Opfer - Beute - Hauptgericht: Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs 9783839435076

Killing is a fundamental characteristic of the relationship between humans and animals, which is bound up in both manife

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German Pages 316 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Opfer – Beute – Hauptgericht. Tier tötungen im interdisziplinären Diskurs
Orientalische Antike und Altes Testament
Priester als Metzger? Orientalisch-theologische Aspekte der Tier tötung
»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2). Tier tötung im Alten Testament
Das Geschlecht der Opfertiere. Überlegungen anhand von Opferbestimmungen der Tora
Vom Wert des Lebens und der Relevanz des Todes.Das Opfer und die Frage nach Betrauerbarkeit in Gen 22,1-19
Klassische Antike und Neues Testament
The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts
Mittelalter
Tierexekutionen in Mittelalter und Frühneuzeit
Frühe Neuzeit
Farbenprächtige Zeremonie, historisches Theater oder mehr? Zu Tieropferdarstellungen in der holländischen. Malerei der ersten Hälf te des 17. Jahrhunderts
Vergnügung, Schutz und Ausrottung. Tier tötungen im Spiegel hessischer Bild- und Schrif tquellen des 17. und 18. Jahrhunderts
19. und 20. Jahrhundert
Für Felle, Fleisch und Filme. Die koloniale Jagd in Afrika und ihre Hierarchien des Tötens
Drei Arten Sterben
Tier tötungen in der Geschichte Zoologischer Gär ten
Wiebke Reinert
Gegenwart
Die Tiertötung als rituell-künstlerische Handlung im Kontext von Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater
Geschmackvolle Tiertötung – Die aufregende neue Bildsprache der »BEEF!«?
Tod im Labor – Zur Dialektik von Methode und Leben
Die Erfahrung vom sterbenden Tier. Phänomenologische Perspektiven auf das Töten von Tieren
Zu den Autor_innen und Herausgeber_innen
Abbildungsverzeichnis
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Opfer - Beute - Hauptgericht: Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs
 9783839435076

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Alexis Joachimides, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Yvonne Sophie Thöne (Hg.) Opfer – Beute – Hauptgericht

Human-Animal Studies

2016-07-27 11-19-39 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0140436002663458|(S.

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4) TIT3507.p 436002663466

2016-07-27 11-19-39 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0140436002663458|(S.

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4) TIT3507.p 436002663466

Alexis Joachimides, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Yvonne Sophie Thöne (Hg.)

Opfer – Beute – Hauptgericht Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs

2016-07-27 11-19-39 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0140436002663458|(S.

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4) TIT3507.p 436002663466

Dieser Band ist im Zusammenhang mit den Forschungen des LOEWE-Schwerpunkts »Tier – Mensch – Gesellschaft: Ansätze einer interdisziplinären Tierforschung« an der Universität Kassel entstanden. Die Drucklegung wurde durch Mittel der Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst ermöglicht.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Assyrisches Palastrelief, 7. Jh. v. Chr.; Relief aus: Hieke, Thomas: Levitikus 1-15 Korrektorat: Dr. Frank Hermenau Satz: Peter Oberhuber | Visuelle Kommunikation, www.peteroberhuber.de Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3507-2 PDF-ISBN978-3-8394-3507-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2016-07-27 11-19-39 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0140436002663458|(S.

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Inhalt Vorwort Yvonne Sophie Thöne, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Alexis Joachimides | 9

Opfer – Beute – Hauptgericht Tier tötungen im interdisziplinären Diskurs Yvonne Sophie Thöne, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Alexis Joachimides | 11

O rientalische A ntike und A ltes T estament Priester als Metzger? Orientalisch-theologische Aspekte der Tier tötung Florian Lippke | 23

»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2) Tier tötung im Alten Testament Ute Neumann-Gorsolke | 47

Das Geschlecht der Opfertiere Überlegungen anhand von Opferbestimmungen der Tora Ilse Müllner | 69

Vom Wert des Lebens und der Relevanz des Todes Das Opfer und die Frage nach Betrauerbarkeit in Gen 22,1-19 Yvonne Sophie Thöne | 91

K lassische A ntike und N eues T estament The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts Maria-Zoe Petropoulou | 113

M ittelalter Tierexekutionen in Mittelalter und Frühneuzeit Peter Dinzelbacher | 133

F rühe N euzeit Farbenprächtige Zeremonie, historisches Theater oder mehr? Zu Tieropferdarstellungen in der holländischen Malerei der ersten Hälfte des 17. Jahrhunder ts Martina Sitt | 151

Vergnügung, Schutz und Ausrottung Tier tötungen im Spiegel hessischer Bild- und Schriftquellen des 17. und 18. Jahrhunder ts Christian Presche | 165

19. und 20. J ahrhundert Für Felle, Fleisch und Filme Die koloniale Jagd in Afrika und ihre Hierarchien des Tötens Stephanie Zehnle | 189

Drei Arten Sterben Tier tötungen in der Geschichte Zoologischer Gär ten Wiebke Reinert | 211

G egenwart Die Tiertötung als rituell-künstlerische Handlung im Kontext von Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater Stephanie Milling | 229

Geschmackvolle Tiertötung – Die aufregende neue Bildsprache der »BEEF!«? Daniel Wolf | 241

Tod im Labor – Zur Dialektik von Methode und Leben Kristian Köchy | 265

Die Erfahrung vom sterbenden Tier Phänomenologische Perspektiven auf das Töten von Tieren Martin Huth | 291

Zu den Autor_innen und Herausgeber_innen | 307 Abbildungsverzeichnis | 311

Vorwort Yvonne Sophie Thöne, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Alexis Joachimides

Die Tötung von Tieren ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und dennoch meistens unsichtbar. Zu zeigen, dass dem nicht immer so war, und die verborgenen Akte der Tötung wieder sichtbar zu machen, ist Anliegen des vorliegenden Bandes. Er geht zurück auf eine gleichnamige Tagung, die im März 2015 an der Universität Kassel stattgefunden hat. Wissenschaftler_innen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen kamen über die Tötung von Tieren miteinander ins Gespräch und es zeigte sich, wie Geistes- und Naturwissenschaften hier einander bereichern können. Insgesamt über drei Tage haben sich Forschende aus den Agrarwissenschaften, der Geschichts-, Kunst- und Literaturwissenschaft, der Philosophie, Theologie und Veterinärmedizin im Rahmen der Tagung mit der Geschichte, den Formen und den Begründungen der Tiertötung beschäftigt. Dabei ist deutlich geworden, dass sich unter diesem Analysefokus die jeweiligen Tier-Mensch-Beziehungen signifikant beschreiben lassen. Die Herausgeber_innen sind Mitglieder des Forschungsschwerpunkts »Tier – Mensch – Gesellschaft: Ansätze einer interdisziplinären Tierforschung« der Universität Kassel. In diesem interdisziplinär angelegten Schwerpunkt, getragen vom LOEWE-Programm des Landes Hessen, erforschen über 30 Wissenschaftler_innen gemeinsam die Beziehungen von Menschen und (anderen) Tieren in Geschichte und Gegenwart. Demzufolge entstammen auch viele der Autor_innen des Bandes diesem Verbund. Beiträge weiterer Kolleg_innen ergänzen und erweitern das Spektrum an Fragestellungen, historischen Epochen und Untersuchungsgegenständen. Der Auf bau dieses Bandes orientiert sich, um der Diversität der Beiträge Raum zu geben, an der historischen Chronologie, beginnend mit der orientalischen Antike und den Texten des Alten Testaments sowie der klassischen Antike samt Neuem Testament über Mittelalter und Frühe Neuzeit bis hin zu gegenwärtigen Diskursen. Dabei wird das breite Spektrum von Tötungsarten und deren jeweiligen Begründungen deutlich – das tierliche Leben endet in kultischen Zeremonien, bei der Jagd, im Tierversuch oder für die Nahrungsmittelgewinnung. Tiere erscheinen so als Opfer, als Beute oder als Hauptgericht; in jedem Fall geht

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es aber nicht zuletzt um das jeweilige Tier als Subjekt. Bei alledem zeigt sich, dass die Analyse von längst Vergangenem stets auch aktuelle Perspektiven eröffnet. Als Veranstalter_innen der genannten Tagung und als Herausgeber_innen dieses Bandes haben wir Anlass für vielfache Danksagung. Zunächst einmal sei allen Teilnehmer_innen der Tagung gedankt, die einen anregenden Austausch und konstruktive Diskussionen über Fachgrenzen hinaus möglich gemacht haben. Herzlich danken wir auch jenen, die an der Organisation und Durchführung der Tagung sowie an der Erstellung dieses Sammelbandes mitgewirkt haben, insbesondere Frank Hermenau, Theresa Michel, Ann-Sophie Scheu und Patricia Witzel für das sorgfältige Korrekturlesen der Beiträge sowie Peter Oberhuber für den Satz. Darüber hinaus sei herzlich dem LOEWE-Programm des Landes Hessen für die großzügige finanzielle Unterstützung gedankt, ohne die dieses Buch nicht hätte verwirklicht werden können. Kassel, Juli 2016

Opfer – Beute – Hauptgericht Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs Yvonne Sophie Thöne, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Alexis Joachimides

Das Töten von Tieren, da werden sich die meisten Menschen einigen können, ist kein angenehmes Thema. Aus genau diesem Grund verdrängt man es gern – aus den Augen, aus dem Sinn. Gleichzeitig töten Menschen heute so viele Tiere wie noch nie zuvor in der nicht gerade friedlichen Geschichte ihres Zusammenlebens. Der Tiertod ist zu einem alltäglichen Hintergrundrauschen geworden.1 »Wegsehen braucht fast niemand mehr, weil das Geschehen unsichtbar geworden ist.«2 Dabei lassen sich Fragen nach dem Subjektstatus und der Agency von nichtmenschlichen Tieren, nach dem Mensch-Tier-Verhältnis und seinen ethischen Implikationen unter der Thematik der Tiertötung signifikant formulieren. Die Entscheidung, Tiertötungen zum Thema eines interdisziplinär angelegten Sammelbandes zu machen, lag daher nahe. Verklammert werden nicht nur verschiedene Fachgebiete, die sich sonst eher selten austauschen, auch historisch verbindet der vorliegende Band weit auseinanderliegende Epochen, angefangen mit Opferpraktiken in der Antike bis zur Schlachtpraxis von heute. Mit dem historischen Wandel geht ein Wandel des Modus einher, der die Tötung bestimmt: Zwischen ritueller Opferung und heutiger Schlachtung liegen Welten. Dennoch lassen sich Gemeinsamkeiten entdecken.

K ulturgeschichte der Tiertötung Der Tod ist untrennbar mit dem Leben verknüpft und insofern »natürlich«. Mit Blick auf die Todesarten sowie das Verhältnis der Menschen zum Tiertod wird allerdings deutlich, dass auch der Tod eine Geschichte hat.3 Als natürliche Todesarten können für nichtmenschliche Tiere neben Krankheit und Altern auch 1 |  Vgl. J. Ullrich/A. Ulrich: Editorial, S. 7. 2 |  J.H. Reichholf: Bedeutung der Tiere, S. 23. 3 |  Vgl. P.-R. Becker/G. Bernhardt: Tiertod, S. 7.

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der Beute- sowie der Unfalltod gelten. Im Fokus dieser Publikation steht der vom Menschen verursachte Tiertod. Das Töten nichtmenschlicher Tiere ist ein Strukturmerkmal der Mensch-Tier-Beziehung und spiegelt die Macht des Menschen über (andere) Tiere deutlich wider. 4 Seit dem Auftreten des jagenden Menschen im Paläolithikum5 wurden Tiere vor allem ihres Fleisches wegen getötet. Daneben dienten ihre Felle als Kälteschutz und ihre Knochen als Material zur Anfertigung von Werkzeugen und Waffen. Nichtmenschliche Tiere wurden so zu einer lebenden Rohstoffreserve für den Menschen.6 Durch die Entwicklung immer effektiverer Jagdmethoden und Fernwaffen (Pfeil und Bogen, Wurflanze und Harpune) kam es bereits vor 13.000 bis 20.000 Jahren zur Ausrottung einzelner Tierarten durch den Menschen.7 Bemerkenswert ist, dass wohl schon in den frühen Jäger_innenkulturen zahlreiche Jagd- und Entschuldungsrituale existierten, was in der Betrachtung des erlegten Tieres als ein dem Menschen verwandtes, beseeltes Wesen begründet liegen kann. Durch die Tötung luden die Jäger_innen Schuld auf sich, die es durch die rituelle Hinwendung zum Tier – etwa durch den besonderen Umgang mit dem Tierkörper, wie der Bestattung von Knochen oder das Verbinden/Entnehmen der Augen – oder zu einem Herrn bzw. einer Herrin der Tiere abzuwenden galt. 8 Ein Problembewusstsein hinsichtlich der Tötung von Lebewesen kann also schon früh in der menschlichen Geschichte angenommen werden. Im Zuge der neolithischen Revolution, deren Hauptaspekte die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht sind9, wurden die Menschen von Wildbeuter_innen zu Bäuer_innen und die domestizierten, tierlichen Individuen als »Nutz«- bzw. »Haustiere« markiert. Domestizierte Tiere – allen voran Schafe, Ziegen und Rinder – dienten auch als lebendiger Nahrungsvorrat für die Menschen. Eine Ausnahme davon bildete der Hund, der schon früh als Wächter, Hüter, Jagdhelfer und Begleiter der Menschen fungierte.10 Fortan lebten Menschen und domestizierte Tiere in einer räumlich wie sozial engen Symbiose. Dabei ist für die »Massenarten« (d.h. Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Geflügel) unter den domestizierten Tieren festzustellen, dass mit zunehmender Menge der Individuen die emotionale Bindung zu ihnen und damit ihre Wertschätzung sank, anders als dies in den Jäger_innenkulturen wohl noch gegeben war.11 Die Jagd selbst hingegen entwickelte sich zunehmend zu einem Privileg des Adels und des Klerus. 4 |  Vgl. The Animal Studies Group: Introduction, S. 4. Siehe auch N. Fiddes: Fleisch. 5 |  Vgl. G. Lorenz: Tiere, S. 27f. 6 |  Vgl. P.-R. Becker/G. Bernhardt: Tiertod, S. 8. 7 |  Vgl. G. Lorenz: Tiere, S. 28-30. Darauf weisen beispielsweise Skelettreste von etwa hunderttausend Wildpferden am Felsen von Solutré im frz. Burgund hin. 8 |  Vgl. G. Lorenz: Tiere, S. 248-254; K. Kotrschal: Evolutionäre Theorie, S. 64. 9 |  Zur Domestikation von Tieren im Neolithikum siehe G. Lorenz: Tiere, S. 37-40. 10 |  Vgl. J.H. Reichholf: Bedeutung der Tiere, S. 18-20. 11 |  Vgl. ebd., S. 20.

Opfer – Beute – Hauptgericht

Das enge Zusammenleben von Tieren und Menschen hielt im Wesentlichen an bis zum Zeitalter der Industrialisierung, welches das »Ende des Tierzeitalters« in dem Sinne darstellte, dass »im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert Tiere auf den ersten Blick aus dem Alltag der meisten europäischen Gesellschaften verschwunden zu sein scheinen und nur wenige mit den Menschen noch ein unmittelbares Verhältnis pflegen«12 . Mit den Tieren rückte auch der Tiertod zunehmend in die Ferne, entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts doch die ersten Schlachthöfe in Europa mit dem Ziel, die Seuchengefahr einzudämmen, und dem Nebeneffekt, das Töten im Alltag heute weitgehend unsichtbar gemacht zu haben.13 Der Einsatz von Fließbändern in Schlachthöfen seit dem frühen 20. Jahrhundert markiert den Beginn der industriellen Tiertötung zu Nahrungszwecken und hat zu solch einer enormen Effizienzsteigerung geführt, dass dieses Prinzip von Henry Ford zur Produktion von Automobilen übernommen wurde.14 Die Jagd auf Tiere, die durch umfassende Nutztierhaltung schon länger an Bedeutung für die Nahrungsmittelgewinnung eingebüßt hatte, war in Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht länger Adel und Klerus vorbehalten und verlor dadurch nach und nach ihre herrschaftsrepräsentative Funktion. Stattdessen nahm sie zunehmend die Form einer Freizeitbeschäftigung an. Mit der Großwildjagd seit der imperialistischen Kolonisation im 19. Jahrhundert, vor allem in Afrika, kamen jedoch neue hierarchische Dimensionen in den Blick.15 Der wissenschaftliche Tierversuch wurde im 19. und 20. Jahrhundert in der Humanmedizin in großem Umfang etabliert. Die Geschichte der Vivisektion beginnt bereits in der griechisch-römischen Antike. Der griechische Gelehrte Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) beschrieb in seinem Werk Historia animalium tödliche Eingriffe am lebenden Tier; der römische Arzt Galenus (2./3. Jh. n. Chr.) widmete sich ausführlich in De vivorum dissectione dem Studium insbesondere des Verdauungssystems, der Atmung, von Blutgefäßen und Nervenfunktionen im Tierversuch.16 Von Anfang an basierten diese Versuche auf einer Analogieannahme zwischen Menschen und (anderen) Tieren. Einen Aufschwung erlebte der Tierversuch in der Frühen Neuzeit, befördert durch das cartesianische Paradigma des Tieres als empfindungsunfähige Körpermaschine. Erste medizinische Experimente an Mäusen, die noch heute die typischen Versuchstiere darstellen, fanden 1664 statt; ab dem 19. Jahrhundert wurden verstärkt Ratten eingesetzt. Bis in die Gegenwart werden Tierversuche in großem Umfang betrieben; in Deutschland wurden im Jahr 2006 mehr als 2,5 Millionen Wirbeltiere für wissenschaftliche Zwecke eingesetzt.17 12 |  A. Steinbrecher: Geschichte, S. 266. 13 |  Vgl. G. Vogel: Tod im Schlachthof, S. 94. 14 |  Fleischatlas, S. 18. 15 |  Vgl. M. Balluch: Jagd, S. 181f. 16 |  Vgl. G. Lorenz: Tiere, S. 193-198. 17 |  Vgl. A. Prothmann: Humanmedizin; S. 189.

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Der Mensch im Industriezeitalter erlebt (andere) Tiere kaum in ihrer natürlichen Umwelt und auch das Töten findet in räumlicher Entfernung und unter Ausschluss der Öffentlichkeit – in Schlachthäusern, Fabriken und Laboratorien – statt. Dennoch kann das Töten von Tieren (und die indirekte Teilhabe am Tiertod) als vielleicht »verbreitetste menschliche Interaktion mit Tieren«18 betrachtet werden und ist insofern subkutan omnipräsent. Kulturgeschichtlich lassen sich also verschiedene Zwecke von Tiertötungen ausmachen, die sich auch im vorliegenden Sammelband wiederfinden. Die Tiertötung durch den Menschen zu Konsumzwecken thematisieren Beiträge zu Geschichte und Gegenwart (U. Neumann-Gorsolke, D. Wolf). Das Töten von Tieren für andere Tiere macht der zoohistorische Beitrag (W. Reinert) zum Thema. Daneben nimmt auch die rituelle Tötung von Tieren, beispielsweise im Kontext von Opferungen, welche die Tötung bewusst inszenieren, sakralisieren und damit auch legitimieren,19 eine zentrale Rolle insbesondere in vergangenen Kulturen ein (F. Lippke, I. Müllner, Y.S. Thöne, M.-Z. Petropoulou, M. Sitt). Weitere Aspekte der Tiertötung sind das Töten mit dem Zweck der Gefahrenabwehr (C. Presche) oder Prestigesteigerung (S. Zehnle), das Töten aus wissenschaftlichem Interesse (K. Köchy) sowie als Strafe (P. Dinzelbacher) und aus künstlerischen Beweggründen (S. Milling). Dem Tiertod aus phänomenologischer Sicht widmet sich der abschließende philosophische Beitrag (M. Huth).

A spek te der Tiertötung Ordnung und Performativität von Machtverhältnissen In der Tiertötung wird das – oft als natürlich empfundene – hierarchische Verhältnis zwischen Menschen und (anderen) Tieren sichtbar und stets neu reproduziert. Der höhere Wert, der dem Menschlichen gegenüber dem Tierlichen beigemessen wird, zeigt sich in der Tötung zu Zwecken des Verzehrs, des Opfers, der Forschung oder des Vergnügens. Durch diese Praxen und die dahinter stehenden Wahrnehmungsdispositionen wird, Judith Butler folgend, deutlich gemacht, wessen Leben als lebenswertes Leben gilt und wessen Tod als betrauerbar (Y.S. Thöne, M. Huth). Dies gilt auch für das Tierreich, innerhalb dessen hierarchische Binnenrelationen entworfen werden, etwa zwischen schützenswerten, weil seltenen Raubtieren und leicht zu vermehrenden Futtertieren in Zoologischen Gärten (W. Reinert). Eine ähnliche Differenzierung findet zwischen Haustieren wie Hunden und Katzen, die oft als Individuen und Familienmitglied wahrgenom-

18 |  P. Eitler/M. Möhring: Tiergeschichte, S. 105. Vgl. auch: The Animal Studies Group: Introduction, S. 1-9. 19 |  Vgl. W. Burkert: Homo Necans, S. 10.19; G. Lorenz: Tiere, S. 262f.

Opfer – Beute – Hauptgericht

men werden, und den Tieren, die von vornherein ›Fleisch‹ und zur Verfütterung vorgesehen sind, statt.20 Die Ordnung und performative Inszenierung von Machtverhältnissen zieht auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft eine Binnendifferenzierung bezüglich der Tötungshoheit nach sich. Dies findet beispielsweise Ausdruck in der Jagd, die lange Zeit dem Adel vorbehalten war, wobei die Jagd auf Hochwild und Parforce-Jagden sogar nur dem Hochadel gestattet waren (C. Presche). Auch die Großwildjagd unter kolonialen Bedingungen differenziert hierarchisch zwischen passiven Zuschauer_innen, den im medialen Hintergrund agierenden Jagdhelfer_innen und den davon abgehobenen, dominant auftretenden, weißen (männlichen) Jägern, worin sich die Tiertötung als kolonialer Herrschaftsakt erweist (S. Zehnle). Bei der analytischen Betrachtung der Tötung nichtmenschlicher Tiere spielt häufig das Geschlecht eine Rolle, sei es das der getöteten Tiere oder das der tötenden Menschen. Dabei ist von der Antike bis in die Gegenwart eine symbolische Höherwertung des Männlichen auszumachen, etwa wenn in den alttestamentlichen Opferbestimmungen männliche Opfertiere den weiblichen vorgezogen werden (I. Müllner) oder in der kolonialen Jagd in der Frühen Neuzeit hegemoniale Männlichkeit (und gleichzeitig weiße Überlegenheit) seitens der Jagenden demonstriert wird (S. Zehnle). Geschlechterdifferenzen werden auch über Ernährung hergestellt. Im Horizont gegenwärtig wieder vermehrt auflebender Rollenklischees ist fleischbetontes Essverhalten dezidiert männlich konnotiert (D. Wolf), sind mit Fleisch assoziierte symbolische Werte wie Kraft, Stärke und Leistungsfähigkeit doch traditionell »männliche« Eigenschaften.21 Noch als deren Steigerung können die eigenhändige (oder zumindest visuell partizipierende) Tötung, Zerlegung und Zubereitung von Tieren als besonders tatkräftiger Ausdruck von Männlichkeit und damit als Form des Doing Gender gelten. Die Mensch-Tier-Beziehung stellt sich im Kontext der Tiertötung also als eine zutiefst hierarchische dar. »Das Tier« wird, bedingt durch einen tiefenkulturell verankerten Dualismus, als inferiores Kontrastwesen zum Menschen gedacht. Dieses »antithetische Bild des ›Tieres‹ und seine Konstruktion als Fremder liefern im Kontext der Moderne eine Basisfolie für die Stabilisierung und Legitimation – auch menschenbezogener – ›natürlicher‹ Hierarchien sowie Ausbeutungs- und Gewaltstrukturen, die im Rahmen des tradierten Mensch-Tier-Verhältnisses eingeübt und reproduziert werden«22 . Tatsächlich stellt die Tötung eines Lebewesens die extremste Form von Gewalt dar;23 sie ist die am weitesten gehende Schädi-

20 |  Vgl. N. Fiddes: Fleisch, S. 161. 21 |  Vgl. ebd., S. 82; J. Gutjahr: Geschlecht, S. 131. 22 |  B. Mütherich: Das Fremde, S. 17. 23 |  Vgl. G. Lorenz: Tiere, S. 262, der in diesem Zusammenhang von der Tötung als »höchste[m] Grad der Aggression« spricht.

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gung von Leben überhaupt, wird selbiges im Akt der Tötung doch vernichtet.24 Das Fremdbild des »anderen« Tieres bildet die Legitimationsgrundlage für diese höchste Form der Gewaltanwendung.25 Insofern ist die Tiertötung auch als Ausdruck von Verdinglichung zu verstehen, wird dem Leben von (Nutz-)Tieren in diesem Zusammenhang doch lediglich ein instrumenteller Wert zugeschrieben und gelten die einzelnen Individuen nicht als solche, sondern als austauschbare Objekte.26 Andererseits kann gerade die ritualisierte Tötung von Tieren im Opfer, die örtlich, zeitlich, sozial und auf wenige Spezies beschränkt ist, zur Regulierung von Gewalt gegenüber Tieren und, in anderer Weise, Menschen dienen.

Parallelisierung von Menschen und Tieren und ihre Symbolik Die Beziehung zwischen Menschen und (anderen) Tieren kann sich im Kontext der Tötung über den hierarchisch-gewaltvollen Aspekt hinausgehend jedoch auch als eine korrespondierende darstellen. Schon früh in der tierlich-menschlichen Geschichte betrachteten Menschen (andere) Tiere als sich selbst ähnlich (s.o.). Sie schrieben ihnen gleiche Emotionen, entsprechende intellektuelle Möglichkeiten und verwandte soziale Verhältnisse zu.27 Solch eine Parallelisierung auch angesichts des Todes bzw. der Tötung findet sich in den biblischen Texten, etwa wenn das getötete Tier eine Substitutfunktion für den vom Tode bedrohten Menschen einnimmt (Gen 22; Y.S. Thöne) oder umgekehrt Jesus Christus metaphorisch als Opferlamm dargestellt und damit auch das christliche Verhältnis zur Realität des Tieropfers bestimmt wird (M.-Z. Petropoulou). Erst die Parallelisierung von Menschen und (anderen) Tieren erklärt die Todesstrafe für tierliche Subjekte, wie sie bereits im Alten Testament beschrieben (Ex 21,28-32; Lev 20,15) und im Mittelalter sowie der Frühen Neuzeit durchgeführt wurde, haben die Tiere für die Dauer des Prozesses doch den Status eines menschliches Angeklagten inne (P. Dinzelbacher). Auch in der Spezifizierung von Opfertieren hinsichtlich ihrer Art, ihres Geschlechts und ihres körperlichen Zustandes kann sich die Spiegelfunktion nichtmenschlicher Tiere in Bezug auf das menschliche Sozialsystem zeigen (I. Müllner). Die dyadische Mensch-Tier-Beziehung wird in theologischen Kontexten ausgeweitet auf die Trias von Tier, Mensch und Gott(heiten). In den biblischen Texten kann Gott als Legitimationsfigur auftreten, wenn dieser die Tötung anordnet und/oder detaillierte Regeln für diese ausspricht (U. Neumann-Gorsolke, I. Müllner, Y.S. Thöne). Eine besondere Stellung nimmt dabei das Opfer ein. Über das getötete Tier als Medium soll eine positive Beziehung zwischen Mensch und Gottheit hergestellt werden, d.h. das Opfer stellt ein Mittel der Kommunikation 24 |  Vgl. K. Petrus: Tötung, S. 386. 25 |  Vgl. B. Mütherich: Das Fremde, S. 21f. 26 |  Vgl. K. Petrus: Verdinglichung, S. 43-62. 27 |  Vgl. G. Lorenz: Tiere, S. 131.

Opfer – Beute – Hauptgericht

dar.28 In symbolischer Hinsicht sind die Gottheiten, denen das jeweilige Tier geopfert wird, die Nutznießer_innen der Tiertötung. Doch Opferrituale waren auch ökonomisch streng reglementiert, feste Tarife waren in Geltung, sodass die Priester, die zugleich die Rolle als Metzger, d.h. Fleischauf bereiter innehatten, in wirtschaftlicher Hinsicht unmittelbar vom Opfer profitierten (F. Lippke). Als Rituale haben Opfer auch eine stark gemeinschaftsstiftende Funktion innerhalb der menschlichen Gesellschaft. Diese reicht bis in gegenwärtige Performances, die den Tiertod künstlerisch-rituell inszenieren, um eine neue Form der Gemeinschaft entstehen zu lassen (S. Milling). Es wird deutlich, dass die Tiertötung vielfältige symbolische Dimensionen aufweist. Sie ist ein Symbol »für die menschliche Kontrolle der Natur […] und für die Herrschaft, die der Mensch über sie ausübt«29, ein Zeichen der Unterwerfung anderer Spezies und damit offenkundiges Merkmal von Speziesismus. Tiertötung zielt auf eine Übertragung animalischer Kraft (D. Wolf). Sie repräsentiert die Macht weißer Männer nicht nur über (andere) Tiere, sondern auch über Menschen anderer Ethnien (S. Zehnle). Die Jagd, insbesondere auf gefährliche Raubtiere, dient der Herrschaftsrepräsentation seit der Antike (U. Neumann-Gorsolke). Das Opfer macht die symbolische Begegnung mit der Gottheit real-physisch erlebbar; das Tier ist Symbol für Kommunikation und Heiligkeit. Jede Tiertötung stabilisiert aufs Neue die symbolische Andersartigkeit nichtmenschlicher Tiere und inszeniert den Menschen als Herrn bzw. Herrin über Leben und Tod. Der Zugang über eine weitere Parallele zwischen Menschen und Tieren, über das Lebendigsein nämlich, liegt nahe, wenn es um die ethische Ref lexion von Tiertötungen geht. Geht man davon aus, dass Lebewesen ein Interesse am eigenen Überleben haben, so kommt diesen auch ein (genauer zu bestimmender) ethischer Status zu (K. Köchy). Die Leibphänomenologie kann Anstöße geben, um diese Debatte differenziert führen zu können (M. Huth). Die getöteten Tiere, von denen in diesem Band die Rede ist, sollen nicht bloß als zeichen- und schemenhafte Repräsentat_innen verstanden werden. Denn – in Anlehnung an Judith Butler – sie »alle hatten, so ihre Darstellung auf reale Individuen zurückgeht, ein nur ihnen eigenes, individuelles Leben, das durch ihren – oft gewaltsamen – Tod unwiederbringlich verloren ist«30. Wie eingangs bereits erwähnt, werden heute so viele Tiere wie nie zuvor in der Geschichte durch Menschen getötet. Neben der Ausrottung von Tierarten, etwa durch die Abholzung des Regenwaldes, ist vor allem der stetig ansteigende menschliche Hunger auf Fleisch Schuld an diesem Befund. Gleichzeitig mit der Demokratisierung und quantitativen Steigerung des Fleischkonsums ist der tierliche Tod aus unserem Sichtfeld weitestgehend verschwunden. »Niemals zuvor war der tierliche Tod so

28 |  Vgl. Th. Hieke: Levitikus, S. 142. 29 |  N. Fiddes: Fleisch, S. 19. 30 |  J. Ullrich/A. Ulrich: Editorial, S. 12.

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Yvonne Sophie Thöne, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Alexis Joachimides

omnipräsent und unsichtbar zugleich wie heute«31. Nur ausnahmsweise wird der tierliche Tod gegenwärtig sichtbar inszeniert – dies gilt etwa für die Performancekunst (S. Milling) oder die neue (bzw. tatsächlich nicht ganz so neue) Bildsprache der Kochzeitschrift BEEF! (D. Wolf). Die Tiere in diesen unterschiedlichen Kontexten sichtbarer zu machen kann als gemeinsames Anliegen der Beiträge dieses Bandes verstanden werden.

B egründungen der Tiertötung Für die Tötung von Tieren wurden in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten stets Gründe angeführt und in ihrem jeweiligen Kontext als plausibel angesehen. Die stärkste Form der Legitimierung in religiös geprägten Gesellschaften stellt der Verweis auf einen »höheren Zweck« in Form einer gottgefälligen Handlung dar, wie dies beim Opfer der Fall ist. Im kultischen Bereich ist die Gottheit der Garant der Rechtmäßigkeit der Tötung. Aspekte wie Sündenvergebung oder Ausdruck von Dank können als weitere, aber schwächere Begründungen hierunter subsumiert werden (F. Lippke, U. Neumann-Gorsolke, I. Müllner, Y.S. Thöne, M.-Z. Petropoulou). Künstlerisch können derartige Opferszenen affirmativ oder kritisch dargestellt werden (M. Sitt). Kultische Aspekte schwingen mitunter auch bei Tierexekutionen mit, etwa beim gemeinsamen Erhängen von Menschen und (anderen) Tieren (P. Dinzelbacher). Auf einen »höheren Zweck« kann auch unter dem Primat der Kunst verwiesen werden (S. Milling). In den meisten Fällen impliziert die rituelle Tiertötung auch eine weitergehende Nutzung der tierlichen Produkte, vor allem des Fleischs. Opferhandlungen in der Antike waren häufig mit Opfermahlzeiten verbunden. Je nach Opferarten wurden einzelne Teile des getöteten Tieres ganz den Gottheiten übereignet oder von bestimmten sozialen Gruppen verzehrt. Der Fleischgenuss als Ausdruck und Medium sozialer Differenzierung ist damit bereits in der Antike angelegt. Bis in die jüngste Vergangenheit konnte das Essen von Fleisch in seiner Besonderheit sowohl zeitliche als auch soziale Differenzierungen symbolisieren, während heute umgekehrt der Verzicht auf den Fleischverzehr durchaus zum Distinktionsmerkmal taugt. Die Zwecke, aus denen heraus Tiere getötet wurden und werden, lassen sich noch weiter fassen. Allen voran steht die Deklarierung der Tötung als notwendig für den menschlichen Konsum, d.h. für Kleidung, Accessoires und vor allem Nahrungsmittel. Wo diese Praxis infrage gestellt wird, sind Tendenzen auszumachen, durch ihre dezidierte Sichtbarmachung die Tötung von Tieren akzeptabel zu machen. Ökonomische Gründe spielen im Rahmen der Tiertötung für den menschlichen Konsum heute wie in der Antike eine tragende Rolle (F. Lippke).

31 |  C. Sternad: Tod, S. 58.

Opfer – Beute – Hauptgericht

Die Tötung zu Repräsentationszwecken, beispielsweise in der Hohen oder Großwildjagd (C. Presche, S. Zehnle), ist auch heute noch aktuell. Darüber hinaus werden Arten- oder Naturschutzgründe für die Jagd angeführt. Das Argument des Artenschutzes dient seit den 1950er Jahren ebenso zur Legitimierung von Zoologischen Gärten, auch um sich der Kritik von Tierschützer_innen zu entziehen (W. Reinert). Ebenfalls Schutzzwecke – der Schutz der menschlichen Gesundheit und Sicherheit, von Haus- und Nutztieren oder der Ernte – werden in verschiedenen Kontexten als Begründung ins Feld geführt (C. Presche); gelingt dies nicht präventiv drohte bis in die Frühe Neuzeit dem Tier die Tötung als Strafe (P. Dinzelbacher). Im Kontext medizinischer, biologischer oder psychologischer Forschung dient der Tierversuch mit potentiell tödlichem Ausgang der Verbesserung des als höherwertig angesehenen menschlichen Lebens (K. Köchy). Künstlerisch in Szene gesetzt, kann diese Tötungart mit dem Zweck des Erkenntnisgewinns als profanes, wissenschaftliches Opfer dargestellt werden (M. Sitt). Am schwersten zugänglich aus heutiger Sicht ist sicherlich die Begründung der Tiertötung aus Vergnügen, z.B. aus reiner Zerstörungslust oder im Rahmen von Quälspielen (C. Presche). Dabei wird an diesem Punkt besonders deutlich, dass jede Kultur im Hinblick auf die Tötung tierlicher Lebewesen andere Motive als gültig erachtet; dies zeigt wie kultur- und zeitspezifisch diese Begründungen sind – und dass die Untersuchung von Tiertötungen nur unter Berücksichtigung dieser Begründungszusammenhänge und ihrer Bedingungen gelingen kann. Insgesamt zeigen die Beiträge des vorliegenden Bandes, dass die Gründe und Arten, nichtmenschliche Tiere zu töten, eine große Bandbreite kulturgeschichtlicher Aspekte widerspiegeln. Nicht nur die jeweilige Einstellung von Menschen(gruppen) zu (anderen) Tieren bzw. Tierarten tritt darin deutlich zutage, sondern auch die sozialen Gefüge innerhalb der menschlichen Gesellschaft und der zeitgenössische Alltag schlagen sich darin nieder. Tiertötungen erweisen sich damit als wichtiger Analysefokus zur Erforschung von Mensch-Tier-Beziehungen.

L iter aturverzeichnis Balluch, Martin: Jagd, in: Arianna Ferrari/Klaus Petrus (Hg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen, Bielefeld: Transcript 2015, S. 181-183. Becker, Peter-René/Bernhardt, Günter: Tiertod: Wirklichkeiten und Mythen – Eine Variante des Themas »Tod« im Museum, in: Peter-René Becker/Günter Bernhardt (Hg.): Tiertod. Wirklichkeiten und Mythen. Eine Ausstellung des Westfälischen Museumsamtes, Münster, Landschaftsverband Westfalen-Lippe und des Naturkunde-Museums der Stadt Bielefeld, Münster: LWL-Museumsamt für Westfalen 1996, S. 7-10.

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Yvonne Sophie Thöne, Stephanie Milling, Ilse Müllner, Alexis Joachimides

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Opfer – Beute – Hauptgericht

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Priester als Metzger? Orientalisch-theologische Aspekte der Tiertötung Florian Lippke

Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel – anhand ausgewählter Phänomene – grundsätzliche Vorstellungskonzepte1 zur Tiertötung in der Umwelt Alt-Israels (Levante, Ägypten, Mesopotamien, Anatolien) diskursiv zu präsentieren. Diese Konzepte sind aus diversen Quellen des antiken Medienspektrums (Texte, Bilder u.a.) erhebbar.2 Der Ertrag solcher Analysen liegt in der Klärung des kulturellhistorischen Hintergrunds, der für den östlichen Mittelmeerraum als Ganzes in Geltung war.3 In Kontinuität und Abgrenzung entwickelten sich im Laufe des ersten Jahrtausends v. Chr. hieraus die Kulturgrundlagen und Glaubensvorstellungen, die uns heute im Gewand der Hebräischen Bibel (dem Alten Testament) entgegentreten. 4 Eine Kenntnis der Vorgeschichte dieser Vorstellungen, ihrer Dy-

1 | Im aktuellen Forschungsdiskurs steht vor allem die Frage nach grundlegenden kulturgeschichtlichen Konzepten im Vordergrund. Dieser Begriff hat weitgehend andere detailfokussierte oder aber methodisch überladene Begriffe abgelöst, vgl. Ph. Lasater: Emotions. 2 | Die zu enge Beschränkung auf einen Medientyp wirft methodische Probleme auf. Dies gilt es vor allem wegen der eklatanten altertumswissenschaftlichen Quellendefizienz, zugleich aber auch wegen des hohen Interpretationsanspruches vonseiten der akademischen Forschung zu bedenken Ein Quellentyp kann nur schwer Gesamtfragen des kulturellen Symbolsystems lösen, vgl. grundlegend hierzu E. Blum: Exegetik, S. 11-12, sowie die Rezeption bei F. Lippke: Verbindungslinien, S. 15. 3 | Heutige Grenzdebatten, die im 21. Jh. n. Chr. eine Selbstverständlichkeit darstellen, sind der Antike eher fremd. Antike Textquellen in Bezug auf Landesgrenzen existieren, jedoch gilt bis zum Erweis des Gegenteils Helga Weipperts Diktum von der »Offenheit der Levante« (Kumidi, S. 31), S. Schroer/F. Lippke: Samariabullen, S. 363. 4 | In diesem Sinne ist die Hebräische Bibel ein altorientalisches Buch, das die kulturellen Symbolsysteme der imperialen Umgebungskulturen zu integrieren vermochte (Th. Staubli/H.U. Steymans: Schriften, S. 17).

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namiken und Grundsätze ist für ein Verständnis der antiken Literaturgeschichte5 wesentlich. Sie ermöglichen eine adäquate Einordnung der jüdisch-christlichen Glaubensdokumente6 in ihren historisch-theologischen Kontext. Eine erschöpfende Abhandlung ist im vorliegenden Format nicht möglich. Deshalb werden einzelne Momentaufnahmen, die wesentliche Implikationen enthalten, präsentiert und auf ihren Ertrag bezüglich der Gesamtthematik hin befragt. Abgehandelt werden neben den Fokusverschiebungen im Aufgabenspektrum des Priestertums und dem Schweinefleischtabu auch Belege für die hohe Spezialisierung und Präzisierung des Opferbetriebes im Mittelmeerraum, weiterhin werden ikonographische Belege für das breite Spektrum der zuvor erhobenen Phänomene, soziologische Verortungen und abschließend ein Beispiel eines klassischen methodisch-philologischen Fallstrickes präsentiert.

E in unge wöhnlicher E instieg mit einer H olly wood -S toffpuppe Die in den 1980er Jahren in Amerika und Deutschland äußerst populäre Sitcom ALF7 mit dem gleichnamigen Hauptprotagonisten (dargestellt durch eine lebensgroße Stoff-Fellpuppe) – setzte in mancher Hinsicht durch ihre doppelbödigen Aussagen neue Maßstäbe bezüglich mainstory und eingebrachtem subtext (eingespieltem Referenztext)8. Dieses Phänomen war Comic-Lesern schon mit der bekannten Reihe Asterix und Obelix von R. Goscinny/A. Uderzo9 wohlbekannt. Als literarisch-strukturelles Vorbild ist fraglos ebenso der Roman Gullivers Reisen von J. Swift10 ins Feld zu führen. Literarisch oder filmisch getroffene Aussagen, sind nicht nur im Binnenzusammenhang des jeweiligen Werkes verständlich; sie beziehen sich auch zusätzlich auf außerhalb der Erzählung präsente Szenarien. Die eingangs erwähnte Figur ALF erläutert im Rahmen eines außerirdischen Rituals, das sinnigerweise als bibliucid bezeichnet wird, alle Priester (bzw. der 5 | In dieser Hinsicht sind die »Welt des Textes« (in der Ricoeurschen Lesart) und die »Welt hinter dem Text« trotz aller Problematisierung eng aufeinander zu beziehen. 6 | Besonders für die beiden eng aufeinander bezogenen Glaubensformen mit ihrem überlappenden Verständnis von Heiligen Schriften und dem gemeinsamen Bezugspunkt im östlichen Mittemeerraum ist diese Einordnung von großer Bedeutung, vgl. B. Janowski: Theologie, sowie in kanonhermeneutischer Perspektive F. Lippke: Rez. MTh, S. 119.261. 7 | Warner Bros. (Bernie Brillstein): ALF 1986-1990 (102 Episoden in 4 Staffeln) by Paul Fusco/Tom Patchett. 8 | Mithin kann in diesem Fall im weitesten Sinne von einem Intertextualitätsphänomen (aufgrund weltprägender Erfahrung) gesprochen werden, vgl. für den exegetischen Bereich J. Krause: Exodus, S. 38-65. 9 | R. Goscinny/A. Uderzo, Astérix 1-36 (1968-2015, Dargaud, Alber René, Hachette). 10 | J. Swift: Travels.

Priester als Met zger?

Hohepriester) auf seinem Heimatplaneten Melmac, sei(en) zugleich Metzger gewesen. Diese Aussage zielt klarerweise auf den komisch-entfremdenden Effekt, der zwei unterschiedliche Berufsfunktionen der gegenwärtigen Gesellschaft in eins setzt. Heutzutage ist der Doppelberuf von Priester11 und Metzger12 nicht nur untypisch – bei zeitgenössischen Hörer_innen stellt sich das Gefühl der Absurdität sein. Zu weit entfernt scheinen die Aufgaben und Funktionen von Priestern und Metzgern in der heutigen Gesellschaft. Die Autor_innen der Serie ALF legen dem Protagonisten aber mit dieser doppelbödigen Feststellung nicht nur eine neuzeitliche Absurdität, sondern zugleich eine antike Wahrheit in den Mund. Aus diesem Grund ist sicherlich auch der Anklang an das biblische Schriftgut mit bibliucid gewählt. Die angesprochene Wahrheit fußt im Zusammenfall unterschiedlicher Aspekte im Vollzug des antiken Priestertums. In den antiken Epochen (und auch außerhalb der monotheistischen Religionen weltweit immer noch wohlbekannt 13) spielt die Bedeutung des Priesters als Ritual- und Opferspezialist14 eine viel größere Rolle, als es im 21. Jh.n.Chr. gemeinhin angenommen und vorausgesetzt wird. Expertise im Ritual- und Opfermetier zeigt sich aber vor allem durch die Spezialkenntnisse im Rahmen der Zubereitung und Darbringung von Opfermaterie in diversen Opfertypen. Diese sind aber für den östlichen Mittelmeerraum der Antike stark durch vegetabile, aber auch durch tierliche Gabendarbringungen bestimmt.15 Die Schlüsselqualifikation eines Opferpriesters in den hier betrachteten Kulturen (s.u.) bestand darin, das Opfertier zu schlachten, fachgerecht zu zerlegen, um es hierauf folgend auf bereitet im Opferkult oder auch als Restitu11 | Im modernen Sinne gebraucht als Verwalter der Sakramente, Prediger und Seelsorger. 12 | Im modernen Sinne gebraucht als Fleischaufbereiter_in und Fachverkäufer_in. 13 | Das Priesteramt in den polytheistischen Systemen des Hinduismus kennt in Indien diese extreme Akzentverschiebung nicht. Nach einem Diktum Alexandra von Lievens, Berlin, wird durch »die religionswissenschaftliche Betrachtung der fernöstlichen Polytheismen unser religionsgeschichtliches Verständnis der antiken mediterranen Polytheismen vom Kopf auf die Füsse gestellt« (pers. Mitteilung April 2012). 14 | Dies tritt im Corpus des Alten Testaments nur partiell oder zumindest perspektivisch in den Blick (2 Sam 2 und öfter im dtr Geschichtswerk). Hingegen belegen die reichen Keilschrifttafelfunde aus der syrischen Hafenstadt Ugarit mit Opferlisten und Ritualtexten, dass diese Einschätzung historisch zutreffend ist (für die Ritualtexte vgl. KTU 1.109, 1.161, aber auch 1.123 und 1.148, für die Opferlisten KTU 1.135, 1.39, 1.46. 1.148). 15 | Eine umfassende Liste ist in diesem Fall schwer zu erheben, da die Beleglagen grundsätzlich dem Zufall unterworfen sind. So wären vorderhand sämtliche epigraphische Zeugnisse phönizischer, aramäischer und punischer Herkunft miteinzubeziehen. Wie aber der Opfertarif von Marseille (s.u.) zeigt, sind durchaus gemeinsame Kategorien des Tieropfers zwischen alttestamentlicher Traditionsliteratur und der umliegenden vorderasiatisch-levantinischen Welt benennbar.

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tionsmaterie an den oder die Opfernde_n weiterzugeben. Versucht man einen Vergleich der Tätigkeiten der antiken Opferpriester mit heutigen Berufsständen, so ist das Aufgabenspektrum sehr gut mit dem Metzger_innenberuf vergleichbar. Denn die Auf bereitung eines Tierkadavers erfordert – wie zuvor das Kraft erfordernde Zurechtlegen – eine geschulte Spezialisierung, die vor 3.000 Jahren nicht einfach vorausgesetzt werden kann. Sie muss erlernt und geübt werden und gehört zu den höheren Kulturtechniken, wie sie auch in der levantinischen Eisenund Bronzezeit im Mittelmeerraum mit anderen Parametern, aber dennoch nicht mit geringerem Spezialisierungsgrad bei Schreibern, Bildhauern und Architekten vorauszusetzen sind.16

D ie materiellen K ulturen des östlichen M it telmeerr aumes Als Axiom der vorgestellten Einzelbetrachtungen ist die Vorstellung der »verbundenen Sphären« (im östlichen Mittelmeerraum, Ägypten und Mesopotamien) gewählt.17 Im Anschluss an die Untersuchungen von M. Halbwachs18 zum kollektiven Gedächtnis, J. Assmanns19 zur sozialen und überindividuell-kulturellen Erinnerung, von F. Braudel20 zu den Geschichtsbögen der mittleren Dauer sowie von O. Keel21 zu den Interdependenzen des altisraelitischen religiösen Symbolsystems (fußend auf E. Cassirer22 , C. Geertz23 u.a.) können folgende Thesen als Ausgangpunkte fungieren: 1. Der östliche Mittelmeerraum ist als vernetzte Kontaktzone zu beschreiben, in der nicht nur Wirtschaft, sondern auch Kultur und Religion aufeinandertreffen und als Rezeptionsreservoir zur Verfügung stehen.

16 | Vgl. hierzu das ausformulierte Lob des Schreibers in mehreren Textvarianten bei A. Dorn: Literatenwettstreit, S. 70-82. 17 | Vgl. zum Gesamtansatz die theoretische Grundlage bei O. Keel/S. Schoer: IPIAO I-III, hier S. 23-28. 18 | M. Halbwachs: Gedächtnis, besonders S. 100-125. 19 | J. Assmann: Gedächtnis. 20 | F. Braudel: Mittelmeer, mit den Ausführungen zu elementaren traditionsgeschichtlichen Bögen. 21 | O. Keel: Jerusalem, vor allem auch mit den einführenden Bemerkungen S. 15-17, die Warntafeln innerhalb der Monographie (vor allem die zweite S. 153). 22 | E. Cassirer: Versuch. 23 | C. Geertz: Beschreibung; für die hier nur schlaglichtartig abgehandelten Namen vgl. F. Lippke: Southern Levant, S. 211-212; Ders.: Verbindungslinien, S. 18-24, mit weiteren Angaben und Verortungen.

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2. Ein Blick über die Grenzen der biblischen Quellen hinaus hilft, die darin enthaltenen Aussagen zu kontextualisieren und ihren Aussagegehalt im Spektrum der antiken Religions-, Theologie- und Sozialgeschichte adäquat zu erfassen.24 3. Am vorherigen Punkt anknüpfend, werden auf diese Weise historische Einordnungen der theologischen Positionen möglich, die einerseits Fehlinterpretationen als anachronistische Projektionen erweisen und andererseits extremistische Folgeschlüsse auf die Gegenwart verhindern. In diesem Sinne ist die Fragestellung eine liberal-progressive, die aber zugleich den Textgehalt der Heiligen Schriften nicht gering schätzt, sondern gerade als Quellen im Rahmen der kulturellen Äußerungen einer Epoche ernst nimmt.25

S treit um das S chweinefleischtabu – eine F r age der I nterpre tationshoheit Eine im Rahmen der Tiertötung äußerst kontrovers geführte Diskussion ist mit dem Schweinefleischtabu (vgl. Lev 11,7; Dtn 11,8)26 verbunden. Im Judentum und Islam (zeitweise in den frühen Epochen des Christentums) stellt es eine Besonderheit der Speisevorschriften dar. Diese haben eine dezidiert theologische Komponente, indem Kriterien für mögliche Speise- und Opferoptionen festgesetzt werden. Neben einer ernährungswissenschaftlichen Erklärung der Vorschriften27 wäre auch eine religionsgeschichtliche in den Diskurs zu integrieren. Sofern Schweine (ebenso wie Hunde) als Tiere und Opfermaterie für den Totengott 28 in Anatolien und Syrien zu gelten haben, wäre ihr unreiner Charakter 24 | Sofern man die Einschätzung der biblischen Überlieferung als Traditions- und Tendenzliteratur teilt, stellt sich immer zugleich die Frage nach dem Referenzrahmen. Da die biblische Literatur keinesfalls einen statistischen Querschnitt aller antiken Literaturgattungen beinhaltet und viele Zufallsmechanismen in der Überlieferungskette denkbar sind, kann eine ernst gemeinte Verortung nur durch eine Kontextualisierung erfolgen. Der Blick über den Tellerrand (W. Bauer/F. Lippke: Tellerrand) ist pointiert betrachtet conditio sine qua non. 25 | Dies gilt auch, wenn der biblischen Überlieferung natürlich nur in den seltensten Fällen der Charakter einer Primärquelle zukommt. Die Einteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Quellen verfolgt nicht das Ziel einer Wertung oder gar Abwertung. Die historische Perspektive, aus der heraus eine Verhältnisbestimmung von erzählter Zeit und Zeit des Erzählers möglich ist, steht in diesem Fall im Vordergrund. 26  |  Insgesamt inzwischen L. Sapir-Hen et al: Pig Husbandry, aber schon früher U. Hübner: Schweine, und B. Hesse: Pig Lovers. 27 | Dokumentiert in der Forschungsliteratur schon bei G.C. Haubner: Trichinen, S. 33. 28 | Dies ist wohl wegen des chthonischen Charakters der Tiere gemutmaßt worden, da Beobachtung von Verhaltensweisen (wühlen bzw. suhlen) einen hinreichenden Anhaltspunkt für diese Zugehörigkeit zu geben schienen. Während Hundeopfer in Ugarit im Rahmen der Totenrituale literarisch belegt sind (Kirta-Epos KTU 1.14-16), sind auch

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für JHWH-Gläubige sehr verständlich gewesen. Auf der Suche nach den Hintergründen der Wahrnehmung von »rein« und »unrein«29 bietet jedoch auch die Archäologie Palästinas/Israels eine auswertbare Datenbasis.30 Die archäologischen Belege wurden bisher wie folgt interpretiert: Während in ägäischen Kulturen, aber auch im philistäischen Küstensteifen der Levante (darunter auch Gat31, Tel Hamid32 , aber auch südlich bis Aroer33) und im Yezreel-Tal (mit Megiddo34 und einer West-Ost-Erstreckung von Yokneam35 bis BetSchean36) signifikante Überreste von Schweinknochen gefunden wurden (15  % der Gesamtknochenfunde und mehr), begegnet im judäischen und samarischen Kernland ein deutlich anderer Befund. Es sei hier bemerkenswerterweise von einem Anteil von lediglich 0-2 % in Jerusalem37, Moza38 und Lachisch39 auszugehen. In einem bestimmten Bereich der Schephela (möglicherweise zwischen Tell Batashi/Timna und Bet Schemesh) sinke der Anteil von Schweineknochen signifikant: Darum wären im Sinne einer religiösen Konformität zugunsten des Schweinetabus im judäischen Hügelland (Eisenzeit II B) Schweine fast nicht gezüchtet, geschlachtet oder konsumiert worden. Diese traditionelle und religionsgesetzkonforme Erklärung hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte deutlich relativiert. Nach E.-A. Knauf40 legt sich ein anderer Nexus in der Belegauswertung nahe – die Wirtschaftskraft der jeweiligen Siedlung und ihre Einbindung in das Handelsnetz der antiken Kulturen dürften der eigentliche Bezugspunkt der erhobenen Daten sein. In einfachen ruralen Gesellschaftsgruppen und in Zeiten der Mangelernährung (d.h. in weiten Teilen der antiken Levante) sind die Nahrungsspektren von Schwein und Mensch stark überlappend. Das Schwein wäre somit bezüglich der Nahrungsaufnahme des Menschen ein Konkurrent. Folglich wird Nahrung eher selbst konsumiert als diese an ein Schwein zu verfüttern. Eine solche Situation ist für das Hügelland die archäologischen Befunde der orientalischen Heschta-Räume sowie die hethitischen Opferrituale mit einzubeziehen, bei denen über der Unterweltsgrube geschlachtet wurde; für das Schwein als Opfermaterie vgl. V. Haas/H. Koch Hethiter, S. 260. 29 | Vgl. detailliert B. Ego: Reinheit/Unreinheit/Reinigung: 2.2. 30 | Auch diese ist natürlich, wie zuvor angedeutet, der taphologisch-taphonomischen Problematik unterworfen; dennoch sind Grundtendenzen aus dem aktuell verfügbaren Material erhebbar. 31 | J.S.E. Lev-Tov: Preliminary Report. 32 | B. Hesse/T.B. Griffith: Animal remains. 33 | H. Motro: Analysis. 34 | A. Sasson: Faunal Remains. 35 | I.K. Horwitz: Remains. 36 | I.K. Horwitz: Mammalian Remains. 37 | L. Sapir-Hen: Faunal Remains. 38 | Sade 2009: Archaeozoological Remains. 39 | Croft 2004: Archaeozoological Studies. 40 | E.-A. Knauf/Ph. Guillaume: History, S. 65.

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vorauszusetzen. In den städtischen Zentren der Küste (Philistäa) aber auch in Megiddo und Bet-Schean bietet sich ein denkbar anderes Szenario. Dort lebten über lange Zeit hinweg Eliten unter ökonomisch luxuriösen Bedingungen. 41 Umliegende landwirtschaftliche Erzeugnisse (aus der Schephela, Übergang Jeszreel-Ebene/ Bergland) wurden gesammelt, abgezogen und ins Ausland weiterverkauft, ein wirtschaftlicher Überfluss war die Folge. 42 Der entscheidende Unterschied zwischen Mangel und Überflusswirtschaft liegt auch besonders in der Quantität des Abfalls. Dieser kann, so er in entsprechender Menge vorhanden ist, an den Allesfresser Schwein verfüttert werden. Hierdurch kann ein zusätzlicher Ertrag in Form von Fleisch aus der Schweinezucht gewonnen werden. In dieser Hinsicht, in der Knauf entsprechend den kulturellen Materialismus nach M. Harris zur Erklärung beizieht, steckt höchstwahrscheinlich der Schlüssel zu den Hauptfragen des Schweinefleisch-Tabus. Die Grundlagen sind durch Parameter der Landschaftsgliederung (longue duree) und durch die wirtschaftlichen Handels- und Wegenetze beschreibbar.43 In dieser Hinsicht erscheint das Schweinefleisch-Tabu im ursprünglichen Sinne nicht als religiöses Erbe, sondern als ein Symptom der ökonomischen Gegebenheiten44 . Insgesamt ist es möglich, die Schweinefleischgewinnung in einen großen Fragekomplex des östlichen Mittelmeerraumes einzuordnen: • Welche Bevölkerungsgruppen konnten in welcher Region gewisse Nahrungsmittel produzieren, an welchen Stellen ist eine Grenze der Produktionsmöglichkeit nachweisbar?45 • In welchen Fällen driften Genuss und Produktion eines Nahrungsmittels deutlich auseinander? • Welche Produktions- und Konsumbelege können als Marker bestimmter Gruppen dienen? Dass unterschiedliche Speisetraditionen aber sehr gut dem Zweck dienen konnten, Identität im religiösen Bereich zu konstituieren und zu festigen, steht außer

41 | Dies lässt sich auf vielen Ebenen der archäologischen Erforschung nachweisen. Die Einzelbelege reichen von der architektonischen Umsetzung über Schmuck- und Keramikfunde bis hin zu den Abfallmengen. 42 | Besonders eindrücklich ist insbesondere das Handelsnetzwerk, das auch seine Spuren materieller Kultur auf dem untypisch großen Tell von Megiddo hinterlassen hat. In wirtschaftlicher Hinsicht wären für die philistäischen Gebiete die Ölpressenfunde in den entsprechenden Städten anzuführen: Güterumschlag für das »Ausland« lässt sich in vielen Facetten nachweisen. 43 | Vgl. hierzu den Ansatz F. Braudels weiter oben. 44 | In formallogischer Erschließung ist die ökonomische Situation sowohl die Grundlage für den archäologischen Befund als auch für die religiös ausgestaltete Speisevorschrift. 45 | Vgl. hierzu und im Folgenden F. Lippke: Nahrung, S. 7-13 und S. 15-17.

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Frage. 46 Ähnlich dynamische Integrationen ließen sich im Übrigen im Bereich der Textilproduktion für die tzitziyot (Schaufäden) am Ende des jüdischen Gebetsmantels/Gebetsschals47 und die mesusa-Tradition 48 (Anbringung heiliger Texte in verschlossenen Kapseln an Ein- und Ausgängen) belegen. Aus anderen (z.B. ökonomischen) Lebenswelten stammende Phänomene werden in die religiöse Sphäre integriert und somit rezipiert. Analog zu einer »Theologisierung des Rechtes« 49 wäre eine Überlegung zur »Theologisierung des Schweinefleischtabus« eingehender zu reflektieren. In Bezug auf das übergeordnete Thema der Tiertötung ist zu folgern: Tiertötung ist vom Ort der Schlachtung und den sozioökonomischen Grundlagen abhängig. Sekundär abgeleitete, religiöse Praktiken müssen argumentativ nicht in die gleiche Richtung weisen, da im Schritt der Theologisierung eine zusätzliche Deutungsebene additiv ergänzt wird (göttliches Gesetz, Offenbarung etc.).50 Die Materialität der Tiertötung wird zu selten realienhistorisch kontextualisiert und anhand der damals zeitgenössischen Gegebenheiten beurteilt.

»D en Tarif durchgeben « 51: D ie W ichtigkeit der A usbildung Die Ausbildung zum Priester, der (wie eingangs erwähnt) seine Funktion als Opferund Ritualspezialist versah, ist nicht in vielen Quellen explizit dargelegt. Dennoch existieren einige wenige beredte epigraphische Zeugnisse, die – adäquat interpretiert – einen Blick auf die Anforderungen der priesterlichen Tätigkeit erlauben. Zuvorderst ist in diesem Rahmen auf den sogenannten Opfertarif von Marseille52 zu verweisen. Der Name führt zunächst auf eine falsche Fährte. Marseille ist lediglich der Fundort des beschrifteten Balast- oder Ankersteins, der in sekundärer Nutzung 46 | Beliebig viele Beispiele könnten herangezogen werden, um den Beleg zu erbringen, dass sich die eigene Identität immer am »Anderen« ausbildet, der am besten durch deutliche Marker codiert werden kann; eine philosophische Linie dieser Tradition reicht von E. Husserl über E. Lévinas bis hin zu J. Lacan. 47 | Th. Staubli: Kleider, S. 15.41.45.93. 48 | M. Bernett/O. Keel: Mond, und Th. Staubli: Sin. 49 | B. Janowski: Richter. 50 | Vgl. hierzu auch die Sphärendiskussion im abschließenden Teilkapitel. 51 |  Durch einen freundlichen Hinweis der Herausgeberin wurde sich der Autor dieses Beitrages der Tatsache bewusst, dass die Wendung »den Tarif durchgeben« (eine klare, deutliche Ansage machen, die als Reaktion auf eine unterlassene Aktion kritisch und nachdrücklich top-down vorgebracht wird) als Helvetismus verstanden – und darum außerhalb des Schweizer Kultur- und Sprachraumes nicht verstanden – werden kann. Als hochdeutsche Ersatzlesart schlägt der Autor als Teilüberschrift vor: »Tarifsicherheit – auch ohne Verdi und Cockpit«. 52 | H. Donner/W. Röllig: KAI, Nr. 69, vgl. hierzu auch die direkt daran angelehnte Textwiedergabe in Kursivdruck.

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von einem anderen Ort verbracht wurde. Ursprünglich war er als Inschrift an einem Tempel im (phönizisch-)punischen Kernland – wohl in Karthago – aufgestellt und diente als Referenzangabe für den täglichen Opferbetrieb (Abb. 1).

Abb. 1: Punische Inschrift auf einer (in mehrere Teile) zerbrochenen Tafel aus Kalkstein. Die Abbildung zeigt die beiden Hauptfragmente; Fundort: Nähe von Marseille (Frankreich) 1844; heute im Musée Borély. Gestein, epigraphische, wie auch formale Indizien sprechen für eine Herkunft aus Karthago (400-300 v.Chr.). Möglich ist eine Verbringung in den nördlichen Mittelmeerraum als Anker oder als Schiffsballastladung. Der Inhalt dieses so genannten »Opfertarifs von Marseille« präzisiert Abgaben und Aufteilungen von Opfertieren bezüglich der priesterlichen Anteile. »Tempel des Baal-Sapon – Tarif der Abgaben, welche festsetzten die dreißig Männer, welche über die Abgaben (bestimmten zur) Zeit des grossen […] Suffeten, Sohnes des BDTNT, Sohnes des BD’SMN Beim Rind: (Ist es) ein Ganzopfer oder ein Sündopfer oder ein Ersatzopfer, (bekommen) die Priester zehn 10 Silber(stücke) für eines, und beim Ganzopfer gehört ihnen über diese Abgabe hinaus Fleisch im Gewicht von dreihundert 300 (Sekel), beim Sündopfer aber die Knöchel und die Gelenke. Es gehören aber das Fell und die Rippen und die Füße und der Rest des Fleisches dem Opferer. Beim Kalb, dessen Hörner noch fehlen, oder beim Widder: (Ist es) ein Ganzopfer oder ein Sündopfer oder ein Ersatzopfer, (bekommen) die Priester fünf 5 Silber(stücke) für eines, und beim Ganzopfer gehört ihnen über diese Abgabe hinaus Fleisch im Gewicht von einhundertfünfzig 150 (Sekel), beim Sündopfer aber die Knöchel und die Gelenke. Es gehören aber das Fell und die Rippen und die Füße und der Rest des Fleisches dem Opferer. Beim Hammel oder der Ziege: (Ist es) ein Ganzopfer oder ein Sündopfer oder ein Ersatzopfer, (bekommen) die Priester 1 Sekel 2 ZUR Silber für eines, und beim Sündopfer

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Florian Lippke gehören ihnen über diese Abgabe hinaus die Knöchel und die Gelenke. Es gehören aber das Fell und die Rippen und die Füße und der Rest des Fleisches dem Opferer. Beim Lamm oder beim Zicklein oder beim Jungwidder: (Ist es) ein Ganzopfer oder ein Sündopfer oder ein Ersatzopfer, (bekommen) die Priester dreiviertel (Sekel) Silber und 2 ZR für eines, und beim Sündopfer gehören ihnen über diese Abgaben hinaus die Knöchel und die Gelenke. Es gehören aber das Fell und die Rippen und der Rest des Fleisches dem Opferer. Beim ’GNN-Vogel oder ZIZ-Vogel: (Ist es) ein Ersatzopfer oder ein SP-Opfer oder ein HZTOpfer, (bekommen) die Priester dreiviertel Sekel Silber (und) 2 ZR für eines, und es gehört das Fleisch dem Opferer. Für einen (anderen) Vogel oder die heiligen Erstlinge oder ein Speis-Opfer oder ein Öl-Opfer (bekommen) die Priester 10 O[bolen] für eines.«

Der Text ist vor allem wegen seiner Staffelung der Bezahlung proportional zur Größe des Opfertieres ausschlaggebend.53 Allerdings erschöpft sich der Erkenntnisgehalt nicht darin. Zunächst erfahren die Leser_innen, dass offensichtlich unterschiedliche Opfertypen (Sündopfer, Ganzopfer, Ersatzopfer, SP-Opfer, HZT-Opfer, Vogelopfer, Opfer der heiligen Erstling Speisopfer, Ölopfer) existierten.54 Allein der Anzahl nach liegt eine deutliche Dominanz der Tieropfer vor. Zu jeder dieser Erwähnungen ist ein entsprechendes Ritual vorauszusetzen. Aber mit der bloßen Kenntnis des Opfers ist es noch nicht getan: Ein Priester musste ganz offensichtlich • • • •

die Knöchel und Gelenke sowie die Füße vom restlichen Körper separieren, Fleisch entsprechend genau bemessenem Gewicht absondern, das Fell abziehen, die Rippen absondern und (mit hoher Sicherheit) spalten können.

Die vier genannten Teilpunkte sind für jede opferfähige Tierart vorauszusetzen, folglich mindestens für Rind, Kalb, Lamm, Widder, Ziege, Hammel und Jungwidder. Entsprechend wird durch die inschriftliche Beleglage die Hypothese einer soliden Metzgerausbildung der Priester durch die impliziten Forderungen des Opfertarifs von Marseille philologisch nachgewiesen. Für die übergeordnete Fragestellung nach der Tiertiertötung bedeutet dies: Tiertötung im Rahmen des Tempelkultes im Mittelmeerraum ist ein hochkontrolliertes und jeweils lokal standardisiertes Vorgehen, bei dem keinerlei amateurhaftes Vorgehen Platz hat. Denn gerade in diesem Rahmen ist die Tötung und Aufteilung des Tieres wesentlich für die Ausübung weiterer Rituale. Eine falsche Umsetzung der Vorschriften hätte sich in der Bilanz des Tempelbetriebs sofort in einem zu begleichenden Verlust niedergeschlagen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, welch großes finanzielles Investment mit einem vierbeinigen Tier in der Antike verbunden 53 | Ganz deutlich herrscht hier also kein Einheitstarif. 54 | Zu den unterschiedlichen Opfertypen, die im Alten Testament vorgestellt werden, siehe den Beitrag von I. Müllner in diesem Band.

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war.55 Auch zu Zeiten des Opfertarifes von Marseille war eine Tiertötung immer auch mit einer Besitzminderung verbunden – nicht jeder konnte sich die gesamte Bandbreite an Opfertieren leisten.56

M e tzger und P riester : I ruk ap tah vor 4500 J ahren Zu den Ausführungen in philologisch-epigrapischer Hinsicht kann auch der ausführliche Befund aus der ägyptischen Kunstwelt berücksichtigt werden. Tierschlachtungen spielen seit den frühen Belegen in den Nekropolen des Alten Reiches, genauer in Memphis, Sakkara und Gizeh, eine nicht untergeordnete Bedeutung.57 Dies ist auch mit gewissen Einschränkungen für die darauffolgenden Epochen der pharaonisch-ägyptischen Geschichte belegbar. Ein in der Detailfokussierung einzigartiges Belegensemble tritt mit dem Grab des Irukatpah entgegen (Sakkara, Unasaufweg).58 Das sogenannte »Metzgergrab« zeigt in mehreren Szenendarstellungen die diversen Verarbeitungsstufen eines Rindes (Abb. 2 und 3). Interessant ist die Prozesshaftigkeit der Darstellungen im Grab: Während der Grabherr in diversen skulptierten Ausarbeitungen in unterschiedlichen Lebensabschnitten (mit einer Vielzahl von Priestertiteln!) dargestellt wird, thematisiert der übergeordnete Reliefzyklus nahe der Decke die Stufen zur vollständigen Verarbeitung eines Rindes zum Opfer (möglicherweise auch zum Konsum). Am Ende wäre eine Konvergenzaussage zu folgern: Der Grabherr wird von Darstellung zu Darstellung älter oder gewinnt neue Ämter hinzu. Die Richtung von jungen Erwachsenenjahren bis hin zum höheren Alter dürfte hier codiert sein. Zugleich ist für ihn am Ende (Ende der Langwand) als Darstellung das Opfermahl (Totenmahl) bereitet. Beide Darstellungsstränge (Skulpturen und Opferfries) laufen auf ein und dasselbe Ereignis hin: Das Opfer und die Beopferung des Toten in seinem Grab; denn dieser Aspekt spielt insgesamt im pharaonischen Ägypten eine stark übergeordnete Rolle. Für die Tiertötung ist hier vor allem aus der Prozesshaftigkeit eine Erkenntnis formulierbar: Tiertötung ist nicht eine Momentaufnahme, sie besteht aus mehreren Prozesselementen, die evidenter Weise abfolgend aufeinander gedacht sind. Den genauen Punkt einer textlichen oder bildlichen Tiertötung zu identifizieren kann entscheidende Bedeutungsnuancen

55 | Analog ist hier wieder die materialistische Perspektive nach Harris herauszuheben, wie sie schon im Rahmen der Diskussion um das Schweinefleischtabu angesprochen wurde (s.o.). 56 | Diese Tatsache ist auch einer der Gründe, welcher die Struktur des erhaltenen Textes erklärt. Unterschiedliche Opfer, aber auch unterschiedliche Opfernde werden hier mit einer adäquaten Lösung versorgt. 57 | Zur visuellen Darstellung der Tiertötung siehe auch die Beiträge von M. Sitt, C. Presche (17./18. Jh.), S. Zehnle (19. Jh.) und D. Wolff (21. Jh.) in diesem Band. 58 |  A. McFarlane: Irukaptah, Tafelteil.

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für die adäquate Gesamtinterpretation beinhalten.59 Die Präsenz des Tiertodes beim Totenopfer hat aber weitere Implikationen, die an einem zusätzlichen Beispiel vorgestellt werden sollen.

Abb. 2: Ausschnitte aus dem Reliefzyklus mit Momentaufnahmen einer Schlachtung aus dem Grab des Irukaptah. Das Grab gehört zu den Grabanlagen des Alten Reiches in Sakkara (Ägypten) am sogenannten Aufweg der Unas-Pyramide. Die Datierung wird typischerweise für das Ende der V. Dynastie (Menkauhor/Djedkare) angesetzt. Deutlich zeigt die Abbildung im Rahmen des Schlachtvorganges das Abtrennen des rechten Vorderlaufes mit einem großen Schlachtmesser sowie das Auffangen des Blutes in einem Gefäß mit Ausguss. Die Hinterläufe des Rindes sind gefesselt, mehrere Personen teilen sich die entsprechenden Aufgaben.

59 | Beispielsweise könnte man anhand der ägyptischen Darstellung von Schlachtelementen für die Bindung Isaaks (Gen 22) rückfragen, an welcher Stelle der Schlachtung genau die Unterbrechung erfolgt. Eine eingehende Diskussion könnte einen großen Ertrag für ein vertieftes Verständnis der biblischen Perikope nach sich ziehen. Zu dieser Erzählung siehe auch den Beitrag von Y. Thöne in diesem Band.

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Abb. 3: In den gleichen Reliefzyklus gehört die Szene, in welcher das Opfertier nur noch durch die erschlaffte Haut zu erkennen ist. Der Prozess der Weiterverarbeitung (im Sinne einer Opferzubereitung) ist weit vorangeschritten.

D er Totenkult im S yrien /A natolien der E isenzeit Die Ausgrabungen im südostanatolischen Zincirli60, die nach 100 Jahren wieder aufgenommen wurden, förderten vor weniger als zehn Jahren einen inschriftlichen Sensationsfund zutage. Eine weitere sam’alische Inschrift61 bereicherte das Korpus62 . Diese dokumentiert das Totenopfer für einen hohen Beamten in Eigenperspektive. Die darin enthaltenen Opfervorschriften bieten einen zusätzlichen Einblick in die Grundvorstellungen der Levante (Abb. 4):

60 | Vgl. hierzu F. von Luschan: Sendschirli I-IV, und W. Andrae: Sendschirli V. 61 | D. Pardee: New Inscription. 62 | J. Tropper: Inschriften.

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Abb. 4: Der Seelenstein des Kutamuwa/Katumuwa von Sam’al/Sendsichrli. Sam’alische Inschrift in erhabenem Relief sowie eine Opfertischszene; stilistisch zugehörig der Kunst der aramäisch-luwischen Fürstentümer in Ostanatolien im 1. Jt. v. Chr. 2008 bei Ausgabungen des Oriental Institut Chicago in Zincirli, Area 5, geborgen, 99x72x25 cm. Datierung Eisenzeit II, ca. 743-732 v.Chr. »Ich bin Kutamuwa, Diener des Panamuwa, der ich für mich eine Stele zu 2meinen Lebzeiten bereiten ließ. Ich errichtete sie in meiner Grabkammer und ließ 3diese Kammer durch ein Fest einweihen: Einen Stier für Hadad und einen Widder für Na 4 gar und einen Widder für Šamaš und einen Widder für den Hadad der Weingärten 5und einen Widder für Kubaba und einen Widder für meinen Totengeist, der in dieser Stele ist. 6 Und nun, wer immer von meinen Söhnen oder 7von den Söhnen eines Mannes in den Besitz 8 dieser Kammer

Priester als Met zger? gelangt: Er möge nehmen vom 9Ertrag dieses Weinbergs ein Schaf 10 Jahr für Jahr. Und er möge schlachten 11bei meiner Totengeist-Stele 12und er teile 13mir einen Schenkel zu.« 63

Die Anzahl der Widder, die bei der Einweihung nach der Aussage des Kuttamuwa ihr Leben lassen mussten, ist bemerkenswert. Der Wettergott Hadad, der nicht näher bestimmte Gott N(a)G(a)R, der Sonnengott Schmamasch, der Beschützer der Weingärten (ebenfalls eine Hadad-Gestalt) und der Totengeist des Kuttamuwa erhalten je einen solchen. Dies ist gerade im Rahmen der Totenmahltheologie von besonderer Bedeutung: Hadad ist neben seiner Funktion als Wettergott auch als Vorsteher der Totenmähler64 belegt. Dem Sonnengott Schamasch kann ebenfalls eine Bedeutung als Mitglied der Gemeinschaft beim Totenmahl mit diviner Präsenz verstanden werden.65 Die göttlichen Aktanten und der Verstorbene werden beim Totenmahl in Kontakt gebracht. Sie erhalten alle einen Widder und nehmen in dieser Hinsicht an der Totenspeisung teil. Der Verstorbene wird durch die Opfergabe in die göttliche Gemeinschaft des »seligen Mahles« mit hineingenommen. Die jährliche Opfergabe eines Schafes ist in einem anderen Kontext zu verstehen: Die Opferdarbringung ist aber nur möglich, wenn der Sohn (wohl der älteste) den jeweiligen Ertrag des Weinberges verkauft und für den Gewinn Tiere (genauer: Schafe) erwirbt. Diese zuzubereiten und zur Verfügung zu stellen kann als eine der vornehmsten Aufgaben eines Nachkommen verstanden werden. Allerdings wird dem Verstorbenen bzw. seinem Totengeist jährlich nur ein Schenkel zugeteilt. Es ist gut möglich, dass der Rest des Schafes der Familie im Erinnerungsmahl konsumiert wurde. Diese, an die antike Tradition des kispu-Mahles66 anknüpfende Handlung ist in langen Traditionen bis in die hellenistisch-römische Zeit belegt. Erinnerungsmähler mit dem Totengeist (nicht mehr körperlichlebendig präsenten Wesen) sind bis in die nabatäische Religion nachzuweisen, die auch für die neutestamentliche Mahltradition als motivgebende Konstellation verstanden werden kann.67 63 | C. Bonnet/H. Niehr: Phönizier und Aramäer. 64 | Vgl. hierzu die schon seit rund 100 Jahren bekannten Inschriften aus Zincrili selbst wie auch die aus der königlichen Nekropole von Gerdschin, insgesamt J. Tropper: Inschriften. 65 | Vgl. zu dem Wirkspektrum des altorientalischen Sonnengottes einerseits W. Fauth: Helios megistos, aber für die prä-römischen Epochen einschlägiger J. Kutter: Nūr ilī. 66 | Vgl. neben vielen anderen S. Lange: Food Offerings, S. 244-258. 67 | Es besteht zumindest die Möglichkeit, die Überlieferung von Tod und Auferstehung Jesu Christi und vor allem die Erinnerungsfeiern daran in enger Verbindung mit den levantinisch-vorderasiatischen Totenfeiern zu lesen und zu verstehen. Wertvolle Einsichten ergeben sich in Bezug auf die zyklische Wiederkehr der Totenerinnerungsfeste, die am Grab stattfanden, mit Speise- und Getränkeversorgung. Gedacht wurde der verstorbenen Person, die aber noch in ihrer Geistform bei den Feiernden präsent war. Jedes genannte Element lässt sich in Bezug auf die innerchristliche Traditionsgeschichte mit Ertrag beleuchten.

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Für das übergeordnete Thema der Tiertötung ist die in diesem Abschnitt vorgestellte Quelle von großer Bedeutung. Tiertötung verbindet Gott und Mensch, sie nimmt das überlebende Element, den Totengeist, in die Gemeinschaft mit Gott (himmlisches Mahl) und ermöglicht auch den Angehörigen an diesem besonderen Segensmahl zu partizipieren. Die Gesamtheit der Aspekte ist im vorliegenden Kutamuwa-Stein auf den Akt einer Tiertötung und seine opfertheologischen Konsequenzen hin bezogen. Ein zu starker Fokus auf tierliche Opfermaterie konnte aber zuweilen in der Forschungsgeschichte auch in die falsche Interpretation münden. In diesem Sinne ist das abschließende Beispiel von lehrreichem Charakter.

E ine philologische P osse Die keilschriftlichen Texte aus Ugarit bieten im Gegensatz zu den alttestamentlichen Textsammlungen gerade auch Einblick in den Tempelbetrieb sowie die allgemeinen Kulthandlungen durch Opferlisten und Rituale. Im klassischen Begriff LḤM68, den man im hebräischen Substrat mit »Brot(-Speise)« wiedergibt, liegt schon die erste crux interpretum. Die klassisch-arabischen Substrate verbinden das Lexem mit der Bedeutung »Fleisch«69 . Die Verschiebung hat chronologische und sprachräumliche Gründe, vor allem aber konnten Gründe vorgebracht werden, dass in Ugarit im 2. Jt.v.Chr. mit LḤM ganz allgemein die Speise bezeichnet wird – unabhängig von ihrem vegetabilen oder fleischigen Gehalt. In den Opferlisten begegnet aber zudem neben der LḤM-Speise der Begriff GDLT70. Gemeinsemitisch leitet sich dieses Lexem von GDL »groß sein«, »stark sein« ab. Ein verheerender Dreischritt wurde in der frühen Forschung begangen, sodass man folgerte: Das Lexem ist mit »groß« in Verbindung stehend, es ist weiblich (t-Endung in semitischen Sprachen), es wird geopfert. Folglich handelt es sich um eine Kuh. Inzwischen ist man nach 30 Jahren philologischer Forschung zur Einsicht gekommen, dass in den Texten von Ugarit nicht Hekatomben von mutmaßlichen Kuhherden ihr Ende gefunden haben, sondern, dass es sich bei GDLT um eine dicke, starke Form des Opferbrotes gehandelt haben muss. In dieser Hinsicht wurde das Wortpaar DQT-GDLT auch als Differenzierung »DünnbrotDickbrot« interpretiert.71 In Bezug auf das übergeordnete Thema der Tiertötung ist zu folgern: Auch wenn mitunter Opfertierrituale eine große Rolle gespielt haben – im realen Lebensvollzug waren sie trotzdem nicht inflationär belegt. Viel 68 | G. del Olmo Lete: DUL I, S. 492. 69 | Aus dem Alltag lässt sich der Name des Fleischsuqs in Jerusalem als Beispiel anführen: Die Bezeichnung »Suq al-lahamîn« ist klar auf die dort aufbereiteten Fleischspeisen zurückzuführen. Diese Etymologie ist in mehreren arabischen Dialekten fest verankert – mit gänzliche abweichenden Begriffen für Brot und Speise im Allgemeinen. 70 | G. del Olmo Lete: DUL I, S. 291. 71 | Vgl. zu den Belegen entsprechend J. Tropper: Brot, S. 545-565.

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zu oft kann aufgrund einer unsachgemäßen Folgerung ein gänzlich verzerrtes Bild einer Opfertradition entstehen, allein weil die Lexematik nicht gründlich genug geprüft wurde. Dass im vorliegenden Beispiel eher von weniger Kuhopfern ausgegangen werden muss, legen schon die Untersuchungen zur Bronze- und Eisenzeit nahe, die plausible Szenarien des weitgehenden Vegetarismus für die größten Teile der Bevölkerung annehmen. In diesem Sinn war der Fleischkonsum wohl auf wenige Festtage im Jahreskreis begrenzt. Die Massenschlachtung der modernen Schlachthöfe kann inzwischen nicht mehr mit der ungewöhnlich hohen Nennung von GDLT-Kuh-Opfern in Ugarit parallelisiert werden.

Z usammenfassung und A usblick Zum Abschluss sollen die wesentlichen Erkenntnisse, die aus dem präsentieren Material abzuleiten sind, kurz im Überblick zusammengestellt und in ein Gesamtbild eingeordnet werden: 1. Viele Grundsätze der Speisevorschriften und der Tabus entstammen der materiellen Grundlage der Religion und Kultur, folglich den ökonomischen Gegebenheiten. Tiertötung in den Religionen ist in den meisten Fällen mit grundsätzlicheren lebensweltlichen Mechanismen zu erhellen. 2. Der Tempel (inklusive des dort abgehaltenen Kults) sollte nicht ausschließlich als romantischer Ort der stillen Gottesgegenwart interpretiert werden. Vielmehr war er Wirtschaftsort und Umschlagszentrum von Gütern. Dies bedingt erneut auch Arbeitsstätten zahlreicher Spezialist_innen vor allem der verarbeitenden Industrie (wie z.B. des Metzgerhandwerks). Tempel waren Schlachthäuser, Opferorte, aber auch Gaststätten, die einen Teil der verarbeiteten Fleischerzeugnisse zugleich in die Konsumkette einbrachten. Eben diese Vorstellung ist mit dem Essen des sogenannten Götzenopferfleischs in der paulinischen Literatur in späthellenistisch-frühreichsrömischer Zeit noch immer greif bar (vgl. 1 Kor 8). Das Götzenopferfleisch stammt aus dem Tempel anderer Götter, die in Speisegaststätten rund um den jeweiligen Tempel herum angeboten bzw. zum Kauf angepriesen wurden. 3. Die Komplexität des Schlachtens wird vor allem durch die altägyptischen Reliefs verdeutlicht, die nicht nur die unterschiedlichen Stadien des Schlachtens, sondern eine Vielzahl an Handgriffen, Instrumenten, Funktionen und Abfolgen offenbaren. Hierin zeigt sich, dass das häufig evozierte Bild von der Schlachtung aufgrund der heutigen Entfremdung der modernen Gesellschaften deutlich unterkomplex evaluiert wird. Mithin stellt sich ein Schlachtprozess auch als Kunstfertigkeit heraus, der vor allem auch wegen der ethischen Implikate nicht nachlässig durchgeführt werden durfte. 4. Auch die philologische Komponente weist auf diese Komplexität hin, besonders wenn Bemühungen nachweisbar sind, Opfertarife für unterschiedliche Tiergattungen, Spezialschlachtungen und Aufteilungsprozesse zu vereinheitlichen.

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5. Im Rahmen des syro-aramäischen Totenmahles zeigt sich durch die Verschränkung mehrerer tierlicher Opfer eine Mahlgemeinschaft mit der göttlichen Sphäre, aber auch der diesseitigen Welt der Nachkommen mit dem Verstorbenen. Der Stellenwert der Tiertötung in gemeinschaftsstiftenden Ritualen wird hier deutlich ablesbar. Der kurze vorliegende Beitrag sollte das Motto materiality matters in Bezug auf die Tiertötung exemplifizieren. Ohne das Verständnis der kulturellen, alltäglichen und glaubensweltlichen Vorstellungen bleibt unser Verständnis der zentralen religiösen Texte des »Abendlandes« unvollständig. Dies liegt darin begründet, dass die Hebräische Bibel einen best-of-Charakter der altorientalisch-ägyptischen Literatur darstellt. Besonders Opfervorstellungen sind über viele Jahrtausende nicht sublimierte intellektuelle Gedankenexperimente, sondern harte Expert_innenarbeit. Zu jedem der präsentierten Unterpunkte ließen sich umfangreiche Textzusammenstellungen für das Alte Testament erarbeiten, bei denen der Bezug deutlich hervortritt. In diesem Rahmen spielt das Begriffscluster »Translation, Transformation, Theology« eine besondere Rolle: Von ursprünglichen Übertragungsriten und Ehrerbietungen entwickelte sich (auch wirtschaftlichen Zyklen entsprechend) ein Opfergedanke, der weniger materiell grundgelegt ist; gleichsam halten sich grundlegende Elemente bis in die heutigen religiösen Vollzüge der monotheistischen Religionen. Nähe und Ferne zu (Tier-)Opfern und Festen strukturieren die Lebenszeit in den antiken Kulturen und in diesem Rahmen nimmt, wie aus den Beispielen ersichtlich, auch die Tiertötung einen markanten Stellenwert ein. Abschließend ist in dieser Hinsicht auf zwei noch stark unterbewertete Aspekte der Diskussion einzugehen. Der erste betrifft die Verschränkung oder Verbindung der unterschiedlichen Weltbereiche (menschliche und göttliche Welt): Tötung stellt immer eine Grenzüberschreitung dar. Im engen Sinne ist sie in antiken Kulturen im Kriegszustand, als juristische Strafe und im Rahmen der Opferhandlungen zu verorten. Mit der Transgressionshandlung der Tiertötung handelt der Mensch aggressiv und greift in die Lebenssphäre des Tieres ein. Dieser Tatbestand wäre im engeren Sinne eine zu ahndende Handlung. Der Zusammenhang wird jedoch wirkungsvoll durchbrochen, wenn sich die menschliche Sphäre in gewisser Weise einen »starken Verbündeten« zur Seite stellt. Indem göttliche Aktant_innen an der Tiertötung in Form von Opferrationen beteiligt werden und in diesem Rahmen in den Prozess hineingenommen sind, stellt die Tiertötung ein weit kleineres Problem dar. Sie wird in einen größeren Rahmen »zwischen Himmel und Erde« eingeordnet und rechtfertigt die Vorgehensweise mit zusätzlichen höheren Zielen. Diese höheren Ziele können mit einer eigenen Sphäre beschrieben werden, sodass das System (besser: die Gesamtkonstellation) an Komplexität zunimmt Diese Grundannahme könnte einen weiteren materiellen Lösungsansatz zum Verständnis religiöser Opfertraditionen bereithalten. Unabhängig davon ist ein zweiter vernachlässigter Aspekt benennbar: Eine

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grundlegende Unterscheidung der Tiertötungskonstellationen wurde bisher noch nicht erarbeitet. Im Rahmen eines Aktant_innenmodells mit dem Hauptthema »Who kills Whom in the Ancient Near East« ließen sich textliche und bildliche Phänomene klarer kategorisieren und bezüglich des Bildgehaltes erhellender auslegen. Eine solche Konstellationsanalyse bedürfte einer balancierten Integration von Text- und Bildquellen und ließe sich mit den oben genannten Gründen auch für das Raum-Kontinuum des östlichen Mittemeerraumes plausibel darlegen.

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»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2) Tiertötung im Alten Testament 1 Ute Neumann-Gorsolke

E inleitung Wenn wir heute als Menschen einer westlichen Gesellschaft das Thema Tiertötung in den Blick nehmen, müssen wir uns zunächst eingestehen, dass nicht nur gefährliche Wildtiere wie Bär und Wolf, sondern selbst unsere wichtigsten Nutztiere ‒ wie Rind, Schwein, Huhn, Schaf und Ziege ‒ in unserem täglichen Leben kaum noch vorkommen. Wer nicht auf einem Bauernhof oder in einer bäuerlichen Umgebung zu Hause ist, erlebt diese Tiere nicht mehr, sondern sie landen nur noch in Form von fein abgepackten Schnitzeln, Hähnchenschenkeln oder Rinderbraten aus Metzgereien und Supermärkten als »Hauptgerichte« auf unseren Tellern. In unserer Lebenswirklichkeit spielen sie außerhalb des Kulinarischen und ‒ weit weniger wahrgenommen ‒ außerhalb der Modewelt keine Rolle mehr, d.h. wir leben zutiefst entfremdet von dieser Tierwelt, und bisweilen ist sogar eine konkrete Vorstellung von diesen Tieren abhandengekommen: Die ›lila Kuh‹ der Milka-Werbung prägt seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Anschauung vom Rind vieler Kinder … Gleichzeitig mit dieser Verbannung von Tieren aus unserer Lebenswelt aber erfahren wir durch unzählige Berichte in den Medien von den grausamen Methoden menschlicher Massentierhaltung, die von der Gier nach immer mehr Fleisch befördert wird. Wir sind erschrocken und abgestoßen von menschlicher Brutalität gegen Tiere, die lediglich der »Fleischindustrie« und »Fleischproduktion« dienen2 und längst »Opfer« menschlicher Unersättlichkeit geworden sind. Bil1 |  Dieser Beitrag war der Eröffnungsvortrag zum interdisziplinären Kolloquium »Opfer – Beute – Hauptgericht. Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs« (4.-6.3.2015) in Kassel. Er wurde für den Druck geringfügig bearbeitet, ohne den Vortragsstil zu verändern. 2 |  Vgl. zu diesem Themenkomplex F. Schmitz: Tierethik, S. 13-76, die zu Recht zu dem Urteil kommt, »dass Hühner, Schweine und Rinder in der landwirtschaftlichen Nutzung die Rolle von

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der von gepeinigten, eingepferchten Hühnern und Schweinen, brutal entsorgten schwachen Ferkeln sensibilisieren uns für das Leid dieser Tiere und evozieren zu Recht die Frage nach Tierrechten und nach einer nicht (ausschließlich) anthropozentrischen Ethik, die den Eigenwert der nichtmenschlichen Kreatur stark macht3 . Im Kontext dieser lebenspraktischen wie auch ethischen Standortbestimmung stellt sich die Frage nach dem Sinn der Rückfrage nach der Tiertötung im Alten Testament. Sie ist m.E. mehr als nur ein Blick in ein historisch weit entferntes Buch. Denn biblische Texte oder bisweilen nur einzelne Verse haben im Laufe der Geistesgeschichte eine erstaunliche normative Kraft entwickelt und prägen explizit wie implizit bis heute unser menschliches Selbstverständnis und Weltverhältnis4 . Dazu gehört auch ein Text wie Gen 9,2f.: »Und Furcht vor euch und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels; mit allem, was sich auf dem Erdboden regt, und allen Fischen des Meeres sind sie in eure Hand [=Verfügungsgewalt] gegeben. Alles, was sich reget, das lebendig ist: euch sei es zur Speise; wie das grüne Kraut habe ich euch alles gegeben.« 5

Diese Rede bringt göttlich legitimierte Verfügungsgewalt der Menschen (genauer: Noahs und seiner Söhne) über die Tierwelt zum Ausdruck und gibt Tiere zur Nahrung des Menschen frei. Und so liest sich dieser Text heute nur zu leicht als Erlaubnis und Ermächtigung unersättlicher und grausamer Tiertötung. Doch Gen 9,2f. unref lektiert als dicta probantia für biblische respektive göttliche Autorisierung unbegrenzter Tiertötung, die bis ins 21. Jahrhundert wirkt, zu lesen, ist hermeneutisch wie historisch unlauter und wird dem biblischen Text und seiner Welt – der Welt des antiken Palästina/Israel – nicht gerecht. Es gilt daher, den Text Gen 9 in seine Zeit und seinen literarischen Zusammenhang zu verorten, um Bedeutung und Intention genauer zu erfassen. Erst dann können die Impulse, die dieser Text uns bietet, angemessen bestimmt werden. Bevor wir uns daher Gen 9 und seiner theologischen Intention näher widmen, ist es unerlässlich, sich die Lebenswelt des antiken Palästina/Israel, insbesondere Produktionsmaschinen spielen, die Futter in Eier, Milch und Fleisch umwandeln und auf deren Bedürfnisse und Interessen so gut wie keine Rücksicht genommen wird« (S. 21). 3 |  Schon die Klassifizierung »wilde, gefährliche Tiere« und »Nutztiere« definiert Tiere vom Menschen her. Vgl. zur Diskussion die Beiträge in dem Band von F. Schmitz: Tierethik. 4 |  Beispielhaft können hier die Wirkungen des sog. dominium terrae in Gen 1,28 genannt werden, die als Legitimation der Ausbeutung der Erde verwendet wurde, vgl. U. Krolzik: Wirkungsgeschichte. 5 |  Übersetzung U. Neumann-Gorsolke: Herrschen, S. 250f.

