Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko: Grund- und Einzelfragen des Bankrotts (§ 283 StGB) - zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Konkursstrafrechts [1 ed.] 9783428483754, 9783428083756


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German Pages 480 Year 1995

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Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko: Grund- und Einzelfragen des Bankrotts (§ 283 StGB) - zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Konkursstrafrechts [1 ed.]
 9783428483754, 9783428083756

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DANIEL-MARCUS KRAUSE

Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko

Strafrechtliche Abhandlungen' Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser em. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den StrafrechtsIehrem der deutschen Universitäten

Band 95

Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko Grund- und Einzelfragen des Bankrotts (§ 283 StGB) zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Konkursstrafrechts

Von

Daniel-Marcus Krause

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Urs Kindhäuser, Rostock

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Krause, DanieI-Marcus: Ordnungsgemässes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko: Grund- und Einzelfragen des Bankrotts (§ 283 SIGB) zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Konkursstrafrechts / von Daniel-Marcus Krause. - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 95) Zug!.: Rostock, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08375-X NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-08375-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§

für gf

Kredit: Vertrauen in die Fähigkeit und in die Bereitschaft einer Person, bestehende Verbindlichkeiten ordnungsgemäß und zum richtigen Zeitpunkt zu begleichen. Duden, Fremdwörterbuch. Vertrauen ist nicht das einzige Fundament der Welt; aber eine sehr komplexe und doch strukturierte Weltvorstellung ist ohne eine ziemlich komplexe Gesellschaft und diese ohne Vertrauen nicht zu konstituieren. N. Luhmann Du bist für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. A. de Saint-Exupery

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde von der neu konstituierten Juristischen Fakultät der Universität Rostock im Sommersemester 1994 als Dissertation angenommen. Die Abhandlung war zunächst als Untersuchung strafrechtlicher Probleme im Zusammenhang mit Unternehmenssanierungen konzipiert. Aus ihr ist eine Untersuchung zum Konkursstrafrecht geworden. Sie verfolgt das Ziel, Lösungen für praktisch bedeutsame Probleme des Konkursstrafrechts auf der Grundlage eines dogmatischen Fundamentes zu entwickeln, in dem strafrechtliche Prinzipien und Zurechnungslehren, zivilistisches Insolvenzrecht und wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse aufeinander bezogen sind. Ob dies erreicht worden ist, mag der Leser beurteilen. Vorschläge für Lösungen von Einzelfragen im Zusammenhang mit Unternehmenssanierungen bleiben einer gesonderten Abhandlung vorbehalten. Rechtsprechung und Literatur haben bis 31. Dezember 1994 Berücksichtigung gefunden. Mein Dank gilt all denen, die zum Gelingen dieser Abhandlung beigetragen haben: zuvorderst meinem Doktorvater Professor Dr. Urs Kindhäuser, der die Anregung zu der Untersuchung schon zu meinen Freiburger Studienzeiten gab. Er hat mir während meiner Assistentenzeit große Freiräume zur Erstellung der Arbeit gewährt und ihr Entstehen fachlich und persönlich mit großer Bereitschaft und Verständnis gefördert. Professor Dr. Cornelius Prittwitz, M.P A. hat das Zweitgutachten erstellt und zahlreiche inhaltliche Anregungen gegeben; Professor Dr. Wolfgang Joecks hat freundlicherweise das Drittgutachten übernommen. Die Herren Professoren Dres. Friedrich-Christian Schroeder und Eberhard Schmidhäuser haben die Abhandlung in die Strafrechtlichen Abhandlungen n.F. aufgenommen. Zu Dank verpflichtet bin ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mich seit meiner Studienzeit unterstützt hat. Besonderer Dank gebührt meinen Eltern, deren Vertrauen und aufopferungsvolle Förderung meine Ausbildung und das Entstehen dieser Abhandlung ermöglicht haben. Zu nennen sind schließlich meine juristischen Gesprächspartner Dres. Matthias Siegmann, J oachim Vogel und Frank Vogel, LL.M., deren fachlicher Rat und freundschaftliche Zuwendung die Arbeit an dieser Untersuchung ebenso begleitet haben wie der Zuspruch von anderen Freunden in manch schwieriger Phase, insbesondere von Dr. med. Niklas Manthey.

8

Vorwort

Der Förderverein der Universität Rostock zeichnete die vorliegende Untersuchung mit dem Walter-Seipp-Preis aus. Berlin, im Februar 1995

Daniel-Marcus Krause

Inhaltsübersicht Einführung ............................................................................................................................................. 25

Teil L' Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wmschaft" in § 283 StGB § 1 Standort und Funktion des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" im Tatbestand des § 283 StGB ........... 34 § 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Konkursstrafrecht. ................................................................................................................................. 51 § 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur .................................................... 71 § 4 Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft in Methode und Verständnis der Rechtsprechung ................................................................................................................ 92 § 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen ........ 108

Teil 1/: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft §6 §7 §8 §9

Die Begriffsnatur des Merkmals und Folgerungen für die Begriffsbestimmung........ 146 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen ................................................................... 154 § 283 StGB und das 'erlaubte Risiko' ................................................................................ 188 Fehlendes Risiko und Straffreiheit .................................................................................... 232 Teill/I: Die "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft"

§ 10 Erlaubtheit und Unerlaubtheit des Risikos kraft gesetzlicher Normierung ................ 284 § 11 Die faktischen Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der "Anforderungen

ordnungsgemäßer Wirtschaft" ............................................................................................. 318 § 12 Die zivilistische Rechtslage zu Gläubigergefährdungen in der Krise (§§ 138, 826 BGB) und ihre Bedeutung für das Konkursstrafrecht.. ............................ 335 § 13 Die Bestimmung der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" ......................... 356

§ 14 Das Fehlen des Merkmals "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" in den

informationsbezogenen Bankrottalternativen .................................................................. 424

§ 15 Zusammenfassende methodische Grundsätze zur konkursstrafrechtlichen

Erfassung schuldnerischer Vermögensdispositionen ...................................................... 431 Zusammenfassung............................................................................................................................... 447 Literaturverzeichnis ........................................................................................................................... .457

Inhaltsverzeichnis Einführung ............................................................................................................................................. 25

Teil I Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wutschaft" in § 283 StGB

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" im Tatbestand des § 283 StGB ........... 34

I.

Der Standort des Merkmals ........................................................................................... 35 1. Bestandsbezogene und informationsbezogene Bankrotthandlungen ................. 35 2. Bestandsbezogene Bankrotthandlungen und Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft .................................................................................................... 40 11. Die Funktion des Merkmals ........................................................................................... 42 1. Meinungsstand ............................................................................................................ 42 2. Eigener Ansatz: die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als "Grenzlinie" zur Abschichtung von Risikobereichen ........................................... .47 § 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Konkursstrafrecht. ................................................................................................................................. 51

Das Kriterium des wirtschaftswidrigen Schuldnerverhaltens im Bankrottstrafrecht in seiner historischen Entwicklung.............................................................. 51 1. Ordnungsmäßiges Schuldnerverhalten und Insolvenz im römischen Recht .... .51 2. Das wirtschaftswidrige Schuldnerverhalten in den deutschen Volks- und Partikularrechten ................................................................................... 53 3. Die Wirtschaftswidrigkeit im modemen Bankrottstrafrecht - vom code de commerce (1804) bis zum 1. WiKG (1976) .............................................. 58 4. Die Änderungen des Bankrottstrafrechts durch das 1. WiKG im Licht des Kriteriums der Wirtschaftswidrigkeit ...................................................................... 60 11. Der terminus "in einer den Anforderungen ordnungsmäßiger Wirtschaft widersprechenden Weise" in seiner historischen Entwicklung ................................. 63 1. Ursprung und Auslegung des terminus im Zivilrecht... ......................................... 63 a) Der duale Bezugsrahmen der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ............................................................................................... 65 b) Die Auslegung bei der Hypothekenhaftung ...................................................... 66 I.

12

Inhaltsverzeichnis 2. Die Übernahme des terminus ins Strafrecht (§§ 239 ff. KO) ............................... 68 § 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur .................................................... 71

I.

Grundlagen ....................................................................................................................... 71 1. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als normatives Tatbestandsmerkmal (Bestimmtheitsproblem und Auslegungsfragen) ....................... 71 2. Die "ex ante"-Beurteilung ......................................................................................... 74 3. Unklarheiten bei der konkursstrafrechtlichen Erfassung schuldnerischer Maßnahmen ............................................................................................... 75 II. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als außerstrafrechtliche Verweisung .............................................................................................................. 76 1. Betriebswirtschaftliche Wirtschaftlichkeitstheorien (Schlüchter, Höfner u.a.) ................................................................................................................. 76 2. Wirtschaftsrechtliche "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" (Tiedemann u.a.) ........................................................................................ 81 a) Die "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" ...................... 82 b) Einwände gegen die "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" .................................................................................................. 84 3. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als nicht definierter Sammelbegriff (Hammer! u.a.) ................................................................................ 91 § 4 Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft in Methode und Verständnis der Rechtsprechung ................................................................................................................ 92

I.

Extensive Auslegung der Tathandlungen und Begrenzung der Strafbarkeit ................................................................................................................................ 92 H. Die Einhaltung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als "negatives Tatbestandsmerkmal" ............................................................................................ 93 III. Unschärfen bei der Herausarbeitung der Vermögensdispositionen und Wirtschaftswidrigkeit ....................................................................................................... 95 IV. Wirtschaftswidrigkeit der Vermögensdisposition oder Wirtschaftswidrigkeit des Wirtschaftens ? ............................................................................................. 98 V. Wirtschaftswidrigkeit in § 283 StGB und Treuwidrigkeit in § 266 StGB ................ 99 VI. "Subjektivierungstendenzen" bei der Wirtschaftswidrigkeit .................................... 102 VII. Der "duale Bezugsrahmen" der Wirtschaftswidrigkeit.. .......................................... l05 VIII. Zusammenfassung ....................................................................................................... 107 § 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen ........ 108

I.

Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1, 1. Alt. StGB) .............................................. 108 1. Tathandlung .............................................................................................................. 109 2. Ordnungsgemäßes Wirtschaften ............................................................................ 110 3. Fallgruppen ................................................................................................................ 112

Inhaltsverzeichnis

13

ll. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und das Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1, 3. Alt. StGB) ................................................................................................................... 115 1Il. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und unwirtschaftliche Ausgaben (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2, 4. Alt. StGB) ................................................................................... 116 1. Tathandlung .............................................................................................................. 117 2. Die "Unwirtschaftlichkeit" der Ausgabe ............................................................... 119 3. Die "Übermäßigkeit" der verbrauchten bzw. schuldig gewordenen Summen ..................................................................................................................... 122 4. Fallgruppen ................................................................................................................ 123 IV. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Spiel oder Wette (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2, 5. und 6. Alt. StGB) ....................................................................................... 125 V. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Verlust- bzw. Spekulationsgeschäfte sowie Differenzgeschäfte mit Waren oder Wertpapieren (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2, 1.-3. Alt. StGB) ............................................................................................... 126 1. Verlustgeschäfte ........................................................................................................ 126 2. Spekulationsgeschäfte ............................................................................................... 127 3. Differenzgeschäfte ..................................................................................................... 130 VI. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Unter-Wert-Verkäufe auf Kredit beschaffter Waren sowie ihrer Verarbeitungsprodukte (§ 283 Absatz 1 Ziffer 3 StGB) ................................................................................................................ 133 VII. Zur Generalklausei (§ 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB) ................................................ 137 VIII.Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Insolvenzverursachung (§ 283 Absatz 2 StGB) .................................................................................................. 141 IX. Zusammenfassung .......................................................................................................... 142

Teil II Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft § 6 Die Begriffsnatur des Merkmals und Folgerungen für die Begriffsbestimmung........ 146

I.

Der Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als normatives (wertendes) Merkmal ............................................................................... 147 1. Normative Begriffe und ihre Inhaltsbestimmung durch Abwägung: zur Eigenständigkeit strafrechtlicher Auslegung ................................................. 147 2. Einheitliche Auslegung desselben Begriffs im identischen (Wertungs)Kontext ............................................................................................................ 150 ll. Unbestimmtheit und Vagheit der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ........................................................................................................................ 150

14

Inhaltsverzeichnis § 7 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen ................................................................... 154

I.

11.

III. IV.

V.

Die individuellen Rechtsgüter des § 283 Absatz 1 StGB ......................................... 155 1. Die "Verwertungsinteressen" der GläubigergesamtheiL ................................... 155 a) Zur Abhängigkeit der Gläubigerinteressen vom Konkursrecht.. ................. 156 b) Konsequenzen für das Konkursstrafrecht ....................................................... 157 2. Insolvenzrechtsreform und "Gestaltungsinteressen" der Gläubigergesamtheit .................................................................................................................. 159 3. Das "Vertrauen" der Gläubiger als individuelles Rechtsgut des § 283 StGB ................................................................................................................. 163 a) Risiko, Vertrauen und GläubigersteIlung ....................................................... 164 b) Enttäuschtes Vertrauen und Strafrecht als ultima ratio ............................... 167 c) Personale Vermögenslehre und Gläubigervertrauen .................................... 170 Überindividuelle Rechtsgüter bei § 283 Absatz 1 StGB '! ....................................... 171 1. "Wirtschaftsstrafrecht", Verhaltensnorm und Rechtsgut ................................... 171 2. Die "Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft" - vier Argumente für ein überindividuelles Rechtsgut bei § 283 StGB ........................................................ 175 3. Einwände gegen das überindividuelle Rechtsgut bei § 283 StGB. .................... 176 4. Zusätzliche Einwände gegen die Bezeichnung "Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft" ....................................................................................................... 179 Divergierende Rechtsgutsbestimmung in § 283 Absatz 1 StGB und in § 283 Absatz 2 StGB '! ...................................................................................................181 Die für § 283 StGB relevanten Schuldnerinteressen ................................................ 183 1. Allgemeine Handlungsfreiheit ................................................................................ 183 2. Eigentum .................................................................................................................... 183 a) Bankrotthandlungen als durch das Schuldnervermögen vermittelte Fremdgefährdungen ............................................................................................ 183 b) Das Vermögen als materielle Grundlage zur Entfaltung der Persönlichkeit ................................................................................................................... 184 3. Einschränkungen: Verbindlichkeiten als gewählte Freiheitsverluste ............... 185 Zusammenfassung ......................................................................................................... 186

§ 8 § 283 StGB und das 'erlaubte Risiko' ................................................................................ 188

Grundzüge der Lehre vom 'erlaubten Risiko' beim Fahrlässigkeitsdelikt............ 189 1. Erfolgsverursachung und 'unerlaubtes Risiko' bei fahrlässigem Verhalten ................................................................................................................... 191 2. 'Erlaubtes Risiko' und Sorgfaltsnormen: zur wertenden Abgrenzung von Freiheitssphären ....................................................................................................... 193 3. Die Bestimmung des 'erlaubten Risikos' .............................................................. 196 4. Pflichtwidrigkeits( = Risiko)zusammenhang ......................................................... 199 5. Das 'erlaubte Risiko' als erlaubte Vermeideunfähigkeit.................................... 200 11. Die Tatbestandsstruktur der bestandsbezogenen Bankrottalternativen (§ 283 Absatz 1 Ziffern 1-3 und 8 StGB) und das 'erlaubte Risiko' ...................... 203 1. Risikoschaffung und Risikobewertung in § 283 StGB ........................................ 204

I.

Inhaltsverzeichnis

15

a) Die Vennögensdisposition und ihre Bedeutung für die Risikoschaffung im Bankrottatbestand ............................................................ 205 b) Die Krise und ihre Bedeutung für die Risikoschaffung im Bankrotttatbestand ............................................................................................................. 207 c) Zur Abstraktheit des geschaffenen Risikos .................................................... 210 d) Die Bewertung des geschaffenen Risikos als unerlaubt: zum Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft .............................. 211 e) Zwischenergebnis ................................................................................................ 215 2. Exkurs:Überschuldung und erlaubtes Risiko (Harneit) ..................................... 215 a) Die Konzeption Harneits ................................................................................... 215 b) Einwände gegen die Konzeption Harneits ...................................................... 217 aa) Zu einem verbreiteten Mißverständnis betreffend das Krisenmerkmal ............................................................................................. 217 bb) Systemwidrige Strafbarkeitslücken ............................................................ 220 ce) Fehlerhafte Berufung auf das "Herstatt"-Urteil (BGHZ 75, 96ff.) ...... 221 3. Der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung (§ 283 Absatz 6 StGB): zur Erfolgskomponente in § 283 StGB ................................................................. 222 4. Der "tatsächliche Zusammenhang" von Bankrotthandlung und Strafbarkeitsbedingung und die Möglichkeit der Risikorealisierung .............................. 226 IH. Zusammenfassung ......................................................................................................... 229 § 9 Fehlendes Risiko und Straffreiheit .................................................................................... 232

Die Ebene der Risikoschaffung ................................................................................... 233 1. Fehlendes Risiko und Krisenmerkrnal .................................................................. 233 a) "An sich" (= krisen-unabhängig) rechtswidrige Bankrotthandlungen ? ...... 233 b) Wirtschaftliche Unvernunft und relevante Insolvenzrisiken ........................ 234 c) Einwände gegen die Lehre von "an sich" rechtswidrigen Bankrotthandlungen auf einfachgesetzlicher Ebene ..................................................... 236 d) Einwände gegen die Lehre von "an sich" rechtswidrigen Bankrotthandlungen auf verfassungsrechtlicher Ebene (Vorfeldschutz und Verhältnismäßigkeit) ............................................................................................................. 239 e) Zwischenergebnis und Folgerungen ................................................................. 245 aa) Die Indifferenz der Bankrotthandlungen hinsichtlich ihrer Strafwürdigkeit ............................................................................................. 246 bb) § 283 Absatz 1 StGB als "abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt" ....... 247 2. Fehlendes Risiko und Vennögensdisposition ...................................................... 249 a) Untaugliche Tatobjekte ...................................................................................... 249 b) Untaugliche Tathandlungen .............................................................................. 253 aa) Subjektive Anreicherung ("Finalität") bei Ziffer 1 ................................ 254 bb) "Schuldigwerden" in Ziffer 2 ...................................................................... 255 H. Die Ebene der Risikobewertung - Fehlendes Risiko und Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ....................................................................................... 256 1. § 283 StGB und das Problem der Risikobewertung bei abstrakten Gefährdungsdelikten ................................................................................................ 256 2. Risikokompensation und fehlendes Risiko .......................................................... 257

1.

16

Inhaltsverzeichnis a) Das "Wertausgleichsprinzip" in § 283 StGB. ................................................... 257 b) Gesetzlicher Niederschlag des "Wertausgleichsprinzips" (§ 283 Absatz 1 Ziffer 3 StGB) und grundsätzliche Bedeutung ............................................... 260 aa) Unter-Wert-Verkäufe (§ 283 Absatz 1 Ziffer 3 StGB) und "Wertausgleichsprinzip" (BGHSt 9, 84ff.) ......................................... ~ ...... 260 bb) Wertausgleich und überindividuelle Rechtsgüter ................................... 262 c) Wertausgleich und Zivilrecht ............................................................................ 264 d) Zwischenergebnis und Folgerungen ................................................................. 265 aa)Wertausgieich und unwirtschaftliche Ausgaben (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB) .............................................................................................. 266 bb )Schuldnerbelastende Wirkungen: Wertausgleich und untemehmerischer Gewinn .............................................................................................. 267 e) Die tatsächlichen Voraussetzungen des Wertausgleichs ............................... 268 aa) Zur Gesamtbetrachtung eines Austauschgeschäftes .............................. 269 bb) Aktivtausch .................................................................................................... 271 cc) Aktiv-Passivtausch ....................................................................................... 271 f) Exkurs: Veräußerung gegen Übernahme von Verbindlichkeiten und Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) .................................. 274 3. Bagatellrisiken als irrelevante Risikosetzung (Gegenstände objektiver und wirtschaftlicher Geringwertigkeit) ................................................................. 278 III. Zusammenfassung ......................................................................................................... 281

Teil III

Die "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" § 10 Erlaubtheit und Unerlaubtheit des Risikos kraft gesetzlicher Normierung ................ 284

I.

Gesetzlich erlaubte Risiken .......................................................................................... 284 1. Einheit der Rechtsordnung und Bankrott ............................................................ 284 2. Anwendungsfälle ....................................................................................................... 286 a) Die Pflicht zur Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten ..................................... 286 b) Die Gewährung der Entnahme des notwendigen Lebensunterhaltes (§ 129 KO) u.a .......................................................................................... 289 3. Einschränkungen der Erlaubtheit: zum pflichtwidrigen Herbeiführen der entlastenden Umstände ........................................................................................... 290 a) Die Pflichtwidrigkeit des schuldnerischen Vorverhaltens ............................. 290 b) BGHSt 35, 359 ("Saniererhonorar") - Erfüllung einer Verbindlichkeit und Vorverlagerungskönstellation .................................................................... 292 c) Die inkongruente Erfüllung einer wirtschaftswidrig begründeten Verbindlichkeit - zum Verhältnis von § 283 StGB und § 283c StGB. ................ 293 4. Anwendungsfälle ....................................................................................................... 295 a) Die Unzulässigkeit der Verbindlichkeitenerfüllung aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen ............................................................... 295

Inhaltsverzeichnis

17

b) Exkurs: Unzulässiges Vorverhalten und ''wirtschaftswidriges Verschaffen einer Aufrechnungslage" (§ 283c StGB) ................................... 297 11. Gesetzlich unerlaubte Risiken ..................................................................................... 301 1. Zur Relevanz gläubiger-schützender Verbote bzw. Gebote .............................. 301 2. Anwendungsfälle....................................................................................................... 303 a) Verstöße gegen zivilrechtliche Vorschriften mit Gläubigerschutzbezug ..................................................................................................................... 303 aa) Unterkapitalisierung von Unternehmen und Kapitalaufbringungsgrundsätze ........................................................................................... 303 bb) Kapitalerhaltungsvorschriften - § 172a HGB, §§ 30 ff. GmbHG, §§ 57, 58, 71 AktG ........................................................................................ 306 cc) Zivilrechtliche Verbote von Vermögensdispositionen in der Krise (§ 64 Absatz 2 Satz 2 GmbHG, § 92 Absatz 3 AktG u.a.) ..................... 308 dd) Exkurs: Parallelen von zivilistischen Dispositionsverboten und Bankrottatbestand ....................................................................................... 308 (1) Struktur und ratio legis der § 64 Absatz 2 GmbHG, § 93 Absatz 2 AktG ........................................................................... 308 (2) Dualistisches Konzept der Geschäftsleiterpflichten (interne und externe Pflichten) ....................................................................... 309 (3) Die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes in den zivilistischen Dispositionsverboten ......................................................... 311 ee) §§ 29 ff. KO, Anfechtungsgesetz .............................................................. 313 b) Verstöße gegen Straf- und Ordnungswidrigkeitentatbestände .................... 314 111. Zusammenfassung ......................................................................................................... 316 § 11 Die faktischen Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" ............................................................................................. 318

Die Struktur von (wirtschaftlichen) Entscheidungen ............................................... 319 1. Vermögensdispositionen und (wirtschaftliche) Entscheidungen ...................... 319 2. Juristische Entscheidungen und Entscheidungstheorie ...................................... 320 3. Entscheidungstheorie und unternehmerische Fehlentscheidung (Schlüchter) ............................................................................................................... 321 11. Entscheidungstheoretische Grundlagen ..................................................................... 323 1. Information, Informationsbeschaffung und Bestimmung der Handlungsaiternativen ................................................................................................................ 325 2. Zielbestimmung, Rangordnung der Ziele und Bewertung der Handlungsalternativen ....................................................................................................... 326 3. Die Entscheidung für eine Alternative unter Berücksichtigung des Risikos ........................................................................................................................ 328 lll. Die faktischen Kategorien der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" .330 1. Die Kategorien "Information", "Zielsetzung" und "Risiko" ............................... 330 2. "Information", "Zielsetzung" und "Risiko" als Bewertungskategorien in Gesetz, Rechtsprechung und Literatur im Konkursstrafrecht .......................... 332 I.

2 Krause

18

Inhaltsverzeichnis § 12 Die zivilistische Rechtslage zu Gläubigergefährdungen in der Krise (§§ 138, 826 BGB) und ihre Bedeutung für das Konkursstrafrecht... ........................... 335

I.

11.

III.

IV.

V.

Sittenwidrigkeit und Sorgfaltsanforderungen beim zivilistischen Gläubigerschutz ............................................................................................................. 336 Gläubigerschädigungen durch den Schuldner ........................................................... 337 1. Masseschmälerungen und Konkursverschleppung .............................................. 337 2. Gläubigerschädigungen durch schuldnerische Sanierungsmaßnahmen: zum Herstatt-Urteil des Bundesgerichtshofes (BGHZ 75,96) ......................... 339 a) Die Entscheidung des 11. Zivilsenats ................................................................ 339 b) Der für den strafrechtlichen Kontext relevante Gehalt des HerstattUrteils ................................................................................................................... 342 Gläubigerschädigungen durch konkurrierende Gläubiger ...................................... 343 1. Die diskutierten Konstellationen der Gläubigerhaftung .................................... 343 2. Sanierungskonstellationen und Bankenhaftung .................................................. 344 3. Der für den strafrechtlichen Kontext bedeutsame Gehalt der Rechtsprechung zur Bankenhaftung........................................................................................ 348 Zivilistische Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Gläubigergefährdungen und Konkursstrafrecht .................................................................................................. 349 1. Zivilrechtliche Sittenwidrigkeit und strafrechtliche Wirtschaftswidrigkeit: im Grundsatz divergierende Ansätze ? ................................................................. 349 2. Zur Transformierbarkeit der zivilrechtlichen Maßstäbe in das Strafrecht... ... 349 a) Übernehmbare Grundsätze (Sorgfaltsnormgemäßes Handeln, thematische Differenzierungen) .................................................................................. 351 b) Bedenken gegen die Übernahme des materialen Sittenwidrigkeitsverdikts .................................................................................................................. 352 Zusammenfassung ........................................................................................................ 354

§ 13 Die Bestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft. ........................... 356

I. Meta-Regeln für die Risikobewertung ....................................................................... 356 11. Die Differenz von § 283 Absatz 1 und § 283 Absatz 2 StGB bei der Risikobewertung ............................................................................................................ 357 III. Grundfragen der Bewertung der Gefahrschaffung in § 283 StGB ......................... 358 1. Risikobewertung und Abwägung bei § 283 StGB ................................................ 358 2. Abwägung und Einzelfall ......................................................................................... 360 3. Der verständige Gläubiger als maßgeblicher Urteiler ........................................ 361 4. Die drei Stufen des Abwägungsverfahrens: "Wahrgenommenes Interesse", "Risiko" und "Information" .......................................................................... 363 IV. Die Ermittlung der Wirtschaftswidrigkeit in § 283 Absatz 1 StGB ....................... 365 1. Definition der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" ........................ 365 2. Zur einheitlichen Auslegung der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" in § 283 Absatz 1 Ziffern 1-3 und 8 StGB........................................ 366 3. Verhaltensanforderungen und "besondere Verantwortlichkeit des Schuldners in der Krise" .......................................................................................... 367

Inhaltsverzeichnis

4. 5.

6.

7.

19

a) Die schuldnerische Kardinalpflicht zum auf Gläubigersicherung bedachten Wirtschaften in der Krise ................................................................ 367 b) Gründe für die "besondere Verantwortlichkeit des Schuldners" ................. 369 c) Folgerungen: die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als "negatives Tatbestandsmerkmal" ...................................................................... 371 Das Bewertungs(Abwägungs)verfahren ................................................................ 371 Erste PTÜfungsstufe: "wahrgenommenes Interesse" ............................................ 372 a) Zur Finalität bestandsbezogener Bankrotthandlungen ................................. 372 b) "Wahrgenommenes Interesse" und "Subjektivierungstendenzen" ............... 373 c) Die Bestimmung des vom Schuldner wahrgenommenen Interesses ........... 374 aa) Nahziele und Fernziele ................................................................................ 375 bb) Die Ermittlung des unmittelbar verfolgten Nahziels ............................. 377 cc) Die Ermittlung des verfolgten Fernziels .................................................. 379 d) Grundfragen zur Vertretbarkeit des wahrgenommenen Interesses ............ 379 aa) Zum Vertretbarkeitsmaßstab: die "umfassende Befriedigung aller Gläubiger" als dem Schuldner gesetzlich vorgegebenes Leitziel .......... 380 bb) Zur Vertretbarkeit überwiegender und gleichgerichteter Interessen ...................................................................................................... 383 cc) Der Schuldner als Träger der berechtigten (vertretbaren) Interessen ...................................................................................................... 383 e) Berechtigte schuldnerische Interessen ............................................................. 384 aa) Die Sicherung des Lebensunterhaltes ....................................................... 385 bb) Die Erhaltung und Mehrung des schuldnerischen Vermögens ............ 385 cc) Zur "riskanten Rettungshandlung" im Konkursstrafrecht: der Sanierungsversuch ................................................................................. 386 Zweite PTÜfungsstufe: die Vertretbarkeit des geschaffenen Risikos ................ 389 a) Zur Risikoimmanenz des Wirtschaftens .......................................................... 389 b) Das Risikogeschäft bei der Untreue im Vergleich zu § 283 StGB .............. 391 c) Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit des Risikos bei § 283 StGB ..................................................................................................... 395 aa) Geeignetheit des Risikos ............................................................................ 396 bb) Die Erforderlichkeit des Risikos .............................................................. .400 cc) Die Angemessenheit des Risikos .............................................................. .401 (1) "Pflicht zur Bescheidenheit" und Angemessenheit des schuldnerischen Interesses ............................................................... 402 (2) Angemessenheit der Risikohöhe: zum "dualen Bezugsrahmen" bei der Wirtschaftswidrigkeit .......................................... .404 (3) "Verkehrssitte" als Sorgfaltsmaßstab bei § 283 StGB: Bedeutung und Geltungsgrund ....................................................... 405 (4) Schuldnerische Vermögenslage und Angemessenheit der Risikohöhe (Krisenintensität, Unterkapitalisierung u.a.) ......... .408 (5) Angemessenes Verhältnis von Risiko und schuldnerischem Interesse ................................................................................. .411 Dritte PTÜfungsstufe: Schuldnerische Information und Planung .................... ..412 a) Die Pflicht zur Selbstinformation über die eigene Lage ............................. ..414 b) Die Pflicht zum planvollen Vorgehen (z.B. Sanierungsplan) ...................... .415

20

lnhaltsveneichnis 8. Zu den Schwerpunkten der Abwägung bei den einzelnen Tatalternativen (§ 283 Absatz 1 Ziffern 1-3 und 8 StGB) ................................. .415 V. Die Besonderheiten der Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit in § 283 Absatz 2 StGB ...................................................................................................... 416 1. Zur Irrelevanz des Interessenkriteriums bei § 283 Absatz 2 StGB .................. .417 2. Risiko und Krisen(mit)verursachung .................................................................... 418 3. Zum Informationskriterium bei § 283 Absatz 2 StGB. ...................................... .420 VI. Zusammenfassung ......................................................................................................... 421 § 14 Das Fehlen der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" bei den informa-

tionsbezogenen Bankrottalternativen ................................................................................ 424 I. Buchführungsdelikte (§ 283 Absatz 1 Ziffern 5-7 StGB) ....................................... .424 11. Verheimlichen von Vermögen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB), Vortäuschen von Rechten (§ 283 Absatz 1 Ziffer 4 StGB) und Verschleiern der Verhältnisse (§ 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB) ......................................................................... .425 § 15 Zusammenfassende methodische Hinweise zur konkursstrafrechtlichen Erfassung schuldnerischer Vermögensdispositionen ...................................................... 431 I. Das Spannungsverhältnis von wirtschaftlicher Komplexität und strafrechtlicher Betrachtung ......................................................................................................... 432 11. Die Ebene der Risikoschaffung ................................................................................... 435 1. Der Grundsatz der Einzelbetrachtung: zum Erfordernis der genauen Ermittlung der zu überprüfenden Vermögensdisposition ................................ .435 2. Zur Gesamtbetrachtung bei der Ermittlung der Risikoschaffung ................... .437 a) Die strafbarkeitseinschränkende Gesamtbetrachtung eines Austauschgeschäfts ("Wertausgleichsprinzip") ...................................................... 437 b) Die Unzulässigkeit strafbarkeitsbegründender Gesamtbetrachtungen ..... .438 111. Ebene der Risikobewertung (Verstoß gegen die "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft") .................................................................................................... 439 1. Grundsatz der Einzelbetrachtung .......................................................................... 439 2. Die Gesamtbetrachtung auf der Ebene der Risikobewertung ......................... .439 a) Strafbarkeitsbegründende Gesamtbetrachtung von Kausalgeschäft und Verfügung ..................................................................................................... 439 b) Zur Saldierung mehrerer voneinander unabhängiger Vermögensdispositionen ........................................................................................................ 440 c) Zur Saldierung mehrerer, miteinander verbundener Vermögensdispositionen ....................................................................................................... 442 d) Gesamtbetrachtung bei Zweifeln an der Wirtschaftswidrigkeit einer Einzeimaßnahme ? .............................................................................................. 443 e) Zur strafbarkeitseinschränkenden Gesamtbetrachtung bei der Risikobewertung (Beachtlichkeit der schuldnerischen Fernziele) .............. .444

Zusammenfassung............................................................................................................................... 447 Literaturverzeichnis ............................................................................................................................ 459

Abkürzungsverzeichnis aA. aaO a.E. a.F. AG AktG

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Alt. AnfG Anh. An!. Anm. ArchKrim Art. Aufl. BayObLG BGB BGB!. Bd. BGH BGHSt BGHZ BR-DrS. BT-DrS. BVerfG BVerfGE DB DBW ders. dies. DJ

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DRiZ E

Einf. EInsO f. (ff.) Fn.

anderer Ansicht am angegebenen Ort (sc. derselben Fußnote) am Ende alte Fassung Amtsgericht Aktiengesetz preußisches Allgemeines Landrecht Alternative Anfechtungsgesetz Anhang Anlage Anmerkung Archiv für Kriminologie Artikel Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Band Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Der Betrieb Die Betriebswirtschaft derselbe dieselbe Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Entwurf Einführung Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts (Entwurf) folgende Seite(n) Fußnote

22

Abkürzungsverzeichnis GA GenG GG ggf.

GmbH GmbHR GWB HdWW HGB h.M. Hrsg. Hs. i.e. i.E. insbes. i.V.m. JA JR Jura JuS JW KO JZ KG KGaA KTS LG LK Lit. MDR MSchrKrim m.w.N. n.F. NJW Nr. NStZ OHG OLG OWiG RabG Rn. Recht RG RGSt RGZ Rspr.

Goltdammers Archiv für Strafrecht Genossenschaftsgesetz Grundgesetz gegebenenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz id est (= das heißt) im Ergebnis insbesondere in Verbindung mit Juristische Ausbildungsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Konkursordnung Juristenzeitung Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Zeitschrift für Insolvenzrecht. Konkurs, Treuhand, Sanierung. Landgericht Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Literatur Monatsschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Ordnungswidrigkeitengesetz Rabattgesetz Randnummer(n) Das Recht Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtsprechung

Abkürzungsverzeichnis s. S.

sc. SK sog. Sp. st. Rspr. StGB str. StV StVG StVO Tit. u.

u.a. u.ä. u.ö. UWG v.

Verf. vgI. VO Vorb. WiKG wistra WM WZG z.B. ZfB ZtbF ZGR ZHR Ziff. ZIP zit. ZPO

ZRP

ZStW ZugabeVO zust. zutr.

siehe Seite scilicet (= nämlich) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch sogenannte(r) Spalte ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch streitig Strafverteidiger Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung Titel und unter anderem / und andere und ähnliche und öfter Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von /vom Verfasser vergleiche Verordnung Vorbemerkung Wirtschaftsstrafgesetzbuch Zeitschrift für Wirtschaft Steuer Strafrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Warenzeichengesetz zum Beispiel Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Untemehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zugabeverordnung zustimmend zutreffend

23

Einführung In seinem im Jahre 1902 erschienenen Kommentar zur Konkursordnung stellt Jaeger für den Tatbestand des in § 240 KO a.F. geregelten einfachen Bankrotts fest: "Die Rechtsprechung des Reichsgerichts ist eine sehr ungleichmäßige und der Standpunkt der einzelnen Entscheidungen mit Rücksicht auf die siel durchziehende unklare "Pflichtversäumniß" schwer zu bestimmen.,,2 Diese bald einhundert Jahre alte Beobachtung kann auch für das geltende Recht noch immer volle Geltung beanspruchen: der Verstoß gegen die "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft", der im geltenden Bankrottstrafrecht die Funktion der von Jaeger zitierten "Pflichtversäumniß" übernommen hat, ist nach wie vor unklar - Rechtsprechung und Literatur haben den an einen Schuldner in der Krise zu stellenden Verhaltensanforderungen bislang kaum Konturen geben können. Gegenstand der vorliegenden Abhandlung ist die für eine Strafbarkeit nach den §§ 283ff. StGB erforderliche Pflichtwidrigkeit des Wirtschaftens bei Transaktionen und anderen Handlungen eines von der Insolvenz bedrohten Schuldners. Das Kriterium der Pflichtwidrigkeit des Wirtschaftens wird sowohl hinsichtlich seiner Funktion in der Systematik des Bankrottatbestandes als auch vor dem Hintergrund allgemeiner Zurechnungslehren untersucht. Die praktischen Konsequenzen der zu entwickelnden Ergebnisse werden abgeleitet. Die Untersuchung wählt einen strafrechts-dogmatischen Ansatz und befaßt sich primär mit dem geltenden Recht. Sie befaßt sich nicht bzw. nur marginal mit der Frage, wie ein effektives Bankrottstrafrecht in der modernen Wirtschaftsgesellschaft ausgestaltet sein sollte. Letzterem wird hier nicht vertiefend nachgegangen, obgleich die Frage nach dem richtigen Recht im Insolvenzstrafrecht angesichts der rapide angestiegenen Komplexität der Wirtschaftswelt und der zunehmend steigenden Bedeutung materieller Güter für die Gestaltung individueller Lebenswirklichkeit drängender ist als I

Gemeint sind die Bankrotthandjungen. KO, § 240, Rn. 1 (S. 785), Fn. 1.

2 Jaeger,

26

Einführung

je zuvor. Diese Frage drängt auch, weil das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Wirtschaftssubjekten mehr und mehr schwindet. Die ungleichen wirtschaftlichen Machtpositionen in der modernen Gesellschaft haben zu einer ebenso ungleichen Verteilung der für die Wirtschaftssubjekte verfügbaren Sicherungsvorkehrungen gegen wirtschaftliche Risiken geführt. Trotz dieser Wahrnehmungen beschränkt sich die Untersuchung auf die Analyse des geltenden Bankrottatbestandes und verfolgt weniger ein rechtsoder kriminalpolitisches als vielmehr ein strafrechts-dogmatisches Erkenntnisinteresse. Wie jeder Bereich des Strafrechts steht das Wirtschaftsstrafrecht - mag es auch die ihm gestellten Schutzaufgaben nicht in optimaler Weise bewältigen - unter einem hohen Legitimationsdruck. Rechtsstaatlichen Anforderungen genügt es nur dann, wenn es in sich und gegenüber anderen Rechtsmaterien widerspruchsfrei ist, auf dogmatisch gesicherter Grundlage aufbaut und in das existente Strafrechtssystem reibungslos integriert werden kann. Es muß weiterhin den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Grundsatz) genügen. Für das geltende Bankrottstrafrecht besteht unter diesem Blickwinkel ein erheblicher Klärungsbedarf. Denn es ist zwar eine Fülle von Einzelfragen des Konkursstrafrechts Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen und wissenschaftlicher Auseinandersetzungen gewesen. Gleichwohl stellt sich das Bankrottstrafrecht als eine Materie dar, in der die zu Einzelfragen vertretenen Positionen häufig den Charakter von ad-hoc-Hypothesen aufweisen. Eine allgemeine Diagnose Schünemanns3 betreffend die Tatbestände des Besonderen Teils gilt in besonderem Maße für das geltende Bankrottstrafrecht. Es vermittelt den Eindruck, daß es "... zumeist um die knapp oberhalb reiner Kasuistik angesiedelte Lösung von Einzelproblemen geht und die zur Begründung bestimmter Positionen angeführten Argumente aus diesem Grunde regelmäßig nur in ganz kurze Ableitungszusammenhänge eingebettet werden." Das Ziel dieser Untersuchung ist es, die Ableitungszusammenhänge bei der Behandlung und Lösung konkursstrafrechtlicher Probleme zu verlängern, um systematisch konsistente Antworten auf Einzelfragen anbieten zu können. Hierzu bedarf es (auch) der Klärung von Grundfragen, weshalb es nicht zuletzt darum geht, Ansätze für eine Dogmatik des Konkursstrafrechts zu formulieren. Die zum Erreichen dieses Zieles hier unternommenen Be3

Festschrift für Bockelmann, S. 117, 118.

Einführung

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mühungen basieren auf der Überzeugung, daß die Grundsätze und Zurechnungsprinzipien, die die strafrechtliche Dogmatik im Bereich des Allgemeinen Teils zur Erfassung und Bewältigung menschlichen Verhaltens entwickelt hat, auch in den Tatbeständen des Besonderen Teils nachweisbar sind und zu ihrem Verständnis herangezogen werden können. Aus dieser Perspektive erklärt sich zunächst der Titel der Untersuchung "Ordnungsgemäßes Wirtschaften und 'erlaubtes Risiko'''. Mit dem Begriff "Ordnungsgemäßes Wirtschaften" ist das Tatbestandsmerkmal "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise',4 in den §§ 283, 283c, 283d StGB in Bezug genommen, das - wie zu zeigen sein wird - den Zentralbegriff des geltenden Konkursstrafrechts darstellt. Dem "ordnungsgemäßen Wirtschaften" wird das in der Dogmatik des Allgemeinen Teils entwickelte Konstrukt des 'erlaubten Risikos' zur Seite gestellt. Das 'erlaubte Risiko' bildet die dogmatische Begründung dafür, daß (gewisse) gefährliche Verhaltensweisen trotz ihrer Schadensgeneigtheit von strafrechtlicher Haftung freigestellt werden. Mit dem Verweis auf das dogmatische Konstrukt des 'erlaubte Risikos' ist zugleich der in dieser Untersuchung verwendete Begriff des Risikos umrissen. Sofern Anderes nicht ausdrücklich kenntlich gemacht wird, bezieht sich der Begriff "Risiko" im Folgenden auf den Gegenstand eines strafrechtlichen Vorwurfs. Mit dem Setzen eines Risikos wird das Herbeiführen einer Lage bezeichnet, die sich in einer Beeinträchtigung der Interessen anderer Subjekte (hier: der Gläubiger) niederschlagen kann. Einer genaueren begrifflichen Bestimmung des "Risikos" bedarf es für die Zwecke dieser Abhandlung (vorerst) nicht - wo Konkretisierungen des verwendeten Risikobegriffs erforderlich sind, wird dies gekennzeichnet. Angesichts der Weite des gewählten Titels ist der Rahmen der Untersuchung noch in verschiedene Richtungen negativ abzugrenzen: Gegenstand der Untersuchung ist nicht die entscheidungstheoretische bzw. betriebswirtschaftliche Kategorie des Risikos. Zwar gewinnen Entscheidungstheorie und Betriebswirtschaft an verschiedenen Stellen für die Untersuchung Bedeutung, sie werden als solche aber nicht eingehend untersucht. Die Untersuchung befaßt sich überdies nicht eingehend mit Mechanismen der Risikoverarbeitung (im Sinn von "Ungewißheitsverarbeitung") durch die am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Subjekte. Risiken, Risikowahrnehmungs- und Risikoverarbeitungsmechanismen sind in der jüngsten Vergangenheit - ausgelöst durch Ulrich Becks Abhandlung "Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne" - wissenschaftlich eingehend bearbeitet 4 Dieses Tatbestandsmerkmal wird im Folgenden auch mit dem terminus "in wirtschaftswidriger Weise" bzw. als Substantiv mit dem Begriff "Wirtschaftswidrigkeit" bezeichnet.

28

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worden. Auch im Bereich der Wirtschaft haben Risikodiskurse Tradition.5 Die Tatsache, daß jene Aspekte weniger intensiv beleuchtet werden, hat ihren Grund zum einen in der Notwendigkeit einer inhaltlichen Beschränkung. Zum anderen ergibt sie sich aus dem verfolgten Erkenntnisinteresse, das in der intrasystematischen Stringenz strafrechtlicher Konfliktlösungen besteht. Die zu entwickelnden Thesen sind primär aus dem Strafrecht selbst zu entwickeln. Deshalb kommt es auf Entscheidungstheorie, Betriebswirtschaft und Risikotheorien nur insoweit an, als es die Sachgerechtigkeit aufgefundener Ergebnisse zu überprüfen gilt. Insoweit freilich sind nichtstrafrechtliche Erkenntnisse von Bedeutung und werden berücksichtigt. Im Interesse der Erhaltung eines angemessenen Umfangs der Abhandlung mußte schließlich auf eingehende rechtstatsächliche Darlegungen verzichtet werden. Freilich ist das bislang in Rechtsprechung und Literatur behandelte Fallmaterial so umfangreich, daß es eine hinreichende Grundlage für die erstrebte dogmatische Strukturierung des Bankrottstrafrechts bietet. Die Abhandlung besteht aus drei Teilen, die jeweils in Kapitel untergegliedert sind. Die Kapitel sind - in den Grenzen, in denen dies möglich war so gehalten, daß sie als geschlossene Untereinheit auch isoliert stehen können. Am Ende längerer Kapitel findet sich eine Zusammenfassung des Kapitels. Teil I der Untersuchung befaßt sich mit dem Standort der Wirtschaftswidrigkeit und dem gegenwärtigen und historischen Verständnis der Pflichtwidrigkeit des Wirtschaftens im Bankrottstrafrecht. In den Teilen 11 und 111 wird der hier vertretene Ansatz betreffend die Struktur des Bankrottatbestandes und die Auslegung des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" entwickelt. Zu Beginn von Teil I werden Standort und Funktion des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im geltenden Bankrottstrafrecht herausgearbeitet, wobei die für das Bankrottstrafrecht wesentliche Unterscheidung von (vermögens)bestands- und (vermögens)informationsbezogenen Bankrottalternativen entwickelt wird (§ 1). Es schließt sich eine Darstellung der historischen Entwicklung der Strafbarkeitsvoraussetzung "Pflichtwidrigkeit des Wirtschaftens" im Konkursstrafrecht sowie des dem Bürgerlichen Recht entstammenden Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" an (§ 2). In § 3 werden gegenwärtig in der Literatur vertretene Ansätze für eine allgemeine Umschreibung der Wirtschaftswidrigkeit diskutiert, namentlich der Rückgriff auf betriebs5 Vgl. nur die Arbeiten von Luhmann, Wirtschaft, 1988; Baecker, Information, 1988; derselbe, Banken, 1991 mit umfangreichen Nachweisen zur Risikodiskussion in der Wirtschaft.

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29

wirtschaftliche Wirtschaftlichkeitstheorien (Schlüchter u.a.) sowie der Verweis auf handels rechtliche "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" (Tiedemann u.a.). Die Rechtsprechung hat bislang zwar eine übergreifende Bestimmung des Begriffs vermieden; gleichwohl läßt eine Analyse der Rechtsprechung bestimmte Grundlinien bei der Auslegung der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" hervortreten, die in § 4 dargestellt werden. Am Ende des ersten Teiles werden in § 5 die einzelnen bestandsbezogenen Bankrottalternativen hinsichtlich der Tathandlung und hinsichtlich des spezifischen Verständnisses der Wirtschaftswidrigkeit ausgehend von der Rechtsprechung und unter Einbeziehung der Literatur untersucht. In Teil 11 werden wesentliche Grund- und Vorfragen für das Verständnis der bestandsbezogenen Bankrottalternativen und ihrer Tatbestandsmerkmale behandelt. Nach Ausführungen zur Begrifflichkeit des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" (§ 6) nimmt der eigene Ansatz seinen Ausgangspunkt bei der Darstellung der in §§ 283ff. StGB einander gegenübertretenden Interessen. Die Rechtsgüter des § 283 StGB werden erläutert und den schützenswerten Schuldnerinteressen gegenüberstellt (§ 7). Dabei wird insbesondere zur Abhängigkeit der Gläubigerinteressen vom Konkursrecht, zum Einfluß der bevorstehenden Insolvenzrechtsreform auf die Rechtsgutsbestimmung, zur Bedeutung des Gläubigervertrauens und zum Streit über die Existenz überindividueller Rechtsgüter bei § 283 StGB Stellung genommen. Es schließt sich eine Analyse der Tatbestandsstruktur des § 283 StGB an (§ 8). Diese erfolgt unter Rückgriff auf Grundsätze, die in der Dogmatik des Allgemeinen Teils unter dem Stichwort 'erlaubtes Risiko' beim Fahrlässigkeitsdelikt entwickelt worden sind. Die von § 283 StGB pönalisierte Gefahr wird im Wege der Unterscheidung zweier unterschiedlicher Ebenen herausgearbeitet. Auf der "Ebene der Risikoschaffung" sind die Elemente angesiedelt, die für das Setzen eines relevanten Risikos im Sinn des § 283 StGB konstitutiv sind (sc. das schuldnerische Verhalten, i.e. die Vermögensdisposition, und die Krisenlage). Auf der "Ebene der Risikobewertung" ist die Unerlaubtheit des geschaffenen Risikos (i.e. der Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft) festzustellen. In der Literatur bereits vorhandene Ansätze zur Inkorporierung der Lehre vom 'erlaubten Risiko' in den Tatbestand des § 283 StGB (Harneit) werden dargelegt und diskutiert. Auf der Grundlage der Erkenntnis, daß § 283 StGB das Setzen bestimmter (unerlaubter) Risiken für die Interessen der Gläubigerschaft inkriminiert, werden in § 9 Konstellationen erörtert, in denen eine Strafbarkeit ausscheidet, weil es an dem Schaffen eines Risikos fehlt. Breiten Raum

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Einführung

beanspruchen in diesem Zusammenhang Ausführungen zur (verfassungsrechtlichen) Notwendigkeit eines Krisenmerkmals, zur Tauglichkeit des Tatobjekts bei § 283 StGB sowie zu Möglichkeiten und Konsequenzen der Risikokompensation bei Austauschgeschäften ("Wertausgleichsprinzip"). Teil III befaßt sich mit der Bestimmung und Konkretisierung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft selbst, also mit der Bewertung des vom Schuldner geschaffenen Risikos als erlaubt bzw. unerlaubt. Es gibt eine Fülle von Rechtsnormen, in denen bestimmte schuldnerische Verhaltensweisen (Risiken) geregelt (erlaubt oder verboten) werden. Entsprechend setzt der dritte Teil in § 10 mit den kraft gesetzlicher Regelung erlaubten bzw. verbotenen Verhaltensweisen ein. Hier werden u.a. die Erfüllung fälliger Verbindlichkeiten, das "wirtschaftswidrige Verschaffen einer Aufrechnungslage" und die zivilrechtlichen Parallelregelungen zu § 283 StGB, i.e. die zivilrechtlichen Dispositionsverbote in der Krise (§ 64 Absatz 2 GmbHG, § 92 Absatz 3 AktG u.a.), behandelt. Mit der Inhaltsbestimmung der Wirtschaftswidrigkeit in den gesetzlich nicht geregelten Fällen befassen sich die Kapitel § 11 bis § 13. Gegenstand des § 11 bilden die faktischen Anknüpfungspunkte für die Bewertung schuldnerischer Vermögensdispositionen. § 283 StGB pönalisiert in den bestandsbezogenen Alternativen Einwirkungen des Schuldners auf sein Vermögen. Bei diesen Einwirkungen handelt es sich der Sache nach um ins Werk gesetzte wirtschaftliche Entscheidungen betreffend den Umgang mit Vermögenswerten. Bei der Suche nach faktischen Beurteilungskriterien für Vermögensdispositionen bietet die allgemeine und die betriebswirtschaftsliche Entscheidungstheorie wertvolle Hilfestellungen. Ausgehend von entscheidungstheoretischen Grundlagen werden die Kriterien "Zwecksetzung", "Risiko" und "Information" als Bewertungskategorien für Vermögensdispositionen in der Krise herausgearbeitet. Die (wertende) Koordination konfligierender Interessen in Insolvenzkonstellationen erfolgt nicht primär durch das Strafrecht. Praktisch (und insbesondere aus Gläubigersicht) weitaus bedeutsamer ist die zivilrechtliche Konfliktbewältigung, namentlich das zivilistische Haftungsrecht in bezug auf Gläubigergefährdungen in Insolvenzlagen. § 12 beschäftigt sich daher mit dem Parallelproblem der Risikobewertung im Zivilrecht. Auch wenn die im Zivilrecht einschlägigen Normen (z.B. § 826 BGB) nicht das Merkmal "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" aufweisen, sieht sich das Zivilrecht letztlich vor die gleiche Aufgabe gestellt wie das Strafrecht. Denn die in Insolvenzsituationen durch Beteiligte geschaffenen Risiken und verursachten Schäden müssen bewertet und soweit auf ihre Herbeiführung ein Schadensersatzanspruch gestützt wird als jenseits der Sozialadäquanz liegend (i.e. als unerlaubt) qualifiziert

Einführung

werden. Berücksichtigung verdienen für die vorliegende Untersuchung besondere die sog. Herstatt-Entscheidung des II. Zivilsenats Bundesgerichtshofes (BGHZ 75, 96ff.) sowie die Rechtsprechung Bankenhaftung bei fehlgeschlagener Sanierung. Ausstrahlungen zivilrechtlichen Lösung in das Strafrecht werden aufgezeigt.

31

insdes zur der

Auf der Grundlage der gefundenen Ergebnisse werden in § 13 die materialen Grundlagen und Kriterien für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit im konkreten Einzelfall entwickelt. Dies erfordert zunächst, die besondere PflichtensteIlung des Schuldners in der Krise herauszuarbeiten, die ihm ein auf Gläubigersicherung bedachtes Wirtschaften abverlangt. Anschließend werden in einem Abwägungsverfahren, das der Dogmatik des Allgemeinen Teils zur Bestimmung des 'erlaubten Risikos' (i.e. der Gewinnung von Sorgfaltsnormen) entlehnt ist, die einzelnen relevanten Verhaltensanforderungen an den Schuldner bezüglich der Kategorien Zwecksetzung, Risiko und Information dargelegt. In das Abwägungsverfahren werden die in Rechtsprechung und Literatur behandelten Fallkonstellationen integriert. Die Differenz der Verhaltensanforderungen in § 283 Absatz 1 und § 283 Absatz 2 StGB wird herausgearbeitet. In § 14 wird dargelegt, warum das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit im Tatbestand der informationsbezogenen Bankrottalternativen nicht vorkommt. Die Untersuchung wird in § 15 mit zusammenfassenden methodischen Hinweisen zur konkursstrafrechtlichen Erfassung wirtschaftlicher Sachverhalte (Le. Maßnahmen des Schuldners) abgeschlossen. Am Ende der Abhandlung steht die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse.

Teil I

Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" in § 283 StGB

In Teil I der Untersuchung werden zun~chst Standort und Funktion des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" im Bankrottatbestand herausgearbeitet. Anschließend erfolgt ein Abriß der historischen Entwicklung des Pflichtwidrigkeitskriteriums im Bankrottstrafrecht sowie Erläuterungen zu Ursprung und Entwicklung des Begriffs "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft". Die Darstellung des gegenwärtigen Begriffsverständnisses in Rechtsprechung und Literatur nimmt in Teil I den meisten Raum ein, wobei sowohl auf übergreifende Begriffsdeflnitionen und allgemeine Grundsätze der Rechtsprechung wie auch auf die Auslegung einzelner Bankrottalternativen (sc. der bestandsbezogenen Alternativen des § 283 Absatz 1 Ziffern 1-3 und 8 StGB) und des Verständnisses der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" in denselben einzugehen ist.

3 Krause

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" im Tatbestand des § 283 StGB

Wird festgestellt, daß ein Verhalten gegen "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" verstößt, so kann damit zweierlei gemeint sein. Zum einen kann hierin die Beurteilung eines Verhaltens nach einem allgemeinen Maßstab für wirtschaftlich vernünftiges oder gebotenes Verhalten liegen. Insoweit besteht kein Zweifel daran, daß sämtliche in den §§ 283ff. StGB pönalisierten Handlungen im Ergebnis mit den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht zu vereinbaren sind. l Denn Vermögensschmälerungen, Buchführungsmanipulationen, Täuschungen etc. durch einen vom Konkurs bedrohten Schuldner widersprechen den Regeln der wirtschaftlichen Vernunft für das richtige Verhalten in solchen Situationen. Zum anderen kann sich diese Feststellung auf den Umstand beziehen, daß der Begriff der "Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft" in bestimmten Alternativen der konkursstrafrechtlichen Tatbestände (§§ 283ff. StGB) als eigenständiges Tatbestandsmerkmal auftaucht. Dann ist mit dem Verdikt gemeint, daß ein Verhalten die Voraussetzungen des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" erfüllt und der zu prüfende Sachverhalt unter dieses Merkmal als Element der materiellen Normwidrigkeit des konkreten Tatbestandes subsumiert werden kann. Gegenstand dieser Untersuchung ist der Versuch einer Klärung des Begriffs auf der Ebene des Tatbestandes, i.e. die Bestimmung von Funktion und Inhalt des Tatbestandsmerkmals "in einer gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft verstoßenden Weise" als Element der materiellen Normwidrigkeit in § 283 StGB, wobei auch Bezüge zu anderen konkursstrafrechtlichen Tatbeständen hergestellt werden. Diese thematische Eingrenzung macht es erforderlich, sich zunächst Klarheit darüber zu verschaffen, in welchen Alternativen des Bankrottatbestandes das Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als Tatbestandsmerkmal vorkommt und worin dort seine Funktion besteht. 1

Vgl. nur LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 96, ders., KTS 1984, 539, 557.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

35

I. Der Standort des Merkmals im Tatbestand des § 283 StGB 1. Bestandsbezogene und informationsbezogene Bankrotthandlungen

Für die Strukturanalyse des Bankrottatbestandes (§ 283 StGB) und die Stellung des Merkmals der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist eine grundsätzliche Differenzierung innerhalb der "verwirrenden Reihe,,2 von Bankrotthandlungen von grundlegender Bedeutung. Der Tatbestand des Bankrotts (§ 283 StGB) setzt sich aus zwei Gruppen von Tatalternativen zusammen. Eine Gruppe bilden - § 283 Absatz 1 Ziffer 1, 1. Alt. und 3. Alt. (Beiseiteschaffen sowie Zerstören, Beschädigung und Unbrauchbarmachung von Vermögensbestandteilen),

- § 283 Absatz 1 Ziffer 2, 1. Alt. und 2. Alt. (Verlust- und Spekulationsgeschäfte, Differenzgeschäfte mit Waren sowie unwirtschaftliche Ausgaben), - § 283 Absatz 1 Ziffer 3 (Veräußerung und Abgabe kreditierter Waren unter deren Wert) - § 283 Absatz 1 Ziffer 8 (Generalklausel der Verringerung des

Vermögensstandes unter grobem Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft) sowie

- die Krisenverursachung durch vorgenannte Handlungen nach § 283 Absatz 2 StGB. Die Gemeinsamkeit dieser Bankrotthandlungen besteht darin, daß sie sich auf reale Vermögensdispositionen des Täters beziehen. Die Gefährdung der Gläubigerbelange ergibt sich aus der tatsächlich erfolgenden Einwirkung des Schuldners auf sein für die Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehendes Vermögen. 3 Die diesen Tatbestandsalternativen vorgelagerten Verhaltensnormen4 bestimmen für Schuldner, die eigene ErfülBT, S. 525. In derartigen Verhaltensweisen sah bereits v. Liszt, Strafrecht, S. 479, das Wesen des Bankrotts und bezeichnete dies "jetzt als die herrschende ( ... ) Ansicht" unter Hinweis auf RGSt 4, 41; 6, 94 (aaO, Fn. 1): "Die Forderungen der Gläubiger sind der eigentliche Angriffsgegenstand des Bankbruchs: sie werden getroffen in dem schuldnerischen Vermögen selbst, als dem Mittel ihrer Befriedigung." 4 Vgl. zur Differenz von Verhaltens- und Sanktionsnorm Kindhäuser, Gefährdung, S. 13ff., 29ff.; Toepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 16f.: 2 MaurachjSchroederjMaiwald,

3

3'

36 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

lungsfähigkeie nicht durch (bestimmte6) reale Vermögens dispositionen nachteilig zu verändern7 • Pönalisiert wird die tatsächliche Verminderung der Aktiva bzw. die tatsächliche Erhöhung der Passiva. 8 Diese TatbestandsalterDie den Straftatbeständen vorgelagerten Verhaltensnormen sind allgemeine Handlungsanweisungen an jedermann, die ein bestimmtes Verhalten vorschreiben. Ihre (zurechenbare) Nichtbefolgung stellt das Strafgesetz unter Strafe, z.B. das Verbot, jemanden zu töten. Demgegenüber sind die Sanktionsnormen eine Anweisung an den Rechtsanwender (die staatliche Strafgewalt) mit dem Inhalt, denjenigen, der gegen bestimmte Verhaltensnormen verstößt, mit Strafe zu belegen, sofern der Normverstoß zurechenbar ist. Die Sanktionsnorm beinhaltet in ihrem Voraussetzungsteil die Bedingungen der Zurechenbarkeit eines (Verhaltens)Normverstoßes (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld) und in ihrem Rechtsfolgenteil die Anordnung einer bestimmten Strafe (vgl. auch Kindhäuser, Gefährdung, S. 132). Es sind also der Gegenstand der Zurechnung und die Zurechnung als solche voneinander zu unterscheiden. Der Gegenstand der Zurechnung ist das nicht (verhaltens)normgemäße Verhalten. Die Zurechnung als solche beinhaltet die Bestimmung, ob in dem nicht normgemäßen Verhalten zugleich die Nichtanerkennung der Verhaltensnorm gesehen werden kann. Diese Bestimmung ist notwendig, denn das Strafrecht inkriminiert nicht jeden objektiven Verstoß gegen eine Verhaltensnorm, sondern vielmehr nur einen solchen, der zum Ausdruck bringt, daß der Täter die Verhaltensnorm nicht anerkennt. Die Kriterien dafür, ob in der Nichtbefolgung einer Verhaltensnorm auch deren Nichtanerkennung liegt, sind die Kriterien der Zurechnung (Kindhäuser, Gefährdung, S. 30; Taepel, Pflichtwidrigkeitszusammenhang, S. 21 mit weiteren Nachweisen). 5 Mit dem Begriff der Erfüllungsfähigkeit ist hier die Fähigkeit (Disposition) des Schuldners gemeint, im Fall der Gesamtvollstreckung eine Befriedigung seiner Verbindlichkeiten durch Bereitstellung seines Vermögens herbeizuführen. Hierfür wird im folgenden der Begriff "Erfüllungsfähigkeit" verwendet (vgl. zum Begriff der Fähigkeit im Sinn einer Disposition: Kindhäuser, Intentionale Handlung, S. 98ff.). Zwar ist zivilrechtlich ausgesprochen streitig, inwiefern die Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangs- bzw. Gesamtvollstreckung trotz der fehlenden Leistungshandlung des Schuldners als "Erfüllung" im technischen Sinn (§ 362 BGB) bezeichnet werden kann (Larenz, Schuldrecht I, S. 236 mit Nachweisen). Diese Problematik beeinträchtigt die Verwendbarkeit des Begriffes der Erfüllungsfähigkeit im hiesigen Kontext hingegen nicht. Vom Begriff der Erfüllungsfähigkeit zu unterscheiden ist der Begriff der Vermögensdisposition, i.e. die Vornahme einer Handlung, durch die auf das Vermögen einer Person eingewirkt wird. Die Tathandlungen der bestandsbezogenen Bankrottalternativen sind "Vermögensdispositionen", die die "Erfüllungsfähigkeit" naChteilig verändern. Um im Folgenden Verwechselungen zu vermeiden, werden die Begriffe "Erfüllungsfähigkeit" für die Fähigkeit des Schuldners, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, und "Vermögensdisposition" für die Einwirkung auf das Vermögen verwendet . . 6 Sc. die in den jeweiligen Alternativen beschriebenen Dispositionen. 7 Eine nachteilige Veränderung der Erfüllungsfähigkeit ist eingetreten, wenn beim Vergleich der Erfüllungsfähigkeit an zwei aufeinanderfolgenden Zeitpunkten a und b die Bereitstellung des schuldnerischen Vermögens zum Zeitpunkt b zu einer Gläubigerbefriedigung in geringerem Umfang (Quote) führt als zum Zeitpunkt a. 8 Daß es sich bei § 283 StGB trotz einer tatsächlichen Veränderung der Erfüllungsfähigkeit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, liegt daran, daß die Verletzung von Gläubigerinteressen erst dann vorliegt, wenn es tatsächlich zu einer Verteilung des schuldnerischen Vermögens im Wege der Gesamtvollstreckung kommt und die Gläubiger infolge der Verschlechterung der Erfüllungsfähigkeit eine geringere Quote enielen. Solange es bei einer nachteiligen Veränderung der Erfüllungsfähigkeit verbleibt, liegt nur eine abstrakte Gefahr für die Gläubigerinteressen vor. Zum Gefahrbegriff vgl. Kindhäuser, Gefährdung, S. 277f.; Raxin, Allgemeiner Teil, S. 260; zur Abstraktheit der Gefahr bei § 283 unten, S. 21Of.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

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nativen werden im folgenden als (vermögens)bestandsbezogene Bankrotthandlungen bezeichnet. Die zweite Gruppe bilden die Alternativen - § 283 Absatz 1 Ziffer 1, 2. Alt. (Verheimlichen von vermögensbestandteilen) , - § 238 Absatz 1 Ziffer 4 (Vortäuschen von Rechten oder Anerken-

nung erdichteter Rechte anderer),

- § 283 Absatz 1 Ziffer 5 (Nichtführung oder mangelhafte Führung von Handelsbüchern), - § 283 Absatz 1 Ziffer 6 (Entziehen von Handelsbüchern),

- § 283 Absatz 1 Ziffer 7 (Mangelhafte oder nicht rechtzeitige Bilanzaufstellung), - § 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB (Generalklausel zum Verschleiern oder Verheimlichen der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse) sowie

- die (wohl eher theoretische) Verursachung der Insolvenz durch vorgenannte Handlungen nach § 283 Absatz 2 StGB. Letztere sind nicht auf reale Vermögensdispositionen bezogen, sondern knüpfen an die Richtigkeit von Informationen über den Vermögensstand9 des Täters bzw. an die Ordnungsgemäßheit der (Vermögens)Informationsverwaltung des Täters an. Die Gläubigergefährdung ergibt sich bei den Bankrotthandlungen dieser Gruppe aus dem Entstehen von Unklarheiten hinsichtich des schuldnerischen Vermögensstandes, nicht infolge von Einwirkungen auf das Vermögen. Die vorgelagerten Verhaltensnormen dieser Alternativen bestimmen für Schuldner, eine aktuelle, sachlich zutreffende Übersicht über den eigenen Vermögensstand zu ermöglichen bzw. nicht zu erschweren. Pönalisiert wird der Verstoß gegen diese Verhaltens normen durch Unterdrückung von Informationen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1, 2. Alt. StGB), Kundgabe oder Aufzeichnung sachlich unzutreffender Informationen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 4 und Ziffer 5 StGB bei Verfälschung der Buchführung lO) bzw. durch Erschwerung der Informa9 Mit "Vermögen" ist in diesem Zusammenhang stets das Schuldnervermögen in dem Umfang gemeint, in dem es Gegenstand der Zwangsvollstreckung und somit taugliches Tatobjekt für § 283 StGB sein kann. Denn nur in diesem Umfang haben die Gläubiger an der Richtigkeit der Information über das Vermögen ein konkursstrafrechtlich geschütztes Interesse. Insoweit zutreffend Höfner, Überschuldung, S.8l. 10 Die sachliche Verfälschung der in der Buchführung niedergelegten Information ist eine tatbestandsmäßige Handlung gemäß Ziffer 5: Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 35.

