Die absolute und die relative Vorrangregel im Recht der Unternehmensreorganisation 9783814558974

Der Autor untersucht eingehend den Gehalt sowohl der absoluten als auch der relativen Vorrangregel. Dazu vollzieht er di

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Die absolute und die relative Vorrangregel im Recht der Unternehmensreorganisation
 9783814558974

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Michael Klostermann Die absolute und die relative Vorrangregel im Recht der Unternehmensreorganisation

Die absolute und die relative Vorrangregel im Recht der Unternehmensreorganisation

von Michael Klostermann

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2022 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Sommersemester 2022 als Dissertation angenommen. Später erschienene Literatur und Rechtsprechung wurden, soweit möglich, berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt meinem hoch geschätzten Doktorvater Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Peter Hommelhoff. Er hat mich weit über die Betreuung meines Dissertationsvorhabens hinaus gefördert und unterstützt. Seine Ideen und Anregungen haben entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beitragen. Auch an die Doktorandenseminare erinnere ich mich stets gerne zurück. Herrn Professor Dr. Christoph A. Kern LL.M. (Harvard) danke ich vielmals für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die wertvollen Eingebungen. Ferner danke ich Herrn Professor Dr. Andreas Piekenbrock für die Übernahme des Vorsitzes im Rahmen der Disputation. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. (McGill), Dr. Bruno M. Kübler, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hanns Prütting und Prof. Dr. Christoph Thole für die Aufnahme in die Schriftenreihe. Mein gesamtes juristisches Studium und auch die vorliegende Arbeit wäre ohne die Unterstützung und den Rückhalt meiner Familie und Freunde nicht möglich gewesen. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Ganz besonderer Dank gebührt meiner Schwester Sabine Klostermann für die kritische Lektüre dieser Arbeit und die vielen Diskussionen, die ich stets als sehr bereichernd empfunden habe. Auch meiner Schwester Eva Klostermann möchte ich für den emotionalen Rückhalt herzlich danken. Ganz besonders danken möchte ich meiner Freundin Ann-Sophie für ihren bedingungslosen Rückhalt, ihre Fürsorge und stets positive Art sowie ihre Liebe. Mein größter Dank gilt meinen Eltern, Peter und Petra Klostermann. Ich danke ihnen von ganzem Herzen für ihr Vorbild und ihre Geduld sowie ihre bedingungslose Liebe, Förderung und Unterstützung, auf die ich immer blind vertrauen konnte und kann. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Heidelberg, im August 2022

Michael Klostermann

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

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Vorwort ................................................................................................................ V Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... XV Einführung .............................................................................................. 1 ........ 1 A. Kontext der Arbeit .............................................................................. 1 ........ 1 B. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren ....................................... 5 ........ 4 C. Ziel, Gang und Begrenzung der Arbeit ............................................... 9 ........ 6 1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation .................................................................... 15 ........ 9 A. Situation außerhalb der Krise ........................................................... 16 ........ 9 I. Situation der Gläubiger .............................................................. 16 ........ 9 II. Situation der Anteilseigner ......................................................... 17 ...... 10 B. Situation innerhalb der Krise ............................................................ I. Insolvenzrecht – par condicio creditorum .................................. II. Das Restrukturierungsverfahren ................................................. III. Gesetzliche (Nach-)Rangverhältnisse ......................................... 1. Begriff des Rangs ................................................................. 2. Rangklassen der InsO und des StaRUG ............................... a) „Einfache“ und nachrangige Gläubiger ......................... aa) Insolvenzordnung .................................................... bb) StaRUG .................................................................... (1) Vorgaben der Restrukturierungsrichtline .......... (2) Regelung im StaRUG ........................................ (3) Rang bei fälligen Forderungen .......................... b) Schuldner und am Schuldner beteiligte Personen .......... 3. Dingliche Sicherungsrechte .................................................. a) Streit über den Rang im Planverfahren .......................... b) Keine Änderung durch das SanInsFoG .......................... 4. Zusammenfassung ................................................................ IV. Nachträgliche Neuverhandlung mittels Planverfahrens ............. 1. Ziel des Planverfahrens ........................................................

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VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

2. Majorisierung im Planverfahren ........................................... a) Gestaltung von Rechtsverhältnissen .............................. b) Bindung gegen den Willen der Betroffenen ................... 3. Absolute Vorrangregel ......................................................... 4. Relative Vorrangregel ..........................................................

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung ....................... 59 ...... 25 A. Die institutionelle Haftungsbeschränkung als Kind des Gesetzgebers ............................................................................... 60 ...... 25 B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung ............................................... I. Legitimationsbedürftiges Privileg .............................................. 1. Rechtstatsachen .................................................................... 2. Juristische Person ................................................................. 3. Unbeschränkte Haftung als gesetzlicher Normalfall ............ II. Gründe für die Haftungsbeschränkung ....................................... 1. Investitionsförderung ........................................................... 2. Senkung der Überwachungskosten ...................................... a) Im Außenverhältnis ........................................................ b) Im Innenverhältnis ......................................................... 3. Risikobegrenzung durch Diversifikation .............................. 4. Höhere Fungibilität der Gesellschaftsanteile ....................... 5. Sicherstellung der Effizienz des Geschäftsführers ............... III. Negative Effekte der beschränkten Haftung ............................... 1. Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen ... a) Durchbrechung des Gleichlaufs von Chance und Risiko ............................................................................. b) Fehlendes originäres Eigeninteresse .............................. 2. Ökonomische Perspektive der Risikoexternalisierung ......... a) „Moral hazard“ .............................................................. b) Reaktion der Gläubiger .................................................. aa) Risikoadjustierte Zinsrate ........................................ bb) Kreditsicherheiten und die Korrelation zur beschränkten Haftung ........................................ (1) Wirkung von Kreditsicherheiten ....................... (2) Faktische Umgehung der beschränkten Haftung .............................................................. 3. Zusammenfassung ................................................................ C. Gläubigerschutz als Gegengewicht ................................................... I. Grundvoraussetzungen ............................................................... 1. Verlustrisiko ......................................................................... 2. Liquiditätsrisiko ................................................................... VIII

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Inhaltsverzeichnis Rn.

II. Ausgestaltung der Grundvoraussetzungen ................................. 93 1. Gesellschaftsrecht ................................................................ 94 a) Mindestkapital ............................................................... 95 b) Kritik .............................................................................. 98 c) UG (haftungsbeschränkt) ............................................. 102 d) Statutarisches Garantiekapital ...................................... 106 e) Kapitalerhaltung ........................................................... 107 f) Zusammenfassung ....................................................... 109 2. Insolvenzrecht .................................................................... 110 a) Zahlungsunfähigkeit .................................................... 111 b) Überschuldung ............................................................. 113 aa) Normzweck ............................................................ 114 bb) Funktion und Wirkung ........................................... 115 (1) Modifizierter zweistufiger Überschuldungsbegriff .............................................................. 115 (2) Zweigliedriger Überschuldungsbegriff ............ 122 c) Drohende Zahlungsunfähigkeit .................................... 124 d) Haftung der Geschäftsleitung ....................................... 126 III. Zusammenfassung .................................................................... 131

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel ............................................... 132 ...... 57 A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht ..................... I. Herkunft des Begriffs des absoluten Vorrangs ......................... 1. Equity Receivership ........................................................... 2. Das Boyd-Urteil ................................................................. 3. Streit zwischen relativer und absoluter Vorrangregel ........ 4. Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd. ............... 5. Der Cram-down im aktuell geltenden Recht ...................... a) Formulierung der geltenden absoluten Vorrangregel ... b) Weitere Kriterien ......................................................... II. New Value Exception? ............................................................. III. Kritik an der absoluten Vorrangregel ....................................... 1. Reorganisationswert ........................................................... a) Definition Reorganisationsmehrwert ........................... b) Reorganisation als ein- oder zweistufiges Verfahren ... 2. Verlust von unternehmensspezifischen Fähigkeiten .......... 3. Bewertungsunsicherheiten und -verzögerungen ................. a) Bewertung unpräzise .................................................... b) Zwang zur Bewertung als Druckmittel ........................ c) Bewertung durch den Richter ...................................... 4. Das Abschneiden von Zukunftswerten ............................... 5. Effizienzsaldo der absoluten Vorrangregel ........................

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Inhaltsverzeichnis Rn.

IV. Praxis der structured dismissals ................................................ 200 1. Hintergrund und Wirkung der structured dismissals .......... 200 2. Der Fall Jevic ..................................................................... 207 V. Die drei Konsequenzen der absoluten Vorrangregel ................ 215 1. Sachgerechte Verteilung von Fremd- und Eigenkapital ..... 215 2. Konsequente Durchsetzung der vorinsolvenzlichen Rechtsstellung ............................................................................... 218 a) Vorherrschende Sicht ................................................... 218 b) Kritik von Casey .......................................................... 219 3. Kopplung von Liquidation und Reorganisation ................. 223 VI. Erosion der absoluten Vorrangregel im amerikanischen Recht ... 224 1. Absolute Vorrangregel nur zugunsten der ablehnenden Klasse ................................................................................. 225 2. Abschaffung der absoluten Vorrangregel für KMUs ......... 226 3. Änderungen der absoluten Vorrangregel de lege ferenda ..... 228 4. Einordnung ......................................................................... 233 5. Verändertes Marktumfeld .................................................. 236

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht .............................. I. Anwendungsbereich der Vorrangregeln ................................... II. Einbindung im Planverfahren ................................................... 1. Aufbau des Obstruktionsverbots der InsO ......................... 2. Aufbau des Cross-class Cram-downs im StaRUG ............. a) Voraussetzungen .......................................................... b) Die absolute Vorrangregel und ihre Durchbrechung ... III. Akkordstörer-Problematik ........................................................ IV. New Value Exception ...............................................................

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...... 98 ...... 98 ...... 99 ...... 99 .... 102 .... 102 .... 102 .... 105 .... 107

C. Vergleich ........................................................................................ I. Strukturelle Unterschiede ......................................................... II. Gemeinsamkeiten ..................................................................... 1. Gesellschaftsrechtlicher Verteilungsmodus ....................... 2. Verteilungsmodus im Regel- und Planverfahren ............... 3. Ergebnis .............................................................................

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.... .... .... .... .... ....

D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel ....................... 282 I. Die absolute Vorrangregel und die beschränkte Haftung ......... 282 II. Die absolute Vorrangregel im Verhältnis der Gläubigerklassen ... 286 III. Die absolute Vorrangregel im System der Ziele des Insolvenzrechts ........................................................................................ 293 1. Ziele des Insolvenzrechts ................................................... 294 a) Marktkonformität ......................................................... 294

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Inhaltsverzeichnis Rn.

b) Haftungsverwirklichung durch Liquidation und Reorganisation ............................................................. aa) Haftungsverwirklichung durch Liquidation ........... bb) Haftungsverwirklichung durch Reorganisation ..... 2. Absolute Vorrangregel als Instrument der Haftungsverwirklichung ...................................................................

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297 .... 121 298 .... 121 300 .... 122 302 .... 123

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse .............................. 306 .... 124 4. Kapitel: Die relative Vorrangregel ................................................ 310 .... 127 A. Der best interest test ....................................................................... I. Der best interest test im vorinsolvenzlichen Verfahren ............ 1. Zielrichtung ........................................................................ 2. Legaldefinition ................................................................... 3. Vergleichsszenario ............................................................. 4. Maßstab .............................................................................. a) Wirtschaftliche Betrachtung ........................................ b) Time-value-of-money loss? ......................................... 5. Form der Geltendmachung ................................................. 6. Liquidationspriorität statt Liquidationswert ....................... a) Wortlaut ....................................................................... b) Abweichende Umsetzung in nationales Recht ............. c) Zusammenfassung ....................................................... II. Der best interest test im Insolvenzverfahren ............................

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B. Gehalt der relativen Vorrangregel .................................................. I. Materiell-rechtliche Aspekte .................................................... 1. Besserstellung .................................................................... a) Zielrichtung der relativen Vorrangregel ....................... b) Wortlaut ....................................................................... c) Wirtschaftliche Besserstellung ..................................... d) Höhere Partizipation am Reorganisationsmehrwert ..... e) Verhinderung von Rangverschiebungen? .................... f) Besserstellung im Verhältnis zu den Anteilseignern .... aa) Bestimmung des Bezugspunktes ........................... bb) Problemstellung ..................................................... cc) Ausblenden von innergesellschaftlichen Verhältnissen ......................................................... (1) Die Mitgliedschaftsrechte ................................ (2) Beschränkung der Besserstellung auf Außenverhältnis ......................................................... (3) Auslegungsmöglichkeiten ...............................

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2. Gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot .............. 385 .... 155 a) Abgrenzung zur relativen Vorrangregel ....................... 386 .... 155 b) Inhalt des Gleichbehandlungsgebots ............................ 387 .... 156 3. Zwischenergebnis ............................................................... 391 .... 157 II. Hintergrund der relativen Vorrangregel ................................... 392 .... 158 1. Der Codire-Report .............................................................. 392 .... 158 2. Kritik .................................................................................. 395 .... 159 III. Hintergründe im Gesetzgebungsverfahren ............................... 400 .... 162 IV. Verfassungsrechtliche Implikationen ....................................... 405 .... 164 1. Anwendbarkeit der deutschen Grundrechte ....................... 406 .... 164 2. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............... 408 .... 166 a) Feldmühle-Urteil .......................................................... 409 .... 166 b) DAT/Altana ................................................................. 410 .... 167 c) Übertragbarkeit auf Reorganisationsfälle .................... 412 .... 168 d) Einführung der relativen Vorrangregel für die Zukunft ... 414 ..... 169 3. Verfassungsrechtliche Prüfung der relativen Vorrangregel ... 416 ..... 169 a) Schutzbereich des Art. 14 GG ...................................... 416 .... 169 b) Eingriff ......................................................................... 417 .... 170 aa) Definition ............................................................... 417 .... 170 bb) Abgrenzung Enteignung von Inhalts- und Schrankenbestimmung ........................................... 418 .... 171 cc) Zu Lasten der Gläubiger ........................................ 419 .... 171 c) Rechtfertigung ............................................................. 420 .... 172 V. Legitimatorische Erwägungen und relative Vorrangregel ........ 427 .... 175 1. Mehrheitserfordernis .......................................................... 429 .... 176 2. Überwindung des Widerstandes einer ganzen Gruppe im Insolvenzplan ................................................................ 432 .... 177 3. Übertragung auf den Restrukturierungsplan ...................... 436 .... 179 a) Rechtsmissbrauch ........................................................ 437 .... 179 b) Reduktion des Insolvenzrisikos ................................... 441 .... 180 c) Vermeidung eines Domino-Effekts ............................. 442 .... 181 d) Schutz der Arbeitnehmer ............................................. 445 .... 182 4. Zusammenfassung .............................................................. 448 .... 183 C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion .................................. I. Ökonomische Anreize der relativen Vorrangregel ................... 1. Geringer Unternehmenswert .............................................. 2. High leverage businesses ................................................... 3. Frühzeitige Verfahrenseinleitung ....................................... 4. Höhere Zinssätze und Schwächung des Kreditsicherungsrechts? ................................................................................ II. Kritik an der europäischen relativen Vorrangregel ................... 1. Erfordernis der Unternehmensbewertung .......................... XII

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Inhaltsverzeichnis Rn.

2. Verhinderung von konsensualen Plänen? ........................... 3. „Freeze-out“-Problem ........................................................ 4. Sicherung unternehmensspezifischen Humankapitals und Flexibilität .......................................................................... 5. Insolvenzrecht und Reorganisationsrecht als getrennte Materien ............................................................................. a) Ansicht von Madaus .................................................... b) Ansicht von Baird u. a. ................................................ c) Stellungnahme ............................................................. aa) Kernkritikpunkte von Madaus ............................... (1) Bindung an ein common pool problem ........... (2) Verteilung zukünftiger Werte .......................... (3) Unbeschränkter Zugriff auf Dividenden .......... bb) Haftungsverwirklichung durch Liquidation und Reorganisation ....................................................... (1) Die Restrukturierungsrichtlinie ....................... (2) Das StaRUG .................................................... cc) Vergleich zu Madaus’ Vorschlag .......................... III. Exkurs: Die amerikanische relative Vorrangregel .................... 1. Funktionsweise ................................................................... 2. Diskussion .......................................................................... IV. Rechtspolitische Einordnung .................................................... 1. Alternative zum Insolvenzverfahren .................................. a) Neues Verfahren .......................................................... b) Entwicklung in den USA ............................................. 2. Keine Vollharmonisierung und fragwürdige Zielgruppe ...

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D. Fazit ................................................................................................ 533 .... 216 I. Schlussfolgerungen aus den bisherigen Ergebnissen ................ 533 .... 216 II. Ausblick ................................................................................... 540 .... 219 5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln ............. 541 .... 221 A. Das Dutch Scheme .......................................................................... 545 .... 221 I. Einleitung des Verfahrens ........................................................ 546 .... 222 II. Mehrheiten und Cram-down ..................................................... 547 .... 223 B. Britisches Recht .............................................................................. I. Scheme of Arrangement ........................................................... 1. Einleitung des Verfahrens .................................................. 2. Erforderliche Mehrheiten und Minderheitenschutz ............ 3. Freeze-Out Problem ........................................................... a) De facto Cross-class Cram-down ................................. aa) Economic interest ..................................................

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Inhaltsverzeichnis Rn.

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bb) In Re Bluebrook Ltd. ............................................. cc) MyTravel Group plc .............................................. b) Schutz der „übergangenen“ Klasse .............................. c) Fazit zum Scheme of Arrangement .............................. II. Corporate Insolvency and Governance Act 2020 ..................... III. Schlussfolgerung ......................................................................

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C. Die Procédure de Sauvegarde ......................................................... I. Verfahrensleitung und Ziel ....................................................... II. Abstimmung und Mehrheiten ................................................... III. Einordnung ...............................................................................

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234 234 235 238

D. UNCITRAL – Legislative Guide on International Insolvency Law ... 585 ..... 238 E. Einordnung ..................................................................................... 592 .... 240 Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................... 594 .... 243 A. Zusammenfassung .......................................................................... I. Erstes Kapitel ........................................................................... II. Zweites Kapitel ......................................................................... III. Drittes Kapitel .......................................................................... IV. Viertes Kapitel .......................................................................... V. Fünftes Kapitel .........................................................................

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B. Thesen ............................................................................................. I. Thesen zur absoluten Vorrangregel .......................................... II. Thesen zur relativen Vorrangregel ........................................... III. Thesen zur Richtlinienumsetzung und zum Rechtsvergleich ...

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247 247 249 249

Literaturverzeichnis ........................................................................................ 251 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 297

XIV

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. Abs. AcP AEUV

AG AG AG AktG Am. Bankr. Inst. L. Rev. Am. Bankr. L. J. Anm. Art.

anderer Ansicht an dem zuvor angegebenen Ort Am Ende Altfassung/legislativ überholt Absatz Archiv für die civilistische Praxis Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des am 1. Dezember in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon Die Aktiengesellschaft Amtsgericht Aktiengesellschaft Aktiengesetz American Bankruptcy Institute Law Review American Bankruptcy Law Journal Anmerkung Artikel

Bankr. Dev. J. BB BCLC Bd. Begr. Beschl. BGBl. BGH BGHZ BMdJ BT-Drucks. BVerfG BVerfGE bzw.

Bankruptcy Developments Journal Betriebs-Berater Butterworths Company Law Cases Band Begründung Beschluss Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesminister(in) der Justiz Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise

Case W. Res. L. Rev. CLJ Colum. L. Rev. Corn. L. Rev.

Case Western Reserve Law Review The Cambridge Law Journal Columbia Law Review Cornell Law Review

DB

Der Betrieb

XV

Abkürzungsverzeichnis

ders., dies. DiskE Diss. DStR

derselbe, dieselbe Diskussionsentwurf Dissertation Deutsches Steuerrecht

Eur. Bus. Org. L. Rev. ECGI Einl. ESUG

Eur. Fin. Rev. Eur. L. Rev. EuZW EWCA Civ EWHC EWiR

European Business Organization Law Review European Corporate Governance Institute Einleitung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen und weiteren, hier nicht namentlich erwähnten Personen Europäische Union Europäische Gerichtshof Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren European Finance Review European Law Review Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht England and Wales Court of Appeal (Civil Division) England and Wales High Court Entscheidungen im Wirtschaftsrecht

f. ff. Fin. Management FK-InsO Fn. Fordham J. Corp. & Fin. L. FS

folgende (Einzahl) folgende (Mehrzahl) Financial Management Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Fordham Journal of Corporate & Financial Law Festschrift

GbR gem. GenG GesR GG ggf. ggü. GmbH GmbHG

Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß Genossenschaftsgesetz Gesellschaftsrecht Grundgesetz gegebenenfalls gegenüber Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau grundsätzlich Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

et al. EU EuGH EuInsVO

GmbHR grds. GWR XVI

Abkürzungsverzeichnis

Halbs. Harv. B. L. Rev. Harv. L. Rev. Hdb. HGB hM Hrsg.

Halbsatz Harvard Business Law Review Harvard Law Review Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber

i. E. i. e. S. i. R. d. i. S. v. i. V. m. IDW IDW S Ill. L. Rev. Ind. L. Rev. InsO InsO (1994) Insol. Int. Int. Insol. Rev.

im Ergebnis im engeren Sinne im Rahmen der im Sinne von in Verbindung mit Institut der Wirtschaftsprüfer e. V. IDW Standard Illinois Law Review Indiana Law Review Insolvenzordnung Insolvenzordnung, Erstfassung vom 05.10.1994 Insolvency Intelligence International Insolvency Review

J. Bus. J. Fin. J. Fin. Quantative Analysis J. Fin. J. L. Econ. J. Leg. Analysis J. Legal Stud. JZ

The Journal of Business Journal of Finance The Journal of Financial and Quantative Analysis The Journal of Finance Journal of Law and Economics Journal of Legal Analysis Journal of Legal Studies Juristenzeitung

KG KMU KO KredReorgG KSI KSzW KTS

Kommanditgesellschaft kleine und mittelgroße Unternehmen Konkursordnung Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten Kriesen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht KTS – Zeitschrift für Insolvenzrecht

m. w. N. Mich. L. Rev. Mo. L. Rev. Modern L. Rev.

mit weiteren Nachweisen Michigan Law Review Missouri Law Review The Modern Law Review XVII

Abkürzungsverzeichnis

MüKo

Münchener Kommentar

N. C. L. Rev. Nev. L. Rev. NJW NJW-RR

North Carolina Law Review Nevada Law Review Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungsreport der Neuen Juristischen Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung

Nr. NZG NZI

o. g. OHG OLG

oben genannt Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht

Pepperdine L. Rev.

Pepperdine Law Review

Quart. J. Econ.

Quarterly Journal of Economics

RabelZ

Rspr. Rutgers L. Rev.

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts Richtlinie Randnummer Richtlinie (EU) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) Rechtsprechung Rutgers Law Review

S. sog. Stan. L. Rev.

Seite sogenannt Stanford Law Review

TLE

Tax & Legal Excellence

RefE RegE RG RGZ RL Rn. RRL

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

U. Chi. L. Rev. UNCITRAL Unterabs. U.S.C. U. Pa. L. Rev. U.S.B.C. UmwG Urt.

University of Chicago Law Review United Nations Commission on International Trade Law Unterabsatz United States Code University of Pennsylvania Law Review United States Bankruptcy Code Umwandlungsgesetz Urteil

v. v. a. Var. vgl. VglO Vir. L. Rev. Vorb. vorl.

vom vor allem Variante vergleiche Vergleichsordnung Virginia Law Review Vorbemerkung(en) vorliegend

Wash. L. Rev. Wash. U. L. Quart. WM Wm & Mary B. L. Rev. WPg

Washington Law Review Washington University Law Quaterly Wertpapiermitteilungen William & Mary Business Law Review Die Wirtschaftsprüfung

Yale L. J.

The Yale Law Journal

z. B. ZEuP ZfbF

zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zugleich Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft – Archiv für Internationales Wirtschaftsrecht

ZGR ZHR ZInsO ZIP zit. ZPO ZRP zugl. ZVglRWiss

XIX

Einführung A. Kontext der Arbeit Im Lebenszyklus eines Unternehmens steht am Ende immer entweder die Liquidation 1 oder, im Falle des unternehmerischen Scheiterns, die Insolvenz. Dabei hat sich in den letzten Jahren der Blick von der Insolvenz als reinem Abwicklungsmechanismus hin zu einem sanierungsfreundlicheren und -betonteren Verfahren gewandelt. Der Gedanke ist, dass es Fälle gibt, in denen es unbillig oder wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre, ein Unternehmen abzuwickeln. Stattdessen besteht die Möglichkeit, das Unternehmen innerhalb eines Rechtsrahmens wie der Insolvenzordnung weiter am Markt tätig werden zu lassen. Es ist die Erkenntnis gereift, dass dies nicht nur zum Vorteil des Schuldnerunternehmens selbst, sondern auch zum Vorteil der Gläubiger und der Arbeitnehmer sein kann, die dadurch keinen gänzlichen Ausfall des Schuldners fürchten müssen. In rechtlich-betriebswirtschaftlichen Kategorien ausgedrückt ist eine Fortführung vorteilhaft, wenn der Fortführungswert des Unternehmens größer ist als sein Liquidationswert1); kurz gesagt: Das Unternehmen ist „lebend“ mehr wert als „tot“. Dieser Trend, ein Unternehmen durch Sanierung „überlebensfähig“ zu erhalten, hat sich in der Diskussion vom Anknüpfungspunkt der Insolvenz gelöst und es wird vermehrt die Frage aufgeworfen, ob sich eine Insolvenz nicht schon durch eine umfassende Sanierung im Vorfeld des endgültigen unternehmerischen Scheiterns abwenden lässt. Das Ziel ist, einen Wertverlust durch das Abwenden einer Insolvenz von vornherein zu verhindern. Weiter sollen neben dem Wertverlust auch andere volkswirtschaftlich relevante Zielgrößen wie Arbeitsplatzverlust und Unternehmertum adressiert werden.2) Mit der Richtlinie des Rates und des Parlaments über präventive Restrukturierungs- 2 rahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren (im Folgenden „RRL“)3) will der europäische Gesetzgeber eine neue „Sanie___________ 1) 2)

3)

MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 7; ders., Unternehmenssanierung, 31; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 18. Eidenmüller, KTS 2014, 401; auch Ehmke u. a., Int. Insol. Rev. 28 (2019), 184, 186: „This shift demonstrates a lean towards a more neo-liberal economic underpinning justification for financial and commercial regulation in the EU“; losgelöst von der Richtlinie Armour/Cummings, 10 American Law and Economics Review, 303 (2008); kritisch zu diesem Trend Freitag, ZIP 2019, 541, 542; dieser Trend ist noch nicht alt, vgl. die Seltenheit der Reorganisation im europäischen Rechtsraum betonend Brouwer, Eur. J. Law Econ. (2006) 22, 5, 19. Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl. L 172/18-55 v. 26.6.2019.

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Einführung

rungskultur“4) etablieren.5) Im Kern geht es in der Richtlinie um die Schaffung eines Mindeststandards im europäischen Raum bei der Behandlung von Unternehmen in der Krise. Die EU ist der Ansicht, ein uneinheitliches und langsames Insolvenz- und Restrukturierungsrecht hemme den Binnenmarkt und zerstöre sowohl Arbeitsplätze als auch wirtschaftliche Werte.6) Auch der immer stärker werdenden Vernetzung des Binnenmarktes und der Einbindung des Unternehmens in grenzübergreifende Lieferketten soll Rechnung getragen werden.7) Die Richtline will überlebensfähigen Unternehmen in der Krise umfassende Instrumente an die Hand geben, um sich zu sanieren und weiter am Markt tätig zu bleiben. Unvermeidliche Insolvenzen sollen hingegen schneller abgewickelt werden.8) Insgesamt zeigt der ordnungspolitische Vorstoß des Richtliniengebers den Wunsch, den Fokus der Betrachtung weg von der Durchsetzung von Partikularinteressen sowie vom Vertragsschutz des Einzelnen und hin zu einem allgemeinwohlorientierteren Blickwinkel auf das Unternehmensrecht zu verschieben.9)

3 Im Rahmen der Entscheidung Sanierung – Liquidation – Insolvenz stellt sich unweigerlich die Frage, nach welchen Maßstäben die Vermögenswerte des Schuldnerunternehmens zu verteilen sind. Ganz klassisch dreht sich die bisherige Betrachtung des Verteilungsmaßstabs und der Verteilungsgerechtigkeit um das insolvenzrechtliche Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, also um die quotale Befriedigung der Gläubiger. Die vorliegende Arbeit will unter Berücksichtigung des Gedankens einer stärkeren Allgemeinwohlbindung von diesem Gedankenstrang abrücken und die Frage nach dem passenden Verteilungsmaßstab in einem anderen Licht aufwerfen. Es geht um die grundlegende Frage: Soll das Vermögen eines Schuldnerunternehmens zwangsläufig und immer vorrangig für entstehende Verluste haften? Klar erscheint die Antwort, wenn es um die Abwicklung eines Unternehmens geht. In diesem Fall muss das Vermögen des Unternehmens zur Befriedigung der Gläubiger als „Haftungsfonds“ herhalten. In der Insolvenz gilt dabei der Maßstab des § 199 S. 2 InsO, wonach der Maßstab der gesellschaftsrechtlichen Liquidation auf das Insolvenzverfahren übertragen wird. Die Anteilseigner erhalten ihr Geld erst nach der Befriedigung aller Gläubiger. Unklarer ist die Antwort, wenn ein Unternehmen reorganisiert wird. Das deutsche Insolvenzrecht formuliert auch hier selbstbewusst den § 245 Abs. 2 ___________ 4)

5)

6) 7) 8) 9)

2

Vgl. dazu die Entwurfsfassung der Richtlinie v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final, 7; vgl. zuvor schon die Rede der damaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vor dem 7. Deutschen Insolvenzrechtstag, abgedruckt in ZInsO 2010, 614 – 617; zum Trend in Richtung privatautonomer Krisenbewältigung am Vorbild des britischen Rechts Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 321 ff. Siehe Erwägungsgrund Nr. 69 S. 1 RRL; zur Entwicklung im deutschen Recht vgl. Kübler, Hdb. der Restrukturierung in der Insolvenz, § 1 Rn. 1 ff.; Prütting, KSzW 2012, 255; Ebke, FS Kirchhof, 2013, 1247, 1250; aus Sicht des amerikanischen Rechts siehe Roe, 7 Harv. Bus. L. Rev. 188 (2017); kritisch zum Gedanken der Sanierungskultur der Richtlinie Verdoes/Verweij, Int. Insolv. Rev. 27 (2018), 398. Vgl. Erwägungsgründe Nr. 1, 3, 5, 6 und ff. RRL. Erwägungsgründe Nr. 1, 7, 8, 11, 16 RRL. Erwägungsgrund Nr. 3 S. 5 RRL. So auch Korch, ZHR 182 (2018), 440, 442.

A. Kontext der Arbeit

Nr. 2 InsO und den § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG (auch absolute Vorrangregel genannt), wonach der Maßstab des § 199 S. 2 InsO auch für die Reorganisation gilt. Die absolute Vorrangregel sorgt dafür, dass der Wert, der durch die Reorganisation im Vergleich zur Liquidation eines Unternehmens gewonnen wird, vorrangig den Gläubigern zugewiesen wird, sofern diese keiner anderen Verteilung zustimmen. Teilweise wird das kritisiert,10) denn es erscheint auf den ersten Blick seltsam, dass die Frage nach der Verteilung von Werten überhaupt gestellt wird, wenn das Unternehmen nicht abgewickelt, sondern fortgesetzt wird. Der Gedanke der Kritiker ist simpel: Solange das Unternehmen weiter am Markt operiert, muss die Frage nach der Verteilung der Werte nicht gestellt werden; vielmehr kann man fragen, ob es sich nicht um eine insolvenzrechtliche, sondern um eine gesellschaftsrechtliche Frage handelt: Wer soll im reorganisierten Unternehmen die Leitung übernehmen?11) Damit wäre die Fragestellung eher dem Bereich der Corporate Governance und nicht dem Insolvenz- und Sanierungsrecht zuzuordnen. Weiterhin kann man fragen, ob auch die Gläubiger für die Rettung des Unternehmens ein „Opfer“ bringen müssen. Die EURestrukturierungsrichtlinie präferiert den letzteren Gedanken und ermöglicht es mittels eines Sanierungsverfahrens, den Gläubigern eines Unternehmens – bestenfalls temporäre – Verluste aufzubürden, die nach bisherigem Verständnis originär in den Risikobereich des Schuldnerunternehmens fielen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass sich der Fokus weg von dem Konzept der 4 starren Haftungsverwirklichung und hin zu einem flexibleren Umgang in der Bewältigung von unternehmerischen Krisen bewegt. Dieser Befund lässt sich an der Entwicklung der etablierten absoluten Vorrangregel aufzeigen. Es lässt sich nachweisen, dass die absolute Vorrangregel in den vergangenen Jahrzehnten aufgeweicht wurde. Dieser Trend zeigt sich auch im europäischen Raum im Rahmen der Restrukturierungsrichtlinie. In dieser Richtlinie verleiht der europäische Richtliniengeber dem Gedanken der umfassenden Sanierung zur Abwendung einer Insolvenz rechtliche Konturen. Sie erlaubt es, mit der sogenannten „relativen Vorrangregel“ Werte von den Gläubigern weg und zugunsten der Anteilseigner eines Unternehmens zu verteilen. Die relative Vorrangregel und ihr Verhältnis zur absoluten Vorrangregel ist Gegenstand dieser Arbeit. Es soll untersucht werden, was sich hinter dem Konzept der relativen Vorrangregel verbirgt und ob sich diese in das System des deutschen Gesellschafts- und Insolvenzrechts einfügt. Dem Wunsch des Richtliniengebers soll die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers gegenübergestellt werden. Dieser ist hinter den Möglichkeiten der Richtlinie zur relativen Vorrangregel zurückgeblieben und hat eine modifizierte absolute Vorrangregel in der Umsetzung der Richtlinie gewählt. Es soll untersucht werden, ob es hierfür besondere Notwendigkeiten oder Gründe im deutschen Recht gab und ob die relative Vorrangregel den nächsten Schritt in einer bereits lange begonnen Entwicklung darstellt. ___________ 10) Etwa Madaus, FS Wimmer, 2017, 446. 11) In diesem Sinne Baird/Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921, 922 (2001).

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Einführung

B. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren 5 Das Restrukturierungsverfahren soll explizit vor dem Eingreifen der nationalen Insolvenzgründe ansetzen.12) Der Gedanke eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens ist dabei aus deutscher Perspektive nicht neu und seit vielen Jahren ein immer wieder virulentes Thema in der juristischen13) und auch politischen Diskussion14). Der schon lange gehegte Gedanke eines stärkeren Sanierungsrechts wurde durch den internationalen Wettbewerb im Wege der Möglichkeit einer Verlagerung des centre of main interest (COMI) nach Großbritannien und die Nutzung der dortigen Sanierungsinstrumente verstärkt.15) Das Resultat der nationalen Bemühungen für eine Stärkung der Sanierung nach der Finanzkrise 2008/2009 war das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (kurz: ESUG).16) Insbesondere die Stärkung der Eigenverwaltung sollte die Insolvenz „entstigmatisieren“.17) Das Schutzschirmverfahren nach § 270b a. F. InsO (jetzt § 270d InsO), welches als Eröffnungsgrund zumindest die drohende Insolvenz voraussetzte, sollte nach den Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers den Abstand von Insolvenzverfahren und vorinsolvenzlicher Sanierung verringern.18) In der Praxis wurde das Verfahren aber nur in geringem Maße angenommen.19) In der Analyse des ESUG hingegen war die Frage, ob ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren notwendig sei, eher abschlägig beantwortet worden.20) Die Entscheidung über die Einführung eines weitergehenden vorinsolvenzlichen Verfahrens wurde jetzt von europäischer Seite vorweggenommen ___________ 12) Erwägungsgrund Nr. 24; Art. 4 der Richtlinie. 13) Siemon, NZI 2016, 57; Geldmacher, ZInsO 2011, 353; Bork, ZIP 2010, 397; Eidenmüller, ZIP 2010, 649; ders., ZHR 160 (1996), 343; Jaffé, ZGR 2010, 248; Schuster, ZGR 2010, 325; Undritz, ZGR 2010, 201, 212; Jacoby, ZGR 2010, 359; Westpfahl, ZGR 2010, 385; Flessner, KTS 2010, 127; ders., ZRP 1982, 244, 248; K. Schmidt, Gutachten zum 54. DJT 1982, D 97 ff.; Hanau, Gutachten zum 54 DJT 1992, E 13 f.; Heinze, NJW 1982, 1665; Kilger, ZIP 1982, 779, 780 f.; monographisch Köth, Vorinsolvenzliche Sanierung und alternative Regelungsmodelle, passim; Braun, Vorinsolvenzliche Sanierung, passim; Wahlers, Ausgestaltung und Erforderlichkeit eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens, passim. 14) Vgl. etwa Koalitionsvertrag 2009 der CDU/CSU-FDP, 17. Legislaturperiode, S. 18. 15) Vgl. Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 13; ders./Frobenius, WM 2011, 1210; Kübler, Hdb. der Restrukturierung in der Insolvenz, § 1 Rn. 2. 16) BGB. I. 2011, 2582. 17) Zu den Zielen BT-Drucks. 17/5712, 17 – 20. 18) BT-Drucks. 17/5712, 17; vgl. auch BT-Drucks. 17/7511, 4. 19) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, 15: „Im Ergebnis sind die Eigenverwaltungsverfahren unter allen bundesweiten Insolvenzverfahren quantitativ als nicht besonders relevant anzusehen.“, vgl. auch 38 f., 297 ff.; auch Madaus, NZI Beilage 1/2019, 59; drastischer Eidenmüller, KTS 2014, 401, 403: „Das ESUG ist leider ohne signifikante Wirkung geblieben – es hat seine Ziele weitgehend verfehlt“. 20) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, 31, 43.

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B. Das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren

und positiv beantwortet. Die frühen Entwürfe der Richtlinie haben die Diskussion um das Sanierungsrecht neu befeuert.21) Der deutsche Gesetzgeber hat am 19. September 2020 den Referentenwurf des Ge- 6 setzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (kurz: SanInsFoG) vorgelegt. Bereits am 14. Oktober 2020 folgte der Regierungsentwurf.22) Am 17. Dezember 2020 wurde der Gesetzentwurf schließlich vom Bundestag angenommen.23) Am 1. Januar 2021 ist das SanInsFoG in Kraft getreten. In Art. 1 des SanInsFoG ist ein neues Gesetzeswerk geregelt, mit welchem die Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt wird. Das neue Gesetzeswerk trägt den Namen „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz – kurz: StaRUG)“. Das zentrale Vehikel und Herzstück des vorinsolvenzlichen Verfahrens soll nach 7 europäischer Vorstellung der Restrukturierungsplan sein. Die Grundmechanik des Restrukturierungsplans umfasst zunächst die Ausarbeitung eines Plans für die Sanierung, welcher die angedachten Maßnahmen beinhaltet. Alle Planbetroffenen werden in Gruppen mit wirtschaftlich ähnlichen Interessen eingeteilt und stimmen über den Plan ab. Die Besonderheit ist, dass der Plan auch gegen den Willen einzelner Gruppen umgesetzt werden kann und diesen gegenüber Bindungswirkung entfaltet. Der Restrukturierungsplan soll es nun in der deutschen Gesetzeslage ermöglichen, vor Eintreten der obligatorischen Insolvenzantragsgründe auch gegen den Willen der Betroffenen, insbesondere der Gläubiger, in deren Rechte einzugreifen und diese gegebenenfalls zu kürzen. Bislang war das nur unter Einschaltung der Insolvenzgerichte möglich. Ein außerhalb des Insolvenzverfahrens geschlossener Vergleich konnte nach der Rechtsprechung des BGH dissentierende Gläubiger gerade nicht binden.24) Der Restrukturierungsplan weist insgesamt konzeptionell große Ähnlichkeit mit dem 8 deutschen Insolvenzplan, dem englischen Scheme of Arrangement und dem amerika___________ 21) Harmann, ZInsO 2019, 1701; Lange/Swierczok, BB 2019, 514; Korch, ZHR 182 (2018), 440; Stohrer, ZInsO 2018, 660; H.-F. Müller, ZGR 2018, 56; Hermanns, ZInsO 2018, 2273; Hölzle, ZIP 2017, 1307; Thole, ZIP 2017, 101; Bork, ZIP 2017, 1441; Paulus, ZIP 2017, 910; Jacobi, ZInsO 2017, 1; Landfermann, FS Wimmer, 2017, 408, 425; Ganter, FS Wimmer, 2017, 187; Madaus, FS Wimmer, 2017, 446; ders., KSzW 2015, 183; Vallender, FS Pannen, 2017, 303; ders., FS Wimmer, 2017, 537; Bremen, FS Graf-Schlicker, 2017, 229; Sax/Ponseck/Swierczok, BB 2017, 323; Blankenburg, ZInsO 2017, 241; Schluck-Amend, ZRP 2017, 6; Frind/Pollmächer, ZInsO 2016, 1290; Brömmekamp, ZInsO 2016, 500; Zipperer, ZInsO 2016, 831; Beissenhirtz, ZInsO 2016, 1778, 1791; Kayser, ZIP Beilage 22/2016, 40; ders., FS Pannen, 2017, 273; ders., ZIP 2017, 1393; Kübler, ZIP Beilage 22/2016, 47; Eidenmüller, KTS 2014, 401; sehr kritisch ders., Eur. Bus. Org. L. Rev. (2017) 18, 273, 276. 22) Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BT-Drucks. 19/24181. 23) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG), BGBl. 2020 I, 3256. 24) BGHZ 116, 319, 322 ff.

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Einführung

nischen Restrukturierungsverfahren nach Chapter 11 des US Bankruptcy Codes auf.25) Die Restrukturierungsrichtlinie wurde zum Teil auch als Antwort auf das US-amerikanische Chapter 11 Verfahren verstanden.26) Allen Rechtsregimen wird in den internationalen Insolvenzrankings bereits eine hohe Effektivität und Reife attestiert.27)

C. Ziel, Gang und Begrenzung der Arbeit 9 Dies vorausgeschickt, klärt die Arbeit in einem ersten Schritt die gesetzlich vorgesehene Werteverteilung im Einzelzwangsvollstreckungs- und sodann im Insolvenzund Restrukturierungsrecht (1. Kapitel). Will man erfassen, wann wer auf Vermögenswerte des Schuldners zugreifen kann, ist zu klären, welche Rangordnung das Gesetz im Insolvenz- und im Restrukturierungsverfahren kennt. Von dieser gesetzlichen Werteverteilung kann mittels eines Planverfahrens abgewichen werden, weshalb diese Rahmenumstände in gebotener Kürze dargelegt werden. Eine ausführliche Darstellung der Planverfahren soll jedoch nicht erfolgen, weil sich die Untersuchung auf den Gehalt der absoluten und der relativen Vorrangregel beschränken soll. Deren Proprium wird dargestellt.

10 Die absolute Vorrangregel wird teilweise als das Korrelat der beschränkten Haftung dargestellt. Das Verständnis der institutionellen Haftungsbeschränkung, des Aufbaus und ihrer Wirkungsweise im deutschen Recht ist daher unentbehrlich für die Arbeit, sodass ein Grundstein der Arbeit in der Darstellung dieses Erfolgsmodells liegt (2. Kapitel).

11 Die wissenschaftliche Durchdringung der absoluten Vorrangregel als fundamentales Prinzip wird ihrer Bedeutung nicht gerecht.28) Die Betrachtung der absoluten Vorrangregel gewinnt auch vor dem Hintergrund der Restrukturierungsrichtlinie an Aktualität, denn diese stellt die absolute Vorrangregel zur Disposition. Sie hat im Zuge der Umsetzung der Richtlinie in das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) für eine Aufweichung der absoluten Vorrangregel gesorgt. In der amerikanischen Literatur wird die absolute Vorrangregel trotz ihrer überragend wichtigen Stellung schon seit ihrer Schaffung kritisiert, ___________ 25) Balthasar, ZHR 183 (2019), 662, 679; Eidenmüller, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2017) 18, 273, 276; McCormack, Eur. L. Rev. (2017) 42, 532, 537; Tollenaar, (2017) 30 Insolvency Intelligence, 65, 66. 26) McCormack, Eur. L. Rev. (2017) 42, 532, 537, mit Verweis auf ein Briefing Paper von Clifford Chance (Fn. 28, nicht mehr abrufbar). 27) Vgl. dazu eine Analyse der Weltbank, abrufbar unter https://data.worldbank.org/indicator/IC. ISV.DURS (zuletzt abgerufen am 22.2.2021); generell zur Effizienz des deutschen Rechts Paulus, FS Wimmer, 2017, 475. 28) Erstmals Flessner, Sanierung und Reorganisation, 94 ff.; Balz, ZIP 1988, 1438, 1442; Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187 (Verhältnis der absoluten Vorrangregel zu Absonderungsrechten); kurz erwähnend Hohloch, ZIP 1982, 1029, 1034 – 1036; monographisch und ausführlich Fassbach, Cram down power, 71 – 100; Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, passim.

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C. Ziel, Gang und Begrenzung der Arbeit

sodass eine unreflektierte Übernahme in das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren bereits aus diesem Grund kritisch zu bewerten gewesen wäre.29) In einer von europäischer Seite durchgeführten Studie wird die absolute Vorrangregel darüber hinaus als „sanierungsfeindlich“ bewertet.30) Träfe die Überlegung zu, so würde die absolute Vorrangregel auch dem intendierten Ziel der Richtlinie zur Förderung der Sanierung entgegenstehen. Zusammen mit der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Skepsis der Mitgliedstaaten an der Tauglichkeit der absoluten Vorrangregel in einem Sanierungskontext31) kulminieren diese Überlegungen in einem alternativen Modell – der sogenannten relativen Vorrangregel. Gleichzeitig bleibt den Mitgliedstaaten die endgültige Entscheidung über die Frage, ob die absolute oder die relative Vorrangregel umgesetzt werden soll, überlassen, sodass eine Betrachtung beider Rechtsinstitute unerlässlich wird. Es sollen demnach die Rezeption der absoluten Vorrangregel und deren Einordnung 12 in das System der institutionellen Haftungsbeschränkung sowie die Ziele des Insolvenzrechts (3. Kapitel) untersucht werden. Anhand der amerikanischen Literatur ist dabei die Entstehung und Wirkungsweise der absoluten Vorrangregel zunächst nachzuzeichnen. Anschließend wird die Einfügung der absoluten Vorrangregel ins deutsche Recht dargestellt. Es soll zum einen die Verbindung zur beschränkten Haftung gezogen und zum anderen untersucht werden, inwieweit sich die absolute Vorrangregel in das System des Insolvenzrechts einfügt. Auf eine umfassende Darstellung des Insolvenzplans, in welchen die absolute Vorrangregel eingebettet ist, kann dabei verzichtet werden. Dies ist an anderer Stelle bereits ausreichend geschehen.32) In einem vierten Schritt soll einer Versuch der Erfassung des Gehalts, der Einord- 13 nung und der Systematisierung der relativen Vorrangregel anhand der bestehenden gesellschaftsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Grundsätze gewagt werden (4. Kapitel). Die relative Vorrangregel wurde erst in letzter Sekunde und im Grunde ohne wissenschaftliche Fundierung in die Richtlinie eingefügt. Insbesondere sollen Fragen rund um die Auslegung des Merkmals der Besserstellung von Abstimmungsgruppen und ökonomische Auswirkungen dargestellt werden. Die relative Vorrangregel selbst ist, wie bereits angedeutet, in der wissenschaftlichen Literatur kaum behandelt worden. Obwohl die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht eine umfassende Kritik erfahren hat, scheint sich der europäische Richtliniengeber nicht intensiv mit dieser auseinandergesetzt zu haben. Die absolute Vorrangregel wurde im Jahr 2017 ___________ 29) Siehe dazu Rn. 172 ff.; so auch Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 62. 30) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices for European Restructuring, 45 – 47. 31) Proposal for a Directive on preventive restructuring frameworks, second chance and measures to increase the efficiency of restructuring, insolvency and discharge procedures and amending Directive, ST 12536/18 INIT, 2016/0359 (COD) v. 1.10.2018, 5; WK 13018/2017 INIT v. 14.11.2017, 5 Nr. 7; ausführlich Rn. 392 ff. 32) Etwa Madaus, Der Insolvenzplan, passim.

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Einführung

vom US Supreme Court noch einmal gestärkt. Umso erstaunlicher ist es, dass der europäische Richtliniengeber beinahe ohne wissenschaftliche oder praktische Fundierung das Instrument der relativen Vorrangregel als Regelinstrument verankert hat. Die Arbeit will die grundsätzliche Wirkungsweise der europäischen relativen Vorrangregel erforschen und darlegen. Entstehende Probleme sollen, soweit auf Basis des Richtlinientextes möglich, aufgezeigt und einer Lösung zugeführt werden. Die Betrachtung nimmt dabei, soweit für die relative Vorrangregel von Belang, auf das nationale Umsetzungsgesetz Bezug. Es soll untersucht werden, ob sich die relative Vorrangregel ohne Bruch in das bestehende System des Gesellschafts- und des Insolvenzrechts einfügt. In diesem Kapitel soll auch eine rechtspolitische Einordnung erfolgen. Es soll untersucht werden, ob die ins Auge gefasste Sanierungskultur und die erhofften positiven Effekte für den europäischen Binnenmarkt auch nach Analyse der rechtlichen Auswirkungen zu bestätigen sind. Ausweislich der Richtlinienbegründung soll das Verfahren vornehmlich kleinen und mittleren Unternehmen bei der Überwindung einer Krise helfen. Die Komplexität des Verfahrens und die Erfahrungen des amerikanischen Rechts lassen aber eher darauf schließen, dass das Verfahren für große Unternehmen attraktiv sein wird. Aufgrund der hohen Transaktionskosten in einem Planverfahren ist die amerikanische Praxis vermehrt dazu übergegangen, die übertragende Sanierung anzuwenden, die sich in Deutschland ebenfalls lange bewährt hat.33) Insofern scheint die von europäischer Seite angestrebte Sanierungskultur eher einen Schritt hinterherzuhinken. Zudem beinhaltet die Richtlinie sehr viele Öffnungsklauseln für die Mitgliedstaaten, welche dem gewünschten Harmonisierungseffekt entgegenstehen.

14 Die Arbeit soll schließlich in einem fünften Schritt in einem rechtsvergleichenden Kontext untersuchen, welche anderen Länder die absolute Vorrangregel zum materiell gerechten Verteilungsmaßstab erklärt haben (5. Kapitel). Die Untersuchung soll sich dabei auf das niederländische Wet homologatie onderhands akkoord (WHOA), das englische Scheme of Arrangement, die französische Procédure de Sauvegarde und die Empfehlungen der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) zum Insolvenzrecht beschränken. Die so erfasste Situation hilft die Frage zu beantworten, ob die absolute Vorrangregel auch in anderen europäischen Ländern einen ebenso hohen Stellenwert genießt. Eine entsprechende Ausrichtung des nationalen Rechts vermag dann einen größeren Harmonisierungseffekt zu erzeugen.

___________ 33) Roe, 7 Harv. Bus. L. Rev. 187, 205 (2017): „Today we sell firms in bankruptcy to the highest bidder.“; American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 203; Baird/Rasmussen, 56 Stan. L. Rev. 673, 675 ff. (2003); darauf hinweisend auch Kübler/Thole, Hdb. der Restrukturierung in der Insolvenz, § 58 Rn. 48; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 467; Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 62; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 22.

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation Die Frage, wann und wie ein Stakeholder auf die Werte eines Schuldners zugreifen 15 kann, ist eine zentrale Frage im Recht der Unternehmensreorganisation. Sie berührt die Belange der Stakeholder auf vielfältige Weise. Sie wird vor allem dann relevant, wenn das Vermögen des Schuldners nicht mehr ausreicht, um alle Gläubiger fristgerecht zu befriedigen oder unklar ist, ob dies der Fall sein wird. Für die Gläubiger ist in diesem Zusammenhang vor allem wichtig, mit welchen anderen Gläubigern sie um die verbliebenen Werte des Schuldners konkurrieren müssen und wann sie auf Werte zugreifen dürfen. Für die Anteilseigner ist hingegen die Frage entscheidend, ob sie ggfs. noch Werte des Schuldners er- oder behalten dürfen. Das deutsche Rechtssystem geht arbeitsteilig vor und trennt zwischen dem vorinsolvenzlichen Verteilungsmodus und dem Verteilungsmodus in der Insolvenz.34)

A. Situation außerhalb der Krise35) I.

Situation der Gläubiger

Die Stellung als Gläubiger setzt voraus, dass ein Anspruch (§ 194 Abs. 1 BGB) 16 gegen den Schuldner besteht. Ein Gläubiger kann vom Schuldner ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlangen. Im Rahmen eines Schuldverhältnisses entsteht die materiell-rechtliche Leistungspflicht des Schuldners.36) Damit korrespondierend entsteht die Haftung, also die Verpflichtung des Schuldners, für die Erfüllung der Leistungspflicht gegenüber seinen Gläubigern einzustehen.37) Das Recht der Zwangsvollstreckung dient dazu, dem Gläubiger ein Mittel für die Durchsetzung seiner vertraglichen Ansprüche an die Hand zu geben.38) Ist der Vertragspartner säumig, so kann der Gläubiger einen Titel erwirken und zum Zweck der Befriedigung grundsätzlich auf das gesamte Vermögen des Schuldners zugreifen. Außerhalb des Insolvenzverfahrens greift das Prioritätsprinzip. Dieses äußert sich materiell- sowie verfahrensrechtlich in dem Grundsatz, dass bei der Verteilung des Schuldnervermögens derjenige Gläubiger bevorzugt wird, der „zuerst kommt“.39) Materiell-rechtlich geht ___________ 34) J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 4. 35) Aufbau des 1. Kapitels angelehnt an Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 28 – 45. 36) Jauernig/Mansel, BGB, § 241 Rn. 18; MüKo-BGB/Bachmann, § 241 Rn. 6; BeckOK-BGB/Sutschet, § 241 Rn. 16. 37) Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 4; BeckOK-BGB/Sutschet, § 241 Rn. 16. 38) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 17 f.; BeckOK-BGB/Sutschet, § 241 Rn. 16; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Einf. Rn. 1; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 1.1. 39) Häsemeyer, InsR, Rn. 18.14; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 1; Larenz, AT, 7. Aufl., § 13 IV., 232; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 17 A.II., 208 Rn. 8; J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 3; Neuner, AcP 203 (2003), 46, 47; Foerste, Insolvenzrecht, § 1 Rn. 6; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Einf. Rn. 6.

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

etwa eine frühere Verfügung der späteren Verfügung vor. Kollidieren mehrere Verfügungen und tritt nachträglich Konvaleszenz ein, so ordnet § 185 Abs. 2 S. 2 BGB an, dass die frühere Verfügung der späteren vorgeht.40) Der Gläubiger unterliegt dabei dem Risiko, dass ein anderer Gläubiger ihm zuvorkommt, indem ein bestimmter Gegenstand gepfändet und verwertet wird, bevor er selbst seine Ansprüche verwirklichen kann. Die Frage, ob das Vermögen des Schuldners noch für die Befriedigung aller Gläubiger ausreicht, soll im Einzelzwangsvollstreckungsrecht ausgeblendet werden.41)

II. Situation der Anteilseigner 17 Für die Anteilseigner birgt die Situation des Schuldners außerhalb der Krise regelmäßig keine besonderen Gefahren. Sie sind vor Durchgriffen der Gläubiger des Schuldners durch die auf das Vermögen des Schuldners beschränkte Haftung (§ 13 Abs. 2 GmbHG; § 1 Abs. 1 S. 2 AktG) geschützt. Die Situation, dass das jeder Anteilseigner seinen persönlichen Gläubigern mit seinem Privatvermögen haftet und ein Gläubiger den Gesellschaftsanteil pfänden und verwerten kann, soll für diese Betrachtung ausgeblendet werden.

B. Situation innerhalb der Krise I.

Insolvenzrecht – par condicio creditorum

18 Für den Gläubiger wird der vorinsolvenzliche Verteilungsmodus dann zum Problem, wenn das schuldnerische Vermögen nicht mehr für die fristgerechte Befriedigung aller ausreicht.42) In diesem Fall greift das Insolvenz- und damit ein Gesamtvollstreckungsverfahren, in welchem die Vermögensverteilung nicht mehr nach ihrem zeitlichen Zugriff erfolgt, sondern durch eine proportionale Befriedigung (pro rata) ersetzt wird. Das Vermögen des Schuldners wird vollständig in Beschlag genommen und dem Zugriff einzelner Gläubiger entzogen.43) Es gilt der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, wobei inhaltsgleich mit dem Begriff der Gläubigergleichbehandlung auch die Wendung par condicio creditorum verwendet wird.44) Das Insolvenzverfahren soll nach ganz einhelliger Ansicht diese Gläubigerbefriedigung in geordnete Bahnen lenken,45) indem ein Wettlauf der Gläubiger auf die Vermögenswerte des Unternehmens verhindert und eine geordnete Verwertung des schuldne___________ 40) BeckOGK-BGB/Regenfus, § 185 Rn. 154; Jauernig/Mansel, BGB, § 185 Rn. 8. 41) J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 4. 42) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 17 f.; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkursund Vergleichsrecht, Band II: Insolvenzrecht, § 1 Rn. 1.2; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 1 f.; Foerste, Insolvenzrecht, § 1 Rn. 4 ff. 43) J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 4; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 1. 44) J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 5 mit Verweis auf die Digestenstelle Ulpian, Dig. 42.8.6.7. 45) Vgl. Korch, ZHR 182 (2018), 440, 442; Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 448 f.; Paulus, NZI 2015, 1001, 1003; Flessner, KTS 2010, 127, 143; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 4.

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B. Situation innerhalb der Krise

rischen Vermögens vorgenommen wird, sobald das Vermögen nicht mehr ausreicht, um alle Gläubiger vollständig zu befriedigen. Dies wird in der anglo-amerikanischen Literatur auch als common pool problem bezeichnet.46) So soll verhindert werden, dass das Vermögen des Schuldners auseinandergerissen wird, weil sonst jeder Gläubiger versuchen würde, ohne Rücksicht auf andere Gläubiger oder den Schuldner in das Vermögen zu vollstrecken, um sich Befriedigung zu verschaffen.47) Durch die Koordinierung sollen nicht nur für die Gläubiger Kosten gespart werden, sondern auch zufällige Ergebnisse vermieden uns der Gesamterlös für alle Gläubiger gesteigert werden.48) Der Gedanke, dass ein koordinierter Zugriff den Gesamtertrag für alle Beteiligten steigern kann, ist an die aus der Sozialwissenschaft stammende Figur der tragedy of the commons entlehnt.49) Dort reduziert sich der Gesamtertrag eines allgemein zugänglichen Guts (beispielsweise Weideland), weil jeder Beteiligte grenzenlos zur persönlichen Ertragsmaximierung auf das Gut zugreifen möchte, weshalb sich das natürlich vorkommende Gut irgendwann (durch Überweidung) erschöpft. Dem soll das koordinierte Insolvenz- und insbesondere das Reorganisationsverfahren entgegenwirken.

II. Das Restrukturierungsverfahren Das Einzelzwangsvollstreckungsrecht, das diesem zugrundeliegende Prioritätsprinzip 19 und das insolvenzrechtliche Gesamtvollstreckungsverfahren sind dabei in zeitlicher Sicht klar durch die formelle Insolvenzeröffnung voneinander getrennt. Nur durch die Insolvenzanfechtung der §§ 129 ff. InsO und die Rückschlagsperre des § 88 Abs. 1 InsO wird der insolvenzrechtliche Verteilungsmodus auch auf einen bestimmten Zeitraum vor der Insolvenzeröffnung erstreckt. Mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO liegt ein Tatbestand vor, bei dem ein Schuldner noch nicht materiell insolvent sein muss, er sich aber freiwillig in das Regelwerk der InsO begeben kann. Dort greift dann das Gesamtvollstreckungsverfahren. Die Restrukturierungsrichtlinie hingegen schafft ein hybrides Verfahren, in welchem 20 diese scharfe Trennung von Einzelzwangsvollstreckungsrecht und Gesamtvollstreckungsrecht aufgehoben wird. Das Restrukturierungsverfahren umfasst nach den Vorgaben der Richtlinie nicht automatisch alle Gläubiger, sondern überlässt die Frage, wer in das Verfahren einzubeziehen ist, grundsätzlich der Entscheidung des Schuldners. Das Restrukturierungsverfahren nach der Richtlinie und dem StaRUG als deren Umsetzungsgesetz ist daher ein sog. teilkollektives Verfahren.50) Es wird eine Situation ge___________ 46) Vgl. etwa Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, 11 ff. 47) MüKo-InsO/Ganter/Bruns, § 1 Rn. 8, 51; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 9; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 3, 17 ff.; Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 449; Balz, ZIP 1988, 1438, 1439. 48) Jackson, 91 Yale J. L. 857, 860 – 868 (1982). 49) Vgl. Hardin, 162 Science New Series 1243 (1968); die Begriffe des common pool problems und die Figur der tragedy of the commons sind in der insolvenzrechtlichen Diskussion größtenteils Mainstream geworden und allgemein zur Versinnbildlichung der hinter der Insolvenz stehenden Problematik anerkannt, vgl. etwa Madaus, FS Wimmer, 2017, 446 ff. 50) Statt vieler Skauradszun/Fridgen/Fridgen, StaRUG, Einl. Rn. 17.

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

schaffen, in der Nichtplanbetroffene weiterhin den Grundsätzen des Prioritätsprinzips unterworfen werden. Im Verhältnis zu den Planbetroffenen hingegen können je nach Antrag und Situation des Schuldners die Grundsätze des Prioritätsprinzips noch eingreifen – beispielsweise, wenn keine Stabilisierungsordnung ergeht und die Planbetroffenen deshalb vollstrecken können –, müssen es aber nicht. Umgekehrt finden bei den Planbetroffenen insolvenzrechtliche Grundsätze wie der der Gläubigergleichbehandlung Anwendung, §§ 10 Abs. 1, 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG.51) Nach den Vorgaben von § 10 Abs. 1 StaRUG sind beispielsweise jedem Gläubiger innerhalb der gleichen Gruppe die gleichen Rechte anzubieten. § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG formuliert eine weitere Ausprägung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes: Eine ablehnende Gruppe von Gläubigern wird nur dann angemessen am Planmehrwert beteiligt, wenn kein gleichrangiger Gläubiger bessergestellt wird als die ablehnende Gruppe. Damit wird für bestimmte Fälle ein gruppenübergreifender Gleichbehandlungsgrundsatz implementiert.52)

21 Das Restrukturierungsverfahren soll nach den Vorgaben der Richtlinie vor der Insolvenz ansetzen, also zu einem Zeitpunkt, in welchem theoretisch noch genügend Vermögen für eine vollständige Befriedigung aller Gläubiger vorhanden sein sollte und das Prioritätsprinzip anzuwenden ist. Die Forderungen der Gläubiger werden nicht automatisch fällig gestellt, wie dies bei § 41 InsO der Fall ist. Es ist weiterhin möglich, über den Restrukturierungsplan auch in Forderungen einzugreifen, die noch nicht fällig sind. Ein Gesamtvollstreckungsverfahren wie in der Insolvenz, wo sich aus sich heraus die Notwendigkeit einer Rangordnung ergibt, also der Frage, wann wer auf vorhandene Vermögenswerte zugreifen kann, besteht hier nicht zwangsläufig.

III. Gesetzliche (Nach-)Rangverhältnisse 22 Will man die sachliche Reichweite und das zeitliche Einsetzen der Restrukturierungsrichtlinie erfassen, sollte man sich mit dem Begriff des Rangs und sodann den einzelnen Rangklassen befassen. Hier ist auf die Unterschiede zwischen den Rangklassen der InsO und des StaRUG einzugehen.

1.

Begriff des Rangs

23 Grundsätzlich beschreibt ein Rangverhältnis die Verteilungsreihenfolge bei der gleichzeitigen Befriedigung mehrerer Gläubiger.53) Die Gläubiger werden in absteigender Rangfolge befriedigt. Reicht das Vermögen nicht aus, um eine Rangklasse vollständig zu befriedigen, so werden die Gläubiger dieser Rangklasse pro rata befriedigt. ___________ 51) § 10 Abs. 1 sowie § 27 Abs. 2 Nr. 3 StaRUG entsprechen Art. 10 Abs. 2 lit. b), Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL. 52) Näheres dazu vgl. Rn. 240 ff. 53) Baur/Stürner, Sachenrecht, § 17 A.I., 207 Rn. 1; Staudinger/Wiegand, BGB, § 1209 Rn. 2; BeckOK-BGB/Schärtl, § 1209 Rn. 1; MüKo-BGB/Kohler, § 879 Rn. 1; MüKo-ZPO/Gruber, § 804 Rn. 32; Saenger/Kemper, ZPO, § 804 Rn. 12, 14; vgl. auch Bitter, ZHR 181 (2017), 428, 437; ders./Rauhut, ZIP 2014, 1005, 1007.

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B. Situation innerhalb der Krise

Ein Rangverhältnis entsteht vorinsolvenzlich insoweit, als ein früher begründetes 24 rechtsgeschäftliches Pfandrecht dem späteren Pfandrecht vorgeht, vgl. §§ 879 Abs. 1 S. 1 u. 2, 1209 BGB. Verfahrensrechtlich muss ein Gläubiger dann einzeln, gegebenenfalls im Klageweg, seinen Anspruch geltend machen. Auch hier gilt, dass jeweils der frühere Zugriff entscheidend ist und dem Gläubiger ein höherrangiges Recht einräumt. Das zeigt insbesondere das vollstreckungsrechtlich erlangte Pfändungspfandrecht, § 804 Abs. 3 ZPO. Rangverhältnisse existieren des Weiteren im Immobiliarsachenrecht nach §§ 879 – 881 BGB bzw. vollstreckungsrechtlich in §§ 10, 11 ZVG, wo beim Zugriff auf die Immobilie der jeweils im Grundbuch eingetragene Rang entscheidend ist. Zusammenfassend geht ein früherer Zugriff dem späteren vor, sofern das Sicherungsgut nicht ausreicht, um alle Gläubiger voll zu befriedigen.54)

2.

Rangklassen der InsO und des StaRUG

Rangverhältnisse werden sowohl vor als auch in der Insolvenz des Schuldners re- 25 levant. Die Insolvenzordnung und das StaRUG geben eine Rangordnung vor, in welche die Forderungen der Gläubiger einzuordnen sind.

a) „Einfache“ und nachrangige Gläubiger aa) Insolvenzordnung In der materiellen Insolvenz des Schuldners ergibt sich das Bedürfnis der Rangbil- 26 dung ganz zwanglos und aus sich heraus. Das Vermögen des Schuldners reicht nicht mehr zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger aus. In diesem Fall muss die Frage gestellt werden, wer in welchem Umfang auf das Vermögen des Schuldners zugreifen kann. Für die Insolvenzordnung ist der Rang einer Forderung in den §§ 38, 39 InsO vorgegeben. Das Gesetz unterscheidet insoweit nur zwischen einfachen Insolvenzforderungen des § 38 InsO und nachrangigen Forderungen des § 39 InsO. Insolvenzgläubiger ist, wer zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Anspruch gegen den Schuldner hat.55) Innerhalb der nachrangigen Forderungen werden in § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO fünf weitere Ränge gebildet. Nachrangige Forderungen sind danach in dieser Reihenfolge: (1) Seit Eröffnung des Verfahrens laufende Zinsen und Säumniszuschläge; (2) Kosten, die den Insolvenzgläubigern wegen der Teilnahme am Verfahren erwachsen; (3) Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungs- und Zwangsgelder; (4) Forderungen auf unentgeltliche Leistungen des Schuldners und schließlich (5) Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder dem wirtschaftlich gleichstehende Forderungen. Einen generellen Nachrang nehmen gem. § 39 Abs. 2 InsO solche Forderungen ein, für ___________ 54) Ausnahmen finden sich beispielsweise für gesetzliche Pfandrechte in § 442 HGB, der dieses Prinzip umdreht. 55) Uhlenbruck/Sinz, InsO, § 38 Rn. 26; MüKo-InsO/Ehricke/Behme, § 38 Rn. 20.

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

die zwischen Gläubiger und Schuldner ein Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist. Unter letztere fallen etwa (qualifizierte) Rangrücktritte oder Mezzaninekapitalgeber.56)

bb) StaRUG (1) Vorgaben der Restrukturierungsrichtline 27 Will man den Begriff des Rangs im Sinne des StaRUG erfassen, kann an Vorgaben der Restrukturierungsrichtline angeknüpft werden, da das StaRUG unionsrechtlich determiniertes Recht ist. Die Richtlinie definiert den Begriff des Rangs selbst nicht explizit.57) Implizit scheint die Richtlinie auf den ersten Blick davon auszugehen, dass gesicherte Gläubiger gegenüber ungesicherten Gläubigern höherrangig sind.58) In Art. 11 Abs. 1 lit. b) i) RRL ist benannt, es sei Voraussetzung für einen gruppenübergreifenden Cram-down, dass der Plan von einer Mehrheit der Abstimmungsgruppen betroffener Parteien angenommen wurde, sofern mindestens eine dieser Gruppen eine Gruppe gesicherter Gläubiger oder gegenüber der Gruppe gewöhnlicher ungesicherter Gläubiger vorrangig ist.59) Das kann man so verstehen, dass die beiden dort angesprochenen Gruppen gegenüber den ungesicherten Gläubigern vorrangig sind. Das „oder“ des zweiten Halbsatzes lässt sich aber auch so interpretieren, dass gesicherte und vorrangige Gläubiger als zwei verschiedene Kategorien verstanden werden. Die Richtlinie benutzt gerade nicht die Formulierung „[…] gesicherter Gläubiger ist oder anderweitig gegenüber der Gruppe gewöhnlicher ungesicherter Gläubiger vorrangig ist“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Das „anderweitig“ würde klar vorgeben, dass beide Gläubigergruppen gegenüber gewöhnlichen ungesicherten Gläubigern höherrangig sind. Auch an anderer Stelle unterscheidet der Richtlinientext – im englischen wie im deutschen Text – in der Terminologie: In Art. 6 Abs. 2 RRL heißt es „gesicherte Forderungen“ (secured claims) und „bevorzugte Forderungen“ (preferential claims).

28 In Erwägungsgrund Nr. 44 S. 2 und S. 3 RRL heißt es: „Klassenbildung bedeutet die Gruppierung der betroffenen Parteien mit dem Zweck, einen Plan in der Weise anzunehmen, dass ihre Rechte und der Rang ihrer Forderungen beziehungsweise Beteiligungen zum Tragen kommen. Zumindest gesicherte und ungesicherte Gläubiger sollten stets in unterschiedlichen Klassen behandelt werden“ (Hervorhebung durch ___________ 56) Zum Begriff und den unterschiedlichen Formen von Mezzaninekapital Golland/Gehlhaar/Grossmann/Eickhoff-Kley/Jänisch, BB-Special 4/2005, 1, 4. 57) Kritisch zur fehlenden Definition Eidenmüller, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2017) 18, 273, 290; ebenso Bork, ZIP 2017, 1441, 1447. 58) Ebenso korrespondierend und im Grunde wortgleich Erwägungsgrund Nr. 53 S. 4 RRL; Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 6 ff. geht ohne weiteres davon aus, dass die gesicherten Gläubiger im Rang höher stehen als die ungesicherten Gläubiger. 59) Vgl. auch den englischen Text: dort heißt es: „it has been approved by: (i) a majority of the voting classes of affected parties, provided that at least one of those classes is a secured creditors class or is senior to the ordinary unsecured creditors class; or, failing that“.

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B. Situation innerhalb der Krise

den Verfasser).60) Liest man beide Sätze am Stück, so scheint sich wiederum zu ergeben, dass die gesicherten Gläubiger einen Vorrang genießen. Denn es wird darauf verwiesen, dass die Klassenbildung die Rangfolge der Ansprüche berücksichtigen solle und zumindest gesicherte und ungesicherte Gläubiger unterschiedlichen Klassen zugeordnet werden müssen. Der nächste Satz, also Erwägungsgrund Nr. 44 S. 4 RRL, dreht sich um die Mög- 29 lichkeit der Bildung mehrerer verschiedener Gruppen, einschließlich verschiedener Gruppen ungesicherter und gesicherter Gläubiger und nachrangiger Gläubiger. Zumindest nachrangige Gläubiger und „normale ungesicherte“ Gläubiger werden nach Art. 9 Abs. 3 lit. b) RRL als unterschiedliche Ränge eingestuft, was dafür spricht, dass in Erwägungsgrund Nr. 44 S. 2 und 3 RRL die unterschiedlichen Gruppen auch Ränge darstellen sollen und der Erwägungsgrund nur klarstellen will, dass innerhalb dieser Ranggruppen noch weitere Gruppen gebildet werden können. Für die Gruppenbildung sind aber unterschiedliche Interessen ein ausreichendes Kriterium, sodass sich hieraus nicht zwingend ergibt, dass gesicherte Gläubiger vorrangig sein müssen. Ein Vorrecht oder einen Vorrang könnte es auch beispielsweise für den Fiskus geben, sodass die Unterscheidung zwischen gesicherten und vorrangigen/bevorrechtigten Gläubigern durchaus Sinn ergibt. Letztlich zeigt sich, dass sich aus dem Wortlaut der Richtlinie kein eindeutiges Argument ableiten lässt.

(2) Regelung im StaRUG Im Vorfeld vor der Umsetzung der Richtlinie durch das StaRUG war vorgeschlagen 30 worden, die Rangklassen der Insolvenzordnung zu übernehmen.61) Das StaRUG trifft dazu keine explizite Regelung. Stattdessen gibt das Gesetz in § 9 StaRUG nur die Gruppenbildung vor. Anhand der gesetzlichen Formulierung in § 9 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StaRUG wird jedoch deutlich, dass Ränge der Insolvenzordnung teilweise auch ins StaRUG-Verfahren übertragen werden sollen. Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gelten Inhaber von Forderungen, die im Insolvenzverfahren im Rang des § 38 InsO stünden, sowie darauf entfallende Zinsen und Säumniszuschläge als sog. einfache Restrukturierungsgläubiger. Das Gesetz macht durch die Legaldefinition des Begriffs „einfache Restrukturierungsgläubiger“ deutlich, dass zugleich eine Rangbildung vorgenommen wird. Des Weiteren gelten Forderungen, die im Insolvenzverfahren gem. § 39 Abs. 1 Nr. 4, 31 Nr. 5, Abs. 2 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen gelten würden, im Restrukturierungsverfahren gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG als sogenannte nachrangige Re___________ 60) Im Englischen: „‚Class formation‘ means the grouping of affected parties for the purposes of adopting a plan in such a way as to reflect their rights and the seniority of their claims and interests. As a minimum, secured and unsecured creditors should always be treated in separate classes“ (Hervorhebung hinzugefügt). 61) Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 70 ff.; ähnlich Morgen/Backes/Blankenburg, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rn. 42.

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

strukturierungsforderungen. Umgekehrt sind Zinsen, Säumniszuschläge und Teilnahmekosten am Verfahren nicht nachrangig und zu den einfachen Restrukturierungsforderungen zu zählen. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum StaRUG begnügt sich mit dem Hinweis, dass eine Übertragung der Rangverhältnisse aus der Insolvenzordnung nicht notwendig sei.62) Ferner seien Forderungen aus Geldstrafen und sonstigen Sanktionen i. S. v. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nach § 4 Nr. 3 StaRUG nicht durch einen Restrukturierungsplan gestaltbar, weshalb eine Regelung als nachrangige Forderung nicht erforderlich sei.63) Durch die Formulierung in § 9 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG „wobei für jede Rangklasse eine Gruppe zu bilden ist“, wird ersichtlich, dass die Rangklassen des § 39 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 5 und Abs. 2 auch im StaRUGVerfahren gelten sollen.

(3) Rang bei fälligen Forderungen 32 Vorgeschlagen wurde im Vorfeld der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie, wegen der Distanz zur Liquidation als Vergleichsszenario und der grundsätzlichen Erwägung, dass Forderungen bei Fälligkeit weiterhin zu bedienen sind, die Rangbildung nur zum Zweck der Gruppenbildung vorzunehmen.64) Dort sei dann die Wahrscheinlichkeit der vollen Befriedigung zu berücksichtigen, welche von der Fälligkeit der Ansprüche oder bereits eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen abhinge.65) Folgt man dem, dann müsste ein Rang für bereits erworbene Titel gebildet werden. Denn mit Ablauf der Stabilisierungsanordnung könnte ein Gläubiger mit einem erworbenen Titel sofort die Vollstreckung beantragen. Er hat typischerweise eine höhere Wahrscheinlichkeit, voll befriedigt zu werden, als ein Gläubiger, dessen Forderung noch nicht fällig ist. Probleme ergeben sich schon bei der Frage, ob auch ein Rang für solche Gläubiger gebildet werden müsste, die einen Titel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit innerhalb der Dauer der Stabilisierungsanordnung erlangen und dann damit vollstrecken könnten, sobald eine angeordnete Vollstreckungssperre nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ausgelaufen ist. Weiterhin müssten nach der Konzeption bereits fällige Forderungen einen höheren Rang erhalten als noch nicht fällige Forderungen. Ein Anknüpfen an die Fälligkeit ist mit weiteren Problemen behaftet. Eine Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen des Schuldners ist bei eingetretener Fälligkeit noch nicht gegeben, denn die Möglichkeit der Vollstreckung hängt maßgeblich von der Dauer des Erkenntnisverfahrens ab. Diese liegt aber nicht unbedingt in der Hand des Schuldners.66) Die Möglichkeit der Vollstre___________ 62) Begr. RegE StaRUG zu § 11, BT-Drucks. 19/24181, 119. 63) Begr. RegE StaRUG zu § 11, BT-Drucks. 19/24181, 119; Skauradszun/Fridgen/Fridgen, StaRUG, § 9 Rn. 68. 64) Balz, in: Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 71, 82 f. 65) Balz, in: Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 71, 83; umfassend zu diesen Gedanken J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 10 ff. 66) J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 111, allerdings bezogen auf den Gerechtigkeitsgehalt des Prioritätsprinzips.

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B. Situation innerhalb der Krise

ckung mittels eines Titels führt im Zwangsvollstreckungsrecht grundsätzlich nicht dazu, dass auch tatsächlich vollstreckt wird. Eine derartige Differenzierung anhand der Wahrscheinlichkeit der vollen Befriedigung würde nicht ins deutsche Recht passen und ist daher abzulehnen. Es bleibt dann bei der Problematik, dass Gläubiger, die bereits einen Titel und des- 33 halb eigentlich gute Aussichten haben, mit ihrer Forderung voll befriedigt zu werden, bis zum Ende der Stabilisierungsanordnung warten müssen. Hier besteht für diese Gläubiger die Gefahr, dass das Restrukturierungsverfahren scheitert, anschließend ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird und sie deshalb Forderungsausfälle erleiden. „Ungerechte“ Ergebnisse werden dadurch, dass nicht an eine Fälligkeit angeknüpft wird, nicht produziert. Zudem wird die Problematik durch die Rückschlagsperre des § 88 InsO abgemildert, wonach eine Sicherung, die im letzten Monat vor der Insolvenzantragsstellung durch Zwangsvollstreckung erlangt wurde, unwirksam ist. Insgesamt kann der Vorschlag nicht überzeugen und hat daher zu Recht keine Um- 34 setzung im StaRUG erfahren.

b) Schuldner und am Schuldner beteiligte Personen Das nach der Befriedigung der Gläubiger übrigbleibende Vermögen steht materiell- 35 rechtlich dem Schuldner zu. Die Anteilseigner sind sowohl im Insolvenzverfahren als auch im StaRUG-Verfahren als letztrangige Beteiligte zu behandeln. Im Insolvenzverfahren wird dies bereits an § 199 S. 2 InsO deutlich, wonach übriges Vermögen an die Anteilseigner auszukehren ist. Anders als die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 36 § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, § 131 Abs. 1 Nr. 3 HGB stellt die Anzeige der Restrukturierungssache keinen Auflösungsgrund für die Gesellschaft dar. Eine mit § 199 S. 2 InsO vergleichbare Regelung, wonach das im Rahmen der Schlussverteilung übrigbleibende Vermögen direkt an die Anteilseigner ausgezahlt werden soll, um eine sich an die Insolvenz anschließende gesellschaftsrechtliche Liquidation zu vermeiden,67) ist deshalb nicht erforderlich. Trotzdem profitieren auch die Anteilseigner von dem Vermögen, welches dem Schuldner verbleibt. Würde der Schuldner aufgelöst und dessen Vermögen liquidiert, wären die Anteilseigner diejenigen, die letztrangig an dem übrigbleibenden Vermögen partizipieren würden. Auch im Restrukturierungsverfahren sind die Anteilseigner daher grundsätzlich die letztrangig Berechtigten.

3.

Dingliche Sicherungsrechte

Einzugehen ist ferner auf die Möglichkeit eines Verfahrensbeteiligten, sich mittels 37 eines dinglichen Sicherungsrechts spezifisch gegen einen Forderungsausfall abzu___________ 67) MüKo-InsO/Kebekus/Schwarzer, § 199 Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 199 Rn. 1.

Rn.

2;

Braun/Pehl,

InsO,

§ 199

Rn.

5;

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

sichern. Dingliche Sicherungsrechte geben dem Inhaber in der Insolvenz ein Ausbzw. ein Absonderungsrecht nach Maßgabe der §§ 47 – 51 InsO. Terminologisch ist der in der Restrukturierungsrichtlinie verwendete Begriff „gesicherter Gläubiger“ daher für das deutsche Recht streng genommen ungenau. Der Inhaber eines Aussonderungsrechts ist kein Beteiligter des Insolvenzverfahrens. Er kann den Gegenstand aus der Masse herausverlangen. Ein Absonderungsberechtigter kann sich aus dem Erlös eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands bzw. einer Forderung – nach Abzug der Feststellungs- und Verwertungskosten zugunsten der Masse – vorrangig befriedigen, § 170 Abs. 1 S. 2 InsO.68) Das StaRUG spricht, weil noch kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, terminologisch von „Absonderungsanwartschaften“, § 9 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Es ist in der Literatur umstritten, inwieweit ein Absonderungsrecht einen Rang begründet.

a) Streit über den Rang im Planverfahren 38 Ein Absonderungsrecht stellt nach überwiegender Ansicht keinen Rang im Sinne der Insolvenzordnung dar.69) Dies gelte auch im Insolvenzplan. Begründet wird dies damit, dass diese Frage nur von §§ 38, 39 InsO geregelt werde. Die Ansicht verweist auf den Wortlaut der §§ 38, 39 InsO, aus welchem hervorgehe, was unter den „Rängen“ des Insolvenzverfahrens zu verstehen sei. Zudem könne ein Absonderungsrecht auch zugunsten einer nachrangigen Forderung bestehen. Durch eine Sicherung verändere sich der Charakter einer Forderung nicht. Diese bleibe nachrangig. Ein Inhaber eines Absonderungsrechts sei ein rechtliches Aliud im Verhältnis zum Forderungsinhaber, woraus folge, dass zwischen Absonderungsrechten und (nachrangigen) Insolvenzforderungen kein Rangverhältnis bestehen könne.70)

39 Insgesamt sprechen zwar gute Gründe dafür, den absonderungsberechtigten Gläubigern einen höheren Rang zuzuweisen, denn de lege lata werden diese vorrangig befriedigt, §§ 170, 171 InsO. Dennoch vermögen die Argumente letztlich nicht zu überzeugen. Von Befürwortern der Vorrangstellung der Absonderungsberechtigten wird zum einen die Gesetzgebungsgeschichte angeführt.71) Dort heißt es in § 279 ___________ 68) Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 49 Rn. 1; MüKo-InsO/Ganter, Vorb. §§ 49 – 52 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 49 Rn. 1; BeckOK-InsO/Haneke, § 49 Rn. 1; Braun/Bäuerle, InsO, Vor §§ 49–52 Rn. 1; Andres/Leithaus/Leithaus, InsO, § 50 Rn. 1; Brünkmanns/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 25. 69) AG Köln, NZI 2018, 108, 109; LG Traunstein, NZI 1999, 461, 464; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 39; Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 10; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 23; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 24; Gottwald/Koch/de Bra, Hdb-InsR, § 68 Rn. 74 f.; Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 245 Rn. 18 f.; HambKomm/Thies, InsO, § 245 Rn. 13; Kübler/Prütting/Bork/Pleister, InsO, § 245 Rn. 23; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 27 Rn. 354. 70) LG Traunstein, NZI 1999, 461, 464; Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 10. 71) HK-InsO/Haas, § 245 Rn. 21; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan Rn. 18.81 ff.; Smid, FS Gerhardt, 2004, 931, 956 ff.; Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 194 ff.; zugeneigt auch Madaus, Der Insolvenzplan, 289 Fn. 314, der sich aber nicht explizit entscheidet.

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B. Situation innerhalb der Krise

Abs. 2 Ziff. 2 des Diskussionsentwurfs zur Insolvenzordnung: „[A]ls nachrangig sind im Verhältnis zu den Gruppen der absonderungsberechtigten Gläubiger alle Gruppen der Insolvenzgläubiger anzusehen, nicht jedoch die Massegläubiger.“72) Diese Begründung werde später in der Gesetzesbegründung in abgewandeltem Wortlaut, aber der Sache nach wiederholt.73) Weiterhin wird für die Stellung als Rang der § 222 Abs. 1 InsO angeführt. Dort werden in den Nummern 1 – 4 verschiedene Gruppen geregelt, die ein Insolvenzplan mindestens beinhalten muss. Die Abstufung dort folgt der Kette Absonderungsberechtigte, nicht nachrangige Gläubiger, nachrangige Gläubiger und am Schuldner beteiligte Personen. Daraus kann man schließen, dass die absonderungsberechtigten Gläubiger ebenfalls in einem Rangverhältnis zu den anderen genannten Gruppen stehen sollen. Auch § 52 S. 2 InsO wird als Beleg für die Stellung eines Absonderungsrechts als Rangverhältnis angeführt. Dort wird festgehalten, dass Absonderungsberechtigte nur dann einen Anspruch auf die Quote haben, wenn sie auf die absonderte Befriedigung verzichten oder bei ihr ausgefallen sind. Wenn die Befürworter des Rangverhältnisses der Absonderungsberechtigten §§ 52 40 S. 2, 222 InsO anführen,74) so trägt dies nicht. Der Verweis auf § 52 S. 2 InsO überzeugt nicht, denn Satz 1 der Vorschrift besagt klar, dass die absonderungsberechtigen Gläubiger Insolvenzgläubiger sind. Satz 2 soll den Fall verhindern, dass ein Absonderungsberechtigter, der aus der Verwertung der Sache noch nicht voll befriedigt ist, noch mit dem vollen Betrag seiner Forderung am Insolvenzverfahren teilnehmen kann. Er soll nur mit dem ausgefallenen Betrag teilnehmen können.75) Auch besagt die Einteilung in Gruppen nach § 222 InsO nicht unbedingt, dass ein Rangverhältnis bestehen muss, denn für die Gruppenbildung reichen auch wirtschaftlich ausreichend divergierende Interessen. Auch teleologisch gesehen liegt es näher, in einem Absonderungsrecht kein Rangverhältnis zu sehen. Das Absonderungsrecht gewährt keinen echten Vorrang bezogen auf das gesamte Vermögen des Schuldners, sondern ist gegenstandsbezogen.76) Zieht man den Grundpfandgläubiger beispielhaft heran, so hat sich dieser mit dem Schuldner darauf geeinigt, dass er im Falle des Ausfalls des Schuldners aus diesem Gegenstand Befriedigung erlangen können soll. Es ist nicht ___________ 72) Vgl. Bundesministerium der Justiz, Gesetz zur Reform des Insolvenzrecht: Diskussionsentwurf (1988), B253. 73) Vgl. Bundesministerium der Justiz, Gesetz zur Reform des Insolvenzrecht: Referentenentwurf (1989), B290; BT-Drucks. 12/2443, 209; Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 195. 74) Smid, FS Gerhardt, 2004, 931, 958; ders., WM 2002, 1033, 1035; Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 196. 75) Kübler/Prütting/Bork/Prütting, InsO, § 52 Rn. 3; MüKo-InsO/Ganter, § 52 Rn. 2; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 52 Rn. 6; Braun/Bäuerle, InsO, § 52 Rn. 6; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 52 Rn. 11; Andres/Leithaus/Leithaus, InsO, § 52 Rn. 2. 76) Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, § 49 Rn. 1, 4; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 49 Rn. 1; MüKo-InsO/Ganter, Vor §§ 49 – 52 Rn. 1; BeckOK-InsO/Haneke, § 49 Rn. 1; Braun/Bäuerle, InsO, Vor §§ 49 – 52 Rn. 1; Andres/Leithaus/Leithaus, InsO, § 50 Rn. 1; Brünkmanns/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 25; Häsemeyer, InsR, Rn. 18.03.

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1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

ersichtlich, warum der Absonderungsberechtigte dann über seine verhandelte Rechtsposition hinaus einen generellen Vorrang genießen soll. Insgesamt ist es daher überzeugender, in einem Absonderungsrecht kein Rangverhältnis zu sehen. Eine Entscheidung solcher Tragweite sollte schon aus Gewaltenteilungsgründen dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Diesem steht es frei, absonderungsberechtigten Gläubigern einen generell höheren Rang auch im Sinne von §§ 38, 39 InsO als einfachen und nachrangigen Insolvenzgläubigern zuzuweisen.

b) Keine Änderung durch das SanInsFoG 41 Aus insolvenzrechtlicher Sicht betrachtet ist es – wie schon gesehen – überzeugender, den absonderungsberechtigten Gläubigern keinen eigenen Rang zuzuschreiben. Diese Sichtweise muss mit Blick auf die Restrukturierungsrichtlinie und das SanInsFoG nicht geändert werden.77) Das Gesetz übernimmt in ähnlicher Form die schon aus § 222 Abs. 1 Nr. 1 – 4 InsO bekannte Einteilung der Gruppen. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 – 4 StaRUG sind die Absonderungsberechtigten, die einfachen Restrukturierungsgläubiger, die nachrangigen Restrukturierungsgläubiger sowie die Inhaber von Anteils- und Mitgliedschaftsrechten jeweils eine eigene Gruppe. Das Problem der Rangfrage bleibt also in gleichem Maße wie bei der Insolvenzordnung bestehen. Da aber das schuldnerische Unternehmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO sowohl den Restrukturierungsrahmen als auch ein Insolvenzverfahren einleiten kann, muss die Rangfrage für absonderungsberechtigte Gläubiger bzw. Inhaber von Absonderungsanwartschaften in beiden Fällen gleich entscheiden werden.

42 Es sollten folglich, um Wertungswidersprüche zu vermeiden, die Absonderungsberechtigen bzw. die Inhaber von Absonderungsanwartschaften gegenüber den einfachen Restrukturierungs-/Insolvenzgläubigern in beiden Verfahren nicht als generell höherrangig angesehen werden.

4.

Zusammenfassung

43 Im Insolvenzverfahren gibt es damit acht Rangklassen: Die einfachen Insolvenzgläubiger des § 38 InsO, die nachrangigen Insolvenzgläubiger gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 sowie Abs. 2 InsO und die am Schuldner beteiligten Personen. Im StaRUG-Verfahren gibt hingegen grundlegend fünf Rangklassen: Die einfachen Restrukturierungsgläubiger, die nachrangigen Gläubiger im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 InsO und § 39 Abs. 2 InsO sowie den Schuldner bzw. am Schuldner beteiligte Personen.

IV. Nachträgliche Neuverhandlung mittels Planverfahrens 44 Von den soeben beschriebenen Verteilungsmodi erlauben sowohl das Insolvenzals auch das StaRUG-Verfahren Abweichungen über das Planverfahren. ___________ 77) Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 27 Rn. 19 f.

20

B. Situation innerhalb der Krise

1.

Ziel des Planverfahrens

Das grundsätzliche Ziel des Plans ist dabei, den Beteiligten des Verfahrens mehr Ge- 45 staltungsfreiheit bei der Bewältigung der Krise zu geben.78) Die Beteiligten können dabei abweichend von der Regelverteilung des Insolvenz- bzw. des StaRUG-Verfahrens einvernehmlich und privatautonom die vorhandenen wirtschaftlichen Werte verteilen.79) So kann das Unternehmen im Verfahren sowohl die Sanierung als auch die Liquidation abweichend von den gesetzlichen Vorschriften vorsehen.80) Das Planverfahren kann sowohl für Gläubiger als auch für Anteilseigner ein gegenüber dem Regelverfahren vorzugswürdiges Instrument darstellen. Trotz der weitreichenden Gestaltungsmöglichkeiten bleibt nach deutschem Verständnis das oberste Ziel die Haftungsverwirklichung des Schuldners und die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger.81) Geboten ist ein Sanierungsverfahren mit dem Ziel der Unternehmensfortführung immer dann, wenn der Reorganisationsmehrwert des Unternehmens größer ist als sein Liquidationswert.82)

2.

Majorisierung im Planverfahren

a) Gestaltung von Rechtsverhältnissen Um den privatautonomen Regelungswünschen der Verfahrensbeteiligten Rechnung 46 zu tragen, erlauben die Planverfahren der InsO und des StaRUG eine nachträgliche Neugestaltung der bereits geschlossenen Verträge. Das ist unter dem Grundsatz der Privatautonomie nichts außergewöhnliches, denn zwei Vertragspartner können grundsätzlich immer einen bereits geschlossenen Vertrag durch eine neue vertragliche Regelung abändern. Da es im Kontext eines kriselnden Unternehmens naturgemäß schwierig und zeitaufwändig ist, bilateral bei potenziell hunderten oder tausenden Verträgen jeden einzelnen neu zu verhandeln, bietet das Planverfahren einen Rahmen, in welchem generalisierend neue Regelungen für eine Vielzahl von Verträgen getroffen werden können. Die Reichweite der möglichen Änderungen ist in §§ 223 – 225a InsO bzw. §§ 2 – 4 47 StaRUG geregelt. Umfasst sind beispielsweise Stundungen, die Kürzung von Forde-

___________ 78) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 91; MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 1. 79) Jaeger/Münch, InsO, Vor. §§ 217 – 269 Rn. 54 – 60; MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 1; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 1. 80) MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 11; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 1. 81) BT-Drucks. 12/2443, 195; MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 6, 10; Andres/Leithaus/Andres, InsO, Vorb. §§ 217 – 269 Rn. 1; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 18; K. Schmidt/Spliedt, InsO, Einf. §§ 217 ff. Rn. 1. 82) Statt vieler MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 7; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 18.

21

1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

rungen, Erlasse, Rangrücktritte, Besserungsscheine oder ähnliches.83) Daneben sind auch sachenrechtliche Änderungen möglich (§ 228 InsO, § 13 StaRUG).

48 Auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen können im Plan vorgenommen werden. Darunter fallen vor allem Eingriffe in das Eigenkapital, etwa im Wege der Kapitalherabsetzung oder -erhöhung. Auch Debt-Equity Swaps oder ein Ausschluss von Gesellschaftern sind denkbar.84) Ein Debt-Equity Swap beschreibt den Tausch einer Gläubigerforderung in Anteilsrechte an einem Unternehmen. Dies erfolgt typischerweise durch einen Kapitalschnitt85): Im Wege der nominellen (vereinfachten) Kapitalherabsetzung werden hierfür bilanzielle Rücklagen aufgelöst und dann das Stammkapital auf einen niedrigeren Wert herabgesetzt. So wird der nominelle Wert der Anteilsrechte an den wirtschaftlichen Wert angepasst. Zu einer Ausschüttung an die Gesellschafter kommt es nicht. Anschließend wird eine effektive Kapitalerhöhung durchgeführt, bei welcher die Gläubiger ihre Forderungen als Sacheinlage in das Unternehmen einbringen. Die Forderungen der Gläubiger erlöschen dann im Wege der Konfusion. Dies wird auch durch § 7 Abs. 4 StaRUG bzw. § 225a Abs. 2 InsO noch einmal klargestellt. Es muss sich gem. § 2 Abs. 3 StaRUG bzw. § 225a Abs. 3 InsO aber um gesellschaftsrechtlich zulässige Maßnahmen handeln.86)

49 Schließlich sind auch operative Maßnahmen wie der Verkauf des Unternehmens möglich.

b) Bindung gegen den Willen der Betroffenen 50 Der zentrale Vorteil des Planverfahrens ist, dass die soeben angesprochenen vertraglichen oder gesellschaftsrechtlichen Änderungen auch gegen den Willen von Beteiligten wirksam werden können. Dies geschieht über eine Mehrheitsentscheidung der Betroffenen. Die Mehrheit muss im StaRUG-Verfahren gem. § 25 Abs. 1 StaRUG grundsätzlich 75 % der Summe der Stimmrechte betragen. Im Insolvenzverfahren genügt hingegen gem. § 244 Abs. 1 InsO eine einfache Summen- und zusätzlich eine einfache Kopfmehrheit. Da sich die Minderheit der jeweiligen Mehrheit beugen muss, wird diese Vorgang auch Majorisierung genannt. Die Planunterworfenen werden dazu durch den Planersteller – das ist im StaRUG-Verfahren der Schuldner, im Insolvenzverfahren (potenziell) der Schuldner oder der Insolvenzverwalter – in Gruppen eingeteilt. Die Gruppen setzen sich aus Gläubigern zusammen, ___________ 83) Vgl. Freitag, ZIP 2019, 541, 544; Flöther/Madaus, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 187; zum Begriff des Besserungsscheins Kübler/Balthasar, Hdb. der Restrukturierung in der Insolvenz, § 26 Rn. 166. 84) Freitag, ZIP 2019, 541, 544. 85) Vgl. zur Darstellung Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 79 f.; vgl. auch K. Schmidt, GesR, § 29 III, 897 ff. 86) Erwägungsgrund Nr. 2 S. 2 RRL stellt klar, dass sich die zulässigen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen jeweils nach dem Gesellschaftsrecht richten, vgl. auch Freitag, ZIP 2019, 541, 544; Hofmann, NZI Beilage 1/2019, 22, 24 f.; eingehend Mulert/Steiner, NZG 2021, 673.

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B. Situation innerhalb der Krise

die jeweils ähnliche wirtschaftliche Interessen haben. Ebenso bilden die Anteilseigner eine eigene Gruppe. Das Gesetz gibt dabei eine gewisse Mindestzahl von zu bildenden Gruppen vor, wobei fakultativ weitere Gruppen gebildet werden können, § 9 Abs. 1, Abs. 2 StaRUG, § 222 Abs. 1, Abs. 2 InsO. Im StaRUG-Verfahren sind beispielsweise mindestens vier Gruppen zu bilden aus: (1) Inhabern von Absonderungsanwartschaften, (2) Restrukturierungsgläubigern, (3) nachrangigen Restrukturierungsgläubigern87) und (4) den Anteilseignern. Die Insolvenzordnung kennt dieselbe Anzahl an Pflichtgruppen, wobei die Absonderungsanwartschaften sich im Insolvenzverfahren in Absonderungsrechte wandeln und die Gläubiger als (ggfs. nachrangige) Insolvenzgläubiger betitelt werden. Die Gruppenbildung ist mit dem Begriff des Rangs eng verbunden, weil Gläubiger 51 gleichen Rangs grundsätzlich wirtschaftlich ähnliche Interessen haben und deshalb in gleichen Gruppen abstimmen sollen. Beide Begriffe sind aber keineswegs deckungsgleich. Für jede Rangklasse muss zumindest eine eigene Gruppe geschaffen werden. Umgekehrt können aber mehrere Gruppen gleichrangiger Gläubiger gebildet werden, vgl. § 9 Abs. 2 StaRUG sowie § 222 Abs. 2 InsO. Die Majorisierung vollzieht sich dabei auf zwei Ebenen. Zum einen findet eine Ab- 52 stimmung innerhalb der zu bildenden Gruppen statt. Die Gruppenminderheit muss sich der Gruppenmehrheit beugen. Zum anderen kann unter bestimmten – noch ausführlich erörterten – Voraussetzungen eine ganze Gruppe gezwungen werden, sich der Mehrheit der anderen Gruppen zu beugen.88)

3.

Absolute Vorrangregel

In dem Fall, in dem eine gesamte Gruppe dem Plan nicht mit der erforderlichen Mehr- 53 heit zustimmt, kann die Zustimmung dieser Gruppe fingiert werden.89) Zentrale Voraussetzung dafür ist die Einhaltung der sogenannten absoluten Vorrangregel (absolute priority rule). Die absolute Vorrangregel ist in § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO bzw. § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG geregelt. Sie verlangt zu Gunsten der Mitglieder der ablehnenden Gruppe, dass der Plan weder einem im Rang niedriger stehenden Gläubiger noch dem Schuldner oder einer am Schuldner beteiligten Personen ein nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgeglichenen Wert zuweist. Mit anderen Worten muss die ablehnende Gruppe vollständig befriedigt werden, bevor die tieferen Ränge berücksichtigt werden. Versinnbildlichend wird dazu die Beschreibung eines Brunnens herangezogen, bei welchem das Wasser erst dann in die jeweils

___________ 87) Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG ist dabei für jede Rangklasse der nachrangigen Gläubiger eine eigene Gruppe zu bilden, so dass die Mindestgruppenzahl auch über vier liegen kann. 88) Knof, SanB 2021, 68, 69; zu legitimatorischen Erwägungen vgl. Rn. 427 ff. 89) Ausführlich dazu Rn. 243 ff.

23

1. Kapitel: Werteverteilung im Recht der Unternehmensreorganisation

tiefer gelegene Schale fließt, wenn die höher gelegene vollständig gefüllt ist und so alle Schalen gleichsam kaskadenartig nacheinander benetzt werden.90)

54 In der Literatur wird die absolute Vorrangregel teilweise als das Korrelat zur beschränkten Haftung angesehen.91)

4.

Relative Vorrangregel

55 Anders verhält es sich bei der von der Restrukturierungsrichtlinie postulierten sog. relativen Vorrangregel (relative priority rule). Sie ist in Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL geregelt. Im nationalen Umsetzungsakt wäre sie als Teil des gruppenübergreifenden Cram-downs eine nähere Definition des Merkmals der „angemessenen Beteiligung“ nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gewesen und hätte im StaRUG den Platz von §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 2 StaRUG eingenommen. Ebenso ist die relative Vorrangregel im Insolvenzplan denkbar, wo sie § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO ersetzen würde.

56 Der Begriff der relativen Vorrangregel taucht im finalen Richtlinientext nicht explizit auf. Er findet sich aber in der Richtliniengeschichte und der Literatur und wurde als Gegenbegriff und Alternative für die bekannte absolute Vorrangregel ins Spiel gebracht.92) Im Folgenden soll der Begriff der relativen Vorrangregel für Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL beibehalten werden. Die Formulierung der relativen Vorrangregel im Text lautet wie folgt: „Er [der klassenübergreifende Cram-down] gewährleistet, dass ablehnende Abstimmungsklassen betroffener Gläubiger mindestens ebenso wie andere gleichrangige Klassen und besser als alle nachrangigen Klassen gestellt werden“.93)

57 Die relative Vorrangregel verlangt im Gegensatz zur absoluten Vorrangregel also nicht, dass eine Rangklasse vollständig befriedigt wird, bevor eine im Rang unter ihr stehende Rangklasse einen Wert erhält, sondern sie fordert lediglich eine Besserstellung („more favourably“).