»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2)

das Verhältnis Mensch – Tier, vor Augen zu führen und die »gesellschaftlichen« Orte der Tiertötung und ihre Bedeutung in den Blick zu nehmen.

Tiere in der L ebenswelt des antiken Pal ästina /I sr ael Die Fauna des biblischen Israel Die Fauna des antiken Palästina/Israel war um einiges größer und artenreicher als heute. Wenngleich die hebräische Bibel kein zoologisches Buch ist und sein will, so verraten ihre Texte viel über den Artenreichtum der Antike. Über 200 Termini für Tiere kann man den biblischen Schriften entnehmen, vom Floh, der Motte und Ameise, von Schaf und Ziege über das Rind bis hin zum Geier, Strauß, Krokodil, Bären, Löwen und Panther. Dabei war die Anzahl der wilden Großtiere bedeutend größer als heute.6 Neben die biblischen Texte treten als Zeugnisse der vielfältigen Fauna in Palästina/Israel archäologische Funde. Erst kürzlich sind beispielsweise erneut Knochenbruchstücke eines Flusspferdes am See Genezareth gefunden worden, die darauf hinweisen, dass Flusspferde bis ins 10. Jh. v. Chr. dort heimisch waren.7 Die alltägliche Gegenwart von wilden Großtieren unterstreichen auch ikonographische Zeugnisse unterschiedlicher Art. In Palästina/Israel haben wir kaum Großdenkmäler, sondern vorwiegend Kleinfunde, vor allem sog. Stempelsiegel, deren Bildseite die antike Tierwelt dokumentieren (vgl. Abb. 1+2).8

6 |  Die meisten Großtiere sind heute – wie bei uns – ausgestorben oder wurden ausgerottet. Löwen etwa sind nur bis zum 13. Jh. n. Chr. in Palästina nachweisbar, in Syrien bis ins 19. Jh., im Iran und Irak sogar bis ins erste Drittel des 20. Jh., vgl. OLB I: S. 143. 7 |  Vgl. I. Thomsen: Flusspferde, S. 60. Dieser Fund ist der bislang letzte zahlreicher Flusspferdeknochenfunde der Eisenzeit, die u.a. in Orten der Mittelmeerküste gefunden wurden. »Das legt den Schluss nahe, dass Flusspferde hier noch während der Eisenzeit ausgerottet worden sind« (ebd.). 8 |  Zu ikonographischen Belegen der Tierwelt des biblischen Kulturraums siehe auch den Beitrag von F. Lippke in diesem Band.

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Abb. 1: Brüllender Löwe auf einem Siegel des 8. Jh. v. Chr. Die Inschrift nennt den Besitzer des Siegels »Schema, Diener Jerobeams (II)«, gefunden in Megiddo.

Abb. 2: Das Siegel aus dem 8. Jh. v. Chr. aus Juda zeigt eine äsende Hirschkuh; darunter der Name des Besitzers: »Dem Jeremiah (gehörig)«. Als ein Beispiel für einen biblischen Text, der Wildtiere in antiker Zeit nennt, sei der Weheruf des Propheten Amos (8. Jh. v. Chr.) angeführt, der diejenigen rügt, die den Tag JHWHs als lichten Freudentag erwarten (Am 5,18-20): »18Wehe denen, die hoffen auf den Tag JHWHs! Was erwartet ihr denn vom Tag JHWHs? Er ist Finsternis und nicht Licht: 19 wie wenn einer vor dem Löwen flieht, und der Bär fällt über ihn her, und er ins Haus kommt und sich mit der Hand an die Wand stützt, und die Schlange beißt ihn. 20 Ist der Tag JHWHs nicht Finsternis und ohne Licht, Dunkel und ohne Glanz.« 9

9 | Die Bibeltexte sind, soweit nicht anders angegeben, der Zürcher Bibel 2007 entnommen; lediglich HERR wurde durch das Tetragramm JHWH ersetzt.

»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2)

Der Text verrät nicht nur, dass Löwe, Bär und Schlange in Palästina heimisch waren, sondern dass sie im Alltag der Menschen eine tödliche Gefahr darstellten. Gefährliche Wildtiere waren – anders als in unserem Leben – allgegenwärtig. Besonders der Löwe gehörte zu den Großraubtieren, die die Israelit_innen am meisten fürchteten. Die biblischen Texte lassen immer wieder durchblicken, dass die Lebensweise der Löwen den Menschen vertraut war. Es war bekannt, dass hungrige Löwen ihr Versteck verlassen und an verborgenen Orten auf Beute lauern (Jer 25,38; Hi 38,39f; Klgl 3,10). Ps 104,20f. nennt ausdrücklich die Nacht als Zeit des Löwen, um seinen Beutetieren nachzustellen, während dem Menschen der Tag für ihre Arbeit zugeteilt ist. Ihre Zähne galten als gefährliche Waffen (Hi 4,10), mit denen sie Wildesel oder Gazellen, aber auch Kleinvieh oder sogar Menschen töten konnten.10 Dass Löwen und auch Bären die Kleinviehbestände dezimierten, wird aus der Rede Davids deutlich, mit der er sich König Saul als Kämpfer gegen Goliath empfiehlt (1Sam 17, 34-36a): »34Und David sagte zu Saul: Dein Diener hat für seinen Vater die Schafe gehütet. Und wenn ein Löwe kam oder ein Bär und ein Schaf von der Herde nahm, 35 so zog ich aus, ihm nach, erschlug ihn und riss es ihm aus dem Maul. Erhob er sich aber gegen mich, so ergriff ich ihn beim Bart, schlug ihn und tötete ihn. 36 Sowohl den Löwen als auch den Bären hat dein Diener erschlagen.«

Mit der Verteidigung der Herden ist hier ein erster Ort der Tiertötung im Leben der Israelit_innen genannt: Der Hirte, der verantwortlich ist für seine Herde, tötet gefährliche Raubtiere, um die Herden zu schützen. Menschliche Tiertötung verhindert tierliche Tiertötung! Deutlich wird an diesem durchaus gefahrvollen Handeln des Hirten David, wie wichtig und bedeutend die Herdentiere für die Menschen im Alten Israel waren, denn sie lebten zum größten Teil von Vieh- und Landwirtschaft. Mit ihren Haustieren lebten sie in engstem Kontakt. Gemeint sind hier nicht ‒ wie bei uns ‒ Hunde, Katzen oder Meerschweinchen, sondern Schafe (Fettschwanzschafe) und Ziegen, das sogenannte Kleinvieh, bisweilen Rinder (Großvieh), Esel und Tauben. Die halbnomadisch lebende Bevölkerung, wie sie biblisch z.B. in dem Erzelternpaar Abraham und Sarah erscheint, zog mit ihren Familien und ihrem Kleinvieh (und Rindern) im Land umher, immer auf der Suche nach neuen Weidegründen. In den Ortschaften lebten Esel, einige Ziegen und Tauben unter einem Dach mit den Menschen und bildeten geradezu eine Hausgemeinschaft (vgl. 2.Sam 12). Die spezielle Architektur des sogenannten Vierraumhauses war dazu besonders geeignet (Abb. 3):

10 |  Vgl. P. Riede: Löwe.

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Abb. 3: Schematischer Grundriss eines eisenzeitlichen Vierraumhauses, das Wohnen, hauswirtschaftliches Arbeiten (Hof) und Viehhaltung (Stall) verband. Die größeren Herden wurden außerhalb der Ortschaften von Hirten, oft jüngere Familienangehörige, gehütet und bewacht, wie wir am Beispiel von David schon gesehen haben. Schafe und Ziegen lieferten den Menschen Milch, aus der auch Butter gemacht wurde, dazu Wolle, Leder und Ziegenhaar, aus denen Zeltdecken und Kleidung hergestellt wurden. Fleisch wurde dagegen sehr selten gegessen: Wenn ein Tier, oft ein Mastkalb oder ein Zicklein, geschlachtet wurde, dann für ein Fest oder einen ganz besonderen Gast. In Gen 18 wird berichtet, dass Abraham seine Gäste, darunter JHWH selbst, zu einem Mahl einlädt: Neben Broten aus Feinmehl bietet er ihnen Butter, Milch und »ein zartes schönes Kalb« an, das er speziell für die Gäste zubereiten lässt. Diese Geste weist neben der sprichwörtlichen Gastfreundschaft auf die Bedeutung der Gäste hin. Wir haben hier einen zweiten Ort der Tiertötung: Tötung von Herdentieren als Speise. Doch Tiere wurden nicht massenhaft zum Verzehr getötet; denn das Leben und die Existenz der bäuerlichen Großfamilien hingen wesentlich an dem Gedeihen und dem Überleben ihrer Tiere. Spr 27 mahnt daher zur Fürsorge für die Herden: »23Achte auf das Aussehen deiner Schafe, und richte dein Herz auf deine Herden! 24 Denn kein Vorrat hält ewig, und keine Krone bleibt von Geschlecht zu Geschlecht. 25 Ist das Heu eingebracht und frisches Grün erschienen und sind die Kräuter der Berge gesammelt, 26 dann gibt es Lämmer für deine Kleidung und Böcke als Kaufpreis für ein Feld, 27 und reichlich Ziegenmilch ist da als Nahrung für dich und dein Haus und genug zum Leben für deine jungen Frauen.«

»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2)

Die Herden sicherten lebend das Überleben der Menschen. Daher wurde die Fruchtbarkeit der Herden als Ausdruck göttlichen Segens verstanden.11 Während Schafe und Ziegen den Lebensunterhalt sicherten, transportierten Esel Lasten und Rinder zogen den Pflug und besorgten das Ausdreschen des geschnittenen Getreides mithilfe eines Dreschschlittens. Ohne die Tiere konnte die Feldarbeit nicht verrichtet werden! Die tägliche Angewiesenheit der israelitisch-judäischen Bäuer_innen auf ihre Arbeits- und Nutztiere förderte das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit von Mensch und Tier. »Die Bedeutung des Rindes etwa war so groß, dass ihm sogar einige Gesetzesbestimmungen galten, z.B. das Verbot, ihm beim Dreschen das Maul zu verbinden (Dtn 25,4) – damit es Anteil an dem mit seiner Hilfe gedroschenen Getreide hatte.«12 Auch in die Sabbatruhe waren diese Haustiere ausdrücklich mit einbezogen. So heißt es in Dtn 5,12-14 (vgl. Ex 20,8-11): »13 Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun; 14 der siebte Tag aber ist ein Sabbat für JHWH, deinen Gott. Da darfst du keinerlei Arbeit tun, weder du selbst noch dein Sohn oder deine Tochter oder dein Knecht oder deine Magd oder dein Rind oder dein Esel oder all dein Vieh oder der Fremde bei dir in deinen Toren, damit dein Knecht und deine Magd ruhen können wie du.«

Einige Rechtstexte aus dem sogenannten Bundesbuch weisen zwar darauf hin, dass es vorkam, dass Esel als Lasttiere unter ihrer Last zusammenbrachen (Ex 23,5), doch der Mensch wird ermahnt, den Esel nicht allein zu lassen. Denn wie Weisheitssprüche zeigen, offenbart die Pflege und die Sorge um sein Vieh den Charakter eines Menschen: So heißt es in Spr. 12,10: »Der Gerechte kümmert sich um sein Vieh, das Erbarmen der Frevler aber ist grausam.«

In diesem antithetischen Parallelismus wird die Fürsorge des Gerechten für sein Vieh der Grausamkeit des Gottlosen, des Frevlers, gegenübergestellt, d.h. nur wer sich den in seine Obhut gegebenen Haustieren gegenüber fürsorglich verhält, entspricht in seinem Handeln der geschöpflichen Ordnung Gottes. So sollte der Mensch im Alten Israel im alltäglichen Leben die Geschöpfe Gottes achten! Der Schöpfungsbericht Gen 2 sieht in Tieren zwar keine »ihm entsprechende Hilfe«, aber sie sind seine Gefährten, die aus demselben Stoff geformt sind wie er.13 Und der späte Weisheitstext Koh 3,19f. betont in seiner Lebensbetrachtung

11 |  Vgl. dazu Gen 30,30ff: Der Segen, der auf Jakob ruht, führt zur Vermehrung der Herden seines Onkels Laban. 12 |  B. Janowski/U. Neumann-Gorsolke: Haustiere, S. 65. 13 |  Vgl. OLB I: S. 100.

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die enge »Schicksalsgemeinschaft« von Mensch und Tier und sieht angesichts des Todes keinen Vorrang des Menschen: »19Das Geschick der Menschen gleicht dem Geschick der Tiere, es trifft sie dasselbe Geschick. Jene müssen sterben wie diese, beide haben denselben Lebensgeist, und nichts hat der Mensch dem Tier voraus, denn nichtig und flüchtig sind sie alle. 20Alle gehen an ein und denselben Ort, aus dem Staub sind alle entstanden, und alle kehren zurück zum Staub.«

Fassen wir die verschiedenen Aspekte zur Tierwelt im Alten Testament zusammen, so wird deutlich, dass Tiere – im starken Gegensatz zu unserem heutigen Erleben  – dem Menschen im antiken Israel allgegenwärtig waren: Sie wurden einerseits als bedrohlich und feindlich erfahren, andererseits aber waren sie auch unabdingbarer Teil der Haus- und Lebensgemeinschaft, auf den die Menschen existentiell angewiesen waren. Das förderte und forderte die Sorgfalt und Pflege der Tiere. Gleichzeitig betonen die alttestamentlichen Texte, dass Wild- und Haustiere Geschöpfe Gottes sind und als diese Lebewesen ihren Platz in der Schöpfung haben.14 Dennoch: Trotz der großen Verbundenheit zwischen Mensch und Tier gab es auch im alten Israel Anlässe und Notwendigkeiten (!) für die Tötung von Tieren. Diese sollen jetzt im Fokus stehen.

Gesellschaftliche »Orte« des Tiertötens Zwei Orte der Tiertötung sind schon genannt worden: einmal die Verteidigung der Kleinviehherden gegen räuberische Wildtiere ‒ Tiertötung zur Tierrettung – und zum anderen die Schlachtung für den Verzehr. Da gerade massenhafte Tiertötung in unserer Lebensmittelindustrie heute problematisch geworden ist, muss nochmals betont werden, dass der Fleischkonsum im größten Teil der Bevölkerung im Alten Israel äußerst begrenzt war: Die Aufzucht der Tiere war mühevoll, und sie lieferten Milch und Wolle, sodass sie für den täglichen Verzehr zu wertvoll waren.15 Begrenzt wurde der Fleischkonsum auch dadurch, dass die Schlachtung lange Zeit kein profaner Akt war, sondern das Fleisch vor Gott, d.h. an einem Kultort, dargebracht werden musste, bevor es verzehrt werden konnte. Die Tötung des Lebendigen erfolgte so in dem Bewusstsein, dass das Tier ein Lebewesen ist, 14 |  Insbesondere die Gottesreden im Hiobbuch (Hi 38-41) betonen, dass auch die dem menschlichen Einfluss entzogenen Wildtiere wie Steinbock oder Wildstier ihren von Gott gewollten Ort in der Schöpfung haben und ihnen ihr Lebensrecht nicht vom Menschen zukommt. 15 |  Eine vergleichbare Situation kann man auch für Europa respektive Deutschland feststellen: Während der Fleischkonsum im 19. Jh. im Jahresdurchschnitt bei 14 kg pro Kopf lag, liegt der Verbrauch heute bei ca. 80 kg pro Kopf, vgl. die Übersicht der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen unter: http://www.foes.de/pdf/2012-02-09_AG1_ Fleisch_Burdick.pdf (abgerufen am 24.2.2016).

»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2)

das Gott zugehört.16 Zum anderen reglementierte die Differenzierung nach rein und unrein den Verzehr von Tieren nach religiösen Maßstäben und schloss bestimmte Tiere von vornherein vom Verzehr aus (Lev 11/Dtn 14).17 Am königlichen Hof Salomos jedoch bedurfte es täglich »zehn gemästete[r] Rinder, zwanzig Weiderinder und hundert Schafe« (1 Kön 5,3), um alle Hofangestellten zu sättigen. Hier deutet sich m.E. durchaus bereits die verheerende Entwicklung an, dass Reichtum, Macht und Einfluss Fleischverzehr erhöhen und daher auch Tiertötung in großer Zahl voraussetzen. Auch die Sozialkritik der Propheten geißelt das Wohlleben der Reichen, das sich im üppigen Verzehr von Lämmern und gemästeten Kälbern zeigt (vgl. Am 6,4-6). Fleischkonsum wird zum Prestigeobjekt der Reichen und Mächtigen! Ein weiterer, in allen Kulturen bekannter gesellschaftlicher Ort des Tiertötens ist die Jagd. Im Alten Testament werden Jagden trotz des Wildreichtums selten explizit genannt 18 . Dabei umfasste die Auf listung reiner Tiere, die den Israelit_innen als Speise erlaubt waren, durchaus »Hirsch, Gazelle, Damhirsch, Wildziege und alle Arten von Antilopen« (Dtn 14,5; vgl. auch 12,15). Wiederum erwähnt nur 1 Kön 5,3, dass Wildbret wie Gazelle und Karmelreh die üppige königliche Tafel ergänzten. Viele Bildworte vor allem der Psalmen und in der Weisheitsliteratur lassen aber darauf schließen, dass mit Netzen oder Klappnetzen Vögel gefangen oder sie mit einem Wurfholz getötet wurden. Dazu werden Schleppnetz, Pfeil und Bogen und Angel genannt, die für die Jagd von Wildstieren, Gazellen und Fischen genutzt worden sein dürften. Allerdings verherrlicht die Bildsprache der Psalmen die Jagd nicht, sondern stellt die Erfahrung des Gejagten in den Mittelpunkt. So klagt der Beter in Ps 140,6 gegen die Frevler, die ihm nachstellen: »Hochmütige legten heimlich mir ein Klappnetz und spannten Stricke mir als Netz, stellten Fanghölzer mir neben den Weg.«19 Diese Zurückhaltung gegenüber der Jagd mag damit zusammenhängen, dass in den großen Nachbarkulturen Ägypten und Mesopotamien königliche Jagden zur Herrscherideologie gehörten: Sie dienten als rituelle Jagden nicht der Nahrungsbeschaffung oder Bekämpfung realer Gefahren, sondern waren ein religiöspolitisch dimensioniertes Geschehen, durch das der König seine Macht erwies: 16 |  Erst mit der Kultzentralisation auf Jerusalem wird die profane Schlachtung möglich (vgl. Dtn 12,15). 17 |  Vgl. B. Janowski /U. Neumann-Gorsolke: Reine und unreine Tiere, S. 214-218. 18 |  Esau, der Sohn Isaaks und Rebekkas, ist einer der wenigen im Alten Testament erwähnten Jäger (Gen 25,27), doch wird er von seinem Bruder Jakob, dem Hirten, um das Erstgeburtsrecht und den väterlichen Segen betrogen – für einige Exegeten ein Hinweis, dass das Hirtentum dem Jäger als ältere Kulturstufe überlegen ist und ihn verdrängt (vgl. in Anlehnung an V. Maag [1957] z.B. C. Westermann: Genesis, S. 509). 19 |  Vgl. P. Riede: Netz, S. 349.

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Durch die Überwindung der Wildtiere Löwe/Wildstier etc., die als Sinnbilder dämonischer Mächte respektive Feinde angesehen wurden, garantierte der Herrscher den Bestand der Weltordnung. Es waren inszenierte Jagden, die in eigens angelegten Wildgehegen mit gezüchteten Wildtieren, vor allem Löwen, stattfanden. Sowohl die zahlreichen Palastreliefs der neuassyrischen Könige (vgl. Abb. 4) wie auch ihre Annalen geben ein beredtes Zeugnis von der Bedeutung dieser Jagden.20

Abb. 4: Königliche Löwenjagd; Relief aus dem Palast Assurbanipals (668-629 v. Chr.) in Ninive Ein Nachhall ist im Alten Testament in Jer 27,5f; 28,14 zu finden, wo der Herrschaftsantritt eines fremden Königs auffälligerweise ebenfalls die Tierwelt umfasst.21 Auf Israel bzw. seine Könige bezogene Berichte über rituelle Jagden fehlen jedoch. Allerdings dokumentieren herausragende Männer wie David, Simson und Benaja (vgl. 1 Sam 17; Ri 14,5; 2 Sam 23) ihre Macht durch die Tötung eines Löwen, ohne dass allerdings eine Jagdszenerie vorausgesetzt wird.22 Festzuhalten bleibt, dass es auch im Alten Israel sicher Jagd auf Wildtiere wie Vögel, Gazellen, Hirsche etc. gegeben hat und auch Raubtiere z.B. in Fallen gejagt wurden, um die Herden zu schützen. Im Alten Testament ist diese Art der Tiertötung allerdings sehr wenig greif bar und muss zum großen Teil aus Bildworten mit gerade gegenteiliger Perspektive – nämlich der Perspektive des Gejagten ‒ 20 |  In einer Beischrift eines Palastreliefs in Ninive, das die Löwenjagd zeigt, rühmt sich Assurbanipal, er habe zu seiner fürstlichen Belustigung den Wüstenlöwen am Schwanz gepackt und ihm auf Geheiß der Götter Ninurta und Nergal mit seiner Keule das Gehirn gespalten, vgl. H. Gressmann: AOAT, S. 155. 21 |  Auch in der sog. Völkertafel Gen 10 weist Nimrod, der als großer Jäger gepriesen wird, auf einen assyrischen König der Vorzeit, der Ninive erbaut hat (Gen 10,8-12). Vgl. K. Galling: Jagd, 150. 22 |  Vgl. dazu OLB I: S. 174.

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geschlossen werden. Das mag darauf hindeuten, dass für das tägliche Leben der meisten Israelit_innen Jagd bzw. Jagdbeute nicht bedeutsam, sondern eher den königlichen Kreisen vorbehalten war. Demgegenüber steht der für alle Israelit_innen wesentliche, uns jedoch sehr fremde Anlass der Tiertötung, die rituelle Opferhandlung. Ihr wenden wir uns jetzt zu.

Tiere als Opfermaterie Das Opfer als heilige Handlung ist in nahezu allen antiken Kulturen belegt. Ziel dieser »materielle(n) Grundform religiösen Handelns«23 ist es, eine Beziehung zum göttlichen Bereich herzustellen, meist in der Absicht, die Gottheit günstig zu stimmen (do-ut-des) und »um deren Einwirkungen auf den menschlichen Bereich zu regulieren«24 .

Abb. 5: Brandopferaltar aus Megiddo, 9. Jh. v. Chr. Wesentlich ist dabei, dass die Opfergaben25 dem Spender entzogen und der Gottheit übereignet werden, dass es sich also um einen Verzicht und damit wirklich um ein »Opfer« für den Gebenden handelt. Dem entspricht, dass in den Opfer23 |  B. Streck: Opfer, S. 157; vgl. auch B. Janowski: Tieropfer, S. 339f. 24 |  B. Janowski: Tieropfer, S. 340. 25 |  In diesem Rahmen können weder die unterschiedlichen Opferarten im Alten Testament dargestellt noch die differenzierte theologische wie kulturanthropologische Diskussion zum Opfer wiedergegeben werden, vgl. dazu aber u.a. I. Willi-Plein: Opfer; B. Janowski: Gott, S. 263ff; C. Eberhardt: Opfer.

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vorschriften des Alten Testaments26 Tieropfer ausschließlich aus Haus- und Arbeitstieren bestanden, also Tieren, die für die Existenz der bäuerlichen Familien von entscheidender Bedeutung waren. Lev 1 nennt z.B. Rind, Kleinvieh, d.h. Ziege und Schaf, sowie Turteltaube und Taube.27 Wilde wie auch unreine Tiere (vgl. Dtn 14; Lev 11) waren dagegen vom Opfer ausgeschlossen. Ort der Opferhandlung war der Altar (s. Abb. 5); auf ihm konnte geschlachtet werden, oder es wurden Opfergaben, darunter das äußerst wertvolle Fett, dort abgelegt und verbrannt. An den Sockel des Altars, der durch eine vorspringende Leiste abgetrennt wurde, konnte das Blut der Opfertiere appliziert werden.28 Was ein Altar und der auf ihm durchgeführte Opferritus bedeuten, erschließt sich aus dem sog. Altargesetz, mit dem das Bundesbuch eingeleitet wird (Ex 20,22-26)29: »22Da sprach JHWH zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sprechen: Ihr habt selbst gesehen, dass ich vom Himmel her mit euch geredet habe. 23 Ihr sollt mir nichts an die Seite stellen; silberne und goldene Götter sollt ihr euch nicht machen. 24 Einen Altar aus Erde sollst du mir errichten und darauf deine Brandopfer und Heilsopfer, deine Schafe und Rinder, schlachten. An jeder Stätte, an der ich meinen Namen kundmachen werde, will ich zu dir kommen und dich segnen. 25 Wenn du mir aber einen Altar aus Steinen errichtest, so darfst du ihn nicht aus behauenen Steinen bauen, denn du hast sie mit deinem Meißel bearbeitet und sie damit entweiht. 26 Auch darfst du nicht auf Stufen zu meinem Altar emporsteigen, damit nicht deine Blöße vor ihm enthüllt wird.«

Zentral ist hier kompositorisch wie theologisch V.24b, Gottes Reaktion auf das Opfer: seine zugesagte Gegenwart und sein Segen für Israel. In Anlehnung an Alfred Marx und Bernd Janowski kann man drei Aspekte für die Theologie des Opfers hier anschließen: 1. Der Altar ist der Ort des Kommens Gottes: Gott signalisiert seine Bereitschaft, zu seinem Volk zu kommen »jedesmal, wenn es ihn darum bittet, indem es ein Opfer bringt«30. 2. Das Feuer des Opfers ist die sichtbare Seite Gottes, die seine Gegenwart versinnbildlicht und 3. Das Opfer ist Zeichen der Gastfreundschaft gegenüber Gott. Wie sonst nur für ausgewählte Gäste eines der wichtigen Nutztiere geschlachtet wird, so jetzt für Gott. Das Opfer wird zubereitet und dann erst dargebracht (vgl. die Opfervorschriften Lev 1,5-9; 2,13

26 |  Zum Geschlecht der Opfertiere siehe den Beitrag von I. Müllner in diesem Band. 27 |  Vgl. B. Janowski/U. Neumann-Gorsolke: Opfertiere, S. 240. 28 |  Vgl. W. Zwickel: Welt, S. 214f. 29 |  Vgl. dazu die Ausführungen von B. Janowski: Tieropfer, S. 340f., und ders.: Noahs Erbe, S. 32-34. 30 |  A. Marx: Opferlogik, S. 136.

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u.ö.). »Wenn […] Gott anlässlich eines Opfers kommt, so um die Gastfreundschaft seines Volkes anzunehmen.«31 Wie aus Ex 20,24b hervorgeht, ist der Anlass des Kommens des Gottes Israels nicht, dass man ihn gnädig stimmen müsste, »sondern um die Gastfreundschaft seines Volkes anzunehmen und es zu segnen […]. Im Opfer erweist sich Jahwe für Israel nicht als der zornige, sondern als der segnende – und wie die priesterliche Sühnetheologie formuliert: als der vergebende Gott!«32 Das Opfer ist also für Israel ein Ort der Gottesnähe und der Restitution des Gottesverhältnisses! Geopfert werden durfte nur ein fehlerloses Tier zum Wohlgefallen für ihn bzw. sie (= den Opfernden bzw. die Opferende) vor JHWH. Das Zentrum des Tieropfers ist die rituelle Schlachtung. Diese wird in einem besonderen Verfahren, dem sog. Schächten, vollzogen.33 Wie ein Relief aus dem Palast des neuassyrischen Königs Sanherib veranschaulicht (s. Abb. 3 im Beitrag von Y.S. Thöne), wird das Tier dabei rücklings auf dem Opfertisch gehalten, während der Schlächter den Hals des Tieres überstreckt, um mit einem gezogenen Schnitt die Halsschlagader zu durchtrennen, sodass das Blut in das unten stehende Gefäß ausfließen kann. Dem Blut kommt eine große Bedeutung zu, denn in ihm steckt nach alttestamentlicher Anschauung das Leben/die Lebenskraft (hebr.: næfæš, vgl. Gen 9,5; Lev 17,11), das allein dem Altar, d.h. Gott, vorbehalten ist. Auf das Schächten folgte deshalb ein Blutritus: Entweder wurde das Blut am Altar vergossen (Dtn 12,27) oder an den Altar oder den Vorhang des Allerheiligsten versprengt und dadurch dem menschlichen Verzehr entzogen und Gott, als Spender der Lebens, zurückgegeben. Danach erfolgte erst das Zerteilen des Opfertieres, dann das Verbrennen der Opferteile (ohne die Haut) und der Verzehr des übrigen Fleisches durch die Priester. Uns mag diese Art der Kommunikation mit der Gottheit fremd sein, in der Antike war das Tieropfer eine der wichtigsten, von Gott selbst gestifteten Möglichkeiten, die Gottesbeziehung (wieder-)herzustellen. Sühne/Vergebung vollzog sich so materialiter und war im wahrsten Sinne des Wortes fassbar. Allerdings weist die prophetische Kritik darauf hin, dass das Opfer nicht als selbstwirksames Instrument zur Sündenvergebung angesehen werden dürfe. In Hos 6,6 heißt es: »Denn an Güte habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, und an der Erkenntnis Gottes mehr als an Brandopfern.« Hier geht es allerdings nicht um prinzipielle Ablehnung des Opfers, sondern darum deutlich zu machen, dass ohne wahre Umkehr und rechtes ethisches Handeln auch ein rite vollzogenes Opfer sinnlos bleibt! Die Bedeutung der Opfer31 |  Ebd. 32 |  B. Janowski: Tieropfer, S. 341. 33 |  Geregelt wird das Schächten erst sehr viel später, im Talmud-Traktat Chulin 1-2, wo Regelungen über die Person des Schächters, das Schächtmesser und die Prüfung des Gesundheitszustandes des Tieres getroffen werden. Vgl. dazu und dem heutigen Verfahren M. Rosenberger: Blutstropfen, S. 156f.

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handlungen als »Orte« der Begegnungen zwischen JHWH und Israel, zwischen JHWH und dem/der einzelnen Israeliten/Israelitin, ist daher mit der Opferkritik nicht aufgehoben. Für vielfältige Anlässe, seien es große Festtage wie Passah oder Jom Kippur (Lev 16) oder die Reinheitserklärung eines Aussätzigen (Lev 14), wird ein Tieropfer gefordert, dessen Beschaffenheit und Opferart in den priesterlichen Vorschriften des Buches Levitikus breit ausgeführt werden. Voraussetzung ist die prinzipielle Freigabe der Tiertötung. Und damit sind wir wieder bei Gen 9,2f.:

»In eure Hand sind sie gegeben […].« Die Freigabe der Tiertötung in Gen 9,2f. ist Teil der ersten (von zwei) Gottesreden an Noah und seine Söhne, den Grundstamm der Menschheit, nach der Sintflut. Literarhistorisch gehört der Text Gen 9 zur sog. Priesterschrift, die in exilisch-nachexilische Zeit datiert wird, also in die Zeit, als das Königreich Juda nicht mehr existierte und der Tempel, das religiöse Zentrum, in Trümmern lag. Wie der wissenschaftliche Kunstname dieser literarischen Schicht schon andeutet, geht es den Verfasser_innen, die von einer universalen Perspektive (siehe Schöpfungsgeschichte in Gen 1) auf Israel und dessen Zukunft blicken, um die Ordnungshaftigkeit der Welt, die sich im Kult und seinen Bestimmungen widerspiegeln. Diese Sicht liegt auch Gen 9,1-7 zugrunde: »1Und es segnete Gott Noah und seine Söhne; und er sagte zu ihnen: Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllet die Erde an. Und Furcht vor euch und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels; mit allem, was sich auf dem Erdboden regt, und allen Fischen des Meeres sind sie in eure Hand (= Verfügungsgewalt) gegeben. 3 Alles, was sich reget, das lebendig ist: euch sei es zur Speise; wie das grüne Kraut habe ich euch alles gegeben. 4 Nur Fleisch, als dessen Lebenskraft (= naefaeš) sein Blut (vorhanden) ist, sollt ihr nicht essen. 5 Jedoch euer Blut eurer Lebenskraft (in dem euer jeder Lebenskraft steckt) will ich einfordern, von jedem Tier will ich es einfordern; und von dem Menschen, von jedem [seines Bruders], will ich einfordern die Lebenskraft/das Leben (= naefaeš) des Menschen. 6 Derjenige, der Menschenblut vergießt, dessen Blut wird um des Menschen willen vergossen werden; denn als Bild Gottes hat er den Menschen gemacht. 2

»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2) Und ihr: Seid fruchtbar und werdet zahlreich; wimmelt auf der Erde und werdet zahlreich auf ihr.« 34 7

V.1 und 7 bilden als Mehrungssegen einen Rahmen um den Text Gen 9,2-6 und schlagen einen Bogen zur Schöpfungsgeschichte in Gen 1, wo der Mehrungssegen bereits an die ersten Menschen ergangen war (Gen 1,28). Doch in Gen 9 geht es nicht um die uranfängliche Schöpfungsordnung, sondern die Voraussetzungen unterscheiden sich erheblich. Die Gottesrede in Gen 9,1-7 ist nur als Reaktion auf die Ursachen der Sintflut, wie sie Gen 6,11-13 nennen, angemessen zu verstehen: »11Und verderbt wurde die Erde vor Gott, und angefüllt wurde die Erde von Gewalttat. 12 Und Gott sah die Erde und siehe: sie war verderbt, denn verdorben hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde. 13 Und Gott sprach zu Noah: Das Ende allen Fleisches ist gekommen vor mich, denn angefüllt ist die Erde von Gewalttat durch sie; und siehe ich bin der, der sie verdirbt samt der Erde.« 35

In Gen 6 wird der Einbruch von Gewalttat (hebr. ḥamas), und das meint: Bluttat, in die Welt konstatiert (Gen 6,11). Dies führt den Schöpfer zur Revision des Urteils von Gen 1,31: Die Welt ist nicht mehr »sehr gut«, sondern »verderbt« (Gen 6,12), weil sie angefüllt ist mit Gewalttat allen Fleisches – Gewalttat zwischen Mensch und Tier, zwischen Tier und Tier und zwischen Mensch und Mensch. Diese Gewalttaten führen zum »Ende«, zur Sintflut (V.13). Denn diese blutigen Übergriffe haben das Schöpfungskonzept von Gen 1 »verdorben«, in dem jedes Lebewesen seinen Ort (Himmel, Meer und Land/Erde) und seine vegetabile (!) Nahrung (Gen 1,29f) zugewiesen bekommen hatte.36 Den Menschen waren die samentragenden Kräuter (d.h. Gemüse) und Bäume, deren Früchte Samen tragen37, zugewiesen. Die Nahrung der Tiere dagegen sollte aus dem Kraut der Pflanze, das die Erde ohne Kultivierung hervorbringt, bestehen. Gen 9 knüpft zwar an Gen 1 an, indem es die Ausbreitung der Noachit_innen als Beginn einer neuen Menschheit mit Segen verheißt – den Tieren war schon 34 |  U. Neumann-Gorsolke: Herrschen, S. 250f. 35 |  Ebd., S. 237. 36 |  Mensch und Tier werden in Gen 1, sofern sie auf den Lebensraum Erde angewiesen sind, durch die unterschiedliche pflanzliche Nahrung unterschiedlich auf dieser Lebensgrundlage »verortet«, »so dass keine Konkurrenz zwischen Mensch und Tier entstehen muss und auch Übergriffe zwischen den Lebewesen nicht notwendig sind« (ebd., S. 234). 37 |  »Der Mensch ist implizit als Gemüse- und Ackerbauer gesehen, dem die Möglichkeit gegeben wird, seine Versorgung in Zukunft mitzugestalten« (ebd., S. 231).

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in Gen 8,15 der Mehrungssegen zuteil geworden ‒, doch die Neuregelungen in Gen 9 sind von der Auseinandersetzung mit dem Einbruch von Gewalttat in die Schöpfung gekennzeichnet: Es sind Regelungen für den Menschen und zu seinem Schutz. Allerdings wird seine Position im Schöpfungsgefüge, die in Gen 1 durch den Herrschaftsauftrag der Aufrechterhaltung der Ordnung galt38, jetzt gegenüber den Tieren verschärft: In V.2 ist die Rede von »Furcht und Schrecken«, der auf den Tieren lasten soll. Es ist die gleiche Rede, die in dtn/dtr. Texten Israels Überlegenheit gegenüber den Feind_innen herausstellt und als Ermutigung zum Kampf fungiert, weil Furcht und Schrecken die Feinde lähmen und wehrlos machen.39 Übertragen auf das Verhältnis Mensch – Tier soll die unantastbare Überlegenheit des Menschen in der Schöpfung festgeschrieben werden, die jegliche Übergriffe der Tierwelt auf den Menschen im Keim ersticken soll und die die Distanz des Menschen zu den Tieren aller Weltbereiche, der Erde, des Himmels und des Meeres, hervorhebt. Gen 9,2 ist getragen von dem Gedanken, die Gewalttat von Tieren gegen den Menschen zu unterbinden. Diese heute als anthropozentrisch stigmatisierte Sicht zeugt davon, »wie gravierend die Priesterschrift die Kluft zwischen den Menschen und seinen Mitgeschöpfen empfunden hat«. 40 Dem entspricht auch die den Titel dieses Vortrages bestimmende »Übereignungsformel«: »In eure Hände = Verfügung sind sie gegeben«. Dem Menschen wird Verfügungsgewalt über die Tierwelt von Gott zuerkannt. Was mit Verfügungsgewalt gemeint ist, führt V.3 aus: Dem Menschen wird nicht nur das »grüne Kraut«, die Nahrung, die nach Gen 1 den Tieren allein vorbehalten war, gegeben, sondern auch das Töten von Tieren erlaubt. Damit ist die Grenzziehung zwischen den Menschen und den Tieren, die in Gen 1,29f. durch die unterschiedliche vegetabile Nahrung aufgerichtet war, durchbrochen. Die menschliche Herrscherposition wird einseitig zuungunsten der Tierwelt verstärkt. Dennoch: Ein blindwütiges Töten, Gewalt- und Bluttat, wie es Gen 6 thematisiert, ist nicht gemeint und soll ja gerade verhindert bzw. unterbunden werden. Die Zweckbindung »zur Speise« erweist die nüchtern erteilte Tötungserlaubnis nicht als Bluttat, die den Bestand der Schöpfung gefährdet, sondern als »regulierte Gewalt« (B. Janowski)41. Tötung von Tieren ist erlaubt, aber nicht Ausrottung oder Töten aus Lust, nicht zügellose Gewalttaten, sind hier im Blick 42 , sondern Tiertötung ist begrenzt »zur Speise« – und natürlich »zur Speise Gottes«, dem 38 |  Vgl. ebd., S. 206ff. 39 |  Vgl. ebd., S. 253ff. 40 |  B. Janowski: Gottesbund, Zukunft der Tiere, S. 44. 41 |  B. Janowski: Gott, 115. 42 |  Vgl. J. Ebach: Bild Gottes, S. 45: »Wo aber die Ausbeutung der Natur, das Züchten und Quälen von Tieren, das Erniedrigen von Lebewesen zu Waren zu den Begleiterscheinungen der Herrschaft von Menschen über Menschen gehört […], da kann sich solche Praxis nicht auf Gen 1 und Gen 9 berufen.«

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Opfer. D.h. dass die Tiertötung auch erst die Ermöglichung für die sühneschaffenden Opferhandlungen darstellt, ist für die priesterschriftliche Literatur von großer Wichtigkeit, denn nur auf diese Weise kann das Verhältnis zu Gott immer wieder in Einklang gebracht werden. 43 Auch dieser Horizont muss hier mitbedacht werden. Doch die Tötungserlaubnis wird noch weiter begrenzt. V.4 wehrt einem ungehemmten Blutrausch, denn das Blut als Sitz der Lebenskraft wird dem menschlichen Verzehr entzogen. Hier zeigt sich eine Verbindung von Gen 9,4.5a zu priesterlichen Vorstellungen, wie sie in Lev 17,11f. zu finden sind: »Denn das Leben des Fleisches ist das Blut, und ich habe es euch für den Altar gegeben, damit Sühne für euch erwirkt werden kann. Denn das Blut ist die Lebenskraft und erwirkt Sühne. Darum habe ich zu den Israeliten gesagt: Niemand von euch darf Blut verzehren. Auch der Fremde, der in eurer Mitte lebt, darf kein Blut verzehren.«

Blut ist Mittel zur Sühne und ist dem Altar, also Gott, vorbehalten. Es dient als Sühnemittel, um das Verhältnis Gott – Mensch wiederherzustellen 44 . Daher ist es dem Verzehr des Menschen entzogen. Man könnte auch sagen: Die Verfügungsgewalt des Menschen endet da, wo sich die lebensspendende Kraft des Schöpfergottes zeigt. Das Blut der Tiere, in dem die von Gott gegebene Lebenskraft steckt, darf sich der Mensch nicht einverleiben. V.4 markiert deutlich eine Grenze, die auch als Front gegen die Gewalttaten von Gen 6 zu verstehen ist. Der Gewaltbegrenzung dienen auch die V.5f., die das Verbot respektive Sanktionen im Falle der Tötung eines Menschen durch einen anderen – und durch Tiere!  ‒ formulieren. Hier wird die Intention von Gen 9 deutlich greif bar: In der nachsintflutlichen Welt soll Gewalt gegen Tiere kanalisiert und Gewalt gegen Menschen verhindert werden, damit der Mensch als »Bild Gottes« in seiner Integrität unantastbar bleibt. Wer aber das Leben eines Menschen antastet, soll sein eigenes Leben verlieren. Die Erlaubnis der Tiertötung ist das einseitige Zugeständnis von (regulierter!) Gewalt zuungunsten der Tierwelt. Doch selbst die Verfügungsgewalt des Menschen stößt an Grenzen, wenn es um den Blutgenuss geht. »Die Erlaubnis, Fleisch zu essen, aber nicht mit seinem Lebensblut, und die Warnung, Menschenblut zu vergießen, normieren die grundsätzliche Stellung des Menschen innerhalb der gesamten Lebenswelt, das Verhältnis zu seinesgleichen und zum Tier.« 45 Doch obwohl die Priesterschrift eindeutig die Vorherrschaft des Menschen und seine Integrität – auch im Hinblick auf seine Verantwortung für die Schöpfung – betont, plädiert sie nicht für die Ausblendung der Tiere aus der Welt und 43 |  Vgl. B. Janowski: Noahs Erbe, S. 36f. 44 |  Zu alttestamentlichen Sühnevorstellungen vgl. B. Janowski: Sühne. 45 |  B. Jacob: Genesis, S. 250.

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ihrer Verdrängung aus der Schöpfung; vielmehr sichert sie der Tierwelt in ihrer gesamten Ausprägung ein Lebensrecht zu, denn sie bindet die Tiere in der zweiten Gottesrede an Noah und seine Söhne in den Gottesbund mit ein (Gen 9,8-11): » 8 Dann sprach Gott zu Noah und zu seinen Söhnen, die bei ihm waren: 9 Ich aber, ich richte meinen Bund auf mit euch und mit euren Nachkommen 10 und mit allen Lebewesen, die bei euch sind, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Wildtieren bei euch, mit allem, was aus der Arche gekommen ist, mit allen Tieren der Erde. 11 Ich will meinen Bund mit euch aufrichten: Nie wieder soll alles Fleisch vom Wasser der Sintflut ausgerottet werden, und nie wieder soll eine Sintflut kommen, um die Erde zu verderben.«

Gen 9,8-11 widerruft das Tötungsrecht des Menschen nicht, macht aber deutlich, dass Tiere zur Schöpfung Gottes gehören, nicht unter der Perspektive »Opfer – Beute – Hauptgericht« für die Menschen, sondern als Bundespartner Gottes. 46 Ihnen kommt ein Lebensrecht und ein Eigenwert in der göttlichen Schöpfung zu, die über eine allein auf den Menschen ausgerichtete Verwertung deutlich hinausgehen 47. Nicht ohne Grund sind die Tiere in die eschatologischen Friedensvorstellungen (Jes 11) einbezogen, die den Horizont zu einer gewaltfreien Mensch-TierBeziehung, einer Heilszeit ohne Tiertötung eröffnen.

Tiertötung im A lten Testament  – P erspek tiven Das Alte Testament zeigt uns eine Welt, in der Tiere allgegenwärtig und in der Tiertötungen eine Realität waren. Tiertötung als Abwehr von Gefahren für das eigene, aber auch das Leben der Nutztiere zum einen; zum anderen Tiertötung – Schlachten und Jagd ‒ als Grundlage der Ernährung. Dabei war, entsprechend den Lebensumständen, die sich von den unsrigen tiefgreifend unterscheiden, massenhafte Tiertötung kaum denkbar. Allerdings weisen Stellen wie 1 Kön 5,3 und Am 6,4-6 darauf hin, dass sich üppiger Fleischkonsum als Merkmal von Macht und Reichtum zeigt und den Blick auf einen verhängnisvollen Zusammenhang eröffnet. Die Gottesreden in Gen 9 sind der priesterlichen Theologie verpflichtet, die die Schöpfung als auf den Kult hin geordnete Welt des heiligen Gottes Israels begreift und eine Hoffnungsperspektive für Israel als Teil der Menschheit eröffnen will. Gen 9,1-7 stellt sich der Faktizität von Gewalt zwischen den Geschöpfen (Gen  6) und will diese regulieren, indem die Verfügungsmacht des Menschen zuungunsten der Tierwelt durch die Tötungserlaubnis erweitert, aber nicht ent46 |  Vgl. auch Hos 2,20. 47 |  Texte wie Ps 104 und auch die Gottesreden im Hiobbuch (Hi 38-41) lenken den Blick auf die Tierwelt, die ohne Bezug zur Menschenwelt lebt und über die Anstrengungen der Menschen nur lachen kann (Hi 39,7); vgl. hierzu Uehlinger: dominium terrae.

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grenzt wird. 48 Tiertötung »zur Speise« wird erlaubt, nicht aber zum Vergnügen oder gar dem Blutrausch. Der Entzug des Blutes, das für den Altar gemacht und der Entsühnung des Menschen vor Gott vorbehalten ist, begrenzt menschliche Tötungsgier, gleichzeitig eröffnet Blut als Sühnemittel die Wiederherstellung eines zerstörten Gott-Mensch-Welt-Verhältnisses im Kult. Gerade diese Begrenzungen drücken ein reflektiertes Umgehen mit Tiertötung aus, das von einer neuzeitlichen Hemmungslosigkeit weit entfernt ist und uns zu denken geben kann. Gleichzeitig zeigt uns Gen 9,2f. in der Perspektive von Gen 1 und Gen 6 her, dass die Tiertötung als Wahrung der herrscherlichen Stellung des Menschen in der Welt nur die schlechtere von zwei Lebensweisen ist. Denn sie ist dem Einbruch der Gewalttat geschuldet und entspricht nicht dem »Idealplan« der Schöpfung von Gen 1. Sie muss als regulierte Gewalt verstanden werden, die der »Normativität des Faktischen« (B. Janowski)49 Einhalt gebieten will, aber hinter den Vorstellungen von Gen 1 zurückbleibt. Von Gen 9 her gelesen wird damit Gen 1,29f.  – die Welt ohne tödliche Übergriffe zwischen den Geschöpfen, die Welt eines allen gemeinsamen Vegetarismus ‒ in ihrem Hoffnungspotential eklatant. Gen 1 ist nicht der verlorene Anfang, sondern der Ursprung als Ziel50. Diese Perspektive wird in den eschatologischen Verheißungen des Tierfriedens der Propheten zum Ausdruck gebracht (vgl. Jes 11). Die Bundeszusage Gottes in Gen 9,8-11, die die Tiere einschließt (vgl. auch Hos 2,20), untermauert gerade in diesem Kontext der erweiterten Verfügungsgewalt des Menschen, dass Tieren in der Weltordnung Gottes ein Lebensrecht und auch ein Eigenwert zukommen, die nicht von einer neuen Sintflut und auch nicht vom Tötungsrecht des Menschen infrage gestellt werden können! Tiere sind nicht allein für die Verwertbarkeit des Menschen geschaffen. Angesichts unserer modernen Tierverwertungsgesellschaft fordern uns diese Texte heraus, uns der ethischen Reflexion zu stellen, wie bei uns heute die Begrenzung der menschlichen Verfügungsgewalt über Tiere bestimmt und wie der Eigenwert der Tiere gewahrt werden können.

48 |  Auch diese Regelung versteht J. Ebach: Bild Gottes, S. 46, als »Utopie, als Protest gegen die Gegebenheiten«. 49 |  B. Janowski: Gottesbund, Zukunft der Tiere, S. 45. 50 |  Vgl. J. Ebach: Bild Gottes, S. 47. Ders.: Schöpfung, S. 112f., beschreibt das Gen 1 inhärente Hoffnungspotential als »erinnerte Zukunft« und »erhoffte Vergangenheit«.

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»In eure Hand sind sie gegeben …« (Gen 9,2)

Geographisch-geschichtliche Landeskunde. Mit Beiträgen von Urs Staub, Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht; Zürich: Benziger 1984 (= OLB I). Krolzik, Udo: Die Wirkungsgeschichte von Genesis 1,28, in: Günter Altner (Hg.): Handbuch ökologischer Theologie, Stuttgart/Berlin: Kreuz Verlag, 1989, S. 149-163. Marx, A.: Opferlogik im alten Israel, in: Bernd Janowski/Michael Welker: Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 129-149. Neumann-Gorsolke, Ute: Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten (WMANT 101), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2004. Riede, Peter: Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen (WMANT 85), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2000. Riede, Peter: Art. Löwe (2010), in: www.bibelwissenschaft.de/stichwort/25081/ Schmitz, Frederike: Tierethik. Eine Einführung, in: Frederike Schmitz (Hg.): Tierethik. Grundlagentexte (stw), Berlin: Suhrkamp, 2014.S. 13-76. Rosenberger, Michael: »Nicht bis zum letzten Blutstropfen«. Das Schlachten von Tieren in den monotheistischen Religionen, in: Andreas Lob-Hüdepohl (Hg.): Ethik im Konflikt der Überzeugungen. Studien zur theologischen Ethik, Freiburg (Schweiz): Academic Press Fribourg; Freiburg/Wien: Herder 2004, S. 154-164. Thomsen, Iris: Flusspferde am See Gennesaret, in: Welt und Umwelt der Bibel 63 (2012), S. 60-61. Streck, Bernhard: Art. Opfer, in: Bernhardt Streck (Hg.): Wörterbuch der Ethnologie, Köln: DuMont 1987, S. 157-160. Uehlinger, Christoph: Vom dominium terrae zu einem Ethos der Selbstbeschränkung? Alttestamentliche Einsprüche gegen einen tyrannischen Umgang mit der Schöpfung, in: BiLi 64 (1991) S. 59-74. Westermann, Claus: Genesis. Kapitel 12-36 (BK.AT I/2), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 21989. Willi-Plein, Ina: Opfer und Kult im alttestamentlichen Israel. Textbefragungen und Zwischenergebnisse (SBS 153), Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH 1993. Zwickel, Wolfgang: Die Welt des Alten und Neuen Testaments. Ein Sach- und Arbeitsbuch, Stuttgart: Calwer 1997.

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Das Geschlecht der Opfertiere Überlegungen anhand von Opferbestimmungen der Tora Ilse Müllner

Tor a : E rz ählung und W eisung Im biblischen Israel gehört das Opfern von Tieren zu den basalen rituellen Ausdrucksformen, mit denen Menschen in eine Beziehung zum Göttlichen treten. Auch die Erinnerung an das Grunddatum der Geschichte Israels – den Exodus – in der Pessachfeier ist mit der ritualisierten Tötung von Tieren verbunden. Ob das Schlachten des Pessach-Lamms wirklich als Opfer zu qualifizieren ist, bleibt strittig.1 Unstrittig aber ist, dass die Schlachtung eines »fehlerfreien, männlichen, einjährigen Lamms, des Jungen eines Schafes oder einer Ziege« (Ex 12,5) zum erzählten Auszug aus Ägypten ebenso gehört wie zu dessen ritualisiertem Gedenken. Pessach ist für die jüdische Identität nicht irgendein, sondern das konstitutive Grunddatum. Die Beziehung zwischen dem jüdischen Volk und seinem Gott JHWH2 wird in diesem Ereignis des Auszugs aus der ägyptischen Sklaverei in das verheißene Land grundgelegt. Das ritualisierte Gedenken dieser Befreiungstat bestimmt bis in die Gegenwart über den Festkalender auch den Jahresrhythmus und konkretisiert sich in der jährlichen Feier des Pessach. Bereits in der ersten Erzäh1 | Vgl. C. Dohmen: Exodus, S. 291-294. 2 | Der Gottesname, der mit dem hebräischen Tetragramm ‫( יהוה‬JHWH) bezeichnet wird, wurde(und wird) im Judentum schon relativ früh nicht ausgesprochen, sondern mit Ersatzbegriffen bezeichnet, sodass der Name bereits in der griechischen Bibelübersetzung (ab dem 3. Jh. v.u.Z.) durch kyrios (Herr) wiedergegeben wurde. Viele Bibelübersetzungen geben das Tetragramm in dieser Tradition stehend mit »Herr« oder auch »HERR« wieder. Die ursprüngliche Aussprache ist aufgrund der ursprünglich vokallosen hebräischen Schrift unklar, kann aber anhand griechischer Umschriften als »Jahwe« rekonstruiert werden. In der hebräischen Bibel wird der Namen allerdings so vokalisiert, dass damit auf den Ersatzbegriff ʾadonāj verwiesen wird. Deshalb wird in der exegetischen Literatur häufig nur das vokallose Tetragramm JHWH zur Wiedergabe des Gottesnamens verwendet. S. Becking, Jahwe.

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lung des Auszugsereignisses im Buch Exodus, in den Kapiteln 12-15, wird das Narrativ des Ereignisses mit Anweisungen zur Durchführung des Ritus verschränkt.3 »Der Gesamtzusammenhang dieser vier Kapitel ist als eine fortlaufende Erzählung gestaltet, aber unterhalb dieser Ebene ändern sich die literarischen Formen mehrfach, anders formuliert: In einen narrativen Rahmen werden unterschiedliche Gattungen integriert, so dass ein komplexes literarisches Gebilde entsteht.« 4

Sowohl durch Hymnen als auch – und darum geht es an dieser Stelle – durch Ritualanweisungen wird die Sequentialität des Erzählens durchbrochen. Man könnte sich einen Text vorstellen, der zunächst das Ereignis erzählt – Auszug aus Ägypten –, und der dann das Fest zum Gedenken an dieses Ereignis – Pessach – beschreibt und dessen Durchführung durch Bestimmungen regelt. Gerade diese Übereinstimmung von zeitlicher Sequentialität im Erzählten mit der Abfolge des Erzählens wird aber vermieden, statt dessen findet eine Überblendung von Ereignis und Ritual statt. Zu beiden gehört das Schlachten des Lammes als konstitutiver Bestandteil. Wie in einem Mikrokosmos findet in diesen vier Kapiteln des Exodusbuchs das statt, was als literarisches Grundprinzip der Tora, des Pentateuch, gelten kann: Erzählung und Weisung sind auf einzigartige Weise miteinander verschränkt. Die Tora ist sowohl Erzählwerk als auch Gesetzessammlung. Dabei hängen Gesetz bzw. Weisung5 und Erzählung nicht nur stilistisch-literarisch, sondern auch inhaltlich eng zusammen. Die Grundlage der Weisung bzw. die Bedingung der Möglichkeit tora-gemäßen Handelns liegt in der Befreiungserfahrung, die Israel durch seinen Gott JHWH im Auszug aus Ägypten gemacht hat. Diese Erfahrung wird als Horizont für das Halten der Gebote und Gesetze verstanden.6 Im Schlachten des Pessach-Lamms findet diese Entsprechung von konstitutiver Erfahrung und tora-gemäßem Handeln einen ritualisierten Ausdruck. So wie die erste Generation bei ihrem Auszug aus Ägypten ein »fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm« (Ex 12,5) schlachtet, so sollen alle weiteren Generationen ebenfalls ein Lamm schlachten, um des Ereignisses zu gedenken. Im Rahmen der Pessach3 | I. Müllner: Pessach. 4 | G. Steins: Gedenken, S. 90. 5 | Das hebräische ‫( תורה‬tōrāh) meint zunächst die Einzelweisung, wird dann zum Begriff für Lebensweisung insgesamt und schließlich zum metatextuellen Begriff für die damit bezeichneten fünf Bücher Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium, die in der Perserzeit (ausgehendes 6. bis Mitte des 4. Jh. v.u.Z.) zu einem Korpus zusammengestellt wurden. Im griechischen wird das hebräische ‫ תורה‬mit νόμος (nomos, Gesetz) wiedergegeben, was über das lateinische lex zu einer Verengung des Begriffs auf den gesetzlichen Aspekt geführt hat. Demgegenüber soll der Begriff »Weisung« im deutschen an die Weite des hebräischen Tora-Begriffs anknüpfen. 6 |  Vgl. F. Crüsemann: Bewahrung.

Das Geschlecht der Opfer tiere

erzählung werden noch weitere Opferarten geboten und mit dem – aus der Perspektive der erzählten Welt – zukünftigen Leben im Land in Verbindung gebracht. »11Wenn dich nun der HERR ins Land der Kanaaniter gebracht hat, wie er dir und deinen Vätern geschworen hat, und es dir gegeben hat, 12 so sollst du dem HERRN alles aussondern, was zuerst den Mutterschoß durchbricht. Auch alle männliche Erstgeburt des Viehs, die dir zuteil wird, gehört dem HERRN. 13 Die Erstgeburt des Esels sollst du mit einem Schaf auslösen; wenn du sie aber nicht auslöst, so brich ihr das Genick. Aber alle Erstgeburt beim Menschen unter deinen Söhnen sollst du auslösen. 14 Und wenn dich künftig dein Sohn fragen wird: ›Was ist das?‹, sollst du ihm sagen: ›Der HERR hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten, aus dem Sklavenhaus, geführt. 15 Denn als der Pharao sich hartnäckig weigerte, uns ziehen zu lassen, erschlug der HERR alle Erstgeburt in Ägypten, von der Erstgeburt des Menschen bis zur Erstgeburt des Viehs. Darum opfere ich dem HERRN alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, aber die Erstgeburt meiner Söhne löse ich aus. 16 Das soll dir ein Zeichen auf deiner Hand und ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein; denn der HERR hat uns mit mächtiger Hand aus Ägypten geführt.‹« (Ex 13,11-16)

Ebenso wie der Tod des Pessachlamms wird auch das Erstgeburtsopfer in ein Korrespondenzverhältnis mit den Vorgängen in der menschlichen Gesellschaft gebracht. Die Tötung der ägyptischen Erstgeborenen als ultima ratio, als zehnte Plage in der Auseinandersetzung zwischen den beiden göttlichen Mächten JHWH und Pharao, steht in einem Verhältnis sowohl zur Schlachtung des Pessachlamms als auch zur Opferung der Erstgeborenen. Das Blut des Lamms an den Türpfosten soll die Israelitinnen und Israeliten schützen. Gleichzeitig entspricht die Schlachtung des Lammes in jedem Haus der Israelit_innen der Tötung der Erstgeborenen von Vieh und Mensch bei den Ägypter_innen. Ebenso wird ein Entsprechungsverhältnis zwischen der Tötung der Erstgeborenen in Ägypten und der Auslösung der Erstgeborenen in Israel hergestellt. Diese Einbindung einer Opferpraxis in ein Narrativ stellt aber noch ein weiteres Entsprechungsverhältnis als das zwischen dem Ereignis und dem Ritual her, nämlich das zwischen Menschen und Tieren.

B iblischer Te x t und rituelle P r a xis Die Praxis des Tieropfers ist in der Antike gängig, wie die Quellen sowohl der griechisch-römischen als auch der altorientalischen Kulturen breit belegen.7 Das Opfer gehört zu den Ritualen, in denen Menschen sich dem Göttlichen nähern, mit diesem Kontakt herstellen und ihre Verehrung zum Ausdruck bringen. Während gegenwärtige, christlich geprägte Vorstellungen von Religion sehr stark 7 |  S. ausführlich M.-Z.Petropoulou: Sacrifice.

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mit dem »Glauben«, also mit einem mentalen relationalen Akt in Verbindung gebracht werden, sind antike Religionen viel stärker von ihren Praktiken her bestimmt. Die Religion kommt in der Verehrung nicht einfach zum Ausdruck, sondern die Verehrungspraxis konstituiert Religiosität. Dementsprechend sind die biblischen Regelungen zu angemessener ritueller Praxis keine Frage von Äußerlichkeit im Verhältnis zu irgendeiner zu vermutenden Innerlichkeit, sondern sind Formierungen der Religion selbst. Diese gehört wesentlich zur Identität des biblischen Israel und wird deshalb insbesondere in der exilisch-nachexilischen Epoche intensiv verhandelt. Dabei darf kein einliniges Verhältnis von biblischem Text und ritueller Praxis vorausgesetzt werden. Inwieweit die Rechtstexte kultischer Praxis entsprechen, ist immer wieder Gegenstand von Forschungsdebatten.8 Zumindest aber wird darauf hinzuweisen sein, dass der hohe Regelungsbedarf im kultischen Bereich hinsichtlich der Angemessenheit von Ort, beteiligten Akteur_innen und zu vollziehenden Handlungen darauf hinweist, dass durchaus andere als die im überlieferten Bibeltext gebotenen rituellen Praktiken gängig waren. Auch das Einbeziehen narrativer Texte zu rituellen Themen weist in diese Richtung – manche Praktiken sind zwar in den Augen der Träger_innengruppen der Texte dem JHWH-Kult unangemessen (z.B. die Opferung von säugenden Kühen); sie werden aber als Praxis erzählt (1 Sam 6). Festzuhalten bleibt aber, dass es sich bei den Ritualtexten der Bibel eben um Texte handelt und nicht um rituelle Praxis. Religionswissenschaftler wie Jonathan Z. Smith sehen deshalb die in der Tora beschriebenen Rituale nicht als Gegenstand ritualwissenschaftlicher Forschung an: »[…] we don’t have ritual texts in the bible. We have very poor ethnographic descriptions. You cannot perform a single biblical ritual on the basis of what is given to you in the text. If you can’t perform it, then by definition it is not a ritual. The biblical texts are scattered, theoretical reconstructions of what may have happened.« 9

Nicht nur aus literaturwissenschaftlicher, sondern auch aus exegetischer Sicht ist die Einengung der Fragestellung auf den Praxisgehalt der Weisungstexte unzulänglich. Weder die biblischen noch andere altorientalische Rechtstexte lassen sich als Fenster zur Rechtspraxis verstehen; sie sind Literatur.10 Deshalb wird man sich den biblischen Opferbestimmungen ebenso wie den Erzählungen über Opfer zwar auch mit religionswissenschaftlichen Theorien annähern können, diese aber in eine philologische Untersuchung zu integrieren haben. Diese Texte

8 |  S. mit einer klaren Positionierung aufseiten der Literarizität der Rechtstexte H. Liss: Kanon; dort auch weitere Literatur. 9 |  Jonathan Z. Smith in einem Gespräch zit. n. Hamerton-Kelly: Violent Origins, S. 210. 10 | H. Liss: Kanon.

Das Geschlecht der Opfer tiere

wollen zuallererst gelesen und ausgelegt, nicht abbildhaft in Handlung umgesetzt werden.11 Hier kann es deshalb auch nicht in erster Linie um eine Diskussion theoretischer Konzepte gehen, deren Ziel es ist, Opferpraxis begrifflich zu fassen.12 Dennoch wird es hilfreich sein, zentrale Aspekte dieser Diskussion aufzugreifen und mit der Frage nach der Rolle von Geschlecht in den biblischen Ritualtexten in Zusammenhang zu bringen. Dabei sind vor allem zwei Deutungslinien zu berücksichtigen: eine pragmatische Deutung, die sich auf die Haltung von Nutztieren bezieht, und eine symbolistische, in der die Opferrituale in ihrer Korrespondenz mit sozialen Ordnungen und Vollzügen gedeutet werden.13

O pfer arten und ihre geschlechtlichen S pezifik a In den alttestamentlichen Texten werden unterschiedliche Opferarten benannt und beschrieben. Diese werden in den Regelungsbestimmungen für Rituale, wie sie in der Tora zu finden sind, auch hinsichtlich der dabei zu verwendenden Tiere näher bestimmt. Die Bezeichnung der Opferriten unterliegt keiner klaren Systematik. Hier können etwa der Anlass (‫ ַח ָּטאת‬, chatāʾt, Sündopfer; ‫ּתֹודה‬ ָ , tōdāh, Dankopfer) oder auch die Art und Weise der Opferung (‫עֹולה‬ ָ , ʿōlāh, Brandopfer; ‫טֹורה‬ ָ ‫ ְק‬,

qetōrāh, Räucheropfer) namengebend sein.14 Die Regelungen einzelner Opferarten werden hinsichtlich ihres Anlasses, des sozialen Status der Darbringenden, des Ortes des Opfers, der dabei zu vollziehenden Handlungen, des Zugangs zur Opfermahlzeit und der dabei zu verwendenden Tiere geregelt. Dabei spielen neben der Spezies auch das Geschlecht, das Alter und der körperliche Zustand der Tiere eine Rolle. In Lev 1-5 werden verschiedene Arten des Opfers benannt und ihre Ausführungen beschrieben; in Lev 6-10 werden weitere Opferbestimmungen, vor allem für die Priester, ausgeführt. Für diese Ausführungen sind vor allem Lev 1-5 relevant. Deshalb soll im Folgenden eine kurze Übersicht über die mit den Tieropfern verbundenen Regelungen gegeben werden. Sie werden paradigmatisch behandelt,

11 |  Vgl. F. Bark: Heiligtum, zu den Texten, die den Bau der Stiftshütte beschreiben. Sie geht von der Beobachtung aus, dass es sich hier nicht um Baupläne handelt, die auf eine Umsetzung in Bautätigkeit zielen, sondern um Texte, die im Prozess der Lektüre »ein Heiligtum im Kopf der Leser« entstehen lassen sollen. S.a. H. Liss: Kanon, pass. 12 |  S. dazu ausführlich J. Klawans: Purity, S. 3-10; 17-48. 13 |  Beide Deutungslinien werden auch von N. Ruane: Sacrifice, herangezogen. Dabei kann die erste sich eher im Horizont der von J.Z. Smith: Domestication, stark gemachten These verstehen, die zweite eher auf die Arbeiten von Mary Douglas, v.a. M. Douglas: Purity, und Douglas: Leviticus, rekurrieren. 14 |  U. Dahm: Art.: Opfer; ausführlicher Th. Hieke: Levitikus, S. 80-104.

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Lev 4-5 Sündopfer ‫ אׁשם‬/‫חטאת‬

Kleinvieh: Schaf und Ziege

Lev 3 Heilsopfer ‫זבח ׁשלמים‬ Rind

männlich oder weiblich, fehlerlos männlich oder weiblich, fehlerlos

vor dem Offenbarungszelt Altar

Eingang des Offenbarungszelts Altar

Altar

Eingang des Offenbarungszelts Nordseite des Altars

weitere Ort Spezifika

männlich, fehlerlos Kleinvieh: Schafe männlich, oder Ziegen fehlerlos Vögel: Turteltaube – oder Taube Lev 2 Speiseopfer ‫מנחה‬

Rind

Tierart/Opfer­ materie Lev 1 Brandopfer ‫עולה‬

Opferart

Israelit_in Priester

Israelit_in Priester

Israelit_in15 Priester Israelit_in Priester Priester

Beteiligte



Blut an den Altar (Priester)

Blut an den Altar (Priester) Fett und Nieren: Feuer

Blut an den Altar (Priester) Fett und Nieren: Feuer

7,11ff: soll gegessen werden

6,11: jeder männliche Nachkomme Aarons





Blut an den Altar (Priester)



Opfermahlzeit

Sonstiges

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Jungstier

Schuldopfer weitere Vergehen

Schuldopfer einzelne Vergehen

zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben (Armutsklausel I) Mehl (Armuts­ klausel II) Widder

Kleinvieh, Schaf oder Ziege

Sündopfer Jungstier Gemeinde Sündopfer Ziege Sippenoberhaupt Sündopfer Ziege jemand (‫)נפׁש‬ aus dem Volk Schaf

Sündopfer Priester

er_sie Priester

wie Brandopfer Altar

weiblich, fehlerlos weiblich

fehlerlos

er_sie Priester

wie Brandopfer Altar

fehlerlos

gesalbter Priester gesalbter Priester

Älteste gesalbter Priester Sippenoberhaupt Priester

Eingang des Offenbarungszelts im Offenbarungszelt

vor das Offenbarungszelt im Offenbarungszelt männlich, wie Brandopfer fehlerlos Brandopferaltar

fehlerlos

Blutritus (Priester) Fett: Feuer

Blutritus (Priester) Fett: Feuer

Blutritus (Priester) Fett: Feuer

7,6: jeder männliche von den Priestern

Blutritus (Priester) im Offenbarungs- 6,22: jeder zelt: Vorhang, Hörner des Rauchopmännliche von feraltars, Sockel des Brandopferaltars, den Priestern Fett und Nieren: Feuer Rest: Verbrennen am Abfallplatz wie oben

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da eine vollständige Übersicht über die für die Opfer relevanten Textstellen den Rahmen dieser Ausführungen gänzlich sprengen würde. Das Geschlecht spielt bei der Bestimmung der Opfertiere neben der Spezies und der Feststellung der Fehlerlosigkeit eine zentrale Rolle. Explizit erwähnt wird das Geschlecht in Lev 1-5 bei allen Opferarten, das Fehlen einer geschlechtlichen Markierung bildet die Ausnahme. Nur die Vögel des Brandopfers und des Schuldopfers bleiben geschlechtlich unbestimmt, das Geschlecht der Säugetiere wird genannt. Dabei ist auch die Formulierung »männlich oder weiblich« (‫ )אם־זכר אם־נקבה‬als Berücksichtigung des Geschlechts aufzufassen, nur, dass es in diesem Fall (Heilsopfer) möglich ist, sowohl männliche als auch weibliche Tiere zu opfern.16 Die im Alten Testament am häufigsten genannte Opferart ist das Brandopfer (‫עולה‬, ʿōlāh)17. Es steht für die vollständige Hingabe an das Göttliche. Das Kennzeichen der ‫ עולה‬ist, dass dieses Opfer zur Gänze verbrannt wird, ohne dass ein Teil des Tieres (mit Ausnahme des Fells für die Priester, Lev 7,8) zur weiteren Verwendung übrig bleibt. In den rechtlichen Regelungen besteht Eindeutigkeit dahingehend, dass die ‫ עולה‬immer männlich zu sein hat, wenn es sich um ein Rind, ein Schaf oder eine Ziege handelt.18 Außerhalb der rechtlichen Bestimmungen allerdings gibt es durchaus die Opferung weiblicher Tiere als ‫עולה‬. Narrativ entfaltet wird z.B. die Opferung von säugenden Kühen anlässlich der Überführung des Schreins vom philistäischen in israelitisches Gebiet in 1 Sam 6,7-14. Die Kühe, die den Schrein ohne menschliches Zutun und gegen ihre natürliche Bewegung weg von den Kälbern bis nach Bet-Schemesch gezogen haben, werden an-

15 |  Ob grammatikalisch maskuline Formulierungen in Rechtstexten tatsächlich Männer meinen oder aber geschlechtsneutral zu verstehen sind, ist oft nicht festzustellen. S. dazu I. Müllner: Konstruktionen, S. 119-127. 16 |  Allerdings ist das Geschlecht eines Tieres von der Bezeichnung her nicht immer eindeutig zu bestimmen. Gerade die Gattungsbezeichnungen von Tieren sind auch im Hebräischen häufig geschlechtlich mehrdeutig (man denke an das deutsche Wort »Katze«). Die rechtlichen Regelungen machen die geschlechtlichen Bestimmungen zwar häufig explizit, in anderen Texten ist eine solche Klarheit nicht immer gegeben. Insbesondere dann, wenn grammatisches und natürliches Geschlecht nicht übereinstimmen (müssen), ist eine solche Eindeutigkeit schwierig herzustellen. N. Ruane: Sacrifice, S. 43-45. 17 |  Die etymologische Herleitung des Begriffs ist unklar. Wahrscheinlich leitet er sich vom Verb ‫עלה‬, ʿālāh, aufsteigen ab. Das Brandopfer lässt die Opfermaterie in Gänze in Rauch aufsteigen, der Priester steigt zur Opferplattform hinauf, das Opfer zum Altar. Vgl. Th. Hieke: Levitikus, S. 83. Andere deutsche Übersetzungsmöglichkeiten sind »Ganzopfer« oder »Darhöhung« (Martin Buber). Zum Brandopfer in Gen 22 siehe auch den Beitrag von Y.S. Thöne in diesem Band. 18 |  Dass die Tauben geschlechtlich unbestimmt bleiben, hat wahrscheinlich praktische Gründe. Th. Hieke: Levitikus, S. 185. Eine Erklärung dafür muss aber spekulativ bleiben.

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lässlich der Ankunft dieses Kultgegenstands geopfert.19 Allerdings handelt es sich bei allen hier infrage kommenden Fällen20 um spontane Rituale, die sich jenseits der räumlichen und zeitlichen Ordnungen des Jerusalemer Tempels befinden, für die bei der ‫ עולה‬eine Festlegung auf männliche Opfertiere gilt. Da es im Rahmen des Brandopfers kein gemeinsames Opfermahl gibt, sind die am Ritual Beteiligten jene Menschen, die mit der Schlachtung, dem Blutritus und dem Verbrennen der Opfermaterie zu tun haben. Die beteiligten Priester sind männlich, der ‫אדם‬ (ādām, Mensch), der laut Lev 5,2 das Opfertier heranbringt, kann geschlechtsneutral oder männlich aufgefasst werden. ‫ אדם‬bedeutet Mensch oder auch Mann – ein Kennzeichen androzentrischer Sprache, das eine Bestimmung des Geschlechts unmöglich macht, wenn nicht noch andere Hinweise gegeben werden. »Es spielt nicht nur das Geschlecht des/der Opfernden keine Rolle, auch wird nicht angegeben, ob er/sie einer bestimmten Gruppe, Schicht oder sozialen Klasse angehören muss. Diese grundsätzliche Beobachtung kollidiert mit dem weiteren Verlauf des Textes, wo – zumindest grammatikalisch – immer von einem männlichen Opfernden die Rede ist. […] Solange keine andere Evidenz vorliegt, muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Frauen wie Männer an derartigen Darbringungen beteiligt waren«. 21

Festzuhalten bleibt aber, dass eine geschlechtliche Spezifizierung in diesem Text offenbar nicht von Interesse ist.22 Das Heilsopfer (‫זבח ׁשלמים‬, zaevach schelāmīm) hingegen benennt ausdrücklich die Möglichkeit, männliche oder weibliche Opfertiere darzubringen. Eine unterschiedliche Behandlung der Tiere des einen oder anderen Geschlechts wird dabei nicht vorgenommen. Mit den beiden Adjektiven ‫( זכר‬zāchār, männlich) und ‫נקבה‬ (neqevāh, weiblich) wird im Hebräischen das benannt, was wir heute wohl als biologisches Geschlecht (sex) bezeichnen würden.23 Als Opfertiere kommen Rinder, Schafe oder Ziegen in Betracht. Wie beim Brandopfer wird auch beim Heilsopfer der fehlerlose Zustand des Opfertieres betont. Die Aspekte der Fehlerlosigkeit werden in Lev 22,17-25 geregelt. Es soll ausgeschlossen werden, dass das Opfertier 19 |  Vgl. zu dieser Erzählung I. Müllner: Samuelbücher, pass. 20 |  N. Ruane: Sacrifice, S. 47-49, nennt außerdem noch die Opferung von Jiftachs Tochter (Ri 11). 21 |  Th. Hieke: Levitikus, S. 161. S.a. ausführlich und bereits zu Beginn der 90er Jahre G. Braulik, Frauen. N. Ruane: Sacrifice, S. 18-39, diskutiert die verschiedenen Rollen beim Opfer unter geschlechtsspezifischer Perspektive. Sie ist an dieser Stelle zurückhaltender, was die geschlechtsoffene Interpretation androzentrischer maskuliner Begrifflichkeit betrifft. 22 |  S. dazu I. Müllner: Konstruktionen, bes. S. 119-127. Vgl. K. Finsterbusch: Frauen; M. George: Masculinity. 23 |  Zur Unterscheidung zwischen sex und gender und zur Diskussion der Begriffe in der Genderforschung s. einführend C. v. Braun, I. Stephan: Gender@Wissen.

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irgendeinen angeborenen oder etwa durch Verletzung entstandenen körperlichen Schaden hat. Damit will das priesterliche Gesetz wohl ausschließen, dass man Tiere, die nicht (mehr) viel wert sind, im Rahmen der Opferhandlungen entsorgt.24 Stärkere soziale Differenzierungen sowohl auf der menschlichen als auch auf der tierlichen Seite werden in den Regelungen der Sündopfer (‫חטאת‬, chatāʾt) vorgenommen, die Lev 4 entfaltet. Je nachdem welchen sozialen Status die Person hat, der ein Vergehen zur Last gelegt wird, die also einer Ent-schuldigung bedarf, wird aufseiten der geopferten Tiere differenziert. Auf der Seite der Menschen ist zwischen Kollektiv- und Individualsubjekten zu unterscheiden. Als Kollektivsubjekt wird die gesamte Gemeinschaft Israel (‫כל־עדת יׂשראל‬, kol-ʿedat jisraʾel) benannt, die in der Opferhandlung durch ihre Ältesten vertreten wird. Wenn man von der Opfermaterie auf die Relevanz der Handlung Rückschlüsse ziehen darf, dann ist das Vergehen der gesamten Gemeinde vergleichbar mit dem des einzelnen Priesters. In beiden Fällen wird ein junger Stier, also ein sehr wertvolles Tier,25 geopfert. Der Rang dieser Opferhandlung wird zusätzlich dadurch betont, dass das gesamte Tier der Gottheit dargebracht wird. Wenn allerdings ein Sippenoberhaupt oder aber jemand (‫ )ׂשפנ‬aus dem Volk die Sünde begangen hat, dann findet ein grundsätzlich anderer Opferritus statt. Dieses Sündopfer wird vollständig außerhalb des heiligsten Raums belassen, das Blut wird nicht innerhalb des Zelts auf den Altar gesprengt wie bei den bislang behandelten Opferriten, sondern auf dem außerhalb des Allerheiligsten liegenden Brandopferaltar aufgebracht. Außerdem wird das Opfertier nicht vollständig verbrannt, sondern sein Fleisch wird von den Priestern gegessen. Auch hinsichtlich von Spezies und Geschlecht unterscheiden sich die Sündopferriten. Bei dem Sippenoberhaupt oder bei einer Person aus dem Volk als Opfernden werden Schafe oder Ziegen verwendet, im Fall des Sippenoberhaupts ein männliches, im Fall einer anderen Person ein weibliches Tier. Auch für weitere Vergehen, die ein einzelner Israelit oder eine einzelne Israelitin begehen kann, und die in Lev 5 entfaltet werden, sind weibliche Tiere, Schafe oder Ziegen,26 als Opfer vorgesehen. Es liegt nahe, hier sowohl auf der Seite der Menschen als auch auf jener der Tiere ein Gefälle in der sozialen Ordnung wahrzunehmen. Das weibliche Tier wird von demjenigen Menschen, einer nicht näher spezifizierten Person aus der Gemeinde der Israelit_innen, dargebracht, der oder die sozial keinen herausgehobenen Rang einnimmt. Sowohl der einzelne Priester als auch die Gemeinschaft insgesamt oder auch das Sippenoberhaupt sind sozial als höherrangig klassifiziert; das ihnen zugewiesene Opfertier ist männlich. 24 |  Vgl. Th. Hieke: Levitikus, S. 162f. 25 |  Ebd., S. 162. 26 |  Die Übersetzung der Lutherbibel mit »Schaf- oder Ziegenmutter«, die auch in der Revision von 1984 perpetuiert wird, ist nicht nur dem Text von Lev 5,6 nicht gemäß – dort steht einfach ‫ נקבה‬sie läuft auch der Vermeidung des Mütterlichen im Bereich des Opfers (s.u.) gänzlich zuwider.

Das Geschlecht der Opfer tiere

Dieses Korrespondenzverhältnis zwischen dem Geschlecht des Opfertiers und dem sozialen Status des oder der Opfernden bzw. dem Stellenwert der Opferart wird einer der Schlüssel sein, mit denen im nächsten Abschnitt eine Annäherung an die Deutung dieses Phänomens gesucht werden soll.

O pfer , R einheit, H eiligkeit und die O rdnungen des R aums Opfertiere sind also in den Opferbestimmungen der Tora – hier paradigmatisch entfaltet an jenen des Buchs Levitikus – geschlechtlich bestimmt. Dabei fällt auf, dass männliche Tiere bevorzugt werden. Beim wohl höchstrangigen Opfer, dem Brandopfer (‫ )עולה‬werden ausschließlich männliche Tiere verwendet. Die Differenzierungen der unterschiedlichen Sündopferriten haben gezeigt, dass in diesem Kontext männliche Tiere höherrangige Personen repräsentieren.27 Es stellt sich die Frage, wie diese Zuweisung von Geschlecht verstanden und auch, wie sie in eine weitere Theorie von Geschlecht im Rahmen der regulativen Bestimmungen der Tora28 integriert werden kann. Dazu ist es sinnvoll, den Horizont der Fragestellung zu erweitern. Wie Jonathan Klawans überzeugend gezeigt hat, werden in der Literatur meist zwei Bereiche, die für die priesterlichen Regulative zentrale sind, getrennt voneinander behandelt: Opferregelungen und Reinheitsvorschriften. Allerdings ermöglicht eine Zusammenschau der beiden, die von den Texten her auf der Hand zu liegen scheint, ein vertieftes Verständnis sowohl von Reinheit als auch von Opfer und außerdem einen umfassenderen Zugang zum Heiligkeitskonzept der priesterlichen Literatur.29 Der Zusammenhang zwischen Reinheit und Opfer ist komplex. Die beiden Bereiche – Opferrituale und Reinheitsvorschriften – überschneiden sich in einzelnen Bestimmungen. So wird etwa der Abschluss der Phase der Kultunfähigkeit der Wöchnerin, wie sie in Lev 12 entfaltet werden, durch ein Opfer zelebriert. Ähnlich werden die Reinigungsriten von sexuellen Ausflüssen bei Männern und Frauen mit einer Opferhandlung verbunden (Lev 15). Ein sehr intensives Korrespondenzverhältnis von Reinheit und Opfer wird in Num 19 entwickelt, wo der außergewöhnliche Ritus der Schlachtung der roten Kuh zur Herstellung des Rei-

27 | Der Zusammenhang zwischen Opferndem und Opfer ist nicht von außen an das Geschehen herangetragen, sondern wird insbesondere durch eine rituelle Handlung, die die Opferbestimmungen durchzieht, immer wieder aktualisiert. Der Ritus der Handaufstemmung stellt den »Zusammenhang zwischen Mensch und Tier, zwischen der Opfermaterie und der menschlichen Person, um deren Gottesbeziehung es geht«, her. Th. Hieke: Levitikus, S. 169. Die enge Verbindung zwischen den Opfernden und der Opfermatierie wird also performativ inszeniert in eben diesem Ritus der Handaufstemmung. 28 |  S. dazu ausführlicher I. Müllner: Konstruktionen. 29 | J. Klawans: Purity, pass.

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nigungswassers beschrieben wird.30 Hier ist das Sündopfer (‫ )חטאת‬die auch materielle Ermöglichung eines Reinigungsrituals. Es gibt also mehrere Stellen, an denen einzelne Opferrituale und Reinigung miteinander verbunden werden. Opferrituale und Reinheitsvorstellungen korrespondieren aber auch grundsätzlicher, insofern als die Opferung unreiner Tiere oder anderen Materials ebenso undenkbar wäre wie das Betreten des Heiligtums durch Menschen, die sich im (vorübergehenden) Zustand kultischer Unreinheit befinden. Rituelle Reinigung ist Teil des Opferprozesses, wenn man diesen nicht auf den Akt des Schlachtens reduziert.31 Die Verbindung zwischen den beiden Bereichen Opfer und Reinheit geht also über ihre partiellen Schnittmengen hinaus und findet sich in einem übergreifenden Prinzip, das beide verbindet: der Heiligkeit. »One organizing principle is the concern with imitating God. Another organizing principle is the concern with attracting and maintaining the presence of God within the community. By focusing these two concerns, we will be able to analyze the two sets of ritual structures – sacrifice and defilement – in tandem.« 32

Beide Anliegen – die imitatio Dei ebenso wie die Präsenz des Göttlichen in der Gemeinschaft – werden im Begriff der Heiligkeit gefasst, der in den biblischen Texten entwickelt wird. Damit wird deutlich, dass beide Bereiche – Opfer und Reinheit – Funktionen eines zentralen Konzepts, nämlich der Heiligkeit sind. Dieses zentrale Konzept wiederum ist in seiner Grundstruktur ein räumliches, bezogen auf das Heiligtum. »The status of impurity is the opposite of the status of purity. Both conditions are related only to the sanctuary and do not describe a physical condition as such. The sanctuary requires the status of purity. […] The starting point of the whole idea is God’s holiness; he is qādôš. Unlike the created world he is never subject to the categories ›impure‹ tāmē or ›pure‹ tāhôr. Both areas – the holy and the common – are strictly separated. And it is only with the concept of the tabernacle/the tent of meeting (miškān; ʾōhel môʿēd) that the area of holiness exceeds its limits. The categories ›impure‹ tāmē and ›pure‹ tāhôr had to be introduced to enable the holy to meet the common. Within this system of spatial categories, holiness cannot spread diffusely into common spaces, because this would mean the annuling of the whole system: holy space requires common space as its boundaries.« 33 30 |  Diese für das hier verhandelte Thema relevante Passage kann aus Raumgründen im vorliegenden Aufsatz nicht verhandelt werden. Ausführlich diskutiert N. Ruane: Sacrifice, S. 106-147, dieses Ritual. 31 | J. Klawans: Purity, pass. 32 |  Ebd., S. 48. 33 | H. Liss: Mice, S. 207f.

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So entsteht eine konzentrische Raumstruktur, in der das Allerheiligste den Mittelpunkt bildet und die durch die Raumpraktiken von Menschen und Tieren immer wieder hergestellt wird. Mit Ellen van Wolde lässt sich diese Raumordnung der Heiligkeit schematisch darstellen:

Abb. 1: Räumliche Ordnung von Heiligkeit34 Das Zusammendenken der Opferrituale und des Reinheitssystems ermöglicht auch, auf Arbeiten zurückzugreifen, die sich mit der symbolischen Ordnung des Reinheitssystems befassen. Die berühmt gewordene Formulierung von Mary Douglas »Where there is dirt there is a system«35 steht für einen Ansatz, der die Verbannung der Reinheitsvorstellungen ins Chaotisch-Primitive überwindet und die soziale Bedeutung eines solchen Ordnungssystems deutlich macht. Hier ist der Ansatzpunkt, um auch die Opferpraktiken, im Fall der vorliegenden Überlegungen ihre Konstruktion von Geschlecht als Symbolsysteme, zu reflektieren. Die Parameter Spezies, Geschlecht, Alter und Un-/Versehrtheit bilden Aspekte eines Symbolsystems aus, das in Korrelation mit der menschlichen Sozialstruktur zu bringen ist. Dabei spielen Wertigkeiten eine Rolle, sind aber nicht das einzige relevante Moment. Ein solcher symbolistischer Zugang zur Deutung der Opfervorstellungen stellt nicht die Gewalt ins Zentrum seiner theoretischen Herangehensweise, sondern die sozialen Funktionen der Opfer. Auch wenn klar sein muss, dass Opferrituale auch nur einer einzigen Gesellschaft ein zu komplexes System bilden, als dass sie mit einem einzelnen theoretischen Zugriff umfasst werden könnten.36 Das Geschlecht der Opfertiere ist damit Teil eines Menschen, Tiere und das Göttliche umfassenden geschlechtlichen Symbolsystems, das durch komplexe Handlungszusammenhänge, zu denen auch die Opferrituale gehören, immer 34 | E.J. v. Wolde: Reframing, S. 208, im Anschluss an Jacob Milgrom. 35 | M. Douglas: Purity, S. 44. 36 | Das betonen beinahe alle TheoretikerInnen, die sich mit dem Begriff des Opfers beschäftigen, z.B. J. Milgrom: Leviticus, S. 1-16; 442-443.

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wieder hergestellt wird. Das Männliche – sowohl aufseiten der Menschen als auch aufseiten der Tiere – hat dabei einen weniger restringierten Zugang zum Heiligen, ins Zentrum des Allerheiligsten gelangen ausschließlich männliche Wesen. »The exclusion of the female animal from the ʿōlâ sacrifice, arguably the most important and prestigious offering, also reflects the exclusion of the female from the highest levels of sanctitiy and most prestigious aspects of cultic participation.« 37

Die symbolische Höherwertung des Männlichen trifft auf ein zweites Erklärungsmuster der Bevorzugung männlicher Opfertiere, das diesem symbolistischen auf den ersten Blick widerspricht: der relativen Nutzlosigkeit der männlichen Tiere in der Herde.

H austierhaltung , Z ucht und Ü berleben Dieses Erklärungsmuster setzt bei der These an, dass das Opfer mit der Wirtschaftsform der Haustierhaltung in Zusammenhang zu bringen ist. Die soziale Verortung des Opfers in der Viehzüchtergesellschaft geht auf Jonathan Z. Smith zurück, der sich damit von älteren Theorien absetzt, wonach das Opfer eine Funktion der Jägergesellschaft wäre.38 »I know of no unambiguous instance of animal sacrifice that is not of a domesticated animal. […] I know of no unambiguous instance of animal sacrifice performed by hunters. Animal sacrifice appears to be, universally, the ritual killing of a domesticated animal by agrarians or pastoralist societies.« 39

Damit steht die Opferung als Ritual in einem ökonomischen Kontext, in dem es um Zucht und Haltung von Haustieren geht. Auch in den biblischen Regelungen werden ausschließlich Opfertiere erwähnt, die im Israel der Antike als Haustiere gehalten wurden – das Beispiel der Taube bzw. Turteltaube als einzigem als Haustier bekannten Vogel und eben auch als einzigem Vogel, der geopfert wird, macht dies deutlich. Umgekehrt gilt allerdings nicht, dass alle Haustiere auch für Opferungen vorgesehen sind – Equiden z.B. sind keine Opfertiere. Eine solche Sichtweise ist kein Widerspruch zu dem oben vertretenen Ansatz, die regulativen Texte der Tora nicht primär als sozialgeschichtliche Dokumente, sondern zunächst als literarische Texte zu lesen. Denn auch literarische Texte tragen ein Weltwissen mit sich, das sich unter anderem aus sozialen Erfahrungen speist. Allerdings verbietet der Ansatz beim Text als literarischem einen all37 | N. Ruane: Sacrifice, S. 47. 38 | J.Z. Smith: Domestication, im Gegenüber etwa zu W. Burkert: Homo necans. 39 | J.Z. Smith: Domestication, S. 149.

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zu unmittelbaren Zugang zur gelebten Wirklichkeit, eine allzu »enge Text- und Ereigniskorrelation« 40, und gebietet Vorsicht in Bezug auf die Rückschlüsse von den Inhalten des Texts auf das gelebte Leben der Entstehungszeit. 41 Wenn hier also ökonomische und sozialgeschichtliche Kategorien herangezogen werden, so beziehen sich diese im vorliegenden Argumentationszusammenhang immer noch auf die in den Texten entworfene soziale Wirklichkeit. Die Reflexion über das Geschlecht der Opfertiere führt im Kontext der Haustierhaltung zur Frage nach dem ökonomischen Wert der Tiere. Dieser Wert besteht in der Produktion von Produkten wie Milch, Wolle, Fell und Fleisch. Milch und Wolle, die von lebenden Tieren und daher wiederholt bzw. regelmäßig gewonnen werden können, sind weit nachhaltigere Produkte als Fleisch und Fell, deren Gewinnung den Tod der Tiere voraussetzt. Für die Produktion von Nachkommenschaft sind deutlich mehr weibliche Tiere nötig als männliche; das in der Subsistenzwirtschaft nötige Produkt Milch ist ebenfalls eines, für das weibliche Tiere gebraucht werden. In vielen Herden leben vor allem weibliche und sehr wenige ausgewachsene männliche Tiere – oft sogar nur eines. Männliche Tiere werden deshalb in subsistenzorientierten landwirtschaftlichen Zusammenhängen häufig vor dem Erreichen des Erwachsenenalters geschlachtet, ihr Hauptprodukt ist das Fleisch. In einem System, in dem das Schlachten vorwiegend oder sogar ausschließlich an das ritualisierte Opfer gebunden ist, werden daher vorwiegend männliche Tiere als Opfertiere und damit auch zur Fleischproduktion verwendet. »[B]y their very nature, sacrificial systems require the deaths of their victims, and because of material concerns related to the husbandry of domesticated animals, male animals make better and therefore more commonly used sacrificial victims. Similarly, females are not often victims in sacrificial practice because of their reproductive value. […] Thus while being symbolic systems, as well as means of organizing kinship relations and methods of eating meat, ancient sacrificial systems are also systems for culling animals that are no longer useful for the flock or herd.« 42

Symbolischer und ökonomischer Wert müssen nicht in allen Systemen Hand in Hand gehen. Im Fall subsistenzorientierter Landwirtschaft und einem auf das Heiligtum zentrierten Opfersystem gehen die beiden Sichtweisen ein komplementäres Verhältnis ein, das in der Privilegierung der männlichen Opfertiere seinen gemeinsamen Nenner findet.

40 | H. Liss: Kanon, S. 8. 41 |  S. z.B. zum komplexen Verhältnis von Profanschlachtung und ritueller Schlachtung im Horizont des Fiktionalitätsparadigmas ebd., S. 27-30. 42 | N. Ruane: Sacrifice, S. 62.