38 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

tionsgewinnung aus der nach handelsrechtlichen Vorschriften zu führenden Informationssammlung, sc. der Buchführung (§ 283 Absatz 1 Ziffer 5, 6 und 7 StGB). Diese Tatbestandsalternativen werden im folgenden (vermögens )informationsbezogene Bankrotthandlungen bezeichnet. Bei den informationsbezogenen Inkriminierungen handelt es sich innerhalb des ohnehin bereits im Vorfeldschutz anzusiedelnden abstrakten Gefährdungsdeliktes des § 283 StGB um eine weitere Vorverlagerung des Gläubigerschutzes l1 , denn die in Rede stehende Information ist nicht Teil des Vermögens im Sinn des § 1 Absatz 1 KO, das im Rahmen des insolvenzrechtlichen Verteilungsverfahrens zur Befriedigung der Gläubiger zu verwerten ist. Das Interesse an der Manipulationsfreiheit dieser Information ist kein unmittelbares Befriedigungsinteresse der Gläubiger. 12 Die Gewährleistung aktueller und zutreffender Informationen über die Vermögenssituation dient den Gläubigern im Vorfeld auf zweifache Weise: sie ermöglicht die Selbstinformation des Wirtschafters und schützt die Gläubiger vor Schmälerungen des Vermögensbestandes durch informationsbedingt fehlerhafte Entscheidungen und Entwicklungen des Schuldners.!3 Nach eingetretener Insolvenz gewährleistet die Manipulationsfreiheit der Information die rasche, zuverlässige und vollständige Ermittlung der Konkursmasse durch den Konkursverwalter und dadurch mittelbar die Interessen der Gläubiger an einer umfassenden Verwertung des schuldnerischen Vermögens. 14 Die vorgenommene Einordnung der unterschiedlichen Alternativen in die Gruppe der bestands- bzw. informationsbezogenen Handlungen bereitet keine nennenswerten Schwierigkeiten. Lediglich die Zuordnung von § 283 Absatz 1 Ziffer 4 StGB zu den informationsbezogenen Bankrottalternativen ließe sich mit dem Argument in Zweifel ziehen, daß es bei den Tathandlungen der Ziffer 4 in gleicher Weise wie bei Ziffer 1 um die Verringerung des Vermögensbestandes im Sinn einer "nachteiligen Veränderung des Vermögenssaldos,,15 gehe. Dieser Einwand erweist sich jedoch bei näherer Analyse 11 Zutreffend weisen DreherjTrändle, § 283, Rn. 19, darauf hin, daß auch Ziffer 4 "vielfach nur eine Vorbereitungshandlung zu Nr.l" darstellt; näher noch zur Bedeutung der Information unten, S. 323ff., 412ff. 12 Dem entspricht, daß die Gläubiger zu keiner Zeit einen eigenen Anspruch auf Einsicht in die Buchführung des Schuldners haben. 13 Zum vermittelten Gläubigerschutz durch Steuerung und (Selbst)Kontrolle insoweit ausführlich die Amtliche Begtündung, BT-Drucks. 7/3441, S. 38; BGH bei Holtz MDR 1981, 454; BGH NJW 1952, 898; OLG Hamburg wistra 1987, 187, 188; LK-Tiedemann, § 283, Rn.90; Schlüc!Uer, Grenzbereich, S. 43: "Zu einer ordnungsmäßigen Untemehmensführung und damit zu einer pflichtgemäßen Verwaltung der Gläubigergelder ist nämlich nur der Kaufmann in der Lage, der seine Bücher ordentlich führt und hierdurch die Geschäftsentwicklung kontrolliert. " 14 VgI.BT-DrS. 7/3441, S. 38. 15 So Häfner, Überschuldung, S. 78.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

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der Tathandlung der Ziffer 4 als nicht haltbar. Denn § 283 Absatz 1 Ziffer 4 setzt - im Gegensatz zu Ziffer 116 - nach einhelliger Auffassung weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Veränderung des Vermögenssaldos voraus, sondern bezieht sich auf die Täuschung über eine solche Veränderung, sc. die künstliche Masseschmälerung. Es braucht nicht zu einer tatsächlichen nachteiligen Wirkung für die Befriedigungsquote gekommen zu sein. 17 Die tatbestandsmäßige Handlung beim Anerkennen erdichteter Rechte liegt in der Behauptung (Erdichten !) von Rechten bzw. in der Berufung auf sie, nicht in der Eingehung sachlich nicht gerechtfertigter, den Vermögenssaldo tatsächlich verändernder Verbindlichkeiten. 18 Die Zugehörigkeit der Ziffer 4 zu den informationsbezogenen Alternativen verdeutlicht im übrigen die Tatsache, daß die Aufnahme erdichteter oder vorgetäuschter Rechte in die Buchführung - als Verstoß gegen das Prinzip der Wahrheit der Buchführung - von der ohne jeden Zweifel informationsbezogenen Ziffer 5 erfaßt wird. In der Systematik des § 283 Absatz 1 bzw. 2 StGB sind mithin - je nach Art der Vermittlung der Gläubigergefährdung - (vermögens)bestandsbezogene und (vermögens)informationsbezogene Bankrotthandlungen zu unterscheiden. 19 Dies schlägt sich auch in der gesetzlichen Formulierung der Generalklausel in § 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB nieder, wo generalisierend einerseits die Verringerung des Vermögensstandes und andererseits die Verschleierung der geschäftlichen Verhältnisse inkrimininiert ist. Diese Differenzierung reicht über den Bankrottatbestand hinaus und durchzieht die gesamte Systematik des Konkursstrafrechts. Denn auch die übrigen Konkursdelikte lassen sich zwanglos als vermögensinformationsbezogen (§ 283b - Verletzung der Buchführungspflicht) bzw. vermögens-

StRspr RGSt 61, 107, 108; 62, 152ff. LM Nr. 2 zu § 239 KO; SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 24; Dreher/Tröndle, § 283, Rn. 17; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 87. 18 Diese Differenz liegt auch der historischen Behandlung der Geltendmachung erdichteter Forderungen zugrunde. Der mitwirkende, angebliche Gläubiger (de lege la ta als Teilnehmer an § 283 Abs.l Ziff.4 StGB strafbar) fiel im mittelalterlichen Recht der oberitalienischen Städte mit Vornahme der Täuschungshandlung unter das den redlichen Rechtsverkehr schützende crimen [alsi. Erst wenn er tatsächlich einen Gegenstand mit Rücksicht auf sein behauptetes Recht erhalten hatte, war er eines Eigentumsdeliktes (furtum) schuldig (Neumeyer, Historische Darstellung, S. 42ff.). 19 Entsprechend heißt es schon in RGSt 61, 107,108 über das Verbot, die Befriedigungsinteressen der Gläubiger zu verletzen: "Dieses Verbot kann sowohl durch Verschleierung des wirklichen Vermögensstands, als auch durch eine Verminderung der Vermögensmasse übertreten werden ... ". 16

17

40 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

bestandsbezogen (§ 283c und d - Gläubiger- bzw. Schuldnerbegünstigung) qualiftzieren. 20 2. Bestandsbezogene Bankrotthandlungen und Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft Die gesetzliche und von der Rechtsprechung fortgeführte Ansiedelung des Merkmals "Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" im Tatbestand des § 283 StGB steht mit der dargelegten systematischen Differenz in engem Zusammenhang. Der Wortlaut des § 283 StGB verlangt den Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ausdrücklich in den Alternativen des Absatz 1 Ziffer 1, 3. Alt. (Zerstören, Beschädigung und Unbrauchbarmachung von Vermögensbestandteilen), Ziffer 2, 1. Alt. (Verlust- und Spekulationsgeschäfte sowie Differenzgeschäfte mit Waren), Ziffer 3 (Veräußerung und Abgabe kreditierter Waren unter deren Wert) sowie in der Generalklausel der Ziffer 8 (Verringerung des Vermögensstandes unter grobem Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft) und schließlich durch die bezugnehmende Formulierung auch für die Krisenverursachung nach Absatz 2. Rechtsprechung und Literatur haben den Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft darüberhinaus seit jeher in den Begriff des "Beiseiteschaffens" (Absatz 1 Ziffer 1, 1. Alt.) und in die "Unwirtschaftlichkeit" der Ausgaben (Absatz 1 Ziffer 2, 2Alt.) hineingelesen. 21 Zwar haben weder Rechtsprechung noch Literatur je auf den Vermögensbestandsbezug als Speziftkum der jeweiligen Alternativen hingewiesen, je20 Die dargelegte Unterscheidung weicht von den bisherigen Versuchen der Kategorienbildung innerhalb des Bankrottatbestandes ab. Die Vorschläge zu einer solchen sind zahlreich. Sie reichen von der Trennung der Buchführungsdelikte von den übrigen Bankrotthandlungen (statt aller Schäfer, wistra 1986, 200ff.) bis zur Unterscheidung von "an sich rechtswidrigen" Bankrotthandlungen und "an sich rechtmäßigen", erst durch die Vornahme in der Krise strafwürdigen Bankrotthandlungen (vgl. nur Schlüchter, MDR 1978, 977, 978f.). Eine eingehende Diskussion der bisherigen Typenbildungen kann unterbleiben, denn es handelte sich bei diesen zumeist um rein beschreibende Ansätze, aus denen die jeweiligen Verfasser bedeutsame Schlüsse für die Auslegung des Tatbestandes nicht gezogen haben (beachte aber zur Lehre von den "an sich" rechtswidrigen Bankrotthandlungen eingehend unten, S. 233ff.). 21 Zum "Beiseiteschaffen": ständige Rechtsprechung seit RGSt 62, 277, 278; 66, 88, 89, BGH bei Herlan GA 1953, 74, zuletzt BGHSt 34, 309, 310; zur "Unwirtschaftlichkeit": BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979 S. 8: "... die unwirtschaftliche - den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechende - Ausgabe"; Schlüchter, Grenzbereich, S. 51 sieht in der auf § 240 Absatz 1 Ziffer 1 KO aufbauenden Formulierung eine Bezugnahme auf den Maßstab des "vernünftigen Wirtschaftens", den sie mit den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft gleichsetzt (aaO, S. 47); ferner LK-Tiedemann, § 283, Rn.65; ders., KTS 1984, 539, 549. Vgl. im eInzelnen zur Auslegung bei den verschiedenen Bankrotthandlungen unten, S. 108ff.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

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doch ergibt die Analyse der Rechtsprechung den eindeutigen Befund, daß der Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft allein bei den bestandsbezogenen Bankrotthandlungen ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal bildet. Bei den informationsbezogenen Bankrotthandlungen nach § 283 Absatz 1 Ziffern 4 bis 7 StGB macht sich demgegenüber strafbar, wer die dort beschriebenen Handlungen vornimmt, ohne daß es einer gesonderten Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Wirtschaftswidrigkeit im Tatbestand bedürfte. 22 Dies gilt im übrigen entsprechend für die §§ 283b bis d StGB. 23 Hinzuweisen ist freilich darauf, daß in bezug auf die Verheimlichung oder Verschleierung der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse nach der Generalklausel gemäß § 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB in der Literatur teilweise vertreten wird, daß auch hier ein Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft vorliegen und positiv festgestellt werden müsse. 24 Diese Erstreckung des Merkmals des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist jedoch problematisch, zumal die mit der Erstreckung verfolgten Ziele auch ohne systematische Reibungen erreicht werden können. Zum einen ergibt sich aus der Entwurfsbegründung, daß der Gesetzgeber den Wortlaut der Ziffer 8 mit Bedacht wählte, als er die Handlungen, durch die in wirtschaftswidriger Weise Vermögen verringert wird, denjenigen gegenüberstellte, die sich als Verschleierung der tatsächlichen Situation darstellen. 25 Überdies ist der (informationsbezogenen) Verschleierungsvariante der Generalklausel das Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft - wie im weiteren Verlauf der Untersuchung zu zeigen sein wird26 - systematisch fremd. Schließlich ergibt eine nähere Betrachtung der Gründe, die für die Erstreckung des Merkmals vorgebracht werden, daß es in erster Linie darum geht, "die Strafbestimmung (der Generalklausel, der Verf.) in einigermaßen definierbaren

22 Entsprechend stellte der Gesetzgeber in der amtlichen Begründung die bestandsbezogenen den informationsbezogenen Alternativen ausdrücklich gegenüber und ordnete nur ersteren das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit zu: "daß der Vermögensstand in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise verringert wird oder daß die Übersicht über die wirklichen Verhältnisse verborgen bleibt"; BT-DrS. 7/3441, S. 36; vgl. zur Redundanz des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsmäßiger Wirtschaft widersprechenden Weise" bei den informationsbezogenen Bankrottalternativen unten, S. 424ff. 23 Vgl. zur Übernahme der Begriffe aus § 283 in § 283c und d, LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 96, bzw. § 283, Rn. 27 und § 283d, Rn. 18. 24 Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 49; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 172; Lackner, StGB, § 283, Rn. 21; Höfner, Überschuldung, S. 77; Dreiss/Eitel-Dreiss, 1. WiKG, S. 157. 25 Amtliche Begründung BT-DrS. 7/3441, S. 36. 26 Unten, S. 427ff., 429, Fn. 12.

42 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Grenzen zu halten,,21. Die Anwendung des Merkmals auf die Verschleierungsalternative soU Bagatellfälle und vernachlässigenswerte Informationsverfälschungen aus dem Tatbestand ausscheiden. Die Forderung der Erstreckung des Merkmals auf die 2. Alternative der Ziffer 8 entstammt mithin eher einem ergebnisorientierten Restriktionsbemühen als einer systematischen Ableitung. Die - sachlich fraglos gebotene - tatbestandliche Einschränkung läßt sich ohne systematische Reibungen unter Rückgriff auf die Auffassung Maurachs 28 bewirken, der die Ausscheidung von Bagatellfällen über das Erfordernis eines "besonders verwerflichen oder gefährlichen Handelns" bei der Informationsmanipulation zu erreichen versucht. Vom Wortlaut der Generalklausel her läßt sich die besondere Verwerflichkeit oder Gefährlichkeit zwanglos in die Auslegung des Begriffs "andere" in Ziffer 8 integrieren, wenn dieser hinsichtlich des materialen Unwertgehalts der Tathandlung also nicht hinsichtlich der konkreten Begehungsweise - im Sinn von "ähnliche" verstanden wird und somit keine Bagatellfälle erfaßt. 29 Festzuhalten bleibt, daß bestandsbezogene von informationsbezogenen Bankrotthandlungen systematisch zu trennen sind. Der Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist de lege lata nur bei den bestandsbezogenen Bankrotthandlungen der §§ 283 Absatz 1 Ziffern 1, 2, 3 und 8, 1. Alt. StGB sowie bei § 283 Absatz 2 StGB ein für das Unrecht konstitutives Tatbestandsmerkmal.

11. Die Funktion des Merkmals 1. Meinungsstand

Die Funktion des Merkmals "Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" innerhalb der bestandsbezogenen Bankrottalternativen und seine allgemeine Bedeutung im Konkursstrafrecht sind bislang in Literatur und Rechtsprechung noch nicht eingehend untersucht worden. 21 DreissjEitel-Dreiss, 1. WiKG, S. 157; ähnliche Formulierungen finden sich bei Häfner, Überschuldung, S. 77 ("restriktives Merkmal") Lackner ("Auffangfunktion der Vorschrift auf gravierende Eingriffe") und Stree, aaO, ("Ergänzungstatbestand"). 28 MaurachjSchroederjMaiwald, S. 526. 29 In vergleichbarer Weise, wenn auch mit anderer Schwerpunktsetzung: Tiedemann, LK, § 283 Rn. 11, 153, jedoch von einem anderen Ausgangspunkt, sc. im Zusammenhang mit seiner These, Ziffer 8 sei der "Grundtatbestand" des § 283 Absatz 1 StGB. Ferner MaurachjSchroederjMaiwald, S. 526, die es allerdings nicht unternehmen, das Erfordernis der "besonderen Verwerflichkeit" einem bestimmten Tatbestandsmerkmal zuzuordnen.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

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Die Amtliche Begründung zum 1. WiKG äußert sich zwar ausdrücklich zu Strukturfragen des § 283 StGB, in diesem Zusammenhang aber nicht zum Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft. Lediglich aus den Ausführungen zu den einzelnen Tatbestandsalternativen läßt sich entnehmen, daß der Gesetzgeber mit diesem Merkmal eine Strafbarkeitseinschränkung beabsichtigte.3D Es bleibt allerdings offen, worin der sachliche Grund für die Notwendigkeit dieser Einschränkung liegt. Die Begründung beschränkt sich auf die beispielhafte Erwähnung von Einzelfällen, in denen die Vermögensminderungen wegen der Einhaltung der Anforderungen ordnungsgemäßter Wirtschaft jeweils kein strafwürdiges Unrecht darstellen sollen.31 Die Rechtsprechung hat sich zur Funktion des Merkmals innerhalb der Struktur des § 283 StGB im einzelnen bislang nicht geäußert. 32 Auch die Literatur hat sich noch nicht intensiv mit Stellung und Bedeutung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft auseinandergesetzt. Tiedemann sieht in den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft einen "Grundbegriff"33 des Konkursstrafrechts, weil "alle gesetzlich umschriebenen Bankrotthandlungen letztlich Verstöße gegen die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft darstellen". Gesetzestechnisch sei das Merkmal eine Strafbarkeitseinschränkung34 ; es stelle sich in den Alternativen der Ziffern 1,2 und 3 als "Korrektiv der Umschreibung von Bankrotthandlungen" dar, während es in Ziffer 8 "in allgemeiner Weise, nämlich generalklauselartig als Ergänzung"35 eingesetzt werde. Tiedemanns Ausführungen beziehen sich auf das eingangs erwähnte Verdikt, wonach alle Bankrotthandlungen einen groben Verstoß gegen die allgemeinen Erwartungen an einen gewissenhaften Wirtschafter in der Krise darstellen und deshalb mißbilligenswert sind. Über den hier interessierenden Zusammenhang der einzelnen Alternativen mit dem Verstoß gegen 30 Amtliche

Begründung, BT-DrS. 7/3441, S. 34 ff.

31 Zu Ziffer 1: Die Zerstörung von Investitionsgütern im Zusammenhang mit ihrer Erset-

zung, aaO, S. 34; zu Ziffer 2: Die Eingehung von Verlustgeschäften während eines Konjunkturtiefs zur Erhaltung von Arbeitsplätzen, BT-DrS. 7/3441, S. 35. 32 Vgl. zum inhaltlichen Begriffsverständnis der Rechtsprechung eingehend unten, S. 92ff. 33 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 96, ders., KTS 1984,539,557. 34 KTS 1984, 539, 557. Obgleich sich Tiedemann eingehend mit der inhaltlichen Struktur und Bestimmung des Begriffs der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft befaßt, findet sich bei ihm - abgesehen von dieser Einordnung als Strafbarkeitseinschränkung - keine systematische Zuordnung des Begriffs innerhalb des Tatbestandes des § 283 StGB. Auch der Hinweis, alle Bankrotthandlungen seien letztlich Verstöße gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft, führt in systematischer Hinsicht nicht weiter. Denn damit wird vorangestellt, was erst noch zu entwickeln ist. 35 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 96.

44 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als Tatbestandsmerkmal ist damit nichts ausgesagt. 36 Aufschluß hierüber bringt auch nicht Tiedemanns Lehre von der GeneralkJausel des § 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB als Grundtatbestand37 (im Gegensatz zum Auffangtatbestand) aller Bankrotthandlungen, in dem die Wirtschaftswidrigkeit der Grundbegriff sei. Gegenüber diesem Grundtatbestand sollen sich die Ziffern 1-7 als Beispiele in der Art von Regelbeispielen darstellen, auf die zur Anwendung der Generalklausel zurückgegriffen werden könne, um Lücken der Ziffern 1-7 zu schließen. Auch die Lehre vom Grundtatbestand bezieht sich auf den Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als allgemeines Bewertungskriterium wirtschaftlichen Handelns und leistet keinen Beitrag für die Klärung der Funktion des Begriffs als Tatbestandsmerkmal einzelner Alternativen. Höfner38 wie auch Schlüchter39 nähern sich dem Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft mit einem einander vergleichbaren Erkenntnisinteresse. Beiden geht es letztlich um die Funktionsbestimmung des für alle Alternativen des § 283 Absatz 1 StGB erforderlichen Krisenmerkmals. Sie untersuchen dessen Eignung, strafrechtlich vorwerfbares wirtschaftliches Verhalten von der zulässigen Inanspruchnahme wirtschaftlicher Handlungsfreiheit abzugrenzen. Diese Frage macht für beide Verfasser die Klärung der (Vor)Frage erforderlich, inwieweit die Abgrenzung des strafwürdigen vom nicht strafwürdigen Verhalten bereits durch die Um36 Die begrenzte Verwendbarkeit der Stellungnahme Tiedemanns in Bezug auf die hier entwickelten systematischen Unterschiede zwischen den einzelnen Bankrottalternativen und ihrem Zusammenhang mit den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens rührt daher, daß Tiedemann nicht in ausreichender Weise zwischen der allgemeinen Bewertungsebene (wirtschaftliche Vernunft) und der Tatbestandsebene (Tatbestandsmerkmal) differenziert. Für den Nachweis der Richtigkeit der Aussage auf der Tatbestandsebene ist erforderlich, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, warum für die informationsbezogenen Bankrotthandlungen eine gesonderte Prüfung der Wirtschaftswidrigkeit nicht erforderlich ist. Denn die These vom "Grundbegrifr' setzt auf der Ebene des Tatbestandes voraus, die den Bankrottalternativen der Ziffern 4-7 vorgelagerten Verhaltens normen (Buchführungspflichten, Täuschungsverbote etc.) ohne Einschränkung als Konkretisierung von (elementaren) Anforderungen ordnungsmäßigen Wirtschaft anzusehen mit der Folge, daß ihre Nichtbeachtung stets - und unabhängig von einer wertenden Betrachtung der jeweiligen Unternehmenssituation - als wirtschaftswidrig einzustufen ist. Zwar spricht manches dafür, beispielsweise den Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten eine derart elementare Bedeutung beizumessen, jedoch setzt sich Tiedemann nicht näher hiermit auseinander, so daß eine dogmatische Begründung für die Einstufung auf der Tatbestandsebene bislang nicht vorliegt. Tiedemanns Feststellung kann daher hier nur insofern zugestimmt werden, als es um die allgemeine Bewertungsebene geht. 37 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 8 ff. 38 Überschuldung, S. 41 ff. 39 Grenzbereich, S. 21 ff., insbesondere S. 52 ff.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

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schreibung der einzelnen Bankrotthandlungen erreicht wird. In diesem Zusammenhang erlangt die Frage nach der Bedeutung des Merkmals "Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" Gewicht. Für Höfner kann der Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft - unabhängig von der Krise - kein taugliches Abgrenzungskriterium sein, weil er zu unbestimmt ist und den Anforderungen des Art. 103 Absatz 2 GG nicht genügt.40 Daher komme dem Krisenmerkmal für die Abgrenzung des strafrechtlich relevanten Verhaltens "außerordentliche Bedeutung" zu, denn diversen Bankrotthandlungen fehle - auch wenn sie gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft verstoßen - die Strafwürdigkeit außerhalb der Krise. 41 Indem Höfner die Bedeutung des Begriffs auf Null reduziert, bietet auch seine Auffassung im hiesigen Kontext keinen Erkenntnisgewinn. Schlüchter diskutiert den Begriff nur für die Alternativen der Ziffer 2, 3 und 842 , die sie als Inkriminierung risikobehafteter unternehmerischer Fehlentscheidungen qualifiziert. 43 Sie hält den Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft zwar für hinreichend bestimmt, weist ihm aber gleichwohl keine entscheidende Bedeutung hinsichtlich der Strafwürdigkeitsfrage zu. Bei unternehmerischem Handeln müsse ein gewisses Maß an Unvernunft - und damit das Risiko von wirtschaftswidrigen Fehlentscheidungen - eingeplant und hingenommen werden. Daher sei das "Ausmaß der Unvernunft" (für Schlüchter: die Wirtschaftswidrigkeit) als einziger Maßstab für die Abgrenzung strafwürdigen Verhaltens zu ungenau. Als entscheidendes Strafwürdigkeitskriterium sieht Schlüchter die Unternebmungskrise an. Mit deren Bestimmung befaßt sich die weitere Untersuchung. Erst am Ende ihrer Untersuchung greift sie den Begriff des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft erneut auf. Er hat die Aufgabe, dem Krisenunternehmer auch in einer Unternehmungskrise den durch Risiko und Wagnis gekennzeichneten wirtschaftlichen Freiraum zu sichern, innerhalb dessen sich die Unternehmerinitiative - auch in der Krise - entfalten soll.44 Schlüchter begründet jedoch weder diesen Spielraum, noch nimmt sie eine Begriffsbestimmung der Anforderungen Höfner, Überschuldung, S. 44 ff; zum Bestimmtheitsproblem unten, S. 71f. .. Höfner, Uberschuldung, S. 294. 42 SchJüchter, Grenzbereich, S. 47, 51 ff, erwähnt ihn allerdings auch für die Ziffer 1 in MDR 1978, 977, 978. Vgl. zu Schlüchters Konzeption der untemehmerischen Fehlentscheidung 40 41

unten, S. 321f.; zum Problem der Strafwürdigkeit von Bankrotthandlungen außerhalb der Krise unten, S. 233ff., 246. 43 SchJüchter, Grenzbereich, S. 57. Demgegenüber sieht Schlüchter in den übrigen Bankrotthandlungen "echt kriminelle Verhaltensweisen, die sich d 0 g m at i sc h dem strafrechtlichen Bereich klar zuordnen lassen" (aaO, S. 44). 44 SchJüchter, Grenzbereich, S. 142.

46 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

ordnungsgemäßer Wirtschaft im einzelnen vor. Sie wendet sich lediglich pauschal gegen jede Form einer Positivierung einzelner Entscheidungsregeln für das Wirtschaften in der Krise. Letztere sieht sie als verfassungsrechtlich unzulässige Einschränkung unternehmerischer Freiheit.45 Damit bleiben auch die Ausführungen Schlüchters für die hier interessierende Frage der Funktionsbestimmung sehr allgemein. Hammerl arbeitet in seinem Reformvorschlag zum alten Recht die Notwendigkeit heraus, die "wirtschaftskonforme Tätigkeit eines Schuldners von kaufmännisch untragbaren Verhaltensweisen abzugrenzen".46 Er sieht den Verstoß gegen das "Gebaren eines ordentlichen Kaufmannes,,47 als "für den Aktunwert entscheidende Komponente"48 des tatbestandlichen Verhaltens. Das Gebaren eines ordentlichen Kaufmanns umfasse alle Faktoren, die wirtschaftliches Handeln bestimmen. Der Begriff des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft dient bei Hammerl als generalisierende "Handlungsbeschreibung"49, in der alle insoweit relevanten Gesichtspunkte Aufnahme fänden. Es bleibt aber weitgehend unklar, wie sich die unterschiedlichen Faktoren zueinander verhalten und welche Wertung der unterschiedlichen Behandlung von wirtschaftskonformen und wirtschaftswidrigen Handlungen hinsichtlich der Zumutbarkeit für die Gläubiger und ihre Interessen zugrundeliegt.50 45 Schlüchter, Grenzbereich, S. 138, 140 passim, argumentativ vornehmlich auf Art. 12 GG bezugnehmend, wenngleich die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit nach der Rechtsprechung des BVerfG wohl auch im Bereich des Art. 2 GG anzusiedeln ist (BVerfGE 29,267 mit weiteren Nachweisen). Die Argumentation Sch!üchters begegnet Bedenken, denn sie berücksichtigt nicht, daß es bei einer Festschreibung auf allgemeine Gefahrenvermeidungspflichten nicht um eine völlige Unterbindung wirtschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten geht, sondern vielmehr um eine nach objektiven Regeln vorzunehmende Grenzziehung, innerhalb derer ein breiter Gestaltungsspielraum verbleibt. 46 Hammer!, Bankrottdelikte, S. 124. 47 Hammer!, Bankrottdelikte, S. 118. 48 Hammer!, Bankrottdelikte, S. 117. 49 Hammer!, Bankrottdelikte, S. 126. 50 Unklar bleibt vor allem das Verhältnis von Verstoß gegen das kaufmännische Gebaren und überhöhtem Risiko für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit. Zunächst sieht Hammer! sie als kumulativ erforderliche Elemente (Bankrottdelikte, S. 118), während seine Ausführungen zu den Tathandlungen später nahelegen, daß es sich um alternative Komponenten handelt (aaO, S. 126). Überdies begründet Hammer! die Zulässigkeit wirtschaftskonformer Gefährdungshandlungen in der Krise nur sehr vage mit dem allgemeinen Hinweis auf das verfassungsmäßig gesicherte Recht von Schuldnern, über das eigene Vermögen frei verfügen zu können (Art. 14 GG). Für die systematische Stellung des Merkmals de lege lata lassen sich bei Hammer! auch deshalb keine hilfreichen Anhaltspunkte gewinnen, weil er den Begriff als Tatbestandsmerkmal nur bei der Generalklausel anerkennt und er die Möglichkeit seiner Verwendung bei den bestandsbezogenen Alternativen nicht erwägt, deren Unwertgehalt er auch ohne die Verwendung des Merkmals für ausreichend umschrieben hält (aaO, S. 127, 145f.).

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

47

2. Eigener Ansatz: die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als "Grenzlinie" zur Abschichtung von Risikobereichen

Die strukturelle Bedeutung des Merkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" und die ihr zugrundeliegende Wertung des Gesetzes in Bezug auf die bestandsbezogenen Bankrottalternativen erschließt sich aus der Rechtsfolge der Beachtung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft durch den Schuldner: eine Strafbarkeit wegen Bankrott scheidet aus. 51 Dies gilt grundsätzlich und unabhängig davon, wie groß die für die Gläubiger infolge des ordnungsgemäßen Wirtschaftens eintretende Interessenschädigung ist. Hinter dieser banalen Feststellung verbirgt sich die zentrale, zuweilen nicht hinreichend berücksichtigte Wertung des Gesetzes, daß strafrechtlicher Gläubigerschutz nur gegen solche realen Verschlechterungen der Erfüllungsfähigkeit von Schuldnern gewährt wird, die außerhalb des ordentlichen Wirtschaftens eintreten.52 Das Strafrecht schützt den Gläubiger (selbst in der Krise des Schuldners) nicht umfassend vor Gefährdungen seiner Interessen. Wo sich der Schuldner bei seinen realen Vermögensdispositionen im Rahmen der Regeln des Wirtschaftens bewegt, bleibt der Gläubiger (strafrechtlich) schutzlos. Dies gilt für die Verursachung einer Krise in gleicher Weise wie bei ihrem Vorhandensein: der "ordnungsgemäße" Vermögensverfall ist ebenso straflos wie jede einzelne "ordentliche" Maßnahme bei bereits eingetretenem Vermögensverfall. In der Amtlichen Begründung heißt es dazu: "Der Entwurf sieht das Vorwerfbare des tatbestandsmäßigen Verhaltens nicht in der Herbeiführung oder dem Vorhandensein der Krise, sondern in der Vornahme von Handlungen während der Krise, die ein sorgfältiger Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr zu unterlassen hat.,,53

51 Bereits der Kommissionsbericht zur KO-Novelle vom 28. März 1898 weist daraufhin, "daß bei Veräußerungen, die den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprächen, die Strafbarkeit entfalle" unter Hinweis auf die Veräußerung von Waren unter Einkaufspreis bei gesunkenen Preisen als "wirthschaftliche ( ... ) Handlungsweise"; HahnjMugdan, Materialien, S. 327. 52 In dieser Weise, wenngleich ohne nähere Untersuchung der daraus zu ziehenden Schlüsse LK-Tiedemann, § 283, Rn. 28: "... ordnungsgemäßes Wirtschaften wird nicht mißbilligt"; BGH 5 StR 182/56 zur Berechtigung des Unternehmers, wirtschaftliche Ausgaben auch bei eingetretener Unternehmenskrise tätigen zu dürfen (zit. nach LK-Tiedemann, § 283, Rn. 67); Höfner, Überschuldung, S. 41; Schlüchter, Grenzbereich, S. 57: "Der Unternehmer muß nämlich - um den Fortbestand der Unternehmung zu sichern - Aufwendungen machen, Waren veräußern (bzw. Dienstleistungen erbringen) und sonstige Maßnahmen treffen." 53 BT-DrS. 7/3441, S. 20.

48 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Dies läßt erkennen, daß der Gesetzgeber mit der Verwendung des Merkmals "Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" die Klasse derjenigen vermögensbestandsbezogenen Verhaltensweisen abzugrenzen beabsichtigte, die ein sorgfältiger Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr trotz ihrer Gefährlichkeit nicht unterlassen muß, oder anders: die ein Wirtschaftssubjekt (auch in der Krise) vornehmen darf, obgleich sie gefährlich sind.54 Daraus folgt, daß (bestimmte) Gläubigergefährdungen durch reale Dispositionen auch in der Krise zulässig sind.55,56 Das Merkmal des ordnungsgemäßen Wirtschaftens gewinnt vor dem Hintergrund der ausgesprochen extensiven Auslegung der einzelnen Bankrotthandlungen durch die Rechtsprechung57 und der Aufnahme der Generalklausel der Ziffer 8 im 1. WiKG58, die dazu geführt haben, daß jede Form der nachteiligen Einwirkung auf das Vermögen tatbestandsmäßig eine Bankrottalternative erfüllen kann, die zentrale Bedeutung, für alle Arten realer Vermögensdispositionen in der Krise die Grenzen der Zulässigkeit festzulegen. Daraus ergibt sich, daß die "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" tatsächlich auch als Tatbestandsmerkmal (allerdings nur) der bestandsbezogenen Bankrottalternativen einen Grundbegriff bzw. ein übergreifendes 54 In dieser Weise auch BGH bei Her/an, GA 58, 47 für Betriebsunkosten und Löhne (solche Ausgaben könnten "sogar im Interesse der Gläubiger liegen"); BGH bei Herlan, GA 54, 311: ein Schuldner braucht gläubigerschädigende Entnahmen für einen angemessenen Lebensunterhalt in der Krise nicht zu unterlassen (ebenso BGH NJW 1952, 898, GA 1964, 119). Problematisch Hiltenkamp-Wtsgalle, Bankrottdelikte, S. 170, die meint, der Schuldner habe "solche Verfügungen zu unterlassen, bei denen die Gefahr einer Interessenbeeinträchtigung von Gläubigern oder Allgemeinheit besteht". 55 So auch ausdrücklich für das (strukturell ähnlich ausgestaltete) zivilrechtliche Dispositionsverbot in der Krise gemäß § 64 Absatz 2 Satz 2 GmbHG, SCholz-Schmidt, § 64, Rn. 25: "Zahlungen und sonstige Masseschmälerungen (können) auch nach Eintritt der Insolvenz zulässig sein, denn auch vor einer Konkurs- oder Vergleichseröffnung muß ein Geschäfts- und Zahlungsverkehr aufrechterhalten werden" (näher noch unten, S. 308ff.). 56 Selbstverständlich ist diese Freistellung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Folgen ordnungsgemäßen Wirtschaftens - jedenfalls nach eingetretener Unternehmenskrise nicht. Denn es ist durchaus - etwa in Anlehnung an das Verfügungsverbot für den Gemeinschuldner nach Eröffnung des Konkursverfahrens, § 6 Absatz 1 KO, und vorbehaltlich einer verfassungskonformen Ausgestaltung - eine Regelung vorstellbar, die jede Form des selbständigen Weiterwirtschaftens nach dem Kriseneintritt wegen der damit verbundenen Gläubigergefährdung unter Strafe stellt (Anklänge in diese Richtung finden sich in BGHSt 84, 86: "Weiterwirtschaften mit fremden Vermögenswerten"). Auch historisch bedeutet die Beschränkung der Strafbarkeit auf pflichwidrig herbeigeführte Verschlechterungen der Erfüllungsfähigkeit erst den Endpunkt einer langen Entwicklung, die sowohl im römischen Recht wie auch später in diversen deutschen Partikulargesetzen in einer unterschiedslosen Ahndung bereits des Insolventwerdens ohne jedes Pflichtwidrigkeitserfordernis ihren Ursprung hatte (nähc;r unten, S. 53ff.). 57 Eingehend zur extensiven Auslegung durch die Rechtsprechung unten, S. 92ff. 58 Näher hierzu unten, S. 60ff.

§ 1 Standort und Funktion des Merkmals in § 283 StGB

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Merkmal des Konkursstrafrechts darstellen. Der Begriff statuiert die Grenzlinie dafür, wem die Gefährdungen und Verletzungen von Gläubigerinteressen, die auf realen Vermögensdispositionen des Krisenunternehmers beruhen, letztlich als Risiko (strafrechtlich) zugerechnet werden. Bei dem Begriff geht es somit der Sache nach um die Abschichtung von Risikobereichen. Der Krisenunternehmer haftet (strafrechtlich) für Gefährdungen und Verletzungen von Gläubigerinteressen infolge von Vermögensdispositionen jenseits der Grenzen ordnungsgemäßer Wirtschaft. Die Gläubiger tragen das Risiko für Schmäle rungen der Haftungsmasse im Rahmen ordnungsgemäßer Wirtschaft des Schuldners: sie müssen diese grundsätzlich ohne (Konkurs)Strafrechtsschutz hinnehmen. Aus der Straflosigkeit des ordnungsgemäßen Wirtschaftens ergibt sich überdies auch eindeutig die Wertung des Gesetzes, wonach es grundsätzlich dem Schuldner obliegt, in der Krise weiterzuwirtschaften und Dispositionen vorzunehmen. Damit schreibt das Gesetz dem Schuldner grundsätzlich auch die Befugnis zu, die Krise aus eigener Kraft zu beseitigen und stellt ihn von einer strafrechtlichen Haftung für die Folgen von (ordnungsgemäßen) Handlungen, insbesondere ordnungsgemäß verfolgten Sanierungsanstrengungen, frei. 59 Das Gesetz beschränkt sich darauf, dem Schuldner mit Kriseneintritt für weitere Vermögensdispositionen strafbewehrte Sorgfaltspflichten in Gestalt der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft aufzuerlegen. 60 Der Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft führt also eine zweite, von dem Merkmal der wirtschaftlichen Krise differente Grenzlinie in die Systematik der bestandsbezogenen Alternativen des § 283 StGB ein: Während das Krisenkriterium am nach objektiven Bewertungskriterien zu ermittelnden Vermögensstand des Täters anknüpft, beziehen sich die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft auf die nach objektiven Regeln zu beurteilende Vorgehensweise des Schuldners bei seinen wirtschaftlichen Dispositionen. 61 Steht eine vermögensbestandsbezogene Bankrotthandlung nach § 283 Absatz 1 in Rede, kommt eine Strafbarkeit nur dann in Betracht, wenn sich der Sachverhalt jenseits beider Grenzlinien bewegt. 59

So auch BGH bei Herlan GA 1953, 73 (veIWeisend auf 2 StR 85/52 vom 23.9. 1952); RG

JW 1934, 1500.

60 In diesem Sinn veIWeist die Amtliche Begründung auf die "gebotene Sorgfalt im Wirtschaftsverkehr", BT-DrS. 7/3441, S. 35; ähnlich Hammerl, Bankrottdelikte, S. 127 (Widerspruch zum "Gebaren eines ordentlichen Kaufmanns"). Eingehend zur systematischen Stellung dieser Sorgfaltspflichten im Tatbestand des § 283 unten, S. 211ff. 61 Näher zu den Kriterien "Vermögenslage" und "Vermögensdisposition" als konstitutiven Elementen für die Schaffung eines Risikos bei § 283 StGB unten, S. 205ff., 233ff., 249ff.

4 Krause

50 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Mit der Bestimmung des Merkmals Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als Strukturelement der bestandsbezogenen Bankrottalternativen und der Beschreibung seiner Grenzlinienfunktion bei der Abschichtung von Risikobereichen im Zusammenhang mit realen Vermögensdispositionen des Krisenunternehmers ist das Problemfeld der Untersuchung aufgezeigt. Historisches und gegenwärtiges Verständnis des Begriffs bilden den Gegenstand der folgenden Kapitel.

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Konkursstrafrecht

I. Das Kriterium des wirtschajtswidrigen Schuldnerverhaltens im

Bankrottstrafrecht in seiner historischen Entwicklung

1. Ordnungsmäßiges Schuldnerverhalten und Insolvenz im römischen Recht Im römischen Recht stand bei der Bewältigung von Insolvenzen die größtmögliche Durchsetzung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger mit dem verbliebenen Vermögen des Schuldners als alleiniges Ziel im Vordergrund. Staatliche Reaktionen und strafähnliche Sanktionen gegenüber insolventen Schuldnern sind daher mit den zivilrechtlichen Instituten zur Gläubigerbefriedigung verflochten.! Das ältere römische Schuldrecht knüpfte am Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit an und verhängte gegen den verklagten insolventen Schuldner die Schuldhaft ohne Rücksicht darauf, ob die Insolvenz durch ein Fehlverhalten des Schuldners oder durch von diesem nicht beherrschbare Umstände verursacht worden war. Der Schuldner verfiel mit seinem gesamten Vermögen und seiner Person seinen Gläubigern, die den Schuldner zur Arbeit einsetzen oder verkaufen konnten, um ihre Forderungen zu realisieren; nach 12-Tafel-Recht konnten sie den Schuldner sogar töten. Im Grundsatz verblieb es bei dieser uneingeschränkten Verantwortlichkeit des insolventen Schuldners für die Insolvenz. Jedoch wurde durch die lex Iulia iudiciorum privatorum (17 v.ehr.) das Kriterium der Ordnungsgemäßheit des schuldnerischen Handelns eingeführt: dem Schuldner wurde die Möglichkeit eröffnet, die einschneidendsten Maßnahmen des Insolvenzverfahrens, insbesondere die Schuldhaft (Personalexekution) und den de iure erfolgenden Ehrverlust dadurch dadurch zu umgehen, daß er seine eigene wirtschaftliche Situation gewissenhaft prüfte und im Fall der Insolvenz sein Vermögen aus eigenem Antrieb den Gläubigern zur Voll! Eingehend Neumeyer, Historische Darstellung, S. 13 f., der keine eigenen strafrechtlichen Insolvenzvorschriften im römischen Recht ausmacht. Bei "der Härte der Exekution" sei überdies gar kein Bedürfnis für eine weitere Bestrafung des Schuldners ersichtlich gewesen (aaO, S. 15); a.A Hiltenkamp-W/Sgalle, Bankrottdelikte, S. 14ff., 22; Schlüchler, Grenzbereich, S. 27f.



52 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

streckung übertrug (sog. cessio bonorum).2 Bei schuldhafter, i.e. pflichtwidriger, Insolvenz war die cessio bonorum ausgeschlossen.3 Rechtstechnisch wurde mithin der Nachweis des fehlenden Pflichtverstoßes zur Verfahrensvoraussetzung für das den Schuldner begünstigende Vollstreckungsverfahren der cessio.4 ,5 Selbständige strafrechtliche, an die Insolvenz anknüpfende Regelungen existierten im römischen Recht nicht. 6 Zwar konnte ein Gläubiger den Schuldner auch bei Vornahme benachteiligender (masseschmälernder) Verfügungen durch Erhebung einer Klage in die - strafähnliche - Schuldhaft bringen, jedoch handelte es sich dabei um die Durchsetzung zivilrechtlicher Druck- und Zwangsmittel, um die Obstruktion des Schuldners gegen die Vermögensvollstreckung zu brechen.7 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit konnte sich im Zusammenhang mit Insolvenzen nur aus eigenständigen (von der Insolvenz unabhängigen) Straftatbeständen ergeben, beispielsweise nach den Grundsätzen über die vorsätzliche Vermögensschädigung (stellionatus) oder wegen des vorsätzlichen und heimlichen Ansichbringens fremder Sachen (furtum t Zusammenfassend ist festzuhalten, daß dem römischen Recht ein eigenständiges Insolvenzstrafrecht fremd war. Jedoch existierten zivil2 Verkauf und Tötung des Schuldners waren allerdings schon durch die lex Poetilia (326 v.Chr.) weitgehend verdrängt worden, Kaser, Römisches Privatrecht, S. 319. 3 Spätere Änderungen im römischen Vollstreckungsverfahren ließen diese grundsätzliche Differenzierung unberührt. Zwar wurde später die Schuldhaft beim Gläubiger aufgehoben und im öffentlichen Schuldgefängnis (carcer) vollstreckt, jedoch behielt die missio weiterhin erhebliche Eingriffe (besonders den Ehrverlust) in die RechtsteIlung des Schuldners; Neumeyer, Historische Darstellung, S. 6 passim; Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 19f.. 4 Dem entspricht es, daß bei einem Streit der Parteien über das Verschulden eine Entscheidung des Magistrats über die Zulassung des Schuldners zur ihm günstigen cessio zu ergehen hatte; Bethmann-Hollweg, Civilprozeß, Bd. III, S. 318; Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 5 Durch den Fortfall der Personalexekution bei ordnungsgemäßem Schuldnerverhalten verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Vermögensvollstreckung (venditio bonorum). Infolgedessen veränderte sich auch die Sicherungsfunktion des Rechts, dem nun verstärkt die Aufgabe zukam, die Masse gegen die Entziehung von solchen Objekten durch den Schuldner zu schützen, die der Gläubigerbefriedigung hätten dienen können. Insoweit ist insbesondere die der geltenden deutschen Konkursanfechtung (§§ 29 ff. KO) historisch zugrundeliegende actio pauliana zu nennen, die der Wiedererlangung von in Benachteiligungsabsicht veräußerten Vermögenswerten diente; Kaser, Römisches Privatrecht, S. 52. 6 Hammerl, Bankrottdelikte, S. 27; Neumeyer, Historische Darstellung, S. 15. 7 Das zeigt sich besonders daran, daß die Schuldhaft häufig nur dann zum Zuge kam, wenn die Gläubiger für erlittene Einbußen nicht in anderer Weise entschädigt wurden; ähnlich Kaser, Römisches Privatrecht, S. 335. 8 Ein furtum lag auch vor, wenn der Täter eine eigene Sache wegnahm, an der ein beispielsweise durch den Konkurs begründetes - Pfandrecht eines Gläubigers bestand (furturn possessionis); Kaser, Römisches Privatrecht, S. 203.

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 53

rechtliche Institute mit strafähnlichem Charakter als wichtiger Bestandteil der römischen Vollstreckungsverfahren. Der Schuldner konnte durch ordnungsgemäßes Verhalten und aktive Mitwirkung an der Verfahrenseinleitung die gravierendsten Eingriffe in seinen Rechts- und Lebensbereich vermeiden. Der dem Schuldner dadurch zugewiesene Freiraum im Zusammenhang mit Insolvenzen diente im Ergebnis mittelbar den Interessen der Gläubiger, denn die Einräumung dieses Freiraumes war von der Einsicht geleitet, daß eine frühe Kenntnis der Gläubiger von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ihre Befriedigungschancen erhöht.9 Die frühe Aufdeckung der Zahlungsunfähigkeit wurde erreicht, in dem dem Schuldner die "Wohlthat der Cession"lo nur dann zuteil wurde, wenn er so wirtschaftete, daß er eine mögliche Zahlungsunfähigkeit selbst erkannte und sein Vermögen bei deren Vorliegen aus eigenem Antrieb auf die Gläubiger übertrug. 2. Das wirtschaftswidrige Schuldnerverhalten in den deutschen Volks- und Partikularrechten Die deutschen Volksrechte betonten im Gegensatz zum römischen Recht auch den strafrechtlichen Aspekt bei der rechtlichen Behandlung von Insolvenzen. l1 Neben einer dem römischen Recht ähnlichen Personalexekution fanden sich, insbesondere im Hochmittelalter, diverse Strafandrohungen für die Nichterfüllung von Verpflichtungen infolge einer Zahlungsunfähigkeit. 12 Der Bankrott als eigener Straftatbestand hat sich in den deutschen Volksrechten unabhängig von den zivilrechtlichen Instituten zur Gläubigerbefriedigung entwickelt. Er wurde ursprünglich als Eigentumsdelikt verstanden und hat seine Wurzeln in einer eigentümlichen Gemengelage: er bildete das Bindeglied zwischen dem eigenständig inkriminierten Leistungsverzug13 und der Unterschlagung. Als Bankrott wurde die im Zusammenhang mit einer Zahlungsunfähigkeit begangene Hinterziehung einer vom Schuldner gekauften - nicht bezahlten - Sache bestraft, die der Gläubiger dem Schuldner bereits zwecks Eigentumsverschaffung übergeben hatte l4 . Geschützt war somit das - bei Nichtzahlung des Schuldners entstehende - Verfolgungsrecht des Gläubigers an seiner eigenen Sache. Solange der Schuldner zahlungsfähig war, konnte er über die 9

Hiitenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S.19; Neumeyer, Historische Darstellung, S. 15.

Historische Darstellung,S. 5. Vgl. nur die Lex Salica 62, 2 (rötung des zahlungsunfähigen Wehrgeldschuldners); Hammerl, Bankrottdelikte, S. 22 ff.. 12 Näher Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 24f. 13 Näher v. Gierke, Schuldrecht, S. 136. 14 Neumeyer, Historische Darstellung, S. 25. 10 Neumeyer,

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54 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Sache nach Belieben verfügen. Das Kriterium der Ordnungsgemäßheit des Verhaltens (= Verbot der Hinterziehung) wurde mithin überhaupt erst bei eingetretener Insolvenz relevant; ob die Insolvenz selbst durch ein Fehlverhalten verursacht worden war, spielte keine RoUe. Von erheblichem Einfluß auf die Entwicklung des deutschen Bankrottrechts waren die norditalienischen Stadtrechte. ls ,16 In diesen bildete sich die klare Trennung zivilrechtlicher und strafrechtlicher Insolvenzfolgen heraus. 17 Es erfolgte die für die weitere Entwicklung wichtige Anpassung der Deliktskonzeption des Bankrotts an die sich neu entwickelnden Formen des Geld- und Warenkredits und an die sich in diesem Zusammenhang wandelnde Verkehrsanschauung betreffend die Werthaltigkeit bestimmter, im modernen Kreditverkehr neu entstehender Vermögenspositionen: es wurde nicht mehr nur das juristische, sondern auch das wirtschaftliche Eigentum der Gläubiger taugliches Tatobjekt und damit Schutzgut des strafbaren Bankrotts. Wirtschaftliches Eigentum der Gläubiger war das Vermögen des Schuldners vornehmlich dann, wenn Warenkreditgeschäfte durch den Schuldner nicht befriedigt wurden (IOres credita und seine Schuldenlast ein bestimmtes Maß überschritt, denn dann wurde vermutet, daß der Schuldner notwendigerweise mit fremdem Vermögen wirtschaftete. lO

)

Mit dieser Ausdehnung, die sich IOallmählig - äußerlich unscheinbar _1018 entwickelte, vollzog sich nicht nur der Wandel in bezug auf die Deliktsnatur des Bankrotts vom Eigentumsdelikt hin zum Vermögensdelikt. Die Erstreckung auf das wirtschaftliche Gläubigereigentum ließ vielmehr erstmals in deutlicher Schärfe die Kollisionslage zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen entstehen, die bis heute im Bankrottatbestand eine Abschichtung der unterschiedlichen Interessensphären der Beteiligten erforderlich macht. Denn bereits im Mittelalter galt grundsätzlich, daß die Verwendung des Guristischen) Eigentums alleinige Angelegenheit des Eigentümers ist. 19 Mit der Anerkennung des wirtschaftlichen Eigentums als eigenständigem Schutzgut ergab sich deshalb die Notwendigkeit, hinsichtlich des schuldnerischen Umgangs mit seinem Vermögen zwischen der (zulässigen) VerIS LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 32 mit weiteren Nachweisen, BaurlStümer, Insolvenzrecht, S. 9. 16 Dies zeigt nicht zuletzt der sprachliche Ursprung des Begriffs "Bankrott". Er stammt aus dem Lateinischen ("banca rupta") bzw. Italienischen ("banca rotta" oder "banco rotto") und bezeichnete den "zerbrochenen Tisch" eines Geldwechslers auf oberitalienischen Märkten, dessen Marktstand zum Zeichen seiner Zahlungsunfähigkeit umgeworfen wurde (vgl. auch Duden, Fremdwörterbuch, "bankrott"). 17 Hammerl, Bankrottdelikte, S. 29. 18 Neumeyer, Historische Darstellung, S. 32; Hiltenkamp-W/Sgalle, Bankrottdelikte, S. 26, 29; Baumgan, Schuldhaft, S. 128. 19 Neumeyer, Historische Darstellung, S. 32.

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkrnals im Bankrottstrafrecht 55

wendung als Schuldnereigentum und der (unzulässigen) Verletzung des wirtschaftlichen Gläubigereigentums abzugrenzen. Die norditalienischen Stadtrechte lösten diese Aufgabe in Anlehnung an die Differenzierung im römischen Zwangsvollstreckungsrecht unter Zuhilfenahme des Kriteriums der Ordnungsgemäßheit des schuldnerischen Wirtschaftens. Im Wortlaut der Strafgesetze spiegelt sich dies darin, daß eine gezielte Schädigung der Gläubiger oder ein sonstiges nachlässiges Verhalten seitens des Schuldners im Umgang mit seinem Vermögen gefordert wurde. 2O Ein Bankrott lag im Ergebnis nur bei betrügerischem Verhalten vor. 21 Die deutschen Stadtrechte22 nahmen die Entwicklung in Italien auf. Zunehmend bildete sich allerdings die schuldhafte Herbeiführung der eigenen Insolvenz durch nachteilige Verfügungen über das eigene Vermögen als das wesentliche Bankrottunrecht heraus. Z3 Dem mag die Vorstellung zugrunde gelegen haben, daß der Schuldner bei Eingehung einer Verbindlichkeit nicht allein deren Erfüllung verspricht, sondern - da er für die Erfüllung mit seinem gesamten Vermögen haftet - sich weitergehend verpflichtet, sein Vermögen leistungsfähig zu erhalten.24 Neben die dem italienischen Recht entlehnte, betrügerische Tathandlung der gezielten Gläubigerschädigung, i.e. die weitere Eingehung von Verbindlichkeiten bei bereits eingetretener Insolvenz, trat die Verletzung der Pflicht zur Erhaltung der eigenen Leistungsfähigkeit (Insolvenzverursachung) als einfacher Bankrott. Die Herausbildung des einfachen Bankrottes (i.e. die schuldhafte Herbeiführung der eigenen Zahlungsunfähigkeit) erforderte die Hinzuziehung eines nicht auf eine eingetretene Insolvenzlage abstellenden Tatbestandsmerkmals zur Umschreibung des strafrechtlich relevanten Umgangs des Täters mit seinem Vermögen. Dies führte zur Aufnahme des Pflichtwidrigkeitsmerkmals des unordentlichen Wirtschaftens in die Tatbestandsfassungen des deutschen Bankrottstrafrechts: so bestrafte das Wiener

20 So heißt es beispielsweise im Florentiner tractatus de cessantibus (1393): "Quicumque mercator ( ... ) cessabit vel aufugiet cum rebus et pecunia alienis seu sibi creditis poenis subiaceat ... ", wobei sich cessabit allgemein auf den nachlässigen Umgang mit kreditierten Waren bzw. Geld bezieht und aufugiet als räumliche Entziehung derselben zu verstehen ist. 21 Dabei ist freilich zu bedenken, daß der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. die Flucht des Schuldners wie auch die Verletzung von Buchführungspflichten eine weitgehende Vermutungswirkung für ein betrügerisches Verhalten besaßen, so daß der Eintritt der Insolvenz in der Regel zu einer strafrechtlichen Sanktion führte; Neumeyer, Historische Darstellung, S. 35. 22 Die deutschen Stadtrechte umgreifen etwa den Zeitraum vom 12. bis 15. Jahrhundert. 13 Hiltenkamp-W/Sgalle, Bankrottdelikte, S. 30; G. SChmidt, Bankbruch, S. 41. 24 Neumeyer, Historische Darstellung, S. 57; ähnlich Hiltenkamp-W/Sgalle, Bankrottdelikte, S.30.