58 Gehalt und Genese beider Vorrangregeln – vollständige Befriedigung auf der einen Seite, Besserstellung auf der anderen Seite – bilden den zentralen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

___________ 90) Vgl. das Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer, 1882, Der römische Brunnen. 91) Vgl. auch Wiedemann, GesR, Bd. I, 1980, 514 ff.; Jungmann, ZGR 2006, 638, 645 ff.; Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 125 f.; zustimmend im Grundsatz auch Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 64. 92) ST 12536/18 INIT v. 1.10.2018, 6; vgl. auch Inacio, 74 Eurofenix, The Journal of INSOL Europe 2018/2019, 12, 13; Tirado/Mokal, 74 Eurofenix, The Journal of INSOL Europe 2018/2019, 20 f. 93) Im englischen Text: „[I]t ensures that dissenting voting classes of affected creditors are treated at least as favourably as any other class of the same rank and more favourably than any junior class“.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung Will man herausarbeiten, in welcher Beziehung die absolute Vorrangregel zur insti- 59 tutionellen Haftungsbeschränkung steht, so muss man zunächst die Wirkung der beschränkten Haftung und deren Aufbau im System des deutschen Gesellschaftsrechts erfassen. Die Zahl der Beiträge zur beschränkten Haftung und der Möglichkeit, das Risiko einer Unternehmung auf die Gläubiger abzuwälzen, ist Legion. Das Prinzip wird heute nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt und soll es auch hier nicht. Die institutionelle Haftungsbeschränkung bildet den Ausgangspunkt der Arbeit, wobei es in der folgenden Darstellung nicht auf die Lösung vereinzelter Probleme ankommt. Vielmehr soll der Fokus auf dem grundsätzlichen Aufbau und den der institutionellen Haftungsbeschränkung inhärenten Problemen liegen.

A. Die institutionelle Haftungsbeschränkung als Kind des Gesetzgebers Die vollständige Trennung der Haftungssphären der Gesellschaft von der der An- 60 teilseigner bezeichnet man als Trennungsprinzip94). Es ist nach herkömmlicher Auffassung das prägende und beherrschende Prinzip des Kapitalgesellschaftsrechts.95) Wird die Vermögenstrennung durch eine Gesellschaftsform gesetzlich angeordnet, so bezeichnet man dies auch als institutionelle Haftungsbeschränkung.96) Das Vermögen der Gesellschaft haftet dabei unbeschränkt seinen Gläubigern gegenüber, während eine Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft nicht beschränkt, sondern schlicht nicht vorgesehen ist.97) Der Ursprung der institutionellen beschränkten Haftung ist eng mit dem Entdecken 61 des Prinzips der juristischen Person selbst verbunden.98) Historisch gesehen wurde das Prinzip der beschränkten Haftung für die Aktiengesellschaften in der Mitte des 19. Jahrhunderts geschaffen, um private Akteure als Kapitalgeber für große und risikoreiche Projekte zu gewinnen.99) Der Gesetzgeber baute dabei auf den Gedanken eines gebundenen Garantiekapitals, welches von den Gesellschaftern als „Preis“ für den Eintritt in das Privileg aufzubringen war.100)

___________ 94) BGH, ZIP 2016, 2238; Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rn. 2; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 13 Rn. 5; Grigoleit/Grigoleit, AktG, § 1 Rn. 18 ff. 95) Meyer, Haftungsbeschränkung, 199. 96) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 12. 97) Bezzenberger, Das Kapital der Aktiengesellschaft, 11. 98) Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 36. 99) Großfeld, Aktiengesellschaft, 109 f.; Roth, ZGR 1986, 371, 372 f. 100) Statt vieler BHGZ 142, 315, 322; Lutter, FS Riesenfeld, 1983, 165, 167.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

62 1892 schuf der Gesetzgeber, dem Vorschlag und der Konzeption Wilhelm Oechelhäusers folgend101), mit dem GmbHG102) eine flexiblere Gesellschaftsform für den Mittelstand.103) Das Privileg der beschränkten Haftung ist demnach historisch betrachtet ein Kind des Gesetzgebers, dessen Existenz vornehmlich wirtschaftlichen und sozialpolitischen Bedürfnissen geschuldet ist.104)

63 Seitdem ist die institutionelle Haftungsbeschränkung fester Bestandteil des deutschen Rechts und galt lange Zeit als „Kulturleistung ersten Ranges“.105) Inzwischen wird vor allem die GmbH ob ihrer geringen Gründungsvoraussetzungen und Vielseitigkeit in nahezu jedem erdenklichen Bereich eingesetzt.106) Von kleinen bis zu großen Gesellschaften im klassischen Handelsgewerbe über gemeinnützige Gesellschaften ist vor allem die GmbH und mit ihr auch die institutionelle Haftungsbeschränkung zu einem wahren „Allzweckmöbel“107) avanciert.

B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung 64 Die mit dem Begriff „Allzweckmöbel“ angerissene Vielseitigkeit der institutionellen Haftungsbeschränkung lässt sich aus dem juristischen und wirtschaftlichen Alltag nicht mehr hinwegdenken.108) Wenn die beschränkte Haftung als „humanitäres Grundbedürfnis“109) bezeichnet wird, spiegelt dies den nicht zu überschätzenden hohen Stellenwert des Privilegs wider. Zum Teil wird auf europäischer Ebene inzwischen sogar ein Anspruch auf beschränkte Haftung propagiert.110) Im Gegensatz dazu gilt die These der absoluten nationalökonomischen Notwendigkeit der unbe-

___________ 101) Oechelhäuser, Verhandlungen des Reichstages, V. Legislaturperiode, IV. Session 1884, 220 f.; auch veröffentlicht in einer Denkschrift des an die preußischen Handelskammern und kaufmännischen Korporationen, vgl. abgedruckt bei Schubert, Quaderni Fiorentini, 1982/83, 589, 595 ff.; zu den damaligen Problemen Hommelhoff, ZGR Sonderheft 4, 1985, 53, 55 ff. 102) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 (RGBl. 477). 103) Wiedemann, GesR, Bd. I, 28; Lutter, FS GmbHG, 1992, 49, 51. 104) Hommelhoff/Stimpel/Ulmer/Lutter, Der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, 183, 202; Raiser, FS Hoffmann-Becking, 2013, 909, 911; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 13 Rn. 11. 105) Wiedemann, GesR, Bd. I, 558; zur Verbreitung der GmbH in ihren frühen Jahren siehe Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, 1048 ff. 106) Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff, GmbHG, Einl. Rn. 6; Harbarth, ZGR 2016, 84. 107) Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff, GmbHG, Einl. Rn. 6; Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, 1048, 1049 f.; Höfer, „Flex-GmbH“, 13. 108) BGHZ 45, 204, 207. 109) So Hommelhoff, ZIP 1990, 761, 768. 110) Schön, FS Hommelhoff, 2012, 1037, 1040; die beschränkte Haftung als Grundbestand des europäischen Kapitalgesellschaftsrechts qualifizierend Stöber, ZVglRWiss 113 (2014), 57 ff., 82.

26

B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung

schränkten Haftung mit dem Postulat der Korrespondenz von Herrschaft und Haftung111) als überholt und wird inzwischen einhellig abgelehnt.112)

I.

Legitimationsbedürftiges Privileg

1.

Rechtstatsachen

Wirft man einen Blick auf die Rechtstatsachen, so erscheint die institutionelle Haf- 65 tungsbeschränkung eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Bereits ein schneller Blick auf die Statistiken bestätigt diese Aussage: Mit etwa 1,37 Mio. GmbHs und 13.883 AGs im Jahr 2021 sind die klassischen Kapitalgesellschaften im Vergleich zu den Personengesellschaften mit 22.854 OHGs und 284.405 KGs deutlich in der Überzahl.113) Wenn insofern konstatiert wird, im Rechtsleben sei die unbeschränkte Haftung auch längst von der theoretischen Regel zur praktischen Ausnahme geworden,114) dann wirft dies die Frage auf, ob die institutionelle Haftungsbeschränkung wirklich ein rechtfertigungsbedürftiges Privileg115) darstellt oder lediglich ein Spezifikum der Kapitalgesellschaft116) ausmacht, welches nicht per se eine normative Kompensation erfordert.117)

___________ 111) Vgl. dazu Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 254 ff., 280 ff.; Böhm, Ordnung der Wirtschaft, 37 f., 127 f.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 118 ff.; Großfeld, Aktiengesellschaft, 105 ff.; Müller-Erzbach, AcP 154 (1955) 299, 343. 112) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 23 ff.; Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 259 ff.; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 49 ff.; Meyer, Haftungsbeschränkung, 988 ff., 1031 ff.; Hommelhoff/Stimpel/Ulmer/Lutter, Der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, 183, 195; Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rn. 60 ff. 113) Vgl. Kornblum, GmbHR 2021, 681, 682. 114) K. Schmidt, GesR, § 18 IV. 115) BGHZ 134, 333, 335 f.; BGHZ 142, 315, 319 f; K. Schmidt, JZ 1985, 301, 302 f.; ders., GesR, § 19 IV; ders., FS Goette, 2011, 459; Wiedemann, Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, 6; ders., GesR, Bd. I, § 4.I.3.b); Bezzenberger, Das Kapital der Aktiengesellschaft, 84 ff.; Goette, ZHR 162 (1998), 223, 224; Raiser, ZGR 1995, 156, 165. 116) Bauer, Gläubigerschutz durch formelle Nennkapitalziffer, 138. 117) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 76.

27

2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

2.

Juristische Person

66 Die beschränkte Haftung ist anerkanntermaßen nicht an die Existenz der juristischen Person an sich gebunden.118) Schon die Existenz der KGaA nach § 278 Abs. 1 AktG zeigt, dass die beschränkte sowie die unbeschränkte Haftung für Mitglieder der Gesellschaft mit der Eigenschaft der juristischen Person zu vereinbaren ist.119) Der Grundsatz der Haftungsexklusivität ist vielmehr nur ein typisches Charakteristikum der Figur der juristischen Person.120) Durch rechtliche Gleichstellung der juristischen mit der natürlichen Person muss nicht die Haftung der Gesellschaft gesondert begründet werden, sondern vielmehr der Durchgriff auf die dahinterstehenden natürlichen Personen.121) Die Legitimationsbedürftigkeit ergibt sich folglich nicht aus der juristischen Person an sich.

3.

Unbeschränkte Haftung als gesetzlicher Normalfall

67 Wird ein Einzelunternehmer oder eine Gruppe von Personen unternehmerisch tätig, so ergibt sich deren Haftung bereits aus dem Korrelat von Haftung und Schuld. Ist dagegen eine Gesellschaft dazwischengeschaltet, so haftet zwar primär das Vermögen der Gesellschaft, schließt die persönliche Haftung indes nicht aus.122) Es handelt sich vielmehr um eine Haftung für fremde Schuld, vgl. § 128 S. 1 HGB.123) Das Gesetz erachtet die persönliche Haftung als den Regelfall. Weicht das Gesetz davon ab, so wird dies explizit statuiert, siehe § 13 Abs. 2 GmbHG und § 1 Abs. 1 S. 1 AktG sowie § 2 GenG.124) In der Regelungssystematik des Gesetzes ist die institutionelle Haftungsbeschränkung folglich ein Privileg. Diese Festsetzung beruht, wie auch die Historie gezeigt hat, auf einer rechtspolitischen Entscheidung des Gesetzgebers. Karsten Schmidt konstatierte in diesen Zusammenhang, dass die allgemeine Frage nach der Legitimation von Haftungsbeschränkungen dahingehend beantwortet werde, ___________ 118) Vgl. Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 6 – 19; Raiser, FS Lutter, 2000, 637 ff.; ders., FS Priester, 2007, 619; ders., AcP 199 (1999), 104, 135; Blaurock, FS Raiser, 2005, 3, 6; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 184 ff.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 403 f.; Müller-Freienfels, AcP 156 (1957), 522, 528; K. Schmidt, GesR, § 8 IV 2 f); Wiedemann, Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, 16; ders., WM 1975 Sonderbeilage Nr. 4, 11; ders., FS Hüffer, 2010, 1091, 1100; Großfeld, Aktiengesellschaft, 102 ff.; Lehmann, ZGR 1986, 345, 350; Grimm, Die Finanzverfassung der kleinen Kapitalgesellschaft, 383; a. A. K. Götz/Seifert/Bydlinski, Verantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft, 49 f.; John, Die organisierte Rechtsperson, 91; Buchner, AcP 169 (1969), 483, 484 f. 119) Müller-Freienfels, AcP 156 (1957), 522, 528; a. A. K. Götz/Seifert/Bydlinksi, in: Verantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft, 21, 49 f. 120) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 13; Noack/Servatius/Haas/Fastrich, GmbHG, § 13 Rn. 5. 121) Raiser, FS Lutter, 2000, 637, 639 f.; Blaurock, FS Raiser, 2005, 6; Wiedemann, ZGR 2003, 283 ff.; Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 769 ff.; Bachmann et al. (Hrsg.), Rechtsregeln, 112; Wiedemann, GesR, Bd. I, 202; Lehmann, ZGR 1986, 345 ff. 122) Raab, WM 1999, 1596, 1598. 123) Hopt/Roth, HGB, § 128 Rn. 8; MüKo-HGB/K. Schmidt, § 128 Rn. 1. 124) Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rn. 55.

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B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung

es gebe kein allgemeines Gebot der unbeschränkten Haftung für Wirtschaftssubjekte.125)

II. Gründe für die Haftungsbeschränkung Sucht man nach einer Begründung der Legitimität der beschränkten Haftung, so 68 werden dazu nicht ausschließlich rechtliche Argumente herangezogen.126) Vielmehr wird überwiegend auf ökonomische Argumente zurückgegriffen.127)

1.

Investitionsförderung

Führt man sich die historischen Ursprünge des institutionellen Haftungsprivilegs 69 vor Augen, so wird bereits eine der maßgeblichen Funktionen deutlich. Potenziell gewinnträchtige Projekte wie der Bergbau, der Bau von Eisenbahnen, das Betreiben von Banken und Versicherungen128) erforderten eine enorme Menge an Kapital, die von einzelnen Akteuren oder dem Staat im Wirtschaftsleben nicht aufzubringen waren.129) Gleichzeitig waren und sind solche Projekte mit enormem Risiko verbunden. Der Mensch ist von Natur aus jedoch risikoavers.130) Verlustrisiken werden stärker gewichtet als Gewinnchancen.131) Erwünscht ist dies indes nicht: Mathematisch gesehen ergibt ein Investment dann Sinn, wenn der Erwartungswert einer Unternehmung positiv ist, selbst wenn diese äußerst risikobehaftet ist. Volkswirtschaftlich gesehen wirkt dies insgesamt wohlfahrtssteigernd.132) Ein Unternehmer wird aber in aller Regel dann davon absehen, wenn ein Totalverlust droht und er um „Haus ___________ 125) K. Schmidt, GmbHR 1984, 272, 276. 126) Vgl. dazu Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 245 ff.; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 184 ff. 127) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 31 ff.; Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 245 ff.; Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 45 ff.; Meyer, Haftungsbeschränkung, 988 ff., 1031 ff.; Höfer, „Flex-GmbH“, 26 ff.; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 150 ff.; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 20 ff.; Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rn. 62; Fleischer, ZGR 2001, 1 ff.; Roth, ZGR 1986, 371, 373 ff.; Lehmann, ZGR 1986, 345 ff.; Kirchner, ZGR 1985, 214.; zum amerikanischen Recht siehe Armour/Hansmann/Kraakman/Pargendler, in: Kraakman (et al.), The Anatomy of Corporate Law, 5 ff; Kraakman, 93 Yale L. J. 857 (1984); Manne, 53 Vir. L. Rev. 259 (1967); Coase, 3 J. L. & Econ. 1 (1960); Calabresi, 70 Yale L. J. 499 (1961). 128) Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 47. 129) Meyer, Haftungsbeschränkung, 286. 130) Vgl. Kahneman/Tversky, 47 Econometrica 263 ff. (1979). 131) Grundlegend Kahneman/Tversky, 47 Econometrica 263 (1979); Fleischer, ZGR 2001, 1, 18; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 170; allgemein Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 107 f. 132) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 33; Hommelhoff/Teichmann, StudZR 2006, 3, 20 f.; Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 775; Henssler/Strohn GesR/Verse, GmbHG, § 13 Rn. 11; Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 97 (1985); kritisch Meyer, Haftungsbeschränkung, 1044, 1049.

29

2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

und Hof“ bangen muss.133) Lassen sich die Verluste hingegen begrenzen, wird dieser investitionshemmende Faktor aufgehoben. Zwar entstehen im Falle des Scheiterns des Projekts ebenfalls Kosten, doch sei dies solange akzeptabel, wie sie auf jemanden fallen würden, der sich ausreichend diversifizieren könne.134) Es ließe sich argumentieren, dass es auch rechtsgeschäftliche Möglichkeiten gibt, sein Risiko zu begrenzen, etwa durch vertragliche Vereinbarungen des Schuldners mit jedem Gläubiger. Jedoch würde dies erhebliche Transaktionskosten verursachen. Darunter versteht man solche Kosten, die potentielle Vertragspartner an Information und Koordination aufwenden müssen, bis sie zum Vertragsschluss gelangen.135) An diesem Punkt setzt die institutionelle Haftungsbeschränkung ein, indem sie einen Großteil der Verhandlungskosten durch eine gesetzliche Regelung vorwegnimmt.136) Zusammenfassend wirkt eine Risikobegrenzung demnach investitionsfördernd und ist insoweit ökonomisch wünschenswert.

2.

Senkung der Überwachungskosten

a) Im Außenverhältnis 70 Die Haftungsbeschränkung sorgt im Außenverhältnis, also in der Beziehung der Gläubiger zu der Schuldnergesellschaft, für eine Reduktion der Überwachungskosten der Gläubiger. Wenn ein Schuldner an mehreren Gesellschaften beteiligt ist und keine Haftungsbeschränkung möglich ist, dann bedroht der Verlust in einem Geschäft auch die anderen Geschäfte des Schuldners, denn die Gläubiger könnten in das gesamte Vermögen des Schuldners vollstrecken. Haftet der Schuldner persönlich, so ist davon auch seine Beteiligung an anderen Gesellschaften betroffen. Haftet hingegen das Gesellschaftsvermögen primär und der Schuldner als persönlich haftender Gesellschafter, so führt die Haftung dazu, dass der Schuldner zur Abwendung seiner persönlichen Haftung Mittel aus „gesunden“ Gesellschaften abziehen muss und diese damit schwächt. Das sorgt dafür, dass die Gläubiger der „gesunden“ Gesellschaft ebenfalls von dem Ausfall des Schuldners betroffen sein können. Haftet der Schuldner persönlich, so müssen alle Gläubiger dessen finanzielle Situation ständig überwachen, um auf Ausfälle entsprechend reagieren zu können. Ist die Haftung hingegen beschränkt, so sind die Gläubiger nicht mehr dazu gezwungen, die Solvenz des Schuldners zu überwachen. Sie müssen nicht fürchten, dass Gläubiger anderer Gesellschaften des Schuldners auf Vermögenswerte zugreifen, die im Zweifelsfall auch ihnen zur Befriedigung ihrer Forderungen dienen würden. Infolge___________ 133) Höfer, „Flex-GmbH“, 29; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 338. 134) Höfer, „Flex-GmbH“, 29; Smith, Der Wohlstand der Nationen, 644 (in Bezug auf Versicherungen); ähnlich Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 163. 135) Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 152; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 72 f. 136) Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 153; ähnlich in insolvenzrechtlichem Zusammenhang Jackson, 91 Yale L. J. 857 (1982).

30

B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung

dessen müssen die Gläubiger nicht mehr andere, möglicherweise risikoreiche, geschäftliche Tätigkeiten des Schuldners überwachen, sondern können sich voll und ganz auf die geschäftlichen Tätigkeiten und Vermögenswerte des Schuldnerunternehmens konzentrieren.137) Die Haftungsbeschränkung sorgt insofern für eine Haftungssegmentierung.

b) Im Innenverhältnis Aber auch im Innenverhältnis, also in den Rechtsverhältnissen innerhalb der Gesell- 71 schaft, wirkt das Beschränken der Haftung auf die geleistete Einlage risikobegrenzend. Dies hängt vornehmlich mit der Möglichkeit zusammen, auch Nichtgesellschafter zu Geschäftsführern zu berufen (Fremdorganschaft). Typischerweise ist das vor allem bei größeren Gesellschaften mit vielen Anlegern und Gesellschaftern relevant.138) Ist der Geschäftsführer nicht zugleich Gesellschafter, so trifft er im Wesentlichen die Entscheidungen und das Risikomanagement, während die Gesellschafter für etwaige Verluste einstehen müssen.139) Die Überwachungskosten, die der Geschäftsherr aufwenden muss, um die effektive und sachgerechte Ausführung der Aufgabe durch den Geschäftsführer sicherzustellen, nennt man auch „agency costs“.140) Diese Kontrollkosten lassen sich mit einer Haftungsbeschränkung reduzieren.141) Anderenfalls müssen die Unternehmer fürchten, durch Fehlentscheidungen der Geschäftsleitung ihr gesamtes Vermögen zu verlieren. Dieses Argument lässt sich auch auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander 72 übertragen. Haften diese gesamtschuldnerisch, so werden vornehmlich wohlhabende Gesellschafter von den Gläubigern in Anspruch genommen und müssen fürchten, unter Umständen einen überproportional hohen Anteil der Verbindlichkeiten zu tragen.142) Durch die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen wird die Solvenz der Mitgesellschafter weniger entscheidend.

3.

Risikobegrenzung durch Diversifikation

Ferner bietet die beschränkte Haftung eine sinnvolle Möglichkeit der Risikodiversifi- 73 kation. Haftet ein Investor als Anteilseigner für Verluste unbegrenzt, so kumulieren ___________ 137) Hansmann/Kraakman/Squire, 119 Harv. L. Rev. 1333, 1344 f. (2006); eher kritisch KollMöllenhoff, Prinzip des festen Grundkapitals, 277: kein entscheidender Kostenvorteil. 138) Höfer, „Flex-GmbH“, 28. 139) Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 94 (1985); Roth, ZGR 1986, 371, 373. 140) Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 155; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, 698. 141) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 31; Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 49 f.; Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 94. (1985); Höfer, „Flex-GmbH“, 28; Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 773; Fleischer, ZGR 2001, 1, 17. 142) Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 49; Leyendecker, Geschäftsführungsmacht, Inhaberschaft und Haftung, 268, Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 773; Halpern/Trebilcock/Turnbull, 30. U. Toronto L. Rev. 117, 126 ff. (1980).

31

2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

sich die Risiken aus vielen Investments zu einem untragbar hohen Maß.143) Durch die Beschränkung auf die Einlage wird die Möglichkeit eröffnet, sich nicht vom Erfolg von möglichst wenigen Unternehmen abhängig zu machen, was bei unbeschränkter Haftung die logische Konsequenz für Investoren wäre.144) Dies wiederum versetzt den Geschäftsführer in die Lage, risikoreichere und gewinnträchtigere Projekte in Angriff zu nehmen, deren Risiko ein einzelner Investor aufgrund seiner Risikoaversion nicht bereit wäre zu tragen, und so wiederum den Unternehmenswert insgesamt zu erhöhen.145)

4.

Höhere Fungibilität der Gesellschaftsanteile

74 Ist die Haftung eines Anteilseigners auf die eigene Einlage begrenzt, so ist die Bonität des Mitgesellschafters irrelevant für das eigene Haftungsrisiko und den Wert der Gesellschaftsanteile.146) Ein neuer Investor muss sich keine Gedanken darüber machen, ob seine potenziellen Mitgesellschafter im Falle des unternehmerischen Scheiterns in der Lage wären, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. Folglich ist ein Gesellschafterwechsel erheblich leichter und mit weniger Verhandlungskosten verbunden. Das trifft auch dann zu, wenn sich das Unternehmen in einer Krise befindet, da potenzielle Käufer der Unternehmensanteile sonst Nachschüsse und Haftungsbeiträge zu antizipieren hätten.147)

5.

Sicherstellung der Effizienz des Geschäftsführers

75 Zeitgleich wird auf durch die hohe Fungibilität der Gesellschaftsanteile sichergestellt, dass der Geschäftsführer der Gesellschaft effizient arbeitet. Ist dies nicht der Fall, so droht die Anteilsübernahme durch neue Gesellschafter, welche das Ertragspotenzial der Gesellschaft durch den Austausch der Geschäftsleitung realisieren.148)

___________ 143) Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 96 f. (1985); Manne, 53 Vir. L. Rev. 259, 262 (1967); Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 51; Höfer, „Flex-GmbH“, 28. 144) Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 97 (1985); Manne, 53 Vir. L. Rev. 259, 262 (1967); Halpern/Trebilcock/Turnbull, 30. U. Toronto L. Rev. 117, 126 ff. (1980); Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 51. 145) Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 51; Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 775. 146) Armour/Hansmann/Kraakman/Pargendler, in: Kraakman (et al.), Anatomy of Corporate Law, 10 f.; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 32 f. 147) Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 42 f. 148) Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 774; Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 33; mit kartellrechtlichen Bezügen und der Prämisse, dass der Wert eines Gesellschaftsanteils maßgeblich mit der Effizienz des Managements korreliert Manne, 73 Pol. Econ. 110 (1965); Jensen/Ruback, 11 J. Fin. Econ. 5 (1983).

32

B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung

III. Negative Effekte der beschränkten Haftung 1.

Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen

a) Durchbrechung des Gleichlaufs von Chance und Risiko In einer Personengesellschaft haften die Gesellschafter einer Gesellschaft den For- 76 derungen der Gläubiger gegen dieselbe akzessorisch mit ihrem gesamten Vermögen, vgl. § 128 S. 1 HGB (analog bei der GbR149)). Darin spiegelt sich ein uralter, schon im römischen Recht als einer der tragenden Grundsätze des Rechts geltender Gedanke des Gleichlaufs von Chance und Risiko wider.150) Das Gesetz sieht die unbeschränkte Haftung als den Normalfall an, was sich darin zeigt, dass Abweichendes explizit in den § 13 Abs. 2 GmHG und § 1 Abs. 1 AktG sowie § 2 GenG normiert ist.151) Das Privileg der beschränkten Haftung durchbricht dieses altehrwürdige Rechtsprinzip.152)

b) Fehlendes originäres Eigeninteresse Die rechtliche Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen wird von 77 einem fundamentalen Unterschied begleitet: Im Gegensatz zu natürlichen Personen kann eine juristische Person nicht aus sich heraus einen Zweck bilden und verfolgen, sondern ist von den dahinter stehenden natürlichen Personen abhängig.153) Juristische Personen werden daher nicht in gleicher Weise von Anreizmechanismen bei der Eingehung von Haftungsrisiken beeinflusst wie natürliche Personen.154) Dadurch, dass die Gesellschafter höchstens bis zu ihrer Einlage haften, ihr Verlust also nach unten hin begrenzt ist, sie aber im Falle des geschäftlichen Erfolges alle Gewinne einstreichen dürfen,155) weisen juristische Personen eine geringere Haftungssensibilität auf.156) Dieser Punkt ist eng verbunden mit der Kritik an der relativen Vorrangregel und mit dem dahinterstehenden Konzept. Darauf wird später zurückzukommen sein.157) ___________ 149) BGHZ 146, 34, ZIP 2001, 330; Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rn. 55. 150) „Secundam naturam est commoda cuiusque rei eum sequi, quem sequentur incommoda“; Dig. 50, 17, 10 (Paulus): „Naturgemäß gehören die Vorteile einer Sache dem, den auch die Nachteile treffen.“; vgl. auch Liber sextus 5, 13, 55: „Qui sentit onus, sentire debet commodum, et contra.“ („Derjenige der die Last hat, muss auch den Vorteil haben und umgekehrt.“). 151) Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rn. 55. 152) Fleischer/Thaten, NZG 2011, 1081, 1084. 153) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 13. 154) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 13. 155) Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 769; Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Coporate Law, 40 f., 44 f. 156) Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 13. 157) Vgl. Rn. 464 ff.

33

2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

2.

Ökonomische Perspektive der Risikoexternalisierung

78 Die Haftungsbegrenzung der Anteilseigner sorgt nicht dafür, dass sich die Nachteile aus risikoreichen Geschäften in Luft auflösen. Vielmehr verlagert sich ein Teil des unternehmerischen Risikos vom Schuldner auf den Gläubiger.158)

79 Gleichwohl verschiebt sich nicht jegliches Risiko. Solange die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten bedient, findet keine Risikoumverteilung statt.159) Das Gesellschaftsvermögen und damit auch die von den Gesellschaftern erbrachte Einlage muss nach wie vor zuvörderst für Verluste der Gesellschaft einstehen. Ebenso besteht auch bei unbeschränkt haftenden Unternehmern oder Personengesellschaften ein Insolvenzrisiko und auch die Gefahr, dass sich nicht alle Forderungen realisieren lassen.160) Lässt man zudem die sich nicht realisierenden Risiken außer Betracht, so errechnet sich die Höhe der Risikoverlagerung aus der Differenz der Forderungsausfälle der Gläubiger in der Insolvenz der Gesellschaft und dem bei unbeschränkter Haftung zusätzlich erreichbarem Vermögen der Gesellschafter.161) In dieser Höhe verlagert sich das Risiko der Unternehmung von den Anteilseignern auf die Gläubiger. Daraus ergeben sich im Wesentlichen zwei Folgen: Zum einen werden Anreize für das Verhalten der Gesellschafter gesetzt, möglichst risikoreiche Geschäfte einzugehen, wenn die Einlage weitgehend aufgebraucht ist. Zum anderen sorgt die Risikoexternalisierung für einen erhöhten Anreiz auf Seiten der Gläubiger, sich mittels Kreditsicherheiten gegen die zu ihren Lasten erhöhten Risiken abzusichern.

a) „Moral hazard“ 80 Die teilweise Risikoverlagerung der beschränkten Haftung hat Auswirkungen auf die Verhaltensanreize der Gesellschafter. Da diese alles zu gewinnen und im Zweifelsfall nur ihre Einlage zu verlieren haben, ergibt sich der Antrieb für sie, wirtschaftlich risikoreiche Geschäfte einzugehen. In diesem Fall ist die mathematische Differenz zwischen dem zu tragenden Verlust und dem möglichen Gewinn am höchsten zugunsten der Gesellschafter. Das gilt insbesondere dann, wenn die Gesellschaft kurz vor der Insolvenz steht, die Gesellschafter also „nichts mehr zu verlieren“ haben.162) Dies nennt man in der amerikanischen Literatur auch „moral hazard“163) oder auch „Anreiz zur Verantwortungslosigkeit“164). Zugleich ergibt es – auch bei gesunden ___________ 158) Statt vieler: BT-Drucks. 8/3908, 69; Meyer, Haftungsbeschränkung, 952; Landers, 42 U. Chi. L. Rev. 589, 606 ff. (1975). 159) Meyer, Haftungsbeschränkung, 952 f. 160) Spindler, JZ 2006, 839, 840. 161) Meyer, Haftungsbeschränkung, 957; anderer Ansatz bei Roth, ZGR 2005, 348, 357. 162) Enriques/Macey, 86 Corn. L. Rev. 1165, 1171 (2001); vgl. auch Engert, ZGR 2004, 813, 824. 163) Vgl. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 104 (1985); Bebchuk/Fried, 105 Yale L. J. 857, 873 (1996). 164) Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 182.

34

B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung

Unternehmen – aus unternehmerischer Perspektive Sinn, Fremdkapital aufzunehmen, wenn die Renditen aus dem operativen Geschäft größer sind als die auf das Fremdkapital zu zahlenden Zinsen. Auf diesem Wege lässt sich eine Fremdkapitalaufnahme gleichsam als Hebel für eine Maximierung der Rendite nutzen, weshalb dieser Vorgang auch als „Leverage-Effekt“ bekannt ist.165) Insofern ist es aus Sicht der Gesellschafter sinnvoll, das Eigenkapital möglichst gering zu halten, um die besagten Effekte zu ihren Gunsten zu optimieren.166) Die normalerweise vorherrschende, individuelle Risikoneigung wird insofern überlagert.167) So gesehen kann ein Unternehmer durch die beschränkte Haftung auch dazu geneigt sein, aus wohlfahrtsökonomischer Sicht ineffiziente Projekte durchzuführen, weil diese einen negativen Erwartungswert haben, sich für die Unternehmer aber positiv darstellen.168) Kahneman und Tversky haben nachgewiesen, dass Menschen in Verlustsituationen dazu neigen, besonders risikoreich zu agieren,169) sodass der beschriebene Anreiz auch wissenschaftlich belegt ist.

b) Reaktion der Gläubiger Auf Seiten der Gläubiger ist die Tatsache, dass sie einen Teil der unternehmerischen 81 Risiken des Schuldners tragen, ebenso bekannt. Daher haben sich vor allem in Form der Kreditsicherheiten umfangreiche Mittel und Instrumentarien herausgebildet, um dieses Risiko zu kompensieren.

aa) Risikoadjustierte Zinsrate Eine naheliegende Option der Gläubiger ist, einen Forderungsausfall zu antizipieren 82 und in Kompensation für das erhöhte Risiko einen höheren Zinssatz zu verlangen, um dem zu begegnen.170) Je wahrscheinlicher dabei der Verlust der Forderung ist, desto höher muss im Gegenzug der Zinssatz zur Kompensation dieses Risikos sein.171) Dieser in seiner Einfachheit überzeugende Gedanke ruht indes auf zwei Prämissen.

___________ Vgl. instruktiv Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 129 ff., 170 f. Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 183 f. Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 435. Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 183; Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 68; Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 435; Hansmann/Kraakman, 100 Yale L. J. 1879, 1883 (1991); dieses Problem wird teilweise auch mit dem Begriff „underinvestment“ betitelt; Berkovitch/Israel, 2 Eur. Fin. Rev. 1, 2 ff. (1998); zum Nachweis des Problems Myers, 5 J. Fin. Econ. 147 (1977). 169) Kahneman/Tversky, 47 Econometrica, 263, 284 ff. (1979). 170) Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 435; Heine/Röpke, RabelsZ 70 (2006), 138, 147 ff. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 104 f. (1985); Posner, 43 U. Chi. L. Rev. 499, 501 (1976). 171) MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 52 – 59.

165) 166) 167) 168)

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

83 Zum einen setzt er voraus, dass ein Gläubiger auch in der wirtschaftlichen Position ist, einen anderen Zinssatz zu verlangen.172) Er impliziert eine gewisse wirtschaftliche Macht und eine Verhandlungsbereitschaft des Vertragspartners. Erforderlich ist ferner der Zugang zu den entsprechenden Informationen.173) Das ist bei weitem nicht bei allen Gläubigern der Fall. Typischerweise sind Banken in der Lage, und nach Art. 92 CRR174) i. V. m. § 10 KWG i. V. m. SolvV sogar gesetzlich verpflichtet, ihren Zinssatz sowie die Ausstattung von Eigenmitteln an das Risiko anzupassen. Arbeitnehmer, Dienstleister und Werkunternehmer können dies hingegen nicht, was bei letzteren auch das Gesetz anzuerkennen scheint, indem es mit §§ 632a, 647, 648, 648a BGB besondere Sicherungen für Werkunternehmer implementiert.175) Starke Verhandlungspartner können sich gleichzeitig auch noch dingliche Kreditsicherheiten einräumen lassen und so zusätzlich schützen. Auf der anderen Seite verursachen die nötigen Verhandlungen wiederum zusätzliche Transaktionskosten.176)

84 Zum anderen setzt der Gedanke der Kompensation des Risikos über einen erhöhten Zinssatz voraus, dass der Gläubiger auch freiwillig zu eben jenem geworden ist. Das trifft dann nicht zu, wenn es sich um Deliktsgläubiger oder sonstige gesetzliche Gläubiger handelt. Ein Geschädigter, der etwa in Folge eines Medikaments unerwünschte Nebenwirkungen erlitten hat, kann sich nicht gegen solche Unsicherheiten wappnen. In den Vereinigten Staaten propagiert aus diesem Grund eine Literaturansicht eine Durchgriffshaftung der hinter einer Gesellschaft stehenden Gesellschafter für deliktisches Verhalten der Gesellschaft.177)

85 Erhöhte Zinsraten sind demnach nicht generell geeignet, alle Gläubiger vor der Risikoverlagerung zu schützen. Typischerweise können dies wirtschaftlich starke Gläubiger, die auch dinglich besichern lassen.

___________ 172) Armour, 63 Modern L. Rev. 355, 358 f. (2000); Freedman, 63 Modern L. Rev. 317, 332 (2000). 173) Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 (1970); vgl. auch Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 121 ff.; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 50 ff. 174) Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2014 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. L 176/1 v. 27.6.2013. 175) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 53. Die Annahme, Lieferanten könnten keinen erhöhten Zins verlangen, liegt eher fern. Über die Einräumung von Skonto besteht eine vergleichbare Option auch für diese. 176) Jaspers, Opportunistisches Verhalten, 143. 177) Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 105 ff. (1985); Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman (et al.), Anatomy of Corporate Law, 115 f.; Hansmann/Kraakman, 100 Yale L. J. 1879 (1991); Leebron, 91 Col. L. Rev. 1565 (1991).

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B. Bedürfnis nach beschränkter Haftung

bb) Kreditsicherheiten und die Korrelation zur beschränkten Haftung (1) Wirkung von Kreditsicherheiten Ein anderes Mittel für Gläubiger, sich gegen die Risikoverlagerung zu ihren Lasten 86 zu wappnen, ist, sich Kreditsicherheiten zur Sicherung ihrer Forderungen einräumen zu lassen. Kreditsicherheiten stellen dabei eine rechtsgeschäftliche Möglichkeit der Risikominimierung dar, die ähnlich wie eine gesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung wirkt. Ist die Forderung eines Gläubigers durch eine dingliche Kreditsicherheit vor der Insolvenz des Schuldners geschützt, muss er seine Vertragskonditionen nicht an das Ausfallrisiko anpassen, denn dies ist bereits durch die dingliche Sicherheit geschehen.178) Auch für den Vertragspartner ist dies sinnvoll, weil er nur den niedrigeren, nicht risikoangepassten Zins zahlen muss.179) Im Falle des Scheiterns darf auch hier der Schuldner den Gewinn einstreichen. Scheitert die Unternehmung und wird der Schuldner insolvent, so kann sich der Gläubiger vorrangig aus dem Sicherungsgut befriedigen, während die ungesicherten Gläubiger auf die Insolvenzquote verwiesen sind.180) Folglich sind die ungesicherten Gläubiger diejenigen, die einen Teil des Geschäftsrisikos tragen, welches aus dem vertraglichen Handeln des gesicherten Gläubigers und des Schuldners herrührt.181) Durch die Externalisierung der unternehmerischen Risiken zu Lasten der ungesicher- 87 ten Gläubiger wirken die dinglichen Sicherheiten ähnlich wie eine gesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung.182) Für den Schuldner bietet die dingliche Sicherheit im Falle der Insolvenz im Vergleich zur gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung keine Vorteile, denn er läuft Gefahr, sein gesamtes Vermögen zu verlieren.183)

___________ 178) Brinkmann, Kreditsicherheiten, 78; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 202 f.; Finch, 62 The Modern L. Rev. 633, 641 ff. (1999). 179) Brinkmann, Kreditsicherheiten, 79; teilweise wird argumentiert, dass dies zu ineffizientem Verhalten seitens des Schuldners führe. Begründet wird dies u. a. damit, dass der gesicherte Gläubiger ohne sein Sicherungsrecht beispielsweise das Risiko von deliktischen Klagen in die Berechnung des Zinssatzes seines Darlehensanspruchs einpreisen müsste. Da dies wegen des Sicherungsrechts nicht erforderlich ist, verringert sich der Anreiz seitens des Schuldners, seine Produkte sicherer zu gestalten, um Schadensersatzklagen zu vermeiden, vgl. Bebchuk/Fried, 82 Cornell L. Rev. 1279, 1319 (1997); dies., 105 Yale L. J. 857 (1996). 180) Brinkmann, Kreditsicherheiten, 79. 181) Finch, 62 The Modern L. Rev. 633 ff. (1999) argumentiert, dass vornehmlich kleine und mittelgroße Unternehmen ungesicherte Gläubiger sind und daher das meiste Insolvenzrisiko tragen. 182) Brinkmann, Kreditsicherheiten, 79. 183) Brinkmann, Kreditsicherheiten, 79.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

(2) Faktische Umgehung der beschränkten Haftung 88 In der Praxis wird die Haftungsbeschränkung in großem Stil durch die Einräumung von Kreditsicherheiten aus dem Privatvermögen der Gesellschafter umgangen.184) Warenkreditgeber beschränken sich dabei auf das Gesellschaftsvermögen, indem sie sich mittels Eigentumsvorbehalts und verlängerten Eigentumsvorbehalts besichern.185) Banken hingegen lassen sich umfangreich durch Grundpfandrechte und Bürgschaften besichern.186) Meyer und Hermes stellten in diesem Zusammenhang fest, dass durchschnittlich 70 % der Forderungen von Banken komplett besichert sind, wobei zwei Drittel der Sicherheiten aus dem Privatvermögen der Gesellschafter stammen.187) In der Folge kann nicht einmal jeder Zehnte sein Privatvermögen in der Insolvenz komplett abschirmen.188) Gleichwohl dürfte die psychologische Wirkung der Senkung der Risikoaversion bestehen bleiben189) und die Haftungsbeschränkung einen Haftungsfreibetrag zur Sicherung des Existenzminimums bereitstellen.190)

3.

Zusammenfassung

89 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine institutionelle Haftungsbeschränkung nicht nur Vorteile mit sich bringt. Geschäftliche Risiken verschwinden nicht, vielmehr verlagern sie sich ein Stück weit zu Lasten der Gläubiger. Hier sind es vor allem die ungesicherten und nicht anpassungspassungsfähigen Gläubiger (non adjusting creditors)191), welche die Hauptlast der Haftungsbeschränkung tragen.192) Die Haftungsbegrenzung birgt den Anreiz für die Gesellschafter, übermäßige Risiken einzugehen, welche im Zusammenspiel mit dem Fehlen eines existenziellen Eigeninteresses der Gesellschaft sowie Informationsdefiziten und einer eingeschränkten Verhandlungsposition der Gesellschaftsgläubiger ökonomische Nachteile generiert. Diese zu Lasten der Gläubiger entstehenden Nachteile werden nicht vollständig durch den investitionsfördernden Effekt zu Gunsten der Gesellschafter aufgewogen.193) Aus

___________ 184) Vgl. Habersack/Weber, ZGR 2014, 509, 519. 185) Drukarczyk/Duttle/Rieger, Mobiliarsicherheiten, 64; Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 233; Meyer/Hermes, GmbHR 2005, 807, 814. 186) Höfer, „Flex-GmbH“, 33. 187) Meyer/Hermes, GmbHR 2005, 807, 813. 188) Meyer/Hermes, GmbHR 2005, 807, 813, 816. 189) Hollinderbäumer, Die GmbH im Wettbewerb, 16. 190) Höfer, „Flex-GmbH“, 34. 191) Vgl. Bebchuk/Fried, 105 Yale L. J. 857, 882 ff. (1996). 192) Freedman, 63 Modern L. Rev., 317, 352 ff. (2000); Leyendecker, GmbHR 2008, 302, 304. 193) Statt vieler Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 76 f.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

diesem Grund hat der Gesetzgeber ein normatives Gegengewicht als „Eintrittskarte“ zum Haftungsprivileg geschaffen.194)

C. Gläubigerschutz als Gegengewicht Der Gesetzgeber hat sich auf der einen Seite grundsätzlich für Gesellschaftsformen 90 mit beschränkter Haftung entschieden, will aber auf der anderen Seite, dass die Schuldner im Gegenzug auch etwas dafür aufwenden müssen. Gleichzeitig wird so eine Schutzfunktion zugunsten der Gläubiger erfüllt, damit die Haftungsbeschränkung nicht zu deren Lasten zu unbilligen Härten führt. Betont werden sollte zudem noch einmal, dass ein vollständiger Ausgleich der Risikoverlagerung nicht erreicht werden soll und eine gewisse Verlagerung erwünscht ist.195) Der Gläubigerschutz und die vom Schuldner aufzubringenden Voraussetzungen sind vom Gesetzgeber auf verschiedenen Wegen erreichbar. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dabei historisch gesehen für ein System der Mindestkapitalvorschriften entschieden, welches mit den strengen Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften gemeinhin, zusammen mit der Insolvenzantragspflicht, als Rechtfertigung des institutionellen Haftungsprivilegs angesehen wird.196) Denkbar sind auch andere Ansätze, wie etwa die Pflicht, sich gegen Ausfälle versichern zu lassen197), oder ein Solvenztest, der vor allem eine ausreichende Liquiditätsdeckung der Gesellschaft sicherstellen soll198). Doch bevor auf die einzelnen Vorschriften eingegangen wird, erscheint es fruchtbar, sich zunächst grundlegend die Situation der Gläubiger vor Augen zu führen. Diese werden regelmäßig nur unter zwei Voraussetzungen überhaupt dazu bereit sein, freiwillig als Fremdkapitalgeber aufzutreten.199)

___________ 194) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 76; Wiedemann, GesR, Bd. I, 557 f.; aus betriebswirtschaftlicher Sicht Pellens/Crasselt/Sellhorn, ZfbF 2007, 264, 267. 195) Vetter, ZGR 2005, 788, 790. 196) Statt vieler BGHZ 126, 181, 197; 142, 315, 322; Kleindiek, ZGR 2006, 335, 336; Goette, ZHR 177 (2013), 740, 741 f. 197) Mülbert/Birke, Eur. Bus. Org. Rev. (2002) 3, 695, 725 f.; Mülbert, Der Konzern 2004, 151, 157; Schön, Der Konzern 2004, 162, 165; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 334 ff.; Armour, 63 Modern L. Rev. 355, 372 (2000); Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 191 ff. 198) Jungmann, ZGR 2006, 638, 648 ff.; Engert, ZHR 170 (2006), 296, 318 ff.; Pellens/Crasselt/Sellhorn, ZfbF 2007, 264 ff.; generell zu alternativen Konzepten Jaspers, Opportunistisches Verhalten, 594 ff. 199) Jungmann, ZGR 2006, 638, 645; Roth, ZGR 1993, 170, 176 – 183; vgl. auch Armour/Hansmann/Kraakman/Pargendler, in: Kraakman (et al.), The Anatomy of Corporate Law, 6 f.; aus betriebswirtschaftlicher Sicht Pellens/Crasselt/Sellhorn, die die Begriffe Investitions- und Finanzrisiko verwenden, in: ZfbF 2007, 264, 267.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

I.

Grundvoraussetzungen

1.

Verlustrisiko

91 Die wohl wichtigste Voraussetzung ist, dass der Schuldner das vorrangige Verlustrisiko trägt.200) Im Falle des Scheiterns eines Geschäftes des Schuldners muss dieser auch dafür einstehen. Das ist im Grunde selbstverständlich und vom Gesetz für den laufenden Betrieb der Gesellschaft nicht ausdrücklich geregelt, was aber auch nicht erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus der Dichotomie von Schuld und Haftung. Nur weil die Gesellschafter für Verluste der Gesellschaft nicht mit ihrem Vermögen haften, heißt das nicht, dass die Gesellschaft selbst auch nur beschränkt haftet. Diese muss vielmehr mit ihrem gesamten Vermögen für den Verlust einstehen.201) Im Rahmen der Liquidation der Gesellschaft formuliert das Gesetz den Vorrang der Gläubigerforderungen ausdrücklich in § 271 Abs. 1 AktG, §§ 72 S. 1, 73 Abs. 1 GmbHG, §§ 90, 91 GenG. Wird die Gesellschaft aufgelöst und liquidiert, ohne insolvent zu sein, müssen demnach auch die Gesellschafter nachrangig die übrigen Werte erhalten.202) Übersteigen die Passiva die Aktiva und kann die Gesellschaft ihre Gläubiger nicht mehr vollständig befriedigen, so ändert sich an diesem Prinzip nichts. Der Eintritt in die Insolvenz ändert insoweit nur etwas an dem Verteilungsmaßstab auf Seiten der Gläubiger – diese werden nun pro rata befriedigt. Er sagt jedoch nichts über das Verhältnis der Gläubiger zum Schuldner aus. Das Eigenkapital der Gesellschaft muss demnach auch in der Insolvenz vorrangig zur Befriedigung der Gläubiger dienen. Auch historisch gesehen gibt es keine Gewinnchance ohne Haftungsrisiko.203)

2.

Liquiditätsrisiko

92 Die zweite wichtige Voraussetzung ist, dass die Mittel der Gesellschaft zweckgebunden sind und dauerhaft in der Gesellschaft verbleiben.204) Das Kapital soll nicht willkürlich an die Anteilseigner zurückfließen, sondern vorrangig zur Erfüllung der

___________ 200) Wiedemann, GesR, Bd. I, 515, 556; Hommelhoff/Stimpel/Ulmer/Lutter, Der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, 183, 185; Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman (et al.), The Anatomy of Corporate Law, 116; Jungmann, ZGR 2006, 638, 645. 201) Noack/Servatius/Haas/Fastrich, GmbHG, § 13 Rn. 7; MüKo-GmbHG/Merkt, § 13 Rn. 332; Hüffer/Koch/Koch, AktG, § 1 Rn. 4. 202) Jungmann, ZGR 2006, 638, 645; Roth, ZGR 1993, 170, 177 – 179; Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 31. 203) Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, 43. 204) BGH, NJW 1958, 1351; BGHZ 151, 181, WM 2002, 1804; BGH, NJW 2009, 2127; BGH, NJW 2007, 2689; Noack/Servatius/Haas/Fastrich, GmbHG, § 13 Rn. 10; Wiedemann, ZGR 2003, 283; ders., GesR, Bd. I, 201 ff., 552 ff.; Jungmann, ZGR 2006, 638, 646; Goette, ZHR 162 (1998), 223, 224; ders., ZHR 177 (2013), 740, 741; Bitter, ZHR 168 (2004), 302, 306; Vetter, ZGR 2005, 788, 790; Hansmann/Kraakman, 110 Yale L. J. 387, 392 (2000).

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

Verbindlichkeiten der Gesellschaft dienen.205) Das beschreibt im Wesentlichen das Prinzip der Kapitalerhaltung ohne Bindung an ein Mindestkapital. Gäbe es dies nicht, so könnten alle sich in der Gesellschaft befindlichen Werte aus dieser entnommen und die Gesellschaft gezielt in die Insolvenz gesteuert werden. Das deutsche Recht hat diesen Grundsatz nicht mit absoluter Konsequenz verwirklicht. Gewinnentnahmen sind im Bereich des § 30 GmbHG und § 57 AktG in einem bestimmten Rahmen möglich.206) Entscheidend ist, dass keine Werte entnommen werden dürfen, wenn die Gläubiger wünschen, auf die Werte zuzugreifen207) bzw. sie dies vertraglich oder gesetzlich gesehen dürfen, weil die Gesellschafter anderenfalls die vorrangige Stellung der Gläubiger unterminieren könnten. Die entscheidende Trennlinie, die, und das muss betont werden, unabhängig von der genauen Gestaltung der Gläubigerschutzvorschriften besteht, an der den Gläubigern der Zugriff auf das Schuldnervermögen nicht mehr verwehrt werden darf, ist die Insolvenz.208)

II. Ausgestaltung der Grundvoraussetzungen Die Ausgestaltung des Gläubigerschutzes lässt sich konzeptionell auf zwei verschie- 93 denen Wegen erreichen: Entweder präventiv oder reaktiv.209) Der Scheitelpunkt, an welchem die Gläubigerschutzkonzepte ihre Wirkung entfalten sollen und müssen, ist jeweils die Insolvenz, da sich spätestens hier Forderungsausfälle der Gläubiger realisieren.210) Präventive Mechanismen sollen den Eintritt der Insolvenz zugunsten der Gläubiger verhindern.211) Reaktionäre Maßnahmen sollen hingegen die Befriedigungsquote zugunsten der Gläubiger maximieren.212) Indes ist eine exakte Einordnung der Schutzinstrumente in eine der Kategorien nicht möglich bzw. werden gleichzeitig präventive und reaktionäre Wirkung verwirklicht.213)

1.

Gesellschaftsrecht

Im deutschen System des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes muss man zwei 94 Ebenen unterscheiden: Zum einen das Garantiekapital in Form eines durch Satzung festgelegten Stamm- oder Grundkapitals, welches durch die entsprechenden Vor___________ 205) Vgl. BGH, NJW 2009, 2127; BGH, NJW 2007, 2689: MüKo-AktG/Bayer, § 57 Rn. 1; Pellens/Kemper/Schmidt, ZGR 2008, 381, 384; Fleck, FS GmbHG, 1992, 391 f. 206) Dazu statt vieler: MüKo-AktG/Bayer, § 57 Rn. 1 ff.; MüKo-GmbHG/Ekkenga, § 30 Rn. 1 ff. 207) Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman (et al.), The Anatomy of Corporate Law, 116. 208) Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman (et al.), The Anatomy of Corporate Law, 116; vgl. auch Vetter, ZGR 2005, 788, 791. 209) Vetter, ZGR 2005, 788, 797 ff.; Spindler, JZ 2006, 839, 841 f. 210) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 323. 211) Dafür insbesondere Lutter, in: Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 1, 4. 212) Vgl. Spindler, JZ 2006, 839, 841 f; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 323. 213) Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 65; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 323 f.; Grimm, Die Finanzverfassung der kleinen Kapitalgesellschaft, 49.

41

2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

schriften zur Kapitalaufbringung und -erhaltung untermauert wird, und zum anderen ein System eines gesetzlichen Mindestkapitals.214)

a) Mindestkapital 95 Nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzes kam dem Mindestgarantiekapital für den Gläubigerschutz eine fundamentale Bedeutung zu, indem es den Gläubigern als Haftungsfonds215) zur Verfügung stehen sollte. Das ist insofern verfehlt, als den Gläubigern nicht eine bestimmte Summe dauerhaft zur Verfügung steht, auf welche sie bei der Insolvenz zugreifen können.216) Es besteht keine Nachschusspflicht für angefallene Verluste. Vielmehr wird mit § 5 Abs. 1 GmbHG und § 7 AktG sichergestellt, dass es eine Untergrenze einer ansonsten frei auf volle Euro, § 5 Abs. 2 S. 1 GmbHG, wählbaren Vermögensmasse bei Gründung der Gesellschaft gibt. Mit diesem Geld kann und soll die Gesellschaft wirtschaften, weshalb es auch als „Arbeitskapital“ bezeichnet wird.217)

96 Die Mindestsumme erfüllt eine „Realfunktion“, indem der Gesellschaft bei der Gründung ein bestimmtes Vermögen als Betriebsvermögen zur Verfügung gestellt wird und so auf der Aktivseite der Bilanz in gleicher Höhe bilanziell aktivierbares Vermögen besteht. Zudem kann eine rechnerische Überschuldung im Sinne von § 19 Abs. 2 S. 1 InsO erst eintreten, wenn die Summe sämtlicher Gesellschaftsverbindlichkeiten den Gesamtbetrag der Aktiva übersteigt, wobei das Stammkapital in eine derartige Überschuldungsbilanz nicht einfließt.218) Insofern wird eine Art „Verlustpuffer“ vor der Insolvenz installiert.219)

97 Dieser Eintrittspreis220) für das Haftungsprivileg spiegelt auch den Grundgedanken des Verlustrisikos wider. Die Gesellschafter müssen eine eigene Beteiligung erbringen, an deren Verlust die Gesellschafter kein Interesse haben, was für einen grund___________ 214) Statt vieler Kleindiek, ZGR 2006, 335, 337. 215) BGH NJW 1981, 1373, BGHZ 80, 129 ff.; Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals, 70; ders., GmbHR 2007, 344, 346; Heine/Röpke, RabelsZ 70 (2006), 138 ff.; Priester, FS GmbHG, 1992, 159 ff.; K. Schmidt, JZ 1985, 301; Wiedemann, GesR, Bd. I, 203, 557; Goette, ZHR 162 (1998), 223, 224; Henssler/Strohn GesR/Schäfer, GmbHG, § 5 Rn. 3; Noack/Servatius/Haas/Servatius, GmbHG, § 3 Rn. 14; Ulmer/Habersack/Winter/Ulmer, GmbHG, § 5 Rn. 9; Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rn. 8; vgl. auch die Begründung zum Gesetzesentwurf, betreffen die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Reichstagsprotokolle 1890/92, 12 Aktenstück Nr. 660, 3729. 216) Insofern undeutlich Roth, ZGR 2005, 348, 357; falsch bei Bauer, Gläubigerschutz durch formelle Nennkapitalziffer, 312; deutlich etwa Koll-Möllenhoff, Prinzip des festen Grundkapitals, 236. 217) Wilhelmi, GmbHR 2006, 13, 14; Leyendecker, Geschäftsführungsmacht, 250. 218) Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals, 71; vgl. auch Wilhelmi, GmbHR 2006, 13 ff.; kritisch Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 180 ff. 219) Statt vieler Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 59; Hommelhoff/Kleindiek, FS GmbHG, 1992, 421, 429. 220) Statt vieler BGHZ 142, 315, 322; Lutter, FS GmbHG, 1992, 49, 65; ders., FS Riesenfeld, 1983, 165, 167; Priester, FS GmbHG, 1992, 159.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

legenden Interessengleichklang der Gesellschafter und der Gläubiger sorgt. Da die Gründer dabei in Vorleistung gehen müssen, wird der Mindestsumme insofern auch eine gewisse Seriositätsschwelle attestiert.221) Unrentable und damit unseriöse Gründungen sollen erschwert und damit eine gewisse „Filterfunktion“222) erfüllt werden.223) Dieser im Gesetz angelegte „Schwellenwert“224) sichert den Erhalt des Kapitals in der Gesellschaft und erfüllt so die Bindung des Vermögens an die Gesellschaft. Solange der „Schwellenwert“ nicht unterschritten ist, kann die Gesellschaft über die real zugeführten Vermögenswerte frei verfügen und – im Wege des Aktivtausches – verkaufen, verarbeiten oder anderweitig verwenden.225) Je höher dabei die Garantiekapitalziffer ist, desto eher greifen die Gläubigerschutzmechanismen, indem Entnahmen zu Lasten der Gläubiger verboten werden.226)

b) Kritik Das Mindestkapitalsystem ist in starke Kritik geraten. Durch die zunehmende wirt- 98 schaftliche Verflechtung der EU, insbesondere durch die Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Centros“227), „Überseering“228) und „Inspire Art“229), war ein Zugriff auf Gesellschaftsformen wie die englische Limited möglich geworden, welche weniger strenge Gründungsvoraussetzungen hatten und insbesondere ohne Mindestkapitalvorschriften auskamen.230) Infolgedessen wurde verstärkt das gesamte System des Mindestkapitals infrage gestellt.231) Einer der größten Kritikpunkte ist, dass das Mindestkapital in keinem Verhältnis zum 99 tatsächlichen Geschäftsvolumen steht.232) Ein Kioskbetreiber muss dabei dieselben ___________ 221) Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, 29; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 5 Rn. 1; Altmeppen, GmbHG, § 5 Rn. 2; Henssler/Strohn GesR/Schäfer, GmbHG, § 5 Rn. 3; Haas, DStR 2006, 993, 994; Fastrich, DStR 2006, 656, 658; Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 434, 437; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13; Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals, 72 f. 222) Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433, 435. 223) Statt vieler Lutter/Hommelhoff/Lutter/Kleindiek, GmbHG, § 5 Rn. 4. 224) Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals, 73. 225) Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals, 74; vgl. auch Barta, GmbHR 2005, 657, 658 f. 226) Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals, 74. 227) EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-01459 (Centros), GmbHR 1999, 474. 228) EuGH Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-09919 (Überseering), GmbHR 2003, 1137. 229) EuGH Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10155 (Inspire Art), GmbHR 2003, 1260. 230) Vgl. zur Entwicklung Teichmann, NJW 2006, 2444; Hommelhoff/Teichmann, StudZR 2006, 3. 231) Vgl. Gehb/Drange/Heckelmann, NZG 2006, 88; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189; Schön, Der Konzern 2004, 162, 165; Mülbert, Der Konzern 2004, 151, 157; Bauer, Gläubigerschutz durch formelle Nennkapitalziffer, 133 ff.; Escher-Weingart, Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht, 119 ff. 232) Vgl. nur Priester, FS GmbHG, 1992, 159, 160; Eidenmüller/Grunewald/Noack, in: Lutter: Das Kapital der Aktiengesellschaften in Europa, 17, 19; mit einem empirischen Ansatz Engert, GmbHR 2007, 337.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

Voraussetzungen erfüllen wie ein großes Pharmaunternehmen. Trotzdem muss ein Kleinunternehmer die für ihn vergleichsweise aufwändigen Gründungsvoraussetzungen durchlaufen.

100 Auch sei problematisch, dass das zur Gründung erforderliche Kapital nur in dem Moment der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister vorhanden sei und praktisch sofort danach verbraucht sein könne.233)

101 Untermauert wurde diese Argumentation durch die Tatsache, dass die GmbH die insolvenzanfälligste Rechtsform in Deutschland ist.234) Die GmbH hatte im Jahr 2018 einen Anteil von rund 46,7 % an den neu eröffneten Unternehmensinsolvenzen.235) Dem lässt sich entgegenhalten, dass die GmbH gleichzeitig die beliebteste Rechtsform ist und sich, in Anbetracht ihrer günstigen Gründungsvoraussetzungen, auch entsprechend risikoreiche Unternehmungen dieser Rechtsform bedienen.236) Nichtsdestotrotz wird man dieser Rechtstatsache nicht jegliche Wirkung absprechen können.

c)

UG (haftungsbeschränkt)

102 Mit der Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) nach § 5a GmbHG hat sich der Gesetzgeber der Kritik am Mindestkapital im Wesentlichen angeschlossen. Dies hat die oben dargestellte „Realfunktion“ des Mindestkapitals ein Stück weit untergraben.237) Eine UG kann ab dem ersten anlaufenden Verlust in die (rechnerische) Überschuldung geraten, eine vergleichbare Verlustpufferfunktion gibt es nicht. Die Gesellschafter können ohne eigenes Risiko im Sinne der Kapitalaufbringung einer Mindestsumme in den Genuss des Haftungsprivilegs kommen. Erforderlich ist lediglich ein Euro, vgl. § 5a Abs. 1 GmbHG. Die weggefallene Komponente des Mindestkapitals ist vor allem durch eine Thesaurierungspflicht ersetzt worden, § 5a Abs. 3 S. 1 GmbHG.238) Diese gesetzliche Rücklage, § 266 Abs. 3 HGB, in die jeweils ein Viertel des um einen etwaigen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen ist, darf nach § 5a Abs. 3 S. 2 GmbHG nur für eine nominelle Erhöhung des Stammkapitals (Nr. 1), zum Ausgleich aktueller (Nr. 2) oder vorgetragener (Nr. 3) Verluste verwendet werden. So soll die als will-

___________ 233) Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189; dazu ausführlich Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 177 – 311. 234) Vgl. Meyer/Hermes, GmbHR 2005, 807, 809. 235) Berechnung vorgenommen nach Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten, Insolvenzverfahren, Jahr 2018. 236) Grimm, Die Finanzverfassung der kleinen Kapitalgesellschaft, 374. 237) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 460; Leyendecker, GmbHR 2008, 302, 305. 238) Vgl. Hirte, ZInsO 2008, 933, 935; Neideck, GmbHR 2010, 624, 627; Seibert, DB 2013, 1710, 1711; Peetz, GmbHR 2012, 1160, 1161; Veil, ZGR 2009, 623, 632 ff.; H.-F. Müller, ZGR 2012, 81, 83; Miras, Die neue Unternehmergesellschaft, 70 ff.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

kürlich239) erachtete Mindeststammkapitalsumme als Eintrittshürde abgeschwächt und den Bedürfnissen kleinerer Unternehmer Rechnung getragen werden. Als problematisch bemängelt wird daran vor allem, dass nur dann Gewinnrücklagen 103 gebildet werden können, wenn auch Gewinne erwirtschaftet werden. Zudem besteht die Gefahr, dass in die Rücklage eingestellte und einzustellende Mittel nicht durch verdeckte Gewinnausschüttungen abgeführt werden.240) Unter einer verdeckten Gewinnausschüttung versteht man durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen an einen oder mehrere Gesellschafter außerhalb der förmlichen Gewinnverteilung, wie beispielsweise der Bezug von Leistungen von einem Gesellschafter durch die Gesellschaft zu überhöhten Preisen.241) Diese sind, anders als im Aktienrecht, im GmbH-Recht nicht generell unzulässig, müssen sich aber im an die Schranken der Kapitalerhaltung halten. In der Folge wird teilweise eine analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG propagiert,242) andere beschränken sich auf einen bereicherungsrechtlichen Anspruch wegen Unwirksamkeit des Gewinnverwendungsbeschlusses analog § 253 Abs. 1 AktG.243) Umstritten im Rahmen der Kapitalaufbringung der UG ist, ob die Volleinzahlungs- 104 pflicht des § 5a Abs. 2 S. 1 GmbHG eine sofortige Rückzahlung der Einlage der Gesellschafter nach § 19 Abs. 5 GmbHG sperrt.244) Die Gegenansicht245) geht richtigerweise einer Anwendbarkeit des § 19 Abs. 5 GmbHG aus und erlaubt eine Auszahlung, wenn ein vollwertiger Rückgewähranspruch besteht. Unabhängig davon, wie man sich entscheidet, darf das Kapitalaufbringungsrecht ohne eine Mindesteinlagesumme jedoch nicht überschätzt werden. Ebenso verhält es sich mit der Anwendbarkeit des § 19 Abs. 4 GmbHG auf die UG und dem in § 5a Abs. 2 S. 2 GmbHG normierten Sacheinlageverbot. Die in § 19 Abs. 4 GmbHG zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzes differenziert nicht, ob eine offene Sacheinlage erlaubt oder verboten ist. Vielmehr sind verdeckte Sacheinlagen auch für die GmbH nicht erlaubt. ___________ 239) Grimm, Die Finanzverfassung der kleinen Kapitalgesellschaft, 435 f. 240) Veil, GmbHR 2007, 1080, 1083; ders., ZGR 2009, 623, 634; Bohrmann, GmbHR 2007, 897, 899; Noack/Servatius/Haas/Servatius, GmbHG, § 5a Rn. 23; MüKo-GmbHG/Rieder, § 5a Rn. 31 – 34. 241) MüKo-GmbHG/Rieder, § 5a Rn. 32. 242) MüKo-GmbHG/Rieder, § 5a Rn. 33; Noack/Servatius/Haas/Servatius, GmbHG, § 5a Rn. 23; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 5a Rn. 43; Peetz, GmbHR 2012, 1160, 1162; H.-F. Müller, ZGR 2012, 81, 93 ff.; Neideck, GmbHR 2010, 624, 627; Hennrichs, NZG 2009, 1161, 1166; Miras, Die neue Unternehmergesellschaft, Rn. 232 ff. 243) Rowedder/Schmidt-Leithoff/Baukelmann/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 5a Rn. 38 f.; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 456 f.; Veil, ZGR 2009, 623, 634. 244) So Wicke, GmbHG, § 5a Rn. 7; Weber, BB 2009, 842, 845; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 450. 245) MüKo-GmbHG/Rieder, § 5a Rn. 24; Altmeppen, GmbHG, § 5a Rn. 18; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 5a Rn. 32; Noack/Servatius/Haas/Servatius, GmbHG, § 5a Rn. 14; Scholz/Westermann, GmbHG, § 5a Rn. 17; Schall, ZGR 2009, 126, 146; Priester, FS Roth, 2011, 573, 578.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

Das Gesetz bringt mit § 19 Abs. 4 GmbHG zum Ausdruck, dass den Gläubigerinteressen über die Beweislast des Inferenten genügend Rechnung getragen wird.246) Eine Verneinung der Anwendbarkeit auf die UG wäre wertungswidersprüchlich.

105 Klar wird in Anbetracht der nach wie vor offenen und intensiv geführten Streitigkeiten, dass die teilweise Abkehr vom System des Mindestkapitals durch die Einführung der UG keineswegs die bei der GmbH bestehenden Probleme gelöst hat. Insgesamt wird die UG hinsichtlich ihres Gläubigerschutzkonzepts und ihrer Kohärenz im System des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts vor allem in der monographischen Wissenschaft überwiegend als nicht gleichwertig gegenüber der GmbH angesehen.247)

d) Statutarisches Garantiekapital 106 Akzeptiert man die Abkehr vom Mindestkapital, so bleibt noch auf das Garantiekapital einzugehen. Dieses hat, wie oben bereits dargelegt, keine Schutzfunktion in dem Sinne, dass ein bestimmter Betrag in der Insolvenz zur Verfügung steht. Vielmehr wird durch eine Überführung eines Betrages aus dem Vermögen der Gesellschafter in das Vermögen der Gesellschaft und die Bindung daran ein grundlegender Gleichklang der Interessen gewährleistet. Je höher das Garantiekapital ist, desto höher ist auch der im Zweifelsfall anfallende Verlust der Gesellschafter, mit der Folge, dass ein Anreiz für eine vernünftige Unternehmens- und Risikopolitik besteht.248) Durch die Kapitalerhaltungsregeln wird sichergestellt, dass dieser Gleichlauf auch dauerhaft besteht.249) Des Weiteren ist mit § 49 Abs. 3 GmbHG bzw. § 92 AktG eine Warnfunktion an das Garantiekapital gekoppelt. Diese greift dann ein, wenn das Gesellschaftsvermögen nur noch die Hälfte des Nennkapitals deckt. So soll den Gesell-

___________ 246) So Kleindiek, FS Hopt, 2010, 941 ff.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 5a Rn. 29 ff.; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 19 Rn. 69; Altmeppen, GmbHG, § 5a Rn. 24; MüKoGmbHG/Rieder, § 5a Rn. 23; Scholz/Westermann, GmbHG, § 5a Rn. 20; Veil, ZGR 2009, 623, 631; a. A. Priester, FS Roth, 2011, 573, 577; Hirte, ZInsO 2008, 933, 935; Wicke, GmbHG, § 5a Rn. 8; Noack/Servatius/Haas/Servatius, GmbHG, § 5a Rn. 14; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 117; Weber, BB 2009, 842, 845; Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 451. 247) Guntermann, Institutionelle Haftungsbeschränkung, 460; Grimm, Die Finanzverfassung der kleinen Kapitalgesellschaft, 419 f.; Leyendecker, Geschäftsführungsmacht, 280 f.; ders., GmbHR 2008, 302, 305; Höfer, „Flex-GmbH“, 73 ff.; Hollinderbäumer, GmbH im Wettbewerb, 151; Niggemann, Die Reform des Gläubigerschutzsystems, 216 f., 369 ff.; ohne klare Wertung im Vergleich zur GmbH Spies, Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), 299 f.; eher positiv Mostertz, Die UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG, 236 f., 263; positiv Kutschmann, Mindestkapitalfreie Gesellschaften in Deutschland, 414. 248) Drygala, ZGR 2006, 587, 595 f.; Engert, GmbHR 2007, 337, 338. 249) So auch Grimm, Die Finanzverfassung der kleinen Kapitalgesellschaft, 386 f.; ähnlich Drygala, ZGR 2006, 587, 596.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

schaftern der Verlust vor Augen geführt und ein Krisensignal geben werden.250) Um zu verhindern, dass der Gesellschafter seine Einlage als Verlust akzeptiert und ein hoch risikoreiches Projekt durchführt, ist das Garantiekapital nicht geeignet. Dazu sind andere Schutzmechanismen erforderlich.

e)

Kapitalerhaltung

Die Vermögensbindung wird – über die Einlage hinaus – besonders im Aktienrecht 107 konsequent verwirklicht. Für das Aktienrecht gilt nach ganz herrschender Ansicht, dass nach § 57 Abs. 1 S. 1 AktG jede Leistung an einen Aktionär aus dem Vermögen der Aktiengesellschaft unzulässig ist, wenn sie außerhalb der ordnungsgemäßen Ausschüttung des Bilanzgewinns erfolgt und nicht aufgrund spezieller gesetzlicher Regelung erlaubt ist.251) § 57 Abs. 1 S. 3 u. 4 AktG machen davon drei Ausnahmen: Das Verbot der Auszahlung gilt nicht bei Bestehen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 AktG), wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gegen den Aktionär gedeckt ist oder bei Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens an den Aktionär. Etwas schwächer252) ist der über § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG vermittelte Gläubiger- 108 schutz, nach dem nur das für den Erhalt des Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf.253) Auch hier macht das Gesetz wiederum drei Ausnahmen: Das Verbot der Auszahlung nach S. 1 gilt nach § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG nicht bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrages erfolgen oder durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gegen den Gesellschafter gedeckt sind. Gem. S. 3 ist das Verbot der Auszahlung nicht anzuwenden auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder dem wirtschaftlich gleichstehende Handlungen. Das GmbHG-Recht bindet also grundsätzlich nicht das gesamte Vermögen der Gesellschaft, sondern nur in rechnerischer Hinsicht254) das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Aktivvermögen.

___________ 250) Michalski/Heidinger/Lieble/Schmidt/Römermann, GmbHG, § 49 Rn. 8; Hüffer/Koch/Koch, AktG, § 92 Rn. 3. 251) BGH, NZG 2017, 344; BGH, ZIP 2008, 118, 119; BGH, ZIP 1992, 1081; Hüffer/Koch/Koch, AktG, § 57 Rn. 2; MüKo-AktG/Bayer, § 57 Rn. 8. 252) Statt vieler: Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff, GmbHG, § 30 Rn. 4; Scholz/Verse, GmbHG, § 30 Rn. 7. 253) BGH, GmbHR 2002, 549, 550; BGH, ZIP 1990, 451, 453; Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff, GmbHG, § 30 Rn. 2. 254) Rückkehr zur „bilanziellen Betrachtungsweise“, vgl. Begr. RegE-MoMiG, BR-Drucks. 354/07, 94.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

f)

Zusammenfassung

109 Insgesamt bilden die Vorschriften über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung eine der tragenden Säulen des Gläubigerschutzes. Sie wirken vornehmlich präventiv und sollen so sicherstellen, dass der Eintritt in die Insolvenz verhindert wird. Dabei erfüllt das Mindestkapital nicht mehr den historisch zugemessenen tragenden Effekt, es verlangt den Gesellschaftern gleichwohl einen nicht unerheblichen Beitrag zur Erlangung des Haftungsprivilegs ab.

2.

Insolvenzrecht

110 Auch das Insolvenzrecht erfüllt einen Teil des Gläubigerschutzes. Dort stehen die schuldnerbezogenen Insolvenzantragspflichten im Vordergrund. Nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO muss eine juristische Person sowie nach S. 2 auch eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ohne persönlich haftende Person bei Eintreten der Tatbestände der §§ 17, 19 InsO einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Dies ist der Schnittpunkt, an welchem das Gesetz den gesellschaftsrechtlichen Verkehrsschutz und insbesondere den Gläubigerschutz als nicht mehr ausreichend erachtet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss das Unternehmen entweder liquidiert oder restrukturiert werden.255) Während die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO für alle insolvenzfähigen Wirtschaftsteilnehmer einen Insolvenzgrund darstellt, ist der Überschuldungstatbestand nach § 19 InsO explizit auf die vom institutionellen Haftungsprivileg profitierenden Wirtschaftsteilnehmer gemünzt. Die drohende Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 Abs. 1 InsO ist hingegen als fakultativer Insolvenzantragsgrund ausgestaltet. Gleichzeitig ermöglicht das Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit die Einleitung des Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG. Ergänzt werden die Insolvenzantragspflichten durch die organbezogene Geschäftsführerhaftung gem. § 15b InsO.

a) Zahlungsunfähigkeit 111 Der mit Abstand wichtigste Insolvenzantragsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit gem. § 17 Abs. 1 InsO. Nach statistischen Erhebungen im Jahr 2018 wurden 96,67 % der Verfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet. Die drohende Zahlungsunfähigkeit als alleiniger Eröffnungsgrund machte nur rund 0,77 % der Verfahren aus und fast genauso viele Verfahren – etwa 0,84 % – wurden sowohl

___________ 255) Vgl. K. Schmidt/Uhlenbruck/K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 5.2; ders., ZIP 2013, 485, 487.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

wegen drohender Zahlungsunfähigkeit als auch wegen Überschuldung eröffnet.256) Auch die Überschuldung als alleiniger Insolvenzantragsgrund machte nur etwa 1,73 % der Fälle aus. Zahlungsunfähigkeit liegt gem. Abs. 2 vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage 112 ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Die Rechtsprechung sieht dies als gegeben an, wenn der Schuldner 10 % oder mehr seiner Verbindlichkeiten nicht begleichen kann, sofern mit nicht an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.257) Hierfür ist ein Zeitraum von drei Wochen maßgeblich.258)

b) Überschuldung Der Überschuldungstatbestand soll hier in seinem Aufbau kurz dargestellt werden. 113 In rechtspolitischer Hinsicht ist dieser hoch umstritten.259) Vor der Reform durch das SanInsFoG bestand zudem die Notwendigkeit, die Überschuldung von der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO und der „wahrscheinlichen Insolvenz“ nach Art. 4 Abs. 1 der Restrukturierungsrichtline abzugrenzen.260)

aa) Normzweck Der Tatbestand der Überschuldung soll die Krise eines Unternehmens in einen insol- 114 venzrechtlichen Tatbestand fassen, bevor der Zusammenbruch desselben unausweichlich wird und Werte unwiederbringlich verloren gehen.261) Insofern kann man den Tatbestand als Ergänzung zum Kapitalschutzsystem des Gesellschaftsrechts sehen.262) Die Vorschrift dient vor allem dem präventiven Schutz der Gläubiger263) ___________ 256) Die Berechnungen wurden erstellt auf Grundlage von: Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten, Insolvenzverfahren, Jahr 2018. Die Einzelunternehmen sowie Personengesellschaften wurden, mit Ausnahme der GmbH & Co. KG, jeweils herausgerechnet, da nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 InsO nur juristische Personen sowie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ohne persönlich haftenden Gesellschafter verpflichtet sind, Insolvenzanträge aufgrund von Überschuldung zu stellen. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde die Berechnung bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit ebenso vorgenommen; die Anzahl der eröffneten Verfahren ausschließlich wegen Überschuldung beträgt für alle insgesamt eröffneten Verfahren etwa 1,03 %; für einen weiteren Überblick vgl. Rieger, Fortbestehensprognose, 44 ff. 257) Statt vieler BGHZ 217, 130; BGH, ZIP 2013, 228; Uhlenbruck/Mock, InsO, § 17 Rn. 23. 258) BGH, NZI 2012, 1009; BGH, NZI 2012, 567; Uhlenbruck/Mock, InsO, § 17 Rn. 28 m. w. N. 259) Vgl. insbesondere die Studie von Bitter/Hommerich/Reiß, ZIP 2012, 1201 zur Frage, ob der Überschuldungstatbestand abgeschafft werden sollte oder nicht. Zur Diskussion auch Bork, ZIP 2019, S1; Brinkmann, NZI 2019, 921; Piekenbrock, NZI Beilage 1/2019, 47. 260) Vgl. dazu Thole, ZInsO 2019, 1622, 1624 ff.; Freitag, ZIP 2019. 541, 549 ff. 261) K. Schmidt, ZIP 1980, 233, 234. 262) K. Schmidt/Uhlenbruck/K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 1.31. 263) Vgl. nur K. Schmidt/ders., InsO, § 19 Rn. 2; Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO, § 19 Rn. 1.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

von beschränkt haftenden Gesellschaften264) und wird auch als Korrelat zur beschränkten Haftung265) verstanden. Im Vergleich zur Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO soll der Tatbestand der Überschuldung typischerweise eine Vorverlagerung des Gläubigerschutzes bewirken.266) Er steht dabei in unmittelbarem Zusammenhang mit § 15b Abs. 1 InsO (zuvor § 64 GmbHG sowie § 92 Abs. 2 AktG), welcher ein Auszahlungsverbot des Geschäftsführers an den Tatbestand der Überschuldung knüpft.

bb) Funktion und Wirkung (1) Modifizierter zweistufiger Überschuldungsbegriff 115 Der aktuell geltende modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff wurde von Karsten Schmidt noch vor Geltung der Insolvenzordnung entwickelt.267) Der BGH schloss sich dem in seiner Rechtsprechung wenig später an.268) Er versucht, dem Gläubigerschutz durch ein exekutorisches und ein prognostisches Element Rechnung zu tragen. Diese Elemente werden durch eine Ermittlung der Höhe des verwertbaren Vermögens und eine Fortbestehensprognose gebildet. Dazu wird zunächst überprüft, wie viel Vermögen durch eine Liquidation des Unternehmens für Gläubiger realisierbar wäre. Für diese sogenannte „rechnerische“ Überschuldung müssen stichtagsbezogen die Aktiva mit den Passiva vergleichen werden, wobei die Aktiva stets nach Liquidationswerten bewertet werden müssen.269) Als Liquidationswert wird die Summe der Preise verstanden, die sich erzielen lassen, wenn man die Gegenstände des Unternehmens im Rahmen der Unternehmensauflösung einzeln am Markt veräußert.270) Reicht dieser Wert nicht aus, um alle Verbindlichkeiten zu decken, so liegt rechnerische Überschuldung vor, § 19 Abs. 2 S. 1 InsO.271) Ist das der Fall, so gilt das Unternehmen in einem zweiten Schritt nur dann auch als rechtlich überschuldet, wenn sich die künftige Zahlungsfähigkeit im Rahmen einer anzustellenden ___________ 264) Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 15a Rn. 1. 265) Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO, § 19 Rn. 2; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, § 64 Rn. 22; Brinkmann, NZI 2019, 921; Crezelius, FS Röhricht, 2005, 787, 790 f.; Rieger, Fortbestehensprognose, 28; a. A. MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rn. 1, die nur die bis zum 17.10.2008 geltende Fassung als Korrelat zur beschränkten Haftung ansehen. 266) Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO, § 19 Rn. 1; Frystatzki, NZI 2011, 521; Drukarczyk, WM 1994, 1737; Noack/Servatius/Haas/Haas, GmbHG Vorb. vor § 64 a. F. Rn. 25; MüKoGmbHG/H.-F. Müller, § 64 Rn. 22; K. Schmidt/Uhlenbruck/K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 5.81; Brinkmann, NZI 2019, 921. 267) K. Schmidt, AG 1978, 334 ff.; ders., ZIP 1980, 233 ff.; ders., JZ 1982, 165, 170. 268) Vgl. BGHZ 199, 201, 214. 269) OLG Hamburg, ZIP 2017, 2197 Rn. 44; Uhlenbruck/Mock, InsO, § 19 Rn. 130; K. Schmidt/ders., InsO, § 19 Rn. 24; Kübler/Prütting/Bork/Pape, InsO, § 19 Rn. 33; Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO, § 19 Rn. 21; Andres/Leithaus/Leithaus, InsO, § 19 Rn. 9. 270) Vgl. Moxter, WPg 1980, 345, 348; Uhlenbruck/Mock, InsO, § 19 Rn. 131. 271) MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rn. 38.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

Fortbestehensprognose als negativ erweist.272) Innerhalb des Prognosezeitraums muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Liquiditätslücke auftreten. Oft wird in diesem Zusammenhang eine Eintrittswahrscheinlichkeit von weniger als 50 % angeben.273) Im Vordergrund steht hier aber die Plausibilität des Eintritts der der Finanzplanung zugrundeliegenden Annahmen und Prämissen, da eine mathematisch oder statistisch exakte Feststellung auf einen Prozentsatz schwerlich durchführbar ist.274) Sie stellt somit mehr eine komparative, nicht quantifizierbare Hypothesenwahrscheinlichkeit dar und ist nicht als rein statistisches Konzept aufzufassen.275) Der mit der Prognose abzudeckende Zeitraum muss dabei vor allem handhabbar276) 116 und betriebswirtschaftlich noch kalkulierbar277) sein. Überwiegend wurde dabei vor der Reform durch das SanInsFoG ein Zeitraum von zwölf bis 24 Monaten vorgeschlagen.278) Im Zuge der Reform durch das SanInsFoG hat der Gesetzgeber festgelegt, dass der Prognosezeitraum zwölf Monate betragen soll.279) Eine genaue Reihenfolge der Prüfung, sprich, ob zuerst die rechnerische Überschul- 117 dung zu ermitteln oder die Fortführungsprognose zu erstellen ist, ergibt sich aus dem Gesetz nicht zwangsläufig. Entscheidend ist letztlich lediglich, dass eine Reihenfolge gewählt wird, die zu einer belastbaren und nachvollziehbaren Feststellung des Bestehens bzw. des Nichtbestehens des Insolvenzgrundes führt.280) Evident wird bei einer Betrachtung der Funktionsweise des Überschuldungstatbe- 118 standes, dass die Fortbestehensprognose der Dreh- und Angelpunkt der jetzigen Überschuldungsprüfung ist. Diese ist aber aufgrund der einer Prognose inhärenten Unsicherheiten schwer zu handhaben.281) Der Überschuldungsbegriff birgt aus Sicht der Gläubiger Gefahren. Problematisch ist 119 vor allem die für die Überschuldung wichtige Ermittlung des Unternehmensver___________ 272) Vgl. K. Schmidt, AG 1978, 334, 338; zu Prognosen im Insolvenzrecht allgemein Nickert/Nickert/Kühne, KTS 2019, 29 ff. 273) K. Schmidt/Uhlenbruck/K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 5.144; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rn. 83 ff. 274) Statt vieler Uhlenbruck/Mock, InsO, § 19 Rn. 229; Fischer, NZI 2016, 665, 666. 275) Uhlenbruck/Mock, InsO, § 19 Rn. 229; Groß/Amen, FS Greiner, 2005, 83, 100. 276) BGHZ 129, 136, 155; IDW 6 Rn. 13; IDW 11 Rn. 60; Uhlenbruck/Mock, InsO § 19 Rn. 224. 277) OLG Schleswig, NZI 2010, 492; Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733, 1739; Uhlenbruck/Mock, InsO § 19 Rn. 224; K. Schmidt/Uhlenbruck/K. Schmidt, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 5.141. 278) K. Schmidt/K. Schmidt, InsO, § 19 Rn. 49; Uhlenbruck/Mock, InsO, § 19 Rn. 225; Jaeger/H.-F. Müller, InsO, § 19 Rn. 37. 279) SanInsFoG Art. 5 Nr. 11, BGBl. I 2020, 3256, 3283; für eine detailliertere Darstellung s. Piekenbrock, NZI Beilage 1/2021, 82. 280) OLG Hamburg, ZInsO 2017, 2556 ff.; Uhlenbruck/Mock, InsO § 19 Rn. 41; aus Praktikabilitätsgründen will Ganter immer mit der Fortbestehensprognose beginnen, NZI 2014, 673, 674. 281) Thole, ZInsO 2019, 1622, 1624.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

mögens. Dieses errechnet sich ökonomisch gesehen als die abdiskontierte Summe (Barwert) aller Nettoeinzahlungen (cash flows), die dem Unternehmen bei bestmöglicher Verwendung der in ihm gebundenen Ressourcen entzogen werden können.282) Diese werden in der Summe dem Barwert aller Gläubigerforderungen gegenübergestellt.283) Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive betrachtet ist Überschuldung daher die Unfähigkeit zur Auszahlungsdeckung im Zeitablauf; das Vermögen ist die Fähigkeit, Schulden im Zeitablauf begleichen zu können.284) Die Überschuldung wird insoweit auch als antizipierte Zahlungsunfähigkeit bezeichnet.285)

120 Die für das Unternehmensvermögen maßgeblichen cash flows basieren allerdings auf Erwartungswerten. Infolgedessen kann ein Erwartungswert zwar positiv sein, aber in realiter für die Gläubiger negativ ausgehen. Wenn etwa ein Investitionsprojekt bei Gläubigerforderungen in Höhe von 400.000,- Euro mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % zu Einzahlungen in Höhe von 1,- Mio. Euro, in den anderen 50 % aber zu einer Einzahlung von 0,- Euro führt, dann ist zwar der Erwartungswert positiv, gleichwohl erhalten die Gläubiger in der Hälfte der Fälle nichts.286)

121 Dies hatte den Gesetzgeber mit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 dazu veranlasst, sich von dem modifizierten zweistufigen Begriff abzuwenden. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass eine positive Fortbestehensprognose stets zu einer Verneinung der Überschuldung führen und so ein Gesellschafter trotz des Fehlens persönlicher Haftung weiterwirtschaften könne, obwohl kein die Schulden deckendes Kapital zur Verfügung steht. Dies würde sich zum Nachteil der Gläubiger auswirken.287) Insoweit wurde kritisiert, die Bewertung unter dem modifizierten zweistufigen Begriff sei nichts anderes, als den Gesellschaftern in Form der Haftungsbeschränkung einen Kredit auf ihre unternehmerische Idee auf Kosten der Allgemeinheit zu geben.288) Das führte zur Einführung des zweigliedrigen Überschuldungsbegriffs.

(2) Zweigliedriger Überschuldungsbegriff 122 Der zweigliedrige Überschuldungsbegriff maß der Fortbestehensprognose nicht dasselbe Gewicht bei. Nach diesem entschied die Fortbestehensprognose lediglich ___________ 282) Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 432. 283) Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 432. 284) Büschgen/Moxter, Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, 1976, Sp. 630, 635; Hommel, ZfB 68 (1998), 297, 309. 285) Drukarczyk, NZI 2015, 110, 113. 286) Beispiel nach Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 675. 287) Stellungnahme des Rechtsausschusses zu § 23 Abs. 2 RegE InsO, BT-Drucks. 12/7302, 157; vgl. auch Begr. zu § 23 RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, 115. 288) Wackerbarth, Grenzen der Leitungsmacht, 154; vgl. zu Recht kritisch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 82 f.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

darüber, ob die Aktiva nach Liquidationswerten (bei negativer Prognose) oder nach going-concern Werten (bei positiver Prognose) bewertet wurden.289) Wenn nach going-concern Werten die Aktiva nicht ausreichten, so galt das Unternehmen trotzdem als überschuldet und musste Insolvenz anmelden. Insofern war eine bilanzielle Sichtweise ausschlaggebend.290) Der Gesetzgeber sah sich jedoch im Rahmen der Finanzmarktkrise 2007/08 dazu 123 gezwungen, den Tatbestand der Überschuldung im oben genannten Sinne abzuändern, um eine massenhafte Insolvenzanmeldung der Unternehmen zu verhindern.291) Er kehrte mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz292) vorläufig und später dauerhaft293) zum modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff zurück. Karsten Schmidt „modifizierte“ den Überschuldungsbegriff also gegenüber dem zuvor geltendem zweigliedrigen Überschuldungsbegriff insoweit, als die Fortbestehensprognose nicht mehr über die Bewertung der Vermögenswerte nach Fortführungs- oder Liquidationswerten entschied, sondern die Fortbestehensprognose als eigenständiges Element neben die rechnerische Überschuldung trat.

c)

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist in § 18 Abs. 2 InsO legaldefiniert und tritt 124 dann ein, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. In persönlicher Hinsicht gibt es keine Beschränkungen des Anwendungsbereichs, es können demnach auch Handelsgesellschaften und Verbraucher auf den Eröffnungsgrund zurückgreifen. In sachlicher Hinsicht muss eine Prognose über die zukünftige Liquidität des Schuldners angestellt werden. Es wird daher auch von einer – jetzt 24-monatigen – Zeitraum-Illiquidität gesprochen.294) Die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO ist gleichzeitig Anknüpfungs- 125 punkt für das (außerinsolvenzliche) Restrukturierungsverfahren nach dem StaURG. Ausdrücklich findet das in § 29 Abs. 1 StaRUG seinen Niederschlag, nach dem die ___________ 289) Vgl. auch BGHZ 171, 46, NZG 2007, 347; BGH, NZI 2007, 44; Goette, DStR 2006, 2186. 290) Hüffer/Koch/Koch, AktG § 92 Rn. 14; Uhlenbruck/Mock, InsO § 19 Rn. 4; Crezelius, FS Röhricht, 2005, 787, 792; kritisch und die Gegenüberüberstellung von Vermögen und Schulden mehr im Sinne des modifizierten zweistufigen Begriffs auslegend Hüttemann, FS K. Schmidt, 2009, 761, 770 ff.; ders., ZHR 162 (1998), 563, 584 ff.; ders., WPg 2007, 812, 818 ff. Folgt man dem, dann besteht zwischen dem zweigliedrigen und dem zweigliedrigen modifizierten Überschuldungsbegriff kaum noch ein Unterschied. 291) Statt vieler: Uhlenbruck/Mock, InsO § 19 Rn. 5. 292) BGBl. I 2008, 1982. 293) Gesetz zur Einführung der Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften, BGBl. I 2012, 2418. 294) Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO § 18 Rn. 7; FK-InsO/Schmerbach § 18 Rn. 15; Kübler/Prütting/Bork/Pape, InsO, § 18 Rn. 5.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

Instrumente des Restrukturierungsrahmens zur nachhaltigen Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden können. Die Anknüpfung verläuft dabei sonst über eine Negativabgrenzung: Beispielsweise darf eine Stabilisierungsanordnung295) nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG nur ergehen, wenn keine Umstände bekannt sind, dass der Schuldner drohend zahlungsunfähig ist. Auch eine Bestätigung des Restrukturierungsplans ist nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG von Amts wegen zu versagen, wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist.

d) Haftung der Geschäftsleitung 126 Als weiteres gläubigerschützendes Element fungiert die Haftung der Geschäftsleitung. Diese ist nun einheitlich im Insolvenzrecht in § 15b InsO geregelt, welcher durch das SanInsFoG eingeführt wurde.296) Zuvor waren die Zahlungsverbote im Gesellschaftsrecht für jede Rechtsform einzeln in § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG, § 99 GenG und § 130a HGB geregelt. § 15b InsO statuiert masseschmälernde Zahlungsverbote des Geschäftsführers für den Fall, dass Zahlungen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geleistet werden. Mit § 15b Abs. 1 InsO (§ 64 S. 1 GmbHG a. F.) soll vornehmlich die noch verbliebene Masse der Gesellschaft zugunsten der Gesellschaftsgläubiger erhalten werden, wobei die genauen dogmatischen Hintergründe schon vor der Reform durch das SanInsFoG umstritten waren.297) § 15b Abs. 5 InsO (§ 64 S. 3 GmbHG a. F.) installiert zusätzlich ein Zahlungsverbot und damit einhergehend eine Erstattungspflicht des Geschäftsführers für den Fall, dass Zahlungen an Gesellschafter geleistet werden, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten.298) Der Erstattungsanspruch tritt an die Seite einer lange Rechtsprechung des BGH299) zur Existenzvernichtungshaftung300) und ergänzt diese.301)

127 Die Vorschrift des § 15b InsO ist im Grunde Ausdruck des oben beschriebenen Liquiditätsrisikos der Gesellschafter und sorgt dafür, dass die Vorrangstellung der Gläubiger erhalten bleibt, indem die Gesellschaft gezwungen wird, bei Eintreten der Insolvenzgründe ein Insolvenzverfahren zu beantragen. Die alte Regelung des § 64 ___________ 295) Diese entspricht dem Moratorium nach Art. 6, 7 RRL. 296) Art. 5 Nr. 9 SanInsFoG, BGBl. I, 2020, 3256, 3282. 297) So Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rn. 6; vgl. auch Noack/Servatius/Haas/Haas, GmbHG, § 64 (aufgehoben) Rn. 17 f.; Altmeppen, GmbHG, § 64 Rn. 1; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, § 64 Rn. 1; Henssler/Strohn GesR/Arnold, GmbHG, § 64 Rn. 2 ff. 298) Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rn. 78; Noack/Servatius/Haas/Haas, GmbHG, § 64 (aufgehoben) Rn. 187 ff.; Henssler/Strohn GesR/Arnold, GmbHG, § 64 Rn. 5 ff. 299) BGHZ 149, 10; BGH, ZIP 2002, 848; BGHZ 151, 181; BGH, ZIP 2004, 2138; BGH, ZIP 2005, 117; BGH, ZIP 2005, 250. 300) Statt vieler Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 13 Rn. 25 ff. 301) Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 64 Rn. 21; Grigoleit/ders./Tomasic, AktG, § 92 Rn. 2 ff.; Hüffer/Koch/Koch, AktG, § 1; MüKo-AktG/Spindler, § 92 Rn. 3 ff.

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C. Gläubigerschutz als Gegengewicht

GmbHG wurde deshalb auch als gesellschaftsrechtliche Parallele zum § 199 S. 2 InsO angesehen.302) Ähnliche Überlegungen liegen auch dem als „wrongful trading“303) bekannten Haf- 128 tungstatbestand aus dem englischen Recht zugrunde. Dort geht es um die Verhinderung der Abwertung des Gesellschaftsvermögens durch die Hinauszögerung des pflichtigen Insolvenzantrags und der infolgedessen weiteren Verschärfung der Verschuldung der Gesellschaft.304) Schließlich gibt es neben der Existenzvernichtungshaftung, welche seit den Entschei- 129 dungen Bremer Vulkan und Trihotel als rein deliktische Haftung nach § 826 BGB ausgestaltet ist,305) noch weitere Fälle der Durchgriffshaftung und so Durchbrechungen des Trennungsprinzips.306) Eine Gruppe stellt die Haftung wegen der sog. Vermögensvermischung dar. Nach dieser haften die Gesellschafter einer GmbH, AG oder KGaA dann mit ihrem gesamten persönlichen Vermögen, wenn die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung oder auf andere Weise verschleiert worden ist und deshalb die Kapitalerhaltungsvorschriften, deren Einhaltung ein unverzichtbarer Ausgleich für die Haftungsbeschränkung ist, nicht funktionieren können.307) Zudem wurde lange eine Haftung der Gesellschafter für eine materielle Unterkapita- 130 lisierung diskutiert. Diese würde dann eingreifen, wenn die Gesellschaft anfänglich nicht mit den erforderlichen Mitteln für den Geschäftsbetrieb ausgestattet würde. Angesichts der Einführung der UG ist dieser Haftungstatbestand aber zweifelhaft geworden.308)

III. Zusammenfassung Die beschränkte Haftung ist volkswirtschaftlich wünschenswert und ein an sich seit 131 über 120 Jahren bewährtes Prinzip, wobei ihre Einführung auf einer Entscheidung des Gesetzgebers beruhte. Erforderlich ist indes ein normatives Gegengewicht zugunsten der Gläubiger, die einen Teil der Risiken der Gesellschafter tragen müssen. Dabei hat sich der Gesetzgeber historisch gesehen für ein System des Mindestkapitals als Eintrittsschwelle für das Privileg der beschränkten Haftung entschieden. Dieses ___________ 302) 303) 304) 305) 306)

Noack/Servatius/Haas/Haas, GmbHG, § 64 Rn. 187 f. Dazu statt vieler Jaspers, Opportunistisches Verhalten, 556 – 576. Müller, Gläubigerschutz bei der Limited Company, 197. Grundlegend BGHZ 149, 10; BGHZ 173, 246. Für einen Überblick siehe etwa Grigoleit, Gesellschafterhaftung, 202 ff.; Raiser, FS Priester, 2007, 619, 625; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, 103 ff. 307) BGHZ 125, 366, 368; 165, 85, 91; vgl. auch Raiser, FS Priester, 2007, 619, 622. 308) Dagegen Ulmer/Raiser, GmbHG, § 13 Rn. 142; ders., FS Priester, 2007, 619, 623 f.; Goette, ZHR 177 (2013), 740, 755; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 123 f.; Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055; Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1205; Kleindiek, NZG 2008, 686, 688.

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2. Kapitel: Die institutionelle Haftungsbeschränkung

System hat sich im Laufe der Jahre insbesondere mit Einführung der UG abgeschwächt. Insoweit hat auch eine Verlagerung des Gläubigerschutzes im Kapitalgesellschaftsrecht vom Gesellschafts- ins Insolvenzrecht stattgefunden, ohne dass jedoch die direkten Gläubigerrechte gestärkt wurden. Der mit dem institutionellen Haftungsprivileg korrespondierende Überschuldungstatbestand wurde mit der nun noch wichtigeren Prognose aufgeweicht. Zwar folgt theoretisch keine Schlechterstellung der Gläubiger durch die Prognose, diese müssen indes die damit einhergehenden Unsicherheiten tragen. Diese können sich positiv – durch im besten Fall vollständige Tilgung der Verbindlichkeiten – aber auch negativ – im Falle des Scheiterns – äußern. Das Garantiekapital und in weiterem Umfang das Eigenkapital einer Gesellschaft sorgt dennoch nach wie vor maßgeblich dafür, dass ein Interessengleichklang zwischen Gläubigern und Schuldnern herrscht. Das System des Kapitalgesellschaftsrecht agiert dabei unter der Prämisse, dass Gläubigerforderungen vorrangigen Zugriff auf das Schuldnervermögen haben und vor den Anteilseignern befriedigt werden.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel Die absolute Vorrangregel wird teilweise als das insolvenzrechtliche Korrelat der 132 institutionellen Haftungsbeschränkung gesehen. Es ist indes zu überprüfen, inwieweit tatsächlich eine Verbindung der absoluten Vorrangregel zur institutionellen Haftungsbeschränkung gezogen werden kann. Die absolute Vorrangregel hat bisher in der deutschen Wissenschaft eher wenig Aufmerksamkeit erfahren.309) Das verwundert vor dem Hintergrund, dass der Insolvenzplan selbst, in welchem auch im deutschen Recht die absolute Vorrangregel eingebettet ist, verglichen mit seiner praktischen Bedeutung, Gegenstand eingehender Betrachtung geworden ist. Die absolute Vorrangregel wird in aller Regel als gegeben hingenommen und nicht weiter auf ihre Stärken und Schwächen untersucht. Im Folgenden soll die absolute Vorrangregel, die ihren Ursprung im amerikanischen Recht hat, näher beleuchtet und ihre Rezeption ins deutsche Recht dargestellt werden.

A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht Das amerikanische Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 des US Bankruptcy 133 Codes hat hinsichtlich der Regelungen des Planverfahrens eine Vorbildfunktion für das deutsche Recht. Der Deutsche Bundestag hat dem amerikanischen Recht aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und des umfassenden wissenschaftlichen Diskurses eine besonders hohe Reife attestiert.310) Viele der Regelungen zum Insolvenzplan und ebenso zum Restrukturierungsrahmen sind dem Verfahren nach Chapter 11 entlehnt.311) Chapter 11 des US Bankruptcy Codes regelt die Bewältigung der Krise mittels eines Plans und ist in seiner Wirkung dem deutschen Insolvenzplan sehr ähnlich. Bereits mit der Einleitung des Verfahrens tritt automatisch ein Vollstreckungs- und 134 Verwertungsverbot in Kraft.312) Die Grundmechanik des Chapter 11 Verfahrens sieht die Erstellung eines Restrukturierungsplans durch den Schuldner vor.313) Dieser enthält die Maßnahmen, mit denen der Schuldner reorganisiert werden soll.314) Die Planbetroffenen werden abhängig von ihrem Rang verschiedenen Klassen zugeteilt, welche anschließend auf Grundlage der ihnen überlassenen Informationen über den ___________ 309) Umfassend Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 111 – 121, 219 ff.; Fassbach, Cram down power, 71 ff.; auch Hinrichs, Insolvenzbewältigung durch Optionen, 140 ff. 310) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 105. 311) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 105 f.; Begr. RegE-SanInsFoG, BT-Drucks. 19/24181, 109, 128 f. 312) 11 U.S.C. § 362. 313) Das Chapter 11 Verfahren ist sowohl Gesellschaften als auch natürlichen Personen zugänglich. 314) Vgl. 11 U.S.C. §§ 1123, 1125; für eine kurze und übersichtliche Darstellung auch Braun, FS Fischer, 2008, 53, 55 ff.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Plan abstimmen. In jeder Klasse muss der Plan zur Annahme eine Zweidrittelsummen- und eine einfache Kopfmehrheit erreichen.315) Erreicht der Plan nicht in jeder Klasse die erforderlichen Mehrheiten, so ist die Ersetzung der Zustimmung einer ganzen Klasse möglich.316) Dazu muss der Plan insbesondere „fair and equitable“ sein (11. U.S.C. § 1129(b)) und darf die Gläubiger nicht schlechter stellen als im Falle der Liquidation (11 U.S.C. § 1129(a)(7)). In dem Merkmal „fair and equitable“ ist die absolute Vorrangregel enthalten.317) In jedem Fall muss der Plan vom Gericht bestätigt werden.318) Ist das der Fall, so bindet der Plan den Schuldner, die Anteilseigner und alle Gläubiger.319)

135 Als Alternative zu einer Bewältigung der Insolvenz mittels eines Plans sieht der US Bankruptcy Code die Liquidation des Schuldners vor. Diese ist in Chapter 7 U.S.C. geregelt.