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M üt terliche M aterie Wenn wir vom Opfersystem als einem Symbolsystem sprechen, dann geht es nicht einfach um dichotomische Wertungen von Männlichkeit und Weiblichkeit: Das geschlechtliche Symbolsystem umfasst weitere Aspekte. Einer davon ist die Bedeutung von Reproduktion, wie sie im Blick auf menschliche und tierliche Mütter und Nachkommen zum Ausdruck kommt. Im Folgenden sollen jene Regelungen in den Blick genommen werden, die von tierlichen Müttern und ihren Nachkommen handeln und von dem, was ich »mütterliche Materie« nennen will, 43 also Milch und Eier (im Fall der menschlichen Mütter wäre hier auch die Blutung nach der Geburt zu verhandeln). Im Unterschied zu anderen altorientalischen Kulturen kennt das biblische Israel keine Opferung von Milch. Als tierliche, flüssige Opfermaterie gilt Blut, die Opferung von Milch wird nicht erwähnt. Damit wird Materie, die spezifisch weiblich und gleichzeitig an die Mutter-Kind-Dyade gebunden ist, vom Opferritual ausgeschlossen. In die gleiche Richtung weisen auch andere Regelungen, die die Milch von Tieren betreffen. Außerdem kennen die biblischen Regelwerke einen Ausschluss von sehr jungen Tieren, die sich noch bei ihrer Mutter aufhalten, von Muttertieren und Jungtieren gemeinsam (Lev 22,27-28) und von Vögeln mit Eiern oder Jungtieren in ihrem Nest (Dtn 22,6-7). Auch das Erstgeburtsopfer geschieht erst nach einer Frist von sieben Tagen, in denen das Jungtier bei seiner Mutter zu bleiben hat (Ex 22,28-29). In die gleiche Richtung weist das Verbot, »das Zicklein in der Milch seiner Mutter zu kochen« (Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21), das in der weiteren jüdischen Entwicklung der Kaschrut, der Speisevorschriften, eine wichtige Rolle spielt. Dieses dreifach überlieferte Verbot ist übrigens der einzige Ort der regulativen Texte, an denen Milch eine Rolle spielt. 44 Allen diesen Texten gemeinsam ist, dass sie die Mutter-Kind-Dyade in den Blick nehmen, die auch in Bezug auf menschliche Wöchnerinnen und ihre Neugeborenen besonderen kultischer Regelungen unterliegt (Lev 12). In der Literatur finden sich in Bezug auf diese Regelungen verschiedene Erklärungsansätze, die meist mit den Schlüsselbegriffen der jeweiligen Ritualtheorien in Zusammenhang stehen. Für den Levitikuskommentator Jacob Milgrom ist die Gegenüberstellung von Leben und Tod die zentrale Verstehenskategorie, er sieht hier eine Vermischung von Leben und Tod, während die Aufrichtung der Grenze zwischen Leben und Tod ein zentrales Anliegen des Kults ist. 45 Howard Eilberg-Schwartz rekurriert auf das Inzesttabu; Mütter und ihre Kinder dürfen nicht zusammen getötet werden. 46 Humanistische Erklärungsversuche argu43 |  Vgl. den Begriff »feminized protein«. N. Ruane: Sacrifice, S. 79-84, im Anschluss an Carol Adams. 44 | N. Ruane: Sacrifice, S. 82. 45 | J. Milgrom: Leviticus, pass. Hierin folgt ihm Th. Hieke: Levitikus, pass. 46 | H. Eilberg-Schwartz: Savage, S. 128-134.

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mentieren mit dem Tierschutz. 47 Schließlich ist der Ansatz von Nicole Ruane zu nennen, die im Ausschluss der Mutter-Kind-Dyade aus dem rituellen Raum eine Etablierung patrilinearer Bezüge und eine gleichzeitige Unterbrechung der matrilinearen Verbindung sieht. »Thus, the human impurities of childbirth and ejaculation distance human reproduction from the sacred, whereas the proscriptions aganínst the slaughter of animal parents distance their biological reproduction from it. Sacrificial bonds supersede physical bonds in both the human and animal worlds.« 48

M.E. ist es zur Erklärung dieses Phänomens, des Ausschlusses der Mutter-KindDyade vom rituellen Raum, besonders hilfreich, die von Klawans (s.o.) stark gemachte Verbindung von Reinheit und Opferung heranzuziehen. Dann wird deutlich, dass es nicht um den Ausschluss etwa des spezifisch Weiblichen geht, sondern um Phasen in der Biographie von menschlichen wie tierlichen Müttern und Kindern, in denen diese nur schwer als klar voneinander zu unterscheidende Individuen in den Blick kommen. Dass aber Gegenstände, Pflanzen und tierliche wie menschliche Lebewesen als getrennte Entitäten in den Blick genommen werden können, gehört zu den Grundprinzipien priesterlicher Reinheitsvorstellungen. Nicht umsonst ist der Begriff »trennen« (‫ לדב‬hi.) ein Leitwort der ersten (priesterschriftlichen) Schöpfungserzählung in Gen 1. Taxonomien in Natur und Kultur sind für dieses Denken ausschlaggebend und Mischungen suspekt. Nur wenn die behandelten Gegenstände und Lebewesen voneinander abgrenzbar wahrzunehmen sind, kann eine Ordnung, in der alles an seinem Platz ist, entwickelt werden. Die in Levitikus entfalteten Opferrituale sind eine performative Aktualisierung der Schöpfungsordnung. »Leviticus has taken sacrifice […] and made it the framework for a philosophy of life. Sacrifice is one of the main figural motifs with which it presents the principles of God’s creation , and the divine order of existence.« 49

Individuen müssen hinsichtlich ihres Geschlechts und anderer physischer Merkmale erkennbar sein. In den ersten Phasen nach der Geburt ist diese Unterscheidung noch nicht möglich, die Mutter-Kind-Dyade stört das Bedürfnis nach klar abgrenzbaren Individuen. Wöchnerin und Säugling bilden eine Einheit, die pränatale Symbiose ist nicht abrupt mit der Geburt zu Ende. Das Wochenbett ist eine Übergangszeit, in der die Trennung von Mutter und Kind geschieht. Diese Übergangszeit wird bei menschlichen Mutter-Kind-Dyaden je nach Geschlecht 47 | Dieses Interpretationsmuster findet sich bereits in der Antike bei Philo von Alexandrien. M. Haran: Kid. 48 | N. Ruane: Sacrifice, S. 103. 49 | M. Douglas: Leviticus, S. 66.

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des Kindes in ihrer Dauer festgelegt. Die Phase der Kultunfähigkeit dauert bei der Mutter eines weiblichen Säuglings doppelt so lange wie nach der Geburt eines männlichen Säuglings (Lev 12)50. Versteht man die Mutter-Kind-Regelungen bei Menschen und Tieren im Horizont der Wichtigkeit von Unterscheidbarkeit, dann wird deutlich, dass die Trennung von der Mutter geschlechtsspezifisch unterschiedlich inszeniert wird. Während das Geschlecht des Mädchens durch eine im Verhältnis zum Jungen doppelt so lange Zeitspanne der Kultunfähigkeit der Mutter markiert wird, fordert die geschlechtliche Bestimmung des Kindes als Jungen ein Beschneidungsritual, das auf seine Weise die Trennung vom mütterlichen Körper kennzeichnet und mit dem Ende der ersten, menstruationsähnlichen Phase der Kultunfähigkeit der Mutter zusammenfällt. Das Trennungsmotiv kann auch herangezogen werden, um die Opferung der männlichen Erstgeburt zu erklären: Hier wird die Trennung rituell vollzogen und für alle weiteren männlichen Geborenen vorweggenommen. Auch hier wird die Phase der Symbiose beibehalten. Sieben Tage sind Mutter und Kind eine Einheit, erst dann werden sie rituell getrennt behandelt (Ex 22,29-30 vgl. 13,12-15 und 34,19-20.). Milch symbolisiert die Verbindung von Mutter und Kind, ist Materie, die weder der einen noch dem anderen zugeordnet werden kann. Samuel z.B. wird erst nach dem Abstillen zum Heiligtum gebracht, wenn er also wirklich von seiner Mutter getrennt ist (1 Sam 1). Diese Trennung muss vollzogen werden, damit überhaupt klar ist, wie weitere Kriterien (Geschlecht, Fehlerlosigkeit) für Opferungen angelegt werden können. Die Mischexistenzen (Wöchnerin, Stillende) bedrohen das Ordnungssystem und ihre jeweiligen Zustände müssen genau geregelt werden. Für die Einordnung in das rituelle System muss eine klare Unterscheidung zwischen Mutter und Kind getroffen werden können.

Z usammenfassung Ebenso wenig wie es möglich ist, die Kategorie des Opfers mithilfe eines einzigen Theorierahmens verständlich zu machen, kann der geschlechtsspezifische Aspekt dieses Rituals über einen einzelnen theoretischen Begriff geklärt werden. Wir haben gesehen, dass ökonomische und symbolische Aspekte zusammenwirken, einander überlagern und in ihrer Korrespondenz zu jenen Systemen führen, die die biblischen regulativen Texte in Bezug auf die Opferrituale entwerfen. Außerdem ist deutlich geworden, dass Opfer und Reinheit gemeinsam unter dem Oberbegriff der Heiligkeit betrachtet werden müssen. So können auch Einsichten aus der Analyse der Reinheitsvorstellungen mit den Fragen, die die Opfer aufwerfen, zusammengebracht und für deren Verständnis fruchtbar gemacht werden. 50 |  S. dazu ausführlich D. Erbele-Küster: Körper; D. Erbele-Küster: Geschlecht; I. Müllner: Konstruktionen.

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Das Korrespondenzverhältnis menschlicher und tierlicher Ordnungen wird anhand der Opferregelungen und ihrer geschlechtlichen Codierungen in besonders hohem Maß deutlich. Sowohl hinsichtlich ihres Zugangs zum Heiligtum als auch hinsichtlich der Zurückhaltung gegenüber der Mutter-Kind-Dyade im kultischen Raum lassen sich Analogien zwischen den Symbolsystemen, die Tiere betreffen, und den Ordnungen der menschlichen Gesellschaft ausmachen. Die ritualisierte Tötung von Tieren im Opfer ist also eingebunden in Strukturen der menschlichen Gesellschaft. Sie stützt diese einerseits durch die Regulierung der Gewalt gegenüber Tieren51 und andererseits durch die Symbolkraft, die die Opferung von Tieren hat. Gerade in der je nach Opferart unterschiedlichen Spezifizierung der Opfertiere hinsichtlich von Art, Geschlecht und körperlichem Zustand manifestiert sich eine Spiegelfunktion der Tiere in Bezug auf das menschliche Sozialsystem.

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Dahm, Ulrike: Art.: Opfer, in: WiBiLex. Online verfügbar unter http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/24240/, zuletzt geprüft am 30.04.2016. Dohmen, Christoph: Exodus 1-18 (HThKAT), Freiburg u.a.: Herder 2015. Douglas, Mary: Leviticus as Literature, Oxford [u.a.]: Oxford Univ. Press 1999. Douglas, Mary: Purity and Danger. An Analysis of Concept of Pollution and Taboo, London: Routledge (Anthropology) 2002. Eilberg-Schwartz, Howard: The Savage in Judaism. An Anthropology of Israelite Religion and Ancient Judaism, Bloomington: Indiana Univ. Pr. 1990. Erbele-Küster, Dorothea: Körper und Geschlecht. Studien zur Anthropologie von Leviticus 12 und 15, (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 121), Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2008. Erbele-Küster, Dorothea: Geschlecht und Kult. »Rein« und »Unrein« als genderrelevante Kategorien, in: Irmtraud Fischer/Mercedes Navarro Puerto/Andrea Taschl-Erber (Hg.): Tora. (Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie. Hebräische Bibel – Altes Testament, 1), Stuttgart: Kohlhammer 2010, S. 347-374. Finsterbusch, Karin: Frauen zwischen Fremdbestimmung und Eigenständigkeit. Genderrelevantes in den Gesetzestexten der Tora, in: Irmtraud Fischer/ Mercedes Navarro Puerto/Andrea Taschl-Erber (Hg.): Tora. (Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie. Hebräische Bibel – Altes Testament, 1), Stuttgart: Kohlhammer 2010, S. 375-400. Girard, René: Das Heilige und die Gewalt. Zürich: Benziger 1987. George, Mark K.: Masculinity and its Regimentation in Deuteronomy, in: Creanga, Ovidiu (Hg.): Men and Masculinity in the Hebrew Bible and Beyond, Sheffield: Sheffield Phoenix Press 2010, S. 64-82. Haran, Menahem: Seething a Kid in Its Mother’s Milk, in: JJS 30 (1979), S. 23-35. Hieke, Thomas: Levitikus 1-15 (HThKAT), Freiburg u.a.: Herder 2014. Klawans, Jonathan: Purity, Sacrifice, and the Temple. Symbolism and Supersessionism in the Study of Ancient Judaism, Oxford/New York: Oxford University Press 2006. Liss, Hanna: Kanon und Fiktion. Zur literarischen Funktion biblischer Rechtstexte, in: BN 121 (2004), S. 7-38. Liss, Hanna: Of Mice and Men and Blood. The Laws of Ritual Purity in the Hebrew Bible, in: Hanna Liss/Manfred Oeming (Hg.): Literary construction of identity in the ancient world. Proceedings of the conference Literary fiction and the construction of identity in ancient literatures: options and limits of modern literary approaches in the exegesis of ancient texts, Heidelberg, July 10-13, 2006. Winona Lake, Ind: Eisenbrauns 2010, S. 199-213. Lohfink, Norbert: »Gewalt« als Thema der alttestamentlichen Forschung, in: Ders./Ernst Haag (Hg.): Gewalt und Gewaltlosigkeit im Alten Testament (FS Vinzenz Hamp), (Quaestiones Disputatae, 96), Freiburg u.a.: Herder 1983, S. 15-50.

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Vom Wert des Lebens und der Relevanz des Todes Das Opfer und die Frage nach Betrauerbarkeit in Gen 22,1-19 Yvonne Sophie Thöne Denn das Schicksal der Menschenkinder und das Schicksal der Tiere ist eines: wie diese sterben auch jene, und sie haben alle einen Geist. Und es gibt keinen Vorzug des Menschen vor den Tieren, denn alles ist ein Windhauch. K oh 3,19

Die Tötung von Tieren, von Beginn an ein Strukturmerkmal der Mensch-Tier-Beziehung, ist auch im Alten Testament ein wiederkehrendes Motiv. Neben der Jagd wildlebender Tiere (vgl. Gen 27; Spr 1,17; Jes 51,20) und der Schlachtung domestizierter Arten (vgl. Gen 18,6-8; Dtn 12,20f.) ist die Opferung nichtmenschlicher Tiere ein wichtiges Thema. Durch diese rituelle Form der Tötung wird diese, als Wille Gottes deklariert, zu einer heiligen Handlung stilisiert. Zahlreiche Texte, ob narrativ (vgl. Gen 4,3-5; 8,20f.), regulativ (vgl. Lev 1-7; 16), prophetisch (vgl. Hos 4,8; Am 5,21-24) oder poetisch (vgl. Ps 51,18f.; 54,8) geben affirmativ oder auch kritisch Zeugnis von den verschiedenen Opferpraxen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden stets nichtmenschliche Wesen in den alttestamentlichen Texten dargebracht. Jene Texte, die von einer Opferung menschlicher Figuren erzählen (vgl. Ri 11,30-40; 2 Kön 3,27; 16,3; 21,6; 3,27; Jer 32,35), stellen diese als tragische bis abscheuliche Ausnahme von der Regel dar.1 Als besonders interessant erweist sich die Erzählung Gen 22,1-19, wo eine menschliche Figur auf Gottes Geheiß getötet werden soll, im Verlauf der Erzählung allerdings durch eine tierliche Figur ersetzt wird. Die Erzählung vereint zahlreiche Reibungspunkte in sich, angefangen bei einem problematischen Gottesbild über die Proklamation eines 1 |  Religionsgeschichtlich ist das Menschenopfer in verschiedenen Kulturen des biblischen Kulturraums bezeugt, etwa in Ägypten, Phönizien, Ammon und Moab (vgl. 2 Kön 3,27), jedoch immer nur in zeitlich eng begrenzten Perioden. So lässt sich beispielsweise für den südphönizischen Bereich zwischen dem 9. und 6. Jh. v. Chr. eine Kinderopferpraxis nachweisen; vgl. A. Michel: Gewalt, S. 275; C. Westermann: Genesis, S. 437f.

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konformistischen Gehorsamsglaubens bis hin zu kritischen sozialen Aspekten der Eltern-Kind-Beziehung. Evaluiert werden soll in diesem Zusammenhang nun die erzähltechnische Gestaltung der beiden Opferfiguren, Isaak und Widder, deren (drohende) Tötung narrativ auf eine konträre Wirkung bei den Leser_innen abzielt. Als interpretatorischer Schlüssel dazu dient das von Judith Butler entwickelte Konzept der Betrauerbarkeit.

D er erz ählerische K onte x t Die Erzählung von der »Bindung Isaaks«2 (Gen 22,1-19) ist eng verknüpft mit jenen Texten der Erzelternerzählungen, die die an Abraham ergangene Verheißung von Nachkommen thematisieren (Gen 12,2.7; 13,15f.; 15,5; 17,4-7 u.ö.). In diesem Zusammenhang wird nun die Frage verhandelt, »wie es sich mit dem Anspruch des verheißenden Gottes auf den verheißenen Sohn verhält«3 . Durch die Prüfung steht für Abraham die an ihn ergangene Verheißung auf dem Spiel. 4 Es eröffnen sich aber auch intertextuelle Perspektiven auf Texte, die Abrahams unsolidarisches Verhalten gegenüber seinem näheren sozialen Umfeld schildern, d.h. die Erzählungen von der Verleugnung seiner Frau Sara (Gen 12,10-20; 20) und die Preisgabe der Sklavin Hagar (Gen 16) mitsamt seinem erstgeborenen Sohn Ismael (Gen 21,8-21).5 Der einzige Mensch, den Abraham noch nicht verraten hat, ist sein Sohn Isaak.6 Dessen Gefährdung, die diesmal jedoch nicht von Abraham, sondern von Gott initiiert wird und damit gleichzeitig eine Prüfung des Erzvaters selbst darstellt, wird in Gen 22 erzählt.

2 |  So die geläufige Bezeichnung der Erzählung in der jüdischen Tradition, die auf das Verb ‫עקד‬, binden, in V.9 zurückgeht und betont, dass Isaak nicht von seinem Vater geopfert, sondern in der Vorbereitung dazu gefesselt wurde. 3 |  I. Willi-Plein: Opfer, S. 164. 4 |  Zur intertextuellen Lektüre von Gen 12,1-9 und Gen 22 siehe G. Steins: Bindung, S. 135-147. 5 |  Zu den Parallelen zwischen den Hagar-Ismael-Erzählungen und Gen 22 siehe I. Fischer: Gottesstreiterinnen, S. 62-67; K. Nielsen: To See, S. 22-31; G. Steins: Bindung, S. 147-163. 6 |  Vgl. I. Fischer: Gottesstreiterinnen, S. 61.

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Z um O pfer Neben vielfältigen thematischen Aspekten wie Gottesfurcht7, Gehorsam8, innerfamiliären Konflikten9 oder der »Selbstwidersprüchlichkeit des Göttlichen«10, die in der Exegese bereits herausgearbeitet worden sind, ist das Opfer fraglos das zentrale Thema von Gen 22. Als kultische Handlungen gehören Opfer »zu den grundlegenden Elementen religiösen Verhaltens der Menschen«11. Grundsätzlich dient das Opfer zur Beziehungsaufnahme mit dem Göttlichen und kann als ein Mittel der Kommunikation zwischen der menschlichen und der göttlichen Sphäre verstanden werden.12 Dabei vollzieht es materiell – »im Fall des Tieropfers die Tötung des Tieres –, was spirituell wirken soll, nämlich die Begegnung mit dem heiligen Gott«13 . Insofern macht das Opfer die Gottesbeziehung ganzheitlich erlebbar – je nach Opfertypus durch eigenhändig ausgeführte Handlungen, das Sehen und Riechen der Rauchsäule, das Schmecken des Opferfleisches.14 Ziel des Opfers ist die »heilvolle Kommunikation mit Gott, der die Zusage heilvoller Zuwendung gibt, sofern das Opfer in aufrichtiger Gesinnung dargebracht wird«15 . In Lev 1-7 findet sich die längste Zusammenstellung alttestamentlicher Bestimmungen zum Opfer. Vom pflanzlichen Speiseopfer (Lev 2) über das Schlachtopfer (Lev 3) bis hin zu Entsündigungs- und Entschuldigungsopfern (Lev 4-5) werden hier die unterschiedlichen Typen systematisch beschrieben.16 Der in Gen 22,2 von Abraham verlangte und in 22,13 tatsächlich ausgeführte Opfertypus ist die in Lev 1 ausführlich behandelte ‫ע ָֹלה‬. Der Begriff ‫ ע ָֹלה‬leitet sich ab von dem Verb ‫עלה‬, was in seinen verschiedenen Bedeutungsvarianten stets »die Bewegung zu einem höheren Ziel«17 beschreibt. Im Hinblick auf den mit ‫ ע ָֹלה‬bezeichneten Opfertypus fällt auf, dass er tatsächlich mehrere Aufwärtsbewegungen in sich vereint: den »›Aufstieg‹ des Opfers zum Altar, des Priesters auf die Opferplattform, des Rauches zur Gottheit«18. Charakteristikum der ‫ ע ָֹלה‬ist die vollständige Verbrennung des ganzen (zerlegten) Tieres, woher die geläufigen Bezeichnungen 7 |  Vgl. A. Michel: Gewalt, S. 313; I. Willi-Plein: Opfer, S. 164. 8 |  Vgl. G. von Rad: Mose, S. 194; G. Wenham: Genesis, S. 112. 9 |  Vgl. C. Westermann: Genesis, S. 446. 10 |  A. Michel: Gewalt, S. 313. 11 |  Th. Hieke: Levitikus, S. 189. 12 |  Vgl. ebd., S. 142; B. Janowski: Homo ritualis, S. 134. 13 |  B. Janowski: Homo ritualis, S. 135. 14 |  Vgl. I. Willi-Plein: Opfer, S. 166. 15 |  Th. Hieke: Levitikus, S. 147. 16 |  Zu den unterschiedlichen Opfertypen siehe die Übersicht im Beitrag von I. Müllner in diesem Band. 17 |  H. Fuhs: Art. ‫עלה‬, S. 89. 18 |  Th. Hieke: Levitikus, S. 83.

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Brandopfer und Ganzopfer rühren.19 Die vollständige Verbrennung des Tieres, ohne selbst von dessen Fleisch zu essen, symbolisiert die vollkommene Hingabe an Gott20, was auch eine Identifikation mit dem Opfertier impliziert. Die nicht nur symbolische, sondern die totale, real-existenzielle Hingabe Abrahams steht in Gen 22 auf dem Prüfstand. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher ökonomischer Möglichkeiten der Opfernden wird in den Opferbestimmungen von Levitikus differenziert zwischen dem finanziell kostspieligen Opfer eines Rindes, dem Mittelklasse-Kleinviehopfer von Schaf oder Ziege und der Low Budget-Variante eines Taubenopfers (Lev 1,3.10.14, vgl. Lev 5,7.11). Diese soziale Regelung macht deutlich, dass vor Gott »materielle Wertunterschiede sowie menschliche Klassenunterschiede keine Rolle«21 spielen. Zu einem Brandopfer sind ausschließlich männliche, fehlerlose Tiere auf dem Altar zugelassen.22 Dem entspricht in Gen 22, dass es sich sowohl bei dem gebundenen Isaak als auch bei dem geopferten Widder um männliche Subjekte handelt. Das auf dem Altar Dargebotene muss stets in irgendeiner Weise zubereitet sein. So wie es sich bei dem pflanzlichen Speiseopfer nicht um Rohmaterial wie Getreide oder Oliven handeln darf, sondern diese in verarbeiteter Form (gemahlenes Mehl, Backwaren, gepresstes Öl) geopfert werden, müssen auch die Opfertiere entsprechend behandelt werden: Nach der Schächtung soll ihr Blut um den Altar herum versprengt werden, das Fell abgezogen und der Körper zerstückelt werden, Innereien und Beine sollen gewaschen werden (Lev 1,5-9.11-13). So kann das Opfer als ein Realsymbol der Gastfreundschaft gegenüber Gott gedeutet werden.23 Wenn Gott das Opfer, also die Gastfreundschaft des/der Opfernden annimmt, spendet er seinen lebensförderlichen Segen. Paradox ist nur, dass diese »Lebenserhaltung«24 durch das Opfer über die Tötung von Leben erreicht wird. Da das Töten als der Wille eines Höheren dargestellt wird, wird »der Akt des Tötens sakralisiert«25 – und damit natürlich auch legitimiert. Dass es sich in den Bestimmungen zum Brandopfer ausschließlich um tierliche Individuen handelt sowie auch in Gen 22 letztlich der Widder und nicht Isaak geopfert wird, ist in einer speziesistischen Ideologie begründet. Dieser speziesistische Aspekt des Opfers wird deutlich, wenn die Opferdarstellungen mit dem von Judith Butler entwickelten Konzept der Betrauerbarkeit beleuchtet werden.

19 |  Unter Berücksichtigung der Etymologie übersetzen Buber/Rosenzweig ‫ עֹ ָלה‬mit »Darhöhung«. 20 |  Vgl. Th. Hieke: Levitikus, S. 190. 21 |  Ebd., S. 183. 22 |  Zum Geschlecht der Opfertiere siehe den Beitrag von I. Müllner in diesem Band. 23 |  Vgl. B. Janowski: Homo ritualis, S. 136. 24 |  I. Willi-Plein: Opfer, S. 155. 25 |  W. Burkert: Homo necans, S. 19.

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Z um K onzep t der B e tr auerbarkeit : W essen L eben gilt als L eben ? Die US-amerikanische Philosophin und Philologin Judith Butler befasst sich in ihren Veröffentlichungen Gefährdetes Leben (Orig. 2004) und Raster des Krieges (Orig. 2009) vor dem Hintergrund gegenwärtiger Kriege damit, wie die Wahrnehmung und Bewertung von Leben und die daran verübte Gewalt sozio-kulturell gelenkt wird.26 Butlers Grundthese lautet, dass »spezifische Leben nur dann als beschädigt oder zerstört wahrgenommen werden können, wenn sie zuvor überhaupt als lebendig wahrgenommen worden sind. Wenn bestimmte Leben gar nicht als Leben gelten oder von Anfang an aus gewissen epistemologischen Rastern [ frames] herausfallen, dann werden diese Leben im vollen Wortsinn niemals gelebt und auch niemals ausgelöscht«27. Grundsätzlich bedeutet das, dass Subjekte zunächst als diese anerkannt werden müssen, was damit einhergeht, deren Leben als Leben wahrzunehmen. Diese Wahrnehmungsraster sind nicht allein individuell geprägt, sondern politisch mitbestimmt und das »Ergebnis zielgerichteter Verfahren der Macht«28 . Tatsächlich gibt es Subjekte, die nicht als solche anerkannt werden und deren Leben ergo nicht als Leben erkannt wird29, was politisch durchaus gewollt sein kann, etwa im Fall von Kriegsführung oder Tierfleischkonsum. Butlers Theorie betrifft nämlich nicht nur menschliches, sondern auch tierliches Leben, welches nach anthropozentrischen Normen viel häufiger nicht als Leben wahrgenommen wird. Auch wenn die Philosophin ihre Überlegungen primär auf menschliche Verhältnisse bezieht, erklärt sie, dass »sich eben nicht klar und eindeutig zwischen dem bios des Tieres und dem bios des menschlichen Tieres unterscheiden«30 lässt, da auch der Mensch Tier sei. Mit der Anerkennung von Leben einher geht die Anerkennung der Verletzbarkeit als integralem Bestandteil desselben.31 Dieser potenziellen Gefährdung unterliegen menschliche und nichtmenschliche Tiere gleichermaßen32 , wenn26 |  In der deutschsprachigen Bibelwissenschaft hat m.W. zuerst (und bisher als Einzige) Ilse Müllner: Dargestellte Gewalt, S. 286-317, Butlers Konzept der Betrauerbarkeit aufgegriffen und auf die Gewaltdarstellungen in den Davidserzählungen bezogen, wo Trauer identitätsstiftende Funktion hat (S. 309). Zu kulturellen Wahrnehmungsrastern, die auch die Sicht auf den Tod von Tieren prägen, siehe den Beitrag von M. Huth in diesem Band. 27 |  J. Butler: Raster, S. 9; vgl. J. Butler: Leben, S. 50. 28 |  J. Butler: Raster, S. 9. 29 |  Vgl. ebd., S. 12. 30 |  Ebd, S. 25. 31 |  Vgl. J. Butler: Leben, S. 46; J. Butler: Raster, S. 20. 32 |  J. Butler: Raster, S. 21.

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gleich auch hier gilt, dass die Anerkennung der Vulnerabilität ungleich verteilt und hochgradig speziesistisch ist. Die Gefährdung des Lebens impliziert dabei auch eine soziale Dimension, nämlich »die Tatsache, dass unser Leben in gewissem Sinn immer schon in der Hand des Anderen liegt«33 . Bestimmte Leben werden nun in hohem Maße vor Verletzung geschützt »und die Nichtachtung ihrer Ansprüche auf Unversehrtheit reicht aus, um Kriegsgewalten zu entfesseln«34 . Andere Leben hingegen werden nur geringfügig vor Verletzung geschützt oder eine solche wird gar billigend in Kauf genommen. Denn auch wenn alle lebendigen Körper einen potenziellen Gefährdungszustand35 gemeinsam haben, werden durch spezifische Raster der Wahrnehmung unterschiedliche Leben – differenziert beispielsweise nach Ethnie, Religion, Klasse, Spezies – verschiedenartig perzipiert und bewertet. Dies führt dazu, dass bestimmte Individuen und Kollektive, die nicht als vollwertiges Leben zählen, als zerstörbar und nicht betrauerbar gelten.36 Das bedeutet, dass nur in Verhältnissen, in denen der Tod eines Lebewesens relevant ist, der Wert dieses Lebens überhaupt offengelegt werden kann. »Betrauerbarkeit ist somit Voraussetzung dafür, dass es auf ein bestimmtes Leben ankommen kann«37. Betrauerbarkeit geht demnach mit einer Wertung des Lebens einher, ja sogar mit einer machtvollen Definition dessen, was als Leben gilt: »Ohne Betrauerbarkeit gibt es kein Leben, oder vielmehr: Wer nicht betrauerbar ist, lebt außerhalb des Lebens«38 . Die Antwort auf die Frage, welches Leben als Leben gilt, liegt also in der Betrauerbarkeit. Die ungleichmäßige Verteilung von Betrauerbarkeit, die festlegt, welche Art von Subjekt betrauert werden darf und soll und welche Art nicht, »dient der Erzeugung und Erhaltung bestimmter ausschließender Vorstellungen, die festlegen, wer der Norm entsprechend menschlich ist: Was zählt als ein lebenswertes Leben und als ein betrauernswerter Tod?«39 Darin offenbart sich eine »Hierarchie der Trauer« 40. So hat beispielsweise die Tötung mit anschließender Zerlegung und Verfütterung der »kleinen Giraffe Marius« 41 33 |  Ebd. 34 |  J. Butler: Leben, S. 49. Ein bekanntes Beispiel ist das sogenannte Sarajevo-Attentat, jener tödliche Anschlag auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie, der maßgeblich den 1. Weltkrieg ausgelöst hat. 35  |  Lebensprozesse, gleich welcher Art, beinhalten immer Zerstörung und Zersetzung; im Fokus steht hier vor allem die ethisch relevante Gefährdung durch andere moralische Subjekte. 36 |  Vgl. J. Butler: Raster, S. 36. 37 |  Ebd., S. 22. 38 |  Ebd. 39 |  J. Butler: Leben, S. 10. 40 |  Ebd., S. 49. 41 |  Siehe dazu S. Milling: Vorhang, 269-276, die auch den Direktor des Kopenhagener Zoos Bengt Holst zitiert, der die öffentliche Erregung über das Töten, Zerlegen und Ver-

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im Februar 2014 öffentliches Entsetzen ausgelöst, während die Tötung zahlloser Laborratten, Schweine in Intensivhaltung usw., also von Lebewesen, bei denen die Ignoranz ihres Subjektstatus politisch gewollt ist, kaum thematisiert wird – schließlich kann negiertes Leben nicht verletzt werden. Wenn nun »das eine Leben als lebenswert, als schützenswert und als der Trauer wert gilt, das andere aber nicht, dann lässt sich diese Trennung nicht als Problem der Identität oder auch des Subjekts verstehen«. 42 Im Hintergrund steht vielmehr die Frage, durch welche machtvollen Diskurse und Wahrnehmungsraster Subjektsein überhaupt erst möglich – oder unmöglich – wird. Um diese Fragen des Subjektstatus, der Anerkennung von Leben, Gefährdung und Betrauerbarkeit kreist im Folgenden auch die Analyse zu Gen 22,1-19.

D ie A k tanten von G en 22 und die F r age nach B e tr auerbarkeit Das Figureninventar der Erzählung besteht aus Gott, Abraham, Isaak und Widder als Aktanten sowie den beiden jungen Männern und dem Esel als Statisten der Szenerie. Was auffällt, ist das gänzliche Fehlen Saras. Mit intertextuellem Blick auf die Funktion der Gesamtheit der Erzelternerzählungen wird deutlich, dass die Matriarchin bereits erprobt worden ist und »die Gefahr, vom Lebensstrom abgeschnitten zu werden, bereits durchlebt« 43 hat. Abraham steht mit Beginn von Gen 22 eine derartige existenzielle Prüfung noch bevor. Da die Frage der Betrauerbarkeit im Kontext der Opferung diskutiert werden soll, liegt der analytische Fokus auf Isaak und Widder. Ein summarischer Blick soll aber auch auf Gott und Abraham, welche in narratologischer Hinsicht die beiden Haupthandlungsträger darstellen, geworfen werden. Dass sich bisher keine Veröffentlichung der Figur des Widders in Gen 22 ausführlicher gewidmet hat, spiegelt ein generelles perspektivisches Defizit in der Bibelwissenschaft wider: Wenn andere (als menschliche) Tiere in biblischen Texten auftreten, auch wenn sie nicht als Kollektiv, sondern als Einzeltiere in Erscheinung treten, werden sie nicht »als Individuen wahrgenommen, sondern als auswechselbare Objekte« 44 . Diese speziesistische Betrachtungsweise historischer Texte wurde zuerst von der (und für die) Geschichtswissenschaft festgestellt. 45 Von einem Standpunkt der Human-Animal Studies aus aber müssen tierliche Akfüttern des Giraffenbullen als scheinheilig bezeichnet: »If we didn’t feed the giraffe to the lions we had to feed a cow. Is that different?« Vgl. außerdem den Beitrag von W. Reinert in diesem Band. 42 |  J. Butler: Raster, S. 151. 43 |  I. Fischer: Gottesstreiterinnen, S. 67. 44 |  M. Roscher: Animal, S. 137. 45 |  Vgl. ebd.

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teure im Text als Individuen sichtbar gemacht werden, wohingegen eine Betrachtung allein unter Aspekten der Spezieszugehörigkeit den Blick verengt: »Taxonomische Einordnungen verzerrten das Bild, weil immer von einem Tier auf das andere geschlossen und kein Raum für individuelle Entfaltung gedacht werde« 46. Hinzu kommt, dass es häufig die biblischen Texte selbst sind, die wenig an der Darstellung eines einzelnen Tieres als Individuum interessiert sind. Tierliche Aktant_innen wie Bileams Eselin (Num 22,21-35) und die Paradiesschlange (Gen 3) sind Gegenbeispiele, im hebräischen Text individuell und handlungsmächtig gezeichnet, aber dennoch meist von der Exegese übergangen. Im Falle des Widders reproduziert die Bibelwissenschaft die textliche Marginalisierung, die bereits im Bibeltext angelegt ist, d.h. Quelle und Auslegung betrachten den Widder vornehmlich als beliebiges Exemplar seiner Spezies unter dem Aspekt seiner Opferfähigkeit.

Gott Der Handlungsträger Gott wird in Gen 22 als ‫ֹלהים‬ ִ ‫( ֶא‬V.1.3.8.9.12) bezeichnet, der göttliche Bote hingegen ist ein ‫( ַמ ְל ַאְך יְ הוָ ה‬V.11.15) – hier wird also der Gottesname JHWH genannt. Gott ist die erste Figur der Erzählung, von der eine Handlung ausgesagt wird: Gott prüft (‫ נסה‬Pi.) Abraham. Mit dieser Handlung setzt er das eigentliche Ereignis in Gang. Aus dieser anfänglichen Erwähnung seitens der Erzählstimme, dass Gott Abraham prüfte, ergibt sich eine doppelte Leser_innenPerspektive auf das Geschehen, da der Text einerseits die Identifikation mit Abraham forciert (s.u.) und die Rezipient_innen andererseits das Erzählte von einem höheren, informierten Standpunkt aus betrachten.47 Im Fortlauf der Erzählung verschmelzen die Figur Gottes und des Boten JHWHs miteinander. In der Funktion des Boten (resp. »Engels«, so die meisten Übersetzungen) wird Gott für den Menschen sinnlich wahrnehmbar. So ist es letztlich Gottes Stimme selbst, die in V.11.12.15.16 an Abraham ergeht. Die Prüfung Abrahams durch Gott geht – dem für die menschlichen Aktant_ innen glücklichen Ausgang zum Trotz – »von einer absoluten Verfügungsgewalt Gottes über den Menschen aus, wovon eine entsprechende Gewalt Abrahams über seinen Sohn und ein unbedingter Gehorsam des Sohnes gegenüber seinem Vater abgeleitet werden« 48 . Insofern ist die Erzählung zutiefst von einer autoritären Haltung geprägt.

46 |  Ebd., S. 136. 47 |  G. von Rad: Mose, S. 189, spricht hier von einer »Doppelheit des Blickpunktes«. 48 |  W. Ruff: Versuchung, S. 72.

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Abraham In narratologischer Hinsicht ist Abraham die Hauptfigur der Erzählung. Vom ersten bis zum letzten tritt er in fast jedem Vers (mit Ausnahme von V.17) als Handelnder auf, sei es auf Ebene der Erzählstimme oder in der Figurenrede, wobei ihm ein beachtliches Repertoire an Handlungen zugeschrieben wird (zentral v.a. ‫אמר‬, sagen, V.1.5.7.8.11; ‫לקח‬, nehmen, V.2.3.6.10.13; ‫הלך‬, gehen, V.2.3.5.6.8.13.19; ‫ראה‬, sehen, V.4.13; ‫ עלה‬Hif., aufsteigen lassen, opfern, V.2.13). Auffällig ist, wie deutlich die Erzählstimme die Leser_innen lenkt, indem diesen die Perspektive Abrahams geradezu aufgezwungen wird. 49 Auch die Empathie soll ganz bei Abraham liegen, was nicht nur durch die häufige Nennung seines Namens, sondern auch durch die zahlreichen enklitischen Personalpronomina, die auf den Patriarchen bezogen sind, erreicht wird: Es ist nicht ein, sondern sein Esel, den er sattelt, es sind seine Männer, die mit ihm ziehen, Isaak ist sein Sohn (V.3 u.ö.), in der Figurenrede dein (V.2 u.ö.) bzw. mein Sohn (V.7). Diese redundante Bezeichnung Isaaks als Sohn Abrahams dient der Betonung der engen sozialen Beziehung zwischen Vater und Sohn und der emotionalen Auseinandersetzung mit dem Text.50 Auch die Stimme Gottes vernehmen die Leser_innen mit den Ohren Abrahams, sie sehen den Ort und später den Widder mit seinen Augen und schließlich droht die mit dem Messer erhobene Hand Abrahams die der Leser_innen zu werden, denn sie haben »es verpasst, bei Knechten und Esel zurückzubleiben«.51 Auffällig sind die literarischen Leerstellen, die der Text aufwirft. Die bemerkenswerteste und gleichzeitig herausforderndste Leerstelle findet sich im Übergang von V.2 zu V.3: Zwischen dem göttlichen Befehl und der menschlichen Ausführung ist keine Äußerung oder sonstige Regung Abrahams beschrieben. In diesem Dazwischen ist: »nichts. Kein Zögern, kein Nachfragen, keine Bekümmernis um den Sohn, kein Mitleid mit seiner Frau, keine Rücksicht überhaupt auf ein irdisches Urteil.«52 Dies ist umso erstaunlicher, da Abraham doch zuvor mit Gott um das Geschick der ihm unbekannten Einwohner_innen von Sodom 49 |  A. Michel: Gewalt, S. 256 spricht in diesem Zusammenhang von einem »Rollenzwang«. 50 |  Vgl. ebd., S. 263. 51 |  Vgl. ebd., S. 256. 52 |  N. Kermani: Staunen, S. 199. Kermanis meditative Betrachtungen biblischer Texte und deren Rezeptionen in der abendländischen Kunst bewegen sich zwar außerhalb der wissenschaftlichen Exegese, sind jedoch ausgesprochen bereichernd, wird sich den biblischen Texten hier doch nicht nur über Werke der christlichen bildenden Kunst genähert, sondern geschieht dies auch aus der Perspektive eines Muslims. Das Entsetzen über Gen 22, insbesondere Abrahams »Kadavergehorsam«, bringt er deutlich zum Ausdruck: »Hier ward das Gefühlloseste zum Inbegriff des Gottgefälligen erklärt« (S. 202) und kommt zu dem Schluss, dass nicht Abrahams Gehorsam der Kern der Geschichte sein kann, sondern Gottes Demonstration, dass Menschenopfer nicht gewollt ist: »Nicht,

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und Gomorrha leidenschaftlich verhandelt hat (Gen 18,23-32).53 Dieser Zwischenraum überlässt die Deutung über Abrahams Verhalten, Denken und Fühlen den Leser_innen. Dass Abrahams Sohn Objekt der Prüfung ist, ist erzähltechnisch logisch: »Will Gott nach Abraham selber greifen, so muß er nach seiner einzigen Zukunft, nach Isaak, greifen«54 . Insofern stellt der göttliche Auftrag ein doppeltes Opfer dar, da nicht nur der Sohn getötet wird, sondern damit auch die Zukunft des Vaters ausgelöscht wird.55 Nachdem Abraham am dritten Tag der Wanderung den Ort erblickt hat, separiert er Isaak und sich selbst von der Gruppe. Dass er hier seinen Sohn in der wörtlichen Rede an die Zurückgebliebenen als ‫( נַ ַער‬Junge) bezeichnet und nicht mit dem sonst hier verwendeten Beziehungsbegriff ‫( ֵּבן‬Sohn) bedenkt, dazu noch in einem von Possessivsuffixen nur so strotzenden Text darauf verzichtet, ist auffällig und kann als emotionaler Distanzierungsversuch Abrahams gewertet werden. Die Separierung von der Reisegruppe ist Bestandteil der zunehmenden Vereinzelung Abrahams: Nachdem Reisebegleiter und Esel abgetreten sind, handelt zunächst Isaak noch gemeinsam mit seinem Vater (‫ ;הלך‬V.6.8, ‫ ;בוא‬V.9) und kommuniziert mit diesem (V.7f.), verschwindet dann aber auch als Akteur und wird zum schweigenden Handlungsobjekt Abrahams. Ab dem Altarbau (V.9) handelt Abraham als quasi isolierte Einzelfigur.56 Sehr detailliert und in extrem gedehnter Erzählzeit werden die Vorbereitungen zum Opfer beschrieben. Diese literarische Zeitlupe dient ebenso wie die filmische Zeitlupe dazu, das Zeiterleben der Leser_innen mit jenem der Figur zu synchronisieren, wodurch erneut Nähe zur Figur des Abraham hergestellt wird.57 Das Handeln Abrahams an Isaak – er bindet bzw. fesselt ihn (‫ )עקד‬und legt ihn (‫ )ׂשים‬auf den Altar – wird von Letzterem schweigend hingenommen. Schließlich streckt Abraham seine Hand aus (‫)ׁשלח‬ und nimmt (‫ )לקח‬das Messer, um Isaak zu schlachten (‫)ׁשחט‬. Zwar kann sich das Verb ‫ ׁשחט‬auch auf menschliche Objekte beziehen (vgl. Ri 12,6; 2 Kön 25,7; Jer 41,7) und ist dann ein drastischer Ausdruck für die Tötung bzw. Ermordung eines Menschen. Weitaus häufiger sind jedoch Tiere wie Ziegen, Schafe und Rinder Objekt von ‫( ׁשחט‬vgl. Gen 37,31; Lev 17,3; 1 Sam 14,34; Jes 22,13) und das Verb in diesen Fällen eng verbunden mit Fleischkonsum.58 Gebräuchlich ist ‫ ׁשחט‬mit tierlichen Objekten insbesondere auch in Opferzusammenhängen (Ex 29,16; Lev 3,2; daß er es getan hätte – daß er es nicht tun durfte« (S. 203) ist, Kermani zufolge, Kern der Erzählung. 53 |  Vgl. M. Reiss: Actions, S. 190. 54 |  I. Fischer: Gottesstreiterinnen, S. 61. 55 |  Vgl. A. Michel: Gewalt, S. 314f. 56 |  Vgl. ebd., S. 259. 57 |  Vgl. J. Eder: Figur, S. 725. 58 |  Damit ist I. Willi-Pleins: Genesis, S. 125 Deutung, das Verb ‫ ׁשחט‬werde verwendet, um die (drohende) Opferung Isaaks von der Tötung zu Nahrungszwecken abzugrenzen,

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1 Sam 1,25; Ez 40,39)59. Auch in der Brandopferrichtschnur Lev 1,11 leitet ‫ ׁשחט‬den korrekten Opfervorgang beim Kleinvieh ein. Damit findet in Gen 22,10 ein Begriff Verwendung, der einerseits im Kontext von Opferhandlungen – wie eine hier ja auch verlangt wird – als konventionell einzustufen ist, andererseits im Kontext der Menschentötung ein besonders drastischer ist. Obwohl das von Gott geforderte Opfer ein Brandopfer (‫ )ע ָֹלה‬darstellen soll, sind einige Unterschiede zur entsprechenden Opferanweisung in Lev 1 auszumachen. Zum einen weicht die Erzählung Gen 22 von der in Lev 1 geschilderten Reihenfolge ab: Während in Lev 1,10-13 das Tier zunächst geschlachtet und anschließend zerteilt und auf dem Altar platziert werden soll, wird Isaak zu Beginn des Ritus auf den Altar gelegt. Entsprechend fehlen in Gen 22 auch der für ein Brandopfer geforderte Blutritus, die Waschung und finale Verbrennung, da in Gen 22 nicht wie in Lev 1 der »Duft der Beruhigung« der Höhepunkt des Opfers ist, sondern in narrativer Hinsicht das Schlachten, das ja eben nicht vollzogen werden soll, die Klimax darstellt. Auffällig ist darüber hinaus, dass in Lev 1 nicht von einer Fesselung des Opfertieres die Rede ist.60 Inhaltlich kann die Bindung Isaaks einerseits dazu dienen, seinen Widerstand während des folgenden Opfervorgangs auszuschließen, wobei freilich zu fragen ist, ob bei einem schnellen, überraschenden Kehlenschnitt nicht mit weit weniger Gegenwehr seitens Isaaks zu rechnen wäre als bei der komplizierten Fesselung eines jungen Mannes durch einen alten. Umgekehrt kann die Bindung also auch die schweigende Zustimmung Isaaks implizieren: »Isaac was an unblemished subject for sacrifice who was ready to obey his father, whatever the cost, just as his father had showed his willingess [sic!] to obey God to the uttermost«61. Darüber hinaus kann die Bindung des Opfertiers ein so selbstverständlicher Teil des Opfervorgangs sein, dass er nicht extra in Lev 1 erwähnt wird. Schließlich werden auch andere Details vorenthalten – seien sie technischer Art, etwa wie Gerätschaften, z.B. das Schlachtmesser, auszusehen haben, seien sie kultischer Art, etwa welche Formeln, Gebete oder Gesänge rezitiert werden sollen. Tatsächlich zeigen zahlreiche bildliche Darstellungen aus dem biblischen Kulturraum Schlacht- und Opferszenen, bei denen das Tier an den Gliedmaßen gefesselt ist (Abb. 1-3). Es kann sich bei der Bindung Isaaks also um eine konventionelle Opferaktivität handeln, die nur in Bezug auf den Sohn eigens erwähnt, bei dem Widder hingegen, wie auch sonst in alttestamentlichen Tieropfertexten, verschwiegen wird. Sicher scheint in Gen 22 vor allem jene erzähltechnische Funktion der Bindung, die vor allem dazu dient, die Spannung durch einen weiteren Akt, der der intendierten Tötung vorausgeht, weiter aufzubauen. falsch, da ja gerade ‫ ׁשחט‬häufig das anschließende Essen des getöteten Wesens impliziert. 59 |  Vgl. W. Gesenius: Handwörterbuch, S. 1340. 60 |  Vgl. G. Wenham: Genesis, S. 109. 61 |  Ebd.

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Abb. 1: Das Relief aus dem Grab des Dschefai-Chapi in Assiut zeigt detailliert die Fesselung und anschließende Schächtung eines Rindes. Ägypten, um 1.800 v. Chr.

Abb. 2: In der Schlachtszene liegt das Opfertier, vielleicht ein Rind, rücklings mit gefesselten Beinen auf dem Altar, bevor der Kehlenschnitt durchgeführt wird. Phönizischer Skarabäus, 6.-4. Jahrhundert v. Chr.

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Abb. 3: In der Schlachtszene liegt das Rind, das geopfert werden soll, rücklings mit gefesselten Hinterbeinen auf dem Altar, während seine Vorderbeine festgehalten werden. Relief aus dem Palast Sanheribs, 7. Jahrhundert v. Chr. Auf dem Höhepunkt der Geschichte – das Messer ist erhoben und Abraham muss nur noch zustechen – setzt eine Wende ein, ausgelöst durch die Anrufung Abrahams durch den göttlichen Boten (V.11). Die Wiederholung des Namens vermittelt eine gewisse Dringlichkeit62; offenbar muss die Intervention nachdrücklich ausfallen, denn die »Erzählung selbst legt nicht nahe, dass Abraham im nächsten Augenblick nicht zugestochen hätte«63 . Dieses göttliche Eingreifen führt schließlich zur Katharsis sowohl bei Abraham als auch bei den Leser_innen, denen zuvor die Identifizierung mit dem Protagonisten nahegelegt wurde – und die freilich keinen Anstoß an der Tötung eines nichtmenschlichen Individuums nehmen. Als Opfersubstitut für Isaak dient der Widder (s.u.). Dass Abraham diesen wahrnimmt und somit tatsächlich von seinem Sohn ablassen kann, wird gleich dreifach betont64: Er hebt (‫ )נׂשה‬seine Augen, sieht (‫ )ראה‬und siehe (‫)הּנֵ ה‬, ִ der Widder hat sich im Gestrüpp verfangen (V.13). Die Innensicht in die Figur des Abraham wird erneut deutlich forciert. Mit dieser Wende bewahrheiten sich auch die in der vorangegangenen Kommunikation mit den jungen Männern und Isaak vorgebrachten Aussagen Abrahams: Tatsächlich kehren Vater und Sohn zu der kleinen Reisegruppe zurück (‫ ;ׁשוב‬V.5) und wahrhaftig wird ein Tier aus der Gattung der Schafe geopfert (V.8). Gleich, ob die Äußerungen des Patriarchen in den Versen 5 und 8 als Lüge, als »unbeirrter

62 |  Vgl. C. Westermann: Genesis, S. 442. 63 |  A. Michel: Gewalt, S. 261. 64 |  Vgl. K. Nielsen: To See, S. 26.

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Wunsch«65 oder Offenheit für das göttliche Wirken66 gedeutet werden, entgegen der göttlichen Weisung in V.2 bewahrheiten sich diese.

Isaak Die Figur des Isaak bleibt in der Erzählung ausgesprochen flach. Obwohl er derjenige ist, der geopfert werden soll, ist er nur eine Nebenfigur, denn es geht nicht um ihn als handlungsmächtigen Charakter, sondern um Abraham.67 Der Sohn erscheint hier vor allem in der Funktion als Zukunft des Vaters. Diese blasse Charakterisierung entspricht auch dem Gesamtkontext der Erzelternerzählungen, wo Isaak im Schatten seines einflussreichen Vaters Abraham und seines bedeutenden Sohnes Jakob steht.68 Dass die Erzählung ganz auf Abraham fokussiert ist, wird auch durch den Handlungsanteil Isaaks deutlich. Die einzige Handlung, die Isaak einzeln ausführt, ist die des zweimaligen Sprechens (‫ ;אמר‬V. 7), wobei selbst dieser Akt auf Abraham bezogen ist. An anderen Stellen handelt er gemeinsam mit seinem Vater: Sie gehen (‫ ;הלך‬V.6.8) den Weg gemeinsam und kommen (‫ ;בוא‬V.9) schließlich an dem Ort an, später stehen alle Mitglieder der Reisegruppe auf (‫ )קום‬und gehen (‫ ;הלך‬V.19) zusammen nach Beerscheba. Darüber hinaus tritt Isaak vor allem als Handlungsobjekt Abrahams in Erscheinung, unter dessen Verfügungsgewalt er offenbar steht. Abraham nimmt (‫ )לקח‬ihn mit auf die Reise (V.3), legt (‫)ׂשים‬ das Holz auf ihn (V.6), bindet (‫ )עקד‬und legt (‫ )ׂשים‬ihn auf den Altar (V.9). Bei alledem erscheint Isaak außergewöhnlich passiv. Das hat manche Exeget_innen dazu veranlasst, in Isaak zum erzählten Zeitpunkt ein Kleinkind zu sehen. Die Erzählung selbst schweigt über sein Alter. Da Isaak aber imstande ist, eine Holzlast zu tragen und darüber informiert ist, welche Gegenstände zu einem Opfer gehören, hat die Erzählstimme wohl kein Kleinkind vor Augen.69 Dennoch zeugt die Erzählung von der »Unselbständigkeit des Isaak«70, dem keine gefährlichen Gegenstände wie Feuer und Messer zugemutet werden, der nicht aus eigener Initiative das Feuerholz trägt und vor allem sich nicht wehrt angesichts dessen, was ihm zu widerfahren droht. Dies ist aber weniger als Hinweis auf das Alter Isaaks zu verstehen, sondern hat erzähltechnische Funktion. Es geht um die Prüfung Abrahams und dessen Beziehung zu Gott – eine widerständige Nebenfigur wür-

65 |  I. Willi-Plein: Genesis, S. 128. 66 |  Vgl. C. Westermann: Genesis, S. 440; W. Zimmerli: 1. Mose, S. 111. 67 |  Vgl. I. Fischer: Gottesstreiterinnen, S. 61. 68 |  Vgl. M. Reiss: Actions, S. 187. Die kraftvolle Frau an Isaaks Seite, Rebekka, wird in den folgenden Erzählungen umso stärker profiliert, siehe I. Fischer: Gottesstreiterinnen, S. 72-96. 69 |  Vgl. G. von Rad: Mose, S. 189. 70 |  A. Michel: Gewalt, S. 247.

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de die Erzählung unnötig verkomplizieren und den Blick von ihrem Hauptthema ablenken (s.o.). Nach der letzten Rede des göttlichen Boten wird Isaak aus der Geschichte ausgeblendet – es ist allein von Abraham die Rede, der zu der wartenden Reisegruppe zurückkehrt (V.19). Im weiteren Verlauf der Erzelternerzählungen sprechen Abraham und Isaak kein weiteres Wort mehr miteinander.71 Ein Schweigen, das als Ausdruck einer von nun an gestörten Beziehung gedeutet werden kann.

Widder Als Ersatzopfer für Isaak betritt der Widder in V.13 die narrative Bühne. Ein Tier aus der Gattung der Schafe (Ovis) wird erstmals in der wörtlichen Rede Isaaks in V.7 genannt. Isaak zieht den deduktiven Schluss vom Vorhandensein von Feuer, Holz und einem Messer auf die Absicht des Vaters, ein Opfer darzubringen, und fragt diesen, wo das Schaf (‫)ׂשה‬ ֶ sei. Der Begriff ‫ ֶׂשה‬bezeichnet das einzelne adulte oder auch neugeborene Schaf im Unterschied zum Kollektivbegriff ‫צאֺן‬, der die aus Schafen und Ziegen bestehende Kleinviehherde meint.72 Indem Abraham antwortet, dass Gott sich ein solches ausersehen wird, wird der Auftritt des Widders (‫)איִ ל‬ ַ bereits vorbereitet. ‫ ַאיִ ל‬bezeichnet ausschließlich das männliche Schaf (vgl. Gen 31,38; Lev 5,15.18.25; Ez 34,17; 43,23.25) und geht wahrscheinlich zurück auf die Wurzel ‫ אּול‬II, »vorn, stark, mächtig sein«, und spielt somit auf die Stärke des Widders und dessen Funktion als Leittier in der Herde an.73 In dem besagten Dialog wird so das Schaf als das typische Opfertier für ein Brandopfer (‫ )ע ָֹלה‬dargestellt; die Opferung eines kostspieligen Rindes oder einer günstigen Taube wird erst gar nicht in Betracht gezogen und lässt Rückschlüsse auf die solide ökonomische Situation der Familie Abrahams und Saras zu (vgl. Lev 1; s.o.). In V.13 tritt dann der Widder in Erscheinung; durch die Augen Abrahams wird er von den Leser_innen wahrgenommen (s.o.). Das hier erwartete bzw. erhoffte Schaf muss zwangsläufig ein männliches Exemplar seiner Spezies sein, d.h. ein Widder, ist das Opfertier für ein korrektes Brandopfer doch unbedingt männlich (und zudem fehlerlos; vgl. Lev 1,10). Nur ein Charakteristikum seiner Morphologie wird hervorgehoben, nämlich seine Hörner, da ihm diese zum Verhängnis werden: Mit diesen hat der Widder sich selbst im Gestrüpp ge- bzw. verfangen (‫ אחז‬Nif.). Die durch den Widder versehentlich selbst verursachte Immobilität hat Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein gegenüber Abraham zur Folge; verheddert im Gebüsch, steht er für Abraham 71 |  Vgl. M. Reiss: Actions, S. 187. Auffällig ist außerdem, dass von Isaak ausgesagt wird, er trauere um seine verstorbene Mutter Sara (Gen 24,67), während kein emotionaler Ausdruck Isaaks bezüglich des Todes Abrahams (Gen 25,7-10) erwähnt wird. 72 |  Das Kleinvieh bildet somit das genügsame Gegenüber zum sogenannten Großvieh (‫)ּב ַק ר‬, ָ d.h. den haltungsmäßig anspruchsvolleren Rindern. 73 |  Vgl. P. Riede: Spiegel, S. 177f.

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»greif bar zur Verfügung«74. Dieser nimmt (‫ )לקח‬ihn, wie er schon zuvor seinen Sohn genommen hat, und opfert ihn (‫ עלה‬Hif.), wie er es mit Isaak vorhatte. Von dem Widder sind keine widerständigen Handlungen erzählt – auch darin gleichen sich der Fast-Geopferte und der Geopferte. Ein Unterschied besteht in dem verwendeten Verb, welches die Tötung der jeweiligen Opferfigur impliziert. Während Abraham sein Messer nimmt, um Isaak zu schlachten (‫ ;ׁשחט‬s.o.), wird mit ‫ עלה‬Hif. ein stark kultisch konnotierter Opferbegriff für die Tötung des Widders verwendet. Damit wird ein Bezug zum Gottesauftrag in V.2 hergestellt, der eben gerade nicht die Schlachtung, sondern die Opferung als Brandopfer (‫ עלה‬Hif. + ‫)ל ע ָֹלה‬ ְ gefordert hat. So hat Abraham den Auftrag bestimmungsgemäß ausgeführt, wobei der Widder ‫( ַּת ַחת ְּבנֹו‬anstelle seines Sohnes) geopfert wird, was dessen Substitutfunktion betont.

Die ungleiche Verteilung von Betrauerbarkeit Isaak und Widder werden als die beiden Abraham untergeordneten Opferfiguren parallelisiert: Beide sind Handlungsobjekte des Protagonisten, der deren prinzipielle Opferbarkeit nicht infrage stellt und ihnen Gewalt antut. Ein signifikanter Unterschied besteht nun darin, dass das Opfer des Widders tatsächlich durchgeführt wird, was die Verschonung Isaaks zur Folge hat und auf einen kathartischen Effekt bei den Rezipient_innen abzielt. Zu dieser divergenten Wahrnehmung ihrer Betrauerbarkeit führt die Art der Darstellung der Figuren durch die Erzählstimme. Während Isaak schon vorher im Erzählverlauf als Subjekt eingeführt wurde, tritt der Widder erst in diesem Kapitel auf die narrative Bühne und sogleich wieder ab; die Leser_innen haben also kaum eine Möglichkeit, eine Beziehung zu Letzterem aufzubauen und Empathie zu entwickeln. Relevant in diesem Zusammenhang ist auch die Namenlosigkeit des Widders, die als Distanzierungsmerkmal gewertet werden kann, während es nicht ein beliebiges Menschenkind, sondern eben Isaak, der verheißene Sohn, ist, der geopfert werden soll.75 Ein weiterer Aspekt, der die Empathie mit Isaak fördert, ist jener, dass dieser mehrfach als soziales Wesen in Beziehungsgeflechten dargestellt wird. Die Redundanz von Formulierungen wie »dein Sohn«, »sein Sohn«, »mein Sohn«, »sein Vater«, »mein Vater« lässt die Beziehung Isaaks und Abrahams als eine relevante erscheinen. Der Widder hingegen ist eine solitäre Erscheinung, was zur Folge hat, dass keine Figuren im Beziehungsgeflecht mit ihm stehen, die ihn innertextlich betrauern könnten. Dies findet auch Ausdruck darin, dass Isaak gemeinsam mit seinem Vater handelt (Verben in der 3. P.Pl.; V.6.8-9), der Widder die einzige ihm zugeschriebene Handlung aber allein ausführt (V.13). Auch sind dem Widder kei74 |  G. von Rad: Mose, S. 192. 75 |  Siehe dazu auch die namenlose, schematisch gezeichnete Tochter Jephtas in Ri 11; vgl. M. Bauks: Opfer, S. 224.

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nerlei Sprachhandlungen zugeschrieben, während Isaak zweimal das Wort an Abraham richtet (V.7). Unterstrichen wird der Subjektstatus Isaaks noch dadurch, dass auf ihn als »den einzigen« (‫ )יְ ִח ְיד ָך‬Sohn und als jenen, den Abraham liebt, verwiesen wird (V.2). Mit dem Widder werden weder Einzigartigkeit noch positive Emotionen verbunden. Dem ungleichen Subjektstatus entspricht die unterschiedliche Erzählzeit, die die jeweilige Opfervorbereitung und -handlung durch Abraham in Anspruch nimmt und ebenfalls der Empathielenkung dient. Während die Handlungen um die intendierte Opferung Isaaks in detaillierter Zeitlupe ausgeführt werden und so dem Spannungsauf bau vor einer eigentlich undenkbaren Handlung dienen (V.9-10), wird die tatsächliche Opferung des Widders in knappen Worten erzählt (»Und Abraham ging und er nahm den Widder und er opferte ihn als Brandopfer anstelle seines Sohnes«; V.13). Die Tötung des Tieres ist nicht der vielen Worte wert, da dieses innerhalb der Erzählung – sowie auch in deren Rezeption – als nicht betrauerbar gilt. Seine körperliche Integrität ist nicht von Interesse. »Eine Verletzbarkeit muß wahrgenommen und anerkannt werden, um in einer ethischen Begegnung eine Rolle zu spielen«76. So wird die Verletzbarkeit Isaaks innerhalb der Erzählung in der Rede des göttlichen Boten nachdrücklich unterstrichen (»Nicht sollst du deine Hand nach dem Jungen ausstrecken, nicht sollst du ihm irgendetwas tun!«; V.12) und auch die Leser_innen werden durch die narrative Gestaltung dazu angehalten, Isaak als gefährdetes und damit betrauerbares Subjekt wahrzunehmen. Der Widder hingegen wird als nicht betrauerbar dargestellt, da er als namenloser, beliebiger Vertreter seiner Art erscheint und sogleich wieder abtritt. Die Tötung des Widders bedarf daher in der Textwelt keiner ethischen Reflexion, sondern wird als pragmatische Selbstverständlichkeit bzw. erzählerische Notwendigkeit dargestellt. Die dem Tier gegenüber ausgeübte Gewalt wird daher nicht problematisiert – wohl aber die gegenüber Isaak77 –, sondern beinahe en passant erwähnt, sodass hier aus speziesgerechter Perspektive festzuhalten ist, dass die Gewalt geradezu banalisiert wird.78 Die physische Gewalt dem Widder gegenüber ist begründet in struktureller Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere und wird daher weder im Text noch (bisher) in der Exegese infrage gestellt. Die Gewalt gegen nichtmenschliche Tiere gründet in der Wahrnehmung der meisten Tierarten durch Raster, die deren Leben nicht als (vollwertiges) Leben anerkennen und in Konsequenz auch deren Verletzbarkeit nicht berücksichtigen. Dies galt und gilt vornehmlich für soge-

76 |  J. Butler: Leben, S. 60. 77 |  Die an Isaak ausgeübte Gewalt ist von Abrahams Intention her physischer Art – die Tötung des Sohnes –, beinhaltet jedoch auch einen psychischen Aspekt, da Isaak sehen muss, wie sein Vater das Messer gegen ihn erhebt, was eine typische traumatisierende Situation ist; vgl. D. Dieckmann: Männer, S. 47. 78 |  Vgl. I. Müllner: Dargestellte Gewalt, S. 303, die Ähnliches für die Darstellung von Kampfhandlungen in den Daviderzählungen feststellt.

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nannte »Nutztiere«, deren effiziente Nutzung eine gewisse emotionale Distanzierung erfordert. Dadurch, dass Isaak und der Widder in Gen 22 parallelisiert werden, eröffnet sich jedoch noch eine weitere Dimension: Da der Widder stellvertretend für Isaak, also Abrahams Nachkommenschaft, steht, ist er auch eng mit dem auf Abraham zurückgeführten Volk Israel assoziiert.79 In V.17 taucht das bekannte Segensmotiv auf, wenn die göttliche Stimme bestätigt, dass Gott Abraham segnen und mehren wird, dass dessen Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel und der Sand am Ufer des Meeres sein werden. Durch seine Opferung ermöglicht der Widder damit einerseits die Volkwerdung Israels. Andererseits legt sich auch eine kultische Deutung nahe, nämlich dass der Text narrativ entfaltet, »wie es möglich wurde, daß Israels (tägliches Brand-)Opfer Israels Selbstopfer ist« 80. Wenn der Widder stellvertretend für Isaak geopfert wurde, opfert sich umgekehrt jede seiner Nachfahr_innen im Kult selbst.

Opfer, Betrauerbarkeit und die Auslösung der Erstgeburt In der Betonung der Substitutfunktion des Widders und der damit zusammenhängenden Parallelisierung von Mensch und Tier erinnert die Erzählung Gen 22 an jene Rechtstexte der Tora, die eine Auslösung der tierlichen und menschlichen Erstgeburt fordern. Demzufolge hat JHWH Anspruch auf die (männliche) Erstgeburt von »allem Durchbruch des Mutterschoßes« (Ex 13,2.12; 34,19; Num 3,12f.; 8,16f.; 18,15f.), und zwar »von Menschen und von Haustieren« (‫ּוב ְּב ֵה ָמה‬ ַ ‫;ּב ָא ָדם‬ ָ Ex 13,2; Num 8,17; 18,15). Zusammengefasst werden beide Gruppen als »alles Fleisch« (‫ל־ּב ָׂשר‬ ָ ‫ ְ;ל ָכ‬Num 18,15) oder gar als »Kinder Israels« (‫;ּבנֵ י יִ ְׂש ָר ֵאל‬ ְ Ex 13,2; Num 8,17) bezeichnet. Die Erstgeborenen haben einen Sonderstatus inne, gleich welcher Spezies sie angehören. Während Ex 13,2; 22,28f. und 34,19f. den konkreten Modus der Auslösung offenlassen, konkretisiert Ex 13,12f. mit der Auslösung eines Esels, einem unreinen und daher nicht opferfähigen Tier, durch ein Schaf. Wenn es nun in der parallelen Formulierung heißt, dass die menschliche Erstgeburt »ausgelöst« werden soll, lässt sich daraus folgern, dass hier ebenso wie im Falle des nicht opferfähigen Esels verfahren und ein Schaf geopfert werden soll.81 So dient auch in diesen Rechtsbestimmungen ein tierliches Wesen als Ersatz für ein menschliches und muss dafür mit seinem Leben bezahlen. Gleichzeitig wird aber auch ein tierliches Leben (Esel) durch ein anderes tierliches (Schaf) ausgelöst.

79 |  Vgl. G. Steins: Bindung, S. 195. 80 |  Ebd. 81 |  Vgl. ebd., S. 181f.

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E rgebnis : Tod , Tr auer und die G renzen der S pezies Die Erzählung Gen 22,1-19 stellt zweifelsohne eine der schwierigsten im Alten Testament dar und ist in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerzählung. Sie präsentiert ein hochproblematisches, da autoritäres und gewaltvolles, Gottesbild, lobt einen kritiklosen Gehorsamsglauben, der im wahrsten Sinne über Leichen geht und bildet die theoretische Möglichkeit eines Kinder- bzw. Menschenopfers ab. Aus Sicht der bibelwissenschaftlichen Human-Animal Studies ist aber ebenso die fraglose Hinnahme der Tötung eines nichtmenschlichen Lebewesens skandalös. Zwar wird im kultischen Zusammenhang des Opfers das Töten von Lebewesen grundsätzlich legitimiert, doch zielt die drohende Opferung Isaaks, obwohl sie als der Wille Gottes dargestellt wird, darauf ab, von den Leser_innen infrage gestellt zu werden. Seine Verschonung im letzten Augenblick ist erzähltechnisch so konstruiert, dass sie nach dem Auf bau einer schier unerträglichen Spannung große Erleichterung bei den Leser_innen bewirkt. Die anschließend durchgeführte Opferung des Widders hingegen wird auf keiner Kommunikationsebene des Textes infrage gestellt, sondern vielmehr als »natürlich« und richtig wahrgenommen bzw. dargestellt. Auf inhaltlicher Ebene der histoire würde keine menschliche oder tierliche Figur den Tod des Widders beklagen, werden doch keine sozialen oder emotionalen Beziehungsgeflechte seinerseits benannt. Auf der Diskursebene wird deutlich gemacht, dass es sich bei dem Widder um ein beliebiges Exemplar seiner Spezies handelt – namenlos, sprachlos –, sodass gar nicht erst der Verdacht aufkommt, es könne sich bei ihm um ein Individuum handeln. Seine Tötung wird knapp und nüchtern erzählt, während die Gefährdung Isaaks breit und emotional ausgebaut wird. Auf Ebene der Rezipient_innen scheint die Textstrategie voll aufzugehen, da bisher noch keine (aufgezeichnete) Stimme Mitleid mit dem Widder artikuliert oder Entsetzen über dessen Tötung geäußert hat. »Ohne Betrauerbarkeit gibt es kein Leben, oder vielmehr: Wer nicht betrauerbar ist, lebt außerhalb des Lebens« 82 . Der Widder von Gen 22 steht außerhalb der Betrauerbarkeit, sein Leben gilt nicht als Leben, während das Leben Isaaks als umso gefährdeter dargestellt wird. In der Substitutfunktion des Widders liegt jedoch auch eine Stärke des Textes. Die Erzählung verdeutlicht, dass Menschen nicht nur als Opfernde und andere Tiere als Opfer im Sinne der victima im Kult beteiligt sein können, sondern dass auch menschliche Wesen sich gebunden auf dem Altar wiederfinden können. Tier- und Menschenopfer werden hier eng miteinander verknüpft, ähnlich wie in den Rechtstexten zur Auslösung der Erstgeburt (Ex 13,2.12-15; 22,28f. u.a.). Die biblischen Texte verstehen »killing animals and humans as different manifestations of the same problems« 83 . 82 |  J. Butler: Raster, 22. 83 |  N. Ruane: Scarifice, 229. Darauf weisen auch die Sintfluterzählung, v.a. Gen 9,117, sowie das Verbot der Profanschlachtung, Lev 17, hin.

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Die Similarität von Mensch und Tier äußert sich nicht nur in dem Sonderstatus ihrer Erstgeborenen und ihrer prinzipiellen Opferbarkeit, sondern in Gen 22 auch in einer ähnlichen Darstellung von Isaak und Widder als Abrahams stumme Handlungsobjekte, der deren Opferbarkeit nicht infrage stellt, sie sich nimmt und ihnen Gewalt antut. Nicht nur der Substitut-Widder gilt als nicht betrauerbar, sondern dieser Befund ist auch auf andere Opfertexte ausweitbar. So sind beispielsweise die ausführlichen Opferbestimmungen von Lev 1-7 darauf bedacht, die betreffenden Tiere nicht als vulnerable Individuen darzustellen, sondern als je beliebiges – freilich fehlerloses – Exemplar ihrer Gattung, als passives Handlungsobjekt. Sie werden rein funktional als »Opfermaterie« 84 betrachtet, was dazu führt, dass ihre Tötung ethisch nicht hinterfragt werden muss. Die an sich lebensdienliche Funktion des Opfers gilt damit nur für die menschliche Seite, während die Lebewesen auf dem Altar weder als Subjekte noch als Leben anerkannt werden und damit gemeinhin außerhalb der Betrauerbarkeit stehen. Die untersuchten Texte zeigen, dass Tieropfer und Menschenopfer austauschbar sind.85 Allerdings funktioniert die Rochade nur unidirektional: Das Tier dient sowohl in Gen 22 als auch in den Rechtstexten als Substitut für den Menschen, nie jedoch umgekehrt. Aller Ähnlichkeit von menschlichen und tierlichen Erstgeborenen, von zweitgeborenen Söhnen und Widdern zum Trotz zeigt sich hier die grundlegende Alterität von Menschen und anderen Tieren darin, wer stets die Opfernden und meist die Geopferten sind.

84 |  So und ähnlich auch die geläufige Terminologie in der Fachliteratur, die dabei übergeht, dass es sich allenfalls aus Sicht der Opfernden bei den Tieren um »Materie« handelt, die in Wirklichkeit aber jedes für sich ein individuelles Leben darstellen. Siehe etwa Th. Hieke: Levitikus, S. 153.161 u.ö., der in seinem gelungenen Levitikus-Kommentar in diesem Zusammenhang von Tieren als »Opfermaterie« bzw. »Opfermaterial« spricht. 85 |  N. Ruane: Sacrifice, 229.

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The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts 1 Maria-Zoe Petropoulou

I ntroduction : The E vidence and our S ubject This paper derives from a linguistic paradox pointed out in early Christian texts: namely that, whereas early Christians did not offer animals to their God (as written and archaeological sources of the first and second centuries AD show), their language contained notions and images drawn from the mechanism of animal sacrifice. Christianity was born at a time when most of its contemporary Mediterranean cults were sacrificial – Judaism until the fall of the Temple in AD70. At first sight, early Christian texts indicate that Christians taught against animal sacrifice. Looking more closely, though, one has to admit the following discontinuity: from our first century evidence for Christian criticism of sacrifice, an explicit anti-sacrificial teaching is lacking. That is to say, in the first century, no clear doctrine was set out against Jewish sacrifice, whereas some Jewish Christians “zealous for the Law” must have participated in the Temple cult. Even with regard to paganism, what became an issue among first-century Christians was rather their abstention from pagan sacrificial meat than their presence during a pagan sacrificial ceremony. Only in the second century did the anti-sacrificial polemics of Christians explicitly point at both pagan and Jewish sacrificial rituals, and stress the principle of Θεὸς ἀνενδεής (God in need of nothing). In sum, what is widely thought of as the Christian doctrine against animal sacrifice per se is a second-century product. On the other hand, early Christian texts witness to the continuous presence of literary parallels drawn between animal sacrifice and Christian values, that is to say Christian writers used sacrificial images in order to transmit their ideas. If the aforementioned discontinuity in our evidence is set against this continuous figu1 |  An early version of this paper was presented at the Colloquium entitled Sacrifice and the Culture of Violence, organised by Oxford University, Oxford, April 4, 2009.

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rative trend, one has to allow for two possibilities. According to the first possibility, the discontinuity in the evidence for anti-sacrificial teaching on the one hand, and the figurative trend on the other, are actually complementary and in perfect accordance with one another: since a Christian figurative sacrificial vocabulary is continuously present in the texts of the first and second centuries, one could argue that Christians had been against all kinds of animal sacrifice (including Jewish) from the beginning; that an anti-sacrificial trend had been present from the very beginning of Christianity (that is, even in the years before the Fall of the Temple in AD70), and that this trend further developed in the second century. According to the second possibility, one could argue that the bolder criticism of sacrifices in the second century was the exclusive result of the fall of the Temple in AD70, and that no prior Christian anti-sacrificial teaching had existed.2 For the purposes of the present paper, we shall not dwell upon any of these two stances. Our only focus in this paper is the sacrificial images used in Christian texts. So let us just keep in our minds the uncontestable fact that early Christian writers borrowed a well-known imagery from the reality of animal sacrifice, in order to talk about realities other than animal sacrifice. By establishing conceptual parallels between the new faith and the older kinds of faith, Christian writers made their teaching more easily accessible. The use of sacrificial parallels would gradually contribute to the establishment of two practices: a Christian “canon” of specific acts, life attitudes and modes of behaviour, and a ritual “canon” in which the central act was not an animal sacrifice. It is with these facts in mind that I continue to call Christian sacrificial parallels undermining and subversive as to their effect on the omni-present sacrificial cults of the time.3

M e taphor and me tonymy The range of sacrificial parallels found in Christian texts is so wide that the combinations made are often quite unexpected to the reader. It is in order to cover even the most extraordinary cases of figurative sacrificial vocabulary that we have preferred here the term parallels instead of the term metaphors used in our previous study of the issue. 4 The term parallels comprises both tropes by which whole images and single notions previously related to animal sacrifice were incorporated in Christian anti-sacrificial teaching, namely the tropes of metaphor and metonymy. By the use of metaphor, the human mind points out similarities between separate objects/ideas; for instance, it is by a metaphor that the human mind equates the death of an animal to the death of a human being. In the case of metonymy, on the other hand, the speaker is able to point out contiguities between separate notions; 2 |  This is a summary of M. Petropoulou: Animal Sacrifice, p. 225-279. 3 |  Terms used ibid., p. 244, 274, 294. 4 |  Ibid., p. 240-46, 274-78.

The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts

for instance, by a metonymy, a sacrificial offering is equated to philanthropy or confession, because these are acts that result from piety just as the offering of a sacrifice does.5 With this distinction in mind, one can explain the whole range of sacrificial parallels, from the expected to the most unexpected ones. The idea of animal sacrifice combined with (or even substituted by) non-sacrificial activities was not completely new in the early years of Christianity: figurative trends had already been known through the Hebrew Bible and its Greek translation, the Septuagint (e.g. Psalm 51:176); and Philo allegorised Jewish sacrificial ritual so as to extract philosophical symbolisms from it.7 However, the number, range and originality of combinations between images of animal sacrifice and non-sacrificial activities is of an unprecedented extent in Christian teaching. By the latter statement we also mean instances where Christians incorporated their own linguistic tropes (metaphor of sacrifice) into the previous, Biblical ones (allegory or metonymy of sacrifice). In this paper we shall study metaphors which equate Jesus to a sacrificial victim. The term metaphor is used here because the similarity between an animal and a person dying is quite obvious. 8 But, on the other hand, this presentation will show that the process of metaphorisation was not devoid of semantic gaps. Thus, we shall stress the multiplicity of meanings denoted by sacrificial terms in Christian sacrificial images, and the semantic complications involved in the linguistic procedure of the sacrificial parallels drawn by Christians. We cannot overstress the fact that our study is based on Greek texts. Since the earliest Christian texts were originally written in Greek, they were by definition in juxtaposition with both their contemporary pagan Greek texts and with the text of the Septuagint, in use by Jews of the Greek-speaking East. The Jewish sacrificial ritual, conducted in the Jerusalem Temple until AD70, was an important inheritance for Christians, exactly because it was transmitted to them through the texts of the Jewish Scriptures, which were uncontestably revered by them. Not surprisingly, then, sacrificial images used to describe the Christian experience in Christian texts are mostly drawn upon the Jewish context. Linguistically, this is manifest in the use of words that were not religiously neutral;9 these are, for instance, θυσιαστήριον (altar),10 ἱλασµός (expiation), ἁµαρτία (sin), all examined below.

5 |  On metaphor and metonymy see R. Jakobson/M. Halle: Fundamentals, p. 55-82. 6 |  “The sacrifice acceptable to God is a broken spirit.” (NRSV) 7 |  M. Petropoulou: Animal Sacrifice, p. 149-188. 8 |  See the paper by Y.S. Thöne in this volume. 9 |  I.e. “neutral” is the word θυσία, which could fit equally well to pagan and Jewish contexts. 10 |  J. Lieu has noted perspicaciously that the word is always drawn upon the Old Testament (and the New Testament), and not upon classical Greek. J. Lieu: Image, p. 54, note 49. It is a pity that such an important remark should be relegated to a note.

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In the canonical Gospels there are already instances where sacrificial images are used as literary ornaments or in similes in the service of rhetorical intensification. Not unexpectedly these images are taken from the Jewish sacrificial context, since they either contain references to the one God or are directly copied from the Old Testament (e.g. Psalm 44:22).11 Apart from this use of sacrificial metaphors for purely literary reasons, Christians expanded the term sacrifice from the area of an animal’s death to contexts which had not previously been considered sacrificial. Most prominent among these contexts is the one where Jesus is presented as a sacrificial victim, and examples from this context will be dealt with here.

J esus as a L amb (a) Sin offering Actually the most probable source of the Christian metaphor “Jesus – offering” is Isaiah 53.12 Two literary devices are used in this passage, the simile and the metaphor. In the simile the servant of God is compared to “a lamb that was led to the slaughter” (53:7, my trnsl./in Greek: ὡς πρόβατον ἐπὶ σφαγὴν ἤχθη). In the two instances of metaphor this servant is the one who bears the sins of the world (53:4: οὗτος τὰς ἁµαρτίας ἡµῶν φέρει/“he has borne our sins”, my trnsl.), and whom the people is encouraged to offer as a sin offering (53:10: ἐὰν δῶτε περὶ 11 |  Luke 13:1: Παρῆσαν δέ τινες ἐν αὐτῷ τῷ καιρῷ ἀπαγγέλλοντες αὐτῷ περὶ τῶν Γαλιλαίων, ὧν τὸ αἷµα Πιλᾶτος ἔµιξε µετὰ τῶν θυσιῶν αὐτῶν. (“At that very time there were some present who told him about the Galileans whose blood Pilate had mingled with their sacrifices.” — NRSV); John 16:2: ... ἀλλ’ ἔρχεται ὥρα ἵνα πᾶς ὁ ἀποκτείνας ὑµᾶς δόξῃ λατρείαν προσφέρειν τῷ Θεῷ. (“They will put you out of the synagogues. Indeed, an hour is coming when those who kill you will think that by doing so they are offering worship to God.” — NRSV); Rom. 8:35-7 (where Psalm 44:22 is quoted): τίς ἡµᾶς χωρίσει ἀπὸ τῆς ἀγάπης τοῦ Χριστοῦ; θλῖψις ἢ στενοχωρία ἢ διωγµὸς ἢ λιµὸς ἢ γυµνότης ἢ κίνδυνος ἢ µάχαιρα; καθώς γέγραπται ὅτι ἕνεκά σου θανατούµεθα ὅλην τὴν ἡµέραν· ἐλογίσθηµεν ὡς πρόβατα σφαγῆς. ἀλλ’ ἐν τούτοις πᾶσιν ὑπερνικῶµεν διὰ τοῦ ἀγαπήσαντος ἡµᾶς. (“Who will separate us from the love of Christ? Will hardship, or distress, or persecution, or famine, or nakedness, or peril, or sword? As it is written, ‘For your sake we are being killed all day long; we are accounted as sheep to be slaughtered.’ No, in all these things we are more than conquerors through him who loved us.” – NRSV). 12 |  The Book of Isaiah contains the so-called Servant songs, which are poems about a servant of God who will lead the nations to salvation in a non-violent way. This servant of God is at the same time an agent of justice, a prophet and a teacher. Despite his being abused and humiliated by the nations, in the end he will be vindicated.

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ἁµαρτίας/“when you offer him as a sin-offering”, my trnsl.), but there is no explicit equation of the servant to a specific animal species. We should note here that, in each of the many instances of “sin” specified in the Septuagint, the type of sin offering that should be offered is designated by the expression περὶ ἁµαρτίας (for sin) plus the animal species recommended in each case.13 It is beyond the scope of this paper to wonder why the author of Isaiah 53 does not make mention of an animal, although he could have used a word denoting one, but leaves the reader with the image of a human being (i.e. the servant) offered for expiation instead. It is in the canonical Gospel of John that we come across what seems to be a creative combination of the two images of Isaiah 53, that of a lamb led to slaughter, and of someone bearing the sins of many. Jesus is thus equated to a lamb offered for expiation. The expression “Lamb of God” is presented as uttered by John the Baptist, and is the expression destined to shape both the doctrine and the art of Christians in the following centuries: (John 1:29) “The next day John sees Jesus coming towards him and declares, ‘Here is the Lamb of God who takes away the sin of the world!’”14 (NRSV, slightly improved) (John 1:35-6) “The next day John again was standing with two of his disciples, and as he watched Jesus walk by, he exclaimed, ‘Look, here is the Lamb of God!’”15 (NRSV) Creative as this combination of images may have been on the part of the author, it made John the Baptist sound inaccurate as to the exact cultic act which he described: as we have said, in Judaism each sin was to be expiated with a specific animal species sacrificed as a sin offering. Within this framework, the lamb was destined to be used as an atoning offering on the part of an individual and not on the part of a group similar to the “world” (κόσµος), as in the former of the aforementioned passages. In fact, the only groups presented in the Bible as offering atoning sacrifices for their sins are the Jewish people and the High Priest’s household, and, even then, the species specified are the calf and the kid.16

13 |  The expression περὶ ἁµαρτίας is used throughout Leviticus (chs 4, 5, 16) and Numbers (chs 28, 29), and is either preceded by the verbs προσάγω/προσφέρω or not preceded by any verb. A slight differentiation is observed in Leviticus 4.32: προσφέρω εἰς ἁµαρτίαν. 14 |  Τῇ ἐπαύριον βλέπει ὁ Ἰωάννης τὸν Ἰησοῦν ἐρχόµενον πρὸς αὐτὸν καὶ λέγει· ἴδε ὁ ἀµνὸς τοῦ Θεοῦ ὁ αἴρων τὴν ἁµαρτίαν τοῦ κόσµου. 15 |  Τῇ ἐπαύριον πάλιν εἱστήκει ὁ Ἰωάννης καὶ ἐκ τῶν µαθητῶν αὐτοῦ δύο, καὶ ἐµβλέψας τῷ Ἰησοῦ περιπατοῦντι λέγει· ἴδε ὁ ἀµνὸς τοῦ Θεοῦ. 16 |  See Leviticus 4-5 and 16.

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Consequently, in John we are faced with a crucial problem of accuracy in the description of the Jewish sin offering. The author referred to the animal species offered in an individual sin offering, when talking about a universal sin offering. One may dare wonder what the Greek-speaking Jewish readers/listeners of the Gospel would think about it. Were they familiar enough with the Jewish sacrificial cult after the fall of the Temple in AD70, so that they realised the underlying inconsistency? And what about Christian proselytes coming from a pagan background, the so-called Gentiles (ἔθνη)? Would they make sense of these images? From the time of the Gospel of John onward the image of a lamb ritually offered became the Christian symbol of a mechanism having universal consequences. The initial connection of the lamb with personal atonement would subsequently be (inaccurately?) expanded and used for conveying several pictures.

(b) Ransom One of these pictures conveyed through the image of Jesus as a lamb is rather strange: it incorporates elements from a sacrificial context into the scene of a transaction made at a time of war. Let us examine the following passages from two texts dating to the late first century: (First Epistle of Peter 1:18-19) “You know that you were ransomed from the futile ways inherited from your ancestors, not with perishable things like silver or gold, but with the precious blood of Christ, like that of a lamb without defect or blemish.”17 (NRSV) In this passage the emphasis is sliding towards the blood of the victim, and, in fact, more than two tropes are in use: apart from the simile of Jesus as a lamb (ὡς ἀµνοῦ), we also have two metaphorical images: that of people as captives (in an old way of life), and, most importantly, that of blood considered ransom used in a transaction of liberation. Especially the latter metaphorical image (also found in Mark 10:45)18 would have enormous consequences on the formation of the Christian doctrine.19 (Revelation 5:9; the Lamb [Jesus] is addressed by the saints) “They sing a new song, saying: ‘You are worthy to take the scroll and to open its seals, for

17 |  ... οὐ φθαρτοῖς, ἀργυρίῳ ἢ χρυσίῳ, ἐλυτρώθητε ἐκ τῆς µαταίας ὑµῶν ἀναστροφῆς πατροπαραδότου, ἀλλὰ τιµίῳ αἵµατι ὡς ἀµνοῦ ἀµώµου καὶ ἀσπίλου Χριστοῦ, ... 18 |  See also I Timothy 2:5-6. 19 |  The so-called Ransom Theory. See G. Aulen: Christus Victor.

The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts you were slaughtered and by your blood you ransomed for God saints from every tribe and language and people and nation;”20 (NRSV, slightly improved)

Two metaphorical images are in use in the passage: the first metaphor concerns the protagonist of the text, the Lamb-Jesus, who, in the idiosyncratic work of Revelation, is never qualified as sacrificed (τεθυµένον), but as slaughtered (ἐσφαγµένον) instead; by a second metaphor emphasis is laid on the Lamb’s blood as ransom in a business transaction (ἠγόρασας = you bought). Now, in this passage, as in the whole of Revelation, the Lamb is assigned human will and behaviour; so would we say that the main metaphor is expanded by anthropomorphism, or that the initial image keeps its traits within the metaphor? Comparing the two passages, I Peter 1:18-19 and Revelation 5:9, one would instantly notice that the author of I Peter keeps the terms ἄμωμος and ἄσπιλος, which, along with ἀμνός, incontestably allude to an unblemished sacrificial victim. However, the author of Revelation strips his image of all sacrificial notions apart from that of the Lamb, which, on the other hand, not only is referred to as slaughtered, but is depicted more like a human being. In both passages the reference to the whole world communicates the image of a transaction working for Jews and pagans alike; but in Revelation sacrificial allusions are kept to a minimum. In sum, the initial function of the lamb and its sacrificial context have almost vanished in the two passages, and emphasis is laid on liberation instead. In fact, the notion of captives being freed would be common to pagans and Jews alike. We could only guess at a possible conciliatory purpose of passages such as the ones above, and perhaps wonder whether most conservative Jewish Christians would have been surprised or even outraged when reading them/listening to them.

(c) Paschal (and atoning?) offering By the assimilation of Jesus not just to a lamb, but to the paschal lamb, the problem caused by the inaccuracy of one lamb atoning for the sins of many is partly resolved, as we shall see below.21 In I Corinthians, talking about removal of offenders from the community, Paul refers to Jesus’ death as if to the sacrifice of a paschal lamb, and metaphorically

20 |  καὶ ᾄδουσιν ᾠδὴν καινὴν λέγοντες˙ ἄξιος εἶ λαβεῖν τὸ βιβλίον καὶ ἀνοῖξαι τὰς σφραγίδας αὐτοῦ, ὅτι ἐσφάγης καὶ ἠγόρασας τῷ Θεῷ ἡµᾶς ἐν τῷ αἵµατί σου ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους, ... 21 |  On the death of Jesus in John’s Gospel and the expression “Lamb of God” in the same Gospel, see G. Vermes: Changing, p. 20-1, 35-7.

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insists on celebration with unleavened bread (5:7-8). The unleavened bread represents the new, Christian way of life, which should be kept apart from old habits.22 (I Cor. 5:6-8) “Do you not know that a little yeast leavens the whole batch of dough? Clean out the old yeast so that you may be a new batch, as you really are unleavened. For our paschal lamb, Christ, has been sacrificed for our sake. Therefore, let us celebrate the festival, not with the old yeast, the yeast of malice and evil, but with the unleavened bread of sincerity and truth.”23 (NRSV, with my addition in italics) In the Jewish festival of Passover, each Jew could slaughter a lamb without a priest officiating during the act; this is why the whole procedure, which included a lavish feast, could take place away from the Temple and be celebrated even by Jews in the Diaspora.24 The paschal offering was not a sin offering,25 but a symbol of liberation, with no prominent atoning effects. Apparently this is the reason why at first sight a reference to the atoning effects of blood from the lamb’s slaughter is missing from Paul’s passage. However, Paul implicitly combines the image of the paschal sacrifice with that of an atoning sacrifice, by a single expression: ὑπὲρ ἡμῶν, meaning for our sake. By just one expression, Paul partly gave a solution to the problem of the one lamb atoning for the sins of many, because the inaccuracy is absorbed within the exhilarating connotations that Passover had for Jews. On the other hand, the expression for our sake is rather neutral with regard to any sacrificial connotations, either Jewish or pagan. Firstly, because, as we have seen, the Septuagintal term used for a sin offering is περὶ (not ὑπὲρ) ἁμαρτίας. Secondly, the notion of an atoning death for the sake of others was not completely strange to pagan readers, who, in fact, did not call such a death a “sacrifice”.26 Indeed, a few decades later, Clement of Rome would compare the death of Jesus with the deaths of leaders who gave their lives to save the many.27

22 |  Paul’s use of the adjective “unleavened” should not be considered an allusion to the Jewish feast of Unleavened Bread, otherwise the passage would not make any sense, but as the use of metaphor in which the similarity between old and new is emphasized. 23 |  οὐκ οἴδατε ὅτι μικρὰ ζύμη ὅλον τὸ φύραμα ζυμοῖ; ἐκκαθάρατε οὖν τὴν παλαιὰν ζύμην, ἵνα ἦτε νέον φύραμα, καθώς ἐστε ἄζυμοι. καὶ γὰρ τὸ πάσχα ἡμῶν ὑπὲρ ἡμῶν ἐτύθη Xριστός· ὥστε ἑορτάζωμεν μὴ ἐν ζύμῃ παλαιᾷ, μηδὲ ἐν ζύμῃ κακίας καὶ πονηρίας, ἀλλ’ ἐν ἀζύμοις εἰλικρινείας καὶ ἀληθείας. 24 |  See M. Petropoulou: Animal Sacrifice, p. 183-185. 25 |  This is why it resulted in a feast, whereas meat from a sin offering could be eaten only by priests (Philo, De specialibus legibus 1, p. 239-246). 26 |  See M. Petropoulou: Humans, p. 108-110. 27 |  I Clement, 55:1.

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Therefore, it would be no exaggeration to say that, by placing two notions side by side, one drawn upon the Jewish sacrificial context (Paschal sacrifice) and the other rather neutral (death for the sake of ), Paul rendered his message more friendly to his non-Jewish readers. This stance could be corroborated by the example of the second-century text of Justin’s Dialogue with Trypho the Jew: in it Paschal sacrifice is allegorically interpreted, but Paul’s conciliatory imagery is not reproduced, perhaps because the supposed addressees were Jews, so there was no need for such twists of language.28 28 |  In the second-century text of the Dialogue by Justin, in the allegorisation which makes the Paschal Lamb into the type of Jesus, Christians are metaphorically presented as smearing themselves with Jesus’ blood. (Justin, Dialogue with Trypho, 40:1-3): “The mystery, then, of the lamb which God enjoined to be sacrificed as the passover, was a type of Christ; with whose blood, in proportion to their faith in Him, they anoint their houses, i.e., themselves, who believe on Him. ... and that lamb which was commanded to be wholly roasted was a symbol of the suffering of the cross which Christ would undergo. For the lamb, which is roasted, is roasted and dressed up in the form of the cross. For one spit is transfixed right through from the lower parts up to the head, and one across the back, to which are attached the legs of the lamb.” Tὸ μυστήριον οὖν τοῦ προβάτου, ὃ τὸ πάσχα θύειν ἐντέταλται ὁ θεός, τύπος ἦν τοῦ Xριστοῦ, οὗ τῷ αἵματι κατὰ τὸν λόγον τῆς εἰς αὐτὸν πίστεως χρίονται τοὺς οἴκους ἑαυτῶν, τοῦτ’ ἐστιν ἑαυτοὺς, οἱ πιστεύοντες εἰς αὐτόν· ... καὶ τὸ κελευσθὲν πρόβατον ἐκεῖνο ὀπτὸν ὅλον γίνεσθαι τοῦ πάθους τοῦ σταυροῦ, δι’ οὗ πάσχειν ἔμελλεν ὁ Χριστός, σύμβολον ἦν. τὸ γὰρ ὀπτώμενον πρόβατον σχηματιζόμενον ὁμοίως τῷ σχήματι τοῦ σταυροῦ ὀπτᾶται. εἷς γὰρ ὄρθιος ὀβελίσκος διαπερονᾶται ἀπὸ τῶν κατωτάτω μερῶν μέχρι τῆς κεφαλῆς, καὶ εἷς πάλιν κατὰ τὸ μετάφρενον, ᾧ προσαρτῶνται καὶ αἱ χεῖρες τοῦ προβάτου. (trnsl. by G. Reith in the Roberts-Donaldson edition.) Clement of Alexandria also uses the image of Jesus-the Paschal lamb (in both quotations below the English translation is from http://www.earlychristianwritings.com): (Clement, Stromata V.66:3-5) “For the knowledge of the divine essence is the meat and drink of the divine Word. Wherefore also Plato says, in the second book of the Republic, “It is those that sacrifice not a sow, but some great and difficult sacrifice,” who ought to inquire respecting God. And the apostle writes, “Christ our passover was sacrificed for us;” — a sacrifice hard to procure, in truth, the Son of God consecrated for us.” ... βρῶσις γὰρ καὶ πόσις τοῦ θείου λόγου ἡ γνῶσίς ἐστι τῆς θείας οὐσίας. διὸ καί φησιν ἐν δευτέρῳ Πολιτείας ὁ Πλάτων. θυσαμένους οὐ χοῖρον, ἀλλά τι μέγα καὶ ἄπορον θῦμα, οὕτω χρῆναι ζητεῖν περὶ θεοῦ. ὁ δὲ ἀπόστολος καὶ τὸ πάσχα ἡμῶν ἐτύθη γράφει Χριστός, ἄπορον ὡς ἀληθῶς θῦμα, υἱὸς θεοῦ ὑπὲρ ἡμῶν ἁγιαζόμενος.