56 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Stadtrecht von 134025 den Schuldner, wenn er "... sein gut unnutzgleich hat vertzert...", die Freiburger Statuten von 1520 bestraften denjenigen, der "... durch üppig unwesen und scheltpar sachen, ( ...) das sin verthon hett, also das man an im verlieren müßt...,,26. Die Nürnberger Reformation von 1479 bedrohte denjenigen mit Strafe, der "... durch vnkost und vnwesen ausserhalb rechter Eehaft ... " seine Zahlungsunfähigkeit herbeiführte. 27 Am Ende jener Entwicklung stand Mitte des 16. Jahrhunderts (Augsburger Reichspolizeiordnung von 1548) eine Teilung der Insolvenzfälle in drei große Gruppen: das betrügerische Schuldenmachen als betrügerischer Bankrott sowie die pflichtwidrige Insolvenzverursachung als einfacher Bankrott, die strafrechtlich geahndet wurden. Dem stand die unverschuldete Insolvenz gegenüber, die im Rahmen eines schuldnerbegünstigenden Vollstreckungsverfahrens (vergleichbar der cessio bonorum des rezipierten römischen Rechts) zwar zu einer vollständigen Vermögensverwertung führte, aber keine strafrechtlichen Sanktionen nach sich zog.28 Im 17. und 18. Jahrhundert bildete sich auf dem Gebiet des strafbaren Bankrotts eine breite Kasuistik29 heraus, deren fortwirkende Neuerung darin bestand, daß das Bankrottunrecht sich nun (auch) in der Form der masseschmälernden Handlungen bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit (ähnlich dem heutigen "Beiseiteschaffen") auszubilden begann. Hierin sah man fortan den "betrüglichen" Bankrott.30Diese Entwicklung hatte zur Folge, daß die - freilich nicht näher speziftzierte - Masseschmälerung durch 25 Das Wiener Stadtrecht (1340, Art. 138) ist das erste, welches eine eigenständige Sanktionierung des schuldhaften, aber nicht betrügerischen Bankrotts vorsah; Hammerl, Bankrottdelikte, S. 25. 26 Stobbe, Geschichte, S.109, Anm. 215. 27 Neumeyer, Historische Darstellung, S. 60; ähnlich die Augsburger Reichspolizeiordnung von 1548, die erstmals die reichsweite Verfolgung von .Bankrottaten ermöglichte, bei der Umschreibung der Täter des einfachen Bankrotts: solche, •... welche zu Zeiten mit ihrem übermässigen Pracht, unordentlichen Wesen, Leben, und sonst in andere Wege, ohn daß ihnen an ihren Leiben und Gütern einige Ungesäll, Schäden, Gefängnuß oder Satzung zustehen, in Abnehmen und Verderben kommen ... ·, sowie der Reichsschluß von 1668: •... daß der Schuldner durch sein, oder der Seinigen geübten Pracht, Spielen, Trincken, sondern Unfleiß und Nachlässigkeit, und dergleichen unordentlich Wesen in Abfall kommen ...•. 28 Zur Übernahme der cessio bonorum ins gemeine Recht sowie zur Beweislast des Schuldners hinsichtlich seines fehlenden Verschuldens: von Hoiningen, Beiträge, S. 61 passim (63), (74). 29 Vgl. statt vieler das Preußische Banqueroutier-Edikt Friedrich Wilhelms I. von 1723; das Braunschweiger Edikt wider die Banqueroutierer von 1726 und die Augsburger FallitenordnunlB von 1749. Vgl. nur das erwähnte preußische Edikt von 1723, wonach Schuldner bestraft werden, •... die zwar des Vermögens nicht seyn ihre Schulden zu tilgen, aber dennoch von ihren Geldern oder Effekten, was an die Seite bringen, boßhafftig verheelen und dadurch ihre Creditores verkürzen und einen sündlichen Profit zu machen suchen· bis hin zu § 239 KO a.F.; vgl. auch MaurachjSchroederjMaiwald, S. 521, die den Wendepunkt allerdings dem Preuß. StGB (1851) zuschreiben.

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 57

Verringerung des Vermögensbestandes und die Insolvenzverursachung als eigenständige Deliktstypen einander gegenüber traten.31 In der Rechtspraxis wie auch in der Gesetzgebung hatte der betrügliche Bankrott die weitaus größte Bedeutung. Die weitere Entwicklung des Kriteriums der Mißachtung ordentlichen Wirtschaftens vollzog sich im 17. und 18. Jahrhundert im Rahmen der Entwicklung des Tatbestandes der Insolvenzverursachung. Hier kam es zu einer stärkeren Ausdifferenzierung der Arten des ptlichtwidrigen Verhaltens insoweit, als die Unwirtschaftlichkeit der persönlichen Lebens- und Haushaltsführung, hinsichtlich derer jedermann tauglicher Täter sein konnte, von der unwirtschaftlichen Geschäftsführung unterschieden wurde, die als eigenständiges Ptlichtwidrigkeitskriterium nur für Kaufleute galt. Beide Formen unwirtschaftlichen Handelns wirkten gleichermaßen strafbarkeitsbegründend.32 Während sich diese Differenzierung im frühen 18. Jahrhundert noch auf die separate Beschreibung der unterschiedlichen Ptlichtverstöße in demselben Tatbestand beschränkte33, unterschied das ALR als selbständige Tatbestände den "muthwilligen Bankerut" (§§ 1458 bis 1465) und den "unbesonnenen Bankerut" (§§ 1473, 1474). Ersterer erfaßte den "übertriebenen oder liederlichen Aufwand" und stellte damit maßgeblich auf Ptlichtverstöße in der privaten Lebensführung ab34 , während letzterer das Fehlschlagen nicht genehmigter "verwegener und unsicherer Unternehmungen" mit fremdem Kapital, mithin geschäftliche Dispositionen 31 Ferner bildete sich die Möglichkeit einer fahrlässigen Begehung heraus, die im Preußischen A1lgemeinene Landrecht (ALR, 1794) eine eigenständige Tatbestandsfassung erfuhr; LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 33; Hammerl, Bankrottdelikte, S. 32 ff., 35, der das ALR mit dessen 36 Einzeltatbeständen des Bankrotts (feil 11, Tit. 20, Abschitt 15, §§ 14521487) als ·kasuistischen Höhepunkt· der gemeinrechtlichen Entwicklung bezeichnet; ferner Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 32. 32 Zur Differenzierung zwischen Haushalts- und Geschäftsführung - eingeleitet im 17. Jahrhundert durch die Ausweitung des tauglichen Täterkreises von den Kaufleuten auf sämtliche Schuldner: Bayerisches Landrecht XIII, 8 (1616); Preußisches Edikt (1715): •... durch Uppigkeit, überflüssiges Thun, unnötige Depenses, übel geführte Menages, oder andere einem ehrliebenden verständigen und fleißigen Kauffmann nicht anständige Dinge ... sich in Abgang seines Vermögens gebracht... ·; Nürnberger Fallitenordnung (1717): ein Schuldner, dessen Falliment •... aus einem müßiggängig, verschwender und wollüstigem Leben, ... hergerühret; ... die Handwercks-Leuthe, um nur mehrern Pracht und Übermuth treiben zu können, sich der Handelschaft mit Hindansetzung ihrer erlernten Nahrungs = Gewerbe, aus Unverstand unterzogen ...• haben. 33 Vgl. die in der vorangegangenen Fußnote zitierten Regelungen sowie die Augsburger Fallitenordnung (1749): Bestrafung insolventer Schuldner, die u.a .•... allerley gefährliche Partiten spielen·. 34 Schlüchter, Grenzbereich, S. 32; § 1459 ALR lautet: ·Für übertrieben ist jeder Aufwand zu achten, der die nothdurften und gemeinen Bequemlichkeiten des Lebens übersteigt, und mit den jedesmaligen wirklichen Einkünften des Schuldners nicht im Verhältnis steht.·

58 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

(vergleichbar dem heutigen Spekulationsgeschäft), inkriminierte35 • Innerhalb des "muthwilligen" Bankrotts fmdet sich überdies eine differenzierende Regelung zwischen dem die Zahlungseinstellung verursachenden Aufwand und den im Zustand der Zahlungsunfähigkeit vorgenommenen Aufwand. 36 3. Die Wirtschaftswidrigkeit im modernen Bankrottstrafrecht vom code de commerce (1804) bis zum 1. WiKG (1976) Zentrale Bedeutung für die deutschen Bankrottregelungen des 19. Jahrhunderts hatte die gesetzestechnisch klare Regelung des Bankrotts im französischen code de commerce von 1804 (art. 586 ff.). Von ihr übernahmen die deutschen Gesetzgeber die gesetzliche Unterscheidung von einfachem und betrügerischem Bankrott (banqueroute simple und banqueroute frauduleuse), die jeweils wieder in Untergruppen untergliedert waren. 37 Bemerkenswert im hiesigen Zusammenhang ist an den Regelungen des code de commerce, daß bereits dort klar zwischen bestandsbezogenen und informations- bzw. anmeldebezogenen Tatalternativen differenziert werden kann und für beide Gruppen in einer bedeutsamen Frage Unterschiedliches galt. Denn der banqueroute simple (art. 586-592) sah nur für einen Teil der Tatalternativen eine obligatorische Strafverfolgung vor: es mußten nur solche Taten verfolgt werden, die sich - nach hiesigem Verständnis - als bestandsbezogene Bankrottalternativen darstellten?8 Versäumnisse bei der Anmeldung des Konkurses sowie in der Buchführung, die vom banqueroute simple ebenfalls erfaßt wurden, unterlagen der fakultativen Strafverfolgung (art. 587), sofern sie nicht auf einem betrügerischen Verhalten beruhten und daher einen höheren Gehalt an krimineller Energie aufwiesen. Die Besonderheit des den französischen Regelungen zugrundeliegenden Deliktsverständnisses bestand darin, daß der Unrechtsgehalt des Bankrotts nicht mehr im Insolventwerden als solchem gesehen wurde, sondern vielmehr in der konkreten, das schuldnerische Vermögen vermindernden 35 § 1473: •... mit fremdem Gelde, ohne Genehmigung des Gläubigers, verwegene und unsichere Unternehmungen wagt, durch deren Fehlschlagung seine Gläubiger in Schaden und Verlust gesetzt werden." 36 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 33. 37 Vgl. eingehend Neumeyer, Historische Darstellung, S. 112 f.. Die im ALR vorgenommene Trennung von mutwilligem und unbesonnenem Bankrott (privates bzw. geschäftliches Fehlverhalten) kannte der code de commerce nicht. 38 Art. 586 code de commerce sah eine zwingende Verfolgung in folgenden Fällen vor: Übermäßige häusliche Ausgaben, Verbrauch großer Summen bei Spiel oder Spekulationsgeschäften, die Eingehung neuer Verbindlichkeiten bei einer Verschuldung von mehr als 50 %, Verschleuderung von Waren, wenn der Schuldner für mehr als den dreifachen Betrag Kreditpapiere in Umlauf brachte.

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 59

Vermögensdisposition. Aufgrund dieses abweichenden Grundverständnisses verschob sich auch der Anknüpfungspunkt für das Pflichtwidrigkeitskriterium: im Gegensatz zu den deutschen Partikularrechten, die insoweit auf das Insolventwerden abstellten, bezog sich der Vorwurf des wirtschaftswidrigen Handelns im französischen Recht auf die Unvereinbarkeit der einzelnen Vermögensdispositionen mit dem erwartbaren Handeln eines ordentlichen Wirtschafters. 39 Bis heute weist die Differenz von § 283 Absatz 1 (Anknüpfung an der Einzeldisposition) und § 283 Absatz 2 (Insolvenzverursachung) deutliche Spuren der Dualität der Ansätze auf. Das preußische Strafgesetzbuch von 185140 übernahm weitgehend den Grundansatz und die Regelungen des code de commerce, insbesondere die Beschränkung des tauglichen Täterkreises auf Kaufleute (§§ 259, 261) und die Verlagerung des Unwertgehaltes auf die wirtschaftliche Einzeldisposition. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Entwurf der Aufnahme von "Handels-Operationen, welche auf reinen Zufall berechnet sind" (§ 261), als pflichtwidrigen Risikogeschäften in den Tatbestand. Gesetz wurde diese Alternative hingegen nicht.41 Das Reichstrafgesetzbuch von 1871 übernahm in §§ 281 ff. die Regelungen des preußischen StGB ohne nennenswerte Änderungen. Die Reichskonkursordnung42 (1879) faßte die Bankrottatbestände - wiederum ohne wesentliche Änderungen - zusammen und regelte sie als betrüglichen (§ 209) und einfachen (§ 210) Bankrott. Die Konkursordnung weitete den Täterkreis auf alle Schuldner aus, die ihre Zahlungen eingestellt hatten oder über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet

39 Ähnlich Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 33 unter Berufung auf Kellner, Gläubigerbegünstigung, S. IHf. 40 Die übrigen im 19. Jahrhundert erlassenen Partikulargesetze (vgl. Stenglein, Sammlung, Bde. 1-3) weisen eine große Vielfalt in ihren Ausgestaltungen und in ihren Bewertungen einzelner Handlungsweisen auf, orientieren sich jedoch durchweg an der Unterscheidung von einfachem und betrügerischem Bankrott. Wegen der ausschlaggebenden Bedeutung des preußischen StGB für das Reichsstrafgesetz von 1871 wird auf andere Partikulargesetze hier nicht weiter eingegangen; vgl. auch Vonnbaum, GA 1981, 102; Maurach/Schroeder/Maiwald, S.521. 41 Die Einfügung von Spekulationsgeschäften in den Tatbestand des einfachen Bankrotts war in den Beratungen umstritten, da einige Kommissionsmitglieder meinten, "daß es nichts Ungewöhnliches sei, daß der Kaufmann sich in Speculationen einlasse, deren glücklicher oder unglücklicher Erfolg von dem Zufalle abhange. Ihn nun blos darum zu strafen, weil die Operation einen unglücklichen Ausgang genommen, lasse sich nicht rechtfertigen"; Verhandlungen, S. 163. Die Passage wurde noch in der Kommission beibehalten, da nach Auffassung der Kommissionsmehrheit zu berücksichtigen sei, "... daß das Unwesen, welches mit den Differenzgeschäften und unter den Kaufleuten getrieben worden ist, von jeher die Aufmerksamkeit der Gesetzgebung in hohem Grade in Anspruch genommen hat" (Motive Preußisches StGB, S. 59). 42 Hierzu näher noch sogleich unten, S. 68ff.

60 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

worden war.43 Bis zum 1. WiKG (1976) blieben die Bankrottdelikte Teil der Konkursordnung. 4. Die Änderungen des Bankrottstrafrechtes durch das 1. WiKG im Licht des Kriteriums der Wirtschaftswidrigkeit Einschneidende Änderungen des deutschen Konkursstrafrechts brachte das 1. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1.WiKG), durch das das Bankrottstrafrecht wiederum ins Strafgesetzbuch integriert wurde. Die im rechtswissenschaftlichen Schrifttum44 am eingehendsten diskutierte Änderung betraf die Aufnahme des Krisenmerkmals in den objektiven Tatbestand, durch die der Gesetzgeber die Übereinstimmung des Gesetzeswortlauts mit den Prinzipien des Schuldstrafrechts erstrebte.45 Diese war jedoch nur ein Aspekt innerhalb der vollständigen Neugestaltung der einzelnen Tatalternativen von Bankrott, Gläubiger-und Schuldnerbegünstigung sowie strafbarer Verletzung der Buchführungspflicht. In Ansehung des hier interessierenden Kriteriums des wirtschaftswidrigen Schuldnerverhaltens ergaben sich im wesentlichen Neuerungen dadurch, daß der Gesetzgeber den Kanon der mißbilligten (= wirtschaftswidrigen) Vermögensdispositionen erweiterte und detaillierter regelte als in der KO.46 Die Änderung war darauf ausgerichtet, zusätzlich zu den bis dato in der KO aufgeführten Verhaltensweisen andere von Schuldnern in Insolvenznähe vorgenommene Einzeldispositionen zu umschreiben, die sich seit Erlaß der KO als besonders gläubigergefährdend erwiesen hatten und vom Gesetzgeber als in der Regel unvertretbar angesehen wurden. Dabei verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Gesamtheit der mißbilligten Dispositionen so umfassend wie möglich zu beschreiben.

43 44

446ff.

LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 36; Vonnbaum, GA 1981,101,103. Vgl. nur LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 38 mit zahlreichen Nachweisen; Schöne JZ 1973,

45 Näher die Amtliche Begründung, BT-DrS. 7/3441, S. 19; vgl. zur verfassungsrechtlichen Notwendigkeit der Erstreckung des Krisenmerkmals auf alle bestandsbezogenen Bankrottalternativen eingehend unten, S. 239ff. 46 Vgl. den Wortlaut der neu eingeführten bestandsbezogenen Bankrottalternativen in § 283 Absatz 1: 1. ( ... ) in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht (Ziffer 1; ebenso § 283d StGB); 2. ( ... ) in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise Verlust- oder Spekulationsgeschäfte oder Differenzgeschäfte mit Waren oder Wertpapieren eingeht (Ziffer 2); 8. ( ... ) in einer anderen, den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft grob widersprechenden Weise seinen Vermögensstand verringert (Ziffer 8).

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkrnals im Bankrottstrafrecht 61

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Hinzufügung der Generalklausel des § 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB. Der Bericht des Sonderausschusses erhellt, daß der Gesetzgeber mit dieser Generalklausel sich möglicherweise neu entwickelnde - noch nicht typisierbare -, sozialschädliche und strafwürdige Verhaltensweisen in Insolvenznähe erfassen und unter Strafe stellen wollte. Die vom Gesetzgeber unter Berufung auf Eitel47 genannten Beispiele für solche (damals) neuartigen Entwicklungen48 verdeutlichen, daß der Gesetzgeber das wirtschaftswidrige Täterverhalten entsprechend der zunehmenden Komplexität wirtschaftlicher Transaktionen und der immer rafftnierter werdenden Schädigungsmethoden böswilliger Schuldner - auch in vom Täter kontrollierten, aus mehreren Einzeldispositionen bestehenden Gesamtvorgängen zu sehen begann.49 Die häuftg schwierige Beweislage mit Blick auf die Isolierung bestimmter Einzeldispositionen im Wirtschaftsstrafverfahren50 mag zu dem generalisierenden Ansatz beigetragen haben. Nach allgemeiner Ansicht sollen solchen komplexen Vorgängen insbesondere undurchsichtige Transaktionen wie Z.B. die Kapitalanwerbung mit falschen Angaben5t, das Unterhalten eines verheimlichten Tochterunternehmens im Ausland52 und verschiedene Formen der Übertragung von Vermögensbestandteilen unter dem Deckmantel der Legalität (z.B. Umwandlung, Fusion, Auffanggesell- bzw. Sanierungsgesellschaft)53 bis hin zum Führen eines Unternehmens bei gravierender Unterkapitalisierung54 tatbestandlich der GeneralklauseI zuordenbar sein. In der intendierten Ausweitung der Strafbarkeit auf komplexe, unüberschaubare Vorgänge liegt die eigentliche mit der Generalklausel einhergehende grundsätzliche Neuerung betreffend das wirtschaftswidrige Schuldnerverhalten. In der Literatur ist dies bislang jedoch nicht klar herausgearbeitet worden, wobei bereits hier allerdings darauf hinzuweisen ist, daß sich ein derartiges, von der einzelnen Vermögensdisposition ablösendes Verständnis der Generalklausel kaum auszuräumenden rechtsstaat-

BT-DrS. 7/5291, S. 18. Angeführt werden verschiedene Fälle der Erschleichung von Konkursausfallgeld. Zu diesen Beispielen - mit recht - kritisch, weil die geschilderten Manipulation beim Konkursausfallgeld unter andere Tatalternativen des § 283 StGB problemlos subsumierbar sind, LKTiedemann, § 283, Rn. 153. 49 Vgl. zur Problematik der Gesamtbetrachtung komplexer wirtschaftlicher Vorgänge im Bankrottstrafrecht unten, S. 432ff. 50 Vgl. hierzu auch noch unten, S. 43lf. 51 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 31; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 36. 52 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 31. 53 Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 199f.; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 153. 54 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 159; Dreiss-Eitel-Dreiss, 1. WiKG, S. 159. 47 48

62 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

lichen Bedenken ausgesetzt sieht.55 Jedenfalls aber liegt in der abstrahierenden und generalisierenden Tendenz des Gesetzgebers, die die Literatur - abgesehen von einer kritischen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Bestimmtheitsproblematik (Art. 103 GG)56 - beifällig übernommen hat, die Eröffnung einer neuen Kategorie der Erfassung und Typisierung des wirtschaftswidrigen Schuldnerverhaltens: wirtschaftswidrig und tatbestandsmäßig können nach der Vorstellung des Gesetzgebers und nach Ansicht der Literatur nicht mehr nur Einzeldispositionen, sondern auch komplexere Transaktionen und Vorgänge sein, die eine wirtschaftliche Einheit bilden. Bei diesen Vorgängen braucht eine nähere Analyse der Einzelbestandteile nicht zu erfolgen - vielmehr reicht der "grob wirtschaftswidrige" Gesamtcharakter des zur Vermögensverringerung führenden Vorganges aus.57 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das Kriterium des ordnungswidrigen Schuldnerverhaltens - mit der Herausbildung des wirtschaftlichen Eigentums - schon früh als Mittel zur Abgrenzung der verschiedenen Risikosphären von Gläubigern und Schuldnern in Insolvenznähe Eingang in das Bankrottstrafrecht gefunden hat. Während das ältere deutsche Recht für die Strafbarkeit in erster Linie an die wirtschaftswidrigen Insolvenzverursachung anknüpfte, trat in den jüngeren Kodifikationen (insbesondere seit dem preußischen Strafgesetzbuch von 1851) die wirtschaftswidrige Masseschmälerung durch eine Erhöhung der Verbindlichkeiten bzw. eine Verminderung der Vermögensbestandes als Schwerpunkt des Bankrottunrechts in den Vordergrund. Diese wurde in der Vornahme genau defmierter, vermögensmindernder Einzeldispositionen im Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Krise erblickt. Das geltende Strafgesetzbuch vereinigt beide Ansätze (§ 283 Absatz 1 und 2 StGB). In jüngster Zeit wird zunehmend die Tendenz sichtbar, bei der strafrechtlichen Bewältigung der komplexer werdenden wirtschaftlichen Zusammenhänge von den zugrundeliegenden Einzeldispositionen zu abstrahieren58. Eine klare Herausbildung der für die Wirtschaftswidrigkeit maßgeblichen, tieferliegenden Wertungskriterien hat trotz der langen Geschichte des Bankrottstrafrechts nicht stattgefunden. Vielfach sind die auf die Pllichtwidrigkeit bezugnehmenden Tatbestandsmerkmale wirtschaftsmoralischen Vorstellungen verhaftet. Bemerkenswert ist schließlich, daß sich die hier vorgeschlagene Differenzierung zwischen 55 Eingehend unten, s. 138ff.

Dazu sogleich unten, S. 7lf.. Vgl. zu dieser Sichtweise eingehend Tiedemanns Lehre von der Generalklausei als "Grundtatbestand" des § 283 StGB; in: LK, § 283, Rn. 8ff. 58 Vgl. zu den durch die bevorstehende Insolvenzrechtsrefonn zu erwartenden Auswirkungen auf das Verständnis der Insolvenzdelikte unten, S. 159ff. 56 57

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 63

bestands- und informationsbezogenen Bankrottalternativen bereits in früheren Regelungen nachweisen läßt. Il. Der terminus "in einer den Anforderungen ordnungsmäßiger Wirtschaft

widersprechenden Weise" in seiner historischen Entwicklung

Der vorstehende Abschnitt hat einen Überblick hinsichtlich des Kriteriums der Ordnungsmäßigkeit des Wirtschaftens im Bankrottstrafrecht verschafft. Zu trennen hiervon ist die eigenständige Entwicklung des vom Strafgesetzgeber für das Wirtschaftswidrigkeits-Erfordernis verwendeten terminus "in einer den Anforderungen ordnungsmäßiger Wirtschaft widersprechenden Weise". Diese ist im nun folgenden Abschnitt darzulegen. 1. Ursprung und Auslegung des terminus im Zivilrecht

Der terminus "Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft" ist gesetzesgeschichtlich ein bürgerlich-rechtlicher Begriff.59 Seine erstmalige Verwendung im Wortlaut eines Gesetzes erfolgte mit der Aufnahme in den Entwurf für das Pacht-, Sachen- und Erbrecht des BGB.60 Besondere Beachtung verdienen insoweit die den Ausdruck "Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft" enthaltenden Regelungen zur Zubehörhaftung bei der Hypothek (§§ 1122, 1135 BGB), denn auch dort geht es um die konfligierenden Interessen der (Hypotheken)Gläubiger und der von der Zwangsvollstreckung bedrohten (Hypotheken)Schuldner, mithin um einen Interessenkonflikt, der dem der Insolvenzsituation als Materie des Bankrottstrafrechts strukturell sehr ähnlich ist. Gemäß §§ 1122 BGB setzt die Enthaftung von Erzeugnissen, Bestandteilen und Zubehör eines Grundstücks für die auf diesem lastende Hypothek voraus, daß die Trennung (bzw. die Aufhebung der Zubehöreigenschaft) "innerhalb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft" erfolgte. Gemäß § 1135 BGB in Verbindung mit §§ 1134, 1133 BGB stehen dem Gläubiger gegen ein wirtschaftswidriges Vorgehen des Schuldners hinsichtlich des Zubehörs Sanktionsmittel 10 Form von Unterlassungs- bzw. Beseitigungsansprüchen zu. 59 Darauf velWeist bereits der III. Strafsenat des Reichsgerichts in RGSt 48, 217 (" ... wie auch die weiteren Worte des § 240 Nr. 2 "in einer den Anforderungen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft widersprechenden Weise" die Ausdrucksweise des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist .. .") und leitet daraus her, daß der Begriff - ebenso wie der des ·Veräußerns· - in "demjenigen Sinn zu verstehen ist, den das Bürgerliche Gesetzbuch hiermit verbindet" (aaO, S. 218). 60 Vgl. die folgenden Vorschriften des geltenden Rechts § 586 Absatz 2 Satz 3, § 588 Absatz 3 (jeweils zur PaCht), § 1036 Absatz 2, § 1039 Absatz 1, § 1043, § 1045 Absatz 1, § 1048 Absatz 1 (jeweils zum Nießbrauch) §§ 1122, 1135 (Zubehörhaftung bei der Hypothek) sowie § 2049 Absatz 2 (Schätzwert eines vererbten Landgutes) BGB.

64 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

In den Beratungen des Gesetzgebers zum Entwurf des BGB war umstritten, ob die Enthaftung nur bei Einhaltung der Regeln ordnungsmäßiger Wirtschaft oder grundsätzlich bei jeder Entfernung der Sachen von dem Grundstück eintreten soll.61 Der Gesetzgeber hat sich schließlich - auf das Drängen von Banken - dafür entschieden, die Enthaftung nur bei einem wirtschaftlich ordnungsgemäßen Vorgehen eintreten zu lassen. Er hat sich dabei von der Vorstellung leiten lassen, daß von der Zwangsvollstreckung bedrohte Schuldner oft darum bemüht seien, das Inventar bzw. das Zubehör kurz vor der Vollstreckung "zu verschleppen und zu veräußern,,62. Gegen diese Gefährdung ihrer Interessen seien die Gläubiger zu schützen, weshalb die Möglichkeiten der Enthaftung beschränkt werden müßten. Andererseits dürfe es nicht zu einer übermäßigen Einschränkung der Verfügungsmöglichkeiten des Hypothekenschuldners kommen. Ersichtlich hat schon der Zivilgesetzgeber beim Erlaß der §§ 1122, 1135 BGB den terminus des ordnungsmäßigen Wirtschaftens zum Zweck der Auflösung eines Interessenwiderstreites verwendet63 , wobei er die Abgrenzung rechtstechnisch - ebenso wie der Strafgesetzgeber - mittels einer näheren Beschreibung des Schuldnerverhaltens vornimmt. Zwar ergibt sich die gesetzestechnische Funktion dieses Tatbestandsmerkmals aus den Beratungen, jedoch finden sich dort keinerlei Anhaltspunkte für die inhaltliche Bestimmung dessen, was ordnungsmäßiges Wirtschaften sein soll. Dies gilt entsprechend für die anderen Vorschriften, in denen der Zivilgesetzgeber den terminus "ordnungsmäßige Wirtschaft" verwendet hat. Auch dort hat er dessen Bedeutung in seinen Beratungen kaum problematisiert.64 Gesetzestechnisch verwendet der Gesetzgeber den Begriff in diesen Regelungen zur Abgrenzung der Rechtskreise der an einem gegenseitigen Vertrag (Pacht bzw. Nießbrauch) beteiligten Rechtssubjekte65, und zwar stets als einschränkendes Korrektiv hinsichtlich der Rechts- oder Pflichtenstellung des Schuldners.66

61 Zum Ganzen Mugdan, Materialien BGB, Bd. 111, S. 804ff.

Materialien BGB, Bd. 111, S. 804. So auch BGHZ 60, 267, 270. 64 In den Materialien zum Pachtrecht findet sich kein Hinweis auf die für das ordnungl>gemäße Wirtschaften maßgeblichen Gesichtspunkte: Mugdan, Materialien BGB, Bd. 11, S. 237, 883; eine Darlegung der Motive zu § 2049 Absatz 2 BGB (betreffend den Schätzwert des Landgutes bei Übernahme durch einen Erben) liegt überhaupt nicht vor. 65 In § 2049 Absatz 2 BGB kommt dem Merkmal keine eigenständige gesetzestechnische Bedeutung zu, es dient dort allein als Berechnungl>maßstab. 66 Z.B. § 1036 Absatz 2 BGB: "Er (der Nießbraucher) hat bei der Ausübung des Nutzungl>rechts die bisherige wirtschaftliche Bestimmung der Sache aufrechtzuerhalten und nach den Regeln einer ordnungl>mäßigen Wirtschaft zu verfahren."). 62 Mugdan, 63

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 65

a) Der duale Bezugsrahmen der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft Dennoch lassen sich einige - für den weiteren Gang der Untersuchung wichtige 67 - Schlüsse betreffend die inhaltliche Bedeutung des terminus aus den Beratungen zum BGB ableiten: soweit der Begriff auf eine bestimmte "Ordnung" im Sinne von "Regeln des Wirtschaftens" verweist, kommen als Bezugspunkte grundsätzlich zwei verschiedene "Regelsysteme" in Betracht, weshalb von einem "dualen Bezugsrahmen" gesprochen werden kann. Zum einen kann die Verweisung - auf das Beispiel des Nießbrauchs gewendet eine abstrahierende Bezugnahme auf das allgemeine Pflichtenprogramm eines durchschnittlichen Nießbrauchers darstellen, mit anderen Worten die sich aus den Besonderheiten des Handelnden ergebenden Pflichten in Bezug nehmen. Zum anderen kommen als Bezugspunkt die spezifischen Regeln des jeweiligen Verkehrskreises (z.B. der Versicherungsverkehr, der Verkehr mit Wechseln u.ä.) in Betracht, an dem der Nießbraucher jeweils in concreto teilnimmt, wobei ihn in bezug auf die zu beachtenden Verhaltensanforderungen dieses Verkehrskreises die Eigenschaft, Nießbraucher zu sein, nicht in relevanter Weise von den anderen Verkehrsteilnehmern unterscheidet. Der Zivilgesetzgeber wollte die Verweisung in beiderlei Hinsicht verstanden wissen: in einigen Regelungen (z.B. § 1039 Absatz 1 Übermäßige Fruchtziehung) bedeutet die Bezugnahme einen Verweis auf die spezifische Stellung eines Nießbrauchers, so wie sie sich aus dem wirtschaftlichen Zweck des Nießbrauchsrechts nach der allgemeinen Verkehrsauffassung darstellt. Maßgeblich für die Rechte (z.B. Fruchtziehung) und Pflichten (z.B. Erhaltung der Sache) des Nießbrauchers sollten die Anschauungen des ("Nießbrauch")Verkehrs sein.68 In anderen Regelungen verweist der Gesetzgeber auf die Verkehrssitte des jeweils betroffenen Verkehrskreises (Versicherungsverkehr) und bestimmt die Rechts- bzw. PflichtensteIlung des Nießbrauchers entsprechend den spezifischen Gepflo-

67 Vgl. zum Nachweis des dualen Bezugsrahmens in der Rechtsprechung zum Bankrott (§§ 239, 240 KO bzw. § 283 StGB) unten, S. 105ff., sowie zur Bedeutung des dualen Bezugsrahmens für die Ermittlung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft in § 283 StGB unten, S. 404ff. 68 § 1039 Absatz 1 BGB statuiert eine Ersatzpflicht des Nießbrauchers gegenüber dem Eigentümer für die im Übermaß (= entgegen den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft) gezogenen Früchte. Den Umfang des Fruchtziehungsrechts und die Notwendigkeit einer materiellen Einschränkung problematisierte der Gesetzgeber; siehe Mugdan, Materialien BGB, Bd. 111, S. 279: "Der Fruchtbegriff bezieht sich mithin auch auf solche Trennstücke, deren Trennung den Regeln einer guten Wirthschaft nicht entspriCht, während doch im materiellen Endresultate nach dem Zwecke und der Natur des Nießbrauches der Nießbraucher auf die Ziehung eines diesen Regeln entsprechenden Ertrages beschränkt sein muß"; ferner aaO, S. 747.

5 Krause

66 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

genheiten dieses Verkehrs (= nach den (dortigen) Regeln ordentlicher Wirtschaft).(f} Der terminus wird überwiegend als gesetzlicher Verweis auf Sorgfaltspflichten verwendet, was besonders daran deutlich wird, daß ein Nießbraucher, der mit der nießbrauchsbehafteten Sache nicht nach den Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft verfährt, dem Eigentümer für die daraus entstehenden Schäden nach § 823 BGB bzw. den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung ersatzpflichtig ist.70 b) Die Auslegung bei der Hypothekenhaftung In der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur hat der Begriff seit Einführung des BGB weitgehend ein Schattendasein geführt. Rechtsprechung betreffend die Auslegung des Begriffs existiert nur hinsichtlich der Hypothekenvorschriften und dort auch nur spärlich. Reichsgericht71 und Bundesgerichtshof2 legen den terminus dort seit jeher primär teleologisch aus und betonen, daß es im Ergebnis um einen sachgerechten Interessenausgleich73 zwischen Gläubiger(n) und Schuldner(n) gehe74 • Der Schuldner soU im Fahrnisverkehr nicht in der sachgemäßen Nutzung und erfolgreichen Bewirtschaftung seines Grundstücks, i.e. an der Erhaltung des Werts des Pfandobjekts (!), ungebührlich eingeschränkt werden, gleichzeitig soU die Sicherung des Gläubigers wirksam sein. Bemerkenswert ist im hiesigen Kontext die Vorgehensweise der Rechtsprechung bei der Auslegung. Denn sie ermittelt die "Ordnungsgemäßheit"

(f} Eine derartige Bezugnahme findet sich beispielsweise bei den dem Nießbraucher auferlegten Versicherungspflichten (§ 1045 Absatz 1 Satz 1 BGB), sc. der Verweis auf die Gepflogenheiten im Versicherungsverkehr (Gebäudeversicherung). In den Beratungsprotokollen heißt es betreffend die Unangemessenheit einer umfassenden Versicherungsverpflichtung des Nießbrauchers (Mugdan, Materialien BGB, Bd. 111, S. 752): "Es (ist) ( ... ) dem Umstande Rechnung zu tragen, daß nicht durchweg alle, namentlich nicht alle Nebengebäude versichert zu werden pflegten. Eine ganz allgemeine Versicherungspflicht enthalte deshalb dem Nießbraucher gegenüber eine unbillige Härte .... Man werde deswegen ( ... ) eine Versicherung nur verlangen dürfen, soweit dieselbe bei ordnungsmäßiger Wirthschaft geboten erscheine." 70 Herrschende Meinung: Soergel/Stümer, § 1036, Rn.3 Erman/Michalski, BGB § 1036, Rn. 2; Münchener Kommentar-Petzoldt, BGB, § 1036, Rn. 4. 71 RGZ 69, 84ff.; RG Recht 1915, 545. 72 BGHZ 56, 298ff.; 60, 267ff.; vgl. im übrigen OLG Kiel SchlHAnz 1914, 120; LG Darmstadt, KTS 1977, 125. 73 Vgl. zur Interessenabwägung in § 283 StGB unten, S. 21lff., 37lff.. 74 Vgl. nur BGHZ 56,298,299; 60,267,270.

§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 67

aus der Interessenperspektive des Hypothekengläubigers.75 Entscheidend sei, ob der Sicherungswert der Gesamtheit von Grundstück und Zubehör für die Gläubiger in Folge der in Rede stehenden Handlung beeinträchtigt wird. Tritt eine Beeinträchtigung nicht ein, ist das Vorgehen mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Wirtschaft vereinbar (z.B. die Auswechslung von Zubehör). Erfolgt die Trennung (bzw. die Aufhebung der Zubehöreigenschaft) hingegen im Zusammenhang mit Umständen, die das Sicherungsinteresse des Gläubigers gerade besonders hervortreten lassen, ist das Verhalten wirtschaftswidrig. Dies gilt namentlich bei Aufgabe des auf dem Grundstück ausgeübten Gewerbes, insbesondere im Zusammenhang mit der Insolvenz des Betriebs- und Grundstücksinhabers?6 Dieser Ansatz kulminiert in der Ansicht des Reichsgerichts, nach der sich die Frage nach der Ordnungsgemäßheit des Wirtschaftens überhaupt nur unter der Voraussetzung des Fortbestands des auf dem Grundstück betriebenen gegenständlichen Betriebs aufwerfen lasse. Die Literatur ist der dargelegten Rechtsprechung gefolgt.77 Über § 1122 BGB hinaus läßt sich in der (Kommentar)Literatur78 auch hinsichtlich weiterer Vorschriften das an dem dualen Bezugsrahmen orientierte Begriffsverständnis nachweisen. Entsprechend heißt es bei Soergel/Stürner einerseits (zu § 1036 BGB), die Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft seien "bezogen auf den Gegenstand des Nießbrauchs ( ... ) zu bestimmen,,79, andererseits (zu § 1045 BGB): "Die Frage, ob die Versicherung einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entspricht, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Es muß nach den einzelnen Gruppen der Sachversicherung ( ... ) unterschieden werden.,,80 Obgleich der Begriff im Bürgerlichen Recht nicht Gegenstand einer vertieften Beschäftigung gewesen ist, lassen sich aus der Verwendung des Begriffs im Zivilrecht gleichwohl erste Anhaltspunkte mit Blick auf Funktion und Bedeutung des terminus gewinnen. Im Bürgerlichen Recht besitzt er die Funktion, Rechts- und Pflichtenkreise, bzw. wirtschaftliche Interessensphären von Personen gegeneinander abzugrenzen, insbesondere auch im Bereich von Zwangsvollstreckung und Insolvenz. Insoweit deckt sich die

75 Vgl. eingehend zur Relevanz der Gläubigerperspektive bei der Auslegung des § 283 StGB unten, S. 361ff. 76 RGZ 69, 84ff., RG Recht 1915, 545; BGHZ 56, 298ff.; 60, 267ff. 77 Nur Staudinger-Scherübl, § 1122, Rn. 2; Soergel-Konzen, § 1122, Rn. 2; Münchener Kommentar-Eickmann, § 1122, Rn. 10. 78 Vgl. nur die überaus knappe Erwähnung bei Westermann, Sachenrecht, § 114. 79 Soergel/Stümer, § 1036, Rn. 3. 80 Soergel/Stümer, § 1045, Rn. 1.

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68 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Funktion des Begriffs im Zivilrecht im Ansatz mit seiner dargelegten 81 Aufgabe in § 283 StGB. Inhaltlich versteht verweist der terminus häufig auf außerrechtliche, im Geschäftsverkehr entwickelte Verhaltensregeln, wobei der Verweisung auf die jeweiligen Verhaltensmaßstäbe ein dualer Bezugsrahmen (subjekt -spezifischjverkehrskreis-spezifisch) zugrundeliegt. Die Bestimmung der Grenzen ordnungsmäßiger Wirtschaft erfolgt - im Kontext des auf eine der Bankrottsituation ähnliche Interessenkollision zugeschnittenen § 1122 BGB - im Wege einer Interessenabwägung zwischen den Beteiligten, wobei als maßgebliche Beurteilungsperspektive die Sicht des Gläubigers eingenommen wird und als entscheidendes Wertungskriterium das Sicherungsinteresse des Gläubigers fungiert. 2. Die Übernahme des terminus ins Strafrecht (§§ 239 ff. KO)

Tatbestandsmerkmal einer strafrechtlichen Norm wurde der Begriff "in einer den Anforderungen einer ordnungsmäßigen Wirthschaft widersprechenden Weise" erstmals im Zuge der Änderung der Konkursordnung (1898) anläßlich der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches. 82 Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Gesetzesnovelle u.a., das in Handelskreisen während der Gründerzeit entstandene Bedürfnis nach umfassenderer Ahndung von Insolvenzvergehen umzusetzen und Strafbarkeitslücken zu schließen, die sich zwischen dem damaligen Betrugstatbestand und der damaligen Fassung des einfachen Bankrotts ergaben.83 Folgende Ziffer 2 wurde in den einfachen Bankrott (statt § 210 KO nun § 240 KO) eingefügt: § 240 n.F.

Schuldner ( ...) werden wegen einfachen Bankerutts mit Gefängniß bestraft, wenn sie 1. ( ...) 2. in der Absicht, die Eröffnung des Konkursverfahrens hinauszuschieben, Waaren oder Werthpapiere auf Kredit entnommen und diese Gegenstände erheblich unter dem Werthe in einer den Anforderungen einer ordnungsmäßigen Wirthschaft widersprechenden Weise veräußert oder sonst weggegeben haben; 3. ( ...). Oben, S. 49. Vgl. Art. 1 Absatz 1 EGBGB; näher Vormbaum, GA 1981, 103ff. 83 Hahn/Mugdan, Materialien KO, S. 327 81

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§ 2 Die historische Entwicklung des Pflichtwidrigkeitsmerkmals im Bankrottstrafrecht 69

Die Erweiterung war in ihrer kriminalpolititschen Rechtfertigung und in ihrem Wortlaut in der Reichstags-Kommission umstritten. Neben Bedenken gegen das Absichtsmerkmal stand das Merkmal "in einer den Anforderungen einer ordnungsmäßigen Wirthschaft widersprechenden Weise" im Zentrum der Kritik, da der Begriff wegen seiner "Dehnbarkeit" von einigen Kommissionsmitgliedern als "wenig empfehlenswert" angesehen wurde. Die Übernahme des Begriffs aus dem Bürgerlichen Recht sei untunlich. Im BGB erhalte der Begriff seinen "objektiven Inhalt" aus den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsverhältnisses, er sei aber für "das Gebiet des Strafrechts ( ...) bei der Verschiedenheit der in Betracht kommenden Fälle unzureichend,,84. Zu einer Änderung der Regierungsvorlage führten diese Bedenken aber nicht. Für das Begriffsverständnis sind hilfreiche Anhaltspunkte in den Beratungsprotokollen nur spärlich vorhanden. Immerhin wird deutlich, daß der Gesetzgeber auch in der Konkursordnung an unterschiedliche Bezugsrahmen dachte, denn es fmden sich einerseits Anknüpfungen an das allgemeine wirtschaftliche Verhalten von Schuldnern im Sirme eines betriebswirtschaftlich rationalen Verhaltens.85 Andererseits wird das Merkmal an solchen Stellen diskutiert, an denen die Kommission den Schutz bestimmter Verkehrskreise (in concreto: des Wechselverkehrs) beabsichtigte.86 Erwähnenswert ist weiterhin, daß Alternativ-Anträge, die auf den Begriff der Anforderungen ordnungsmäßigen Wirtschaftens verzichten, verschiedentlich das Kriterium des "auffälligen Mißverhältnisses zur Vermägenslage" des Schuldners als entscheidend für die Inkriminierung seiner wirtschaftlichen Dispositionen nennen. 87 Die Einzelheiten des inhaltlichen Begriffsverständnisses der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" sind im wesentlichen in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes zu den §§ 239ff. KO 84 Vgl. die Schilderung der Auseinandersetzung in der VI. Kommission (März 1898) bei HahnjMugdan, Materialien KO, S. 327. 85 Die Veräußerung von Waren unter dem Einkaufspreis sei bei sinkenden Preisen eine "wirthschaftliche Handlungsweise" von Schuldnern; HahnjMugdan, Materialien KO, S. 327. 86 Durch die Hinzufügung des Merkmals "in einer den Anforderungen einer ordnungsmäßigen Wirthschaft widersprechenden Weise" zu einem (später abgelehnten) Alternativ-Antrag betreffend die Strafbarkeit der Eingehung überhöhter Wechselverbindlichkeiten solle "nur der ordnungsmäßige Wechselverkehr (aus der Strafbarkeit) ausgenommen und nur die Wechselreiterei als solche für strafbar erklärt" werden; HahnjMugdan, Materialien KO, S. 328. 87 Vgl. insbesondere die alternative Vorlage des Abgeordneten Rintelen in der X. Kommission (1894), HahnjMugdan, Materialien KO, S.358 f; ähnlich schon § 1459 ALR für den Begriff des übertriebenen Aufwandes, sc. solcher, der "... mit den jedesmaligen wirklichen Einkünften des Schuldners nicht im Verhältnisse steht"; vgl. auch die Auslegung der "Übermäßigkeit" in § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB (unten, S. 122f.).

70 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

bzw. §§ 283ff. StGB, teilweise auch in der Literatur, entwickelt worden. Ihre Darstellung bleibt eigenen Kapiteln 88 vorbehalten. Hinsichtlich der Verwendung des terminus in strafgesetzlichen Normen ist in Ergänzung des oben zum 1. WiKG Ausgeführten noch darauf hinzuweisen, daß der Gesetzgeber den Begriff im 1. WiKG (1976) bei sämtlichen bestandsbezogenen Bankrottalternativen hinzufügte. Dies betrifft die neu geschaffenen Tatalternativen einschließlich der Generalklausel89 wie auch die Ersetzung des Merkmals "Aufwand" in § 240 KO durch den terminus "unwirtschaftliche (= wirtschaftswidrige90) Ausgaben" bei der Übernahme in den entsprechenden § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB. Mit dieser Ersetzung wollte der Gesetzgeber allerdings keine inhaltliche Änderung der bisherigen Auslegung verbinden.91 Auch der Gesetzgeber des 1. WiKG hat sich nicht näher zur Bedeutung des Begriffs geäußert und - wie dargelegt - nur ausgeführt, daß er die Gruppe der Verhaltensweisen kennzeichnen soll, die ein sorgfältiger Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr zu unterlassen hat. Allein im Zusammenhang mit der Generalklausel weist er darauf hin, daß von ihr nur gravierende Fälle erfaßt werden sollen, weshalb ein Verhalten gefordert werde, das den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft "grob" widerspricht.92 Offensichtlich ging der Gesetzgeber von einer inhaltlichen Abstufbarkeit des Begriffes aus.93 Näheres hierzu fmdet sich hingegen nicht.

Siehe hierzu sogleich unten, S. 71ff., 92ff., 108ff. Zum Wortlaut oben, S. 60, Fn. 46. 90 Vgl. zu dieser Auslegung durch die Rechtsprechung bereits oben, S. 40, Fn. 21. 91 BT-DrS. 7/5291, S. 18; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 64. 92 BT-DrS. 7/5291, S. 18. 93 So auch LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 98.

88 89

§ 3 Das gegenwärtige BegritTsverständnis in der Literatur

l. Grundlagen

1. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als normatives Tatbestandsmerkmal (Bestimmtheitsproblem und Auslegungsfragen) Es entspricht allgemeiner Ansicht, daß es sich bei den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft um ein normatives Tatbestandsmerkmal, in der Terminologie der Methodenlehre: einen unbestimmten Rechtsbegrifft, handelt. Rechtsprechung und Literatur haben sich im Zusammenhang mit der Begriffsnatur insbesondere mit zwei Fragen befaßt: einerseits war bereits in den Gesetzesberatungen zur Konkursordnung umstritten, ob der Begriff für den strafrechtlichen Kontext zu unbestimmt ist. 2 Seit jeher existieren Stimmen in der Literatur3, die das Merkmal gemessen an Art. 103 Absatz 2 GG für zu unbestimmt halten. Andererseits ist problematisch, ob es sich bei der Ermittlung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft um ein Problem der Normauslegung oder um ein Problem der TatsachenfeststeUung handelt, was insbesondere für die dogmatische Begründung der Straffreiheit in Zweifelsfällen von Bedeutung ist. Die erste Frage kann mittlerweile wohl als geklärt angesehen werden. In methodischer Anlehnung an die Untersuchung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Heck, der diesen Begriffen einen sicheren Bedeutungskern und einen "allmählich verschwindenden Bedeutungshofr4 zuschrieb, geht die herrschende Auffassung im Strafrecht davon aus, daß Generalklauseln, die 1 Im Strafrecht nur Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 116f. mit Nachweisen; allgemein eingehend Koch/Riißmann, S. 188; Koch, Rechtsbegriffe, S. 14 passim. 2 Bereits oben, S. 68f. 3 Vgl. abgesehen von den Gesetzesberatungen: LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 110; derselbe, ZIP, 1983, 517, 521; derselbe, KTS 1984, 552; Richter, GmbH-Rdsch. 1984, 145; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 12; Höfner, Überschuldung, S.45; Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 200ff.; Schlüchter, Grenzbereich, S.47; SK-Samson, § 283, Rn. 21; Heinz, GA 1977, 217, 226; Pajkuric, Wirtschaftskriminalität, S. 89; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 31; Schöne, JZ 1973, 450; Maurach/Schroeder/Maiwald, S. 526. 4 Heck, Gesetzesauslegung, S. 107. Vgl. noch näher zur Begriffsnatur unten, S. 146ff.

72 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Wertungen benennen, einzig durch unbestrittene Wertungen ausgefüllt werden dürfen.5 Schlüchter hat diesen Ansatz im Rahmen des § 283 StGB fruchtbar gemacht: es gebe Entscheidungen, die nach allen Ansichten über das ordnungsgemäße Wirtschaften unvertretbar sind, die also gegen solche Anforderungen verstoßen, welche alle Auffassungen im Kern miteinander teilen (im Folgenden "Kernthese"). Im Rahmen dieses Begriffskerns genüge der Begriff den zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen.6 Eine Strafbarkeit soll nur dann eintreten, wenn das Verhalten schlechterdings unvertretbar ist. 7 Bedenken ergaben sich insoweit lediglich noch in bezug auf die GeneralklauseI der Ziffer 8, da dort eine Mehrzahl unbestimmter Begriffe miteinander kombiniert werden. 8 Der Gesetzgeber hielt die Genera1klausel für hinreichend bestimmt, da er ihre Anwendung unter Rückgriff auf die Detailregelungen der Ziffern 1-7 vorgenommen wissen wollte.9 Auch in der Literatur wird die Genera1klausel für bestimmt genug gehalten, was damit begründet wird, daß ihr durch die Beschränkung auf grobe Verstöße lO gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ohnehin ein eingeschränkter Anwendungsbereich eigen sei. Die zweite Frage hingegen ist bislang nicht geklärt, wobei Rechtsprechung und Literatur von unterschiedlichen Ansätzen ausgehen. Das Problem tritt bei § 283 StGB auf, weil für die Ermittlung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft nach einhelliger Auffassung auch die tatsächlichen Anschauungen des Verkehrs in bezug auf Risiken, planvolles Handeln, Informationsbeschaffung, Gewinnchancen u.a.m. von Bedeutung sind. Für die Bestimmung des Wirtschaftswidrigkeits-Standards werden daher in gewissen Grenzen auch Tatsachen relevant. Dies führt zu der Frage, wie das Auffmden der den Wertungsmaßstab (mit)konstituierenden Tatsachen, i.e. der faktische Nachweis einer "Verkehrssitte"l1, dogmatisch einzustufen ist. 5 Jakobs, Allgemeiner Teil, S. 81; Lenckner, JuS 1968, 304, 308f.; Tiedemann, Verfassungsrecht, S. 41; Vogel, Fahrlässigkeit, Anm. 73 mit zahlreichen Nachweisen; derselbe (nun kritisch), Norm, S. 335ff.;allgemein Larenz, Methodenlehre, S. 181ff. 6 Schlüchter, Grenzbereich, S. 48; so bereits für den Bereich des Aktienstrafrechts: Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 199. Den Ansatz der Kernthese übernehmen nahezu alle Autoren unabhängig davon, welcher Auffassung hinsichtlich der maßgeblichen Beurteilungskriterien sie zuneigen. 7 BGHSt 30, 285, 287f.; LK-Tiedemann, vor § 283, 110; derselbe, Lackner-Festschrift, S. 745ff. (allgemein); Richter, GmBH-Rdsch. 1984, 145; SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 12; MaurachjSchroederjMaiwald, S. 526; Hiltenkamp-WlSgalle, Bankrottdelikte, S. 168ff., 200ff. 8 Siehe oben, Fn. 4. 9 Entwur[sbegründung, BT-DrS. 7/3441, S.; BT-DrS. 7/5291, S. 18. 10 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 162; kritisch Schöne JZ 1973, 451. 11 Näher zur Bedeutung der Verkehrssitte unten, S. 405ff.

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

73

Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, wie die Fälle zu beurteilen sind, in denen sich eine bestimmte Verkehrssitte nicht ausmachen läßt und also die für den Wirtschaftswidrigkeits-Standard relevanten Tatsachen zweifelhaft bleiben mit der Folge, daß sich die an den Wirtschafter zu stellenden Anforderungen nicht sicher feststellen lassen. 12 Zwischen Rechtsprechung und Literatur besteht bei der vergleichbaren Problematik innerhalb des § 265b Streit. In bezug auf das dortige wertende Merkmal der "Unrichtigkeit" hat der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten, daß Zweifel bezüglich der Existenz bestimmter Verkehrsanschauungen zu einzelnen entscheidungserheblichen Bilanzierungsfragen eine Verurteilung nach § 265b StGB ausschließen. Er hat dies damit begründet, daß gerade die auf Verkehrsanschauungen rekurrierenden Merkmale "nach richterlicher Überzeugung feststehen, nicht nur wahrscheinlich sein,,13 müssen. Dies deutet daraufhin, daß das Gericht diese Frage der Ebene der Tatsachenfeststellung zuordnet und den Grundsatz "in dubio pro reo" für anwendbar hält. 14 Demgegenüber ordnen Lenckner 1s und Tiedemann16 derartige Zweifelsfragen der Ebene der Normauslegung zu und verorten dort, wo die faktischen Ungewißheit beginnt, im Wege einer verfassungskonformen Auslegung die materiell-rechtliche Grenze des Straftatbestandes (Art.103 Absatz 2 GG). Den Vertretern der Literatur ist entgegen dem Bundesgerichtshof zuzustimmen, denn es geht bei der Bestimmung des Wirtschaftswidrigkeits-Standards um das zuverlässige Auffmden spezifischer Verhaltensanforderungen bzw. von Sorgfaltsnormen, die Teil des Tatbestandes des § 283 StGB sind und gegen die der Täter verstoßen haben soll. Zwar wird die Sorgfaltsnorm zum Teil wiederum unter Rückgriff auf bestimmte tatsächliche Übungen bzw. die Verkehrsanschauung ermittelt, jedoch bleibt der Nachweis der Verkehrsauffassung bzw. der für diese relevanten Tatsachen normtheoretisch ein Problem der Bestimmung der Sorgfaltspflicht, bei § 283 StGB also eine Frage der konkretisierenden Auslegung des Straftatbestandes. Die Rechtsprechung differenziert nicht ausreichend zwischen der Anwendung 12 In gewisser Weise handelt es sich damit um eine Folgefrage der "Kemthese", denn es geht in der Sache darum, wie die Fälle zu beurteilen sind, in denen eine zweifelsfreie Wertung deshalb nicht möglich ist, weil zwei einander ausschließende Handlungsmöglichkeiten gleichermaßen tatsächlich im Verkehr vorfindbar sind. 13 13 BGHSt 3D, 285, 288. 14 Für dieses Verständnis spricht auch der zusätzliche Hinweis, wonach es sich hierbei nur um etwas "für alle Tatbestandsmerkmale" gleichermaßen Gültiges (BGHSt 30, 285, 288) handele. IS SchiinkejSchröder-Lenckner, § 265b, Rn. 2a. 16 LK-Tiedemann, § 265b, Rn. 54 und Lackner-Festschrift, S. 746f.

74 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

des Begriffes auf den konkreten Fall und der Bestimmung des Begriffsinhaltes. Wenn sich die Sorgfaltsanforderungen deshalb nicht zweifelsfrei ermitteln lassen, weil sich auch eine abweichende Verkehrsauffassung ausmachen läßt, so handelt es sich um ein Problem der Tatbestandsbestimmtheit: Ließe man die aus der Verkehrssitte ableitbaren einander widersprechenden Regeln gleichermaßen gelten, existierten zwei Verhaltensnormen, die bei gleichem Geltungsanspruch Gegenteiliges anordnen. Das ist mit Artikel 103 Absatz 2 GG nicht vereinbar, weshalb § 283 Absatz 1 StGB insoweit restriktiv (= verfassungskonform) auszulegen ist, was ggf. zur Straffreiheit führt. Demgegenüber handelt es sich bei der Feststellung der Umstände der Tat, für die der Grundsatz des "in dubio pro reo" gilt, um eine andere Frage, sc. um die auf der Subsumtionsebene erforderliche umfassende tatsächliche Aufklärung der Tat. Die Ermittlung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist demzufolge eine Frage der Normauslegung. Unklarheiten bei der Ermittlung dieses Sorgfaltsstandards machen eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung erforderlich. Lassen sich die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft nicht zweifelsfrei ermitteln und kann deshalb nicht festgestellt werden, ob ein bestimmtes Verhalten des Schuldners gegen sie verstößt, so fehlt es schon an der (materiellen) Normwidrigkeit des Verhaltens. Es liegt nicht etwa der Fall eines (möglicherweise) normwidrigen, aber nicht nachweisbaren Verhaltens vor. 2. Die "ex-ante"-Beurteilung Gesichert ist in der wirtschaftsstrafrechtlichen Rechtsprechung17 und Literatur, daß die zu überprüfenden Verhaltensweisen und Maßnahmen aus der Sicht ex ante18 zu beurteilen sind. Dies folgt zwingend aus dem Schuldprinzip und dem Grundsatz, daß die staatliche Reaktion auf eine Handlung zum Zeitpunkt der Handlungsvornahme vorhersehbar sein muß. Dieser allgemeine Grundsatz gilt uneingeschränkt auch im Bankrottstrafrecht, dessen wirtschaftlicher Kontext stärker als andere Bereiche von zufälligen und unvorhersehbaren Entwicklungen geprägt ist, und insbeson17 BGH GA 1974, 61; BGH bei Her/an, GA 1956, 348; 1967,264; BGHSt 30, 285, 291 (für § 265b StGB). Ebenso im Zusammenhang mit der Frage des Verschuldens bei Insolvenzschäden im Zivilrecht: BGHZ 75, 96, 113. 18 Statt aller LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 101; allgemein zum Grundsatz der ex-ante-Beurteilung von Risiken und Gefahren im Strafrecht: Frisch, Zurechnung, S. 71 mit zahlreichen Nachweisen (Fn. 6); näher unten, S. 362f..