136 Für einen späteren Vergleich zwischen der relativen Vorrangregel des Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL und der absoluten Vorrangregel des Art. 11 Abs. 2 RRL muss daher die Grundlage der absoluten Vorrangregel untersucht werden.

I.

Herkunft des Begriffs des absoluten Vorrangs

1.

Equity Receivership

137 Dem heutigen Insolvenzrecht in den USA war eine lange Zeit wechselhafter Gesetzgebung vorangegangen. In den Jahren 1800, 1841 und 1867 wurden jeweils infolge einer Wirtschaftskrise bundesweit einheitliche Insolvenzgesetze (Bankruptcy Acts) erlassen.320) Mit dem Abflauen der jeweiligen Krisen sank das Bedürfnis nach einem Gesetzesrahmen für die Bewältigung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs eines Schuldners und die Gesetze wurden schnell wieder aufgehoben.321) Die Gründe dafür waren vielfältig: Zum einen wurden hohe Kosten und Gebühren, niedrige Quoten und umfangreiche Verzögerungen in den Verfahren kritisiert, zum anderen wurden zum Teil sehr weite Anreisen aller Parteien bemängelt, da die Insolvenz___________ 315) 11 U.S.C. § 1126. 316) 11 U.S.C. § 1129; für eine detaillierte Darstellung des Aufbaus im Zusammenhang mit dem Cram-down siehe Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133 (1979). 317) 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(B). 318) 11 U.S.C. § 1128, 1129(a). 319) 11 U.S.C. § 1141(a). 320) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 14, 16, 19 (1995); mit einer Darstellung des „Equity Receivership“-Verfahrens auch Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 112 ff. 321) Der Bankruptcy Act vom 4. April 1800 wurde drei Jahre später durch das Gesetz vom 19. Dezember 1803 aufgehoben. Der Bankruptcy Act von 1841 wurde am 3. März 1843 und der Banktruptcy Act von 1867 wurde durch Gesetz vom 7. Juni 1878 aufgehoben, vgl. Tabb, 3 Am. Bank. Inst. L. Rev. 5, 15, 18, 19 (1995); für eine Darstellung vgl. auch Madaus, Der Insolvenzplan, 114 ff.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

sachen bei den Bundesgerichten verortet waren.322) Infolgedessen gab es große Zeiträume, in denen es an einer einheitlichen und landesweiten gesetzlichen Regelung fehlte. Dies war misslich, denn gerade mit dem Auslaufen des 19. Jahrhunderts und dem Aufstreben der Eisenbahngesellschaften war das Bedürfnis nach Regelungen groß. Die Eisenbahngesellschaften erforderten, wie auch in Deutschland, große Kapitalsummen, waren aber finanziell oft nicht gut aufgestellt.323) Hinzu kam, dass die meisten Eisenbahngesellschaften von „betrügerischen“ Bauunternehmen, die den Streckenbau vorangetrieben hatten, kontrolliert wurden.324) Abenteuerliche Buchführung und die Neigung, Gewinne aus der Gesellschaft für private Zwecke zu entnehmen, ließen die Eisenbahngesellschaften anfällig für wirtschaftliche Schwankungen werden.325) Es lag in der Natur des Eisenbahnbetriebes, dass die Vermögenswerte der Eisenbahn- 138 gesellschaften kaum liquidierbar waren, da sie außerhalb des Eisenbahnbetriebes schlecht genutzt werden konnten. Ein Gläubiger kann in der Tat mit einem einzelnen Streckenabschnitt oder einer Dampflok wenig anfangen. Infolgedessen bestand das praktische Bedürfnis nach einem Sanierungsinstrument.326) Die Gerichte und Anwälte füllten die vorhandenen gesetzlichen Lücken mit Leben und entwickelten das sogenannte „Equity Receivership“-Verfahren. Das Receivership-Verfahren war ein außergerichtliches Verfahren und auch die Verhandlungen fanden im Wesentlichen außerhalb des gerichtlichen Einflusses statt.327) In diesem Verfahren wurde auf Antrag eines Gläubigers das gesamte Vermögen des Schuldners beschlagnahmt und einem Verwalter („Receiver“) unterstellt. Dieser erhielt die Verfügungsgewalt über das Schuldnerunternehmen und führte dessen Geschäfte fort. Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen wurden ausgesetzt, während der Receiver nach einem Käufer für die Vermögenswerte des Schuldners suchte.328) Ein Plan sah typischerweise vor, dass eine neue Übernahmegesellschaft gegründet wurde, welche die Vermögenswerte des Schuldners übernehmen sollte.329) Mit dem Verkaufserlös sollten dann die Gläubiger befriedigt werden.330) Mit dem Verfahren sollte verhindert werden, dass die ___________ 322) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 16 ff. (1995). 323) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 21 (1995); Lubben weist darauf hin, dass die reorganisierten Gesellschaften im Durchschnitt etwa zweieinhalb Mal so oft wie andere Unternehmen ein weiteres Mal ein Receivership Verfahren durchlaufen mussten, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1422, 1426 ff. (2004); ein Kurzüberblick auch bei Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 74 ff. (1991); sowie Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963 (1989). 324) Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1427 (2004); ähnlich Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995). 325) Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1427 f. (2004). 326) Madaus, Der Insolvenzplan, 119. 327) Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 527 (1917); vgl. auch Glenn, 25 Colum. L. Rev. 434 ff. (1925). 328) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995); Trieber, 19 Yale L. J. 275 (1910). 329) Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 75 (1991). 330) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995); vgl. auch Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 75 (1991).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Vermögensmasse zerschlagen wurde, was weder ökonomisch noch politisch sinnvoll erschien, da von den Eisenbahngesellschaften die gesamte Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung des Landes entscheidend abhing.331) Dem Gedanken nach sollte durch den Verkauf als ganzes Unternehmen ein höherer Fortführungswert realisiert und Arbeitsplätze erhalten werden.332)

139 In der Praxis erwies sich das Verfahren als überaus anfällig für Missbrauch und Manipulation. In vielen Fällen hatte das alte Management auch im Equity Receivership-Verfahren die Kontrolle über das Unternehmen und verwaltete die Bedingungen des Verkaufs des Unternehmens.333) Das geschah zum Teil aus den praktischen Erwägungen heraus, dass das Unternehmen zum einen neues Kapital und zum anderen einen kompetenten Manager benötigte; oft konnten die alten Anteilseigner beides bieten: Sie waren bereit, neues Kapital nachzuschießen334) und waren oft in einer besseren Position, die Verwaltung des Unternehmens sachgerecht durchzuführen.335) Die Gläubiger schlossen sich zu einem Reorganisationsausschuss („reorganization committee“ oder „protective committee“) zusammen, um sich angemessen an den Verhandlungen mit dem Schuldner beteiligen zu können.336) Der Reorganisationsausschuss – zumeist gesicherte Gläubiger – wurde allerdings in der Praxis häufig von Insidern kontrolliert.337) Diese Insider-Manager des Reorganisationsausschusses waren oft Anleihegläubiger und Anteilsinhaber zugleich.338) Während eigentlich ein Verkauf am Markt und unter Marktbedingungen stattfinden sollte, war der einzige Bieter für die großen und teuren Unternehmen der durch die Insider kontrollierte Reorganisationsausschuss. Abgesehen von den Gläubigern besaß schlicht niemand die nötigen Mittel, um das Unternehmen zu kaufen, mit der Folge, dass es keinen richtigen Wettbewerb gab.339) Das kollusive Zusammenwirken von gesicherten Gläubigern und Anteilseignern hatte noch einen weiteren Grund: Die Anteilseigner hatten immer die Möglichkeit, Einwände zu erheben, die, so wenig erfolgverspre___________ 331) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 21 (1995); Madaus, Der Insolvenzplan, 119. 332) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995). 333) Vgl. auch Harris, 89 Mich. L. Rev. 2301, 2304 f. (1991); Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995); Trieber, 19 Yale L. J. 275 ff. (1910). 334) Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 915 (1927); Haines, 72 Am. Bankr. L. J. 387, 397 f. (1998); Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review, 393, 404 (1999); Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 76 (1991). 335) Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 76 (1991). 336) Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 525 (1917); Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1443 (2004). 337) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 22 (1995); Douglas, 47 Harv. L. Rev. 565, 567 (1934); Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 524 (1917); zum Missbrauch des Receivership-Verfahrens auch Trieber, 19 Yale L. J. 275, 276 f. (1910); Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 970 f., 1022 (1989); Securities & Exchange Commission, 1 Report on the Study & Investigation of the Work Activities, Personnel & Functions of Protective and Reorganization Committees, 868 ff. (1937). 338) Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 971 (1989). 339) Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 525 (1917); Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 74 (1991); Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1444 (2004).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

chend sie auch waren, in der Widerlegung Zeit und Geld der Gläubiger kosteten. Daher war es für die Gläubiger oft günstiger, die Anteilseigner für ihr „Schweigen“ mit einem Anteilswert zu bezahlen.340) Der Reorganisationsausschuss bot einen bestimmten Betrag für die Vermögens- 140 gegenstände des Schuldners. Anstatt diesen Betrag aber an den Receiver zu zahlen, war es möglich, dass den gesicherten Gläubigern Sicherheiten am neuen Unternehmen eingeräumt wurden oder diese mit den Forderungen aufrechnen konnten und nur ein minimaler Betrag an die nicht zustimmenden (ungesicherten) Gläubiger gezahlt wurde.341) Die alten Anteilseigner sollten dann gegen Zahlung eines gewissen Beitrags (assessment) Anteile an der Übernahmegesellschaft erhalten. Dieser Beitrag lag oft weit unter dem nominellen Wert der erhaltenen Aktien. Bei Annahme des Reorganisationsplans durch alle Gruppen wurde ein neuer Gerichts- 141 termin vereinbart; in diesem Zuge wurde das gesamte Unternehmensvermögen gegen Zahlung des ausgehandelten Preises auf eine neu gegründete Übernahmegesellschaft übertragen. Die Übernahmegesellschaft wiederum gab selbst, wie zuvor im Plan vereinbart, Aktien und Anleihen an die zustimmenden Gläubiger und Anteilseigner heraus.342) Schon damals war ein kontroverser Bestandteil des Verfahrens die Häufigkeit, mit welchen es den Anteilseignern gelang, auch an der neu gegründeten Übernahmegesellschaft beteiligt zu sein, ohne dass alle Gläubiger vollständig befriedigt worden waren.343) Das führte zu der Aussage, dass die Anteilseigner das Unternehmen gewissermaßen an sich selbst verkauften und gleichzeitig schuldenfrei wurden.344) In der Praxis erhielten die ungesicherten Gläubiger meistens nichts.345) ___________ 340) Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 971 (1989). 341) Vgl. Beispiel bei Rosenberg, 17 Colum. L. Rev. 523, 525 f. (1917); Trieber, 19 Yale L. J. 275, 277 (1910). 342) Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1445 (2004); Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 75 (1991). 343) Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1445 (2004). 344) Schuldenfrei wurde die neue Gesellschaft faktisch nur dadurch, dass sich die nicht befriedigten Ansprüche der Gläubiger gegen den alten, nun vermögenslosen Rechtsträger richteten, vgl. Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1445 (2004). Auch der US Supreme Court sah im Fall Boyd einen Verkauf des Unternehmens „durch die Anteilseigner an sich selbst” vor, vgl. Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 502 (1913): „But, of course, such a transfer by stockholders from themselves to themselves cannot defeat the claim of a nonassenting creditor“. 345) Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 76 (1991); Harris, 89 Mich. L. Rev. 2301, 2305 (1989); ein anderes Bild zeichnen Baird/Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921, 925 – 936 (2001). Baird und Rasmussen betonen, dass die Anteilseigner größtenteils europäische Investmentgesellschaften mit weit diversifizierten Portfolios waren. Diese, und nicht der „kleine Bürger“, seien die Initiatoren der ursprünglichen Eisenbahngesellschaften und auch der Reorganisationen gewesen. Infolgedessen sei die der absoluten Vorrangregel zugrundeliegende These, dass die privaten Anteilseigener geschützt werden sollten, in der Form nicht zutreffend. Im Gegenteil sei vor der absoluten Vorrangregel überwiegend eine relative Vorrangregel – zum Begriff sogleich – praktiziert worden. Unter dieser relativen Vorrangregel konnten die alten Manager auf Wunsch der Investoren die Kontrolle behalten und so erzielten die Portfolios trotz der schwierigen Lage der Eisenbahngesellschaften größere Gewinne als der Markt.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

2.

Das Boyd-Urteil

142 Einen Meilenstein in der Reorganisationspraxis und insbesondere in der Receivership-Praxis stellt die Entscheidung des Supreme Courts Northern Pacific Railway Co. v. Boyd346) dar. Dort ging es um die Reorganisation der insolventen Eisenbahngesellschaft Northern Pacific Railroad in Form des Equity Receivership-Verfahrens. Deren gezeichnetes Aktienkapital betrug 155 Millionen Dollar, während sie gesicherte Obligationen in Höhe von rund 157 Millionen Dollar sowie ungesicherte Geschäftsverbindlichkeiten in Höhe von etwa 15,2 Millionen Dollar hatte. Der Reorganisationsplan sah vor, dass das gesamte Vermögen des Schuldners gegen Zahlung von 61,5 Millionen Dollar auf eine Übernahmegesellschaft, die Nothern Pacific Railway Co., übertragen werden sollte. Die ungesicherten Verbindlichkeiten von 15,2 Millionen Dollar sollten größtenteils abgelöst werden. Laut dem Plan sollten die alten Anteilseigner ferner gegen Zahlung einer Umlage347) von 10 bzw. 15 Dollar auf je 100 Dollar der „alten“ Aktien zum gleichen Nennwert von 100 Dollar Aktien und Vorzugsaktien an der neuen Gesellschaft erhalten. Boyd, welcher ungesicherter Gläubiger war, hatte seine Forderung nicht im Verfahren angemeldet und wurde bei der Reorganisation nicht berücksichtigt. Später machte er seine Ansprüche gegen die neue Gesellschaft geltend.348) Er argumentierte, die neue Übernahmegesellschaft sei zwar nicht die direkte Rechtsnachfolgerin, jedoch hafte sie für seine Forderungen, da hier praktisch dieselben Aktionäre beteiligt seien, welche das gesamte Vermögen der alten Gesellschaft übernommen hätten. Er habe aber einen gegenüber den Anteilseignern vorrangigen Anspruch. Der Supreme Court urteilte wie folgt: „As between the parties and the public generally, the sale was valid. As against creditors, it was a mere form. Though the Northern Pacific Railroad was divested of the legal title, the old stockholders were still owners of the same Railroad, encumbered by the same debts. The circumlocution did not better their title against Boyd as a nonassenting creditor. They had changed the name, but not the relation. The property in the hands of the former owners, under a new charter, was as much subject to any existing liability as that of a defendant who buys his own property at a tax sale.“349)

143 Sinngemäß hielt der Supreme Court fest, dass die Übertragung der Vermögenswerte im Verhältnis zwischen den beteiligten Parteien eine Bindungswirkung entfalte. Diese Bindungswirkung erstrecke sich aber nicht auf am Plan unbeteiligte Parteien. Die Übertragung der Vermögenswerte auf ein neues Unternehmen beraube Boyd nicht seiner Ansprüche. Das neue Unternehmen hafte gegenüber Boyd fort. ___________ 346) 228 U.S. 482 (1913); für eine Darstellung in der deutschen Literatur auch Flessner, Sanierung und Reorganisation, 61 ff.; Fassbach, Cram down power, 71 ff.; Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 111 ff. 347) Vgl. Flessner, Sanierung und Reorganisation, 61. 348) Das Urteil erging rund 17 Jahre nach dem vollständigen Abschluss des Reorganisationsverfahrens. 349) Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 506 f. (1913); mit diesem Zitat auch Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 117.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

Problematisch war aber, dass ohne die Reorganisation das gesamte Vermögen an die 144 gesicherten Gläubiger verteilt worden wäre. Den von der vor Gericht von den Anwälten der Eisenbahngesellschaft vorgebrachten Einwand, ohne die Reorganisation wäre nichts übriggeblieben, was überhaupt an die ungesicherten Gläubiger hätte verteilt werden können, weshalb diese nicht schlechter stünden, wischte der Supreme Court jedoch beiseite: „If the value of the road justified the issuance of stock in exchange for old shares, the creditors were entitled to the benefit of that value, whether it was present or prospective, for dividends or only for purposes of control. In either event, it was a right of property out of which the creditors were entitled to be paid before the stockholders could retain it for any purpose whatever.“350)

Die zentrale Aussage des Supreme Courts war, dass die Gläubiger an dem Reorga- 145 nisationswert beteiligt werden müssten, unabhängig davon, ob dieser Wert ein gegenwärtiger oder künftig erwarteter sei. Auch bei der Verteilung des Reorganisationswertes müssten Gläubiger vor Anteilseignern ausbezahlt werden, bevor diese einen Wert erhalten dürften. Der Supreme Court führte damit erstmals eine gerichtliche Inhaltskontrolle des Re- 146 organisationsplans ein, die überprüfte, ob ein im Rang höherstehender Gläubiger an der Reorganisation angemessen beteiligt wurde. Das sei nur der Fall, wenn der ablehnende Gläubiger ein faires Angebot erhalte.351) Bei den Ursprüngen der absoluten Vorrangregel handelt es sich demnach um einen Rechtsprechungsgrundsatz. Der Supreme Court legte fest, dass die Einigung über die im Reorganisationsplan getroffene Verteilung der Vermögenswerte die nicht zustimmenden Gläubiger nicht binden konnte, und verhinderte so ein Übergehen der Gläubiger im Rang zwischen den gesicherten Gläubigern und den alten Anteilseignern („freeze out problem“352)). Damit war der Grundstein für die absolute Vorrangregel gelegt. Im Allgemeinen im- 147 plizierte die Entscheidung, dass (1) der Wert des Schuldnerunternehmens bestimmt werden muss; (2) alle Klassen von Anspruchsinhabern nach ihrem Rang geordnet werden müssen, sodass alle nach ihrem jeweiligen Rang an dem Unternehmen Beteiligungen erhalten können; (3) alle Anspruchsinhaber, deren Ansprüche nicht mehr vom Reorganisationswert gedeckt waren, von dem reorganisierten Unternehmen ausgeschlossen werden.353) Das Boyd-Urteil gilt gemeinhin als Geburtsstunde des Grundsatzes, aus welchem sich 148 später die absolute Vorrangregel herausbildete. In der amerikanischen Literatur wird jedoch ausgeführt, dass der Entscheidung die Schatten eines anderen Urteils voraus___________ 350) 351) 352) 353)

Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 508 (1913). Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 483, 508 (1913). Zum Begriff Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 740 (1988). Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 655 (1974).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

eilten, welches das Boyd-Urteil maßgeblich beeinflusste.354) In der Entscheidung Louisville Trust Co. v. Louisville & c. Ry.355) ging es um die Klage eines Gläubigers, der in eine Zwangsvollstreckung intervenierte. Dort hatten gesicherte Gläubiger eine Abmachung mit Anteilseignern getroffen, wonach die Anteilseigner ebenfalls eine Beteiligung in dem reorganisierten Unternehmen erhalten sollten. Auch hier sollten die ungesicherten Gläubiger übergangen werden.

149 Justice Brewer führte aus: „… no such proceedings can be rightfully carried to consummation which recognize and preserve any interest in the stockholders without also recognizing and preserving the interests, not merely of the mortgagee, but of every creditor of the corporation. In other words, if the bondholder wishes to foreclose and exclude inferior lienholders or general unsecured creditors and stockholders he may do so, but a foreclosure which attempts to preserve any interest or right of the mortgagor in the property after the sale must necessarily secure and preserve the prior rights of general creditors thereof. This is based upon the familiar rule that the stockholder’s interest in the property is subordinate to the rights of creditors; first of secured and then of unsecured creditors. And any arrangement of the parties by which the subordinate rights and interests of the stockholders are attempted to be secured at the expense of the prior rights of either class of creditors comes within judicial denunciation.“356)

150 Sinngemäß übersetzt führte Justice Brewer aus, dass im Falle der Vollstreckung durch einen gesicherten Gläubiger die im Rang darunter stehenden Gläubiger ausgeschlossen werden könnten. Sobald das Unternehmen aber weitergeführt werde und der Schuldner einen Wert behalten solle, müssten auch die Interessen der ungesicherten Gläubiger berücksichtigt werden. Dies basiere auf dem allgemein angenommenen Grundsatz, dass die Rechte der Anteilseigner im Rang unter denen der Gläubiger stünden. Zunächst seien gesicherte und dann ungesicherte Gläubiger zu bedienen. Jede Vereinbarung, durch welche die Rechte der Anteilseigner auf Kosten der im Rang darüberstehenden Klassen gesichert würden, sei gerichtlich angreifbar.

151 Aufgrund der weitreichenden Parallelen des Falls wird das Boyd-Urteil als logische Konsequenz des Urteils Louisville Trust Co. v. Louisville & c. Ry gesehen.357)

152 Trotz der Absage an die vorherrschende Praxis, den alten Anteilseignern auch im reorganisierten Unternehmen eine Beteiligung einzuräumen, war das Boyd-Urteil nicht an allen Stellen eindeutig. Der Supreme Court führte aus, dass ein Gläubiger eine Beteiligung der alten Anteilseigner an der neuen Gesellschaft nicht verhindern ___________ 354) Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 902 f. (1927); der US Supreme Court verweist später ebenfalls auf das Urteil, vgl. Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 115 f. (1939); ebenso Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 444 (1999). 355) Louisville Trust Co. v. Louisville & c. Ry., 174 U.S. 674 (1899). 356) Louisville Trust Co. v. Louisville & c. Ry., 174 U.S. 674, 683 – 684 (1899). 357) Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 903 (1927); ähnlich Harris, 89 Mich. L. Rev. 2301, 2305 f. (1991); Neville, 60 Missouri L. Rev. 465, 470 (1995) will in der Entscheidung Louisville Trust Co. v. Louisville & c. Ry. deshalb die Geburtsstunde der absoluten Vorrangregel erblicken.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

könne; einem Gläubiger müsse „a fair opportunity“, ein faires Angebot eingeräumt werden, um seine Interessen zu wahren. Was genau darunter zu verstehen war, ließ der Supreme Court offen.358) Für das weitere Verständnis förderlich ist das Wissen, dass in der amerikanischen 153 Literatur das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis manchmal aus einer rein wirtschaftlichen Perspektive gesehen wird. Die Gläubiger seien ebenfalls „owner“ des Unternehmens, weil sie etwas, in der Regel Kapital, in das Unternehmen in Form von Darlehen investieren. Aus diesem Grund wird in der amerikanischen Literatur oft von verschiedenen Schichten von „ownership“ gesprochen.359) So gesehen haben die Gläubiger einen Anspruch gegen das Unternehmen und in dieser Höhe haben sie eine Beteiligung an dem Unternehmen; gleichermaßen verhält es sich mit den Anteilseignern, die ebenfalls einen Anspruch „gegen“ das Unternehmen haben.360) Für den Fall des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Unternehmens wird dann die Gläubigerklasse, die als letztes nicht vollständig befriedigt wird, als neuer „Eigentümer“ des Unternehmens betrachtet, der auch die Entscheidung über die Verwertung der Unternehmensassets trifft.361)

3.

Streit zwischen relativer und absoluter Vorrangregel

Nach dem Boyd-Urteil entbrannte in den USA in den zwanziger und dreißiger Jahren 154 des 20. Jahrhunderts eine intensive Debatte darüber, nach welchen Grundsätzen die wirtschaftlichen Werte zwischen Gläubigern und Schuldnern bzw. Anteilseignern verteilt werden sollten.362) Dabei bildeten sich zwei gegensätzliche Theorien heraus: die Theorie des absoluten Vorrangs (theory of absolute priority) und die Theorie des relativen Vorrangs (theory of relative priority).363) Das Boyd-Urteil fungierte ___________ 358) Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 483, 508 (1913); dazu auch Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 908 (1927); auch Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review, 393, 400 (1999). 359) Vgl. Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 740 (1988), insb. Fußn. 6 (1988); auch Baird, 15 Journal L. Stud. 127, 129 ff. (1986). 360) Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 740 (1988), insb. Fußn. 6 (1988); vgl. auch Baird, 15 Journal L. Stud. 127, 129 (1986). 361) Vgl. Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 742 f. (1988). 362) Siehe dazu m. w. N. Swaine, 27. Colum. L. Rev. 901, 914 ff. (1927); Gilchrist, 26 Cornell L. Rev. 592 (1941); Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 971 (1989); Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 74 (1991); Haines, 72 Am. Bankr. L. J. 387, 397 – 398 (1998); zu einer deutschen Darstellung der Anfänge des amerikanischen Insolvenzrechts s. auch Madaus, Der Insolvenzplan, 113 ff.; auch Flessner, Sanierung und Reorganisation, 96 ff. 363) Geprägt wurden die Ausdrücke maßgeblich von Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 127, 130 (1928). Diese verweisen darauf, dass der Gedanke des relativen Vorrangs ursprünglich von Robert T. Swaine vorgebracht wurde, vgl. 27 Colum. L. Rev. 901, 907 (1927). Dieser darf demnach als einer der Begründer des Begriffs des relativen Vorrangs gelten. Bonbright und Bergman stellen in ihrem Aufsatz die beiden Ansatzpunkte demonstrativ gegenüber und betiteln die Entscheidung aus Boyd als absolute priority rule, weshalb ihr Aufsatz maßgeblich mit den beiden Begriffen in Verbindung gebracht wird; für einen klaren Vergleich beider Theorien vgl. auch Gerdes, 89 U. Pa. L. Rev. 39, 45 ff. (1940).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

dabei als Grundlage für beide Theorien und gab aus Sicht der damaligen Literatur keine genaue Lösung vor.364) Beide Theorien waren mit der Praxis verknüpft, dass in der Reorganisation alle Vermögenswerte auf ein neues Unternehmen übertragen wurden und die Gläubiger dann Sicherheiten an den Vermögenswerten des neuen Unternehmens oder Wertpapiere erhielten. Auch die Instanzgerichte wendeten in Auslegung des Boyd-Urteils beide Theorien an.365)

155 Die Vertreter der absoluten Vorrangregel sahen die Reorganisation und die Liquidation als gleichwertige Alternativen der Haftungsverwirklichung an und wandten konsequenterweise auch in beiden Fällen dieselbe Regel an. Danach mussten die Vermögenswerte streng entlang der Rangfolge verteilt werden.366) Die Reorganisation unterschied sich von der Liquidation dadurch, dass die Gläubiger nicht einen Erlös durch die Liquidation des Unternehmens erhielten, sondern die Rangfolge durch die Ausgabe neuer Sicherheiten oder Wertpapiere gewahrt wurde.367) Die gesicherten Gläubiger mussten nach der absoluten Vorrangregel im Falle der Reorganisation Sicherheiten am neuen Unternehmen in der Höhe der alten Sicherheiten erhalten und in Form von Zinsen für ihre Ausfälle Kompensation erhalten. Erst, wenn die höchstrangige Klasse volle Befriedigung erhalten hatte, durfte die nächste Klasse Werte erhalten. Das hatte zur Folge, dass die Anteilseigner an der neuen reorganisierten Gesellschaft nicht beteiligt sein durften („equity is wiped out“368)).

156 Die Befürworter des relativen Vorrangs hingegen sahen die vollständige Befriedigung der Gläubiger nicht für zwingend an. Nach dieser Theorie war alles, worauf die Gläubiger ihrem jeweiligen Rang nach einen Anspruch hatten, dass sie ihre alten Sicherheiten gegen neue tauschen konnten, die (a) ungefähr denselben Wert hatten und (b) im Rang über anderen, neuen Sicherheiten standen. Die letzte Bedingung fand jedoch keine Anwendung auf neu zugeschossenes Kapital. Die daran eingeräumten Sicherheiten konnten im Rang über allen anderen Sicherheiten stehen. Dies basierte auf der Annahme, dass neues Geld für alle Gläubiger nur von Vorteil sei und aus diesem Grund auch im Rang über allen anderen stehen könne.369) Die relative Vorrangregel wurde dabei nicht als Gegenentwurf zum Boyd-Urteil verstanden, sondern als sachgerechte Auslegung desselben.370) ___________ 364) Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 127, 145 – 148 (1928); Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 902 f. (1927); vgl. auch Baird, 18 Am. Bank. Inst. L. Rev. 591, 597 (2010). 365) Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 127, 148 ff. (1928). Bonbright/Bergman konstatieren jedoch eine leicht überwiegende Anwendung der relativen Vorrangregel in der gerichtlichen Praxis, vgl. ebenda, S. 154. 366) Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 127, 130 f. (1928). 367) Flessner, Sanierung und Reorganisation, 96. 368) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 799 (2017); ders./Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 752 (1988); Blum/Kaplan, 44 U. Chi. L. Rev. 651, 657 (1974). 369) Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 127, 131 (1928). 370) Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 907, 914 ff. (1927); Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 127, 146 (1928) eingehend zur Entwicklung auch Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review 393, 399 ff. (1999).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

Der Grundgedanke des relativen Vorrangs war demnach, dass alle Kapitalgeber von 157 einer Insolvenz betroffen und es daher fair sei, wenn alle, Gläubiger wie Aktionäre, für den Fortbestand des Unternehmens herangezogen würden. Die Ansprüche der Gläubiger und Beteiligungen der Anteilseigner sollten dann in ihrem bestehenden Verhältnis herunterskaliert werden.371)

4.

Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd.

Der Supreme Court entschied den tobenden Streit in einer weiteren Grundsatzent- 158 scheidung. Im Fall Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd.372) legte der Supreme Court section 77B373) des Bankruptcy Act aus, der festlegte, dass Pläne „fair, feasable and equitable“ sein müssen.374) In der Literatur war zuvor die privilegierte und starke Stellung der Anteilseigner in section 77B betont worden. Es sei wahrscheinlich, dass die Hauptbegünstigten des Gesetzes die Anteilseigner und das alte Management des Unternehmens seien.375) Der Supreme Court ließ sich davon nicht beirren und führte aus, ein Plan sei nicht 159 dann schon „fair and equitable“, wenn die weit überwiegende Mehrheit der Gläubiger diesen befürworte.376) Vielmehr nutzte der der Supreme Court die Gelegenheit für einen juristischen Kunstgriff und las die in dem Boyd-Urteil umrissene, aber nicht in der Form ausgesprochene absolute Vorrangregel in das „fair and equitable“-Erfordernis hinein. Nach seiner Ansicht umfasste das „fair and equitable“-Erfordernis die absolute Vorrangregel; präzise führte der Supreme Court aus: „On the reaffirmation of this ‚fixed principle‘ of reorganization law in Kansas City Terminal Ry. Co. v. Central Union Trust Co., supra, it was said that, ‚to the extent of their debts, creditors are entitled to priority over stockholders against all the property of an insolvent corporation.‘ […] In application of this rule of full or absolute priority, this Court recognized certain practical considerations and made it clear that such rule did not ‚require the impossible, and make it necessary to pay an unsecured creditor in cash as a condition of stockholders retaining an interest in the reorganized company.

___________ 371) Vgl. Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 654 (1974): „The first approach involved a general scaling down of various competing claims of creditors and equity investors through relative reduction of their claims“; aus der deutschen Literatur etwa Flessner, Sanierung und Reorganisation, 96 f. 372) 308 U.S. 106 (1939); für eine inhaltliche Darstellung des Falls vgl. auch Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 119 f. 373) Act of June 7, 1934, Ch. 424, 48 Stat. 911, 11 U.S.C. (1934), § 207(a); vgl. dazu Weiner, 34 Colum. L. Rev. 1173 (1934); section 77B war kurz vor der Entscheidung durch den Chandler Act aufgehoben und durch Chapter 10, den Vorläufer des heuten Chapter 11 ersetzt worden, vgl. Chandler Act, Act of June 22, 1938, Ch. 575, 52. Stat. 840, 883 sowie 905 (1938). Das Gesetz sollte aber auf noch laufende Verfahren Anwendung finden. 374) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 114 (1939); vgl. für eine detaillierte Darstellung auch Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 78 ff. (1991). 375) Weiner, 34 Colum. L. Rev. 1173, 1194 (1934). 376) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 114 (1939).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel His interest can be preserved by the issuance, on equitable terms, of income bonds or preferred stock.‘“377)

160 Der Supreme Court führte aus, es sei ein feststehendes Prinzip die Begriffe „fair“ und „gerecht“ so zu verstehen, dass die Gläubiger eines Unternehmens im Rang über den Anteilseignern stünden. In der Anwendung dieser Regel des absoluten Vorrangs erkenne das Gericht, dass diese Regel nicht etwas Unmögliches verlange und die ungesicherten Gläubiger in bar ausbezahlt werden müssten. Die Interessen eines ungesicherten Gläubigers könnten auch dadurch gewahrt bleiben, dass er Gewinnschuldverschreibungen oder Vorzugsaktien am reorganisierten Unternehmen erhalte.

161 In der Literatur wird kritisch darauf hingewiesen, dass der Supreme Court die Begriffe „fair and equitable“ noch nie zuvor in einem Gerichtsurteil verwendet hatte, sodass man nicht von einem „feststehenden Prinzip“ ausgehen könne.378)

162 Der Supreme Court verweist in seiner Entscheidung ausdrücklich auch auf das BoydUrteil aus dem Jahr 1913. Die Boyd-Entscheidung wurde dabei so verstanden, dass an einer Reorganisation keine im Rang niedriger stehende Rangklasse teilnehmen dürfe – vorbehaltlich des fehlenden Zuschießens neuen Geldes – sofern eine höherstehende Rangklasse nicht angemessen beteiligt wurde.379) Dies wurde zum Kern der absoluten Vorrangregel entwickelt. Es mussten vereinfacht gesagt zuerst die gesicherten Gläubiger vollständig befriedigt werden, dann die ungesicherten Gläubiger und zuletzt die Anteilseigner.380) Die absolute Vorrangregel wurde dabei so ausgelegt, dass die höherrangigen Gläubiger immer vor den im Rang tieferstehenden Gläubigern befriedigt werden mussten, unabhängig davon, ob diese dem Plan jeweils zustimmten oder nicht. Das änderte sich mit dem Erlass des Bankruptcy Acts von 1978. Von dort an mussten nur noch Gruppen, die den Plan jeweils ablehnten, vollständig befriedigt werden, während sich zustimmende Gruppen auch mit weniger zufrieden geben konnten.381)

163 Die Entscheidung des Supreme Courts führte zu einem Umdenken über die grundsätzliche Betrachtung des Reorganisationsrechts. Zuvor wurde das Reorganisationsrecht als eigene Rechtsmaterie angesehen, welche in den Fragen der wirtschaftlichen Beteiligung der Parteien anderen Regeln folgte als eine Liquidation. Nun sah man die Reorganisation des Schuldnerunternehmens als eine Art Liquidation auf going___________ 377) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 116 f. (1939). 378) Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review, 393, 414 ff. (1999); Baird, 18 Am. Bank. Inst. L. Rev. 591, 599 (2010): mit harschen Worten Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 975 (1989): „Strictly speaking, this is poppycock [dt. Unsinn, Quatsch], and Justice Douglas knew it“. 379) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 655 (1974); Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738 (1988). 380) Statt vieler Blum, 17 U. Chi. L. Rev. 565, 581 Fn. 22 (1950); Rush, 19 Pepperdine L. Rev. 1311, 1313 (1992). 381) Mit diesem Hinweis Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133, 143 (1979).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

concern Basis.382) Das alte Unternehmen wurde durch ein Ausscheiden der alten Anteilseigner „liquidiert“, die Vermögenswerte neu geordnet und dann die Tätigkeit am Markt fortgesetzt. Die Reorganisation wurde als Substitut der Liquidation383) oder auch als hypothetischer Verkauf des Unternehmens an die Beteiligten384) gesehen. Durch die Entscheidung des US Supreme Courts konnte sich in der amerikanischen 164 Rechtsprechung und Literatur der Grundsatz des absoluten Vorrangs durchsetzen. Bereits in den frühen 1940iger Jahren wurde diese Interpretation durch eine Reihe von Entscheidungen bestätigt.385) Bis heute gilt die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht als einer der Grundpfeiler des Insolvenzrechts.386)

5.

Der Cram-down im aktuell geltenden Recht

Grundsätzlich muss der Plan von jeder Klasse mit einer Zweidrittelkopf- und einer 165 einfachen Summenmehrheit angenommen werden.387) Ist das nicht der Fall, so kann die Zustimmung einer oder mehrerer Klassen ersetzt werden. Eine grundlegende Voraussetzung ist, dass zumindest eine Klasse, deren Rechte vom Plan modifiziert werden, den Plan mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen hat.388) Der US Bankruptcy Code sieht eine Reihe von weiteren Kriterien vor, die zu Gunsten einer ablehnenden Klasse eingehalten werden müssen.

a) Formulierung der geltenden absoluten Vorrangregel Ein Kriterium ist die absolute Vorrangregel. Die heute geltende Version der abso- 166 luten Vorrangregel ist in Chapter 11 des US Bankruptcy Codes geregelt. Nach 11 U.S.C. § 1129(b)(1) muss der Reorganisationsplan „fair and equitable“ sein und darf eine ablehnende Klasse nicht unfair diskriminieren. Was unter „fair and equitable“ zu verstehen ist, wird vom US Bankruptcy Code dann in § 1129(b)(2) weiter für die Klassen der gesicherten Gläubiger, der ungesicherten Gläubiger und der An___________ 382) Gilchrist, 26 Corn. L. Rev. 592 (1941). 383) Brudney, 26 Rutgers L. Rev. 445, 456 (1973); Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 662 (1974); Blum, 25 U. Chi. L. Rev. 417, 422 (1958); ders., 67 Har. L. Rev. 1367, 1374 (1954) mit dem Hinweis, dass so die Rechte der Investoren durchgesetzt werden sollten; mit dieser Feststellung auch Flessner, Sanierung und Reorganisation, 96; kritisch Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review, 393, 399 ff. (1999). 384) Bebchuk, 101 Harv. L. Rev. 775, 776 (1988). 385) Vgl. Consolidated Rock Products Co. v. Du Bois, 312 U.S. 510 (1941); Group of Institutional Investors v. Milwaukee R. Co., 318 U.S. 523 (1943); RFC v. Denver & R.G.W.R. Co., 328 U.S. 495 (1946). 386) Adler, 77 Corn. L. Rev. 439 (1992); Schwartz, 72 Wash. U. L. Q. 1213 (1994); Bebchuk/Fried, 82 Cornell L. Rev. 1279, 1282 (1997); Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1932 (2006); Cole/Zywicki, Utah L. Rev. 511, 512 (2010); Roe/Tung, 99 Vir. L. Rev. 1235, 1236 (2013). 387) 11 U.S.C. § 1126(c). 388) 11 U.S.C. § 1129(a)(10).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

teilseigner definiert. Während für gesicherte Gläubiger etwa verlangt wird, dass diese ihr Pfandrecht behalten oder stattdessen eine Barzahlung oder ein Pfandrecht am Verkaufserlös der Sicherheit erhalten müssen,389) formuliert 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(B)(ii) die eigentliche absolute Vorrangregel: „[T]he holder of any claim or interest that is junior to the claims of such class will not receive or retain under the plan on account of such junior claim or interest any property, except that in a case in which the debtor is an individual, the debtor may retain property included in the estate under section 1115, subject to the requirements of subsection (a)(14) of this section.“

167 Die absolute Vorrangregel verlangt kurz gesagt, dass jeder ungesicherte Gläubiger vollständig befriedigt werden muss, bevor ein im Rang tiefer stehender Gläubiger einen Wert auf Kosten (on account of) derselben erhalten darf. Beispielsweise haben Arbeitnehmer einen höherrangigen Anspruch als der Staat mit bestimmten Steuerforderungen (vgl. § 507(a)(4)(A) und § 507(a)(8)). Der Wortlaut der Norm zeigt klar die Gedanken des Los Angeles Lumber Urteils. Deutlich wird, dass die absolute Vorrangregel die Stellung der ungesicherten Gläubiger absichert. Die gesetzliche Rangfolge der ungesicherten Gläubiger wird detailliert durch 11 U.S.C. § 507(a) geregelt und kennt deutlich mehr Rangklassen als das deutsche Recht.

168 Der Plan ist zudem gegenüber einer ablehnenden Klasse auch dann nicht „fair and equitable“, wenn eine andere Klasse mehr als den vollen Wert ihres Anspruchs erhält, während sie selbst nicht vollständig befriedigt wird.390) Dazu kann es beispielsweise kommen, wenn eine Klasse nach dem Plan 10.000 Dollar statt ihres Anspruchs auf 5.000 Dollar gegeben werden soll, um sich deren Zustimmung zum Plan zu sichern.

b) Weitere Kriterien 169 Der Plan muss in gutem Glauben (good faith) vorgebracht werden und darf nicht gegen Gesetze verstoßen.391)

170 Des Weiteren überprüft das Gericht, ob der Plan feasible ist.392) Danach muss das Gericht davon überzeugt sein, dass der Schuldner nicht unmittelbar nach der Bestätigung des Plans liquidiert wird – es sei denn das ist Gegenstand des Plans – oder erneut ein Reorganisationsverfahren durchlaufen muss.

___________ 389) 390) 391) 392)

70

Vgl. 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(A). Vgl. Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133, 146 (1979). 11 U.S.C. § 1129(a)(3). 11 U.S.C. § 1129(a)(11).

A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

Ferner muss der Plan den best interest of creditors test erfüllen.393) Das ist der Fall, 171 wenn der Gläubiger nicht schlechter gestellt wird als im Falle der Liquidation des Schuldners.

II. New Value Exception? Bereits im Boyd-Urteil zeichnete sich eine Ausnahme von der dort statuierten Grund- 172 regel ab. Der Supreme Court sprach dabei von einem fairen Angebot, welches den ungesicherten Gläubigern gemacht werden müsse.394) Das Gericht stellte praktische Erwägungen an und führte aus, dass nicht das Unmögliche verlangt werden könne. Es sei nicht nötig, dass die ungesicherten Gläubiger tatsächlich bar ausgezahlt würden, wenn die Anteilseigner irgendeinen Wert erhalten sollten. Deren Interessen könnten, unter gerechten Bedingungen, durch die Ausgabe von neuen Gewinnschuldverschreibungen oder Vorzugsaktien (preferred stock) gewahrt werden.395) Dieses Verständnis bildete sich über die Jahre in der Entscheidung Los Angeles Lumber zu der sogenannten New Value Exception heraus.396) Der US Supreme Court wies zunächst darauf hin, dass eine Beteiligung der alten Anteilseigner an der reorganisierten Gesellschaft generell nicht möglich sei, wenn die Vermögenswerte nicht ausreichten, um alle Gläubiger vollständig befriedigen zu können.397) Lediglich dann, wenn die Reorganisation frisches Geld erfordere und nur die alten Anteilseigner bereit seien, dieses Geld bereitzustellen, bestehe die Möglichkeit einer Beteiligung auch in der reorganisierten Gesellschaft. Der US Supreme Court betonte, das Bereitstellen des frischen Geldes müsse für den Erfolg unerlässlich sein („essential to the success of the undertaking“).398) Wenn ein solcher Fall gegeben sei und die Anteilseigner einen neuen Beitrag (fresh contribution) leisteten, dann könnten die Anteilseigner eine Beteiligung erhalten, die bei vernünftiger Betrachtung der Höhe des geleisteten Beitrags entspreche.399) Auffällig ist, dass beinahe derselbe Wortlaut rund 80 Jahre später im Zuge der Reform durch das SanInsFoG auch den Weg in die deutsche Gesetzgebung gefunden hat.400) Es zeigt sich, dass der US Supreme Court seine Worte mit Bedacht wählte und die Lösungen, die das Gericht damals erarbeitete, noch heute aktuell sind. ___________ 393) 11 U.S.C. § 1129(a)(7); der best interest test ist noch älter als die absolute Vorrangregel, vgl. bereits Bankruptcy Act of 1898, ch. 541, 30 Stat. 544, 550, sec. 12 (1898), beruhend auf einem Bankruptcy Act aus dem Jahr 1874, vgl. Act of June 22, 1874 ch. 390, 18 Stat. 178, sec. 17 (1874). Zur Geschichte des best interest test vgl. Hicks, 5 Nev. L. J. 820, 821 ff. (2005). 394) Vgl. Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 483 (1913). 395) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 116 f. (1939). 396) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 116 – 123 (1939). 397) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 121 f. (1939). 398) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 121 (1939). 399) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 121 f. (1939); Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 72 (1991); Harris, 89 Mich. L. Rev. 2301, 2302 (1991). 400) Vgl. dazu näher Rn. 262 ff.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

173 Der US Supreme Court benutzte den Begriff der New Value Exception nicht explizit. Dieser wurde durch die rechtswissenschaftliche Literatur geformt. Die New Value Exception entstand aus der Notwendigkeit heraus, dass eine Reorganisation der Unternehmen wirtschaftlicher erschien als eine Liquidation. Die Reorganisation konnte aber nur durch das Zuschießen frischen Kapitals ernsthaft Erfolg haben und meist waren nur die Anteilseigner bereit, gegen den Erhalt einer Beteiligung an dem Unternehmen neues Geld in die Gesellschaft zuzuschießen. Unter der absoluten Vorrangregel ist eine Beteiligung der Anteilseigner eigentlich nicht vorgesehen, sofern dissentierende Gläubiger nicht vollständig befriedigt werden. Die New Value Exception schaffte einen Ausgleich für die strikte Anwendung der Rangfolge, indem den alten Anteilseigner eine Möglichkeit zugestanden wird, ihre Beteiligung zu behalten, wenn sie neues Kapital zuschießen.

174 Die New Value Exception wurde teilweise als notwendige Folge (corollary) der absoluten Vorrangregel angesehen.401) Andere sahen sie kritisch und zweifelten daran, ob es überhaupt jemals einen Anknüpfungspunkt in den Urteilen des US Supreme Courts gab.402) Eine dritte Ansicht empfand die Bezeichnung als „Ausnahme“ missverständlich, diese sei daher abzulehnen. Die absolute Vorrangregel sei geschaffen worden, um missbräuchliches und ausbeuterisches Verhalten zu verhindern. Wenn dann neues Risikokapital seitens der Anteilseigner bereitgestellt werde, könne man aber schwerlich von einem bösen Willen ausgehen.403) Das spricht dafür, dass die New Value Exception als ganz selbstverständlich angesehen wird.

175 Es wurde die Frage aufgeworfen, ob etwa die Weiterführung des Unternehmens durch das alte Management oder die finanzielle Leistungsfähigkeit und der Einfluss in der Branche bereits ein geeignetes, geldwertes Äquivalent im Sinne der New Value Exception sein könne. In einer Entscheidung hat der neunte Circuit Court of Appeals diese Frage bejaht.404) Festgehalten wurde, dass die Leistungen der bisherigen Eigentümer (1) für die Reorganisation notwendig, (2) neu, (3) in Geldform und (4) ungefähr in der Höhe eingebracht werden müssten, die dem selbst behaltenen Wert entspräche.405) Der US Supreme Court hat dies in der Vergangenheit sehr kritisch gesehen und erbrachte Leistungen als nicht ausreichend bewertet, um eine Abweichung von

___________ 401) Bonner Mall Partnership v. U.S. Bancorp Mortgage Co., 2 F.3d 899, 906 (9th Cir. 1993); Neville, 60 Missouri L. Rev. 465, 475 ff. (1995); Harris, 89 Mich. L. Rev. 2301, 2304 (1991). 402) Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 1012 ff. (1989). 403) Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 73 (1991). 404) Bonner Mall Partnership v. U.S. Bancorp Mortgage Co., 2 F.3d 899, 906 (9th Cir. 1993); dazu Neville, 60 Missouri L. Rev. 465 (1995); MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 82 gehen daher davon aus, dass diese Frage generell geklärt ist. 405) Bonner Mall Partnership v. U.S. Bancorp Mortgage Co., 2 F.3d 899, 908 f. (9th Cir. 1993); Neville, 60 Missouri L. Rev. 465 (1995); MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 82.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

der absoluten Vorrangregel zu rechtfertigen.406) Zudem war durch eine Reform des Bankruptcy Codes407) unklar, ob die New Value Exception auch nach der neuen Gesetzeslage existierte. Der US Supreme Court hatte diese Erwägung in zwei Entscheidungen angestellt, die Frage aber letztendlich offengelassen und ausgeführt, dass die Voraussetzungen dafür im Fall nicht erfüllt waren.408) Der Wortlaut des USamerikanischen Rechts lässt nach den Erwägungen des US Supreme Courts beide Auslegungen grundsätzlich zu. Es kann damit nach den Entscheidungen Ahlers und LaSalle als ungeklärt gelten, ob die New Value Exception auch heute eine Verteilung des Reorganisationsmehrwertes an die Anteilseigner abweichend von der Verteilungsrangfolge rechtfertigen würde.409)

III. Kritik an der absoluten Vorrangregel Die absolute Vorrangregel genießt einen hohen Stellenwert im amerikanischen In- 176 solvenzrecht. Sie soll Missbrauch verhindern und die Rechte durchsetzen, die Gläubiger und Schuldner privatautonom im Vorfeld des finanziellen Zusammenbruchs vereinbart haben. Die Anteilseigner werden daran gehindert, ohne Zustimmung der Gläubiger oder die volle Befriedigung derselben noch Teil des reorganisierten Unternehmens zu bleiben.410) Die absolute Vorrangregel setzt die Grenzen, die die Parteien in ihren Verhandlungen über die Vermögenswerte des Unternehmens zu beachten haben, und erklärt von vornherein bestimmte Argumentationslinien der Parteien für tragfähig oder schließt diese aus.411) Es wurde konstatiert, die absolute Vorrangregel strukturiere gewissermaßen von vornherein die Verhandlungen, indem die Parteien diszipliniert würden, sich nur auf zugelassenen Verhandlungsebenen zu bewegen und eine juristische Überprüfbarkeit zu gewährleisten.412) ___________ 406) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 122 (1939); vgl. auch Norwest Bank Worthington v. Ahlers, 485 U.S. 197, 203 ff. (1988), wo unter anderem die Frage aufgeworfen war, ob es die New Value Exception unter dem neuen Bankruptcy Code überhaupt noch gibt; ähnlich Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 442 f. (1999). 407) Act to establish a uniform Law on the Subject of Bankruptcies, November 6, 1978, Pub. L. No. 95-598, 92 Stat. 2549 (1978). 408) Norwest Bank Worthington v. Ahlers, 485 U.S. 197, 203 ff. (1988); ebenso in Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 442 f. (1999); zu letzter Entscheidung ausführlich Haines, 72. Am. Bankr. L. J. 387 390 ff. (1998); zur Diskussion auch Rush, 19 Pepperdine L. Rev. 1311 (1992); kritisch zur der Entscheidung LaSalle Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review 393, 426 f. (1999); vgl. aus deutscher Perspektive Wittig, ZInsO 1999, 373. 409) Fehlerhaft Flöther/Knapp, StaRUG, § 26 Rn. 5, der offenbar davon ausgeht, dass die New Value Exception tatsächlich allgemein anerkannt ist. 410) Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 72 (1991). 411) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 653 (1974). 412) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 653 (1974); zuvor schon Blum, 17 U. Chi. L. Rev. 565 (1950); auch Roe/Tung, 99 Vir. L. Rev. 1235 (2013); ähnlich zum Cram-down generell Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133, 134 (1979); ders., 64 Am. Bankr. L. J. 229 (1990).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

177 Unmittelbar nach der Schaffung der absoluten Vorrangregel sah sich diese jedoch auch der Kritik ausgesetzt.413) Viele der Anwälte zu der Zeit waren von der Entscheidung des Supreme Courts schockiert.414) Diese Kritik hält bis heute an. Aufgrund der Probleme, welche in der amerikanischen Literatur und Praxis rund um die absolute Vorrangregel auftauchten, sorgte auch die Tatsache, dass die Kernaussage des BoydUrteils beinahe unkritisch in den Bankruptcy Code aufgenommen wurde, für Verwunderung und löste Kritik aus.415) Es soll aufgezeigt werden, dass die absolute Vorrangregel in der amerikanischen Literatur keineswegs uneingeschränkt als die effizienteste Lösung angesehen wird.

1.

Reorganisationswert

a) Definition Reorganisationsmehrwert 178 Es geht in der Kritik im Kern um Frage der sachgerechten Verteilung des Reorganisationsmehrwertes. Darunter ist der Wert zu verstehen, den das Unternehmen durch eine Reorganisation im Vergleich zur Liquidation mehr wert ist. Unter einer Liquidation versteht man grundsätzlich den erzielbaren Preis aus einer vollständigen Einzelveräußerung der Vermögensgegenstände des Unternehmens.416) Diese können einzeln oder zusammen als ganzes Unternehmen verkauft werden. Der US Supreme Court hat bei der Errechnung des Reorganisationsmehrwertes die zukünftigen Einnahmen zugrunde gelegt.417) Er schließt damit Einzelbewertungsverfahren, beispielsweise die betriebswirtschaftliche Substanzwertmethode418), welche auf die Summe der einzelnen Unternehmensbestandteile abstellen, aus. Aus den künftigen Erträgen wird der Unternehmenswert errechnet. Für die Gläubiger oder die potenziellen Käufer ___________ 413) Vgl. Blum, 17 U. Chi. L. Rev. 565 (1950); ders./Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651 (1974); Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 746 (1988); Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930 (2006); Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785 (2017); Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963 (1989); Lubben, 21 Fordham J. Corp. & Fin. L. 581 (2016); gegen extensive Anwendung der absoluten Vorrangregel über ihren Wortlaut Groshgal, 8 Wm. & Mary L. Rev. 439 (2017); zu einer Darstellung der Kritik auch Flessner, Sanierung und Reorganisation, 110 ff. 414) Swaine, 27 Colum. L. Rev. 901, 902 (1927); in drastischer Formulierung auch Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 972 (1989): „The decision sent chills of terror down the spines of the corporate reorganization bar“. 415) Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 746 (1988). 416) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 176. 417) Vgl. Consolidated Rock Products Co. v. DuBois, 312 U.S. 510, 526 (1941): „(T)he commercial value of property consists of the expectation of income from it… The criterion of earning capacity is the essential one if the enterprise is to be freed from the heavy hand of past errors, miscalculations of disaster, …“; Fassbach will in dieser Formulierung die Ertragswertmethode erblicken, Cram down power, 61 ff. 418) Diese stellt entweder auf den Wert ab, der sich mit einer Liquidation erzielen ließ, oder den Rekonstruktionswert. Der Rekonstruktionswert gibt an, was eine Wiederbeschaffung der Vermögenswerte des Unternehmens am Markt kosten würde; vgl. Knecht/Hommel/Wohlenberg/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 588.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

ist dieser Wert deshalb entscheidend, weil das Unternehmen fortgeführt werden soll und so ermittelt werden kann, welche Kapitalflüsse für die Gläubiger und Geldgeber des Unternehmens zur Verfügung stehen. Der Unternehmenswert wird bezogen auf einen bestimmten Stichtag errechnet. Vereinfacht werden dazu zunächst die Einnahmen anhand vergangener Ergebnisse, dem voraussichtlich benötigten Kapital und Überschüssen prognostiziert und die Einnahmen dann auf die Gegenwart abdiskontiert.419) Dadurch wird der Barwert der künftigen Zahlungen ermittelt. Das Geld, welches der Anleger in das Unternehmen investiert, ist in diesem gebunden. Der Anleger hätte sein Geld auch anderweitig investieren können und verzichtet durch die Investition ins Unternehmen auf andere mögliche Erträge. Aus diesem Grund ist eine künftige Einzahlung am Bewertungsstichtag weniger wert als ihr Nennbetrag.420) Der Reorganisationsmehrwert ist danach der Unternehmenswert errechnet auf Grundlage eines ertragsorientierten Verfahrens nach der Reorganisation abzüglich des (hypothetischen) Liquidationswertes. Zieht man beispielhaft die Ertragswertmethode zur Berechnung des Unternehmens- 179 wertes heran, so entspricht der Wert des Unternehmens den auf ewig gerechneten Zahlungsüberschüssen,421) die um den Kapitalisierungszinsfuß diskontiert werden. Dazu wird der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens gerechnet.422) Der Kapitalisierungszinsfuß setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: einem Zinssatz und einem Risikofaktor.423) Der Zinssatz repräsentiert die Tatsache, dass der Anleger sein Geld auch risikofrei hätte anlegen können. Je nach Berechnung beruht er auf einem quasi risikofreien Basiszinssatz wie etwa Bundesanleihen.424) Die Risikozu-/ abschläge berücksichtigen das Risiko, dass sich die erwarteten Erträge nie realisieren, und repräsentieren damit das einer jeden unternehmerischen Betätigung innewohnende Risiko. Weiterhin umfassen sie Wachstumsabschläge und Inflation, Fungibilitätszuschläge sowie im Rahmen von Unternehmenskäufen Mehrheits- und Paketzuschläge.425) Der Risikozuschlag wird bei einem Unternehmen in der Krise oder ___________ 419) Knecht/Hommel/Wohlenberg/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 588 f.; Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 42 ff. Blum/Kaplan, 41. U. Chi. L. Rev. 651, 656 (1974); Pachulski, 58 N. C. L. Rev. 925, 940 (1980). 420) Wöhe/Döring, Einführung in die Allg. Betriebswirtschaftslehre, 490; Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 44 ff. 421) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 44. 422) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 55, 289; Knecht/Hommel/Wohlenberg/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 589. 423) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 289; Knecht/Hommel/Wohlenberg/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 589; Henssler/Strohn/Paschos, GesR, § 305 AktG Rn. 18; Hüffer/Koch/Koch, AktG, § 305 Rn. 26. 424) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 298 ff.; Knecht/Hommel/Wohlenberg/Wohlenberg, Handbuch Unternehmensrestrukturierung, 589; Henssler/Strohn/Paschos, GesR, § 305 AktG Rn. 18. 425) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 293 ff.; für den Cram-down vgl. Pachulski, 58 N. C. L. Rev. 925, 940 (1980).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

einer sich in der Krise befindlichen Branche naturgemäß höher ausfallen als bei einer gesunden und zukunftsträchtigen Branche.

b) Reorganisation als ein- oder zweistufiges Verfahren 180 Die Kritik an der Entscheidung zugunsten der absoluten Vorrangregel erfolgt zunächst auf theoretischer Ebene. Sie entzündet sich im Wesentlich an der Frage, ob die Gläubiger einen Anspruch auf den Reorganisationsmehrwert haben oder ob sie sich mit dem realisierbaren Wert vor der Reorganisation begnügen müssen. Die Kritik knüpft an den postulierten Gedanken an, dass die absolute Vorrangregel missbräuchliches Verhalten verhindern soll. Der Gedanke der Geltung der absoluten Vorrangregel sei aber dann alles andere als offensichtlich, wenn der Wert des reorganisierten Unternehmens nicht ausreiche, um die höchstrangigen Gläubiger vollständig zu befriedigen.426)

181 Im Ausgangspunkt ließen sich zwei verschiedene Sichtweisen einnehmen: Nehme man an, dass die Gläubiger nur einen Anspruch auf den realisierbaren Wert vor der Reorganisation haben, dann lasse sich die Reorganisation als ein zweistufiges Vorgehen begreifen. Im ersten Schritt würden alle Vermögenswerte des Schuldners den Gläubigern entsprechend ihres Rangs zugewiesen. Das Unternehmen werde dann schuldenfrei. Da der Wert des Unternehmens typischerweise nicht reiche, um die Gläubiger vollständig zu befriedigen, stehe das Vermögen wirtschaftlich gesehen im Eigentum der Gläubiger. In einem zweiten Schritt könnten die durch die Reorganisation entstehenden Werte neu zugewiesen werden. Der Gläubiger mit dem höchsten Rang könne die nun in seinem Eigentum stehenden Reorganisationsmehrwerte auch an die Anteilseigner verteilen, wenn er darin einen Vorteil sehe. Diese Sichtweise hat zur Folge, dass der Reorganisationsmehrwert in der Verteilung nicht der absoluten Vorrangregel unterliegt.

182 Eine andere Sichtweise ergebe sich, wenn man annehme, dass die Gläubiger auch einen Anspruch auf den durch die Reorganisation entstehenden Wert hätten. Die Reorganisation sei dann als einstufiges Vorgehen zu sehen. In diesem Fall sei das Schuldnerunternehmen auch in der Reorganisation den Ansprüchen aller Gläubiger ausgesetzt. Der Reorganisationswert unterliege der vorinsolvenzlichen Verteilungsrangfolge mit der Konsequenz, dass das Fremd- vor dem Eigenkapital zu bedienen sei.

183 Unproblematisch verhindere das Zwangsvollstreckungsrecht den Fall, dass ein Gläubiger mehr als den Wert seines Anspruchs erlange, wenn der Wert des reorganisier___________ 426) Dazu und im Folgenden Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 742 ff. (1988); auch Baird/Rasmussen, 1999 The Supreme Court Review 292, 399 ff. (1999); in eine ähnliche Kerbe schlägt Tene, 19 Bankr. Dev. J. 287, 288, 346 ff. Tene argumentiert, die Verteilung des Reorganisationsmehrwerts sollte allein der Verhandlung unterliegen; der von Baird/Rasmussen vorgeschlagene Verteilungsmodus wird im englischen Recht praktiziert, vgl. Rn. 558 ff.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

ten Unternehmens über dessen Anspruch hinausgehe.427) Wenn der Wert des reorganisierten Unternehmens nicht den Anspruch der höchstrangigen Gläubiger decke, dann könnten diese alle Werte für sich beanspruchen und den nachstehenden (ungesicherten) Gläubigern stünde nichts zu. Entschieden sich die höchstrangigen Gläubiger nun dafür, diesen Anspruch mit den Anteilseignern zu teilen und diesen beispielsweise einen Teil des Reorganisationsmehrwerts zu geben, so ließe sich argumentieren, dass die ungesicherten Gläubiger in diesem Fall genau gleich oder zumindest nicht schlechter stehen.428) In beiden Fällen erhielten die einfachen (ungesicherten) Gläubiger nichts. Durch beide Sichtweisen verändere sich der Blickwinkel auf ein- und dieselbe Transaktion radikal. Der Supreme Court hat sich in den Fällen Boyd und Los Angeles Lumber dafür ent- 184 schieden, die Reorganisation und die Liquidation gleich zu behandeln. Er behandelt die Reorganisation folglich als einstufiges Verfahren. Darin liegt, wie noch aufgezeigt wird, ein Ausdruck der Haftungsverwirklichung.429)

2.

Verlust von unternehmensspezifischen Fähigkeiten

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die absolute Vorrangregel unternehmensspezifische 185 Werte zerstören oder eine Realisation zugunsten der Beteiligten verhindern kann. Ein zwanghafter Ausschluss der Anteilseigner ist vor allem dann misslich, wenn diese unternehmensspezifische Fähigkeiten haben und sich dadurch der Reorganisationsmehrwert maßgeblich steigern oder gar erst realisieren lässt.430) Das unternehmensspezifische Humankapital wird teilweise definiert als besondere Fähigkeiten oder Eigenschaften einer Person oder Personengruppe, die Synergieeffekte, die sie durch Zusammenarbeit erzeugen oder als Verbindungen und Geschäftsbeziehungen, die diese Personen haben.431) Als Beispiel wird etwa Steve Jobs als das (frühere) Gesicht von Apple oder der bekannte Chefkoch eines Restaurants angeführt.432) Es lässt sich auch an die Arbeit eines Softwareentwicklers denken, der ein Programm von beträchtlichem Wert zum Zeitpunkt der Reorganisation halb fertig geschrieben hat, oder an einen Impfstoffentwickler, dessen Arbeit weit fortgeschritten ist. Deren Fähigkeiten und Wissen lässt sich im Einzelfall nicht durch Dritte ersetzen. Ist ein Software___________ Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 743 (1988). Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 743 (1988). Vgl. Rn. 302 ff. Vgl. mit Beispiel Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 748 ff. (1988); ausführlich auch Baird/Rasmussen, 55 Stan. L. Rev. 751, 763 ff. (2002); Bebchuk/Picker, University of Chicago, Law & Economics Working Paper No.16, 2d Series, 1, 3 ff. (1993). 431) Harner, 2015 Ill. L. Rev. 506, 519 (2015). Harner diskutiert die Frage, ob man generell im Unternehmen erzeugte Synergien, Verbindungen und Kontakte von Managern andere „soft variables“ als in der Bilanz aktivierbare Werte ansieht, ebenda, 519 ff. 432) Vgl. erneut Madaus, Working Paper 1/2020, 1, 5; Baird/Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921, 943 (2001). 427) 428) 429) 430)

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

programm zur Hälfte entwickelt, so hat es kaum einen realisierbaren Wert, sodass es für alle Gläubiger sinnvoll sein kann, wenn der Softwareentwickler in der Reorganisation beteiligt bleibt und er als Anteilseigner Werte behält. Der Zwang zur vollständigen Befriedigung der höherrangigen ablehnenden Klasse kann dann dazu führen, dass die Reorganisation für die alten Anteilseigner keine Vorteile bietet und diese deshalb davon absehen. Es lässt sich argumentieren, dass die absolute Vorrangregel ökonomisch gesehen in diesen Fällen ineffizient ist, da ein theoretisch bestehender Mehrwert nicht genutzt wird und verfällt. Das kann sogar dazu führen, dass ein an sich werthaltiges Unternehmen zerschlagen wird. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass die Anteilseigner im Falle des Erhalts ihrer Beteiligung zusätzliches Kapital nachschießen, auch wenn ansonsten kein anderer dazu willens wäre.433)

3.

Bewertungsunsicherheiten und -verzögerungen

186 Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist die Notwendigkeit der Bestimmung des Unternehmenswertes, die als Prognoseentscheidung mit erheblicher Unsicherheit behaftet sein kann. Eine Unternehmensbewertung wird immer dann nötig, wenn kein konsensualer Plan zustande kommt. Macht dann eine Rangklasse substantiiert geltend, ihr sei zu Unrecht ein Wert vorenthalten worden, muss eine Unternehmensbewertung durchgeführt werden, um zu ermitteln, wie viel das schuldnerische Vermögen tatsächlich noch wert ist.

a) Bewertung unpräzise 187 Es wird ausgeführt, die Grundannahme der absoluten Vorrangregel beruhe darauf, dass eine Unternehmensbewertung verlässlich und belastbar sei; in Wahrheit sei eine präzise Bewertung aber illusorisch und fadenscheinig.434) Eine Bewertung beinhalte notwendigerweise Unsicherheiten, Annahmen und Vermutungen, die vordergründig mathematisch präzise wirken, aber von einer Vielzahl von Faktoren abhingen.435) Bis zu einem gewissen Grad sei die Bewertung daher willkürlich.436) Baird und Bernstein weisen darauf hin, dass die Bewertungen über ein und dasselbe Unternehmen, von ___________ 433) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 657 (1974); Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 748 (1988). 434) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 655 (1974); Coogan, 32 Case W. Res. L. Rev. 301, 313 ff. (1982) („crystal ball gazing into the future“); ähnlich auch American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 181 ff.; für eine deutsche Darstellung des amerikanischen Rechts Fassbach, Cram down power, 61 ff.; für das deutsche Recht vgl. Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 86 ff.; mit Verweis Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 272. 435) Beispiele dafür sind die Wiederbeschaffungskosten der Vermögenswerte, der Grad des technischen Fortschritts oder der technischen Veränderung oder der Einfluss von Konkurrenten auf den Markt, vgl. Blum, 17 U. Chi. L. Rev., 565, 574 (1950). 436) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 656 (1974); Coogan, 32 Case W. Res. L. Rev. 301, 313 ff. (1982).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

verschiedenen Experten vorgenommen, zum Teil erheblich voneinander abweichen. Sie verweisen auf einen Fall, wo die Unternehmensbewertungen zwischen 7,2 Mrd. Doller und 13,6 Mrd. Doller schwankten.437) Im Zusammenhang mit der Zuverlässigkeit von Unternehmensbewertungen wird gerne eine Phrase angeführt, welche lautet, die Unternehmensbewertung sei „[a] guess compounded by an estimate“ – in etwa: Eine Vermutung, die aus einer Schätzung zusammengesetzt wurde.438)

b) Zwang zur Bewertung als Druckmittel Ein weiterer Kritikpunkt, der ebenfalls mit der Unternehmensbewertung zusammen- 188 hängt, ist, dass deren unsicheres Ergebnis als Verhandlungsmittel eingesetzt werden kann. Die absolute Vorrangregel sorgt dafür, dass eine Unternehmensbewertung erforderlich wird. Dabei könnten vor allem die Anteilseigner auf eine Bewertung bestehen, diese sei aber sowohl zeit- als auch kostenintensiv.439) Das führe dazu, dass den Anteilseignern ein Druckmittel zur Verfügung gestellt werde.440) Dieses Argument gilt ebenso für die Gläubiger mit mittlerem Rang. Es wird ausgeführt, die Gläubiger in mittlerem Rang würden zum Teil nur auf einer Bewertung bestehen, weil sie hofften, dass der Wert des Unternehmens im Verlauf des Verfahrens steige.441) Zum Teil wird davon ausgegangen, dass die Unternehmensbewertungen deshalb in der Regel schuldnerbegünstigend seien.442) Gerade das Problem der Kosten und der Dauer der Bewertung wurde schon in den 1970ern Jahren als so problematisch angesehen, dass der Kongress über eine Abschaffung einer zwingenden Bewertung des Unternehmens nachdachte, sich letztlich aber doch dagegen entschied.443) Es ist aus diesen Gründen vorteilhaft für die „rangniedrigeren Klassen“, wenn der 189 Unternehmenswert hoch angesetzt wird. Dahinter steht der Gedanke, dass die absolute Vorrangregel nur die Verteilung der Werte entlang der Rangfolge vorgibt, aber nicht, wie hoch die zur Verteilung stehenden Werte sind. Oder salopp formuliert: „A pizza ___________ 437) Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1943 Fn. 34 (2006) mit Verweis auf den Fall Mirant Corp., 334 B.R. 800, 809, 824 (Bankr. N.D. Tex. 2005); vgl. auch Exide Technologies, 303 B.R. 48 (Bankr. D. Del. 2003) für weit divergierende Ergebnisse in der Unternehmensbewertung. 438) Diese wird zurückgeführt auf Coogan, vgl. 1977 House Judiciary Committee Report on Public Law 95-598, 222, abgedruckt in 1978 U.S. Code Congressional & Administrative News, 5963, 6181; vgl. auch Coogan, 32 Case W. Res. L. Rev. 301, 313 Fn. 62 a. E. (1982). 439) Jüngst Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 11 ff. (2021); Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 748 (1988); LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 130 (1990). 440) Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133, 145 (1979): „negotiation leverage“; anders Bradley/Rosenzweig, die argumentieren, dass hauptsächlich die Manager profitieren, vgl. 101 Yale L. J. 1043, 1049 ff. (1992). 441) Brudney, 48 Am. Bankr. L. J. 305, 311 (1974). 442) Adler, 77 Corn. L. Rev. 439, 446 ff. (1992); ähnlich Bradley/Rosenzweig, 101 Yale L. J. 1043, 1049 ff. (1992); Betker, 68 J. Bus. 161 ff. (1995). 443) Brudney, 48 Am. Bankr. L. J. 305, 310 ff. (1974); LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 132 f. (1990).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

does not get bigger or smaller based on how it is sliced.“444) Da die Anteilseigner und rangniedrigen Klassen kaum einen Nachteil erleiden, weil sie im Zweifelsfall nichts erhalten, werden sie immer eine Bewertung des Unternehmens anstreben und hoffen, dass die Ergebnisse der Unternehmensbewertung aufgrund ihrer unpräzisen Natur zu ihren Gunsten ausschlagen. Infolgedessen würden die höherrangigen Gläubiger die Nachteile tragen.445) Diese Abweichungen seien das natürliche Produkt eines Systems, in welchem der faktische Wert eines Rangs eines Gläubigers durch die Unternehmensbewertung durchgesetzt werde, deren Ergebnis ungewiss sei.446) Dieses Argument wird auch empirisch untermauert. Rechtswissenschaftler haben in umfangreichen Studien die Reorganisationspläne der Praxis untersucht. In der Praxis wurde in mehr als zwei Drittel der untersuchten Fälle eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel festgestellt.447) Es wird ausgeführt, die Abweichungen von der absoluten Vorrangregel seien größer, je solventer das Unternehmen sei, weil dann die künftigen Einnahmen kalkuliert werden müssten.448)

190 Argumentiert wird, eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel sei deshalb auch den Gläubigern zumutbar, da diese für gewöhnlich von einer schnelleren Befriedigung mehr profitieren würden als die absolute Vorrangregel ihnen zusichere.449)

c)

Bewertung durch den Richter

191 Konstatiert wurde des Weiteren, dass die amerikanischen Insolvenzrichter den Wert des reorganisierten Unternehmens in der Regel zu hoch schätzten.450) Das führt dazu, dass vor allem die Anteilseigner von der Bewertung profitieren, weil sie durch den zu hoch eingeschätzten Wert am Unternehmen partizipieren können. Dieser Befund ___________ 444) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 798 (2018). 445) Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1939 (2006). 446) Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1935 (2006); Bebchuk/Picker, University of Chicago, Law & Economics Working Paper No.16, 2d Series, 1 (1993). 447) Bebchuk/Picker, University of Chicago, Law & Economics Working Paper No.16, 2d Series, 1 (1993); mit einem empirischen Ansatz Eberhart/Moore/Roenfeldt, 45 J. Fin. 1457, 1468 (1990), welche in 77 % der Fälle eine Abweichung von den Verteilungsregeln des Bankruptcy Codes feststellen; ähnlich LoPucki/Whitford, 139 U. Pa. L. Rev. 125, 126 ff. (1990); ebenso Weiss, 27 J. Fin. Econ. 285, 294 ff. (1990); auch Franks/Torous, 44 J. Fin. 747, 754 ff., 768 (1989); Betker, 68 J. Bus. 161 ff. (1995); Eberhart/Weiss, 27 Fin. Management 106 ff. (1998). 448) Betker, 68 J. Bus. 161, 163, 167 (1995). 449) Brudney, 48 Am. Bankr. L. J. 305, 310 f. (1974); Klee, 53 Am. Bankr. L.J. 133, 145 (1979); ähnlich Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1936, 1939 (2006); mit einem empirischen Ansatz Betker, 68 J. Bus. 161, 166 f. (1995). 450) Hotchkiss, 50 J. Fin. 3, 11 ff. (1995); Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, 211 f., 219 f. („[…] no reason to believe that bankruptcy judges are particularly good valuators“) auch mit Verweis auf Tversky/Kahneman, 185 Science 1124, 1129 (1974); dies., 90 Psychological Review 293 (1983); Adler, 77 Corn. L. Rev. 439, 446 ff. (1992); kritisch auch Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 563 ff. (1983).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

wurde empirisch untermauert. Etwa ein Drittel der reorganisierten Unternehmen musste später erneut ein Insolvenzverfahren durchlaufen.451)

4.

Das Abschneiden von Zukunftswerten

Eine weitere Argumentationslinie gegen die absoluten Vorrangregel ist, dass sie den 192 ungesicherten Gläubigern und Anteilseignern den Zugriff auf zukünftige Werte des Unternehmens abschneidet und diese Werte den Gläubigern mit dem höchsten Rang zuweist.452) Bairds Gedankengang basiert auf der (zutreffenden) Annahme, dass sich der Unternehmenswert aus künftigen Zahlungsströmen errechne. Der Erfolg eines unternehmerischen Projektes, beispielsweise eines neuen Produktes oder die Eröffnung eines Restaurants durch einen begabten Koch, könne im Vorfeld nur geschätzt werden und beinhalte immer eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Auf der anderen Seite bestehe immer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Projekt aus unterschiedlichen Gründen scheitere, etwa, weil die erhofften Kunden eines neuen Restaurants ausblieben. Die absolute Vorrangregel, so Baird, breche alle Wahrscheinlichkeiten der Zukunft auf einen bestimmten Tag herunter. Das sei problematisch, denn die Rückzahlung von Schulden hinge von in der Zukunft liegenden Werten ab. Die absolute Vorrangregel gebe zukünftigen Möglichkeiten schon jetzt einen Wert, obwohl im Einzelfall noch nicht klar sei, wie sich gewisse Projekte innerhalb des Unternehmens entwickelten. Baird führt den Gedanken weiter und erkkärt, das könne im Einzelfall dazu führen, 193 dass sich das Unternehmen nach der Krise positiv zugunsten der alten Anteilseigner entwickelte, die alten Anteilseigner aber wegen der Geltung der absoluten Vorrangregel aus dem Unternehmen ausscheiden müssten. Unter den „alten“ Anteilseigner sind die Gesellschafter zum Zeitpunkt vor dem Eintritt in das Reorganisationsverfahren zu verstehen, weil die Gesellschaft im Reorganisationsverfahren – etwa durch eine Kapitalerhöhung – neue Gesellschafter erhalten kann. Die Kritik lässt sich so zusammenfassen, dass die absolute Vorrangregel keine Mög- 194 lichkeit beinhaltet, einen späteren Erfolg des Unternehmens, der schon im Handeln der alten Unternehmer angelegt war, nach der Reorganisation noch zu berücksichtigen. Auf diesen Punkt wird später noch im Rahmen der propagierten amerikanischen „relativen Vorrangregel“ zurückzukommen sein.453)

___________ 451) Hotchkiss, 50 J. Fin. 3, 4, 14 f. (1995); ebenso LoPucki/Whitford, 78 Corn. L. Rev. 597, 608 f. (1993). 452) Dazu und im Folgenden Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 792 (2017); ders., 18 Am. Bank. Inst. L. Rev. 591, 592 f. (2010); ders./Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1937 (2006); sich dem anschließend Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759, 764 (2011). 453) Vgl. Rn. 511 ff.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

5.

Effizienzsaldo der absoluten Vorrangregel

195 Die Kritik an der absoluten Vorrangregel umfasst schließlich auch deren ökonomische Auswirkungen. Es wird kritisiert, diese bringe ökonomische Ineffizienzen mit sich. Die absolute Vorrangregel setzt sowohl im Vorfeld des wirtschaftlichen Zusammenbruchs als auch danach gewisse Handlungsanreize für die Eigentümer bzw. Manager eines Unternehmens.

196 Wissen die Eigentümer-Manager, dass sie auch in der Insolvenz die Chance auf eine Beteiligung am Unternehmen haben, stellt dies einen Anreiz dar, unternehmensspezifisches Wissen und Humankapital zur Verfügung zu stellen.454) Unter Geltung der absoluten Vorrangregel besteht dieser Anreiz nicht, denn die absolute Vorrangregel verlangt, dass die alten Anteilseigner ohne vollständige Befriedigung der höherrangigen Gläubiger keine Beteiligung behalten dürfen.

197 Zudem erhöht ein von der absoluten Vorrangregel abweichendes Regime die Anreize für die Eigentümer-Manager, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen, weil dann auch der Betrag, der selbst einbehalten werden darf, größer ist.455) Ebenso wird im Vorfeld der Insolvenz der Anreiz verringert, Projekte mit einem negativen Erwartungswert zu verfolgen. Dieses Problem ist dann relevant, wenn die Schuldenlast des Unternehmens so groß ist, dass kleinere oder „durchschnittliche“ Gewinne von den Fremdkapitalkosten „aufgefressen“ werden. Für die Anteilseigner ist es dann sinnvoll, nur solche Projekte zu verfolgen, die im Erfolgsfall einen extrem hohen Gewinn abwerfen, um mit einem möglichen Gewinn die Gläubiger zu befriedigen.456)

198 Auf der anderen Seite werden ökonomisch effiziente Handlungsanreize betont, die unter Geltung der absoluten Vorrangregel entstehen. Betont wird, eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel führe dazu, dass die Gläubiger vor Vertragsschluss höhere Zinssätze457) verlangen würden oder auf die Einräumung von mehr Sicherheiten bestünden458), um den Verlust ihres Rangs in der Insolvenz auszugleichen. Auch sei zu erwarten, dass Gläubiger dem Schuldnerunternehmen insgesamt weniger Geld als Kreditrahmen zur Verfügung stellen würden. Dies führe zu suboptimalen Investmententscheidungen.459) Argumentiert wird auch, dass der Anreiz bestehe, ohne ___________ 454) Berkovitch/Israel/Zender, 34 J. Fin. Quantative Analysis 441, 451 ff., 461 f. (1998); Bebchuk/Picker, University of Chicago, Law & Economics Working Paper No.16, 2d Series, 1, 6 ff. (1993); Bebchuk, 57 J. Fin. 445, 446 (2002). 455) Drukarczyk, Theorie und Politik der Finanzierung, 387 f. 456) Frierman/Viswanath, 37 The Journal of Law and Econ. 455, 468 ff. (1994); Daigle/Maloney, 37 The Journal of Law and Econ. 157, 162 ff. (1994); kritisch Adler, 77 Corn. L. Rev. 439, 461 ff. (1992). 457) Franks/Nyborg/Torous, 25 Financial Management 86, 87 (1996); Adler/Ayres, 111 Yale L. J. 83, 88 (2001). 458) Schwartz, 72 Wash. U. L. Quarterly 1213, 1215 (1994). 459) Franks/Nyborg/Torous, 25 Financial Management 86, 87 (1996).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

die abweichende Vorrangregel ökonomisch ineffiziente Projekte zu verfolgen, solange das Unternehmen noch prosperiere. Begründet wird das damit, dass den EigentümerManagern auch im Falle der positiven Entwicklungen die Gewinne zuständen, während im Falle des unternehmerischen Scheiterns die Verluste teilweise von den Gläubigern getragen würden.460) Schließlich reduziere eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel die disziplinierende Wirkung der Verschuldung.461) Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die absolute Vorrangregel und davon abwei- 199 chende Verteilungsregime zu bestimmten Zeiten im „Lebenszyklus“ eines Unternehmens unterschiedliche Handlungsanreize auslösen. Ein klares Überwiegen eines Verteilungsregimes ist aus der ökonomischen Perspektive nicht auszumachen und lässt sich darüber hinaus nur schwerlich messen.462)

IV. Praxis der structured dismissals 1.

Hintergrund und Wirkung der structured dismissals

Die anhaltende Kritik an der absoluten Vorrangregel spiegelt sich in der US-ame- 200 rikanischen Praxis der sog. „structured dismissals“ (sinngemäß etwa: geordnete Verfahrenseinstellung) wider. Aufgrund der oben geschilderten Probleme in den Reorganisationsfällen nach Chapter 11 des US Bankruptcy Codes entwickelte die Praxis in den USA die structured dismissals, um ein teures, kompliziertes und langwieriges Verfahren nach Chapter 11, eine Liquidation nach Chapter 7 des Bankruptcy Codes oder einen gewöhnlichen Abweisungsbeschluss durch ein Insolvenzgericht zu vermeiden.463) Ein gewöhnlicher Abweisungsbeschluss (dismissal) durch das Insolvenzgericht ergeht 201 etwa in Fällen, in denen das Unternehmen keine realistische Chance hat, sich erfolgreich zu sanieren.464) In diesem Fall wird der Schuldner normalerweise in den Rechtszustand vor Eröffnung des Verfahrens zurückgesetzt.465) Anders liegt der Fall bei einem structured dismissal. Dort wird das Verfahren im Grunde im Wege des Vergleichs beendet. Der Begriff des structured dismissals ist nicht definiert.466) Er beschreibt die Ein- 202 stellung eines Reorganisationsverfahrens, welches nach Chapter 11 des US Bank___________ 460) Schwartz, 72 Wash. U. L. Quarterly 1213, 1217 (1994); Bebchuk, 57 J. Fin. 445, 447 (2002). 461) Adler/Ayres, 111 Yale L. J. 83, 88 f. (2001); Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 29; ders., FS Drukarczyk, 2003, 187, 191. 462) Ebenso Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 191 f. 463) Lipson, 93 Wash. L. Rev. 631, 634 (2018); vgl. auch ders., 6. Harv. Bus. L. Rev. 239, 256 ff. (2016). 464) Vgl. 11 U.S.C. § 1112(b)(4)(A). 465) 11 U.S.C. § 349(b)(3); vgl. auch Smith, 84 Fordham L. Rev. 2989, 2994 (2016); Stevenson, 68 Cleveland State Law Review 73, 81 (2019). 466) Vgl. McDonald Henry, 50 Ind. L. Rev. 579, 580 ff. (2017).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

ruptcy Codes eröffnet wurde. Es geht dabei typischerweise um solche Fälle, in denen ein Reorganisationsplan nicht bestätigt werden dürfte.467) Das Besondere ist, dass kein einfacher Abweisungsbeschluss des Gerichts ergeht, sondern alle zuvor getroffenen Vereinbarungen und Vergleiche der Parteien, die während des Verfahrens geschlossen und durch das Gericht genehmigt wurden, aufrechterhalten werden.468) Die Parteien treffen zuvor einen Vergleich und stellen dann einen Antrag an das Gericht, den Fall entsprechend der Einigung abzuweisen.469) Ein structured dismissal lässt sich als hybrider Verfahrensschritt aus der Abweisung eines Falls und der Bestätigung eines Vergleichs sehen.470)

203 Diese Anordnung ist nicht explizit im US Bankruptcy Code geregelt. Die Rechtsmacht des Gerichtes für die Durchführung eines structured dismissal wird aus verschiedenen Normen hergeleitet471): § 1112(b)(1) des US Bankruptcy Codes besagt, dass ein Gericht den Fall dann abweisen darf, wenn dies im Interesse der Gläubiger ist. Nach 28 US Bankruptcy Code § 1334(a) i. V. m. § 157(a) hat das Insolvenzgericht die Zuständigkeit auch für zivilrechtliche Vergleiche. Nach Rule 9019 der Federal Rules of Bankruptcy Procedure darf das Insolvenzgericht einen Vergleich nach Anhörung der Parteien bestätigen. Aus einer Kombination dieser Regeln ziehen manche Gerichte die Rechtsmacht, den Verfahrensschritt des structured dismissals vorzunehmen.

204 Die Vorteile eines structured dismissals liegen darin, dass das „Verfahren“ kostengünstiger als ein Chapter 11 Verfahren ist. Gegenüber einer Liquidation nach Chapter 7 des US Bankruptcy Codes ist ein structured dismissal typischerweise weniger risikoreich. Dort kann der trustee das Unternehmen zerschlagen, was die Befriedigungsquoten senken kann. Zudem besteht die Gefahr, dass dieser Klagen gegen die Gläubiger/Anteilseigner des Unternehmens anstrengt.472)

___________ 467) Groshgal, 8 Wm & Mary B. L. Rev. 439, 444 (2017). 468) McDonald Henry, 50 Ind. L. Rev. 579, 583 (2017); Smith, 84 Fordham L. Rev. 2989, 2995 (2016); Groshgal, 8 Wm & Mary B. L. Rev. 439, 444 f. (2017). 469) Groshgal, 8 Wm & Mary B. L. Rev. 439, 444 (2017); Smith, 84 Fordham L. Rev. 2989, 2995 (2016). 470) Vgl. auch die Definition des American Bankruptcy Institute. Danach ist ein structured dismissal eine „hybrid dismissal and confirmation order … that … typically dismisses the case while, among other things, approving certain distributions to creditors, granting certain third-party releases, enjoining certain conduct by creditors, and not necessarily vacating orders or unwinding transactions undertaken during the case.“ American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 270 (2014). 471) Vgl. Stevenson, 68 Cleveland State Law Review 73, 84 (2019); Lipson, 93 Wash. L. Rev. 631, 647 f. (2018); McDonald Henry, 50 Ind. L. Rev. 579, 584 (2017). auch Smith, 84 Fordham L. Rev. 2989, 2996 – 2998 (2016). 472) Lipson, 93 Wash. L. Rev. 631, 634 (2018).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

Die Anwendung von structured dismissals ist in der amerikanischen Literatur hoch 205 umstritten.473) Die Instanzgerichte ließen dabei auch eine Verteilung von Vermögenswerten zu, die von den normalen Verteilungsregeln des Bankruptcy Codes in Liquidations- oder Reorganisationsfällen der Chapter 7 und 11 des Bankruptcy Codes474) abwich. Es war also die Frage berührt, ob die absolute Vorrangregel eingreifen sollte oder ob man einen anderen Verteilungsmechanismus – zum Teil auch als relative Vorrangregel bezeichnet – für ein „höheres Wohl“ zulassen wollte.475) Begründen lässt sich die Abweichung von den Verteilungsregeln des Bankruptcy Codes damit, dass die absolute Vorrangregel nur in § 1129(b) des Bankruptcy Codes geregelt ist und streng genommen nur dann eingreift, wenn ein Reorganisationsplan gegen den Willen einer Gruppe bestätigt werden soll. Zugunsten der structured dismissals wurde argumentiert, in den früheren Versionen 206 des Bankruptcy Codes sei die absolute Vorrangregel nie explizit erwähnt worden. Zunächst habe der Supreme Court die Regel in das Gesetz hineingelesen.476) Auch habe der Kongress in der legislativen Geschichte immer wieder die extensive Anwendung der absoluten Vorrangregel durch den Supreme Court eingeschränkt und auf bestimmte Chapter beschränkt.477) Mit der Schaffung des Bankruptcy Codes von 1978 wurden dabei die Chapter X und XI, die ebenfalls die Reorganisation regelten, in Chapter 11 zusammengefasst,478) was ein Argument dafür sei, dass die absolute Vorrangregel nur in den Fällen zur Anwendung kommen solle, in welchen dies genau festgeschrieben ist.479)

2.

Der Fall Jevic

Der Fall Jevic, in dem es um den Verfahrensschritt eines structured dismissals ging, 207 wurde schließlich vom US Supreme Court entschieden.480) Es war die Frage aufgeworfen, ob ein Gericht einen Vergleich, der im Vorfeld eines Reorganisationsplans geschlossen worden war und der von den Verteilungsregeln des Banktruptcy Codes abwich, mit einem structured dismissal bestätigen durfte. ___________ 473) Vgl. m. w. N. Groshgal, 8 Wm & Mary B. L. Rev. 439, 446 ff. (2017); Stevenson, 68 Cleveland State Law Review 73, 84 f. (2019). 474) Danach kommen gesicherte Gläubiger zuerst; anschließend bestimmte Gläubiger, die Unterhalts, Steuer- oder Lohnforderungen haben (§ 507(a)); alle nicht in § 507(a) genannten sind einfache ungesicherte Gläubiger; schließlich der Schuldner. Die in 11 U.S.C. § 507 festgelegten Prioritäten gelten nach 11 U.S.C. § 103(a) sowohl in Chapter 7 als auch in Chapter 11 Fällen. 475) Lipson, 93 Wash. L. Rev. 631, 635 (2018). 476) Siehe Rn. 158 ff. 477) Groshgal, 8 Wm & Mary B. L. Rev. 439, 449 f. (2017) mit Verweis auf Tabb, 3 Am. Bank. Inst. L. Rev. 5, 31, insb. Fn. 221, 222 (1995). 478) Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 35 (1995). 479) Groshgal, 8 Wm & Mary B. L. Rev. 439, 449 f. (2017). 480) Czyzewski v. Jevic Holding Corp., 137 S. Ct. 973 (2017).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

208 In dem Fall ging es um ein Lastkraftwagen-Unternehmen in der Krise („Jevic“), welches durch einen Investor (Sun Capital Partners – kurz „Sun“) im Wege eines leveraged buyouts übernommen wurde.481) Finanziert wurde die Transaktion von einer Bank (CIT Group/Business Credit Inc. – kurz „CIT“). Trotz des frischen Geldes durch den leveraged buyout geriet Jevic weiter in Krise und musste ein Verfahren nach Chapter 11 des Bankruptcy Codes anmelden. Im Laufe des Verfahrens wurden beinahe alle Vermögenswerte des Unternehmens verkauft, um die Forderungen der CIT zu befriedigen.

209 Es kam schließlich zu einer Klage von zuvor im Laufe des Verfahrens entlassenen Truckfahrern gegen Jevic und Sun, die die Verletzung von arbeitsrechtlichen Vorschriften geltend machten. Im Klageweg wurden zunächst Forderungen der Truckfahrer gegen Jevic festgestellt, welche den Truckfahrern einen gegenüber gewöhnlichen ungesicherten Gläubigern vorrangigen Anspruch nach 11 U.S.C. § 507(a)(4) gewährten. Die Klage der Truckfahrer gegen Sun war weiterhin anhängig. Zudem kam es zu einer Klage von ungesicherten Gläubigern („creditors committee“) gegen Sun und CIT, wegen gläubigerbenachteiligender Vermögensverschiebungen (fraudulent conveyance)482). Anschließend begannen Jevic, Sun, CIT und das creditors committee (die ungesicherten Gläubiger), über einen Vergleich zu verhandeln, während der Prozess der Truckfahrer gegen Sun fortgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt schuldete Jevic seinen gesicherten Gläubigern SUN und CIT rund 53 Mio. Dollar, den Truckfahrern mit mittlerem Rang rund 8,3 Mio. Dollar und seinen ungesicherten Gläubigern rund 20 Mio. Dollar. Unter anderem einigten sich die Parteien darauf, dass CIT zwei Millionen Dollar an Jevic und das creditors committee zahlen sollte, um deren Rechtsberatungs- und Verwaltungskosten zu decken. Die verbliebenen Assets sollten verkauft und damit auch pro rata die ungesicherten Gläubiger befriedigt werden. Im Gegenzug sollte die Klage gegen die gläubigerbenachteiligenden Handlungen fallen gelassen werden. Anschließend sollte das Verfahren im Wege des structured dismissals beendet werden. Problematisch war, dass die Ansprüche der Truckfahrer nicht bedient wurden. Diese standen im Rang jedoch höher als die ungesicherten Gläubiger des committees.483) Es handelt sich demnach um eine ähnliche Konstellation wie im Boyd-Fall: Auch hier wurden die Gläubiger in mittlerem Rang übergangen. Sun wollte die Truckfahrer nicht in den Vergleich miteinbeziehen, um nicht deren Prozess gegen sich selbst zu finanzieren. Die Truckfahrer waren mit dem Vergleich naturgemäß nicht einverstanden und widersprachen.

210 Der Supreme Court urteilte, wie auch in Boyd, klar zugunsten der „übergangenen“ Gläubiger mit mittlerem Rang. Auch hier bestand der Einwand gegen die Aufhebung ___________ 481) Vgl. dazu und im Folgenden Jevic Holding Corp., 787 F.3d 173, 175 ff. (CA3 2015); sowie Lipson, 93 Wash. L. Rev. 631, 640 ff. (2018). 482) Bachem/Hamblock, Wörterbuch Recht, 3. Aufl. 2008. 483) Vgl. Smith, 84 Fordham L. Rev. 2989, 2999 (2016).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

des Vergleichs darin, dass, selbst wenn der Supreme Court den Vergleich aufheben würde, alle Werte nach ihrer Rangfolge entsprechend sowieso nicht zugunsten der Truckfahrer verteilt würden. Sie würden durch den Vergleich also nicht schlechter stehen.484) Dennoch urteile der Supreme Court, dass die Rangfolge, abseits der Zustimmung aller Beteiligten, absolut ist. Justice Breyer, der die Entscheidung vorbereitete, hielt fest, dass die Rangfolge im Sinne der absoluten Vorrangregel ein Fundament des Insolvenzrechts sei.485) Der Kongress habe zwei mögliche Wege aus der Insolvenz vorgegeben: Einen Reorganisationsplan oder eine Liquidation; der Vergleich der Parteien sei gewissermaßen ein Ausweichmanöver, um die durch den Kongress festgelegten (Prioritäts-)Regeln zu umgehen.486) Insgesamt könne der Vergleich nicht bestätigt werden, weil er die Vorrangrechte von Gläubigern ohne deren Zustimmung verletze.487) Der Supreme Court traf explizit keine Entscheidung zu der Frage, ob die Praxis der structured dismissals generell zulässig sei.488) In Anbetracht der bisherigen Entscheidungslinie des US Supreme Courts ist das in 211 Jevic gefällte Urteil konsequent. Bereits im Los Angeles Lumber Urteil hatte der Supreme Court das Argument nicht gelten lassen, dass die „übergangenen“ Gläubiger durch die Neuverteilung nicht schlechter gestellt würden, weil sie ohne den Plan ebenfalls nichts erhalten hätte. Der Supreme Court bleibt damit seiner Linie treu, dass nur eine Zustimmung eines Gläubigers eine Abweichung von der vorinsolvenzlichen Verteilungsreihenfolge rechtfertigen kann. In der Rezeption des Jevic-Urteils in der Literatur wird darauf hingewiesen, dass das 212 Urteil nicht nur zu der Frage der Wertverteilung wichtige Erkenntnisse beinhalte, sondern auch den prozeduralen Rahmen der Reorganisation geschärft habe.489) Danach beinhalte das Jevic-Urteil drei prozedurale Kernaussagen, auf welche der Supreme Court hindeute. Dabei drehe sich alles um den vom Supreme Court betonten Begriff der Zustimmung („consent“). Im Rahmen eines Planverfahrens werde diese über die Abstimmung in den Gruppen gesichert. Für den Fall der structured dismissals gibt es diesen gruppenbezogenen Abstimmungsmechanismus nicht. In diesen Fällen fungiere die absolute Vorrangregel nicht nur als Verteilungsregel, sondern sichere auch prozedural die Beteiligung der betroffenen Gläubiger ab. Lipson identifiziert drei Kernpunkte des Jevic-Urteils: Erstens sei die adäquate Teil- 213 nahme am Verfahren relevant. Die adäquate Teilnahme am Verfahren verlange, dass man selbst angemessen über die Wertverteilung abstimmen könne, oder, wenn das ___________ 484) Czyzewski v. Jevic Holding Corp., 137 S. Ct. 973, 982 f. (2017). 485) Czyzewski v. Jevic Holding Corp., 137 S. Ct. 973, 983 (2017): „[A] basic underpinning of business bankruptcy law“. 486) Czyzewski v. Jevic Holding Corp., 137 S. Ct. 973, 983 f. (2017). 487) Czyzewski v. Jevic Holding Corp., 137 S. Ct. 973, 984 f. (2017). 488) Czyzewski v. Jevic Holding Corp., 137 S. Ct. 973, 985 (2017). 489) Dazu und im Folgenden Lipson, 93 Wash. L. Rev. 631, 634 ff., insb. 665 ff. (2018).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

nicht gegeben sei, die absolute Vorrangregel eingehalten werden müsse. Die Zustimmung verlangt auch Teilnahme am Verfahren. Zweitens sei die Vorhersehbarkeit des Verfahrens gesichert worden. Die Zustimmung zu einem Verfahren sei wahrscheinlicher, wenn alle beteiligten Parteien klar die Folgen abschätzen könnten. Hier sorge die absolute Vorrangregel für klare Verhältnisse, wodurch die Zustimmung gefördert werde. Drittens wird die prozedurale Integrität angesprochen. Durch das Urteil werde verhindert, dass Mehrheiten kollusiv zulasten einer Minderheit zusammenwirken.

214 Zusammenfassend ist der Gedanke demnach, dass die absolute Vorrangregel nicht nur für materiell-rechtlich gerechte Ergebnisse sorgt, sondern auf das Prozessrecht „ausstrahlt“.

V. Die drei Konsequenzen der absoluten Vorrangregel 1.

Sachgerechte Verteilung von Fremd- und Eigenkapital

215 Der US Supreme Court hat in der langen Geschichte rund um die absolute Vorrangregel immer wieder betont, dass die Beteiligung der Anteilseigner am Unternehmenswert den Rechten und Ansprüchen der Gläubiger gegenüber untergeordnet ist.490) Dies ist nicht den Besonderheiten des amerikanischen Reorganisationsrechts geschuldet. Auch die Liquidation nach Chapter 7 des US Bankruptcy Codes richtet sich nach denselben Verteilungsregeln. Der Supreme Court hat zudem festgehalten, dass die absolute Vorrangregel nicht auf das Insolvenzrecht beschränkt ist. Im Fall Consolidated Rock Products Co. v. Du Bois hat der Supreme Court festgehalten, dass es für die Anwendung der Regel nicht darauf ankomme, ob das Unternehmen noch solvent oder schon insolvent sei.491)

216 Die absolute Vorrangregel besagt im Grunde, dass Fremd- vor Eigenkapital zu bedienen ist („Debt will be paid before equity“492)). Die absolute Vorrangregel entfaltet damit im Verhältnis der Gläubiger zu den Anteilseignern Wirkung. Diese Sichtweise wird durch das jüngst ergangene Urteil in Sachen Jevic durch den Supreme Court untermauert. Mit der in Jevic getroffenen Entscheidung hat der Supreme Court die absolute Vorrangregel gestärkt und sie über ihren rein vom Wortlaut her eingeschränkten Anwendungsbereich – sie kommt nur bei der Ablehnung des Plans durch ___________ 490) Vgl. Louisville Trust Co. v. Louisville & c. Ry., 174 U.S. 674, 684 (1899): „Stockholder’s interest in the property is subordinate to the rights of creditor’s“; Northern Pacific Railway Co. v. Boyd, 228 U.S. 482, 504, 506, 508 (1913); Kansas City Terminal Ry. Co. v. Central Union Tr. Co., 271 U.S. 445, 455 (1926): „As above stated, to the extent of their debts creditors are entitled to priority over stockholders against all the property of an insolvent corporation“; Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 114 ff. (1939); Consolidated Rock Products Co. v. Du Bois, 312 U.S. 510, 513, 527 ff. (1941). 491) Consolidated Rock Products Co. v. Du Bois, 312 U.S. 510, 527 (1941). 492) Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 740 (1988); Adler, 77 Corn. L. Rev. 439, 441 (1992); aus dem deutschen Recht Wiedemann, GesR, Bd. I, 514 f.; Jungmann, ZGR 2006, 638, 645 ff.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

eine Gruppe im Chapter 11 Verfahren zur Anwendung – auch im Verfahren der structured dismissals für anwendbar erklärt. Die sachgerechte Verteilung des Risikos von Fremd- und Eigenkapital wird vor allem 217 dann relevant, wenn die Anteilseigner im Wege der institutionellen Haftungsbeschränkung ihr Risiko vor Ausfällen beschränken können. Die Auswirkungen und Handlungsanreize, die durch die institutionelle Haftungsbeschränkung entstehen, wurden im ersten Kapitel ausführlich dargestellt. Dort wurde als Prämisse des Gesellschaftsrechts festgestellt, dass die Gläubiger regelmäßig nur unter zwei Voraussetzungen überhaupt bereit sind, als Gläubiger aufzutreten: Erstens muss das Gesellschaftsvermögen vorrangig für Verluste haften und zweitens ist das Vermögen der Gesellschaft zweckgebunden und darf nicht unbegrenzt aus der Gesellschaft abgeschöpft werden.493) Die Konsequenz der Anwendung der absoluten Vorrangregel ist, dass die Anteilseigner in einer Insolvenz grundsätzlich aus dem Unternehmen ausscheiden („equity is wiped out“494)).

2.

