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German Pages 304 [317] Year 2023
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich)
Mitherausgeber/Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) ∙ James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) ∙ Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)
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Christian Lustig
Tod und Opfer Jesu im Hebräerbrief
Mohr Siebeck
Christian Lustig, geboren 1984; 2013 Erstes Staatsexamen, ev. Theologie und lat. Philologie; seit 2013 Mitarbeit am DFG-Projekt zur Erstellung einer polyglotten Synopse zum Buch Jesus Sirach; 2015 − 19 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neues Testament, Ev. Theologie, Universität des Saarlandes; 2020 − 21 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; 2022 Promotion; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Historische und Systematische Theologie und am Projekt „Karl Barth-Edition der Vorträge und kleineren Arbeiten 1937 − 1939“, UdS. orcid.org/0000-0002-3905-727X
ISBN 978-3-16-162128-4 / eISBN 978-3-16-162129-1 DOI 10.1628/978-3-16-162129-1 ISSN 0340-9570 / eISSN 2568-7484 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Meiner Familie
Vorwort „Es liegen tiefer wohl die Dinge…“ (Eugen Roth) Der Abschluss der Dissertation bringt ein Gefühl von Zufriedenheit und Dankbarkeit mit sich. Eine Vielzahl an Problemen ist für den Augenblick gelöst. Der Einwand, die Dinge lägen tiefer, gilt immer. Und wohl werden Gedanken widerlegt werden und Erkenntnisse werden vielleicht irgendwann überholt sein. Es wäre mir aber ein Herzenswunsch, wenn meine Untersuchung einen Beitrag zum besseren Verständnis des Hebräerbriefs leisten oder wenigstens zu neuen Ideen anregen könnte. Das meine ich nicht zuletzt auch aus eigener Wertschätzung vieler guter Gespräche und der Fülle anregender Literatur, die mich wiederum auf meine Ideen gebracht oder sie auf den Prüfstand gestellt haben. Die Arbeit wurde im Herbst 2021 unter dem Titel „Opfer des Leibes kraft ewigen Geistes. Die Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief“ der Universität des Saarlandes vorgelegt und ist im Frühjahr 2022 als Dissertation angenommen worden. Zur Publikation gab es bloß wenige und geringfügige Änderungen. Ich danke meinem Zweitgutachter, Herrn Prof. Dr. Martin Karrer, und meinem Drittgutachter, Herrn Prof. Dr. Martin Meiser, für Ihr Interesse an meiner Arbeit und für wertvolle Hinweise. Größter Dank gilt meinem Lehrer und Doktorvater Wolfgang Kraus. Ohne ihn hätte ich aus vielerlei Gründen den Entschluss zur Promotion nicht fassen, geschweige denn die Dissertation zum Abschluss bringen können. Uns verbindet mittlerweile ein jahrelanges theologisches Arbeiten und Grübeln. Er hat mit uns Studenten von Beginn an so diskutiert, als seien wir mit ihm auf Augenhöhe gewesen. Seit meiner Zeit als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Neues Testament an der Universität des Saarlandes habe ich nicht nur seine wissenschaftliche, sondern auch seine freundschaftliche Unterstützung erfahren. Er hat mir die wissenschaftliche Mitarbeit an dem DFG-Projekt zur Erstellung einer polyglotten Textsynopse zum Buch Jesus Sirach ermöglicht. So war für den ersten großen Abschnitt meiner Promotionszeit der Weg bereitet und meiner kleinen Familie eine Lebensgrundlage geschaffen. Wie erfüllend war doch diese lange gemeinsame Zeit des Schaffens und Genießens! Herzlicher Dank gebührt auch meinen lieben Kollegen, Freunden und nicht selten Lehrern im Sirachprojekt, insbesondere Sr. Bonifatia Gesche, Ingeborg Hartung und Christoph Kugelmeier, die mir Räume geschaffen haben, meine
VIII
Vorwort
Arbeitszeiten flexibler zu gestalten und so zwischen Wissenschaft, Windeln und Weisheit zu bestehen. Verbunden fühle ich mich ebenso Frank Ueberschaer, von dem ich wichtige Unterstützung zur rechten Zeit erfahren habe. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg meine Dissertation abzuschließen und weiter an der Fertigstellung der Sirachsynopse beteiligt zu sein. Von meinem Freundeskreis habe ich beständigen Zuspruch erfahren. Stellvertretend seien Simone Culmann und Peter Allenbacher genannt, weil sie sich zudem um die Relecture meiner Dissertation verdient gemacht haben. Ich darf danken für viele stets offene Ohren, Türen und Posteingänge. Jederzeit konnte und kann ich auf den unvergleichlichen Rückhalt meiner Familie zählen. Ellen hat durch ihre Mithilfe meiner Arbeit zusätzliche Zeitkorridore geöffnet. Meine Eltern haben mich, akademischen Sonderling, über weite Strecken meines Studiums finanziell und seelisch unterstützt. Ich danke meiner Mutter für ihre beständige Hilfe und behalte meinen Vater in inniger und dankbarer Erinnerung. Meine beiden Söhne, Jonathan und Emil, haben manche Stunde auf mich verzichten müssen, wenn gleichsam die „rote Lampe“ an der Bürotür leuchtete. Das fiel zuweilen beiderseits des Holzes schwer. Meine Jungs sind meine größte Freude und mein Antrieb. Am innigsten und für unsagbar Vieles danke ich meiner Frau Helene. Hld 8,7a gilt uns allezeit. Dunzweiler, im Sommer 2022
Christian Lustig
Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................... VII Einführung ......................................................................................... 1
A.
Jesu Tod und Unvergänglichkeit ............................................ 5
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung ..................................5 Hebr 2,9 .........................................................................................................5 Hebr 2,14 .......................................................................................................8 Hebr 5,7 .........................................................................................................9 Hebr 6,6 .......................................................................................................11 Hebr 9,15–17 ...............................................................................................12 Hebr 9,27–28 ...............................................................................................12 Hebr 12,2 .....................................................................................................15 Hebr 13,20 ...................................................................................................15 Fazit .............................................................................................................16 2. ὅτι ζῇ: Jesu Unvergänglichkeit ......................................................................16 Hebr 5,7: die Errettung vor oder aus dem Tod? ..........................................19 Lernen und Leiden der Söhne ......................................................................32 Fazit .............................................................................................................34 3. Der Sohn Gottes ‚erlebt‘ den Tod – Die Unzerstörbarkeit des Lebens des Gottessohnes und der Tod Jesu .........................................................................36 Leben und Tod nach dem Verständnis des Hebräerbriefes .........................37 3.1.1 Vorbemerkung zum Alten Testament und der griechischen Philosophie ....................................................................................................37 3.1.2 Das Verhältnis von Leben und Tod nach dem Hebräerbrief................38 Das πνεῦμα als himmlische Daseinsform ....................................................43 Das πνεῦμα als Teil des Menschen ..............................................................49 Das πνεῦμα Jesu Christi...............................................................................52 Exkurs: Das πνεῦμα als anthropologische Konzeption außerhalb des Hebräerbriefes....................................................................................................58 3.5.1 Das πνεῦμα in der griechischen und jüdischen Antike ........................58
X
Inhaltsverzeichnis
3.5.2 Die Bedeutung des πνεῦμα in der Golgatha-Szene der Evangelien .....64 Geist und Seele ............................................................................................68 Fazit .............................................................................................................73
B.
Die Heilsbedeutung des Todes Jesu ..................................... 77
1. Der Stand der Forschung im Überblick ........................................................77 2. Ziel der Untersuchung ...................................................................................87 3. Die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu in Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers des Hebräerbriefes .....................................88 Hebr 2,9 .......................................................................................................89 3.1.1 βλέπομεν (Hebr 2,9) .............................................................................90 3.1.2 Ps. 8,5–7 und seine christologische Auslegung im Hebräerbrief (Hebr 2,6–8) ..................................................................................................93 3.1.2.1 Gründe für eine messianische Deutung von Psalm 8 .................101 3.1.2.2 Die Verwendung von Psalm 8 im Hebräerbrief .........................103 3.1.3 Die Bedeutung der Wendung διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου (Hebr 2,9) ....................................................................................................109 3.1.4 Der Finalsatz ὅπως χάριτι θεοῦ ὑπὲρ παντὸς γεύσηται θανάτου (Hebr 2,9) ....................................................................................................116 3.1.4.1 γεύσηται θανάτου .......................................................................117 3.1.4.2 ὑπὲρ παντός ................................................................................119 3.1.5 Fazit ....................................................................................................120 Hebr 2,14f. .................................................................................................122 3.2.1 Die Bedeutung der Wendung διὰ τοῦ θανάτου in Hebr 2,14 .............122 3.2.2 Hebr 2,14–18: Die Anknüpfung der Hohepriesterchristologie ..........125 3.2.3 Hebr 2,17f.: Die Hohepriesterchristologie im Licht des vorausgehenden Kontextes ....................................................................................130 3.2.3.1 Hebr 2,17....................................................................................130 3.2.3.2 Hebr 2,18....................................................................................135 3.2.4 Fazit ....................................................................................................138 4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief .................................................................139 Hebr 6,6 .....................................................................................................139 Hebr 12,2 ...................................................................................................158 5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie ....161 Hebr 9,11–22: Die Identität von Blut und Tod Jesu ..................................161 5.1.1 Hebr 9,12 ............................................................................................161 5.1.2 Hebr 9,15–17 als ein erbrechtliches Argument? ................................168 5.1.2.1 Alternativen zur erbrechtlichen Deutung von Hebr 9,15–17 .....174
Inhaltsverzeichnis
XI
5.1.2.2 Ein Deutungsversuch für Hebr 9,15–17 im Kontext des neunten Kapitels ............................................................................................182 5.1.3 Hebr 9,20 ............................................................................................204 Hebr 9,27f.: Jesu Tod als Begründung der Einmaligkeit des Opfers Christi ..............................................................................................................223 Die προσφορὰ τοῦ σώματος Ἰησοῦ Χριστοῦ (Hebr 10,5–10) ...................229 5.3.1 Der Begriff σῶμα in Hebr 10,5.10 .....................................................230 5.3.2 Die Verbindung von Blut (Hebr 9,20.22) und Leib (Hebr 10,5.10) Jesu ..............................................................................................................235 5.3.3 Das Verhältnis von Blut, Leib und Tod Jesu .....................................237 Fazit ...........................................................................................................238 6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes ........................................240 Das Verhältnis der Deutung des Opfertodes Jesu zu der in Hebr 1–12.....247 Fazit ...........................................................................................................251
C.
Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum ....................... 253
1. Die hohepriesterliche Investitur Jesu Christi ..............................................253 2. Hebr 8,4 als Argument gegen das irdisch lokalisierte Opfer Jesu .............259 3. Der Bezug des irdischen Opfers zum himmlischen Heiligtum.....................260 4. Wie und wo wird das qualitativ himmlische Opfer vollzogen? ...................262
D.
Ergebnisse........................................................................... 265
Literaturverzeichnis .........................................................................................269 Autorenregister ................................................................................................287 Stellenregister ..................................................................................................289 Sachregister (deutsch)......................................................................................300 Sachregister (griechisch) ................................................................... 303
Einführung Über jeder Beschäftigung mit dem Hebräerbrief steht die betrübliche und zugleich reizvolle Wahrheit, dass wir zu wenig über seine Geschichte wissen, und dass er sich partout in keine Schublade zwängen lassen will. Historische Anfragen an den Text, sei es zur Identität des Verfassers, zu Zeit und Ort der Abfassung, sei es zu seinen Adressaten, sind auch weiterhin nicht zweifelsfrei zu beantworten. Das ist bis heute der Stand der Dinge. Auch eine der bedeutendsten Fragen, nämlich die nach der Traditionsgeschichte, ist nicht abschließend geklärt. Die Vielfalt der Ideen zur Einordnung des Traktats illustriert das. Zuweilen befindet man das Schreiben vorwiegend als ein Produkt des sogenannten Mittelplatonismus und kann dafür unzählige Belege bringen. Ebenso wird fündig, wer den philosophischen Bezugsrahmen bestreitet. Keinesfalls abwegig ist auch die Annahme, dass sich der Autor in besonderem Maß an Gedanken etwa der jüdischen Apokalyptik orientierte. Zuweilen verortet man das Schreiben in der paulinischen Schultradition oder versteht es als Reaktion darauf. Andere finden den einzigen deutlichen Anklang an Paulus im sekundären Briefschluss. Verschiedentlich werden die Gemeinsamkeiten mit Gedanken aus Qumran starkgemacht. Und auch die Verortung innerhalb der antiken Synagoge hat die Aufmerksamkeit auf wichtige Aspekte des Hebräerbriefes lenken können. Überdies traut man dem Autor weithin einen nicht geringen Anteil an eigenständiger Verarbeitung der biblischen Tradition zu. Alle Ansätze haben gewiss ihre Berechtigung. Von einer monokausalen Zuschreibung wird zumeist ohnehin abgesehen. Traditionsgeschichte ist in der Hebräerbriefforschung stets eine Frage der Gewichtung. Und je nach Einschätzung hat das freilich Auswirkungen auf die Interpretation. Methodisch bedeutet das, dass in der vorliegenden Arbeit möglichst der Hebräerbrief selbst zum Ausgangpunkt genommen wird. Neben sprachlichen, text- und literarkritischen Analysen, geht es in erster Linie darum, die Binnenlogik des Schreibens zu verstehen. Gefragt wird nach dem Präzedenzfall: Wie interpretiert der AuctHebr1 den Tod Jesu und welches theologisch-christologische Konzept liegt zugrunde? Die Traditionsgeschichte kann und darf dabei 1 Üblicherweise werden sowohl der Hebräerbrief als auch dessen Autor mit „Hebr“ abgekürzt. Es ist jedoch häufig geboten, zwischen Werk und Verfasser zu unterscheiden, weshalb die Abkürzung „Hebr“ ausschließlich für das Schreiben und „AuctHebr“ für den „Auctor ad Hebraeos“ verwendet werden soll.
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Einführung
selbstverständlich zu keinem Zeitpunkt völlig ausgeblendet werden. Der Blick zur Philosophie, zum Mythos, zu Philon, zu den Spätschriften der griechischen Bibel, zum übrigen Neuen Testament ist um der notwendigen historisch-kritischen Erdung willen zu wagen, aber er darf nicht voreilig zur Grundlage der Interpretation werden. Denn von direkten Septuagintazitaten abgesehen sind Intertextualitäten in den seltensten Fällen klar. Mögliche Nähen und Differenzen zur überkommenen und zeitgenössischen Literatur des Hebräerbriefs werden daher hauptsächlich in Fußnoten und in einem Exkurs besprochen. Will man der Frage nachspüren, welche Bedeutung der Tod Jesu für den Autor des Hebräerbriefs hat, ist also zuerst zu untersuchen, ob er überhaupt und, falls ja, in welcher Weise er von Jesu Tod spricht. Dazu kann man – wie von Hermut Löhr getan – die Fundstellen der Begriffe ἀποθνῄσκειν und θάνατος innerhalb des Schreibens betrachten. Löhr bezeichnet den Konkordanzbefund als „überraschend“ und zwar dahingehend, dass AuctHebr nie erwähne, dass Jesus gestorben sei. Er sei weder Subjekt von ἀποθνῄσκειν,2 noch werde von „seinem Tod“3 gesprochen.4 Aber mehr noch: AuctHebr verhandelt an vielen Stellen Christi Unvergänglichkeit. Schon im ersten Kapitel heißt es eindrücklich, der Sohn werde im Unterschied zu Himmel und Erde nicht vergehen, sondern er bleibe. Er sei stets derselbe, seine Jahre hätten kein Ende (Hebr 1,10–12). Nach dem siebten Kapitel gehören Melchisedek wie auch Jesus nicht zur Gruppe der sterblichen Menschen (Hebr 7,8). Christi Leben sei unzerstörbar oder unauflöslich (ἀκατάλυτος; Hebr 7,16). Andererseits wird insbesondere an Hebr 2,9.14 und 9,15–17 deutlich, dass der Tod Jesu nicht bloß erwähnt wird, sondern für den Autor eine soteriologische Bedeutung hat.5 Für meine Untersuchung war das die entscheidende Problemstellung. Der Tod Jesu scheint seine Unvergänglichkeit auszuschließen und seine Unvergänglichkeit scheint umgekehrt seinen Tod auszuschließen. Dennoch wird beides vom Verfasser vorausgesetzt. Die Relation dieser Aussagen ist zu klären. Das ist Thema des ersten großen Abschnittes: „Jesu Tod und Unvergänglichkeit.“ Dabei wird untersucht, welches anthropologisch-christologische Konzept von Leben und Tod der Autor seinen Ausführungen zugrunde legt. Lassen sich Tod und Unsterblichkeit Jesu in eine Beziehung setzen, ohne eine Aporie annehmen zu müssen? Das ist meines Erachtens möglich, wenn man die Differenzierung des Menschen in seine Bestandteile, πνεῦμα und σάρξ, wie sie in Hebr 12,9 dargelegt ist, ernstnimmt. Jesu Tod betrifft bloß seine irdisch-
2 H ERMUT LÖHR, „Wahrnehmung und Bedeutung des Todes Jesu nach dem Hebräerbrief. Ein Versuch,“ in Jörg Frey/Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 22012, 455–476, 457. 3 LÖHR, „Wahrnehmung,“ 459. 4 Vgl. auch G ERD SCHUNACK, Der Hebräerbrief, ZBK.NT 14, Zürich 2002, 34. 5 Der Tod Jesu wird außerdem in Hebr 5,7; 6,6; 9,27–28; 12,2 (und 13,20) klar vorausgesetzt.
Einführung
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leiblichen Komponenten. Nach Hebr 2,14 hat gerade die Teilhabe an Blut und Fleisch den Tod zum Zweck. Insofern der Geist Jesu ewig existiert (Hebr 9,14), ist der Tod nicht als Lebensende zu verstehen. Der zweite Teil der Arbeit erschließt gewissermaßen einen weiteren Zugang zum Thema und betrachtet den Tod Jesu aus anderer Perspektive. Es geht um die Frage seiner Heilsbedeutung. Insbesondere an jenen Stellen des Traktats, die sich dem unmittelbaren Einfluss kulttheologischer Sprache entziehen, betrachtet der Autor Jesu Tod unzweifelhaft als heilseffizientes Ereignis. Gleich seine erste Nennung steht unter dem Zeichen der soteriologisch geprägten ὑπέρ-Formel (Hebr 2,9). Ebenso stellt AuctHebr in Hebr 2,14 sowie 9,15 den Tod Jesu expressis verbis als Heilsgeschehen vor. Das wirft die Frage auf, in welches Verhältnis er den Tod und die ebenfalls heilseffiziente hohepriesterliche Darbringung setzt. Vermutlich liegt die eigentliche Verständnisschwierigkeit darin, dass einerseits der sich irdisch ereignende Tod nach dem Hebräerbrief zwar heilsbedeutsam ist, dass es aber andererseits heißt, Christus sei auf Erden gar nicht Priester gewesen. Ist das eine Aporie? Es scheint jedenfalls die Identifikation des Todes Jesu und seiner Opferdarbringung zu verunmöglichen. Identifiziert man dennoch Tod und Opfer, nimmt man zuweilen eine chronologische Unstimmigkeit an. Der Irdische sei zwar kein Hohepriester gewesen, sein Werk sei aber dennoch proleptisch ein hohepriesterliches.6 Identifiziert man Tod und Opfer dagegen nicht, werden die Aussagen über den heilswirksamen Tod zur Hohepriestertheologie inkompatibel. Es gäbe dann zwei Heils– ereignisse, die den gleichen Effekt haben, nämlich zumindest die Einsetzung der neuen διαθήκη. Zudem führte das zu der schwierigen Frage, welcher Art das himmlische Opfer denn nun sein solle. Die jüngste Forschung tendiert dazu, Tod und Opfer Jesu zeitlich und örtlich voneinander zu scheiden. Der Tod ereigne sich auf Erden in der Profanität, die Darbringung dagegen erfolge nach der Auferstehung innerhalb des himmlischen Heiligtums. Da von Jesu Auferstehung im Hebräerbrief nicht gesprochen wird und die Schilderung einer eigenen himmlischen Opferdarbringung fehlt, ist dem zu widersprechen. Vielmehr leitet der Autor durch syntaktische Parallelisierung (Hebr 2,14–18) selbst an, Tod und Opfer miteinander zu identifizieren. Die Kulttheologie begründet dabei Jesu Einsetzung der Neuen διαθήκη durch seinen Tod, wie sie auch in der Abendmahlsüberlieferung geschildert wird. Der literarische und thematische Einfluss einer Abendmahlsparadosis markinisch-matthäischer Provenienz ist insbesondere im neunten Kapitel
6 So etwa JÜRGEN R OLOFF, „Der mitleidende Hohepriester. Zur Frage nach der Bedeutung des irdischen Jesus für die Christologie des Hebräerbriefes,“ in Martin Karrer (Hg.), Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze, Göttingen 1990, 144–167: 165.
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Einführung
nachweislich. Entsprechend ist Jesu Tod in seiner kultischen Funktion das einzige und endgültige Heilsereignis.7 Der dritte Teil der Arbeit ist gewissermaßen als Synthese der ersten beiden Teile zu verstehen. Es hat sich bei der Untersuchung scheinbar eine Spannung ergeben: Im ersten Teil wird gezeigt, dass Jesu Tod ein bloß physischer ist und sein πνεῦμα ihn überlebt. Im zweiten Teil wird begründet, dass AuctHebr den soteriologisch bedeutsamen Tod und die soteriologisch bedeutsame ‚himmlische‘ Opferdarbringung miteinander identifiziert. Wenn damit nun die Opfermaterialien, Fleisch und Blut, bloß irdisch-sichtbarer Qualität sind, wie kann der Tod für das überlegene himmlisch-unsichtbare Kultgeschehen dennoch eine Bedeutung haben? Jesu πνεῦμα ist unsterblich und er kann im Einklang mit Ps 109 LXX ein ewiges Priestertum innehaben. Jesus bleibt so Agens seiner Opferdarbringung. Physisch befindet er sich auf Erden, als πνεῦμα betritt er im Opfer das Heiligtum und schafft damit eine Beziehung zur Kultstätte. Dabei ist der Austritt des Geistes durch den Vorhang seines Fleisches als Tod zu verstehen, bei dem Blut und Leib geopfert werden. Wert und Effizienz erhält die Darbringung durch die innere Haltung des Opfernden, sie ist eine entscheidende Komponente des kultischen Vollzugs. Das Opfermaterial wird zum bestmöglichen, weil es – wie auch der Priester selbst – rein und makellos ist. AuctHebr wendet sich dezidiert gegen eine spiritualisierte oder ethisierende Auslegung des Opfers, denn ohne Blutvergießen gibt es für ihn keine Sündenwegnahme (Hebr 9,22). Jesus opfert nach dem Hebräerbrief buchstäblich seinen Leib und sein Blut und vollzieht dabei Reinigung, Weihe und Inauguration des himmlischen Zeltes sowie der Glaubenden.
7 Der Zusammenhang zwischen einmaligem und nicht wiederholbarem Opfer und dem Tod Jesu ist oft hinterfragt worden. Dass der Tod mit dem Heilsgeschehen, das aber vorwiegend in kultischer Sprache formuliert wird, in irgendeiner Weise zu tun hat, scheint nicht widerlegbar. Die Identifikation von Opfer und Tod wird aber häufig bestritten. Vgl. ALOYSIUS WINTER, Die überzeitliche Einmaligkeit des Heils im ‚Heute‘ – Zur Theologie des Hebräerbriefes, Neuried 2002, 159, der zu 9,27–28 feststellt: „Es entspricht also der eine Tod und das Gericht dem einen ‚Dargebracht-werden‘ (im Passiv) und der Wiederkunft (die einzige Stelle übrigens, wo Christi Opfer im Passiv ausgedrückt wird). Was immer man darüber sagen mag, diese Ausdrucksweise steht in irgend einem Zusammenhang mit dem leiblichen Vorgang seiner Hinrichtung.“
A.
