 6; Frisch (1983), S. 73. 113 Dazu: Volckart (1997), S. 20 f.
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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Sachverständigen berichteten relevanten Erfahrungssätze über Kriminalität rechtlich bewerten. a) Intuitive Erstellung der Kriminalprognose Erstellt wird eine Kriminalprognose intuitiv, statistisch oder klinisch. Genauso existieren Mischformen.114 Wird bei der intuitiven Prognose eine Einschätzung des Angeklagten nach subjektiven, nicht offen gelegten Faktoren vorgenommen,115 so erfordert diese wenige Ressourcen.116 Maßgeblich beeinflusst wird eine solche Prognose von Alltags- und Berufserfahrung des Prognostizierenden.117 Sie erfordert keine Offenlegung der herangezogenen Kriterien, deshalb werden fehlende Systematisierung118 und die Gefahr der übertriebenen Kriterienreduktion bemängelt.119 Sie ist abhängig vom rechtspolitischen Vorverständnis und der Lebenserfahrung des Prognostizierenden und daher wenig reliabel. Trotz der von den §§ 80a, 246a StPO verlangten Heranziehung eines Sachverständigen besteht ein möglicher Anwendungsbereich der intuitiven Prognose bei der Sicherungsverwahrung in dem Fall, dass das Gericht aufgrund seiner intuitiven Einschätzung dem Sachverständigen in dessen Einschätzung nicht folgt. Auch ist die Frage, ob mit einer Anordnung von Sicherungsverwahrung zu rechnen ist, vom Gericht beziehungsweise der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Im weiteren Verlauf muss das Vollstreckungsgericht bei der Entscheidung über Beginn der Vollstreckung oder deren Aussetzung zur Bewährung vor Ablauf von zehn Jahren ein Gutachten nach §§ 463 III, 454 II StPO nach überwiegender Ansicht nur einholen, wenn es erwägt, die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen. In diesen Fällen wird die Kriminalprognose in aller Regel intuitiv vorgenommen. Vor dem Hintergrund, dass die Begutachtung nach aktuellem Forschungsstand in der Regel 114 Schreiber/Rosenau (2004), S. 90 f. Zu dieser Dreiteilung: Geerds (1960), S. 99, der die klinische aber noch die kriminalbiologische Methode nennt. Gegen diese Unterscheidung: Volckart (1997), S. 5, 7 ff. Ähnlich: Feltes (2000), S. 284. 115 Rasch/Konrad (2004), S. 388; Volckart (1997), S. 7.: „. . . die Ableitung der Voraussage von einem unsystematisch erlangten Eindruck von der Persönlichkeit des Probanden.“; Eisenberg (2005), S. 173; Baltzer (2005), S. 222. Kritisch: Pollähne (2006), S. 241. 116 Dessecker (2004), S. 196. 117 Leygraf (2004), S. 443; Bae (1985), S. 124; LK10-Hanack vor § 61, Rn. 112; Jung (1986), S. 254. 118 Eisenberg (2005), S. 173; Schreiber/Rosenau (2004), S. 90; Nach Volckart (1997), S. 6 ist die intuitive Prognose daher das Gegenteil einer Methode. Kühl/ Schumann, 1989, S. 126 halten bei intuitiver und klinischer Prognose sowohl Prädiktoren als auch Umschlagspunkt für unscharf und schwankend. 119 Dessecker (2004), S. 196; ähnlich Jung (1986), S. 254.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
zur Anordnung führt, kann die intuitive Erstellung der Prognose daher nicht ignoriert werden. b) Statistische Erstellung der Kriminalprognose Die statistische Methode geht ebenfalls davon aus, dass bestimmte Umstände mit Straffälligkeit zusammentreffen und der Nachweis dieser Umstände beim Probanden die Erwartung zukünftiger Straffälligkeit rechtfertigt.120 Bei diesem Vorgehen werden auf Grundlage vorausgegangener Forschungen Listen mit Gut- und/oder Schlechtpunkten aufgestellt.121 Bei der Anwendung dieser Liste wird sodann der Prognosesachverhalt mit der Liste abgeglichen. Nach Zusammenführung von Prognosesachverhalt und in der Liste enthaltener Erfahrung wird die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftatbegehung ausgeworfen.122 Der Proband wird durch das Punkteergebnis einer Gruppe zugeordnet, deren Rückfallquote bekannt ist.123 Die Anwendung von statistischen Prognoseverfahren setzt daher voraus, dass der zu Untersuchende bezüglich der nicht in das Prognoseinstrument integrierten Merkmale derselben Gruppe angehört wie diejenigen, aufgrund deren Untersuchung die jetzt anzuwendende Erfahrung gesammelt wurde, oder dass alle anderen Merkmale prognostisch irrelevant sind. Diese Methode hat als großen Vorzug, dass die maßgeblichen Kriterien offen liegen und somit diskutiert werden können. Die Entwicklung statistischer Prognoseinstrumente erfolgt theoriegeleitet und führt damit zu überprüfbaren Aussagen.124 Außerdem bietet sie aufgrund ihrer Reliabilität125 große Rechtssicherheit. Kritisch wird dagegen die mangelnde Möglichkeit gesehen, individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen.126 Gerade aus diesem Grund sollen nach teilweise vertretener Ansicht statistische Prognoseinstrumente die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Prognoseerstellung 120
Schneider (2006), S. 100; Frisch (1983), S. 27; Göppinger (2008), S. 238. Leygraf (2004), S. 443. Beispiele sind die PCL-R oder HCR 20. Dazu: Dahle (2006), S. 38 ff.; Ross/Pfäfflin (2005), S. 1 ff.; Wulf (2005), S. 294 f. und unten: C.II.1.b)bb). 122 Jansing (2004), S. 74; Göppinger (2008), S. 238; Geerds (1960), S. 100 f. 123 Göppinger (2008), S. 238; Schneider (2006), S. 100. Kritisch: Bock (2007), S. 272. 124 Jansing (2004), S. 74; Dessecker (2004), S. 193; Göppinger (2008), S. 238; Kühl/Schumann (1989), S. 127. Kritisch aber Schreiber/Rosenau (2004), S. 91. 125 Vgl. aber die Kritik an drei statistischen Prognoseinstrumenten bei Eisenberg (2005), S. 346 f. 126 BGH StV 2008, 300, 301; Dahle (2006), S. 5; Rasch/Konrad (2004), S. 390; Schreiber/Rosenau (2004), S. 91; Dessecker (2004), S. 193; Göppinger (2008), S. 239; Bock (2007), S. 272; Brandt (2008), S. 102. 121
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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verletzen.127 Denn unverzichtbare Anforderung an eine solche Prognose sei, dass sie auf einem umfassend ermittelten Prognosesachverhalt beruht. Die statistische Prognose aber misst nur einzelnen Punkten des Prognosesachverhalts Bedeutung bei, andere eventuell ebenso bedeutende Aspekte werden nicht einbezogen.128 Daher wird bezweifelt, dass überhaupt auf statistisches Material zurückgegriffen werden kann, um einen individuellen Eingriff zu legitimieren.129 Außerdem bestehen Bedenken gegen die Erstellung der relevanten Faktoren. Im Zentrum stehen notwendig statische Merkmale, vergangenes Verhalten steht gegenüber der aktuellen Persönlichkeit im Vordergrund.130 Bei Verwendung von Strafakten bleiben Selektionsfaktoren, die über aktuarische Erfassung entscheiden, außer Betracht.131 Bei dieser berechtigten Kritik ist zu beachten, dass auch bei anderen Methoden, insbesondere einer klinischen Prognose, der Proband an Erfahrungen gemessen wird, die der Sachverständige oder dessen Ausbilder an anderen Personen gewonnen haben.132 Das Manko der frühen statistischen Prognoseinstrumente war deren Unflexibilität, die nicht zuließ, eine im Einzelfall unpassende Merkmalsgewichtung/Merkmalsabfrage anzupassen. Heute wird daher dem Anwender solcher Prognoseinstrumente empfohlen, die Kriterien einzelfallorientiert anzuwenden.133 Wann aber die in dem konkreten Instrument verwendeten Merkmale oder deren Gewichtung als unpassend empfunden werden, ergibt sich wieder aus der Intuition oder der an anderen als dem Probanden gewonnenen Erfahrung. Die aktuellen Prognoseinstrumente sehen daher eine starre abschließende Merkmalsaufzählung nicht mehr vor, um Besonderheiten berücksichtigen zu können.
127 Schneider (2006), S. 102; Frisch (1983), S. 27; ders. (1994), S. 69; Bock (1990), S. 461; So auch schon Geerds (1960), S. 106 f.; zu einem möglichen Konflikt statistischer Prognoseinstrumente mit dem Beweisrecht der StPO: Pollähne (2006), S. 238 ff. 128 Frisch (1983), S. 28; ders. (1992), S. 115; vgl. auch Geerds (1960), S. 109. 129 Fabricius (2008), S. 46 f.; Frisch (1994), S. 69; Bock (1990), S. 458. 130 Schreiber/Rosenau (2004), S. 91 m. w. N. 131 Bae (1985), S. 125. 132 Volckart (1997), S. 9 übernimmt von Rasch den Ausdruck der „subjektiven Statistik des Gutachters“; Volckart (1997), S. 6 betont, dass alle rationalen Kriminalprognosen den Proband einer aus Erfahrung gewonnenen Kategorie zuordnen. Vgl. Nedopil (2002), S. 347 zur begrenzten Aussagekraft der Erfahrung im Einzelfall. 133 Vgl. Leygraf (2004), S. 444.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
aa) Prognoseinstrumente und Kriterien Der Einsatz standardisierter Prognoseinstrumente bei der Prognoseerstellung wird zugelassen, aber kritisch beurteilt.134 Der Tatrichter hat die Prognose selbständig zu erstellen und muss darauf achten bei der Anwendung dieser Instrumente die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen.135 Besonders betont wird, dass bei der Auswertung der Instrumente gewonnene Punktwerte nicht mit einer Kriminalprognose identisch sind. Die Erstellung einer Prognose aufgrund der Punktwerte sei unzureichend, da die Punktwerte ausschließlich an anderen Tätern erlangte Erfahrung enthalten.136 Unter der Prämisse, dass jegliche Prognose eine Übertragung von Erfahrung auf den Einzelfall ist, die Erfahrung aber nicht ausschließlich an dem individuellen Täter gewonnen sein kann, zeigt sich wie wichtig die formellen Voraussetzungen sind. Insbesondere die erforderlichen Vortaten bzw. -verurteilungen und Vorverbüßungen stellen die Einbeziehung von an dem individuellen Täter gewonnener Erfahrung in die Prognose sicher. Der Einsatz standardisierter Prognoseinstrumente ist sinnvoll, um über die durch die formellen Voraussetzungen eingeführte am konkreten Täter gewonnene Erfahrung hinaus, solche Erfahrung zu berücksichtigen, die in anderen Fällen relevant ist. Es wird die Beachtung häufig relevanter Prognosetatsachen gewährleistet,137 es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Instrumente den individuell passenden Erfahrungssatz beinhalten. Dies bleibt am Einzelfall zu prüfen, indem untersucht wird, welche Erfahrungssätze die bisherige Delinquenz erklären.138 Eine konkrete Betrachtung der Kriterienkataloge, die für die Erstellung der Kriminalprognose bei der Sicherungsverwahrung genutzt werden, zeigt ein nebeneinander von dynamischen und statischen Faktoren. Dies ist besonders für die Entscheidungen in der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung und die nachträgliche Anordnung wichtig. Wenn die Kriminalprognose vor allem auf statische vergangene Tatsachen zu stützen wäre,139 verlören 134 Vgl. BGH NStZ-RR 2009, 75; BGH StV 2008, 300; BGH StV 2008, 301 (für den SVR-20); Eisenberg (2005), S. 345 ff. Zur Häufigkeit des Einsatzes: Habermeyer (2006), S. 59 f. 135 BGH NStZ-RR 2009, 75; BGH StV 2008, 301, 302 (für den SVR-20); BGH StV 2008, 300. 136 Boetticher et al. (2009), S. 479. 137 Boetticher et al. (2009), S. 479 sprechen vom Prognoseinstrument als Gedächnisstütze. 138 Boetticher et al. (2009), S. 480. 139 Zwar werden in der Praxis überwiegend die statischen (und aussagekräftigsten) Faktoren herangezogen, gerade dies ist aber für eine legitimierende Prognosestellung nicht ausreichend: Habermeyer (2007), S. 60; Schreiber/Rosenau (2004), S. 91; Boetticher et al. (2006), S. 542.
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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die für die Vollstreckung vorgesehenen Entscheidungen ihre Grundlage. Dann wäre eine Kriminalprognose abschließend zu erstellen. Eine ausschließliche Berücksichtigung von abgeschlossen in der Vergangenheit liegenden Umständen genügt jedoch den Anforderungen an eine legitime Kriminalprognose nicht. Das Nebeneinander von dynamischen und statischen Prognosefaktoren wird auch in den genutzten Instrumenten deutlich. bb) Beispiele für standardisierte Prognoseinstrumente Konkret für die Sicherungsverwahrung schlagen Habermeyer/Sass folgende Kriterien vor: (1)
zustimmende, ich-syntone Haltung zur Delinquenz;
(2)
Schuldzuweisung an Opfer, Außenstehende, Umwelteinflüsse;
(3)
fehlende psychosoziale Auslösefaktoren bzw.
(4)
begünstigende Konflikte;
(5)
Phasen der Delinquenz überwiegen gegenüber unauffälligen Lebensphasen;
(6)
progrediente Rückfallneigung, Missachtung von Auflagen;
(7)
aktive Gestaltung der Tatumstände bzw. der Tat;
(8)
Spezialisierung auf einen bestimmten Delinquenztyp;
(9)
Integration in eine kriminelle Subkultur;
(10) „Psychopathy“ nach Hare; (11) Reizhunger, sozial unverbundene, augenblicksgebundene Lebensführung; (12) antisoziale Denkstile, die eine situative Verführbarkeit bedingen oder kriminelle Verhaltsstile legitim erscheinen lassen.140 Es fällt auf, dass die Merkmale (1), (2), (3), (4), (9), (11), (12) dynamisch sind, die Merkmale (5), (6), (7), (8) sich auf die Begehung von Anlasstat und Vortaten beziehen und damit unveränderlich in der Vergangenheit liegen. Deutlich wird auch die wichtige Rolle der formellen Voraussetzungen, die den Adressatenkreis begrenzen: So fragt sich zum Beispiel unter dem Eindruck der Merkmale (1) und (2) und (3) und (4), wie die auf Ungefährlichkeit hindeutende tatsächliche Situation aussieht. Fehlt der Tatenreiz, hat ihn der Täter in sich, kommt der Anreiz von außen, verfällt ihm der Täter. Beides macht eine Rückfälligkeit wahrscheinlich. 140 Zitiert nach Blau (2006), S. 529, der diesen Katalog als besonders brauchbar erachtet.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
Die in Bezug genommene Psychopathy nach Hare141 ist die der PCL-R, die folgende Merkmale aufweist:142 – Trickreich sprachgewandter Blender mit oberflächlichem Charme (1); – erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl (1); – Stimulationsbedürfnis (Erlebnishunger), ständiges Gefühl der Langeweile (2); – pathologisches Lügen (Pseudologie) (1); – betrügerisch-manipulatives Verhalten (1); – Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein (1); – oberflächliche Gefühle (1); – Gefühlskälte, Mangel an Empathie (1); – parasitärer Lebensstil (2); – unzureichende Verhaltenskontrolle (2); – Promiskuität; – frühe Verhaltensauffälligkeiten (2); – Fehlen von realistischen, langfristigen Zielen (2); – Impulsivität (2); – Verantwortungslosigkeit (2); – mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen (1); – viele kurzzeitige ehe(ähn)liche Beziehungen; – Jugendkriminalität (2); – Missachtung von Weisungen und Auflagen (2); – polytrope Kriminalität. Auch in dieser Liste überwiegen die dynamischen Faktoren die Statischen. Die Anwendung dieses Instruments erfolgt, indem der Proband auf das Vorliegen der Merkmale vom Gutachter untersucht wird. Dabei werden Punkte vergeben: Null, wenn das Merkmal nicht vorliegt, 1 wenn das Merkmal teilweise vorliegt und 2 wenn das Merkmal voll zutrifft. Dabei wird ein Umschlagspunkt143 zwischen 25 und 30 vorgeschlagen, so dass 141 Hier zitiert nach Habermeyer (2006), S. 39, der ausdrücklich vor einer schematischen Gleichsetzung von hohem Wert und Rückfallwahrscheinlichkeit warnt. 142 (1) = Faktor 1: Affektive/interpersonelle Merkmale; (2) = Faktor 2: Sozial deviante Verhaltensweisen. 143 Dazu im Folgenden unter C.II.2.b).
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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der Proband, der diese Punktzahl aufweist als Psychopath gilt.144 Auffällig ist, dass nach bisherigen Untersuchungen dieser Umschlagspunkt von den Sicherungsverwahrten nicht erreicht wird und dass die Sicherungsverwahrten hohe Ergebnisse vor allem bei den Merkmalen nach Faktor 2 aufweisen.145 Bei der Punktverteilung ist zu beachten, dass nur solche Merkmale berücksichtigt werden können, die zur Überzeugung des Gerichts vorliegen. Prognostisch mag die Berücksichtigung auch nur möglicherweise vorliegender Merkmale sinnvoll sein, normativ ist dies nicht zulässig.146 Diese Punktverteilung wird auch bei dem Instrument des Historical-Clinical-Riskmanagement (HCR-20) angewendet, deren Einsatz bei der Begutachtung wegen möglicher Sicherungsverwahrung kritisch beurteilt wird, da dieses Instrument am genausten die Rückfallwahrscheinlichkeit bei psychisch kranken Rechtsbrechern vorhersagen könne.147 Items des HCR-20 (in der dt. Übersetzung von Müller-Isberner et al. [1998]):148 Dimension 1: Statische Variablen (Vergangenheit) H1: Frühere Gewaltanwendung H2: Geringes Alter bei 1. Gewalttat H3: Instabile Beziehungen H4: Probleme im Arbeitsbereich H5: Substanzmissbrauch H6: (gravierende) seelische Störung H7: Psychopathy (PCL-Score) H8: Frühe Fehlanpassung H9: Persönlichkeitsstörung H10: Frühere Verstöße gegen Auflagen Dimension 2: Klinische Variablen (Gegenwart) C1: Mangel an Einsicht C2: Negative Einstellungen 144 Habermeyer (2008), S. 39 gibt die Mittelwerte für Gefängnispopulationen in Großbritannien bzw. den USA mit 16,5 bzw. 23 an. 145 Habermeyer (2008), S. 65 f. 146 Tondorf (2005), S. 65 f.; Pollähne (2004), S. 57 f. Zur Geltung des Zweifelsgrundsatzes bei Prognoseentscheidungen unten: C.II.3.c)bb). 147 BGH StV 2008, 300, 301. 148 Nach Habermeyer (2006), S. 33.
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C3: Aktive Symptome C4: Impulsivität C5: Fehlender Behandlungserfolg Dimension 3: Risikovariablen (Zukunft) R1: Fehlen realisierbarer Pläne R2: Destabilisierende Einflüsse R3: Mangel an Unterstützung R4: Fehlende Compliance R5: Stressoren In dieser Liste halten sich veränderliche und unveränderliche relevante Aspekte die Waage. Gegen die unmodifizierte Anwendung dieses Instruments spricht, dass die Tatanalyse nicht in die Beurteilung eingeht.149 Eine prognostische Beurteilung ohne die Tatumstände zu berücksichtigen erscheint aufgrund der Notwendigkeit einer möglichst vollständigen Prognosebasis als unzulässig. Hier wird die hohe Bedeutung der formellen Voraussetzungen für die Geltung einer Kriminalprognose deutlich. Wenn dem Gericht die Letztverantwortung für die Kriminalprognose zugewiesen ist, dann muss dies auch in der Lage sein, die Ausführungen des Sachverständigen zu kontrollieren. Die Kontrolle der Anwendung dieser spezifischen Prognoseinstrumente jenseits kriminologischen Basiswissens ist jedoch für den nicht spezialisierten Strafjuristen zumindest zu Beginn seiner Tätigkeit schwer zu leisten. Damit ist der zurückhaltenden Bewertung der Anwendung standardisierter Verfahren zuzustimmen. Wichtiger als der Einsatz bestimmter Prognoseinstrumente, der zu Schematismus verleiten kann, ist eine Beachtung der in diesen Instrumenten angesprochenen relevanten Merkmale und Tatsachen.150 Wenn dagegen eine Anwendung der genannten Prognoseinstrumente für rechtswidrig gehalten wird, da diese Anwendung unterstelle, dass die Verhältnisse beim Probanden ebenso liegen wie bei der „Eichstichprobe“,151 ist dem zu entgegnen, dass die Prognose immer die Übertragung der Erfahrung auf den Probanden ist und bei Anwendung der Instrumente die nach den gültigen Erfahrungssätzen relevanten Merkmale wenigstens eingestellt werden.
149 Baltzer (2005), S. 72. Zu dem ähnlichen Vorgehen der idealtypisch-vergleichenden Einzelfallanalyse Bock (2005). 150 Habermeyer (2007), S. 59 f. Ähnlich Tondorf (2005), S. 63; Kinzig (2008), S. 142. 151 So Brandt (2008), S. 102; Bock (2007), S. 272.
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c) Klinische Erstellung der Kriminalprognose Klinische Kriminalprognosen beruhen auf der Untersuchung des Probanden durch eine speziell ausgebildete Person. Diese Methode vereint die professionelle Erfahrung152 des Gutachters mit wissenschaftlich-methodischem Vorgehen.153 Für die Sicherungsverwahrung soll bei der Anordnung und Entlassung vor allem die klinische Prognose zur Anwendung kommen.154 Gemäß § 80a StPO soll bei zu erwartender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten vernommen werden und dies muss nach § 246a StPO vor der Anordnung der Unterbringung geschehen. Nach §§ 463 III 1, 454 II StPO ist ein Gutachten einzuholen, wenn das Vollstreckungsgericht für die Entscheidungen nach §§ 67c I, d II, III StGB die Aussetzung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung oder deren Erledigung erwägt. Damit ist die klinische Prognose sowohl de lege lata als auch aufgrund des Zwecks155 des § 66 StGB die anzuwendende Prognosemethode. Als Sachverständige werden bei der Sicherungsverwahrung in der Regel psychiatrische Sachverständige eingesetzt.156 Die klinische Prognose fordert im ersten Schritt das Nachzeichnen der bisherigen, für die Straftatbegehung relevanten Entwicklung des Probanden und die Analyse der Anlasstat.157 Ziel ist es aus den Erfahrungssätzen über Kriminalitätsentstehung den individuell passenden auszusuchen,158 wobei auch dies die Anwendung von anderweitig erlangter Erfahrung auf den Ein152
Dies betont Nedopil (1995), S. 86. Zur Auswahl der Methode, die der Sachverständige bei der Erstellung des Gutachtens anwendet: Boetticher et al. (2006), S. 539. 154 Kinzig (1996), S. 313 f. Die von Kern (1997), S. 123 untersuchten Gutachten enthielten dementsprechend regelmäßig prognostische Ausführungen auf Basis der klinischen Methode. 155 Die klinische Prognose ist eher für die Erfassung individueller Kriminalitätswährscheinlichkeit geeignet als die statistische, vgl. Pollähne (2006), S. 244. 156 Nedopil (2002), 344; Kern (1997), S. 121; Kinzig (1996), S. 313; Jansing (2004), S. 91. Zur Kritik an der klinischen Prognose: Fabricius (2008). Für die Begutachtung durch Kriminologen: Feltes (2000), S. 282. Nach Kühl/Schumann (1989), S. 127 sind klinische Prognosen sinnvoll, „wo medizinische Befunde in direktem Zusammenhang mit strafbarem Verhalten stehen, und zwar nur dort.“ Habermeyer (2005), S. 12 f. sieht die Begutachtung durch psychiatrische Sachverständige dagegen durch die psychischen Auffälligkeiten der Verwahrten gerechtfertigt. Andere Gründe bei Feltes (1999), S. 110 f. Kaatsch (1983), S. 32 sieht die Kriminalprognose als Aufgabe der Kriminologie und beschränkt die Aufgabe des Sachverständigen auf die Prüfung einer gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung sprechenden medizinischen Indikation. 157 Dahle (2006), S. 54. 158 Dahle (2006), S. 54. 153
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zelfall bedeutet.159 Bedeutsam ist aber der Versuch, diese Anwendung der Erfahrung auf den Einzelfall durch die Erfahrung mit dem Einzelfall zu steuern. In weiteren Schritten sollen dann durch eine Analyse der Umstände nach der Tat und Überlegungen zu möglichen künftigen Situationen Aussagen über die Entwicklung des Probanden getroffen werden.160 Allerdings bestehen auch gegen eine derart erstellte Prognose zahlreiche Kritikpunkte.161 Einzelne empirische Erkenntnisse und mathematische Notwendigkeiten führen auch bei einer klinisch erstellten Kriminalprognose zu einer Einschränkung der Ergebnisqualität. Daher wird teilweise gefordert, die statistische und die intuitive Prognose miteinander zu verbinden.162 d) Fazit zur Erstellung der Kriminalprognose Da die Beiziehung eines Sachverständigen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung zwingend ist, wird in aller Regel die klinische Prognosemethode angewandt. Diese unterscheidet sich jedoch nicht grundlegend von einer auf andere Weise erstellten Kriminalprognose, da auch sie auf der Übertragung gewonnener Erfahrung auf den Einzelfall beruht. Ergänzt werden sollte eine solcherart erstellte Kriminalprognose durch die Anwendung aktueller Kriterienkataloge. Bei der Anwendung der Kriterienkataloge, wie auch bei der klinischen Exploration hat der Sachverständige seine besondere Fachkenntnis zur Verfügung zu stellen, die Entscheidung über die Kriminalprognose liegt beim Gericht. Dies wird im Folgenden deutlich. 2. Das zu fordernde Ergebnis Die Prognose kann zukünftige Verläufe nicht mit Sicherheit belegen.163 Es ist daher unmöglich, nur die Täter zu verwahren, die ohne die Unter159
Volckart (1997), S. 9. Dahle (2006), S. 55 ff. 161 Pollähne (2006), S. 242; Frisch (1992), S. 115. 162 Dessecker (2004), S. 196; Baltzer (2005), S. 222; Horstkotte (2005), S. 20 kritisiert die Trennung zwischen intuitiver, statistischer und klinischer Methode, insbesondere streitet er für ein Zulassen intuitiver Elemente. Kombinierende Methoden beschreiben LK12-Schöch vor § 61, Rn. 171; Bae, 1985, S. 129. Habermeyer (2005), S. 23 f. will über eine Orientierung an vorhandenen standardisierten Prognoseinstrumenten eine einheitliche Terminologie für die Begutachtung erreichen. 163 Dahle (2006), S. 3; Eisenberg (2005), S. 172; LK12-Schöch vor § 61, Rn. 145; Jansing (2004), S. 73, 106; Streng (2003), S. 624; Volckart (1997), S. 39; Dessecker (2004), S. 197; Feltes (2000), S. 284; Pierschke (2001), S. 250; Müller (1981), S. 61; Kühl/Schumann (1989), S. 127. Kinzig (1996), S. 94 spricht davon, dass der Gesetzgeber die Leistungsfähigkeit von Prognosen überschätzt hat. Vgl. zu diesem Problem bereits: Bruns (1958), S. 648. 160
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bringung tatsächlich eine erhebliche Straftat begangen hätten, durch eine ausschließlich präventive Sanktion werden immer auch Täter erfasst, bei denen eine Sanktionierung nicht notwendig ist. Zwar ist der prozentuale Anteil dieser nicht bekannt, Vermutungen aufgrund empirischer Arbeiten gehen aber von einem großen Anteil der ungefährlichen Täter in Sicherungsverwahrung aus.164 a) Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung Aus prognostischer Sicht ist das Ergebnis der Prognose eine Zuordnung des Probanden zu einer Gruppe mit bekannter Tatwahrscheinlichkeit.165 Der Erfahrungssatz lautet: „Aus der Gruppe der untersuchten Menschen mit diesen Merkmalen begehen 70% eine Straftat, 30% nicht.166“ Dass in der Praxis167 keine numerischen Werte angegeben werden, sondern das Risiko umschrieben wird, ändert am Muster nichts. Wird der Proband dieser Gruppe zugeordnet, so kann im Idealfall die Erkenntnis entstehen, der Proband begeht mit 70% Wahrscheinlichkeit eine Straftat, mit 30% nicht. Das Gutachten muss eine Wahrscheinlichkeitssaussage über das künftige Legalverhalten enthalten.168 Eine solche Aussage soll der Richter vom sachverständigen Gutachter bekommen, dann muss der Richter entscheiden,169 ob dieses Ergebnis die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit begründet. b) Rechtsanwendung: Setzung des Umschlagspunktes Es stellt sich dabei für den Rechtsanwender die Frage nach dem Punkt, ab dem eine negative zu einer positiven Kriminalprognose wird (UmLK10-Horstkotte § 67c, Rn. 57, der aber gerade für § 66 StGB davon ausgeht, dass die formellen Voraussetzungen eine hohe Rate ungefährlich Verwahrter vermindern; Kinzig (1996), S. 89 ff.; Volckart (1997), S. 47. Unter Bezugnahme auf den Dixon- und Baxström-Fall: Baltzer (2005), S. 223 f.; Rusche (2004), S. 78 ff.; Hinz (1985), S. 51. 165 Volckart (1998), S. 6; Tondorf (2005), S. 56. 166 Beispiel nach Volckart (1997), S. 40. 167 Urbaniok (2005), S. 92 f.; Frisch (1992), S. 115; Müller (1981), S. 64. Es ist dabei zu beachten, dass in der Praxis eine solche numerische Wahrscheinlichkeitsangabe nicht präzise möglich ist. Hierzu: Frisch (1983), S. 66 f.; Bender (2007), S. 97. 168 Boetticher et al. (2006), S. 539. 169 Dahle (2006), S. 4; Müller-Metz (2003), S. 44; Volckart (1997), S. 43; von Hippel (1972), S. 4. Dies ist Rechtsanwendung: BVerfGE 109, 133 (164). Vgl. auch BVerfGE 70, 297 (310); BGHR § 66 StGB Gefährlichkeit 3; OLG Koblenz StV 2003, 686. 164
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
schlagspunkt).170 Dies ist eine vom Gericht zu entscheidende Auslegungsfrage,171 dem Gutachten soll richterliche Kontrolle entgegengesetzt werden.172 Abstrakte Kriterien zur Setzung dieses Umschlagspunktes hat bereits Exner ausgearbeitet. Danach sind einzubeziehen: Die Größe der Gefahr, also die Höhe der Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat, die Größe der möglichen Verletzung, also die Qualität der drohenden Tat, und drittens die Tiefe und Empfindlichkeit der in Aussicht genommenen Maßregelung.173 Letzter Gesichtspunkt ist bei der Sicherungsverwahrung allerdings immer der potentiell lebenslange Freiheitsverlust. Ob die Wahrscheinlichkeit der Straftat die Sicherungsverwahrung trägt, hängt also ab vom Grad der Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat und der Qualität der befürchteten Straftat. Das BVerfG hat darüber hinaus die zeitliche Nähe der befürchteten Straftat als maßgeblich bezeichnet.174 Diese Kriterien sind größtenteils übereinstimmend mit denen, die für die Frage der Verhältnismäßigkeit beachtlich sind.175 Der Umschlagspunkt für eine Prognose, die die Anordnung von Sicherungsverwahrung begründet, wird unterschiedlich beziffert. Teilweise wird gefordert, neue Taten müssten aufgrund des Hanges ernsthaft zu besorgen sein,176 andere lassen die Wahrscheinlichkeit177 oder die bestimmte178 bzw. die hohe Wahrscheinlichkeit179 der erheblichen Straftat ausreichen. Auch werden eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten180 oder eine Rückfallwahrscheinlichkeit im Sinne eines gesteigerten, überwiegenden Grades der Möglichkeit181 als Schwelle genannt. Übereinstimmend wird eine Abgrenzung zwischen der nicht ausreichenden bloßen Möglichkeit und der Wahrscheinlichkeit vorgenommen, 170
Volckart (1997), S. 40 f.; Müller-Metz (2003), S. 45. Volckart (1998), S. 6. 172 BVerfGE 109, 133 (164). Darauf, dass das Gericht zu prüfen hat, inwieweit die vom Sachverständigen mitgeteilten Tatsachen vorliegen, weist von Hippel (1972), S. 17 hin. 173 Exner (1933), S. 635; Müller (1981), S. 63 ff.; Volckart (1998), S. 6 f. 174 BVerfG NJW 2009, 980, 982 f. 175 Die Setzung des Umschlagspunkts muss dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügen. Damit erschöpft sich die Verhältnismäßigkeit aber nicht. So ist die Frage nach einer milderen Reaktion, die zu einer Absenkung der Wahrscheinlichkeit aufs Tolerable führt eine Frage der Verhältnismäßigkeit. 176 BGH NJW 1968, 997, 998. 177 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 35. 178 BGHSt 25, 61; BGH NStZ-RR 2003, 108; BGHR § 66 StGB Gefährlichkeit 3; Fischer § 66, Rn. 33; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 131. 179 BGH GA 1965, 28. 180 NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 105. 181 Müller (1981), S. 63; Bruns (1958), S. 652. 171
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wobei die terminologischen Unterschiede als nicht bedeutend angesehen werden.182 Klar ist jedenfalls, dass die Begehung der befürchteten Tat wahrscheinlicher sein muss als ihr Ausbleiben, darüber hinaus aber richtet sich der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad nach der Schwere der drohenden Tat.183 Die hier beschriebene Auffassung der Kriminalprognose wird teilweise kritisiert. Dies ist verständlich, da sowohl die Angabe der Straftatenwahrscheinlichkeit notwendig unsicher ist, als auch eine normative Bestimmung der erfassten Sachverhalte nur unscharf gelingt. So wird es teilweise für unvertretbar gehalten, aufgrund unzureichender Prognosemöglichkeiten sehenden Auges ungefährliche Täter zu verwahren, um bei anderen Verwahrten tatsächlich präventive Ziele zu erreichen.184 Eine Sicherheit künftiger Straftaten wurde teils explizit gefordert, so noch im Art. 40 des Vorentwurfs des Allgemeinen Teil eines Schweizerischen StGB von Stooß.185 Frisch, der präventiven Freiheitsentzug aufgrund von Wahrscheinlichkeiten für normativ unhaltbar hält186 muss die Frage beantworten, wie Sicherungsverwahrung gegenüber dem Täter legitimiert werden kann, wenn Sicherheit künftiger Taten nicht möglich, Wahrscheinlichkeit aber unzureichend ist. c) Gegenmodell: Interessenorientierte Bewertung des Risikosachverhaltes Als Ausweg wurde von Frisch vorgeschlagen, nicht die künftige Wahrscheinlichkeit erneuter Straffälligkeit als Legitimation präventiven Freiheitsentzugs anzusehen, sondern den konkret erkennbaren Risikosachverhalt unter die gesetzliche Risikoverteilung zu subsumieren.187 Das Erkenntnisinteresse verlagert sich dann von der empirischen Vorhersage erneuter Straftaten zu der Herausarbeitung der gesetzlichen Beschreibung der Risikosach182 LK11-Hanack § 66, Rn. 145; Frisch (1983), S. 8 f. misst den verschiedenen Begriffen dagegen sachliche Bedeutung zu. 183 Müller-Metz (2003), S. 46; Volckart (1997), S. 97 f. 184 Frisch (1983), S. 68; ders. (1990), S. 371 ff.; Bae (1985), S. 129 f. Kinzig (1996), S. 98 spricht für diese Personen von einem doppelten Sonderopfer. Kritisch bezüglich der Legitimationswirkung von Prognosen über schwere Straftaten: Pollähne (2006), S. 255. 185 Kinzig (1996), S. 58. 186 Frisch (1983), S. 68; ders. (1990), S. 372 f. Die in der Praxis genutzte Einteilung in Wahrscheinlichkeitsgrade hat für Frisch nur in Form einer Abwägung von Individual- und Allgemeininteresse Berechtigung. Er etabliert insofern die Suche nach dem Umschlagspunkt. Dazu auch: Bock (1990), S. 461 f. 187 Frisch (1992), S. 113: „Das ist eine interessenorientierte Bewertung des Risikosachverhalts und hat mit einer Prognose gar nichts zu tun.“ Hervorhebung im Original.
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verhalte, der gesetzlichen Risikoverteilung.188 Ob der Täter tatsächlich Straftaten begeht ist unbeachtlich, normativ relevant ist dann nur, ob das Gesetz für diesen Risikosachverhalt die Sanktion vorsieht. Die zu leistende Arbeit besteht danach vor allem in einer Vertatbestandlichung der gesetzlichen Risikoverteilung. Es ist dann der im Einzelfall vorliegende Risikosachverhalt zu ermitteln und auf Grundlage der vertatbestandlichten gesetzlichen Risikoverteilung zu bewerten, wie der Gesetzgeber mit einem solchen Risikosachverhalt umgehen wollte.189 Der Risikosachverhalt, dessen Vorliegen zur Anordnung von Sicherungsverwahrung führt, setzt danach voraus, dass im Zeitpunkt der Beurteilung eine Persönlichkeitsstruktur vorliegt, die in gewissen Situationen zur Begehung von Straftaten führt.190 Eine Prognose hat bezüglich dieses Risikosachverhalts nur insoweit zu erfolgen, als gefragt wird, ob sich diese Persönlichkeitsstruktur ändert. Diese, so genannte personale Eingriffskomponente, fordert daher, dass alles für das Fortbestehen einer gegenwärtig vorhandenen Persönlichkeitsstruktur spricht, die in bestimmten Situationen zu Straftaten führt.191 Im Hinblick auf die situative Komponente wird weniger gefordert: Es reicht aus, dass der Eintritt einer solchen Situation, in denen der personale Risikosachverhalt zu Straftaten führt, eine naheliegende Möglichkeit darstellt.192 Eine darüber hinausgehende Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer solchen Situation sei aus zwei Gründen nicht zu fordern: Die Angabe einer solchen Wahrscheinlichkeit liefe auf eine bloße Schätzung hinaus, da keine numerischen Daten zu dem betreffenden Situationseintritt vorliegen. Außerdem fordere die gerechte Risikoverteilung, der Allgemeinheit nicht das in der Täterpersönlichkeit begründete Risiko der Straftatenbegehung übermäßig aufzubürden.193 d) Ablehnung des Gegenmodells Diesem Ansatz wird jedoch aus zwei Gründen nicht gefolgt: Zunächst begegnet eine solch weitgehend isolierte Betrachtung der Persönlichkeit des Täters empirischen Einwänden.194 Vor allem bleibt die Bestimmung der Persönlichkeitsstruktur eine Aussage über die bloße Wahrscheinlichkeit von 188
Frisch (1992), S. 112 f. Frisch (1983), S. 62; ders. (1992), S. 113 ff.; krit.: Bock (1990), S. 458 f. 190 Frisch (1983), S. 73. Gegen die „Zuschreibung eines Charakters mit unvermeidlich hoffnungsloser Zukunft“: Kühl/Schumann (1989), S. 128. 191 Frisch (1983), S. 74. 192 Frisch (1983), S. 74, 77. 193 Frisch (1983), S. 74 f. 194 Bock (1990), S. 459. 189
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künftigen Straftaten.195 Wie bei dem Versuch der Bestimmung des Hanges gesehen wurde, ist die isolierte Feststellung einer Straftaten auslösenden Persönlichkeit nicht von der Kriminalprognose zu trennen. Die Feststellung, ob eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur und damit ein gegenwärtiger Risikosachverhalt vorliegt ist ebenso unsicher wie eine Kriminalprognose.196 Wenn Frisch aber eine Freiheitsentziehung aufgrund unzureichenden Wissens über künftige Verläufe ablehnt und es für rechtsstaatlich unerträglich hält, auch solche Täter zu verwahren, die wahrscheinlich, aber nicht tatsächlich zukünftig Taten begehen,197 dann ist mit seinem Modell nicht geholfen. Denn selbst wenn der bestehende Risikosachverhalt feststellbar sein sollte, stellt sich die Frage, ob das Bestehen des Risikosachverhalts eine Unterbringung auch dann legitimiert, wenn der Risikosachverhalt ohne Intervention nicht in weitere Taten umgeschlagen wäre. Frisch müsste diese Frage verneinen und will sie umgehen, indem er sie für irrelevant erklärt. Zudem ist mit dem Verzicht auf die Feststellung einer Wahrscheinlichkeit künftiger Taten zugunsten der Feststellung eines gegenwärtigen Risikosachverhalts nichts gewonnen, da der normativ angemessene Umgang mit einem Risikosachverhalt die Kenntnis der Größe des Risikos voraussetzt, was wiederum bessere Erfahrungssätze über die Kriminalitätsentstehung erforderte. Risikosachverhalte sind deswegen solche, weil sie regelmäßig das Risiko von Straftaten beschreiben.198 Unabhängig von dieser Kritik ist jedoch festzuhalten, dass Frisch mit der Herausarbeitung des normativen Anwendungsbereichs der prognosefordernden Vorschriften einen der wichtigsten Faktoren für die Setzung des Umschlagspunkts angibt. Wenn für die Sicherungsverwahrung die oben aufgeführten Faktoren als für diese Entscheidung relevant genannt werden, dann nur deswegen, weil die Normen diese vorsehen: Die Anordnung darf nicht unnötig sein, sie ist nur zur Verhinderung bestimmter Taten zulässig und sie muss im Verhältnis zur konkret befürchteten Tat (und der Anlasstat) stehen. Diese Faktoren entscheiden in oben gezeigter Gestalt über die Setzung des Umschlagspunkts und stellen damit eine interessenorientierte Bewertung des Risikosachverhalts „Erfahrungssatz und aufgefundene relevante Merkmale“ dar.199 Dem Dilemma der Legitimation des Freiheitsentzugs auf 195
Walter (2006), S. 343; Baltzer (2005), S. 231; Volckart (1997), S. 59; Bock (1990), S. 459. 196 Volckart (1997), S. 59; Baltzer (2005), S. 232, 234. 197 Frisch (1983), S. 68; ders. (1990), S. 372 f. 198 Anders Frisch (1992), S. 114, 115 f. der die Hauptarbeit in der unzureichenden Beschreibung der legitimierenden Sachverhalte sieht. Die unzureichende Beschreibung aber ist keine normative, sondern empirische Arbeit: Es müsste jedem validierten Erfahrungssatz als Tatbestand eine Rechtsfolge beiseite gestellt werden, was auch erkannt wird: Frisch (1992), S. 116.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
der unsicheren Basis einer Kriminalprognose kann nur eine normativ klare Regelung begegnen, wann die Geltung der unsicheren Prognose vom Betroffenen hinzunehmen ist. Es ist im ersten Schritt die Geltung der Kriminalprognose gegenüber dem Betroffenen zu begründen. Dies fordert die Aufstellung eines gesetzlichen Risikosachverhalts in diesem Sinn. Im zweiten Schritt ist jedoch eine Kriminalprognose zu erstellen, die den Eingriff in die Freiheit des Betroffenen legitimiert. Insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung der Sicherungsverwahrung wird die Legitimationswirkung der Prognose immer zentraler.200 Durch die Absenkung der formellen Voraussetzungen ist eine ausreichende Begründung der Geltung der Prognose schon fraglich, vor allem aber wird die Kriminalprognose unsicherer. Um dies zu belegen sollen die wichtigsten Gründe für die Unsicherheit der Prognose erläutert werden. 3. Probleme einer legitimierenden Kriminalprognose Die ansonsten im Recht der Gefahrenabwehr akzeptierte Prognoseabhängigkeit (und die damit einhergehende Inkaufnahme von Fehlprognosen)201 steht verstärkt in der Diskussion.202 Dabei hat die Kritik die Zielrichtung, dass eine prognoseabhängige Rechtsfolge notwendig auch für falsch Beurteilte angeordnet wird.203 Es ist zu untersuchen, ob das Einsperren tatsächlich Ungefährlicher aufgrund unzureichender Prognosemöglichkeiten die Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung untergräbt.204 Auch wenn heute die legitimierende Wirkung der Kriminalprognose vor allem aus dem korrekten Erstellungsverfahren abgeleitet wird,205 so wird doch das oft ungenü199 Wobei das Gesetz die Bewertung der Interessen ganz im Sinn des Gegenmodells vorgibt. 200 Zum alten Recht: Kinzig (1996), S. 97, der es als rechtsstaatlich unhaltbar ansieht, den Freiheitsentzug von einer unsicheren Prognose abhängig zu machen, bei der der Begriff der Gefährlichkeit nicht hinreichend geklärt ist. So auch: Bae (1985), S. 130. 201 Hier sei nur auf die Kasuistik im Bereich der Anscheinsgefahr im Polizeirecht verwiesen. 202 LK12-Schöch vor § 61, Rn. 142 ff.; Frisch (1990), S. 372; Kinzig (1996), S. 79 ff., 96. 203 Dessecker (2004), S. 188: „Zuzugeben ist, dass alle Prognosen prinzipiell auch falsche Vorhersagen in Kauf nehmen.“ Blau (1998), S. 764 sieht die Sicherungsverwahrung dadurch nicht delegitimiert, da die Anordnungszahlen gering sind und die §§ 67c, d und e StGB Korrekturen von Fehlprognosen ermöglichen. Fraglich ist aber, ob fehleranfällige Begutachtung durch neue Begutachtung besser wird. 204 Rasch/Konrad (2004), S. 391; Nedopil (2002), S. 346; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 109; Baltzer (2005), S. 229. 205 Dazu unter C.II.3.c).
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gend treffsichere Ergebnis beklagt.206 Aber man fügt sich in das Notwendige, ein Verzicht auf präventive strafrechtliche Sanktionen wird klar abgelehnt.207 Dennoch sollen hier die methodischen Probleme und die praktischen Mängel der Kriminalprognose erörtert werden, um nicht zu schnell einer vermeintlichen Wissenschaftlichkeit der Vorhersage erheblicher Straftaten und damit der scheinbaren Notwendigkeit der Freiheitsentziehung Rechnung zu tragen.208 Richtig stellt von Hippel fest, dass Justizirrtümer zwar vorkommen können, aber keinesfalls geplant werden dürfen.209 Wenn schon durch die Prognoseabhängigkeit der Sicherungsverwahrung notwendig auch Täter verwahrt werden, die in Freiheit keine erhebliche Straftat begangen hätten,210 so muss dies doch so weit möglich ausgeschlossen werden.
a) Begriff und Bedeutung falscher Prognosen Es sind drei Fehlerquellen bei der Prognoseerstellung denkbar: Entweder ist der zugrunde gelegte Erfahrungssatz (logischer Syllogismus/Prognoseinstrument) nicht richtig, die nach dem Erfahrungssatz relevanten Merkmale sind falsch festgestellt, oder der Umschlagspunkt einer bestimmten Prognose wird falsch gesetzt211. Die ersten beiden Fehlerquellen sind empirischer, die dritte ist normativer Natur. Falsche Rechtsanwendung kann keine legitimierende Wirkung entfalten. Schwieriger ist die Beurteilung der aus tatsächlichen Gründen falschen Kriminalprognose. Hier ist zu unterscheiden: Es sind Prognosen möglich, die unter Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt zustande kamen, die dann aber durch die tatsächlichen Verläufe falsifiziert werden. In diesem Fall wird von einer Fehlprognose212 bzw. einem Prognoseirrtum gesprochen.213 Insofern kann eine Prognose unabhängig von ihrem (zutreffenden) Ergebnis richtig sein.214 Genauso sind Prognosen denkbar, die zwar nicht die erforderliche Sorgfalt beachteten, und daher die zukünftigen Verläufe falsch voraussagen. In diesem Fall wird von fehlerhaf206 Streng (1995), S. 106, der keinen signifikanten Vorteil von klinischen Prognosen sieht; Hinz (1985), S. 51. 207 BVerfGE 109, 133 (158); 109, 190 (240); Kröber (2004), S. 261; Würtenberger/Sydow (2001), S. 1206; Volckart (1997), S. 57; Streng (1995), S. 106; Frisch (1990), S. 387 ff. 208 Auf diese Gefahr weist Alex (2006), S. 107 f. hin. 209 (1972), S. 35. 210 Und dies auch Folge eines Rückzugs in den Bereich des Normativen wie einer Gefährlichkeitsvermutung oder einer stärker präventiven Strafzumessung wäre. 211 Vgl. Volckart (1997), S. 56. 212 Pierschke (2001), S. 250. 213 Dahle (2006), S. 9; Pollähne (2006), S. 225. 214 Pollähne (2006), S. 225; Tondorf (2005), S. 57 f.; Urbaniok (2005), S. 93.
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ter Prognose215 oder Prognosefehlern216 gesprochen. In dieser Diktion kann die fehlerhafte Prognose keine legitimierende Wirkung für präventiven Freiheitsentzug begründen. Die Fehlprognose dagegen ist notwendig zu einem gewissen Grad einkalkuliert. b) Legitimation durch das Ergebnis der Prognose Zur Verdeutlichung der möglichen Prognoseergebnisse wird die so genannte Vierfelder-Tafel genutzt217: Begehung der zu verhindernden Tat
Nichtbegehung der zu verhindernden Tat
Urteil: Gefährlich
richtig Positive
falsch Positive
Urteil: Ungefährlich
falsch Negative
richtig Negative
Die Verteilung der Prognoseergebnisse hängt dabei neben der Gültigkeit und der individuellen Erfüllung des Erfahrungssatzes vor allem von der Setzung des Umschlagspunktes ab: Wird dieser sehr hoch gesetzt, die Kriminalprognose erst ab einer hohen Wahrscheinlichkeit als positiv angesehen, so steigen die falsch negativen Prognosen, wohingegen die falsch positiven zurückgehen.218 Mit beachtlichen Argumenten wendet sich Urbaniok gegen dieses Veranschaulichungsmodell: Das Zugrundelegen der Vierfelder-Tafel laufe auf den Schluss zu, dass wenn einem Täter ein Risiko von 70% attestiert wird, 100 dieser Täter sich wie folgt verhalten: 70 von ihnen begehen eine zu verhindernde Tat, 30 nicht, wobei die letztgenannten als falsch positiv beurteilt angesehen werden.219 Dagegen wendet Urbaniok ein, dass die Gruppe der 100 Täter mit Risiko 70% nicht in Gruppe 1, in der sich 70 gefährliche und Gruppe 2, in der sich 30 ungefährliche befinden, zerfällt. Zum Beurteilungszeitpunkt gibt es nur die eine Gruppe mit 70% Risiko, jede weitere Unterteilung ergibt sich erst aus der Retrospektive.220 Im Zeitpunkt der Be215
Pierschke (2001), S. 250. Dahle (2006), S. 9. 217 Pollähne (2006), S. 247; Baltzer (2005), S. 225; Eisenberg (2005), S. 177; Wulf (2005), S. 292; Volckart (1997), S. 46; Kühl/Schumann (1989), S. 129. 218 Und umgekehrt. Dazu: Volckart (1998), S. 6 f. 219 Urbaniok (2005), S. 93 f. 220 Urbaniok (2005), S. 93, der zusätzlich zu diesem Kritikpunkt an der Vierfelder-Tafel auf S. 103 darauf hinweist, dass bei dieser Darstellung die persönliche 216
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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urteilung lasse sich eine Gruppe von 70 Personen mit 100%-Risiko und einer Gruppe mit 30 Personen und 0%-Risiko gerade nicht bilden.221 Nach der Güte der Prognose ist dann nicht retrospektiv zu fragen. Danach liegt eine falsch positive Prognose nur dann vor, wenn einer Person, die tatsächlich ein 30%-Risiko aufweist ein Risiko in Höhe von 80% zugeschrieben wird.222 Daraus wird abgeleitet, dass die Argumentation, nach der in diesem Beispiel 30 Personen als falsch positiv zu unrecht untergebracht würden, unzulässig ist.223 Danach wäre eine „Erfolgshaftung für Prognosen nicht gerecht . . .“224 Geschuldet ist nur eine methodisch fundierte Prognose, nicht ein Ergebnis, das durch den tatsächlichen Ablauf bestätigt wird bzw. ohne Intervention bestätigt würde. Eine Fehlprognose wäre dann ohne weiteres eine Legitimation für Freiheitsentzug. Normativ entspricht dem, dass bei Vorliegen eines den Umschlagspunkt übersteigenden Tatrisikos die Unterbringung rechtmäßig ist, auch wenn objektiv keine zu verhindernde Tat durch den Täter drohte. Dennoch bleibt für solche Verwahrten, die trotz einer angemessen festgestellten Wahrscheinlichkeit eine zu verhindernde Tat auch in Freiheit nicht begangen hätten, diese Freiheitsentziehung ein doppeltes Sonderopfer, eine schwere Straftat wird nicht verhindert.225 Auch die Fehlprognose, also eine nicht die zukünftigen Verläufe abbildende Vorhersage, die unter Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt zustande kam, ist aus normativen Gründen soweit möglich zu vermeiden. Die Betrachtungsweise Urbanioks ist logisch richtig, normativ aber irrelevant: Aus dem Grundsatz, dass präventiver Freiheitsentzug unter der Bedingung seiner Notwendigkeit steht, folgt, dass eine Überschätzung der Gefährlichkeit und damit falsch positive Prognosen zu vermeiden sind. Ob ein späterer tatsächlicher Verlauf eine anders lautende Prognose widerlegt, oder ob die Prognose unbeschadet der tatsächTatdisposition mit der Tat gleichgesetzt, also die situative Tatkomponente vernachlässigt wird. 221 Urbaniok (2005), S. 93. Umgekehrt Bock (2007), S. 272: „Jedermann weiß, dass in Wirklichkeit der individuelle Proband in voller Lebensgröße in einem der vier Felder lokalisiert ist, bei der Verwendung der statistischen Manuale wird aber so getan, als ob alle Probanden identische Exemplare einer Gruppe wären, nämlich einer Gruppe, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zur Straffälligkeit tendiert.“ 222 Urbaniok (2005), S. 93, 103. 223 Urbaniok (2005), S. 93 f.; Fabricius (2008), S. 46: „Die spätere Entwicklung im Einzelfall kann die Prognose weder bestätigen noch widerlegen.“ 224 Wulf (2005), S. 292. 225 Kinzig (1996), S. 98; Kinzig (2008), S. 155. Der einzige Nutzen könnte in einem Beitrag zum Sicherheitsgefühl und einer daraus resultierenden Freiheitserweiterung bestehen. Aber eine Freiheitsentziehung mit einem Beitrag zum Sicherheitsgefühl zu legitimieren scheitert: Laubenthal (2004), S. 709; Fischer § 66b, Rn. 4; Grundsätzlich hierzu: Weidemann (1999), S. 623.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
lichen Verläufe als korrekt anzusehen ist, ist für die Rechtfertigung der Freiheitsentziehung nicht relevant. Die normativ relevante Frage ist, wie mit der notwendigen Unsicherheit bezüglich der hypothetischen tatsächlichen Verläufe umzugehen ist. Die Antwort kann nur sein: Das Normenprogramm muss eine legitime Prognose ermöglichen und die fortlaufende Überprüfung muss gesichert sein. Wenn normativ auch nur Wahrscheinlichkeit gefordert ist, so bleibt doch die Unterbringung zu vermeiden, wenn durch sie keine Tat verhindert wird, wobei im konkreten Fall der spätere hypothetische Verlauf notwendig im Entscheidungszeitpunkt unbekannt ist. An dem Anspruch, soweit irgend möglich tatsächlich schwere Straftaten zu verhindern muss sich die für den Individualfall gestellte Kriminalprognose messen lassen. Ansonsten könnte ebensogut eine Gefährlichkeitsvermutung entsprechend der englischen Rechtslage eingeführt werden. Zu fordern ist die Erstellung einer echten, legitimen Kriminalprognose, dann wenn der Risikosachverhalt vorliegt, der dazu berechtigt. aa) Fehler der Prognose und Häufigkeit der Verwahrung Ungefährlicher Daher ist es normativ relevant, ob die Sicherungsverwahrung tatsächlich Straftaten verhindert. Die Zahl der falsch positiv beurteilten Prognosen darf nicht so hoch werden, dass ihre Inkaufnahme rechtsstaatlich unerträglich wird.226 Empirische Schätzungen gehen jedoch von einer massiven Überschätzung der Gefährlichkeit aus. An der obigen Vier-Felder-Tafel wird das Problem der institutionalisierten Überschätzung der Gefährlichkeit227 deutlich. Da die falsch positiv prognostizierten Fälle nicht sichtbar werden (dass der Täter ohne Unterbringung keine zu verhindernde Tat begangen hätte, tritt nicht wahrnehmbar in die Welt), während die falsch negativ prognostizierten Fälle stark auffallen (der Täter, der trotz günstiger Kriminalprognose eine erhebliche Straftat begeht),228 wird vermutet, dass sowohl Richter als auch Sachverständige in ihrer Wahrnehmung beeinflusst sind229 und nicht für die Begehung eines zu verhindernden Delikts mit verantwortlich sein 226 Frisch (1983), S. 68. Diese Personen tragen nach Kinzig (1996), S. 100 ein doppeltes Sonderopfer, sie opfern schuldüberschießend ihre Freiheit, obwohl sie nicht gefährlich sind. 227 Müller-Metz (2003), S. 45 spricht von der „populistischen Falle“. 228 Leygraf (2004), S. 438; Kühl/Schumann (1989), S. 127, die zusätzlich darauf hinweisen, dass derjenige, der auch ohne Freiheitsentzug keine Straftat begangen hätte und nach Entlassung keine Tat begeht, gerade als Erfolg der Sanktion betrachtet wird. 229 Pollähne (2006), S. 248; Müller-Metz (2003), S. 45; Nedopil (1995), S. 84; Kunz (2005), S. 1377.
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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wollen.230 Dazu kommt, dass für den Sachverständigen im Fall von Sorgfaltspflichtverletzungen seine Tätigkeit als fahrlässige Deliktsbegehung eingeschätzt werden kann.231 Vorsichtige Schätzungen gehen von bis zu einem Drittel falsch positiver Prognosen aus.232 Andere sprechen von einem Anteil von 60-90% tatsächlich Ungefährlicher an den als gefährlich eingeschätzten Straftätern.233 Frühere realexperimentelle Situationen in den USA haben dementsprechend hohe Quoten zu Unrecht als gefährlich eingeordneter Straftäter ergeben.234 Ein neuere Untersuchung in Deutschland überprüfte die weitere Delinquenz von 32 Gewalttätern, die in der DDR zu psychiatrischer Unterbringung verurteilt und nach Beschlüssen des BVerfG235 aus dem bundesdeutschen Maßregelvollzug entlassen wurden236. Im Zuge dieser Untersuchung zog Rusche den Schluss, dass „auf einen tatsächlich gefährlichen immer noch fast drei nur vermeintlich gefährliche, falsch-positive Patienten gekommen wären.“237 Ein solch hoher Anteil von Fehlunterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus von fast 75% ist bedenklich. Gerade weil die Sicherungsverwahrung gegenüber der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sich nicht auf psychisch kranke Täter bezieht, ist eine derart hohe Quote von Fehlunterbringungen rechtsstaatlich auch für die Sicherungsverwahrung sehr bedenklich.238 Speziell für die Sicherungsverwah230 Müller-Metz (2003), S. 45; Pollähne (2006), S. 225; Baltzer (2005), S. 232 f.; Kühl/Schumann (1989), S. 134. 231 Vgl. BGHSt 49, 1 für den Fall einer extrem falschen Einschätzung der Straftatwahrscheinlichkeit durch Justizvollzugsbeamte. Kritisch: H.-J. Albrecht (2006), S. 200 m. w. N. Vgl. auch Ullenbruch (2002) zum Parallelproblem der Staatshaftung für fehlgeschlagene Vollzugslockerungen in einem ebenfalls außergewöhnlichen Fall. 232 Urbaniok (2005), S. 89; Brandt (2008), S. 88 f.; 104: 9,9–22,5%; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 32 sprechen von einer „großen Zahl von zu Unrecht als gefährlich eingeschätzten Personen“. Rasch (1985), S. 311 nennt für psychisch Kranke eine Schätzung, dass zwei Drittel der nach § 63 StGB Untergebrachten nicht erneut erheblich delinquieren würden. 233 Blau (2006), S. 528 m. w. N.: 70–80%; Dünkel/van Zyl Smit (2004), S. 635 unter Bezugnahme auf Kinzig, 2001, S. 1457: 60–90%. 234 Der Baxstrom- und der Dixon-Fall. Hierzu: Rusche (2004), S. 78 ff.; Dessecker (2004), S. 190 f.; Leygraf (2004), S. 438, der aber die Nichtübertragbarkeit auf die heutige Situation in der Bundesrepublik betont; Baltzer (2005), S. 223 f.; Kühl/Schumann (1989), S. 134; Hinz (1985), S. 51. 235 BVerfG NStZ 1996, 101. 236 Rusche (2004). 237 Rusche (2004), S. 124 f. Dazu auch Kinzig (2008), S. 151. Es bleibt aber zu beachten, dass Rusche (2004), S. 124 f. neben der hohen Zahl falscher Positiver durchaus Unterschiede von Untersuchungs- und Kontrollgruppe nachwies, die für eine gewisse Auswahlberechtigung sprechen. 238 So auch Brandt (2008), S. 89, der deswegen die Eignung der Sicherungsverwahrung, erhebliche Straftaten in ausreichendem Maß zu verhindern, bezweifelt.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
rung kam Kinzig bei seiner Untersuchung von 22 Verwahrten, die trotz positiver Kriminalprognose nach § 67c I StGB a. F. nach 10 Jahren entlassen werden mussten, zu einer Rückfallquote von ca. 40%, wobei nur 2 von 22 Personen solche Taten begingen, deren Verhinderung Ziel der Sicherungsverwahrung ist.239 Dagegen wendet sich Kröber gegen eine Dramatisierung falscher Prognosen und gegen Modellrechnungen mit Basisraten, da „bei allen (. . .) eine erhebliche Delinquenz vorangegangen ist und eine fortdauernde Gefährlichkeit festgestellt wurde, so daß die Einführung hypothetischer Quoten ungefährlicher Gewalttäter (gar in Höhe von 70%) recht willkürlich erscheint“.240 Eine solche Argumentation stellt jedoch eine Verkürzung dar. Es steht doch gerade in Frage, wann die Kriminalprognose trotz ihrer Fehleranfälligkeit die Unterbringung begründen kann. Dass eine Kriminalprognose gelten kann und diese erstellt wurde, bedeutet nicht, dass sie immer die Unterbringung legitimiert.241 Die Verwahrung Ungefährlicher delegitimiert die Sicherungsverwahrung. Dieses Vorhandensein und die momentane Notwendigkeit falsch positiver Prognosen sind zentrale Argumente gegen die Legitimität der Sicherungsverwahrung. Dass die Fehlunterbringungen nicht sichtbar werden und ihre Anzahl nur geschätzt werden kann, steht dem nicht entgegen. bb) Niedrige Basisrate Ein weiterer wichtiger Grund für die Annahme der massiven Überschätzung der Gefährlichkeit ist die niedrige Basisrate erheblicher Straftaten. Auf das Verhältnis der vier möglichen Prognoseergebnisse zueinander hat zunächst die Treffgenauigkeit der Prognose Einfluss: Ein Prognoseinstrument, das in 70 von 100 Fällen das Individuum der richtigen Gruppe zuordnet, produziert insgesamt 70 richtig Positive und Negative und 30 falsch Positive und Negative. Die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Vorhersage schwindet aber, je seltener das vorherzusagende Ereignis eintritt.242 Dieses Problem kann gerade nicht durch bessere Erfahrungssätze und gute Prognoseinstrumente ausgeglichen werden, da nach dem „Bayes-Theorem“243 unabhängig von der Validität des Prognoseinstrumentes die Überschätzung 239
Kinzig (2008), S. 196 ff., 306. Kröber (1999), S. 599. 241 Gegen das Argument, es erwische aufgrund der formellen Voraussetzungen bei der Sicherungsverwahrung keinen Falschen, wendet sich auch Jansing (2004), S. 101. 242 Pollähne (2006), S. 245; Dessecker (2004), S. 187; Kühl/Schumann (1989), S. 130 ff. 243 Dargestellt bei Dessecker (2004), S. 185; Kinzig (1996), S. 86. 240
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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der Gefährlichkeit steigt und das Verhältnis von richtig zu falsch positiven Prognosen sich verschlechtert, je weniger häufig das vorherzusagende Ereignis eintritt.244 Glücklicherweise stellen erhebliche Straftaten, die das Opfer seelisch oder körperlich schwer schädigen, seltene Ereignisse dar.245 Dies auch unter den Straftätern, die die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung erfüllen.246 Daraus ergibt sich unter Zugrundelegung des Bayesschen Theorems ein hoher Anteil an ungefährlich Verwahrten und zwar auch dann, wenn unrealistische gute Trefferquoten247 der Prognoseinstrumente angenommen werden. Damit ist das Problem der niedrigen Basisrate eine besonders bedeutende Schwierigkeit für eine legitime Kriminalprognose, denn auch wenn Fortschritte der Prognoseforschung zu treffgenaueren Prognoseinstrumenten führen,248 so ist dies nicht mit legitimen Prognosen gleichzusetzen.249 Vermag ein Prognoseinstrument in 70 von 100 Fällen ein Ereignis vorherzusagen, das in 20 von 100 Fällen eintritt (Basisrate: 20%), dann werden von den 80 Fällen, in denen das Ereignis nicht eintrifft, 70% richtig und 30% falsch beurteilt. Von den 20 Fällen, in denen das Ereignis eintritt, ebenfalls. Daraus ergibt sich, dass von den 20 Tätern, die eine Straftat begehen würden, 14 zutreffend als gefährlich eingeschätzt würden (richtig Positive), 6 zu unrecht als ungefährlich eingeschätzt würden (falsche Negative). Von den 80 Tätern, die keine Tat begehen würden, würden 56 als ungefährlich erkannt (richtig Negative) während 24 unzutreffend für gefährlich gehalten werden (falsch Positive). Es werden im Beispiel 38 Personen verwahrt, davon 24 ohne dass dadurch eine erhebliche Straftat verhindert wird.250 Wird das Beispiel abgewandelt, so dass in 100 Fällen das Ereignis 244
Pollähne (2006), S. 245; Leygraf (2004), S. 439; Nedopil (2002), S. 348; Kühl/Schumann (1989), S. 131 f. weisen zusätzlich darauf hin, dass die Basisrate in der Praxis in der Regel unbekannt oder geschätzt ist. Zu Annäherungen an die Basisrate: Kinzig (2008), S. 149 ff. 245 Wobei die Basisrate, also die relative Häufigkeit der Begehung einer erheblichen Straftat durch Täter, die die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung erfüllen, unbekannt ist. Dessecker (2004), S. 186 geht von einer Basisrate von 2% aus. Zu anderen Angaben für die relevante Basisrate sogleich. 246 Dahle (2006), S. 12, der auch darlegt, dass es auf diese und nicht auf die Gesamtbevölkerung ankommt: a. a. O., S. 11 m. w. N. 247 Dahle (2006), S. 7 ff. legt aber dar, dass gerade für gravierende Gewaltkriminalität eine bessere Unterscheidung der Rückfälligen von Nichtrückfälligen gelingen kann. 248 Kinzig (2008), S. 140 f. mit besonderem Hinweis auf HCR-20, SVR-20 und die PCL-R. 249 Rusche (2004), S. 125 sieht den Wert der HCR-10+3 und die PCL-R in der Identifikation von Gefährlichkeit nicht aber von Ungefährlichkeit, die Instrumente seien nicht zur Senkung der Zahls falsch-positiver Prognosen geeignet.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
(die erhebliche Straftat) nur noch zehnmal vorkommt, so ändern sich die Zahlen wie folgt: Basisrate 20% richtig positive:
Basisrate 10% 14
richtig Positive:
71ã 7
falsche positive:
24
falsche Positive:
3 9 ã 27
richtig negative:
56
richtig negative:
7 9 ã 63
falsche negative:
6
falsche negative:
31ã 3
Diese Rechnung zeigt die hohe Bedeutung der Basisrate für die Verteilung des Prognoserisikos.251 Je weniger oft das zu verhindernde Delikt begangen wird, desto häufiger werden Täter unnötig verwahrt. Harrendorf gibt als spezifische Rückfallquote nach einer Auswertung des Bundeszentralregisters für die Jahre 1994–1998 die Basisrate, also die Rückfälle in vorsätzliche Tötungen mit 1%, für sexuelle Gewalt mit 4% an.252 Bei diesen Angaben ist zu beachten, dass das Dunkelfeld nicht beachtet wird, außerdem führt der kurze Zeitraum der beachtlichen Rückfälle zu einer Verringerung vor allem bei Delikten der sexuellen Gewalt.253 Außerdem ist für die Sicherungsverwahrung nicht der mit diesen Basisraten bezeichnete spezifische Rückfall erheblich, sondern die Verhinderung erheblicher Taten. Die maßgebliche Basisrate ist daher die Häufigkeit, mit der Täter, die die jeweiligen formellen Voraussetzungen erfüllen, in erhebliche Taten zurückfallen. Als Annäherung an die Basisrate kann die Untersuchung Harrendorfs auf Grundlage der kommentierten Rückfallstatistik herangezogen werden. Dabei sind die Zahlen für unspezifische Rückfälle von Gewaltkriminalität in Gewaltkriminalität zwischen 2,0 und 14,8% schwankend.254
250 Ähnliche Beispiele finden sich bei Kinzig (2001), S. 1457 f.; Dessecker (2004), S. 185 f. 251 Wobei in diesem Beispiel vereinfachend davon ausgegangen wird, dass die Treffgenauigkeit bei den Fällen mit Rückfall und die bei Fällen ohne Rückfall jeweils 70% beträgt. Für Rechnungen in denen diese verschieden sind vgl. Dessecker (2004), S. 185 ff.; Baltzer (2005), S. 225 f. 252 Harrendorf (2008), S. 7. 253 Harrendorf (2007), S. 388; Kinzig (2008), S. 153 m. w. N. Normativ ist aber aufgrund der Forderung des BVerfG einer unmittelbar bevorstehende Tat zumindest für die nachträgliche Sicherungsverwahrung letzteres irrelevant. 254 Harrendorf (2008), S. 8.
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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cc) Weitere Fehlerquellen für das Prognoseergebnis Daneben ist die Treffsicherheit der Prognose auch vom Prognosezeitraum abhängig. Je länger der Zeitraum, für den prognostiziert werden soll, desto größer wird die Zahl der falschen Vorhersagen.255 Allerdings ist durch das geltende Recht sichergestellt, dass die zur Unterbringung führende Kriminalprognose fortlaufend überprüft wird.256 So ist nach § 67c I 1 StGB vor Beginn des Vollzugs der Sicherungsverwahrung und gemäß § 67e II StGB im Abstand von zwei Jahren während des Vollzugs die Kriminalprognose erneut zu prüfen. Ein weiterer Einwand mit Bezug auf den Zeitraum betrifft die Prognoseinstrumente, also die auf den Probanden angewendeten Erfahrungssätze. Diese sind nur kurze Zeit gültig, die Erkenntnisse über den Zusammenhang von (erheblicher) Kriminalität und bestimmten Merkmalen unterliegen einem schnellen Wandel.257 Im Zusammenhang mit der Erstellung der Prognose wird darauf hingewiesen, dass auch die vorhandenen Empfehlungen für die Erstellung der Rückfallprognose kein Verfahren für den Übergang von der Diagnose zur Prognose vorschlagen.258 Problematisiert wird auch der Mangel an Sachverstand. So seien die Juristen häufig (und gerade zu Beginn der Tätigkeit) nicht genügend im Sanktionenrecht ausgebildet, die Sachverständigen dagegen ungenügend auf das Erstellen von Kriminalprognosen vorbereitet.259 Dies führe dazu, dass die Juristen sich bei der Bewertung der Prognose häufig auf ihre Intuition verließen oder die Ergebnisse der Gutachten unreflektiert übernähmen.260 Insbesondere die Abhängigkeit des Gerichts vom Gutachten wurde durch empirische Untersuchungen belegt: Danach wird in den Gutachten die Gefährlichkeit nur selten verneint.261 Um diese Abhängigkeit zu verringern, ist zu vermeiden, dass das Gutachten des Sachverständigen lediglich mündlich in die Hauptverhandlung eingeführt wird, weil ein solches Vorgehen spätere Begutachtungen erschwert,262 zusätzlich dürfte ein solches Vorgehen die 255 Nedopil (2002), S. 348; Leygraf (2004), S. 438; Pollähne (2006), S. 245; Baltzer (2005), S. 221, 226. Zu Anforderungen an den zeitlichen Abstand einer erwarteten neuen Tat: BVerfG NJW 2009, 980. Ein Beispiel für die zeitliche Verteilung der Rückfälle nach falsch negativen Prognosen findet sich bei Pierschke (2001), S. 254. 256 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 35. 257 Nedopil (2002), S. 348. 258 Brandt (2008), S. 102 f. 259 Schall/Schreibauer (1997), S. 2415; ähnlich Kröber (1999), S. 593. 260 Schall/Schreibauer (1997), S. 2415; Wulf (2005), S. 290 f. sieht Fortschritte in der Prognoseforschung aber eine ungenügende Implementierung der Forschungsergebnisse in der forensischen Praxis. 261 Kinzig (1996), S. 330 f.; Kern (1997), S. 120 ff. 262 Habermeyer/Hoff/Saß (2002), S. 23; Zur Häufigkeit dieser Fälle: Kinzig (1997a), S. 10. Kröber (1999), S. 595 weist auf das ähnliche Problem hin, dass der
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
Abhängigkeit des Gerichts vom Gutachter263 verstärken, denn das Gericht kann sich dann nicht vor dem Beginn der Hauptverhandlung mit dem schriftlichen Gutachten auseinandersetzen. Ebenfalls wird im Einklang mit dem kriminologischen Labelling-Ansatz problematisiert, dass eine positive Kriminalprognose selbst ein Mitauslöser für folgende Kriminalität ist, da diese den Täter entmutige und stigmatisiere, so dass eine sich selbst erfüllende Prophezeiung entsteht.264 Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, sie besteht aber immer bei einer strafrechtlichen Folgenorientierung und ist auch durch eine bewusste Erstellung des Gutachtens nur begrenzt vemeidbar.265 Gewichtiger ist dagegen der Einwand eine Prognose sei unter der Prämisse der menschlichen Willensfreiheit widersprüchlich. Es ist jedoch zu entgegnen, dass nicht eine konkrete Einzelentscheidung vorhergesagt wird, sondern die Persönlichkeit des Probanden als Entscheidungsdeterminante untersucht wird.266 Dem muss entgegnet werden, dass dies für die Sicherungsverwahrung nicht uneingeschränkt zutrifft. Hier setzt sich das Problem des nicht fassbaren Hanges zu erheblichen Straftaten fort, denn bei der Sicherungsverwahrung ist die Prognose deswegen besonders schwer zu treffen, weil psychiatrisch-pathologische Faktoren, die den in §§ 20, 21, 63 StGB erforderlichen Schweregrad erreichen, ausgeschlossen sind.267 c) Legitimation durch Anforderungen an die Prognoseerstellung Absolute Sicherheit zukünftiger Straftaten durch den Täter kann nicht erlangt werden,268 außerdem wird deutlich, dass die Prognose unabhängig von der konkret verwandten Methode immer eine Übertragung von (an anderen Einzelfällen gewonnener) Erfahrung auf einen neuen Einzelfall ist.269 Dabei wird aufgrund der oben genannten Probleme davon ausgegangen, dass eine massive Überschätzung der Gefährlichkeit in vielen Fällen zur Gutachter im Anordnungsverfahren die früheren Taten in der Regel nur aus den Urteilen kennt, so dass die Gefahr besteht, Wesentliches zu übersehen. 263 Vgl. dazu: Rosenau (2006), S. 289; Schneider (2006), S. 99 f. 264 Streng (1995), S. 103; Pollähne (2006), S. 245; ähnlich Bock (2007), S. 275. 265 Streng (1995), S. 103. 266 Streng (1995), S. 105. Vgl. auch die „individuelle Handlungstheorie“ bei Kröber (1999), S. 598 f. 267 Fabricius (2008), S. 46. 268 BVerfGE 109, 133 (158 f.); 109, 190 (240 ff.); Urbaniok (2005), S. 102; Müller-Metz (2003), S. 44; Boetticher (2005), S. 420; Volckart (1997), S. 59; Fabricius (2008), S. 45 f.; Jansing (2004), S. 106; Rasch/Konrad (2004), S. 391; LK12-Schöch vor § 61, Rn. 145; Feltes (2000), S. 284. 269 Volckart (1997), S. 6; Pollähne (2006), S. 242; Eisenberg (2005), S. 172; Tondorf (2005), S. 56.