Konsequente Durchsetzung der vorinsolvenzlichen Rechtsstellung

a) Vorherrschende Sicht Die absolute Vorrangregel wirkt des Weiteren auch im Verhältnis der Gläubiger un- 218 tereinander: Sie sorgt für eine konsequente und starke Durchsetzung der vorinsolvenzlichen Rechtsstellung der Gläubiger und vor allem des Kreditsicherungsrechts in der Insolvenz.495) Den vertraglich privatautonom ausgehandelten Rahmenbedingungen wird so größtmögliches Gewicht beigemessen.496) Nur mit einer wiederum privatautonomen Zustimmung der betroffenen Klasse soll davon abgewichen werden können. Aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts liegt hierin eine Ausprägung des Gedankens des mildesten Eingriffs. Es werden mögliche gesamtwirtschaftliche Ver___________ 493) Vgl. Rn. 91 ff. 494) Vgl. Rn. 158 ff. 495) So auch Blum, 17 U. Chi. L. Rev. 565, 569 (1950); Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 654 (1974): „[B]efore a class of investors can participate in a reorganization, all more senior classes must be compensated in full for their claims, measured on the basis of their priorities upon involuntary liquidation“; Adler, 77 Corn. L. Rev. 439, 441 (1992); Jackson, 91 Yale L. J. 857, 869 (1982); kritisch insgesamt Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759, 763 ff. (2011); in der deutschen Literatur, vgl. Eidenmüller, FS Drukarczyk, 2003, 187, 191 f.; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan Rn. 18.60; vgl. Flessner, Sanierung und Reorganisation, 97: „Denn die absolute Vorrangregel begünstigt Gläubiger, und diese um so mehr, je besser sie gesichert sind.“ Dem ist in der Form nicht zuzustimmen. Denn diese Aussage setzt voraus, dass der Wert der Sicherheit eines Gläubigers, die in ihrem Mindestgehalt durch den best interest test sichergestellt wird (siehe dazu in der Darstellung des Obstruktionsverbots), gesunken ist. Der Wert einer Sicherheit wird im Wesentlichen durch den best interest test sichergestellt. Die absolute Vorrangregel dient, wie auch ihre Geschichte gezeigt hat, vornehmlich den ungesicherten Gläubigern mit mittlerem Rang. 496) So konstatiert auch Flessner, Sanierung und Reorganisation, 256 f.; Balz, ZIP 1988, 1438, 1442.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

luste der privatautonomen Entscheidung untergeordnet. Die absolute Vorrangregel, und damit korrespondierend das Kreditsicherungsrecht, wird nur durch das Mehrheitserfordernis in den Abstimmungsklassen durchbrochen, denn wird ein Gläubiger innerhalb seiner eigenen Klasse überstimmt und stimmt die Klasse für eine abweichende Verteilung der Vermögenswerte, dann ist in diesem Fall die absolute Vorrangregel nicht anzuwenden. Die absolute Vorrangregel dient mit anderen Worten der Haftungsverwirklichung.497)

b) Kritik von Casey 219 Die These, die absolute Vorrangregel sorge für eine konsequente Durchsetzung der vorinsolvenzlichen Rechtspositionen wird in der amerikanischen rechtswissenschaftlichen Literatur von Casey in Frage gestellt.498) Er geht von der gegenteiligen Annahme aus, dass die absolute Vorrangregel Werte verteile, deren Zugriff und Verteilung nur durch ein Insolvenzverfahren überhaupt erst kreiert würden. Als Beispiel zieht er dazu einen gesicherten Gläubiger heran. Dieser habe einen Anspruch gegen den Schuldner. Könne der Schuldner den Anspruch nicht fristgerecht bedienen, so habe der Gläubiger die Möglichkeit, in das Sicherungsgut zu vollstrecken und den Vermögensgegenstand zu liquidieren. Das Unternehmen würde zerschlagen und die Vermögenswerte einzeln verkauft. Dieser Wert stehe aber typischerweise hinter dem zurück, was durch ein Zusammenhalten der unternehmerischen Assets und den Verkauf des gesamten Unternehmens als going-concern realisiert werden könne. Die Möglichkeit, durch ein koordiniertes Verfahren einen größeren Wert für die Gläubiger zu erzielen, sei präzise der Grund für die Abwicklung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in einem Insolvenzverfahren.499) Die Haftungsverwirklichung in den going-concern Wert des Unternehmens werde durch das Insolvenzverfahren ermöglicht. Das Insolvenzverfahren verteile die Reorganisationsmehrwerte nach der absoluten Vorrangregel. Da die Fortführungswerte aber typischerweise erst durch das Insolvenzverfahren realisierbar würden, wäre die Annahme, die absolute Vorrangregel setze die vorinsolvenzlichen Rechte um, zirkulär. Casey konstatiert: „Thus, APR [Anm.: absolute priority rule] violates its own central imperative and creates a discrepancy between rights inside and outside bankruptcy.“500)

220 Umgekehrt zerstöre die absolute Vorrangregel Ansprüche, welchem dem Residualberechtigten zustünden. Zur Illustration bedient sich Casey wiederum eines Beispiels.501) Danach habe ein Unternehmen einen Vermögenswert in Form eines Lotterietickets. Dieses habe jeweils die gleiche Chance, entweder 200 Dollar oder 0 Dollar ___________ 497) 498) 499) 500) 501)

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Blum, 67 Har. L. Rev. 1367, 1371 (1954). Casey. 78 U. Chi. L. Rev. 759 (2011). Casey. 78 U. Chi. L. Rev. 759, 774 (2011). Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759, 775 (2011); ähnlich Tene, 19 Bankr. Dev. J. 287 (2003). Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759, 773 – 775 (2011).

A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

abzuwerfen. Man nehme an, das Unternehmen habe zwei Gläubiger: Einen vorrangigen Gläubiger (senior investor) mit einem Anspruch in Höhe von 100 Dollar und einen rangniedrigeren Gläubiger (junior investor) mit einem Anspruch von 100 Dollar. In der Insolvenz würde der vorrangige Gläubiger alles erhalten: Der Erwartungswert des Lotterietickets liegt bei 100 Dollar und steht daher nach der absoluten Vorrangregel allein dem vorrangigen Gläubiger als Inhaber der höchstrangigen Forderung zu. Jedoch habe der junior investor eine 50 %-ige Chance, ebenfalls 100 Dollar zu erhalten, denn im Gewinnfall sei der Erlös 200 Dollar und damit 100 Dollar mehr als der Anspruch des senior investors. Der Anspruch des junior investors sei daher 50 Dollar wert. Diese Chance – Casey bezeichnet das als Optionswert des junior investors – werde durch die absolute Vorrangregel zerstört. Denn alle Werte aus dem Ticket, die den Anspruch des senior investors übersteigen, würden dem junior investor zustehen. Diese Kritik ist in ihrem Grundgehalt überzeugend. Richtig erscheint, dass der Zugriff 221 auf die Fortführungswerte durch die Koordination der Abwicklung der Gläubigeransprüche in einem Insolvenzverfahren realisierbar wird. Richtig ist auch, dass die absolute Vorrangregel den potenziellen Wert der Forderung des junior investors kompensationslos an den gesicherten Gläubiger verteilt, indem alle Forderungen im Zeitpunkt der Reorganisation als fällig behandelt werden und so alle künftig sich vielleicht realisierenden Werte auf den Stichtag der Insolvenzeröffnung heruntergerechnet werden. Die Folge ist, dass dem junior investor potenziell Werte vorenthalten werden, die sich möglicherweise zu dessen Gunsten realisieren. Jedoch erscheint die Sicht, durch das Insolvenzverfahren würden Werte kreiert, deren 222 Verteilung nicht der absoluten Vorrangregel unterliegen solle, nicht vollständig überzeugend. Die Tatsache, dass die Fortführungswerte ohne das Insolvenzverfahren nur schwerlich realisierbar gewesen wären, erscheint als Argument nicht ausreichend, denn die Werte sind vorhanden. Für die Realisation der höheren Werte im Insolvenzverfahren ist in erster Linie der Wechsel von einem auf dem Prioritätsprinzip basierenden Vollstreckungsregime hin zu einem Gesamtvollstreckungsregime maßgeblich. Der Wechsel des Vollstreckungsrechts ist gegenüber der absoluten Vorrangregel indifferent. Vielmehr gilt, wie noch aufgezeigt wird, zumindest im deutschen Gesellschaftsrecht auch außerhalb der Insolvenz der Verteilungsmodus der absoluten Vorrangregel. Unklar erscheint, warum dann nur der außerinsolvenzlich realisierbare wirtschaftliche Wert dem entsprechenden Verteilungsmodus unterliegen soll, wenn darüber hinaus feststeht, dass die Gläubiger innerhalb wie außerhalb der Insolvenz einen Anspruch in Höhe des Nominalwertes ihrer Forderung haben. Die absolute Vorrangregel versucht vielmehr, den vorinsolvenzlich ausgehandelten Ansprüchen ohne weitere Risikoverteilung weitestgehend Rechnung zu tragen. Auf dieses Argument wird aber noch genauer zurückzukommen sein.502) ___________ 502) Rn. 511 ff.

91

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

3.

Kopplung von Liquidation und Reorganisation

223 Schließlich führt die absolute Vorrangregel dazu, dass die Reorganisation an die Liquidation als Abwicklungsmechanismus für den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Unternehmens gekoppelt wird. Sofern nicht alle Abstimmungsklassen zustimmen, darf keine Abstimmungsklasse im Rang unter der ablehnenden Klasse einen Wert erhalten. Genau dieser Effekt tritt auch in Liquidation des Unternehmens ein. Im Falle der Reorganisation gilt zugunsten der ungesicherten Gläubiger die absolute Vorrangregel, wobei die Rangfolge in 11 U.S.C. § 507(a) geregelt ist. Diese Rangfolge gilt nach 11 U.S.C. § 103(a) sowohl in Chapter 11 als auch in Liquidationen nach Chapter 7.503) Das fügt sich in das amerikanische Verständnis der Insolvenz als „fresh start“ eines Unternehmens ein. Das Unternehmen in seiner bisherigen Form soll abgewickelt werden und nur neu reorganisiert wieder am Markt teilnehmen können. Der durch die Reorganisation entstehende Wert soll dann den Gläubigern entlang ihrer Rangfolge zugutekommen. So gesehen ist die Reorganisation ein Substitut für die Liquidation des Unternehmens.504) Dogmatisch liegt darin der Gedanke der Haftungsverwirklichung, der, ähnlich wie im deutschen Recht, zu den Hauptzielen des Bankruptcy Codes gezählt wird.505)

VI. Erosion der absoluten Vorrangregel im amerikanischen Recht 224 Auch wenn der US Supreme Court der absoluten Vorrangregel nach wie vor eine extrem starke Stellung einräumt, so lässt sich in der Gesetzgebung ein entgegenstehender Trend aufzeigen. Analysiert man die Geschichte der absoluten Vorrangregel, so zeigt sich, dass die Regel in zwei Fällen durch den amerikanischen Gesetzgeber entschärft wurde.

1.

Absolute Vorrangregel nur zugunsten der ablehnenden Klasse

225 Das Konkursrecht der USA hat in seiner Geschichte diverse grundlegende Reformen durchlaufen. Die wesentlichen Reformen fanden etwa im Abstand von 40 Jahren statt. Eine der entscheidenden ersten Stufen war der Bankruptcy Act von 1898.506) Der Bankruptcy Act von 1898 wurde im Jahr 1938 durch den Chandler Act507) grundle___________ 503) Vgl. zu Chapter 7 auch 11 U.S.C. § 726(a), welcher auf die Rangregelungen des 11 U.S.C. § 507 verweist. 504) Vgl. dazu oben Rn. 158 ff.; in der deutschen Literatur Balz, ZIP 1988, 1438, 1442. 505) Toibb v. Radloff, 501 U.S. 157, 163 (1991); Commodity Futures Trading Comm’n v. Weintraub, 471 U.S. 343, 351 – 354 (1985); Bonner Mall Partnership v. U.S. Bancorp Mortgage Co, 2 F.3d 899, 915 (9th Cir. 1993). 506) An Act to establish a uniform system of bankruptcy throughout the United States, July 1, 1898, Ch. 541, 30 Stat. 544 (1898). 507) To amend an Act entitled „An Act to establish a uniform system of bankruptcy throughout the United States“, approved July 1, 1898, and Acts amendatory thereof and supplementary thereto; and to repeal section 76 thereof and all Acts and parts of Acts inconsistent therewith, June 22, 1938, Pub L. No. 75-696, Ch. 575, 52 Stat. 840 (1938).

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

gend umgestaltet. Einige Jahre zuvor war § 77B508) in den Bankruptcy Act eingefügt worden. § 77B wurde durch den Chandler Act aufgehoben509) und durch Chapter X, den Vorgänger des heutigen Chapter 11 ersetzt. Durch § 77B wurde das Merkmal „fair and equitable“ in den Bankruptcy Code eingefügt, aus welchem der US Supreme Court in der Entscheidung Los Angeles Lumber die absolute Vorrangregel ableitete. Beachtenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der gesamte Plan „fair and equitable“ sein musste.510) Die absolute Vorrangregel war damit ein Gerechtigkeitsmaßstab für die Bestätigung des gesamten Plans und nicht nur zugunsten der ablehnenden Klassen. Der Bankruptcy Act von 1898 war 80 Jahre in Kraft, bis er im Jahr 1978 durch einen neuen Bankruptcy Act511) ersetzt wurde, der das Chapter 11 Verfahren in seiner heutigen Form im Wesentlichen etabliert hat.512) Der Bankruptcy Act von 1978 änderte die Regelung so, dass die absolute Vorrangregel nur noch zugunsten der ablehnenden Klasse eingehalten werden musste.513) Damit wandelte sich das Verständnis der absoluten Vorrangregel von einem Gerechtigkeitsmaßstab des ganzen Plans hin zu einem materiellen Schutzkriterium zugunsten einer ganzen ablehnenden Klasse.

2.

Abschaffung der absoluten Vorrangregel für KMUs

Eine weitere Verkürzung der absoluten Vorrangregel erfolgte durch die jüngste Re- 226 form des Chapter 11 Verfahrens vom August 2019.514) Danach wurde ein neuer Abschnitt in das Chapter 11 des US Bankruptcy Codes eingefügt, welcher die Anwendung der absoluten Vorrangregel gegenüber ungesicherten Gläubigern in Verfahren für kleine und mittlere Unternehmen ausschließt.515) Seit Februar 2020 ist es möglich, dass kleine und mittlere Unternehmen von dem neuen Abschnitt Gebrauch machen. ___________ 508) An Act to amend an Act entitled „An Act to establish a uniform system of bankruptcy throughout the United States“, approved July 1, 1898, and Acts amendatory thereof and supplementary thereto, June 7, 1934, Pub. L. No. 73-296, Ch. 424, 48 Stat. 911, 912 (1934). 509) Vgl. Ch. 575, 52. Stat. 840, 883, 905 (1938). 510) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 114 ff. (1939); mit diesem Hinweis Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133, 142 Fn. 67; auch Coogan, 32 Case W. Res. L. Rev. 301, 326 (1982); kritisch dazu Ayer, 87 Mich. L. Rev. 963, 977 (1989): „This was part and parcel of the theory of composition: if you had to pay the full going concern value of the enterprise to your creditors, even though they might agree to accept less, composition was never possible“. 511) An act to establish a uniform law on the subject of bankruptcies, November 6, 1978, Pub. L. No. 95-598, 92 Stat. 2549 (1978). 512) Vgl. auch Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 23 (1995). 513) Klee, 53 Am. Bankr. L. J. 133, 142 Fn. 67 mit Verweis auf 124 Congressional Records – House, S. 32419 (daily ed. September 28, 1978); 124 Congressional Records – Senate, S. 34006 (daily ed. October 5, 1978); ausführlich auch Markell, 44 Stan. L. Rev. 69, 87 – 90 (1991). 514) An Act to amend chapter 11 of title 11, United States Code, to address reorganization of small businesses, and for other purposes, August 23, 2019, Pub. L. No. 116-54, 133 Stat. 1079, sec. 2(a) (2019). 515) Vgl. 11 U.S.C. § 11181(a); mit diesem Hinweis Krohn, Rethinking Priority, 1, 6.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Es ist nun möglich, dass Anteilseigner in einer Reorganisation nach Chapter 11 ihre Anteile behalten. Damit trägt der amerikanische Gesetzgeber der langanhaltenden Kritik an der absoluten Vorrangregel Rechnung, indem Anteilseigner-Manager auch in der Reorganisation noch ihre Position im Unternehmen behalten können.

227 Es waren weitere Ziele der Reform, das Verfahren schneller und günstiger zu machen.516) Dafür wurde beispielsweise die Notwendigkeit, Gläubigerausschüsse (creditor committees) zu bilden, abgeschafft.517) Auch muss kein disclosure statement veröffentlich werden.518) Darunter versteht man ein Dokument, welches Informationen über die Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und Geschäftsbeziehungen des Schuldners beinhaltet, damit sich ein Gläubiger ein Bild über den schuldnerischen Reorganisationsplan machen kann.519) Dem Schuldner wird ein trustee an die Seite gestellt, welcher dem Schuldner bei dem gesamten Reorganisationsverfahren unter die Arme greift. Gleichzeitig wird das Unternehmen von der vierteljährlich anfallenden Gebühr für den Trustee befreit.520)

3.

Änderungen der absoluten Vorrangregel de lege ferenda

228 Das amerikanische Insolvenzrecht und Restrukturierungsrecht befindet sich, ähnlich wie das deutsche Insolvenzrecht, in einem ständigen Wandel. Das Rechtsgebiet wird etwa alle 40 Jahre grundlegend überarbeitet.521) In diesem Zuge untersucht das American Bankruptcy Institute (ABI), eine durch Gesetz522) eingesetzte Kommission von Experten, ob und wo Änderungsbedarf besteht und gibt entsprechende Handlungsempfehlungen für Reformen ab.

229 Die Kommission führt zunächst aus, dass sich die grundlegende Situation des Marktumfeldes seit der letzten großen Insolvenzrechtsreform im Jahr 1978 erheblich geändert hat. Die Kapitalstrukturen der Unternehmen seien heute viel komplexer als früher und verließen sich viel mehr auf Fremdfinanzierung. Zudem seien viel weniger „hard assets“ wie Grundstücke oder Maschinen in den Unternehmen vorhanden, sondern die Unternehmen agierten dienstleistungs- und vertragsorientierter. Die Bedeutung von geistigem Eigentum und anderen immateriellen Vermögenswerten sei

___________ 516) Dies als Hauptprobleme für kleine und mittlere Unternehmen ausmachend Blum, 4 J. Small & Emerging Business Law 181, 247 (2000). 517) 11 U.S.C. § 1102(a)(3). 518) 11 U.S.C. § 1181(c) i. V. m. § 1125(f). 519) 11 U.S.C. §§ 1121, 1125. 520) Vgl. 28 U.S.C. § 1930(a)(6). 521) Vgl. zuvor Rn. 225. 522) Vgl. Act of July 24, 1970, Pub. L. No. 91-354, 84 Stat. 468 (1970); vgl. auch Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 32.

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

erheblich gewachsen. Der Bankruptcy Code sei für die Bewältigung dieser Probleme nicht ausgelegt gewesen.523) Die Kommission des American Bankruptcy Institute greift weiterhin die Kritik an 230 der absoluten Vorrangregel auf. Sie sieht die Unternehmensbewertung als ein wichtiges Problem im Restrukturierungsrecht an.524) Die absolute Vorrangregel könne dazu führen, dass künftige Werte zu Lasten der Rangklasse wegverteilt würden, die sich direkt unter der letzten voll befriedigten Rangklasse befinde (immediatley junior class). Das führe dazu, dass vor allem die gesicherten Gläubiger von den künftigen Werten profitierten, obwohl diese außerhalb der Insolvenz lediglich einen Anspruch auf eine Vollstreckung in das vorhandene Vermögen hätten.525) In den Empfehlungen für eine Reform von Chapter 11 des Banktruptcy Codes wird ausgeführt, es bestünde generell die Möglichkeit, dass sich das Unternehmen oder die Wirtschaft an sich in einer Tiefphase befänden und die Bewertung zu einem bestimmten Stichtag nicht den wahren Wert des Unternehmens widerspiegele.526) Es sei fairer, wenn bei der Verteilung der Vermögenswerte eine Entwicklung des Unternehmens nachträglich berücksichtigt werden würde. Die absolute Vorrangregel sei ein wichtiger Baustein im Gläubigerschutz, dennoch habe sie sich als unflexibel erwiesen und sei oft auch ein Hindernis für eine erfolgreiche Restrukturierung des Unternehmens.527) Vorgeschlagen wird, ein Options-Modell einzuführen, wonach die erste Gläubiger- 231 klasse, die nicht mehr vollständig befriedigt wird (sog. fulcrum security), der vollständig befriedigten Gläubigerklasse das Unternehmen zum Nominalwert der Forderung der höheren Rangklasse inklusive Zinsen sowie weiteren Beträgen wie Gebühren und Abgaben, die der Schuldner noch nicht gezahlt hatte, abkaufen kann.528) Das wird als „redemption option value“ bezeichnet. So erhält die letzte Klasse, deren Forderungen nicht vollständig befriedigt werden, einen Zugriff auf die sich künftig realisierenden Werte. Die ranghöheren Klassen, die voll befriedigt werden, erhalten dann nie mehr als den Nominalwert ihrer Forderungen. So wird verhindert, dass eine ranghöhere Klasse über den Nominalwert ihrer Forderung – etwa im Wege eines Debt-Equity-Swaps – an den Werten des Unternehmens partizipieren kann. Dieser Vorschlag zeigt, dass ein Festhalten an der absoluten Vorrangregel in ihrem Kern als ___________ 523) American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 12. 524) American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 181 ff., 213 f. 525) American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 213 f. 526) Vgl. American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 213 f. 527) American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 213. 528) Vgl. American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 207 ff.; auch Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785 ff. (2017).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

vorzugswürdig angesehen wird. Nach Ansicht der Kommission des ABI ist vornehmlich die Unternehmensbewertung problematisch und in diesem Zusammenhang ein „Abschneiden“ von sich möglicherweise zugunsten der ersten nicht vollständig befriedigten Klasse realisierenden Zukunftswerten das Hauptproblem.

232 Die absolute Vorrangregel muss dann dahingehend flexibilisiert werden, dass die letzte nicht vollständig befriedigte Klasse nicht weniger als den „redemption option value“ erhalten darf. Weiterhin müssen auch die höherrangigen Gläubiger nicht vollständig befriedigt werden, wenn die Abweichung von der absoluten Vorrangregel allein in der Verteilung des „redemption option values“ erfolgt.

4.

Einordnung

233 Es zeigt sich, dass der amerikanische Gesetzgeber zwei wichtige, insgesamt aber maßvolle Änderungen am Anwendungsbereich der absoluten Vorrangregel vorgenommen hat. Inhaltlich hat sich diese seit ihrer Ausformung durch den US Supreme Court nicht verändert. Die absolute Vorrangregel nur zugunsten einer ablehnenden Klasse anzuwenden, entfernt die absolute Vorrangregel von einer allgemeingültigen Gerechtigkeitserwägung und betont das konsensuale Element der Verhandlungen in einem Plan. Dadurch wird der Abstimmung in den einzelnen Klassen ein größeres Gewicht beigemessen, denn die absolute Vorrangregel kommt nur bei Ablehnung einer ganzen Klasse zum Tragen. Die Partikularinteressen müssen sich in Krisensituationen dem Mehrheitswillen beugen.

234 Im anderen Fall wird die absolute Vorrangregel bei Reorganisationen von kleinen und mittleren Unternehmen ausgeblendet. Hier verbinden sich Gerechtigkeits- mit Praktikabilitätserwägungen. Zum einen soll das unternehmensspezifische Humankapital erhalten bleiben und dadurch überhaupt erst der Reorganisationsmehrwert aktivierbar gemacht werden. Dazu lässt sich argumentieren, dass die Kosten für die Teilnahme an dem Verfahren gerade für kleine Unternehmen außer Verhältnis zum erreichbaren Mehrwert stehen. Zum anderen soll das Verfahren schlanker, schneller und kostengünstiger gemacht werden. Tragende Erwägungen waren immer wieder, dass der Schwerfälligkeit und Kostenintensität des Verfahrens Rechnung getragen werden muss. Es lässt sich also konstatieren, dass man zwar die Anwendung der absoluten Vorrangregel in bestimmten Fällen als nicht sachgerecht ansieht, inhaltlich aber bisher nicht an der absoluten Vorrangregel gerüttelt hat.

235 Die Empfehlungen des American Bankruptcy Institute hingegen zielen auf eine sachliche Änderung der absoluten Vorrangregel. Diese soll aber, anders als die europäische Vorrangregel, wie noch aufzuzeigen ist, nicht im Anwendungsbereich vor der Insolvenz geändert werden. Vielmehr sollen die Gläubiger an künftigen, sich zu deren Gunsten realisierenden Werten beteiligt werden. Bemerkenswert daran ist, dass dieser Mechanismus zugunsten der letzten nicht vollständig befriedigten Rangklasse eingeführt wird. Das werden oft die ungesicherten Gläubiger sein. Genau diese Rangklasse

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A. Die absolute Vorrangregel im amerikanischen Recht

will aber auch die absolute Vorrangregel schützen. Dabei wird die absolute Vorrangregel nicht abgeschafft oder fundamental aufgeweicht. Im Gegenteil wird der Kerngedanke beibehalten und der durch die absolute Vorrangregel vermittelte Schutz zugunsten der ungesicherten Gläubiger erweitert.

5.

Verändertes Marktumfeld

Anhand der vorgenommenen Betrachtung lässt sich feststellen, dass die absolute Vor- 236 rangregel immer wieder in die Kritik gerät und mit Umgehungsversuchen konfrontiert war und ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext, dass sich die tatsächlichen Gegebenheiten des Marktes seit der Einführung des US Bankruptcy Code erheblich geändert haben. Diese Beobachtung stellt keinen Kritikpunkt an der absoluten Vorrangregel oder keine Klärung für die Abweichungen an derselben dar. Jedoch mag es erhellend sein, warum die absolute Vorrangregel fortlaufend Teil der Diskussion im amerikanischen Rechtsraum ist. Zur Veränderung des Marktumfeldes wird ausgeführt, früher habe es sich oft um eine 237 Gesellschaft mit einer Bank als Geldgeber gehandelt.529) Die Interessen der Gläubiger seien relativ homogen auf den Erhalt einer möglichst hohen pro rata Beteiligung gerichtet gewesen. So konnten die Interessen aller Gläubiger von einem Komitee einheitlich vertreten werden. Heute handele es sich um oft um große Konzerne mit komplizierten und verstrickten Beteiligungen und Anteilen an den Vermögenswerten. Während theoretisch für jede Gesellschaft innerhalb des Konzerns einzeln ein Insolvenzantrag gestellt und die Vermögenswerte einzeln zugeteilt werden müssen, sei dies in modernen Konzernstrukturen oft hoch komplex.530) Auch die Interessen der Gläubiger seien komplexer geworden. Gläubiger seien nicht nur Banken, die lange Geschäftsbeziehungen aufbauen wollen und auch dementsprechend handelten, sondern auch Hedgefonds, die typischerweise eine viel kürzere Lebensdauer hätten. Diese wollten oft Kontrolle im Unternehmen erlangen. Ob das Unternehmen langfristig am Markt operieren könne, sei für einen Hedgefonds oft irrelevant. Dabei unterlägen sie anderen regulatorischen Bedingungen als die Banken. Das führe dazu, dass die Interessen der Gläubiger in großem Maße divergieren: Während eine Bank bei einem unter Druck geratenen Unternehmen etwa auf zusätzliche Sicherheiten be-

___________ 529) Dazu und im Folgenden: Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648 ff. (2010); ähnlich zuvor schon Baird/Bernstein, 115 Yale L. J. 1930, 1932 ff. (2006); vgl. auch Harner, 89 Wash. U. L. Rev. 155, 157 (2011); mit einem ähnlichen Befund im englischen Recht Payne, Schemes of Arrangement, 192 f. 530) In den USA gibt es in diesem Zusammenhang die Doktrin der „substantive consolidation“. Danach werden in der Reorganisation verschiedene Gesellschaften bezüglich des Reorganisationsplans wie eine einzige Entität behandelt, vgl. Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 658 (2010); auch Baird, 47 B. C. L. Rev. 5 (2005).

97

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

stehe, fordere der Hedgefonds etwa einen neuen Chief Executive Officer (CEO).531) Das resultiere darin, dass die gleiche rechtliche Stellung der Gläubiger zu komplett gegenläufigen Handlungsanreizen führe. Jackson konstatiert in diesem Zusammenhang, zur Zeit der Ausformung der absoluten Vorrangregel sei der Schuldner derjenige gewesen, der die Kontrolle über das Verfahren innegehabt hätte. Inzwischen habe sich das Verfahren eher zu einem gläubigerkontrollierten Verfahren gewandelt. In den Verhandlungen zwischen den institutionellen Gläubigern sei die absolute Vorrangregel nicht in demselben Maße von Relevanz, was die neu entflammte Diskussion rund um die absolute Vorrangregel erkläre.532)

238 Die veränderten und teilweise gegenläufigen Interessen der Gläubiger lassen sich in Bezug zur absoluten Vorrangregel setzen. Diese ist als Schutzkriterium gegen kollusives Verhalten der gesicherten Gläubiger mit den Anteilseignern gedacht gewesen. Deren Interessen waren relativ homogen und standen in Widerspruch zur denen der ungesicherten Gläubiger, was auf die heutigen Verhältnisse allerdings nicht mehr zutrifft. Die Akteure kauften gezielt notleidenden Forderungen oder Anteilsrechte von Krisenunternehmen auf, um damit ihrerseits Geschäfte zu machen.533) Man kann also argumentieren, dass die heutigen Akteure nicht mehr in demselben Umfang schutzbedürftig sind.

B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht 239 Die absolute Vorrangregel ist im deutschen Recht in die Vorschriften des Planverfahrens eingebettet. Im StaRUG finden sich diese in den §§ 2 – 28, 60 – 72 StaRUG und in der Insolvenzordnung in §§ 217 – 269 InsO.

I.

Anwendungsbereich der Vorrangregeln

240 Die absolute Vorrangregel ist Teil des sog. Obstruktionsverbots. Dieses kommt dann zur Anwendung, wenn eine gesamte Gruppe den Plan nicht mit der erforderlichen Mehrheit angenommen hat. Weil der Plan im Ausgangspunkt nur durch eine einstimmige Entscheidung der abstimmenden Gruppen angenommen werden kann, fingiert das Obstruktionsverbot die Zustimmung der Gruppe, wodurch die Einstimmig___________ 531) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 670 (2010); Baird/Rasmussen, 154 U. Pa. L. Rev. 1209, 1212 ff. (2006); so auch Ayotte/Morrison, 1 J. Legal Analysis 511, 513 (2009); eine empirische Bestätigung liefert auch Hotchkiss, 50 J. Fin. 3, 15 f. (1995); ebenso LoPucki/Whitford, 78 Corn. L. Rev. 597, 610 f. (1993). 532) Jackson, 166 U. Pa. L. Rev. 1867, 1878 Fn. 46 a. E. (2018); zur Gläubigerkontrolle im Chapter 11 Verfahren vgl. Ayotte/Morrison, 1 J. of Legal Analysis 511 (2009); Baird/Rasmussen, 56 Stan. L. Rev. 673, 699 (2003): „The board may be in the saddle, but the whip is in the creditors’ hands“; dies betont auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 19 – 22. 533) Baird/Rasmussen, 119 Yale L. J. 648, 656 ff. 688 (2010), die diese Argumente allerdings nicht in einen klaren Bezug zur absoluten Vorrangregel setzen, sondern die erforderlichen Mehrheiten als problematisch ansehen.

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht

keit hergestellt werden kann.534) Dieser Mechanismus wird teilweise auch als Crossclass Cram-down bezeichnet.535) Cram-down bedeutet die Niederringung eines Widerstandes, womit das Überstimmen einer Minderheit innerhalb einer Gruppe gemeint ist.536) Bei einem Cross-class Cram-down handelt es sich also einem gruppenübergreifenden Cram-down. Für die Darstellung der im StaRUG umgesetzten Regelung soll der Begriff des Cross-class Cram-downs verwendet werden, weil dies der von der Restrukturierungsrichtlinie verwendete Begriff ist. Konkret kommt der Cross-class Cram-down im StaRUG-Verfahren zur Anwendung, 241 wenn weniger als 75 % der Stimmberechtigten (§ 25 Abs. 1 StaRUG) innerhalb einer Gruppe für den Plan gestimmt haben. Der Insolvenzplan erfordert hingegen für eine Annahme des Plans gem. § 244 Abs. 1 InsO, dass in der Gruppe eine einfache Summen- und eine Kopfmehrheit erreicht wird. Besteht eine Gruppe im Insolvenzplanverfahren beispielsweise aus fünf Gläubigern mit Forderungen in Höhe von insgesamt 10.000 Euro, so müssen mindestens drei Gläubiger dem Plan zustimmen und diese Gläubiger müssen mehr als 5.000 Euro der Forderungen auf sich vereinen. Ist das nicht der Fall und stimmen etwa nur zwei Gläubiger für den Plan, ist die erforderliche Mehrheit in der Gruppe nicht erreicht. Dann ist Raum für die Anwendung des Obstruktionsverbots. Da die relative Vorrangregel lediglich an die Stelle der absoluten Vorrangregel treten würde, gleichwohl aber Teil des Obstruktionsverbots bzw. des Cross-class Cram-downs wäre, gelten die folgenden Ausführungen mutatis mutandis auch für die relative Vorrangregel. Für die Anwendung einer Vorrangregel, sei sie absolut oder relativ, bleibt schließlich 242 auch kein Raum, wenn alle Gruppen übereinstimmend von dem gesetzlich vorgesehenen Verteilungsmodus abweichen wollen.

II. Einbindung im Planverfahren 1.

Aufbau des Obstruktionsverbots der InsO

Lehnt eine ganze Gläubigergruppe den Plan ab, so gilt ihre Zustimmung nach § 245 243 Abs. 1 InsO dennoch fiktiv als erteilt, wenn kumulativ537) drei Voraussetzungen erfüllt sind. Die ablehnende Gruppe darf voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Insolvenzplan stünde (Nr. 1). Dieses Kriterium wird auch der „best ___________ 534) Knof, SanB 2021, 68, 70. 535) Vgl. Korch, ZHR 182 (2018), 440, 477; Klee, 53 Am. Bankr. L. J., 133 134 (1979). 536) Vgl. etwa Morgen/ders., Präventive Restrukturierung, Art. 5 Rn. 65; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan Rn. 18.20; Klee, 53 Am. Bank. L. J. 133 (1979); ders., 64 Am. Bank. L. J. 229 (1990). 537) OLG Köln, NZI 2001, 660, 661; Andres/Leithaus/Andres, InsO, § 245 Rn. 2; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 4; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 6; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 14 f.; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 6; Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 7; kritisch Rattunde/Smid/Zeuner/Rattunde, InsO, § 245 Rn. 7; Smid, FS Gerhardt, 2004, 931, 952 ff.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

interest of creditors test“ genannt. Sie muss ferner angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Beteiligten aufgrund des Plans zufließen soll (Nr. 2), und schließlich muss auch die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt haben (Nr. 3).

244 Was eine angemessene Beteiligung für die Gläubiger nach Nr. 2 ist, regelt § 245 Abs. 2 Nr. 1 – 3 InsO. Auch diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Zunächst darf kein anderer Gläubiger einen wirtschaftlichen Wert erhalten, der den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigt (Nr. 1). Kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, darf bessergestellt werden als die ablehnenden Gläubiger (Nr. 3). Schließlich darf weder ein Gläubiger, der ohne einen Plan mit Nachrang gegenüber den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, noch der Schuldner oder eine an ihm beteiligte Person einen durch Leistung in das Vermögen des Schuldners nicht vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhalten (Nr. 2). Weiterhin machen die Sätze 2 und 3 eine Ausnahme für den Schuldner oder die Anteilseigner. Danach kann eine angemessene Beteiligung auch dann vorliegen, wenn die Mitwirkung des Schuldners als natürliche Person oder der an der Geschäftsführung beteiligten Anteilsinhaber für eine Realisation des Planmehrwerts unerlässlich ist. Das ist insbesondere dann relevant, wenn die Fortführung des Betriebes nicht durch den Insolvenzverwalter möglich ist, weil diese an eine spezielle behördliche Genehmigung gekoppelt ist. Denken lässt sich etwa die Fortführung einer Apotheke, vgl. § 1 Abs. 2, Abs. 3 Apothekengesetz.538) Die an der Geschäftsführung beteiligten Anteilsinhaber müssen sich auch zur Fortführung verpflichten und, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren das Unternehmen aus selbst zu vertretenen Gründen verlassen, ihre wirtschaftlichen Werte übertragen.

245 Es ist dabei umstritten, wie genau das Begriffspaar des „wirtschaftlichen Wertes“ auszulegen ist. Problematisch ist insbesondere der Fall, dass das Unternehmen fortgeführt wird und Anteile in den Händen des Schuldners oder der alten Anteilseigner verbleiben.539) Das US-amerikanische Recht verlangt, wie oben gesehen, dass die alten Anteilseigner an dem reorganisierten Unternehmen nicht beteiligt sein dürfen, und setzt damit für die Reorganisation im Verhältnis zu den alten Anteilseignern das um, was im deutschen Recht auch im Regelfahren gelten würde: Das Vermögen des Schuldners würde (in der Regel) liquidiert und der alte Rechtsträger anschließend nach Vollbeendigung gelöscht, womit auch die Anteilsrechte erlöschen. Dieses Ergebnis wurde teilweise als unlogisch empfunden, weil die Reorganisation ja gerade auf den Erhalt des alten Rechtsträgers ausgerichtet ist.540) Die Begründung des Regierungsentwurfs zur InsO sah deshalb vor, dass nicht jede Fortführung durch die ___________ 538) Vgl. dazu AG Osnabrück, BeckRS 2017, 118498. 539) Brünkmans/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 26 ff.; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 40; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 698 ff. 540) Vgl. Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 27; Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 245 Rn. 21.

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht

alten Anteilseigner als „wirtschaftlicher Wert“ im Sinne von § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO angesehen werden könne.541) Es sei eine Einzelfallbetrachtung anzustellen. Insbesondere sei darauf abzustellen, ob Leistungen, die der Schuldner nach dem Plan zu erbringen habe, den noch vorhandenen Wert des Unternehmens aufwögen. Wenn kein Dritter bereit sei, das Unternehmen anstelle des Schuldners fortzuführen, könne im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass dem Schuldner ein wirtschaftlicher Wert zugestanden würde.542) Auf den ersten Blick erscheint die Begründung zweifelhaft, denn in der Möglichkeit der Fortführung liegt zunächst immer ein Wert, weil in diesem Rahmen auch Gewinne erwirtschaftet werden können.543) Auch geht es im Rahmen der Sanierung gerade nicht darum, dass dieselben Anteilseigner beteiligt bleiben. Ziel ist es in der Regel vielmehr, die an den Rechtsträger gebundenen günstigen Verträge oder steuerlichen Verlustvorträge zu erhalten, wofür eine Identität der Anteilseigner aber nicht erforderlich ist. Richtig ist jedoch, dass die Gläubiger in der Regel nicht davon ausgehen, dass in der Fortführung ein Wert liegt. Denn in diesem Fall könnten sie diesen Fortführungswert auch gegen den Willen der alten Anteilseigner über einen Debt-Equity Swap (§ 225a InsO) realisieren. Die Tatsache, dass diese Variante von den Gläubigern nicht gewählt wird, ist zumindest ein starkes Indiz dafür, dass die Anteile wertlos sind.544) Es ist daher sinnvollerweise eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen: Eine reine Fortführung ist nicht als Wert anzusehen; wenn das Unternehmen jedoch über Verzichte der Gläubiger und andere Sanierungsmaßnahmen einen positiven Wert erlangt – was gegebenenfalls über ein Sachverständigengutachten zu ermitteln ist –, dann muss dieser Wert von den Anteilseignern abgeschöpft werden, indem diese beispielsweise zu Eigenbeteiligungen verpflichtet werden oder die Gläubiger als stille Gesellschafter an den Werten partizipieren.545) § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO übernimmt damit die absolute Vorrangregel des amerika- 246 nischen Rechts in einer abgeschwächten Form in den deutschen Insolvenzplan. Absatz 3 geht gesondert auf die Anteilseigner ein: Sie werden angemessen am wirt- 247 schaftlichen Wert des Plans beteiligt, wenn (Nr. 1) kein Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen und (Nr. 2) kein Anteilsinhaber, der ohne einen Plan den Anteilsinhabern der Gruppe gleichgestellt wäre, bessergestellt wird als diese. Nach § 247 InsO kann auch die Zustimmung des Schuldners fingiert werden. Entscheidend ist nach Abs. 2 auch hier, dass der Schuld___________ 541) Begr. RegE-InsO zu § 290, BT-Drucks. 12/2443, 209; vgl. auch LG Mühlhausen, NZI 2007, 724, 726. 542) Begr. RegE-InsO zu § 290, BT-Drucks. 12/2443, 209. 543) Vgl. auch die Erwägungen des US Supreme Courts in Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 454 ff. (1999); Brünkmans/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 27 f.; ebenso Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 699 f. 544) Brünkmans/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 27 f.; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 40; a. A. Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 30. 545) Brünkmans/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 27 f.; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 40.

101

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

ner nicht schlechter steht als er ohne Plan stünde (Nr. 1), und dass kein Gläubiger mehr erhält als den vollen Wert seines Anspruchs (Nr. 2).

2.

Aufbau des Cross-class Cram-downs im StaRUG

a) Voraussetzungen 248 Das Eingreifen des Cross-class Cram-down Mechanismus ist von einer Reihe ähnlicher materiell-rechtlicher Voraussetzungen abhängig, die aber – anders als in der InsO – mit §§ 26 – 28 StaRUG auf drei Vorschriften aufgeteilt sind.546) Erforderlich ist, dass die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 StaRUG kumulativ erfüllt sind. Nach Nr. 1 dürfen die Mitglieder der ablehnenden Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden.

249 Nach Nr. 2 müssen die Mitglieder der Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der den Planbetroffenen auf der Grundlage des Plans zufließen soll.

250 Schließlich muss nach Nr. 3 die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den jeweils erforderlichen Mehrheiten zugestimmt haben. Wurden nur zwei Gruppen gebildet, lässt das StaRUG die Zustimmung einer Gruppe genügen. Die zustimmenden Gruppen dürfen nicht ausschließlich aus Anteilsinhabern oder nachrangigen Restrukturierungsgläubigern gebildet sein.547) Dadurch soll verhindert werden, dass der Plan durch eine Mehrheit von Planbetroffenen bestätigt werden kann, die im Zweifelsfall ohne den Plan nichts erhalten hätten. Die Richtlinie sieht vor, dass der Plan im Wege des Cross-class Cram-downs nur auf Antrag oder mit Zustimmung des Schuldners bestätigt werden darf, vgl. Art. 11 Abs. 1 RRL. Da im StaRUG aber nur der Schuldner ein Planinitiativrecht hat und die Gläubiger dem Schuldner nur Vorschläge machen dürfen, ihn aber nicht zu bestimmten Plänen zwingen können, ist dieser Verweis im StaRUG nicht erforderlich.548)

b) Die absolute Vorrangregel und ihre Durchbrechung 251 Die Frage, wann eine angemessene Beteiligung am Planwert im Sinne von § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG vorliegt, wird durch § 27 und § 28 StaRUG konkretisiert. § 27 StaRUG trägt die amtliche Überschrift „absolute Priorität“, während § 28 StaRUG mit der amtlichen Überschrift „Durchbrechung der absoluten Priorität“ betitelt ist. Das StaRUG führt damit die absolute Vorrangrangregel begrifflich ins deutsche Recht ein.

___________ 546) Einen guten Überblick über den Cross-class Cram-down bietet Knof, SanB 2021, 68. 547) § 26 Abs. 1 Nr. 3 setzt damit teilweise Art. 11 Abs. 1 lit. b) i) Ziff. ii) RRL um. 548) Beim Insolvenzplan gilt die Zustimmung des Schuldners hingegen gem. § 247 Abs. 1 InsO als erteilt.

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht

§ 27 Abs. 1 Nr. 1 – 3 StaRUG regelt die angemessene Beteiligung der dissentierenden 252 Gruppe. Auch diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Dies wird insbesondere durch das Verbindungswort „und“ in Abs. 1 Nr. 2 klargestellt.549) Eine Gruppe wird angemessen beteiligt, wenn erstens kein anderer Gläubiger wirtschaftliche Werte erhält, die den vollen Betrag seines Anspruchs übersteigen (sogenanntes Verbot der Überbefriedigung).550) Zweitens darf kein rangniedrigerer Gläubiger, der Schuldner oder eine am Schuldner beteiligte Person einen nicht durch Leistung in das Vermögen der Schuldnerin vollständig ausgeglichenen Wert erhalten.551) Drittens darf kein Gläubiger, der ohne einen Plan gleichrangig mit den Gläubigern der Gruppe zu befriedigen wäre, bessergestellt werden als diese Gläubiger.552) § 27 Abs. 2 StaRUG übernimmt teilweise die Anforderungen der angemessenen Be- 253 handlung für Anteilseigner aus § 245 Abs. 3 InsO. Danach dürfen Gläubiger nicht mehr als den vollen Betrag ihres Anspruchs erhalten (Nr. 1) und keine mit der Gruppe der Anteilseigner ranggleiche Gruppe darf einen wirtschaftlichen Wert erhalten (Nr. 2). Die letzte Vorschrift ist sinnwidrig, weil die Anteilseigner und die ihnen gleichgestellte Gruppen die Residualberechtigen sind, die immer einen Wert erhalten, wenn alle ranghöheren Gläubiger vollständig befriedigt sind.553) Aus diesem Grund verlangt § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO auch nur, dass kein ranggleicher Anteilsinhaber bessergestellt wird. Die Vorschrift sollte daher durch den Gesetzgeber im Sinne des § 245 Abs. 3 Nr. 2 InsO geändert werden. Die absolute Vorrangregel wird in § 28 Abs. 1 und 2 StaRUG durchbrochen.554) 254 Abs. 1 sieht eine Ausnahme von dem gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgebot des § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG vor. Systematisch ist das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot kein Teil der „absoluten Priorität“ bzw. der absoluten Vorrangregel, weshalb die amtliche Überschrift an dieser Stelle irreführend ist. Stimmiger wäre daher eine Aufspaltung der Vorschrift in zwei gesonderte Paragraphen. Nach § 28 Abs. 1 StaRUG kann eine vom gruppenübergreifenden Gleichbehandlungsgebot abweichende Behandlung erfolgen, wenn sie nach der Art der zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nach den Umständen sachgerecht ist. Eine Regelung ist nach dem Gesetzeswortlaut dann nicht sachgerecht, wenn auf die über___________ 549) Ebenso Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 27 Rn. 7; Flöther/Knapp, StaRUG, § 27 Rn. 1; a. A. Pannen/Riedemann/Smid/Smid, StaRUG, § 27 Rn. 20. 550) Damit wird Art. 11 Abs. 1 lit. d) RRL umgesetzt. Das entspricht der Obergrenze des § 245 Abs. 2 Nr. 1 InsO. 551) Damit macht der Gesetzgeber von der Öffnungsklausel des Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 RRL Gebrauch; siehe dazu Rn. 262. 552) Damit setzt der Gesetzgeber Art. 11 Abs. 1 lit. c) Var. 1 RRL um. 553) Ebenso Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 27 Rn. 27; ähnlich Flöther/Knapp, StaRUG, § 27 Rn. 23: „Vorschrift überrascht“. 554) Mit § 28 StaRUG macht der Gesetzgeber von der in Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 2 RRL eröffneten Wahlmöglichkeit Gebrauch.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

stimmte Gruppe mehr als die Hälfte der Stimmrechte der Gläubiger der betroffenen Rangklasse entfällt.555) Die Begründung des Regierungsentwurfs nimmt dabei Bezug auf die Gläubiger, deren Forderungen aus dem operativen Betrieb resultieren.556) Das ist der praktischen Erwägung geschuldet, dass ein Gläubiger, dessen Waren für die Aufrechterhaltung des operativen Betriebs unbedingt erforderlich sind, regelmäßig nur dann neue Waren liefern wird, wenn er keine schweren Einbußen hinnehmen muss. Liefert der entsprechende Gläubiger umgekehrt keine neuen Waren und lassen sich diese nicht mit vertretbarem Aufwand und Mehrkosten am Markt beschaffen, dann kann dies das Gewinnerwirtschaftungspotenzial des Schuldners zum Nachteil aller Gläubiger einschränken.

255 Eine zweite Ausnahme des § 28 Abs. 2 StaRUG bezieht sich auf den Schuldner oder am Schuldner beteiligte Personen. Danach steht es einer angemessenen Beteiligung nicht entgegen, wenn (Nr. 1) die Mitwirkung des Schuldners oder Anteilsinhabers für die Fortführung des Unternehmens unerlässlich ist, um den Planmehrwert zu verwirklichen. Es muss sich dabei um besondere, in der Person liegende Umstände handeln. Um zu verhindern, dass die betroffene Person kurz nach der Bestätigung des Plans „abspringt“ und das Unternehmen verlässt, muss eine Verpflichtung zu der erforderlichen Mitwirkung sowie zur Übertragung der wirtschaftlichen Werte für den Fall erfolgen, dass seine Mitwirkung aus von ihm zu vertretenen Gründen vor dem Ablauf von fünf Jahren endet. Es lässt sich die Frage aufwerfen, aus wessen Perspektive die „Unerlässlichkeit“ der Mitwirkung des Anteilsinhabers zu bestimmen ist.557) Gewarnt wird davor, dass die Erforderlichkeit der Mitwirkung aus Sicht des Altgesellschafters leicht zu begründen sei.558) Es liegt nahe, für die Frage der Erforderlichkeit der Mitwirkung deshalb auf einen objektiven Maßstab abzustellen. Aus dem Begriff „unerlässlich“ kann man weiterhin schließen, dass eine hohe Schwelle erreicht werden muss.559) Eine lediglich vorliegende Vereinfachung der Umstände dürfte daher nicht ausreichen, um das Merkmal der „Unerlässlichkeit“ zu erfüllen.560) Wann dies gegeben ist, lässt sich abstrakt kaum formulieren. In Betracht kommen ___________ 555) Kritisch Braun/Herzig, StaRUG, § 28 Rn. 6 mit dem Argument, die Regelung zerstöre den Pareto-optimalen-Ansatz. 556) Begr. zu § 30 RegE-StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 129 f. 557) Thole, ZIP 2020, 1985, 1990. 558) Thole, ZIP 2020, 1985, 1990. 559) Wohl auch Thole, ZIP 2020, 1985, 1990; für eine restriktive Auslegung zur insolvenzplanrechtlichen Parallelregelung Kübler/Prütting/Bork/Pleister, § 245 Rn. 25b; a. A. Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 28 Rn. 16: ausreichend sei, dass Realisierung des Planmehrwerts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Mitwirkung des Schuldners bzw. der Anteilseigner bedarf. 560) Ähnlich Flöther/Knapp, StaRUG, § 28 Rn. 9 f.; Braun/Herzig, StaRUG, § 28 Rn. 10 mit Verweis auf die Entscheidung des US Supreme Court in Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 442 f. (1999). Der Verweis ist systematisch unpassend, weil es dort um die Frage ging, ob dem Schuldner ein neuer Wert zugeführt wird. Hier geht es um die Frage, ob und wann der Reorganisationsmehrwert nur mit Hilfe des Anteilseigners realisierbar ist.

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht

aller Voraussicht nach vor allem Fälle, in denen der Anteilseigner zugleich Teil der Geschäftsleitung ist. Denkbar ist beispielsweise, dass der stadtbekannte Koch Anteile am Schuldner hält und ersichtlich ist, dass das vom Schuldner betriebene Restaurant ohne dessen Verbleib keinen Erfolg haben wird. Möglich erscheint es auch, dass der Anteilseigner besondere Geschäftskontakte hat, die er dem Unternehmen vermittelt, und diese abbrechen, wenn der Anteilseigner nicht weiter am Schuldner beteiligt bleibt. Andere Fälle lassen sich bei Unternehmen bilden, deren Betrieb an eine behördliche Genehmigung gekoppelt ist, vgl. § 1 Abs. 2, Abs. 3 Apothekengesetz.561) Es liegt in diesen Fällen auf der Hand, dass der Schuldner nicht von einem beliebigen Investor fortgeführt werden könnte. Es kommt in jedem Fall auf eine Einzelfallbetrachtung an. Alternativ soll die absolute Vorrangregel durchbrochen werden können, wenn (Nr. 2) 256 die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger als geringfügig angesehen werden. Das wird – ohne abschließend („insbesondere“) zu sein – angenommen, wenn die Rechte der dissentierenden Gruppe nicht gekürzt werden und deren Fälligkeiten um nicht mehr als 18 Monate verschoben werden. Die Begründung des Regierungsentwurfs rekurriert darauf, dass eine vollständige Verdrängung des Schuldners oder der an ihm beteiligten Personen ansonsten unverhältnismäßig erschiene.562) Bei § 28 Abs. 2 StaRUG handelt es sich um eine „echte“ Durchbrechung der abso- 257 luten Vorrangregel, die systematisch von der New Value Exception563) zu trennen ist.564) Beide Vorschriften haben eine unterschiedliche Zielrichtung: § 28 Abs. 2 StaRUG erlaubt eine Durchbrechung der absoluten Vorrangregel, wenn die Mitwirkung der am Schuldner beteiligten Personen erforderlich ist, um den (vorhandenen) Planmehrwert zu realisieren. Im Rahmen der New Value Exception geht es darum, dass dem Schuldner neue (nicht vorhandene) Werte zugeführt werden und deshalb keine (vorhandenen) Werte von den Gläubigern zu den Anteilseignern hin verteilt werden.

III. Akkordstörer-Problematik Die Mehrheitsentscheidung innerhalb der Gruppe und der gruppenübergreifende 258 Cram-down dienen vor allem der Überwindung sogenannten akkordstörerischen Verhaltens. Grundsätzlich besteht in der Sanierung ein Spannungsfeld zwischen den ___________ 561) Zu diesem Beispiel auch Pannen/Riedemann/Smid/Smid, StaRUG, § 28 Rn. 5. 562) Begr. zu § 30 RegE-StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 130; dem folgend Bork, ZRI 2021, 345, 358; missverständlich Pannen/Riedemann/Smid/Smid, StaRUG, § 28 Rn. 8, der davon ausgeht, dass eine Kürzung in Höhe des Zinsschadens möglich wäre. Das abzulehnen, weil die Vorschrift lediglich statuiert, dass der durch die Stundung entstehende Zinsschaden selbst nicht zu kompensieren ist, nicht aber über diesen hinaus noch eine Kürzung in derselben Höhe zulässig ist; kritisch Flöther/Knapp, StaRUG, § 28 Rn. 15. 563) Vgl. bereits oben Rn. 172 ff. 564) A. A. offenbar Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 28.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Interessen der Gläubiger und denen des Schuldners. Während bei einer gesunden Gesellschaft die Interessen der Gläubiger und des Schuldners weitgehend gleichgerichtet sind, ändert sich die Situation, wenn die Gläubiger in der Gefahr sind, Forderungsverluste zu erleiden. Befindet sich der Schuldner in einer Krise, so sind regelmäßig Zugeständnisse der Gläubiger erforderlich, damit der Schuldner wieder erfolgreich am Markt operieren kann. Naturgemäß liegt ein vorrangiges Interesse der Gläubiger darin, mit ihren Forderungen keinen Ausfall zu erleiden. Aus Sicht der Gläubiger ist es im Rahmen der Verhandlungen dabei rational, darauf zu bauen, dass diejenigen Zugeständnisse machen werden, welche bei einem Scheitern der Sanierung noch größere Verluste als sie selbst erleiden werden.565) Ein Gläubiger kann sich mit diesem Hintergedanken gegen eine Sanierung wenden und gegen einen Vergleich stimmen. Die Notwendigkeit der Existenz eines Überwindungsmechanismus ergibt sich aus dem Gedanken, dass ein einzelner Gläubiger ansonsten den gesamten Restrukturierungsprozess lahmlegen oder gar verhindern könnte. Ohne einen Überwindungsmechanismus könnte ein ablehnender Gläubiger sich seine Zustimmung dadurch abkaufen lassen, dass er damit droht, den Plan abzulehnen und nur dann zuzustimmen, wenn er zusätzliche wirtschaftliche Werte erhält (sog. Trittbrettfahrer-Problem566)).567) Das wäre selbst dann möglich, wenn der Plan für alle Beteiligten wirtschaftlich sinnvoll wäre.

259 Das war das Problem im sogenannten „Akkordstörer“-Urteil des BGH.568) Dort hatte der BGH eine Bindungswirkung durch eine Mehrheitsentscheidung bei einem außergerichtlichen Vergleich zu Lasten einer Minderheit abgelehnt. Das Gericht hatte eine Bindungswirkung zwar als rechtspolitisch wünschenswert angesehen, sah jedoch wegen der Bindung der Justiz an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG die Grenze richterlicher Rechtsfortbildung als erreicht.

260 Zur Darstellung des Problems wird illustrativ die fiktive Geschichte des sogenannten Gefangenen-Dilemmas herangezogen.569) Dort geht es um zwei Gefangene, die eines gemeinsamen Verbrechens beschuldigt werden. Beide werden getrennt voneinander verhört. Schweigen beide Gefangenen, dann reichen die Indizienbeweise nur, um beide jeweils zu zwei Jahren Haft zu verurteilen. Gestehen sie jeweils, so haben ___________ 565) Bulgrin, Die strategische Insolvenz, 38, Bitter, ZGR 2010, 147, 149. 566) Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343, 350 ff.; Bulgrin, Die strategische Insolvenz, 38; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 1; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 1; BeckOK-InsO/Geiwitz/Danckelmann, § 245 Rn. 1; Andrianensis, WM 2017, 262. 567) K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 1; Rattunde/Smid/Zeuner/Rattunde, InsO, § 245 Rn. 1; Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan Rn. 18.1; ausführlich auch Matjuschkin, Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 40 ff. 568) BGHZ 116, 319, 321 ff.; kritisch dazu Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343, 345 ff.; vgl. auch Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan Rn. 18.1 ff.; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 1 f.; zum Mehrheitsprinzip auch Baltzer, Der Beschluss, 215. 569) Vgl. zur Darstellung Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 19 ff.; vgl. auch Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse des Zivilrechts, 63 f.; instruktiv auch Matjuschkin, Bondholder Governance nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 48 – 56.

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht

beide drei Jahre Haft zu erwarten. Gesteht hingegen ein Gefangener, dann erhält er als Kronzeuge eine Strafe von nur einem Jahr, während der Schweigende fünf Jahre Strafe erhält. Für die Gefangenen wäre es kollektiv am sinnvollsten zu schweigen, da die Strafe in diesem Fall für beide am geringsten wäre (nämlich jeweils zwei Jahre). Individuell ist es hingegen immer günstiger, zu gestehen und den jeweils anderen zu belasten, da in diesem Fall die individuell geringste Strafe zu erwarten ist (ein Jahr). Das gilt auch unabhängig davon, wie sich jeweils der andere entscheidet. In diesem Fall ist das kumulierte Strafmaß – nämlich ein und fünf Jahre – beider dennoch höher als wenn beide schweigen würden und ebenso hoch, wie wenn beide gestehen würden. Letztlich verfolgt also jeder Gefangene eine eigennützige Strategie, weil diese individuell günstiger ist als ein Zusammenarbeiten, selbst wenn dadurch insgesamt Werte verloren gehen. Diese Illustration soll vor allem aufzeigen, dass der Konflikt zwischen den individuel- 261 len Verhaltensweisen und dem wirtschaftlich für alle Beteiligten sinnvollsten Ergebnis einer Auflösung durch den Gesetzgeber bedarf. Die gruppeninterne Mehrheitsentscheidung und der gruppenübergreifende Cram-down sollen diesen Konflikt bereinigen. Das Obstruktionsverbot wird daher auch als Antwort auf das Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung der Planbeteiligten verstanden.570)

IV. New Value Exception Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts wurden 262 Neuerungen in das insolvenzrechtliche Obstruktionsverbot eingefügt. Aufmerksamkeit erregt der Passus: „einen durch Leistung in das Vermögen des Schuldners nicht vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält“. Dieser wurde Rahmen des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts in den § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO eingefügt.571) Diese Formulierung findet sich inhaltsgleich auch in § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG. Es stellt sich die Frage, was unter „durch Leistung in das Vermögen“ zu verstehen 263 ist. Dieser Gedanke war im US-amerikanischen Recht unter dem Stichpunkt New Value Exception besprochen worden.572) Vor der Änderung durch das SanInsFoG war eine New Value Exception im deutschen Recht nicht anerkannt.573) Das deutsche Recht hatte die absolute Vorrangregel aus dem Bankruptcy Code nicht wortgleich übernommen. Dort lautet die Formulierung, dass kein nachrangiger Gläubiger wegen ___________ 570) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 79; sich dem anschließend Knof, SanB 2021, 68, 69. 571) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl I, 3256, Art. 5 Nr. 29. 572) Vgl. Rn. 172 ff. 573) Vgl. Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 40; für eine Ausnahme vor der Reform schon Wittig, ZInsO 1999, 373, 376 f.; Eidenmüller, ZGR 2001, 680, 704 f.; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 17.

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

(„on account of“) der nachrangigen Ansprüche oder Interessen einen Wert erhalten darf,574) weshalb für eine New Value Exception als Ausnahme der wörtliche Anknüpfungspunkt fehlte.575)

264 Mit der Änderung durch das SanInsFoG ist der Wortlaut aber angepasst worden. Das deutsche Recht geht in dieser Hinsicht über sein US-amerikanisches Vorbild hinaus. Der Wortlaut weist jetzt explizit darauf hin, dass das Behalten von wirtschaftlichen Werten durch Anteilseigner für die Annahme einer angemessenen Beteiligung einer Gläubigergruppe am Planwert unschädlich ist, wenn dieser Wert vollständig durch eine Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgeglichen wird. Wie oben dargestellt, hat sich der US Supreme Court zur Frage, wann eine im Sinne der New Value Exception zulässige Wertzuführung tatsächlich vorliegt, sehr zurückhaltend gezeigt. Vorstellbar wäre etwa, dass die Anteilseigner geltend machen, sie würden Arbeitsleistungen an den Schuldner erbringen und im Gegenzug ihre Anteilsrechte behalten wollen. Ein Anteilseigner-Geschäftsführer könnte dann anbieten, das Unternehmen fortzuführen, dabei seine Erfahrung sowie Expertise einzubringen und dafür kein oder nur ein sehr geringes Entgelt verlangen. Wirtschaftlich gesehen erspart sich der Schuldner damit die Zahlung von Gehalt. Denken lässt sich beispielsweise an einen landwirtschaftlichen Betrieb, der durch die Anteilseigner fortgeführt werden soll.576)

265 Der US Supreme Court hat entschieden, dass das Erbringen von Arbeitsleistung nicht ohne weiteres als wirtschaftlicher Wert angesehen werden kann.577) Weiterhin hat er festgehalten, dass die Höhe der Gegenleistung für „den Erwerb des Fortführungsrechts“ nicht einseitig und intransparent von den Anteilseignern festgelegt werden dürfe.578) Maßgeblicher Bestandteil der Überlegungen des US Supreme Court war, dass die Anteilseigner zunächst ein Exklusivrecht zur Einbringung von Plänen haben; findet dann kein irgendwie gearteter Bieterwettbewerb oder eine Überprüfung des Wertes durch den Markt statt, dann trägt die Wertzuführung der alten Anteilseigner die Gefahr der Willkür. Insofern müsse zumindest irgendeine Art von Bieterwettbewerb stattfinden.579)

266 Diese Gedanken sind teilweise auch auf die neue insolvenzrechtliche Regelung des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO übertragbar. Es liegt jedenfalls nahe, die Antwort auf die Frage, in welcher Höhe die alten Anteilseigener Werte behalten, nicht diesen allein zu überlassen. Es muss durch das Gericht, gegebenenfalls mittels sachkundiger Hilfe, ___________ 574) 575) 576) 577) 578)

Vgl. 11 U.S.C. § 1129(b)(2)(B)(ii). Vgl. Wittig, ZInsO 1999, 373, 376. So die Begründung des Schuldners in Norwest Bank Worthington v. Ahlers, 485 U.S. 197 (1988). Norwest Bank Worthington v. Ahlers, 485 U.S. 197 (1988). Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 442 f. (1999). 579) Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership, 526 U.S. 434, 454 ff. (1999).

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B. Die absolute Vorrangregel im deutschen Recht

bestimmt werden, in welcher Höhe die alten Anteilseigner Werte vereinnahmen wollen. In dieser Höhe müssen dann auch neue Werte zugeführt werden. Bezüglich der Anerkennung von Arbeitsleistung spricht systematisch gesehen § 245 267 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 InsO dagegen. Dieser ordnet gerade als Ausnahme an, dass die absolute Vorrangregel des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO nicht gilt, wenn die Mitwirkung zur Verwirklichung des Planmehrwerts erforderlich ist. Fasste man das Erbringen von Arbeitsleistung bereits unter § 245 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 InsO, dann wäre die Ausnahme in S. 2 gegenstandslos. Die Begründung des Regierungsentwurfs zum inhaltsgleichen § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG führt dazu aus, dass eine Wertzuweisung an die Schuldnerin oder die Anteilseigner unschädlich sei, wenn diese durch Leistung kompensiert werde. In diesem Fall erfolge unter dem Strich keine Wertzuweisung zu Lasten der vorrangigen Gläubiger.580) Die Begründung des Regierungsentwurfs trägt nur, wenn es sich auch um tatsächlich für die Gläubiger verwertbares Vermögen handelt. Es erscheint damit überzeugend, das Erbringen von Arbeitsleistung nicht als wirtschaftlichen Wert im Sinne von § 245 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 InsO anzusehen.581) Werden umgekehrt Sachleistungen oder liquide Mittel in der Höhe zugeführt, in der die Anteilseigner Werte behalten, dann kann man annehmen, dass keine Werte zu Lasten der Gläubiger wegverteilt werden. Die Begründung des Gesetzgebers ist jedoch lückenhaft; richtig ist, dass die Anteilseigner in der Höhe der Wertzuführung ein neuerliches Risiko eingehen. Jedoch bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass den Gläubigern auch genau diese Werte zugutekommen. Denn im weiteren Fortgang treten unter Umständen neue Gläubiger hinzu, welche im Zweifelsfall mit den bereits vorhandenen Gläubigern um die neu zugeführten Werte konkurrieren. Es lässt sich weiter die Frage aufwerfen, ob die neu zugeführten Werte (a) in Geld 268 bestehen und (b) auch für die Reorganisation erforderlich sein müssen, wie es zur New Value Exception gefordert wurde. Nimmt man an, dass der US Bankruptcy Code eine New Value Exception enthält, dann dürfen die alten Anteilseigner dort Werte nur behalten, wenn die Reorganisation ansonsten nicht gelingen kann („essential for the success of the undertaking“582)). Für beide Erfordernisse enthalten weder die Wortlaute der InsO oder des StaRUG noch die Gesetzesbegründung einen Hinweis. Regelmäßig wird der Schuldner Liquiditätsprobleme haben, sodass die neuen Werte sinnvollerweise in Geld bestehen sollten. Allerdings sind grundsätzlich auch Sacheinlagen denkbar. Anders dürfte es hingegen liegen, wenn die alten Anteilseigner (etwa die Muttergesellschaft) eine Schuldnerübernahme für bestimmte Verbindlichkeiten des Schuldners vereinbaren wollen. Zwar würde die Passivseite des Schuldners um den entsprechenden Betrag verringert. Jedoch impliziert der Wortlaut „durch Leistung in das Vermögen“, dass es sich Mittel handeln muss, die in das Vermögen des ___________ 580) Begr. RegE-StaRUG zu § 29, BT-Drucks. 19/24181, 129. 581) A. A. Bork, ZRI 2021, 345, 358; wohl auch Flöther/Knapp, StaRUG, § 27 Rn. 16. 582) Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd., 308 U.S. 106, 121 (1939).

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3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Schuldners fließen und im Zweifelsfall allen Gläubigern zur Verfügung stehen müssen. Es spricht daher viel für die Annahme, dass der im Zuge des SanInsFoG eingefügte Passus „durch Leistung in das Vermögen des Schuldners nicht vollständig ausgeglichenen Wert“ weniger strenge Vorgaben macht als die amerikanische New Value Exception.583)

269 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit der Änderung der Insolvenzordnung durch das SanInsFoG ein Anknüpfungspunkt für eine der New Value Exception zumindest ähnliche Regelung in den Wortlaut des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO sowie § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG eingefügt wurde.584)

C. Vergleich 270 Das dritte Kapitel hat sich eingehend mit der absoluten Vorrangregel des US-amerikanischen Rechts auseinandergesetzt. Im Anschluss wurde dargestellt, wie die absolute Vorrangregel im deutschen Recht aufgebaut ist. Für einen Rechtsvergleich muss aber noch überprüft werden, ob und inwieweit sich die gefundenen Ergebnisse aus dem amerikanischen Recht mit dem deutschen Recht vergleichen lassen.

I.

Strukturelle Unterschiede

271 Generell weist das amerikanische Recht trotz der Ähnlichkeit des deutschen Insolvenzplanverfahrens mit dem Chapter 11 Plan große Unterschiede zum deutschen Recht auf.585) Das amerikanische Insolvenzplanrecht ist, verglichen mit dem deutschen Insolvenzplanrecht, deutlich schuldnerfreundlicher.586) Das Ziel des amerikanischen Insolvenzrechts war lange Zeit ausschließlich in der Ermöglichung eines „fresh starts“ des Schuldners gesehen worden.587) Das Chapter 11 Verfahren ist in aller Regel ein Verfahren in Eigenverwaltung (debtor in possession, 11 U.S.C. § 1101(1)) und ein Verwalter wird nur auf einen gesonderten Antrag hin ernannt, 11 U.S.C.

___________ 583) Ähnlich Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 26: „deutlich weiter als die amerikanische Rechtsprechung zur ‚new value exception‘“, die aber § 28 Abs. 2 StaRUG ebenfalls als Teil der New Value Exception ansehen. 584) Mit einer ähnlichen Wertung aber ohne wirkliche Begründung Pannen/Riedemann/Smid/Smid, StaRUG, § 27 Rn. 5. 585) Vgl. im Folgenden MüKo-InsO/Eidenmüller, Vor §§ 217 – 269 Rn. 20; ähnlich auch Madaus, Der Insolvenzplan, 478 – 479; Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 62 – 68; Brouwer, Eur. J. Law Econ. (2006) 22, 5 ff. Für eine Darstellung des Verfahrens vgl. auch Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 122 – 128. 586) Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 16; Brouwer, Eur. J. Law Econ. (2006) 22, 5, 11 ff.; die Schuldnerfreundlichkeit des amerikanischen Rechts betonend Ayotte/Morrison, 1 J. Legal Analysis, 511, 512 (2009). 587) Vgl. Tabb, 3 Am. Bankr. Inst. L. Rev. 5, 23 (1995); Jackson, 91 Yale L. J. 857 (1982).

110

C. Vergleich

§§ 1104.588) Es existiert keine Insolvenzantragspflicht wie in § 15a InsO.589) Im amerikanischen Recht hat nur der Schuldner in den ersten 120 Tagen ein alleiniges Planinitiativrecht, vgl. 11 U.S.C. § 1121(b).590) Präsentiert der Schuldner in dieser Zeit einen Plan, so beginnt eine 180-tägige Zeitspanne, in welcher keine anderen Pläne vorgelegt werden dürfen und über der Plan des Schuldners verhandelt werden kann (11. U.S.C. § 1121(c)(3)). Die Gläubiger sind demnach in einem Chapter 11 Verfahren unter Umständen zum Abwarten verurteilt und können keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen. Der deutsche Insolvenzplan ist in der Insolvenzordnung geregelt, welche sich nach 272 § 1 S. 1 InsO dem Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger und damit der Haftungsverwirklichung unterordnet.591) Es wird grundsätzlich ein Insolvenzverwalter (§ 56 InsO) oder, bei Eigenverwaltung, ein Sachwalter (§§ 270, 274 InsO) ernannt. Das Insolvenzplanverfahren wird maßgeblich vom Gläubigerwillen beeinflusst. Die Gläubigerversammlung kann nach § 157 S. 1 InsO bestimmen, ob das Unternehmen fortgeführt oder stillgelegt wird; nach § 157 S. 2 InsO kann die Gläubigerversammlung den Insolvenzverwalter aber auch mit der Erstellung eines Insolvenzplans beauftragen. Die Betrachtung der Insolvenzordnung nach §§ 270 Abs. 1, 270a Abs. 1, 270b InsO und auch in Verbindung mit dem Schutzschirmverfahren nach § 270d Abs. 1 InsO zeigt, dass das Insolvenzplanverfahren die Eigenverwaltung zwar von Anfang an kennt.592) Sie bedarf jedoch eines gesonderten Antrages. Zudem erfordert die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens nach § 270d Abs. 1 S. 1 InsO eine Bescheinigung zur Sanierungsbefähigung. Das deutsche Recht geht also bei der Zulassung der Eigenverwaltung mit größerer Vorsicht verglichen mit dem Chapter 11 Verfahren vor.593) In der Insolvenz haben die Gläubiger beispielsweise durch die Möglichkeit der Wahl des Insolvenzverwalters nach § 57 InsO großen Einfluss.

___________ 588) Ayotte/Morrison, 1 J. of Legal Analysis 511, 512 ff. (2009) betonen aber, dass in der Praxis die gesicherten Gläubiger ganz überwiegend den Verlauf der Reorganisation bestimmen würden. 589) Vgl. 11 U.S.C. §§ 301(a), 303. Im Fall des 11 U.S.C. § 303 kann ein Verfahren nach Chapter 7 oder Chapter 11 auch durch die Gläubiger des Schuldners eingeleitet werden, wenn die Summe der unbestrittenen Forderungen mehr als 13.475 Dollar beträgt und der Schuldner generell seine Verbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht begleicht. 590) Ist der Schuldner ein kleines oder mittelgroßes Unternehmen beträgt das exklusive Planinitiativrecht sogar 180 Tage, 11 U.S.C. § 1121(e). 591) Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 1; Braun/Ludwig, InsO, § 1 Rn. 2; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 1 Rn. 22; MüKo-InsO/Ganter/Bruns, § 1 Rn. 85; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 3. 592) Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 69 f. 593) Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 69 f.

111

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

II. Gemeinsamkeiten 1.

Gesellschaftsrechtlicher Verteilungsmodus

273 Festgestellt wurde, dass im US-amerikanischen Recht durch die absolute Vorrangregel im Planverfahren und das daraus folgende Ausscheiden der Anteilseigner im Chapter 11 Verfahren derselbe Grundsatz gilt wie in der Liquidation im Chapter 7 Verfahren. Der Grundsatz, dass Anteilseigner in einer Insolvenz letztrangig zu befriedigen sind, ist im deutschen Recht an mehreren Stellen normiert. Außerhalb des Insolvenzverfahrens gilt im Falle der Liquidation, dass Anteilseigner nur dann einen Anspruch auf den Liquidationserlös haben, wenn die Gläubiger der Gesellschaft mit ihren Forderungen befriedigt worden sind, §§ 49, 733, 734 BGB, § 155 Abs. 1 HGB, § 271 Abs. 1 AktG, §§ 72 S. 1, 73 Abs. 1 GmbHG, §§ 90, 91 GenG. Hierin spiegelt sich der Gedanke des Vorrangs von Fremd- vor Eigenkapital wider: Die Gesellschaft hat ihr Vermögen zusammenzuhalten und darf es nicht an die Anteilseigner ausschütten, bis der Liquidator die Ansprüche der Gläubiger befriedigt hat.

2.

Verteilungsmodus im Regel- und Planverfahren

274 Dieser Verteilungsmodus gilt auch im Insolvenzverfahren. Im Regelinsolvenzverfahren gilt § 199 S. 2 InsO, nach welchem erst ein Überschuss bei der Schlussverteilung an die Anteilseigner ausgekehrt werden darf. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Gläubiger vorrangig befriedigt werden müssen. Damit wird der Verteilungsgrundsatz der absoluten Vorrangregel außerhalb des Insolvenzplanverfahrens formuliert.594) Bei der Betrachtung des § 199 S. 2 InsO muss bedacht werden, dass das Gesetz an dieser Stelle eine Verkürzung des Verteilungsprozesses des Vermögens anordnet. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Gesellschaft nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG (bzw. § 263 Abs. 1 Nr. 3 AktG) aufgelöst. Deshalb nimmt § 199 S. 2 InsO an, dass der Überschuss grundsätzlich an die am Schuldner beteiligten Personen ausgezahlt wird. § 199 S. 2 InsO sieht die Auskehrung an die Gesellschafter vor, um zu vermeiden, dass nach Abschluss der Verteilung des Vermögens noch eine gesellschaftsrechtliche Liquidation erfolgen muss.595) Auch in den Gesetzesmaterialien wird darauf verwiesen, dass eine gesellschaftsrechtliche Liquidation entbehrlich gemacht werden sollte.596)

275 Die absolute Vorrangregel, so wie sie zuvor im amerikanischen Recht beschrieben wurde, wurde in sehr ähnlicher Form ins deutsche Recht des Insolvenzplans nach den §§ 217 ff. InsO übernommen. § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO überträgt den insolvenz___________ 594) Vgl. auch Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 121 f., der § 199 S. 2 InsO ebenfalls als Ausprägung der absoluten Vorrangregel ansieht; ebenso Jungmann, ZGR 2006, 638, 647 Fn. 36; ähnlich Kübler/Rendels, FS Kayser, 2019, 465, 472. 595) MüKo-InsO/Kebekus/Schwarzer, § 199 Rn. 2; Braun/Pehl, InsO, § 199 Rn. 5; Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 199 Rn. 1. 596) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 187.

112

C. Vergleich

rechtlichen Verteilungsmodus des § 199 S. 2 InsO ins Insolvenzplanverfahren und formuliert dort die deutsche absolute Vorrangregel. Mit §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG gilt dies ebenso im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren. Die Vorschriften stellen sicher, dass eine ablehnende Gläubigerklasse vollends befriedigt wird, bevor einer im Rang unter ihr stehenden Klasse ein wirtschaftlicher Wert zugestanden wird. Das gilt freilich nur dann, wenn die Mehrheit der Gläubigergruppe den Plan ablehnt, denn stimmen alle Parteien über die Verteilung der wirtschaftlichen Werte überein, so gibt es keinen Grund für die Rechtsordnung, vom Parteiwillen abzuweichen.597) Die absolute Vorrangregel fand sich auch im Bankrecht, ebenfalls eingebettet in ein 276 Obstruktionsverbot, im inzwischen aufgehobenen § 19 Abs. 3 Nr. 2 KredReorgG. Eine im Grunde ähnliche Funktion nimmt der Nachrang von Gesellschafterdarlehen 277 nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ein, welche ansonsten wie gewöhnliche Insolvenzforderungen zu behandeln wären.598) § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO stellt Darlehen, welche der Gesellschaft durch Gesellschafter zur Verfügung gestellt werden, in der Insolvenz immer Eigenkapitalzuführungen gleich. Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, sind dem gleichgestellt. Sobald es zur Insolvenz kommt, zwingt das Gesetz die Gesellschafterdarlehen in eine eigenkapitalnahe Position.599) Huber und Habersack argumentieren, dass dies aus dem Privileg der beschränkten Haftung folge und sämtliches Geld, welches die Gesellschafter der Gesellschaft zur Verfügung stellen, in der Insolvenz auch den Gläubigern zur Verfügung stehen müsse.600) Dabei spielt der Gedanke hinein, dass das Haftungsprivileg missbräuchlich sein kann, könnte man nicht nur seine Haftung auf das Gesellschaftsvermögen begrenzen, sondern gleichzeitig noch mit einer eigenen Forderung in Konkurrenz zu anderen Gesellschaftsgläubigern um die Masse treten.601) Die nötige Untermauerung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO stellen die dazugehörigen anfechtungsrechtlichen Vorschriften der § 135 InsO und § 6 AnfG dar.602) Der Gedanke der Missbräuchlichkeit der Darlehensgewährung kann dann nicht vollkommen überzeugen, wenn der Gesellschafter das Darlehen an die Gesellschaft zu einem Zeitpunkt gewährt, in welchem diese noch solvent ist und die Insolvenz erst durch den plötzlichen ___________ 597) MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, § 245 Rn. 1. 598) BT-Drucks. 12/2443, 121 re. Sp.; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 39 Rn. 32 ff.; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 529; ausführlich: Ulbrich, Die Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts, 119 – 190. 599) Thole, ZHR 176 (2012), 513, 528 f. 600) Huber/Habersack, BB 2006, 1 f.; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2147; ders., ZIP 2008, 2385, 2387; Huber, FS Priester, 2007, 259, 271 ff.; zustimmend Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 39 Rn. 35; kritisch K. Schmidt, ZIP 2006, 1925, 1932 – 1934; a. A. Bork, ZGR 2007, 250, 256; kritisch zu den Vorschlägen von Huber/Habersack auch Hommelhoff, VGR, 2006, 115, 124 – 128. 601) So Ulbrich, Die Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts, 190; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, Anh. zu § 64 Rn. 134; Engert, ZGR 2012, 835, 851. 602) Ulbrich, Die Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts, 192 – 195.

113

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Wegfall eines wichtigen Schuldners eintritt. Richtig wird daher darauf hingewiesen, dass die Nachrangigkeit zu ihrer Begründung zusätzlich noch die Berücksichtigung der Einflussnahme und Mitwirkungsrechte der Gesellschafter erfordert.603) Es zeigt sich aber der Gedanke, der auch durch die absolute Vorrangregel formuliert wird: Gerät das Unternehmen in die Insolvenz, so muss das gesamte eingesetzte Kapitel der Gesellschafter vorrangig für Verluste herhalten. Das soll nicht durch Fremdkapitalkonstruktionen umgangen werden.

278 Es zeigt sich, dass das deutsche Recht, ebenso wie das amerikanische Recht, die Reorganisation mittels des Planverfahrens denselben Regelungen wie die Liquidation unterwirft. Weiterhin zeigt sich, dass das Gesellschaftsrecht im Falle der Abwicklung denselben Maßgaben wie das Insolvenzrecht folgt. Insofern lässt sich festhalten, dass die absolute Vorrangregel den gesellschaftsrechtlichen Verteilungsmechanismus ins vorinsolvenzliche Restrukturierungs- sowie in das Insolvenzverfahren transportiert.

3.

Ergebnis

279 Trotz der strukturell großen Unterschiede zwischen dem Chapter 11 Verfahren und dem Insolvenzplanverfahren lassen sich die wesentlichen Ergebnisse der absoluten Vorrangregel, die für das amerikanische Recht identifiziert wurden, auch auf das deutsche Recht übertragen. Als wesentliche Auswirkungen der absolute Vorrangregel wurde festgestellt, dass sie (1) eine sachgerechte Verteilung zwischen Fremd- und Eigenkapital sichert, sie (2) für eine konsequente Durchsetzung der vorinsolvenzlichen Rechtsstellung sorgt und sie (3) die Reorganisation und Liquidation aneinanderkoppelt.604)

280 Es wurde bereits im zweiten Kapitel dargestellt, wie die Verteilung von Fremd- und Eigenkapital im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht in den Grundzügen aufgebaut ist. Die Genese der absoluten Vorrangregel hat gezeigt, dass das amerikanische Recht von denselben Grundgedanken ausgeht. Der oben nachvollzogene Aufbau des Obstruktionsverbots zeigt, dass auch hier das Kreditsicherungsrecht in seinem Mindestgehalt durch die Kombination von absoluter Vorrangregel und best interest test dem des Regelinsolvenzverfahrens gleicht. Im deutschen Recht genießen die gesicherten Gläubiger durch die Einräumung eines Absonderungsrechts nach §§ 49 – 52 InsO und die vorrangige Befriedigung aus dem Erlös nach § 170 Abs 1 InsO eine starke Stellung. Schließlich ist auch im deutschen Recht die Verteilung des Erlöses in der Reorganisation durch die absolute Vorrangregel an die Verteilung gekoppelt, die auch im Liquidationsverfahren – und dort sowohl in der Insolvenz als auch außerhalb der Insolvenz – gilt. ___________ 603) Vgl. etwa MüKo-InsO/Ehricke/Behme, § 39 Rn. 46 f.; vgl. auch Engert, ZGR 2012, 835, 859 ff.; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 527. 604) Siehe oben Rn. 215 ff.

114

D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel

Es sind nicht nur die grundlegenden Auswirkungen vergleichbar, auch die an der ab- 281 soluten Vorrangregel geäußerte Kritik lässt sich im deutschen Recht nachvollziehen. Auch hier gelten die Bewertungsproblematiken des Unternehmens in gleichem Maße. Ebenso schneidet auch im deutschen Recht die absolute Vorrangregel mögliche, sich zu Gunsten der letzten nicht vollständig befriedigten Klasse verwirklichende Werte nach Abschluss des Verfahrens ab.

D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel I.

Die absolute Vorrangregel und die beschränkte Haftung

Des Weiteren lässt sich eine Verbindung von der absoluten Vorrangregel zur be- 282 schränkten Haftung ziehen. Bereits im zweiten Kapitel wurde festgestellt, dass der Gesetzgeber im Kapitalgesellschaftsrecht mit der institutionellen Haftungsbeschränkung ein System geschaffen hat, welches die Risiken aus der unternehmerischen Tätigkeit ein Stück weit auf die Gläubiger verlagert. Denn wenn die Gesellschaft ihre Forderungen nicht mehr begleichen kann, dann sind die Anteilseigner grundsätzlich vor einem Durchgriff der Gläubiger auf deren Privatvermögen geschützt. In diesem Zusammenhang installiert das Gesellschaftsrecht die Vorschriften der Kapitalaufbringung und -erhaltung. Das Kapitalgesellschaftsrecht agiert unter der Prämisse, dass das Gesellschaftsvermögen vorrangig zur Befriedigung der Gläubigerforderungen zur Verfügung stehen und, im Rahmen der Kapitalerhaltungsvorschriften, zweckgebunden in der Gesellschaft verbleiben muss.605) Die institutionelle Haftungsbeschränkung fördert die unternehmerische Initiative, indem das geschäftliche Risiko auf die Einlage beschränkt wird. Das Vermögen der Gesellschaft muss den Gläubigern aber im Zweifelsfall auch zur Verfügung stehen. Zugleich verlangt das Kapitalgesellschaftsrecht immer dann, wenn das gezeichnete 283 Kapital herabgesetzt werden soll, eine vorrangige Befriedigungsmöglichkeit der Gläubiger. Hier sind die §§ 222, 225 AktG zu nennen. Das Vermögen darf nur verteilt werden, wenn den Gläubigern innerhalb einer Zeitspanne von sechs Monaten nach Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister (§ 225 Abs. 1, Abs. 2 AktG) entweder Befriedigung oder Sicherheit gewährt worden ist. Nach Abs. 3 ist das Recht der Gläubiger, Sicherheit zu verlangen, unabhängig davon, ob Zahlungen aufgrund der Herabsetzung des Grundkapitals an die Aktionäre geleistet werden. Die Vorschriften zeigen, dass die vorrangige Befriedigung der Gläubiger auch unabhängig von der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft (vgl. § 272 AktG) erfolgen soll. Ebenso sind grundsätzlich auch im GmbH-Recht die Gläubiger im Rahmen einer Kapitalherabsetzung nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG zunächst zu informieren und gem. Nr. 2 auch zuvor zu befriedigen, wenn sie der Kapitalherabsetzung nicht zustimmen. Konsequent darf eine vereinfachte Kapitalherabsetzung nach § 58a Abs. 1 GmbHG (§§ 229 Abs. 1 S. 1, 230 S. 2 AktG) nur dazu dienen, Wertminde___________ 605) Vgl. Rn. 91 ff.

115

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

rungen auszugleichen oder Verluste zu decken, was zugleich denklogisch erfordert, dass Gläubiger vorrangig befriedigt werden.

284 Es zeigt sich, dass das Gesellschaftsrecht im Rahmen der institutionellen Haftungsbeschränkung durchgehend auf dem Gedanken aufbaut, dass Fremdkapital vorrangig befriedigt wird. Die Haftungsbeschränkung entfaltet ihre volle Wirkung vornehmlich in der Insolvenz. Dort setzt die absolute Vorrangregel die aus dem Gesellschaftsrecht entspringenden Prinzipien, dass das Gesellschaftsvermögen im Rahmen des statutarischen Stamm- bzw. Grundkapitals an die Gesellschaft gebunden sein muss und die Gläubiger vor den Gesellschaftern einen Zugriff auf das Vermögen der Gesellschaft haben müssen, um, indem der liquidationsbasierte Verteilungsmodus der § 271 Abs. 1 AktG, §§ 72 S. 1, 73 Abs. 1 GmbHG, §§ 90, 91 GenG in Form der §§ 199 S. 2, 245 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO, §§ 26 Abs. 1 Nr. 2, 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG auch in das Insolvenz- bzw. Reorganisationsverfahren übertragen wird. Insofern liegt es nahe, wenn die absolute Vorrangregel als das Korrelat der beschränkten Haftung angesehen wird. Es wurde propagiert, dass die absolute Vorrangregel die Regelung ist, die sich konsistent in das System der institutionellen Haftungsbeschränkung einfügt und eine Abweichung davon zu Systembrüchen führen würde.606)

285 Der Begriff des „Korrelats“ der beschränkten Haftung implizit jedoch, dass die institutionelle Haftungsbeschränkung nur dann in sich schlüssig wäre, wenn eine absolute Vorrangregel gälte. Stellt man aber umgekehrt die Kontrollfrage, ob die institutionelle Haftungsbeschränkung auch ohne die Geltung einer absoluten Vorrangregel einen Sinn hätte, so müsste dies bejaht werden. Denn auch ohne die vorrangige Befriedigung der Gläubiger können die Anteilseigner und Gesellschafter ein Interesse daran haben, ihr privates Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger abzuschirmen. Auch wäre es möglich, dass sich die Gläubiger ihr erhöhtes Risiko, mit einer Forderung nicht vollständig befriedigt zu werden, mit einem erhöhten Zinssatz kompensieren lassen und sich so kautelarjuristisch an die Situation anpassen.607) Eine solche Abweichung von der absoluten Vorrangregel würde freilich die Vorschriften der Kapitalbindung der §§ 57, 62 AktG, §§ 30, 31 GmbHG konterkarieren. Denn die Kapitalbindungsvorschriften dienen gerade dazu, das Vermögen der Gesellschaft (im Rahmen des Aktienrechts) bzw. das statutarische Stammkapital (im Rahmen des GmbH-Rechts) für den Zugriff der Gläubiger in der Gesellschaft zu binden.608) Die Verwendung des Begriffs des „Korrelats“ der beschränkten Haftung ist daher teilweise irreführend. Die aufgeworfene Frage der Verbindung zwischen absoluter Vorrangregel und institutioneller Haftungsbeschränkung muss vorsichtiger formuliert ___________ 606) Angeschnitten wird das Thema von Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019; Brinkmann wiederum knüpft seinerseits an Überlegungen von de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 13 f. (2019) an. 607) In diesem Sinne Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 798 (2017). 608) Statt vieler Hüffer/Koch/Koch, AktG, § 1 Rn. 10; MüKo-AktG/Bayer, § 57 Rn. 1; Noack/Servatius/Haas/Servatius, GmbHG, § 30 Rn. 5.

116

D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel

werden: Die absolute Vorrangregel ist eine systemgerechte Ausprägung des Gläubigerschutzes im Rahmen der institutionellen Haftungsbeschränkung, die die aus der Haftungsbeschränkung folgende Risikoverlagerung zu Lasten der Gläubiger beschränkt. Die absolute Vorrangregel will also eine Risikoverlagerung zu Lasten der Gläubiger unterbinden, die über die beschränkte Haftung hinausgeht, indem der ablehnenden Gläubigergruppe eine wirtschaftlich volle Befriedigung gewährt werden muss, wenn deren Zustimmung zum Plan ersetzt wird.

II. Die absolute Vorrangregel im Verhältnis der Gläubigerklassen Die Erwägungen zu den Auswirkungen der beschränkten Haftung tragen legitima- 286 torisch jedoch nur im Verhältnis zwischen den Gläubigern und den Anteilseignern. Die absolute Vorrangregel wirkt jedoch auch im Verhältnis der verschiedenen Gläubigerklassen untereinander. Der nachrangige Gläubiger muss dulden, dass der einfache Insolvenz- bzw. Restrukturierungsgläubiger vor seiner vollen Befriedigung etwas erhält. Das wirft die Frage auf, warum eine im Vertikalverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner ausgehandelte Rechtsposition – zumal gegebenenfalls nur schuldrechtlich, also relativ wirkend – im horizontalen Verhältnis der Gläubigerklassen untereinander Berücksichtigung finden können soll. Diese Frage berührt die grundsätzlichere Erwägung, warum die vertraglichen Positionen in der Krise oder gar der Insolvenz überhaupt maßgeblich sein sollen.609) Prüft man, wie sich die Insolvenz auf die vertraglichen Regelungen auswirkt, so 287 zeigt sich folgendes Bild: Nicht fällige Forderungen werden gem. § 41 Abs. 1 InsO unabhängig von der vertraglichen Regelung als fällig behandelt. Für beiderseitig noch nicht vollständig erfüllte Verträge sieht § 103 InsO ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters vor, welches diesem die Option gibt, einen für die Masse vorteilhaften Vertrag zu erfüllen. Wählt er Erfüllung, so ist der Vertrag ohne weiteres vollständig beiderseitig zu erfüllen.610) Wählt er hingegen Nichterfüllung, so verbleibt der Vertrag in einer Art Schwebezustand, in welchem er verfahrensrechtlich nicht durchsetzbar ist, aber grundsätzlich materiell-rechtlich unberührt bleibt.611) Für Dauerschuldverhältnisse sehen die §§ 109 ff. InsO im Wesentlichen besondere verkürzte Kündigungsfristen vor. Absonderungsrechte sind Rechte, die vorinsolvenzlich erworben und in der Insolvenz des Schuldners zu Gunsten des Berechtigten auch gegenüber anderen Gläubigern (erga omnes) eine vorrangige Befriedigung aus dem belasteten Gegenstand oder der Forderung erlauben. Erkennbar ist, dass die vorinsolvenzlich ___________ 609) Vgl. dazu J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 193 ff., der den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz als materielles Gerechtigkeitskriterium qualifiziert und anhand dessen die Privilegierung vorinsolvenzlich ausgehandelter und gesetzlich eingeräumter Rechtspositionen rekonstruiert. 610) Vgl. Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 103 Rn. 132; MüKo-InsO/Huber, § 103 Rn. 39 f. 611) BGH, NJW 2002, 2783; 2003, 2744, 2746; Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 103 Rn. 1357; MüKoInsO/Huber, § 103 Rn. 20 – 22.

117

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

ausgehandelte Rechtsposition in der Insolvenz die Grundlage bildet. Diese vertragliche Position wird durch die oben genannten Regelungen nur insoweit modifiziert, wie dies zur Abwicklung des Verfahrens erforderlich ist. Die vertragliche Regelung bleibt inhaltlich aber unberührt und entfaltet auch gegenüber den jeweils anderen Verfahrensbeteiligten Wirkung.

288 Dass die vertragliche Grundlage auch im Restrukturierungsverfahren die Grundlage bilden muss, gilt mit Blick auf die weitergehenden insolvenzrechtlichen Regelungen erst recht.

289 Der BGH hat den Grundsatz der Vertragstreue auch als „obersten Grundsatz“ des Vertragsrechts qualifiziert.612) Erkennt man also an, dass auch in der Insolvenz die vertraglichen Regelungen zwischen Gläubiger und Schuldner den Ausgangspunkt der Betrachtung bilden, so kann die Antwort auf die oben aufgeworfene Frage nur sein, dass dem Grundsatz der Vertragstreue ein genereller und höherwertiger Gerechtigkeitsgedanke zu attestieren ist. Das Planverfahren erlaubt es aber – anders als das Regelverfahren –, die vertragliche Grundlage auch inhaltlich zu ändern. Damit sind viel weitergehende Eingriffe zu Lasten der Gläubiger möglich. Ließe man hier auch entgegen der Zustimmung der Gläubiger Eingriffe zu, so würde damit ein systematisch nicht erklärbarer Bruch zum Regelverfahren geschaffen. Es erscheint demnach im Vergleich zu den im Regelverfahren geltenden gesetzlichen Bestimmungen schlüssig, im Planverfahren eine inhaltliche Änderung der vertraglichen Grundlage nur mit Zustimmung des Gläubigers und damit letztlich auch von der absoluten Vorrangregel abhängig zu machen.

290 Diese Begründung vermag indes nicht zu erklären, warum die absolute Vorrangregel als Sicherung der privatautonomen Regelung auch im Verhältnis zu den nachrangigen Insolvenz- bzw. Restrukturierungsgläubigern gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO (i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG) wirken soll. Es handelt sich hier nicht um einen auf einer privatautonomen Regelung beruhenden Nachrang, sondern um einen gesetzlich begründeten. Hier bietet die absolute Vorrangregel keine stimmige Begründung. Folgerichtig muss im Rahmen des gesetzlich begründeten Nachrangs gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO (im Insolvenzverfahren) bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 InsO i. V. m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG (im StaRUG-Verfahren) eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel zwischen den verschiedenen Gläubigerklassen möglich sein, ohne dass es zu einem systematischen Bruch kommt. Es bleibt jedoch zu konstatieren, dass die Nachrangverhältnisse des § 39 Abs. 1 InsO nicht auf einer in sich logischen, systematischen Entscheidung des Gesetzgebers beruhen: Mit Erlass der Insolvenzordnung wurde die alte Rechtslage dahingehend geändert, dass Vermögen, welches der Schuldner während des Verfahrens erwarb, ebenfalls Teil der Masse wurde. Gläubiger, die zuvor in das während des Verfahrens erworbene und deshalb insolvenzfreie ___________ 612) BGH, NJW 1958, 1772; vgl. auch Weller, Die Vertragstreue, 297.

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D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel

Vermögen vollstrecken konnten, waren nun dieser Möglichkeit beraubt. Als Ausgleich sollten sie, um zumindest eine theoretische Befriedigungsmöglichkeit zu erhalten, mit ihren Forderungen im Rang nach den einfachen Insolvenzforderungen bedient werden.613) Die Begründungsansätze der Nachrangverhältnisse oszillieren weiter zwischen Praktikabilitätserwägungen614) und einer geringeren Schutzbedürftigkeit der Forderungen.615) Anders liegt es mit Forderungen im Rang des § 39 Abs. 2 InsO. Dort beruht der Nach- 291 rang auf einer privatautonomen Regelung, sodass in diesem Verhältnis wiederum die absolute Vorrangregel als Begründung zu deren Absicherung herangezogen werden kann. Insgesamt gibt es für die Legitimation der absoluten Vorrangregel im horizontalen 292 Verhältnis der Gläubigerklassen untereinander keinen einheitlichen Anknüpfungspunkt. Im Ausgangspunkt kann der Erhalt der vertraglichen Regelung herangezogen werden, weil auch das Regelverfahren keine materiell-rechtliche Änderungsmöglichkeit des Vertrages kennt. Damit entfaltet die vertikale Absprache eines Gläubigers mit dem Schuldner immer auch horizontale Wirkung zwischen den Gläubigerklassen. Diese Begründung trägt für den gesetzlichen begründeten Nachrang gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO nicht. Indes beruht der Nachrang auf Wertungsgesichtspunkten und nicht auf einer systematisch zwingenden Entscheidung des Gesetzgebers. Außerhalb dieser Fälle bietet die absolute Vorrangregel ein in sich stimmiges Konzept.616)

III. Die absolute Vorrangregel im System der Ziele des Insolvenzrechts Die absolute Vorrangregel behandelt Reorganisationen und Liquidationen nach den- 293 selben Verteilungsregeln. Daraus lässt sich schließen, dass sich beide Alternativen trotz ihrer augenscheinlich diametral entgegengesetzten Folgen einer einheitlichen Zielrichtung unterordnen lassen.

___________ 613) Vgl. BT-Drucks. 12/2443, 81, 121 f.; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 39 Rn. 1; MüKo-InsO/Ehricke/Behme, § 39 Rn. 6; J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 226. 614) Im Fall der § 39 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO wird vorgebracht, dass ansonsten für jede Zinsperiode eine neue Quote errechnet werden müsste, vgl. Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 39 Rn. 8; weitergehend und für eine Abschaffung aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung plädierend J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 380 f. 615) Im Rahmen von § 39 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO mit dem Argument, dass diese Forderungen erst im Laufe des Verfahrens entstünden. Im Rahmen von § 39 Abs. 1 Nr. 3 wird auf den Sanktionscharakter verwiesen, bei Nr. 4 InsO auf die geringere Schutzbedürftigkeit unentgeltlicher Leistungen, vgl. MüKo-InsO/Ehricke/Behme, § 39 Rn. 9; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 39 Rn. 23; Thole, ZHR 176 (2012), 513, 526. 616) Abseits freilich der von Casey geäußerten Kritik, vgl. Rn. 219 ff.

119

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

1.

Ziele des Insolvenzrechts

a) Marktkonformität 294 Die Ziele des Insolvenzrechts werden im einleitenden Paragraphen der Insolvenzordnung angesprochen: Nach § 1 S. 1 Hs. 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen. Dieses Ziel wird gemeinhin so interpretiert, dass die Vermögenswertung im Sinne einer gleichmäßigen und bestmöglichen Gläubigerbefriedigung erfolgen soll.617) Die Zielsetzung der bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger zeigt zugleich, dass es dem Insolvenzrecht im Kern um Haftungsverwirklichung geht.

295 Das deutsche Insolvenzrecht folgt dem grundlegenden Gedanken, dass die Insolvenzabwicklung nach den Grundsätzen der Marktwirtschaft ablaufen soll.618) Es soll hingegen keine subventionierende oder wettbewerbsverzerrende Wirkung haben und somit für eine marktkonforme Abwicklung der schuldnerischen Krise sorgen. In diesem Sinne ist es kein Ziel, ein Unternehmen nur aus sich heraus zu erhalten.619) Die Begründung des Gesetzesentwurfs zur Insolvenzordnung spricht zielgerichtet an, dass die Legitimation von sanierungsfördernden Vorschriften nicht in vermeintlichen oder im Einzelfall auch berechtigten Gemeinwohlinteressen liegt.620) Das Verfahren ist nach den Worten des Gesetzgebers vermögens- und nicht organisationsorientiert.621) Ein Unternehmen sollte nur fortgeführt werden, wenn der Fortführungswert größer ist als der Liquidationswert.622) Das Insolvenzrecht nimmt insofern eine wichtige Filterfunktion wahr, als dass nicht überlebensfähige Unternehmen bei ihrem wirtschaftlichem Zusammenbruch aus dem Markt ausscheiden.623)

296 Nach § 1 S. 2 InsO dient das Verfahren weiter dazu, dem redlichen Schuldner eine Befreiung von seiner Schuldenlast in Aussicht zu stellen. Ein Schuldner, der für den Rest seines Lebens nur gegen seine Schuldenlast anzukämpfen hätte, hätte wenig Anreize, seine volle Arbeitskraft über die Grenzen der pfändungsfreien Beträge hinaus in den Markt einzubringen.624) Ihm soll so ein Neustart ermöglicht werden.625) ___________ 617) BT-Drucks. 12/2443, 108; BT-Drucks. 17/5712, S. 17; BVerfG, NZI 2006, 453, 454; BGHZ 163, 32, 35; MüKo-InsO/Ganter/Bruns, § 1 Rn. 20, 85; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 443; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 3, 5. Korch, ZHR 182 (2018), 440, 443. 618) BT-Drucks. 12/2443, 77. 619) Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 1, 6; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 442. 620) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 76. 621) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 77. 622) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 31. 623) Korch, ZHR 182 (2018), 440, 443 ff.; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 650. 624) Begr. REgE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 100 ff.; vgl. auch Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 450 – 452; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 25 ff. 625) In den USA galt dies lange als das vorrangige Ziel des Insolvenzrechts, vgl. schon das Urteil des US Supreme Court in Wetmore v. Markoe, 25. S.Ct. 172, 176 (1904); Jackson, 91 Yale J. L. 857 (1982); ders./Scott, 75 Virg. L. Rev. 155 (1989).