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Even if the purpose of each writer is not always made explicit in his or her text, it is quite constructive for the researcher to find hints of intentions, which could have inadvertently sneaked in between the lines. That is why it is disappointing to see that various translations of the passage from I Corinthians do not highight the originality in Paul’s combination of notions fitting both Jewish and Gentile contexts.

J esus as a kid : 1 s t century In the following passages, from Paul’s Epistle to the Romans (below a.) and from the First (so-called “catholic”) Epistle of John (below b.), two texts separated by as long as fifty years, Jesus is implicitly made into a kid. The implicit metaphor derives from the use of the terms ἱλαστήριον/ἱλασμός, meaning “victim of expiation”/“expiation”. Most Septuagintal sacrificial references to terms of the root ἱλασ- fall into two categories: terms of the first category refer to the Day of Atonement or (by means of metonymy) to its victim.29 Terms of the second category refer to a kid as a sin offering, which is offered along with some of the main public sacrifices.30 Where­ as in all of the aforementioned instances reference is made to public sacrifices, in Numeri 5:8 the word ἱλασμός refers to the private sin offering, where the individual must offer a ram (κριός). The latter use of ἱλασμός is rather exceptional, since in the main exposition of private sin offerings in Leviticus 4-5, the main term denoting trespass is of the root ἁμαρτ-, and not ἱλασ-. In sum, words of the root ἱλασ- mostly occur when the sacrifice offered is a kid and the offerer is a group of people. In both passages below two tropes are used: firstly, a well-known OT metonymy by which the victim (or a non-animal offering) is called by the name of the sacrificial procedure in which it is used;31 the procedure here, and, accordingly, the

(Strom. V.70:3) “For a whole burnt-offering and rare sacrifice for us is Christ.” ὁλοκάρπωμα γὰρ ὑπὲρ ἡμῶν ἄπυρον θῦμα ὁ Χριστός. In each of these two passages from Clement there are MSS variations between the terms ἄπορον/ἄπυρον. 29 |  E.g. Numbers 29:11 (ἐξίλασις), Leviticus 25:9, Ezekiel 44:27, II Maccabees 3:33 (ἱλασμός). 30 |  These sacrifices are the following: Passover (Numeri 28:22), Sheaf or Firstfruits (Numeri 28:30), Trumpets (Numeri 29:5), and Day of Atonement (Numeri 29:11). The phrase in these passages is καὶ χίμαρον ἐξ αἰγῶν ἕνα περὶ ἁμαρτίας ἐξιλάσασθαι περὶ ὑμῶν· (“And one kid of the goats as a sin-offering, so that there is atonement for you” — my trnsl.). 31 |  E.g. Leviticus 4:24, 5:12.

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definition of the victim, is ἱλασμός (i.e. expiation or propitiation). The second trope at work in these passages is a metaphor by which Jesus is characterised as ἱλασμός.

a. (Rom. 3:23-25) “[…] since all have sinned and fall short of the glory of God; they are now justified by his grace as a gift, through the redemption that is in Christ Jesus, whom God put forward as a sacrifice of atonement by his blood, effective through faith.”32 (NRSV)

Since Paul presents none other than God as the offerer of the victim Jesus, the term ἱλαστήριον has been correctly interpreted as the victim offered by the High Priest in the Jewish Temple on the Day of Atonement.33 This is a very important Jewish feast held on the tenth of the seventh month in the Jewish calendar.34 For the purpose of atonement two sacrifices were offered on that day, the one for the High Priest (a calf) and the other for the people (a kid).35 Apparently, in the passage from Paul, the second sacrifice is meant, and Jesus is the victim offered for the purpose of atonement. Again we should note here Paul’s emphasis on the atoning effects for the whole world (πάντες – everyone). The sacrificial image drawn from the Jewish cult is more accurately used by Paul than by the author of John 1:29, where the victim presented as carrying the sins of many was a lamb.

b. (I John 2:1-2) and (I John 4:10) (I John 2:1-2) “... we have an advocate with the Father, Jesus Christ the righteous; and he is the atoning sacrifice for our sins, and not for ours only but also for the sins of the whole world.”36 (NRSV)

32 |  πάντες γὰρ ἥμαρτον καὶ ὑστεροῦνται τῆς δόξης τοῦ Θεοῦ, δικαιούμενοι δωρεὰν τῇ αὐτοῦ χάριτι διὰ τῆς ἀπολυτρώσεως τῆς ἐν Xριστῷ Ἰησοῦ, ὃν προέθετο ὁ Θεὸς ἱλαστήριον διὰ τῆς πίστεως ἐν τῷ αὐτοῦ αἵματι, ... 33 |  See T. W. Manson: ἹΛΑΣΤΗΡΙΟΝ; L. Morris: Atonement, p. 152-176, insists that words of this root should be translated by terms of the same root as “propitiation” and not “expiation”. According to M. Hengel: Atonement (Engl. trnsl. 1981), p. 45ff., the use of words of the same root as ἱλαστήριον indicates a vocabulary drawn upon the religious experience in the Temple, whereas the expression “dying for” (denoting an atoning death) was coined by the Hellenists (who, according to his view, were more liberal vis-à-vis the Temple). A view completely opposed to Hengel‘s is more recently adopted by M. Tiwald: Christ, who believes that Romans 3:25 originated in Stephen’s Hellenistic Jewish circle. 34 |  The festival is described in Leviticus 16. 35 |  Leviticus 16:11 and 16:15-6, respectively. 36 |  ... παράκλητον ἔχομεν πρὸς τὸν πατέρα, Ἰησοῦν Xριστὸν δίκαιον· καὶ αὐτὸς

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(I Jn 4:10) “In this is love, not that we loved God but that he loved us and sent his Son to be the atoning sacrifice for our sins.”37 (NRSV) An interesting detail in I Jn 4:10 is that God is presented as having sent (ἀπέστειλε) Jesus to earth as a victim, and not as having set before (προέθετο), meaning offered, Jesus, but, as we shall see later, even Paul himself is not very consistent as to the exact use of the verb. It is also worth noting that I Jn 2:1-2 lays greater emphasis than Paul on the fact that Jesus as an atoning victim removed the sins of the whole world. Apparently, then, as in the cases of John 1:29 and Revelation 5:9, this statement sanctifies the inclusion of Gentiles in the procedure of expiation. The sacrificial parallel used in these passages communicates a much revered sacrificial mechanism, which must have been mainly recognised by Jewish audiences, but is presented here as working for Jews and pagans alike.

J esus as a kid : 2 nd century Even in the second-century Epistle of Barnabas we come across a Jesus viewed as the sin offering of a kid, eaten along with gall and vinegar by priests on the Day of Atonement (the author seems not to be worried by the inaccuracy that Jesus was given gall and vinegar by Roman soldiers and not by Jews!). This allegory also contains a rather grisly metaphor, in which Jesus is depicted as treating his flesh as separate from him and offering it as a sacrifice. The passage has been considered one of the most problematic in this work. The reference to the sacrifice of a kid on the Day of Atonement (called Fast in the text) has made scholars wonder which one of the two goats mentioned in Leviticus 16 is meant. Furthermore, the regulation that follows and regards the eating of meat from this sin offering is not found in any of the sources that have been preserved to our times.38 And yet, if one examines more closely another OT passage referring to the Day of Atonement, namely Numeri 29:11, one finds a reference to a kid offered on that day apart from the one offered from expiation (see our note 30 here). So, even if the regulation on priests eating meat from this kid along with gall and vinegar has not come down to us verbatim, it can easily be interpreted as deriving from the fact that the meat from a sin offering could only be eaten by priests (Philo, De specialibus legibus 1, 239-246).

ἱλασμός ἐστι περὶ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν, οὐ περὶ τῶν ἡμετέρων δὲ μόνον, ἀλλὰ καὶ περὶ ὅλου τοῦ κόσμου. 37 |  ... ἐν τούτῳ ἐστὶν ἡ ἀγάπη, οὐχ ὅτι ἡμεῖς ἠγαπήσαμεν τὸν Θεόν, ἀλλ’ ὅτι αὐτὸς ἠγάπησεν ἡμᾶς καὶ ἀπέστειλε τὸν υἱὸν αὐτοῦ ἱλασμὸν περὶ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν. 38 |  R. Kraft: The Epistle, p.169ff.

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(Barn. 7:4-5) “...‘And let them eat of the goat which is offered in the fast for all their sins.’ Attend carefully, -- ‘and let all the priests alone eat the entrails unwashed with vinegar.’ Why? Because you are going ‘to give to me gall and vinegar to drink’ when I am on the point of offering my flesh for the sins of my new people, therefore you alone shall eat, while the people fast and mourn in sackcloth and ashes, to show that he must suffer for them.”39 (trnsl. K. Lake, with my addition in italics) A further remark to be made on this passage concerns the expression προσφέρειν ὑπὲρ ἁμαρτιῶν, which combines the expression of an atoning death used by pagans (ὑπὲρ ἡμῶν) with the expression of a Jewish sin offering used in the Septuagint (περὶ ἁμαρτιῶν). Perhaps we should not underestimate the effect which such details in the use of language had on the history of ideas. The author of the Epistle of Barnabas uses his knowledge of Jewish cultic details for his own catechetic purposes. Even so, it is worth wondering how many among his readers/listeners (either Jewish or Gentile Christians)40 would have been familiar with (or, at least, would have been able to make sense of) the aforementioned rule about consumption of sacrificial meat, prior to knowledge of its allegorical interpretation in this work.

S ome e x amples of cre ative combinations of the above How the ritual of the red heifer became an accusation of sin Interestingly enough, in another passage from the Epistle of Barnabas, a different animal is seen as the symbol of Jesus, namely a calf. Here the author metaphorically refers to Jesus as to the red heifer. The red heifer ritual (described in Numeri 19:1-10) consisted in the slaughter of a red cow and the use of its ashes for purification. The slaughter did not take place in the Temple, so we could not consider it an animal sacrifice proper; in fact the term used in the Septuagint is σφάζω and not θύω.

39 |  ... Kαὶ φαγέτωσαν ἐκ τοῦ τράγου τοῦ προσφερομένου τῇ νηστείᾳ ὑπὲρ πασῶν τῶν ἀμαρτιῶν. προσέχετε ἀκριβῶς· Kαὶ φαγέτωσαν οἱ ἱερεῖς μόνοι πάντες τὸ ἔντερον ἄπλυτον μετὰ ὄξους. πρὸς τί; ἐπειδὴ ἐμὲ ὑπὲρ ἁμαρτιῶν μέλλοντα τοῦ λαοῦ μου τοῦ καινοῦ προσφέρειν τὴν σάρκα μου μέλλετε ποτίζειν χολὴν μετὰ ὄξους, φάγετε ὑμεῖς μόνοι, τοῦ λαοῦ νηστεύοντος καὶ κοπτομένου ἐπὶ σάκκου καὶ σποδοῦ. ἵνα δείξῃ, ὅτι δεῖ αὐτὸν παθεῖν ὑπ’ αὐτῶν. 40 |  In their Introduction, Prigent and Kraft talk about a possible Gentile audience. P. Prigent/R. Kraft: Épître, p. 29.

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(Barn. 8:2) “The calf is Jesus; the sinful men offering it are those who brought him to be slain.”41 (trnsl. K. Lake) As we can see, the author of the Epistle of Barnabas, not taking into account the peculiar character of this slaughter, regards the heifer as offered (προσφέροντες) by sinful men (ἄνδρες ἁμαρτωλοί) and so, implicitly makes it into a sin offering. Thus he equates the uncleanness of the people (ἀκάθαρτοι, see Numeri 19:11-21), who the ritual of the red heifer refers to, to their sinfulness, and goes on by specifying the latter as consisting in their leading Jesus to death, which he calls slaughter (σφαγήν). So, it is a rather peculiar image we have here: the sin of the offerers (which one would assume took place before their sin offering) consists in their sin offering itself ! Even more surprisingly, the passage does not contain any hint at the expiation enacted through the offering of the calf-Jesus. The reason behind this intermingling of sacrificial images is most probably connected with the antiJewish preaching of the author: The term used of Jesus in this passage is μόσχος, calf, and not δάμαλις, heifer, for the quite obvious reason that δάμαλις refers to a female calf. On the other hand, though, μόσχος is the term used in Leviticus 4:13-21 to denote the sin offering of the whole nation (of Israel). By using this term, then, the author charges Israel with the sin of putting Jesus to death. This amazing twist of context took place by a single change of terms: μόσχος instead of δάμαλις, ἁμαρτωλοί instead of ἀκάθαρτοι, προσφέροντες instead of σφάξαντες. So, this passage makes us realise that the author’s choice to use a specific metaphorical image can influence more than one meaning in the same sentence. Here, for instance, the metaphor calf-Jesus influenced the following meanings: the initial character of the ritual referred to (a slaughter became a sacrifice), the problem which the ritual intends to address (the uncleanness became sinfulness), and the nature of the sin (murder).

Paul and Clement of Rome de-ritualise the death of Jesus Paul Our previous remark about Paul’s (inadvertent?) use of terms intended for both Gentiles and Jewish Christians can be evidenced in the following two passages from his Epistle to the Romans and his Second Epistle to the Corinthians.

41 |  ... ὁ μόσχος ὁ Ἰησοῦς ἐστίν, οἱ προσφέροντες ἄνδρες ἁμαρτωλοί οἱ προσενέγκαντες αὐτὸν ἐπὶ τὴν σφαγήν.

The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts

In these Jesus is metaphorically assimilated to a sacrificial animal, but not explicitly to a specific kind of animal. However, by a metonymy which is in use in the OT, 42 Jesus is designated as a sin offering (περὶ ἁμαρτίας). (Romans 8:3) “For God has done what the law, weakened by the flesh, could not do: by sending his own Son in the likeness of sinful flesh, and as a sin offering, he condemned sin in the flesh, ...”43 (NRSV) (II Corinthians 5:21) “For our sake he made him to be sin who knew no sin, so that in him we might become the righteousness of God.”44 (NRSV) Since male calves, male and female goats, rams or ewes could be produced as sin offerings, it should be understood that Jesus can be assimilated to all animals above, at least the male ones. However, both passages seem to have been quite “sterilised” from any sacrificial connotation: first, the term used of God’s action is either send (πέμψας) or make (ἐποίησεν), and not offer (προσφέρω) or set before (προτίθημι); so God is not even implicitly presented as a High Priest. Secondly, the atoning procedure enacted by a sin offering and expressed by the phrase περὶ (ἁμαρτίας) is deprived of any suitable accompanying verb in the first passage (e.g. προσέφερε), and is replaced by the religiously neutral expression ὑπὲρ ἡμῶν in the second passage (on this expression see the Section entitled Jesus as a Lamb (c) above). In Paul’s passages, the term ἁμαρτία, closely related to the Jewish sacrificial procedure of atonement, starts losing its sacrificial connotations. In fact, this is one of the terms which would remain for centuries in the Christian thought and shape the life of Christians. 45

Clement of Rome Writing in the late first century, Clement refers to Jesus’s atoning death by means of the image of blood poured over for our sake. 42 |  See note 31 above. 43 |  τὸ γὰρ ἀδύνατον τοῦ νόµου, ἐν ᾧ ἠσθένει διὰ τῆς σαρκός, ὁ Θεὸς τὸν ἑαυτοῦ υἱὸν πέµψας ἐν ὁµοιώµατι σαρκὸς ἁµαρτίας καὶ περὶ ἁµαρτίας, κατέκρινε τὴν ἁµαρτίαν ἐν τῇ σαρκί, ... 44 |  τὸν γὰρ µὴ γνόντα ἁµαρτίαν ὑπὲρ ἡµῶν ἁµαρτίαν ἐποίησεν, ἵνα ἡµεῖς γενώµεθα δικαιοσύνη Θεοῦ ἐν αὐτῷ. 45 |  A systematic study of the perception of sin in Eastern and Western Christianity, and of the consequences of this perception on the respective communities, would require a whole team of scholars working on Jewish and Christian religious and literary texts, iconography and social history. An earlier attempt of mine to create such a team was met with reluctance. My invitation remains open.

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(I Clem. 21:6) “Let us reverence the Lord Jesus Christ, whose blood was given for us;[…]”46 (trnsl. Roberts-Donaldson) (I Clem. 49:6) “On account of the Love he bore us, Jesus Christ our Lord gave His blood for us by the will of God; His flesh for our flesh, and His soul for our souls.”47 (trnsl. Roberts-Donaldson) In these passages by Clement of Rome there is not one reference to animal sacrifice. An allusion might be the reference to blood, but, as we have seen earlier in the almost contemporary text of I Peter, blood could have connotations other than sacrificial ones. Most importantly, Clement expanded the expression ὑπὲρ ἡμῶν to include blood, flesh and soul, which were given, not offered, by Jesus. The death of Jesus is presented rather as a very substantial transaction between him and a non-specified recipient. A metonymy seems to be at work here, by which the contiguous actions of offering and exchanging have been connected.

C onclusion In this paper we have presented a number of sacrificial parallels in early Christian texts, in which Jesus is viewed metaphorically as a sacrificial animal. The important characteristics of these sacrificial parallels are: a) They are all drawn upon the Jewish cultic experience. In some cases, however, they might be conveyed through terms and expressions which could be easily understood by Gentiles as well (ὑπὲρ ἡμῶν); b) in these sacrificial parallels, a number of different tropes are at work: biblical allegory and metonymy are reproduced, and new metaphors are created so that Jesus be equated to several sacrificial victims used in different types of Jewish sacrifice. The animal species of the victim is not always clearly stated, but might be induced by the type of the sacrifice mentioned; c) feature (b) intermingles with the problematic survival of Jewish cultic memory among Christians, at least at the level of language. Namely, either inadvertently (as in the case of the Gospel of John) or purposefully (as in the case of the anti-Jewish Epistle of Barnabas), the connection between the victim and its sacrificial context is not always the correct one by the biblical standards. Inconsistencies and linguistic twists blurring this connection indicate that the correct reference to sacrificial rules was not a priority in the minds of early Christian writers. Actually 46 |  τὸν κύριον Ἰησοῦν Χριστόν, οὗ τὸ αἷμα ὑπὲρ ἡμῶν ἐδόθη, ἐντραπῶμεν, ... 47 |  ... διὰ τὴν ἀγάπην, ἣν ἔσχεν πρὸς ἡμᾶς, τὸ αἷμα αὐτοῦ ἔδωκεν ὑπὲρ ἡμῶν Ἰησοῦς Χριστὸς ὁ κύριος ἡμῶν ἐν θελήματι θεοῦ, καὶ τὴν σάρκα ὑπὲρ τῆς σαρκὸς ἡμῶν καὶ τὴν ψυχὴν ὑπὲρ τῶν ψυχῶν ἡμῶν.

The Scope of Sacrificial Parallels in Early Christian Texts

even the term ἁμαρτία seems to have gradually been disconnected from its sacrificial context. Finally, the reproduction of sacrificial parallels from text to text and their diffusion among early Christian communities cannot but have undermined the relation of early Christians to the reality of animal sacrifice. And this fact is independent of whether the Fall of the Temple in AD70 caused or multiplied the use of sacrificial parallels. d) (a more specific point to make): in my monograph on the issue of animal sacrifice I have stated that Paul establishes sacrificial metaphors between Jesus and the Jewish ritual, keeping the place of tenor (the term to be clarified) for Jesus, and using Jewish sacrificial images in the place of the vehicle (the term clarifying the tenor). 48 I think I would now like to add two points with regard to this statement: firstly, the aforementioned rule cannot incontestably stand for all Pauline examples (cf. τὸ πάσχα ἡμῶν ὑπὲρ ἡμῶν ἐτύθη Xριστός); and, secondly, what is rather more prominent in the Pauline sacrificial metaphors is his insistence on reconciling terms and expressions drawn upon, or fitting to, both Jewish and pagan religious contexts (cf. περὶ ἡμῶν, ἁμαρτία, πάντες). In the introduction to this paper, I have insisted on expanding the term me­ taphor onto the term parallel, so as to include metonymical instances in the use of sacrificial images. I must specify here that, with this view, I allow for a future study of the rich sacrificial metonymies which concern the early Christian ritual canon (Eucharist), and what I call the “life-canon” of the early Christian communities (philanthropy, confession). A further aspect which could also be explored is the literary survival, creative reproduction and combination of sacrificial images in the hymnography of Eastern Christianity. All these areas would of course need more than one paper to be presented. Let the following point stand as a more general conclusion to this paper, and a prompt for any following ones. I refer to the importance of language as the primary means by which the most crucial changes in the history of humanity take place. All sorts of cultural changes are preached, written, transmitted, and bequeathed by means of language. This consideration obliges us to study the function that the tropes of language perform during the expansion of a theory or a new (religious or other) system. I believe that such a study could make us more sensitive to the fact that people who undertake to expand a message should master the language in which this message is expanded. We might often forget that, as we talk about revolutionary changes in religion, ethics, or politics, we exclude a great number of human beings from the first wave of the expansion of these changes: I mean those who are physically or intellectually incapable of understanding a current change by means of language (some have argued that even Paul must have suffered from a kind of intellectual/psychological incapacity49). And yet, the great historical changes affect the everyday lives of all people, independently of their capacities. 48 |  M. Petropoulou: Animal Sacrifice, p. 241, 242, 244. 49 |  G. Vermes: Changing, p. 61.

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How crucial could this realisation be, when we study the culture of those living in what we retrospectively call “periods of transmission” such as the years when Christianity started expanding?

B ibliogr aphy The English translations of the Greek sources have been drawn upon: (For the OT and the NT) New Revised Standard Version Bible, Anglicized Edition, 1989. (For Barnabas) Apostolic Fathers, translation Kirsopp Lake, 1912 (Loeb Classical Library). (For Clement and Justin) Roberts, A. and J. Donaldson (eds.): Anti-Nicene Christian Library, Translations of the Writings of the Fathers down to A.D. 325, vol. I: The Apostolic Fathers, Edinburgh 1867. Roberts, A. and J. Donaldson (eds.): Anti-Nicene Christian Library, Translations of the Writings of the Fathers down to A. D. 325, vol. II: Justin Martyr and Athenagoras, Edinburgh 1870.

Secondar y Bibliography Aulen, Gustav: Christus Victor: An Historical Study of the Three Main Types of the Idea of Atonement, Engl. tr. A. G. Herber, Eugene, Oregon: Wipf & Stock 2003. Black, Max: “Metaphor,” in: Proceedings of the Aristotelian Society 55 (1954), p. 273-294. von Campenhausen, Hans Freiherr: Ecclesiastical Authority and Spiritual Power in the Church of the First Three Centuries, Engl. tr. J. A. Baker, London: Black 1969. Ferguson, Everett: “Spiritual Sacrifice in Early Christianity and its Environment”, in: ANRW2.23.2 (1980), p. 1151-1189. Fredriksen, Paula: “What ‘Parting of the Ways’? Jews, Gentiles, and the Ancient Mediterranean City”, in: A. H. Becker/A. Yoshiko Reed (eds.): The Ways that Never Parted. Jews and Christians in Late Antiquity and the early Middle Ages, Tübingen: Mohr Siebeck 2003, p. 35-63. Hengel, M.: The Atonement: A Study of the Origins of the Doctrine in the New Testament (tr. J. Bowden), London: SCM 1981.

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Tierexekutionen in Mittelalter und Frühneuzeit Peter Dinzelbacher Mit dem Begriff Exekution ist angedeutet, dass der vorliegende Beitrag sich nur mit jenen Tiertötungen befasst, die von einer Obrigkeit als rechtsförmliche Vernichtung eines Tieres angeordnet wurden. Dieser juridische Terminus soll auch implizieren, dass präventive (z.B. sanitätspolizeiliche) Maßnahmen und ähnliche Liquidierungen hier nicht thematisiert werden. Zum Teil erfolgten diese rechtsförmlichen Hinrichtungen nach einem ordentlichen Strafprozess, dem Tierprozess der Rechtsgeschichte, zum Teil als obrigkeitliche Maßnahme ohne gerichtliches Verfahren, zum Teil als Mitexekution mit menschlichen Delinquenten1. Was das mittelalterliche Europa betrifft, so dürfte die älteste Quelle zu unserem Thema eine Passage bei dem bekannten franziskanischen Volksprediger Berthold von Regensburg (gest. 1272) sein; er erwähnt sowohl die Exekution von Tieren als Strafe als auch die Mitexekution im Zusammenhang mit einem menschlichen Täter. In einem lateinischen Text sagt er, Gott habe Strafen für Tiere nur in zwei Fällen vorgesehen: Einerseits bei Sodomie, dem ›unnennbaren‹ Verbrechen, und andererseits, wenn ein Tier einen Menschen töte. Dafür verhänge der Herr die härteste aller Strafen, also den Tod: »Für keine Tat befahl der Herr diese Strafe zu verhängen, zwei ausgenommen: Zum einen, wenn es etwas tat, worüber ich schweige, zum anderen, wenn es einen Menschen tötete.« Berthold spricht von »paenitentia«, was besser zu einer gerichtlich verhängten Buße als zu einer bloß prophylaktischen oder rächenden Tiertötung passen würde, weshalb bereits hier der Bezug zu einem Tierprozess vorliegen könnte. Andererseits erwähnt er sowohl Nutz- wie auch wilde Tiere als davon betroffen: Selbst Bienen, die ein Kind töteten, »indem sie sein Blut aussaugten [!], müssen alle umgebracht werden, und weder ihr Honig noch ihr Wachs dürfen vom Menschen verwendet

1 |  So gut wie immer Männer; eine Hinrichtung von Frauen in diesem Zusammenhang wird in den Quellen ganz außerordentlich selten erwähnt und kann für das Mittelalter nicht mit Sicherheit als historische Tatsache angenommen werden.

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werden.«2 Gegen diese Insekten wurden später, anders als gegen Maikäfer etc., allerdings nie Prozesse geführt.

Tierprozesse 3 Ein willkürlich gewähltes Beispiel aus dem ausgehenden Mittelalter illustriert, worum es bei der Tiertötung als Ergebnis eines Prozesses geht. Am 14. Juni 1494 erging das Urteil »des Lizentiaten der Rechte Johann Lavoisier, Vorsteher und Rechtsvertreter der Kirche und des Klosters des hl. Martin zu Laon, und der Schöffen desselben Ortes«: In einem unter der Gerichtsbarkeit des Klosters stehenden Ort hatte ein junges Schweinchen (»ung jeune pouceaulx«) ein Wiegenkind erstickt und ihm das Gesicht abgefressen (»eust éstranglé et défacié«). »Indem wir in diesem Fall vorgehen wollten, wie Recht und Vernunft es wollen und erfordern [...] (»comme justice et raison le désiroit et requerroit«), haben wir nach Befragung der Zeugen – voll Abscheu und Schrecken vor diesem Ereignis, und im Sinne exemplarischer und wahrgenommener Gerechtigkeit – gesagt, gerichtet, geurteilt, verkündet und entschieden« (»Nous, en detestation et horreur dudit cas, et afin d’exemplaire et gardé justice, avons dit, jugé, sentencié, prenoncé et appointé«): Das genannte Schweinchen, in der genannten Abtei gefangen gehalten und eingeschlossen, »wird vom Scharfrichter aufgehängt und erwürgt an einer Holzgabel unmittelbar bei dem Galgen- und Richtplatz der genannten Mönche« (»sera par le maistre des hautes-oeuvres, pendu et estranglé, en une fourche de bois, auprès et joignant des fourches patibulaires et haultes justices desdits relligieux«...). »Gesiegelt mit unserem Siegel [...].« – Der abschließende Exekutionsvermerk bestätigt die Durchführung dieses Urteils4. Nicht umsonst, so ist hervorzuheben, betonte der rechtsgelehrte Advokat des Klosters (welches in seinem Territorium Inhaber der Blutgerichtsbarkeit war) ausdrücklich, dass er auch in diesem Fall einem tierlichen Delinquenten gegenüber nach Gesetz und Vernunft vorgegangen ist. Denn dies war das Wesen solcher 2 |  »Dominus, quod pro nulla re jussit injungi penitentiam, nisi pro duabus rebus ... unam, si quoddam feceret, de quo taceo; secundam, si hominem occiderert.« »sugendo sanguinem ejus [!], omnes apes deberent occidi, et nec mel nec cera in usum hominis deberet redigi.« A. Schönbach: Geschichte der altdeutschen Predigt, S. 112f. (Diese und sämtliche weiteren Übersetzungen stammen vom Verfasser). Die Bienen betreffend, findet sich schon in frühmittelalterlichen Bußbüchern und Kanones das Gebot, sie zu vernichten, wenn sie einen Menschen getötet haben: J.M. De Waardt: Voedselvoorschriften in Boeteboeken, S. 115.165. Dies m.E. in rein präventiver Absicht. 3 |  Vgl. P. Dinzelbacher: Das fremde Mittelalter; ders.: Tierprozesse. 4 |  »Jehan Lavoisier licentie ez loix, et grand mayeur de l’église et monastère de monsier St. Martin de Laon... et les echevins de ce même lieu«: C.D’Addosio: Bestie, S. 293f. = R.P. Evans: Prosecution, S. 306f.

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Prozesse – dem Tier für die Dauer des Verfahrens den Status eines menschlichen Angeklagten zu geben und ebenso mit ihm zu verfahren, wie man es mit einem menschlichen Mörder oder einer Mörderin getan hätte. Auch die Nennung der Schöffen macht deutlich, dass es sich um ein regelrechtes Verfahren handelte. Das Nämliche ist auch aus zahlreichen anderen Quellen vor allem aus Frankreich, aber auch aus einigen deutschsprachigen Regionen und aus Norditalien bekannt. Die archivalischen und chronikalen Belege reichen vom 13. bis ins 18. Jahrhundert: In Gesetzessammlungen finden sich dagegen nur ausnahmsweise Strafandrohungen gegen Tiere. Ein Beispiel bietet Ruprecht von Freising, der in seinem Rechtsbuch von 1328 erklärte: »welich hunt oder per oder ander viech, das man zämbt, ein menschen tött, das sol man verrünnen mit stein [steinigen], wan es ist unrain ...«5 Neben den hier allein interessierenden Strafprozessen gegen einzelne Hausund Nutztiere gab es auch Zivilprozesse gegen Kollektive von Schädlingen wie Wühlmäuse, Maikäfer, Blutegel etc., die vor geistlichen Gerichten durchgeführt wurden. Diese endeten nicht mit der aus praktischen Gründen vor der Erfindung von Pestiziden nicht möglichen Exekution der Tiere, sondern zielten auf Verhandlungen ab, wobei ein gerichtlich bestellter Verteidiger die Fiktion ermöglichte, die Insekten usw. seien selbst an einem kontradiktorischen Verfahren beteiligt, indem er ihnen Stimme und juristische Argumente lieh. Diese Prozesse endeten mit einem Vergleich, wenn die Schädlinge etwa auf ein ihnen angebotenes Grundstück umzogen, oder mit Exkommunikation und Exorzismen, also dem Bann der Kirche, der wie ein magisches Mittel wirken sollte. Beide Verfahrensarten, der weltliche Strafprozess und der geistliche Zivilprozess, wurden nach allen Regeln der Rechtsgelehrtheit durchgeführt und waren völlig ernst gemeint – zumal sie Geld kosteten. Die weltlichen Verfahren sind seit dem 13., die geistlichen seit dem 14. Jahrhundert belegt, beide endeten erst im 18. Jahrhundert. Diese Chronologie verläuft nicht von ungefähr parallel zu der der Hexenverfolgungen. Einen Grund sieht man in verschlechterten wirtschaftlichen Bedingungen, Folge der ›kleinen Eiszeit‹ der Klimageschichte. Gleichzeitig erweckte die nach der Rezeption des römischen Rechts rapide um sich greifende Verrechtlichung des Lebens die Hoffnung, mit Hilfe dieser Kulturtechnik sogar solche Krisen wie Schädlingskatastrophen beherrschbar zu machen. Dazu kamen die Vorgaben der christlichen Religion, nach denen alle Tiere ausdrücklich dem Menschen unterworfen waren6, also, so schloss man, auch seinen Gesetzen.

5 |  L. v. Maurer: Stadt- und das Landrechtsbuch, c. 136, S. 157. 6 |  P. Dinzelbacher: Mensch. Zum biblischen Mensch-Tier-Verhältnis siehe auch die Beiträge von U. Neumann-Gorsolke, I. Müllner und Y.S. Thöne in diesem Band.

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M ite xekution Zum Jahre 1681 meldet die Neue Lausitz- Böhm- und Schlesische Chronica des Juristen Heinricus Roch von einem Schaffner (Verwalter) aus Wünschelburg zunächst verschiedene inzestuöse und pädophile Akte, »hierauf sich erstlich zu Hunden gewendet / und mit Windspielen würklich gesündiget«, sodann mit Schafen, Ziegen, einem Schwein, einer Kuh, worauf er sich schließlich auf Stuten spezialisierte, fünfundvierzig seien es insgesamt gewesen. Zusammen mit der letzten wurde er zur Inquisition (d.h. peinlichen weltlichen Kriminaluntersuchung) eingezogen. Selbstverständlich wurde auf Todesstrafe erkannt und der Delinquent »zur Richtstatt geschleifet / dreymal unterwegs mit glüenden Zangen gezwicket / auf der Richtstatt an einem Pfahl erwürget / und zusammt der noch lebendig eilff Stutten verbrannt worden.«7 Das hier bestrafte Delikt war unter dem Terminus Sodomie bekannt (worunter freilich ebenso alle möglichen anderen von der Kirche diffamierten sexuellen Verhaltensweisen fielen, v.a. Homosexualität8); heute spräche man von Zoophilie oder Bestialität. Die von der Bibel vorgesehene Todesstrafe (Ex 22,19; Lev 20,15) war in ganz Europa seit dem späten Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert üblich. Ein Beispiel: »Heute zu Tage«, schrieb etwa der Verfasser eines bekannten Werks über Hinrichtungsarten von 1697, Jakob Döpler, Gräflich Schwarzburgischer Hof- und Kammerrat seines Zeichens, »wird die Strafe dessen dergestalt geschärffet / daß wenn der Missethäter decollieret und mit dem Schwerd hingerichtet ist / hernach sein Leichnam mit Feuer verbrennet wird / wie auch das unvernüfftige Vieh mit ihm.«9 Tierexekutionen erfolgten also auch als gemeinschaftliche Hinrichtung von menschlichen Delinquent_innen und Tieren. Solche Strafen wurden in zwei Fällen verhängt10. Einmal bei Sodomie, denn es galt das Verbrechen wegen der biblischen Verbote als besonders verdammenswert, auch flößten die Konsequenzen Furcht ein in einer Zeit, die allenthalben Portenta und Monstren beobachtete: So verurteilte z.B. der Hof von Holland 1464 einen Mann und eine Kuh zum Scheiterhaufen; der Delinquent hatte nicht nur Verkehr mit ihr und anderen Tieren gehabt, sondern nach Meinung der Zeitgenossen sogar ein missgestaltetes Kalb gezeugt. Ähnliche Nachrichten zirkulierten noch im 18. Jahrhundert. Anscheinend konzentrierte sich die Strafrechtspflege (wie auch bei Homosexualität) beinahe ganz auf die Männer. Nur ausnahmsweise berichtet Giraldus Cambrensis (1147-1223) über die Exekution eines Löwen, der mit einer Frau Verkehr gehabt hatte, wobei er betont, dies sei nicht geschehen, um das vernunftlose 7 |  H. Roch: Neue Lausitz- Böhm- und Schlesische Chronica, S. 342f. 8 | Vgl. v.a. den Artikel Sodomia, in: A. Prosperi: Dizionario storico dell’Inquisizione, S. 1445-1451. 9 |  J. Döpleri: Theatri Poenarum, S. 148. 10 |  Das Folgende nach Dinzelbacher: Das fremde Mittelalter, S. 124ff. Dort die Belege; es wird hier nur ergänzende bzw. neuere Literatur angegeben.

Tierexekutionen in Mittelalter und Frühneuzeit

Tier zu bestrafen, sondern zur Erinnerung an die Untat. Der in Paris lehrende Theologieprofessor Thomas von Chobham (gest. um 1240) reservierte dieses Verbrechen für das bischöfliche Gericht und schilderte die hier angewandte strenge Buße: lebenslanger Ausschluss vom Kirchenbesuch, Verbot, Schuhe zu tragen, rein vegetarische Ernährung. Das Tier, mit dem die Sünde begangen wurde, war zu töten und sein Kadaver zu verbrennen. Besonders seit dem Ende des Mittelalters ging auch die zivile Gerichtsbarkeit gegen diejenigen vor, die sich auf diese Art mit Tieren vergnügten: In Schweden musste der Besitzer des Tieres den Sodomiten zusammen mit dem »mitschuldigen« Tier lebendig begraben; in Norwegen wurde der Sünder kastriert und des Landes verwiesen. Das Rechtsbuch Ruprechts von Freising (1328) schreibt eine spiegelnde Strafe vor: Der »vichunraine« wird auf das Tier gelegt und mit ihm verbrannt. Doch wurde in diesen Fällen das Tier – im Unterschied zu den Tierprozessen – nicht deshalb vernichtet, um es zu bestrafen, sondern um das Sakrileg und die Erinnerung daran aus der Welt zu schaffen, wie schon Augustinus angesichts der Sodomie-Bestimmungen von Lev 20,16 argumentiert hatte: »Das von solcher Schändlichkeit befleckte Vieh lässt die schlimme Erinnerung an die Tat wieder aufleben.«11 Diese Erklärung wurde von Karl dem Großen in die Kapitularien und von Gratian ins Kirchenrecht, sodann auch in weltliche Rechte übernommen; das Parlament von Paris bestätigte 1540, dass das Tier sowie die Prozessakten zu verbrennen waren, um jede Erinnerung an den Frevel zu tilgen (ähnlich 1726). Noch die Constitutio Criminalis Maria Theresias enthält dieselbe Bestimmung. Die Tötung und Einäscherung des »gemißbrauchten Tieres«12 verlangt auch das Landrecht Preußens von 1794, obgleich dieses Königreich sonst für vergleichsweise fortschrittliches Recht bekannt ist und man der Sodomie Beschuldigte nicht mehr hinrichtete, sondern ins Zuchthaus einwies. Somit wurde noch im Zeitalter Voltaires und Goethes die Exekution von Tieren wegen devianter menschlicher Sexualität immer wieder praktiziert. Aus ähnlicher Einstellung heraus erfolgte nach manchen Rechten, auch dem Sachsenspiegel, u.a. bei einer Vergewaltigung eine Wüstung des Hauses und Tötung von Mensch und Tier; dass das Gebäude oder der Hausrat deswegen ob unterlassener Hilfeleistung als Mitschuldige galten, ist kaum zu belegen, vielmehr ging es auch in diesem Fall darum, den Frevel sozusagen ganz konkret und vollständig »aus der Welt zu schaffen« und auch die Verwandtschaft des Täters zu bestrafen (in diesem Sinne ordnete ein angelsächsisches Gesetz sogar an, die Babys in der Wiege zu töten, wenn im Haus ihres Vaters Diebesgut gefunden wurde). Es ging somit nicht um Absicht oder Schuld, sondern um die Herstellung der alten Ordnung durch die Eliminierung der Störenfriede und die Auslöschung des Gedächtnisses an sie.

11 |  »pecora [...] tali flagitio contaminata indignam refricant facti memoriam.« 12 |  Zit. n. G. Bleibtreu-Ehrenberg: Homosexualität, S. 307.311.

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Die Obrigkeit kannte aber noch einen anderen Grund für die Mitexekution von Tieren, nämlich die Möglichkeit, Kriminelle dadurch zu demütigen und zu diffamieren, indem sie den Delinquenten ganz konkret auf eine Stufe mit Tieren stellte13 . Dass Hunde den zu Exekutierenden im Tode beigegeben wurden, ist in Deutschland wenigstens seit dem 11. Jahrhundert 14 bezeugt. Diese schändliche und ehrenkränkende Gleichstellung mit einer unvernünftigen Kreatur erfolgte besonders gegen Juden, die in der katholischen Polemik überhaupt gern Tieren gleichgestellt wurden – man denke an die »Judensau«, wie sie bis heute an und in Kirchen zu sehen ist (Magdeburger Dom, Regensburger Dom, Kathedrale von Uppsala usw.). Habituell wurden die Verurteilten an den Füßen aufgehängt und neben ihnen ein oder zwei bissige Hunde. Nur wenn sie sich zum Christentum bekehrten, wurden sie abgenommen. Dass man dabei völlig ohne Empfindung auch für das unschuldig leidende Tier war – es konnte über eine Woche dauern, bis auf diese Weise der Tod eintrat –, zeigt die prinzipielle Fühllosigkeit diesen Wesen gegenüber, zumal man sie auch nicht erlöste, wenn der Delinquent ohnehin schon vor ihnen gestorben war. Auf die Idee zu dieser Strafverschärfung war man unabhängig voneinander sowohl im germanischen und slavischen Bereich gekommen als auch im altrömischen. Mit der Rezeption des römischen Rechts kam dann zusätzlich die bei Elternmord seit dem Zwölftafelgesetz vorgeschriebene Hinrichtung des Säckens in Gebrauch, wobei der Täter oder die Täterin mit einem Hund, einem Hahn, einem Affen und einer Schlange zusammen in einen Sack gestopft und ertränkt wurde. Noch 1734 wurde so »in Sachsen eine kindsmörderin mit hund, katze und schlange im sacke ertränkt«15 .

F ormen der E xekution Für obrigkeitliche Tierexekutionen16 wurden im Mittelalter bestimmte Formen bevorzugt, die fast alle aus dem Repertoire der bereits gegen Menschen üblichen Todesstrafen17 genommen wurden. Die Frage, die sich sofort stellt, lautet: Warum hat man die tierlichen Übeltäter in der Regel nicht einfach erschlagen

13 |  Auch die Leiche eines Exekutierten den Hunden vorzuwerfen wurde im Mittelalter als Geste tiefster Verachtung praktiziert, vgl. z.B. E. Mullally: The Deeds of the Normans, S. 108. 14 |  Vgl. Adam von Bremen: Gesta. 15 |  J. Grimm: Rechtsaltertümer II, S. 279. 16 |  Vgl. H.A. Berkenhoff: Tierstrafe. 17 |  Darüber geben die Geschichten des Strafrechts für die einzelnen Nationen Auskunft, die hier nicht bibliographiert werden müssen. Speziell u.a. K. v. Amira: Todesstrafen; K. Leder: Todesstrafe.

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oder ertränkt, sondern hat viel aufwendigere Methoden, meist zeremoniell ausgeführt, gewählt?

Steinigung Die Verurteilung zur Steinigung stammt aus dem altjüdischen Recht und dürfte aus der Vertreibung von Menschen und Tieren (Sündenbock) in die Wüste entstanden sein. Sie war ein Verfahren, das zu gesamter Hand vollzogen wurde; somit lud nicht ein einzelner (der Scharfrichter) die Gefahr einer Rache der Getöteten auf sich, sondern diese wurde auf alle verteilt und erschien in der Imagination weniger bedrohlich. Betroffen waren Religionsfrevler_innen und Ehebrecher_innen, die Leichen wurden bisweilen verbrannt (Jos 7,25). Später war »als geordnete Strafe das Steinigen im altsächsischen, angelsächsischen, westgotischen und altnorwegischen Recht eine Diebstahlstrafe für Männer, während es in jüngeren schwedischen Gesetzen als Strafe für Hexen, Mörderinnen und Diebinnen erscheint«18 . D.h. diese Todesart war (Schweden ausgenommen) nur in älteren germanischen Rechten vorgesehen, wurde aber in den Gesetzen des Hoch- und Spätmittelalters nicht mehr verlangt. Die bezüglich der Tiere zentrale Stelle lautet (gemäß der für die hier betrachteten Epochen autoritativen Vulgata: Ex 21,28f.): »Wenn ein Rind einen Mann oder eine Frau mit dem Horn durchbohrt und sie sterben, soll es gesteinigt werden. Und sein Fleisch soll nicht gegessen werden. Auch wird der Herr des Rindes ohne Schuld sein. Wenn ein Rind seit gestern und vorgestern19 stößig war und man seinen Herrn verwarnte, er es aber nicht einschloss, und es einen Mann oder eine Frau tötet, dann soll sowohl das Rind gesteinigt werden als man auch seinen Herrn töten wird.«20 Es fällt auf, dass eben das biblische Rechtsparadigma, mit dem die Todesstrafe für Tiere in der theologischen und juristischen Diskussion immer wieder begründet wurde, in der Praxis nur sehr selten vollzogen wurde. So sind Akten aus Zwolle für das Jahr 1664 erhalten, in denen der Exekutor bekannt gibt, einen Stier, der einen Mann aufgespießt hatte, dem Gerichtsurteil gemäß getötet zu haben: »den Stier lebend in eine Grube bei Land gebracht, gesteinigt, und angesichts großer Gegenwehr durch einen anderen mit zwei Kugeln in der Grube erschossen und dann begraben.«21 Das Tier war also letztlich erschossen worden – obwohl es im Urteil unter Zitierung der Bibelstelle hieß, es solle »getötet, beworfen, begraben 18 |  K. v. Amira: Todesstrafen, S. 191. 19 |  D.h. bereits seit Längerem. 20 |  »si bos cornu petierit virum aut mulierem et mortui fuerint lapidibus obruetur et non comedentur carnes eius dominusque bovis innocens erit. 29 Quod si bos cornipeta fuerit ab heri et nudius tertius et contestati sunt dominum eius nec reclusit eum occideritque virum aut mulierem et bos lapidibus obruetur et dominum illius occident.« 21 |  »...den stijr levendich in een cuil voor’et Land gemaekt, geworpen, en bij groot te-

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und verscharrt« (»gedoodet, geworpen, gedolven ende begraeven«) werden und von der Anwendung einer Schusswaffe keine Rede ist. Hier lagen offenbar pragmatische Gründe vor, aber dass man sich sonst im Christentum nur selten an diese klaren Anweisungen hielt, mag daher kommen, dass man sich nicht zu sehr an das hebräische Recht annähern wollte. Oder ob der so erfolgte Tod des weit verehrten Erzmärtyrers Stephanus diese Hinrichtungsart (in Analogie zur seit Konstantin ebenfalls vermiedenen Kreuzesstrafe) tabuisierte? Hat die anscheinend nur bei Ruprecht von Freising vorgeschriebene Steinigung Schaden bringender Hunde eher präventiven als strafenden Charakter?22 Erklärt wird sie mit der Unreinheit des Tieres (s.o.).

Hängen Warum machte man sich die Mühe, einen Galgen aufzurichten, teilweise komplexe, gemauerte Anlagen, wo die gefesselten Kriminellen mühsam hochgezogen werden mussten? Wollte man die Exekutierten nur demonstrativ zur Schau stellen, hätte man sie zuvor einfacher ums Leben bringen können. Die in der Rechts- und Religionsgeschichte umstrittene Frage, ob bzw. inwieweit die verschiedenen Arten der Todesstrafen und speziell das Hängen auf Formen sakraler Opfer an die vorchristlichen Götter zurückgehen könnten23, soll hier nicht näher diskutiert werden, zumal in jenen Quellen des Mittelalters und der Neuzeit, die von Tierexekutionen berichten, keine Spur derartiger Vorstellungen greif bar wird. Dass die Germanen, wie fast alle frühen Stammes- und Hochkulturen, Menschen und Tiere als Opfer töteten, ist sowohl durch archäologische Funde als auch durch Texte belegt. Erwähnt sei nur, was der Bischof Thietmar von Merseburg im frühen 11. Jahrhundert von den Dänen berichtet: Einmal in jedem neunten Jahr kommen sie auf Seeland zusammen »und dort opfern sie ihren Göttern 99 Menschen und ebenso viele Pferde, zusammen mit dargebrachten Hunden und Hähnen statt Habichten. Sie halten es, wie gesagt, für sicher, diese würden den Göttern der Unterwelt dienen und bei ihnen die begangenen Untaten für sie sühnen.«24 Ein Gleiches wissen wir von den noch nicht christianisierten Schweden: Nach einer auf einem Augenzeugenbericht beruhenden Nachricht genweer door een ander met twee coogels in de cuil doorschooten, en voorts gedolven.« Zit. n. H.A. Berkenhoff: Tierstrafe, S. 127. 22 |  Siehe dazu den Beitrag von C. Presche in diesem Band. 23 |  Die m.E. nur teilweise überholte These geht zurück auf K. v. Amira: Todesstrafen. Eine Übersicht über die meist kritische Auseinandersetzung damit sowie weitere Literatur zum Thema bietet K. v. See: Altnordische Rechtswörter, S. 111ff. Vgl. auch Spiegelnde Strafen: Reallexikon für Germanische Altertumskunde XXIX, Sp. 352–354; Todesstrafe: Ebd. XXXI, 2006, Sp. 16-20. 24 |  »et ibi diis suimet LXXXX et VIIII homines et totidem equos, cum canibus et gallis pro accipitribus oblatis, immolant, pro certo, ut predixi, putantes hos eisdem erga infe-

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des Adam von Bremen (2. H. 11. Jh.) wurden zu seiner Zeit in ihrer wichtigsten Kultstätte Uppsala von allen Lebewesen neun Stück in einem Heiligen Hain geopfert: »Dort hängen auch Hunde und Pferde neben Menschen, ihre Körper sind durcheinander aufgehängt.«25 Da Wodan/Odin der Gott des Windes war, erfand man diese Methode, um ihm, der im Altnordischen »hangagudh« hieß, das sterbende Opfer möglichst nahezubringen und das Verbrechen zu sühnen; vielleicht ist das Opfer für eine Vegetationsgottheit im Baume noch älter. Bemerkenswert erscheint die Funktion der Opfer bei den Germanen: Wie im Christentum die Verbrennung der menschlichen und tierlichen Leichen den einen Gott versöhnen sollten, so sollten sie die chthonischen Numina beruhigen (falls hier Thietmar nicht eine Interpretatio Christiana eingeschoben hat). Es ist somit möglich, dass die Mitexekution von Wölfen bzw. Hunden ursprünglich nicht Strafverschärfung sein sollte, sondern ein zusätzliches Opfer. Auch könnte das Hängenlassen der Hunde nicht bloß Böswilligkeit gewesen sein, sondern den Zweck gehabt haben, die Galgenvögel als Boten des Gottes die Kadaver auffressen zu lassen26. Der zutiefst sadistische Umgang heutiger spanischer Jäger_innen mit ihren Hunden (Galgos) impliziert oft deren Erhängen, was sonst bei Tierquälern unüblich ist. Ob für die Wahl gerade dieser Tortur – wie vielleicht auch die (schon aus der kretisch-mykenischen Kultur bekannten) Stierkämpfe – eine nicht mehr bewusste kultische Tradition mitspielt? Auch bei der ähnlichen Exekution von Schlittenhunden bei den Eskimos27 wäre diese Frage zu stellen. Wie für Menschen schon bei kleinen Diebstählen etc. war das Hängen eine sehr häufige Tierstrafe. Ein Beispiel wurde oben schon bezüglich eines Schweins angeführt. Auch Hunde, ja sogar Stiere28 hat man erhängt, gelegentlich erwürgt 29 . Wenn man noch aus dem 20. Jahrhundert gelegentlich Sensationsnachrichten über solche Tierexekutionen liest (wie die 1916 in Tennessee mittels eines Krans erhängten Zirkuselefantin Mary30), scheint es sich stets um obrigkeitlich verfügte Tiertötung zur Verhinderung weiteren Unheils gehandelt zu haben, ohne dass es zuvor zu einem richtiggehenden gerichtlichen Verfahren wie im Mittelalter gekommen wäre.

ros servituros et commissa crimina apud eosdem placaturos.« Thiemar von Merseburg, Chronicon 1, 17, MGH SS rer Ger. NS 9, 24. 25 |  »Ibi etiam canes et equi pendent cum hominibus, quorum corpora mixtim suspensa«, A. v. Bremen, Gesta 4, 28, in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe XI, Darmstadt: WBG 1968, S. 472. 26 |  W. Müller-Bergström: Hängen, in: HDA 3 (1930/1931), Sp. 1438-1460. 27 |  M. Koglbauer: Berge und Packeis, S. 107 (Bericht beruht auf Autopsie). 28 |  Vgl. z.B. R.P. Evans: Prosecution, S. 311; H.A. Berkenhoff: Tierstrafe, S. 28f. 29 |  Vgl. H.A. Berkenhoff: Tierstrafe, S. 24f. 30 |  P. Dinzelbacher: Das fremde Mittelalter, S. 111.

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Der Sonderfall Wolfsgalgen Ein im spätmittelalterlichen Deutschland verbreiteter misogyner Spruch – u.a. auch in einem von einer Frau, der Hätzlerin, zusammengestellten Liederbuch überliefert – lautet: »Swer ein übel wip habe, der tuo sich ir enzite abe, er kouf ir ein guoten bast und henke sie an einen ast, unde henke dâbî zwêne wölfe oder drî.« 31

Die Verwendung des Wolfes als Galgentier in einem satirischen Text setzt voraus, dass der Sachverhalt allgemein bekannt war. In Europa war in der Tat das am häufigsten durch Erhängen getötete Tier der Wolf, Wolfsgalgen erscheint sogar als Ortsbezeichnung32 . Die Exekution erfolgte zwar formell an dem in den Gesetzen am öftesten vorgeschriebenen Instrument, aber i.d.R. ohne vorhergehende juristische Prozedur. Bereits Jacob Grimm hat ausführlich Quellen zum Erhängen von Wölfen (mit oder ohne Menschen) gesammelt, die die Verbreitung des Brauchs in Skandinavien und Deutschland zeigen33 . Doch ist der Forschung, wenn ich recht sehe, bisher der älteste Beleg entgangen: In der 1033 von Abt Odilo von Cluny verfassten Vita des sel. Maiolus wird berichtet, wie ein lebend gefangener Wolf getötet und an einem Baumstamm aufgehängt wird, worauf alle anderen Wölfe aus dieser Gegend flohen34 . Shakespeare nahm auf diesen Usus im Merchant of Venice IV, 1 Bezug (war ihm der Rechtsbrauch aus seiner Heimat bekannt oder aus Italien, wo das Stück spielt?): »... thy currish spirit Govern’d a wolf, who, hang’d for human slaughter, Even from the gallows did his fell soul fleet, And, whilst thou lay’st in thy unhallow’d dam, Infused itself in thee ...«

31 |  »Wer immer ein übles Weib hat, der entledige sich ihrer beizeiten. Er kaufe ihr einen guten Strick und hänge sie an einen Ast, und hänge daneben zwei Wölfe oder drei.« Zit. n. K. Weinhold: Frau. II, S. 4; J. Grimm, Rechtsaltertümer II, S. 261. 32 |  Vgl. E. Harms/G. Schwitters, Wolfsgalgen. 33 |  J. Grimm: Rechtsaltertümer II, S. 261ff., weitere Belege HDA IX, S. 790f. 34 |  Odilo, Vita Maioli, ed. Migne Sp. 962.

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Der Wolf35 war ein bis ins 18. Jahrhundert in Europa weitverbreitetes Raubtier, dessen Gefährlichkeit v.a. in harten Wintern nach Aussage vieler Quellen wesentlich größer war, als es die heutigen Befürworter_innen der Wiederansiedlung zugeben wollen36. Hier spielte allerdings in einigen Fällen der Werwolfsglaube37 mit. Nicht, dass man Nachrichten über Prozesse gegen Werwölfe in Tiergestalt fände – es waren jedes Mal Menschen, die so verfolgt wurden –, aber wenn der päpstliche Legat Hieronymus Rorarius (1485-1556) als Augenzeuge berichtet, er habe in der Gegend von Köln am Galgen wie Verbrecher aufgehängte Wölfe in Hosen (oder Schuhen) gesehen, ist wohl keine andere Deutung möglich38 . Bekannter ist der Werwolf von Ansbach, ein immer wieder Menschen tötendes Raubtier, das 1685 ohne Verfahren erschlagen und dann angekleidet, mit einem Pappgesicht und einer Perücke angetan, an einen eigens errichteten Galgen gehängt wurde. Man glaubte, in ihm einen verstorbenen betrügerischen Beamten zu erkennen39 . Für die Antike berichtete bereits Plinius Ähnliches, nämlich wie vor afrikanischen Städten Löwen gekreuzigt wurden, um ihre Artgenossen von Überfällen auf Menschen abzuschrecken: »Polybius, der Gefährte Aemilians, berichtet, dass ein Mensch von gealterten Löwen angefallen wird, da ihnen die Kräfte nicht mehr reichen, Beutetiere zu verfolgen. Dann belagern sie die Städte in Afrika und werden aus dem Grund ans Kreuz genagelt, damit die übrigen aus Furcht vor einer solchen Strafe von diesem schädlichen Verhalten abgeschreckt würden. Dies habe er zusammen mit Scipio selbst gesehen.« 40

35 |  Vgl. etwa A. Pluskowski: Wolves and the Wilderness, der jedoch die hier interessierenden Themen nicht behandelt. 36 |  P. Dinzelbacher: Mensch, S. 189f. 37 |  Vgl. P. Dinzelbacher: Lycanthropy, in: R. Golden: Encyclopedia of Witchcraft, S. 680-682. 38 |  »duos caligatos lupos, non secus quam duos latrones furcae suspensos: quo similis ponae formidine a maleficio reliqui deterreantur.«, H. Rorarius: Quòd Animalia, S. 109. In spätmittelalterlichen Wörterbüchern wird »calligare« auf das Tragen von Hosen angewandt lt. L. Diefenbach: Glossarium latino-germanicum, S. 90, doch ist bei dem Italiener Rorarius vielleicht eher von der klassischen lateinischen Bedeutung von »caligatus«, gestiefelt, auszugehen. 39 |  http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_von_Ansbach. 40 |  »Polybius, Aemiliani comes, in senecta hominem ab his [leonibus] adpeti refert, quoniam ad persequendas feras vires non suppetant; tunc obsidere Africae urbes, eaque de causa cruci fixos vidisse se cum Scipione, quia ceteri metu poenae similis absterrentur ab eadem noxa.« Plinius, Naturalis Historia 8, 18, 47. G. Samuelsson: Crucifixion in Antiquity, S. 193, bestreitet ohne hinreichende Argumentation, dass »cruci figere« hier wörtlich zu nehmen sei.

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Lebendig begraben Menschen lebend zu begraben muss bereits im germanischen Altertum bei bestimmten Delikten wie Homosexualität und Desertion üblich gewesen sein. Dies geht nicht nur aus der bekannten Stelle in der Germania des Tacitus c. 12 hervor, wo von der Opferung dieser Verbrecher an die Erdgottheit die Rede ist 41. Auch aus den Funden von gefesselten Moorleichen v.a. im nördlichen Europa ist darauf zu schließen, obwohl ebenso Opferung von Gefangenen oder Mord als Ursachen infrage kommen. Auch die bis in die Neuzeit lebend begrabenen Bauopfer42 gehören in diesen Zusammenhang, ebenso bestimmte Praktiken des Aberglaubens43 . Im Mittelalter wurde lebendig Begraben v.a. als Frauenstrafe angewandt, im Dietmarschen z.B. für unerlaubten Geschlechtsverkehr mit Folgen 44 . An Tieren wurde diese Todesstrafe ebenfalls vollzogen, doch nicht häufig; so wurde z.B. 1456 der Henker von Oppenheim dafür bezahlt, »von den zweien schweinen, die das Kind ... zu todt brachten, uff dem Schar lebendig zu begraben« 45 .

Köpfen 46 Diese häufige Hinrichtungsart galt als nicht ehrenrührig und wurde besonders gnadenhalber bei eigentlich grausamer zu bestrafenden Verurteilten angewandt oder bei hochgestellten Personen. Dass sie bei Tieren aus anderen denn aus praktischen Gründen vollzogen wurde, ist nicht ersichtlich. In Bristol beispielsweise wurde im 14. Jahrhundert einem in der Stadt streunenden Schwein der Schwanz abgeschnitten, um es kenntlich zu machen; bei Wiederholung hieb man ihm den Kopf ab47. Oder es verurteilten 1578 die Genter Schöffen eine Kuh wegen Ermordung eines Kindes, »dass man sie verkaufen und schlachten soll« (»dat men de coe vercoopen sal, ende doen slaen«), den Kopf hatte der Henker am Galgenplatz auf einen Pfahl zu stecken 48, wie das ja auch regelmäßig bei menschlichen Delinquent_innen praktiziert wurde. 41 |  »proditores et transfugas arboribus suspendunt, ignavos et imbelles et corpore infames coeno ac palude iniecta insuper crate mergunt.« Der Text bezieht sich eindeutig auf die Tötung von Männern, doch gibt es auch weibliche Moorleichen, die anscheinend so hingerichtet wurden. Die Frage ist nicht abschließend geklärt, s. z.B. S. Eisenbeiß: Moorleichen. 42 |  P. Dinzelbacher: Handbuch der Religionsgeschichte, S. 189.230. 43 |  Vgl. z.B. J. Grimm: Mythologie III, S. 461. 44 |  Vgl. J. Grimm: Rechtsaltertümer II, S. 275. 45 |  H.A. Berkenhoff: Tierstrafe, S. 25. 46 |  In fast jeder Hinsicht enttäuscht der Sammelband C. Santing/B. Baert/A. Traninger: Disembodied Heads, vgl. meine Besprechung in: Mediaevistik 27, 2014, S. 189-191. 47 |  P. Dinzelbacher: Das fremde Mittelalter, S. 151f. 48 |  H. A. Berkenhoff: Tierstrafe, S. 30f.

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Verbrennen Die Feuerstrafe ist bei vielen Völkern praktiziert worden; im Zusammenhang mit Sodomie kam sie deshalb in Gebrauch, da dieses Delikt im kanonischen Recht als Ketzerei betrachtet wurde. Ketzerei wurde vereinzelt schon zuvor auf dem Scheiterhaufen gebüßt, regelmäßig ab 1224 gemäß dem entsprechenden Edikt Kaiser Friedrichs II. 49 Dass das Verbrennen Fanal der Unehrlichkeit sein sollte, mit dem auch die Familien der Hingerichteten in der Öffentlichkeit geächtet waren, zeigen etwa die in Bergamo geltenden Vorschriften, die die Angehörigen eines wegen Sodomie zum Scheiterhaufen Verurteilten zwangen, der Hinrichtung bis zum Erlöschen der Flammen beizuwohnen50. Schon bei dem ältesten bekannten Beispiel für eine obrigkeitliche Tierexekution handelt es sich um den Tod auf dem Scheiterhaufen. Opfer war ein Schwein, das ein Kind gefressen hatte (1266 oder 1268 in Fontenay bei Paris)51. Die späteren Zeugnisse handeln fast alle von Verbrennungen von Tieren zusammen mit den Menschen, die mit ihnen Geschlechtsverkehr gehabt hatten, ein Beispiel wurde bereits zitiert. Wohl häufiger als das Verbrennen bei lebendigem Leibe war das Verbrennen des schon toten Körpers52 . Es handelt sich also nicht nur um die Flammen als qualvolle Bestrafung, sondern die Eliminierung des Verbrechens in Gestalt der Täter aus der Weltordnung.

Sonstige Tiertötungen Es ist davon auszugehen, dass sonst von einer Obrigkeit angeordnete Tiertötungen, die zwar spontan, doch rechtsritualisiert erfolgten, i.d.R. Willkürstrafen waren, d.h. dass ihnen keine mündliche oder schriftliche Norm zugrunde lag, sieht man vom biblischen Hintergrund ab. Während die gerichtlichen Verfahren gegen Tiere ein spezifisch europäisches Phänomen in einer spezifischen Epoche darstellen, wurden Tierstrafen überall auf der Welt praktiziert53 . Ein Beispiel aus England erzählt Alexander Neckam um 1180 von einem Ritter, der eine Nachtigall »von vier Pferden zerreißen ließ«, weil der Vogel durch seinen Gesang seine Frau zum Ehebruch geneigt gemacht hätte54 . Der Berichterstatter erregt sich weniger über die Tötung des unschuldigen Tieres, sondern über die »Verschwendung«, da ja auch ein Pferd genügt hätte. Die Strafe des Vierteilens durch Pferde wurde im

49 |  Monumenta Germaniae Historica, Const. 2, 26f., Nr. 100. 50 |  Vgl. J. Brundage: Law, Sex, and Christian Society, S. 534. 51 |  Vgl. R P. Evans: Persecution, S. 140. 52 |  Vgl. z.B. R.P. Evans: Persecution, S. 297. 53 |  E. Westermarck: Moralbegriffe, S. 216ff. 54 |  Alexander Neckam ed. Wright, S. 102f.

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Mittelalter in der Tat besonders bei Verrat über Männer und Frauen verhängt55 . Ein namentlich nicht genannter König, so derselbe Autor, habe einen Jagdfalken, der einen Adler besiegte, des Verrats, ja sogar des Majestätsverbrechens beschuldigt und ihn zum Tod am Strang verurteilt, womit er seinem Gefolge Angst vor sich einjagen wollte56. Die »laesa maiestas« ist zwar ein Begriff aus dem römischen Recht57, dieses war aber in England nicht eingeführt und deckt hier die spontan auf ein Tier angewandte Rache. Ähnlich singulär erscheint das Verhalten des sonst so »aufgeklärten« und rationalen Kaisers Friedrich II. Er lässt einen seiner berühmten Jagdfalken, »der ihm mehr wert war als eine Stadt«, wegen Hochverrats durch seinen giustiziere (Henker) hinrichten: Der Raubvogel hatte ein Adlerjunges geschlagen. Dafür ließ ihm der Staufer den Kopf abschneiden, »denn er hatte seinen Herrn getötet«. Ob diese in einer Sammlung kurzer Erzählungen, dem Novellino (Ende 13. Jh.)58, überlieferte Anekdote sich so ereignet hat oder nicht eher die bei Neckam überlieferte Geschichte wiederholt, lässt sich weder erweisen noch widerlegen. Jedenfalls heißt es von Friedrich, er habe den Befehl »im Zorn« erteilt, und wiewohl die Enthauptung durch den Henker erfolgte, gab es kein vorhergehendes Gerichtsverfahren. Eine derartige symbolische Handlung, mit der der Angriff auf das Symboltier des Kaisertums gerächt wurde, ist Friedrich zweifellos zuzutrauen, wobei freilich vornehmlich die ihn umgebenden Untertanen beeindruckt werden sollten. Viel häufiger, geradezu alltäglich waren natürlich auch in Alteuropa privat oder obrigkeitlich organisierte präventive Aktionen ohne rechtsrituelle Einkleidung. Wenn man z.B. weder in Skandinavien noch in Rom um 1500 gegen Schädlinge mit juristischen Mitteln vorging, sondern einfach mit Gewalt, wie wir es ja auch tun, dann entsprach dies dem Üblichen – nicht die Tierprozesse oder -strafen. Bischof Olaus Magnus z.B. rühmt 1555 vielmehr den skandinavischen Brauch59, die Jugend für formlos abgeschossene Raben zu bezahlen und in Rom für erschlagene Heuschrecken60. Man denke nur an die wenigstens seit Karl dem Großen bis in 19. Jahrhundert immer wieder veranstalteten Ausrottungskampagnen gegen Wölfe61. 55 |  Vgl. J. Grimm: Rechtsaltertümer II, S. 272f.; F. Ohly: Schriften zur Literaturgeschichte, S. 365-436 (Zerreißung in mittelalterlicher Literatur). 56 |  T. Wright: De naturis rerum, S. 76. 57 |  Vgl. G. Phillips: Englische Reichs- und Rechtsgeschichte, S. 310ff. Dies existiert im Prinzip noch heute, in Deutschland im § 90 StGB (Verunglimpfung des Bundespräsidenten). 58 |  »perché aveva morto lo suo signore.«: Novellino, S. 99. 59 |  Er spricht irrtümlich von Island, s. Kulturhistorisk leksikon for nordisk middelalder 9, Sp. 171f. 60 |  Historia de gentibus septentrionalibus 4, 15, S. 149; vgl. 22, 2, S. 782. 61 |  P. Dinzelbacher: Mittelalter, in: Ders., Mensch und Tier, S. 189f.

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E pilog Rückblickend dürfte es immerhin unabweisbar sein, dass für die Gestaltung der an Tieren vollzogener Todesstrafen nicht nur praktische oder sadistische Motive entscheidend waren, sondern auch nicht mehr bewusste kultische Aspekte mitwirkten. Dies trifft einerseits im Bereich der Götteropfer zu, deren desakralisierten Nachfolger die Galgenstrafe darstellt, andererseits im Bereich der Tabus, indem das durch Geschlechtsverkehr mit einem Menschen unrein gewordene Tier vernichtet wurde. Dass solche Exekutionen oft erst aufgrund eines in einem regelrecht geführten Prozess ergangenen Urteils vollzogen wurden, sollte nicht zu einem heute in der Diskussion von Tierrechten immer wieder versuchten Fehlschluss führen: Eine Tendenz in manchen der neuesten Publikationen ist es nämlich, aus der ›Personifikation‹ von Tieren (d.h. ihrer formalen Gleichstellung mit menschlichen Angeklagten) in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren Wege für eine Definition unserer ›Mitgeschöpfe‹ als Rechtssubjekte in heutigen Gesetzen abzuleiten. Auf die juridische Möglichkeit unserer Zeit, Tiere aus dem Sach-Status gemäß römischem Recht zu dem einer Prozess-Partei zu erheben, ist hier nicht einzugehen. Es sei aber bemerkt, dass die jeweiligen Intentionen gerade entgegengesetzt sind: Ging es früher darum, den Tieren als schuldfähigen Rechtssubjekten zu schaden, geht es jetzt darum, sie als unschuldige Rechtsobjekte zu schützen62 . Die historischen Tierprozesse und -exekutionen sollten daher besser nicht für die aktuelle Diskussion funktionalisiert werden.

L iter aturverzeichnis Primärliteratur Adam von Bremen: Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, hg. v. Bernhard Schmeidler, Hannover/Leipzig: Hahnsche Buchhandlung 1917 = Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe XI, Darmstadt: WBG 1968. Alexander Neckam: De naturis rerum (1, 24), ed. Thomas Wright, London: Rerum britannicarum medi aevi scriptores 34, 1863. Döpleri, Jacobi: Theatri Poenarum ... II, Leipzig: o. Hg. 1697. Magnus, Olaus: Historia de gentibus septentrionalibus 4, 15, Rom: o. Hg. 1555. Monumenta Germaniae Historica, Const. 2, 26 f., Nr. 100. Novellino c. XC, hg. v. G. Manganelli, Mailand: Rizzoli 1975. Odilo: De vita b. Maioli, in: Patrologiae Latinae cursus completus, ed. J.-P. Migne 142, Paris: Migne 1853. 62 |  Vgl. P. Dinzelbacher: Gebrauchstiere.

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Plinius, Naturalis historiae libri XXXVII, hg. v. Karl Mayhoff, Leipzig: Teubner, 1892-1909. Roch, Heinrich: Neue Lausitz- Böhm- und Schlesische Chronica …, Leipzig: Klosse 1687. Rorarius, Hieronymus: Quòd Animalia bruta ratione utantur meliùs Homine, Amstelaedami: o. Hg. 1654. Rupert von Freisingen: Das Stadt- und das Landrechtsbuch, hg. v. Georg v. Maurer, Stuttgart: Cotta 1839. Thietmar von Merseburg; Chronicon, 1, 17, MGH SS rer Ger. NS 9.

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Tierexekutionen in Mittelalter und Frühneuzeit

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Farbenprächtige Zeremonie, historisches Theater oder mehr? Zu Tieropferdarstellungen in der holländischen Malerei der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Martina Sitt

In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts häuften sich in der niederländischen Malerei signifikant die Darstellungen von Opferszenen. Während diese Zeit im benachbarten Römischen Reich Deutscher Nation eine Periode der immer noch fortwirkenden konfessionellen Auseinandersetzungen war, die 1618 zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges führten, erlebten die Niederlande, genauer die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen, die sich 1581 von der spanischen Herrschaft losgesagt hatte1, trotz aller kontinuierlichen Auseinandersetzungen einen enormen wirtschaftlichen und damit auch einen kulturellen Aufschwung: das sogenannte Goldene Zeitalter. Niederländer, die vor allem durch überseeischen Handel reich geworden waren, entwickelten ein Bedürfnis nach Repräsentation, das mit einem gewissen Hunger nach neuen Bildmotiven einherging. Da zugleich die Künstler nach einigen Jahrzehnten der konfessionellen Auseinandersetzungen und in Abgrenzung zum (katholischen) flämischen Markt für die Bebilderung religiöser Szenen neue Wege suchen mussten, wurden bisher zwar bekannte, aber nicht in diesem Format ausgeführte Bildthemen, die mit Motiven des Tier- oder auch Menschenopfers zu tun hatten, neu inszeniert: Oft boten sie Gelegenheit für farbenprächtige und hochgradig dramatisierte Momente. Diese waren dann von mythologischen Quellen inspiriert oder den Texten des Alten und des Neuen Testaments entnommen, die für alle Glaubensrichtungen von Interesse waren. 1 |  Am 26.07.1581 lösten die Generalstaaten mit einer Erklärung die noch bestehende Bindung zum spanischen König. Sie konnten ihren Aufstand 1609 mit einem zunächst 12-jährigen Waffenstillstand, der stillschweigend verlängert wurde, erfolgreich beenden. Die Unabhängigkeit der Vereinigten Provinzen wurde völkerrechtlich erst 1648 im Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück anerkannt.

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Pieter Lastman (1583-1633) war in der Entwicklung dieser neuen Bildthemen führend 2 und wurde so Vorbild für andere Maler seiner Zeit. Bei dieser Art der frühen, religiösen Historienbilder sind Opferszenen häufig zu finden. Gezeigt werden wenige Menschen-, aber viele Tieropfer in meist reich ausgeschmückten zeremoniellen Handlungen, die der Opferung voraus- oder mit ihr einhergehen. Für die farbenfrohen Szenen waren für die Maler Kenntnisse der jeweiligen Rituale und der religiösen Hintergründe erforderlich, um die figuren- und detailreichen Kompositionen gestalten zu können. Eine gewisse Textkenntnis war aber auch für die Betrachter_innen erforderlich, um die Bildwerke nicht nur als farbenprächtiges Spektakel zu empfinden, sondern um die Botschaft, die in der geschilderten Szene enthalten sein konnte, zu verstehen. Man war nicht zuletzt in der gleichzeitig sehr beliebten und weit verbreiteten Emblemliteratur überzeugt, Göttliches könne über Dinge und demzufolge Zeichen »erinnert« bzw. geschaut und sogar erkannt werden.3 Zu einem der vielfach abgebildeten Zeichen gehört ein Opfertisch, auf dem ein Tier oder anderes verbrannnt wird, wobei dessen Rauch senkrecht nach oben steigt. So zeigt dies etwa Gabriel Rollenhagen als Emblem Nr. 15 in seinem Nucleus emblematum selectissimorum von 1611. Man mag vermuten, dass bestimmte Darstellungsinhalte somit anregten, über die Rolle des Opfers und des Opferns nachzudenken (Abb. 1).

Abb. 1: Gabriel Rollenhagen, Emblem Nr. 15 in: Nucleus emblematum selectissimorum, 1611. DUM NUTRIO CONSUMOR / indem ich (andere) nähre, verbrauche ich mich. (Opfer) 2 |  Vgl. M. Sitt: Lastman, S. 72. 3 |  G. Hess: Bilder, S. 76, verweist darauf, inwieweit das Emblem Eingang in die religiöse Gebrauchsliteratur fand.

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Tier -O pferszenen nach antiken V orl agen Pieter Lastman, der hochgelobte Amsterdamer Maler, 4 von dem elf Werke zum Themenkomplex des Opferns erhalten geblieben sind, konnte sich auf gute schriftliche Quellen über die antike Götterwelt und Mythologie stützen. Lastman galt als sehr belesen und seine für die Zeit durchaus außerordentliche Bibliothek, die in etwa rekonstruiert werden konnte5, bot ihm erste Anregungen. Auch konnte er als Sohn eines wohlhabenden Stadtboten und Vermögensverwalters (katholischen Glaubensbekenntnisses) nach einer Lehrzeit bei dem Maler Gerrit Pietersz Sweelink (1566-1612) bereits 1602 nach Italien reisen und sich dort mit antiker Kunst und mit dem Thema »Opfer« auseinandersetzen. Zwei Beispiele, die für die Frage der Mensch-Tier-Relationalität aufschlussreich sind, seien hier zunächst herausgegriffen: das Tieropfer in der Antike und das der Wissenschaft geopferte Tier.

Abb. 2: Pieter Lastman, Dido opfert Juno, 1630, Öl auf Holz, 74 x 106 cm, Stockholm, Nationalmuseum. Auf großer Bühne inszeniert Pieter Lastman in Dido opfert Juno 6 1630 ein Tieropfer in antikisierender Kulisse (Abb. 2). Der Mythos überlieferte, dass Dido, die Königin von Karthago, den schiff brüchigen Aeneas aufgenommen und sich in ihn verliebt hatte. Sie hoffte, ihn zum Bleiben und zur Heirat bewegen zu können, 4 |  Joost van den Vondel hatte bereits 1618 in einem Lob auf die Stadt Amsterdam Pieter Lastman als bedeutendsten Maler seiner Heimatstadt bezeichnet; vgl. M. Sitt: Lastman, S. 9f. 5 |  Vgl. C.T. Seifert: Lastman, S. 119ff. 6 |  Öl auf Holz, 74 x 106 cm, Stockholm, Nationalmuseum.

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und erbat mit den Tieropfern die Hilfe der Götter Ceres, Apollo, Bacchus und Juno.7 Die Komposition von Lastman zeigt, wie jedem von ihnen wohl ein Tier geopfert werden sollte; als Opfertiere werden ein weißer Stier, ein Lamm, ein Pfau und eine weiße Gans bereitgehalten. Das Feuer auf dem Opferaltar brennt, Dido steht hoch aufgerichtet daneben. Unten rechts auf dem Boden setzt ein Gehilfe dem Lamm bereits das Messer an die Kehle. Auffällig in dieser Darstellung ist, dass die Tiere keineswegs verängstigt oder unruhig erscheinen. Geradezu gleichmütig erwarten sie ihre Opferung und Zwang ist nicht erforderlich. Das ist ein Thema, das auch fast kurz zuvor in Antwerpen einen Gelehrtenkreis um Peter Paul Rubens (1577-1640) bei dem Studium der antiken Opferrituale beschäftigte. Man konsultierte Guillaume Du Chouls (1496-1560) zunächst in französischer Sprache verfassten Discours de la Religion des anciens Romains von 1556, in dem an zahlreichen Stellen auf die Rolle des Opferns und der Opfergaben eingegangen wird. Laut du Choul spielte die Willfährigkeit des Opfertiers dabei eine entscheidende Rolle. Muss es zu seinem Gang an den Opferaltar gezwungen werden, so signalisiert dies bereits, dass der Gott, dem das Opfer gebracht werden soll, dieses nicht gnädig empfangen wird.8 Rubens hat diese gestische Botschaft dann verarbeitet, um den Sieg des Christentums über die heidnischen Götzenkulte zu inszenieren. In seiner Ölskizze Triumph der Eucharistie über den Götzendienst von 1625/16269 weigern sich die Stiere angesichts der ecclesia triumphans offensichtlich, ihren Opfergang anzutreten (Abb. 3).

7 |  Vgl. C.T. Seifert: Lastman 2011, S. 36. 8 |  Vgl. G. Du Choul: Romains, S. 299; A. Golahny: Sacrifice; U. Heinen: Rubens. 9 |  63,5 x 105,7 cm, c. 1625, Madrid, Museo Nacional del Prado; vgl. A. Vergara/A.T. Woollett: Rubens, S. 15.19.22.

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Abb. 3: Peter Paul Rubens, Triumph der Eucharistie über den Götzendienst, 1625-1626, Modello, Museo del Prado, Madrid. Interessant ist auch, wie die Tiere bei dem Opfer, das der Wissenschaft gebracht wird, dargestellt werden. Diesen Moment haben sowohl Lastman 162210 als auch zuvor Jan Pynas (1582-1632) in einer großformatigeren Fassung von 1614 in der Szene Hippokrates besucht Demokrit in Abdera11 in ähnlicher Form aufgefasst: Auf beiden Gemälden sind ein totes Schaf und andere tote Tiere zu sehen, wobei dem Schaf die Gedärme aus dem geöffneten Leib quellen. Der griechische Philosoph Demokrit (um 460-371 v.Chr.) sitzt daneben und ist so ins Schreiben versunken, dass er die Annäherung des Arztes Hippokrates nicht zu bemerken scheint. Hippokrates steht beobachtend etwas hinter ihm; bei Lastman versucht er gar – über die Schulter Demokrits blickend – zu erkennen, was dieser in seinem Buch festhält. Demokrit hatte die Tiere getötet und bereits die Gedärme des Schafs daraufhin untersucht, ob sie ihm Aufschluss über Krankheiten geben. Die Abderiten hatten den Arzt Hippokrates gerufen, weil ihnen das Verhalten des Demokrit insgesamt merkwürdig vorkam, da er auch noch Tiere im Wortsinn opferte, d.h. dem profanen Gebrauch entzog. Stattdessen wurden sie einem höheren Zweck geopfert, der hier aber kein kultischer ist, etwa um eine Gottheit gnädig zu stimmen oder ihr zu danken, sondern ein wissenschaftlicher. Das Tieropfer soll zu einem Erkenntnisgewinn beitragen, denn Demokrit hält das Beobachtete 10 |  Öl auf Holz, 111 x 114,5, Lille, Palais des Beaux-Arts; vgl. C.T. Seifert: Pieter Lastman, S. 28. 11 |  Öl auf Leinwand, 110,5 x 139 cm, Amsterdam, Rembrandthaus.

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genau schriftlich fest. Dieses ungewöhnliche Thema war durch ein in Holland populäres Schuldrama von 1603, Der Reden-Vreucht der Wijsen von Adolf de Jager (auch Adolphus T. Venator, 1569-1618), bekannt geworden.12 Pynas hatte es wohl als erster dargestellt, Lastman, der offenbar auch die antike Textgrundlage der Hippokrates-Briefe gelesen hatte, ergänzte die Darstellung um Details, die nur dem antiken Text zu entnehmen waren, wie Tico Seifert en Detail 2013 belegte.13 Das Lob der Wissenschaft, akribische Belesenheit und anfänglich gar (bei Pynas) ästhetische Indifferenz gegenüber den drastischen Details der Innereien kennzeichnen diesen Motivkomplex. Diesen Vorreitern des Themas folgten noch einige andere Maler, bevor es im zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts wieder in Vergessenheit geriet.14

O pferszenen nach biblischen V orl agen aus dem A lten Testament Das in kanonischer Lesrichtung älteste Opfer, das die Bibel beschreibt, bringen Kain und Abel, die Söhne von Adam und Eva, Gott dar (Gen 4,3-5). Abel, der Schäfer, opfert ein Tier; Kain, der Ackerbauer, opfert Feldfrüchte und Ähren. Diese Szene taucht in Zeichnungen und Radierungen ab 1500 häufiger auf (zuvor auch in den Weltchroniken), hält aber nach der Reformation vermittelt durch Holzschnitte vermehrt in protestantischen Gegenden Einzug. Ein Holzschnitt des nur unter einem Kürzel bekannten hervorragenden Meisters M. S. in der MartinLuther-Bibel, die 1541 von Hans Lufft (1495-1584) in Wittenberg gedruckt wurde, zeigt, wie das jeweilige Opfer von Gott aufgenommen wird. Abels Schaf brennt auf dem Holzstoß friedlich vor sich hin und der Rauch steigt gerade gen Himmel auf, was anzeigt, dass das Opfer Gott gefällt (Abb. 4). Kains Gabe wird von Gott nicht gnädig angenommen, denn der Rauch seines Opfers zieht gedrückt nach rechts weg (vgl. Gen 4,5).

12 |  C.T. Seifert in M. Sitt: Lastman, S. 28-31. 13 |  Vgl. C.T. Seifert: Lastman, S. 140. 14 |  C.T. Seifert in M. Sitt: Lastman, S. 28.

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Abb. 4: Kain und Abel, in: Martin Luther, Biblia: das ist: die gantze Heilige Schrifft: Deudsch. Auffs New zugericht. Wittemberg: Hans Lufft (1495-1584), Ausgabe 1541, mit Holzschnitten des Meisters M. S., 1. Mose 4,3. In dieser Illustration werden auch die notwendigen Gegenstände einer typischen Opferszene gezeigt: Es bedarf eines Altars, einer Mensa aus Stein oder Erde, einer ordentlichen Feuerstelle und Brennholz darauf sowie einen Stoß guten Holzes daneben zum Nachlegen für einen ruhigen Brand – und damit für ein gelungenes Heilsopfer.15 Das Opfer wird Gott in der Hoffnung dargebracht, Gott möge an diesem Ort präsent sein und die Opfernden segnen, wie er es selbst angekündigt hat.16 Die Opferszene von Kain und Abel wird für eine Ausführung im größeren Format bereichert um den wesentlich dramatischer zu inszenierenden Brudermord des Kain und schließlich die Beweinung Abels. Ein Moment, das hohe Dramatik versprach und zudem noch das Menschenund Tieropfer geradezu »zur Wahl stellt«, ist in der Genesis die Geschichte von Abraham und Isaak. Gott – wie es ausdrücklich heißt – stellt hier Abraham auf die Probe, indem er ihn auffordert, ihm seinen Sohn Isaak als Brandopfer darzubringen (Gen 22,1-19).17 Das Opfertier, das man hier eigentlich erwarten würde, wird meist etwas versteckt in einem Busch gezeigt, da der Ritus durch eine un15 |  Zu den verschiedenen Opferkategorien siehe den Beitrag von I. Müllner in diesem Band. 16 |  Vgl. Ex 20,24: »Einen Altar von Erde mache mir, auf dem du dein Brandopfer und Dankopfer, deine Schafe und Rinder, opferst. An jedem Ort, wo ich meines Namens gedenken lasse, da will ich zu dir kommen und dich segnen.« 17 |  Ausführlich zu der Erzählung und der Frage nach der Betrauerbarkeit Isaaks und des Widders siehe den Beitrag von Y. Thöne in diesem Band.

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gewöhnliche Handlung verändert wird: denn Abraham fesselt nun seinen eigenen Sohn und hebt das Messer, um Isaak zu töten. Nachdem Abraham so seinen Gehorsam gegenüber Gott bereits bewiesen hat, verhindert ein Engel, ein Bote Gottes, die Tötung. An Stelle des Menschenopfers tritt ein Tier: »Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.« (Gen 22,13). Erst indem Abraham wieder (richtig) hinsieht, erblickt er das rituelle Opfertier und alles geht seinen vertrauten Gang. Das Opfer Abrahams zeigt Pieter Lastman um 1612 zunächst in einer GrisailleFassung,18 die sich eng an die Erzählung in der Genesis anlehnt. Isaak liegt auf dem Rücken mit dem Kopf nach hinten überstreckt, die Hände auf dem Rücken gefesselt, auf dem zum Opferbrand aufgeschichteten Holzstoß. Abraham hält ihn am Kopf fest, das kurze Schwert schwebt bereits über seiner Kehle. Ein Engel hält von oben herab den Schwertarm fest und verhindert so den Schlag. Ein Streifen himmlischen Lichts erhellt die Szene (Abb. 5). Diesen dramatischen Moment stellt Lastman 1616 erneut in einem ebenso kleinformatigen Gemälde dar.19 Isaak sitzt auf einem mit Stoff verhängten Block und Abraham drückt seinen Kopf kräftig nach hinten und zielt mit dem erhobenen Schwert auf den Hals von Isaak. Der Engel, der hier aus einer dunklen Wolke von hinten sich Abraham nähert, greift den Arm von Abraham, der Isaak hält. Abraham hat ihm das Gesicht zugewendet; der Anruf des Boten Gottes verhindert den Schlag. Der Blickkontakt zwischen Abraham und Engel und dessen Geste unterstreichen die Blickführung von links oben nach rechts unten. Der Widder, den Abraham gleich anstelle Isaaks opfern wird, schaut – kaum sichtbar – rechts hinter Isaak aus dem Dunkel hervor.

18 |  Öl auf Holz, 40 x 32 cm, Amsterdam, Rembrandthaus. 19 |  Öl auf Holz, 35 x 41 cm, Paris, Louvre.

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Abb. 5: Pieter Lastman, Die Opferung des Isaak, 40 x 32 cm, Öl auf Holz, Amsterdam, Rijksmuseum. In allen drei Weltreligionen, im Judentum, im Christentum und im Islam, hat diese Geschichte die Gemüter stets bewegt und zu heftigen Diskussionen unter Theolog_innen, aber auch Philosoph_innen geführt. Im Judentum und – vor allem – im Christentum ist sie von Künstler_innen aller Zeiten dargestellt worden. Es ist von Martin Luther besonders hervorgehoben worden, dass es bei dieser Opferung um eine Versuchung gehe: »Ytzt haben wir gehört, wie der gute Abraham bisher ynn mancherley anfechtung und versuchung Gottes gestanden ist […]«.20 Der Hamburger Theologe Anselm Steiger sieht Abraham daher als Prototyp des Glaubenden sowie als Inbegriff des Angefochtenen. Hier gehe es um eine didaktische Komponente, um Befehl und Gehorsam, um die Entscheidung einer höheren Macht und der Machtlosigkeit des Individuums. Erzählt und gezeigt werden solle beim Opfer Abrahams aber auch die Entwicklung weg vom Menschen- und hin zum Tieropfer, zum Tier als Substitut und Mittel der Entsühnung, um Gott

20 |  M. Luther: Werke, S. 378f.

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gnädig zu stimmen.21 Der Gott des Alten Testaments will keine Menschenopfer mehr (vgl. Jes 57,5; Ez 23,39),22 während er Tieropfer vielfach gnädig annimmt.23

Ü berwindung des Tieropfers durch die B otschaf t des N euen Testaments Die Texte des Neuen Testaments geben kaum Stoff für die Darstellung klassischer Opferszenen. Nach christlichem Verständnis hat sich Jesus durch den Kreuzestod sühnend für alle Menschen selbst geopfert.24 Weiterer Tieropfer wie im Alten Testament bedarf es nicht, um das Wohlwollen oder die Gnade Gottes zu erlangen. Im Neuen Testament heißt es deshalb im Brief an die Hebräer: »Er (Jesus Christus) ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für alle Mal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben.« (Hebr 9,12) Eine Szene aus der Apostelgeschichte25 hat jedoch Lastman 1614 zu einer farbenprächtigen Darstellung von einem Fest, zu dem sich Menschen und Tiere drängen, inspiriert: In Paulus und Barnabas in Lystra26 (zweite Fassung von 1617, Abb. 6) geht es darum, ein mit der christlichen Heilsbotschaft nicht mehr zu vereinbarendes Tieropfer an die alten Götter zu verhindern. Die Apostel Paulus und Barnabas predigten in Lystra das Evangelium, dabei heilte Paulus einen von Geburt an gelähmten Mann. Das Volk hielt nun die beiden Apostel für Zeus und Hermes, denen sie opfern wollten. Die Apostelgeschichte berichtet, Paulus und Barnabas hätten ihre Kleider zerrissen, seien unter das Volk gelaufen, hätten ihm versichert, sie seien doch auch nur sterbliche Menschen und ihre Absicht sei gerade gewesen, sie von diesen falschen Göttern abzubringen. Lastman zeigt die Apostel erhöht im rechten Drittel des Bildes, während ein großer Zug geschmückter Menschen sich auf sie zu bewegt, die einen herausgeputzten Stier, einen Hahn und einen Ziegenbock mit sich führen. Die Körperhaltung während der Argumentation, insbesondere die abwehrend erhobenen Hände der Apostel lassen deutlich erkennen, dass sie das Opfer ablehnen. Die Mienen der sie umgebenden

21 |  A. Steiger: Opferung, S. 189. 22 |  Vgl. Jes 57,5; Ez 23,39. 23 |  Etwa: 1. Kön 18,33-39. Allerdings gibt es auch im Alten Testament bereits eine Entwicklung weg vom Tieropfer zum aufrichtigen Gotteslob, das ein Opfer überflüssig macht (Ps 50,7-15, Am 5,21f.). 24 |  Vgl. Brief des Paulus an die Römer 3, 24f. 25 |  Vgl. Apg 14,8-20. 26 |  Öl auf Holz, 76 x 115 cm, Amsterdam Historisch Museum; eine weitere Fassung Öl auf Holz, 89,6 x 123,6 cm, ist nur aus einer Schwarz-Weiß-Abbildung rekonstruierbar, Verbleib unbekannt.

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Menschen sind fast verständnislos.27 Denn auf dem Altar brennt bereits das Opferfeuer und weiteres Holz wird bereits herbeigeschafft. Ein kräftiger Mann hält den bekränzten Stier, der für das Opfer geradezu freudig bereit ist. Alle Opferin­ gredienzien sind vorhanden, Kannen, eine Platte aus Gold und Silber.

Abb. 6: Pieter Lastman, Paulus und Barnabas in Lystra, 1617, 76 x 115 cm, Amsterdams Historisch Museum. Auch in vielen weiteren Szenen stellen Lastman und sein Umkreis unter Beweis, wie reich an Details sie sich das Opfern der Tiere etwa vorgestellt haben. (Abb. 7) Das Opfern ist hier oft eine Vorführung von antikem Ritus und dessen literarischer Rezeption.28 Es birgt jedoch auch im übertragenen Sinne Möglichkeiten, in einer Zeit konfessionellen Wandels den Kunstliebhaber ein Thema in der noch jungen Gattung der Historienmalerei anzubieten, das Allusionen an christliche Motive implizieren kann, aber nicht zwangsweise so gesehen werden muss. Die Szenen erinnern nicht von ungefähr in der meist rahmenparallelen Anordnung der Figuren an eine Bühne, auf der die Geschichte sich von links nach rechts entrollt. Lichteinfall, Arrangement der Figuren, Stoffe und Beiwerk lassen an eine Theaterinszenierung denken, wenngleich die zu jener Zeit meist noch fahrenden Bühnen über derartiges nur eingeschränkt verfügten. Die Assoziation zum Theater liegt insofern nahe, als gerade dort zeitgleich zu den Gemälden zahlreiche 27 |  Sie lassen schon ahnen, dass Paulus – wie die Bibel berichtet – damit nicht Gehör fand und das Volk anschließend sogar versuchte, ihn zu steinigen (Apg 14,19f.). 28 |  Zum Opfer in der klassischen Antike siehe den Beitrag von M. Petropoulou in diesem Band.