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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Verwahrung tatsächlich ungefährlicher Straftäter führt. Das Prognoseproblem ist ungelöst.270 Daher werden zur Verbesserung der Legitimation des Eingriffs gegenüber dem Betroffenen verschiedene Anforderungen an die Erstellung der Prognose gestellt.271 Empirisch war bisher eine häufig unsorgfältige Prognoseerstellung zu bemängeln.272 Die Einsicht in die Mängel der Rechtsanwendung führte zunächst zu einer Ausarbeitung praktischer Empfehlungen für Mindestvoraussetzungen bei der Erstellung von Schuldfähigkeitsbegutachtungen.273 In der weiteren Entwicklung wurde auch für die Begutachtung bei der Stellung einer Kriminalprognose eine ähnliche Empfehlung durch eine mit Richtern, Kriminologen, Psychiatern und Psychologen besetzten Arbeitsgruppe herausgearbeitet.274 Neuere Untersuchungen deuten dann auch eine stärkere Beachtung der Anforderungen an die Erstellung einer Kriminalprognose bei der Sicherungsverwahrung an.275 Diese Anforderungen beziehen sich vor allem auf das Vorgehen bei der Prognoseerstellung.276 Das notwendig unsichere Ergebnis soll durch die rationale, rechtsstaatliche Methode den Eingriff legitimieren.277 Die Vorgaben 270
Kinzig (2008), S. 303 f. BVerfGE 109, 133 (164 f.); BVerfGE 109, 190 (240 ff.); Boetticher et al. (2006), S. 539; Kröber (2006), S. 163; Boetticher (2005), S. 419; Baltzer (2005), S. 233; Leygraf (2004), S. 444; Müller-Metz (2003), S. 44 ff.; Frisch (1983), S. 34 ff.; Kröber (1999), S. 594 ff.; vgl. auch Kühl/Schumann (1989), S. 127; für aussagepsychologische Gutachten: BGHSt 45, 164. Dazu: Brandt (2008), S. 101. 272 Kinzig (1996), S. 341 f.; Habermeyer (2008), S. 57 ff.; Tondorf (2005), S. 129. 273 Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß (2005), S. 57 ff. Ausgangspunkt war die Entscheidung BGHSt 45, 164 in der Mindestanforderungen für Glaubhaftigkeitsgutachten aufgestellt wurden. 274 Boetticher et al. (2006), S. 537. Kritisch: Bock (2007); Brandt (2008), S. 101 f. 275 Vgl. die Gegenüberstellung bei Habermeyer (2006), S. 57; Kinzig (2008), S. 158. Am Inhalt der Gutachten wird aber auch bei Habermeyer (2006), S. 57 ff. Kritik geübt. Tondorf (2005), S. 128 f. kritisiert vor allem die mangelnde Transparenz und Wissenschaftlichkeit der Gutachten. Er fordert deswegen die Aufstellung von Mindestanforderungen durch die Rechtsprechung. 276 Tondorf (2005), S. 135 ff.; Vgl. Boetticher et al. (2006), S. 539 zu den maßgeblichen Fragestellungen des Gutachtens. Kritisch zu diesen Empfehlungen: Bock (2007), S. 269 ff.; Eisenberg (2005a), S. 305; Zu empirischer Forschung über die Mängel der Gutachten: Jansing (2004), S. 102 ff. m. w. N. Vgl. auch Kinzig (2008), S. 158, der vor allem methodische Fortschritte der Kriminalprognose sieht. 277 Vgl. BVerfGE, 109, 133 ff.: „Die Unsicherheiten der Prognose, die Grundlage der Unterbringung ist, haben Auswirkungen auf die Mindestanforderungen an Prognosegutachten und deren Bewertung im Zusammenhang mit dem Übermaßverbot, beseitigen aber weder die Eignung noch die Erforderlichkeit des Freiheitseingriffs.“ Vgl. auch Boetticher et al. (2006); Wulf (2005), S. 292 f.; Baltzer (2005), S. 226 f.; Kaiser (1990), S. 17: „Maßregeln werden rechtsstaatlich aber nur erträglich durch weitere Formalisierung.“ 271
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
beziehen sich zunächst auf den Gutachtenauftrag, der Sachverständige soll sich zu folgenden Fragen äußern:278 – Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zu begutachtende Person erneut Straftaten begehen wird? – Welcher Art werden diese Straftaten sein, welche Häufigkeit und welchen Schweregrad werden sie haben? – Mit welchen Maßnahmen kann das Risiko zukünftiger Straftaten beherrscht oder verringert werden? – Welche Umstände können das Risiko von Straftaten steigern? Für die Erstellung des Gutachtens und dessen Bewertung wird zunächst die umfassende Heranziehung des Prognosesachverhalts gefordert.279 Alle nach bekannten Erfahrungssätzen relevanten Tatsachen müssen in die Prognose einfließen. Besonders prognoserelevant ist die Legalbiographie.280 Die Faktoren sind identisch mit denen, die zur Begründung eines Hanges angenommen werden.281 Die Vortaten, insbesondere einschlägige, und die Anlasstat sind die tragfähigsten Indikatoren für erneute Straftatbegehung.282 Außerdem werden als relevant genannt: die prädeliktische Persönlichkeit, die postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung und die Perspektiven und Außenbezüge des Täters.283 Diese Aufzählung macht deutlich, welche Arbeit bei Erstellung einer legitimierenden Prognose zu leisten ist.284 Mit den 278
Boetticher et al. (2006), S. 539. BVerfGE 70, 297 (308 f.); BGHSt 50, 121; Frisch (1983), S. 34 f.; Pollähne (2006), S. 235 f.; Wulf (2005), S. 292; Kröber (1999), S. 594 f. betont die Notwendigkeit der Heranziehung aller verfügbaren Akten. 280 Baltzer (2005), S. 161; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 189; Meier (2009), S. 100; Schöch (2000), S. 139; Streng (1995), S. 102; ders. (2002), S. 334; Wulf (2005), S. 294; Leygraf (2004), S. 439. Kühl/Schumann (1989), S. 147 sprechen von „wenigen Faktoren mit einer gewissen prognostischen Bedeutung“; zum Ergebnis einer starken Abhängigkeit der klinischen Prognose vom Ausgangsdelikt und den Vorstrafen gelangt Hinz (1985), S. 50; ders. (1987), S. 316; ähnlich: Jansing (2004), S. 222. 281 BGH NStZ 2003, 201, 202 fordert die Einbeziehung der kriminellen Entwicklung, der Gleichartigkeit der Taten, der Sozialisation, der Charakterstruktur und des Sozialverhaltens. Dazu: Kröber (2006), S. 160. 282 Harrendorf (2007), S. 387; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 145. 283 Müller-Metz (2003), S. 45 m. w. N.; Kröber (1999), S. 594 f.; vgl. auch BVerfGE 70, 297 (309); 109, 133 (164 f.); Boetticher et al. (2006), S. 539. Wulf (2005), S. 294 fordert eine Einbeziehung der Schutzfaktoren, die den Risikofaktoren entgegenlaufen. Dazu auch LK12-Schöch vor § 61, Rn. 158 ff. 284 Zu den prozessualen Folgen und der Frage des Prozessgegenstandes bei dieser Vielzahl möglicher relevanter Umstände: von Freier (2008), S. 299 f. Zur Notwendigkeit der Bestimmung der Reichweite der richterlichen Aufklärungspflicht: Pollähne (2006), S. 236. 279
II. Die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
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nahezu unbegrenzten in die Prognose einzubeziehenden Merkmalen wächst die Kognitionspflicht des Gerichts nach § 244 II StPO. Das Vorgehen des Sachverständigen muss methodengeleitet erfolgen, wobei eine Beschränkung auf eine Methode nicht vorgenommen wird.285 Weiter muss die Prognose hinreichend individualisieren, eine Freiheitsentziehung aufgrund abstrakter Risikobeschreibungen ist unzureichend.286 Um die normative Beurteilung der vom Gutachter getätigten Aussagen zu ermöglichen soll der Prozess der Datenerhebung und deren Beurteilung für das Gericht nachvollziehbar sein,287 wozu insbesondere auch die Offenlegung der angewandten Erfahrungssätze gehört.288 Genauso muss das Gericht die Gründe offenlegen, die für die Bewertung des Gutachtens leitend waren.289 Außerdem wird eine sorgfältige Auswahl des zu bestellenden Gutachters gefordert.290 Neben diesen Anforderungen an die Erstellung des Gutachtens wird die Einhaltung der Arbeitsteilung zwischen Sachverständigem und dem Gericht betont. Dieses muss im zweiten Schritt das vom Sachverständigen Ermittelte bewerten. Selbst wenn eine sichere Diagnose einer Rückfallwahrscheinlichkeit von 80% durch den Sachverständigen möglich wäre, müsste anschließend eine Wertung erfolgen, ob die angegebene Wahrscheinlichkeit mit Gefährlichkeit gleichzusetzen ist.291 aa) Darstellung besonderer Verfahrensregelungen Die Anordnung der Sicherungsverwahrung geschieht im Strafverfahren. Dass dieses Verfahren mit seiner binären Struktur292 der Entscheidung zwischen strafbar oder nicht strafbar bzw. gefährlich oder nicht gefährlich nur eingeschränkt auf die prognoseabhängige Sicherungsverwahrung passt, wird häufig problematisiert.293 Schon die Reichweite des Gegenstands lässt Be285
Boetticher (2005), S. 419. BVerfGE 109, 190 (242), BGHSt 50, 121 (130 f.); Boetticher (2005), S. 420; Frisch (1983), S. 27 f.; ders. (1990), S. 372. 287 BVerfGE 109, 133 (164 f.); Boetticher et al. (2006), S. 539; Müller-Metz (2003), S. 45. Kröber (1999), S. 596 weist darauf hin, dass die Untersuchung des Betroffenen für zukünftige Begutachtungen genau zu dokumentieren ist. 288 Nedopil (2002), S. 347; Volckart (1997), S. 69; Müller-Metz (2003), S. 45. 289 BVerfGE 70, 297 (316). 290 BVerfGE 190, 133, (164); Streng (1995), S. 119. Vgl. auch Jansing (2004), S. 91 f. Gegen die einseitige Beschränkung auf psychiatrische Fachärzte und für Einbeziehung forensisch erfahrener Psychologen Boetticher (2005), S. 420 f.; Rasch/Konrad (2004), S. 35 f. 291 von Hippel (1972), S. 4; Volckart (1997), S. 41; das normative Element betont Frisch (1983), S. 49 ff., 55 ff., 69 ff. 292 Pollähne (2006), S. 230; Urbaniok (2005), S. 92. 286
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
denken über die Verwirklichung des Rechts im Strafprozess aufkommen, da diese nicht nur eine gerichtliche Untersuchung der Tat, sondern der gesamten Persönlichkeit des Täters fordert.294 Es bestehen Bedenken, ob der Strafprozess für die notwendige Tätererforschung geeignet ist.295 Hiermit zusammen hängt auch ein Problem des Gutachters, der von der Begehung der angeklagten Tat im Rahmen seiner Begutachtung ausgehen muss, während das Gericht diese noch prüft.296 Das Beweisrecht der StPO begrenzt die im Strafprozess einzusetzenden Ermittlungseingriffe, eine Tätererforschung ist aber auf Vollständigkeit ausgerichtet.297 In diesem Konflikt bewegt sich die Sicherungsverwahrung: Prognostisch Gebotenes ist nach strafprozessualen Regeln teils unzulässig.298 Dieser Konflikt von Strafverfahren und den Anforderungen an die Feststellung der Maßregelvoraussetzungen ist schon früh gesehen worden, schon Stooß sah im Art. 30 Vorentwurf eines Allgemeinen Schweizerischen StGB vor, dass die Verwahrung rückfälliger Verbrecher von einer besonderen Bundesbehörde, die nur zum Teil aus Juristen bestehen sollte, angeordnet wird. Damit sollte ungleicher Rechtsanwendung entgegengewirkt werden und außerjuristischer Sachverstand dem Verfahren zugute kommen.299 Diese Urbaniok (2005), S. 62; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 19; Jescheck/Weigend (1996), S. 87; Jung (1986), S. 260. 294 Hier soll nicht verkannt werden, dass zur Bestimmung der Schuldfähigkeit unter Umständen und bei der Strafzumessung regelmäßig der Täter in seinen sozialen Bezügen Untersuchungsgegenstand ist. Aber während dies bei der Strafe eine Möglichkeit darstellt, ist eine Sicherungsverwahrung in Deutschland ohne Untersuchung des Täters nicht vorstellbar, von Hippel (1976), S. 51 f. 295 LK11-Hanack vor § 61, Rn. 19; Jescheck/Weigend (1996), S. 87; von Freier (2008), S. 318. Schon Nagler (1939), S. 312 f. sprach sich daher im Sicherungsverfahren gegen den Strengbeweis und gegen die Mündlichkeit des Verfahrens aus; ähnlich Henkel (1938), S. 211, 213, der außerdem den Beweisumfang durch freies richterliches Ermessen bestimmt sehen wollte. 296 Hierauf weist Pollähne (2006), S. 237 hin und spricht von einer „wissenschaftlichen Zumutung“; Feltes (2000), S. 283, ders. (1999), S. 114 f.; Jung (1986), S. 260 fordert eine Unterteilung der Hauptverhandlung. Ebenso Frisch (1983), S. 114. Ders. (1992), S. 112 weist darauf hin, dass diese zeitliche Reihenfolge zu Problemen bei der Rechtfertigung der mit der Prognosestellung verbundenen Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht führt. 297 Dazu: von Freier (2008), S. 303 ff. 298 Nach BGHR Gefährlichkeit 4 darf zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden, auch nicht im Sachverständigengutachten. BGH StV 2002, 19 untersagt die negative prognostische Beurteilung des Bestreitens der Tat. Besonderes deutlich wird das Problem bei der Verwendung solcher Prognoseinstrumente, die das mögliche Vorliegen bestimmter Merkmale als Schlechtpunkte in die Entscheidung einfließen lassen: Dazu: Pollähne (2006), S. 239 f. 299 Stooß (1893), 52 f. 293
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Behörde sollte aus Ärzten, Seelsorgern, Erziehern und Strafanstaltsdirektoren zusammengesetzt sein.300 Heute dagegen ist die Anordnungsentscheidung strafspezifisch ausgestaltet, den besonderen Anforderungen der Sicherungsverwahrung als Maßregel trägt vor allem die Ausgestaltung der Folgeentscheidungen durch das Vollstreckungsgericht mit der grundsätzlichen Schriftlichkeit und der Geltung des Freibeweises Rechnung. Es ist aber zu sehen, dass den Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren eine geringere Richtigkeitsgewähr zugesprochen wird.301 Die wichtigste besondere Regelung ist die obligatorische Beiziehung eines Sachverständigen im Hauptverfahren, § 246a StPO und die regelmäßig geforderte Beiziehung schon im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft nach § 80a StPO. Dabei kann die Rolle des Sachverständigen nach empirischen Erkenntnissen nicht überschätzt werden.302 Wird im Ermittlungsverfahren ein Sachverständiger beteiligt, wird im weiteren Verlauf in der Regel die Sicherungsverwahrung angeordnet.303 Die Beiziehung eines Sachverständigen im Ermittlungsverfahren ist nach den bisherigen empirischen Forschungsergebnissen die entscheidende Weichenstellung für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Die Beiziehung eines Sachverständigen hängt nach den Erkenntnissen zu Anordnungspraxis ihrerseits von einer Übererfüllung der formellen Voraussetzungen ab.304 bb) Geltung des Zweifelssatzes bei der Prognoseerstellung Die für die Anwendung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung wichtigste prozessuale Frage ist, ob bei der Erstellung einer Kriminalprognose Zweifel über Tatsachen zugunsten des Betroffenen zu entscheiden sind. Geltung und Reichweite des Zweifelssatzes sind umstritten, wobei aber eher ungenaue Vorstellungen über den Vorgang der Prognose die Diskussion verschärfen als inhaltliche Differenzen. Dabei ist vor allem eine Vermischung von materiellem und formellem Recht zu vermeiden.305 Die Ausgangslage stellt sich wie folgt dar: Der Richter muss von der Gefähr300
Stooß (1893), 52 f. Voigtel (1998), S. 92; vgl. auch BT-Drucks. 15/2887, S. 11. 302 Kinzig (1998), S. 17; Habermeyer/Hoff/Saß (2002), S. 23; Jansing (2004), S. 97 f. 303 Kinzig (1996), S. 341; Schewe bei Küpper (1990), S. 449, wonach der Gefährlichkeit bescheinigende Gutachter die Erwartungen des Gerichts erfüllt. 304 Jansing (2004), S. 112 m. w. N. Vgl. auch Jehle/Heinz/Sutterer (2003), S. 90. Danach lagen bei Anordnung der Sicherungsverwahrung in den Jahren 1994–1998 in aller Regel fünf oder mehr Eintragungen im BZR vor, wenigstens lagen drei oder vier Eintragungen vor. 305 Bruns (1958), S. 651; NK-Böllinger/Pollähne § 60, Rn. 65. 301
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lichkeit des Täters (§ 66 ff. StGB) überzeugt sein (§ 261 StPO).306 Gefährlichkeit beschreibt die Wahrscheinlichkeit bestimmter Straftaten.307 Der Zweifelssatz findet Anwendung auf alle entscheidungserheblichen Tatsachen, die nach § 261 StPO zur Überzeugung des Richters feststehen müssen.308 Für die Geltung des Zweifelssatzes bei der Feststellung einer Gefahr geht diese Trennung auf Bruns zurück: Dieser Begriff lasse materiell zwar Unsicherheit zu, müsse aber prozessual sicher festgestellt werden.309 Zwar enthalte die Gefährlichkeit Wertungselemente, aber der Begriff umgreife Tatsachen und Wertungen, so dass er als „Schluss-Tatsache“ dem im Prozess geltenden Zweifelssatz unterliegt.310 Ob der Täter in der Zukunft erhebliche Straftaten begeht, ist eine, wenn auch in der Zukunft liegende, Tatsache, so dass bezüglich dieser der Zweifelssatz gelten kann. Da aber zukünftiges menschliches Verhalten zumindest für längere Zeiträume und für seltenes Verhalten niemals sicher vorhergesagt werden kann, wird nicht verlangt, dass der Richter von der Begehung erheblicher Taten durch den Angeklagten überzeugt ist.311 Das Gesetz selbst fordert Überzeugung von der Gefährlichkeit also der Wahrscheinlichkeit. Die Prognose ist die Anwendung von Erfahrungssätzen auf die Prognosetatsachen. Das Ergebnis ist dann juristisch zu bewerten. Auf diesen letzten Schritt ist der Zweifelssatz nicht anzuwenden, bei der Bewertung geht es nicht um Tatsachenermittlung. Die Frage, wann im konkreten Fall eine nicht hinzunehmende Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftatenbegehung vorliegt, ist eine normative. Für die Erfahrungssätze, die der Prognose zugrunde liegen, kann der Zweifelssatz ebenfalls nicht gelten.312 Da die Abhängigkeit der Begehung erheblicher Straftaten von einem bestimmten Merkmal nicht sicher festzustellen ist, würde eine Anwendung des Zweifelssatzes zu einem Verzicht auf prognoseabhängige Sanktionen führen müssen. Lautet der Erfahrungssatz: „Männer zwischen 20 und 25 Jahren, die alkoholkrank sind, werden häufiger kriminell als solche ohne diese Krankheit“, so steht dieser Zusammenhang nicht unzweifelhaft fest. Un306
BVerfG NJW 2006, 3483; Brandt (2008), S. 106. Exner (1933), S. 633; Dessecker (2004), S. 327; Bruns (1958), S. 652. 308 Jescheck/Weigend (1996), S. 144 m. w. N.; Finger (2008), S. 194. 309 Bruns (1958), S. 647; LK12-Schöch vor § 61, Rn. 62; NK-Böllinger/Pollähne § 61, Rn. 60. 310 LK12-Schöch vor § 61, Rn. 63 f.; ähnlich Brandt (2008), S. 116; i. E. auch BGH GA 1955, 151. 311 Zu den Anforderungen an das Prognoseergebnis: Oben C.II.2. Anders noch Stooß im Art. 40 VE eines schweizerischen StGB. 312 Pollähne (2006), S. 238; Volckart (1997), S. 21. Wohl anders Bae (1985), S. 130 f. Vgl. auch Schünemann (1972), S. 880, der aus der Unsicherheit bezüglich der Erfahrungssätze folgert, dass diese durch die Anwendung einer Zweifelsregel in die eine oder andere Richtung überwunden werden müsse. 307
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zweifelhaft wäre der Erfahrungssatz nur, wenn jede Person mit dem Merkmal häufiger kriminell würde, als jede Person ohne das Merkmal. Eine solche Erkenntnis wird der empirischen Forschung aber auf absehbare Zeit verschlossen bleiben. Dieses Problem aber war dem Gesetzgeber bei der Regelung der prognoseabhängigen Sicherungsverwahrung bewusst.313 Es verbietet sich die Argumentation, der Proband dürfe auf einzelne, nach den Erfahrungssätzen relevante Merkmale nicht untersucht werden, da deren Relevanz nicht sicher sei.314 Das Gericht darf die wissenschaftlich anerkannten Erfahrungssätze zugrunde legen. Es wird häufig die Anwendbarkeit des Zweifelssatzes auf prognostische Urteile entweder abgelehnt315 oder (überwiegend) auf die der Prognose zugrunde liegende Feststellung der Prognosetatsachen beschränkt.316 Lediglich vereinzelt wird vertreten, dass der Zweifelssatz anzuwenden ist, wenn eine Mittelfeld-Prognose vorliegt, eine Gefahr weder angenommen noch abgelehnt, also die Eingriffsvoraussetzung nicht sicher festgestellt werden kann.317 Gegen die Geltung des Zweifelssatzes bei der Feststellung der Prognosebasis wird vorgebracht, dass bei dessen Anwendung keine zusätzliche Prognosesicherheit erlangt werde, sondern die Unsicherheiten bei der Sachverhaltsaufklärung so nur zulasten der Sicherheit der Allgemeinheit wirken.318 Bei Kriminalprognosen gehe es um die Frage, welches Rückfallrisiko gesellschaftlich hinzunehmen ist, daher sollte der Zweifelssatz nicht angewendet und stattdessen eine normative Wertung auf unsicherer Tatsachenbasis unter Berücksichtigung der (insbesondere durch den Wortlaut der Normen vorgegebenen) legislatorischen Risikoabwägung vorgenommen werden.319 Gegen eine so umfassende Ablehnung spricht aber, dass eine Verschiebung des Risikos erheblicher Straftaten zulasten der Allgemeinheit auch vorliegt, wenn auf Verdachtsstrafen verzichtet wird.320 Warum diese Beweisregel bei präventiven Maßregeln einer Abwägung weichen soll, ist 313
Dazu: Volckart (1997), S. 21 f. Pollähne (2006), S. 238 f.; Volckart (1997), S. 22. 315 Walter (2006), S. 342; Schall/Schreibauer (1997), S. 2414; Jescheck/Weigend (1996), S. 837, diese aber für eine Prognose nach § 56 I StGB; Montenbruck (1985), S. 107. 316 Brandt (2008), S. 106; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 48 ff.; SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 12; von Freier (2008), S. 330, Fn. 99. LK12-Schöch vor § 61, Rn. 64 bezieht die Geltung des Zweifelssatzes weitergehend auch auf die Gefährlichkeit. U. Schneider (2006), S. 421 stellt bezüglich der Prognose lediglich fest: „Unsicherheiten gehen nach dem Prinzip ‚in dubio pro reo‘ zu seinen Gunsten.“ 317 Stree (1962), S. 98; Streng (1995), S. 109 f. 318 Schall/Schreibauer (1997), S. 2414. 319 Schall/Schreibauer (1997), S. 2414; Frisch (1987), S. 7 ff. 320 Frisch (1983), S. 69 f.; Zur Entwicklung der Maßregeln aus den Verdachtsstrafen: Henkel (1937), S. 711 ff. 314
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
unklar. In beiden Fällen geht es um die Entkräftung der Vermutung, dass der Betroffene rechtmäßig handelt321 (im Fall der Bestrafung gehandelt hat, im Fall der Sicherungsverwahrung handeln wird). Darüber hinaus wird damit das Problem verkannt: Dass die drohenden Straftaten wahrscheinlich sein müssen, ist die gesetzliche Risikoverteilung, die auf einer Abwägung der Interessen beruht. Dass die Voraussetzungen dieser Wahrscheinlichkeit sicher vorliegen müssen, hat damit nichts zu tun. Daher findet der Zweifelssatz Anwendung auf die Feststellung des Vorliegens der nach den Erfahrungssätzen relevanten Merkmale beim Probanden.322 Das Vorliegen prognostisch ungünstiger Anknüpfungstatsachen muss feststehen.323 Ist eine Kriminalprognose bei einem alkoholkranken Mann im Alter von 23 Jahren zu stellen, gilt folgendes: Die Tatsache, ob ein Zusammenhang zwischen Alkoholkrankheit und erhöhter Strafatatenwahrscheinlichkeit besteht, unterfällt nicht dem Zweifelssatz, diese muss nur den Anforderungen an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnis genügen. Dass der Täter ein Mann ist, dass er alkoholkrank ist und dass er 23 Jahre alt ist, unterfällt dem Zweifelssatz.324 Ergeben sich bei einer solchen Prognoseerstellung mehrere mögliche Wahrscheinlichkeitsgrade, muss das Gericht von der geringeren ausgehen.325 Die Gegenansicht, die darauf abstellt, dass die Ungewissheit über das Vorliegen prognostisch relevanter Tatsachen notwendig auf das zu treffende Wahrscheinlichkeitsurteil durchschlägt,326 bringt folgendes vor: Der Zwei321
Stree (1962), S. 96 f. Meier (2009), S. 103; Pollähne (2006), S. 239; Stree (1962), S. 93. Anders Montenbruck (1985), S. 100 f., der die Trennung von Basistatsache und Wertung bestreitet. Dabei sieht er die Basistatsache aber als die vom Gesetz in Bezug genommene Situation, S. 101. Weil Gefährlichkeit nur Wahrscheinlichkeit von Straftaten ist, soll das mögliche Vorliegen von laut Erfahrungssatz relevanten Tatsachen für eine positive Prognose ausreichen. 323 BGH StV 1993, 458, 459 (für die Prognose nach § 56 I StGB; BGH StV 1995, 521 (für die Prognose nach § 56 II StGB); Pollähne (2006), S. 239; Volckart (1997), S. 22. Strittig ist weiter, ob vom Vorliegen günstiger Tatsachen auszugehen ist. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 56 lehnen die Unterstellung prognostisch günstiger Tatsachen ab. Ebenso Streng (2002), S. 340 f. Für diese Unterstellung: Brandt (2008), S. 106; Pollähne (2006), S. 238 f.; Volckart (1997), S. 22 m. w. N. 324 Wie hier von Freier (2008), S. 300, Fn. 99. Nach hier vertretener Ansicht unzulässig ist daher die Praxis mancher Prognoseinstrumente, ein Item mit einem Punkt zu belegen, dass nur möglicherweise vorliegt. 325 Pollähne (2004), S: 57 f.; Brandt (2008), S. 116; Fischer vor § 61, Rn. 3. 326 Montenbruck (1985), S. 102; Walter (2006), S. 342; ähnlich Zopfs (1999), S. 304 f. Streng (2002), S. 340 f. nimmt dies nur für begünstigende Prognosen an (§§ 56, 57 StGB), nicht aber für belastende Prognosen. Dabei zählt er auch die Entlassungsprognosen nach §§ 67c I, d II, III StGB zu den belastenden Prognosen. 322
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felssatz ist danach nicht auf solche Normen anzuwenden, die statt Gewissheit eine Möglichkeit fordern, da Möglichkeit immer Zweifel beinhalte.327 Insbesondere greift Walter die Einteilung in Prognosebasis, für die der Zweifelssatz gelten soll und Prognoseergebnis, für das er nicht anzuwenden ist, an, da Unsicherheiten bezüglich der Basistatsachen stets in der Prognose aufgehen. Ist eine Basistatsache wichtig, doch völlig ungewiss, wird das zu einer negativen Prognose führen.328 Das ist richtig, wie auch folgendes Beispiel zeigt. Wird mit dem Erfahrungssatz gearbeitet: Alkoholabhängige Straftäter haben eine Rückfallquote von 70% und ist der Proband ein solcher, dann ist das zu bewertende Prognoseergebnis (vorbehaltlich individueller Besonderheiten), dass eine entsprechende Straftatenwahrscheinlichkeit von 70% vorliegt. Ist es aber genauso möglich wie nicht möglich, dass der Proband alkoholabhängig ist, wird die Wahrscheinlichkeit um 50% sinken. Das Ergebnis ist dann eine Straftatenwahrscheinlichkeit von 35%. Insofern schlagen unsichere Prognosetatsachen auf das zu bewertende Ergebnis durch. Aus dieser richtigen Analyse zieht Walter aber zu weit gehende Schlüsse. Denn daraus, dass die Prognosenormen Zweifel zulassen, weil sie nur Möglichkeiten fordern, folgt nicht, dass jeder Zweifel zulässig ist. Dass die Unsicherheit über das Vorliegen eines Merkmals im zu treffenden Wahrscheinlichkeitsurteil aufgeht, ist richtig, die Frage ist aber, ob es normativ zulässig ist.329 Denn Konsequenz dieser Ansicht wäre, dass das nur mögliche Vorliegen mehrerer relevanter Tatsachen zu einer positiven Kriminalprognose führt. Als letzte Frage bleibt die Anwendung des Zweifelssatzes auf die Mittelfeld-Prognose: Was soll geschehen, wenn sich nach Anwendung der Erfahrungssätze auf die sicher festgestellte Prognosebasis keine eindeutige Vorhersage ergibt? Hier kann entweder argumentiert werden, die Sanktionsvoraussetzung „Gefährlichkeit“ sei nicht gegeben,330 oder das Problem kann in den Bereich der normativen Bewertung geschoben werden, so dass der Zweifelssatz nicht anzuwenden ist.331 Nach dem oben zur Struktur der Prognose gesagten ist der Zweifelssatz nicht anzuwenden. Ob eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 55% ausreichend ist um Gefährlichkeit anzunehmen, ist eine Frage der Auslegung des Rechtsbegriffs Gefährlichkeit. Die Setzung des Umschlagspunkts als Rechtsanwendung ist nicht vom Zweifelssatz betroffen, es muss nicht im Zweifel von einem höheren Umschlagspunkt ausgegangen werden. 327 328 329 330 331
Walter (2006), S. 342. Walter (2006), S. 343. von Freier (2008), S. 301, Fn. 99. So Stree (1962), S. 96 f. Volckart (1997), S. 51.
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cc) Geltung bei Vollstreckungsentscheidungen Überwiegend wird eine Anwendung des Zweifelssatzes bei den Entscheidungen über die Vollstreckung der angeordneten Sicherungsverwahrung abgelehnt332. Müller sieht bei beiden Entscheidungen verschiedene Ausgangssituationen gegeben. Während vor der Anordnung einer Maßregel der Grundsatz „in dubio pro libertate“ für den Angeklagten streite, sei durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung diese Ausgangsvermutung widerlegt.333 Diese Widerlegung der Freiheitsvermutung für den Täter rechtfertige es, an die Aussetzungsentscheidung strengere Maßstäbe anzulegen als an die Anordnungsentscheidung.334 Während bei der Anordnung einer Maßregel die Frage zu entscheiden sei, ob gegen den Täter präventiv vorgegangen werden kann, gehe es bei der Vollstreckungsentscheidung um die Frage ob auf die weitere Vollstreckung verzichtet werden könne.335 Solange nicht feststehe, dass die festgestellte Gefährlichkeit entfallen ist, sei nach der Gesetzeslage die Vollstreckung nicht auszusetzen. Aber auch er nimmt an, dass das Maßregelrecht keine Beschränkungen auferlegen dürfe, deren Notwendigkeit nicht nachweisbar sei.336 Dieser Ansicht ist aufgrund folgender Argumentation nicht zu folgen: Das Maßregelrecht ist notwendig auf den aktuellen Zeitpunkt bezogen, es kann sich durch Vergangenes im Unterschied zur Strafe nicht rechtfertigen. Die Strafe bezieht sich auf die vergangene und unveränderliche Schuld, die Sicherungsverwahrung auf Umstände, die veränderlich sind.337 Damit bleibt unklar, warum die Notwendigkeit des präventiven Zugriffs nur im Zeitpunkt der Anordnung soll vorliegen müssen, im Zeitpunkt der Vollstreckungsentscheidung dagegen der Nachweis der Unnötigkeit zu fordern sein soll. Dass die Ausgangsvermutung der Freiheit durch die Anordnungsentscheidung statisch widerlegt ist, folgt eben nicht aus der Entscheidung, da diese nur für die aktuelle Situation eine Kriminalprognose stellen kann. Sowohl relevante Tatsachen als auch die Bedeutung der Tatsachen verändern sich.338 Die gesetzliche Freiheitsvermutung, die dem Zweifelssatz zugrunde liegt, ist durch die rechtskräftige Anordnung der Sicherungsverwahrung eben nicht ausgeschlossen, die Anordnung drückt lediglich Geltung der Kriminalprognose 332
Müller (1981), S. 135; Stree (1962), S. 106; MüKo-Veh § 67c, Rn. 9 m. w. N. Müller (1981), S. 109. 334 Müller (1981), S. 110. 335 Müller (1981), S. 135. 336 Müller (1981), S. 135. 337 SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 11. 338 Daher wird die Rechtskraft einer Maßregelanordnung eingeschränkt, die eine Gestaltungswirkung, also die Änderung der Risikoverteilung zur Folge haben könnte. Dazu unten H.I.2. 333
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aus, ob die Voraussetzungen der Maßregel (noch) vorliegen ist gerade zu prüfen und wird nicht vermutet.339 Einer früheren Prognose kommt nicht die Vermutung ihrer Richtigkeit zu.340 Die Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher nach § 20a I StGB a. F. begründete nach ausdrücklicher Rechtsprechung des BGH keine Vermutung für eine Gefährlichkeit im Sinne des § 42e StGB a. F. für die Zeit nach der Strafentlassung.341 Das Auseinanderfallen der maßgeblichen Zeitpunkte war aber der Grund, den § 67c I StGB einzuführen, so dass auch aus der Maßgeblichkeit des Urteilszeitpunkts für die Anordnungsprognose keine Vermutungswirkung entstehen kann. Eine Differenzierung, nach der der Zweifelssatz für die Anordnungsnicht aber die Vollstreckungsprognose gilt, ist nicht begründbar.342 Erneut ist zwischen der Geltung des Zweifelssatzes und den materielle Anforderungen an die Vollstreckungsentscheidungen343 zu unterscheiden. dd) Fazit zur Geltung des Zweifelssatzes Das Gericht Richter muss auf unzweifelhaft feststehende prognostisch relevante Tatsachen die Erfahrungssätze über Kriminalitätsentstehung anwenden. Die Erfahrungssätze können nicht unzweifelhaft feststehen. Das Ergebnis dieses syllogistischen Schlusses ist normativ zu bewerten. Hat der Richter auf beschriebene Weise die Überzeugung erlangt, der Angeklagte weise eine positive Kriminalprognose auf, so ist vorbehaltlich der übrigen Voraussetzungen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Bei den Entscheidungen über Beginn oder Fortsetzung der Vollstreckung der angeordneten Sicherungsverwahrung gilt dasselbe. d) Fazit zu den Problemen einer legitimen Kriminalprognose Insgesamt wird überwiegend trotz unzureichender Prognoseergebnisse auch bei klinischen Prognosen344 an der Sicherungsverwahrung festgehalten, wobei das Verfahren bei der Erstellung der Prognose immer mehr die Legitimationsfunktion übernimmt, die das Prognoseergebnis nicht leisten Stree (1962), S. 17 und 101 f; LK12-Schöch vor § 61, Rn. 66. SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 14; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 96. 341 BGH NJW 1953, 1559; Mezger (1958), S. 137. 342 NK-Pollähne/Böllinger § 67c, Rn. 20; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 7, 13; Laubenthal (2004), S. 727; Nowakowski (1963), S. 118. 343 Dazu unten G.II. 344 Streng (1995), S. 107; Baltzer (2005), S. 228 f. m. w. N.; zur Abhängigkeit der klinischen Prognose fast ausschließlich von Anlass- und Vortaten: Hinz (1985), S. 55. Als Beispiel für ein mangelhaftes Gutachten vergleiche die Entscheidung LG Marburg NStZ-RR 2006, 156. 339 340
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kann. Dies ist unbefriedigend, kann aber nur behoben werden, wenn entweder die Gefährlichkeit vermutet wird,345 auf die Sicherungsverwahrung verzichtet wird,346 oder die Funktion der Sicherungsverwahrung von einer Rückfallschuldstrafe übernommen wird.347 Gegen alle diese Lösungen spricht vor allem, dass sie das Problem der Erfassung ungefährlicher Täter nicht lösen, sondern verdecken. Das Ergenis einer Kriminalprognose ist derzeit nicht in der Lage, den Eingriff in die Freiheit zu begründen. Die wissenschaftlichen Fortschritte, die teilweise gesehen werden,348 können nicht überzeugend dargetan werden: Dem methodischen Fortschritt steht weiter das Bedenken der Überschätzung der Gefährlichkeit entgegen.349 Ein anderer Ansatz als die Legitimation durch Anforderungen an die Erstellung zur Verbesserung der Treffsicherheit der Prognose und ihre Legitimationswirkung350 zu stärken wäre, sie auf eine breitere Basis zu stellen, indem die formellen Voraussetzungen angehoben werden. Vor allem eine höhere Zahl an erforderlichen Vortaten wird gefordert.351 Der Gesetzgeber ist diesen Vorschlägen nicht gefolgt, sondern hat mit der Einführung der §§ 66 III, b II StGB genau den entgegengesetzten Weg eingeschlagen. In Betracht kommen als Lösung die weitere Formalisierung der Prognoseerstellung und die genaue Bestimmung der Situation, in der die Kriminalprognose gegen einen Täter gelten soll. Zwar ist nicht uneingeschränkt auf das Argument zurückzugehen, der Täter habe durch seine Vortaten verant345 Vgl. den Vorschlag H.-J. Albrechts bei Kilchling (1997), S. 168, die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der erörterten Probleme bei der Kriminalprognose ausschließlich von formellen Voraussetzungen abhängig zu machen. 346 Dafür in neuerer Zeit: Kinzig (1996), S. 597 ff.; Weichert (1989), S. 273. 347 Zu den Problemen einer solchen Lösung: Frosch (1976). 348 U. Schneider (2006), S. 421 f. 349 Brandt (2008), S. 104; Kinzig (2008), S. 158 f.; Pollähne (2006), S. 257. 350 Bae (1985), S. 130 fordert eine stärkere Legitimierung durch Formalisierung. Soweit Pollähne (2006), S. 253 m. w. N. darauf hinweist, dass neben der Treffsicherheit der Prognose auch die Basisrate für die Legitimität der darauf beruhenden Entscheidung relevant ist, ist dies kein eigenständiges Argument, die prognostische Trefferquote hängt von der Häufigkeit des vorherzusagenden Ereignisses ab. 351 Kinzig (2008), S. 127; Harrendorf (2007), 391 f. nach dem für eine Rückfälligkeit in Gewaltdelikte das Vorliegen einschlägiger Vorstrafen am aussagekräftigsten ist. Gleichzeitig hält Harrendorf (2007), S. 384 eine Prognose allein anhand der Daten des BZR für nicht möglich; Frisch (1990), S. 374; Kaiser (1990), S. 49; Laubenthal (2004), S. 717; vgl. aus psychiatrischer Sicht: Leygraf (2007), S. 295. Die hohe Bedeutung der Vortaten wird auch bei Kröber (1999), S. 595 deutlich: „10 abgeurteilte Taten (. . .) würden eine kriminaldiagnostisch eindeutige Spur zeichnen, 2 hingegen können wesentlich weniger aussagekräftig sein.“ Vgl. auch Rasch/Konrad (2004), S. 390: „Als verlässlichste allgemeine Prognosekriterien wurden Beginn, Typ und Häufigkeit früheren kriminellen Verhaltens herausgearbeitet.“; sowie Pierschke (2001), S. 252; Leygraf (2004), S. 439. Skeptisch Streng (1995), S. 119.
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wortlich eine fehlerbehaftete Kriminalprognose selbst herbeigeführt, also auch deren Folgen zu tragen. Dies steht in bedenklicher Nähe zu der einer utilitaristischen Rechtfertigung der Sicherungsverwahrung.352 Dennoch ist die Verbindung aus einer klaren Beschreibung, unter welchen Voraussetzungen dem Betroffenen gegenüber eine Prognosegeltung begründet werden kann und einer Formalisierung der Prognoseerstellung der vielversprechendste Weg einer rechtsstaatlichen Anwendung der Sicherungsverwahrung. Insofern hat der Täter durch die Anlasstat und die Erfüllung der formellen Voraussetzungen das Risiko falscher Prognosen eben nicht uneingeschränkt zu tragen, er hat lediglich das Risiko methodisch korrekter Fehlprognosen zu tragen. Inwieweit auch die klinische Kriminalprognose aufgrund unzureichenden empirischen Wissens und einem unklaren Schwanken zwischen intuitiver Prognosestellung durch Experten und der Heranziehung statistischer Prognoseinstrumente einer „rein ergebnisorientierten Entscheidungspraxis eine wissenschaftliche Weihe verleiht“353 muss hier nicht entschieden werden. Dieses Bedenken stützt aber jedenfalls die Interpretation, dass die Absenkung der formellen Voraussetzungen nicht durch Fortschritte bei der Kriminalprognose354 aufgefangen wird, sondern ein Ausdruck gesunkener Risikobereitschaft der Rechtsordnung ist.355 Als konstruktiver Ausweg ist die Erhöhung der formellen Voraussetzungen zu fordern. Denn der methodische Fortschritt bei der Erstellung einer Kriminalprognose allein kann die Verwahrung falscher Positiver nicht verhindern und die Absenkung der formellen Voraussetzungen ist nicht durch einen entsprechenden Fortschritt bei der Vorhersage erheblicher Straftaten ausgeglichen.356 Weiter ist für die Bewertung der Gutachten durch das Gericht vor allem eine kritische Haltung zu fordern, die auf einer Einbeziehung der vollständigen Prognosebasis in die Begutachtung und einer transparenten Darlegung des Gutachtens besteht.
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Zu letzterem: Bae (1985), S. 84. So Bock (2007), S. 275. 354 Vgl. Leygraf (2004), S. 441 nach dem die Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung schon nach der zweiten Tat „die prognostische Beurteilung deutlich unsicherer werden lässt.“; Kinzig (2008), S. 158; U. Schneider (2006), S. 421 sieht dagegen deutliche Fortschritte und erhebliche Verbesserungen in der Prognoseforschung. 355 Kinzig (2008), S. 158. 356 So auch Kinzig (2008), S. 158 f. 353
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4. Zeitpunkt der Prognose Seit der Reform des Maßregelrechts durch das Erste Strafrechtsreformgesetz ist für die Kriminalprognose der Zeitpunkt des Urteils maßgeblich.357 Aus der Einführung des § 67c I StGB, der eine Prüfung des Fortbestehens der Gefährlichkeit durch das Vollstreckungsgericht vor Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung vorsieht, ergibt sich im Umkehrschluss, dass für das Tatgericht der Urteilszeitpunkt maßgeblich ist und die angenommene Entwicklung des Täters im Strafvollzug grundsätzlich unbeachtet bleibt. Es ist also eine hypothetische Prognose zu stellen: Würde der Täter mit zu hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Taten begehen, wenn er nach der Hauptverhandlung in Freiheit gelangte?358 Umstritten ist dennoch, inwieweit das Gericht schon bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung zukünftige Entwicklungen berücksichtigen darf.359 Grundsätzlich dürfen nach überwiegender Ansicht hypothetische Verläufe nicht berücksichtigt werden,360 gerade zur Korrektur nicht mehr zutreffender Beurteilungen der Gefährlichkeit besteht die Prüfung nach § 67c I StGB. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn mit Sicherheit angenommen werden kann, dass der Täter nach der Strafvollstreckung nicht mehr gefährlich ist, darf dieser schon bei der Anordnung der obligatorischen Verwahrung vom Tatgericht berücksichtigt werden.361 Die Gegenansicht lässt hypothetische Verläufe schon in der Anordnung von Sicherungsverwahrung berücksichtigen und beruft sich dabei auf das Wesen der Prognose.362 Daran ist zwar richtig, dass eine prognostische Beurteilung immer auch hypothetische Verläufe berücksichtigt. Allerdings wird bei der Prognose im Wege der Übertragung von Erfahrung auf den Einzelfall vom Gegenwärtigen auf Zukünftiges geschlossen. Prognosebasis 357 BVerfGE 109, 190 (192); BGHSt 25, 59 (61); BGH NStZ 2002, 535, 536; BGHR § 66 StGB, Gefährlichkeit 7; Müller-Metz (2003), S. 46; Mushoff (2008), S. 65; Müller (1981), S. 66; einschränkend: LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 3. 358 Müller (1981), S. 71 m. w. N. Dabei ist dies von unterschiedlicher Bedeutung: § 66 I StGB soll gerade den strafunempfänglichen Täter erfassen, bei dem vorheriger Strafvollzug keine Wirkung zeigte, während dies für die Adressaten des § 66 II StGB noch nicht erprobt ist. 359 Dabei ist dies für § 66 I StGB weniger problematisch als für die Fälle des § 66 II StGB, in denen die Anordnung im Ermessen des Gerichts steht. Dazu: Müller-Metz (2003), S. 46 m. w. N. Zu dem Streit unter alter Rechtslage: Müller (1981), S. 44; Bruns (1958), S. 652. 360 BGH NStZ 1990, 334; BGH MDR 1989, 682; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 36. 361 BGH NStZ 1988, 496. Typische Fallgruppe hierfür ist der Straftäter, der nach Strafverbüßung zu alt ist, um Delikte nach seiner Neigung zu begehen. 362 Volckart (1997), S. 96; wohl auch Müller-Metz (2003), S. 46. Differenzierend: Müller (1981), S. 69, der die Ausstrahlung zukünftiger Ereignisse auf die jetzige Kriminalprognose berücksichtigt.
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ist daher der aktuelle Zustand, die aktuelle Person des Täters und die von ihm begangenen Taten.363 Zwar stellt trotz der Überprüfung nach § 67c I StGB schon die Anordnung eine erhebliche Belastung des Täters dar.364 Dies ist jedoch vom Gesetz so vorgesehen. Nur wenn das Gericht vom weiteren Verlauf schon jetzt überzeugt ist, ist dies zu berücksichtigen. 5. Fazit: Anforderungen an eine legitime Kriminalprognose Jede Prognose ist die Übertragung von Erfahrung auf einen neuen Sachverhalt. Dies geschieht anhand eines syllogistischen Schlusses. Im Fall der Kriminalprognose wird das Wissen über die Wahrscheinlichkeit bestimmter Straftaten in bestimmten Konstellationen auf den Täter übertragen. Diese Erfahrung ist entweder im Sachverständigen vorhanden oder wird durch von diesem genutzte Prognoseinstrumente vermittelt. Dieses führt zu einer Angabe über die Wahrscheinlichkeit erheblicher Taten durch den Täter. Diese Angaben des Sachverständigen hat das Gericht zu bewerten. Es müssen die ermittelte Wahrscheinlichkeit ins Verhältnis zur Schwere der drohenden Tat gesetzt werden. Erst wenn dieses Verhältnis zu dem Ergebnis führt, dass die so ermittelte Wahrscheinlichkeit dieser Tat nicht hinnehmbar ist, wird der Täter als gefährlich bezeichnet. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass sich die Kriminalprognose nicht allein durch ihr Ergebnis legitimieren kann, da zukünftige Taten nicht sicher vorhersehbar sind und eine Vermutung der Gefährlichkeit dem Maßregelrecht fremd ist. Daher konzentrieren sich die Anforderungen an eine legitime Kriminalprognose auf das Verfahren der Prognoseerstellung, wobei die Einbeziehung aller prognostisch relevanten Tatsachen im Mittelpunkt steht. Daneben ist die Beachtung der Arbeitsteilung wichtig, der Sachverständige darf Bewertungen nicht vorwegnehmen und muss das Gericht durch eine verständliche Abfassung des Gutachtens in die Lage versetzen, die Einhaltung der Anforderungen an die Prognoseerstellung zu kontrollieren. Trotz der notwendigen Unsicherheit bezüglich der prognostischen Relevanz bestimmter Merkmale generell wie im individuellen Anwendungsfall ist weiter zu verlangen, dass die nach aktuellem Forschungsstand angenommene Relevanz der Merkmale beachtet wird. Dabei ist der Einsatz standardisierter Prognoseinstrumente sinnvoll. Es ist dabei zu verlangen, dass die in diesen Instrumenten enthaltene Erfahrung nicht schematisch auf den Probanden übertragen wird, vielmehr ist herauszuarbeiten, welcher Erfahrungssatz für den Probanden einschlägig ist, indem untersucht wird, welcher Erfahrungssatz die bisherige Delinquenz am besten erfasst. Für die ausrei363 364
Müller (1981), S. 68. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 233; Müller (1981), S. 73 ff.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
chende Einbeziehung von solcher an dem Probanden gewonnener Erfahrung sind die formellen Voraussetzungen entscheidend.
III. Prognosegegenstand: Die zu erwartenden erheblichen Straftaten Inhalt der Kriminalprognose muss sein, dass vom Täter erhebliche Straftaten zu Lasten der Allgemeinheit erwartet werden. Es erstaunt, dass die schärfste Sanktion des Strafrechts keinen Katalog enthält, der die zu verhindernden Taten abschließend aufzählt.365 Dass die Wahrscheinlichkeit bestimmter Straftaten gefordert ist macht die Prognose allerdings auch fehleranfällig,366 die gerichtliche Praxis behilft sich zumeist damit, eine Wiederholung der bereits begangenen Taten anzunehmen und dann die in die Zukunft projizierten begangenen Taten auf ihre Erheblichkeit zu überprüfen.367 Teilweise wird die Frage aufgeworfen, wen die Realisierung der Straftatenwahrscheinlichkeit treffen muss und in Abrede gestellt, dass die Gefährlichkeit für ein bestimmtes Individuum gleichzeitig eine Bedrohung der Allgemeinheit darstellt, da bei solchen Beziehungsdelikten die zwischenmenschliche Beziehungsdynamik im Vordergrund stehe.368 Dem wird aber überzeugend entgegengehalten, dass kein Grund besteht, die dem Täter besonders nahe Stehenden anders zu behandeln, als beliebige Fremde.369 Dass ein konkretes Individuum die Allgemeinheit weniger repräsentiert als ein Zufallsopfer ist nicht zu begründen.370 Die Erheblichkeit ist regelmäßig gegeben bei Verbrechen,371 richtet sich aber nach der konkreten Tat und nicht dem Strafrahmen.372 Die Zuordnung zu einem Bereich wird nicht nur vom konkreten Erfolg, sondern auch von 365
Eindringlich: Frisch (1990), S. 386 f. Kinzig (1996), S. 83 m. w. N. Zu fordern ist, dass sich der Schluss von vergangenen auf zukünftige Taten, wenn er als Hilfskonstruktion überhaupt zulässig ist, auf mehrere gleichartige Taten stützen kann. 367 Kinzig (1996), S. 55, 367; Dessecker (2004), S. 303; Mushoff (2008), S. 291. Vgl. BGH MDR 1981, 266. Dazu, dass diese Projektion in die Zukunft alternativlos sei: Haße (1931), S. 13. 368 NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 105; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 134. Im Ergebnis wohl auch SK-Sinn § 66, Rn. 17. 369 Dessecker (2004), S. 303. Auf eine besondere Duldungspflicht im sozialen Nahbereich kann nicht abgestellt werden, da erhebliche Straftaten verhindert werden sollen. 370 Im Ergebnis auch: BGH NStZ 2007, 464; von Harbou (1999), S. 96; LK11-Hanack § 66, Rn. 148; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 35. Für § 63 StGB BGHSt 26, 321. 371 BGHSt 24, 253; BGHR § 66 I Erheblichkeit 3; BGH GA 1980, 422; Sch/SchStree § 66, Rn. 39; LK11-Hanack § 66, Rn. 105. Kritisch: Dessecker (2004), S. 306. 366
III. Prognosegegenstand: Die zu erwartenden erheblichen Straftaten
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einer gemeinen Begehungsweise373 und dem Ausmaß des Schadens374 oder des Unrechts375 beeinflusst. Es kommt darauf an, ob die zu erwartende Tat den Rechtsfrieden empfindlich stört.376 Bei der Bestimmung wird eine Einteilung in Bagatelldelikte, mittlere und schwere Kriminalität vorgenommen.377 Dabei reichen drohende Bagatelldelikte nicht aus, wohl aber Taten der mittleren Kriminalität, wenn sie einen hohen Schweregrad aufweisen.378 Ansätze zur weitergehenden Bestimmung ergeben sich auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit379 und den formellen Voraussetzungen.380 Teilweise werden auch die übrigen Vorschriften des Maßregelrechts, insbesondere §§ 67e II StGB herangezogen.381 Es ist daher im Einklang mit dieser Regelung zu fordern, dass die drohende Tat mit einer Freiheitsstrafe von wenigstens einem Jahr bestraft würde.382 Die Erheblichkeit drohender Straftaten ist insbesondere gegeben, wenn durch die Tat das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt wird oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Diese Umschreibung der zu verhindernden Tat ist nicht abschließend. Eine Gleichwertigkeit dieser Beispiele besteht nicht, was sich aus § 67d III StGB ergibt, der eine Vollstreckung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus bei der Erwartung schweren wirtschaftlichen Schadens nicht zulässt. Außerdem wird nur in dieser Fallgruppe eine Gesamtbetrachtung mehrerer Taten diskutiert und überwiegend zugelassen.383 Im Zuge der Überarbeitung der Vorschrif372 LK11-Hanack § 66, Rn. 105; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 112; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 42. 373 BGHSt 24, 153; BGH NStZ-RR 2002, 38. 374 BGH NStZ 1984, 309; BGH NStZ 1988, 496. 375 BGH MDR 1994, 761 f. 376 BGHSt 24, 153 (154); BGH NStZ 1986, 165; BGH NStZ-RR 2003, 73; Finger (2008), S. 43; LK11-Hanack § 66, Rn. 108. Kritisch zur der Störung des Rechtsfriedens vor dem Hintergrund der Wertneutralität der Sicherungsverwahrung: Mushoff (2008), S. 291; Weichert (1989), S. 269. 377 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 113; LK11-Hanack, § 66, Rn. 106; kritisch: NKBöllinger/Pollähne § 66, Rn. 92. 378 BGHSt 24, 153; BGH JR 1980, 338; BGH NStZ 1984, 309; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 39. 379 Hierzu: Frisch (1990), S. 383 ff. 380 Dessecker (2004), S. 303; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 39; einschränkend: LK11-Hanack § 66, Rn. 109. 381 So Volckart (1997), S. 97, 89. 382 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 154; Fischer, § 66, Rn. 30; Sch/ Sch-Stree § 66, Rn. 39; im Ergebnis auch: MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 116. Einschränkend mit einem Hinweis darauf, dass die Strafzumessung nicht nur von der Erheblichkeit der Tat abhängt LK11-Hanack § 66, Rn. 109. Einen Anhaltspunkt für die Erheblichkeit sieht darin BGH NStZ-RR 2003, 73. 383 Zu letzterem ausführlich: Dessecker (2004), S. 306.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
ten über die Sicherungsverwahrung im Jahr 2010 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum Januar 2011 die Erwartung wirtschaftlichen Schadens als nicht mehr ausreichend zur Anordnung der Sicherungsverwahrung angesehen und diese Alternative aus § 66 StGB n. F. gestrichen. 1. Schwere körperliche oder seelische Schädigung Der Körper ist jedenfalls schwer geschädigt, wenn die Beeinträchtigung nicht wieder zu beseitigen ist,384 wobei Schäden im Sinne des § 226 StGB nicht notwendig zu erwarten sein müssen.385 Die Rechtsprechung geht weiter und fordert das Auftreten bleibender Schäden nicht zwingend.386 Die Subsumtion unter dieses Beispiel spielt in der Rechtsprechung keine erhebliche Rolle, es wird vielmehr auf die schon angesprochene Einteilung in schwere und mittlere Kriminalität abgestellt.387 Eine schwere seelische Schädigung kommt vor allem bei erwarteten Sexualdelikten in Betracht.388 Die Schwierigkeit der Prognose einer schweren seelischen Schädigung führt dazu, dass das Bestehen einer Gefahr des Eintritts einer schweren seelischen Schädigung als ausreichend angesehen wird, wenn dafür sichere Anhaltspunkte vorliegen.389 Dabei wird ein schematischer Schluss von der Erwartung einer Sexualstraftat auf die Erheblichkeit abgelehnt, insbesondere wird als entscheidendes Kriterium ein Körperkontakt mit dem Opfer vorgeschlagen.390 Gerade vor dem Hintergrund, dass die Kriminalprognose die Anwendung anderweitig erlangter Erfahrung ist, sind als Indiz für die Erwartung zukünftiger ähnlicher Taten entsprechende vergangene Taten notwendig. Dadurch wird in diese doppelte Prognose, ob der Täter solche Taten begeht und ob das Opfer davon eine schwere seelische Schädigung erleidet, Erfahrung mit dem konkreten Täter eingestellt.391 2. Schwerer wirtschaftlicher Schaden Nach der vom Januar 2011 an geltenden Rechtslage reicht die Erwartung erheblicher Straftaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht 384
NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 98. Finger (2008), S. 44; Dessecker (2004), S. 305. 386 BGH NStZ 1986, 165; BGHR § 66 StGB, Erheblichkeit 1. 387 Kinzig (1996), S. 56. 388 BGH NJW 1976, 300; Dessecker (2004), S. 304; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 15. 389 Finger (2008), S. 45; LK11-Hanack § 66, Rn. 139 m. w. N. 390 Dessecker (2004), S. 328 m. w. N. 391 Die Erfahrung, dass der Täter zu solchen Taten bereit ist. Ob vergangene auch zu weiteren Taten führen, kann dagegen so nicht ermittelt werden. 385
IV. Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten
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mehr. In Anwendung dieser Alternative wurde bis dahin ebenfalls auf eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens abgestellt, es wurden keine festen Wertgrenzen genannt.392 Umstritten war, ob es bei der Beurteilung nur auf den jeweils durch eine einzelne Tat befürchteten Schaden393 oder auf den durch mehrere Taten erwarteten Schaden394 ankommt. Zwar konnte der Wortlaut nicht gegen eine additive Berücksichtigung mehrerer Taten herangezogen werden, die Systematik aber schon: Wie sich aus § 67d III StGB ergab, wurden Vermögensdelikte auch vor der Streichung der Fallgruppe prinzipiell für weniger beachtlich angesehen.395 Warum trotzdem gerade bei Vermögensdelikten nicht nur einzelne Taten betrachtet werden sollten, konnte unter dieser Voraussetzung nicht überzeugend begründet werden.396 Ein Argument für diese Auffassung war aber, dass schwerer körperlicher oder seelischer Schaden nur im Individuum vorliegen können, welches von der Straftat betroffen ist, wirtschaftlicher Schaden allerdings auch für eine Mehrzahl von Rechtsgutsträgern vorliegen kann. Dagegen sprach jedoch, dass ein Abstellen auf den addierten Schaden aus mehreren Taten auch bei einer Serie von Körperverletzungen, die für sich allein die Schwelle zur Erheblichkeit nicht überwinden, nicht diskutiert wurde. Eine Differenzierung jedenfalls überzeugte auch unter Geltung der Rechtslage bis zum Januar 2011 nicht.
IV. Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten voraus. Diese Gesamtwürdigung muss zu dem Ergebnis kommen, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist.397 Gefordert ist eine Betrachtung aller relevanten Merkmale und eine Integration dieser in das Gesamtbild, beides jeweils vom Gutachter bei der Tatsachenermittlung und vom Gericht bei der Bewertung der Tatsachen. Das Erfordernis der Gesamtwürdigung ist der Rechtssatz, der eine 392 Finger (2008), S. 45. Vgl. zu den verschiedenen Beträgen: BGH StV 1983, 503; BGHSt 24, 153 (158), 160 (163). 393 NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 99; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 16; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 119. 394 So BGHSt 24, 253 (255); BGH JZ 1980, 532; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 40; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 164 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 40; LK11-Hanack § 66, Rn. 110 ff.; Dessecker (2004), S. 307; einschränkend: Horstkotte (1970), S. 155, der dies auf einheitlich geplante Taten begrenzt. Kritisch auch Schreiber/Rosenau (2004), S. 99. 395 So auch BVerfGE 109, 133 (160). 396 So im Ergebnis auch: MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 119, 125; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 16; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 102–104. 397 LK11-Hanack § 66, Rn. 156.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
umfassende Heranziehung der prognoserelevanten Tatsachen erforderlich macht. Es müssen die oben dargestellten Anforderungen an eine Prognose, der Legitimationswirkung zukommen soll, eingehalten werden.398 Insbesondere darf nicht ohne weitere Erörterung die Anlasstat in die Zukunft projiziert werden.399 1. Straftaten in der Gesamtwürdigung Innerhalb der Gesamtwürdigung ist die Stellung der vergangenen Straftaten durch den Täter herausgehoben. Dabei besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der hohen prognostischen Bedeutung der Legalbiographie400 und der Überlegung, dass die Sicherungsverwahrung sich von einer Rückfallstrafe unterscheiden soll. Der § 20a StGB verlangte bei der Feststellung der Gewohnheitsverbrechereigenschaft nur eine Gesamtwürdigung der Taten,401 wobei aber in der Anwendung auch die Persönlichkeitsfaktoren einbezogen wurden.402 Durch die in § 66 I Nr. 3 StGB geforderte Gesamtwürdigung ist ein solches Rangverhältnis der Indikatoren nicht vorgegeben. Anerkannt ist aber eine besondere Bedeutung der Anlasstat und der Vortaten.403 Einzubeziehen sind insbesondere die Taten, die die formellen Voraussetzungen erfüllen und die abzuurteilende(n) Tat(en), wenn es sich um Symptomtaten handelt.404 Eine Symptomtat liegt vor, wenn die Tat Ausdruck des Hanges ist.405 Aber auch auf diese Weise wird der Begriff des Hanges nicht klar, denn eine Gleichartigkeit der Taten wird ausdrücklich nicht gefordert.406 Vielmehr reicht aus, dass die Taten in einem gleichartigen Verhältnis zur Täterpersönlichkeit stehen. Bei verschiedenartigen Taten kann dann ein all398 Diesen Zusammenhang von Prognose und der Methode „Gesamtwürdigung“ betont auch NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 110. 399 Pollähne (2006), S. 236. 400 Zur hohen Bedeutung der begangenen Tat Streng (1995), S. 102; Eisenberg/ Schlüter (2001), S. 189. 401 Ähnlich wie beispielsweise in England und Wales nach S. 229 CJA 2004 nur die Taten gewürdigt werden müssen, während die Persönlichkeit nur einbezogen werden kann. 402 Müller (1981), S. 41 m. w. N. 403 BGHSt 24, 160 f.; Mushoff (2008), S. 65; Baltzer (2005), S. 56. 404 Finger, 2008, S. 48; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 30; LK11-Hanack § 66, Rn. 162. Vgl. zu der Beschränkung auf Symptomtaten: Flandrak (1932), S. 16 f., der eine Herleitung der Beschränkung der Sicherungsmittel auf die Tatgefährlichkeit vornimmt. 405 BGHSt 24, 153; BGHSt 24, 243 (244); LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 218 m. w. N. 406 BGH NStZ 2002, 537, 538; BGH StV 1981, 518; Kinzig (1996), S. 60; LK11-Hanack § 66, Rn. 162; Mushoff (2008), S. 66; Für die frühere Diskussion: Haße (1931), S. 12 f.
IV. Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten
131
gemeiner Hang zum Verbrechen vorliegen.407 Auch hier kommt man ohne Hang besser aus: Die Legitimationswirkung der Kriminalprognose hängt davon ab, alle prognostisch relevanten Faktoren einzubeziehen. Das bedeutet insbesondere die Einbeziehung der Vortaten. Die subjektive Überzeugung des Gerichts vom Drohen zukünftiger erheblicher Taten wird sich aber nicht herstellen lassen, wenn sie sich nicht auf zumindest ähnliche Taten in der Vergangenheit stützt. Taten, die nicht in diesem Sinne Symptomtaten sind, können aber bei der Beurteilung der Täterpersönlichkeit berücksichtigt werden.408 2. Persönlichkeit des Täters in der Gesamtwürdigung Neben der Legalbiographie werden als Umstände der Persönlichkeit des Täters folgende aufgezählt: Charakter, Intelligenz, Triebstruktur, Psychopathien und Neurosen.409 Es müssen ebenfalls alle kriminologisch wichtigen Tatsachen einbezogen werden,410 wobei kriminologisch hier mit prognostisch relevant identisch ist. Dabei wird die Heranziehung ähnlicher Persönlichkeitsfaktoren bereits für das Recht nach §§ 20a, 42e StGB a. F. berichtet.411 Es dürfen prognostisch relevante Faktoren nicht für unbeachtlich erklärt werden, auch wenn sie in der Vergangenheit Straftaten nicht verhindert haben.412 Dass die Persönlichkeit des Täters in die Gesamtwürdigung prinzipiell gleichwertig zu den Straftaten des Täters einzubeziehen ist, wirkt sich darin aus, dass eine Kriminalprognose, die sich auf die Würdigung der Taten als abgeschlossen in der Vergangenheit liegende Umstände beschränkt, eine Verwahrung nicht legitimieren kann. Da die Persönlichkeit sich verändern kann und die als Persönlichkeit bezeichneten prognostisch relevanten Merkmale normativ gleichwertig sind, ist die Kriminalprognose ständig zu überprüfen. Diese ständige Prüfung ist im Recht der Vollstreckung der angeordneten Sicherungsverwahrung geregelt, allerdings ist durch die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch die weitere Überprüfung der Kriminalprognose bei nicht angeordneter Sicherungsverwahrung vorgesehen. Die hohe Bedeutung des fortlaufenden Überprüfens der weiteren Entwicklung des Täters und damit der gestellten Prognose wird auch in der 407
BGHSt 16, 296 (297); BGH MDR 1957, 563; a. A. Exner (1933), S. 653. BGHSt 24, 153 (157); Lackner/Kühl § 66, Rn. 17; Mushoff (2008), S. 66. 409 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 214. 410 BGH NStZ-RR 2005, 39. 411 Müller (1981), S. 41 f. 412 BGH NStZ-RR 2009, 72, 73: „Ein prognostisch günstiges Kriterium verliert seine Bedeutung nicht dadurch, dass es in der Vergangenheit – unter anderen Bedingungen – Straftaten nicht verhindert hat.“ 408
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
neuesten Rechtsprechung des BVerfG zur Sicheurngsverwahrung deutlich: Das Gericht fordert insoweit abweichend von der bis dahin bestehenden Gesetzeslage eine jährliche Überprüfung der Prognose durch jährliche Prüfung der Unterbringungsfortdauer.413
V. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 62 StGB Für alle414 Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 62 StGB besonders herausgestellt. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung muss im Verhältnis zu der Bedeutung der vom Täter begangenen, der zukünftig erwarteten Taten und der von ihm ausgehenden Gefahr stehen. Die Verhängung der Maßregel scheidet aus, wenn zur Erreichung des Schutzes der Allgemeinheit auch mildere Maßnahmen in Betracht kommen oder im Einzelfall das Freiheitsrecht des Täters das Allgemeininteresse überwiegt.415 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt über den Wortlaut des § 62 StGB hinaus nicht nur bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern bleibt auch bei der Entscheidung über deren Vollstreckung und weiteren Vollzug zu beachten.416 Gerade für die Vollstreckungsentscheidungen hat dieser Grundsatz bedeutende Folgen. Das BVerfG fordert eine mit der Dauer der Unterbringung zunehmende Bereitschaft zur Erprobung eines Risikos.417 Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB bezieht sich die Verhältnismäßigkeit vor allem auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Zweitverfahren.418 1. Eignung und Erforderlichkeit der Unterbringung Die Eignung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Verhinderung erheblicher Straftaten ist gegeben, reduziert doch der Freiheitsverlust massiv die Tatgelegenheiten und fördert so die Zweckerreichung.419 Die Erforderlichkeit der Unterbringung setzt das Fehlen milderer Mittel vo413
BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09, Rn. 118. Sch/Sch-Stree § 62, Rn. 1; Eine Ausnahme gilt hier nur gemäß § 69 I 2 StGB für die Entziehung der Fahrerlaubnis. 415 BVerfG NJW 2006, 3483, 3485. 416 BVerfGE 70, 297 (312); Meier (2009), S. 318; Kammeier (1996), S. 215; LK11-Hanack § 62 Rn. 6 m. w. N.; Sch-Sch-Stree § 62 Rn. 3; Lackner/Kühl § 62, Rn. 2. 417 BVerfGE 70, 297; Volckart (1997), S. 49. Kritisch Frisch (1990a), S. 772, Fn. 169. 418 Dessecker (2004), S. 377. 419 Dessecker (2004), S. 376; von Harbou (1999), S. 13 f.; Müller (1981), S. 99. 414
V. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 62 StGB
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raus. Hier wird teilweise synonym von der Subsidiarität der Sicherungsverwahrung gesprochen.420 Erforderlichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung wird in der Regel bei Vorliegen von Hang und Gefährlichkeit angenommen.421 Hier wird vor allem diskutiert, ob eine längere Strafe die Sicherungsverwahrung verdrängen kann. Da die Spezialprävention nach § 46 I 2 StGB die Strafzumessung mitbestimmt, erscheint dies denkbar,422 so lange der Rahmen der schuldangemessenen Bestrafung nicht überschritten wird. Allerdings besteht die Gefahr, dass so die Zweispurigkeit unterlaufen wird, die besonderen Anforderungen an die ausnahmsweise präventive Freiheitsentziehung bestehen nicht bei einer Strafzumessung, die Rückfallrisiken integriert.423 Weiter ist das Verhältnis zu anderen Maßregeln zu beachten: Können diese für eine ausreichende Reduzierung der Straftatenwahrscheinlichkeit sorgen, so ist die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen.424 Für die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB statt der Sicherungsverwahrung wird ein hohes Maß prognostischer Sicherheit gefordert, dass diese Maßregel die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten ausreichend senkt.425 Dass die Sicherungsverwahrung nicht, aber auch nur dann nicht anzuordnen ist, wenn andere Maßnahmen das Risiko ausreichend senken, ist einer durch das überwiegende Interesse an der Sicherung begründeten Maßnahme immanent.426 Damit kann hier ebenfalls lediglich versucht werden, das Problem der Unsicherheit der Prognose normativ zu bewältigen, indem das Gericht den Verzicht auf die Anordnung aus Gründen anderer ausreichender Risikoabsenkung begründet. 2. Bezugspunkt der Verhältnismäßigkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung Als präventive Sanktion kann nur eine Abwägung des gegenwärtigen Freiheitsverlustes mit der zukünftigen Straftat geschehen. Letztere ist unbekannt, also muss der Grad der Annahme zukünftiger Delikte mit einfließen. So fordert das BVerfG eine Abwägung des Freiheitsrechts mit der Wahr420
Zum Streit der Weitergeltung der Subsidiarität nach dem Ersten Strafrechtsreformgesetz durch die Verhältnismäßigkeit vgl. Müller (1981), S. 87 ff. 421 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 44. Vgl. auch die Kritik an der Begrenzung der Maßregeln durch die Verhältnismäßigkeit bei von Freier (2008), S. 294 f. Fn. 74. 422 So auch Dessecker (2004), S. 379; Frisch (1990), S. 379. 423 Frisch (1990), S. 392 f. 424 Ausführlich: Dessecker (2004), S. 377 ff. 425 BGH NJW 2000, 3015 f.; Fischer § 72, Rn. 2. Kritisch Dessecker (2004), S. 378 f. der die Stellung der Sicherungsverwahrung als ultima ratio auch gegenüber § 64 StGB betont. 426 Vgl. Müller (1981), S. 99, 103 f.
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
scheinlichkeit erwarteter rechtswidriger Taten und ihrer Art, dem Gewicht der bedrohten Rechtsgüter und dem Maß der Gefahr.427 Diese Abwägung hängt in der Luft: Regelmäßig gelingt schon die Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit drohender Straftaten kaum, von der Vorhersage bestimmter Straftaten ganz zu schweigen. Daher werden die Anlasstat und die zuvor begangenen Taten in die Abwägung einbezogen.428 Wenn der zu erreichende Zweck prospektiv die Verhinderung erheblicher Straftaten ist, dann fällt die Einbeziehung der schon begangenen Tat aus diesem Rahmen.429 Daher wird gefordert, dass entscheidend für die Abwägung die Wahrscheinlichkeit neuer Taten und die Schwere der drohenden Taten sein solle, während die vergangene Tat nur als Symptom der Gefährlichkeit behandelt werden soll.430 Begründet wird die Einbeziehung der Anlasstat mit dem Schutz des Täters vor unbeschränkten Gemeinwohlerwägungen,431 da die Anlasstat eine gewisse Sicherheit in die Abwägung bringt. Werde die Verhältnismäßigkeit nur zwischen der Wahrscheinlichkeit der drohenden Straftat und der Intensität des Freiheitsentzugs hergestellt, führe dies zu einem erheblichen Ausmaß an Unschärfe.432 Dieses Vorgehen ist auch im Zusammenhang mit der (durch Notwendigkeit begründeten) Praxis, die begangene Anlasstat auch als die drohende Tat in die Zukunft zu projizieren,433 zu betrachten. Dies kann sich darauf stützen, dass die begangene Tat das aussagekräftigste Indiz für die Gefährlichkeit ist.434 3. Integrative Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Kriminalprognose Gedanklich teilt sich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in zwei Schritte: Es ist zunächst zu bedenken, ob die Art der befürchteten Straftaten überhaupt eine Verwahrung rechtfertigt. Diese Abwägung gilt generell, sie kann für alle Anwendungsfälle festgelegt werden. Es geht um die Konkretisierung der erwarteten Straftaten. Dabei wird vertreten, dass die drohende Straftat zwingend mit Freiheitsstrafe zu ahnden ist,435 dass die 427
BVerfGE 109, 133 (159). BVerfGE 109, 133 (175); Sch/Sch-Stree § 62, Rn. 2; Baltzer (2005), S. 56. 429 Mushoff (2008), S. 269. 430 Cerezo Mir bei Küpper (1990), S. 454; LK12-Schöch § 62, Rn. 20. 431 Bae (1985), S. 85, 93, 156; kritisch: LK12-Schöch § 62, Rn. 20. 432 Streng (2003), S. 623; ders. (1995), S. 102. 433 Kinzig (1998), S. 14; Jansing (2004), S. 112; Feltes (2000), S. 282. 434 Streng (1995), S. 102; Baltzer (2005), S. 56. Kritisch Pollähne (2006), S. 236; Feltes (2000), S. 282. 435 Frisch (1990), S. 386; LK11-Hanack § 66, Rn. 109. 428
V. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 62 StGB
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Tat mit einer wenigstens zweijährigen436 oder wenigstens vierjährigen437 Freiheitsstrafe zu ahnden ist. Im zweiten Schritt ist die Verhältnismäßigkeit bei der Stellung einer legitimierenden Kriminalprognose zu beachten. Das Gericht hat die vom Sachverständigen beigebrachten Erkenntnisse und die von ihm berichtete Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten zu bewerten. Es muss dabei den Umschlagspunkt von einer negativen zu einer positiven Prognose setzen. Die Verhältnismäßigkeit bewirkt hier insbesondere, dass gewisse Taten mit größerer Wahrscheinlichkeit hingenommen werden können, als erheblichere Straftaten. Eine explizite Prüfung der Verhältnismäßigkeit läuft demnach vor allem auf die Wiederholung der Bewertung der prognoserelevanten Faktoren durch das Gericht hinaus, ist doch anders nicht denkbar, wie eine so begründete Gefährlichkeit zu einer unverhältnismäßigen Unterbringung soll führen können. Damit ist die Verhältnismäßigkeit eine Anforderung an die Feststellung der Gefährlichkeit.438 Nur bei Erfüllung der Anforderung der Verhältnismäßigkeit ist normativ die Stellung einer positiven Kriminalprognose im Sinne einer Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zulässig. Festgestellte Gefährlichkeit im Sinne einer legitimierenden Kriminalprognose und eine unverhältnismäßige Sicherungsverwahrung schließen sich insoweit aus.439 Außerhalb dieser Prognose kann die Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung nur dann ihre Anordnung begrenzen, wenn die festgestellte Gefährlichkeit anders als durch Verwahrung ausreichend gesenkt werden kann. 4. Verschärfte Anforderungen an die Fortdauer der Unterbringung Besonders deutlich wird der Zusammenhang der Setzung des Umschlagspunkts bei der Prognoseerstellung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der vom BVerfG entwickelten Erstarkung des Freiheitsgrundrechts des Untergebrachten. Danach sind im Verlauf der Unterbringung mit zunehmender Dauer höhere Wahrscheinlichkeiten erneuter Straftatbegehung in Kauf zu nehmen.440 Es verschiebt sich mit zunehmender Unterbringungs436
Frisch (1990), S. 386, Fn. 196. Volckart (1997), S. 97. 438 So auch von Freier (2008), S. 294 f. Fn. 75; Ullenbruch (2007), S. 68; Fischer § 66b, Rn. 7; ähnlich Dessecker (2004), S. 332 f. Für die Entscheidung nach § 67d II StGB: BVerfGE 70, 297 (311); Teyssen (1989), S. 413. 439 Ähnlich von Freier (2008), S. 294 f. Fn. 74; Ullenbruch (2007), S. 68. 440 BVerfGE 109, 133 (159); BVerfGE 70, 297 (316), dazu Teyssen (1989), S. 413 ff.; BVerfG NJW 1994, 510 überträgt die Grundsätze der Entscheidung 70, 297 auf die Sicherungsverwahrung. 437
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C. Die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung
dauer der Umschlagspunkt zu einer die Unterbringung begründenden Kriminalprognose.441 Eine Ausprägung dieses Erstarkens des Freiheitsgrundrechts soll die Verschärfung der Anforderungen an die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus nach § 67d III StGB sein.442 Aber auch vor dem Erreichen dieser Schwelle müsste bei unterstellter statischer Straftatwahrscheinlichkeit eine Unterbringung ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr angemessen sein. Dies wird so verstanden, dass das Freiheitsgrundrecht ab dem Stichtag für die Akzeptanz eines höheren Risikos sorgt.443 Gegen eine derartige Steigerung der in Kauf zu nehmenden Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten wird angeführt, dass nicht begründet werden kann, warum die Summierung rechtmäßiger Freiheitsentziehung die zukünftige unrechtmäßig macht.444 Der Rechtsgedanke des § 239 III Nr. 1 StGB kann hier wegen der Rechtmäßigkeit der bisherigen Unterbringung nicht herangezogen werden. Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, warum sich dieses Argument nicht umkehren ließe, so dass eine kurze Unterbringung für solche erwarteten Taten angemessen wäre, die nicht die Anordnung einer zeitlich unbestimmten Unterbringung rechtfertigen. Die Fallgruppe der Erledigung der Unterbringung wegen überlanger Dauer wird dann auch mehr als Problem der Anordnung der Maßregel und nicht als eins der Dauer gesehen.445 Nach der Konzeption des BVerfG dagegen gilt eine relative Steigerung der hinzunehmenden Wahrscheinlichkeit: Der „im Einzelfalle unter Umständen nachhaltige Einfluss des gewichtiger werdenden Freiheitsanspruchs wird jedoch dort an Grenzen stoßen, wo es im Blick auf die Art der von dem Untergebrachten drohenden Taten, deren Bedeutung und Wahrscheinlichkeit vor dem staatlichen Schutzauftrag für die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit unvertretbar erscheint, den Untergebrachten in die Freiheit zu entlassen.“446
Aus diesem Grund wird für erhebliche Straftaten, insbesondere für die des Katalogs aus § 66 III StGB vertreten, dass auch langdauernde Unterbringungen die in Kauf zu nehmende Wahrscheinlichkeit dieser Straftaten nicht erhöht.447 Wenn die Steigerung des akzeptierten Risikos aber aus dem Erstarken des Freiheitsgrundrechts folgt, dann kann nicht entgegengehalten 441
Volckart (1998), S. 129. BVerfGE 109, 133 (159). Dazu im Einzelnen G. VI. 1. 443 SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 12. 444 Kritisch daher Frisch (1990a), S. 772 Fn. 169. 445 Frisch (1990), S. 386, Fn. 196. Vgl. den Fall des § 63 nach BVerfG NJW 1995, 3049 ff. 446 BVerfGE 70, 297 (315), vgl. BVerfG NJW 1994, 510; BVerfGE 109, 133 (159). 447 von Harbou (1999), S. 115 unter Berufung auf BVerfGE 70, 297 (315). 442
V. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 62 StGB
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werden, bei einer Verwahrung nach der Begehung bestimmter Taten komme diesem Umstand keine Bedeutung zu. Jedenfalls soll dem Gericht bei der Bestimmung der gewachsenen Bedeutung des Freiheitsgrundrechts ein weiterer Beurteilungsspielraum zustehen als bei der Bestimmung der verwirkten Schuld.448 Wie die gestiegene Schwelle des in Kauf zu nehmenden Risikos konkretisiert werden kann, ist im Rahmen einer solch offenen Formulierung fraglich. Ein weiteres Problem dabei ist, dass diese Erwägung nur dann greifen kann, wenn sich die Wahrscheinlichkeit erheblicher Taten nicht ändert. Nimmt sie zu, kann das Erstarken des Freiheitsgrundrechts davon ausgeglichen werden. Da aber die exakte Feststellung einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten nicht möglich ist, kann durch die Annahme einer Veränderung der Wahrscheinlichkeit die zunehmende Bedeutung des Freiheitsgrundrechts unterlaufen werden. Dessecker449 konkretisiert die steigenden Anforderungen mit zunehmender Dauer des Freiheitsentzuges, indem er über den Strafrahmen des befürchteten Delikts als absolute Grenze für die präventive Freiheitsentziehung nachdenkt. Er kommt zu dem Schluss, dass eine solche Lösung zu einer Entgrenzung führe, da dies auf eine Verdoppelung der gesetzlichen Höchststrafen hinauslaufe.450 Nicht erwogen wird allerdings, bei dem Strafrahmen des befürchteten Delikts die Unsicherheit über dessen Eintritt in Abzug zu bringen.451 Als Einschränkung der Dauer von Sicherungsverwahrung ist die Verschiebung des Umschlagspunkts aufgrund der Schwierigkeiten der Konkretisierung jenseits schematischer Fristen wie bei § 67d III StGB daher weniger sinnvoll als eine Verschärfung der Anforderungen an die Prognoseerstellung.452
LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 62. (2004), S. 383 f. 450 Dessecker (2004), S. 384. Gegen die Berücksichtigung der Strafhöhe im Rahmen einer Abwägung nach § 67d II StGB für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus auch Koller (2006), S. 247 f.; MüKo-Veh § 67d, Rn. 21. 451 Vgl. aber Frisch (1990), S. 385 f. nach dem jedenfalls ein präventiver Freiheitsentzug in der Länge der für die verhinderte Tat regelmäßig verhängten Freiheitsstrafe nicht unverhältnismäßig ist. 452 Dazu: C.II.3.c). 448 449
D. Die formellen Voraussetzungen als Mindestbasis und Geltungsschwelle der Kriminalprognose Die Anordnungsvoraussetzungen Hang und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind aufgrund ihrer Unbestimmtheit auf eine sichere Basis zu stellen. Diese Funktion übernehmen vor allem die formellen Voraussetzungen.1 Sie stellen Mindestindizien für die Gefährlichkeit des Täters dar und begrenzen so die Anordnungsmöglichkeiten der Sicherungsverwahrung.2 Im Unterschied zu den materiellen Voraussetzungen existiert eine stringente und restriktive Dogmatik.3 Weiter sind die formellen Voraussetzungen eine notwendige Konkretisierung für die Setzung des Umschlagspunkts einer negativen zu einer positiven Kriminalprognose, indem sie Ausdruck der gesetzlichen Risikoverteilung zwischen Täter und Allgemeinheit sind.4 Insbesondere die Wirkung der Anlasstat erschöpft sich aber nicht darin. Wenn die Sicherungsverwahrung als verwaltungsrechtliche Gefahrenabwehr verstanden wird, dann ist der Zugriff auf den Täter grundsätzlich unabhängig von einer Anlasstat möglich und die formellen Voraussetzungen sind lediglich mögliche Symptome der Gefährlichkeit unter anderen.5 Es ist für die Sicherungsverwahrung eine Tat vorausgesetzt, die Symptom der Gefährlichkeit ist.6 Diese Anlasstat eröffnet dann die Zuständigkeit des Strafrichters7 und sie ist herausragendes Element bei der Kriminalprognose.8 Sie ist nicht Rechtsgrund der Gefahrenabwehr, wie sie Rechtsgrund der Strafe ist. Bei einem solchen Verständnis der Sicherungsverwahrung müsste die Geltung der Kriminalprognose anders als aus der Straftat begründbar sein, 1 Jansing (2004), S. 71; Frisch (1990), S. 377; Köhler (1975), S. 1152 f. Nach BGHSt 21, 263 f. sind die formell vorausgesetzten Symptomtaten „Rückgrat“ der Persönlichkeitsbeurteilung. 2 Frisch (1990), S. 377 f.; Köhler (1975), S. 1152. Speziell für die Anlasstat: Frisch (1982), S. 586; Bae (1985), S. 156 f.; Mushoff (2008), S. 210. 3 Kinzig (1996), S. 49; Jansing (2004), S. 68 spricht von einer überragenden Bedeutung der formellen Voraussetzungen für die Eingrenzung des Täterkreises. 4 Ähnlich: Köhler (1975), S. 1152 f. Zur Bestimmung dieser Risikoverteilung im Einzelnen: Dessecker, 2004. 5 Nagler (1939), S. 308. Vgl. auch von Freier (2008), S. 302. 6 Exner (1933), S. 637. 7 Mushoff (2008), S. 209; Bae (1985), S. 156 f.; Kinzig (1996), S. 49. 8 Streng (1995), S. 102; Mushoff (2008), S. 209; Baltzer (2005), S. 56, 161.
I. Anordnung nach § 66 I StGB
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die Tat wäre nur eins von mehreren möglichen Symptomen der Gefährlichkeit und bei einem Fortschritt der Kriminalprognostik durch andere Indizien ersetzbar. Da aber das Recht zur Überprüfung der Gefährlichkeit der Bürger sich ausschließlich aus der zurechenbar begangenen Straftat ergibt, kann die Erfüllung der formellen Voraussetzungen und insbesondere der begangenen Tat sich nicht auf die Sicherung einer notwendigen Mindestbasis für die Kriminalprognose beschränken.9 Nicht jede schuldhafte Straftat lässt eine Gefährlichkeitsprüfung zu: Nur besonders schwere Taten erlauben dies. Und auch diese nicht immer: In den Fällen der §§ 66, 66a, 66b I, III StGB muss der Täter wenigstens zwei Taten begangen haben. Diese Taten wiederum können nur unter bestimmten Voraussetzungen die Verknüpfung von Prognose und Freiheitsentzug begründen. Es wird so sichtbar, dass die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung diejenige Schwelle markieren, ab der der Gesetzgeber eine ausreichend sichere Prognose für möglich hält. Gleichzeitig wird hier der für die Sicherungsverwahrung, die nicht auf vom Strafrecht ablösbare Gefährlichkeitsursachen rekurrieren kann,10 notwendig enge Zusammenhang mit der Anlasstat und ihrer Verurteilung deutlich. Aus der unübersichtlichen Vorschrift des § 66 StGB11 ergibt sich eine ausdifferenzierte Regelung für die Geltungsschwelle der Kriminalprognose. Durch die unterschiedlichen formellen Voraussetzungen wird zum einen ausgedrückt, wann die Kriminalprognose gegen den Täter gilt (§ 66 I StGB) und wann sie gegen den Täter gelten kann (§ 66 II, III StGB). Außerdem wird die gesetzliche Risikoverteilung für Katalogtaten besonders vorgenommen. Wenn für diese Taten weniger Anforderungen an die Anzahl der Vortaten bzw. Vorverurteilungen gestellt werden, dann ergibt sich, dass in den Fällen des § 66 III StGB eine unsicherere Prognose wegen der Schwere der begangenen Tat gelten kann.