Jesu Tod und Unvergänglichkeit
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung 1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung
Zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen nehme ich im Folgenden diejenigen Stellen, an denen AuctHebr nachweislich Tod und Sterben in irgendeiner Weise auf Jesus bezieht. Diese sind: Hebr 2,9.14; 5,7; 6,6; 9,15–17; 9,27–28; 12,2 und 13,20. 1.1 Hebr 2,9 Zum ersten Mal findet sich in Hebr 2,9 ein Hinweis auf die Todesleiden. Das Gewicht liegt hier mehr auf dem Leid als auf dem Tod (πάθημα τοῦ θανάτου),1 auch wenn vorausgesetzt sein muss, dass Todesleiden freilich nur erfährt, wer stirbt.2 Dennoch ist ein Sterben Jesu nicht explizit ausgesagt3 und AuctHebr nimmt im Anschluss (Hebr 2,10) ebenfalls nur den Aspekt der Vollendung durch Leiden auf. Möglich, dass es ihm auf eine sittliche und/oder kultische Vollendung ankommt, die noch vor dem Tod stattfindet. „Just as Jesus was perfected through suffering, so too should the audience of Hebrews become
1 Nicht von Jesu eigenem Tod, sondern von der grundsätzlichen Tatsache, dass Jesus dem Erleiden des Todes unterworfen sein würde, geht JOHANN CHRISTIAN KONRAD VON HOFMANN, Die Heilige Schrift neuen Testaments: zusammenhängend untersucht von Dr. J. Chr. K. v. Hofmann. Fünfter Theil. Außerbiblisches über des Paulus letzte Lebenszeit. Geschichtliche Bezeugung der paulinischen Briefe. Der Brief an die Hebräer, Nördlingen 1873, 116f., aus: „Denn damit, daß man versichert, διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου sei so viel als διὰ τὸ παθεῖν αὐτὸν τὸ πάθημα τοῦ θανάτου, ist ja nicht auch bewiesen, daß dem so sei, und damit, daß man auf 2,14 verweist, wo mit διὰ τοῦ θανάτου doch offenbar der Tod Christi gemeint, sei, ist eben so wenig gethan, da dort nur dieselbe Frage wiederkehrt.“ Vgl. auch BERNHARD WEIß, Kritisch exegetisches Handbuch über den Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 1888, 72. 2 Überdies fällt in der Forschung zuweilen das fehlende Possessivverhältnis auf. Vgl. MARTIN KARRER, Der Brief an die Hebräer, ÖTBK 20, 2 Bände, Gütersloh 2002–2008, 1:172.174. 3 Das Fehlen des Artikels bei θανάτου bezeichnet nach H ERMANN VON SODEN, Hebräerbrief, Briefe des Petrus, Jakobus, Judas, HC 3/2, Freiburg 31899, 29, den Tod als „Gattungsschicksal.“ Ähnlich auch KARRER, Hebräer, 1:174: „(unseres und seines) Leidens am Tod.“
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
perfect through the suffering God their Father utilizes to discipline them.“4 Noch im gleichen Vers wird festgestellt, Jesus habe für alle den Tod geschmeckt (γεύσηται θανάτου). Diskutiert wird in der Forschung, ob der vorliegende Ausdruck γεύομαι θανάτου inhaltlich einem einfachen ἀποθνῄσκω entspreche, oder ob darüber hinaus weitere Konnotationen mitschwingen.5 Zur Erschließung der Bedeutung der Wendung γεύομαι θανάτου kann im Grunde nur auf die wenigen neutestamentlichen Belegstellen, namentlich Mt 16,28; Mk 9,1 und Lk 9,27 und ganz ähnlich Joh 8,52, verwiesen werden, wo sie letztlich „sterben“ bedeutet. In klassischen Texten ist die Wendung m.W. nicht belegt, aber die übertragene Bedeutung des Schmeckens leidvoller Begebenheiten kannte man immerhin. So gibt es Junkturen wie etwa γεύομαι κακῶν (Eurip. Hec. 379; Luc. Nigr. 28), πόνων (Pindar Nem. 6, 41), μόχθων (Soph. Trachin. 1101). Nahezu Konsens ist, dass im Hebräerbrief die Schmerz-
4 A MY L.B. PEELER, You Are My Son. The Family of God in the Epistle to the Hebrews, LNTS 486, London 2014, 160. 5 Nach EWNT, 591, impliziere γεύομαι das Moment des Leidens. Ebenso THOMAS HEWITT, The Epistle to the Hebrews. An Introduction and Commentary, TNTC, Michigan 41973, 69. H ANS-FRIEDRICH W EIß, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 151991, 200, Fn 24, meint, es betone im Kontext erneut den Aspekt des Todesleidens. Vgl. AUGUST STROBEL, Der Brief an die Hebräer, NTD 9/2, Göttingen/Zürich 131991, 32 („Die biblische Wendung ‚den Tod schmecken‘ berührt dabei eine entscheidende Kategorie menschlicher Erfahrung, insofern anklingt, daß Sterben bitter ist, gerade auch als naturnotwendiger Vorgang“). KNUT BACKHAUS, Der Hebräerbrief, RNT, Regensburg 2009, 119, findet ausgedrückt, dass Jesus „den Tod erfahre, leiblich-sinnenhaft in aller Bitterkeit durchleide;“ ähnlich schon FRANZ DELITZSCH, Commentar zum Briefe an die Hebräer. Mit archäologischen und dogmatischen Excursen. Über das Opfer und die Versöhnung, Leipzig 1857, 66. EDUARD RIGGENBACH, Der Brief an die Hebräer, KNT 14, Leipzig 1913, 43: Die Wendung γεύεσθαι θανἀτου bedeute „den Tod als das, was er ist, empfinden.“ HARALD HEGERMANN, Der Brief an die Hebräer, ThHK 16, Berlin 1988, 69: „Mit γεύεσθαι erklingt ein hymnischer Ton aus der biblischen Sprachtradition; betont ist das volle Erleiden des Todes.“ KARRER, Hebräer, 1:174, bringt zusätzlich den Aspekt der im Tod zu erfahrenen Gottesferne mit ein. ERNST VON DOBSCHÜTZ, „Die fünf Sinne im Neuen Testament,“ JBL 48 (1929), 378–411: 385, bringt die Wendung mit dem Trinken des Kelches in Verbindung. Beides stehe metaphorisch für Sterben. Einige Kirchenväter fanden im Schmecken die Kürze des Todes ausgedrückt (s. dazu FRIEDRICH BLEEK, Der Brief an die Hebräer erläutert durch Einleitung, Übersetzung und fortlaufenden Kommentar, Band 2, Berlin 1836, 269f.). GOTTLIEB LÜNEMANN, Kritisch exegetisches Handbuch über den Hebräerbrief, Göttingen 1855, 103, hingegen streitet jegliche Nebenbedeutung (kurze Dauer, Wahrheit und sogar die Bitterkeit des Todes) ab. Es handele sich nur um einen „significantere[n] Ausdruck“ für das sonstige ἀποθνήσκειν. Das rein objektive „an Erkenntnis Anteil gewinnen,“ wie es BAUER, WB, Sp. 311, für Hebr 2,9 in Anschlag bringen möchte, scheint mir doch zu distanziert zu sein. So verstand es jedoch auch schon LÜNEMANN, Hebräerbrief, 76: Das Schmecken des Todes sei nichts weiter als ein anderer Ausdruck für Sterben. „Weder der Begriff der kurzen Dauer des Todes Christi […], noch daneben der Begriff der Wahrheit des Todes […], noch endlich der Begriff der Bitterkeit des Todesleidens […] liegt darin.“
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung
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haftigkeit des Sterbens zumindest anklingt, wenn nicht gar den Hauptton trägt.6 Damit spielte der Ausdruck erneut auf die zuvor genannten Todesleiden an.7 Die Möglichkeit, dass AuctHebr durch eine Umschreibung vermeiden wollte, explizit vom Sterben Jesu zu sprechen, besteht. Immerhin will der einzige weitere Beleg für γεύομαι im Hebräerbrief mitbedacht sein. AuctHebr handelt in 6,4–5 vom Kosten der himmlischen Gabe, des guten Wortes, der Kräfte des künftigen Zeitalters. Diese Güter gekostet zu haben, heißt nicht, sie schon vollumfänglich zu besitzen.8 Man denkt unwillkürlich an ein ‚Vorkosten‘ oder ein ‚auf den Geschmack Kommen‘.9 Den Gedanken, zu Lebzeiten dem Tod so nahe zu sein, dass man Todesleiden empfinde, kennt man aus der Psalmenliteratur (bspw. Ps 21,16 LXX: […] εἰς χοῦν θανάτου κατήγαγές με).10 Für Hebr 2,9 könnte man aus dieser Beobachtung in Erwägung ziehen, dass Jesus zwar die bittere Erfahrung des Todesleids gemacht haben könnte, aber ohne anschließend im Sinne einer völligen, wenngleich vorübergehenden
6 So schon JOHANNES B EHM: ThWNT, Art. γεύομαι, (1:674–676: 676): Das Verb „drückt wie ὁράω oder θεωρέω θάνατον (Hb 11,5; Lk 2,26; J 8,51) mit sinnlicher Kraft die harte, schmerzvolle Wirklichkeit des Sterbens aus.“ Auch in der modernen Forschung ist diese Deutung weiterhin aktuell. Vgl. z.B. BACKHAUS, Hebräerbrief, 119: „[…] dass Jesus ‚für jeden‘ den Tod erfahre, leiblich-sinnenhaft in aller Bitterkeit durchleide;“ oder auch H.-F. WEIß, Hebräer, 200, Anm. 24. 7 Die Frage, worauf die metaphorische Rede von der sinnlichen Erfahrung des Todes zielt, könnte mit Cicero so beantwortet werden, dass nicht die Sinnesorgane, sondern die Seele die Umwelt wahrnehme; Cic. Tusc. 1,46: facile intellegi possit animum et videre et audire, non eas partis quae fenestrae sint animi. 8 Vergleichbar ist der Gebrauch bei Josephus (Ant. 4,6,9: „Kosten“ fremder Sitten und Gebräuche). RANDALL C. GLEASON, „The Old Testament Background of the Warning in Hebrews 6:4–8,“ Bibliotheca Sacra 155 (1998), 62–91: 76, schließt von Hebr 2,9 auf 6,4: „[T]hey are characterized as having ‚tasted of the heavenly gift.‘ The word ‚tasted‘ translates γεύομαι, which when used figuratively means to ‚to learn by experience.‘ According to its usage in this epistle the word ‚taste‘ means more specifically to experience something fully. For example it is used in Hebrews 2:9 to refer to Jesusʼ death; ‚that by the grace of God He might taste death for everyone.‘ Jesus did more than merely sample death.“ Da die ‚Erleuchteten‘ die himmlische Gabe noch nicht in vollem Umfang ausgekostet haben können – das eigentliche Heil, der Eingang in den himmlischen Bereich, steht ja noch aus – ist die Argumentation in dieser Richtung meines Erachtens nicht schlüssig. 9 Vgl. Str-B., 3:690. 10 Zur Todesnähe und der Errettung aus dem Totenreich in den Psalmen vgl. G ISELA KITTEL, Befreit aus dem Rachen des Todes. Tod und Todesüberwindung im Alten und Neuen Testament, Biblisch-theologische Schwerpunkte 17, Göttingen 1999, 24–26.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
Handlungsunfähigkeit11 tot zu sein.12 Hebr 2,9 wäre für eine solche Deutung offen.13 1.2 Hebr 2,14 In Hebr 2,14 heißt es, Jesus habe durch den Tod (διὰ τοῦ θανάτου) den Teufel entmachtet. AuctHebr vermeidet eine mögliche explizite Zuschreibung; ein Possessivum fehlt. Er schreibt nicht etwa διὰ τοῦ θανάτου αὐτοῦ.14 Die Determination kann freilich eo ipso ein Possessivverhältnis implizieren, muss sie aber nicht.15 Mit der zuvor erwähnten Fleischwerdung Jesu ist jedoch eindeutig, dass hernach von nichts anderem als von seinem eigenen Tod gesprochen sein kann, der aber gerade durch den Kontext betont als ein physischer Tod bestimmt wird. Die Wirkkraft dieses fleischlichen Todes wiederum kann sich – das ist schon lange in der Forschung ein Thema – nur dadurch
11 Für den Menschen hat dies Geltung. Vgl. K ARRER, Hebräer, 1:172: „Der Tod schränkt das menschliche Leben gegen Gen 1 ein.“ 12 Anders D ELITZSCH, Hebräer, 66: „Um aber den Tod zu überwinden, musste er ihn nicht blos [sic!] kosten, sondern in der ganzen Tiefe vollster Wirklichkeit schmecken. Er musste den Zorngeschmack des Todes schmecken, um den Zorngeschmack für uns alle zu benehmen.“ Anders ebenfalls KARRER, Hebräer, 1:172: „Das wahrscheinlich kurz nach dem Hebr aufkommende hermetische Denken differenziert: Der Tod trifft das sinnliche Leben. Deshalb solle sich als unsterblich erkennen, wer den Geist in sich habe; wer indes den Körper liebe, erleide irregeleitet das Todesgeschehen (CH 1,18f.). Der Hebr schließt einen solchen Dualismus aus. Wie der Mensch gänzlich den Tod erleidet, erleidet Jesus die Minderung uneingeschränkt.“ Eine Einschränkung dieser Minderung äußert AuctHebr meines Erachtens jedoch an all jenen Stellen, an denen er von Jesu göttlicher Unvergänglichkeit spricht (so bspw. Hebr 1,12; 7,3.16.25). 13 Zweck einer solchen Todeserfahrung könnte sein, beim Gottessohn Mitgefühl für das Schicksal der Menschen zu erregen. Vgl. Test Abr. 11,5 (Rezension B), wo es um die Frage geht, ob Henoch, neben dem zum Richter eingesetzten Abel, die Sünden der Menschen nachweisen könne: καὶ λέγει ὁ Ἁβραάμ· Καὶ πῶς δύναται Ἐνὼχ βαστάσαι τὸ βάρος τῶν ψυχῶν, μὴ ἰδὼν θάνατον; (Und Abraham sagt: Und wie könnte Henoch das Gewicht der Seelen abschätzen, wo er doch den Tod nicht sah?) (Alle Übersetzungen sind, falls nicht explizit vermerkt, von mir angefertigt). Datiert wird das Testament Abrahams gewöhnlich ins erste nachchristliche Jahrhundert. Ob das Werk jüdischen oder christlichen Ursprungs ist, wird verschieden beurteilt (vgl. MARTHA HIMMELFARB, „Abrahamsschriften,“ RGG4, 1:78–79: 79). 14 So von H OFMANN, Heilige Schrift, 134, bemerkt: „Der Tod sollte ihm das Mittel sein, dieß zu thun. Der Tod, heißt es, nicht sein Tod, also der Tod als daseiender, welcher ihm aber nicht anders Mittel sein konnte, das zu thun, was er thun sollte, als daß er ihn erlitt. Diesen in der Welt seienden Tod hat der Teufel zu seinem Machtgebiete.“ B. WEIß, Hebräer, 82, nennt dies „eine nur durch Hfm.ʼs Missdeutung des διὰ τὸ πάθ. τ. θαν. V.9 herbeigeführte Spitzfindigkeit.“ 15 BDR, §257: „θάναθος mit Artikel […] vom bekannten Tod eines Bestimmten.“
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung
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entfalten, dass er nicht das Ende ist, es muss für Jesus Christus eine Zeit nach dem Tod geben.16 Ob der leibliche Tod aber tatsächlich Jesu Leben unterbricht – und zwar im Sinne der senecaischen Definition mors est non esse17 als ein Nichtsein der Person des Gottessohnes18 –, muss untersucht werden. 1.3 Hebr 5,7 Als nächstes spielt der Autor in Hebr 5,7 indirekt auf Jesu Tod an, wenn es heißt, er habe denjenigen angefleht, der ihn ἐκ θανάτου retten konnte. Der gesamte Textabschnitt Hebr 5,7–10 ist sehr komplex. Es gibt viele Schwierigkeiten, die es zu umreißen gilt, will man nach dem Tod Jesu fragen. Die entscheidende Annahme ist, dass der Inhalt der Bitte Jesu in der Gottesprädikation (δυνάμενος σῴζειν αὐτὸν ἐκ θανάτου) enthalten und daher mit ihrer Hilfe zu erschließen ist. Andernfalls ließe sich diese konkrete Prädikation kaum erklären, denn sie erfolgte sonst unmotiviert. Insbesondere das hinzugefügte αὐτόν ist dafür Beweis,19 denn Gott wird nicht allgemein als Retter bezeichnet, sondern Gott ist derjenige, der es vermochte, ihn, nämlich Jesus, zu retten. Jesus hat also um seine Errettung ἐκ θανάτου gebeten. Die Präposition ἐκ lässt dabei zunächst offen, ob an eine Rettung aus dem Tod,20 sprich an die
16 Vgl. dazu FRIEDRICH A UGUST G OTTREU THOLUCK, Kommentar zum Briefe an die Hebräer, Hamburg 21840, 169. Tod und Erhöhung werden eng miteinander verknüpft, um das Heilswerk zu erklären. 17 Sen. Ep. 54,4. 18 Vgl. RGG 4, 8:434. 19 Vgl. W ILLIAM R.G. LOADER, Sohn und Hoherpriester. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur Christologie des Hebräerbriefes, WMANT 53, Neukirchen-Vluyn 1981, 100. So auch THEODOR LESCOW, „Jesus in Gethsemane bei Lukas und im Hebräerbrief,“ ZNTW 58/3–4, 215–239: 237f.: „Hier geht es eben nicht um die allgemeine Aussage, daß Gott aus dem Tod retten ‚kann‘, sondern um die konkrete Bitte, daß er retten möge – freilich auf dem Hintergrund dessen, daß er es ‚kann‘.“ 20 So bspw. ECKART R EINMUTH, „Befreiung und Gewalt. Perspektiven theologischer Anthropologie im Hebräerbrief,“ in Matthias Konradt/Esther Schläpfer (Hg.), Anthropologie und Ethik im Frühjudentum und im Neuen Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. Internationales Symposium in Verbindung mit dem Projekt Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT). 17.–20. Mai 2012, Heidelberg, WUNT 322, Tübingen 2014, 177–200: 190, unter Verweis auf das Opfer Seilas nach Pseudo-Philos Liber Antiquitatum Biblicarum. Etwa Joh 12,27 gebraucht σῴζω ἐκ in vergleichbarem Zusammenhang eben in diesem Sinn. Joh spricht übertragen von ‚dieser Stunde‘ als der Todesstunde Jesu (σῶσόν με ἐκ τῆς ὥρας ταύτης). Durch den Fortgang (ἀλλὰ διὰ τοῦτο ἦλθον εἰς τὴν ὥραν ταύτην) ist eindeutig, dass nicht eine Rettung vor, sondern nur eine Rettung aus gemeint sein kann. Allerdings ist inhaltlich die Errettung aus der Todesstunde natürlich gleichbedeutend mit einer Rettung vor dem Tod.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
Auferweckung, oder ob an eine Bewahrung Jesu vor dem Tod21 gedacht ist.22 Will man eine Parallele zur Gethsemaneszene und verwandten Erzählungen sehen23 – eine literarische Abhängigkeit ist gewiss auszuschließen –, so wäre anzunehmen, dass Jesus um die Errettung vor, nicht aus dem Tod gebeten habe.24 In diesem Fall wäre aber der Nachsatz καὶ εἰσακουσθεὶς problematisch, da nach dem Bericht der anderen neutestamentlichen Schriften die Bitte um Jesu Errettung vor dem Tod, also um das Vorübergehen des Kelches, eben gerade nicht erhört worden ist.25 Häufig wird die Anlehnung an Gethsemane
Vgl. TIMOTHY BERTOLET, „Hebrews 5:7 as the cry of the Davidic sufferer,“ in Die Skriflig 51/1, a2286. (https://doi.org/10.4102/ids.v51i1.2286), 1–10: 8: „Words used in Hebrews 5:7 like δέησις, κραυγή, εἰσακούω, and σῴζω are also used in the psalms surveyed above where David looks to YHWH for deliverance and salvation. Thus, for Hebrews, because Jesus is truly human with flesh and blood, He exercises the vocation of humanity, namely trusting God for salvation. Like the Davidic figure in the psalms, He trusts Himself to God as He cries for deliverance and God answers.“ In diesem Sinne evtl. bei Jak 5,20. Wer einen Sünder zurück auf den rechten Weg bringt, σώσει ψυχὴν αὐτοῦ ἐκ θανάτου. Gewiss in 1Kön 19,17: καὶ ἔσται τὸν σῳζόμενον ἐκ (für hebr. )ִמןῥομφαίας Αζαηλ θανατώσει Ιου. Hier ist die Bewahrung vor dem Schwert ausgesagt. 22 Vgl. EGON B RANDENBURGER, „Text und Vorlagen von Hebr V 7–10. Ein Beitrag zur Christologie des Hebräerbriefs,“ NT 11,3 (1969), 190–224: 192. 23 Vgl. etwa ELLEN B RADSCHAW A ITKEN, Jesusʼ Death in Early Christian Memory. The Poetics of Passion, NTOA/SUNT 53, Göttingen 2004, 143. Dass eine alternative Gethsemane-Tradition hinter Hebr 5,7f. stehen könnte, ist immerhin möglich (a.a.O., 144). 24 Eine ähnliche Formulierung findet sich in 1QH 11,19–20, sogar im Verbund mit der anschließenden himmlischen Erhöhung (und zwar zu den Himmelssöhnen, 1QH 11,22): „Ich danke dir, Herr, denn du hast meine Seele aus dem Grab und aus dem Scheol erlöst. (20) Du hast mich zu ewiger Höhe erhoben.“ JOHANN MAIER, Die Qumran-Essener: Die Texte vom Toten Meer, 3 Bände, München 1995–1996, 1:70, weist auf die sehr ähnlich klingende Formulierung in Hiob 33,28 hin. Allerdings ist es ein Unterschied, ob man „aus dem Grab“ ( )משחת, d.h. aus dem Tod, oder „vor dem Abstieg ins Grab“ ( )מעבר בשחת, d.h. vom Sterben, erlöst wird. Im ersten Fall scheint sehr konkret an den Ort gedacht zu sein, aus dem man befreit wird (vergleichbar mit Dtn 7,8). In Hi 33,24.28 geht es vermutlich nicht um einen bereits Gestorbenen. Siehe MANFRED OEMING, „‚Ich habe ein Lösegeld gefunden!‘ (Hi 33,23). Der angelus intercessor und der ‚Gnadenschatz im Himmel‘ als Metaphern für das Wirken Gottes zum Heil des Menschen,“ in Reinhold Bernhardt/Ulrike Link-Wieczorek (Hg.), Metapher und Wirklichkeit. Die Logik der Bildhaftigkeit im Reden von Gott, Mensch und Natur, FS: Dietrich Ritschl, Göttingen 1999, 89–101: 94. 25 Dieses Dilemma veranlasste die wohlbekannte Konjektur von εἰσακουσθείς zu οὐκ εἰσακουσθείς, vorgeschlagen erstmals von ADOLF VON HARNACK, „Zwei alte dogmatische Korrekturen im Hebräerbrief,“ in ders. (Hg.), Studien zur Geschichte des Neuen Testaments und der alten Kirche. I. Zur neutestamentlichen Textkritik, Berlin/Leipzig 1931, 236–252: 247f. BRANDENBURGER, „Text,“ 218, versucht die Schwierigkeiten zu umgehen: „Entsprechend wird Hebr 5,7 (εἰσακουσθεὶς) ἀπὸ τῆς εὐλαβείας auf die Erhörung im Sinne der 21
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung
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daher bestritten und vermutet, Jesus habe bereits vor seinem Tod um die Errettung aus dem Tod und damit um seine Auferweckung gebeten.26 Damit würde in diesem Abschnitt die Auferweckung gewissermaßen als Vaticinium ex eventu eingeführt. 1.4 Hebr 6,6 Ebenfalls bleibt es in Hebr 6,6 bei der nur mittelbaren Erwähnung des Todes Jesu: Es sei unmöglich, zur Umkehr zu gelangen, indem man den Sohn Gottes für sich nochmals kreuzige (ἀνασταυρόω)27 und zum (Straf-)beispiel mache. Die Unmöglichkeit einer Wiederholung des Geschehens setzt freilich die erste und einzige Kreuzigung voraus. Betont ist im Hebräerbrief bemerkenswerterweise nicht die todbringende Wirkung des Kreuzes und Jesu schmerzhaftes Lebensende, sondern allein die Schmach, die man ihm bei der hypothetischen zweiten Kreuzigung zufügte.28 Den Tod selbst übergeht der Autor also abermals.
Errettung Jesu aus der Angst der Gottverlassenheit zu deuten sein.“ So etwa auch H.-F. WEIß, Hebräer, 137. 26 Vgl. B ACKHAUS, Hebräerbrief, 208; C HRISTOPHER R ICHARDSON, „The Passion: Reconsidering Hebrews 5.7–8,“ in Bauckham u.a. (Hg.), A Cloud of Witnesses. The Theology of Hebrews in its Ancient Contexts, LNTS 387, London 2008, 51–67: 67. Eindringlich wird solche Lösung von DELITZSCH, Hebräer, 188, bestritten, denn er meint, ein Lebender, der dem Tod entgegensehe, bitte selbstverständlich nicht um Errettung aus, sondern vor dem Tod. Scheint der Gedanke auch nachvollziehbar, so ist dem dennoch unter Verweis auf Hebr 11,17–19 zu widersprechen, wo von Abraham gesagt ist, er habe seinen Sohn dargebracht, λογισάμενος ὅτι καὶ ἐκ νεκρῶν ἐγείρειν δυνατὸς ὁ θεός (weil er annahm, dass Gott auch von den Toten erwecken konnte). Die Prädikation Gottes in Hebr 11,19 (ἐκ νεκρῶν ἐγείρειν δυνατὸς ὁ θεός) ist der in Hebr 5,7 (πρὸς τὸν δυνάμενον σῴζειν αὐτὸν ἐκ θανάτου) sehr ähnlich. Augenfällig ist aber nichtsdestotrotz, dass von einer Auferweckung Jesu keine Rede ist. Das hätte die Sache vereindeutigt. 27 Das Wort ἀνασταυρόω ist ein Hapaxlegomenon im Neuen Testament. Es heißt das Kompositum, genau wie das Verbum simplex schlicht ‚(hinauf-)kreuzigen‘. Die Vorsilbe ἀνα- als Ausdruck der Wiederholung der Handlung lässt sich im Zusammenhang ebenso gut verstehen, und zwar aufgrund des vorausgehenden πάλιν und der Parallelisierung zu ἀνακαινίζω. So scheint es die gesamte altlateinische Überlieferung zu interpretieren: X fällt scheinbar aus dem Rahmen, indem überraschend mit refigentes cruci wiedergegeben ist (klassisch zu übersetzen mit vom Kreuz wieder losmachen, vgl. etwa GEORGES, Handwörterbuch, 4097. Vielleicht handelt es sich um eine misslungene Wortbildung [re + figo = wieder + schlagen]? So versteht SOUTER, Glossary, 345 das Verbum und übersetzt fix again, allerdings ausschließlich unter Verweis auf die vorliegende Stelle). D liest recruciantes (wiederkreuzigen), J/V lesen rursus crucifigentes (wiederum kreuzigen), Α hat denuo configentes … cruci (denuo kontrahiert aus de novo: von neuem ans Kreuz schlagen). 28 Ähnlich auch B ACKHAUS, Hebräerbrief, 235.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
1.5 Hebr 9,15–17 In den Versen 9,15–17 flicht AuctHebr in seine Kultausführungen eine Bemerkung zur διαθήκη ein, die zu den vorigen und folgenden Ausführungen nicht kongruent zu sein scheint. In der Forschung wird trotz sprachlicher und argumentativer Probleme meist angenommen, dass διαθήκη an dieser Stelle, und zwar nur dort, in erbrechtlichem Sinn als „letztwillige Verfügung“, als Testament, verstanden werden müsse, während sie sonst die Verfügung oder den Bund Gottes bezeichne. Man vermutet also, dass der Begriff der διαθήκη innerhalb weniger Verse seine Bedeutung wechsele. Angezweifelt wird dies insbesondere von John J. Hughes29 und Scott W. Hahn.30 Beide wollen διαθήκη auch in Hebr 9,15–17 als Bund oder Verfügung verstehen. Der Tod Jesu wird bei ihrem Ansatz als stellvertretendes Sterben für den Bundespartner (διαθέμενος) verstanden, der den ersten Bund gebrochen habe. Wie auch immer man den Abschnitt auslegt, einig ist man sich, dass explizit auf den Tod Jesu rekurriert wird und dass er eine soteriologische Relevanz hat. Er erlöst von Vergehen (ἀπολύτρωσις τῶν παραβάσεων) und ist zugleich Ursache und Mittel der Inkraftsetzung der neuen διαθήκη. Und damit belegt die Tatsache des geschehenen Todes wiederum die Geltung der neuen διαθήκη. AuctHebr setzt daher in Hebr 9,15ff. den leiblichen Tod Jesu als allgemein anerkannte Tatsache voraus, denn ohne dieses Axiom wäre die Argumentation gehaltlos. 1.6 Hebr 9,27–28 AuctHebr nimmt in 9,27–28 erneut den Tod in den Blick. Dies geschieht vorerst aus Sicht der Menschen. Der Verfasser stellt in den vorliegenden Versen expressis verbis einen Vergleich an, den er mittels der Wendung καθ᾿ ὅσον […] οὕτως καὶ als solchen kennzeichnet. Es stehen sich im Kern vier Elemente gegenüber. Die folgende schematische Aufstellung orientiert sich an der sehr exakten und zutreffenden Analyse
29 JOHN J. H UGHES, „Hebrews IX 15ff. and Galatians III 15f. A Study in Covenant Practice and Procedure,“ NT 21, Fasc. 1 (Jan., 1979), 27–96. Dort findet sich eine detaillierte Beschreibung der sprachlichen wie inhaltlichen Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man den Abschnitt unter der Maßgabe liest, dass die διαθήκη eine letztwillige Verfügung bedeute. 30 SCOTT W. H AHN, „A broken Covenant and the Curse of Death. A Study of Hebrews 9:15–22,“ CBQ 66 (2004), 416–436. Und ders., „Covenant, Cult, and the Curse of Death. Διαθήκη in Heb 9,15–22,“ in Gabriella Gelardini (Hg.): Hebrews. Contemporary Methods – New Insights. Leiden 2005, 65–88.