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D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel

b) Haftungsverwirklichung durch Liquidation und Reorganisation Unter dieser Prämisse der Marktkonformität stehen die Verwertung des Vermögens 297 und die anschließende Verteilung an die Gläubiger gleichberechtigt neben der Sanierung.626) Beide Alternativen dienen dem vorrangigen Ziel der Haftungsverwirklichung.627) Ist der Liquidationswert größer als der Fortführungswert, dann würde eine Fortführung dem Ziel der Haftungsverwirklichung und dem Diktum der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung entgegenstehen. Diesem Gedanken entspricht es, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Insolvenzordnung als große Erneuerung die sogenannte Einheitslösung wählte, also sowohl Reorganisation als auch Liquidation in einem Gesetz regelte.628) Da es um eine koordinierte Durchsetzung der Ansprüche der Gläubiger geht, steht den Gläubigern konsequenterweise auch die Entscheidung darüber zu, § 157 S. 1, 2 InsO. Beide Varianten der Haftungsverwirklichung sollen im Folgenden nachgezeichnet werden.

aa) Haftungsverwirklichung durch Liquidation Eine Möglichkeit der Haftungsverwirklichung stellt die Liquidation des schuldne- 298 rischen Vermögens dar.629) Diese Form der Haftungsverwirklichung wird in einem ganz überwiegenden Teil der Verfahren gewählt. Schätzungsweise 95 – 98 % aller insolventen Unternehmen werden liquidiert.630) Dazu muss zunächst die Insolvenzmasse ermittelt werden. Mit Eröffnung des Verfahrens gehen nach § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über, welcher durch die Geltendmachung von Haftungsansprüchen und mittels der Insolvenzanfechtung die sogenannte „Ist-Masse“ zur „Soll-Masse“ anreichert. Nicht zur Insolvenzmasse gehörende Gegenstände müssen ausgesondert (§ 47 InsO) und von der Masse getrennt werden. Anschließend werden alle Vermögensgegenstände verkauft – entweder einzeln durch eine Zerschlagung des schuldnerischen Unternehmens oder durch eine Übertragung des gesamten Unternehmens (dann in der Regel im

___________ 626) MüKo-InsO/Ganter/Bruns, § 1 Rn. 45; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 7; Braun/Ludwig, InsO, § 1 Rn. 3; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 5. 627) Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 1; Braun/Ludwig, InsO, § 1 Rn. 2; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 1 Rn. 22; MüKo-InsO/Ganter/Bruns, § 1 Rn. 85; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 1 Rn. 3; zum Insolvenzplan etwa Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1189; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 16; ders., Unternehmenssanierung, 18 („Haftungsverwirklichung unter Knappheitsbedingungen); Bitter, ZGR 2010, 147, 153; a. A. BeckOK-InsO/Madaus, § 1 Rn. 5: „Sicherung des sozialen Friedens durch die Sicherstellung der gerechten Verteilung knapper Ressourcen unter den Berechtigten.“; ders., FS Wimmer, 2017, 446, 448 ff.; so auch Paulus, NZI 2015, 1001, 1004. 628) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 82 f.; Kübler/Prütting/Bork/Prütting, InsO, § 1 Rn. 12. 629) Vgl. instruktiv auch die Darstellung von Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 115 ff. 630) Seagon, Insolvenz 2.020, 73; ähnlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 56; zwischen 6 % und 10 % Bitter, ZGR 2010, 147, 155.

121

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

Rahmen einer „übertragenden Sanierung“631)) oder Teilen dessen. Liquidation bedeutet demnach nicht zwangsläufig, dass das schuldnerische Vermögen zerschlagen wird.

299 Die Masse muss des Weiteren die Gerichtskosten und die Kosten für die Verwaltung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter zahlen (§§ 53, 54 InsO). Auch die weiteren Massegläubiger sind zu befriedigen (§§ 53, 55 InsO). Sind alle Massekosten bezahlt, so wird der übrige Betrag unter den Gläubigern entlang ihres Rangs verteilt, §§ 187 ff. InsO: Zunächst sind alle Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) und sodann die nachrangigen Insolvenzgläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5, Abs. 2 InsO) zu befriedigen. Wenn eine Rangklasse nicht vollständig befriedigt wird, wird die erste nicht vollständig befriedigte Rangklasse quotal beteiligt. Eine Sonderstellung nehmen die absonderungsberechtigten Gläubiger (§§ 49 – 51 InsO) ein, welche eine vorrangige Befriedigung aus dem Absonderungsgut verlangen können (§ 170 Abs. 1 S. 2 InsO). Die absonderungsberechtigten Gläubiger werden damit nach den Massegläubigern, de facto aber vorrangig gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern der §§ 38, 39 InsO befriedigt. Verbleibt nach der Befriedigung aller Gläubiger noch ein Restbetrag, so ist dieser nach § 199 S. 2 InsO an die Anteilsinhaber des Schuldners auszukehren.

bb) Haftungsverwirklichung durch Reorganisation 300 Die andere Art der Haftungsverwirklichung liegt in der Reorganisation. Sie wird in § 1 S. 1 Var. 2 InsO ausdrücklich als Alternative zur Haftungsverwirklichung angesprochen. Die Beteiligten können dabei abweichend von der Regelverteilung des Insolvenzverfahrens einvernehmlich und privatautonom die vorhandenen wirtschaftlichen Werte verteilen.632) Die Finanzbeziehungen und Leistungsprozesse des Schuldners werden neu geordnet, damit der Schuldner wieder am Markt operieren kann.633) Ein besonderer Vorteil gegenüber der Liquidation und dort gegenüber dem Verkauf des gesamten Unternehmens ist, dass im Rahmen der Reorganisation rechtsträgergebundene Lizenzen, Nutzungsrechte bei Patenten oder Markenrechten, Sponsorenverträge, behördliche Genehmigungen634), steuerliche Verlustvorträge oder günstige

___________ 631) Der Begriff ist auf K. Schmidt, ZIP 1980, 328, 336 zurückzuführen und hat sich etabliert; im Rahmen der übertragenden Sanierung wird eine neue Übernahmegesellschaft gegründet, welche alle oder die wesentlichen Vermögenswerte des Unternehmens als Ganzes kauft. Das Unternehmen wird so auf einem neuen Rechtsträger schuldenfrei. Aus dem Verkaufserlös werden die Gläubiger befriedigt, vgl. dazu Bitter, ZGR 2010, 147, 152 f. 632) Jaeger/Kern, InsO, Vor. §§ 217 – 269 Rn. 54 – 60; MüKo-InsO/Eidenmüller, Vorb. §§ 217 ff. Rn. 1; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 1. 633) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 15. 634) Beispielhaft genannt seien etwa die Genehmigung zur Herstellung von Arzneimitteln nach § 13 AMG, der Betrieb einer gentechnischen Anlage nach § 11 GenTG, die Einfuhr kontingentierter Güter nach § 12 I AWG oder die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb von Banken und Finanzdienstleistungsinstituten gem. § 32 KWG, vgl. Bitter, ZGR 2010, 147, 159 sowie 160 Fn. 69.

122

D. Systematische Stellung der absoluten Vorrangregel

Verträge635) erhalten werden können.636) Eine Reorganisation mittels eines Plans wird regelmäßig auch nur in Fällen sinnvoll sein, in denen die oben genannten, nicht übertragbaren Rechtspositionen erhalten werden sollen, die im Wege der übertragenden Sanierung nicht realisierbar wären. Im Gegensatz zur Liquidation werden die Gläubiger hier nicht aus dem Verkaufserlös des schuldnerischen Vermögens befriedigt, sondern es werden die künftig erwarteten Erträge des Unternehmens miteinbezogen.637) Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sanierung und Liquidation beide dem Ziel 301 der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung und der Haftungsverwirklichung untergeordnet sind. Das gilt auch für die vorinsolvenzliche Reorganisation.638) Die Insolvenzordnung will andere Gemeinwohlinteressen ausklammern.

2.

Absolute Vorrangregel als Instrument der Haftungsverwirklichung

Setzt man die soeben herausgestellten Ziele des Insolvenzrechts in Bezug zur abso- 302 luten Vorrangregel, so ergibt sich ein klares Bild. Selbstverständlich ist die Haftungsverwirklichung im Rahmen der Liquidation, weshalb das Gesellschafts- wie auch das Insolvenzrecht vorsehen, dass alle Gläubiger zu befriedigen sind, bevor Überschüsse an die Anteilsinhaber des Schuldners ausgeschüttet werden. Im Rahmen der Reorganisation erscheint das weniger klar, denn hier soll das schuldnerische Unternehmen nicht abgewickelt, sondern fortgeführt werden. Doch auch hier fügt sich absolute Vorrangregel stimmig in das Gesamtkonzept ein. Die absolute Vorrangregel will im Rahmen der Reorganisation verhindern, dass sich der Schuldner auf Kosten der Gläubiger eines Teils seiner Verbindlichkeiten entledigen kann. Sie will den vorinsolvenzlich ausgehandelten Rechtspositionen der Gläubiger weitestgehend Geltung verschaffen. Werden die ausgehandelten Rechtspositionen der Gläubiger vorrangig vor den Interessen des Schuldners berücksichtigt, so lässt sich auch die absolute Vorrangregel als Ausprägung der Haftungsverwirklichung begreifen. Sie fordert eine vollständige Befriedigung der Gläubiger, bevor im Rang niedriger stehende Gruppen – und damit auch der Schuldner – Werte erhalten dürfen. Der Schuldner muss sich an dem einmal geschlossenen Vertrag grundsätzlich festhalten lassen. Über den Verlust der Einlage soll das unternehmerische Risiko auf Seiten der Anteilseigner realisiert werden. Der Schuldner soll als Rechtsträger dann im Zweifel ohne die alten Anteilseigner fortbestehen. Wenn vor diesem Hintergrund wegen mög___________ 635) Verwiesen wird auf das „Listing“, also Lieferverträge mit großen Filialisten wie ALDI, Lidl, Edeka oder PLUS, vgl. Bitter, ZGR 2010, 147, 158. 636) Vgl. Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, Vorb. § 217 Rn. 1; Bitter, ZGR 2010, 147, 157 – 161; Braun, FS Fischer, 2008, 53, 66 f. 637) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 195; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, Vorb. § 217 Rn. 1; Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 71; Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 116. 638) So auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 16; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 443 ff.; Köth, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren und alternative Regelungsmodelle, 445; Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 27 ff.

123

3. Kapitel: Die absolute Vorrangregel

licher Unsicherheiten über die Auslegung des „wirtschaftlichen Wertes“ im Sinne des § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO über eine Streichung der absoluten Vorrangregel nachgedacht wird,639) dann überzeugt das nicht. Es muss gerade keine „Belohnung“ des Schuldners erfolgen, weil er das Unternehmen fortführt, sondern es ist das Recht der Gläubiger, ihren Ansprüchen weitestmöglich Geltung zu verschaffen.640)

303 Ein Konflikt ergibt sich zwischen den Interessen des Schuldners auf Fortführung und den mitunter divergierenden Interessen der Gläubiger auf Durchsetzung ihrer Verträge. Dieser Konflikt wird durch das Obstruktionsverbot aufzulösen versucht. Es kann die erforderliche Zustimmung einer ablehnenden Gruppe von Gläubigern ersetzt werden, sie müssen dafür aber wirtschaftlich volle Befriedigung erhalten. Das Obstruktionsverbot wird daher auch als Antwort auf das Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung der Planbeteiligten verstanden.641)

304 Die Gläubigergruppe muss beispielsweise Zugeständnisse hinsichtlich des Auszahlungszeitpunktes machen, wenn ihre Forderungen gestundet werden. In wirtschaftlicher Hinsicht zielt die absolute Vorrangregel aber auf eine Wirkung, die der Erfüllungswirkung des § 362 Abs. 1 BGB nahekommt. Sowohl in der Reorganisation als auch der Liquidation sollen die Gläubiger, sofern sie einer anderen Behandlung nicht zustimmen, ihre ausgehandelten Rechtspositionen zumindest wirtschaftlich nicht verlieren.

305 Zusammenfassend dienen sowohl Liquidation als auch Reorganisation der Haftungsverwirklichung, welche über die absolute Vorrangregel sichergestellt wird. Die absolute Vorrangregel wirkt vornehmlich als ein Schutzinstrument der Gläubiger mit mittlerer Priorität.

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse 306 Für das amerikanische Recht wurde festgestellt, dass die absolute Vorrangregel für einen grundlegenden Gleichklang zwischen dem Liquidationsverfahren nach Chapter 7 und dem Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 sorgt. Der US Supreme Court hat der absoluten Vorrangregel, deren Ursprünge bis ins Jahr 1899 zurückzuverfolgen sind, eine fundamentale Bedeutung für das amerikanische Insolvenzrecht zugesprochen. Nach Ansicht des US Supreme Court durchdringt die absolute Vorrangregel das gesamte Insolvenzrecht und geht über den reinen Wortlaut ihrer Norm hinaus.

307 Die Verteilung der Vermögenswerte durch die absolute Vorrangregel erfolgt nach den Grundsätzen, die die Parteien vor der Insolvenz ausgehandelt haben. Dabei spielt ___________ 639) Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, 178 ff.; Kübler/Rendels, FS Kayser, 2019, 465, 475 ff. 640) Wenig überzeugend daher Kübler/Rendels, FS Kayser, 2019, 465, 476. 641) Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 79; sich dem anschließend Knof, SanB 2021, 68, 69.

124

E. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

besonders der dem Gesellschaftsrecht entspringende Gedanke der sachgerechten Verteilung zwischen Fremd- und Eigenkapital eine tragende Rolle. Die insolvenzrechtliche Besonderheit der absoluten Vorrangregel, ebenso wie die der Liquidation nach Chapter 7 US Bankruptcy Code, ist, dass zukünftige Werte im Schuldnerunternehmen im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung mit einem Wert versehen und an die Gläubiger des Unternehmens verteilt werden, obwohl dies unter Umständen zu Lasten der letzten nicht vollständig befriedigten Klasse gehen kann. Das stellt einen der Hauptkritikpunkte an der absoluten Vorrangregel dar. Die Grundsätze gelten auch im deutschen Recht. Hier entspricht die gesellschafts- 308 rechtliche Verteilungsregel auch der insolvenzrechtlichen Verteilungsregel.642) Der „best intererst test“ nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO koppelt dabei den Insolvenzplan an die Liquidation, indem einem ablehnenden Gläubiger zumindest der Liquidationswert zugestanden wird. Gleichzeitig ordnet die absolute Vorrangregel nach § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Verteilungsregel von § 199 S. 2 InsO auch für den Insolvenzplan an und lässt die dissentierenden Gläubiger am Planmehrwert entlang der Verteilungsrangfolge partizipieren. Die durch die Regeln der §§ 199 S. 2, 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO, § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG sichergestellte vorrangige Verlustübernahme der Eigenkapitalgeber erweist sich als systemgerechte Ausprägung der Risikoverteilung im Rahmen der institutionellen Haftungsbeschränkung. Diese Erwägung trägt nicht im Verhältnis der Gläubigerklassen untereinander. Hier vermag die absolute Vorrangregel keinen einheitlichen Anknüpfungspunkt zu bieten. Vor der Insolvenz sorgt die absolute Vorrangregel für eine gewisse Sanierungsfeind- 309 lichkeit, die bereits im Gesellschaftsrecht angelegt ist, denn der Schuldner muss sich, abseits der Zustimmung der Gläubiger, an seine einmal geschlossenen Verträge mit seinen Gläubigern halten. Eine vorinsolvenzliche absolute Vorrangregel verhindert eine über die beschränkte Haftung hinausgehende Risikoverteilung zulasten der Gläubiger einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

___________ 642) Vgl. §§ 49, 733, 734 BGB, § 155 HGB, § 271 AktG, §§ 70, 72 GmbHG, §§ 90, 91 GenG, § 199 InsO.

125

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel Das vierte Kapitel soll die relative Vorrangregel des Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL unter- 310 suchen. Die relative Vorrangregel ist gegenüber der vom deutschen Gesetzgeber gewählten absoluten Vorrangregel der §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 28 StaRUG die in der Richtlinie präferierte Umsetzungsalternative. Das zeigt sich vor allem am Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 RRL, nach welchem eine Abweichung von der relativen Vorrangregel zugelassen wird. Die Entscheidung zu Gunsten der absoluten Vorrangregel lässt sich weiterhin vor dem Hintergrund der kontroversen Entwicklung im amerikanischen Recht kritisch beleuchten. Dort zeigt sich neben Versuchen der Praxis, die absolute Vorrangregel zu umgehen, auch der Trend des Gesetzgebers, die absolute Vorrangregel aufzuweichen und zu reformieren. Das vierte Kapitel versucht die Frage zu klären, ob die relative Vorrangregel ein sinnvolles oder gar vorzugswürdigeres Konzept für die präventive Restrukturierung darstellt. Die zugrundeliegende These ist, dass sich die relative Vorrangregel nicht in das System des Kapitalgesellschaftsrechts einfügt und keine wünschenswerte Umsetzungsalternative für das nationale Recht darstellt. Auf dem Weg zur Betrachtung der relativen Vorrangregel wird spezifisch der best interest test beleuchtet, welcher das zweite maßgebliche Schutzkriterium neben der Vorrangregel ist. Es soll anschließend dezidiert auf die Funktionsweise der relativen Vorrangregel und auf die sich daraus ergebenden Fragen eingegangen werden. Die in der Richtliniengeschichte und der Literatur zugunsten der relativen Vorrangregel vorgebrachten Argumente sollen auf ihre Stichhaltigkeit überprüft werden. Es erscheint mit Blick auf die herausgearbeitete Erosion der absoluten Vorrangregel möglich, dass die relative Vorrangregel diejenige Regelung ist, die künftig für Planlösungen im Insolvenz- und Sanierungsrecht präferiert wird.

A. Der best interest test Das schon aus dem Insolvenzplan nach § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO bekannte Schlechter- 311 stellungsverbot findet sich im Grunde wortgleich in § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Die Mitglieder einer Gruppe dürfen danach durch den Plan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden. Das Schlechterstellungsverbot wird in der deutschen Rechtsprechung und Literatur auch als Werterhaltungsprinzip643) bezeichnet. In internationalen Kontext und im Rahmen der Richtlinie wird der Be___________ 643) Vgl. zum Insolvenzplan BGH, NZI 2009, 515, 516 Rn. 12; BGH, NZI 2007, 409, 410 Rn. 7 (jeweils zu § 251 InsO); Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 11; Andres/Leithaus/Andres, InsO, § 245 Rn. 3; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 7; Skauradszun/Spahlinger/Tresselt, DZWIR 2015, 539, 542; Jungmann, KTS 2006, 135, 137; Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 30 Rn. 395; Der Gedanke des Nicht-Schlechter-Stehens als im Liquidationsfall liegt auch dem „Sanieren oder Ausscheiden“ Urteil des BGH zugrunde, allerdings bezogen auf die mitgliedschaftliche Treuepflicht, vgl. BGHZ 183, 1; aus dem Gedanken, dass die Belastung der Aktionäre im Vergleich zur Liquidation nicht größer sein darf, möchte Goette ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip ableiten, vgl. Goette, GWR 2010, 1, 2 f.; dazu kritisch Schuster, ZGR 2010, 325, 334 f.

127

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

griff best-interest-of-creditors test oder best interest test verwendet.644) Diese Formulierung soll auch im Folgenden verwendet werden. Der best interest test steht in einem engen Verhältnis zum Kriterium der angemessenen Beteiligung nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG bzw. § 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO – und damit zur absoluten (oder relativen) Vorrangregel. Er stellt den ersten Schritt zur Bestimmung des Wertes dar, den eine ablehnende Gläubigergruppe mindestens erhalten muss. Erst in einem zweiten Schritt muss dann im Rahmen der Vorrangregel über eine Verteilung des Reorganisationsmehrwertes nachgedacht werden. Der best interest test gewinnt als Schutzkriterium an Gewicht, wenn sich der Gesetzgeber von der absoluten Vorrangregel löst, weil diese das Maximum an Schutz zu Gunsten der ablehnenden Klasse gewährleistet. Die Regelung soll nun einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Das Schutzkriterium wird auf zwei Ebenen relevant: Einmal auf der Ebene des gruppeninternen Schutzes zu Gunsten der überstimmten Minderheit (§ 64 Abs. 1 S. 1 StaRUG, § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO) und einmal als gruppenübergreifender Schutz zu Gunsten der überstimmten Gruppe im Rahmen des Obstruktionsverbots bzw. des Cross-class Cram-downs. Die Betrachtung soll auf den gruppenübergreifenden Schutz beschränkt bleiben, weil nur dieser relevant für das Verhältnis zur Vorrangregel ist.

I.

Der best interest test im vorinsolvenzlichen Verfahren

1.

Zielrichtung

312 Die entscheidende Untergrenze, die zugunsten eines dissentierenden Gläubigers in der Richtlinie eingehalten werden muss, folgt aus dem best interest test.645) Der Gedanke ist, ebenso wie im Insolvenzplan, dass die Mitglieder der obstruierenden Gruppe voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden. Der best interest test soll demnach den Wert der bereits existierenden Ansprüche der Gläubiger sichern.646)

2.

Legaldefinition

313 Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie enthält eine Legaldefinition des best interest tests. Danach wird das Kriterium eingehalten, wenn der ablehnende Gläubiger nicht schlechter gestellt würde als bei der Anwendung der normalen Rangfolge der Liquidationsprioritäten. Im Gegensatz zur Umsetzung im StaRUG enthält die Legaldefinition der Richtlinie nicht den Begriff der „voraussichtlichen“ Schlechterstellung. ___________ 644) Vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6, Art. 10 Abs. 2 lit. d) RRL. 645) Vgl. auch Flöther/Schönfelder, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 306: „elementares, restrukturierungsrechtliches Grundprinzip“; anders im insolvenzrechtlichen Kontext etwa Häsemeyer, InsR, Rn. 28.68: „schwächliches, zweifelhaftes Korrektiv“; kritisch auch Stürner, Insolvenzrecht im Umbruch, 41, 46 f. 646) Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 2.

128

A. Der best interest test

Dennoch setzt auch die Richtlinie voraus, dass es sich um eine Prognoseentscheidung handelt. Die Definition verwendet dabei den Begriff der Gläubiger („creditors“), nicht aber den Begriff der Gläubigerklassen („classes of creditors“).647) Daraus kann man schließen, dass das Kriterium auch zugunsten einzelner Gläubiger und nicht nur zugunsten einer gesamten Klasse/Gruppe eingehalten werden muss.648) Im Umsetzungsakt der Richtlinie findet sich der best interest test in zwei Vorschriften: Einmal wird ein Schutz zugunsten der überstimmten Minderheit in einer Gruppe in § 64 Abs. 1 StaRUG installiert. Zum anderen ist der best interest test, wie oben ausgeführt, Teil des gruppenübergreifenden Schutzes nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Der Wortlaut der Richtlinie lässt zwar darauf schließen, dass sich die Einhaltung des 314 best interest tests nur auf die ablehnenden Gläubiger bezieht, nicht aber auf eventuell zustimmende Gläubiger einer mehrheitlich den Plan ablehnenden Gruppe.649) Gleichwohl sind auch nach der Richtlinie innerhalb einer Gruppe jedem Gläubiger die gleichen Rechte anzubieten (Art. 10 Abs. 2 lit. b) RRL), sodass der best interest test zugunsten aller Gläubiger der ablehnenden Gruppe eingehalten werden muss.

3.

Vergleichsszenario

Für die Beantwortung der Frage nach einer voraussichtlichen Schlechterstellung muss 315 ein Vergleichsszenario herangezogen werden, in welchem die Situation mit Restrukturierungsplan mit der hypothetischen Situation ohne Restrukturierungsplan verglichen wird, § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG. Erforderlich wird also eine doppelte Prognose. Dabei kann das Vergleichsszenario die Liquidation oder ein anderes, nächstbesseres Vergleichsszenario sein, worauf die Legaldefinition explizit hinweist (Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RRL).650) Der Wortlaut des § 26 Abs. 1 S. 1 StaRUG gibt mit dem Begriff ___________ 647) Die Richtlinie verwendet den Begriff „Klassen“ statt „Gruppen“. Inhaltlich sind damit keine Unterschiede verbunden. 648) Dafür gibt es noch eine Reihe weiterer Argumente: Dafür spricht auch, dass in anderen Definitionen wie Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 RRL hingegen explizit der Begriff der Gläubigerklassen verwendet wird. Der präzise Wortlaut scheint demnach gewollt zu sein. Auch der Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d) RRL, welcher die Anwendung des best interest tests vorschreibt, legt nahe, dass der best interest test bei jedem einzelnen ablehnenden Gläubiger einzuhalten ist („where there are dissenting creditors, the restructuring plan satisfies the best-interest-of-creditors test“). Dafür spricht auch, dass der klassenübergreifende Cram down systematisch getrennt von der Annahme des Plans geregelt ist und seinerseits selbst noch einmal auf den best interest test verweist, Art. 11 Abs. 1 lit. a) RRL. So lässt sich auch der in § 64 Abs. 1 S. 1 StaRUG statuierte Minderheitenschutz aus der Richtlinie herleiten. 649) So auch Morgen/Backes/Blankenburg, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rn. 31, 34. 650) Vgl. auch Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 26 Rn. 18 f.; Pannen/Riedemann/Smid/Smid, StaRUG, § 26 Rn. 13; da der Liquidationswert, je nach Sicherung des Gläubigers, sehr gering sein kann, wird der best interest test teilweise für ein sehr schwaches Schutzkriterium gehalten vgl. Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 8 (2021); Hynes/Walt, 66 Kans. L. Rev. 875, 879 (2018); Blum, 25. U. Chi. L. Rev. 417, 418 (1958); anders Hicks, 5 Nev. L. J. 820, 821 (2005): „Perhaps most important of the protections“.

129

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

„voraussichtlich“ vor, dass es sich um eine Prognoseentscheidung handeln muss. Maßgeblich ist eine ex-ante Betrachtung.

316 Fraglich ist, was genau mit Liquidation gemeint ist. Grundsätzlich versteht man darunter den erzielbaren Preis aus einer vollständigen Veräußerung der Vermögensgegenstände des Unternehmens.651) Eine gesellschaftsrechtliche Liquidation führt in der Regel nicht dazu, dass eine Gesellschaft ihre Tätigkeit sofort vollständig einstellt. Sie führt zunächst dazu, dass sich der Gesellschaftszweck von einem werbenden Betrieb hin zu Abwicklung der Gesellschaft ändert.652) Hier müssten im Grundsatz alle Gläubiger vollständig befriedigt werden, ansonsten müsste das Liquidationsverfahren in ein Insolvenzverfahren überführt werden.653) Das entspricht nicht dem Gedanken des Richtliniengebers, denn der best interest test soll den Betrag sichern, der in jedem Fall realisierbar wäre. Folglich kann keine „echte“ gesellschaftsrechtliche Liquidation, sondern nur ein „untechnischer“ Liquidationsbegriff gemeint sein.654)

317 Welcher Wert erzielbar ist, hängt gemeinhin von der Geschwindigkeit ab, unter der das Unternehmen liquidiert wird (Zerschlagungsgeschwindigkeit) und von der Intensität der Auflösung in einzelne Bestandteile (Zerschlagungsintensität).655) Im Rahmen einer Liquidation kommen dann grundlegend zwei Werte in Betracht: Einmal der Zerschlagungswert, also der Wert, sich bei Einzelveräußerung der assets erzielen lassen würde. Zum anderen kann im Rahmen einer Liquidation aber auch eine übertragende Sanierung stattfinden.656) Im Rahmen einer übertragenden Sanierung wird das Unternehmen im Wege eines Asset Deals als Ganzes auf eine Übernahmegesellschaft übertragen. Mit dem Kaufpreis werden die Gläubiger befriedigt. Das Unternehmen in den Händen des neuen Rechtsträgers ist dann schuldenfrei. Beide Alternativen werden von der Definition explizit genannt.657) Es ist also auch möglich, dass das nächstbeste Alternativszenario einen going-concern Verkauf des Unternehmens beinhaltet. Bestehen keine besonderen Werte in Lizenzen, anderen immateriellen Vermögens-

___________ 651) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 176. 652) BGH, GmbHR 2017, 95, 96 f.; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 69 Rn 1; Noack/Servatius/Haas/Haas, GmbHG, § 66 Rn. 2, § 69 Rn. 1; MüKo-InsO/Jaffé, § 155 Rn. 8; Flöther/Schönfelder, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 311. 653) Flöther/Schönfelder, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 311; MüKo-GmbHG/H.-F. Müller, § 70 Rn. 12; Noack/Servatius/Haas/Haas, GmbHG, § 70 Rn. 3. 654) Flöther/Schönfelder, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 311; Braun/Herzig, StaRUG, § 26 Rn. 6 will unter dem Begriff Liquidation nur eine Einzelveräußerung der Vermögenswerte verstehen; ebenso Flöther/Knapp, StaRUG, § 26 Rn. 20. 655) Hölters/Widmann, Handbuch des Unternehmens- und Beteiligungskaufs, Teil II, Rn. 176. 656) Morgen/Backes/Blankenburg, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rn. 37. 657) Anders wohl Flöther/Schönfelder, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 312, der nur die „Nicht-Fortführung“ oder den „Marktaustritt“ darunter fassen will.

130

A. Der best interest test

werten oder günstigen Verträgen, so ist es möglich, dass der Reorganisationsmehrwertwert des Verfahrens gering oder nicht vorhanden ist.658) Auch in der Ermittlung des nächstbesten Alternativszenarios ist die Situation zu 318 Grunde zu legen, die ohne den Plan bestünde.659) Das wird sowohl in § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG für den gruppenbezogenen Gläubigerschutz als auch in § 64 Abs. 1 S. 1 StaRUG für den minderheitsbezogenen Schutz vorgegeben. Gleichzeitig wird in § 6 Abs. 2 S. 2 StaRUG vorgegeben, dass bei der Ermittlung der Befriedigungsaussichten ohne Plan eine Fortführung des Unternehmens zu unterstellen ist. Die Möglichkeit einer solchen Anordnung der zur Bewertung heranzuziehenden Werte wird durch Erwägungsgrund Nr. 49 S. 3 RRL nahegelegt. Die Berechnung nach Fortführungswerten soll nach § 6 Abs. 2 S. 3 StaRUG nur dann nicht gelten, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aussichtslos ist. Mit dem Wort „aussichtslos“ wird nahegelegt, dass eine leicht überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen ohne Plan liquidiert würde, außer Acht bleiben soll. Das nächstbeste Alternativszenario wird häufig ein Verkaufsszenario oder der Einstieg eines potenziellen Investors sein.660) Die Festlegung der heranzuziehenden Werte erscheint problematisch. Zwar ist es aus 319 Gläubigerschutzgesichtspunkten grundsätzlich wünschenswert, wenn jeder ablehnende Gläubiger wegen der Ansetzung von Fortführungswerten ein hohes Schutzniveau genießt.661) Dennoch soll der best interest test den Wert sichern, der im Ernstfall tatsächlich realisierbar wäre. Wird der Wert wegen des vorgeschriebenen Ansatzes von Fortführungswerten künstlich überhöht, so verzerrt das den Schutz der ablehnenden Gruppen. Zu berücksichtigen ist auch, dass keine Schutzlücke entstünde, wenn der best interest test nur den realistischen Wert des Alternativszenarios berücksichtigen würde. Denn die Verteilung der Fortführungswerte kann nach wie vor konsensual erfolgen. Findet sich kein Konsens, dann wird der Schutz über die absolute Vorrangregel der § 26 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. §§ 27, 28 StaRUG sichergestellt. De lege ferenda erscheint daher eine Streichung von § 6 Abs. 2 S. 2 und S. 3 StaRUG angebracht. Hinzu kommt, dass es kein Forderungsfeststellungsverfahren gibt. Im Gegensatz 320 dazu müssen im Insolvenzverfahren nach §§ 174 Abs. 1, 175 InsO alle Forderungen beim Insolvenzverwalter zur Tabelle angemeldet werden. Das fehlende Forderungs___________ 658) Mit diesem Hinweis auch Madaus, A simple Guide to RPR, Working paper 01/2020, 1, 3. 659) Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 26 Rn. 18; Braun/Herzig, StaRUG, § 26 Rn. 4 ff.; Morgen/Backes/Blankenburg, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rn. 37; darauf stellte auch die Begründung der Regierung zum KredReorgG für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ab, vgl. BT-Drucks. 17/3024, 46. 660) Desch, BB 2020, 2498, 2504. 661) So auch Desch, BB 2020, 2498, 2504; Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 207.

131

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

feststellungsverfahren ist auf die Teilkollektivität des StaRUG-Verfahrens zurückzuführen. Im Rahmen des best interest tests wird das zum Problem, denn es müssen die Vergleichsquoten für die Stellung mit und ohne Plan berechnet werden, obwohl die Gesamtsumme der Forderungen unklar sein kann.662) Das führt dazu, dass die Grundlage, auf deren Basis die Prognose erstellt werden muss, nicht gesichert ist.663) Dem wird man dadurch begegnen müssen, dass die Unterlagen, die nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG im Rahmen der Anzeige der Restrukturierungssache beim Restrukturierungsgericht einzureichen sind, entsprechende Informationen enthalten müssen. Der Planersteller muss im Rahmen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes auf potenzielle Risiken aufmerksam machen und darauf hinweisen, wenn und soweit noch weitere Forderungen geltend gemacht werden könnten. Auch der darstellende Teil nach § 7 StaRUG muss entsprechende Angaben enthalten. Der Geschäftsführer haftet dann nach § 43 Abs. 1 StaRUG, wenn er bei der Berechnung der Vergleichsszenarien die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. § 43 Abs. 1 StaRUG betont zudem, dass der Geschäftsleiter die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger – und nicht nur die der am Restrukturierungsverfahren teilnehmenden – beachten muss. Schließlich kann der Unsicherheit über die Höhe der Forderungen über einen Risikoabschlag auf den Fortführungswert Rechnung getragen werden. Dessen Ermittlung ist dann einzelfallabhängig.

321 Anders als im Insolvenzverfahren, wo der best interest test im Regelfall nur den Liquidationswert – und dort oft den Zerschlagungswert – absichert, liegt im best interest test im vorinsolvenzlichen Verfahren grundsätzlich ein sehr starker Gläubigerschutz, da nach § 6 Abs. 2 S. 2 StaRUG zunächst von Fortführungswerten auszugehen ist. Es kann daher nicht überzeugen, wenn bezweifelt wird, dass der best interest test im vorinsolvenzlichen Verfahren überhaupt ein taugliches Kriterium darstellt.664)

4.

Maßstab

a) Wirtschaftliche Betrachtung 322 Fraglich ist, was der Maßstab für eine Schlechterstellung ist. Es muss eine wirtschaftliche Betrachtung vorgenommen werden, denn der Restrukturierungsplan soll nur wirtschaftlich bestandsfähigen Unternehmen zur Überwindung ihrer Schwierigkeiten verhelfen (Erwägungsgrund Nr. 3 S. 5 RRL).665)

323 Wann eine wirtschaftliche Schlechterstellung durch den Plan gegeben ist, bedarf einer Einzelfallbetrachtung. Es bestehen regelmäßig keine Probleme, wenn der Plan eine ___________ 662) Brinkmann, NZI Beilage 1/2019, 27, 28. 663) Brinkmann, NZI Beilage 1/2019, 27, 28. 664) Kritisch Balz, in: Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 71, 85 ff., der sowohl den best interest test, die absolute Vorrangregel als auch den Cross-class Cram-down für nicht sinnvoll hält. 665) Skauradszun/Fridgen/Spahlinger, StaRUG, § 26 Rn. 17; Braun/Herzig, StaRUG, § 26 Rn. 11.

132

A. Der best interest test

Barzahlung oder zumindest ähnliche Auszahlungszeitpunkte an die betroffenen Gläubiger vorsieht. Probleme entstehen hingegen, wenn der Plan mangels liquider Mittel keine Barzahlung, sondern eine Zahlung aus den künftigen Erträgen vorsieht. Dem betroffenen Gläubiger kann dann die Möglichkeit entgehen, sein Geld anderweitig anzulegen. Aus diesem Grund ist, wie auch schon zuvor erläutert,666) eine Auszahlung eines Geldbetrages zu einem späteren Zeitpunkt weniger wert als eine Auszahlung zu einem früheren Zeitpunkt. Daher ist eine Auszahlung zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich durch einen geeigneten und der Laufzeit entsprechenden risikolosen Zinssatz aufzuzinsen.667) Hinzu kommt, dass eine in der Zukunft liegende Auszahlung unsicher ist – der Gläubiger kann nicht sicher sein, dass ihm der durch den Plan versprochene Betrag auch tatsächlich zufließen wird. Daher muss dem Risiko bei einer Stundung, die über den Zeitraum der gesicherten Finanzierung hinausgeht, durch einen entsprechenden Risikoabschlag Rechnung getragen werden.668) Problematisch ist, dass eine verzögerte Auszahlung aus Sicht des Gläubigers dazu 324 führen kann, dass er wegen der fehlenden Rückzahlung eigene Kredite nicht tilgen kann. Ihm entgeht dann nicht ein Wiederanlagezins, sondern er muss den möglicherweise teureren Kreditzins zahlen. In der Regel wird das dazu führen, dass der Gläubiger eine Zwischenfinanzierung aufnehmen muss. Es besteht dann die Frage, ob dem Gläubiger die durch die Zwischenfinanzierung entstehenden Zinsen, die er ohne den Plan nicht zahlen müsste, ersetzt werden müssen. Verallgemeinernd ist die Frage, ob persönliche Präferenzen ausgeblendet und eine rein objektive Betrachtung vorzunehmen ist oder ob subjektive Nachteile berücksichtigt werden sollen.669) Nach Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 RRL soll eine Beeinträchtigung eines Gläubigers nur bei einer Forderungskürzung vorliegen.670) Das legt nahe, dass individuelle Nachteile durch Stundungen und dadurch eventuell steigende Kosten des Gläubigers nicht berücksichtigt werden sollen. Die Richtlinie folgt damit offenbar dem Gedanken, dass die Insolvenz des Schuldners die Lieferkette mehr beeinträchtigen würde als verspätete Zahlungen an die Gläubiger. Das bedarf einer näheren Erörterung. ___________ 666) Vgl. Rn. 178 ff.; Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 44 ff. 667) Braun/Herzig, StaRUG, § 26 Rn. 11; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 17; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, InsO, § 245 Rn. 50 ff.; a. A. und nicht überzeugend Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 18. 668) Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 17; MüKo-InsO/Drukarczyk/Schüler, InsO, § 245 Rn. 50 ff.; Drukarczyk/Lobe, Finanzierung, 157 ff. 669) Dafür Jaeger/Kern, InsO, § 251 Rn. 30, 32 (zum Insolvenzplan); a. A. zum Insolvenzplan MüKoInsO/Drukarczyk/Schüler, InsO, § 245 Rn. 54; für eine objektive Betrachtung zum Restrukturierungsplan Morgen/Backes/Blankenburg, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rn. 35, die aber keine Begründung nennen. 670) Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 RRL: „Als Beeinträchtigung von Gläubigern sollte eine Kürzung ihrer Forderungen gelten.“

133

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

b) Time-value-of-money loss? 325 Nach Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 RRL soll ein Gläubiger nur „beeinträchtigt“ sein, wenn dessen Forderung gekürzt wird. Es stellt sich im Rahmen des best interest tests die Frage, ob das Nicht-Schlechterstehen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG wegen Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 der Richtlinie so auszulegen ist, dass stundungsbedingte Verzögerungen entschädigungslos hinzunehmen sind. In Anlehnung an Balz lässt sich eine entschädigungslose Stundung als „time-value-of-money loss“ bezeichnen.671) Zudem wird darauf verwiesen, dass durch die Stundung im Zuge von Abschreibungen auch Sicherheiten an Wert verlieren können und Ausgaben für die Teilnahme am Verfahren entstehen.672)

326 Gegen eine Bezugnahme von Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 RRL auf den best interest test sprechen systematische Erwägungen. Erwägungsgrund Nr. 54 RRL behandelt im Gesamtzusammenhang die Anzahl der zustimmungsbedürftigen Gruppen im Rahmen des gruppenübergreifenden Cram-downs. Systematisch gesehen wird damit eine Aussage zu den erforderlichen Mehrheiten gegeben. Der Erwägungsgrund behandelt nicht explizit die Berechnung des Minderheitenschutzes im Sinne des best interest tests. Der vorherige Satz, S. 4, dreht sich um den Fall, dass nur zwei Gruppen existieren. Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 RRL will anscheinend verhindern, dass ein Plan nur von einer Klasse angenommen wird, die selbst nur eine kurze Verzögerung der Auszahlung als Einbuße hinnehmen soll, während andere Klassen durch eine Kürzung der Ansprüche schwerer beeinträchtigt sind. Unklar bleibt, warum die Richtlinie an dieser Stelle das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot nicht als ausreichend ansieht.

327 Es erscheint insgesamt also bereits zweifelhaft, ob sich dieser Erwägungsgrund für die Auslegung des best interest tests heranziehen lässt. Abgesehen von Erwägungsgrund Nr. 54 S. 5 RRL besteht kein Hinweis, dass eine Einschränkung im oben genannten Sinne vorzunehmen ist. Man muss davon ausgehen, dass eine Entscheidung von solcher Tragweite nicht im letzten Satz eines Erwägungsgrundes geregelt werden soll, sondern dass sich dann auch ein entsprechender Hinweis im eigentlichen Richtlinientext finden ließe.

328 Im StaRUG – wie im Rahmen des insolvenzrechtlichen Obstruktionsverbots673) – ist es deshalb erforderlich, dass eine gestundete Forderung abzuzinsen ist, um die

___________ 671) Balz, in: Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 71, 74. Balz bezieht sich aber nicht auf den finalen Wortlaut der Richtlinie, sondern referiert allgemein zum best interest test. 672) Balz, in: Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 71, 74. 673) Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 21, 36; Andres/Leithaus/Andres, InsO, § 245 Rn. 5; Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 8; Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 245 Rn. 15; K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 245 Rn. 12; a. A. Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 18 f.

134

A. Der best interest test

Verzögerung auszugleichen.674) Auch sprechen die besseren Gründe dafür, dass einem Gläubiger auch individuelle Nachteile auszugleichen sind.675)

5.

Form der Geltendmachung

Nach der Konzeption des StaRUG muss das Gericht im Rahmen von § 26 Abs. 1 329 Nr. 1 StaRUG von Amts wegen tätig werden und prüfen, ob der ablehnenden Gruppe keine voraussichtliche Schlechterstellung droht. Generell statuiert das StaRUG in § 39 Abs. 1, dass das Gericht für die Restrukturierungssache relevante Tatsachen von Amts wegen ermitteln muss. Dem Plan ist ferner gem. § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG von Amts wegen die Bestätigung zu versagen, wenn wesentliche Vorschriften über die Annahme des Plans nicht beachtet wurden. Darunter wird man auch das Vorliegen der Voraussetzungen der Zustimmungsfiktion der §§ 26 – 28 StaRUG fassen müssen, da der Plan grundsätzlich von allen Gruppen (§ 25 Abs. 1 StaRUG) angenommen werden muss.676) Hingegen wird das Gericht im Rahmen des Minderheitenschutzes innerhalb der Gruppe nach § 64 Abs. 1 StaRUG nur auf Antrag des Betroffenen tätig.677) Zweifel an einer Ermittlung von Amts wegen im Rahmen von § 26 Abs. 1 Nr. 1 330 StaRUG ergeben sich jedoch mit Blick auf den Richtlinientext. Nach Art. 14 Abs. 1 lit. a) RRL prüft das Gericht eine Bewertung des Unternehmens nur dann, wenn der Restrukturierungsplan von einer ablehnenden betroffenen Partei wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Kriterium des Gläubigerinteresses (also gegen den best interest test) nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RRL beanstandet wird. Man könnte zunächst denken, dass der Gesetzgeber dieser Vorgabe mit § 64 Abs. 1 StaRUG gerecht wird, da das Kriterium dort nur auf Antrag geprüft wird. Der gruppenübergreifende Cram-down der Richtline verweist in Art. 11 Abs. 1 lit. a) RRL jedoch über Art. 10 Abs. 2 lit. d) RRL auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RRL. Das zeigt den Wunsch des Richtliniengebers, dass auch im Rahmen des gruppenübergreifenden Cram-downs eine Prüfung des best interest tests nur bei Beanstandung und damit auf Antrag erfolgen soll. Das legt explizit bezogen auf den best interest test auch Erwägungsgrund Nr. 50 S. 1 RRL nahe.678) Dieser lässt es zu, dass andere Bedingungen für die Bestätigung von Amts wegen geprüft werden können. Ähnlich äußert sich Erwägungsgrund Nr. 63 S. 1 RRL, aus dem man schließen könnte, dass alle bewertungsrelevanten Vorschrif___________ 674) 675) 676) 677)

Braun/Herzig, StaRUG, § 26 Rn. 11; Flöther/Knapp, StaRUG, § 26 Rn. 22. A. A. Flöther/Knapp, StaRUG, § 26 Rn. 8. Vgl. zum Insolvenzplan MüKo-InsO/Sinz, § 250 Rn. 36; Braun/Braun/Frank, InsO, § 250 Rn. 5. Nach Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 RRL soll das Kriterium des Gläubigerinteresses nur geprüft werden, wenn der Plan „beanstandet“ wird. 678) Erwägungsgrund Nr. 50 S. 1 RRL: „Obwohl die Erfüllung des Kriteriums des Gläubigerinteresses nur im Falle einer diesbezüglichen Beanstandung des Restrukturierungsplans von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde geprüft werden sollte, um zu vermeiden, dass in jedem Fall eine Bewertung erfolgt, sollten die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass andere Bedingungen für die Bestätigung von Amts wegen geprüft werden können.“

135

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

ten des gruppenübergreifenden Cram-downs (und damit auch die absolute/relative Vorrangregel) nur auf Antrag geprüft werden sollen.679)

331 Der zweite Fall, in dem gem. Art. 14 Abs. 1 lit. b) RRL eine Bewertung des Unternehmens vorgenommen werden soll, liegt in einem beanstandeten mutmaßlichen Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 lit. b) Ziffer ii) RRL. Hier besteht die Konstellation in der Prüfung, ob der Plan von einer einzigen Klasse angenommen wurde, die bei Anwendung der Liquidationsprioritäten noch eine Zahlung erhalten würde („in-themoney“). Das betrifft die für die Annahme erforderlichen Mehrheiten, sodass aus dieser Vorgabe der Richtlinie der § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG hervorgegangen sein dürfte – was die Gesetzesbegründung aber nicht explizit sagt. Daraus könnte man wiederum schließen, dass dann auch eine Bewertung des § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG vom Amts wegen erfolgen kann, weil dieser für das Vorliegen der Zustimmungsfiktion und damit für die Annahme des Plans relevant ist. Es liegt aber dann fern, darunter die Voraussetzungen des best interest tests zu fassen, wenn die Richtlinie diesen Punkt schon explizit in Art. 14 Abs. 1 lit. a) RRL abgehandelt hat. Die Richtlinie will den zweiten Fall der Bewertung nach Art. 11 Abs. 1 lit. b) Ziffer ii) RRL explizit auch nur dann vornehmen, wenn nur eine Klasse den Plan annimmt, was im StaRUG gem. § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG eigentlich nicht vorgesehen ist. Im StaRUG muss grundsätzlich die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt haben. Eine Ausnahme gibt es nur dann, wenn lediglich zwei Gruppen gebildet wurden (§ 26 Abs. 1 Nr. 3 Var. 2 StaRUG). Zwar erlaubt Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 RRL eine Erhöhung der Anzahl der für die Annahme erforderlichen Gruppen nach Art. 11 Abs. 1 lit. b) Ziffer ii) RRL, die nach der Anwendung der normalen Rangfolge der Liquidationsprioritäten eine Zahlung erhalten würden. Es besteht aber ein Unterschied, ob das Gericht prüft, ob man im Alternativszenario eine Zahlung erhalten würde oder ob keine Schlechterstellung erfolgt. Die Richtlinie verweist damit gerade nicht allgemein auf den gruppenübergreifenden Cram-down, sondern auf die Sonderkonstellation, dass eine Annahme durch eine oder mehrere Gruppen ausreichend ist, die überhaupt eine Beteiligung erhalten würden.

332 Die Vorgaben der Richtlinie wirken an dieser Stelle wie ein nicht ganz durchdachter Versuch, das im Rahmen der absoluten Vorrangregel identifizierte Problem der Unternehmensbewertung dadurch zu umgehen, dass diese einfach weggelassen wird und eine Prüfung nur auf Antrag im Rahmen des best interest tests erfolgen soll.

333 Das führt zu der contra-intuitiven Folge, dass der Richter das Merkmal der voraussichtlichen Schlechterstellung nicht prüfen darf oder jedenfalls den Plan nicht von Amts wegen ablehnen darf, sobald er einen Verstoß gegen das Merkmal der voraus___________ 679) Erwägungsgrund Nr. 63 S. 1 RRL: „Die Justiz- oder Verwaltungsbehörden sollten nur dann über die Ermittlung des Wertes eines Unternehmens – entweder in der Liquidation oder im nächstbesten Alternativszenario, wenn der Restrukturierungsplan nicht bestätigt wurde – entscheiden, wenn eine ablehnende betroffene Partei den Restrukturierungsplan beanstandet.“

136

A. Der best interest test

sichtlichen Schlechterstellung feststellt, sondern erst dann, wenn ein entsprechender Schutz beantragt wird. Es entstehen dadurch indes keine gravierenden Rechtsschutzlücken, da die ablehnende Gruppe trotzdem noch den Minderheitenschutz des § 64 Abs. 1 StaRUG geltend machen kann. Es handelt sich aber gleichwohl um eine Hürde zu Lasten der ablehnenden Gläubiger, da diese gem. § 64 Abs. 2 S. 1 StaRUG spätestens im Abstimmungstermin eine voraussichtliche Schlechterstellung glaubhaft machen müssen. So entsteht der faktische Zwang für eine Gruppe, gut vorbereitet in die Abstimmung zu gehen, weil spätestens dort die Glaubhaftmachung erfolgen muss. Das ist besonders misslich, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist, ob der Plan insgesamt von der erforderlichen Mehrheit der Abstimmungsgruppen angenommen wird. Ist das nicht der Fall, erfolgt die Vorbereitung der ablehnenden Gläubiger umsonst.

6.

Liquidationspriorität statt Liquidationswert

Weiterhin soll der Fokus auf ein Problem gelenkt werden, welches sich aus dem 334 Wortlaut der Richtlinie ergibt. Die Intention hinter dem best interest test liegt in der Sicherstellung des bestehenden Wertes der Forderung eines jeden Gläubigers. Nimmt man den Wortlaut der Norm genau, so ergibt sich eine Auslegungsmöglichkeit, nach welcher der Anspruch eben nicht an einen bestimmten Mindestwert gekoppelt ist, sondern der Mindestwert durch eine entsprechende Gestaltung im Plan willentlich umgangen werden kann. Sodann ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie abweichend von ihrem Wortlaut ins nationale Recht umsetzen darf. Im Folgenden soll das Problem illustriert und dann die hinter der Änderung des Wortlauts der Richtlinie stehende Problematik erläutert werden.

a) Wortlaut Das „Kriterium des Gläubigerinteresses“ besagt dabei in der Legaldefinition des 335 Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RRL folgendes: Der ablehnende Gläubiger darf nicht schlechter gestellt werden als bei der Anwendung der normalen Rangfolge der Liquidationsprioritäten.680) Problematisch ist, dass die Rangfolge der Prioritäten nicht mit der Liquidationsquote gleichzusetzen ist. Die Priorität sagt etwas über die Befriedigungsreihenfolge aus, nicht aber über die Befriedigungshöhe. Bildlich ausgedrückt lässt sich die Definition so auslegen, dass jeder in der gleichen Reihenfolge ein Stück vom Kuchen bekommt, aber das Stück kleiner geschnitten werden darf. Es wäre theoretisch möglich, die Quote zu Lasten einzelner (oder sogar aller) Gläubiger zu reduzieren. Die Rangfolge der Liquidationsprioritäten bliebe dann nach wie vor gleich, trotzdem erhielten alle Gläubiger weniger.

___________ 680) Unpräzise daher Morgen/Backes/Blankenburg, Präventive Restrukturierung, Art. 10 Rn. 34 ff.

137

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

336 Den Wortlaut anders auszulegen und die Rangfolge der Befriedigung mit der Höhe gleichzusetzen, erscheint nicht überzeugend. Schon der Fall, in welchem ein Grundpfandrecht eine Forderung nicht in voller Höhe sichert, zeigt, dass eine saubere Trennung angezeigt ist. Im alten Richtlinientext stellte die Legaldefinition in Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie noch darauf ab, dass kein Gläubiger schlechter gestellt werden dürfe als im Falle der Liquidation.681) Die Regelung der finalen Fassung der Richtlinie erscheint zu weitgehend, denn selbst in der Insolvenz verliert der Gläubiger nicht das Recht, in der Höhe des Nominalwertes seiner Forderung befriedigt zu werden (Arg. §§ 199, 201 InsO682)). Überträgt man den Gedanken des Werterhaltungsprinzips auf diesen Fall, so wäre dieses nicht gewahrt.

b) Abweichende Umsetzung in nationales Recht 337 Fraglich ist in einem zweiten Schritt, ob der nationale Gesetzgeber den Wortlaut der Richtline entsprechend der alten Formulierung anpassen dürfte. Mit anderen Worten: Darf das StaRUG auf den im Alternativszenario realisierbaren Wert oder nur auf die dortige Verteilungsreihenfolge abstellen?

338 Richtlinien sind in der Regelungsmechanik des Europarechts nur hinsichtlich ihres Ziels, nicht aber in ihrer Art und in den Mitteln ihrer Umsetzung verbindlich.683) Eine Umsetzungsfreiheit wird dabei maßgeblich durch den Detailgrad der Richtlinie vorgegeben. Eine Durchführungsautonomie besteht dabei nur hinsichtlich der Maßgabe der konkreten Richtlinie.684) Bei detailliert formulierten Richtlinien kann sich die Umsetzungsfreiheit auf einen rein formalen Spielraum ohne inhaltliche Bedeutung reduzieren.685) Der Rechtsgehalt der Richtlinie, nicht aber zwangsläufig der genaue Wortlaut, muss sich inhaltsgleich im nationalen Recht wiederfinden.686)

339 Problematisch ist, dass der Gesetzgeber mit einer abweichenden Umsetzung des Kriteriums damit möglicherweise negativ zu Lasten der Schuldner vom Wortlaut ab___________ 681) Vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, COM(2016) 723 final. 682) Das Bundesverfassungsgericht sieht das ebenfalls so, betont aber zu Recht, dass die Forderung in diesem Fall keinen wirtschaftlichen Wert mehr hat. Zwar bestünde ein Nachforderungsrecht, doch wenn die Gesellschaft nach der Abwicklung gelöscht wird, ist die Forderung nicht mehr durchsetzbar, vgl. BVerfGE 92, 262, 272. 683) S. einmal mehr Callies/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 23; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU, 68. EL Oktober 2019, AEUV Art. 288 Rn. 112. 684) Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 288 Rn. 74. 685) S. einmal mehr Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 288 Rn. 74; Callies/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 25. 686) S. einmal mehr Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU, 68. EL Oktober 2019, AEUV Art. 288 Rn. 120.

138

A. Der best interest test

weichen würde. Demnach ist eine Umsetzung in nationales Recht abweichend vom Wortlaut des Richtlinienentwurfs nur möglich, wenn sich innerhalb der Richtlinie Anhaltspunkte finden lassen, dass eine andere Umsetzung ebenfalls dem Willen der Richtlinie entspricht. Gegen eine angleichende Interpretation der Richtlinie im Sinne des Wortlauts der 340 Vorgängerversion sprechen vornehmlich der Wortlaut und die Semantik der Definition. Der zweite Halbsatz der Definition, welcher auf die Liquidation oder das nächstbeste Alternativszenario hinweist, bezieht sich auf die Vergleichsszenarien und besagt gerade nicht, dass der Liquidationserlös auch die Untergrenze dessen sein soll, was der jeweils dissentierende Planbetroffene als Mindestwert erhalten soll. Auch in Erwägungsgrund Nr. 54 RRL wird die Formulierung verwendet, welche die Legaldefinition des Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie verwendet. Das spricht dafür, dass die Richtlinie auch präzise diese Formulierung implementieren wollte. Auf der anderen Seite finden sich auch Anhaltspunkte dafür, dass der europäische 341 Gesetzgeber nicht vom Telos der alten Formulierung abweichen wollte. Die Erwägungsgründe der Richtlinie verwenden im Zusammenhang mit dem best interest test uneinheitliche Formulierungen. In Erwägungsgrund Nr. 52 wird die Formulierung verwendet, welche auch in der alten Version der Richtlinie zu finden war und damit auf den Liquidationswert hinweist. Dies erscheint darum gewichtig, weil Erwägungsgrund Nr. 52 den zu Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RRL korrespondierenden Erwägungsgrund darstellt. Das ergibt sich daraus, dass der Wortlaut des Erwägungsgrundes exakt derselbe ist wie in der Vorgängerversion. Dort waren die Erwägungsgründe noch deutlich weniger als in der jetzigen Version und dementsprechend klarer dem jeweiligen Artikel zuzuordnen. Zwar könnte man argumentieren, dass der Gesetzgeber offenbar nur vergessen hat, den Wortlaut entsprechend dem neuen Richtlinientext anzupassen. Die Gesetzgebungsmaterialien sprechen aber ebenfalls dafür, dass der europäische 342 Gesetzgeber vom Telos der alten Formulierung nicht abweichen wollte. Es zeigt sich, dass die Kommission den Gesetzestext offenbar nur aus Klarstellungsgründen ändern wollte. Dort äußert sich die Kommission unter der Überschrift „technical issues“ wie folgt: „The Commissions [sic!] notes (regrettably late) a possible drafting issue in the text. As it is drafted, it is not clear that the order of priorities will have to apply also when MS chose the ‚next best alternative scenario‘. Or, the same ranking would need to apply even in those cases, to ensure predictability of outcomes. A possible drafting could be: (9) ‚best-interest-of-creditors test‘ means that no dissenting creditor would be worse off under the restructuring plan than such a creditor would be if the normal ranking of liquidation priorities under national law were applied either in the event of liquidation, whether piecemeal or sale as a going concern, or in the event of the next best alternative scenario if the restructuring plan was not confirmed;

139

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel If MS agree with this explanation, the change could also be made later, with lawyer linguists“.687)

343 Das Ziel war der Änderungen war demnach, dass die Liquidationsprioritäten auch im nächstbesten Alternativszenario angewandt werden sollten. Offenbar sollte der Kerngedanke der vorherigen Version und damit der Schutz des Liquidationswertes nicht angetastet werden. Auch wenn der EuGH generell der historischen Auslegung wenig Gewicht beimisst, so kann nach dem Quelle-Urteil des EuGH eine Berücksichtigung von Anmerkungen in Protokollen zumindest dann erfolgen, wenn diese sich im Gesetzestext selbst widerspiegeln.688) Das ist hier der Fall, der Gesetzeswortlaut des Vorschlags der Kommission deckt sich mit der Endfassung.

344 Schließlich spricht gegen eine strikt am Wortlaut orientierte Auslegung des Kriteriums des Gläubigerinteresses, dass das Kriterium einen Schutz zugunsten der ablehnenden Gruppe installieren soll. Das Merkmal des Gläubigerinteresses steht dabei neben der Vorrangregel und muss demzufolge teleologisch gesehen einen eigenen Schutzgehalt haben. Da die Vorrangregel sich nur um die Verteilung des Reorganisationsmehrwerts dreht, muss der Schutzgehalt durch den best interest test eine gewisse Untergrenze bieten. Das ist aber nicht gegeben, wenn nur die Liquidationsprioritäten eingehalten werden müssen, denn dann kann der Mindestwert, den jede Gruppe erhalten muss, beinahe beliebig abgesenkt werden. Das spricht demnach gegen eine wörtliche, enge Interpretation des Begriffs der Liquidationsprioritäten.

c)

Zusammenfassung

345 Zusammenfassend sind nach dem Wortlaut der Richtlinie im best interest test nur die Liquidationsprioritäten einzuhalten. Der Wortlaut ist aber so auszulegen, dass einem ablehnenden Gläubiger zumindest auch der Liquidationswert zugestanden werden muss. Für diese Auslegung sprechen teleologische und systematische Gründe. Im Rahmen des best interest tests bildet der Wert, der auch in einer Liquidation oder im nächstbesten Alternativszenario erzielt würde, die einzuhaltende Mindestgrenze zugunsten einer ablehnenden Gläubigergruppe. Aus der Auslegung des Richtlinienwortlauts ergibt sich zugleich, dass § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG, entsprechend der schon aus § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO bekannten Mechanik, als Werterhaltungsprinzip fungiert.

II. Der best interest test im Insolvenzverfahren 346 Der best interest test ist auch Teil des insolvenzrechtlichen Obstruktionsverbots, § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Abweichungen zum StaRUG-Verfahren ergeben sich insoweit, als für das nächstbeste Alternativszenario nicht gem. § 6 Abs. 2 S. 2 StaRUG ___________ 687) Vgl. WK 15289/2018 INIT, 2016/0359(COD) v. 7.12.2018, 12. 688) EuGH, Rs. C-404/06, Slg. 2008, I-2685, Rn. 32 (Quelle); EuGH, Rs. C-402/03, Slg. 2006, I-199, Rn. 42 (Skov und Bilka); EuGH, Rs. C-292/89, Slg. 1991, I-745, Rn. 18 (Antonissen).

140

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen ist. Im Insolvenzverfahren sind daher grundsätzlich Liquidationswerte zugrunde zu legen.689)

B. Gehalt der relativen Vorrangregel Die Betrachtung soll sich nun der relativen Vorrangregel zuwenden. Das StaRUG 347 implementiert eine im Vergleich zur alten Fassung der Insolvenzordnung weniger strenge Version der absoluten Vorrangregel. Der Gesetzgeber sorgt damit grundlegend für eine Parallelität mit der Insolvenzordnung, welche für die Überstimmung einer ganzen Gruppe im Rahmen eines Insolvenzplans im Insolvenzverfahren ebenfalls die absolute Vorrangregel vorsieht. Vergleicht man den Richtlinientext mit dem deutschen Umsetzungsakt der Richtlinie, so zeigt sich, dass der deutsche Gesetzgeber von einer Öffnungsklausel in Art. 11 Abs. 2 RRL Gebrauch gemacht hat und von der in der Richtlinie präferierten Umsetzungsvariante abgewichen ist. Diese Abweichung von der Richtlinie lässt sich hinterfragen. Die Bedeutung der relativen Vorrangregel ist mit der Entscheidung des StaRUG zu Gunsten der absoluten Vorrangregel in den Hintergrund getreten. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers ist indes nicht in Stein gemeißelt. Es besteht die Option, dass der Gesetzgeber sich von der absoluten Vorrangregel abwendet und doch die relative Vorrangregel einführt. Auch hat der vergleichende Blick in das US-amerikanische Recht gezeigt, dass die absolute Vorrangregel von einigen Stimmen in der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung als sakrosankt und von anderen Stimmen als verfehlt angesehen wird. Es lässt sich also die Frage aufwerfen, ob der deutsche Gesetzgeber mit der Umsetzung der absoluten Vorrangregel gut beraten war oder ob die relative Vorrangregel nicht vielleicht ein vorzugswürdigeres Konzept gewesen wäre. Gleichzeitig ist die Frage von Bedeutung, wenn andere Staaten die vom Richtliniengeber vorgeschlagene relative Vorrangregel umsetzen. Die Erkenntnisse aus der Wirkungsweise der relativen Vorrangregel und ihrer Handlungsanreize lassen sich, wie beispielsweise auch die der institutionellen Haftungsbeschränkung, bis zu einem gewissen Grad abstrahieren. Es soll an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die relative Vor- 348 rangregel in einem engen Verhältnis zum best intest test steht. Beide Regeln – best interest test und die relative Vorrangregel – stehen in einem Wechselverhältnis zueinander. Sie ergänzen sich und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden, weil ersterer den bestehenden Wert des Anspruchs absichert und letztere nur die Verteilung des Reorganisationsmehrwertes regelt.

___________ 689) LG Stade, BeckRS 2017, 152563 Rn. 12; Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 3; BeckOKInsO/Geiwitz/von Danckelmann, § 245 Rn. 4; Andres/Leithaus/Andres, InsO, § 245 Rn. 3.

141

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

I.

Materiell-rechtliche Aspekte

349 Die Richtlinie normiert in Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL die europäische relative Vorrangregel. Danach darf ein Restrukturierungsplan nur bestätigt werden, wenn er sicherstellt, dass ablehnende Abstimmungsgruppen betroffener Gläubiger mindestens ebenso wie andere gleichrangige Gruppen und besser als alle nachrangigen Gruppen gestellt werden. Ersichtlich wird zunächst, dass die Regelung aus zwei Teilen besteht. Der erste Halbsatz ordnet eine gruppenübergreifende Gleichbehandlung gleichrangiger Planbetroffener an. Diese Regelung findet sich § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG und § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Damit wird der eigentlich nur gruppenintern geltende Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 10 Abs. 1 StaRUG, § 226 Abs. 1 InsO) auch zu Gunsten der überstimmten Gruppe erweitert. Der zweite Halbsatz normiert die eigentliche relative Vorrangregel. Wenn im Folgenden von der „relativen Vorrangregel“ die Rede ist, dann ist damit das Merkmal der „Besserstellung“ des Art. 11 Abs. 1 lit. c) Var. 2 RRL gemeint. Erkennen lässt sich weiterhin, dass die relative Vorrangregel, genau wie die absolute Vorrangregel, nur zu Gunsten der ablehnenden Abstimmungsgruppen gewahrt sein muss. Auf die Untergrenze kommt es nicht an, wenn innerhalb einer Abstimmungsgruppe mehrheitlich für den Plan gestimmt wird. Eine ablehnende Minderheit einer mehrheitlich zustimmenden Gruppe könnte sich demnach nicht auf die relative Vorrangregel berufen, sondern müsste sich auf den Minderheitenschutz durch den best interest test nach § 64 Abs. 1 StaRUG verweisen lassen.

350 Es wurde eingangs bereits dargelegt, was unter dem Begriff des „Rangs“ im vorinsolvenzlichen Verfahren zu verstehen ist.690) Geklärt werden muss weiterhin, was genau unter dem Begriff der „Besserstellung“ zu verstehen ist. Dieser wird vom Richtliniengeber nicht explizit definiert. Im Folgenden soll daher versucht werden, den Begriff näher zu konkretisieren.

1.

Besserstellung

351 Die Richtlinie verwendet bei der Formulierung der relativen Vorrangregel in Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL den Begriff der „Besserstellung“. Dieser Begriff wird von der Richtlinie nicht definiert. Er ist daher nach dem Wortlaut, Telos und seiner systematischen Stellung auszulegen.

a) Zielrichtung der relativen Vorrangregel 352 Der Begriff der Besserstellung ist im deutschen Recht bereits aus § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO bekannt und findet sich auch in § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG. Dort soll das Merkmal aber für eine gruppenübergreifende wirtschaftliche Gleichbehandlung der ablehnenden Gruppen mit anderen, gleichrangigen Gruppen sorgen. Der Art. 11 ___________ 690) Vgl. Rn. 22 ff.

142

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Abs. 1 lit. c) RRL zielt in eine gänzlich andere Richtung, nämlich die Besserstellung ranghöherer Gruppen. Sinn und Zweck der relativen Vorrangregel liegt zunächst darin, neben dem best interest test ein weiteres Schutzkriterium zur Verfügung zu stellen, welches zugunsten einer ablehnenden Gruppe einzuhalten ist. Das geht schon aus der Formulierung von Art. 11 Abs. 1 RRL hervor und wird auch in Erwägungsgrund Nr. 55 S. 1 und S. 2 RRL deutlich hervorgehoben. Danach sollen die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass ablehnende Klassen betroffener Gläubiger durch den Plan nicht unangemessen beeinträchtigt werden. Wie auch die absolute Vorrangregel soll die relative Vorrangregel den Reorganisationsmehrwert verteilen, also den Betrag, der durch die Reorganisation im Vergleich zu einer Betrachtung ohne die Reorganisation gewonnen wird.691) Die relative Vorrangregel geht insoweit in ihrer Bedeutung über den Schutz des best interest tests hinaus, denn letzterer sichert nur den Wert der existierenden Ansprüche. Die relative Vorrangregel wird also nur dann überhaupt relevant, wenn nicht alle Gläubiger eines Unternehmens voll befriedigt werden können. Würden alle Gläubiger vollständig befriedigt werden, so stellte sich die Frage nicht, an wen die Werte in welcher Höhe zu verteilen sind, sie würden immer dem Schuldner bzw. den am Schuldner beteiligten Personen zugutekommen. Wie die Richtliniengeschichte zeigt (dazu sogleich), stand hinter der Einführung der relativen Vorrangregel der Gedanke, dem Planarchitekten die nötige Flexibilität zu gewähren, die ihm unter der absoluten Vorrangregel nicht zusteht; er soll also zunächst einen Gläubiger nicht vollständig befriedigen müssen, bevor ein im Rang unter ihm Stehender einen Wert erhält. Weiterhin wurde die relative Vorrangregel bewusst als Gegenentwurf zur absoluten Vorrangregel vom Richtliniengeber geschaffen. Die relative Vorrangregel soll dann das Rangverhältnis auch im Verhältnis zum Reorganisationsmehrwert berücksichtigen. Inwieweit das der Fall sein muss, wurde vom Richtliniengeber offengelassen.

b) Wortlaut Aus dem Wortlaut „Besserstellung“ lässt sich nicht ableiten, ob nur die Quote der 353 im Rang höherstehenden Gläubiger besser sein muss oder ob auch deren absolute Verluste geringer sein müssen. Die Quote ist die Differenz zwischen dem Nominalwert der Forderung des Gläubigers gegen die Gesellschaft und dem, was der Gläubiger laut Plan weniger erhalten soll.692) Rein vom Wortlaut her ist eine Auslegung der relativen Vorrangregel dergestalt möglich, dass die höherrangigen Gläubiger nur in absoluten Zahlen mehr erhalten müssen.693) Relativ ist der Vorrang der Gläubiger dann nur dergestalt, dass sie nicht mehr vollständig zu befriedigen sind, bevor die im Rang darunter stehende Gruppe einen Wert erhält. Eine solche Auslegung liegt ___________ 691) Vgl. auch Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 3. 692) Häsemeyer, InsR, 47 Rn. 2.33; vgl. auch Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019. 693) So de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 18 (2019).

143

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

bereits deshalb fern, weil die Richtlinie ansonsten auf eine quotale Befriedigung abstellt, vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. b) RRL. Eine „Besserstellung“ in Form der Zahlung „eines Euros mehr“ an einen höherrangigen Gläubiger passt demnach nicht. Ansonsten könnte der Plan – treibt man den Gedanken auf die Spitze – auch zwei Parteien gleichviel auszahlen und sich mathematisch gesehen auf die Rundung der Nachkommastellen berufen. Das kann nicht ernsthaft gemeint sein.

354 Aus dem Wortlaut lässt sich nicht herleiten, ob eventuell variierende Zinssätze, welche die Beteiligten privatautonom ausgehandelt haben, bei der Rechnung zu berücksichtigen sind. Eine Besserstellung läge rein vom Wortlaut her auch dann vor, wenn ein geringerer Zinssatz, den sich ein Inhaber einer Absonderungsanwartschaft gerade wegen seiner Sicherung und des damit korrespondierenden geringeren Ausfallrisikos im Vorfeld der Insolvenz hat einräumen lassen, unberücksichtigt bliebe. An einem Beispiel illustriert: Ein Gläubiger, welcher mit seiner Forderung nach dem Plan zu 80 % befriedigt wird, wäre bessergestellt als ein nachrangiger Gläubiger (etwa ein Mezzanine-Kapitalgeber), der nach dem Plan nur zu 79 % Befriedigung erhält.694) Aus dem Wortlaut lässt sich hier keine zwingende Folgerung ableiten, es lassen sich aber möglicherweise aus dem Vergleich zu anderen Schutzkriterien nähere Vorgaben ableiten.

c)

Wirtschaftliche Besserstellung

355 Im Rahmen des best interest tests muss, wie dargelegt, auf eine wirtschaftliche Betrachtung abgestellt werden. Es liegt also nahe, dass die relative Vorrangregel davon nicht abweichen will, sondern dieses Schutzkriterium nur bezogen auf den Reorganisationsmehrwert erweitern möchte. Diese Betrachtung fügt sich im Verhältnis zu den anderen Schutzkriterien harmonisch ein. Es ist daher auch im Rahmen der Besserstellung eine wirtschaftliche Betrachtungsweise einzunehmen.

356 Der im Rang höherstehende Gläubiger darf demnach nicht genauso viel erhalten wie ein ihm nachrangiger Gläubiger oder Anteilseigner, sondern muss in wirtschaftlicher Sicht besserstehen. Oft wird es ausreichen, wenn die Quote des Gläubigers höher ist als die seiner Vergleichsgruppe.695) Das gilt zumindest dann, wenn der Plan ähnliche Auszahlungszeitpunkte für die Planbetroffenen vorsieht. Übersetzt man das formelartig, so müssen die einfachen Restrukturierungsgläubiger auf ihre Forderung einen Wert von x % erhalten, die nachrangigen Restrukturierungsgläubiger den Wert von y % und die Anteilseigner den Betrag z, wobei gilt, dass wirtschaftlich gesehen x > y und y > z sein muss.696) ___________ 694) Vgl. de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 18 (2019). 695) Zur Restrukturierungsrichtlinie: Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 5, Beispiel 7; Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019; vgl. etwa zum Insolvenzplan LG Göttingen, NZI 2005, 41. 696) Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 5, Beispiel 7.

144

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Problematisch wird das – wie im Rahmen des best interest tests dargelegt –, wenn 357 der Plan für die Gruppen unterschiedliche Auszahlungszeiten oder Stundungen vorsieht. Ist das der Fall, so sind die Beträge entsprechend abzuzinsen und entsprechende Barwerte zu vergleichen. Hier gelten die schon im Rahmen des best interest tests erörterten Grundsätze. Das Merkmal der Besserstellung lässt sich aber möglicherweise noch weiter eingrenzen und präziser bestimmen.

d) Höhere Partizipation am Reorganisationsmehrwert Fraglich ist, ob die oben genannte Formel der Besserstellung die einzige Begrenzung 358 bei der Verteilung des Reorganisationsmehrwerts ist. Das Merkmal der Besserstellung impliziert zunächst, dass ein im Rang höherstehender Gläubiger auch nach der Verteilung des Reorganisationswertes insgesamt noch wirtschaftlich bessergestellt werden muss. Man könnte also darauf schließen, dass der Reorganisationsmehrwert frei verteilbar ist, sofern ein Beteiligter insgesamt nicht mit mehr Werten aus dem Reorganisationsverfahren hervorgeht als ein im Rang höherstehender Beteiligter.697) Anders formuliert muss die obige Formel x > y und y > z auch nach der Verteilung des Reorganisationsmehrwertes noch bestehen. Eine andere Auslegungsmöglichkeit wäre, dass der höherrangige Gläubiger auch bei der Verteilung des Reorganisationsmehrwerts bessergestellt werden muss, er also mehr vom Reorganisationsmehrwert vereinnahmen darf als ein rangniedrigerer Gläubiger. Dies lässt sich an einem einfachen Rechenbeispiel illustrieren: Die Gruppe der In- 359 haber von Absonderungsanwartschaften, der einfachen Restrukturierungsgläubiger und der nachrangigen Restrukturierungsgläubiger haben jeweils Forderungen im Wert von 100 Euro. Der realisierbare Wert im nächstbesten Alternativszenario sei eine übertragende Sanierung, bei der das Unternehmen für 190 Euro verkauft werden könnte. Die Gruppe der Inhaber von Absonderungsanwartschaften erhielte im Alternativszenario einen Wert von 100 Euro, die Gruppe der einfachen Restrukturierungsgläubiger 90 Euro, während die Gruppe der nachrangigen Restrukturierungsgläubiger und die Anteilseigner nichts erhalten würden.698) Der best interest test stellt jeweils sicher, dass den Planbetroffenen dieser Wert mindestens zusteht. Der Reorganisationswert möge 20 Euro sein, sodass das Unternehmen im Reorganisationsfall 210 Euro wert wäre. Vereinfachend sei anzunehmen, dass alle Forderungen denselben Auszahlungszeitpunkt haben, sodass die Quote miteinander verglichen werden kann. Die Frage der Verteilung dieser 20 unterliegt der relativen Vorrangregel. ___________ 697) Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 5 Beispiel 7. 698) Verfehlt wäre die Annahme, das Unternehmen müsste in diesem Beispiel bereits zwingend insolvent sein, weil nicht alle Gläubiger zu 100 % befriedigt werden. Im Überschuldungstatus würden nachrangige Forderungen nach §§ 19 Abs. 2 S. 2, 39 Abs. 2 InsO nicht berücksichtigt und das Unternehmen könnte ferner innerhalb der anzustellenden Fortbestehensprognose gem. § 19 Abs. 2 InsO positive Aussichten haben.

145

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

Beispiel 1: Eine Verteilung des Reorganisationsmehrwertes ist vollständig an tiefergehende Ränge möglich. Die einzige Begrenzung ist, dass jeder Beteiligte insgesamt eine höhere Quote erhalten muss als ein im Rang unter ihm stehender Beteiligter. Möglich wäre also eine Verteilung, bei der die gesicherten Gläubiger 100 Euro, die einfachen Restrukturierungsgläubiger 90 Euro, die nachrangigen Restrukturierungsgläubiger 15 Euro und die Anteilseigner 5 Euro erhalten. Nach dieser Auslegung dürften die Anteilseigner beispielsweise nur nicht mehr als 14,99 Euro bekommen, weil sie sonst auf einer Stufe mit den nachrangigen Restrukturierungsgläubigern stünden. Die einfachen Restrukturierungsgläubiger haben in diesem Beispiel nicht am Reorganisationsmehrwert partizipiert, würden aber bessergestellt, weil sie auch nach der Verteilung des Reorganisationswertes eine höhere Quote erhalten als die nachrangigen Gläubiger.

360 Eine andere Auslegungsmöglichkeit wäre, dass die im Rang höherstehenden Gläubiger nicht nur mit einer höheren Quote aus dem Reorganisationsverfahren gehen, sondern auch in größerem Maße am Reorganisationsmehrwert partizipieren müssen. Beispiel 2: Auch bei der Verteilung des Reorganisationsmehrwerts müssen ranghöhere Gläubiger besser als rangniedrigere Gläubiger gestellt werden. Die Ausgangslage sei die gleiche wie im obigen Beispiel. Die Inhaber der Absonderungsanwartschaften erhalten 100 Euro, die einfachen Restrukturierungsgläubiger 98 Euro, die nachrangigen Restrukturierungsgläubiger 7 Euro und die Anteilseigner 5 Euro. Die einfachen Restrukturierungsgläubiger erhalten also vom Reorganisationsmehrwert 8 Euro, die nachrangigen Gläubiger 7 Euro und die Anteilseigener 5 Euro (8 + 7 + 5 = 20). In diesem Beispiel müssten die einfachen Restrukturierungsgläubiger ebenfalls am Reorganisationsmehrwert beteiligt werden, weil sie mit ihrer Forderung noch nicht vollständig befriedigt wurden.

361 Folgt man der ersten Auslegung, dann ist die Konsequenz, dass die Verteilung des Reorganisationsmehrwerts der Höhe nach durch den best interest test begrenzt wird, denn dieser sichert jedem ablehnenden Gläubiger den Wert seines bestehenden Anspruchs zu. Der best interest test wäre dann die Untergrenze im Sinne eines Mindestwertes und derselbe Wert wäre die Obergrenze im Sinne der relativen Vorrangregel für die im Rang tieferstehende Gruppe. Die relative Vorrangregel wäre dann gewissermaßen ausschließlich eine Art Fairnesstest699), der verhindert, dass ein rangniedrigerer Planbetroffener insgesamt bessergestellt wird. Das würde den eigenen Schutzgehalt der relativen Vorrangregelung eher gering belassen. Da die relative Vorrangregel bewusst als Gegenentwurf zur absoluten Vorrangregel entworfen und letztere ___________ 699) Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 5; ebenso Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 8.

146

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

in ihrer Wirkung nicht vollständig ausgehebelt, sondern eher abgeschwächt werden sollte, kann man annehmen, dass sie zumindest den Kern des Vorranggedankens beibehalten sollte. Der Gedanke der Vorrangregelung ist aber, dass auch der Mehrwert entlang der Rangfolge verteilt wird. Das gilt unabhängig davon, ob die Verteilung relativ oder absolut erfolgt. Insofern liegt es näher, die ranghöheren Gläubiger in größerem Umfang am Reorganisationsmehrwert zu beteiligen. Hiergegen lässt sich einwenden, dass es unsinnig wäre, den Sanierungsbeitrag der 362 Gläubiger wieder an die Gläubiger zu verteilen. Das überzeugt jedoch nicht, denn es liegt näher, dem höheren Rang der Planbetroffenen dadurch Geltung zu verschaffen, dass diese durch die Reorganisation weniger Verluste erleiden sollen als rangniedrigere Gläubiger. Auch ist zu berücksichtigten, dass der Sanierungseffekt oft nicht unmittelbar, sondern erst nach einigen Wochen, Monaten oder gar Jahren eintreten wird. Abhängig ist das vor allem von dem Stand des Unternehmens und der Reichweite der Maßnahmen. Die Sanierungsbeiträge dienen dann der kurzfristigen Schaffung von Liquidität, indem beispielsweise Zinslasten gesenkt und Sicherheiten freigegeben werden, welche dann zur erneuten Besicherung von Sanierungskrediten dienen können. Richtig ist, dass eine freie Verteilbarkeit des Reorganisationsmehrwerts dem Plan- 363 architekten eine größere Flexibilität gewährleisten würde. Die Genese der relativen Vorrangregel hat gezeigt, dass das Hauptargument gegen die absolute Vorrangregel deren fehlende Flexibilität war. Das würde für die erste Auslegung sprechen. Der Sinn und Zweck und die systematische Stellung neben dem best interest test sprechen hingegen eher dafür, der relativen Vorrangregel einen eigenen Schutzgehalt zu gewähren, der über den best interest test hinausgeht. Es ist daher überzeugender, der Auslegung zu folgen, die im zweiten Beispiel dargestellt wurde. Auch bei der Verteilung des Reorganisationsmehrwerts ist die im Rang höherstehende Gruppe besserzustellen. Es ist jedoch zu konstatieren, dass beide Auslegungsvarianten oft nicht zu unter- 364 schiedlichen Ergebnissen führen werden. Ähnliche oder gleiche Ergebnisse werden vor allem dann auftreten, wenn die Inhaber von Absonderungsanwartschaften bei einer nahezu vollständigen Befriedigung enden und die einfachen Restrukturierungsgläubiger sehr hohe Forderungen und Forderungsausfälle haben. In diesen Fällen werden den einfachen und nachrangigen Restrukturierungsgläubigern nach beiden Auslegungsvarianten das Gros der Restrukturierungsgewinne zufließen. Beispielshaft illustriert: Man nehme an, der Liquidationswert eines Unternehmens 365 betrage 100.000 Euro, der Reorganisationswert hingegen 120.000 Euro. Die Passivseite sieht wie folgt aus: Die Inhaber der Absonderungsanwartschaften (die Banken) haben Forderungen in Höhe von 50.000 Euro, welche wertausschöpfend durch eine Grundschuld gesichert sind, die einfachen Restrukturierungsgläubiger (etwa Warenlieferanten und Dienstleister – im Folgenden „ungesicherte Gläubiger“) haben Forderungen in Höhe von 300.000 Euro und die Gesellschaft hat ein nachrangiges Gesell147

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

schafterdarlehen in Höhe von 20.000 Euro erhalten. Das nachfolgende Beispiel zeigt einen Fall, welcher von beiden Auslegungsvarianten gedeckt wäre. Dabei wird angenommen, dass der Plan den ungesicherten Gläubigern 15.000 Euro des Reorganisationsmehrwertes zuspricht, den nachrangigen Gläubigern 3.000 Euro und dem Schuldner/den Anteilseignern 2.000 Euro. Es ist davon auszugehen, dass alle Auszahlungen zum gleichen Stichtag angesetzt werden: Inhaber v. Absonderungsanwartschaften

Ungesicherte Gläubiger

Nachrangige Schuldner/Am Gläubiger Schuldner beteiligte Personen

Forderungshöhe

50.000

300.000

20.000



Liquidationsszenario

50.000

50.000

0

0

Quote

100 %

16,6 %

0%



Reorganisationsszenario

50.000

65.000

3.000

2.000

Quote

100 %

21,6 %

15 %



Unzulässiges Reorganisationsszenario

50.000

61.000

5.000

4000

Quote

100 %

20,3 %

25 %



366 In diesem Fall vereinnahmen die ungesicherten Gläubiger mit 15.000 Euro oder 75 % einen Großteil des Reorganisationsmehrwertes. Sobald also eine Ranggruppe mit einem hohen Betrag im Liquidationsfall ausfällt, so wird diese Gruppe einen großen Teil des Reorganisationsmehrwertes vereinnahmen, wenn nicht die im Rang darunter stehende Gruppe mit einem noch größeren Betrag ausfällt. Die beiden Auslegungsvarianten kommen hier zum gleichen Ergebnis: Die jeweils höherstehende Ranggruppe erhält einen höheren Wert auf ihre Quote und auch prozentual mehr vom Reorganisationsmehrwert.

367 Anders verhält es sich, wenn die Forderungshöhe der ungesicherten Gläubiger bei ansonsten gleichbleibenden Konditionen etwa nur 90.000 Euro beträgt: Inhaber v. Absonderungsanwartschaften

Ungesicherte Gläubiger

Forderungshöhe

50.000

90.000

20.000



Liquidationsszenario

50.000

50.000

0

0

Quote

100 %

55,5 %

0



148

Nachrangige Schuldner/Am Gläubiger Schuldner beteiligte Personen

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Inhaber v. Absonderungsanwartschaften

Ungesicherte Gläubiger

Nachrangige Schuldner/Am Gläubiger Schuldner beteiligte Personen

Reorganisationsszenario Auslegungsvariante 1

50.000

50.000

10.500

Quote

9.500

100 %

55,5 %

52,5 %



Anteil vom Reorganisationswert

0%

0%

52,5 %

47,5 %

Reorganisationsszenario Auslegungsvariante 2

50.000

58.000

7.000

5.000

Anteil vom Reorganisationswert

0%

40 %

35 %

25 %

Quote insgesamt

100 %

64,4 %

35 %



Bei der ersten Auslegungsvariante können die nachrangigen Gläubiger und die An- 368 teilseigner den Reorganisationswert mit 10.500 Euro und 9.500 Euro beinahe gleich unter sich aufteilen. Bei der zweiten Auslegungsvariante müssen die Gläubiger entsprechend ihres Ranges mehr am Reorganisationsmehrwert partizipieren und mit einer höheren Quote aus dem Reorganisationsverfahren hervorgehen. Deutlich wird, dass auch die einfachen Restrukturierungsgläubiger (die ungesicherten Gläubiger) von dem Reorganisationswert profitieren. Von den 20.000 Euro erhalten die ungesicherten Gläubiger 8.000, die nachrangigen Gläubiger 7.000 und der Schuldner bzw. die am Schuldner beteiligten Personen 5.000 EUR. Die Inhaber der Absonderungsanwartschaften erhalten zwar nichts vom Reorganisationsmehrwert, jedoch ist deren Beteiligung gem. Art. 11 Abs. 1 lit. d)700) RRL auf die Höhe ihrer Forderung begrenzt.

e)

Verhinderung von Rangverschiebungen?

Versucht man, der relativen Vorrangregel noch weitere Konturen zu verschaffen, 369 so lässt sich die Frage aufwerfen, ob die relative Vorrangregel sicherstellen soll, dass die relative Position eines jeden Betroffen im Verhältnis zu den anderen Gläubigern und in Bezug zum schuldnerischen Vermögen erhalten bleibt. Mit anderen Worten ist die Frage, ob diejenigen Gläubiger, die vorher im Rang auf einer Höhe mit anderen oder über anderen Gläubigern oder den Anteilseignern standen, diese Position im Verhältnis zu den anderen im Plan generell behalten sollen. Dieses Verständnis lag der Urversion der relativen Vorrangregel des amerikanischen Rechts

___________ 700) Art. 11 Abs. 1 lit. d) RRL entspricht § 27 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG.

149

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

zugrunde.701) Dort war gängige Praxis, dass die Ansprüche aller Beteiligten einfach „herunterskaliert“ wurden.702) Jeder Gläubiger musste beispielsweise eine Einbuße von 25 % auf seine Forderungen hinnehmen. Ein Vorrang bestand dann insoweit, dass den Gläubigern Sicherheiten an der im Zuge der Reorganisation gegründeten Übernahmegesellschaft eingeräumt wurden und die gesicherten Gläubiger dann auch dort gegenüber ungesicherten Gläubigern vorrangig waren.703) Hypothekarisch gesicherte und festverzinsliche Schuldverschreibungen durften in ungesicherte Gewinnobligationen umgewandelt werden, aber nicht in Aktien, weil dies zu einer Rangverschiebung (von einer Gläubigerstellung hin zu einer Stellung als Anteilseigner) geführt hätte.704)

370 Das kann nicht ohne weiteres auf die europäische Richtlinie übertragen werden, denn der Rechtsgehalt der Normen ist grundsätzlich autonom auszulegen. Relevant ist das Problem der Rangverschiebung etwa, wenn Sicherheiten durch den Restrukturierungsplan ausgetauscht werden und dem Inhaber der Absonderungsanwartschaften neue Sicherheiten eingeräumt werden. Auch könnte der Plan zu Lasten eines Gläubigers bzw. einer Gruppe einen Rangrücktritt vorsehen. Dem Inhaber einer erstrangigen Grundschuld könnte stattdessen eine zweitrangige Grundschuld eingeräumt werden, um das Grundstück neu zu besichern und mit dem dadurch erlangten Kredit die Planziele finanzieren zu können.

371 Ein generelles „Herunterskalieren“ der Ansprüche wird bereits durch den best interest test nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG verhindert. Er sorgt aber nicht für den generellen Erhalt des Ranges. Der best interest test soll eine wirtschaftliche Schlechterstellung verhindern. Das Schlechterstellungsverbot verhindert solche Fälle, in denen beispielsweise eine Absonderungsanwartschaft ohne Kompensation erlöschen soll. Es wird aber beim insolvenzrechtlichen Schlechterstellungsverbot beispielsweise davon ausgegangen, dass keine Schlechterstellung vorliegt, wenn ein Absonderungsberechtigter zwar sein Recht verliert, dafür aber im Gegenzug eine Barzahlung in der Höhe des Verkehrswertes des Absonderungsrechts erhält.705) In den allermeisten Fällen wird daher das Schlechterstellungsverbot auch im StaRUG eine Rangverschiebung verhindern; sie kann jedoch stattfinden, solange sie wirtschaftlich gesehen kompensiert wird. Denkbare Fälle, die nicht durch das Schlechterstellungsverbot verhindert werden, ergeben sich, wenn beispielsweise alle einfachen Restrukturierungsgläubiger im Rang nach den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO bezeichneten Forderungen zurücktreten (und damit im Rang vor den Anteilseignern bleiben) und eine ___________ 701) Vgl. Bonbright/Bergman, 28 Colum. L. Rev. 128, 131 (1928); Gerdes, 89 U. Pa. L. Rev. 39, 56 (1940). 702) Blum/Kaplan, 41 U. Chi. L. Rev. 651, 654 (1974). 703) Vgl. Rn. 154 ff. 704) Vgl. Beispiel bei Flessner, Sanierung und Reorganisation, 97. 705) Zum Insolvenzplan Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 22; Braun/Braun/Frank, InsO, § 245 Rn. 3.

150

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Gewinnbeteiligung bekommen, die sie nach dem Plan wirtschaftlich nicht schlechter stellt. Der Wortlaut der „relativen Vorrangregel“ kann an dieser Stelle nicht als Argument 372 herangezogen werden, denn Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL verwendet diese Begrifflichkeit nicht explizit, sondern verlangt nur eine „Besserstellung“. Auch ansonsten gibt es keinen Hinweis in der Richtlinie, dass die relative Vorrangregel mit diesem Hintergedanken eingeführt wurde oder diese Zielrichtung hat. Es ist daher davon auszugehen, dass das Merkmal der „Besserstellung“ auf eine wirtschaftliche Betrachtung beschränkt bleibt und die relative Vorrangregel dann den Schutz der ablehnenden Gruppe nur auf eine Beteiligung am Reorganisationsmehrwert erweitern soll.

f)

Besserstellung im Verhältnis zu den Anteilseignern

aa) Bestimmung des Bezugspunktes Zu berücksichtigen ist weiter der Fall, dass die Gläubigergruppen bessergestellt wer- 373 den müssen als der Schuldner oder die an ihm beteiligten Personen. Es muss in einem ersten Schritt geklärt werden, wem gegenüber die Gläubiger besserzustellen sind. In Betracht kommen auf den ersten Blick sowohl der Schuldner als auch die Anteilseigner. Der Schuldner ist, wie oben bereits dargelegt wurde, der materiell-rechtlich Berechtigte des in Frage stehenden Vermögens. Sein Vermögen ist Gegenstand des Restrukturierungsplans. Da der Schuldner nicht wie in § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG automatisch mit Insolvenzeröffnung als aufgelöst gilt, erscheint es daher möglich, dass die Gläubiger gegenüber dem Schuldner besserzustellen sind. § 60 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2 GmbHG sieht deshalb die ausdrückliche Regelung vor, dass im Rahmen eines Insolvenzplans eine Fortsetzung der Gesellschaft beschlossen werden kann, denn dort soll die Gesellschaft üblicherweise gerade erhalten bleiben. Einer solchen Regelung bedarf es im Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG nicht. Es stellt den gesetzlichen Regelfall dar, dass die Gesellschaft erhalten bleibt. Insofern ist zunächst immer der Schuldner derjenige, der im Rahmen des Vergleichsszenarios das übrige Vermögen erhalten soll. Behalten die alten Anteilsinhaber ihre Beteiligung auch nach dem Restrukturierungsplan, so partizipieren sie mittelbar am Reorganisationsmehrwert. Aus dem Gesetz lässt sich indes klar ableiten, dass eine Besserstellung der Gläubiger 374 gegenüber dem Schuldner nicht vorzunehmen wäre. Dagegen spricht ganz maßgeblich, dass die Anteilseigner nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 StaRUG eine der Pflichtgruppen sind. Die relative Vorrangregel, welche an die Stelle der jetzigen §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 2 StaRUG treten würde, fordert jeweils eine Besserstellung der ranghöheren Gruppe. Der Schuldner hat zwar das Planinitiativrecht, er ist jedoch kein Mitglied einer Gruppe, vielmehr ist er an der eigentlichen Abstimmung nicht beteiligt. Folglich hat die Besserstellung gegenüber den Anteilseignern zu erfolgen.

151

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

bb) Problemstellung 375 Im Verhältnis zu den Anteilseignern wird das Merkmal der Besserstellung als Problem gesehen.706) Das liegt darin begründet, dass hier eine gänzlich andere Situation vorliegt als bei den Gläubigern des Unternehmens. Ein Anteilseigner hat keine „aus sich heraus bestehende“ Forderung gegen das Unternehmen, sondern ein Anteils- oder Mitgliedschaftsrecht. Für seine Einlage erhält er gegebenenfalls nicht nur einen vermögensrechtlichen Gegenwert, beispielsweise im Sinne eines Anspruchs auf eine Dividende nach § 58 Abs. 4 AktG, sondern auch ein Recht auf Mitbestimmung und Teilhabe im Unternehmen.707) Eine Quotenberechnung wie bei den Gläubigern ist daher bei den Anteilsinhabern nicht ohne weiteres möglich. Die relative Vorrangregel macht es scheinbar erforderlich, dass die Anteils- und Mitbestimmungsrechte mit einem „Preisetikett“ versehen werden. Im Folgenden wird daher ein Versuch gewagt, das Merkmal der Besserstellung in einen sinnvollen Bezug zu den Anteilseignern zu setzen.

cc) Ausblenden von innergesellschaftlichen Verhältnissen 376 Es stellt sich die Frage, ob Anteils- und Mitbestimmungsrechte im Rahmen der Besserstellung zu berücksichtigen sind und wenn ja, inwieweit das geschehen muss.

(1) Die Mitgliedschaftsrechte 377 Die Mitgliedschaft wird, unabhängig von der Rechtsform der Gesellschaft, als Rechtsverhältnis oder genauer als privatrechtliche Sonderverbindung zwischen dem Mitglied und seinen Partnern bzw. dem Verband qualifiziert.708) Aus dieser Verbindung ergibt sich ein komplexes Geflecht von Rechten und Pflichten zum einen zwischen seinen Mitgliedern (auf horizontaler Ebene) und zum anderen im Verhältnis zwischen den Mitgliedern und der Gesellschaft selbst (auf vertikaler Ebene). Ein Anteilsrecht kann unterschiedlich ausgestaltet sein, beispielsweise in Form einer Aktie, eines GmbH-Anteils oder der Stellung als Kommanditist. Unabhängig von ihrer Ausgestaltung regeln die Mitgliedschaftsrechte die Innenbeziehungen der Gesellschaft.709) ___________ 706) Zu diesem Problem vgl. de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 17 f. (2019); zu diesem Absatz vgl. den Blogbeitrag von Brinkmann, TLE-009-2019; unklar verbleibt Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 315. Liedl will den wirtschaftlichen Wert der jeweiligen Positionen ohne einen Restrukturierungsplan heranziehen, entzieht sich jedoch der eigentlichen Problematik der fehlenden Vergleichbarkeit. 707) Statt vieler BVerfGE 100, 289, 302. 708) Lutter, AcP 180 (1980), 84, 101; K. Schmidt, GesR, 547 ff. 709) MüKo-HGB/K. Schmidt, § 105 Rn. 170; ders., GesR § 7 I 3, 171; Habersack/Casper/Löbbe/Raiser, GmbH Großkommentar, § 14 Rn. 22; Michalski/Heidinger/Lieble/Schmidt/Ebbing, GmbHG, § 14 Rn. 47; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, § 14 Rn. 1; Wiedemann, GesR, Bd. I, 83; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 101.

152

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Insofern wären für jede Beteiligungsform bezüglich des Merkmals der Besserstellung andere Maßstäbe anzulegen.

(2) Beschränkung der Besserstellung auf Außenverhältnis Eine Berücksichtigung der Innenverhältnisse ist aber weder gewollt noch sinnvoller- 378 weise erforderlich. Damit soll nicht vor der Problematik kapituliert werden, dass keine Maßstäbe existieren, wie der Wert der jeweiligen Mitbestimmungsrechte zu berücksichtigen wäre. Zwar könnte man grundsätzlich den Börsenwert einer Aktie als Maßstab heranziehen. Jedoch bildet der Börsenwert als Preis, den der Markt in einem bestimmten Moment zu zahlen bereit ist, zumeist nur die untere Grenze dessen, was ein Anteil am Unternehmen wirklich wert ist.710) Des Weiteren ist die ganz überwiegende Mehrheit der Unternehmen nicht börsennotiert, sodass spätestens an diesem Punkt Schwierigkeiten bei der Bewertung entstünden. Die maßgebliche Überlegung ist, dass die Richtlinie nicht nach den Innenbeziehun- 379 gen der Gesellschaft fragt. Diese sollen nur insoweit einbezogen werden, wie dies für den Erhalt des Unternehmens erforderlich ist. Angeschnitten wird das auch in Erwägungsgrund Nr. 96 S. 1 und S. 6 RRL, wonach die Wirksamkeit und die Annahme des Restrukturierungsplans nicht durch das Gesellschaftsrecht gefährdet werden soll. Ein weiteres Indiz ergibt sich aus Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 1 S. 1 RRL (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG), wonach sich die Stimmrechte bei Anteils- und Mitgliedschaftsrechten nur nach dem Anteil am gezeichneten Kapital richten und Stimmrechtsbeschränkungen sowie Sonder- und Mehrstimmrechte außer Betracht bleiben sollen. Vielmehr soll nur das Verhältnis der Gesellschaft zu seinen Gläubigern geregelt werden, also das Außenverhältnis. In diesem Verhältnis müssen aber die Anteilseigner als Residualberechtigte des Vermögens der Gesellschaft berücksichtigt werden. In diesem Geflecht ist lediglich eine wirtschaftliche Betrachtung von Interesse.711)

(3) Auslegungsmöglichkeiten Zu klären bleibt, wie genau die Anteilseigner sich in das Verhältnis zu den Gläubi- 380 gern, deren Besserstellung anhand einer Quote auf den Nominalwert ihrer Forderung errechnet wird, einfügen. Möglich wäre, eine Besserstellung nur anhand der Summe zu berechnen, die der 381 Schuldner laut Reorganisationsplan erhalten soll.712) Die Anteilseigner würden dann individuell an dem Wert entsprechend ihrer Beteiligung partizipieren. Es käme dann darauf an, wie viel Vermögen im Rahmen der Reorganisation in der Gesellschaft in ___________ 710) Dazu noch näher unten Rn. 410 f. 711) So wohl auch Albrecht, ZInsO 2019, 1812, 1822; ähnlich, aber ohne Begründung Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 315. 712) In diese Richtung de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 18 (2019).

153

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

absoluten Zahlen verbleiben soll. Nach dieser Auslegungsmöglichkeit wäre also für die Gläubiger eine Quote zu berechnen und für die Gesellschaft nur zu prüfen, ob diese in absoluten Zahlen weniger erhalten würde als die nächsthöhere Gläubigergruppe. Würde also die ranghöhere Gläubigergruppe mit einem Anspruch von insgesamt 100 Mio. Euro auf ihre Forderungen 10 Mio. Euro erhalten, dann würde sie eine Quote von 10 % erhalten. Würde das Schuldnerunternehmen mit 5 Mio. Euro bewertet werden und die Anteilseigner würden ihre Anteile vollständig behalten, dann würden sie in absoluten Zahlen weniger erhalten, aber keine Einbußen hinnehmen. Das kann schwerlich im Sinne der relativen Vorrangregel sein, weil dies letztlich die Möglichkeit eröffnen würde, die Forderungen der Gläubiger ohne Nachteile seitens der Anteilseigner zu kürzen. Da die Anteilseigner die Residualberechtigten sind, fehlt es insbesondere an einem sinnvollen Bezugspunkt, anhand dessen die Besserstellung bestimmt werden kann. Im Grunde werden die Anteilseigner schon dadurch bessergestellt, dass sie überhaupt einen Wert erhalten können, bevor die Gläubiger vollständig befriedigt werden, weil dadurch von einer gesellschaftsrechtlichen Liquidation abgewichen wird. Es stellt seinerseits aber keinen sinnvollen Anreiz für die Anteilseigner dar, wenn sie nur einen symbolischen Euro als Wert behalten. Schließlich würde für das Merkmal der Besserstellung im Rahmen dieser Auslegungsmöglichkeit kein direkter Vergleich zwischen der nächst ranghöheren Gläubigergruppe und den Anteilseignern als Gruppe hergestellt, sondern die Anteilseigner nur mittelbar durch ihre Beteiligung am Schuldner berücksichtigt.