I. Anordnung nach § 66 I StGB Die Sicherungsverwahrung nach § 66 I StGB ist der Grundfall. Wenn formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt sind, ist Sicherungsverwahrung anzuordnen. Da die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung notwendig das Maß der Tatschuld übersteigt, ist schon diese Grundform der 9
Ähnlich von Freier (2008), S. 302 f. Wie es insbesondere §§ 63, 64 StGB mit dem Zustand oder dem Hang zum Konsum gewisser Substanzen kann: Dessecker (2004), S. 299. Vgl. Exner (1933), S. 636 nach dem die Sicherungsverwahrung im Gegensatz zur Schutzhaft eine Straftat voraussetzt, da die Schutzhaft „nicht in erster Linie gegen kriminelle Gefährdungen gerichtet ist.“ 11 Kreuzer/Bartsch (2008), S. 656 f. 10
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D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
Sicherungsverwahrung als letzte Notmaßnahme der Kriminalpolitik12 ultima ratio bei der Sanktionierung. 1. Anlasstat Der Täter muss wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer mindestens zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden. Eine Anrechnung erlittener Untersuchungshaft nach § 51 StGB bleibt außer Betracht, maßgeblich ist die verhängte Strafe.13 Dabei ist weder Täterschaft noch Vollendung vorausgesetzt.14 Es darf nicht bei der Strafzumessung ein angenommenes Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit berücksichtigt werden, um die formelle Hürde zu überspringen.15 Die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe erfüllt die Voraussetzung, wenn sie eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren enthält,16 was sich aus dem zu § 66 II StGB verschiedenen Wortlaut ergibt. Die Anforderungen an die Anlasstat wurden durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung erheblich verschärft. Seit dem 1. Januar 2011 ist für die Sicherungsverwahrung in jeder Form also auch im Fall des § 66 I, II StGB, die Begehung einer Anlasstat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder aus dem ersten oder siebenten Abschnitt des StGB erforderlich. Anlasstat kann auch eine Tat nach § 145a StGB oder eine vorsätzliche Tat nach § 323a StGB sein, wenn die Tat für die die Führungsaufsicht verhängt wurde bzw. die Rauschtat eine der oben genannten Taten ist. Weitere taugliche Anlasstaten sind auch solche aus dem BtMG oder dem Völkerstrafgesetzbuch. War vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung 2002 nach eindeutigem Wortlaut die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgeschlossen,17 so ist seither die Anordnung auch bei Verhängung 12
BGHSt 30, 220 (222); BGH NJW 1999, 3723, 3724. Fischer § 66, Rn. 6; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 47. 14 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 37; LK11-Hanack § 66, Rn. 43. Für Versuch: BGH NJW 1999, 3723, 3714. Für Teilnahme: RGSt 68, 169, 170. 15 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 47. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung wirkt aber insofern auf die Strafzumessung, als dass sie die Strafe mildern kann, wenn nicht das schuldangemessene Strafmaß unterschritten wird, BGH NStZ-RR 2007, 10, 11; BGHSt 24, 132; Jansing (2004), S. 427; Kretschmer (1999), S. 199; kritisch dazu: Dessecker (2004), S. 380; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 236. 16 BGH NJW 1972, 834; LK11-Hanack § 66, Rn. 45; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 53. 17 BGHSt 33, 398; Kinzig (1996), S. 51; LK11-Hanack § 66, Rn. 44. Allerdings sollte die Anordnung neben der Verhängung einer lebenslangen Gesamtfreiheits13
I. Anordnung nach § 66 I StGB
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einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Einzelstrafe möglich. Die Sinnhaftigkeit dieser Neuregelung ist zweifelhaft.18 Bei ausschließlicher Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe ist die Maßregel nicht erforderlich, da §§ 57a I 1 Nr. 3, 57 I 1 Nr. 2 StGB die Aussetzung des Strafrestes nur zulassen, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Kann die Strafrestaussetzung verantwortet werden, ist die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 67c I 1 StGB nicht mehr erforderlich, da die Sicherungsverwahrung gerade dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit dient.19 Gerechtigkeitserwägungen, die darauf hinauslaufen, dass der Widerspruch zwischen der möglichen Sicherungsverwahrung bei Zusammentreffen von lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe und der Unmöglichkeit einer Anordnung bei mehrfacher Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu beseitigen sei, sind fehl am Platz, wenn man von der ethischen Farblosigkeit20 der Sicherungsverwahrung ausgeht. Denn wenn die Sicherungsverwahrung kein (Un-)Werturteil über die Tat ausdrückt, kann sie zur Gerechtigkeit insofern nichts beitragen.21 Die Rechtsänderung hat aber zur Folge, dass bei Aussetzung der Sicherungsverwahrung Führungsaufsicht eintritt, was bei der Aussetzung des Strafrests einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht der Fall ist.22 Diese Wirkung ist erkauft mit der Verlängerung strafe zulässig sein, wenn in diese eine entsprechende zeitige Freiheitsstrafe einbezogen wurde: BGH NStZ 2000, 417; BGH StV 1986, 477; Kinzig (1996), S. 51. Die Notwendigkeit dieser Interpretation wurde damit begründet, dass bei Entfallen der Sicherungswirkung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach Revision oder Wiederaufnahme die Allgemeinheit ansonsten ungeschützt bliebe. 18 Kritisch zur Zweckmäßigkeit einer derartigen Doppelsicherung: Kett-Straub (2009), S. 587; Kinzig (2002), S. 3204; Dessecker (2004), S. 296, 380 f.; Finger (2008), S. 90; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 45. Anders aber Passek (2005), S. 98 f. Auffällig ist auch, dass nach Art. 1 BayStrUBG, § 1 UBG LSA eine nachträgliche Verwahrung nur bei Tätern, die eine zeitige Freiheitsstrafe verbüßen, für erforderlich gehalten wurde. 19 Kett-Straub (2009), S. 591. Vgl. auch Kinzig (2002), S. 3204; Sch/Sch-Stree § 57 Rn. 19, nach dem die Strafrestaussetzung nur bei gleichzeitiger Aussetzung des Maßregelvollzugs nach § 67c I StGB in Frage kommt. Ausdrücklich wie hier: Dessecker (2004), S. 404. Allerdings lehnt BVerfG NStZ-RR 2003, 282, 283 erhöhte Begründungsanforderungen an die Ablehnung einer Strafrestaussetzung wegen der Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung ab. 20 Frisch (1990), S. 358 f.; Jescheck/Weigend (1996), S. 802; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 26 f. So auch bereits für § 42e RStGB: Henkel (1938), S. 168. 21 Anders Passek (2005), S. 99, die aber die angenommene Auswirkung auf das Gerechtigkeitsgefühl nicht begründet. Wäre auf das Gerechtigkeitsgefühl abzustellen, so müsste beim Untergebrachten ebenfalls auf das Gefühl der Bestrafung abgestellt werden. 22 Kett-Straub (2009), S. 593 weist darauf hin, dass der Verurteilte bei Aussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe zur Bewährung nach § 57a III 1 StGB für die
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D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
des Strafprozesses. Denn die Prüfung der Voraussetzungen des § 66 StGB setzt gemäß § 246a StPO ein Sachverständigengutachten in der Hauptverhandlung voraus und erweitert die Kognitionspflicht des Gerichts weit über die Erforschung der Tat hinaus.23 2. Vorverurteilung und Vorvollzug Der Täter muss zwei Vorverurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr aufweisen. Die Verurteilungen müssen in zwei verschiedenen Hauptverhandlungen erfolgt sein.24 Eine Gesamtstrafe gilt gemäß § 66 IV 1 StGB nur als eine Verurteilung. Die Voraussetzungen des § 66 I Nr. 1 StGB sind nicht erfüllt, wenn zwei Einzelstrafen nachträglich nach § 55 StGB oder § 460 StPO zu einer Gesamtstrafe zusammengezogen werden.25 Gleiches gilt wenn die Bildung einer Gesamtstrafe unterblieben ist, obwohl die Voraussetzungen dafür vorlagen.26 Damit soll es gewährleistet werden, nur solche Täter zu erfassen, die bereits zweimal die Warnfunktion des Strafurteils missachtet haben.27 Diese Erfahrung über den Täter ist Mindestinhalt der Prognose. Bei einer Gesamtstrafe muss eine Einzelstrafe von einem Jahr enthalten sein28. Diese Auslegung des BGH dient der Trennung der gefährlichen von bloß lästigen Tätern, denn da der Gesetzgeber die Strafhöhe früherer Verurteilungen als Gefährlichkeitsindiz betrachtet, muss die Strafhöhe auch eine Aussage zu der Gefährlichkeit treffen. Da Gefährlichkeit die Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Taten meint, soll eine Strafe außer Betracht bleiben, deren Höhe der Vielzahl der Taten und nicht deren Erheblichkeit geschuldet ist.29 Ist eine der Vorverurteilungen eine Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG, muss aus den Urteilsgründen ersichtlich sein, dass für eine der Verurteilung zugrunde liegenden Taten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt worden wäre.30 Dauer von fünf Jahren unter Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers gestellt werden kann. 23 Auf eine Belastung des Strafprozesses weist auch Kinzig (2002), S. 3204 f. hin. 24 BGHSt 30, 220 (222); SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 6. 25 BGHSt 30, 220 (222); BGH StV 1982, 420; LK12-Rissing-van-Saan/Peglau § 66, Rn. 53; Kinzig (1996), S. 50. 26 Lackner/Kühl § 66, Rn. 5a; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 8; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 52. 27 BGH NJW 2008, 3008, 3009. 28 BGH NJW 1972, 296; BGH NJW 1972, 1333; BGH NJW 1972, 1869, 1870; LK11-Hanack § 66, Rn. 32; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 65. 29 BGHSt 34, 321 (324); LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 52; MüKo-Ullenbruch § 66 Rn. 66.
I. Anordnung nach § 66 I StGB
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Durch das Gesetz zu Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2011 der Kreis der Vortaten, für die der Täter verurteilt sein muss, auf den in § 66 I Nr. 1 StGB n. F. beschränkt. a) Zeitliche Abfolge von Vorverurteilung und Anlasstat Es soll durch § 66 I StGB erreicht werden, dass nur der Täter in den Anwendungsbereich fällt, der sich zweimalige Vorverurteilung nicht zur Warnung hat gereichen lassen. Zwingend muss daher die Anlasstat nach Rechtskraft der zweiten Vorverurteilung abgeurteilt werden, da ansonsten nach § 55 I StGB eine Gesamtstrafe zu bilden wäre. Strittig ist, ob die zur zweiten Vorverurteilung führende Tat nach Rechtskraft der ersten Verurteilung begangen worden sein muss.31 Richtig erscheint, dass der Warnappell mehr von der Verurteilung als vom Eintritt der Rechtskraft abhängt.32 Trotzdem ist Eintritt der Rechtskraft zu fordern, da erst mit Eintritt der Rechtskraft dem Verurteilten endgültig deutlich wird, dass sich an der Verurteilung nichts mehr ändert und vor dem Eintritt der Rechtskraft die Unschuldsvermutung besteht.33 Es muss die Reihenfolge von Vortaten und Vorverurteilungen als Tat-Urteil-Tat-Urteil darstellen.34 Das Urteil warnt zwar schon mit seinem Erlass, aber erst die Rechtskraft lässt die Warnung in vollem Umfang entstehen. b) Vorvollzug Gemäß § 66 I Nr. 2 StGB muss der Täter im Zeitpunkt der Verurteilung wegen der Anlasstat bereits mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel befunden haben. Dabei ist die Zusammensetzung dieses Zeitraums irrelevant.35 Hier findet sich die konkrete Ausprägung des Postulats, dass die Sicherungsverwahrung ultima ratio strafrechtlicher Sanktionen ist. Der Täter muss sowohl die sich 30 BGH NJW 1999, 3723, 3725; BGH NStZ 1996, 331; BGHR § 66 I Vorverurteilungen 2, 6, 9; BGHSt 26, 152; LK11-Hanack § 66 Rn. 32; a. A. Eisenberg/ Schlüter (2001), S. 189 f.; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 67, die Vorverurteilungen zu einheitlicher Jugendstrafe grundsätzlich nicht gelten lassen. 31 Dafür BGH MDR 1987, 1037; Schreiber/Rosenau (2004), S. 97; LK11-Hanack § 66, Rn. 43; a. A. Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 7; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 39, 55, die nicht den Eintritt der Rechtskraft fordern, da der Warnappell davon nicht abhänge. 32 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 55. 33 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 51; Schreiber/Rosenau (2004), S. 97. 34 BGH NStZ-RR 2009, 137; für die auf die erste Verurteilung folgende Tat: BGH vom 04.09.2008 – 4 StR 378/08 bei Juris. 35 MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 81.
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D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
aus den Vorverurteilungen ergebende Warnfunktion missachtet als auch seine Strafunempfänglichkeit bewiesen haben.36 Dabei bleibt eine Tat außer Betracht, die mehr als fünf Jahre vor der folgenden Tat begangen wurde (§ 66 IV 3 StGB). Die Zeit, die der Täter in behördlich angeordnetem Freiheitsentzug37 verbringt, wird nicht mit eingerechnet, § 66 IV 4 StGB. Diese Begrenzung der Wirksamkeit von Vorverurteilungen ist hier nicht mit den Erwägungen der Verjährung zu begründen.38 Wird dort (zumindest auch) darauf abgestellt, die Straftat verliere durch Zeitablauf ihren Unrechtsgehalt und das Strafbedürfnis schwinde,39 kann unter der Prämisse der ethischen Farblosigkeit der Maßregel so nicht argumentiert werden.40 Die legitimierende Kriminalprognose muss vielmehr auf aussagekräftige Indizien gestützt werden. Vorverurteilungen und -taten verlieren im Lauf der Zeit ihre Aussagekraft für die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftatbegehung. Dieser Zweck lässt sich insbesondere § 66 IV 4 StGB entnehmen: Die Vortat verliert ihre Aussagekraft nur, wenn der Täter trotz bestehender Möglichkeit der Straftatbegehung keine weiteren Taten beging.41 Hiergegen spricht nicht, dass solche Taten, die nach § 66 IV 3, 4 StGB bei der Prüfung der formellen Voraussetzungen außer Betracht bleiben, im Rahmen der materiellen Voraussetzungen beachtlich sind.42 Da die formellen Voraussetzungen mit der Begrenzung des Anwendungsbereichs zuerst wirken, ist eine geringe prognostische Relevanz solcher Taten ausgedrückt. Sie markieren die Schwelle, ab der eine Prognoseerstellung begründet werden kann. Dass die Prognose selbst auf Grundlage aller, auch nur schwach prognoserelevanter Tatsachen zu erstellen ist, hat damit nichts zu tun.
II. Anordnung nach § 66 II StGB Mit dieser Vorschrift soll der bisher unentdeckte gefährliche Rückfalltäter erfasst werden.43 Dies führt notwendig zu einer Einschränkung des Charakters der Sicherungsverwahrung als letzter Notmaßnahme der KriminalpoliLK11-Hanack § 66, Rn. 35. Erfasst sind nicht nur Straf- und Maßregelvollzug, sondern jeglicher staatlicher Freiheitsentzug, da der Täter in dieser Zeit sich nicht in Freiheit bewähren konnte, BGHSt 49, 25 (27); LK11-Hanack § 66, Rn. 39; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 69. 38 Daher gegen den Begriff der „Rückfallverjährung“ BGHSt 49, 25 (28), der die Sicherungsverwahrung gegen die Rückfallstrafschärfung aufgrund der durch Rückfall erhöhten Schuld des § 48 StGB a. F. abgrenzt. 39 LK12-Schmid vor § 78, Rn. 7 ff. m. w. N. 40 Vgl. BGHSt 49, 25 (27); BGH NJW 1969, 1678, 1679 (zu § 20a StGB a. F.) wonach nur offenkundig rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung unbeachtlich ist. Konkret ging es um die Internierung in einem Konzentrationslager. 41 Ähnlich: Fischer § 66, Rn. 15. 42 BGH NStZ 1999, 502; Fischer § 66, Rn. 14. 36 37
II. Anordnung nach § 66 II StGB
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tik. Denn wenn der Täter sich der Strafverfolgung bisher entziehen konnte, kann auf seine Gefährlichkeit weder aus einer Missachtung der Warnfunktion vorheriger Verurteilungen noch aus seiner Strafunempfänglichkeit geschlossen werden. Der Grund für den Verzicht auf diesen Bestandteil der Prognosebasis ist, dass dem Täter nicht honoriert werden soll, dass er sich bisher der Strafverfolgung entziehen konnte.44 Dies hat zur Folge, dass andere Faktoren das Risiko erheblicher Straftaten anzeigen müssen. Dieses Problem sah der Gesetzgeber und betonte daher den Ausnahmecharakter der Vorschrift.45 Als Ausgleich für größere prognostische Unsicherheit ist die Regelung subsidiär46 zum Abs. 1 und es steht die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Ermessen des Gerichts. Es fällt auf, dass eine Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht über strengere formelle Voraussetzungen vorgenommen wurde.47 Tatsächlich erfolgt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu einem bedeutenden Teil nach der Ausnahmevorschrift des § 66 II StGB. Neuere empirische Untersuchungen gehen von einem Anteil von 33%48 bzw. 22,3%49 nach § 66 II StGB untergebrachter Täter an der jeweiligen Sicherungsverwahrtenpopulation aus. Der Täter muss drei vorsätzliche Straftaten begangen haben,50 durch die er jeweils eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat.51 Die Straftaten müssen rechtlich selbständig, also einer selbständigen Aburteilung fähig sein.52 Wegen einer oder mehrerer dieser Taten muss der Täter vom erkennenden Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt werden. Dabei reicht eine Gesamtstrafe aus, wenn die Taten, die die formellen Voraussetzungen erfüllen, zu einer dreijährigen Gesamt43 Diese Zweckbestimmung ist aber nach BGH NStZ 1999, 614 ausdrücklich keine ungeschriebene Voraussetzung. 44 LK11-Hanack § 66, Rn. 52; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 157. 45 LK11-Hanack § 66, Rn. 50; Dem ist die gerichtliche Auslegung gefolgt: BGH NStZ 1989, 67; KG NStZ 1983, 77, 78. 46 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 47; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 158 m. w. N. 47 Zwar fordert § 66 II StGB drei vorsätzliche Taten, dies aber ist auch bei § 66 I StGB notwendig, wenn zwei Vorverurteilungen und eine Anlasstat vorliegen müssen. 48 Kern (1997), S. 46 für das Bundesland Baden-Württemberg. 49 Kinzig (1996), S. 170 der alle Anordnungen in den Ländern Bayern, BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1981–1990 auswertet. Hellmer (1961), S. 308 kam auf 17,6% fakultativ Sicherungsverwahrte nach §§ 20a II, 42e StGB a. F. 50 Ausreichend sind wie bei § 66 I StGB auch Teilnahme, Versuch und strafbare Vorbereitungshandlungen. 51 Die Anforderungen an Tatnachweis und Schuldfeststellung sind dann identisch mit denen, die in einem Verfahren wegen dieser Tat gelten, von Harbou (1999), S. 77; Jansing (2004), S. 68. 52 RGSt 75, 381; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 50.
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D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
strafe führen.53 Bestehende Vorverurteilungen sind kein Hindernis, es muss aber die Subsidiarität gegenüber § 66 I StGB beachtet werden. Liegen dessen Voraussetzungen vor, kommt eine Anordnung nach Abs. II nicht in Betracht.54 Durch das Gesetz zu Neuregelung des Rechts der Sicherungsverwahrung wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2011 der Kreis der Vortaten auf den in § 66 I Nr. 1 StGB n. F. beschränkt. 1. Besonderheiten der materiellen Voraussetzungen Die materiellen Voraussetzungen sind für die fakultative Anordnung nach Abs. II identisch mit denen der Anordnung nach Abs. I. Insbesondere wird nicht gefordert, dass der Umschlagspunkt zu einer die Unterbringung begründenden Beurteilung aufgrund der unbekannten Strafempfänglichkeit anders zu setzen wäre, obwohl ein solcher Gedanke nahe liegt. Das Korrektiv für die fehlende Kenntnis über die Wirksamkeit der Strafe auf den Täter ist vielmehr das Ermessen des Gerichts55. 2. Ermessensausübung Das Gericht hat bei der Frage nach der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 II StGB einen Ermessensspielraum. Die Nichtanordnung aus Ermessensgründen ist nur begrenzt der Revision zugänglich.56 Aus den Urteilsgründen muss hervorgehen, dass das Gericht sein Ermessen ausgeübt hat und warum die Anordnung getroffen wurde oder unterblieben ist.57 Dabei soll das Ermessen zur Nichtanordnung führen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter sich die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt.58 Die Berücksichtigung der künftigen Entwicklung des Täters schon bei der An53 BGH NJW 1995, 3263; BGH NJW 2004, 2394, 2395; Jescheck/Weigend (1996), S. 817; LK11-Hanack § 66, Rn. 63; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 55; a. A.: NKBöllinger/Pollähne § 66, Rn. 70, der dies gegen den Wortlaut mit denselben Erwägungen begründet, die bei Abs. 1 eine Gesamtstrafe nicht ausreichen lassen. 54 LK11-Hanack § 66, Rn. 51; NK-Böllinger/Pollähne § 66, Rn. 66. 55 LK11-Hanack § 66, Rn. 173; Jansing (2004), S. 69 befürchtet die „Verwässerung des Prognosemaßstabs“ durch das eingeräumte Ermessen. 56 Finger (2008), S. 34; Jansing (2004), S. 69; Kinzig (1996), S. 52. 57 BGH NStZ 2004, 438, 439; BGH NStZ 1996, 331; LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 66, Rn. 234; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 57. Für § 66 III StGB: BGH NStZ-RR 2004, 12. 58 BT-Drucks. V/40941, S. 21; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 232; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 59.
II. Anordnung nach § 66 II StGB
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ordnungsprognose soll die fehlende Vollzugserfahrung mit diesem Täter ausgleichen.59 So lässt die Rechtsprechung eine Nichtanordnung aus Ermessensgründen zu, wenn die Gefährlichkeit des Täters nach Verbüßung einer langjährigen Freiheitsstrafe voraussichtlich nicht mehr besteht60 oder wenn zu erwarten ist, dass der Täter sich eine langjährige Strafverbüßung wird zur Warnung gereichen lassen.61 Dies kommt vor allem in Betracht, wenn der Täter noch keine oder nur geringe Freiheitsstrafen verbüßt hat.62 In der Praxis wird der Ermessensgebrauch auf die Frage hin überprüft, ob das Gericht davon ausgehen durfte, dass der Täter infolge der Wirkung des Strafvollzuges seine Gefährlichkeit verliert.63 Das gerichtliche Ermessen ist problematisch. Das Gericht ist nach der Erstellung der Kriminalprognose davon überzeugt, dass der Täter durch erhebliche Straftaten mit nicht hinnehmbarer Wahrscheinlichkeit die Allgemeinheit schädigen wird. Daher wird kritisiert, dass nicht erkennbar sei, welche Kriterien bei der Ermessensausübung das Gericht dazu veranlassen sollten, die Allgemeinheit nicht vor der Gefahr zu schützen.64 Wenn das Ermessen des Tatgerichts sich auf die Frage bezieht, ob schon jetzt sicher zu sagen ist, dass der Täter nach Strafverbüßung nicht mehr gefährlich ist, ist dies wenig hilfreich. Es wird bezweifelt, ob solche Voraussagen möglich sind, zugestanden wird dies nur in Ausnahmefällen.65 Zwar erscheint es angemessen, es dem Täter zum Vorteil gereichen zu lassen, dass gegen ihn ausnahmsweise schon vor Erprobung des Warnappells strafrechtlicher Verurteilungen und seiner Strafempfänglichkeit die Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Das Ermessen soll diesen Ausgleich für das Gefährlichkeitsurteil auf unsicherer Grundlage darstellen. Der Ermessensspielraum kann aber nur dann zu einer Berücksichtigung der Auswirkungen des Strafvollzugs führen, wenn diese Auswirkungen vorhersehbar sind.66 Aufgrund der begrenzten Möglichkeit der Vorhersage der Auswirkungen des Strafvollzugs wurde die Regelung des § 67c I StGB eingeführt, der auch eine Anpassung des Zugriffs auf den Täter an die aktuelle Tatsachenlage ermög59
Vgl. SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 27; Schewe (1999), S. 80. BGH NStZ 2005, 211; BGH StV 1982, 114. 61 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 233. 62 BGH NStZ 2005, 211. 63 BGH NStZ-RR 1999, 301; NStZ 1988, 496; NStZ 1985, 261. 64 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 57. 65 Müller-Metz (2003), S. 46; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 27; vgl. auch BGH NStZ 1985, 261. Als Beispiel soll der kletternde Dieb gelten, der nach Strafverbüßung deutlich das 60. Lebensjahr überschritten hat. 66 Sehr kritisch von Harbou (1999), S. 98. Müller-Metz (2003), S. 46 sieht in Stellungnahmen dazu, wie ein langjähriger Strafvollzug die Prognose verbessern könne eher Wahrsagerei als eine fundierte Prognose. 60
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D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
licht. Daher erscheint fraglich, ob der Ermessensspielraum dem erwünschten Zweck dient.67 Näher liegt die Deutung, dass hier ein Beurteilungsspielraum des Tatrichters bei der Frage nach der Gefährlichkeit verankert ist. Denn ein solcher Beurteilungsspielraum, der sich aus dem unbestimmten Begriff Gefährlichkeit ergibt, wird dem Tatgericht zugestanden.68 Darauf deutet auch ein Vergleich von § 66 II StGB mit Abs. 1 hin: Dass die Wirkungen von Verurteilung und Strafvollzug auf den Täter nicht bekannt sind, sind prognostisch relevante Kriterien. Bei festgestellter Gefährlichkeit aber lässt sich eine andere als die in Abs. 1 enthaltene Risikoverteilung nicht begründen. Der Unterschied beider Vorschriften liegt darin, dass im Fall des Abs. 2 die Kriminalprognose auf einer schmaleren Basis steht. Dies aber kann nur durch einen Beurteilungsspielraum bei der Feststellung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gefährlichkeit“ ausgeglichen werden, nicht durch Ermessen hinsichtlich der Rechtsfolge. Da im Fall des § 66 II StGB weniger prognostisch relevante Tatsachen auf eine positive Kriminalprognose hindeuten, müssen andere Indizien dies ausgleichen. Wenn darauf abgestellt wird, dass das Gericht ungeachtet des § 67c I StGB prüfen muss, ob die Anordnung angesichts der Straflänge unerlässlich ist,69 so gilt dies grundsätzlich für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht nur, wenn dem Gericht ein Ermessensspielraum zur Verfügung steht. Überzeugender ist es, die geringere Basis der Prognose bei der Setzung des Umschlagspunkts von einer negativen zur positiven Prognose zu berücksichtigen. Konkret führt dies dazu, dass prognostische Umstände zu berücksichtigen sind, die aufgrund ihrer Unsicherheit bei der Prognose nach Abs. 1 gerade ausgeschlossen werden.
III. Anordnung nach § 66 III 1 StGB Die 1998 zum verbesserten Schutz vor Sexualstraftaten eingeführte Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 III StGB lässt für die Anordnung gegen strafunempfängliche Täter und gegen unentdeckte Serientäter weniger, aber schwerere Taten ausreichen.70 Der Abs. III umfasst die Verwahrung des bereits vorverurteilten Täters (§ 66 III 1 StGB) und die des bislang unentdeckten Wiederholungstäters schwerster Taten (§ 66 III 1 StGB). Die erste Variante erleichtert die Anordnung gegen 67
Müller-Metz (2003), S. 46; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 57 m. w. N. BGHR StGB § 66 I, Erheblichkeit 6; BGHR StGB § 66 I, Erheblichkeit 4; BGH JZ 1980, 532. So schon Exner (1933), S. 651; ähnlich Schewe (1999), S. 48, beide zu § 20a RStGB; für die Prognose: Wulf (2005), S. 292. 69 BGH NStZ-RR 2009, 213. 70 Vgl. Eisenberg/Hackethal (1998), S. 199; von Harbou (1999), S. 261. 68
III. Anordnung nach § 66 III 1 StGB
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Adressaten des § 66 I StGB, die zweite gegen solche des § 66 II StGB. Dabei ist die Anordnung nach § 66 III StGB gegenüber einer Anordnung nach § 66 I StGB subsidiär.71 Gleiches muss dann für das Verhältnis der Abs. 2 und 3 gelten. 1. Besondere Anforderungen an Anlasstat und Straflänge bei § 66 III 1 StGB Die Anlasstat muss ein Verbrechen nach § 12 StGB oder ein Vergehen aus dem Katalog des § 66 III 1 StGB darstellen. Die Katalogvergehen sind Delikte gegen die körperliche Integrität oder, in der Mehrzahl, solche gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Aus dem Rahmen fällt insoweit die Möglichkeit der Anordnung bei einer Verurteilung wegen einer Tat nach § 323a StGB, wenn die Rauschtat eine Katalogtat ist. Es ist strittig, ob das vom Wortlaut erfasste fahrlässige Sich-Berauschen ausreicht. Dies ist zu verneinen, denn weder steht eine solche Tat als Gefährlichkeitsindikator auf einer Stufe mit den anderen des Katalogs,72 noch ist die Sicherungsverwahrung für die entsprechende Tätergruppe gedacht,73 noch ist die ansonsten bestehende Differenz zu Abs. I zu erklären.74 Daher ist beim fahrlässigen Vollrausch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in aller Regel unverhältnismäßig.75 Wegen der Anlasstat muss eine mindestens zweijährige Freiheitsstrafe verhängt worden sein. Dabei reicht eine Gesamtstrafe nur aus, wenn mindestens eine der wegen einer Katalogtat verhängten Strafe die Voraussetzungen des Abs. III 1 erfüllt.76 Besteht Tateinheit einer Katalog- mit einer sonstigen Tat, braucht nach der Rechtsprechung nicht erkennbar sein, dass die mindestens zweijährige Strafe nur für die Katalogtat verhängt wurde, es reicht aus, dass die Strafe aus dem Strafrahmen der Katalogtat bestimmt wurde.77 Für diese Ansicht spricht, dass es dem System der Strafzumessung fremd ist, in den Fällen des § 52 II 1 StGB hypothetische Erwägun71
MüKo-Ullenbruch, § 66, Rn. 193; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 65. Jansing (2004), S. 70, 110; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 59; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 201 ff. 73 Finger (2008), S. 38; von Harbou (1999), S. 32; Jansing (2004), S. 70, 110. Es geht hier um die Klientel des § 64 StGB. 74 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 104; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 59. 75 Fischer § 66, Rn. 11; Finger (2008), S. 38; Sch/Sch- Stree § 66, Rn. 59; einschränkend LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 104. Weiter MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 203, nach dem dies immer unverhältnismäßig ist. Anders Milde (2006a), S. 219 der aus Sicht der Gefahrenabwehr konsequent allein auf die indizierte Gefährlichkeit und die möglichen schweren Folgen abstellt. 76 Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 60; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 214. 72
150
D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
gen zur Strafzumessung anzustellen. Vorzugswürdig ist dagegen die Ansicht, dass aufgrund der Funktion der Anlasstat als Indikator der Gefährlichkeit eine genau zweijährige Freiheitsstrafe nicht ausreicht, wenn eine Katalogtat mit einer sonstigen zusammentrifft.78 Diese Deutung kann sich darauf stützen, dass der BGH die Erwägung, hypothetische Überlegungen zur Strafzumessung seien dem § 52 II 1 StGB fremd, so dass die nach § 52 II StGB ermittelte Strafe ausreicht, nicht auf § 66b II StGB für die dort notwendige fünfjährige Strafe überträgt. Dort muss die Strafe wesentlich von der oder den Katalogtaten geprägt sein, da der Gesetzgeber selbst von einer geringen Zahl der Anwendungsfälle ausging.79 Dann werden für diesen Fall hypothetische Überlegungen zur Wesentlichkeit innerhalb der tatrichterlichen Strafzumessung vorausgesetzt. Dass der Gesetzgeber von einer geringen Anzahl von Anwendungsfällen bei der Regelung des § 66b II StGB ausging, kann eine unterschiedliche Behandlung der Fälle nicht begründen. In der Literatur wird eine dreijährige Freiheitsstrafe für den Fall der tateinheitlichen Begehung einer Katalog- und einer Nichtkatalogtat gefordert, da an § 66 II und III 2 StGB deutlich werde, dass einer einzelnen Verurteilung nur bei Erreichen dieser Strafhöhe gefährlichkeitsindizierende Wirkung zukommt.80 Da die letztgenannte Auffassung maßregelspezifisch begründet wird, wenn darauf abgestellt wird, dass nicht die Dogmatik der Schuldstrafe, sondern die Indizwirkung der Tat für die Gefährlichkeit entscheidend ist, ist ihr zuzustimmen. 2. Vorverurteilung und Vorvollzug Der Täter muss schon einmal wegen einer Katalogtat verurteilt worden und dabei mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet worden sein. Eine Gesamtstrafe in dieser Höhe reicht nur aus, wenn sie lediglich aus Strafen für Katalogtaten gebildet wurde.81 Nach anderer Ansicht reicht auch eine so gebildete Gesamtstrafe nicht aus, da dann die Gefahr bestünde, 77 BGH NJW 1999, 3723; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 60; LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 66, Rn. 100; a. A. MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 213; Eisenberg/Schlüter (2001), S. 189. Das Problem stellt sich ebenso bei § 66 III 2 StGB. 78 Eisenberg/Schlüter (2001), S. 189. 79 BGH StV 2008, 76, 77. Auch das Argument, der konkrete Fall sei mit dem der Entscheidung BGH NJW 1999, 3723 zugrunde liegenden nicht vergleichbar, weil hier keine natürliche, sondern rechtliche Handlungseinheit (Verklammerung durch eine Dauerstraftat) zur Anwendung des § 52 I StGB führte, überzeugt nicht: Eine natürliche Handlungseinheit ist als Indiz für die Gefährlichkeit wohl weniger gewichtig als eine dauerhafte Straftat. 80 Brandt (2008), S. 129. 81 BGHSt 48, 100; BGH NStZ 2005, 88; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 61; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 96; i. E. auch von Harbou (1999), S. 46 f.
III. Anordnung nach § 66 III 1 StGB
151
eine Mehrzahl weniger gewichtiger Taten als Gefährlichkeitsindiz heranzuziehen, was gegen die Verhältnismäßigkeit verstoße.82 Dieses Argument ist de lege ferenda beachtlich, hat aber den zu § 66 I Nr. 1 StGB unterschiedlichen Wortlaut des § 66 III 1 StGB gegen sich.83 Die zeitliche Abfolge von Vortat, Vorverurteilung, Vorverbüßung und Anlasstat muss sich wie im Fall des § 66 I StGB darstellen.84 Aufgrund des Verweises auf § 66 I Nr. 2 StGB muss der Täter sich wenigstens zwei Jahre im Strafvollzug oder im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel befunden haben. Hier gelten keine Besonderheiten gegenüber Abs. 1. Im Unterschied zur Sicherungsverwahrung nach § 66 I StGB sorgen die Anforderungen an Vor- und Anlasstat zwar für eine Verringerung der Prognosebasis hinsichtlich der Quantität, hebt aber deren qualitative Anforderungen an, da beide dem Katalog des § 66 III StGB angehören müssen. Dies kann sinnvoll sein, wenn einerseits davon ausgegangen wird, dass die vergangenen auch die zukünftigen Taten sind. Denn um schwerere Taten zu verhindern kann der Gesetzgeber eine unsicherere Prognose zulassen. Problematisch ist, dass bei gravierenden Anlasstaten auch eine lange Freiheitsstrafe in Betracht kommt,85 so dass sich der Anwendungsbereich der strafergänzenden Maßregel verringert. Die Inkaufnahme einer unsicheren Kriminalprognose zur Verhinderung schwerer Taten darf nicht zu einem Ausweichen auf die vermeintlich vorrangig empirisch begründete Sicherungsverwahrung führen. Die Geltung der unsichereren Prognose gegen den Täter kann sich auf die schwere Anlasstat stützen, muss aber die Grenze in der Möglichkeit einer legitimierenden Kriminalprognose finden. Dies scheint aufgrund des Ausreichens zweier Vortaten bedenklich. 3. Besonderheiten der materiellen Voraussetzungen Es müssen die Voraussetzungen des § 66 I Nr. 3 StGB vorliegen, der Täter muss aufgrund seines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich sein. Es wird bezweifelt, ob eine ausreichend legitimierende Prognose bei lediglich zwei Vortaten möglich ist.86 Dabei entsteht 82
MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 226 f.; Ullenbruch (2003), S. 255. BGHSt 48, 100; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 96. 84 Vgl. MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 204; Sch/Sch-Stree § 66, Rn. 61. 85 Vgl. Mushoff (2008), S. 286 f. der mit dem Erfordernis der Verurteilung zu einer bestimmten Strafhöhe für die Strafähnlichkeit der Sicherungsverwahrung argumentiert. 86 Jansing (2004), S. 70; Schreiber/Rosenau (2004), S. 99; Laubenthal (2004), S. 719 f.; Eisenberg/Hackethal (1998), S. 199 nach denen § 66 III StGB gekennzeichnet ist von einer „. . . Überschätzung der Möglichkeiten (. . .) die Voraussetzungen der Anordnung auch nur einigermaßen verläßlich zu bestimmen.“; Streng 83
152
D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
das Problem, dass laut Gesetzesbegründung der „wirklich gefährliche Straftäter“87 erfasst werden soll. Es ist die Frage zu beantworten, ob dies den Umschlagspunkt von einer günstigen zu einer positiven, die Verwahrung legitimierenden Prognose ändert. Mit dieser Auslegung würde dem Gesetzgeber vorgeworfen, zu verlangen auf schmalerer Grundlage mehr festzustellen. Dieses Problem hat der Gesetzgeber gesehen,88 aber für § 66 III StGB nicht gelöst. Es bietet sich eher die Deutung an, dass die besondere Gefährlichkeit durch den Katalog der Vor- und Anlasstat (en) gekennzeichnet wird. Zwar verweist § 66 III StGB allgemein auf § 66 I Nr. 3 StGB, es ist aber anerkannt, dass die drohenden Taten im Sinne des Abs. III solche des dort genannten Katalogs sein müssen.89 Hier wird der unbestimmte Rechtsbegriff der Gefährlichkeit erneut vom zu § 66 I, II StGB anderen Risikosachverhalt beeinflusst. Allerdings projiziert bei dieser Auslegung der Gesetzgeber selbst die Vor- und Anlasstaten als zu erwartende Straftat in die Zukunft.90 Den Gerichten wird dieses Vorgehen vorgeworfen.91 Es wird befürchtet, dass bei der Norm nicht nur die Rückfallwahrscheinlichkeit in die benannten Straftaten maßgeblich ist, sondern dass versteckter Anordnungsgrund die Strafwürdigkeit der begangenen Taten ist.92 Außerdem verringert sich die Basisrate, je erheblicher die zu verhindernden Taten werden und damit die Möglichkeit, die Unterbringung mit dem Ergebnis der Prognose zu begründen. 4. Ermessensausübung Wie im Fall des § 66 II StGB betont der BGH die Darlegungspflichten des Gerichts, wenn dieses trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des § 66 III StGB die Sicherungsverwahrung nicht anordnet. Dann müssen die Gründe dafür festgehalten werden, insbesondere dass und wie eine Er(2003), S. 632; Kinzig (1996), S. 94. Generell zu Überschätzung der Prognosesicherheit durch den Gesetzgeber: LK12-Schöch vor § 61, Rn. 144; Bock (1990), S. 458. 87 BT-Drucks. 13/08586, S. 8; Eisenberg/Hackethal (1998), S. 199, weisen darauf hin, dass der Begriff der Gefährlichkeit einer qualitativen Steigerung nicht zugänglich erscheint. 88 BT-Drucks. 14/8586, S. 5 wonach § 66a StGB die Genauigkeit der Prognose ausdrücklich für die Fälle des § 66 III 2 StGB durch Einbezug des Vollzugsverhaltens in die Prognosebasis verbessern soll. 89 Sch/Sch-Stree, § 66, Rn. 63; vgl. auch BGH NStZ-RR 2001, 13. Nach LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 155 bietet der Katalog des § 66 III StGB einen wichtigen Anhaltspunkt für die Erheblichkeit. 90 Jansing (2004), S. 71. 91 Kinzig (1998), S. 19; ders. (1996), S. 55, 367; Dessecker (2004), S. 303; Mushoff (2008), S. 291. Dieses Vorgehen hält Haße (1931), S. 13 für notwendig. 92 Jansing (2004), S. 71.
IV. Anordnung ohne Vorverurteilung nach § 66 III 2 StGB
153
messensausübung stattgefunden hat.93 Welche Gründe dies sein können, ist auch hier nicht überzeugend dargetan. Zusätzlich zu den Bedenken gegen das Ermessen im Fall des Abs. 2 tritt für Abs. 3 Satz 1 hinzu, dass dieser nicht unentdeckte Serientäter adressiert. Kann sich das Ermessen im ersten Fall darauf stützen, dass bisherige Wirkungen von Verurteilung und Strafvollzug auf den Täter nicht bekannt sind, greift dies hier nicht, da der Täter bereits verurteilt wurde und auch schon zwei Jahre Strafvollzugserfahrung aufweist. Noch deutlicher soll das Ermessen hier ein Korrektiv für die Verringerung der Basis der Kriminalprognose darstellen. Dieser Umstand ist aber bei der Prognoseerstellung zu berücksichtigen, nicht anschließend.
IV. Anordnung ohne Vorverurteilung nach § 66 III 2 StGB Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 III 2 StGB erfasst den nicht vorverurteilten Rückfalltäter. Dieser muss zwei rechtlich selbständige Katalogtaten begangen und dadurch jeweils eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verwirkt haben. Wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, kann die Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe nach § 52 II 1 StGB wegen einer Katalogtat reicht auch dann aus, wenn die Strafe unter Einbeziehung von Nichtkatalogtaten zustande kam.94 Auch hier ist in diesem Fall zu fordern, dass die Grenze von zwei Jahren überschritten wird. Denn die von der Rechtsprechung geforderte besondere Prüfung, ob die Taten eine hinreichend sichere Prognosebasis darstellen,95 lässt eine ausreichende Bezeichnung der Kriterien für diese Prüfung vermissen. Die formellen Voraussetzungen haben gerade die Aufgabe, allgemein die Risikoverteilung zwischen Straftäter und Allgemeinheit darzustellen und die Schwelle der möglichen Geltung einer Kriminalprognose darzulegen. Ein Ausweichen auf Besonderheiten des Einzelfalls und eine nicht konturierte Prüfung der besonderen Aussagekraft der Taten kann daher nicht überzeugen. Es zeigt sich an dieser Regelung deutlich, auf welch schmaler Basis der Gesetzgeber den Gerichten eine ausreichend legitimierende Prognose zu93 BGH NStZ 1999, S. 473 f. Dies ergibt sich aus § 267 VI 1 StPO. Kritisch: Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188. Für den Fall des § 66a StGB sieht Fischer, § 66a, Rn. 2a, darin eine Verantwortungsumkehr. 94 BGH NJW 1999, 3723, 3725; einschränkend: LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 109; a. A. Eisenberg/Schlüter (2001), S. 188; MüKo-Ullenbruch § 66, Rn. 252. 95 BGH NJW 1999, 3723, 3725; Fischer, § 66, Rn. 13.
154
D. Formelle Voraussetzungen als Mindestbasis der Kriminalprognose
traut.96 Dies insbesondere dann, wenn die zwei Straftaten, die die formellen Voraussetzungen erfüllen, in einem engen räumlich-zeitlichen Zusammenhang stehen.97 Für diese Fälle wird teilweise gefordert, sie nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen ausreichen zu lassen.98 Auch hier wäre eine solche Regelung überzeugender als ein Abstellen auf den Einzelfall, bei dem die Entscheidungskriterien nicht klar werden.
V. Fazit: Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB durch das Tatgericht Die Absenkung der formellen Voraussetzungen reagiert auf die Kritik, dass die Sicherungsverwahrung erst eingreift, wenn der Höhepunkt der Kriminalität des Verwahrten überschritten ist,99 nimmt der Kriminalprognose aber Sicherheit.100 Insbesondere stellen erforderliche Vortaten sicher, dass die Kriminalprognose sich auf Erfahrung mit dem individuellen Probanden stützen kann. Formell gilt schon unter gesenkten Voraussetzungen überhaupt die Prognose gegen den Täter. Die Geltung der Kriminalprognose als Rechtsfolge der Tat tritt bei schwereren Taten früher ein. Da durch die Beschränkung der Regelung auf bestimmte Katalogtaten eine Risikoverteilung für diese Fälle vorgenommen wird, kann dies im Grundsatz überzeugen. Für die Erstellung der Prognose selbst gilt dies ebenfalls: Dass der Umschlagspunkt von einer negativen zu einer positiven Kriminalprognose bei Drohen schwerer Straftaten früher erreicht ist als bei anderen, wirkt sich hier aus. Materiell sinkt der Umschlagspunkt für eine positive Kriminalprognose je schwerer die erwarteten Taten sind. Da die Unsicherheit über das Vorliegen prognostisch relevanter Tatsachen sich auf das Ergebnis der Prognose auswirkt, ist eine spezifische Regelung für Katalogtaten zu begrüßen. Auf diese Art wird die gesetzliche Risikoverteilung im Einzelfall deutlich. 96 Eindringlich: Jansing (2004), S. 70, 138; Lackner/Kühl § 66, Rn. 10d, vor § 38, Rn. 6; SK-StGB-Sinn § 66, Rn. 33. 97 Vgl. den Fall BGH NJW 1999, 3723 mit Anm. Schöch (2000), S. 138 ff. 98 von Harbou (1999), S. 72 f.; dagegen LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 110. Schöch (2000), S. 139 fordert in solchen Fällen eine besonders sorgfältige Gefährlichkeitsprognose. 99 So Kinzig (1996), S. 407; Jansing (2004), S. 112, der das Spezifikum des Hangtäters darin sieht, dass sich die Kriminalität nicht altersgemäß verringert. 100 Eisenberg (2008), S. 657 Fn. 199 der in § 66 III StGB eine methodische Überforderung sieht; Schreiber/Rosenau (2004), S. 99; Streng (2003), S. 632; Frisch (2002), S. 680 f.; Schöch (2000), S. 139. Gegen eine Überbewertung der Bedeutung formeller Voraussetzungen: LK12-Rissing-van Saan § 66, Rn. 139.
V. Fazit: Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB
155
Folge der geänderten Risikoverteilung ist, dass der Gesetzgeber mehr zu Unrecht Untergebrachte in Kauf nimmt, wenn die formellen Voraussetzungen gesenkt werden. Es sollte entweder die Unterbringung ohne Vorbehalt, und damit ohne Einbeziehung des Vollzugsverhaltens gestrichen werden und eine einheitliche Anordnung in einem Verfahren nach § 66a StGB vorgesehen werden,101 oder die Legitimation der Unterbringung muss über höhere formelle Voraussetzungen gelingen. Legitimation der Verwahrung auch gegenüber dem aufgrund der unsicheren Prognose Untergebrachten ist ohne ausreichende Formalisierung nicht zu haben,102 Als Mindestforderung ist jedoch eine Klarstellung angebracht: Der jetzige Gesetzeswortlaut des § 66 III 2 StGB ermöglicht auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Vorliegen von zwei Straftaten innerhalb einer Tat im prozessualen Sinn.103 Denn wenn sich die Sicherungsverwahrung nur durch ihre Notwendigkeit begründen kann, dann muss sich die gesetzliche Risikoverteilung im Rahmen der Nachweisbarkeit der Notwendigkeit halten. Dabei wird eine legitimierende Prognose auf einer solchen Basis für „wissenschaftlich und praktisch unmöglich“ gehalten.104 Daher sind für die Erfüllung der formellen Voraussetzungen wenigstens zwei Straftaten im prozessualen Sinn zu fordern.105
101
Kreuzer/Bartsch (2008), S. 663 ff. So auch Frisch (1990), S. 375. 103 Streng (2006), S. 636; Schöch (2000), S. 139. 104 Schöch (2000), S. 139. Das gilt dann erst recht für die Ersttäterregelung nach § 66b II StGB. 105 Streng (2006), S. 636; Brandt (2008), S. 137 f.; von Harbou (1999), S. 76. 102
E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB Die Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sollte den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern verbessern. Es sollte der Fall erfasst werden, dass sich die Gefährlichkeit des Täters erst während der Strafvollstreckung zeigt.1 Das Verfahren bei der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB ist zweistufig. Zunächst wird im auf das Erkenntnisverfahren folgenden Urteil der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung ausgesprochen, in einem aufgrund eines zweiten Verfahrens nach § 275a StPO ergehenden Urteil wird über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entschieden. Zu beachten ist, vor allem bei dem Streit um die prognostische Aussagekraft des Vollzugsverhaltens, dass das zweistufige Modell des § 66a StGB nicht neu ist,2 wird doch auch bei der nach § 66 StGB angeordneten Sicherungsverwahrung unter Beachtung des Vollzugsverhaltens nach dem Strafvollzug eine erneute Prognose vorgenommen.
I. Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung Die Anordnung eines Vorbehalts nach § 66a I StGB setzt formell die Verurteilung wegen einer Katalogtat nach § 66 III 1 StGB voraus. Da § 66a I StGB auf § 66 III StGB verweist, müssen die dort genannten formellen Voraussetzungen vorliegen. Die Möglichkeit einer Vorbehaltsanordnung in den Fällen der §§ 66 I, II StGB wird zutreffend auch dann abgelehnt, wenn die Anlasstat eine solche des Katalogs aus § 66 III StGB war.3 Dafür spricht vor allem die Überlegung, dass der Vorbehalt schon dann angeordnet wird, wenn das Gericht von einer Straftatenwahrscheinlichkeit überzeugt ist, die den jeweiligen Umschlagspunkt des § 66 I Nr. 3 StGB nicht erreicht. Der Zugriff auf den Täter trotz eines deutlich geringeren Risikos weiterer Taten kann nur zur Verhinderung von in der Erheblichkeit gesteigerten Taten be1
BT-Drucks. 14/8586, S. 1. Vgl. die Überlegungen von Schröder (1970), S. 94 f. und Henkel (1938), S. 189. 3 Finger (2008), S. 50; Laubenthal (2004), S. 737; Milde (2006), S. 133 f.; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 18. Anders: SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 9 m. w. N., der § 66 III 3 StGB als Öffnungsklausel ansieht. 2
I. Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung
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gründet werden. Diese wird durch die erhöhten formellen Anforderungen an Vorverurteilung und Vortaten bei § 66 III StGB indiziert. 1. Notwendigkeit einer Hangfeststellung Materiell war zunächst unklar, ob der Ausspruch des Vorbehalts die Feststellung erfordert, der Täter weise einen Hang zu erheblichen Straftaten auf. Der Gesetzgeber wollte den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung auch ausgesprochen sehen, wenn das Vorliegen eines Hanges nicht festgestellt, aber auch nicht ausgeschlossen werden konnte.4 Der BGH fordert im Einklang mit dem Großteil der Literatur eine solche Feststellung.5 Danach ist ein Vorbehalt nur dann auszusprechen, wenn trotz des Vorliegens eines Hanges beim Täter unklar ist, ob dieser für die Allgemeinheit gefährlich ist.6 Denn die den Täter belastende Anordnung eines Vorbehalts könne nicht auf die Feststellung eines Hanges verzichten, außerdem verweise die Vorschrift auf den Hang.7 Der Wille des Gesetzgebers, auf die Hangfeststellung bei der Anordnung eines Vorbehalts zu verzichten,8 habe sich nicht im Gesetzeswortlaut niedergeschlagen.9 Diese Auslegung schränkt den Anwendungsbereich des § 66a I StGB stark ein,10 gehen die Gerichte doch davon aus, dass bei Vorliegen eines Hanges der Täter in der Regel auch gefährlich ist. Das dieser Auslegung zugrunde liegende Verständnis des Hanges als eigenständiger Bestandteil der materiellen Voraussetzungen ist aber nicht überzeugend. Das Problem liegt nach hier vertretener Auffassung nicht darin, ob ein Hang vorliegen muss oder nicht, sondern in der ausreichenden legitimieren4 BT-Drucks. 14/8586, S. 6. So auch Tondorf (2005), S. 102. Der Hang sollte nach BT-Drucks. 14/8586 S. 7 auch nicht bei der Verhängung der Sicherungsverwahrung nach § 66a II 2 StGB festgestellt werden müssen, da sich unter den künstlichen Bedingungen des Strafvollzugs ohnehin nur selten Hinweise auf dessen Vorliegen ergeben würden. So im Ergebnis auch: Jansing (2004), S. 460; Passek (2005), S. 104 f.; Peglau (2005), S. 451 f.; LK12-Peglau § 66a, Rn. 40. 5 BGHSt 50, 188 (194); Finger (2008), S. 51 f.; Renzikowski (2006), S. 282; Laubenthal (2004), S. 738; Fischer § 66a, Rn. 4 f.; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 11; Lackner/Kühl § 66a, Rn. 2; Rissing-van Saan (2006), S. 194; Ullenbruch (2008), S. 11. Gegen das Erfordernis eines Hanges: Tondorf (2005), S. 102. 6 BGH HRRS 2006, Nr. 666; Lackner/Kühl § 66a, Rn. 2; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 36; Rissing-van Saan (2006), S. 194 f.; a. A. Peglau (2002), S. 452. 7 BGHSt 50, 188 (195); Renzikowski (2006), S. 281 f.; Rissing-van Saan (2006), S. 194. 8 BT-Drucks. 14/8586, S. 6 f. 9 Rissing-van Saan (2006), S. 194. 10 Kinzig (2006), S. 159; Ullenbruch (2008), S. 11; Mushoff (2008), S. 70; Finger (2008), S. 52.
158
E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
den Wirkung der Prognose. Richtig ist, dass die Auffassung des Gesetzgebers, der den Hang für entbehrlich hielt, inkonsequent11 erscheint wenn man beachtet, wie schwer sich auch nach überwiegender Auffassung Hang und Kriminalprognose trennen lassen. Denn der Gesetzgeber geht einerseits davon aus, dass sich unter den künstlichen Bedingungen des Strafvollzugs keine tauglichen Hinweise auf die Hangtätereigenschaft ergeben können,12 andererseits aber die Einbeziehung des Vollzugsverhaltens eine zuverlässigere Kriminalprognose ermöglicht.13 Wird aber von den Befürwortern des Hanges argumentiert, eine Anordnung der Sicherungsverwahrung ohne eine Hangfeststellung sei nicht verhältnismäßig,14 kann dem nicht gefolgt werden. Denn wie die Hangfeststellung nach dem oben erörterten einen Beitrag zur Verhältnismäßigkeit leisten soll, ist nicht erkennbar. Zentral ist allein die Frage, ob die Einbeziehung des Vollzugsverhaltens das Ergebnis der Kriminalprognose verbessert. Nur dann ist der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung sinnvoll.15 Baltzer geht nach empirischer Untersuchung ausgewählter Gefängnispopulationen für Gewaltstraftaten davon aus, dass sich die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten schon im Urteilszeitpunkt ermessen lässt. Sinnvoll ist danach die Berücksichtigung des Vollzugsverhaltens nur für die Frage der Absenkung der Wahrscheinlichkeit von Gewaltstraftaten.16 Vor allem vor dem Hintergrund, dass die wichtigsten prognoserelevanten Tatsachen Vor- und Anlasstaten sind und dass diese Indikatoren auch praktisch bei der Begründung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung überwiegen,17 ist dies ein gewichtiger Einwand gegen die vorbehaltene (und die nachträgliche) Sicherungsverwahrung. Beachtlicher für die Erforderlichkeit eines Hanges ist das Argument, ohne die Hangfeststellung verliere die Sicherungsverwahrung ihren Charakter als Rechtsfolge der Tat.18 Jedoch ist nach heutigem Stand der Prognoseforschung die begangene Tat ohnehin wichtigster Prognosefaktor.19 Das Vollzugsverhalten kann aufgrund seiner nach heutigem Erkenntnisstand 11
So auch Renzikowski (2006), S. 282. BT-Drucks. 14/8586, S. 7. 13 BT-Drucks. 14/8586, S. 5 f. 14 SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 11; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 36; Laubenthal (2004), S. 738; Mushoff (2008), S. 70; ähnlich Finger (2008), S. 52. 15 Zwar ist grundsätzlich die Legitimität der Kriminalprognose stark von dem Erstellungsverfahren abhängig, aber hier steht die Unsicherheit über die Anordnung von Sicherungsverwahrung einer Argumentation entgegen, die eine höhere Legitimität der Prognose durch die Einbeziehung des Vollzugsverhaltens behauptet. 16 Baltzer (2005), S. 161. 17 Vgl. Kinzig (2008), S. 152. Für die statischen Items der PCL-R und HCR 20: Habermeyer (2008), S. 59 f. 18 SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 11; Fischer § 66a, Rn. 5b. 19 Kröber (2004), S. 268 f.; Wulf (2005), S. 292; ähnlich Baltzer (2005), S. 161. 12
I. Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung
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geringen prognostischen Relevanz immer nur geringe Bedeutung für die Feststellung der Gefährlichkeit haben. Warum der Hang den Zusammenhang von Tat und Rechtsfolge soll herstellen können, wenn die Tat Symptom des Hanges ist, die Gefährlichkeit diesen Zusammenhang aber nicht biete, wenn die Gefährlichkeit sich durch die Tat ausgedrückt hat, ist nicht einsichtig. Aufgrund des Wortlauts des Verweises von § 66a I StGB auf § 66 III StGB bleibt die Forderung nach einer Hangfeststellung de lege lata richtig, sie ist aber de lege ferenda nicht zwingend beizubehalten. Zu beachten bleibt aber, dass an eine den Betroffenen stärker belastende Rechtsfolge wie die vorbehaltene Sicherungsverwahrung (und vor allem die nachträgliche, bei der das Problem ebenso besteht) nicht weniger Anforderungen gestellt werden sollten als an die weniger Belastende.20 Dies sollte aber durch die Anforderungen an die Kriminalprognose und nicht durch das unklare Kriterium des Hanges erreicht werden. 2. Unsicherheit über die Gefährlichkeit Der Vorbehalt setzt voraus, dass die Gefährlichkeit nicht sicher feststellbar ist. Die in Bezug genommene Gefährlichkeit meint das Drohen aller Straftaten, die das Opfer seelisch oder körperlich schwer schädigen, drohende Vermögensstraftaten sind nicht erfasst.21 § 66a I StGB dient nicht der Offenhaltung einer Hintertür, die Vorbehaltsanordnung kommt nicht in Betracht, wenn die Voraussetzungen der sofortigen Anordnung der Sicherungsverwahrung gegeben sind, das Gericht aber die Prognose absichern möchte.22 Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung steht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zu den primären Anordnungsmöglichkeiten nach § 66 III StGB und dient nicht der Korrektur fehlerhafter Entscheidungen.23 Dem Wortlaut nach muss das Gericht gemäß §§ 66a I StGB, 261 StPO von der Wahrscheinlichkeit der Gefährlichkeit überzeugt sein.24 Dann muss das Gericht von der Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten überzeugt sein.25 Dabei wird der erforderliche Grad der Wahr20 Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung belastet nicht stärker als die angeordnete, aber der Vorbehalt erfasst nur Fälle, in denen eine Anordnung nach § 66 StGB nicht möglich ist. Der Vorbehalt belastet stärker als die Nichtanordnung. 21 SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 13; Laubenthal, 2004, S. 739; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 28. 22 BGHSt 50, 188 (193); BGH StV 2006, 63; Renzikowski (2006), S. 281; Rissing-van Saan (2006), S. 195; Ullenbruch (2008), S. 11; Sch/Sch-Stree § 66a, Rn. 2; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 5. 23 BGHSt 50, 188 (193); Renzikowski, 2006, S. 280 f.; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 5; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 24. 24 Sch/Sch-Stree § 66a, Rn. 3; Dahle (2006), S. 273.
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E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
scheinlichkeit wie schon bei § 66 StGB unterschiedlich umschrieben. Nach überwiegender Ansicht muss eine erhebliche, nahe liegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist.26 Der Gesetzgeber knüpfte bei der Voraussetzung der Nichtfeststellbarkeit der Gefährlichkeit an die Entscheidung nach § 27 JGG an. Unter Rückgriff auf die für diese Norm entwickelte jugendgerichtliche Praxis sollten Zweifelsfragen beantwortet werden.27 In der Rechtsprechung wird konkret vorausgesetzt, dass die Kriminalprognose in der Hauptverhandlung nicht die in § 66 I Nr. 3 StGB geforderte Sicherheit erreicht28 und auch nicht erreichen kann. Folgt man der hier vorgeschlagenen Deutung, dass die Gefährlichkeit im Sinne einer Kriminalprognose zentrale Voraussetzung der Sicherungsverwahrung ist und dass diese Prognose in den vom Sachverständigen vorzunehmenden feststellenden und den vom Gericht zu besorgenden wertenden29 Teilbereich zerfällt, muss die Nicht-Feststellbarkeit der Tätergefährlichkeit genauer betrachtet werden. Möglich sind dann folgende Auslegungen: a) Empirische Unsicherheit – Probleme mit dem Zweifelssatz Der Sachverständige kann ohne Einbeziehung des Vollzugsverhaltens keine ausreichend sichere Angabe der Wahrscheinlichkeit erneuter Tatbegehung treffen, an die sich eine Wertung des Gerichts anschließen könnte. Hier ist die tatsächliche Seite der Anordnungsvoraussetzungen unsicher. Gegen eine solche Auslegung spricht, dass bei Zweifeln über (Basis-)Tatsachen zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist. Allerdings könnte § 66a StGB eine Ausnahme von diesem Grundsatz normieren. Eine solche Ausnahme setzt voraus, dass dem Zweifelssatz kein Verfassungsrang zukommt.30
25 Kröber (1999), S. 594 kritisiert die ähnliche Fassung des § 454 II StPO: „. . . keine Gefahr mehr besteht, dass (. . .) Gefährlichkeit fortbesteht.“ 26 Ullenbruch (2008), S. 11; Müller-Metz (2003), S. 50; Fischer § 66a, Rn. 8; Finger (2008), S. 54 fordert konkrete Anhaltspunkte für eine Rückfallgefahr. 27 BT-Drucks. 14/8586, S. 6; kritisch: Finger (2008), S. 53 f.; Fischer § 66a, Rn. 6; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 38; Laubenthal (2004), S. 737, der auf die ähnliche Struktur des § 59 StGB hinweist; Müller-Metz (2003), S. 50. Zu den Parallelen von Hang und schädlichen Neigungen nach § 17 II JGG: Jansing (2004), S. 78 m. w. N. 28 BGHSt 50, 188. 29 Ausdrücklich auch für § 66a StGB: Müller-Metz (2003), S. 50; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 32; Laubenthal (2004), S. 737. 30 Dazu: Mushoff (2008), S. 388 f.; Finger (2008), S. 194 ff.
I. Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung
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b) Experiment Ebenfalls eine Unsicherheit im Bereich des Tatsächlichen beinhaltet die zweite Interpretationsmöglichkeit: Der Sachverständige kommt zu dem Schluss, es bestünde eine das Experiment rechtfertigend hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich die Prognose bei Einbeziehung des Vollzugsverhaltens von einer noch nicht schlechten zu einer schlechten ändert und das Gericht folgt ihm in dieser Einschätzung. Für eine solche Interpretation spricht, dass ein Vorbehalt ausgeschlossen ist, wenn eine Klärung der Frage nach der Gefährlichkeit bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Anordnung ausgeschlossen ist31 und die Anordnung des Vorbehalts die Erwartung der Klärung der Unsicherheit im Vollzugsverlauf voraussetzt.32 Gegen eine solche Deutung spricht die hohe Bedeutung der statischen und daher in der Regel im Urteilszeitpunkt erkennbaren prognostisch relevanten Tatsachen. c) Normative Unsicherheit Das Gericht kann das vom Sachverständigen beigebrachte Gutachten nicht bewerten. Es kommt auf der tatsächlichen Grundlage nicht zu einer normativen Einschätzung. Die Frage, ob das Ergebnis der Übertragung von Erfahrungssätzen auf die prognostisch relevanten Tatsachen eine Bewertung des Täters als gefährlich rechtfertigt, bleibt unentschieden.33 Hier sind die normativen Voraussetzungen betroffen. Eine solche Interpretation scheidet aus, denn dass das Gericht nicht weiß, wie der Umschlagspunkt von einer positiven zu einer negativen Prognose zu setzen ist, kann nicht durch zusätzliches Erkenntnismaterial behoben werden. d) Vorgehen im Mittelfeldbereich Vorzugswürdig ist die Deutung, nach der § 66a I StGB die gesetzgeberische Entscheidung enthält, dass bei einem bestimmten, feststehenden Risiko das Gericht weder die Wertung gefährlich noch die Wertung ungefährlich aussprechen soll, sondern die normative Seite eine Untersuchung auch des Vollzugsverhaltens fordert. Dann wird gerade nicht die Unschlüssigkeit des Gerichts bezüglich des richtigen Umschlagspunktes relevant, es geht auch nicht um eine Unsicherheit im Bereich des Tatsächlichen, das Gericht muss von der den Umschlagspunkt erreichenden Wahrscheinlichkeit der Taten, 31
MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 33. (2006), S. 282; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 33. Kritisch: LK -Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 29. 33 So wohl Müller-Metz (2003), S. 50; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 32. 32 Renzikowski 12
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E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
ab dem die Anordnung eines Vorbehalts in seinem Ermessen steht, überzeugt sein. Es ist ein Vorgehen für den Bereich unter dem bisherigen für § 66 I, II, III StGB vorgesehenen Umschlagspunkt normiert. Der Umgang mit dem Mittelfeld-Problem wäre wie im ersten Szenario das Experiment. Es ist für diesen Risikosachverhalt ein anderer Umgang normiert. Die Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit bleibt Wahrscheinlichkeit, lediglich der Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit sinkt. Gefordert ist Überzeugung (§ 261 StPO) von der (herabgesetzten) Wahrscheinlichkeit der Taten (§ 66a StGB). Bezüglich des Begriffs der Überzeugung ist eine Trennung des Beweisrechts von der Frage nach der normativ richtigen Setzung des Umschlagspunkts vorzunehmen. Nach § 66a I StGB rechtfertigt schon eine geringere Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten die Intervention in Form des Unterbringungsvorbehalts. Kennzeichnend für die Norm ist, dass die Geltung der Kriminalprognose schon dann angeordnet wird, wenn die Begehung der zu verhindernden Taten weniger wahrscheinlich ist, als es unter der Geltung des § 66 StGB notwendig war. Der Ausgleich wird dadurch hergestellt, dass die abzuwehrenden Taten erheblicher sind. 3. Ermessensausübung Die Anordnung des Vorbehalts steht im Ermessen des Gerichts. Dabei wird für die Ausübung des Ermessens auf § 66 III StGB verwiesen.34 Dies ist nicht sinnvoll, da in den Fällen der §§ 66 II, III StGB das Ermessen bei solchen Tätern die Verwahrung verhindert, bei denen schon im Zeitpunkt der Anordnung die Ungefährlichkeit nach Strafverbüßung erkannt wurde. Dies ist nicht auf die Anordnung eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung übertragbar, ist doch hier notwendig bei Abschluss der Hauptverhandlung nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten im Sinne des § 244 II StPO unbekannt, ob eine die Verwahrung legitimierende Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten besteht. Es muss lediglich eine solche Wahrscheinlichkeit angenommen werden, die eine weitere Prüfung durch Einbeziehung des Vollzugsverhaltens begründet. Damit stellt sich die Frage, ob bei der wertenden Entscheidung über das Erreichen des Umschlagspunkts zur Anordnung eines Vorbehalts die möglichen Auswirkungen der Strafvollstreckung Berücksichtigung finden. Zwar spricht dagegen, dass § 66a II StGB eine Prüfung der Gefährlichkeit unter Beachtung der weiteren Entwicklung festschreibt, dies aber durch § 67c I StGB ebenso sichergestellt ist. Als Ermessensgesichtspunkt wird genannt, ob neue Erkenntnisse über die Gefährlichkeit zu erwarten sind.35 Dies ist 34 35
MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 38; so auch BT-Drucks. 14/8586, S. 6. Schreiber/Rosenau (2004), S. 100.
II. Auswirkungen der Vorbehaltsanordnung
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aber entscheidender Gesichtspunkt für die Anordnung eines Vorbehalts. Wie der BGH feststellt, ist kein Vorbehalt anzuordnen, wenn im Zeitpunkt der ersten Hauptverhandlung erkennbar ist.36 dass keine Möglichkeit besteht, die Gefährlichkeit des Täters unter Einbeziehung der Erfahrungen aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu ermitteln.37 Noch deutlicher als bei den Ermessensvorschriften des § 66 II, III StGB ist hier ein Ermessensspielraum verfehlt: Wie in den genannten Entscheidungen müsste die Ermessensentscheidung an die angenommene Wirkung des Strafvollzugs geknüpft werden. Dies schafft dasselbe Problem wie bei der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund des absehbaren Verschwindens der Gefährlichkeit im Strafvollzug. Wie in dieser Konstellation spricht gegen ein Absehen vom Vorbehalt aus Ermessensgründen, dass so das Risiko38 der Allgemeinheit aufgebürdet wird.39 Daher wird es sich in diesen Fällen um ähnliche Ausnahmen handeln wie sie die unstrittigen Fälle der Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 II StGB aus Ermessensgründen bilden. Problematisch ist, dass der Erfahrungszeitraum aufgrund der Frist des § 66a II 1 StGB unter Umständen sehr kurz ist.40 Wie im Fall des § 66 StGB ist auch hier die Auslegung sinnvoller, dass ein Rechtsfolgenermessen nicht sinnvoll ausgefüllt werden kann und dass die erwünschte Flexibilität über den unbestimmten Rechtsbegriff der nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbaren Gefährlichkeit erreicht wird.41 Die vom Gesetzgeber erstrebte Bezugnahme auf die Auslegung des § 27 JGG ergibt keine Kriterien zur Ausübung des Ermessens.42
II. Auswirkungen der Vorbehaltsanordnung Bei der unbedingten Anordnung der Sicherungsverwahrung wird trotz des grundsätzlichen Nebeneinanders von Strafe und Sicherungsverwahrung in der Regel von einer Beeinflussung der Strafzumessung durch die Anord36 Wann dies erkennbar sein soll ist aber unklar, wenn man davon ausgeht, dass nicht nur solche Fälle erfasst sind, in denen auch nach § 66 II, III StGB ausnahmsweise die angenommene Entwicklung im Vollzug schon in die Prognose im Urteilszeitpunkt einzustellen ist. Dann ist die Situation herbeigeführt, die § 67c I StGB abschaffen sollte. 37 BGHSt 51, 159 (164); MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 33; Ullenbruch (2008), S. 7. 38 Nämlich das Risiko, dass sich die Prognose des Gerichts bezüglich des Verschwindens der Gefährlichkeit bzw. der Möglichkeit der Feststellung der Gefährlichkeit als falsch herausstellt. 39 So Sch/Sch-Stree § 66a, Rn. 2. 40 Kinzig (2002), S. 3208; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 33. 41 Im Ergebnis auch Mushoff (2008), S. 404; Fischer, § 66, Rn. 7. 42 Müller-Metz (2003), S. 50, Fn. 140.
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E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
nung der Sicherungsverwahrung ausgegangen.43 Wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erst in der Rechtsmittelinstanz angeordnet, wird regelmäßig der Strafausspruch aufgehoben, da nicht auszuschließen ist, dass die Anordnung der Maßregel im Ausgangsverfahren zugunsten des Angeklagten bei der Strafzumessung berücksichtigt worden wäre.44 Wird dagegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung aufgehoben, kann dies zu einer Aufhebung des Strafausspruchs zugunsten des Verurteilten führen.45 Wird Sicherungsverwahrung vorbehalten, ist bei der Strafzumessung noch unklar, ob der Täter seine Freiheit für die Sicherheit der Allgemeinheit opfern muss. Wie bei unbedingter Anordnung der Sicherungsverwahrung kann bei der Vorbehaltsanordnung eine Wechselbeziehung von Strafzumessung und Maßregel bestehen.46 Es besteht die Möglichkeit, die Strafe trotz der vorliegenden Unsicherheit aus dem unteren Bereich des Strafrahmens zu entnehmen, da sich die spätere Entscheidung über die Maßregel nicht vorhersehen lässt.47 Dagegen spricht jedoch, dass dann die schuldangemessene Strafe unter Umständen unterschritten ist, wenn die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet wird.48 Die Nichtberücksichtigung des Vorbehalts in der Strafzumessung führt dagegen zu dem Problem, dass wenn die Anordnung erfolgt, diese die Strafzumessung nicht beeinflusst hat und eine Revision zum Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr möglich sein wird.49 Die Auflösung muss von der Funktion der Sicherungsverwahrung ausgehen, den spezialpräventiven Zugriff über das Maß der Schuld hinaus zu ermöglichen. Dann kann die Anordnung eines Vorbehalts für den auf § 46 43 BGHSt 24, 132; BGH NStZ-RR 2007, 10, 11; BGH NJW 1999, 3723; Jansing (2004), S. 427; Blau (1998), S. 762; Grünwald (1969), S. 233 ff., 241; kritisch dazu: Dessecker (2004), S. 380; LK12-Peglau/Rissing-van Saan § 66, Rn. 236. 44 BGH NStZ-RR 2007, 10, 11; BGH NStZ 2002, 535; BGH NJW 1968, 997 f.; BGH NJW 1980, 1055 f.; BGHR § 66 I Gefährlichkeit Nr. 1–3, 5; § 66 I Hang Nr. 4; Kinzig (2002), 3207; ders. (1996), S. 589 f. Anders dagegen: BGH NStZ 1994, 280, 281; kritisch: LK12-Peglau/Rissing-van Saan § 66, Rn. 236. Vgl. auch Dessecker (2004), S. 380. 45 BGH NStZ-RR 2007, 10, 11. 46 Kinzig (2002), S. 3207; Passek (2005), S. 104; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 14; Fischer § 66a, Rn. 8a. An dieser Stelle wird der Gedanke der ethischen Farblosigkeit (aus guten Gründen) wohl nicht eingehalten. Wie die gegenseitige Beeinflussung auf der Ebene der Strafzumessung mit der Ablehnung der Vikariierung im Vollzug in Einklang steht, bedarf näherer Begründung. 47 Für die Beachtung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung bei der Strafzumessung: SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 14; Fischer § 66a, Rn. 8a. Dagegen: Kreuzer/ Bartsch (2008), S. 665; Passek (2005), S. 104. 48 Passek (2005), S. 104. 49 Passek (2005), S. 104.
III. Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
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I 2 StGB basierenden Anteil der Strafzumessung beachtlich sein. Dieser kann durch die Anordnung von Sicherungsverwahrung beeinflusst werden.50 Erfolgt die Anordnung nicht, weil Spezialprävention durch Freiheitsentziehung über das Maß der Schuld nicht notwendig ist, dann kann unter der Prämisse der ethischen Farblosigkeit der Maßregel die eventuell verbleibende geringe Differenz zur ansonsten verhängten Strafe hingenommen werden.51 Denn selbst wenn bei der Strafzumessung darauf verzichtet wird, im Rahmen des Schuldangemessenen die Strafe aus präventiven Gründen höher zu bemessen, weil der Vorbehalt angeordnet wird, ist im Fall der Nichtanordnung der Unterbringung die Strafe eben noch mit den Anforderungen des § 46 StGB in Übereinstimmung. Dafür spricht auch, dass die nach § 66 StGB angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in ihrer tatsächlichen Einwirkung auf den Täter durch Freiheitsentziehung (und nur auf diese kann es ankommen, wenn die Maßregel ethisch farblos ist) von einer weiteren Kriminalprognose nach § 67c I StGB abhängig ist,52 dass aber eine Korrektur der Strafzumessung nicht erfolgt, wenn die zunächst angeordnete Sicherungsverwahrung nicht vollstreckt wird. Daher ist schon die Anordnung des Vorbehalts für den spezialpräventiv ausgestalteten Teil der Strafzumessung beachtlich,53 wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass Sicherungsverwahrung angeordnet wird (kann dies ausgeschlossen werden, ist schon der Vorbehalt unzulässig) und die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Strafzumessung beeinflusst.
III. Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung In einer zweiten Hauptverhandlung ordnet das erkennende Gericht die Sicherungsverwahrung gemäß § 66a II 2 StGB an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten drohen, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die drohenden 50
So auch für Strafe und Maßregeln generell: Grünwald (1969), S. 195 f. und S. 233 zur Sicherungsverwahrung. Ähnlich LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 236; Blau (1998), S. 762 f. 51 Wohl anders Passek (2005), S. 104, nach der aufgrund der allgemeinen Sicherheit „eine u. U. nicht ganz ausbalancierte Verhältnismäßigkeit i. S. tat- und schuldangemessener Sanktionen hinzunehmen“ sei. 52 Kreuzer/Bartsch (2008), S. 665. Finger (2008), S. 88 will deswegen weder Vorbehalt noch Anordnung in der Strafzumessung berücksichtigt wissen. Für den Vorbehalt argumentiert sie damit, dass eine Anordnung weniger wahrscheinlich sei, als der Verzicht auf die Vollstreckung nach § 67c StGB. 53 Im Ergebnis auch Fischer § 66a, Rn. 8a.
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E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
Taten müssen nicht Katalogtaten des § 66 III StGB sein.54 Wiederum wird um das Erfordernis eines Hanges gestritten. Teilweise wird die explizite Feststellung des Fortbestehens des Hanges gefordert.55 Der Gesetzgeber ging davon aus, dass sich in der künstlichen Umgebung des Strafvollzugs in der Regel eine Unklarheit über das Vorliegen eines Hanges nicht beseitigen lasse,56 wohl aber Unklarheiten über die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten. Dies ist auf dem Boden des Zusammenhangs von Hang und Gefährlichkeit widersprüchlich. Außerdem war § 67d III StGB, der bis zur seiner Änderung durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung forderte, dass die Strafvollstreckungskammer die weitere hangbedingte Gefährlichkeit des Untergebrachten feststellt, nicht mit der Möglichkeit einer hangunabhängigen Sicherungsverwahrung in Einklang zu bringen.57 Der Verzicht auf eine explizite Feststellung des Fortbestehens des Hanges ist jedoch daraus zu erklären, dass dieser per definitionem ein überdauernder Zustand sein soll und sein Vorliegen bei der Anordnung des Vorbehalts festgestellt wurde. Die Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung im Jahr 2011 durch § 66a StGB n. F. hat klargestellt, dass für die Entscheidung über die Anordnung des Vorbehalts Unsicherheit über die materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 I S. 1 Nr. 4 StGB n. F., mithin auch die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des Hanges ausreicht. Die Anordnung der Unterbringung setzt das Bestehen des Hangs auch nach dieser Gesetzesfassung nicht voraus. Die Anordnungsentscheidung wird nach § 66a II 1 StGB spätestens 6 Monate vor dem Zeitpunkt einer Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach §§ 57 I 1 Nr. 1, 57a I 1 Nr. 1 StGB getroffen. Dabei handelt es sich um eine Ausschlussfrist,58 was sich aus grammatikalischer, systematischer und teleologischer Auslegung des § 66a II 1 StGB ergibt.59 Zwar kann sich aus der Pflicht zur Einhaltung der Frist ergeben, dass die zweite Prognose auf einer nur geringfügig erweiterten Grundlage 54 Fischer § 66a, Rn. 9a; Jansing (2004), S. 459; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 21; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 46; a. A. NK-Böllinger/Pollähne § 66a, Rn. 9. 55 SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 19; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 45; a. A.: LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 63. 56 BT-Drucks. 14/8586, S. 7. 57 BGH, Urteil vom 22.10.2004, Az. 1 StR 140/04; Mushoff (2008), S. 73. 58 BGHSt 51, 159; Renzikowski (2006), S. 281; Ullenbruch (2008), S. 6; SKStGB-Sinn § 66a, Rn. 16; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 42; a. A. Peglau (2002), S. 451; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 51 ff.; Meyer-Goßner § 275a, Rn. 5. 59 BGHSt 51, 159 (160 ff.); im Ergebnis auch: Finger (2008), S. 56; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 42.
III. Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
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ergeht,60 dieser Umstand ist jedoch hinzunehmen.61 Eine Ausnahme von der Pflicht zur Einhaltung der Frist kommt allenfalls in Betracht, wenn die Frist nur um wenige Tage überschritten wird und die Verantwortung für diese Überschreitung nicht direkt der Justiz zugeschrieben werden kann.62 Die auf den Vorbehalt gestützte Unterbringungsanordnung steht im Gegensatz zur Vorbehaltsanordnung nicht im gerichtlichen Ermessen.63 1. Eingeschränkte Prognoserelevanz des Vollzugsverhaltens Soll das Hinauszögern der Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsverwahrung einen Sinn haben, muss das bei der Entscheidung dann bekannte Vollzugsverhalten für die Prognose relevant sein.64 Konkret werden als prognoserelevante Gesichtspunkte genannt: aggressive Handlungen gegen Strafvollzugsbeamte oder Mitgefangene, Straftaten oder subkulturelle65 Aktivitäten im Vollzug, Drohungen oder andere Aktivitäten, die auf eine Rückkehr in kriminelle Subkulturen und eine Wiederaufnahme insbesondere von Gewalt- und Sexualkriminalität hindeuten.66 Neue Straftaten nehmen eine Sonderstellung ein, da sie entweder die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht ermöglichen oder bei ihrer Aburteilung zur Anordnung von Sicherungsverwahrung führen.67 Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Relevanz von Therapieunwilligkeit bzw. -erfolglosigkeit bzw. -abbrüchen.68 Gerade die Aussagekraft des Vollzugsverhaltens für das Verhalten in Freiheit wird aber kritisch beurteilt,69 da das Verhalten unter den künstlichen 60
So das Gegenargument bei Peglau (2002), S. 281. BGHSt 51, 159 (163 f.). 62 BGH StV 2006, 63, 64; kritisch: Ullenbruch (2008), S. 7. Vgl. auch BVerfGE 42, 1 wonach die Einleitung der Vollstreckung von Sicherungsverwahrung trotz fehlender Entscheidung nach § 67c I StGB rechtmäßig ist, wenn das Prüfverfahren bereits begonnen wurde und ohne vermeidbare Verzögerung binnen angemessener Frist abgeschlossen wird. 63 Sch/Sch-Stree § 66a, Rn. 2. 64 Vgl. BVerfGE 109, 190 (222): „Die nachträgliche Sicherungsverwahrung basiert auf der Überlegung, dass eine Entscheidung über die Maßnahme, die kurz vor Strafende getroffen wird, auf Grund ihrer breiteren Tatsachengrundlage eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet . . .“ Diese Überlegung liegt auch § 66a StGB zu Grunde. 65 Dass BGH StV 2006, 63, 64 von „kulturellen Aktivitäten“ spricht, ist wohl ein Versehen. 66 BT-Drucks. 14/8586, S. 7; BGH StV 2006, 63, 64, nach dessen Beschluss Sachbeschädigungen und Autoagression nicht ausreichen. 67 Renzikowski (2006), S. 282 f.; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 54; a. A. ohne Begründung: SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 22. 68 Vgl. BGHSt 50, 188; Renzikowski (2006), S. 283; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 55; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 24. 61
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E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
Bedingungen des Strafvollzugs sehr wenig über späteres Verhalten in Freiheit aussage.70 Dass die Gefährlichkeit erst während des Strafvollzugs erkennbar wird, wird von empirischer Seite bestritten, da entscheidendes Kriterium die Anlass- und die Vortaten seien, so dass der Vollzugsverlauf nur über positive Veränderungen Aufschluss geben könne.71 Dieser Einwand gegen die gesetzliche Konzeption wird noch durch die Vermutung gesteigert, dass dem unter einem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung stehenden Täter keine Vollzugslockerungen gewährt werden.72 Das BVerfG spricht Vollzugslockerungen im Einklang mit dem empirischen Schrifttum73 eine besondere Bedeutung als Möglichkeit der Gewinnung prognostisch relevanter Tatsachen zu und appelliert an die Vollstreckungsgerichte, sich nicht mit einer standardisierten Verweigerung abzufinden.74 Dagegen wird teilweise die Einbeziehung des Vollzugsverhaltens in die Prognosebasis für sinnvoll gehalten, da auf diese Weise Fehleinweisungen vermieden werden könnten.75 Die Prognoserelevanz steht aber gerade in Frage.76 Im Ergebnis stellt sich das Problem jedoch nicht wesentlich anders dar als bei der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB, bei der ebenfalls vor Vollstreckungsbeginn nach § 67c I StGB eine erneute Kriminalprognose erforderlich ist, in die alle zu diesem Zeitpunkt relevanten Tatsachen einzubeziehen sind.77 69 Adams (2003), S. 52 f.; Nedopil (2002), S. 349; Hörnle (2006), S. 387; Schneider (2006), S. 103; Kinzig (2002), S. 3206 f.; Renzikowski (2006), S. 282; Bender (2007), S. 94; Baltzer (2005), S. 161; SK-StGB-Sinn § 66a, Rn. 22; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 11; NK-Böllinger/Pollähne § 66a, Rn. 5; Fischer § 66a, Rn. 9b. Zweifel an der Aussagekraft des Vollzugsverhaltens wurden bereits 1938 geltend gemacht: Henkel (1938), S. 190 f. Aus tatsächlicher Sicht bemängelt Pierschke (2001), S. 256 die Überbetonung der sozialen Anpassung als Prognosekriterium im Strafoder Maßregelvollzug. Leygraf (2004), S. 442 befürchtet eine Ressourcenverknappung durch Sexualstraftäter, die therapeutische Angebote lediglich annehmen, um keinen Anlass für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu bieten. 70 NK-Böllinger/Pollähne § 66a, Rn. 5; krit. auch Fischer § 66a, Rn. 9b; Dünkel/ van Zyl Smit (2004), S. 635; Nedopil (2002), S. 349; Kröber (2004), S. 270; Hörnle (2006), S. 387; Dahle (2006), S. 274. 71 Baltzer (2005), S. 161. 72 Renzikowski (2006), S. 283; Müller-Metz (2003), S. 50; Fischer § 66a, Rn. 9b; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 13, 15; NK-Böllinger/Pollähne § 66a, Rn. 5; Laubenthal (2004), S. 740. Allgemein zur Gewährung von Vollzugslockerungen bei gefährlichen Straftätern: Boetticher (2005), S. 420 f.; Bartsch (2008), S. 287. 73 Nedopil (2002), S. 348 f. 74 BVerfGE 109, 133 (165 f.); OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 90, 93 für die Prognose nach § 67d StGB. Die Lage ist bei § 66a, b StGB identisch. 75 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 7 m. w. N. 76 Eindringlich Baltzer (2005), S. 161; Leygraf (2004), S. 442. 77 Zu den Anforderungen an diese Prognoseentscheidung: LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 9; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 5, 6.; Nach MüKo-Veh § 67c, Rn. 9 muss die Entscheidung, die Unterbringung nicht zu Vollstrecken auf neuen Erkenntnissen beruhen.
III. Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
169
2. Prognoserelevanz bei Entlassungsentscheidungen Das gewichtigste Argument gegen die eingeschränkte Prognoserelevanz des Vollzugsverhaltens ist, dass sowohl bei der Vollstreckung von Sicherungsverwahrung als auch der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei den der Anordnung nachfolgenden Entscheidungen nach §§ 67c I, II, 67d I, II, VI StGB das Verhalten im Vollzug selbstverständlich herangezogen wird.78 So argumentierte schon Henkel79 gegen das Argument, das Vollzugsverhalten sei ein schwacher Indikator für die Wahrscheinlichkeit von Straftaten, damit, dass dies immer die Grundlage für Entlassungsentscheidungen sei. Baltzer geht dagegen davon aus, dass das Vollzugsverhalten allein für eine Verringerung der Gefährlichkeit Aussagekraft enthält.80 Tatsächlich kann dieses Argument entkräftet werden, wenn das Vollzugsverhalten Aussagekraft für die Abschwächung der Wahrscheinlichkeit hat und die Entscheidungen nach §§ 67c I, d II, III StGB nur zugunsten des Untergebrachten wirken. Allerdings ist jede Nichtaussetzung der Vollstreckung gleichzeitig die Anordnung der (weiteren) Vollstreckung.81 Dass durch das Vollzugsverhalten ausschließlich die Verminderung der Wahrscheinlichkeit von Straftaten angezeigt werden kann, scheint nicht realistisch. Vielmehr ist der bedeutende Unterschied von § 67c I StGB zu § 66a II StGB, dass im ersten Fall der Umschlagspunkt zu einer die Verwahrung begründenden Wahrscheinlichkeit erreicht ist, bei gleichbleibender Wahrscheinlichkeit also in der Regel82 die Vollstreckung angeordnet wird,83 im Fall des § 66a II StGB jedoch nur eine Wahrscheinlichkeit, die eine weitere Prüfung der Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten begründet. Im Fall gleichbleibender Wahrscheinlichkeit wird also die Unterbringung nicht angeordnet. Sowohl die Unterbringung als auch die Nichtaussetzung aber wirken im selben Maße zulasten des Angeklagten. Damit besteht der Einwand der geringen Aussagekraft des Vollzugsverhaltens in beiden Fällen. Vgl. LK12-Schöch vor § 61, Rn. 155, der gute Gründe dafür sieht, dass Vollzugsverhalten nur zugunsten des Untergebrachten in den Entscheidungen nach §§ 67c I, d II, III StGB zu berücksichtigen. 79 (1938), S. 191 f. 80 Baltzer (2005), S. 161. Dabei wird aber der Unterschied der Entscheidungen zu stark betont. 81 Dazu unten G.II. 82 Dass schon die Zeit im Strafvollzug eine Erhöhung des in Kauf genommenen Risikos derart erhöht, dass der Beginn der Vollstreckung unverhältnismäßig wird, kann nur dann angenommen werden, wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtsfehlerhaft ist, da die Zeit im Strafvollzug bekannt ist. 83 Volckart (1997), S. 129. Es ist aber zu beachten, dass das Gericht nur eingeschränkt durch das anordnende Urteil gebunden ist, es muss selbständig eine Gesamtwürdigung vornehmen, LK10-Hanack § 67c, Rn. 7; KMR-Voll § 275a, Rn. 48. 78
170
E. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB
Nach der Rechtsprechung müssen der Anordnung solche Tatsachen zugrunde liegen, die im ersten Hauptverfahren noch nicht erkennbar waren und die Prognoserelevanz besitzen. Eine bloße Neubewertung der damals bekannten Tatsachen kann die Unterbringung nicht begründen.84 Eine solche Prognoserelevanz kommt nur solchem Verhalten zu, das gerade nicht vollzugstypisch ist.85 Dies erfordert schwierige Abgrenzungen von vollzugsuntypischem, prognoserelevantem Verhalten zu solchem, das im Vollzug ubiquitär ist und nichts über das Verhalten in Freiheit aussagt.86 3. Vorläufiges Fazit zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Die Befürchtung es würden Vorbehalte ausgesprochen, um keine falschen Entscheidung treffen zu müssen,87 hat sich nicht bewahrheitet. Die Norm führt vielmehr in Folge dieser Auslegung ein Schattendasein, wofür als Grund die Auslegung, nach der bezüglich des Vorliegens eines Hanges keine Unsicherheit bestehen darf, angegeben wird.88 Die entgegengesetzte Einschätzung, die Gerichte würden statt der Sicherungsverwahrung nur noch deren Vorbehalt anordnen, um auf Grundlage der Erfahrungen aus dem Strafvollzug eine vermeintlich bessere Prognose zu treffen,89 hat sich ebenfalls nicht bestätigt. Insgesamt ist § 66a StGB von geringer praktischer Bedeutung geblieben.90 Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass schon im Zeitpunkt der Hauptverhandlung eine ausreichend sichere Aussage über die Gefährlichkeit getroffen werden kann.91 Im Ergebnis sind drei Auswirkungen des § 66a StGB festzustellen: (1) Es wird die Risikoschwelle abgesenkt, ab der eine Unterwerfung unter die Kriminalprognose angeordnet wird. Bisher musste die Gefährlichkeit zur Überzeugung des Gerichts feststehen, damit weitere Prognosen 84
BGH NStZ 2007, 267, 268. BGH NStZ 2007, 267, 268; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 7. 86 Ullenbruch (2008), S. 9. 87 Fischer § 66a, Rn. 2a; NK-Böllinger/Pollähne § 66a, Rn. 5. Ähnlich: Kunz (2005), S. 1381. Dies wurde schon bei der Einführung des § 67c StGB befürchtet. Dazu: Müller (1981), S. 105 f. 88 Ullenbruch (2008), S. 11 f.; Römer (2006), S. 5. 89 BT-Drucks. 14/8586, S. 6.; Blau (2006), S. 527; Peglau (2002), S. 452; MüKo-Ullenbruch § 66a, Rn. 20. Auch dieser Einwand wurde bereits bei der Frage nach der Ausweitung der nachträglichen Anordnungsmöglichkeit nach Art. 5 I Nr. 1, 2 GewVerbrG diskutiert: Henkel (1938), S. 190. 90 Römer (2005), S. 5; Ullenbruch (2008), S. 6; Renzikowski (2006), S. 282. 91 Kinzig (2008), S. 123. Nach Baltzer (2005), S. 102 f. ergeben sich nur geringe Unterschiede bei einer Prognose zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gegenüber einer Prognose unter Einbeziehung des Strafvollzugs. 85
III. Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
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für und gegen den Verurteilten gelten, nun muss zur Überzeugung des Gerichts die Klärung dieser Gefährlichkeit im Strafvollzug zu erwarten sein. In beiden Fällen gelten Prognoseentscheidungen für und gegen den Verurteilten. (2) Es wird dadurch Druck auf den Verurteilten ausgeübt, sich therapeutischen Angeboten im Strafvollzug nicht zu entziehen. (3) Es wird die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung flexibilisiert, bisher konnten die Erkenntnisse aus dem Strafvollzug zugunsten des Verurteilten zu einer Vollstreckungsaussetzung führen. Sie konnten zulasten des Verurteilten nur den Beginn der Vollstreckung bereits angeordneter Sicherungsverwahrung bewirken, während § 66a II StGB auch die Anpassung der Kriminalprognose bei nicht angeordneter Sicherungsverwahrung, also geringerer Straftatenwahrscheinlichkeit ermöglicht. Sowohl die Sicherungsverwahrung nach § 66 als auch die nach § 66a StGB fordern eine Kriminalprognose im Urteilszeitpunkt, beide machen die tatsächliche Vollstreckung der Sicherungsverwahrung von einer Kriminalprognose vor dem Ende der Strafvollstreckung abhängig. Die Neuerung des § 66a StGB liegt darin, dass der Umschlagspunkt herabgesetzt wird, ab dem eine fortlaufende Überprüfung der Gefährlichkeit möglich ist. War bisher eine Kriminalprognose vor Ende der Strafvollstreckung ausschließlich die Folge einer positiven Kriminalprognose im Urteilszeitpunkt, so schafft § 66a StGB nunmehr die Möglichkeit einer Kriminalprognose vor Ende der Strafvollstreckung, auch wenn das Tatgericht von herabgesetzter Wahrscheinlichkeit ausgeht. Als Korrektiv dafür soll die Erwartung dienen, dass die Erkenntnisse aus dem Strafvollzug zur Feststellung einer der Schwelle des § 66 StGB entsprechenden Wahrscheinlichkeit führen. Eine solche Abschätzung der Auswirkungen des Strafvollzugs wurde bisher nicht für sinnvoll erachtet, was Grund für die Einführung des § 67c I StGB war.92. Das Tatgericht ist nicht vom Vorliegen einer die Verwahrung legitimierenden Kriminalprognose überzeugt, dennoch wird im weiteren Verlauf die Kriminalprognose aktualisiert. Im Ergebnis ist die Risikoschwelle für die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose herabgesetzt.
92
Müller (1981), S. 55.
F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB Die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung soll den Anspruch der Bürger auf Schutz vor hochgefährlichen Straftätern1 erfüllen. Adressaten der Regelung sind Täter, bei denen aufgrund der nicht erkannten Gefährlichkeit eine Anordnung nach den §§ 66, 66a StGB unterblieb.2 Aber die Regelung geht über diesen Adressatenkreis hinaus. § 66b II StGB ermöglicht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auch bei Tätern, denen im Extremfall nur eine Straftat nachgewiesen wurde. Als letzte zu schließende Sicherheitslücke weist § 66b III StGB den Fall aus, dass ein Straftäter nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurde, der diese Unterbringung rechtfertigende Zustand aber wegfällt, ohne dass dies zu der Annahme der Ungefährlichkeit des Untergebrachten führt. Eine der nachträglichen Sicherungsverwahrung entsprechende Regelung wurde zunächst im Landesrecht3 eingeführt.4 Das Bundesministerium der Justiz sah die Gesetzgebungskompetenz der Länder gegeben, da die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht Folge der Anlasstat sei.5 Das BVerfG dagegen schrieb die Gesetzgebungskompetenz dem Bund zu,6 was zur Einführung des § 66b StGB führte. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes anzunehmen führt zu dem Zwiespalt,7 dass die Sanktion einerseits ausreichend an die Anlasstat anknüpfen muss,8 um als deren Rechtsfolge Strafrecht darzustellen, sich aber andererseits weit genug auf andere Vorausset1
BVerfGE 109, 190 (236); BT-Drucks. 15/2887, S. 10; Streng (2006), S. 93. BT-Drucks. 15/2887, S. 11 f.; Schneider (2006), S. 415. 3 Zum (exemplarischen) StrUGB Baden-Württemberg: Jansing (2004), S. 147 ff. 4 Zur Entstehung des § 66b StGB: Rissing-van Saan (2006), S. 192 f.; Poseck (2004), S. 2559 ff. 5 So auch Würtenberger/Sydow (2001), S. 1201 ff. Zur Entstehung der Regelung: Bender (2007), S. 26; Milde (2006), S. 128; H.-J. Albrecht (2006), S. 202; Poseck (2004), S. 2559. 6 BVerfGE 109, 190. 7 von Freier (2008), S. 308; Fischer § 66b, Rn. 5; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 7, 8. 8 BVerfGE 109, 190 (220 f.), die Art. 1 I BayStrUBG und § 1 I UBG LSA, die eine nachträgliche Anordnung nicht auf die Anlasstat beziehen, verfassungskonform auslegt und eine von der Anlasstat losgelöste Entscheidung über die Gefährlichkeit generell als verfassungswidrig verwirft. BGHSt 51, 191; 50, 275 (278 f.). 2
F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
173
zungen (die erkennbar gewordenen Tatsachen) stützen muss, um das Verbot der doppelten Ahndung einer Tat nicht zu verletzen9 bzw. die Rechtskraft des Ersturteils nicht zu unterlaufen. Ob ein ausreichender Zusammenhang zwischen Anlasstat und nachträglicher Anordnung besteht, ist umstritten.10 Um diesen Zusammenhang herzustellen wird überwiegend verlangt, dass die erkennbar gewordenen Tatsachen Symptom des Hanges zu Straftaten sein müssen, der auch der Anlasstat zugrunde liegt.11 Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist dann Reaktion auf die in der Anlasstat abgebildete Gefährlichkeit, denn die erkennbar gewordenen Tatsachen als konkreter Anknüpfungspunkt der Anordnung sind ebenfalls Ausdruck der in der Tat abgebildeten Gefährlichkeit. Hier wird die bedeutende Stellung der Anlasstat zur Begründung strafrechtlicher Gesetzgebungskompetenz, zur Begründung der Geltung einer Kriminalprognose und für die Erstellung der Kriminalprognose selbst deutlich.12 Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit auf die Sicherungsverwahrung) wird teilweise mit der Argumentation abgelehnt, die Anlasstat sei nicht zwingend entscheidend für die Kriminalprognose.13 Wird der Zusammenhang von Anlasstat und Unterbringung ausschließlich oder primär mit deren empirischen Relevanz für die Prognose begründet, so spricht dagegen, dass andere Straftaten ebenso in die Kriminalprognose einfließen. Die Unterbringungsansordnung soll aber mit diesen Straftaten offensichtlich nicht im selben Maß verknüpft sein, wie mit der Anlasstat. Auch nicht wenn ein Hang zu erheblichen Straftaten auf Grundlage aller in die Prognose einbezogenen Taten angenommen wird. Es wird eingewandt, die Aburteilung der Straftat habe abschließend auf das Beispielhafte der Tat reagiert, so dass der Bezug zur Anlasstat weitgehend verloren sei.14 Dies ist in jedem Fall für die im Rahmen der Schuld nach § 46 I 2 StGB berücksichtigungsfähige Rückfallwahr9 Kritisch Horstkotte (2005), S. 23; Fischer, § 66b, Rn. 5; KMR-Eschelbach § 362, Rn. 70 f. Nach BVerfGE 55, 28 (30) ist das Doppelbestrafungsverbot nicht durch gleichzeitige Verhängung von Strafe und Maßregel verletzt. Nach BVerfG NJW 2009, 980, 981; BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08 verletzt auch die spätere Anordnung von Sicherungsverwahrung das Verbot nicht, da diese keine Strafe darstellt. 10 Laubenthal (2004), S. 741 spricht von einer Abkehr von dem Charakter der Sicherungsmaßregel als unmittelbarer Rechtsfolge der Anlasstat; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 7. 11 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 275 (278 f.); BGH NStZ 2006, 276, 278; Lackner/Kühl § 66b, Rn. 4. 12 BVerfGE 109, 190 (216); LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 27; SKStGB-Sinn § 66b, Rn. 7. 13 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 40 m. w. N. zur Gegenansicht. 14 SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 7; weiter: Laubenthal (2004), S. 747.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
scheinlichkeit des Täters und schuldsteigernde Vorverurteilungen richtig. Darüber hinaus fällt eine solche materielle Argumentation schwer, da die Sicherungsverwahrung teilweise bei der Aburteilung der Anlasstat nicht möglich war (so in den Fällen des § 66b I 2 und dem Extremfall des § 66b II StGB). Außerdem wird entgegengehalten, der durch die Anlasstat gesetzte Sachverhalt sei erst nach Beendigung der dafür ausgesprochenen strafrechtlichen Reaktion beendet, das Indizielle einer Straftat bleibe so lange bestehen, wie die Strafe noch nicht verbüßt ist.15 Diese Argumentation würde aber auch eine Änderung der Bestrafung ermöglichen, wenn sich schuldrelevante Tatsachen vor Beendigung des Strafvollzuges änderten.16 Auch wird ein Grund, warum die Strafverbüßung die Tat als Indiz für Gefährlichkeit verbraucht, nicht angegeben. Die Legitimation durch die Anlasstat muss daher maßregelspezifisch erfolgen und kann pauschal mit einem Verweis auf die noch andauernde Reaktion auf die Anlasstat nicht gelingen. Gerade die Festlegung auf die Zeit der Strafverbüßung als möglicher Zeitraum für die Reaktion auf Änderungen der Prognosebasis kann nur empirisch überzeugend begründet werden.17 Genau hier liegt das Kernproblem der nachträglichen Sicherungsverwahrung: Wenn die Anlasstat die Gefährlichkeitsprüfung legitimiert, muss begründet werden, warum diese auch über den Zeitpunkt der Erörterung der Straftat im Strafverfahren möglich sein soll. Überwiegend wird dies damit begründet, dass die Gefährlichkeit des Täters nicht mit seiner Bestrafung abgeschlossen ist, dass vielmehr der dynamische Prozess zur Aktualisierung der Gefahrenabwehr drängt.18 Die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung stellt inhaltlich die Frage nach der generellen Einordnung der Sicherungsverwahrung neu: Setzt Sicherungsverwahrung den Rückfall und einen dadurch erkennbaren Hang voraus, oder ist eine schwere Tat, die mit einer ungünstigen Kriminalprognose einhergeht, ausreichend? Während teilweise schon die primäre Sicherungsverwahrung als reine Sicherungsmaßregel, also als Reaktion auf zu groß eingestuftes Risiko der Straftatbegehung eingeordnet wird, bestimmt die Gegenansicht die Sicherungsverwahrung als vom Hang abhängig. Danach setzt die Unterbringung eine besondere Persönlichkeit des Täters voraus.19 Demnach wäre die Sicherungsverwahrung eine präventive 15
SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 8. Diese Fälle werden seltener vorkommen als die Änderung prognoserelevanter Tatsachen, da die Taten vergangen sind, es ist aber nur an das Bekanntwerden strafzumessungsrelevanter Vortaten zu denken. 17 von Freier (2008), S. 310 f.; Henkel (1938), S. 188 spricht von einer Grenzziehung unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. 18 SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 7. 16
F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
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Sanktion für Täter, die unterhalb der psychischen Krankheit anders sind.20 Die Einführung des § 66b StGB entscheidet diese Frage eindeutig: Eine einigermaßen sichere Feststellung einer zu hohen Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung erheblicher Straftaten mag auf Grundlage einer Tat und Tatsachen aus der Zeit des Strafvollzuges21 feststellbar sein, aber ein überdauernder Zustand der Andersartigkeit (also ein Hang), ist auf dieser Grundlage nicht feststellbar. Zusätzlicher Anhaltspunkt für diese Deutung ist der zumindest vom Gesetzgeber angestrebte Verzicht auf das Erfordernis eines Hanges bei den Voraussetzungen des § 66b StGB. Besonders deutlich wird dies in der Vorschrift des § 66b III StGB, die bei angenommener Gefährlichkeit unabhängig von deren Ursache eine durchgängige Sanktionierung der Gefährlichkeit ermöglicht. Zwischenzeitlich wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung als grundsätzlich verfasungswidrig erkannt. Nachdem der EGMR die rückwirkende Möglichkeit der Verlängerung einer erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung als unveinbar mit Art. 5 und 7 EMRK angesehen hatte, weil die Sicherungsverwahrung eine Strafe im Sinne des Art. 7 EMRK und ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen Anordnungsurteil und der Weitervollstreckung im Sinne des Art. 5 I 2 lit. a EMRK nicht gegeben sei,22 strich der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung mit Wirkung zum 1. Januar 2011 mit § 66b I, II StGB die Möglichkeit nachträglicher Anordnung von Sicherungsverwahrung wegen einer schuldhaft begangenen Anlasstat. Das BVerfG sieht die nachträgliche Sicherungsverwahrung inzwischen entgegen seiner früheren Rechtsprechung grundsätzlich als Verstoß gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Art. 2 II, 20 GG an und sieht die nachträgliche Unterbringung nur noch dann als verhältnismäßig an, wenn der gebotene Abstand zur Strafe gewahrt wird, eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe e EMRK vorliegen.23 Letzteres ist der Fall, wenn 19 Vgl. Laubenthal (2004), S. 742, der bemängelt, dass die Unterbringung nach § 66b StGB nicht mehr notwendig eine beharrliche Verweigerung des Rechtsgehorsams durch Begehung von Rückfalltaten voraussetzt. 20 Vgl. Habermeyer (2005), S. 12 f. nach dem viele der verwahrten Täter psychisch auffällig sind und der auf eine unscharfe Trennung der §§ 63, 66 StGB in der Anwendung hinweist. 21 Schneider (2006), S. 99 betont, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nur durch eine Gefährlichkeitsprognose legitimiert wird und diese Prognose von der Begrenzung durch normative Voraussetzungen nahezu frei ist. 22 EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04. 23 BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2365/09, Rn. 156.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
die Unterbringung auf den psychischen Zustand des Betroffenen reagiert, also die Voraussetzungen des neu geschaffenen § 1 ThUG vorliegen.24
I. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b I StGB 1. Formelle Voraussetzungen Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung setzt eine Verurteilung wegen einer Katalogtat voraus. Dieser Katalog umfasst als taugliche Anlasstaten Verbrechen aus den Abschnitten 13, 16, 17, und 20 des Besonderen Teils des StGB. Der Vergehenskatalog ist der des § 66 III StGB. Der Verweis auf die in § 66 III StGB genannten Vergehen befremdet, denn es ist vor dem Hintergrund, dass die nachträgliche Anordnung die Ausnahme sein soll, nicht ersichtlich, warum der Verengung der Anlassverbrechen keine Einschränkung der Anlassvergehen folgt.25 Dabei wird teilweise davon ausgegangen, dass die Verengung des Katalogs von Anlassverbrechen auf einer Fehlinterpretation der Rechtsprechung des BVerfG beruht.26 Während das BVerfG konkrete Vorgaben bezüglich der zu verhindernden zukünftigen Delikte gibt, enthält das Urteil keine Vorgaben bezüglich der tauglichen Anlasstaten.27 Gerade die Beschränkung auf bestimmte Anlasstaten ist aber durchaus zu begrüßen, da sich darin doch die Möglichkeit der Geltung der Kriminalprognose in diesen Sonderfällen darstellt.28 Bezüglich anderer formeller Voraussetzungen verweist § 66b I 1 StGB auf § 66 StGB, so dass die dort genannten (formellen) Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung vorliegen müssen.29 Wenn damit besondere formelle Anforderun24 Aber auch das ThUG begegnet schweren Bedenken. Denn einerseits ist der Täter ausweislich der wegen der Tat nicht erfolgten Unterbringung nach § 63 StGB schuldfähig, also verantwortlich, andererseits soll ausweislich des § 1 ThUG, Art 5 I 1 lit. e EMRK eine spezifische Gefährlichkeit aufgrund des psychischen Zustands des Unterzubringenden bestehen. Außerdem hatte BVerfGE 109, 190 festgestellt, dass mit der auf eine Straftat reagierenden nachträglichen Unterbringung Strafrecht geregelt ist, wohingegen §§ 3, 4 ThUG die Geltung des FamFG und die Zuständigkeit der landgerichtlichen Zivilkammern vorsehen. 25 Kritisch: Kinzig (2008), S. 51; Braum (2004), S. 106; Finger (2008), S. 62. Die Regelung verteidigt Poseck (2004), S. 2562. 26 Milde (2006), S. 238; Kinzig (2008), S. 50. 27 BVerfGE 133, 190; Milde (2006), S. 238, 239 der zutreffend darauf hinweist, dass das BVerfG mit diesen Vorgaben seine Kompetenz überschritten hat. Vgl. dazu das Minderheitenvotum: BVerfGE 109, 190 (244 ff.). Dazu auch: Waterkamp (2004), S. 267; U. Schneider (2006), S. 417. 28 Im Gegensatz zum allgemeinen Fall des § 66 I StGB.
I. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b I StGB
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gen nur an die Anlasstat gestellt werden, wird erneut deren herausragende Bedeutung zur Begründung der Kriminalprognose deutlich, da die Risikoverteilung zwischen Täter und Allgemeinheit für diese Straftaten besonders geregelt wird. a) Erkennbar gewordene Tatsachen Die nachträgliche Anordnung setzt das erkennbar werden von Tatsachen nach der Aburteilung voraus, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Solche Tatsachen haben eine Doppelstellung, sie sind als „Türöffner“30 für die Prüfung der Voraussetzungen des § 66b StGB formelle Voraussetzungen. Sie müssen aber auch erheblich in dem Sinn sein, dass sie mit eigenständiger Bedeutung auf die Gefährlichkeit des Verurteilten hinweisen und sie sollen Symptom des Hanges sein, auf dem die Anlasstat beruht.31 Sie sind also wichtiger Bestandteil der Kriminalprognose und als solche materielles Erfordernis. Es ist daher in Darstellung und Prüfung zu trennen zwischen der Frage, ob ein solcher Umstand bei nachträglichem Erkennbarwerden die Einleitung eines Prüfungsverfahrens32 auslösen kann und der Frage nach der Bedeutung dieses Umstandes für die durch Gesamtwürdigung herzustellende Kriminalprognose.33 Zweck des Gesetzes ist es, auf erst im Strafvollzug erkennbar gewordene Gefährlichkeit reagieren zu können. Es werden Tatsachen als Anknüpfungspunkt ausgeschieden, die schon im ersten Verfahrenszug erkennbar waren.34 Unerheblich ist, ob die Tatsache schon vor dem Strafvollzug in der Welt war, so lange sie nicht zu erkennen war.35 Dabei kommt es auf die über29 Die Kombinationsmöglichkeiten finden sich bei SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 28; Bender (2007), S. 44 ff. 30 BGHSt 50, 175 (278); LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 87. 31 Dazu im Einzelnen bei den materiellen Voraussetzungen der nachträglichen Anordnung. 32 Vgl. Bender (2007), S. 55. 33 Zu dieser Doppelstellung: Peglau (2006), S. 14 f.; Fischer, § 66b, Rn. 16 m. w. N.; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 87; vgl. auch SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 22–25. Diese Doppelstellung begegnet eingeschränkt bei den Vortaten und -strafen im Fall des § 66 StGB, die formell Türöffner sind und gleichzeitig Bedeutung für die Prognose haben. Der Unterschied liegt darin, dass die Tatsachen hier außerdem die Legitimation der Prognoseerstellung, also die Funktion der Anlasstat übernehmen. 34 BVerfG NJW 2006, 3483; BGHSt 50, 121; BGHSt 50, 180 (187); OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 106; Bender (2007), S. 59; Streng (2006), S. 93. Anders Veh (2005), S. 309, dessen Argumente sich mit Einführung des § 66b I 2 StGB wohl endgültig nicht durchsetzen konnten. 35 Streng (2006), S. 93; Rissing-van Saan (2006), S. 196.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
individuelle Erkennbarkeit an,36 Maßstab ist die sorgfältige Erfüllung der Kognitionspflicht aus § 244 II StPO.37 Der Verurteilte kann Beweisanträge stellen, um die Kenntnismöglichkeit des Erstgerichts darzutun.38 Warum die Allgemeinheit nicht auch dann geschützt wird, wenn im Ausgangsverfahren erkennbare Tatsachen vom Erstgericht nicht erkannt wurden (sei es aufgrund ihrer rechtlichen Irrelevanz wegen der fehlenden Anordnungsmöglichkeit oder unsorgfältiger Erfüllung der Kognitionspflicht), ist aus dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr nicht zu erklären.39 In diesen Fällen wird der, nachträglich aufgrund der Tatsachen als gefährlich erkante Straftäter sehenden Auges in die Freiheit entlassen.40 Eine Ausnahme hiervon ist nur der Verzicht auf erkennbar gewordene Tatsachen nach § 66b I 2 StGB, wenn im Zeitpunkt der Verurteilung die Anordnung von Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen nicht möglich war. Der Grund für das Ausscheiden von bereits im Ausgangsverfahren erkannten und erkennbaren Tatsachen als Auslöser einer erneuten Gefährlichkeitsprüfung ist daher kein empirisches oder spezifisch maßregelrechtliches Bedenken. Der Grund ist vielmehr, dass eine reine Neubewertung der bereits im Ausgangsverfahren erkannten oder erkennbaren Tatsachen im Konflikt mit dem rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbot41 und der Rechtskraft des Strafurteils steht. Da die Sicherungsverwahrung trotz der strafähnlichen Wirkung keine Strafe im Sinne des Art. 103 GG darstellen soll, wird die Anwendung von Art. 103 II, III GG abgelehnt. Das BVerfG misst die nachträgliche Sicherungsverwahrung daher am allgemeinen Rückwirkungsverbot aus Art. 20 III GG.42 Ein Verstoß gegen diese Vorschrift wird nicht angenommen, da die erkenn36 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 275; BGHSt 50, 181 (188); BGHSt 50, 373 (379); BGH NStZ 2006, 276, 277; Streng (2006), S. 93. 37 BGHSt 50, 275 (278); 51, 185 (188); SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 18; Fischer, § 66b, Rn. 21; Peglau (2007), S. 1562; Rissing-van Saan (2006), S. 197. BGHSt 50, 108 (188) weist darauf hin, dass dieser Maßstab enger ist als der des § 359 I Nr. 5 StPO, nach dem die Tatsachen nur unbekannt gewesen sein müssen, es also auf die individuelle Kognition des Gerichts ankommt. Dazu unten H.II.1. 38 BGH JR 2008, 167, 168. 39 Veh (2005), S. 307; von Freier (2008), S. 310; Brandt (2008), S. 42; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 29; Henkel (1938), S. 188. 40 Vgl. BT-Drucks. 15/2887, S. 11; OLG Koblenz NStZ 2005, 97, 99; Brandt (2008), S. 42; Ullenbruch (2006), S. 1385; Veh (2005), S. 309 f. 41 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 87, 33. Was aber im Fall des § 66b III StGB unbeachtlich sein soll: BVerfG vom 5.8.2009, Az.: 2 BvR 2098/08 – 2 BvR 2633/08. 42 BVerfG NJW 2008, 980; BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2 BvR 2365/09; BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08. Für die Geltung der Art. 103 II, III GG dagegen: Kinzig (2006), S. 155; Mushoff (2008), S 227; Waterkamp (2004), S. 267; Renzikowski (2006), S. 284; Best (2002), S. 129; Ullenbruch (1998), S. 330; KMR-Eschelbach § 362, Rn. 74.
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bar gewordenen Tatsachen bewirken, dass eine echte Rückwirkung bzw. ein Rückbewirken von Rechtsfolgen nicht vorliegt. Vielmehr knüpft die Sicherungsverwahrung nach dieser Auffassung an den laufenden Sachverhalt „Gefährlichkeit“ des Täters an, die Einbeziehung der erkennbar gewordenen Tatsachen bewirkt eine Veränderung der Prognosebasis, so dass nicht lediglich der schon abgeschlossene Lebenssachverhalt erneut gewürdigt wird.43 So stellen die erkennbar gewordenen Tatsachen sicher, dass nicht Versäumnisse im Ausgangsverfahren zu Lasten des Verurteilten korrigiert werden.44 Das Gericht hat die Wertung ausgesprochen, dass anhand der erkannten Tatsachen eine positive Kriminalprognose nicht gestellt wird,45 diese Wertung unterliegt der Rechtskraft,46 damit ist dieser Lebenssachverhalt abgeschlossen. Erkennbare Tatsachen hätte das Gericht in der ersten Hauptverhandlung gemäß § 244 II StPO aufklären und in die Kriminalprognose einbeziehen müssen. Der Grund für das Ausscheiden der im Ausgangsverfahren erkannten Tatsachen und erkennbaren Tatsachen liegt also darin, dass dies eine nachträgliche Korrektur der Versäumnisse des erkennenden Gerichts darstellen würde. Eine Korrektur der Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden über § 66b StGB aber ist unzulässig.47 Die Einbeziehung zuvor erkannter Tatsachen würde die Rechtskraft des Ersturteils unterlaufen.48 In Rechtskraft erwächst danach die Feststellung, die bekannten Tatsachen führen nicht zu einer Bewertung des Angeklagten als gefährlich.49 Dies führt dazu, dass die bereits bekannten Tatsachen allein nicht einer erneuten Gefährlichkeitsbeurteilung zugrunde gelegt werden können. Nicht ausreichend als neue Tatsache ist demgemäß eine abweichende prognostische Bewertung auf identischer Tatsachengrundlage,50 mag sie auch auf wissenschaft43
BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 87,
35. 44 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 121 (126); BGHSt 50, 284, (297); BGHSt 50, 373 (379); NStZ-RR 2006, 172. 45 Veh (2005), S. 309 f. 46 von Freier (2008), S. 309; Radtke (1998), S. 308, 315 für § 63 StGB. Anders für § 63 StGB: Berg/Wiedner (2007), S. 439. Zur Übertragbarkeit des Problems von § 63 StGB auf § 66 StGB: Müller-Metz (2003), S. 49. 47 BVerfG NJW 2006, 3483; BGHSt 50, 121 (126); 180 (187 f.); SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 20; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 92. Aber nicht im Fall des § 66b III StGB: BVerfG vom 5.8.2009, Az.: 2 BvR 2098/08 – 2 BvR 2633/08. 48 OLG Koblenz NStZ 2005, 97, 100. Vgl. auch BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; BGH NStZ-RR 2008, S. 39. 49 Radtke (1998), S. 315, der darlegt, dass sich die Rechtskraft auf das Vorliegen der Voraussetzungen einer Maßregel im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bezieht. Ändern sich die zugrunde liegenden Tatsachen, so soll die Rechtskraft nicht betroffen sein Peglau (2006), S. 16. Dazu im Einzelnen unter H.II.3. 50 BGHSt 50, 275 (278 f.); BGH StV 2008, 636, 638; NStZ 2006, 276, 277; Fischer § 66b, Rn. 17. Nach BGHSt 51, 185 (187) ist das erkennbar werden von Tat-
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lichem Fortschritt beruhen.51 Die nachträgliche Sicherungsverwahrung soll nicht zur Korrektur falscher Urteile dienen, sie soll die Gerichte nicht von der Pflicht zur Erforschung von Tat und Täter entbinden. Geschützt wird das Vertrauen des Verurteilten darauf, dass das Gericht seine Wahrheitserforschungspflicht erfüllt hat und deren Ergebnis nicht zur Stellung einer positiven Kriminalprognose führte. Dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht Versäumnisse des Ersturteils zu Lasten des Verurteilten korrigieren soll, kann allerdings nicht überzeugen. Wenn die Tatsachen im Erstverfahren nicht erkennbar waren, kann von einem Versäumnis des Gerichts nicht gesprochen werden.52 Außerdem können aufgrund der Regelung des § 66b I 2 StGB Versäumnisse des Gesetzgebers nachträglich zu Lasten des Verurteilten korrigiert werden. b) Verzicht auf erkennbar gewordene Tatsachen nach § 66b I 2 StGB Nach § 66b I 2 StGB sind Tatsachen zu berücksichtigen, die im Ausgangsverfahren erkennbar waren, wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen nicht möglich war. Laut der Gesetzesbegründung sollen nur solche Fälle erfasst werden die aufgrund der zeitlichen Einschränkungen der Sicherungsverwahrung53 in den neuen Bundesländern oder der Einführungsregelung zu § 66 III StGB bisher nicht erfasst wurden.54 Konkret sind dies die Fassungen des Art. 1a EGStGB von 1990, 1995, 1998, andere rechtliche Gründe sollen nicht erfasst sein.55 Dies wird aber im Gesetz nicht deutlich.56 Fraglich ist außerdem, ob sich die Regelung auf erkennbare Tatsachen beschränkt oder auch erkannte Tatsachen einbezieht. sachen notwendig, da die nachträgliche Sicherungsverwahrung die Rechtskraft des Ersturteils tangiert. 51 OLG München 2 WS 209/09 vom 07.05.2009. Einschränkend Zschieschack/ Rau (2006), S. 12, die ein neues Gutachten dann zulassen, wenn es auf überlegenen Forschungsmethoden beruht. 52 Vgl. von Freier (2008), S. 309. 53 Vgl. die Fälle bei LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 125; SK-StGBSinn § 66b, Rn. 26. 54 BT-Drucks. 16/4740, S. 49 f.; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 124 f. 55 Brandt (2008), S. 155. Im Ergebnis auch LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 125. 56 von Freier (2008), S. 324; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 131. Daher wird teilweise die vom Gesetzgeber nicht gewollte Einbeziehung von anderen Fällen wie des Wegfalls von Beweisverwertungsverboten diskutiert. Dazu: Brandt (2008), S. 146 ff.; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 131.
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Der Gesetzgeber wollte die Fälle erfassen, in denen das Gericht trotz erkannter Gefährlichkeit keine Sicherungsverwahrung anordnen konnte oder in denen das Gericht wegen der fehlenden Anordnungsmöglichkeit die relevanten Tatsachen ohne Verletzung des § 244 II StPO nicht ermittelt hat.57 Überwiegend wird daher § 66b I 2 StGB so verstanden, dass die Sicherungsverwahrung auch dann angeordnet werden kann, wenn sich die Tatsachenbasis nicht ändert, wenn also bereits bekannte und bewertete Tatsachen der neuen Rechtslage unterworfen werden.58 Teilweise wird der Anwendungsbereich aber im Einklang mit dem Wortlaut eingeschränkt, so dass nur Fälle erfasst werden, in denen die Tatsachen zum Urteilszeitpunkt erkennbar, aber nicht erkannt waren.59 Ist die nachträgliche Anordnung ausschließlich aufgrund bereits bekannter Tatsachen möglich, so liegt eine reine Neubewertung der Gefährlichkeit vor,60 § 66b I 2 StGB dient dann nicht der Korrektur von gerichtlichen Versäumnissen, sondern der Korrektur von Versäumnissen des Gesetzgebers.61 Müssen die Tatsachen dagegen unbekannt aber erkennbar gewesen sein, so ermöglicht die Norm lediglich eine Kriminalprognose auf veränderter Tatsachenbasis. Die für die Kriminalprognose notwendigen Basistatsachen sind in der Regel doppelrelevant.62 So war die Legalbiographie im Ausgangsurteil für die Strafzumessung beachtlich und daher in der Regel bekannt oder nur in Folge einer Verletzung des § 244 II StPO unbekannt. Andere prognostisch wichtige Tatsachen können durch eine Schuldfähigkeitsbegutachtung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein. Aufgrund dieser Doppelrelevanz der Tatsachen, werden sie in erheblichem Umfang bereits bekannt und nicht bloß erkennbar gewesen sein. Soll die Norm einen Anwendungsbereich haben, muss aufgrund der Doppelrelevanz der relevanten 57
BT-Drucks. 16/4740, S. 49 f. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 130; Fischer § 66b, Rn. 23a; wohl auch: Peglau (2007), S. 1562. 59 SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 4, 26. 60 So von Freier (2008), S. 323 f. 61 Das ist Peglau (2008), 1636 hinzuzufügen, wenn er unter dem Eindruck der Rechtsprechung des BGH zur Subsidiarität der nachträglichen gegenüber der originären Sicherungsverwahrung zu dem Fazit gelangt, „das Verfahren nach § 66b StGB dient nicht der Korrektur fehlerhafter, aber rechtskräftiger früherer Entscheidungen, wohl aber – in bestimmten Fällen – der ‚Korrektur‘ fehlerfreier, rechtskräftiger früherer Entscheidungen“. Dass richterliche Fehler nicht zum Nachteil des Verurteilten gereichen sollen, gesetzgeberische aber schon bleibt widersprüchlich. 62 Radtke (1998), S. 316 für den Zustand nach § 20 StGB; schon Flandrak (1932), S. 56; Kinzig (1998), S. 14 ff. für den Hang bezüglich der Legalbiographie. Beachtlich auch von Freier (2008), S. 285, bei dessen Überlegungen zur Schuldsteigerung durch Rückfall die traditionelle Terminologie zur Beschreibung der Hangtäter begegnet. 58
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Tatsachen die Erstellung einer neuen Prognose auch auf Basis von im Erstverfahren erkannten Tatsachen möglich sein. Sollte eine prognostisch relevante Tatsache aufgrund fehlender rechtlicher Relevanz nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein, ist § 66b I 1 StGB anwendbar, da die Anforderungen des § 244 II StPO nicht verletzt wurden63. Damit ermöglicht § 66b I 2 StGB sowohl die erstmalige prognostische Bewertung einer veränderten als auch einer unveränderten Tatsachenlage. Hier wird nicht ein Versäumnis der Gerichte nachträglich zum Problem des Verurteilten, das Gericht hatte aufgrund der rechtlichen Irrelevanz der Tatsachen keine Veranlassung zur Bewertung der Tatsachen im Hinblick auf die Gefährlichkeit. Erklärungsbedürftig ist dann aber die Frage, warum das Vertrauen des Betroffenen in die Erfüllung der Kognitionspflicht durch das Gericht schutzwürdig ist, das Vertrauen auf die Erfüllung der Schutzpflicht durch den Gesetzgeber aber zurückstehen muss. Verfassungsrechtlich ist tatbestandliche Rückanknüpfung64 eines Gesetzes bei Überwiegen des Regelungsbedürfnisses gegenüber beeinträchtigten Individualinteressen hinzunehmen.65 Aus Perspektive des Verurteilten wird nicht dessen Vertrauen in eine einmal erfolgte günstige Gefährlichkeitsbewertung enttäuscht, denn wo aufgrund fehlender Rechtsfolge eine Gefährlichkeitsbewertung nicht erfolgte, besteht auch kein Vertrauen.66 Nach dem BVerfG verstößt die Regelung nicht gegen das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes aus Art. 2 II, 20 III GG, da nur eine tatbestandliche Rückanknüpfung vorliegt, was das Gericht daraus folgert, dass der Prozessgegenstand aufgrund der veränderten rechtlichen Relevanz der Tatsachen und der fortlaufenden Veränderung des Lebenssachverhalts „Gefährlichkeit“ ein anderer ist als der des Ersturteils, und weil die Anordnung nur bis zum Ende der Strafvollstreckung möglich ist.67 Peglau (2007), S. 1562; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 129. Die Einstufung dieser Fallgruppen als tatbestandliche Rückanknüpfung bzw. unechte Rückwirkung hängt daran, dass über die Tat hinaus auch Vollstreckung und Vollzug der durch diese Tat verwirkten Strafe zu dem Sachverhalt gezählt werden. Anders Peglau (2008), S. 1635, der den gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt aus der notwendigen Aktualität der Kriminalprognose bzw. aus der noch andauernden Gefährlichkeit des Verurteilten abstellt. 65 BVerfG NJW 2009, 980, 981 f.; BVerfGE 109, 133 (181); BVerfGE 72, 200 (242); 92, 277 (344); 97, 67 (79). Es fragt sich aber, welches Individualinteresse im Strafrecht bei abgeschaffter Todesstrafe höher wiegt als die Vermeidung potentiell lebenslangen Freiheitsverlustes. Umgekehrt von Freier (2008), S. 310: welches Interesse des Betroffenen soll gegenüber überragenden Interessen des Gemeinwohls Bestand haben? 66 BVerfG NJW 2009, 980, 982; Kett-Straub (2009), S. 596 f.; Veh (2005), S. 309 f. 67 BVerfG NJW 2009, 980, 981 f. Anders nunmehr BVerfG, Urteil vom 4.5.2011, Az. 2365/09, Rn. 156. 63 64
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Wenn teilweise die Fallgruppen im Bereich der Zulässigkeit der unechten Rückwirkung wieder differenziert werden, indem behauptet wird, dass eine größere Schutzwürdigkeit dessen besteht, bei dem alle gefahrbegründenden Tatsachen bekannt waren,68 trifft dies aber nicht zu: Wie soll sich Vertrauen aus dem Verhalten des Gerichts ergeben, wenn diesem ein anderes Verhalten nicht möglich war? Dass die bereits abgeurteilte Tat einer (neu-)Bewertung im Hinblick auf die Gefährlichkeit unterliegt, ist in beiden Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung unter dem Aspekt der Rechtskraft des Urteils über die Tat bedenklich, im Fall des § 66b I 2 StGB tritt dies nur deutlicher zutage, da sich hier die neue Bewertung nicht auf neue Tatsachen stützt.69 Wenn die Aktualisierung der Gefährlichkeitsprüfung für zulässig gehalten wird, ist das Vertrauen des Verurteilten nicht geeignet, deren Umfang zu begrenzen. c) Fazit: Änderung der Prognosegrundlage Wo eine Bewertung der kriminalprognostisch relevanten Tatsachen im Hinblick auf die Gefährlichkeit erfolgte, soll diese Bewertung auf dieser Tatsachengrundlage Bestand haben. Erst eine andere Tatsachenbasis eröffnet danach eine andere Bewertung. Die Ausnahme des § 66b I 2 StGB ermöglicht eine erstmalige Bewertung ohne Änderung der Tatsachenbasis, da im Ausgangsverfahren kein Anlass für die Bewertung der Tatsachen hinsichtlich der Gefährlichkeit gegeben war. Eine erfolgte gerichtliche Gefährlichkeitsbewertung wird aufrechterhalten, bis sich die Tatsachen ändern, eine aus Rechtsgründen nicht erfolgte Gefährlichkeitsbewertung kann unabhängig von den Tatsachen nachgeholt werden. Auffallend ist, dass diese Notwendigkeit der Änderung der Prognosegrundlage aus der Rechtskraft des Ersturteils gefolgert wird. Dies aber kann sich nicht auf gesicherte Erkenntnis stützen. Denn es ist umstritten, wieweit die Rechtskraft eines Maßregelausspruchs reicht.70 d) Fallgruppen der erkennbar gewordenen Tatsachen Der Gesetzgeber hat selbst einzelne Fallgruppen der prognostisch relevanten Tatsachen, die den Eintritt in eine neue Gefährlichkeitsprüfung ermöglichen, in die Diskussion eingeführt:71 So Peglau (2008), S. 1634; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 131. Vgl. von Freier (2008), S. 323 f. der bezüglich § 66b I 2 StGB von einer reinen Neubewertung spricht. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ohne erkennbar gewordene Tatsachen gegen Jugendliche ermöglicht § 7 II, III JGG, bei Heranwachsenden: § 106 III, IV, V JGG. 70 Dazu unter: H. Zum Sonderfall des § 66b III StGB bei einer Erledigungserklärung bei gleichbleibender Tatsachenlage unten H.II.3.c)bb)(1). 68 69
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– Verbale Aggressionen Diese werden als Türöffner für eine neue Gefährlichkeitsprüfung angesehen.72 Teilweise wird wiederholte Aggression gegenüber dem Vollzugspersonal auch generell für ein Gefährlichkeitsindiz und nicht nur einen Prüfungsanlass gehalten.73 Dagegen wird argumentiert, verbale Aggressionen seien typisches Vollzugsverhalten und ließen als solches keine Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit zu.74 Es ist daher zumindest ein über bloße Drohungen hinausgehendes Verhalten zu fordern.75 Die Rechtsprechung handhabt die Fallgruppe streng: Verbal-aggressive Angriff während des Vollzugs der Freiheitsstrafe stellen nur dann erhebliche neue Tatsachen dar, wenn sie für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit auf eine Bereitschaft zur Begehung schwerer Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung schließen lassen.76 – Verweigerung im Vollzug Das Verhalten im Strafvollzug soll ergänzend in die Gefährlichkeitsprognose einfließen.77 Es ist zu verhindern, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung zur „unverhältnismäßige(n) Sanktion für fehlendes Wohlverhalten im Vollzug“78 wird. Der Gefangene ist gerade nicht zu einer Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verpflichtet.79 Insbesondere die Heranziehung von Therapieverweigerungen und -abbrüchen begegnet daher erhöhten Begründungsanforderungen.80 Auffällig ist der Gegensatz von § 66b StGB, der Therapieverweigerung und mangelnde Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels „Resozialisierung“ nur vorsichtig heranzieht zu den verfassungswidrigen landesrechtlichen Straftäterunterbringungsgesetzen, die der verweigerten Mitwirkung 71 BT-Drucks. 15/2887, S. 12. Dünkel/van Zyl Smit (2004), S. 636 sprechen den aufgeführten Beispielen empirische Relevanz ab. 72 OLG Thüringen StV 2006, 71, 73; OLG Rostock StV 2005, 279, 283. 73 OLG Jena StV 2006, 71; OLG Rostock StV 2005, 279, 283. 74 Streng (2006), S. 92 f.; dazu Hörnle (2006), S. 388 m. w. N. 75 Nach BGHSt 50, 284 (298) muss die Absicht, eine Drohung umzusetzen, erkennbar sein; Dahle (2006), S. 275. LG Magdeburg vom 13.12.2006 25 Ks 12/06 für „durch eine Vielzahl von Einzelfällen belegtes querulatorisches und aggressives Verhalten im Strafvollzug.“ 76 BGH NJW 2006, 1446, 1448. 77 Streng (2006), S. 93. 78 BVerfGE 109, 190 (241). Laubenthal (2004), S. 740 f. weist auf den Konflikt zwischen §§ 66a StGB und § 4 I StVollzG (Bund) hin). Dieser Konflikt besteht zu § 66b StGB ebenso. 79 OLG Schleswig-Holstein SchlHA 2007, 542; AK-Feest § 11, Rn. 53; Calliess/ Müller-Dietz § 4, Rn. 4. 80 BGHSt 50, 121; Streng (2006), S. 93.
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an der Vollzugszielerreichung und einem Therapieabbruch besondere Bedeutung zusprachen.81 – Therapieverweigerung und Therapieabbruch Es wird die Einleitung eines Verfahrens mit dem Ziel der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung zugelassen, wenn Therapieabbruch oder -verweigerung erst nachträglich erkennbar geworden sind.82 War die Therapiewilligkeit dagegen im Ersturteil nicht angenommen worden oder stellt sich ein Therapieabbruch lediglich als Folge der im Urteilszeitpunkt bekannten Suchtproblematik dar, dürfen diese Umstände nicht zu einem Zweitverfahren führen.83 Die Therapieverweigerung allein ist keine ausreichende Tatsache.84 Es muss hinzukommen, dass das Gericht im Ersturteil von einer Therapiewilligkeit zu recht ausgegangen ist.85 Ein solches Einbeziehen von Erwartungen des Verhaltens im Strafvollzug wiederum ist nur in Ausnahmefällen berechtigt. Außerdem kommen Fälle der Therapieverweigerung als Folgetatsachen in Betracht. Die Verweigerung einer Therapie, die im Urteilszeitpunkt angebracht schien, ist keine neue Tatsache, wohl aber die Verweigerung einer Therapie, die wegen einer neu eingetretenen psychischen Erkrankung notwendig erscheint.86 – Neue Begutachtungsbefunde Insbesondere neue Persönlichkeitsbefunde kommen als erkennbar gewordene Tatsache in Betracht. Zu trennen ist dabei aber zwischen einer abweichenden Persönlichkeitsbewertung, die nicht ausreicht87 und dem Erkennen neuer Basistatsachen, an die sich eine abweichende Bewertung der Persönlichkeit anschließt. Letzteres ist als genügende Tatsache anerkannt.88 Dem ist zuzustimmen, da die Einbeziehung der Erkenntnisse aus dem Strafvollzug in diesen Fällen etwas zur Prognosesicherheit beitragen kann (anders als das wenig relevante Vollzugsverhalten) ohne dass die Wertungen anderer Normen unterlaufen werden (wie im Fall der neuen Straftaten während des Vollzugs).89 Problematisch ist insoweit die Aus81
Vgl. Art. 1 BayStrUBG; § 1 UBG LSA. BVerfG NJW 2006, 3483, 3485; BGHSt 50, 121 (127) mit Anmerkung Ullenbruch (2005), S. 563 ff.; Fischer § 66b, Rn. 31; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 22. Kritisch: H. Schneider (2006), 103. 83 BVerfG NJW 2006, 3483, 3485; OLG Rostock StV 2005, 279, 283; Kinzig (2008), S. 300; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 22 f. 84 Finger (2008), S. 63; Ullenbruch (2005), S. 564; U. Schneider (2006), S. 424. 85 BGHSt 50, 275 (281); BGHSt 50, 285 (298); Bender (2007), S. 79. 86 BGHSt 51, 191 (194). 87 BGHSt 50, 275 (279); BGH NStZ 2006, 276, 278; Kinzig (2008), S. 89. 88 BGH NStZ 2006, 276, 278; BGH NJW 2006, 1446, 1447; Kinzig (2008), S. 89. 82
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
tauschbarkeit von Sicherungsverwahrung und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. – Neue Straftaten Werden im Strafvollzug neue Straftaten begangen, scheint dies der klarste Anwendungsfall des § 66b zu sein. Denn in neuen Straftaten zeigt sich, dass der Strafvollzug bis hierhin die Wahrscheinlichkeit neuer Taten nicht ausreichend senken konnte. Eine neue Straftat kann daher nach der Rechtsprechung Anlass für die Durchführung eines Prüfverfahrens sein.90 Andererseits folgt der neuen Straftat ein eigenes Verfahren, so dass auf die gezeigte Gefährlichkeit auch in diesem Verfahren reagiert werden kann.91 So wird daher von einem Vorrang der §§ 66, 66a StGB ausgegangen.92 Der Grundsatz, dass § 66b StGB nicht fehlerhafte Gerichtsentscheidungen korrigieren soll, gilt danach nicht nur für das Anlassverfahren, sondern auch für die Verurteilungen, die die erkennbar gewordene Tatsache darstellen.93 Der BGH lässt die Verhängung nachträglicher Sicherungsverwahrung zu, wenn wegen der neuen Tat keine Unterbringung nach §§ 66, 66a StGB erfolgen kann, namentlich weil die neue Tat nicht erheblich ist.94 Das gilt sogar, wenn wegen der neuen Tat, die zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB hätte führen können, eine Hauptverhandlung wegen einer rechtskräftigen Ablehnung des Eröffnungsbeschlusses nicht durchgeführt wurde.95 So kann die Sicherungsverwahrung als Folge solcher Straftaten eintreten, die nach der Wertung des § 66 StGB diese Folge nicht haben sollen.96 Würden dagegen neue Straftaten wegen dieser Bedenken ganz ausgenommen, so bliebe kaum ein Anwendungsbereich für § 66b StGB. Außerdem wird einer solchen Argumentation entgegengehalten, dass der Täter mit der ersten Tat den Anlass für die Risikoüberprüfung gesetzt hat.97 Es steht die Wertentscheidung des § 66 StGB (nur bestimmte Taten als An89
Dass die Basistatsachen sich schwer von einer reinen Wertungsänderung trennen lassen und dass die relevanten Basistatsachen höchst unbestimmt sind, lässt sich nur schwer entgegenhalten, ist dies doch wieder das zentrale Problem der Sicherungsverwahrung: Die Abhängigkeit von der Kriminalprognose. 90 OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 274. Vgl. auch OLG München StraFo 2006, 168 f. 91 BGHSt 50, 373 (380); Finger (2008), S. 63; Streng (2006), S. 97; Renzikowski (2006), S. 282; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 71. 92 BGHSt 50, 373 (379 f.); Finger (2008), S. 63; Fischer, § 66b, Rn. 32. 93 BGHSt 52, 213 (216); 50, 373 (380). 94 BGHSt 50, 373 (381); SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 21. 95 BGHSt 52, 213. Kritisch Peglau (2008), 1635 f. 96 Fischer § 66b, Rn. 32. 97 Hörnle (2006), S. 384.
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lass für die Sicherungsverwahrung ausreichen zu lassen) gegen die des § 66b StGB (dass bei Verbüßung einer Strafe wegen einer erheblichen Tat auch geringfügigere Anlässe die Überprüfung und die Anordnung begründen können). Auffallend ist wieder die Doppelrelevanz, die einer solchen Betrachtung folgt: Die erneute Kriminalität trotz Andauern des Vollzugs- oder Bewährungszeitraums wird in aller Regel auch als schuldsteigernd und damit strafschärfend angesehen werden.98 Auch die neuen Varianten der Sicherungsverwahrung kommen nicht aus der Doppelrelevanz der gefährlichkeitsindizierenden Tatsachen heraus. Wenn teilweise gefordert wird, nur bestimmte neue Straftaten zu berücksichtigen, die eine prognostische Relevanz aufweisen,99 so ist einerseits eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen, andererseits steht man, aus einer anderen Richtung (von einer anderen Spur) kommend, vor der Entsprechung des Problems des § 48 StGB a. F.: Welche neuen Straftaten sind schuldsteigernd100 bzw. ein Anhaltspunkt für gesteigerte Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten? – Psychische Erkrankung im Strafvollzug Bei psychischer Erkrankung des Verurteilten während des Vollzugs der Strafe wird verlangt, dass die Krankheit sich in Auffälligkeiten ausdrückt, die sich als Fortsetzung oder Verstärkung der Gefahrenlage bei der Anlasstat darstellen.101 Es wird empfohlen, ein Unterbringungsverfahren nach Landesrecht einzuleiten, das die Sicherungsfunktion übernimmt, wenn eine Unterbringung mangels ausreichender erkennbar gewordener Tatsachen trotz angenommener Gefährlichkeit nicht in Betracht kommt.102 Es soll daher notwendig sein, dass die Staatsanwaltschaft in geeigneten Fällen bereits im Antragsverfahren die Verwaltungsbehörde nach §§ 481 f. StPO von der Einleitung des Verfahrens zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung unterrichtet, damit diese Gelegenheit erhält, die Voraussetzungen einer Unterbringung in eigener Zuständigkeit zu prüfen und gegebenenfalls entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Es fragt sich, ob auf diese Weise der Stellung der Sicherungsverwahrung als ultima ratio im Strafrecht und damit bei staatlicher Tätigkeit generell, Rechnung getragen wird. Vielmehr scheint hier die landesrechtliche Unterbringung eine Stellung als Auffangmaßnahme einzunehmen. Das Verhältnis von landes- zu strafrechtlicher Unterbringung ist seit langem umstritten, nach überwiegender Ansicht besteht aber kein verfah98
Schäfer/Sander/van Gemmeren (2008), Teil 3, Rn. 367. H. Schneider (2006), S. 104. 100 Vgl. BVerfGE 50, 134; Frosch (1976), S. 48 ff. 101 BGHSt 51, 191 (195). 102 BGHSt 51, 191 (195). 99
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rensrechtliches Spezialitätsverhältnis.103 Damit spricht von diesem Standpunkt aus nichts gegen die Einleitung eines Verfahrens bei einer psychischen Erkrankung im Strafvollzug. Weiter werden als berücksichtigungsfähige Tatsachen aufgeführt: Autoaggression, Drohung mit neuen Straftaten und Milieukontakte.104 Dabei muss die Drohung mit neuen Straftaten besonders beachtet werden. Denn wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung als systemfremder Fall der Wiederaufnahme angesehen wird,105 so wäre die Drohung mit neuen Straftaten eine Entsprechung zum Geständnis der Tatbegehung nach § 362 I Nr. 4 StPO und damit der als Wiederaufnahme unproblematischste Fall. e) Erkenntniszeitraum Die Tatsachen müssen vor Ende des Vollzuges der Freiheitsstrafe und nach Erlass der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz106 erkennbar werden. Tatsachen aus dem Bewährungszeitraum sind nur zu berücksichtigen, wenn die Strafe nach Widerruf der Bewährung weiter vollzogen wird,107 Tatsachen, die nach Vollzugsende festgestellt werden, sind nicht zu berücksichtigen.108 Es stellt sich die Frage, ob das Ende des Strafvollzuges lediglich die Grenze für die Betrachtung der Tatsachen darstellt oder ob auch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nur bis zum Ende des Strafvollzuges wegen der Anlasstat möglich ist.109 Für die letztgenannte Auslegung spricht der oben angenommene Bezug der Maßregel zur Anlasstat. Insbesondere die Überlegung, dass die Anlasstat den Zugriff auf den Täter in Form einer Gefährlichkeitsprüfung legitimiert.110 Dagegen 103
Kritisch Jansing (2004), S. 302. BT-Drucks. 15/2887, S. 12 f. Hierzu im Einzelnen: Bender (2007), S. 67 ff. m. w. N. 105 Dazu unter H.III.5. 106 BGHSt 50, 180 (187); OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 106, 107; Rissing-van Saan (2006), S. 196; LK11-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 106. Wenn dem Verfahren ein solches nach § 66a StGB vorausgegangen ist, kommt es auf den Zeitpunkt der letzten Hauptverhandlung in diesem an: OLG Schleswig NStZ-RR 2009, 75, 76. 107 BGHR StGB § 66b I Neue Tatsache 6. 108 BGH NStZ 2007, 30; StV 2008, 636, 637. 109 MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 62, gestützt auf BT-Drucks. 15/2887, S. 12, 15 und Finger (2008), S. 65 die auf die Möglichkeit des Unterbringungsbefehls nach § 275a V StPO verweist. 110 BVerfGE 109, 190 (220). H. Schneider (2006), S. 104 weist darauf hin, dass eine solche Argumentation darauf hinauslaufen kann, dass, wer sich mit der ersten Tat vom Recht abgewandt habe, keinen Schutz vor dem Strafrecht beanspruchen könne. 104
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spricht jedoch der Wortlaut. Außerdem ist ein Bezug zur Anlasstat und dem Strafvollzug wegen dieser auch vorhanden, wenn im Zeitpunkt, in dem der Täter dem staatlichen Strafanspruch noch unterliegt, die Gefährlichkeitsprüfung eingeleitet wird. Überwiegend wird daher zu Recht die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Ende des Strafvollzugs zugelassen, wenn der Antrag auf nachträgliche Anordnung (§ 275a I 3 StPO) von der Staatsanwaltschaft vor Ende des Strafvollzugs gestellt und dem Täter gemäß § 275a I 2 StPO vor Vollzugsende mitgeteilt wurde, dass die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung geprüft wird.111 Befindet sich der Täter aufgrund einer anderen Verurteilung erneut im Strafvollzug und hat er die wegen der Anlasstat verhängte Strafe noch nicht verbüßt, soll dies der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegenstehen, die Zufälligkeit der Vollstreckungsreihenfolge soll nicht über die Anordnungsmöglichkeit entscheiden.112 Nach der Gegenansicht endet der entscheidungserhebliche Zeitraum zu dem Zeitpunkt, in dem die für die Anlasstat verhängte Strafe bei ununterbrochener Vollstreckung abgebüßt gewesen wäre.113 Dies kann sich vor allem darauf stützen, dass der Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung auf wenige Verurteilte zu begrenzen ist, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen. Außerdem ist der Zeitraum der Strafvollstreckung als relevanter Lebenssachverhalt der Anknüpfungspunkt für die Verneinung echter Rückwirkung durch die Norm. Die Tat wird als relevanter Lebenssachverhalt um den Strafvollzug ergänzt. Dies kann sich aber nur auf den Strafvollzug wegen der Anlasstat beschränken, nicht auf die gesamte Zeit des Strafvollzugs. Daher ist Einleitung des Verfahrens zur nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung nur zulässig, bis der Täter die Strafe wegen der Anlasstat verbüßt hätte. Stützen kann sich dies auch auf die Entscheidung des Großen Strafsenats des BGH114, wonach der Anordnung nach Abs. 3 nur eine Reststrafe wegen der Anlasstat entgegensteht, da sich dort der notwendige Zusammenhang von Tat und Rechtsfolge zeige.115
111 BGHSt 50, 180 (182); BGHSt 50, 284; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 14 m. w. N. Nur auf die Antragsschrift stellt Fischer § 66b, Rn. 25 ab. 112 SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 15; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 63 f.; Lackner/ Kühl § 66b, Rn. 5; Finger (2008), S. 65. 113 Brandt (2008), S. 184. 114 BGHSt 52, 379. 115 BGHSt, 52, 379 (392); zustimmend für § 66b III StGB Ullenbruch (2009), S. 143, 144.
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2. Materielle Voraussetzungen a) Hang als Voraussetzung der nachträglichen Sicherungsverwahrung Die Frage nach der Erforderlichkeit einer Hangfeststellung gründet in dem Verweis des § 66b I 1 StGB auf die übrigen Voraussetzungen des § 66 I StGB. Wie bei § 66a StGB ist die Reichweite dieses Verweises strittig, da sich Wille und Wort des Gesetzgebers unterscheiden.116 Wie bei § 66a StGB wird überwiegend die Feststellung des Hanges gefordert.117 Systematisch sprach bis zur Änderung des § 67d III StGB durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung dessen Wortlaut für diese Auslegung die Formulierung des § 67d III StGB. Denn es bestand bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes der Widerspruch, dass, wenn bei § 66b I StGB eine Hangfeststellung entbehrlich war, dennoch bei der Erledigungsentscheidung nach § 67d III StGB entschieden werden musste, ob infolge eines Hanges erhebliche Straftaten drohen, obwohl das Vorliegen eines solchen Hanges nicht festgestellt wurde.118 Im Hintergrund steht, dass der Hang als die Anwendung begrenzendes Merkmal wahrgenommen wird und die nachträgliche Anordnung nicht an weniger Voraussetzungen geknüpft sein soll als die im Ersturteil.119 Geht man davon aus, dass der Hang ein eigenständiges Merkmal mit begrenzender Wirkung ist, soll diese Voraussetzung auch bei der nachträglichen Anordnung nach Abs. 1 vorliegen.120 Dass die erste Prämisse nicht zutrifft wurde oben bereits dargelegt.121 Wird ein Hang gefordert, muss die erkenn116
Vgl. BT-Drucks. 15/2887, S. 13; Bender (2007), S. 87. BVerfG NJW 2006, 3483, 3484 das sich ausdrücklich gegen eine Gleichsetzung von Hang und ungünstiger Kriminalprognose wendet; BVerfG NJW 2009, 980, 982; BGHSt 50, 121 (131); Streng (2006), S. 96; Rissing-van Saan (2006), S. 199; Zschieschack/Rau (2006), S. 13; Renzikowski (2006), S. 282; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 95; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 36. Dagegen: Passek (2005), S. 112; Kinzig (2004), S. 657; Lackner/Kühl § 66b, Rn. 8; Bender (2007), S. 91; LK12-Peglau § 66b, Rn. 150. 118 BGHSt 50, 373 (380); Streng (2006), S. 96. Dem entspricht auch der Wortlaut des § 463 III 4 StPO. 119 BGHSt 50, 373 (380); SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 36; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 95; Rissing-van Saan (2006), S. 199; Finger (2008), S. 68; Zschieschack/Rau (2006), S. 13; Boetticher (2005), S. 418; a. A. Bender (2007), S. 88; Peglau (2002), S. 452. 120 Vgl. BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; BGHSt 50, 373 (380 f.); Ullenbruch (2005), S. 564. 121 Diese Begründung des Streits um das Hangerfordernis geben auch Streng (2006), S. 96 und Milde (2006), S. 262, die ebenfalls keinen Zugewinn an Prognosesicherheit bei der Hangfeststellung sehen. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, 117
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bar gewordene Tatsache Symptom des Hanges sein. Denn die Tat muss Symptom des Hanges sein, der Täter muss aufgrund des Hanges für die Allgemeinheit gefährlich sein und die erkennbar gewordene Tatsache muss in einem symptomatischen Zusammenhang mit der bei der Anlasstat hervorgetretenen Gefährlichkeit stehen.122 b) Gefährlichkeit Die neuen Tatsachen müssen jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen, sie müssen nach anerkannten, überprüften Maßstäben auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten schließen lassen123 und in einem symptomatischen Zusammenhang mit der Anlasstat stehen.124 Gegenüber §§ 66, 66a StGB sind die Anforderungen höher: Während die Unterbringung nach diesen Vorschriften lediglich die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten fordert, muss bei § 66b I StGB eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegen. Dies könnte auf eine Verschiebung des Umschlagspunktes gegenüber §§ 66, 66a StGB, die lediglich Gefährlichkeit fordern, hindeuten. So wird dann auch mit dem Wortlaut überwiegend ein höherer Grad der erforderlichen Gefährlichkeit verlangt.125 Dagegen wird argumentiert, eine solch feine Unterteilung sei gekünstelt,126 da die Bewertung der Prognosebasis mit einem bestimmten Risikograd kaum exakt und nachprüfbar gelingt. Außerdem würde eine solche Betrachtung im Umkehrschluss bedeuten, dass für die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB eine unerhebliche Gefährlichkeit ausreicht, was mit der Stellung der Sicherungsverwahrung als strafrechtliche ultima ratio nicht zu vereinbaren sei.127 Die Gefährlichkeit bedeutet danach auch hier, dass der Verurteilte nach Überzeugung des Gerichts mit hoher Wahrscheinlichkeit Rn. 38 gehen von der Eigenständigkeit des Hanges aus, bescheinigen dem Begriff aber in Rn. 202 Wirkungslosigkeit in der Praxis. 122 Nach BGHSt 50, 275 (279); 51, 185 (187); Fischer § 66b, Rn. 27 müssen die Tatsachen in einem symptomatischen Zusammenhang mit der bei der Anlasstat hervorgetretenen Gefährlichkeit stehen. Wie die Anlasstat bei § 66 StGB Symptom des Hanges sein muss. 123 BVerfG NJW 2006, 3483, 3486; BGHSt 50, 275 (278); NStZ 2006, 276, 278. 124 BVerfG NJW 2006, 3483, 3486; BGHSt 50, 275 (278 f.); 284 (296 f.); BGH NStZ 2006, 276, 278; Lackner/Kühl § 66b, Rn. 4. 125 NK-Böllinger/Pollähne § 66b, Rn. 10; Meier (2009), S. 308; Kinzig (2008), S. 53; Finger (2008), S. 68; U. Schneider (2006), S. 414; Rissing-van Saan (2006), S. 198; Poseck (2004), S. 2560; ähnlich BT-Drucks. 15/2887, S. 12. 126 SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 32; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 83; Fischer § 66b, Rn. 37, 42 sieht hierin den Ausdruck eines schlechten Gewissens wegen der nachträglichen Anordnung. 127 SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 30. Ähnlich von Freier (2008), S. 310 Fn. 124.
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erhebliche Straftaten begehen wird, durch die die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden.128 Dagegen gebietet der Wortlaut die Auslegung, dass das Erfordernis einer erheblichen Gefahr eine Verschiebung des Umschlagspunktes der Prognose zur Folge hat.129 Dies kann sich auf die Überlegung stützen, dass aufgrund der besonderen Belastung durch die nachträgliche Anordnung eine solche nur dann erfolgen soll, wenn die Belastung durch einen höheren Risikograd ausgeglichen wird. Bei der Setzung des Umschlagspunktes hat der Richter die gesetzliche Risikoverteilung zu beachten. Der Wortlaut drückt eine veränderte Risikoverteilung aus, die nachträgliche Sicherungsverwahrung fordert ein höheres Risiko. Inhalt der Kriminalprognose ist das Bestehen einer hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung von Straftaten, durch die das Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt wird. Es muss zwar keine Gewissheit bestehen, die Wahrscheinlichkeit muss aber so hoch sein, dass sie einer sicheren Prognose recht nahe kommt.130 Dabei soll die Gegenwärtigkeit dieser Wahrscheinlichkeit den Unterschied zu einer allgemeinen Rückfallwahrscheinlichkeit ausmachen.131 Hier wird vom BVerfG ein neuer Aspekt eingeführt: Es wird der Zeitraum, in dem die neue Tat erwartet wird, als beachtlich für die Setzung des Umschlagspunkts der Prognose aufgezeigt. Zwar ist nicht zu verlangen, dass die Begehung neuer erheblicher Straftaten durch den Verurteilten unmittelbar bevorsteht, um die Sicherungsverwahrung zu rechtfertigen. Aber ein nur „mittel- oder langfristig“ bestehendes Risiko genügt nicht.132 Hieraus ergibt sich, dass zumindest für die nachträgliche Sicherungsverwahrung der Umschlagspunkt von einer noch negativen zu einer schon positiven Kriminalprognose nicht nur von der Größe der Wahrscheinlichkeit, der Art der zu erwartenden Tat und der Intensität des Zugriffs auf den Betroffenen abhängt, sondern auch von der zeitlichen Nähe der befürchteten Tat.133 Dem ist zuzustimmen, da die zeitliche Nähe des zukünftigen Verlaufs die Treffsicherheit der Prognose beeinflusst. Wenn die Treffsicherheit von ihrem Geltungszeitraum abhängt, ist es sinnvoll, diesen zu verkleinern. Konkret sollte der Zeitraum auf zwei Jahre bemessen 128
OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 274. In diesem Sinn: OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 275; NK-Böllinger/Pollähne § 66b, Rn. 14. 130 Sch/Sch-Stree § 66b, Rn. 1; Braum (2004), S. 107. 131 BVerfG NJW 2006, 3483, 3485. 132 BVerfG NJW 2009, 980, 983. Dies kann auch der Argumentation entgegengehalten werden, die die Annäherungen an die Basisrate der zu verhindernden Taten deswegen kritisiert, weil der Kontrollzeitraum notwendig eng begrenzt sei. Nur der begrenzte Zeitraum ist nach dem BVerfG bei § 66b StGB maßgeblich. 133 Kritisch Ullenbruch (2007), S. 67, der auf die Schwierigkeit der Bestimmung der Rückfallgeschwindigkeit hinweist. 129
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werden, da auch § 67e StGB diesen Rahmen für die Überprüfung der Prognose angibt. Der Gesetzeswortlaut verlangt keinen Vergleich der Straftatenwahrscheinlichkeit, die dem Täter ohne die erkennbar gewordene Tatsache attestiert wurde und der Wahrscheinlichkeit, die bei Einbeziehung auch dieser Tatsachen angenommen wird. Die nachträgliche Unterbringung trotz gleichbleibender Wahrscheinlichkeit erheblicher Taten bei Vorliegen erkennbar gewordener Tatsachen ist nach dem Wortlaut möglich.134 Wenn sich die Gefährlichkeitseinschätzung nicht ändern muss, dann ist es beispielsweise möglich, aufgrund der Anwendung eines anderen Prognoseinstruments135 anzuordnen, wenn denn neue Tatsachen den Eintritt in die Prüfung gestatten. Auch über die Relevanz einer Therapieverweigerung wird hier entschieden: Stellt sich die Gefährlichkeit ausschließlich als Folge der zum Zeitpunkt der Verurteilung bekannten Tatsache (im konkreten Fall: Sucht) dar, liegt keine neue Tatsache vor, die eine gegenüber dem Urteilszeitpunkt gesteigerte Gefährlichkeit indiziert.136 Durch die Verweigerung einer Therapie werden zukünftige Straftaten nicht wahrscheinlicher,137 als sie es zuvor ohne Therapie waren. Lediglich die psychologische Tatsache des Wegfalls der Therapiemotivation kann danach ein Gefährlichkeitsindiz sein,138 die Gefährlichkeit darf sich also nicht aus der bekannten Sucht ergeben, sondern aus der widerstandslosen Hingabe an die Sucht. Über den Wortlaut hinaus wird jedoch gefordert, dass die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen die Basis für eine andere Bewertung der Gefährlichkeit im Sinn einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten darstellen.139 Der Verurteilte, dessen bekannte Gefährlichkeit am Ende des Strafvollzuges so hoch ist wie bei Strafantritt, ist nicht Adressat des § 66b StGB.140 Voraussetzung für die Unterbringung nach § 66b StGB ist 134 Streng (2006), S. 94; so im Ergebnis: OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 275; anders BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; OLG Koblenz NStZ 2005, 97. 135 So OLG Frankfurt StV 2005, 142. Dagegen: Eisenberg (2005b), S. 345. 136 BVerfG NJW 2006, 3483, 3485. 137 Leygraf (2004), S. 442; Eine erhöhte Gefährlichkeit lässt sich auch nicht begründen, wenn man davon ausgeht, dass die Therapieverweigerung Ausdruck einer rechtsfeindlichen Gesinnung ist. Ein solch normatives Element kann nur für die Schuld relevant sein. 138 BVerfG NJW 2006, 3483, 3485. 139 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; Ullenbruch (2006), S. 1383; Zschieschack/ Rau (2006), S. 11 f. 140 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; OLG Frankfurt StV 2005, 142, 144; Finger (2008), S. 64; Streng (2006), S. 95. OLG Koblenz NStZ 2005, 97 ging von der Notwendigkeit einer objektiven Steigerung der Gefährlichkeit aus, dem hat das BVerfG NJW 2006, 3483, 3484 widersprochen: Es ist die zur Überzeugung des Gerichts gesteigerte Gefährlichkeit notwendig.
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eine nach Überzeugung des anordnenden Gerichts gegenüber dem Verurteilungszeitpunkt gesteigerte Gefährlichkeit.141 Auf diese Weise kann der Widerspruch,142 dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach der Rechtsprechung nicht als Korrekturinstrument für fehlerhafte Urteile143 dienen soll, andererseits aber die Rechtskraft des ersten Urteils nicht umfassend gilt,144 aufgelöst werden. Dabei müssen die erst nachträglich erkennbar gewordenen Gefährlichkeitsindizien den Ausschlag für die positive Prognose geben.145 Bei deren Bewertung ist wie bei § 66a II StGB die eingeschränkte Aussagekraft des Verhaltens im Strafvollzug zu beachten.146 Ein Rückgriff auf den Maßstab, der für die Gewährung von Vollzugslockerungen angelegt wird, ist nicht möglich, die nachträgliche Sicherungsverwahrung soll keine Reaktion auf fehlendes Wohlverhalten im Vollzug sein.147 Bei der Gesamtwürdigung ist das Vollzugsverhalten daher nur ergänzend zu berücksichtigen.148 Die Rechtskraft kann sich für eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung nur auf die Bewertung149 der zum Bewertungszeitpunkt bestehenden Tatsachen beziehen. Würde bei § 66b I StGB eine erkennbar gewordene Tatsache zu identischer Bewertung der Straftatenwahrscheinlichkeit führen und könnte darauf die Anordnung der Sicherungsverwahrung gestützt werden, so wäre dies eine Korrektur des Ersturteils, in dem diese Wahrscheinlichkeit nicht 141
BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; Kinzig (2008), S. 74; Bender (2007), S. 64. Diesen Widerspruch betont von Freier (2008), S. 310, 315. 143 BVerfG NJW 2006 3483, 3485: kein Korrektiv unrichtiger Prognosen; BGHSt 50, 121 (126); BGHSt 50, 184 (188); Streng (2006), S. 95 f. 144 Hanack (2002), S. 714; Baltzer (2005), S. 204 f.; vgl. hierzu auch OLG Brandenburg NStZ 2005, 272, 275, das die Frage aufwirft, warum nicht vor dem Täter zu schützen ist, bei dem die Tatsachengrundlage, nach der die Gefährlichkeit zu beurteilen ist, sich verbreitert hat. Ähnlich Veh (2005), S. 307. 145 OLG Koblenz StV 2004, 665, 667 f.; OLG Rostock StV 2005, 279, 281; Streng (2006), S. 94. 146 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 134. Dazu: H. Schneider (2006), S. 103, der davor warnt, dass gerade die wirklich gefährlichen Täter sich im Vollzug vorgeblich anpassen. 147 BVerfG NJW 2006, 3483, 3486; BVerfGE 109, 190 (241). Laubenthal (2004), S. 740 f. und Waterkamp (2004), S. 270 weisen auf den Konflikt zwischen §§ 66a bzw. § 66b StGB und § 4 I StVollzG hin. 148 Ullenbruch (2005), S. 564. Vgl. auch von Freier (2008), S. 321 f. 149 Gesetzliche oder richterliche Bewertung ist gemeint. Die richterliche Bewertung ist enger, bewertet sie doch nur das, was nach Gesetz zu bewerten ist. Ist die gesetzliche Bewertung maßgeblich, so können auch Rechtsänderungen nichts an der Rechtskraft des Ersturteils ändern. Für eine solche Betrachtung spricht die Einführung des § 66b I 2 StGB. Vgl. zum Letzten: Veh (2005), S. 309 f. Anders Hanack (2002), S. 717, nach dem die Rechtskraft des Urteils den Prozessgegenstand unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt, also auch der künftigen Gefährlichkeit umfasst. Dazu im Einzelnen: Unten H. 142
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als ausreichend für die Anordnung angesehen wurde. Verstärkt eine neue Tatsache den Befund, dass diese Rückfallwahrscheinlichkeit vorliegt, so bleibt die Wertung, in diesem Fall keine Sicherungsverwahrung anzuordnen, bestehen. Über diese müsste sich das Gericht der zweiten Hauptverhandlung hinwegsetzen. Führt die erkennbar gewordene Tatsache dagegen zu dem Befund, dass eine höhere Rückfallwahrscheinlichkeit vorliegt, so ist diese noch nicht bewertet worden.