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung
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Wilfried Eiseles.31 Ich vereinfache sie,32 um die für unseren Zusammenhang entscheidenden Elemente der Vergleichsebenen herauszuarbeiten. a b c
Hebr 9,27: καὶ καθ᾿ ὅσον ἀπόκειται τοῖς ἀνθρώποις ἅπαξ ἀποθανεῖν,
d
μετὰ δὲ τοῦτο κρίσις,
Hebr 9,28: οὕτως καὶ ὁ Χριστὸς ἅπαξ προσενεχθεὶς (εἰς τὸ πολλῶν ἀνενεγκεῖν ἁμαρτίας) ἐκ δευτέρου (χωρὶς ἁμαρτίας) ὀφθήσεται (τοῖς αὐτὸν ἀπεκδεχομένοις εἰς σωτηρίαν).
Hauptsächlich sind bei der Untersuchung der Bedeutung des Todes Jesu die Punkte a bis c dieser Gegenüberstellung wichtig: Zuerst wird (a) der Vergleich durch die Wendung καθ᾿ ὅσον […] οὕτως καὶ eingeleitet. Dann werden (b) die zu vergleichenden Parteien genannt. Die Menschen stehen auf der einen, Christus auf der anderen Seite. Auf den dritten Punkt (c) kommt es besonders an. Das Sterben der Menschen wird hier auf die gleiche Ebene gestellt wie die Darbringung Christi. Sie sind hinsichtlich der ihnen eigentümlichen ‚Einmaligkeit‘ (ἅπαξ) zu vergleichen. Jene Einmaligkeit ist für den menschlichen Tod als eine allgemeinmenschliche Erfahrung unleugbar und für jedermann einsichtig. Auf diesem Wege soll daher offenkundig die Einmaligkeit des Opfers Jesu begründet werden. Diese Begründung wird durch die vorangegangenen Verse vorbereitet. So wird dort thetisch formuliert, dass eine oftmalige Darbringung Christi (9,25) nicht möglich sei. Sie ist gerade darum nicht möglich, weil sie unter menschlichen Bedingungen stattgefunden hat. Was AuctHebr in diesem Vergleich anspricht, erinnert an die den Menschen wie auch Christus gemeinsame Teilhabe an Blut und Fleisch, wie sie in Hebr 2,14 eingeführt wurde. Sein Dasein unter menschlicher Existenzbedingung steht auch dort explizit im Zeichen seines heilswirksamen Todes (καὶ αὐτὸς παραπλησίως μετέσχεν τῶν αὐτῶν [sc. αἵματος καὶ σαρκός], ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ […] τὸν διάβολον). Wenn nun in Vers 9,27f. das einmalige Sterben der Menschen mit dem einmaligen Opfer Jesu verglichen wird, so ist als Tertium Comparationis vorerst der Aspekt der Einmaligkeit zu nennen.33 Beschränkte man es jedoch einzig
31 Vgl. W ILFRIED EISELE, Ein unerschütterliches Reich. Die mittelplatonische Umformung des Parusiegedankens im Hebräerbrief, BZNW 116, Berlin/New York 2003, 67–70, insbesondere die graphische Darstellung (a.a.O., 68). 32 Die Teile der Verse, die in Klammern stehen, spielen eine christologisch-soteriologische Rolle, etwa hinsichtlich des Zweckes der Darbringung Jesu zur Sündentilgung, wie auch das zweite Erscheinen ohne Bezug zur Sünde. 33 Vgl. JOHANNES H ARTL, Metaphorische Theologie. Grammatik, Pragmatik und Wahrheitsgehalt religiöser Sprache, Berlin 2008, 175ff., zum Tertium Comparationis und zu Vergleichen im Allgemeinen.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
darauf, erschiene die Beweisführung als nicht zwingend. Weshalb folgt aus der Einmaligkeit des einen auch die Einmaligkeit des anderen? Die Antwort kann nur in der für beide geltenden leiblichen Vergänglichkeit liegen, die sich bereits in Hebr 2,14 notwendig aus der gemeinsamen Existenzbedingung (Blut und Fleisch) ergibt.34 Es wird in Hebr 9,28 passivisch formuliert, Christus sei geopfert worden. Der Gottessohn ist hier zum einzigen Mal im Hebr grammatisches Objekt der Darbringung,35 während er sonst als handelnder und opfernder Hohepriester dargestellt wird. Diese passive Formulierung trägt entscheidend zur Vergleichbarkeit bei. Der Passivität des Menschen beim Sterben entspricht die Passivität Christi bei seiner Darbringung.36 Nach dem Tod folgt für die Menschen unmittelbar37 das Gericht, für Jesus Christus analog sein Erscheinen im Himmel. Es fällt auf, dass das Konzept der Auferstehung hier wie sonst im Schreiben keine Rolle spielt. Ebenso ist bemerkenswert, dass AuctHebr den Tod Jesu erneut bloß indirekt beschreibt, wenn er die Darbringung Jesu auf den menschlichen Tod bezieht.38
34 Auch N ICHOLAS J. M OORE, Repetition in Hebrews. Plurality and Singularity in the Letter to the Hebrews, Its Ancient Context, and the Early Church, Tübingen 2015, 171, setzt diesen Gedanken voraus, wenn er schreibt: „[I]t is the observable singularity of Christ’s death (cohering with the expectation that any person’s death should be a singular and nonrepeated event) together with the undesirability of repeated suffering which excludes repetition.“ 35 Die Frage, von wem Jesus dargebracht wurde, beantwortet C HRISTIAN R OSE, Der Hebräerbrief, Die Botschaft des Neuen Testaments, Göttingen 2019, 147, im Anschluss an Johannes Chrysostomus: „Von sich selbst natürlich.“ Das ist sprachlich kaum möglich, wenn auch im Grunde korrekt. Will man die durch das Passiv entstandene Leerstelle inhaltlich füllen, so könnte man eher Jesu ewigen Geist (9,14) zum Agens der Darbringung machen. WILLIAM R.G. LOADER, „Revisiting High Priesthood Christology in Hebrews,“ ZNW 109/2 (2018), 235–283: 260, vermutet, dass das Passiv aus einer Tradition stamme, die dem Verfasser bereits vorgelegen habe und die Christi Tod als Opfer interpretierte. 36 So etwa O TTO M ICHEL, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 121966, 327: „Das Passiv ist bewußt gebraucht, um den gleichen Weg des Schicksals zu beschreiben.“ 37 EISELE, Unerschütterliches Reich, 71: Μετὰ δὲ τοῦτο bezeichne den „Zeitpunkt unmittelbar nach dem Tod […] Die Wahrscheinlichkeit stützt sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch, der etwa den analogen Satz ‚Nach dem Mittagessen lege ich mich hin‘ kaum so verstehen wird, als beziehe sich der Sprecher auf seinen Nachtschlaf.“ 38 So etwa M ICHEL, Hebräer, 327; H EGERMANN, Hebräer, 190; STROBEL, Hebräer, 117; DAVID A. DESILVA, Perseverance in Gratitude. A Socio-Rhetorical Commentary on the Epistle ‚to the Hebrews‘, Michigan 2000, 315; SCHUNACK, Hebräerbrief, 133; EISELE, Unerschütterliches Reich, 68.72; BACKHAUS, Hebräerbrief, 339; grundsätzlich auch ERICH GRÄßER, An die Hebräer, EKK 17, 3 Bände, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1990–1997, 2:197.
1. Sterben und Tod Jesu im Hebräerbrief – eine Sichtung
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1.7 Hebr 12,2 Der deutlichste Verweis auf die Todesart Jesu findet sich im zwölften Kapitel (Hebr 12,2). Jesus habe das Kreuz ertragen. Man versteht σταυρός metonymisch und denkt sogleich den bei der Exekution erlittenen Tod mit. Auffällig aber bleibt: Das verwendete Verbum ὑπομένω (= ausharren, ertragen) fokussiert weniger das Lebensende als vielmehr die erfolgreiche Überwindung einer Leidenssituation,39 die sich für den AuctHebr nicht zuletzt an der Schmach bemisst, wie sie die öffentliche Zurschaustellung des vermeintlichen Delinquenten mit sich brachte. Sie musste Jesus geringschätzen (αἰσχύνης καταφρονήσας), um das Kreuz zu erdulden.40 Der Weg Jesu Christi ist am Kreuz nicht zu Ende, es gibt noch eine „vor ihm liegende Freude.“41 Ohne dass Tod und Auferstehung erwähnt wären, ist sogleich vom Setzen zur Rechten die Rede. 1.8 Hebr 13,20 In Hebr 13,20 schließlich wird Gott als derjenige bezeichnet, der den großen Hirten der Schafe aus den Toten (ἐκ νεκρῶν) heraufgeführt habe. Hier liegt möglicherweise die einzige Reminiszenz an die Auferweckung Jesu vor, vielleicht wird dabei auf Jes 63,1142 angespielt. Es wird aber auch hier nicht Jesu Tod im Sinne eines Nicht-Seins geschildert. Ausgesagt wird strenggenommen lediglich sein ‚Aufenthalt‘ unter Toten. Überdies wird zu Recht etwa von Alexander Wedderburn angezweifelt, dass in Kapitel 13 noch der Autor der ersten zwölf Kapitel spricht.43
39 AuctHebr verwendet das Verbum an den beiden übrigen Belegstellen eben in diesem Sinn. Hebr 10,32: „Erinnert euch aber der früheren Tage, an denen Ihr als Erleuchtete einen großen Leidenskampf erduldet habt.“ Hebr 12,7: „Um der Züchtigung willen seid standhaft! Gott behandelt euch als Söhne.“ Auch MATTHEW THIESSON, „Hebrews 12.5–13, the Wilderness Period, and Israel’s Discipline,“ NTS 55 (2009), 366–379: 379, versteht unsere Stelle (Hebr 12,2) in diesem Sinn: „Even more encouraging for the readers is the reminder that Jesus has indeed passed through the wilderness period and entered into the joy set before him.“ 40 Auch in Hebr 6,6 steht, wie oben dargelegt, bei der hypothetischen Wiederholung der Kreuzigung Jesu die dabei verursachte Bloßstellung im Fokus. 41 Zur Diskussion der Bedeutung des ἀντί in Hebr 12,2 vgl. etwa P.E. B ONNARD, „La traduction de Hébreux 12,2. ‚C’est en vue de la joie que Jésus endura la croix‘,“ La nouvelle revue théologique 97/5 (1975), 415–23. 42 Jes 63,11 (BHS): ﬠ י צ ֹאנוֹ ֵ ( ַה ַמֲּﬠֵלם ִמָיּם ֵא ת ֹרder den Hirten seiner Schafe aus dem Meer heraufführte); Jes 63,11 LXX: ὁ ἀναβιβάσας ἐκ τῆς γῆς (θαλασσης B*) τὸν ποιμένα τῶν προβάτων (der den Hirten der Schafe aus dem Land [andere Lesart: Meer] heraufführte); Hebr 13,20: ὁ ἀναγαγὼν ἐκ νεκρῶν τὸν ποιμένα τῶν προβάτων τὸν μέγαν (der den großen Hirten der Schafe aus den Toten heraufführte). 43 A LEXANDER W EDDERBURN, „The ‚Letter‘ to the Hebrews and Its Thirteenth Chapter,“ NTS 50 (2004), 390–405. Zu Kp. 13 s. unten S. 240–252.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
1.9 Fazit Wie insbesondere mithilfe von Hebr 9,15–17 zu belegen ist, bestreitet AuctHebr den Tod Jesu nicht, sondern wertet ihn dort sogar als Voraussetzung und Beginn der neuen διαθήκη. Dass im gesamten Traktat dennoch nie explizit von Jesu eigenem Tod gesprochen wird, und dass man ebenso die verbale Aussage, Jesus sei gestorben, vergeblich sucht, ist daher bemerkenswert. Umgekehrt wird insbesondere im siebten Kapitel die Legitimation des Priesteramtes der neuen διαθήκη und damit auch die Wirksamkeit ihrer Kulthandlungen mit der Unvergänglichkeit des Gottessohnes begründet.
2. ὅτι ζῇ: Jesu Unvergänglichkeit 2. ὅτι ζῇ: Jesu Unvergänglichkeit
Jesus Christus wird im Hebräerbrief mit verschiedenen übermenschlichen Attributen bedacht,44 dazu gehört auch das der Unvergänglichkeit. Dieses wird im gesamten Traktat immer wieder aufgegriffen. Erstmals begegnet es in Hebr 1,11f. Im Gegensatz zu Himmel und Erde bleibt der Gottessohn bestehen (διαμένω, Hebr 1,11), er ist stets derselbe (ὁ αὐτὸς, Hebr 1,12)45 und seine Jahre haben kein Ende (τὰ ἔτη […] οὐκ ἐκλείψουσιν, Hebr 1,12).46 Ausführlich und in eigenen Worten stellt AuctHebr die Unvergänglichkeit Jesu im siebten Kapitel vor. Thema ist dort der Jesus-Melchisedek-Vergleich. Von Melchisedek liegen in der Schrift keine Informationen zu Abstammung und Ahnenreihe vor. AuctHebr kann dieses Fehlen im Sinne eines argumentum ex silentio so verstehen, dass er ihm Präexistenz und Unvergänglichkeit zuschreibt. Er habe weder einen Anfang der Tage noch ein Lebensende (μήτε ἀρχὴν ἡμερῶν μήτε ζωῆς τέλος ἔχων, Hebr 7,3),47 das mache ihn mit dem Gottessohn vergleichbar. Und wie letztgenannter bleibe er (μένει, Hebr 7,3) gemäß der Angabe in Ps 109,4 LXX für immer Priester. Die Aussagen, die im Folgenden auf Melchisedek bezogen werden, sind daher auch für Jesus zutreffend, der ungeachtet der irdisch-historischen Chronologie Urbild ist. Für unsere Frage ist insbesondere Vers 8 von Belang, wo Melchisedek den sterblichen
44 Christus ist Gottessohn, Welterbe, Mitschöpfer (Hebr 1,2) und damit präexistent, Gott und Weltherrscher (1,8), sündlos (4,15), usw. 45 Dem entspricht die Aussage in Hebr 13,8: Ἰησοῦς Χριστὸς ἐχθὲς καὶ σήμερον ὁ αὐτὸς καὶ εἰς τοὺς αἰῶνας. 46 Es handelt sich um ein Zitat aus Ps 101,26–28 LXX. Ursprünglich sind diese Unvergänglichkeitsaussagen auf Gott bezogen. 47 JAMES W. THOMPSON, „EPHAPAX: The One and the Many in Hebrews,“ NTS 53 (2007), 566–581: 569, weist darauf hin, dass solche Beschreibung „was used in philosophical literature for the deity.“ Auch die Vater- und Mutterlosigkeit seien charakteristisch für hellenistische Beschreibungen von Gottheiten.
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Menschen (ἀποθνῄσκοντες ἄνθρωποι) diametral gegenübergestellt wird, weil von ihm bezeugt sei, dass er lebe (Hebr 7,8). Das Zeugnis ὅτι ζῇ hat umso mehr für den Gottessohn Geltung.48 Ist aber die Eigenschaft der Unvergänglichkeit des Gottessohnes nur auf den erhöhten Jesus zu beziehen?49 Dagegen spricht, dass von Melchisedek wie vom Gottessohn ausgesagt ist, dass sie weder Anfang noch Ende hätten, demnach also präexistent und ewig seien. Zugleich wird das ἀποθνῄσκειν für Melchisedek, und damit auch für den Gottessohn, verneint. Denn sie gehören ausdrücklich nicht zur Gruppe der ἀποθνῄσκοντες ἄνθρωποι (Hebr 7,8). Die Verwendung des Partizip Präsens vermag dabei besonders die Betonung auf den Tod als einer dauerhaften Bedingung der Existenz der irdischen Priester zu legen.50 Demgegenüber heißt für den Autor wirklich zu leben nicht sterblich zu sein. Von einer Unterbrechung des Lebens ist bei den beiden himmlischen Priestern keine Rede.51 Erneut greift AuctHebr den Gedanken der Unsterblichkeit in Hebr 7,16 auf und bezieht ihn auf den Gottessohn. Ihm sei sein Priesteramt κατὰ δύναμιν ζωῆς ἀκαταλύτου (nach der Kraft unzerstörbaren Lebens; Hebr 7,16) zuteil. Begründet wird dies durch das nach Ps 109,4 LXX Jesus zugeschriebene ewige Priesteramt.52 In Hebr 7,23 ist es nun umgekehrt gerade der Tod, der die Priester der ersten Kultordnung daran hindert zu bleiben (vgl. Hebr 1,11 διαμένω mit Hebr 7,23 παραμένω). Wo das Adjektiv ἀκατάλυτος das Leben des Gottessohnes beschreibt, das in der Präexistenz beginnt, lässt sich nicht mehr an dessen Ganztod und eine ihm folgende Auferweckung im üblichen Sinn denken. Jesu Leben wird hier als ein Leben von immerwährender Dauer
48 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 280. Die Bezeugung, dass Jesus lebe, findet sich auch in den Evangelien. Etwa Mk 16,11. Dort bezeugt es Maria von Magdala, der Jesus zuerst erschienen sei (ὅτι ζῇ). Jedoch glaubt man ihr nicht. Auch das Lukasevangelium kennt diese Bezeugung. Dabei erhält die Bestätigung, dass Jesus lebe, höheres Gewicht, wenn die Frauen, die das leere Grab auffanden, wiederum von Engeln berichten, οἳ λέγουσιν αὐτὸν ζῆν. 49 So etwa zu finden bei LAUBACH, Hebräer, 149. Zuletzt auch bei R.B. JAMIESON, Jesusʼ Death and Heavenly Offering in Hebrews, Cambridge 2019, 24 passim. 50 Vgl. PAOLO G ARUTI, „Ebrei 7,1–28. Un Problema Giuridico,“ Rivista Quadrimestrale dello Studio Filosofico Domenicano 8/2 (1994), 9–105: 50f.: „Tale scelta [sc. del participio presente (iterativo) al posto dell’aggettivo θνητοί] permette il parallelismo col participio presente medio passivo μαρτυρούμενος del v. 8b, ma, soprattutto, dà l’idea di un continuo morire, l’uno dopo l’altro, e della morte come condizione permanente dell’esistenza dei sacerdoti (cfr. v. 28: ἀνθρώπους καθίστησιν ἀρχιερεῖς ἔχοντας ἀσθένειαν).“ 51 Anders als AuctHebr spricht Lukas explizit vom Leben Jesu nach dem Leiden (μετὰ τὸ παθεῖν; Apg 1,3). 52 In der parallelen Formulierung der diametralen Gegensätze (κατὰ δύναμιν ζωῆς ἀκαταλύτου – κατὰ νόμον ἐντολῆς σαρκίνης) stehen sich σάρκινος und ἀκατάλυτος gegenüber. Das Fleisch ist auch hier Sinnbild des Vergänglichen.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
verstanden, das von Ewigkeit zu Ewigkeit reicht. AuctHebr attestiert dem Gottessohn demnach unmissverständlich Unsterblichkeit.53 Der Gedanke, dass Jesu Leben bei der Kreuzigung zerstört, dass seine wesentliche Existenz unterbrochen worden sein könnte, ist dem Hebräerbrief fremd. Das Prädikat πάντοτε ζῶν (allzeit lebend; Hebr 7,25) ist ebenso in diesem Sinn zu verstehen.54 Daher ist die im Neuen Testament verbreitete, wenn auch nicht einzige,55 Vorstellung einer Auferstehung am dritten Tage, wie sie etwa 1Kor 15,3–8 bietet, mit dem Konzept des Hebräerbriefes unvereinbar.56 53 Vgl. LOADER, Sohn, 116: „Wir haben es deutlich mit dem unsterblichen Sohn Gottes zu tun.“ Davon unterschiedlich scheint die Annahme der Unsterblichkeit durch Mose bei Philon, Mos. 2,288 zu sein: χρόνοις δ’ ὕστερον, ἐπειδὴ τὴν ἐνθένδε ἀποικίαν ἔμελλεν εἰς οὐρανὸν στέλλεσθαι καὶ τὸν θνητὸν ἀπολιπὼν βίον ἀπαθανατίζεσθαι μετακληθεὶς ὑπὸ τοῦ πατρός, ὃς αὐτὸν δυάδα ὄντα, σῶμα καὶ ψυχήν, εἰς μονάδος ἀνεστοιχείου φύσιν ὅλον δι’ ὅλων μεθαρμοζόμενος εἰς νοῦν ἡλιοειδέστατον. Hier bedarf es einer Verwandlung. Ob diese Stelle eine Vergottung Moses beschreibt, wird diskutiert, vgl. DAVID S. DU TOIT, THEIOS ANTHROPOS. Zur Verwendung von θεῖος ἄνθρωπος und sinnverwandten Ausdrücken in der Literatur der Kaiserzeit, WUNT II/91, Tübingen 1997, 357f. 54 Die Formulierung des AuctHebr scheint damit regelrecht Einspruch gegen das Jesuswort aus Mk 14,7 (Mt 26,11) zu erheben: ἐμὲ δὲ οὐ πάντοτε ἔχετε (mich aber habt ihr nicht allezeit), mit dem Jesus selbst seine Salbung durch teures Salböl rechtfertigt. Er weist damit auf den eigenen Tod hin und erklärt, er sei mit diesem Öl vorab zum Begräbnis gesalbt worden. 55 Die Bemerkung von W ILLIAM LOADER, „Revisiting,“ 275f., AuctHebr leugne die Auferstehungstradition nicht, ist zu pauschal, weil es offenbar nicht nur ein einziges Konzept zu Jesu posthumem Leben gab. Vgl. etwa GEORG BERTRAM, „Die Himmelfahrt Jesu vom Kreuz aus und der Glaube an seine Auferstehung,“ in Festgabe für Adolf Deissmann zum 60. Geburtstag, Tübingen 1927, 187–217. Abgelehnt wird dieser Ansatz insbesondere von DAVID M. MOFFITT, Atonement and the Logic of Resurrection in the Epistle to the Hebrews, NT.S 141, Leiden/Boston 2011, 18f. Positiv nimmt HANS WINDISCH, Der Hebräerbrief, HNT 14, Tübingen 21931, 79, Bertrams Ansatz auf und bezieht ihn auf den Hebräerbrief: „Hebr lehrt eine Himmelfahrt vom Kreuze aus, eine Lehre, die auch sonst im NT vertreten ist.“ JOACHIM JEREMIAS, „Zwischen Karfreitag und Ostern. Descensus und Ascensus in der Karfreitagstheologie des Neuen Testaments,“ ZNW 42 (1949), 194–201, äußert sich in ähnlicher Weise wie Bertram, kritisiert an dessen Anschauung aber, dass er „zu Unrecht die Ascensus- und die Auferstehungsaussagen als konkurrierend betrachtet“ (ebd. 199). „Es hat nirgendwo und nirgendwann einen urchristlichen Glauben gegeben, der nicht die Gewißheit der Auferstehung Jesu eingeschlossen hätte. Man muss wohl beachten, daß die Ascensusund Descensusvorstellungen primär Aussagen über das vom Leibe getrennte πνεῦμα Jesu darstellen, d.h. daß es bei diesen Vorstellungen primär um den leiblosen Zwischenzustand geht.“ Die Kritik an Bertrams Konzept scheint mir ohne ausreichendes Fundament zu sein. Sollte denn für Jesus Christus nach seinem Eingang in die Herrlichkeit (Lk 24,26) oder nach dem posthumen Treffen mit dem Mitgekreuzigten (Lk 23,42) oder nach der Übergabe seines Geistes (Lk 23,46) ein erneutes Verlassen des Himmels mitgedacht sein? 56 Es erstaunt darum die These bei M ARTIN STIEWE/FRANCOIS V OUGA, Bedeutung und Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament. Ein theologischer Essay, Tübingen 2011, 191: „Die Interpretation des Todes Jesu ist das zentrale Thema der ‚vollkommenen Lehre‘,
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So kann Knut Backhaus auch für Hebr 2,14–15 sagen: „In Christus setzt Gott die Macht der Unsterblichkeit gegen solche gnadenlose Herrschaft des Todes durch.“57 Von einer Auferweckung oder Auferstehung ist keine Rede.58 Dem steht auch der Hinweis auf Jesu Abstammung aus dem Geschlecht Judas nicht entgegen, denn sie hat nur fleischlich Geltung, nicht aber geistig. Das kann aus der Tatsache geschlossen werden, dass der Hebr zwischen fleischlichen Vätern und dem geistigen Vater (Hebr 12,9) unterscheidet.59 2.1 Hebr 5,7: die Errettung vor oder aus dem Tod? Ausgerechnet die mutmaßliche Schilderung der Todesszenerie innerhalb der Verse 5,7–9 – Franz Laub erwägt die Charakterisierung des Abschnitts als
die den Kern des Hebräerbriefs bildet (Hebr 7,1–10,18). Tod und Auferstehung Jesu werden mit Hilfe kultischer Vorstellungen gedeutet.“ DAVID MOFFITT, „Human Beings and Angels in Hebrews and Philo of Alexandria: Toward an Account of Hebrewsʼ Cosmology,“ in David M. Moffitt/Eric F. Mason (Hg.), Son, Sacrifice, and Great Shepherd. Studies on the Epistle to the Hebrews, Tübingen 2020, 14–30: 15, argumentierte zuletzt erneut so: „The argument for the elevation of the eternal Son above the angels in the heavens requires Jesus to be the exalted human being par excellence in the heavens. As such the divine Son had not only to become a human being, but also to return to the heavenly realms as a human being.“ Das Menschsein ist im Hebräerbrief aber nicht auf die reine stoffliche Existenz festgelegt, sondern es ist von den Menschen grundsätzlich eine bloße Teilhabe an der Materialität ausgesagt. „Die Geschöpflichkeit erhält sekundären Rang und negativen Klang“ (KARRER, Hebräer, 1:178). Der Mensch ist nicht Blut und Fleisch, sondern nimmt daran Anteil (s. Hebr 2,14), er bewohnt den Leib (s. Hebr 13,3). Das sieht David Moffitt nicht richtig, wenn er Engel und Menschen unterscheidet, indem er sagt: „First, in Heb 1:7 the author affirms that angels are a particular kind of being – beings of fiery πνεῦμα. Humanity, as becomes clear in Heb 2, is another kind of being, a being of ‚blood and flesh‘ (2:14).“ 57 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 129. 58 FRANZ JOSEPH SCHIERSE, Verheißung und Heilsvollendung. Zur theologischen Grundfrage des Hebräerbriefes, MThS I,9, München 1955, 163 nimmt die Unvergänglichkeitsaussage zu Recht ernst, geht aber zu weit, wenn er sogar dem Leib Jesu die Unzerstörbarkeit zuschreibt: „An Jesus selbst brauchte die Auferweckung nicht erwähnt zu werden, weil in seinem Leib der Tod von Anfang an als überwunden gilt. Er ist kein gewöhnlicher, irdischer Sarx-Leib, sondern von Gott unmittelbar bereitet (10,5ff.), ‚ein größeres und vollkommeneres Zelt‘ (9,11). Auch im Tode verließ ihn die ‚Kraft unzerstörbaren Lebens‘ (7,16; 9,14) nicht, vielmehr ermöglicht sie gerade den Tod des Todes, die Vernichtung des Teufels (2,14).“ 59 Vermutlich kann man die Feststellung Martin Karrers zur Johannesoffenbarung auf den Hebräerbrief übertragen: „Nicht das irdische Geschlecht Davids gibt dem himmlischen Christus Bedeutung, sondern umgekehrt, das irdische Geschlecht gewinnt Bedeutung, weil es schon vorab vom himmlischen Christus geprägt wird“ (MARTIN KARRER, „Präexistenz Christi in der Johannesapokalypse,“ in Jörg Frey/Friederike Kunath/Jens Schröter [Hg.], Perspektiven zur Präexistenz im Frühjudentum und frühen Christentum, Tübingen 2021, 167–183: 179).