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

75

dere für die wertende Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit, welche in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt ist, durch den Verlauf der späteren Ereignisse beeinflußt zu werden. 19 Die Geltung dieses Grundsatzes bedeutet, daß sich der Richter bei der Ermittlung der Wirtschaftswidrigkeit bzw. Wirtschaftskonformität in die Lage des Schuldners zum Zeitpunkt der Vornahme der in Rede stehenden Vermögensdisposition versetzen muß und anband der in diesem Zeitpunkt bekannten und einholbaren Informationen sein Urteil zu bilden hat. Damit korreliert - wie Schlüchter20 herausgearbeitet hat -, daß das Kriterium der wirtschaftskonformen Maßnahme nicht ihre Richtigkeit ex post, sondern vielmehr ihre Vernünftigkeit (besser: "Vertretbarkeit") ex ante ist. 3. Unklarheiten bei der konkursstrafrechtlichen Erfassung schuldnerischer Maßnahmen Noch kaum geklärt sind demgegenüber sowohl in der Literatur wie auch in der Rechtsprechung die methodischen Grundsätze für die korrekte Erfassung schuldnerischer Verhaltensweisen mit dem konkursstrafrechtlichen Instrumentarium. Die maßgeblichen Anknüpfungspunkte für die strafrechtliche Beurteilung scheinen auf den ersten Blick durch die einzelnen Merkmale der verschiedenen Tatbestandsalternativen des § 283 Absatz 1 StGB vorgegeben zu sein. Jedoch handelt es sich bei diesen Alternativen nur um die Umschreibung vermögens- (bzw. die Erfüllungsfähigkeit) reduzierender Teilakte von weiter zu fassenden wirtschaftlichen Transaktionen und Gesamtvorgängen. Mit welcher Relevanz und an welcher Stelle die über den engen Rahmen dieser Teilakte hinausgehenden Begleitumstände in die konkursstrafrechtliche Würdigung einbezogen werden können (und im Interesse einer sachgemäßen Lösung des wirtschaftlichen Interessenkonfliktes einbezogen werden müssen), ist bislang im Grundsatz nicht näher untersucht worden. 21 19 Allgemein zur ex-an te-Beurteilung Kuhlen, Problematik, passim, mit Hinweis auf die Fehlerquellen im Verfahren der nachträglichen Verantwortlichkeitszuschreibung. Kuhlen plädiert angesichts dieser Fehler für eine weniger strenge Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit von Verhaltensweisen. Die von Kuhlen aufgezeigten Fehlerquellen (Unfähigkeit des Urteilers, situationstypischen sozialen Druck nachzuempfinden, Kenntnis der nachfolgenden Ereignisse, Kenntnis der Schwere negativer Handlungsfolgen u.a.) können gerade im Kontext wirtschaftlichen Verhaltens relevant werden (vgl. mit ähnlichen Bedenken LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 102). Daher muß tendenziell eine vorsichtige Beurteilung der Wirtschaftswidrigkeit erfolgen. 20 Schlüchter, Grenzbereich, S. 21ff.; ihr folgend: LK-Tiedemann,vor § 283, Rn. 101. 21 Anderes gilt allerdings für die intensiv diskutierte Frage nach dem tauglichen Täter von Bankrottdelikten, die sich insbesondere in Fällen faktischer Geschäftsführung als problematisch erweist (vgl. die Darstellung der hierzu vertretenen Auffassungen bei Hiltenkamp-WISgalle, Bankrottdelikte, S. 73ff.). Im hier gegebenen Kontext geht es jedoch nicht um die Frage,

76 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Dies betrifft namentlich die Notwendigkeit einer genauen (rechtlichen und tatsächlichen) Herausarbeitung der strafrechtlich zu untersuchenden Vermögensdisposition und den Grundsatz der Einzelbetrachtung bezüglich der zu überprüfenden Vermögensdisposition. 22 Ungeklärt ist auch die Zulässigkeit und der Standort von Gesamtbetrachtungen des schuldnerischen Wirtschaftens Z3 , die Frage der allgemeinen Bedeutung von im Zusammenhang mit Vermögensabflüssen zugeflossenen Vermögensvorteilen24 und der Bedeutung außerstrafrechtlicher Verpflichtungen und Verbote für die Beurteilung vermögensmindernder Einwirkungen 25 • Nicht herausgearbeitet sind bislang auch die maßgeblichen thematischen Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der Wirtschaftswidrigkeit einer Maßnahme 26 • Il. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft

als außerstrafrechtliche Verweisung

1. Betriebswirtschaftliehe Wirtschaftlichkeitstheorien (Schlüchter, Höfner u.a.)

Der Begriff "Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft" wird von einem Teil der Literatur als Verweisung auf betriebswirtschaftliehe Wirtschaftlichkeitstheorien und -kriterien verstanden. v Ordnungsgemäßes Wirtschaften liege dann vor, wenn sich das Verhalten des Schuldners im Einklang mit einer betriebswirtschaftlichen Theorie über wirtschaftliches Verhalten befindet bzw. wirtschaftlich vernünftig ist. 28 wessen Verhalten Gegenstand der strafrechtlichen Prüfung ist, sondern um die genaue Herausarbeitung des zu prüfenden Verhaltens und die Methode seiner Prüfung. 22 Eingehend unten, S. 435ff., 439. Z3 Eingehend unten, S. 437, 439ff. 24 Eingehend unten, S. 257ff., 437. 25 Eingehend unten, S. 284ff. 26 Eingehend unten, S. 318ff. v Zu beachten ist die Differenz von betriebswirtschaftlichen Wirtschaftlichkeitstheorien einerseits und der sog. wirtschaftlichen Betrachtungsweise andererseits (BGH NJW 1969, 1494; BGHSt 30, 127, 128; Tiedemann, Dünnebier-Festschrift, S. 525ff.). Erstere sind Theorien über das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten richtige Verhalten, sie sind präskriptiver Natur. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise dient dem Verständnis und Beurteilung eines Sachverhaltes anhand der ihm inhärenten wirtschaftlichen Wirkungsmechanismen, sie ist deskriptiver Art. 28 Schlüchter, Grenzbereich, S. 47f., 55f; Häfner, Überschuldung, S. 45; vom Ansatz her wohl auch - wenngleich nicht ganz eindeutig - SK-Samson, § 283 Rn. 11: Die Geschäfte "müssen den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen, dürfen also von einem ordentlichen Kaufmann - angesichts der Krise - nicht vorgenommen werden. Sie erfüllen den Tatbestand nicht, wenn sie wirtschaftlich vernünftig sind ... ".

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

77

Diese Verschiebung der Bezugsgrößen und Beurteilungsgrundlagen bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabes hin zu betriebswirtschaftlichen Parametern wirkte auf die strafrechtliche Diskussion nachhaltig zurück. Beispielsweise gründet sich die Kritik an der Unbestimmtheit des Begriffs (Art. 103 Absatz 2 GG)29 - insbesondere im Zusammenhang mit der Generalklausel der Ziffer 8 - auch darauf, daß eine "verwirrende Vielfalt von Wirtschaftlichkeitstheorien,,30 existiere bzw. darauf, daß das vernünftige Wirtschaften "von den verschiedenen Richtungen in der Betriebswirtschaftslehre unterschiedlich beurteilt,,31 wird. Differenzen zwischen den verschiedenen Wirtschaftlichkeitstheorien ergäben sich bereits bei deren Ausgangspunkt je nachdem, ob man die Liquidität oder die Rentabilität zur maßgeblichen Bezugsgröße der Beurteilung wähle. Vielfältige Verknüpfungen der Bezugsgrößen und unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe führten dazu, daß die "eindeutige Bestimmung" der (betriebs)wirtschaftlichen Vertretbarkeit "erheblich erschwert,,32 sei. Inhaltlich mag das auf die Betriebswirtschaft verweisende Begriffsverständnis wegen des wirtschaftlichen Kontextes der Tathandlungen nahe liegen. Jedoch bestehen an der Richtigkeit dieses Ansatzes bei näherer Analyse aus mehreren Gründen erhebliche Zweifel. Bereits der Wortlaut des § 283 StGB legt eine umfassendere Auslegung nahe, denn es heißt nicht etwa "Anforderungen der Wirtschaftlichkeit" oder "wirtschaftlichen Anforderungen ordentlicher Unternehmungsführung". Es wird vielmehr auf die Ordnungsgemäßheit des Wirtschaftens im allgemeinen verwiesen, wobei die in Bezug genommene Ordnung in diesem Zusammenhang wohl eher die Rechtsordnung und weniger die betriebswirtschaftliche Ordnung sein wird. Jedenfalls liegt eine übergreifende Interpretation des Begriffs auch der Amtlichen Begründung des 1. WiKG zugrunde, wo die Grundsätze der ordnungsgemäßen Wirtschaft als Hinweis auf die "Wahrung der gebotenen Sorgfalt im Wirtschaftsverkehr" verstanden werden, ohne daß betriebswirtschaftliche Kategorien in diesem Zusammenhang überhaupt Erwähnung fänden. 33 Gegen die betriebswirtschaftlichen Wirtschaftlichkeitstheorien spricht auch die Betriebswirtschaft selbst. Denn es gehört zum gesicherten betriebswirtschaftlichen Erkenntnisstand, daß in Zeiten der Unternehmenskrise die für gesunde, wirtschaftlich schlagkräftige Unternehmen entwickel29 Zum Bestimmtheitsproblem bereits oben, S. 7lf.

30 Höfner,

Überschuldung, S.45.

32 Höfner,

Überschuldung, S. 45.

31 SchJüchter, Grenzbereich, S.47.

33 Amtliche Begründung, BT-DrS. 7/3441, S. 35.

78 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

ten wirtschaftlichen Verhaltensanweisungen nicht verwendbar sind.34 Krisensituationen sind gekennzeichnet durch einen rapide fortschreitenden Verlust an Handlungsalternativen.35 Maßstab für ein ordentliches Verhalten in solchen Situationen können daher nicht Theorien sein, die im Grundsatz von einem umfassenden Katalog zu Gebote stehender wirtschaftlicher Handlungsmöglichkeiten ausgehen.36 Betriebswirtschaftliche Wirtschaftlichkeitstheorien zugrundezulegen ist von einem wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt auch deshalb nicht angezeigt, weil sie die Komplexität wirtschaftlicher Entscheidungen37 maßstabsmäßig nicht zu erfassen vermögen. Denn die meisten Wirtschaftlichkeitstheorien setzen beispielsweise einen bestimmten Informationsstand des Wirtschafters voraus bzw. setzen für die weitere Entwicklung der Tatsachen feste Erwartungen oder Gesetzmäßigkeiten ein?8 Dies wird gerade der Situation von Krisenunternehmen nicht gerecht, in der ein erster, wesentlicher Schritt für die Bewältigung der Krise die vollständige Erfassung der Unternehmenssituation ist. Damit wird die Informationsgewinnung zu einem entscheidenden Faktor der Krisenbewältigung.39 Die Frage der (rationalen) Informationsgewinnung beschäftigt Wirtschaftlichkeitstheorien aber in der Regel nicht; dafür stellen sie keine Maßstäbe bereit, und dies ist auch nicht ihr Erkenntnisinteresse. Aus diesen Einwänden ließe sich folgern, als Maßstab sei eine betriebswirtschaftliche Theorie zu wählen, die sich spezifisch mit den Fragen des wirtschaftlich vernünftigen Verhaltens in Krisensituationen befaßt. Derar-

34 vgl. Sclulmpeter, Economic Development, S. 61-62 über die Unternehmenskrise: The usual theory of economic development "00. describes economic life from the standpoint of a "circular f1ow," running on in channels essentially the same year after year. (00') Now this circular f10w and its channels do alter in time (00') yet it only does so continuously. Economic life experiences changes (gemeint ist die Krise, der Verf.) too (00') which do not appear continuously and which change the framework, the traditional course itself. They cannot be understood by means of any analysis of the circular f1ow, although the are purely economic and although their explanation is obviously among the tasks of pure theory." Ferner Nelson, Corporations, S. 4 passim mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 35 Maasmeier, Externes Krisenmanagement, S. 41; Becker, zm 1978, 672, 681. 36 Auf die Krisenabhängigkeit des Maßstabes bei den Konkursdelikten weisen hin: Eitel in der Sachverständigenanhörung, 80. Sitzung des Ausschusses für die Strafrechtsreform, 7. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, Stenographischer Dienst, S. 2547; LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 97. Näher zur Krisenintensität als Bewertungsfaktor für die Zulässigkeit von Vermögensdispositionen unten, S. 408ff. 37 Dazu unten, S. 375ff., 432ff. 38 Kritisch zur Unterstellung bestimmter Tatsachen bzw. Erwartungen als Grundlagen ökonomischer Entscheidungen: Gäfgen, Wirtschaftliche Entscheidung, S. 127 unter Hinweis auf Hayek, Individualism, S. 45, mit weiteren Nachweisen. 39 HÖhn, Krisenmanagement, S. 26 f.

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

79

tige Theorien sind durchaus vorhanden. 40 Jedoch führt auch dieser Ansatz letztlich nicht weiter. Denn jede Verengung des Begriffsverständnisses auf betriebswirtschaftliche Parameter gerät in Konflikt mit zentralen Grundsätzen für die Auslegung und Anwendung strafrechtlicher Normen, insbesondere mit den Auslegungsprinzipien der konkursstrafrechtlichen Tatbestände des 24. Abschnitts des StGB. Der methodische Ausgangspunkt für die Inhaltsbestimmung strafrechtlicher unbestimmter Rechtsbegriffe ist deren normativer Kontext, i.e. der Straftatbestand, dessen Tatbestandsmerkmal sie sind.41 •42 Maßgebliche Bedeutung kommt bei der Auslegung dem sachlichen Zusammenhang des verwendeten Begriffes mit den übrigen Normbestandteilen der Strafnorm sowie dem Zweck der Strafnorm ZU.43 Hieraus folgt - wie die höchstrichterliche Rechtsprechung gerade hinsichtich der konkursstrafrechtlichen Begriffe wiederholt betont hat44 - die Eigenständigkeit strafrechtlicher Auslegung.45 Diesen Auslegungsgrundsätzen wird die Anknüpfung an betriebswirtschaftliche Wirtschaftlichkeitstheorien nicht gerecht. Letztere verfolgen die unterschiedlichsten Ziele (Rentabilität, Liquidität, Umsatz, Kostenreduzierung, MarktsteUung, kurz- und mittelfristige Krisenbewältigung u.ä.46); ihnen allen ist jedoch gemeinsam, daß sie nicht den Zweck verfolgen, Rechtsgüter zu schützen. Dies aber ist das wesentliche Kriterium für die Auslegung unbestimmter Tatbestandsmerkmale strafrechtlicher Normen, welches auch bei der Auslegung des unbestimmten Begriffs "ordnungsgemäßer Wirtschaft" nachhaltig zu berücksichtigen ist. Damit wird keineswegs die Befreiung des Konkursstrafrechts vom betriebswirtschaftlichen Denken gefordert. Es geht vielmehr um den schlichten Befund, daß die Betriebswirtschaftslehre allein nicht geeignet ist, das zugrundeliegende strafrechtliche Wertungsproblem zu lösen.47 •48 Das Unbefriedigende an der "betriebswirt40 Vgl. die umfangreiche Literatur zum sog. Krisenmanagement: Becker, zm 1978, S. 673 passim; Böckenförde, Unternehmenssanierung, S. 49ff.; Fink, Crisis Management, S.47 passim; Höhn, Krisenmanagement, S. 71 passim; Maasmeier, Externes Krisenmanagement, S. 35 passim; Müller, Krisenmanagement, S. 84 passim jeweils mit umfangreichen Nachweisen. 41 Noch näher unten, S. 147f. 42 BVerfGE 48, 48, 60f. 43 BVerfGE48, 48, 60f. 44 BVerfGE 48, 48, 60f.; BGHSt 22, 360, 361; 34, 221, 226. 45 Allgemein Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 135f.; Tiedemann, Verfassungsrecht, S. 40, jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 46 Vgl. Schlüchter, Grenzbereich, S. 47; Gätgen, S. 111 mit weiteren Nachweisen. 47 Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, der Rechtsgüterschutz verwirkliche sich bei einem betriebswirtschaftlich sinnvollen Handlungen mittelbar dadurch, daß das Handeln (vermittelt durch die WirtsChaftlichkeit) der Unternehmensexistenz förderlich ist. Zum einen wäre dies gesondert nachzuweisen (was an den Ausgangspunkt zurückführen würde), und zum anderen ist es nicht Aufgabe des Strafrechts, bestimmte Verhaltensweisen zu gewährleisten, als deren Reflex Rechtsgüterschutz eintritt. Wesen und Rechtfertigung des Strafrechts ist der

80 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

schaftlichen Lösung" besteht darin, daß die Frage unbeantwortet bleibt, ob den von den Folgen einer wirtschaftlich gebotenen Maßnahme potentiell Betroffenen, sc. den Gläubigern, das mit der Maßnahme verbundene Risiko auch zugemutet werden kann.49 Das Problem mag ein Beispiel verdeutlichen, in dem die widerstreitenden Interessen der Wirtschaftlichkeit und des Rechtsgüterschutzes in extremer Weise einander gegenübertreten: Im Rahmen der jüngeren Diskussion um "lawand economics" ist verschiedentlich herausgearbeitet worden, daß es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoller ist, die von fehlerhaften Produkten ausgehenden Gefahren hinzunehmen und deren wirtschaftliche Konsequenzen (Kompensation durch Schadensersatz) zu tragen als die Produktfehler in kostenaufwendigen Verfahren zu beseitigen. Aus diesem Befund aber abzuleiten, daß die Befolgung des Wirtschaftlichkeitsstandards mit der Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gleichzusetzen sei (und damit ein Unterlassen der Fehlerbeseitigung seitens des Herstellers als sorgfaltsgemäß zu qualifIzieren), ist in einem auf Rechtsgüterschutz ausgerichteten Strafrecht nicht haltbar.so In diesem Sinn geht es in der Unternehmenskrise aus strafrechtlicher Sicht nicht um wirtschaftliche Vertretbarkeit, sondern vielmehr um vertretbare Wirtschaftlichkeit. Zwar muß das Strafrecht seine Verhaltensanforderungen auch am Wirtschaftsverkehr orientieren und darf diesen nicht im Wege überzogener An-

unmittelbare Rechtsgüterschutz. Ähnlich Franzheim (wistra 1984, 212, 213) im Zusammenhang mit der Frage der Übertragbarkeit des zivilrechtlichen Überschuldungsbegriffs ins Strafrecht. 48 Ähnlich auch Harneit, Überschuldung, S. SO. 49 Vgl. Schünemann, Festschrift für Lackner, S. 367, 391, zu der ähnlich liegenden Problematik der "Regeln der Technik im Strafrecht". Schünemann weist zu Recht daraufhin, daß der Schluß von wissenschaftlich-technischen Standards auf die EinhaItung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auf einer "unsauberen Vermischung von Empirie und Wertung" (aaO) beruht. so Zur Frage der strafrechtlichen Produkthaftung nur BGHSt 37, 106, 116f. (mit diversen weiteren Nachweisen) und die dortige Begründung der Pflichtwidrigkeit des Inverkehrbringens gesundheitsgefährdender Stoffe, in der der Bundesgerichtshof zum hohen Rang und zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit durch die Rechtsordnung Stellung nimmt: die Pflichtwidrigkeit "fOlgt bereits daraus, daß es die Rechtsordnung, wenn auch nicht ausnahmslos, so doch grundsätzlich verbietet, Gefahren zu schaffen, aus denen sich, greift niemand in den Lauf der Ereignisse ein, im weiteren Fortgang körperliche Schäden für Dritte entwickeln. Das gilt auch dort, wo sich keine besondere Gesetzesnorm nachweisen läßt, die solches Gefährdungsverhalten mit Sanktionen belegt, insbesondere den Verursacher strafrechtlich haftbar macht." Ob die mit der Beseitigung dieser Gefahr verbundenen (Rückruf)Kosten eine andere Sichtweise rechtfertigen, wird in der zitierten Entscheidung nicht einmal erwogen.

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

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forderungen in seiner Leistungsstärke über Gebühr beeinträchtigen.51 Jedoch folgt aus diesem Postulat keineswegs, daß die spezifischen Verhaltensgebote des Wirtschaftsverkehrs uneingeschränkt ins Strafrecht zu übernehmen wären. Denn grundsätzlich ist - auch bei nach betriebswirtschaftlichen Theorien vernünftigen Verhaltensweisen - auf einer Wertungsebene zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sich das (wirtschaftlich richtige) Verhalten gegenüber den anderen an dem Interessenkonflikt beteiligten Interessen durchsetzt oder hinter ihnen zurücktreten muß.52 Dieses Wertungsproblem kommt im Tatbestand des § 283 Absatz 1 StGB geradezu paradigmatisch durch den unbestimmten Rechtsbegriff des "ordnungsgemäßen Wirtschaftens" zum Ausdruck. Es wird von den betriebswirtschaftlichen Theorien nicht angesprochen. In der Ignoranz aller betriebswirtschaftlicher Theorien gegenüber dem Rechtsgüterschutz liegt demzufolge die Ursache ihrer Unverwertbarkeit im Strafrecht.53 Sie sind als alleiniges Kriterium für die Inhaltsbestimmung des "ordnungsgemäßen Wirtschaftens" untauglich.54 2. Wirtschaftsrechtliche "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" (Tiedemann u.a.) Tiedemann55 hat als bislang einziger Vertreter in der Literatur ein umfassendes Konzept für das inhaltliche Verständnis des Begriffs vorgelegt, das neben einer Vielzahl diskutierter Einzelfragen einen abstrakten Be-

51 Ganz allgemein gilt, daß Sorgfaltsnormen so zu bestimmen sind, daß die Aufrechterhaltung des durch sie geregelten Verkehrsbereichs gewährleistet ist. Ähnlich für § 283 StGB wohl LK-Tiedemann, § 283, Rn. 109. 52 Dies gilt im übrigen auch in umgekehrter Richtung: Mit der Etikettierung eines Verhaltens als wirtschaftlich sinnlos ist keineswegs festgestellt, daß die sich ergebenden Konsequenzen stets und immer für alle am Interessenkonflikt Beteiligten unzumutbar sind. Dies gilt insbesondere für Bagatellrisiken (unten, S. 278ff.) infolge unwirtschaftlicher Maßnahmen. 53 Etwas unklar insoweit Tiedemann, Dünnebier-Festschrift, S. 528: wo •... ein wirtschaftlicher Vorgang unmittelbar zu beurteilen ist, bestehen keine Bedenken gegen die dann angemessene wirtschaftliche Betrachtung.· 54 Daran ändert auch die Kemthese (oben, S. 72) nichts. Sie mag zwar tatsächlich zu breiten Überlappungen mit einer nicht allein auf - betriebswirtschaftliche - Wirtschaftlichkeitstheorien abstellenden Begriffsbestimmung führen, jedoch bleibt sie methodisch ganz dem betriebswirtschaftlichen Wirtschaftlichtkeitsmaßstab verhaftet. Ihr innovativer Gedanke besteht allein darin, die unterschiedlichen Theorien in einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt zu haben. Ihre Grundlage bleiben die aus schuldnerischer Sicht zu beurteilenden - betriebswirtschaftlichen - Wirtschaftlichkeitsparameter. 55 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 96 passim; § 283, Rn. 162 passim; derselbe, ZIP 1983, 513, 520; derselbe, KTS 1984, 539, 551; derselbe, Zentralbegriff, S. 1ff. mit jeweils zahlreichen weiteren Nachweisen

6 Krause

82 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

zugsrahmen und einen methodischen Ansatz für die Maßstabsbestimmung aufweist. 56 a) Die "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" Strukturell handelt es sich beim ordnungsgemäßen Wirtschaften für Tiedemann um einen in mehrfacher Weise gestuften Begriff. Korrespondierend zum einfachen und groben Verstoß existierten höhere und elementare Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens, Stufungen ergäben sich auch aus den verschiedenen Branchen sowie danach, ob der Schuldner sich in einer Krise befmdet oder nicht bzw. nach der jeweiligen Krisenintensität.57 Tiedemann geht von einer Differenz des Sorgfaltsmaßstabes bei privaten und kaufmännischen Wirtschaftern aus, wobei die Zuordnung der (für § 283 StGB sehr bedeutsamen) Angehörigen freier Berufe bei dieser Differenzierung nicht ganz deutlich wird. Im Zentrum seiner Aufmerksamkeit steht die Sorgfalt der kaufmännischen Wirtschafter, zu denen er in diesem Zusammenhang wohl auch die freien Berufe zählt. Für den privaten Wirtschafter bestünden keine normativen Vorgaben für ein rationales Wirtschaften, er könne nach seinem Gutdünken wirtschaften.58 Für die Sorgfalt des kaufmännischen Wirtschafters entwirft Tiedemann ein umfassendes Konzept. Dessen Fundament bildet die Überzeugung, daß es sich bei dem Merkmal der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" rechts technisch um eine Verweisung auf einen außerstrafrechtlichen Maßstab handele. Entsprechend wählt Tiedemann als abstrakten Bezugsrahmen die handels- bzw. gesellschaftsrechtlich verfestigten Pflichten eines kaufmännischen Wirtschafters.59 Dabei geht er vom handelsrechtlichen Maßstab des ordentlichen Kaufmanns (§ 347 Absatz 1 HGB) aus und zieht ergänzend insbesondere das gesetzliche Pflichtenprogramm der Organe von Kapitalgesellschaften (§ 43 Absatz 1 GmbHG, § 93 Absatz 1 Satz 1 AktG, § 34 Absatz 1 Satz 1 GenG) hinzu. Trotz ihrer Unbestimmtheit, die im Interesse einer flexiblen Anpassung an die sich wandelnden wirtschaftlichen Verhältnisse Zustimmend Harneit, Überschuldung, S. 90 f.. Zustimmend RiclUer, GmbH-Rdsch. 1984, 147. 58 Dabei bleibt offen, wie das Tatbestandsmerkmal mit Blick auf Private - die tatbestandlieh als potentielle Täter zweifelsohne in Betracht kommen - überhaupt angewendet werden soll. 59 Ähnlich für die Übernahme handelsrechticher Pflichtenprogramme in das Konkursstrafrecht: Bretzke, Drohende Zahlungsunfähigkeit, S. 131 ff.; dieselbe, KTS 1985, 413, 416ff., wenngleich nicht mit unmittelbarem Bezug zum ordnungsmäßigen Wirtschaften, sondern zu Selbstinformationspflichten bei der Krisenerkennung. 56 57

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

83

geboten erscheine, seien diese Maßstäbe mittlerweile in einem solchen Maße ausgebildet, daß von "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung"60 gesprochen werden könne, deren Konkretisierung von Größe, Gegenstand und Branche des Unternehmen bestimmt seien. Faktischer Anknüpfungspunkt der Beurteilung ist für Tiedemann weniger das Entscheidungs- oder Maßnahmeziel, sondern in erster Linie "die Durchführung der Maßnahme einschließlich der Vorbereitung der einschlägigen Entscheidung duch Beobachtung, Prüfung und Planung".61 Methodisch geht Tiedemann bei der (primär induktiven) Inhaltsgewinnung des Maßstabes von den außerstrafrechtlich ausgebildeten kaufmännischen Sorgfaltsanforderungen aus, die auf der kaufmännischen Verkehrssitte bzw. der allgemeinen kaufmännischen Übung gründeten. Diese wiederum setze sich aus der tatsächlichen Übung unter Kaufleuten und ihrer werthaften Anerkennung zusammen. 62 Entsprechendes gelte für die Verkehrssitte unter den Angehörigen freier Berufe. Das (induktive) Auffinden der Verkehrssitte werde damit zum zentralen Problem bei der Prüfung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft, wobei sich klare Anhaltspunkte aus gesetzlichen Regelungen des HGB, GmbHG, GenG und AktG ergäben. Normierungsansätzen, die sich als bloße Empfehlungen für das kaufmännische Verhalten darstellen63 , komme demgegenüber eine präjudizierende Wirkung ebensowenig zu wie Straftatbeständen, deren Schutzrichtung auf andere als die von § 283 StGB geschützten Rechtsgüter abzielt. 64 Eine "stärkere Ausrichtung an den Lehren der Betriebswirtschaft,,65 sei jedenfalls dann geboten, wenn der Maßstab im Wege deduktiven Vorgehens ermittelt werde. Im übrigen seien auf dieser Ebene zahlreiche 60 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 106. Tiedemann bezieht sich insgesamt weitgehend auf die Kommentierung der Sorgfaltspflichten der Unternehmensführung von Schneider in Schotz, GmbHG, § 43, Rn. 70ff., von dem auch der Begriff übernommen ist. 61 Tiedemann, ZIP 1983, 513, 52!. 62 Insoweit finden sich bei Tiedemann deutliche Anklänge der Lehre vom Gewohnheitsrecht, das durch das tatsächliche Verhalten der Rechtsgenossen (consuetudo) und die es begleitende Rechtsüberzeugung (opinio iuris) konstituiert wird; Larenz, Methodenlehre, S. 34lf., 415f. Die Problematik einer auf gewohnheitsrechtliehe Institute bezogenen Auslegung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale besteht in der strafrechts-systematischen Indifferenz zumal des außerstrafrechtlichen Gewohnheitsrechts. Insoweit merkt Jakobs (Allgemeiner Teil, S. 90) zu recht an, daß auch dann, wenn ein Gesetz auf gewohnheitsrechtlich Verfestigtes zugeschnitten sei, nicht die Gewohnheit, sondern der strafrechtliche "systematische Zusammenhang" die Legitimierung der gesetzlichen Regelung sei. Die legitimierende Wirkung des strafrechtlichen Zusammenhanges bedürfe des gesonderten Nachweises. Dieser ist für die kaufmännischen Gewohnheiten im Konkursstrafrecht bislang allerdings nicht erbracht. 63 Tiedemann verweist hier auf die Empfehlungen internationaler und nationaler Organisationen und kaufmännischer Verbände (UNO,OECD, Handelskammern u.ä.). 64 Beispielsweise Ordnungswidrigkeiten tatbestände des UWG bzw. GWB, insbesondere Preisbindungsregeln; Tiedemann, KTS 1984,539,548; vgl. auch unten, S. 314ff. 65 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 109. 6'

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einzelne Gesichtspunkte zu berücksichtigen, von denen hier nur die Abhängigkeit der Sorgfaltsanforderungen von Gegenstand und Größe des Unternehmens, von seiner Rechts- und Finanzierungsform und von der Branche zu nennen ist. Ist ein Bewertungsmaßstab für das in Rede stehende Verhalten gefunden, kommt der Ansatz der "Kernthese" ins Spiel: da jedes Verhalten, das sich innerhalb des unternehmerischen Ermessens als vertretbar erweist, für Tiedemann nicht strafbar ist, muß in einem letzten Schritt geklärt werden, ob sich "die wirtschaftliche Entscheidung oder Maßnahme als zweifelsfrei unvertretbar,,66 darstellt. Kann auch dies bejaht werden, liegt für Tiedemann ein Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens

VOr. 67

b) Einwände gegen die "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" Die klare Überlegenheit der Auffassung Tiedemanns gegenüber den zuvor dargelegten Auffassungen liegt darin, daß er einen juridischen Maßstab anbietet, der auf der Rechtsprechung und der Literatur zur Leitung von Unternehmen und zur Durchführung bestimmter Transaktionen aufbaut. Dies steht mit der hiesigen Auffassung in Einklang, wonach es bei der Auslegung des Begriffes der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft um eine wertende Abschichtung von Risikobereichen geht, denn die von Tiedemann in Bezug genommenen Regeln betreffen in ihrem Ansatz eben solche Abgrenzungen. Überdies gelangt Tiedemann mit seinem Ansatz in einer Vielzahl von Einzelfragen zu Ergebnissen, die sachgerecht sind.68 Doch stehen der Konzeption Tiedemanns, insbesondere der Bezugnahme auf die handels- und gesellschaftsrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung (§ 347 HGB, § 43 GmbHG, § 93 AktG), Bedenken entgegen. Diese rühren - um das Ergebnis vorwegzunehmen - einerseits daher, daß die Konzeption zu in sich wertungsmäßigen Schieflagen führt. Andererseits wird die Konzeption dem Postulat der Eigenständigkeit strafrechtlicher

LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 110. Vgl. zu Tiedemanns Ansicht in Einzelfragen näher in § 5. 68 Zur KIarstellung sei darauf hingewiesen, daß Tiedemanns Konzeption hinsichtlich der informationsbezogenen Alternativen, insbesondere in bezug auf die Buchführungsdelikte, uneingeschränkt zuzustimmen ist, denn hierbei handelt es sich zweifellos um eine außerstrafrechtiche Verweisung auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, die wegen der ausdrücklichen Bezugnahme des Gesetzes vollumfanglich auch im Strafrecht gelten (LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 106; derselbe, Dünnebier-Festschrift, S.531, ferner unten, S. 424ff.). 66

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§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

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Auslegung69 bei den Insolvenzdelikten nicht voll gerecht. Dies führt schließlich dazu, daß die Konzeption Tiedemanns das Problem der Gewinnung eines strafrechtlichen Maßstabes nicht löst, sondern nur verschiebt. Zunächst fällt auf, daß der Gesetzgeber bei der Wahl der gesetzlichen Formulierung der bestandsbezogenen Bankrottalternativen gerade nicht den Weg einer deutlichen Anlehnung an zivilrechtlich (insbes. handelsrechtlich) verfestigte Begriffe und Institute gegangen ist, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre und er es bei den informationsbezogenen Alternativen (z.B. Ziff. 7: "entgegen dem Handelsrecht") getan hat. Überdies findet sich in den Beratungen des Gesetzgebers kein Hinweis auf eine Differenzierung hinsichtlich der zu beachtenden Sorgfalt zwischen privaten und kaufmännischen Wirtschaftern. Vielmehr spricht die Tatsache, daß in der Entwurfsbegründung nur allgemein vom "sorgfältige(n) Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr" 70 die Rede ist, obgleich dem Gesetzgeber die Unterschiedlichkeit der damit in Bezug genommenen Personenkreise durchaus bewußt war7I, dafür, daß der Gesetzgeber einen allgemein definierten (genuin strafrechtlichen) Sorgfaltsbegriff des Wirtschaftens vor Augen hatte und nicht von einer Verweisung auf einen gefestigten außerstrafrechtlichen Maßstab ausging.72 Dies legt auch der Umstand nahe, daß der Gesetzgeber das von ihm erkannte Problem der Unbestimmtheit der Generalklausel nicht mit dem Hinweis darauf beantwortete, daß die Pflichten eines Wirtschafters mittlerweile zivilbzw. handelsrechtlich hinreichend konkretisiert seien. Vielmehr begründete er die Bestimmtheit des Begriffs damit, daß "die Vorschrift an vorher näher beschriebene Verhaltensweisen ("in anderer Weise") anknüpft".73 Jenseits der gesetzgeberischen Äußerungen ergeben sich erste Einwände aus Tiedemanns System selbst. Denn die Tatsache, daß für Tiedemann einerseits normative Vorgaben für den privaten Wirtschafter nicht existieren, andererseits eine Strafbarkeit aber nur dann eintreten soll, wenn Sachkundige ein Verhalten für eindeutig unvertretbar halten ("Kernthese"), führt dazu, daß sich private Wirtschafter bzw. Kaufleute im Rahmen ihrer Privatgeschäfte praktisch nicht nach (bestandsbezogenen) Alternativen des § 283 StGB strafbar machen können - ein verwunderliches Ergebnis. Damit BGHSt 34, 221, 225f.; Engisch, Einführung, S. 161f., 234 Fn. 77. BT-DrS. 7/3441, S. 20. 71 Dies verdeutlicht insbesondere die Begründung zum Krisenmerkmal der Überschuldung (BT-DrS. 7/3441, S. 20) sowie die Stellungnahme der Sachverständigen zu den einzelnen Bankrottalternativen im Vorfeld des Gesetzentwurfs, Tagungsberichte, S. 89 passim. 72 Auch die Rechtsprechung geht ersichtlich davon aus, daß es sich bei der "ordentlichen kaufmännischen Geschäftsführung" und bei der "Sorgfalt eines gewissenhaften und ehrbaren Geschäftsmannes" um unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe handelt (BGHSt 34, 379, 388). 73 BT-DrS. 7/3441, S. 36. 69

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kommt es zu erheblichen Strafbarkeitslücken74, denn an der Strafwürdigkeit von Gläubigergefährdungen in diesem Bereich kann - insbesondere bei Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit - kein Zweifel bestehen.75 Ferner bestehen Bedenken dahingehend, daß die Konzeption Tiedemanns zu einer nicht gerechtfertigten Ausweitung der Strafbarkeit führt. Das hängt mit der für ihn zentralen Bedeutung der kaufmännischen Verkehrssitte, genauer: mit deren Element der Anerkennung, zusammen. Der Aspekt der Anerkennung unter Kaufleuten bezieht sich auf die Werthaftigkeit einer Übung hinsichtlich der praktischen Erfordernisse des Handelsverkehrs eine Aussage über die Strafwürdigkeit dieses Verhaltens umfaßt sie nicht. Vor dem Hintergrund, daß die kaufmännische Sorgfalt in diversen Bereichen gesteigerte Anforderungen steUe6, muß - auch in der Krise - nicht jeder Verstoß gegen anerkannte Grundsätze strafrechtlich relevant sein.77 Diese Problematik wird nicht dadurch entschärft, daß Tiedemann schließlich der Kernthese folgt und nur unbestritten unvertretbares Handeln für wirtschafiswidrig hält. Denn dadurch wird nicht ausgeschlossen, daß auch unbestrittene Wertungen des Handelsverkehrs - vor dem Hintergrund des strafrechtlich allein zu gewährleistenden Rechtsgüterschutzes - zu weit gefaßt sind.78 Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß in der Krise krisenspezifische Verhaltensmaßstäbe zugrundezulegen sind. Die Grundsätze der Unternehmensführung sind - jedenfalls soweit Rechtsprechung und Literatur sie herausgearbeitet haben und Tiedemann auf sie verweist - für krisenfreie Unternehmen entwickelt worden und nicht ohne weiteres auf krisenbehaftete Unternehmen übertragbar. 79 Zu suchen wäre somit nach Grundsätzen ord74 Die strafrechtliche Haftung hinge beim Privatvermögen von Kaufleuten häufig von dem zufälligen Gesichtspunkt ab, wie der Kaufmann sein Bilanzierungswahlrecht (Dreiss/EitelDreiss, 1. WiKG, S. 141) ausübt: so würde das Beiseiteschaffen eines teil-betrieblich genutzten PKW dann bestraft, wenn der Kaufmann den PKW bilanziert hat (Betriebsvermögen = kaufmännisches Wirtschaften), nicht aber bestraft, wenn er den Wagen nicht bilanziert (Privatvermögen = keine rationale Anforderungen). Den Kaufmann hinsichtlich seines Privatvermögens wie einen Geschäftsmann (und damit anders als andere Privatleute) zu behandeln, dürfte wegen Art. 3 Absatz 1 GG nicht möglich sein. 75 BGH MDR 1981, 510; Otto, Bruns-Gedächtnisschrift, S. 273ff.; zum Privatvermögen auch Höfner, Überschuldung, S. 44. 76 Vgl. nur Baumbach/Duden/Hopt, § 347, Anm. 1 A. 77 Tiedemanns eigene These von der Gestuftheit des Begriffs (LI(, vor § 283, Rn. 98) geht dahin, daß steigende Anforderungen zu einem Absinken der Intensität des Pflichtverstoßes im Falle der Mißachtung führen. 78 Instruktiv zur "Kemthese" Jakobs, Allgemeiner Teil, S. 81. 79 Tiedemann sieht zwar die Maßstabsrelevanz der Krisensituation, jedoch wird deren zentrales Gewicht nicht deutlich und ihr Verhältnis zu den Regeln ordnungsmäßiger Unternehmensführung wird bei Tiedemann nicht ganz klar: LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 99 unter Berufung auf den Sonderausschuß (BT-DrS. 7/5291, S. 17).

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

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nungsgemäßer "Krisen"unternehmensführung. Derartige sind aber von Rechtsprechung und Literatur (noch) nicht entwickelt worden. Damit ist der Verweis auf die allgemeinen Regeln der Unternehmensführung allenfalls beschränkt verwendbar und bedürfte stets einer krisenbezogenen8O Konkretisierung. Trotz der unmittelbaren Plausibilität der Bezugnahme auf handels- und gesellschaftliche Sorgfaltsnormen ergeben sich gerade insoweit Bedenken unter dem Aspekt der eigenständigen Auslegung des strafrechtlichen Begriffsinstrumentariums. Der Rückgriff auf den handelsrechtlichen Maßstab des ordentlichen Kaufmanns (§ 347 Absatz 1 HGB) ist im wesentlichen unergiebig, weil es sich dabei um ein pflichtenkonstrukt handelt, dessen alleiniger Anknüpfungspunkt die Durchführung von Handelsgeschäften ist. § 347 Absatz 1 HGB normiert als Generalklausel die Anforderungen des Handelsverkehrs bei der Erfüllung handelsrechtlicher (Vertrags)Verpflichtungen mit dem Ziel der Standardisierung des Geschäftsverkehrs.8l Diese Teleologie macht die zu § 347 Absatz 1 HGB entwickelten Grundsätze für die zu klärende strafrechtliche Frage der bestandsbezogenen Bankrottalternativen wenig aussagekräftig. Denn Anhaltspunkte dafür, wie ein Kaufmann mit dem eigenen Vermögensbestand sorgfältigerweise umzugehen hat, gibt § 347 Absatz 1 HGB nicht. 82 Anhaltspunkte zur Lösung dieser Frage ergeben sich allerdings aus den § 43 Absatz 1 GmbHG und § 93 AktG (weshalb deren Hinzuziehung durch Tiedemann intrasystematisch durchaus angezeigt ist). Jedoch basiert der Rückgriff auf die in § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG relevanten Sorgfaltsregeln auf einem unzutreffenden Verständnis von Dualität und Systematik der gesellschaftsrechtlichen Organ pflichten in der Insolvenz. Bei den Organ pflichten ist zwischen internen und externen Pflichten zu differenzieren.&3 Die von Tiedemann herangezogenen Sorgfaltsregeln der § 43 GmbHG und § 93 AktG sind interne Organpflichten. Sie Ähnlich für das Zivilrecht Windel, KTS 1991,477,479. Es handelt sich um eine sogenannte "gruppentypische" Sorgfaltsbestimmung: vgl. Jauernig-Vollkommer, § 276, Anm. III.2.b. 82 Vgl. die einschlägige Kommentarliteratur (nur Baumbach-Duden-Hopt, § 347, Anm. 2ff.) zu den Bereichen, in denen die Rechtsprechung Pflichten konkretisiert hat: Rat, Auskunft, Kommunikation (Telefon, Korrespondenz), Leistungsstörungen u.ä. Freilich gibt es einzelne zivilrechtliche Bereiche, in denen der Rückgriff auf zivilrechtliche, (auch) gläubigerbezogene Sorgfaltsanforderungen möglich und ergiebig ist, z.B. den gesamten Komplex der Unterkapitalisierung von Gesellschaften (vgl. nur § 32a GmbHG, BGHSt 34, 379, 386) sowie die Rechtsprechung zu § 826 BGB (Tiedemann, KTS 1984, 554f.). Vgl. zur Bedeutung zivilrechtlicher Normen für die Prüfung der Wirtschaftswidrigkeit unten, S. 308ff., 335ff. &3 Vgl. eingehend zur prinzipiellen Verschiedenheit externer und interner Sorgfaltspflichten der Geschäftsleitung in der Krise: BGH NJW 1974, 1088, 1089; SChmidt, JZ 1978, 661, 662; Scholz-Schmidt, § 64, Rn. 9, 11, 25; Kölner Kommentar-Mertens, § 92, Rn. 32. Näher noch unten, S. 309ff. 80

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88 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

konkretisieren das unternehmensinterne Verhältnis von Geschäftsleitung und Geschäftsinhaber und besitzen keinen Bezug zu einem auf die Sicherung und Wahrung unternehmensfremder Interessen bedachten Wirtschaften. Sie helfen mithin allenfalls bei der Frage, ob dem Geschäftsinhaber bestimmte von der Geschäftsleitung gesetzte Risiken zuzumuten sind84 und geben keinen Aufschluß hinsichtlich der Zumutbarkeit einzelner Maßnahmen für die Gläubiger des Unternehmens. Es ist einhellige Ansicht, daß die organschaftliche Pflicht der Geschäftsführung zu ordnungsgemäßer Unternehmensleitung (§ 43 GmbHG, § 93 AktG) nur im Verhältnis zur Gesellschaft, nicht aber auch im Verhältnis zu den Gläubigern besteht.8S Dies verdeutlicht die Tatsache, daß die Regeln ordnungsgemäßer Unternehmensleitung nicht als Schutzgesetze zugunsten der Gläubiger im Rahmen von § 823 Absatz 2 BGB angesehen werden, da bei ihnen der Schutz Dritter nicht im Vordergrund steht.86 Entsprechend besteht eine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen einer Pflichtverletzung bei der Unternehmungsleitung nur dann, wenn der Gesellschaft ein Schaden entsteht - ein Schaden der Gläubiger reicht gerade nicht aus. 87 Nun kann die zivilrechtliche Haftungslage schwerlich über die Tauglichkeit eines pflichtenkonstrukts im strafrechtlichen Kontext entscheiden. Jedoch ist für das Strafrecht die - sich in der haftungsrechtlichen Lage manifestierende - Tatsache bedeutsam, daß der Gesichtspunkt des Dritt- bzw. 84 Sie stehen wertungsmäßig der Konstellation des § 266 StGB (Verhältnis Vermögensbetreuer - Prinzipal) näher. 8S RGZ 159, 211, 224; BGHZ 75, 96ff.; Kölner Kommentar-Mertens, AktG, § 93, Rn. 85, 87; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 540 f.; Seholz-Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 8. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Gläubiger gemäß § 43 Absatz 3 Satz 3 GmbHG berechtigt sind, Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer infolge von Pflichtverletzungen geltend zu machen, so daß die Regelung in bestimmten Fällen auch für die Interessen der Gläubiger Wirkungen besitzt: es handelt sich bei § 43 Absatz 3 Satz 3 GmbHG um eine Regelung, die allein darauf abzielt, die Befriedigungsinteressen der Gläubiger zu sichern, wenn die übrigen Aktiva zur Befriedigung der Gesellschaft nicht genügen. § 43 Absatz 3 Satz 3 GmbHG konstituiert nicht einen eigenständigen, aus ihrer Interessenlage abgeleiteten Schutz der Gläubiger hinsichtlich der ordnungsgemäßen Unternehmensführung. Der Ersatzanspruch der Gläubiger und der diesem zugrundliegende Interessenschutz bleibt mithin ein von der Gesellschaft abgeleiteter. 86 Kölner Kommentar-Mertens, AktG, § 93, Rn. 87; ferner Scholz-Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 218; ScJunidt, ZIP 1980, 328, 330. Schutzgesetzqualität besitzt hingegen der von Tiedemann nicht angeführte § 92 Absatz 3 AktG, der dem Vorstand nach Kriseneintritt sämtliche Zahlungen verbietet, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu vereinbaren sind (BGH KTS 1962, 169f.; Kölner Kommentar-Mertens, § 92, Rn. 33 mit Nachweisen). Auf diese Vorschrift wird im Zusammenhang mit der gesetzlich geregelten Wirtschaftswidrigkeit zurückzukommen sein (unten, S. 308ff.). 87 Scholz-Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 9.

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

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Gläubigerschutzes bei der zivilrechtlichen Konkretisierung der internen PflichtensteUung des Unternehmensleiters überhaupt kein Kriterium ist.88 Die sich daraus ergebende Fragwürdigkeit der strafrechtlichen Inkorporierung des Pflichtenmaßstabes wird auch daran deutlich, daß die Regeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung selbst im Zivilrecht nicht bei der Frage herangezogen werden, wie mit der Haftung für Gläubigergefährdungen umzugehen ist.89 Bei den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft geht es aber gerade um einen tauglichen Maßstab für die Bestimmung der strafrechtlichem Haftung für Gläubigergefährdungen. Es zeigt sich, daß die von Tiedemann bemühten Sorgfaltsmaßstäbe der § 43 GmbHG bzw. § 93 AktG bereits von ihrer grundsätzlichen Ausrichtung her nicht für eine strafrechtliche Lösung des zugrundeliegenden Interessenkonfliktes zwischen Unternehmer und Gläubigern in Frage kommen.9O Tiedemanns Rückgriff auf interne Geschäftsleiterpflichten des Handelsund GeseUschaftsrechts ist schließlich Bedenken insoweit ausgesetzt, als es zivilrechtliche Parallelvorschriften zu § 283 StGB gibt, die die Vornahme masseschmälernder Vermögensdispositionen bei Zugrundelegung eines externen krisenbezogenen Sorgfaltsmaßstabes regeln (§ 64 Absatz 2 GmbHG, § 92 Absatz 3 AktG).91 Auf diese verweist Tiedemann nicht, obgleich sie allein die zivilrechtliche Parallele zu § 283 StGB bilden.

88 Kritisch für das "umgekehrte" Problem, ein Verhalten von Organen und Vertretern eines Unternehmen unter Rückgriff auf die das Außenverhältnis regelnden Normen der §§ 31 und 831 BGB als ein Handeln "im Interesse" des Unternehmens anzusehen: Lampe, GA 1987, 241, 253 (im Zusammenhang mit der Interessenformel). 89 Die Haftung der Geschäftsleitung gegenüber Dritten richtet sich sowohl bei der GmbH wie auch bei der Aktiengesellschaft - insbesondere hinsichtlich der Pflichtverletzung - nach allgemeinem Deliktsrecht und den dort entwickelten Sorgfaltsmaßstäben, vgl. BGH NJW 1975,1827 (zur Produkthaftung); Scholz-Schneider, GmbHG, § 43, Rn. 235; Kölner Kommentar-Mertens, AktG, § 93, Rn. 87. Eine Konkretisierung der zivilrechtlichen (gläubigerbezogenen) Sorgfaltspflichten mit Hilfe der Grundsätze ordnung.sgemäßer Unternehmensführung wird in der Literatur allein hinsichtlich der Insolvenzverschleppungsschäden (verspätete Konkursantrag.stellung) diskutiert (überzeugend dagegen Windel, KTS 1991, 4TI, 479 mit Nachweisen, ebenso Schmidt, ZIP 1980, 328, 330) und gerade nicht in bezug auf konkrete Vermögensdispositionen in der Krise. § 43 GmbHG kommt zivilrechtlich auch in der Insolvenz als Sorgfaltsmaßstab allenfalls insoweit in Betracht, als es um die internen Pflichten des Geschäftsleiters geht, diese also gerade darauf beruhen, daß er "kraft OrgansteIlung mit der treuhänderischen Verwaltung fremden Vermögens (gemeint ist das des Unternehmensinhabers, der Verf.) betraut" ist (Lindacher, JuS 1984, 672, 674). 90 A1lerding.s läßt sich im Ergebnis eine nicht unbedeutende Schnittmenge ausmachen, denn viele Handlungen, die aus Sicht des Unternehmensinhabers nicht hinzunehmen sind, werden im Ergebnis auch aus Sicht der Gläubiger unzumutbar sein. Die vorgebrachte Kritik wendet sich also in erster Linie gegen die Übertragbarkeit des dem § 43 GmbHG, § 93 AktG zugrundeliegenden Ansatzes. 91 Näher unten, S. 308ff.

90 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Die einzelnen normativen Elemente in Tiedemanns Konzeption sind mithin jeweils eigenen Bedenken ausgesetzt: § 347 HGB bezweckt zwar den Schutz des Verkehrs, ist aber wegen seines Regelungsgegenstandes unergiebig - die § 43 GmbHG und § 93 AktG regeln zwar den Umgang mit dem schuldnerischen Vermögen und insoweit die in § 283 StGB relevante Frage, sie stehen aber in keinem Zusammenhang mit dem Rechtsgüterschutz des allgemeinen Verkehrs. Durch die schlichte Kombination der Pflichtenkonstrukte läßt sich ihr jeweiliges Deftzit nicht ausgleichen. Die Verwendbarkeit wirtschaftsrechtlicher und unternehmensinterner Pflichtenkonstruktionen im strafrechtlichen Kontext hängt nach alldem davon ab, daß sie sich auf einer weiteren (strafrechtlichen) Wertungsstufe unter dem Blickwinkel des Gläubigerschutzes für die vorzunehmende Abschichtung der Risikobereiche als tauglich erweisen.92•93 Dieser Aspekt führt zu der Anschlußfrage nach dem Kriterium für die Tauglichkeit im strafrechtlichen Kontext, weshalb die "Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung" das Problem der Maßstabsbestimmung nicht lösen, sondern (nur) in ein neues Gewand hüllen und also verschieben. Schließlich ist der Rückgriff Tiedemanns auf das Wirtschaftsrecht - ungeachtet speziftscher Bedenken - gesellschafts theoretisch fragwürdig, denn er führt dazu, daß in dem Bereich des allgemeinen Wirtschaftsverkehrs, an dem bei weitem nicht nur Kaufleute und Unternehmen, sondern auch zahlreiche andere Wirtschaftssubjekte teilnehmen, die für Vermögensdispositionen zu beachtenden Sorgfaltsanforderungen einseitig vom Standpunkt der Kaufleute und Unternehmen deftniert werden.94 Gerade Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr, die nicht unmittelbar der unternehmerischen Sphäre zugeordnet werden können (z.B.: Arbeitnehmer, Private, Handwerker), fallen aber mit ihren Forderungen bei Insolvenzen prozentual in weit größerem Umfang aus als der "unternehmerische" Bereich. Dies gilt insbesondere für die zahlreichen Insolvenzen in der Bau- und Wohnungsbranche. 95 Vor diesem empirischen Hintergrund scheint es umsomehr geboten, eine allge92 So ausdrücklich für strafrechtliche velWeisende Blankettbegriffe: Tiedemann, Verfassungsrecht, S. 40; zur Auslegung von Normen im Wirtschaftsstrafrecht: Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 174 ff. 93 Es kommt hinzu, daß den gesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen jedweder Bezug zur Teleologie strafrechtlicher Normen fehlt, Ordnungsaufgaben nicht durch Schadensersatz, sondern durch die Androhung und Verhängung von Strafen vorzunehmen. Vgl. zum Gewicht des teleologischen Arguments bei der Frage der Transformation zivilrechtlicher Sorgfaltsanforderungen in die strafrechtliche Produkthaftung: Kuhlen, Produkthaftung, S. 89ff. 94 Kritisch insoweit auch Schünemann, Festschrift Lackner, S. 367, 391, für die technischen Regeln im Strafrecht. 95 Vgl. nur Hammerl, Bankrottdelikte, S. 63 mit Nachweisen.

§ 3 Das gegenwärtige Begriffsverständnis in der Literatur

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meine Sorgfaltsbestimmung unter Berücksichtigung der Interessen aller Involvierten vorzunehmen.96 3. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als nicht definierter Sammelbegriff (Hammerl u.a.) Die meisten Vertreter in der Literatur definieren den Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft abstrakt gar nicht oder nur sehr vage und allgemein. Dies gilt beispielsweise für die Auffassung Hammerls97, der den Begriff allein im Zusammenhang mit der Generalklausei der Ziffer 8 diskutiert. Dort umschreibe der Begriff das "Gebaren eines ordentlichen Kaufmannes", womit "alle Faktoren, die wirtschaftliches Handeln bestimmen"98, erfaßt seien. Es sei entscheidend, "ob sich die Handlung, gemessen an einem ordentlichen wirtschaftlichen Gebaren, als grob unwirtschaftlich darstellt"99, wobei auf die jeweiligen besonderen Umstände des Einzelfalles abgestellt werden müsse. Neben Verstößen gegen kaufmännische Regeln könne die Untragbarkeit eines Verhaltens auch anband von Risikoerwägungen ermittelt werden. Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft gewinnen bei Hammerl Aussagekraft nur in Zusammenschau mit der Zielsetzung des Merkmals, die nach Hammerls Ansicht darin besteht, mit einem über die speziellen Bankrottalternativen hinausgehenden Sammelbegriff "die typischen Formen kaufmännischer FehlleistungenO/loo vollständig zu erfassen. Die einzelnen Bankrottalternativen arbeitet er jedoch hinsichtlich ihrer strukturellen Eigenheiten nur ansatzweise heraus. Es bleibt offen, worin ihr für den Sammelbegriff der ordnungsgemäßen Wirtschaft relevantes Substrat liegen soll. Aus diesem Grund bleibt der Begriff bei Hammerl inhaltlich weitgehend unklar. Die Kommentarliteratur beschränkt sich darauf, die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze und Beispielsfälle mit nur geringfügigen Abweichungen darzustellen. lol 96 Den Schutzzweck des Konkursstrafrechts zu Gunsten des "nicht-unternehmerischen Bereichs" hebt auch die Sachverständigenkommission hervor: Sachverständigenkommission, Tagungsberichte, S. 78, 89. 97 Hammerl, Bankrottdelikte, S. 117ff., 126ff. 98 Hammerl, Bankrottdelikte, S. 118. 99 Hammerl, Bankrottdelikte, S. 118 (zur Generalklausei). 100 Hammerl stellt drei Typen solcher Fehlleistungen zusammen: Masseschmälernde Aufwendungen, die "in einem groben Mißverhältnis zum Vermögensstand des Schuldners" stehen; Geschäfte, "die das Vermögen eines Kaufmannes mit einem unerträglichen Risiko belasten"; die "Vornahme untragbarer Investitionen", (Hammerl, Bankrottdelikte, S. 126f.). 101 Schönke/Schröder-Stree, § 238, Rn. 4, 12, 17,49; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 4, 7, 12, 16, 31; Lackner, § 283, Rn. 10, 12-14, 21.

§ 4 Die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft in Methode

und Verständnis der Rechtsprechung

Mit der abstrakten Umschreibung eines Maßstabes für das ordnungsgemäße Wirtschaften ist die Rechtsprechung bislang vorsichtig verfahren. Eine klare Definition läßt sich trotz der Fülle der ergangenen Entscheidungen nicht formulieren. Dieser Befund hat unterschiedliche Wurzeln. Mit Blick auf die Auslegung basiert er darauf, daß die Rechtsprechung ihr Begriffsverständnis seit jeher eng an den spezmschen Voraussetzungen der einzelnen bestands bezogenen Bankrottalternativen orientiert und eine alternativenübergreifende Begriffsbildung vermieden hat. Das hat dazu geführt, daß der Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft in den verschiedenen Alternativen teilweise unterschiedlich interpretiert wird. Bei der Subsumtion korrespondiert damit, daß die Gerichte bei der Feststellung der Wirtschaftswidrigkeit zumeist einer stark auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abstellenden Lösung zuneigten. Gleichwohl lassen sich verallgemeinerungsfähige Grundlinien methodischer und inhaltlicher Art auch in der Rechtsprechung ausmachen, die in der Literatur aufgegriffen worden sind. Zu erinnern ist insofern zunächst an die bereits herausgearbeitete Tatsache, daß das Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft allein in den bestandsbezogenen Bankrottalternativen aufzufmden ist. 1 Andere, wesentliche Grundlinien werden im folgenden aufgezeigt, bevor Einzelheiten des Begriffsverständnisses bei den verschiedenen Alternativen erläutert werden. l. Extensive Auslegung der Tathandlungen und Begrenzung der Strafbarkeit

Reichsgericht und Bundesgerichtshof haben im Interesse eines umfassenden Gläubigerschutzes seit jeher dazu tendiert, die gefährdenden Vermögensdispositionen innerhalb der bestandsbezogenen Bankrottalternativen sehr weit auszulegen. 2 Das gilt im Besonderen für das Beiseiteschaffen (Ziffer 1) und die unwirtschaftlichen Ausgaben (Ziffer 2) und hat lOben, S. 40ff. Vgl. insbesondere zu Ziffer 1 unten, S. 108ff. und zu Ziffer 2 (unwirtschaftliche Ausgaben) unten, S. 116ff. 2

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

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dazu geführt, daß nahezu sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Einwirkungen des Schuldners auf sein Vermögen in der Krise einer der in § 283 Absatz 1 Ziffern 1-3, 8 StGB umschriebenen gefährdenden Vermögensdispositionen zugeordnet werden können. Ein Schuldner in der Krise sieht sich bei vermindernden Vermögenseinwirkungen fast immer dem Risiko einer strafrechtlichen Relevanz seines Verhaltens ausgesetzt. Das (eigenständige) Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit gewinnt vor diesem Hintergrund entscheidende Bedeutung, denn im Ergebnis kommt es allein ihm zu, rechtmäßiges von rechtswidrigem Verhalten abzugrenzen? Die Tatsache, daß die große Zahl seriöser Schuldner mit Insolvenzdelikten nicht in Berührung kommt, liegt im wesentlichen daran, daß die meisten von ihnen in der Krise häufig besonders vorsichtig und den Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens entsprechend vorgehen, obgleich auch sie vermögensmindernde Dispositionen vornehmen. Durch die weite Auslegung der gefährdenden Dispositionen (der Tathandlungen) sind die "Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens" zu einer unverzichtbaren Strafbarkeitseinschränkung geworden.4

II. Die Einhaltung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als ''negatives Tatbestandsmerkmal" Angesichts dieser zentralen Bedeutung verwundert es, daß das Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft in den meisten obergerichtlichen Entscheidungen zu bestandsbezogenen Alternativen entweder nur sehr knapp oder überhaupt nicht erwähnt wird.5 Dies liegt nicht allein daran, daß unproblematische Tatbestandsmerkmale stets knapp behandelt werden. Denn auffallend ist, daß die Rechtsprechung das Merkmal nur dann inhaltlich eingehend problematisiert hat, wenn wegen einer Beachtung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft

3 Vgl. bereits oben, S. 48. In der Literatur wird diese Funktion des Merkmals häufig übersehen (z.B. bei Höfner, Überschuldung, S. 84, der meint, die Krise sei das alleinige Merkmal für die Zuordnung der Bankrottalternativen zum kriminellen Unrecht). Insofern ist auch die Behauptung unrichtig, der Bankrottatbestand laufe .~tets Gefahr, die wirtschaftliche Freiheit des Schuldners gegen Null zu reduzieren (Hameit, Uberschuldung, S. 106; Pajkuric, S.89). Solche Einwände gehen schon im Ansatz an der Struktur des § 283 StGB vorbei. Denn § 283 StGB verpflichtet den Schuldner in der Krise keineswegs zur Untätigkeit, sondern allein zur Beachtung der Grenzen der ordnungsgemäßen Wirtschaft bei seinen Handlungen; näher hierzu unten, S.217ff. 4 Dies hebt nun auch klar hervor BGHSt 34, 309, 312. 5 Vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung nur BGHSt 28, 37lff.