II. Fazit zur nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b I 1, 2 StGB Die Vorschrift setzt einen anderen Umschlagspunkt bei der Gefährlichkeit als die §§ 66, 66a StGB. Zusätzlich hat das BVerfG ein neues Kriterium für die Setzung des Umschlagspunktes eingebracht: Die zeitliche Nähe der befürchteten Straftat. Trotz der schweren Aufgabe der Abstufung verschiedener Wahrscheinlichkeitsgrade wird aus der Rechtskraft des Ersturteils gefolgert, dass die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung eine gegenüber der Situation im Ausgangsurteil erhöhte Straftatenwahrscheinlichkeit erfordert. Dass eine Korrektur fehlerhafter Urteile nicht erfolgt, eine Korrektur gesetzgeberischer Entscheidungen dagegen schon, ist widersprüchlich. Dieses Ergebnis wird von der Rechtsprechung des EGMR gestützt, der die rückwirkende Anwendung des neuen § 67d III StGB als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 7 EMRK und nicht von Art. 5 I 2 a EMRK gedeckt ansieht.150 Diese Argumentation des EGMR ist auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung, vor allem auf den gerade zum Auffangen der Altfälle gedachten § 66b I 2 StGB, zu übertragen.151 Rechtstatsächlich zeigt sich in den bisherigen Entscheidungen zu § 66b I StGB, dass in der Regel die Gefährlichkeit des Täters auch ohne die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen erkennbar war.152 Die Vorschrift ist neben einer richtig verstandenen Vorbehaltslösung überflüssig. Die schon vor der geänderten Rechtsprechung des BVerfG zur nachträglichen Sicherungsverwahrung und auf Grundlage des Urteils des EGMR erfolgten Streichung der Möglichkeit nachträglicher Anordnung von Sicherungsverwahrung wegen schuldhaft begangener Anlasstat153 ist daher zu begrüßen. 150 EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04, Rn. 97 ff. und Rn. 133. Dazu im Einzelnen: Unten G.VI. 151 So auch: BGH, Beschluss vom 21.6.10, Az. 5 StR 60/10, Rn. 12 m. w. N., nach dem aber dies nicht dazu führt, dass dem § 66b I 2 StGB keinerlei Anwendungsbereich verbleibt: BGH, Beschluss vom 21.6.10, Az. 5 StR 60/10, Rn. 14. 152 So auch U. Schneider (2006), S. 427 f.; Baltzer (2005), S. 161; Kinzig (2008), S. 317 zieht eine negative kriminalpolitische Bilanz. 153 Dazu bereits oben unter F.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
III. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b II StGB Der § 66b II StGB ermöglicht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Ersttäter und bisher unentdeckte Mehrfachtäter. Damit senkt die Regelung die Geltungsschwelle für die Kriminalprognose bei bisher unentdeckten Serientätern unter die Schwelle für die originäre Anordnung ab. Für diese Tätergruppe ist die nachträgliche Anordnung aber auch nach § 66b I StGB in Kombination mit § 66 II, III 2 StGB möglich. Im Ergebnis ist die nachträgliche Anordnung unter geringeren Anforderungen an die Zahl der Vortaten möglich als die Anordnung im Urteil über die Tat.154 Bei der nachträglichen Unterbringung von Ersttätern in der Sicherungsverwahrung wird empirisch das Bedenken einer nicht ausreichenden Prognosebasis zentral:155 Als Prognosebasis können im Extremfall nur ein Verbrechen und die Erkenntnisse aus dem Strafvollzug dienen. Dieses Problem findet seinen Niederschlag unter anderem im Streit um das Erfordernis eines Hanges: Der Gesetzgeber bezweifelte, ob eine Hangfeststellung mit den regelmäßig zur Verfügung stehenden Tatsachen möglich sei.156 Vieles spricht dafür, auch eine legitimierende Prognose auf der Basis eines Verbrechens und des Vollzugsverhaltens als unmöglich anzusehen.157 1. Formelle Voraussetzungen Der Täter muss wegen eines oder mehrerer der in § 66b II StGB genannten Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden sein.158 Der Katalog der Anlasstaten ist gegenüber denen der §§ 66 III, 66b I StGB abermals eingeschränkt, so dass Vergehen völlig ausscheiden.159 Im Fall der Tateinheit einer Katalogtat mit anderen ist fraglich, 154 Zu überlegen bleibt allerdings, ob die Absenkung der erforderlichen Vortaten durch die höheren Anforderungen an die Anlasstat und die verwirkte Strafe kompensiert wird. 155 Brandt (2008), S. 111 ff.; Rosenau (2006), S. 304; SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 39; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 48, 117 f. 156 BT-Drucks. 15/8586, S. 6 f. kritisch insoweit: Waterkamp (2004), S. 271. 157 Vgl. aber die Regelung des § 7 II JGG, die für die Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen eine Tat ausreichen lässt und nicht fordert, dass die Tatsachen erkennbar werden. Für Heranwachsende ist die Sicherungsverwahrung auf Grundlage einer erheblichen Straftat nach § 106 V JGG möglich. 158 Für Fälle von Gesamtstrafen vgl. SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 43; Kinzig (2008), S. 77. 159 Zum Streit, ob eine Verurteilung nach § 176a I StGB zur nachträglichen Anordnung führen kann: Brandt (2008), S. 158 f.; Fischer § 66b, Rn. 12. Die Besonderheit liegt darin, dass erst die Vorverurteilung den Tatbestand zu einem Verbre-
III. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b II StGB
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ob eine fünfjährige nach § 52 II 1 StGB bemessene Freiheitsstrafe ausreicht. Dies soll nur der Fall sein, wenn Katalogtaten die Strafe wesentlich prägen. Ausdrücklich wird die Auffassung zum Parallelproblem bei § 66 III, 1, 2 StGB nicht auf § 66b II StGB übertragen.160 Dies überzeugt nicht, wenn mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Erfassung nur weniger Fälle argumentiert wird, stellt dies doch kein Kriterium dar, nach denen die erfassten von den nicht erfassten geschieden werden können. Dies kann zwar eine begründete restriktive Auslegung stützen, ersetzt aber nicht deren Begründung. Dass der Gesetzgeber bei § 66b II StGB „bewusst höhere Anforderungen gestellt hat“161 ersetzt eine Begründung ebenfalls nicht. Wie bei § 66 III StGB ist daher im Ergebnis zu fordern, dass die bei Tateinheit mit Nichtkatalogtaten gebildete Strafe die bei ausschließlicher Verurteilung von Katalogtaten maßgebliche Schwelle überschreitet.162 Zusätzlich müssen solche Tatsachen erkennbar werden, die eine erneute Gefährlichkeitsprüfung rechtfertigen. Hier kann auf die Ausführungen zu Abs. 1 verwiesen werden.163 Soweit überschaubar waren der Fall einer psychischen Erkrankung164 und der Fall einer Entdeckung eines Hirnsubstanzdefekts in Verbindung mit einer Therapieverweigerung165 die einzigen Fälle der Bestätigung einer Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b II StGB durch den BGH. Dazu kam bisher noch eine Bestätigung eines Unterbringungsbefehls nach § 275a IV StPO, der auf die Annahme der Anordnung einer Unterbringung nach § 66b II StGB gestützt wurde.166 2. Materielle Voraussetzungen a) Hang als Voraussetzung Ein Hang muss bei der Anordnung nach § 66b II StGB gemäß der Auslegung des BVerfG nicht vorliegen.167 Dies wird mit dem gegenüber Abs. 1 unterschiedlichen Wortlaut begründet. Außerdem fragt sich, wie das Vorliechen qualifiziert, dass dann also wenigstens zwei Taten vorliegen und so der § 66b I StGB abschließend sein könnte. 160 BGH StV 2008, 76, 77. 161 BGH StV 2008, 76. 162 Brandt (2008), S. 160 fordert in diesen Fällen eine Freiheitsstrafe von wenigstens 7 Jahren und 6 Monaten. 163 F.I.1.a). Vgl. SK-StGB-Sinn § 66b, Rn. 44. 164 BGH R & P 2007, 94. 165 BGHSt 50, 275. 166 OLG Brandenburg; Beschluss vom 11.07.2007, Az.: 1Ws 127/07. 167 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484; Bender (2007), S. 90; LK12-Peglau § 66b, Rn. 150; Sch/Sch-Stree § 66b Rn. 2.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
gen eines eingeschliffenen Musters bei Ersttätern festgestellt werden kann.168 Eine Begrenzung des Anwendungsbereichs soll nicht über eine Hangfeststellung erreicht werden, dieser Verzicht auf das Merkmal des Hanges sei durch andere limitierende Merkmale ausgeglichen. Zu nennen sind hier die hohe Strafe für die Anlasstat und der Katalog tauglicher Anlasstaten.169 Warum die Anlassverurteilung zu einer höheren Schuldstrafe im Bereich des § 66b II StGB eine bessere Gefährlichkeitsinidikation darstellen soll, ist aber nur damit zu begründen, der Täter schrecke prinzipiell nicht vor erheblichen Rechtsverletzungen zurück. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, zur Verhinderung schwererer Straftaten eine unsicherere Prognose zuzulassen. Dies ist im Grundsatz zutreffend, kann aber nicht die Frage überzeugend begründen, warum gegen den Ersttäter die Prognose überhaupt gelten soll, wenn weder dessen prinzipielle Andersartigkeit (Hang), noch mehrfache Begehung von Straftaten feststeht.170 So fordert die Gegenansicht dann auch das Vorliegen eines Hanges.171 Dabei werden kriminalpolitische172 und systematische Argumente vorgebracht. Vor allem sprach für die Feststellung eines Hanges, dass § 67d III StGB bis zum 1. Januar 2011 auch im Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung eine Erledigung der Maßregel für den Fall vorsah, dass hangbedingte Gefährlichkeit nicht mehr vorlag.173 Wie oben dargelegt, begrenzt der Hang zwar nicht den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung, de lege lata ist aber aufgrund systematischer Erwägungen ein solcher festzustellen. Zentral bleibt die Stellung einer Kriminalprognose mit ausreichend legitimierender Wirkung. Mit der tatsächlichen Möglichkeit eine sol168
Rissing-van Saan (2006), S. 199 sieht eine solche Feststellung als schwieriger aber möglich an. Der Vorschlag von BGHSt 50, 373 (381 f.), auf die Feststellung eines eingeschliffenen Verhaltensmusters bei der Hangfeststellung zu verzichten, lässt vom Hang nichts übrig. 169 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484. 170 Die Argumentation U. Schneiders (2006), S. 423 die davon ausgeht, dass es bei den Adressaten des § 66b II StGB nicht um wirkliche Ersttäter, sondern solche mit einer Karriere sozial abweichenden Verhaltens handeln werde, überzeugt nicht. Zum einen erreicht dieses Verhalten nicht die Schwelle, die ansonsten für die Gefährlichkeitsindikation erreicht werden muss, zum anderen ist dies nicht zwingend in der Norm gefordert. 171 BGHSt 50, 373 (381); 51, 191 (199); Zschieschack/Rau (2006), S. 13; NKBöllinger/Pollähne § 66b, Rn. 12; SK-StGB-Sinn § 66b Rn. 45; Fischer § 66b, Rn. 34; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 123, der im nächsten Satz erklärt, eine Hangfeststellung sei auf Grundlage einer Tat nicht möglich. 172 Statt vieler: LK12-Peglau § 66b, Rn. 155, der selbst gegen die Erforderlichkeit des Hanges streitet, der Praxis aber ein Festhalten an der Prüfung des Vorliegens eines Hanges empfiehlt. 173 BGHSt 50, 373; Fischer § 66b, Rn. 34; Finger (2008), S. 69; Rissing-van Saan (2006), S. 199.
III. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b II StGB
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che Prognose zu stellen, auf deren Grundlage die Verwahrung legitim erscheint, steht und fällt die Sicherungsverwahrung. Hier schlagen die Bedenken des Gesetzgebers, ob die Hangfeststellung unter den künstlichen Vollzugsbedingungen möglich ist, durch. b) Gefährlichkeit Die inhaltlichen Anforderungen an die Kriminalprognose decken sich mit denen des Abs. I. Der Unterschied ist die erheblich schmalere Mindestprognosebasis. Hier geht die nachträgliche Sicherungsverwahrung weiter als die primäre Anordnungsmöglichkeit.174 Bei Unterbringung im Erstverfahren sind mindestens zwei Taten notwendig, § 66 III 2 StGB. Dieser Verzicht auf Vortaten bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung kann nur durch die Einbeziehung des Vollzugsverhaltens und die höheren Anforderungen an Anlasstat und verwirkte Strafe in die Prognosebasis ausgeglichen werden. Das Vollzugsverhalten soll aber schon normativ nur ergänzend berücksichtigt werden. Darin drückt sich die Vorsicht auch des Gesetzgebers bezüglich der prognostischen Relevanz des Vollzugsverhaltens aus. Empirisch wird auf die aussagekräftigsten Indikatoren weiterer Straftaten verzichtet, was durch äußerst schwache Indikatoren ausgeglichen werden soll.175 Wenn die vor dem Vollzug bekannte Prognosebasis nicht einmal die Anordnung eines Vorbehaltes rechtfertigte, die nach dem Vollzug bekannte Prognosebasis aber die Unterbringung wegen einer gegenüber der originären Anordnung gesteigerten Gefährlichkeit, wobei das Vollzugsverhalten nur ergänzend zu berücksichtigen sein soll und kann, dann ist das widersprüchlich.176 Die schmale Prognosebasis stellt eine legitimierende Prognose nicht sicher.177 Normativ steht schon die Berechtigung zur Prognoseerstellung und der Grund ihrer Geltung gegen den Täter in Frage: Was als direkte Rechtsfolge der Tat nicht möglich ist, ist als Rechtsfolge der Tat und bestimmten Vollzugsverhaltens möglich. Dass die Geltung der Kriminalprognose als Rechtsfolge der Tat nicht in Betracht kommt, sondern nur als Rechtsfolge von Tat und Tatsachen kann nicht überzeugen, wenn die Gefährlichkeitsprüfung aus174 Bei der Frage nach dem Hang, wird darauf verwiesen, dass der nachträglich Unterzubringende nicht schlechter gestellt werden soll. Genau das aber geschieht bei einer Verkleinerung der Prognosebasis, da der Verurteilte einer unsichereren Prognose unterstellt wird. Ähnlich: Finger (2008), S. 70. 175 Zu Letzterem vgl. Baltzer (2005), S. 161; Leygraf (2004), S. 442; Hanack (2002), S. 714; Rasch/Konrad (2004), S. 394; Ullenbruch (2001), S. 295. 176 Finger (2008), S. 143; Mushoff (2008), S. 428; DVJJ (2004), S. 5; Dünkel/ van Zyl Smit (2004), S. 635. 177 Brandt (2008), S. 111 f. m. w. N.; Rosenau (2006), S. 304; Waterkamp (2004), S. 271; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 123.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
schließlich mit der Begehung der Anlasstat begründet wird. Damit ein Verfahren zur Anordnung nach § 66b II StGB geführt werden kann, ist das erkennbar werden gewichtiger Tatsachen notwendig. Gleichzeitig soll die Unterbringung genauso Rechtsfolge der Tat sein und der Betroffene nicht schlechter gestellt sein als bei der Anordnung im Erstverfahren. Ein zusätzlicher Widerspruch zur Begründung der Geltung der Prognose mit der Tat besteht darin, dass die Tat im Fall des § 66b II StGB gegenüber den Fällen des § 66 StGB schwerer ist und die Geltung der Prognose dennoch nicht selbständig herbeiführen soll.
IV. Fazit zur nachträglichen Sicherungsverwahrung bei schuldhafter Tat Es wird auf die Kritik an § 66 I, II StGB reagiert, nach der diese aufgrund ihrer hohen Anforderungen zu spät eingreifen, so dass die erfassten Täter den Höhepunkt ihrer Delinquenz bereits hinter sich haben.178 Es fragt sich aber, ob dieses Instrument überhaupt einen sinnvollen Beitrag zur Verhinderung erheblicher Straftaten leisten kann und welcher Preis dafür gezahlt wird. Als Maßregel ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung am Tatsächlichen interessiert. Es wird nicht Vergangenes bewertet, es wird auf Zukünftiges reagiert. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung von Ersttätern nach Abs. II nicht haltbar.179 Es ist eine zu schmale Prognosebasis gegeben.180 Als Korrektiv für die fehlenden formellen Voraussetzungen sind die strengen Anforderungen an die Anlasstat nur eingeschränkt tauglich. Auch dass nach § 275a IV 2 StPO zwei, statt nur ein sachverständiger Gutachter angehört werden müssen, kann den Verzicht auf die aussagekräftigsten Risikoindikatoren nicht kompensieren. Ins178 Kinzig (1996), S. 93; Feltes (1999), S. 113; anders Jansing (2004), S. 113, der gerade darin das Spezifikum des Hangtäters sieht, dass die Verwahrten auch dann noch erhebliche Taten begehen, wenn normalerweise die kriminelle Tätigkeit sich verringert. 179 Rosenau (2006), S. 304; Schöch (2000), S. 138 f. Anders U. Schneider (2006), S. 423, die annimmt, dass auch Ersttäter im Sinne des § 66b II StGB eine „Karriere sozialabweichenden und kriminellen Verhaltens, das (bisher) allerdings nicht den Schweregrad erreicht hat“ aufweisen. Das mag sein, ist aber nicht Voraussetzung der Norm. Es kann auch mit Frisch (1992), S. 116 konstatiert werden, dass als normative Anforderung „man einer Person, die man selbst als verantwortlich bezeichnet, zumindest einmal die Chance geben muß zu zeigen, daß sie aus einem Fehler zu lernen imstande ist.“ 180 Ebenso Mushoff (2008), S. 580; Brandt (2008), S. 116; Bender (2007), S. 99; Finger (2008), S. 71 f. Ähnlich Kinzig (2008), S. 304. Vgl. aber Schönke (1938), S. 122, der auf die damals im italienischen Strafrecht bestehende Möglichkeit der präventiven strafrechtliche Sanktionen nach der ersten Tat hinwies, wenn der Täter zum „Verbrecher aus Hang“ erklärt wurde.
IV. Fazit zur Sicherungsverwahrung bei schuldhafter Tat
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besondere ist über den Täter selbst über die Tatbegehung hinaus nur Erfahrung in Form des Vollzugsverhaltens vorhanden, die in der Prognose verwertet werden kann. Eine Annahme nicht tolerabler Straftatenwahrscheinlichkeit vor allem auf einer solchen Grundlage begegnet durchgreifenden Bedenken.181 Damit scheint die nachträgliche Sicherungsverwahrung kriminalpolititsch verzichtbar,182 jedenfalls die nachträgliche Anordnung nach § 66b II StGB. Aber selbst bei unterstellter empirischer Aussagekraft183 der Prognoseentscheidungen bestehen zahlreiche Bedenken gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Die Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Rechtskraft lasten schwer auf der nachträglichen Sicherungsverwahrung.184 Die Sicherungsverwahrung als ultima ratio muss das letzte Mittel der Kriminalpolitik sein und sie muss sich ausreichend auf eine erkannte Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten stützen. Letzteres setzt voraus, dass die Geltung einer unsicheren Kriminalprognose gegen den Täter überhaupt begründbar ist. Die Geltung der Kriminalprognose gegen den Täter kann im Fall des § 66b II StGB nicht mit der Tat allein erklärt werden, da die Sicherungsverwahrung im Urteil über die Tat nicht hätte verhängt werden können. Dann kann die Tat nicht der die Prüfung der Gefährlichkeit ausschließlich begründende Umstand sein, wie durch das BVerfG für § 66 StGB angenommen wird.185 § 66b II 1. Fall gewährleistet daher weder die Erstellung einer auf ausreichender Erfahrung beruhenden Kriminalprognose, noch kann die Geltung der Prognose gegen den Täter begründet werden. Insbesondere können die unterschiedlichen Anforderungen an die Geltung der Kriminalprognose in den Fällen der § 66b II und § 66 II, III 2 StGB nicht erklärt werden. Daher sollte auch §§ 66b II StGB ersatzlos gestrichen werden.186 Inzwischen ist die Norm durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung mit Wirkung zum 1. Januar 2011 entfallen.
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Baltzer (2005), S. 259. Baltzer (2005), S. 259: „Die mit einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung verbundenen rechtlichen Probleme ließen sich durch eine intensivere Befassung mit der Frage der Gefährlichkeit im Erkenntnisverfahren weitgehend entschärfen, zumal § 67c StGB die Möglichkeit eröffnet, einen positiven Vollzugsverlauf zu berücksichtigen und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung auszusetzen.“ 183 Zur Trennung dieser Problemkreise: Rissing-van Saan (2006), S. 192. 184 Vgl. KMR-Eschelbach § 362, Rn. 71 zur Regelung als Wiederaufnahme zu Lasten des Verurteilten. So im Ergebnis auch Ullenbruch (2005), S. 565. 185 BVerfGE 109, 190 (220). 186 EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04. 182
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
V. Die Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus nach § 66b III StGB Es wird die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung eröffnet, wenn ein Zustand, der zu einer Unterbringung nach § 63 StGB führte, nicht bestand oder nicht mehr besteht. Wird die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus deswegen nach § 67d VI StGB für erledigt erklärt, kann nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Voraussetzung ist, dass die Gesamtwürdigung von Täter und Taten eine hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten ergibt. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung aus Anlass einer unverschuldeten Tat ist ein Novum:187 Folge der Einführung ist, dass das Verbot des § 67a I StGB, nach dem nicht aus dem Vollzug einer anderen Maßregel in die Sicherungsverwahrung überwiesen werden kann, nicht mehr ausnahmslos gilt:188 Verfassungsrechtlich ist die Norm nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht vom absoluten Rückwirkungsverbot des Art. 103 II GG erfasst, da die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstelle.189 Nach der Entscheidung des EGMR, der die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne des Art 7 I 2 EMRK ansah,190 hat der BGH allerdings den § 66b III StGB nicht auf solche Fälle angewandt, in denen die Norm zum Zeitpunkt der Anlasstat noch nicht galt.191 1. Formelle Voraussetzungen Formell fordert die Überführungsalternative entweder eine Unterbringung nach § 63 StGB wegen einer oder mehrerer Taten des Katalogs aus § 66 III 1 StGB, oder der Untergebrachte muss vor der aktuellen Unterbringung nach § 63 StGB wegen einer oder mehrerer solcher Taten nach § 63 StGB 187 Streng (2006), S. 92; Koller (2006), S. 261; Boetticher (2005), S. 417 f. Zu dieser Regelung: Waterkamp (2004), S. 272 f.; Finger (2008), S. 75 f. 188 Waterkamp (2004), S. 273; Kinzig (2004), S. 659; Finger (2008), S. 77. Parallel hierzu ist auf die Möglichkeit der indirekt nachträglichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §§ 66b, 67a II StGB zu verweisen. Dazu: BGHSt 51, 191 (200 f.); BGH R & P 2006, 205 f., die die Überweisung zulassen, wenn die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht allein aufgrund eines Zustands nach § 63 StGB angeordnet wird und die Anordnung nicht in einem Akt mit der Überweisung zusammenfällt, so dass dies keine Umgehung der Anforderungen des § 63 StGB darstellt. Die Anwendung des § 67a StGB auf Fälle der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist ausdrücklich verfassungsrechtlich gebillligt: BVerfG 109, 190 (242 f.). 189 Besonders für § 66b StGB: BVerfG NStZ 2010, 265. 190 EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04, Rn. 127 ff. 191 BGH, Beschluss vom 21.5.2010, Az. 4 StR 577/09, Rn. 12.
V. Die Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus
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untergebracht gewesen oder zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sein. Im letztgenannten Fall werden keine besonderen Anforderungen an die zur aktuellen Unterbringung nach § 63 StGB führende Tat gestellt.192 Der Untergebrachte muss wenigstens einmal eine Tat aus dem Katalog des § 66 III 1 StGB begangen haben. Auffallend ist die Erweiterung des Katalogs der möglichen Anlasstaten auch im Fall des § 66b III 1, 1. Fall gegenüber denen des § 66b I StGB.193 Weiter muss die aktuelle Unterbringung nach § 67d VI StGB für erledigt erklärt worden sein weil der die Schuldfähigkeit herabsetzenden Zustand im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat. a) Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB Das Vorliegen erkennbar gewordener Tatsachen ist nicht notwendig, diese Funktion nimmt durch die Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB die Feststellung der Fehlunterbringung ein.194 Dabei kommt die Überführung in die Sicherungsverwahrung nicht in Betracht, wenn die Erledigungserklärung wegen Unverhältnismäßigkeit weiterer Unterbringung oder wegen zweifelsfreien Wegfalls der Gefährlichkeit ausgesprochen wurde.195 Die Erledigung muss wegen der Schuldfähigkeit des Verurteilten im Zeitpunkt der Überprüfung erfolgen. Weil es sich um eine rein formelle Voraussetzung handelt, soll das Gericht die Richtigkeit der Erledigungserklärung nicht prüfen müssen.196 Dagegen ist festzuhalten, dass die Sicherungsverwahrung unzulässig ist, wenn die Gefahr auf dem Zustand des § 63 StGB beruht, so dass das Gericht das Vorliegen eines Zustands im Sinne der §§ 20, 21, 63 StGB bei der Erstellung der Kriminalprognose in eigener Verantwortung zu prüfen hat.197 Dies ist schon deswegen notwendig, um ein Unterlaufen der Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung zu vermeiden: Bei der Entscheidung über die Erledigungserklärung wirkt sich die Schuldfähigkeit des Untergebrachten zu seinen Gunsten aus. Bei der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung aber zu seinen Lasten. Daher muss das Gericht vom Fehlen eines solchen Zustands überzeugt sein. Formell kann sich das Gericht durch die Bezugnahme auf den Erledigungsbeschluss von dessen Bestehen überzeugen. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 164. Kritisch: Brandt (2008), S. 167. 194 Brandt (2008), S. 176; Bender (2006), S. 101; Koller (2006), S. 262. Kritisch: Baltzer (2008), S. 148 f. 195 Brandt (2008), S. 177; Koller (2006), S. 261; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 127. 196 Brandt (2008), S. 176; Koller (2007), S. 67. 197 Fischer § 66b, Rn. 14. 192 193
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
Materiell aber muss das Gericht das Beruhen der Gefährlichkeit auf einem Zustand nach §§ 20, 21, 63 StGB ausschließen. aa) Erledigungserklärung auf identischer Tatsachengrundlage Eine Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB ist dann auszusprechen, wenn der Zustand weggefallen ist. Fraglich ist, ob die Norm auch eingreift, wenn ein solcher Zustand nie vorlag. Wenn die Erledigungserklärung die erkennbar gewordenen Tatsachen ersetzen soll, liegt es nahe, für die Erledigungserklärung eine Änderung der tatsächlichen Basis für die Annahme eines Zustands im Sinne der §§ 20, 21, 63 StGB zu fordern. Nach überwiegender Ansicht ist es jedoch zulässig, auch in Fällen eine Erledigungserklärung auszusprechen, in denen ein solcher Zustand aus tatsächlichen Gründen niemals vorlag.198 Dies wurde schon vor der Einführung des § 67d VI StGB durch eine entsprechende Anwendung des § 67c II 5 StGB angenommen. Obwohl in diesen Fällen niemals Tatsachen vorlagen, die einen Zustand in diesem Sinn begründeten, wurde die Erledigung ausgesprochen um dem schwerfälligen Wiederaufnahmeverfahren zu entgehen.199 Stützen kann sich dies auf die Überlegung, dass das Vollstreckungsgericht lediglich prüft, ob im Prüfungszeitpunkt der Zustand vorliegt, sich daher dieser Beschluss nicht in Widerspruch zu Entscheidungen aus einer anderen Zeit setzen könne.200 bb) Erledigungserklärung aufgrund veränderter Bewertung Wenn das Vollstreckungsgericht bei der Entscheidung über die Erledigungserklärung nur vom aktuellen Zustand auszugehen hat, kommt in Betracht, dass es auch an rechtliche Beurteilungen des anordnenden Gerichts nicht gebunden ist, dass es also auch dann die Unterbringung erledigen kann, wenn der Anordnung Rechtsfehler zugrunde lagen.201 In diesen Fällen wird eine Erledigung aber überwiegend nicht zugelassen, da dies eine Überprüfung der Rechtsansicht des Tatgerichts durch das Vollstreckungsgericht sei, die den Instanzgerichten vorbehalten sei. Eine Änderung der 198
BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252, 253; Berg/Wiedner (2007), S. 435 m. w. N.; Fischer § 67d, Rn. 23; Lackner/Kühl § 67d, Rn. 7; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 49; Sch/Sch-Stree § 67d, Rn. 14; MüKo-Veh § 67d, Rn. 30. Anders: Radtke (1998), S. 306; Bechtoldt (2002), S. 220 ff.; OLG Dresden NStZ-RR 2005, 338; Wolf (1997), S. 781. 199 So explizit: Bender (2006), S. 105; Brandt (2008), S. 179; Fischer § 67d, Rn. 23. 200 Berg/Wiedner (2007), S. 439. 201 So Berg/Wiedner (2007), S. 438 f.
V. Die Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus
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rechtlichen Bewertung stelle einen Eingriff in die Rechtskraft dar.202 Wenn das Vorliegen des Zustands aber eine gegenwartsbezogene Anordnungsvoraussetzung ist, so dass das Vollstreckungsgericht über die Voraussetzungen eigenständig entscheidet, fällt die Begründung eines Eingriffs in die Rechtskraft des Anordnungsurteils schwer.203 Wenn die Bewertung des Zustands im Fall der unstreitig vorliegenden tatsächlichen Voraussetzungen zu einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB ein der Rechtskraft fähiger Subsumtionsvorgang ist, dann ist die Differenz zu der Situation der Verkennung der Tatsachen nicht ersichtlich. cc) Fazit: Erkennbar gewordene Tatsachen bei § 66b III StGB Damit ist die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach überwiegender Ansicht auf identischer Tatsachengrundlage nicht möglich, wenn die Subsumtion der Tatsachen fehlerhaft war (veränderte rechtliche Bewertung). Sie ist möglich wenn der die Schuldfähigkeit ausschließende oder beeinträchtigende Zustand von Anfang an nicht vorlag (veränderte tatsächliche Feststellung).204 Dass in diesen Fällen dann die Rechtskraft der Ausgangsentscheidung nicht nur tangiert sondern durchbrochen sein soll, dass dann eine grundsätzlich unzulässige tatbestandliche Rückanknüpfung vorliegt, soll aber aufgrund des überwiegenden Interesses der Allgemeinheit an der Verhinderung erheblicher Straftaten unbeachtlich sein.205 Auf diese Auslegung wird bei der Betrachtung der Rechtskraft einer Anordnung von Sicherungsverwahrung zurückzukommen sein. b) Anwendbarkeit bei ausstehender Strafvollstreckung Es war zunächst unklar, ob die Regelung auch dann Anwendung findet, wenn nach der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d VI StGB noch eine restliche Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist.206 Da in den Fällen des § 21 StGB neben der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus eine Strafe ausgesprochen und diese 202 BVerfG NStZ-RR 2007, 29, 30; OLG Frankfurt StV 2007, 430 f.; Brandt (2008), S. 177 ff. 203 Berg/Wiedner (2007), S. 438 f. Im Ergebnis lassen wohl auch LK12-Rissingvan Saan/Peglau § 67d, Rn. 56 eine Erledigungserklärung aufgrund veränderter rechtlicher Bewertung zu. 204 BGH NStZ 2009, 323. 205 BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08. 206 Die Nichtanwendung hätte zu dem Problem geführt, dass im Fall des Vorwegvollzuges der Freiheitsstrafe keine neuen Tatsachen notwendig sind, bei Vorwegvollzug der Maßregel aber schon: Baltzer (2008), S. 149.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
nach § 67 I StGB regelmäßig nach der Unterbringung vollzogen wird, würde dies den Anwendungsbereich des § 66b III StGB faktisch auf die Fälle des § 20 StGB beschränken. Für eine Anwendung des Abs. 3 auch auf die Fälle der noch zu vollstreckenden Strafe nach Erledigung der Unterbringung sprach sich der 4. Senat des BGH mit dem Argument aus, Sinn und Zweck der Regelung forderten die Anwendung, da in diesen Fällen nur eine bereits wegen der Gefährlichkeit angeordnete zeitlich unbestimmte Maßregel durch eine andere ersetzt werde.207 aa) Keine Anwendung auf Fälle ausstehender Strafvollstreckung Der Große Strafsenat des BGH kam in Einklang mit der Rechtsprechung des 1. Senats zu der Auffassung, dass § 66b III StGB nur anzuwenden ist, wenn der Täter andernfalls in die Freiheit zu entlassen wäre.208 Bei der Anwendung des § 66b III StGB bleibt es danach nur, wenn die noch zu vollstreckende Strafe aus einer Verurteilung herrührt, die nicht zugleich die Maßregel nach § 63 StGB verhängte.209 Für die Fälle der nach Unterbringungserledigung noch zu verbüßenden Freiheitsstrafe aus der die Unterbringung anordnenden Verurteilung sind danach die Abs. 1 und 2 einschlägig, bei deren Anwendung aber an die erkennbar gewordenen Tatsachen geringere Anforderungen zu stellen seien.210 Zentrales Argument ist dabei, dass diese geringeren Anforderungen sich aus dem Umstand rechtfertigen, dass hier der Täter im Urteil über die Tat zu einer zeitlich unbestimmten Maßregel verurteilte wurde, eine solche Maßregel also nicht neu angeordnet wird. Weil schon das Ausgangsurteil die Maßregelanordnung nach § 63 StGB enthielt, müsse nur noch die qualifizierte Gefährlichkeit auf abweichender Grundlage211 belegt werden, denn: „hier steht nicht die erstmalige Anordnung einer zeitlich nicht begrenzten Maßregel in Rede, sondern im Kern, bei durchgängig angenommener Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit – die Überweisung von einer derartigen Maßregel in eine andere unter verschärften Anordnungsvoraussetzungen. Die Rückwirkungsproblematik stellt sich somit in stark abgeschwächter Form. Das rechtfertigt in diesen Fällen die großzügigere Auslegung des Tatbestandsmerkmals der neu erkennbar werdenden Tatsachen.“212 207 Vorlagebeschluss des 4. Strafsenats des BGH an den Großen Strafsenat NJW 2008, 2661. 208 BGHSt 52, 379 (385). 209 BGHSt 52, 379. Dies überzeugt, da so der Zusammenhang von Anlassverurteilung und nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung gewahrt wird. Dazu: Ullenbruch (2009), S. 144; Peglau (2009), S. 959. 210 BGHSt 52, 379 (389 ff.). 211 Die andere Grundlage der aktuellen Gefährlichkeit betont OLG Karlsruhe StraFo 2009, 251, 253 f.
V. Die Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus
207
Wenn im Ausgangsurteil die Geltung der Prognose gegen den Verurteilten bereits angeordnet ist, ist es danach nicht mehr notwendig, die Geltung der Prognose zu begründen, es muss sich lediglich die Begründung für die Gefährlichkeit austauschen lassen, die Gefährlichkeit also rechtlich in einem neuen Licht erscheinen.213 Gegen eine solche Auslegung sprechen allerdings die Vorschriften über die reformatio in peius, ist doch in §§ 331 II, 358 II, 373 II 2 StPO bei ausschließlicher Rechtsmittelführung des Angeklagten lediglich der Wechsel von der Anordnung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zugelassen.214 Dies führt zu der Konsequenz, dass bei der Anfechtung einer Unterbringung nach § 63 StGB die Sicherungsverwahrung nicht im Rechtsmittelverfahren angeordnet werden kann,215 diese Anordnung aber nach Rechtskraft des Urteils erfolgen kann.216 bb) Erkennbar gewordene Tatsachen bei ausstehender Strafvollstreckung Von zentraler Bedeutung bei der Behandlung der Reststrafenfälle ist damit die Bestimmung der herabgesetzten Anforderungen an die erkennbar gewordenen Tatsachen. Während der Große Strafsenat des BGH urteilt, die Tatsachen hätten lediglich die fortbestehende Gefährlichkeit auf abweichender Grundlage zu indizieren und es komme nicht auf den Zeitpunkt ihres erkennbar Werdens an,217 geht das OLG Karlsruhe von einer engeren Auslegung aus und lässt nur Tatsachen ausreichen, die das erkennende Gericht nicht bereits zur Begründung der verminderten Schuld und der Anordnung 212
BGHSt 52, 379 (391 f.). Vgl. BGHSt 52, 379 (391); kritisch OLG Karlsruhe StraFo 2009, 25. 214 Dazu: Kretschmer (1999), S. 220 ff. 215 Kretschmer (1999), S. 227; SK-StPO-Frisch § 331, Rn. 64 m. w. N., der aber ausnahmsweise eine Änderung der Unterbringung nach § 63 StGB in Sicherungsverwahrung zulassen will. Zum Konflikt des Verschlechterungsverbots mit § 66b I, II StGB: Peglau (2004), S. 3599 ff. 216 Dass diese Beschränkung nur bei der Rechtsmitteleinlegung durch den Angeklagten eingreift, ist irrelevant, da das Gesetz hier die beiden Maßregeln jedenfalls als nicht austauschbar einstuft. Dieser Austausch aber findet bei § 66b III StGB statt. Vgl. auch die Argumentation Kretschmers (1999), S. 226 für die Geltung des Verschlechterungsverbots, die sich ebenso gegen § 66b III StGB vorbringen ließe. Für eine Ausnahme der Sicherungsverwahrung vom Verbot der reformatio in peius dagegen: Peglau (2004), S. 3601. Der Fall des § 66b III StGB ist gegenüber dem Widerspruch, dass das Verbot der reformatio in peius eine Anordnung von Sicherungsverwahrung im Rechtsmittelverfahren verhindert, nach Rechtskraft diese aber möglich ist, noch zugespitzt, ist doch in diesem Fall die Anordnung nur von der Erledigungserklärung und nicht vom erkennbar werden relevanter Tatsachen abhängig. 217 BGHSt 52, 379 (391 f.). 213
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
der Maßregel des § 63 StGB herangezogen hat218 und betont die unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben an die Setzung des Umschlagspunkts bei den §§ 63 StGB und 66b I, II StGB. Eine nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung kommt damit nur in Betracht, wenn „losgelöst von den zur Begründung des Maßregelausspruchs herangezogenen Tatsachen, die damit gewissermaßen ‚verbraucht‘ sind – nunmehr eine Disposition des Verurteilten zur Begehung schwerwiegender Straftaten bejaht werden könne.“219
Dieser Auslegung ist im Ergebnis zuzustimmen, da die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht auf einer Fortschreibung der Kriminalprognose, die zur Unterbringung nach § 63 StGB führte, beruhen darf. Worauf das OLG Karlsruhe aber seine Annahme stützt, die die Unterbringungsprognose nach § 63 StGB begründenden Tatsachen seien für spätere Prognosen verbraucht, wird nicht deutlich. Die Annahme überzeugt auch nicht, da jede Kriminalprognose auf vollständiger Tatsachenbasis, also auch auf Basis der bereits früher gewürdigten Tatsachen zu erstellen ist. Die Tatsachen können vielmehr solche sein, die zu einer Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB führten, müssen dies aber auch nicht. Im Unterschied zu den übrigen Fällen der § 66b I 1, II StGB müssen die erkennbar gewordenen Tatsachen die ursprüngliche Kriminalprognose nicht erschüttern, vielmehr muss sich nur die Tatsachenbasis für die Annahme der Wahrscheinlichkeit austauschen lassen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Geltung der Kriminalprognose gegen den Verurteilten im Unterschied zu den sonstigen Anwendungsfällen der §§ 66b I 1, II StGB bereits angeordnet ist. 2. Materielle Voraussetzungen Die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten kann nach der Erledigungserklärung nicht mehr auf dem Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB beruhen. Dies ist in eigener Verantwortung zu prüfen, beruht die Wahrscheinlichkeit noch auf einem solchen Zustand, ist die Sicherungsverwahrung nicht anzuordnen, eine Rückverweisung in das psychiatrische Krankenhaus kommt ebenfalls nicht in Betracht.220 Fraglich ist, ob sie auf einem Hang beruhen muss. Im Gegensatz zu den anderen Fällen des § 66b StGB wird die Notwendigkeit eines Hanges weniger intensiv diskutiert. So wird ein Hang vom BGH ausdrücklich nicht verlangt, was mit dem Wortlaut des § 66b III Nr. 2 StGB belegt wird, der keinen Verweis auf § 66 I Nr. 3 218 219 220
OLG Karlsruhe StraFo 2009, 251, 253. OLG Karlsruhe StraFo 2009, 251, 253. BGH NStZ-RR 2009, 201; BGH NStZ-RR 2009, 171, 172.
V. Die Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus
209
StGB enthält.221 Wenn teilweise eine Hangfeststellung verlangt wird, dann weil das Merkmal als begrenzend angenommen wird,222 oder weil das Zusammenspiel mit § 67d III StGB a. F. eine solche Feststellung verlangte.223 Obwohl de lege ferenda eine Abschaffung des Hanges zu begrüßen wäre, und durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung mit der Änderung des § 67d III StGB eine Lösung von diesem Merkmal erkennbar wird, drang bis zu dessen Inkrafttreten das systematische Argument durch. Der Widerspruch zur nach § 67d III StGB a. F. vorgeschriebenen Prüfung, ob der Täter noch eine hangbedingte Gefährlichkeit aufweist, muss aufgelöst werden, indem schon in der Anordnung zum Hang Stellung genommen wird. Zentral für die Anordnung ist allerdings die Erstellung einer legitimierenden Kriminalprognose. Dazu ist vor allem die Sicherstellung einer ausreichenden Prognosebasis notwendig. Dies erfordert einen Vergleich mit den formellen Voraussetzungen der Anordnung gegen schuldfähige Täter.224 Da die zurechenbare Anlasstat die Unterstellung unter eine Kriminalprognose begründen muss, nachdem die Krankheit den Grund nicht mehr liefern kann, ist dies bei der Erstellung einer legitimierenden Kriminalprognose zu berücksichtigen. Zwar ist in den Fällen des § 66b III StGB die Geltung der Prognose bereits im Ausgangsurteil in Form der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dies führt dazu, dass sich die Rückwirkungsproblematik nur abgeschwächt stellt. Es sind aber die Anforderungen an eine legitimierende Prognoseerstellung zu beachten. Daher ist bei der Erstellung der Kriminalprognose zu prüfen ob die formellen Voraussetzungen der Anordnung gegen schuldfähige Täter erfüllt wären. Bei der Kriminalprognose wird erneut die besondere Stellung der Legalbiographie deutlich: Um eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters unter besonderer Berücksichtigung der Vorverurteilungen durchführen zu können, müssen die vergangenen Einzelstraftaten auf Grundlage der Strafakten und nicht bloß des Registerauszugs gewürdigt werden.225
BGH NStZ 2009, S. 323, 324; Fischer, § 66b, Rn. 40. Anders LK12-Rissingvan Saan/Peglau § 66b, Rn. 166, Fn. 339. 222 Finger (2008), S. 77; Baltzer (2008), S. 150; Koller (2007), S. 67. 223 Brandt (2008), S. 222. 224 So auch LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 167. 225 BGH StraFo 2008, 435 f. 221
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
VI. Fazit zur Überführung aus dem psychiatrischen Krankenhaus Die Norm macht den Charakter der Sicherungsverwahrung als Auffangmaßregel deutlich. Sie erweitert die Sicherungsverwahrung von der Strafzur ebenfalls maßregelergänzenden Maßregel. Denn dass der Täter aufgrund seines Hanges zu erheblichen Straftaten gefährlich ist, nachdem er es nun nicht mehr aufgrund seines die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustandes ist, fordert der Wortlaut des § 66b III StGB nicht.226 Als Tatsache für die abweichende Begründung der Gefährlichkeit kommt jede Tatsache in Betracht. Die Vorschrift ist ein weiteres Zeichen für die dem Maßregelrecht immanente Flexibilisierung. Vor ihrer Einführung konnte sich der Wegfall des die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Zustands ungeachtet der Erwartung weiterer Straftaten aus anderen Gründen nur zugunsten des Untergebrachten auswirken. Nunmehr gilt auch hier die jeweils aktuelle Kriminalprognose. Dies ist zwar gegenüber den Fällen der Absätze I und II des § 66b StGB besser begründbar, weil die Geltung der Kriminalprognose im Ausgangsurteil angeordnet wurde, setzt sich aber in Widerspruch zu der bisher angenommenen Eigenständigkeit von § 63 StGB und der Sicherungsverwahrung,227 wie sie in § 67a I StGB ausgedrückt ist. Gerade aufgrund dieser Eigenständigkeit ist § 66b III, 2. Fall StGB zu streichen: Die Geltung der Kriminalprognose kann aus der Anlassverurteilung nach dem Wegfall des Zustands nicht abgeleitet werden, da an die Anlassverurteilung keine Anforderungen gestellt werden, wie es in allen Fällen der Anordnung von Sicherungsverwahrung geschieht. Damit kann in diesem Fall die Geltung der Kriminalprognose nicht aus der Tat und nicht mehr mit dem Zustand begründet werden.228
VII. Ermessen bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung Sind schon bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt im Urteil über die Tat keine klaren Konturen des Ermessensspielraums erkennbar, wird dies bei der nachträglichen SicherungsverwahBGH NStZ 2009, 323, 324; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 166; Fischer § 66b, Rn. 40; anders Finger (2008), S. 76 f. OLG Karlsruhe StraFo 2009, 251, 253 fordert eine „Disposition zur Begehung schwerwiegender Straftaten“. 227 Ullenbruch (2009), S. 144 f. 228 Als einziger Geltungsgrund kommt eine Gestaltungswirkung des Urteils, das die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnete in Betracht. Zu der Gestaltungswirkung im Fall der Sicherungsverwahrung: Unten: H.I.2. 226
VIII. Fazit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung
211
rung noch verschärft: Während für die originäre Anordnung auf die mögliche Berücksichtigung der voraussichtlichen Wirkung der Strafverbüßung verwiesen wird, kann dies bei der Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung weniger und bei § 66b StGB überhaupt nicht überzeugen. Die Überlegung, ob für den Betroffenen mildere Maßnahmen zur Absenkung der Straftatenwahrscheinlichkeit zur Verfügung stehen,229 ist keine Frage der Ermessenausübung, sondern der Verhältnismäßigkeit. Auch hier scheitert der Versuch, der notwendigen Unsicherheit des Ergebnisses der Kriminalprognose mit einer normativen Unklarheit zu begegnen.230
VIII. Fazit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung Bereits vor den Rechtsänderungen der vergangenen Jahre wurde das Recht der Sicherungsverwahrung massiv kritisiert. So stand nicht nur die Möglichkeit, ausreichend genaue Prognosen zu treffen im Blickpunkt der Kritiker. Vielmehr wurde auch auf die Ununterscheidbarkeit der Sicherungsverwahrung von einer Rückfallstrafe hingewiesen.231 Dieser Problempunkt hat sich durch die neue Rechtsentwicklung nicht erledigt, aufgrund der Absenkung der formellen Voraussetzungen hat sich die Sicherungsverwahrung einer Rückfallstrafe weiter angenähert.232 Daneben ist aber eine maßregelspezifische Flexibilisierung der Sicherungsverwahrung zu erkennen: Durch eine weitgehende Ablösung der Straf- von der Sicherungsfrage wird der Zugriff auf den Täter immer mehr entgrenzt,233 in immer weiterem Umfang gilt die aktuelle Kriminalprognose gegen den Verurteilten. Die formellen Voraussetzungen, die generell für die Abgrenzung des adressierten Täterkreises und individuell für die Begrenzung bestehender Prognoseunsicherheiten überragend wichtig sind,234 werden immer weiter 229
LG Hildesheim, Urteil vom 24.1.2005, Az. 12 Ks 17 Js 4944/94; LG Erfurt, Urteil vom 27.2.2006, Az. 140 Js 60037/00 – 3 Kls. 230 Es liegt geradezu das Gegenteil der von Frisch geforderten Bildung normativer Risikotatbestände vor. 231 Kinzig (1998), S. 19; Jansing (2004), S. 53, 107; Mushoff (2008), S. 290 f.; Schüler-Springorum (1989), S. 147; Weichert (1989), S. 269. Ähnlich: Eisenberg/ Schlüter (2001), S. 188. 232 Ebenso im Ergebnis: Mushoff (2008), S. 290, 292. 233 Kritisch aus empirischer Sicht: LK12-Schöch vor § 61, Rn. 155 ff. 234 Kinzig (1998), S. 19. Zur mangelnden Begrenzungswirkung des Hanges und der begrenzenden Wirkung der formellen Voraussetzungen: LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 66, Rn. 142; vgl. auch Leygraf (2004), S. 440 f. Gegen eine Überbetonung der prognostischen Bedeutung der formellen Voraussetzungen aber LK12-Rissing-van Saan § 66, Rn. 139.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
reduziert. Durch die Absenkung der formellen Voraussetzungen wird die Schwelle, ab der die notwendig unsichere Kriminalprognose gegen den Täter gelten kann, herabgesetzt. Dagegen steigt die der Anlasstat zugeschriebene Indizwirkung. In der Entwicklung von § 66 I, II über §§ 66 III bis zu § 66b II StGB werden die Anforderungen an die verwirkte Freiheitsstrafe durch die Anlasstat immer höher. Dies ist sinnvoll, wenn aus dieser Tat genügend für legitime Kriminalprognose abgelesen werden kann. Denn dann würden die sinkenden Anforderungen an Vorverurteilungen und Vortaten und damit an die Prognosesicherheit durch die höheren Anforderungen an die Anlasstat aufgefangen. Kann allerdings eine schwere Anlasstat die Absenkung der Anforderungen an Vorverurteilung und Vorvollzug nicht kompensieren, dann entwickelt sich die Sicherungsverwahrung zu einer Sanktion, die zwar (aufgrund der hohen Anforderungen an die Anlasstat) nur einen kleinen Kreis von Straftätern adressiert, die aber von immer größerer Unsicherheit bezüglich ihrer materiellen Voraussetzungen geprägt wird. Die Einbeziehung des Vollzugsverhaltens in die Prognosebasis ist nur eingeschränkt tauglich, fehlende Anforderungen an Vortaten und -verurteilungen zu ersetzen. Damit drückt die Absenkung der Anforderungen an Vortaten und Vorverurteilungen bei schweren Anlasstaten die Entscheidung aus, dass solche Täter einer unsichereren Prognose unterstellt werden können als in den Fällen des § 66 StGB. Dies kann sich auf die Überlegung stützen, dass zur Verhinderung schwerer Taten eine geringere Wahrscheinlichkeit solcher Taten genügt. Das überzeugt aber nur dann, wenn die begangenen Anlasstaten auch in der Zukunft drohen. Die Feststellung dieser Wahrscheinlichkeit ist durch die Absenkung der anderen Voraussetzungen erschwert. Die Anlasstat kann indessen den Verlust prognostischer Sicherheit durch den Verzicht auf Vorverurteilungen und Vorvollzug nicht kompensieren.235 Während viele Straftaten nach bisheriger Erfahrung weitere Taten sicherer als alle anderen bekannten Faktoren indizieren, kann für schwere Straftaten dergleichen nicht festgestellt werden. Die Höhe der Strafe für die Anlasstat kann nur insofern etwas über die Gefährlichkeit des Betroffenen aussagen, als dass aus einer schweren Straftat gefolgert werden kann, der Betroffene ist zu erheblichen Rechtsbrüchen bereit. Dies aber ist erst der zweite Schritt der Prognose, es muss zunächst beantwortet werden, ob eine erneute Straftat überhaupt in Aussicht steht, um anschließend die Frage nach deren Ausprägung zu beantworten.236 Zur Klärung der Frage nach der Wahrschein235
Ähnlich: Mushoff (2008), S. 214. Insofern ist es widersprüchlich, bei § 66b StGB eine höhere Wahrscheinlichkeit der Straftatbegehung zu fordern als bei §§ 66, 66a StGB, wird doch in der Regel die Anlasstat als die zukünftige projiziert, werden also die schwereren Taten aus denen der Katalog des § 66b StGB gebildet ist, nur bei höherer Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung verhindert. 236
VIII. Fazit zur Anordnung der Sicherungsverwahrung
213
lichkeit erheblicher Straftaten gibt der Gesetzgeber dem Entscheidenden immer weniger (taugliches) in die Hand. Wenn aber die Bewertung eines vergangenen Verhaltens bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung mehr Gewicht erlangt als die Bewertung der Wahrscheinlichkeit zukünftigen strafbaren Verhaltens, dann kann die Sicherungsverwahrung auch auf Grundlage der überwiegenden Ansicht zur Strafähnlichkeit dieser Sanktion nicht mehr als ethisch farblos gekennzeichnet werden. Sie nähert sich dann der Strafe an. Fast alle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung sind auch schuldrelevant.237 Was beides unterscheidet ist vor allem die Kriminalprognose: Je mehr diese an Bedeutung verliert, desto strafnäher wird die Maßregel. Zwar kann die normative Überlegung, schwerere Anlasstaten führten die Geltung der Kriminalprognose und die in Kauf nahme einer größeren Prognoseunsicherheit herbei, überzeugen. Empirisch kann die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten jedoch nicht ausreichend sicher bestimmt werden. Normative Folge daraus sollte sein, auf Prognosen mit einer zu kleinen und unsicheren Basis keine Freiheitsentziehung zu stützen. Der von der Sicherungsverwahrung adressierte Täterkreis wird differenzierter: Wurde die Sicherungsverwahrung in der Bundesrepublik bis zur ersten Strafrechtsreform zu stark gegen gemeinlästige, vielfach rückfällige Täter eingesetzt, wurden nach der Änderung der Rechtslage nur noch vielfach rückfällige Täter erheblicher Kriminalität erfasst. Durch die Rechtsänderungen seit 1998 erfasst die Sicherungsverwahrung keine homogene Tätergruppe mehr. Während § 66 I StGB schon anhand der formellen Voraussetzungen als ultima ratio der Kriminalpolitik ausgestaltet ist, ist bei § 66b II StGB nur noch die auf geringer Grundlage angenommene Rückfallwahrscheinlichkeit für den Täter kennzeichnend. Diese Entwicklung lässt sich anhand der formellen Voraussetzungen gut verfolgen. Beginnend mit dem § 66 I StGB über § 66 III StGB bis zum bisherigen Endpunkt des § 66b II StGB soll aus immer schmalerer tatsächlicher Basis dasselbe oder sogar mehr Risiko abgelesen werden.238 Es geht um die Verhinderung erheblicher Straftaten durch solche Täter, die bereits strafrechtlich erheblich in Erscheinung getreten sind und bei denen eine nicht akzeptierte Wahrscheinlichkeit erneuter erheblicher Straftaten angenommen wird. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist nicht sicher feststellbar, weshalb Anforderungen an die Erstellung der Feststellung der Wahrscheinlichkeit betont werden. Eine wichtige dieser Anforderungen ist die Begründung der Geltung einer Kriminalprognose gegenüber dem Täter. Dies muss sich durch eine Straftat begründen lassen. Eine weitere Formalisierung der Anordnungsmöglichkeiten ist zu fordern. Dabei ist der Ansatz, 237 238
Kinzig (1998), S. 19. Vgl. Jansing (2004), S. 110 für § 66 III StGB.
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F. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB
die Anforderungen an die Anordnungsmöglichkeit nach Art der begangen Anlasstat zu differenzieren zu begrüßen, da auf diese Weise die gesetzliche Risikoverteilung deutlich wird. Allerdings ist diese Risikoverteilung im geltenden Recht teilweise widersprüchlich. Außerdem muss die gesetzliche Risikoverteilung dazu führen, dass die Erstellung einer Kriminalprognose möglich ist. Jedenfalls § 66b II StGB ist daher zu streichen. § 66b III, 2. Fall StGB ebenfalls, da die Geltung der Kriminalprognose sich aus der Anlasstat begründen muss, nachdem der Zustand dies nicht mehr leistet. Dann müssen die Anforderungen an die Anlasstat denen der §§ 66, 66b I, II StGB entsprechen.
G. Vollstreckungsentscheidungen bei der angeordneten Sicherungsverwahrung Die Abhängigkeit der Rechtsfolge vom Zukünftigen in der Form der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines bestimmten Ereignisses bedingt fortlaufende Überprüfung dieser Entscheidung.1 Im alten Recht der Sicherungsverwahrung war dies nur unvollkommen umgesetzt: Erfolgte die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 42e StGB a. F. durch das Tatgericht, konnte auf eine Änderung der Straftatenwahrscheinlichkeit nicht mehr reagiert werden. Erst nach Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung sah § 42f StGB a. F. die erneute Prüfung der Gefährlichkeit vor. Dies führte zu dem unbefriedigenden Zustand, dass der Vollzug einer überflüssigen Maßregel begonnen werden musste.2 Um dies zu vermeiden ließen die Gerichte teilweise praeter legem die Stellung einer entsprechenden Kriminalprognose vor Vollstreckungsbeginn zu.3 Durch das Erste Strafrechtsreformgesetz wurde zur Behebung dieses Missstandes § 42g I StGB a. F. eingeführt,4 der mit dem heutigen § 67c I StGB identisch war.5 Die Änderung prognostisch relevanter Tatsachen, konnte sich im Rahmen einer neuen Kriminalprognose auswirken. Die Anpassung des Zugriffs auf den Täter an eine Verschlechterung der Kriminalprognose war dagegen nur eingeschränkt vorgesehen.6 Es konnte die einmal angeordnete Maßregel weiter vollstreckt werden. Eine nicht im Urteil angeordnete Sicherungsverwahrung konnte nicht nach Ende des Strafvollzugs angeordnet werden.7 Unter dem Blickwinkel des Zwecks der 1 Vgl. von Hippel (1972), S. 114. Flandrak (1932), S. 125 ff. Vgl. auch die Überlegungen aus früheren Entwürfen des Maßregelrechts, nach denen die Unterbringungen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums jeweils neu angeordnet werden mussten. Dazu: Kammeier (2002), S. 96. 2 Schröder (1970), S. 94 f.; Müller (1981), S. 55. 3 OLG München NJW 1949, 598; OLG Köln NJW 1953, 1196. 4 Dazu: Müller (1981), S. 54 ff. 5 Wortlautnachweise bei LK10-Horstkotte § 67c. 6 Müller (1981), S. 78 betont, dass der Gesetzgeber von einer solchen Anpassung bewusst abgesehen hat und so in Kauf nahm, dass „. . . ein Verurteilter in diesem Fall trotz bestehender Gefährlichkeit in die Freiheit entlassen wird.“ 7 Worauf insbesondere Schröder (1970), S. 94 f. hinweist. Dazu: Müller (1981), S. 78.
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
Sicherungsverwahrung als Maßregel8 war dies inkonsequent. So wurde vorgeschlagen, das Tatgericht im Urteil lediglich die Zulässigkeit der Sicherungsverwahrung aussprechen zu lassen und eine Entscheidung über die Anordnung erst nach der Strafvollstreckung herbeizuführen. Dabei wurde die Einhaltung rechtsstaatlicher Garantien bei der zweiten Entscheidung angemahnt, da es sich bei dieser um einen selbständigen Teil der Verurteilung handele.9 Durch die Einführung der §§ 66a, b StGB ist die Anpassung des Zugriffs auf den Täter bei der Änderung der Kriminalprognose insoweit erweitert worden. Dies kann sich auf noch ältere Wurzeln stützen.10 Das aktuelle Recht der Sicherungsverwahrung ist bemüht, den Täter jeweils der aktuellen Kriminalprognose zu unterstellen. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist als Maßregel nur durch das überwiegende Interesse der Allgemeinheit an der Verhinderung erheblicher Straftaten legitimiert. Ebenso ist die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nur durch die Gefährlichkeit des Verurteilten legitimiert, so dass die Vollstreckung bei Wegfall der Gefährlichkeit sofort zu beenden ist.11
I. Prognoseabhängigkeit Nach § 67c I StGB ist die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen, wenn die Gefährlichkeit nach Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht mehr besteht. Nach § 67d II StGB ist die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen wenn die Gefährlichkeit nicht mehr besteht. Die fortlaufende Prognoseabhängigkeit wird besonders deutlich bei der Bestimmung des § 67d III StGB, nach der die Vollziehung der Sicherungsverwahrung zehn Jahre nur in Ausnahmefällen überschreiten darf,12 wenn der Täter trotz gegenteiliger Vermutung weiter als gefährlich erscheint. Auffallend ist der unterschiedliche Maßstab, nach dem diese Entscheidungen jeweils zu treffen sein sollen: Zunächst fordert die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Stellung einer positi8 Brandt (2008), S. 95 unterscheidet die Perspektive der Freiheit und die Perspektive der Sicherheit. Man könnte dabei auch von Tatstrafrecht und Gefahrenabwehr sprechen. 9 Schröder (1970), S. 95. Ähnlich: Kreuzer/Bartsch (2008), S. 663 ff. de lege ferenda. 10 Henkel (1937), S. 754 mit Hinweis auf Überlegungen von Liszt’s. 11 Grundlegend Nowakowski (1963), S. 117, der darlegt, dass die Fortdauer der Maßregel keinen anderen Anforderungen unterliegen kann als deren Anordnung; Frisch (1983), S. 155; Frisch (1990), S. 378; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 96; MüKo-Veh § 67d, Rn. 18; SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 8; vgl. für § 63 StGB auch OLG Karlsruhe NStZ 1999, 37. 12 BVerfGE 109, 133 (160 f.).
II. Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung
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ven Kriminalprognose.13 Nach überwiegender Ansicht ist eine solche auch bei der Entscheidung über den Beginn der Vollziehung nach § 67c I StGB gefordert.14 Für die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung nach § 67d II StGB dagegen soll eine negative Kriminalprognose erforderlich sein,15 wobei nach Ablauf von zehn Jahren nach § 67d III StGB wieder eine positive Kriminalprognose für die weitere Vollstreckung gefordert wird.16 Es drängt sich die Frage auf, wie die unterschiedlichen Maßstäbe der Entscheidungen und ihr Wechsel sich begründen. Dass die Maßstäbe wandeln, insbesondere von der Anordnungs- zur Entlassungsprognose ist überwiegende Ansicht.17 Wenn sich die Maßregel nur auf eine Kriminalprognose stützt und eine nicht erforderliche Maßnahme zu beenden ist, dann kann eine Änderung im Entscheidungsmaßstab aber nicht begründet werden.
II. Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung Entscheidend für den Maßstab der Entscheidungen über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ist das Verhältnis von Anordnungs- zu Vollstreckungsentscheidung. Unbestritten ist in der Konsequenz, dass die Vollstreckungsentscheidungen Änderungen in der Prognosebasis berücksichtigen sollen.18 Wichtig für das Verhältnis der Entscheidungen zueinander ist der Unterschied der Begründung der Sicherungsverwahrung als Maßregel zu der der Strafe. Während die gesamte Strafvollstreckung durch die Verurteilung begründet ist,19 muss sich die Sicherungsverwahrung durch die jeweils 13 Eingeschränkt auch die Anordnung eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66a I StGB. 14 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 56; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 5; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7, 9; NK-Böllinger/Pollähne § 67c, Rn. 15; anders MüKo-Veh § 67c, Rn. 9. 15 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 86; MüKo-Veh § 67d, Rn. 16; Fischer § 67d, Rn. 8; Streng (1995), S. 112; a. A. SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 8; LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 74. 16 BVerfGE 109, 133 (160 f.); MüKo-Veh § 67d, Rn. 34; LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 67d, Rn. 69; SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 16; NK-Böllinger/Pollähne § 67d, Rn. 50; Boetticher (2005), S. 417. 17 Brandt (2008), S. 98; U. Schneider (2006), S. 421; MüKo-Veh § 67c, Rn. 9. 18 NK-Böllinger/Pollähne § 67c, Rn. 1; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 8; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 13. 19 Geiger (2006), S. 89 m. w. N., 108. Nach dieser Ansicht sind Entscheidungen über die Strafvollstreckung nur für die Vollstreckung, nicht für die Bestrafung relevant, vgl. BGHSt 7, 180 (184); Jescheck/Weigend (1996), S. 834. Anders wohl: Frisch (1983), S. 92 f.; Pollähne (2004), S. 36.
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
aktuelle Kriminalprognose legitimieren lassen.20 Dies wird insbesondere bei einem Vergleich von § 66a II StGB als Anordnungs- und § 67c I StGB als Vollstreckungsentscheidung deutlich. Überwiegend wird der § 66a II StGB als das Gegenstück zu § 67c I StGB angesehen, was die Deutung voraussetzt, dass § 67c I StGB nur zugunsten des Täters wirken kann, da die Vollstreckung ausgesetzt wird.21 Hier soll dagegen eine andere Deutung vorgeschlagen werden: Da die Entscheidung nach § 67c I StGB die Unterbringung begründen muss, wirkt die Norm nicht nur zugunsten des Täters, vielmehr sind die Fälle der Nichtaussetzung hinsichtlich der Kriminalprognose mit den Fällen der Anordnung der Unterbringung insofern gleichzusetzen.22 Der Unterschied zu § 66a II StGB ist die andere Ausgangssituation für die Erstellung der Kriminalprognose, da bei einer gegenüber der ersten Kriminalprognose unveränderten Wahrscheinlichkeit der Vorbehalt nicht zur Anordnung führt und eine Änderung der Tatsachenbasis vorausgesetzt wird, während § 67c I eine unveränderte Wahrscheinlichkeit nicht zur Aussetzung führt und umstritten ist, ob die Aussetzung der Vollstreckung nach § 67c I StGB eine Änderung der Prognosebasis erfordert. 1. Auflösend bedingte Legitimation der Vollstreckung durch die Anordnung Das Verhältnis der Vollstreckungsentscheidung nach § 67c I StGB zur Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil über die Tat wurde zunächst derart bestimmt, dass der Beschluss der Vollstreckungskammer die Entscheidung des Tatgerichts abändert.23 Die Annahme, dass eine unvollständige Entscheidung des Tatgerichts durch das Vollstreckungsgericht ergänzt wird24 konnte sich dagegen nicht durchsetzen. Das BVerfG bestimmt das Verhältnis in seinen Folgen derart, dass die Anordnungsentscheidung die Vollstreckung der Maßregel trägt, bis etwas anderes entschieden wird.25 20
SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 11; Frisch (1990a), S. 769; Nowakowski (1963), S. 118. Anders LK12-Schöch vor § 61, Rn. 145, der die §§ 57 I, 67d II StGB gleichsetzt. 21 So von Freier (2008), S. 305; Jansing (2004), S. 236. 22 Nach Leygraf (2004), S. 441 unterscheiden sich die Prognosen nach §§ 67c, 67d II StGB und § 66a II StGB nicht voneinander. Vgl. auch Pollähne (2006), S. 225: „. . . so dass sich ungünstige Entlassungsprognosen letztlich immer wieder aufs Neue freiheitsentziehungsbegründend auswirken“ (Hervorhebung im Original); Pollähne, 2004, S. 35. 23 LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 6. 24 In diese Richtung: Abweichende Meinung des Richters Hirsch in BVerfGE 41, 1 (11 ff.); Müller (1981), S. 109 f. 25 BVerfGE 41, 1 (3); BVerfG NStZ-RR 2003, 251, 252; BVerfGE 109, 133 (162).
II. Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung
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Die Entscheidung nach § 67c I StGB wird als rein vollstreckungsrechtliche Maßnahme gesehen, die die Anordnung unberührt lasse.26 Dieser Gedanke ist jedoch vom Verhältnis der Strafverurteilung zur Strafvollstreckung auf die Maßregel übertragen. Denn es ist zu fragen, worin dieser Vorrang der Anordnungsentscheidung gegenüber der Vollstreckungsentscheidung für die Sicherungsverwahrung als Maßregel begründet ist. Zentral ist für beide Entscheidungen die Kriminalprognose. Für deren Erstellung wird aber auch von den Vertretern dieser Auffassung eine inhaltliche Bindung an die Anordnungsentscheidung abgelehnt.27 Auch müsste diese Auffassung außerdem den Gegensatz erklären, warum die dann inhaltsgleiche Entscheidung nach § 66a II StGB, die auf der identischen Tatsachenbasis ergeht, den Vollzug bis auf Weiteres trägt, die Entscheidung nach § 67c I StGB aber als rein vollstreckungsrechtliche Maßnahme nicht.28 2. Begründung und Widerlegung dieser Auffassung Das BVerfG begründet ein Gefälle von Anordnungsentscheidung und Vollstreckungsentscheidung mit der möglichen Rechtsfolge. Die Gültigkeit der Anordnungsentscheidung bis auf Weiteres lasse sich daraus erkennen, dass die Entscheidung nach § 67c I StGB nur zu einer Aussetzung der Vollstreckung und nicht zu einer Erledigung der Sicherungsverwahrung führen kann.29 Dieses Argument kann aber nicht überzeugen, soll nicht den Vollstreckungsentscheidungen nach § 67c I und § 67d III StGB unterschiedliche Bedeutung zugemessen werden. Obwohl das Vollstreckungsgericht nur die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung aussprechen kann, ist die Entscheidung über den Vollzug der Sicherungsverwahrung von einer positiven Kriminalprognose abhängig. Dies folgt schon daraus, dass die Maßregel immer unter dem Vorbehalt ihrer Notwendigkeit steht.30 Kann diese Notwendigkeit nicht in jedem Moment überprüft werden, so muss sie es jedenfalls punktuell, wenn das Gesetz die Prüfung fordert. Die Anordnungsentscheidung hat gegenüber den folgenden EntscheiSo LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 8. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 9. Dazu im Einzelnen unten: H.III.5.b)bb)(3). 28 Diesen Gleichklang der Prognosen sehen auch Kreuzer/Bartsch (2008), S. 663. 29 BVerfGE 42, 1 (8 f.). 30 Grünwald (1964) S. 661 fordert die Möglichkeit der Erledigung der Sicherungsverwahrung bei Stellung einer negativen Kriminalprognose durch das Vollstreckungsgericht, denn es: „muss gelten, dass ein Eingriff in die Freiheit nur gegenüber einem gefährlichen Täter zu rechtfertigen ist, nicht gegenüber einem, der früher als gefährlich angesehen worden ist, oder nur vielleicht gefährlich ist.“ 26 27
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
dungen nur das Mehr, dass durch die Anordnung (oder deren Vorbehalt) die Geltung der Kriminalprognose im weiteren Verlauf angeordnet wird. Dass das Vollstreckungsgericht nur die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung aussetzen, diese aber nicht erledigen kann, folgt nicht aus einer übergeordneten Bedeutung der Prognose im Anordnungsurteil, sondern aus der Anordnung der Geltung der Prognose für und gegen den Verurteilten. Die Geltung der Prognose erstreckt sich über die Vollstreckung der Maßregel hinaus, so kann die Aussetzung der Vollstreckung wieder aufgrund einer Prognose widerrufen werden, wenn sich aus gewissen Verhaltensweisen ergibt, dass der Zweck der Maßregel (also die Verhinderung erheblicher Straftaten) die Unterbringung des Verurteilten erfordert, § 67g I, III StGB. Diese Entscheidung fordert ebenfalls eine Prognose.31 Die Entscheidungen nach §§ 67c I, d II StGB (und ebenso die nach § 66a II StGB) füllen die angeordnete Geltung der Kriminalprognose aus und begründen für zwei Jahre deren Vollstreckung. § 67d III StGB nimmt dabei zwar aufgrund der möglichen Erledigung eine Sonderstellung ein, die Entscheidung ist aber ebenfalls durch die Anordnung begründet. Veh bestimmt das Verhältnis der Vollstreckungs- zur Anordnungsprognose so, dass der erlittene Strafvollzug Anlass zur Überprüfung etwaiger Aussetzungsfähigkeit der Anordnung gebe, nicht aber ihre Berechtigung derart in Frage stelle, dass sie völlig neu zu begründen wäre. Dementsprechend wird die dem Urteil zugrunde liegende Prognose auf Grund der später gesammelten Erkenntnisse ergänzt.32 Damit argumentiert Veh nicht mit verschiedenen normativen Maßstäben, er bezieht sich vielmehr auf das empirische Bedenken eingeschränkter Relevanz der Erkenntnisse aus dem Strafvollzug. Wenn er die Erkenntnis ausspricht, dass viele und nach heutiger Kenntnis sehr wichtige Anknüpfungstatsachen (Legalbiographie) in der Vergangenheit liegen und also keiner Änderung zugänglich sind, so kann das nicht von der normativen Pflicht entbinden, den ausschließlich durch einen aktuellen Zustand begründeten Zugriff auf den Untergebrachten durch eine aktuelle Feststellung zu begründen. Der Umschwung des Maßstabs zuungunsten des Untergebrachten lässt sich aber nicht damit begründen, dass er früher gefährlich war. Die empirische Argumentation Vehs wird deutlich, wenn er fordert, dass sich die Verneinung der Erforderlichkeit weiterer Vollstreckung auf neue Erkenntnisse stützen müsse und eine vom erkennenden Gericht lediglich abweichende Bewertung früherer Fakten nicht genügt.33 Dabei wird die Veränderung der prognostischen Relevanz mit Zeitablauf aber nicht berücksichtigt. 31 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67g, Rn. 18; Sch/Sch-Stree § 67g, Rn. 4, 6; SK-StGB-Sinn § 67g, Rn. 3. 32 MüKo-Veh § 67c, Rn. 9 m. w. N. 33 MüKo-Veh § 67c, Rn. 9 m. w. N.
II. Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung
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Eine Begründung wird auch nicht gegeben, wenn argumentiert wird, dass die Entlassungsprognose einen möglichst geringen Anteil an falsch-negativen Prognosen, die Anordnungsprognose dagegen als ultima ratio des Strafrechts ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit fordert.34 Denn die Sicherungsverwahrung ist materiell als Maßregel nicht durch Vergangenes legitimiert, sie muss sich jeweils aktuell durch die aktuell bestehende nicht hinnehmbare Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten begründen. Hirsch stellt fest, dass erst die gerichtliche Entscheidung nach § 67c I StGB ausspricht, „ob der Verurteilte auch jetzt noch als gefährlicher Hangtäter anzusehen ist, dessen Verwahrung zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist.“35
Bei der von der jeweiligen Kriminalprognose abhängigen Sicherungsverwahrung ist die Verwahrung immer nur durch die aktuelle Kriminalprognose zu legitimieren, sie beruht nicht auf der zeitlich überholten Anordnungsentscheidung.36 Dies ergibt sich daraus, dass nur notwendige Sicherungsverwahrung anzuordnen und zu vollziehen ist.37 Diese Notwendigkeit wird aber in beiden Entscheidungen geprüft. Ein Gefälle wie bei der Strafverurteilung und späterer Entscheidung über den Vollzug der durch die rechtskräftig festgestellte Tat verwirkten Strafe besteht hinsichtlich der Legitimation eines Freiheitsentzugs aufgrund der Dynamik prognoserelevanter Zustände normativ38 gerade nicht. Wenn aber eine Bindung an frühere Prognoseergebnisse bei der notwendig auf der aktuellen Tatsachengrundlage zu erstellenden Prognose nicht erfolgen kann, dann kann sich dieses Übergewicht der Anordnungsprognose nur aus einer an das Verhältnis von Strafverurteilung und Strafvollstreckung orientierten Interpretation des Maßregelrechts ergeben. Die Entscheidungen über die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung bzw. deren Erledigung haben konstitutive Wirkung für den Vollzug der Maßregel. Vollzug von Sicherungsverwahrung, der nicht auf eine aktuelle Vollstreckungsprognose gestützt ist, verletzt das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten.39 34 U. Schneider (2006), S. 431, die nicht zwischen der Entlassung aus der Freiheitsstrafe aufgrund einer Prognose und der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung trennt. Ähnlich Brandt (2008), S. 98. 35 Abweichende Meinung des Richters Hirsch in BVerfGE 42, 1 (19 f.). 36 Vgl. LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 28, der der Entscheidung des BVerfG lediglich im Ergebnis und aus pragmatischen Erwägungen zustimmt. Ähnlich auch Schröder (1970), S. 95: „konstitutive Entscheidung über den Vollzug der Maßregel“. 37 BVerfGE 70, 297 (313) für die Unterbringung nach § 63 StGB: „Stets bleibt die Fortdauer der Unterbringung an ihren Zweck gebunden.“; ähnlich BVerfGE 91, 2 (30); LK12-Schöch vor § 61, Rn. 37 f.; Grünwald (1964), S. 240. 38 Empirisch steht die eingeschränkte prognostische Relevanz des Vollzugsherhaltens auch hier im Raum. Die sichersten Prognosefaktoren bleiben Anlasstat und Vortaten, die vergangen und nicht dynamisch sind.
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
3. Permanente Justizpflicht – Notwendigkeit aktueller Legitimation Gegenüber den späteren Entscheidungen hat die Anordnungsentscheidung nach § 66 StGB und die Anordnung eines Vorbehalts nach § 66a I StGB den Unterschied, dass sie zuerst erfolgt und dass sie im Urteil über die Tat erfolgt. Ein Übergewicht in der Rechtfertigung des Freiheitsentzuges haben sie aber deswegen nicht, weil bei der Maßregel dieser nur durch den Zustand des Täters berechtigt ist, der Zustand des Täters aber gerade nicht feststeht.40 Ein Übergewicht hat die zeitlich erste Reaktion auf eine positive Kriminalprognose nur insofern, als sie die Folgeentscheidung begründet. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung und deren Vorbehalt bedeuten, dass der Verurteilte die jeweils aktuelle Kriminalprognose auf der jeweils aktuellen tatsächlichen Grundlage gegen sich gelten lassen muss. Abschließend festgestellte Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten kann es nur für die jeweilige Situation geben.41 Daher muss die jeweils aktuelle Prognose den Vollzug begründen.42 Die Vollstreckungsaussetzung ist geboten, wenn sich die positive Kriminalprognose nicht erstellen lässt.43 Die Überlegung, dass eine aufgrund der abgeschlossenen Erkenntnis einmal getroffene rechtliche Bewertung von nun an maßgeblich ist, ist eine Folge der Rechtskraft dieser Bewertung.44 Die einmal abgeschlossene strafrechtliche Bewertung einer unveränderlichen Tat ist nur im Ausnahmefall 39
Abweichende Meinung des Richters Hirsch in BVerfGE 41, 1 (12); für § 67d II StGB: BVerfGE 70, 297 (316 f.); Teysen (1989), S. 411; bei verschuldeter Überschreitung der Überprüfungsfrist für die Sicherungsverwahrung: BVerfG NStZ-RR 2005, 92; BVerfGE 42, 1 (11); für die Entscheidung nach § 67d III StGB: BVerfGE 109, 133 (162). 40 Diesen Unterschied von Maßregel, die durch dynamische Zustände legitimiert wird und der Strafe, die durch feststehende, vergangene Umstände begründet wird betont SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 11, § 67d, Rn. 8. Ähnlich Nowakowski (1963), S. 118. 41 Die maximale Länge einer solchen lässt sich aus § 67e II StGB entnehmen: 2 Jahre. 42 Frisch (1983), S. 155: „. . ., daß die in der Nichtaussetzung sachlich liegende Anordnung der Fortdauer der Maßnahme keinen anderen Legitimationsvoraussetzungen unterliegen kann als die Anordnung selbst . . .“; Nowakowski (1963), S. 117 f., nach dem die Freiheitsbeschränkung rechtswidrig wird, sobald die Gefährlichkeit entfällt, die zur Verhängung der Maßnahme nötig ist, da sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr durch das überwiegende Interesse gerechtfertigt ist. NK-Pollähne/ Böllinger vor § 67, Rn. 28 sprechen vom Aktualitätsprinzip. 43 SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 11. Für § 63 StGB de lege ferenda Baur (1990), S. 485, der deswegen einen § 67d IIa StGB vorschlägt. Nach diesem: „. . . ordnet das Gericht die weitere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus um höchstens ein Jahr an, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs erhebliche Straftaten begehen wird . . .“
II. Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung
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der erfolgreichen Wiederaufnahme nicht mehr maßgeblich. Die Prognose als Futurum im Präsens hat aber immer nur Geltung im Präsens,45 der Rahmen wird von § 67e II StGB gestellt. Als Maßregel muss sich die Sicherungsverwahrung aktuell legitimieren, nicht die einmal angeordnete Sicherungsverwahrung entkräftet werden.46 Dagegen scheint insbesondere das BVerfG von der Überlegung auszugehen, dass die einmal angeordnete Sicherungsverwahrung die Vollstreckung für zehn Jahre unter gegenüber der Anordnung herabgesetzten Anforderungen ermöglicht. Denn es ist nur sinnvoll nach zehn Jahren eine Ungefährlichkeitsvermutung bei der Prüfung der Gefährlichkeit zu verlangen,47 wenn vorher eine solche nicht galt. Die Argumentation, es sei im Gesetz die einmalige Prüfung der Gefährlichkeit, anschließend nur noch die Prüfung dieses Ergebnisses mit einer zehn Jahre geltenden Richtigkeitsvermutung vorgesehen, lässt sich nur dann begründen, wenn die abgeschlossenen prognoserelevanten Faktoren deutlich überwiegen.48 Dass der Gesetzgeber selbst nicht davon ausgeht, ist aber schon aus den §§ 66a, b StGB erkennbar. Es bleibt der Gleichlauf von Anordnungsund Vollstreckungsentscheidung bestehen,49 der aus der Prämisse resultiert, dass nur bei Vorliegen der Gefährlichkeit die Sicherungsverwahrung statthaft ist. Wo Freiheitsentzug nicht zu legitimieren ist, muss er unterbleiben. Das ist der Fall, wenn die Folgeentscheidungen über die Sicherungsverwahrung keine positive Kriminalprognose stellen.50 Besonders deutlich wird der Gleichlauf der Entscheidungen bei einem Vergleich der Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB mit einer Anordnung nach § 66a StGB: In beiden Fällen wird im Urteil über die Anlasstat die Erfüllung der formellen Voraussetzungen festgestellt, in beiden Fällen wird in diesem Urteil eine Kriminalprognose erstellt. Diese 44 Die Schaffung von Rechtsfrieden (Rechtssicherheit) ist neben dem Vertrauensschutz gerade der Geltungsgrund für die Rechtskraft: BGHSt 52, 213 (216); LR26-Kühne Einleitung K, Rn. 79. 45 von Hippel (1976), S. 52 f. 46 SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 11, 15. Anders: Streng (1995), S. 111 f. der die Notwendigkeit einer Neubegründung für § 67c I StGB annimmt aber nicht für § 67d II StGB. 47 So BVerfG 109, 133 (161). 48 Was nicht der Fall ist: In den Merkmalen der HCR-20 und der PCL-R überwiegen diese nicht. Dazu Habermeyer (2006), S. 60, nach dem aber die statischen Merkmale vorwiegend herangezogen werden. Vgl. auch Seifert et al. (2003), S. 302 mit dem Hinweis, dass bei den Entlassungsprognosen dynamische Merkmale im Vordergrund stehen. 49 Für diesen Gleichlauf: Frisch (1983), S. 154; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 16; Nowakowski (1963), S. 117 f. 50 Frisch (1983), S. 155, Fn. 601; Stree (1962), S. 102 (für die Prognose nach § 42e StGB a. F.).