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Stücke aufgeführt werden, die das Opfer für den eigenen Glauben oder das eigene Vaterland thematisieren.29 In einigen Fällen wird sogar auffällig deutlich die Tiersymbolik eingebracht, wie Bettina Noak am Beispiel eines Stücks über Maria Stuart (Maria Stuart of Gemartelde Majesteit, 1646) erläutert.30 Die Königslöwin (Koningsleeuw) wird bei Joost van den Vondel zum Lamm, das geopfert wird.31 Dieser wohl bedeutendste niederländische Dramatiker des 17. Jahrhunderts hatte ebenfalls Gedichte auf Gemälde von Lastman verfasst bzw. diese in seine lehrreichen Texte integriert.

Abb. 7: Detail aus Pieter Lastman, Dido opfert Juno, 1630, Öl auf Holz, 74 x 106 cm, Stockholm, Nationalmuseum. Fragt man nach der Qualität der Didaktisierung der Religion mittels des Bildes,32 so könnte man etwa in Lastmans Paulus und Barnabas in Lystra ein gutes Beispiel frühchristlichen Widerstandes gegen Götzenverehrung und, bezogen auf die ei29 |  Vgl. B. Noak: Auffassungen, S. 241; D. Metz: Drama. 30 |  Vgl. B. Noak: Auffassungen, S. 160. 31 |  Vgl. ebd., S. 159. 32 |  Vgl. G. Hess: Text und Bild, S. 174.

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gene Zeit, gegen Idolatrie im Allgemeinen gesehen haben.33 Der Kreis, in dem sich Maler, Literaten, Theaterdichter und Geschichtsschreiber zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Holland bewegten, war sehr eng. Es liegt nahe, in dem auffällig häufig auftretenden Topos des Opfers (ob Tier oder Mensch) auf einem sich wandelnden Markt ein für beide Konfessionen mögliches Bildthema gesehen zu haben, das sich mit verschiedenen Bedeutungen (ob politisch oder religiös) aufladen ließ.

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33 |  Vgl. W. Liedtke: Dutch Paintings, S. 535, 538.

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Vergnügung, Schutz und Ausrottung Tiertötungen im Spiegel hessischer Bild- und Schriftquellen des 17. und 18. Jahrhunderts Christian Presche

Hessische Quellen bieten einen breiten Überblick über Tötungsmotive und -arten in Barock und Aufklärung. Im vorliegenden Aufsatz werden folgende Hauptthemen vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zum Tode Landgraf Friedrichs II. im Jahr 1785 betrachtet: Schlachtungen und Jagd, Mutwille/Willkür sowie obrigkeitliche Anweisungen, Tiere zu töten.

S chl achtungen Die Metzger in der hessischen Residenzstadt Kassel deckten ihren Bedarf an Schlachttieren in erster Linie auf den Wochen-, Jahr- und Viehmärkten.1 Geschlachtet wurde in städtischen Schlachthäusern, und das Fleisch durfte nur in den öffentlichen Verkaufsständen (Schirnen) verkauft werden.2 Einige Bürger_innen hielten auch Tiere zur Selbstversorgung3, was wohl überwiegend mit Haus1 |  M. Lasch: Wirtschaft, S. 204.207.210f.212-214. Die Metzger unterhielten auch eigene große Hammelherden, vgl. P. Losch: Chroniken, S. 13.46.48f.57. 2  |  Seit alters her bestand im alten Rathaus (Altmarkt/Marktgasse) eine Schirne, seit Mitte des 16. Jh. am Hochzeitshaus (sog. Stadtbau) ein Schlachthaus samt weiterer Schirne; im 18. Jh. zudem: eine Schirne für besonders hochwertiges Fleisch im neuen Rathaus (dieses von ca. 1529, Altmarkt/Judenbrunnen/Fischgasse), ein zweites Schlachthaus samt Schirne nach 1763 im Neuen Collegienhof (Packhof); vgl. A. Holtmeyer: Cassel-Stadt, S. 436f.460f.469f.481-483. 3 |  Zu den Viehbeständen vgl. M. Lasch: Einwohnerverzeichnisse, S. 414; zu den Einwohnerzahlen der Stadtteile vgl. ebd., S. 405. Dass in der 1688 gegründeten Oberneustadt die Viehhaltung geringer ausgeprägt war als in der mittelalterlichen Kernstadt, dürfte in anderen Bebauungs- und Sozialstrukturen begründet sein. Zur Sozialstruktur vgl.

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schlachtungen 4 verbunden war. In den hessischen Dörfern durfte vor Ort nur zum Eigenbedarf geschlachtet werden, alle anderen Schlachtungen mussten in den Städten erfolgen, wo das Fleisch auch zu verkaufen war.5 Für den gesamten Kasseler Einzugsbereich sind aus dem Jahr 1724 behördliche Schätzungen zum Mindestbedarf an Fleisch überliefert:6 Den Hauptanteil machte Rindfleisch (Ochsen, Kühe, Kälber) aus, mit ca. 320 t, dann folgten Schweinefleisch mit ca. 194 t und Hammelfleisch mit ca. 121 t; dies bedeutete jährlich die Schlachtung von rund 1000 Ochsen, 400 Kühen und 6000 Kälbern, 5000 Schweinen und 6000 Hammeln. Auch wenn eine Berechnung des durchschnittlichen Pro-KopfVerbrauchs an Fleisch schwierig ist – vergleicht man die Zahlen mit der gegenwärtigen Statistik (Stand 2013), so dürfte der Rindfleischkonsum ungefähr heutigen Werten entsprechen, während der Verbrauch an Schweinefleisch zurzeit auf etwa das Siebenfache angewachsen, der Konsum von Hammel- bzw. Schaffleisch dagegen erheblich zurückgegangen ist.7

J agd Fürstliche Jagd Die Durchführung der Jagd war in der Frühen Neuzeit in Hessen dem Adel vorbehalten, wobei bestimmtes Hochwild (meist Rot-, Schwarz- und Rehwild) sogar nur durch die Landesherrschaft gejagt werden durfte.8 Die traditionellen Formen ders.: Einwohnerverzeichnisse, S. 259.376-378.413; eine Sozialstatistik aller Einwohner ist allerdings nicht vorhanden. 4 |  Vgl. HLO II, S. 115 (Taxordnung vom 30. Juni 1645, LXIII). 5 |  HLO I, S. 646f. (Polizei- und Landordnung von 1622, V). Ausgenommen waren Flecken und Dörfer, die mit Sonderrechten begünstigt waren. Als Anlässe ländlicher Hausschlachtungen werden z.B. Hochzeiten und Kindtaufen genannt. 6 |  Angaben (Gewicht nach dem Ausschlachten, ohne Innereien, Kopf und Unterschenkel) nach M. Lasch: Wirtschaft, S. 209f. Die Einwohnerzahl Kassels kann auf ca. 14.500 geschätzt werden; vgl. ebd., S. 85. Hinzu kommen noch die umliegenden Dörfer, soweit sich ihre Bewohner in den Kasseler Schirnen versorgten. 7 |  Setzt man für die Werte von 1724 ein Einzugsgebiet von rund 26.000 Menschen an, erhält man pro Kopf und Jahr 12,3 kg Rind- (2013: 12,9 kg), 7,45 kg Schweine- (2013: 52,8 kg) und 4,65 kg Hammelfleisch (2013: 0,9 kg Schaf- und Ziegenfleisch); die Werte für 2013 gemäß dem Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie e.V. (http:// www.bvdf.de/in_zahlen/tab_05, letzter Zugriff 02.03.2015). 8 |  Die Rechtslage, welche Tierarten gejagt werden durften, war nicht in allen Adelsherrschaften gleich; so durften einzelne Adelsfamilien z.B. Wildschweine jagen. Auch konnten alte Märkergemeinschaften überliefertes Jagdrecht bewahrt haben. Vgl. G. Landau: Jagd und Falknerei, S. 110-114. Die Rechte geistlicher Institutionen waren (mit Ausnahme des

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fürstlicher Hochwildjagd, wie sie auch noch im 17. Jahrhundert in Hessen gebräuchlich waren, sind anschaulich am Grabmal Landgraf Philipps des Großmütigen und seiner Frau Christina in der Martinskirche in Kassel (um 1570) wiedergegeben,9 sodass wir zunächst ein wenig vor den gesetzten Zeitraum ausgreifen: Im Obergeschoss des Grabmals zeigt der obere Fries Szenen der Bären-, Hirsch- und Wildschweinjagd und erinnert damit an die Jagdleidenschaft des Landgrafen. Dargestellt ist jeweils die landgräfliche Jagdgesellschaft einschließlich des Fürsten, und der Einsatz der Jagdhunde ist ebenso schonungslos wiedergegeben, wie man die Schmerzen des Hirsches erahnen kann (Abb. 1).

Abb. 1: Adam Liquir und Werkstatt, um 1570: Kassel, Martinskirche, Grabmal für Landgraf Philipp den Großmütigen und Landgräfin Christina, Jagdfries, Hirschjagd (Ausschnitt), Alabaster (ca. 18 cm hoch). Die Jagd auf Hoch- und Niederwild erfüllte dabei gleich mehrere Funktionen:10 Zum einen wurde das Wildpret für die Hofspeisung benötigt und ggf. durch Einsalzen oder Räuchern haltbar gemacht.11 Zum anderen bot die Jagd eine gute Gelegenheit, Gäste standesgemäß und doch zwanglos zu empfangen und zu unterhalten; vor allem Hirsche und Wildschweine wurden bei Hecken- oder eingestellten Jagden den Schützen zugetrieben. Und die Rehgehörne und Hirschgeweihe verarbeitete man zu Wandschmuck, Kleiderhaken oder Lampen. In seinem Testament schrieb Philipp: Deutschen Ordens/Marburg) mit der Reformation an den Landesherrn übergegangen. Zur Jagd im kolonialen Afrika siehe den Beitrag von S. Zehnle in diesem Band. 9 |  Zum Grabmal und seinen Bildhauern immer noch grundlegend: W. Kramm: Hofbildhauerwerkstätten, S. 3-30. 10 |  U. Löwenstein: Höfisches Leben, S. 157. 11 |  Bei Bedarf wurde, wenn die Vorräte nicht ausreichten, frisches oder konserviertes Wildfleisch auch bei benachbarten Territorial- oder Jagdherren erbeten (ebd.).

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Christian Presche »Die Wildfuhr ist gut, daß sie unsere Söhne hegen, denn hätte Gott nicht sein Wildpret wollen haben, so hätte es seine Allmächtigkeit nicht in die Arche Nohe lassen nehmen. So ists auch gut, daß sich die Herren zu Zeiten verlustiren, die sonsten mit schweren Geschäften beladen sind. Die Herren vernehmen auch viel, wenn sie auf der Jagd und den Jagdhäusern sind, können auch dadurch ihre Gränzen selbst wissen, was ihrer ist, kann auch sonst mancher arme Mann vorkommen, der nicht sonst zugelassen wird.« 12

Die Jagd rechtfertigt er somit doppelt: Für die Tötung der Tiere beruft er sich darauf, dass Gott das Wild dem Menschen zur Verfügung gestellt habe; und dem kostpieligen, mitunter auch zeitraubenden fürstlichen Vergnügen wird ein ganz pragmatischer Nutzen zugesprochen, als Erkundung des Territoriums und Möglichkeit für die Untertanen, ortsnah vorzusprechen. Im Falle der Raubtierjagd kommt der Schutz der Untertanen und ihrer Nutztiere hinzu. Die Jagd auf Bären bot sich wegen ihrer Gefährlichkeit besonders zur Herrschaftsrepräsentation an – als Zeichen für Mut und Stärke der Jäger – und am Grabmal könnte sogar auf ein bestimmtes Jagdereignis Philipps Bezug genommen worden sein;13 das ebenfalls nicht ungefährliche Schwarzwild ist als Gegenstück dazu platziert. In der Herrschaftsrepräsentation der Barockzeit wurde die herkömmliche Jagd durch die Parforcejagd abgelöst: Das zu jagende Tier wurde von Jägern und Hunden durch das Gelände gehetzt. Der ursprünglich zentrale Aspekt einer Jagd, der Gewinn des Fleisches, trat dabei in den Hintergrund, denn der Hirsch war anschließend wegen des Stresses, dem er ausgesetzt wurde, meist nicht mehr genießbar.14 In Hessen-Kassel war die Parforcejagd seit 1722 ausschließlich dem Landgrafen vorbehalten, da der niedere Adel keine Parforce-Hunde halten durfte (»so die Wild-Bahne verösen«).15 Seit wann sie am Hof praktiziert wurde, ist allerdings unklar; zumindest war sie unter Wilhelm VIII. und unter Friedrich II. beliebt, neben der Falkenjagd (Reiherbeize) in Wabern.16 Typische Jagdsterne ließ aber

12 |  G. Landau: Jagd und Falknerei, S. 9. 13 |  Vgl. ebd., S. 210 (mit Hinweis auf zwei Epigramme des Euricius Cordus und auf eine Inschrift am Marburger Schloss: »Da noch regiert das Hessenland / Landgraf Philips, mit seiner Hand / Hat er einen Bären selbst gefällt, / Der edle Fürst und treue Held«.) 14 |  Vgl. E. Spickernagel: Fortgang, S. 16f., gemäß: Johann Heinrich Groß, Kurtzer Begriff der Edlen Jaegerey, 1733; demnach erhalte das Fleisch »einen sehr wilden und unangenehmen Geschmack«. Vgl. H.A. Pierer: Wörterbuch, Bd. 15 (1831), Artikel »Parforcejagd« (S. 656f.), S. 657: »das Fleisch von dem forcirten Wilde kann größtentheils nicht gegessen werden, und die Art, das Wild zu erlangen, ist unstreitig grausam!« 15 |  HLO III, S. 896. 16 |  Wilhelm VIII. (1682-1760) regierte ab 1730 als Statthalter für seinen Bruder Fried-

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erst Friedrich II. um 1770 anlegen: im Tiergarten bei der Sababurg17 und bei der Neuschaffung eines Tiergartens in Wilhelmsthal18; zugleich verhandelte man über den Erwerb französischer Pferde und Hunde,19 und für Weißenstein wurde 1780 über den Bau eines Parforce-Jagd-Gebäudes diskutiert 20. Im Gegensatz zu Landgraf Philipp äußerte sich Friedrich II. allerdings kritisch über die Jagd: »XXIII. Wehe den Ländern, wenn der Fürst eine zügellose Leidenschaft für die Jagd haben wird. Man hat gesagt, dass diese die Übung und die Erholung der Helden war. Sind sie also zum Unglück der Menschheit geboren? Wenn sie nicht ihr [eigenes] Geschlecht zerstören – muss es sein, dass sie die Felder heimsuchen oder dass sie darauf diese verwüstenden Horden unterhalten, die die Hoffnung des Bauern vor seinen Augen auffressen? XXIV. Einige Leute, die selbst nicht äußerst anspruchsvoll waren, haben in der Unterhaltung der Jäger eine ermüdende Fruchtlosigkeit gefunden oder einen Überfluss hohler Worte von noch eintönigerem Sinn. Die Jagd dürfte nur eine mäßige Übung sein. Ich würde dann die Parforce-Jagd vorziehen.« 21

Während die unblutige Reiherbeize gleich in einer ganzen Gemäldeserie für das Waberner Schloss verarbeitet wurde, sind (bekannte) Darstellungen hessischer Parforce-Jagden selten. Ein Gemälde des Hofmalers Johann Heinrich Tischbein d. Ä. zeigt eine solche Jagd in der Kasseler Carlsaue (Abb. 2). Auftraggeber war offenbar der Hof, und 1784 ist das Gemälde im Landgrafenschloss bezeugt – zusammen mit einem Bild der Waberner Reiherbeize.22

rich I., ab 1751 als Landgraf; Friedrich II. (1720-1785) regierte ab 1760. Zur Reiherbeize vgl. H. Retzlaff/E. Lutze: Fürstliches Jagen. 17 |  Zum Tiergarten an der Sababurg vgl. F. Glassl: Tiergarten; zur Anlage eines Jagdsterns ab 1776 für Parforcejagden vgl. ebd., S. 50f.; Bestandskatalog Architekturzeichnungen der MHK, Nr. 3.105.2.1. 18 |  Die Einrichtung des Tiergartens wurde 1769 beschlossen, vgl. F. Bleibaum: Wilhelmsthal, S. 37 und Tafel 7. 19 |  StA MR, Best. 4f., Staaten F, Frankreich, Nr. 1694. 20 |  StA MR, Best. 53f., Nr. 141. 21 |  Friedrich II.: Pensées (Übersetzung des französ. Originaltextes: Verf.). 22 |  Vgl. D. Heppe: Schloss, S. 234f. Beide Gemälde hingen 1784/86 im Erbprinzengemach, das erst 1783 eingerichtet worden war; ihr ursprünglicher Ort ist gegenwärtig unbekannt. Vgl. S. Causid: Verzeichniß, S. 241, Nr. 240f.; demnach hatten beide Gemälde auch dasselbe Format von 3‘6‘‘ x 4‘7‘‘ (ca. 110 x 143 cm). Vgl. J.F. Engelschall: Tischbein, S. 128, Nr. Ic,2 und 3; sonst listet er keine weiteren Jagdbilder Tischbeins auf. Zur Hirschhatz vgl. Ausst.-Kat. J.H. Tischbein d.Ä., Kat. 58.

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Abb. 2: Johann Heinrich Tischbein d. Ä.: Hirschhatz am großen Bassin in der Carlsaue, um 1770, Öl auf Leinwand, ca. 97 x 140 cm, Hessische Hausstiftung, Schloss Fasanerie. Das Motiv eines Hirsches, der sich in ein Gewässer flüchtet, ist häufiger in Jagdbildern jener Zeit zu finden. Zwei Beispiele sind etwa vom jagdbegeisterten Darmstädter Hof23 überliefert, aus der Mitte des 18. Jahrhunderts (Abb. 3)24 – doch welch ein Unterschied zum jüngeren Kasseler Gemälde Tischbeins: In

23 |  In Darmstadt regierte eine Seitenlinie des hessischen Fürstenhauses, nachdem diese (weit vom hessischen Kerngebiet entfernt gelegenen) Gebiete 1479 mit dem Erbe der Grafen von Katzenelnbogen an Hessen gefallen und mit der Erbteilung 1567 an den jüngsten Sohn Landgraf Philipps übergegangen waren. 24 |  Johann Tobias Sonntag: Hirschjagd im Großen Woog, Mitte des 18. Jh., vor 1749, Öl auf Leinwand, 71,4 x 125,4 cm; Georg Adam Eder: Hirschjagd am Kranichsteiner Teich, 1755, Öl auf Leinwand, 50,5 x 65,5 cm; jeweils Jagdschloss Kranichstein, vgl. LAGIS Hessen, Historische Ortsansichten, Nr. 565 (http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/ idrec/sn/oa/id/564) und Nr. 2353 (http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ oa/id/2353), Stand 16.03.2007 und 29.03.2007. Zum Gemälde Sonntags, von dem allein in Kranichstein drei weitere Fassungen in verschiedenen Formaten erhalten sind, vgl. R. Pons/R. Maaß: Sonntag, S. 64-69. Der Hirsch wird mit Stricken aus dem Wasser geführt.

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Darmstadt, wo die Parforcejagden sogar den Staatshaushalt in den Ruin trieben25, liegt der Fokus jeweils auf der jagenden Hofgesellschaft mit dem Landgrafen, wobei offenbar konkrete Ereignisse gezeigt sind – der Hirsch ist fast nur Beiwerk, die Umgebung Staffage.26 Tischbein dagegen gibt im Jagdgeschehen vor allem den Angriff der Hunde auf den Hirsch wieder – die Jagdgesellschaft ist noch nicht einmal vollzählig am Bassin eingetroffen – und zeigt den Hirsch als leidendes Wesen. Dieser Aspekt erinnert an das Philippsgrabmal, vor allem aber an jene bekannte Szene aus dem Parforcejagd-Zyklus des Malers Jean-Baptiste Oudry, die den Hirsch in einem Teich bei Compiègne zeigt (1736)27. Und im Gegensatz zu den Darmstädter Gemälden ist es bei Tischbein eher die Jagd, die zur Staffage wird und die Aue als fürstlichen Lustgarten charakterisiert.28 Unterstrichen wird dieser Aspekt durch auffallende Abweichungen von der realen Topographie: Das Schloss ist zu nah und (vom Betrachter aus) zu weit links dargestellt, und topographisch ist es zu hoch gelegen; das Bassin ist dafür stark verkürzt und auch die Stadt zu nah und im falschen Winkel wiedergegeben (Abb. 4). Das für den landgräflichen Hof bestimmte Gemälde ist somit ein räumlich komprimiertes Idealbild, das den Auegarten als Teil der Herrschaftsrepräsentation zeigt. Tatsächlich wäre das Schloss aus dieser Perspektive nicht zu sehen gewesen, und in einem Kupferstich der gleichen Ansicht wird dann auch darauf verzichtet (Abb. 5) – nun fehlen allerdings auch Hirsch und Jagdgesellschaft, und als Attribute des fürstlichen Gartens erscheinen stattdessen die landgräfliche Kutsche und mehrere Schwäne; in dieser verkäuflichen Ansicht, die sich besonders auch an Reisende richtete, steht der Aspekt des öffentlich zugänglichen Gartens im Vordergrund.

25 |  Vgl. G. Landau: Jagd und Falknerei, S. 19-23, vgl. S. 150-153; R. Pons/R. Maaß: Sonntag, S. 67-69. Zu weiteren Jagdbildern (v.a. Parforce- und eingestellte Jagden) vgl. ebd., S. 70-94. 26 |  Vgl. R. Pons/R. Maaß: Sonntag, S. 67: Demnach war die wirklichkeitsgetreue Abbildung seiner Jagderlebnisse ein besonderes Anliegen Ludwigs VIII., wobei der »recht triviale Wunsch, das (eigene) Leben festzuhalten und zu protokollieren«, sich mit einer »mangelnden künstlerischen Begabung der Darmstädter Hofmaler« traf. 27 |  Vgl. E. Spickernagel, Fortgang, S. 84-86. 28 |  Tischbeins zeitgenössischer Biograph J.F. Engelschall führt das Gemälde dementsprechend unter »Ansichten und Landschaften« auf, als »Eine Ansicht von der Karlsaue in der Gegend des Großen Bassins, worin ein Hirsch gefangen wird«; ebenso die Reiherbeize (J.F. Engelschall: Tischbein, S. 128, Nr. Ic,2 und 3).

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Abb. 3: Georg Adam Eder: Hirschjagd am Kranichsteiner Teich, 1755, Öl auf Leinwand, ca. 51 x 66 cm, Jagdmuseum Kranichstein.

Abb. 4: Auegarten und Schloss 1781, Stadtplan-Ausschnitt (Zeichnung: Friedrich Wilhelm Selig; Kupferstich: Gotthelf Wilhelm Weise). Links unten, außerhalb des sog. Hirschgrabens, ist der Tiergarten angeschnitten; er war relativ klein, ohne Schneisen und Jagdstern. Der Hirsch im Gemälde wurde offenbar nach rechts über die Brücke und direkt zum nahen Bassin getrieben, in dem er von den Hunden gestellt wurde.

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Abb. 5: Johann Heinrich Tischbein d. Ä.: das große Bassin in der Carlsaue, 1783, Kupferstich von Wolfgang Christoph von Mayr.

Vogelfang Eine bei Städtern und Dörflern weitverbreitete Form der Jagd war der Vogelfang – je nach Bedürfnis und Vogelart wurde für Küche oder Käfig gefangen. Die Durchsetzung des ursprünglichen Fangverbots scheint die hessische Regierung bereits im frühen 17. Jahrhundert als aussichtslos angesehen zu haben; so suchte man diese Form der Jagd zumindest in geregelte Bahnen zu lenken:29 Für den Fang kleiner Vögel wurden Genehmigungsscheine durch den Oberforst- und Jägermeister vergeben; im Gegenzug waren einige ›Klopp‹ (Bündel) Vögel an die landgräfliche Küche zu liefern. Unberechtigte wurden bestraft, Garn und erbeutete Vögel zudem eingezogen. Damals standen vor allem Speisevögel im Fokus der Behörden; im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde dieser auch auf Singvögel erweitert, die als ›Stubenvögel‹ in den Wohnungen endeten. Der Vogelfang wurde auch deshalb kritisch gesehen, weil er immer wieder als Deckmantel für Wilderei diente und auch sonst die Fasane und Gehege stören

29 |  HLO I, S. 663.

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konnte.30 Die Fangmethoden waren vielfältig, wie ein Edikt des damaligen Statthalters und späteren Landgrafen Wilhelm VIII. aus dem Jahr 1740 erkennen lässt: »VI. Eine Zeithero die leydige Erfahrung ergeben, wie an dem kleinen- und Feder-Wildpret mit Fallen, Garnen, Stricken, Netzen, Schlingen, Schleiffen, Sprenckeln, Selbstschußlegen, Aushebung der Vögel aus ihren Nestern oder Wegnehmung derer Eyer, bisweilen auch durch Vestmachung der darinnen sich befindenden jungen Vögel, damit sie die alten desto länger futtern, und andere dergleichen ohnerlaubte Inventionen, ein grosser Abbruch und Schaden geschehen […].« 31

Vor diesem Hintergrund erscheint das Jagdprivileg des Adels auch als ein althergebrachter Schutz vieler Tierarten vor unkontrollierter Ausrottung. Nicht weiter betrachtet sei an dieser Stelle das Plündern von Nestern durch Kinder und Erwachsene, um die Jungvögel zu Hause zur weiteren kulinarischen Verwendung (bzw. Zucht) oder zum bloßen Vergnügen aufzuziehen. Das Anbinden im Nest, wie es im Edikt von 1740 verurteilt wurde, zeigt die große Emotionslosigkeit gegenüber diesen Tieren. Tatsächlich waren gerade Vögel immer wieder mutwilligem Treiben ausgesetzt.

M ut wille /W illkür Spiel In Kassel veranstaltete der Hof 1715 eine ›Bauernhochzeit‹ auf der Rennbahn32 vor dem Schloss; der Kasseler Metzgermeister Nicolaus Gunkel hielt dazu in seiner Chronik fest: »A. 1715 [...] Im selben jahr den 24. Febriarij hat die herschafft eine bauren hochzeit angestelt, welche unvergleichlich zu sehen geweßen, der breidegam ist geweßen brintz Wilhelm. Die Braut freylein Halken. Haben auff der bahn nach drey gänßen gejagt, König ist worden der generahl Range, welcher der ersten den Kopf abgerißen.« 33

30 |  Vgl. HLO I, S. 663 (1624); HLO III, S. 110 (1679); HLO III, S. 893.896f. (1722). Von der Wilderei sei vor allem das Federwild (Feldhühner, Schnepfen etc.) betroffen gewesen. 31 |  HLO IV, S. 706; als Statthalter für seinen Bruder Friedrich I., König von Schweden. 32 |  Eine Freifläche vor dem Schloss, die um 1592/93 und 1605 zum Reit- und Turnierplatz ausgebaut worden war. Vgl. A. Holtmeyer: Cassel-Stadt, S. 307-309. 33 |  P. Losch: Chroniken, S. 6. »freylein Halken« dürfte die Tochter des Kasseler Regierungsrats bzw. Präsidenten Gustav Georg von Halcke sein; die »bahn« ist die Rennbahn vor dem Schloß (vgl. die vorige Anm.); »generahl Range« ist der Generalleutnant Conrad Freiherr von Rank/Rancke, seit 1713 Chef eines Infanterie-Regiments.

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Derlei Bräuche waren in den Niederlanden, aber auch in angrenzenden Landschaften weit verbreitet. Prinz Wilhelm (der spätere Landgraf Wilhelm VIII., *1682) dürfte sie aus eigenem Erleben gekannt haben, da er 1699 in die Heeresdienste der Generalstaaten getreten und 1712 zum Gouverneur von Breda ernannt worden war.34 Bei dem beschriebenen Ablauf handelt es sich vermutlich um das Gansziehen bzw. den Gansritt: Das lebende Tier wurde an einer hoch aufgespannten Leine befestigt, unter der die Mitspieler hindurchritten (oder auch mit dem Boot hindurchfuhren); Sieger war, wer der Gans als erster den Kopf abriss.35 Die Forschung vermutet, dass diese Quälspiele auf heidnische Rituale zurückgehen, die nach der Christianisierung zur sinnentlehrten Vergnügung herabsanken.36

Kindliche Grausamkeit/Zerstörungslust 1743 erließ Prinz Wilhelm (VIII.) eine Verordnung, die die Nutzung des landgräflichen Auegartens in Kassel regelte. Vorangestellt ist eine schonungslose Beschreibung der vorgefundenen Zustände: »Ob Wir schon bis hierhin gerne geschehen lassen, auch noch ferner nichts dargegen haben, sondern vielmehr gerne sehen, daß jedermann von der Promenade in Unserm grossen Aue-Garten profitiren möge; Nachdem Wir aber mißfällig wahrnehmen müssen, wie sich eine zeithero fast jedermann zu Wagen, Roß und Fuß, der Passage dadurch nach der Neuen Mühle und andern Orten bedienet, derogestalt daß sogar die Knechte ihrer Herren Pferde darin spatzieren reiten, wodurch nicht allein die Wege und Hecken verdorben und das kleine Wildpreth beunruhiget, sondern auch beym spatzieren fahren, reiten und gehen ausserhalb denen offenen und grossen Alléen derer Schwanen, Endten, Phasanen Berl-Feldhühner und anderer nutzbarer Vögel Nester verstöhret, auch wohl gar von denen bösen Buben und anderen ohnnützigem Gesindel die Eyer weggenommen und entzwey geworffen, oder die Junge ausgehoben, tod gemacht und verbracht worden, so können Wir diesem Unwesen länger nicht nachsehen […].« 37

Die Konsequenz waren Nutzungseinschränkungen, indem etwa einfache Soldaten und Handwerksburschen, Tagelöhner, Knechte und Mägde ohne ihre Herrn, erst recht »Jungens, Kinder oder andere liederliches Gesindel und Bettler« sowie Hunde nicht mehr eingelassen werden sollten; das Nutzen des Gartens als Abkürzung wurde untersagt und ansonsten für alle Besucher – besonders während 34 |  Zu Wilhelm (VIII.) vgl. W. von Both in W. von Both/H. Vogel: Wilhelm VIII., bes. S. 20-22, zu seiner Karriere in den Niederlanden. 35 |  Vgl. E. De Vroede: spielen; zum Gansritt S. 68f. Vgl auch J.M.J. van der Sluys, Historie. 36 |  Vgl. E. De Vroede: spielen, S. 73-77. Wiederholte Verbote des Ganswurfs, z.T. auch des Gansritts, seit dem 14. Jh. schadeten anscheinend nicht der Popularität (vgl. ebd., S. 66.68). 37 |  HLO IV, S. 842; als Statthalter für seinen Bruder Friedrich I., König von Schweden.

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der Hegezeit vom 1. März bis Ende August – auf die großen Alleen beschränkt. Aber auch 23 Jahre später waren die Missstände noch nicht endgültig abgestellt.38 Allerdings stehen hier die »nutzbaren« Vögel und mithin das menschliche Eigeninteresse im Mittelpunkt. Gleichwohl wird die Empörung über jenes »Unwesen« deutlich – ob dabei auch Mitgefühl mit den Tieren hineinspielt, ist anhand der wenigen Worte aber kaum zu entscheiden. Immerhin präsentierte Samuel Nahl bei der Ausstellung der Kasseler Kunstakademie 1778 eine Allegorie des Mitleids aus Gips: Ein Knabe beklagt den Tod eines Elternvogels und die Not der hilflosen und hungrigen Jungen; drei Jahre später hatte er sie in Marmor ausgearbeitet.39 Solches Bewusstsein 40 ist in Hessen in der Kunst aber erst im späten 18. Jahrhundert zu finden. Und die Realität war damals oft genug noch eine andere; so schreibt Ludwig Emil Grimm (*1790) in seinen Erinnerungen: »Auch warfen wir sehr gut, und kein Sperling war vor uns sicher; oft steckten wir uns ein Ziel, oder wenn wir irgendwo ein altes Fenster wußten, da blieb keine Scheibe ganz; Es muß doch eine Zerstörungslust in uns Menschen liegen!« 41

Beseitigung unliebsamer Tiere Eine auffallende Emotionslosigkeit finden wir mehrfach auch im Umgang mit eigenen oder streunenden Haustieren, besonders auf den Dörfern: So hatte ein Hundehalter in Wahlershausen 1794 seinen Hund schon nach etwas mehr als einem halben Jahr wieder erschießen lassen. 42 Und in einem Bericht über den Druselgraben, der Kassel vom 3,5 km entfernten Dorf Wahlershausen aus mit Wasser versorgte, wird 1816 erwähnt, dass ein Müller einen Hund im Bach totgeschlagen habe;43 im 19. Jahrhundert klagten auch die Anwohner des künstlichen Druselteichs in der Stadt wiederholt über ertränkte Hunde und Katzen, die im Becken trieben. 44 Diese Entsorgungsmethoden stehen im krassen Gegensatz zum liebevollen Umgang mancher Halter mit ihren Stuben-, Haus- und Jagdhunden, 38 |  Vgl. HLO VI, S. 388. 39 |  F. Bleibaum: Nahl, S. 165; Aust.-Kat. Künstlerfamilie Nahl, S. 22 mit Anm. 51. Photographie: Foto Marburg, Neg.-Nr. 71186. Gemäß Bleibaum geht die Gruppe auf eine französ. Arbeit zurück, die Nahls Vater Johann August d. Ä. während seines Parisaufenthalts 1731-33 in Handskizzen festgehalten hatte. 40 |  Vgl. auch J.H.W. Tischbein: Aus meinem Leben, Band 1, S. 30.36-38 – freilich unter der Voraussetzung, dass die Darstellung zuverlässig ist und nicht in erster Linie Tischbeins eigene spätere Ansichten wiedergibt. 41 |  A. Stoll: Erinnerungen, S. 69. 42 |  StA MR, Best. 5, Nr. 13724, f. 56v. 43 |  L. von Noël: Wasserversorgung, S. 16f. 44 |  O. H., in: Casseler Tageblatt 1895, Nr. 20 (zitiert nach A. Holtmeyer: Cassel-Stadt, S. 792, Anm. 4).

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der in Gräbern und Grabmälern gipfeln konnte. 45 Bemerkenswert ist auch, dass die Kasseler Metzgermeister Gunkel in ihrer Familienchronik aus dem 18. Jahrhundert zwar über Umbauten der Fleischschirne und über außergewöhnliche Preisentwicklungen der Hammel und Hammelfelle berichten, ihre Arbeitshunde hingegen mit keinem Wort erwähnen. 46 Aber auch zum Schutz eigener Nutztiere wurde getötet: So wurden entflogene landgräfliche Jagdfalken noch im frühen 17. Jahrhundert in Dörfern oftmals kurzerhand erschlagen, wenn sie auf Hühner oder andere Vögel herabstießen. Eine Verordnung aus dem Jahr 1629 beschrieb deshalb ausführlich das Einfangen der Greifvögel 47 – anscheinend erfolgreich, denn für lange Zeit wurde sie nicht wiederholt. 1765 machte man sich am Kasseler Hof zwar noch Gedanken darüber, dass einige Tiere erschossen wurden, beklagte aber hauptsächlich, dass die eingefangenen Falken gebunden zurückgebracht und deshalb auf lange Zeit »unbrauchbar« gemacht würden. 48

A nweisungen , Tiere zu töten Raubtiere, Feld- und Gartenschädlinge Für die Landwirtschaft galten vor allem einige Vogelarten als Schädlinge, da sie die Saat aufpickten; in einer Zeit, in der immer wieder Missernten und Nahrungsmittelknappheit zu fürchten waren, wurden sie daher als existenzielle Bedrohung angesehen – erst recht, wenn sie in ganzen Schwärmen auftraten. Deshalb waren in Hessen Spatzenköpfe, Kräheneier, örtlich auch Maulwürfe bei den Landgerichten bzw. später bei den Rügegerichten abzuliefern; so hatten Einwohner_innen des Kirchspiels Ditmold/Weißenstein beim Rügegericht je 24 Spatzenköpfe zu liefern. 49 Und 1752 wurden Abschussgelder für Krähen und Dohlen verhängt, wegen der Schäden, die sie auf den Feldern verursachten.50 Ebenso war die Gefährdung von Zuchttieren ein Bekämpfungsgrund: An den landgräflichen Fischteichen waren Otterfänger bestellt, zum Schutz besonders vor Ottern, Fischadlern und Reihern.51 Auch sonst durften die Fischereiberechtig45 |  Vgl. S. Winter: Freundschaft. 46 |  Vgl. P. Losch: Chroniken. Die Metzgerhunde (vgl. auch Anm. 67 und 80) wurden dazu eingesetzt, das Vieh zu treiben; für Kälber war dies in Hessen allerdings 1735 verboten worden: HLO IV, S. 270f.; vgl. ebd., S. 961f. (1747). 47 |  HLO II, S. 44f. 48 |  HLO VI, S. 294f. 49 |  Allgemein vgl. HLO IV, S. 613; zum Kirchspiel Ditmold vgl. P. Heidelbach: Wilhelmshöhe, S. 191. 50 |  HLO V, S. 45. 51 |  Vgl. HLO III, S. 547f. (1706); HLO VI, S. 890 (1777).

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ten die Fischotter fangen, die Jagdberechtigten sie schießen.52 In den fürstlichen Fasanerien halfen Fallen und Habichtfänge, das »Raubzeug« zu fangen bzw. auszutilgen und somit die Fasane, Pfaue, Perl-, Trut- und anderen Hühner sowie ihre Gelege zu schützen; geschlossene Umgrenzungen der Fasanerien (meist Dielenwände) sollten Raubsäuger von vornherein abhalten.53 Dass in den Gehegen und Wildbahnen »alles Raubzeug nach Möglichkeit vertilget«54 werde, war erklärtes Ziel. Im Zuge der Forstreform 1773 wurde allerdings zur Kostenersparnis beschlossen, die Zahl der Otterfänger und Heegeförster zu verringern.55 1766 veröffentlichte die Kriegs- und Domänenkammer eine Liste von Abschussprämien und mahnte besonders die Ablieferung von Sperlings- oder Rabenköpfen an56. Als Nachweis waren »Nasen und Fänge« vorzulegen. Im Jahre 1787 bekräftigte die Kammer die Liste, modifizierte zugleich aber einige Prämien.57 Gezahlt wurde nur für solche Tiere, die auch in den für den Fürsten verwalteten Jagdrevieren und ausschließlich durch die herrschaftlichen Forst- und Jagdbedienten erlegt waren. Betrachtet man das tatsächliche Nahrungsspektrum der bekämpften Tierarten, ergibt sich folgendes Bild: Tierart

Nahrung als mutmaßlicher Bekämpfungs­ grund

weitere Nahrung

Spatz

Saat (häufig durch größere Gruppen vertilgt) Insekten/Raupen

Krähe

Saat, Eicheln, Früchte, selten auch kleine Vögel

Mäuse, Insekten, Regenwürmer

Maulwurf

offenbar wegen der Maulwurfshügel

Regenwürmer, Insektenlarven

Fuchs

Wildgeflügel, Vogeleier, Hasen (aber hauptsächlich kranke oder tote)

Mäuse, Insekten

52 |  Vgl. auch HLO VIII, S. 21 (1801). 53 |  Vgl. StA MR, Best. 5, Nr. 12538, f. 9r und 9v zu den in Fasanarien gehaltenen Tieren, f. 11r zur »austilgung derer Raubthiere«. 54 |  Zitat aus HLO VI, S. 174, § V; ebenso HLO VI, S. 225, § XIV (jeweils 1765). Vgl. die Bestallungen der Landesoberförster 1732 und 1765 mit den Aufforderungen, den Raubtieren nachzustellen und (1765) sich um das Anlegen von Habichtfängen und das Anschaffen von Fallen zu kümmern. 55 |  StA MR, Best. 5, Nr. 14026, S. 4. 56 |  HLO VI, S. 347. 57 |  HLO VII, S. 209f. Weniger gezahlt wurde nun für den Balg eines jungen Fuchses, für einen Habicht, einen kleinen Raben, eine Dohle oder eine Elster, mehr dagegen für einen Wiesel; sowohl Bestandsveränderungen als auch Abschusszahlen sind dafür als Grund denkbar.

Vergnügung, Schut z und Ausrottung

Wildkatze

Kleinvögel, Kaninchen

v.a. Mäuse, auch Insekten, Eidechsen, Frösche

Iltis

Vögel, Eier, Fische

Mäuse/Nagetiere; v.a. Frösche und Kröten

Wiesel

Vögel, Eier, Junghasen

Nagetiere, v.a. Mäuse

Steinadler

Hasen, Wildgeflügel, Rehkitze, insges. kleine Säugetiere

Nagetiere

Uhu

Kaninchen, Hasen, Enten, Tauben, gelegentlich auch schwache Rehkitze

Ratten, Mäuse, Igel, andere Eulen

Habicht

Wildgeflügel, Kaninchen, junge Hasen, Tauben

Mäuse, andere Greifvögel und kleine Säuger

Weihe(n)

Singvögel, junge Wasservögel, junge Hasen und Kaninchen

Ratten, Mäuse, kleine Säuger

Sperber

kleine Vögel

Mäuse, Fledermäuse, Reptilien, Wirbellose

Kolkrabe

Vogeleier

kleine Wirbeltiere, Insekten, Regenwürmer

Rabe [Rabenkrähe]

Allesfresser, u.a. Saat, Vogeleier, kleine Vögel, Obst

Insekten

Dohle

Saat, Beeren

Insekten, Würmer

Elster

Saat, Eier, kleinere Vögel/Nestlinge

v.a. Mäuse und andere kleine Säugebzw. Wirbeltiere

Eulen

Fische

Mäuse, andere kleine Säugebzw. Wirbeltiere, Insekten

Wölfe waren damals bereits ausgerottet, im Reinhardswald z.B. seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. Tabelle 1 Die negativen Folgen dieser Bekämpfungen sind leicht vorstellbar, bedenkt man, dass viele dieser Tiere zugleich Fressfeinde von Mäusen, Insekten etc., also kleineren Feld- und Gartenschädlingen waren. In Bayern war daher bereits 1648 jegliche Fuchsjagd für das Folgejahr verboten worden, weil Füchse den Getreide-

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schaden durch Feldmäuse minderten.58 In Hessen hingegen empfahl man gegen Feldmäuse noch im Jahr 1804, Erdlöcher zu bohren und mit Wasser zu füllen, sodass die Nager darin umkommen sollten.59 In gleicher Weise besagten mehrere Verordnungen, dass Raupen von den Bäumen zu entfernen seien: 1711 und 1730 zum Schutz der Eicheln- und Buchenmast sowie der Gartenbäume60, 1739 wurde festgehalten, dass die Obstbäume im Winter und Frühjahr, bevor es warm wurde, von »Raupennestern« zu säubern waren61 (vermutlich Gespinstmotten betreffend), und 1784 und 1785 folgten erneute, in der Folgezeit noch mehrfach wiederholte Ermahnungen der Regierung und der Polizei-Kommission.62

Haustiere Einige Tiere entsprachen zwar der Kategorie der Feldschädlinge oder Raubtiere, waren aber dem Menschen auch nützlich; in diesen Fällen traten also Konflikte auf: Tauben waren für ihre meist mittellosen Züchter ein wichtiges Nahrungsmittel. Jedoch pickten sie die Saat auf, und ihr Schmutz führte zu Nachbarschaftsstreitigkeiten. Im 16. Jahrhundert war es daher wiederholt zu willkürlichen Tötungen von Tauben durch Bauern bzw. Nachbarn gekommen, sogar tätliche Übergriffe zwischen Taubenhaltern und -gegnern sollen sich ereignet haben. 1558 hatte Landgraf Philipp deshalb verfügt, dass die Tiere in der Saat- und Erntezeit fortan jeweils drei Wochen lang nicht ausfliegen durften. Zudem erhob er einen Taubenzehnten zugunsten des landgräf lichen Falkenmeisters, zur Abrichtung und zur Ernährung der Falken.63 Dieser Taubenzehnt wurde 1653, 1669 und 1698 bestätigt, und zugleich wurde den Falknern, Hof- und Jägerburschen das eigenmächtige Schießen und Fangen von Tauben untersagt – ebenso wie Übergriffe auf das übrige Federvieh der Untertanen.64 Neben der Tötung durch Menschen – zur eigenen Nahrung oder zur Bekämpfung – kommt hier also dazu, dass die Tauben zur Fütterung anderer Tiere dienten. Einen ähnlichen Konflikt gab es bei Hunden: Einerseits waren bestimmte Gebrauchshunde unentbehrlich, andererseits stellten freilaufende Hunde in den Jagdgebieten eine Gefahr für das Nieder- und Hochwild dar. Seit 1532 wurde des58 |  J. Nowosadtko: Ausbeutung und Tabu, S. 256. 59 |  HLO VIII, S. 207f. 60 |  HLO III, S. 667; HLO IV, S. 4. 61 |  HLO IV, S. 617. 62 |  HLO VI, S. 1151f.1184 (bes. die Gärten rings um Kassel betreffend). 63 |  HLO III, S. 492f.; jährlich wurde von je fünf Paar Tauben eine Taube für die Falknerei eingezogen. 64 |  HLO II, S. 167.644f.; HLO III, S. 490. Bemerkenswert ist auch eine Anweisung an die Untertanen aus dem Jahr 1765, die entflogenen Jagdfalken einzufangen, indem ihnen an langer Leine eine Taube oder ein Huhn lebend vorzuwerfen sei: HLO VI, S. 294f.

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halb wiederholt verfügt, dass ihnen lange Schleifknüppel an den Hals zu binden waren und dass sie in der Setzzeit zudem an der Leine geführt werden mussten.65 Im Winter waren Hunde seit 1679 in Wald und Feld ganz verboten.66 Tiere, die dennoch ohne Knüppel bzw. Leine oder zu unerlaubten Zeiten angetroffen wurden, waren – je nach Erlass – sofort zu erschlagen oder zu erschießen oder dem nächsten Wasenmeister zu übergeben, der sie erschlagen sollte. Die Besitzer waren zusätzlich zu bestrafen. Gleiches galt für unerlaubte Hunde – also jene Tiere, die nicht als Gebrauchshunde benötigt wurden. So waren seit 1624 nur Jagd-, Schäfer-, und Metzgerhunde sowie Stubenhunde zugelassen67, und als Wachhunde in den herrschaftlichen Mühlen dienten wohl vielfach fürstliche Jagdhunde.68 Alle »kleine undüchtige Ködder« in den Städten und Dörfern, Mühlen, Höfen etc., die weder zur Jagd noch zur Schweinehatz zu gebrauchen waren, waren sofort zu erschießen oder den Wasenmeistern zu übergeben, die sie zu erschlagen hatten.69 Zusätzlich zu den bisher gestatteten Hunden wurden 1722 auf ländlichen Höfen und in den Städten auch Wachhunde ausdrücklich zugelassen.70 Das Töten unerlaubter oder freilaufender Hunde war damals eine weitverbreitete Maßnahme. Als Grund wird in Hessen immer wieder der Schutz der Wildbahnen genannt (einschließlich des Nieder- und Federwilds). Nach der Mitte des 18. Jahrhunderts galt zudem ein generelles Hundeverbot rings um Kassel: 1743 hatte Statthalter Wilhelm bereits das Mitnehmen von Hunden in die Carlsaue verboten, zum Schutz der dort brütenden Vögel71, und 1768/69 wies die PolizeiKommission darauf hin, dass zum Schutz der Leibgehege und Fasanerien generell keine Hunde vor die Tore mitgenommen werden dürften.72 Bei Verstößen waren die Hunde jeweils sofort zu erschießen. Dennoch gelang es nicht, die zunehmende Hundehaltung in Städten und Dörfern einzudämmen; umso mehr trafen auch die Schießbefehle auf wachsenden Widerstand, und 1775 wurde das generelle Töten prügelloser Hunde gelockert; nur herrenlos angetroffene Tiere ohne herrschaftliches Zeichen sollten erschossen werden, die anderen waren nach Hause zu bringen. Diese Änderung hatte die 65 |  HLO I, S. 60; mehrfach erneuert, vgl. HLO I, S. 662, § 4 (1624); HLO II, S. 623 (1665); HLO III, S. 108f., § 5 (1679), jeweils auf die Schäferhunde bezogen. Vgl. zum Leinenzwang während der Setzzeit HLO III, S. 234 (1682); erneuert 1698 und 1721: HLO III, S. 419f.860. Vgl. auch HLO III, S. 896 (1722); HLO IV, S. 622 (1739). 66 |  HLO III, S. 109, § 7. 67 |  HLO I, S. 661-663 (1624); erneuert 1679: HLO III, S. 107-110. Die Stubenhunde waren die einzigen für Stadtbürger_innen erlaubten Hunde. 68 |  Zur Pflicht der Müller, fürstl. Jagdhunde zu versorgen, vgl. HLO IV, S. 77.79.250.463. 69 |  HLO I, S. 662, § 4 (1624); HLO III, S. 108f., § 5 (1679). 70 |  HLO III, S. 896 (1722). 71 |  HLO IV, S. 842, wiederholt in HLO VI, S. 388; vgl. HLO VII, S. 564. 72 |  Mit Datum vom 22. Sept. 1768, in: Casselische Policey- und Commercien-Zeitung vom 3. Okt. 1768, S. 370.

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Kriegs- und Domänenkammer angestoßen, da aus dem Schießbefehl »verschiedentlich und letzthin mit dem hiesigen Weinbergs Gärtner Manne mißfällige Irrungen entstanden« seien, die man verhüten wolle.73 Und seit 1785 galten nur noch Bußgelder.74 Im Kasseler Auegarten hingegen wurde das Hundeverbot mitsamt der Androhung, die Hunde zu erschießen, 1778, 1780 und 1786 bestätigt.75 Die mehrfachen Wiederholungen, aber auch mehrere Veränderungen der Erlasse machen deutlich, dass deren Umsetzung oftmals Schwierigkeiten bereitete; dies galt schon für die Durchsetzung des bloßen Knüppel- und Leinenzwangs. Das Journal von und für Deutschland sah 1786 die allgemeine Ursache darin, dass es zu viele Hunde und zu wenige Aufseher gebe.76 Erst recht begründeten Gefahren, die den Menschen selbst drohten, die Tötung von Hunden. Ein wichtiges Thema im 18. Jahrhundert war die Tollwut: Etliche Untersuchungen und Publikationen in Europa befassten sich mit der Vorbeugung und Bekämpfung dieser Krankheit, die bei Tieren und Menschen gleichermaßen zu einem grausamen Tod führt; zudem verursachte die Infizierung von Nutztieren wirtschaftliche Schäden. In Hessen erschien 1750 ein erster Tollwuterlass: Für die Dauer von sechs Wochen waren alle Hunde anzulegen, freilaufende zu erschießen; in Kassel sollten sogar alle Hunde vorsorglich durch den Schinder und seine Gehilfen erschlagen werden.77 Mit fortschreitender Erforschung der Krankheit wurde das Vorgehen differenzierter; so forderte die Kasseler Regierung 1775 die Untertanen auf, ihre Hunde genau zu beobachten – und bei den ersten Symptomen zu erschlagen; Symptome und Krankheitsverlauf waren gleich mitgeteilt.78 Die Tollwutgefahr dürfte auch für die Bekämpfung der Füchse und die (bereits erfolgte) Ausrottung der Wölfe nicht unwichtig gewesen sein. Allerdings fällt auf, dass Tollwutgesetze in anderen Territorien oder Städten schon im 17. Jahrhundert erlassen wurden – viel früher als in Hessen.79 Ein Grund dafür dürfte sein, dass hier die Hundehaltung insgesamt sehr stark reglementiert war; dementsprechend stammen die hessischen Tollwutgesetze erst aus einer Zeit, in 73 |  StA MR, Best. 5, Nr. 18800, Schreiben jener Kammer vom 31. Okt. 1775; vgl. I. Auerbach: Hund, S. 68. Über die »Irrungen« ist nichts festgehalten. Man wird annehmen dürfen, dass diese Änderung der Jagdordnung nicht erfolgt wäre, wenn das unterschiedslose Erschießen der Hunde nicht ohnehin als unangemessen und unzeitgemäß empfunden worden wäre. 74 |  HLO VI, S. 1209 (Bußgeldkatalog). 75 |  HLO VI, S. 907.1002; HLO VII, S. 79. 76 |  [Anonym]: Ueber die Policey-Verfügungen wegen der tollen Hunde, in: Journal von und für Deutschland, 3. Jg. (1786), 2. Teil, S. 388-397, hier S. 394. 77 |  HLO IV, S. 1062. 78 |  HLO VI, S. 820-824. 79 |  Vgl. W. Herborn: Hund und Katze, S. 409f.; demnach ergingen z.B. in Köln erste Ratserlasse wegen einzelner Tollwutfälle schon 1672 und 1684 und knüpften bereits an früheres Vorgehen an.

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der die Einschränkung der Hundehaltung in der Praxis immer weniger durchgesetzt werden konnte. Und mit einer wachsenden Anzahl gehaltener Tiere stieg auch das Ansteckungsrisiko. Aber auch die allgemeine Sicherheit und Ordnung in der Residenzstadt Kassel wurde von der Polizei-Kommission 1780 angeführt: »Nachdem seit einiger Zeit das Hundehalten in hiesiger Residenzstadt dergestalt überhand genommen, daß dadurch die Ruhe und öffentliche Sicherheit auf den Straßen gestöhret, […].« 80

Nur Metzgerhunde, berechtigte Jagdhunde und kleine Stubenhunde, die nicht auf die Straße kommen, seien erlaubt; alle anderen seien abzuschaffen oder würden vom Wasenmeister erschlagen. Und vier Jahre später wurde präzisiert, dass »[…] durch das nächtliche Herumlaufen der Hunde nicht allein die Sicherheit derer Straßen gestöret, sondern auch durch das heulen und bellen, kranke und ruhende Personen sehr belästiget werden.« 81

Hunde waren daher nachts im Haus zu behalten oder würden erschlagen. Auch danach wurden noch mehrfach entsprechende Bekanntmachungen veröffentlicht;82 dies spricht dafür, dass die Androhungen nur wenig Wirkung zeigten, wobei schwer zu überprüfen ist, wie weit sie tatsächlich auch umgesetzt wurden. Immerhin störten freilaufende Tiere nicht nur den örtlichen Frieden, sondern bargen durch Vernachlässigung, möglichen Kontakt zu Aas sowie ggf. durch Bissigkeit nach zeitgenössischem Verständnis vor allem auch ein erhöhtes Risiko, an Tollwut zu erkranken oder durch ihren Biss die Krankheit bei anderen hervorzurufen.

F a zit Verschiedene Motive des Tötens Insgesamt können aus den Quellen verschiedene Motive erschlossen werden: • Gewinnung von Fleisch und anderen tierischen Produkten (Jagd und Schlachtung) • Unterhaltung/Vergnügen und Herrschaftsrepräsentation (Jagd) • Spiel/Vergnügen/Zerstörungslust 80 |  HLO VI, S. 1014. 81 |  HLO VI, S. 1165. Dies galt auch tags oder nachts für frei herumlaufende läufige Hündinnen. 82 |  HLO VII, S. 46 (1786); ebd., S. 495 (1791); ebd., S. 701 (1796); ebd., S. 797 (1798); ebd., S. 825 (1799).

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• Beseitigung unerwünschter/lästig gewordener Tiere • Schutz der Wildbestände und Nutztiere vor dem Jagdtrieb der Raubtiere und Hunde, somit vor wirtschaftlichen Schäden • Schutz der Landwirtschaft vor Feld- und Baumschädlingen, somit vor wirtschaftlichen Schäden und Hungersnöten • Schutz der Kasseler Einwohner_innen vor Ruhestörung durch Gebell und Heulen • Schutz vor Tollwutgefahr • Schutz vor Ansteckung von Nutztieren, somit vor wirtschaftlichen Schäden der Untertanen. Im weiteren Sinne kommt die Verfütterung an andere Tiere hinzu. 83 Die hessischen Quellen stehen dabei weitgehend beispielhaft für die Situation in anderen deutschen Ländern. Unterschiede wie etwa im Zeitpunkt der ersten Tollwuterlasse sind vermutlich in anderen Rahmenbedingungen begründet. Bevorzugte Tötungsarten (ausgenommen Schlachtungen) waren Erschießen und Erschlagen; bei der Entsorgung unliebsamer Hunde und Katzen kommt außerdem das Ertränken hinzu; ein Sonderfall ist das Enthaupten von Gänsen bei einem Qualspiel nach niederländischen Vorbildern (›Bauernhochzeit‹ am Kasseler Hof).

Konflikte Die Einstufung in schützenswerte und schädliche Tiere war nicht zuletzt vom jeweiligen Standpunkt abhängig: Manche Tiere konnten zugleich ›nützlich‹ und ›schädlich‹ sein – in diesen Fällen wurde versucht, den Nutzwert zu behalten, aber den Schaden einzudämmen; Beispiele sind Hunde und Tauben. Auch konnte es zu unterschiedlichen Wertungen der Tiere durch Halter_innen und Tötende kommen; der Gegensatz zwischen dem fürstlichen Falkonierwesen (entflogene Falken) und Dorf bewohner_innen ist ein Beispiel dafür, ebenso die unterschiedlichen Bewertungen von Hunden durch Halter_innen und Obrigkeit.

Entwicklungen Innerhalb des betrachteten Zeitraums sind zunächst nur wenige, vereinzelte Entwicklungen festzustellen. So konnte im 17. Jahrhundert der Landbevölkerung erfolgreich vermittelt werden, entflogene Jagdfalken einzufangen und nicht zu töten. Außerdem erfolgte in der Barockzeit in der fürstlichen Jagd der Übergang von der traditionellen, zur Fleischgewinnung dienenden Jagd zur Parforcejagd (in Hessen mit einem Höhepunkt erst um 1770), bei der das Fleisch nicht verwertet werden konnte; Unterhaltung und Herrschaftsrepräsentation wurden zu den 83 |  Siehe dazu auch den Beitrag von W. Reinert in diesem Band.

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alleinigen Motiven. Im Übrigen wurden aber viele Verordnungen des frühen 17. Jahrhunderts auch noch 100 Jahre später fast wörtlich wiederholt. Größere Veränderungen, die auch breite gesellschaftliche Relevanz hatten, sind erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts fassbar. So schlug sich die zunehmende Verbreitung der Hundehaltung in mehrfacher Hinsicht nieder: Zum einen traf das bisherige Töten prügelloser bzw. freilaufender Hunde offenbar auf wachsenden Widerstand und wurde weitgehend aufgegeben; zum anderen kamen angesichts der steigenden Zahl an Hunden aber auch weitere Gründe für die Tötung einzelner Tiere hinzu – vor allem der Schutz vor Tollwut, aber auch vor nächtlicher Ruhestörung und anderen Belästigungen. Zugleich erreichten Ausrottungsversuche vermeintlicher Schädlinge (Raubtiere, Saatpicker etc.) einen Höhepunkt in der Mitte, bei Raupen (an Obstbäumen) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts; neu war dabei die umfassende Ausweitung auf vielfältige Bereiche und Tierarten, was jedoch das ökologische Gleichgewicht störte und Anordnungen für weitere Spezies nach sich zog. Insgesamt spiegeln die Motive und Arten, Tiere zu töten, eine große Bandbreite kulturgeschichtlicher Aspekte wider; zeitgenössischer Alltag schlägt sich darin ebenso nieder wie die Sicht verschiedener gesellschaftlicher Gruppen auf einzelne Tierarten. Die Tötung von Tieren erweist sich somit als ein wichtiger, in größeren Zusammenhängen zu betrachtender Gesichtspunkt in der Erforschung frühneuzeitlicher Tier-Mensch-Beziehungen.

Q uellen - und L iter aturverzeichnis Archivalische Quellen Hessisches Staatsarchiv Marburg Best. 4f, Staaten F, Frankreich, Nr. 1694. Best. 53f, Nr. 141. Best. 5, Hessischer Geheimer Rat, Nr. 12538, Nr. 13724, Nr. 14026, Nr. 18800.

Gedruckte Quellen und Literatur [Anonym]: Ueber die Policey-Verfügungen wegen der tollen Hunde, in: Journal von und für Deutschland, 3 Jg. (1786), 2. Teil, S. 388-397. Auerbach, Inge: Wer regiert? Der Hund den Menschen oder der Mensch den Hund? Beiträge zur Sozialgeschichte der Jagdhunde 16.-19. Jahrhundert (PACKoorespondenz NF 22 [82]), Lauf a.d. Pegnitz: Europaforum Verlag 2009. Bestandskatalog der Architekturzeichnungen des 17.-20. Jahrhunderts in der Graphischen Sammlung der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK), hg. von Michael Eissenhauer, bearb. von Gerd Fenner/Maren Christine Härtel/Ulri-

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Vergnügung, Schut z und Ausrottung

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Für Felle, Fleisch und Filme Die koloniale Jagd in Afrika und ihre Hierarchien des Tötens Stephanie Zehnle

Die Tötung von Tieren produziert und zeigt das hierarchische Verhältnis zwischen Menschen und jenen getöteten Lebewesen auf brachiale Weise. Der Akt der Tötung schafft vermeintlich Klarheit in der Frage der sozialen Ordnung und bedeutet somit ein Ende von Aushandlungsprozessen. Doch beinhaltet diese Ordnung und Zurschaustellung von Machtverhältnissen nicht nur die binäre Rollenverteilung in einen menschlichen Täter und ein sterbendes Tier. Gerade die Großwildjagd unter kolonialen Bedingungen kannte auch Zuschauer_innen, Jagdführer_innen und -helfer_innen, von denen sich die weißen Jäger_innen abzugrenzen versuchten.1 Jedoch blieb die europäisch-weiße Hegemonie prekär, weil ständig auf schwarzes Personal und lokale Übersetzer zurückgegriffen werden musste. Gerade bei der Jagd kulminierten diese Unschärfen der sozialen Abgrenzung, weil die lokale Bevölkerung zwar einerseits einen enormen Wissensvorsprung bezüglich der Aufenthaltsorte, des Verhaltens und der Gefahr, die von verwundeten Tieren ausgehen konnte, besaß, andererseits das legale Monopol der Tötung aber durch den geregelten Waffenbesitz und die administrativen Jagdzulassungen aufseiten der Kolonialherren verbleiben sollte.2 Zur Verteidigung dieser Vormachtstellung wurden Weidgerechtigkeit und Tierschutz als genuin 1 |  Weil Frauen nur sehr selten an diesen kolonialen Jagdunternehmungen direkt beteiligt waren und die in diesem Aufsatz behandelten Beispiele keine Beteiligung von Frauen erkennen lassen, wird auf die weibliche Sprachform verzichtet, sofern mit den Aussagen rein männliche Jagdgruppen beschrieben werden. Waren weiße Jägerinnen ebenfalls präsent, so wurde dies im Allgemeinen wiederum stark exotisiert und sollte daher die Großwildjagd als männlich-hegemoniale Praxis bestätigen (vgl. B. Gissibl: Tier). Wollten afrikanische Jagdhelfer ihre Frauen mit auf die Reise nehmen, wurde dies von den weißen Jagdleitern sogar meist untersagt. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Sphären durch die traditionelle Rolle von Leoparden in der männlichen Initiation in Westafrika siehe S. Zehnle: Leoparden. 2 |  Gissibl wies bereits darauf hin, dass die Reduktion der Jagdhelfer zu Dienern die

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westlich-zivilisatorische Errungenschaften in den verschriftlichten Legitimationsstrategien genannt. Während bislang verfasste Studien indes hauptsächlich die koloniale Jagdpolitik sowie die darin formulierten hegemonialen Perspektiven der weißen Jäger_innen in Bezug auf ihre Herkunftsgesellschaften des »Westens« untersuchten,3 soll dieser Text viel stärker die kolonialen Jagdpraktiken und den Tötungsakt selbst exemplarisch in den Blick nehmen. Dabei wird der Versuch unternommen, auch die Rolle der afrikanischen Jagdhelfer so intensiv zu untersuchen, wie die Quellenlage dies für die entsprechenden Fallbeispiele erlaubt. Berücksichtigt werden die Tötung und der Umgang mit dem erlegten Wild anhand verschiedener Medien der Repräsentation. Es wird nach der Rollen- und Aufgabenverteilung gefragt und daher erörtert, wie die Tiertötung tierlich-menschliche sowie menschlichmenschliche Beziehungen ordnet. Wenn Hierarchien zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten anhand der Jagd offengelegt und geschaffen werden, dann muss der Tötungsakt im Zentrum einer solchen jagdhistorischen Untersuchung stehen.

J agen und E rlegen Für eine solche Analyse soll zunächst erarbeitet werden, was der gewaltsame Akt der Tiertötung innerhalb der Jagd bedeutet. Tiertötungen waren und sind im Rahmen der Jagd außeralltägliche und mitunter aufwühlende Ereignisse, die unterschiedliche soziale Verarbeitungsmechanismen hervorbringen. Studien widmen sich aufgrund aktueller gesellschaftlicher Debatten entweder der »privaten« Gewalt gegen Tiere – auch verstanden als Tierquälerei – oder der institutionalisierten Gewalt gegen Tiere. 4 Diese Phänomene der modernen Nutztiertötung werden vor allem in der Nahrungsmittelindustrie vorgefunden: In einem entpersonalisierten, professionalisierten und standardisierten System werden Tiere industriell getötet und verarbeitet. Die genannte Tötungsform steht der Jagd geradezu konträr gegenüber, denn sie bezieht sich in der Regel auf das Jagen und Erlegen von Individuen oder sehr kleinen Gruppen, wird üblicherweise als Freizeitaktivität oder Sport – nur sehr selten als Beruf – betrachtet und in der Jagd ist es gerade das explizite Ziel, dass kein Tötungsakt dem anderen gleichen soll. Anders als im Falle der Tierquälerei ist die Gewalt bei der Jagd nicht das eigentliche Motiv. Bei der Jagd ist dem eigenen Selbstverständnis und den Regularien entsprechend das Leid des Tieres sogar zu verhindern. Eher besteht die Jagd komplexen Machtverhältnisse während einer Jagdexpedition kaum verbergen konnte. Vgl. B. Gissibl: Tier, S. 21. 3 |  Vgl. dazu U. Kirchberger: Imagined Spaces. 4 |  Obwohl Tiere durch ihre Körperlichkeit verletzungsoffen und physisch leidensfähig sind, wurden Tiere als Opfer in der soziologischen Gewaltforschung lange Zeit ignoriert. Siehe S. Buschka/J. Gutjahr/M. Sebastian: Gewalt.

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aus Verfolgen, Nachstellen, Warten, Beobachten und schließlich auch aus dem möglichst schnellen Töten.5 Doch auch dies trifft nicht alle Zwecke, die mit der Jagd verbunden sind. Es kann ebenso um Ressourcen oder Trophäen des tierlichen Körpers gehen – von der Nahrungsbeschaffung bis hin zum Hirschgeweih. Die Jagd besitzt also auch Anteile der institutionalisierten Gewalt an Tieren, da die Letztzwecke in beiden Fällen nicht nur in der Gewalt selbst begründet sind. Das eigentliche Wesen der Jagd kann also kaum festgehalten werden, zumal es sich dabei nicht nur um eine menschliche Tätigkeit handeln muss. Die menschliche Jagd auf Raubtiere stellt daher eine besondere Machtdemonstration dar, die in ihrer Inszenierung oft stark mit kriegerischen Metaphern ausgestattet wurde. Daher wird sich diese Studie hauptsächlich mit der Leopardenjagd beschäftigen. Obwohl die Tötung des Tieres bei der Jagd immer als möglicher – oder zumindest imaginiert oder subtil angedeuteter – Akt präsent ist, soll diese Tötung eben nicht von Anfang an wie in einem Skript des Geschehens feststehen. Es muss daher offen bleiben, ob oder wenn ja, welches Tier genau erlegt wird. Die Entwicklung und Geschichte der Jagd ist zeitlich und kulturell kaum zu überschauen. Die Jagd habe der Mensch kulturgeschichtlich zunächst zu Nahrungszwecken auf Wildtiere begonnen, wobei zuvor pflanzliche Produkte und Aas die menschliche Nahrung ausgemacht hätten. Es handele sich daher nicht um einen angeborenen Jagdinstinkt beim Menschen. Die Domestikation verschiedener Spezies bedeutete einen weiteren Einschnitt, da der Zugriff auf Tiere für die Nahrungsmittelproduktion auf Dauer sichergestellt werden konnte. Und trotz dieser langen Geschichte einer archaischen Form der Tiertötung wurde diese erstaunlicherweise bis in die Gegenwart hinein nie ganz durch andere Tötungsvarianten, Modernisierungs- oder Industrialisierungsprozesse ersetzt, sondern lediglich ergänzt. Obwohl die Jagd verschiedene Handlungen, Vor- und Nachbereitungen benötigt, ist die Tötung des Beutetiers dennoch »die häufigste und natürlichste Form«6. So beschreibt es der spanische Soziologe José Ortega y Gasset (1883–1955) in seinen berühmten Meditationen über die Jagd: »Der Jäger bewegt sich nicht nur hin und her, müht sich in Tal und Fels ab, hetzt seine Hunde, sondern letzten Endes tötet er. Der Jäger bringt den Tod.«7 Entgegen aller industrialisierten Tötungsmaschinerien solle der gute Jäger gerade nicht nüchtern und mit Kalkül töten, sondern bemerke »eine Unruhe im Gewissen angesichts des Todes, den er dem bezaubernden Tier bringt. Er hat keine letzte und gefestigte Sicherheit, daß sein Verhalten richtig ist. Aber, man verstehe dies richtig, er ist auch des Gegenteils nicht sicher. Er befindet sich in einer 5 |  Beim Sportfischen oder der Lebendjagd kann die Tötung des Tieres sogar ganz entfallen, wenn es nach erfolgtem Portrait-Photo wieder befreit wird oder die Zähmung oder Haltung in Gefangenschaft folgt. 6 |  J. Ortega y Gasset: Meditationen, S. 59. 7 |  Ebd.

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Stephanie Zehnle unklaren Situation, die er oftmals zu klären versucht hat, indem er über die Sache nachdachte, ohne jedoch jemals die gesamte Evidenz zu finden.« 8

Diese normative und ethische Unklarheit resultiere aus dem allgemein ambivalenten Verhältnis zwischen Menschen und Tieren. Hier spricht der Verfasser implizit kulturell verschiedene Verarbeitungsmechanismen jagender Gruppen oder Gesellschaften an, durch welche sich die Jäger ihres rechten und gerechten Handelns versichern. In den meisten Kulturen, welche die Jagd kennen, herrscht ein Moment moralischer Unsicherheit, sich als Mensch durch die Jagd selbst in den Kosmos des Tierlichen zu begeben, weshalb etwa in vielen afrikanischen Kontexten der Rückkehr der Jäger in die menschliche Gesellschaft, die Familie und die Dorfgemeinschaft eine zeremonielle Rückverwandlung vorausgehen musste. Der Aufenthalt in tierlichen Habitaten sowie der Gebrauch zumeist auch für Menschen tödlicher Waffen musste auf die Handlungen der Jagd beschränkt und reglementiert werden.9 Weil die Jäger Grenzgänger zwischen Natur und Kultur waren, wurden sie für die menschliche Gemeinschaft als potentielle Gefahrenquelle betrachtet.10 Häufig entsprachen diese Reinigungs- und Transformationsrituale jenen rückkehrender Krieger. Regionale Herrscher trugen die wertvollsten Produkte der Beutetiere, welche an sie abgegeben werden mussten, als Schmuck, um die Jäger trotz aller Selbstständigkeit und Ausstattung mit Waffen den Autoritäten der Siedlungen symbolisch zu unterwerfen.11 Aufgrund ähnlicher Gewaltund Tötungspraktiken, die sowohl der Jagd als auch dem Kriegsdienst zugrunde liegen, repräsentierte Jagd auch in der europäischen Geschichte immer »militärische Tüchtigkeit«12 und Herrschaft. So wurde insbesondere die Jagd auf jene Tiere, die als Gefahrenquellen für die menschliche Gemeinschaft deklariert worden waren, zu Chiffren »herrscherlicher Qualitäten«13, die sogar in ganz unterschiedlichen räumlichen oder zeitlichen Kulturen zum Ausdruck kam. Es sei der Tötungsakt, der die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier offensichtlich mache, weil darin der Mensch seine Übermacht bändige und in einer »religiöse[n] Demütigung [...] zum Tier hinabsteigt.«14 Diese Bändigung meint, dass der bzw. die menschliche Jäger_in einerseits auf das Kontrollpotential über das Leben domestizierter Tiere verzichtet und andererseits das tierliche Vorgehen in der Nahrungsbeschaffung wählt, das immer von Misserfolg gekennzeichnet sein kann. Auch wenn Jagdkulturen sich räumlich und zeitlich stark unterschei8 |  Ebd., S. 61. 9 |  Auch Ortega y Gasset deutet auf die Unreinheit hin, welche die jagdliche Tötung mit sich bringe: »Die Erde, die Blutspuren trägt, ist gleichsam verflucht.« Ebd., S. 63. 10 |  Vgl. S. Zehnle: Der Leopard spielt mit den Herrschern. 11 |  Siehe dazu etwa E.I. Steinhart: Poachers, S. 62. 12 |  W. Martini: Einleitung, S. 9. 13 |  Ebd. 14 |  J. Ortega y Gasset: Meditationen, S. 62.

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den, so können diese anthropologischen Feststellungen doch in sehr vielen afrikanischen Kulturen vorgefunden werden. Immer wieder hatten sich Intellektuelle daran versucht, den Mensch-Tier-Dualismus als »westliche« oder genuin »moderne« Weltanschauung zu entlarven.15 Allerdings gilt für die koloniale Jagd in Afrika, dass zumindest über die grundsätzliche Unterscheidung von Menschen und Tieren, Zivilisation und Wildnis zwischen europäischen Jägern und regionalen Jagdhelfern Einverständnis bestand. Trotz gewisser Übereinstimmungen, führten Jagdunternehmungen im kolonialen Afrika häufig zu Irritationen und Kollisionen kulturell verschiedener Vorstellungen von Tier, Mensch, Tod, Tötung und dem erforderlichen Umgang damit.

K oloniale J agd als interkulturelle T ätigkeit Da es im 20. Jahrhundert zu einem umfassenden Mentalitätswandel bezüglich der gesellschaftlichen Beurteilung der Jagd der Eliten gekommen ist, erscheinen adelige Großwildjagd-Safaris, wie jene des spanischen Königs Juan Carlos 2012 in Botswana, heute besonders anachronistisch. Auch zur Kolonialzeit um 1900 traten bei der Jagd soziale Asymmetrien zutage. Beispielsweise war die Jagd für viele afrikanische Gesellschaften zu dieser Zeit noch Bestandteil der Nahrungsmittelökonomie. Zudem waren regionale Jäger und Händler_innen auch in den Export von Fellen, Federn, Häuten und Stoßzähnen involviert. Allerdings ging die Bedeutung der indigenen Jagd durch Abschussverbote bzw. zahlungspflichtige Genehmigungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zurück.16 Für die meisten Gesellschaften Afrikas war die Jagd außerdem nur eine Nebentätigkeit, wohingegen die Rolle der Jagenden in Ursprungsmythen und Fabeln häufig überhöht wurde.17 Die Jagd ermöglichte unter Umständen schnelle Erfolge, also eine rasche Akkumulation von Ressourcen. Allerdings waren der personelle Aufwand und das Risiko von Verletzungen ungleich größer als bei der Viehzucht. Der Kolonialhistoriker Mackenzie vergleicht die indigene Jagd daher mit organisierten raids auf andere Dörfer.18 Und tatsächlich waren beide Tätigkeiten auch in historischen Prozessen eng verzahnt. So wurden auch in afrikanischen Gesellschaften 15 |  Der französische Anthropologe Philippe Descola hat unlängst ein monumentales Buch über eine Gesellschaft jenseits der Kultur-Natur-Dichotomie geschrieben und will dabei zeigen, dass der Kultur-Natur-Dualismus gesamtkulturell betrachtet eine Ausnahmeerscheinung ist. Vgl. P. Descola: Jenseits. 16 |  J.M. Mackenzie: Empire, S. 55. 17 |  Sie wurden als Pioniere und Staatsgründer beschrieben, die unbewohnte Gebiete vom Busch befreit hätten, die wilden Tiere darin erlegt und vertrieben hätten, um somit beispielsweise die Besiedlung durch Ackerbauern zu ermöglichen. Vgl. S. Zehnle: Geography. 18 |  J.M. Mackenzie: Empire, S. 56.

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veränderte Jagdpraktiken meist durch militärische und kriegstechnische Revolutionen ausgelöst – wie etwa die Einführung von Pferden oder Feuerwaffen. Zur Kolonialzeit wurden Tiere von ortsansässigen Jägern folglich zur Nahrungsbeschaffung, zum Handel oder aber zum Schutz der eigenen Siedlung, der Haustiere oder der Anbauflächen gejagt. Von Ostafrika ausgehend setzte sich erst im frühen 19. Jahrhundert der aus dem Arabischen stammende Swahili-Begriff »Safari« (dt. Reise) für koloniale Jagdreisen durch. Dieser Terminus bezeichnete regional zunächst den von Menschenkarawanen organisierten Handel zwischen ostafrikanischer Küste und dem Hinterland. Die professionalisierten Träger (porter) wurden häufig auch zu Begleitern der kolonialen Jagdgesellschaften.19 Um 1900 war die Geschwindigkeit der Jagdreisen in Afrika wegen der fehlenden Lasttiere gering, sodass größere Reisen oft mehrere Monate in Anspruch nahmen.20 Der Historiker Steinhart untersuchte vorrangig die 1930er Jahre als Hochphase der ostafrikanischen Safaris, als zum riesigen Jagdtross sogar bewaffnete Soldaten gehörten. Er spricht zwar von einer »deeply transcultural nature of safari work«21, arbeitet jedoch tatsächlich keine Perspektiven afrikanischer Jagdhelfer in seine Studie ein. Er begründet dies durch Hinweise auf fehlende Informationen dazu in den historischen Quellen. Jagdreisende berichteten kaum über die zahlreichen Afrikaner_innen, die als Träger, Jäger oder Köch_innen für sie arbeiteten. Steinhart kritisiert daher: »The Africans, like the terrain, are the backdrop for his exploits, valued only in terms of how they add to or detract from his hunting experience.«22 Er räumt zudem ein, dass diese fehlenden Stimmen afrikanischer Jagdbegleiter_innen in den Quellen in der Summe ein differenziertes Verständnis kolonialer Jagd verhinderten: »This is a silence in the sources that, when combined with the silencing of any African voices from among the safari workers, amounts to a significant distortion of an understanding and appreciation of the place of hunting in the colonial encounter.« 23

Was Steinhart als kaum mögliches Unterfangen beschreibt, soll in diesem Aufsatz indes versucht werden. Die Untersuchung der Hierarchien zwischen Jägern, Jagdhelfern und Wildtieren erfordert jedoch die Beschäftigung mit weniger glamourösen Jagenden. Es geht folglich um die historisch scheinbar unbedeutenden Jagd-Reisenden. Historische Quellen haben primär Kolonialbeamte hinterlassen, die sich jedoch nicht nachweislich für lokale Jagdpraktiken interessierten. Daher 19 |  E.I. Steinhart: Poachers, S. 113. Dass Ostafrikaner diesen Karawanen aber vor der Kolonialisierung vorgestanden hatten, wurde meist unterschlagen bzw. das Führungspersonal wurde – qua muslimischen Glauben – als Araber bezeichnet. 20 |  Ebd., S. 19. 21 |  Ebd., S. 125. 22 |  Ebd., S. 128. 23 |  Ebd., S. 114.

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sind die Schriften reisender Zoologen hier viel aufschlussreicher. Einer dieser Jäger war der Schweizer Biologe Dr. Walter Volz (1875-1907). Nach seinem ZoologieStudium in Basel gelangte er über enge Verbindungen dortiger Akademiker zu niederländischen Kolonialunternehmen 1906-1907 ins westafrikanische Liberia, wo er während eines Grenzscharmützels ums Leben kam. In dieser relativ kurzen Zeit schrieb Volz umfangreiche Tagebücher über Alltägliches, Begegnungen und die Tierwelt. Außerdem präparierte er viele Tiere und schickte sie in die Schweiz, wo heute jene Bücher sowie seine zoologische Sammlung auf bewahrt werden. Anders als in den wissenschaftlichen Publikationen widmete er sich in seinen Tagebucheinträgen auch den lokalen Jagdpraktiken. Volz verstand sich zwar selbst als Experte für die westafrikanische Tierwelt, war jedoch ständig von Reise- und Jagdführern begleitet, die – und das war oft typisch für diesen Beruf – Muslime waren. Denn Kenner von Reiserouten wurden häufig aus dem Spektrum von Handelsreisenden rekrutiert, die sich in der gesamten Sahara- und Sahelregion Afrikas meist als Muslime verstanden. Doch waren auch diese Reiseleiter in der Regel keine ausgewiesenen Fachleute für die regionale Zoologie, da sich Muslime üblicherweise nicht mit der Jagd beschäftigten und spirituelle Beziehungen zu Wildtieren eher ablehnten.24 Volz bemerkte und bedauerte das fehlende Wissen der muslimischen Jagdhelfer über lokale Jagdkulturen: »Es ist schade, dass kein gut erzogener und englisch sprechender Mendi [Nicht-Muslim] bei uns ist. Man hätte so vieles zu fragen, was man unterwegs trifft und dessen Sinn die begleitenden Mohammedaner kaum kennen. So war z.B. an einer andern Stelle ebenfalls ein ringsum geschlossenes niedriges Häuschen, in welchem ein paar Rinderschädel lagen [...]. Anderwärts traf ich Leopardenfallen, deren Einrichtung mich interessiert hätte.« 25

Leoparden wurden von lokalen Jägern stets durch Fallen gejagt, deren Auf bau Volz immer wieder zu verstehen versuchte. Als solitäre Jäger sind Leoparden in Waldgebieten nur schwer aufzufinden, sodass schließlich auch der mit Gewehren ausgestattete Zoologe auf lokale Informant_innen in einzelnen Dörfern angewiesen war. Er hörte sich besonders danach um, wo Leoparden Nutztiere getötet hatten, um in der Nähe auf ihr erneutes Erscheinen zu warten. Volz notierte dazu in einer Siedlung:

24 |  Im Islam ist die Beurteilung von Jagd und der Verzehr von Wild besonders ambivalent. Muslimische Jagdhelfer äußerten sich daher oft abschätzig über nicht-muslimische Westafrikaner, die Wildtiere jagten. Diese Jäger wurden gegenüber den zahlenden Gästen aus Europa selbst als tiernah und »unzivilisiert« dargestellt, wodurch wiederum das Bild der indigenen Jagd bei kolonialen Repräsentanten entscheidend geprägt wurde. Vgl. S. Zehnle: War. 25 |  Burgerbibliothek Bern, Msshh XXIV 136.1, Eintrag vom 2. Dezember 1906.

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Stephanie Zehnle »Im Laufe des Nachmittags brachte ein Mann eine tote Ziege ins Dorf, welche eben von einem Leoparden geschlagen worden war. Da es aber zu stark regnete, auch der Platz zu weit entfernt war, verzichtete ich darauf, auf den Anstand zu gehen.« 26

Der reisende Zoologe schaffte es durch diese Taktik allerdings nicht, einen Leoparden zu finden, und beschäftigte sich daher wieder intensiv mit den lokal gebauten Fallen. Diese wurden um Siedlungen herum zum Schutz der Nutztiere errichtet.27 In einem Dorf durfte Volz die Konstruktion der Falle schließlich genauer betrachten: »Auf einem dieser Hügel war der Weg durch eine Leopardenfalle gesperrt. Er war beidseitig durch dicht aneinander gereihte, fest in den Boden gesteckte Palmblätter derartig abgeschlossen, dass diese eine eigentliche Wand bildeten. Die beiden Wände gingen beidseitig reusenartig auseinander und verengerten sich gegen die Mitte zu, sodass dort nur ein etwa 40 Zentimeter breiter Durchgang blieb. Dieser hatte eine Länge von ungefähr drei Meter und etwa zwei Meter über dem Boden befand sich ein in der Längsrichtung aufgehängter Baumstamm, der noch mit Steinen beschwert war.« 28

Obwohl der Schweizer selbst nicht damit arbeitete, so wartete er doch darauf, dass die aufgestellten Fallen ihm irgendwann das erhoffte Jagdglück bescheren würden. Und tatsächlich wurde er eines Morgens über einen gefangenen Leoparden informiert: »In der Frühe wurde ich von meinen Leuten gerufen, es hätte sich in der Nachbarschaft ein Leopard in einer Falle gefangen. Ich machte mich auf den Weg, tötete mit einigen Schüssen das wütende Tier, dessen Hinterteil, wie es sich herausstellte, derart eingeklemmt war, dass es sich nicht hatte losmachen können.« 29

Völlig natürlich ging der koloniale Jäger davon aus, dass er als europäischer Reisender mit einer Schusswaffe den bedeutenden Tötungsakt des Leoparden vornimmt, der dieser Beschreibung nach durch die Gefangenschaft in Panik versetzt worden war. Dieser Tagebucheintrag von Volz zeigt, dass ihm der chief des Dorfes für diese glorreiche Tat öffentlich dankte und ihn überdies beschenken wollte: »Obwohl ich kaum ein Verdienst an der Sache hatte, dankte mir der Häuptling in warmen Worten für meine Tat und fragte, wie er sich mir erkenntlich zeigen könne. Ich wünschte entweder das Fell oder den Schädel zu haben. Fabanna [chief] sagte mir das erstere zu.

26 |  Ebd., Eintrag vom 6. Dezember 1906. 27 |  Ebd., Eintrag vom 15. Dezember 1906. 28 |  Ebd., Eintrag vom 6. Januar 1907. 29 |  Ebd., Eintrag vom 8. Januar 1907.

Für Felle, Fleisch und Filme Den Schädel wollte er unter keinen Umständen ablassen, da die Eckzähne als grosse Amulette ausserordentlich geschätzt sind.« 30

Die Leopardentötung setzte außerdem ein großes Fest sowie einen diplomatischen Austausch in Gang, der vor allem die Errichter der Falle und weniger den Erschießer des Tieres betraf. Im Verständnis der lokalen Bevölkerung war folglich nicht das Töten die eigentlich heldenhafte Tat, sondern das Aufspüren oder Einsperren der Großkatze, die als Bedrohung der Dorfgemeinschaft wahrgenommen wurde. Daher war der Aufbau der Falle ein Geheimnis weniger Eingeweihter und konnte von Volz nur gegen Zahlung von ›Geschenken‹ in Erfahrung gebracht werden: »Hierauf wurde mit viel Mühe die Falle wieder in Stand gesetzt. Man hob erst den Baumstamm wieder an seinen Platz, befestigte ihn dort mit Schlingpflanzen, legte die Steine darauf, und als nun die eigentliche Einrichtung, welche die Falle löst, eingerichtet werden sollte, mussten die meisten Leute weggehen, weil dies ein Geheimnis weniger ist. Einer der Söhne Fabannas [chief], ein grosser, schöner und starker Mensch, leitete die ganze Sache, und er war es auch, welcher die Schnellvorrichtung befestigte. Ich durfte zusehen, nachdem ich ein Geschenk versprochen hatte.« 31

Und obwohl Volz der Fallentechnik auch selbst große Bedeutung beimaß, beschrieb er die zeremonielle Feier eines Eingeweihten durch den chief doch nur mit spöttischem Unterton.32 Volz häutete den Leoparden schließlich selbst, wobei die Menschen um das Fleisch baten. Häufig folgten afrikanische Jäger andernorts sogar gezielt den Jagdsafari-Tourist_innen, um von kolonialen Jäger_innen erlegte oder angeschossene Tiere zu erbeuten.33 Im Falle bestimmter Trophäen (etwa Stoßzähne oder Hörner) war das Fleisch für koloniale Jäger_innen zudem wertlos und andererseits für lokale Gesellschaften eine relativ gefahrlos erreichbare Quelle von Wildfleisch. Dass das Stellen von Fallen für die Leopardenjagd ein effektives Vorgehen der Dorf bevölkerung darstellte, kommentierte der koloniale Jagdreisende nicht. Schließlich wurden dadurch gerade jene Leoparden erlegt, die sich besonders nahe an menschliche Siedlungen heranwagten. Einige Jahre später äußerten sich koloniale Jäger dann deutlich kritisch über das Fallenstellen der afrikanischen Kolonialbevölkerung. Das Argument war, dass im Vergleich mit der kolonialen Jagd mit Gewehren durch Fallen wesentlich mehr, viel grausamer und geschlechts- und altersunabhängig Tiere getötet wurden.34 Steinhart fasst hierzu pointiert zusammen: 30 |  Ebd. 31 |  Ebd. 32 |  Ebd. 33 |  J.M. Mackenzie: Empire, S. 57. 34 |  Zum Zusammenhang von Geschlecht und Tiertötung im alttestamentlichen Opfer siehe den Beitrag von I. Müllner in diesem Band.

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Stephanie Zehnle »There was a tendency in the colonial period to blame Africans for the destruction of nature on their continent. [...] Thus African hunting methods which used snares and traps were condemned as wasteful.« 35

Im hier geschilderten Beispiel war die Tötung des Leoparden ein Zusammenspiel verschiedener Akteure und Kulturtechniken. Eine besondere Gruppe von Männern aus diesem Dorf war für das Aufstellen der komplexen Leopardenfallen zuständig. Die Tötung oblag eigentlich den militärischen Anführern durch Speere, deren Aufgabe hier sehr symbolisch vom europäischen Zoologen übernommen wurde. Nur durch seine muslimischen Reiseführer konnte Volz überhaupt von einem gefangenen Leoparden erfahren und ihn schließlich mit seinem Gewehr töten, wodurch Feierlichkeiten und Diskussionen um Belohnungen und die weitere Verwertung des Tierkörpers in Gang gesetzt wurden. Die Tiertötung in der kolonialen Jagd war folglich ein interkulturelles Zusammenspiel, in dem Rollen und Aufgaben ausgehandelt wurden und Missverständnisse sowie Unverständnis besonders oft auftraten. Schließlich war gerade bezüglich der Wildtiere zu klären, wem das Tier gehört und wie die Tötung ablaufen durfte. Für den chief war beispielsweise nicht klar, welches Interesse der koloniale Jäger am Kadaver besaß und ebenso überrascht war Volz über die lokale Nachfrage nach Leopardenfleisch. Als Zoologe war er zu seiner Zeit nicht etwa der später entstehenden Tierverhaltensforschung, sondern der Präparation toter Tierkörper verpflichtet. Für diese Felle musste er folglich zum Jäger werden.

T öten für F elle und F leisch Viele koloniale Jäger legitimierten ihre Tätigkeit wissenschaftlich durch die Zusammenstellung zoologischer Sammlungen, in deren Auftrag sie entweder in die Kolonien geschickt wurden oder welche sie als externe Spender oder Händler zu vervollständigen gedachten. Um 1900 bedeutete diese Zoologie des Sammelns in der Regel das Töten der Tiere: »Classification meant killing, and the collection of specimens for scholarly examination and the public display involved killing on a large scale.«36 Auch Volz ließ hunderte von Tieren von Westafrika nach Europa transportieren, die er entweder selbst getötet oder von lokalen Jägern gekauft hatte. Nach einigen Wochen erhielt er fast täglich Kadaver als Angebote, von denen ihn die meisten nicht interessierten. Viele Verkäufer_innen boten ihm immer wieder die gleichen Gattungen an, da sie seine Systematik der Sammlung mit nur einzelnen Repräsentanten einer Art nicht antizipierten. Sammler, Forscher und Jäger übermittelten üblicherweise zoographische und ethnographische Objekte an verschiedene oder gar die gleiche Institution: »The classification of zoological 35 |  E.I. Steinhart: Poachers, S. 70. 36 |  J.M. Mackenzie: Empire, S. 36.

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exotica helped to define the ethnic exotica to which they were related.«37 Walter Volz wollte die Leopardenfelle für zoologische Sammlungen in Europa beschaffen, da er sich in diesen Wissenschaftsnetzwerken im Gegenzug Reputation erhoffte. Doch neben diesen akademisch orientierten Jägern etablierten sich gleichzeitig auch primär kommerzielle Netzwerke des Tierhandels im kolonialen Afrika. Die Expeditionen Hagenbecks sind besonders bekannte Beispiele für diese Professionalisierung des globalen Wildtierhandels.38 Adam David (1872-1959), der wie Volz aus der Nicht-Kolonialmacht Schweiz kam, ist ein weniger populäres Beispiel. Um ein Berufsjäger und Tierfänger in Afrika zu werden, habe ihm seine militärische Ausbildung geholfen: »Was ich im Militär gelernt hatte, konnte ich in Afrika auch brauchen«39, so erklärte er 1945 in einem Radiointerview. Der edukative Zusammenhang von Jagd und Krieg wird von ihm also auch biographisch erläutert. Tatsächlich gelangte er über seinen in Ägypten tätigen Bruder erstmals nach Afrika und wurde später zum bedeutenden Tierhändler, der unter anderem den Basler Zoo mit Tieren versorgte. Von Ägypten aus war er außerdem selbst als »Jagd- und Reiseleiter« im Auftrag eines Reisebüros tätig und leitete Jagdexpeditionen für wohlhabende Kunden. 40 Dabei war er wiederum immer auf lokale Reiseleiter angewiesen. Im Radiointerview erhob er einen Anspruch auf Individualismus und beschrieb sein Leben im Basler Dialekt mit den Worten »Das kann man nicht nachmachen.« 41 Er charakterisierte sich hier auf Basis seiner Jagdreisen als einzelner Abenteurer, der er freilich nicht war. Die Zusammenarbeit mit europäischen Zoos war nur ein Erwerbszweig, denn er war primär an den Fellen der Tiere interessiert: »Diese Tiere [...] wollten wir jagen und sammeln und deren Häute und Bälge präparieren, um sie nachher zu Hause unsern Schulsammlungen und Museen zum Ausstopfen zu übergeben.« 42 Von Ägypten aus segelte David zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit sechs Begleitern auf dem Nil stromaufwärts. Allein um diese Crew mit einer täglichen Fleischbeilage zu versorgen, wurden ständig Gazellen und andere Tiere getötet. 43 Diese interkulturellen Jagdgemeinschaften waren immer auch Essgemeinschaften. Dabei kritisierte der Jagdleiter, dass die muslimische Crew des Schiffes auch erschossene Vögel aß, die nicht geschächtet seien. Diese entgegneten ihm, bei der Jagd habe der Prophet Mohammed bereits eine Ausnahme gemacht. 44 Während größere Tiere von David selbst erlegt wurden, schlug er seinem europäischen Be37 |  Ebd., S. 37. 38 |  Vgl. N. Rothfels: Savages. 39 |  A. David: Dr. David. 40 |  A. David: Reisen, S. 103.136. 41 |  A. David: Dr. David. 42 |  A. David: Reisen, S. 11. 43 |  Ebd., S. 23. 44 |  Ebd., S. 42.