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„Passionssummarium“60 – wird gerahmt und ist durchdrungen von dem Konzept des unvergänglichen Priestertums nach der Ordnung Melchisedeks. Hebr 5,6 lässt Gott als Vater zu Jesus sprechen.61 Dabei zitiert AuctHebr Ps 109,4 LXX (σὺ ἱερεὺς εἰς τὸν αἰῶνα κατὰ τὴν τάξιν Μελχισέδεκ.). Zudem zeigen sich mit προσφέρειν in Hebr 5,7 Anklänge an eine kultische Sprache.62 Schließlich wird in Hebr 5,10, frei nach Ps 109,4 LXX, erneut festgestellt: προσαγορευθεὶς ὑπὸ τοῦ θεοῦ ἀρχιερεὺς κατὰ τὴν τάξιν Μελχισέδεκ. Damit ist oben genannte Stelle auf das Engste mit dem Melchisedekvergleich im siebten Kapitel verknüpft, denn unterbrochen wird der Gedankengang lediglich von einer Parekbasis, die sich über die Verse 5,11–6,20 erstreckt. In Hebr 6,20 nimmt AuctHebr diesen Faden explizit wieder auf, wenn er von Jesus sagt: κατὰ τὴν τάξιν Μελχισέδεκ ἀρχιερεὺς γενόμενος εἰς τὸν αἰῶνα. Innerhalb des im siebten Kapitel ausgeführten Vergleiches mit Melchisedek wird die Unvergänglichkeit Jesu gleich mehrfach betont und scheint mit Hebr 5,7f. in einem Gegensatz zu stehen. Denn der Zweck, Melchisedek in die Argumentation einzuführen, ist, das andersartige und unvergängliche Priestertum besserer Ordnung zu begründen. So heißt es in Hebr 7,3, der Gottessohn wie auch Melchisedek hätten kein Lebensende (μήτε ζωῆς τέλος ἔχων). Letzterer wird ausdrücklich aus der Gruppe der sterbenden Menschen (ἀποθνῄσκοντες ἄνθρωποι) exzipiert (Hebr 7,8); das gilt damit selbstredend auch für Jesus Christus. „Thus Melchizedek sets a precedent for a non-Levitical priest within certain parameters: one must have life outside the confines of physical origins (birth) and physical termination (death). Since this is the case of Jesus, he is qualified to become (by means of the divine oath) a priest like Melchizedek.“63 Christus habe nach Hebr 7,16 die Kraft unauflöslichen Lebens (δύναμις ζωῆς ἀκαταλύτου). Zudem wird betont, er sei nicht wie die anderen Priester durch den Tod daran gehindert, zu überdauern (διὰ τὸ θανάτῳ κωλύεσθαι
60 FRANZ LAUB, Bekenntnis und Auslegung. Die paränetische Funktion der Christologie im Hebräerbrief, BU 15, Regensburg 1980, 128. Ähnlich auch MICHAEL C. PARSONS, „Son and High Priest. A Study in the Christology of Hebrews,“ EQ 60 (1988), 195–216: 205: „There is no reason to limit the reference to the Gethsemane scenario; these verses may best be understood as a general reference to the whole course of Jesusʼ passion and humiliation.“ 61 PEELER, Family, 118: „God’s speech to Jesus in Heb. 5.6 continues to be what God’s conversation with Jesus has been in Hebrews up to this point – the speech of a Father to his Son.“ 62 Vgl. B ACKHAUS, Hebräerbrief, 208; K ARRER, Hebräer, 1:271, der zu Recht, auch unter Verweis auf Hebr 2,17, „Christi Hohepriestertum bereits irdisch verankert“ sieht. Vgl. auch CHRISTIAN EBERHART, „Characteristics of Sacrificial Metaphors in Hebrews,“ in Gabriella Gelardini (Hg.), Hebrews. Contemporary Methods – New Insights, Leiden 2005, 37– 64: 55f. 63 M ICHAEL K IBBE, „‚You are a Priest Forever!‘ Jesusʼ Indestructible Life in Hebrews 7:16,“ Horizons in Biblical Theology 39 (2017), 134–155: 135.
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παραμένειν), sondern er bleibe in Ewigkeit (μένειν εἰς τὸν αἰῶνα; Hebr 7,23). Diese Unzerstörbarkeit seines Lebens als eine wenigstens partielle Immunität gegen den Tod wird als entscheidende Voraussetzung seines Priestertums angeführt, und zwar in Entsprechung zur genealogischen Voraussetzung, die für die Priester irdischer Kultordnung gilt. Und daher kann ihm diese Unzerstörbarkeit nicht erst mit der Erhöhung oder der Auferstehung verliehen worden sein, sondern sie muss dem Gottessohn immer schon zu eigen gewesen sein.64 Logischer Schluss dieser Aussagen kann nur lauten: Jesus Christus ist dem siebten Kapitel zufolge – sit venia verbo – nicht oder nicht mit letzter Konsequenz gestorben. Der Umkehrschluss zu Hebr 7,23 hieße: Jesus ist trotz Tod nicht daran gehindert zu bleiben, denn sein Leben konnte nicht zerstört werden (Hebr 7,16). Wenn also Abschnitt Hebr 5,7–9 nun ausgerechnet durch die Erwähnung des unsterblichen Melchisedek und dessen unvergänglichem Priestertum gerahmt wird, so ist notwendig in Betracht zu ziehen, dass AuctHebr im Sinn gehabt haben könnte, Jesu Bitte um Errettung vor dem (endgültigen) Tod sei erhört, und Christus aufgrund seines unzerstörten Lebens als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks von Gott begrüßt worden.65
64 Völlig richtig stellt K IBBE, „Priest,“ 140, fest: „Correspondingly, the oath most likely recognized Jesusʼ possession of indestructible life rather than conferring it on him.“ Leider überbetont Michael Kibbe eine aus seiner Sicht notwendige Menschlichkeit und damit Körperlichkeit des Auferstandenen. In Verteidigung des wirklichen Tod-Seins Jesu wird Kibbes Konzept widersprüchlich. Obwohl er dem Gottessohn ein immerwährendes Leben attestiert, muss der göttliche Teil dennoch mit dem menschlichen gestorben sein, er soll dann aber bei seiner eigenen Auferstehung aktiv mitgewirkt haben: „[W]e do find in Hebrews two resolutions for the ‚forever‘ nature of his priesthood: his status as the eternal and unchanging Son of God, and his experience of the better resurrection. I have suggested that both of these are necessary for Jesusʼ permanent priestly appointment, and that the best way to conceive of their working in tandem is that, by virtue of his deity, the Son was an active participant in his own resurrection.“ 65 H ERMUT LÖHR, „Anthropologie und Eschatologie im Hebräerbrief. Bemerkungen zum theologischen Interesse einer frühchristlichen Schrift,“ in Eschatologie und Schöpfung, FS für Erich Gräßer, New York/Berlin 1997, 169–199: 174, sagt zu Recht: Es „zeigen die Aussagen, daß für den Hebr ein entscheidendes Konstituens des Mensch-Seins in seiner zwangsläufigen Sterblichkeit besteht, eine Tatsache, die für Gott, den Sohn oder auch Melchisedek nicht gilt.“ Dennoch mildert er in einer Anmerkung zu dieser Aussage ab: „Der Sohn kann zwar sterben, und er stirbt tatsächlich den Tod des hohepriesterlichen Selbstopfers, doch würde man der Christologie des Hebr, die immer schon von Ostern bzw. der soteriologischen Interpretation des Kreuzes her denkt, nicht gerecht, rechnete man die biologische Notwendigkeit des Sterben-Müssens zu den Bedingungen der Existenz des Gottessohnes.“ Damit nimmt Hermut Löhr die Aussage, auf die er sich im Haupttext beruft, meines Erachtens nicht ernst genug, auch wenn er auf der richtigen Spur ist.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
Vergleichbar scheint mir eine solche Vorstellung mit der Lazarusgeschichte (Joh 11),66 die bekanntermaßen als Deutung des Todes67 und als Ansage der Auferstehung Jesu68 verstanden werden kann. Die beiden Texte weisen einige Gemeinsamkeiten auf.69 Entscheidend ist: Bei der Auferweckung des Lazarus werden gewissermaßen zwei Qualitäten von „Leben“ vorausgesetzt. Die berichtete Auferweckung des schon verwesten Leibes ist ein Zeichen und dient der Legitimierung der Botschaft Jesu vom ewigen Leben des Glaubenden. Joh 11,25f.: […] ὁ πιστεύων εἰς ἐμὲ κἂν ἀποθάνῃ ζήσεται, (26) καὶ πᾶς ὁ ζῶν καὶ πιστεύων εἰς ἐμὲ οὐ μὴ ἀποθάνῃ εἰς τὸν αἰῶνα (wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben). En passant: Auch diesen Gedanken bringt AuctHebr andernorts (Hebr 10,38) durch ein Habakuk-Zitat (Hab 2,4) ein. In Joh 11,25f. kann nur von einem Leben besserer Qualität gesprochen sein, das jedem Glaubenden – und damit freilich auch Lazarus – ohnehin schon zu 66 Ähnlichkeiten zwischen Joh und Hebr: Im Kontext geht es um die Themen Leid/Krankheit und Herrlichkeit Gottes (Hebr 2,10; Joh 11,4); Jesu Weinen (Hebr 5,7; Joh 11,35); Jesu Bitten und die Erhörung bei Gott (Hebr 5,7; Joh 11,41f.). 67 C HARLES K INGSLEY B ARRETT, Das Evangelium nach Johannes, KEK Sonderband, Göttingen 1990, 401. 68 S. etwa R UDOLF SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium, 4 Bände, Freiburg 1972–1984, 2:404f. und 410. 69 Dass eventuell gemeinsame Traditionen verarbeitet wurden, ist nicht auszuschließen. Auffällig ist unter anderem, dass mit der Lazarusepisode neben Hebr 5,7 die einzige Stelle vorliegt, an der von Jesus gesagt wird, er vergieße Tränen (Das Weinen Jesu nach Lk 19,41 ist wohl aufgrund des anderen Verbums, κλαίω, eher im Sinne eines Klagens oder Zürnens zu interpretieren: PASSOW, Handwörterbuch, 17,41f.: „von jedem laut werdenden Ausdruck des Schmerzes, des Jammers, der Trauer“). Der Grund der Tränen innerhalb der Perikope im Johannesevangelium ist unsicher. Die anwesenden Juden interpretieren Jesu emotionalen Ausbruch als Liebesbeweis Lazarus gegenüber. Da Jesus aber vom ewigen Leben des Lazarus weiß, die Trauer der Frauen für unangemessen und kleingläubig hält, dessen Wiedererweckung für ihn bereits Gewissheit ist, scheint diese Deutung unzutreffend. Trauer um den Freund kann nicht der Auslöser sein. Sind es Tränen des Zorns und der Empörung (so etwa KITTEL, Befreit, 150)? Semantik (δακρύω = „Tränen vergießen“) und Kontext scheinen dagegenzusprechen. Die Bemerkung, Jesu weine, folgt nicht auf den Kleinglauben der beteiligten Personen, wie es in Vers 33 der Fall ist, sondern sie folgt auf die Frage nach dem Ort der Grabstätte des Lazarus. Es kommt, meine ich, durchaus infrage, dass die Tränen auf das künftige Geschick Jesu hinweisen (vgl. JEAN ZUMSTEIN, Das Johannesevangelium. KEK 2, Göttingen 2016, 431). Denn Lazarusʼ Grabstätte erinnert in der Beschreibung an die Jesu (Höhlengrab, das mit einem Stein verschlossen ist). Zudem geht es in beiden Texten um die Bitte Jesu und die erfolgte (!) Erhörung: Joh 11,41: πάτερ, εὐχαριστῶ σοι ὅτι ἤκουσάς μου. Die Bitte selbst kommt in einer dem Hebräerbrief ähnlichen Form ebenfalls vor. Naturgemäß aber nicht bereits in Joh 11 – es geht ja nicht um Jesus selbst – sondern später: Joh 12,27: σῶσόν με ἐκ τῆς ὥρας ταύτης; Hebr 5,7: σῴζειν αὐτὸν ἐκ θανάτου. An dieser Stelle spielt ebenso wie im Hebräerbrief die emotionale Aufregung Jesu (ταράσσω, Joh 12,27) angesichts seines eigenen Todes eine Rolle, weshalb man diesen Text als nahe Parallele der Gethsemaneszene ansieht, was auch für Hebr 5,7 gilt.
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eigen gewesen ist.70 Die Wiederauferweckung im Leib dagegen wird als eine Auferstehung minderer Qualität vorgestellt.71 Rudolf Schnackenburg sagt zu Recht: „Der machtvolle Ruf, mit dem Jesus den Lazarus aus dem Grab herausruft (V 43), ist nur ein äußerer Widerhall jenes Rufes, mit dem er, der Gesandte Gottes, alle Menschen, die an ihn glauben, zum Leben Gottes ruft (vgl. 5,24f.).“72 Übertragen auf die genannte Hebräerbriefstelle hieße das: Indem Jesus, Anfänger und Vollender des Glaubens, Gott sein Vertrauen in ihn unter Beweis stellt, kann ihm der fleischliche Tod am Kreuz nichts anhaben.73 Dass er solches Vertrauen besitzt, spiegelt die Gottesprädikation, denn er ist sich bewusst, dass er den anfleht, „der ihn vor/aus dem Tod erretten kann.“ Auch AuctHebr erwähnt – dem Gedanken im Johannesevangelium vergleichbar – in Vers 11,35 eine bessere Auferstehung (κρείττων ἀνάστασις), die sich ein jeder verspricht, der für seinen Glauben Leid ertragen muss. AuctHebr wendet dieses Konzept aber nur auf die Mitglieder der ersten διαθήκη an. Auch die παραβολή der Auferstehung Isaaks (Hebr 11,17–19) kann man so verstehen. Zuvor wird ausführlich geschildert, dass die Väter, darunter explizit auch Abraham, eine himmlische Heimat suchten, keine irdische (Hebr 11,10.16). Unmittelbar an den Gedanken der besseren, weil himmlischen, πόλις anknüpfend, wird die Frage nach der Auferstehung behandelt. Abraham habe Issak dargebracht. Anders als es in der alttestamentlichen Erzählung der Fall ist (Gen 22,12f.), wird hier der Vollzug des Opfers, also der Tod Isaaks,
70 Vgl. auch Mk 8,35. Dort steht einer scheinbaren Rettung ein tatsächlicher Verlust gegenüber und umgekehrt. Bei rechter Glaubenshaltung im Sinne eines Einsatzes der eigenen Seele, kann man selbige retten (ὃς δ᾿ ἂν ἀπολέσει τὴν ψυχὴν αὐτοῦ ἕνεκεν ἐμοῦ καὶ τοῦ εὐαγγελίου σώσει αὐτήν; wer aber um meinetwillen und für das Evangelium seine Seele/sein Leben aufopfert, wird sie/es retten). Der Verlust wird bei rechter innerlicher Haltung wesenlos. Es ist dann meines Erachtens auch fraglich, ob Mk 9,1 im Anschluss tatsächlich als Naherwartungslogion zu deuten ist (so etwa JOSEF ERNST, Das Evangelium nach Markus, RNT, Regensburg 1981, 252), oder ob das Nicht-Schmecken des Todes einiger eher ihren Glauben zur Ursache haben könnte, ist doch im gesamten Kontext davon die Rede, dass man durch Treue sein Leben/seine Seele retten könne und solle. 71 Vgl. R UDOLF B ULTMANN, Das Evangelium des Johannes, KEK 2/1, Göttingen 181964, 307, der meint, dass insbesondere die Verse 25f. „die Begriffe Tod und Leben in eine andere Sphäre heben, für die menschlicher Tod und menschliches Leben nur Abbilder und Hinweise sind.“ 72 SCHNACKENBURG, Johannesevangelium, 2:414. 73 Philon, Mut. 32–38 rechnet Henoch dem Kreis der Weisen zu und attestiert ihm, sein Geist habe Gott ganz und gar gefallen (34). Die Entrückung Henochs deutet Philon entsprechend als ein Übergang vom sterblichen zum unsterblichen Leben (Mut. 38: τὸ δ᾿ ἐστὶ μεταναστῆναι καὶ μετοικίαν στείλασθαι τὴν ἀπὸ θνητοῦ βίου πρὸς τὸν ἀθάνατον). Eine tadellose innere Haltung ist die Voraussetzung dafür.
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vorausgesetzt; AuctHebr setzt προσφέρω ins Perfekt.74 Abrahams Überzeugung bei der Opferung war nach Hebr 11,19, dass Gott von den Toten auferwecken könne. Er hatte bereits die Erfahrung gemacht, dass aus ihm, einem νενεκρωμένος, neues Leben entstanden war (Hebr 11,12). Auch hier hatte Gott schon seine Macht über den Tod unter Beweis gestellt. Und nun hat Abraham Isaak von den Toten (ὅθεν im Sinne von ἐξ ὦν75) zurückerhalten, und zwar ἐν παραβολῇ. Ähnlich wie in Hebr 9,9 weist diese παραβολή auf die künftigen, noch nicht sichtbaren Verhältnisse hin, in unserem Fall auf die bessere Auferstehung.76 Damit ist die Verbindung zum Eingang in die himmlische πόλις hergestellt. Wer sich für Gottes Sache unter Leiden einsetzt (Hebr 11,35), wie es auch Abraham und Isaak getan haben, wird das Leben wiedererhalten. Anders verhält es sich im Hebr mit den leidenden und duldsamen Adressaten, die schon der neuen διαθήκη angehören. Ihnen verheißt er – und das mag durchaus im Kontrast zur Auferstehung stehen – einen besseren und bleibenden Besitz (κρείττονα ὕπαρξιν καὶ μένουσαν; Hebr 10,34), nicht mehr die Wiedererlangung des Lebens.77 Nochmals in Worten des Johannesevangeliums: Da Jesus treu ist, lebt er, auch wenn er stirbt. So trifft im Hebräerbrief auf Jesus zu, was Rudolf Bultmann für den Glaubenden des Johannesevangeliums annimmt: Er „mag den irdischen Tod sterben; gleichwohl hat er das ‚Leben‘ in einem höheren, im endgültigen Sinne. Und wer noch im irdischen Leben weilt und ein Glaubender
74 Vgl. M ICHEL, Hebräer, 402; H.-F. W EIß, Hebräer, 596f. Siehe auch die Erklärung der Stelle mit anschließendem Exkurs bei CHRISTIAN ROSE, Hebräerbrief, 200. Anders etwa ALOYSIUS WINTER, Kleiner Kommentar. Der Brief an die Hebräer, Bibel und Kirche NT 14, Stuttgart 1963, 56. Die Opferung sei „nicht körperlich, sondern dem Geiste nach“ geschehen. Die Pointe, nämlich der Glaube Abrahams an die Fähigkeit Gottes, von den Toten aufzuerwecken, wäre aber in diesem Fall doch stark abgeschwächt. 75 S. K.-G., 2,2: 401, Anm. 3. So haben auch die meisten Texttypen der Vetus Latina unsere Stelle verstanden und übersetzen ὅθεν mit unde. 76 Diskutiert wird, ob auf die Auferstehung Jesu angespielt wird (vgl. bspw. STROBEL, Hebräer, 148f.) oder auf eine allgemeine künftige Auferstehung (zu Recht betont BACKHAUS, Hebräerbrief, 396: „Nichts in Hebr deutet darauf hin, dass er darin auch einen Typos für Christi Auferstehung sieht.“ Ähnlich auch H.-F. WEIß, Hebräer, 598). 77 Beiden Gruppen, den Vätern wie den Adressaten, gemeinsam ist jedoch die Vollendung, die ihnen den Zutritt ins himmlische Heilige erschließt. Die noch ausstehende Vollendung μὴ χωρὶς ἡμῶν (Hebr 11,40) bezeichnet den Wartestand der Vorväter im Tod bis zur Auferweckung, damit dann das Volk Gottes in seiner Gesamtheit vor Gott erscheine. Nach NIKOLAUS WALTER, „‚Hellenistische Eschatologie‘ im Frühjudentum – ein Beitrag zur ‚biblischen Theologie‘,“ in Wolfgang Kraus/Florian Wilk (Hg.), Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, WUNT 98, Tübingen 1997, 235–272: 270, spielt die Frage, wie die Glaubenszeugen die Zeit bis zur Vollendung überbrücken, für den Autor keine Rolle. Walter legt aber zu Recht alle Betonung auf die Botschaft, dass „das himmlische Heil, die himmlische κατάπαυσις für sie [sc. die Adressaten] – und gewiß auch für die Glaubenden Israels – bereitsteht.“
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ist, für den gibt es keinen Tod im endgültigen Sinne; das Sterben ist für ihn wesenlos geworden.“78 Auch im Buch Habakuk findet sich eine entsprechende Spitzenaussage. Das Bekenntnis zu Gott schließt dabei die Zuversicht auf ein ewiges Leben mit ein: οὐχὶ σὺ ἀπ᾿ ἀρχῆς, κύριε, ὁ θεὸς ὁ ἅγιός μου; καὶ οὐ μὴ ἀποθάνωμεν (Hab 1,12; bist du nicht von Anbeginn an, Herr, mein heiliger Gott? Und wir werden gewiss nicht sterben). Auch wenn – das wird in Hebr 5,7 sehr deutlich – irdisches Sterben dennoch Leid und Schmerzen bedeutet, ist Jesus vor dem Tod oder auch aus der Einflusssphäre des Todes(herrschers) gerettet, und zwar in gleicher Weise, wie die Menschen vom Todesherrscher, und damit aus der Knechtschaft des Todes, befreit sind (Hebr 2,14f.), obwohl sie natürlich dennoch bis aufs Blut widerstehen (Hebr 12,4) und den irdischfleischlichen Tod erleiden müssen (Hebr 9,27).79 Abschließend sei versucht, eine weiterreichende Antwort auf die Frage zu geben, worin die Erhörung Jesu bestand: Jesu Festhalten am Willen des Vaters, seine Treue und sein Glaube sind für Gott der Grund dafür, Jesu Wesen bei seinem physischen Tod nicht sterben zu lassen. Jesus darf „bleiben,“ während etwa die irdischen Priester wegen des Todes daran gehindert waren zu „bleiben.“ Damit wurde Jesus zum „Vorläufer.“ Er war der erste, der weiterleben durfte. Für die Rechtglaubenden der vorhergehenden διαθήκη gab es die Möglichkeit einer besseren, weil eschatologischen,80 Auferstehung (Hebr 11,35), die in der Vorstellung des AuctHebr vermutlich unmittelbar im Anschluss an Jesu Heilshandeln stattgefunden hat. Die Glaubenden waren bereits als gut befunden worden, die verheißene Auferstehung, der Eingang ins himmlische Heiligtum, stand dennoch aus, denn sie sollten nicht „ohne uns“ vollendet werden (Hebr 11,40). Anders die Teilhaber der neuen διαθήκη. Sie gehen wie Jesus unmittelbar in die göttliche Herrlichkeit ein (Hebr 2,10), der Todesmachthaber ist ja bereits gestürzt, die Glaubenden sind nicht mehr geknechtet (Hebr 2,14f.), der lebendige Weg durch den Vorhang ist mit Jesu Wirken aufgetan
BULTMANN, Johannes, 308. HAROLD W. ATTRIDGE, „‚Heard Because of His Reverence‘ (Heb 5:7),“ in ders., Essays on John and Hebrews, WUNT 264, Tübingen 2010, 268–272: 270, drückt es so aus: „In one sense Jesus is clearly ‚delivered from death,‘ by his exaltation and session at the right hand (Ps 110:1, in Heb 1:3 and passim). He was not delivered in the sense that he did not undergo death, but in the sense that death had no lasting dominion over him.“ Meines Erachtens ist diese Aussage nur insofern zu korrigieren, als der Tod nicht nur keine bleibende, sondern gar keine Macht über Jesus bekommt, und zwar trotz oder sogar aufgrund seines Todes. Der Tod ist ja gerade – so Gottes Plan – das Mittel der Entmachtung des Todesherrschers. 80 Vgl. M OFFITT, Atonement, 141, Leiden 2011, 186. David Moffitt betont zu Recht, dass nicht an die Rückkehr ins sterbliche Leben gedacht sein kann, sondern von einer überdauernden, qualitativ besseren Auferstehung gesprochen ist. 78
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(Hebr 10,20) und der Anker für die Seelen bereits ins Innere des Vorhangs81 geworfen (Hebr 6,19f.).82 Lässt man den Blick auf den Kontext von Hebr 5,7 zu, darf man die limitierende Partizipialkonstruktion καίπερ ὢν υἱός (Hebr 5,8) unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse neu überdenken. Die Frage lautet: Was stand im Widerspruch zur Sohnschaft Jesu Christi und weshalb? Im Hebräerbrief leitet die Partizipialpartikel καίπερ an den übrigen beiden Belegstellen die Apodosis ein (Hebr 7,5; 12,17).83 Das ist auch die üblichere Konstruktion.84 Allerdings gibt es in der Septuaginta auch Ausnahmen, an denen sie die Protasis einleitet.85 Grammatisch kommen demzufolge für Hebr 5,7f. zwei Möglichkeiten der Satzaufteilung in Betracht: (5,7) εἰσακουσθεὶς […], (8) καίπερ ὢν υἱός, ἔμαθεν ἀφ᾿ ὧν ἔπαθεν τὴν ὑπακοήν a) καίπερ-Satz als Protasis: Er wurde […] erhört. Obwohl er (ein/der) Sohn war, hat er an dem was er litt, Gehorsam gelernt. b) καίπερ-Satz als Apodosis: Er wurde […] erhört, obwohl er (ein/der) Sohn war. Er hat an dem was er litt, Gehorsam gelernt.