94 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

beim schuldnerischen Handeln der Ausschluß der strafrechtlichen Haftung in Betracht zu ziehen war. 6 Methodisch verfährt die Rechtsprechung in Fällen, in denen sie sich näher mit der Wirtschaftswidrigkeit (bzw. -konformität) auseinandersetzt, zumeist so, daß sie eingangs die masseschmälernde und damit gefährdende Wirkung der Disposition, Le. ihre Tatbestandsmäßigkeit, feststellt. Anschließend wendet sie sich der Frage zu, ob die Strafbarkeit ausscheidet, weil sich die Disposition in den Grenzen ordnungsgemäßer Wirtschaft gehalten haben könnte. Ein solches Verständnis läßt sich auch im Wortlaut einzelner Entscheidungen nachweisen. So heißt es in BGHSt 34, 309, 310, die Verurteilung nach § 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB könne "daran scheitern, daß nach der Rechtsprechung ein strafbares Beiseiteschaffen dann nicht vorliegt, wenn sich die Vermögensverfügung im Rahmen einer ordnungsmäßigen Wirtschaftsführung hält".7 Die Entwurfsbegründung zum 1. WiKG und die Literatur verfahren ebenfalls (auch sprachlich) in der skizzierten Weise. 8 Um die positive Feststellung eines Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft geht es selten, zumeist steht ihre Einhaltung als Strafbarkeitseinschränkung in Rede.9 Methodisches Vorgehen und inhaltliche Auseinandersetzung in Rechtsprechung und Literatur lassen den Schluß zu, daß die Einhaltung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft rechtstechnisch als ein negatives Tatbestandsmerkmal 10 zu begreifen ist. Die gefährdenden Dispositionen der bestandsbezogenen Alternativen stehen zu den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft innerhalb des Tatbestandes in einem RegelAusnahme-Verhältnis in der Weise, daß beim Vorliegen der gefährdenden Disposition die Strafbarkeit gegeben ist, es sei denn es liegt die Ausnahme eines wirtschaftskonformen Verhaltens VOr. ll •12 6 RGSt 66, 88; BGH NJW 1952, 898; BGH bei Herlan GA 1958,47; BGHSt 34, 309; OLG Düsseldorf NJW 1982, 1712. 7 Ähnlich BGH bei Herlan GA 1958,47: "Ein "Beiseiteschaffen" wäre nur dann zu verneinen, wenn ... ". 8 BT-DrS. 7/3441, S. 34ff.; Tiedemann (LK, § 283, Rn. 9) sieht das Merkmal als "Korrektiv gegenüber der Strafbarkeit von Handlungstypen ( ... ), die bereits als solche grob wirtschaftswidrig sind und nur im Einzelfall als hinnehmbar erscheinen können" (ähnlich auch in LK, vor § 283, Rn. 96; § 283, Rn. 79; derselbe, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 242); Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 23: Unter-Wert-Verkauf könne "einer ordnungsgemäßen Wirtschaft ausnahmsweise" entsprechen. Klug JZ 1957, 463. 9 Schlüchter, Grenzbereich, S. 47; Höfner, Überschuldung, S. 45f.; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 62. 10 Allgemein Larenz, Methodenlehre, S. 249. 11 Zur Begründung hierfür näher unten, S. 367ff., 371. Anderes mag allerdings für die Generalklausel gelten, bei der die gefährdende Disposition nur sehr allgemein umschrieben ist, so daß das Merkmal hier möglicherweise in einem für das Unrecht konstitutiven Sinn zu ver-

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

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Dieser Befund korrespondiert in interessanter Weise mit der Beweislastumkehr zu Lasten des Geschäftsführers hinsichtlich des Verschuldens bei der zivilrechtlichen Schadens haftung für Vermögensdispositionen in der Krise (z.B. § 64 Absatz 2 GmbHG).13 IIl. Unschärfen bei der Herausarbeitung der Vermögensdispositionen und Wirtschaftswidrigkeit

War soeben davon die Rede, daß die Rechtsprechung prüfungstechnisch zunächst die Tatbestandsmäßigkeit der gefährdenden Vermögensdisposition feststellt, so ist dies sogleich inhaltlich zu relativieren. Denn die Rechtsprechung verfährt bei der Herausarbeitung der zu untersuchenden Dispositionen des Schuldners nicht mit gleichbleibender Sorgfalt. Ungenauigkeiten bei der Herausarbeitung der zu überprüfenden Vermögensdisposition schlagen sich auch bei der Analyse des Begriffsverständnisses der Wirtschaftswidrigkeit nieder, denn bei unzureichender Herausarbeitung der Vermögensstehen sein könnte. In diese Richtung wohl OLG Düsseldorf NJW 1982, 1712, 1713. Höchstgerichtliche Rechtsprechung liegt hingegen zu Ziffer 8 noch nicht vor. 12 Auslegungstechnisch führt dieses Vorgehen dazu, daß die Rechtsprechung bei der Feststellung der Wirtschaftswidrigkeit nur solche Umstände bcrücksichtigt, die nicht bereits als Wesensmerkmal der gefährdenden Vermögensdisposition zu berücksichtigen sind. Besonders deutlich wird dies anhand der noch immer maßgeblichen Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Begriff des "Wertes" in der Alternative des Schleuderverkaufs gemäß Ziffer 3: Erst wenn der objektive Wert der Waren und die Erheblichkeit der Preisabweichung mit den dafür relevanten Umständen ermittelt sei, könne der Widerspruch des Verschleuderns zu den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft festgestellt werden (RGSt 72,187,190). Die Erheblichkeit der Preisdifferenz scheidet als Faktor für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit aus. Ähnliches gilt für die Rechtsprechung zum Verbrauch übermäßiger Beträge durch unwirtschaftliche Ausgaben (Ziffer 2). Die Rechtsprechung ordnet dem Merkmal "Unwirtschaftlichkeit" grundsätzlich andere Umstände zu, sc. die tatsächliche Abweichung der Ausgabe vom "Maß des Notwendigen und Üblichen", als der Übermäßigkeit des Verbrauchs, sc. das "Mißverhältnis zum Vermögen und Einkommen" des Schuldners (s!. Rspr. RGSt 15, 309, 312; 16,238,240; 70,260,261; BGHSt 3, 23, 26; NJW 1953, 1480; MDR 1981, 510). Auch insoweit erschiene es denkbar, das Mißverhältnis von Ausgaben und schuldnerischer Vermögenslage als Indiz für die Wirtschaftswidrigkeit anzusehen. Ein derartiges Vorgehen hat hingegen schon das Reichsgericht ausdrücklich abgelehnt und bestimmt, daß das Wesen einer Disposition von den Umständen im Zusammenhang mit ihrer Vornahme streng zu trennen ist (RGSt 16, 238, 240). Es besteht folglich keine (auch keine teilweise) Identität der konstitutiven Elemente der gefährdenden Disposition und der Kriterien für die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft. 13 Vgl. Scholz-Schmidt, § 64, Rn. 38. Freilich handelt es sich rechtstechnisch um unterschiedliche Fragen. Bemerkenswert ist gleichwohl, daß die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt im Ergebnis ähnlich behandelt wird. Dort, wo die Strafgerichte methodisch ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrundelegen, findet sich im Zivilrecht die Beweislastumkehr; vgl. auch zu Verschuldensvermutungen im Bankrottstrafrecht des Mittelalters oben, S. 55, Fn. 21.

96 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

disposition kann den UrteilsgrÜDden nicht klar entnommen werden, worauf sich der Vorwurf wirtschaftswidrigen Verhaltens im Einzelnen bezieht. Die Zahl der Entscheidungen, in denen unterschiedliche Vermägensdispositionen für die strafrechtliche Anknüpfung in Frage kommen, jedoch nicht genau herausgearbeitet bzw. nicht scharf voneinander abgegrenzt wird, welche Disposition Gegenstand der Entscheidung ist, ist nicht gering. 14 Gleiches gilt im übrigen für die Literatur. 15 Ein Beispiel für derartige Unschärfen bietet folgende in JZ 1979, 75 abgedruckte Entscheidung des Bundesgerichtshofes: Der für seine in der Krise befmdliche Firma F handelnde Angeklagte veräußerte vier Firmengrundstücke an eine Gesellschaft in Kanada, an der er selbst sämtliche Anteile hielt. Die Veräußerungen erfolgten zu dem Zweck, die Grundstücke den auf zusätzliche Sicherheiten drängenden Kreditgläubigern zu entziehen und sie der Familie des Angeklagten ohne Belastung zu sichern. Den Kaufpreis entrichtete der Angeklagte im Wege der Aufrechnung mit Forderungen, die ihm gegen die Firma F zustanden und die er an die kanadische Gesellschaft abgetreten hatte. Die abgetretenen Forderungen resultierten aus einem kurz zuvor abgeschlossenen Kaufvertrag zwischen der Firma F und dem Angeklagten. Darin hatte der Angeklagte einen ihm gehärenden Kommanditanteil an einer XKG (objektiver Wert DM 323.000,-) für DM 4,7 Millionen an die Firma F veräußert. (Sachverhalt vereinfacht) Der Bundesgerichtshof, der die Verurteilung des Angeklagten gemäß

§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB (bzw. § 239 KO) bestätigte, begründete seine

Entscheidung mit der schlichten Feststellung, daß der Angeklagte "in der Absicht, die Gesamtheit der Gläubiger zu benachteiligen, Vermägensstücke dadurch beiseite schaffte, daß er Grundstücke durch Veräußerung dem Zugriff der Gläubiger entzog."16 Eine nähere Begründung des Beiseiteschaffens fehlt. Dieses Vorgehen ist ungenau. Denn dem Sachverhalt lagen tatsächlich zwei verschiedene Dispositionen zugrunde: der Beteiligungskauf für einen Betrag von etwa DM 4,4 Millionen über dem Beteiligungswert und ferner der Grundstücksverkauf gegen Aufrechnung. Die Entscheidung des BGH läßt offen, worin genau das Gericht die für das Beiseiteschaffen relevanten Umstände sah und ob diese sich aus dem einen, dem anderen oder aus bei14 Z.B. BGH JZ 1979, 75; NJW 1952, 898; bei Herlan, GA 1954, 311; BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 13ff.. 15 Zur Notwendigkeit einer exakten tatsächlichen und rechtlichen Differenzierung schuldnerischer Verhaltensweisen im Rahmen von § 283 StGB Labseh, wistra 1985, 1, 2. 16 BGH JZ 1979, 75, 76.

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

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den Geschäften als Einheit ergaben. Ausgeschlossen ist nach der Begründung jedenfalls, daß der Beteiligungskauf als Beiseiteschaffen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB) oder als Verlustgeschäft (§ 283 Absatz 1 Ziffer 3 StGB) mit einer gesondert zu betrachtenden Gläubigerbegünstigung durch das wirtschaftswidrige Verschaffen einer Aufrechnungslage 17 (§ 283c StGB I8) zusammentraf, obgleich ein derartiges Ergebnis bei genauer Abgrenzung der Dispositionen nahe gelegen hätte.19 Unschärfen fmden sich vielfach auch in den Fällen, in denen der Schuldner Gegenstände zu einem angemessenen Preis veräußert und dies in der Absicht tut, die seinem Vermögen zunächst zufließenden Mittel später wieder zu entnehmen und für sich zu verwenden. Trotz des an sich zur Tatbestandslosigkeit führenden Wertausgleichs 20 infolge des Vermögenszuflusses bei der Veräußerung sah die Rechtsprechung wegen der die Gläubiger schädigenden (Fern)Zielsetzung des Schuldners hierin verschiedentlich ein Beiseiteschaffen (Ziffer 1) bzw. eine unwirtschaftliche Ausgabe 21 • Allerdings

Vgl. eingehend zur Aufrechnungskonstellation unten, S. 297ff. § 283c StGB wäre freilich nur dann anwendbar, wenn die kanadische Gesellschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit hatte und der Täter daher nicht in persona Gläubiger der F war (BGHSt 34, 221, 226). Ansonsten käme § 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB zu Zuge (BGH aaO). Die Entscheidung des BGH (JZ 1979, 75) läßt sich dann halten, wenn man den Beteiligungskauf wegen der klaren Schädigungsabsicht für sittenwidrig (§ 138 BGB) hält, denn dann wäre die Aufrechnung folgenlos geblieben, weshalb der Kaufpreisanspruch wegen der Grundstücke noch bestünde. Angesichts des fehlenden vollständigen, unmittelbaren Wertausgleichs käme in bezug auf die Grundstücke ein Beiseiteschaffen in Betracht. Auf eine derartige Sicht des BGH finden sich im Urteil jedoch keine Hinweise, zumal das Gericht sich früher an anderer Stelle dahingehend geäußert hat, daß die Bestimmung des § 138 BGB von den Sondervorschriften der KO bzw. des AnfG mit der Folge verdrängt wird, daß eine Nichtigkeit bei gläubigerbenachteiligenden Dispositionen in der Regel nicht vorliegt (BGH GA 1980, 311, 313). 19 Allerdings hat der BGH jüngst in einer insoweit vergleichbar gelagerten Entscheidung (wistra 1993, 184) ein Beiseiteschaffen der veräußerten Vermögensgegenstände ähnlich der hier vorgeschlagenen Weise begründet (aaO, S. 185). Der Angeklagte hatte als Komplementär einer krisenbehafteten KG einzelne Vermögensgegenstände an eine ihm gehörende EinzeIfirma veräußert, um dadurch die Aufrechnung mit Rückgriffsforderungen zu ermöglichen, die ihm persönlich gegen die KG zustanden, da er teilweise deren Kredite mit privaten Mitteln zurückgeführt hatte. 20 Eingehend unten, S. 257ff. 21 So in BGH NJW 1953, 1152, 1153, wo die maßgeblichen Dispositionen zwar sorgfältig herausgearbeitet werden, das Gericht aber gleichwohl am Beiseiteschaffen anknüpft (zu § 288 StGB); vgl. auch bei Herlan, GA 1954, 311, zustimmend LK-Tiedemann, § 283, Rn. 28; aber auch RGSt 66, 88, 89. Freilich liegt ein Beiseiteschaffen dann vor, wenn der Täter verhindert, daß die Gegenleistung seinem Vermögen zufließt. Das Beiseiteschaffen folgt in diesem Fall bereits daraus, daß es an einer unmittelbaren Risikokompensation wegen des fehlenden Wertausgleichs mangelt (näher unten, S. 268ff.). Vgl. auch BGH GA 1980, 106 (insbes. die unzutreffende instanzgerichtliche Vorentscheidung). 17

18

7 Krause

98 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

hätte in diesen Fällen ein Anknüpfen an der späteren Entnahme näher gelegen. 22 Gleiches gilt für die Fälle, in denen der Täter zunächst eine der Gesellschaft bzw. dem Geschäftsbetrieb zustehende Forderung einzieht und die Mittel danach für eigene Zwecke entnimmt.23

IV. Wirtschaftswidrigkeit der Vennögensdisposition oder Wirtschaftswidrigkeit des Wirtschaftens ?

Solche Unschärfen führen zu der Frage, ob die Rechtsprechung einen auf die Einzeldisposition bezogenen (dispositionsspezifischen) Begriff der Wirtschaftswidrigkeit zugrundelegt oder ob sie eine dispositionsübergreifende, allgemeine Feststellung der Wirtschaftswidrigkeit des schuldnerischen Wirtschaftens vornimmt, die den getätigten Einzeldispositionen ein wirtschaftswidriges Gepräge verleiht. Denn die aufgefundenen Unschärfen könnten mit der Auslegung des Merkmals der Unwirtschaftlichkeit zusammenhängen, wenn dieses von der einzelnen Disposition abgelöst zu bestimmen wäre. Ein abgelöster Unwirtschaftlichkeitsbegriff erlaubte es, gefährdende Dispositionen ohne Rücksicht auf ihre spezifischen Bedingungen als unwirtschaftlich anzusehen, wenn sie sich als Teil oder Ergebnis eines gesamten unwirtschaftlichen Geschäftsvorganges oder einer insgesamt unwirtschaftlichen Vorgehensweise des Schuldners darstellen. In der Literatur wird ein solches Begriffsverständnis jedenfalls für die Generalklausel des § 283 Absatz 1 Ziffer 8 - in Ansätzen aber auch bei anderen Alternativen24 - diskutiert. 25,26 (näher unten, S. 268ff.). Vgl. auch BGH GA 1980, 106 (insbes. die unzutreffende instanzgerichtliche Vorentscheidung). 22 Das klingt im übrigen auch in BGH N.JW 1953" 1152f. an, wo das Gericht auf den "infolge übermäßigen Aufwandes verbrauchten Erlösanteil" abstellt. Die Rechtsprechung zu überhöhten Privatentnahmen, die die Gerichte mal der Ziffer 1, mal der Ziffer 2 zuordnen, weist häufiger solche Unschärfen auf. Zuordnung zu Ziffer 1: RGSt 66, 88; N.JW 1952, 898; BGH bei Herlan, GA 1955, 149; 1958, 47; 1959, 340; GA 1980, 106 (Vorinstanz); N.JW 1981, 1793; MDR 1981,510 (offen lassend); BGHSt 30, 127, 130; wistra 1986, 262; NStZ 1987,279. Zuordnung zu Ziffer 2: RGSt 15, 309; BGHSt 3, 23; BGH N.JW 1953, 1480; bei Herlan, GA 1954, 311; GA 1980, 106; MDR 1981, 510 (offen lassend). 23 BGH GA 1961, 358. Allerdings findet sich bei einem Forderungsfall auch eine erfreulich klare Darlegung des Reichsgerichts zu den verschiedenen Dispositionen: RGSt 66, 88. 24 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 30 (Ziffer 1); Rn. 67 (Ziffer 2); Rn. 79 (Ziffer 3). Ähnlich: KJUtJZ 1957, 463; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 23. So LK-Tiedemann, § 283, Rn. 158, der in einem abgelösten Begriff der groben Wirtschaftswidrigkeit eines der typischen Kriterien für einen eigenständigen Anwendungsbereich der Ziffer 8 sieht. Es komme darauf an, "ob ein grob fehlerhaftes Wirtschaften vom Zeitpunkt der Krise an im Ergebnis zu einer Vermögensverringerung führt" (derselbe, KTS 1984, S. 553). Tiedemann geht sogar noch einen Schritt weiter, denn nach seiner Ansicht soll es bei Ziffer 8 nicht notwendig sein, den strafrechtlichen Vorwurf überhaupt auf eine bestimmte Disposition zu beziehen (LK-Tiedemann, § 283, Rn. 158; vgl. eingehend zur

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

99

Für die "abgelöste", übergreifende Wirtschaftswidrigkeit fmden sich hingegen in der Rechtsprechung (abgesehen von den aufgezeigten Unschärfen) keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil: die erwähnte strenge Orientierung an den einzelnen Bankrottalternativen und an den besonderen Umständen des Einzelfalles deuten an, daß die Rechtsprechung von einem strikt auf die einzelne Disposition zu beziehenden Unwirtschaftlichkeitsbegriff ausgeht?7 Auch die Tatsache, daß die Rechtsprechung sich bislang nicht dazu entschieden hat, zur Begründung der Strafbarkeit eine Gesamtbetrachtung mehrerer aufeinander bezogener Dispositionen vorzunehmen, spricht gegen ein übergreifendes Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit. 28 Eine ablehnende Haltung gegenüber der Gesamtbetrachtung hat bereits das Reichsgericht beim Verschleudern von Waren eingenommen29, der Bundesgerichtshof zieht die Gesamtbetrachtung zur Begründung der Strafbarkeit bis heute ebenfalls nicht in Betracht.30 Zu unterscheiden von der Gesamtbetrachtung der vorstehenden Art ist die Gesamtbetrachtung, auf deren Grundlage eine (isoliert betrachtet) wirtschaftswidrige Einzeldisposition wegen ihres Kontextes doch noch als den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechend eingestuft wird?\ Hierbei geht es um eine strafbarkeitseinschränkende Gesamtbetrachtung. Die Rechtsprechung dazu, diese Gesamtbetrachtung zuzulassen und wirtschaftswidrige Einzeldispositionen noch als wirtschaftskonform anzusehen, wenn diese zur Erreichung eines zulässigen Zweckes (z.B. Sanierung eines Unternehmens) notwendig sind.32 V. Wirtschajtswidrigkeit in § 283 StGB und Treuwidrigkeit in § 266 StGB Bei der Inhaltsbestimmung der Wirtschaftswidrigkeit liegt es nahe, im Strafrecht nach verwandten Wertungen und Begriffen zu suchen und deren Unzulässigkeit solcher strafbarkeitsbegründenden "Gesamtbetrachtungen" unten, S. 137ff., 443f.). 26 Vgl. zu einem übergreifenden Wirtschaftswidrigkeitsverständnis die Vorstellungen des Gesetzgebers bei Einführung der Generalklausel (1. WiKG) oben, S. 60. Z7 Vgl. zur Einzelbetrachtung ausdrücklich bereits RGSt 14, 80, 84; 66, 175; 72, 187; zuletzt BGHSt 34, 309, dazu näher sogleich. Zu Ziffer 8 liegt eine insoweit aufschlußreiche Entscheidung bislang nicht vor. 28 BGH bei Herlan GA 1967, 264 zur Übermäßigkeit des Aufwandes: Ausgaben dürfen nicht für mehrere Jahre zusammengerechnet und mit den Einnahmen verglichen werden. 29 RGSt 66,175,177; 72, 187, 189. 30 BGH bei Herlan, GA 1967, 264; BGHSt 34, 309, dazu näher sogleich. 3\ Eingehend hierzu unten, S. 344ff., 375ff. 32 Vgl. BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979, S. 9; zur fehlenden Wirtschaftswidrigkeit von Verlustgeschäften bei berechtigter Hoffnung auf gewinnbringende Anschlußgeschäfte unten, S.376f., 398f. 7*

100 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Übertragbarkeit auf § 283 StGB zu überprüfen. Hier stellt sich die Frage des Verhältnisses von § 283 StGB zu § 266 StGB. In diesem Zusammenhang treten die gerichtlichen Entscheidungen ins Blickfeld, die sich (insbesondere in jüngerer Zeit) mit der tatbestandlichen Einordnung von Krisendispositionen durch GmbH-Geschäftsführer befaßt (§ 14 Absatz 1 Satz 1 StGB) und in diesem Zusammenhang die "Interessenformel,,33 als Abgrenzung von Bankrott und Untreue (§ 266 StGB) entwickelt haben.34 Entscheidend ist nach der Interessenformel, ob der Täter (zumindest auch) im Interesse der Gesellschaft handelte (dann § 283 StGB) oder ob er ausschließlich gesellschaftsfremde Zwecke verfolgte (dann § 266 StGB). Ungeachtet des Leerlaufens des Berufsverbotes (§ 6 Absatz 2 Satz 2 GmbHG 35) beim Freispruch eines GmbH-Geschäftsführers vom Vorwurf eines Bankrottdeliktes haben die Obergerichte diverse Verurteilungen wegen des Beiseiteschaffens von Vermögensbestandteilen aufgehoben und in denselben Fällen eine Strafbarkeit wegen Untreue in Betracht gezogen.36 33 Vgl. zur "Interessenfonnel" und zur Abgrenzung des § 283 von § 266 StGB: Arloth, NStZ 1990,570; Schäfer, wistra 1984, 81, 83f.; Schulte, NJW 1983, 1773; Wagner, wistra 1992, 161f. bei der Unternehmensaushöhlung: Lampe, GA 1987, 241, 250. 34 Das Konkurrenzverhältnis der Tatbestände ist auch zivilrechtlich bedeutsam, weil allein § 283 StGB für die Gläubiger des Unternehmens ein Schutzgesetz im Sinn des § 823 Absatz 2 BGB darstellt (näher Lampe, GA 1987, 241, 254). Freilich führt die Begründung der Strafbarkeit über § 266 StGB nicht - wie Lampe (aaO) befürchtet - zu einer weitgehenden Haftungsfreistellung des Täters bzw. einer diesen unterstützenden Bank gegenüber den Gläubigem des Krisenunternehmens. Denn die Schadensersatzforderung des Unternehmens gegen den Täter bzw. die Bank (§§ 823 Absatz 2 BGB i.V.m. § 266 StGB) fällt in die Masse und steht daher den Gläubigem zur Befriedigung zur Verfügung. Der Unterschied besteht lediglich in der rechtstechnischen Konstruktion der Inanspruchnahme des Täters und nicht im haftungsrechtlichen Ergebnis (sieht man einmal davon ab, daß die Annahme einer Idealkonkurrenz von § 283 und § 266 StGB zivilrechtlich zu einer Konkurrenz der Deliktsanspruche von Unternehmen und Gläubigem führt). 35 § 6 Absatz 2 Satz 2 GmbHG knüpft die passive Bestellungsunfähigkeit als Geschäftsführer für die Dauer von fünf Jahren (ausschließlich) an die Verurteilung wegen eines Konkursdeliktes. 36 Als Beispiele für Überschneidungen von Bankrott und Untreue in Ansehung der beeinträChtigenden Vennögensdisposition sind zu nennen: BGHSt 3, 32, 40 (nicht gerechtfertigter Aufwand); 28, 371, 374 (Schmiergelder, nicht berechtigte Auszahlungen); 30, 127, 128 (Barabhebungen und Scheckeinreichung für Zwecke des Täters); BGH GA 1963, 307; BGH NStZ 1987, 279 (Entnahme der Geschäftsführerbezüge vor Fälligkeit); BGH wistra 1982, 148 (Entzug von Ware, Gewähren einer nicht erforderlichen Kaution); wistra 1986, 262 (Duldung der Einziehung von Gesellschaftsforderungen durch persönliche Gläubiger); OLG München wistra 1994, 278 (Abtretungen bei Scheingeschäften). Ferner zu "Untreuehandlungen" in ähnlichem Zusammenhang: BGH GA 1979, 311, 313 (Vennögensverschiebung auf Dritte); BGH NStZ 1984, 118 (Abheben von Finnengeldern); BGH NStZ 1982,465 (Ausgaben infolge Spielleidenschaft); BH bei Holtz MDR 1979, 806 (Zahlung eines überhöhten Kaufpreises). Kritisch wegen der Gefahr der Bedeutungslosigkeit des Berufsverbotes durch diese Rechtsprechung Labsch, wistra 1985, 1,8.

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

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Bei der überwiegenden Zahl solcher Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof inhaltlich allein die Frage der Organhaftung (§ 14 StGB) problematisiert und eine Schuldspruchberichtigung (§ 354 StP037) vorgenommen.38 Dieses Vorgehen legt die Vermutung nahe, daß die tatsächlichen Voraussetzungen der bestandsbezogenen Bankrottalternativen mit den Voraussetzungen eines nachteilszufügenden treuwidrigen Verhaltens im Sinn des § 266 StGB identisch sind. Die Verurteilung nach der einen oder anderen Strafvorschrift hinge - sofern dies zuträfe - allein davon ab, in wessen Interesse der Täter handelte. Stellt man die objektiven Tatbestände beider Strafnormen (§ 283, § 266 StGB) einander gegenüber und sieht in der Verschlechterung der Erfüllungsfähigkeit (§ 283 StGB) das Korrelat zum Merkmal des Nachteils (§ 266 StGB), so ergibt sich die Frage, ob die Wirtschaftswidrigkeit in § 283 StGB inhaltlich mit dem Maßstab der objektiven39 Treuwidrigkeit in § 266 StGB korreliert.40 Wäre dies zu bejahen, so könnte für die Konkretisierung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft der Rückgriff auf die umfangreiche Rechtsprechung zur (objektiv ermittelten) Treuwidrigkeit (§ 266 StGB) zurückgegriffen werden. 41 Obgleich die Rechtsprechung zur Interessenformel diesen Schluß in einer Richtung - sc. von der Wirtschaftswidrigkeit auf die Treuwidrigkeit - in den zitierten Entscheidungen stillschweigend gezogen hat, ergibt sich aus Hinweisen in anderen Entscheidungen, daß der Schluß in umgekehrter Richtung nicht zu ziehen ist. Die Gerichte weisen in Entscheidungen zum Beiseiteschaffen an verschiedenen Stellen ausdrücklich darauf hin, daß zu Vermögensdelikten entwickelte Grundsätze wegen der Unterschiedlichkeit der

37 Näher zu den Voraussetzungen der Verwendung der instanzgerichtlichen Urteilsfeststellungen: KleinknechtjMeyer, § 354, Rn. 13ff. Beachtenswert ist, daß eine Schuldspruchberichtigung nicht in Frage kommt, wenn dem Angeklagten über § 265 Absatz 1 StPO die Gelegenheit zu einer anderen Verteidigung gegeben werden muß (BGH NJW 1981, 1744, 1745). Daß der BGH in den betreffenden Fällen gleichwohl eine Schuldspruchberechtigung vornimmt, läßt darauf schließen, daß für die Verurteilung nach § 266 StGB keine weiteren Gesichtspunkte als für eine Verurteilung nach § 283 StGB relevant sind. 38 BGH bei Holtz MDR 1979, 806; ähnlich BGH NJW 1981,1793,1794. 39 Daß eine Übertragung der Gesichtspunkte subjektiver Risikopolitik (Hillenkamp, NStZ 1981, 161, 167f.) ausscheidet, folgt schon aus der Tatsache, daß § 283 StGB den Schutz der gesamten Gläubigerschaft bezweckt, weshalb die subjektive Risikoakzeptanz einzelner Gläubiger für die generelle Maßstabsbildung untauglich ist (vgl. näher unten, S. 392f.). 40 Dies nahelegend auch BGH wistra 1982, 148, 150, wo bei § 266 StGB auf die "Regeln kaufmännischer Sorgfalt" abgestellt wird. 41 Vergleichbar Tiedemann, ZIP 1983,513,521.

102 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Regelungsbereiche in bezug auf Inhalt und Schutzbereich nicht auf § 283 StGB übertragen werden dürfen.42 Insbesondere die jüngere Rechtsprechung hat herausgestellt, daß die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit zuvorderst unter Rückgriff auf die ratio legis der Konkursdelikte vorzunehmen ist.43 Anhaltspunkte dafür, inwiefern Überlappungen insbesondere zum Bereich der Vermögensdelikte existieren, die eine Transformierung dortiger Maßstäbe gestatteten, hat die Rechtsprechung bislang nicht dargelegt. 44 VI. "Subjektiviemngstendenzen" bei der Wirtschaftswidrigkeit

Bei der Inhaltsbestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft verdienen insbesondere die unterschiedlichen Beurteilungsebenen der Rechtsprechung Beachtung: die Gerichte unterscheiden eine "objektive" Ebene, auf der sie die Ordnungsgemäßheit einer Disposition nach objektiven Kriterien untersuchen, und eine "subjektive" Ebene, auf der die vom Wirtschafter bei Vornahme der Disposition verfolgten Zwecke überprüft werden.45 Die Unterscheidung entspricht dem Ansatz der Zivilgerichte bei der Prüfung der Beachtlichkeit kreditgeberischer Motive für die Frage der Sittenwidrigkeit von in der Krise gewährten Darlehen und Sicherheiten (§§ 138,826 BGB).46 Die Rechtsprechung stellt bei der Bejahung der Wirtschaftswidrigkeit zumal in den Fällen, in denen sich nicht schon aus objektiven Gesichtspunkten ein wirtschaftswidriges Verhalten ergibt (z.B. bei Sicherungsübereignungen entsprechend üblicher Konditionen oder beim Verkauf von Vermögensgegenständen zum Marktpreis), entscheidend darauf ab, welche Zwecke der Schuldner mit der Disposition verfolgte und ob diese wirtschaftswidrig waren. Die Fülle der Entscheidungen, in denen sich die Gerichte dieses Kriteriums bedienten, ist kaum zu überschauen.47 42 BGH wistra 1988, 193, ähnlich BGHSt 28, 371; dazu auch Lampe, GA 1987, 241, 250; vgl. zur Begründung für die Richtigkeit dieses einseitigen Schlusses unten, S. 392ff. 43 Vgl. unten, S. 148f. 44 Vgl. aber zur (beschränkten) Bedeutung der Grundsätze über die "unerlaubte Kreditvergabe" (§ 266 StGB) an Schuldner in der Krise unten, S. 393f. 45 Vgl. hierzu sehr deutlich BGHSt 34, 309. 46 Näher dazu unten, S. 339ff. 344ff.. 47 RGSt 5, 120; 7, 145; 11, 145; 29, 413; 62, 277; 66, 130; 70, 260; RG GA 64 (1917), 115, 116; DJZ 1928, 596; BGHSt 8, 55; 9, 84; 30, 127; 34, 309; BGH GA 1955, 149; 1963,307; 1980, 106; BGH bei Her/an, GA 1954, 311; 1956, 348; 1961, 358; 1971, 38; BGH JZ 1979, 75; BGH NJW 1952, 898; 1953, 1152; 1981, 1793; BGH NStZ 1987, 23; 1987,279; BGH wistra 1982, 142; 1986,262; 1988, 193; Düsseldorf, NJW 1982, 1712; Hamm wistra 1985, 158.

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

103

Die Rechtsprechung hatte sich insoweit mit unterschiedlich gelagerten Fällen zu befassen. In einigen Fällen war das Benachteiligungsziel gegenüber den Gläubigern unmittelbar erkennbar 48, in anderen Fällen konnte aus dem Zweck des schuldnerischen Handelns auf die Benachteiligungsabsicht geschlossen werden49 • Die von der Rechtsprechung am häufigsten festgestellten wirtschaftswidrigen Zwecke bei der Vornahme von Dispositionen betreffen die Selbstbegünstigung des Schuldners50 und die Begünstigung von Nichtgläubigern51 (insbesondere nahe Familienangehörige52 und vom Täter selbst gegründete neue Gesellschaften53). Seinen Ursprung hat das Zweckkriterium in der früheren gesetzlichen Regelung des betrügerischen Bankrotts (§ 239 KO a.F.) und in der Schleuderverkaufsalternative des einfachen Bankrotts (§ 240 Ziffer 2 KO a.F.). Diese inkriminierten Dispositionen des Schuldners, welche erfolgt waren "in der Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen,,54 bzw. "in der Absicht, die Eröffnung des Konkursverfahrens hinauszuschieben". Den Regelungen lag die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, eine "böswillige Entziehung von Exekutionsgegenständen"55 zu pönalisieren. Durch den Gesetzeswortlaut war die Relevanz der vom Schuldner verfolgten Zwecke daher vorgezeichnet.56 Insbesondere der Bundesgerichtshof hat die Dispositionszwecke jedoch über den Gesetzeswortlaut hinaus bei der Auslegung des "Aufwandes" (§ 240 Absatz 1 Ziffer 1 KO) hinzugezogen. S7 Auch die Abgrenzung zwischen Gläubigerbegünstigung (§ 283c StGB) und BankRGSt 62, 277; BGHSt 34,309; BGH GA 1955,149; BGH NStZ 1989, 179; RGSt 70, 260; 66, 130; DJZ 1928, 596; BGHSt 30,127; BGH JZ 1979, 75; BGH bei Herlan 1956, 348; BGH NJW 1952, 898; BGH wistra 1982, 142; 1986,262; 1988, 193. Ausdrücklich insoweit RG DJZ 1928, 596, 597: "In der Feststellung der Absicht, für sich einen Wert zu retten, der den Konkursgläubigern zukommen mußte, liegt zugleich die Feststellung, (der Täter) sei sich dessen bewußt gewesen, daß an den Maschinen der Masse ein ( ... ) Zugriffsrecht zustehe." 50 RG DJZ 1928, 596; BGH bei Her/an, GA 1954, 310; BGHSt 30, 127; BGH GA 1955, 149; 1961,358; BGH NJW 1953, 1152; BGH NStZ 1987,279; BGH wistra 1982,142; 1986, 262; 1988,193; 51 RGSt 29,413; 62, 277; 66, 130; BGHSt 34, 309; BGH GA 1963, 307; 1971,38; BGH JZ 1979,75; BGH NStZ 1987, 279; 52 RGSt 29, 413; 62, 277; 66, 130; BGH GA 1971, 38; 1980, 106; BGH JZ 1979, 75; NStZ 1987,23; vgl. auch Renkl, JuS 1973, 611, 613. 53 BGH GA 1963, 307; BGH wistra 1982, 142; Düsseldorf, NJW 1982, 1712; Hamm, wistra 1985,158. 54 Vgl. auch bei der Gläubigerbegünstigung RGSt 7, 142ff. 55 RGSt 7, 237, 239; 61, 407, 408; 62, 277, 278. 56 Näher zu den damit verbundenen Schwierigkeiten im subjektiven Tatbestand: Hammerl, Bankrottdelikte, S. 20f.; Höfner, Überschuldung, S. 43; ferner Renkl, JuS 1973, 611, 612f. S7 BGHSt 3, 32; BGH bei Herlan 1956, 348; BGH NJW 1953, 1480, 1481. Vgl. aber auch RGSt 15, 309, 313. 48 49

104 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

rott wird seit jeher unter Rückgriff auf die Zwecksetzung des Täters vorgenommen.S8 Nach dem 1. WiKG (1976), das die Benachteiligungsabsicht aus dem Bankrottatbestand entfernte, ist der verfolgte Zweck und seine U nvertretbarkeit für die Feststellung der Wirtschaftswidrigkeit von wesentlicher Bedeutung geblieben. Soweit die Rechtsprechung die subjektive Ebene in jüngerer Zeit problematisiert hat, zieht sie als Beurteilungsmaßstab die Zwecke des Konkurs(straf)rechts heran. Die Ermittlung der Wirtschaftswidrigkeit erfolgt in Form eines Abgleichens des vom Wirtschafter verfolgten Zwecks mit dem vom Gesetz intendierten Zweck. Maßgeblich für die Wirtschaftswidrigkeit der Zwecke einer konkreten Maßnahme ist ihre Unvereinbarkeit mit dem Zweck der Konkursdelikte, die Befriedigung der vorhandenen Gläubiger mit der Gesamtheit des schuldnerischen Vermögens zu gewährleisten.S9 Die Literatur beurteilt die Subjektivierung durch die Rechtsprechung weitgehend zustimmend.60 Sie hat den Rechtsprechungsansatz, nach dem der verfolgte Zweck wesentliche Bedeutung für die Strafbarkeit besitzt, noch ausgeweitet und dazu benutzt, die Lösung einer Fülle von Einzelfragen auf die subjektive Ebene zu verlagern.61 Ein wesentlicher Unterschied im Verhältnis zur Rechtsprechung besteht darin, daß eine wirtschaftswidrige Zweckverfolgung nicht schon dann zu bejahen sein soll, wenn die vom Schuldner verfolgten Zwecke mit der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung unvereinbar sind. Es müsse darüberhinaus hinzukommen, daß das Handeln gerade auf den Nachteil der Gläubiger abzielt. 62 Abgeleitet wird dieses insbesondere in das Beiseiteschaffen (Ziffer 1) hineingelesene Finalitätserfordernis aus der Notwendigkeit der Abgrenzung zu den übrigen Bankrottalternativen sowie daraus, daß für die Verwendung des schuldnerischen Vermögens und damit für die Gefährdung der Gläubiger63 stets entscheidend sei, was der Schuldner beabsichtige. SB Nur RGSt 7, 142ff.; 68, 368; Hendel, NJW 1977, 1943, 1944: Begünstigungsziel in Ansehung einzelner Gläubiger (§ 283c) versus Benachteiligungsziel in bezug auf die Gläubigergesamtheit (§ 283). S9 Vgl. in besonderer Deutlichkeit BGHSt 34, 309. 60 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 28 (beim Beiseiteschaffen), Rn. 49 (zu Ziffer 1, letzte Alternative), allgemein zur Relevanz der Gesinnung beim Wirtschaftsstraftäter: Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 126. Kritisch zur Subjektivierungstendenz der zivilrechtlichen Rechtsprechung bei §§ 138, 826 BGB in Sanierungskonstellationen: Koller, JZ 1985, 1013ff., 1020; Schmitz, Bankenhaftung, S. 51ff. mit Nachweisen. 61 Dies gilt insbesondere für Tiedemann, in LI(, § 283, Rn. 28 ff., vgJ. näher unten, S. 111. 62 Für das Beiseiteschaffen nach Ziffer 1: Tiedemann, ZIP 1983, 513, 519, LK-Tiedemann, § 283, Rn. 28; Lampe, GA 1987, 241, 250. 63 Kritisch zur Ableitung der Gläubigergefährdung aus subjektiven Erwägungen unten, S. 254f..

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

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Für das geltende Recht ist das dogmatische Fundament der Subjektivierung allerdings weitgehend ungeklärt. Ein bislang nicht angesprochenes Problem liegt darin, daß der objektive Sorgfaltsmaßstab der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft subjektiv angereichert wird. Sicher ist, daß der subjektive Begriff des verfolgten Zweckes de lege lata nicht mit dem Tatbestandsvorsatz in Verbindung zu bringen ist: eher mag es auf den ersten Blick so erscheinen, als hätten Rechtsprechung und Literatur § 283 StGB contra legern in ein "Tendenzdelikt" (sog. Delikt mit intensivierter Innentendenz64) umgedeutet, bei dem neben die objektive Tathandlung noch besondere Absichten treten müssen wie etwa die Zueignungsabsicht bei § 242 StGB. Jedoch wird im weiteren Verlauf der Untersuchung nachzuweisen sein, daß die vom Schuldner verfolgten Zwecke zu Recht ein wesentliches Kriterium für die Wirtschaftswidrigkeit darstellen. 65

VII. Der "duale Bezugsrahmen " der Wirtschajtswidrigkeit Bereits bezüglich der Begriffsverwendung im bürgerlichen Recht und bei den Motiven des Strafgesetzgebers (1899) ist dargelegt worden 66, daß bei einer Verweisung auf "Regeln des Wirtschaftens" grundsätzlich zwei verschiedene Regelungsrahmen in Betracht kommen. Es kann sich einerseits um den Verweis auf ein Programm von Verhaltensanforderungen handeln, die aus den den spezifischen Eigenheiten des handelnden Subjekts abgeleitet sind. Andererseits kann sich der Verweis auf ein Pflichtenprogramm beziehen, das auf den Besonderheiten des jeweiligen Verkehrs aufbaut, an denen das Subjekt teilnimmt. Die Differenz des Bezugsrahmens, sc. die Unterscheidung von individuellen und verkehrskreisbezogenen Anforderungen, durchzieht - wenngleich nicht stets erkennbar - auch die strafgerichtliche Auslegung des Merkmals der Wirtschaftswidrigkeit. Besonders deutlich werden diese unterschiedlichen Ebenen in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes bei Holtz, MDR 1979, 457: Das Instanzgericht hatte den A (verantwortlich über § 14 Absatz 1 Ziffer 2 StGB), der mit einem Bürgen des Krisenunternehmens bei Gelegenheit der Verlängerung der Bürgschaft einen neuen Sicherungsvertrag abgeschlossen und Sicherheiten übertragen hatte, vom Näher Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 286. Eingehend zur dogmatischen Begründung der Relevanz der Interessenverfolgung und zu den zulässigerweise verfolgbaren Interessen unten, S. 372ff. 66 Oben, S. 65f., 70f. 64

65

106 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Vorwurf der Gläubigerbegünstigung und des Beiseiteschaffens freigesprochen. Der Bürge habe für die Verlängerung Sicherheiten verlangen dürfen und die Modalitäten der Sicherungsübereignung hätten den Grundsätzen ordnungsgemäßer Wirtschaft entsprochen. Der BGH hob den Freispruch auf und führte aus, daß der Bürge allein die Befreiung von der Bürgschaft hätte verlangen können, nicht aber SicherheitenbesteIlung. In der konkreten Lage des Krisenunternehmens (erfolgte Zahlungseinstellung) sei die Realisierbarkeit des Befreiungsanspruchs zweifelhaft gewesen, weshalb die Sicherheitenbestellung nicht gerechtfertigt war. Bei dieser Lage sei irrelevant, ob sich die Modalitäten der SicherungsbesteIlung im Rahmen des allgemein Üblichen hielten, denn ein Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft liege schon in der aufgrund der konkreten Lage "nicht gerechtfertigten Sicherungsübereignung". Die Begründung des Bundesgerichtshofes läßt klar erkennen, daß es zu unterscheiden gilt: einerseits ist nach dem "Ob" einer Maßnahme zu fragen, wofür die konkrete Situation des Handelnden maßgeblich ist; andererseits geht es um das "Wie" einer Maßnahme, wobei insoweit die Regeln des Verkehrs für Maßnahmen dieser Art entscheidend sind. Verstöße gegen die jeweiligen Sorgfaltsanforderungen führen auf beiden Ebenen zur Wirtschaftswidrigkeit.67 Freilich werden die Ebenen nicht durchweg so klar voneinander getrennt, sondern fmden sich in den Grundsätzen der Rechtsprechung vielfach gegenseitig durchdrungen und miteinander kombiniert. Dies zeigt die Rechtsprechung zum Wertausgleich beim Beiseiteschaffen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB), nach der die Verfügung über einen Vermögensgegenstand dann nicht strafbar sein soll, wenn im Gegenzug eine vollwertige, für die Gläubiger im Wege der Vollstreckung sofort greifbare Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners fließt. 68 Das Kriterium der sofortigen Greifbarkeit ist Ausfluß der konkreten Krisensituation des Schuldners: obgleich die Vereinbarung längerer Zahlungsziele durchaus den Üblichkeiten des Verkehrs entspricht, kann eine Gläubigergefährdung beim Austausch von Aktiva in der Krise nur dann vermieden werden, wenn die Gegenleistung für 67 Ebenso für den Abschluß von Lebensversicherungen RG JW 1934, 2472f.; ähnlich auch BGH NStZ 1989, 179, 180, wo zunächst festgestellt wird, daß die Hinzuziehung eines externen Sanierers in der konkreten Krisensituation ordnungsgemäß war und sodann problematisiert wird, ob Einwände gegen die getroffene Honorarvereinbarung zu erheben waren. 68 Ständige Rechtsprechung: RGSt 2, 118; 61, 108; 62, 152; 62, 277; 66, 88; 66, 130; BGH bei Her/an, GA 1953, 74; bei Herlan GA 1954, 310; BGH NJW 1953, 1152; BGH JZ 79,75; wistra 1982, 148; NStZ 1987, 23 (= wistra 1987,29); zustimmend Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 4. Kritisch LK-Tiedemann, § 283, Rn. 26, 30. Eingehend unten S. 257ff.

§ 4 Methode und Verständnis der Rechtsprechung

107

die Gläubiger sofort greifbar ist. Demgegenüber ist das Kriterium der Vollwertigkeit den allgemeinen Regeln über wirtschaftliches Verhalten im Verkehr zuzuordnen, denn es entspricht nicht den Grundsätzen des Verkehrs, Waren und Dienstleistungen ohne besonderen Grund unter ihrem Verkehrswert abzugeben bzw. zu erbringen. (FJ VI/I

~usan1n1enfassung

Die weite Auslegung der Vermögensdispositionen bei den bestandsbezogenen Alternativen des § 283 StGB durch die Rechtsprechung hat dazu geführt, daß nahezu jede Einwirkung auf das Vermögen unter eine Alternative des § 283 StGB subsumiert werden kann. Das Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist dadurch zum maßgeblichen Kriterium für die Strafbarkeit von Vermögensdispositionen in der Krise geworden. Rechtstechnisch wird das Merkmal als negatives Tatbestandsmerkmal behandelt. Die Feststellung der Wirtschaftswidrigkeit erfolgt bezogen auf die einzelne Vermögensdisposition. Elemente, die konstitutiv für die Vermögenseinwirkung sind, bleiben für die Ermittlung der Wirtschaftswidrigkeit außer Betracht. Die Ermittlung des Wirtschaftswidrigkeitsmaßstabes in Rechtsprechung und Literatur wird dadurch erschwert, daß bei der Herausarbeitung der zu beurteilenden Disposition diverse, nicht aus dem Begriffsverständnis ableitbare Ungenauigkeiten aufzufinden sind. Inhaltlich sind nach der Rechtsprechung unterschiedliche Beurteilungsebenen voneinander zu trennen: neben objektiven Sorgfaltsgesichtspunkten ist für die Feststellung der Wirtschaftswidrigkeit von entscheidender Bedeutung, welche Zwecke der Wirtschafter mit seiner Disposition verfolgt hat. Im übrigen ist zwischen zwei Bezugsrahmen bei der Ermittlung der Wirtschaftswidrigkeit zu differenzieren: die (krisenbezogene) Frage des "Ob" einer Maßnahme und die (verkehrskreisbezogene) Frage des "Wie" einer Maßnahme, i.e. die näheren Modalitäten ihrer Vornahme.

(FJ Freilich gibt es eine Fülle besonderer Gründe, die Unter-Wert-Abgaben als ordnungsgemäßes Wirtschaften erscheinen lassen (Mischkalkuation, "Schnupperpreise", Lagerräumung, drohender Verderb u.a.m.). Jedoch handelt es sich auch bei diesen Gründen zumeist um solche, die wiederum im allgemeinen Verkehr anerkannt sind und nicht auf der Krise des Wirtschafters aufbauen. Von einer "verkehrsbezogenen Regel" werden "verkehrsbezogene Ausnahmen" zugelassen. Zu krisenbedingten Notverkäufen allerdings BGH NJW 1952, 898.

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottaltemativen

/. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Beiseiteschaffen von Vennögensbestandteilen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1, 1. Alt. StGB)

Gemäß § 283 Absatz 1 Ziffer 1, 1. Alt. StGB macht sich strafbar, wer in der Krise Bestandteile seines Vermögens, die im Falle der Konkurseröffnung zur Konkursmasse gehören, beiseite schafft. BGHSt 34, 3091 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte ließ diverse aus seinem Bauunternehmen stammende Forderungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit durch seine Freundin auf deren Konto einziehen, über das er keine Verfügungsbefugnis besaß. Er tat dies zu dem Zweck, die jeweiligen Beträge den Alt-Gläubigern seines zahlungsunfähigen Unternehmens zu entziehen. Das Geld verwendete er dazu, fällige Arbeitslöhne zu bezahlen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der 1. Senat bestätigte die erstinstanzliche Verurteilung wegen Beiseiteschaffens von Vermögenswerten (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB), die er allein unter dem Aspekt der Beachtung der Regeln ordnungsgemäßen Wirtschaftens überprüfte. Im Ausgangspunkt seiner Überlegungen steht die Bestätigung der Rechtsprechung, wonach das Beiseiteschaffen ein wirtschaftswidriges Verhalten voraussetze und ein solches dann nicht vorliegt, wenn fällige Verbindlichkeiten erfüllt werden.3 Der Senat beschränkt seine Prüfung der Ordnungsgemäßheit des Verhaltens sodann auf das Verhalten im Zusammenhang mit der Einziehung der Gelder. Dieses sei aus zwei Gründen wirtschaftswidrig. Bereits die Tatsache, daß der Schuldner über das geschäftsfremde Einziehungskonto keine Verfügungsbefugnis hat, sei "mit ordnungsmäßigem Wirtschaften ( ...) in der Regel nicht zu vereinbaren" (objektive Ebene). Dies könne aber letztlich offen bleiben, da sich die WirtMarxen, EWiR § 283 StGB 2/87, 919. RGSt 62, 277; 68, 88; BGH NJW 1952, 898; BGH bei Herlan GA 1953, 74. RGSt 71, 227; BGH bei Herlan GA 1953, 74.

1 Anmerkung von 2 3

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen

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schaftswidrigkeit jedenfalls aus dem Zweck ergebe, den der Angeklagte mit seinem Verhalten verfolgte. Es sei ihm darum gegangen, das eingehende Geld seinen Alt-Gläubigern zu entziehen, um im Rahmen der Betriebsfortführung ausschließlich neu entstehende Verbindlichkeiten zu befriedigen. Manipulationen zu diesem Zweck seien wirtschaftswidrig, denn sie seien nicht mit der Funktion des Konkursstrafrechts zu vereinbaren, "eine Befriedigung der vorhandenen Gläubiger zu gewährleisten und auszuschließen, daß der Schuldner sein Geschäft unter Hintansetzung der bisherigen Gläubiger fortsetzt, indem er mit den noch vorhandenen Mitteln ausschließlich neue Verbindlichkeiten eingeht und erfüllt.'''' Schließlich ist erwähnenswert, daß der Senat eine sich geradezu aufdrängende Überlegung nicht anstellt. Er äußert sich nicht dazu, ob das Verhalten des Angeklagten im Wege einer Gesamtbetrachtung doch als wirtschaftsgemäß angesehen werden muß. Überlegungen hierzu hätten nahegelegen, weil der Angeklagte die umgeleiteten Gelder letztlich in einer Weise verwendete, die ganz ohne Zweifel den Grundsätzen ordnungsgemäßen Wirtschaftens entsprach: er bezahlte fällige Verbindlichkeiten und tätigte Entnahmen für seinen notwendigen Lebensunterhalt. Die Außerachtlassung dieser Gesichtspunkte deutet daraufhin, daß der Senat eine Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Fragestellung, ob eine wirtschaftswidrige Einzelmaßnahme wegen ihres Zusammenhanges mit anderen ordnungsgemäßen Einzelmaßnahmen doch noch als wirtschaftsgemäß qualifIZiert werden kann, ablehnt. Dieses Vorgehen des Senats kann sich auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung zu § 240 Absatz 1 Ziffer 2 KO a.F. stützen. In der dortigen, ähnlich liegenden Problematik der Saldierung gewinnbringender Warenverkäufe mit Schleuderverkäufen hatte das Reichsgericht die Beurteilung auf die einzelnen Dispositionen beschränkt und eine Gesamtbetrachtung mit dem Argument verneint, eine solche laufe am Ende darauf hinaus, stets eine (nicht durchführbare) Gesamtbetrachtung aller Dispositionen des Schuldners in der Krise vornehmen zu müssen. 5

1. Tathandlung Der Vorgang der Einziehung einer Forderung läßt sich rechtlich auf zwei Wegen konstruieren6 : entweder als Verfügung über die Forderung oder als BGHSt 34, 309, 311; hierzu auch SChäfer, wistra 1990,81,83. RGSt 66, 175, 177; 72, 187,189, ferner oben, S. 98f., zur Gesamtbetrachtung noch unten, S.437ff. 6 Larenz, Schuldrecht I, S. 237f. 4

5

110 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

tatsächliches Verhalten, das das Erlöschen der Forderung (§ 362) nach sich zieht. Damit sind die beiden Modalitäten der Tathandlung des Beiseiteschaffens aufgezeigt: seit RGSt 61, 107, 108 wird es als Verhalten verstanden, mit dem durch rechtliche Verfügungen oder tatsächliche Veränderungen hinsichtlich eines Vermögensgegenstandes eine Erschwerung oder Vereitelung des alsbaldigen Gläubigerzugriffs auf diesen herbeigeführt wird? Da hierunter jede rechtliche oder tatsächliche Veränderung fällt und auch eine nur geringfügige Erschwerung des Zugriffs ausreicht, sind kaum Vermögensveränderungen denkbar, die nicht als Beiseiteschaffen begriffen werden könnten. 8 Voraussetzung ist allein, daß das Tatobjekt im Fall der Konkurseröffnung zur Masse gehört, § 1 Absatz 2 KO.9 2. Ordnungsgemäßes Wirtschaften Die skizzierte Entscheidung hat neben der Unterscheidung von objektiver und subjektiver Bewertungsebene grundlegenden Charakter, weil sie tradierte Grundsätze bestätigt. Schon früh hat die Rechtsprechung entschieden, daß der Tatbestand des Beiseiteschaffens stets erfordert, daß das Verhalten des Schuldners gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Wirtschaft verstößt. IO Mit Hilfe der Erstreckung der Wirtschaftswidrigkeit auf das Beiseiteschaffen hat die Rechtsprechung den infolge der weiten Umschreibung der Tathandlung vorgezeichneten breiten Anwendungsbereich der 1. Alternative eingeschränkt und verschiedene wichtige Einzelbereiche grundsätzlich von der Strafbarkeit ausgenommenlI: Austauschgeschäfte, i.e. solche Transaktionen, bei denen Bestandteile des schuldnerischen Vermögens gegen einen wertgleichen anderen Vermö7 Ferner: RGSt 64, 138, 140 (VeIWeis auf RGSt 2, 119); 66, 130,131; BGH bei Her/an GA 1953, 74; 1954, 310; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 25; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 4; SKSamson, § 283, Rn. 8; Lackner, § 283, Rn. 10. 8 Vgl. noch zur Tathandlung beim Beiseiteschaffen unten, S. 253ff. Unklar ist infolge dieser weiten Umschreibung der Tathandlung insbesondere die Abgrenzung von Beiseiteschaffen und unwirtschaftlichen Ausgaben; unten, S. 120f. 9 Vgl. noch näher zur Tathandlung und zur teleologischen Reduktion der Ziffer 1 durch die Rechtsprechung auf Vermögensbestandteile, die für die Gläubiger in der Gesamtvollstreckung wirtschaftlich werthaftig sind unten, S. 249ff. 10 RGSt 62, 277; 66,88; 66, 130; BGH NJW 1952,898; bei Her/an GA 1953,74. So auch die Literatur: LK-Tiedemann, § 283, Rn. 27; SChönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 4; Lackner, § 283, Rn.10. 11 Kritisch zu dem Vorgehen, zunächst alle Verfügungen und Ausgaben dem Begriff des Beiseiteschaffens zu unteIWerfen und sodann über die Wirtschaftswidrigkeit wieder aus dem Tatbestand auszunehmen, LK-Tiedemann, § 283, Rn. 26.

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen

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gensgegenstand ausgetauscht werden (z.B. der Verkauf von Anlage- oder Umlaufvermögen gegen einen angemessenen, sofort greifbaren Kaufpreis), sind wegen des eintretenden Wertausgleichs ein Fall ordnungsgemäßer Wirtschaft und daher nicht strafbar. 12 Eine über das einzelne Austauschgeschäft hinausgehende Gesamtbetrachtung mehrerer gleichzeitiger oder einander nachfolgender Dispositionen fmdet nicht statt. Die Bezahlung fälliger Verbindlichkeiten wird - unabhängig davon, ob Neu- oder Altgläubiger befriedigt werden - seit RGSt 62, 277 als wirtschaftskonform angesehen 13, ebenso seit RGSt 66, 88 die Verwendung von Geld zum eigenen angemessenen Lebensunterhalt l4 • Die dogmatische Begründung für das Vorgehen der Rechtsprechung ist allerdings bislang nicht klar herausgearbeitet. Die Literatur bringt die genannten Einschränkungen mit unterschiedlichen Gesichtspunkten in Verbindung: mit der Subjektivierung der Tathandlung15 bzw. mit teleologischen Argumenten. 16 Mit Hilfe des Finalitätskriteriums versucht insbesondere Tiedemann 17, eine über die in der Rechtsprechung anerkannten Beschränkungen hinausgehende Beschränkung der Strafbarkeit in Einzelfragen zu begründen. So hält er nur unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles für strafbar: den Verbrauch übermäßiger Beträge für unangemessenen persönlicheq Lebensstill8, Schenkungen, Rückzahlungen kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen 19 und das Verlagern von Vermögensgegenständen auf Tochtergesellschaften20 • Schmiergeldzahlungen und die Einziehung von

12 RGSt 2, 118; 61, 108; 62, 152; 62, 277; 66, 88; 66, 130; BGB bei Ha/an, GA 1953, 74; bei Her/an GA 1954,310; BGB NJW 1953, 1152; BGB lZ 79, 75; wistra 1982, 148; NStZ 1987, 23 (= wistra 1987, 29); unten, S. 257ff. 13 Ferner RGSt 71, 227, 231 (zu § 288 StGB). Ferner: BGB bei Her/an, GA 1953, 74; 1958, 47; 1959, 340; BGB NJW 1953, 1153; NStZ 1989, 179; statt aller in der Literatur LK-Tiedemann, § 283, Rn. 30; Hende/, NJW 1977, 1943, 1945; Lackna, § 282, Rn. 10; SchönkejSchröderStree, § 283, Rn. 4; unten, S. 286ff. 14 Ferner: BGB NJW 1952, 898; zustimmend LK-Tiedemann, § 283, Rn. 31; unten, S. 384ff. 15 Bereits oben, S. 102 und unten, S. 254ff.; ferner Lampe, GA 1987, 241, 250. 16 Vgl. zur Saldierung und zum Wertausgleichsprinzip eingehend unten, S. 440ff. bzw. 257ff. 17 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 29ff, ferner Lampe, GA 1987, 241, 250. 18 Strafbarkeit nur beim "Borten von Geldmitteln für die Zukunft" (LK-Tiedemann, § 283, Rn. 31). 19 Insbesondere bei Rückzahlungen an Mitgesellschafter könne die Finalität in Frage stehen; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 35. 20 Die notwendige wirtschaftliche Unterstützung einer Tochtergesellschaft sei nicht zu beanstanden, wenn die Gründung der Tochtergesellschaft strafrechtlich nicht zu beanstanden sei (LK-Tiedemann, § 283, Rn. 35).

112 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Forderungen zu privaten Zwecken2! seien in der Regel nicht tatbestandsmäßig. 3. Fallgruppen Die Palette der Entscheidungen, in denen die Rechtsprechung die Tathandlung des Beiseiteschaffens bejaht hat, ist zugleich ein kasuistisches Mosaik für das Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit.22 Wirtschaftswidriges Beiseiteschaffen sind nach Auffassung der Rechtsprechung je nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles folgende in Gruppen zusammengefaßte Verhaltensweisen: - Umgang mit schuldnerischen Geldern: Verbringen von Geld, so daß der Zugriff der Gläubiger erschwert wird23, Anlegen von Geld zu Gunsten eines Dritten ohne besondere Veranlassung2A, Erwerb eines ausländischen Grundstücks zu Gunsten eines Dritten25, Entnahme von Mitteln aus einer GeseUschaft zur Gründung einer neuen Existe~ oder zu Gunsten einer SchwestergeseUschaft27, Geldentnahme zum Bestreiten des persönlichen Lebensunterhaltes über das "Maß des Notwendigen und Üblichen" hinaus28, Zahlung von Schmiergeldern29, Spende übermäßiger Beträge an eine gemeinnützige Organisation30, nicht aber die Entnahme von Geld durch einen Geschäftsführer zur ErfüUung seiner fälligen Gehaltsansprüche3!. - Umgang mit schuldnerischen Forderungen: Überweisung eines Betrages von einem Geschäftskonto auf ein Privatkonto32, Einziehen einer Forderung auf ein Konto ohne Verfügungs2! Letztere seien in der Regel mangels Finalität entgegen der Rechtsprechung nicht strafbar (LK-Tiedemann, § 283, Rn. 35). 22 Eine Reihe der Fälle führte jedoch wegen der dargelegten Interessenformel (oben, S. l00f.) nicht zu einer Verurteilung nach § 283 StGB (teilweise gekennzeichnet). 23 BGHSt 30, 127, 130; BGH GA 1955,149; BGH NJW 1981, 1793. 2A RGSt 29, 413. 25 BGH 1 StR 156/80 v. 2.12.1980, S. 4ff. 2tJ BGH NStZ 1987, 279. 27 BGH GA 1963, 307 (Aufhebung nach der "Interessenformel"-Rechtsprechung). 28 BGH bei Herlan, GA 1959, 340; BGH NStZ 1981, 510; BGH wistra 1986, 262. Für die Straflosigkeit des angemessenen Unterhaltes: RGSt 66, 88; BGH NJW 1952, 898; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 31; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 4. 29 BGHSt 34, 371, 374. 30 Weber, StV 1988, S. 18. 3! BGH bei Herlan, GA 1958, 47. 32 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 4.