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gleiter, der vornehmlich kleinere Tiere und Fische für das Basler Museum sammeln wollte, vor, das Töten und Sammeln der weniger prestigeträchtigen Tierarten doch besser indigenen Jugendlichen zu überlassen: »Wir machen das so, daß wir in jedem Eingeborenendorf den Buben je ein solches Reagensgläschen übergeben, mit der Anweisung, alles, was da fleucht und kreucht, zu sammeln und hineinzustopfen – du wirst sehen, daß du in kürzester Zeit deine Kisten voll von Würmern, Käfern, Krebsen, Tausendfüßlern, Skorpionen, Schlangen und so weiter hast.« 45

Die Tötungshierarchie sollte folglich koloniale und rassistische Hierarchien bestärken. Allerdings misslang dieser Plan, weil die Kinder fast ausschließlich Ameisen sammelten und – ähnlich wie bei Volz – den Diversitätsanspruch der Sammler nicht verstehen konnten. 46 Adam David verstand sich selbst gleichzeitig als »Jäger und Naturforscher« 47, wobei er sich stärker als Volz mit der Ethik der Jagd und der Frage nach dem moralisch richtigen Töten von Tieren beschäftigte und sich primär als Jäger bzw. »Afrikajäger« 48 definierte. Einerseits bewunderte David die Jagdtechniken der »Naturmenschen«, die er als viel tapferer betrachtete, weil die Jäger mit Speeren bewaffnet ihren Beutetieren sehr viel näher kommen und viel riskieren müssten:49 »Nebenbei gesagt [...] war ich schon bei Völkerstämmen, die, nur mit Speeren bewaffnet, direkt auf die Büffel losgehen. Das ist Tapferkeit. Hut ab vor solchen Menschen! Aber mit unseren modernen Waffen dem Wild gegenübertreten, und wenn es auch das gefährlichste ist, dazu braucht es wahrhaftig keinen Mut.« 50

An anderer Stelle vergleicht er die »Naturvölker« sogar mit erfahrenen Gemsjägern in Graubünden.51 Andererseits hob er auch die lange Dauer und den Leidenskampf der Tiere bei dieser Jagdform hervor. Bei der indigenen Flusspferdjagd ziehe sich die Tötung durch Harpunen über Stunden hin, sodass sich das gesamte Wasser während des Todeskampfes rot färbe.52 Die kolonialen Jäger_innen trafen meist auf relativ fremde Tötungspraktiken, denen üblicherweise das Fangen durch Fallgruben oder Schlingen vorausging. Erst im gefangenen Zustand kamen Speere zum Einsatz. Die Fallgruben waren häufig auch mit Spießen ausgestattet, um die Tiere beim Fall schon zu verletzen und an der Flucht zu hindern. Wie 45 |  Ebd., S. 25. 46 |  Vgl. ebd., S. 49. 47 |  Ebd., S. 37. 48 |  Ebd., S. 134. 49 |  Ebd., S. 54. 50 |  Ebd., S. 135. 51 |  Ebd., S. 165. 52 |  Ebd., S. 51.

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viele dieser Jagdreisenden verurteilte David diese indigenen Tötungspraktiken als »perfide Einrichtung!« und verglich sie mit den Jagd- und Tötungsmethoden der »Höhlenbewohner« in der europäischen Frühgeschichte.53 David befürwortete auch den Schutz der Alpensteinböcke im Nationalpark der italienischen Alpen und verfasste – wohl unter dem Eindruck des allgemein sich durchsetzenden Naturschutzgedankens – ein separates Kapitel über »Naturschutz und Jagd«.54 Dennoch nannte er die zerstörerischen Aktivitäten von Elefanten in Afrika als Beispiele für die Folgen übertriebenen Naturschutzes in den Kolonien.55 Immer wieder verglich David dabei die afrikanische Fauna seiner Gegenwart mit der ›heimatlichen‹ Prähistorie und stellte mit Verwunderung fest, dass man in Afrika noch jene Tiere töten konnte (etwa Krokodile), die es auch im Europa der Jurazeit gegeben habe.56 So wurde der Abschuss von Elefanten, Löwen und anderen Tieren als Beseitigung von Schädlingen gerechtfertigt, die eine Gefahr für die afrikanische Bevölkerung darstellten. Durch diese Argumentation inszenierten sich koloniale Jäger als Befreier der Afrikaner. Gerade Elefanten zerstörten regelmäßig die Felder der Bauern57 und in Ostafrika sei Adam David sogar von der Dorf bevölkerung dazu gedrängt worden, einen Löwen für sie zu töten: »Ich wäre in den Augen der Leute ein Angsthase gewesen, und einen solchen achten Naturvölker nicht.«58 Die Tötung sei quasi eine Anweisung der Anwohner_innen gewesen und so erschoss er in einem nahen Wald einen männlichen Löwen beim Verspeisen einer Antilope, wofür er angeblich frenetisch vom Dorf gefeiert wurde: »Ich kam mir vor wie mein Namensvetter, ›der König David‹, der ja auch unter Zimbelschlag und Harfenklang in Jerusalem einzog, als er das Land von den Philistern befreit hatte. Ich hatte zwar nur ein armes Dörflein von einem Löwen befreit.« 59

David briet sich aus den Backen des Löwen Steaks und das übrige Fleisch kochten die Dorf bewohner. Er war wie viele Zeitgenossen auch auf der Jagd nach Elfenbein. Und gerade wegen dieser intensiven Bejagung suchten die Elefanten in der Nilregion nur noch nachts den Fluss auf.60 Aufgrund der Sichtverhältnisse wurden sie dann oft nur angeschossen und erst bei Tageslicht erschöpft und verletzt aufgespürt und schließlich getötet. Der Berufsjäger David beschreibt in seinen Büchern wie Ortega y Gasset eine gewisse Erregtheit vor dem Abschuss des Ele53 |  Ebd., S. 119-121. 54 |  Ebd., S. 210. 55 |  Ebd., S. 217. 56 |  Ebd., S. 29. 57 |  Ebd., S. 93. 58 |  Ebd., S. 88. 59 |  Ebd., S. 90. 60 |  Ebd., S. 78.

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fanten angesichts des imposanten Tieres. David zählte daher bis zehn, um sich zum gezielten Schuss zu beruhigen. Das Tier taumelte und fiel. Dieser Anblick des Tieres löste in ihm angeblich sogar Gefühle der Reue aus.61 Dennoch schoss er diese großen Säugetiere immer wieder an. Für ein Nürnberger Museum habe er außerdem eine Giraffe töten müssen und sich schrecklich dabei gefühlt, weil sie so sanftmütige Wesen seien.62 Bei der Suche nach den verwundeten oder gestorbenen Tieren musste er sich meist auf die Hilfe der lokalen Bevölkerung verlassen, welche die Tiere durch eine Art »sechsten Sinn« der »Naturmenschen« aufgespürt hätten.63 Nicht immer wollten diese Menschen die Beute mit ihm teilen und einige Male nahmen sich nahe Dörfer des Fleisches an oder versteckten sogar das Elfenbein vor seiner Jagdgemeinschaft.64 Regelmäßig bildeten lokale Jäger und die koloniale Reisegruppe auch kurzfristig Gemeinschaften. So unterstützten autochthone Jagende die Elefantenjagd durch religiöse Rituale, um später vom Fleisch profitieren zu können. Dass ein Jäger dabei aus feuchter Erde und Grashalmen Elefanten formte, zog der Schweizer David indes ins Lächerliche.65 Er zeigte sich diesen Helfern gegenüber wenig rücksichtsvoll und konnte die große Frustration nach einer Elefantenjagd nicht verstehen, als er Dorf bewohner_innen den Weg zu den Kadavern versperrte, weil er durch seine Pfeife versehentlich einen Flächenbrand entfacht hatte.66 Auch wenn die Jagdhelfer der Entourage weniger am Fleisch der erlegten Tiere interessiert waren, so erhofften sie sich doch, von den Tötungen selbst zu profitieren. Bei Krokodilen schnitten die Helfer beispielsweise Drüsen an Hals und After heraus, die aufgrund des moschusartigen Duftes gefragte Produkte für die Parfumherstellung waren.67 Obwohl sich Adam David immer selbst der Tötung der Tiere widmete und diesen Akt nicht etwa afrikanischen Expeditionsmitgliedern überlassen wollte, war er nicht in der Lage, Tiere für Zoos und Zirkusse lebendig zu fangen. Diese Aufgabe wurde lokalen Tierhändlern überlassen, die Adam David paternalistisch als »meine Araber« bezeichnete.68 Das Einfangen erforderte eine große Kenntnis der Tiere und ein technisch sensibles Vorgehen. Auf den photographischen Darstellungen dieser Jagdreisen ist von dieser Expertise der Jagdhelfer nichts zu sehen. Darauf posierte David etwa allein mit einem jungen Leoparden (Abb. 1).69 61 |  Ebd., S. 71f. 62 |  Ebd., S. 94. 63 |  Ebd., S. 74. 64 |  Ebd., S. 62f. 65 |  Ebd., S. 68. 66 |  Ebd., S. 77. 67 |  Ebd., S. 31. 68 |  Ebd., S. 106. 69 |  Einen kleinen Leoparden zog David mit der Flasche auf und hielt ihn dann in seinem Garten. Später schenkte er ihn dem Basler Zoo (vgl. ebd., S. 97).

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Auch auf den Jagdportraits wurden weder die eigentliche Tötung noch Jagdhelfer mit abgebildet (Abb. 2). Stattdessen sind immer wieder europäische Jäger mit Tierleichen zu sehen.

Abb. 1

Abb. 2

F ür F ilme : K oloniale Tiertötung als B eginn der W ildtierdokumentation Das Fehlen der eigentlichen Tötungsszene auf den Photographien wurde schon bald durch Bewegtbilder behoben. Schon seit den ersten Filmversuchen stellten Tiere »mehr als ein besonderes Sujet dar; sie fungieren als Träger des Realen, das mit ihrem Auftauchen in den Film einbricht.«70 Bevor in den 1940er Jahren der Schutz der tierlichen Darsteller_innen im Film durch den bekannten und vielfach persiflierten Satz »No animal was harmed in the making of this film« sichergestellt wurde,71 waren es jedoch gerade Jagd- und Tötungsszenen, die auf Filmrollen 70 |  M. Möhring/M. Perinelli/O. Stieglitz: Tiere, S. 5. Burt beschreibt dieses Spezifikum ganz ähnlich: »It is this more extreme collapse between the figural and the real that makes the animal a particular type of film subject and one that is different from the human.« Siehe J. Burt: Animals, S. 44. 71 |  Ebd., S. 8.

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festgehalten wurden. Die ersten Tierfilmversuche waren eigentlich noch Photostrecken von Bewegungsabläufen, die dann in Kinematoskopen betrachtet wurden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verhalfen dann die bereits beschriebenen Jäger(-Forscher) und späteren Naturschützer(-Forscher) zu Filmszenen in der sogenannten Wildnis.72 Der Schweizer Großwildjäger Adam David beschrieb – vielleicht in Anlehnung an Charles Darwin73 – seinen Jagdtrieb als kindliche Lust am Töten, die mit der Vogeljagd in jungen Jahren begonnen habe. Bei vielen Jäger_ innen (und bei David nur in Ansätzen) folgte dann biographisch die quasi-religiöse Bekehrung vom Jäger zum Schützer.74 Die Tötung wurde dennoch als notwendig erachtet, um das zoologische Wissen »zum Zweck der Authentifizierung«75 materiell, in Zeichnungen oder auf Photographien statisch festzuhalten. Durch den Film war es dann möglich, nicht nur das getötete Tier als Photo-Trophäe, sondern den gesamten Tötungsprozess abzubilden, denn der Film »kann den menschlichen und tierischen Körper nicht nur im Ruhezustand vor Augen führen, sondern zeigt den bewegten Körper [...]«76 und somit potentiell auch den sterbenden Körper. Für diese Form der Dokumentation war – ähnlich wie für zoologische Sammlungen oder Photos – die Tötung der Tiere eine Produktionsbedingung: »In auffälliger Häufigkeit geht die Herstellung von Tierbildern einher mit der Produktion von Tierleichen, besonders im Falle von Wildtieren, denen der Bilderproduzent im Feld begegnet. Ein Blick in die Geschichte der naturhistorischen Feldforschung zeigt: Der Forscher, der Bilder produziert, ist in aller Regel zugleich ein Jäger, das Bild eine Trophäe.«77

Schusswaffe und Kamera wurden zunächst nacheinander, dann synchron angewendet und das Kameraobjektiv ersetzte schließlich den Gewehrlauf, wodurch einer globalen Entwicklung entsprechend aus Großwildjäger_innen mehrheitlich Photo-Tourist_innen wurden. Trotz der Einführung des Bewegtbildes blieb es bei den Safari-Reisen meist bei einem ganzen »Verbund von Medien« 78, sodass die Jäger wie Adam David ihre Tötungen in Reiseliteratur, auf Photos, in Vorträgen und auch in Filmen medialisierten: »Die Geschichte dieses [Gun-and-camera-]Dispositivs ist zugleich eine Mediengeschichte und eine Geschichte der Verknüpfung von naturwissenschaftlichem Wissen und kolonialem Herrschaftswissen.«79 72 |  Ebd., S. 79. 73 |  Siehe dazu V. Hediger: Töten, S. 92. 74 |  Ebd., S. 93. 75 |  Ebd., S. 91. 76 |  Ebd., S. 7. 77 |  Ebd., S. 82. 78 |  Ebd., S. 88. 79 |  Ebd., S. 84.

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Hier stellt sich jedoch die Frage nach der Produktion dieses Wissens, das nur durch die Zusammenarbeit mit lokalen Jagdhelfern generiert werden konnte, wodurch zugleich wesentliche soziale Bedingungen der kolonialen Jagd genannt sind. Schon Ende des 19. Jahrhunderts entstanden kurze Naturfilme in Zoologischen Gärten oder europäischen Naturräumen. Erst nach 1900 wurden auch Expeditionen in arktische und tropische Regionen durch Bewegbild aufgezeichnet – die Pathé-Filmproduktion zeigte etwa eine Eisbärenjagd. Zudem wurde auch die Tötung von Zootieren gefilmt, wie beispielsweise die Hinrichtung eines Elefanten in den USA durch Stromschlag.80 Erst 1906/1907 wurden in Afrika dann Jagdszenen und die Tötung von Löwen und Flusspferden von Alfred Machin (1877-1929) gedreht, dessen Jagdfilme 1908 erschienen.81 Der Pariser Filmemacher produzierte zusammen mit dem Reiseleiter Adam David einen der ersten Tierdokumentarfilme in Afrika: Chasse à l'hippopotame sur le Nil bleu (»Nilpferdjagd auf dem blauen Nil«).82 Machin war einer der Mitbegründer der niederländischen und belgischen Filmindustrie. In Paris wurde er 1907 von der Filmproduktionsfirma Pathé angestellt und sein erster Auftrag führte ihn bereits mit David nach Nordafrika, um gerade dort die Tierwelt zu filmen, wo er bereits seinen Militärdienst abgeleistet hatte.83 Unter der Reiseleitung von Adam David segelte Machin den Nil aufwärts und brachte etwa ein Jahr später nur wenige hundert Meter Filmmaterial mit, von dem viele Filmrollen die Reisen und klimatischen Veränderungen nicht überlebten. Durch die gemeinsame Reise entstanden besonders zahlreiche afrikanische Jagdfilme und durch seine autobiographischen Texte in vielen Filmmagazinen prägte er das Genre des frühen Afrikatierfilms, obwohl er nicht als Ausnahmefilmer gilt. Aufgrund der großen Nachfrage nach diesen Filmen reisten die beiden schon 1909 mit einem zweiten Kameramann nach Ostafrika, wo sie angeblich den US-Präsidenten Theodore Roosevelt während dessen ausgedehnter Großwildjagdreise antrafen. Insgesamt entstanden in Afrika etwa 20 Kurzfilme aus der Kooperation von Machin und David, von denen die große Mehrzahl Jagdszenen abbildeten.84 Der zweite kurze Jagdfilm des Duos zeigt die Tötung eines Leoparden (Chasse à la panthère, 1909). Tatsächlich präsentiert dieser Film eigentlich keine Jagd, da der Leopard bereits verletzt in einer Falle hängend aufgesucht wird, sondern vielmehr die Tötung selbst. Das Stellen und Auslegen der Falle hatten zuvor afrikanische Helfer unter Anweisung der drei europäischen Jäger übernommen. Im Film wurden sie auf die Rolle von Statisten und Trägern der Falle reduziert, während

80 |  P. Petterson: Cameras, S. 187-192. 81 |  Ebd., S. 93f. 82 |  Denn schon im Vorjahr hatte der Filmautor Félix Mesguich eine Nilpferdjagd am Blauen Nil mit der Kamera dokumentiert. Ebd., S. 191. 83 |  E. de Kuyper: Alfred Machin, S. 6, 8. 84 |  Ebd., S. 10, 12.

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die Wissensmacht über das Fallenstellen angeblich aufseiten der kolonialen Jäger zu finden sei. Diese bücken sich erst dann zur Falle hinunter, als Fleisch zum Ködern platziert wird. In einer nächsten Szene ist der gefangene Leopard schwer atmend zu sehen, da er unter den Schmerzen der Falle leidet. Er gerät durch die herannahenden Menschen und durch die verhinderte Fluchtmöglichkeit sichtlich in Panik. Für das Bewegtbild wurde das Tier dann zusätzlich noch durch einen Stock provoziert, sein Leiden also nicht sofort beendet, sondern für die Kamera inszeniert, indem er sich mit dem Hinterbein in der Falle hängend immer wieder erheben muss (Abb. 3.1). Die Kamera sucht hier sogar die direkte körperliche Nähe mit dem gequälten Leoparden. Erst danach wird er der kolonial gewünschten Hierarchie entsprechend von Adam David mit einem Gewehr hingerichtet, wobei der Leopard sich noch einige Sekunden sterbend windet und währenddessen die afrikanischen Helfer für die gefilmte Tötungszeremonie als passive Zuschauer im Bildhintergrund fungieren müssen (Abb. 3.2).

Abb. 3.1

Abb. 3.2

Die Rolle des Jägers David wird als der aktive Part gezeigt, der jedoch nur den tödlichen Schuss abfeuert und vergleichbar mit einer Art medizinischer Autorität den Tod durch Ziehen am Ohr feststellt und den Umstehenden sowie der Kamera das Gebiss zur Schau stellt (Abb. 3.3). Rassistische Gesellschaftsordnungen werden auf diese Weise zu wahren versucht, da der weiße Jäger zum Herrscher und Wissenden über Leben und Tod erhoben wird und gleichzeitig indigenes Wissen über Jagd und Tötung in der Filmdokumentation negiert wird. Die Jagdhelfer übernehmen erst nach der Erschießung wieder die Arbeit als Träger, als die Falle sowie der leblose Leopard an einer Holzstange wie in einer Prozession abtransportiert werden (Abb. 3.4). Auch das Abbalgen des Fells wird dann der Jagdhierarchie entsprechend auf die afrikanischen Jagdhelfer übertragen (Abb. 3.5), wobei eigentlich das Fell und nicht der Jagdhelfer im Zentrum des filmischen Interesses steht, mit dessen Präsentation die letzte Szene schließlich endet.

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Abb. 3.3 Abb. 3.4

Abb. 3.5 Obwohl Machin die qualvolle Tötung eines wilden Leoparden hier relativ skrupellos in Szene setzte, hielt er sich – wie Adam David – auch selbst Vertreter dieser Gattung, die er besonders häufig filmte.85 Im Brüsseler Film Saïda a enlevé Manneken Pis (1913) wird ein Leopardenangriff und -ausbruch aus einer Zirkusshow dargestellt. Darin jagt die Leopardin Mimir eine Gruppe von dümmlichen Polizisten, die sie schließlich durch deren eigenhändig aufgestellte Kanone erschießt. Im Film Le diamant noir (1913) spielt (?) die gezähmte Mimir dann eine wilde Leopardin während einer Jagdszene vor einem kolonial-afrikanischen Bühnenbild. Mimir wird darin tatsächlich nur narkotisiert, dem Narrativ des Films entsprechend jedoch wie im ersten Leopardenfilm von kolonialen Jägern erschossen und von schwarzen Jagdhelfern abtransportiert (Abb. 4). Machin fiktionalisierte die Leopardenjagd dadurch in seiner späteren Karriere und ersetzte die reale

85 |  Ironischerweise starb Machin 1929 infolge seiner Verletzungen, die er sich Jahre zuvor bei Dreharbeiten mit seinem Leoparden Mirza in Frankreich zugezogen hatte. Ebd., S. 14, 22.

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Leopardentötung durch seine eigenen gezähmten Tierdarsteller_innen:86 »After having used animals as subjects for documentaries, after having used them as somewhat singular characters in his spoofs, he turns them into fully-fledged stars, into actors.« 87

Abb. 4.1

Abb. 4.2

Die Jagdhelfer werden in diesem Film als quasi uniformierte Diener dargestellt, die im Stil osmanischer Sklaven aus Afrika mit weiten Hosen, wuchtigen Hüten und nacktem Oberkörper als servile »Mohren« erscheinen. Diese Jagdhierarchie bzw. ihr Ausdruck in der Performanz dieser Leopardentötung entspricht dabei dem Drehbuch jener Leopardentötung, die Machin und David etwa acht Jahre zuvor gefilmt hatten: In beiden Fällen tragen schwarze Helfer das getötete Tier an einer Stange. Und dennoch tritt hier ein entscheidender Unterschied zutage; dass nämlich die weißen Jäger den Leoparden allein aufgespürt haben, keine von Afrikanern gestellte Falle zum Einsatz kam, sondern die Tötung durch eine Schusswaffe das Ende eines scheinbar fairen und edlen Kampfes war.

S chluss Die Untersuchung kolonialer Jagd und Tiertötung anhand von kaum bekannten Fallbeispielen hat wesentliche Hierarchien und soziale Organisationsstrukturen offengelegt. Zunächst wurde die Tiertötung als kolonialer Herrschaftsakt verstanden und durch entsprechende Medialisierungsstrategien als solcher inszeniert, wobei indigene Jagdbeteiligung weitgehend ausgeblendet wurde. Anders als die Jagdphotographien belegen die schriftlichen Memoiren der »Afrika-Jäger« aus 86 |  Nach dem Ersten Weltkrieg zog Machin nach Nizza, wo er mit den Filmtieren eine häusliche Menagerie errichtete. In den dort produzierten Tier-Komödien treten Haus- und Wildtiere in menschlicher Kleidung und sprechenden Rollen auf. Ebd., S. 20. 87 |  Ebd., S. 178. Die mitunter pervers anmutenden Filme folgen laut de Kuyper häufig dezidiert der Comic-Ästhetik. Durch die seltsame Verschränkung seiner eigenen Kinder, Heim- und Menagerietieren muten Machins Tierfilme der 1920er Jahre fast wie eine frühe Form des Home Videos an. Vgl. ebd., S. 182.

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Europa hingegen die starke Abhängigkeit von afrikanischen Helfern beim Aufspüren, Fangen und Nachsuchen verwundeter Tiere. Direkte Angestellte und Mitglieder der Expeditionen verfolgten dabei häufig eigene ökonomische Interessen und waren selbst am Handel mit tierlichen Duftstoffen, Zähnen oder Krallen beteiligt – Handelsnetze, welche die kolonialen Jäger_innen kaum durchschauten. Während diese Jagdhelfer zwar meist Experten für den Tierhandel und das Reisen waren, zogen sie wiederum häufig lokale Jäger als Experten für das Verhalten der Tiere in zweiter Ordnung hinzu. Sie erhielten meist Fleisch als Belohnung für ihre Mithilfe. Die koloniale Jagd war entsprechend ein Prozess mehrstufiger kultureller und ökonomischer Vermittlung, der kaum so visualisiert wurde. Aus den vielschichtigen Beziehungsgeflechten wurde auf Photos und in Filmen eine überschaubare Trias von Rollen gebildet: Kolonialjäger, Bedienstete, Tiere. Durch die visuelle Popularisierung von kolonialen Tiertötungen in frühen Tierfilmen wurden dann einerseits die Präsentationsformen der kolonialen Trophäen-Photographie bestärkt und die Partizipation afrikanischer Helfer weiter zum Dienertum herabgestuft. Andererseits wurde hier erstmals der Tötungsakt selbst gezeigt und in den Mittelpunkt gerückt, wodurch lokale Jagdbeteiligung zwar indirekt (etwa durch Fallenstellen) zum Vorschein kam, die Erschießung durch das Gewehr eines Kolonialjägers vor passiven Jagdhelfern jedoch die Vormachtstellung verdeutlichen sollte. Indem der kurze Tötungsakt durch medienhistorische und -ästhetische Veränderungen also ins Zentrum kolonialer Jagd gesetzt wurde, wurde die Bedeutung der Jagdhelfer und ihrer Aufgaben weiter negiert, obwohl der größte Anteil der Jagd ihnen zufiel. Die Tiere wurden durch den Film aktiver gezeigt, während die Jagdhelfer die immer gleichen passiven Statistenrollen übernehmen mussten und mit dem lebendigen Tier nicht in Interaktion gefilmt wurden – der angebliche Kampf zwischen Menschen und Tieren blieb den Kolonialjägern für die Dokumentation vorbehalten.

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F ilmverzeichnis Chasse à l'hippopotame sur le Nil bleu (Fr 1908, R: Alfred Machin). Chasse à la panthère (Fr 1909, R: Alfred Machin). Saïda a enlevé Manneken Pis (B 1913, R: Alfred Machin). Le diamant noir (B 1913, R: Alfred Machin).

Drei Arten Sterben Tiertötungen in der Geschichte Zoologischer Gärten Wiebke Reinert »Nichts und niemand war gerecht. Eine Gesellschaft schon gar nicht. Nur die Natur vielleicht.« S chalansk y : D er H als der G iraffe

G ir affenthe ater 1828 erreichte eine in Nubien eingefangene Giraffe den kaiserlichen Tiergarten Schönbrunn zu Wien. Die Sorge um ihr Überleben und Wohlbefinden war groß, die Verantwortlichen waren beunruhigt darüber, ob das Tier durch Fliegen belästigt werden könnte, ob es die verabreichte Ziegenmilch vertragen würde, die Hufe auf dem Rasen im Gehege keinen Schaden nähmen, ob der arabische Wärter, der sie u.a. wegen möglichen Heimwehs begleitete, sie nicht mit einer Hautkrankheit anstecken würde, und um vieles andere mehr.1 Die Giraffe war in ihrer Seltenheit in österreichischen wie mitteleuropäischen Gefilden sehr wertvoll – als Schauobjekt wie als Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung und kaiserlicher Prestige-Demonstration. Es sei dereinst in Wien eine wahre »Giraffenmanie« ausgebrochen, inklusive Giraffentorten, Giraffenfrisuren und Parfum mit dem »Esprit à la Giraffe«.2 Die Popularität hatte ihrem Wohlbefinden jedoch nicht viel genutzt; trotz der Aufmerksamkeit, aufwändigen Pflege und ärztlicher Betreuung verstarb sie wenige Monate nach ihrer Ankunft.3 Einem ähnlich kurzen Leben einer Giraffe wurde 2014 aus ganz anderen Gründen im Zoo Kopenhagen ein Ende gesetzt. Intensive Pflege und tierärztli1 |  Vgl. C. Riedl-Dorn: Hohes Tier, S. 38-89. Zur Kontextualisierung außerdem E. Williams: Giraffe, S. 72-100. 2 |  Vgl. C. Riedl-Dorn: Hohes Tier, S. 89. 3 |  Vgl. ebd., S. 82. Ähnliches ist von einer 1827 nach Großbritannien verbrachten Giraffe überliefert, die ebenfalls große Popularität genoss und bis zu ihrem Tod ebenda immerhin zwei Jahre verlebte. Vgl. E. Williams: Giraffe, S. 82-86.

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che Betreuung hatte auch der Giraffenbulle Marius bekommen und Pressemeldungen kann entnommen werden, dass er fürsorglich von der Giraffenmutter4 aufgezogen worden war und dass diese große Freude hatte an ihrem Jungen5, der sich prächtig entwickelte6. Das Jungtier spielte mit der Herde, fraß gut und war beim Zoopublikum beliebt. Nach 18 Monaten endete sein Leben aufgrund eines europaweiten Zuchtprogramms mit einem Bolzenschuss.7 »Das Leben ist kein Disneyfilm« 8, lautete die Begründung des Zoodirektors Bengt Holst, warum der Giraffenbulle öffentlich seziert und sodann an die ebenda wohnhaften Löwen verfüttert wurde. »Das Leben« und Natur wurden Kulturphänomenen, wie eben dem Entsetzen über die Tötung eines gesunden Tieres, gegenübergestellt, da die »natürlichen« Verhältnisse nun mal so seien. Naturalisierung zoologischer wie ideologischer Konzepte waren bereits Strategien der ersten Zoogründer.9 Mit Mary Douglas wäre vorläufig und im Sinne einer folgenden genaueren Betrachtung von Tiertötungen in Zoologischen Gärten zu erinnern: Vor allem »das Gefühl, daß bestimmte Ideen a priori und ohne sinnliche Bestätigung wahr seien, stammt aus der gesellschaftlichen Umwelt.«10

4 |  Populär ist die Erzählung, Tiere in Gefangenschaft würden sich nur fortpflanzen, wenn sie sich wohl fühlten. Dass es gar nicht so leicht ist, dieses Wohlbefinden einzuschätzen, ist durchaus Gegenstand gegenwärtiger Fachdiskussionen, siehe: Forscher bestimmen Stresspegel, 15.05.2015, URL: http://www.deutschlandfunk.de/zootiereforscher-bestimmen-stresspegel.676.de.html?dram:article_id=319882 [30.03.2016]. 5 |  Um sich wohlzufühlen, so lautet ein weiteres Argument, sei die Jungtierpflege als Aufgabe für Tiere in Gefangenschaft essentiell. 6 |  Dass Tiere in Zoologischen Gärten bessere Leben führen als in der sogenannten »Wildbahn« ist ein weiteres beliebtes Argument von Befürwortern dieses Haltungssystems, das auch der Tiergartenbiologe Heini Hediger vertrat. Vgl. M. Chrulew: Managing, S. 145, der auch auf das Paradox in dieser Argumentation eingeht. 7 |  Das europäische Zuchtprogramm der Europäischen Zoo- und Aquarienvereinigung (EAZA) hat als Ziel den Erhalt einer möglichst großen genetischen Vielfalt der jeweiligen Spezies. Giraffenbulle Marius bestand, so die Erklärung, aus zur Züchtung nutzlosem Erbgut. Umfänglich und aufschlussreich haben die Thematik C. Hilbert, B. Benzing und S. Milling aus dreierlei Fachperspektiven behandelt: Diskurs. 8 |  Was die strukturierenden Algorithmen medialer Speisungen betrifft, so ist zu vermerken, dass, gibt man diesen Satz in einschlägige Internet-Suchmaschinen ein, auch Fotos von leidenschaftlich Giraffenteile speisenden Löwen geliefert werden. Zum Nutzen und Nachteil solcher Blickwinkel siehe P. Sarasin: Sozialgeschichte. 9 |  Vgl. C. Wessely: Künstliche Tiere, S. 29. 10 |  M. Douglas: Institutionen, S. 27.

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H interbühne Dass Tiertötungen im Zoo auch in der Geschichtsschreibung bisher höchstens am Rande erwähnt werden, ist wenig verwunderlich.11 Tod und Zerstörung kollidieren basal mit der Vorstellung von Entstehen und Erhaltung.12 Zudem inszenieren sich Akteure und Aktricen im Zoo seit den 1950er Jahren als Tier- und Artenschützer_innen und den Zoo selbst als Arche oder Conservation Center, auch um sich der Kritik von Tierschützer_innen zu entziehen.13 Die Schutztiere, die sie dabei erst erfanden, waren seit jeher biopolitischen Maßnahmen ausgesetzt, sodass Zoos als Felder belebender wie tödlicher Experimente bezeichnet werden können.14 Im Folgenden sollen drei Arten Tiertötungen genauer betrachtet werden; Arten im Sinne von Weisen, aber auch von »Art« im zoologischen Sinn – manche Spezies leben in Zoos gefährlicher als andere. Im langen 19. Jahrhundert15 entstanden in Deutschland mehrere Zoologische Gärten. Mit wachsendem Interesse an Naturkunde und dem Anspruch des Bürgertums an Bildung begann in Deutschland eine erste Gründungswelle: Nach dem Berliner Zoo (1844) folgten Frankfurt (1858), Köln (1860), Dresden (1861), Hamburg (1863) sowie Hannover, Breslau und Karlsruhe (1865).16 Der Tod bestimmter Tiere gehörte zwar von Beginn an zu den Betriebsabläufen dieser Institutionen (man denke an die Jagd auf Ratten oder das Schlachten von Futtertieren), jedoch waren zunächst die Probleme größer, die Tiere am Leben zu erhalten. Artgerechte Tierhaltung etablierte sich als eigenes Forschungsfeld der Tiergartenbiologie erst nach dem Zweiten Weltkrieg, Fortschritte in der Tiermedizin führten gleichzeitig dazu, dass weniger Zootiere durch Krankheit verloren gingen. Spätestens mit dem Washingtoner Artenabkommen (1973) war dies von immenser Bedeutung, da keine Tiere mehr aus der Wildbahn entnommen werden durften. Dass Tötung ein alltäglicher Vorgang war, wurde andernzeits unbefangen öffentlich thematisiert. Zwar wurden wilde Tiere in europäische Großstädte geholt, um dort lebendig ausgestellt zu werden (das sollte Zoologische Gärten schließlich von den Naturkundemuseen unterscheiden), und mit dem wachsenden Wildtier11 |  Zur Kontingenz und Konstanz von Erzählungen der Geschichte Zoologischer Gärten siehe N. Rothfels: Savages, S. 25. 12 |  Zum Verschwinden des Tiertods durch Schlachten aus der modernen Stadt z.B. L. Nieradzik: Nutztiere. 13 |  Vgl. C. K. May: Geschichte, S. 188. 14 |  Vgl. M. Chrulew: Preventing, S. 222; Ders.: Art. Zur Frage der »Belebtheit« siehe I. Praet: Animal Conceptions. 15 |  Zu Fortschrittsgläubigkeit, Rationalisierung, Säkularisierung und Nationenbildungen als Charakteristika und Periodisierungsmerkmale der Zeit von 1789-1914 und für die Benennung grundlegend siehe J. Kocka: 19. Jahrhundert. 16 |  Vgl. J. Buchner-Fuhs: Gebändigte Wildheit.

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markt erreichten die Handelsspannen schwindelerregende Dimensionen, was die Tier(er)haltung zum veritablen ökonomischen Anliegen der Zoos machte. Bei allem Bedauern gehörten aber recht selbstverständlich zum betriebsbedingten Tiertod zahlreiche in den ersten Jahrzehnten der Existenz Zoologischer Gärten verendete Tiere, die ihre Bestimmungsorte entweder gar nicht lebend erreichten oder aber, wie die erwähnte Giraffe in Schönbrunn, dort alsbald verstarben. Der österreichische Zoologe Friedrich Knauer beschrieb sie 1914 in seinem Bericht über Besuche verschiedener Zoologischer Gärten, in dem er auch auf deren Aufgaben und Betrieb einging, als bis dato »Todeskandidaten« gewesene.17 Besonders im 20. Jahrhundert war es aufgrund von rechtlichen und moralisch-kulturellen Veränderungen stetig wichtiger geworden, Lebensqualität und Langlebigkeit der Zootiere zu ermöglichen.18 Dass sie in Zoos länger leben würden als ihre Artgenossen in der Wildbahn, wurde zu einem der am häufigsten angeführten Argumente pro Zootierhaltung. Tötungen, die als Betriebsfall mit Todesfolge bezeichnet werden könnten, dienen grundsätzlich dem »höheren Zweck«, Tiere auszustellen.19 Das trifft auch auf die im Folgenden differenzierten drei Arten der Tiertötung und die damit verbundenen verschiedenen Aspekte des Tötens von Zootieren zu. Diese seien in ihrer soziokulturellen wie ökonomischen Bedeutung: das böse, dem Verhalten nach moralisch schlechte Tier (animal improbus), das Tier, das als Totes andere Tiere ernährt (animal dulcis), und das Tier, das innerhalb der Rahmung Zoo überflüssig respektive nutzlos wird (animal supervacaneus). Selbst innerhalb dieser Institution bestanden parallel unterschiedliche Attitüden gegenüber und Umgangsweisen mit Tieren, die sich weder mit Wildtier noch mit Schautier oder Schutztier erschöpfend beschreiben lassen.20 Wenn in diesem Text von Zootieren die Rede ist, so zeigt dies lediglich die relevante Räumlichkeit an. Auf Zootiere trifft in dieser Rahmung ihres Lebens und Sterbens im und durch den Zoo zu, was Tora Holmberg über Tiere in der Stadt im Allgemeinen bemerkt hat: »[…] they are difficult to discipline; they often transgress legal as well as cultural ordering systems […]. 17 |  Vgl. F. Knauer: Zoologische Garten, S. 17. Knauer studierte in Wien und wurde 1863 der Leiter des im gleichen Jahr (wieder)eröffneten Thiergarten am Schüttel im Bezirk Leopoldstadt. Er veröffentlichte zahlreiche zoologische Lehrbücher, auch populärwissenschaftlicher Fasson: Österr. Biogr. Lexikon, S. 433. Vgl. N. Rothfels: Savages, S. 44-80, und zum Zoo London, in dessen Frühzeit die Neuanschaffung exotischer Tiere leichter gewesen sei als Erhaltung und Nachzucht, I. Jahn: Zoologische Gärten, S. 215. 18 |  Vgl. M. Chrulew: Preventing, S. 223. Außerdem B. Lamp: Zootiermedizin. 19 |  Als Beispiel weiterer Tötungsformen, die das Tierhaltungssystem Zoo erst ermöglicht: I. Krumbiegel: Straftaten, S. 65. Zu Tiertötungen als Element politischer Propaganda: M. Roscher/K. Wöbse: Zootiere, und am Beispiel des Ueno Zoo in Tokyo: I. J. Miller: Nature. Unfälle, die durch Zooarchitektur oder Zoobesucher_innen verursacht wurden, sind umfangreich dokumentiert worden von H. Hediger: Mensch und Tier. 20 |  Vgl. T. Holmberg: Urban Animals, S. 2.

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But they are similarly turned into objects of care, conservation practices, and biopolitical interventions.«21 Bernhard Grzimek, Direktor des Frankfurter Zoos von 1945 bis 1974, schrieb aus Anlass des hundertjährigen Bestehens desselben in der Jubiläumsschrift, das »grausame und kulturlose Hinschlachten von Tieren« habe sich »nur in Spanien erhalten«22 . In den Sammlungen des Zoos erhaltene Aufzeichnungen geben Auskunft über andere, gemäß Betriebsperspektive sachgemäße und folgerichtige Schlachtungen. In mehreren Notizbüchern, die auf dem Einband mit einem diskreten Kreuz als Symbol zur Markierung von Verstorbenen versehen sind, findet sich eine sorgfältig anmutende Buchhaltung über im Zoo zu Tode gekommene Tiere.23 Diese Rahmung ist eine andere als die einer Jubiläumsschrift, welche die kultivierte Überlegenheit gegenüber als weniger kultiviert dargestellten Menschen ausdrückt. »Zoologische Gärten«, so schrieb Grzimek, »hat es nur in menschlichen Hochkulturen gegeben.«24 Der Zoologische Garten als Ausdruck eines hohen Grades an Zivilisiertheit ist ein seit den Gründungszeiten beständig aufgerufener Topos. In der Fachzeitschrift Der Zoologische Garten hieß es 1862, es sei bemerkenswert, »daß in dieser Zeit, gerade in dem civilisirtesten Theile von Europa, Deutschland, England und Frankreich eine große Stadt nach der andern sich bemüht habe, ein Institut herzustellen, wo die lebendige, beseelte Natur in ihren Formen, in ihren Bewegungen und Beziehungen zur Außenwelt sich darstellte.« 25

Zu der im Zoo ausgestellten »lebendige[n], beseelte[n] Natur«, ihren Formen und Bewegungen gehörten selten die gewaltsamen, einverleibenden Beziehungen zwischen Ameise und Ameisenbär, zwischen Löwe und Gnu oder Fisch und Otter. Diese »konkreten« Tiere26 wurden in Verwertungszusammenhänge eingebunden, ihre Körper (wie auch die der Menschen) in Produktionsprozesse integriert. Als solche betrachte ich auch die Integration durch Verdinglichung und Romantisierung der Tiere als Schauobjekte, die Bedürfnisse nach authentischer Natur zur Bewältigung des Alltags erfüllen sollten und die romantischen Praktiken verbunden mit dem zunehmenden Konsum von Freizeitgütern und Freizeittechnologien, welche seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert vom wach21 |  Ebd. Ein jüngeres Beispiel aus anderen Tierräumen sind die »vernünftigen« Gründe, die zur Tötung männlicher Küken angeführt werden, welche im Rahmen einer hochtechnisierten und hochproduktiven Nahrungsmittelwirtschaft keinen Wert haben. Vgl. J. Heidtmann: Sättigungsbeilage. 22 |  B. Grzimek: Zoologische Gärten, S. 8. 23 |  † Ab 1.1.51 bis 31.12.1960, Archiv Zoologischer Garten Frankfurt am Main. 24 |  B. Grzimek: Zoologische Gärten, S. 7. 25 |  D.F. Weinland: Ursprung, S. 1f. 26 |  Vgl. G. Krüger: Tier, S. 94.

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senden Massenmarkt angeboten wurden.27 Auffällig ist dabei der liminale Status der tierlichen Gesellschaftsposition und Rolle: ob Nutz- oder Schutztier, probates Ernährungsmodul, belebte Requisite einer »lebendigen, beseelten Natur«, Maschine oder Unterhaltung: Die Rollen, die Tiere in der Gesellschaft spielen, sind als so vielfältig zu betrachten wie die von Menschen; und sie bedürfen ebensolcher Beschreibungen von Prozessen der Inklusion und Exklusion, Sozialisation, Erinnern und Vergessen, Warenketten, der Aushandlung von Räumen und Regulierungen von Recht und Emotion.

animal improbus In speziellen, räumlich, politisch oder soziokulturell heiklen Situationen wurden Tiere, die man verlässlich kontrolliert im Zookäfig oder Gehege wähnte, zur Gefahr. Ein Hochwasser am Rhein hatte 1926/27 die Sicherheitslage im Zoo Köln verändert. Das gestiegene Wasser drohte, so wird berichtet, den Eisbären Gelegenheit zu geben, über die Zäune zu klettern. »Und wir hatten doch keine Lust, hier im Zoo regelrecht auf Eisbärenjagd zu gehen. Wir holten die weißhaarigen Burschen also über, und sie fügten sich auch ganz gut. Bis auf einen. Der wollte absolut nicht aus dem Wasser heraus und knurrte, wenn wir uns ihm näherten. Und das Wasser stieg und stieg. Darauf schien der Bär zu warten, denn er äugelte ganz verliebt nach der Landseite, auf der er sich dann wohl zu tummeln gedachte. Aber es war nicht möglich, seinem Dickkopf nachzugeben. Die Gefahr für den Fall, daß er ausriß, schien für die Allgemeinheit zu groß, und es mußte ein Ende gemacht werden. Noch einmal versuchten wir es im Guten. Vergebens! Da hob einer von uns die Büchse. Es krachte, und auf den Hochwasserwellen schwamm ein toter Eisbär. Er hatte sein Schicksal selbst gewählt.« 28

Die Tötungsmethoden der Wahl waren hier offenbar definiert, nicht zuletzt dadurch, dass einer der Zoowärter »die Büchse« überhaupt bei sich trug. Wärter und Pfleger_innen, die Umgang mit Bären, Raubtieren oder Nashörnern hatten, sollten der Überlieferung zufolge häufiger Schusswaffen bei sich tragen, falls unerwartet Gefahr von den Tieren ausgehen sollte.29 Die von bestimmten Tieren ausgehende Gefahr ergab sich in diesen Fällen durch sich ändernde äußere Umstände. Selbst bei den Eisbären gab es unter diesen noch jene, die sich folgsam verhielten. Der Tod des einen wurde schließlich auf dessen Freiheitsdrang und 27 |  Vgl. C. Wessely: Künstliche Tiere, S. 36; E. Illouz: Romantik, S. 28. Grundlegend: K. Maase: Vergnügen. 28 |  H. Jung: Zoowärter, S. 21. 29 |  Überliefert z.B. für »Kriegszeiten im Tierpark« in München Hellabrunn. A. Zoll: Kriegszeiten, S. 11. Zoll versicherte, dass in jedem Revier eine »Anzahl schwerkalibriger Schusswaffen« vorhanden sei.

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Sturheit zurückgeführt. Als andere sture, ja unberechenbare Tiere wurden auffällig häufig Elephantidae interpretiert und getötet. 1914 berichtete Friedrich Knauer in der Abhandlung über Zoologische Gärten von der Broschüre Die Beseitigung bösartiger Elefanten des Prof. Dr. J. Lechner. Darin seien »eine ganze Reihe bekannt gewordener Elefantentötungen zusammengestellt«, da wiederholt in Tiergärten unbändig gewordene Elefanten gewaltsam getötet worden waren – so in Schönbrunn, Stuttgart und New York.30 Einer dieser bösartigen Elefanten hatte einen Wärter mit dem Rüssel erfasst, »zertrat ihn, plünderte dann einige Obstbuden, so daß Militär requiriert werden mußte.«31 Das herbeigerufene Militär vermochte nicht, das Tier mit Musketensalven zu töten, sodass am darauffolgenden Tag schwerere Geschütze herbeigeholt wurden – und der Elefant schließlich mit einer Kanonenkugel getötet werden sollte.32 Als Grund für die Boshaftigkeit formulierte Knauer, der Elefant sei »bei üppiger Fütterung übermütig geworden[ ]«.33 In anderen Zoologischen Gärten erprobte Tötungsweisen bestanden zum Beispiel darin, in »zwei gut umwickelten Semmeln« 55 Gramm Zyankali zu verabreichen, was allerdings zu einem halbstündigen, »fürchterliche[n] Todeskampf« führte. Mehrere Elefanten scheinen sich der Giftaufnahme widersetzt zu haben. In New York sei versucht worden, Zyankali in einer ausgehöhlten Mohrrübe respektive einem ausgehöhlten Apfel darzureichen, die Tötung gelang aber erst, »indem mehrere Gelatinekapseln, in welchen das Zyankali eingeschlossen war, unter den Kleietrank gemischt worden waren«.34 In Hamburg wurde ein Elefant mit Erfolg stranguliert, in Berlin hingegen sei dies nicht gelungen. Eine erfolgreiche Methode zu finden, um einen Großsäuger von der Dimension eines Elefanten zu Tode zu bringen, brachte auch Anerkennung mit sich, die Verwendung schwerer Geschütze wie Kanonenkugeln ist nicht zufällig gewählt. »Nill [Tiergarten Stuttgart, W.R.]«, so schrieb Knauer, »konnte seinen Elefanten mit einem einzigen Schuß aus einem neuen Militärgewehr töten.«35 Die Bewunderung für militärisch-technische Entwicklungen kommt demnach auch im tierlichen Kontext zum Tragen und unterstreicht somit den Nutzen dieser für die gesamte Gesellschaft anhand der als bedrohlich beschriebenen Situationen im klar umgrenzten Zoo. In den Lebenserinnerungen Carl Hagenbecks lässt sich eine ausführliche Passage über die von Knauer erwähnte Strangulierung eines Elefantenbullen finden, die stattfinden musste, so Hagenbeck, da der Todgeweihte sich zuvor bedrohlich verhalten hatte. Die Freizügigkeit bezüglich der Experimente mit Tötungsabsicht an Zootieren lässt einmal mehr die Verbindungen zwischen Großwildjagd, Wild30 |  Vgl. F. Knauer: Zoologische Garten, S. 98. 31 |  Ebd. 32 |  Ebd. 33 |  Ebd. 34 |  Ebd. 35 |  Ebd.

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tierhandel und Zoologischen Gärten deutlich werden, für die das Hagenbeck’sche Unternehmen eine zentrale Rolle spielte.36 Die Tötung des Elefanten, deren Methode sich noch in Verhandlung befand, wurde zu einer wahren Inszenierung, nachdem Hagenbecks Geschäftsfreund Ward besonderes Interesse am Elefanten gezeigt hatte. »Er wollte das Tier kaufen, wenn es billig zu haben war, denn er glaubte, leicht einen ›Sportsmann‹ finden zu können, dem es fünfzig Pfund Sterling wert sei, einmal einen Elefanten schießen zu können. Tatsächlich traf er nach einer Woche mit diesem Nimrod in Hamburg ein, der ein ganzes Arsenal verschiedener Gewehre auspackte. Um zehn Uhr vormittags sollte die ›Elefantenjagd im Stall‹ stattfinden. Um der Sache aber mehr Hintergrund zu geben, ließ ich den Elefanten ins Freie führen und vor einer Mauer derartig anpflocken, daß er nicht losbrechen konnte. Um das Zurückspringen der Kugeln unmöglich zu machen, wurde diese Mauer noch mit dicken Bohlen beschlagen. Der große Moment nahte, ebenso die Polizei, die ihre Vertreter entsandt hatte. Es wurde zehn Uhr, aber der Schütze fehlte. […] Der Sportsmann hatte seine sämtlichen Mordwaffen mitgebracht. Jedoch das Jagdfieber schien ihn ergriffen zu haben, genug, er war so nervös und aufgeregt, daß er keinen Schuß abfeuern konnte. […] Endlich schlug ich ihm vor, das Tier erdrosseln zu lassen. Dagegen hatte er nichts mehr einzuwenden. Der Verurteilte wurde jetzt gefesselt in den Stall geführt, bekam eine Schlinge um den Hals dessen Tau über eine Winde lief und an dessen Ende sechs meiner Leute zur Exekution antraten. Eins, zwei, drei! kommandierte ich, und beim dritten Zug schwebte der Elefant mit den Vorderfüßen oberhalb des Bodens. Fast unmittelbar darauf schlug der Kopf zur Seite, der Riese verlor den Boden unter den Füßen und brach zusammen. Kaum eine Minute dauerte es, bis das Tier verendet war.« 37

Der Tierpark wurde zum Aufführungsort einer Großwildjagd in der »Welt im Kleinen«38, bei der man den Elefanten entsprechend zeitgenössischer letaler Methoden der Menschen-Gesellschaft hinrichtete.39 Das Revier, wie Gesine Krüger beschrieben hat, wurde »zur Bühne, auf der die anderswo gewonnene Macht im Gewand früherer Repräsentationen vorgeführt werden konnte« 40. Im Tierpark als Ort solcher Inszenierung blieb der Herrscher letztlich – seiner eigenen Erzählung nach als einziger fähig, über Leben und Tod zu verfügen – Hagenbeck selbst. Wylie hat derlei »Macho-Prosa« auch bei britischen Jagd-Literaten des späten 19. Jahrhunderts ausgemacht und festgestellt, dass diese Erzählungen den36 |  Vgl. E. Ames: Carl Hagenbeck, S. 27f. 37 |  C. Hagenbeck: Tieren, S. 158f. 38 |  A. Rieke-Müller: Angewandte Zoologie, S. 466. 39 |  Siehe für einen Überblick: R. Evans: Öffentlichkeit. 40 |  G. Krüger: Jagd, S. 118. Zur Tötung von Zirkuselefanten, die auf ganz ähnliche Weisen inszeniert wurde siehe die umfassende Darstellung von A.L. Wood: Killing the Elephant.

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noch sehr defensiv bezüglich ihrer Tätigkeit gewesen seien und oftmals »höhere Gründe« angegeben wurden. 41

animal dulcis In den Geschäftsberichten des Verwaltungsrathes des Actienvereins für den Zoologischen Garten zu Dresden wurden bei den Einnahmen zwischen 1862 und 1870 stets Posten für verkaufte Tierprodukte aufgeführt. 1863 sind darunter Eier, Federn, Wolle und Kadaver verzeichnet. 42 Die Praxis, im Zoo lebende Tiere auch für Alltagsprodukte zu nutzen, hat demnach eine lange Geschichte, bekam aber während der beiden Weltkriege eine besondere Bedeutung. In Dresden verfügte der Bürgermeister im April 1945: »Die zur menschlichen Ernährung geeigneten Tiere sind zu schlachten und das Weitere wegen geordneter Verwendung des Fleisches ist zu veranlassen.« 43 Während der Kampfhandlungen, so ließ Katharina Heinroth, Direktorin des Berliner Zoologischen Gartens von 1945-1956, im Rahmen ihrer Memoiren wissen, wurden regelmäßig Zootiere verzehrt, was sie gar zu einer Verzehrempfehlung bewog: »Eine Elenantilope hatte ihr Leben lassen müssen, mit tiefen Wunden lag sie tot im Gehege. Wir erbaten uns ein Stückchen ihres Fleisches, es schmeckt ähnlich wie bestes Rindfleisch. Man sollte diese schnellwüchsige, große und genügsame afrikanische Tierart wirklich zur Fleischgewinnung als Haustier züchten.« 44

Eines anderen Tages wurde für die Belegschaft »in den Waschkesseln des Aquariums und der Fasanerie aus bombengetöteten Antilopen und den Krokodilschwänzen mit Reis eine Gemeinschaftsverpflegung gekocht« 45 . Die Selbstverständlichkeit dieses Erzählens erinnert an die Überschneidungen und Kooperationen zwischen Akklimatisierungsgesellschaften und Zoologischen Gärten zu Zeiten ihrer Entstehung. 46 Integriert scheint hier die Züchtung wegen Verzehrsabsicht, was die Grenze zwischen Nutztier, Wildtier, Schutztier und Schautier wiederum als liminal erkennen lässt.

41 |  Vgl. D. Wylie: Elephant, S. 93. 42 |  Vgl. Geschäftsbericht Actienverein Zoo Dresden, 28.06.1862, S. 5, sowie jährlich folgende Berichte. Nachvollziehbar ist diese ökonomische Praxis auch für den Zoo Hannover, Geschäfts-Bericht Verwaltungsrath Zoo Hannover, 1881/82, StdA Hannover, HR 10 1556. Dort sind ebenfalls Pferdehäute, Knochen, Geweihe und Hundefutter als verkauft aufgeführt. 43 |  StdA Dresden, Best. 9.2.6 Zoologischer Garten, 578 Katastrophenberichte. 44 |  K. Heinroth: Mit Faltern, S. 126. 45 |  Ebd., S. 132. 46 |  Vgl. I. Jahn: Zoologische Gärten, S. 222.

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Die Haltung von Tieren zum ausschließlichen Zweck des Anschauens und nicht zwecks alltagspraktischen Nutzens war Zeit seines Bestehens auch ein wesentlicher Kritikpunkt am Zoo. 47 Zu Kriegszeiten barg dies einige Dramatik. In Schönbrunn zu Wien soll der Soldat Leopold Ecker im Mai 1918 auf die beiden seinerzeit dort ausgestellten Eisbären geschossen haben. Bei seiner Vernehmung gab er an: »Das Vieh bekommt täglich 10.-kg Fleisch, meine Familie und die Kinder und die Menschen hungern […] Die Tiere fressen ihnen alles weg.« 48 Nicht zufällig wurde die Position des Futtermeisters im Zoo eine sehr mächtige, beinhaltete sie doch die Entscheidung über die Verteilung großer Mengen Nahrung. Im Zoologischen Garten Köln waren an Tiere im Jahr 1929 immerhin 65.000 kg Pferdefleisch, 1.900 kg Rindfleisch, 740 Tauben und 32 Kaninchen sowie 24.500 kg Seefische verfüttert worden, des Weiteren 200 kg Fleischmehl, 150 kg Ameiseneier, 110 kg Musca und 160 kg Mehlwürmer. 49 Während Pferdefleisch und Rindfleisch meist beim örtlichen Schlachthof eingekauft wurden50, waren Tauben – ähnlich wie Ratten, die aber aufgrund hygienischer Erwägungen häufig nicht verfüttert wurden – Beute einer Jagd der Arbeiter im Zoo. Für das Erlegen von Kleinwild wurden die Wärter und Gärtner mit Gratifikationszahlungen bedacht.51 Seit den 1950er Jahren gehörte das Töten von Tieren zu den in der Ausbildung sich anzueignenden Kompetenzen des Tierpflegers/der Tierpflegerin. Die Verordnung über die Berufsausbildung zum Tierpfleger/zur Tierpflegerin beinhaltete in der DDR wie der BRD seit dem ersten Entwurf des Gesetzesblatts als zu vermittelnde Kenntnisse das Erläutern von Tötungsmethoden und das fachgerechte Töten von Futtertieren.52 Im Lehrbuch Zootierhaltung findet sich die Anleitung zur Schlachtung und Zubereitung von diesen und es wird darauf hingewiesen, dass Betäuben und Töten »nur von dem Zoopersonal ausgeführt werden« dürfe, »das die dazu nötigen Handgriffe beherrscht und das beim Anblick von Blut kein Übelwerden oder keine Ohnmacht befällt (Arbeitsschutz!)«53 .

animal supervacaneus Außerhalb der planmäßigen Futtertierzucht fanden Ratten auch auf anderen Wegen in den Zoo. Für das Geschäftsjahr 1865/1866 des Zoologischen Gartens zu Dresden wurde im Geschäftsbericht des Actienvereins als Posten in der Ausga47 |  Als Beispiele F. Knauer: Zoologische Garten, S. 8; W. Bölsche: Zoologischer Garten. 48 |  G. Heindl: Moderne, S. 123f. 49 |  Vgl. Aufstellung Futterverbrauch 1929, Archiv des Kölner Zoo. 50 |  Vgl. StdA Hannover, HR 10/884 Schlachthof. 51 |  Vgl. u.a. Geschäftsbericht des Verwaltungsrathes Zoologischer Garten Dresden, 22. September 1866. 52 |  Vgl. Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen: Tierpfleger; DDR, Ministerium f. Kultur: Zootierpfleger. 53 |  W. Puschmann/G. Berger: Zootierhaltung, S. 231.

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benbilanz »Vertilgung der Ratten« angegeben.54 Die Praxis, Wärter und Gärtner für das Töten von Ratten mit gesonderten Gratifikationen zu bedenken, war auch in anderen Zoos verbreitet und lässt sich bis in die 1920er Jahre nachweisen.55 Die Ratte, in mitteleuropäischen Gebieten meist verbreitet als Rattus norvegicus oder Rattus rattus, oszilliert bezüglich ihres Status zwischen überflüssigem und bösem Tier. Bei überflüssigen Tieren im Sinne der Funktionsweise eines Zoologischen Gartens handelt es sich nicht unbedingt um eine auf das Tier bezogene moralische Kategorie von charakterlichen Eigenschaften. Es wäre auch fragwürdig, ob Tieren zu allen Zeiten etwas wie ein Charakter zugestanden wurde. Vielmehr sind diejenigen Tiere gemeint, die aus betriebsbedingten Gründen für nicht erwünscht oder haltenswert bestimmt werden. Die Verwerflichkeit besteht eigentlich in ihrer bloßen lebendigen Anwesenheit. Diese kann nichtsdestoweniger moralisch aufgeladen werden, so zum Beispiel in einem in der Fachzeitschrift Der Zoologische Garten von 1867 abgedruckten Artikel.56 In diesem werden Ratten als grausame, hinterlistige Meuchelmörder skizziert, als fürchterlicher Feind, mit dem man auf Kriegsfuß stünde. Die Gefahr der Ratten ging vor allem auch von ihrer Vermehrung aus, so wurde dargelegt, »da sie in einem Sommer drei- bis viermal 10 bis 15 Junge zur Welt bringen, die schon in einem halben Jahre ihr Geschlecht fortpflanzen.«57 Der Multiplizierbarkeit der Körper müsse ein »Vernichtungskrieg« folgen, bei dem »die ganze waffenfähige Mannschaft des Thiergartenpersonals kampf bereit stehen« solle.58 Das Einschwören und Beschwören von Feind und Front trägt ebenso quasi-militärischen Charakter wie die Erprobung verschiedener Schusswaffen am Elefanten. Tiere im Zoo können außerdem zu kostspielig werden – was häufig mit gesamtgesellschaftlichen, ökonomischen Rahmenbedingungen in Verbindung gebracht wurde. Was als wertvolles, wertgeschätztes Schaustück für eine Ausstellung angesehen wird, war von Spezies zu Spezies und Zeit zu Zeit verschieden. Der Schauwert war dabei ein eigener Nutzwert.59 Die Loslösung von direkten Verwertungszusammenhängen (als Nahrungsmittel, Kleidungsstück oder Arbeitskraft) kann für Rattus rattus im Sinne eines Überflusses das Todesurteil bedeuten, während sie für Loxodonta africana oder Elephas maximus eine Extraportion Heu und ärztliche Versorgung beinhaltet. Allerdings konnten auch einstmals als Ausstellungstiere Vorgesehene diesen Status verlieren. Nachdem 54 |  Vgl. Geschäftsbericht des Verwaltungsrathes, s. Anm. 52. 55 |  Vgl. StdA Hannover, HR 10, 1540. 56 |  Vgl. Die Ratte, der Fluch der Tiergärten, S. 277. Der Artikel erschien ohne Nennung eines Autoren bzw. einer Autorin. Angegeben ist die Tageszeitung Pester Lloyd aus Ungarn vom Januar 1867. Dass in der Fachzeitschrift Der Zoologische Garten Artikel aus anderen Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern abgedruckt wurden, war nicht ungewöhnlich. 57 |  Ebd. 58 |  Ebd. 59 |  Vgl. G.M. König: Schauwert, S. 17.

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die Leitung des Zoologischen Gartens in Hannover 1931 komplett von der Alfelder Tierhandlungsfirma Ruhe übernommen worden war, wurden ökonomische Aspekte bei der Auswahl erhaltenswerter Tiere zunehmend wichtiger. Bereits die Übernahme des Zoos in städtische Regie hatte – ähnlich wie in Frankfurt a.M. – zu neuen Zuständigkeiten und Nachweispflichten geführt. In Korrespondenz mit dem Magistrat der Stadt führte Ludwig Ruhe zur Notwendigkeit der Tötung von neun Mantelpavianen (Papio hamadryas), einer Tüpfelkatze (Felis viverrina), eines Blessbocks (Damaliscus phillipsi), eines Spießbocks (Oryx gazella) sowie einer Hirschziegen-Antilope (Antilope cervicapra), von denen »das Publikum einen sehr schlechten Eindruck« habe, an, sie seien »derartig defekt, daß eine Tötung derselben unbedingt erforderlich ist.«60 Außerdem überflüssig und zu töten sei ein Gayal (Bos frontalis): »Das Tier hat, da es nicht reinrassig ist, keinen Wert und ist nur ein unnützer Fresser.«61 Hier deuten sich die späteren Zuchtprogramme und genetischen Experimente sowie Berechnungen bereits an.

E xperimentiergärten Tötungen von Großsäugern im Zoo waren oft verbunden mit Experimenten, Versuchen und Irrtümern. Gerade bei Elefanten oder Bisons kam es oft zu Fehleinschätzungen bezüglich der tödlichen Dosis von Nervengiften oder der notwendigen Anzahl Schüsse. Kurt Priemel, Direktor des Zoo Frankfurt von 1908 bis 1938, berichtete in seiner Funktion als Mitglied des Frankfurter Vereins für naturwissenschaftliche Unterhaltung Käwwernschachtel bei einer Sitzung im Jahr 1915 von Versuchen, einen Bisonbullen zu töten. Nachdem weder Schüsse in die Nasenwurzel noch in die Lunge zum Tod führten, zeigte erst ein größeres Teilmantelgeschoss, »das den größten Teil des Hirns zerstörte«, die erwünschte Wirkung.62 Zootiere und deren Körper wurden beobachtet und manipuliert und ihre körperlichen Funktionszusammenhänge und Äußerungen in einen Wissensproduktionsprozess über Leben und Tod integriert. Die Gefahr, die beispielsweise von Rattus rattus ausging, war eine körperliche und körperlich konzipierte, die mit der Gesundheit anderer sozialer Körper und Gesundheitspolitiken zu tun hatte.63 Die vorherrschenden Weisen, Tiere mit Bedeutung aufzuladen (ob auf naturwissenschaftliche, wirtschaftliche, emotionale, moralische oder religiöse Art), sind, in Anlehnung an John Storey, ein grundlegender Aspekt hegemonialer Prozesse64 – sie

60 |  StdA Hannover, Magistratsakten, HR 10/1573. 61 |  Ebd. 62 |  Vgl. StdA Frankfurt am Main, Vereinigungen, V 14/45, Protokolle Käwwernschachtel, 18. Sitzung v. 15. Mai 1915, S. 106. 63 |  Vgl. Kap. 5 und 6 in J. Burt: Rats. 64 |  Vgl. J. Storey: Kultur, S. 79.

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»stellen kein unschuldiges Spiel der Semantik dar, sondern sind wesentlicher Bestandteil eines Machtkampfs darüber, was als ›normal‹ angesehen werden kann.«65 Vor dem Hintergrund der hellsichtigen Feststellung von Deleuze und Guattari, »dass es zwischen Rennpferd und Arbeitspferd mehr Unterschiede gibt als zwischen einem Arbeitspferd und einem Ochsen« 66, gerät anhand der diskutierten Beispiele in den Blick, dass situative Binnendifferenzierungen der Kategorie »Mensch« und »Tier« wie auch »Gesellschaft« vorzunehmen sind.67

S chluss »Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.«68 Die Status verschiedener Tiere in Zoos sind so liminal wie die Prozesse, innerhalb derer sie einen sozialen, ideellen oder ökonomischen Wert zugeschrieben bekommen. Der übermütige Elefant, der überzählige Gayal, die Übel übertragende Ratte sind Ergebnis solcher Prozesse, die so physisch-materiell wie soziokulturell geprägt sind. Die Zugehörigkeit zur »anderen« Dimension Natur, die Andersartigkeit und deren Schutzbedürfnis (sodass die Verhältnisse nun mal so bleiben) ist als Symbolik strukturierend für die Organisation der humanimalen Gesellschaft im Zoo. Authentisch scheint dabei stets nur das Stabile. Der Themenkomplex des Tötens von Tieren berührt immer wieder grundsätzliche Fragen der sozialen Organisation, die konkrete Körper betreffen.69 Die Zoogeschichtsschreibung, die lange Zeit institutionengeschichtlich orientiert war, hat diesen Komplex bisher kaum behandelt. Wie Machttechnologien des Disziplinierens und der Biopolitik probiert wie praktiziert wurden, zeigt, dass Akteur_innen im Zoo sich eines selbst verfügten Rechts bedienten, Überwachung und Kontrolle, Aufzeichnung und Ordnung auf diese Organismen auszuüben. »Natur« und der Erhalt ihres »natürlichen« Ablaufs wurden dabei als ein höherer Zweck angegeben oder in den heiklen Bereich des Selbstverständlichen verschoben. Die historische Kontingenz tierlicher Phänomene und ihrer Erklärungen sollten allerdings stets einbezogen werden. Die Natürlichkeit von Leben und Sterben, mit der argumentiert und auf einen höheren Zweck der Tötung von Tieren verwiesen wird, enthält immer den Verweis auf ein höherwertiges Leben, dem diese Tötung dienen würde – sei es eines 65 |  66 |  67 |  68 |  69 | 

Ebd., S. 78. G. Deleuze/F. Guattari: Tausend Plateaus, S. 350. Vgl. M. Möhring: Andere Tiere, S.257. W. Benjamin: Begriff, S. 254. Vgl. M. Douglas: Purity, S. 115.

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mit pädagogischen Boni durch öffentliche Sektion, sei es das Überleben anderer, als besser definierter Tiere oder aber das Überleben sowie (ebenso gesellschaftlich geformte) lukullische Vergnügen von Homo sapiens. Die Problematik besteht nicht zuletzt darin, dass in der Institution des Zoologischen Gartens, die lebendige Tiere sammelt und Leben ausstellt, Tötung als Vernichtung von Erbe und Erbgut den Maximen von Bewahren und Schützen widerspricht. In dieser Hinsicht begreife ich Zoos als Museen und anderen Ausstellungsräumen sehr verwandt, wenngleich dies in der bisherigen Forschung und Theoretisierung weniger zum Tragen kam, sollte der Zoo durch lebendes Inventar doch etwas ganz anderes sein als das naturkundliche Museum.70 Annelore Rieke-Müller hat darauf hingewiesen, dass das Erleben von »anderer« Natur in Übersee sich bei der Gründung auf die programmatischen Vorstellungen der Gestaltung Zoologischer Gärten ausgewirkt hat.71 Das Töten von Zootieren bleibt in der Betriebslogik elementare Grundlage des Ausstellens. Vorstellungen von einem »Naturerbe Tier« verweisen auf eine lange Geschichte und viele Schauplätze einer Kulturalisierung von Lebewesen, die auf den städtischen Bühnen Zoologischer Gärten aus systemischen Gründen zum »Rahmenkollaps«72 führen.

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70 |  Alfred Edmund Brehm schrieb, das »tote, ausgestopfte, in Weingeist aufbewahrt, ist und bleibt immer nur ein Gegenstand«. Illustrirtes Thierleben, Vorwort. 71 |  Vgl. A. Rieke-Müller: Angewandte Zoologie, S. 466. 72 |  T. Holmberg: Urban Animals, S. 2.

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Die Tiertötung als rituell-künstlerische Handlung im Kontext von Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater Stephanie Milling

Dort, wo Menschen und Tiere aufeinandertreffen, geht es – und das schon lange, wie frühe gemeinsame Darstellungen von Menschen und Tieren auf Artefakten und in Höhlen zeigen1 – um Leben und Tod. In der Kunst ist die Repräsentation von Tiertötungen eines der traditionellen Sujets, das sich mit jeweils unterschiedlichem Fokus etwa in Jagddarstellungen oder Schlachtengemälden zeigt. Repräsentation ist hier im doppelten Sinne zu verstehen: Die Bilder haben Repräsentationscharakter und stellen z.B. die fürstliche Macht zur Schau, sind aber eben auch Abbildungen eines Ereignisses. Mit der Abkehr vom Abbild und der Entwicklung von Installationen und Performances als Kunstformen können Künstler_innen Tiertötungen nicht mehr nur in bildlicher Form wiedergeben, sondern tatsächlich selbst durchführen oder durchführen lassen – eine Praxis, die im Folgenden untersucht werden soll. Im Zentrum stehen dabei die Performances von Hermann Nitsch, die sich Formen der Ritualisierung bedienen. Es ist aufschlussreich und gleichzeitig naheliegend, dass die Tötung von Tieren ihren Weg in die Kunst über eine der ältesten Praktiken der Menschheit nimmt, nämlich über das Ritual.2 Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren greifen Tiertötungen in der Kunst den Modus ritueller Opferungen auf, wie er in religiösen Tiertötungen angelegt ist.3 Häufig handelt es sich um einzelne oder jedenfalls wenige Tiere, die in Performances vor Publikum getötet werden. 1 |  Vgl. etwa J. Clottes: Cave Art, S. 238.255. Allerdings ist, wie Clottes ausführt, Vorsicht geboten bei der Interpretation der Bildwerke, die theoretischen Moden folgt; vgl. ebd. S. 21ff. Auch ist nicht jedes gemeinsame Auftreten von Menschen und Tieren auf diesen Bildwerken ein gewaltsames. 2 |  Rituale werden hier verstanden als zeitlich begrenzte, sequentiell verlaufende Handlungen, die in teilweise festgelegten Formen eine temporäre oder andauernde Zustandsverschiebung erzielen sollen oder umgekehrt Ordnungsstrukturen durch regelmäßige Wiederaufführung herstellen und verfestigen. 3 |  Vgl. hierzu die Aufsätze in diesem Band, die das religiöse Tieropfer behandeln.

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Die künstlerisch-rituelle Tiertötung nutzt die Mittel ihrer Zeit: Die Performances entdecken den menschlichen wie tierlichen Körper, sie sind radikal subjektiv und die Unversehrtheit der Beteiligten muss hinter dem Konventionsbruch zurückstehen. Der Körper, um den es geht, ist oft genug nicht heil, sondern ein geschundener, gezeichnet von der Verarbeitung der vorhergehenden oder aktuellen Kriege einerseits, von den Verwerfungen innerhalb der (westlichen) Gesellschaften andererseits. Identität und Destruktion sind die Themen der Stunde. 4 Insofern erscheint es folgerichtig, dass auch der Tierkörper nicht unversehrt bleiben kann. Auf rituelle Formen zurückzugreifen bietet den Künstler_innen offensichtliche Vorteile: Sie rufen Traditionen auf, die dann die Performance durchziehen, ohne explizit ausagiert werden zu müssen, und laden so das künstlerische Handeln quasi nebenher mit Bedeutung auf: »Viele Performance-Künstler schöpfen gern aus solchen Quellen, lassen sich von der Kraft und der Ästhetik der alten religiösen und gesellschaftlichen Riten, von der wortlosen, physischen und spirituellen Gewalt der Schamanen inspirieren. […] Und das Publikum, häufig verwirrt von der Heftigkeit und Direktheit solcher Aktionen, nimmt diese Erkennungszeichen, diese Hinweise auf kulturelle ›Urgeschichte‹ dankbar auf.« 5

Rituale sequenzieren darüber hinaus Handlungsverläufe, sodass sich bereits implizit eine Rahmenhandlung ergibt, innerhalb der sich die Inszenierung von Körper(n) und symbolischen Objekten entwickeln kann. Gleichzeitig sind künstlerische Performances, die sich ritueller Mittel bedienen, nicht Rituale im eigentlichen Sinne – sie haben eine »individuelle«, jedoch eher weniger eine »gesellschaftliche Tiefenwirkung« 6, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie sie Gunter Gebauer und Christoph Wulf für religiöse und gesellschaftliche Rituale konstatieren. Einige binden »Gruppen zu einer Kommunität zusammen«7, andere nutzen die Figur des Schamanen oder der Priesterin oder die Möglichkeiten ritueller Verwandlungen und Übertritte. Dabei steht in der Performancekunst, selbst bei mehrfacher Durchführung, die Ereignishaftigkeit und Singularität der Aufführung im Zentrum, für die Künstler_innen auf rituelle Elemente wie »Wiederholung, szenisches Arrangement, symbolischer Charakter und Expressivität« 8 zurückgreifen. Welche Elemente mit welcher Gewichtung aufgegriffen werden, beeinflusst die Effekte der Performances. 4 |  Von den inzwischen kaum mehr zu zählenden Überblickswerken zur Performancekunst der 1960er bis 1980er Jahre vgl. z.B. P. Schimmel/P. Noever: Out of Actions, R. Goldberg: Performance Art, E. Jappe: Performance – Ritual – Prozeß. 5 |  E. Jappe: Performance – Ritual – Prozeß, S. 9. 6 |  G. Gebauer/C. Wulf: Spiel – Ritual – Geste, S. 137. 7 |  Ebd., S. 145. 8 |  Ebd., S. 150, an dieser Stelle bezogen auf ein Verständnis von Ritualen als »Formen des Sozialen«, Kursivierung wie im Original.

Die Tier tötung als rituell-künstlerische Handlung

Beispiele von Tiertötungen in der Kunst, die sich ritueller Mittel bedienen, lassen sich in den Anfangsjahren der Performancekunst regelmäßig finden, wenn man auch nicht davon sprechen kann, dass sie weite Verbreitung gefunden hätten. Insbesondere im Kontext der ›Destruktionskunst‹ in den 1960er Jahren werden Tiere getötet, etwa von Rafael Montañez Ortiz. Für das von Gustav Metzger und anderen organisierte mehrwöchige Destruction in Art Symposium (DIAS) 1966 plante Ortiz die Tötung eines Huhns für Chicken Destruction, die allerdings nicht durchgeführt werden konnte. Sie fand im selben Jahr in Zusammenarbeit mit Julie Abeles in New York statt. In The Life and Death of Henny Penny wurde die Tötung eines Huhns in den Kontext einer zweiteiligen Aktion eingebettet, die den Rassenkonflikt in den USA drastisch verbildlichte. Für Ana Mendietas Videoarbeit Untitled (Death of a Chicken) starb 1972 ebenfalls ein Huhn, das von Hans Breder, dem Lehrer der Künstlerin, unmittelbar vor der Aufnahme geköpft worden war. Beide verknüpfen ihre Arbeiten mit der Blutopfertradition der kubanisch-afrikanischen Santería und thematisieren damit auch die Problematik ihrer Herkunft. Terry Fox band sich 1972 für Pisces lebende Fische an Zunge und Penis und erlebte so ihren Todeskampf übertragen auf den eigenen Leib. Ein berüchtigtes Beispiel ist die Verbrennung von drei männlichen Ratten 1976 durch den Vietnamveteranen Kim Jones für seine Performance Rat Piece, die er als sein Alter Ego Mudman durchführte. Er wiederholte damit, was er mit seinen Kameraden in Vietnam praktiziert hatte.9 Die genannten Arbeiten loten auf die ein oder andere Weise die kathartische Wirkung ritueller Handlungen aus. Die Rolle der Künstler_innen erinnert in vielen Fällen an ein Schamanentum, das eine Form von Verwandlung und Heilung anstrebt. In diesen Werken allerdings bezieht sich die Heilung primär auf die Künstlerin oder den Künstler selbst, die/der vor Zuschauer_innen agiert. Erst auf einer zweiten Ebene wird die Gesellschaft angesprochen, etwa bei Kim Jones die Beziehung der US-Bevölkerung zu ihren traumatisierten Vietnamheimkehrern.10 Eine etwas andere Form findet die künstlerisch-rituelle Tiertötung bei Hermann Nitsch, der in der Nachfolge dionysischer Mänaden rituelle Gemeinschaften formen will. Im Folgenden werden die Tiertötungen, die in seiner künstlerischen Praxis und insbesondere im Orgien Mysterien Theater stattfinden, genauer untersucht.

9 |  Vgl. u.a. J. Hoffmann: Destruktionskunst, S. 39ff; K. Stiles: Concerning Consequences, S. 176ff. Einzelne Werke finden auch in E. Jappe: Performance – Ritual – Prozeß und P. Schimmel/P. Noever: Out of Actions Erwähnung. 10 |  Vgl. K. Stiles: Concerning Consequences, S. 176ff.

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E x zess und rituelle T ötung Der österreichische Künstler Hermann Nitsch ist einer der ersten, an die man im Zusammenhang von Kunst und Ritual denken mag. Er entwickelte bereits ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre aus der Form des Dramas zunächst Inszenierungen im Geist eines neuen Theaters, das der Repräsentation eine Absage erteilte.11 1960 schrieb er das 1. Abreaktionsspiel, das die grundlegenden Bestandteile seiner späteren Aufführungen ebenso enthielt, wie es bereits ähnliche Ziele verfolgte: »die durch geschrei und aktionen mit farbe, fleisch und blut erreichte erregung soll sich bis zur ausweidung und zerreissung eines schafes steigern: ein radikales psychophysisches ausagieren, die erreichung des grundexzesserlebnisses, wird als extremstes dramatisches geschehnis begriffen.«12 Die Umsetzung dieses Konzeptes in den ersten Aktionen des Künstlers im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit denen anderer Akteure des Wiener Aktionismus wie Otto Mühl13, Adolf Frohner und Günter Brus beinhaltete ebendiese Elemente. Seine Entwürfe für Inszenierungen in kleinerem Rahmen wie die Abreaktionsspiele und die Aktionen sieht Nitsch nicht zuletzt als Vorbereitung seines künstlerischen Lebensprojekts, des auf sechs Tage angelegten Orgien Mysterien Theaters. Seit 1971 verfolgte er dieses Projekt unter anderem im niederösterreichischen Prinzendorf, wo zu diesem Zweck ein Anwesen erworben wurde. Das Orgien Mysterien Theater ist als sechstägige Veranstaltung konzipiert und darin angelehnt an die alttestamentliche Schöpfungserzählung. Es folgt einer »Partitur«14 , die den Ablauf festlegt. Ziel ist, die »Seinszustände des Lebens […] in ihrer Polarität zwischen höchstem Glücks- und höchstem Verzückungszustand, dem rauschhaften Sich-Ereignen des Seins und dem tiefsten Abgrund, dem Ekel, der

11 |  Vgl. dazu J. Hoffmann: Destruktionskunst, S. 31ff zu den theatralen Aspekten im Werk von Hermann Nitsch und seiner Absicht, »im Theater die Repräsentation [zu] beenden und statt dessen eine originäre, selbstreferentielle Repräsentation [zu] schaffen – die Handlungen sollten sich selbst repräsentieren.« Ebd., S. 32. 12 |  H. Nitsch: Lesebuch, S. 231. 13 |  So fand etwa die 1. Aktion am 19.12.1962 in der Wohnung von Otto Mühl statt, die 3. Aktion am 28.6.1963 im Rahmen des Fests des psycho-physischen Naturalismus in Mühls Atelier-Keller in der Wiener Perinetstraße 1. Am gleichen Ort war es im Sommer zuvor vom 1. bis 4.6.1961 zum ersten Mal in Nitschs Werk in Die Blutorgel zur Zerfleischung eines Tierkörpers gekommen, allerdings ohne Publikum. Vgl. J. Hoffmann: Destruktionskunst, S. 26ff. 14 |  Zum Begriff der Partitur und zur Rolle der Musik in der synästhetischen Gesamtkonzeption bei Nitsch vgl. A. Daub: Abgründe des Schreies. Daub setzt den Partiturbegriff Nitschs in Anführungszeichen und grenzt ihn damit von der Partitur musiktheoretischer Prägung ab. Diese Konvention wird hier übernommen.

Die Tier tötung als rituell-künstlerische Handlung

bestialischen Zerstörungswut dunkelster Triebe« zu zeigen.15 In Einzelszenen, die für verschiedene Bereiche des Schlosses konzipiert sind, wird die »Partitur« umgesetzt. In einer festgelegten Abfolge von unter anderem Kreuzigungsszenen, Schlachtungen und Überschüttungen der Akteurinnen und Akteure mit Blut, Innereien und Wein, begleitet von großem Orchester mit Streichern, Bläsern und Glockengeläut, entstehen die vom Orgien Mysterien Theater bekannten und von der Öffentlichkeit beargwöhnten Bilder. Konzipiert ist die Veranstaltung aber vor allem als ein Fest des Lebens, folgt man dem Künstler: »nach der katastrophe des dramas, der nacht, des exzesses des todes, dem grundexzess­ erlebnis wird der spielteilnehmer ins helle bewusstsein des daseins entlassen. das ich verblasst im kosmischen licht des selbst. das selbst als mittelpunkt des alls, des kosmos sollte im herzen des spielteilnehmers strahlend aufgeben. nun ist das spiel zum ausschliesslichen fest geworden. die spielteilnehmer sind auferstanden, sind in die transzendenz und hiesigkeit des daseins voll erwacht. jubel und ausgelassenheit sind überall.«16

Schon Nitschs frühe Konzepte durchzieht ein an das Rituelle angelehnter Handlungsverlauf – in diesem Fall nicht religiöser, sondern künstlerischer Natur, wobei die Übergänge fließend sind.17 Das mythische Personal, das aufgerufen wird, beinhaltet vor allem zwei Figuren: Christus und Dionysos. Das Zerfleischen von Tierkörpern, wie es die dem Dionysos folgenden Mänaden und Satyrn im orgiastischen Rausch praktizieren, stellt für Nitsch ein zentrales Element seiner Aufführungen dar, das er bereits 1961 im von ihm bestrittenen Teil der Blutorgel einsetzte.18 Im Werk des Künstlers erscheinen Christus und Dionysos als die zwei Seiten einer Medaille. So schließt er im MANIFEST das lamm 1964 das gekreuzigte Opferlamm und den dionysischen Exzess kurz: »von der sinnlich empfundenen realität des blutnassen abgehäuteten kadavers ausgehend, läßt sich zu den anfängen des mythischen assoziieren. […] Die dionysische auf15 |  Vgl. die Beschreibung auf den Internetseiten des Künstlers unter omt1998.nitsch. org/ien/facts.htm. 16 |  H. Nitsch: das orgien mysterien theater, Katalogtext white box gallery, http://www. nitsch.org/index-de.html. 17 |  Das Orgien Mysterien Theater ließe sich wohl auch als panreligiös im doppelten Sinne lesen, als quasi-religiöse Form des Ritus, der einer pantheistischen Ideologie der vielen Götter folgt. 18 |  Vgl. T. Dreher: Performance Art nach 1945, S. 164ff. Zu Beginn der mehrtägigen Aktion ließen sich die Künstler Adolf Frohner, Hermann Nitsch und Otto Mühl in Mühls Kelleratelier einmauern. Nitsch bespielt in dieser Aktion den Übergang von der Aktionsmalerei zum Aktionstheater, ohne beides voneinander abzugrenzen: »Die von Nitsch gewählte Form der Überschreitung von Aktionsmalerei zum Aktionstheater ermöglicht die Integration von Aktionsmalerei als Element des Aktionstheaters.« Ebd., S. 165.

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Stephanie Milling wallung endet in der zerreißung des gottes dionysos (des ihn symbolisierenden stieres), endet im exzeß. Das negative abbild der dionysischen orgiastik, die passion, endet im masochistischen opferexzeß. […] Die lammzerfleischung ist im O.M. theater durchgeführte symbolhandlung für das urexzeßerlebnis (ekstatischer endpunkt der abreaktionsorgiastik).«19

Dionysos und Christus, der altgriechische und der christliche Mythos, sind vereint durch die Opferthematik und sogar noch einen Schritt darüber hinaus: durch das Selbstopfer20: »Both had conquered death, both obscured the distinction between blood and wine, and both promised their followers salvation after death.«21 Für den Künstler wie für die aktiven und passiven Akteur_innen dieser und späterer Aktionen bedeutet dies auch, dass sie durch die Teilhabe an der künstlerischen Aktion das Extrem, den Exzess, ohne ernstliche Selbstgefährdung erleben können. Im Einladungsblatt zur 2. Aktion schreibt Nitsch: »Alle meine intensitätswerte, meine in mir bedrängten anlagen zu hektisch masochistisch opferartigen befriedigungen erlösen sich in der ANALY TISCHEN TACHISTISCHEN aktion, welche mir in einem theoretisch zu konzipierenden extremfall des zuendelebens meiner mir vorgezeichneten erlebnisstruktur ein ›selbstopfer‹ erspart.« 22

Das Ausagieren zum Teil unbewusster, nichtsdestotrotz wirkmächtiger innerer Zustände im Exzess, als Abreaktion, ist das erklärte Ziel Nitschs. In der Form eines Opferritus werden diese Zustände zuerst auf Tiere und passive Teilnehmer_innen23 übertragen und schließlich für alle aufgelöst. Die Aktionen Hermann Nitschs beinhalten häufig eigens beschaffte tote Tiere. Schon 1979 sieht sich der Künstler genötigt, sich zu den dafür nötigen Schlachtungen zu erklären: Es seien nur in zwei Fällen während der Aufführung Tiere getötet worden.24 Ihre Körper werden zerlegt und Blut und Eingeweide dienen neben anderen organischen Materialien, wie bei Nitsch üblich, als Schüttmaterial, das über die Teilnehmer_innen gegossen wird. Nitsch schreibt dazu 19 |  Museum Fridericianum, Kassel u.a. (Hg.): Aktionismus, S. 285. 20 |  Zur Opferrolle Jesu siehe den Beitrag von M.Z. Petropoulou in diesem Band. 21 |  A. Henrichs: Loss of Self, Suffering, Violence, S. 212f. 22 |  H. Nitsch: Einladungsblatt zur 2. Aktion zur Eröffnung der Galerie Dvorak, Wien, 16.3.1963, in: Museum Fridericianum, Kassel u.a. (Hg.): Aktionismus, S. 251. 23 |  Das Publikum setzt sich aus aktiven Akteur_innen, die Handlungen an passiven Akteur_innen vollziehen, und Spielteilnehmer_innen zusammen – unbeteiligte Zuschauer wie in den Performances anderer Künstler_innen gibt es nicht. Das bedeutet auch, dass sich die Wirkung des Exzesses auf alle Teilnehmer_innen erstrecken soll, wenn dies auch nicht immer gelingen mag. 24 |  Vgl. J. Hoffmann: Destruktionskunst, S. 34; H. Nitsch: Die Partituren aller aufgeführten Aktionen, S. 11.

Die Tier tötung als rituell-künstlerische Handlung

bereits 1969: »Wegen mir soll kein tier getötet werden. Im o.m.-theater werden nur an altersschwäche gestorbene und notgeschlachtete tiere ausgeweidet und zerrissen.«25 In der Rückschau präzisiert er: »mir war es immer wichtig, dass alle von mir verwendeten, geschlachteten tiere nach den aktionen gegessen werden. Sie wurden doppelt gebraucht, für die aktion als auch als nahrungsmittel.«26 In mehreren Aktionen integriert Nitsch die Schlachtung von Tieren in den Ablauf, indem er die Aktion in ein Schlachthaus verlegt oder umgekehrt die Tiere am Ort der Aktion von Metzgern schlachten lässt, um, wie er sagt, den »übliche[n] tötungsvorgang« zu betrachten, »welchen unsere gesellschaft unternimmt, um sich zu ernähren«27. In der Umsetzung des Orgien Mysterien Theaters 1998, die der künstlerischen Idee wohl am nächsten kommt, werden ebenfalls mehrere Tiere auf dem Schlossgelände in Prinzendorf vor Teilnehmer_innen geschlachtet. Die Tötung vor Publikum ist für den Künstler nicht für jede Einzelaktion zwingend notwendig, insbesondere, so könnte man vermuten, seit die öffentliche Kritik an Lautstärke gewann und dadurch die Aufführungen als solche aus dem Blick zu geraten drohten: »Nicht das Schlachten, sondern das Aufschneiden der Haut als äußere Hülle, ist für Hermann Nitsch maßgeblich«28, behauptet Justin Hoffmann. Aus der Liste der Arbeiten, in denen die Schlachtung vom Künstler als Bestandteil in den Ablauf aufgenommen wird, lässt sich jedoch schließen, dass das Miterleben der Tötung von Tieren für sein Konzept zentral ist. In jedem Fall gehört die rituelle Tiertötung natürlich in den Kreis der Topoi, die die Aufführungen aufrufen – selbst wenn die Tötung nicht ausgeführt wird, so wird sie doch mitgedacht und gehört ganz eigentlich dazu. Nitsch selbst beschäftigt sich in der Theorie zum Orgien Mysterien Theater ausführlich mit der Kunstfähigkeit von Tiertötungen, wie er überhaupt einen kaum zu rezipierenden Theoriekorpus zur Konzeption ›seines‹ Theaters produziert hat. Er leitet aus der Geschichte der Kunst und ihrer Entwicklung von der Mimesis zu einem verdichtenden Realismus29 einerseits ihre Freiheit, andererseits aber auch den Verlust ihrer Unschuld her, wenn er in den Nachgedanken zum Sechstagespiel von 1998 schreibt:

25 |  H. Nitsch: Orgien Mysterien Theater 1969, S. 39. 26 |  H. Nitsch: Rückblick nach der Aufführung des Sechstagespieles, S. LI. 27 |  H. Nitsch: Orgien Mysterien Theater 1969, S. 223. Vgl. hierzu auch die ausführliche Zusammenstellung zu Schlachtungen bei Hermann Nitsch bei T. Dreher: Performance Art nach 1945, Anm. 317, S. 169ff. 28 |  J. Hoffmann: Destruktionskunst, S. 34. 29 |  Zur Verdichtung der Realität in der Aktions- und Performancekunst schreibt Nitsch: »happening, aktionismus und performancekunst inszenierten reale geschehnisse. die kunst wurde nun nur mehr verdichtung von vorgefundenem.« H. Nitsch: Rückblick nach der Aufführung des Sechstagespieles, S. XLVII.

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Stephanie Milling »gerade deshalb, weil man sich hinter dem kunstbegriff nicht verstecken kann, weil die künstlerische tätigkeit nicht mehr garantie für das absolut gute und reine handeln ist, gerade deshalb weil die kunst keine moralische zwangsidee ist, hat die kunstausübung einen verantwortungsbereich. […] die kunst ist zwar frei, sie dient aber jetzt nicht mehr dem mythos einer religion, einer ideologie, sie ist frei, nur mehr auf das wesentliche (eigentliche), auf das sein bezogen, hat aber dadurch ihre unschuld eingebüsst. das heisst, dass jeder künstler selbst die verantwortung für seine kunst trägt […] ich selbst muss entscheiden, ob meine kunst schädlich wirkt auf andere oder nicht.« 30

Und er zieht daraus den bemerkenswerten Schluss: »das tatsächliche töten in der kunst ist deshalb fast immer abzulehnen, nicht weil es nicht kunst ist, sondern weil es eine amoralische handlung ist.«31 Die Tiere, die während der Aktionen geschlachtet werden, nehmen die Rolle von Medien ein. Durch ihre Schlachtung, die durch den Kunstkontext zur rituellen Opferung wird, ist die durch das Orgien Mysterien Theater angestrebte Transformation überhaupt erst möglich. Das bedeutet aber auch, dass die Tiere zwar mit üblichen Schlachtungsmethoden getötet werden, dass es sich aber gerade nicht um, wie Nitsch behauptet, den ›üblichen Tötungsvorgang‹ handelt, der ans Licht gebracht werden soll. Es geht darum, die transformative Wirkung des Tötens zu nutzen, um das Drama zu Beginn der Aktion wirkmächtig zu machen und schließlich aufzulösen. Die Tötungen gliedern den Ablauf, sie finden nicht einfach zu einem beliebigen Zeitpunkt statt, sondern kennzeichnen z.B. den Auftakt, wenn für den Sonnenaufgang des ersten Veranstaltungstages eine Schlachtung vorgesehen ist, wie die »unverbindliche Gesamtkonzeption« angibt: »1. tag montag 3. august 1998 / 4 uhr 45 sonnenaufgangsmusik / 5 uhr 32 sonnenaufgang / schlachtung und ausweidung eines stieres.«32 Wenn sich der Künstler die Argumente von Tierschützer_innen zu eigen macht, erscheint dies als durchsichtiges Manöver, wenn auch angesichts der starken öffentlichen Kritik nachvollziehbar. Gleichzeitig schwächt er damit selbst die künstlerische Argumentation. Nachdem sich 1998 im Vorfeld und während des groß angelegten Sechstagespiels der Konflikt mit den Tierschützer_innen zugespitzt hat, zieht sich Nitsch auf die Position der Kunstfreiheit zurück: »jetzt aber, wo sich die fronten verhärten, muss bestimmt darauf hingewiesen werden, dass es sich bei meinen aktionen um kunst handelt, und es möglich sein muss, dass ein tier, das für die nahrung geschlachtet worden ist, auch für die kunst verwertet werden kann.«33 Den Tierschützer_innen wirft er dagegen eine fehlgeleitete Symbolpolitik vor, weil sie versuchen, die drei Stiere, die für die Schlachtung während der Aktion vorgesehen sind, zu erwerben,

30 |  Ebd., S. XLVIII. 31 |  Ebd., S. XLIX. 32 |  H. Nitsch: Vorläufige, unverbindliche Gesamtkonzeption, S. XXX. 33 |  H. Nitsch: Rückblick nach der Aufführung des Sechstagespieles, S. LI.