Einteilung a), in der καίπερ den Vordersatz einleitet, findet sich so in den meisten Kommentaren und Übersetzungen.86 Auch Franz Laub bezieht es letztend-
81 Zum Verständnis von καταπέτασμα an dieser Stelle (Hebr 6,19) als Vorhang vor dem Allerheiligsten, s. ROY E. GANE, „Re-opening Katapetasma (‚Veil‘) in Hebrews 6:19,“ Andrews University Seminary Studies 38/1 (2000): 5–8. Das Gleiche dürfte in Hebr 10,20 gemeint sein. Es geht um den Eingang in den Himmel oder, anders gesagt, in die Gottesgegenwart. Nach RICHARD M. DAVIDSON, „Christ’s Entry ‚within the Veil‘ in Hebrews 6:19– 20: The Old Testament Background,“ Andrews University Seminary Studies 39/2 (2001), 175–190: 188f., ist dieser Eintritt hinter den Vorhang mit der Weihe des Heiligtums zu verbinden, nicht aber mit dem Eintritt des Hohepriesters am Jom Kippur. 82 Anders D AVID M. M OFFITT, Atonement, 146, der meint, Jesus sei der erste gewesen, der die in Hebr 11,35 erwähnte bessere Auferstehung erfahren hätte. Von einer Auferstehung Jesu wird, ebenso wie von einer Auferstehung der Adressaten, im Hebräerbrief jedoch nichts gesagt. 83 Gleiches gilt für die beiden übrigen neutestamentlichen Belegstellen (Phil 3,4; 2Pet 1,12). 84 Vgl. LOADER, Sohn, 102; M ICHAEL B ACHMANN, „Hohepriesterliches Leiden. Beobachtungen zu Hebr 5,1–10,“ ZNW 78/3–4 (1987), 244–266: 248, insb. Fn 14. 85 Die Partizipialpartikel καίπερ kommt insgesamt nur 13-mal in der Septuaginta vor, und zwar nur in den Makkabäerbüchern (11-mal), den Proverbien (einmal) und bei Hiob (einmal): Davon leitet καίπερ die Protasis offenbar an vier Stellen ein, nämlich in 2Makk 3,34; 3Makk 5,32; 4Makk 4,13; 15,24. 86 Exemplarisch sei die Lutherbibel angeführt: „So hat er, obwohl er der Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“ Einheitsübersetzung: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch das, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt.“ Vgl. u.a. auch S.M. BAUGH, „Greek Periods in the Book of Hebrews,“ NovT 60 (2018), 24–44: 34: „An opening concessive conjunction (καίπερ) sets up expectation for an apodosis satisfied immediately in the second
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lich zu den Folgeversen 8–10, merkt zuvor jedoch an: „Zweifelsohne wäre jene Exegese die annehmbarste, die die ganze Periode formal und sachlich so analysieren kann, dass das καίπερ-Partizip zu V 7 gehört. Der Zusammenhang zwischen V 7 und 8 wäre auf diese Weise ohne Weiteres durchsichtig.“87 Grund für die Entscheidung, καίπερ zum Vordersatz zu machen, scheint mir weithin zu sein, dass man als gegeben annimmt, dass der indeterminierte, artikellose Begriff υἱός im Hebräerbrief grundsätzlich titular oder hoheitlich gebraucht werde88 und man deshalb die Aussage „erhört, obwohl Sohn seiend“ als grundverkehrt empfindet. Die These, υἱός sei Titel, ist meines Erachtens jedoch in Zweifel zu ziehen,89 ist doch eines der entscheidenden Konzepte des
colon which is itself framed by hyperbaton of the verb and direct object (ἔμαθεν … τὴν ὑπακοήν).“ 87 LAUB, Bekenntnis, 132. 88 Selbst PEELER, Family, 127, die sonst den Aspekt des Menschensohns im Sinne des Menschseins stark macht, schreibt zu Hebr 5,8: „Jesus is not just a son, but is God’s own Son.“ Sie bezieht sich dabei auf den υἱός-Begriff aus Hebr 5,5. Die Unterscheidung „son“ zu „own son“ scheint mir dabei übertrieben. Immerhin werden auch die Adressaten im zwölften Kapitel dezidiert als wahre Söhne Gottes bezeichnet. Peeler erkennt richtig, „that God as his Father used suffering and death to perfect him.“ Erziehungsmaßnahmen also, die doch gerade zu dem Vaterbild des AuctHebr gehören. „[P]erfection results from training“ (PEELER, Family, 128). 89 Die indeterminierte Rede von Jesus als ‚einem‘ Sohn ist meines Erachtens von dem stets determinierten, vermutlich der urchristlichen Tradition entnommenen und tatsächlich titular gebrauchten ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ (Hebr 4,14; 6,6; 7,3; 10,29) zu unterscheiden. Für υἱός gibt es im Hebr insgesamt 24 Belege, die in gebotener Kürze besprochen werden sollen: Hebr 1,2: Die Propheten werden einem Sohn gegenübergestellt. Der Begriff υἱός selbst steht ohne Artikel und ist damit indeterminiert, erst die Relativsätze klären, um welchen Sohn der vielen Söhne es sich handelt (vgl. SODEN, Hebräerbrief, 20: „Sohn“ als Ausdruck des „Gattungswesen[s]“). Zudem fällt auf, dass – obwohl der Begriff „Sohn“ ein relationaler Begriff ist – nicht geklärt wird, um wessen Sohn es sich handelt. Infrage kommt eine Deutung der Sohnschaft als Gottessohnschaft (etwa HERBERT BRAUN, An die Hebräer, HNT 14, Tübingen 1984, 23f.), Davidssohnschaft (etwa GRÄßER, Hebräer, 1:56) oder Menschensohnschaft. Dieser absolute Gebrauch wird zuweilen als Argument dafür angeführt, dass es sich um einen geprägten Titel handeln müsse. Allerdings stehen die „Söhne“ in Hebr 2,10 ebenfalls absolut. Gleiches gilt für die „Kinder“ in Hebr 2,14. Man wird jeweils die Beziehung zu Gottvater, aber vielleicht auch zugleich die Menschenabstammung (bspw. Hebr 2,6: υἱὸς ἀνθρώπου) mithören. Hebr 1,5: Innerhalb des Vergleiches Jesu und der Engel spricht Gott Christus mit Worten aus Ps 2 und 2Sam an: υἱός μου εἶ σύ, ἐγὼ σήμερον γεγέννηκά σε (Ps 2,7) und ἐγὼ ἔσομαι αὐτῷ εἰς πατέρα, καὶ αὐτὸς ἔσται μοι εἰς υἱόν (2Sam 7,14). Damit wird das Verhältnis zwischen Christus und den Engeln geklärt. Das Privileg, ein Sohn Gottes zu sein, wurde keinem der Engel zuteil. Hebr 1,8: Nachdem in 1,5 gesagt ist, dass kein Engel je Sohn genannt wurde, können im Folgenden weiterhin die Engel dem Sohn (τὸν υἱόν) gegenübergestellt werden. Die Determination ist also kontextuell zu begründen.
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Hebräerbriefes, dass Sohn und Söhne gleichen Ursprunges sind (Hebr 2,10f.: ἐξ ἑνὸς πάντες). Es gibt „viele Söhne“ (Hebr 2,10: πολλοὺς υἱοὺς εἰς δόξαν Hebr 2,6: υἱὸς ἀνθρώπου ist Teil des Zitats aus Ps 8. Der Ausdruck ist parallel zu ἄνθρωπος gebraucht und davon inhaltlich nicht verschieden. Die christologische Auslegung des Psalms im Hebräerbrief setzt kein titulares Verständnis des Menschensohn-Begriffs voraus. AuctHebr versucht zu beweisen, dass jener Mensch, dem laut Ps 8 alles unterworfen werden sollte, Jesus ist. Hebr 2,10: Gott habe viele Söhne zur Herrlichkeit geführt. Eine Angabe, wer genau in diese Personengruppe der Söhne gehört, ist nicht gegeben. Naheliegt, dass die angesprochenen Glaubenden (vgl. Hebr 12,7) oder möglicherweise auch die Glaubenszeugen des alten Bundes gemeint sind. Hier wird zum ersten Mal expliziert, dass der Begriff υἱός nicht allein Jesus gebührt. Ausdrücklich wird gesagt, dass der, der heiligt, und die, die geheiligt werden, alle von einem stammen. Mit εἷς muss Gott gemeint sein (vgl. Hebr 12,9). Es soll also mit dem Begriff der Sohnschaft auch hier die Zugehörigkeit zu Gott ausgesagt sein. Hebr 3,6: Mose wird bezeichnet als treuer Knecht (θεράπων) in seinem Haus zum Zeugnis dessen, was verkündet werden sollte (λαληθησομένων, Hebr 3,5). Christus wird als ein treuer Sohn über sein Haus gegenübergestellt. Es ist nicht notwendig, den Begriff υἱός als Titel zu verstehen. Die Betonung liegt vielmehr zum einen auf der unterschiedlichen adverbialen Bestimmung in/über seinem Haus. Zum anderen steht Moses Aufgabe, (bloß) Verkündetes zu bezeugen, dem selbst redenden Christus (Hebr 1,2) gegenüber. Der Begriff θεράπων wäre für Christus nicht angemessen, und so weicht AuctHebr auf den allgemeineren Begriff υἱός aus. Dass Mose nicht auch υἱός sei, wird nirgends gesagt. Hebr 4,14: Hier findet sich zum ersten Mal der Ausdruck υἱός τοῦ θεοῦ. Möglicherweise ist er titular gebraucht. Jesus wird in diesem Vers auch als großer Hohepriester – wohl als Titel zu verstehen – bezeichnet. Hebr 5,5: υἱός ist hier erneut Bestandteil des Psalmzitats (Ps 2,7) und will von Hebr 1,5 her verstanden sein. Hebr 5,8: Dies ist die komplizierteste Belegstelle für υἱός im Hebräerbrief. Die am Ort zu beweisende These lautet, dass υἱός hier das Menschsein Jesu ausdrückt. Hebr 6,6: Zum zweiten Mal verwendet AuctHebr die Wendung υἱός τοῦ θεοῦ. Sie ist als Titel vorstellbar. Hebr 7,3: Eine Ähnlichkeit zwischen Melchisedek und dem Sohn Gottes besteht darin, dass beide keinen Stammbaum haben. Titularer Gebrauch ist anzunehmen. Hebr 7,5: Konkreter Gebrauch von υἱοί für die Nachkommen Levis. Hebr 7,28: Das Wort des Eides setzt einen Sohn (nicht den Sohn) ein, der auf ewig vollendet ist (d.h. also keinen anderen, unvollendeten). Auch hier gilt: υἱός muss nicht als Titel verstanden werden. Entscheidend ist die Vollendung Jesu, die einen Kontrast zur Schwachheit der Menschen darstellt, die vormals als Hohepriester wirkten. Hebr 10,29: Erneuter Gebrauch der Wendung υἱός τοῦ θεοῦ, wohl titular. Hebr 11,21.22.24 (dreimal): Konkreter Gebrauch von υἱοί für die Söhne Josephs, die Söhne Israels, d.h. die Israeliten, bzw. υἱὸς θυγατρὸς Φαραώ für Mose. Hebr 12,5–7 (sechsmal): Gott spricht zu den Glaubenden als Söhnen (ὡς υἱοῖς), es folgen zwei Belege innerhalb des Zitates von Prov 3,11–12 (einmal in der typisch weisheitlichen Anrede υἱέ, und einmal heißt es, Gott geißele jeden Sohn, den er annimmt). Den Gedanken aus Prov wiederholt Hebr: Gott behandle die Glaubenden als Söhne (ὡς υἱοῖς). Wer nicht gezüchtigt werde, sei kein Sohn. Ohne Züchtigung wären die Glaubenden nur unrechtmäßige Kinder (νόθοι), keine Söhne.
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ἀγαγόντα) und er schämt sich nicht, die Gemeindemitglieder „Brüder“ zu nennen (Hebr 2,11). Die Menschwerdung Jesu, sein Gleichwerden mit den Brüdern, dient im Hebräerbrief weniger dazu, eine „Niedrigkeitschristologie“90 zu entfalten, als dazu, eine Hoheitsanthropologie zu begründen. „[T]he author depicts God’s identity as Father throughout the sermon – and hence portrays Jesus and then the audience as the family God establishes.“91 In der Weisheitsliteratur ist es üblich, die Adressaten als Söhne anzureden. Auch dies macht sich AuctHebr zunutze. Gott ist für ihn stets derjenige, der in der Schrift zu uns spricht, und so redet Gott selbst die Adressaten als Söhne an. Dabei betont AuctHebr, dass es sich um eine wirkliche Sohnschaft handele, und führt zur Kontrastierung sogar die νόθοι (Uneheliche/Bastarde) als Gegenbegriff ein. Nachdem also von allen (glaubenden) Menschen als Söhnen gesprochen werden kann, wirft das natürlich die Problematik auf, was es für Jesu Sonderstellung heißt, wenn dieser ganz zu Beginn des Traktats ebenfalls als Sohn eingeführt wird.92 In Hebr 1,2 stellt AuctHebr den Propheten artikellos und somit indeterminiert einen υἱός gegenüber.93 Es genügt dem Autor jedoch nicht zu sagen, früher hätte Gott zu den Propheten gesprochen und nun spräche er zu dem Sohn schlechthin,94 sondern er fügt Relativsätze hinzu. Gott hat nicht in irgendeinem Sohn zu uns gesprochen – Söhne gibt es ja πολλοί (Hebr 2,10) –, sondern in einem bestimmten Sohn, der eine große Anzahl an identifizierenden Prädikaten aufweist, die ihn als vertrauenswürdigen Übermittler der Gottesrede und als Urheber des Heils zu erkennen geben.
90 ERICH G RÄßER, „Der historische Jesus im Hebräerbrief,“ ZNTW 56/1–2 (1965), 63– 91: 82. 91 A MY L. B. PEELER, Family, 3. Vgl. auch H ERMUT LÖHR, „Anthropologie,“ 178f. 92 Hinsichtlich des Sohn-Seins Jesu Christi ist insbesondere die Dissertation von A MY L. B. PEELER, Family einschlägig. Es ist im Folgenden auf Erkenntnisse ihrer Arbeit aufzubauen. 93 „[B]ecause the author defines God’s Fatherhood first and foremost in light of Jesusʼ sonship at the beginning of the sermon, every mention of Jesus as υἱός hereafter invokes this relationship.“ So PEELER, Family, 3. 94 Es handelt sich bei Jesus Christus nicht um den einen, einzigen Sohn, sondern man könnte mit AMY L. B. PEELER, „The Son Like No Other. Comparing the Son of God to the Angelic ‚Sons of God‘ in the epistle to the Hebrews,“ in David M. Moffit and Eric F. Mason (Hg.), Son, Sacrifice, and Great Shepherd, WUNT II/510,Tübingen 2020, 1–11: 11, vom Sohn „par excellence“ sprechen.
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(1) Πολυμερῶς καὶ πολυτρόπως πάλαι ὁ θεὸς λαλήσας τοῖς πατράσιν ἐν τοῖς προφήταις
(2) ἐπ᾿ ἐσχάτου τῶν ἡμερῶν τούτων ἐλάλησεν ἡμῖν ἐν υἱῷ, ὃν ἔθηκεν κληρονόμον πάντων, δι᾿ οὗ καὶ ἐποίησεν τοὺς αἰῶνας· (3) ὃς ὢν ἀπαύγασμα τῆς δόξης καὶ χαρακτὴρ τῆς ὑποστάσεως αὐτοῦ, φέρων τε τὰ πάντα τῷ ῥήματι τῆς δυνάμεως αὐτοῦ, καθαρισμὸν τῶν ἁμαρτιῶν ποιησάμενος…
Nicht etwa ein Sohnestitel zeichnet diesen bestimmten Sohn aus, sondern es liegt das ganze Gewicht auf den folgenden Relativsätzen:95 Er ist derjenige Sohn, der zum Erben eingesetzt ist, der Mitschöpfer ist, der Abdruck des Wesens Gottes ist, usw.96 Zu Recht betont Jarl H. Ulrichsen, dass der Name, den Jesus Christus geerbt hat, nicht „Sohn“ sein kann. „Man erbt […] nicht den Namen ‚Sohn‘. Man ist oder ist nicht Sohn […] Was man erbt, ist der Name des Vaters und eventuell seine Stellung. Christus hat den Namen Gottes, Κύριος, geerbt, und der Verfasser des Hebräerbriefes lässt ihn deshalb die Stellung Gottes einnehmen. Er hat den Namen Κύριος geerbt, weil er Sohn und folglich Erbe der ganzen Welt ist.“97
95 Meines Erachtens nicht gelungen ist daher die schematische Darstellung bei V ICTOR (SUNG YUL) RHEE, „The Role of Chiasm for Understanding Christology in Hebrews 1:1– 14,“ in JBL 131/2 (2012), 341–362: 344, der den Propheten bloß „(his) Son“ gegenüberstellt. 96 TIMOTHY J. B ERTOLET, The Obedience of Sonship: Adamic Obedience as the Grounds for Heavenly Ascension in the Book of Hebrews. Dissertation aus dem Jahr 2005, veröffentlicht 2017 unter http://hdl.handle.net/2263/63345, 76, betont, dass die Artikellosigkeit den Sohnesbegriff zu einer qualitativen Bezeichnung mache. „This identity is, as Hebrews will show, deeper than a vocation or office Jesus carries out. He is an heir and the fulfillment of the royal office of David, but for Hebrews, his bearing and fulfilling these roles is predicated on the reality of the Sonship relationship being an eternal relationship now manifest in creation as the Son is exalted within it.“ 97 JARL H ENNING U LRICHSEN, „Διαφορώτερον όνομα in Hebr. 1,4. Christus als Träger des Gottesnamens,“ Studia Theologica 38 (1984), 65–75: 66f. Im Jahre 2014 kommt auch PEELER, Family, 51, soweit ich sehe, von ihm unabhängig zum gleichen Ergebnis: „One can be in the relationship denoted by the word ‚Son‘, but one does not normally think of ‚Son‘ as a name that one inherits. Instead, a person who is a son inherits the name of his father.“ Anders etwa SAMUEL VOLLENWEIDER, „,Der Name, der über jedem anderen Namen ist.‘ Jesus als Träger des Gottesnamens im Neuen Testament,“ in Ingolf U. Dalferth/Philipp Stoellger (Hg.), Gott nennen: Gottes Namen und Gott als Name, RPT 35, Tübingen 2008, 173–186: 178–180. So auch JOSHUA W. JIPP, „The Sonʼs Entrance into the Heavenly World. The Soteriological Necessity of the Scriptural Catena in Hebrews 1.5–14,“ NTS 56 (2010), 557–575: 560 et passim („[T]he inheritance of the name surely must be that of ‚Son given the father/sonship language of 1.5 and the fact that the author begins his sermon by using the metaphor of son in 1.2‘.“). Forscher, die meinen, ‚Sohn‘ sei der geerbte Name, betonen zuweilen, AuctHebr wolle damit die Engel, die im AT manchmal Söhne Gottes genannt
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Daneben käme als ererbter Name und damit als Titel θεός (Hebr 1,8) in Frage.98 Fazit: Der indeterminierte Begriff „Sohn“ (υἱός) wird im Hebräerbrief nicht titular gebraucht, weil er doch gerade die Nähe und das verwandtschaftliche Verhältnis von Sohn und Söhnen und eben nicht ihre Unterschiedlichkeit betonen soll.99 Jesus Christus ist freilich Gottessohn, aber ganz betont auch Menschensohn.100 „Mit der erstmaligen, unvermittelten Erwähnung der ‚vielen Söhne‘ 2,10 nimmt der Autor also auf den Psalmtext Bezug: Der Parallelismus von ‚Mensch‘ und Menschensohn schließt nicht nur ein, dass Jesus (v9) als Mensch(ensohn) gemeint ist, sondern dass Menschsein Sohnsein bedeutet.“101 Er zielt auf die gemeinsame Abstammung aller,102 wenn auch Jesus Christus würden, von dem einen Gottessohn kontrastieren. Vgl. etwa ROB VAN HOUWELINGEN, „Forever Seated on the Divine Throne. The Function of Psalm 45:7–8 in the Argument of Hebrews 1,“ in Jaap Dekker/Gert Kwakkel (Hg.), Reading and Listening. Meeting One God in Many Texts, FS Eric Peels, ACEBT SS 16, Bergambacht 2018, 191–199: 196f. Dazu wäre aber meines Erachtens eine explizite Benennung der Engel als Gottessöhne im Hebräerbrief zu erwarten gewesen. 98 PEELER, Family, 59: „As the heir of his Father, Jesus inherits the names by which his Father is known, θεός and κύριος. Like his Father, he is God. Because he is θεός, he has a just, righteous, and eternal throne. Like his Father, he is Lord. Because he is κύριος, he is the creator and will endure forever.“ Vgl. auch VOLLENWEIDER, „Name,“ 179. Er sieht primär „Sohn“ als den ererbten Namen an, findet ihn aber „durch weitere göttliche Namen bzw. Titel amplifiziert, wie es der antiken Tradition der Polyonymie göttlicher Wesen entspricht.“ Zu diesen Namen rechnet er dann ebenfalls „Gott“ und „Herr.“ 99 Den Gebrauch von υἱός als „[t]he most important Christological title in the Letter to the Hebrews“ setzt jüngst etwa FÉLIX H. CORTEZ, „The Son as the Representative of the Children in the Letter to the Hebrews,“ in David M. Moffit and Eric F. Mason (Hg.), Son, Sacrifice, and Great Shepherd, WUNT II/510, Tübingen 2020, 31–42: 31, voraus. AMY L.B. PEELER, „Son,“ 10, meint, der Sohn werde von den vielen Söhnen unterschieden, indem Ps 2 („ich habe dich gezeugt“) nur auf Jesus angewendet würde. Es geht ihr aber hauptsächlich um die Beschreibung des Verhältnisses zu den Engeln, die ebenfalls Gottessöhne sein können (PEELER, „Son,“ 7). Indem in Hebr 12,8 aber betont von einer wahren Sohnschaft der Glaubenden (Gegenbegriff νόθος) gesprochen wird, kann dies hinsichtlich der ‚Menschensöhne‘ kaum richtig sein. Zu Recht weist Peeler darauf hin, dass der bloße Plural jedenfalls nicht den Sohn von den Söhnen abzuheben vermag (PEELER, „Son,“ 9). 100 U LRICH B. M ÜLLER, „Jesus als Menschensohn,“ in ders., Studien zu Jesus und dem frühen Christentum, Wolfgang Kraus (Hg.), Berlin 2018, 1–34: 8.33, hat auch hinsichtlich des Begriffes des Menschensohnes deutlich gemacht, dass dieser im neuen Testament nicht als bereits geprägter Hoheitstitel vorkommt, der mit einer bestimmten Erwartung verbunden gewesen wäre. Vgl. auch HERMUT LÖHR, „Anthropologie,“ 177, Fn 25. 101 ECKART R EINMUTH, Anthropologie im Neuen Testament, Tübingen 2006, 278. Zur synonymen Verwendung von ἀνθρώποι und υἱὸς ἀνθρώπου vgl. etwa Sir 17,30. 102 AuctHebr macht das in 2,11 explizit: ἐξ ἑνὸς πάντες. Die Wendung ist vieldiskutiert. Worauf bezieht sich ἑνός? Da es neutral und maskulin sein kann, kommt sowohl eine Person (Adam, Abraham?), Gott selbst, aber auch eine sonstige gemeinsame Abstammung infrage. Verwandt scheint mir ein Konzept zu sein, wie es im Lukasevangelium ausgeführt ist. Dort geht es um die letztlich göttliche Abstammung im Geschlechtsregister Jesu. Dessen
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den anderen Söhnen als πρωτότοκος103 (Hebr 1,6) und ἀρχηγός (Hebr 2,10)104 übergeordnet ist. Damit ist er von dem vorgeprägten, im Hebräerbrief stets determinierten und tatsächlich titular gebrauchten ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ (Hebr 4,14; 6,6; 7,3; 10,29) zu unterscheiden. Wo von Christus als einem Sohn gesprochen wird, klingt deutlich an, dass „God’s Son takes his place as God’s heir precisely as a human being.“105 Wenn also der Begriff υἱός für sich genommen kein Hoheitstitel ist, hat das Konsequenzen für den in Hebr 5,7 vorliegenden Text. Wissenschaftlicher Konsens scheint es derzeit zu sein, dass man den καίπερ-Satz zum Vordersatz macht, auch wenn dies zuweilen als „bedenklich“106 gilt. Man übersetzt etwa: „… und lernte, obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam.“107 Gräßer erklärt: „Seinem Sohn-Sein zum Trotz mußte Jesus in die Qualifikation.“108 2.2 Lernen und Leiden der Söhne Anhand der Stichwörter μανθάνω und ὑπακοή wird deutlich, dass das eingespielte Motiv aus der Erziehungsthematik stammt. Kombiniert wird dies durch πάσχω mit dem Motiv des Leidens: Lernen durch Leiden. Über das Anliegen der bloßen stilistischen Verschönerung durch eine Paronomasie hinaus ist die Abstammung wird auf Adam zurückgeführt, welcher als frühestes Glied der Kette schließlich als „(Sohn) Gottes“ bezeichnet wird (Lk 3,38). Daneben wäre grammatisch möglich, das ἐξ partitiv aufzufassen (vgl. etwa ROBERT DORAN, „The Persuasive Arguments at Play in Heb 2:11 and 7:12,“ NT 60 [2018], 45–54: 47ff.). Alle seien Teil einer Menge. Da es im Kontext um familiäre Beziehungen geht, scheint mir näherliegend, dass sich AuctHebr auf die gemeinsame Abstammung aller bezieht. 103 Der Begriff πρωτότοκος kann gemäß erstem Kapitel des Hebräerbriefs gewiss zeitlich verstanden sein. Jesus ist Gottes ältester Sohn, der bereits vorzeitlich an der Weltschöpfung beteiligt gewesen ist. Bedeutsam ist dabei auch der erbrechtliche Aspekt (vgl. Dtn 21,17 zu πρωτότοκος als ἀρχὴ τέκνων, der die πρωτοτόκια, das Erstgeburtsrecht, besitzt). Der erstgeborene Sohn ist der legitime Erbe der ganzen Welt. 104 Der Begriff ἀρχηγός wird auch im Sinne eines Familienoberhauptes verwendet. Darauf weist PEELER, Family, 83, hin und führt folgende Belegstellen ins Feld: Ex 6,14; Num 13,3; 1Chr 5,24; 26,26; 1Esdr 5,1; Neh 7,70.71. Mag eine solche Konnotation auch in unserem Zusammenhang mitschwingen, so ist doch auffallend, dass in der LXX in allen genannten Fällen ein entsprechendes Genitivattribut gesetzt ist, etwa πατριῶν oder umfassender υἱῶν Ισραηλ. Das Wort ἀρχηγός findet für jede Art Anführer/Oberhaupt Verwendung. Das ist insbesondere an der von Peeler angeführten Belegstelle 1Chr 26,26 nachweisbar: Die Familienhäupter heißen dort jedoch ἄρχοντες (!) τῶν πατριῶν. Dagegen folgt noch in demselben Vers die Wendung ἀρχηγοὶ τῆς δυνάμεως für die Heerführer. 105 PEELER, Family, 72. 106 LAUB, Bekenntnis, 132. 107 Übersetzung der Elberfelder Bibel. 108 ERICH G RÄßER, An die Hebräer, EKK 17, 3 Bände, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1990– 1997, 1:304.