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möglichkeit zum Zweck der Entziehung vor den Gläubigern33 (nicht aber bei weiterhin ordentlich durchgeführtem Zahlungsverkehr über das fremde Konto34), Einziehung einer Forderung der Masse nach Eröffnung des Konkursverfahrens35, Duldung der Einziehung einer Geschäftsforderung durch einen Dritten zur Begleichung einer Privatverbindlichkeit36, Unterlassen des Einschreitens gegen unberechtigten Zahlungsbefehl mit der Folge, daß die Forderung des Schuldners gegen Dritten gepfändet und dem unberechtigt Vollstreckenden überwiesen wird bzw. Abtretung von Forderungen als Gegenleistung bei Scheingeschäften37• - Umgang mit schuldnerischen Grundstücken bzw. Grundstücksrechten: Übertragung bzw. Veräußerung eines Grundstücks bei fehlender gleichwertiger Gegenleistung38 oder in der Absicht, die Gegenleistung für eigene Zwecke zu entnehmen39, unentgeltliche Übertragung eines Miteigentumsanteils auf einen Dritten (Nichtgläubiger) zu dessen Begünstigung40, Belastung zu Gunsten eines Dritten41, Eintragung einer Vormerkung nach wirt-schaftswidrigem Kaufvertrag42 , Veräußerung einer Hypothek unter dem Betrag der Hypothekenforderung43, Zustimmung zur Löschung einer dem Täter zustehenden Grundschuld ohne Gegenleistung zwecks Begünstigung des Grundschuldschuldners bzw. Aufgabe eines Ankaufrechtes44 • - Umgang mit beweglichem Anlage- und Umlaufvermögen bzw. Rechten (Veräußerungs- und Sicherungsvorgänge): Veräußerung ohne entsprechende Gegenleistung, Wegnahme und Verkauf von Anlagevermögen und Waren zu eigenen Zwecken45, Veräu33 BGHSt 34, 309; BGH wistra 1982, 149; Achenbach NStZ 1989, 497; Hammerl, Bankrottdelikte, S. 81; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 34; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 4. 34 BGH bei Herlan, GA 1959, 340. 35 BGH bei Herlan, GA 1961, 358; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 32. 36 BGH wistra 1986, 262 (verurteilt nach § 266 StGB). 37 BGH GA 1963, 307, Verhalten verfolgte den Zweck, eine Privatverbindlichkeit zu erfüllen (Aufhebung nach der "Interessenformel"-Rechtsprechung) bzw. OLG München wistra 1994,278. 38 RGSt 61, 108; 62, 152; BGH NJW 1953, 1152; BGH bei Herlan, GA 1954, 310; BGH wistra 1982, 148; BGH NStZ 1987, 23. 39 BGH NJW 1953, 1152f. zu § 288 StGB; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 4. 40 BGH bei Herlan, GA 1971, 38. 41 RGSt 66, 130. 42 RG DRiZ 1934, Nr.: 315, S. 314. Anders allerdings die Eintragung einer Hypothek für eine noch nicht valutierte Forderung (möglicherweise "Verheimlichen" der dann (noch) vorliegenden Eigentümergrundschuld, RGSt 67, 365; unten, S. 253). 43 BGH NJW 1953, 1152. 44 RGSt 62, 277 bzw. BGH wistra 1994, 349. 45 BGHSt 5, 120; 7, 145; 11, 145; BGH bei Herlan, GA 1971, 36.

8 Krause

114 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Vel'litändnis der Wirtschaftswidrigkeit

ßerung von Betriebsteilen bei nachfolgender Entnahme des Kaufpreises zu eigenen Zwecken46, Veräußerung von Gegenständen, wenn der Schuldner intendiert, die Gegenleistung für sich zu verwenden47, Inzahlunggeben von Kraftfahrzeugen, wenn der erworbene PKW nicht in das Eigentum des Gemeinschuldners gelangt48, Verschenken von Gegenständen49, nicht aber bei Notverkäufen zwecks Beschaffung dringend erforderlicher Liquidität50 ; Ungerechtfertigte Sicherungsübereignung51 ; Übertragung der gesamten Aktiva zur Sicherung auf einen Bankenpool zwecks Vermeidung der Gesamtvollstreckung52, Sicherungsübereignung von Gegenständen auf einen Gläubiger mit dem Ziel, dieser möge einer Schwestergesellschaft neuen Kredit gewähren53, Übertragung von sicherungsübereigneten Gegenständen und Vorbehaltseigentum mit Zustimmung der Berechtigten auf neu gegründete Gesellschaft als Beiseiteschaffen der Anwartschaftsrechte54, Sicherungsübereignung einer Sache mit dem Ziel, den Betrag privat zu verwenden, mit dem der Wert der Sache die zu sichernde Forderung übersteigt55, Verpfändung von Waren, wenn die Möglichkeit der Wiedereinlösung nicht besteht oder fernliegt56, Übertragung von Verlagsrechten auf sich selbst zur eigenen Verwertung57, nicht aber die Sicherung von Neugläubigern, wenn die zu sichernde Verbindlichkeit auf einem wirtschaftskonformen Vertrag beruht (externer Sanierer und Honorarsicherung)58. - Umgang mit Verbindlichkeiten: Übernahme von Vertragspflichten ohne gleichzeitigen Erwerb von Vertragsrechten59, Rückzahlung kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen 46 BGH GA 1980, 106. 47 BGH bei Her/an, GA

1954, 311; BGH 1 StR 156/80 v. 2.12.1980, S. 5ff.; entsprechend wenn das Geschäft nur dem Vel'lichaffen einer Aufrechnungslage dient BGH wistra 1993, 184, 185. 48 BGH 1 StR 156/80 v. 2.12.1980, S. 6ff. Für die Veränderung von Gesamthandseigentum in Alleineigentum: LK-Tiedemann, § 283, Rn. 25; Schönke/SchTöder-Stree, § 283, Rn. 4. 49 BGH 1 StR 156/80 v. 2.12.1980, S. 5ff. 50 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 33. 51 BGH bei Ho/tz MDR 1979, 457 (vgl. auch oben, S. 105); Dreher-Trönd/e, § 283, Rn. 4; Schönke/SchTöder-Stree, § 283, Rn. 4. 52 AG Siegen, wistra 1985, 196. 53 OLG Hamm, wistra 1985, 158. 54 BGHSt 3, 32; BGH BB 1957, 274 (aber auch BGH GA 1960, 379). 55 RG DJZ 1928, 596. 56 RGSt 48,217. 57 BGH wistra 1988, 193. 58 BGH BGHSt 35,357 (=BGH NStZ 1989, 179) mit Anmerkung Marxen, EWiR 1989, 505. 59 BGH bei Her/an, GA 1953, 74.

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durch Gesellschafter-Geschäftsführer an anderen Gesellschafter oder an sich selbst60 , Leistung auf fällige Verbindlichkeiten, sofern der Wert der Leistung die Höhe der Verbindlichkeit übersteigt61, Erfüllung einer Verbindlichkeit mit zweckgebundenen Geldern 62, nicht aber die Zahlung von fälligen Verbindlichkeiten aus freien Schuldnermitteln63 • II. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und das Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbannachen von Vennögensbestandteilen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1, 3. Alt. StGB)

Gemäß § 283 Absatz 1 Ziffer 1, 3. Alt. StGB macht sich strafbar, wer in der Krise Vermögensbestandteile (§ 1 KO) in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Diese Alternative ist weitgehend bedeutungslos. Rechtsprechung zu ihr liegt - soweit ersichtlich - nicht vor. Die Literatur orientiert sich für die Auslegung an den §§ 87, 303, 316b StGB64 , wobei die einzelnen Merkmale nach der Intensität der Beeinträchtigung des Vermögensbestandteils in einem Stufenverhältnis zueinander stehen: Beeinträchtigungen der Brauchbarkeit ohne Substanzbeeinträchtigungen (= Unbrauchbarmachen), Beeinträchtigungen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs infolge von Substanzverletzungen (= Beschädigen) und völlige Aufhebungen der Brauchbarkeit infolge der Substanzvernichtung (= Zerstören). In der Regel kommen nur mutwillige Zerstörungshandlungen in Betracht. Das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit bei dieser Alternative ist ungeklärt. Die Entwurfsbegründung beschränkt sich auf den beispielhaften Hinweis, daß die Zerstörung von Investitionsgütern bei Gelegenheit ihrer Ersetzung wirtschaftskonform sein könne. b5 Die Literatur äußert sich nur in sehr allgemeinen Begriffen66 und erschöpft sich im übrigen in Beispielsfällen, Z.B. 60 Hendel, NJW 1977, 1947; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 34 (bei Berücksichtigung der "Interessenformel" wohl eher § 266 StGB). 61 Mathieu, GA 1954, 225. 228 unter Verweis auf 1 StR 8/51 (10.7.1951); 1 StR 477/53 (8.12.1953); 5 StR 902/52 (19.3.1953). 62 BGHSt 30, 127,129 (obiter dictum); zum Nachteil bei § 266 StGB durch die Zweckentfremdung von Baugeldern vgl. auch BGH 1 StR 252/90 v. 2.8.1990, S. 6. 63 RGSt 71, 227; BGHSt 34, 309; BGH NJW 1953, 1152; BGH NStZ 1989,179. 64 Vgl. nur Dreher(Fröndle, § 283, Rn. 6. b5 BT-DrS. 7/3441, S. 34. 66 Lackner, § 283, Rn. 11: es sei "aufgrund einer ex-an te-Beurteilung der Richtigkeit und Vertretbarkeit der Maßnahme" zu entscheiden.

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der Abbruch einer baufälligen Lagerhalle als wirtschaftskonformes Zerstören. 67 Hinzuweisen ist auf die Ansicht, wonach die Ordnungsgemäßheit des Verhaltens bei Reparatur- und Ersetzungsabsichten des Wirtschafters trotz objektiv vorliegender Zerstörung - unter Verweis auf die subjektive Ebene begründet wird. 68 IIl. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und unwirtschaftliche Ausgaben (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2, 4. Alt. StGB)

Gemäß § 283 Absatz 1 Ziffer 2, 4. Alt. StGB macht sich strafbar, wer in der Krise durch unwirtschaftliche Ausgaben übermäßige Summen verbraucht oder schuldig wird. In BGH GA 1964, 11969 teilt das Gericht den Sachverhalt nur sehr bruchstückhaft mit: Der A hatte während der Krise monatlich DM 1.000,- aus seiner Geschäftskasse genommen und für private Zwecke, u.a. für die Bezahlung von "Krankenkassenbeiträgen und ähnliches", verbraucht. Überdies hatte er für geschäftliche Zwecke "nicht vertretbare" (so das Landgericht) Entnahmen getätigt. Das Landgericht hatte den A wegen "übermäßigen Aufwands" (§ 240 Absatz 1 Nr. 1 KO) verurteilt, ohne allerdings Näheres zur Lebenssituation des A und zur Art der geschäftlichen Mittelverwendung mitzuteilen. Der Bundesgerichtshof hob die Verurteilung auf und verwies zur weiteren Aufklärung zurück. Das Gericht bestätigt die Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach für einen "Aufwand" sowohl private als auch geschäftliche Ausgaben in Betracht kommen?O Grundsätzlich liege ein "Aufwand" vor, wenn die Ausgaben das "Maß des Notwendigen und Üblichen" übersteigen. Inwieweit geschäftliche und private Ausgaben das Maß des Notwendigen und Üblichen übersteigen, sei für beide Ausgabenarten unterschiedlich zu ermitteln. Bei privaten Ausgaben kommt es nach Ansicht des Gerichts entscheidend auf die persönlichen Lebensverhältnisse des Schuldners an. Es reiche nicht aus, daß die Ausgaben des Schuldners seine regelmäßigen Einnahmen überDreher-Tröndle, § 283, Rn. 6. Als Verfolgung wirtschaftlich vertretbarer Zwecke: SK-Samson, § 283, Rn. 10; zustimmend LK-Tiedemann, § 283, Rn. 49; Lackner, § 283, Rn. 11. 69 5 StR 402/62 vom 8.1.1963. 70 Vgl. auch RGSt 7, 90, 91; 42, 278, 280; 73,229, 230; BGHSt 3, 23, 26; BGH 1 StR 98/56 v. 6.7.1956; 3 StR 242/79 v. 4.9.1979. Zustimmend die Literatur: LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65; Blei, Strafrecht, S. 271; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12. 67

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steigen. Es seien vielmehr die Ausgaben zu ermitteln, die dem Schuldner bei Berücksichtigung seiner persönlichen Lebensverhältnisse zwangsläufig erwachsen. Das Merkmal Aufwand liege nur dann vor - so wohl die an dieser Stelle nicht ganz klare Entscheidung -, wenn die Differenz von tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen jedenfalls auch darauf beruht, daß die schuldnerischen Ausgaben den Umfang der zwangsläufig entstehenden Ausgaben überschreiten. Daher komme ein Aufwand im Fall der Deckung des notdürftigen Unterhalts selbst dann nicht in Betracht, wenn dieser die regelmäßigen Einnahmen übersteigt.71 Bei geschäftlichen Ausgaben liegt eine Überschreitung des Notwendigen und Üblichen nach Auffassung des Bundesgerichtshofes dann vor, wenn sich Aufwendungen des Schuldners unter den gegebenen geschäftlichen Verhältnissen als sinn- und zwecklos darstellen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Schuldner Ausgaben für Projekte tätige, deren vollständige Durchführung von Beginn an ausgeschlossen ist.72 Der Geschäftsmann sei gehalten, vor bedeutenden Maßnahmen seine fmanziellen Möglichkeiten und die möglichen Auswirkungen der Maßnahme auf die Rentabilität des Unternehmens zu überprüfen. In Ansehung sowohl privater wie auch geschäftlicher Ausgaben bedürfe es eingehender gerichtlicher Feststellungen zu den privaten bzw. geschäftlichen Verhältnissen73 , woran es es hier gefehlt habe. Erst nach diesen Feststellungen und nach Bejahung der Wirtschaftswidrigkeit könne weiter geprüft werden, ob ein übermäßiger Verbrauch vorliegt. 1. Tathandlung Die Alternative pönalisiert vermögensmindernde Maßnahmen, die die Leistungsfähigkeit des Schuldners übersteigen. Wie bei den anderen Alter71 Ständige Rechtsprechung seit RGSt 15, 309, 313; 70, 260, 261; auch BGH MDR 1981, 510; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 17; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65f. 72 Es verwundert allerdings der Hinweis des Gerichts, wonach die Feststellung des Landgerichts, die Disposition sei "wirtschaftlich nicht vertretbar" gewesen, nicht ausreichen soll, um deren Wirtschaftswidrigkeit (i.e. das Übersteigen des Notwendigen und Üblichen) zu begründen. Dieser Hinweis ist auf den Bereich der "geschäftlichen Wagnisse" zur Rechtslage vor dem 1. WiKG (hierzu und zum Folgenden unten, S. 127f.) zu beschränken (und außerhalb dessen auch von der Rechtsprechung nicht wiederholt worden): der BGH stellt in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsgerichts fest, daß die Vornahme gewagter Geschäfte durch einen Kaufmann nicht allein wegen des Wagnisses wirtschaftswidrig sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn sich die Geschäfte wegen ihres Fehlschlagens ex post als wirtschaftlich unvertretbar darstellen (vgl. auch BGH GA 1974, 62). 73 Vgl. auch LK-Tiedemann, § 283, Rn. 68.

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nativen der Ziffer 2 beinhaltet die Umschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens zwei Komponenten: die unwirtschaftliche Ausgabe74 und das für Ziffer 2 stets erforderliche - Verbrauchen übermäßiger Summen. Nicht jede unwirtschaftliche Ausgabe und auch nicht jedes übermäßige Verbrauchen sind also strafbar.75 Es bedarf stets der Kombination von Unwirtschaftlichkeit und Übermäßigkeit.76 Diese sind wiederum - was insbesondere in der Kommentarliteratur zuweilen nicht hinreichend beachtet wird - strikt voneinander zu unterscheiden, denn sie besitzen differierende Bezugspunkte, sc. einerseits die Unangemessenheit der Ausgabe in Ansehung der schuldnerischen Lebens- und Geschäftsverhältnisse am Maßstab der allgemeinen Verkehrsauffassung (Unwirtschaftlichkeit) und andererseits die Unangemessenheit der Ausgabe in Ansehung der konkreten wirtschaftlichen Lage des Schuldners (Übermäßigkeit). Unter "Ausgabe" ist jede vermögensmindernde Disposition über Geld zu verstehen, unabhängig davon, ob diese privaten oder geschäftlichen Zwecken dient. Bei Dispositionen über Geld, insbesondere in Fällen unberechtigter Geldentnahme, bereitet die Abgrenzung der unwirtschaftlichen Ausgabe vom Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen (Ziffer 1) Schwierigkeiten. Die Rechtsprechung hat hierzu bislang keine klaren Grundsätze entwickelt und entscheidet wechselhaft, in dem sie teilweise auf die Entnahme und teilweise auf die spätere Ausgabe absteUt.TI Die Abgrenzung hat von einer klaren Herausarbeitung der zu untersuchenden Disposition auszugehen?8 Sodann ist danach abzugrenzen, ob das Geld zu einem konkreten (wie

74 Die Änderung des Wortlauts von "Aufwand" in "unwirtschaftliche Ausgabe" im 1. WiKG sollte ausschließlich KlarsteIlungszwecken dienen (BT-DrS. 7/3441, S. 34; 7/5291, S. 18 - Bericht des Sonderausschusses). Eine Inhaltsänderung war nicht beabsichtigt (näher LK-Tiedemann, § 283, Rn. 64, die klarstellende Wirkung der Änderung anzweifelnd), weshalb Literatur und Rechtsprechung zum "Aufwand" (§ 240 Absatz 1 Ziffer 1 KO) inhaltlich auf die "unwirtschaftliche Ausgabe" übertragbar sind (BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979; Kohlmann, Verantwortlichkeit, S. 282). 75 Ausdrücklich BGH GA 1964, 119. 76 Vgl. zu dieser doppelten (Strafbarkeits)Begrenzung hinsichtlich der schuldnerischen Au~a~en bereits eingehend: RGSt 15, 309,313; BGH bei Herlan, GA 1954, 311. AhnIich bereits oben, S. 97f. Zuordnung zu Ziffer 1: RGSt 66, 88; NJW 1952, 898; BGH bei Herlan, GA 1955, 149; 1958,47; 1959, 340; GA 1980, 106 (Vorinstanz); NJW 1981, 1793; MDR 1981, 510 (offen lassend); BGHSt 30, 127, 130; wistra 1986, 262; NStZ 1987, 279. Zuordnung zu Ziffer 2: RGSt 15, 309; BGHSt 3, 23; BGH NJW 1953, 1480; bei Herlan, GA 1954, 311; GA 1980, 106; MDR 1981, 510 (offen lassend). 78 Vgl. auch Labseh, wistra 1985, I, 2 (im Zusammenhang mit der InteressenformeIRechtsprechung und § 14 StGB); unklar: Bieneck, in: Müller-Gugenberger, S. 1405, 1473. Dies ist insbesondere bei Gesellschaften und der Entnahme von Geld durch den Geschäftsführer notwendig: insoweit ist zu klären, ob der Geschäftsführer das Geld vor seiner Verwendung dem Vermögen der Gesellschaft - ohne hierauf Anspruch zu haben - entzogen hat (dann ggf. Ziffer 1 oder § 266 StGB: BGH bei Herlan GA 1954, 311; 1958,47) oder ob er

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auch immer gearteten) Zweck in seiner Tauschfunktion, mit anderen Worten als Träger wirtschaftlicher Leistungskraft, eingesetzt wurde (dann Ausgabe) 79 oder ob die Disposition ohne weitergehenden Zweck allein darauf gerichtet war, das Geld als solches als Vermögenswert zu sichern (dann Beiseiteschaffen)8O. 2. Die "Unwirtschaftlichkeit" der Ausgabe Das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit ist auch bei dieser Alternative der Vermögensdisposition ("Ausgabe") zugeordnet. Die Unwirtschaftlichkeit der Ausgabe bezieht sich auf die Vertretbarkeit der Ausgabe81 , wobei als Anknüpfungspunkt die tatsächlichen schuldnerischen Lebens- und Geschäftsverhältnisse dienen. Die Umschreibung der Unvertretbarkeit der Disposition durch die ständige Rechtsprechung (das "Maß des Notwendigen und Üblichen" müsse überschritten sein) geht auf die am preußischen StGB und am französischen code de commerce82 orientierte Auslegung des "Aufwandes" in RGSt 15, 309, 312f. zurück. 83 Das Reichsgericht hat sich bei der Auslegung des Aufwandes in erster Linie an der Absicht des Gesetzgebers von 1877 orientiert, der böswillige und mutwillige schuldnerische Verhaltensweisen unter Strafe stellen wollte. Daher hat es wirtschaftsmoralische Vorstellungen in den Vordergrund gestellt und das Kriterium der

Leistungen direkt aus den Mitteln der Gesellschaft erbrachte (dann Alternativität von Ziffer 1 bzw. § 266 und Ziffer 2: RGSt 42, 278, 281). 79 Entnahme zum Lebensunterhalt, Kaufpreise, Honorare, Löhne, Gehälter, Schmiergelder etc. 80 Z.B. die ÜbelWeisung ins Ausland, auf fremde Konten, Schenkungen gegenüber Dritten u.ä. 81 So auch LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65; Lackner, § 283, Rn. 13; ScIWnke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 13. 82 Zum code de commerce und seiner Bedeutung für das Bankrottstrafrecht bereits oben, S.58f. 83 Diese Umschreibung ist bezüglich der Geschäftsausgaben bereits im Ausgangspunkt nicht unbedenklich. Denn die Regelungen im preußischen StGB von 1851 und im französischen Code de commerce inkriminierten ausschließlich exzessive persönliche Ausgaben. Wo das Reichsgericht den Maßstab des Aufwandes bei Geschäftsausgaben - diese fielen bereits seit RGSt 7, 90, 91 unter den Begriff "Aufwand" - zu bestimmen hatte (beispielsweise in RGSt 70, 260, 261), hat es sich mit der Herkunft der aus der Sphäre der persönlichen Ausgaben stammenden Umschreibung ("Notwendiges und Übliches") nicht auseinandergesetzt, sondern diese unter VelWeis auf RGSt 15, 309ff. einfach übernommen.

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tatsächlichen Gläubigergefährdung zurücktreten lassen. 84 Der Bundesgerichtshof hat sich weitgehend von diesem Verständnis gelöst und auf ein allgemeines wirtschaftliches Vertretbarkeitskriterium85 zubewegt, wenngleich unter Beibehaltung der Formel vom Maß des Notwendigen und Üblichen. Freilich enthält auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Relikte der wirtschaftsmoralischen Sichtweise des Reichsgerichts, z.B. bei der Ablehnung der Berücksichtigung von Gegenleistungen im Rahmen der Bestimmung der Unwirtschaftlichkeit. Die Rechtsprechung geht bei der Prüfung von der Frage aus, welche Ausgaben dem Schuldner nach den in seinen Lebensverhältnissen gewöhnlichen Verpflichtungen zwangsläufig erwachsen, und vergleicht diese Ausgaben mit den tatsächlich vom Schuldner Getätigten. 86 Die Literatur hat die Übertragung dieses Ansatzes zum alten Recht auf das Merkmal der unwirtschaftlichen Ausgaben kritisiert 87, da das entscheidende Kriterium der Vertretbarkeit nicht zum Ausdruck komme. Freilich besitzt auch der Rechtsprechungsansatz eine Einbruchstelle für eine Vertretbarkeitsprüfung. Sie liegt bei der Bestimmung der "gewöhnlichen Verpflichtungen", die nicht allein empirisch, sondern auch normativ zu bestimmen sind: "gewöhnliche Verpflichtungen" umfassen auch solche finanziellen Belastungen, die durch nach den gegebenen Umständen vertretbare Maßnahmen entstehen. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof Aufwendungen für Sanierungsversuche, die nach den konkreten Umständen nicht aussichtslos und daher vertretbar waren, nicht für unwirtschaftlich gehalten.88 Stets ist vorab festzustellen, ob es sich um eine geschäftliche oder private Ausgabe handelt. 89 Steht die Unwirtschaftlichkeit privater Ausgaben in Rede, so kommt als Maßstab für die objektiv vertretbaren Ausgaben der pri84 So heißt es beispielsweise in RG GA 64 (1917), 115: "Entscheidend ist allein, daß unverhältnismäßige Summen für Überflüssiges oder Nichtübliches verausgabt sind" ("das übliche Maß weit übersteigender Prunk"). Ob dadurch ein Vollstreckungsnachteil für die Gläubiger entstanden ist, sei gleichgültig. Vgl. auch RGSt 22, 12, 14. Ein Wandel deutet sich allerdings in RG JW 1934, 2472f. an, wo das Reichsgericht die wirtschaftliche Lage vor und nach der Disposition vergleicht und den Austausch von Aktiva nicht als unwirtschaftlich ansieht. 85 Vgl. nur BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979: zu beachten sei der "mit der Maßnahme verfolgte Zweck" und die Frage, "ob dieser bei vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtung sinnvollerweise damit angestrebt werden konnte". 86 BGH GA 1956, 348; ungenau wird das Vorgehen der Rechtsprechung teilweise in der Kommentarliteratur widergegeben: Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 17 zieht beispielsweise Kriterien in die Unwirtschaftlichkeit, die die Rechtsprechung bei der Übennäßigkeit ansiedelt (ebenso Lackner, § 283, Rn. 13). 87 Maurach/Schroeder/Maiwald, S. 525. 88 BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979; zustimmend Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12; LKTiedemann, vor § 283, Rn. 110; § 283, Rn. 65. 89 BGH NJW 1953,1480,1481.

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vate Lebenszuschnitt des Schuldners zum Tragen.90 Bei Geschäftsausgaben ist die tatsächliche Geschäftslage maßgeblich, wobei dem Gegenstand des Geschäfts91 und den Besonderheiten kaufmännischen Wirtschaftens92 wesentliche Bedeutung zukommt. 93 Sind die tatsächlichen Ausgaben höher als die objektiv zu erwartenden (=vertretbaren), so sind die tatsächlichen Ausgaben unwirtschaftlich. 94 Besondere Aufmerksamkeit ist betrieblichen Ausgaben für private Zwecke beizumessen.95 Hier wird der Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft nur in besonderen Fällen zu verneinen sein, etwa dann, wenn dem Schuldner in gleicher Höhe Entnahmerechte zustehen oder die Deckung des schuldnerischen Lebensunterhaltes eine Entnahme erfordert.96 Die wirtschaftliche Lage des Schuldners und seine Vermögensverhältnisse sind für die Bestimmung der Vertretbarkeit einer Ausgabe mittelbar von Bedeutung und zwar insoweit, als in Krisenzeiten im Zweifel eine bescheidene Lebens- und Geschäftsführung angezeigt ist.97 Die wirtschaftliche Krise bewirkt also über die Notwendigkeit der Anpassung der tatsächlichen 90 Abweichend die Literatur, die teilweise Privatausgaben stets für unwirtschaftlich hält (Maurach/Schroeder/Maiwald, aaO), teilweise auf Entnahme- bzw. Unterhaltsbefugnisse des Schuldners abstellt (LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65). 91 So gehört beispielsweise bei einem Im- und Exportunternehmen die Vornahme von unsicheren Devisengeschäften zum Geschäftsbetrieb, weshalb diese Geschäfte im Gegensatz zu anderen Schuldnern in Grenzen als wirtschaftskonform einzustufen sind (Beispiel von Kohlmann, Verantwortlichkeit, S. 28lf.). 92 Da das Wagnis zum kaufmännischen Wirtschaften gehört und daher in gewissen Grenzen risikobehaftete Geschäfte von Kaufleuten zu erwarten sind, kann nach Ansicht der Rechtsprechung die Wirtschaftswidrigkeit eines solchen Geschäftes nicht schon mit dem Ausbleiben des erhofften Erfolges begründet werden (RGSt 16, 238; 73, 229; RG GA 64 (1917), 115,116; BGH GA 1964, 119, 120; 74, 61, 62 (allerdings für die Rechtslage vor dem 1. WiKG); für das Fehlschlagen von Sanierungsbemühungen: BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979). 93 Die Literatur stellt demgegenüber darauf ab, ob die Ausgabe "außer Verhältnis zu dem erzielbaren Erfolg" steht (Maurach/Schroeder/Maiwald, S. 526; zustimmend LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65) mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer zweifelsfreien Feststellung der Unzu lässigkeit (Art. 103 GG, Kernthese, vgl. oben, S. 7lff.). 94 BGH GA 1956, 348. Nach Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 17 soll sich der Schuldner auch bei überhöhten betrieblichen Ausgaben seiner Mitarbeiter strafbar machen können, wobei die Grundsätze über die Eintrittspflicht des Betriebsinhabers bei betriebsbezogenen Straftaten heranzuziehen sein sollen. Diese Erwägung bedarf noch näherer Untersuchung. Sie ist insofern nicht unproblematisch, als sie mittelbar eine Pflicht zur betriebsinternen Offenlegung der Krise statuiert, zu der der Schuldner - nicht zuletzt um mögliche Rettungsversuche nicht zu gefährden - grundsätzlich nicht verpfliChtet ist. 95 Lackner, § 283, Rn. 13. 96 Vgl. LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65; a.A. Maurach/Schroeder/Maiwald, S. 526: Geschäftsausf:ben für private Zwecke seien stets wirtschaftswidrig. BGH MDR 1981, 510,511 zustimmend Schlüchter, JR 1982, 29; ähnlich LK-Tiedemann, § 283, Rn. 66; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 4; vgl. auch unten, S. 402f.

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Lebensverhältnisse eine Verschiebung des Wirtschaftlichkeitsmaßstabes. Vertretbare Aufwendungen dürfen grundsätzlich auch in Krisenzeiten getätigt werden. 98 Die Rechtsprechung betont, daß solche auch im Interesse der Gläubiger liegen können.99 Unterschiedlich haben die Obergerichte die Relevanz des vom Schuldner verfolgten Zwecks für die Bestimmung der Unwirtschaftlichkeit beurteilt. Das Reichsgericht hielt den verfolgten Zweck für unbeachtlich, wobei es einen Zweckbegriff zugrundelegte, der sich im wesentlichen auf die subjektive Motivationslage des Schuldners bezog. loo Demgegenüber sieht der Bundesgerichtshof in den verfolgten Zwecken einen der wesentlichen Bewertungsfaktoren, wobei er einen Zweck begriff verwendet, der sich auf das mit der Disposition verfolgte (objektive) wirtschaftliche Ziel bezieht.IO! Unter Hinweis auf den Wortlaut "Ausgabe" lehnt die Rechtsprechung überdies die Berücksichtigung von Gegenleistungen, die im Zusammenhang mit der Ausgabe dem Schuldnervermögen zufließen, grundsätzlich ab. l02 3. Die "Übermäßigkeit" der verbrauchten bzw. schuldig gewordenen Summen Durch die unwirtschaftliche Ausgabe muß der Schuldner übermäßige Summen verbrauche 03 haben oder schuldig geworden lO4 sein. Das neben der Wirtschaftswidrigkeit erforderliche Tatbestandsmerkmal des Verbrauchens bzw. Schuldigwerdens "übermäßiger Summen" knüpft an die wirtschaftliche Lage des Schuldners an. Es dient als Korrektiv letztlich dazu, unwirtschaftliche Ausgaben, die sich gemessen an der schuldnerischen Vermögenslage als unwesentlich darstellen, aus dem Bereich des Strafbaren auszuscheiden. lOS Um einen übermäßigen Verbrauch handelt es sich dann, Zustimmend Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12. BGH GA 1958,47. 100 RG GA 64 (1917) 115, 116; RGSt 15.309, 313; 42, 278, 281 (aber auch: RGSt 70, 260, 262); so auch noch BGH bei Herlan GA 1954, 311. 101 BGHSt 3, 23, 25f.; BGH NJW 1953, 1152, 1153; 1953, 1480, 1481; GA 1974, 61, 62; BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979; 102 RG GA 64 (1917), 115, 116 (aber auch JW 1934, 2473); BGH bei Herlan GA 1959, 341; 64, 119f.; BGH NJW 1953, 1480; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 67 (kritisch). Eingehend hierzu unten, S. 257ff., 266. 103 Unter Verbrauchen ist der Abfluß aus dem Schuldnervermögen zu verstehen. 104 Schuldigwerden bedeutet die Belastung des Schuldnervermögens mit einer Verbindlichkeit; vgl. BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 15; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 68; näher noch unten, S. 255. 105 Auf Konkurrenzebene verbindet das Merkmal verschiedene unwirtschaftliche Ausgaben zu einer strafbaren Handlung (Gesetzeseinheit, BGHSt 3, 23, 26). 98 99

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wenn die Ausgabe zum Umfang der Leistungsfähigkeit und der Vermögenslage des Schuldners in keinem angemessenen Verhältnis steht. l06 Mithin sind die in Rede stehende Ausgabe und die schuldnerische Gesamtvermögenslage zueinander ins Verhältnis zu setzen. Bei der Ausgabe privater Mittel ist maßgeblich auf das regelmäßige Einkommen des Schuldners und den Stand seines gesamten persönlichen Vermögens abzusteUen. 107 Bei der Ausgabe geschäftlicher Mittel hat die Bestimmung der schuldnerischen Wirtschaftslage die Leistungsfähigkeit des Geschäftsbetriebesl08 und die gesamte Vermögens- und Liquiditätslage des schuldnerischen Geschäfts zu berücksichtigen. 109 Hier zieht die Rechtsprechung unterschiedliche Kriterien heran, z.B. die Roheinkünfte des Unternehmens l1O , die Kapitalausstattung111 , den Gesamtvergleich von Aktiva und Passiva112, die sonstigen Geschäftsausgaben l13 sowie die Geschäftsaussichten 114 • Die bei der Ermittlung von Wirtschaftswidrigkeit und Übermäßigkeit erforderlichen Vergleiche sind für den Zeitpunkt der Ausgaben und für einen Zeitraum zu ziehen, den der Schuldner bei vernünftigem Wirtschaften ins Auge gefaßt hätte. 115 4. Fallgruppen Vorbehaltlich eingehender Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles nehmen Rechtsprechung und Literatur den Verbrauch übermäßiger Summen durch unwirtschaftliche Ausgaben in folgenden Fällen an: 106 Ständige Rechtsprechung RGSt 14, 80, 87; 42, 278, 280; 70, 260; 73, 229; BGHSt 3, 23, 26; BGH NJW 1953, 1480, 1481. 107 RGSt 70, 260, 262 (aber auch RGSt 31, 15lf.; Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Geschäfts bei Privatausgaben); BGH NJW 1953, 1480, 1481; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 14. 108 BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979, S. 8. 109 BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981. 110 BGH NJW 1953,1480,1481. 111 BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981 (reale Gewinne sind bei unterkapitalisierten Gesellschaften eher zur weiteren Kapitalausstattung als für private Anschaffungen des Geschäftsinhabers zu verwenden). 112 RG JW 1934, 2472f.; vorgenannte BGH-Entscheidung; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 14: "Unternehmenschancen". 113 BGH NJW 1953, 1480, 1481. 114 BGH GA 1964, 119, 120. 115 BGH GA 1956, 348; 1974, 61; bei Herlan GA 1967, 264; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 17.

124 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

- Ausgaben für private Zwecke (mit privaten oder geschäftlichen Mitteln): Übertriebene Ausgaben im Haushalt 116, Spende unverhältnismäßig hoher Beträge an eine gemeinnützige Organisation117, hohe Wohnungsmiete ohne besonderen Grund 118, Anschaffung von teuren Möbeln 119, Altertümern und Kunstwerken l20 , PKW l2l , Sportflugzeugl22, Luxusyache 23 , überhöhter Spesenverbrauch124, aufwendige Barbesuche 125, Lohnaufwand für Jäger einer Privatjagdl26, Kosten privater Landwirtschaft1Z7, Reisekosten l28, erhöhter Lebensunterhalt durch nicht besonders veranlaßten Auslandsaufenthale 29 , Entnahmen für die Zukunftssicherung des SchuldnersilO. - Ausgaben für geschäftliche Zwecke: Anstellung (Gehaltszahlung) von unnötigen Arbeitnehmern bzw. ungerechtfertigte Gehaltserhöhungen l3l , sinnlose Investitionen 132, Ausgaben für strafbare Zwecke (Schmiergeldzahlungen)133, Gründung und Unterstützung von Tochterunternehmen l34 , Weiterfmanzierung verlustreicher Tochterge116 RGSt 15, 309; BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 14 (auch bei Verursachung durch Familienmitglieder), nicht aber der angemessene Lebensunterhalt BGH GA 1964, 119f.; MDR 1981, 510f. 117 Weber, StV 1988, 16, 18. 118 BGH bei Herlan GA 1954, 311. 119 BGH NJW 1953, 1480. 120 RG GA 64 (1917), 115f. 121 BGH NJW 1953, 1480; 2 StR 165/78 v. 21.6.1978 (zit. nach Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 14). 122 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12 unter Verweis auf 1 StR 592/75 v. 4.11.1975. 123 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12. 124 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 12 unter Verweis auf 5 StR 236/55 v. 5.7.1955. 125 BGH NJW 1953, 1480. 126 BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 14. 1Z7 BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 14. 128 BGH MDR 1981, 510f. mit Anmerkung Sch/üchter, JR 1982, 32. 129 BGH MDR 1981, 510f. mit Anmerkung Sch/üchter, JR 1982, 32. 130 BGH GA 1980, 106, nicht aber angemessene Lebensversicherungsleistungen RG JW 1934,2472. 13l RGSt 42, 278, 280; 70, 260 (häufig wird hierbei die Erlangung von Konkursausfallgeld verfolgt, Tiedemann, KTS 1984, 539, 550 mit Nachweisen); nicht aber laufende Gehälter und betriebliche Kosten: BGH bei Herlan GA 1958, 47. 132 BGH bei Herlan GA 1954, 311 (Ausgaben für Bauplanung bei Kenntnis von der Undurchführbarkeit des Projektes); GA 1964, 119, 120; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 65. 133 BGH GA 1974,61,62; kritisch LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 112, aber auch § 283, Rn. 57; derselbe, KTS 1984, 539, 549; eingehend hierzu unten, S. 314f., 400. 134 BGH 5 StR 510/53 v. 17.11.1953 (zitiert nach BGH GA 1964, 120, Gründung einer Erfindungsverwertungsgesellschaft in Kenntnis der Tatsache, daß die zur Verwertung erforderlichen Anlagen nicht beschafft werden können); BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979, S. 8 (das

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen

125

sellschaft, wenn Abstoßen der Beteiligung möglich ise 35, riskante Ausgaben, sofern diese nicht ein typisches kaufmännisches Wagnis darstellen l36, hoher Werbeaufwand 137, Kreditzinsen l38 und -kosten139 , kostspielige Investitionen zur Verschaffung einer Kreditgrundlage, wenn die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft des Geschäfts nicht geprüft werden l40, Reisekosten l41, Ausstellungsteilnahmen l42, Übernahme einer Bürgschaft in Höhe von DM 500.000,- ohne echte GegenJeistungl43, Nichtgeltendmachung hoher Forderungen l44, Leistung eines hohen Betrages als Kaution, wenn der Eintritt der Verfallsbedingung wahrscheinlich ise45 .

W. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Spiel oder Wette (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2, 5. und 6. Alt. StGB) Bei den Begriffen "Spiel" und "Wette" bestehen keine Auslegungsprobleme. Sie sind nach einhelliger Auffassung mit den Begriffen in § 762 BGB identisch, i.e. es muß sich um Geschäfte handeln, deren Erfolg von einer Ungewißheit bzw. vom Zufall abhängt.146 Tatbestandsmäßig kann die Teilnahme an einer Lotterie, "speziell der mecklenburgischen Staatslotterie"147, am Pferde- oder Fußballtoto, an Glücksspielen (Roulette, Baccara) etc. sein. 148 Der Schuldner muß übermäßige Beträge verbraucht haben oder schuldig geworden sein, wobei hinsichtlich der Übermäßigkeit auf das soeben zu priUnterhalten eines Tochteruntemehmens zum Zweck der Beteiligung an aussichtslosen Sanierungsversuchen). 135 Tiedemann, KTS 1984, 539,550; derselbe in LK, § 283, Rn. 65 unter Verweis auf Wellensiek ZIP 1984, 544. 136 Mathieu, GA 1954, 225, 230 unter Verweis auf BGH 5 StR 510/53 v. 17.11.1953; beachte aber auch die durch das 1. WiKG eingetretene Änderung der Rechtslage bei gewagten Geschäften; näher sogleich im Text, S. 127f. 137 RGSt 73, 229; RG GA 64 (1917), 115, 116; Tiedemann, KTS 1984, 539, 550; Richter, GmbHR 1984, 137, 139. 138 RGSt 73, 229. 139 RGSt 73, 229; BGHSt 3, 23, 25f. 140 RG GA 64 (1917), 115f.; BGH GA 1964, 119f.; Richter, GmbHR 1984, 137, 139. 141 BGHSt 3, 23, 25f. 142 BGHSt 3, 23, 25f. 143 BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 14. 144 BGH 1 StR 625/80 v. 10.2.1981, S. 15. 145 BGH wistra 1982, 148, 149 (Verurteilung erfolgte schließlich nach § 266 StGB). 146 RGSt 15, 277ff.; näher Palandt-T1wmas, § 762, Rn. H. 147 RGSt 27, 180, 182. 148 Zu den Beispielen: Jaeger-Klug, KO, § 240, Rn. 3; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 63; Lackner, § 283, Rn. 13; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 18.

126 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

vaten Ausgaben Ausgeführte verwiesen werden kann. Beim Schuldigwerden verlangt die Rechtsprechung149 zu Recht, daß die Verbindlichkeit klagbar sein muß, was bei durch Spiel und Wette begründeten Verbindlichkeiten nach § 762 Absatz 1 Satz 1 BGB nicht der Fall ist. Bei ihnen handelt es sich um Naturalobligationen. Ein den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft entsprechendes Verspielen oder Verwetten von Geld läßt sich wohl nur branchenbezogen vorstellen, namentlich bei den Veranstaltern von Lotterien, Spielen und Wetten. Bei allen anderen dürfte ein solches Verhalten stets gegen die Grundsätze ordnungsgemäßen Wirtschaftens verstoßen.

V. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Verlust- bzw. Spekulationsgeschäfte sowie Differenzgeschäfte mit Waren oder Wertpapieren (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2, 1.-3. Alt. StGB)

Vergleichsweise wenig Bedeutung besitzen in der Rechtsprechung die wirtschaftswidrigen Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte. 1. Verlustgeschäfte

Bei den Verlustgeschäften, zu denen gerichtliche Entscheidungen bislang nicht ersichtlich sind, werden Einnahmen und Ausgaben eines Austauschgeschäfts zusammen betrachtet. Dieser Ansatz entspricht dem bei der Schleuderverkaufsalternative (Ziffer 3), weshalb in der Literatur zutreffenderweise darauf hingewiesen wird, daß die Alternative des Spekulationsgeschäftes generalklauselartigen Charakter auch für Ziffer 3 besitzt. 150 In der Zusammenschau von Ausgaben und Einnahmen liegt eine Abweichung von der Einzelbetrachtung der schuldnerischen Vermögensdisposition beim Beiseiteschaffen (Ziffer 1) bzw. bei den unwirtschaftlichen Ausgaben (Ziffer 2, 4. Alt.). Ein Verlustgeschäft liegt nach Ansicht des Gesetzgebers vor, wenn das Geschäft

149 BGHSt 22, 360, 361 mit zustimmender Anmerkung Schröder, JR 1970, 31; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 69; Lackner, § 283, Rn. 13; aA RGSt 22, 12, 13; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 14; vgl. hierzu noch unten, S. 255f. 150 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 8; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 54.

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottaltemativen

127

"schon nach der Vorauskalkulation bei Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben zu einer Vermögensminderung führt"l5l. Diese Begriffsdeflnition läßt auch den Grund für die Tatsache erkennen, warum die Verlustgeschäfte bislang in der Rechtsprechung keine große Rolle gespielt haben. Denn wenn man die schuldnerische Vermögenseinwirkung isoliert betrachtet, liegt bei einem Verlustgeschäft in Form von Verfügungen über Sachen - aufgrund der weiten Auslegung der Ziffer 1 durch die Rechtsprechungl52 - in aller Regel ein wirtschaftswidriges (kein Wertausgleich !) Beiseiteschaffen vor, z.B. beim Veräußern eines Grundstücks ohne entsprechende Gegenleistung l53 oder beim Verkauf einer Hypothek unterhalb des Wertes der Hypothekenforderungl54 • Obgleich nach der legislatorischen Vorstellung in diesen Fällen stets ein Verlustgeschäft vorliegt, tendiert die Rechtsprechung hier zu einer Verurteilung nach Ziffer 1. Kauft der Schuldner etwas zu überhöhten Preisen, so wird in der Regel eine unwirtschaftliche Ausgabe (Ziffer 2, 4. Alt.) vorliegen. Tathandlung ist der Abschluß des Geschäfts, i.e. das Eingehen der Verbindlichkeit. 155 Die Wirtschaftswidrigkeit ist auch beim Verlustgeschäft auf die Vermögensdisposition bezogen. Die Literatur behandelt die Einhaltung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als negatives Tatbestandsmerkmal und verneint die Wirtschaftswidrigkeit des Verlustgeschäfts insbesondere bei begründeter Aussicht auf gewinnbringende Anschlußgeschäfte l56 sowie - im Anschluß an den Gesetzgeber - dann, wenn das Geschäft ein Konjunkturtief überbrücken soll und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen eingegangen wird!57. 2. Spekulationsgeschäfte Neu in die gesetzliche Umschreibung hat der Gesetzgeber des 1. WiKG neben dem Verlustgeschäft auch das Spekulationsgeschäft eingeführt. Dies 151 BT-DrS. 7/3441, S. 35; BT-DrS. 7/5291, S. 18 (Bericht des Sonderausschusses); GöhlerjWilts, DB 1976, 1657, 1660; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 54; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 9; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 7. 152 Oben, S. 110. 153 RGSt 61, 108; 62, 152; BGH bei Herlan, GA 1954, 310; BGH wistra 1982, 148; NStZ 1987,23. 154 BGH NJW 1953, 1152. 155 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 61; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 8; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 10. 156 Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 12; SK-Samson, § 283, Rn. 11. 157 BT-DrS. 7/3441, S. 35; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 12; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 10; einschränkend LK-Tiedemann, § 283, Rn. 62.

128 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

ist insofern bemerkenswert, als sich hieran der historische Wandel bei der Einschätzung wirtschaftlicher Risiken hin zu einer vorsichtigeren Risikobewertung ablesen läßt. Denn bis zum 1. WiKG hatte die Rechtsprechung sog. "kaufmännische Spekulationsgeschäfte" von der Strafbarkeit wegen übermäßigen "Aufwands" (nach altem Recht) ausgenommen. Solche Geschäfte seien eine Frage des kaufmännischen Wagnisses, wobei dem Schuldner kein Vorwurf daraus gemacht werden könne, daß der erhoffte geschäftliche Erfolg ausgeblieben sei. 158 Die Wurzeln dieser Rechtsprechung reichen weit zurück bis in das Jahr 1887, als das Reichsgeriche 59 unter Berufung auf den preußischen Gesetzgeber von 1851 160 darlegte, daß "Handelsoperationen, welche auf einen Zufall berechnet sind", zweckmäßigerweise nicht vom Bankrottatbestand erfaßt werden sollten, da sie mit dem Geschäft eines Kaufmannes notwendigerweise verbunden seien. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts und beim preußischen Gesetzgeber offenbart sich das für die Gründerzeit typische Wirtschafts- und Unternehmensverständnis, welches von einer - aus heutiger Sicht - außerordentlichen Risikofreude gekennzeichnet war. Seither haben die wirtschaftlichen Entwicklungen - nicht zuletzt wegen der zahlreichen Zusammenbrüche - zu einer stärker auf Erhaltung des Vermögensbestandes denn auf unbedingten Vermögenszuwachs ausgerichteten Wirtschaftsmoral geführt, die ihren Ausdruck auch in der Aufnahme gerade dieser Spekulationsgeschäfte in den Tatbestand des § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB durch den Gesetzgeber von 1976 fmdet. 161 Nach legislatorischer Vorstellung liegt ein Spekulationsgeschäft vor, wenn em "besonders großes Risiko eingegangen wird in der Hoffnung, einen größeren Gewinn als den üblichen zu erzielen, und um den Preis, möglicherweise einen größeren Verlust hinzunehmen.,,162 In die vorzunehmende Gesamtbetrachtung des Geschäfts sind danach vier Kriterien einzustellen: die Höhe und die Wahrscheinlichkeit des Gewinns sowie die Höhe und die Wahrscheinlichkeit des Verlusts. Der Unwert der Tat hängt mit dem gewandelten Risikoverständnis zusammen. Er liegt darin, daß der Schuldner sein Verhalten in einer Situation, in der er in besonderer

BGH GA 1964, 119, 120; Mathieu, GA 1954, 226, 231. RGSt 15, 277, 280; in der Folge: RGSt 16, 238; RG GA 64 (1917),115,116. 160 Näher oben, S. 59f. 161 Vgl. auch LK-Tiedemann, § 283, Rn. 55; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 8. 162 BT-DrS. 7/3441, S. 35; dem folgend die Literatur: nur LK-Tiedemann, § 283, Rn. 55 mit Nachweisen; Labseh, wistra 1985, 1, 3. 158 159

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen

129

Weise zur Vermögenserhaltung verpflichtet ise 63 , am überdurchschnittlichen Vermögenszuwachs ausrichtet und dabei - ganz entgegen seiner Vermögenserhaltungspflicht - große Schäden hinzunehmen bereit ist. l64 Die vier Beurteilungskriterien sind ersichtlich unbestimmt, weshalb die Literatur eine restriktive Auslegung vorschlägt und zusätzliche Merkmale in den Begriff des Spekulationsgeschäftes hineinzieht, namentlich die bereits vom Reichsgericht für unzulässig risikoreiche Ausgaben verwendete Formel von der Abhängigkeit des Geschäftsausganges "vom reinen Zufall"l65 bzw. die fehlende "Kontrolle des Verlustrisikos"I66. Tathandlung ist das Eingehen der Verbindlichkeit, auf das auch das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit bezogen ist. Die Wirtschaftswidrigkeit wird von der Literatur so behandelt wie bei den Verlustgeschäften; auch für die Verneinung der Wirtschaftswidrigkeit werden entsprechende Konstellationen wie dort angeführt. Spezifisch auf Spekulationsgeschäfte bezogene Beispiele wirtschaftskonformen Verhaltens werden in der Literatur nicht genannt. Ausdrücklich wird aber betont, daß der Versuch, ein Unternehmen durch riskante Geschäfte noch eine Weile über Wasser zu halten, wirtschaftswidrig sei. 167 Die Literatur verweist überdies stets darauf, daß wirtschaftswidrige Spekulationsgeschäfte mit positivem Ausgang (= im Ergebnis Vermögenszuwachs beim Schuldner) nicht strafbar sein sollen, wobei die Begründungen hierfür varüeren. l68 Richtigerweise wird man den positiven Ausgang eines Spekulationsgeschäft ähnlich zu behandeln haben wie das Überwinden der Krise und in solchen Fällen - bezogen auf dieses Geschäft - ein Fehlen des tatsächlichen Zusammenhanges zwischen Tathandlung und Strafbarkeitsbedingung annehmen müssen. l69

163

367ff..

Eingehend zur Pflicht zum auf Gläubigersicherung bedachten Wirtschaften unten, S.

164 Eine derartige Motivationslage ist für Schuldner in der Krise geradezu typisch. Sie neigen häufig dazu, "mit Hilfe solcher zweifelhafter Geschäfte (z.B. Beteiligung an unseriösen Unternehmen) bereits eingetretene Verluste wieder wettzumachen, auch wenn sie Gefahr laufen, noch größere Schulden zu machen" (BT-DrS. 7/3441, S. 35). 165 So LK-Tiedemann, § 283, Rn. 56; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 8. 166 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 56. 167 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 10 unter Hinweis auf BGH 3 StR 242/79 v. 4.9.1979. 168 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 11 (Schutzzweck der Norm nicht verletzt bzw. ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal); LK-Tiedemann, § 283, Rn. 61; derselbe, KTS 1984, 539, 549 (teleologische Reduktion aus verschiedenen Gründen); Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 12 (fehlendes Strafbedürfnis entsprechend dem Fehlen des tatsächlichen Zusammenhanges von Tathandlung und Strafbarkeitsbedingung). 169 Näher hierzu noch unten, S. 228f.. 9 Krause

130 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Als Spekulationsgeschäfte kommen - neben der Beteiligung an unseriösen Unternehmen - in Betracht: Spekulation mit Waren auf ausländischen Märkten J7O, Geldanlage (Beteiligung oder Kreditgewährung) in einem fmanziell besonders belasteten Unternehmenl7l , Gewährung von Geld- und Warenkredit an unbekannten Kreditnehmer ohne Prüfung der Kreditwürdigkeit 172, Schmiergeldzahlungen173, Devisentermingeschäfte (sofern sie nicht ohnehin Differenzgeschäfte sind)174. Darüberhinaus will Tiedemann auch riskante Sanierungsversuche als Spekulationsgeschäfte ansehen. 175 Dem wird man in dieser Allgemeinheit nicht zustimmen können, denn ein Sanierungsversuch setzt sich aus einer Vielzahl von Einzelgeschäften zusammen, die als solche keine Spekulationsgeschäfte sind oder sein müssen. Erst das Gesamtprojekt "Sanierung" ist riskant - übergreifende Gesamtprojekte aber stellt die Alternative des Spekulationsgeschäftes, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers klar auf einzelne Geschäfte bezogen ist, nicht unter Strafe. 176 3. Differenzgeschäfte Die Eigenart von Differenzgeschäften besteht darin, daß sie nicht auf den Erwerb der Sachen bzw. Rechte abzielen, auf die sie sich beziehen, sondern vielmehr nur auf die Zahlung einer Differenz zwischen dem Ankaufspreis und einem Stichtagswert (Verkaufspreis) gerichtet sind. 177 Der Unwert des Differenzgeschäfts in der Krise liegt in seiner rein spekulativen Natur. 178 Darin liegt auch der Grund für die (neu vorgenommene) Einordnung der Differenzgeschäfte in die Aufzählung mit den Verlust- und Spekulationsgeschäften in Ziffer 2 durch das 1. WiKG. Denn ähnlich wie bei letzterem geht es dem Schuldner allein um die Erzielung von. Gewinnen (sc. der positiven Differenz) bei Inkaufnahme von großen Vermögensverlusten (Absinken des Wertes am Stichtag).r79 RGSt 16, 238ff. BGH 5 StR 551/53 v. 16.2.1954, S. 13; Tiedemann, KTS 1984,539,547. 172 Tiedemann, KTS 1984, 539, 547; derselbe in LI(, § 283, Rn. 163 (allerdings zu Ziffer 8). 173 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 57; näher noch unten, S. 314ff., 400. 174 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 57. 175 KTS 1984, 539, 548; kritisch hierzu unten, S. 391, Fn. 127. 176 Zur sachgerechten Lösung dieses Problems unten, S. 375ff., 386f., 397ff. 177 Grundlegend bereits RGSt 1, 282, 283; Lackner, § 283, Rn. 12; SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 11. 178 Schon RGSt 22,12,14; RG GA 60 (1913), 442. 179 So bereits RGSt 22, 12, 14; vgl. auch RGSt 1, 282, 283 und Jaeger-Klug, KO, § 240, Rn. 3 zum Fehlen des spekulativen Charakters bei intendierter Lieferung des Vertragsgegenstandes. 170 171

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Das 1. WiKG brachte zwei weitere Änderungen hinsichtlich der Differenzgeschäfte mit sich. Entgegen § 240 Nr. 1 KO a.F. bedarf es nach neue m Recht nicht mehr des Verbrauchs "übermäßige(r) Summen" durch das Differenzgeschäft. Die Anpassung des Wortlauts Differenzgeschäft gegenüber Differenzhandel in § 240 Nr. 1 KO a.F. übernimmt die in RG GA 60 (1913), 442 niedergelegte Auffassung, wonach bereits ein Geschäft tatbestandsmäßig sein kann und nicht ein Handel im Sinn einer Vielzahl von Geschäften erforderlich ist. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, daß bei den Differenzgeschäften eine strikte Einzelbetrachtung jedes Geschäfts vorzunehmen ist. Folglich ist die Prolongation (i.e. die Verlängerung des Geschäfts auf einen späteren Stichtag) ein selbständiges Geschäft, das als solches tatbestandsmäßig sein kann. lso Aus der Einzelbetrachtung folgt auch, daß Differenzgeschäfte mit positivem Ausgang nicht mit solchen negativen Ausgangs saldiert werden dürfen. 181 Einigkeit besteht darin, daß sämtliche Geschäfte, auf die § 764 BGB anwendbar ist, Differenzgeschäfte sind, i.e. solche, die in der Absicht geschlossen werden, daß der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Börsen- oder Marktpreis der Lieferungszeit von dem verlierenden Teil an den gewinnenden Teil gezahlt werden soU (§ 764 BGB). Tatbestandsmäßig sind solche Geschäfte "mit Waren oder Wertpapieren" (Ziffer 2). Dies bezieht sich einerseits auf den Vertragsgegenstand des Differenzgeschäfts, so daß beispielsweise auch Devisengeschäfte (ausländisches Geld als "Ware,,)I82 tatbestandsmäßig sein können. Andererseits soll sich das Merkmal auch auf das von den Vertragsbeteiligten in Erfüllung des Vertrages Geleistete beziehen, weshalb tatbestandsmäßige Geschäfte auch dann vorliegen sollen, wenn sie mit Schecks oder Wechseln (Wertpapiere) abgewickelt werden. l83 Streit besteht bei der Frage, ob auch die sog. "offIZiellen Börsentermingeschäfte" Differenzgeschäfte im Sinn der Ziffer 2 sind. OffIZielle Börsentermingeschäfte (§§ SOff. BörsG) sind solche, bei denen die gehandelten Waren oder Wertpapiere vom Börsenvorstand nach § 50 BörsG zugelassen sind. Vom Geschäftstypus her handelt es sich in aller Regel um Differenzgeschäfte im Sinn des § 764 BGB. I84 Ihre Besonderheit liegt darin, daß der sog. ISO 181

Ausdrücklich RGSt 14, 80, 84; zustimmend laeger-Klug, KO, § 283, Rn. 3. RGSt 14, 80, 85.

182 BT-DrS. 7/5291, S. 18 (Bericht des Sonderausschusses); SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 11; Lackner, § 283, Rn. 12; Dreher-Trändle, § 283, Rn. 9; einschränkend MaurachjSchroederjMaiwald, S. 525. 183 BT-DrS. 7/5291, S. 18 (Bericht des Sonderausschusses); SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 11. 184 HäuserjWelter, in: Assmann, Kapitalanlagerecht, S. 446, Rn. 156. 9*

132 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Differenzeinwand des § 764 BGB (die Berufung darauf, daß keine vollkommenen Verbindlichkeiten begründet werden, "Naturalobligation") nach § 58 BörsG ausgeschlossen ist, wenn die Vertragsschließenden börsentermingeschäftsfähig nach § 53 BörsG (z.B. im Handelsregister eingetragene Kaufleute) sind oder das Geschäft vollzogen ist (§ 57 BÖrsG). Eine in der strafrechtlichen Literatur verbreitete Auffassung will die offiziellen Börsentermingeschäfte aus dem Bereich der Differenzgeschäfte in Ziffer 2 ausnehmen. lss Begründet wird dies in erster Linie damit, daß diese Geschäfte unter Aufsicht des Börsenvorstandes vorgenommen werden und börsenrechtlich erlaubt sind. Klug führt zum alten Recht (§ 240 Ziffer 1 KO) in diesem Zusammenhang aus, daß die gemeinsame Aufzählung von Differenzgeschäft, Spiel und Wette zeige, daß der Gesetzgeber bei § 240 KO nur solche Differenzgeschäfte im Auge gehabt habe, gegen die der Differenzeinwand nach § 764 BGB erhoben werden könne. Die Möglichkeit, den Differenzeinwand geltend zu machen, zeige den unseriösen und illegalen Charakter eines Geschäfts, der bei offiziellen Börsentermingeschäften fehle, weshalb sie aus dem Tatbestand auszunehmen seien. Dieser Auffassung ist entgegenzutreten. Zunächst ist zu gewärtigen, daß es sich beim Börsenterminhandel um die "technisch vollkommenste Form der Spekulation"l86 handelt. Seine besondere Gefährlichkeit, die gerade in Insolvenznähe auftreten kann, liegt darin, daß er im Grundsatz ohne aktuellen Vermögenseinsatz und ohne Kreditaufnahme durchgeführt werden kann. Der Spekulant verläßt sich darauf, daß er die eingegangene Verbindlichkeit durch das Eingehen eines Gegengeschäfts und einer günstigen Kursentwicklung befriedigen kann. l87 Aus diesem Grund entsteht - ähnlich der legislatorischen Vorstellung beim Spekulationsgeschäft - der trügerische Anschein eines leicht zu erzielenden Gewinns, dem jedoch bei ungünstiger Kursentwicklung das Risiko eines nicht kalkulierbaren Verlusts gegenübersteht. lss Dies ist der Hintergrund, vor dem der Ausschluß des Differenzeinwandes nach § 764 BGB (§ 58 BörsG) zu sehen ist. Der - dem Börsenterminhandel entgegenkommende - Ausschluß dient dazu, in solchen Bereichen, in denen kein Bedürfnis nach Anlegerschutz besteht, eine voll wirksame Verbindlichkeit entstehen zu lassen, um so die Hindernisfreiheit des Terminhandels zu gewährleisten. Ratio legis des § 58 BörsG war also keineswegs, dem Börsentermingeschäft den Charakter einer Spekulation (wie Spiel und Wette) zu nehmen. Vielmehr sollte ausnahmsweise eine ISS Jaeger-Klug, § 240, Rn. 3; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 59; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 11. 186 Häuser/Welter, in: Assmann, Kapitalanlagerecht, S. 425, Rn. 36. 187 Häuser/Welter, in: Assmann, Kapitalanlagerecht, S. 425, Rn. 39. ISS Vgl. auch BGHZ 103, 85, 88.