Die Tier tötung als rituell-künstlerische Handlung

nach der Weigerung des Metzgers aber nicht die stattdessen angebotenen sechs anderen Stiere kaufen.34 Auch wenn die Tötung für den Künstler keine unverzichtbare Rolle spielt, so beeinflusst sie doch die Performer_innen und Zuschauer_innen stark: »the moment before the slaughter of the last of the live bulls used for the festival, a strange, eerie and dizzying moment; fascinating yet terrible and truly tragic (I believe I shed – as I’m sure others also did – tears for the bull) … Brought face to face with the mystical spectacle of death that society tries so hard to cover over … silence, awful silence …« 35

Das Orgien Mysterien Theater verfolgt das Ziel, ein synästhetisches Gesamtkunstwerk zu kreieren: Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Sehen sind die Mittel, mit deren Hilfe ein orgiastisches Gemeinschaftserlebnis möglich werden soll. Zwar erklärt der Künstler selbst zur wichtigsten Eigenschaft seines Theaters, »daß alles wirklich ist«36, die Echtheit und Realität des Erlebten wird abgegrenzt vom Theater als Inszenierung des Als-ob und Ort der Schauspielerei. Allerdings ließe sich argumentieren, dass der angestrebte Exzess und der damit einhergehende Trancezustand eher eine Übersteigerung der Realität bedeuten – nicht gespielt und damit ›unecht‹, aber eben auch nicht ›real‹ im Sinne von alltäglich, weil es sich um einen Ausnahmezustand handelt. Sich vollständig der sogenannten ›Wirklichkeit‹ des Unbewussten hinzugeben bleibt faktisch unmöglich und dennoch utopisches Ziel.37

D ionysische G emeinschaf ten Die Figur des griechischen Gottes, auf die Nitsch Bezug nimmt, darf man wohl als den von Nietzsche geprägten ›modernen‹ Dionysos verstehen, wie ihn Albert Henrichs als Ausgangspunkt der Dionysosbezüge in der Moderne herausarbeitet: »The dominant themes in the modern reception of Dionysus can be summarized

34 |  Vgl. ebd., S. L. 35 |  Zitiert nach J. Ullrich: ›Animals were Harmed‹, S. 167f., Auslassungen wie dort. 36 |  H. Nitsch: Orgien Mysterien Theater, Darmstadt: März 1969, S. 13. 37 |  Hermann Nitsch beschreibt die Schwierigkeiten des Orgiastischen in einem Interview mit dem legendären österreichischen Talkshowmoderator Hermes Phettberg: »Die Orgie ist ja bis zu einem gewissen Grad auch ein – streng genommen – ein Fantasiebegriff […], der einen Zustand mehr oder weniger intendiert, der vielleicht nie eingeholt werden kann. Und das ist mir vollkommen klar. […] [D]ass die Orgie bis zu einem gewissen Grad eine Projektion eines – ich will nicht sagen eines Idealzustandes ist – aber eines Zustandes, der vielleicht in dieser Form nicht erreichbar ist.« Phettbergs Nette Leit Show vom 1.7.1995, vgl. youtube.com/watch?v=LzBxLmn8RcA.

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as loss of self, suffering, and violence.«38 Henrichs betont die Ambivalenzen – und zum Teil unvereinbaren Differenzen – der Dionysos-Lesarten von der Antike bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; er steht für die gewalttätige Zerstörung von Leben ebenso wie für die Unzerstörbarkeit des Lebens: »Dionysus can be seen either as an embodiment of life or as an agent of death and destruction […]. The Greeks themselves tended to regard Dionysus’ two sides as closely connected and inseparable, a tendency that finds its parallel in the case of other deities such as Artemis or the Erinyes/Eumenides, whose myths and rituals, like those of Dionysus, reflected the biological life cycle with its alternations from birth to death.« 39

Nietzsche ist dann derjenige, der die Unvereinbarkeiten – Leben und Tod, Leiden und seine Überwindung in der Tragödie – zusammenbinden kann. 40 Der Mythos, auf den sich Nietzsche besonders bezieht, ist der des Dionysos Zagreus, der wiedergeboren wird, nachdem die Titanen ihn zerrissen haben. Henrichs erläutert seine Rolle für Nietzsches Philosophie: »Nietzsche interprets the rebirth of the god as the end of individuation and as man’s fusion with the primal unity.«41 In der Aufführung der Tragödie wird diese Aufhebung der Individualisierung zugunsten einer ursprünglichen Einheit performativ realisiert. An dieser Stelle werden die Bezüge zu den Aktionen Hermann Nitschs offensichtlich: In der Grenzüberschreitung durch den Exzess auf der einen, der Teilnahme am Opfer auf der anderen Seite erfolgt die Wiedergeburt nicht als Einzelwesen, sondern als Gemeinschaft. Ritual und Glaube sind in der Kunst nicht aneinander gebunden. Das künstlerische Ritual lässt zwar einen religiösen Ursprung anklingen, auch im ganz konkreten Sinne, wenn z.B. christliche rituelle Handlungen wie Prozessionen in den künstlerischen Kontext gestellt werden – allein, es fehlt der Glaube. Die Tatsache, dass die Gemeinschaft, die in Nitschs Aktionen entsteht, keine primär religiöse, sondern eine künstlerische ist, kann im Licht der Ritualtheorien des 19. und 20. Jahrhunderts nicht überraschen: Die Überzeugung, dass der Kult dem Ritus folgt, die religiöse Überzeugung der praktischen Handlung, hat sich durchgesetzt: »Rituale als religiöse und soziale Handlungen [seien] grundlegender […] als religiöse Ideen.« 42 Entsprechend lassen sie sich im sozialen Raum verorten und untersuchen, wie Ulrike Brunotte zu Émile Durkheims Ritualtheorie formuliert, wie es aber ebenso für das Orgien Mysterien Theater gelten kann: »Rituale werden im emphatischen Sinne als Medien von Massenerregungen, festlicher Selbstwahrnehmung und Vergemeinschaftung verhandelt. In ihnen löst sich nach Durk38 |  A. Henrichs: Loss of Self, Suffering, Violence, S. 206. 39 |  Vgl. ebd., S. 209ff. 40 |  Vgl. ebd., S. 221f. 41 |  Ebd., S. 222. 42 |  U. Brunotte: Das Ritual als Medium ›göttlicher Gemeinschaft‹, S. 88.

Die Tier tötung als rituell-künstlerische Handlung heim die Trennung der arbeitsteilig atomisierten Individuen in der Weise auf, wie ein zwischen Subjekt und Objekt changierender medialer Raum geschaffen wird, ein kollektiver Erregungs- und Affektraum, der zugleich erhöhte Selbstwahrnehmung ermögliche und die ›Geburtsstätte‹ der ›religiösen Idee‹ – des ›Göttlichen‹ sei.« 43

Die maßgeblichen Eckpunkte der Kunst Hermann Nitschs können aus dem Dionysosmythos abgeleitet werden, der wiederum dem Christusmythos verwandt ist. Leben und Tod sind zentrale Motive, die sich in der Tieropferthematik immer wieder zeigen. Der Exzess, provoziert durch ein Gesamtwerk aus »Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten, Hören, Fühlen in allen Zwischen- und Extremstufen«44, wie Ulrike Brunotte über das Ritual schreibt, zielt auf die Überschreitung des Individuums ab. Die Teilnehmer_innen und Akteur_innen werden zu einer überindividuellen, neuen Form von Gemeinschaft, die im Ritus und durch wiederholte Aufführungen immer wieder aufs Neue hergestellt wird. Dieser Ritus ist im Falle Nitschs ohne das Tieropfer nicht denkbar. Es ist vielleicht das wichtigste Element und Katalysator für die erhoffte Transformation vom Individuum zur Gemeinschaft.

L iter aturverzeichnis Brunotte, Ulrike: Das Ritual als Medium ›göttlicher Gemeinschaft‹, in: Erika Fischer-Lichte/Christian Horn u.a.: Wahrnehmung und Medialität [Theatralität Bd. 3], Tübingen/Basel: A. Francke 2001, S. 85-102. Clottes, Jean: Cave Art, London/New York: Phaidon 2008. Daub, Adrian: »Die Abgründe des Schreies« – Die Musik Hermann Nitschs, in: Hubert Klocker/Thomas Trabitsch/Michael Buhrs (Hg.): ExistenzFest. Hermann Nitsch und das Theater, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2015, S. 121-161. Dreher, Thomas: Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia [Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden, Bd. 3], München: Fink 2001. Gebauer, Gunter/Wulf, Christoph: Spiel – Ritual – Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1998. Goldberg, RoseLee: Performance Art. Futurism to the Present [erweiterte 3. Ausgabe], London: Thames & Hudson 2011. Henrichs, Albert: Loss of Self, Suffering, Violence. The Modern View of Dionysus from Nietzsche to Girard, in: Harvard Studies in Classical Philology, 88 (1984), S. 205-240. Hoffmann, Justin: Destruktionskunst. Der Mythos der Zerstörung in der Kunst der frühen sechziger Jahre [Diss.], München: Silke Schreiber 1995.

43 |  Ebd. S. 87. 44 |  Ebd.

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Jappe, Elisabeth: Performance – Ritual – Prozeß. Handbuch der Aktionskunst in Europa, München/New York: Prestel 1993. Museum Fridericianum, Kassel, Kunstmuseum Winterthur, Scottish National Gallery of Modern Art, Edinburgh (Hg.): Von der Aktionsmalerei zum Aktionismus, Wien 1960-1965: Günter Brus, Adolf Frohner, Otto Mühl, Hermann Nitsch, Alfons Schilling, Rudolf Schwarzkogler [Ausst.-Kat., Museum Fridericianum Kassel, 12. Juni-4. Sept. 1988], Klagenfurt: Ritter 1988. Nitsch, Hermann: Orgien Mysterien Theater, Darmstadt: März 1969. Nitsch, Hermann: Das Orgien Mysterien Theater. Die Partituren aller aufgeführten Aktionen 1960-1979, Bd. 1, 1.-32. Aktion, Neapel 1979. Nitsch, Hermann: O. M. Theater. Lesebuch, Wien: Freibord 1983. Nitsch, Hermann: das orgien mysterien theater, Katalogtext zur Ausstellung »Günter Brus and Hermann Nitsch«, 7.10.-18.12.1999, white box gallery New York, abruf bar unter www.nitsch.org/index-de.html, letzter Zugriff 02.05.2016. Nitsch, Hermann: Vorläufige, unverbindliche Gesamtkonzeption für das vom 3. bis 9. August 1998 in Prinzendorf geplante Sechstagespiel (1997), in: Otmar Rychlik (Hg.): Hermann Nitsch. Das Sechstagespiel des Orgien Mysterien Theaters, Prinzendorf 3.-9. August 1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2003, S. XLI-LVI. Nitsch, Hermann: Rückblick nach der Aufführung des Sechstagespieles in Prinzendorf 1998 (1999), in: Otmar Rychlik (Hg.): Hermann Nitsch. Das Sechstagespiel des Orgien Mysterien Theaters, Prinzendorf 3.-9. August 1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2003, S. XLI-LVI. omt1998.nitsch.org/ien/facts.htm, letzter Zugriff 02.05.2016. Rychlik, Otmar (Hg.): Hermann Nitsch. Das Sechstagespiel des Orgien Mysterien Theaters, Prinzendorf 3.-9. August 1998, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2003. Schimmel, Paul/Noever, Peter (Hg.): Out of Actions. Zwischen Performance und Objekt 1949-1979, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 1998. Stiles, Kristin: Concerning Consequences. Studies in Art, Destruction, and Trauma, Chicago/London: University of Chicago Press 2016. Ullrich, Jessica: ›Animals were Harmed in the Making of this Artwork‹. The Visibility of Animal Death in Artworks, in: Kassandra Nakas/Jessica Ullrich (Hg.): Scenes of the Obscene. The Non-Representable in Art and Visual Culture, Middle Ages to Today, Weimar: VDG 2014, S. 163-182. youtube.com/watch?v=LzBxLmn8RcA: Phettbergs Nette Leit Show vom 1.7.1995, letzter Zugriff 30.4.2016.

Geschmackvolle Tiertötung – Die aufregende neue Bildsprache der »BEEF!«? Daniel Wolf

A peritif Der Verzehr von Fleisch ist ein sensibles Thema geworden. Dabei geht es nicht allein um Fragen des persönlichen Geschmacks, über den sich ja bekanntlich streiten lässt. Die Entscheidung zum Fleischverzehr oder -verzicht ist letztendlich auch eine Frage nach dem Umgang mit anderen Lebewesen und hat somit eine ethische Dimension, welcher immer mehr Bedeutung zukommt. Und auch wenn der Fleischverzehr immer noch die dominante Praxis ist, sind vegetarische oder vegane Ernährungsweisen nicht mehr mit einer Rechtfertigungsverpflichtung verbunden. Vielmehr richtet sich die Kritik mittlerweile immer häufiger auf die karnivore Esskultur. Indem die Tiere und ihr Wohlergehen als relevante Aspekte in die Argumentation miteinbezogen werden, wird der Fleischverzehr zur moralischen Frage und bedarf nun selbst der Begründung. Die Sichtbarkeit des getöteten Tieres stellt im Rahmen der folgenden Argumentation einen zentralen Aspekt dar. Diese wird der Entfremdung gegenübergestellt, welche durch die Distanz zwischen der Wahrnehmung des verzehrfertigen Fleisches und dem lebenden Tier entsteht. Den Hintergrund des Ideals aufgeklärter Verbraucher_innen bildet dabei eine Vorstellung von der notwendig negativen Reaktion auf die Prozesse, die zur Fleischproduktion erforderlich sind. Die Annahme, dass die Anschauung der »Fleischwerdung« des lebendigen Tiers als abstoßend erfahren werden muss, scheint sich jedoch nicht unbedingt bestätigen zu lassen, wenn man den Umgang einer Zeitschrift wie der sich selbst als »Männermagazin« titulierenden BEEF! mit diesem Thema betrachtet: Hier wird das Hinschauen zum notwendigen Teil des gastronomischen Genusses erhoben. Wenigstens scheint Paul McCartneys Überzeugung, »If slaughterhouses had glass walls, everyone would be vegetarian«1, nicht mehr haltbar, wenn die Zielgruppe eines solchen Magazins – die offenkundig existiert, wie dessen mitt1 |  P. McCartney, Glaswände 2013, min 1.

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lerweile 7-jähriges Bestehen bescheinigt – diesen Anblick sogar als (appetit-)anregend empfinden soll. Immerhin liegt die Auflage bei durchschnittlich 60.000 verkauften Exemplaren.2 Im Vergleich zur wesentlich allgemeiner orientierten Zeitschrift essen und trinken des gleichen Verlags, bei welcher die Auflage bei knapp 156.000 liegt,3 scheint dieses Konzept also durchaus sein Publikum zu finden. Dabei wird explizit mit der Sichtbarkeit des Todes und des Tötens geworben und auch die Begründung für dieses Vorgehen ähnelt der Argumentation der Befürworter_innen des Fleischverzichts: »Wer Fleisch isst, muss der Tatsache ins Auge sehen, dass für seinen Genuss ein Tier stirbt. Wie wird es gehalten – und wie endet sein Leben?« 4 Dem Kontrast zwischen dem potentiell als unerfreulich empfundenen Anblick des sterbenden Tiers und seiner gastronomischen Qualität wird hier ein Konzept von Männlichkeit gegenübergestellt, welches schon im Werbeslogan »Männer kochen anders«5 angekündigt und auch durch den Untertitel Für Männer mit Geschmack als zentrales Thema der Zeitschrift dargestellt wird. Hierbei wird die Ernährung als ein »identitätsstiftendes und distinktives Mittel«6 eingesetzt. Das Fleisch dient der Abgrenzung von einer als weiblich assoziierten Form des Kochens.7 Weiblichkeit wird dabei mit übertrieben gesunder Ernährung oder Vegetarismus gleichgesetzt. Der männliche Vegetarier wird zum Feindbild, da er das von der BEEF! entworfene, klare Bild zerstört. Vor diesem Hintergrund erscheint die These Julia Gutjahrs, »dass ein Phänomen wie BEEF! auch als eine Reaktion auf eine Zunahme und Popularisierung von Ernährungsformen wie Vegetarismus und Veganismus interpretiert werden kann« 8, durchaus überzeugend. Schließlich gibt gerade die Vehemenz, mit welcher der Fleischverzehr als wesentlicher Aspekt der Männlichkeit hervorgehoben wird, »Anlass zu der Vermutung, dass ein Bild von Männlichkeit brüchig geworden ist […].«9 Das in der BEEF! konstruierte Bild des Mannes setzt dagegen eine natürliche Differenz zwischen Mann und Frau voraus, die längst überkommen scheinende Rollenklischees wieder aufleben lässt und dabei auf ein anachronistisches Konzept rekurriert, welches Geisteshaltung und Ernährung miteinander verbindet. Das Tier wird dabei als Fleisch instrumentalisiert, mithilfe dessen der Mann sich die Bestätigung seiner Rolle selbst aneignen kann. Wie Julia Bodenburg es beschreibt,

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Gruner & Jahr: BEEF!, Profil 2016, S. 3. Gruner & Jahr: essen & trinken, Profil 2016. BEEF! Nr. 25, 1/2015, S.162. aboshop.essen-und-trinken.de. J. Bodenburg: Fleisch, S. 57. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. J. Gutjahr: Tierausbeutung, S. 115. J. Bodenburg: Fleisch, S. 58.

Geschmackvolle Tier tötung – Die aufregende neue Bildsprache der »BEEF!«?

wird ein Bild vom idealen Mann entworfen, der sich »seine Kompetenzräume [zurückerobert], die ihm gesellschaftshistorisch abhandengekommen sind.«10 Der Mann eignet sich die animalische Kraft durch den Verzehr an und bestätigt durch diese ultimative Unterwerfung des Fleisches – welche wenigstens symbolisch auch die Frauen vereinnahmt – die Herrschaft des Mannes über seine Umwelt. Während die Frau selbst zum Fleisch wird, nimmt der Mann dieses auf und eignet sich die innewohnende Kraft an. Der Verzicht auf Fleisch wird damit zum Verlust der männlichen Stärke. Eine Haltung, die etwa an Nietzsche gemahnt, der den Fleischverzicht als ein »Auflehnen gegen die Natur«11 bezeichnete, die notwendig mit dem Verlust von körperlicher ebenso wie geistiger Kraft einhergehen müsse: »[E]s ist unglaublich, was eine so abnorme Lebensweise, die nach allen Seiten hin Kampf verursacht, an Kraft und Energie des Geistes aufzehrt, die somit edleren und allgemein nützlicheren Bestrebungen entzogen werden.«12 Die Kraft der Tiere, die in der Jagd und der Schlachtung bezwungen werden, wird mit dem Fleisch und Blut – dem in einer Gesellschaft, die sich auf die Blutsverwandtschaft stützt und somit die Übertragung von Eigenschaften ganz grundlegend daran bindet, eine besondere Bedeutung als Überträger von Stärke zukommt13 – symbolisch aufgenommen. Das zu konsumierende Objekt unterliegt dem Willen des Mannes und wird von ihm beherrscht, sowohl in der Zubereitung des Essens als auch in der Verführung der Frau, die er eben damit »ins Bett kocht«.14 Entsprechend treten Frauen wie auch Tiere kaum als aktiv handelnde Subjekte auf, sondern werden gleichermaßen als passive Konsumgüter präsentiert. Sowohl bei der Zucht als auch bei Schlachtung und der weiteren Verarbeitung werden ausschließlich männliche Akteure gezeigt.15 So wie der Tierkörper wird auch der weibliche Körper auf seine Einzelteile reduziert und somit zum Fetisch.16 Beide werden auf ihr Fleisch und den männlichen Genuss daran reduziert. Dies wird sprachlich wie auch visuell umgesetzt. So finden oftmals Begriffe wie »Fleischeslust« und andere »kannibalistische Liebesmetaphern«17 Verwendung. »Wir begehren, was wir jeden Tag sehen«18, wird der Kannibale Hannibal Lecter aus dem Roman »Das Schweigen der Lämmer« zitiert und der Fleischverzehr durch die Aufforderung »Sündige!«19 zum erotischen Erlebnis erklärt. Dies wird durch die 10 |  Ebd., S. 61. 11 |  F. Nietzsche: Brief, S. 58. 12 |  Ebd., S. 58f. 13 |  Vgl. J. Parry: Nostalgia, S. 244. 14 |  BEEF! Nr. 1, 1/2009, S. 114. 15 |  Vgl. J. Gutjahr: Tierausbeutung, S. 91.98. Zur Inszenierung weißer, hegemonialer Männlichkeit im Kontext der Jagd siehe den Beitrag von S. Zehnle in diesem Band. 16 |  Vgl. J. Bodenburg: Fleisch, S. 61. 17 |  Ebd., S. 60. 18 |  BEEF! Nr. 22, S. 107. 19 |  Ebd.

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entsprechende Visualisierung – der nackte Körper einer Frau bildet den Hintergrund des Artikels – unterstützt. Deutlich wird, dass »heiße Schenkel« als Konsumgut des Mannes zu sehen sind, unabhängig davon, ob auf den tierischen oder den weiblichen Körper Bezug genommen wird. Die Bedürfnisbefriedigung steht im Vordergrund und kann ohne Gewissensbisse ausgelebt werden.20 Das Feuer des Grills wird somit zum »Refugium für den durch die Gleichberechtigung geschwächten Mann […]«21, der hier seine Dominanz affirmiert. Der Großteil der Kritik, die sich mit dem Magazin befasst, und auf die im Folgenden anhand eines Beitrags von Jan Phillip Reemtsma eingegangen werden soll, behandelt jedoch nicht vornehmlich das Geschlechterverhältnis, sondern legt ihren Fokus auf die angeblich propagierte Grausamkeit gegenüber Tieren.22 Gewisse Respektlosigkeiten, welche bereits in den Wortspielereien stecken, gilt es jedoch zu relativieren. So verwendet auch die Firma Meine kleine Farm mit dem Werbespruch »Wir geben Fleisch ein Gesicht«23 ein auf den ersten Blick ähnlich morbide anmutendes Konzept, um damit »Für ein neues BewuRstsein«24 im Umgang mit Tieren zu werben, verfolgt dabei aber ein explizit auf das Tierwohl ausgerichtetes Konzept.25 Und so scheint es möglich, dass auch in der BEEF! ein ethisches Konzept mit der Art der Präsentation verbunden sein könnte, das den Leser über ästhetisierte Pfade des Fleischverzehrs zu einer durchaus produktiven Perspektive auf die damit verbundenen Problematiken führt, oder dass zumindest mehr dahintersteckt als die plakative Botschaft, dass ein echter Mann sein Essen selber fangen oder wenigstens selber totschlagen sollte. Die Kontroverse, welche etwa die politische Unterstützung von Initiativen zur Einführung eines vegetarischen Tages an öffentlichen Kantinen durch Bündnis 90/Die Grünen 26 auslöste, zeigt anschaulich die Schwierigkeiten einer direkten Belehrung auf. BEEF! hingegen greift die Selbstbestimmung nicht an und könnte so der Massen-

20 |  Vgl. J. Gutjahr: Tierausbeutung, S. 91f. 21 |  J. Bodenburg: Fleisch, S. 62. 22 |  Umfassendere Analysen zur Verbindung von Fleisch und Erotik bzw. zur Objektivierung der Frau in der BEEF! finden sich bei J. Gutjahr: Tierausbeutung sowie J. Bodenburg: Fleisch. 23 |  www.meinekleinefarm.org. 24 |  Meine kleine Farm: BeWurstsein. 25 |  Der Verzicht auf anonymes Fleisch soll der industriellen Massentierhaltung entgegenwirken. Auf der Wurst ist das verarbeitete Schwein abgebildet. Die Konfrontation mit dem Individuum soll zum Nachdenken und daraus folgend zur bewussten Entscheidung für oder gegen den Fleischverzehr anregen. Diese Transparenz führt dem Konzept zufolge zu Respekt und Rücksichtnahme, die sich nicht notwendig in einem vollständigen Verzicht auf Fleisch ausdrücken müssen, sondern die Reduktion auf ein vernünftiges Maß beschränkt, das sowohl gesund ist, als auch den Tieren ein artgerechtes und glückliches Leben ermöglicht. 26 |  Bündnis 90/Die Grünen: Wahlprogramm, S. 164.

Geschmackvolle Tier tötung – Die aufregende neue Bildsprache der »BEEF!«?

tierhaltung entgegenwirken, ohne mit einer Schuldzuweisung an die Leser_innen zu operieren. Zunächst liegt damit also die Frage nahe, wieviel Ironie oder Ernst hinter der maskulinen (Selbst-) Darstellung vor allem in Verbindung mit der Bedeutung des Tötens sowie des Fleischverzehrs für die Männlichkeit im Magazin für Männer mit Geschmack steckt. Die Rolle der Bilder ist hierbei von besonderem Interesse, da diese besonders gut die Grenzen der Ironie erkennbar machen. So kann die Behauptung, dass ein echter Mann selber töten und schlachten sollte, aufgestellt werden, ohne dass sie allzu ernst gemeint wäre. Doch wenn eine Bildserie zeigt, wie ein Huhn enthauptet und auseinandergenommen wird, ist die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung kaum zu vermeiden. Zudem mag – auch vor dem Hintergrund, dass ein Bewusstsein für den Zusammenhang von Tod und Schlachtung mit dem Fleischverzehr geschaffen werden soll – fragwürdig erscheinen, wie dieser Anblick mit dem Anspruch eines Kochmagazins in Einklang zu bringen ist und sogar zum Genuss beitragen soll. Deshalb ist zu fragen, wie dieses Problem hier gelöst wird, wie also Tötung und Schlachtung appetitanregend ins Bild gesetzt werden – insbesondere natürlich, ob und wie die angekündigte »aufregende, neue Bildsprache«27 zu einer positiven Konnotation der Gewalt gegen die Tiere in Verbindung mit dem Essen beiträgt.

H ors d ’œuvre Bevor wir die visuelle Verknüpfung von Tier und Fleisch innerhalb des Magazins betrachten, wollen wir einen Blick auf die Bilder werfen, über die der Leser üblicherweise zum ersten Mal in Kontakt mit der Zeitschrift kommt, also Werbeanzeigen und Coverbilder. Auf einem ersten Beispiel einer Werbeanzeige (Abb. 1) sehen wir im Vordergrund die Silhouette eines Kalbs, das als Rückenfigur auf die nebelverhangenen Umrisse einer hügeligen Waldlandschaft im Mittel- und Hintergrund schaut. Nur ein kleines Stück Weidezaun verweist auf dem in Sepiatönen gehaltenen Motiv auf den menschlichen Einfluss. Darüber prangt in großen weißen Lettern der Satz »Auf zur Schnitzeljagd«. Durch die Verwendung einer Rückenfigur, welche üblicherweise als Stellvertreterfigur der Betrachter_innen fungiert, wird zur Identifikation angeregt und die Rezipient_innen werden somit zur empathischen Kontaktaufnahme mit dem Tier oder auch ihrer eigenen animalischen Seite verleitet. Während das Bild einen Eindruck von beinahe unberührter Natur vermittelt und die Färbung zudem eine nostalgische Stimmung aufkommen lässt, durchbricht der Text die Verbindung unmittelbar, indem er Mensch und Tier in eine eindeutige Hierarchie versetzt, in der Letzterem die primäre Funktion als Nahrungsmittel zugewiesen wird. 27 |  www.buchhandel.de.

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Abb. 1: BEEF!-Werbung, Auf zur Schnitzeljagd. Vergleichbare Formen der Objektivierung von Tieren tauchen immer wieder auf. So wird einem Jäger mit angelegter Flinte der Titel »Würstchen auf 12 Uhr« hinzugefügt und über einen Rodeo-Reiter wird behauptet: »So intensiv beschäftigen sich nur echte Genießer mit ihrem Essen«. Zentrale Motive sind Wildheit, Naturverbundenheit und Ursprünglichkeit, die unter anderem auch mit der Jagd in Verbindung gebracht werden. Dabei sind oft lebende Tiere oder der Kontakt zwischen Mann und Tier dargestellt, während der Text immer wieder auf die Bestimmung des Tiers als Fleisch verweist. Die Coverbilder zeigen im Unterschied zu diesen Werbeanzeigen zumeist und bis auf wenige Ausnahmen rohes, seltener gebratenes Fleisch vor einem einheitlich schwarzen oder weißen Hintergrund. Eine solche Ausnahme ist das Konterfei einer Graugans vor einem grauen Hintergrund. Darunter steht: »Das wird

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ein Festschmaus«28 . Während das Portrait das Tier als Individuum ins Bild setzt, wird wiederum sprachlich sehr explizit gemacht, worin seine Funktion besteht. Zumindest weckt die Bezeichnung »Festschmaus« gewisse Erwartungen, was mit dem portraitierten Tier wohl im Heft passieren wird. Auch durch den Kontext der üblichen Covergestaltung wird die Objektivierung des Tiers zum bloßen Stück Fleisch weiter verstärkt. Der Blick ins Heft verspricht einen Blick ins Tier: von der Verarbeitung bis hin zum fertigen Braten, der uns via Portrait vorab nahezu persönlich vorgestellt wurde. In den übrigen Titeln wie »Sau, lecker!«29, »Grill mich!«30 oder »Ey, Keule!«31 werden wiederum die abgebildeten Fleischstücke oftmals mit den Tieren gleichgesetzt, aus denen sie herausgeschnitten wurden, oder sie verleihen ihnen selbst eine Stimme, die keinen Zweifel daran lässt, dass auch das Fleisch selbst seine Bestimmung nur im Verzehr erfüllt sieht. Die sprachliche Reduktion der Tiere auf ihren Verzehrwert, welche die Naturverbundenheit ad absurdum zu führen scheint, verweist dabei auf eine als natürlich empfundene Hierarchie von Mensch und Tier. Werbe- und Covergestaltung lassen eine inhaltliche Spannung zwischen Wort und Bild erkennen. Der geradezu plakative Gestus der Texte verweist auf einen völlig bewusst aufgebauten Widerspruch zur Sensibilität des Themas, in dem sich die sprachliche und visuelle Ausdrucksform des Heftes und das angesprochene Publikum komprimiert widerspiegeln. Dies wird auch entsprechend rezipiert: »Der Titel […] richtet sich ganz gezielt an kochende Männer. Entsprechend roh – zumindest in der Bildsprache – fällt das Coverdesign und eben auch die Werbung aus.«32 Die ständigen Hinweise auf die Verbindung von Tier und Fleisch verweisen auf die der BEEF! zugrunde liegende Überzeugung, dass der abstrakte, distanzierte Umgang mit unserem Essen einen Verlust darstellt. Der Untertitel »Für Männer mit Geschmack« lässt dabei kaum Fragen bezüglich der anvisierten Zielgruppe offen. Die Werbetexte verweisen darüber hinaus bereits deutlich auf das Konzept von Männlichkeit, mit dem sich das Zielpublikum identifizieren soll: »BEEF! ist ein Kochmagazin, und BEEF! ist für Männer. Weil sich immer mehr Männer in Deutschland fürs Kochen interessieren. Fürs Kochen, fürs Essen, fürs Trinken. Für ausgefallene Lebensmittel, für seltene Weine und für teure Küchengeräte. Männlich, opulent, unique und edel – das ist die Philosophie von BEEF!. Und die spiegelt sich in allen Details wider. In den Rezepten, die nicht leicht, gesund und einfach sein müssen, sondern ausgefallen, herausfordernd und hochwertig sein sollen. In den Reportagen, die von all jenen Orten berichten, an denen jeder kochbegeisterte Mann einmal gewesen sein möchte. In 28 |  BEEF! Nr. 8, 4/2011, Cover. 29 |  BEEF! Nr. 9, 1/2012, Cover. 30 |  BEEF! Nr. 15, 3/2013, Cover. 31 |  BEEF! Nr. 14, 2/2013, Cover. 32 |  J. Fuhr: Spießig.

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Daniel Wolf den Hintergrundberichten, in denen BEEF! dem Geheimnis von Qualität bei Lebensmitteln und Getränken auf die Spur kommt. Und natürlich in den Präsentationen von Produkten […], bei denen es auf Qualität und Design manchmal mehr ankommt, als auf Praktikabilität und Preis. […] Und weil Männer das Leben stets mit einem zwinkernden Auge betrachten, darf auch eine Prise Humor nicht fehlen.« 33

Zum einen wird die Exklusivität betont und gleichzeitig wird eine klare Distanz zum »gesunden« und politisch korrekten Stil anderer Kochmagazine hergestellt. Es stellt sich einem vermeintlichen Mainstream des einfachen und figurbetonten Kochens entgegen und erklärt die gute Küche zur Herausforderung. Männern, »die leidenschaftlich gern kochen, essen und genießen«34 , wird versprochen, in der BEEF! alles zu finden, was sie bislang vermisst haben. Mit Hinweisen auf aufwendige Veredelungstechniken und verwendete Sonderpapiere für den Druck des Magazins wird wiederum die Exklusivität hervorgehoben. Wertigkeit und Einzigartigkeit des Inhalts werden dabei auch auf die Form der Darstellung übertragen. »Und das alles auf eine unterhaltsame Art, die Spaß macht – in modernem Design und einer aufregenden neuen Bildsprache.«35 Die Frage ist nun, in welcher Form dieses Versprechen vom Magazin eingelöst wird und welche Werte der Zielgruppe zur Identifikation angeboten werden.

A muse -B ouche Und damit kommen wir zu den Innereien: Wie die bildlichen und sprachlichen Ankündigungen bereits vermuten lassen, haben das lebende Tier und sein rohes Fleisch in der BEEF! eine hohe Präsenz. Was zwischen diesen beiden Momenten liegt – zwischen der lebendigen Wildheit der in ihrem »natürlichen« oder wenigstens artgerechten Lebensraum inszenierten Tiere und dem aus ihnen erzeugten Endprodukt, dem gebratenen, gegrillten oder anderweitig zubereiteten und dekorierten Fleisch – wird zwar vielfach angekündigt, geradezu zelebriert, jedoch nur sehr selten tatsächlich gezeigt. Zudem lässt die Darstellungsweise die Tötung auch im Fall ihrer Abbildung in den Hintergrund treten, was sich etwa anhand der Artikelreihe »Deutschlands beste Fleischproduzenten« zeigen lässt: Diese folgt einer klaren Struktur, bei welcher zunächst ein ganzseitiges Portrait eines der Tiere neben dem Bild des jeweiligen Erzeugers mit seinen Tieren zu sehen ist (Abb. 2). Der Text wird von weiteren Abbildungen der Tiere auf der Weide, der Interaktion zwischen Tier und Mensch und in seltenen Fällen auch von den Tierprodukten im Kühlhaus oder auf dem Teller begleitet. Das Portrait des Tiers ist jeweils farbig, das des Halters sowie die weiteren Darstellungen sind da33 |  www.culinaris.eu. 34 |  www.buchhandel.de. 35 |  Ebd.

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gegen in schwarz-weiß gehalten. Die portraitartige Präsentation stellt dabei eine Personalisierung dar, die einen starken Bezug zum dargestellten Tier suggeriert: Wir schauen dem Tier in die Augen. Es wird als Individuum vorgestellt, dessen Bildwürdigkeit durch die Ähnlichkeit zu bekannten menschlichen Portraits hervorgehoben wird, wobei die starke Lichtführung etwa Assoziationen mit Bildern Rembrandts hervorruft. (Abb. 3) Im Kontrast dazu wirken die schwarz-weiß gehaltenen Aufnahmen eher dokumentarisch.

Abb. 2: Deutschlands beste Fleischproduzenten. Zickenalarm. BEEF! Nr. 22, 4/2014, S. 64.

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Abb. 3: Rembrandt: Großes Selbstbildnis 1652, Öl auf Leinwand, 112 cm x 82,5 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum. Auch die wenigen Ansichten, in denen der eigentliche Moment des Tötens ins Bild gesetzt wird, sind dementsprechend in schwarz-weiß gehalten. Der Landwirt hält eine junge Ziege in zärtlichem Gestus auf dem Arm, während er ihr ein Bolzenschussgerät an den Kopf setzt (Abb. 4). Dem gegenüber wird stets das gute Leben der Tiere dargestellt. Dem Betrachter wird durch diese Kombination eine möglichst artgerechte, natürliche Behandlung der Tiere vermittelt. Der Erzeuger zeigt Empathie gegenüber dem Tier, ohne dass diese im Widerspruch zur Tötung zu stehen scheint, und stellt somit die Natürlichkeit des Vorgangs zur Schau. Die Tötung wird dabei in einer Umgebung gezeigt, die diese relativiert. Anstatt zur Problematik zu werden, wird die Anerkennung des Tiers als Persönlichkeit zur

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Legitimation der Tötung genutzt. Hier hat man eine Möglichkeit gefunden, das Töten salonfähig zu machen, indem man es ästhetisch verharmlost und dieses gleichzeitig als notwendigen Bestandteil des artgerechten Lebens präsentiert.

Abb. 4: Deutschlands beste Fleischproduzenten. Zickenalarm. BEEF! Nr. 22, 4/2014, S. 70. Die Bildstrecke zum Artikel »Vom Tier zum Steak«36, die unter anderem zeigt, wie eine Kuh ausblutet, bedient sich ebenfalls der dokumentarischen Ästhetik, welche die – in diesem Fall tatsächlich recht drastischen – Bilder ihres potentiellen Schreckens beraubt. Und auch hier wurde nicht auf die Beigabe von Bildern der Tiere auf der Weide verzichtet. Die Mutprobe, die hinter den Ankündigungen steckt, wird uns letztlich durch die Bildästhetik erleichtert. Denn auch wenn das Töten und Sterben gezeigt wird, passiert dies keineswegs so unverblümt wie angekündigt. Gerade der dokumentarische Stil verweist auf die Tötung als ein Vergangenes. Sie erscheint als ein bereits vollzogener Akt, wodurch auch der bereits medial vermittelte Tod in seiner Unmittelbarkeit noch weiter reduziert wird.

36 |  BEEF! Nr. 25, 1/2015, S. 162ff.

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Abb. 5: Kopfsache, BEEF! Extra-Ausgabe, 1/2014, S. 13. Eine Ausnahme bildet dabei der Artikel »Kopfsache«, in welchem gezeigt wird, wie ein BEEF!-Redakteur ein Huhn betäubt und enthauptet (Abb. 5).37 Dieser Vorgang wird jedoch in den Kontext eines Männlichkeitsrituals gestellt und humoristisch verharmlost. Nicht der Respekt vor dem Tier, sondern die Überwindung des Ekels vor dem blutigen Vorgang wird hier thematisiert. Das Huhn wird als reines Objekt inszeniert, anhand dessen der Redakteur seinen Wert unter Beweis stellen muss. Dieser überträgt sich zudem auf den Leser, der hier durch die Anschauung partizipiert, um so den an den Mann gestellten Ansprüchen zu genügen. »Dem Leser wird in wiederholter Form nahegebracht: Wer Fleisch bzw. Tiere essen will, muss sich mit den Produktionsmethoden auseinandersetzen und auch akzeptieren, dass dafür Tiere sterben und geschlachtet werden, und am besten an diesen 37 |  BEEF! Extra-Ausgabe, 1/2014, S. 10-14.

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Praktiken selbst partizipieren«38 . Wer sein Essen genießen will, der muss es sich offenbar verdienen. Auch wenn er sich dazu Stellvertretern bedienen muss. Der Leser wird als Mann auf seine vermeintlich ursprüngliche und deshalb als natürlich erachtete Funktion des Jägers angesprochen, der seine Nahrung selbst er- und zerlegt. So muss zwar punktuell unter Beweis gestellt werden, dass der Mann auch selbst zur Tötung in der Lage ist, doch dabei reicht es aus, den Anblick aushalten und bestenfalls genießen zu können, um die Legitimation zum Verzehr zugesprochen zu bekommen. Die eingeforderte Teilnahme des Lesers ist letztlich nur symbolischer Natur. Er muss nicht selbst handeln. Das Schauen ersetzt das Tun, der Schlachter wird zum Betrachter. Er nimmt nur passiv an Prozessen teil, die zudem für ihn beschönigt werden, während gleichzeitig die Schonungslosigkeit der Anschauung proklamiert wird. Schließlich wird immer wieder das Bemühen um einen bewussten Umgang und damit eine Verbesserung der Lebensqualität der verspeisten Tiere herausgestellt, die aus der Anerkennung des erforderlichen Leidens resultiert.

P l at P rincipal Hierzu wollen wir eine Kritik betrachten, die Jan Phillip Reemtsma im März 2014 in einem Vortrag zum Thema »Gewalt gegen Tiere« im Rahmen einer Veranstaltung zur Politischen Theorie des Mensch-Tier-Verhältnisses gegen den Umgang der Autor_innen und Leser_innen des Magazins mit der beschriebenen Art der Visualisierung von Tiertötungen vorgebracht hat.39 So scheint Reemtsma eine ähnliche Vorstellung von der Verknüpfung von Nahrung und Schlachtung zu haben, wie sie McCartney zum Ausdruck gebracht hat, da er die Sichtbarkeit des Tötens zum Anlass seiner Kritik nahm. So erschien ihm die Abbildung eines Huhns besonders schockierend, welches so drapiert wurde, dass »wir ihm ins tote Gesicht sehen können. Ich hatte das nicht erwartet. Vor mir liegt eine Zeitschrift für Mörder und Kannibalen.« 40 Dass hier nichts verleugnet wird, um orale Freuden nicht zu beeinträchtigen, sondern mit einer Genusssteigerung geworben wird, die das Töten, Ausweiden und Verschlingen oder ersatzweise das Betrachten dieser Vorgänge verspricht, gilt ihm als Beleg eines übermäßigen Gewaltpotentials. 41 Dass die Anschauung des tierlichen Leidens nicht notwendig zu Ekel und damit Scham, die schon Henry David Thoreau als Grundlage aller Argumente gegen den Fleischverzehr ansah, 42 führen und damit zu einem Verzicht auf die Gewalt gegen Tiere, scheint ihm unbegreiflich. 38 |  J. Gutjahr: Tierausbeutung, S. 98. 39 |  J.P. Reemtsma: Gewalt, min 53-55. 40 |  Ebd., min 55. 41 |  Vgl. ebd., min 56. 42 |  Vgl. H.D. Thoreau: Walden, S. 210.213-218.

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Diese Überzeugung unterstellt jedoch, dass im Töten eine Grausamkeit gesehen wird, was einerseits voraussetzt, dass Tiere als leidensfähig gelten – was auch heute noch angezweifelt wird 43 – und andererseits dass ihr Leiden als relevant eingestuft wird. Eine Haltung, die etwa Schopenhauer vertrat, lässt die Sichtbarkeit des Leidens von Tieren nur als marginales Argument erscheinen. Obgleich er Grausamkeit gegen Tiere grundsätzlich ablehnte und sogar so weit ging, anzunehmen, »wer gegen Thiere grausam ist, könne kein guter Mensch seyn« 44 , sprach dies für ihn keineswegs gegen den Verzehr ihres Fleisches. Dass nämlich »das Mitleid mit Thieren nicht so weitführen muß, daß wir […] uns der thierischen Nahrung zu enthalten hätten, beruht darauf, daß in der Natur die Fähigkeit zum Leiden gleichen Schritt hält mit der Intelligenz: weshalb der Mensch durch Entbehrung der thierischen Nahrung […] mehr leiden würde, als das Thier durch einen schnellen und stets unvorhergesehenen Tod.« 45 In ähnlicher Weise bilden die Nostalgie und der darin enthaltene Bezug auf die Natürlichkeit des Fleischverzehrs in der BEEF! die zentralen Argumente gegen die Relevanz tierlichen Leidens, da dieses als notwendiges Element der Natur nicht moralisch gewertet werden kann. Dabei schließt das Programm der BEEF! an einen allgemeinen »trend towards do-it-yourself (or at least witness-it-yourself) slaughter […]« 46 an, der sich unter anderem in Veranstaltungen des britischen Starkochs Jamie Oliver wie der Live-Schlachtung eines Huhns in der Sendung »Jamie’s Fowl Dinners« 47 äußert und auch als »New Carnivore Movement« 48 bezeichnet wird. Was hier präsentiert wird, ist eine Variante des Umgangs, die nicht Verzicht propagiert, sondern das Hinsehen, Eigenständigkeit und Eigenverantwortung im Umgang mit dem Tier als Speise. Das Bewusstsein vom Tier als lebendigem Wesen (wenn auch nicht unbedingt als Individuum) wird hier durchaus gefördert. Den Autor_innen und Leser_innen der BEEF! Kannibalismus und Gewalttätigkeit zu unterstellen, erscheint doch eher unsinnig. Im Rahmen einer Gesellschaft, die auf Fleisch nicht verzichten möchte, das Tier aber nicht sterben sehen will, kann dieser Ansatz positiv gewertet werden, insofern ein bewusster Umgang mit dem Fleischverzehr propagiert wird, der sowohl Nachhaltigkeit als auch das Tierwohl fördert: »Wer einmal zugeschaut hat, wie ein Tier stirbt, damit es ein Bedürfnis des Menschen befriedigt, wird demütig.« 49 Zunächst wird also der Respekt gegenüber dem Tier hochgehalten. Jan Spielhagen, Chefredakteur 43 |  Eine Argumentation gegen die Leidensfähigkeit von Tieren findet sich etwa bei: B. Bermond: animal suffering, S. 125-143. 44 |  A. Schopenhauer: Ethik, S. 246. 45 |  Ebd., S. 249. 46 |  J. Parry: Nostalgia, S. 241. 47 |  J. Oliver: Fowl Dinner. 48 |  J. Parry: Slaughter, S. 381. 49 |  BEEF! Nr. 4, 3/2010, S. 3.

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der BEEF!, spricht sich entsprechend explizit gegen die industrielle Massentierhaltung aus und knüpft den Fleischkonsum daran, dass »die Qualität stimmt«50. Dem entgegen steht jedoch, dass die vorausgesetzte Qualität nicht näher definiert wird und sich gleichermaßen auf das tierliche Leben wie auch das Fleisch zu beziehen scheint. Zumal der Verzicht auf Fleischkonsum bereits grundsätzlich als Option ausgeschlossen wird.51 Die Bedingung für ein gutes Leben der Tiere bleibt der anschließende Verzehr, der als natürliche Funktion des Tieres stets die Begründung für eine Beschäftigung mit diesen darstellt. Letztlich dienen die Individualisierung der Tiere und die Bemühung um ein gutes Leben nur der Steigerung der Qualität des Fleisches.52 Die Lebensqualität der Tiere wird ihrer Funktion als Nahrungsmittel untergeordnet, womit keine Demut verbunden ist, sondern eine klare Hierarchie hergestellt wird, in der die Tiere eine untergeordnete Bedeutung haben. Zudem lässt sich der Anspruch an einen positiven Umgang mit den Tieren auch nur schwer mit anderen Darstellungsweisen der BEEF! in Einklang bringen. Die Inkonsistenz der Haltung, die einerseits bewussten, natürlichen und vor allem respektvollen Umgang mit den verzehrten Tieren betont, diese andererseits aber immer wieder durch Bild und Text verspottet und marginalisiert, macht es zudem schwer, hier einen positiven Einfluss auf ein tatsächlich respektvolles Tier-Mensch-Verhältnis zu sehen. Schließlich wird dadurch auch Grausamkeit an Tieren propagiert. Dabei ist augenfällig, dass sich die bereits angesprochenen Sprach-Bilder als rhetorisches Stilmittel besonderer Beliebtheit erfreuen. So sind die Hefte voll von ähnlich diffizilen Verweisen auf »scharfe Teile« (Messer oder Radieschen), »Dicke Dinger« (Frikadellen) und vergleichbare Feinheiten, die allerdings auch wörtlich genommen werden, wenn es etwa im Artikel »Lass raushängen« um die Zubereitung von Kuheutern und Rinderhoden geht. Auch aus den sprichwörtlichen Fleischbergen, deren Verzehr im Magazin angepriesen wird, wird kurzerhand ein Fleischgebirge,53 dessen Gipfel der Genüsse in Form der verschiedenen Sorten das Übermaß zur Herausforderung verklären. Auch hier werden die Tiere, entgegen der Ankündigung eines bewussteren Umgangs mit ihnen, auf ihren Verzehrwert reduziert. Das Fleisch wird vom Tier abstrahiert und allein zum Gegenstand der Aufmerksamkeit. Die Rücksichtnahme gegenüber den Tieren wird an einigen Stellen, wenn auch ironisch, dem vertretenen männlichen Ideal gegenübergestellt. So wird im »Regelwerk zur Gründung eines Männerkochclubs«54 urzeitliche Härte beworben, die es, auch auf Kosten tierlichen Leids, zu beweisen gelte: »Wenn Männer 50 |  ZDF info, Fleischeslust. 51 |  Vgl. ebd. 52 |  Vgl. J. Gutjahr: Tierausbeutung, S. 111. 53 |  Vgl. BEEF! Extra-Ausgabe, 1/2014, S. 114ff. 54 |  BEEF! Nr. 1, 1/2009, S. 60.

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kochen, müssen Flaschen zu Bruch gehen, muss Blut fließen, müssen Tiere sterben – zumindest vorher.«55 »Sie dürfen jede Kreatur, die nicht auf der Liste der bedrohten Tierarten steht, an einem Nasenring in Ihre Küche zerren. […] Natürlich dürfen Sie sich dabei von ethischen und moralphilosophischen Empfindungen leiten lassen. Aber erstens entgehen Ihnen dann ein paar der leckersten Leckereien, die dieser Planet zu bieten hat. Und zweitens haben Sie dann keinen Männerkochclub mehr, sondern eine Filiale vom World Wide Fund for Nature oder von Amnesty for Animals.« 56

Während einerseits der Respekt gegenüber den Tieren betont wird, werden sie andererseits also geradezu verspottet. Der ›echte‹ Mann tötet sein Essen nicht nur selbst, er genießt es auch und kann sich dabei noch amüsieren. Die Berechtigung dazu ergibt sich daraus, dass der Genuss als natürliches Anrecht dargestellt wird, wobei Natürlichkeit keiner Rechtfertigung zu bedürfen scheint. Es wird eine nostalgische Verklärung des Fleischverzehrs betrieben, die durch den Bezug auf das Gewohnheitsrecht keine Gegenargumente zulässt. Dabei ist die Natürlichkeit des Fleischverzehrs ein zentrales Argument. Als Nahrungsquelle dient es der Bestätigung der Authentizität und Ursprünglichkeit des Verzehrenden.57 »Es ist Gegenstand der Nostalgie und wird mit der Überzeugung verknüpft, dass die Schlachtung zum vergangenen, natürlichen Leben dazugehört. Sofern diese Form des Daseins reanimiert werden kann, rechtfertigt sich deshalb auch die Instrumentalisierung des Tiers als Nahrungsmittel.«58 Der gute Umgang mit den Tieren begründet sich dabei nicht aus der Annahme, dass dieser den Tieren zusteht, sondern lediglich aus der Lebensqualität des Verbrauchers. Fleisch gilt als Beleg einer wilden, archaischen Lebensweise. Lust und Abscheu spielen dabei gleichermaßen eine Rolle, wobei Letzterer als Beleg für die durch kulturelle Gewohnheiten entstandene, zu überwindende Schwäche angesehen wird. Der Gourmet wird ebenso angesprochen wie der animalische Trieb. Die Grenzüberschreitung der Tötung wird zur Erfahrung des Selbst, die den Genuss an der eigenen Leiblichkeit verstärkt und damit zum Eingeständnis der eigenen Natur verklärt. Dabei wird der Wert der Menschlichkeit (insbesondere der Männlichkeit) gegenüber dem Tier durch das Verzehren affirmiert – ein tierliches Bewusstsein für den eigenen gastrischen Genuss auszulöschen, bestätigt den Menschen als höherwertiges Wesen. Deshalb wird das Fleisch umso begehrenswerter, wenn man sich derüber bewusst wird, dass tatsächlich ein Tier dafür sterben muss. Gleichzeitig wird aber auch eine Verbindung mit der Natur geschaffen, da der Mann zurückfindet zu einer natürlicheren Form des Lebens. »Eating ›real,‹ 55 |  Ebd., S. 60. 56 |  Ebd. 57 |  Vgl. J. Gutjahr: Tierausbeutung, S. 99. 58 |  Ebd., S. 97.

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›natural‹ meat can be seen as a method of reconnecting to the natural world, as well as a statement about subjugating it.«59 Durch den Fleischverzehr werden die Vorschriften der Kultur kompromittiert und eine unabhängige, freie Position bezogen, die als männliches Ideal präsentiert wird. Es geht nicht einfach ums Essen, es geht um Genuss und ein Ideal, das Männer und Fleisch verbindet. Hier wird gewissermaßen das Rousseau zugeschriebene Credo »Zurück zur Natur« assimiliert, auch wenn Rousseau von einem vegetarischen Naturzustand des Menschen ausging.60

D essert Was ist an den gezeigten Bildern nun also so innovativ oder einzigartig? Das rohe Fleisch und vor allem seine Erzeugung mögen zwar im Kontext eines Kochmagazins ein eher ungewohnter Anblick sein, aber grundsätzlich ist die Darstellung des Fleisches nicht sonderlich innovativ. Ungewöhnlich ist eher der Rückgriff auf bekannte ästhetische Elemente und Motive. So werden etwa barocke Stillleben oder Jagdszenen nachgestellt.61 Darüber hinaus wird das Fleisch entgegen der Ankündigungen zumeist losgelöst vom Tier dargestellt, wobei die Ästhetik oftmals an Inszenierungen der Werbung, insbesondere prestigeträchtiger Objekte wie Autos, gemahnt. Das Objekt der Begierde wird vor einem einfarbigen, dunklen Hintergrund in Hochglanzoptik präsentiert, wobei seine Spiegelung diesen Effekt noch unterstützt (Abb. 6). Und auch die typische Werbeästhetik bedient sich in ihrer Bildsprache ja häufig künstlerischer Vorbilder (Abb. 7). Das Fleisch ist zwar sichtbar, erhält aber stets eine zusätzliche Bedeutung, durch die es nicht allein als Fleisch, sondern immer auch als Repräsentant eines anderen Themas, zumeist der Bestätigung des sozialen Status’ des Fleischessers, fungiert. Im Fleisch ist das Tier auf eine merkwürdige Art abwesend, die nur selten zu überwinden versucht wird, ebenso wie im Tier sein Fleisch abwesend ist. Der Tierkörper steht ständig im Mittelpunkt, ohne jedoch wirklich als solcher (an-)gesehen zu werden. Die versprochene Drastik findet sich in den Bildern jedenfalls kaum wieder, da zwar beinahe alles gezeigt wird, die Inszenierung jedoch jeden aufkommenden Ekel vermeidet. Selbst die Tötung mit dem Bolzenschussgerät wird in einen sauberen Kontext und einen zärtlichen Gestus eingebunden, der die Handlung zur Notwendigkeit erklärt und ihres Schreckens beraubt.

59 |  J. Parry: Nostalgia, S. 248. 60 |  Vgl. J.-J. Rousseau: Fleischessen. 61 |  Vgl. BEEF! Nr. 8, S.38ff; BEEF! Nr. 23, S. 70ff.

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Abb. 6: Grill mich!, BEEF! Nr. 15, 3/2013, Coverbild. Durch die Hochglanzästhetik der Bilder wird der Tötungsakt einer negativen Wahrnehmung entzogen. Die potentielle Grausamkeit, der Schrecken der Schlachtung, die McCartney als notwendig abschreckend ansah, wird durch die Gestaltung im Stil von Kunst und Werbung im Zeigen verborgen, da das Tier nicht als leidendes Wesen, sondern lediglich als Material wahrgenommen wird, dessen Tod durch das erfreuliche Geschmackserlebnis – sowohl im Verzehr als auch in der Anschauung – gerechtfertigt erscheint. Dabei legt gerade die explizite Ausrichtung auf die Sichtbarkeit des Tiers und seines Todes in der BEEF! die Frage nahe, was als angemessene Begründung für das Töten von Tieren gelten kann. Denn darüber, dass die Tötung zum Zweck der Anschauung dem Grundsatz des Tierschutzgesetzes, unnötiges Leid zu vermeiden, widerspricht, scheint durchaus ein gesellschaftlicher Konsens zu bestehen. So ruft die Tötung von Tieren in der Kunst immer wieder vehemente Kritik hervor,

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wie etwa die Exposición No. 1 von Guillermo ›Habacuc‹ Vargas, der angeblich einen Hund in der Galerie verhungern ließ, oder eine Ausstellung Nathalia Edenmonts, für deren Arbeiten explizit Tiere getötet werden.62 Dagegen wird in der Erstausgabe der BEEF! sogar damit geworben, dass ein Tier für die Bilder sterben musste.

Abb. 7: Caravaggio: Narziss, um 1600, Öl auf Leinwand, 110 cm x 92 cm, Rom, Galleria Nazionale d‘ Arte Antica. Natürlich erfordert die Darstellung Authentizität, um dem Anspruch gerecht zu werden, den gesamten Prozess vom Tier zum Fleisch kenntlich zu machen und nichts im Verborgenen zu lassen. Schließlich soll sich der Konsument durch den Überblick, Einblick und Anblick des Produktionsprozesses die Berechtigung zum Verzehr verdienen. Doch gerade die Fokussierung auf die Anschauung sollte hier aufmerken lassen. Denn mit dem Hinweis »Kein Trick! Für diese Bilder musste 62 |  P. Hüttner: Change. Zur künstlerisch-performativen Inszenierung der Tiertötung siehe den Beitrag von S. Milling in diesem Band.

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wirklich ein Tier sterben«63, wird die Rechtfertigung der Tötung auf den Wert des Tiers nicht als Nahrungsmittel, sondern als Anschauungsmaterial transferiert. Die unterschiedliche Bewertung von Tiertötungen für Kunstprojekte und für eine Zeitschrift scheint insofern fragwürdig. Denn während die Überzeugung, dass der Verzehr als vernünftiger Grund für die Tötung im Sinne des Tierschutzgesetzes anzusehen ist, eindeutig mehrheitsfähig ist, sollte die Tötung zum Zweck der Visualisierung in einem Kochmagazin nicht anders zu bewerten sein als in einer künstlerischen Arbeit. Dennoch scheint die hintergründige Ausrichtung auf den Verzehr die Tötung zum Zweck der Betrachtung zu legitimieren.

D igestif Um die Bedeutung der Darstellung von Tier, Fleisch und Tod zu interpretieren, ist zunächst festzustellen, dass etwas enthüllt werden kann, auch wenn es nicht eigentlich verborgen ist, wie im Fall der Schlachtung im Verhältnis zum Fleisch. Die Notwendigkeit ist zwar bekannt, dringt jedoch nicht ins Bewusstsein, wenn sie nicht explizit vor Augen geführt wird. Gleichermaßen kann verborgen werden, indem gezeigt wird, sofern dies auf eine Weise vollzogen wird, die das Gezeigte wiederum zum abstrakten Gegenstand werden lässt, welcher durch die Art der Sichtbarkeit seine Gegenwärtigkeit verliert und zum Bild oder zum Symbol wird. Mit den Worten Oscar Wildes gesprochen: »Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare…« 64 Die abstrakte Darstellung des toten Tiers bzw. seiner Tötung und Verarbeitung in der BEEF! verbirgt trotz aller Ankündigung den eigentlich brutalen Akt der Fleischwerdung. Die Sichtbarkeit scheint nicht mehr zu überbieten zu sein. Die ästhetische Gestaltung überblendet jedoch gleichzeitig, was gezeigt wird. Das Fleisch wird zum Symbol und damit zum Gegenstand der ästhetischen Wahrnehmung anstelle der moralischen. Die Sichtbarkeit wird gegeben und gleichzeitig ihrer beschämenden Kraft beraubt, indem der Ekel, den Reemtsma als Ursprung des Gewaltverzichts bezeichnet, in einer Werbeästhetik des Fleisches untergeht. Was dem Betrachter tatsächlich visuell zugemutet wird, bleibt also im Verhältnis zur sprachlichen Ankündigung weitgehend leicht verdaulich. Das Magazin bedient sich einer abstrakten Bildsprache, die sich auf eine sehr sterile Werbeästhetik und kunsthistorische Vorbilder bezieht und der expliziten sprachlichen Vermittlung entgegengestellt wird. Die Bildgegenstände sind dabei zwar drastisch ausgewählt, werden aber durch ihre Inszenierung im Bild entschärft. Die Fleischstücke werden einerseits visuell sehr abstrakt, als bildwürdiges Objekt, welches für sich selbst stehen kann, gezeigt, andererseits sprachlich sehr 63 |  BEEF! Nr. 1, 1/2009, S. 12. 64 |  O. Wilde: Bildnis, S. 34.

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direkt mit dem Tier verknüpft. Allgemein lebt die Zeitschrift offenbar gern mit offenkundigen Widersprüchen. Während die Hierarchie zwischen Mensch und Tier einerseits hochgehalten wird, werden gleichzeitig die animalischen Qualitäten des Mannes angesprochen. Nicht nur der Verzehr von Fleisch, auch das Erlegen und Zerlegen gehören zum Essen und vor allem zum Genuss dazu. Auch den Vergleich mit dem Affen muss der Mann nicht scheuen. Ist dieser doch kaum etwas anderes als ein ursprünglicherer Mann, der seine Triebe noch nicht im Zaum halten muss, sondern diese offen zur Schau stellen kann. Das Tier wird einerseits unterworfen, andererseits dient es als Vorbild. Es wird zwar Respekt vor dem guten Leben des Tiers gefordert, schon die Wortspiele lassen den Umgang jedoch mehr als respektlos erscheinen. Auch wenn hier eingewendet werden mag, dass Tiere keinen Zugang zur Sprache haben und deshalb nicht unmittelbar unter Spott leiden, ist doch nicht zu verkennen, dass hier eine Geringschätzung ausgedrückt wird, die der behaupteten Intention des Magazins entgegensteht. Gerade der Bezug auf die Tradition macht die Aufnahme wiedererkennbarer Bildmotive zu einem gelungenen Kunstgriff, auch wenn hierin nicht unbedingt eine Innovation zu sehen ist. Doch die Willkür der Auswahl und die beschönigende Ästhetisierung müssen letztlich die proklamierte Ehrlichkeit ebenso wie die Aufforderung zum Respekt gegenüber dem Tier als wenigstens fragwürdig erscheinen lassen. Das Konzept der BEEF! ist nicht erfolgreich, weil sie etwa eine aufregende neue Bildsprache verwenden würde, sondern weil sie auf altbewährte und bekannte Konzepte der Ästhetisierung zurückgreift und damit potentiell unappetitliche Inhalte ihres abstoßenden Gehalts enthebt. Zudem führen die Verweise auf die artgerechte Haltung im Vergleich zur Massentierhaltung gerade den Vorteil der Sichtbarkeit vor und verweisen die Scham an das Verborgene, während die gezeigte Tötung zum heroischen Akt wird, mit welchem eine Aufwertung des sozialen Status des Fleischessers verbunden ist. Objektivierung von Frau und Tier können in einem sehr ähnlichen Kontext gesehen werden, nämlich in der Angst vorm Verlust einer Distinktion. Das auf den Leser projizierte Männlichkeitsideal stellt, in Verbindung mit der Rechtfertigung dieses Ideals als natürlich und ursprünglich, einen direkten Gegensatz zur feministischen Debatte der sozialen Konstruktion des Geschlechts dar. Damit vereinfacht es die eigene Positionierung im sozialen Gefüge, indem es konservative Werte reproduziert. In Bezug auf das Tier-Mensch-Verhältnis scheint die Darstellung der BEEF! zunächst weit weniger deutlich. Vielmehr ist eine fast unüberwindbar erscheinende Inkonsistenz im Umgang mit den Tieren zu beobachten. Der eingeforderte Respekt gegenüber dem Tier steht dem Spott in Wort und Bild gegenüber, ohne dass ein tiefer liegendes theoretisches Konzept zu erkennen wäre, das beides vereinbar erscheinen lassen würde. Vielmehr muss die propagierte Haltung zum guten Leben der Tiere letztlich nur als oberflächliche Rechtfertigung erscheinen, der immer nur im eingeschränkten Rahmen der einzelnen Artikel Bedeutung zukommt, ohne dass eine übergeordnete, konsistente Haltung entwickelt wird.

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Die Argumentation bezüglich des Tierwohls wird lediglich instrumentalisiert, um den sonst abwertenden Umgang mit Tieren zu relativieren.

L iter aturverzeichnis Primärliteratur BEEF! Nr. 1, 1/2009. BEEF! Nr. 4, 3/2010. BEEF! Nr. 8, 4/2011. BEEF! Nr. 9, 1/2012. BEEF! Nr. 14, 2/2013. BEEF! Nr. 15, 3/2013. BEEF! Extra-Ausgabe, 1/2014, S. 10-14. BEEF! Nr. 22, 4/2014. BEEF! Nr. 25, 1/2015.

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E inleitung : D ie D ialek tik von M e thode und L eben Der Vortrag Licht und Leben des Physikers Niels Bohr von 19321 ist eine der Schlüsselstellen in der modernen Wissenschaftsreflexion, an der die wesentliche Dialektik benannt wird, die in der Absicht einer instrumentellen Untersuchung lebendiger Phänomene steckt. Während die experimentelle und separierende Methode einerseits als unverzichtbar gilt, soll Lebendiges wissenschaftlich untersucht werden, ist gerade dieses Vorgehen andererseits mit einer existentiellen Gefährdung des Lebendigen verbunden. Hintergrund von Bohrs Überlegungen ist zunächst die von ihm als »Komplementarität« bezeichnete Wechselwirkung zwischen Messinstrument und Untersuchungsobjekt. Bohr bezieht sich vor allem auf die Erforschung physikalischer Prozesse auf atomarem oder subatomarem Niveau. Er behauptet diesbezüglich komplexe methodologische Problemlagen: So könne es in dieser Größendimension zu unkontrollierten Energieübertragungen zwischen Beobachtungsobjekt und Messinstrument kommen, es existiere ein gegenseitiger Ausschluss von Versuchsanordnungen, die zur gleichzeitigen Bestimmung von Lage und Impuls der Teilchen vonnöten wären, und die Messinstrumente als Beobachtungsmittel könnten nicht gleichzeitig Gegenstand der Beobachtung sein. Neben diesem quantenphysikalischen Problemkreis ist jedoch ein zweiter lebenswissenschaftlicher Problemkreis zu erkennen. Auch in diesem Bereich besteht für Bohr zwischen der sich aus der physikalischen Analyse ergebenden Forderung nach Unterteilung einerseits und der Forderung nach Erhaltung von charakteristischen Eigenschaften der zu untersuchenden Systeme wie Selbsterhaltung oder Fortpflanzung andererseits eine analoge Komplementarität. Um beispielsweise die für Bohr abwegige vitalistische Behauptung von spezifischen Lebenskräften wirklich begründet auf atomarem Niveau zurückweisen zu können, müsse man die Analyse des Mecha1 |  N. Bohr: Licht und Leben.

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nismus von Organismen bis auf eben dieses Niveau vorantreiben. Dieser Forderung widerspräche allerdings eine wesentliche andere Zielsetzung, »die Notwendigkeit« nämlich, »das Untersuchungsobjekt am Leben zu halten«2: »So würden wir zweifellos ein Tier töten, wenn wir versuchten, eine Untersuchung seiner Organe so weit durchzuführen, daß wir den Anteil der einzelnen Atome an den Lebensfunktionen angeben könnten. In jedem Versuch an lebenden Organismen muß daher eine gewisse Unsicherheit in bezug auf die physikalischen Bedingungen, denen sie unterworfen sind, bestehen bleiben; und es drängt sich der Gedanke auf, daß die geringste Freiheit, die wir in dieser Hinsicht den Organismen zugestehen müssen, gerade groß genug ist, um ihnen zu ermöglichen, ihre letzten Geheimnisse gewissermaßen vor uns zu verbergen.« 3

Der Physiker Walter M. Elsasser hat diese sogenannte »generalisierte Komplementarität« Bohrs in seinem Buch zur Theoretischen Biologie Atom and Organism (1966) noch weiter entfaltet. 4 Er hat dabei deutlich gemacht, dass dieses methodische Dilemma nicht nur für die Aufgabe der Zurückweisung spezifischer Lebenskräfte auf atomarem Niveau einschlägig ist. Es gilt vielmehr für jeden Versuch, eine im physikalischen Sinne genaue Vorhersage des zukünftigen Verhaltens individualisierter Lebewesen zu machen. Für jede Prognose dieser Art müssten Messungen der elementaren Komponenten und deren physikalischer Interaktionen vorgenommen werden, die die dynamischen, komplex interagierenden Lebenssysteme radikal verändern oder gar zerstören würden. Das so veränderte System wäre nicht einmal mehr annähernd mit dem System vor der Messung vergleichbar.5 Wie es Elsasser in seinem kleinen Beitrag Eine Kritik am Reduktionismus nochmals zusammenfasst: »Diese Schlußfolgerung zeigt daher, daß man den exakten molekularen Zustand eines lebendigen Organismus nicht wissen kann, ohne – um es in der Sprache des praktischen Biologen auszu­ drücken – das Lebewesen zu ›opfern‹.«6 Bohr und Elsasser formulieren hier von physikalischer Warte aus ein grundsätzliches methodisches und epistemologisches Dilemma der wissenschaftlichen Erfassung des Lebens. Die gravierenden ontologischen und ethischen Konsequenzen dieses Befundes müssten das genannte Dilemma eigentlich zu dem Problem der Lebenswissenschaften überhaupt werden lassen. Gerade wegen dieser Tragweite ist es erstaunlich und aufschlussreich, dass es auf biologischer Seite zwar bekannt ist, aber sowohl das Verfahren der Biologie als auch das Selbstverständnis der Biolog_innen kaum zu tangieren scheint. In bestimmten Hinsichten mag sich diese Abschattung der so benannten Dialektik als ein Verdrängungs- oder 2 |  3 |  4 |  5 |  6 | 

Ebd., S. 44. Ebd. W.M. Elsasser: Atom and Organism. Ebd., S. 18. W.M. Elsasser: Kritik am Reduktionismus, S. 227.

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Schutzmechanismus erweisen, da sie das Vorgehen und die Ansprüche einer Biologie als Wissenschaft vom Lebendigen in grundlegender Weise infrage stellen könnte. Wie ist eine Wissenschaft vom Leben überhaupt denkbar, wenn gerade die Wissenschaft das Leben zerstört und es damit lediglich im Modus des Todes zu fassen bekommt? Ähnlich, wie Schopenhauer den Begriff »Geschichtswissenschaft« als sich selbst widersprechenden Begriff bestimmte, weil Wissenschaft Allgemeingültigkeit von Gattungsbegriffen verlangte, Geschichte jedoch stets nur die Besonderheit individueller Ereignisse liefere,7 so könnte man vor diesem Hintergrund »Lebenswissenschaft« als sich selbst widersprechenden Begriff bestimmen, weil Wissenschaft vom Leben Analyse verlangte, Analyse jedoch Leben zerstöre. Kritiker_innen eines bestimmten auf Analyse setzenden Programms von Biologie haben diesen Widerspruch schon früh deutlich hervorgehoben. Pars pro toto sei auf Goethe verwiesen, dessen Votum vor der Entfaltung der wissenschaftlichen Biologie im 19. Jahrhundert erfolgte. Der Dichter und Vater der Morphologie ist kein Eiferer, er ist sich vielmehr jederzeit über Möglichkeiten und Grenzen des zergliedernden Ansatzes in den Lebenswissenschaften im Klaren. So wird nach ihm der Naturwissenschaftler stets ein Bedürfnis spüren, »durch Zergliederung mit den organischen Körpern gründlicher bekannt zu werden«.8 Aber diese Bekanntschaft, in der anatomischen Zergliederung etwa, bezieht sich eben auf den Vergleich des Toten mit dem Lebenden, des Abgesonderten mit dem Zusammenhängenden und des Zerstörten mit dem Werdenden. So ist das zergliedernde Verfahren zwar »höchst ehrwürdig«9, aber zugleich in der Konsequenz verderblich, weil der Botaniker etwa von den Ideen abgelenkt (und zur Materie hingezogen) wird.10 Entscheidend ist jedoch der letztendliche Verlust des Lebendigen. So heißt es in Goethes Morphologie: »[…] diese trennenden Bemühungen, immer und immer fortgesetzt, bringen auch manchen Nachteil hervor. Das Lebendige ist zwar in Elemente zerlegt, aber man kann es aus diesen nicht wieder zusammenstellen und beleben.«11 Die Vertreter der sich im 19. Jahrhundert dann gerade in Abgrenzung von der goetheanisch inspirierten Morphologie und der romantischen Biophilosophie12 erstmals als Wissenschaft nach dem Leitbild von Physik oder Chemie konstituierenden Biologie haben in diesem Punkt vehement widersprochen. Allerdings belegen auch deren Beiträge die Tiefe der Problemlage und den Grad der methodologischen Verunsicherung. Bezeichnenderweise in einem Vortrag mit dem Titel Atome und Individuen (1859) hatte etwa der deutsche Mediziner und maßgebliche Vertreter einer Physik des Organischen, Rudolf Virchow, betont, dass es die erste 7 |  A. Schopenhauer: Welt als Wille und Vorstellung, S. 511 (§ 38). 8 |  J.W. Goethe: Vorträge, S. 196. 9 |  J.W. Goethe: Naturwissenschaftliche Schriften, S. 431. 10 |  Ebd., S. 433. 11 |  J.W. Goethe: Morphologie, S. 12f. 12 |  Vgl. K. Köchy: Ganzheit und Wissenschaft.

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Aufgabe der Forschenden sei, die »Zerlegung, die Analyse, die Anatomie«13 voranzutreiben, erst im Anschluss daran könne die Synthese einsetzen (die Virchow durch die Physiologie repräsentiert sieht). Bei diesem Vorgehen zerfällt allerdings die organische Einheit notwendig in ihre Teile. Virchow fragt nun: »Dürfen wir da die Wissenschaft vom Leben suchen, wo wir nur den Tod finden? Ist nicht wirklich diese ganze zersetzende Naturwissenschaft ein Irrweg, und ist es nicht in Wahrheit die höchste Zeit, daß man umkehre zu anderen Pfaden?«14 Aber – so die Antwort Virchows – es existiere eben keine Alternative zum zergliedernden Vorgehen. Für Virchow gibt es nur einen Weg des Forschens »und das ist der der Beobachtung, der Zerlegung, der Analyse«. Nun sei es zwar richtig, dass man, nachdem man den tierlichen oder pflanzlichen Körper zerlegt habe, diesen nicht mehr zusammensetzen könne. Diese prinzipielle Schwachstelle des methodischen Ansatzes der Zergliederung und Separation kompensiere aber gerade das Leben selbst durch die ihm eigene Bildungskraft. Der von Virchow artikulierte Ausweg aus der unabwendbaren Zerstörung lebender Individuen vermittels der Forschung setzt deshalb auf die Reproduktion. Die Lösung lautet: »Aber die Natur ist fruchtbar«15, und sie klingt gemeinsam mit dem folgenden Aufruf »Also vorwärts, denn erst aus den Theilen läßt sich die Gemeinschaft erkennen!«16 doch sehr nach Durchhalteparole. In der Folge stehen vivisektorische Praktiken in der Physiologie, die tierverbrauchende Laborforschung der Pharmakologie oder gar die – an Bohrs obige Überlegungen direkt als Widerlegungsversuch anknüpfende17 – molekular-elementaristische Herangehensweise einer Genbiologie im Zeichen von Max Delbrücks Phagengenetik gerade für die Erforschung des Lebendigen nach dem Leitbild des Unbelebten.18 Noch für Delbrück stellt die Idee, mittels der Komplementarität das Rätsel des Lebens zu lösen, deshalb die einzige Motivation in der Biologie dar. Jedoch haben Forschende im Freiland oder Opponent_innen der molekularbiologischen Laborforschung diese Ausrichtung stets als lebensfeindlich und wirklichkeitsfern gebrandmarkt. Dabei wird klar, dass die lebensfeindliche Qualität der biologischen Forschung für Kritiker_innen insbesondere an dem Punkt einsetzt, an dem die Beobachtung des Lebendigen im Freiland verlassen wird und der experimentelle Eingriff im Labor beginnt. Zwar besitzt auch die Beobachtung im Feld stets eine aktive, gestalterische Komponente und ist insofern ein Akt der Machtausübung, aber insbesondere als experimenteller Eingriff, welcher stärker das Labor als das Freiland betrifft, entfaltet diese epistemische Bemächtigung ihre lebenszerstörende, praktisch-technische Qualität. So hatte der Insektenfor13 |  R. Virchow: Atome und Individuen, S. 51; vgl. auch K. Köchy: Mensch. 14 |  R. Virchow: Atome und Individuen, S. 51. 15 |  Ebd., S. 52. 16 |  Ebd. 17 |  Vgl. E.P. Fischer: Atom der Biologen, S. 12. 18 |  Vgl. L. Kay: Secret of Life; Dies.: Buch, S. 67ff.

Tod im Labor – Zur Dialektik von Methode und Leben

scher Jean-Henri Fabre seine Freilandforschung explizit als Lebensforschung einer dem Tod verpflichteten Laborforschung gegenübergestellt.19 Auch der Pionier der Gentechnik und deren späterer vehementer Kritiker Erwin Chargaff hat in seiner spekulativen Biophilosophie unter dem Titel Unbegreif liches Geheimnis – u.a. auf Fabre bezugnehmend 20 – die Beobachtung von der Zerstörung des Lebens ausgenommen. Auch er hat deutlich gemacht: »Die Hilflosigkeit der Naturwissenschaften vor dem Leben hat jedoch meines Erachtens tiefere Gründe. […] In der Tat werden die genauesten Untersuchungen an toten Zellen und Geweben vorgenommen. Ich sage es nur zögernd und furchtsam, aber es ist nicht ausgeschlossen, daß wir hier einer Art von Ausschließungsprinzip gegenüberstehen: unsere Unfähigkeit, das Leben in seiner Wirklichkeit zu erfassen, mag der Tatsache zuzuschreiben sein, daß wir selbst am Leben sind.« 21

Durch die Vielfalt von »Bereitungs-, Isolierungs- und Darstellungsverfahren« im Labor geht nach Chargaff bei dieser Untersuchung »der Bestandteile lebender Organismen das Wesentliche, das Leben, verloren. Dieser Verlust wird von den Wissenschaften, die sich mit dem Präfix ›Bio-‹ zieren, gerne in Kauf genommen, denn sie haben sich dazu überredet, daß dabei nichts Wichtiges abhanden gekommen sein kann, jedenfalls nichts Wäg- und Meßbares.«22 Für Chargaff braucht es jedoch neue Begriffe und neue Verfahren, um das Leben angemessen zu würdigen.23 Eine systematische Aufarbeitung dieser so benannten Dialektik, nach der sich die wissenschaftliche Erforschung des Lebendigen als Zerstörung und Überführung in den Zustand des Nicht-Lebendigen erweist, ist jedoch bisher nur marginal erfolgt. Im Folgenden seien einige Eckpfeiler für eine solche zukünftige systematische Aufarbeitung genannt. Wir folgen dazu vorrangig den Gedanken des Philosophen Hans Jonas, dessen Biophilosophie das gesamte Spektrum dieses Problems, von den ontologischen Hintergrundüberlegungen über die methodischen Folgen bis hin zu den ethischen Implikationen, umgreift. Ergänzt werden Jonas’ Überlegungen durch Konkretisierungen aus dem Bereich biowissenschaftlicher Theorie und Praxis einerseits sowie durch bioethische Überlegungen andererseits.

19 |  Vgl. K. Köchy: ›Scientist in Action‹. 20 |  E. Chargaff: Unbegreifliches Geheimnis, S. 18f. 21 |  Ebd., S. 18. 22 |  Ebd., S. 24. 23 |  Ebd., S. 45: »Ich glaube, daß wir einen viel zu engen Begriff vom Leben haben; auch unsere biologischen Wissenschaften sind auf den Augenblick zugespitzt. Man könnte sagen, daß das Leben nur als Werden erkannt wird und das Anorganische als Sein.«

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O ntologischer H intergrund In seiner Biophilosophie hat Hans Jonas die Zusammenhänge von Tod und Leben in das Zentrum der Ontologie des Lebendigen gestellt. Demnach stellt die bisherige Fokussierung des Themas »Sterblichkeit« auf die Unterscheidung von Menschen und Gottheiten eine anthropozentrische Verengung dar. Da die Sterblichkeit Menschen und andere Lebewesen miteinander verbinde, werde sie vielmehr zum Wesensmerkmal des Lebens an sich.24 Die permanente Möglichkeit des Todes und seine letztendliche Notwendigkeit sind so die wesentlichen ontologischen Bedingungen des Lebendigen. Das für Jonas’ Biophilosophie zentrale Charakteristikum, sein Postulat einer Dialektik der Freiheit,25 leitet sich unmittelbar aus diesem Gedanken ab. Demnach ist es eine typische und definierende Eigenschaft lebender Einheiten, dass sie ihr Sein nicht einfach als Besitz haben, wie nichtlebendige Einheiten. Sie verdanken es vielmehr einer steten Anstrengung, einer Tätigkeit, wie sie sich bereits auf elementarem Niveau als Stoffwechsel zeigt.26 Statt statischer unlebendiger Identität entsteht so eine Identität im Fluss der Zeit. Mit dieser besonderen, von der eigenen Tätigkeit abhängigen Form des Seins ist allererst die Möglichkeit des Nicht-seins gegeben, sobald diese koordinierte Tätigkeit der Selbstherstellung und Selbsterhaltung aussetzt. Zudem ist das geforderte Tun seiner Möglichkeit nach nicht vom lebenden Organismus allein abhängig, sondern ebenso vom »Entgegenkommen einer Umwelt«.27 Hiermit sind Leben und Tod fundamental ineinander verschränkt, der Grund des Todes liegt in »der Urverfassung des Lebens«28 selbst. Ausübung von Lebenstätigkeit ist damit nicht allein Freiheit des Tuns, sondern zugleich eine Notwendigkeit des Tuns unter Verbot des Unterlassens.29 Diese Nicht-Autarkie gehört zum Wesen des Lebendigen. Da das Leben seine Negation, den Tod, in sich trägt, wird darüber hinaus Dasein zum Anliegen.30 Es entsteht ein Interesse am Überleben, womit für Jonas zugleich die ursprünglichste Form einer Werthaltigkeit natürlichen Geschehens bestimmt ist. Dass damit das Feld der Biophilosophie als ontologische Bestimmung des Lebendigen in das Feld der Bioethik als moralische Bewertung des Umgangs mit dem Lebendigen übergeht, wird abschließend zu thematisieren sein. Zunächst seien die Überlegungen von Jonas jedoch in den weiteren Rahmen biophilosophischer Reflexionen gestellt, um dann die methodischen Konsequenzen aus diesem ontologischen Befund zu ziehen.

24 |  H. Jonas: Sinn des Todes, S. 201. 25 |  H. Jonas: Organismus und Freiheit, S. 15.130ff. 26 |  Ebd., S. 125ff. 27 |  H. Jonas: Sinn des Todes, S. 203. 28 |  Ebd. 29 |  H. Jonas: Organismus und Freiheit, S. 132. 30 |  Ebd., S. 15.

Tod im Labor – Zur Dialektik von Methode und Leben

Die Auffassung von Jonas, nach der der Tod ein wesentlicher Teil des Lebens ist, ist unter Ausblendung der Fülle heterogener Vorstellungen und Erklärungen zum Tod aus den Reihen der Biophilosophie, auch in anderen Ansätzen zu finden. So läuft Jonas’ Überlegung u.a. in die gleiche Richtung wie die lebensphilosophische Reflexion Georg Simmels. Dieser hatte in seinem Aufsatz Zur Metaphysik des Todes (1910) formuliert: »Wie wir das Leben auffassen und wie wir den Tod auffassen – das sind nur zwei Aspekte eines einheitlichen Grundverhaltens.«31 Simmel bestimmt das Lebendige – und liefert damit eine maßgebliche Vorgabe für die später wirkmächtig werdende Klassifikation Helmuth Plessners – durch seine ihm eigene, begrenzende Form, die ihm nicht wie beim anorganischen Körper von außen vorgegeben ist. Während der anorganische Körper lediglich »aufhört, weil ein anderer anfängt«32 , gibt sich der organische Körper seine Gestalt von innen her selbst. Sein »Geheimnis der Form liegt darin, daß sie Grenze ist; sie ist das Ding selbst und zugleich das Aufhören des Dinges«. Das »organische Wesen ist, anders als das unlebendige, zu dieser Grenzsetzung keines zweiten bedürftig«. Neben die räumliche Begrenzung tritt dann für Simmel die zeitliche – und auch diese Grenze ist von innen her bestimmt, was bedeutet, »daß das Sterben mit seiner Natur selbst […] gesetzt ist.«33 Der Tod ist nach dieser lebensphilosophischen Überlegung ein formales und formgebendes Moment des Lebens selbst und der Organismus ist durch die gegenläufigen Bewegungen eines »Drang[s] nach Leben« und einer »Flucht vor dem Tode« bestimmt.34 Familienähnliche Überlegungen finden sich in der Biophilosophie an vielen Orten, so auch in solchen, die den Biowissenschaften näher stehen. So schreibt etwa der Biologe John Scott Haldane in seiner Philosophie eines Biologen: »Lebendige Organismen haben nicht nur die Tendenz, sich selbst zu erhalten und fortzupflanzen, sondern nach allem, was wir sicher wissen, sterben sie normalerweise nach einer bestimmten Lebensperiode […]. Wir müssen, meine ich, diesen normalen Tod ebenfalls als ein Wesensmerkmal des Lebens betrachten.«35 Dieser normale Tod als »Äußerung der Natur des Lebens« wird von Haldane als Mittel angesehen, durch das Raum geschaffen wird für die weitere Entwicklung des Lebens. Zugleich wird mit dieser Betrachtung Leben bestimmbar als »Kampf gegen das, was kein Leben, sondern nur physikalisches Chaos ist«.36 Verfolgen wir diesen evolutionsbiologischen Gedanken weiter, so scheint sich hier allerdings eine Relativierung der Bestimmungen von Hans Jonas abzuzeichnen – quasi ein ontologisches Pendant zur methodischen und methodologischen 31 |  G. Simmel: Metaphysik des Todes, S. 29. 32 |  Ebd.; vgl. dazu die Überlegungen H. Plessners (Stufen des Organischen, S. 153ff.); vgl. auch K. Köchy: Plessners Biophilosophie. 33 |  G. Simmel: Metaphysik des Todes, S. 30. 34 |  Ebd., S. 32. 35 |  J.S. Haldane: Philosophie eines Biologen, S. 65. 36 |  Ebd., S. 66.

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Ausblendung des Problemkomplexes des Todes in der Biologie als Wissenschaft. Zugleich könnte sich ein Weg abzeichnen, um Differenzierungsmerkmale auszuweisen, die in ethischer Hinsicht bedeutsam sein könnten. Folgen wir deshalb diesem Gedanken ein Stück weiter: Wir setzen dazu an einer Überlegung des Evolutionsbiologen Ernst Mayr neu an.37 Für Mayr ist mit Darwins Evolutionstheorie und der Theorie der natürlichen Selektion erstmals eine rationale, wissenschaftliche Erklärung des Todes möglich. Wenn Biologen deshalb von Leben sprächen, so täten sie dieses nicht mehr (wie in der Metaphysik und Theologie) im Gegensatz zum Tode, sondern vielmehr im Gegensatz zur Leblosigkeit unbelebter Dinge. Unter evolutionstheoretischen Vorzeichen, so kann man dieser Überlegung entnehmen, verschiebt sich der Akzent der Frage nach Leben und Tod zu einer Frage nach dem Verhältnis von Lebewesen und unbelebten Körpern und damit letztlich nach der Zuständigkeit von Biologie oder Physik. Darüber hinaus verlagert sich in evolutionsbiologischer Perspektive der Akzent jedoch auch von einer Betrachtung einzelner Individuen, deren Tod im Sinne von Jonas als Nicht-sein aufzufassen wäre, zu einer Betrachtung der Entwicklungen von Gattungen oder Populationen, wobei der existenzielle Kampf der Individuen ums Überleben der Erhaltung der Art dient. Dieser Gedanke hat seinen locus classicus in den Ausführungen des frühen Evolutionsbiologen und Vererbungstheoretikers August Weismann in dessen Schrift Ueber Leben und Tod (1884/1892).38 Weismann geht davon aus, dass einzellige Lebewesen potentiell unsterblich sind,39 mehrzellige hingegen einen natürlichen (physiologischen) Tod kennen. Er überträgt diesen Befund auch auf mehrzellige Lebewesen. Bei ihnen repräsentiere die Keimbahn die potentiell unsterbliche Linie von Zellen, das Soma hingegen den sterblichen Teil. Der Sinn des im Zuge der Entwicklung von Mehrzellern entstehenden physiologischen Todes ist für Weismann die Bildung von für den Kampf ums Überleben frischen Individuen. Auch ergebe sich die Notwendigkeit des Todes aus der Differenzierung von Zellen für spezielle Funktionen. Auch hier wird deutlich: Auf der Ebene des Fortpflanzungszusammenhanges der Gattung ergibt sich eine Aufhebung des Todes der Individuen. Geht man von der individuellen Existenz zur Stammesgeschichte über, dann gilt nach Weismann: »Das Leben ist aber ein dauerndes, nicht ein periodisch unterbrochenes; seitdem dasselbe in den niedersten Formen zuerst auf der Erde aufgetreten ist, hat es ohne Unterbrechung fortgedauert, nur seine Formen haben gewechselt […].« 40 Genau in diesem Sinne (und unter zentralem Bezug auf Weismann) zitiert noch der heutige Zellbiologe Widmar Tanner Carl Friedrich von Weizsäcker

37 |  E. Mayr: Biologie, S. 21f. 38 |  A. Weismann: Leben und Tod; vgl. dazu W. Schleip: Lebenslauf; vgl. auch die Überlegungen von G. Simmel: Metaphysik des Todes, S. 30. 39 |  A. Weismann: Leben und Tod, S. 67. 40 |  Ebd., S. 68.

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mit den Worten: »Der Tod der Individuen ist eine Bedingung der Evolution«. 41 Für die moderne Evolutionsbiologie existiert demnach eine enge Koppelung zwischen Fortpflanzung und Sterben. Der Tod ist positives und gezielt eingesetztes Funktionsprinzip der Biosphäre. 42 Im Unterschied zu Weismann geht man aber heute davon aus, dass die Evolution zwar Dynamik und die Entstehung von Neuem befördert und der Tod somit eine unabänderliche Konsequenz der Evolution ist, als solcher aber ist er ›non-adaptiv‹, d.h. ohne direkte positive Konsequenzen. Er ergibt sich einfach aus einem evolutionären Trend, durch den der junge Organismus durch Selektion optimiert wird, während sich mit zunehmenden Alter negative Eigenschaften akkumulieren. Die Verlagerung der Bestimmung auf die Ebene der Gattung hatte unter philosophischen Vorzeichen schon der Philosoph Nicolai Hartmann in seinen Philosophische[n] Grundfragen der Biologie hervorgehoben. 43 Auch für ihn ist der Tod vielzelliger Organismen ein natürliches und grundlegendes biologisches Phänomen. Er ist jedoch gerade nicht im Sinne von Jonas Ausdruck einer Selbstaufhebung des Lebens. Unter Bezug auf die Differenzierung zwischen Individuum und Gattung versteht Hartmann vielmehr den individuellen Tod von Vielzellern als Öffnung zum Wege der Selbsterhaltung der Gattung vermittels der Reproduktion. Ganz im Sinne der entsprechenden Überlegungen Hegels zum Gattungsprozess in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften44 wird damit die Gattung zur höheren Einheit des Lebens erklärt, auf die die Stabilität übertragen wird. 45 Aus dieser Verschiebung des Themas erklärt sich auch, dass die Frage nach dem Tod in den von Hartmann vorgenommenen Ref lexionen zur biologischen Methode, etwa zur Rolle biologischer Experimente, nicht tangiert wird. 46 Wir müssen aus diesem Faktum schließen, dass den nun folgenden Überlegungen von Hans Jonas zur Rolle des Originals im Experiment, d.h. zur Nichtvertretbarkeit des Individuums im experimentellen Geschehen und der damit verbundenen Nichtaufhebbarkeit des möglichen individuellen Todes im Experiment, eine essentielle Rolle zukommen muss. Aufschlussreich ist auch, dass gerade diese vom Gattungsgeschehen wegführende Überlegung bioethische Bedeutung entfaltet.

41 |  W. Tanner: Altern und Tod, S. 257. 42 |  Ebd., S. 260. 43 |  N. Hartmann: Grundfragen, S. 55. 44 |  G.W.F. Hegel: Enzyklopädie, S. 498ff. (§§ 367ff.). 45 |  N. Hartmann: Grundfragen, S. 56: »In ihr muß das durch den Tod abgebrochene Leben wieder kontinuierlich werden«. 46 |  Biologie bedarf, so ist Hartmann (ebd., S. 33f.) überzeugt, der »festen Stützpunkte. Und in der einfachen Beobachtung wie im Experiment braucht sie die genau eingestellte Fragerichtung, um das zu erforschende Teilgeschehen erfolgreich zu isolieren und so zu eindeutigen Antworten zu kommen«.

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M e thodische F olgen In seinem Werk Organismus und Freiheit kritisiert Hans Jonas an der aktuellen Wissenschaft die von ihm so genannte ontologische Dominanz des Todes. 47 Allerdings entfaltet er diese Kritik nicht in Auseinandersetzung mit konkreten methodischen Verfahren oder Laborpraxen, sondern sie betrifft letztlich die Ebene genereller weltbildhafter Vorannahmen, von Prämissen also, die die wissenschaftliche Praxis begleiten und leiten. Die wissenschaftliche Grundhaltung der Neuzeit, »Leben auf das Leblose zu reduzieren« 48 ist demnach Ausdruck einer panmechanistischen Gegenreaktion auf einen ursprünglichen Panvitalismus, für den Sein mit Leben identisch war. 49 Wo für den klassischen Panvitalismus der Tod das zentrale Welträtsel darstellte, das nach Erklärung verlangte, und man eine solche Erklärung anstrebte, indem man den Tod in die Konstanz des Lebens zurückstellte und ihn als Modus und Übergang zu höherem Leben umdeutete, da wird im Panmechanismus das partikulare Leben zum eigentlichen Erklärungsproblem. Die Lösung besteht nun darin, das Leben zu verleugnen und es zu einer »Variante der Möglichkeiten des Leblosen«50 zu degradieren. Für diese Haltung wird der lebendige Leib erst im Tode rätsellos. Aufgabe der neuzeitlichen Lebenswissenschaft und Maßstab ihres Gelingens ist demnach die Reduktion des Lebendigen auf das Tote. Für einen solchen Ansatz ist der Leichnam der am ehesten verständliche Zustand des lebendigen Körpers. Hier kehrt der Leib vom rätselhaften und unorthodoxen Benehmen der Lebendigkeit zum eindeutigen und vertrauten Zustand eines physikalischen Körpers zurück.51 Da Leben vom Leichnam her gedacht die Richtung des modernen Nachdenkens über biologische Phänomene bestimmt, so Jonas, existiere eine »ontologische Dominanz des Todes«. In dieser allgemeinen – und als historische Entwicklung weitgehend schematisch bleibenden – Bestimmung fehlen allerdings die Überlegungen zu den konkreten methodischen Problemlagen der modernen Biowissenschaften. Diese Konkretisierung liefert Jonas in seiner kleinen Studie Laßt uns einen Menschen klonieren (1982).52 Allerdings ist hier die Aufmerksamkeit des Philosophen auf die Biotechnik und das molekulare Niveau biologischer Forschung ge47 |  H. Jonas: Organismus und Freiheit, S. 25. 48 |  Ebd., S. 24. 49 |  Ebd., S. 19. 50 |  Ebd., S. 23; vgl. auch A. Portmann (Sinndeutung, S. 61f.) unter Bezug auf Jonas über den Cartesianismus in der Biologie: »In dieser Denkart ist das Natürliche zunächst das Leblose, das Tote. […] Soweit Leben im Sinn physikalischer und chemischer Arbeitsweisen erfaßt ist, spricht diese Denkart von einem echten Wissen um das Lebendige, von ›Biologie‹! Das Leben ist eine Variante des Leblosen, die von einem bestimmten Grad der Komplexität des Stofflichen an möglich ist.« 51 |  H. Jonas: Organismus und Freiheit, S. 25. 52 |  H. Jonas: Menschen klonieren.