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
resultiert im einen Fall in der Anordnung der Sicherungsverwahrung im anderen Fall in deren Vorbehalt. In beiden Fällen wird nach dem Ende der Strafvollstreckung erneut eine Kriminalprognose erstellt gemäß § 67c I StGB beziehungsweise gemäß § 66a II StGB. Diese Kriminalprognose stützt sich in beiden Fällen auf das bisher Bekannte und das inzwischen erkennbar gewordene, insbesondere das Vollzugsverhalten. In beiden Fällen wird durch eine positive Kriminalprognose die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung für die maximale Dauer von zwei Jahren (§§ 67d II, 67e I, II StGB) legitimiert. Ein Stufenverhältnis, das nach der hier abgelehnten Ansicht bestehen müsste, lässt sich nicht überzeugend begründen.51
III. Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach § 67c I StGB Bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB ist nach Strafvollstreckung zu entscheiden, ob der Zweck der Maßregel deren Vollstreckung noch erfordert. Es ist unstreitig, dass eine erneute Kriminalprognose zu erstellen ist.52 Hier endet aber der Konsens, es ist insbesondere streitig, zu welchem Ergebnis die Kriminalprognose führen muss, um die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zu legitimieren und in welchem Ausmaß das Vollstreckungsgericht an die Prognose des Tatgerichts gebunden ist.53 1. Anforderungen an das Ergebnis der Vollstreckungsprognose Zum Ergebnis der die Vollstreckung legitimierenden Prognose werden zwei Ansichten vorgeschlagen. Es wird ein Gleichlauf mit der Anordnungsprognose im zu fordernden Ergebnis vertreten.54 Stützen kann sich diese Forderung insbesondere auf die Überlegung, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB eine hypothetische Kriminalprognose fordert und über die tatsächliche Verwahrung erst in diesem Stadium entschie51
Auch dass das Tatgericht die Kriminalprognose in einer Hauptverhandlung erstellt, das Vollstreckungsgericht aber nur im Beschlussverfahren, rechtfertigt keine solche Betrachtung, denn dieser Unterschied betrifft das Verfahren, nicht aber die Bedeutung der Entscheidung. 52 MüKo-Veh § 67c, Rn. 6 ff.; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 5. 53 MüKo-Veh § 67c, Rn. 9; Müller (1981), S. 109 f.; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 48; zum alten § 42g StGB: Schröder (1970) S. 94 f. 54 SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 5; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 56; NK-Pollähne/Böllinger § 67c, Rn. 17; Streng (1995), S. 112.
III. Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung
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den wird.55 Denn im Urteilszeitpunkt wird die Prognose im Regelfall unter Ausblendung der zukünftigen Ereignisse im Strafvollzug gestellt, die zu beantwortende Frage lautet: Erforderte die Kriminalprognose eine Verwahrung des Täters, wenn er sofort in Freiheit gelangte. Die Entscheidung, ob der Täter wegen der Kriminalprognose zusätzlichen Freiheitsentzug zu erdulden hat, stellt sich erst bei der Entscheidung nach § 67c I StGB.56 Diese Betrachtungsweise ist durch Einführung des § 66a StGB bekräftigt. Nach dessen Abs. II ist die entscheidende Prognose ebenfalls erst nach Vollzugsende zu stellen. Nach der Gegenansicht soll eine Beweislastumkehr eintreten, so dass die Aussetzung der Sicherungsverwahrung nur eintreten soll, wenn die Kriminalprognose ergibt, dass vom Täter keine Straftaten mehr zu erwarten sind, zu prüfen ist danach nicht, ob eine positive Kriminalprognose gestellt werden kann, sondern vielmehr, ob die ursprünglich positive Prognose weggefallen ist.57 Diese Ansicht kann sich vor allem auf die Systematik des § 67c StGB stützen, da in Abs. 2 die positive Anordnung der Vollstreckung gefordert wird, in Abs. 1 Satz 2 aber nur die Aussetzung vorgesehen ist. Dies kann aber nicht darüber hinweghelfen, dass die Maßregel sich jeweils auf aktueller Tatsachengrundlage legitimieren lassen muss. Sie muss nicht durch eine Prognose delegitimiert werden,58 wie die bereits begründete Bestrafung. Dass das Vollzugsverhalten für die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten weniger aussagekräftig ist als die statischen Faktoren Vor- und Anlasstat bleibt unabhängig davon richtig, beeinflusst aber nicht die normative Anforderung an die Freiheitsentziehung. Zwar bedeutet dieser Streit nur einen geringen Unterschied, es lässt sich aber nicht in Abrede stellen, dass die Entscheidung nach § 67c I StGB den Vollzug begründet.59 Die Heranziehung eines Sachverständigen ist nach überwiegender Ansicht nur notwendig, wenn das Gericht eine Aussetzung der Vollstreckung erwägt.60 Dies kann sich auf den Wortlaut der §§ 463 III 4, 454 II StPO stützen.61 55
Müller (1981), S. 71. So Schröder (1970), S. 94 f.; abweichende Meinung des Richters Hirsch in BVerfGE 42, 1 (14 f.). 57 BVerfGE 42, 1 (8); MüKo-Veh § 67c, Rn. 9; Müller (1981), S. 135. 58 NK-Böllinger/Pollähne § 67c, Rn. 18 f.; Frisch (1983), S. 154. Hierin liegt der Unterschied zur Aussetzung einer rechtskräftig verhängten Strafe zur Bewährung: Die Strafe ist durch die Verurteilung für einen bestimmten Zeitraum legitimiert, sie kann aber unter anderem durch eine Kriminalprognose delegitimiert werden. Zu diesem Unterschied: Nowakowski (1963), S. 118. 59 SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 16; abweichende Meinung des Richters Hirsch in BVerfGE 41, 1 (15). 60 BVerfG NStZ-RR 2003, 251; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 237; OLG Hamburg ZfStrVO 1999, 246 ff.; Thür. OLG StV 2001, 26 f.; a. A. für § 67d StGB OLG Celle NStZ 1999, 159; OLG Koblenz StV 1999, 496. Dazu im Einzelnen unter G.V. 56
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
2. Geltung für §§ 66a, b StGB Weiter ist problematisch, ob § 67c I StGB auch für die Fälle der §§ 66a und b StGB gilt. Zwar wurde davon teilweise ausgegangen,62 richtig ist jedoch die Gegenansicht, nach der in diesen Fällen § 67c StGB nicht anzuwenden ist.63 Dieses Ergebnis ergibt sich aus dem Zweck der Vorschriften, § 67c I StGB macht bei angeordneter Sicherungsverwahrung deren Vollstreckung von einer Prognose unter Einbeziehung der Erkenntnisse über den Täter im Strafvollzug abhängig,64 diese Erkenntnisse sind in den Fällen der nachträglichen Anordnung aber schon in die Anordnungsprognose eingestellt.65 Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn sich der Zeitpunkt der Anordnung nach § 66a II StGB erheblich von dem einer nach § 67c I StGB vorzunehmenden Prüfung unterscheidet. Da aber für beide der Zeitpunkt ähnlich ist,66 ist eine Anwendung überflüssig. 3. Gefährlichkeitswechsel während des Strafvollzugs Umstritten ist für die Entscheidung nach § 67c I StGB der Umgang mit einem Wechsel der Gefährlichkeit. Dabei wird vertreten, dass eine Aussetzung trotz Gefährlichkeit in Betracht kommt, wenn die Gefahrenmomente nicht mit dem die Unterbringung begründenden Hang im Zusammenhang stehen, wobei aber eine bloße Verlagerung des kriminellen Handlungsfeldes nach dieser Ansicht keine Aussetzung herbeiführt.67 Danach kann die Sicherungsverwahrung nicht vollstreckt werden, wenn der Untergebrachte nunmehr wegen einer psychischen Krankheit gefährlich ist, es kann aber wegen Sexualdelikten angeordnete Sicherungsverwahrung vollstreckt werden, wenn nunmehr Raubtaten erwartet werden.68 Die Gegenansicht lässt eine Vollstreckung wegen der Erwartung andersartiger Taten nicht zu.69 Nach hier vertretener Ansicht kann sich die Verlagerung der erwarteten Taten nur dann auswirken, wenn für die befürchteten Taten eine legitimie61
Kritisch Schüler-Springorum (1989), S. 151. Verfassungsrechtlich ist dies nach BVerfG, Beschluss vom 8.7.2010, Az. 2 BvR 1771/09 nicht zu beanstanden. 62 Fischer § 67c, Rn. 2, 55. Aufl. 63 Finger (2008), S. 92; MüKo-Veh § 67c, Rn. 5; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 20, vgl. aber die gegenteilige Aussage bei § 66b, Rn. 143. So jetzt auch Fischer § 67c, Rn. 2. 64 Müller (1981), S. 107; vgl. auch LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 3. 65 MüKo-Veh § 67c, Rn. 5. 66 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 20; MüKo-Veh § 67c, Rn. 5. 67 MüKo-Veh § 67c, Rn. 7, 8. 68 MüKo-Veh § 67c, Rn. 7, 8. 69 LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 90; SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 9.
IV. Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung
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rende Kriminalprognose nicht gestellt werden kann. Die Auswechselung der abzuwehrenden Gefahr ist im Bereich der andersartigen befürchteten Straftat zulässig, setzt aber eine Prognose der neuen Straftat mit ausreichend legitimierender Wirkung voraus. Diese muss sich auf Vortaten stützen.70
IV. Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung nach § 67d II StGB Für die Entscheidung über die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung nach § 67d II StGB wird überwiegend eine negative, also für den Täter günstige Kriminalprognose verlangt, die Vollstreckung soll nicht schon dann ausgesetzt werden, wenn eine positive Kriminalprognose nicht mehr erstellt werden kann. Vielmehr wird argumentiert, es gehe um die Aufhebung einer durch rechtskräftige Anordnung einstweilen legitimierten Sanktion.71 Die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ist dann nur auszusetzen, wenn eine negative Kriminalprognose erstellt wird, also keine weiteren erheblichen Straftaten erwartet werden, was vor allem mit dem Wortlaut des § 67d II StGB begründet wird.72 1. Anforderungen an das Ergebnis der Vollstreckungsprognose Die Sicherungsverwahrung ist nach § 67d II StGB zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Der Wortlaut § 67d II StGB fordert ausdrücklich eine negative Kriminalprognose, also die Erwartung künftigen Legalverhaltens.73 Da die Sicherungsverwahrung als Maßregel unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit steht, müssen solche Taten vom Untergebrachten befürchtet werden, deren Abwendung eine Anordnung der Sicherungsverwahrung begründet, also erhebliche Straftaten74. Unstrittig ist die Vollstreckung auszusetzen, wenn Ähnlich LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 71 wonach nur eine auf die Anlasstat bezogene symptomhafte Gefährlichkeit die Aussetzung hindert. 71 Streng (1995), S. 112; MüKo-Veh § 67d, Rn. 20; Müller (1981), S. 135 stellt darauf ab, dass durch die Anordnungsentscheidung schon begründet ist, dass gegen den Täter präventiv vorgegangen werden kann. 72 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 91 f.; MüKo-Veh § 67d, Rn. 18; Laubenthal (2004), S. 727 f.; Streng (1995), S. 112. Argumente gegen die Begründung dieses Ergebnisses mit dem Wortlaut des § 67d II StGB a. F. finden sich bei Frisch (1983), S. 155, Fn. 601. 73 LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 92; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 86; MüKo-Veh § 67d, Rn. 16; Fischer § 67d, Rn. 8. 70
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten unter die Anordnungsschwelle absinkt.75 Umstritten ist, was die Folgen der Forderung nach einer negativen Prognose für die Entscheidung bedeuten. Wie dargelegt setzen Anordnung und Vollstreckungsbeginn danach eine positive, Aussetzung der Vollstreckung nach ihrem Beginn eine negative und Weitervollstreckung nach Ablauf von zehn Jahren wieder eine positive Kriminalprognose voraus.76 Die Rechtfertigung einer Maßregel hängt von der Prognose und damit von den prognoserelevanten Tatsachen ab. Diese aber stehen nicht fest (wie Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld), sondern sind veränderlich. Daher muss sich die Maßregel jeweils auf aktueller Tatsachengrundlage neu legitimieren lassen.77 Anderes könnte nur gelten, wenn der Kriminalprognose aufgrund der überwiegenden Bedeutung statischer Prognosetatsachen die Vermutung einer Beständigkeit zukommt. Wenn die Vollstreckung gemäß § 67d III StGB erst nach Ablauf von zehn Jahren wieder eine die weitere Vollstreckung begründende positive Kriminalprognose fordert, scheint die Anordnungsprognose bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Richtigkeitsvermutung ausgestattet. Der Forderung nach einer negativen Kriminalprognose liegt die Vorstellung zugrunde, die Maßregelanordnung durch das erkennende Gericht sei bis zum Eintritt außergewöhnlicher Umstände eine ausreichende Grundlage des Freiheitsentzuges und deshalb im Zweifel zu respektieren.78 Es ist jedoch fraglich, ob diese angenommene Beständigkeit der Prognose sich begründen lässt. Empirische Kritik an der Fortschreibung der Anordnungsprognose greift nur deren praktische Konsequenzen an, wenn bemängelt wird, diese Ansicht lähme die Verantwortungsfreude der Strafvollstreckungskammer.79 Gegen eine solche Beständigkeit der Anordnungsentscheidung spricht insbesondere, dass die Prognose veränderlich ist. So wird zutreffend gegen diese Vorstellung argumentiert: „Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Voraussetzungen für den Beginn einer Unterbringungsvollstreckung anders zu bestimmen als für deren Fortsetzung.“80 74
MüKo-Veh § 67d, Rn. 17; Sch/Sch-Stree § 67d, Rn. 9; SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 9; Fischer § 67d, Rn. 6a; NK-Böllinger § 67d, Rn. 23. Ähnlich Nowakowski (1963), S. 117 f.; Frisch (1983), S. 154 f. 75 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 96; Sch/Sch-Stree § 67d, Rn. 14; MüKo-Veh § 67d, Rn. 18; SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 8; vgl. für § 63 StGB auch OLG Karlsruhe NStZ 1999, 37; Volckart/Grünebaum (2003), S. 257. 76 So auch der Überblick bei Laubenthal (2004), S. 726 ff. 77 Frisch (1983), S. 154 f. Ähnlich Fischer § 67d, Rn. 12. 78 LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 79; MüKo-Veh § 67d, Rn. 20. 79 LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 79. 80 SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 8.
IV. Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung
229
Der Überlegung, dass sich bei den selbständigen Entscheidungen von § 20a StGB a. F. und § 42e StGB a. F. die erste auf gegenwärtige Gefährlichkeit beziehe und letztere nur auf die Fortdauer der Gefährlichkeit,81 wurde vom Reichsgericht überzeugend entgegengehalten, dass eine sinnvolle Prüfung der Gefährlichkeit immer die der gegenwärtigen Gefährlichkeit ist.82 Außerdem ist der immer weitere Bedeutung gewinnenden Beeinträchtigung des Freiheitsgrundrechts des Untergebrachten durch die Dauer der Unterbringung Rechnung zu tragen, so dass die Fortdauer nicht von weniger strengen Maßstäben abhängen kann als die Anordnung.83 Es scheint die Diskussion von einer Vermengung zweier Probleme geprägt. Es ist zu unterscheiden zwischen der Frage einer ausreichenden Legitimation auch der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung und der Anwendung des Zweifelssatzes auf die Vollstreckungsprognosen.84 Wenn aufgrund des Wortlauts des § 67d II StGB argumentiert wird, da eine günstige Prognose vorausgesetzt sei, gingen Zweifel zu Lasten des Untergebrachten,85 ist dagegen festzustellen: Wie oben dargestellt, lässt sich der Zweifelssatz ohnehin nur auf das Vorliegen der prognostisch relevanten Tatsachen anwenden, da die Erfahrungssätze bis auf weiteres unsicher bleiben werden und die Setzung des Umschlagspunktes normativ geschieht. Prognostisch ungünstige Tatsachen müssen zur Überzeugung des Gerichts vorliegen (§ 261 StPO), auf diese werden die jeweils aktuellen Erfahrungssätze angewandt, anschließend ist unter Beachtung der bei der Setzung des Umschlagspunktes relevanten Faktoren über die Gefährlichkeit zu entscheiden. Dass der Zweifelssatz bei der Entscheidung nach § 67d II StGB nicht gilt, lässt sich nicht begründen. Damit reduziert sich der Streit auf den Umgang mit dem prognostischen Mittelfeld: Wie ist der Umschlagspunkt einer positiven zu einer negativen Kriminalprognose zu setzen. Wird aus dem Wortlaut gefolgert, Zweifel ginge zu Lasten des Verurteilten, so meint dies nicht die Frage nach dem Vorliegen bestimmter Tatsachen, sondern die normative Frage der Bewer81
Vgl. Grünwald (1964), S. 240. RGSt 68, 385; Grünwald (1964), S. 240. 83 Diese strengeren Anforderungen an die Fortdauer beziehen sich dabei materiell auf die Verhältnismäßigkeit der abgewendeten Tat zur Dauer der Unterbringung als auch formell auf das Zustandekommen der Fortdauerentscheidung. 84 Zu letzterem: OLG Köln NJW 1955, 682; LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 30; LK11-Hanack vor § 61, Rn. 51; Streng (1995), S. 112; Müller (1981), S. 135. 85 Müller (1981), S. 135; MüKo-Veh § 67d, Rn. 19; Sch/Sch-Stree § 67d, Rn. 7; Lackner/Kühl § 61 Rn. 5. So wohl auch BVerfGE 109, 133 (161), das für § 67d III StGB gerade annimmt, dass die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären ist, wenn das Gericht an der Wahrscheinlichkeit erheblicher Tat zweifelt. Dies ist nur dann Ausdruck der gewachsenen Bedeutung des Freiheitsgrundrechts, wenn zuvor Gegenteiliges gilt. 82
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
tung einer Wahrscheinlichkeit. Falsch wäre es, hier anzunehmen, § 67d II StGB enthielte Vorgaben für diese Setzung des Umschlagspunktes, da bei dieser Prognose den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit höhere Bedeutung eingeräumt wird als bei der Anordnung der Maßregel und vor Beginn ihrer Vollstreckung. Ebenso kann ein solches Ergebnis nicht aus der Systematik von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung gefolgert werden, weil erstere ausreichende und zu beachtende Grundlage des Freiheitsentzuges darstellte.86 Wie angezeigt beruht eine solche Auffassung auf einer unzutreffenden Parallele zu §§ 56, 57 StGB87 und ist normativ nicht zu begründen. Grundsätzliche Legitimationserwägungen können durch den Gesetzgeber nicht überspielt werden,88 so dass die Maßregelvollstreckung auf aktueller Tatsachengrundlage zu begründen ist. Der gegen eine Gleichsetzung sprechende Unterschied ist, dass der Strafausspruch den gesamten Zugriff auf den Täter in diesem Zeitraum begründet, die Unterbringungsanordnung aber nur den Zugriff auf den jeweils aktuell gefährlichen Täter. Die Legitimationsanforderungen der Fortdauer der Maßnahme sind daher dieselben wie die einer Anordnung.89 In Anlehnung an Frisch: Wie soll eigentlich dem Untergebrachten gegenüber argumentiert werden, wenn dieser fragt, warum er noch untergebracht ist, obwohl sein jetziger Zustand den Beginn einer Unterbringung nicht begründet hätte? Das wird verkannt, wenn eine negative Kriminalprognose für die Aussetzung gefordert wird, wenn also die Aussetzung zur Bewährung von der Erwartung künftiger Legalbewährung abhängig gemacht wird.90 Die Maßregel steht zu jeder Zeit unter der Voraussetzung der Erforderlichkeit. Nur wenn das Gericht der Überzeugung ist, der Täter werde ohne die Maßregel erhebliche Straftaten begehen, ist sie anzuwenden. An dieser normativen Notwendigkeit kann weder die rechtskräftige Anordnung, noch die faktische Fortschreibung der Anord86 So aber MüKo-Veh § 67d, Rn. 20 m. w. N.; Streng (1995), S. 112; Baur (1990), S. 481. 87 SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 8. Vgl. auch Brandt (2008), S. 98 und U. Schneider (2002), S. 421, die den Unterschied von Anordnungs- und Entlassungsprognose zu stark an der Entscheidung über die Strafrestaussetzung ausrichten. Ähnlich LK12-Schöch vor § 61, Rn. 67, der für das Verhältnis von Anordnungs- und Aussetzungsentscheidung ausdrücklich von Strafrestaussetzung spricht. 88 Frisch (1983), S. 155, Fn. 601. 89 Nowakowski (1963), S. 117 f.; Frisch (1983), S. 155; SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 8. Fischer § 67d, Rn. 6 geht davon aus, dass die Fortdauer der Unterbringung „strukturell nicht das Fehlen einer günstigen sondern die (neue) Feststellung einer negativen Prognose“ voraussetzt. Warum dies nur strukturell vorausgesetzt wird, bleibt unklar. von Harbou (1999), S. 108 betont, dass ausdrücklich eine Schlechtprognose zu stellen ist, die die weitere Vollstreckung begründet. 90 So MüKo-Veh § 67d, Rn. 18. Vgl. auch LK12-Schöch vor § 61, Rn. 145, der die Voraussetzungen der Maßregelaussetzung wie die der Strafrestaussetzung nach § 57 I StGB behandelt.
IV. Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung
231
nungsprognose etwas ändern: Lässt sich die Maßregel nicht begründen, ist sie auszusetzen.91 Wie bei der Anordnung muss sich die Prognose auf erhebliche Straftaten beziehen.92 Nur bei einer einheitlichen Interpretation der Voraussetzungen von Anordnung, Vollstreckungsbeginn und Nichtaussetzung der Vollstreckung ergibt auch die Auffassung des BVerfG Sinn, die Überprüfungen nach § 67c I und § 67d II StGB seien nach Verfahrensanforderungen und hinsichtlich der jeweiligen materiellen Maßstäbe gleichartig.93 Zusätzlich kann die steigende Bedeutung, die das Freiheitsgrundrecht durch Zeitablauf bei der Setzung des Umschlagspunkts erhält, nur zu einer Steigerung der Anforderungen an die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung führen. Dann ist eine Absenkung der Voraussetzungen gegenüber Anordnung und Vollstreckungsbeginn verfehlt. 2. Gefährlichkeitswechsel während des Vollzugs Wie für die Entscheidung über die Aussetzung nach Strafvollzug ist bei der Entscheidung während des Maßregelvollzugs problematisch, ob ein Wechsel der Gefährlichkeit zu berücksichtigen ist. Die Frage wird hier aber unter anderen Aspekten diskutiert, weil der Wortlaut des § 67d II StGB nicht den Zweck der Unterbringung in Bezug nimmt.94 Teilweise wird ebenfalls bei einer Veränderung des kriminellen Handlungsfeldes die Anordnung nicht als Legitimation für die (weitere) Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zugelassen.95 Die Gegenansicht zieht die Grenze erst bei einem Wechsel der Maßregelvoraussetzungen: Danach ist der Wechsel der prognostizierten Delikte unbeachtlich, beachtlich nur der Wechsel des Grundes für die Befürchtung der Taten (vom Hang zum Zustand).96 Dies erscheint unter Beachtung des dann zentralen Anknüpfungspunkts eines Hanges zu bestimmten Straftaten als leerlaufend. Treffender ist trotz des Unterschiedes im Wortlaut auch hier die für § 67c I StGB beschriebene Lösung:97 Die Auswechselung der abzuwehrenden Gefahr ist im Bereich der andersartigen befürchteten Straftat zulässig, setzt aber eine Prognose der neuen Straftat mit ausreichend legitimierender Wirkung voraus. Diese 91 Baur (1990), S. 476 sieht diese Interpretation als schlüssig aber mit dem Wortlaut des § 67d II StGB unvereinbar an. 92 Sch/Sch-Stree § 67d, Rn. 9. 93 BVerfG NStZ-RR 2005, 187, 188. 94 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 89. 95 SK-StGB-Sinn § 67d, Rn. 9; LK10-Horstkotte § 67d, Rn. 29 und § 67c, Rn. 90. 96 MüKo-Veh § 67d, Rn. 17; im Ergebnis wohl auch LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 67d, Rn. 89. 97 G.III.3.
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
erfordert insbesondere Erfahrung mit dem Täter in der Form, dass die Befürchtung der Taten sich aus den bisherigen Taten erklären lassen muss.
V. Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens Auch die Regelung für die Erstellung der Kriminalprognose geht von einem Vorrang der Anordnungsprognose aus. Das Vollstreckungsgericht muss ein neues Gutachten eines Sachverständigen nur dann einholen, wenn es die Aussetzung der Unterbringung erwägt (§§ 463 III, 454 II StPO). Wenn das Gericht die Aussetzung nicht in Erwägung zieht, kann die Einholung eines Gutachtens nach überwiegender Ansicht unterbleiben.98 Wenn aber die jeweils aktuelle Kriminalprognose die Unterbringung begründen muss und auf eine rechtskräftige Anordnung nicht zurückgegriffen werden kann, ist fraglich, warum an die Erstellung der Prognose nach §§ 67c I, d II StGB weniger strenge Anforderungen gestellt werden als an die zur Anordnung der Unterbringung führende Prognose. Dies begegnet vor allem deswegen Bedenken, da die notwendig unsichere Kriminalprognose ihre Legitimität neben dem Ergebnis in großem Umfang auch von ihrer Erstellung ableitet.99 Gleichzeitig gilt im Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht das Freibeweisverfahren.100 Empirisch ist zu beachten, dass zumindest für die Zeit vor 1996 überwiegend die Anordnungsprognose fortgeschrieben wurde.101 Die nur eingeschränkte Pflicht zur Begutachtung kann sich nicht auf die überwiegende Relevanz der bereits prognostisch gewürdigten Tatsachen Vor- und Anlasstat stützen. Denn ob das Vollzugsverhalten die Wahrschein98 BVerfG NStZ-RR 2003, 251; OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 221 f.; KG NStZ-RR 2006, 252; OLG Rostock NJW 2003, 1334 f.; OLG Jena StV 2001, 26; OLG Hamburg ZfStrVo 1999, 246; KMR-Stöckel, § 463, Rn. 11, 12; Fischer, § 67c, Rn. 4; Müller-Metz (2003), S. 47; kritisch: Pollähne (2006), 229; anders: OLG Hamm StV 2004, 273; OLG Koblenz StV 1999, 496; OLG Celle NStZ 1999, 159. Für die Entscheidung nach § 67c I StGB kritisch: Kröber (2006), S. 162 f.; Kinzig (1996), S. 409, 594 f.; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 105. Nach KK-StPO-Appl § 463, Rn. 4 ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur ausnahmsweise entbehrlich. 99 Dazu oben: C.II.3.c). Zur ähnlichen Forderung nach anwaltlicher Vertretung des Verwahrten im Vollstreckungsverfahren: Jansing (2004), S. 121; Eisenberg (2005), S. 677. 100 Volckart (1997), S. 116 f.; zur eingeschränkten Richtigkeitsvermutung bei einer Entscheidung nach § 67d StGB im Freibeweisverfahren auch LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 104; Bechtoldt (2002), S. 256. 101 Kinzig (1996), S. 405, 428; Eisenberg (2005), S. 439; Jansing (2004), S. 237 m. w. N. Hier wird das auch bei den §§ 66a, b I, II StGB bestehende Problem deutlich: Normativ muss die Prognose den Freiheitsentzug eigenständig begründen, die gegenüber der vorangegangenen Beurteilung hinzu getretenen Tatsachen sind empirisch aber weniger bedeutsam.
V. Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens
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lichkeit maßgeblich verändert, ist gerade die Frage. Wird aufgrund ausreichender Sachkunde der Strafvollstreckungskammer angenommen, dass ein Gutachten nur ausnahmsweise erforderlich ist, ist die abweichende Forderung des § 275a IV StPO nach zweifacher Begutachtung schwer nachvollziehbar. Ebensowenig kann argumentiert werden, dass im Fall der §§ 67c I, d II StGB eine Nicht(weiter)vollstreckung nur bei einer Änderung der die Wahrscheinlichkeit begründenden Tatsachen in Betracht kommt. Dieses Argument trägt dem Umstand nicht Rechnung, dass die Maßregel voller Legitimation auf aktueller Grundlage bedarf, denn auch wenn eine Änderung der Tatsachenbasis gefordert wird, muss dies doch vom Sachverständigen geprüft werden. 1. Ablehnung des Vorrangs der Ausgangsprognose Es ist nicht begründbar, an die Fortdauer einer Maßregel geringere Anforderungen zu stellen als an ihren Beginn. Wenn die Hinzuziehung von Sachverständigen bei der Entscheidung im Fall der möglichen Aussetzung durchführbar ist, so ist sie dies auch im Fall eines Nichterwägens. Das BVerfG geht dagegen davon aus, es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die Entscheidung über § 67d II StGB ohne die Anhörung eines Gutachters zu fällen, wenn das Vollstreckungsgericht die Aussetzung nicht erwägt.102 Art. 2 II GG gebiete für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung nach § 67d II StGB keine andere Handhabung der §§ 463 III, 454 II StPO als im Fall der Entscheidung über die Strafrestaussetzung.103 Das Vollstreckungsgericht könne sich auf die Prognose des Tatgerichts beziehen. Denn die Kriminalprognose des erkennenden Gerichts bleibe so lange maßgeblich, bis die Strafvollstreckungskammer darüber entscheidet, ob sie weiter aufrecht zu erhalten ist. Demgemäß könne sich das Vollstreckungsgericht auf das vom erkennenden Gericht eingeholte Sachverständigengutachten beziehen „und sich damit im Hinblick auf die Frage auseinander setzen, ob die Zeit im Vollzug der Freiheitsstrafe mit den beim Verurteilten eingetretenen Entwicklungen noch zum Vollzug der Sicherungsverwahrung zwingt oder ob vor einer solchen Entscheidung die Einholung eines neuen Gutachtens erforderlich erscheint.“104
Hiergegen ist aber vorzubringen, dass die Orientierung an der Strafvollstreckung im Maßregelrecht unzulässig ist.105 Auch trifft das so vorgestellte Verhältnis von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung nicht zu. Dies 102 103 104 105
BVerfG NStZ-RR 2003, 251 m. w. N. BVerfG NStZ-RR 2003, 251, 252. BVerfG NStZ-RR 2003, 251, 252. Oben: G.II.2.
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
äußert sich auch in dem Beschluss des BVerfG direkt, wenn das Gericht feststellt: „dass die Gefährlichkeitsprognose des erkennenden Gerichts so lange maßgeblich bleibt, bis die Strafvollstreckungskammer unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug darüber entscheidet, ob sie weiter aufrecht zu erhalten ist.“106
Für die Entscheidung nach § 67d II StGB muss doch gerade beantwortet werden, ob von dem Untergebrachten erhebliche Straftaten zu erwarten sind, ob also die Anordnungsprognose noch maßgeblich ist. Es ist die Heranziehung eines Sachverständigen für die Entscheidungen nach §§ 67c I, d II StGB auch zu fordern, wenn die Aussetzung nicht erwogen wird. Dies scheint auch möglich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in den StrUBG der Länder eine solche sachverständige Beratung bei der Entlassungsentscheidung vorgesehen war.107 2. Inhalt des Sachverständigengutachtens Dabei soll sich das Gutachten nach §§ 463 III 3, 454 II StPO zu der Frage äußern, ob bei dem Verurteilten die Gefahr besteht, dass dessen durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit fortbesteht. Würde dies wörtlich genommen, so müsste sich das Gutachten zu der Wahrscheinlichkeit der Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten äußern. Dies kann aber nur die herabgesetzte Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung sein. Das Gericht dagegen muss feststellen, ob eine nicht hinnehmbare Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung im Sinne des § 66 StGB besteht. Daher wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass die Anforderungen an die gerichtliche Prognose von diesem Maßstab nicht beeinflusst werden.108 Teilweise wird die Diskrepanz zwischen der im Gutachten zu beantwortenden Frage nach der Gefahr der Gefährlichkeit und der vom Gericht zu beantwortenden Frage nach der Gefährlichkeit so aufgelöst, dass auch das Gutachten sich zu der Frage zu äußern habe, ob die Gefährlichkeit besteht.109 Die überwiegende Ansicht dagegen lässt die Diskrepanz unaufgelöst, so dass das Gericht die Frage der Gefährlichkeit mit Hilfe eines Gutachtens zur Gefahr der Gefährlichkeit beantworten muss und verweist auf das Problem der Be106
BVerfG NStZ-RR 2003, 251, 252. § 5 VI StrUBG Ba-Wü sah die Anhörung eines Sachverständigen bei jeder der alle zwei Jahre vorgesehenen Entlassungsentscheidungen vor. Dazu: Jansing (2004), S. 238. 108 von Harbou (1999), S. 112; Pollähne (2004), S. 38; Müller-Metz (2003), S. 47; Schöch (1998), S. 1259; KMR-Stöckel § 463, Rn. 11. 109 KMR-Stöckel § 463, Rn. 11. 107
VI. Entscheidung über die Erledigung nach § 67d III StGB
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einflussung des Gerichts durch das Gutachten im Sinne einer Herabsetzung des Umschlagspunkts.110 Hier zeigt sich erneut die mangelnde Trennung von Straf- und Maßregelvollstreckung. Vor dem Hintergrund, dass bei der Strafe die Entscheidung nur begünstigen kann, ist die Formulierung des § 454 II StPO verständlicher, als bei der Sicherungsverwahrung, die sich auf aktueller Tatsachengrundlage begründen lassen muss, so dass der Umschlagspunkt der Prognose nicht hinter dem der Anordnung zurückbleiben kann. Das Prozessrecht sollte dem Rechnung tragen und nicht eine Situation herbeiführen, in der das Vollstreckungsgericht ein zur Beantwortung der maßgeblichen Frage nur eingeschränkt taugliches Gutachten an die Hand bekommt. De lege ferenda ist daher die Einholung eines Gutachtens zur Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug mit weiteren Straftaten welcher Qualität und Häufigkeit zu rechnen ist, für die nach §§ 67c I, d II StGB zu beantwortenden Rechtsfragen sinnvoller.111
VI. Entscheidung über die Erledigung nach § 67d III StGB Mit dem Gesetz zum Schutz vor Sexualstraftaten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998 fiel die zeitliche Begrenzung der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre weg.112 Dies gilt aufgrund des § 2 VI StGB, Art. 1a III EGStGB auch für vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens verhängte Unterbringungen. Das BVerfG hat diese Regelung zunächst als vereinbar mit dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzgrundsatz angesehen.113 Der EGMR hat dagegen einen Verstoß gegen Art. 5 und 7 I 2 EMRK als gegeben angesehen, wenn die erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus vollstreckt wird, obwohl im Zeitpunkt der Anordnung diese noch auf zehn Jahre befristet war. Die Freiheitsentziehung ist danach nicht von Art. 5 I 2a EMRK gedeckt, da in diesem Fall eine ausreichende kausale Beziehung zum Urteil über die Tat fehlt.114 Dies folgert das 110
von Harbou (1999), S. 113; Schöch (1998), S. 1259. So auch Müller-Metz (2003), S. 47. 112 BVerfGE 109, 133 (161) weist darauf hin, dass dadurch nicht nur eine Verschärfung der Rechtslage eintrat, da die Anforderungen an das Prognoseergebnis nun auch für die wiederholte Sicherungsverwahrung verschärft wurde und da auch bei wiederholter Sicherungsverwahrung die Erwartung von Vermögensdelikten nicht mehr ausreicht. 113 BVerfGE 109, 133 (180 ff.). 114 EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/05, Rn. 100. 111
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
Gericht daraus, dass zum Zeitpunkt der Verurteilung die erstmalige Anordnung auf zehn Jahre befristet war, so dass das damalige Urteil nur zu einer solchen Unterbringung berechtigt. Die Änderung des § 67d III StGB unterbrach daher die von einer durch Art. 5 I 2a EMRK geforderte hinreichende kausale Verknüpfung der Sanktion mit der Verurteilung wegen einer Tat.115 Außerdem ist durch diese rückwirkende Rechtsänderung Art. 7 EMRK verletzt, da die Sicherungsverwahrung eine Strafe darstelle, die nachträglich verlängert werde.116 Im Anschluss daran bemühten sich die Gerichte um einen einheitlichen Umgang mit diesen Altfällen. Nach divergierender Rechtsprechung der Oberlandesgerichte,117 die als Beschwerdegerichte gegen Entscheidungen landgerichtlicher Strafvollstreckungskammern für die Entscheidung nach § 67d III StGB zuständig sind, wurde § 121 II Nr. 3 GVG n. F. eingeführt. Danach hat ein Oberlandesgericht, das bei einer Entscheidung über eine Beschwerde gegen strafrichterliche Entscheidungen, soweit nicht die Zuständigkeit der Strafkammern oder des Bundesgerichtshofes begründet ist und sofern eine Entscheidung über die Erledigung einer Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder in einem psychiatrischen Krankenhaus oder über die Zulässigkeit ihrer weiteren Vollstreckung von einer nach dem 1. Januar 2010 ergangenen Entscheidung zu treffen ist, die Sache dem BGH vorzulegen, so es von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichtes oder von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen will. Diese Neuregelung soll eine einheitliche Rechtsanwendung für die Umsetzung der Entscheidung des EGMR wenigstens bezüglich der Entscheidungen nach § 67d III StGB gewährleisten.118 In Folge dieser Rechtsprechung des EGMR hat das BVerfG seine Rechtsprechung zu dem rückwirkenden Fortfall der Befristung erstmals angeordneter Sicherungsverwahrung geändert und geht nunmehr davon aus, dass der in der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahreshöchstfrist liegende, schwerwiegende Eingriff in das Vertrauen des betroffenen Personenkreises angesichts des damit verbundenen Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht verfassungsrechtlich nur nach Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung und zum Schutz höchster Verfassungsgüter zulässig ist.119 115
EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/05, Rn. 100. EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04, Rn. 132 f. 117 Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6.7.2010, Az. III 4 Ws 157/10 m. w. N. 118 Zur Frage der Übertragbarkeit des Urteils auf die Fälle des § 66b StGB: BGH, Beschluss vom 21.7.10, Az. 5 StR 60/10 für § 66b I 2 StGB und Beschluss vom 12.5.10, Az. 4 StR 577/09 für § 66b III StGB, jeweils m. w. N. Für eine Übertragbarkeit auch: Laue (2010), S. 202 ff.; Kinzig (2010), S. 238 f. 119 BVerfG, Urteil vom 5.8.2011, Az. 2365/09, Leitsatz 1. 116
VI. Entscheidung über die Erledigung nach § 67d III StGB
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Unabhängig von dem Problem der verfassungsrechtlichen Garantien bei der Entscheidung über die Maßregelerledigung bleibt, dass die zehnjährige Höchstdauer der erstmals angeordneten Sicherungsverwahrung eingeführt wurde, um die Scheu der Strafrichter vor einer absolut unbestimmten Sanktion zu überwinden, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sie sollte als Korrektiv der unsicheren Prognose dienen.120 Gerade der letzte Aspekt ist bedeutsam, wurde doch die Prognosebasis durch die Einführung von §§ 66 III, 66b II StGB verringert. Eine Besonderheit ist, dass eine auf die Begehung solcher Taten, die schweren wirtschaftlichen Schaden verursachen, gerichtete positive Kriminalprognose nicht zur Begründung der weiteren Vollstreckung ausreicht, so dass in diesen Fällen jede Sicherungsverwahrung nicht länger als zehn Jahre andauern kann. 1. Veränderung des Umschlagspunkts nach zehn Jahren Im Gegenzug soll die Fortdauer jeder Unterbringung in Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus an materiell und verfahrensrechtlich engere Voraussetzungen geknüpft sein, als die vorangehenden Entscheidungen und stellt so die Berücksichtigung der wachsenden Bedeutung des Freiheitsrechts des Betroffenen sicher.121 Hier findet nach überwiegender Ansicht ein erneuter Umschlag bei den Anforderungen an das weitere Freiheitsentziehung legitimierenden Prognoseergebnis statt.122 Ausdrücklich wird die weitere Vollstreckung durch § 67d III StGB von einer positiven Kriminalprognose abhängig gemacht.123 Die Ungefährlichkeit wird nach zehn Jahren Unterbringung vermutet.124 Dies ist die schematisierte Ausprägung der steigenden Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des Verwahrten für die Abwägung mit den Interessen der Allgemeinheit auf die Setzung des Umschlagspunkts. 120
BVerfGE 109, 133 (137) m. w. N. BVerfGE 109, 133, (160); LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 69; NKBöllinger/Pollähne § 67d, Rn. 25. Kritisch zur tatsächlichen Umsetzbarkeit: Baier (2004), S. 553. 122 Brandt (2008), S. 101, Fn. 461 sieht in der Entscheidung: „. . . der Sache nach eher eine Anordnungs- als eine Entlassungsprognose, weshalb ein hohes Maß an Spezifität und nicht etwa an Sensitivität anzustreben ist.“ 123 BVerfGE 109, 133 (160); OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 93. 124 BVerfGE 109, 133 (161). Nach OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2006, 93, 94 ist der Sachverständige dagegen nicht verpflichtet, seinem Gutachten die Nullhypothese inzwischen eingetretener Ungefährlichkeit zugrunde zu legen, solange die Prognoseforschung im Rahmen anerkannter wissenschaftlicher Standards anderen Vorgehensweisen folgt. 121
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
Während danach bei § 67d II StGB für die Aussetzung eine negative Kriminalprognose gefordert wird, für die Weitervollstreckung also die bloße Nichtfeststellung der Unwahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten genügen soll, soll für die Weitervollstreckung nach zehn Jahren eine ausdrückliche Feststellung der Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten notwendig sein.125 Wie oben erörtert, setzt die Vollstreckung der Maßregel aber wie die Anordnung der Maßregel die Stellung einer positiven Kriminalprognose mit legitimierender Wirkung voraus. Das Gericht betont gerade die engeren Voraussetzungen des § 67d III StGB gegenüber § 67d II StGB. Wenn es für § 67d II StGB einen anderen Umschlagspunkt annimmt als für die übrigen Entscheidungen über die Sicherungsverwahrung, ist es verständlich, dass sich dieser für § 67d III StGB wieder ändern und verschärfen soll. Tatsächlich sinken die Anforderungen an die Kriminalprognose nicht ab, sie werden mit zunehmender Dauer der Unterbringungszeit aber höher.126 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist aufgrund dieser Unklarheiten ohne weitere Formalisierung daher nicht tauglich, eine Einschränkung der Unterbringungsdauer zu bewirken. Diese Unklarheiten ergeben sich aber zwingend aus der unzutreffenden Gleichsetzung von Entscheidungen über die Strafrestaussetzung und über die Aussetzung der Unterbringung: Bei den aktuell zu begründenden Maßregeln kann der Umschlagspunkt sich nur erhöhen. Da durch den Zeitablauf sowohl die Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten, als auch die Intensität des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten sich ändern, ist nur die Vollstreckung verhältnismäßig, die sich dem geänderten Verhältnis anpasst. Zwar kann auch hiergegen angeführt werden, dass so klare Maßstäbe nicht erlangt werden. Dieser Kritikpunkt ist berechtigt, scheint aber nur zugunsten schlechterer Lösungen überwindbar.127 2. Erhöhte Anforderungen an die Erstellung der Kriminalprognose Wichtiger für eine solche Formalisierung ist die durch den Zeitablauf eintretende Steigerung der Anforderungen an die Prognoseerstellung.128 Nach § 463 III 4 StPO ist ein sachverständiges Gutachten auch erforderlich, wenn die Erledigterklärung der Unterbringung nicht erwogen wird.129 Es LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 69; Tondorf (2005), S. 97. Vgl. Frisch (1990), S. 386, Fn. 196, der in den Fällen in denen die Rspr. eine Erledigung der Unterbringung auf die gewachsene Bedeutung des Freiheitsgrundrechts stützt ein Anordnungs- und kein Entlassungsproblem sieht. 127 So auch Dessecker (2004), S. 384. 128 Dies betont NK-Böllinger/Pollähne § 67d, Rn. 18; ähnlich Dessecker (2004), S. 339 f. 129 BVerfG NStZ-RR 2003, 251, 252; BVerfGE 109, 133 (163). 125 126
VI. Entscheidung über die Erledigung nach § 67d III StGB
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sollen bei langdauernder Unterbringung besonders erfahrene Sachverständige130 ein substantiiertes und zeitnahes Gutachten vorlegen.131 Dieses Gutachten musste bis zum 1. Januar 2011 die Frage beantworten, ob von dem Verurteilten aufgrund seines Hanges weiterhin erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind. Nach dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung ist nunmehr die Feststellung hangbedingter Gefährlichkeit nicht mehr erforderlich, vielmehr soll sich das Gutachten nur zur Erwartung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten äußern. Nach § 463 III 5 StPO ist dem Verurteilten für die Entscheidung nach § 67d III StGB und die nachfolgenden Entscheidungen nach § 67d II StGB ein Verteidiger vom Gericht zu bestellen. Gerade da die Legitimität der Kriminalprognose in hohem Maß von ihrer Erstellung abhängt, können diese Anforderungen der notwendigen Unsicherheit bei der Feststellung der inhaltlichen Voraussetzungen entgegenwirken. 3. Erledigung oder Aussetzung der Vollstreckung bei weiterer Unterbringung Wird die Unterbringung über zehn Jahre hinaus vollzogen, ist für die Folgeentscheidungen kein nochmals strengerer Maßstab anzulegen, es bleibt für alle weiteren Entscheidungen der des § 67d III StGB maßgeblich,132 genauso ist bei jeder weiteren Entscheidung die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Bestellung eines Verteidigers Pflicht.133 Fraglich ist, ob es nach Ablauf von zehn Jahren möglich ist, die Vollstreckung nach § 67d II StGB zur Bewährung auszusetzen, oder ob immer eine Erledigung nach § 67d III StGB die Folge ist. In der Praxis wird die Aussetzung der Vollstreckung für möglich gehalten.134 Nach § 463 III 4 StPO ist nach zehnjähriger Unterbringung eine Entscheidung nach § 67d III StGB, anschließend wieder Entscheidungen nach § 67d II StGB mit veränderten Anforderungen an Prognoseerstellung und Prognoseergebnis zu treffen. Diese Ansicht überzeugt indes nicht, da unklar ist, wann eine solche Vollstreckungsaussetzung eingreifen soll und nicht eine Erledigung.135 Insbesondere 130 BVerfGE 109, 133 (164) verlangt die Befassung eines Facharztes mit psychiatrischer Ausbildung. Kritisch zu dieser Beschränkung auf die Psychiatrie: Tondorf (2005), S. 118. 131 BVerfGE 109, 133 (162). 132 OLG Hamm NStZ-RR 2006, 27; OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 221; MeyerGoßner § 463, Rn. 9a; Müller-Metz (2003), S. 48; von Harbou (1999), S. 118; Eisenberg/Hackethal (1998), S. 200. 133 OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 221, 222. 134 OLG Nürnberg OLGSt StGB § 67d, Nr. 6; OLG Koblenz, Beschl. v. 19.11. 2007, 1 Ws 141/07. 135 Müller-Metz (2003), S. 48, Fn. 109; ähnlich von Harbou (1999), S. 117 f.
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
kann nicht eine Erledigung bei sehr geringem und eine Aussetzung zur Bewährung bei höherem Wahrscheinlichkeitsgrad neuer Taten eintreten. Dies folgt daraus, dass die Erledigung nach zehn Jahren auch auf Grundlage der überwiegenden Ansicht schon bei dem Fehlen einer positiven Kriminalprognose auszusprechen ist und nicht wie von der überwiegenden Ansicht für die Vollstreckungsaussetzung nach § 67d II StGB vertreten, eine negative Kriminalprognose voraussetzt. Wenn aber die Erledigung nach zehn Jahren schon eintritt, wenn eine legitimierende Prognose nicht gestellt werden kann, die Vollstreckungsaussetzung aber eine ausdrücklich negative Kriminalprognose voraussetzt, dann kann bei den Entscheidungen nach zehnjähriger Unterbringung nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten zur Vollstreckungsaussetzung, eine geringere Wahrscheinlichkeit zur Erledigung führen.136 Vielmehr ist bei den auf die Entscheidung nach § 67d III StGB folgenden Entscheidungen nach § 67d II StGB die Maßregel dann für erledigt zu erklären, wenn eine positive Kriminalprognose nicht mehr gestellt werden kann.137
VII. Entscheidungen nach beendeter Vollstreckung Wird die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt, so tritt Führungsaufsicht ein, §§ 67c I 2, d II 2, III 2 StGB. Die Führungsaufsicht berechtigt zu Weisungen gegenüber dem Verurteilten gemäß § 68b StGB. Sie dauert zwischen zwei und fünf Jahren gemäß § 68c I StGB. Es findet ein weiterer Zugriff auf den Täter statt, wobei sich die Weisungen nach § 68b StGB und die Dauer der Führungsaufsicht nach § 68c StGB nach der dem Täter gestellten Kriminalprognose richten.138 Es wird deutlich, dass der Zugriff auf den Täter aus Anlass der Tat noch nicht beendet ist. Ist die Maßregel nicht für erledigt erklärt worden, sondern ihre Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt nach §§ 67c I, d II StGB, ist die Rückkehr in die Unterbringung möglich. Dieser Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung nach § 67g I setzt eine Kriminalprognose voraus, die der Prognose für die Maßregelanordnung entspricht.139 Dabei wird nicht explizit von der Einstellung der bereits erlittenen Freiheitsentziehung ausgegangen, ein Unterschied zur Entscheidung nach § 67d III StGB kann aber nicht begründet werden. Daher muss die 136
So aber OLG Nürnberg, OLGSt StGB § 67d, Nr. 6. MüKo-Veh § 67d, Rn. 14, 37; Müller-Metz (2003), S. 47. 138 Vgl. LK12-Schneider vor § 68, Rn. 5 und § 68c, Rn. 4. 139 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67g, Rn. 8. Praktisch erreichen die Taten, die zu einem Widerruf der Aussetzung führen, oft nicht mehr die Intensität der Anlasstat: Kinzig, 1996, S. 443. 137
VIII. Fazit über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung
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bereits in der Unterbringung absolvierte Zeit auch hier für die Festsetzung des Umschlagspunkts beachtlich sein.
VIII. Fazit über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung Die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ist ebenso wie die Anordnung von einer positiven Kriminalprognose abhängig. Anders als bei der Freiheitsstrafe ist die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nicht durch das Strafurteil gerechtfertigt. Bei der Strafe ist ein deutlicher Abstand der Bedeutung von Verurteilung zu einer Strafe zu den nachfolgenden Entscheidungen über deren Vollstreckung erkennbar. Dies ist bei der Sicherungsverwahrung anders, es lässt sich die Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht prinzipiell von den Entscheidungen über deren Vollstreckung unterscheiden. Da die Sicherungsverwahrung sowohl in ihrer Anordnung als auch in ihrer Vollstreckung eine Kriminalprognose voraussetzt, wird zu unterschiedlichen Zeiten die identische Frage beantwortet. Da sich das maßgebliche Verhältnis ändert, muss sich die durch die Verhältnismäßigkeit begrenzte Sanktion anpassen. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung begründet Folgeentscheidungen. Bei diesen werden die erkennbar gewordenen Tatsachen berücksichtigt. Denn die Anordnung und die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung als Maßregel ist nur berechtigt, wenn diese der Zweckerreichung dient, der Täter also gefährlich ist.140 Bei jeder Entscheidung über Anordnung und Vollstreckung der Sicherungsverwahrung muss der aktuelle Zustand maßgeblich141 sein, da es nicht sinnvoll ist, über die Gefährlichkeit zu entscheiden, ohne die Gegenwärtigkeit der Gefährlichkeit zu prüfen.142 Nur scheinbar steht der umfassenden Geltung der angeordneten Kriminalprognose die Versagung des Austauschs der Grundlage angenommener Gefährlichkeit entgegen. Dies soll in erster Linie ein Unterlaufen verfahrensmäßiger Garantien verhindern,143 so weit eine legitime Kriminalprognose erstellt werden kann, wird der Austausch überwiegend zugelassen. Die permanente Justizpflicht144 ist Kennzeichen der Maßregeln und damit auch der Sicherungsverwahrung. Diese Justizpflicht besteht ab Anordnung der Sicherungsver140
Radtke (1998), S. 298 f. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67a, Rn. 2: „Deswegen kann, ohne dass Bedenken wegen der Rechtskraft des die Maßregel anordnenden Urteils entgegenstehen (. . .) der Maßregelvollzug flexibel gehandhabt werden.“ 142 RGSt 68, 385; Grünwald (1969), S. 234. 143 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 89. 144 So treffend von Freier (2008), S. 305. 141
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G. Vollstreckungsentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung
wahrung bis zur Erklärung der Sicherungsverwahrung als erledigt bzw. noch darüber hinaus bis zum Ende der Führungsaufsicht. Durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung wird die Geltung der Kriminalprognose für und gegen den Verurteilten begründet. Durch die Vollstreckungsentscheidungen wird diese Geltungsanordnung ausgefüllt. Inhaltlich ist bei jeder Entscheidung auf aktueller Grundlage die Frage zu beantworten, ob eine nicht hinnehmbare Wahrscheinlichkeit der Begehung erheblicher Straftaten besteht.
H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung Die Anordnung der Sicherungsverwahrung geschieht im Strafverfahren. Dieses ist auf einen endgültigen Abschluss ausgerichtet.1 Das Rechtsstaatsprinzip fordert eine abschließende Entscheidung über die Ahndung einer begangenen Straftat.2 Wenn aber das materielle Recht der Sicherungsverwahrung sich durch die zeitlich unbegrenzte Anpassung an die relevanten Tatsachen auszeichnet, dann steht eine endgültige Erledigung des Sachverhalts in Frage.3 Dagegen kann eingewandt werden, die Sicherungsverwahrung sei keine Strafe, sondern Verwaltungsrecht,4 dem die fortgesetzte Anpassung an relevante Tatsachen eigen ist.5 Dann aber ist zu fragen, ob dieses Argument gilt, wenn das Verwaltungsrecht sich im Strafprozess verwirklicht. Vor allem aber ist zu fragen, ob eine solche Betrachtung mit dem Gedanken der Legitimation des auf unsicherer Prognose beruhenden Freiheitsentzugs aufgrund der zurechenbaren Anlasstat vereinbar ist. Denn die Anlasstat verlangt als Straftat nach abschließender Ahndung. Dann kann als Rechtsfolge der Anlasstat lediglich die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose gesehen werden, während die jeweils auf aktueller Grundlage zu treffenden Entscheidungen über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung diese Anordnung ausfüllen. Vor diesem Hintergrund treten vor allem für die nachträgliche und die vorbehaltene Sicherungsverwahrung folgende Fragen zu Tage: 1. Greift die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung in die Rechtskraft des Urteils über die Tat ein? 2. Was ist Prozessgegenstand der Anordnung vorbehaltener oder nachträglicher Sicherungsverwahrung? 1
Zaczyk (1988), S. 362; Tiedemann (1969), S. 5. BVerfGE 2, 380 (403); 15, 313 (319); Geiger (2006), S. 55. 3 von Freier (2008), S. 328; von Hippel (1976), S. 50 f.; ähnlich Nowakowski (1963), S. 112. 4 Peters (1985), S. 572; Nagler (1939a), S. 316 f. sieht für die Anordnung von sichernden Maßnahmen ein eigenes Adhäsionsverfahren für notwendig an; Henkel (1938), S. 200 ein eigenartiges Verwaltungsverfahren. Gegen eine Trennung in justiziellen und verwaltungsmäßigen Urteilsteil: Bechtoldt (2002), S. 208 f. 5 Nagler (1939a), S. 333; Henkel (1938), S. 186 f.; Peters (1985), S. 572 für den Sicherungsanspruch des Staates im Sicherungsverfahren. 2
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
3. Welche Bindung an die Feststellungen im Urteil über die Tat besteht im Verfahren zur nachträglichen oder vorbehaltenen Sicherungsverwahrung und bei den Folgeentscheidungen über die Vollstreckung der angeordneten Sicherungsverwahrung? 4. Welche Wirkungen entfaltet eine rechtskräftige Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung? Um diese Fragen zu klären wird zunächst auf die Rechtskraft des Strafurteils eingegangen. Im Weiteren wird untersucht, ob sich der Prozessgegenstand eines Strafverfahrens mit Anordnung von Sicherungsverwahrung von dem eines Verfahrens, in dem allein Strafe ausgesprochen wird, unterscheidet. Anschließend sollen die oben aufgezeigten Fragen beantwortet werden.
I. Rechtskraft der Strafverurteilung Es werden formelle und materielle Rechtskraft des Strafurteils unterschieden. Formelle Rechtskraft bedeutet die Unanfechtbarkeit des Urteils mit Rechtsmitteln.6 Materielle Rechtskraft ist der Begriff für die Auswirkungen des Strafurteils auf andere Verfahren.7 Unbestritten ist, dass die materielle Rechtskraft Sperrwirkung entfaltet, so dass der abschließend behandelte Prozessgegenstand nicht erneut zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden darf.8 In Rechtskraft erwächst nach überwiegender aber bestrittener Ansicht nur der Urteilstenor, also die Rechtsfolgen, nicht aber die Entscheidungsgründe.9 Ob die materielle Rechtskraft eine Gestaltungswirkung, eine Feststellungswirkung und eine Bindungswirkung eintreten lässt, ist umstritten.10 1. Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft und Folgeentscheidungen Die materielle Rechtskraft des Urteils begründet eine Sperrwirkung erneuter Bestrafung und erneuter Verfolgung, so dass über den Prozessgegen6
Peters (1985), S. 496 f.; Roxin (1998), S. 408; Tiedemann (1969), S. 5. LR26-Kühne, Einleitung K, Rn. 74 m. w. N. 8 LR26-Kühne, Einleitung K, Rn. 74 f. m. w. N. 9 BGHSt 43, 106 (107); 41, 97 (98); 30, 378 ff.; BGH StV 2001, 261; BGH NStZ-RR 2001, 138; Grünwald (1964), S. 43 ff. m. w. N. auch zur Gegenansicht; von Freier (2008), S. 287 m. w. N.; Bock/Schneider (2003), S. 338 m. w. N.; Gössel (2002), S. 115; Lieb (1930), S. 28. Das Problem stellt sich auch für die Strafschärfung wegen Rückfalls: Waldeyer (2006), S. 40 ff. 10 LR26-Kühne, Einleitung K, Rn. 74; Bock/Schneider (2003), S. 338 f. m. w. N.; Grunsky (1968) m. w. N. 7
I. Rechtskraft der Strafverurteilung
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stand gegen dieselbe Person kein weiteres Urteil gesprochen werden darf.11 Sie ist der Anknüpfungspunkt des Doppelbestrafungsverbots.12 Das rechtskräftige Urteil enthält die endgültige Feststellung der Strafbarkeit wegen des im Urteil bezeichneten Lebenssachverhaltes.13 „Es darf die Verurteilung nicht durch einen Freispruch ersetzt werden, es darf die Strafe nicht neu bemessen werden, und es darf an die Stelle der Ablehnung einer Maßregel nicht ihre Anordnung treten.“14
Dieses Verbot der Abänderung untersagt auch Entscheidungen, die mit dem Inhalt des rechtskräftigen Urteils vereinbar sind.15 Nur im Rahmen der Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach §§ 359 ff. StPO ist eine erneute Entscheidung über den abgeurteilten Prozessgegenstand zulässig. Die Sperrwirkung der Rechtskraft eines Urteils über eine Straftat schließt allerdings nicht sämtliche Folgeentscheidungen aus. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Entscheidungen über die Strafrestaussetzung zur Bewährung nach §§ 57–57b StGB zu treffen sind. Diese Entscheidungen greifen nicht in die Rechtskraft des Strafurteils ein.16 In dem Fall, dass die Bewährungsaussetzung nicht gewährt wird, liegt keine unzulässige erneute Sanktionierung der Tat vor, da die Vollstreckung der gesamten Strafe bereits durch die Verurteilung zu der bestimmten Strafe legitimiert ist.17 Auch wenn teilweise die Vollstreckung der Strafe für die eigentliche Bestrafung gehalten wird,18 so bleibt auch in dieser Konzeption der abschließende und rechtskräftige Spruch über die Tat der Umstand, der den Strafvollzug zulässig macht.19 Für die Sicherungsverwahrung wurde oben gesehen, dass die Folgeentscheidungen die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung jeweils begründen. Dies greift aber nicht in die Rechtskraft des Strafurteils ein, weil diese Folgeentscheidungen mit der Anordnung im Strafurteil notwendig werden. Ein Verstoß gegen die Sperrwirkung der Rechtskraft liegt daher nur in einer Entscheidung, die Rechtsfolgen des Prozessgegenstands ausspricht, ohne dass das Urteil zu einem solchen Ausspruch ermächtigt. 11
Peters (1985), S. 504; Roxin (1998), S. 410. Peters (1985), S. 504; Grünwald (1964), S. 15 f.; Eb. Schmidt (1964), S. 161. 13 Peters (1985), S. 506; Roxin (1998), S. 411 f. 14 Grünwald (1964), S. 15. 15 Grünwald (1964), S. 15; Zaczyk (1988), S. 358. 16 Berg/Wiedner (2007), S. 439, Fn. 43; LK12-Hubrach § 57, Rn. 1 betont, die Entscheidung sei keinesfalls eine nachträgliche Strafkorrektur. So auch Jescheck/ Weigend (1996), S. 849 und schon LK10-Ruß § 57, Rn. 1. Mittelbach (1956), S. 165 f. dagegen sieht die Strafrestaussetzung als Modifizierung des Strafurteils. 17 Berg/Wiedner (2007), S. 439; vgl. Frisch (1990a), S. 769; Radtke (1998), S. 297; Nowakowski (1963), S. 118. 18 Geiger (2006), S. 104 f. 19 Geiger (2006), S. 108; Tiedemann (1969), S. 7, 49. 12
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
2. Gestaltungswirkung des Strafurteils Unabhängig von der Frage, ob die Vollstreckungswirkung eines rechtskräftigen Urteils der formellen20 oder der materiellen Rechtskraft zuzuordnen ist,21 ist die Rechtskraft des Strafurteils Voraussetzung der Strafvollstreckung, § 449 StPO. Bei rechtskräftiger aber unrechtmäßiger Verurteilung zu einer Strafe, kommt dem Urteil nach umstrittener Ansicht Gestaltungswirkung zu, die eine rechtliche Minderstellung des Verurteilten herbeiführt.22 Folge ist die Rechtmäßigkeit der Vollstreckung falscher Urteile. Dies bestreitet die Gegenansicht und nimmt eine rein prozessuale Wirkung der Rechtskraft an. Danach bleibt die Vollstreckung des unrichtigen Urteils rechtswidrig, es wird aber das Notwehrrecht des Verurteilten ausgeschlossen.23 Dieser Ausschluss des Notwehrrechts muss sich aber aus dem Strafurteil ergeben.24 Wenn dem Urteil danach zwar keine Gestaltungswirkung zukommt, die die Vollstreckung rechtswidriger Freiheitsstrafen rechtmäßig sein lässt, so gestaltet das Urteil dennoch die Rechtslage, insoweit es das Notwehrrecht gegen die Vollstreckung einer rechtswidrig verhängten Strafe ausschließt.25 Bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung ist eine Gestaltung der Rechtslage deutlicher zu erkennen: Es tritt mit Rechtskraft der Anordnung die Geltung der jeweils aktuellen Kriminalprognose gegen den Täter ein. Wie der zu Strafe Verurteilte den Vorwurf gegen sich gelten lassen muss, so muss der zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Verurteilte die aktuelle Kriminalprognose gegen sich gelten lassen. In beiden Fällen ist der Zugriff auf den Täter insofern abschließend im Urteil über die Tat begründet und insofern Rechtsfolge der Tat. Die Prognoseabhängigkeit der Sicherungsverwahrung bedingt Folgeentscheidungen. Unabhängig davon ob das Vollstreckungsgericht eine eigene Kriminalprognose erstellt, oder die des Tatgerichts prüft, ist jedenfalls die Vollstreckung vom Beschluss der Vollstreckungskammer abhängig. Die Folgeentscheidungen begründen bei der Sicherungsverwahrung jeweils erneut die Vollstreckung der Unterbringung.26 20
Roxin (1998), S. 409. So Peters (1985), S. 502. 22 Peters (1985), S. 502; von Freier (2008), S. 279; Zaczyk (1988), S. 364 f.; LR24-Schäfer Einleitung, Rn. 54. 23 Eb. Schmidt (1964), S. 166 f. Dazu auch: Roxin (1998), S. 411. LR26-Kühne, Einleitung K, Rn. 82 sprechen dem Streit deswegen keine praktische Bedeutung zu. 24 Bei materiell falscher Verurteilung kann er ja gerade nicht in der Tatbegehung begründet sein. 25 Zaczyk (1988), S. 367; vgl. auch Köhler (1986), S. 50 ff. 26 Vgl. für § 63 StGB und die Entscheidung nach § 67d II StGB BVerfGE 70, 297 (316 f.), diese Ausführungen überträgt BVerfG NJW 1994, 510 auf die Sicherungsverwahrung; Teyssen (1989), S. 411. 21
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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II. Prozessgegenstand des Strafurteils Es ist für die Bestimmung der Reichweite der Sperrwirkung notwendig, den Gegenstand des Strafprozesses zu bestimmen. Dessen Reichweite ist im Einzelnen umstritten.27 Die Rechtskraft bezieht sich grundsätzlich auf den geschichtlichen Vorgang, den das Gericht im Rahmen des Eröffnungsbeschlusses abzuurteilen rechtlich in der Lage war.28 Gegenstand des Prozesses ist der tatsächliche Lebensvorgang, durch den der Täter eine Strafnorm erfüllt hat und der in der Anklage bezeichnet ist,29 dabei bezieht sich die Rechtskraft auf die Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt.30 Anerkannt ist, dass der Prozessgegenstand in allen Stadien des Prozesses einheitlich verstanden wird.31 Von der Bestimmung des Prozessgegenstands bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung hängt die Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung mit der Rechtskraft des Strafurteils ab. Ist die Sicherungsverwahrung unabhängig von der Tat, ist also ein anderer Prozessgegenstand betroffen, so kommt die Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft nicht als Hinderungsgrund für eine nachträgliche Anordnung in Betracht.32 Ist dagegen die Tat zumindest auch Gegenstand des Urteils über die Sicherungsverwahrung, so könnte die Sperrwirkung des Urteils über die Tat die Anordnung von Sicherungsverwahrung ausschließen. Rückschlüsse auf das Verhältnis des Urteils über die Tat zum Urteil über die Anordnung von Sicherungsverwahrung können aus Überlegungen zur Trennbarkeit der beiden Fragen im Fall der Teilanfechtung des Urteils über die Tat gezogen werden. Umgekehrt kann aus der Annahme des Strafklageverbrauchs durch ein Urteil im Sicherungsverfahren Rückschluss auf diese Frage gezogen werden. Außerdem kann neben den aktuellen Stellungnahmen zu § 66b StGB auch auf Überlegungen aus der Zeit der Geltung des GewVerbrG, das in Art. 5 Nr. 1, 2 ebenfalls eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung vorsah, zurückgegriffen werden.33 Wenn ein Verstoß nachträglicher Sicherungsverwahrung gegen 27
Peters (1985), S. 506. BGHSt 6, 95; Roxin (1998), S. 412. 29 Meyer-Goßner § 264, Rn. 2 m. w. N.; SK-StPO-Schlüchter § 264, Rn. 8. 30 SK-StPO-Schlüchter § 264, Rn. 20. 31 von Freier (2008), S. 278; Bechtoldt (2002), S. 188 m. w. N. 32 So argumentiert BVerfG NJW 2009, 980, 981: Da die Kognitionspflicht wegen § 66b I 2 StGB eine andere sei als zum Zeitpunkt des Urteils über die Tat, sei der Prozessgegenstand verändert, so dass die Rechtskraft des Urteils über die Tat tangiert aber nicht durchbrochen sei. Ähnlich BGHSt 15, 259 f. 33 Jansing (2004), S. 254 f. Dazu auch: Nagler (1939) und (1939a); Henkel (1937); ders. (1938); vgl. auch Flandrak (1932). 28
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
die Rechtskraft des Strafurteils behauptet wird,34 wird dies überwiegend mit der Bedeutung der Anlasstat für die Prognose begründet.35 Diese Argumentation allein kann aber nicht überzeugen. Denn auch die Folgeentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung müssen den Vollzug der Sicherungsverwahrung legitimieren. Als Prognoseentscheidungen stützen sie sich auf prognostisch relevante Tatsachen, unter anderem die Tat. Durch die mehrmalige Einbeziehung der Tat in eine Kriminalprognose wird in diesen Fällen aber unstrittig nicht in die Rechtskraft des Urteils über die Tat eingegriffen. Vielmehr ist problematisch, dass Folgeentscheidungen aus Anlass der Tat getroffen werden, diese aber nicht durch das Urteil über die Tat begründet sind.36 Nur wenn das Urteil über die Tat sämtliche, also auch auf Nichtstrafen gerichtete, nicht im Urteil angelegten Folgeentscheidungen ausschließt und die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung eine Entscheidung über die Tat ist, muss von einem Verstoß gegen die Rechtskraft des Strafurteils ausgegangen werden. Dann ist die nachträgliche Sicherungsverwahrung ein besonders geregelter Fall der Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Lasten des Angeklagten.37 1. Prozessgegenstand bei Strafverurteilung und Anordnung von Sicherungsverwahrung Wird der Täter zu einer Strafe verurteilt, ist der Gegenstand des Strafprozesses der in der Anklage bezeichnete tatsächliche Lebensvorgang, wie er dem zuletzt entscheidenden Gericht abzuurteilen rechtlich möglich war.38 Auf diese Tat als Prozessgegenstand bezieht sich die Pflicht des Gerichts zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts nach § 244 II StPO. Die in der Anklage in Bezug genommenen Tatsachen sind dabei nicht bin34 So im Ergebnis: Meier (2009), S. 307 f.; Mushoff (2008), S. 440; Finger (2008), S. 182 f.; Bender (2007), S. 150 f.; Baltzer (2005), S. 204; Eisenberg (2005b), S. 345; Hanack (2002), S. 719; Streng (2003), S. 639; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 38; KMR-Eschelbach § 362, Rn. 68, weshalb diese Autoren die nachträgliche Anordnung als Wiederaufnahme des Verfahrens begreifen. Vgl. auch BGHSt 50, 284 (296): „Eingriff in die Rechtskraft“. Anders: BVerfG NJW 2009, 980, 981; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 20, 40; Peglau (2006), S. 15. 35 Mushoff (2008), S. 440; Finger (2008), S. 182 f.; Baltzer (2005), S. 204; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 38. Ähnlich Fischer § 66b, Rn. 5. 36 Ähnlich Rissing-van Saan (2006), S. 196, die in der nachträglichen Sicherungsverwahrung eine abweichende bzw. ergänzende Beurteilung der Anlasstat auf breiterer Beurteilungsgrundlage sieht; von Freier (2008), S. 317 f.; Fischer § 66b, Rn. 5. 37 Zur Zulässigkeit der Schaffung von Wiederaufnahmegründen über § 362 StPO hinaus: Finger (2008), S. 183 ff. 38 LR26-Kühne Einleitung K, Rn. 88, 53.
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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dend, vielmehr können sich diese innerhalb eines Verfahrens verändern.39 Es ist zu klären, wie weit sich der Verfahrensgegenstand eines Verfahrens, in dem Sicherungsverwahrung angeordnet wird, von dem eines Verfahrens mit einer bloßen Strafverurteilung unterscheidet.40 Speziell für die Bestimmung des Prozessgegenstands bei Anordnung von Sicherungsverwahrung ist wichtig, dass durch die Einbeziehung der Legalbiographie in die Strafzumessungsentscheidung der Verfahrensgegenstand nicht verändert wird.41 Dies wird damit umschrieben, dass Verfahrensgegenstand der Verurteilung zu Strafe der durch die Tat vermittelte Täter ist.42 Damit kann Überlegungen, wegen der Relevanz der Legalbiographie für die Kriminalprognose, einen weiteren Verfahrensgegenstand bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung anzunehmen, entgegengetreten werden. Wenn die Sicherungsverwahrung die durch die Tat symptomatisch gezeigte Gefährlichkeit sanktioniert, dann scheint die Umschreibung des Verfahrensgegenstandes als durch die Tat vermittelter Täter angemessen. Dennoch ist der Verfahrensgegenstand bei der Sicherungsverwahrung in vieler Hinsicht erweitert. Zunächst haben über die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB andere als die gegenständliche Tat Einfluss auf die Reichweite der Kognitionspflicht des Gerichts. Weiter muss die verhandelte Tat Symptom für die Gefährlichkeit des Täters sein, so dass die Gefährlichkeit des Täters ermittelt werden und das Ergebnis in Beziehung zu der verhandelten Tat gesetzt werden muss.43 Der Lebensvorgang, der in der Anklage bezeichnet ist und vom Gericht abzuurteilen ist, greift schon hier erkennbar weit über die Vorgänge, die zur Erfüllung eines Straftatbestandes führten, hinaus. Dementsprechend wird teilweise als Prozessgegenstand der Täter anlässlich seiner Tat angenommen.44 Besonders relevant ist vor dem Hintergrund der Regelung des § 66b I 1, II StGB, ob Prozessgegenstand auch solche Tatsachen sind, deren Vorliegen das Gericht bei sorgfältiger Erfüllung seiner Kognitionspflicht nicht erkennen konnte. Eine solche Abhängigkeit des Verfahrensgegenstandes von der tatsächlichen Kognitionsmöglichkeit des Gerichts wurde allgemein für den Strafprozess insbesondere von Henkel vorgeschlagen.45 Was das Gericht bei 39
Bechtoldt (2002), S. 190 m. w. N. von Freier (2008), S. 292 ff.; von Hippel (1976), S. 52; Nagler (1939a), S. 330 f. Vgl. auch Henkel (1938), S. 187. 41 Ausführlich hierzu: von Freier (2008), S. 286 ff. 42 von Freier (2008), S. 281, 286. 43 Der Prozessgegenstand ist damit auf den Täter bezogen: Toepel (2002), S. 118; LR26-Kühne Einleitung K, Rn. 88, 53. Dies geht aber über die Zuordnung der Tat zum Täter hinaus, da der Täter in seinem Sein durch die Tat vermittelt zum Prozessgegenstand wird: von Freier (2008), S. 281. 44 von Freier (2008), S. 306. 40
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
sorgfältiger Erfüllung seiner Wahrheitserforschungspflicht nicht erkennen konnte, ist von der Rechtskraft des Urteils danach nicht erfasst. Über die Tatsachen außerhalb der konkreten Entscheidungspflicht des Gerichts soll dann eine Ergänzungsklage zulässig sein.46 Für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b I 2 StGB argumentiert das BVerfG gegen eine Rechtskraftdurchbrechung damit, dass die Entscheidung über die Unterbringung aufgrund eines ergänzten Sachverhalts getroffen werde, der nicht von der ursprünglichen Kognitionspflicht des Gerichts erfasst sei.47 In den Fällen der Anordnung nach § 66b I, II StGB soll die Rechtskraft dieser Entscheidung tangiert sein.48 Durchbrochen soll die Rechtskraft aber nur sein, wenn nach § 66b III StGB eine Anordnung auf gegenüber dem Ausgangsurteil unveränderter Tatsachengrundlage erfolgt.49 Es wird daher bei Änderung der Kognitionsbefugnis und bei Eintritt neuer Tatsachen von einem anderen Prozessgegenstand ausgegangen, nur bei unveränderter Rechts- und Tatsachenlage sei derselbe Prozessgegenstand erneut betroffen. Für die nachträgliche Anordnung der Maßregel soll die Erfüllung der Kognitionspflicht hiernach Einfluss auf die Bestimmung des Prozessgegenstandes haben. Für die Strafverurteilung wurde der Umfang der Rechtskraft aber ganz überwiegend nicht von der tatsächlichen Kognition des Gerichts abhängig gemacht.50 Denn dann könnte bei neu erkennbar gewordenen Tatsachen die Strafzumessung an die aktuelle Tatsachenlage angepasst werden, da sich das Verbot des Art. 103 III GG an der Reichweite der Rechtskraft orientiert, die Rechtskraft an der Tatsachenlage. Vor allem, weil der Maßstab der sorgfältigen Ausübung der Kognitionspflicht als zu unbestimmt erachtet wurde, um daran die Rechtssicherheit zu knüpfen.51 konnte sich für die Strafverurteilung diese Ansicht nicht durchsetzen. Es müssten daher aus den Besonderheiten des materiellen Rechts zu erklärende Unterschiede zur Strafe bestehen, die eine solche besondere Regelung rechtfertigen.
45 Henkel (1968), S. 389. Dazu: von Freier (2008), S. 279; Bechtoldt (2002), S. 189 ff. 46 Henkel (1968), S. 389 f. 47 BVerfG NJW 2009, 980, 981. So auch Kett-Straub (2009), S. 596 f. 48 BGHSt 50, 284 (296). 49 Weshalb BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08 die Unterbringung nach § 66b III StGB in diesen Fällen als Rückbewirkung von Rechtsfolgen einstuft. 50 Bechtoldt (2002), S. 201. 51 Bechtoldt (2002), S. 192 f. m. w. N.; von Freier (2008), S. 312.
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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a) Sicherungsnotwendigkeit als Verfahrensgegenstand Es wurde nach Einführung der Sicherungsverwahrung zunächst vertreten, dass Verfahrensgegenstand die Sicherungsnotwendigkeit sei.52 Dem wurde aber überzeugend entgegengehalten, dass dies die Rechtsfrage und nicht der Gegenstand des Verfahrens ist.53 Nach heute unstrittiger Ansicht ist Gefährlichkeit, auf die die Sicherungsverwahrung reagiert, die Tatgefährlichkeit. Die Tat muss Symptom der Gefährlichkeit sein.54 Obwohl das Maßregelrecht fast ausnahmslos auf die aktuelle Situation blickt,55 stellt damit der materielle Zusammenhang von Tat und Gefährlichkeit auch einen prozessualen her. Dass auf die Gefährlichkeit des Täters geblickt wird, ist Rechtsfolge der Tat. Prozessgegenstand der Anordnung von Sicherungsverwahrung ist daher auch die Tat. Allerdings ist festzustellen, dass im Prozess zur Anordnung von Sicherungsverwahrung die Untersuchung des Täters weiter ist als im Fall einer bloßen Verurteilung zur Strafe.56 Damit könnte das Urteil zwei Gegenstände haben: die Tat als Grundlage der Strafverurteilung und den Täter als Grundlage des Gefährlichkeitsurteils. b) Identität des Verfahrensgegenstands Es lassen sich Tat und Täter aber nicht in einer Weise trennen, dass der Prozessgegenstand der Anordnung von Sicherungsverwahrung ein anderer ist.57 Die Trennung des Prozessgegenstandes der Anordnung von Sicherungsverwahrung von dem des Strafurteils scheitert an der Doppelrelevanz der Tat. Diese ist Grund für die Strafe, sie ist aber auch normativ58 notwen52 Nagler (1939a), S. 330; Henkel (1938), S. 186 ff. Vgl. auch BT-Drucks. 15/2887, S. 16 nach der die Verlesung des Ersturteils in Teilen den Schöffen erst die Gesamtwürdigung ermögliche und den Gegenstand des Verfahrens erkläre. 53 von Freier (2008), S. 278, 300; ähnlich Hanack (2002), S. 717. 54 Dies setzt sich auch in den Vollstreckungsentscheidungen fort: § 463 III 3 StPO fordert die Stellungnahme zur in der Tat hervorgetretenen Gefährlichkeit. 55 Ausnahmen bilden das für die Sicherungsverwahrung geltende Verbot der reformatio in peius und die eingeschränkte Austauschbarkeit der Maßregeln untereinander vgl. LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67a, Rn. 29 f. Diese Kompromisslösung zwischen Gefahrenabwehr und Tatvergeltung wurde aber durch § 66b III StGB zugunsten der Gefahrenabwehr verschoben. Vgl. auch die Überlegungen zu abweichender Gefährlichkeit bzw. Gefährlichkeitseinschätzung bei Einlegung von Rechtsmitteln: Flandrak (1932), 128 ff. 56 von Freier (2008), S. 299 ff.; von Hippel (1976), S. 51 spricht von der Auflösungstendenz des Maßregelrechts, aus der folge, dass der Auftrag zur Sachverhaltserforschung nicht mehr durch einen Verfahrensgegenstand begrenzt ist. 57 von Freier (2008), S. 308; Hanack (2002), S. 717. 58 BVerfGE 109, 190 (220 f.); von Freier (2008), S. 302.