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Wendung ἔμαθεν ἀφ᾿ ὧν ἔπαθεν stark inhaltlich motiviert. Für AuctHebr liegen Lernen und Leiden dicht beisammen.109 Neben der vermutlich in diesem Sinn zu verstehenden Aussage in Hebr 2,10 über eine Vollendung durch Leiden,110 wird dieser Gedanke schließlich in Kapitel 12 ausführlich besprochen. Für AuctHebr ist stets der Vater für die leidvollen Erziehungsmaßnahmen verantwortlich:111 Wir selbst sollen den Kampf kämpfen, der uns bestimmt ist (12,1). Dabei sollen wir Jesus als Vorbild begreifen, der, obwohl er (irdische) Freude hätte haben können, das Kreuz auf sich genommen und sich dann zur Rechten Gottes gesetzt hat (12,2), der Widerspruch gegen sich erduldet hat, um Mut zu machen (12,3). Es folgt eine Anrede an die Adressaten mit aufforderndem Beiklang: Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden (12,4). In der Ermahnung werdet ihr als Söhne angesprochen (12,5). Dem schließt ein Zitat aus Prov 3,11 an, in dem es unter anderem heißt: „Mein Sohn, achte die Erziehung des Herrn nicht gering […] er schlägt jeden Sohn, den er annimmt“ (12,6f.).112 Das Erdulden dient der Erziehung. Dabei verwendet AuctHebr mit ὑπομένω das gleiche Verbum, das er zuvor für Jesu Erdulden des Kreuzes und des Widerstands gebraucht hatte. Gott behandelt euch wie Söhne. Es gibt keinen Sohn, der nicht vom Vater gezüchtigt wird (12,8). Alle wurden von ihren leiblichen Vätern gezüchtigt und sie haben sie doch geachtet, also muss man sich auch dem Vater der Geister unterwerfen, um zu leben (12,9). Die Züchtigung des Herrn trifft die Söhne, damit sie an seiner Heiligkeit Anteil bekommen (12,10). Alle Züchtigung scheint zuerst Kummer zu bedeuten, nachher kann man feststellen, dass sie Früchte trägt (12,11).113 Die Pointe der Passage ist, dass unser eigenes Leiden dem Leiden Jesu entspricht, weil wir Söhne sind, wie auch er Sohn war, und weil Gottvater seine Kinder mit diesen Leiden züchtigt. Es ist lohnend, die entscheidenden Gedanken aus Hebr 12,1–11 mit Hebr 5,7–10 zu vergleichen. Man darf dabei das Schicksal der Glaubenden und 109 Das Motiv hat selbstredend klassische Parallelen, aber es sei auch auf die Märtyrererzählung in 4Makk 10,10 hingewiesen, auch wenn das Buch erst später als der Hebräerbrief entstanden ist. Einer der zu Tode gefolterten Brüder spricht: Ἡμεῖς μέν, ὦ μιαρώτατε τύραννε, διὰ παιδείαν καὶ ἀρετὴν θεοῦ ταῦτα πάσχομεν (Wir aber, o unreinster/abscheulichster Tyrann, erleiden dies [unserer] Erziehung wegen und [unserer] Tugend Gott gegenüber). 110 PEELER, Family, 103: „It lays the groundwork for the author’s continuation of the theme of God’s paternal use of suffering.“ 111 PEELER, Family, 84 verweist auf die „connection between suffering and God’s paternal nature.“ 112 Gott ist im Hebräerbrief – anders als in der Vorlage Prov 3,11 – als Sprecher zu denken, obwohl er von sich in der dritten Person spricht, da sich sonst die Anrede „mein Sohn“ nicht erklärt (vgl. etwa BACKHAUS, Hebräerbrief, 420f.). 113 Zu dem Gedanken der wohlwollenden Züchtigung durch Gottvater im Vergleich mit den leiblichen Vätern siehe auch Josephus, Ant. 3,15,1: Gott bestraft das murrende Volk „nicht so schwer, als sie für ihre Sünden verdienten, sondern wie wohlwollende Väter ihre Kinder strafen.“
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das Schicksal Christi durchaus nebeneinanderstellen, da dessen Weg jenen zum Vorbild dienen soll.114 Erich Gräßer merkt an: „Hier [sc. Hebr 5,5–8] wie da beweist die παιδεία allererst die echte Sohnschaft (12,4–8).“115 Hebr 12,2 nimmt die Leiden Jesu (ὑπέμεινεν σταυρόν) mit der folgenden Erhöhung (ἐν δεξιᾷ τε τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ κεκάθικεν, Ps 109,1 LXX im Hintergrund) auf. Das entspricht auch der Gedankenführung in Hebr 5,8–10. Zuerst spricht AuctHebr auch hier von den Leiden (ἔμαθεν ἀφ᾿ ὧν ἔπαθεν τὴν ὑπακοήν) und hernach von der Erhöhung in Form der Anerkennung des Hohepriestertums durch Gott (προσαγορευθεὶς ὑπὸ τοῦ θεοῦ ἀρχιερεὺς κατὰ τὴν τάξιν Μελχισέδεκ). Wie in Hebr 12,2 stimmt AuctHebr Ps 109 an, nun aber Vers 4. Nach AuctHebr soll also das irdische Leiden Jesu, wie es in Hebr 5,7f. und 12,2 umrissen ist, für das Schicksal der Adressaten Orientierung bieten (Hebr 12,2: ἀφορῶντες εἰς … Ἰησοῦν). Der direkte Vergleich von Sohn und Söhnen ist also vom Autor gewollt. Und dabei fällt vor diesem Hintergrund besonders ins Auge, dass das Zitat aus den Proverbien gerade in der Anrede (υἱέ, so Prov 3,11) um ein Possessivpronomen (υἱέ μου, so Hebr 12,5) erweitert ist.116 Unter der Prämisse, dass Heilige Schrift stets Gottesrede ist, sieht AuctHebr Gott selbst hier die Glaubenden mit denselben Worten ansprechen, mit denen er unter Verwendung von Ps 2,7 (υἱός μου; )ְבִּניauch Jesus Christus bezeichnet. Damit werden Sohn und Söhne auf Augenhöhe gebracht.117 Ihr Schicksal steht jeweils betont unter dem strengen und leidvollen Erziehungswirken des Vaters. 2.3 Fazit Für alle Gottessöhne gilt ohne Ausnahme, dass Gott sie durch Leiden trainiere (Hebr 12,11: γυμνάζω).118 Das bedeutet folglich für die zu untersuchende Textstelle (Hebr 5,7–8), dass eine Satzeinteilung, die das Lernen des Gehorsams in Opposition zum Sohn-Sein setzt („obwohl er Sohn war, hat er an dem, was er litt Gehorsam gelernt“), nicht richtig sein kann.119 Im Gegenteil: Für AuctHebr Vgl. GRÄßER, Hebräer, 1:305. GRÄßER, Hebräer, 1:308. 116 Damit stimmt der Wortlaut an dieser Stelle mit dem MT ( )ְבּ ִנ יüberein. Der Hebräerbrief hat stets Septuagintatexte, nicht aber hebräischen Text zur Vorlage. Ob es eine junge Textform zu diesem Vers gegeben hat, die an den hebräischen Text angeglichen haben könnte und den AuctHebr dann zur Vorlage gehabt hätte, darf freilich vermutet werden (so etwa KARRER, Hebräer, 2:319). 117 Vgl. PEELER, Family, 150. 118 Vgl. PEELER, Family, 161. 119 Eine Argumentation mit Phil 2,8 und anderen neutestamentlichen Stellen ist wider die dem Hebräerbrief eigene Charakterisierung einer Sohnschaft, die insbesondere auf Leid und Züchtigung zugespitzt wird, nicht beweiskräftig. U.a. gegen CHRISTIAN MAURER, „‚Erhört wegen der Gottesfurcht‘, Hebr 5,7,“ in Heinrich Baltensweiler/Bo Reicke, Neues Testament 114
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ist das Sohn-Sein stets der Grund, gewiss niemals aber der Gegengrund göttlicher Erziehung und dem damit verknüpften menschlichen Leiden.120 Umgekehrt: Wenn es stimmt, dass Sohnsein Menschsein heißt, wird es möglich, den Konzessivsatz als Nachsatz zu begreifen: „Er wurde […] erhört, obwohl er Sohn (sc. Mensch) war.“ Die Bitte Jesu war die Errettung vor dem Tod im Sinne eines non esse.121 Und diese Bitte ist erhört worden, indem Jesus mit oder nach dem physischen Tod erhöht worden ist. Solches wiederum steht ganz gewiss in Opposition zum Sohn- und Menschsein Jesu. Jeder Sohn und jeder Mensch erfährt Gottes Züchtigung, aber Jesu Bewährung und Erhörung waren bislang einzigartig, denn er ist τῆς πίστεως ἀρχηγὸς καί τελειωτὴς (Hebr 12,2). Sein Glaube, seine Treue und die damit verbundene Makellosigkeit122 eröffneten ihm die Möglichkeit des Eingangs in den Himmel123 und damit des Weiterlebens.124 Der Glaube führt zur περιποίησις ψυχῆς (Hebr 10,39), zur Bewahrung125 der Seele, nicht zu ihrer Wiedererlangung oder Auferweckung. Dies geschieht auf dem lebendigen Weg in den Himmel oder in das himmlische Allerheiligste durch den Vorhang, der Jesu Fleisch ist (Hebr 10,20).126 und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament. FS für Oscar Cullmann, Zürich 1972, 275–284: 283. 120 JUKKA THURÉN, „Gebet und Gehorsam des Erniedrigten (Hebr. V 7–10 noch einmal),“ NovT 13/2 (1971), 136–146: 139 merkt völlig richtig an: „Mit diesem Sätzchen [sc. καίπερ ὢν υἱός, ἔμαθεν ἀφ’ ὧν ἔπαθεν τὴν ὑπακοήν] scheint xii 4–11 im Widerspruch zu stehen. Dort wird ja behauptet, dass jeder Sohn durch Leiden Gehorsam lernen muss, nicht obwohl, sondern weil er Sohn ist.“ Dieses Problem versucht Thurén zu lösen, indem er Sohn und Söhne unterscheidet: „Jeder Sohn, der angenommen wird, der das Leben, die Heiligkeit und die Gerechtigkeit erst erlangen muss, wird gezüchtigt. Der in v 8 genannte Sohn war jedoch von Ewigkeit heilig, gerecht und Schöpfer alles menschlichen Lebens. Um Sohn zu bleiben brauchte er nicht auf Erden Gehorsam lernen.“ Im Gegensatz zum offensichtlichen Widerspruch zwischen Hebr 5,8 und 12 kann letztgenannte These meines Erachtens nicht belegt werden. 121 R ICHARDSON, „Passion,“ 60: „And since the context is Golgatha, not Gethsemane, it is extremely unlikely that the phrase, σῴζειν αὐτὸν ἐκ θανάτου, concerns Jesusʼ preservation from impending death, but rather his resurrection out of the realm of death.“ Ob Jesus vor oder aus dem Tod gerettet worden ist, ist durch die Lokalisation der Bitte (Gethsemane oder Golgatha) nicht zu entscheiden. 122 Vgl. Hebr 7,26. 123 Der Glaube ist die Grundvoraussetzung, sich Gott nähern zu können (Hebr 11,6). 124 Hebr 10,38 (Zitat Hab 2,4): ὁ δὲ δίκαιός μου ἐκ πίστεως ζήσεται. 125 Vgl. PASSOW, Handwörterbuch, s.v. περιποίησις (867) und das entsprechende Verbum: περιποιέω (866). Xen. Cyr. 4,4,10: τὰς ψυχάς (etwas von sich, sein Leben erhalten). 126 Vgl. K NUT B ACKHAUS, Der neue Bund und das Werden der Kirche. Die DiathekeDeutung des Hebräerbriefs im Rahmen der frühchristlichen Theologiegeschichte, NTA.NF 29, Münster 1996, 188: „Dieser ‚Vorhang vor dem göttlichen Heiligtum‘ ist Jesu σάρξ […] In seinem Tod und damit auch seiner himmlischen Erhöhung durchschreitet Jesus diese irdische Schranke ein für allemal. 9,11 und 9,12 beschreiben damit als parallele Aussagen ein und dasselbe ‚liturgische Heilsdrama‘ zwischen Himmel und Erde.“
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
3. Der Sohn Gottes ‚erlebt‘ den Tod – Die Unzerstörbarkeit des Lebens des Gottessohnes und der Tod Jesu 3. Der Sohn Gottes ‚erlebt‘ den Tod
AuctHebr scheint sich in seinen Auslegungen zu widersprechen.127 „The paradox is that, although he tasted death, he continues to live (7:8, 25).“128 Einerseits weiß er um die Historizität des Todes Jesu, sie ist ihm gar Beweis dafür, dass die καινὴ διαθήκη in Kraft gesetzt ist (Hebr 9,15–17). Andererseits wird insbesondere im Zusammenhang mit der Melchisedektypologie „die Sterblichkeit Jesu gegenüber seiner Ewigkeit als Hohepriester stark relativiert.“129 Mehr noch, die Unvergänglichkeit des Sohnes soll im siebten Kapitel gar als Schlüsselargument dafür dienen, dass die Effizienz des hohepriesterlichen Dienstes Jesu garantiert ist (insb. Hebr 7,16). Auch sie ist letztlich ein Beweis für die Wirkkraft der καινὴ διαθήκη.130 Ist mit einer Inkonsistenz in der Konzeption des Hebräerbriefautors zu rechnen, oder lassen sich die beiden Vorstellungen vom Tod Jesu einerseits und von seiner Unvergänglichkeit andererseits zusammenbringen?131 Dazu muss man grundsätzlich klären, was er unter Leben und Tod versteht.
127 Die Spannung sieht auch LOADER, Sohn, 116, und stellt dem göttlichen Ursprung des Sohns die Notwendigkeit gegenüber, gerettet, auferweckt und als Sohn eingesetzt zu werden. 128 B RIAN C. SMALL, The Characterization of Jesus in the Book of Hebrews, BibInt 128, Leiden/Boston 2014. 129 LÖHR, „Wahrnehmung,“ 459. 130 Auf das Leben Jahwes beruft man sich in alttestamentlicher Zeit in Eidesformeln, um die Wahrheit einer Aussage zu stützen. Das Lebendigsein Jahwes ist für das Gesagte die Garantie. So bspw. in Jer 16,14f. (ἔτι ζῇ κύριος) oder 1Kön 2,24 (ζῇ κύριος). Vgl. dazu HANS-JOACHIM KRAUS, „Der lebendige Gott. Ein Kapitel biblischer Theologie,“ EvTh 4/1967, 169–200: insb. 177f. 131 Schon H ANS W INDISCH, Hebräerbrief, 65 erkennt die Schwierigkeit: „Die δύναμις ζωῆς ἀκαταλύτου ist in der Gestalt Melchisedeks vorgebildet […] und in Ps 109,4 εἰς τὸν αἰῶνα ausdrücklich bezeugt. Sie eignet Christus als dem göttlichen Sohn 1,3; 3,3.6, dem Besitzer ewigen Geistes 9,14 und dem für ewige Zeiten eingesetzten Hohepriester 17, vgl. auch Act 2,24; Jo 11,25; 10,18; wie dieser Sohn dann doch zeitweilig hat ‚tot‘ sein können, bleibt freilich ungeklärt.“ Anders BACKHAUS, Hebräerbrief, 272. Die Kraft unzerstörbaren Lebens widerspreche dem Gedanken des Opfertodes nicht, „so wenig, wie seine Herkunft aus Juda den Ursprung im Ewigen entkräftet. Im Gegenteil: Erst sub specie aeterni, im Licht der Ewigkeit, werden für Hebr die Dimensionen des Menschlichen, von der Herkunft bis zum Tod realistisch wahrgenommen.“ Dass die vermeintlichen Widersprüche nur eine Frage der Wahrnehmung seien, bestätigt sich nicht. SCHUNACK, Hebräerbrief, 97, meint, die Kraft unzerstörbaren Lebens sei keine metaphysische Eigenschaft, sondern bestehe in der Anrede Gottes. „Das Räsonnement, wenn Jesus diese Kraft unzerstörbaren Lebens innegehabt habe, hätte er überhaupt nicht sterben können, ist daher völlig abwegig.“ Weshalb sich Gottes Schwur und eine metaphysische Eigenschaft des unzerstörbaren Lebens ausschließen sollten, bleibt unklar.
3. Der Sohn Gottes ‚erlebt‘ den Tod
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3.1 Leben und Tod nach dem Verständnis des Hebräerbriefes 3.1.1 Vorbemerkung zum Alten Testament und der griechischen Philosophie Im Alten Testament schließen Leben und Tod einander aus.132 Mit wenigen Ausnahmen gilt der Tod als unumkehrbar und endgültig. Wo der Tod erst eingetreten ist, gibt es kein Leben mehr. Die Seele im Sinne der Lebenskraft stirbt, der Körper stirbt mit.133 Wenn vom ְשׁאוֹלdie Rede ist, dann ist nicht an ein Leben im Jenseits gedacht, das das irdische fortsetzt, sondern an eine bloße Schattenwelt. Damit gilt der Tod in der Regel als Gottesferne.134 Und auch wenn es eine Entwicklung gibt, die die Distanz zwischen Gott und den Toten zu überwinden sucht, „bleiben jedoch traditionelle Todesvorstellungen bestehen.“135 In der griechischen und römischen Antike kann man die Frage nach Leben und Tod kaum stellen, ohne den Begriff der Seele zu bedenken. So gibt es die Vorstellung, dass mit dem Tod die Person zu ihrem Ende gelangt. Prominent wird sie von Epikur vertreten, der vor der Geburt wie auch nach dem Tod das Nichts und damit die Gefühllosigkeit wähnt. Die Lebenszeit bleibt damit strikt auf die Spanne zwischen Geburt und Tod beschränkt. In der Stoa möchte man ohnehin vom Gedanken an den Tod möglichst ungerührt bleiben und äußert sich zuweilen ebenso unentschieden wie gleichgültig ob der Frage, was nach dem Tod sein werde.136 Solches zu denken, mag gegen die Todesfurcht als solche helfen. Die Sehnsucht des Menschen, in irgendeiner Form zu überdauern,137 stillt beides nicht. So sucht die Philosophie zuweilen nach dem Beweis menschlicher Unsterblichkeit und kann sie im Leiblichen nicht finden. Wenn der Mensch dem Tod etwas entgegenzusetzen hätte, müsste es geistiger Natur sein.138 Es müsste qualitativ hochwertiger sein als der Leib, dessen Verfall man bereits zu Lebzeiten beobachten kann. Vertreter des Unsterblichkeitsgedankens waren etwa 132 Vgl. A LEXANDER A CHILLES FISCHER, „Tod (AT),“ in St. Alkier/M. Bauks/K. Koenen (Hg.), Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de) 2007ff. (Zugriffsdatum: 08.09.2019), 1. 133 Vgl. N IKOLAUS W ALTER, „Unsterblichkeit der Seele – Auferstehung des Leibes in griechischer und jüdischer Tradition und beim Apostel Paulus,“ in Jürgen Dummer und Jürgen Kiefer (Hg.), Sitzungsberichte der geisteswissenschaftlichen Klasse der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt 4. Vorträge der geisteswissenschaftlichen Klasse 1995–1999, Erfurt 2000, 47–67: 53. 134 Ausnahmen bestätigen freilich die Regel: Vgl. etwa Ps 73,24, wo individuelle Unsterblichkeit angedeutet wird und sich der Beter eine posthume Gemeinschaft mit Gott wünscht. 135 K ATHRIN LIESS, „II. Tod und Totenreich im Alten Testament,“ in RGG 4, 8:429–431: 431. 136 Vgl. etwa Marc Aurel 3,3; Sen. Ep. 93,10. 137 Zur Furcht vor dem Verlust der Existenz im Tod vgl. Cic. Tusc. 1,10. 138 Vgl. W ALTER, „Unsterblichkeit,“ 51.
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Pythagoras und Platon. Für Platon ist die Seele als Lebensprinzip nicht sterblich, da sie den ihr entgegengesetzten Gedanken des Todes nicht in sich aufnehmen könne.139 3.1.2 Das Verhältnis von Leben und Tod nach dem Hebräerbrief Der Blick auf das Vokabular zeigt, dass der Begriff „Leben“ im Hebräerbrief zweierlei bezeichnen kann. Erstens kann die zeitliche Spanne zwischen Geburt und Tod als Leben bezeichnet werden. Der Tod limitiert also die Lebenszeit und ist als Abschluss des Lebens gewissermaßen auch ein Teil davon. In Hebr 2,15 setzt der Autor voraus, dass der Tod das physische Leben beendet, wenn er sagt, die Menschen seien διὰ παντὸς τοῦ ζῆν der Knechtschaft des Todes unterworfen. Gleiches wird auch auf Jesus Christus bezogen, denn Jesu Tod setze die neue διαθήκη in Kraft, und umgekehrt sei eine διαθήκη nicht in Kraft, solange der διαθέμενος noch lebe. Mit Jesu Tod wäre damit sein Leben beendet; das Leben scheint sich hier in seinem leiblichen Dasein zu erschöpfen. Wenn Jesus in diesem Sinne noch lebte, wäre die neue διαθήκη nicht in Kraft. Zweitens kann das Leben aber zugleich auch als etwas Himmlisch-Ewiges gedacht sein, das den Tod a priori ausschließt. Das Konzept „Leben“ muss also nicht zwangsläufig an Grenzen gebunden sein. So habe etwa Melchisedek keinen Anfang der Tage und kein Ende des Lebens. Das wiederum macht ihn den sterblichen Menschen überlegen, und zwar nicht aufgrund der bloßen Dauer seines Lebens, sondern weil er dank seiner unvergänglichen Natur zu einer besseren Schöpfungskategorie gehört. Von ihm werde bezeugt, dass er lebe (Hebr 7,8: μαρτυρούμενος ὅτι ζῇ). AuctHebr sieht nicht einmal die Notwendigkeit, ein Adverb zu ergänzen. Beispielsweise hätte er schreiben können, es werde bezeugt, dass er ‚ewig‘, ‚dauerhaft‘ oder ‚wahrhaft‘ lebe. Bedenkt man, dass ζάω unmittelbar dem ἀποθνῄσκω gegenübergestellt wird, scheint sogar die Eigenschaft der Sterblichkeit einem, der wirklich lebt, erst gar nicht zu eigen sein zu dürfen. Zu leben schließt hier zu sterben aus. Solche Art der Lebendigkeit wird sonst Gott attestiert. Dreimal wird ζῶν als Epitheton zu θεὸς gesetzt (Hebr 3,12; 9,14; 10,31), einmal beschreibt es die Eigenschaft des Wortes Gottes (Hebr 4,12). Es genügt AuctHebr jeweils, von der Lebendigkeit schlechthin zu sprechen, und er betont dabei weder ihre Dauer (anders etwa Tobit 13,2) noch Gottes Wirkkraft (anders etwa Jos 3,10). Allein bei den Aussagen über Jesu Leben wird AuctHebr in dieser Hinsicht explizit und spricht von einer ζωὴ ἀκατάλυτος und nennt Jesus nicht bloß ζῶν, sondern πάντοτε ζῶν. Der Gedanke spiegelt sich meines Erachtens in den μένειν-Aussagen, wie sie sich beispielsweise im ersten Kapitel (1,11f.) finden, wo es heißt: „Sie werden untergehen, du aber bleibst, und alle werden sie wie ein Kleidungsstück alt 139
So etwa Plat. Phaidon 105d.
3. Der Sohn Gottes ‚erlebt‘ den Tod
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werden, und wie einen Umhang wirst du sie aufrollen, und sie werden verändert werden, du aber bist derselbe und deine Jahre werden nicht aufhören.“ Der Untergang ist das Gegenstück zum Bleiben, das Veralten die Kehrseite zum Gleichbleiben. Beides mündet in den Gedanken der nicht endenden Jahre, ein Gedanke, der wiederum dem des nicht endenden Lebens Melchisedeks entspricht. Vom Menschen gilt nach Sir 14,17, er werde wie ein Mantel alt und es sei die Setzung von Ewigkeit her, dass man des Todes sterbe.140 Im Gegensatz dazu wird im Hebräerbrief vom Gottessohn gesagt, was im Danielbuch Gott charakterisiert: αὐτὸς γάρ ἐστι θεὸς μένων καὶ ζῶν εἰς γενεὰς γενεῶν ἕως τοῦ αἰῶνος (Dan 6,27). Entscheidend an dieser Stelle ist, dass das Bleiben des Gottessohnes schon vorzeitlich ausgesagt wird. Es gibt Schöpfung und Schöpfer. Die Schöpfung vergeht, der Schöpfer hat Bestand.141 Die Wendung πάντοτε ζῶν im Zuge des Melchisedek-Vergleiches ist also genau wie (δια)μένειν weder bloß auf den irdischen Jesus noch auch allein auf den Auferstandenen, sondern umfassend auf das Wesen des Gottessohnes zu beziehen.142 Auch über Melchisedek wird das μένειν ausgesagt. Es ist eine direkte Folge aus der Beobachtung, dass Melchisedek keinen Anfang der Tage noch ein Ende des Lebens habe (Hebr 7,2). Den Umkehrschluss findet man ebenfalls im siebten Kapitel. Wenn, anders als bei Melchisedek und Jesus, der Tod Gewalt über das Leben der irdischen Priester hat, dann hindert der Tod sie am Bleiben (παραμένειν), wohingegen der göttliche Priester bleibt (μένειν). Ein Blick auf Joh 12,34 zeigt die Gegensätzlichkeit, die man zwischen ἀποθνῄσκω und μένω empfand. Die Menge fragt bei Jesus an, wie der Menschensohn von seiner Erhöhung ans Kreuz sprechen könne, wo doch im Gesetz stehe, dass der Messias auf ewig bleibe.143 Dasjenige, worüber gesagt werden kann, es bleibe, weist für AuctHebr stets eine bessere Seinsqualität auf. Ipse dixit: Es ist etwa dem geraubten materiellen Vermögen der bleibende Besitz gegenübergestellt (Hebr 10,34), es ist das 140 Sir 14,17: πᾶσα σὰρξ ὡς ἱμάτιον παλαιοῦται· ἡ γὰρ διαθήκη ἀπ᾿ αἰῶνος Θανάτῳ ἀποθανῇ. 141 Die Verben des Bleibens und Überdauerns gehören dem Konzept eines zeitlichen Voranschreitens, nicht dem einer Zeitlosigkeit, an. Gleiches gilt, wenn gesagt wird, dass Jesu Jahre nicht enden. KNUT BACKHAUS, Hebräerbrief, 280, meint dagegen, Jesu Priestertum übergreife die Zeit, „weil die Ewigkeit, vor mittelplatonischem Horizont betrachtet, ein ewiges, keinem Wandel und keinem Angriff ausgesetztes Jetzt ist. So gilt schlechthin: Jesus bleibt (7,3; 13,8).“ In diesem Fall wäre meines Erachtens die Formulierung „Jesus ist“ zu erwarten gewesen. Für den Hebräerbrief gibt es die Zeit auch im Jenseits. 142 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 198: „Es könnte hinzugefügt werden, daß Hebr den himmlischen Hohenpriester sonst weniger als ‚Gestorbenen‘ präsentiert, sondern vielmehr als πάντοτε ζῶν (7,25; vgl. 7,23–25!).“ 143 Dass μένω diese konkrete Bedeutung „am Leben bleiben“ annehmen kann, illustriert ebenso die Erzählung in Joh 21,22f. Die Jünger missverstehen Jesus und meinen, wenn er über den geliebten Jünger spricht αὐτὸν θέλω μένειν, sei dies gleichbedeutend mit der Aussage ὅτι […] οὐκ ἀποθνῄσκει.