382 Eine andere Möglichkeit läge darin, die Beträge in ein Verhältnis zum investierten Kapital des Gesellschafters zu setzen. Wirtschaftlich gesehen liegt das nahe, denn auch der Gesellschafter investiert, ebenso wie ein Gläubiger, einen gewissen Betrag in die Gesellschaft. Während der Gläubiger mit seiner gesamten Forderung ausfallen kann, kann auch der Gesellschafter seines investierten Betrags verlustig gehen. Dieser Gedanke folgt einem eher betriebswirtschaftlichen Ansatz dahingehend, dass auch die Gläubiger Eigentümer des Unternehmens sind. Alle mit dem Unternehmen wirtschaftlich in Verbindung stehenden Stakeholder sind dann gewissermaßen als Eigentümer anzusehen, sodass abhängig vom Rang verschiedene „layers of ownership“ entstehen.713)

383 Entscheidend ist dann nicht wie in § 72 GmbHG der anteilige Wert am gesamten Vermögen, sondern nur der anteilige Wert am aufgebrachten Vermögen. Das erscheint gegenüber den Anteilseignern nicht unangemessen, weil es im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO regelmäßig kaum noch „freies“ Vermögen geben wird. Das Eigenkapital wird in aller Regel zu großen Teilen aufgebraucht sein und besicherbares Vermögen wurde sinnvollerweise schon zur Deckung von Liquiditätslücken verwendet. Durch den Bezug zum aufgebrachten Kapital lässt sich errechnen, wie groß der auf jeden Gesellschafter fallende Betrag – entweder ___________ 713) Vgl. Baird/Jackson, 55 U. Chi. L. Rev. 738, 740 (1988).

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B. Gehalt der relativen Vorrangregel

durch das Behalten der Beteiligung am Schuldner oder direkte Zahlung – ist. Auch hier bleiben die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte unberücksichtigt. Der mögliche innergesellschaftliche Einfluss sowie die Steuerungsmöglichkeiten werden ausgeblendet. Diese letzte Auslegungsmöglichkeit hat den Vorteil, dass sie nicht nur eine klare Berechnungsmöglichkeit bietet, sondern die im Rahmen der Reorganisation erhaltenen Beträge der Gesellschafter in ein Verhältnis zu deren ursprünglich übernommenem Risiko setzt. Sie verhindert, dass die Anteilseigner potenziell keine Einbußen hinnehmen müssen. Eine solche Auslegung ist daher gegenüber einer Betrachtung der absoluten Zahlen sachgerechter. Ein Nebeneffekt dieser Betrachtungsweise ist, dass sie gewissermaßen hohe Eigen- 384 kapitalquoten belohnt. Je höher also das ursprünglich investierte Eigenkapital war, desto mehr könnte nach dieser Auslegungsmöglichkeit im Rahmen der Reorganisation vereinnahmt werden. Das würde gleichzeitig einem der Hauptkritikpunkte an dem gesellschaftsrechtlich verankerten (Mindest-)Kapital entgegenwirken, welches normalerweise in keinem Verhältnis zum übernommenen Geschäftsrisiko steht. Wollten Gesellschafter mit hoch risikoreichem Geschäftsmodell von der relativen Vorrangregel signifikant profitieren, dann müssten sie auch entsprechende Summen Eigenkapital zur Verfügung stellen. Das würde ferner andere gesellschaftsrechtlich angelegte Krisenwarnsignale wie § 49 Abs. 3 GmbHG stärken, deren Wirksamkeit derzeit eher zweifelhaft ist.714) Wenn man das Merkmal der Besserstellung, so wie hier vertreten, so auslegt, dass höherrangige Gläubiger in größerem Umfang vom Reorganisationsmehrwert profitieren müssen, so sind keine Fälle denkbar, in denen die relative Vorrangregel zu Missbrauch führt.

2.

Gruppenübergreifendes Gleichbehandlungsgebot

Im Folgenden soll in Kürze auf das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot 385 eingegangen werden, welches in Art. 11 Abs. 1 lit. c) Var. 1 RRL statuiert wird. Dieses Kriterium findet sich in § 27 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG und ebenfalls in § 245 Abs. 2 Nr. 3 InsO.

a) Abgrenzung zur relativen Vorrangregel In der Richtlinie ist das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot in der alter- 386 nativ formulierten absoluten Vorrangregel nicht zu finden. Systematisch gesehen wird das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot des Art. 11 Abs. 1 lit. c) RRL in einer Norm zusammen mit der relativen Vorrangregel geregelt. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot zur relativen Vorrangregel „im engeren Sinne“ gehört. Die relative Vorrangregel regelt das Verhältnis unterschiedlicher Ränge zueinander, während das Gleichbe___________ 714) Statt vieler Haas, FS Kayser, 2019, 309, 321.

155

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

handlungsgebot auf die Betrachtung gleichrangiger Gruppen beschränkt bleibt. Wenn daher davon ausgegangen wird, dass beide Kriterien, die relative Vorrangregel und das übergreifende Gleichbehandlungsgebot, zu einer Art „relativen Vorrangregel im weiteren Sinne“ gehören,715) dann überzeugt das nicht. Der Richtliniengeber bringt durch seine Regelung beider Vorschriften in einer Norm vielmehr nur zum Ausdruck, dass er darin wesentliche Fairnesskriterien sieht, die es gegenüber einer ablehnenden Gruppe einzuhalten gilt.716)

b) Inhalt des Gleichbehandlungsgebots 387 Eine Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass die Angehörigen der Gruppe wirtschaftlich ähnliche Interessen haben. Dem wird dadurch Rechnung getragen, dass jedem Angehörigen innerhalb einer Gruppe nach § 10 Abs. 1 StaRUG die gleichen Rechte anzubieten sind. Unterschiedlichen Gruppen dürfen damit grundsätzlich unterschiedliche Rechte angeboten werden. Dabei ist für jede Rangklasse zumindest eine eigene Gruppe zu bilden, weil die Stellung des Rangs immer auch die Befriedigungsaussichten und damit die Interessen der Gruppe beeinflusst. Innerhalb der Rangklassen können aber noch weitere Gruppen gebildet werden, wenn sich die Rechte der Betroffenen innerhalb der Rangklasse unterscheiden. Ein Beispiel dafür sind die Inhaber von Absonderungsanwartschaften. Diese sind zwar nicht generell höherrangig gegenüber den einfachen Restrukturierungsgläubigern, haben aber aufgrund ihrer Sicherung eine andere Interessenlage als die einfachen Restrukturierungsgläubiger. Innerhalb der Inhaber von Absonderungsanwartschaften könnte man weitere Gruppen bilden, etwa, wenn sich die Interessen der grundpfandrechtlichen gesicherten Gläubiger von denen der mittels eines verlängerten Eigentumsvorbehalts geschützten Gläubiger im konkreten Fall unterscheiden. Auch könnten im Einzelfall die Warenlieferanten andere Interessen haben als die Finanzgläubiger. Das zeigt, dass der Begriff der Rangklasse mit dem Begriff der Gruppe deckungsgleich sein kann, aber nicht muss.

388 Das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot schreibt vor, dass eine ablehnende Gruppe mindestens ebenso wie andere gleichrangige Gruppen zu behandeln ist. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die unterschiedlichen Gruppen gleichrangiger Gläubiger einer unterschiedlichen Behandlung bezüglich der Stundung, Forderungskürzung, Verzinsung oder Einräumung neuer Sicherheiten durch den Plan unterliegen können.717) Soll also der Widerstand einer ganzen Gruppe überwunden werden, dann verlangt das Gesetz eine Durchbrechung des Gedankens, dass nur den Mitgliedern innerhalb der Gruppe die gleichen Rechte anzubieten sind. Das reduziert den Anreiz für den Planersteller, viele kleine Gruppen mit nur wenigen Gläubigern zu bilden, da diese, sollten sie den Plan ablehnen, keine wirtschaftlich ___________ 715) So wohl Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 01/2020, 1, 5. 716) Vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 55 S. 1 und 2 RRL. 717) Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 43.

156

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

ungleiche Behandlung erhalten dürfen. Wenn alle in gleichem Maße von Verlusten und Gewinnen profitieren, dürfte das eine nicht zu unterschätzende Akzeptanz des Restrukturierungsplans bewirken. Gleichzeitig reduziert eine breite Diversifikation der Verluste das Risiko, dass einzelne Beteiligte in der Lieferkette stark unter einem Forderungsausfall leiden. Die Richtlinie macht keine Vorgaben, wann das gruppenübergreifende Gleichbehand- 389 lungsgebot erfüllt sein soll. Im deutschen Recht sieht man das Kriterium dann als erfüllt an, wenn die Gruppen eine wirtschaftliche Gleichstellung erhalten.718) Das ist auf das StaRUG zu übertragen. Im Verhältnis zwischen Inhabern von Absonderungsanwartschaften und einfachen 390 Restrukturierungsgläubigern findet das gruppenübergreifende Gleichbehandlungsgebot keine Anwendung. Es wurde bereits geklärt, dass ein Absonderungsrecht die Begünstigten nicht in einen generell höheren Rang im Verhältnis zu den nichtnachrangigen Gläubigern rückt. Dennoch genießen die Absonderungsberechtigten einen Vorrang; ein Absonderungsrecht führt dazu, dass ihr Inhaber aus der Geltung Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgeklammert wird.719) Die Tatsache, dass es sich beim StaRUG um ein teilkollektives Verfahren handelt und in diesem Stadium nur Absonderungsanwartschaften bestehen, ändert an diesem Befund nichts. Denn die bevorzugte Befriedigungsmöglichkeit besteht auch außerhalb des Insolvenzverfahrens.

3.

Zwischenergebnis

Nach dem oben Gesagten lässt sich ein Zwischenergebnis festhalten. Die relative Vor- 391 rangregel ist nach der Konzeption der Richtlinie das zweite maßgebliche Schutzkriterium neben dem best interest test. Sie verlangt eine Besserstellung der ranghöheren Gruppen. Das Merkmal der Besserstellung ist so auszulegen, dass die ranghöheren Gruppen jeweils in höherem Maße am Reorganisationsmehrwert partizipieren müssen als die rangniedrigeren Gruppen. Sie müssen in wirtschaftlicher Sicht bessergestellt werden. Während sich für die Gläubiger eine Quote errechnen lässt, ist die Besserstellung der nächsten ranghöheren Gläubigergruppe im Verhältnis zu den Anteilseignern an deren aufgebrachtem Risikokapital zu messen. ___________ 718) In der Regel genügt es, wenn alle Gläubiger die gleiche Quote erhalten, AG Osnabrück, BeckRS 2017, 118498 Rn. 19; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 245 Rn. 32; Ausnahmen ergeben sich dann, wenn für die Gruppen unterschiedliche Auszahlungsunzeitpunkte vorgesehen werden. Weitere Ausnahmen ergeben sich, wenn beispielsweise für die einzelnen Gruppen Festbeträge vorgesehen und mit Voraussetzungen kombiniert sind, die voraussichtlich nicht von allen Gruppenmitgliedern erfüllt werden können. In diesem Fall erhöht sich die Quote zugunsten der jeweils anderen Gruppenmitglieder, vgl. Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 43; Brünkmans/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 17 Rn. 33; ähnlich Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 245 Rn. 24. 719) Vgl. Häsemeyer, InsR, 45 ff.; Brinkmann, Kreditsicherheiten, 61; J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 299.

157

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

II. Hintergrund der relativen Vorrangregel 1.

Der Codire-Report

392 Die relative Vorrangregel taucht erstmals in einem gemeinschaftlichen, von der Europäischen Kommission finanzierten Forschungsprojekt auf („Codire-Report“).720) In diesem Projekt geben vier Rechtswissenschaftler aus Italien, Spanien, Deutschland und Großbritannien Handlungsempfehlungen an die Europäische Kommission für eine Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts. Ziel der Studie war es, einen rechtlichen Rahmen für vertragliche und quasi-vertragliche Lösungen für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten und deren Gläubiger zur Verfügung zu stellen.721) Das Projekt nimmt dabei ausdrücklich Bezug auf den ersten Text des Richtlinienvorschlags aus dem Jahr 2016722) und will dessen Zielsetzung in seiner Arbeit berücksichtigen.723)

393 Ausgeführt wird, die relative Vorrangregel sei gegenüber der absoluten Vorrangregel eine präferierte Alternative. Die absolute Vorrangregel begünstige die Ablehnung des Plans, solange die ablehnende Gruppe erwarten könne, dass genügend andere Gruppen dem Plan zustimmen würden. Unter der absoluten Vorrangregel werde so ein Trittbrettfahrer-Verhalten begünstigt und eine Planbestätigung werde unwahrscheinlicher.724)

394 Die relative Vorrangregel biete hingegen eine realistischere Alternative, welche die relative Position der ablehnenden Gläubiger erhalte, ohne aber ein TrittbrettfahrerVerhalten zu begünstigen. Ferner würden durch eine relative Vorrangregel Pläne begünstigt, die es erlaubten, dass die Anteilseigner eine Beteiligung an dem Unternehmen behielten, was gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen zugutekomme. Schließlich sei die relative Vorrangregel ein geeignetes Schutzmittel gegen Loanto-own Strategien.725) Eine Loan-to-own Strategie verfolgt den Ansatz, dass ein Fremdkapitalgeber gezielt im Wege des Debt-Equity Swaps sein zur Verfügung

___________ 720) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, 45 – 47. 721) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, XVII. 722) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU v. 22.11.2016, COM(2016) 723 final. 723) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, XVIII. 724) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, 46; sich dem anschließend Flöther, ZInsO 2019, 1582, 1585; ebenso Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 63; kritisch zur absoluten Vorrangregel auch Kübler/Rendels, FS Kayser, 2019, 465, 476 ff. 725) Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, 46 f.; kritisch Brinkmann, NZI Beilage 1/2019, 27 – 29.

158

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

gestelltes Fremdkapital in Anteilsrechte umtauscht, um so Einfluss auf das Unternehmen zu erlangen.726) Warum das der Fall sein soll, wird nicht erläutert.

2.

Kritik

Die Ausführungen des Forschungsprojekts erstaunen. Auf knapp zwei DIN A4 Seiten 395 wird das ganz fundamentale Prinzip der absoluten Vorrangregel, welche sich auf über 100 Jahre Erfahrung im US-amerikanischen Raum stützt, unter Verweis auf eine einzige Fußnote727) verworfen. Auf den dort zitierten Aufsatz wird später eingegangen.728) Auch wenn das Forschungsprojekt auf eine umfassende Betrachtung des Rechtsgebiets angelegt war und nicht nur auf eine Betrachtung der absoluten Vorrangregel, so ist das Problem der Akkordstörer doch das zentrale Problem der Planlösungen. In Anbetracht der weitreichenden Konsequenzen wäre in der Sache eine umfassendere Analyse wünschenswert gewesen.729) Inhaltlich erscheint die Begründung der Ablehnung der absoluten Vorrangregel teil- 396 weise fragwürdig und unvollständig. Das Argument der Vermeidung von Trittbrettfahrer-Verhalten überzeugt nicht. Die absolute Vorrangregel soll verhindern, dass sich zwei Parteien zulasten einer dritten Partei zusammenschließen und Werte über deren Kopf hinweg verteilen. Möglich ist dies in einem einfachen Szenario: Der Schuldner spricht den gesicherten Gläubigern im Plan eine vollständige Befriedigung zu. Die ungesicherten Gläubiger sollen hingegen nichts erhalten. Weil Schuldner und die gesicherten Gläubiger zusammen die erforderlichen Mehrheiten haben, könnte der für die ungesicherten Gläubiger nachteilhafte Plan gerichtlich bestätigt werden. Die absolute Vorrangregel soll aber keine Annahme des Plans um jeden Preis erreichen, sondern der privatautonom getroffenen Vereinbarung auch im Planverfahren weitestgehend Geltung verschaffen. Das entspricht dem im deutschen Recht geltenden Grundsatz pacta sunt servanda. Richtig ist hingegen die Annahme, dass Restrukturierungspläne unter der dort formulierten relativen Vorrangegel – die sich im Kern inhaltsgleich in der finalen Richtlinie wiederfindet – eine höhere Chance haben, gegen den Willen der ablehnenden Partei angenommen zu werden. Es zeigt sich, dass die absolute Vorrangregel an eine andere Prämisse anknüpft. Die absolute Vorrangregel misst dem Grundsatz der Vertragstreue ein hohes Gewicht bei. Demgegenüber ist die relative Vorrangregel schuldnerfreundlicher und legt den Fokus auf eine Förderung von Chancen für die Zukunft. Das folgt aus der Erwägung, dass ___________ 726) Dazu Brücker/Petersen, ZGR 2013, 802, 803 ff.; Brinkmann, WM 2017, 1033; das englische Scheme of Arrangement ist dafür besonders beliebt, vgl. Payne, 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67. 727) Verwiesen wird auf Madaus, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615–647; auch an anderer Stelle wird Madaus als einer der Initiatoren der relativen Vorrangregel angesehen, vgl. de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 13 f. (2019). 728) Siehe Rn. 478 ff. 729) Ebenso Richter/Thery, INSOL Europe 04/2020, 1, 35.

159

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

die Anteilseigner einen höheren Anreiz haben, die Sanierung rechtzeitig einzuleiten, was für deren Erfolgschancen von erheblicher Wichtigkeit ist.730) Erkennt man dies, dann passt aber das herangezogene Argument des Trittbrettfahrer-Verhaltens nicht.

397 Ob die anderen getroffenen Annahmen zutreffen, erscheint ebenfalls fraglich. Gerade die Annahme, dass kleine und mittelgroße Unternehmen von dem Verfahren umfassend profitieren, erscheint fraglich, ist das Planverfahren doch vergleichsweise komplex und erfordert umfassenden und daher vermutlich kostspieligen Rechtsrat.731) Das zeigt sich auch bei einer länderübergreifenden Gesamtschau. In den Vereinigten Staaten wird konstatiert, dass die Reorganisationsversuche der kleinen und mittleren Unternehmen häufig scheitern, weil dort die nötige Expertise zur Restrukturierung fehlt.732) Hier erscheint es wichtig, inwieweit den kleinen und mittelgroßen Unternehmen Vorlagen und Blaupausen zur Verfügung gestellt werden, wie es Art. 8 Abs. 2 RRL fordert. Das kann den zeitlichen und finanziellen Aufwand für diese Unternehmen beträchtlich senken. Richtig ist zwar, dass die USA die absolute Vorrangregel für KMUs ausgeschlossen haben, sodass dies auf den ersten Blick das Argument des Codire-Reports zu stützen scheint. Es ist aber fraglich, ob die im Vergleich zur absoluten Vorrangregel kompliziertere Regelung der relativen Vorrangregel kleinen und mittleren Unternehmen zu helfen vermag, wenn doch, wie soeben dargelegt, die nötige Expertise zur Restrukturierung fehlt. Der im Codire-Report dargelegten Annahme, das Verfahren sei für KMUs ohne eine strenge absolute Vorrangregel attraktiver, ist hingegen zuzustimmen. Die Schuldner bzw. die Anteilseigner werden das Verfahren vor allem freiwillig lieber dann einleiten, wenn ihnen sicher eine Beteiligung erhalten bleibt. Dennoch muss man sich vor Augen halten, dass die EU unter kleinen und mittelgroßen Unternehmen auch solche mit bis zu 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu 50 Mio. EUR versteht.733) Bei Unternehmen dieser Größenordnung gibt es keine Gründe, pauschal anzunehmen, dass diese das Restrukturierungsverfahren finanziell nicht werden stemmen können. Sinnvollerweise wird man das Ziel der EU also differenziert betrachten müssen.734) ___________ 730) Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 544; zu diesem Gedanken vgl. auch Rn. 460. 731) Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 67; Paulus, NZI Beilage 1/2019, 8, 9; de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 19 ff. (2019); Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019; die Evaluation des ESUG kommt zu dem Ergebnis, dass das Eigenverwaltungsverfahren als Vorbereitung für eine Sanierung nach § 270b InsO eher von großen Unternehmen frequentiert wird, vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, 15. 732) Ausführlich American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 275 ff. 733) Empfehlung der Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, 2003/361/EG, ABl. L. 124/36, Anhang, Art. 2 Abs. 1. 734) Mit diesem Hinweis auch Thole, Stellungnahme als Sachverständiger im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, 3.

160

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Schließlich ist es fragwürdig, ob die präferierte relative Vorrangregel ein geeignetes 398 Mittel gegen Loan-to-own Strategien ist. Die Handlungsempfehlung bietet für die Annahme keine tiefergehende Erklärung und stellt im Grunde bloß eine Behauptung auf. Eine Loan-to-own Strategie muss nicht generell schlecht sein, kann aber von aggressiven Investoren benutzt werden, um dem Unternehmen so viele Werte wie möglich zu entziehen und dieses dann nicht weiterzuführen. Geeignete Szenarien ergeben sich vor allem in Krisensituationen, wo Aktien- oder Anleihekurse unter Druck geraten und gegebenenfalls nicht mehr den Marktwert widerspiegeln.735) Die (nicht begründete) Annahme der Handlungsempfehlung, eine relative Vorrangregel sei ein geeignetes Mittel zur Verhinderung von Loan-to-own Strategien, ist fragwürdig. Überzeugender scheint zum einen die von Brinkmann geäußerte Kritik, dass die Richtlinie im Gegenteil Loan-to-own Strategien eher begünstige.736) Die wohl entscheidende Weichenstellung liegt aber zunächst auf einer anderen Ebene, nämlich in dem Planinitiativrecht. Begünstigt würden Loan-to-own Strategien vor allem dann, wenn ein Verfahren auch gegen den Willen der Anteilseigner eingeleitet werden könnte und auch Gläubiger Restrukturierungspläne vorlegen könnten. In diesem Fall könnte ein aggressiver Investor einen Plan vorschlagen, in dem die Forderungen des Investors gegen Anteilsrechte ausgetauscht werden. Für andere Gläubiger wäre das zunächst ebenfalls vorteilhaft; denn der Investor würde dann künftig vorrangig für ihre Forderungen haften und das Unternehmen könnte zugleich seine Passivseite bereinigen. Auch der Codire-Report sieht einen Debt-Equity Swap explizit als valides Mittel zur Sanierung an.737) Ist das (anders als im StaRUG, vgl. § 7 Abs. 4 S. 2 StaRUG) möglich, so kann man annehmen, dass die relative Vorrangregel eine Übernahme erschwert, weil die Gläubiger weniger Kontrolle über das Unternehmen erlangen können, je mehr Werte die alten Anteilseigner unter Geltung einer relativen Vorrangregel behalten dürfen. Klar ist, dass ein Plan unter der relativen Vorrangregel leichter gegen den Willen dissentierender Planbetroffener und deshalb im Einzelfall auch leichter der von den Finanzinvestoren vorgeschlagene Plan bestätigt werden kann. Ob die relative Vorrangregel dann wirklich zu einem sinnvollen Schutz beiträgt, darf bezweifelt werden. Die von Brinkmann geäußerte Kritik ist demnach plausibel. Der Frage soll an dieser Stelle nicht vertieft nachgegangen werden; sie eröffnet aber Raum für weiteren Forschungsbedarf.738) Insgesamt erscheint der Vorstoß der Handlungsempfehlung rund um die relative 399 Vorrangregel vorschnell. Der Codire-Report setzt sich nicht umfassend mit dem Für und Wider der absoluten Vorrangregel auseinander. Gerade in Anbetracht der lang___________ 735) 736) 737) 738)

Vgl. Balthasar, ZHR (183) 2019, 662, 686. Brinkmann, NZI Beilage 1/2019, 27 – 29; ähnlich auch Balthasar, ZHR (183) 2019, 662, 686. Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, 59. Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass dieses Problem vor der Umsetzung der Richtlinie relevanter war. Das StaRUG sieht keine Einleitung des Verfahrens durch und kein Planinitiativrecht für Gläubiger vor.

161

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

jährigen Erfahrung im amerikanischen Raum wäre dies aber erforderlich und wünschenswert gewesen.

III. Hintergründe im Gesetzgebungsverfahren 400 Im Gesetzgebungsverfahren der Richtlinie hat die relative Vorrangregel eine rasante Karriere vorzuweisen. Im vorherigen Entwurf der Richtlinie hatte der Richtlinienvorschlag noch die absolute Vorrangregel befürwortet.739) Die Einführung der relativen Vorrangregel überrascht vor dem Hintergrund, dass es auf europäischem Boden zu dieser im Grunde keinen akademischen Hintergrund gab.740) Innerhalb von etwa zweieinhalb Monaten avancierte die relative Vorrangregel vom völlig neuen Konzept zur präferierten Umsetzungsalternative für die Mitgliedstaaten. Im Gesetzgebungsverfahren wird die relative Vorrangrangregel, soweit ersichtlich, erstmals in einem Kompromisstext vom 1.10.2018 erwähnt.741) Dort wird im Gesetzestext deutlich, dass die absolute und relative Vorrangregel als Fairnesstests angesehen werden.742)

401 Bereits zuvor war darauf hingewiesen worden, dass für viele Mitgliedstaaten der Mechanismus des Cross-class Cram-downs neu sei.743) Bei den Verhandlungen sei die absolute Vorrangregel auf Skepsis gestoßen. Diese würde das Verfahren aufwändiger und kostspieliger und eine präventive Restrukturierung restriktiver oder gar unmöglich machen.744) Ein entscheidendes Argument gegen die absolute Vorrangregel scheint aber in der Erwägung gelegen zu haben, dass diese sehr unflexibel ist. In einem Vorstoß745) plädierte Großbritannien dafür, zumindest eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel zuzulassen. Die britische Delegation weist dabei explizit auf die Ergebnisse der amerikanischen Insolvenzrechtskommission hin.746) Der Vor___________ 739) Vgl. Art. 11 Abs. 1 lit. c) COM(2016) 723 final; Lange/Swierczok, BB 2019, 514, 519 gehen ganz selbstverständlich nur auf die absolute Vorrangregel ein, ohne die relative Vorrangregel zu problematisieren. 740) De Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 10 (2019); Balthasar, ZHR (183) 2019, 662, 684. 741) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU – Allgemeine Ausrichtung ST 12536/18 INIT v. 1.10.2018, 5 f. 742) Vgl. Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c), Abs. 2a RRL, ST 12536/18 INIT v. 1.10.2018, 68. 743) WK 13018/2017 INIT v. 14.11.2017, 2 sowie S. 5 Nr. 7. Leider wird nicht darauf eingegangen, für welche Mitgliedstaaten der Mechanismus des Cram-downs neu war und ist. 744) ST 12536/18 INIT v. 1.10.2018, 5 f.; vgl. auch Inacio, 74 Eurofenix, The Journal of INSOL Europe 2018/2019, 12, 13; Tirado/Mokal, 74 Eurofenix, The Journal of INSOL Europe 2018/2019, 20 f. 745) WK 7047/2018 INIT v. 8.6.2018, 1. 746) WK 7047/2018 INIT v. 8.6.2018, 1; es wird keine Stelle explizit mit Seitenangabe zitiert, die britische Delegation will aber auf Gedanken der Kommission des ABI zur absoluten Vorrangregel hinaus, vgl. American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 213 f.

162

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

schlag wurde mit dem Argument untermauert, dass der Richtlinienentwurf es wichtigen Zulieferern verbiete, ihre Leistungen zurückzuhalten (im finalen Richtlinientext in Art. 7 Abs. 4 RRL), um das Unternehmen weiter mit Gütern zu versorgen. Die absolute Vorrangregel verbiete es nun, diese überlebenswichtigen Zulieferer vor anderen, im Rang höher stehenden Gläubigern zu befriedigen, obwohl nur diese Zulieferer für das zukünftige Überleben des Unternehmens relevant seien.747) Der britische Vorschlag betonte dennoch, dass man die absolute Vorrangregel als wichtig anerkenne748) und eine Abweichung nur dann geboten sei, wenn die Abweichung für das Erreichen der Ziele des Restrukturierungsplans notwendig sowie „just and equitable“ sei.749) Von einer relativen Vorrangregel wie in der Endfassung der Richtlinie war der britische Vorschlag noch weit entfernt. Finnland griff den britischen Gedanken auf und wies darauf hin, dass die absolute Vorrangregel zu strikt sei.750) Der Vorstoß der britischen Delegation war in der Sache nicht unberechtigt. Die Tatsache, dass die Inflexibilität der absoluten Vorrangregel im Einzelfall ein Sanierungshindernis sein kann, ist unbestritten. Gleichwohl ist anzumerken, dass der Vorschlag für eine Änderung der absoluten Vorrangregel durch das American Bankruptcy Institute, auf den die britische Delegation verweist, in eine gänzlich andere Richtung geht und für den Fall konzipiert ist, dass das Unternehmen bereits insolvent ist. Ein pauschaler Verweis auf die Ergebnisse der Kommission des American Bankruptcy Institute war somit irreführend. Zudem erscheint es näherliegender, die Forderungen der wichtigen Lieferanten über einen höheren Rang in einer späteren Insolvenz abzusichern als die absolute Vorrangregel abzuändern. Genau das ist das Anliegen von Art. 17 der Richtlinie.751) In den späteren Fassungen wird seitens des Richtliniengebers ausgeführt, dass man 402 den Sorgen der Mitgliedstaaten Rechnung tragen wolle. Zum Schutz der ablehnenden Gläubiger führe man daher eine flexiblere Regel, die relative Vorrangregel, ein.752) Weitere Hintergründe des Unbehagens bezüglich der absoluten Vorrangregel lassen sich aus der Tatsache ableiten, dass Länder wie Frankreich vor der Umsetzung der Richtlinienvorgaben keine Vorrangregel kannten und England diese noch immer nicht kennt.753) Maßgeblich ist demnach vor allem die Angst gewesen, dass die Restrukturierungs- 403 pläne ineffektiv und zum Scheitern verurteilt sein könnten, wenn die Rangfolge strikt ___________ 747) 748) 749) 750) 751)

WK 7047/2018 INIT v. 8.6.2018, 1 f. WK 7047/2018 INIT v. 8.6.2018, 1. WK 7047/2018 INIT v. 8.6.2018, 2. WK 9911/2018 INIT v. 31.8.2018, 3. Das StaRUG hat sich indes gegen den Gedanken entschieden, den wichtigen Lieferanten einen höheren Rang einzuräumen. 752) ST 12536/18 INIT v. 1.10.2018, 5 f.; vgl. auch WK 14854/2018 INIT v. 29.11.2018, 45. 753) Vgl. dazu näher Rn. 551 ff.

163

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

gewahrt werden müsste. Gleichwohl war die absolute Vorrangregel noch die bevorzugte Alternative.

404 In der Fassung vom 17.12.2018 drehte sich das Verhältnis der beiden Regelungsmodelle schließlich um.754) Ab diesem Zeitpunkt war die relative Vorrangregel die präferierte Umsetzungsoption des Richtliniengebers. Es wird in den einleitenden Worten nur darauf hingewiesen, dass die Struktur des gruppenübergreifenden Cramdowns sich geändert habe, eine nähere Begründung erfolgt indes nicht.755)

IV. Verfassungsrechtliche Implikationen 405 Zu klären ist weiterhin, ob die deutschen Grundrechte der Umsetzung einer relativen Vorrangregel im Weg stünden. Wegen der in Art. 11 Abs. 1 lit. c), Abs. 2 RRL eröffneten Wahlmöglichkeit zwischen der absoluten und der relativen Vorrangregel sind die deutschen Grundrechte zu prüfen, da der nationale Gesetzgeber insoweit einen Umsetzungsspielraum hat. Sofern sich aus der Verfassung Kriterien ableiten lassen, die gegen die relative Vorrangregel sprechen, wäre eine Entscheidung schon aus diesen Gründen vorprogrammiert. Relevant ist vor allem Art. 14 Abs. 1 GG. Die relative Vorrangregel bewirkt, dass der Reorganisationsmehrwert nicht mehr vollständig entlang der Rangfolge verteilt werden müsste. In dem Maße, in dem ein Wert an den jeweils rangniedrigeren Gläubiger, Schuldner oder die am Schuldner beteiligten Personen verteilbar wird, ohne dass die Forderung des höherrangigen Gläubigers vollständig bedient wird, ist das Eigentumsgrundrecht betroffen.

1.

Anwendbarkeit der deutschen Grundrechte

406 Zu klären ist zunächst, inwieweit die deutschen Grundrechte überhaupt für die Frage der Umsetzung der Richtlinie relevant sind. Das StaRUG soll die Restrukturierungsrichtlinie und damit unionsrechtlich determiniertes Recht umsetzen. Seit den Rechtssachen „Van Gend & Loos“ und „Costa/ENEL“ vertritt der EuGH in ständiger Rechtsprechung einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts, nach welchem nationales Recht im Kollisionsfalle mit dem Unionsrecht unangewendet bleiben muss.756) Der EuGH erstreckt diesen Anwendungsvorrang ausdrücklich auch auf das nationale Verfassungsrecht.757) Seit dem Solange-II Urteil erkennt auch das Bundesverfassungs___________ 754) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30 – Bestätigung der finalen Kompromissfassung für eine Einigung – ST 15556/2018 INIT, v. 17.12.2018, 72 f. 755) ST 15556/2018 INIT v. 17.12.2018, 4. 756) EuGH, Rs. C-26/62, Slg. 1963, 3, 24 f. (Van Gend & Loos); EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, 1259, 1269 ff. (Costa/ENEL). 757) EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, 1126, 1135 ff. (Internationale Handelsgesellschaft).

164

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

gericht an, dass die Grundrechte des Grundgesetzes im Rahmen von vollständig determinierten Unionsrechtsakten grundsätzlich zurücktreten, solange der europäische Grundrechtsstandard mit dem grundgesetzlichen Schutzniveau vergleichbar ist.758) Einschlägig ist dann ausschließlich nach Art. 51 Abs. 1 Grundrechtecharta der Maßstab der europäischen Grundrechte. Anders liegt es jedoch, wenn, wie hier, Umsetzungsspielräume auf Seiten der Mitgliedstaaten verbleiben. Eine Richtlinie ist nach Art. 288 Abs. 3 AEUV nur hinsichtlich ihres Ziels, nicht jedoch in der Wahl der Form und Mittel der Umsetzung verbindlich.759) Die Umsetzungsfreiheit wird dabei maßgeblich durch den Detailgrad der Richtlinie vorgegeben. Eine Durchführungsautonomie besteht dabei nur hinsichtlich der Maßgabe der konkreten Richtlinie.760) Bei detailliert formulierten Richtlinien kann sich die Umsetzungsfreiheit auf einen rein formalen Spielraum ohne inhaltliche Bedeutung reduzieren.761) Der Rechtsgehalt der Richtlinie, nicht aber zwangsläufig der genaue Wortlaut, muss sich inhaltsgleich im nationalen Recht wiederfinden.762) Besteht ein Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten, so sind die deutschen Grund- 407 rechte in diesem Rahmen vom nationalen Gesetzgeber und den Gerichten zu beachten.763) Das Bundesverfassungsgericht hat festgehalten, dass in diesem Fall die deutschen Grundrechte neben den Unionsgrundrechten gelten. Es prüft dann primär die deutschen Grundrechte, wobei das Gericht von der widerleglichen Vermutung ausgeht, dass das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch die Anwendung der Grundrechte des Grundgesetzes eingehalten ist.764) Hinsichtlich des „Obs“ der Frage der Schaffung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmens, der Mehrheitsentscheidung und des gruppenübergreifenden cramdowns als Mittel des Zwangs besteht kein Umsetzungsspielraum. Umsetzungsspielräume bleiben jedoch im Rahmen des Anwendungsbereichs und der Umsetzung des Begriffs der „wahrscheinlichen Insolvenz“ nach Art. 4 Abs. 1 RRL, dessen Definition den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Die Zwangsmittel sind aber gerade hinsichtlich des Anwendungsbereichs problematisch, denn es besteht ein Unterschied darin, ob die Gläubiger in der materiellen Insolvenz des Schuldners eine Art „Gefahrengemeinschaft“ bilden oder ob losgelöst davon immer eine Zwangsbindung herstellbar ist. Insofern sind beide Punkte, der Anwendungsbereich und die Zwangsbindung ___________ 758) BVerfGE 73, 339, 375; BVerfGE 123, 267, 400 ff. 759) Callies/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 23; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU, 68. EL Oktober 2019, AEUV Art. 288 Rn. 112. 760) Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 288 Rn. 74. 761) Streinz/Schroeder, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 288 Rn. 74; Callies/Ruffert/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 288 Rn. 25. 762) Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Das Recht der EU, 68. EL Oktober 2019, AEUV Art. 288 Rn. 120. 763) Vgl. jüngst BVerfG, NJW 2020, 300, 1. Leitsatz. 764) BVerfG, NJW 2020, 300, 303 Rn. 55.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

über die Mehrheitsentscheidung sowie den gruppenübergreifenden Cram-down untrennbar miteinander verbunden. Daher muss in der Prüfung des Anwendungsbereichs auch die Möglichkeit der Zwangsbindung berücksichtigt werden. Im Rahmen des grundrechtlichen Schutzes nach Art. 14 GG wird davon ausgegangen, dass der Schutz auf europäischer Ebene hinter dem grundrechtlichen Schutz des nationalen Rechts zurückbleibt.765) Anhaltspunkte für einen gewichtigeren unionsrechtlichen Schutz bestehen nicht. Damit sind die deutschen Grundrechte anwendbar.

2.

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

408 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat noch keinen Fall behandelt, in dem eine verfassungsrechtliche Problematik rund um § 245 InsO – der hier zumindest als Vergleich herangezogen werden könnte – zu klären war. Es wurden in der Vergangenheit jedoch immer wieder Fälle entschieden, in denen der Schutz einer ablehnenden Minderheit durch Mehrheitsentscheidung in Frage stand. In diesem Zusammenhang wurden vornehmlich Fälle von Minderheitsgesellschaftern relevant, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollten. Dort war die Höhe der Abfindung ein maßgebliches Problem. Die Gläubiger waren bisher, soweit ersichtlich, nicht Gegenstand einer konkreten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Möglicherweise lassen sich dennoch Rückschlüsse für die Reichweite von Art. 14 Abs. 1 GG ziehen.

a) Feldmühle-Urteil 409 Im Feldmühle-Urteil766) legte das Gericht die Kriterien fest, unter denen die Minderheitsgesellschafter durch eine Mehrheitsentscheidung aus der Gesellschaft ausgeschossen werden können. Dort ging es um die Umwandlung der Firma Feldmühle Papier- und Zellstoffwerke AG. Zwei der Großaktionäre hielten 58 % und 22 % des Grundkapitals. Diese beiden Großaktionäre brachten ihre Beteiligungen in eine neue Gesellschaft ein, die Aktiengesellschaft für Papier- und Zellstoffinteressen, die dadurch mehr als drei Viertel der Anteile in einer Hand vereinigte. In einer außerordentlichen Hauptversammlung wurde eine Umwandlung in die neu gegründete Aktiengesellschaft beschlossen („übertragende Umwandlung“). In der Hauptversammlung der Feldmühle AG hatten Aktionäre mit rund 4,1 % des Grundkapitals der Umwandlung widersprochen, während andere Minderheitsaktionäre mit rund 6,7 % des Grundkapitals zugestimmt hatten. Nach dem Beschluss der Hauptversammlung sollte die Minderheit mit rund 21 % des Grundkapitals aus der Gesellschaft ausscheiden. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass ein Ausschluss der Minderheitsaktionäre möglich sei, dieser aber nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen könne; es müsse hierfür wichtige Gründe des Allgemeinwohls geben, die Ein___________ 765) So BeckOK-GG/Axer, Art. 14 Rn. 35 m. w. N. 766) BVerfGE 14, 263.

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B. Gehalt der relativen Vorrangregel

bußen der Betroffenen müssten wirtschaftlich voll ausgeglichen werden und es müsse ein wirksamer Rechtsbehelf zur Überprüfung der Zwangsbindung bereitstehen.767) Was genau unter der vollen Entschädigung zu verstehen sei, ließ das Gericht offen.

b) DAT/Altana Im DAT/Altana-Urteil768) des Bundesverfassungsgerichts ging es ebenfalls um Aktio- 410 näre, die aus der Gesellschaft ausscheiden sollten. In Frage stand die konkrete Berechnung der Höhe der zu zahlenden Abfindung an die ausscheidenden Aktionäre. Das Gericht knüpfte an die Rechtsprechung aus dem Feldmühle-Urteil an und konkretisierte die dort getroffenen Grundsätze. Ein ausscheidender Aktionär sei für seinen Rechtsverlust wirtschaftlich voll zu entschädigen.769) Die volle Entschädigung dürfe nicht unter dem Verkehrswert liegen, welcher den Börsenkurs berücksichtigen müsse.770) Der Ausgleich müsse so bemessen sein, dass die ausscheidenden Aktionäre auch künftig solche Renditen erhalten, die sie erhalten hätten, wenn der Unternehmensvertrag, welcher den Ausschluss der Minderheit zur Folge hatte, nicht geschlossen worden sei.771) Relevant sei der wirkliche, wahre Wert der Unternehmensbeteiligung an dem arbeitenden Unternehmen unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts.772) Die Minderheitsaktionäre dürften „nicht weniger erhalten, als sie bei einer freien Desinvestitionsentscheidung zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrages oder der Eingliederung erlangt hätten“. Ersichtlich wird zweierlei. Das Bundesverfassungsgericht will zum einen den Börsen- 411 kurs berücksichtigt wissen. Das hat den Hintergrund, dass der Börsenkurs den Wert widerspiegelt, zu dem der Aktionär seine Beteiligung am Markt hätte verkaufen können. Dieser Wert stellt gewissermaßen die Untergrenze dessen dar, was er erhalten muss. Das Gericht meint aber, dass der Börsenkurs in Einzelfällen, etwa aufgrund von Konjunkturschwankungen, unter dem wahren Wert der Beteiligung liegen kann, und verlangt daher, dass der innere Wert zu erstatten ist, wenn dieser über dem Börsenkurs liegt. Zweitens, und das ist maßgeblich, stellt das Bundesverfassungsgericht als Mindestgrenze auf die Möglichkeit der Desinvestitionsentscheidung ab. Damit bezieht es sich auf den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Wert des arbeitenden Unternehmens, womit der Fortführungswert gemeint ist.773) Es zieht dabei den Wert heran, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmensvertrages bestand, will ___________ 767) BVerfGE 14, 263, 282 f.; vgl. auch die Rechtsprechung zum aktienrechtlichen Squeeze-out: BVerfGE 100, 289, 302 f.; BVerfG NJW 2001, 279, 280; BVerfG, NJW 2007, 3268, 3269 f. 768) BVerfGE 100, 289. 769) BVerfGE 100, 289, 304. 770) BVerfGE 100, 289, 305. 771) BVerfGE 100, 289, 305 f. 772) BVerfGE 100, 289, 306; bestätigt durch BVerfG, ZIP 2000, 1670; dazu und mit Bezug zum Insolvenzplan vgl. Andrianensis, WM 2017, 362, 368. 773) Vgl. etwa Bergbach, Anteilseigentum, 527 ff.; Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 163 f.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

aber ersichtlich nicht den dadurch entstehenden Wert berücksichtigt wissen. Das erscheint logisch: Denn der Aktionär stellt sich ja gerade gegen die Eingliederung in den Konzern; es wäre unbillig, wenn er dann von dem eventuell höheren Wert, der infolge der Eingliederung entsteht, profitieren würde. Nach alledem zieht das Bundesverfassungsgericht als maßgebliche Untergrenze die Desinvestitionsentscheidung des dissentierenden Gesellschafters heran.

c)

Übertragbarkeit auf Reorganisationsfälle

412 Fraglich ist, ob sich diese Gedanken auf die Reorganisation übertragen lassen, denn in den Urteilen ging es um den Schutz von Minderheitsgesellschaftern. Das Verhältnis zu den Gläubigern spielte keine Rolle. Gleichwohl werden die im Feldmühle-Urteil entwickelten Kriterien des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Obstruktionsverbots auch auf die Gläubigerkonstellationen übertragen.774) Gründe werden dafür nicht explizit dargelegt. Für eine Übertragbarkeit spricht, dass es in beiden Fällen um eine Zwangsbindung gegen den Willen der Betroffenen geht. Die Gläubiger werden über das Erfordernis der Gruppenbildung mit wirtschaftlich ähnlichen Interessen, also von Gesetzes wegen in eine ähnliche Situation gebracht wie die Minderheitsgesellschafter. Ferner spricht für die Übertragbarkeit, dass es bei der Abstimmung innerhalb der Gruppen stets auch um Minderheitenschutz geht. In der Situation, dass eine ganze Gruppe den Plan abgelehnt hat, soll es sich nach der gesetzlichen Konstruktion wegen § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG sowie § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO ebenfalls um eine Minderheitenkonstellation handeln. Danach muss insgesamt die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zustimmen. Eine Übertragbarkeit der Grundsätze erscheint also nicht vollkommen abwegig. Folgt man dem, dann wäre bereits nach den geltenden Grundsätzen eine Einführung der relativen Vorrangregel möglich.

413 Der in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgebrachte Gedanke der Desinvestitionsentscheidung ließe sich dann auf Reorganisationsfälle übertragen. Auch dort haben die Planbetroffenen die Möglichkeit, durch ihre Zustimmung die Reorganisation zu unterstützen. Sie können die Reorganisationsmaßnahme aber auch ablehnen und damit gewissermaßen desinvestieren. Sie erhalten dann den – unentziehbaren – Betrag, den ihr Anspruch in diesem Zeitpunkt wert ist. Dies geschieht durch den best interest test, der den Wert sichert, der auch im alternativen Verfahren ohne den Plan realisierbar gewesen wäre. Der best interest test ist die maßgebliche Untergrenze, welche der Gesetzgeber auch im Falle einer Einführung einer relativen Vorrangregel nicht unterschreiten darf.

___________ 774) Madaus, Der Insolvenzplan, 281 ff.; Lepa, Insolvenzordnung und Verfassung, 251 ff.; wohl auch Andrianensis, WM 2017, 362, 368 f.; der Minderheitenschutz innerhalb der Gruppe wird über § 64 StaRUG gewährleistet.

168

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

d) Einführung der relativen Vorrangregel für die Zukunft Auch wenn man einer Übertragbarkeit der oben genannten verfassungsgerichtlichen 414 Rechtsprechung nicht folgt, wäre die Einführung einer relativen Vorrangregel möglich. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anteilseignern die Beteiligung am Fortführungswert zugesprochen. Dabei ist es selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Wert des Unternehmens positiv ist und die Ansprüche der Gläubiger vorrangig berücksichtigt werden. Man wird aber nicht den Umkehrschuss ziehen können, dass deshalb die Ansprüche der Gläubiger immer zwangsläufig vollständig befriedigt werden müssen. Da das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG ein in hohem Maße normgeprägtes Grundrecht ist,775) wird man vielmehr davon ausgehen müssen, dass Art. 14 GG insoweit keine vollkommen einengenden Schranken vorgibt. Existiert eine relative Vorrangregel und entsteht Eigentum – konkret die Forderung eines Gläubigers – unter Geltung der relativen Vorrangregel, dann können Schuldner und Gläubiger über ihre Vertragsgestaltung Rücksicht auf diese Gegebenheiten nehmen. Dem lässt sich beispielsweise durch eine Übergangsfrist sinnvoll Rechnung tragen, indem die Geltung einer relativen Vorrangregel erst nach Ablauf einer bestimmten Frist für alle ab diesem Zeitpunkt neu entstehenden Forderungen angeordnet wird. Eine ohne Übergangsfrist eingeführte relative Vorrangregel wäre hingegen kritisch, denn Art. 14 GG schützt auch das Vertrauen in die Kontinuität der Rechtsposition.776) Wo genau die Grenze einer solchen Einführung für bereits bestehende Rechtspositionen liegt, kann angesichts der – vorerst – getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der absoluten Vorrangregel dahinstehen. Es begegnet aber keinen grundlegenden Bedenken, wenn der Gesetzgeber den durch 415 die Reorganisation entstehenden Wert einer freien Verteilung durch den Planarchitekten zugänglich machen möchte. Eine relative Vorrangregel erscheint damit verfassungsrechtlich nicht per se ausgeschlossen.

3.

Verfassungsrechtliche Prüfung der relativen Vorrangregel

a) Schutzbereich des Art. 14 GG Das Grundrecht soll die freie Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung des 416 Lebens ermöglichen.777) Neben Sachen fallen auch schuldrechtliche Forderungen unter den Schutzbereich der Eigentumsgarantie.778) Erforderlich ist insoweit nur, dass ___________ 775) Statt vieler Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 148; BeckOK-GG/Axer, Art. 14 Rn. 7. 776) BVerfGE 143, 246 Rn. 336; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, Art. 14 Rn. 440 – 440; BeckOK-GG/Axer, Art. 14 Rn. 99 ff. 777) BVerfGE 24, 367, 389; BVerfGE 50, 290, 339; BVerfGE, 68, 193, 222; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, GG, Art. 14 Rn. 2. 778) BVerfGE 42, 263, 294; BVerfGE 45, 142, 179; BVerfGE 68, 193, 222; BVerfGE 70, 278, 285; BVerfGE 83, 201, 208 f.; BVerfGE 92, 262, 271.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

die Rechtsposition dem Inhaber bereits zusteht,779) bloß in der Zukunft liegende Chancen sowie Gewinn- und Verdienstmöglichkeiten sind nicht vom Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG umfasst.780) Auch das Vermögen als solches wird nicht geschützt. Jede Forderung des jeweiligen Gläubigers gehört demnach zu seinem Eigentum und genießt über Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlichen Schutz. Nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG gilt das auch für juristische Personen. Ebenso ist das Mitgliedschaftsrecht an einer Gesellschaft grundrechtlich von Art. 14 Abs. 1 GG geschützt.781) Ein Mitgliedschaftsrecht ist insofern gesellschaftsrechtlich verkörpertes Eigentum.782) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet das Privateigentum sowohl als Rechtsinstitut als auch in seiner konkreten Gestalt in der Hand des einzelnen Eigentümers.783) Geschützt ist grundsätzlich demnach nicht nur der Wert, sondern auch die konkrete Ausformung des Eigentums.

b) Eingriff aa) Definition 417 Ein Eingriff stellt zunächst jedes staatliche Handeln dar, das dem Einzelnen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert.784) Grundsätzlich muss hier zwischen zwei Eingriffen differenziert werden. Zum einen wird durch die Schaffung des StaRUG, also durch Gesetz und damit hoheitliches Handeln, das bestehende Eigentum aller Gläubiger und Schuldner sowie der am Schuldner beteiligten Personen verändert. Ein eingriffsrelevantes Verhalten kommt nur zu Lasten der Gläubiger und der Anteilseigner in Betracht. Da der Schuldner das alleinige Planinitiativrecht (§ 17 StaRUG) hat, wird dessen Eigentum nicht verkürzt, sondern erweitert. Zum anderen kann ein Eingriff im Sinne staatlichen Handelns im Einzelfall durch die Rechtsanwendung darin liegen, dass das Gericht einen Restrukturierungsplan bestätigt. Im Rahmen der gerichtlichen Bestätigung hat das Gericht aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht die Grundrechte der Beteiligten angemessen zu berücksichtigen. Im Folgenden soll die Betrachtung auf die Gesetzesebene beschränkt bleiben, denn ob das Gericht die jeweiligen Schutzkriterien angemessen auslegt, ist Frage des Einzelfalls.

___________ 779) BVerfGE 20, 31, 34; BVerfGE 30, 292, 334 f.; BVerfGE 68, 193, 222. 780) BVerfGE 30, 292, 335; BVerfGE 45, 272, 296; BVerfGE 68, 193, 222. 781) BVerfGE 14, 263, 276; BVerfGE 50, 290, 341 f.; BVerfGE 100, 289, 301 f.; BVerfGE 102, 197, 211; BVerfGE 132, 99, 119. 782) BVerfGE 14, 263, 278, dort bezogen auf die Aktie; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, GG, Art. 14 Rn. 310. 783) Wörtlich BVerfGE 24, 367, 389; BVerfGE 31, 229, 239; BVerfGE 42, 263, 294. 784) Bereits BVerfGE 105, 252, 272 f.; 105, 279, 303; BVerfG, NJW 2018, 2109, 2110; Epping, Grundrechte, 19.

170

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

bb) Abgrenzung Enteignung von Inhalts- und Schrankenbestimmung In einem weiteren Schritt muss zwischen einer Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG 418 und einer Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG unterschieden werden. Eine Enteignung liegt dann vor, wenn ein staatlicher Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen vorliegt, der auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter Rechtspositionen gerichtet ist.785) Es muss sich dabei um einen staatlichen Güterbeschaffungsvorgang handeln, mit dem ein konkretes öffentliches Vorhaben durchgeführt werden soll.786) Sollen mit dem Eigentumsentzug hingegen private Interessen miteinander in Einklang gebracht werden, so liegt keine Enteignung vor.787) Im Rahmen der Schaffung eines Restrukturierungsverfahrens soll nicht final788) zugunsten des Staates auf ein vom Schutzbereich umfasstes Recht eingewirkt werden. Das StaRUG regelt die Einbindung der Planbetroffenen vielmehr abstrakt. Es handelt sich daher um eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Präziser kann zwischen den bereits bestehenden Rechtspositionen, in die eingegriffen wird, und allen zukünftigen Ansprüchen, die noch nicht bestehen, unterschieden werden. Eine Ausgestaltung künftiger Ansprüche, die mittels des Restrukturierungsplans verändert werden können, ist eine Inhaltsbestimmung, weil damit der Schutzbereich der künftigen Grundrechte festgelegt wird.789) Für diese künftigen vom Eigentum nach Art. 14 GG geschützten Rechte liegt kein Eingriff vor, denn sie entstehen von vornherein nur unter Berücksichtigung des StaRUG. Hingegen handelt es sich für die bisherigen Eigentümer von Forderungen oder Mitgliedschaftsrechten um eine Schrankenbestimmung, da ein bereits bestehendes Recht modifiziert wird.790)

cc) Zu Lasten der Gläubiger Sowohl in der Schaffung der relativen Vorrangregel auf Gesetzesebene als auch in 419 einer konkreten Bestätigung des Restrukturierungsplans gegen den Willen einzelner Gläubiger würde jeweils ein Eingriff in Art. 14 GG liegen. Im Verhältnis zum Schuldner und zu den Anteilseignern läge in der Einführung einer relativen Vorrangregel kein eingriffsrelevantes Verhalten, denn diese würden unter deren Geltung immer besser stehen als unter Geltung einer absoluten Vorrangregel. Beleuchtet werden soll nur der Eingriff auf Gesetzesebene, denn ob die Kriterien des best interest tests und der relativen Vorrangregel sachgerecht umgesetzt würden, wäre Frage des Einzelfalls.

___________ 785) 786) 787) 788) 789) 790)

Grundlegend BVerfGE 58, 300; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, GG, Art. 14 Rn. 633. BVerfGE 104, 1, 9 f.; Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, GG, Art. 14 Rn. 633. BVerfGE 104, 1. Maunz/Dürig/Papier/Shirvani, GG, Art. 14 Rn. 639. Vgl. BVerfGE 51, 1, 27; BVerfG, NJW 1986, 2188, 2189; Epping, Grundrechte, 236 f. BVerfGE 14, 263, 278; BVerfGE 21, 73, 79; BVerfGE 25, 112; BVerfGE 72, 66, 77; BVerfG, NJW 1986, 2188, 2189; Epping, Grundrechte, 237.

171

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

c)

Rechtfertigung

420 Der Eingriff auf Gesetzesebene müsste einer Rechtfertigung zugänglich sein. Das ist der Fall, wenn er verhältnismäßig ist, also in Bezug auf einen legitimen Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist.791)

421 Zunächst müsste die relative Vorrangregel ein legitimes792) Ziel verfolgen. Dieses ist darin zu sehen, dass dem Planarchitekten eine größere Flexibilität bei der Verteilung des Reorganisationsmehrwertes eingeräumt werden soll. Die relative Vorrangregel soll es insbesondere ermöglichen, Fortführungswerte zu realisieren, die nur unter der Beteiligung der alten Gesellschafter möglich sind. Zudem können so Werte an Gläubiger verteilt werden, deren Leistungen für die Reorganisation des Unternehmens essentiell sind. Schließlich soll sie, auch wenn das nicht explizit ausgeführt wird, die Einleitung eines Reorganisationsverfahrens attraktiver machen, denn unter ihrer Geltung müssen die Gesellschafter nicht fürchten, ihre Beteiligung am Unternehmen zu verlieren. Durch eine frühzeitige Einleitung des Sanierungsverfahrens werden auch die Chancen erhöht, dass die Sanierung generell gelingt, was sich auch für die Gläubiger als vorteilhaft erweisen kann. Mittelbar fördert die frühzeitige Einleitung des Restrukturierungsverfahren den Erhalt von Arbeitsplätzen. Das sind legitime Ziele.

422 Die relative Vorrangregel ist auch geeignet, um diese Ziele zu fördern.793) Fraglich ist, ob die relative Vorrangregel auch erforderlich ist. Das ist der Fall, wenn es kein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt, um das gesetzte Ziel zu erreichen.794) Die oben genannten Ziele ließen sich auch durch eine Aufweichung der absoluten Vorrangregel erreichen. Gerade das Ziel der Realisierung von Fortführungswerten, welches nur unter Beteiligung der alten Gesellschafter möglich ist, wäre durch eine Ausnahme von der absoluten Vorrangregel erreichbar, wie das Beispiel des § 28 Abs. 2 StaRUG zeigt. Für den Erhalt von Arbeitsplätzen ist die Eigentümerstruktur des Unternehmens irrelevant. Es wäre in diesem Sinne nicht schädlich, wenn die absolute Vorrangregel ein Ausscheiden der alten Anteilseigner erzwingen würde. Solange die Reorganisation auch ohne eine relative Vorrangregel gelingt, etwa unter Geltung einer absoluten Vorrangregel oder im Wege einer übertragenden Sanierung, wäre der Erhalt der Arbeitsplätze ebenfalls realisierbar. Gleichwohl ist die Attraktivität des Restrukturierungsverfahrens für die Anteilseigner und die Flexibilität für den Planersteller unter Geltung einer relativen Vorrangregel erheblich höher. Eine abweichende Regelung wäre daher nicht gleich effektiv. ___________ 791) Vgl. BVerfGE 109, 279, 335 ff.; BVerfGE 115, 320, 345; BVerfGE 118, 168, 193; BVerfGE 120, 274, 318 f.; BVerfG, NJW 1986, 2188, 2189; Epping, Grundrechte, 24. 792) Epping, Grundrechte, 24 f. 793) Dazu genügt eine Förderung des erstrebten Erfolges, vgl. BVerfGE 109, 279, 336; BVerfGE 115, 320, 345. 794) BVerfGE, 109, 279, 340; BVerfGE 115, 320, 345; BVerfGE 120, 274, 321; Epping, Grundrechte, 26.

172

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Schließlich müsste die relative Vorrangregel angemessen sein. Die Schwere des 423 Grundrechtseingriffs muss mit dem Nutzen des verfolgten Zwecks abgewogen werden. Die relative Vorrangregel müsste die widerstreitenden Interessen der dissentierenden Gläubigergruppen mit denen der Anteilseigner und zustimmenden Gläubiger sachgerecht in Einklang bringen. Der Gesetzgeber genießt im Rahmen einer solchen mehrpoligen Konfliktlage einen weiten Einschätzung- und Gestaltungsspielraum.795) Es steht dem Gesetzgeber daher frei, dem Unternehmertum der reorganisationswilligen Planbetroffenen einen hohen Stellenwert einzuräumen. Die an der Reorganisation Beteiligten werden neben der relativen Vorrangregel weiterhin über umfangreiche Verfahrensmaßnahmen und materiell-rechtliche Regelungen geschützt: Alle Planbetroffenen stimmen in Gruppen mit ähnlichen wirtschaftlichen Interessen über den Plan ab. Dadurch wird sichergestellt, dass die Betroffenen in ähnlicher Weise vom Plan beeinflusst werden. Die Interessen einer Gruppe sind daher, eine richtige Zusammensetzung der Gruppe vorausgesetzt, homogen. Die Gruppen können über die Verweigerung der Zustimmung signalisieren, dass sie mit dem Plan nicht einverstanden sind. In dem hier relevanten Fall des gruppenübergreifenden Cram-downs, in dem also die Zustimmung einer gesamten Gruppe ersetzt wird, ist zu berücksichtigen, dass nach wie vor die Mehrheit der Gruppen dem Plan zustimmen muss. Das verschafft dem Plan eine gewisse Legitimität, da die Entscheidung privatautonom getroffen wurde. So wird verhindert, dass der Schuldner mit willkürlichen und fragwürdigen Plänen die Gläubiger um ihre Ansprüche bringt. Es erscheint insoweit naheliegend, dass die Planbetroffenen besser als ein Gericht wissen, ob die im Plan angestrebten Maßnahmen für sie selbst vorteilhaft sind oder nicht. Oft werden die Gläubiger ihre Zustimmung auch davon abhängig machen, dass die Gesellschafter dem Unternehmen frisches Kapital zuführen. Dadurch wird nicht nur die Reorganisation gefördert, sondern auch für einen weiteren Interessengleichklang zwischen Gläubigern und Gesellschaftern gesorgt. Auch wäre die relative Vorrangregel nur eines von zwei Schutzkriterien innerhalb des gruppenübergreifenden Cram-downs. Daneben würde der best interest test des § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG als weiteres materiellrechtliches Schutzkriterium dafür sorgen, dass der Wert der bestehenden Ansprüche der Gläubiger erhalten bleibt. Daher kann die relative Vorrangregel nicht isoliert, sondern nur im Zusammenspiel mit den anderen Schutzmechanismen des Cramdowns betrachtet werden. Das Eigentum ist in seinem Kern durch die Zuordnung eines Rechtsguts an einen Rechtsträger gekennzeichnet und unabhängig von seiner inhaltlichen Ausgestaltung.796) Der unabdingbare Schutz erfasst den Anspruch in seinem Kernbestand.797) Wird ein Anspruch inhaltlich geändert, ohne dass sich der prinzipielle Wert des Anspruchs ändert, so hat das Bundesverfassungsgericht dies ___________ 795) BVerfGE 115, 205, 234; BVerfGE 137, 185, 258; BVerfG, NJW 2018, 2542, 2544; Epping, Grundrechte, 27. 796) BVerfGE 42, 263, 294. 797) BVerfGE 14, 263, 278; BVerfGE 42, 263, 293.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

als zulässige „Umschaffung“ eines Anspruchs bezeichnet.798) Ein Eingriff war in der Contergan-Entscheidung sogar ohne Rückgriff auf ein höherrangiges Allgemeininteresse für verfassungskonform gehalten worden.799) Voraussetzung für diese Umgestaltung eines Rechts war, dass der Eigentumseingriff zum einen den vollen Wert des Anspruchs berücksichtigt und zum anderen im Eigeninteresse des Betroffenen liegt.800) Die individuellen Rechtspositionen durften im Contergan-Fall nicht isoliert betrachtet werden, sondern standen in einem Gesamtzusammenhang.801) Diese Wertung in Sinne einer Betrachtung des Gesamtzusammenhangs lässt sich dann auf die Unternehmensrestrukturierung übertragen, wenn die Ansprüche der Gläubiger durch die Krise des Unternehmens bedroht werden. Denn dann beeinflussen die Entscheidungen des Schuldners, der am Schuldner beteiligten Personen und der Gläubiger die der jeweils anderen. Die Wahrung des Kernbestandes des Anspruchs erfolgt bereits durch den best interest test. Es liegt also die Annahme nahe, dass dieser die entscheidende Grenze ist, die es eigentumsrechtlich zu Gunsten der Gläubiger zu berücksichtigen gilt.

424 Zu berücksichtigen ist zudem, dass es den Gläubigern grundsätzlich freisteht, sich ihr erhöhtes Risiko, dass sie in der Reorganisation nicht den Nominalwert ihres Anspruchs erhalten können, über einen erhöhten Zinssatz im Vorfeld der Insolvenz kompensieren lassen können. Es bleibt ihnen also unbenommen, sich entsprechend kautelarjuristisch abzusichern und eine Risikovorsorge zu betreiben. Das betrifft freilich nur solche Gläubiger, deren Verträge noch nicht geschlossen sind. Dem könnte der Gesetzgeber dadurch Rechnung tragen, indem er eine Übergangsfrist schafft oder nur neu geschlossene Verträge der relativen Vorrangregel unterwirft. Daneben sind Gläubiger von Forderungen aus vorsätzlich begangenen deliktischen Handlungen nach § 4 Nr. 2 StaRUG von einer Gestaltung ausgenommen. Das bedeutet, dass es keine Gläubiger gibt, die ihr Risiko nicht grundsätzlich kautelarjuristisch anpassen können.

425 Legt man schließlich die relative Vorrangregel im hier vertretenen Sinne aus und verlangt, dass die ranghöheren Gläubiger auch in höherem Maße vom Reorganisationsmehrwert profitieren müssen, dann sind die Unterschiede zur alternativen absoluten Vorrangregel in der Regel eher gering. ___________ 798) Vgl. BVerfGE 42, 263, 299; BVerfGE 83, 201, 212; BVerfG, NJW 2004, 1233. 799) In der Entscheidung ging es um Frauen, die während der Schwangerschaft das Beruhigungsmedikament Contergan eingenommen hatten, welches zu Fehlbildungen der Föten führte. Der Gesetzgeber wandelte die privatrechtlichen Ansprüche der Betroffenen gegen den Hersteller des Medikaments mittels eines Gesetzes in einen Anspruch gegen eine neu errichtete Stiftung um, vgl. Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ v. 17.12.1971, BGB. I, 1971, 2018; dazu jeweils Madaus, KSzW 2015, 183, 186; ders. Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 43, 63. 800) BVerfGE 42, 263, 299; Madaus, KSzW 2015, 183, 186; ders., Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 43, 63. 801) Vgl. BVerfGE 42, 263, 301.

174

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Alles in allem liegt es fern, eine relative Vorrangregel von vornherein als verfas- 426 sungswidrig anzusehen. In Kombination mit den anderen Schutzvorrichtungen innerhalb des gruppenübergreifenden Cram-downs spricht vieles dafür, dass die Interessen der Gläubiger und des Schuldners sowie der am Schuldner beteiligten Personen verfassungsrechtlich angemessen berücksichtigt werden.

V. Legitimatorische Erwägungen und relative Vorrangregel Es lässt sich weiter untersuchen, auf welchen legitimatorischen Erwägungen der 427 gruppenübergreifende Cram-down im StaRUG aufbaut. Würde sich hier offenbaren, dass die absolute Vorrangregel ein wichtiger Bestandteil der Legitimation ist, dann spräche das gegen eine Umsetzung der relativen Vorrangregel. Untersucht man die Legitimation des gruppenübergreifenden Cram-downs, so kann vergleichend die Legitimationsbasis des bereits bestehenden Obstruktionsverbots des § 245 InsO berücksichtigt werden. Es kann sodann überprüft werden, ob diese Legitimationserwägungen auch bei dem gruppenübergreifenden Cram-down im vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren unter Geltung der relativen Vorrangregel herangezogen werden können. Die Betrachtung soll sich dabei vor allem auf Erwägungen des Gesetzgebers stützten. 428 Die Frage der Legitimationsgrundlage ist eng verknüpft mit der dogmatischen Einordnung und der Rechtsnatur des Restrukturierungsplans. Diese Fragen gehören schon beim Insolvenzplan mit zu den komplexesten und umstrittensten Fragen.802) Sie sind nicht nur theoretischer Natur, sondern sind beispielsweise für die Fragen relevant, ob ein Schuldner einen von ihm vorgelegten Restrukturierungsplan zurücknehmen kann oder wie dieser auszulegen ist.803) Für die relative Vorrangregel ist die dogmatische Einordnung des Restrukturierungsplans hingegen nicht von vorrangiger ___________ 802) Vgl. BGH, NZI 2015, 697, 700 Rn. 26; BGH, NZI 2006, 100, 101 Rn. 15: „spezifisch insolvenzrechtliches Instrument“; zustimmend Kübler/Prütting/Bork/Spahlinger, InsO, § 217 Rn. 59a; Graf-Schlicker/Kebekus/Handschumacher, InsO, § 217 Rn. 6; ähnlich Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 217 Rn. 1 (verfahrensrechtlich geprägtes Institut sui generis); Leipold, KTS 2006, 109, 122 ff. („Verfahrenstheorie“); ähnlich Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 254 Rn. 37 f.; Smid/Rattunde/Martini, Insolvenzplan, Rn. 7.8 (verfahrensrechtliche Qualifikation); Thöne, KTS 2018, 151, 166 ff. (verfahrensrechtliche Qualifikation); Jaeger/Münch, InsO, Vor § 217 Rn. 266 ff., 270 (privatrechtsgestaltender Verfahrensakt und verfahrensgestaltender Beschlussakt); Brünkmans/Thole/Thole, Hdb.-Insolvenzplan, § 1 Rn. 10 (in erster Linie verfahrensrechtliches Instrument); m. w. N. MüKo-InsO/Eidenmüller, § 217 Rn. 14–31 (Doppelnatur zwischen materiell-rechtlichem und prozessualem Vertrag); Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1197 ff., 1205 f. (Doppelnatur als gemischt privatrechtlicher und prozessualer Vertrag); Andres/Leithaus/Andres, InsO, § 217 Rn. 1 (Vertrag); Häsemeyer, InsR, Rn. 28.64 ff. (Vertrag); H.-F. Müller, KTS 2002, 209, 210 – 212 (Vertrag); Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, § 29 Rn. 366 (Rechtsgeschäft); Rattunde/Smid/Zeuner/Leonhardt, InsO, § 217 Rn. 6 (Rechtsnormcharakter); monographisch Madaus, Der Insolvenzplan, passim (unter gesetzlichen Kontrahierungszwängen zustande kommender rein materiell-rechtlicher Vertrag); Fritzsche, Die juristische Konstruktion des Insolvenzplans als Vertrag, passim (prozessual-materielle Doppelnatur). 803) Vgl. zum Insolvenzplan etwa Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 254 Rn. 6.

175

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

Bedeutung. Sie ist vornehmlich für die Frage der Anwendbarkeit der §§ 119 ff. BGB relevant sowie darüber, ob der Schuldner einen von ihm selbst vorgelegten Insolvenzplan zurücknehmen kann.804) Die Frage gibt des Weiteren genügend Stoff für eine eigene rechtswissenschaftliche Arbeit; sie soll an dieser Stelle ausgeklammert werden.

1.

Mehrheitserfordernis

429 Der Willensbildungsprozess sowohl im Insolvenzplan als auch im Restrukturierungsplan verläuft zweistufig. Auf der ersten Stufe stimmen alle Gruppen über den Plan ab. Erst wenn klar ist, dass nicht alle Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Mehrheiten zustimmen, kann das Obstruktionsverbot des §§ 245, 247 InsO bzw. der restrukturierungsrechtliche gruppenübergreifende Cram-down der §§ 26 – 28 StaRUG einsetzen. Diese zweite Stufe ist demnach nicht Teil des Willensbildungsprozesses der Mehrheitsentscheidung an sich, sondern knüpft an das Ergebnis des Willensbildungsprozesses an.805)

430 Das Mehrheitserfordernis selbst bedarf einer Legitimation, denn der Mehrheitsbeschluss bindet die ablehnende Minderheit einer Gruppe. Diese Legitimation wird im Rahmen des Insolvenzplans in dem Gedanken gesehen, dass eine Mehrheitsentscheidung einer privatautonom ausgehandelten Entscheidung eine gewisse Richtigkeitsgewähr in sich selbst trägt.806) Diese Richtigkeitsgewähr setzt voraus, dass die Gruppen wirtschaftlich ähnliche Interessen haben,807) was durch §§ 222 Abs. 1, Abs. 2, 226 Abs. 1 InsO sichergestellt wird. Die Gruppen sind in solche mit wirtschaftlich gleichen Interessen einzuteilen und allen Mitgliedern einer Gruppe sind darüber hinaus die gleichen Rechte anzubieten. Der einer solchen Gruppe zugehörige Gläubiger kann seine Interessen nicht losgelöst von den jeweils anderen verfolgen, denn die ___________ 804) Vgl. Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 254 Rn. 6. 805) Zum Insolvenzplan Grünewald, Mehrheitsherrschaft, 265; ähnlich Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 87 – 89. 806) BT-Drucks. 12/2443, 92; auch Begründung zu den Motiven der KO, 392; vgl. eingehend Madaus, Der Insolvenzplan, 220 ff., 228, 502 ff.; MüKo-InsO/Eidenmüller, § 222 Rn. 4; Kübler/Prütting/Bork/Spahlinger, InsO, § 222 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 222 Rn. 2; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO, § 222 Rn. 3; ähnlich Jaeger/Münch, InsO, § 222 Rn. 3: „Legitimitätswirkung“; Baltzer, Beschluss, 213; Knof, SanB 2021, 68, 69: „gewichtiges (widerlegliches) Indiz für die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit“; zweifelnd K. Schmidt/Spliedt, InsO, § 222 Rn. 1; zweifelnd auch Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1120 f.; a. A. Gottwald/Koch/de Bra, Hdb.-InsR, § 67 Rn. 38. 807) BT-Drucks. 12/2443, 92; MüKo-InsO/Eidenmüller, § 222 Rn. 4; ders., Unternehmenssanierung, 82; Kübler/Prütting/Bork/Spahlinger, InsO, § 222 Rn. 1; Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 222 Rn. 2; Madaus, Der Insolvenzplan, 218 f.; Grünewald, Mehrheitsherrschaft, 320; Brosent, Strategische Insolvenzen, 245 – 248; kritisch Fritzsche, Die juristische Konstruktion des Insolvenzplans als Vertrag, 135 ff., der den Begriff der Interessengruppe als konturlos bezeichnet; ebenso Häsemeyer, InsR, Rn. 28.68; das Bundesverfassungsgericht, ZIP 2000, 1670, 1672 geht davon aus, dass ein Minderheitenschutz vor allem durch eine Interessenhomogenität gewährleistet wird.

176

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Interessen der Gruppe haben einen identischen Bezugspunkt, mit der Folge, dass die Einwirkung auf die Interessen eines Gläubigers auch die anderen Gläubiger der Gruppe beeinträchtigt.808) Das Bundesverfassungsgericht hat in einem gesellschaftsrechtlichen Kontext ebenfalls festgehalten, dass eine Mehrheitsentscheidung dann eine Gewähr dafür bietet, dass die Maßnahme im Interesse aller Anteilseigner liegt, wenn und soweit die Interessen bezogen auf den konkreten Fall als homogen anzusehen sind.809) Diese Erwägungen treffen auch auf die gruppenbezogene Entscheidung der Gläubiger zu, denn diese müssen innerhalb der Gruppe entscheiden, ob sie die im Restrukturierungsplan vorgeschlagenen Maßnahmen auch für sich selbst als vorteilhaft einstufen. Bezogen auf den Restrukturierungsplan wird in Erwägungsgrund Nr. 44 der Richtlinie die Einteilung in Gruppen als Voraussetzung für eine faire Behandlung der jeweiligen Interessen der Betroffenen gesehen. Das Gesetz fordert in § 9 Abs. 1 StaRUG ebenfalls die Einteilung in Gruppen, wie sie im Wesentlichen auch § 222 InsO vorsieht. Auch dort können gem. § 9 Abs. 2 StaRUG nach Maßgabe divergierender wirtschaftlicher Interessen weitere Gruppen gebildet werden. Aufgrund der gleichen Rahmenbedingungen können die zum Insolvenzplan getroffenen Erwägungen insoweit auf den Restrukturierungsplan übertragen werden. Die im Rahmen der Begründung der Mehrheitsentscheidung geäußerten Gedanken 431 treffen nicht mehr zu, sobald es um die Frage der Legitimation der Ersetzung der fehlenden Zustimmung einer ganzen Gruppe geht. Zum einen liegen dann keine homogenen Interessen mehr vor. Zum anderen muss zwar nach § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO, § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG die Mehrheit der Gruppen als Voraussetzung der Zustimmungsfiktion insgesamt zustimmen. Jedoch kann es sich bei geschickter Gruppengestaltung dabei noch immer um eine Minderheit aller Gläubiger handeln.810) Auch reicht im Rahmen von § 26 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG die Zustimmung nur einer Gruppe, wenn es insgesamt nur zwei Gruppen gibt. Der Gedanke, dass die Mehrheit aller abstimmenden Gruppen damit den entscheidenden Legitimationsgewinn mit sich bringt, erscheint also im Rahmen der Zustimmungsfiktion nicht vollkommen überzeugend.

2.

Überwindung des Widerstandes einer ganzen Gruppe im Insolvenzplan

Wenn die Mehrheit der abstimmenden Gruppen den Widerstand einer ganzen Gruppe 432 nicht überwinden kann, dann muss erklärt werden, inwieweit sich die Überwindung des Widerstandes einer ganzen Gruppe rechtfertigt. Im Rahmen der Einführung des Insolvenzplans war der tragende Gedanke hinter dem 433 Obstruktionsverbot und der Zustimmungsfiktion der ganzen Gruppe, dass die Verweigerung einer Zustimmung dann rechtsmissbräuchlich wäre, wenn ein Betroffener ___________ 808) Grünewald, Mehrheitsherrschaft, 260, 320; ähnlich Häsemeyer, InsR 28.68, der aber eine Rechtsoder Interessengemeinschaft entschieden ablehnt. 809) BVerfG, ZIP 2000, 1670, 1672. 810) Jaeger/Piekenbrock, InsO, § 254 Rn. 33; Madaus, Der Insolvenzplan, 257 f.

177

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

durch den Plan nicht schlechter gestellt wird.811) Auf ähnlichen Erwägungen beruhte schon die Schaffung des Präventivakkordes im Jahr 1924.812) Es sollen solche Verweigerungshaltungen im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten überwunden werden, die wirtschaftlich nicht begründbar sind.813) Einfachrechtlich ist der Gedanke der Verhinderung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens auch in §§ 226 und 242 BGB niedergelegt. Das insolvenzrechtliche Obstruktionsverbot wird daher auch teilweise als besondere Ausprägung des Schikaneverbots des § 226 BGB gesehen.814)

434 Teilweise wird das Obstruktionsverbot mit der Begründung kritisiert, dass dieses sich nur deshalb auf einen Rechtsmissbrauchsgedanken stütze, weil die Rechtsposition des betroffenen Gläubigers wirtschaftlich wertlos sei.815) Die wirtschaftliche Wertlosigkeit eines betroffenen Gläubigeranspruchs wird aber beispielsweise von der Gesetzesbegründung zu keinem Zeitpunkt ins Spiel gebracht.816) Vielmehr wird ausschließlich an die Gegenüberstellung zum Regelinsolvenzverfahren angeknüpft und darauf verwiesen, dass der betroffene Gläubiger nicht schlechter stehen soll.817) Die Anknüpfung an eine wirtschaftliche Wertlosigkeit eines Gläubigeranspruchs ist auch generell nicht überzeugend, denn ein absonderungsberechtigter Gläubiger kann dabei mit seinem Anspruch hohe Quoten erreichen. Dann ist auch die gesicherte Forderung etwas wert. Das gilt ebenso, zumindest theoretisch, für einen nicht-nachrangigen Insolvenzgläubiger ohne Absonderungsrecht.

435 Sichergestellt wird der Gedanke der Nichtschlechterstellung durch § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO sowie § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO, welcher dabei dem amerikanischen „best interest test“ entspricht.818) In der Tat ist es einleuchtend, dass ein Gläubiger, der keinerlei ___________ 811) BT-Drucks. 12/2443, 208; ebenso für das Bankenrecht BT-Drucks. 17/3024, 55; Madaus, Der Insolvenzplan, 257 ff., 280; Uhlenbruck/Lüer/Streit, InsO § 245 Rn. 1; MüKo-InsO/Eidenmüller, § 217 Rn. 23; Nerlich/Römermann/Rühle, InsO, § 245 Rn. 1; BeckOK-InsO/Geiwitz/Danckelmann, § 245 Rn. 1; Brünkmanns/Thole/Thole, Hdb. Insolvenzplan, § 17 Rn. 1; Gottwald/Koch/de Bra, Hdb-InsR, § 68 Rn. 51; Andrianensis, WM 2017, 362, 364; H.-F. Müller, KTS 2002, 209, 211; ähnlich, aber bezogen auf die Mehrheitsentscheidung Gaul, FS Huber, 2006, 1187, 1210; kritisch Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan Rn. 18.7; ebenso Stürner, Insolvenzrecht im Umbruch, 41, 46 ff. 812) Allgemeine Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Vergleich zur Abwendung eines Konkurses, RT-Drucks. Nr. 2340 III. Wahlperiode, 1924/26, 14 li. Sp.: „[…] einzelnen Gläubigern, die aus bösem Willen oder Eigensinn oder aus volkswirtschaftlicher Einsichtslosigkeit einem sachgemäßen Ausgleich widerstreben und den Schuldner in den Konkurs treiben“. 813) Madaus, Der Insolvenzplan, 257 ff., 280. 814) Fritzsche, Die juristische Konstruktion des Insolvenzplans als Vertrag, 272 f. 815) Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan Rn. 18.7; bezogen auf die Anteilseigner und die Änderungen des ESUG Schäfer, ZIP 2013, 2237, 2243; H.-F. Müller, DB 2014, 41, 44. 816) So auch Brosent, Strategische Insolvenzen, 263. 817) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 208 re. Sp. 818) Vgl. 11 U.S.C. § 1129(a)(7)(A)(ii); zur Geschichte und Wirkungsweise vgl. Hicks, 5 Nevada L. J. 820, 821 ff. (2005); siehe auch Madaus, Der Insolvenzplan, 255; Jaeger/Kern, InsO, § 245 Rn. 9; für eine ausführliche Darstellung der Cram-down Mechanismen im amerikanischen Recht vgl. Klee, 53 Am. Bank. L. J. 133 (1979); ders., 64 Am. Bank. L. J. 229 (1990).

178

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

Nachteile durch einen Plan erleidet, diesen nicht durch seine Ablehnung zu Fall bringen können soll. § 247 Abs. 2 Nr. 1 InsO zeigt ebenfalls, dass der „best interest test“ das maßgebliche Kriterium für die Zustimmungsfiktion ist.819) Daraus lässt sich umgekehrt ableiten, dass die absolute Vorrangregel nicht als maßgebliches Kriterium für die Legitimation angesehen wird.

3.

Übertragung auf den Restrukturierungsplan

Will man aber den Gedanken des Rechtsmissbrauchs als Legitimationserwägung 436 auf ein vorinsolvenzliches Verfahren übertragen, dann erscheint das im Ausgangspunkt nicht ganz so überzeugend. Es lässt sich dennoch prüfen, ob und inwieweit die Gedanken auch im Restrukturierungsverfahren tragfähig sind.820)

a) Rechtsmissbrauch Das Obstruktionsverbot des § 245 InsO stützt sich maßgeblich auf den Gedanken, 437 dass eine ablehnende Haltung der Gruppe rechtsmissbräuchlich wäre, wenn den Betroffenen wirtschaftlich keine Nachteile entstehen. Gegen eine Übertragbarkeit des Gedankens auf den Restrukturierungsplan spricht, dass das wirtschaftliche Risiko vor der Insolvenz gerade beim Unternehmer liegen soll. Vor der Insolvenz scheinen zunächst per definitionem noch genügend Vermögenswerte im Unternehmen vorhanden, um alle Gläubiger – bei rechnerischer Überschuldung zumindest im Zeitablauf – vollständig befriedigend zu können. Man kann argumentieren, dass nicht erkennbar ist, worin ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liegen soll, wenn in einem Stadium, in dem noch genügend Vermögenswerte im Unternehmen für alle Gläubiger vorhanden sein sollen, eine Gruppe dann auf ihrem privatautonom ausgehandeltem Recht besteht, indem sie den Plan mehrheitlich ablehnt. In der materiellen Insolvenz besteht davon abweichend die Situation, dass der Zugriff eines Gläubigers durch die Vermögensinsuffizienz des Unternehmens zwangsweise auch die anderen Gläubiger beeinflusst.821) Aus der Perspektive des deutschen Rechts gibt es gute Argumente dafür, auch im 438 Restrukturierungsverfahren an den Gedanken des Rechtsmissbrauchs anzuknüpfen. Ein starkes Argument dafür ist, dass es mit § 18 InsO und auch mit § 19 KredReorgG zwei normative Anknüpfungspunkte gibt bzw. gab822), die es erlauben, vor der mate___________ 819) Den „best interest test“ als maßgebliches Kriterium für die Legitimation haltend Blum, 25 U. Chi. L. Rev., 417 f. (1958). 820) Dafür etwa Flöther/Madaus, Sanierungsrecht, Kap. F. Rn. 210. 821) Häsemeyer, KTS 1982, 507, 515 ff. Häsemeyer leitet aus diesem Gedanken die Legitimation des insolvenzrechtlichen Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes ab; anders J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 195 – 199, 208 f. („materiell-rechtliches Auffangprinzip“). 822) Das KredReorgG wurde durch Artikel 12 G. v. 9.12.2020, BGBl. I S. 2773 aufgehoben.

179

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

riellen Insolvenz in die Rechte der Betroffenen einzugreifen, und welche sich auf denselben Gedanken stützen.823) Insbesondere die Parallelität des Reorganisationsverfahrens zum Insolvenzverfahren über den Anknüpfungspunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO spricht dafür, denn der Tatbestand erlaubt wahlweise die Einleitung des Insolvenz- oder StaRUG-Verfahrens.

439 Des Weiteren kommt der Gedanke zum Tragen, dass der gruppenübergreifende Cramdown einen theoretisch bestehenden Mehrwert umsetzbar machen soll, der nur durch einen Plan erreicht werden kann.824) Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 19 Abs. 2 InsO Gesellschafterdarlehen sowie Forderungen, die nach § 39 Abs. 2 InsO im Rang nach den in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bezeichneten Forderungen stehen, im Überschuldungsstatus nicht berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass ein Unternehmen auch im Zeitablauf nicht mehr genügend Vermögen für alle Gläubiger haben muss, ohne jedoch Insolvenz anmelden zu müssen. Für diese Gläubiger und für die Anteilseigner lässt sich demnach auch vor dem Insolvenzverfahren ein Mehrwert durch den Plan erreichen. Auch in einem vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren ist es grundsätzlich möglich, dass eine Sanierung wirtschaftlich sinnvoll ist und alle Beteiligten davon profitieren, die Sanierung aber am Widerstand einer Gruppe scheitert.825) Wenn sich dieser Mehrwert nun realisieren lässt, ohne dass den ablehnenden Betroffenen voraussichtlich ein wirtschaftlicher Nachteil entsteht, dann lässt sich der Gedanke des Rechtsmissbrauchs des ablehnenden Verhaltens heranziehen. Denn wenn die ablehnende Gruppe nicht schlechter gestellt wird als ohne das Verfahren, ist ihre Weigerung wirtschaftlich nicht begründbar. Die Verhinderung eines wirtschaftlichen Nachteils wird durch § 26 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG sichergestellt.

440 Daraus folgt, dass die Legitimation des gruppenübergreifenden Cram-downs auch im vorinsolvenzlichen Bereich in einer Verhinderung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zu sehen ist.

b) Reduktion des Insolvenzrisikos 441 Eine maßgebliche Rechtfertigung des Verfahrens liegt weiter in einer Reduktion des Insolvenzrisikos des Schuldnerunternehmens. Die Begründung des Regierungs___________ 823) Begr. RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 208; Begr. RegE-KredReorgG, BT-Drucks. 17/3024, 55. 824) Schipke, Weiterentwicklung des Bankeninsolvenzrechts, 216 ff. begnügt sich an dieser Stelle mit einem Verweis darauf, dass ohne eine Reorganisation die materielle Insolvenz eintreten könnte und deshalb ein Eingriff durch Mehrheitsentscheidung gerechtfertigt ist. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit den einzelnen Voraussetzungen des Obstruktionsverbotes erfolgt indes nicht. 825) Für die Zulässigkeit eines zwangsweisen Eingriffs schon im Vorfeld des StaRUG Köth, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren und alternative Regelungsmodelle, 449 ff.; Bork, ZIP 2010, 397, 400; Jacoby, ZGR 2010, 359, 370; Gravenbrucher Kreis, ZIP 2016, 1208, 1209; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 472 f.

180

B. Gehalt der relativen Vorrangregel

entwurfes führt aus, dass hier eine Gefährdung der vollständigen Befriedigung der Gläubigerinteressen vorliege.826) Dieser Mehrwert kommt maßgeblich dem Schuldner, aber auch den ungesicherteren Gläubigern, Arbeitnehmern und anderen Unternehmen in der Lieferkette zugute. Ist ein Gläubiger hingegen gesichert, so gewinnt er durch das Verfahren wenig, denn er ist durch seine Sicherung schon gegen den Ausfall des Schuldners geschützt. Ein Inhaber einer Absonderungsanwartschaft erspart sich dann vornehmlich die Feststellungs- und Verwertungskosten nach § 171 InsO (zusammen immerhin 9 % des Verwertungserlöses), sofern er sich nicht insoweit zulässigerweise übersichert hat. Allerdings kann sich auch der Wert einer Sicherheit im Zeitablauf reduzieren und weiterhin können Verwertungskosten vermieden werden. Die Legitimation des gruppenübergreifenden Cram-downs im vorinsolvenzlichen Verfahren muss demnach auch in einer Reduktion des Insolvenzrisikos liegen. Das Restrukturierungsverfahren soll vor noch größeren Schäden, die durch eine ansonsten eintretende Insolvenz folgen könnten, schützen.827) Eine Reorganisation lässt eine Forderungskürzung erwarten. Im Falle einer Insolvenz besteht aber die Gefahr, dass die Forderung gänzlich oder zu einem ganz überwiegenden Teil uneinbringlich wird. Die Reorganisation wird demnach im wohlverstandenen Eigeninteresse der Beteiligten durchgeführt.

c)

Vermeidung eines Domino-Effekts

Weiterhin soll ein „Domino“-Effekt verhindert werden, der dadurch entsteht, dass ein 442 Unternehmen in einer Lieferkette zusammenbricht. Die Vermeidung des DominoEffekts wird in Erwägungsgrund Nr. 11 RRL explizit angesprochen. Gleichwohl bezieht sich das StaRUG als Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie nicht ausdrücklich darauf. Die Insolvenz eines Unternehmens kann erhebliche negative Folgeeffekte bei den anderen der Lieferkette eingeordneten Unternehmen hervorrufen. Das gilt gerade vor dem Hintergrund des europäischen Binnenmarktes.828) Viele Konzerne sind grenzüberschreitend am Markt tätig. Aufgrund weitreichender und eng verstrickter Lieferbeziehungen wird das Problem des „Domino“-Effekts nicht nur konzernintern – dort vor allem im Rahmen der Praxis des Cash Poolings – sondern auch konzernübergreifend relevant.829) Diese Zielrichtung deckt sich insoweit mit dem Gedanken, der auch bei der Schaffung des Kreditinstitute-Reorganisationsgesetzes zugrunde lag.830) Das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz regelt die Reorganisation mittels eines Plans in bankenrechtlichem Kontext und enthält eben___________ 826) Begr. RegE-StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 90. 827) Darauf stellt auch die Begründung der Regierung zum KredReorgG für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren ab, vgl. BT-Drucks. 17/3024, 46. 828) Den „Domino“-Effekt als Schwerpunkt eines zu bewältigenden Problems in der EU ausmachend auch Hommelhoff, Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 21, 26. 829) Vgl. Hommelhoff, Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 21, 26. 830) Auf das KredReorgG verweist auch Madaus, Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 43, 64.

181

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

falls einen gruppenübergreifenden Cram-down. Durch die Restrukturierungsrichtlinie und in deren Umsetzung das StaRUG soll der Schutz vor einem „Domino“-Effekt auch für andere Unternehmen gestärkt werden.

443 Es dürfte konsequenterweise dann aber in solchen Fällen ein gruppenübergreifender Cram-down nicht eingreifen, in denen ein solcher Domino-Effekt – beispielsweise aufgrund der Höhe der Verpflichtungen des Schuldners und der guten wirtschaftlichen Lage der Vertragspartner – von vornherein offensichtlich ausgeschlossen ist. Diese Differenzierung nimmt die Richtlinie aber nicht vor, sodass die Anknüpfung an einen Domino-Effekt als Begründung lückenhaft bleibt.

444 Ein weiterer Zusammenhang ist in dem gewollten Abbau von notleidenden Krediten (non performing loans) zu sehen, welchen die Richtlinie fördern will.831) Es soll demnach, ähnlich wie auch durch das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz, die Finanzmarktstabilität gefördert werden.832) Auch das verhindert Domino-Effekte.

d) Schutz der Arbeitnehmer 445 Die Legitimation des gruppenübergreifenden Cram-downs lässt sich zuletzt mit einem Schutz der Arbeitnehmer begründen. In Erwägungsgrund Nr. 2 S. 5 sowie Erwägungsgrund Nr. 16 S. 1 RRL wird direkt angesprochen, dass einem Arbeitsplatzverlust vorgebeugt werden soll. Auch aus den Normen der Restrukturierungsrichtlinie zeigt sich, dass Arbeitnehmer generell als besonders schützenswert angesehen werden. Art. 13 Abs. 1 RRL schreibt vor, dass die individuellen und kollektiven Rechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben müssen. Art. 10 Abs. 1 lit. c) RRL sieht vor, dass Restrukturierungspläne, die einen Verlust von mehr als 25 % der Arbeitsplätze eines Unternehmens vorsehen, zwingend von einer Justiz- oder Verwaltungsbehörde bestätigt werden müssen. Ferner werden nach Art. 1 Abs. 6 RRL Ansprüche auf eine betriebliche Altersvorsorge explizit vom Anwendungsbereich ausgenommen. Das zeigt, dass Arbeitnehmer einen hohen Schutz genießen sollen.

446 Der deutsche Gesetzgeber knüpft zwar in seiner Begründung nicht explizit an den Schutz der Arbeitnehmer an. Gleichwohl hat der Gesetzgeber – zum Teil in Umsetzung der Richtlinie – Ansprüche von Arbeitnehmern und Zusagen auf betriebliche Altersversorgung vom Anwendungsbereich des StaRUG ausgenommen, § 4 Nr. 1 StaRUG. Der deutsche Gesetzgeber geht damit über den von der Richtlinie geforderten Mindestschutz der Arbeitnehmer hinaus: Nach Art. 1 Abs. 6 RRL werden nur Ansprüche auf eine betriebliche Altersvorsorge vom Anwendungsbereich ausgenommen. Gem. Art. 1 Abs. 5 lit. a) RRL besteht hinsichtlich der Einbeziehung der Ansprüche der Arbeitnehmer eine Wahlmöglichkeit der Mitgliedstaaten. ___________ 831) Dazu Schluck-Amend, NZI Beilage 1/2019, 14 ff. 832) Brinkmann sieht darin sogar den Hauptzweck der Richtlinie, vgl. Aktuelle Fragen der Restrukturierung und Transformation, 41, 46 ff., 52.

182

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Diese Begründung erscheint insofern problematisch, als Arbeitnehmer im Grunde 447 einfache Gläubiger eines Unternehmens sind. Sie erbringen eine Leistung (Arbeit) und werden dafür bezahlt. Im insolvenzrechtlichen Kontext werden sie daher im Rahmen des dort geltenden Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung – seinerseits Ausfluss eines Gerechtigkeitsgedankens833) – als nicht weiter schützenswert angesehen.834) Gleichwohl weist Erwägungsgrund Nr. 44 S. 7 RRL zutreffend darauf eine besondere Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer hin, die aus der Tatsache ergibt, dass diese ihren wirtschaftlichen Einsatz anders als Geldkreditgeber nicht oder nur schlecht diversifizieren können. Sie sind in größerem Maße von einem Gelingen der Reorganisation abhängig, da ihr Einkommen in der Regel unmittelbar mit dem Fortbestand des Unternehmens zusammenhängt.

4.

Zusammenfassung

Zusammenfassend rekurriert die Begründung des gruppenübergreifenden Cram-down 448 Mechanismus unter Berücksichtigung des best interest tests im vorinsolvenzlichen Bereich teilweise auf Gerechtigkeitserwägungen, teilweise auch auf makroökonomische Erwägungen. Vor der Richtlinie bestand das Hauptproblem für die Bindung dissentierender Gläubiger im vorinsolvenzlichen Bereich in einer fehlenden gesetzlichen Grundlage. Dies hat sich mit dem StaRUG geändert. Während die Erwägungen, die im Insolvenzverfahren zum Obstruktionsverbot getroffen wurden, auch bei einer vorinsolvenzlichen Mehrheitsentscheidung grundlegend tragen, liegt es bei der Ersetzung der Zustimmung einer ganzen Gruppe anders. Hier trägt der Gedanke des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens einer ablehnenden Gruppe grundlegend. Verstärkend kann auf gesamtwirtschaftliche Erwägungen zurückgegriffen werden.

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion Die relative Vorrangregel stellt die vom europäischen Richtliniengeber präferierte 449 Umsetzungsalternative dar. Sie setzt, ähnlich wie die absolute Vorrangregel, ökonomische Anreize, die im Folgenden dargelegt werden sollen. Anschließend soll die relative Vorrangregel einer Kritik unterzogen werden. Dort soll geklärt werden, ob die relative Vorrangregel eine insgesamt vorzugswürdige Alternative zur absoluten Vorrangregel darstellt. Die bisherigen Literaturstimmen sind bei der Lösung der Frage wenig hilfreich. Größtenteils wird die Frage entweder gar nicht aufgeworfen, oder

___________ 833) J. F. Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 208 f.: Materiell gerechte Auffangregel, die eingreift, wenn kein anderer Verteilungsmaßstab angezeigt ist; Häsemeyer, KTS 1982, 507, 514: das den „Konkurs schlechthin konstituierende Gerechtigkeitsprinzip“. 834) Häsemeyer, KTS 1982, 507, 520.

183

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

mit oberflächlicher oder (bewusst) gar keiner Begründung in die eine oder andere Richtung entschieden.835)

I.

Ökonomische Anreize der relativen Vorrangregel

1.

Geringer Unternehmenswert

450 Die absolute Vorrangregel führt ökonomisch gesehen dazu, dass der Anreiz für die Anteilseigner des Schuldnerunternehmens besteht, das eigene Unternehmen in einer Reorganisation möglichst gut darzustellen. Im Falle einer Unternehmensbewertung ist es für die Anteilseigner sinnvoll, wenn das Unternehmen einen möglichst hohen Unternehmenswert hat, da sie im Zweifelsfall als letzte einen Wert erhalten. Ist der Unternehmenswert hoch genug und können alle Gläubiger ihre Forderungen vollständig erhalten, so verbleiben alle übrigbleibenden Beträge bei den Anteilseignern.

451 Unter Geltung der relativen Vorrangregel ist das Gegenteil der Fall. Hier profitieren die Anteilseigner davon, wenn der Unternehmenswert möglichst gering dargestellt wird. Das Merkmal der Besserstellung erfordert es, dass der überwiegende Teil des Reorganisationsmehrwertes an die Gläubiger entsprechend ihres Ranges verteilt wird. Je geringer der Reorganisationsmehrwert ist und je schlechter die Anteilseigner selbst stehen, desto weniger müssen sie im Rahmen der „Besserstellung“ jeweils an die Gläubiger verteilen, um den Plan notfalls im Wege des Cram-downs bestätigen lassen zu können.836) Ein Aussetzen der Insolvenzantragspflichten gem. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie (§ 58 StaRUG) verhindert, dass dieser Anreiz durch die Insolvenzantragspflichten ausgeglichen wird.

2.

High leverage businesses

452 Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass das vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren unter Geltung einer relativen Vorrangregel am attraktivsten sei, wenn das Schuldnerunternehmen mit einer sehr hohen Fremdkapitalquote arbeite (sog. high leverage business).837) ___________ 835) Für die relative Vorrangregel: umfangreich Morgen/Kowalewski/Praß, Sanierungsrecht, Art. 11 Rn. 50 ff.; Deppenkemper, ZIP 2020, 595, 602; Flöther, ZInsO 2019, 1582, 1585; ohne Erklärung Albrecht, ZInsO, 2019, 1813, 1823; für eine absolute Vorrangregel: Hofmann, NZI Beilage 1/2019, 22, 26 (Argument: Gleichlauf zum Insolvenzplan); im Kern wie hier Brinkmann, NZI Beilage 1/2019, 27, 29; die Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten abwarten wollend Skauradszun, KTS 2019, 161, 189. 836) Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 25 (2021); a. A. Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 314 f., der davon ausgeht, dass dieser Anreiz nicht bestehe, weil alle Klassen am Reorganisationsmehrwert partizipieren könnten. Das verkennt, dass die Anteilseigner als Residualberechtige ihre Anteile am Unternehmen theoretisch behalten dürfen und deshalb ein Anreiz besteht, möglichst wenig des Reorganisationsmehrwerts an andere Klassen „abzugeben“. 837) Dieses Argument und das folgende Beispiel finden sich bei de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 15 ff. (2019).

184

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Der Anreiz, mit großen Mengen Fremdkapital zu wirtschaften, wird am besten an- 453 hand eines kurzen Beispiels ersichtlich. Man gehe von einem Unternehmen mit Vermögenswerten im Wert von 1000 Euro aus, welches vollständig durch Eigenkapital finanziert ist. Man nehme weiter an, das Unternehmen erziele einen Gewinn von 80 Euro, also eine Eigenkapitalrendite von 8 %. Aktiva Passiva 1000 € 1000 € Eigenkapital

Gewinn

Eigenkapitalrendite

80 €

8%

Geht man hingegen davon aus, dass nur 100 Euro Eigenkapital darstellen und der 454 Rest über Bankdarlehen mit 4 % Zinsen und (zinslose) Warenkredite finanziert wird, steigt die Eigenkapitalrendite auf beachtliche 66 %. Aktiva Passiva 1000 € 100 € Eigenkapital 350 € Bankdarlehen (4 % Zinsen)

Gewinn

Eigenkapitalrendite

66 €

66 %

14 €

550 € Warenkreditgeber 1000 € 1000 €

80 €

66 %

Auch wenn die Unternehmensfinanzierung von vielen Faktoren abhängt und weitaus 455 komplexer ist, so zeigt das Beispiel, wie groß theoretisch der grundlegende Anreiz ist, die Unternehmensfinanzierung auf großen Mengen Fremdkapital aufzubauen. Das ist für sich betrachtet neutral oder kann im Einzelfall auch ökonomisch sinnvoll sein.838) Der vorrangige Verlust von Eigenkapital unter der absoluten Vorrangregel vermin- 456 dert indes den Anreiz, hoch risikoreiche Projekte anzustreben, solange das Unternehmen noch gesund ist. Das ändert sich erst, sobald das Unternehmen in Schieflage geraten ist.839) Unter der relativen Vorrangregel hingegen steigt der Anreiz, hoch risikoreiche Projekte mit möglichst geringem Eigenkapital anzustreben, solange das Unternehmen an und für sich noch gesund ist.840) Denn dann dürfen die Anteilseigner hoffen, auch im Falle des Scheiterns noch eine Position behalten zu können.841) ___________ 838) Hierzu grundlegend Modigliani/Miller, 49 The Am. Econ. Rev. 655 (1959); dies. 34 The J. Bus. 411 (1961); Miller, 32 The Journal of Fin. 261 (1977). 839) Zu diesem Problem siehe oben Rn. 195 ff. 840) Vgl. auch Schwartz, 72 Wash. U. L. Quarterly 1213, 1217 (1994); Bebchuk, 57 J. Fin. 445, 447 (2002). 841) Das kann zu einem sogenannten „underinvestment“ führen. Ein solches liegt vor, wenn die Schuldenlast so groß ist, dass sich aus Sicht der Anteilseigner nur noch sehr risikoreiche und hoch lukrative Projekte lohnen. Diese haben dann in der Regel einen negativen Erwartungswert, sind also volkswirtschaftlich unsinnig, da jedoch der gesamte Gewinn von den Fremdkapitalkosten aufgezehrt wird, kann diese Vorgehensweise für Anteilseigner dennoch am sinnvollsten sein. So erhalten sie die Chance, im Gewinnfall noch eine Beteiligung am Unternehmen zu behalten. Zum Nachweis des Problems Myers, 5 J. Fin. Econ. 147 (1977); vgl. auch Berkovitch/Israel, 2 Eur. Fin. Rev. 1, 2 ff. (1998).