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richtet und gilt den daraus resultierenden ingenieurtechnischen Anwendungen. Gerade in dieser, vor Etablierung der eigentlichen Technik erstellten, primär bioethisch bedeutsamen Schrift, werden jedoch die grundsätzlichen methodischen Rahmenbedingungen der Erforschung des Lebendigen unter den Gesichtspunkten der Separierung und Analyse thematisch. Es ist auffällig, dass dieses der Fall ist, gerade weil hier nicht primär das biologische Wissen, sondern vielmehr das biologische Tun philosophisch im Vordergrund steht. Damit wird die eingangs angedeutete Dialektik zwischen dem technischen Anliegen methodischer Praxis und den Bedingungen des Lebendigen unterstrichen. In der Abgrenzung der biologischen Technik gegenüber der Ingenieurtechnik (als Technik mit leblosen Stoffen) werden für Jonas die Grundlinien einer lebensfeindlichen, weil auf das Tote abgestimmten, biologischen Forschungspraxis deutlich. Sie zeigen sich in den Desideraten technischer Machbarkeit in diesem Feld. So ist erstens das Ausmaß des Herstellens, das bei technischer Konstruktionsabsicht mit toter Materie das gesamte Geschehen vom Rohstoff bis zum Endprodukt umfasst, bei lebendigen Strukturen stets eingeschränkt. Denn biologische Technik ist immer Auseinandersetzung mit bestehenden Organisationszuständen (›Plänen‹), die in der technischen Manipulation lediglich anerkennend umgebaut werden. Die erfinderische Verbesserung ist »an den Spielraum eines schon hochdeterminierten Systems innerer Wechselfunktionen unter der Bedingung weiterer Lebensfähigkeit gebunden [meine Hervorhebung, K.K.]«.53 Statt totaler De-novo-Planung ist so nur partielle Planveränderung möglich. Zweitens kommt in dieser Begrenzung zum Ausdruck, dass nicht mehr die biologisch Forschenden allein die Handelnden sind, sondern dass die technisch-experimentelle Handlung vielmehr an einem selbsttätigen Material vollzogen wird. Auch hiermit sind wieder die Rahmenbedingungen der Lebenserhaltung im experimentellen Verfahren angesprochen: »Bei Organismen trifft Tätigkeit auf Tätigkeit: biologische Technik ist kollaborativ mit der Selbsttätigkeit eines aktiven ›Materials‹, dem von Natur funktionierenden biologischen System, dem eine neue Determinante einverleibt werden soll.«54 Die Art der möglichen Intervention und das Ausmaß ihrer Folgen liegen damit nicht mehr in der Hand der Biotechniker. Daraus ergibt sich drittens die – schon von Bohr und Elsasser hervorgehobene – prinzipielle Begrenzung der Vorhersagbarkeit von Folgen der Intervention. Angesichts des hohen Grades an Komplexität, der teilweise unbekannten Determinanten und der selbstständigen Dynamik »ist die Zahl der Unbekannten im Gesamtplan riesig«.55 Planen wird zu Erraten und die geplante förderliche Veränderung durch technische Eingriffe kann jederzeit in eine das Leben zerstörende Änderung umschlagen. Wegen dieser Bedingungen ergibt sich ein wesentlicher Punkt: So ist viertens jeder Versuch eine wirkliche Aktion, und zwar nicht an stellvertretenden Modellen, sondern eben am lebendi53 |  Ebd., S. 165. 54 |  Ebd. 55 |  Ebd., S. 166.

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gen Original. »Das Experiment ist die wirkliche Tat – und die wirkliche Tat ein Experiment.«56 Darüber hinaus ist fünftens jede derart strukturelle Veränderung im Organischen irreversibel. »Was getan ist, ist getan.«57 Gerade diese für Jonas’ Ethik zentrale Behauptung einer »Unumkehrbarkeit« und Nichtrückholbarkeit der Folgen unseres Handelns findet in der Möglichkeit der intervenierenden Veränderung des Lebendigen zum Toten ihren zentralen und unwiderlegbaren Befund. In solchen Fällen ist eine Fehlerkorrektur existentiell ausgeschlossen, wo sie sich bei mangelhafter Erreichung gewünschter Ziele (etwa im Fall genetischer Interventionen bei Personen im Zuge des Enhancement) lediglich aus ethischen Gründen verbietet. Als Gegenseite des Todes ist dann sechstens die Geschlechterfolge zu beachten, die die Ergebnisse der biologischen Manipulation, zumindest wenn sie auf dem Niveau genetischer Informationen erfolgt, »in die Strömung des Werdens«58 entlässt. In diesem Fall hat der Wechsel von der individuellen Ebene des einzelnen Lebewesens auf die Ebene der Gattung allerdings keine Entlastungsfunktion mehr. Konnte unter ontologischen Vorzeichen mit Blick auf den Gattungsprozess der individuelle Tod im Fortgang des Fortpflanzungsgeschehens noch in eine allgemeine Kontinuität des Lebensgeschehens aufgehoben werden, so ist im Fall von Hans Jonas’ Überlegungen zu den Folgen von Interventionen auf der genetischen Ebene (zumindest solchen, die beabsichtigt oder unbeabsichtigt die Keimbahn betreffen) der Blick auf den Gattungsprozess nicht mehr problemmindernd, sondern vielmehr problemverschärfend. Denn nun fallen die Folgen des Eingriffs nicht mehr nur mit Blick auf das individuelle Lebewesen, sondern auch unter Berücksichtigung der gesamten Kette sich fortpflanzender Lebewesen (methodologisch und) ethisch ins Gewicht. Um Jonas’ Überlegungen empirisch zu stärken, seien seine biophilosophischen Reflexionen durch einen Blick auf das weite Feld der Methodenreflexionen aus dem Gebiet der Biologie unterfüttert – wobei eine solche Erweiterung, wie erwähnt, unter der grundsätzlichen Restriktion steht, dass die biologisch Forschenden die benannte Dialektik ihres Verfahrens zwar einerseits kennen, sie aber selten als solche auch reflektierend und verbalisierend anerkennen. Das Gebiet der Morphologie als Untersuchung biologischer Strukturen scheint zunächst – da es ihr vor allem um die Beschreibung der räumlichen Anordnung von Strukturen geht, weniger um die Erklärung von zeitlichen Funktionsabläufen – von den angedeuteten methodischen Problemlagen weniger betroffen. In diesem wissenschaftlichen Aufgabenfeld könnte man näherungsweise davon ausgehen, dass Strukturen im belebten und toten Zustand durchaus miteinander vergleichbar sind. Dennoch werden auch auf diesem Gebiet, da alle biologischen Gestalten letztlich Zeitgestalten sind,59 von jeher die methodischen Desiderate deutlich. Be56 |  Ebd., S. 167. 57 |  Ebd. 58 |  Ebd., S. 168. 59 |  V. v. Weizsäcker: Gestalt und Zeit.

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wegen wir uns erneut auf der Zeitskala in die Vergangenheit der Biologie zurück, dann hat etwa der Embryologe Alfred Fischel schon 1915 in seinen Reflexionen über die zoologischen Forschungsmethoden vor allem die Vorteile von Röntgenuntersuchungen hervorgehoben, weil diese das Manko behöben, dass man bisher zur »Ermittlung der inneren Organisation« von Lebewesen auf Untersuchungen »am toten Objekt beschränkt« gewesen sei.60 Ebenso gingen auch mikroskopische Untersuchungen zumeist mit der Abtötung von Zellmaterial einher, weshalb die neue »Methode der Lebendfärbung« besonders hervorzuheben sei.61 Der bekannte Zellbiologe Peter Sitte erhebt nahezu 60 Jahre später bei schon weiter fortgeschrittenem Entwicklungsstand der zellbiologischen Methoden ähnliche Einwände gegenüber den Verfahren der Elektronenmikroskopie, wobei er in der Unmöglichkeit echter Vitalbeobachtung in diesem Bereich ein »schwerwiegendes Hemmnis« der Forschung sieht.62 Für das Gebiet der Physiologie werden die Probleme deutlicher. Hier geht es – setzen wir wieder mit einer Überlegung Fischels ein – um die »am lebenden Organismus sich abspielenden Vorgänge«, die im Experiment zu untersuchen sind. Solche Versuche könnten nach Fischel zum Teil »auch an Objekten ausgeführt werden, die vorher getöteten Organismen entstammen« (Versuche an Nervenpräparaten, an Muskeln oder am ›isolierten Herzen‹).63 Jedoch: »Häufiger angewendet wird und zu reicheren Ergebnissen führt jedoch der direkt am Lebenden angestellte Versuch, die Vivisektion. Ihre Verwendung umfaßt alle Zweige der Biologie und wir verdanken ihr nicht nur die wichtigsten Aufschlüsse über die normalen und abnormalen Lebensvorgänge, sondern vielfach auch die Möglichkeit, Hilfsmittel gegen krankhafte Prozesse ermitteln zu können. Ohne diese Versuchsart ist biologische Forschung undenkbar […] Nachdrücklich mag dies jenen gegenüber ins Treffen geführt

60 |  A. Fischel: Richtungen, S. 35. 61 |  Fischel (ebd., S. 36f.) betont jedoch: »Das [sic!] Anwendungsbereich dieser Methode ist naturgemäß ein beschränktes, wie das der Untersuchung am Lebenden überhaupt. […] Selbst wenn diese Gewebsteile aus dem unmittelbar vorher abgetöteten Organismus stammen, weisen sie zunächst noch denselben Strukturzustand wie im Leben auf, da bedeutendere morphologische Veränderungen der Zellen erst längere Zeit nach dem Tode bzw. nach der Entnahme aus dem Körper auftreten. […] Obzwar nun die Untersuchung des lebenden oder überlebenden Gewebes unerläßlich ist, so reicht sie allein zur vollen Erkenntnis der mikroskopischen Strukturen doch nicht aus. Hierzu ist vielmehr noch die Untersuchung am abgetöteten Objekte notwendig.« Fischel nennt die Methoden der Fixierung, Konservierung, Färbung, Isolierung, Mazeration als notwendige Voraussetzung der morphologischen Arbeiten auf Zellniveau. 62 |  P. Sitte: Methodengefüge, S. 14. 63 |  A. Fischel: Richtungen, S. 45.

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Kristian Köchy werden, die das biologische Experiment bekämpfen und es aus den Laboratorien beseitigt wissen wollen.« 64

Abgesehen von diesem heute ethisch herausfordernden Votum für die Vivisektion bestätigt der berühmte Verhaltensphysiologe Erich von Holst in seinen Reflexionen über den Physiologen und sein Versuchstier65 diese Überlegungen mit einem ironischen Unterton: »Was Physiologie eigentlich ist, darüber können die Gelehrten merkwürdigerweise heute noch streiten. Das schöne Wort, sie sei die ›Lehre vom Leben‹, steht an einem Ende, der bissige Satz, sie sei die ›Lehre vom toten Frosch‹, steht am anderen Ende der Reihe möglicher Definitionen.« Für von Holst hat die Physiologie es immer mit Lebewesen zu tun, die »zunächst wenigstens, bevor er sein Werk beginnt, auch wirklich am Leben sind«. Im Zuge der Erforschung der Lebensvorgänge und im Dienste des Erkenntnisgewinns komme man allerdings ohne Eingriffe nicht aus, die das Tier vom gesunden in den »kranken« Zustand überführten und aus ihm nicht selten eine Leiche machten. Um die Dialektik aufzulösen, unterscheidet von Holst zwei sich ergänzende Forschungsstrategien, die elementaristische, auf einzelne Leistungen zielende Vorgehensweise, die analytisch und letztlich das Lebendige zerstörend vorgeht, und die holistische, durch Beobachtung des Gesamtverhaltens bestimmte Vorgehensweise, die an der Erhaltung lebendiger Phänomene ausgerichtet bleibt. Die von Fischel und von Holst für die Physiologie gezogenen Konsequenzen betreffen insbesondere diejenige biologische Forschungsrichtung, die sich der Untersuchung der Lebensäußerungen von Organismen in ihren Umwelten widmet: das Gebiet der Verhaltensforschung. Auf diesem disziplinären Feld finden sich (neben immer wiederkehrenden Versuchen, Verhalten unter Bedingungen der Analyse und des experimentellen Eingriffs im Labor zu untersuchen) folglich gehäuft Voten, die in ihre Reflexion über das richtige methodische Vorgehen zur Untersuchung von Verhalten auch Hinweise auf die methodische Gefährdung des Lebens durch eben den wissenschaftlichen Eingriff einbinden. Der Pionier der Verhaltensforschung Jean-Henri Fabre fand zu diesem Punkt bereits Erwähnung. Für Fabre grenzt sich seine eigene, den lebendigen Verhaltensweisen gewidmete Freilandforschung grundsätzlich von der Erforschung des Todes im Labor ab.66 Die »Sezierraum-Methode« der »Nekropolen« 67 von Museum, Labor und Sammlung liefert demnach nur eine tote und künstliche Sichtweise auf 64 |  Ebd., S. 60. Für Fischel (ebd.) sind die Gegner der Vivisektion »fortschrittfeindliche Mächte«, die das »mächtigste Mittel, um in die Geheimnisse des Lebens einzudringen«, beseitigen wollen. Schließlich sei angesichts der großen praktischen Bedeutung des Verfahrens »für das Wohl der ganzen Menschheit das Leben einer verschwindend kleinen Zahl von Tieren nicht in Betracht« zu ziehen. 65 |  E. v. Holst: Physiologe und Versuchstier, S. 247. 66 |  J.-H. Fabre: Erinnerungen, Bd. 2, S. 9. 67 |  Ders.: Erinnerungen, Bd. 4, S. 123.

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Lebewesen, führt zu verfehlten Klassifikationen und verhindert den Fortschritt der Biologie. Über die grundsätzlichen Schwierigkeiten bei der Erforschung des Verhaltens denkt auch der eng mit dem Philosophen Helmuth Plessner kooperierende Verhaltensbiologe Frederik Jacobus Johannes Buytendijk nach.68 Bei der Suche nach einem wissenschaftlichen Verständnis des Lebendigen bestehe die Schwierigkeit darin, dass »die Isolierung des einzelnen Vorgangs kein vorsichtiges Hervorheben, sondern eine Zerstörung« sei. In diesem Fall habe der Forscher »nur die Teile in der Hand, die tot sind«.69 Eine solche Analyse führe nur auf die Mittel, derer sich das Leben bediene, und befördere so eine mechanistische Betrachtung des Lebendigen. Unter Bezug auf das Postulat eines demonstrativen Seinswerts lebendiger Erscheinungen,70 d.h. auf die Ausdrucksqualität biologischer Vorgänge, sucht Buytendijk nach einer Verhaltensforschung, die über eine analytische Beschreibung der Bewegungen hinausgeht und die zu einem wahrhaften Verständnis des sich verhaltenden Lebewesens führt. Angesichts der vier Grundmerkmale aller Lebenserscheinungen (sich überdeckende Beziehungskreise, Gestaltstruktur, Labilität und sinnvolle Bezogenheit auf Vorgänge des umgebenden Mediums) betont Buytendijk, dass es gerade die Nivellierung der dem Lebendigen eigenen Labilität durch die experimentellen Bedingungen der Laborforschung sei, die die biologische Forschung in Gefahr bringe.71 Dieser Einschätzung folgt letztlich auch Niko Tinbergen, der in seinem berühmten Programmpapier der Verhaltensbiologie On Aims and Methods of Ethology (1963) das Interesse der Zoologen »in the living animal« explizit gegen alle Forschungsrichtungen abgrenzt, die es mit »discoloured, pickled and ›mummified‹ […] standard dissections« zu tun haben.72 Gehen wir von diesen methodischen Überlegungen zu den ethischen Implikationen über, wobei wir erneut an Jonas anknüpfen können, aber wieder über ihn hinausgehen.

E thische I mplik ationen Die Notwendigkeit ethischer Überlegungen ergibt sich aus der ontologischen Einsicht, dass mit dem Faktum, dass sich Lebewesen nur über den Modus der Tätigkeit am Leben und damit am Sein erhalten, eine basale Ebene des Interesses qua Lebensinteresse entsteht. Jenseits konkreterer Bezugnahmen auf spezielle Eigenschaften einzelner Lebewesen oder Lebensformen ist schon mit dem Topos, das Sein werde zum Anliegen, eine grundlegende und allgemeine Legitimität, 68 |  F.J.J. Buytendijk: Wege, S. 13ff. 69 |  Ebd., S. 14. 70 |  Vgl. A. Portmann: Das Lebendige, S. 28f. 71 |  F.J.J. Buytendijk: Wege, S. 28f. 72 |  N. Tinbergen: On aims, S. 412.

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ja Unverzichtbarkeit normativer Überlegungen gewährleistet. Lebendigsein ist als Wert bestimmt; den Lebewesen wird ein Interesse an ihrem Überleben zugeschrieben. Wie es Robin Attfield in der Analyse der Begründungsfiguren biozentrischer Ethik ausführt, ist damit insofern ein ethischer Status aller Lebewesen verbunden, als allen lebendigen Wesen ein eigenes Wohlergehen zugeschrieben werden kann, das sich schlicht aus deren basaler Interessenlage ergibt, am Leben zu bleiben. Wohlergehen setzt in diesem Fall ›nur‹ die Fähigkeiten voraus, »die zur Erhaltung eines Lebens« notwendig sind.73 Wenn zudem jedem Wesen, bei dem wir sinnvoll von Zuständen des Wohlergehens sowie von Handlungen zur Förderung oder Schädigung dieses Wohlergehens sprechen können, ein moralischer Status zukommt, dann besitzen Lebewesen eben wegen ihres Lebendigseins eine moralische Relevanz, die wir unbelebten Bildungen nicht in gleichem Maße zuschreiben können. In diesem Sinne hat Paul W. Taylor in seiner Ethik der Achtung gegenüber der Natur74 den Begriff des Wohls so definiert, dass er im Fall individueller Organismen ein Interesse dafür charakterisiert, »was sein Leben zum Besseren oder Schlechteren hin verändert«. Dieser Begriff des Wohls ist »nicht deckungsgleich mit dem des Empfindungsvermögens oder dem der Fähigkeit, Schmerz zu fühlen«75 – er liegt, so könnte man sagen, auf einem jenseits pathozentrischer Erwägungen sich erstreckenden allgemeineren Niveau und umfasst alle Lebewesen, nicht nur Tiere mit ausgebildetem Sinnes- und Nervensystem. Zugleich wird bei diesen Überlegungen eine Dimension naturphilosophischer Überzeugungen angesprochen, nach denen alle Organismen als Zentren des Lebens wahrgenommen werden, »in dem Sinne, daß jedes ein einheitliches System zielgerichteter Aktivitäten ist, die seiner Erhaltung und seinem Wohlergehen dienen«.76 Die methodischen Effekte einer Zerstörung von Leben durch Desintegration, Isolation oder Separation in der Wissenschaft vom Leben wären nach diesen Vorgaben insgesamt Verstöße gegen das basale Interesse der Lebewesen an ihrem Weiterleben und insofern wären sie insgesamt von ethischer Relevanz. Hans Jonas selbst hat diese Basis seiner ebenfalls biozentrischen Ethik in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung zum Ausdruck gebracht. Da organisches Sein stets ein Sein auf Widerruf ist, in der Schwebe zum Nicht-sein, kommt nach Jonas im organischen Sein ein Interesse zum Ausdruck. Dieses zeigt sich nicht nur im Überlebenswillen der Individuen, sondern auch in der Mannigfaltigkeit der Formen, »deren jede eine Art zu sein und zu streben ist, fortschreitend um den

73 |  R. Attfield: Biozentrismus, S. 124. 74 |  P.W. Taylor: Ethik der Achtung, S. 114. 75 |  Ebd., S. 115. 76 |  Ebd., S. 131; vgl. dazu die familienähnlichen Formulierungen bei H. Plessner: Stufen des Organischen, S. 184ff.; F.J.J. Buytendijk: Wege, S. 25; A. Portmann: Das Lebendige, S. 28ff.; H. Jonas: Organismus und Freiheit, S. 124.

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Preis entsprechender Vereitelung und Vernichtung befriedigt«.77 Der Extension des Lebens in Form der Biodiversität steht die Intensität des Lebenswillens des einzelnen Lebendigen zur Seite, die die Werthaltigkeit des Weiterlebens unübersehbar macht: »Und eben hier, durch den Gegensatz des Lebens zum Tode, wird die Selbstbejahung des Seins emphatisch.«78 Darüber hinaus ist bedeutsam, dass wissenschaftliche »Versuche an beseelten Objekten« eben wie oben dargelegt nicht an stellvertretenden Modellen, sondern stets am vollwirklichen Original erfolgen.79 Das Experiment als sanktioniertes Verfahren der Naturwissenschaften, das in seiner klassischen Form am leblosen Objekt entwickelt wurde und in dieser Hinsicht »sittlich neutral« war, erfolgt in der biomedizinischen Forschung eben unter neuen Gesichtspunkten: »Aber sobald lebende, fühlende Wesen Versuchsobjekte werden, wie dies in den biologischen Wissenschaften und speziell in medizinischer Forschung geschieht, verliert die Suche nach Erkenntnis diese Unschuld, und Gewissensfragen erheben sich.« 80 Die von Virchow erwähnte methodische Kompensation des Mangels, dass die methodischen Verfahren zur Erforschung des Lebendigen das individuelle Leben töten, durch den Verweis auf die lebendige Bildungsfähigkeit und die damit zur Verfügung stehenden weiteren Lebewesen schließt sich hier aus, weil eben der Weg auf die Gattungsebene verstellt ist. Ist es richtig, was Jonas hervorhebt, dass jeder Versuch ein Versuch am Original ist, und ist es ebenfalls richtig, dass es die Interessen des einzelnen Lebewesens sind, die ethisch zählen, dann kann Virchows Vorschlag unter ethischen Vorzeichen nicht als legitime Kompensation angesehen werden. Das Gleiche gilt auch für evolutionsbiologisch oder hegelianisch motivierte Hinweise, das Problem des individuellen Todes sei ontologisch durch den Übergang auf die Gattungsebene aufzuheben. Eben die evolutionsbiologisch verlagerte Aufmerksamkeit von der Endlichkeit individueller Existenz zur potentiellen Unendlichkeit des Fortpflanzungskontinuums der Population oder der phylogenetischen Kette der Lebewesen ist offensichtlich auch verbunden mit einer metatheoretischen Verschiebung: Während es metaphysisch um die Differenz zweier wesenhaft verschiedener ontologischer Zustände wie Leben und Tod ging, geht es evolutionsbiologisch um zwei lediglich hinsichtlich ihrer materiellen Organisationshöhe zu unterscheidende Zustände (anorganische und organische Naturbildungen). Während im Fall der Unterscheidung von Leben und Tod wissenschaftliche, philosophische und theologische Fragen aufeinander treffen, verbleibt die Trennung von anorganischen (unbelebten) und organischen (belebten) Naturkörpern innerhalb der Naturwissenschaften und sie betrifft letztlich die Frage nach den Zuständigkeiten von Physik, Chemie oder Biologie.81 77 |  H. Jonas: Prinzip Verantwortung, S. 156. 78 |  Ebd., S. 157. 79 |  H. Jonas: Freiheit der Forschung, S. 99. 80 |  H. Jonas: Im Dienste, S. 109. 81 |  Vgl. B.-O. Küppers (Hg.): Leben; M. Bedau: What is Life?

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Wenn also zutreffen sollte, dass es das individuelle Interesse an der Vermeidung des Endes der eigenen Existenz (Tod) ist, das ethisch zählt, dann ist unter ethischen Gesichtspunkten sowohl der genannte Übergang auf die Gattungsebene verstellt als auch die Nivellierung der Probleme durch die Betrachtung der Differenz als eine Frage, die lediglich die Organisationshöhe und Komplexität materieller Bildungen betrifft. Vehement gestritten wird allerdings bis in die jüngste Vergangenheit auch innerhalb der ethischen Fachgemeinde darüber, ob es dieser individuelle Tod ist, der jeweils zählt. Gestritten wird zudem darüber, ob ohne Rücksicht auf die Organisationshöhe von Lebewesen und ohne weitere Spezifizierung und Differenzierung für alle Lebewesen von Individuen oder von individuellem Tod sinnvoll zu sprechen ist. Gestritten wird schließlich ebenso darüber, ob es der Tod ist, der für das individuelle Lebewesen zählt. 82 Einige Protagonisten der Tierethik behaupten etwa, dass Tiere über keinen Begriff des Todes verfügen und ihnen deshalb der Tod nichts ausmachen könne. Nur vernunftbegabten Lebewesen sei diese Dimension zugänglich. So sind nach Dieter Birnbacher83 ethische Verweise auf ein Interesse am Überleben »von sehr begrenzter Reichweite«. Er ist überzeugt: »Sie können nur für Tiere gelten, die entweder in der Lage sind, ihren eigenen (späteren) Tod zu denken, oder zumindest in der Lage sind, spätere eigene Zustände zu denken, also über ein Selbst- und Zukunftsbewusstsein verfügen.« 84 Für Edward Johnson hingegen ist auch ohne diese Sorge um eine Zukunft ein Interesse, am Leben zu bleiben, zu konstatieren – ein Zugeständnis, das die ethische Landschaft radikal verändert.85 In diesem Streit geht es offensichtlich immer auch darum, ob die Feststellung einer grundlegenden ethischen Bedeutsamkeit des methodischen Handelns in den Lebenswissenschaften, die sich aus dem Befund des möglichen Lebensverlustes der untersuchten Lebewesen infolge des Einsatzes der lebenswissenschaftlichen Methoden ergibt, zugleich bedeutet, dass mit diesem Zugeständnis jeder wissenschaftliche Versuch an jedem Lebewesen ethisch verboten ist. Müsste diese absolute Konsequenz gezogen werden, dann wäre das offensichtlich das Ende aller invasiven Biologie, zumindest aller derjenigen Ansätze, die mit dem Tod der untersuchten Lebewesen enden oder enden könnten. Einiges spricht jedoch gegen eine solche Gleichsetzung der aus dem Faktum des möglichen Todes abzuleitenden prinzipiellen ethischen Relevanz lebenswissenschaftlicher Handlungen mit einem ebenso prinzipiellen Verbot jeglicher experimentellen Praxis an Lebewesen.86 In drei Hinsichten wäre eine kontextsensitive Differenzierung denkbar:

82 |  Vgl. E. Johnson: Leben, Tod und Tiere. 83 |  D. Birnbacher: Tötung von Tieren, S. 216ff. 84 |  Ebd., S. 216. 85 |  E. Johnson: Leben, Tod und Tiere, S. 204f. 86 |  Vgl. zur Ethik des Tierversuchs etwa auch: J. Smith/K.M. Boyd (Hg.): Lives; H. LaFollette/N. Shanks: Brute Science; J.S. Ach: Lassie; K. Gärtner/G. Heine/A. Elsässer:

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Zunächst könnte man verschiedene menschliche Handlungsziele wie Erkenntnisgewinn oder Forschungsfreiheit im Falle von Grundlagenforschung oder mögliche medizinische Heilsversprechen im Falle von Anwendungsforschung als Abwägungsaspekte87 für die ethische Entscheidung im Einzelfall in Rechnung stellen. Dies gilt zumindest so lange, wie man eine solche Abwägung von Zwecken überhaupt als ethisch zulässig erklärt und nicht davon ausgeht, dass die schlechten Mittel (Methoden, die den Tod des untersuchten Lebewesens zur Folge haben) niemals zugunsten noch so guter Zwecke verhandelbar sind.88 Stimmte man auch dem Einwand gegen die Abwägung auf der Ebene der Zwecke zu, so könnte man zumindest immer noch hinsichtlich der Handlungsmittel differenzieren, also die eingesetzten Verfahren selbst hinsichtlich ihrer jeweiligen invasiven Qualität unterscheiden.89 Wie eingangs betont, würden beobachtende Verfahren im Freiland vermutlich weniger bezüglich ihrer lebenszerstörenden Qualität zu Buche schlagen als experimentelle Verfahren im Labor. Das wird etwa deutlich, wenn die Soziologin Karin Knorr Cetina in ihrer Untersuchung moderner Wissenskulturen molekularbiologische Arbeitsbanklaboratorien unter dem Leitbegriff »Technologien der Intervention« zusammenfasst.90 Natürliche Objekte würden hier als Prozessiermaterialien und Objektzustände behandelt und allen möglichen invasiven Behandlungsprogrammen unterzogen. Wenn so nach Knorr Cetina das Paradigma der Objektintegrität im Labor grundsätzlich aufgehoben wird, dann muss dies gerade für solche ›Objekte‹ wesentliche Konsequenzen haben und ethisch Berücksichtigung finden, deren spezifisches (lebendiges) Sein eben auf der Aufrechterhaltung dieser Integrität beruht. In vielen Fällen der lebenswissenschaftlichen Grundlagenforschung kann sich deshalb bereits aus Entscheidungen auf der methodischen Ebene – etwa bei methodisch begründetem Verzicht auf bestimmte Ansätze der Laborforschung zur Untersuchung von höheren Verhaltensleistungen von Tieren – eine auch ethisch bedeutsame Aussage über die invasive Qualität der jeweiligen Verfahren ergeben. Analoge Überlegungen wären auch für die Anwendungsforschung anzustellen. Deutlich wird an solchen Debatten jedoch – etwa im Rahmen möglicher Alternativen zum invasiven Tierversuch nach dem »3R«-Konzept (Replacement, Re-

Tierversuche; E. Frankel Paul/J. Paul (Hg.): Animal Experimentation; D. Borchers/J. Luy (Hg.): Tierversuch; A. Ferrari, Zur Ethik. 87 |  Vgl. B.A. Brody: Verteidigung, S. 269. 88 |  So das Argument von T. Regan: Rechte für Tiere, S. 41. 89 |  K.P. Rippe (Tiere, Forscher, Experimente, S. 331) unterscheidet deshalb Tierversuche im weiteren Sinne (die alle Experimente an Tieren umfassen, unabhängig davon, ob Tiere durch die Untersuchungsverfahren belastet werden oder nicht) von solchen im engeren Sinne (die nur solche Experimente umfassen, die mit Erzeugung oder bewusster Inkaufnahme tierlichen Leides verbunden sind). 90 |  K. Knorr Cetina: Wissenskulturen, S. 56f.

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duction, Refinement) in den Voten für den Einsatz von Zellkulturen91 –, dass es stets um mehr geht als nur um eine Abwägung von Methoden und Verfahren. Mit Blick auf unser Thema wäre neben dem Grad der invasiven Qualität eines Handlungsmittels oder der Anwendbarkeit der vorgeschlagenen Alternative für die zu klärende wissenschaftliche Fragestellung deshalb stets auch das ›Überlebensinteresse‹ von Einzelzellen, Geweben oder geringer organisierten Lebewesen gegen das von höher organisierten Vielzellern abzuwägen. Für eine solche Abwägung wären dann jedoch nicht nur biologische Angaben über die Struktur oder die Funktion der jeweiligen Lebenssysteme bedeutsam, sondern eben auch philosophische Überlegungen zu den Abstufungen des Interessenbegriffs (wie Interesse am Leben, am Leben ohne Leiden, daran, auch Subjekt dieses Lebens zu sein, an einem guten, gesunden oder gelingenden Leben, Interesse an Interessen zu haben …). Dieser letzte Punkt macht deutlich, dass man auch mit Blick auf den Handlungsgegenstand jenseits der abstrakten Zuschreibung von Leben (und dem damit benannten basalen Interessenniveau des Überlebenswillens) an mögliche Abstufungen denken kann. Jegliche Abwägung steht allerdings angesichts der skizzierten ethischen Profundität des methodisch verursachten Todes von Lebewesen prinzipiell auf schwankendem Boden. Die Probleme jedoch, die entstehen, wenn man solche Differenzierungen nicht vornimmt und eine am Überlebenswillen ausgerichtete, für alle Lebewesen gleichermaßen geltende biozentrischen Ethik in absoluter Weise vertritt,92 zeigen sich an Albert Schweitzers »Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben«. Auch dessen Ansatz leitet die ethische Relevanz aus dem mit der Möglichkeit des Todes gegebenen Willen zum Leben ab.93 Die für die Ethik motivierende Ehrfurcht vor dem Leben resultiert dann aus dem Analogieschluss vom eigenen »Willen zum Leben, der in mir ist«94 , und mündet in dem bekannten Credo »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.«95 Die ethische Maxime ist folglich: »Gut ist‚ Leben erhalten und Leben fördern; böse

91 |  https://www.bmbf.de/de/alternativen-zum-tierversuch-412.html, zuletzt abgerufen am 09.03.2016; vgl. auch B. Sauer: Tierversuche. 92 |  Gegen diese Absolutheit hat wegen der mit ihr verbundenen großen metaphysischen Voraussetzungen G. Patzig (Tierversuch, S. 252) einen Einwand erhoben: »Diese Ansicht hat die Schwierigkeit, daß sie mit dem Begriff des absoluten Werts des Lebens operiert; eine metaphysische Voraussetzung, die sich nicht weiter begründen läßt.« Jedoch ist das Ideal einer metaphysikfreien Bioethik wohl kaum einlösbar. Metaphysische Annahmen über den Status des Lebendigen werden in allen bioethischen Positionen gemacht, der Verzicht auf sie dürfte deshalb schwerfallen. 93 |  A. Schweitzer: Kultur und Ethik, S. 328ff.; vgl. auch M. Hauskeller (Hg.): Ethik des Lebens. 94 |  A. Schweitzer: Kultur und Ethik, S. 330. 95 |  Ebd.

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ist, Leben vernichten und Leben hemmen.«96 Zudem wird dieses zentrale Dogma des Biozentrismus von Schweitzer als absolute Position verstanden, erlaubt also keine Abstufung und kennzeichnet die Vernichtung und Schädigung von Leben, unter welchen Umständen auch immer, als ethisch verwerflich.97 Durch die Unvermeidbarkeit jedoch, anderes Leben im Laufe des eigenen Lebens zu schädigen oder gar zu vernichten, ist diese absolute Haltung prinzipiell problembelastet, Schuld ist grundsätzlich nicht abwendbar. Die Kritik an diesem Modell lautet deshalb, dass es in seinem absoluten Anspruch nicht umsetzbar ist. So hat etwa Jean-Claude Wolf betont, Schweitzers biozentrischer Ansatz sei für die Bioethik nicht brauchbar.98 Für unsere Thematik ist aufschlussreich, dass sich dieses ethische Dilemma nicht nur im Alltagsleben, sondern vor allem in der biomedizinischen Praxis zeigt. Der praktizierende Arzt Schweitzer thematisiert die Leiden des »Tier[s] als Versuchstier«99 allerdings ausschließlich unter dem Anwendungsaspekt der medizinischen Forschung. Damit ist sie von Anfang an in den Kontext der Behandlung menschlicher Erkrankungen gestellt. Mit dieser Betrachtung wird jedoch erstens die grundlegende methodologische Dimension einer möglichen Tötung von Tieren im Labor auch im Zuge der Grundlagenforschung ausgeblendet. Zweitens kommt es im medizinischen Anwendungsszenario automatisch zur Abwägung zwischen menschlicher Leidensvermeidung einerseits durch Erzeugung tierlichen Leides andererseits. Dem absoluten Anspruch seiner Ethik kann Schweitzer mit dieser relationalen Konstellation prinzipiell nicht gerecht werden. Drittens ist es aufschlussreich, dass im biomedizinischen Fallbeispiel für Schweitzer eben gerade nicht das tierliche Interesse am Überleben, sondern vielmehr das tierliche Leid und der tierliche Schmerz im Vordergrund stehen. Es spricht also einiges dafür, die Tatsache, dass Lebewesen durch lebenswissenschaftliche Handlungen ihr Leben einbüßen können, auf der Basis der Unterstellung eines Interesses am Überleben als Grund dafür anzunehmen, dass eine ethische Relevanz lebenswissenschaftlicher Handlungen überhaupt existiert. Es spricht ebenso einiges dafür, kontextsensitive Differenzierungen mit Blick auf die Handlungsziele, die Handlungsmittel oder die Handlungsgegenstände vorzunehmen: Welches Leben welcher Organisationshöhe wird durch welche Verfahren mit welchen Zielen in welchem Grade gefährdet? So hätte man zumindest eine Chance, angesichts einer grundlegenden Dialektik zwischen Methode und Leben eine angemessene und abwägende Bioethik zum Umgang mit dem prekären Status des Lebendigen zu etablieren. Eine überzeugende tierethische Programmatik, die dieses umsetzt, steht jedoch noch aus.

96 |  Ebd., S. 331. 97 |  Ebd., S. 339. 98 |  J.-C. Wolf: Ehrfurcht. 99 |  A. Schweitzer: Kultur und Ethik, S. 341.

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Die Erfahrung vom sterbenden Tier Phänomenologische Perspektiven auf das Töten von Tieren Martin Huth Das Sterben ist »brutale Unendlichkeit, weil das Leben, während es endet, nicht endet«. E mmanuel L evinas

P rolog Ziel dieses Aufsatzes ist es weder, die Frage nach der moralischen Zulässigkeit des Tötens von Tieren erschöpfend zu behandeln, noch in die Auseinandersetzung mit dem Problem des Tiertodes (Hat der Tod eine Bedeutung für Tiere? Können wir um diese Bedeutung wissen?) einzusteigen. Das phänomenologische Denken versteht sich als Versuch, dem, »was sich zeigt, so wie es sich zeigt«1, nachzuspüren, und so ist hier zunächst einmal darauf hinzuweisen, was sich unserer Erfahrung eigentlich darbietet, was uns eigentlich gegeben ist – nämlich das Sterben eines je konkreten Gegenübers (vgl. den folgenden Abschnitt). Doch erfahren wir niemals das Sterben an sich eines Tieres an sich – wir erfahren unterschiedliche Tiere, deren Sterben sich allein aus Gründen der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Spezies verschieden gestaltet. Darüber hinaus gibt es kulturell spezifische, wirkmächtige Wahrnehmungs- und Auffassungsgewohnheiten; diese lassen die Sterbeprozesse und auch die toten Körper von Tieren unterschiedlich in Erscheinung treten.2 Hierin sind unterschiedliche Betroffenheiten bzw. ein unterschiedlicher Affektionscharakter durch das jeweilige Geschehen des Sterbens manifest. Es würde doch wohl in unserem Kulturkreis einen eminenten Unterschied machen, dem Schlachten von Kälbern oder dem Töten von Katzenjungen zuzusehen oder eine in zwei Hälften geteilte Kuh vor sich zu haben im Unterschied zu einem halbierten Hund, was keine bloß rationalen Gründe, sondern eben jene Wahr1 |  M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 34. 2 |  Zur gelenkten Wahrnehmung des Todes und der Betrauerbarkeit von Leben im Anschluss an Judith Butler siehe den Beitrag von Y. Thöne in diesem Band.

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nehmungs- und Auffassungsdispositionen zum Hintergrund hat. Anschließend wird es im Rahmen dieses Aufsatzes darum gehen, dass die Sterblichkeit und erst recht das akute Sterben eine Erfahrung darbieten, die uns – selbst unter den Vorzeichen womöglich weitgehender Rationalisierung oder gar Verdinglichung wie in der Massentierhaltung oder bei Laborexperimenten – auf eine existentielle Art und Weise berühren kann, die ein Umgehen damit notwendig macht, zumal es sich hier um eine hyperbolische Erfahrung3 handelt, die über die Möglichkeit bloßen Erledigens, bloßen Abhakens hinausgeht. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist jene, wie mit dieser mitunter radikalen Affektion umgegangen werden kann, wie wir also darauf antworten können. In einem Epilog werde ich mich schließlich im Rekurs auf Giorgio Agambens Theorem der anthropologischen Maschine4 damit auseinandersetzen, inwiefern die erwähnte Diversität der Erfahrung vom sterbenden Tier sozialen Prädispositionen unterliegt und wie diese oben schon erwähnten Dispositionen von Wahrnehmung und Auffassung näherhin zu interpretieren sind.

S terben und Tod Es ist nicht nur innerhalb der Philosophie kein Geheimnis, dass der Tod ein sozusagen unerschöpfliches Thema ist. Er kann als Thema nicht schlichtweg erledigt oder wie auch immer umfassend behandelt werden und bildet einen beständigen Antrieb für Auseinandersetzungen unterschiedlichster Art – seien sie religiöser, wissenschaftlicher oder etwa esoterischer Natur, seien es Spekulationen über ein mögliches Danach, sei es ein Räsonieren über die Bedeutung des Todes im Leben. Doch wie verträgt sich eine solche Auseinandersetzung mit einer Phänomenologie, die sich um Tiere und menschliche Beziehungen zu Tieren bemüht? Die vielleicht berühmteste und auch wirkmächtigste Beschreibung des methodischen Grundanliegens der Phänomenologie findet sich in Edmund Husserls Ideen I: »Daran, dass jede originäre gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ›Intuition‹ originär (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich gibt, kann uns keine erdenkliche Theorie irre machen.« 5

Applizieren wir diese methodische Überlegung auf den Tod, so ergibt sich, dass wir ihn eigentlich als Nichtphänomen fassen müssten, als etwas, das sich unserer Erfahrung radikal entzieht. Spekulationen darüber, wie ein jenseitiges Weiterleben aussehen könnte, verbieten sich dann ebenso wie der Versuch, etwas über 3 |  B. Waldenfels: Hyperphänomene, passim. 4 |  G. Agamben: Das Offene, S. 47 u.ö. 5 |  E. Husserl: Ideen I, S. 51.

Die Er fahrung vom sterbenden Tier

die (womöglich existentielle) Bedeutung des Todes für Tiere auszusagen, weil uns diese Bedeutung als solche gerade nicht leibhaft gegeben ist.6 Mittlerweile gibt es zwar vielfache Auseinandersetzungen darüber, ob Tiere trauern und sich vielleicht auch der eigenen Sterblichkeit bewusst sein können – fraglich ist aber, ob darüber überhaupt etwas phänomenologisch Gültiges ausgesagt werden kann.7 Martin Heidegger hat bekanntlich den Tod als die »eigenste, unbezügliche und unüberholbare Möglichkeit« 8 beschrieben, etwas, das uns radikal vereinzelt und aus dem Miteinander herausnimmt. Ob man diese Beschreibung für in jeder Hinsicht treffend und glücklich hält oder nicht9, die Unvertretbarkeit in der Sterblichkeit impliziert durchaus ein je eigenes Verhältnis dazu und die Unmöglichkeit zu wissen, wie es für den jeweils Anderen ist, sterblich zu sein. Dies trifft auf den anderen Menschen zu, erst recht aber wohl auf das jeweilige Tier. Es ist allerdings, das sei hier der Vollständigkeit halber noch erwähnt, vor diesem Hintergrund mehr als merkwürdig, dass Heidegger in diesem Zusammenhang eigentlich weit hinter sein eigenes Denkens zurückfällt, wenn er andernorts meint, dass sich die anthropologische Differenz, also die eigentliche Unterschiedenheit von Mensch und Tier, gerade im Zusammenhang mit dem Bezug zum Tod manifestiere – nämlich insofern nur der Mensch einen solchen Bezug zum eigenen Tod habe: »Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heißt: den Tod als Tod vermögen. Nur der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es hat den Tod als Tod weder vor sich noch hinter sich.«10 Damit soll dargestellt werden, dass nur wir Menschen uns unserer Endlichkeit tatsächlich bewusst sein können und damit auch einen Bezug zum Sein, zu unserem eigenen Existieren im emphatischen Sinne haben können, der Heidegger ja schon in Sein und Zeit so wichtig erscheint. Von einer Urteilsenthaltung kann hier jedoch ebenso wenig die Rede sein wie davon, dass die Erfahrung vom sterbenden Tier hier irgend aufschlussreich beschrieben würde. Allenfalls handelt es sich hier um Nivellierung bzw. Neutralisierung des Angesprochenseins durch den tierlichen Tod, denn damit ist die existentielle Bedeutung, die der Tod für den Menschen hat, dem Tier radikal abgesprochen – der Tod nähert sich einer bloßen Zerstörung. Insofern ist es nicht schwer, Jacques Derrida recht zu geben, wenn er in kritischer Absicht über Heideggers Auseinandersetzung mit

6 |  Damit ist umgekehrt nicht gesagt, dass die Phänomenologie davon ausgeht, dass es kein Weiterleben geben könne. Sie kann dasselbe einfach nur nicht als Gegenstand ansehen, der innerhalb ihrer Methode zu fassen ist. 7 |  Vgl. C. Sternad: Tod, S. 49. 8 |  M. Heidegger: Sein, S. 264. 9 |  Vgl. z.B. die Kritik von E. Levinas: Totalität und Unendlichkeit, S. 72. 10 |  M. Heidegger: Vorträge, S. 180. Ähnlich wird argumentiert in M. Heidegger: Grundbegriffe, S. 371 u.ö.

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Tieren schreibt: »Diese Rhetorik läßt die Axiome des tiefsten metaphysischen Humanismus – ich sage ausdrücklich des tiefsten Humanismus – unangetastet.«11 Auch wenn wir um den tierlichen Bezug zum Tod nicht wissen können, ist es um die Sterblichkeit der Tiere nicht so bestellt, dass sie uns in keinster Weise anginge. Wenn ein Tier (und selbstverständlich auch ein Mensch) stirbt, so ist dies kein Ereignis, das wir grundsätzlich als unbeteiligte Beobachter wahrnehmen und dem wir dann eventuell, womöglich nach eigenem Gutdünken, auch noch eine existentielle oder moralische Bedeutung beilegen würden – dabei ist noch nicht einmal impliziert, ob dieses Sterben durch die eigene Hand geschieht, ob es sich um ein uns vertrautes Tier handelt oder ob das Sterben ein womöglich qualvolles ist. Vielmehr ist schon das Faktum des vor uns endenden Lebens etwas, das wir am eigenen Leib im Sinne einer affektiven Betroffenheit spüren können. Es ist, wie Rudolf Bernet nicht nur in Bezug auf das fremde Leiden, sondern auch auf das fremde Sterben treffend beschreibt, mit »einem äußeren Zwang oder einer lästigen Nötigung verbunden […]. Also kein spontanes Gefühl und kein Ausdruck subjektiver Freiheit.«12 Das Sterben eines konkreten Gegenübers bildet ein Pathos, ein Angegangenwerden bzw. Widerfahrnis, auf das wir allenfalls nachträglich antworten können, aber gegen das wir uns nicht im eigentlichen Sinne abschirmen können. Selbst der vorsätzliche Akt des vermeintlich legitimen Tötens etwa zur Fleischgewinnung (oder auch in Laborexperimenten13 zur prima vista verdienstlichen Entwicklung von Medikamenten) muss aus phänomenologischer Sicht als einer beschrieben werden, der uns als Akt unserer Verfügungsmacht entgleitet, wie etwa aus dem Umstand hervorgeht, dass die Tätigkeit in Schlachthöfen ein schon anerkanntes Gefahrenpotential für posttraumtische Belastungsstörungen und Burn-Out-Symptomatiken in sich birgt.14 Zentrum der Erfahrung des Sterbens ist Theodor Adorno zufolge der »Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Menschen trifft. Der Trotz, mit dem er diesen Blick von sich schiebt — ›es ist ja bloß ein Tier‹ —, wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das ›nur ein Tier‹ immer wieder sich bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten.«15

Gerade im Blick manifestiert sich prototypisch ein Gegenüber als leiblich-lebendiger Anderer, als ein Wesen mit eigenem Weltbezug; entsprechende Beschreibungen und Motive finden sich auch bei Derrida.16 Wie später noch unter Bezugnahme auf mögliche Umgangsweisen ausgeführt werden wird, gibt es also 11 |  J. Derrida: Geist, S. 19f. 12 |  R. Bernet: Subjekt, S. 28. 13 |  Siehe dazu den Beitrag von K. Köchy in diesem Band. 14 |  Vgl. M. Huth: Ihr Tod, S. 68f. 15 |  T. W. Adorno: Minima Moralia, S. 118f. 16 |  J. Derrida: Tier, S. 28 u.ö.

Die Er fahrung vom sterbenden Tier

eine grundlegende Unabweisbarkeit dessen, dass uns das Sterben berührt (sonst bräuchte es den – vergeblichen – Trotz nicht, von dem Adorno spricht), und zwar auf eine Art und Weise, die es uns verunmöglicht, darauf nicht zu antworten, uns schlichtweg nicht dazu zu verhalten. Damit sind die metaphysischen Axiome einer radikalen Differenz von Mensch und Tier, von denen Derrida spricht, genau im Zusammenhang mit der Erfahrung des fremden Sterbens infrage gestellt. Auch das Sterben (und Töten) von Tieren ist eine jener hyperbolischen Erfahrungen, die von uns nicht erledigt werden können wie eine mathematische Aufgabe oder die Bitte nach einem Glas Wasser. Wir sind in einem existentiellen Sinne aufgefordert bzw. angesprochen, was ein solches Geschehen von einer neutralen Tatsache wie der Beschädigung eines bloßen Objektes grundlegend unterscheidet. Angelehnt an Bernhard Waldenfels kann gesagt werden, dass sich das Doppelphänomen von Töten und Sterben als eines gestaltet, das mehr und anderes zeigt als sich selbst17, nämlich indem wir uns immer auch als davon getroffen verstehen müssen und der Umgang damit sich in immer neuen Anläufen gestalten muss (und sei diese Iteration auch noch so subtil). Damit soll angezeigt werden, dass es keinen Königsweg, keinen allgemeingültigen Antwortmodus hinsichtlich des Umgangs mit Sterbenden gibt, mit dem die Frage für alle möglichen Fälle erledigt wäre. Das Sterben ist in gewisser Weise immer singulär wie der je konkrete Andere, bei dessen Sterben wir als Zeugen anwesend wären. Weiter unten wird auf die darauf antwortende Einbettung des Tötens in Rituale und Normierungen eingegangen, die eine Distanzierung von der singulären Betroffenheit erlauben sollen, aber eine ebensolche Betroffenheit gerade zur Voraussetzung haben. Dem ist noch hinzuzufügen, dass sich diese Erfahrung nicht zwingend erst durch das Beiwohnen an einem Sterbeprozess – womöglich eben durch eigene Hand ausgelöst – einstellt, sondern einem auch schon am je konkreten Gegenüber mitten im Leben aufgehen kann. Cora Diamond spricht von der Begegnung mit Tieren als der Erfahrung von tiny sons of life bzw. fellows in mortality 18, Jacques Derrida von der unabweisbaren Gewissheit der Endlichkeit des Gegenübers19, Emmanuel Levinas reduziert zwar seine Darstellung auf mitmenschliche Lebewesen, doch ist ihm die vielleicht fundamentalste Erläuterung jenes Umstandes zu verdanken, dass mir in der Begegnung des leiblich-lebendigen Anderen immer auch schon seine Mortalität und Vulnerabilität gleichsam mitgegenwärtig ist.20

17 |  Ebd., S. 9. 18 |  Vgl. C. Diamond: Eating Meat, S. 101f. 19 |  Zur Struktur der grundlegenden Erfahrung des Gegenübers als sterblich siehe J. Derrida: Politik, S. 35. Dass sich eine derartige Erfahrung auch in der Begegnung mit Tieren konstituiert, wird in aller Deutlichkeit beschrieben in: J. Derrida: Tier, S. 28. 20 |  E. Levinas: Spur, S. 222-224; ebenfalls von großer Relevanz ist die Beschreibung der Unhintergehbarkeit des Getroffenseins durch das vulnerable Gegenüber in E. Levinas: Jenseits, S. 105.

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D as vielfältige S terben der Tiere Es ist – wie schon angedeutet worden ist – nicht so, dass sich ein reines Sterben an sich zeigt. Einerseits ist das Verhalten im Sterben unterschiedlicher Tiere (mitunter extrem) divers, die jeweilige Situation ist darüber hinaus eine, die unsere Erfahrung stark prädeterminieren kann. Man denke etwa daran, ob sich das Sterben eines Wildtiers unter unserer mehr oder minder zufälligen Zeugenschaft oder im Zuge einer Jagd eines Nutztiers, im effizienzoptimierten Schlachthof, im Zuge eines Schächtrituals, aufgrund eines Verkehrsunfalls oder in den mittlerweile eigens eingerichteten Euthanasieräumlichkeiten in veterinärmedizinischen Kliniken ereignet. Dabei macht es natürlich einen eminenten Unterschied, ob das Sterben durch eine Tötungshandlung verursacht worden ist; davon zeugt die durchaus häufige Erfahrung der Tötungshemmung21, die überwunden werden muss, wenn ein Tier getötet werden soll. Nach dem oben Gesagten gehe ich davon aus, dass es zwar eine Gewöhnung an die Tötungshemmung gibt, sodass den Geübten die entsprechende Handlung leichter fällt, doch glaube ich nicht, dass diese Hemmung unter normalen Bedingungen jemals völlig verloren gehen könnte. Dies ist in gewisser Weise trivial.22 Weniger trivial erscheint mir allerdings der Umstand, dass es auch habitualisierte Wahrnehmungsmuster gibt, die die Erfahrung des tierlichen Sterbens mitstrukturieren. Ist es ein Hund mit seinen vielfachen Konnotationen und seiner symbolischen Überdeterminierung als bester Freund des Menschen, als Lebenspartnerersatz, treuer Gefährte usw., so stellt sich in unserem Erleben gleichsam unmittelbar eine andere Betroffenheit ein, als wenn wir einer Stadttaube beim Sterben zusehen – oder einem Schwein, das ohnehin »nur zu Nahrungszwecken« da zu sein scheint. Damit schließe ich mich vorderhand aber nicht der Kritik an einer moralisch illegitimen Ungleichbehandlung hinsichtlich ihrer soziokogni-

21 |  Wichtig scheint mir hier noch zu sein, dass sich die Tötungshemmung vor dem Hintergrund einer soziokulturell kontingenten Normalität als differenziert beschreiben lassen müsste – sie wird sich quantitativ und qualitativ anders gestalten, je nachdem, ob es sich beim zu tötenden Tier um ein Insekt, einen sog. Schädling, ein sog. Nutztier oder ein sog. Haustier handelt. 22 |  Man könnte nun einwenden, dass es doch eine Reihe an Belustigungen gab und gibt, die gerade darin bestehen, dass Tiere gequält und von Menschenhand getötet werden – von Stier- oder Hahnenkämpfen bis hin zu Phänomenen wie etwa den Wiener Hetztheatern (18. Jhd.), in dem Tiere auf unterschiedliche Weise getötet wurden, z.B. dadurch, dass man sie in die Luft katapultierte und dann auf eine letale Landung wartete. Hier wäre aber zu fragen, was daran eigentlich die Belustigung darstellt, welchen »Kitzel« wir hier gewärtigen und ob nicht genau die Betroffenheit einen Teil der Lust ausmacht – wie auch das Lachen nicht immer Ausdruck von Freude ist, sondern evtl. auch von Angst, Erschütterung und anderen Formen unbeantwortbarer, eben hyperbolischer Erfahrung.

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tiven Fähigkeiten weitgehend Gleicher (etwa Hund und Schwein) an23, sondern möchte viel eher auf das Faktum der Diversität der Mensch-Tier-Beziehung und das sich damit verbindende Faktum unterschiedlicher Erfahrungen hindeuten. Ich gehe gerade nicht davon aus, dass es ein Tier per se gibt, dem wir in unserer Theorie und Praxis mehr oder weniger gerecht werden können und sollen. Es gibt eine lebensweltliche Prästrukturierung unseres Erfahrens von sowie unseres Umgangs mit Tieren, der sich einverleibten Normalitäten verdankt, die wir nicht einfach korrigieren und richtigstellen können.24 Es gibt einfach kein Außerhalb dieser Prästrukturierung, keinen point of view of the universe25, von dem aus man völlig von seinem eigenen soziokulturellen Hintergrund abstrahieren könnte, um die entsprechenden Praktiken dann "richtigstellen" zu können. Wie unterschiedliche Theorien aus der Phänomenologie und darüber hinaus zu verstehen geben, sind in Geltung befindliche Normalitäten im Zuge einer Sozialisierung uns nicht nur in einem metaphorischen Sinn in Fleisch und Blut übergegangen, sondern bilden eine komplexe Habitualisierung; die sich manifestierenden Gewohnheiten sind dann aber keine Verhaltenszüge, die man sich einfach wieder abgewöhnen könnte, wenn man sich das nur fest genug vornähme.26 Vielmehr schreiben sie sich schon in die Wahrnehmung ein und verbinden sich so mit einer Art Normativität der Wahrnehmung selbst – Husserl hat dafür den sprechenden Begriff der Orthoästhesien geprägt.27 Andernfalls müssten wir in jeder Situation komplexe Urteile, womöglich sogar ganze Kaskaden von Urteilen fällen, um unser Handeln mit dem Anspruch des persönlichen Gewissens in Einklang zu bringen. In dieser

23 |  Vgl. M. Joy: Why We Love Dogs, passim. Der Sinn einer solchen Kritik steht damit nicht in jeder Hinsicht infrage, in gewisser Weise scheint sie mir sogar notwendig, um nicht im Status quo der Behandlung der Tiere stecken zu bleiben – etwas, das uns nicht erst seit dem bereits 1964 erschienenen Buch Animal Machines von Ruth Harrison nicht mehr moralisch akzeptabel erscheinen dürfte. Mir geht es nur darum, dass die Forderung nach einer radikalen Konsistenz unabhängig von den lebensweltlichen Praktiken und Bezügen, in denen wir stehen, eher als utopische und mitunter moralistische Forderung erscheint denn als ein der Sache der Tiere dienliches Vorgehen. 24 |  Ähnlich A. Crary: Minding, passim. 25 |  P. Singer/K. de Lazari-Radek: Point. Die Autorin und der Autor gehen genau davon aus, dass ein solcher Standpunkt sogar notwendigerweise einzunehmen sei. In eine sehr ähnliche Richtung führen schon Singers Überlegungen in seiner Praktischen Ethik, wo er davon spricht, dass wir neutrale Gründe betreten könnten, um uns gleichsam objektiv über den richtigen oder falschen Umgang mit Tieren Auskunft zu geben (vgl. P. Singer: Practical Ethics, S. 90f.). 26 |  Vgl. M. Merleau-Ponty: Phänomenologie, S. 116; F. Varela: Ethisches Können, S. 10-12; B. Waldenfels: Selbst, 183f. 27 |  E. Husserl: Ideen II, S. 66.

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Normalität bzw. auch Normativität 28, die schon ein beobachtbares Ereignis um die Möglichkeit einer reinen Neutralität bringt, sind tradierte Entscheidungen eingeschrieben, die aus sogenannten Heimtieren Lebenspartner bzw. Familienmitglieder machen, aus sogenannten Nutztieren Fleisch- und Milchproduzenten, aus manchen Tieren Schädlinge, wieder aus anderen elegante Exot_innen. Ein Verstoß gegen die Normalitäten ist etwas, das zu unterschiedlichen Reaktionen führen kann, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Reaktionen führen wird. Was passiert, wenn elegante Exot_innen aus vermeintlich falschen Gründen getötet werden, zeigt das öffentlich so breit diskutierte Beispiel der Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo.29 Aus Platzgründen wurde das Jungtier 2014 eingeschläfert und an Löwen verfüttert. Der mediale Aufschrei war groß, zigtausende Menschen unterzeichneten eine Online-Petition zur Schließung des Zoos, die Direktion wurde mit Morddrohungen im Namen des Lebens bedacht. Die Frage, die sich aber sicherlich stellen lässt, ist jene, warum bei der Verfütterung eines Kalbes an die Löwen höchstwahrscheinlich niemand groß Aufhebens gemacht hätte bzw. viele mit ihren Kindern dem Spektakel der Raubtierfütterung beigewohnt hätten, ohne dieses Ereignis als besonders grausam zu empfinden.30 Aber ähnliche Reaktionen gibt es oft, wenn als anomal erachtete Tötungsweisen stattfinden; man denke etwa auch an die Kritik des Schächtrituals, das in westlichen Ländern bisweilen als grausam interpretiert und abgelehnt worden ist. Umgekehrt ist ein allzu sensibler bzw. auch umständlicher Umgang mit Nutztieren (fallweise sicherlich auch mit Heimtieren) etwas, das auffällig ist und zumindest bemerkt wird. In heuristischer Absicht zitiere ich hierzu Robert Musil: »Und wenn jemand etwa aus rein vegetarischer Gesinnung zu einer Kuh Sie sagen würde (in richtiger Erwägung des Umstandes, daß man sich gegen ein Wesen, dem man du sagt, viel leichter rücksichtslos benimmt), so würde man ihn einen Gecken, wenn nicht einen Narren schelten; aber nicht wegen seiner tierfreundlichen Gesinnung, die man hoch human findet, sondern wegen ihrer unmittelbaren Übertragung in die Wirklichkeit.«31 Die Wirklichkeit, von der Musil hier spricht, scheint mir genau jene Normalität lebensweltlicher Bezüge zu bezeichnen, von der ich oben schon gesprochen habe. Dies manifestiert sich auch und vor allem in etablierten Tötungspraktiken. Die Motive und Rahmenbedingungen für das Euthanasieren von Heimtieren sind mitunter völlig andere als jene bei sogenannten Nutztieren. Damit sowie mit den 28 |  Zur Verwässerung der Dichotomie von Normalität und Normativität siehe B. Waldenfels: Grenzen, S. 9. 29 |  Zum »Fall Marius« sowie der Tötung von Zootieren im Allgemeinen siehe den Beitrag von W. Reinert in diesem Band. 30 |  Judith Butler beschreibt in überzeugender Weise, dass affektive Betroffenheit kein natürlicher Mechanismus ist, sondern Affekte immer auch durch einverleibte soziokulturelle Interpretationsmuster konstituiert werden. Vgl. J. Butler: Frames, S. 13. 31 |  R. Musil: Mann, S. 305.

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Gründen, warum dies so sein könnte, möchte ich mich im nun folgenden Abschnitt auseinandersetzen.

D em W iderfahrnis des sterbenden Tieres ant worten In den letzten Jahren ist eine Fülle an Ratgeberliteratur entstanden, die eine regelrechte Orthothanasie32 , eine normativ aufgeladene Normalität des guten Tötens von Heimtieren zugleich konstituiert und beschreibt. Dabei werden viele Dimensionen berücksichtigt und damit eben normalisiert. Von der Bestimmung des richtigen Zeitpunkts über die richtige Wahl der Mittel, die richtige Einrichtung des Raumes bis hin zur richtigen Trauerarbeit inklusive der richtigen medikamentösen Begleitung gibt es vielerlei Parameter, wie der gute Tod für Tiere zu gestalten sei.33 Dennoch ist auch das Töten von Nutztieren ein äußerst normierter Bereich, wobei diese Normierung sowohl explizit als auch implizit besteht. Explizit ist sie selbstverständlich in rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Hygiene, aber auch der Leidvermeidung. Implizit, aber nichtsdestotrotz sehr wirkmächtig scheint sie im Selbstverständnis von Menschen zu sein, die in Schlachthöfen tätig sind. Aussagekräftig sind in diesem Zusammenhang die Studien des Soziologen Marcel Sebastian, der davon berichtet, dass es innerhalb des Ethos (also der moralischen Normalität) von Schlachthofmitarbeiter_innen normalisierte Praktiken des Tötens gibt. Gemeinhin könnte man ja durchaus davon ausgehen, dass Tiere in solchen Institutionen radikal verdinglicht werden, sodass die Erfahrung von Vulnerabilität und Sterben weitestgehend unsichtbar gemacht wird. Durch manche einschlägige Prozeduren mag dies auch der Fall sein. Doch ist Sebastian zufolge auch zu bemerken, dass zwischen normaler und anormaler bzw. exzessiver Gewalt gegen Tiere unterschieden wird. Abweichungen von der Normalität werden schnell als grausam bzw. überflüssig und damit verwerflich deklariert und mit entsprechender sozialer Ächtung geahndet.34 Darüber hinaus ist es so, dass einige wenige Tätigkeiten (v.a. die des Knockers35) als für das Sterben eigentlich verantwortlich beschrieben werden, während die jeweils anderen Tätigkeiten oftmals untergeordnet hinsichtlich der Verantwortung für das Töten gedeutet werden.36 Damit zeigt sich in diesen Praktiken und Interpretationsmustern die Notwendigkeit und zugleich Schwierigkeit, auf das Angegangenwerden durch den sterblichen respektive sterbenden Anderen zu antworten bzw. damit umzugehen. So schreibt auch Sebastian, dass ein »breites Setting von Umgangsweisen […] dabei 32 |  Diesen mehr als glücklichen Ausdruck verdanke ich meiner Kollegin Kerstin Weich, von der ich über Fragen des Tieretötens auch anderweitig viel lernen durfte. 33 |  Vgl. H. Hofmann: Sterben, passim. 34 |  Vgl. M. Sebastian: Tierliebe, S. 105. 35 |  Knocker bezeichnet jene Person, die den Bolzenschussapparat bedient. 36 |  M. Sebastian: Tierliebe, S. 108.

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helfen [soll], das durch die Ausübung von Gewalt an Tieren ausgelöste Unbehagen sowie Stress und ähnliche psychische Belastungen zu neutralisieren«.37 Die entsprechende Neutralisierung entsteht durch den Interpretationsrahmen eines humanen Tötens, das sich durch jeweils anerkannte Techniken und Praktiken als solches bewährt. Was sich außerhalb des Rahmens befindet, ist das Inhumane, überflüssig Gewalttätige, mithin das Illegitime. Warum aber findet sich gerade gegenwärtig sowohl im Bereich der Heim- als auch der Nutztierhaltung eine solch ausgeprägte Normalisierung und Legitimierung des Tötens von Tieren? Ist dies etwa eine moderne Angelegenheit, die sich aus einer wie auch immer neu entstandenen Sensibilität für Tiere erklären ließe, die den Menschen des Mittelalters oder auch der Antike abgegangen wäre?38 Eine Auseinandersetzung mit dem Hintergrund der letzteren Frage, nämlich dass sich das Töten von Tieren auch schon von alters her als eine normierte und legitimierungsbedürftige Praxis zeigt, findet sich in Walter Burkerts berühmter Studie Homo Necans. Breit wird dort der Umstand verhandelt, dass das Töten schon in frühen Hochkulturen sehr häufig in Rituale eingebettet war, die in Berichten mitunter von narrativen Topoi umrahmt wurden, die aus distanzierter Sicht als phantastisch anmuten mögen. Dass das zu schlachtende, damit oftmals gleichgesetzt: zu opfernde Tier zu seiner Opferung eine deutliche Zustimmung gibt39, ist eine Erzählfigur, die uns heute als fremd oder allenfalls märchenhaft erscheinen muss. Eine Legitimierung sowie auch Distanzierung bzw. Neutralisierung der Erfahrungen von Töten und Sterben können wir darin aus heutiger Perspektive aber allemal erkennen. Was sich an der Normierung bzw. auch Distanzierung vom Geschehen des Sterbens des tierlichen Gegenübers im Zusammenhang mit Heimtiereuthanasie, Schlachtprozessen und rituellen Opfern zeigt, ist die unhintergehbare und unmittelbare Betroffenheit durch das Sterben, das oben schon mit Bezug auf Cora Diamond, Theodor Adorno, Emmanuel Levinas oder auch Jacques Derrida beschrieben worden ist. Wir spüren am eigenen Leib, dass uns da etwas angeht, wovon wir uns eben nur reaktiv (auch im Sinne eines nicht vermeidbaren Antwortens) absetzen können und scheinbar auch bis zu einem gewissen Grad müssen, um dies auszuhalten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Gewalt 40 gegen Tiere unter Umständen als praktischer Imperativ verstanden wird. Das mag möglicherweise mit 37 |  Ebd., S. 103. 38 |  Zu mittelalterlichen Tierprozessen siehe den Beitrag von P. Dinzelbacher; mit der Haltung gegenüber Tieren in der orientalischen Antike befasst sich u.a. U. NeumannGorsolke in diesem Band. 39 |  W. Burkert: Homo Necans, S. 11. 40 |  Ich verwende den Begriff der Gewalt hier in Anlehnung an Marcel Sebastian. Ich möchte damit keinesfalls einer allzu schnellen Moralisierung der Tiertötungspraktiken Vorschub leisten, glaube aber, dass das hyperbolische Geschehen des Tötens und Ster-

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der Sichtweise korrelieren, dass der Mensch sich ohne tierliche Produkte nicht adäquat ernähren kann, was immer wieder angezweifelt wird, doch wird dies relativ schnell einigermaßen unumstritten, wenn es um die Eindämmung gefährlicher Zoonosen oder auch darum geht, Leib und Leben von Menschen vor einer direkten Gefährdung durch Tiere zu schützen. Selbst ein Konsens über die Notwendigkeit von Tiertötungen ist nicht hinreichend dafür, die tötende Person für die Betroffenheit schadlos zu halten, die, wie oben schon erwähnt worden ist, auch zu ernsthaften psychischen Belastungen führen kann. Das Getroffensein innerhalb einer zwischenleiblichen Resonanz41 bildet ein Pathos, dessen Widerfahrnischarakter nicht einfach wegdiskutiert oder durch Strategien der Legitimierung der Tötungshandlung oder auch der Verdinglichung restlos eingedämmt werden kann.

E pilog – die anthropologische M aschine als T ötungsmaschine ? Bisher habe ich mich darum bemüht, das Töten von Tieren insofern zu beschreiben, als die Bedingungen des sich So-Zeigenden gefasst werden sollten. Dazu war es von Belang, dass es eine grundlegende, hyperbolische, affektive Betroffenheit gibt, die sich nicht einfach wegerklären lässt, auch nicht durch Legitimationsfiguren, die in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich ausfallen. Dennoch können diese Legitimationsfiguren die Erfahrung sozusagen auf Distanz halten, ohne sie letztlich aber völlig zu neutralisieren. Ein letzter Punkt scheint mir im Zusammenhang mit dem Töten von Tieren aus phänomenologischer Sicht noch relevant zu sein: Die Unmittelbarkeit des Getroffenseins durch das Leiden und Sterben von Tieren ist, wie oben schon mehrfach angedeutet worden ist, kein Geschehen, das von der jeweiligen Situativität und vom jeweiligen Gegenüber losgelöst betrachtet werden kann. Nun möchte ich aber zur Einbettung in den größeren soziokulturellen Kontext noch einige konzisere Überlegungen anstellen. Die Unterscheidung von Heim- und Nutztier, die Vielfältigkeit unterschiedlicher Mensch-Tier-Beziehungen, die sich tief in unsere Wahrnehmungsraster eingeprägt hat, ist eine Prädisposition unserer konkreten Erfahrung des sterbenden Tiers. Mit dem Schlagwort der anthropologischen Maschine beschreibt Giorgio Agamben diese konstitutive Dimension für Phänomene des Tötens und Sterbens, auch für die Tötbarkeit selbst, d.h. für die Möglichkeit, das Töten überhaupt für eine legitime und normale Praxis zu halten. Ein ganzer Komplex an unterschiedlichen Praktiken (Heimtierhaltung, Tiere als Therapie, Fleisch als symbolisch überdeterminierter Bestandteil der Festtagskultur, aber bens eines ist, das in einer neutraleren Terminologie phänomenologisch nicht adäquat beschrieben wird. 41 |  Vgl. T. Fuchs: Gehirn, S. 205.

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auch die symbolische Distanzierung von Tieren als unrein, ekelhaft oder bedrohlich usw.), in die wir gleichsam hineingeboren und hineinsozialisiert werden, unterscheiden uns von ihnen42 , unterscheiden aber auch die Tiere untereinander. Unser Ethos, man könnte auch sagen unsere Infrastruktur des Normalen und des Normativen, bestimmt Tiere als tötbare Individuen auf eine Art und Weise, die im Bereich des Zwischenmenschlichen nicht denkbar wäre. Dies mag dazu führen, dass wir uns einer Verdinglichung annähern, in der das Individuum auf den ersten Blick tatsächlich keine Rolle mehr zu spielen scheint. Die Statistiken in der Produktion von Geflügel sprechen demgemäß auch nicht mehr von »Stückzahl«, sondern nennen das Gesamtgewicht. Aber auch die Rede von Stückzahlen erscheint wenig weit von einer Verdinglichung entfernt zu sein. Tendenziell wird damit suggeriert, dass ein Gegenüber als Adressat einer Handlung, und sei es eben auch einer Tötungshandlung, gar nicht vorkommt. Die Tötung wird dann – zumindest virtuell – zu einer neutralen Handlung, die von keinem Pathos im emphatischen Sinne begleitet werden dürfte. Die US-amerikanische Psychologin Melanie Joy hat dies als Ideologie interpretiert, die sie mit dem Begriff des carnism (Karnismus) belegt und als kritikwürdig, aber auch auflösbar beschreibt. 43 Doch Diamond, Adorno, Levinas, Derrida und andere wurden schon als Kronzeug_innen dafür aufgerufen, dass die Betreff barkeit nicht völlig ausschaltbar ist und immer ein pathischer Widerstand gegen die Normalität tendenzieller Verdinglichung besteht und sei er noch so subtil und für die je Betroffenen in actu nicht bewusst wahrnehmbar. Aber eine völlige Distanzierung von solchen Mustern der Wahrnehmung von Tieren als vulnerable Wesen oder fellows in mortality in unterschiedlicher Gradualität scheint mir unmöglich und oft einer moralistischen Anmaßung zu entspringen; dies würde ja doch einen point of view of the universe voraussetzen, der uns als leiblichen, in einer sozialen Welt mit ihrer normativen Infrastruktur situierten Wesen nicht zukommt. Stützen möchte ich diese Überlegungen mit einer glücklichen Formulierung von Martin Schnell: »Wenn die Konstruiertheit des Sozialen jedoch ein Prinzip wäre, wäre sie der praktische Logos, durch den unsere Wirklichkeit gebildet würde. Dann ist sie Bedingung der Möglichkeit für soziale Wirklichkeit und als solche kaum annullierbar. Es sei denn, der Tierschutz ginge in eine metaphysische Revolte über.« 44

Die relative Nichttötbarkeit von Menschen (natürlich gibt es aber auch Umstände einer legitimen Tötung von Menschen, unter denen die Notwehr sicherlich die unverdächtigste ist) unterscheidet uns mittels der Dispositive einer anthropologischen Maschine von jenen Tieren, deren Tötung durch ihre eigene leibliche Verfassung nicht nur legitimiert, sondern gleichsam gesollt erscheint (die Eutha42 |  G. Agamben: Das Offene, S. 25. 43 |  M. Joy: Why We Love Dogs, passim. 44 |  M. Schnell: »Human-Animal-Studies«, S. 61.

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nasie schwer kranker, leidender Heimtiere erweist gerade unsere Menschlichkeit, Keulungen im Seuchenfall usw.) – und sie unterscheidet uns vor allem von jenen Lebewesen, deren Tötung durch ökonomische Logiken legitimiert erscheint. Insofern erweist sich Agambens anthropologische Maschine als Tötungsmaschine. Der Autor geht aber in seinen Ausführungen – ganz entgegen der Annahme von Schnell – davon aus, dass ein Außerkraftsetzen der anthropologischen Maschine denkbar wäre, es also genau zu jener metaphysischen Revolte kommen könnte, die Schnell praktisch für unmöglich hält: »Aufhebung der Aufhebung, Shabbat sowohl des Tieres als auch des Menschen. Und wenn eines Tages das ›Gesicht aus Sand‹ endgültig erlischt, das die Humanwissenschaften gemäß einer nunmehr klassischen Vorstellung ins Strandtuch unserer Geschichte geprägt haben, wird kein neues Mandylion oder die ›Veronika‹ einer wiedergefundenen Humanität oder Animalität an seine Stelle treten.« 45

Doch scheint mir das Menschliche ebenso wenig wie das jeweilige Tier und die Erfahrung des Tötens oder Sterbens je völlig konstruiert bzw. hergestellt durch eine anthropologische Maschine. Ebenso wenig sind solche Erfahrungen Ausfluss einer bloßen Ideologie im Sinne Joys, denn dieser Begriff impliziert die Möglichkeit und auch die praktische Aufforderung, sich von dieser Ideologie freizumachen und zu einer wie auch immer sich gestaltenden »wahrhaften« Praxis zu gelangen. Vielmehr würde ich mit Judith Butler davon ausgehen, dass es eine kontingente Allokation von Vulnerabilität bzw. ihrer Anerkennung gibt, die unsere Erfahrungen prädeterminiert und die oben beschrieben Normalität konstituiert, die gerade durch die singuläre Erfahrung des Sterbens infrage gestellt, gestört werden könnte. 46 Analog zur linguistischen Unterscheidung von langue und parole bei de Saussure käme es dann auch hier zu einer gleichsam dialektischen Spannung zwischen der einigermaßen festgefügten, aber nichtsdestotrotz kontingenten Infrastruktur des Normalen und Normativen (langue) und dem konkreten Ereignis (parole), in dem diese Infrastruktur im Wahrnehmen und Handeln aktualisiert, aber nicht zwingend völlig bestätigt wird. Levinas spricht absichtsvoll von einem dérangement, einer Störung, die durch das Erscheinen des leiblichlebendigen Anderen eintritt. 47 Die Singularität der Erfahrung der Vulnerabilität und Mortalität macht es aus, dass im und um den Akt des Tötens immer das Potential einer Restrukturierung unseres Erfahrungsfeldes liegt; darum habe ich oben in Anlehnung an Waldenfels von einem Hyperphänomen gesprochen. Wahrnehmungsraster und Anerkennungsmuster, die Menschen und Tiere hinsichtlich ihrer Tötbarkeit unterscheiden, sind keine metaphysischen Grundpfei45 |  G. Agamben: Das Offene, S. 100f. 46 |  Vgl. J. Butler: Frames, S. 2.4.8 u.ö. 47 |  E. Levinas: Jenseits, S. 235.

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ler, aber auch nicht anzulegen und abzulegen wie Kleidungsstücke. Das Sterben eines konkreten Gegenübers erweist sich dann als Movens der Infragestellung, als möglicher Anlass einer Abkehr von etablierten und inkarnierten Wahrnehmungs- und Handlungsmustern. Aber damit ist gerade nicht gesagt, dass es einer bloßen Dezision anheimgestellt bliebe, vernünftig bzw. richtig oder unvernünftig bzw. unrichtig zu handeln. Dagegen spricht schon der Umstand, dass wir erstens immer auch Normalitäten unterliegen, derer wir gar nie habhaft werden können, weil sie, wie Klaus Held treffend beschreibt, gleichsam in unserem Rücken und damit unseren Erfahrungen zugrunde liegen. 48 Es ist nicht nur bisweilen so, dass die Brille, die uns die Welt sehen lässt, als Brille gar nicht in dieser Welt präsent wird, sondern allenfalls einer mühevollen Besinnung zugänglich wird. Damit verbindet sich aber eben nicht die Konsequenz, dass wir eine Änderung einfach intentional herbeiführen könnten, denn darüber hinaus ist festzuhalten, dass es eine Beharrungstendenz49 der gelebten Infrastruktur gibt, die uns einen eminent starken Widerstand entgegenhalten kann. Wenn im Rahmen eines singulären Ereignisses (analog zur parole) sich eine noch so hyperbolische Erfahrung einstellt, so ist damit nicht gesagt, dass die nächsten Ereignisse nicht wiederum die Normalität (analog zur langue) bestätigen oder das einzelne Ereignis entweder zu schwach oder zu wenig kommunizierbar bleibt, um Verschiebungen zu veranlassen. Zumal das je konkrete Tier also niemals nur das Tier an sich ist und wir es immer durch die Brille jeweiliger Normalität wahrnehmen und behandeln, gibt es eine Prädisposition, deren bisweilen implizite Wirkmacht nicht zu unterschätzen ist. Doch die je konkrete, hyperbolische bzw. pathische und damit zu beantwortende Erfahrung des Sterbens (oder Tötens) kann Anlass und Movens dafür sein, dass wir in produktiver Weise an die Normalität und ihre immanente Normativität anknüpfen und Verschiebungen innerhalb der Kultur des Tötens und Sterbens statthaben können. Mit dem Motiv der anthropologischen Maschine hat Agamben dementsprechend eine eminent wichtige theoretische Konzeption eingeführt, nämlich die Prädetermination unserer Praxis im Umgang mit Tieren durch die menschliche Selbstabgrenzung von Tieren; für das Thema dieses Aufsatzes habe ich sie als Tötungsmaschine interpretiert. Die Forderung Agambens nach einem Stilllegen dieser Maschine scheint aus meiner Sicht allerdings eher auf einem Selbstmissverständnis als auf einem nachvollziehbaren ethischen oder politischen Ansinnen zu beruhen.

48 |  K. Held, Lebenswelt, S. 20. 49 |  Vgl. ebd., S. 28.

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Zu den Autor_innen und Herausgeber_innen Peter Dinzelbacher, Prof. Dr. phil. habil., Institut für Wirtschafts- und Sozial­ geschichte der Universität Wien, ist Historiker mit Schwerpunkt Mentalitätsund Religionsgeschichte. Er ist Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Mediaevistik (1988 ff.) und des Handbuchs der Religionsgeschichte im deutsch­ sprachigen Raum (2000 ff.). Martin Huth, Mag. Dr. phil., Studium der Philosophie und Geschichte in Wien, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Messerli Forschungsinstitut Wien, Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung, sowie Lehrbeauftragter des Instituts für Philosophie der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Phänomenologie, Ethik, angewandte Ethik (Ethik der Mensch-Tier-Beziehung, Medizinethik, Veterinärmedizinische Ethik) sowie Politische Theorie. Alexis Joachimides, Prof. Dr., studierte Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in Berlin und London. 2000-2006 war er Assistent, 2007-2009 Akademischer Oberrat am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Seit 2011 ist er Professor für neuere Kunstgeschichte an der Kunsthochschule der Universität Kassel und seit 2014 Mitglied des LOEWESchwerpunkts »Tier – Mensch – Gesellschaft«. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bildende Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts, Musemsgeschichte und die Geschichte des Städtebaus. Kristian Köchy, Prof. Dr. Dr., promovierter Biologe und Philosoph, ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Kassel sowie Mitglied des LOEWE-Schwerpunkts »Tier-Mensch-Gesellschaft«. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Philosophie und Geschichte der Biologie, die Naturphilosophie sowie der Bioethik. Diese Forschungsschwerpunkte bündelt derzeit das Projekt einer »Integrativen Biophilosophie« (www.integrative-biophilosophie.de). Wichtige Publikationen: Ganzheit und Wissenschaft (1997), Perspektiven des Organischen (2003), Biophilosophie (2008).

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Opfer – Beute – Hauptgericht

Florian Lippke, Diplomtheologe und Altertumswissenschaftler mit Schwerpunkt Hebräische Bibel und biblische Kulturgeschichte, bekleidet das Amt des Kurators für Levante und Vorderasien am BIBEL+ORIENT Museum Fribourg, Schweiz. Er lehrt biblische Exegese, antike Philologien und Religionsgeschichte an mehreren Universitäten in der Schweiz, in Deutschland und in Israel. Stephanie Milling, M.A., ist Kunstwissenschaftlerin und arbeitet an einer Promotion zu Tiertötungen in der zeitgenössischen Kunst. Mit einer Masterarbeit zu »Mensch und Tier im Spannungsfeld der Biotech Art« schloss sie 2012 ihr Studium an der KU Eichstätt und der Université de Montréal ab. Ihr Interesse gilt den Grenzbereichen, in denen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaftspolitik aufeinandertreffen. Ilse Müllner, Prof. Dr., ist Professorin für Katholische Theologie/Bibelwissenschaft mit dem Schwerpunkt Altes Testament an der Universität Kassel und Mitglied des LOEWE-Schwerpunkts »Tier – Mensch – Gesellschaft«. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Samuelbücher, Gender-Studies, Narratologie, Tier-Mensch-Beziehungen, Exegese und Kulturwissenschaften. Ute Neumann-Gorsolke, Dr. theol., ist Hochschuldozentin an der Europa-Universität Flensburg mit dem Schwerpunkt Biblische Theologie. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. alttestamentliche Anthropologie, Urgeschichte, altorientalische Ikonographie und antike Lebenswelt. Maria-Zoe Petropoulou, Dr. phil, ist Historikerin für Antike Geschichte mit Schwerpunkt auf dem frühen Christentum in den ersten zwei Jahrhunderten n. Chr. Seit 2003 arbeitet sie als Dozentin und Koordinatorin für das »International Baccalaureate Diploma Programme« (HAEF Athen). Seitdem liegt ihr Fokus noch stärker auf Fragestellungen von Sprache und Übertragbarkeit von Konzepten sowie deren gesellschaftlichen Auswirkungen. Christian Presche, Dr. phil., forscht am Kasseler LOEWE-Schwerpunkt »Tier – Mensch – Gesellschaft« über künstlerische Tierdarstellungen und Tier-MenschBeziehungen in Barockzeit und Aufklärung in Hessen. Seine Schwerpunkte sind außerdem Architektur- und Stadtbaugeschichte sowie die Geschichte Kassels und Hessens. Er promovierte über »Kassel im Mittelalter« und verband dabei historische Forschung mit bau- und stadtbaugeschichtlichen Untersuchungen über Planungs- und Entwurfskonzepte des 12.-14. Jahrhunderts. Wiebke M. Reinert, M.A., studierte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Europäische Ethnologie und Konfliktforschung in Kiel, Freiburg und Marburg. Sie war in Marburg und Wien in Forschung, Lehre und bei der Kuration kleinerer Ausstellungen tätig und arbeitet seit 2014 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kasse-

Zu den Autor_innen und Herausgeber_innen

ler LOEWE-Schwerpunkt »Tier-Mensch-Gesellschaft«. In ihrem Promotionsprojekt stehen Wärter und Pflegerinnen in Zoologischen Gärten im Mittelpunkt, ein expliziter Interessensschwerpunkt ist die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus. Martina Sitt, Prof. Dr., studierte Kunstgeschichte, Geschichte, Komparatistik, Philosophie und Wirtschaftswissenschaft in Bonn und Wien, promovierte in Freiburg 1990. Sie war u.a. Leiterin der Gemäldegalerie Kunstmuseum Düsseldorf (1992-1999) und Stellvertreterin des Direktors der Hamburger Kunsthalle (2000-2010). Seit 2010 ist sie Professorin an der Universität Kassel und seit 2014 Mitglied des LOEWE-Schwerpunkts »Tier – Mensch – Gesellschaft«. Neben Forschungs- und Ausstellungstätigkeit im internationalen Diskurs konzentriert sie sich auf lokale Bestände: Lexikon Düsseldorfer Malerschule (1997), Bestandskataloge der jeweiligen Museen. Zuletzt erschien eine Monographie zu dem sogenannten »Meister Francke«. Yvonne Sophie Thöne, Dr. phil., ist Alttestamentlerin und derzeit PostDoc im Loewe-Schwerpunkt »Tier – Mensch – Gesellschaft« der Universität Kassel mit einem Projekt zu Tierordnungen in der Tora. 2012 erschien ihre Dissertation Liebe zwischen Stadt und Feld. Raum und Geschlecht im Hohelied. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Liebe, Körperwahrnehmung und Sexualität im Alten Testament, biblische Tierethik, Feministische Exegese, Narratologie und Ikonographie. Daniel Wolf, M.A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter im LOEWE-Schwerpunkt »Tier – Mensch – Gesellschaft« an der Universität Kassel. Er studierte Soziologie, Philosophie und Kunstwissenschaft in Göttingen und Kassel. Im Rahmen seiner Dissertation zum Thema »Das Bild und seine Relevanz für die Tier-Mensch-Relationalität zwischen Aufklärung und Postmoderne« setzt er sich mit kunst- und bildtheoretischen Fragen im Rahmen der Human-Animal-Studies auseinander. Dabei stehen speziesübergreifende Formen der Bildwahrnehmung und Produktion im künstlerischen wie auch im wissenschaftlichen Kontext im Vordergrund. Stephanie Zehnle, M.A., hat sich an der Universität Kassel mit einer Arbeit zu Natur- und Wildniskonzepten im vorkolonialen Westafrika promoviert und bearbeitet dort derzeit das DFG-Postdoc-Projekt »Leopardenmänner« über Tier-MenschVerwandlung vor kolonialen Gerichten in Afrika (1880-1940). Als Historikerin beschäftigt sie sich intensiv mit Tier-Mensch-Beziehungen und Natur-KulturBeziehungen in der Geschichte Afrikas sowie der Kolonialgeschichte. Sie ist assoziiertes Mitglied des LOEWE-Schwerpunkts »Tier – Mensch – Gesellschaft«.

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Abbildungsverzeichnis Florian Lippke Abb. 1: Lidzbarski, Mark: Handbuch der Nordsemitischen Epigraphik nebst ausgewählten Inschriften Felber: Weimar 1898, Tafel XI (Punisch: Opfertarif nach N436). Abb. 2: McFarlane, Ann: The Unis Cemetery at Saqqara, Volume 1 (The Tomb of Irukaptah), ACER 15, Aris & Philips: Warminster 2000, plate 45 East Wall North. Abb. 3: McFarlane, Ann: The Unis Cemetery at Saqqara, Volume 1 (The Tomb of Irukaptah), ACER 15, Aris & Philips: Warminster 2000, plate 45 East Wall North. Abb. 4: Rimmer Herrmann, Virginia/Schloen, J. David (Hg.): In Remembrance of Me. Feasting with the Dead in the Ancient Middle East, IOMP 37, 98 Figure C1. (c) Chicago-Tübingen Archaeological Project in Sam‘al. Der Autor dankt den Projektverantwortlichen für die Genehmigung des Abdrucks.

Ute Neumann-Gorsolke Abb. 1: Janowski, Bernd/Neumann-Gorsolke, Ute/Gleßmer, Uwe: Gefährten und Feinde des Menschen. Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1993, S. 110. Abb. 2: Keel, Othmar/Uehlinger, Christoph: Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg/Basel/ Wien: Herder 41998, S. 209, Abb. 200b. Abb. 3: Zwickel, Wolfgang: Die Welt des Alten und Neuen Testaments. Ein Sachund Arbeitsbuch, Stuttgart: Calwer 1997, S. 119 Abb. 15. Abb. 4: Keel, Othmar: Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bildkunst (FRLANT 121), Göttingen: Vandenhoek und Ruprecht 1978, 77 Abb. 9. Abb. 5: Zwickel, Wolfgang: Die Welt des Alten und Neuen Testaments. Ein Sachund Arbeitsbuch, Stuttgart: Calwer 1997, 215 Abb. 117.

Ilse Müllner Abb. 1: Eigene Grafik, nach: van Wolde, Ellen J.: Reframing Biblical Studies. When Language and Text meet Culture, Cognition, and Context, Winona Lake, IN: Eisenbrauns 2009, S. 208.

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Opfer – Beute – Hauptgericht

Yvonne Sophie Thöne Abb. 1: Staubli, Thomas/Schroer, Silvia: Menschenbilder der Bibel, Ostfildern: Patmos 2014, S. 256. Abb. 2: Staubli, Thomas/Schroer, Silvia: Menschenbilder der Bibel, Ostfildern: Patmos 2014, S. 256. Abb. 3: Hieke, Thomas: Levitikus 1-16 (HThKAT), Freiburg i. Br.: Herder 2014, S. 171.

Christian Presche Abb. 1: Eigene Aufnahme des Verfassers (2004). Abb. 2: LAGIS Hessen, http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/oa/ id/2042 (Stand: 22.9.2008). Abb. 3: ebd., http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/oa/id/2353 (Stand: 29.3.2007). Abb. 4: Holtmeyer, Cassel-Stadt, Tafel 15 (Ausschnitt, Bearbeitung: Verfasser). Abb. 5: LAGIS Hessen, http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/oa/ id/2045 (Stand: 16.5.2007).

Martina Sitt Abb. 1: Gabriel Rollenhagen, Emblem Nr. 15 in: Nucleus emblematum selectissimorum, 1611. Abb. 2: Pieter Lastman, Dido opfert Juno, 1630, Öl auf Holz, 74 x 106 cm, Stockholm, Nationalmuseum. Abb. 3: Peter Paul Rubens, Triumph der Eucharistie über den Götzendienst, 16251626, Modello, Prado (Aufnahme: Autorin). Abb. 4: Kain und Abel, in: Martin Luther, Biblia: das ist: die gantze Heilige Schrifft: Deudsch. Auffs New zugericht. Wittemberg: Hans Lufft (1495-1584), Ausgabe 1541, mit Holzschnitten des Meisters M S, 1. Mose 4,3. Abb. 5: Pieter Lastman, Die Opferung des Isaak, 40 x 32 cm, Öl auf Holz, Amsterdam, Rijksmuseum. Abb. 6: Pieter Lastman, Paulus und Barnabas in Lystra, 1617, 76 x 115 cm, Amsterdams Historisch Museum (Aufnahme: Autorin). Abb. 7: Detail aus Pieter Lastman, Dido opfert Juno, 1630, Öl auf Holz, 74 x 106 cm, Stockholm, Nationalmuseum.

Stephanie Zehnle Abb. 1: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1003 C 005. Abb. 2: Staatsarchiv Basel-Stadt, BSL 1003 B 042. Abb. 3: Chasse Chasse à la panthère (Fr 1909, R: Alfred Machin), 2:50min, 3:56min, 4:37min, 5:02min, 6:53min. Abb. 4: Le diamant noir (B 1913, R: Alfred Machin), 37:01 min, 38:05 min

Abbildungsverzeichnis

Daniel Wolf Abb. 1: Gudella & Partner: Auf zur Schnitzeljagd, in: Bahn Mobil, 8/2014, S. 57. Abb. 2: Text: Dietrich, Michael; Fotos: Neumann & Rodtmann: Zickenalarm, in: BEEF! Nr. 22, 4/2014, S. 64f. Abb. 3: Rembrandt: Großes Selbstbildnis 1652, Öl auf Leinwand, 112 cm x 82,5 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/Rembrandt_Har menszoon_van_Rijn_-_Large_Self-Portrait_-_Google_ Art_Project.jpg, Urheber: Rembrandt [Public domain], via Wikimedia Commons. Abb. 4: Neumann & Rodtmann: Zickenalarm, in: BEEF! Nr. 22, 4/2014, S. 70. Abb. 5: Paustian, Sven: Kopfsache, in: BEEF! Extra-Ausgabe, 1/2014, S. 13. Abb. 6: Grill mich!, in: BEEF! Nr. 15, 3/2013, Cover. Abb. 7: Caravaggio: Narziss, um 1600, Öl auf Leinwand, 110 cm x 92 cm, Rom, Galleria Nazionale dell’Arte Antica.

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Human-Animal Studies Forschungsschwerpunkt »Tier – Mensch – Gesellschaft« (Hg.) Den Fährten folgen Methoden interdisziplinärer Tierforschung April 2016, 320 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3318-4

Philipp von Gall Tierschutz als Agrarpolitik Wie das deutsche Tierschutzgesetz der industriellen Tierhaltung den Weg bereitete Januar 2016, 314 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3399-3

Sven Wirth, Anett Laue, Markus Kurth, Katharina Dornenzweig, Leonie Bossert, Karsten Balgar (Hg.) Das Handeln der Tiere Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal Studies 2015, 272 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3226-2

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2016-07-19 14-54-31 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0176435324365234|(S.

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3) ANZ3507.p 435324365242

Human-Animal Studies Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.) Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen 2015, 482 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2232-4

Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.) Tiere Bilder Ökonomien Aktuelle Forschungsfragen der Human-Animal Studies 2013, 328 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2557-8

Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies (Hg.) Human-Animal Studies Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen 2011, 424 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1824-2

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