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen

133

spiel- bzw. wettenähnliche Verbindlichkeit eingeklagt werden können, weil es an der Schutzwürdigkeit des Anlegers fehlt. l89 Aus dem Ausschluß des Differenzeinwandes nun abzuleiten, daß auch der Schutz der Gläubiger des Anlegers vor derartigen Differenzgeschäften in der Krise (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB) nicht oder nur eingeschränkt bestehen soll, ist geradezu widersinnig. Denn offizielle Börsentermingeschäfte sind gewissermaßen - da sie als einzige voll wirksame Verbindlichkeiten für den Schuldner begründen - die gefährlichste Form des Differenzgeschäfts. Gegenüber dem "einfachen" Differenzgeschäft des § 764 BGB ist bei ihnen das Risiko wegen ihrer geschilderten rechtlichen Besonderheit noch weiter gesteigert. Daher läßt sich § 58 BörsG bei Berücksichtigung der Schutzrichtung des § 283 StGB nicht zur Ausnahme offizieller Börsentermingeschäfte aus den Differenzgeschäften der Ziffer 2 heranziehen. Daß die Börsentermingeschäfte börsenrechtlich erlaubt sind, ist für § 283 StGB irrelevant, denn bei den für die börsenrechtliche Erlaubnis maßgeblichen Gesichtspunkten (Zulassung der Waren bzw. Wertpapiere, Börsentermingeschäftsfähigkeit etc.) ist der Schutz der Gläubiger des Anlegers kein Kriterium. Überdies läßt sich die am Wortlaut des § 240 Ziffer 1 KO orientierte Auslegung Klugs nicht mehr auf § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB übertragen, denn der Gesetzgeber hat die Differenzgeschäfte im 1. WiKG aus dem Zusammenhang mit Spiel und Wette herausgelöst und sie in eine Aufzählung mit den Verlust- und Spekulationsgeschäften aufgenommen. Bei letzteren aber spielt der Differenzeinwand ohnehin keine Rolle. Nach alledem sind auch offizielle Börsentermingeschäfte Differenzgeschäfte im Sinn des § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB. 190 Bei den Differenzgeschäften dient das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit dazu, Branchen, die sich berufsmäßig mit solchen Geschäften befassen, von dem strafrechtlichen Risiko zu befreien. 191 VI. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Unter-Wert-Verkäufe auf Kredit beschaffter Waren sowie ihrer Verarbeitungsprodukte (§ 283 Absatz 1 Ziffer 3 StGB)

Gemäß § 283 Absatz 1 Ziffer 3 macht sich strafbar, wer in der Krise Waren oder Wertpapiere auf Kredit beschafft und sie oder die aus diesen Wa189 Entgegen Klug hat die verminderte Wirksamkeit von Spiel und Wette nichts mit fehlender Seriosität oder fehlendem sozialen Nutzen zu tun, sondern allein mit der besonderen Gefährlichkeit solcher Geschäfte (nur Palandt-Tlwmas, § 764, Rn. 1). 190 Vgl. zu dem Einwand Tiedemanns (LI(, § 283, Rn. 59), dies führe zu einer unterschiedlichen Auslegung der Tathandlung in § 283 Absatz 1 und in Absatz 2, unten, S. 218, Fn. 122; 419f. 191 Schon Jaeger-Klug, KO. § 240, Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, S. 525; Lackner, § 283, Rn. 12 (für die Straffreiheit von Börsenmaklern bzw. -händlern).

134 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

ren hergestellten Sachen erheblich unter ihrem Wert in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise veräußert oder sonst abgibt. Mit dem sog. Unter-Wert-Verkauf auf Kredit beschaffter Waren oder Wertpapiere hat sich die Rechtsprechung vergleichsweise häufig befaßt. 192 Es handelt sich hierbei um eine "klassische Bankrotthandlung", bei der der Schuldner Teile seines Aktivvermögens verschleudert (auch "Verschleuderungsalternative"), wobei zumeist die Absicht besteht, den Konkurs hinauszuzögern. 193 Der Gesetzgeber des 1. WiKG sah den Grund der Strafbarkeit darin, daß das Verschleudern die Gefahr einer Verschärfung der Krise herbeiführt. l94 Worin genau das Unrecht der Verschleuderungsalternative liegt bzw. auf welche Weise die Verschlimmerung der Krise eintritt, ist bislang allerdings weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur klar bestimmt worden: Das Unrecht bei der Tathandlung der Ziffer 3 liegt darin, daß der Schuldner das Prinzip der Austauschgerechtigkeit bei gegenseitigen Geschäften zu Lasten seines Vermögens verletzt. Denn die durch solche Geschäfte erzielten (Bar)Mittel liegen (wertmäßig) unter dem Wert, den die veräußerten Gegenstände für die Gläubiger im Konkurs gehabt hätten. Der Abfluß von Aktiva wird nicht hinreichend kompensiert. 195 Dadurch wird die Masse verringert und die Gläubiger werden gefährdet. In Ansehung des Tatunrechts liegt hierin eine Verlagerung des Schwerpunktes gegenüber dem Beiseiteschaffen der Ziffer 1. Denn das Gesetz betrachtet bei der Verschleuderungsalternative - wie beim Verlustgeschäft - nicht isoliert die vermögensmindernde Einzeldisposition, sondern ein zu Lasten des Schuldners vorgenommenes Austauschgeschäft, sc. eine Veräußerung, bei der der Wert von Leistung und Gegenleistung "erheblich" zu Lasten des Schuldners divergiert. 196 Diese Umschreibung der Gläubigergefährdung bei Schleuderverkäufen weicht vom bisherigen Verständnis des Tatunrechts der Ziffer 3 ab. Als RGSt 47, 61; 48, 217; 66, 175; 72, 187; BGHSt 9, 85. Die Verzögerungsabsicht war bis zum 1. WiKG sogar Tatbestandsmerkmal der Verschleuderungsalternative; vgl. näher Jaeger-Klug, KO, § 240, Rn. 4. 194 BT-DrS. 7/3441, S. 35; zustimmend LK-Tiedemann, § 283, Rn. 72. 195 Ähnlich der Entwurf für das 1. WiKG: der Schuldner unterlasse es, "für einen Ausgleich des Verlustes der Sache durch einen angemessenen Preis zu sorgen" (BT-DrS. 7/3441, S.35). 196 Für das Verhältnis der Schleuderverkaufsalternative zum Beiseiteschaffen der Ziffer 1 gilt daher Ähnliches wie bereits zu Ziffer 2 ausgeführt: Angesichts der weiten Auslegung des Beiseiteschaffens liegt bei isolierter Betrachtung der schuldnerischen Vermögensverringerung im Rahmen des Schleuderverkaufs auch ein Beiseiteschaffen vor. Ein gegenüber Ziffer 1 erweiterter Anwendungsbereich kommt der Ziffer 3 als Spezialvorschrift nur insoweit zu, als auch nicht zur Konkursmasse gehörige Sachen taugliche Tatobjekte sein können, z.B. im Vorbehaltseigentum stehende Gegenstände (BGHSt 9, 85, 88, näher unten, S. 260ff.). 192 193

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottalternativen

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Vertreter der bisherigen Sichtweise des Tatunrechts ist vor allem KlugI97 zu erwähnen. Er - und ihm folgend die Literatur - leitet die Gefährdung der Masse aus dem Vergleich der für den Erwerb der Ware eingegangenen Verbindlichkeit ("kreditierte Waren"), also dem Einkaufspreis, und dem geringen Verkaufserlös ab. Die Masseschmälerung bei Schleuderverkäufen wird sodann in der Vergrößerung der Schuldenmasse gesehen. 198 Diese Auffassung ist unzutreffend. Bei ihr werden die Bezugsgrößen nicht richtig gewählt. Denn das - für § 283 StGB maßgebliche l99 - Verwertungsinteresse der Gläubiger bezieht sich darauf, was mit den verschleuderten Gegenständen in der VoUstreckung erlöst werden kann. Dies drückt das Gesetz durch die Anknüpfung an den objektiven "Wert" aus. 200 Mit den Erwerbskosten (bzw. -verbindlichkeiten) des Schuldners hat dieses VoUstreckungsinteresse nichts zu tun. Denn unabhängig davon, wieviel der Schuldner für eine Sache aufgewendet hat - ihr VoUstreckungswert für die Gläubiger bleibt stets derselbe. Die Ungenauigkeit Klugs und der an ihn anknüpfenden herrschenden Meinung besteht darin, daß das Kreditgeschäft zum Erwerb der Sache mit dem Veräußerungsgeschäft (Schleuderverkauf) verquickt wird, obwohl die Kreditverbindlichkeit (also der Einkaufspreis) für das Verwertungsinteresse der Gläubiger an der Sache irrelevant ist. In Beziehung zu setzen sind "VoUstreckungswert" und Verkaufserlös. Die Gefährdung der Masse ergibt sich daher nicht aus einer Erhöhung der Passiva (diese bleiben vor und nach dem Geschäft gleich), sondern durch eine "Verminderung der Aktiva ohne entsprechenden Ausgleich". Dies zu erkennen, ist für die weitere Untersuchung von Bedeutung. Denn in der gesetzlichen Regelung der Schleuderverkäufe kommt die grundsätzliche Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, nach der Austauschgeschäfte bei voUem Wertausgleich nicht nach § 283 StGB strafbar sein soUen ("Wertausgleichsprinzip"20I). Tatobjekt der Ziffer 3 sind kreditierte Waren bzw. deren Verarbeitungsprodukte202 oder Wertpapiere, die sich der Täter auf Kredit beschafft hat. Waren sind in Anlehnung an § 1 Absatz 2 Nr. 1 HGB alle beweglichen Insbesondere JZ 1957, 462, 463. Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 20; Schlüchler, Grenzbereich, S. 49; nicht ganz eindeutig insoweit LK-Tiedemann, § 283, Rn. 72, der einerseits - wie hier - auf den fehlenden Ausf!eich abstellt, darin aber eine Erhöhung der Schulden sieht. I Zu den von § 283 StGB geschützten Interessen näher unten, S. 155ff. 200 Ständige Rechtsprechung seit RGSt 47, 61; 72, 187. 201 Eingehend unten, S. 257ff. 202 Vgl. auch RGSt 72, 188 sowie ausdrücklich der Gesetzgeber des 1. WiKG (BT-DrS. 7/3441, S. 35). 197 198

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Sachen, die Gegenstand des Handelsverkehrs sein können203 ; Wertpapiere sind solche, die das Recht "verkörpern", i.e. diejenigen, bei denen das Papier übertragen wird und das verbriefte Recht dem Recht am Papier folgt.204 Die Gegenstände sind beschafft, wenn sie derart in den Bereich des Schuldners gelangt sind, daß er die Verfügungsgmöglichkeit über sie erlangt haeos, wobei unerheblich ist, ob sie auf anfechtbare Weise erlangt werden 2ll6 oder ob sie im vorbehaltenen Eigentum eines Dritten stehen207• Auf Kredit sind die Waren beschafft, wenn sie der Schuldner bei demjenigen, von dem er sie erlangt hat, (noch) nicht voll bezahlt hat. 208 Die Gegenstände müssen "erheblich unter Wert" veräußert oder sonst abgegeben werden. Hierbei ist grundsätzlich eine auf das in Rede stehende Austauschgeschäft beschränkte Betrachtung vorzunehmen, weshalb eine Saldierung mit "Über-Wert-Verkäufen" ausscheidet. 209 Der Begriff "Wert" knüpft zunächst am Marktpreis des Gegenstandes zum Zeitpunkt der Tathandlung an, denn nur diesen könnten die Gläubiger im Fall der Verwertung erwarten. Nur wenn ein Marktpreis nicht ermittelt werden kann, ist auf den "üblichen Preis" abzustellen, welcher sich aus den schuldnerischen Gestehungskosten des Schuldners zuzüglich einer anteiligen Umlage weiterer schuldnerischer Kosten zusammensetzt.210 Bei der Prüfung der Ordnungsgemäßheit des Wirtschaftens kommen zunächst Umstände nicht in Betracht, die zur Feststellung des Unter-WertVerkaufs herangezogen worden sind. 211 Im übrigen ist das wesentliche Kriterium für eine ausnahmsweise vorliegende Wirtschaftskonformität von Schleuderverkäufen die Erhaltung bzw. Förderung des schuldnerischen Geschäfts. Als nicht wirtschaftswidrig werden unter diesem Aspekt angesehen: Verkäufe bei drohendem Verderb der Ware 212 und bei drohendem Preisverfall 2l3, Lockvogelangebote214 und die Mischkalkulation von Sonderange203

LK-Tiedemann, § 283, Rn. 73.

204 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 73.

RGSt 62,257,258, nicht schon bei Vertragsabschluß: RGSt 72, 190. RGSt 66, 175, 179; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 75; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 15; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 20; Lackner, § 283, Rn. 14. 207 BGHSt 9, 84, 86 gegen RGSt 66, 175. 208 Ähnlich LK- Tiedemann, § 283, Rn. 76. 209 Schon RGSt 66, 175, 177. 210 RGSt 72, 187, 190; BGH bei Herlan GA 1955, 365; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 78; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 22. 211 Schon RGSt 72, 187, 190; bereits oben, S. 94, Pn. 12. 212 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT, S. 526; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 79. 213 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT, S. 526; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 79; DreherTröndle, § 283, Rn. 16; Lackner, § 283, Rn. 14; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 23. lOS

2116

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boten215, Räumungsverkäufe zum Einsparen von Lagerungskosten216 sowie Verkäufe zum Eindringen in neue Märkte 217 und zum Überstehen von Konkurrenzkämpfen218• Abzulehnen ist demgegenüber die in der Literatur verbreitete Meinung, nach der ein besonders günstiger Einkaufspreis der verschleuderten Gegenstände die Wirtschaftswidrigkeit entfallen lassen soll, sofern der Verkaufs preis noch über dem Einkaufspreis liegt, da es in solchen Fällen einer Gläubigergefährdung ermangele.219 Diese Auffassung kann nicht geteilt werden, denn jeder Unter-Wert-Verkauf führt - sofern man Vollstreckungswert und Verkaufspreis miteinander vergleicht - zu einer Gläubigergefährdung. 22O VII. Zur Generalklausel (§ 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB)

Erhebliche Schwierigkeiten in der Bewertung ihrer Bedeutung und in der Bestimmung ihres Anwendungsbereiches bereitet noch immer die Generalklausel des § 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB. Während - ohne nähere Begründung - in der Literatur vertreten wird, sie sei von erheblicher praktischer Bedeutung221 , bezeichnen es andere Stimmen in der Literatur als nicht sicher, ob "schon jetzt Fallgestaltungen existieren, die unter Nr. 8 fallen,,222 und ob die Generalklausel in ihrer Anwendung zukünftigen Entwicklungen vorbehalten sei. Die Rechtsprechung hat sich - soweit ersichtlich - bislang nur ein Mal eingehender mit der Anwendung der Generalklausel in einem Fall auseinandergesetzt, in dem der Schuldner seine Arbeitskraft von dem krisenbehafteten Unternehmen abgezogen und in einem neu gegründeten

214 GöhlerjWilts, DB 1976, 1657, 1660; Dreher·Tröndle, § 283, Rn. 16; Lackner, § 283, Rn. 14; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 23. 215 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 79; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 16. 216 Tiedemann, KTS 1984,539,548; BGH NJW 1979, 2611 (zu § 1 UWG). 217 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 79; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 16; dies kann jedoch nur unter dem Vorbehalt gelten, daß das Ziel des Eindringens in neue Märkte in der wirtschaftlichen Krise nicht schon als solches unangemessen erscheint und daher der Pflicht des Schuldners zum auf Gläubigersicherung bedachten Wirtschaften (unten, S. 367ff, 402f.) widerspricht. 218 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 79; Dreher-Tröndle, § 283, 16, allerdings ist hier wegen der Unbestimmtheit des Begriffs "Konkurrenzkampf" Zurückhaltung geboten. 219 Klug, JZ 1957, 463; ihm folgend: Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 20.; Lackner, § 283, Rn. 14; Preisendanz-Bieneck, § 283, Anm. 6 c cc; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 79. 220 Vgl. näher zum Unterschied von Gläubigergefährdung und untemehmerischem Gewinn unten, S. 267f. 221 Kohlmann, Verantwortlichkeit, S. 282. 222 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 153.

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Unternehmen eingesetzt hatte. 223 Dieses Verhalten fiel nach Ansicht des Gerichts nicht unter die Generalklausel. Die Literatur beschränkt sich häufig darauf festzustellen, daß die von der Generalklausel erfaßten Verhaltensweisen (mindestens) den "gleichen materiellen Gehalt wie die Nr. 1-7 aufweisen,,224 müssen. Teilweise wird die Befürchtung geäußert, die Generalklausel höhle die kasuistische Aufzählung in den Ziffern 1-7 in gewissen Grenzen aus. 225 Unklar ist insbesondere, wie der Begriff des "groben" Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft im Vergleich zu den übrigen Tatalternativen zu verstehen sein soll. Obgleich vielfach Bedarf für die Einführung der Generalklausel gesehen wurde 226, da die kasuistische Aufzählung der Ziffern 1-7 die Vielzahl der sozialschädlichen Verhaltensweisen nur unvollkommen erfasse 227 , ist sie praktisch unwichtig geblieben. Letzteres ist nicht verwunderlich, sondern war vielmehr - wie sich aus nachfolgendem ergibt - von Beginn an vorgezeichnet. Soweit die Generalklausel auf einzelne vermögensvermindernde Dispositionen bezogen ist, hat die extensive Auslegung des "Beiseiteschaffens" (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB) und der "unwirtschaftlichen Ausgabe" (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB) nahezu keinen Raum mehr für die Anwendung der Generalklausel gelassen. 228 Denn beinahe jede "Verringerung" des Vermögens im Sinn der Ziffer 8 läßt sich ohne Schwierigkeiten auch unter die Ziffern 1 bzw. 2 subsumieren. Damit bleiben als Möglichkeit eines eigenständigen Anwendungsbereichs der Ziffer 8 im Ergebnis fast nur solche Konstellationen, in denen sich Vermögensverminderungen als Teil oder Ergebnis komplexer wirtschaftlicher Vorgänge darstellen. Entsprechend hat insbesondere Tiedemann vorgeschlagen, bei der Generalklausel eine strafbarkeitsbegründende Gesamtbetrachtung mehrerer Vermögensdispositionen bzw. einheitlicher Vorgänge vorzunehmen. Tiedemann sieht das Charakteristikum der General-

OLG Düsseldorf NJW 1982, 1712, 1713. MaurachjSchroederjMaiwald, S. 526; ähnlich SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 49. 225 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 31. Diese Sorge dürfte schon deswegen unbegründet sein, weil auch die übrigen Ziffern sich bereits als grobe Verstöße gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft darstellen. 226 BT-DrS. 7/5291, S. 18. 227 BR-DrS. 5/75, S. 33, 36; SchönkejSchröder-Stree, § 283, Rn. 49. 228 Ähnlich LK-Tiedemann, § 283, Rn. 153; Grosche, Generalklausel, S. 87. 223

224

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klausel darin, daß sie - im Gegensatz zu den Ziffern 1 und 2 - eine "gewisse Gesamtbetrachtung des Wirtschaftens,,229 erlaube: "Vermögensverringerung und grobe Wirtschaftswidrigkeit brauchen also nicht unbedingt auf jedes Einzelgeschäft bezogen zu werden. Vielmehr ist sowohl bei Zerlegung eines Vorganges in mehrere Akte als auch bei zeitlicher Dauer des Wirtschaftens eine Gesamtbewertung möglich und geboten."13o Hierbei handelt es sich in der Sache um eine (strafbarkeitsbegründende) Gesamtbetrachtung, die dazu dient, im Wege der wirtschaftlichen Betrachtungsweise mehrere Einzeldispositionen zu einer Einheit zusammenzufügen, den Charakter des Gesamtvorganges als grob wirtschaftswidrige Vermögensverringerung zu ermitteln, um so dann von dem gefundenen Ergebnis auf die Wirtschaftswidrigkeit der Einzeldispositionen zu schließen oder schlicht den Gesamtvorgang für strafbar zu erklären. Im Wege einer solchen Gesamtbetrachtung sollen beispielsweise strafbar sein: die Geschäftstätigkeit eines Schuldners als solche, sofern es an einer hinreichenden Buchführung bzw. Planung mangelt131 , die über einen längeren Zeitraum vorgenommene Kalkulation unterhalb der eigenen Kosten ohne billigenswerten GrundZ32, das Wirtschaften ohne ein branchenübliches Mindestmaß an Übersicht und Planung133, die Fortführung eines insolventen Unternehmens234 u.a. Einem derartigen Verständnis der Generalklausel ist aus grundsätzlichen Erwägungen nachhaltig entgegenzutreten. Eine derartige Gesamtbetrachtung mag zwar bei einer "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" naheliegen - sie steht aber in unauflösbarem Widerspruch zu tragenden strafrechtlichen Prinzipien. Zum einen verletzt eine auf die Zusammensetzung von Einzeldispositionen hinauslaufende Auslegung des Begriffs "Vermögensverringerung" das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Absatz 2 GG). Denn es ist unklar, welche Einzeldispositionen zu einer in ihrer Gesamtheit zu betrachtenden Einheit zusammengefaßt werden sollen. Zuverlässige Kriterien lassen sich hierfür kaum bestimmen. Der ohnehin nicht unproblematischen Anhäufung unbestimmter Rechtsbegriffe in der Gene229 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 158; zu den Anwendungsfällen nun näher Grosche, GeneralklauseI, S. 60ff. 130 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 158. 131 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 73; derselbe in LK, § 283, Rn. 173. 132 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 163. 133 BGH NJW 1981, 354, 355 (allerdings nicht zu Ziffer 8); Tiedemann, Festschrift für Dünnebier, S. 539; derselbe, ZIP 1983,513,522. 234 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 165.

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ralklauselZ35 fügte diese erweiternde Auslegung des einzigen noch relativ bestimmten Merkmals ("Vermögensverringerung") eine weitere, unvertretbare Aufweichung des Tatbestandes hinzu. Ferner verletzt diese Form der strafbarkeitsbegründenden Gesamtbetrachtung das Schuldprinzip. Denn bei einer Zusammenschau mehrerer schuldnerischer Dispositionen ist ausgeschlossen, ex ante236 für jede Einzeldisposition ihre strafrechtliche Relevanz zu ermitteln. Mit der Tathandlung wird an das Gesamtergebnis eines Vorganges bzw. an eine Kette von Vermögensdispositionen angeknüpft und damit an Entwicklungen, die zum Zeitpunkt der ersten Vermögensdisposition ungewiß sind und die von der Vornahme späterer Vermögensdispositionen abhängen. Wegen dieser Unsicherheiten ließe sich die Schaffung der tatbestandsmäßigen Gefahr nur ex post feststellen. Derartige ex-postBetrachtungen sind - wie der Bundesgerichtshof ausdrücklich festgestellt hat - mit dem Schuldprinzip nicht zu vereinbaren: "Im Zeitpunkt der Vollendung der Tat aber muß feststehen, ob die Tatbestandsmerkmale gegeben sind; die Strafbarkeit kann insoweit nicht von einer später zu fassenden oder gefaßten Entscheidung eines Beteiligten abhängen.,,237 Bei dieser Sachlage erweist sich die Zurückhaltung der Rechtsprechung mit der Anwendung der Ziffer 8 als berechtigt. Das bedeutet nicht, daß die oben als Beispiele für eine Strafbarkeit nach der übergreifenden Sichtweise angeführten Fälle straflos blieben. Zu verlangen ist lediglich, daß die Strafbarkeit auf eine bestimmte Vermögensdisposition bezogen und deren spezifische Wirtschaftswidrigkeit festgestellt wird. Überdies zeigt sich, daß die Fälle, um deren Lösung willen Tiedemann die erweiternde Auslegung der Generalklausel vorschlägt, sc. insbesondere die Gründung und Betätigung unter kapitalisierter Gesellschaften238, gewisse Praktiken der übertragenen Sanierung239 durch Auffanggesellschaften und die Unternehmensfmanzierung unter Vorgriff auf das Konkursausfallgeld240, entweder mit den Alternativen des Beiseiteschaffens (Ziffer 1) bzw. der unwirtschaftlichen Ausgaben (Ziffer 2) nach den hier noch zu entwickelnden Grundsätzen befriedigend gelöst werden können 241 oder aus systematischen 235 VgI. oben, S. 71. 236 VgI. zur ex-ante-Betrachtung bei §§ 283ff. StGB, oben S. 74f. 237 BGHSt 30, 285, 291 (zu § 265b StGB). 238 239

274ff.

LK-Tiedemann, § 283, Rn. 159; unten, S. 408f. LK-Tiedemann, § 283, Rn. 160; zum Begriff unten, S. 161, Fn. 35; ferner unten S. 271ff.;

LK-Tiedemann, § 283, Rn. 161. Dies gilt auch für die weiteren von Tiedemann in LI(, § 283, Rn. 163, aufgezählten Fälle: bei der Gewährung von Geld- oder Warenkredit an unbekannte Kreditgeber ohne 240

241

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141

Gründen nicht mit § 283 StGB zu erfassen sind. 242 Angesichts dieser Befunde besteht für eine erweiternde Auslegung der Ziffer 8 - auch jenseits der prinzipiellen Bedenken - im Sinne einer Gesamtbetrachtung kein Bedarf. Damit stellt sich die Einführung der Generalklausel im Ergebnis bislang als überflüssig dar: soweit Einzeldispositionen von ihr erfaßt werden sollen, liegt fast immer auch Ziffer 1 oder 2 vor; soweit mit ihr wirtschaftliche Gesamtvorgänge erfaßt werden sollen, ist eine Verletzung des Schuldprinzips zu besorgen. Gleichwohl bleibt abzuwarten, ob in Zukunft Einzeldispositionen ausgemacht werden können, die nicht unter die Ziffern 1 oder 2 fallen und von Ziffer 8 erfaßt werden können. 243

VIII. Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Insolvenzverursachung (§ 283 Absatz 2 StGB) Von vergleichsweise geringer Bedeutung ist wegen der Beweisschwierigkeiten 2M auch die in § 283 Absatz 2 StGB pönalisierte Insolvenzverursachun~5 durch eine der in den Ziffern 1-8 umschriebenen Handlungen. Kennzeichen der strafbaren Insolvenzverursachung ist das Vorliegen eines Kausalzusammenhanges zwischen Tathandlung und Insolvenzeintritt, Prüfung der Kreditwürdigkeit handelt es sich um unwirtschaftliche Ausgaben oder um ein Beiseiteschaffen, wobei sich die Wirtschaftswidrigkeit des Vermögensabflusses entweder aus dem zu hohen Verlustrisiko für die Gläubiger oder aus dem Deftzit bei der Informationsbeschaffung ergibt (eingehend zu diesen Kriterien noch unten, S. 339ff., 371ff.); die Weiterbelieferung eines betrügerischen Abnehmers ist ebenfalls nach dem weiten Begriffsverständnis der Rechtsprechung als Beiseiteschaffen strafbar; der Verkauf eigener Waren unter deren Wert ist ein Fall des Beiseiteschaffens (Abfluß der Waren ohne hinreichende Gegenleistung); das Wirtschaften ohne ein Mindestmaß an Übersicht und Planung ist in seiner Strafbarkeit von der Art der Vermögensdisposition abhängig, die in diesem Zustand vor~nommen wird (Vermögensmindernde Disposition plus Informationsdefizit). 2 Zur bankrott-strafrechtlichen Problematik bei der Unterkapitalisierung näher unten, S. 303ff.; im Ergebnis ähnlich, wenngleich mit erheblich abweichender Begründung Grosche, Generalklausei, S. 60-87. 243 Denkbar ist dies etwa für ein schuldnerisches Verhalten, durch das der geschäftliche Ruf als Bestandteil des Vermögens (BGH GA 74, 61) beschädigt wird. Die Generalklausei könnte überdies - in Anlehnung an die Fälle des Eingriffs in rettende Kausalverläufe - solche Fälle erfassen, in denen der Schuldner aktiv in Prozesse eingreift, die zur einer Erhaltung bzw. Stärkung der Erfüllungsfähigkeit seines Unternehmens geführt hätten (z.B. die Umleitung angebotener Nachschüsse von Gesellschaftern auf eine neu gegründete Gesellschaft). Die Problematik des Bestehens einer Garantenpflicht bestünde in diesen Fällen nicht, da Eingriffe in rettende Kausalverläufe als aktives Tun behandelt werden. 2M BT-DrS. 7/3441, S. 20, 36f. 245 Insolvenzverursachung bedeutet den Eintritt der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit. Der Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit reicht nicht aus (LK-Tiedemann, § 283, Rn. 174).

142 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

wobei nach allgemeinen Kausalitätsregeln ausreicht, daß die Tathandlung für den Eintritt der Insolvenz mitursächlich gewesen ist. 2A6 Hinsichtlich der Tathandlungen kann weitgehend auf das zu den verschiedenen Alternative vorstehend Ausgeführte verwiesen werden. Typisch für ein insolvenzverursachendes Verhalten ist etwa die gezielte Aushöhlung eines Unternehmens2A7 und die verschiedenen Konstellationen der sog. "gesteuerten Insolvenz,,2A8. Weitgehend unklar ist bei § 283 Absatz 2 StGB im Vergleich zu Absatz 1 die Differenz bei der Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit. Tröndle will hier keinerlei "Abstriche,,2A9 bei den Sorgfaltsanforderungen vornehmen, wohingegen insbesondere Tiedemann meint, die Maßstäbe bedürften "ständig der Korrektur,,250. Zu folgen ist der Auffassung Tiedemanns, denn in beiden Absätzen geht es um völlig unterschiedliche Risiken, weshalb zwar dieselben tatsächlichen Handlungen die Risiken schaffen bzw. verwirklichen können, zugleich aber unterschiedliche Sorgfaltsmaßstäbe obwalten. Wie dies im Einzelnen zu begründen ist, wird später darzulegen sein. 251 IX. Zusammenfassung Schwierigkeiten bereitet die Zusammenfassung der vorstehenden Ausführungen insofern, als die Kasuistik bei der Bestimmung der Tathandlung und der Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen bestandsbezogenen Bankrottalternativen nur in engen Grenzen Verallgemeinerungen zuläßt. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die Rechtsprechung die Alternativen des Beiseiteschaffens und der unwirtschaftlichen Ausgaben (§ 283 Absatz 1 Ziffern 1 und 2 StGB) so weit auslegt, daß nahezu jede Form der Einwirkung auf das Vermögen, durch welche dieses vermindert wird, unter eine der beiden Alternativen subsumiert werden kann. Auf diese Weise besteht gegen schuldnerische Vermögensdispositionen in der Krise, sofern sie wirtschaftswidrig sind, ein umfassender strafrechtlicher Schutz nach § 283 Absatz 1 Ziffern 1 bzw. 2 StGB.

2A6 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 175; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 54; Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 32. 2A7 BGH JZ 1979, 75; Lampe, GA 1987, S. 24lff.; LK-Tiedemann, § 283, Rn. 176. 2A8 Liebl, Geplante Konkurse, S. 80ff.; Blankenbach/Richter, wistra 1982, 224f. 2A9 Dreher-Tröndle, § 283, Rn. 32 250 LK-Tiedemann, § 283, Rn. 177. 251 Eingehend unten, S. 416ff.

§ 5 Tathandlung und Wirtschaftswidrigkeit in den einzelnen Bankrottaltemativen

143

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Einführung der Genera1k1ausel des

§ 283 Absatz 1 Ziffer 8 StGB bislang als überflüssig dar, was sich auch daran

zeigt, daß Rechtsprechung zu ihr bislang noch nicht vorliegt. Versuche, die Genera1k1ausel durch Gesamtbetrachtungen des schuldnerischen Wirtschaftens inhaltlich anzureichern und zu einem Auffangtatbestand aufzuwerten, sind von der Rechtsprechung bislang zu Recht nicht aufgegriffen worden und begegnen nachhaltigen Bedenken, da sie das Schuldprinzip verletzen. Stets ist an einer konkret bestimmten Vermögensdisposition und deren Wirtschaftswidrigkeit anzuknüpfen. Die unterschiedlichen bestandsbezogenen Alternativen nehmen hinsichtlich der Tathandlung bzw. bei der Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit unterschiedliche Perspektiven ein, sc. die isolierte Betrachtung der schuldnerischen Vermögensdisposition - RegelfaU beim Beiseiteschaffen (§ 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB) und bei der unwirtschaftlichen Ausgabe (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB) - sowie die Betrachtung eines Geschäfts als Austauschgeschäft - Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte (§ 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB), Unter-Wert-Verkäufe (§ 283 Absatz 1 Ziffer 3 StGB). Als Tathandlung kommt sowohl die Vornahme der Vermögenseinwirkung selbst wie auch das Eingehen entsprechender Verpflichtungen in Betracht ("Schuldigwerden", § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB). Bei der Auslegung der einzelnen Alternativen bestehen nach der hier vertretenen Auffassung in einer Reihe von Fällen teilweise erhebliche Unklarheiten, in deren Folge die herrschende Ansicht zu unvertretbaren Ergebnissen gelangt. Dies gilt u.a. für die Unbeachtlichkeit der Gegenleistung in Fällen unwirtschaftlicher Ausgaben, für die Abgrenzung von § 283 Absatz 1 Ziffer 1 StGB und § 283 Absatz 1 Ziffer 2 StGB in Fällen der schuldnerischen Verfügung über Geld, für die Bestimmung des Tatunrechts bei der Schleuderverkaufs-Alternative, bei der Tatbestandsmäßigkeit von Börsentermingeschäften u.a. Die Kritik Schünemanns, wonach im Besonderen Teil für die Begründung einzelner Ergebnisse argumentativ häufig nur kurze Ableitungszusammenhänge hergestellt werden252, erweist sich für die Reihe der bestandsbezogenen Bankrottalternativen in besonderem Maße als zutreffend. Die Kriterien zur Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit, die nicht in allen Alternativen identisch ausgelegt wird, erscheinen auf den ersten Blick diffus. Gleichwohl lassen sich bestimmte immer wieder auftretende Kriterien festhalten. Hierbei handelt es sich namentlich um den vom Schuldner bei der Vermögensdisposition verfolgten Zweck (insbesondere in Fällen der Selbstbegünstigung), die Höhe des Risikos eines schuldnerischen 252

Bereits oben, S. 26.

144 Teil I: Standort, Geschichte und gegenwärtiges Verständnis der Wirtschaftswidrigkeit

Vermögensverlustes, die U nangemessenheit einer Vermögensverminderung gemessen am schuldnerischen Lebenszuschnitt, die Unangemessenheit einer Vermögensverminderung gemessen an der konkreten schuldnerischen wirtschaftlichen Lage und die Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Stärke des Schuldners aufgrund mangelnder Information oder Planung. Andererseits liegt ein wirtschaftswidriges Verhalten nicht vor, wenn der Schuldner fällige Verbindlichkeiten erfüllt, für seinen notwendigen Lebensunterhalt sorgt oder wirtschaftlich vernünftige Dispositionen vornimmt.

Teil II

Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft

Teil 11 befaßt sich mit Grund- und Vorfragen der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise", wobei in Anlehnung an die klassischen canonici der Auslegung zunächst die Begrifflichkeit des Merkmals untersucht wird (§ 6). Zur AufheUung der teleologischen Auslegungsgrundlagen werden anschließend die im Tatbestand des § 283 StGB einander gegenübertretenden Interessen dargelegt, also die geschützten Rechtsgüter und die schützenswerten Schuldnerinteressen (§ 7). Es schließt sich die Klärung der systematischen SteUung des Merkmals im Bankrottatbestand an. Die systematische SteUung ist eng mit der Struktur des Tatbestandes verknüpft, weshalb eine Analyse des Tatbestandsaufbaus vorzunehmen ist (§ 8). Die gemeinsame Struktur der bestandsbezogenen Bankrottalternativen sowie die Funktion ihrer einzelnen Elemente wird untersucht, insbesondere mit Blick auf die RoUe des Merkmals der Wirtschaftswidrigkeit bei der Koordination der verschiedenen involvierten Interessen. In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine Einordnung des § 283 StGB in aUgemeine Zurechnungskategorien. Im Verlauf der Erörterung dieser Grundlagen wird sich zeigen, daß ein tatbestandsmäßiges Verhalten nach § 283 StGB nur in Betracht kommt, wenn der Täter mit seinem Verhalten ein relevantes Risiko für die Interessen der Gläubiger schafft. Am Ende von Teil 11 werden diverse Konstellationen untersucht (§ 9), in denen es (schon) an der Setzung eines relevanten Risikos fehlt und daher eine Strafbarkeit nach § 283 StGB ausscheidet.

10 Krause

§ 6 Die Begriffsnatur des Merkmals und Folgerungen für die Begriffsbestimmung

Es wurde bereits auf die herrschende Ansicht hingewiesen, nach der es sich beim Merkmal "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt, das als unbestimmter Rechtsbegriff generalklauselartig1 die an den Schuldner zu stellenden Anforderungen bei seinen wirtschaftlichen Dispositionen umschreibt. In diesem Kapitel wird die begriffliche Natur des Merkmals näher untersucht - aus der Begriffsnatur zu ziehende Folgerungen werden dargelegt. Es ist anerkannt, daß der Gesetzgeber im Strafrecht nicht darauf verzichten kann, allgemeine, unbestimmte Begriffe zu verwenden, um der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. 2 Dies gilt gleichermaßen für deskriptive und normative Begriffe? Bei dem Merkmal des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft handelt es sich um einen zum Zweck der Bewertung unterschiedlichster Verhaltensweisen eingeführten unbestimmten, normativen (wertenden) Begriff. Das Merkmal setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen, sc. dem Maßstab der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft und dem Erfordernis des Verstoßes. Daraus ergibt sich die Vorgehensweise bei seiner Prüfung. Zunächst sind die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft für Vermögensdispositionen der konkret zu überprüfenden Art zu ermitteln, sodann erfolgt die Überprüfung des tatsächlichen schuldnerischen Verhaltens anband des ermittelten Maßstabs.

LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 96; derselbe, KTS 1984, 539, 546 mit Nachweisen. BVerfGE 4, 352, 357; 14,245; 28, 175; 37, 210; BGHSt 30, 285, 287; Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 116f. mit Nachweisen. 3 Vgl. zur Differenz von deskriptiven und normativen Begriffen: Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 116; Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 70ff., 188ff.; Kindhäuser, Jura 1984, S. 465ff. 1

2

§ 6 Begriffsnatur der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft"

147

l. Der Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft als normatives (wertendes) Merkmal

1. Normative Begriffe und ihre Inhaltsbestimmung durch Abwägung: zur Eigenständigkeit strafrechtlicher Auslegung Der Charakter des terminus "in einer den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widersprechenden Weise" als normativer Begriff ergibt sich nach der herrschenden Ansicht in der Methodenlehre daraus, daß der Begriff einer Wertung4 bedarf, um einen anwendungsfähigen Inhalt zu erlangen.5 Denn zur Beurteilung eines Vorgangs wird generalklauselartig auf einen anerkannten wertenden 6 Standard über angemessenes wirtschaftliches Verhalten verwiesen. Der Begriff bezieht sich auf einen von § 283 StGB abstrakten Maßstab?; Bezugspunkt sind konventionale Eigenschaften8 des schuldnerischen wirtschaftlichen Verhaltens. Die überwiegende Auffassung9 zur Auslegung von Wertbegriffen (und normativen Tatbestandsmerkmalen im Strafrecht) geht davon aus, daß diese Begriffe "ausfüllungsbedürftig"IO sind und ihr Inhalt durch ein "(Wert-)Urteil"l1 ermittelt wird. Die Schwierigkeit bei wertenden Begriffen besteht zumal bei der hier vorliegenden Generalklausel - in dem Auffinden des relevanten Bewertungsmaßstabes.

4 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 98f. verweist entsprechend auf die Gestuftheit des Begriffs (grobe und einfache Verstöße). 5 Zur synonymen Verwendung der Begriffe normativ und wertend durch die herrschende Ansicht: Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 201f.; Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 116; kritisch und näher zu den Begriffspaaren normativ/deskriptiv sowie klassifizierend/graduierend (= wertend) und deren Unterschied Kindhäuser, Jura 1984,469,474. 6 Differenziert man - wie Kindhäuser, Jura 1984, 474 - zwischen den Begriffseigenschaften normativ und wertend, so folgt der Charakter als wertender Begriff daraus, daß der Begriff in einer graduierenden Weise verwendet wird, denn er drückt etwas Negatives über das schuldnerische Verhalten aus (Verstoßelement). Er ist graduierend. Dies kommt im Gesetz insbesondere in dem Wort "grob" in Ziffer 8 zum Ausdruck, das sich auf die Intensität des Verstoßes bezieht. 7 LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 97: "vorgegebener Maßstab" unter Hinweis auf Sachverständigenkommission, Tagungsberichte, Bd. III, S.93 ff. 8 Kindhäuser, Jura 1984, 469, 473 zu normativen Tatbestandsmerkmalen und konventionalen Eigenschaften. 9 Vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 276ff.; Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 67ff., 194ff. mit jeweils zahlreichen Nachweisen; kritisch Kindhäuser, Jura 1984, 465ff. 10 Larenz, Methodenlehre, S. 276; näher Vogel, Norm, S. 335ff. 11 SChönke/Schröder-Cramer, § 15, Rn. 18f., kritisch Kindhäuser, Jura 1984, 465ff. Zu den mit normativen Merkmalen verbundenen Bestimmtheits- und Vorsatzproblemen vgl. Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 116f.; 264f. mit Nachweisen.

10*

148

Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

Unter Rückgriff auf die Rechtsprechung zu vergleichbaren Generalklauseln im Wirtschaftsrecht (z.B. die "guten Sitten" in § 826 BGB 12 und § 1 UWG 13) ist zunächst davon auszugehen, daß Orientierungspunkt für die Inhaltsbestimmung nicht sein kann, was tatsächlich ist, sondern das, was sein SOU. 14 Mit anderen Worten: die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft richten sich danach, wie sich Schuldner in Krisensituationen vernünftigerweise zu verhalten haben. Breite Einigkeit besteht in der Methodenlehre weiterhin darüber, daß Wertmaßstäbe dort, wo der Wertbegriff wie beim ordnungsgemäßen Wirtschaften - die Beurteilung bestimmter sozialer Vorgänge zum Gegenstand hat, im Wege einer Abwägung zu ermitteln sind. In diese hat der Normanwender neben den besonderen Umständen des Einzelfalles insbesondere den vom Gesetz intendierten Schutz und die entgegenstehenden berechtigten Freiheitsinteressen sowie die in Rede stehende Rechtsfolge einzubeziehen. 1s Dies ist auch für normative, generalklauselartige Begriffe im Wirtschaftsreche 6 anerkannt. 17 12 Näher Münchener Kommentar-Mertens, § 826, Rn. 4lf. (allgemein); Schmitz, Bankenhaftung, S. 49ff. (zur Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen bei Sanierungskonstellationen). 13 Näher Baumbach/Hefermehl, Einl UWG, Rn. 66. 14 Ebenso für die kaufmännische Sorgfaltspflicht in der Krise, Bretzke, KTS 1985,413,417. IS SO ausdrücklich Larenz, Methodenlehre, S. 277f., der als Beispiel die Abwägung zur Ermittlung der Sorgfalt beim Fahrlässigkeitsdelikt anführt. Ähnlich im Ergebnis J(jndhäuser, Jura 1984, 476ff. der die Ermittlung der Beurteilungsstandards und damit das Auffinden der Verwendungsregeln für den wertenden Begriff als wesentliches Problem der Wertausfüllungsbedürftigkeit ansieht. Die Standards seien am Normzweck orientiert abzuleiten. Dabei gehe es um die Auflösung des Koordinationsproblems zwischen der Einengung von Handlungsfreiheit und der Anerkennung entgegenstehender Schutzinteressen. 16 Zur Auslegung durch Abwägung im Zivilrecht in den hier interessierenden Insolvenzund Sanierungskonstellationen: bei § 92 Absatz 2 AktG (Begriff des "schuldhaftes Zögern"): BGHZ 75, 96, 110 (eingehend unten); bei § 826 BGB ("Sittenwidrigkeit"): Münchener Kommentar-Mertens, § 826, Rn. 4lff. mit zahlreichen Nachweisen (eingehend auch unten, S. 340ff.). Für eine ökonomische Abwägung nach Rentabilitätsgesichtspunkten bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit von Gläubigerbenachteiligungen, Koller, JZ 1985,1013, 1017f. Anerkannt ist im Wirtschaftsrecht neben dem grundsätzlichen Erfordernis der Abwägung bei GeneralklauseIn auch die Abhängigkeit der Abwägung von dem funktionellen Zusammenhang zwischen Bewertungsgegenstand und Bewertungsmaßstab. Beispielhaft Baumbach/Hefermehl, Einl UWG, Rn. 69; Allg, Rn. 86, für die Abwägung der Interessen der Mitbewerber beim Begriff der "guten Sitten" in der GeneralklauseI des § 1 UWG: "Jede Wettbewerbshandlung beeinträChtigt die Unternehmen der Mitbewerber. Was der eine gewinnt, entgeht dem anderen. Die Grenze muß da verlaufen, wo der fremde Nachteil nicht mehr allein als Folge freien Wettbewerbs eintritt, sondern ein willkürliches Korrektiv hinzutritt" (ähnlich BGH GRUR 1972, 561, 563, Kavaform). 17 Die auslegungstechnischen Grundlagen lassen inhaltlich bereits erkennen, daß die Auffassung der herrschenden Ansicht zutrifft, wonach die an den Schuldner zu stellenden Anforderungen nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen sind und insbesondere je nach Intensität der Krise variieren (vgl. BGH MDR 1981, 510 mit zust. Anmerkmung Schlüchter, JR 1982, 32; Sonderausschuß, BT-DrS. 7/5291, S. 17; LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 99; Schönke/Schröder-Stree, § 283, Rn. 4; für das Zivilrecht BGHZ 75, 96, 110). Mit stei-

§ 6 Begriffsnatur der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft"

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Ist damit festgestellt, daß die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft methodisch im Wege einer Abwägung zu bestimmen sind, so stellt sich die Frage nach dem thematischen Ausgangspunkt für die Abwägung. Die oben18 skizzierten Auffassungen in der Literatur haben als Ausgangspunkt betriebswirtschaftliche Kriterien bzw. im Wirtschaftsrecht entwickelte Sorgfaltsanforderungen gewählt. Dies erweist sich bei näherer Analyse (auch) methodisch als problematisch. Es entspricht gesicherter Erkenntnis, daß unbestimmte bzw. generalklauselartige Rechtsbegriffe in strafrechtlichen Normen - wie auch unbestimmte außerstrafrechtliche Begriffe, auf die das Strafrecht Bezug nimmt stets unter spezifisch strafrechtlichen Gesichtspunkten auszulegen und nach den Maßstäben zu würdigen sind, die für die Auslegung von Strafgesetzen gelten. 19 Maßgebliche Bedeutung kommt insoweit dem sachlichen Zusammenhang des verwendeten Begriffes mit den übrigen Normbestandteilen der Strafnorm und vor allem dem Zweck der Strafnorm zu. 20 Gerade in bezug auf die Konkurstatbestände des StGB hat die höchstrichterliche Rechtsprechung die Notwendigkeit einer schutzzweckbezogenen Auslegung ausdrücklich hervorgehoben und die Eigenständigkeit strafrechtlicher Auslegung betont. 21 Für die Auslegung des Merkmals Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft sei zu beachten, daß aus der Qualifizierung eines Verhaltens als ordnungsgemäß folge, daß das Verhalten gestattet sei. Daher komme eine Qualifizierung als wirtschaftskonform nur dann in Betracht, wenn das Verhalten und seine Folgen nicht zu Ergebnissen führen, die dem Sinn des Konkurs(straf)rechts zuwiderlaufen. 22 Methodischer Ausgangspunkt für die Inhaltsbestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist mithin ihr normativer Kontext, also der strafrechtliche Be-

gendem Risiko für die Gläubiger, erlangt der Gläubigerschutz in der Abwägung steigendes Gewicht (ausdrücklich BGHZ 75,96, 110; näher noch unten, S. 340ff.; 408ff.). 18 S. 76ff. 19 BVerfGE 48, 48, 6Of. In dem dortigen Verfahren bestätigte das BVerfG am Maßstab des Art. 103 Absatz 2 GG die Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals der "einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang entsprechenden Zeit" in § 240 Abs. 1 Ziff. 4 KO a.F. in Verbindung mit § 39 Abs. 2 HGB a.F. und begründete dies mit der bis dato zu dem Begriff ergangenen Rechtsprechung unter Berücksichtigung des Nonnzwecks des - notabene - § 240 KO, nicht etwa unter Berücksichtigung des Zwechs der bilanzrechtlichen Vorschrift des § 39 HGB; ferner Tiedemann, Dünnebier-Festschrift, S. 531f.; derselbe, Verfassungsrecht, S. 40. Zur Relativität der Rechtsbegriffe allgemein Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 47; auch Kuhlen, Produkthaftung, S. 89; Kindhäuser, Jura 1984, 465, 477. 20 BVerfGE 48, 48, 60f. 21 Nur RGSt 9, 165f.; RG DRiZ 1934, Nr. 315, S. 314 (beide zu § 288 StGB); BGHSt 22, 360, 361; 34, 221, 226. 22 BGHSt 34,309,312 mit Anmerkung Ma/Xen, EWiR 1987, 919.

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Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

reich der Konkursdelikte 21 und nicht primär wirtschaftliche Erwägungen oder der Handelsbrauch. Die Wirtschaftswidrigkeit eines Verhaltens ist daher primär im Lichte der ratio legis des Konkursstrafrechts zu bestimmen24 • Dabei ist freilich die Realität des Wirtschaftsverkehrs umfassend zu berücksichtigen, denn die Auslegung darf nicht dazu führen, daß an den gesellschaftlichen Realitäten "vorbei" rechtliche Postulate aufgestellt werden, die zu einer völligen Erlahmung des Wirtschaftsverkehrs führen. 25 2. Einheitliche Auslegung desselben Begriffs im identischen (Wertungs )Kontext Ferner ist bei der Auslegung methodisch zu beachten, daß ein Begriff, den das Gesetz in demselben sachlichen Kontext an verschiedenen Stellen (i.e. in unterschiedlichen Normen, Tatbestandsalternativen u.ä.), aber stets in derselben Wertungsfrage, verwendet, in einer Weise auszulegen ist, die eine sachlich übereinstimmende Lösung des Bewertungsproblems ermöglicht. 26 Das bedeutet für den Begriff "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft", daß dieser für alle bestandsbezogenen Alternativen des § 283 StGB inhaltlich übereinstimmend definiert werden sollte und daher allgemeine (i.e. alternativenübergreifende) Berwertungsgrundsätze zu entwickeln sind. Denn das Merkmal besitzt im konkursstrafrechtlichen Kontext überall dieselbe Funktion: die wertende Abschichtung der Risikobereiche von Schuldnern und Gläubigern. II. Unbestimmtheit und Vagheit der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft

Über den Bereich der Auslegung im engeren Sinn hinaus lassen sich aus der Begriffsnatur der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft" auch auf der Subsumtionsebene Schlüsse ziehen. Heck hat als erster die Besonderheit unbestimmter Begriffe beschrieben: "Ein sicherer Bedeutungskern ist von einem allmählich verschwindenden

21 So auch die ständige Rechtsprechung, BVerfGE 48,48, 60f., zuletzt BGHSt 34, 221, 226 (mit Nachweisen) unter Betonung der "Eigenständigkeit strafrechtlicher Regelung und Auslegung" für die §§ 283ff. StGB; Bretzke, KTS 1985, 413, 418. 24 So bereits für die Merkmale des "Beiseiteschaffens", "Schuldners" bzw. "Gläubigers": RGSt 64, 138, 140f.; 68, 108, 109 bzw. BGHSt 34, 221, 226. 25 Allgemein zur Berücksichtigung aller faktischen und normativen Aspekte als Bedingung der Rationalität von Werterwägungen, Schünemann, Festschrift für Bockelmann, S. 117, 124. 26 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 310.

§ 6 Begriffsnatur der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft"

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Bedeutungshof umgeben. I027 Die Lehre von Bedeutungskern und Bedeutungshof hat die juristische Literatur - insbesondere im öffentlichen Recht28 - rezipiert; ein entsprechendes Begriffsverständnis hat für das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit in § 283 StGB auch Eingang in das Strafrecht29 gefunden. 30 Bei der Lehre Hecks vom Begriffskern bzw. -hof handelt es sich um eine Beschreibung, die in erster Linie um die semantische Klärung unbestimmter Begriffe bemüht ist. Sie taucht im Rahmen von § 283 StGB in der sog. "Kernthese" wieder auf, nach der ein Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft nur bei zweifelsfreien Wertungen angenommen werden darf. 3 ! Kommen unbestimmte Begriffe in Rechtsnormen vor, so stellt sich - abgesehen vom semantischen Problem - die Frage nach der Anwendbarkeit des unbestimmten gesetzlichen Ausdrucks auf reale Sachverhalte?2 Eine bessere Antwort als Heck bietet auf diese Frage die inhaltlich auch im juristischen Schrifttum bei Walter Jellinek anklingende Kennzeichnung unbestimmter Begriffe als vage Begriffe durch die Sprachphilosophie. 33 Das Charakteristikum vager Begriffe in bezug auf ihre Anwendung besteht in folgendem: es gibt reale Sachverhalte, die unzweifelhaft unter den Begriff fallen; es gibt ferner reale Sachverhalte, die unzweifelhaft nicht unter den Begriff fallen; es gibt schließlich reale Sachverhalte, bei denen zweifelhaft ist, ob sie unter den Begriff fallen oder nicht (sog. neutrale Kandidaten).34 Die Vagheit von Begriffen fmdet sich insbesondere bei Wertbegriffen.3s Bei diesen sind die Beurteilungsregeln häufig nicht umfassend geklärt und müssen vom Normanwender erst ermittelt werden. Den vergleichsweise wenigen Fällen der sicheren Beurteilung stehen eine Vielzahl neutraler Kandidaten gegenüber.

Heck, Gesetzesauslegung, S. 107. Eingehend zu Rezeption und Kritik dieses Verständnisses: Koch, Rechtsbegriffe, S. 40ff. 29 Vgl. allgemein nur Schünemann, Festschrift für Bockelmann, S. 117, 125, sowie als Grundlage der Kemthese, oben S. 71f. 30 Tiedemann, KTS 1984, 539, 547 mit ausdrücklichem Hinweis auf Heck. 3! Oben, S. 72; kritisch Vogel, Norm, S. 335ff. 32 Koch/Riißmann, Begründungslehre, S. 194. 33 Eingehend Koch, Rechtsbegriffe, S. 33ff. mit weiteren Hinweisen auf Frege und Carnap. Vergleiche ferner Koch/Riißmann, Begründungslehre, S. 195. 34 Koch/Riißmann, Begründungslehre, S. 195ff., wo die verschiedenen Sachverhalte als positive, negative und neutrale Kandidaten bezeichnet werden. 3S Vgl. insbesondere Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 201ff. 27

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Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

Der Begriff des Verstoßes gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft ist ein vager Begriff.36 Denn neben den Fällen seiner zweifelsfreien Anwendbarkeit, i.e. der klaren Einhaltung bzw. Mißachtung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft, existieren die Fälle, in denen seine Anwendbarkeit zweifelhaft ist. Die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit erfordert - wie noch näher darzulegen sein wird - eine Abwägung der Freiheitsinteressen von Schuldnern gegenüber den Gläubigerinteressen am schuldnerischen Vermögen in Insolvenznähe. Als "positive" und "negative" Sachverhalte ordnungsgemäßen Wirtschaftens kommen vor diesem Hintergrund solche vermögensbezogenen Verhaltensweisen des Schuldners in Betracht, hinsichtlich derer der Gesetzgeber37 die wertende Abwägung der Interessen selbst vorgenommen und zum Gegenstand einer gesetzlichen Regelung gemacht hat. 38 Wo eine solche Regelung vorliegt, hat der Normanwender des § 283 StGB die gesetzliche Wertung für die Bewertung der Wirtschaftswidrigkeit heranzuziehen, ohne daß für eine gesonderte Abwägung noch Raum bliebe. Es handelt sich in diesen Fällen um erlaubte bzw. unerlaubte Risiken kraft gesetzlicher Regelung. 39 Steht eine Disposition in Rede, für die es an einer verbindlichen gesetzlichen Risikobewertung fehlt, so mangelt es an einer verbindlichen Festlegung hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit des Wirtschaftens. Die Wirtschaftswidrigkeit muß der Normanwender des § 283 StGB in diesen (zahlenmäßig weit überwiegenden) Fällen durch die (unten näher darzule-

36 Dies gilt auch für den unten noch (S. 193ff.) näher darzulegenden Begriff des erlaubten Risikos. 37 Eine auch im Strafrecht verbindliche Abwägung der Belange darf ausschließlich der Gesetzgeber vornehmen (so auch die einhellige Auffassung zur Verbindlichkeit "privater Normsetzung" im Zivilrecht, die nur bei Beliehenen anerkannt wird, Münchener Kommentar-Mertens, § 823, Rn. 157). Daher ist der Auffassung Tiedemanns (LK, vor § 283, Rn. 109; derselbe, KTS 1984, 539, 546) zuzustimmen, wonach Empfehlungen von Wirtschaftsverbänden und anderen Organisationen (Handelskammern, UNO, OECD u.ä.) darüber, wie im wirtschaftlichen Bereich vorgegangen werden soll, keine verbindliche Wirkung hinsichtlich der Wirtschaftswidrigkeit zukommen. 38 Verhaltensmaßstäbe, die keine Rechtssatzqualität aufweisen (Empfehlungen von Verbänden, Handelskammern usw.), scheiden als verbindliche Maßstäbe für die Wirtschaftswidrigkeit aus. Ihnen kann allenfalls Indizwirkung beigemessen werden (so auch LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 109). Vgl. zur Problematik der sog. Sondernormen bei der Bestimmung 'erlaubter' und 'unerlaubter Risiken' im Kontext des Fahrlässigkeitsdeliktes: BGH (Zivilsachen) NJW 1987, 372; Lenckner, Engisch-Festschrift, S. 494ff.; Bohnen, JR 1982, 6ff.; LK-Schroeder, § 16, Rn. 157; Schönke/Schröder-Cramer, § 15, Rn. 135, 206ff. mit zahlreichen Nachweisen. 39 Eingehend zu diesen Fällen, unten.§ 10, S. 284ff.

§ 6 Begriffsnatur der "Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft"

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gende) Abwägung der maßgeblichen Faktoren selbst ermitteln und positiv feststellen. 4O

40

37lff.

Eingehend zum Maßstab der Wirtschaftswidrigkeit in diesen Fällen unten § 13, S. 356ff.,

§ 7 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen

Bevor die Struktur des Tatbestandes und Einzelheiten der inkriminierten Risikoschaffung näher untersucht werden, sind die im Tatbestand des § 283 StGB einander widerstreitenden Interessen aufzuzeigen. Dies verlangt einerseits die Klärung der durch § 283 StGB geschützten Rechtsgüter. Diesen sind andererseits die schützenswerten Positionen von Schuldnern in Insolvenznähe gegenüberzustellen. Grundlage der Straftatbestände und ihrer Auslegung ist das durch sie geschützte Rechtsgut.! Rechtsgüter sind diejenigen Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die dem Einzelnen im Rahmen des auf freier Entfaltung des Einzelnen aufbauenden Gesamtsystems oder dem Funktionieren dieses Systems nützlich 2 sind und deren Vorhandensein um der freien Entfaltung willen für erforderlich gehalten3 wird. Obgleich um den materiellen Rechtsgutsbegriff Streit besteht, ist gesichert, daß das Rechtsgut jedenfalls auch als Zusammenfassung von Sinn und Zweck der einzelnen Straftatbestände bzw. der ihnen zugrundeliegende Verbote zu verstehen ist. Daher läßt sich das Rechtsgut der Tatbestände aus der ihnen vorgelagerten Verhaltensnorm ableiten. 4 Die Verhaltensnorm, die den bestandsbezogenen Bankrottalternativen des § 283 Absatz 1 StGB zugrundeliegt, bestimmt für Schuldner, die eigene Erfüllungsfähigkeit nach Eintritt der Krise nicht durch (bestimmte, wirtschaftswidrige) Vermögensdispositionen nachteilig zu verändern. Eine andere Verhaltensnorm besitzen die bestandsbezogenen Alternativen des § 283 Absatz 2 StGB: sie bestimmen für Schuldner, die eigene Erfüllungsfähigkeit nicht durch (bestimmte, wirtschaftswidrige) Vermögensdispositionen in solcher Weise zu verschlechtern, daß eine Krise eintritt.5

! Statt aller Jescheck, Allgemeiner Teil, S. 231 mit Nachweisen; Vogel, Norm, S. 46ff.; Schönke/Schröder-Lenckner, vor § 13, Rn. 10. 2 Roxin, Allgemeiner Teil, S. 11f. mit zahlreichen Nachweisen. 3 Kindhäuser, Gefährdung, S. 144. 4 Allgemein Roxin, Allgemeiner Teil, S. 11; ähnlich Maurach/Zipf, S. 266ff., insbesondere S. 270; Hammerl, Bankrottdelikte, S. 109. 5 Zu den Verhaltensnormen bereits oben, S. 35, Fn. 4.

§ 7 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen

155

Seit jeher bildet die Bestimmung der mittels dieser Verhaltensnormen geschützten Rechtsgüter den Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung. Sicher ist, daß die Tatbestände dem Schutz individueller Rechtsgüter der Gläubiger dienen. Streit besteht bei der Frage, ob darüberrunaus ein überindividuelles Rechtsgut der Konkursdelikte anzuerkennen ist, etwa die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft6 oder gar die Gesamtwirtschaft7. Da § 283 Absatz 1 und 2 StGB unterschiedliche Verhaltensnormen besitzen, wird zunächst das geschützte Rechtsgut bei § 283 Absatz 1 StGB untersucht; anschließend ist zu klären, ob sich Besonderheiten oder Abweichungen bei § 283 Absatz 2 StGB ergeben. l. Die individuellen Rechtsgüter des § 283 Absatz 1 StGB

1. Die "Verwertungsinteressen" der Gläubigergesamtheit Das Individualrechtsgut des § 283 StGB sollen nach verbreiteter Auffassung "die Befriedigungsansprüche der Gläubiger und damit deren Vermögen"S sein, wobei es nicht auf die einzelnen Befriedigungsansprüche ankommen soll, sondern auf die Interessen der Gläubigergesamtheit.9 Trotz des Spezialtatbestandes des § 283c, der das konkursrechtliche Prinzip der Gleichmäßigkeit der Verteilung (Verteilungsprinzip) als solches schützt, ist mit dem "Befriedigungsinteresse" der Gläubigergesamtheit stets das Interesse der Gläubiger an einer gleichmäßigen Befriedigung ihrer Ansprüche (sog. KonkursprinziplO) gemeint. Gegen diese Feststellungen ist im Grundsatz nichts einzuwenden. Bedenken ergeben sich aber gegen die konkrete Bestimmung und Bezeichnung des individuellen Rechtsguts: sie reicht in ihrer Unbestimmtheit für das geltende Insolvenzrecht zu weit - vor dem Hintergrund der bevorstehenden Insolvenzrechtsreform erscheint sie als zu eng. Einige Konkretisierungen sind geboten.