185

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

457 Treibt man diesen Gedanken auf die Spitze, so kann die relative Vorrangregel gezielt für hochrisikoreiche Projekte genutzt werden: Im Gewinnfall kann der Schuldner den Wert vereinnahmen. Scheitert das Projekt, so steht die Möglichkeit der Reorganisation unter Geltung der relativen Vorrangregel offen. Dank der relativen Vorrangregel können die Investoren (die alten Anteilseigner) einen Teil ihrer Anteilsrechte behalten. Ein Teil des unternehmerischen Risikos wird auf die Gläubiger verlagert. Das so reorganisierte Unternehmen kann dann wieder hoch risikoreich wirtschaften. Scheitert die Unternehmung erneut, so müssen die Investoren wiederum keine persönlichen Nachteile fürchten. Im Fall der Insolvenz können sie wegen des Zugriffs auf eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung erneut einen Teil der Verluste auf die Gläubiger „abwälzen“.

458 Dieses Argument gegen die relative Vorrangregel darf bei Lichte betrachtet aber nicht überbewertet werden. Es erscheint unrealistisch, dass sich ein Fremdkapitalgeber finden lässt, der große Summen Fremdkapital zur Verfügung stellt, ohne sich weitläufige Sicherheiten einräumen zu lassen. Auch wird sich ein Darlehensgeber typischerweise darüber informieren, wofür das Geld eingesetzt werden soll, um das Risiko im Vorfeld abschätzen zu können. Ferner verhindert auch der best interest test eine übermäßige Belastung der Gläubiger.

459 Schließlich wird der oben beschriebene Anreiz gemindert, wenn man, wie hier vorgeschlagen, das Merkmal der Besserstellung an das aufgebrachte Kapital der Anteilseigner koppelt. Dadurch entsteht sogar der gegenläufige Anreiz, das Unternehmen mit großen Mengen Eigenkapital auszustatten, weil das ebenfalls den Wert erhöht, welchen die Anteilseigner behalten dürfen.

3.

Frühzeitige Verfahrenseinleitung

460 Unter der relativen Vorrangregel besteht der Anreiz, dass das Verfahren so früh wie möglich eingeleitet wird. Bereits in der amerikanischen rechtswissenschaftlichen Literatur wurde ausgeführt,842) dass ein von der absoluten Vorrangregel abweichender Verteilungsmodus den Anreiz für Eigentümer-Manager erhöhe, das Verfahren frühzeitig in die Wege zu leiten, da sie in diesem Fall nicht befürchten müssten, durch die Einleitung des Verfahrens ihre Position zu verlieren. Dadurch entstehe der Anreiz, dass bestehendes unternehmensspezifisches Wissen und Humankapital im Unternehmen belassen werde. Zudem würde der Anreiz verringert, Projekte mit einem negativen Erwartungswert zu verfolgen, wenn das Unternehmen von seiner Schuldenlast erdrückt wird. Sind die Fremdkapitalkosten so hoch, dass kleine oder durchschnittliche Renditen nicht ausreichen, um mit einem möglichen Gewinn die Gläubiger zu befriedigen, ergibt es aus Sicht der Eigentümer-Manager Sinn, nur noch spekulative Geschäfte einzugehen. In diesem Fall werden Verluste von der beschränkten ___________ 842) Dazu und im Folgenden vgl. Rn. 195 ff.; zur Richtlinie und der relativen Vorrangregel auch Deppenkemper, ZIP 2020, 595, 602.

186

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Haftung aufgefangen und nur potenziell hohe Gewinne lohnen sich aus Sicht der Altgesellschafter. Diese Anreize bestehen grundlegend auch hier. Die relative Vorrangregel macht es für Unternehmer sehr attraktiv, das vorinsolvenzliche Verfahren einzuleiten. Sie können dadurch hoffen, einen großen Teil der Reorganisationsgewinne einstreichen zu dürfen.

4.

Höhere Zinssätze und Schwächung des Kreditsicherungsrechts?

In der Diskussion in der amerikanischen Literatur wurde argumentiert, dass eine 461 Abweichung von der absoluten Vorrangregel die Folge habe, dass die ungesicherten Gläubiger ex ante, also bereits bei Vertragsschluss, höhere Zinssätze verlangen würden, um einen möglichen Verlust im Rahmen des Reorganisationsverfahrens zu kompensieren.843) Dieses Argument lässt sich auf den präventiven Restrukturierungsrahmen übertragen. Wenn ein nicht vollumfänglich gesicherter Gläubiger fürchten muss, im Falle einer Krise und des Restrukturierungsverfahrens nur noch bessergestellt zu werden als ein im Rang tieferstehender, dann ergibt es für ihn Sinn, sich dieses erhöhte Risiko bei Vertragsschluss durch einen höheren Zinssatz kompensieren zu lassen. Argumentiert wurde ferner, es sei auch zu erwarten, dass die Gläubiger auf die Ein- 462 räumung von mehr Sicherheiten bestünden, um den Verlust ihres Rangs auszugleichen.844) Es ist zweifelhaft, ob man dieses Argument ebenfalls auf den präventiven Restrukturierungsrahmen übertragen kann. Dieses Argument geht von der Prämisse aus, dass eine relative Vorrangregel in der Insolvenz gelten würde. Hierzu ist anzumerken, dass die relative Vorrangregel nach der Konzeption der Richtlinie nur in einem vorinsolvenzlichen Verfahren gelten würde. Im Insolvenzverfahren könnte dann trotzdem die absolute Vorrangregel eingreifen. Das bedeutet, dass die Vermögenswerte im Insolvenzverfahren entlang der Rangfolge verteilt würden. Auch darüber hinaus ist zweifelhaft, ob dieses Argument übertragbar ist. Betrachtet 463 man die relative Vorrangregel isoliert und ohne den best interest test, dann würde diese das Kreditsicherungsrecht schwächen.845) Diese Annahme beruht auf dem Gedanken, dass die Gläubiger, welche sich bei Vertragsschluss eine Sicherheit ausbedingen, sich spezifisch auf das Risiko eines Ausfalls des Vertragspartners vorbereitet haben. Das Kreditsicherungsrecht hat, wie im ersten Kapitel bereits umfangreich dargelegt, seine Bewährungsprobe in der Insolvenz. Dort soll es dem Gläubiger einen adäquaten Schutz bieten. Die relative Vorrangregel ermöglicht es von ihrer Konzeption nun, vor der Insolvenz des Schuldners mittels des Reorganisationsplans Werte von den Gläubigern weg und zum Schuldner hin zu verteilen. In dem Maße, in dem ___________ 843) Frank/Nyborg/Torous, 25 Fin. Management 86, 87 (1996); Adler/Ayres, 111 Yale L. J. 83, 88 (2001); ähnlich Richter/Thery, INSOL Europe 04/2020, 1, 35. 844) Schwartz, 72 Wash. U. L. Quarterly 1213, 1215 (1994). 845) So wohl auch Richter/Thery, INSOL Europe 04/2020, 1, 35.

187

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

der Schuldner mittels des Restrukturierungsplans die Sicherungsrechte kürzen kann und so Werte an die im Rang niedriger stehenden Gruppen verteilt werden, wird das Kreditsicherungsrecht entwertet. Zu beachten ist, dass ein solcher Fall nur dann eintreten kann, wenn der best interest test dem dissentierenden gesicherten Gläubiger nicht den vollen Wert seiner Sicherheit garantiert. Dieses Problem kann nur entstehen, wenn eine Sicherheit während der Dauer des Reorganisationsverfahrens an Wert verliert und dadurch der best interest test nicht mehr den angedachten Schutz gewährleistet. Insgesamt besteht hier demnach nicht die Befürchtung, dass die Einführung der relativen Vorrangregel das Kreditsicherungsrecht unterlaufen würde.

II. Kritik an der europäischen relativen Vorrangregel 464 Im Folgenden soll die europäische relative Vorrangregel auf ihre Stärken und Schwächen hin untersucht werden. Zu berücksichtigen ist in der Kritik vor allem, dass die relative Vorrangregel die gegenüber der absoluten Vorrangregel präferierte Umsetzungsalternative der Richtlinie ist. Sinnvoll wäre es, wenn die relative Vorrangregel spezifisch die Probleme adressieren würde, die gegen die absolute Vorrangregel sprechen. Im dritten Kapitel wurde dargelegt, dass die Hauptkritikpunkte sich wie folgt darstellen:846) Die absolute Vorrangregel sei unflexibel.847) Die absolute Vorrangregel setze keine Reorganisationsanreize, weil sie ein Ausscheiden der früheren Anteilseigener zufolge habe. So ginge unternehmensspezifisches Humankapital von begabten Anteilseigner-Managern verloren. Die absolute Vorrangregel führe zu dem zeitraubenden, kostenintensiven und potenziell fehleranfälligen Erfordernis der Unternehmensbewertung. Auch das Effizienzsaldo der absoluten Vorrangregel sei unklar, denn diese habe zur Folge, dass die Anteilseigner in insolvenznahen Situationen hoch risikoreiche Projekte bevorzugen würden, weil sie nur dadurch eine Aussicht hätten, im Falle des Erfolges einen Wert zu behalten.

1.

Erfordernis der Unternehmensbewertung

465 Einer der wesentlichen Kritikpunkte an der absoluten Vorrangregel ist das Erfordernis einer umfassenden Unternehmensbewertung. Diese sei zeit- und kostenintensiv und zudem potenziell unpräzise, weshalb konsensuale Pläne immer bevorzugt würden.848) Zusätzlich entstünden im Rahmen eines konsensualen Plans weniger Verhandlungskosten als bei der Anwendung der komplizierten Regelungen des Crossclass Cram-downs.

___________ 846) Vgl. Rn. 176 ff. 847) American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012 – 2014 Final Report and Recommendations, 213 f. 848) Vgl. Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 8 ff. (2021).

188

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Es wird indes die Ansicht vertreten, die relative Vorrangregel vermeide das Problem 466 der Unternehmensbewertung nicht, sondern verschlimmere es noch.849) Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Die Untersuchung hat gezeigt, dass den Mitgliedstaaten keine Vorgaben seitens des Richtliniengebers oder der „geistigen Väter“ der relativen Vorrangregel rund um das Merkmal der Besserstellung an die Hand gegeben wurden. Im nationalen Kontext sind keine weitergehenden Probleme zu befürchten. Folgt man der hier vorgeschlagenen Auslegung, dann besteht eine klare Berechnungsgrundlage. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass die Regelung einer Vielzahl von Auslegungsmöglichkeiten zugänglich ist und demzufolge viele Unsicherheiten bestehen. Jedoch würde es im internationalen Kontext voraussichtlich zu erheblichen Unterschieden bei der Auslegung kommen. Freilich ist zu konzedieren, dass auch rund um die absolute Vorrangregel im deutschen Raum noch Unsicherheiten um das Merkmal des „wirtschaftlichen Wertes“ bestehen. Hier erscheint der praktische Wert der absoluten Vorrangregel größer zu sein: Sie gibt allen Beteiligten klarere Verhältnisse an die Hand. Im Zweifel müssen die alten Anteilseigner aus dem Unternehmen ausscheiden. Das erscheint nicht pauschal ungerecht, weil die absolute Vorrangregel im Kern ein Instrument der Haftungsverwirklichung ist. Außerdem hat die Erfahrung aus dem US-amerikanischen Raum gezeigt, dass es trotz der absoluten Vorrangregel durchaus konsensuale Pläne gibt, welche den alten Anteilseignern Werte zusprechen, weil dadurch die Unternehmensbewertung entfällt. Die relative Vorrangregel ist hingegen von Unsicherheit und Unbestimmtheit geprägt850) und erhöht den Anreiz, eine Unternehmensbewertung anzustreben. Es ist des Weiteren zu befürchten, dass dann ähnliche Probleme wie in der amerika- 467 nischen Reorganisationspraxis auftreten: Nämlich, dass die Richter letztlich über die Richtigkeit der Unternehmensbewertung entscheiden müssen, obwohl sie dafür nicht ausgebildet sind. Die Erfahrungen der amerikanischen Reorganisationspraxis haben gezeigt, dass die Richter den Wert des Unternehmens in der Regel deutlich zu hoch einschätzten.851)

2.

Verhinderung von konsensualen Plänen?

Es wird argumentiert, die durch die relative Vorrangregel erzeugte Rechtsunsicher- 468 heit gehe sogar so weit, dass konsensuale Pläne verhindert würden. Die Rechtsun___________ 849) De Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 13 (2019); Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019; kritisch auch Balz, in: Unternehmensrestrukturierung im Umbruch, 71, 87; a. A. Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 314 f.: Bewertungsstreitigkeiten werden sich verringern. 850) Richter/Thery, INSOL Europe 04/2020, 1, 35. 851) Hotchkiss, 50 J. Fin. 3, 11 ff. (1995); Jackson, Logic and Limits of Bankruptcy Law, 211 f., 219 f. („…no reason to believe that bankruptcy judges are particularly good valuators“) auch mit Verweis auf Tversky/Kahneman, 185 Science 1124, 1129 (1974); dies., 90 Psychological Review 293 (1983); Adler, 77 Corn. L. Rev. 439, 446 ff. (1992); kritisch auch Roe, 83 Colum. L. Rev. 527, 563 ff. (1983).

189

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

sicherheit über das Merkmal der Besserstellung schaffe den Anreiz für Anteilseigner, Verhandlungen im Zweifelsfall scheitern zu lassen, um festzustellen, wie der Richter das Merkmal der Besserstellung interpretiere. Das Risiko liege auf Seiten der Gläubiger.852) Hingegen sei die absolute Vorrangregel als „Ausfall“-Regelung konzipiert, die nur eingreife, wenn sich die Parteien nicht einigen könnten. Da die absolute Vorrangregel eine Bewertung des Unternehmens erfordere, die für alle Seiten aufgrund ihrer unpräzisen und kostenreichen Natur nicht erwünscht sei, würden so konsensuale Pläne gefördert.853) Diesem Argument ist nicht uneingeschränkt zu folgen. Das Schuldnerunternehmen ist noch nicht materiell insolvent. Es sind demnach die Anteilseigner, die nach wie vor das vorrangige Risiko tragen. Daher erscheint ebenso plausibel, dass die Rechtsunsicherheit über das Merkmal der „Besserstellung“ konsensuale Pläne fördert. Beide Seiten müssen fürchten, dass ein Scheitern der Verhandlungen zu ihren Lasten geht. Die Gläubiger laufen Gefahr, dass sie mit ihren Ansprüchen zu Gunsten der Anteilseigner nicht vollständig befriedigt werden. Hingegen müssen die Anteilseigner fürchten, dass das Gericht den Wert des Unternehmens noch als so hoch einschätzt, dass der best interest test ein Unterminieren der Gläubigeransprüche verhindert. Scheitert der Plan dann insgesamt, so hat das Verfahren aller Wahrscheinlichkeit nach auch für den Schuldner und die Anteilseigner Kosten produziert. Zudem droht das Unternehmen in die Insolvenz abzugleiten, falls die Verhandlungen scheitern. In diesem Fall gehen Werte für beide Seiten verloren.

469 Hingegen fördert die absolute Vorrangregel konsensuale Pläne dann, wenn der Schuldner materiell insolvent ist. Denn dann können die Anteilseigner durch einen vernünftigen Plan, der Chancen hat, konsensual angenommen zu werden, nur gewinnen. Die Gläubiger profitieren dann von einer fehlenden Bewertung, denn deren Länge und Kosten – die ja die Masse zu tragen hat – gehen im Zweifelsfall zu Lasten der Gläubiger.

3.

„Freeze-out“-Problem

470 Kritisiert wird, dass die relative Vorrangregel genau die Mechaniken wiederbelebe, welche die absolute Vorrangregel verhindern wollte, nämlich das Übergehen der Gruppe mit „mittlerem Rang“.854) Richtig daran ist, dass die relative Vorrangregel mit dem Kriterium der „Besserstellung“ eine neue Risikoverteilung zugunsten der jeweils im Rang niedrigerstehenden Gruppen vornimmt, die ansonsten unter Geltung der absoluten Vorrangregel keinen Wert erhalten würden. Das ist darin begründet, dass nach der relativen Vorrangregel die Reorganisationsmehrwerte zugunsten der ___________ 852) Richter/Thery, INSOL Europe 04/2020, 1, 35; ähnlich wohl Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 28 ff. (2021); sich dem anschließend offenbar Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 315 f. 853) Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 8 ff. (2021). 854) Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 20 ff. (2021); de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 4. (2019).

190

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

nachrangigen Gläubiger und Anteilseigner verteilt werden können, ohne dass die nicht nachrangigen Gläubiger vollständig befriedigt werden. Es ist gerade Sinn der relativen Vorrangregel, dass die vorrangigen Planbetroffenen nicht vollständig befriedigt werden müssen, sodass das „freeze-out“ Problem schwerlich als Kritikpunkt an sich gewertet werden kann. Die absolute Vorrangregel entstand vor allem, um dem in der damaligen Praxis geläufigen kollusivem Zusammenwirken der höherrangigen Gläubiger mit den alten Anteilseignern zu Lasten der Gläubiger mit mittlerer Priorität entgegenzuwirken. Selbst wenn man dies kritisch sieht, ist fraglich, inwieweit ein „Übergehen“ der 471 Gläubiger mit mittlerem Rang wirklich eintreten kann. Betrachtet man die relative Vorrangregel isoliert und nicht im Verhältnis zum best interest test, dann erlaubt sie tatsächlich in einer abgeschwächten Form genau das, was der US Supreme Court schon im Boyd-Urteil verhindern wollte: Nämlich, dass Werte zu Lasten von dissentierenden Gläubigern abweichend von der vorinsolvenzlich ausgehandelten Rangfolge verteilt werden. Betrachtet man die relative Vorrangregel jedoch zusammen mit dem best interest test und vor allem mit dem Erfordernis, bei der Berechnung des best interest tests Fortführungswerte zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 2 S. 2 StaRUG), dann verbleibt für die relative Vorrangregel konzeptionell nur ein sehr eingeschränkter Bereich.855) Da das Verfahren für einen vorinsolvenzlichen Zeitraum gedacht ist, liegt in dem best interest test der Anlage nach ein starker Schutz, denn dieser weist jedem den wirtschaftlichen Wert seines Anspruchs zu. Der Vergleich der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit dem Überschuldungstatbestand vor der Reform durch das SanInsFoG hat aber gezeigt, dass sich beide Tatbestände zu großen Teilen überschnitten; es besteht also durchaus auch die Möglichkeit, dass sich der Schuldner bei Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit in einem so weit fortgeschrittenen Krisenstadium befindet, dass der best interest test den einfachen Restrukturierungsgläubigern keinen hohen Schutz mehr bietet. Problematisch wird die relative Vorrangregel jedoch dann, wenn sich trotz der Stabi- 472 lisierungsanordnung die Lage des Unternehmens verschlechtert, beispielsweise, weil weitere überlebenswichtige Aufträge wegfallen und gleichzeitig gem. § 58 StaRUG die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt wird. Ein plastisches Beispiel bietet die CoronaPandemie vom März 2020 bis Frühling des Jahres 2022, im Zuge derer viele Unternehmen aufgrund zusammenbrechender Lieferketten in große finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. In diesem Fall ist es möglich, dass der best interest test dem ablehnenden Gläubiger nicht mehr den Nominalwert seiner Forderung zusichert, weil das gesamte Unternehmen nicht mehr wirtschaften kann. Das Unternehmen driftet dann in eine extrem insolvenznahe Situation oder überschreitet diese Grenze sogar ___________ 855) Weitergehender Liedl, Absoluter oder relativer Vorrang von Gläubigerklassen im Restrukturierungsrecht, 315: „Wegen des Zusammenspiels von RPR und BIT [best interest test] wird es nicht zu einer Verzerrung des Systems des Haftungsrechts kommen“.

191

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

und nur die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verhindert, dass auch der insolvenzrechtliche Verteilungsmodus eingreift. Gläubiger müssen dann gegebenenfalls trotz der im Ausgangspunkt „vorinsolvenzlichen“ Situation eine erhebliche Kürzung des Wertes ihrer Forderung in Kauf nehmen. Sobald der Wert der Forderungen der Gläubiger nicht mehr zu 100 % durch den best interest test abgesichert ist, ermöglicht es die relative Vorrangregel, Kürzungen der Forderungen auch zwangsweise durchzusetzen. Dann greift der oben dargestellte Mechanismus, dass Werte, die nach der vorinsolvenzlichen Befriedigungsreihenfolge eigentlich den Gläubigern zustünden, durch die Anteilseigner und nachrangigen Gläubiger beansprucht werden können.

473 Zusammenfassend ermöglicht die relative Vorrangregel, in bestimmten Fällen zum Nachteil der Gläubiger mit mittlerem Rang Werte zugunsten der Anteilseigner zu verteilen.

4.

Sicherung unternehmensspezifischen Humankapitals und Flexibilität

474 Kritisiert wurde, dass die absolute Vorrangregel auch eingreife, wenn eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel ökonomisch sinnvoll ist. Das sei vor allem dann der Fall, wenn der Fortführungswert nur mithilfe unternehmensspezifischen Humankapitals in dem Unternehmen generiert werden könne.856) Dieses könne unter Umständen nur dann gesichert werden, wenn die alten Anteilseigner-Manager im Unternehmen aktiv blieben. Bei dem unternehmensspezifischen Humankapital handelt es sich um besondere Fähigkeiten oder Eigenschaften einer Person oder Personengruppe, um die Synergieeffekte, die sie durch Zusammenarbeit erzeugen oder um Verbindungen und Geschäftsbeziehungen, die diese Personen haben.857) Diese können dem Unternehmen im konkreten Fall einen größeren Wert verleihen. Als Beispiele dafür dienen Steve Jobs als das (ehemalige) Gesicht von Apple oder der bekannte Chefkoch eines Restaurants.858) Der Einblick in die Geschichte der absoluten Vorrangregel hat gezeigt, dass die absolute Vorrangregel wegen ihrer Strenge und Inflexibilität auf Ablehnung gestoßen ist. Dies wurde schon zu Zeiten des amerikanischen Receivership-Verfahrens bemängelt und hat sich in der amerikanischen Praxis der structured dismissals gezeigt. Auch der Einblick in die Richtliniengeschichte hat herausgestellt, dass man dem entgegenwirken wollte.859) Diesem Schwachpunkt der absoluten Vorrangregel wird die relative Vorrangregel gerecht.860) Sie erlaubt es, maßgeschneiderte Regelungen zu treffen. Sie kann die nachrangigen Gläubiger und ___________ 856) Siehe dazu oben Rn. 185 f. 857) Harner, 2015 Ill. L. Rev. 506, 519 (2015). 858) Madaus, A simple guide to RPR, Working Paper 1/2020, 1, 5; mit diesem Beispiel schon Baird/Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921, 943 (2001). 859) Siehe oben Rn. 400. 860) So auch Krohn, Rethinking Priority, 1, 3 ff.; die Flexibilisierung begrüßend auch H.-F. Müller, ZIP 2020, 2253, 2256.

192

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

die Anteilseigner bei der Werteverteilung berücksichtigen und einen gegebenenfalls bestehenden Mehrwert auch gegen den Willen der Gläubiger realisieren. Zu beachten ist allerdings, dass die relative Vorrangregel nur „unternehmensspezi- 475 fisches Humankapital“ bewahrt, wenn die Manager des Unternehmens gleichzeitig Anteilseigner sind. In diesem Fall verschafft die relative Vorrangregel einen Anreiz für den Anteilseigener-Manager, weiter im Unternehmen tätig zu bleiben. Das dürfte vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen zutreffen.861) Auf eine ähnliche Erwägung dürfte eine jüngste Reform des Chapter 11 Verfahrens im August 2019 zurückzuführen sein.862) Danach wurde ein neuer Abschnitt in das Chapter 11 des US Bankruptcy Codes eingefügt, welcher die Anwendung der absoluten Vorrangregel in Verfahren für kleine und mittlere Unternehmen ausschließt.863) Ist der Manager nicht gleichzeitig der Anteilseigner, dann kann der Manager auch unter Geltung der absoluten Vorrangregel im Unternehmen verbleiben und seine unternehmensspezifischen Fähigkeiten in das Unternehmen einbringen. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die absolute Vorrangregel konsensuale 476 Abweichungen von der Verteilungsrangfolge nicht verhindert.864) Stimmen alle beteiligten Gruppen in einer abweichenden Verteilung der Vermögenswerte überein, so gilt der Parteiwille. Erkennen folglich alle Gläubiger übereinstimmend an, dass die Situation ohne eine Reorganisation für alle Beteiligten noch risikoreicher ist, so steht es ihnen frei, die entsprechenden Kürzungen im Plan zu vereinbaren. Weiterhin kommt die absolute Vorrangregel nur dann zur Anwendung, wenn eine ganze Abstimmungsgruppe gegen den Plan stimmt. Die Dissidenten einer mehrheitlich zustimmenden Gruppe sind an die Entscheidung der Mehrheit gebunden. Es dürfte also insgesamt eher einen Ausnahmefall darstellen, dass Werte unter Geltung der absoluten Vorrangregel verloren gehen.

5.

Insolvenzrecht und Reorganisationsrecht als getrennte Materien

Zugunsten der relativen Vorrangregel wird argumentiert, dass das Insolvenzrecht 477 und das Reorganisationsrecht vollkommen unterschiedliche Rechtsmaterien seien. Aus diesem Grund sei die relative Vorrangregel ein dogmatisch sinnvolleres Konzept und gegenüber der absoluten Vorrangregel zu bevorzugen Diese Argumentationslinie wird sowohl von Madaus, einem deutschen Rechtswissenschaftler, als auch von amerikanischen Rechtswissenschaftlern vorgetragen. Auch der Codire-Report, die Handlungsempfehlung eines rechtswissenschaftlichen Projekts an die Europäischen Kommission, verweist auf diese Argumentationslinie.865) In Anbetracht der kometen___________ 861) 862) 863) 864) 865)

Ähnlich Krohn, Rethinking Priority, 1, 6; H.-F. Müller, ZIP 2020, 2253, 2256. Pub. L. 116-54, § 2(a), Aug. 23, 2019, 133 Stat. 1079 (2019). Vgl. 11 U.S.C. § 11181(a); mit diesem Hinweis Krohn, Rethinking Priority, 1, 6. Vgl. Seymour/Schwarcz, 2021 Ill. L. Rev. 1, 10 ff., 28 (2021). Stanghellini/Mokal/Paulus/Tirado, Best Practices in European Restructuring, 46 Fn. 10.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

haften Karriere der relativen Vorrangregel in der Richtliniengeschichte liegt es auf der Hand, dass der Codire-Report maßgeblichen Einfluss auf die Einführung der relativen Vorrangregel hatte. Diese Argumentationslinie soll daher im Folgenden näher dargestellt werden.

a) Ansicht von Madaus 478 In der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur hat sich Madaus für die relative Vorrangregel ausgesprochen und dies mit einer unterschiedlichen dogmatischen Einordnung von Insolvenz- und Reorganisationsrecht begründet.866) Die relative Vorrangregel sei der adäquate Mechanismus, um dem auf Fortführung und Sanierung bedachten Verfahren der Restrukturierungsrichtlinie gerecht zu werden. Hingegen sei die absolute Vorrangregel eine auf Abwicklung des Unternehmens gerichtete Regelung.

479 Madaus gründet seine Kritik auf einen grundlegenden Gedanken: Seiner Ansicht nach sei die primäre Funktion des Insolvenzrechts die der Entschuldung. Das Insolvenzverfahren zwinge die Gläubiger dazu, den nominellen Wert ihrer Forderungen zu korrigieren und an deren wirtschaftlichen Wert anzupassen, der sich wiederum aus der reellen Verwertung des schuldnerischen Vermögens ergebe.867) Die Insolvenz zeichne sich dadurch aus, dass sie von einer Vermögensinsuffizienz gekennzeichnet sei. Das Vermögen des Unternehmens reiche dann nicht mehr für die Befriedigung aller Gläubiger (common pool problem).868) Dieses Problem werde durch den Entzug der Verfügungsbefugnis des Schuldners über sein Vermögen gelöst. Das gesamte pfändbare Vermögen des Schuldners werde dann liquidiert und so mit einem reellen Marktwert versehen.869) Im Gegensatz zu einer Liquidation erlaube es die Bewältigung der Krise mittels eines Plans, zukünftige Werte zu verteilen, auf die in einer Liquidation kein Anspruch bestünde. So könne sich die Reorganisation mittels eines Plans von dem Wesensmerkmal der Insolvenz lösen. Ungerecht erscheint Madaus ferner, dass Gläubiger die Insolvenz des Schuldners nutzen könnten, um ihre Forderungen im Wege eines Debt-Equity Swaps in Anteile am Schuldner umzuwandeln.870) ___________ 866) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446; ders., Eur. Bus. Org. L. Rev. (2017) 18, 615; eine Trennung von Reorganisations- und Insolvenzverfahren diskutiert auch Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 656. Eidenmüllers Vorschlag beinhaltet aber keine relative Vorrangregel. Eine Aufspaltung der Rechtsmaterien wird wegen der mit der Umstellung einhergehenden Kosten abgelehnt. Eidenmüller sieht in der Herauslösung des Reorganisationsrechts insgesamt keine überwiegenden Vorteile. 867) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 448. 868) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 449 f.; siehe zum Begriff des common pool problems bereits oben Rn. 18. 869) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 449 f., 455 – 457; ders., Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 620. 870) Maudas, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 621 – 623; ders., ZGR 2011, 749, 751 ff.; Madaus verweist dabei insbesondere auf die oben in Rn. 192 ff., schon angeführte Kritik von Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 789 – 792 (2017).

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C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Dadurch werde die Möglichkeit eröffnet, künftig unbegrenzt Dividenden beanspruchen und so sogar über den Nominalwert seiner Forderung bedient werden zu können. Diese weitreichenden Befriedigungsaussichten würden im Planverfahren nicht berücksichtigt, denn dort werde auf den Forderungswert in einer alternativen Regelinsolvenz abgestellt.871) Stattdessen schlägt Madaus eine andere Betrachtung vor, die das Reorganisations- 480 recht aus dem Insolvenzrecht herauslöst. In seiner klassischen Ausprägung verfolgten das Liquidationsverfahren und das Reorganisationsverfahren grundlegend verschiedene Ziele872): Ein Insolvenzverfahren sei in seiner klassischen Funktion ein Liquidationsverfahren. Es ziele auf die Abwicklung des Rechtsträgers. Anders liege es bei einem Reorganisationsverfahren. Die Reorganisation solle die 481 weitere Existenz des Schuldners am Markt sichern. Hier sei es möglich, sich vom common pool problem zu lösen, da hier bei einem ertragsfähigen Unternehmen und hinreichendem Zeitraum alle Gläubiger mit einer Befriedigung rechnen könnten. Anders als im Insolvenzverfahren würden hier nicht reelle, vom Markt errechnete Werte verteilt, sondern konsensual ausgehandelte Werte. Es bestehe zudem die Möglichkeit, auch zukünftige Werte zu versprechen.873) Hier liege eine Prognoseentscheidung der Gläubiger über den zukünftigen Erfolg des Krisenunternehmens vor.874) Eine Verteilung dieser zukünftigen und noch nicht vorhandenen Werte sei nur durch eine vertragliche Lösung zu erreichen, die deshalb im Vordergrund stehe.875) In der Liquidation bestehe hingegen kein Anspruch auf zukünftige Werte.876) Konsequent sei es dann, nur in der Insolvenz die insolvenzrechtsbasierenden Instrumente anzuwenden, worunter auch ein Obstruktionsverbot sowie die absolute Vorrangegel fielen,877) während die Reorganisation auf vertragsrechtsbasierenden Grundsätzen aufbaue.878) Die absolute Vorrangregel ignoriere, dass zukünftige Werte verteilt würden, und schneide die Anteilseigner unberechtigterweise von der Partizipation an diesen Werten ab.879) ___________ 871) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 452 – 454; in der Einbeziehung der Anteilsrechte in das Planverfahren sieht Madaus eine teilweise Rückkehr zur Personalexekution, vgl. ZGR 2011, 749, 759. 872) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 447, 455 ff.; ders., Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 617 f.; auch ders., ZGR 2011, 749, 753 ff. 873) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 457 ff.; ders., Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 621 ff. 874) BeckOK-InsO/Madaus, § 1 Rn. 22.12. 875) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 457 ff. 876) Madaus, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 621 f. 877) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 447; ders., Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 622. 878) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 457 ff.; vgl. auch ders., Der Insolvenzplan, passim, zur rein materiell-vertragsrechtlichen Einordnung des Insolvenzplans; zum Gedanken von rein vertragsbasierenden Lösungen ohne gesetzliche Vorgaben Schwartz, 107 Yale. L. J. 1807 (1998). 879) Madaus, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 622.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

482 Dieser Grundgedanke sei dabei unabhängig davon, ob bereits eine materielle Insolvenz eingetreten sei oder nicht; vielmehr entscheide das jeweilige Ziel darüber, welche Grundsätze anwendbar seien, sodass aus einer materiellen Insolvenz heraus eine Sanierung stattfinden könne.880)

483 Insgesamt sieht Madaus in seinem Konzept der vertraglich basierten Neuverteilung der Ressourcen eine Verwirklichung optimaler Ressourcenallokation. Die Parteien würden die Lösung treffen, die für alle am sinnvollsten sei. Der gruppenübergreifende Cram-down diene nur der Überwindung von unberechtigten Vetopositionen. Da die optimale Ressourcenverteilung zum Zeitpunkt der Planverhandlungen eine andere sei als zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, erlaube das Reorganisationsrecht eine Neuverhandlung der ursprünglichen Verträge. Das Reorganisationsrecht verschiebe insoweit den Grundsatz des Festhaltens an Verträgen (pacta sunt servanda) hin zu einer dynamischeren Betrachtung ähnlich einer clausula rebus sic stantibus.881) Madaus sichert seinen Gedanken mit dem Argument ab, dass die Anpassung von Verträgen dem deutschen Vertragsrecht nicht fremd sei und verweist auf § 313 Abs. 1 BGB.882)

b) Ansicht von Baird u. a. 484 Ähnlich grundlegende Gedanken lassen sich auch in der amerikanischen rechtswissenschaftlichen Literatur finden. Bereits in der Kritik an der absoluten Vorrangregel im amerikanischen Recht wurde geäußert, dass die Beantwortung der Frage, ob die absolute Vorrangregel ein sinnvolles Verteilungskonzept darstelle, maßgeblich davon abhänge, ob man den Gläubigern einen Anspruch auf die durch die Reorganisation entstehenden Werte zuspricht oder nicht (Reorganisation als einstufiges oder als zweistufiges Verfahren).883) Sehe man die Reorganisation als zweistufiges Verfahren, dann würden alle Vermögenswerte in einem Unternehmen in einem ersten Schritt entsprechend ihrem Rang verteilt. Der durch die Reorganisation entstehende Mehrwert könne dann in einem zweiten Schritt von dem Residualgläubiger884) als „neuem wirtschaftlichem Eigentümer“ so verteilt werden, wie er es für am sinnvollsten halte.

485 Anders verhalte es sich, wenn auch der Reorganisationsmehrwert der „alten“ Verteilungsrangfolge unterliege, wenn also mit anderen Worten der Wert, der durch die Reorganisation entstehe, nach den Grundsätzen der absoluten Vorrangregel zunächst an die Gläubiger verteilt werden müsse und die Anteilseigner daran nicht partizipieren ___________ 880) 881) 882) 883) 884)

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Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 457 – 459, 463 ff. Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 467 f. Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 468. Siehe dazu jeweils oben Rn. 180 ff. Damit ist die letzte nicht vollständig befriedigte Gläubigerklasse gemeint.

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

dürften. Die Konsequenz der Sichtweise, dass die Reorganisation ein zweistufiges Verfahren sei, sei, dass das Reorganisationsverfahren eine vom Insolvenzverfahren getrennte Materie darstelle, die jeweils nicht denselben Verteilungsregeln unterliege. Baird und Rasmussen sind der Ansicht, die absolute Vorrangregel sei ein Vertei- 486 lungsmechanismus, der auf die Abwicklung des Unternehmens ziele.885) Diese Frage sei aber dann nicht zu stellen, wenn das Unternehmen fortgeführt werde. Wisse man, dass das Unternehmen fortgeführt werden soll, dann stelle sich nur die Frage, wer in der reorganisierten Gesellschaft die Entscheidungsgewalt habe.886) Es handele sich dann aber um eine gesellschaftsrechtliche und nicht um eine insolvenzrechtliche Frage. Es zeigt sich, dass der Vorschlag von Madaus weitreichende Parallelen zu den Über- 487 legungen der amerikanischen Rechtswissenschaftler aufweist. Die grundlegende Übereinstimmung ist, dass Fortführung und Abwicklung jeweils eine andere Zielsetzung vor Augen haben. Beide Überlegungen teilen im Ausgangspunkt den Gedanken, dass die Gläubiger jeweils nur Anspruch auf den im Vollstreckungsweg erlangten Wert haben und der Reorganisationsmehrwert frei verteilbar sein soll.

c)

Stellungnahme

Es soll im Folgenden auf die von Madaus vorgebrachten Kritikpunkte eingegangen 488 werden. Weiter soll dargelegt werden, dass das Insolvenzrecht auf die Haftungsverwirklichung angelegt ist. Es wird sodann untersucht, ob sich durch die Restrukturierungsrichtlinie und das StaRUG Änderungen dieser Sichtweise ergeben und wie sich die absolute und relative Vorrangregel in dieses Konzept einfügen.

aa) Kernkritikpunkte von Madaus In Madaus’ Vorstoß lassen sich drei Problemschwerpunkte identifizieren, auf die 489 näher eingegangen werden soll.

(1) Bindung an ein common pool problem Zum einen ist die Bindung des Insolvenzrechts an ein common pool problem, also 490 an eine unzureichende Vermögensmasse für alle Gläubiger, zu nennen. In dieser Pauschalität erscheint dieser Einwand nicht zutreffend. Der Insolvenzantragsgrund der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO verlangt, dass der Schuldner seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Obwohl dies in der Praxis in aller Regel mit einer Vermögensinsuffizienz einhergeht, ist dies vom Gesetz keineswegs vorgeschrieben. Denn Zahlungsunfähigkeit und damit die Verpflichtung zur ___________ 885) Baird/Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921 (2001). 886) Baird/Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921, 922 (2001).

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

Einleitung eines Insolvenzverfahrens kann auch vorliegen, wenn der Schuldner nicht genügend liquide Mittel hat, um die fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit wird als erfüllt angesehen, wenn bezogen auf die fälligen Gesamtverbindlichkeiten eine Liquiditätslücke von 10 % oder mehr besteht, die sich innerhalb der nächsten drei Wochen nicht beseitigen lässt.887) Hat der Schuldner sein Vermögen in Grundstücken oder in schwer liquidierbaren Fonds gebunden, kann trotz noch zureichenden Vermögens die Zahlungsunfähigkeit eintreten.

491 Auch die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO, die eine freiwillige Insolvenzeröffnung zulässt, zwingt nicht zur Annahme einer Vermögensinsuffizienz. Die Annahme, dass der Schuldner seine fälligen Verbindlichkeiten in einem Zeitraum von 24 Monaten voraussichtlich nicht wird bedienen können, trifft keine Aussage über vorhandenes Vermögen, sondern nur über die liquiden Mittel.

492 Anders liegt es bei der Überschuldung nach § 19 InsO. Diese erfordert nach Abs. 2 S. 1 eine rechnerische Überschuldung und zusätzlich die Prognose, dass der Schuldner mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht genügend liquide Mittel haben wird, um seine Verbindlichkeiten zu bedienen.

493 Die zwingenden Insolvenzgründe besagen also nur, dass eine volle Befriedigung aller Beteiligten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit (voraussichtlich) nicht möglich ist. Es ist gleichwohl zuzugestehen, dass bei einem eingeleiteten Insolvenzverfahren in aller Regel eine Vermögensinsuffizienz vorliegen wird. Die Tatsache, dass die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO nicht zwingend auch mit einer Vermögensinsuffizienz einhergeht, dürfte zu den absoluten Ausnahmefällen gehören.

(2) Verteilung zukünftiger Werte 494 Der zweite Kritikpunkt von Madaus ist, dass in der Reorganisation auch zukünftige Werte verteilt werden können, womit man sich vom common pool problem löse. Richtig ist, dass der Schuldner in der Insolvenz mit seinem gesamten Vermögen im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung haftet, § 35 InsO. Dies umfasst nach § 35 Abs. 1 Hs. 2 InsO auch das Vermögen, welches der Schuldner während des Insolvenzverfahrens erwirbt.888) Eine Haftung der juristischen Person mit zukünftig zu erwerbendem Vermögen ist für das Regelinsolvenzverfahren nicht möglich. Das Regelinsolvenzverfahren endet mit der Vollbeendigung und Löschung des Rechtsträgers. Eine Besonderheit liegt dabei im Planverfahren, welches nach § 217 Abs. 1 InsO eine beliebige abweichende Regelung erlaubt. Insofern unterscheidet sich das Planverfahren vom Regelinsolvenzverfahren. Letzteres erlaubt nur eine Liquidation des Rechtsträgers sowie die Nutzbarmachung des Fortführungswertes im Wege einer ___________ 887) BGH, NZI 2012, 1009, 1010 Rn. 8; BGH, NZI 2012, 567, 568 Rn. 10; Uhlenbruck/Mock, InsO, § 17 Rn. 28; Braun/Salm-Hoogstraeten, InsO, § 17 Rn. 8 ff. 888) Vgl. dazu und im Folgenden Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 128.

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C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

übertragenden Sanierung. Das Planverfahren erlaubt es also, dass auch die künftige Ertragskraft des Unternehmens entsprechend der Verhandlungen unter den Planbeteiligten verteilt wird. Ungenau wäre es aber zu sagen, dass das Reorganisationsrecht und die Planverfahren 495 vollständig in der Zukunft liegende Werte verteilen würden. Genauer wäre die Formulierung, dass in einer Reorganisation bestehende Werte verteilt werden, die sich erst in der Zukunft realisieren.889) Die Betriebswirtschaftslehre geht von der Annahme aus, dass sich der (jetzige) Unternehmenswert aus allen vorhandenen Aktiva sowie den zukünftigen Zahlungsströmen des Unternehmens errechnet.890) Das zeigt sich auch am Überschuldungstatbestand. Dort gilt ein Unternehmen trotz rechnerischer Überschuldung nicht als rechtlich überschuldet, wenn die künftigen Erträge ausreichend sind, um alle Gläubiger fristgerecht im Prognosezeitraum befriedigen zu können, § 19 Abs. 2 S. 1 InsO. Das Unternehmen hat jedoch bereits jetzt einen reellen, verteilbaren Wert. Die Reorganisation ist lediglich eine positive Entscheidung zugunsten des Versuchs der Realisation eines bereits bestehenden Wertes. Insofern erscheint die Annahme, die Reorganisation löse sich vom common pool problem, indem künftige Werte verteilt würden, und entferne sich deshalb vom Wesensmerkmal der Insolvenz, nicht vollständig schlüssig. Auf diesen Gedanken aufbauend liegt im Grunde umgekehrt die Frage näher, warum zwischen Insolvenzrecht und Reorganisationsrecht getrennt werden sollte, wenn doch die Werte jetzt vorhanden sind und die Gläubiger unbestritten einen Anspruch auf den vollen Wert ihrer Forderungen haben.

(3) Unbeschränkter Zugriff auf Dividenden Schließlich kritisiert Madaus die Vollstreckung in die zukünftige Ertragskraft des 496 Schuldners durch einen Tausch der Forderungsrechte des Gläubigers in Anteilsrechte. Hier klingt die Kritik durch, dass mit der Möglichkeit des Forderungstauschs in Anteilsrechte nach § 225a Abs. 1 InsO die Trennung der Vermögenssphären durch die institutionelle Haftungsbeschränkung aufgehoben wird und hierin eine teilweise Rückkehr zur Personalexekution, also die Vollstreckung gegen die Person des Schuldners durch Einsperren oder körperliche Strafen, liegt.891) Denn das Haftungssubstrat ist nach § 35 Abs. 1 Hs. 1 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners und nach Hs. 2 zusätzlich das Vermögen, welches er während des Insolvenzverfahrens erwirbt. Hingegen gehören die Mitgliedschaftsrechte der Anteilseigner nicht in diese Masse, sondern sind den Vermögenssphären der Anteilseigner zugeordnet. Diese Argumenta___________ 889) Korrekt in der Wortwahl hingegen Madaus, Eur. Bus. Org. L. Rev. (2018) 19, 615, 622. 890) Scholz/Bitter, GmbHG, Vor § 64 Rn. 46; Fleischer, ZGR 1997, 368, 369 ff.; Hüttemann, FS K. Schmidt, 2009, 761, 770; ders., ZHR 162 (1998), 563, 584 ff.; ders., WPg 2007, 812; unerheblich ist für dieses Argument, nach welcher Methode die künftigen Erträge errechnet werden, beispielsweise nach der Ertragswertmethode oder der Discounted-Cash-Flow Methode. 891) So im Ergebnis Madaus, ZGR 2011, 749, 759.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

tionslinie wurde bereits von Deckers zurückgewiesen.892) Eine Vollstreckung in die künftige Ertragskraft des Schuldners bietet sich immer dann an, wenn das Vermögen des Schuldners für Haftungszwecke wenig Reserven bereithält, aber dieser ein potenziell einträgliches Unternehmen betreibt. Bei einer natürlichen Person erfolgt ein Zugriff auf die Ertragskraft durch das Verfahren der Restschuldbefreiung. Durch die Aussicht auf einen Schuldenerlass soll der Schuldner dazu motiviert werden, seine Ertragskraft nach bestem Bemühen für die Befriedigung der Gläubiger einzusetzen. Bei der juristischen Person hingegen funktioniert diese Anreizstellung nicht. Die institutionelle Haftungsbeschränkung sorgt bereits dafür, dass die hinter der juristischen Person stehenden Anteilseigner keinen weiteren Zugriff der Gläubiger fürchten müssen. Es besteht also kein Anreiz für die juristische Person, zugunsten der Gläubiger weiter zu wirtschaften. Das führt dazu, dass eine Mitwirkung der hinter dem Schuldner stehenden Anteilseigner nur durch eine Aussicht auf Beteiligung an der Ertragskraft des Schuldners erreicht werden kann – diese Beteiligung steht aber naturgemäß in einem Spannungsverhältnis zur absoluten Vorrangregel. Die absolute Vorrangregel verlangt als Ausprägung der Haftungsverwirklichung grundsätzlich ein Ausscheiden der alten Anteilseigner, um den Gläubigern einen Zugriff auf die in dem Schuldner verkörperten Werte zu ermöglichen. Dennoch wäre es voreilig, den Gläubigern einen Zugriff auf das durch die institutionelle Haftungsbeschränkung abgeschirmte Vermögen der Gesellschafter mit dem Argument der Personalexekution abzuschneiden. Zum einen sind juristische Personen Zweckgebilde, die immer zugunsten der hinter ihnen stehenden natürlichen Personen wirtschaften. Die Überwindung der Personalexekution bei natürlichen Personen erfolgte aus humanitären Gründen – Schuldner sollten bei Säumigkeit nicht eingesperrt oder mit körperlichen Strafen belangt werden. Diese Erwägungen lassen sich nicht zugunsten von juristischen Personen vorbringen. Weiterhin liegt im Wesentlichen ein formaler Unterschied zwischen der Löschung der juristischen Person (und dem Erlöschen der Anteile) nach der Liquidation des Vermögens (wie im Regelverfahren vorgesehen) und der Neuzuweisung der Anteile an die Gläubiger (wie durch das Planverfahren ermöglicht). Zum anderen bietet auch der Sinn und Zweck der institutionellen Haftungsbeschränkung kein pauschales Argument gegen den Zugriff auf die Anteilsrechte. Das Hauptziel der institutionellen Haftungsbeschränkung war, wie oben aufgezeigt, die Förderung (riskanten) unternehmerischen Verhaltens, ohne eine ruinöse Haftung fürchten zu müssen.

497 Zur Auflösung dieses Konflikts sieht das Gesetz seit der Reform durch das ESUG die Möglichkeit eines Debt-Equity Swaps in § 225a InsO bzw. § 7 Abs. 4 StaRUG vor.

___________ 892) Dazu und im folgenden Deckers, Die Mitgliedschaft in der Insolvenz, 129 – 134.

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C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

bb) Haftungsverwirklichung durch Liquidation und Reorganisation Entgegen der oben geäußerten Ansicht von Madaus folgt die ganz überwiegende An- 498 sicht zurecht dem Gedanken, dass sowohl die Liquidation als auch die Reorganisation dem Ziel der Haftungsverwirklichung folgen.893) Es muss in einem ersten Schritt überprüft werden, ob durch die Restrukturierungsrichtlinie und das StaRUG eine Neubetrachtung erforderlich wird.

(1) Die Restrukturierungsrichtlinie Die Restrukturierungsrichtlinie bringt ihre Ziele vor allem in den ersten Erwägungs- 499 gründen zum Ausdruck. Sie will vornehmlich zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beitragen und Hindernisse für die Ausübung der Grundfreiheiten, etwa des freien Kapitalverkehrs oder der Niederlassungsfreiheit, beseitigen.894) Weiterhin soll der Restrukturierungsrahmen dabei helfen, Arbeitsplatzverluste und den Verlust von Know-how und Kompetenzen zu verhindern. Durch die Existenz von präventiven Restrukturierungsrahmen könne so ein erheblicher Prozentsatz von Unternehmen und Arbeitsplätzen bewahrt werden.895) Dadurch soll der Gesamtwert für die Gläubiger sowie für die Anteilsinhaber und die Wirtschaft insgesamt maximiert werden.896) Ein weiteres Ziel ist es, dem Aufbau notleidender Kredite vorzubeugen. So soll das Risiko verringert werden, dass Kredite bei Konjunkturabschwüngen zu notleidenden Krediten werden, was wiederum die negativen Auswirkungen auf den Finanzsektor abmildern kann.897) Ferner zeigt sich, dass dem Schutz von Arbeitnehmern umfassend Rechnung getragen werden soll. Die Richtlinie nimmt Arbeitnehmer insbesondere von dem Anwendungsbereich des Moratoriums aus898) und schützt erhaltene Lohnzahlungen vor einer späteren Insolvenzanfechtung.899) Weiterhin besteht die Möglichkeit, Arbeitnehmerforderungen ganz vom Anwendungsbereich auszunehmen.900) Es zeigt sich, dass die Restrukturierungsrichtlinie eine Reihe von gesamtwirtschaftlichen und sozialpolitischen Erwägungen vor Augen hat. Binnenmarktintegration und Arbeitsplatzsicherung sind tragende Determinanten. Auf der anderen Seite lassen sich aber auch Erwägungen finden, die der deutschen 500 Sichtweise des Insolvenz- und Sanierungsrechts sehr ähnlich sind. Es wird betont, dass die Restrukturierung frühzeitig stattfinden soll, um so die unnötige Liquidation ___________ 893) 894) 895) 896) 897) 898) 899) 900)

Vgl. oben Rn. 293 ff. Erwägungsgrund Nr. 1 S. 1 RRL. Erwägungsgrund Nr. 3 S. 3 RRL. Erwägungsgrund Nr. 2 S. 5 RRL. Erwägungsgrund Nr. 3 S. 1 und 2 RRL. Art. 6 Abs. 5 Unterabs. 1 RRL. Art. 18 Abs. 4 lit. c) RRL. Art. 1 Abs. 5 lit. a) RRL sowie Erwägungsgrund Nr. 43 S. 4 RRL.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

bestandsfähiger Unternehmen zu begrenzen.901) Nicht bestandsfähige Unternehmen ohne Überlebenschance sollen so schnell wie möglich abgewickelt werden.902) Die Restrukturierungsrichtlinie nimmt gesamtwirtschaftliche Erwägungen auf, räumt diesen aber keinen vollkommenen Vorrang ein. Dies spiegelt sich auch in der großen Anzahl der Öffnungsklauseln wider, wonach die Mitgliedstaaten in erheblichem Umfang Freiheiten bei der Umsetzung der Richtlinie genießen. Der Richtliniengeber erhofft sich durch die frühzeitige Bewältigung einer Krisensituation Vorteile für alle Beteiligten. Dennoch löst sich die Richtlinie im Ansatz von der deutschen Sichtweise der reinen Haftungsverwirklichung.

(2) Das StaRUG 501 Im StaRUG werden die sozialpolitischen Erwägungen des Richtliniengebers in § 4 Nr. 1 StaRUG ersichtlich, wonach Arbeitnehmerforderungen aus dem Anwendungsbereich ausgenommen sind. Ansonsten lässt das StaRUG eher darauf schließen, dass es möglichst wenig von den sonst im Insolvenzrecht geltenden Grundsätzen abrücken möchte. Ausdrücklich wird das auch in der Begründung des Regierungsentwurfs zum StaRUG angesprochen, wonach dieses auf eine „funktionale Übereinstimmung“ mit den insolvenzrechtlichen Sanierungsoptionen ziele.903) Weiterhin führt die Begründung zum Regierungsentwurf aus, die Beteiligtenautonomie und die Marktkonformität blieben die „wesensprägenden Säulen“, welche auch für die Sanierungsoptionen gälten, die in Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie zu einem präventiven Restrukturierungsrahmen zu schaffen seien. Wie auch das Insolvenzverfahren gehe es bei den im präventiven Restrukturierungsrahmen zu schaffenden vor- und außerinsolvenzlichen Sanierungshilfen darum, auf eine Gefährdung der vollständigen Befriedigung der Gläubiger zu reagieren und dabei die Interessen der Gläubiger zu wahren.904) Auch der Anwendungsbereich des StaRUG und die Möglichkeit, bei drohender Zahlungsunfähigkeit entweder ein Insolvenzverfahren oder den Restrukturierungsrahmen in Anspruch zu nehmen, spricht für eine gemeinsame Zielrichtung. Nicht zuletzt die Implementierung der absoluten Vorrangregel in § 26 Abs. 1 Nr. 2 sowie §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 2 StaRU unterstreicht diese Zielrichtung.

502 Zusammenfassend löst sich die Richtlinie zwar in ihren Zielen partiell von den Zielen des Insolvenzrechts, das StaRUG versucht aber, diese weitestgehend beizubehalten.

___________ 901) 902) 903) 904)

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Erwägungsgrund Nr. 2 S. 4 RRL. Erwägungsgrund Nr. 3 S. 5 RRL. Begr. RegE.StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 87. Begr. RegE.StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 86.

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

cc) Vergleich zu Madaus’ Vorschlag Es zeigt sich, dass das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht der Haftungsver- 503 wirklichung dient. Auch das StaRUG möchte davon im Grundsatz nicht abrücken. Diese grundlegende Ausrichtung des Rechtsgebiets erscheint überzeugend. Denn eine Reorganisation soll Unternehmen nicht nur um ihrer selbst willen am Leben erhalten, sondern die vorhanden Werte für alle Beteiligten sichern und erhöhen. Für einen Gläubiger ist die Reorganisation eines Unternehmens und ein teilweiser Verlust seiner Forderung sinnvoll, wenn er dadurch größere Verluste abwenden kann. Demnach dient auch das Reorganisationsrecht nach klassischem Verständnis im deutschen Recht der bestmöglichen Haftungsverwirklichung.905) Die vorinsolvenzlich ausgehandelten Positionen der Gläubiger sollen berücksichtigt 504 und in einem Verfahren koordiniert umgesetzt werden. Konsequent fügt sich die absolute Vorrangregel in dieses Konzept der Haftungsverwirklichung ein, indem sie ein Abweichen von der vorinsolvenzlichen Verteilungsreihenfolge nur mit Zustimmung der betroffenen Gruppe gestattet. Die Strenge der Haftungsverwirklichung hat dabei den Nebeneffekt, dass eine volks- 505 wirtschaftlich optimale Ressourcenallokation nicht immer gewährleistet wird. Ein Beispiel ist der schon mehrfach angeschnittene Fall, dass eine strenge absolute Vorrangregel ein Ausscheiden der alten Anteilseigner-Manager zur Folge haben kann, obwohl diese mit ihren unternehmensspezifischen Fähigkeiten einen Mehrwert erzeugen könnten, der sich nur bei deren Verbleib in dem Unternehmen realisieren ließe. Aber auch unter der absoluten Vorrangregel können die höherrangigen Gruppen einer abweichenden Wertverteilung zustimmen und so eventuell bestehende Reorganisationsgewinne realisieren. Diesem unerwünschten Nebeneffekt der absoluten Vorrangregel hat der deutsche Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er zum einen eine New Value Exception ins deutsche Recht implementiert hat (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG) und zum anderen, indem er unter bestimmten Bedingungen (§ 28 Abs. 2 StaRUG) eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel zulässt, wenn dies zur Realisierung des Reorganisationsmehrwerts erforderlich erscheint. Zu berücksichtigen ist ferner, dass das bestehende Konzept des Gesellschaftsrechts 506 fundamental auf der Möglichkeit des Zugriffs auf Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung aufbaut. Der Grundgedanke hinter der Einführung des Prinzips der beschränkten Haftung basierte darauf, die Investitions- und Risikobereitschaft der Marktteilnehmer zu fördern. Eine Folge davon ist, dass die Gläubiger im Falle des Scheiterns einer Unternehmung einen Teil der Verluste des Schuldners tragen müssen. Dem Grundgedanken der institutionellen Haftungsbeschränkung liegt die Prämisse zugrunde, dass das Vermögen der Gesellschaft an diese gebunden ist und im Zwei___________ 905) So auch Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 16; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 443 ff.; Köth, Vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren und alternative Regelungsmodelle, 445.

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

felsfall den Gläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung steht. Hier beginnt der hinter der absoluten Vorrangregel stehende Gedanke: Zwar muss ein Gläubiger damit rechnen, dass er nur auf das Vermögen der Gesellschaft und nicht auf den dahinterstehenden Gesellschafter zugreifen kann. Doch ihm soll es dann möglich sein, entsprechend seiner vertraglichen Vereinbarung unbeschränkt auf das Vermögen der Gesellschaft zuzugreifen. Die absolute Vorrangregel setzt die vertraglich vereinbarte Position weitestmöglich in der Insolvenz um. Damit stellt die absolute Vorrangregel eine Regelung dar, die in der Insolvenz des Schuldners zum Tragen kommt. Ihren Ausgangspunkt nimmt sie indes bereits im Gesellschaftsrecht; sie kommt daher auch in der gesellschaftsrechtlichen Liquidation des Rechtsträgers zur Geltung. Insofern muss Madaus widersprochen werden, wenn er der Ansicht ist, die absolute Vorrangregel stelle eine rein insolvenzrechtliche Regelung dar. Auch nur eingeschränkt zuzustimmen ist der Ausführung, die absolute Vorrangregel stelle einen abwicklungsorientierten Mechanismus dar. Die absolute Vorrangregel stellt nur zu Lasten der alten Anteilseigner einen abwicklungsorientierten Mechanismus dar, nicht aber zwangsläufig zu Lasten des Rechtsträgers. Der Grund dafür ist in der Haftungsverwirklichung zu sehen. Ein Abweichen von der absoluten Vorrangregel berührt damit auch zwangsläufig die Grundsätze des Gesellschaftsrechts.

507 Auf der anderen Seite bricht Madaus das Konzept der Haftungsverwirklichung auseinander, indem er zwischen dem Insolvenz- und dem Reorganisationsrecht unterscheidet. Wie oben dargelegt, besteht eine Besonderheit des Planverfahrens darin, dass schon jetzt bestehende, aber sich erst künftig realisierende Werte und künftige Werte verteilt werden können. Dabei baut Madaus maßgeblich auf der Prämisse auf, dass das Reorganisationsrecht vertragsrechtlich fundiert sei. Selbst wenn man der Prämisse folgt, dass es sich beim Insolvenz-/Restrukturierungsplan und einen unter gesetzlichen Kontrahierungszwängen zustande kommenden rein materiellrechtlichen Vertrag handelt,906) fügt sich die absolute Vorrangregel konsequent in dieses Konstrukt ein. Denn auch die dogmatische Konstruktion als Vertrag besagt nicht zwangsläufig etwas über die Schutzkriterien der Zustimmungsfiktion. Die absolute Vorrangregel stellt auch bei einer vertragsrechtlichen Fundierung eine Regelung dar, die den Fall behandelt, dass sich die Parteien trotz eines möglicherweise bestehenden Kontrahierungszwangs nicht über die Neuverteilung der Werte einigen können.

508 Schließlich bedürfte es eingehenderer Betrachtung, wie sich die angepasste Risikovorsorge der Gläubiger mit Blick auf ihre „entwerteten“ Ansprüche gestalten würde. Es erscheint nicht undenkbar, dass sich die erhöhten Zinsen, die die Gläubiger infolge ihres „Rangverlusts“ in der Reorganisation hinnehmen müssten, erheblich auf das operative Geschäft auswirken könnten. Die höheren Kapitalkosten würden durch die Unternehmen auf ihre Kunden und letztlich auf den Verbraucher weitergeleitet ___________ 906) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 457; ders., Der Insolvenzplan, passim.

204

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

werden. Eine eventuell investitionsfördernde Wirkung der relativen Vorrangregel könnte dadurch erheblich gemindert werden. Wenn zudem zur Untermauerung des Konzepts der relativen Vorrangregel auf § 313 509 Abs. 1 BGB mit dem Argument verwiesen wird, eine Vertragsanpassung sei dem deutschen Recht nicht fremd, dann erscheint dies zu weit gegriffen. Das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage dient gerade nicht dazu, solche Risiken auszugleichen, die sich aus der Natur des Vertrages und der vereinbarten Risikoverteilung ergeben.907) Im Gegenteil sollen hier zufällige und nicht bedachte Änderungen des Umfeldes und der Grundlagen ausgeglichen werden. Darüber hinaus kennt das geltende deutsche Recht einen weitergehenden Grundsatz der clausula rebus sic stantibus gerade nicht.908) Insgesamt weicht das von Madaus vorgeschlagene Konzept erheblich von den gel- 510 tenden Grundsätzen der Haftungsverwirklichung ab und stellt kein zwingend folgerichtiges Konzept dar. Die Frage, ob man das Reorganisationsrecht als eigene Materie ansieht, weil dort Werte verteilt werden, die sich erst in der Zukunft realisieren, hat vornehmlich eine rechtspolitische Dimension. Sie lässt sich auf die Frage einengen, ob man Fortführungschancen und eine (möglicherweise) optimale Ressourcenallokation höher gewichten möchte als eine starre Durchsetzung der vertraglichen Beziehungen. Darauf weist auch Madaus selbst hin.909) Dies ist ein Kernanliegen der relativen Vorrangregel.

III. Exkurs: Die amerikanische relative Vorrangregel In einem Exkurs soll gezeigt werden, dass in der amerikanischen rechtswissen- 511 schaftlichen Literatur ebenfalls für eine relative Vorrangregel geworben wird. Diese soll die im zweiten Kapitel aufgezeigten Probleme lösen. Sie soll im Folgenden dargestellt und mit der europäischen relativen Vorrangregel verglichen werden. Es soll untersucht werden, ob sich aus dieser Diskussion fruchtbare Ansätze für die Vorzugswürdigkeit der relativen Vorrangregel bei der Umsetzung der Richtlinie herleiten lassen.

1.

Funktionsweise

Die amerikanische relative Vorrangregel nach einem Konzept von Baird sieht einen 512 Großteil des Problems rund um die absolute Vorrangregel in dem Zeitpunkt, in wel___________ 907) Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 19 ff.; Jauernig/Stadler, BGB, § 313 Rn. 4, 8 ff.; MüKo-BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 60 ff.; Teichmann, BB 2001, 1485, 1491; Weller, Die Vertragstreue, 299. 908) Grüneberg, BGB, § 313 Rn. 11; vgl. auch MüKo-BGB/Finkenauer, § 313 Rn. 103; Weller, Die Vertragstreue, 274 ff., 297 ff. 909) Madaus, FS Wimmer, 2017, 446, 468.

205

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

chem der Wert einer Beteiligung eines Stakeholders, also einer Person, die von den Aktivitäten des Unternehmens direkt oder indirekt betroffen ist, gemessen wird. Der dahinterstehende Gedanke ist, dass eine Investition immer eine Entscheidung unter Ungewissheit ist. Die vertragliche Vereinbarung erfolge zu einem Zeitpunkt, in dem der Ausgang des Projekts unklar sei. Dabei werde erst mit Zeitablauf klar, wie sich die Investitionen entwickelten. Die Rückzahlung von Schulden hänge von sich zukünftig realisierenden Werten ab, deren Ausgang aber unklar sei. Durch die Insolvenz des Schuldners und unter der Geltung der absoluten Vorrangregel werde man aber zu einer Verteilung der Werte vom Schuldner weg gezwungen. Die absolute Vorrangregel, so die Kritik, schneide dem Gesellschafter bzw. dem Residualberechtigten die Möglichkeit ab, auf den sich künftig erst realisierenden Wert zuzugreifen, indem sie die Werte bei Insolvenz an den Gläubiger verteile. Es könne im Falle einer Krise sinnvoll sein, die Kapitalstruktur des Unternehmens zu ändern und trotzdem die Anteilseigner am Unternehmen beteiligt zu lassen.910) Illustriert wird dies an einem Beispiel911):

513 Zwei Investoren verfolgen eine Geschäftsidee. Sie einigen sich darauf, dass der Gewinn geteilt werden soll. A soll einen Anspruch auf 150 Dollar haben und B auf den darüberhinausgehenden Wert. Die Anwälte der Parteien geben A eine Gläubigerstellung (Senior-Investor) und B eine Stellung als Gesellschafter (Junior-Investor). Die Zeit vergeht und es wird klar, dass das Projekt mit gleicher Wahrscheinlichkeit entweder einen Gewinn von 200 Dollar oder 0 Dollar abwirft. Eine gesetzliche Änderung macht eine Neuordnung der Kapitalstruktur erforderlich und zwingt das Unternehmen, alle Schulden zu eliminieren. Ein rationaler Investor würde höchstens 100 Dollar für den Erwerb des Projekts bieten. Das wäre der Erwartungswert.912) Nach der Vereinbarung würden A die gesamten 100 Dollar zustehen. B würde nichts erhalten. Das sei der Ansatz der absoluten Vorrangregel.

___________ 910) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 791 – 793 (2017). 911) Siehe dazu Baird 165 U. Pa. L. Rev. 785, 791 f. (2017); mit einem ähnlichen Beispiel ders., 18 Am. Bank. Inst. L. Rev. 591, 592 f. (2010): Zwei Parteien, A und B, einigen sich darauf, ein Lotterieticket zu kaufen. Bei Gewinn ist das Ticket 1000 Dollar wert, die Gewinnwahrscheinlichkeit liegt bei 1:10. Weiterhin einigen sich A und B, dass A die ersten 200 Dollar bekommt und B den Rest; A hat also gewissermaßen einen vorrangigen Anspruch. Würden A und B das Lotterieticket vor der Ziehung verkaufen, so würde ein Investor dafür 100 Dollar zahlen, denn dies wäre der Erwartungswert (1.000 x 1/10 = 100). A würde nach der internen Parteivereinbarung die 100 Dollar bekommen, während B leer ausgeht. Dürfte A das Recht aber erst nach der Ziehung verkaufen, würde ein Investor nur 20 EUR dafür zahlen. Denn man würde nicht nur in 1/10 der Fälle überhaupt etwas bekommen, sondern dann auch nur 200 Dollar. Es wird klar, dass sich in demselben rechtlichen Konstrukt – A hat einen vorrangigen Zugriff auf den Erlös – der Wert des Anspruchs ändert, wenn man den Verwertungszeitpunkt verändert; ähnlich auch ders./Rasmussen, 87 Vir. L. Rev. 921, 937 ff. (2001); Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759 (2011) schlägt ähnliches vor, vermeidet aber den Begriff der relativen Vorrangregel. 912) 200 x 0,5 + 0 x 0,5 = 100.

206

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Nach der relativen Vorrangregel hatte der Gläubiger die gleiche Chance, entweder 150 514 Dollar oder 0 Dollar zu erhalten. Denn im Gewinnfall würde das Projekt 200 Dollar einspielen, wovon er nur 150 Dollar einstreichen dürfte. Er würde also nie den Erwartungswert von 100 Dollar bekommen, sondern entweder 150 Dollar oder 0 Dollar. Sein Anspruch wäre zu diesem Zeitpunkt 75 Dollar wert. Der Gesellschafter hingegen hätte die gleiche Chance, entweder 50 Dollar oder 0 Dollar zu erhalten. Sein Investment wäre demnach 25 Dollar wert. Nach dieser Logik gebe es keinen Grund, den Investoren jeweils mehr zu geben als deren Anspruch zum Zeitpunkt der Reorganisation wert war. Die Möglichkeit, dass das Projekt am Ende mehr wert sein könnte als das, was dem Gläubiger geschuldet werde, verleihe der Beteiligung des Gesellschafters einen Optionswert. Baird sieht dabei die Rechte des Gesellschafters als eine Option. Optionen seien ein Bestandteil eines jeden Anlageinstruments. Wann immer ein Investor Vorrang vor einem anderen habe, sei der Vorrang absolut oder relativ, habe der im Rang niedriger stehende Investor (etwa die Anteilseigner) faktisch eine Kaufoption. Der dieser habe die im Anlageinstrument festgelegte Möglichkeit, die Rechte des höherrangigen Investors (das sind Gläubiger) zu beenden, indem er ihn ausbezahle. Diese Kaufoption sei das Recht, eine bestimmte Position zu einem festen Preis zu kaufen. Wie eine Kaufoption auf einen beliebigen Vermögenswert werde sie durch einen Ausübungspreis und ein Ausübungsdatum definiert. Der Ausübungspreis sei der dem höherrangigen Investor geschuldete Betrag. Das Ausübungsdatum lege den Zeitpunkt fest, zu dem der Inhaber der Option entscheiden müsse, ob er die Option ausübe oder nicht. Ein rationaler neuer Investor würde bis zu 25 Dollar für die Option zahlen, das Projekt in einem Jahr vom höherrangigen Investor für die Zahlung von 150 Dollar zu erwerben. Der Options-Inhaber würde dann in der Hälfte der Fälle leer ausgehen. In der anderen Hälfte der Fälle würde er seine Option ausüben und die 50 Dollar einstreichen, die nach der Auszahlung des höherrangigen Investors übrigblieben. Der Ansatz von Baird knüpft an den Gedanken an, die Reorganisation als die Aus- 515 übung von Optionen zu sehen.913) Das oben geschilderte Beispiel und der Vorschlag, dem Gesellschafter eine Rückkaufsoption an die Hand zu geben, zeigen, dass vor allem zwei Dinge erreicht werden sollen: Der Gläubiger soll nicht mehr erhalten als ihm nach der Vereinbarung zusteht. Es soll verhindert werden, dass ihm die gesamte Unternehmung zugesprochen wird (deren Wert potenziell bei 200 Dollar liegt), obwohl sein Anspruch in dieser Höhe nicht besteht (dieser beträgt nur 150 Dollar). Spiegelbildlich soll es dem Gesellschafter ermöglicht werden, auf den vollen Wert des Investments zuzugreifen, wenn sich dieses verwirklicht. Gewissermaßen verlagert die absolute Vorrangregel die Entscheidung über die Ausübung der Option auf den Zeit___________ 913) Baird verweist dafür auf das finanzmathematische Modell von Black/Scholes, 81 Journal of Political Economy 637 (1973), vgl. 165 U. Pa. L. Rev. 785, 793 Fn. 26 (2017); der Gedanke, das Insolvenzverfahren über ein Optionsmodell zu bewältigen ist bereits über 30 Jahre alt, vgl. für eine Darstellung verschiedener Options-Modelle Madaus, Der Insolvenzplan, 458 ff.; monographisch, Hinrichs, Insolvenzbewältigung durch Optionen, passim.

207

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

punkt der Reorganisation und damit nach vorne. Hingegen ermöglicht es die relative Vorrangregel, mit der Entscheidung über die Ausübung der Option zu warten, bis das Ergebnis der Investition klar ist.914) Die Vorschläge des American Bankruptcy Institute für eine Änderung des amerikanischen Rechts gehen in eine ganz ähnliche Richtung.915)

516 Es lassen sich aus dem dargestellten Beispiel die Folgerungen ableiten, dass die amerikanische relative Vorrangregel in eine andere Richtung geht als die europäische relative Vorrangregel.916) Die amerikanische relative Vorrangregel will dem Gesellschafter bzw. der residualberechtigen Klasse eine Zugriffsmöglichkeit auf künftige Werte ermöglichen. Der Gläubiger erhält das gesamte Eigentum an dem Unternehmen. Konsequent müssten also im Zeitpunkt der Reorganisation alle Gesellschaftsanteile und Schulden des Unternehmens erlöschen. Der (Alt-)Gesellschafter bekommt die Möglichkeit, das Eigentum an dem Unternehmen über die Ausübung seiner Option zurückzuerhalten. Wenn der (Alt-) Gesellschafter an den weiteren Werten des Unternehmens partizipieren will, so muss er den Gläubiger in der Höhe des ursprünglich vereinbarten Wertes ausbezahlen. Übt niemand sein Optionsrecht aus, so steht das Eigentum dem höchstrangigen Gläubiger zu. Dieser kann dann über den weiteren Fortgang des Unternehmens entscheiden. Gleichzeitig soll so das Problem der Unternehmensbewertung umgangen werden, indem der Ausübungspreis der Option immer mit dem Betrag gleichgesetzt wird, welcher dem Gläubiger geschuldet wird.917) In der Unternehmensbewertung sieht Baird ein wichtiges Problem, dessen Vermeidung zu einem großen Gewinn für das Reorganisationsrecht führen würde.918)

517 Auch läge hierin, wie auch Baird anmerkt, eine zusätzliche Risikoverteilung zulasten des Gläubigers, da der Gläubiger das Risiko trägt, dass sich das Unternehmen nach der Reorganisation nicht positiv entwickelt. Dies sei aber nicht nachteilig, da sich alle Beteiligten kautelarjuristisch an die Rechtslage anpassen könnten. Baird führt als Beispiel an, dass der Gläubiger sich sein erhöhtes Risiko über einen entsprechenden Zinssatz kompensieren lassen könne.919) ___________ 914) Baird, 165 U. Pa L. Rev. 785, 793 (2017); ebenso Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759, 763 ff. (2011). 915) Vgl. dazu oben Rn. 228 ff. 916) Dies konstatiert auch Rotaru, Droit et Croissance 2019, The Restructuring Directive, 1, 48 Rn. 205, der sich klar für eine absolute Vorrangregel ausspricht. 917) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 796 (2017). 918) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 828 (2017): „The debate should shift from the question of how to find a bankruptcy mechanism that best vindicates the absolute priority rule to the question of identifying the priority rule that minimizes the costs of bankruptcy itself.“; in der Vermeidung der Unternehmensbewertung sieht auch Bebchuk den entscheidenden Vorteil eines OptionsModells, vgl. 101 Harv. L. Rev. 775, 789 f. (1988); vgl. dazu auch Hinrichs, Insolvenzbewältigung durch Optionen, 312 ff. 919) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 798 (2017).

208

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

2.

Diskussion

Ein maßgeblicher Vorteil der Lösung liegt darin, dass zum einen die Unternehmens- 518 bewertung als zeitraubendes, streitanfälliges und potenziell unpräzises Element umgangen wird. Das dargestellte Modell lässt sich weiterhin problemlos auf mehrere Rangklassen erweitern. Während Bairds Beispiel nur zwei Rangklassen aufweist, den Gläubiger und den Gesellschafter, so lassen sich im Grunde beliebig viele weitere Rangklassen zwischenschalten.920) Der Ausübungspreis einer jeden Rangklasse entspricht dann den (aufaddierten) Forderungshöhen aller jeweils höherrangigen Rangklassen. Man stelle sich vor, es gäbe neben dem Gläubiger 1 mit einer Forderung in Höhe von 3 Dollar noch den nachrangigen Gläubiger 2 mit einer Forderung in Höhe von 6 Dollar, welche gegenüber dem Gesellschafter vorrangig wären. Der Optionspreis des Gesellschafters würde dann 9 Dollar betragen, da er sowohl den Gläubiger 1 als auch den nachrangigen Gläubiger 2 vollständig befriedigen müsste, um deren Bezugsrechte auf die Gesellschaftsanteile zu erhalten. Der Vorschlag von Baird geht davon aus, dass der Gläubiger die Anteilsrechte als 519 neuer wirtschaftlicher Eigentümer erhält, bis der Gesellschafter von seinem Optionsrecht Gebrauch macht.921) Es findet gewissermaßen ein automatischer Debt-Equity Swap statt. Das deutsche Recht unterscheidet hingegen klar zwischen dem schuldrechtlichen Anspruch gegen den Schuldner und den Anteils- und Mitgliedschaftsrechten der Anteilseigner am Schuldnerunternehmen. Die Anteile der Gesellschafter gehören nicht zur Insolvenzmasse des Unternehmens und einen automatischen Wechsel der Anteilsrechte hin zu den Gläubigern kennt das deutsche Recht nicht. Diese Lösung wäre dem deutschen Recht daher fremd. Ein Problem besteht darin, dass den Gläubigern dann das Fortführungsrisiko des Unternehmens aufgebürdet wird. Das Optionsrecht der alten Gesellschafter erfordert denklogisch, dass die Gläubiger das Unternehmen nicht liquidieren oder zerschlagen dürfen, bis der Zeitpunkt, an dem über die Ausübung des Optionsrecht entschieden werden muss, verstrichen ist. Es kommt höchstens ein Verkauf des mit dem Optionsrecht „belasteten“ Unternehmen in Betracht. Eine dritte Partei müsste sich dann aber bereiterklären, das mit dem Optionsrecht der alten Gesellschafter „belastete“ Unternehmen zu erwerben. Problematisch ist das dann, wenn sich Käufer aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage für ein Unternehmen nur schwer finden lassen, etwa, weil sich die gesamte Branche in Schwierigkeiten befindet. Ein Beispiel dafür lässt sich ganz zwanglos in der Luftfahrtindustrie finden, welche während der Corona-Pandemie im Jahr 2020 beinahe weltweit aus Infektionsschutzgründen die Betriebe stilllegen musste. Die Gläubiger als Neu-Eigentümer tragen in jedem Fall das Risiko, dass entweder niemand das ___________ 920) Vgl. Bebchuk, 101 Har. L. Rev. 775, 800 (1988), welcher ursprünglich die Idee hatte, die Reorganisation über die Ausübung von Optionsrechten zu regeln; aus der deutschen Literatur monographisch Hinrichs, Insolvenzbewältigung durch Optionen, passim. 921) Baird, 165 U. Pa. L. Rev. 785, 795 (2017).

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

Unternehmen kaufen will oder sich dieses weiter negativ entwickelt. Zudem erfordert das Optionsverfahren, dass alle Forderungen, die später durch die Optionsrechte ausgetauscht werden, zuvor von einer unabhängigen Partei festgestellt wurden. Erlaubt man, wie wohl Baird, noch Verhandlungen über die Höhe der Forderungen und bestimmte Verträge, so kann daran kritisiert werden, dass dann gewissermaßen „durch die Hintertür“ die Probleme der zeit- und kostenintensiven „Planverhandlungen“, der Forderungsfeststellung und der Entscheidung über schwebende Verträge (vgl. §§ 103 ff. InsO) auftauchen, welche dem Verfahren wieder einen beachtlichen Teil seines Effizienzgewinns rauben.922) Ein Effizienzgewinn würde im Wesentlichen dadurch erzeugt, dass die Unternehmensbewertung entfiele. Gleichzeitig bietet das Optionsmodell gegenüber einer (strengen) absoluten Vorrangregel die nötige Flexibilität und wahrt gleichzeitig die vorinsolvenzlich ausgehandelte Rangfolge. Auch entfielen mit der Einführung potenzielle Unsicherheiten über die Auslegung der Frage, wann der Schuldner oder die Anteilseigner einen nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners ausgeglichenen Wert erhalten.

520 Es zeigt sich, dass zwischen der amerikanischen und der europäischen relativen Vorrangregel eine Parallele besteht: Beide Versionen der relativen Vorrangregel sorgen für eine zusätzliche Risikoumverteilung zulasten der Gläubiger. Beide Versionen der relativen Vorrangregel bauen auf dem Gedanken auf, dass die vorinsolvenzlich ausgehandelten Rechte nicht unantastbar sind, sondern durch einen (hoffentlich) effizienteren Neuverhandlungsmechanismus ersetzt werden. Richtig ist, dass die absolute Vorrangregel in sich nicht konsistent ist: Sie verlangt die volle Befriedigung der Gläubigerforderungen, welche von sich erst künftig realisierenden Werten abhängt. Gleichzeitig bricht sie alle zukünftigen Möglichkeiten auf den Zeitpunkt der Insolvenz herunter. Es fragt sich aber, ob diese Inkonsistenz der absoluten Vorrangregel wirklich das überzeugende Argument gegen dieselbe ist. Die Erfahrungen des Insolvenzrechts zeigen, dass die Quoten der Gläubiger eher im einstelligen Prozentbereich anzusiedeln sind.923) Es mutet daher fast zynisch an, wenn auch die sich nachträglich realisierenden Werte zugunsten der Anteilseigner berücksichtigt werden sollen. Eine zusätzliche Risikoumverteilung erscheint daher nicht angebracht. Näherliegender sind die Vorschläge des American Bankruptcy Institutes, welches solche Werte zu Gunsten der letzten vollständig befriedigten Rangklasse berücksichtigt wissen will, die sich in einem bestimmten Zeitraum nach der Insolvenz im schuldnerischen Vermögen realisieren.924) ___________ 922) Vgl. die Kritik von Madaus, Der Insolvenzplan, 462 am Optionsmodell von Bebchuk, 101 Har. L. Rev. 775 (1988), welche hier zumindest grundlegend übertragbar ist. 923) Die Deckungsquote, also der Anteil des zur Verteilung verfügbaren Betrags an den quotenberechtigten Forderungen, bei Unternehmensinsolvenzen betrug 2018 8,8 %, vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2, Reihe 4.1.1, S. 23; im Schnitt in den Jahren 2011 – 2018 betrug die Quote in Deutschland 6,1 %, vgl. ebenda, S. 15. 924) Vgl. noch einmal Rn. 228.

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C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

IV. Rechtspolitische Einordnung Die relative Vorrangregel, und insofern auch der Restrukturierungsrahmen selbst, 521 drücken den Wunsch des Richtliniengebers aus, dass wirtschaftliche Komplikationen so früh wie möglich aus der Welt geschafft werden sollen. Ein tragender Gedanke ist, dass durch die Verhinderung der Insolvenz noch größere Verluste vermieden werden. Die Restrukturierungsrichtlinie hat dabei das Potenzial, eine bestehende Lücke im deutschen Insolvenzrecht füllen zu lassen. Allerdings lassen sich sowohl die generelle Entwicklung als auch Details der Richtlinienzielsetzung kritisch betrachten.

1.

Alternative zum Insolvenzverfahren

a) Neues Verfahren Der präventive Restrukturierungsrahmen bietet dem deutschen Insolvenzrecht eine 522 wertvolle Ergänzung. Das aktuell geltende deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht kennt nur das gerichtliche Insolvenzverfahren und fährt insofern „eingleisig“. Das gerichtliche Insolvenzverfahren kann zwar auch auf die Sanierung eines Unternehmens zielen. Es kann aber auch die Liquidation des Unternehmens zur Folge haben.925) Eine frühzeitige außergerichtliche Sanierung unterliegt nach den Grundsätzen des „Akkordstörer“-Urteils926) dem Nachteil, dass alle Parteien einstimmig einer finanzwirtschaftlichen Sanierung zustimmen müssen. Danach besteht eine vorinsolvenzliche „Gefahrengemeinschaft“ und die Möglichkeit, Gläubiger zum Beitritt zu einem außergerichtlichen Sanierungsvergleich zu zwingen, gerade nicht.927) Das macht die außergerichtliche Sanierung „notorisch instabil“.928) Mit der Reform durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von 523 Unternehmen (ESUG)929) hat der Gesetzgeber einen wichtigen Schritt zur Stärkung der Sanierungsoptionen gemacht. Der Gesetzgeber wollte mit der Reform vor allem die Gläubigerrechte stärken, das Insolvenzplanverfahren ausbauen, Blockaden durch Rechtsmittel abbauen und die Eigenverwaltung stärken.930) Gerade durch die Stärkung der Eigenverwaltung sollte auch die frühzeitige Antragsstellung erreicht werden.931) Dadurch sollte das Management bei einem Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nicht befürchten müssen, von einem vorläufigen Insolvenzverwalter ver___________ Brinkmann, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 41, 43 f. BGHZ 116, 319. BGHZ 116, 322 ff. Eidenmüller, KTS 2014, 401; ders., Unternehmenssanierung, 319 ff., 346 ff.; ähnlich Brinkmann, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 41, 44. 929) BGBl. 2011, I., 2582. 930) RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 17 – 19. 931) RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 1, 17, 19. 925) 926) 927) 928)

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4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

drängt zu werden.932) Wiederum übernahm das Chapter 11 Verfahren aus den USA, welches die Reorganisation regelt, eine Vorbildfunktion für den deutschen Gesetzgeber.933) Das ESUG hat die Eigenverwaltung nach § 270a InsO [a. F.] und das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO [a. F.] miteinander verknüpft. Infolgedessen kennt das deutsche Insolvenzrecht die eigenverwaltende Sanierung, ähnlich wie das Chapter 11 Verfahren, von Anfang an.934) Trotz der Erleichterungen durch das ESUG hat das Gesetz nach den Ergebnissen der Evaluation935) und Ansichten in der Literatur936) nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Annahme von Insolvenzplänen in der Praxis geführt. Dies wird auch durch die Statistiken über die Insolvenzantragsgründe untermauert.937)

524 Diese Befunde indizieren, dass die Reformen nicht ausgereicht haben, um die Eigenverwaltung und das zur Vorbereitung einer Sanierung gedachte Schutzschirmverfahren wirklich attraktiv zu machen. Hier kann der präventive Restrukturierungsrahmen aus rechtspolitischer Sicht eine Lücke füllen, indem der Zeitpunkt der Restrukturierung zeitlich stärker vom Insolvenzverfahren getrennt und das Verfahren mit größeren Anreizen versehen wird. Es ist allgemein anerkannt, dass eine Restrukturierung eine größere Erfolgswahrscheinlichkeit hat, je früher diese vorgenommen wird. Ein größerer Abstand zum Insolvenzverfahren trägt zudem zu einer weiteren „Entstigmatisierung“ der Reorganisation bei.

b) Entwicklung in den USA 525 Der Befund, dass das deutsche Recht abseits des Insolvenzverfahrens kein Verfahren enthielt, mit welchem man der Akkordstörer-Problematik Herr werden konnte, darf nicht dazu verleiten, das Sanierungsrecht nach Einführung des StaRUG-Verfahrens neben der Insolvenzordnung als Allheilmittel anzusehen. Im Gegenteil muss dieser Tendenz mit Vorsicht begegnet werden. Es wurde schon festgestellt, dass in Deutschland Unternehmen zu ganz überwiegenden Teilen – über 90 % – liquidiert werden.938) Auch ein neuerlicher rechtsvergleichender Blick in das US-amerikanische ___________ 932) Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 60, mit Verweis auf RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 18. 933) RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 18; mit dem Verweis auch Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 60. 934) Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 70. 935) Vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung, Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, 7. Dezember 2011, 297 ff. 936) Brinkmann, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 41, 42; kritischer Freitag, ZIP 2019, 541, 542; Eidenmüller, KTS 2014, 401, 403: „es hat seine Ziele weitgehend verfehlt“. 937) Vgl. Rn. 111 f. 938) Seagon, Insolvenz 2.020, 73; ähnlich Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 56; Bitter, ZGR 2010, 147, 155.

212

C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

Recht – welches auch als Vorbild auch für die Restrukturierungsrichtlinie diente – zeigt, dass die Reorganisation in der dortigen Praxis nicht in dem Maße verbreitet ist, wie der „Sanierungshype“ des europäischen Richtliniengebers und die Verweise des deutschen Gesetzgebers auf das amerikanische Recht vielleicht vermuten lassen.939) Ausgeführt wird, dass ein Großteil der Unternehmen in den Vereinigten Staaten liquidiert werde. Markant ausgedrückt wird dies von Roe: „Today we sell firms in bankruptcy to the highest bidder.“940) Die Statistiken aus den USA zeigen, dass in den letzten zwei Jahrzehnten weniger als ein Drittel aller Insolvenzen in einer Reorganisation nach Chapter 11 abgewickelt wurden.941) Zu beachten ist auch, dass ein Restrukturierungsplan ebenfalls eine Liquidation des Unternehmens vorsehen kann. Auch kann ein Verfahren, welches nach Chapter 11 US Bankruptcy Code eröffnet wurde, in ein Liquidationsverfahren nach Chapter 7 US Bankruptcy Code überführt werden oder mittels eines structured dismissals beendet werden.942) Es wurde schon betont, dass eben nicht alle Unternehmen tatsächlich auch Sanie- 526 rungskandidaten sind und das Insolvenzrecht für diese Unternehmen eine wichtige Filterfunktion erfüllt.943) Weiterhin ist eine Liquidation – oft in Form einer übertragenden Sanierung – schneller und weniger schwerfällig.944) Sie umgeht das Problem, dass der Richter die Richtigkeit der Unternehmensbewertung überprüfen muss, durch einen „echten“ Markttest und einen realen Bieter. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass empirischen Untersuchungen im US-amerikanischen Raum zufolge die Befriedigungsquoten in Reorganisationsverfahren gegenüber der Liquidation ___________ 939) Vgl. BT-Drucks. 12/2443, 106. 940) Roe, 7 Harv. Bus. L. Rev. 187, 205 (2017); Harner, 2015 Ill. L. Rev. 509, 517 (2015); vgl. weiter American Bankruptcy Institute, Commission to Study the Reform of Chapter 11, 2012-2014 Final Report and Recommendations, 203; Ayote/Morrison, J. L. Analysis 511, 521 (2009); Ayotte/Skeel, 35 J. Corp. L. 469, 476 (2009); Miller, 81 Am. Bankr. L. J. 275, 285 (2007); Baird/Rasmussen, 56 Stan. L. Rev. 673, 675 ff. (2003); dies., 55 Stan. L. Rev. 751 (2002); darauf hinweisend auch Kübler/Thole, Hdb. der Restrukturierung in der Insolvenz, § 58 Rn. 48; Korch, ZHR 182 (2018), 440, 467; Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 62; Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11, 22. 941) Vgl. Table F-2 des Administrative Office of the U.S. Courts, abrufbar unter https://www.uscourts.gov/report-name/bankruptcy-filings (zuletzt abgerufen am: 23.9.2020). 2019 wurden von Unternehmen 22.780 Insolvenzanträge gestellt, davon 5.814 (25,5 %) im Chapter 11, s. Table F-2, December 31, 2018. Chapter 11/Unternehmensinsolvenzen 2001: 26,5 %, 2002: 26,6 %, 2003: 24,1 %, 2004: 26,7 %, 2005: 15,1 %, 2006: 23,5 %, 2007: 20,2 %, 2008: 21 %, 2009: 22,4 %, 2010: 20,9 %, 2011: 20,4 %, 2012: 22,2 %, 2013: 23 %, 2014: 22,5 %, 2015: 24,7 %, 2016: 25,6 %, 2017: 27,4 %, 2018: 27,3 %; vgl. dazu auch Kern, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 53, 62. 942) Zu Verfahrensschritt der structured dismissals vgl. Rn. 200 ff. 943) Umfassend Korch, ZHR 182 (2018), 440; Eidenmüller, ZIP 2010, 649, 650; Brinkmann, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 41, 42. 944) Für das deutsche Recht statt vieler Bitter, ZGR 2010, 147, 155 f.; Miller, 81 Am. Bankr. L. J. 375, 385 (2007); die Schwerfälligkeit ist auch ein Kritikpunkt am englischen Scheme of Arrangement, vgl. Payne, Schemes of Arrangement, 220 f.; ebenso Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 157 f.

213

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

deutlich höher waren.945) Die Präferenz der Sanierung im Wege der übertragenden Sanierung gegenüber der Reorganisation wird auf die starke Stellung der gesicherten Gläubiger zurückgeführt, welche in der Regel aufgrund ihrer Sicherung von einem schnellen Verkauf auch dann profitieren, wenn der Erlös aus dem Verkauf des Unternehmens unter dem Wert des Unternehmens liegt.946)

527 In der amerikanischen rechtswissenschaftlichen Literatur wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass viele der reorganisierten Unternehmen offenbar instabil waren und eines oder mehrere weitere Chapter 11 Verfahren durchführen mussten.947) Die Studien stammen jedoch – soweit ersichtlich – im Wesentlichen aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, sodass zumindest fraglich ist, ob eine neue Studie ebenfalls ähnliche Zahlen hervorbringen würde.

528 Zumindest kritikwürdig erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Richtlinie keinen verpflichtenden Bestandsfähigkeitstest für den Eintritt in das Verfahren vorsieht.948) Es wurde schon mehrfach betont, dass nicht alle Unternehmen tatsächlich auch Sanierungskandidaten sind und das Insolvenzrecht für diese Unternehmen eine wichtige Filterfunktion erfüllt.949) Es ist demnach möglich, dass auch Unternehmen das Verfahren in Anspruch nehmen, die objektiv Abwicklungskandidaten sind. Auch hier wird wiederum relevant, dass nach § 58 StaRUG (Art. 7 Abs. 1 RRL) während der Dauer der Stabilisierungsanordnung die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist.

529 Diese Mechanik erscheint insgesamt nicht wünschenswert; denn sie ermöglicht in begrenztem Umfang genau das, was das Insolvenzrecht eigentlich verhindern möchte: Nämlich eine marktverzerrende Wirkung. Es ist in einer Marktwirtschaft eine normale und auch erwünschte Erscheinung, dass nicht ausreichend leistungsfähige Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Vorteilhaft an einer nicht verpflichtenden Bestandsfähigkeitsprüfung ist aber, dass das Verfahren dadurch schneller, schlanker und kostengünstiger wird. Vorgeschlagen wurde in diesem Zusammenhang, dass eine Bestandsfähigkeitsprüfung dann verpflichtend sein soll, wenn der Schuldner das Moratorium nach Art. 6 Abs. 1 RRL beantragt.950) Begründet wird dies damit, dass ___________ 945) LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 31 (2007). Es soll weiter darauf hingewiesen werden, dass LoPucki/Doherty die Insolvenzen großer Unternehmen untersucht haben (vgl. ebenda S. 15). Gleichzeitig kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Befriedigungsquoten bei kleinen Unternehmen nicht niedriger sind (vgl. ebenda S. 31). 946) LoPucki/Doherty, 106 Mich. L. Rev. 1, 37 ff. (2007). Daneben identifizieren LoPucki/Doherty fehlende Anreize für das Management und für die den Verkauf begleitenden Berater die in dem Verkauf erzielten niedrigeren Preise, vgl. S. 32 – 37; sich dem anschließend Casey, 78 U. Chi. L. Rev. 759, 767 Fn. 31 (2011). 947) Hotchkiss bemisst die Zahl auf etwa ein Drittel, 50 J. Fin. 3, 14 f. (1995); mit ähnlichen Ergebnissen LoPucki/Whitford, 78 Corn. L. Rev. 597, 608 f. (1993); zu den wiederholten Verfahren zu Zeiten des Receivership-Verfahrens: Lubben, 89 Corn. L. Rev. 1420, 1422, 1426 ff. (2004). 948) Anders Skauradszun, KTS 2019, 161, 169 f. 949) Vgl. Fn. 341. 950) Dazu und im Folgenden Skauradszun, KTS 2019, 161, 169 ff.

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C. Die relative Vorrangregel in der Diskussion

der Schuldner in diesem Fall staatliche Hilfe in Anspruch nimmt und die Gefahr entsteht, dass das Unternehmen die Insolvenzanmeldung trotz Insolvenzreife verschleppt. In diesem Zusammenhang wird auch auf Art. 10 Abs. 3 RRL verwiesen, wonach ein Gericht einen Plan dann ablehnen soll, wenn keine vernünftige Aussicht besteht, dass die Restrukturierung Erfolg hat. Diese im Vorfeld der Umsetzung des StaRUG geäußerten Vorschläge finden insoweit Berücksichtigung im StaRUG, als die Stabilisierungsanordnung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 StaRUG nicht ergehen darf, wenn die Restrukturierung aussichtslos ist oder der Schuldner noch nicht drohend zahlungsunfähig ist. Auch muss der Antrag auf Anordnung der Stabilisierung nach § 50 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG einen Finanzplan beinhalten, der einen Zeitraum der nächsten sechs Monate abdeckt. Der Gesetzgeber hat den in der Literatur geäußerten Bedenken dadurch sinnvoll Rechnung getragen. Die rechtsvergleichenden Einblicke zeigen insgesamt, dass Deutschland zwar von 530 einem zusätzlichen Sanierungstool profitieren kann. Jedoch wird die übertragende Sanierung oder die Liquidation in den ganz überwiegenden Teilen die vorzugswürdigere Methode der Haftungsverwirklichung bleiben wird.

2.

Keine Vollharmonisierung und fragwürdige Zielgruppe

In Erwägungsgrund Nr. 1 S. 1 der Richtlinie formuliert der Richtliniengeber das über- 531 geordnete Ziel, durch eine Mindestharmonisierung des Restrukturierungsrechts zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen. Auch in den anderen Erwägungsgründen werden die bestehenden Unterschiede in den vorinsolvenzlichen Verfahren als Hindernisse für den Binnenmarkt ausgemacht. In den Erwägungsgründen wird dieses Ziel immer wieder aufgegriffen.951) Gerade die zunehmende Verstrickung des Binnenmarktes und die grenzüberschreitenden Lieferketten sollen so geschützt werden. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang die extrem große Anzahl an Öffnungsklauseln. Die Richtlinie formuliert über 70 Wahlrechte für die nationalen Gesetzgeber. Insbesondere der unklare und stark von den nationalen Insolvenzgründen abhängige zeitliche Rahmen der Richtlinie dürfte zu stark divergierenden nationalen Umsetzungsgesetzen führen. Auch der internationale Anwendungsbereich der Richtlinie ist unklar. Es wird darauf hingewiesen, dass dadurch in Bezug auf die internationale Zuständigkeit für die Durchführung von Restrukturierungsverfahren sowie für die Anerkennung von Gerichtsentscheidungen im Rahmen der Verfahren erhebliche Rechtsunsicherheit hervorgerufen wird.952) Es darf also durchaus in Frage gestellt werden, ob die Mindestharmonisierung tatsächlich den Lieferketten hilft. Die ungleichen Restrukturierungsrechte können auch dazu führen, ___________ 951) Vgl. etwa Erwägungsgründe Nr. 4 S. 1, Nr. 6 S. 1, Nr. 7, Nr. 8 S. 1, Nr. 11 RRL. Vgl. weiterhin die Vorgängerversion COM(2016) 723 final v. 22.11.2016, 6 – 8. 952) Freitag, ZIP 2019, 541, 542 f.; ähnlich Brinkmann, Aktuelle Fragen des Restrukturierungsrechts, 41, 48 ff.; Eidenmüller, KTS 2014, 401, 403.

215

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

dass dem in Erwägungsgrund Nr. 9 RRL angesprochenen forum shopping, also dem systematischen in Anspruch nehmen anderer Gerichtszuständigkeiten für die Erlangung rechtlicher Vorteile, gerade nicht entgegengewirkt wird, da sich potenziell weitreichende Unterschiede zwischen den Verfahren ergeben können.

532 Weiterhin soll das Verfahren nach Erwägungsgrund Nr. 17 RRL gerade den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zugutekommen. Diese machten mit 99 % Anteil die ganz überwiegende Masse der Unternehmen aus.953) Diese würden nach Ansicht der EU eher liquidiert als restrukturiert, da sie unverhältnismäßig höhere Kosten zu tragen hätten als größere Unternehmen. Ferner würden KMUs häufig nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um die Restrukturierungskosten zu tragen. Diese Ausführungen der EU müssen differenziert betrachtet werden. So wünschenswert es ist, gerade den kleinen Unternehmen wie einem Gastronomiebetreib oder einem Kiosk, zu helfen, so erscheint fragwürdig, ob das Mittel des Restrukturierungsplans die dafür geeignete Variante ist. Diese Form der Restrukturierung ist verhältnismäßig kompliziert und kaum ein Unternehmen wird ohne umfassende und daher teure Rechtsberatung auskommen.954) Die EU versteht unter mittelgroßen Unternehmen auch solche mit weniger als 250 Beschäftigten und bis zu 50 Mio. Euro Jahresumsatz, sodass der Adressatenkreis der Richtlinie nicht vollkommen falsch gewählt ist. Unternehmen dieser Größenordnung werden das Restrukturierungsverfahren stemmen können. Es ist aber zu erwarten, dass das Verfahren eher für Unternehmen am oberen Ende der Größenordnungsskala attraktiver sein wird.

D. Fazit I.

Schlussfolgerungen aus den bisherigen Ergebnissen

533 Der Gang der Arbeit hat gezeigt, dass die absolute Vorrangregel den Ausgangspunkt der Betrachtung darstellt. Sie findet ihre Grundlage im deutschen Gesellschaftsrecht in Form des Vorrangs von Fremd- vor Eigenkapital. In der Insolvenz sorgt sie dafür, dass die Gläubiger entsprechend ihres Rangs an dem durch den Plan realisierten Fortführungswert partizipieren. Die absolute Vorrangregel misst dem geschlossenen Vertrag des Einzelnen in der Insolvenz größtmögliches Gewicht bei, indem sie eine Kürzung der Forderung gegen den Willen des Gläubigers verhindert. Dergestalt stellt die absolute Vorrangregel ein Instrument der Haftungsverwirklichung dar. Sie sorgt dafür, dass der wirtschaftliche Zusammenbruch des Unternehmens einen Wendepunkt ___________ 953) So Erwägungsgrund Nr. 17 S. 1 RRL. 954) Dies wurde schon oben kritisiert, vgl. Rn. 397; Morgen/Kowalewski/Praß, Präventive Restrukturierung, Art. 11 Rn. 67; Paulus, NZI Beilage 1/2019, 8, 9; de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper, 1, 19 ff. (2019); Brinkmann, European Insolvency & Restructuring, TLE-009-2019; die Evaluation des ESUG kommt zu dem Ergebnis, dass das Eigenverwaltungsverfahren als Vorbereitung für eine Sanierung nach § 270b InsO [a. F.] eher von großen Unternehmen frequentiert wird, vgl. Jacoby/Madaus/Sack/Schmidt/Thole, Evaluierung Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) v. 7.12.2011, 15.