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
Unerschütterliche, das Gottes Beben übersteht und darum bleibt (Hebr 12,27). Auch der Glaube kann ein post-irdisches Leben ermöglichen. Abel rede, obwohl er gestorben sei (Hebr 11,4: ἀποθανὼν ἔτι λαλεῖ).144 Henoch wurde dank Entrückung vom Tod gänzlich verschont (Hebr 11,5). Es gibt also im Hebräerbrief zwei verschiedene Konzepte von Leben. Bei dem ersten handelt es sich um ein Leben minderer Qualität, das sich im irdischen Dasein erschöpft und mit dem physischen Tod endet. Darüber hinaus gibt es ein Leben höherer Seinsstufe, οὐ ταύτης τῆς κτίσεως (Hebr 9,11), ein geistiges Leben, dem der Tod nichts anhaben kann, weil es immer schon unzerstörbar war.145 Das Leben auf Erden ist damit für AuctHebr zuerst einmal, auch mit Blick auf die Menschen, die Teilhabe eines Wesenskernes göttlicher Abkunft am Körperlichen (Hebr 12,9). Das scheint auch in Hebr 2,14 schon durch: Ἐπεὶ οὖν τὰ παιδία κεκοινώνηκεν αἵματος καὶ σαρκός, καὶ αὐτὸς παραπλησίως μετέσχεν τῶν αὐτῶν, ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ τὸν τὸ κράτος ἔχοντα τοῦ θανάτου, τοῦτ᾿ ἔστιν τὸν διάβολον. Man betrachte die Sinnrichtungen. Der Sohn hat Anteil an Blut und Fleisch, weil auch die Kinder daran teilhaben – kausales ἐπεί.146 Wenn vom Gottessohn wie vom Menschen jeweils die gemeinsame Teilhabe am Körperlichen ausgesagt ist, ist daraus zu schließen, dass der Sohn den Söhnen gewissermaßen materiell gleich wird. Dieses Gleichwerden geschieht, damit – finales ἵνα – er den Todesmachthaber stürzen kann, und zwar kraft seines Todes.147 Das Mittel der Teufelsentmachtung ist durch instrumentales διά148 angegeben: διὰ τοῦ
144 Vgl. G EORG G ÄBEL, Die Kulttheologie des Hebräerbriefes. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Studie, WUNT II/212, Tübingen 2006, 383. 145 Dass beide Konzepte gleichzeitig zu denken sind, darf nicht verwundern. Die Motive finden sich auch in moderner Zeit nebeneinander. Vgl. etwa das Chanson des Liedermachers Otto Reutter: „Mit der Uhr in der Hand“ (1928): „Da, plötzlich, steht einer, ist mächt’ger als wir, | mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand. | Er sagt: ‚Du brauchst nicht auf die Uhr mehr zu seh’n, | denn meine geht weiter und deine bleibt steh’n.‘ | Und er winkt uns hinüber ins andere Land, | mit der Uhr, mit der Uhr in der Hand.“ Einerseits endet die Zeit des Menschen beim physischen Tod, die Uhr bleibt nämlich stehen. Andererseits wird eine postmortale Existenz im anderen (= Gottes) Land vorausgesetzt, wenn es heißt, Gott winke uns hinüber. Zugleich ist aber auch das Jenseits nicht zeitlos gedacht, denn es heißt ja, Gottes Uhr gehe weiter, während unsere stehenbleibe. Das Paradox ist daher, dass die Uhr des Menschen steht, aber dennoch, jenseitig gedacht, im Grunde weiterläuft. 146 G RÄßER, Hebräer, 1:143 versteht die hier beschriebene Menschwerdung als Folgerung aus dem zuvor genannten Tatbestand ἐξ ἑνὸς πάντες (Hebr 2,11). 147 „Der ἵνα-Satz zeigt dabei an, daß die Inkarnation (und damit die Erniedrigung) des ‚Sohnes‘ auf sein Leiden und seinen Tod hin verstanden ist – eben damit aber auf sein Erlösungswerk hin.“ So H.-F. WEIß, Hebräer, 218. 148 K.-G. 2/1, 483: „Angabe des Mittels oder der Vermittelung.“
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θανάτου.149 Das Menschsein, das heißt die Teilhabe an Blut und Fleisch, verschafft ihm erst die Möglichkeit zu sterben, weil nur Blut und Fleisch sterben kann.150 Sein Tod ist folglich mit der menschlichen Daseinsform assoziiert, die er als Präexistenter angenommen hat.151 Die menschlichen Bestandteile, Blut und Fleisch, sind die Voraussetzung für Jesu Sterben,152 der Tod ist das Ziel der Menschwerdung.153 „Die Incarnation wird aus der Erlösungstat erklärt und hat von ihr her ihren Sinn.“154 Zugleich fällt die Ausdrucksweise auf. Es heißt weder von den Menschen noch von Jesus, sie selbst seien Blut und Fleisch.155 Neque nos corpora sumus.156 Sie haben nur Anteil daran.157 Die Verben κοινωνέω (gemeinschaftlich haben/Anteil haben) und μετέχω (mitbesitzen/Anteil haben) sind synonym zu verstehen, variatio delectat.158 Das zeigt aber auch, dass hinsichtlich der 149 Vgl. Kol 1,22: νυνὶ δὲ ἀποκατήλλαξεν ἐν τῷ σώματι τῆς σαρκὸς αὐτοῦ διὰ τοῦ θανάτου. 150 Später im Schreiben werden Blut (Hebr 9,12 et passim) und Leib (vgl. insb. Hebr 10,10, dort σῶμα statt σάρξ) als Objekte der Darbringung genannt und haben damit auch dort Heilsrelevanz. H.-F. WEIß, Hebräer, 218, findet in Blut und Fleisch ebenfalls die „Teilhabe an der Todesverfallenheit“ ausgedrückt. Zu Blut und Fleisch als Kennzeichen des Menschen s. etwa Eph 6,12. 151 Vgl. Röm 8,3: ὁ θεὸς τὸν ἑαυτοῦ υἱὸν πέμψας ἐν ὁμοιώματι σαρκὸς ἁμαρτίας. Wegen des Gedankens der Sendung ist deutlich, dass Paulus hier ebenfalls von einer Präexistenz des Gottessohnes ausgeht. 152 G ABRIELLA G ELARDINI, „Frei von Blut und Fleisch,“ in Christina Aus der Au (Hg.), Menschsein Denken. Anthropologien in theologischen Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 2005, 41–61: 50: „Der Tod selbst, der ‚natürlich-geschöpfliche‘, ist der irdischen Existenz inhärent, unvermeidbar mit ‚Blut und Fleisch‘ gegeben.“ 153 Vgl. M ICHEL, Hebräer, 160. 154 W INTER, Einmaligkeit, 156. 155 Das zu denken, wäre möglich, vgl. Joh 1,14: ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο. Wobei etwa B ARRETT, Johannes, 191 die Übersetzung: ‚Das Wort wurde Fleisch‘ anzweifelt: „Das Wort blieb das Wort.“ Es sei auch in den folgenden Sätzen Subjekt. Barrett paraphrasiert daher: „Das Wort kam auf die ‚menschliche‘ Bühne – als Fleisch, als Mensch.“ So interpretiert stehen sich Joh und Hebr diesbezüglich nicht sehr fern. 156 Cic. Tusc. 1,52. 157 Die umgekehrte Aussage – wenn sie auch sicher in ihrem Kontext an anderer Stelle ansetzt – existiert etwa in 2Kor 3,17 (ὁ δὲ κύριος τὸ πνεῦμά ἐστιν). Dort steht das πνεῦμα zu dem Irdisch-Fleischlichen in Kontraposition. 158 Für ein synonymes Verständnis spricht auch das vergleichende Adverb παραπλησίως; s. dazu etwa H.-F. WEIß, Hebräer, 217. Es drückt nicht nur Ähnlichkeit, sondern gelegentlich auch Gleichheit aus. Es dürfte vom parallelen Aufbau her dem κατὰ πάντα aus Hebr 2,17 entsprechen. Dass das Wort in diesem Sinn gebraucht wird, zeigt – den Hinweis gibt etwa HOFMANN, Heilige Schrift, 134 – die Verbindung σχεδὸν παραπλησίως (beinahe gleich) bei Herodot (3,104). Zurückhaltender äußert sich KARRER, Hebräer, 1:179: „Lediglich eine volle Identität vermeidet seine Nachbarschaft (paraplēsiōs, ‚gleichermaßen‘, beziffert Nähe
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irdischen Daseinsform zwischen Sohn und Söhnen offenkundig kein Unterschied gemacht wird.159 Der Tod gehört zur condicio humana,160 er ist jedoch nicht das Ende, sondern wie Knut Backhaus richtig sieht: „actus transcendendi.“161 Gleiches gilt für die Geburt, die von himmlischer Präexistenz in die irdische Fremde führt.162 Dass das Motiv der Knechtschaft des Todes, von der AuctHebr spricht, den griechischen σῶμα-σῆμα-Gedanken163 anklingen lassen möchte, ist nicht auszuschließen. Im gleichen Sinn als zeitweilige Partizipation am Fleischlichen lässt sich die auf Christus bezogene Angabe εν ταῖς ἡμέραις τῆς σαρκὸς αὐτοῦ (in den Tagen seines Fleisches; Hebr 10,5) verstehen, nämlich als den Zeitraum des ‚Inkarniertseins.‘ Die Zeitangabe impliziert, „dass die Daseinsweise dieser Tage für Jesus etwas Vorübergehendes, Angenommenes war, dass er an sich noch anderes besass [sic!] als ein Dasein im Fleische.“164
in einem Nebeneinander).“ Der Unterschied zwischen Sohn und Söhnen zeigte sich dann in der Sündlosigkeit Jesu. Zur Synonymie der beiden Verben κοινωνέω und μετέχω vgl. auch BLEEK, Hebräer, 2:330. 159 K ARRER, Hebräer, 1:176, nimmt an, dass die postulierte Verwandtschaft zwischen Sohn und Söhnen nicht erst aus dem Geschöpfsein heraus bestehe. Die „Geschöpflichkeit unter Blut und Fleisch [habe] potentiell einen sekundären Rang“ erhalten. Anders verhält es sich in Apg 14,11. Nachdem Paulus in Lystra einen Lahmen geheilt hat, halten die Zuschauer Paulus und Barnabas für Götter in Menschengestalt. Sie vermuten, die Götter seien den Menschen gleich geworden (ὁμοιωθέντες ἀνθρώποις) und zu uns herabgekommen. 160 „Hebr nimmt den Tod also wahr und hin. Er gehört zur condicio humana, selbst für den Sohn Gottes, der durch seine Schule muss. Dessen Auferstehung wird nirgends ein Thema.“ So KNUT BACKHAUS, „Zwei harte Knoten. Todes- und Gerichtsangst im Hebräerbrief,“ NTS 55 (2009), 198–217: 205. 161 B ACKHAUS, „Knoten,“ 209. In der Odyssee finde ich einen Gedanken, der ebenfalls diese Unabhängigkeit von Leben und (fleischlichem) Tod aufscheinen lässt. Homer lässt die Göttin Kirke Odysseus und seine Kameraden mit folgenden Worten anreden, als sie aus dem Hades heraufkommen: σχέτλιοι, οἳ ζώοντες ὑπήλθετε δῶμʼ Ἀΐδαο, δισθανέες, ὅτε τʼ ἄλλοι ἅπαξ θνῄσκουσ' ἄνθρωποι (Od. 12,21f.; Ihr standhaften Männer, die ihr lebendig in das Haus des Hades hinabgekommen seid, zweimal Sterbende, wo doch die anderen Menschen nur einmal sterben). Obwohl die Mannschaft beim Abstieg in den Hades lebendig blieb, wird dieser Vorgang gewissermaßen als ein erstes Sterben bezeichnet. 162 Vgl. B RAUN, Hebräer, 64. Die Kinder seien präexistent gewesen und in die δουλεία geraten. „Denn πατρίς inkludiert Rückkehr; und Weltexistenz ist Aufenthalt in der Fremde.“ Einschränkend, aber den Kern nicht antastend, schreibt ders., „Das himmlische Vaterland bei Philo und im Hebräerbrief,“ in Otto Böcher/Klaus Haacker (Hg.), Verborum Veritas. FS für Gustav Stählin, Wuppertal 1970, 319–327: 325f.: „Das allerdings bleibt richtig: der eigentliche Motor, der die Bewegung zur zukünftigen Stadt hin in Gang hält, ist nicht die himmlische Herkunft der Seele, sondern jener Anstoß, der durch den sühnenden Tod Jesu und durch seinen Gang in die Himmel für das Gottesvolk entstanden ist.“ 163 So etwa Platon, Kratylos 399c. 164 SODEN, Hebräerbrief, 45.
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Es fügt sich in die Vorstellung ganz kongruent die Zitation von Psalm 39,7 LXX ein. So lässt AuctHebr Jesus beim Eintritt in die Welt sagen: σῶμα δὲ κατηρτίσω μοι (einen Leib aber hast du mir geschaffen; Hebr 10,5). Jesu Ich ist bei der Schöpfung seines Leibes bereits existent.165 Der Leib bildet die Voraussetzung für die Inkarnation und die Selbstdarbringung (Hebr 10,10).166 August Strobel weist zu Recht darauf hin, dass „nicht gesagt [werde], daß er eine himmlische Seinsweise verlassen habe.“167 Das irdische Leben – für Jesus wie auch für die (übrigen) Menschen – ist die Existenz im Leib, nicht als Leib.168 Wenn aber Jesus, wie auch der Mensch, nur am Leiblichen Anteil hat, was ist dann stattdessen der Kern der Person? Wie ist das Ich beschaffen? Dies ist die Frage nach der Daseinsform Jesu jenseits der irdischen Kategorien und Konditionen. Sebastian Fuhrmann erkennt völlig richtig, „dass der auctor ad Hebraeos die Zeit der Erniedrigung Christi im Fleische als Zeit der Annahme eines Leibes bzw. von Fleisch und Blut verstanden wissen wollte, Subjekt des Annehmens kann nichts anderes sein als das πνεῦμα des präexistenten (vgl. Hebr 1,2.3a) Sohnes.“169 3.2 Das πνεῦμα170 als himmlische Daseinsform Einen ersten Hinweis, wie sich AuctHebr eine unkörperliche Existenzweise vorstellt, geben die angelologischen Aussagen im ersten Kapitel des Hebräerbriefes.
Vgl. MICHEL, Hebräer, 336; ROSE, Hebräerbrief, 153. Vgl. ROSE, Hebräerbrief, 153. 167 STROBEL, Hebräer, 34. 168 Solches Konzept findet sich etwa in SapSal 8,20 (ἀγαθὸς ὢν ἦλθον εἰς σῶμα ἀμίαντον; weil ich gut war, kam ich in einen unbefleckten Leib) und 9,15f. (φθαρτὸν γὰρ σῶμα βαρύνει ψυχήν, καὶ βρίθει τὸ γεῶδες σκῆνος νοῦν; denn der vergängliche Leib beschwert die Seele und die irdische Behausung belastet den Geist). Diese Aussagen sind mit der in Hebr 13,3 eng verwandt: αὐτοὶ ὄντες ἐν σώματι, die ebenfalls den Gedanken der Einwohnung des Leibes voraussetzt. Auch mag Hebr 10,20 die Vorstellung der fleischlichen Hülle wiederspiegeln, wenn das Fleisch Jesu als Vorhang verstanden wird, durch den sein Weg ihn führt. Vom Verlassen des Köpers kann auch Paulus (2Kor 5,8–10) reden: εὐδοκοῦμεν μᾶλλον ἐκδημῆσαι ἐκ τοῦ σώματος καὶ ἐνδημῆσαι πρὸς τὸν κύριον (2Kor 5,8; Wir wollen lieber ausheimisch vom Leib und einheimisch beim Herrn sein). Paulus rechnet dann mit einem Erscheinen vor Christi Gericht, um (geistig?) zu empfangen, was man im Leib getan hat. 169 SEBASTIAN FUHRMANN, Vergeben und Vergessen. Christologie und Neuer Bund im Hebräerbrief, WMANT 113, Neukirchen-Vluyn 2007, 201. 170 Zu Pneuma im Hebräerbrief siehe W ERNER B IEDER, „Pneumatologische Aspekte im Hebräerbrief,“ in Heinrich Baltensweiler/Bo Reicke (Hg.), Neues Testament und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament. FS Oscar Cullmann, Tübingen 1972, 251–259. 165
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Die Anwendung von Ps 103,4 LXX zeigt an, dass die Engel als unsichtbargeistige Wesen anzusehen sind (Hebr 1,7: πνεύματα und πυρὸς φλόγα171). Die Kombination von Geist und Feuer ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil sogar Gott selbst als Feuer bezeichnet werden kann (Hebr 12,29).172 Beide Begriffe können also im Hebräerbrief auf Himmelswesen angewandt werden. Auf die geistige Existenz der Engel wird erneut – diesmal in Worten des Verfassers – in Hebr 1,14, verwiesen. Sie sind λειτουργικὰ πνεύματα (dienstbare Geister).173 Das entspricht dem Befund, dass auch sie im zwölften Kapitel zur Sphäre des himmlisch-unsichtbaren174 Jerusalem gerechnet werden (Hebr 12,22). Die Engel sind Teil der großen himmlischen Festversammlung. Zu ihr gehören – neben der Gemeinde der Erstgeborenen,175 Jesus Christus und Gott selbst – gleichermaßen die vollendeten Gerechten, die dort ebenfalls in 171 Das hebräische רוחwird in Ps 103,3 noch mit ἄνεμος (Wind/Sturm) übersetzt. Wenn es jedoch im Folgevers parallel zu ( ֵא שׁFeuer) steht, entscheidet sich der Übersetzer, רוחmit πνεῦμα wiederzugeben. Bei dieser Kombination von πνεῦμα und πῦρ mag man bereits bei der Übersetzung des Psalms einen philosophisch-anthropologischen Aspekt gängiger Weltanschauung eingetragen haben, der insbesondere innerhalb der stoischen Philosophie verbreitet war. „Der stoische Begriff des Pneuma fasst die alten Principien Feuer, Luft, Wärme, Seelisches in sich zusammen; er bezeichnet die warme, feuerhauchartige Luft, die als solche sowohl Stoff als auch Seelisches ist.“ So HERMANN SIEBECK, „Die Entwicklung der Lehre vom Geist (Pneuma) in der Wissenschaft des Altertums,“ Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 12 (1880), 361–407: 376. Vgl. auch MARTIN NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit in der Sapientia Salomonis, BZAW 333, Berlin 2004, 182. 172 Gegen G RÄßER, Hebräer, 1:82, der meint, „[d]ie dem Hebr wichtige Aussage [sei] die, daß die Engel in Elemente verwandelt und dadurch selbst zur Materie, d.h. zur vergänglichen Schöpfung herabgestuft werden.“ Die Begriffe sind aber nicht auf die Naturphänomene Wind und Feuer festgelegt. Im Gegenteil: πνεῦμα heißt im Hebr an keiner der anderen elf Belegstellen „Wind.“ Der Begriff πῦρ hat vier weitere Belege. An zweien davon (Hebr 11,34 und 12,18) ist das Feuer irdisch bestimmt. Aber in Hebr 10,27 ist es Teil der eschatologischen Gerichtserwartung. Es ist das Feuer, das die Widersacher verzehren (ἐσθίω) wird. Damit wird es hier immerhin himmlisch lokalisiert und wenigstens zu Gott gerechnet. Da Gott aber selbst als πῦρ καταναλίσκον (Hebr 12,29) bezeichnet werden kann, ist damit zu rechnen, dass das Feuer auch schon in Hebr 10,27 Gott in seiner richterlichen Funktion repräsentiert. 173 Vergleichbar mit Hebr 1,14 ist die Aussage Philons in Gig. 12: „Von den Seelen nun sind die einen in Körper herabgestiegen, die andern wünschten, niemals mit Teilen der Erde zusammengebracht zu werden. Da diese geheiligt/gereinigt (ἀφιερόω) wurden und im Dienst des Vaters stehen, pflegt der Schöpfer sie als Gehilfen und Diener als Aufsicht der Sterblichen einzusetzen.“ 174 Im Unterschied und in Absetzung zum irdisch-sichtbaren Zion: οὐ γὰρ προσεληλύθατε ψηλαφωμένῳ… (Hebr 12,18). 175 Vielleicht ist eine Verbindung zu Hebr 2,12 (Zitat von Ps 21,23 LXX) gegeben, wo von den ἀδελφοί Jesu und (ihrer) ἐκκλησία gesprochen wird. Zum besonderen Gebrauch des Begriffes πρωτότοκος im Zusammenhang, vgl. auch Karrer, Hebräer, 2:338; Zur Frage, ob es sich um bereits im Himmel Anwesende Personen handelt, vgl. Gräßer, Hebräer, 3:316– 318 und Backhaus, Hebräerbrief, 445f.
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stoffloser Gestalt, als πνεύματα, existieren.176 Besser gesagt: Sie existieren dort weiter,177 denn das Motiv der besseren, weil himmlischen, Heimat
176 Auch in der Jesusüberlieferung gibt es vergleichbare Vorstellungen: In Mk 12,25 wird Jesus die Feststellung zugeschrieben, Auferstandene seien wie Engel im Himmel (ὅταν γὰρ ἐκ νεκρῶν ἀναστῶσιν […] εἰσὶν ὡς ἄγγελοι ἐν τοῖς οὐρανοῖς). Im direkten Anschluss ist nach Mk 12,26f. diese Existenzweise den auferstandenen Vätern zuzuschreiben. Die Selbstbezeichnung Gottes beim Dornbusch als „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ ist ein Beweis für die Auferstehung, denn Gott sei nicht ein Gott Toter, sondern ein Gott Lebendiger. 177 Die nächste Parallele dazu findet sich meines Erachtens in Jub 23,31, wo ebenfalls von einem Weiterleben der verstorbenen Gerechten in Gestalt von Geistern gesprochen wird. Ähnlich verheißt Prov 12,28 den Gerechten Gutes: „Auf den Wegen der Gerechtigkeit (ist) Leben, die Wege Rachsüchtiger (führen) zum Tod.“ Es ist insbesondere auf die Sapienta Salomonis hinzuweisen, wo das Thema des bei Gott lebenden Gerechten mehrfach zur Sprache kommt. SapSal 1,15f. nennt die Gerechtigkeit (Abstractum pro concreto) unsterblich, während die Gottlosen den Tod herbeigerufen hätten. SapSal 3,1ff. berichtet, die Seelen der Gerechten seien in Gottes Hand; nur in den Augen der Toren gälten sie als tot. Ihnen ist dann eine zukünftige eschatologische Funktion als Richter über die Völker zugedacht (SapSal 3,8; 4,16). SapSal 5,15 verspricht den Gerechten das ewige Leben und Gott selbst als Lohn. Insbesondere im Hinblick auf 6,19 ist damit ein Leben bei Gott impliziert, denn dort heißt es: ἀφθαρσία δὲ ἐγγὺς εἶναι ποιεῖ θεοῦ (Unvergänglichkeit ermöglicht es, Gott nahe zu sein). Zu den Begrifflichkeiten der Sapientia Salomonis vgl. MAREIKE V. BLISCHKE, „‚Die Gerechten aber werden ewig leben‘ (Sap 5,17). Begrenzte und entgrenzte Zeit in der Sapientia Salomonis,“ in Reinhard G. Kratz/Hermann Spieckermann, Zeit und Ewigkeit als Raum göttlichen Handelns. Religionsgeschichtliche, theologische und philosophische Perspektiven, BZAW 290, Berlin/Boston 2009, 187–212: 193f. Auch in 1QH 11.21–22 ist von einer himmlischen Versammlung von Heiligen und Himmelssöhnen die Rede, an der der gereinigte Geist ( )רוחdes Beters teilnimmt. Ein ähnliches Konzept findet man aber auch bei den Stoikern, wo verstorbene Weise als reine Geister weiterleben. Vgl. die Ausführungen in JULA WILDBERGER, Seneca und die Stoa. Der Platz des Menschen in der Welt, Band 1, Berlin 2006, 24f. und 223ff. (u.a. nachweislich bei Chrysipp, Kleanthes behauptet gar das Weiterbestehen aller Menschen bis zum Weltenbrand). Seneca geht mit der Ansicht, dass die Pneumata aus dem Himmel stammen, über die uns bekannten stoischen Konzepte hinaus (WILDBERGER, Seneca, 1:225). Die Rückkehr in den Himmel, die für Seneca auch zu Lebzeiten stattfinden kann, ist an Haltung und Verhalten gebunden (vgl. Sen. Ep. 79,12: erit autem illic etiam antequam hac custodia exsolvatur, cum vitia disiecerit purusque ac levis in cogitationes divinas emicuerit; sie [sc. die Seele, lat. animus] wird aber dort sein, auch bevor sie aus der Bewachung befreit wird, wenn sie ihre Fehler abwirft und sich rein und leicht zu göttlichen Überlegungen aufschwingt). Vgl. auch Cic. Tusc. 1,27, der sagt, dass die ‚Alten‘ überzeugt gewesen seien, mortem non interitum esse omnia tollentem atque delentem, quandam quasi migrationem commutationemque vitae, quae in claris viris et feminis dux in caelum soleret, in ceteris humi retineretur et permaneret tamen. (…, dass der Tod kein Untergang sei, der alles aufhebe und zerstöre, sondern gewissermaßen wie eine Wanderung oder eine Umwandlung des Lebens, das bei angesehenen Männern und Frauen gewöhnlich ein Anführer zum Himmel zu sein pflegt, das bei den Übrigen in der Erde festgehalten werde und dennoch fortdauere). Siehe auch Cic. Tusc. 1,72.76.