6 Tiedemann, Gutachten, S. 31; derselbe, ZIP 1983,513,520; Hammerl, Bankrottdelikte, S. 116; Sachverständigenkommission, Tagungsberichte, Band 111, Anlage 5, S. 12 (Eulencamp ). 7 Lackner, § 283, Rn. 1; Schlüchler, JR 1979, 515; Schönke/Schröder-Stree, vor § 283, Rn. 2. S Maurach/Schroeder/Maiwald, BT, S. 522. Ähnlich: RGSt 61, 108; LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 43: "das Verrnögensinteresse, nämlich das Interesse der Gläubiger an einer Befriedigung ihrer geldwerten Ansprüche"; Schmidhäuser, Besonderer Teil, S. 143; Lackner, § 283, Rn.

1;

9

BGHSt 34, 309, BGH NJW 1980, 406, 407; BGHZ 41, 101; Kuhn/Uhlenbruck, § 3, Rn. 3.

10

156

Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

a) Zur Abhängigkeit der Gläubigerinteressen vom Konkursrecht Eine erste Konkretisierung betrifft die Abhängigkeit der in Insolvenznähe geschützten Interessen der Gläubiger vom Insolvenzrecht. Schon der Begriff "Befriedigungsinteressen" ist nur zutreffend, wenn er in seinem konkursrechtlichen Sinn verwendet wird. Denn die Bezeichnung Bejriedigungsinteressen für die Interessen der Gläubiger in der Gesamtvollstreckung entspricht nicht der Sichtweise des BGB. Wo das BGB den Begriff der "Befriedigung" verwendet (z.B. § 774 Absatz 1 BGB), wird der Begriff im Sinn von "Erfüllung" gebraucht. JI Die Erfüllung (respektive die Befriedigung) einer Leistungspflicht ist dadurch gekennzeichnet, daß der Schuldner sowohl die Leistungshandlung vornimmt als auch den Leistungserfolg herbeiführt. 12 Gerade die Vornahme der Leistungshandlung entfällt in der Gesamtvollstreckung bzw. wird durch die Verteilung seitens des Konkursverwalters substituiert. Freilich verwendet die Konkursordnung den Begriff der "Befriedigung" für die Leistungen an die Gläubiger im Zusammenhang mit dem Konkursverfahren (u.a. §§ 3 Absatz 1, 47, 60 KO). Jedoch handelt es sich insoweit um eine spezifisch konkursrechtliche Bezeichnung. Denn Einigkeit besteht darüber, daß es sich beim Konkurs nicht um Erfüllung im engeren Sinn, sondern um "Haftungsverwirklichung,,!3 handelt. Bereits die Terminologie verdeutlicht mithin den spezifisch vollstreckungsrechtlichen Kontext. Auch jenseits dieser terminologischen Fragen ist die Abhängigkeit der Gläubigerinteressen vom Konkursrecht in materialer Hinsicht augenfällig. Ziel der Verhaltensnorm des § 283 Absatz 1 StGB ist nach unbestrittener Ansicht die Erhaltung der Konkursmasse des Schuldners. Die Bestimmung des Rechtsgutes hat daher von der Funktion der Konkursmasse für die Gläubiger auszugehen. Entsprechend stellt die Rechtsprechung bei der Beschreibung des Rechtsgutes des § 283 StGB die Funktion der Konkursmasse als zu verteilende Haftungsmasse in den Vordergrund und sieht den Schutzzweck des § 283 StGB in der "Sicherung der Konkursmasse im Interesse der gesamten Gläubigerschaft"14.

Statt aller Jauemig-Vollkommer, § 774, Anm. 2 a). Schuldrecht I, S. 236. 13 Kuhn/UhJenbruck, Vorb. 5. 14 BGH NJW 1980, 406, 407; ähnlich u.a. RGSt 61,108; BGHSt 28. 373; 34, 221, 226; Dreher-Tröndle, vor § 283 Rn. 3; Gallandi, wistra 1992, 10: "Schutz der etwaigen Konkursmasse vor unwirtschaftlicher Verringerung, Verheimlichung und ungerechter Verteilung zum Nachteil der Gläubigergemeinschaft". 11

12 Larenz,

§ 7 Die in § 283 StOB kollidierenden Interessen

157

b) Konsequenzen für das Konkursstrafrecht Geht man von der Konkursmasse als maßgeblichem Anknüpfungspunkt aus, so bedarf die Bezeichnung des Rechtsguts mit "Befriedigungsinteressen" der Klarstellung. Denn das geltende Konkursrecht zeigt, daß die Konkursordnung die beteiligten Gläubigerinteressen bei der Verteilung der Konkursmasse sehr unterschiedlich gewichtet, was insbesondere der Begriff der Konkursmasse (§ 1 Absatz 1 KO), die zahlreichen Vorrechte (z.B. § 47 KO) und die Rangordnung im Katalog des § 61 KO ("Rang der Konkursforderungen") erhellen. Ersichtlich stehen schutzbedürftige und weniger schutzbedürftige Befriedigungsinteressen der Gläubiger nebeneinander. Im Tatbestand des § 283 StGB kommt die Abhängigkeit vom Konkursrecht in der Beschreibung des tauglichen Tatobjekts beim Beiseiteschaffen (Ziffer 1: "Bestandteile ( ...), die im Falle der Konkurseröffnung zur Konkursmasse gehören") zum Ausdruck, die auf § 1 KO verweist. Entsprechend betonen einige Stimmen in der Literatur die "Prozeßrechtsabhängigkeit" des § 283 StGB und erblicken das Rechtsgut in der "Befriedigung in der Gesamtvollstreckung, im Konkurs,,15. Die Abhängigkeit des Schutzgutes von der insolvenz-rechtlichen Ausgestaltung hat für die Auslegung des § 283 StGB insbesondere in zwei Punkten weitreichende Konsequenzen. Zum einen ergeben sich - im Vergleich zum Vermögensstrafrecht im engeren Sinn (§§ 263, 266 StGB) - Verschiebungen bei der Bestimmung der in § 283 StGB tatbestandlich relevanten Risikoschaffung. Ein für § 283 StGB relevantes Risiko kann nämlich nicht schon bei jeder Vermögenseinbuße des Schuldners angenommen werden. Vielmehr folgt aus der Anbindung des Schutzgutes an das Insolvenzrecht, daß nur solche Vermögensverminderungen beim Schuldner mit Blick auf § 283 StGB erheblich sind, die sich - vermittelt durch die insolvenz-rechtliche Behandlung - bei den Gläubigern als Interessenbeeinträchtigung niederschlagen können. Umgekehrt gilt, daß nicht jede Form der Risikokompensation, die im Vermögensstrafrecht den Schaden bzw. Nachteil entfallen läßt, auch bei § 283 StGB zu einem Fortfall des relevanten Risikos führt. Ebenso wie das Schutzgut des § 283 StGB ist mithin auch das relevante Risiko eingedenk des insolvenz-rechtlichen Kontexts zu bestimmen. 16 Diese Erkenntnis führt zu der zweiten wesentlichen Folgerung: Strafrechtlichen Schutz genießen insolvenz-rechtliche Gläubigerinteressen nur insoweit, als

15

16

AntjWeber, BT, S. 110.

Vgl. eingehend zur Bestimmung des bei § 283 StOB relevanten Risikos (unten, S. 205ff.), sowie zu einzelnen Konstellationen, in denen die Risikoschaffung problematisch ist unten, S. 232ff., bzw. zur Kompensation unten, S. 257ff.

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Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

das Insolvenzrecht die Interessen seinerseits anerkennt und als schutzwürdig einstuft. Der strafrechtliche Gläubigerschutz darf mit anderen Worten nicht weiter reichen als der (zivilistische) insolvenz-rechtliche Schutz.!? Dieser Zusammenhang wird in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht hinreichend gewürdigt. Aus ihm ergibt sich, daß für eine Fülle von Einzelfragen bei § 283 StGB Auslegungshilfen dem Zivilrecht entnommen werden können, im Interesse eines intrasystematisch konsistenten Strafrechtsschutzes sogar entnommen werden müssen. Denn beispielsweise dort, wo das zivilistische Insolvenzrecht im Rahmen der Anfechtungsvorschriften (§§ 6 AnfG, 29ff. KO) die Schutzwürdigkeit der Gläubigerinteressen bei bestimmten schuldnerischen Transaktionen versagt, entfällt auch die Strafwürdigkeit solcher Transaktionen. 18 Hiergegen ließe sich einwenden, daß das Strafrecht die Reichweite seines Schutzes - abgesehen vom Postulat der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung - nicht am Zivilrecht auszurichten habe. Das ist zwar vom Grundsatz her zutreffend, jedoch übersieht dieser Einwand die Besonderheit des Konkursstrafrechts, gerade den Schutz der zivilrechtlichen Insolvenzinteressen zu gewährleisten. Wo das Zivilrecht solche nicht anerkennt, geht ein strafrechtlicher "Flankenschutz" ins Leere und bedarf der beschränkenden Korrektur. In der Zivilrechts- und Prozeßrechtsabhängigkeit liegt im übrigen ein wesentlicher Grund dafür, daß das Konkursstrafrecht keinen effektiven Schutz gegen Vermögensbeeinträchtigungen durch Insolvenzen bietet. Denn das geltende Insolvenzrecht, dessen erzielte Verfahrenseröffnungs- und Befriedigungsquoten vernachlässigbar sind und stetig abnehmen, präjudiziert eine geringe Effektivität des von den Insolvenzdelikten intendierten Schutzes. Wo sich schon insolvenzrechtlich Befriedigungsinteressen kaum behaupten können, weil extensive Sicherungsmöglichkeiten im Vorfeld der Insolvenz für einzelne Gläubiger zulässig sind l9 , bleibt auch der strafrechtliÄhnlich BGH NJW 1952, 898. Vgl. zur Kongruenz von zivilistischer Anerkennung und strafrechtlichem Schutz der Gläubigerinteressen in Einzelfragen unten, S. 238f., 264f., 351. 19 Zu der typischen Konstellation, in der kleinere Gläubiger und Lieferanten mit ihren Forderungen im Konkurs aufgrund (gegenwärtig) zulässiger extensiver Sicherungen (Kombination von unbeschränkter persönlicher Haftung der Gesellschafter, Grundschuldsicherung, Sicherungsabtretung von Firmengeldem, Sicherungsübereignung von Inventar und Globalzession) der Großgläubiger (z.B. Banken) ausfallen oder zu ungünstigen außergerichtlichen Vergleichen gedrängt werden: Gallandi, wistra 1992, 10ff. unter Hinweis auf den allgemeinen Anspruch der Banken auf jederzeitige Sicherheitengewähr nach § 19 Absatz 1 AGB der Banken. Dieser Anspruch auf jederzeitige (Nach)Besicherung hat zur Folge, daß derartige Sicherheitenbestellungen - wegen § 19 Absatz 1 AGB Banken mangels Inkongruenz - nicht zu § 283c StGB führen. 17 18

§ 7 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen

159

che Schutz dieser Interessen notwendigerweise gering. 20 Dies gilt insbesondere für die Interessen der mittelständischen und der vielen ungesicherten kleinen Gläubiger. Ebenso wie aus zivilistischer Perspektive21 ist die Insolvenzrechtsreform auch aus strafrechtlicher Sicht daher dringend geboten. 22 Die Interessen der Gläubiger an der Befriedigung ihrer Ansprüche in der Gesamtvollstreckung stehen mithin unter dem Vorbehalt der konkursrecht lichen Ausgestaltung: zwar sind alle von § 283 StGB geschützten Gläubigerinteressen in der Konkursordnung Befriedigungsinteressen, keineswegs aber werden alle Befriedigungsinteressen von der Konkursordnung (und mittelbar von § 283 Absatz 1 StGB) gleich gewichtet und geschützt. Daher ist es genauer, bei § 283 StGB nur auf das gleichgerichtete Interesse der Gläubigergesamtheit zu rekurrieren. Das ist das Interesse an der bestmöglichen Verwertung des schuldnerischen Vermögens. Der Bereich der mit dem Verwertungserlös erfolgenden Befriedigung, innerhalb dessen die Gläubiger keine gleichgerichteten, sondern miteinander konkurrierende Interessen verfolgt, ist richtigerweise bei der Rechtsgutsbestimmung zurückzustellen. 2. Insolvenzrechtsreform und "Gestaltungsinteressen" der Gläubigergesamtheit Der insolvenzrechtliche Hintergrund für die Bezeichnung der Gläubigerinteressen als "Befriedigungsinteressen" war bislang nach der lex lata dadurch gekennzeichnet, daß der Gegenstand des Insolvenzverfahrens primär darauf gerichtet war, das schuldnerische Vermögen zu zerschlagen und den Erlös in Anrechnung auf die Forderungen der Gläubiger zu verteilen. Z3 Schon früh hatte sich bezüglich des Konkursverfahrens die Erkenntnis herausgebildet, daß der destruktive Ansatz der Konkursordnung (= Zerschlagung des Schuldnervermögens) nicht die adäquate insolvenzrechtliche Lösung zur Erzielung des größtmöglichen Maßes an Gläubigerbefriedigung

20 Gallandi, wistra 1992, 13: "Wer sich nicht über Eigentumsvorbehalt oder Sicherungsübereignung separat absichern kann, trägt gesetzlich vorgesehen das volle Risiko"; ähnlich Höfner, Überschuldung, S. 32. 21 Dazu sogleich im Text. 22 Tiedemann, ZIP 1983, 513, 514. Z3 Dem geltenden Insolvenzrecht liegt zwar verfahrensmäßig ein dualistisches System zugrunde: auf der einen Seite befindet sich das auf Erhaltung des schuldnerischen Vermögens angelegte Vergleichsverfahren, an dem die Gläubiger nur marginal beteiligt sind; auf der anderen Seite befindet sich das auf Zerschlagung angelegte Konkursverfahren, das eine intensive Beteiligung der Gläubiger (§§ 84-86, 91-93, 100, 123, 129, 132-135, 137, 150, 176-180, 184 KO) aufweist. Bedeutung hat heute aber praktisch nur das Konkursverfahren.

160

Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

ist. 24 Wegen der sich immer weiter verstärkenden Funktionsunfähigkeit des Insolvenzrechts2S, pointiert bereits als "Konkurs des Konkurses" beschrieben, gilt es seit geraumer Zeit als reformbedürftig. Bereits seit 1978 (i.e. ein Jahr nach dem Inkrafttreten des 1. WiKG) befmdet sich die Reform des Insolvenzrechts in Vorbereitung - sie steht nunmehr nach Vorlage des Referentenentwurfs zu einer neuen Insolvenzordnung26 (1989) und der Zuleitung des Entwurfs an den Bundesrat (1992)27 vor dem Abschluß. Wesentliche Zielsetzung der Reformbestrebungen war ursprünglich die Beseitigung der Masselosigkeit von Insolvenzen und die Vermeidung des Konkurses, wozu ein Sanierungsverfahren als Neuerung eingeführt werden sollte.28 Aufgrund dieser Vorgaben löste sich die Insolvenzrechtsreform von dem Primat der Zerschlagungsliquidation; das neue Insolvenzrecht nimmt im Vergleich zur Konkursordnung daher bereits im Ansatz eine grundsätzlich andere Perspektive29 ein. Ausgangspunkt der Reform und Kernstück des Perspektivenwechsels ist das Verständnis der Insolvenz als "schwere Gefährdung der Gläubigerinteressen, die es rechtfertigt, die Verfügungsrechte über das Schuldnervermögen grundsätzlich den Gläubigern zuzuweisen.,,3Q Nach neuem Recht wird das Ziel des Insolvenzverfahrens - wie nach geltendem Recht - darin bestehen, "die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen" (§ 1 EInsO). Die neue Insolvenzrechtsordnung setzt zur Erreichung dieses Zieles freilich zunächst auf die Zuweisung des schuldnerischen Vermögens zum Insolvenzverwalter, der im Auftrag der Gläubiger einen Insolvenzplan ausarbeiten kann, wobei Gläubigerausschuß, Betriebsrat, Sprecherausschuß der leitenden Angestellten und Schuldner be24 Vgl. 1932 bereits Jäger, Lehrbuch, S. 216: "Der Konkurs ist ein Wertvernichter schlimmster Art und obendrein das teuerste Schuldentilgungsverfahren. Je größer das ihm verfallende Unternehmen ist, je weitere Wirtschaftkreise der Zusammenbruch in Mitleidenschaft zieht, desto erwünschter muß es sein, wenn Schuldner und Gläubiger durch Vereinbarung eines Auweichs dem Konkurs vorbeugen." Die Funktionsunfahigkeit des Insolvenzrechts zeigt sich in verschiedenen Faktoren: in 77 % der Fälle (1983-1985) wurden die Konkursanträge mangels Masse abgewiesen, nur 1 % der gerichtlichen Vergleiche wurden seit 1983 bestätigt, ca. 80 % des Schuldnervermögens ist regelmäßig mit Aus- und Absonderungsrechten belastet, ungesicherte Kleingläubiger fallen zumeist aus (vgl. im übrigen näher ElnsO, Diskussionsentwurf, S. A lf.). 26 ElnsO, Referentenentwurf, S. 1 passim. 27 Entwurf einer Insolvenzordnung mit Begründung, BR-DrS. 1/92. Die nachfolgenden §§Angaben des ElnsO richten sich nach diesem Entwurf. 28 ElnsO, Diskussionsentwurf, S. A 92; vgl. nun § 1 Absatz 3 ElnsO. 29 Näher zum gewandelten Ansatz des Reorganisationsverfahrens, J(jlger, ZRP 1984, 46, 47; Brandstätter, Sanierungsfahigkeit, S. 20ff. 30 ElnsO, Diskussionsentwurf, S. A 5.

§ 7 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen

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ratend zur Seite stehen.31 Entscheidung und Gestaltung der Gläubiger gewinnen durch die Einführung des Insolvenzplanes zentrale Bedeutung (§§ 253ff. EInsO), der Schuldner ist nicht mehr länger Herr seines Unternehmens?2 Durch Deregulierung und Ausbau der Beteiligtenautonomie schafft die Reform innerhalb des Verfahrens im Vergleich zur Konkursordnung einen breiten Spielraum für privatautonom gesetzte Regeln zwischen allen Beteiligten?3 Auf der Ebene der konkreten Verfahrensziele eröffnet die Gleichstellung34 von Sanierung, übertragender Sanierung35 und Zerschlagungsliquidation ausgesprochen unterschiedliche Wege für den Umgang der Gläubiger mit dem schuldnerischen Vermögen. Nach Ansicht des Gesetzgebers soll auch der "Gang des Verfahrens von den Beteiligten (...) bestimmt werden,,36. Die Erleichterungen bei der Verfahrenseinleitung37 sowie der Anreiz der gesetzlichen Restschuldbefreiung38 (§§ 235ff. EInsO) sollen gewährleisten, daß die Überführung des Schuldnervermögens in die Entscheidungssphäre der Gläubiger zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erfolgt. Brandstätter, Sanierungsfähigkeit, S. 21. Begründung, BR-DrS. 1/92, S. 79, 9Off.; Stürner, ZlP 1982, 761, 769; Kilger, ZRP 1984, 46, 49 auch zur Frage der Konkurrenz von Verwalter- und Schuldnerpositionen. 33 Das Reorganisationsgericht ist nurmehr das Forum des von den Beteiligten auszuhandelnden Vergleichs, wobei auf Gläubigerseite - in Gläubigergruppen unterteilt - nach dem Mehrheitsprinzip entschieden wird. Näher J(jlger, ZRP 1984, 46, 47f. 34 EInsO, Diskussionsentwurf, S. A 16; Referentenentwurf, S. A 19. 35 Von einer "übertragenen Sanierung" spricht man dann, wenn das krisenbehaftete Unternehmen oder Teile desselben auf einen anderen (in der Regel neu gegründeten) Rechtsträger überführt wird, um es mit dessen (frischen) Kapital zu sanieren (häufig auch als Sanierung mit Fortführungsgesellschaft bezeichnet, vgI. grundlegend Groß, Fortführungsgesellschaften, S. 137ff.; derselbe, KTS 1982, 355ff.) Die Problematik der "übertragenen Sanierung" besteht darin, daß zumeist die Gläubiger des Unternehmens nicht oder nur teilweise mit übernommen werden. Aus Sicht der Gläubiger führt die "übertragene Sanierung" daher selbst bei der Übernahme von Verbindlichkeiten durch den neuen Rechtsträger, dazu noch unten, S. 271ff., 274ff. - in der Regel zu einem Entzug von Haftungsvermögen. Aus diesem Grund kann bei einer "übertragenen Sanierung" überhaupt nur insoweit von einer Sanierung die Rede sein, als es um die (gesamtwirtschaftlich freilich wünschenswerte) Erhaltung der betriebswirtschaftlichen Einheit des Unternehmens bzw. des Unternehmensteiles geht. Aus Sicht der beim krisenbehafteten Unternehmen mit dem verminderten Restvermögen "zurückgebliebenen" Gläubiger kann von einer Sanierung hingegen nicht gesprochen werden (kritisch aus diesem Grund auch Schmidt, Gutachten, S. 110). 36 EInsO, Diskussionsentwurf, S. A 22; Referentenentwurf, S. A 32. 37 Einführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Insolvenzgrund, § 22 ElnsO (Referentenentwurf, S. A 42), Bewirken der rechtzeitigen Eröffnung des Verfahrens seitens des Managements insolventer Gesellschaften im Wege der Einführung einer persönlichen Haftung analog zu § 171 HGB, EInsO, Diskussionsentwurf, S. A 37, 40. 38 EInsO, Diskussionsentwurf, S. A 35. 31

32 Vgl. Amtliche

11 Krause

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Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

"Die Gläubigerversammlung hat die Letztentscheidung über den Ablauf des Insolvenzverfahrens, insbesondere über die Dauer und Zulässigkeit einer Betriebsfortführung, über die Beauftragung des Insolvenzverwalters mit der Erstellung eines Plans und über die Zulässigkeit oder den Abbruch von Sanierungsbemühungen."39 Die Haftungsmasse besitzt nach der neuen Insolvenzordnung für die Gläubiger mithin nicht allein die Funktion eines zu verteilenden Haftungsvermögens. Sie kann vielmehr von den Gläubigern mittels des Verwalters auch dazu benutzt werden, anband eines Insolvenzplanes selbst weiter mit der Haftungsmasse zu wirtschaften, um dadurch die Situation des schuldnerischen Vermögens als Gegenstand der Verwertung zu verbessern. Das neue Insolvenzrecht eröffnet den Gläubigern also einen breiten eigenen, wirtschaftlichen Gestaltungsspielraum bezüglich des schuldnerischen Vermögens.40 Da eine Reform des Konkursstrafrechts nicht beabsichtigt ist4 I, muß die Rechtsgutsbestimmung des § 283 Absatz 1 StGB aufgrund der Anbindung an das Insolvenzrecht in einer Weise vorgenommen werden, die die aus Gläubigersicht erheblich gewandelten Gegebenheiten des (zukünftigen) Insolvenzverfahrens aufnimmt und sämtlichen durch die Insolvenzrechtsreform anerkannten und in ihr geregelten Interessen der Gläubiger hinsichtlich der Masse gerecht wird. Der Rekurs auf die "Befriedigungsinteressen" der Gläubiger als Rechtsgut läßt diese Wandlungen unberücksichtigt und ist als Anhaltspunkt für die Auslegung wenig hilfreich. Denn die Insolvenzrechtsreform wertet die Gestaltungsinteressen der Gläubiger als unmittelbare Interessen an der Konkursmasse in einer Weise auf, die auch bei der Rechtsgutsbestimmung im Strafrecht Widerhall fmden muß. Masseschmälerungen verringern unter dem neuem Insolvenzrecht nicht allein die Gläubigerquote als Endergebnis eines Verteilungsverfahrens, sondern sie reduzieren den wirtschaftlichen Spielraum, innerhalb dessen die Gläubiger nach Verfahrenseröffnung über den Verwalter im Interesse ihrer Befriedigung selbst mit dem Schuldnervermögen wirtschaften können. Bei Berücksichtigung der Insolvenzrechtsabhängigkeit der Gläubigerpositionen (und unter Vorgriff auf die zukünftige lex lata) ist das individuelle Rechtsgut des § 283 Absatz 1 StGB dahingehend zu bestimmen, daß die insolvenzrechtlichen Gestaltungs- und Verwertungsrechte der Gläubiger am schuldnerischen Vermögen, im folgenden zusammengefaßt als Insolvenzin39 ElnsO, Diskussionsentwurf, S. A 83; ferner Hohloch, ZIP 1982, 1029, 1037. 40

41

Näher noch mit rechtsvergleichenden Bezügen Hohloch, ZIP 1982, 1029ff.. Dreher-Tröndle, vor § 283, Rn. 2a.

§ 7 Die in § 283 StGB kollidierenden Interessen

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teressen42 der Gläubiger, geschützt werden. Diese Interessen bilden einen Teil des Vermögens der Gläubiger. 3. Das "Vertrauen" der Gläubiger als individuelles Rechtsgut des § 283 StGB Die Insolvenzinteressen der Gläubiger erfassen die betroffenen Gläubigerpositionen allerdings nur in ihrer Qualität als geldwerte Interessen, sc. als aus der Forderung folgende Gläubigerpositionen in einem Insolvenzverfahren. Auf der Ebene des individuellen Rechtsguts ist bislang nicht problematisiert worden, inwieweit Bankrotthandlungen über materielle Interessen hinaus schützenswerte Positionen der Gläubiger beeinträchtigen, deren Wahrung für die Freiheit des Handelns im Wirtschaftsverkehr von wesentlicher Bedeutung ist und die bei der Auslegung des § 283 StGB eine Rolle spielen. Zwar beeinträchtigt eine Bankrotthandlung den Freiraum der Gläubiger nicht unmittelbar bei Begründung ihrer Forderungen, da diese zur Zeit der Bankrotthandlung bereits begründet sind. Jedoch betreffen die Bankrotthandlungen bestimmte bereits bei Begründung der Forderung bestehende Erwartungen der Gläubiger an das zukünftige Verhalten des Schuldners. In der Sache handelt es sich bei einer Banlcrotthandlung - wie im folgenden nachzuweisen sein wird - um die Enttäuschung von (bewußtem oder unbewußtem) Vertrauen.43 Aus der Anerkennung des Vertrauens als Rechtsgut des § 283 StGB ergeben sich für das Verständnis und für die Auslegung des Bankrottatbestandes diverse Konsequenzen.44 Bevor diese dargelegt werden können, 42 Aus dieser Rechtsgutsbestimmung ergibt sich, daß Rechtsgut des § 283 Absatz 1 StGB Interessen der Arbeitnehmer nur insoweit sind, als sie als Gläubiger Träger von Insolvenzinteressen sind (überwiegende Meinung, vgl. LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 46ff., mit abweichender Begründung). Insofern wird ihre Stellung durch das neue Insolvenzrecht bestätigt. Sie besitzen Stimmrechte in der Gläubigerversammlung und bilden im Insolvenzplan eine eigene Gläubigergruppe (§ 255 Absatz 3 EInsO). Das Interesse am Erhalt ihres Arbeitsplatzes wird von § 283 Absatz 1 StGB hingegen nicht erfaßt (so aber Däubler, in: Baumann/Dähn, S. 13). Denn auch dann, wenn sich der Schuldner nach § 283 Absatz 1 StGB normgemäß verhält und wirtschaftswidrige Vermögensminderungen nach eingetretener Krise unterläßt, bleibt die den Arbeitsplatz gefährdende und häufig zum Arbeitsplatzverlust führende Krise gleichwohl bestehen. Normtreues Verhalten nach § 283 StGB und Arbeitsplatzsicherung sind folglich voneinander unabhängig, weshalb der Erhalt von Arbeitsplätzen nicht Rechtsgut des § 283 Absatz 1 StGB sein kann. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen bei normtreuem Verhalten bzw. die Zerstörung von Arbeitsplätzen bei normwidrigem Verhalten des Schuldners ist daher nur eine für die Rechtsgutsbestimmung außer Betracht bleibende Reflexwirkung. 43 Begrifflich ähnlich _ freilich im Zusammenhang mit überindividuellen Rechtsgütern insoweit auf das konkrete Vertrauen in der Kredit-Beziehung abstellend - Hammerl, Bankrottdelikte, S. 116. 44 Vgl. zum Strafgrund des § 283 StGB näher sogleich S. 167ff., zur Bedeutung des Vertrauens bei der Bestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft unten, S. 370, 385,406ff.

11*

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Teil 11: Grund- und Vorfragen für die Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit

bedarf es allerdings zunächst einiger Erläuterungen über den Zusammenhang von Risiko, Vertrauen und Gläubigerstellung. a) Risiko, Vertrauen und Gläubigerstellung Begründet jemand gegenüber einem anderen eine Forderung, so handelt es sich dabei stets um eine Entscheidung, mit der Risiken einhergehen. Denn grundsätzlich sind Forderungen mit einem Ausfallrisiko behaftet.4s Dies kann der Gläubiger zwar durch Sicherheiten reduzieren, jedoch handelt es sich dabei nur um die Kompensation eines im Ausgangspunkt stets vorhandenen Risikos. 46 Wollte der Gläubiger dieses Risiko auf Null zurückführen, so müßte er sämtliche zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklungen des Schuldners und die diese bedingenden Faktoren (Konjunkturlage, Marktentwicklung, Zinsentwicklung, Inflation, wirtschaftliches Verhalten des Schuldners und seiner Geschäftspartner u.v.m.) bedenken und vorhersehen können.47 Das ist unmöglich. Angesichts der unzähligen Möglichkeiten der weiteren Entwicklung und der stets bestehenden InformationsdefIZite ist eine risikofreie Entscheidung ausgeschlossen. Gleichwohl ist jeder Gläubiger gezwungen, mit der Komplexität der Situation und der aus dieser resultierenden Unsicherheit in irgendeiner Weise umzugehen und sich für oder gegen die Begründung der Forderung zu entscheiden.48 Er muß zukünftige Entwicklungen berücksichtigen und hinsichtlich ihrer Beherrschungsmöglichkeiten und ihrer Risiken (also hinsichtlich Schadensgröße und Eintrittswahrscheinlichkeit) für seine Interessen beurteilen und gegeneinander abwägen. Der Gläubiger ist in gewissen Grenzen also gezwungen, Zukunft zu vergegenwärtigen. Es ist das Verdienst Luhmanns49 , gezeigt zu haben, daß der Mensch die Ungewißheit der Zukunft durch den Akt des Vertrauens bewältigt. Erst durch Vertrauen wird der Mensch in der konkreten Situation entscheidungsfähig und werden bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten des GescheJZ 1985,1013,1017. Wirtschaft, S. 268f. 47 Entsprechend wird der volkswirtschaftliche Nutzen und die Sinnhaftigkeit von Sicherheiten nach verbreiteter Ansicht darin gesehen, daß sie Transaktionskosten einsparen helfen, weil sie den Gläubiger von der Obliegenheit befreien, durch eigene Aufwendungen die Umstände und Faktoren zu ermitteln bzw. zu beseitigen, die die Durchsetzbarkeit seiner Forderung naChteilig berühren könnten; näher Koller, JZ 1985, 1015, 1020; Uhlenbruck, GmbHR 1982,141, 145. 48 Näher zum Risiko und seiner Verarbeitung bei der Begründung von Forderungen durch Banken: Baecker, Banken, S. 119ff.; grundsätzlich zur unkontrollierbaren Komplexität der Welt und der Notwendigkeit der Entscheidung: Luhmann, Vertrauen, S. 23ff. 49 Zum folgenden Luhmann, Vertrauen, S. 23ff. 4S Koller,

46 Luhmann,

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hensablaufs, die sich aus dem Handeln anderer Menschen ergeben können, von der Berücksichtigung bei den eigenen Entscheidungen ausgeschlossen. 50 Indem der Vertrauende sich auf ein bestimmtes Verhalten anderer Menschen verläßt, neutralisiert er (bestimmte) von diesen Menschen ausgehende Gefahren, die er nicht ausräumen kann, die aber seine Entscheidung nicht irritieren sollen.51 Das Vertrauen ist auch für Gläubiger ein wesentlicher Faktor bei der Entscheidung über den Abschluß eines Vertrages und die Begründung einer Forderung. Denn unter der Vielzahl der möglichen relevanten Bedingungen für die Erfüllung der Forderung gibt es solche, deren Beherrschung beiden Vertragsparteien entzogen ist (allgemeine Konjunkturlage, Markt- und Zinsentwicklung, Rechtsänderungen u.ä.) und solche, die teilweise sehr weitgehend von den einzelnen Parteien gesteuert werden können, insbesondere das zukünftige Verhalten des Schuldners. Grundlage der Erwartungen des Gläubigers gegenüber dem Schuldner ist der Vertrag. 52 Verspricht der Schuldner vertraglich, zu bestimmter Zeit eine Leistung vorzunehmen, so bekundet er damit zum einen, daß er davon ausgeht, zum entscheidenden Zeitpunkt zur Leistung fähig zu sein. Darüber hinaus bringt er mit dem Leistungsversprechen zum Ausdruck, daß er zum maßgeblichen Zeitpunkt die Vornahme der Leistung gegenüber anderen alternativen Handlungsmöglichkeiten vorziehen wird.53 Beide Komponenten des Versprechens - die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und die Leistungswilligkeit - sind in hohem Maße vom Handeln des Schuldners abhängig. Das Versprechen schafft diesbezüglich beim Gläubiger Erwartungen: sofern keine Ereignisse auf Seiten des Schuldners eintreten, die seiner Beherrschbarkeit entzogen sind, wird der Schuldner seine Fähigkeit, die Leistung zum vereinbarten Zeitpunkt vornehmen zu können, erhalten und die Leistung erbringen. 50 Die normative Entscheidungstheorie (näher noch unten, S. 323ff.) löst das Komplexitätsproblem nicht, denn sie basiert auf der Idee, daß sich alle Beteiligten rational verhalten. Tatsächlich aber handeln Menschen mehr oder weniger irrational, wodurch eine nahezu unbegrenzte Komplexität in die Welt getragen wird. Auf die Bewältigung dieser Tatsache sind die normativen Entscheidungstheorien, die (zumeist) auf der Prämisse der Rationalität der Entscheidung aller am Konflikt Beteiligten ausgehen, nicht zugeschnitten. Wohl aber kann die Rechtsordnung den Bürgern rationales Handeln abverlangen, um das Miteinander der Rechtsgenossen in gewissen Grenzen vorhersehbar zu machen und auf diese Weise Unsicherheit zu reduzieren. 51 Dies setzt nicht voraus, daß es sich hierbei um einen bewußten rationalen Vorgang handelt. Vielmehr kann Vertrauen auch unbedacht und routinemäßig erwiesen werden, insbesondere dort, wo die Erwartungen relativ sicher sind (Luhmann, Vertrauen, S. 25). 52 Das Folgende gilt sinngemäß für gesetzliche Schuldverhältnisse. 53 Vgi. zur Struktur von Versprechen, Kindhäuser, Gefährdung, S. 33f., 45f.; Searle, Sprechakte, S. 88ff.

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Freilich können diese Erwartungen vom Schuldner enttäuscht werden, indem er entweder seine Leistungsfähigkeit nicht erhält, obgleich ihm dies möglich wäre, oder die Leistung trotz Leistungsfähigkeit nicht vornimmt. Der Vertrag als solcher und auch das Insolvenzrecht sowie andere rechtliche Sanktionsmöglichkeiten schützen den Gläubiger vor diesen Enttäuschungen nicht. Denn sie bestimmen allein die rechtlichen Bedingungen, unter denen sich der Schuldner für oder gegen die Einhaltung seines Versprechens zu entscheiden hat. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Schuldner seine Entscheidung rechts- und sanktionsbezogen durchkalkuliert.54 Vielmehr zeigt die Realität, daß Schuldner ihre Verträge trotz deren Verbindlichkeit und trotz gegebener Sanktionsmöglichkeiten brechen, mit anderen Worten ihre Entscheidung insbesondere in Krisensituationen nach anderen Kriterien ausrichten.55 Entschließt sich der Gläubiger trotz des Risikos, mit der Forderung auszufallen, für den Abschluß eines Vertrages und die Begründung einer Forderung, so liegt hierin - was im lateinischen Ursprung des Wortes Kredie6 anklingt - ein Akt des Vertrauens. Denn in bezug auf die vom Schuldner beherrschbaren Faktoren für die Erfüllung der Forderung geht der Gläubiger davon aus, der Schuldner werde sich versprechensgemäß verhalten, mit anderen Worten so, wie es die Erfüllung des Vertrages erfordert. Der Gläubiger verläßt sich darauf, daß der Schuldner die Erfüllung seiner Verpflichtung zum Motiv seines Handelns machen wird.57 Durch 54 Aus diesem Grund erschöpft sich das hier gemeinte Vertrauen nicht in dem allgemeinen Vertrauen in die Geltung der Rechtsordnung. Vielmehr geht es um ein spezifisches Vertrauen bei der Interaktion durch Verträge im wirtschaftlichen Bereich. Das Vertrauen besteht darin besteht, daß der Gläubiger seine wirtschaftliche Disposition mit dem Schuldner vornehmen kann, ohne das Risiko unwirtschaftlicher Verminderungen der schuldnerischen Erfüllungsfähigkeit bei seiner Entscheidung zum entscheidungserheblichen Faktor machen zu müssen. 55 Näher zu dem Befund, wonach sich das Vertrauen nicht in dem Vertrauen in das Recht und seine Sanktionsmöglichkeiten erschöpft: LUhmann, Vertrauen, S. 38. 56 Im Duden, Fremdwörterbuch, S. 405, heißt es entsprechend: "Kredit ( ... ): 1. Vertrauen in die Fähigkeit und BereitsChaft einer Person od. eines Unternehmens, bestehende Verbindlichkeiten ordnungsgemäß u. zum richtigen Zeitpunkt zu begleichen ... ". Auf die Wortbedeutung ebenfalls hinweisend LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 52. 57 An dem Vorhandensein dieses Vertrauens ändert auch die Tatsache nichts, daß die Praxis der Kreditvergabe extensiv mit Sicherheiten arbeitet. Denn die Sicherheiten ersetzen das Vertrauen nicht - vielmehr dienen sie zur Kompensation im Fall der Enttäuschung des ursprünglich gewährten Vertrauens. Ein Gläubiger, der davon überzeugt ist, daß der Schuldner zur Leistung nicht in der Lage sein wird, wird kaum dem Vertrag zustimmen und Sicherheit verlangen. Vielmehr wird er von dem Vertrag als solchem Abstand nehmen (ähnlich Hammer/, Bankrottdelikte, S. 116 mit Verweis auf die Bankenpraxis, Fn. 519). Das Mißtrauen, das zur Bestellung von Sicherheiten führt, bewegt sich mithin auf einer anderen Ebene als das "primäre" Vertrauen in die Leistungsfahigkeit bzw. -willigkeit des Schuldners. Es bezieht sich auf die stets gegebene Möglichkeit, daß bestehendes Vertrauen enttäuscht werden kann, und

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diesen Akt des Vertrauens bewältigt der Gläubiger (in gewissen Grenzen) die vorhandene Ungewißheit hinsichtlich der Erfüllung seiner Forderung. Denn insoweit betrachtet er die Zukunft bei seiner Entscheidung über den Abschluß des Vertrages als sichers8 und braucht ihn beeinträchtigende alternative Möglichkeiten des Schuldnerverhaltens bei seiner Entscheidung nicht zu berücksichtigen. Der Gläubiger verläßt sich darauf, daß die Erfüllung seines Anspruchs allein mit den üblichen wirtschaftlichen Risiken behaftet ist und nicht durch zusätzlich vom Schuldner gesetzte Risiken bedroht wird. Ungeachtet seiner rechtlichen Verbindlichkeit reduziert das Versprechen des Schuldners daher Unsicherheit. b) Enttäuschtes Vertrauen und Strafrecht als ultima ratio Enttäuscht der Schuldner die berechtigten Erwartungen (indem er entweder seine Leistungsfähigkeit nicht erhält bzw. reduziert oder trotz Leistungsfähigkeit nicht leistet), so gewinnt für die strafrechtliche Bewältigung des dann entstehenden Konfliktes Bedeutung, welche Möglichkeiten der Gläubiger besitzt, die Erfüllung des Versprechens trotz der enttäuschten Erwartung noch zu erreichen. Enttäuscht der Schuldner das Vertrauen bezüglich seiner Leistungswilligkeit, so bietet die Einzelzwangsvollstreckung dem Gläubiger auf relativ einfache Art die Möglichkeit, die unterbliebene (aber objektiv) mögliche Leistungshandlung des Schuldners durch ein Handeln der staatlichen Vollstreckungsorgane zu substituieren und sein Interesse durchzusetzen. Durch die Einzelzwangsvollstreckung kann folglich enttäuschtes Vertrauen in die Leistungswilligkeit kompensiert werden. Demgegenüber besteht - abgesehen von der schwer durchsetzbaren Möglichkeit der Gläubigeranfechtung (AnfG, §§ 29ff. KO) - keine Handhabe, enttäuschtes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit zu kompensieren: denn fehlendes Vermögen läßt sich nicht substituieren.59 Es ist die Substituierbarkeit des Leistungswillens, die dazu führt, daß nicht bereits die Nichterfüllung einer Verbindlichkeit bei Vorliegen einer vertragswidrigen Leistungsunwilligkeit60 inkriminiert ist, auch wenn hierin ein Vertrauensbruch liegen mag. Denn da der Gläubiger seine Interessen will gegen diese Unsicherheit bzw. gegen nicht beherrschbare Unsicherheiten "Sicherheit" bieten . .58 Luhmann, Vertrauen, S. 8: "Wer Vertrauen erweist, nimmt Zukunft vorweg." 59 Hiergegen kann sich der Gläubiger auch nicht durch Sicherheiten schützen. Denn er kann nicht sicher sein, daß der Schuldner nicht auch seine Sicherheiten reduziert, indem er diese auf andere Gläubiger wirksam überträgt oder anderweitig beseiteschafft. 60 Auch bei § 263 StGB (Eingehungsbetrug) wird nicht die Leistungsunwilligkeit, sondern die darauf bezogene Täuschung, die zur Selbstschädigung führt, inkriminiert. Statt aller: SKSamson, § 263, Rn. 11, 165ff. mit Nachweisen.

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selbst (i.e. unter Zuhilfenahme der staatlichen VoUstreckungsorgane) erfolgreich durchsetzen und der Konflikt zur Zufriedenheit des Gläubigers ohne Rückgriff auf das Strafrecht gelöst werden kann, hat die Enttäuschung der Erwartungen hinsichtlich der Leistungswilligkeit vergleichsweise geringe Folgen. Zu deren Vermeidung wäre der Einsatz des Strafrechtes unverhältnismäßig (Strafrecht als ultima ratio).61 Strafrechtliche Haftung greift erst dann ein, wenn der Schuldner an dem nicht substituierbaren Teil seines Versprechens, sc. bei der Leistungsfähigkeit, Manipulationen vornimmt. Solche Manipulationen haben zur Folge, daß der Leistungserfolg beim Gläubiger - selbst bei vorliegendem oder substituiertem Leistungswillen - mangels Vermögen nicht mehr oder nur quotal eintreten kann. Die Enttäuschung des Vertrauens hinsichtlich der Leistungsfähigkeit führt daher zu erheblichen Interessenverletzungen bei den Gläubigern. Diese Überlegungen führen zum Tatbestand des § 283 StGB: Denn Gegenstand der Regelungen des § 283 StGB sind Verhaltensweisen, durch die der Schuldner das in ihn gesetzte Vertrauen der Gläubiger in bezug auf die Leistungsfähigkeit62 enttäuscht. Das spiegelt sich in der Verhaltensnorm des § 283 StGB wider, die sich auf die Erhaltung der Erfüllungsfähigkeit bezieht.63 Entgegen seinem Versprechen, sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung fähig zu erhalten, vermindert der Schuldner trotz bereits eingetretener Krise seine Erfüllungsfähigkeit durch Reduzierung seines Vermögens64 oder bewirkt durch Informationsmanipulationen, daß den Gläubigern das Maß der verbliebenen Leistungsfähigkeit verschleiert wird und sie daher ihre Interessen nicht in effektiver Weise verfolgen können. Durch solche Handlungen zerstört der Schuldner die (u.a.) aus Erwartungen an das schuldnerische Verhalten bestehende Grundlage, auf der der Gläubiger sich ursprünglich 61 Vgl. zur Subsidiaritätsgrundsatz im Wirtschaftsstrafrecht: Tiedemann, Gutachten, S. 33f.; Duo, 'ZStW 1984, 339, 342ff.; Volk, JZ 1982, 85, 88. 62 Hierin liegt die verbindende Klammer zwischen den Bankrottdelikten (§ 283ff. StGB) und der Vereitelung der Zwangsvollstreckung (§ 288 StGB). In beiden Fällen geht es um Manipulationen an der Leistungsfahigkeit als nicht substituierbarem Teil eines LeistungsversJr~chens.

AhnIich - wenngleich durch die Erstreckung auf den Leistungswillen noch weitergehend

- /Undhäuser, Gefährdung, S. 319, der meint, die Verhaltensnormen des § 283 StGB hätten die

Funktion, "Sorgelosigkeit bei der Kreditvergabe bzw. der Erbringung von Arbeitsleistungen hinsichtlich der Fähigkeit und dem Willen zur Erlüllung der Gegenleistung zu vermitteln". 64 Zur KlarsteIlung sei darauf hingewiesen, daß sich das Versprechen zur Erhaltung der Erlüllungsfahigkeit und entsprechend das Vertrauen nur auf solche Umstände bezieht, die der Schuldner beherrschen kann. Auch insoweit erstreckt sich das Versprechen nur auf das, was von dem Schuldner objektiv vernünftigerweise zu erwarten ist. Nimmt der Schuldner Dispositionen (Lebensunterhalt, Aufrechterhaltung des Betriebes etc.) vor, deren Unterlassung vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte (die mithin den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft entsprachen), so enttäuscht er das Vertrauen nicht (näher unten, S. 385).

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zur Eingehung des Vertrages und zur Begründung der Forderung entschieden hatte. Hierin liegt die Verletzung anfänglichen Vertrauens. Dieses Vertrauen ist eine eigene schutzwürdige Position, deren Bedeutung für die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Denn dieses Vertrauen bildet die Grundlage dafür, daß die mit der Begründung von Forderungen verbundene Ungewißheit bewältigt werden kann und im Wirtschaftsverkehr überhaupt "Kredit"-Entscheidungen getroffen werden können. Es macht die Teilnahme am mit erheblichen Risiken behafteten Wirtschaftsverkehr hinsichtlich vieler Arten von Transaktionen erst möglich. 65 Insoweit ist es (aus der Entscheidungsperspektive des Menschen) das notwendige Korrelat zur Risikobehaftetheit des (wirtschaftlichen) Verkehrs. Risiko und Vertrauen stehen in einer unauflösbaren Wechselbeziehung. Neben den Insolvenzinteressen der Gläubiger schützt § 283 Absatz 1 StGB daher auch das jeder Vertragsbeziehung eigene Vertrauen der Gläubiger gegenüber dem Schuldner darauf, daß dieser - soweit es für ihn beherrschbar ist und es erwartet werden kann - die versprochene Erhaltung

65 So tendenziell bereits RGSt 9, 134, 135 zur ratio legis der Konkursdelikte mit Hinsweis auf die "Sicherung" des kaufmännischen Kredits. Ebenso - im Zusammenhang mit überindividuellen Rechtsgütern - LK-Tiedemann, § 283, Rn. 52 mit Nachweisen. Das aufgezeigte Vertrauen entspringt der Eigenart der Beziehung zwischen Gläubigem und Schuldnern, die sich aus dem konkreten Leistungsversprechen (bzw. eine gesetzliche Leistungspflicht) ergibt. Das hier gemeinte Vertrauen darf weder mit einem von den Vertragsschließenden bewußt eingeführten, konkretisierten Vertrauen in der Täter-Opfer-Beziehung noch mit dem allgemeinen abstrakten "Systemvertrauen" in die Wirksamkeit institutionalisierter Ordnungen als "Vertrauensgrundlage in die sozialen Beziehungen" verwechselt werden. Von diesen Arten des Vertrauens ist das vorstehend Entwickelte abzugrenzen. Es steht gleichsam zwischen ihnen. Es entspringt der Natur des Leistungsversprechens in der Gläubiger-Schuldner-Beziehung und ist insoweit konkreter bzw. spezieller als das allgemeine Systemvertrauen in die Rechtspflege bzw. in die Wirksamkeit institutionalisierter Ordnungen oder das Vertrauen gegenüber den Rechtsgenossen in die Normkonformität ihres Verhaltens (unter Hinweis auf das allgemeine Systemvertrauen bejaht insbesondere Otto, ZStW 1984, 343f. das Vertrauen in die Funktionsfahigkeit der Kreditwirtschaft als Rechtsgut der Konkursdelikte). Als notwendiger Bestandteil einer jeden Gläubiger-Schuldner-Beziehung reicht es über ein im Einzelfall entgegengebrachtes besonderes Vertrauen zwischen den Beteiligten hinaus und ist allgemeinerer Art (vgl. zum konkret gewährten besonderen Vertrauen bei § 283 StGB insbesondere Hammerl, Bankrottdelikte, S. 116: "persönliche Vertrauenswürdigkeit der Mitglieder der Wirtschaftsgesellschaft"; diese Art des Vertrauens wird insbesondere von den Gegnern des Vertrauens als Rechtsgut des § 283 StGB angegriffen. Sie weisen - zu Recht darauf hin, daß Wirtschaftsdelikte nicht stets mit der Verletzung konkreten Vertrauens einhergehen. Allerdings werden die unterschiedlichen Bezugspunkte des Vertrauens von den Kritikern nicht immer hinreichend voneinander unterschieden; Volk, JZ 1982, 86; Baumann, JZ 1983, 937; Richter, in: Müller-Gugenberger, S. 51f.).

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seiner Erfüllungsfähigkeit auch in der Krise zum wesentlichen Motiv seines wirtschaftlichen Handelns macht. c) Personale Vermögenslehre und Gläubigervertrauen Es verbleibt, das aufgezeigte Gläubigervertrauen anerkannten Rechtsgütern zuzuordnen. Zu denken wäre daran, das Gläubigervertrauen als Teil der Dispositionsfreiheit zu begreifen und bei § 283 StGB neben das Rechtsgut 'Vermögen' das weitere Rechtsgut der 'Dispositionsfreiheit' der Gläubiger66 zu stellen. Diese Erweiterung ist jedoch nicht erforderlich, denn das Vertrauen der Gläubiger, das von § 283 StGB geschützt wird, stellt sich im Ergebnis als Komponente des 'Vermögens' dar. Auszugehen ist von der immer stärkere Anerkennung erfahrenden personalen Vermögenslehre. Nach dieser umfaßt der Begriff des Vermögens neben den geldwerten Mitteln als zweite Komponente auch die Beziehung des Vermögensinhabers zu diesen Mitteln. 67 Teil des Vermögens ist auch "der wirtschaftliche Handlungsspielraum, den der Einzelne aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Mittel hat und der ihm die Entfaltung seiner Persönlichkeit in dem Bereich ermöglicht, in dem es um die Verwirklichung seiner individuellen wirtschaftlichen Ziele geht,,68. Das zuvor aufgezeigte Vertrauen und jener Handlungsspielraum stehen in einem engen Zusammenhang. Denn das Vertrauen bildet eine wesentliche Grundlage dafür, sein Vermögen im Rahmen schuldrechtlicher (Kredit)Bindungen zum Einsatz bringen zu können. 69 Indem der Einzelne anderen Vertrauen entgegenbringt, verarbeitet er die im Zusammenhang mit dem Einsatz des Vermögens von den Anderen ausgehenden Risiken. Durch das Vertrauen erweitert sich der wirtschaftliche Handlungsspielraum desjenigen, der sein Vermögen im Rahmen einer Kreditbeziehung einsetzt. Denn die zu beachtenden Verlustrisiken, die ein wesentliches Kriterium bei Entscheidungen über den Vermögenseinsatz bilden, werden durch das Ver66 Vgl. zu einer aus dem Wahrheitsanspruch beim Betrug abgeleiteten Anerkennung der Dispositionsfreiheit als eigenständigem Rechtsgut bei § 263 StGB: Kindhäuser, 'ZStW 1991, 398ff. 67 Dtto, 'ZStW 1984, 339, 360; derselbe, Strafrechtlicher Verrnögensschutz, S. 26-84; zusammenfassend SchönkejSchröder-Cramer, § 263 Rn. 81. 68 Schmidhäuser, Besonderer Teil, S. 112. 69 Grundlegend zum Verhältnis von Vertrauen und schuldrechtlichen Bindungen: Canaris, Vertrauenshaftung, S. 49lff.

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trauen erheblich verengt und (weitgehend) auf solche Umstände reduziert, die der Beherrschbarkeit der konkret Beteiligten entzogen sind. Indem das Vertrauen die freie Gestaltung der wirtschaftlichen Realität der Einzelnen durch das Eingehen von Bindungen mit anderen im Rahmen von Kreditgeschäften ermöglicht, gehört es zu den Voraussetzungen der freien und rationalen (i.e. verläßlichen) Interaktion der Wirtschaftssubjekte.70 Insofern ist es der Freiheit von Täuschung und Zwang bzw. der Freiheit, die Ziele des wirtschaftlichen Handelns zu bestimmen, ähnlich. Das Vertrauen stellt sich damit letztlich als elementare Bedingung für den Einsatz des eigenen Vermögens in einer Wirtschaftsordnung dar, die maßgeblich davon geprägt ist, daß Vermögen unter Einbeziehung anderer Subjekte eingesetzt wird und eine zeitweise Überlassung von Kapital erfolgt. Das hier aufgezeigte Vertrauen kann von einem auf die wirtschaftlichen Realitäten bezogenen, modernen Vermögensbegriff nicht abgespalten werden, sondern ist sein Bestandteil. Jede Enttäuschung dieses Vertrauens tangiert ihrerseits den erläuterten Handlungsspielraum im Sinn der personalen Vermögenslehre, denn sie erschüttert die Grundlage für den Umgang mit dem eigenen Vermögen. Nach alle dem ist die hier beschriebene Vertrauenskomponente Bestandteil des Vermögensbegriffs der zugrunde zu legenden personalen Vermögenslehre. 11. Überindividuelle Rechtsgüter bei § 283 Absatz 1 StGB ?

1. "Wirtschaftsstrafrecht", Verhaltensnorm und Rechtsgut

Die Kontroverse um die Anerkennung eines überindividuellen Rechtsgutes bei § 283 StGB71 ist eng mit dem bereits Jahrzehnte währenden Bestreben verknüpft, das Spezifikum des Wirtschaftsstrafrechts zu beschreiben. Zurückgehend auf Lindemann72 wird dies von der heute herr70 "Wenn ich mich darauf verlasse, daß andere mit mir abgestimmt handeln oder unterlassen, kann ich mein eigenes Interesse selbst rationaler verfolgen ... ", Luhmann, Vertrauen, s. 24. Dies gilt in gleicher Weise für den Einsatz des eigenen Vermögens. Vgl. auch zum ähnlich gelagerten Problem der Erweiterung des Handlungsspielraums im Zusammenhang mit Vertrauen: das Beispiel zweier Gefangener, die sich jeder durch Geständnis mit Belastung des anderen eine Strafmilderung erkaufen könnten und ohne Geständnis nur wegen eines geringeren Deliktes überführt werden können (sog. Gefangenendilemma). Rational - i.e. das Risiko einer hohen Strafe vermindernd und also den Handlungsspielraum erweiternd - wäre hier bei Vertrauen das Schweigen (eingehend Höfte, Gerechtigkeit, S. 419ff.; dazu auch Kindhäuser, Gefahrdung, S. 154ff.; Deutsch, The Journal of Conflict Resolution 1958, 265ff.). 71 Nachweise bei LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 43ff. 72 Lindemann, Wirtschaftsstrafrecht, S. 19.

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sehenden Ansicht in der "Verletzung von überindividueUen (sozialen) Rechtsgütern des Wirtschaftslebens,,73 gesehen. Ausgehend von diesem Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts soU es den Konkursdelikten zukommen, als sozial-überindividueUes Rechtsgue4 die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft7s zu schützen. Noch weiter gehen Lackner u.a.76, die die Gesamtwirtschaft als Schutzgut des § 283 StGB sehen. Die These von der Existenz überindividueUer Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht wird bis heute angegriffen. Gegen sie wird vorgetragen, sie schlösse wirtschaftliche Verstöße zugunsten oder zu Lasten nur einzelner Betriebe aus dem Begriff des Wirtschaftsstrafrechtes aus. Sie sei überdies kriminalpolitisch bedenklich, denn sie beseitige die Scheu des Gesetzgebers vor abstrakten Gefährdungsdelikten.77 Demgegenüber wird zu Recht eingewandt, daß die Anerkennung eines Rechtsgutes nicht die Inkriminierung jeder Form seiner Verletzung präjudiziere78. Überdies habe das moderne Wirtschaftsleben zur Entstehung zahlreicher mediatisierter Zwischenrechtsgüter79 geführt, die zwischen den "Interessen des Staates und (den) Interessen des einzelnen Wirtschafters sowie Verbrauchers,,80 anzusiedeln seien. Außerstrafrechtlich seien diese als überindividueUe Werte bereits anerkannt. Ihre Entstehung habe "neue SchutzbedÜTfnisse,,81 mit sich gebracht, denen strafrechtsdogmatisch durch die Anerkennung als soziales Rechtsgut Rechnung zu tragen sei. Der Streit um die Existenz überindividueUer Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht kann hier im Grundsatz nicht weiter nachgezeichnet und entschieden werden. Zumindest derjenige, der in anderen Bereichen des Strafrechts überindividueUe Rechtsgüter anerkennt (z.B. die Sicherheit des 73 Lampe, HdWW, S. 311 (kritisch: die herrschende Ansicht habe zu einem "inflationären Erfolg" bei der "umfassenden Suche nach überindividuellen Rechtsgütern" geführt.) 74 Tiedemann, JuS 1989, 689, 691. 7S Dreher-Tröndle, vor § 283, Rn. 3.; LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 43ff.; derselbe, ZIP 1983, 513,520; Otto, Jura 1989,24,32; Sachverständigenkommission, Tagungsberichte, Band 111, Anl. 5, S. 12 (Eulencamp). 76 Lackner, § 283, Rn. 1. Schönke/Schröder-Stree, vor §§ 283ff., Rn. 2; Wessels, Besonderer Teil, S. 109; SchJüchter, JR 1979, 512, 515. 77 Zu den Einwänden Lampe, HdWW, S. 31H.; Höfner, Überschuldung, S. 28ff.; Volk, JZ 1982,87; allgemein Lüderssen, Strafanspruch, S. 7ff. 78 Erwidernd Otto, ZStW 1984, 339, 345ff.; Baumann, JZ 1983, 935ff.; der Einwand trifft jedenfalls für die Sorge vor der Schaffung neuer Tatbestände zu - vgl. aber zum Problem der extensiven Auslegung bereits bestehender Tatbestände infolge der Anerkennung überindividueller Rechtsgüter sogleich im Text. 79 Terminus von Schünemann, JA 1975, 647. 80 Tiedemann, JuS 1989, 689, 691. Ähnlich derselbe, Tatbestandsfunktionen, S. 118ff. 81 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 118ff., bezugnehmend auf die Einführung des KWG als späte Folge der Bankenkrise in den 30er Jahren bzw. auf § 264a StGB.

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Straßenverkehrs bei § 315c StGB, die Sicherheit des Beweisverkehrs bei den § 267ff. StGB, die Integrität des Beamtenapparates bei den Amtsdelikten),

kann die Möglichkeit ihrer Existenz bei den Wirtschaftsdelikten jedenfalls nicht prinzipiell ausschließen. Im Einklang mit der herrschenden Ansicht82 wird die Existenz überindividueller Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht hier prinzipiell angenommen. Damit ist die Existenz eines überindividuellen Rechtsgutes bei § 283 StGB indessen noch nicht begründet. Denn es begegnet grundsätzlich Bedenken, das überindividuelle Rechtsgut einzelner Tatbestände ausgehend von dem Begriff des Wirtschaftsstrafrechtes zu bestimmen. Grundlage der Rechtsgutsbestimmung bildet allein die Strafnorm. In diesem Zusammenhang treten zwei Aspekte ins Blickfeld, deren Vernachlässigung durch die herrschende Ansicht - ungeachtet der später zu erörternden sachlichen Einwände - zu einer ungerechtfertigt weiten Bestimmung des überindividuellen Rechtsgutes bei § 283 StGB geführt hat. Zunächst gilt, daß die Tauglichkeit der Rechtsgutsbestimmung für das Strukturverständnis und die Auslegung eines Tatbestandes (insbesondere für den unbestimmten Rechtsbegriff der Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft) davon abhängt, daß das Rechtsgut so präzise wie möglich und auf niedriger Abstraktionsstufe herausgearbeitet wird.&3 Dies gilt insbesondere für überindividuelle Rechtsgüter - "überindividuell" bezieht sich allein auf die Abstraktion vom individuellen Rechtsgutsträger in Richtung auf ein allgemeines, soziales Gut, nicht aber auf möglichst hohe Abstraktion bei seiner Bestimmung. Aus der allgemeinen Rechtsgüterlehre folgt überdies, daß das überindividuelle Rechtsgut in gleicher Weise wie das individuelle Rechtsgut aus der Strafnorm, also aus der dem Tatbestand eigenen Verhaltensnorm, abzuleiten ist.84 Aus Gründen der strafrechtlichen Systemkonsistenz können überindividuelle Rechtsgüter bei den einzelnen Strafnormen grundsätzlich nur in den Grenzen anerkannt und nur gegen solche Verletzungsmodalitäten geschützt werden, die durch den Inhalt der Strafnorm vorgezeichnet sind.85 Dieser Grundsatz erlangt insbesondere bei den Strafnormen BedeuStatt aller LK-Tiedemann, vor § 283, Rn. 51 mit zahlreichen Nachweisen. Für das Wirtschaftsstrafrecht Tiedemann, Tabestandsfunktionen, S. 12Off.; derselbe, in: LI