216

D. Fazit

darstellt, in welchem Reorganisation und Liquidation den gleichen Grundsätzen folgen. Die absolute Vorrangregel ermöglicht es der ablehnenden Gruppe mithin, im Rahmen der Reorganisation eine Desinvestitionsentscheidung zu treffen, indem sie zwar gezwungen wird, dem Plan zuzustimmen, ihr im Gegenzug aber eine Beteiligung am Fortführungswert zugestanden wird. Das unternehmerische Risiko soll in den Grenzen der institutionellen Haftungsbeschränkung bei den Anteilseignern bleiben. Die absolute Vorrangregel stellt auch im vorinsolvenzlichen Bereich die Umset- 534 zungsalternative dar, die sich stimmig in das deutsche Rechtssystem einfügt. Vor der Insolvenz gilt der Grundsatz der Vertragstreue umso mehr. Hier sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch nicht so ausgeprägt, dass eine grundsätzliche Abweichung gerechtfertigt wäre. Weiterhin können so divergierende Ergebnisse zwischen dem Insolvenzplan und dem vorinsolvenzlichen Reorganisationsplan verhindert werden.955) Das gilt gerade vor dem Hintergrund, dass den Inhabern des Schuldners mit der Möglichkeit der institutionellen Haftungsbeschränkung ein geeignetes Mittel an die Hand gegeben wird, um sein unternehmerisches Risiko zu beschränken. Eine Abweichung davon sollte nur mit größter Vorsicht vorgenommen werden. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Aufweichung der absoluten Vorrangregel einige der im zweiten Kapitel identifizierten Kritikpunkte aufgegriffen und beseitigt. Gerade der Inflexibilität der absoluten Vorrangregel, die im Einzelfall ein Sanierungshindernis sein kann, wurde durch eine Einführung einer New Value Exception (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG, § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO) sowie eine Durchbrechung der absoluten Vorrangregel in § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG (§ 245 Abs. 2 S. 2 u. 3 InsO) Rechnung getragen. Damit nimmt der deutsche Gesetzgeber eine maßvolle Änderung des Sanierungsrechts vor. Zumindest auf theoretischer Ebene wurden die Schwachstellen der Regelung erkannt, beseitigt und dem Planersteller damit die Instrumente an die Hand gegeben, die alten Anteilseigner am reorganisierten Unternehmen zu beteiligen. Die relative Vorrangregel stellt hingegen eine Umsetzungsalternative dar, die sich 535 nicht harmonisch in das geltende Recht einfügt. Sie legt weniger Wert auf den Grundsatz der Vertragstreue und befürwortet eine dynamische Betrachtung der geschlossenen Verträge. Sie basiert auf dem Gedanken, dass die Karten in der Krise „neu gemischt“ werden. Die Verhandlungsmacht des Gläubigers ist dann nicht mehr von dem nominellen Wert seiner Forderung, sondern von dem wirtschaftlichen Wert zum Zeitpunkt der Reorganisation abhängig. Die relative Vorrangregel bietet dem Schuldner eine „zweite Verteidigungslinie“, die er neben der beschränkten Haftung in Anspruch nehmen kann, ohne allerdings damit korrespondierende Nachteile in Form von Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften oder Haftungsrisiken wie in § 15b InsO zu tragen. Das bevorzugt insbesondere hoch risikoreiche Geschäftsmodelle. ___________ 955) Hofmann, NZI Beilage 1/2019, 22, 26.

217

4. Kapitel: Die relative Vorrangregel

536 Die Entscheidung zwischen relativer und absoluter Vorrangregel ist dann von geringerer Relevanz, je weiter sich das Verfahren, wie von der Richtlinie angedacht, vollständig im vorinsolvenzlichen Bereich abspielt. In diesem Fall stellt der best interest test das wichtigere Schutzkriterium zugunsten der dissentierenden Gläubiger dar. Befindet sich das schuldnerische Unternehmen noch vollständig im vorinsolvenzlichen Bereich, so können grundsätzlich alle Gläubiger im Zeitablauf vollständig befriedigt werden. Die Entscheidung gewinnt dann an Bedeutung, je näher sich das Verfahren in einem insolvenznahen Zeitraum abspielt, in dem das Unternehmen möglicherweise in eine materielle Insolvenz abrutscht, aber beispielsweise wegen der Stabilisierungsanordnung nach §§ 49, 58 StaRUG (respektive Art. 7 Abs. 1 RRL) von einer Insolvenzantragspflicht befreit ist.956) Immer dann, wenn der wirtschaftliche Wert unter dem nominellen Wert einer Forderung liegt, erlaubt die relative Vorrangregel eine Bevorzugung von Eigenkapital- zulasten von Fremdkapitalpositionen. Ob das mit dem vom StaRUG gewählten Anknüpfungspunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Fall ist, ist nicht abstrakt einheitlich zu beantworten. Das Gesetz verlangt bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit nur, dass die Liquiditätssituation im Prognosezeitraum von 24 Monaten gefährdet ist. Das erlaubt rechtlich keinen zwingenden Rückschluss auf das vorhandene Vermögen und folglich über den durch den best interest test gewährleisteten Schutz. Regelmäßig wird aber auch im Zeitpunkt der drohenden Zahlungsunfähigkeit schon eine Gefährdung der Gläubigerinteressen vorliegen.

537 Darüber hinaus hat ein rechtsvergleichender Blick in die USA, einem der Ursprungsländer der Sanierung mittels eines Plans, gezeigt, dass die absolute Vorrangregel auch dort das Rückgrat der Betrachtung ist. Insbesondere der US Supreme Court verteidigt die absolute Vorrangregel vehement. Es ist der relativen Vorrangregel indes zuzugestehen, dass sich die absolute Vorrangregel seit ihrer Schaffung durch den US Supreme Court fortwährender Kritik ausgesetzt sieht. Ein Großteil dieser Kritik beruht auf Effizienzerwägungen, welche in den USA ein grundlegender Teil der Pround Contra-Diskussion sind. Diese lassen sich nicht ohne weiteres auf das deutsche Recht übertragen. Zum einen basiert das deutsche Recht viel stärker auf systematischen Überlegungen. Zum anderen sind die Effizienzerwägungen nicht nur schwer messbar, sondern innerhalb der amerikanischen rechtswissenschaftlichen Literatur hoch umstritten. Folglich sollte die dort geäußerte Kritik an der absoluten Vorrangregel zwar ernst genommen werden, letztlich darf die Kritik an der Effizienz aber nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Das deutsche Recht folgt insoweit eigenständigen, aber – bezogen auf das StaRUG – unionsrechtlichen induzierten Maßstäben. ___________ 956) Statt der Insolvenzantragspflicht trifft den Schuldner dann gem. § 32 Abs. 3 StaRUG die Pflicht, den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung beim Restrukturierungsgericht anzuzeigen. Das Gericht hebt die Restrukturierungssache dann gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG auf, es sei denn, dass dies nicht im Interesse der Beteiligten wäre.

218

D. Fazit

Es darf weiterhin nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Kritik in der amerikani- 538 schen rechtswissenschaftlichen Literatur zu einer Aufweichung der absoluten Vorrangregel geführt hat. Die absolute Vorrangregel gilt nicht mehr generell für einen Plan, sondern nur noch zugunsten einer dissentierenden Gruppe. Auch in der Reorganisation von kleinen und mittleren Unternehmen gilt die absolute Vorrangregel nicht mehr. Es stehen auch weitere Reformüberlegungen im Raum. Diese Überlegungen werben für eine Änderung der absoluten Vorrangregel und werden insbesondere durch das American Bankruptcy Institute (ABI), einer ausgewählten Expertenkommission, gestützt. Diese Reformüberlegungen gehen in eine gänzlich andere Richtung als die der europäischen relativen Vorrangregel. Die Überlegungen des ABI basieren auf dem Gedanken, dass der letzten nicht vollständig befriedigten Rangklasse eine Möglichkeit zugestanden werden soll, auf Werte zuzugreifen, die bereits im Zeitpunkt der Insolvenz angelegt waren, sich infolge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs aber nicht rechtzeitig zu Gunsten dieser Klasse realisiert haben. Die Berücksichtigung dieser Werte würde regelmäßig zu Gunsten der ungesicherten Gläubiger erfolgen. In Rede steht also nicht ein völlig anderer Zeitraum als nach den Überlegungen des Richtliniengebers zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren, sondern es soll auch eine andere Personengruppe geschützt werden. Das zeigt vor allem, dass man sich der Kritik an der absoluten Vorrangregel bewusst ist, das Problem aber auf einer gänzlich anderen Ebene zu lösen versucht. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen ist die Entschärfung der absoluten Vorrang- 539 regel – die auch durch die Restrukturierungsrichtlinie vorgeschlagen wurde – zu begrüßen.

II. Ausblick Die eingehende Betrachtung der absoluten Vorrangregel hat gezeigt, dass es Fälle gibt, 540 in denen ein starres Festhalten an der Regel für die Beteiligten nicht sinnvoll, sondern eine Abweichung auch gegen den Widerstand einer dissentierenden Gruppe vorteilhaft ist. Wiederum wird dieses Ergebnis durch den Blick in das amerikanische Recht bestätigt. Es findet auch Ausdruck in dem Wunsch des Richtliniengebers, mehr Flexibilität in das Reorganisationsverfahren einführen. Insgesamt zeichnet sich der Trend ab, partiell von der absoluten Vorrangregel abzurücken. Dies sollte jedoch, wie ihr Hintergrund als Schutz der „übergangenen Klasse“ gezeigt hat, nur mit großer Vorsicht geschehen. Es erscheint aber nicht ausgeschlossen, dass künftig weitere Aufweichungen der absoluten Vorrangregel erfolgen. Eine Abkehr von der absoluten Vorrangregel hätte einen Paradigmenwechsel zur Folge. Gläubiger müssten sich in der Vertragsgestaltung dann an ihr zusätzliches Risiko adjustieren. Eine Möglichkeit, von der absoluten Vorrangregel abzurücken und gleichzeitig die Rangfolge der Beteiligten zu wahren, ohne die nötige Flexibilität zu verlieren, bietet die Einführung eines Optionsmodells957). ___________ 957) Vgl. die Erwägungen zur relativen Vorrangregel von Baird, Rn. 511 ff.

219

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln Internationale Einordnung der Vorrangregeln In einer rechtsvergleichenden Betrach- 541 tung soll untersucht werden, ob im internationalen Kontext der absoluten Vorrangregel der Vorzug zu geben ist oder ob eine dynamischere Sichtweise im Sinne einer relativen Vorrangregel bevorzugt wird. In der bisherigen Betrachtung ist deutlich geworden, dass die USA die absolute Vorrangregel – trotz starker Kritik – als Grundpfeiler des Insolvenz- und Reorganisationsrechts ansehen. Dies wird vor allem durch den US Supreme Court bestätigt. Es soll nun weiter untersucht werden, ob und inwieweit die absolute Vorrangregel in anderen Insolvenz- oder Reorganisationsverfahren die bevorzugte Umsetzungsalternative darstellt. Die zugrundeliegende These ist, dass die absolute Vorrangregel auch im internationalen Vergleich eine tragende Rolle spielt. Es soll explizit nur ein Blick auf die Schutzkriterien im Rahmen der Mehrheitsentscheidung und – sofern möglich – des gruppenübergreifenden Cramdowns geworfen werden. Die Restrukturierungsrichtlinie und das deutsche Recht sehen hier als maßgebliche Schutzkriterien zugunsten der dissentierenden Gläubiger den best interest test und die (abgemilderte) absolute Vorrangregel vor. Eine umfassende Untersuchung der Ziele und des Ablaufs der Verfahren ist dazu nicht erforderlich. Es ist dabei nicht Ziel und Anspruch der Arbeit, alle vorinsolvenzlichen Verfahren 542 abschließend zu untersuchen. Es soll vielmehr exemplarisch ein eingehender Blick auf die Empfehlungen des Legislative Guide on Insolvency Law der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL), die Umsetzung des Restrukturierungsrahmens im niederländischen Recht, das englische Scheme of Arrangement sowie die französische Procédure de Sauvegarde geworfen werden. Die Empfehlungen der UNCITRAL betrachten die Regelungen des Insolvenzrechts 543 aus einem internationalen Kontext und sind daher ein interessanter Anknüpfungspunkt für die Frage der Verbreitung der absoluten Vorrangregel. Auf europäischer Binnenebene haben die Niederlande die Restrukturierungsricht- 544 linie bereits umgesetzt und sind daher aus rechtsvergleichender Sicht besonders interessant. Das englische Recht, obwohl nicht (mehr) Adressat der Richtlinie, hat hingegen mit dem Scheme of Arrangement ein etabliertes Sanierungsinstrument, welches nicht an die Insolvenzsituation gebunden ist und daher auch vorinsolvenzlich eingesetzt werden kann. Ein kurzer Blick soll auch auf die französische Procédure de Sauvegarde geworfen werden. Mit diesem existiert in Frankreich schon vor Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren.

A. Das Dutch Scheme Das Wet homologatie onderhands akkoord (WHOA – im Folgenden Dutch Scheme) 545 gilt als das niederländische Gesetz zur Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie. 221

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

Der Gesetzesentwurf wurde schon am 5. Juli 2019 und damit wenige Tage nach dem endgültigen Verabschieden der Richtlinie in das niederländische Parlament eingebracht.958) Am 26. Mai 2020 wurde der Entwurf durch die Zweite Kammer des niederländischen Parlaments angenommen. Die Zustimmung der Ersten Kammer des Parlaments erfolgte dann am 6. Oktober 2020.959) Die Regelungen sind zum 1.1.2021 in Kraft getreten. Der Entwurf stellt dabei einen Mix aus dem amerikanischen Chapter 11, dem englischen Scheme of Arrangement und der Restrukturierungsrichtlinie dar.960) Das Dutch Scheme ist in Art. 369 – 387 des niederländischen Konkursgesetzes (Faillissementswet – kurz: FW) geregelt. Bereits im Vorfeld der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie war die Richtlinie – und auch die relative Vorrangregel – teilweise als kritisch angesehen worden.961)

I.

Einleitung des Verfahrens

546 Als Eingangsvoraussetzung wählt das Dutch Scheme die von der Richtlinie verlangte wahrscheinliche Insolvenz. Es muss ein Zustand des Schuldners vorliegen, bei dem vernünftigerweise angenommen werden kann, dass der Schuldner nicht in der Lage sein wird, seine Verbindlichkeiten weiter begleichen zu können.962) Nach dem Wortlaut kann der Schuldner seinen Gläubigern ein Planangebot unterbreiten. Daraus folgt, dass den Gläubigern selbst kein direktes Planinitiativrecht zustehen soll. Allerdings können die Gläubiger beantragen, dass ein Restrukturierungsexperte eingesetzt wird.963) Dieser hat ein Planinitiativrecht, wobei der Schuldner dem Restrukturierungsexperten ebenfalls einen Plan vorschlagen kann, welchen der Restrukturie___________ 958) Abrufbar unter: https://www.tweedekamer.nl/kamerstukken/wetsvoorstellen/detail?id=2019Z 14770&dossier=35249 (zuletzt abgerufen am: 15.2.2021); eine nicht offizielle Übersetzung findet sich unter: https://www.debrauw.com/insightsandopinions/draft-bill-continuity-companies-act-iiwcoii/ (zuletzt abgerufen am: 15.2.2021); für einen Überblick vgl. auch Kern, NZI Beilage 1/2021, 74. 959) Die frühe Befassung des niederländischen Gesetzgebers mit der Richtlinie wird darauf zurückgeführt, dass es vor der Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie keine Möglichkeit gab, gesicherte Gläubiger in ein Planverfahren einzubeziehen, die darüber hinaus noch ein unbeschränktes Verwertungsrecht für Sicherheiten hatten. Folglich bestand ein Bedürfnis für eine Reform, vgl. Kern, NZI Beilage 1/2021, 74 f. 960) Ähnlich Brinkmann, in: Aktuelle Fragestellungen der Restrukturierung und Transformation, 41, 42: „Erbe des englischen Scheme of Arrangements“. 961) Kritisch zur relativen Vorrangregel de Weijs/Jonkers/Malakotipour, 10 Amsterdam Law School Paper Research Paper, 1 (2019); kritisch zur Richtlinie de Weijs/Baltjes, 27 Int. Insolv. Rev., 223 (2018); Tollenaar, (2017) 30 Insolvency Intelligence, 65; positiv zur relativen Vorrangregel der Blogbeitrag von Wessels, A reply to professor De Weijs et al. 962) Art. 370 Abs. 1: „Als een schuldenaar verkeert in een toestand waarin het redelijkerwijs aannemelijk is dat hij met het betalen van zijn schulden niet zal kunnen voortgaan, kan hij zijn schuldeisers en zijn aandeelhouders, of een aantal van hen, een akkoord aanbieden dat voorziet in een wijziging van hun rechten en dat door de rechtbank overeenkomstig artikel 384 kan worden gehomologeerd.” 963) Art. 371 Abs. 1 FW.

222

A. Das Dutch Scheme

rungsexperte dann den Gläubigern weiterleiten soll. Wenn der Restrukturierungsexperte einen Plan vorschlägt, so ist dazu die Zustimmung des Schuldners erforderlich.964) Sobald der Schuldner beginnt, einen Restrukturierungsplan auszuarbeiten, hat er eine Erklärung an das zuständige Gericht zu übersenden.965) Diese wird dann für ein Jahr dort in einem entsprechenden Register vermerkt. Sobald der Schuldner den Planbetroffenen den Plan zur Abstimmung vorgelegt hat, können die Planbetroffenen die Erklärung bei Gericht einsehen. Die Geschäftsleitung einer juristischen Person bedarf für die Vorlage eines Restrukturierungsplans nicht der Zustimmung der Anteilseigner.966) Dies gleicht der Pflicht der Geschäftsleitung zur Wahrung der Interessen der Gesamtheit der Gläubiger nach § 2 Abs. 2 StaRUG-RegE, welcher in der finalen Version des StaRUG durch den Rechtsausschuss gestrichen wurde.967) Der Schuldner oder der Restrukturierungsexperte muss den Plan den Planbetroffenen mindestens acht Tage vor der Abstimmung zuleiten, damit sich diese entsprechend darauf vorbereiten können.968)

II. Mehrheiten und Cram-down Alle Planbetroffenen, deren Rechte durch den Plan betroffen sind, sind abstimmungs- 547 berechtigt.969) Für eine Annahme des Plans innerhalb einer Gruppe sieht das Gesetz eine Zweidrittelmehrheit vor.970) Erreicht der Plan nicht in jeder Klasse die erforderlichen Mehrheiten, so kann ein Restrukturierungsplan auf Antrag des Schuldners oder des Restrukturierungsexperten vom Gericht bestätigt werden, wenn zumindest eine Klasse von Gläubigern den Plan angenommen hat.971) Auf Antrag eines Gläubigers oder mehrerer Gläubiger, die den Plan abgelehnt haben, kann das Gericht den Plan ablehnen, wenn es bei summarischer Prüfung feststellt, dass der/die Gläubiger durch den Plan schlechter als im Liquidationsszenario gestellt werden.972) Damit setzt der niederländische Gesetzgeber den best interest test der Richtlinie um. Art. 384 Abs. 4 des Gesetzes regelt den gruppenübergreifenden Cram-down. Danach 548 lehnt das Gericht einen Plan, welcher nicht von allen Gruppen mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen wurde, von Amts wegen ab, wenn (a) die Gläubiger durch den Plan eine Zahlung von weniger als 20 Prozent des Nominalwertes ihrer Forde___________ 964) 965) 966) 967) 968) 969) 970) 971) 972)

Art. 381 Abs. 2 FW. Art. 370 Abs. 3 FW. Art. 370 Abs. 5 FW. Vgl. Bericht des Ausschusses BT-Drucks. 19/25353, 6. Art. 381 Abs. 1 FW. Art. 381 Abs. 3 FW. Art. 381 Abs. 7, 8 FW. Art. 383 Abs. 1 FW. Art. 384 Abs. 3 FW.

für

Recht

und

Verbraucherschutz

v.

16.12.2020,

223

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

rung erhalten, sofern für eine Abweichung kein schwerwiegender Grund (zwaarwegende grond) vorliegt; (b) der Reorganisationswert nicht vollständig entlang der Befriedigungsrangfolge verteilt wird, es sei denn, es liegen triftige/vernünftige Gründe (redelijke grond) für eine Abweichung vor und der Betroffene wird dadurch im Ergebnis nicht geschädigt; (c) die Gläubiger, mit Ausnahme der gesicherten Gläubiger, nicht berechtigt sind, sich für eine Barzahlung in Höhe des Betrags zu entscheiden, den sie im Falle der Liquidation der Konkursmasse des Schuldners voraussichtlich in bar erhalten würden; oder (d) gesicherte Gläubiger, die eine Änderung ihrer Rechte hinnehmen, Anteilsrechte oder Hinterlegungsscheine erhalten, ohne zugleich eine andere Befriedigungsmöglichkeiten angeboten zu bekommen.

549 Relevant ist hier insbesondere Buchstabe (b). Dieser statuiert eine absolute Vorrangregel, wie sie grundlegend auch § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO und § 27 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG kennen. Gleichzeitig erlaubt der Gesetzesentwurf eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel, wenn vernünftige Gründe dafür vorliegen. Im Vergleich zur deutschen Umsetzung der Durchbrechung der absoluten Vorrangregel in § 28 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StaRUG erscheint das Merkmal des „vernünftigen Grundes“ weiter, aber auch unpräziser. Das sorgt somit einerseits für Rechtsunsicherheit, andererseits aber auch für Flexibilität. Der niederländische Gesetzgeber überlässt die Ausformung des Begriffs der Praxis.

550 Alles in allem ist die niederländische Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie der deutschen Umsetzung sehr ähnlich. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird teilweise auch auf das niederländische „Scheme“ Bezug genommen.973) Insbesondere bei den erforderlichen Mehrheiten in jeder Gruppe sieht das niederländische Gesetz geringere Hürden vor. Abzuwarten bleibt, wie die niederländischen Gerichte das Merkmal der „wahrscheinlichen Insolvenz“ auslegen werden. Der gruppenübergreifende Cram-down ist mit dem Merkmal des „vernünftigen Grundes“ auf der einen Seite flexibler ausgestaltet; auf der anderen Seite müssen gesicherten Gläubigern mindestens zwei verschiedene Befriedigungsmöglichkeiten vorschlagen werden, womit er enger als die deutsche Umsetzung ausgestaltet ist. Am gruppenübergreifenden Cram-down ist sichtbar, dass auch in den Niederlanden ein Bedürfnis nach einer Flexibilisierung, nicht aber an einer Aufgabe der absoluten Vorrangregel erkannt wurde.

___________ 973) Vgl. Begr. StaRUG-RegE zu §§ 51 ff., BT-Drucks. 19/24181, 150, wo im Rahmen der Möglichkeit der Vertragsbeendigung auf das Dutch Scheme verwiesen wird. Die Möglichkeit der Vertragsbeendigung wurde durch den Rechtsausschuss gestrichen, vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz v. 16.12.2020, BT-Drucks. 19/25353, 8 f.; Ähnlichkeit und Vorbildfunktion des niederländischen Rechts konstatierend auch Kern, NZI Beilage 1/2021, 76.

224

B. Britisches Recht

B. Britisches Recht I.

Scheme of Arrangement

Die Ursprünge des Scheme of Arrangements liegen im Companies Act von 1862, 551 womit in Großbritannien seit über einem Jahrhundert ein Sanierungsinstrument existiert.974) Allerdings sind Schemes of Arrangement erst mit Beginn der 2000er Jahre als Restrukturierungsinstrument populär geworden.975) Das britische Scheme of Arrangement gilt als schuldnerfreundliches Sanierungsregime.976)

1.

Einleitung des Verfahrens

Das Verfahren ist in sec. 895 – 901 Companies Act (CA) 2006 geregelt und stellt damit 552 ein gesellschaftsrechtliches Instrument dar. Es sieht einen Vergleich (compromise or arrangement) zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern oder seinen Anteilseignern vor.977) Wie im StaRUG oder Chapter 11 Verfahren des US Bankruptcy Code werden die Planunterworfenen in Klassen eingeteilt, die dann über den Plan abstimmen. Der Schuldner behält während des Verfahrens die Kontrolle, er bleibt demnach verwaltungs- und verfügungsbefugt. Ein Moratorium ist nicht vorgesehen. Ein „arrangement“ kann dabei alles beinhalten, was die beteiligten Parteien auch untereinander vereinbaren könnten.978) Es wird insbesondere für die bilanzielle Bereinigung der Passivseite, aber auch für Übernahmen des Schuldnerunternehmens durch andere Gesellschaften genutzt.979) Die Insolvenz des Schuldners ist keine Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens, vielmehr kann es krisenunabhängig eingeleitet werden. In einem ersten Schritt beantragt der Schuldner beim zuständigen Gericht die Bildung 553 und Einberufung von Gläubiger- und/oder Gesellschaftergruppen (application to convene meetings).980) Dabei wird dem Gericht ein zuvor ausgearbeiteter Plan (scheme document) vorgelegt. Der Antrag auf Einberufung einer Versammlung kann dabei auch von den Gläubigern des Schuldners gestellt werden.981) Der Gericht stellt dabei ___________ 974) Payne, Schemes of Arrangement, 7 f. Zu dieser Zeit war ein Scheme of Arrangement aber nur bei Abwicklung des Unternehmens möglich. 975) Payne, Schemes of Arrangement, 7 f., 175. 976) Vgl. etwa Begr. RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 17; mit Verweis auf das forum shopping deutscher Unternehmen auch Eidenmüller, KTS 2014, 401, 402. 977) Sec. 895(1) CA. 978) Payne, 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67, 68. 979) Payne, Schemes of Arrangement, 2 f.; dies., 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67, 68. 980) Sec. 896(1) CA; instruktiv Re Hawk Insurance Co. Ltd. [2001] EWCA Civ 24, per Chadwick J. at [11 f.]; vgl. auch Payne 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 135 ff.; ausführlich auch Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 158 ff. 981) Sec. 896(1)(b) CA.

225

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

sicher, dass die Parteien alle relevanten Informationen erhalten.982) In einem zweiten Schritt wird über den ausgearbeiteten Plan abgestimmt. Das Gericht ist auf dieser Ebene nicht beteiligt. In einem letzten Schritt muss der Plan durch das Gericht bestätigt werden. Ist das der Fall, so wird der Plan für alle Beteiligten bindend.983)

2.

Erforderliche Mehrheiten und Minderheitenschutz

554 Für die Annahme eines Plans muss in jeder Klasse eine einfache Kopfmehrheit sowie eine Mehrheit von 75 % des Nennwertes der entsprechenden Forderungen erreicht werden.984) Abstimmungsberechtigt sind zunächst alle, deren Rechte durch den Plan beeinflusst werden.985) Wird die nötige Mehrheit erreicht, dann kann der Plan auch gegen den Willen der ablehnenden Minderheit der Klassen bestätigt werden.986) Auffällig ist, dass es keine gesetzliche Möglichkeit gibt, die fehlende Zustimmung einer ganzen an der Planabstimmung teilnehmenden Klasse zu ersetzen. Lehnt demnach eine ganze Klasse den Plan mehrheitlich ab, so darf das Scheme durch das Gericht nicht bestätigt werden.

555 Das Gericht überprüft das Scheme im Rahmen der Abstimmung weiterhin in prozeduraler und materiell-rechtlicher Sicht:987) Es prüft erstens, ob die Abstimmung entsprechend der gesetzlichen Vorgaben verlaufen ist. Zweitens überprüft es, ob die anwesenden Abstimmenden die Interessen der Klassen gerecht vertreten und die gesetzliche Mehrheit in gutem Glauben handelte und keine Minderheiten unterdrückt werden. Drittens fragt sich das Gericht, ob eine vernünftige und aufrichtige Partei den Plan bestätigen würde.988) Auf dieser Stufe prüft das Gericht auch die Auswirkungen des Schemes auf dritte Parteien.989)

556 Eine absolute Vorrangregel enthält das britische Recht nicht – auch im deutschen Recht kommt die absolute Vorrangregel nicht zur Anwendung, wenn alle Gruppen mit den erforderlichen Mehrheiten zustimmen.

557 Auf den ersten Blick scheinen durch die fehlende Mechanik des klassenübergreifenden Cram-downs alle mit der absoluten Vorrangregel im Zusammenhang stehenden Probleme ausgeschaltet zu sein. Tatsächlich bietet ein fehlender gruppenüber___________ 982) 983) 984) 985) 986) 987) 988) 989)

226

Sec. 897 CA; vgl. auch Payne 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 135. Sec. 899(3) CA. Sec. 899(1) CA. Payne 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 137; dies., 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67, 89. Sec. 899(3)(a) CA. Vgl. O’Dea/Long/Smyth, Schemes of Arrangement, 54 Rn. 4.44; auch Payne, 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67, 93 – 95. O’Dea/Long/Smyth, Schemes of Arrangement, 54 f. Rn. 4.47; Payne, 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67, 93 – 95 mit Verweis auf Re Dorman Long & Co. Ltd. [1934] 1 Ch. 635. Payne, 11 Journal of Corporate Law Studies (2011), 67, 95.

B. Britisches Recht

greifender Cram-down starken Gläubigern, deren Rechte durch den Plan geändert werden sollen, die Möglichkeit, den Plan abzulehnen, wenn sie nicht vollständig befriedigt werden, und ermöglicht so, eine Kürzung ihrer Rechte zu verhindern.990) Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass das Grundproblem, welches die absolute Vorrangregel verhindern will – nämlich das Übergehen der Klasse mit mittlerem Rang – auch im Scheme of Arrangement auftreten kann.

3.

Freeze-Out Problem

a) De facto Cross-class Cram-down In der britischen Rechtsprechung und Praxis haben sich jedoch Möglichkeiten he- 558 rauskristallisiert, die einem Cross-class Cram-down gleichkommen.

aa) Economic interest In einer frühen Entscheidung (Re Tea Corporation Ltd.)991) urteilte das Gericht, dass 559 ein Scheme auch gegen die ablehnende Haltung einer ganzen Klasse bestätigt werden kann, wenn eine Klasse kein wirtschaftlich relevantes Interesse (economic interest) an dem Unternehmen mehr hat. Dort hatten die gesicherten Gläubiger, die ungesicherten Gläubiger und die Vorzugsaktionäre dem Scheme zugestimmt, während die Klasse der gewöhnlichen Aktionäre mehrheitlich abgelehnt hatte. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die gewöhnlichen Aktionäre kein ökonomisch relevantes Intereses mehr hatten und es trotz deren ablehnender Haltung nicht auf deren Stimmen ankam. Darin ist der Sache nach ein klassenübergreifender Cram-down zu sehen. In einer neueren Entscheidung (Re Bluebrook Ltd.) wurde hingegen ein anderer Ansatz gewählt: Eine Klasse muss an der Abstimmung nicht beteiligt werden, wenn entweder deren Rechte nicht beeinflusst werden oder sie kein wirtschaftlich relevantes Interesse mehr hat.992) Das ist etwa für die nachrangigen Gläubiger dann der Fall, wenn die verbliebenen Assets des Unternehmens den Wert der Forderung des höchstrangigen Gläubigers auch in einem positiven Szenario nicht mehr decken.993) Das bedeutet gleichzeitig, dass auch die Anteilseigner von der Abstimmung ausgeschlossen werden können, wenn sie kein wirtschaftlich relevantes Interesse mehr am Schuldner ___________ 990) Payne, Schemes of Arrangement, 42. 991) In Re Tea Corporation Ltd. [1904] 1 Ch 12, 23 f.; bestätigt in Re Oceanic Steam Navigation Co Ltd [1939] 1 Ch 41; Re Britisch & Commonwealth Holdings PLC [1992] WLR 672, 678 ff. 992) In Re Bluebrook Ltd. [2009] EWHC 2114 (Ch), [2010] 1 BLCL 338 at [25]: „[I]n promoting and entering into a scheme, it is not necessary for the company to consult any class of creditors (or contributories) who are not affected, either because their rights are untouched or because they have no economic interest in the company“. 993) In Re Bluebrook Ltd. [2009] EWHC 2114 (Ch), [2010] 1 BCLC 338; im Bluebrook-Fall hatte der Richter eine durch die Mezzanine-Gläubiger vorgebrachte Unternehmensbewertung, welche den Unternehmenswert als hoch genug ansetzte, um den Mezzanine-Gläubigern eine Beteiligung einzuräumen, als nicht überzeugend abgelehnt.

227

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

haben. Es liegt nahe, dass die Frage, wann eine Partei noch ein wirtschaftlich relevantes Interesse hat, ein regelmäßig ein zentraler Streitpunkt sein wird.994)

560 Teilweise wird davon ausgegangen, dass die englischen Gerichte den Fall Tea Corporation Ltd. heute anders entscheiden würden.995) Das erscheint nicht überzeugend. Die Ausführungen des Gerichts im Fall Bluebrook Ltd., auf welche sich die Gegenansicht stützt, lassen diesen Schluss nicht klar zu,996) während das Urteil in Re Tea Corporation Ltd. bereits mehrfach bestätigt wurde.997)

bb) In Re Bluebrook Ltd. 561 In dem erwähnten Fall Re Bluebrook Ltd.998) wird die „Freeze-out“ Problematik deutlich und zeigt, wie ein Cross-class Cram-down in der Praxis erreicht werden kann. Möglich wurde dies dadurch, dass der Plan im Wege eines Asset Deals alle Vermögenswerte der Schuldnergesellschaft auf eine Übernahmegesellschaft transferierte und die Rechte nur der vorrangigen Gläubiger beeinflusste. Die vorrangigen Gläubiger tauschten einen Großteil ihrer Forderungen in Anteilsrechte an dem Unternehmen. Die Rechte der nachrangigen Mezzanine-Gläubiger wurden nicht verändert, mit der Folge, dass diese nicht an der Abstimmung über den Plan teilnahmen. Ihre Ansprüche hatten sich durch den Plan nicht verändert. Da sich die Ansprüche der Mezzanine-Gläubiger nach wie vor gegen die alte Gesellschaft richteten, diese wegen des Vermögenstransfers auf die Übernahmegesellschaft aber keine Vermögenswerte innehatte, liefen deren Rechte ins Leere.999)

cc) MyTravel Group plc 562 Ein weiteres Beispiel ist der Fall MyTravel Group plc.1000) Dort gab es drei Gläubigerklassen: Die höchstrangigen Gläubiger (institutional creditors), die einfachen Gläubiger und die nachrangigen Anleihegläubiger (bondholders). In einer weiteren Abstimmungsklasse waren die alten Anteilseigner vertreten. Die Anleihegläubiger standen ___________ 994) Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 139. 995) Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 138; dies., Schemes of Arrangement, 42 – 45, 241. 996) In Re Bluebrook Ltd. [2009] EWHC 2114 (Ch) at [25]: „in promoting and entering into a scheme, it is not necessary for the company to consult any class of creditors (or contributories) who are not affected, either because their rights are untouched or because they have no economic interest in the company“; ähnlich wohl Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 165 f.; auch Seah, International Insolvency Review 20 (2011), 161, 165, 169 ff. 997) Auch Payne geht davon aus, dass de facto ein Cross-class Cram-down möglich ist, wenn das Scheme mit einem Administration-Verfahren nach Schedule B1 des Insolvency Act 1986 verbunden wird, vgl. Payne, Schemes of a Arrangement, 45, 241. 998) Re Bluebrook Ltd. [2009] EWHC 2114 (Ch), [2010] 1 BCLC 338. 999) Vgl. Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 137 mit der Darstellung des Falls Bluebrook Ltd. [2009] EWHC 2114 (Ch), [2010] 1 BCLC 338. 1000) Re MyTravel Group plc. [2004] EWCA Civ 1734, [2005] 2 BCLC 123 at [8 f.].

228

B. Britisches Recht

im gleichen Rang wie die Anteilseigner. Im Falle der Liquidation, welche das unvermeidbare Alternativszenario zur Restrukturierung gewesen wäre, hätten die nachrangigen Anleihegläubiger (und damit auch die Anteilseiger) nichts erhalten. Das Scheme sah vor, dass die institutionellen Gläubiger ihre Forderungen in Anteils- 563 rechte an einer neu gegründeten Übernahmegesellschaftsgruppe tauschen sollten. Insgesamt sollten sie 94 % der Anteile an der neuen Unternehmensgruppe erhalten. Die einfachen Gläubiger sollten ihre Forderungen nur noch gegen die neue Übernahmegesellschaftsgruppe gelten machen können, die alle Vermögenswerte der alten Unternehmensgruppe erhalten sollte. Die Anteilseigner sollten ihre Anteile an den Gesellschaften der alten Unternehmensgruppe abgeben und vier Prozent der Anteile an der neuen Unternehmensgruppe erhalten. Den Anleihegläubigern wurden zunächst zwei Prozent der Anteile an der neuen Unternehmensgruppe angeboten, was diese aber ablehnten. Die Rechte der Anleihegläubiger wurden dann von einem abgeänderten Scheme nicht verändert, mit der Folge, dass diese sich gegen die alte – dann vermögenslose – Gesellschaftsgruppe richteten. Da deren Rechte nicht verändert wurden, wurden die nachrangigen Anleihegläubiger nicht in die Abstimmung miteinbezogen. Damit wurden die Rechte der nachrangigen Anleihegläubiger effektiv ausgehebelt. Bevor es jedoch final zu der Bestätigung des Schemes kam, lenkten die Anleihegläubiger ein und einigten sich auf einen konsensualen Plan. Es handelt sich damit im Grunde um dasselbe Problem, welches auch im Boyd-Fall virulent war: Eine Klasse von Gläubigern erhielt keine Werte in der Reorganisation, während die alten Anteilseigner an den Werten des reorganisierten Unternehmens partizipieren durften. Das Gericht urteilte, dass die Anleihegläubiger nicht von der Abstimmung ausge- 564 schlossen werden durften. Sie erhielten damit lediglich den prozeduralen Schutz, an der Abstimmung teilnehmen zu dürfen. Das Gericht wies aber ausdrücklich darauf hin, dass damit keine Beantwortung der Frage verbunden war, ob den nachrangigen Gläubigern ein „economic interest“ verblieben war und ob diese sich erfolgreich gegen den Plan hätten zur Wehr setzen können.1001)

b) Schutz der „übergangenen“ Klasse Es zeigt sich, dass auch im Scheme of Arrangement Konstellationen ergeben, in denen 565 Vermögensverschiebungen zu Lasten von Gläubigern auftreten können, welche durch die absolute Vorrangregel verhindert werden sollen. Diese bedürfen demnach eines Schutzes. Diesen Schutz gewährt die Rechtsprechung den Gläubigern auf der Ebene der gerichtlichen Bestätigung an. Auf der Ebene der gerichtlichen Bestätigung prüft das Gericht zum einen, ob die Versammlung der Planabstimmung entsprechend der gerichtlichen Anordnung verlaufen ist. Zum anderen überprüft das Gericht, ob die Ansichten und Interessen derjenigen, die dem vorgeschlagenen Plan nicht zuge___________ 1001) Re MyTravel Group plc. [2004] EWCA Civ 1734, [2005] 2 BCLC 123 at [23, 33 f.].

229

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

stimmt haben oder nicht anwesend waren, unparteiisch berücksichtigt werden.1002) Eine Berücksichtigung der Interessen wird dadurch verwirklicht, indem den „ausgeschlossenen“ Gläubigern (im Fall Bluebrook Ltd. die Mezzanine-Gläubiger) das Recht zugestanden wird, bei der gerichtlichen Abstimmung, wo Fragen der Fairness erörtert werden, zu erscheinen und ihre Rechte geltend zu machen.1003) Der Richter muss dann in einem weiteren Schritt entscheiden, ob der nicht an der Planabstimmung beteiligten Klasse noch ein wirtschaftlich relevantes Interesse zusteht. Ist das nicht der Fall, dann kann der Plan auch gegen den Willen der nicht an der Abstimmung beteiligten Gruppe bestätigt werden.1004)

566 Um zu bestimmen, wann eine Klasse noch ein ökonomisch relevantes Interesse innehat, starten die englischen Gerichte mit der Frage, wie die Rechte der betroffenen Klasse sich ohne eine Restrukturierung gestalten würden.1005) Das entspricht im Wesentlichen dem in dieser Arbeit bereits behandelten best interest test. Payne verweist darauf, dass viele Gerichte bei der Frage auf Liquidationswerte abstellen, sich die Antwort auf die Frage aber noch in der Entwicklung befinde.1006)

567 Sofern die englischen Gerichte das Merkmal des wirtschaftlich relevanten Interesses der Beteiligten jeweils nach seinen Liquidationswerten beurteilen, bleibt der Schutz der „übergangenen“ Klassen auf dem Niveau eines schwachen best interest test. Die „übergangene“ Klasse erhält nur das, was sie auch im Liquidationsfall erhalten hätte. Ein entstehender Reorganisationsmehrwert kann dann frei verteilt werden. Konsequent können dann auch die Anteilseigner an dem Wert partizipieren. Der Schutz, welcher durch das Merkmal des ökonomisch relevanten Interesses zugesichert wird, sinkt dann für ungesicherte Gläubiger und Anteilseigner, je insolvenznäher das Scheme of Arrangement eingesetzt wird.

568 Anders verhält es sich, wenn man für das Merkmal des wirtschaftlich relevanten Interesses der Beteiligten Fortführungswerte ansetzt. Dann entspricht der Schutz dem, welcher auch in § 6 Abs. 2 StaRUG vorgesehen ist. Wenn weiterhin die Beteiligten ohne „economic interest“ von dem Verfahren ausgeschlossen werden, dann werden die Werte im Grunde entlang der Rangfolge verteilt. Das sorgt dann für einen potenziell starken Schutz.

___________ 1002) In Re Hawk Insurance Co Ltd [2001] EWCA Civ 241, [2001] 2 BCLC 480 at [12]; Re MyTravel Group plc. [2004] EWCA Civ 1734, [2005] 2 BCLC 123 at [8 f.]; O’Dea/Long/Smyth, Schemes of Arrangement, 53 f. Rn. 4.44. 1003) Re MyTravel Group plc. [2004] EWCA Civ 1734, [2005] 2 BCLC 123 at [23] per Chadwick J; vgl. auch Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 137 f. mit Verweis auf den Fall. 1004) Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 138; Payne, Schemes of Arrangement, 42 f. 1005) Re Marconi Corp plc. [2003] EWHC 1083 (Ch); Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 139. 1006) Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 139; Seah, International Insolvency Review 20 (2011), 161, 169 ff.; Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 169 f.

230

B. Britisches Recht

Jedoch verbleiben beide Betrachtungen auf die vor dem Scheme bestehen Werte 569 beschränkt. Die durch das Scheme entstehenden Werte werden damit gerade nicht an die Gläubiger verteilt. Ein weit ausdifferenziertes, starkes Schutzniveau, wie es im deutschen und amerika- 570 nischen Recht durch das Zusammenspiel von best interest test und absoluter Vorrangregel vermittelt wird, kennt das englische Recht nicht.1007) Auf der einen Seite erlaubt die freie Verteilbarkeit des Reorganisationsmehrwertes flexible Lösungen und macht das Verfahren in diesem Punkt attraktiv für die Anteilseigner.1008) Auf der anderen Seite bleibt das Scheme aus Sicht der Anteilseigner extrem gefährlich, weil auch die Gläubiger einen Antrag auf Einberufung der Gruppen beantragen können (sec. 896(1)(b) CA) und die Anteilseigner daher immer fürchten müssen, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. In der englischen Literatur wird konstatiert, dass die Existenz der absoluten Vorrangregel typischerweise für eine höhere Quote bei den einfachen und nachrangigen Gläubigern sorge.1009)

c)

Fazit zum Scheme of Arrangement

Alles in allem erscheint es überraschend, dass das britische Scheme of Arrangement, 571 welches gemeinhin als sehr schuldnerfreundlich gilt, einerseits mit dem Erfordernis einer 75 %-igen Mehrheit in jeder Klasse und dem nicht enthaltenen klassenübergreifenden Cram-down hohe Hürden für die Gläubiger vorsieht, dann aber bei der Folgefrage des Schutzes der übergangenen Klassen scheinbar eher geringe Hürden ansetzt. Aus dieser Perspektive betrachtet, läge die Annahme von Fortführungswerten als Schutzkriterium zugunsten der „übergangenen Klasse“ nahe.1010) Relevant wird das vor allem, wenn es sich nicht um ein „solvent Scheme of Arrangement“ handelt. Ferner zeigt sich, dass sich die Probleme rund um die absolute Vorrangregel ohne einen gruppenübergreifenden Cram-down keineswegs in Luft auflösen. Die behandelten Fälle des englischen Rechts implizieren, dass sich die relevanten Streitfragen auf anderer Ebene abspielen; insbesondere die Frage nach der richtigen Zusammensetzung der Gruppen gewinnt an Bedeutung. Auch die Frage, wer an der Abstimmung teilnehmen darf, wird in diesem Fall deutlich wichtiger.

___________ 1007) Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 170 f. 1008) Kranz, Die Rescue Culture in Großbritannien, 170 f.: Fehlende absolute Vorrangregel unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten fragwürdig, rechtsökonomisch aber sinnvoll. Kranz vermischt den Schutzgehalt der absoluten Vorrangregel aber unzulässig mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, sodass die Ansicht nicht überzeugt. 1009) Payne, Schemes of Arrangement, 262; kritisch zur fehlenden absoluten Vorrangregel Seah, International Insolvency Review 20 (2011), 161, 169 ff. 1010) Dafür auch Payne, 77 Cambridge L. J. (2018), 124, 139.

231

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

II. Corporate Insolvency and Governance Act 2020 572 Großbritannien ist kein Teil der EU mehr und muss folglich die Restrukturierungsrichtlinie nicht in nationales Recht umsetzen. Gleichwohl wurde am 26.6.2020, gewissermaßen als Antwort auf die Richtlinie, der Corporate Insolvency and Governance Act 2020 erlassen.1011) Das Gesetz ergänzt den Companies Act 2006 um ein weiteres Restrukturierungsinstrument: Die „Arrangements and Reconstructions for Companies in Financial Difficult[ies]“. Die Regelungen finden sich in sec. 901A ff. Companies Act 2006 und damit direkt nach den Regelungen zum Scheme of Arrangement. Im Kern handelt es sich dabei um ein Scheme of Arrangement, welches einigen zusätzlichen Regelungen unterworfen wird. Das Verfahren kann dabei, anders als das Scheme of Arrangement, nur bei Vorliegen von finanziellen Schwierigkeiten in Anspruch genommen werden, welche die Fortführung des Unternehmens als goingconcern bedrohen oder bedrohen werden.1012) Das Verfahren folgt dem aus dem Scheme of Arrangement bekannten Dreischritt: Zunächst beruft das Gericht auf Antrag (des Schuldners oder Gläubigers) eine Versammlung der Gläubigergruppen ein.1013) In einem zweiten Schritt wird über den Plan abgestimmt. In einem dritten Schritt muss der Plan bestätigt werden, wobei nur eine 75 %-ige Summen- und keine Kopfmehrheit erforderlich ist.1014) Im neuen Gesetz ist zudem explizit geregelt, dass eine Klasse von Gläubigern, deren Rechte durch den Plan zwar beeinflusst werden, aber nach Überzeugung des Gerichts kein wirtschaftlich relevantes Interesse mehr haben, an der vom Gericht nach dessen Vorgaben einberufenen Abstimmung nicht teilnehmen müssen.1015) Eine wesentliche Neuerung stellt die Möglichkeit dar, den Plan gegen den Willen einer ganzen Klasse zu bestätigen.1016) Damit wird ein „echter“ gruppenübergreifender Cram-down eingeführt. Erforderlich sind zwei Voraussetzungen: Zum einen dürfen die Mitglieder der ablehnenden Klasse nicht schlechter gestellt werden als im nächstbesten Alternativszenario.1017) Hier wird, anders als in § 6 Abs. 2 StaRUG, keine Bewertung des Alternativszenarios vorgegeben. Zum anderen muss mindestens eine abstimmende Klasse, welche im relevanten Alternativszenario eine Auszahlung oder ein wirtschaftlich relevantes Interesse (genuine economic interest) erhalten würde, dem Plan mit der erforderlichen Mehrheit zustimmen.1018) Zudem prüft das Gericht auch hier, ob der Plan „fair and equitable“ ist. ___________ 1011) An Act to make provision about companies and other entities in financial difficulty; and to make temporary changes to the law relating to the governance and regulation of companies and other entities, 2020 c. 12. 1012) Sec. 901A(2) CA. 1013) Sec. 901C(1) CA. 1014) Sec. 901F(1) CA. 1015) Sec. 901(C)(4) CA. 1016) Sec. 901G(1) CA. 1017) Sec. 901G(3), (4) CA. 1018) Sec. 901G(5) CA.

232

B. Britisches Recht

Es zeigt sich, dass das englische Recht auch hier von der Implementierung einer 573 (absoluten oder relativen) Vorrangregel absieht. Vielmehr entspricht der Schutz zugunsten der dissentierenden Klasse klar dem auch in der Restrukturierungsrichtlinie eingeführten best interest test, wobei die zum Scheme of Arrangement identifizierten Probleme auch hier relevant werden dürften. Im ersten1019) unter Geltung des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 574 entschiedenen Fall DeepOcean1020) legte Justice Trower aus, was im Rahmen des „fair and equitable“-Kriteriums berücksichtigt werden müsse. Er führte aus, weil das Vetorecht einer Klasse durch die Anwendung des Cross-class Cram-downs aufgehoben werde, sei es aus Gründen der Gerechtigkeit erforderlich, Fragen der „horizontalen Vergleichbarkeit“ zwischen den Gläubigerklassen zu prüfen. Das Gericht müsse feststellen, ob der Restrukturierungsplan eine unterschiedliche Behandlung innerhalb der Gläubigerklassen vorsehe, und wenn ja, ob diese gerechtfertigt sei. Insbesondere müsse sich das Gericht vergewissern, ob der Reorganisationsmehrwert („restructuring surplus“) gerecht zwischen den zustimmenden und den ablehnenden Klassen verteilt werde.1021) Diese Erwägungen lassen vermuten, dass das Gericht die Gläubigergleichbehandlung als wesentliches materielles Gerechtigkeitskriterium ansieht. Die Formulierung bietet aber auch Spielraum, um im Sinne der absoluten Vorrangregel eine Verteilung des Reorganisationsmehrwerts gegen den Willen einer ranghöheren Klasse an eine rangniedrigere Klasse zu verhindern. Auch eine relative Vorrangregel ließe sich in diese Formulierung hineinlesen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung künftig entwickelt.

III. Schlussfolgerung Alles in allem zeigt die Betrachtung des englischen Rechts im Rahmen des Scheme 575 of Arrangements und des neuen „Schemes“ des Corporate Insolvency and Governance Acts, dass ein best interest test die maßgebliche Untergrenze für dissentierende oder „übergangene“ Gläubiger darstellt. Gleichzeitig kennt das englische Recht weder die absolute Vorrangregel noch die relative Vorrangregel als Schutzkriterien im Scheme of Arrangement. Im Rahmen des Scheme of Arrangements ergab sich das zunächst aus der Tatsache, dass dort ein klassenübergreifender Cram-down nicht möglich ist. Aber auch im Rahmen des Corporate Insolvency and Governance Act 2020 hat sich der britische Gesetzgeber nicht für eine der beiden Vorrangregeln entschieden. Durch eine Auslegung des Merkmals „economic interest“ nach Fortführungswerten lässt sich ein hohes Schutzniveau erreichen. Die englischen Gerichte haben sich, soweit ersichtlich, jedoch noch nicht auf eine entsprechende Auslegung festgelegt. Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass die relative Vorrang___________ 1019) So Flöther/Knapp, StaRUG, § 26 Rn. 7. 1020) Re DeepOcean 1 UK Ltd. [2021] EWHC 138 (Ch), B.C.C. 483 (2021). 1021) Re DeepOcean 1 UK Ltd. [2021] EWHC 138 (Ch), B.C.C. 483, 496 (2021).

233

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

regel für die ablehnenden Gläubigergruppen eine echte Erweiterung des Schutzniveaus bedeutet hätte. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine absolute Vorrangregel in den Verhandlungen als übermäßig einengend und streng erschienen sein muss. Es ist jedoch zu konstatieren, dass die grundlegenden Probleme rund um die absolute Vorrangregel, nämlich die Tatsache, dass Eigenkapitalgeber Werte behalten dürfen, obwohl nicht alle Fremdkapitalgeber vollständig befriedigt sind und zudem umfangreiche Bewertungsproblematiken das Verfahren schwer- und fehleranfällig machen, auch ohne die absolute Vorrangregel in gleichem Maße im englischen Recht existieren. Es spricht daher viel dafür, dass eine ersatzlose Abschaffung der absoluten Vorrangregel kein Fortschritt wäre. Auch im Rahmen einer alternativ einzuführenden relativen Vorrangregel wären aller Voraussicht nach die Bewertungsproblematiken ein zentrales Problem – womit dem Verfahren zwangsläufig eine gewisse Schwerfälligkeit inhärent bleiben würde. Die Ausführungen der Rechtsprechung zum neuen Cross-class Cram-down lassen Raum für die Schaffung einer absoluten, aber auch einer relativen Vorrangregel.

C. Die Procédure de Sauvegarde I.

Verfahrensleitung und Ziel

576 Schließlich soll ein kurzer Blick auf die französische Procédure de Sauvegarde geworfen werden. Frankreich hatte mit dem Mandat ad hoc, der Procécure de conciliation und der Procédure de Sauvegarde bereits vor Erlass und Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie für vorinsolvenzliche Situationen geschaffene, aufeinander aufbauende Sanierungsverfahren.1022) Mittels einer Verordnung1023) hat der französische Gesetzgeber das französische Insolvenz- und Restrukturierungsrecht umfassend reformiert und zugleich die Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht gegossen. Die Regelungen sind am 1. Oktober 2021 in Kraft getreten.1024) Geregelt ist die Procédure de Sauvegarde im Code de Commerce (C.com.), also dem französischen Handelsgesetzbuch.1025) Innerhalb der Procédure de Sauvegarde ließen sich vor der Gesetzesreform noch zwei weitere, beschleunigte Sauvegarde-Verfahren, die Sauvegarde financière accélérée und die Sauvegarde accélérée, unterscheiden. Mit der Gesetzesreform wurde die Sauvegarde financière accélérée formell abgeschafft und mit der Sauvegarde accélérée fusioniert.1026) Die Sauvegarde accélérée soll nun den Restrukturierungsrahmen in allgemeiner Form darstellen, wobei die allgemeinen Regelungen der Procédure de Sauvegarde gem. Art. L.628-1 Abs. 1 ___________ 1022) Für einen Kurzüberblick vgl. Degenhardt, NZI 2022, 201, 202 f.; Arnold/Slawik, NZI Beilage 1/2021, 79 ff. 1023) Verordnung Nr. 2021-1193 vom 15.9.2021. 1024) Art. 73 Abs. 1 Verordnung Nr. 2021-1193 vom 15.9.2021. 1025) Art. L620-1 ff. C.com. 1026) Degenhardt, NZI 2022, 201, 203 f.

234

C. Die Procédure de Sauvegarde

C.com. Anwendung finden, sofern das beschleunigte Verfahren nicht besondere Vorgaben macht.1027) Von einer detaillierteren Darstellung des Sauvegarde accéléréeVerfahrens soll abgesehen werden, weil die für die vorliegende Betrachtung maßgeblichen Bestimmungen einheitlich für beide Verfahrensvarianten gelten. Die Procédure de Sauvegarde ist nach der Einschaltung eines „Krisenhelfers“ (Man- 577 dataire ad hoc) und dem Vermittlungsverfahren (Procédure de conciliation) die dritte Stufe von Verfahren, welche ein Schuldner vor Einleitung eines Insolvenzverfahrens in Anspruch nehmen kann.1028) Das Verfahren kann vom Schuldner auf dessen Antrag hin eingeleitet werden, wenn der Schuldner nicht zahlungsunfähig ist, aber sich in Schwierigkeiten befindet, welche er allein nicht überwinden kann.1029) So soll dem Schuldner die Fortsetzung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, die Begleichung der Schulden und die Bewahrung von Arbeitsplätzen ermöglicht werden.1030) Darin liegt ein wichtiger Unterschied zum deutschen Insolvenzverfahren und dem StaRUG, welche die Bewahrung von Arbeitsplätzen nicht als Selbstzweck ansehen.1031) Es ist möglich, die Rückzahlung der Schulden über einen Plan de Sauvegarde zu 578 regeln.1032) Der Plan wird vom Schuldner mit Unterstützung des Verwalters (administrateur) vorgeschlagen und enthält, ähnlich wie der Restrukturierungsplan, einen darstellenden und einen gestaltenden Teil.1033) Der Verwalter hat eine überwachende Funktion.1034)

II. Abstimmung und Mehrheiten Planbetroffene sind gem. Art. L626-30 Abs. 1 C.com. Gläubiger, deren Rechte durch 579 den Planentwurf unmittelbar berührt, und Anteilseigner, wenn deren Beteiligung am Kapital des Schuldners, die Satzung des Schuldners oder deren Rechte durch den Planentwurf geändert werden. Die Planbetroffenen werden dann gem. Art. L630-30 Abs. 3 C.com. vom Verwalter in Klassen eingeteilt. Die Zusammensetzung der Klassen bestimmt sich, ähnlich wie nach § 9 Abs. 2 StaRUG, anhand objektiv nachprüfbarer Kriterien, die für eine ausreichende wirtschaftliche Interessengemeinschaft repräsentativ sind. Dabei sind folgende Bedingungen zu beachten: Gesicherte und ___________ 1027) 1028) 1029) 1030) 1031) 1032) 1033) 1034)

Degenhardt, NZI 2022, 201, 204. So die Darstellung von Flessner, KTS 2010, 127, 132 – 135; Degenhardt, NZI 2022, 201, 202 f. Art. L620-1 Abs. 1 S. 1 C.com. Art. L620-1 Abs. 1 S. 2 C.com; zum Leitgedanken des französischen Rechts der „Erhaltung und Wiederherrichtung“ vgl. auch Flessner, KTS 2010, 127, 130. Vgl. zur „funktionalen Übereinstimmung“ des Insolvenz- und Sanierungsrechts Begr. RegE.StaRUG, BT-Drucks. 19/24181, 87. Dieser ist in Art. L626-2 – 626-35 C.com. geregelt. Art. L626-2 Abs. 2 u. 3 C.com; vgl. auch BeckOK-InsO/Dammann, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich, Stand 15.7.2020, Rn. 235. Art. L626-25 Abs. 1 S. 1 C.com.

235

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

ungesicherte Gläubiger werden in getrennte Klassen eingeteilt (Nr. 1).1035) Die Aufteilung in Klassen muss die vor der Eröffnung des Verfahrens getroffenen Unterordnungsvereinbarungen berücksichtigen (Nr. 2). Schließlich müssen die Anteilseigner eine oder mehrere Klassen bilden (Nr. 3).

580 Interessant ist, dass sich gem. Art. 626-30 Abs. 5 S. 2 C.com. der Stimmrechtsanteil eines jeden Gläubigers nach dem vom Schuldner angegebenen und von seinem Wirtschaftsprüfer bestätigten Forderungsbetrag richtet. Ist kein Wirtschaftsprüfer bestellt, so muss der Forderungsbetrag zumindest vom Wirtschaftsprüfer festgestellt werden. Damit wird teilweise das im StaRUG-Verfahren existierende Problem adressiert, dass es kein Forderungsfeststellungsverfahren gibt. Ist eine Forderung streitig, so kann hier zumindest eine unabhängige Partei eine erste Klärung schaffen.

581 Mit der Klassenbildung werden die nach altem Recht zu bildenden Gläubigerausschüsse (comité des créanciers) ersetzt.1036) Die Klassenbildung ist in der Procédure de Sauvegarde nur dann verpflichtend, wenn der Schuldner bestimmte durch Rechtsverordnung festgelegte Schwellenwerte überschreitet.1037) Nur im Sauvegarde accélérée-Verfahren ist die Klassenbildung immer vorzunehmen.1038) In jeder Klasse muss zur Annahme eines Plans eine Summenmehrheit von zwei Dritteln der abstimmenden Stimmberechtigten erreicht werden.1039) Wird der Plan von den entsprechenden Mehrheiten angenommen (Art. L626-31 Abs. 1 Nr. 1 C.com.), so überprüft das Gericht die Einhaltung einer Reihe von Kriterien: Erforderlich ist, dass Parteien, die eine ausreichende Interessengemeinschaft innerhalb derselben Klasse teilen, gleich behandelt werden (Nr. 2).1040) Des Weiteren muss der Plan allen Betroffenen ordnungsgemäß mitgeteilt (Nr. 3) und der best interest test eingehalten worden sein (Nr. 4). Schließlich prüft das Gericht, ob die Interessen der Gläubiger hinreichend geschützt sind, wobei eine neue Finanzierung im Zweifel für die Umsetzung des Plans als notwendig und die Interessen der betroffenen Parteien als nicht übermäßig beeinträchtigt gelten.1041) Es überprüft insbesondere die ordnungsgemäße Zusammenset-

___________ 1035) Dies entspricht im Wesentlichen Art. 9 Abs. 4 S. 2 RRL. 1036) Degenhart, NZI 2022, 201, 203. 1037) Eine Verpflichtung besteht, wenn der Schuldner 250 Arbeitnehmer und 20 Millionen Euro Nettoumsatz oder einen Nettoumsatz von 20 Mio. Euro hat, vgl. Art. L626-29 i. V. m. Art. R626-52 C.com; vgl. auch BeckOK-InsO/Dammann, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich, Stand 15.7.2020, Rn. 256. 1038) Art. L628-4 C.com. 1039) Art. L626-30-2 Abs. 5 C.com. 1040) Das entspricht § 10 Abs. 1 StaRUG. 1041) Art. L626-31 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 S. 1 C.com.

236

C. Die Procédure de Sauvegarde

zung der Klassen sowie die Festsetzung und Ausübung des Stimmrechts.1042) Das Gericht hat dabei einen weiten Ermessensspielraum.1043) Das Verfahren sieht seit der Reform in Art. L626-32 Abs. 1 C.com. erstmals die Mög- 582 lichkeit eines Cross-class cram-downs vor. Die erste Voraussetzung ist, dass der Plan die Bedingungen des Art. L626-31 Abs. 2 – 7 C.com. erfüllt. Die zweite Voraussetzung ist, dass eine Mehrheit von Klassen betroffener Stimmberechtigter dem Plan zugestimmt hat, sofern mindestens eine dieser Klassen eine Klasse von Gläubigern mit Sicherungsrechten ist oder einen höheren Rang als die Klasse der unbesicherten Gläubiger hat (Nr. 2). Nr. 3 formuliert eine absolute Vorrangregel: Danach müssen die Forderungen der betroffenen Gläubiger, die gegen den Plan gestimmt haben, vollständig befriedigt werden, wenn eine Klasse mit niedrigerem Rang Anspruch auf eine Zahlung hat oder eine Gewinnbeteiligung im Rahmen des Plans behält. Davon macht Art. L626-32 Abs. 2 C.com. eine Ausnahme: Danach darf das Gericht auf Antrag des Schuldners oder mit dessen Zustimmung von der absoluten Vorrangregel abweichen, wenn diese Abweichungen erforderlich sind, um die Ziele des Plans zu erreichen und wenn der Plan die Rechte oder Interessen der betroffenen Parteien nicht unangemessen beeinträchtigt. Damit übernimmt der französische Gesetzgeber den Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie beinahe wörtlich.1044) Abs. 2 S. 2 konkretisiert dies dahingehend, dass insbesondere Forderungen von Warenlieferanten oder Dienstleistern, Kapitaleignern und Forderungen aus deliktischer Haftung des Schuldners davon profitieren können sollen. Voraussetzung ist ferner, dass keine Gruppe betroffener Parteien im Rahmen des Plans mehr als den Gesamtbetrag der Forderungen erhält (Nr. 4). Das Gericht kann in der Entscheidung, mit dem der Plan angenommen oder geändert 583 wird, entscheiden, dass für die Fortführung wesentliche Vermögenswerte für einen festgesetzten Zeitraum nicht ohne dessen Zustimmung veräußert werden dürfen (Art. 626-14 C.com). Damit wird der im englischen Recht beschriebenen Möglichkeit, mittels einer übertragenden Sanierung alle Vermögenswerte auf eine Transfergesellschaft zu übertragen und den Schuldner als „leere Hülle“ zu Lasten der Gläubiger, deren Rechte durch den Plan nicht beeinflusst werden, zurückzulassen, von vornherein die Grundlage entzogen.

___________ 1042) BeckOK-InsO/Dammann, Internationales Insolvenzrecht – Frankreich, Stand 15.7.2020, Rn. 276 noch zum alten Recht, diese Erwägungen dürften jedoch auch nach der Reform noch fortgelten. 1043) Kindler/Nachmann/Bitzer/Bauerreis, Handbuch Insolvenzrecht in Europa, 7. EL Juli 2020, Frankreich, Rn. 71. 1044) Degenhardt, NZI 2022, 201, 203.

237

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

III. Einordnung 584 Der französische Gesetzgeber hat die naheliegende Variante gewählt und den bereits bestehenden Gesetzesrahmen rund um die Procédure de Sauvegarde und die Procédure de Sauvegarde accélérée an die Vorgaben der Richtlinie angepasst. Hinsichtlich des Gläubigerschutzes hat sich der französische Gesetzgeber für die absolute Vorrangregel entschieden. Er lässt Ausnahmen zu, wenn diese erforderlich sind, um die Ziele des Plans zu erreichen. Dies ist den Regelungen des § 28 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG und § 245 Abs. 2 S. 2 InsO sehr ähnlich. Vor der Umsetzung der Richtlinienvorgaben gab es im französischen Recht weder eine absolute noch eine relative Vorrangregel. Vor dem Hintergrund, dass das französische Recht der Sanierung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen jeweils einen großen Eigenwert einräumt, hätte hier die Umsetzung einer relativen Vorrangregel nicht fern gelegen. Gleichwohl hat sich der französische Gesetzgeber für eine absolute Vorrangregel entschieden. Das französische Recht nähert sich mit der Wahl der absoluten Vorrangregel dem niederländischen und dem deutschen Recht an und schafft so zumindest einen grundlegenden Gleichklang. Damit wird die europäische Harmonisierung gefördert.

D. UNCITRAL – Legislative Guide on International Insolvency Law 585 Zunächst soll ein Blick auf die Empfehlungen des UNCITRAL Legislative Guide on International Insolvency Law geworfen werden. Die United Nations Commission on International Trade Law ist ein Unterkörper der Generalversammlung der United Nations. Das Ziel des Guides ist es, Staaten Empfehlungen bei der Modernisierung des entsprechenden Rechtsgebiets an die Hand zu geben. Dabei fokussiert sich der Legislative Guide auf die Kernpunkte und Prinzipien, die das Insolvenzrecht eines Staates beinhalten sollte.1045)

586 Der Legislative Guide geht davon aus, dass es im Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren grundlegend eine Rangfolge gibt, entlang derer ein Anspruch der Gläubiger auf Befriedigung besteht. Danach gebe es in absteigender Reihenfolge gesicherte Forderungen (secured claims), Kosten des Verfahrens (administrative costs and expenses), vorrangige Forderungen (priority claims), einfache ungesicherte Forderungen (ordinary unsecured claims) und die Anteilseigner (owners and equity holders).1046)

587 Dort heißt es weiter, dass viele Insolvenzrechte die generelle Regel beinhalten, dass Anteilseigener (owners and equity holdes) keinen Anspruch auf einen Wert bei der Verteilung der Assets haben, bis alle anderen höherrangigen Ansprüche vollständig ___________ 1045) Vgl. die Beschreibung auf der Internetseite der United Nations: https://uncitral.un.org/en/texts/ insolvency/legislativeguides/insolvency_law (zuletzt abgerufen am: 15.2.2021). 1046) Part two V.B.1. – 2., S. 270 – 274. Es wird zudem noch auf die Ansprüche der Arbeitnehmer, auf Forderungen des Fiskus, Gesellschafterdarlehen sowie Strafen und Verfahrenseröffnung anlaufende Zinsen eingegangen. Die genaue Aufteilung ist für die Zwecke der Untersuchung nicht von Belang.

238

D. UNCITRAL – Legislative Guide on International Insolvency Law

befriedigt wurden. Als Ergebnis dessen würden diese Parteien regelmäßig keine Werte erhalten.1047) Konsequent empfiehlt der Legislative Guide der UNCITRAL, die Vermögenswerte 588 in einem Liquidationsverfahren entlang der Rangfolge zu verteilen.1048) Dieses Prinzip überträgt der Legislative Guide grundlegend auch auf Reorganisationen. Danach erkennt der Legislative Guide an, dass ein Reorganisationsplan von den normalen Liquidationsprioritäten abweichende Regelungen vorsehen kann. Die Gläubiger, die über den Plan abstimmen, müssten einer Änderung der Liquidationsprioritäten zustimmen.1049) Gleichzeitig sieht die Empfehlung es als vorzugswürdig an, wenn vorrangige Ansprüche (priority claims) als Voraussetzung für die Annahme eines Plans vollständig befriedigt werden, sofern die betroffenen Gläubiger nicht einer anderen Behandlung zustimmen.1050) Als priority claims versteht der Legislative Guide solche Ansprüche, denen gegenüber normalen ungesicherten Ansprüchen Vorrang eingeräumt wird.1051) Als Beispiel dafür werden Ansprüche von Arbeitnehmern oder Steuerforderungen des Staates angeführt.1052) Die Formulierung des UNCITRAL Guide spricht für eine absolute Vorrangregel, 589 ohne das auch ausdrücklich so zu benennen. Ohne eine Zustimmung soll keine Abweichung von der Rangfolge der Liquidationsprioritäten erlaubt sein. Das impliziert zugleich, dass Liquidation und Reorganisation aneinandergekoppelt sind, denn die Liquidationsprioritäten sollen auch für das Reorganisationsverfahren der maßgebliche Ausgangspunkt sein. Der Wortlaut gibt weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass nur der Liquidationswert gesichert werden soll. Vielmehr ist nach der Formulierung auch der Reorganisationsmehrwert entlang der Rangfolge zu verteilen. Der zweite Satz der Empfehlung spricht sich für einen besonderen Schutz von priority claims aus. Diese sollen als Voraussetzung für eine Abweichung von der Rangfolge der Liquidationsprioritäten vollständig befriedigt werden. Man könnte daraus schließen, dass der Legislative Guide im Umkehrschluss eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel bei gewöhnlichen ungesicherten Gläubigern offenbar als nicht problematisch ansieht. Eine solche Auslegung überzeugt aber nicht. Der erste Satz wäre dann im Grunde überflüssig. Das insolvenzrechtliche Obstruktionsverbot kennt beispielsweise die Voraussetzung, dass die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem ___________ 1047) Part two V.B.1.(v), Nr. 76, S. 273. 1048) Part two V.B.2.(a), Nr. 80, S. 274. 1049) Part two V.B.2.(b), Nr. 81, S. 274: „A plan of reorganization may propose distribution priorities that are different to those provided by an insolvency law in liquidation, provided that creditors voting on the plan approve such a modification.“ 1050) Part two V.B.2.(b), Nr. 81, S. 274: „In reorganization proceedings it may be desirable to provide that priority claims must be paid in full as a predicate to confirmation of a plan, unless the affected priority creditors agree otherwise.“ 1051) Part two V.B.1.(b)(iii), Nr. 67, S. 270. 1052) Part two V.B.1.a.-b., Nr. 72 – 74, S. 272 f.

239

5. Kapitel: Internationale Einordnung der Vorrangregeln

Plan zugestimmt hat.1053) In diesem Sinne ist auch die Bevorzugung der priority claims zu verstehen. Hinter der Bevorzugung von priority claims – worunter auch wichtige Lieferanten fallen können – steht der Gedanke, dass die Befriedigung dieser Gläubiger essenziell ist, um die Reorganisation überhaupt bewerkstelligen zu können. Weiterhin enthält der Wortlaut keine Möglichkeit der Durchbrechung der absoluten Vorrangregel wie § 28 Abs. 2 StaRUG. Es spricht demnach vieles dafür, dass es sich bei der Empfehlung des UNCIRTRAL um eine strenge absolute Vorrangregel handelt.

590 Unklar bleiben die Empfehlungen des UNCITRAL Guides aber, bis zu welchem Grad die Gläubiger der abweichenden Verteilung der Vermögenswerte zustimmen müssen. Aus der Formulierung könnte man schließen, dass ohne eine Zustimmung eines jeden Gläubigers gar keine Abweichung von der Verteilungsrangfolge erfolgen darf. Nicht eindeutig geregelt ist es aber bereits der Fall, in dem eine Gruppe dem Plan nur mehrheitlich zustimmt. Gilt dies bereits als Zustimmung? Oder muss die gesamte Gruppe einer Abweichung von der Verteilungsregel zustimmen?

591 Insgesamt stützen die Empfehlungen des UNCITRAL Guides die aufgestellte These. Zwar wird die absolute Vorrangregel nicht wörtlich erwähnt. Eine Abweichung von der Rangfolge der Liquidationsprioritäten soll aber im Reorganisationsverfahren nur mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger möglich sein. Das entspricht im Kern einer absoluten Vorrangregel.

E. Einordnung 592 Die Untersuchung basierte auf der These, dass die absolute Vorrangregel auch im internationalen Kontext ein fundamental wichtiges Prinzip darstellt. Diese These lässt sich – zumindest vor dem Hintergrund der untersuchten Regelungen – zumindest teilweise halten. Die UNCITRAL Empfehlungen benutzen den Begriff der absoluten Vorrangregel nicht. Gleichzeitig erlauben sie eine Abweichung von der Rangfolge der Liquidationsprioritäten nur mit Zustimmung der betroffenen Gläubiger. Das entspricht einer absoluten Vorrangregel und erinnert an die vom US Supreme Court im Fall Jevic angestellten Erwägungen.1054) Das niederländische Recht implementiert eine der deutschen Regelung sehr ähnliche absolute Vorrangregel. Auch hier wird die absolute Vorrangregel als tragendes Prinzip angesehen. Auch das französische Recht kennt seit der Umsetzung der Richtlinienvorgaben eine absolute Vorrangregel in der vorinsolvenzlichen Procédure de Sauvegarde. Zuvor enthielt die Procédure de Sauvegarde jedoch weder eine absolute noch eine relative Vorrangregel. So liegt es auch jetzt noch beim britischen Recht. Dieses vermeidet eine absolute Vorrangregel, spricht sich umgekehrt aber auch nicht für eine relative Vorrangregel aus. Die Überlegungen zum britischen Recht haben weiterhin gezeigt, ___________ 1053) § 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO. 1054) Vgl. Rn. 207 ff.

240

E. Einordnung

dass der Schutz einer übergangenen Klasse funktional dem best interest test des StaRUG gleichkommen kann, wenn das Merkmal des economic interest“ nach Fortführungswerten errechnet wird. Im Vergleich dazu stellt die europäische relative Vorrangregel eine flexiblere Regelung dar. Es erscheint aber möglich, dass die englischen Gerichte hier maßgeschneiderte Lösungen zulassen, die im jeweiligen Einzelfall gerecht sind. Es zeigt sich, dass Implementierung der absoluten Vorrangregel nicht als unabding- 593 bar im Rahmen der Restrukturierung angesehen wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es verständlicher, dass die Restrukturierungsrichtlinie eine relative Vorrangregel bevorzugt. Aus britischer Perspektive wäre eine absolute Vorrangregel eine deutlich einschneidendere Regelung gewesen. Insgesamt haben Deutschland, Frankreich und die Niederlande jeweils sehr eng beieinander liegende Regelungen gewählt. Deutschland erscheint damit im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt.

241

Zusammenfassung der Ergebnisse A. Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit behandelt die im Rahmen der Restrukturierungsrichtlinie 594 eröffnete Möglichkeit der Einführung einer relativen Vorrangregel. Beide Vorrangregeln werden untersucht und ihr Gehalt erfasst. Die der Arbeit zugrundeliegende These ist, dass die relative Vorrangregel im Widerspruch zu den Grundregeln der Verteilung zwischen Fremd- und Eigenkapital im Kapitalgesellschaftsrecht steht. Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse und die daraus folgenden Thesen der Arbeit zusammengefasst werden.

I.

Erstes Kapitel

Dem Thema nähert sich die Arbeit, indem im ersten Kapitel die grundlegenden 595 Wertverteilungsmechanismen in Erinnerung gerufen werden. Zu unterscheiden ist das auf dem Prioritätsprinzip fußende Einzelzwangsvollstreckungsrecht von dem gesamtkollektiven Insolvenzverfahren mit dem dieses beherrschenden Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz. Seit der Umsetzung der Richtlinie und der Schaffung des StaRUG gibt es zusätzlich ein teilkollektives Verfahren, in dem beide Verteilungsgrundsätze nebeneinander greifen können. Die Frage, wann eine Partei auf Werte des Schuldners zugreifen kann, wird vor allem dann relevant, wenn sich dieser in einer Krise befindet und seine Leistungsfähigkeit in Frage steht. Entscheidend ist dann der Rang der Partei. Die Arbeit klärt, welche Ränge es grundlegend im Insolvenz- sowie im StaRUG-Verfahren gibt. Es wird dargelegt, dass die Rangfrage im StaRUG-Verfahren – anders als im Insolvenzverfahren – wegen dessen vorinsolvenzlichen Charakters und seiner Teilkollektivität nicht völlig selbstverständlich ist. Sodann wird auf die Möglichkeit eingegangen, mittels eines Planverfahrens individuell Abweichungen von dem gesetzlich vorgesehenen Verteilungsmodus zu vereinbaren. Der große Vorteil des Planverfahrens ist die Möglichkeit, Planbetroffene gegen ihren Willen an den Plan zu binden. Grundlage dafür ist die Mehrheitsentscheidung innerhalb einer Gruppe, der sich die Gruppenminderheit beugen muss. Unter engen Voraussetzungen kann auch die Zustimmung einer ganzen Gruppe ersetzt werden. Eine Voraussetzung ist die Einhaltung der Vorrangregel, wobei zwischen der absoluten und der relativen Vorrangregel zu unterscheiden ist. Erstere fordert eine vollständige Befriedigung der ranghöheren Klasse, bevor eine rangniedrigere einen wirtschaftlichen Wert erhalten darf, während letztere lediglich eine Besserstellung verlangt. Die Antwort auf die Frage, welcher Vorrangregel der Vorzug zu geben ist, hängt maßgeblich davon ab, welche im geltenden Recht systematisch stimmiger ist. Da die absolute Vorrangregel in der Literatur teilweise als das Korrelat zur institutionellen Haftungsbeschränkung gesehen wird, leitet die Untersuchung im zweiten Schritt zur deren Erfassung über.

243

Zusammenfassung der Ergebnisse

II. Zweites Kapitel 596 Die Grundlagen der institutionellen Haftungsbeschränkung werden im zweiten Kapitel ausführlich erörtert. Deutlich wird, dass mit dem Privileg der beschränkten Haftung eine Risikoverlagerung zugunsten der Gesellschafter hin zu den Gläubigern der Gesellschaft erfolgt. Das Privileg der beschränkten Haftung schirmt die hinter der Gesellschaft stehenden Anteilseigner von einem Durchgriff der Gläubiger auf deren privates Vermögen ab. Gleichzeitig haftet das Vermögen der Gesellschaft deren Gläubigern unbeschränkt. Das Gesellschaftsrecht stellt im Wege der Kapitalaufbringungsund -erhaltungsvorschriften sicher, dass das statutarische Kapital in der Gesellschaft gebunden bleibt und den Gläubigern gleichsam als „Haftungsfonds“ zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung steht. Das Privileg der beschränkten Haftung wird im Insolvenzrecht durch die Insolvenzantragsgründe ergänzt. Diese stellen sicher, dass das Vermögen der Gesellschaft bei Vorliegen der materiellen Insolvenzreife in einem kollektiven Verfahren an die Gläubiger verteilt wird.

III. Drittes Kapitel 597 Im dritten Kapitel wird das Schutzkriterium der absoluten Vorrangregel eingehend untersucht. Es zeigt sich, dass sich die Grundzüge der absoluten Vorrangregel bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Die absolute Vorrangregel diente als durch die Rechtsprechung geschaffenes Schutzkriterium dazu, ein Übergehen („Freeze-out“) der Klasse im mittleren Rang zu verhindern. Der US Supreme Court führte so eine materielle Gerechtigkeitskontrolle von Reorganisationsplänen ein. Früh galt die absolute Vorrangregel, und gilt noch heute, als das fundamentale Prinzip des Insolvenzrechts. Der US Supreme Court hat die absolute Vorrangregel im Fall Jevic über die Grenzen ihres Wortlauts hin für anwendbar erklärt.

598 Die absolute Vorrangregel verknüpft die Grundsätze der Liquidation eines Unternehmens mit denen der Reorganisation, indem eine ablehnende Klasse am Reorganisationswert bis hin zur vollen Befriedigung ihrer Ansprüche partizipieren muss, bevor ein im Rang tieferstehender Planbetroffener einen Wert erhält. Schlägt man den Bogen zurück zur institutionellen Haftungsbeschränkung, so zeigt sich, dass die absolute Vorrangregel den vorinsolvenzlich ausgehandelten Rechtspositionen im Reorganisationsverfahren größtmögliches Gewicht beimessen will. Insolvenz- und Reorganisationsverfahren stehen mit den Prämissen der institutionellen Haftungsbeschränkung in Wechselwirkung. Die institutionelle Haftungsbeschränkung basiert auf dem Gedanken, dass den Gläubigern das Gesellschaftsvermögen zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung steht. Das zeigt sich vor allem am Kapitalerhaltungsrecht. Jede Änderung des statutarischen Kapitals erfordert, dass den Gläubigern eine Zugriffsmöglichkeit auf das Gesellschaftsvermögen gewährt wird. Auch im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Liquidation des Vermögens müssen die Gläubiger vorrangig befriedigt werden. So transferiert die absolute Vorrangregel die Prämissen der institutionellen Haftungsbeschränkung ins Insolvenz-/Reorganisations244

A. Zusammenfassung

verfahren und stellt insofern einen systemgerechten Gläubigerschutz dar, der eine über die beschränkte Haftung hinausgehende Risikoverteilung zu Lasten der Gläubiger verhindern will. Eine Abweichung von der absoluten Vorrangregel ist nur mit Zustimmung der betroffenen Gläubigergruppe möglich. Die absolute Vorrangregel ist daher im Kern ein Instrument der Haftungsverwirklichung. Trotzdem sah sich die absolute Vorrangregel seit ihrer Schaffung Kritik ausgesetzt. 599 Bemängelt wird im Wesentlichen die Inflexibilität und Schwerfälligkeit der absoluten Vorrangregel, die auch dann eingreift, wenn ein Reorganisationsmehrwert nur unter Abweichung von der absoluten Vorrangregel realisiert werden kann. Es zeigt sich weiterhin, dass die absolute Vorrangregel trotz ihres hohen Stellen- 600 werts im Laufe der Zeit im amerikanischen Recht aufgeweicht wurde: Fungierte sie ursprünglich als materielles Gerechtigkeitskriterium des Plans und war im Verhältnis zu allen Gläubigern anzuwenden, so ist die absolute Vorrangregel seit der Reform des US Bankruptcy Codes von 1978 nur noch zugunsten einer dissentierenden Gläubigerklasse einzuhalten. Seit dem Frühjahr 2020 muss die absolute Vorrangregel bei kleinen und mittleren Unternehmen nicht mehr eingehalten werden.

IV. Viertes Kapitel Das vierte Kapitel behandelt die relative Vorrangregel. Sie ist die vom Richtlinien- 601 geber bevorzugte Umsetzungsalternative. Der neben der relativen Vorrangregel in der Restrukturierungsrichtlinie vorgesehene 602 Schutz über den best interest test stellt grundsätzlich ein starkes Schutzkriterium dar. Die Richtlinie sieht, anders als vom deutschen Gesetzgeber umgesetzt, eine Prüfung des Merkmals auch in einem gruppenübergreifenden Kontext nur auf Antrag vor. Die relative Vorrangregel fordert eine bloße Besserstellung der ablehnenden Gruppe 603 gegenüber der rangniedrigeren Gruppe. Dieses Merkmal ist so auszulegen, dass eine ranghöhere Gruppe in größeren Umfang vom Reorganisationsmehrwert profitieren muss als die rangniedrigere Gruppe. Im Verhältnis zum Schuldner und den Anteilseignern ist die Besserstellung gegenüber der Gruppe der Anteilseigner zu bestimmen. Dort sollte eine Besserstellung anhand des von den Anteilseignern als Risikokapital aufgebrachten statutarischen Kapitals erfolgen. Anteils- und Mitgliedschaftsrechte sind bei der Bewertung nicht zu berücksichtigen. Hinter der Einführung der relativen Vorrangregel steckten vor allem zwei Gedanken: 604 Zum einen war die Möglichkeit des gruppenübergreifenden Cram-downs vielen Mitgliedstaaten fremd, sodass die Mitgliedstaaten bezüglich strenger Vorgaben im Sinne der absoluten Vorrangregel skeptisch waren. Zum anderen bestand der Wunsch nach mehr Flexibilität. Gerade bezüglich des ersten Gedankens zeigt sich, dass die Begründung der Ablehnung der absoluten Vorrangregel nicht schlüssig ist: Die abso-

245

Zusammenfassung der Ergebnisse

lute Vorrangregel bietet das höchste Schutzniveau zugunsten der ablehnenden Gläubiger, sodass gegenüber dem Cram-down Mechanismus skeptisch eingestellte Staaten diese eigentlich bevorzugen müssten. Dass die mangelnde Flexibilität der absoluten Vorrangregel in Einzelfällen ein Sanierungshindernis sein kann, wurde indes schon im zweiten Kapitel festgestellt, sodass diese Sorge der Mitgliedstaaten nicht unberechtigt ist.

605 Insgesamt zeigt sich, dass die relative Vorrangregel gegenüber der absoluten Vorrangregel flexibler ist. Damit wird ein wichtiges Problem beseitigt. Andere Probleme, wie etwa das der Unternehmensbewertung, werden nicht gelöst, sondern eher intensiviert. Die relative Vorrangregel ist Anknüpfungspunkt für eine dynamischere Betrachtung der vertraglichen Verhältnisse der Parteien. Sie ermöglicht es, die Verträge vor der materiellen Insolvenz neu auszuhandeln, und versucht, den zum Zeitpunkt der Reorganisation bestehenden Wert einer Forderung zu schützen. Hier lässt sich wiederum der Bogen zurück zum zweiten Kapitel schlagen: Die relative Vorrangregel verlagert neben der beschränkten Haftung einen Teil des unternehmerischen Risikos auf die Gläubiger. So wird gewissermaßen eine „zweite Verteidigungslinie“ geschaffen. Anders als die institutionelle Haftungsbeschränkung sieht die relative Vorrangregel aber keine gläubigerschützenden Elemente wie die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln vor.

606 Die relative Vorrangregel kann insoweit als Anknüpfungspunkt für eine Neubetrachtung und Herauslösung des Reorganisationsrechts aus dem Insolvenzrecht gesehen werden. Das vorherrschende Verständnis sieht das Insolvenz- und das Reorganisationsrecht hingegen richtigerweise als Teil des übergeordneten Ziels der Haftungsverwirklichung. Dieses Verständnis sollte beibehalten werden; eine Neubetrachtung durch die Restrukturierungsrichtlinie und das StaRUG ist nicht angezeigt. Die absolute Vorrangregel fügt sich stimmig in dieses Verständnis ein und stellt daher die vorzugswürdige Umsetzungsalternative dar. Mit den vom deutschen Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung des SanInsFoG vorgenommenen Änderungen der absoluten Vorrangregel wird der geäußerten Kritik an der absoluten Vorrangregel maßvoll Rechnung getragen.

607 In rechtspolitischer Hinsicht kann das präventive Restrukturierungsverfahren dazu beitragen, den „Stigmatisierungseffekt“ des Insolvenzverfahrens zu verhindern. Im deutschen Recht ist daher die Verortung des Verfahrens in einem eigenen Gesetz (dem StaRUG) sinnvoll. Insgesamt erscheint zweifelhaft, dass tatsächlich eine von der Kommission angestrebte „Sanierungskultur“ möglich und sinnvoll ist. Vielmehr ist zu erwarten, dass auch in Zukunft die weit überwiegende Zahl der Unternehmen liquidiert werden wird.

246

B. Thesen

V. Fünftes Kapitel Das fünfte Kapitel untersucht, ob die absolute Vorrangregel auch in anderen Rechts- 608 ordnungen das maßgebliche Schutzkriterium ist, und fragt nach ihrem Stellenwert in Harmonisierungsprojekten. Im niederländischen Recht wurde eine abgeschwächte absolute Vorrangregel umgesetzt. Im englischen Recht findet sich hingegen weder eine absolute noch eine relative Vorrangregel. Das französische Recht kannte vor Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie weder eine absolute noch eine relative Vorrangregel. Der französische Gesetzgeber hat sich, der niederländischen Umsetzung nicht ganz unähnlich, für eine abgeschwächte absolute Vorrangregel entschieden. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass die relative Vorrangregel auch in benachbarten Rechtsordnungen offenbar auf Skepsis gestoßen ist. Es zeigt sich jedoch im britischen Recht, dass sich durch eine Auslegung der durch die Rechtsprechung entwickelten Schutzmechanismen ein hohes Schutzniveau zugunsten der dissentierenden Gläubiger durch eine entsprechende Auslegung des Merkmals des „economic interests“ erreichen lässt. Gleichzeitig offenbart die Betrachtung des britischen Rechts, dass sich die Probleme rund um die absolute Vorrangregel – das „Übergehen“ der Klasse mit mittlerem Rang und Streitigkeiten um die Bewertung – auch ohne sie ergeben würden. Durch eine ersatzlose Streichung der absoluten Vorrangregel wäre wenig gewonnen. Auch die relative Vorrangregel würde dem nicht vollständig abhelfen.

B. Thesen Komprimiert man das soeben Ausgeführte, so lassen sich die Ergebnisse der Arbeit 609 thesenartig festhalten:

I.

Thesen zur absoluten Vorrangregel

(1.) Die beschränkte Haftung dient der Förderung unternehmerischen Risikos, indem 610 sie das Vermögen der hinter der Gesellschaft stehenden Anteilseigner vor einem Haftungsdurchgriff der Gläubiger schützt. Damit geht eine teilweise Verlagerung des unternehmerischen Risikos von den Anteilseignern auf die Gläubiger einher. (2.) Die institutionelle Haftungsbeschränkung wirkt unter der Prämisse, dass das in 611 der Gesellschaft vorhandene Vermögen den Gläubigern als „Haftungsfonds“ zur Verfügung steht. Die Gläubiger müssen sich vorrangig aus dem Vermögen der Gesellschaft befriedigen können. Ausdrücklich angeordnet wird das im Rahmen von Herabsetzungen des statutarischen Kapitals sowie der gesellschaftsrechtlichen Liquidation. (3.) Die absolute Vorrangregel ist ein elementares Schutzkriterium zugunsten der 612 ablehnenden Klasse von Gläubigern. Die absolute Vorrangregel hat im Wesentlichen drei Effekte: (1) Sie versucht, der vorinsolvenzlich ausgehandelten Rechtsposition des Einzelnen in der Reorganisation größtmögliches Gewicht beizumessen. (2) Weiterhin sorgt die absolute Vorrangregel für eine angemessene Verteilung von 247

Zusammenfassung der Ergebnisse

Fremd- vor Eigenkapital. (3) Schließlich koppelt die absolute Vorrangregel die Verteilungsgrundsätze der Liquidation an die Reorganisation.

613 (4.) Die absolute Vorrangregel strahlt auf die prozedurale Ebene aus, indem sie eine Abweichung von den Verteilungsgrundsätzen nur mit angemessener Zustimmung des Betroffenen erlaubt. Sie sorgt für Rechtssicherheit und fördert konsensuale Entscheidungen, indem sie klare und vorhersehbare Grenzen für die Verhandlungen setzt.

614 (5.) Die absolute Vorrangregel ist eine systemgerechte Ausprägung des Gläubigerschutzes im Rahmen der institutionellen Haftungsbeschränkung. Sie will eine Risikoverlagerung zu Lasten der Gläubiger unterbinden, die über die beschränkte Haftung hinausgeht, indem der ablehnenden Gläubigergruppe eine wirtschaftlich volle Befriedigung gewährt werden muss, wenn deren Zustimmung zum Plan ersetzt wird. Im System der Ziele des Insolvenz- und Reorganisationsrechts ist sie Ausfluss der Haftungsverwirklichung.

615 (6.) Die absolute Vorrangregel ordnet in der Reorganisation dieselben Verteilungsmaßstäbe an, welche auch in der Liquidation gelten. Das Insolvenzrecht behandelt Reorganisation und Liquidation gleich, weil beide Varianten der Haftungsverwirklichung dienen. Die absolute Vorrangregel fügt sich in dieses Konzept stimmig ein und stellt für das deutsche Recht die vorzugswürdige Umsetzungsalternative dar.

616 (7.) Trotz der Tatsache, dass sie die vorinsolvenzliche Position eines ablehnenden Gläubigers in der Reorganisation größtmöglich absichern möchte, ist die absolute Vorrangregel in sich nicht vollkommen stringent: Die Schuldenrückzahlung hängt von in der Zukunft liegenden Ereignissen ab. Dennoch bricht die absolute Vorrangregel alle Chancen und Möglichkeiten der Zukunft auf einen Stichtag herunter und lässt vorhandene, sich aber erst künftig realisierende Werte unberücksichtigt. Diese Werte werden der letzten nicht vollständig befriedigten Klasse und auch den Anteilseignern abgeschnitten. Gleichwohl stellt diese Ungereimtheit der absoluten Vorrangregel kein überzeugendes Argument gegen sie dar: Die Fälle, in denen den Anteilseignern tatsächlich Werte vorenthalten werden, dürften mit Blick auf die einstelligen Befriedigungsquoten der Insolvenzgläubiger vernachlässigbar sein. Will man, wie das American Bankruptcy Institute, die schon im Unternehmen angelegten, sich aber nicht rechtzeitig realisierenden Werte zu Gunsten der Residualberechtigen berücksichtigen, so ist zwar eine Änderung der absoluten Vorrangregel erforderlich, diese zielt aber in dieselbe Schutzrichtung.

617 (8.) Die Hauptkritik an der absoluten Vorrangregel geht dahin, dass diese unflexibel ist. Weiterhin erfordert sie eine kostspielige und potenziell fehleranfällige Unternehmensbewertung.

248

B. Thesen

II. Thesen zur relativen Vorrangregel (1.) Die relative Vorrangregel erhielt in der Richtlinie den Vorzug gegenüber der 618 absoluten Vorrangregel, weil sie als flexibler angesehen wird. Das Argument, viele Mitgliedstaaten würden den gruppenübergreifenden Cram-down nicht kennen, was gegen eine absolute Vorrangregel spreche, lässt sich nicht halten. Die absolute Vorrangregel beinhaltet im Vergleich zur relativen Vorrangregel ein höheres Schutzniveau zu Gunsten der ablehnenden Klassen. (2.) Die relative Vorrangregel erfordert eine „Besserstellung“ von ranghöheren ge- 619 genüber rangniedrigeren Betroffenen. Dieses Merkmal ist so auszulegen, dass die ranghöheren Gläubiger in höherem Maße am Reorganisationsmehrwert partizipieren müssen. Bei der Berechnung der Werte der Anteilseigner ist deren investiertes Kapital zu berücksichtigen. Die Gläubiger müssen dann im Verhältnis zum aufgebrachten Kapital der Anteilseigner wirtschaftlich bessergestellt werden. (3.) Die relative Vorrangregel bevorzugt insbesondere hoch risikoreiches unterneh- 620 merisches Verhalten. Ein gegenläufiger Anreiz besteht, solange die Gesellschaft noch „gesund“ ist, wenn das Merkmal der Besserstellung im Verhältnis zu den Anteilseignern wie hier vorgeschlagen ausgelegt wird. In diesem Fall entsteht der Anreiz, die Gesellschaft mit einer hohen Eigenkapitalquote auszustatten. Wenn trotz des best interest tests eine Sicherheit an Wert verliert, dann erlaubt die relative Vorrangregel eine Abschwächung des Kreditsicherungsrechts. (4.) Die relative Vorrangregel ist gegenüber einer absoluten Vorrangregel flexibler 621 und kann im Einzelfall Werte realisieren, deren Realisierung unter Geltung einer strengen absoluten Vorrangregel nicht möglich wäre. Die vom nationalen Gesetzgeber im Zuge des SanInsFoG vorgenommenen Änderungen an der absoluten Vorrangregel tragen dem Flexibilisierungswunsch der Kritiker jedoch ebenso Rechnung.

III. Thesen zur Richtlinienumsetzung und zum Rechtsvergleich (1.) Unabhängig von der Frage, ob die absolute oder relative Vorrangregel vorzugs- 622 würdig ist, stellt der best interest test das wichtigere Schutzkriterium dar. Der best interest test soll nach den Vorgaben der Richtlinie nur auf Antrag und nicht von Amts wegen geprüft werden. Die Richtlinie differenziert insoweit nicht zwischen einem gruppenbezogenen Minderheitenschutz und einem Schutz der ablehnenden Gruppe. (2.) Im internationalen Kontext haben sich im Zuge der Umsetzung auch das nieder- 623 ländische und das französische Recht für eine abgeschwächte absolute Vorrangregel entschieden. Im britischen Recht gibt es hingegen weder eine absolute noch eine relative Vorrangregel. Dort lässt sich ein hohes Schutzniveau zugunsten der dissentierenden Gläubiger dann erreichen, wenn das Merkmal des „economic interest“ nach Fortführungswerten berechnet wird.

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295

Stichwortverzeichnis

Absolute Vorrangregel

53 f., 132, 159 – Kritik an der ~ 176 – 199 Ahlers 175 Allgemeinwohl 3, 409

Barwert

119, 178 Best interest of creditors test siehe best interest test Best interest test 171, 311, 334, 471, 536, 547, 566, 581 Binnenmarkt 2, 13, 442, 499, 531 Boyd 142, 143, 148, 151, 152, 154, 156, 159, 162, 210

Case v. Los Angeles Lumber Products Co., Ltd. 158, 167, 172, 184, 211, 225 Chapter 11 8, 133, 200, 202, 205, 306 – ~ Verfahren 133 f., 208 Chapter 7 135, 200, 204 f., 306 Common pool problem 18 Cram-down 55, 165, 240, 248, 427, 550, 558, 582

DAT/Altana 410 Debt-Equity Swap 48, 231, 245, 394, 479, 497, 519 Drohende Zahlungsunfähigkeit 19, 41, 110 – 111, 124 – 125, 491, 501, 523, 536 Einzelzwangsvollstreckungsrecht

9, 16,

19 f. Equity Receivership 137 – 139, 142 Erwartungswert 69, 80, 120, 197, 220, 460, 513, 514 ESUG 5, 497, 523

Feldmühle

409, 410, 412 Fortführungswert 138, 219, 221 f., 245, 295, 297, 318 – 321, 411, 471 Fortführungswert 219, 295, 318 – 321, 411, 471, 533, 568 Freeze out 146, 470, 558, 561, 597

Gesamtvollstreckungsverfahren

18 – 21 – Gesamtvollstreckungsrecht siehe Gesamtvollstreckungsverfahren

Gläubiger – ~ dissentierende 7, 173, 252, 256, 308, 312, 340, 398, 471, 536 – ~ einfache 26, 40, 447, 562 f., 570 – ~ nachrangige 26, 40, 570 – ~ gesicherte 27 f., 37, 139, 146, 155, 166 – ~ ungesicherte 27 f., 86, 140, 141 f., 166, 167, 209 – ~gruppen 27, 373, 423, 572, 575 Gläubigergleichbehandlung 3, 18, 20, 447, 574 Gleichbehandlungsgebot 254, 326, 385 – 386, 388 – 390 Gruppen 7, 27, 29, 31, 39, 40 f., 50, 52 – Abstimmungs~ 27, 334, 349 – ~bildung 30, 32, 40, 51, 412

Haftungsbeschränkung

67, 70 f., 86 – 90, 121 – institutionelle 59 f., 132, 217, 282, 284 f., 308, 496 Haftungsverwirklichung 155, 218, 223, 297 – 298, 302 High leverage business 452 Humankapital 185, 196, 234, 460, 464, 474, 475

Insolvenzantragspflicht

90, 110, 451, 528, 536 Insolvenzrecht 110, 176, 210, 228 f., 278, 294, 302, 447 – System des ~ 4, 12 f., 614 – ~verfahren 18

Kapitalerhaltungsvorschriften 90, 109 Kapitalerhöhung 48, 194 Kapitalhaltaufbringungsvorschriften 90, 109 Kapitalherabsetzung 48, 283, 611 Klassenbildung 28, 581 Korrelat 10, 54, 67, 114, 132, 284, 285, 595 Kredit notleidend 444, 499 Krise 2, 4, 13, 16, 17, 18, 45, 479, 512, 535, 595

297

Stichwortverzeichnis

LaSalle

175 – Bank of Amerika National Trust & Co. Sav. Association v. 203 LaSalle St. Partnership siehe LaSalle Leverage-Effekt 80 Liquidation 155, 178, 223, 273, 293, 297, 315 – ~swert 1, 45, 115, 122 Liquidationspriorität 335 Liquiditätsrisiko 92, 127

Majorisierung 50, 52 Marktkonformität 297, 501 Mehrheitsentscheidung 50, 258, 429 – 431, 448, 541, 595 Moratorium 499, 529, 553 New Value Exception

172 – 175, 262, 268 Northern Pacific Railway Co. v. Boyd siehe Boyd

Obstruktionsverbot

240, 243, 261, 303, 328, 346 Öffnungsklausel 13, 347, 500, 531

Partikularinteressen 2, 233 Planverfahren 9, 44 – 46, 50, 239, 273, 289, 396 Prioritätsprinzip 16, 19, 21, 222, 595 Procédure de Sauvegarde 14, 576, 584, 592 Rang

22, 26, 38, 39, 41, 51 – ~klassen 22, 31, 43, 51 – ~verhältnis 23, 24, 25, 31, 38, 40 – ~folge 23, 155, 210 – ~bildung 26, 30, 32 – ~ordnung 9, 21, 25 – ~gruppe 29, 366 – ~frage 41, 595 Regierungsentwurf 6, 31 Relative Vorrangregel 55 – 57, 156, 310, 347, 392, 400, 464 Reorganisationsausschuss 139 f. Reorganisationsmehrwert 45, 178, 180, 181, 183 Reorganisationswert 145, 147, 182, 358, 598

298

Restrukturierungsrecht 2, 9, 228, 392, 531, 576 Richtlinie (Restrukturierungsrichtlinie) 2, 11, 13, 20, 27 – Richtlinie des Rates und des Parlaments über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbot sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren siehe Richtlinie

Sanierungsfeindlichkeit 11, 309 Sanierungskultur 2, 13, 607 Sanierungsrecht 3, 310, 500, 503, 522, 525, 534 Sanierungsverfahren, vorinsolvenzliches 5, 439, 538 Scheme of Arrangement 8, 14, 542, 544, 551 Schutzschirmverfahren 5, 272, 523, 524 Stabilisierungsanordnung 32, 125, 472, 528, 536 Structured dismissals 200, 201, 202, 203, 204, 206, 207, 210, 212 Supreme Court 142 – 146, 152, 159, 160, 161, 162, 163, 210 Teilkollektivität

20, 320, 595 Theory of absolute priority 154 Theory of relative priority 154 Tragedy of the commons 18 Transaktionskosten 13, 69, 83 Trittbrettfahrer– ~Verhalten 393, 394, 396 – ~Problem 258

Übergehen

146, 470 – 471, 557, 597, 608 Übernahmegesellschaft 138, 140 – 142, 317, 369, 561, 563 Überschuldung 102, 110 f., 113 f., 119, 121, 126, 492 – Rechnerische ~ 115, 117 – ~sbegriff 119, 122 f. Unsicherheit 118, 186 f., 302, 320, 466, 519 Unternehmensbewertung 186, 187, 188, 189, 465 – 467 US Supreme Court 164, 172 – 175, 178, 207, 215, 233, 264 f., 306

Stichwortverzeichnis

Vergleichsszenario 32, 315, 373 Verlustrisiko 91, 97 Werteverteilung

Zahlungsunfähigkeit

110 – 112, 114, 119, 126, 490, 493 Zinssatz 82, 83, 84, 19

9, 15 Wet homologatie onderhands akkord 14, 545

299