252
H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
dige Voraussetzung der Sicherungsverwahrung. Dies nicht nur in dem Sinne, als dass Sicherungsverwahrung ohne Anlasstat bisher noch nicht eingeführt wurde, sondern weil die Unterwerfung des verantwortlichen Täters unter eine Kriminalprognose nur als Reaktion auf eine Straftat gerechtfertigt sein kann. Nur die dem Täter zurechenbare Anlasstat kann es rechtfertigen, Freiheitsentziehung auf eine Gefährlichkeitsprüfung zu gründen.59 Für die Identität spricht insbesondere, dass ein im Sicherungsverfahren ergangenes Sachurteil die Strafklage60 und ein Sachurteil über die Tat nach überwiegender Ansicht den Sicherungsanspruch für das Sicherungsverfahren verbraucht.61 Die Gegenansicht62 geht davon aus, dass der rein verwaltungsrechtliche Charakter des Sicherungsverfahrens einen Verbrauch der Strafklage ausschließt. Selbst wenn dieser Ansicht zu folgen wäre, so müsste doch im Urteil über die Tat der Übergang in das Sicherungsverfahren angelegt sein,63 wenn an die Tat als Anlass der Sicherung angeknüpft wird. Damit ergibt sich, dass im Verfahren, in dem Strafe und Sicherungsverwahrung verhängt werden, über einen identischen Gegenstand, die Tat und den dadurch in Erscheinung getretenen Täter, verhandelt wird. Auch die Trennung des Urteils in justiziellen und verwaltungsmäßigen Teil ergibt nichts anderes: Wenn ein Übergang in den verwaltungsmäßigen Teil im Urteil enthalten ist, dann erwächst dieses in volle Rechtskraft.64 Es ergeben sich insoweit keine Besonderheiten, die es rechtfertigen, für die Sicherungsverwahrung den Prozessgegenstand von der konkreten Ausübung der Kognitionspflicht abhängig zu machen. Wie für die Strafe spricht die hohe Bedeutung der Rechtssicherheit gegen die Abhängigkeit von einer derart unbestimmten Formel. Bei Anordnung von Sicherungsverwahrung und gleichzeitiger Strafverurteilung wird über einen Verfahrensgegenstand entschieden, dessen Reichweite nicht von der konkreten Ausübung der Kognitionspflicht abhängt.
59
BVerfGE 109, 190 (220). BGHSt 11, 319 (322); von Freier (2008), S. 314; Peglau, (2006), S. 16; Bechtoldt (2002), S. 209; LR25-Gössel § 414, Rn. 36; Meyer-Goßner § 416, Rn. 9. 61 von Freier (2008), S. 314; Meyer-Goßner § 416, Rn. 9; KK-Fischer § 414, Rn. 23. 62 Peters (1985), S. 572; Nagler (1939), S. 332 ff. 63 Vgl. Peters (1985), S. 571 f., der eine Überleitung entsprechend § 416 StPO in das Sicherungsverfahren fordert, wenn sich die Schuldunfähigkeit nach begonnener Verhandlung herausstellt. 64 So auch von Freier (2008), S. 320. 60
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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2. Prozessgegenstand bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung Entschieden wird im Fall des § 66a II StGB nur noch über die Anordnung der Sicherungsverwahrung.65 Es wird von der Identität des Verfahrens in seinem Gegenstand mit dem des Ursprungsverfahrens ausgegangen, wobei eine zeitliche Aufspaltung des einen Verfahrens angenommen wird. Diese Identität beider Verfahren bewirkt der Vorbehalt in der Ausgangsverurteilung, rechtskräftig abgeschlossen sind allein Schuldspruch und Strafzumessung.66 Ein ohne gesetzliche Anordnung unzulässiges Teilurteil67 wird von § 66a I StGB ausdrücklich zugelassen. Dass allein die Erkenntnisse aus dem Strafvollzug Verfahrensgegenstand sind, wird nicht vertreten, obwohl die Beweisaufnahme hierauf beschränkt sein soll.68 Dass nur ein bestimmter Teil des Verfahrensgegenstands der weiteren Kognition unterliegt, ist aus den Fallgruppen der isolierten Anfechtung eines selbständigen Teils des Urteils bekannt. Am ähnlichsten ist der Konstellation des § 66a II StGB die eigenständige Anfechtung der Nichtanordnung einer Maßregel. Die Norm des § 66a II StGB setzt die Trennbarkeit von Strafausspruch und Sicherungsfrage voraus. Dies ist wegen der Doppelrelevanz der prognostisch relevanten Tatsachen für Gefährlichkeitsurteil und Strafzumessung nicht unproblematisch, durch eine Berücksichtigung der Anordnung des Vorbehalts in der Strafzumessung kann aber eine unangemessene69 Belastung des Täters verhindert werden. 3. Prozessgegenstand bei nachträglicher Sicherungsverwahrung Wird das Verfahren nach § 66a II StGB, § 275a StPO als Fortsetzung des Hauptverfahrens angesehen, so ist dies für das Verfahren nach § 66b StGB, § 275a StPO nicht möglich. Hier handelt es sich nicht um eine Verfahrensfortsetzung, sondern um ein eigenes, neues Verfahren.70 Die Annahme eines LR25-Gollwitzer, Nachtrag § 275a, Rn. 24; SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 23; Meyer-Goßner § 275a, Rn. 39; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 77; Finger (2008), S. 181 m. w. N.; Schreiber/Rosenau (2004), S. 101; Jansing (2004), S. 275. 66 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 23. 67 SK-StPO-Schlüchter § 264, Rn. 20 m. w. N. 68 Finger (2008), S. 181; LR25-Gollwitzer Nachtrag § 275a, Rn. 24; SK-StPOFrister § 275a, Rn. 27. 69 Unangemessen kann hier nicht das Übersteigen des Schuldangemessenen sein, dieses Maß ist für die Sicherungsverwahrung nicht gültig, vielmehr ist die durch schuldangemessene Strafe und präventiven Zugriff auf den Täter gebildete Gesamtbelastung anzusehen. 65
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
einheitlichen Prozesses kann sich nur daraus ergeben, dass das Zweitverfahren allein im Rahmen des Erstverfahrens möglich ist: Die Strafvollstreckung darf bei Antragstellung noch nicht abgeschlossen sein, umgekehrt setzt die Einleitung des Verfahrens die Rechtskraft des Ersturteils voraus. Die überwiegende Ansicht nimmt eine Einheit des Verfahrens aber nicht in Anspruch, sondern geht davon aus, dass sich beide Hauptverhandlungen auf verschiedene Gegenstände beziehen. Dabei ist umstritten, was Gegenstand des zweiten Verfahrens ist. Einigkeit besteht, dass wie im Fall des § 66a II StGB nur noch die im Erstverfahren nicht (§ 66b I 2, II, StGB) oder aufgrund einer anderen Tatsachenbasis (§ 66b I 1, III StGB) behandelte Frage nach der spezifischen Gefährlichkeit des Täters zu beantworten ist. Als Verfahrensgegenstand kommen die erkennbar gewordenen Tatsachen in den Fällen des § 66b I, II StGB in Betracht, da diese Voraussetzung für die Verfahrenseinleitung sind. a) Erkennbar gewordene Tatsachen als Verfahrensgegenstand Diese sind nach Peglau Prozessgegenstand, denn sie „übernehmen damit die Funktion der Anlasstat im Straf- oder Sicherungsverfahren, die auch erst überhaupt den Eintritt in die Prüfung der für die Präventivsanktion erforderlichen Gefährlichkeit gestattet und materiellrechtlich einen wesentlichen Gesichtspunkt der Gefährlichkeitsprognose darstellt.“71
Auch der BGH stellt Anforderungen an die Begründung des Antrags zur Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung durch die Staatsanwaltschaft, da durch den Antrag der Gegenstand des Verfahrens bestimmt wird, „indem festgestellt wird, welche neuen Tatsachen Anlass für die Einleitung des Verfahrens sind und der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen.“72
Auf diese Weise wird ein Konflikt mit der Rechtskraft des Strafurteils in Abrede gestellt,73 da ein Prozess über den durch die Einbeziehung dieser Tatsachen veränderten Gegenstand noch nicht geführt wurde. Die Betrachtung der erkennbar gewordenen Tatsachen als alleinigen Verfahrensgegenstand setzt voraus, dass die Trennung eines Sicherungsverfahrens von der 70 Finger (2008), S. 182; Rissing-van Saan (2006), S. 200. Vgl. auch Hanack (2002), S. 717, 719. 71 Peglau (2006), S. 15; Ullenbruch (2007), S. 69, der deswegen ein Nachschieben weiterer Tatsachen im eingeleiteten Verfahren ausschließt; vgl. auch BGHSt 50, 284 (291 f.); BVerfG NJW 2009, 980, 981. 72 BGHSt 50, 284 (291). 73 BVerfG NJW 2009, 980, 981; Peglau (2006), S. 15 f.
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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Straftat möglich ist und die Sanktion durch ein Verfahren über Nichtstraftaten zu legtitimieren ist. b) Besonderheit: Fortlaufender Gefahrensachverhalt Die Besonderheit, die bei der Sicherungsverwahrung für die Zulässigkeit nachträglicher Entscheidungen trotz Rechtskraft der Entscheidung über die Tat angeführt wird, ist, dass die Gefährlichkeit des Verurteilten ein fortlaufender Zustand ist.74 Dann ist aber nicht einzusehen, warum dieser Sachverhalt mit dem Ende des Strafvollzugs beendet sein soll. Die Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten durch diesen Verurteilten ist damit nicht beendet. „Über keinen Verwahrungsfall sind die Akten jemals endgültig geschlossen.“75 Der Versuch über eine solche Begrenzung einen prozessualen Rahmen herzustellen scheitert, da er materiell nicht begründbar ist. Während es einsichtig ist, dass die in der Straftat begründete Unterstellung unter die Kriminalprognose im Urteil über die Straftat auszusprechen ist, sprechen lediglich empirische Gründe für die Begrenzung der Anordnungsmöglichkeit auf den Strafvollzug. Dem steht nicht entgegen, dass der durch die Tat gesetzte Lebenssachverhalt im Fall des § 66b StGB mit dem Strafvollzug abgeschlossen ist. Ist damit die Strafverbüßung gemeint, so kann durch die Strafverbüßung lediglich die durch die Tatbegehung verwirkte Schuld abgegolten sein. Diese ist für die Sicherungsverwahrung irrelevant. Ist die Gesamtheit der prognostisch relevanten Tatsachen gemeint, so ist eine Veränderung der prognostisch relevanten Tatsachen bis zum Tod des Täters nie ausgeschlossen und damit auch nicht die der Kriminalprognose. c) Kritik der Eigenständigkeit erkennbar gewordener Tatsachen Mit der Frage, ob die Rechtskraft einer die Sicherungsverwahrung nicht anordnenden Entscheidung ihrer nachträglichen Anordnung entgegensteht, musste sich das Reichsgericht befassen: Im Urteil über die Tat wurde gegen den Angeklagten trotz Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20a, 42e RStGB keine Sicherungsverwahrung angeordnet. Im Berufungsverfahren wurde die Anordnung erörtert, aber wegen § 331 II StPO nicht ausgesprochen. Das RG nahm im konkreten Fall keinen Verbrauch des Sicherungsanspruchs an,76 stellte aber fest, dass es bei Vorliegen einer rechtskräftigen sachlichen Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung 74 75
BVerfG NJW 2009, 980, 981. Nowakowski (1963), S. 112.
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
„unzulässig ist, auf denselben oder einen Antrag mit Rücksicht auf dieselben Straftaten oder Verurteilungen über die Sicherungsverwahrung sachlich zu entscheiden; . . .“77
Weiter nahm das Gericht an, dass wenn bei der Aburteilung einer Straftat die Anordnung der Sicherungsverwahrung möglich war, diese aber unterblieb, eine nachträgliche Anordnung nach Art. 5 Nr. 2 GewVerbrG ausschied, „sei es dass sie ausdrücklich abgelehnt oder dass sie übergangen worden ist, und gleichviel ob alle Vorstrafen dem Gericht bekannt gewesen sind oder nicht – so ist die Strafklage für die Sicherungsverwahrung verbraucht.“78
Damit wurde der Verfahrensgegenstand nicht auf erkennbar gewordene Tatsachen beschränkt, ebenso wenig ging das Gericht von einer Veränderung des Verfahrensgegenstands durch die weitere Entwicklung nach dem Ersturteil aus. Die Annahme einer Sperrwirkung des Urteils über die Tat für die nachträgliche Sicherungsverwahrung muss darauf beruhen, dass Gegenstand auch der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung die Straftat ist. Die Argumentation des Gerichts kann vor allem auf den Fall des § 66b I 1 StGB übertragen werden, in dem die Anordnung auch im Ausgangsurteil möglich war. Zumindest für diesen Fall enthält das Ausgangsurteil eine Sperrwirkung, da über diesen Verfahrensgegenstand rechtskräftig entschieden wurde.79 Es wird zumindest bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen der §§ 66, 66a konkludent die Gefährlichkeit verneint.80 aa) Empirische Argumentation gegen die Beschränkung des Prozessgegenstandes Empirisch ist die Anlasstat als Prognosefaktor zu wichtig, als dass sie nicht Gegenstand des Verfahrens sein könnte.81 Gleiches gilt für die Legalbiographie. Der Vorstellung, dass die erkennbar gewordenen Tatsachen im 76
Weil eine sachliche Entscheidung über die Sicherungsverwahrung anlässlich dieser Tat deshalb nicht erging, weil das Verbot der reformatio in peius entgegenstand und die Tat von einer kleinen Strafkammer abgeurteilt wurde, die die Sicherungsverwahrung nicht anordnen durfte, vgl. RGSt 68, 392 (393). 77 RGSt 68, 392 (393 f.). 78 RGSt 69, 170 (171). Kritisch: Henkel (1939), S. 215. 79 Hanack (2002), S. 717. Vgl. auch Grünwald (1964), S. 236 ff., der zum alten Recht eine isolierte Anfechtung der Anordnung von Sicherungsverwahrung mit Rechtsmitteln ablehnt, da über diese Frage unabhängig von der Strafzumessung nicht entschieden werden könne. 80 Waterkamp (2004), S. 268; Schreiber/Rosenau (2004), S. 102; Hanack (2002), S. 717; Finger (2008), S. 184; Bender (2007), S. 151. 81 Streng (2006), S. 96 f.; von Freier (2008), S. 320; Finger (2008), S. 182; Bender (2007), S. 151; Laubenthal (2004), S. 750.
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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Rahmen der Gesamtwürdigung so erheblich sind, dass sie aus sich heraus ein Indiz für die Gefährlichkeit des Verurteilten sind,82 wird widersprochen.83 Weiter wurde bisher davon ausgegangen, dass eine Überprüfung der Gefährlichkeit die gesamte Prüfung der Gefährlichkeit voraussetzt und eine Beschränkung auf einzelne Elemente nicht verträgt.84 Die Beschränkung des Prozessgegenstandes überzeugt aufgrund der Notwendigkeit der Erstellung einer legitimierenden Kriminalprognose nicht, da die Bedeutung der Anlasstat und der im Urteilszeitpunkt bekannten kriminalprognostisch relevanten Tatsachen (Legalbiographie) bei der die Unterbringung legitimierenden Kriminalprognose gegenüber dem Vollzugsverhalten überwiegt. Aufgrund der Schwäche anderer Gefährlichkeitsindikatoren ist die abgeurteilte Anlasstat notwendig zentrales Indiz.85 Das Vollzugsverhalten ist nur Ergänzung der Prognosebasis, kann also den Verfahrensgegenstand nicht verändern.86 Dieser Argumentation gegen die Beschränkung des Verfahrensgegenstands auf die erkennbar gewordenen Tatsachen allein kann zwar die Überlegung entgegengehalten werden, dass auch bei angeordneter Sicherungsverwahrung die Tat jeweils neu in die Folgeentscheidungen einbezogen wird. Dieser Einwand aber dringt nicht durch, da die Folgeentscheidungen Ausfüllung des Ersturteils sind. bb) Normative Argumentation gegen die Beschränkung des Prozessgegenstandes Die Annahme, nur die erkennbar gewordenen Tatsachen seien Prozessgegenstand der nachträglichen Sicherungsverwahrung, begegnet normativen Einwänden. Diese begründen sich in der prozessualen Widerspiegelung der Strafnähe von Sicherungsverwahrung. So ist die Sicherungsverwahrung vom Verbot der reformatio in peius erfasst. Legt nur der Angeklagte Rechtsmittel ein, kann die Sicherungsverwahrung nicht mehr angeordnet werden. Wenn aber um ein faires Verfahren zu gewährleisten schon im Rechtsmittelverfahren die Kognitionspflicht des Gerichts nicht auf prognostisch relevante Tatsachen erweitert wird, lässt sich eine nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils eintretende Erweiterung nicht begründen.87 Warum 82
BVerfG NJW 2006, 3484, 3486; BGHSt 50, 275 (276). Dazu bereits oben unter G.I.2.b). 84 RGSt 69, 385 (387 f.); Grünwald (1964), S. 234. 85 Schreiber/Rosenau (2004), S. 102 sprechen von außerordentlicher Bedeutung der Tat; Finger (2008), S. 182. 86 So auch von Freier (2008), S. 320 f. 87 Den Widerspruch, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung eine Korrektur fehlerfreier früherer Entscheidungen zulässt, aber nicht die Korrektur fehlerhafter sieht Peglau (2008), S. 1636. 83
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
die Tatsachen, die in diesem Zeitraum eintreten, nicht berücksichtigungsfähig sein sollen, ist nicht zu erklären.88 Wenn dies aus Gründen des fairen Verfahrens ausgeschlossen ist, dann muss dieser Ausschluss auch nach Eintritt der Rechtskraft gelten. Weiter wird die Trennbarkeit von Strafzumessungs- und Sicherungsentscheidung im Fall der Anordnung im Urteil nur dann angenommen, wenn im Einzelfall eine gegenseitige Beeinflussung von Straf- und Maßregelausspruch ausgeschlossen ist.89 Eine solche Einzelfallprüfung, ob die erkennbar gewordenen Tatsachen strafzumessungsrelevant sind, sieht § 66b StGB nicht vor. Auch verbraucht ein Sachurteil über die Tat den Sicherungsanspruch für das Sicherungsverfahren.90 Wenn das Urteil über die Tat die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB verhindert, muss dies auch für die strafnähere Sicherungsverwahrung gelten. Ein spezielles Argument betrifft den Fall, dass die erkennbar gewordenen Tatsachen neue Straftaten darstellen: Wären die erkennbar gewordenen Tatsachen Verfahrensgegenstand, so könnten diese entweder wegen anderweitiger Rechtshängigkeit oder wegen ihrer rechtskräftigen Aburteilung nicht Gegenstand des Sicherungsverfahrens sein. (1) Widerspruch zur Auslegung des § 67d VI StGB Werden die erkennbar gewordenen Tatsachen als Verfahrensgegenstand angesehen, sind Unstimmigkeiten im Recht der Sicherungsverwahrung die Folge. Unmittelbar daraus ergibt sich die Frage, was Gegenstand eines Verfahrens zur Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b I 2, III StGB ist, wenn keine relevanten Tatsachen erkennbar geworden sind. Besonders für die Anordnung nach Abs. 3 ist unklar, warum sich die materielle Rechtskraft des Strafurteils grundsätzlich auf eine bestimmte Tatsachenlage beziehen soll, bei der Entscheidung nach §§ 63, 67d VI StGB aber angenommen wird, die Subsumtion der Tatsachen unter den Zustand im Sinne von §§ 20, 21, 63 StGB sei unabhängig von der Identität der Tatsachenbasis aktuell 88 Für ein Verfahren nach § 275a StPO sind sie es nicht, da diese Tatsachen nach der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz eingetreten sein müssen. Für Tatsachen, die während der Revision eintreten, gilt § 275a StPO, für Tatsachen im Berufungszeitraum gilt dagegen § 331 StPO, der bei ausschließlicher Rechtsmittelführung des Angeklagten die Anordnung von Sicherungsverwahrung untersagt. Dass die Berufung in der Regel gegen die einschlägigen Urteile nicht möglich ist (§ 74 GVG, § 312 StPO), ändert an dem Widerspruch nichts. 89 LR25-Hanack § 333, Rn. 55; Marquardt (1972), S. 157 ff.; Grünwald (1964), S. 241. SK-StPO-Frisch § 344, Rn. 26 f.; LR25-Hanack § 344, Rn. 55. Grundlegend zu §§ 20a, 42e a. F.: Grünwald (1964), S. 238 ff. 90 von Freier (2008), S. 314; Meyer-Goßner § 416, Rn. 9; KK-Fischer § 414, Rn. 23; a. A.: Peters (1985), S. 572; Nagler (1939), S. 332 ff.
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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vorzunehmen. Es kann außerdem der materiell bestehende Widerspruch zwischen § 66b und §§ 67c I, d II StGB nicht überdeckt werden: Warum es zulässig sein soll, im ersten Fall bei erkennbar (§ 66b I 1, II, III StGB) oder relevant (§ 66b I 2 StGB) werden prognostischer Basistatsachen eine Kriminalprognose gegen den Täter gelten zu lassen, obwohl diese nicht im Urteil über die Tat angeordnet war, in den Fällen der Vollstreckungsprognose es aber nach überwiegender Ansicht unzulässig ist, die Weitervollstreckung anzuordnen, wenn sich die befürchteten Taten ändern, obwohl in diesen Fällen die Geltung der Kriminalprognose angeordnet ist, ist unklar.91 (2) Widerspruch zur Begründung der Prognose mit der Straftat Auch der Umstand, dass im Vollstreckungsverfahren trotz der Einbeziehung der Tat in die Prognose kein Eingriff in die Rechtskraft des Anordnungsurteils angenommen wird, spricht nicht gegen die Annahme, dass die Tat der Verfahrensgegenstand des Zweitverfahrens ist. Denn es ist widersprüchlich, dass das Zweitverfahren nur die erkennbar gewordenen Tatsachen zum Gegenstand haben soll, während die Geltung der unsicheren Kriminalprognose mit der Straftat begründet wird. Darauf, dass der Prozessgegenstand vor allem eng begrenzt wird, um einen Konflikt mit der Rechtskraft der Erstentscheidung zu vermeiden, während in der zweiten Hauptverhandlung der Stoff beider Verfahren zu einem Gesamten verschmilzt, hat von Freier hingewiesen.92 Dies ist notwendig, um die nachträgliche Anordnung als Rechtsfolge der Tat anzusehen. Dann aber kann das zweite Verfahren nicht ausschließlich über die erkennbar gewordenen Tatsachen geführt werden. Vielmehr ist die Einbeziehung der relevanten Aspekte in das zweite Verfahren notwendig, welche durch Verlesung der relevanten Passagen des Ersturteils erreicht wird (§ 275a III 1, 2 StPO). Entweder gilt gegen den Täter eine Kriminalprognose, deren Geltung nicht mit der Tatbegehung begründet wird, oder es werden aus Anlass einer Straftat zwei selbständige Verfahren durchgeführt und es wird die Tat nachträglich mit dem sanktioniert, was das Urteil schon hätte enthalten sollen.93 Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist eine erneute Sanktion der Tat in einem neuen Verfahren.94 Denn wenn auch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der Kriminalprognose beruht und keine direkte 91 Dagegen kann nicht vorgebracht werden, dass die Tatsachen bei § 66b StGB Symptom der Gefährlichkeit sind, die in der Straftat ausgedrückt wurde, ist doch damit nicht die prozessuale Verbindung von Tat und Gefährlichkeit geleistet. 92 von Freier (2008), S. 315. 93 Finger (2008), S. 182; Streng (2006), S. 96; Laubenthal (2004), S. 750. 94 Finger (2008), S. 182; Gazeas (2005), S. 13; Laubenthal (2004), S. 750; Streng (2003), S. 639; ders. (2006), S. 96; Bender (2007), S. 151 f.
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
Sanktion der Tat darstellt95, so muss doch die Geltung der Prognose gegen den Betroffenen aus der Tat erklärt werden. Anders als in den Fällen der §§ 66, 66a StGB ist im Strafurteil die Geltung der Prognose (§ 67c I StGB bzw. § 66a II StGB und jeweils § 67d II, III StGB) nicht angeordnet. Dies kann nur entbehrlich sein, wenn die Tat eine Unterstellung unter die Kriminalprognose auch unabhängig von einem solchen Ausspruch im Urteil zu begründen vermag. Eine solche Interpretation wäre aber ein Systembruch im Maßregelrecht, das nicht auf dem Gedanken der categorial incapacitation beruht und das eine Unterstellung unter die Kriminalprognose durchgängig vom Zusammentreffen von Straftat, Verurteilung wegen dieser Straftat und (im Fall des § 66a I StGB eingeschränkt) positiver Kriminalprognose abhängig macht.96 Im Hinblick auf die Stellung der Sicherungsverwahrung als ultima ratio der strafrechtlichen Sanktionen und der notwendigen Unsicherheit bei der Kriminalprognose bezüglich Ergebnis und Verfahren erscheint es nicht angebracht, eine Geltung der Kriminalprognose gegen den Verurteilten unabhängig von der Verurteilung dazu zuzulassen. Denn die materiell notwendig unbestimmte Sanktion verliert auf diese Weise zusätzlich prozessuale Bestimmtheit. (3) Gleichsetzung von Tat und Tatsache Wären allein die erkennbar gewordenen Tatsachen Verfahrensgegenstand, wäre die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose nicht Rechtsfolge der Tat. Das wird deutlich im Vergleich zum Sicherungsverfahren. Nach rechtskräftigem Abschluss des Sicherungsverfahrens kann ein neues nur eingeleitet werden, wenn sich die Gefährlichkeit aus einer im Rahmen des ersten Urteils noch nicht berücksichtigten Straftat ergibt,97 da für diese Tat ein eigenes Sicherungsverfahren zu führen ist.98 Der zur Einleitung des Sicherungsverfahrens berechtigende Grund ist die begangene Straftat. Der zur Einleitung eines Verfahrens nach § 275a StGB berechtigende Grund ist aber das erkennbar werden relevanter Tatsachen, so dass gefolgert wird, 95
Was BVerfG NJW 2009, 980, 981 damit umschreibt, dass die Rechtskraft des Anordnungsurteils nicht durchbrochen, aber tangiert sei. BGHSt 50, 284 (296) spricht von einem Eingriff in die Rechtskraft des Ausgangsurteils. 96 Brandt (2008), S. 83 sieht daher den Anspruch auf Gewissheit verletzt und hält die Regelung für unverhältnismäßg (S. 121). Kinzig (2008), S. 294 f. weist darauf hin, dass die Sicherungsverwahrung bisher zwei Kriminalprognosen forderte. 97 Peglau (2006), S. 16 m. w. N. 98 LR25-Gössel § 414, Rn. 36. Ein solches geht der nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung vor, wenn die neue Straftat, wegen der das Sicherungsverfahren eingeleitet wurde, eine erkennbar gewordene Tatsache darstellt: BGH R&P 2006, S. 205.
II. Prozessgegenstand des Strafurteils
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„so wie neue Straftaten den Weg zu einem neuen Sicherungsverfahren eröffnen, eröffnen dann auch neue Gefährlichkeitstatsachen den Weg zu einem § 275a-Verfahren.“99
Insoweit der Täter aus Anlass der Tat ohne dazu verurteilt zu sein die Prognose gegen sich gelten lassen muss, kann dies nicht eine Wirkung des Strafurteils sein. Dann muss es Wirkung der Straftat sein. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung muss in Anspruch nehmen, dass es möglich ist, eine Rechtsfolge der Straftat aus Anlass von Tatsachen auszusprechen. Es wird der zweite Schritt vor dem ersten getan: Dass die Kriminalprognose aktuell sein muss100, ist selbstverständlich. Es muss aber die Berechtigung der Prognoseerstellung begründet werden. Die Geltung der Prognose für und gegen den Täter lässt sich für § 66 StGB aus der Anordnung der Sicherungsverwahrung herleiten, für § 66a StGB aus dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. Die Prognose kann im Fall der Strafverurteilung nur zugunsten des Täters wirken, wie die Vorschriften der §§ 56 ff. StGB zeigen. In diesen Fällen wird die bereits legitimierte Freiheitsentziehung ausgesetzt.101 Es liegt mit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung die einzige Rechtsfolge der Tat vor, die im Urteil über die Tat nicht angelegt ist. Das Primat der Tat im Strafprozess wird hier in sein Gegenteil verkehrt: Gegenstand eines Strafverfahrens ist die Straftat, der Lebensvorgang, der den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt. Soll Sicherungsverwahrung angeordnet werden, so wird über diesen Prozessgegenstand hinausgegriffen, es werden in das Verfahren wegen der Tat die prognostisch relevanten Tatsachen einbezogen. Im Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung soll dagegen ein Strafprozess über prognostisch relevante Tatsachen102 geführt werden, in das die abgeurteilte Tat und die anderen prognostisch relevanten Tatsachen eingeführt werden müssen, um eine legitimierende Kriminalprognose erstellen und als Rechtsfolge der Tat die Geltung der Kriminalprognose anordnen zu können.
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Peglau (2006), S. 216. SK-StGB-Sinn § 61, Rn. 11. 101 Insofern kann eine Geltung der Prognose gegen den Verurteilten nicht durch die Möglichkeit des Widerrufs der Strafaussetzung begründet werden, denn in diesem Fall wird nur auf das unabhängig von der Prognose (vgl. aber § 46 I 2 StGB) Begründete zurückgegriffen. Vgl. Berg/Wiedner (2007), S. 439. 102 Kritisch zu der minimalen Begründungspflicht, die zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung jener Tatsachen führt, die Prozessgegenstand sein sollen: Peglau, (2006), S. 15. BGHSt 50, 284 (291) folgert die Pflicht zur Antragsbegründung daraus, dass in dem Antrag die Tatsachen bezeichnet werden müssen, die Verfahrensgegenstand sind und der Entscheidung zugrunde gelegt werden. 100
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
d) Wiederholbarkeit der Sicherungsanträge Vom Gegenstand des Prozesses zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung hängt die Wiederholbarkeit der Anträge nach § 275a I StPO ab. Während der Gesetzgeber nicht von der Wiederholbarkeit der Anträge ausging103, wird dies teilweise zugelassen. Dass nur ein Antrag je Straftat gestellt werden kann, ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen.104 Wenn die erkennbar gewordenen Tatsachen Verfahrensgegenstand sind, ist die Stellung mehrerer Anträge aufgrund einer Tat aber jeweils verschiedener Tatsachen möglich, da bei erkennbar werden anderer prognostisch relevanter Tatsachen diese noch nicht abgeurteilt worden sind.105 Eine ablehnende Entscheidung über die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung verbraucht dann lediglich die jeweils in der Antragsschrift bezeichneten erkennbar gewordenen Tatsachen, steht also bei anderen Tatsachen einem erneuten Verfahren nicht im Weg.106 Die von Peglau angenommene Wiederholbarkeit der Anträge setzt voraus, dass sich die materielle Rechtskraft der Anordnung einer Maßregel auf das Vorliegen ihrer Voraussetzungen im Urteilszeitpunkt beschränkt.107 Dies kann sich darauf stützen, dass das individuelle Vertrauen des Betroffenen sich nur darauf beziehen kann, auf Grundlage der bekannten Handlungsbedingungen nicht als gefährlich zu gelten. Nicht beachtet wird dabei die Begründung der Geltung einer Prognose. Diese will Peglau ausschließlich mit den relevanten Tatsachen begründen, wenn er ausführt, dass so wie ein neues Sicherungsverfahren bei neuen Straftaten eingeleitet werden kann, neue gefährlichkeitsrelevante Tatsachen ein neues Verfahren nach § 275a StPO eröffnen.108 Über die Beschränkung des Verfahrensgegenstandes des Zweitverfahrens auf erkennbar gewordene Tatsachen hinaus begegnet diese 103 Bericht zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 15/3346, S. 18: „Hat das zuständige Gericht einen Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt, so kann die Staatsanwaltschaft ihren Antrag nicht wiederholen. Denn das Gericht entscheidet über den Antrag der Staatsanwaltschaft durch Urteil. Die materielle Rechtskraft dieses Urteils bewirkt eine Sperrwirkung, die den gesamten Verfahrensgegenstand umfasst.“ 104 BGHSt 50, 284 (292); Peglau (2006), S. 15; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 57. 105 Die Wiederholbarkeit nehmen daher an: BGHSt 50, 284 (292); Peglau (2006), S. 15; Ullenbruch (2007), S. 69; Brandt (2009), S. 192; Rissing-van Saan (2006), S. 202; Meyer-Goßner § 275a, Rn. 13. 106 Peglau (2006), S. 15 f.; Rissing-van Saan (2006), S. 202 nimmt an, dass derart verbrauchte Tatsachen aber in einem wegen anderen Tatsachen eröffneten Verfahren in die Kriminalprognose einbezogen werden können. Dies ist folgerichtig, da auch rechtskräftig abgeurteilte Vortaten einbezogen werden können. 107 Peglau (2006), S. 16 mit Bezug auf Radtke (1998), S. 307. 108 Peglau (2006), S. 16; Brandt (2008), S. 192.
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Gleichsetzung von prognoserelevanten Tatsachen und Straftaten jedoch den oben angeführten Einwänden. e) Der Täter als Verfahrensgegenstand Aufgrund der Unhaltbarkeit der Annahme, nur die erkennbar gewordenen Tatsachen seien der Verfahrensgegenstand, schlägt von Freier vor, den Täter anlässlich seiner Tat, das Sosein des Täters als gefahrbegründender Zustand, als Verfahrensgegenstand aufzufassen.109 Das BVerfG geht für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Fall des § 66b I 2 StGB, in dem keine erkennbar gewordenen Tatsachen erforderlich sind, von einem nicht mit der Tat im prozessualen Sinn identischen Prozessgegenstand aus, wenn es ausführt: „In tatsächlicher Hinsicht findet nicht lediglich eine erneute Prüfung des bereits dem Tatgericht bekannten oder erkennbaren Sachverhalts statt. Vielmehr ist auch das Verhalten des Verurteilten nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils von Bedeutung. Die durch das nachträglich entscheidende Gericht vorzunehmende Prognoseentscheidung basiert auf einem Sachverhalt, der weder zum Zeitpunkt der Tat noch zu dem des Urteils oder des In-Kraft-Tretens der Neuregelung abgeschlossen war. In diesem Punkt unterscheidet sich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (auch) nach § 66b I 2 StGB von einem Wiederaufnahmeverfahren zum Nachteil des Verurteilten.“110
Damit übereinstimmend nimmt das BVerfG eine ebensolche Differenz des Verfahrensgegenstands zu dem des Ersturteils im Fall des § 66b III StGB an: „Für Verfahren mit einem anderen Prozessgegenstand entfaltet die materielle Rechtskraft grundsätzlich weder eine Feststellungs- noch eine Bindungswirkung.“111
Danach stellt jede Änderung der Tatsachengrundlage einen anderen Prozessgegenstand her, der ohne in die Rechtskraft von Vorentscheidungen einzugreifen abgeurteilt werden kann. aa) Verkennung von Anordnungs- und Vollstreckungsentscheidung Zur Begründung verweist das Gericht auf die Entscheidung über die Streichung der Befristung erstmaliger Unterbringung in § 67d III StGB112. 109 von Freier (2008), S. 306, 322. So für die einfache Sicherungsverwahrung schon von Hippel (1976), S. 50 f. 110 BVerfG NJW 2009, 980, 981. 111 BVerfG NJW 2009, 980, 981. 112 BVerfG NJW 2009, 980, 981.
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
Dort wird ausgeführt, dass eine Rechtskraftdurchbrechung durch die Vollstreckung einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus nicht stattfinde, da die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung nicht Bestandteil der rechtskräftigen Anordnungsentscheidung werde.113 Der Übertragung dieser Argumentation auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung steht aber entgegen, dass im Fall des § 67d III StGB die Geltung der Kriminalprognose im Urteil angeordnet wurde, während diese Rechtsfolge der Tat bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung im Urteil fehlt. Während die Entscheidung nach § 67d III StGB als Ausfüllung des Urteils über die Tat anzusehen ist und die Vorschriften über diese nach § 2 VI StGB unter Änderungsvorbehalt stehen, ist das Urteil über die Tat hier abschließend, es ordnet die Geltung der Prognose nicht an. Außerdem müsste das BVerfG auf Grundlage dieser Argumentation den Vollstreckungsentscheidungen einen anderen Gegenstand zusprechen, als er dem Urteil zugrunde lag. Dies geschieht aber nicht, wenn dem Vollstreckungsgericht die Möglichkeit abgesprochen wird, aus rechtlichen Gründen eine Fehlunterbringung nach § 67d VI StGB für erledigt zu erklären, um die Rechtskraft des Urteils über die Tat zu wahren.114 Auch kann das BVerfG nicht überzeugend auf die Möglichkeit der landesrechtlichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verweisen: Die zivilrechtliche Unterbringung ist zwar auch dann möglich, wenn die strafrechtliche rechtskräftig abgelehnt wurde.115 Dies erscheint vor dem Hintergrund verständlich, dass die Verfahren verschiedene Gegenstände haben, dass das strafrechtliche Verfahren die Tat zum Gegenstand hat und dass die Geltung der Prognose gegenüber dem Kranken durch die Krankheit begründet werden kann.116 Während bei § 63 StGB die Tat die Zuständigkeit des Strafrechts begründet, ist die Tat bei der Sicherungsverwahrung darüber hinaus notwendig um die Vermutung normgemäßen Verhaltens zu entkräften. bb) Dynamik als Spezifikum der Sicherungsverwahrung Für den (echten) Strafprozess ist die konkrete Kognitionspflicht nicht maßgeblich für die Bestimmung des Verfahrensgegenstands. Dass dies bei der Sicherungsverwahrung anders sein soll, kann sich auf die fortlaufende Veränderung der Tatsachen stützen, die die Voraussetzungen erfüllen. Wenn die Dynamik des Zustands den Entscheidungsgegenstand verändert, ist davon auszugehen, dass Prozessgegenstand der Täter in seiner Gesamtheit ist. 113 114 115 116
BVerfGE 109, 133 (182 f.). So BVerfG NStZ-RR 2007, 29, 30. KK-Fischer § 414, Rn. 22 und § 413, Rn. 15; LR25-Gössel § 414, Rn. 36. Frisch (1990), S. 376; von Freier (2008), S. 282 f.
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Dies vermeidet die oben aufgeführten Probleme der Beschränkung des Verfahrens auf erkennbar gewordene Tatsachen. Notwendig einher geht damit entweder der vollständige Verzicht auf Beendigungswirkung der Rechtskraft einer Entscheidung über diesen Gegenstand, weil der Täter als veränderlicher Gegenstand dem Prinzip nicht unterliegt, oder bei jeder Entscheidung eine Rechtskraftdurchbrechung in Form eines Verstoßes gegen das Verbot erneuter Entscheidung. Ebenfalls wird dadurch dem Gericht eine unbegrenzte Kognitionspflicht aufgebürdet. Dies wäre der „denkbar weiteste Prozessgegenstand“,117 die Beendigung eines Verfahrens tritt nur bei Tod des Betroffenen ein. Außerdem wird übersehen, dass auch die Folgeentscheidungen bei angeordneter Sicherungsverwahrung sich auf andere Tatsachenlagen stützen. Nach dieser Ansicht müssten die Folgeentscheidungen jeweils solche über einen anderen Verfahrensgegenstand darstellen. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wird hier ebenso behandelt wie ihre Anordnung. Dass der relevante Zustand noch nicht abgeschlossen war, ist keine maßregelspezifische Besonderheit, die es rechtfertigt den Verfahrensgegenstand von der konkreten Kognitionsmöglichkeit des Gerichts abhängig zu machen. Denn ob in diese fortgesetzte Entscheidungspflicht eingetreten wird, ist eine selbständige Entscheidung, die nicht von der über die Straftat getrennt werden kann, da die Möglichkeit des Eintritts in die fortgesetzte Entscheidungspflicht nur durch die Straftat begründet wird. f) Fazit: Tat als Prozessgegenstand Die Durchbrechung der Rechtskraft des Strafurteils wird entweder abgelehnt, da ein anderer Prozessgegenstand angenommen wird118 oder weil eine andere Rechtsfrage zu beantworten ist.119 Beides kann nicht überzeugen: Die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose ist nur durch die Straftat gerechtfertigt, ist also deren Sanktion.120 Die reine Sicherungsfrage ist dann erst in den Folgeentscheidungen zu beantworten, die, soweit im Urteil vorgesehen, dessen Rechtskraft nicht durchbrechen.121 Insofern greift es 117 118
von Freier (2008), S. 322. BVerfG NJW 2009, S. 980, 981; BGHSt 52, 213 (216 f.); BGHSt 50, 373
(380). 119 Henkel (1938), S. 187. Zentral ist dessen Argumentation, dass die Straftat für die Sicherungsfrage nur „eins unter vielen möglichen Symptomen eines gegenwärtigen Gefahrzustandes, Erkenntniszeichen für ein in die Zukunft gerichtetes Wahrscheinlichkeitsurteil“ ist. 120 Ähnlich Jansing (2004), S. 254, der in der nachträglichen Anordnung der Verwahrung nach den StrUBG eine konstitutive Entscheidung sieht im Gegensatz zu der Ausfüllung eines im Urteil über die Tat angelegten Vorbehalts.
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
zu kurz, die Rechtskraftdurchbrechung darin zu sehen, dass die Tat als prognoserelevante Tatsache herangezogen wird. Bedeutender ist, dass die Stellung der Kriminalprognose mit der bereits abgeurteilten Tat legitimiert werden muss. Diese Argumentation kann sich auf die Entscheidung des EGMR stützen, nach der eine Vollstreckung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus in Altfällen nicht möglich ist, da diese Anwendung des § 67d III StGB n. F. gegen Art 5 I 2a EMRK verstößt, da eine hinreichende kausale Verknüpfung zwischen dem Urteil über die Straftat und die Schuld des Täters und der späteren Vollstreckungsentscheidung nicht gegeben ist.122 Denn die Vollstreckungsentscheidung ist kein Urteil über Tat und Schuld und kann daher keinen Freiheitsentzug begründen. Das tatrichterliche Urteil ermächtigte aber nur zu den damals vorgesehenen Folgeentscheidungen, also einer maximalen Vollstreckungsdauer von zehn Jahren. Dass die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose im Urteil über die Tat relevant ist, hat auch der Große Strafsenat des BGH für § 66b III StGB festgehalten: „hier steht nicht die erstmalige Anordnung einer zeitlich nicht begrenzten Maßregel in Rede, sondern im Kern, bei durchgängig angenommener Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit – die Überweisung von einer derartigen Maßregel in eine andere unter verschärften Anordnungsvoraussetzungen. Die Rückwirkungsproblematik stellt sich somit in stark abgeschwächter Form.“123
Dieser Überlegung liegt zugrunde, dass derjenige, der dazu verurteilt wurde, die Kriminalprognose gegen sich gelten zu lassen, weniger schützenswert ist, als derjenige, der lediglich zu einer Strafe verurteilt wurde. Warum aber eine nachträgliche Verurteilung zur Unterstellung unter die Kriminalprognose und damit eine erneute Entscheidung über die Tat zulässig sein soll, bleibt unklar. Dies muss aus dem überragend wichtigen Interesse an der Verhinderung erheblicher Straftaten gefolgert werden.124 Diese Begründung führt zu unkontrollierbaren Abwägungen und kann nicht mehr eingegrenzt werden.125 Warum soll die Zugriffszeit mit dem Strafvollzug 121
Berg/Wiedner (2007), S. 439. EGMR, Urteil vom 17.12.2009, Az. 19359/04, Rn.: 100. 123 BGHSt 52, 379 (390 f.). So auch BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08. 124 BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08, sieht in einem Teil der Anwendungsfälle des § 66b III StGB eine echte Rückwirkung, die aber aufgrund des überwiegenden Interesses der Allgemeinheit an der Verhinderung schwerer Straftaten ausnahmsweise zulässig ist. Vgl. Exner, 1933, S. 643, der in der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Art. 5 Nr. 1, 2 GewVerbrG eine Durchbrechung der Rechtskraft des Strafurteils hinsichtlich der Sicherungsfrage sah und dies als mutig lobte. 125 Vgl. Foth (2007), S. 98; Ullenbruch (2009a), S. 54, die die Argumentation des BVerfG NJW 2006, 3483 kritisieren, dass § 66b StGB dann verhältnismäßig sei, 122
III. Beendigungswirkung einer Anordnung von Sicherungsverwahrung
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enden, warum sollen nicht zwei halb erhebliche Taten eine Gefährlichkeitsprüfung begründen? Warum sollen Fehler bei der Rechtsanwendung anders als gesetzgeberische nicht zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung berechtigen? Warum gilt das Verbot einer Verschlechterung im Rechtsmittelverfahren, aber nicht nach Eintritt der Rechtskraft? Alle diese Fragen sind zugunsten des Sicherungsbedürfnisses der Allgemeinheit zu entscheiden, wenn von der Berechtigung strafrechtlicher Gefahrenabwehr ausgegangen wird.126 Insbesondere, weil durch die Forderung nach einer legitimen Kriminalprognose keine exakten Anforderungen aufgestellt sind, müssen die Eingriffsmöglichkeiten formalisiert werden. Während materiell die formellen Voraussetzungen die zu konkretisierende Schwelle darstellen, kann auch prozessual auf die entsprechende Formalisierung nicht verzichtet werden: Wird die Geltung der Prognose mit der Tat begründet, muss der Zusammenhang dieser Entscheidung mit der Tat beachtet werden.
III. Beendigungswirkung einer Anordnung von Sicherungsverwahrung Dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung eine erneute Entscheidung über die Tat ist, die nicht wegen, sondern trotz des ersten Urteils getroffen wird, ist jedoch unbeachtlich, wenn das Verbot erneuter Entscheidung über denselben Verfahrensgegenstand bei der Sicherungsverwahrung als Maßregel nicht eingreift. Im Gegensatz zu der Verurteilung wegen eines in der Vergangenheit liegenden Lebenssachverhaltes ist die Sicherungsverwahrung als präventive Sanktion der Rechtskraft nur begrenzt zugänglich.127 Die Kriminalprognose ist zentrale Anwendungsvoraussetzung „denn bei Maßregeln bedeutet der Wegfall der Negativprognose zugleich den Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen und damit den Verlust der einzigen materiellen Rechtfertigung für die belastende Maßnahme.“128
Zu der Frage, inwieweit die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung von der Rechtskraft des Strafurteils erfasst wird, bestehen in wenn nur der Anwendungsbereich der Vorschrift eng ausgestaltet sei und entgegenhalten, dass die Verwahrung des Einzelnen nicht sinnvoll ins Verhältnis zum Anwendungsbereich der Vorschrift gesetzt werden kann. Ähnlich von Freier (2008), S. 273. Vgl. BGH, Beschluss vom 21.7.2010, Az. 5 StR 60/10, Rn. 18 ff. nach dem die Gründe, die den EGMR zur Einstufung der Sicherungsverwahrung als Strafe und nicht von Art 5 I 2a EMRK gedeckt in die Ermessenserwägungen bei der Anordnung einer Verwahrung nach § 66b I 2 StGB einzustellen sein sollen. 126 von Freier (2008), S. 304. 127 Peters (1985), S. 572; Radtke (1998), S. 298 ff.; von Freier (2008), S. 306; Nagler (1939a), S. 332 ff. 128 Streng (1995), S. 111.
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H. Rechtskraft und Sicherungsverwahrung
diesem Rahmen unterschiedliche Auffassungen. Einigkeit besteht darüber, dass die Maßregeln in dieser Hinsicht der Strafe nicht gleichgestellt sind. 1. Keine Beendigungswirkung bezüglich der Sicherungsfrage Eine Beendigungswirkung wird der rechtskräftigen Maßregelanordnung teilweise ganz abgesprochen. Es sollen Entscheidungen so weit sie das Vorliegen der Sicherungsnotwendigkeit betreffen, aufgrund ihres verwaltungsmäßigen Charakters keine Beendigungswirkung entfalten.129 Speziell für die Sicherungsverwahrung wurde auf Grundlage des Gewohnheitsverbrechergesetzes vertreten, dass ihre Anordnung oder Nichtanordnung an der Rechtskraft eines Strafurteils nicht teilnimmt.130 Da dies eine andere Frage als die der Bestrafung sei, stehe die Rechtskraft der Strafverurteilung einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegen.131 Die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei wegen ihrer Prognoseabhängigkeit mit einer clausula rebus sic stantibus versehen, so dass die Wahrheitserforschung nicht mit dem Urteil ende.132 Insbesondere ergebe sich hieraus keine ungerechtfertigte Schlechterstellung des Betroffenen, da die Verwaltung einschreiten müsse, soweit das Gericht der Sicherungsnotwendigkeit nicht nachkomme.133 Gerade diese Argumentation aber ist nicht zu halten: Eine straftatunabhängige Gefahrenabwehr kommt in den Fällen des verantwortlichen Straftäters nicht in Betracht, da die Überprüfung der Gefährlichkeit ausschließlich durch die Straftat begründet ist.134 Wie aus den Urteilen des RG135 ersichtlich wird, die einen Verbrauch der Strafklage annahmen, wenn im Urteil über die Tat eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung enthalten war oder wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Aburteilung der Tat möglich war, konnte sich diese Auffassung jedoch nicht durchsetzen.
129
Peters (1985), S. 572. Henkel (1938), S. 186. 131 Henkel (1938), S. 186 ff. Dies soll für die Fälle der nachträglichen Anordnung bei neuen Tatsachen und für die Fälle der irrtümlichen Nichterörterung der Sicherungsfrage durch das Tatgericht auch über die Fälle des Art. 5 Nr. 1, 2 GewVerbrG hinaus gelten. 132 Nagler (1939), S. 334; Henkel (1938), S. 214 ff. 133 Nagler (1939), S. 336. 134 BVerfGE 109, 190 (220). 135 RGSt 68, 392 (393 f.); RGSt 69, 170 (171). 130
III. Beendigungswirkung einer Anordnung von Sicherungsverwahrung
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2. Eingeschränkte Rechtskraft bei Maßregelanordnung Sofern zwischen der Geltung des Gewohnheitsverbrechergesetzes und der Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung das Problem angesprochen wurde, bezogen sich die Ausführungen auf die Erledigungserklärung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67c II 5 StGB analog.136 In der Möglichkeit, die Maßregelunterbringung für erledigt zu erklären, wenn der die Unterbringung begründende psychische Zustand im Urteilszeitpunkt nicht bestanden hatte, wurde eine Durchbrechung der Rechtskraft der Unterbringungsentscheidung gesehen, so dass diese Fälle über eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens gelöst werden sollten.137 Nach dieser Ansicht erwächst die Bewertung der gegenwärtigen Tatsachen in Rechtskraft: rechtskräftig wird lediglich die Feststellung, dass die Voraussetzungen der Maßregelverhängung im Urteilszeitpunkt vorlagen.138 Die überwiegende Ansicht folgte dem nicht und ließ eine Erledigungserklärung auf identischer Tatsachenbasis nach § 67c II 5 StGB analog und später § 67d V StGB zu.139 Die Möglichkeit, die Unterbringung auch dann für erledigt zu erklären, wenn sich bei der Fortdauerentscheidung ergibt, dass der Zustand nie vorlag, setzt für eine unveränderte Situation140 eine andere Bewertung fest.141 Eine Prognose ist notwendig ein „Futurum im Präsens“142. Dass in jeder Entscheidung über die Maßregel auf alle prognostisch relevanten Umstände abgestellt wird,143 ist selbstverständlich.144 Keinesfalls sind die Tatsachen, 136
Radtke (1998); Bechtoldt (2002), S. 184 ff.; Wolf (1997). Radtke (1998), S. 309 f.; Bechtoldt (2002), S. 210. Dagegen Volckart (1997), S. 27, der die Erledigungserklärung damit begründet, dass der nach § 63 StGB Untergebrachte einer Erfahrungswissenschaft überantwortet ist. Ähnlich Jansing (2004), S. 268. 138 Radtke (1998), S. 325; von Freier (2008), S. 309; Peglau (2006), S. 16; Nagler (1939a), S. 333 f. Vgl. auch Frisch (1990a), S. 769 f. 139 Berg/Wiedner (2007), S. 439 m. w. N. Einzelne Nachweise oben bei F.V.1. a)aa). 140 Soweit eine unveränderte Situation bei durch Zeitablauf veränderlicher Prognoserelevanz der Tatsachen bestehen kann. 141 Auf die Sicherungsverwahrung wäre dies dennoch nur eingeschränkt übertragbar, da es keinen tatsächlichen die Gefahr begründenden Umstand gibt, der dem Zustand nach § 63 StGB gleichsteht, Müller-Metz (2003), S. 48 f. Es müsste jedoch die Möglichkeit zugestanden werden, dass das Vollstreckungsgericht bei angeordneter Sicherungsverwahrung das Bestehen eines Hanges aufgrund einer Fehldiagnose aus tatsächlichen Gründen ablehnt und die Unterbringung für erledigt erklärt. So ausdrücklich aber nur SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 9, nach dem § 67c II 5 StGB entsprechend anzuwenden ist. 142 von Hippel (1972), S. 113. Vgl. auch BVerfGE 109, 133 (152): „Die Prognose einer Gefahr ist immer nur in der Gegenwart für die Zukunft möglich.“ 137
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auf deren Grundlage eine Anordnungsentscheidung erging, für die Prognosen nach §§ 67c I, d II, III StGB verbraucht.145 Ebenso wenig hindert die Einbeziehung der Legalbiographie in die Prognose, die einen Vorbehalt der Sicherungsverwahrung begründet, die Einbeziehung derselben Taten in die Entscheidung über die auf den Vorbehalt gestützte Anordnung. Die Entscheidungen über die Sicherungsverwahrung lassen sich aufgrund ihrer Prognoseabhängigkeit nicht in eine Anordnungsentscheidung über das eine und eine Vollstreckungsentscheidung über das andere unterteilen.146 Es tritt gegenüber der Strafe eine Erweiterung der Entscheidungsmöglichkeiten ein: Da die Maßregeln durch das jeweilige So-Sein begründet werden, löst sich der prinzipielle Endgültigkeitscharakter der strafrechtlichen Entscheidung auf.147 Die Sicherungsverwahrung ist durch die Kriminalprognose notwendig aktuell und notwendig nicht mit ihrer Anordnung abgeschlossen.148 Die Rechtskraft einer Maßregelanordnung beschränkt sich auf die Anordnung der Unterbringung als Rechtsfolge der Tat. Diese Anordnung bewirkt einen Strafklageverbrauch bezüglich des der Anordnung zugrunde liegenden Lebenssachverhalts und führt zur Vollstreckbarkeit der Anordnung in Verbindung mit der jeweiligen Fortdauerentscheidung.149 Diese für die Maßregel nach § 63 StGB gezogenen Folgerungen sind auf die Sicherungsverwahrung zu übertragen. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfaltet nur insoweit Beendigungswirkung, als dass gegen den Verurteilten die Geltung der aktuellen Kriminalprognose angeordnet wird. Überdies hat sich das BVerfG 143 Pollähne (2006), S. 232. So wird bei jeder Entscheidung über die angeordnete Sicherungsverwahrung die Einbeziehung der relevanten Umstände gefordert, Horn (1979), S. 77 f.; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 9. 144 Peglau (2006), S. 15: „Eine Gesamtwürdigung alter und neuer Tatsachen ist dem § 66b StGB immanent.“ (Hervorhebung im Original). 145 Vgl. aber NK-Böllinger/Pollähne vor § 67, Rn. 31, wonach die flexible Anpassung der Unterbringungsentscheidungen durch Vollstreckungsentscheidungen die Rechtskraft des Unterbringungsurteils tangiert. Dann wäre in jeder Entscheidung über die Maßregelvollstreckung die Rechtskraft des Anordnungsurteils tangiert. Daher kann auch OLG Karlsruhe StraFo 2009, 251, 253. nicht gefolgt werden, wenn dort ein Verbrauch der Tatsachen, die eine Anordnung nach § 63 begründeten, für die Entscheidung nach § 66b I, II StGB angenommen wird. 146 Wie es im Fall der Strafverurteilung sich (nur durch § 46 I 2 StGB eingeschränkt) darstellt. 147 von Hippel (1976), S. 50; ähnlich von Freier (2008), S. 273 und S. 305, Fn. 114; Berg/Wiedner (2007), S. 650 f. für § 63 StGB. Vgl. auch schon Henkel (1937), S. 186 der keinerlei Wirkung der Erledigung der Straffrage für die Sicherungsfrage sieht. 148 Nagler (1939a), S. 333; Flandrak (1932), S. 125 ff. Vgl. Pollähne (2006), S. 232: „Diese Prognose kann auf Grund der weiteren Entwicklung bereits dann überholt sein, wenn die strafrichterliche Entscheidung gerade rechtskräftig wird.“ 149 Berg/Wiedner (2007), S. 439.
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grundsätzlich für die Geltung der Rechtskraft auch im Bereich der Sicherungsverwahrung ausgesprochen: „An der materiellen Rechtskraft teil nimmt insbesondere auch die Entscheidung, eine Maßregel nicht anzuordnen, beispielsweise also die Ablehnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in den gegen die Beschwerdeführer geführten ursprünglichen Verfahren. Die Nichtanordnung entspricht einer Verneinung der Anordnungsvoraussetzungen; der staatliche Sicherungsanspruch ist damit verbraucht. Die Durchführung eines weiteren Verfahrens über denselben Prozessgegenstand ist unzulässig, auch wenn sich nach Urteilsrechtskraft beispielsweise ergibt, dass das Gericht die Gemeingefährlichkeit des Täters falsch eingeschätzt hat.“150
3. Stellungnahme: Bezugspunkt der Rechtskraft und Beendigungswirkung Die Sicherungsverwahrung bedingt als Maßregel ständig neue Entscheidungen über die Sicherungsnotwendigkeit. Diese Entscheidungen haben allesamt nur punktuelle Gültigkeit, im Unterschied zur Strafverurteilung wird die Wahrheitssuche nicht mit Eintritt der Rechtskraft beendet.151 Damit besteht die Wirkung der Anordnung darin, dass eigenständig legitimierende Folgeentscheidungen zu treffen sind.152 Hierauf bezieht sich auch die Beendigungswirkung des Urteils: Entweder es wird die Geltung der jeweils aktuellen Prognose gegen den Verurteilten angeordnet oder nicht. Die sonstigen Versuche, an einer Beendigungswirkung bei Maßregeln festzuhalten, die Aktualität der Entscheidungsbasis aber nicht zu gefähren können dagegen nicht überzeugen: Wenn eine vom Ersturteil abweichende Gefährlichkeitseinschätzung eine Änderung der Tatsachenbasis voraussetzt, wie es teilweise angenommen wird, so besteht ein Widerspruch zu § 67d VI StGB, der die Erledigungserklärung auch in Fällen identischer Tatsachenlage zulässt.153 Wenn die Rechtskraft des Ersturteils sich aber auf die Anordnung oder Nichtanordnung der Maßregel beschränkt, dann kann das Verbot anderer Gefährlichkeitseinschätzung bei § 66a, b StGB auf identischer Tatsachengrundlage sich nicht aus der Rechtskraft des Ersturteils ergeben. Vielmehr ist die Rechtskraftdurchbrechung im Fall des § 66b StGB 150
BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08 m. w. N. Berg/Wiedner (2007), S. 439. 152 Vgl. Kreuzer/Bartsch (2008), S. 663: „Es sind bei den § 66, 66a StGB immer zwei Prognosen zu erstellen: eine anfängliche für die Anordnung im Urteil, eine verbindliche zweite am Ende der Strafzeit oder bei Erledigung einer anderen Unterbringungsmaßregel“; eine Übersicht über die Prognoseentscheidungen bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung findet sich bei Kinzig (2008), S. 295. 153 Berg/Wiedner (2007), S. 439 f., die konsequent auch die Erledigung wegen rechtlich fehlerhafter Unterbringung zulassen. 151
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darin zu sehen, dass Folgeentscheidungen getroffen werden, obwohl keine angeordnet sind. Es tritt darin die Beendigungswirkung der Ahndung der Tat zu Tage: Durch die rechtskräftige Anordnung von Sicherungsverwahrung wird die Geltung einer Kriminalprognose für und gegen den Täter angeordnet Die eigenständigen Folgeentscheidungen sind Folge des Urteils über die Tat. Dass die Begründung der Folgeentscheidungen ein Urteil über die Tat ist, ergibt sich schon daraus, dass die Anordnung der Folgeentscheidungen weder ohne eine Straftat noch unabhängig von der Straftat zulässig ist.154 Dass die Folgeentscheidungen wiederum auch auf die im Urteil über die Tat relevanten Tatsachen zu stützen sind, greift nicht in dessen Rechtskraft ein. Voraussetzung ist bei der Beurteilung der Situation im Ausgangszeitpunkt das Vorliegen einer Anlasstat, die es rechtfertigt, die Überprüfung des Täters auf Gefährlichkeit durchzuführen.155 Der Übergang in den verwaltungsmäßigen Teil des Urteils über die Tat, dem nach umstrittener Ansicht keine Sperrwirkung erneuter Entscheidung zukommt, muss im Urteil über die Tat ausgesprochen sein. Sonst wird in die Rechtskraft des Urteils über die Tat eingegriffen. 4. Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung passt die Sanktion an die relevanten Tatsachen an, ohne dass das über die Tat ergehende Urteil dazu berechtigt hat. Wäre aber eine jederzeitige Anpassung der Sanktionen an die prognostisch relevanten Tatsachen möglich, ließe sich nicht erklären warum überhaupt eine Tat vorausgesetzt wird.156 Wenn nur die zurechenbare Tat die Freiheitsentziehung aufgrund einer unsicheren Kriminalprognose legitimiert, so muss dies in prozessuale Formen übersetzt werden. §§ 66b StGB, 275a StPO versuchen, die Tat als Legitimation der Kriminalprognose zu erhalten, und gleichzeitig eine jeweils aktuelle Anpassung an die Tatsachen zu erreichen. Dies ist insofern eine Wiederaufnahme des Verfahrens über die Tat zu Lasten des Angeklagten,157 als das Urteil 154 An dem fehlenden Zusammenhang mit der Straftat krankten die landesrechtlichen StrUBG: BVerfGE 109, 190 (221 ff.). 155 BVerfGE 109, 190 (220). Vgl. auch Ullenbruch (2009a), S. 54: nach Eintritt der Rechtskraft soll der Verurteilte vor einem neuen Verfahren, nicht nur vor einem neuen Urteil geschützt werden. 156 Dass in den jeweiligen Gesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker keine Tat gefordert wird, lässt sich mit der Unfreiheit der Betroffenen aufgrund ihres Zustands erklären. Bei Sicherungsverwahrung sind die Betroffenen aber nicht in dem Ausmaß krank und unfrei. Vgl. für ein Verfahren zur Anordnung der Sicherungsverwahrung, das diese Gedanken weiter führt Henkel (1938).
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über die Tat um die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose ergänzt werden soll. Dabei werden die besonderen sichernden Verfahrensweisen bei der Wiederaufnahme nicht beachtet.158 Ohne die Einhaltung der Anforderungen an eine Wiederaufnahme zu Lasten des Angeklagten ist dies in jedem Fall159 unzulässig. Ein dem Wiederaufnahmeverfahren eigenes Zurückversetzen in den Zeitpunkt der ursprünglichen Verhandlung kann auch für die Sicherungsverwahrung gelten, wird doch im Zeitpunkt des Urteils über die Tat immer nur darüber entschieden, ob der Angeklagte sich der Kriminalprognose unterwerfen muss.160 Materiell erklärt sich so die restriktive Rechtsprechung zu erkennbar gewordenen Tatsachen: Es werden Kriterien der Wiederaufnahme angewandt,161 wenn gefordert wird, dass die neuen Tatsachen eigenständig auf eine ausreichende Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten hinweisen. Denn dann sind sie geeignet, die überholte Prognose zu erschüttern und nicht wie in allen Fällen der Folgeentscheidungen lediglich zu ergänzen.162 5. Bindungswirkung bei Entscheidungen über Sicherungsverwahrung Die für die Prognoseerstellung wichtige Frage, inwieweit das jeweilige Gericht an Feststellungen in vorangegangenen Urteilen gebunden ist, ist daher für die nachträgliche Anordnung vor dem Hintergrund der Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen. Es stellt sich aber schon für die originäre Anordnung die Frage, ob das Gericht bei Annahme der formellen Voraussetzungen an die Feststellungen aus Vorverurteilungen gebunden ist. Ebenso 157
Finger (2008), S. 182 f.; Zschieschack/Rau (2006), S. 12; Baltzer (2005), S. 204; Streng (2003), S. 639; Müller-Metz (2003a), S. 3174; KMR-Eschelbach § 362, Rn. 68; MüKo-Ullenbruch § 66b, Rn. 41. 158 Im Einzelnen dazu: von Freier (2008), S. 323 ff.; Wasserburg (2006), S. 751. 159 Also unabhängig von der Frage, ob Art. 103 III GG eine Ausweitung der Wiederaufnahme zu Lasten des Angeklagten ermöglicht. Dazu: Finger (2008), S. 183 ff.; Mushoff (2008), S. 441 ff.; Baltzer (2005), S. 266 ff. 160 Nochmals: Auch in den Fällen des § 66 StGB hängt die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung von der Kriminalprognose gemäß § 67c StGB nach der Strafvollsteckung ab. 161 Zschieschack/Rau (2006), S. 15 f. 162 In den Fällen der ausstehenden Strafverbüßung nach Erledigungserklärung gemäß § 67d VI StGB wird dagegen dieser restriktive dem Wiederaufnahmerecht entlehnte Maßstab nicht angewandt, wenn die erkennbar gewordenen Tatsachen die Gefährlichkeit nicht eigenständig begründen müssen, sondern die Grundlage ihrer Feststellung sich nur austauschen lassen muss. Dann müssen sie die Ursprungsprognose nicht erschüttern, sondern nur ergänzen. Begründet wird dies mit der bereits erfolgten Unterstellung des Verurteilten unter die Kriminalprognose.
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könnte das Gericht bei der Erstellung der Kriminalprognose an Feststellungen zur Tat oder sonstige Feststellungen163 aus früheren Urteilen gegen den Angeklagten gebunden sein. Die Annahme einer Bindung in diesen Fällen kann sich nur aus der Rechtskraft der früheren Urteile ergeben. Weiter ist der Umfang der Bindung bei Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts nach §§ 67c I, d II, d III StGB an die Feststellungen aus dem zu vollstreckenden Urteil zu erarbeiten.164 Die Annahme einer solchen Bindung muss nicht mit der Rechtskraft der zu vollstreckenden Entscheidung begründet werden, vielmehr liegt die Annahme einer Bindungswirkung aufgrund der Einheit des Prozesses nahe, wie sie für horizontal teilrechtskräftige Entscheidungen anerkannt ist.165 Ist ein Urteil nur teilweise aufgehoben, so kann für die spätere Verhandlung auf die nicht angefochtenen Feststellungen verwiesen werden, sie binden das Gericht.166 Neu aufgetreten sind die Fragen, ob das Gericht in den Fällen der §§ 66a II, 66b StGB in der zweiten Hauptverhandlung nach § 275a II, III StPO an eigene167 Feststellungen zur Tat und sonstigen Feststellungen aus dem Ersturteil gebunden ist. a) Bindung bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung Zumindest, wenn die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66 I, III 1 StGB in Betracht kommt, liegen andere Strafurteile gegen den Angeklagten vor. Bekannt ist das Problem der Bindung an frühere Urteile für die Strafschärfung wegen Rückfalls, insbesondere für die Strafzumessung nach besonderen Rückfallvorschriften. Nach überwiegender Ansicht ist das Gericht in einem zweiten Verfahren gegen denselben Täter nicht an die Feststellungen aus dem ersten Verfahren gebunden, wenn es diese Tat der Strafzumessung zugrunde legen will.168 163
Zu dieser Trennung: Volckart (1993), S. 106 f. Wobei die Frage der Bindung an Feststellungen aus anderen als dem anordnenden Urteil auch hier zu beantworten ist, da die Vollstreckungskammer eigenständig Prognoseentscheidungen zu treffen hat. Diese Frage wird aber wie die der Bindung des Tatgerichts zu beantworten sein, da sie entweder aus der Rechtskraft der früheren Entscheidung folgt oder nicht. 165 Dazu: Grünwald (1964). 166 BGHSt 24, 274 (275); 30, 225 (227); 33, 59 (60) für die isolierte Anfechtung des Strafausspruchs. 167 Nach § 74f GVG ist die Strafkammer zuständig, die den Vorbehalt ausgesprochen, bzw. als Tatgericht entschieden hat. Der Sonderfall des § 74f II GVG bleibt hier unbeachtet, danach entscheidet eine Strafkammer des Landgerichts, die dem Amtsgericht übergeordnet ist, wenn ein solches in den Fällen des § 66b StGB zu entscheiden hat. Für die Bindung ist dies unerheblich. 164
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Anders wurde dies nur für die Rückfallvorschriften beurteilt, die nicht auf die Tatbegehung, sondern das Vorliegen einer Verurteilung abstellten, die Tatbestandswirkung der Verurteilung.169 Für die Frage, ob der Täter sich im Rückfall befand, war eine Überprüfung der vorangegangenen Entscheidungen durch das Gericht im aktuellen Verfahren ausgeschlossen.170 Übertragen auf die Sicherungsverwahrung kann so lediglich eine Bindung für die Annahme der formellen Voraussetzungen angenommen werden, soweit § 66 I, III 1 StGB Vorverurteilungen fordern. Die relevanten Feststellungen für Vortaten und die Kriminalprognose müsste das Gericht auch bei Berücksichtigung einer Tatbestandswirkung selbst treffen. Die eigene Feststellung solcher Tatsachen, die bereits in einem anderen Prozess ermittelt wurden, wird dem Gericht allerdings erleichtert. Es wird die Einführung der Feststellungen in die aktuelle Hauptverhandlung im Wege des Urkundsbeweises nach § 249 I StPO zugelassen.171 Die Beweisanforderungen sind gegenüber nicht gerichtlich behandelten Tatsachen herabgesetzt. Das Gericht darf aber Feststellungen aus anderen Urteilen nicht ungeprüft übernehmen. Werden solche Feststellungen bestritten, muss das Gericht prüfen, ob die Beanstandungen geeignet sind, die Feststellungen im Urteil zu erschüttern. Nur in diesem Fall ist ein Beweisantrag zulässig, der sich auf die Feststellungen in früheren Urteilen bezieht, ansonsten ist er abzulehnen.172 Hier werden, obwohl die Rechtskraft keine Bindung an Feststellungen bewirken soll, die Kriterien herangezogen, die für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Strafverfahrens gelten.173 In beiden Fällen wird die neue Beweiserhebung dann zulässig, wenn die bisherigen Feststellungen erschüttert sind. Für prognoseabhängige Sanktionen wie die Sicherungsverwahrung wird dagegen die Erstreckung der Rechtskraft auf die Entscheidungsgründe und eine daraus folgende Bindungswirkung der Feststellungen über frühere 168
BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08; BVerfGE 103, 21 (36); BGHSt 43, 106; BGH NStZ-RR 2004, 238, 240; von Freier (2008), S. 287; Bock/ Schneider (2003), S. 338; Eb.-Schmidt (1964), S. 181 f.; Bruns (1961), S. 17 ff., 115 ff.; Peters (1985), S. 505. Kritisch zum Nichteintritt einer solchen Bindungswirkung: Tolksdorf (1999), S. 749; Grunsky (1968) m. w. N.; Abel (1961), S. 25 f. 169 Bruns (1961), S. 110; kritisch: Tolksdorf (1999), S. 743; Grünwald (1964), S. 44. Vgl. auch von Freier (2008), S. 287, Fn. 52. 170 BGH NJW 1958, 837; RGSt 18, 166; Tolksdorf (1999), S. 731. 171 BGHSt 43, 106 (108). 172 BGHSt 43, 106 (108); von Freier (2008), S. 290 f. Sehr restriktiv auch BGH NStZ-RR 2004, 238, 240. 173 Dieses ist zulässig, wenn die nova geeignet sind, in dem vergangenen Verfahren ein anderes (als Wiederaufnahmeziel zulässiges) Verfahrensergebnis herbeizuführen. Das ist der Fall, wenn vernünftige Zweifel an den betreffenden tatsächlichen Feststellungen geweckt werden, SK-StPO-Frister/Deiters § 359, Rn. 57 m. w. N.
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Taten im Rahmen der Kriminalprognose vertreten. Denn für die Kriminalprognose könne es nicht auf den Umstand der Verurteilung ankommen, vielmehr sei die Tatbegehung prognostisch relevant. Wenn es aber auf die Begehung der Tat ankomme, müsse die im Vorurteil angenommene Tatbegehung entweder unterstellt werden, oder die Wiederholung der Beweisaufnahme über die Tat stünde über das Beweisantragsrecht zur Disposition des Angeklagten. Die wichtigste Funktion der Rechtskraft der früheren Verurteilung, die Beendigungswirkung, fiele weg.174 Infolge der so begründeten Bindung sei eine Beweisaufnahme über die vorigen Taten nicht notwendig, das Gericht dürfe keine den Urteilen widersprechenden Feststellungen treffen. Bei der prognostischen Bewertung der feststehenden Tatsachen bliebe das Gericht aber frei.175 Tatsächlich lässt sich eine besondere Bindung an Feststellungen aus vorigen Urteilen nicht mit der Prognoseabhängigkeit der Sicherungsverwahrung begründen. Denn auch für die Strafzumessung ist nicht der Umstand der Verurteilung, sondern der der Tatbegehung entscheidend, entweder weil eine schulderhöhende Warnfunktion einem Fehlurteil nicht zukommt,176 oder weil Zweifel bei der Beurteilung eines anderen Prozessgegenstands als beachtlich anzusehen sind.177 Die Bindung ist bei der Feststellung der formellen Voraussetzungen wie auch bei der Erstellung der Kriminalprognose eingeschränkt, durch Beweisanträge geweckte begründete Zweifel an vorigen Feststellungen führen zur Zulässigkeit dieser Beweisanträge. b) Bindung im Vollstreckungsverfahren Die obigen Ausführungen gelten nur für die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung, während im Vollstreckungsverfahren die Bindung an Feststellungen aus dem Anordnungsurteil eigenständig zu diskutieren ist. Zwar nehmen Bock/Schneider für die Bindung des Vollstreckungsgerichts bei Entscheidungen nach § 454 StPO eine entsprechende 174 Volckart (1997), S. 25; ders. (1993), S. 106 f. Tolksdorf (1999), S. 743 folgert die Bindung an die Annahme der Begehung der Tat aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen des § 66 I StGB. Im Ergebnis auch LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 216. Allgemein für eine solche Bindung: Grunsky (1968), S. 240; Abel (1961), S. 25 f. 175 Missverständlich LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66, Rn. 216 unter Bezugnahme auf RG JW 1938, S. 165 und DR 1944, S. 901: dem Gericht ist eine andere rechtliche Würdigung versagt. Dies meint aber wohl nur eine andere rechtliche Würdigung der Tatsachen bezüglich der Erfüllung eines Straftatbestands und nicht eine andere Bewertung bei der Prognoseerstellung. 176 Bruns (1961), S. 110 f. 177 von Freier (2008), S. 289.
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Anwendung der Maßstäbe des Wiederaufnahmerechts, im Ergebnis also eine solche wie bei der Bindung des Tatgerichts an frühere Urteile, an.178 Danach seien Feststellungen im Strafurteil für die Vollstreckungskammer nur bindend, wenn keine neuen Tatsachen entgegenstünden, die die getroffenen Feststellungen erschüttern. Wegen der Verweisung des § 463 III StPO auf den § 454 II StPO wäre diese Argumentation auf die Entscheidungen über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach §§ 67c I, d II StGB zu übertragen. Dabei wird jedoch die andere Ausgangslage bei den Vollstreckungsentscheidungen übersehen. Während das Gericht im Fall der Bindung an Feststellungen anderer Gerichte über einen anderen Prozessgegenstand verhandelt, ist bei der Vollstreckung eines Urteils Verfahrensidentität gegeben.179 Das zu vollstreckende Urteil gibt dem Vollstreckungsverfahren seinen Gegenstand. Dies kann nur der Gegenstand sein, den das Urteil selbst hatte, der dann aufgrund des Grundsatzes der Aktualität bei der Entscheidung über Maßregeln die weitere Entwicklung prognoserelevanter Tatsachen einschließt. Damit ist eine Bindung nicht aufgrund der Rechtskraft, sondern mit der innerprozessualen Bindungswirkung, die abweichende Feststellungen innerhalb eines Verfahrens verhindern soll, zu begründen. aa) Innerprozessuale Bindung an Tatsachenfeststellungen Diese führt im Fall der alleinigen Anfechtung der Strafzumessung dazu, dass hinsichtlich des nicht beanstandeten Schuldspruchs Teilrechtskraft eintritt. „Tatrichterliche Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen, und solche, die als doppelrelevante Umstände zugleich für Schuld- und Straffrage von Bedeutung sind, bleiben aufrechterhalten. An die aufrechterhaltenen Feststellungen ist der Tatrichter im weiteren Verfahren gebunden. Er darf diese zwar noch ergänzen, die ergänzenden Feststellungen dürfen den bindend gewordenen jedoch nicht widersprechen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit (inneren Einheit) und damit notwendigen Widerspruchsfreiheit der Entscheidung, der unabhängig davon Gültigkeit beansprucht, ob ein Urteil über die Schuld- und Straffrage gleichzeitig entscheidet, oder ob nach rechtskräftigem Schuldspruch die Strafe aufgrund einer zum Strafausspruch erfolgreichen Revision neu festgesetzt wird. Die den Schuldspruch tragenden Feststellungen sind nämlich die unantastbare Grundlage für das weitere Verfahren und wesentlicher Teil des abschließenden Urteils. Beweiserhebungen, die darauf abzielen, aufrechterhaltene und damit bindende Feststellungen in Zweifel zu ziehen, sind unzulässig. Beweisergebnisse, 178
Bock/Schneider (2003), S. 339. Das folgt aus dem umfassenden Begriff des Verfahrens aus § 137 StPO: Volckart, 1997, S. 29; ähnlich Jansing (2004), S. 265. 179
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die im Widerspruch zu bindenden Feststellungen stehen, haben außer Betracht zu bleiben.“180
Eine derart beschriebene innerprozessuale Bindungswirkung ist für die Feststellungen aus dem Erkenntnis- für das Vollstreckungsverfahren anerkannt.181 Das Vollstreckungsgericht hat eine Kriminalprognose zu erstellen, bei der die zugrunde gelegten Tatsachen nicht den Feststellungen des Urteils über die Tat widersprechen dürfen, aber ergänzt werden müssen. Wenn prognoserelevante Umstände neu eingetreten oder bekannt geworden sind, sind diese in den Folgeentscheidungen zu berücksichtigen. Das Vollstreckungsgericht ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, übersehene oder irrtümlich für unbeachtlich gehaltene oder neu eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen.182 bb) Bindung an die Ausgangsprognose Eine Erstreckung der innerprozessualen Bindungswirkung auf das Prognoseergebnis des Tatgerichts wird abgelehnt.183 Insbesondere ist das Vollstreckungsgericht nicht an die prognostischen Bewertungen des Tatgerichts gebunden.184 Begründet wird diese Freiheit des Vollstreckungsgerichts mit der Dynamik der prognoserelevanten Tatsachen. Eine identische Tatsachenlage ist kaum denkbar, da schon Zeitablauf die Bedeutung der festgestellten Tatsachen verändert.185 Das Vollstreckungsgericht ist daher nicht an Ausführungen im Anordnungsurteil gebunden, die den Eintritt bestimmter Umstände zur Voraussetzung der Aussetzung machen. Das Vollstreckungsgericht kann außerdem die Frage der Verhältnismäßigkeit der Unterbringung zu Anlass- und drohender Tat anders bestimmen als das Tatgericht im Urteil.186 Bei der Auswahl des auf den Betroffenen anzuwendenden Erfahrungssatzes ist das Vollstreckungsgericht ebenfalls nicht gebunden, da die Prognose in eigener Verantwortung zu erstellen ist. 180
BGHSt 30, 340 (342 f.). BVerfG NStZ-RR 2003, 282, 283 für §§ 66, 67c StGB; OLG Hamburg StraFo 2009, 301, 302 für § 57 StGB; Volckart (1993), S. 106 f.; ders. (1997), S. 24, nach dem die Feststellungen des Vollstreckungsgerichts nicht den Feststellungen im Urteil des Tatgerichts zu Lasten des Verurteilten widersprechen dürfen; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7; Jansing (2004), S. 265 f. 182 Horn (1979), S. 77 f.; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7; LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 67c, Rn. 9. 183 LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 5; NK-Pollähne/ Böllinger § 67c, Rn. 20. 184 OLG Hamburg StraFo 2009, 301, 302; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7; SKStGB-Sinn § 67c, Rn. 5. Einschränkend: Jansing (2004), S. 265. 185 LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7; SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 6. 186 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 10, 12. 181
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(1) Abweichung auf identischer Tatsachenbasis Teilweise wird diese Freiheit eingeschränkt: So soll das Vollstreckungsgericht daran gehindert sein, von der Prognose des Tatgerichts abzuweichen, wenn keine zusätzlichen prognoserelevanten Umstände bekannt wurden. Es soll verhindert werden, dass die Anordnungsentscheidung durch eine andere Bewertung der Vollstreckungskammer ersetzt wird, da ansonsten die Rechtskraft des Urteils unterlaufen werde.187 Gegen die Annahme einer solchen Bindung durch die Rechtskraft des Anordnungsurteils spricht aber, dass es im Fall der fehlerhaften Annahme eines Zustands im Sinne des § 63 StGB aus tatsächlichen Gründen für zulässig gehalten wurde, die Maßregel in entsprechender Anwendung des § 67c II 5 StGB für erledigt zu erklären.188 Auch wenn die tatsächlichen Voraussetzungen des Zustands schon im Zeitpunkt der Anlassverurteilung nicht vorgelegen haben, sollte die Rechtskraft der Anordnungsentscheidung einer Erledigung entsprechend § 67c II 5 StGB nicht entgegenstehen.189 Nach Einführung des § 67d VI StGB wird die Norm auf die Fälle der anfänglichen Fehleinweisung aus tatsächlichen Gründen angewandt.190 Eine solche Änderung der Bewertung des Zustands des Betroffenen auf identischer Tatsachengrundlage müsste aber als Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils angesehen werden191. Dagegen wird teilweise bestritten, dass die Annahme eines solchen Zustands überhaupt ein Subsumtionsvorgang ist, der der Rechtskraft fähig ist,192 so dass die Erledigung der Unterbringung aufgrund derselben Tatsachen zugelassen wird, unabhängig davon, ob dies auf einer abweichenden Tatsachenbewertung oder auf abweichender Rechtsauffassung des Vollstreckungsgerichts beruht.193 Überwiegend wird dagegen die Subsumtion für rechtskraftfähig gehalten.194 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 104. Nach MüKo-Veh § 67c, Rn. 9 muss im Fall des § 67c I StGB die Verneinung der Erforderlichkeit der Vollstreckung auf neuen Erkenntnissen beruhen. 188 BVerfG StV 1995, 202, 203; OLG Frankfurt R & P 2003, 108. Vgl. Dazu: Volckart (1997), S. 24; Berg/Wiedner (2007), S. 439. 189 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 67, 105. 190 KG Berlin, Beschluss vom 7.6.2007, Az. 1 AR 651/07; OLG Rostock, Beschluss vom 8.2.2007, Az. 1 Ws 438/06; Berg/Wiedner (2007), S. 445; Koller (2006), S. 220; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 49. Anders OLG Dresden StraFo 2005, 432. 191 So Radtke (1998), S. 310; Bechtoldt (2002), S. 210; Wolf (1997), S. 781 zu der Rechtslage vor Einführung des § 67d VI StGB. 192 Volckart (1993), S. 108; Berg/Wiedner (2007), S. 439. 193 Berg/Wiedner (2007), S. 439. Dagegen lassen BVerfG NStZ-RR 2007, 29; OLG Frankfurt, StV 2007, 430; Koller (2006), S. 256; LK12-Rissing-van Saan/ Peglau § 67d, Rn. 56 eine Erledigung nur bei tatsächlichen Fehleinschätzungen zu, nicht aber bei Rechtsfehlern. 187
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(2) Kein maßgeblicher Unterschied zu § 63 StGB Wenn eine abweichende Bewertung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage bei dem Zustand des § 63 StGB zugelassen wird, ohne dass die Tatsachen sich ändern,195 so ist nicht einsichtig, warum es ein Verstoß gegen die Rechtskraft des Anordnungsurteils darstellen soll, wenn das Vollstreckungsgericht die Frage der Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten ohne Änderung der prognostisch relevanten Tatsachen anders beantwortet als in der zu vollstreckenden Entscheidung. Wenn eine Übertragung der Entscheidung nach § 67d VI StGB und damit der Möglichkeit abweichender Bewertung auf identischer Tatsachengrundlage auf die Sicherungsverwahrung erörtert wird, so wird diese abgelehnt.196 Der Übertragung auf die Sicherungsverwahrung wird entgegengehalten, dass dem Zustand des § 63 StGB ein erfahrungswissenschaftliches Substrat zugrunde liege, während bei der Sicherungsverwahrung die materiellen Voraussetzungen durch Rechtsbegriffe umschrieben sind, so dass Fehleinweisungen aufgrund fehlerhafter tatsächlicher Annahmen theoretischer Natur seien.197 Dies überzeugt nicht, da die Kriminalprognose auf den prognostisch relevanten Tatsachen beruht und die Vollstreckungskammer an die prognostische Bewertung der Tatsachen nicht gebunden ist.198 Ebenso wenn argumentiert wird, dass es prozessrechtlich ein Unding sei, jemanden wegen einer Krankheit zu behandeln, die er nicht hat.199 Wegen Gefährlichkeit zu verwahren, die nicht besteht, ist ebenso ein Unding, wie auch die Bestrafung wegen einer nicht begangenen Tat. Ein Unterschied beider Fälle ist im Hinblick auf die Rechtskraft des Ausgangsurteils nicht erkennbar.200 Das Anordnungsurteil kann nicht den von ihm 194
So ausdrücklich BVerfG NStZ-RR 2007, 29, 30. Entweder mit dem Argument, die Entscheidung der Vollstreckungskammer tangiert die Rechtkraft der Ausgangsentscheidung nicht, da sie ausschließlich über den aktuellen Zustand entscheidet (KG Berlin, Beschluss vom 7.6.2007, Az. 1 AR 651/07) oder weil der Zustand nicht der Rechtskraft fähig ist, Volckart (1997), S. 27; Berg/Wiedner (2007), S. 439. 196 Müller-Metz (2003), S. 49; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67c, Rn. 135, die eine Übertragung ablehnen, da eine Erledigung bei Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung nicht normiert ist und die Unterbringung zur Bewährung aussetzen wollen, wenn die Vollstreckungskammer meint, dass ein Hang zu Unrecht angenommen wurde. Für eine analoge Anwendung des § 67d VI StGB auf die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Annahme eines Hanges im Sinne des § 66 StGB bei der Entscheidung nach § 67c I StGB aber wohl SK-StGB-Sinn § 67c, Rn. 9. 197 Müller-Metz (2003), S. 49; ähnlich Volckart (1997), S. 27, nach dem der Patient im Vollzug der Maßregel einer Erfahrungswissenschaft überantwortet ist. 198 NK-Pollähne/Böllinger § 67c, Rn. 20; LK10-Horstkotte § 67c, Rn. 7. 199 Volckart (1993), S. 108. 200 Der Hinweis auf die geringere Richtigkeitsgewähr einer Beweisaufnahme im Freibeweisverfahren von LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 104; Bechtoldt 195
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zugrunde gelegten Entscheidungsmaßstab als maßgeblich dem weiteren Verfahren zugrunde legen, dieser bleibt am Gesetz orientiert.201 Ausdrücklich werden inhaltliche Vorgaben für die Prognose abgelehnt.202 Auch wenn mit der Entscheidung des BVerfG zu Feststellung der besonderen Schwere der Schuld im Fall des § 57a StGB argumentiert wird, kann dies nicht überzeugen: Für die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld setzte das BVerfG eine strikte Bindung des Vollstreckungsgerichts an die Feststellungen und die Bewertungen des Tatgerichts fest. Danach ist das Vollstreckungsgericht gehindert, Annahmen zu Persönlichkeitsmerkmalen eines Mörders zu treffen, die nicht im Urteil enthalten waren.203 Hieraus wird teilweise eine ebenso strikte Bindung an die Feststellungen für die Kriminalprognose abgeleitet.204 Dagegen spricht aber der Unterschied von retrospektiver Schuldfeststellung und prospektiver Prognose. Während sich die Prognose notwendig mit Zeitablauf ändert, ist dies bei der retrospektiv festzustellenden Schuld nicht der Fall. Auch rechtsstaatliche Erwägungen können nur begrenzt herangezogen werden: Zwar soll ein Beweisergebnis, das in der Hauptverhandlung im Strengbeweisverfahren erstritten wurde, nicht im Freibeweisverfahren unterlaufen werden.205 Dies kann aber nur auf die Feststellung der Tatsachen begrenzt sein und keine rechtliche Bindung an die Ausgangsprognose begründen, da ansonsten festgeschrieben würde, dass Tatsachenkonstellation X die Gefahr Y begründet. Dagegen spricht aber schon § 66 IV StGB, der von einer Verringerung der Gefährlichkeit durch Zeitablauf ausgeht. Dagegen spricht auch, dass wenn der Hang als „psychologische Tatsache“ angesehen wird,206 und aus dieser die Gefährlichkeit folgen soll, das Vollstreckungsgericht an die Bewertung dieser Tatsache als gefährlichkeitsbegründend gebunden wäre. Dann wäre die negative Prognose schon aus diesem Grund die Ausnahme. Zumindest für die Entscheidung nach § 67d III StGB, der bis zum 1. Januar 2011 die Prüfung hangbedingter Gefährlichkeit verlangte, wurde davon aber nicht ausgegangen. (2002), S. 256 führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung, ist doch dieses Problem im Fall des § 67d VI StGB ebenso gegeben. Warum Jansing (2004), S. 268 die Differenzierung zwischen der Neubewertung juristischer und medizinischer Sachverhalte als richtig einstuft, bleibt unklar. 201 Berg/Wiedner (2007), S. 439. 202 Nach LK10-Horstkotte § 67, Rn. 8 kann das Tatgericht nicht den Eintritt einer bestimmten Änderung zur Voraussetzung einer Aussetzung der Unterbringung durch das Vollstreckungsgericht machen, da dies seine Kompetenzen überschreite. Auffällig ist, dass bei der Entscheidung nach § 66a I StGB genau das Gegenteil gelten soll: SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24. 203 BVerfGE 86, 288 (317). 204 Jansing (2004), S. 166; einschränkend Volckart (1993), S. 106. 205 Jansing (2004), S. 265 f.; Volckart (1993), S. 108. 206 BVerfG NJW 2006, 3483, 3484.
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(3) Keine Bindung an das Prognoseergebnis Wenn die Notwendigkeit aktueller Legitimation der Sicherungsverwahrung ernst genommen wird, muss das Vollstreckungsgericht eine eigenständige Kriminalprognose erstellen, die den Vollzug begründet. Das Vollstreckungsgericht muss dann nicht von der Prognose des Tatgerichts ausgehen, darlegen welche Umstände sich geändert haben und zu dem Schluss kommen, dass diese Änderung eine abweichende Bewertung rechtfertigt.207 Vielmehr muss das Vollstreckungsgericht eine eigene, die Vollstreckung legitimierende Prognose treffen. Dazu gehört auch die Setzung des Umschlagspunkts, der aber nicht unter die Schwelle der Anordnungsentscheidung absinken darf.208 Damit ist die Vollstreckungskammer nicht daran gehindert, auch bei zeitlich naher Prüfung der Vollstreckung nach § 67c I StGB zu einem anderen Schluss zu kommen als die Anordnungsentscheidung. Diese Fälle dürften aber aufgrund der Bindung an die Tatsachenfeststellungen im Ausgangsurteil sehr selten sein. c) Bindung bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung Da bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung die Einheit von Erstund Zweitverfahren durch den Vorbehalt gewährleistet ist, kann sich die Annahme einer Bindungswirkung des Ersturteils für die Entscheidung über die Anordnung von Sicherungsverwahrung auf den Gedanken der innerprozessualen Bindungswirkung zur Vermeidung widersprechender Feststellungen innerhalb eines Verfahrens stützen. Problematisch daran ist aber, dass die überwiegende Ansicht hier von einer gegenüber der Bindung des Vollstreckungsgerichts an das Anordnungsurteil stärkeren Bindung der Entscheidung über die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung an das Ersturteil auszugehen scheint. aa) Bindung an Feststellungen und rechtliche Würdigungen im Ersturteil Bezüglich aller Feststellungen über die Tat wird eine Bindung angenommen, hierauf bezogene Beweisanträge sollen unzulässig sein.209 Auch die So aber LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 67d, Rn. 104. Wie hier: SK-StGBSinn § 67c, Rn. 5, vgl. auch § 67d, Rn. 8. Die tatsächliche Grundlage der Prognose ist grundsätzlich eine andere. 208 Dies ist die Folge der zunehmenden Bedeutung des Freiheitsgrundrechts des Untergebrachten, nicht einer Bindungswirkung. 209 LR25-Gollwitzer, Nachtrag § 275a, Rn. 24; KMR-Voll § 275a, Rn. 37; MeyerGoßner § 275a, Rn. 39; LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 82. 207
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Feststellungen über das Vorhandensein sonstiger prognoserelevanter Tatsachen sollen Bindungswirkung entfalten, sogar die Beweisaufnahme über die Existenz von nicht im Urteil festgestellten Tatsachen wird ausgeschlossen.210 Für den Fall, dass sich die vom Tatgericht angenommenen Tatsachen als nicht zutreffend erweisen, wird auf das Wiederaufnahmeverfahren verwiesen.211 Unberücksichtigt bleiben alle anderen Tatsachen (beispielsweise solche, die vor der ersten Verurteilung aufgetreten sind), denn diese Fälle seien Anwendungsbereich des § 66b StGB.212 Danach soll § 66a II StGB lediglich die Einbeziehung neuer Tatsachen ermöglichen und nicht Tatsachenfeststellungen nachholen oder erneut überprüfen. Die Beweisaufnahme soll nur noch über die prognostisch relevanten Tatsachen aus der Zeit des Strafvollzugs stattfinden.213 Die Rechtskraft des Ersturteils schützt den Verurteilten danach soweit, als wäre die Sicherungsverwahrung im Ersturteil abgelehnt worden.214 Bei der Erstellung der Kriminalprognose (der Gesamtwürdigung) ist das Gericht an die Bewertungen der prognoserelevanten Tatsachen, die zur Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung führten, aber auch hier nicht gebunden.215 Die Notwendigkeit der aktuellen Bewertung der aktuellen Tatsachenlage kann auch für eine Änderung der Bewertung der bindend festgestellten Tatsachen sorgen.216 Dagegen wird teilweise eine Bindung an die Feststellungen im Ersturteil auch bei der Entscheidung über die Gefährlichkeit angenommen.217 Gegen letzteres spricht vor allem, dass die Frage der Bindung im Verhältnis der § 66a I zu II StGB anders beantwortet wird als im Verhältnis von § 66 StGB zu §§ 67c I, d II, III StGB. Wenn argumentiert wird, der Betroffene solle vor einer abweichenden Bewertung der Feststellungen geschützt werden, so fragt sich, warum. Entsprechend rechtskräftiger Ablehnung der Sicherungsverwahrung kann er nicht behandelt werden,218 denn in diesem Fall wäre das Verfahren überhaupt nicht zulässig. Wenn aber die Rechtskraft nicht die Bewertung der festgestellten TatsaLR25-Gollwitzer, Nachtrag § 275a, Rn. 24; KMR-Voll § 275a, Rn. 6; SKStPO-Frister § 275a, Rn. 27. 211 KMR-Voll § 275a, Rn. 37; LR25-Gollwitzer Nachtrag § 275a, Rn. 36. 212 LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66a, Rn. 82. 213 Zu eng auch unter dieser Prämisse KMR-Voll § 275a, Rn. 37, der nur die Entwicklung der Persönlichkeit des Verurteilten als Beweisthema gelten lässt. Dabei können beispielsweise Veränderungen im sozialen Empfangsraum ebenfalls relevant sein. 214 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 27. 215 LR25-Gollwitzer, Nachtrag § 275a, Rn. 25; KMR-Voll § 275a, Rn. 48 für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung. 216 KMR-Voll § 275a, Rn. 48 für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung. 217 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24. 218 So aber SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24. 210
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chen festschreibt, weil sowohl Tatsachen als auch deren Bedeutung dynamisch sind, kann hier nichts anderes gelten. Dass sich aus dem Vertrauensschutz die identische Bewertung festgestellter Tatsachen ergeben soll, kann nicht überzeugen. Denn die Bewertung ist entweder dem Gesetz entsprechend, oder nicht. Im ersten Fall also hinzunehmen, im zweiten Fall mit Rechtsmitteln zu beseitigen. bb) Umfang der Bindungswirkung Die Annahme der Bindung aufgrund der innerprozessualen Bindungswirkung erklärt nicht, warum diese Bindungswirkung im Fall des § 66a StGB weiter gehen soll als die Bindung im Fall der § 67c I, d II, III StGB. Die Kriminalprognosen nach § 67c I, d II, III StGB werden nicht nur von der weiteren Entwicklung des Verurteilten abhängig gemacht. Die Rechtskraft der Anordnung einer Sicherungsverwahrung erfasst aber nach überwiegender, wenngleich für § 67d VI StGB nicht durchgehaltener Ansicht die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen im Entscheidungszeitpunkt, so dass zur Frage der Einbeziehung anderer Tatsachen nichts daraus zu entnehmen ist. Auch gilt das Verbot widersprüchlicher Feststellungen für §§ 66a II, 67c I, d II, III StGB gleichermaßen,219 so dass nicht erklärt werden kann, warum die spätere Entscheidung an Bewertungen in der ersten Entscheidung stärker gebunden sein soll. Diese Bindung an Feststellungen kann sich sinnvoll nur auf statische, unabänderlich in der Vergangenheit liegende prognoserelevante Tatsachen beziehen. Eine Bindung an Feststellungen zur Persönlichkeit des Täters (beispielsweise eine zustimmende Haltung zu Straftatenbegehung) ist schon schwer vorstellbar,220 in der negativen Umkehrung wird dieses Bedenken noch gesteigert: Alles was das Gericht nicht über die Persönlichkeit festgestellt hat, müsste als nicht existent behandelt werden, sofern es nicht während der Strafvollstreckung in die Welt getreten ist. Eine Prognoseerstellung wäre unter diesen Bedingungen nicht sinnvoll. Der Zweck der innerprozessualen Bindungswirkung, das Vermeiden widersprüchlicher Feststellungen in einem Verfahren und damit die Prozesswirtschaftlichkeit,221 219 Eine unterschiedlich starke Bindung könnte sich nur daraus ergeben, dass § 66a II StGB das Streng- die §§ 67c, d StGB das Freibeweisverfahren anwenden (kritisch dazu Kögler (1988), S. 118 ff.). Dann müssten aber gerade die Entscheidungen, in denen das Freibeweisverfahren gilt, an die Feststellungen aus dem Strengbeweisverfahren gebunden sein, und nicht die Bindung bei einem zweiten Strengbeweisverfahren stärker sein. 220 So auch Bruns (1961), S. 17 zur Bindung im Fall der isolierten Anfechtung der Strafaussetzung. 221 Gössel (2002), S. 124.
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spricht in diesem Umfang gegen eine Bindungswirkung. Die Prozesswirtschaftlichkeit soll Überflüssiges verhindern.222 Überflüssig sind aber ergänzende Feststellungen zur Basis der Kriminalprognose nicht, da die relevanten Tatsachen prinzipiell unbegrenzt sind und jede neue Erkenntnis die Gesamtwürdigung verändert. Warum das Vollstreckungsgericht in weniger starkem Umfang an die Feststellungen des Tatgerichts gebunden sein soll, obwohl in diesem Fall bereits eine vollständige rechtskräftige Entscheidung vorliegt, ist nicht ersichtlich. Auch das Ausscheiden aller sonstigen erkennbar gewordenen Tatsachen (also nicht solcher aus dem Vollzugsverhalten) im Fall des § 66a StGB, nicht aber in den Fällen der §§ 67c I, d II, III StGB kann nicht erklärt werden. Vor allem nicht, da die Entscheidungen nach § 67d II, III StGB auch nach einer Anordnung nach § 66a II StGB zu treffen sind und hier die angenommene Bindung wieder entfällt. Hier ist ebenfalls gegen eine Beschränkung des Beweisthemas auf das Vollzugsverhalten anzuführen, dass eine Entscheidung nach § 67c I StGB in der Regel für entbehrlich gehalten wird, wenn die Sicherungsverwahrung nach §§ 66a II, b StGB angeordnet wird, da beide Entscheidungen zu einem ähnlichen Zeitpunkt ergehen und die gleichen Umstände berücksichtigen. Dies ist aber nicht der Fall, wenn die Entscheidung nach § 66a II StGB auf das Vollzugsverhalten beschränkt ist, § 67c I StGB alle relevanten Tatsachen im Zeitpunkt der Entscheidung einbezieht. cc) Keine umfassendere Bindung aufgrund der Teilrechtskraft der Entscheidung Die innerprozessuale Bindungswirkung kann eine stärkere Bindung an Feststellungen des Tatgerichts bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gegenüber den Vollstreckungsentscheidungen nicht begründen. Als Grund für die Annahme einer stärkeren Bindung kommt aber die Teilrechtskraft in Betracht. Eine Entscheidung ist nur noch über die Sicherungsfrage zu fällen. Die Bindungswirkung an die tatsächlichen Feststellungen verbietet lediglich solche Feststellungen, die dem Ausgangsurteil widersprechen. Wird diese Bindung auf den Gedanken der Teilrechtskraft gestützt, begegnen alle Merkwürdigkeiten einer solchen Begründung auch hier. Warum die Teilrechtskraft zu einer Bindungswirkung bei Tatsachenfeststellungen führt, wenn die Vollrechtskraft ihre Wirkung auf den Tenor beschränkt, ist nicht befriedigend zu beantworten.223 Die Rechtskraft wird nicht für einen Teil stärker wirken als für das Ganze. 222
Gössel (2002), S. 124 f.; OLG Nürnberg NZV 2007, 642 f. Gössel (2002), S. 117 ff.; Bruns (1961), S. 17 f.; LR26-Kühne, Einleitung K, Rn. 68, nach dem die horizontale Teilrechtskraft nichts mit der Rechtskraft zu tun hat, sondern eine innerprozessuale Bindungswirkung bedeutet. 223
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Außerdem ist Voraussetzung für die Teilrechtskraft die Trennbarkeit des entschiedenen vom noch zu entscheidenden Teil.224 Unter Geltung der §§ 20a, 42e StGB a. F. wurde die Trennbarkeit der Straf- von der Sicherungsfrage verneint225 oder davon abhängig gemacht, ob im konkreten Einzelfall eine Strafschärfung nach § 20a StGB a. F. erfolgt war,226 ob die in der Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher angenommene Gefährlichkeit durch die Frage nach der Erforderlichkeit im Sinne des § 42e StGB a. F. angegriffen werden soll,227 bzw. ob sich der Zusammenhang von Strafe und Sicherungsverwahrung im Einzelfall als trennbar erweist.228 Andere nahmen eine Trennbarkeit an, da die Sicherungsverwahrung nach altem Recht die Gewohnheitsverbrechereigenschaft im Zeitpunkt der Tat, die Gefährlichkeit im Zeitpunkt der Strafentlassung forderte, so dass die beiden Fragen voneinander unabhängig seien, wenn nicht die Einstufung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher angegriffen wurde.229 Nach der Streichung des § 20a StGB a. F. wird die Trennbarkeit von Strafausspruch und Entscheidung über die Sicherungsverwahrung von dem Einfluss der Gefährlichkeit auf die Strafzumessung abhängig gemacht. Nur wenn eine gegenseitige Beeinflussung im konkreten Fall ausgeschlossen werden kann, wird die Trennbarkeit angenommen.230 Die zumindest für § 66b StGB231 angenommene Trennbarkeit der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung von der über den Strafausspruch, begegnet aufgrund der Relevanz der prognostisch relevanten Tatsachen auch für die Strafzumessung großen Bedenken.232 Die Gründe, die zur An224
Gössel (2002), S. 113, Grünwald (1964), S. 241; Eb. Schmidt (1957a), S. 917. 226 RGSt 68, 385 ff. Kritisch: Mezger (1958), S. 133 f.; Hennke (1956), S. 45 f. der ausführt, dass die Strafzumessung völlig unabhängig von einer Maßregelanordnung ist. Dies ist nach der Einführung des § 46 I 2 StGB nicht mehr vertretbar. 227 Hennke (1958), S. 47 f. 228 BGHSt 7, 101 (103 f.). 229 Mezger (1958), S. 136. 230 BGH NJW 1980, 1055, 1056; NStZ 1994, 280, 281; LR25-Hanack § 344, Rn. 55 m. w. N.; Marquardt (1972), S. 157 ff.; SK-StPO-Frisch § 344, Rn. 27; Meyer-Goßner § 318, Rn. 25 nimmt eine Trennbarkeit von Strafausspruch und Anordnung der Sicherungsverwahrung nur ausnahmsweise an. Vgl. auch die Nachweise zur Beeinflussung der Strafzumessung durch die Anordnung von Sicherungsverwahrung unter E.II. 231 Im Fall des § 66a I StGB ist die Vorbehaltsanordnung im Strafausspruch zu berücksichtigen. Dazu: E.II. 232 Freilich nicht in der Konzeption des §66b StGB nach der überwiegenden Ansicht: Trennbarkeit wird angenommen, wenn der abgetrennte Teil ohne Bezugnahme auf den entschiedenen Teil behandelt werden kann. Wenn aber wie bei § 66b StGB für die doppelrelevanten Tatsachen eine Bindungswirkung statuiert wird, ist dieses Problem um den Preis einer unzutreffenden Entscheidung umgangen. 225
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nahme der Untrennbarkeit führten, vor allem die Doppelrelevanz der Tatsachen für Strafzumessung im Bereich des § 46 I 2 StGB und Gefährlichkeit233 sind nicht beseitigt. Hiergegen kann nicht vorgebracht werden, dass die Trennbarkeit im Ausnahmefall der § 66a, b I, II StGB immer besteht, da die für die Anordnungsprognose maßgeblichen Tatsachen ohnehin keinen Einfluss auf die Strafzumessung hätten, da sie erst nach der Strafzumessung erkennbar werden. Denn es können dann die gefährlichkeitsbegründenden Tatsachen strafschärfend berücksichtigt werden, nicht aber die anders als durch Strafe erfolgende Sicherung der Allgemeinheit. Außerdem ist mit dem Erkennbarwerden doppelrelevanter Tatsachen die Anpassung des Gefährlichkeitsurteils ohne die Anpassung der Strafzumessung eine Desavouierung der Strafzumessung. Die Strafmaßwiederaufnahme ist nicht vorgesehen. Daher kann auch die Annahme einer Bindungswirkung aufgrund der Teilrechtskraft der Entscheidung einen unterschiedlichen Umfang der Bindung bei Vollstreckungs- und nachfolgender Anordnungsentscheidung nicht begründen.234 Bei der Prognoseerstellung ist das Gericht in demselben Umfang gebunden wie das Vollstreckungsgericht im Fall der Entscheidungen nach §§ 67c I, d II, III StGB. d) Bindung bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung Bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird eine Bindung an das Ersturteil ebenfalls in weitem Umfang angenommen, da dieses Verfahren auf den Ergebnissen des ersten Verfahrens aufbauen soll.235 Unabhängig von der Frage nach dem Prozessgegenstand ist die Gesamtheit der prognostisch relevanten Tatsachen, die im Ersturteil enthalten sind, in die Entscheidung einzubeziehen. Dabei wird eine Bindung des Gerichts an die Feststellungen aus dem Urteil über die Tat wie im Fall des § 66a II StGB angenommen.236 Beweis soll nur noch über die erkennbar gewordenen Tatsachen erhoben werden, so dass Tatsachen, die wegen unzureichender Sachverhaltsermittlung im Erstverfahren nicht festgestellt wurden, nicht beachtlich sind.237 Es sind danach bei der nachträglichen Anordnung die Feststel233 von Freier (2008), S. 306 f.; Grünwald (1964), S. 234 ff.; empirisch: Kinzig (1998), S. 19 für den Hang. 234 Ähnlich: von Freier (2008), S. 323, der (wohl für § 66b StGB) von einer systemwidrigen Bindungswirkung der Feststellungen spricht. 235 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 19. 236 So BGHSt 50, 121 (131); SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24; LR25-Gollwitzer Nachtrag § 275a, Rn. 24. 237 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 28. Dieser Umstand kann sich aber auch daraus ergeben, dass der Verfahrensgegenstand auf die im Antrag bezeichneten erkennbar gewordenen Tatsachen beschränkt wird.
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lungen zur Anlasstat bindend238 und in die Kriminalprognose einzubeziehen. Der Verurteilte kann sich weder darauf berufen, die Tat nicht begangen, noch sie anders begangen zu haben. Begründet wird diese Bindung mit der Rechtskraft des Ersturteils.239 Wie im Fall des § 66a II StGB wird teilweise auch eine Bindung des Gerichts an die Würdigung der prognoserelevanten Tatsachen im Ersturteil angenommen, da der Verurteilte durch die Rechtskraft der Entscheidung geschützt werde.240 aa) Keine innerprozessuale Bindungswirkung Es ist jedoch fraglich, wie sich eine solche Bindung begründen lässt. Teilweise wird eine Analogie zu der innerprozessualen Bindungswirkung gezogen: „Die Bezugnahme auf andere Schriftstücke und Erkenntnisquellen ist deshalb grundsätzlich unzulässig. Allerdings kann in demselben Verfahren zur Vermeidung von Wiederholungen ein neuer Tatrichter beispielsweise auf die von einer Teilaufhebung nicht erfaßten Feststellungen eines früheren Urteils Bezug nehmen. Diese Grundsätze lassen sich auch auf Entscheidungen über die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung anwenden. Die Feststellungen im Urteil, in dem der Verurteilte zu einer Freiheitsstrafe wegen eines der in § 66b StGB genannten Verbrechen oder Vergehen verurteilt worden ist, sind rechtskräftig. Sie bleiben aufrechterhalten und binden das Gericht, das über die nachträgliche Sicherungsverwahrung zu befinden hat. Die Bindungswirkung ist nur insoweit eingeschränkt, als die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung in Betracht kommt.“241
Aus der Bindung des Gerichts an die Feststellungen zur Tat im Fall der Teilanfechtung eines Strafausspruchs kann aber entgegen diesen Ausführungen nichts für die Bindung im Verfahren für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB abgeleitet werden,242 da die Bindung damit begründet wird, dass es in dem oben genannten Fall um eine Entscheidung im von vornherein anhängigen Verfahrensgegenstand geht.243 Zwar spricht im Fall des § 66b StGB für eine innerprozessuale Bindungswirkung, dass die Vollstreckung des Strafurteils noch nicht abgeBGHSt 50, 121 (131); SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24; LR25-Gollwitzer Nachtrag § 275a, Rn. 24. 239 BGHSt 50, 121 (131); SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24; LR25-Gollwitzer Nachtrag § 275a, Rn. 24. 240 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 24. Anders wohl BGHSt 50, 121 (131). 241 BGHSt 50, 121(131). 242 So auch KMR-Eschelbach § 362, Rn. 72. 243 Grunsky (1968), S. 231 m. w. N. Dagegen kann sich die Bindung im Fall einer Anordnung nach § 66a II StGB gerade hierauf stützen. 238
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schlossen ist und die Vollstreckung zum Verfahren über die Tat gehört. Dies übergeht aber den Umstand, dass über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gerade in einem eigenen, neuen Hauptverfahren entschieden wird, dessen Gegenstand jedenfalls über die Tat hinausreicht. Darüber hinaus setzt eine Bindungswirkung an Feststellungen und Wertungen voraus, dass die Feststellungen „gleichartige Entscheidungsfaktoren in Entscheidungen zu derselben Sache über dieselbe Sanktion, nämlich etwa die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) einerseits und die Entscheidung über die Erforderlichkeit der weiteren Vollziehung derselben Maßregel (§ 67c StGB) im Anschluss an die Strafvollstreckung andererseits, betreffen.“244
Aus diesem Grund nimmt das BVerfG an, dass die Feststellungen zur Ablehnung der Sicherungsverwahrung im Urteil das Vollstreckungsgericht bei der Frage der Strafrestaussetzung die Strafvollstreckungskammer nicht aufgrund einer innerprozessualen Bindungswirkung binden,245 so dass in Umkehrung dieser Erwägung auch Strafzumessungsfeststellungen bei der Frage der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht bindend festgestellt sein können. Dass das Erfordernis der Rechtskraft des Ersturteils die Hauptverhandlungen verklammert, kann daher nicht zu einer innerprozessualen Bindung an Feststellungen aus dem Ersturteil für die zweite Hauptverhandlung führen. bb) Keine Bindung wegen der Rechtskraft des Ersturteils Auch aus der Rechtskraft einer Entscheidung folgt nach bisher überwiegender Ansicht keine Bindung für ein anderes Verfahren.246 Da die Verfahren nach überwiegender Ansicht verschiedene Gegenstände haben sollen, ist auf dieser Grundlage eine Bindung schon deswegen nicht mit der Rechtskraft begründbar. Als Begründung der Bindung scheidet dann auch eine Analogie zu der Bindung des Wiederaufnahmegerichts an die Feststellungen des Tatgerichts aus,247 da das Wiederaufnahmerecht von der Identität des rechtskräftigen und wiederaufgenommenem Prozesses ausgeht.248 Die Bindung des Gerichts an eigene Feststellungen lässt sich damit nicht auf bisher bekannte Überlegungen stützen.249 Der oben angesprochene Kompromiss, 244
BVerfG NStZ-RR 2003, 282, 283. BVerfG NStZ-RR 2003, 282. 246 Dazu bereits oben: H.III.5.a). 247 Wofür aber die Ähnlichkeit der Prüfung von erkennbar gewordenen Tatsachen und der Erschütterung des Urteils durch neue Beweismittel im Fall der Wiederaufnahme des Strafprozesses spräche. 248 KMR-Eschelbach § 362, Rn. 72 folgert dieses Ergebnis aus der Systemfremdheit der nachträglichen Sicherungsverwahrung zum Wiederaufnahmerecht. 245
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in Verfahren mit einem anderen Gegenstand eine an den Kriterien des Wiederaufnahmerechts orientierte Richtigkeitsvermutung für Feststellungen aus anderen, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren anzunehmen, wird für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht erwogen. Dies aber scheint die einzig mögliche Erklärung für eine eingeschränkte Bindungswirkung des Gerichts an Feststellungen aus dem Ersturteil zu sein. cc) Keine Bindung an Bewertungen im Ersturteil Eine Bindung des Gerichts an die im Ausgangsurteil vorgenommene Würdigung der prognoserelevanten Tatsachen, sowieit sie bisher angenommen wird, lässt sich noch weniger erklären: Denn warum das Vollstreckungsgericht bei allen weiteren Entscheidungen insoweit frei sein soll, obwohl es mit dem Prozess stärker verbunden ist als die zweite Hauptverhandlung mit der ersten, ist fraglich. Eine Bindung, die im Umfang über die bei §§ 67c I, d II, III StGB angenommene Bindung hinausgeht, kann nicht angenommen werden. Eine solche Bindung liefe darauf hinaus, die Entscheidung über die schwerere Rechtsfolge (Anordnung der Geltung einer Kriminalprognose im Gegensatz zur Ausfüllung einer solchen Anordnung) unter beschränkter Prüfung der Voraussetzungen anzunehmen. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass hier dasselbe Gericht handelt. Volckart arbeitet heraus, dass eine Bindung nur bei voller Entfaltung des Beweisantragsrechts des Angeklagten in der Hauptverhandlung aus Gründen der Rechtssicherheit vertretbar ist.250 Gerade dies wird hier unterlaufen, wenn die im Erstverfahren nicht notwendig mit Blick auf eine Kriminalprognose festgestellten Tatsachen und vorgenommenen Würdigungen in einer späteren Verhandlung für die Erstellung einer Kriminalprognose relevant werden, ohne dass der Verurteilte die Möglichkeit hat auf die Beweiserhebung und -würdigung Einfluss zu nehmen. Konkret ist ein Hinweis entsprechend § 265 II StPO schon im Erstverfahren zu fordern, wenn die Möglichkeit der Erfüllung der formellen Voraussetzungen absehbar wird. Da die Anordnung der Sicherungsverwahrung kein Urteil über die Tat sein soll, andererseits aber die Erkenntnisse beider Verfahren zu einem verschmolzen werden sollen, wird im Ergebnis zwar der Gedanke der innerprozessualen Bindungwirkung herangezogen, dieser aber kann nur überzeugen, wenn die Kriterien der Wiederaufnahme des Strafprozesses beachtet werden. 249 Nach KMR-Eschelbach § 362, Rn. 72 „fehlt eine überzeugende Begründung für die Annahme der Bindung an Feststellungen des Erstverfahrens“; von Freier (2008), S. 308 spricht von einer systemwidrigen Erstreckung der Rechtskraft auf die Feststellungen. 250 Volckart (1993), S. 106.
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e) Sonderfall: Bindung bei der Anordnung nach § 66b III StGB Während oben die Fragen erörtert wurden, ob das Vollstreckungsgericht an die Feststellungen des Tatgerichts gebunden ist und ob das Tatgericht an eigene Feststellungen aus dem Ersturteil gebunden ist, besteht bei § 66b III StGB das Problem auch umgekehrt. Aufgrund der Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB könnte das Gericht der zweiten Hauptverhandlung an die Erledigungserklärung durch die Vollstreckungskammer und die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen gebunden sein. Zwar steht das Vorliegen einer Erledigungserklärung als formelle Voraussetzung fest. Jedoch muss bei der Gefährlichkeit das Beruhen der Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten auf einem Zustand nach §§ 20, 63 StGB ausgeschlossen werden. Wenn aber schon das Vollstreckungsgericht bei seinem Beschluss über die Erledigungserklärung nach § 67d VI StGB nicht gehindert ist, bei identischer Tatsachenlage zu einem anderen Schluss zu kommen als das Tatgericht, dann kann umgekehrt nichts anderes gelten. Wenn das Tatgericht einen Zustand falsch annahm und das Vollstreckungsgericht die Unterbringung für erledigt erklärte, kann das Tatgericht das Vorliegen eines Zustands also wieder annehmen. In der Entsprechung gilt dies entgegen der überwiegenden Ansicht auch für die rechtlich fehlerhafte Würdigung von Tatsachen.
IV. Folgerungen der Überlegungen für die Sicherungsverwahrung Für die Sicherungsverwahrung bedeutsam ist die Rechtskraft des Urteils über die Tat, das entweder Folgeentscheidungen über die Sicherungsverwahrung vorsieht oder nicht. Die Sicherungsverwahrung bezieht sich auf die dynamische Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten durch den Täter. Beendigungswirkung kann für die Sicherungsfrage nur das Eingreifen des Sicherungsrechts oder dessen Nichteingreifen entfalten.251 Da sich dies aus der Tat begründen muss, ist es im Urteil über die Tat anzuordnen. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung (oder deren Vorbehalt) im Urteilszeitpunkt führt dazu, dass weitere Entscheidungen des Vollstreckung- oder des Tatgerichts notwendig werden, die dann für und gegen den Verurteilten wirken. Rechtskräftig wird die Justizpflicht des Verurteilten, die Unterwerfung unter eine Kriminalprognose. Diese Anordnung der Geltung einer Kriminalprognose ist die endgültige Entscheidung über die Tat. Die Folgeentscheidungen beziehen sich jeweils auf die Gesamtheit 251
Berg/Wiedner (2007), S. 439.
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der prognoserelevanten Tatsachen. Die Anordnung der Geltung der Prognose als Urteil über die Tat bewirkt in den Folgeentscheidungen die Erweiterung der gerichtlichen Kognitionspflicht auf die aktuell prognoserelevanten Tatsachen. Aufgrund der Einheit des Verfahrens tritt eine innerprozessuale Bindungswirkung ein, die sich auf die tatsächlichen Feststellungen bezieht. 1. Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils über die Tat Daraus folgt, dass jeder Anwendungsfall des § 66b StGB ein Eingriff in die Rechtskraft des Urteils über die Straftat ist. Denn in diesen Fällen fehlt es an der rechtskräftigen Unterwerfung des Verurteilten unter die jeweils aktuelle Kriminalprognose, es fehlt an der Grundlage der Folgeentscheidungen. Wenn differenziert wird, ob die Sicherungsverwahrung aufgrund von neu in die Welt getretenen Tatsachen angeordnet wird (dann soll kein Eingriff in die Rechtskraft des Strafurteils vorliegen, weil für die Maßregel der Grundsatz der Aktualität maßgeblich ist und die Rechtskraft des Strafurteils nur das Vertrauen begründet, unter diesen Bedingungen nicht als gefährlich zu gelten)252 und der Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund von nicht erkennbaren Tatsachen (dann soll ein Eingriff in die Rechtskraft des Strafurteils vorliegen, weil das Vertrauen des Verurteilten, unter den bis dahin bestehenden Bedingungen nicht als gefährlich zu gelten)253, dann ist dies unter dem Aspekt der Trennung von Tat und Täter folgerichtig. Dass diese Differenzierung sich aus dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr nicht rechtfertigen kann, wurde bereits dargelegt.254 Aus der Sicht des Strafrechts dagegen muss für die Frage des Eingreifens des Sicherungsrechts auch unter dem Aspekt der Aktualität von Maßregeln entscheidend das Urteil über die Tat bleiben. Eine andere Eingrenzung des Zugriffs auf den Täter ist im Strafrecht nicht möglich. Die Eingrenzung durch das Ende der Vollstreckung der Strafe aus dem Ersturteil ist empirisch sinnvoll (nach Ende der Strafvollstreckung ist das Erkennbarwerden relevanter Tatsachen weniger wahrscheinlich), es kann aber nicht überzeugend begründet werden,255 warum nicht der Eintritt der Verfolgungsverjährung oder der maßregelrechtlichen Verjährung den mit der Anlasstat gesetzten Lebenssachverhalt abschließen. Es böte sich vielmehr an, auf die Regelungen der §§ 66 IV, 78 StGB abzustellen, die für alle übrigen Fälle das Maß für ein Verschwinden der Relevanz einer Straftat bedeuten. Die Geschichte der Sicherungsverwahrung belegt die Zufälligkeit der zeitlichen Beschränkung auf den Straf252 253 254 255
So beispielsweise LK12-Rissing-van Saan/Peglau § 66b, Rn. 40. Vgl. von Freier (2008), S. 309. von Freier (2008), S. 309 f. der auf § 49 II Nr. 5 VwVfG hinweist. So auch von Freier (2008), S. 311, der diesen Zeitraum als beliebig ansieht.
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vollzug: Es wurde bereits 1938 aus dem unterschiedlichen Bezugspunkt von Strafe und Maßregel teilweise gefolgert, dass die rechtskräftige Aburteilung der Tat einer nachträglichen Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht entgegenstehe.256 Ebenfalls wurde als Grenze der Möglichkeit nachträglicher Anordnung das Ende des Strafvollzugs genannt. Als Grund für diese Begrenzung wurde ausdrücklich die Zweckmäßigkeit genannt.257 Eine weitere Stütze findet diese Überlegung durch Rechtsvergleiche: So ist die Verurteilung zur präventiven Sanktion im Urteil im europäischen Strafrecht bekannt: in der englischen imprisonment for public protection wird der Täter zu einer zeitlich unbestimmten Zweckstrafe verurteilt, aus der er nach einer festgelegten Zeitspanne tatvergeltender Strafe entlassen wird, wenn er die Entlassungskommission258 von seiner Ungefährlichkeit überzeugt. Deutlich wird die Überlegung der Unterwerfung unter die Kriminalprognose auch im norwegischen Recht, das die Verlängerung der Haft nach einer Verurteilung zulässt, wenn die festgestellte Gefährlichkeit fortbesteht.259 Wenn § 66a StGB die Hauptverhandlung (über die Tat) zeitlich aufspaltet, ist dies zulässig, da die Tat nur als ein Anlass für staatliche Reaktion genommen wird. Wenn § 66b StGB aber zunächst die Tat aburteilt und anschließend an die Tat die Unterwerfung unter die Kriminalprognose knüpft, so ist dies auch dann ein unzulässiger Eingriff in die Rechtskraft des Urteils über die Tat, wenn zwischenzeitlich neue Tatsachen in die Welt getreten oder erkennbar geworden sind, weil Folgeentscheidungen getroffen werden, die im Strafurteil nicht vorgesehen sind. 2. Notwendigkeit der Begründung der Prognose mit der Tat Eine andere Betrachtung kann sich nur darin gründen, dass die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose von der Tat unabhängig ist, dass sich die Folgeentscheidungen nicht im Urteil gründen lassen müssen. Die Geltung der Kriminalprognose könnte vielmehr in § 66b StGB unter den dort genannten Voraussetzungen unabhängig anzuordnen sein. Dann aber ist für jeden Straftäter bei Erfüllung der formellen Voraussetzungen diese Geltung der Kriminalprognose angeordnet. Wenn bisher darauf hingewiesen wurde, dass die Anordnung von Sicherungsverwahrung nach §§ 66, 66a StGB immer zwei Kriminalprognosen voraussetzte, die nach § 66b I, II aber nur eine,260 so ist daran für den hier verfolgten Gedanken zentral, dass 256
Henkel (1938), S. 188. Henkel (1938), S. 188: „Allerdings sind Grenzziehungen unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten angebracht.“ 258 Parole board. 259 Dazu Renzikowski (2004), S. 272 f. 260 Kreuzer/Bartsch (2008), S. 663; Kinzig (2008), S. 295. 257
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die Anordnung der Geltung der Kriminalprognose bisher den unmittelbaren Zusammenhang von Tat und positiver Gefährlichkeitsprüfung voraussetzte.261 Prozessual sind Folgeentscheidungen im Strafrecht nur dann bekannt, wenn das Strafurteil diese vorsieht. Einzige Ausnahme ist das Recht der Wiederaufnahme.262 Die durch die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführte Festsetzung von Rechtsfolgen der Tat nach der rechtskräftigen Aburteilung der Tat ist ein Fremdkörper im Strafrecht und führt zu zahlreichen prozessualen263 wie materiellrechtlichen264 Verwerfungen. Insbesondere ist bei der Einstufung der nachträglichen Sicherungsverwahrung als Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten zu beachten, dass die Wiederaufnahmemöglichkeit grundsätzlich zeitlich unbeschränkt ist. Eine zeitliche Einschränkung auf die Strafvollstreckung kann aber wie gesehen nur empirisch überzeugend begründet werden.265
3. Identität der Rechtsfragen Anders als bei der Strafvollstreckung beantworten Entscheidungen über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung hinsichtlich der abzuwehrenden Gefährlichkeit keine andere Rechtsfrage als die Entscheidung der Anordnung der Sicherungsverwahrung. Dies folgt aus der Illegitimität einer nicht notwendigen Sicherungsverwahrung. Da Entscheidungen über Sicherungsverwahrung in jedem Stadium immer nur aufgrund einer aktuellen Kriminalprognose ergehen und nur eine aktuelle Kriminalprognose die Sicherungsverwahrung in Anordnung und Vollstreckung legitimiert, ist es selbstverständlich, dass die spätere gestellte Kriminalprognose nicht deswegen in die Rechtskraft des Urteils eingreift, weil sie von der Kriminalprognose aus dem Ersturteil abweicht. Nach erfolgter Anordnung der Geltung der Kriminalprognose kann das Argument überzeugen, dass die jeweils aktuelle Prognose sich auf eine noch nicht abgeschlossene Entwicklung be261 Dem steht auch § 66a I StGB nicht entgegen, der lediglich die Schwelle zum positiven Ergebnis senkt. 262 Wobei der Unterschied zu § 66b StGB ist, dass die Wiederaufnahme sich auf ein fehlerhaftes Strafurteil gründet, dagegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung gerade nicht die Fehler des Ausgangsverfahrens korrigieren soll. 263 Das Problem der Bindung des Tatgerichts an das Ersturteil, die Begrenzung des Beweisthemas, das Problem der Wiederholbarkeit eines Antrags auf Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung. 264 Vor allem die Bestimmung der erkennbar gewordenen Tatsachen und das Verhältnis des Urteils über die Straftat, die eine neue Tatsache darstellt, zu § 66b StGB. 265 Vgl. Baltzer (2005), S. 272, der die Unbeachtlichkeit von Tatsachen, die nach Entlassung aus der Strafhaft erkannt werden, annimmt, dies aber nicht begründet.
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zieht. Die im Urteil über die Tat angeordneten Entscheidungen haben damit jeweils andere Entscheidungsgegenstände.266 Der zentrale Einwand gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist daher nicht der Eingriff in die Rechtskraft des Strafurteils, weil die sanktionierte Anlasstat in die Prognose eingestellt wird. Denn dies geschieht bei sämtlichen Folgeentscheidungen über die Sicherungsverwahrung nach §§ 67c I, d II, III StGB. Auch dort ist die Anlasstat in die Prognose einzubestellen, auch dort liegt Bindung an die Feststellungen zum Tatgeschehen vor. Der Unterschied könnte nun darin zu sehen sein, dass hier die erneute Prognose eine Anordnung der Unterbringung begründen kann, also nicht nur für den Untergebrachten wirken kann (wie in den Fällen der §§ 67c I, d II, III StGB), sondern auch gegen ihn. Aber auch dieses Argument dringt nur dann durch, wenn die Prognosen nach §§ 67c I, d II, III StGB tatsächlich nur für den Betroffenen wirken. Dies ist aber nicht der Fall, da nur die jeweils aktuelle Feststellung der Voraussetzungen der Unterbringung deren Vollstreckung begründet.
4. Gleichbehandlung von Anordnung mit Nichtanordnung – Verzicht auf Beendigungswirkung Das Urteil über die Tat hat den Täter der Kriminalprognose nicht unterstellt. Deswegen, weil hier eine echte Rechtsfolge der Tat auszusprechen ist, ist die Hauptverhandlungslösung für das Verfahren nach § 66b StGB angemessen. Es kann daher argumentiert werden, bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung werde der Täter ebenfalls der Kriminalprognose unterstellt, aber eben in dem Verfahren nach § 275a StPO. Dies bedeutete aber den Verzicht auf jede Beendigungswirkung des Strafurteils hinsichtlich der Sicherungsfrage. Dies führt dazu, die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung als Rechtskraftdurchbrechung anzusehen.267 Damit krankt die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b I 1 StGB an der fehlenden Verankerung der Anordnung der Geltung der Kriminalprognose im Strafurteil. Da eine prognoseabhängige Sanktion nur durch eine Prognose, die Prognose wiederum nur durch eine Tat legitimiert ist, muss diese Rechtsfolge der Tat im Urteil über die Tat ausgesprochen werden. Demge266 Es ist auch nicht „der Täter“ der Entscheidungsgegenstand, da dies nur der Ausdruck für die relevanten Tatsachen ist, mit deren Hilfe die Rechtsfrage beantwortet wird. 267 SK-StPO-Frister § 275a, Rn. 6; KMR-Eschelbach § 362, Rn. 68: „Der Sache nach eine Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten“; Baltzer (2005), S. 204; Hanack (2002), S. 719; vgl. auch LR25-Gollwitzer Nachtrag § 260, Rn. 1.
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mäß muss die nachträgliche Sicherungsverwahrung entweder als Wiederaufnahme des Strafverfahrens ausgestaltet werden (so dass die Bindung an Tatsachenfeststellungen zu einer relativen würde)268 oder die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung muss im Urteil über die Tat festgeschrieben werden.269 Sobald die Möglichkeit der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung absehbar wird, muss ein Hinweis entsprechend § 265 II StPO ergehen. 5. Besonderheiten der Regelung des § 66b I 2 StGB Besonders deutlich wird das Problem bei § 66b I 2 StGB, es wird die erneute oder erstmalige Stellung einer Kriminalprognose ermöglicht, wobei diese sich nicht auf eine neue Prognosebasis270 stützt. Eine Änderung der Rechtsstellung des Verurteilten im bisherigen Recht der Sicherungsverwahrung271 hing von der jeweils maßgeblichen Kriminalprognose, also von den aktuellen prognostisch relevanten Tatsachen ab. Hiermit bricht § 66b I 2 StGB, weil er auf zwei Zeitpunkte abstellt: Eine aktuelle Kriminalprognose soll jetzt gelten, weil früher eine solche nicht gelten konnte. Wenn aber die Rechtskraft einer Entscheidung auch solche Folgeentscheidungen über den Entscheidungsgegenstand verbietet, die mit der rechtskräftigen vereinbar sind, ist der Verstoß gegen die Rechtskraft hier nicht geringer: „Wird etwa eine Maßregel geschaffen, deren Voraussetzungen mit der abgeurteilten Tat erfüllt sind, so wäre es mit dem Abänderungsverbot vereinbar, wenn nachträglich diese Maßregel verhängt würde, denn über ihre Anwendbarkeit ist in dem rechtskräftigen Urteil nicht entschieden worden. Allein die weitergehende Rechtskraftwirkung, das Verbot erneuter Aburteilung (Hervorhebung im Original), schließt ein solches Vorgehen aus.“272
Als Beispiel für eine solche Rechtskraftdurchbrechung wird Art. 5 Nr. 2 GewVerbrG angeführt.273 So geht der BGH wegen der unveränderten Tatsa268
KMR-Eschelbach § 362, Rn. 72. So auch: Kreuzer (2006), S. 150. 270 Die Prognosebasis hat sich im Extremfall des § 66b I 2 StGB, dass alle Tatsachen bereits im Urteilszeitpunkt bekannt waren, nur durch die mit Zeitablauf verbundene Änderung der Bedeutung der prognoserelevanten Tatsachen geändert. 271 Nichtvollsteckung der angeordneten Sicherungsverwahrung; Anordnung nach Vorbehalt; Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung; Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung; Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung. 272 Grünwald (1964), S. 15 f. 273 Grünwald (1964), S. 16 Fn. 15. 269
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chenlage bei § 66b I 2 StGB von einem Eingriff in die Rechtskraft des Ersturteils aus.274 Es stellt sich die Frage in aller Schärfe, ob der Gesetzgeber eine Regelung schaffen kann, die die Verurteilung zu potentiell lebenslangem Freiheitsentzug nach Aburteilung der Straftat ermöglicht, ohne dass der Verurteilte nach Aburteilung der Tat in irgendeiner Weise dazu Anlass gegeben hat. Im Einklang mit dem zu § 66b I 1 StGB Erläuterten ist dies abzulehnen. Wenn die Tat die Kriminalprognose legitimiert, muss das Urteil über die Tat eine Kriminalprognose vorsehen. Dies ist im Fall des § 66b I 2 durch ein Versäumnis des Gesetzgebers nicht geschehen. Ließe man Durchbrechungen dieses Grundsatzes zu, so geriete man in unkontrollierbare Abwägungen,275 da immer höchste Rechtsgüter der Allgemeinheit gegen potentiell lebenslangen Freiheitsentzug beim Verurteilten stehen. Eine Begrenzung des strafrechtlichen Gefahrenabwehrrechts ist so nicht zu erreichen. Die Unterwerfung des Verurteilten unter die aktuelle Kriminalprognose muss im Urteil angeordnet werden. Auf diese förmliche Unterwerfung ist erst recht nicht dann zu verzichten, wenn im Urteilszeitpunkt eine Unterwerfung überhaupt nicht möglich war. Wenn Prozessgegenstand der Strafverurteilung die Tat ist und eine rechtskräftige Entscheidung weitere nicht im Urteil notwendig gemachte Entscheidungen über den Prozessgegenstand überhaupt ausschließt,276 so kann die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht ohne Durchbrechung der Rechtskraft die Tat zum Gegenstand haben. Eine andere Betrachtung kann sich nur daraus ergeben, dass wegen der durch die Rechtsänderung erst jetzt zu würdigenden Tatsachen der Prozessgegenstand verändert ist.277 Jedoch spricht systematisch gegen diese Ansicht des BVerfG, dass dann auch im Fall des § 66b II StGB das erkennbar werden relevanter Tatsachen nicht notwendig ist, da für diesen Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung keine entsprechende Möglichkeit der Anordnung im Ersturteil besteht,278 so dass auch in diesem Fall das Ausgangsurteil in diesem Fall nichts zur Gefährlichkeit aussagen konnte. Außerdem könnte dann die Geltung der Kriminalprognose durch diese Tat nur begründet werden, wenn die legitimierende Wirkung der zurechenbaren Tat unabhängig vom Strafurteil über diese Tat wäre. Dies scheint ausgeschlossen. Stellt man auf die Begehung der Tat als Anknüpfungstatsache ab, so 274
BGHSt 52, 205 (212). So auch von Freier (2008), S. 328. 276 Grünwald (1964), S. 15. 277 So BVerfG NJW 2009, 980, 981. 278 Ähnlich Kinzig (2008), S. 54, der deswegen den Sinn des Merkmals der neuen Tatsachen in diesem Anwendungsfall bezweifelt. 275
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wäre die nachträgliche Sicherungsverwahrung genauso Rechtsfolge der Anlasstat wie jeder anderen in die Kriminalprognose eingestellten Tat. Außerdem müsste dann erklärt werden können, warum die nachträgliche Anordnung wegen der begangenen Tat nur im Zeitraum der Vollstreckung der wegen dieser verhängten Strafe möglich ist, eine normative Begründung dieses Umstands gelingt jedoch nicht. Prozessgegenstand der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung muss damit die Tat sein.279 Dann aber ist der systemimmanente Widerspruch zu § 66b II StGB nicht behoben, wenn in diesem Fall erkennbar gewordene Tatsachen verlangt werden, obwohl die Rechtskraft des Ersturteils aufgrund fehlender rechtlicher Möglichkeit, in dieser Konstellation die Unterbringung anzuordnen, einer Entscheidung über die Gefährlichkeit nicht entgegensteht. Vielmehr stünde dieser Konstellation das für Maßregeln nach überwiegender Ansicht280 nicht geltende Verbot der rückwirkenden Verhängung einer Strafe entgegen. 6. Besonderheiten der Regelung des § 66b II StGB Gleiches gilt bei anderer Ausgangslage auch für § 66b II StGB. Lässt man zu, dass nach rechtskräftiger Aburteilung der Tat auf breiterer Tatsachengrundlage eine neue Kriminalprognose gestellt wird, die eine Geltung weiterer Kriminalprognosen begründet, ist dieser Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung weniger problematisch als der des § 66b I 1 StGB, da im Zeitpunkt des Ausgangsurteils jedenfalls die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nicht vorlagen, so dass argumentiert werden kann, das ursprüngliche Urteil verneine die Sicherungsverwahrung nicht. Dann läge auch kein Eingriff in die Rechtskraft des Ersturteils vor.281 Das in diesem Zusammenhang282 stärkste Bedenken gegen § 66b II StGB besteht aber in dem Wertungsunterschied, dass nachträgliche Sicherungsverwahrung unter niedrigeren Voraussetzungen möglich ist als originäre. Wenn ausschließlich die Tat eine Gefährlichkeitsüberprüfung und eine auf deren unsicheres Ergebnis gestützte Freiheitsentziehung legitimiert, dann fragt sich warum die Tat dazu im Urteilszeitpunkt unter der Voraus279
So auch von Freier (2008), S. 327 f. BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08; BVerfGE 109, 133 (167 ff.); 109, 190 (219). 281 Denn die Entscheidung würde sich nicht in Widerspruch zu einer rechtskräftigen Vorentscheidung setzen. Es bleibt aber der Einwand, dass die Rechtskraft einer Entscheidung überhaupt Folgeentscheidungen ausschließt, Grünwald, 1964, S. 15. Jedenfalls solange die Folgeentscheidungen nicht in der rechtskräftigen Entscheidung begründet sind. 282 Grundsätzlich ist der Einwand zentral, die Norm sichere nicht das Zugrundelegen einer ausreichenden Prognosebasis. 280
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setzung mehrerer Taten, im späteren Zeitpunkt unter der Voraussetzung einer Tat legitimiert.283 Die legitimierende Tat284 bleibt gleich. Damit ist durch § 66b II StGB der Verstoß gegen den Grundsatz, dass die Anpassung der Sanktion an die jeweilige Tatsachengrundlage von der Verurteilung zu einer solchen permanten Aktualisierung abhängig ist, auf die Spitze getrieben. Eben diese Verurteilung zur Unterwerfung unter die Kriminalprognose bzw. die Begründung der permanenten Justizpflicht ist unter den in § 66b II erforderlichen Voraussetzungen nicht möglich. 7. Besonderheiten der Regelung des § 66b III StGB Anders stellt sich dagegen die Frage nach der Rechtskraftdurchbrechung für § 66b III StGB dar. Eine Gleichsetzung mit den oben erörterten Fällen scheitert daran, dass im Fall des § 66b III StGB im Ersturteil gerade die Geltung der Kriminalprognose angeordnet wurde. Diese Überlegung, die den BGH in den Fällen der nach Erledigungserklärung gemäß § 67d VI StGB noch ausstehenden Strafverbüßung wegen der Anlasstat zur modifizierten Anwendung der § 66b I, II StGB bewegte,285 hat hier Bedeutung: Es kommt der Rückwirkungsproblematik weniger Gewicht zu, wenn der Täter bereits im Urteil mit einer zeitlich unbeschränkten prognoseabhängigen Maßregel belastet wurde.286 Statt einer Rechtskraftdurchbrechung steht vielmehr das bei §§ 67c I, d II StGB bekannte Problem der Austauschbarkeit287 der Gefährlichkeitsgründe in Rede. In beiden Fällen ist die Stellung einer legitimierenden Kriminalprognose erforderlich und problematisch. 283 Wenn argumentiert wird, dass die Freiheitsentziehung erst auf Grundlage einer Prognose ergehe, so dass hier nur die Voraussetzung einer Prognoseerstellung geregelt ist, so ist zu fragen, warum die Prognoseerstellung hier durch weniger gerechtfertigt ist. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die formellen Voraussetzungen Teil der Prognosebasis sind. 284 Hier ist ein normatives Problem angesprochen, die Tat muss die Sicherungsverwahrung und das damit verbundene Absprechen der Entscheidungsfreiheit legitimieren. Dass (un)bestimmtes Vollzugsverhalten eines Schuldfähigen es legitimiert, diesen einer Prognose zu unterwerfen die im Spannungsverhältnis zu der durch Strafverurteilung zugestandenen Entscheidungsfreiheit steht, steht außer Diskussion. Damit muss aber auch im Fall des § 66b II StGB auf die Tat abgestellt werden. 285 BGHSt 52, 379 (1190 f.). Kritisch: Ullenbruch (2009), S. 145, dessen Kritik aber ebenfalls das Problem der Austauschbarkeit von Sicherungsverwahrung und Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als zentral ansieht. 286 Prozessual forderte Nagler (1939), S. 336, daher für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ein Berichtigungsverfahren und ein davon verschiedenes Umwandlungsverfahren für einen Austausch von Sicherungsmaßnahmen. 287 Nicht anders wohl Finger (2008), S. 187, die eine Doppelbestrafung gegeben sieht, weil die Unterbringung nach § 63 StGB zu der nach § 66 StGB qualitativ verschieden sei. Die Überführung füllt die durch den Wegfall der Schuldunfähigkeit
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Finger weist zutreffend darauf hin, dass der symptomatische Zusammenhang von Anlasstaten und erwarteten Taten in diesen Fällen entscheidend ist.288 Dagegen soll nach dem BVerfG gerade bei dieser Regelung eine größere Bedeutung der Rechtskraftdurchbrechung vorliegen, da aufgrund der Erstreckung des § 67d VI StGB auf die Fälle des anfänglichen tatsächlichen Fehlens eines Zustands nach § 63 StGB eine Anordnung der Sicherungsverwahrung auf gegenüber dem Ersturteil unveränderter Tatsachengrundlage und Rechtslage möglich ist. Eine solche Einschränkung der materiellen Rechtskraftwirkung sei aber verfassungsrechtlich unbedenklich, da der Verurteilte ohnehin zu einer zeitlich unbefristeten Unterbringung verurteilt ist.289 Daran wird erneut deutlich, dass für das Recht der Sicherungsverwahrung für die Bestimmung der Rechtskraft nicht durchgängig auf die Tatsachenlage im Entscheidungszeitpunkt abgestellt werden kann. Entscheidend ist vielmehr die Anordnung oder Nichtanordnung der Geltung einer Kriminalprognose gegen den Täter. Da im Fall des § 66b III, 2. Fall StGB eine Geltung der Prognose nicht aus der Anlasstat begründet werden kann ist die Vorschrift zu streichen.
entstandene Lücke durch ein anderes erfahrungswissenschaftliches Substrat: Baltzer (2008), S. 150. 288 (2008), S. 150, meint dabei aber, dass dieser Zusammenhang durch den Hang zu erheblichen Straftaten gebildet werden könnte. 289 BVerfG, Beschluss vom 5.8.2009, Az. 2 BvR 2098/08.
I. Ergebnis und Thesen Die Freiheitsentziehung kann nur durch eine legitime Kriminalprognose begründet werden. Aber auch wenn der Gesetzgeber die Sicherungsverwahrung bei der Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten vorsieht, wird die Maßregel durch eine Verwahrung solcher Täter, die ohne Unterbringung keine Tat begangen hätten, delegitimiert. Wie groß dieser Anteil ist, wird nicht sichtbar. Um diesen nur schätzbaren Anteil zu begrenzen, muss die Erstellung der Kriminalprognose weiter formalisiert werden. Insbesondere ist vor allem für die nachträgliche Sicherungsverwahrung herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen die Geltung einer unsicheren Prognose gegenüber dem verantwortlichen Straftäter zu begründen ist. Dies erfordert eine Anhebung der formellen Voraussetzungen. Das Ergebnis der Prognose kann Legitimationswirkung aufgrund ihrer notwendigen Unsicherheit nur bedingt begründen. Daher muss der Vorgang der Prognoseerstellung die Legitimationswirkung erfüllen. Insbesondere ist dazu eine ausreichende Prognosebasis notwendig. Eine legitime Prognose auf Grundlage nur weniger, einer oder gar ohne Vortaten wird überwiegend empirisch für unzureichend gehalten, sie kann daher keine Legitimationswirkung entfalten. Die Prognoseabhängigkeit hat Auswirkungen auf die Bedeutung der Rechtskraft. Eine ständige Neubewertung auf aktueller Tatsachengrundlage ist dem Maßregelrecht immanent. Dabei muss der Übergang in diese ständige Neubewertung im Urteil über die Tat erfolgen. Denn nur die Tat kann eine Freiheitsentziehung aufgrund der Prognose begründen, so dass sich dieses Verhältnis prozessual widerspiegeln muss. Im weiteren Verlauf bedingt die Eigenart einer Kriminalprognose und der von dieser abhängigen Sicherungsverwahrung, dass die Folgeentscheidungen jeweils neue Legitimationswirkung entfalten müssen. Wird dies, aus empirisch guten Gründen, anders gesehen, so ist klar, dass es sich um eine präventive Rückfallstrafe handelt, für die zwingend die strafspezifischen Garantien gelten müssen. Wird die Sicherungsverwahrung dagegen als echte Maßregel angesehen, so ist die Rechtskraft der Anordnung auf die Feststellung beschränkt, dass zum Entscheidungszeitpunkt die Anordnungsvoraussetzungen vorlagen. Daraus folgt nur dann ein Vorrang der Anordnungs- gegenüber der Vollstreckungsentscheidung, der die Anordnungsentscheidung auflösend bedingt fortgelten lässt, wenn die Feststellung, dass die Anordnungsvoraussetzungen (insbesondere die positive Kriminalprognose) im Anordnungszeitpunkt vor-
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I. Ergebnis und Thesen
lagen, eine Bindung bewirkt. Empirisch lässt sich eine solche begründen, sind doch die in der Vergangenheit liegenden Prognosefaktoren die bestimmenden (Vortaten, Anlasstat). Normativ ist die Maßregel jedoch nur durch den aktuellen Zustand begründet, muss sich also aktuell legitimieren. Dies wird durch § 67e II StGB und einen Vergleich zur Strafe deutlich. Ist die Aussetzung der Strafe eine mit Blick auf die Zukunft erfolgende Vergünstigung, ist die Aussetzung der Maßregel normativ zwingend, wenn sie sich durch den Blick in die Zukunft nicht aktuell begründen lässt. Die geltende Konzeption der nachträglichen Sicherungsverwahrung folgt der Struktur einer Wiederaufnahme, dies jedoch nur unzureichend. Das Recht der Sicherungsverwahrung ist daher entsprechend umzugestalten: Das Urteil muss die Begründung der aktualisierten Justizpflicht enthalten, ob in Form der Anordnung oder des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung ist insofern gleichgültig. Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung ist nur in Form der Wiederaufnahme zu begründen, wenn dies die der Wiederaufnahme von Strafprozessen gesetzten verfassungsrechtlichen Grenzen nicht sprengt.1 Die Folgeentscheidungen müssen eine eigenständige positive Kriminalprognose enthalten. Dazu wird in der Regel ein neues Sachverständigengutachten erforderlich sein. Dies mag empirisch lästig sein, da die wichtigsten Prognosefaktoren lediglich anhand der aktuellen Tatsachenlage neu zu würdigen sind, ist aber normativ unerlässlich. Diese Ergebnisse führen zur Aufstellung folgender Thesen: – Die Gefährlichkeit ist die Erwartung von Straftaten durch einen Täter, eine positive Kriminalprognose. – Die formellen Voraussetzungen bezeichnen die Schwelle, ab der die Geltung einer unsicheren Prognose gegen den Täter in Form der Sicherungsverwahrung als begründbar angesehen wird. – Nur das Zusammentreffen von Verurteilung wegen der Anlasstat und der Erwartung erheblicher Straftaten kann für die Sicherungsverwahrung die Geltung der Kriminalprognose begründen. – Die Legitimation der Anordnung von Sicherungsverwahrung im konkreten Fall hängt von der Kriminalprognose ab. – Ein Ermessen ist bei der Sicherungsverwahrung nicht sinnvoll. Vielmehr führt die jeweils in der Anordnungsvorschrift vorgenommene Risikoverteilung zu einem unterschiedlichen Beurteilungsspielraum bei der Setzung des Umschlagspunkts zu einer positiven Kriminalprognose. 1
Dazu: Finger (2008), S. 183 ff.
I. Ergebnis und Thesen
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– Die Kriminalprognose stellt notwendig auf den aktuellen Zeitpunkt ab und berücksichtigt Tatsachen im Fall erneuter Prognoseerstellung mehrmals. – Die prognostische Bedeutung der Tatsachen ändert sich. – Die Folgeentscheidungen sind bei der Prognose nur eingeschränkt an die Feststellungen des Tatgerichts gebunden. – Die Bindung bezieht sich lediglich auf Vermeidung von Widersprüchen mit Feststellungen zur Anlasstat. – Nur insofern findet auch eine Beschränkung des Beweisthemas in den Folgeentscheidungen statt. – Durch Folgeentscheidungen ist kein Eingriff in die Rechtskraft eines Vorurteils gegeben. – Nur die aktuelle Prognose kann den jeweiligen Vollzug der Sicherungsverwahrung begründen, ein Rekurs auf die rechtskräftige Anordnung ist unzulässig, ebenso einer auf frühere Prognosen. – Dabei ist die normative Ausgangssituation für die Folgeprognosen verschieden: – verringert sich das Risiko bei §§ 66, 67c I, d II StGB ist auszusetzen, – verringert sich das Risiko bei § 66a II StGB ist nicht anzuordnen, – erhöht sich das Risiko bei §§ 66, 67c, d II StGB ist nicht auszusetzen, – erhöht sich das Risiko bei § 66a II StGB ist anzuordnen, – bleibt das Risiko gleich bei §§ 67c I, d II StGB ist nicht auszusetzen, – bleibt das Risiko gleich bei § 66a II StGB ist nicht anzuordnen, – bleibt das Risiko zehn Jahre lang gleich, ist auszusetzen, § 67d III StGB. – Aufgrund der notwendigen Unsicherheit von Kriminalprognosen kann sich die Legitimation nicht allein auf das Ergebnis der Prognose stützen, sondern muss auf das Erstellungsverfahren zurückgreifen. – Die Geltung einer notwendig unsicheren Kriminalprognose gegen einen verantwortlichen Straftäter kann nur durch die zurechenbar begangene Anlasstat begründet werden. – Die Anordnung der Geltung einer Kriminalprognose ist damit Rechtsfolge der Anlasstat. – Die nachträgliche Sicherungsverwahrung spiegelt dieses Verhältnis nicht wieder und durchbricht damit die Rechtskraft des Urteils über die Tat.
304
I. Ergebnis und Thesen
– Die Rechtskraft kann sich für die Sicherungsfrage nur auf die Anordnung der Geltung einer Kriminalprognose wegen der Tat beziehen oder sie hat für die Sicherungsverwahrung keinerlei Beendigungswirkung mehr. – Die nachträgliche Sicherungsverwahrung unterstellt den Verurteilten lediglich aufgrund der Erfüllung der formellen Voraussetzungen einer Kriminalprognose, dies ist ein Bruch mit dem bisherigen Recht der Sicherungsverwahrung, welches stets die Stellung zweier Kriminalprognosen vorsah. – Die Bindung des Gerichts an die eigenen Feststellungen als Tatgericht im Fall des § 66a II StGB kann sich auf eine innerprozessuale Bindungswirkung stützen. – Ein unterschiedliches Ausmaß der Bindung des jeweils entscheidenden Gerichts ist in den Fällen der Folgeentscheidungen nach § 66a II StGB einerseits und in den Fällen der §§ 67c I, d II, III StGB andererseits nicht erklärbar. – Die Bindung des Gerichts bei der Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b I, II StGB an eigene Feststellungen als Tatgericht kann weder auf die Rechtskraft dieser Entscheidung gestützt werden noch auf eine innerprozessuale Bindungswirkung. – Die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung müssen eine legitime Kriminalprognose sicherstellen, indem sie eine ausreichende Prognosebasis garantieren. – Dies ist bei § 66b II StGB nicht und bei § 66 III StGB nur eingeschränkt der Fall. Beide sind angesichts der Möglichkeit einer Reaktion in der Strafzumessung zu streichen. – Die Überweisung aus dem psychiatrischen Krankenhaus fügt sich nicht in das System der Maßregeln der Besserung und Sicherung ein (keine Austauschbarkeit der Gefährlichkeit innerhalb einer Maßregel, Verbot der reformatio in peius). – Grund für die Versagung des Austauschs der Gefährlichkeit ist aber der Schutz vor dem Unterlaufen des Anordnungsverfahrens. Dies ist durch die Regelung des § 66b III, 1. Fall gewahrt. – Die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung stellt den Verurteilten schlechter als die Anordnung im Urteil: Eine Beeinflussung des Strafausspruchs ist ausgeschlossen, die Verteidigungsmöglichkeit gegen prognostisch Relevantes ist eingeschränkt (im Erstverfahren wird dies nicht als prognostisch relevant erkennbar, im Zweitverfahren durch eine nicht begründbare Bindung nicht mehr angreifbar).
I. Ergebnis und Thesen
305
– Die Verurteilung zu einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist die Anordnung der Geltung einer Kriminalprognose. Deren Ergebnis muss der Verurteilte gegen sich gelten lassen. Diese Anordnung bewirkt eine ständige Aktualisierung der Prognose. Materielle Rechtskraft ist dem Recht der Sicherungsverwahrung unbekannt, eine Beendigungswirkung tritt insofern nicht ein. Daraus ergeben sich die anschließend genannten rechtspolitischen Forderungen: – Die Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung neben einer wegen dieser Tat verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe ist zu streichen. Bei Strafrestaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann stattdessen der Eintritt von Führungsaufsicht vorgesehen werden. – § 66 III 2 StGB ist auf die Fälle zu beschränken, in denen wenigstens zwei Straftaten im prozessualen Sinn vorliegen. – § 66b II StGB ist zu streichen. – § 66b III, 2. Fall StGB ist zu streichen. – Die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung nach § 66b I StGB ist entweder als Wiederaufnahmeverfahren auszugestalten oder muss im Urteil über die Tat angelegt werden. Dies wäre durch einen Vorbehalt der Anordnung von Sicherungsverwahrung möglich, den auszusprechen das Gericht im Fall der Erfüllung der formellen Voraussetzungen ermächtigt ist. Dann ist die Bindung des über die Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheidenden Gerichts an Tatsachenfeststellungen aus dem Urteil über die Tat zu erklären. Jedenfalls ist ein Hinweis nach § 265 II StPO notwendig, sobald die Möglichkeit nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung erkennbar wird. – Die Einführung eines sachverständigen Gutachtens in jede Entscheidung über die Sicherungsverwahrung ist anzustreben. – Dieses Gutachten muss sich darauf beziehen, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug mit weiteren Straftaten welcher Qualität und Häufigkeit zu rechnen ist.
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Sachwortverzeichnis Alliierter Kontrollrat 38 Androhung der Sicherungsverwahrung 60–61 Anlasstat 40, 54, 58, 93, 112, 138, 140, 143, 149, 156, 176, 196, 200 Anordnungsentscheidung 115, 120, 166, 217 ff., 228, 264 Basisrate 106 ff., 152 Bayes-Theorem 106 Beendigungswirkung 267, 271 Begründung der Sicherungsverwahrung 47 Begutachtungsbefunde 185 Beurteilungsspielraum 137, 148 Bindungswirkung 84, 244, 273 – bei nachträglicher Sicherungsverwahrung 287 – bei Strafzumessung 274 – bei Vollstreckungsentscheidungen 276 – bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung 282 – bei Wiederaufnahme 289 – innerprozessuale ~ 274–275, 277, 284, 288 Carl Stooß 26 Constitutio Criminalis Carolina 22 Doppelbestrafung 46, 173 Doppelrelevanz 74, 78, 181, 187, 251, 286 EGMR 175, 195, 202, 235–236, 266 erkennbar gewordene Tatsache 177, 183 ff.
Erledigung nach zehn Jahren 235 Erledigungserklärung 203 ff., 208, 269, 291, 299 Ermessen 145–146, 153, 162, 210 Erste Strafrechtsreform 40 ethische Farblosigkeit 63 Feindstrafrecht 51 Feuerbach 24, 56 Folgeentscheidung – über Sicherungsverwahrung 215, 245 – über Strafvollstreckung 245 Freiheitsgrundrecht 136–137, 221, 231, 237–238 Freiheitsstrafe 44, 127, 134, 140, 142–143, 145, 149–151, 153, 196, 203 Führungsaufsicht 46, 140–141, 240 Gefahrenabwehr 25, 66, 83, 100, 138, 174, 178, 267, 292 Gefährlichkeit 21, 58, 74–75, 81 ff., 95 – erhebliche ~ 191, 199 – Überschätzung der ~ 104, 106 – unerkannte ~ 172 – Unsicherheit der ~ 159 Gefährlichkeitsvermutung 61, 104 Gefährlichkeitswechsel 226, 231 Gegenentwurf zum Vorentwurf eines deutschen Strafgesetzbuchs 29 Geltung der Kriminalprognose 57, 67, 100, 120, 154, 162, 171, 199, 210, 213, 220, 242–243, 293 Gesamtwürdigung 35, 71, 84, 129–131, 177, 194, 202, 285 Gewohnheitsverbrechergesetz 33
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Sachwortverzeichnis
Hang 69 ff., 157, 190, 197 – empirische Annäherung 77 – Verhältnis zur Gefährlichkeit 76 intuitive Prognose 85 Kognitionspflicht 113, 142, 178, 182, 249 ff., 252, 257 Kriminalprognose 21 – Anordnungsprognose 221, 224, 228 – Erstellung der ~ 83 – falsch positive ~ 102–104 – falsche ~ 101 – Gegenstand der ~ 126 – intuitive ~ 85 – klinische ~ 93 – Mindestanforderungen 111 – positive Kriminalprognose 21 – statistische ~ 86 – Zeitpunkt der ~ 124 Labelling-Ansatz 110 Lebensführungsschuld 36 Lebenssachverhalt 179, 189, 255, 292 Legalbiographie 112, 130–131, 181, 249 Legitimationsdefizit 57–58 Legitimationswirkung der Prognose 56, 100 Marburger Programm 24 nachträgliche Sicherungsverwahrung 45, 172 ff., 175, 184, 192, 196, 199 – nach GewVerbrG 37, 39 Neubewertung 170, 178, 181, 301 neue Straftaten 186 neue Tatsache siehe erkennbar gewordene Tatsache Notrecht des Staates 49 Preußisches Allgemeines Landrecht 22 Prognose siehe Kriminalprognose
Prognosebasis 67, 92, 117, 119, 124, 151, 153, 179, 196, 296 Prognoseergebnis 94 Prognosegrundlage 183 Prognoseinstrumente 86 ff., 92, 106, 109, 123, 125 Prozessgegenstand 248 ff., 251, 263 – der nachträglichen Sicherungsverwahrung 254 – der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung 253 psychische Erkrankung 187 Rechtskraft 143, 173, 178–179, 194, 205, 243 ff., 258, 269 – Durchbrechung der ~ 250, 264–265, 269, 271, 279, 292, 295–296, 299 Reichsstrafgesetzbuch 23 Restfreiheitsstrafe 205 Risikosachverhalt 97–99, 104, 152, 162 Risikoverteilung 97 f., 118, 138–139, 148, 153–155, 177, 192, 214 Rückfall 30–31, 35, 43, 55, 57, 108, 274 Rückwirkung 179, 183, 189 Rückwirkungsverbot 46, 178 f., 195, 202 Sachverständiger 85, 92, 94, 105, 109, 115 f., 125, 161, 232 – Abhängigkeit vom ~ 109 Schädigung – körperliche ~ 128 – wirtschaftliche ~ 128 Schuldgrundsatz siehe Schuldprinzip Schuldprinzip 36, 48, 53–54 Schulenstreit 24 Schutzhaft 38 Schutzpflicht 49, 57, 65, 182 Sexualstraftaten 148, 175 Sicherungsanspruch 252, 258
Sachwortverzeichnis Sicherungsantrag 262 Sicherungsverfahren 247, 252, 254, 258, 260 Sonderopfer 103 Sperrwirkung 244 f., 256, 272 Strafähnlichkeit 60, 62, 65–66, 213 Strafklageverbrauch 252 Strafschärfung siehe Rückfall Straftäterunterbringungsgesetz 45 Strafvollstreckung 124, 162, 182, 189, 205–207 Strafzumessung 133, 140, 149, 181, 274 – Vorbehalt der Sicherungsverwahrung 164 ff. Strengbeweis 281 tatbestandliche Rückanknüpfung 182, 205 Tatsachenbasis 117, 181, 183, 208 – identische ~ 205, 278 Tatsachengrundlage siehe Tatsachenbasis Teilrechtskraft 277, 285 Therapieabbruch 185 Therapieverweigerung 185 Umschlagspunkt 90, 96 f., 101 ff., 103, 119 f., 135, 146, 152, 154, 156 f., 161, 169, 171, 192, 195, 229, 238 VE 1909 siehe Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch von 1909 verbale Aggressionen 184 Verfahrensgegenstand siehe Prozessgegenstand Vergeltungsstrafe 25
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Verhältnismäßigkeit 49 f., 65, 96, 127, 132 ff., 135, 151, 158, 189 – nach zehn Jahren Unterbringung 238 Vertrauensschutzgebot 175 Verwahrung 26 Verweigerung im Vollzug 184 Verwirkung 48 Vierfelder-Tafel 102 Vollstreckungsentscheidung 120, 217 ff., 230 Vollstreckungsgericht 43 f., 85, 93, 115, 124, 204, 246, 264 Vollstreckungsreihenfolge 189 Vollzugslockerungen 168, 194 Vollzugsverhalten 51, 158, 169, 184–185, 194, 199 – Prognoserelevanz 167 vorbehaltene Sicherungsverwahrung 42, 44, 156 ff. Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch von 1909 27 Vorentwurf zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch 26 Vorverurteilung 34 f., 38, 43, 61, 142–143, 150–151, 153, 157 Vorvollzug 51, 142–143, 150 Warnfunktion 142, 144–145, 276 Werturteil 63, 141 Wiederaufnahme 167, 188, 223, 245, 248, 269, 272, 294, 296 Wiederholungstäter 41 Zustand 202, 204 Zweifelssatz 115 ff., 121 f., 160, 229 – bei Vollstreckungsentscheidungen 120 Zweispurigkeit 36, 59, 73, 77, 133