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(Hebr 11,14.16: πατρίς) ist in den Gedanken miteinzubeziehen. Dieses Motiv wie auch das der irdischen Fremde (Hebr 11,13.38)178 lassen an ein präexistentes,179 bald irdisches, bald posthumes180 Leben denken.181 Dass das Bild der Wanderung für den Autor bestimmend ist, zeigt die Kontinuität eines Lebens auf, das über die Grenzen von Geburt und Tod reicht.182
Vgl. u.a. auch Philon, Somn. 1,151–152 und die entsprechenden Erklärungen zum Tod bei Philon in OTTO KAISER, „Vom Tod des Leibes und der Seele sowie der Freiheit als dem höchsten irdischen Gut oder Die Rolle des Todes in Philos Denken,“ in ders., Studien zu Philo von Alexandrien, Markus Witte (Hg.), BZAW 501, Berlin/Boston 2017, 129–135: 135. Dass es sich im Hebräerbrief beim Status der vollendeten Gerechten nur um ein „intermediate state“ (MOFFITT, „Human Beings,“ 18) handeln sollte, lässt sich aus meiner Sicht nicht begründen. Es ist dagegen MARTIN DIBELIUS, „Der himmlische Kultus nach dem Hebräerbrief,“ in Günther Bornkamm (Hg.), Botschaft und Geschichte. Gesammelte Aufsätze von Martin Dibelius, Zweiter Band, Tübingen 1956, 160–176: 168 zuzustimmen, dass es sich bei den Gerechten im Himmel um Personen handele, die bereits die vollendete Weihe erhalten haben. Dass er meint, diese Gruppe auf Christen beschränken zu müssen, halte ich allerdings für falsch. Seit dem Heilsgeschehen, das sich im Tod Jesu vollzogen hat, sind alle, auch die „Freunde Gottes aus dem Alten Testament“ (ebd.) zusammen mit uns vollendet worden. Entsprechendes Konzept findet sich bereits in der Sapientia Salomonis, denn „sie verheißt für ein Leben in δικαιοσύνη Unsterblichkeit“ (BLISCHKE, „Zeit,“ 195). 178 Vgl. zu der Frage, wie die Seele beschaffen sein mag: Cic. Tusc. 1,51: multo obscurior, qualis animus in corpore sit tamquam alienae domi, quam qualis, cum exierit et in liberum caelum quasi domum suam venerit (Viel dunkler [scheint mir die Frage], wie beschaffen die Seele innerhalb des Körpers ist, [wo sie sich] gleichsam in einem fremden Zuhause [befindet], als [die Frage], wie beschaffen sie ist, wenn sie ihn verlassen hat und in den freien Himmel, wie in ihr eigenes Zuhause gekommen ist). 179 Vgl. SCHIERSE, Verheißung, 116: „Wenn also das Wort vom himmlischen Vaterland seinen Sinn behalten soll, muß der Mensch auch irgendwie als präexistentes Himmelswesen verstanden werden.“ Anders als etwa PETER SÖLLNER, Jerusalem, die hochgebaute Stadt. Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum, TANZ 25, Tübingen/Basel 1998, meint, ist Hebr 11,15 kein Gegenargument für den himmlischen Ursprung der Väter, weil AuctHebr hier nur von ihrer irdischen Geschichte handelt und betonen will, dass die Heimat zu Lebzeiten nicht zu erreichen war. 180 S. etwa Hebr 11,13: ἀπέθανον οὗτοι πάντες. Auf Erden haben sie die Verheißung nicht erlangt. Sie sind Fremde auf Erden. Eine Erfüllung der Verheißung post mortem ist dabei impliziert. Vgl. auch Mt 8,11. 181 Vgl. dazu Philon, Gig. 13f.: Das Hinabsteigen der Seelen sei wie ein Hinabsteigen in einen reißenden Strom. Durch die Philosophie kann man gegen die Strömung ankämpfen und man versucht, zu seinem Ursprung zurückzukommen. Ziel ist es, dem körperlichen Leben abzusterben, um an einem unkörperlichen und unvergänglichen Leben bei dem Ungeborenen/Ungeschaffenen und Unvergänglichen Anteil zu erlangen (μελετῶσαι τὸν μετὰ σωμάτων ἀποθνῄσκειν βίον, ἵνα τῆς ἀσωμάτου καὶ ἀφθάρτου παρὰ τῷ ἀγενήτῳ καὶ ἀφθάρτῳ ζωῆς μεταλάχωσιν). 182 EISELE, Unerschütterliches Reich, 392: „Die Heimat des Geistes ist und bleibt aber der Himmel, von dem er ausgeht und in den er durch den Tod des Menschen zurückkehrt.“
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Die Väter erwarteten und suchten die himmlische πόλις (Hebr 11,10.16, vgl. auch 12,22)183, um in ihre Heimat zurückzukehren. Eine Rückkehr impliziert freilich die Herkunft von dort.184 „Zwar wird eine Präexistenz der Seelen vom Hebr nicht gelehrt, aber er argumentiert damit.“185 Am deutlichsten wird das in Hebr 2,11 (ἐξ ἑνὸς πάντες)186 und 12,8 (ὁ πατήρ τῶν πνευμάτων). In Hebr 12,23 können mit den πνεύματα δικαίων τετελειωμένων nur eben jene Väter gemeint sein, die sich laut Hebr 11 bereits in irdischer Sphäre auf die Suche begeben haben.187 Kurzum: Das πνεῦμα kommt als immaterielle,188 himm183 Ähnlich etwa Cic. Tusc. 1,118: Portum potius paratum nobis et perfugium putemus (Wir wollen vielmehr glauben, dass uns ein Hafen und ein Zufluchtsort bereitet worden ist). 184 Vgl. B RAUN, Hebräer, 64. Dagegen FRANZ LAUB, Bekenntnis, 78. Den Gedanken eines himmlischen Ursprungs und einer Rückkehr in den Himmel kennt auch Seneca, Ep. 41,5; 79,12 (redditus caelo suo); 92,30. 185 G RÄßER, Hebräer, 1:144. 186 Trotz ähnlicher Formulierung dürfte Petrus' Aussage auf dem Areopag (Apg 17,26 ἐποίησέν τε ἐξ ἑνὸς πᾶν ἔθνος ἀνθρώπων) anders gemeint sein. Es wird auf die gemeinsame genealogische Abstammung vom gottgeschaffenen Adam, nicht auf eine direkte geistige Verwandtschaft mit Gott oder dem Gottessohn angespielt. Das Dasein jedes/allen Volkes (ob man πᾶν ἔθνος als „ganzes Menschenvolk“ oder „jedes Volk“ übersetzen müsse, wird diskutiert; vgl. ERNST HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 141965, 460f.) wird entsprechend an καιροὺς καὶ τὰς ὁροθεσίας gebunden. Interessant und dem Hebr ähnlich ist allerdings die Konsequenz der Gottesnähe qua Abstammung, welche sich bis zum Schöpfer zurückverfolgen lässt – in Lk 3,23–38 führt der Autor diese Vorstellung konkret an der Ahnenreihe Jesu aus. In Apg 17,28 lässt Lukas den Apostel abschließend Aratus, Phaen. 5 zitieren: τοῦ γὰρ καὶ γένος ἐσμέν. Der Begriff γένος kann familiär wie ethnologisch verstanden sein (JOHANNES NIKOLAI TISCHLER, Diener des höchsten Gottes. Paulus und die Heiden in der Apostelgeschichte, BZNW 225, Berlin/Boston 2017, 157). 187 So auch K ARRER, Hebräer, 2:338: Bei den Gerechten handele es sich um „all die Glaubenszeugen aus den Völkern und Israel, die Kap. 11 aufführte.“ Ähnlich kann Philon über die Philosophen sagen: „Dies nun sind die Seelen der echten Philosophen, die von Anfang bis zum Ende danach strebten, dem körperlichen Leben abzusterben, damit sie das unkörperliche und unvergängliche Leben in der Nähe des Ewigen und Unvergänglichen erlangten“ (Philon, Gig. 14f.). Anders KATELL BERTHELOT, „Terre Promise et Patrie Céleste dans Hébreux 11,“ in Régis Burnet/Didier Luciani/Gert van Oyen (Hg.), Epistle to the Hebrews. Writing at the Borders, CBET 85, Leuven 2016, 137–151: 145: „En outre, l’opposition entre leur patrie d’origine et celle vers laquelle ils tendent est certes de l’ordre d’une opposition entre le terrestre et le céleste, mais elle ne recoupe nullement une opposition corps/esprit, comme chez Philon. C’est la personne tout entiére qui est destinée à la cité céleste, et non la seule âme. L’opposition entre le terrestre et le céleste recoupe en fait une opposition temporelle, chronologique autant que théologique, entre le temps de la première alliance et celui inauguré par la mort et la résurrection du Christ.“ 188 Die ‚Definition‘ in Lk 24,39 bringt es auf den Punkt: πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει (ein Geist hat kein Fleisch und keine Knochen). Dass sich Lukas so entschieden gegen die Vorstellung des Auferstandenen in Gestalt eines πνεῦμα wehrt, lässt vermuten, dass eine posthume pneumatische Existenz Jesu durchaus gedacht werden konnte. „Im Unterschied zum Leib kann sich dieser Geist auch verselbständigen, vgl. 8,55; 23,46; Apg 7,59. Dann
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lische Daseinsform von Engeln wie auch von Menschen (Jesus eingeschlossen) infrage189 und hat dabei das Potenzial zu überdauern.190
gehört er in die Welt Gottes, an der der Mensch nicht partizipieren kann. So erklärt sich die ‚Furcht‘“ der Jünger. Zitat aus: HANS KLEIN, Das Lukasevangelium, KEK I/3, Göttingen 2006, 736, Fn 9. 189 In welchem Verhältnis steht das zu den Passagen, die von dem Heiligen/ einem heiligen Geist als einem redenden Subjekt sprechen (so in Hebr 3,7; 9,8; 10,15)? Häufig wurde angenommen, es gehe um den Heiligen Geist als der Quelle der Inspiration der Schrift. Plausibler wäre es evtl. noch anzunehmen, dass es darum geht, wie ‚der Heilige Geist‘ die Schrift verwendet (vgl. ERIC F. MASON, „‚Through Eternal Spirit.‘ Sacrifice, New Covenant, and the Spirit of Hebrews 9:14,“ in David M. Moffitt/Eric F. Mason [Hg.], Son Sacrifice, and Great Shepherd, WUNT II/510, Tübingen 2020, 175–190: 178). Am ehesten handelt es sich aber erst gar nicht um eine trinitarische Formel. So schreibt DAVID M. ALLEN, „‚The Forgotten Spirit.’ A Pentecostal Reading of the Letter to the Hebrews?,“ in Journal of Pentecostal Theology 18 (2009), 51–66: 52, zu Recht: „Any temptation, for example, to conceive of ‚the Holy Spirit says‘ (3.7; 10.15) as a discrete Trinitarian formula must surely be avoided, not just for temporal reasons, but also because similar phrasing is found within later rabbinic sources.“ Vielleicht ist es nicht zwingend, das Verständnis des Geistes an diesen Stellen mit denen in Einklang zu bringen, an denen das Pneuma als eine anthropologische Komponente erscheint. Dennoch halte ich es durchaus für möglich, dass es beim heiligen Geist als einem Schriftinterpreten gewissermaßen um eine intellektuelle Kompetenz geht, die dem Menschen gestattet, den Schriftsinn zu erfassen (vgl. Philon, Somn. 2,252: πνεῦμα ἀόρατον als eine Art innere Stimme). Der heilige Geist, der nach dem Hebräerbrief „spricht“ könnte ein durch das Opfer Jesu geheiligtes Inneres des Menschen sein – gerade um die Heiligung des Menschen geht es schließlich beim hohepriesterlichen Opfer. Wer einen reinen/heiligen Geist besitzt (er wurde laut Hebr 2,4; 6,4 [und implizit 10,29] unter den Menschen ausgeteilt) und damit als ‚Heiliger‘ seiner himmlischen Berufung folgt (Hebr 3,1), versteht und verwendet die biblischen Texte angemessen und richtig. Die Determination durch Artikel braucht nicht als Verweis auf den Heiligen Geist als eine trinitarische Größe verstanden zu werden. ERIC MASON, „Spirit,“ 184, bringt es auf den Punkt: „The Holy Spirit functions to indicate when the old covenant is still in effect (Heb 9:8) but also when the new covenant has been inaugurated by the completion of Jesus' sacrifice (Heb 10:15).“ 190 So auch W INTER, Einmaligkeit, 162: „Vom πνεῦμα des Menschen aber wird das selbständige Fortleben nach dem Tode vorausgesetzt.“ Vgl. etwa Sir 31,14: Der Geist derer, die den Herrn fürchten, wird leben (πνεῦμα φοβουμένων κύριον ζήσεται). Auch Paulus kennt das πνεῦμα im Sinne einer „göttliche[n] Existenzweise; darin sehen manche Interpreten einen Einfluss des Hellenismus, wo man das Pneuma mehr in Existenzkategorien faßt, während das AT eine dynamischere Auffassung hat“ (RAC, IX, 506).
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3.3 Das πνεῦμα als Teil des Menschen Das πνεῦμα ist schon zu Lebzeiten Teil der Identität191 des Menschen und ist so als anthropologische Kategorie von Relevanz.192 Denn der Mensch besteht – das lehrt Hebr 12,9 – aus zwei ‚Komponenten‘. Eine davon ist irdischen Ursprungs (σάρξ) und stammt von unseren fleischlichen Vätern. Die andere ist von himmlischer Herkunft (πνεῦμα), kommt unmittelbar von Gott und hat ihn so zum Vater.193 Das Pneuma bewohnt eine Weile lang den irdischen Leib, hat Anteil an Blut und Fleisch (vgl. Hebr 2,14). Dass die Inkarnation des Sohnes „der menschlichen Annahme von Blut und Fleisch parallelisiert wird, fällt auf. Sinnvoll ist das nur, wenn Hebr wie in 12,9 das als präexistent gedachte πνεῦμα als ungenannte Entsprechung von αἷμα καὶ σάρξ auch hier [sc. in Hebr 2,14] annimmt.“194 Darin sind sich Jesus
Der Begriff der Identität ist äußerst komplex, vgl. dazu etwa SAMUEL VOLLENWEI„Der Geist Gottes als Selbst der Glaubenden. Überlegungen zu einem ontologischen Problem in der paulinischen Anthropologie,“ in ders. Horizonte neutestamentlicher Christologie, Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie, WUNT 144, Tübingen 2002, 163–192: 167f. 192 Vgl. H AROLD W. A TTRIDGE, The Epistle to the Hebrews. A Commentary on the Epistle to the Hebrews, Hermeneia, Philadelphia 1989, 68. 193 Möglicherweise geht dieser Gedanke auf Num 16,22 zurück. Die Septuaginta spricht dualistisch vom Gott der Geister und allen Fleisches (θεὸς τῶν πνευμάτων καὶ πάσης σαρκός). Der hebräische Text konstruiert anders, indem er den Geist dem Fleisch subordiniert. Dort heißt es, Gott sei der Gott der Geister für ( )לalles Fleisch. CHRISTINE SCHLUND (LXX.E, 1:471) erwägt, dies als „Ausdruck eines unterschiedlichen Menschenbildes“ zu werten. Bei Philon (insb. All. 1,31–33) begegnet die Vorstellung von zwei voneinander zu unterscheidenden Menschen, dem himmlischen und dem irdischen. Sie ist der Vorstellung des AuctHebr vergleichbar und mag traditionsgeschichtlich verwandt sein. Zum Zusammenhang von Pneuma und Gotteskindschaft vgl. Röm 8,14ff. Durch das πνεῦμα υἱοθεσίας, das wir bekommen haben, können wir Gott als Vater (αββα ὁ πατήρ, Röm 8,15) ansprechen. Das ist dem Konzept des Hebr sehr nahe, wenn auch bei Paulus die Identität des Menschen nicht so stark an das Pneuma gebunden ist. Zur Verwandtschaft mit Gott vgl. Seneca, de providentia, 1,5: Es bestehe eine Verwandtschaft, quidem bonus tempore tantum a deo differt, discipulus eius aemulatorque et vera progenies, quam parens ille magnificus, virtutum non lenis exactor, sicut severi patres durius educat (da sich doch der Gute nur durch seine Zeit[lichkeit] von Gott unterscheidet, [er ist] sein Schüler, Nachahmer und wahrer Nachfahre, den jener großartige Vater, der kaum sanftmütige Eintreiber der Tugenden, wie strenge Väter sehr hart erzieht). Wie im Hebr wird ein Vater-Kind-Verhältnis vorgestellt, das von harter Zucht geprägt ist, so a.a.O. 1,6: bonum virum in deliciis non habet; experitur, indurat, sibi illum parat (einen guten Mann lässt er nicht in Luxus leben, er versucht ihn, macht ihn hart, bereitet ihn sich vor). 194 G RÄßER, Hebräer, 1:144. 191
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und die Menschen also gleich: „Die Söhne stammen, nicht anders als der Sohn, geschöpflich aus Gott.“195 Dieses πνεῦμα steht ausdrücklich auf der Seite Gottes und damit auch des Lebens.196 Jeder Geist ist Gottesgeist.197 Wenn wir diesem Vater der Geister gegenüber gehorsam sind, werden wir leben.198 Dies ist eine individuell-eschatologische Verheißung für die Rechtgläubigen, die den Willen des Vaters tun.199 An den vollendeten Gerechten ist diese Verheißung schon in Erfüllung gegangen,200 denn sie befinden sich bereits vor dem himmlischen Jerusalem im Wartestand.201 Sie haben sich bewährt, haben ihr Leben Gott und der HEGERMANN, Hebräer, 83. Er setzt fort: „Die Einführung der Söhne in die BlutFleisch-Existenz hatte den Sinn einer Erprobung. Diese wurde nicht bestanden.“ 196 Vgl. etwa Röm 8,13f.; Gal 6,8; Joh 6,63. H.J. K RAUS, „Gott,“ 199, schreibt treffend: „Vor allem in den Paulus-Briefen und im Hebräerbrief empfängt das Epitheton ‚lebendiger Gott‘ von dem neuen eschatologischen ‚Lebenserweis‘ Gottes her und darum im Zusammenhang des Christus-Geschehens eine neue Prägung.“ 197 Etwas zu differenzieren ist das Verständnis des Verhältnisses von Geist und Person bei Paulus, wenn man es mit SAMUEL VOLLENWEIDER, „Geist,“ 184, so interpretiert, dass Pneuma und Selbst zu unterscheiden seien. Das (göttliche) Pneuma handele aber auch nicht anstelle unser selbst, sondern als unser Selbst. Es liegt ein Verhältnis der Interferenz vor, aber das Pneuma ist nicht ursprünglich schon der eigentliche Kern der Person. Die Einwohnung des Geistes steht der Geburt des Geistes gemäß dem Hebräerbrief gegenüber, denn der Geist begründet die Gottessohnschaft und hat seinen Ursprung in der himmlischen Heimat. 198 Gräßer spricht von der συγγένεια Jesu und der Menschenbrüder. Es handele sich um eine himmlische Bruderschaft. „Weil sie von Ewigkeit her Brüder sind, die Menschen aber in die δουλεία gerieten, begibt sich der Sohn in die irdische Knechtschaft, um die Seinen zur gemeinsamen himmlischen Heimat zurückzuführen“ (GRÄßER, Hebräer, 1:143). GELARDINI, „Frei,“ 46: „Denn am Menschlichen nimmt das, was ‚Blut und Fleisch‘ ist, teil, am Vergänglichen und Irdischen. Der ‚Geist‘ jedoch hat Gott zum Vater und wird nach der ‚Reinigung von den Sünden‘ Empfänger für den himmlischen Geist, den ‚heiligen Geist‘, und zwar schon auf der Erde und in der Existenz des Seins im Leib.“ 199 Vgl. auch 1Joh 2,16 ὅτι πᾶν τὸ ἐν τῷ κόσμῳ […] οὐκ ἔστιν ἐκ τοῦ πατρὸς ἀλλ᾿ ἐκ τοῦ κόσμου ἐστίν. Auch hier wird das Fleischliche, Vergängliche, das nicht vom Vater kommt, dem Geistigen gegenübergestellt. Auch bei 1Joh führt das Tun des Willens Gottes zum ewigen Leben (1Joh 2,17: καὶ ὁ κόσμος παράγεται καὶ ἡ ἐπιθυμία αὐτοῦ, ὁ δὲ ποιῶν τὸ θέλημα τοῦ θεοῦ μένει εἰς τὸν αἰῶνα.). Die Schrift kennt außerdem die Begrifflichkeit des Geistes, der sich auf die Person bezieht und seinen Ursprung aus Gott haben kann (1Joh 4,1: δοκιμάζετε τὰ πνεύματα εἰ ἐκ τοῦ θεοῦ ἐστιν). „Wer Gott zugehört, der hat auch an Gottes Sein und seiner Unvergänglichkeit Anteil“ (GEORG STRECKER, Die Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 1989, 120). Ähnlich Röm 8,15–24. 200 Vgl. SapSal 5,5. Der Gerechte, dessen Leben von Qual und Pein bestimmt war, wird zur Überraschung der Gottlosen gerettet. Diese stellen, wenn sie ihm posthum begegnen, verwundert die Frage: πῶς κατελογίσθη ἐν υἱοῖς θεοῦ καὶ ἐν ἁγίοις ὁ κλῆρος αὐτοῦ ἐστιν; (Wie ist es möglich, dass er zu den Söhnen Gottes gezählt wurde und sein Erbteil bei den Heiligen hat?). 201 Wartestand heißt, dass der Zutritt in die unmittelbare Gottesgegenwart noch aussteht und mit den Glaubenden der alten wie neuen διαθήκη gemeinsam stattfinden soll. Vgl. dazu 195
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himmlischen Stadt gewidmet, weshalb sie als gerecht bezeichnet werden können. In pneumatischer Daseinsform leben sie nun fort.202 Das Fleisch vergeht, der Geist gehört kraft und aufgrund göttlicher Vaterschaft wesentlich zur himmlischen Sphäre203 und ist damit gewissermaßen zukunftssicher.204 Mit dem Tod geht der Mensch in eine neue Daseinsform über. Kontinuität und Identität stiftet dabei der Geist.205 den Exkurs zu den „verstorbenen Gerechten in der himmlischen Welt“ in ROSE, Hebräerbrief, 218f. Allerdings ist meines Erachtens nicht mit einer Wiedervereinigung von Leib und Geist am Tag der Heilsvollendung zu rechnen (a.a.O., 219). 202 Ein ganz ähnliches Konzept findet sich in 1Kor 5,5: παραδοῦναι τὸν τοιοῦτον τῷ σατανᾷ εἰς ὄλεθρον τῆς σαρκός, ἵνα τὸ πνεῦμα σωθῇ ἐν τῇ ἡμέρᾳ τοῦ κυρίου. Das Pneuma ist auch hier der „überlebende“ Teil des Menschen. Es verbindet die irdische Sphäre mit der ‚kommenden‘ himmlischen. An dieser Stelle darf auch an 1Kor 15,44 erinnert werden. Es werde demnach nicht ein irdischer Leib auferweckt, sondern ein geistiger. Für Christus scheint das gemäß dem darauffolgenden Vers 15,45 ebenso zuzutreffen, er wird zum πνεῦμα ζῳοποιοῦν (vgl. dazu INGO HERMANN, Kyrios und Pneuma. Studien zur Christologie der paulinischen Hauptbriefe, München 1961, 62). Vgl. insb. auch Röm 8,6: τὸ γὰρ φρόνημα τῆς σαρκὸς θάνατος, τὸ δὲ φρόνημα τοῦ πνεύματος ζωὴ καὶ εἰρήνη· INGO HERMANN, Kyrios, 57, schreibt im Zusammengang mit 2Kor 3,17f.: „Pneuma ist – wie δόξα – eine eschatologische Wirklichkeit: es ist aber zugleich die in die Geschichte hineingegebene Gottesgabe, die als Angeld der kommenden Vollendung das Ausharren in dieser Welt und die Tugend der Hoffnung ermöglicht […] Dieses Pneuma ist der Kyrios Christus selbst, insofern er – in dieser Weise seit der Erhöhung – sich dem Menschen gewährt und von ihm erfahren werden kann (Vers 17a).“ Seneca spricht ebenfalls von einem ‚heiligen Geist‘ in uns, der wohl die Funktion des Gewissens übernimmt: sacer intra nos spiritus sedet (Sen. Ep. 41,2). 203 Vgl. etwa W INTER, Einmaligkeit, 160; SCHIERSE, Verheißung, 119. Anders, aber so unhaltbar, REINHARD FELDMEIER, Die Christen in der Fremde. Die Metapher der Fremde in der antiken Welt, im Urchristentum und im 1.Petrusbrief, WUNT 64, Tübingen 1992, 91: Gottes Ruf sei der Grund für die Fremde, nicht die „göttliche Seele des Weisen […] wie überhaupt der für Philo zentrale Gegensatz von Leib und Seele im Hebr keine Rolle spiel[e].“ Das Verhältnis sollte eher so aussehen, dass Gottes Ruf und der Glaube die Erkenntnis des Fremdseins auf Erden auslösen und die Rückkehr in die Heimat ermöglichen. Die Fremdlingschaft ist aber dennoch etwas grundsätzlich den Menschen Betreffendes. Vgl. Plat. Phaid. 81a, wo der Seele unter Reinhaltung und Abspaltung vom Körperlichen verheißen wird, sie werde später zu ihr Ähnlichem kommen, nämlich dem Unsichtbaren, Göttlichen, Unsterblichen, Vernünftigen. Ähnlich formuliert Cic. Tusc. 1,65 in Anlehnung an Aristoteles, die Natur der Götter und der Seelen sei identisch. Neutestamentlich, lässt sich auf Gedanken des Apostels Paulus verweisen, der ebenfalls das πνεῦμα zu Gott, das σῶμα zum Irdischen rechnet (so etwa 1Kor 6,16f.: Mit der Prostituierten werde man εἰς σάρκα μίαν, mit Gott ἓν πνεῦμα). 204 Panaitios argumentierte genau umgekehrt: Alles, was entstehe, vergehe auch wieder. Die charakterliche Ähnlichkeit von Eltern und Kindern sei ein Beweis dafür, dass die Seelen entstanden seien und damit auch stürben (vgl. Cic. Tusc. 1,79). 205 Im vergangenen Jahrhundert (1921) besingt Eugen Roth in seinem Gedicht „Nun ruhe“, veröffentlicht in dem Gedichtzyklus Erde der Versöhnung Stern, eine ähnliche Vorstellung: „Du bist der andere jetzt der immer ist. // Nicht mehr der Wechselnde der war und
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3.4 Das πνεῦμα Jesu Christi Hebr 9,13–14206 handelt von der heilseffizienten Darbringung des Hohepriesters der besseren Heilsordnung. Es ist zunächst unerheblich, womit genau das Objekt seiner Darbringung (ἑαυτόν) inhaltlich zu füllen ist (Blut, Körper, Person, Leben, Gehorsam…?), und ob daher die Darbringung seiner selbst im Tod erfolgt oder später. Auffallend ist, dass AuctHebr hier erneut im Zusammenhang mit Jesu hohepriesterlichem Dienst auf seine Unvergänglichkeit zu sprechen kommt. Ebenso ist sie auch schon im siebten Kapitel angeführt worden, um die Effizienz der neuen Heilsordnung zu belegen. Auf das Motiv, das AuctHebr aus Ps 109,4 LXX aufgenommen hat,207 wird hier wiederholt angespielt. Die Ewigkeit wird in Hebr 9,14 ganz an Jesu πνεῦμα gebunden.208 Die priesterliche Selbstdarbringung geschieht διὰ πνεύματος αἰωνίου. Es liegt ein instrumentales oder ein kausales διά vor.209 Die Wendung ist wie folgt zu übersetzen: „… der sich selbst kraft bzw. dank ewigen Geistes dargebracht hat.“ Hier wird Jesu ewiger Geist zur Voraussetzung einer effizienten soteriologischen Handlung gemacht,210 wie auch im siebten Kapitel schon einmal Jesu Ewigkeit und Unvergänglichkeit als Grundvoraussetzung des Priestertums angeführt worden ist. „Der am himmlischen Heiligtum Darbringende ist durch die Aussage ‚διὰ πνεύματος αἰωνίου‘ der Sohn in seiner pneumatischen wird // Im unruhvollen Gang der Tage. // Du bist der Ewige der selber sich // nun heimgeleitet schreitend durch das Tor // Das froh sich schließt um Deine heilige Stille.“ (Zeichensetzung des Originals; zitiert aus: EUGEN ROTH, Sämtliche Werke, München/Wien 1977, 2:82.) 206 Hebr 9,13–14: εἰ γὰρ τὸ αἷμα τράγων […] ἁγιάζει […] πόσῳ μᾶλλον τὸ αἷμα τοῦ Χριστοῦ, ὃς διὰ πνεύματος αἰωνίου ἑαυτὸν προσήνεγκεν… 207 Vgl. etwa Hebr 7,17: ἱερεὺς εἰς τὸν αἰῶνα, so auch im direkten Gegenüber zu den Priestern der alten Satzung in Hebr 7,21; Hebr 7,24: διὰ τὸ μένειν αὐτὸν εἰς τὸν αἰῶνα; Hebr 7,25: πάντοτε ζῶν; Hebr 7,28: υἱὸν εἰς τὸν αἰῶνα τετελειωμένον. 208 Vgl. R OSE, Hebräerbrief, 140: „Christus hat sich selbst kraft seines Ursprungs von Ewigkeit her als makelloses Opfer Gott dargebracht.“ Da die beschriebene kultische Handlung aber insbesondere auf die Ewigkeit der gewonnenen Erlösung abzielt, ist nicht nur der Ursprung, sondern auch die Unvergänglichkeit Jesu Christi stets mit im Blick. 209 Vgl. B AUER, WB, 359. Διά kann zuweilen auch den Urheber einer Handlung ausdrücken. Das Griechische böte dafür aber genügend eindeutigere Optionen. Dennoch gilt die Feststellung ALOYSIUS WINTERS, Einmaligkeit, 162: „[…] dann kommt dem menschlichen πνεῦμα Christi recht eigentlich die Opfertat zu mit wenigstens derselben Einmaligkeit und Endgültigkeit, deren ein menschliches πνεῦμα fähig ist. Wie die Passivität wesentlich dem körperlichen Bereich zukommt, so ist die Aktivität der Hingabe seiner selbst dem πνεῦμα eigentümlich.“ HAROLD ATTRIDGE, Hebrews, 251, meint, „it suggests something about the ‚locale‘ where the true sacrifice takes place, not in a temple of bricks and mortar, but in the spiritual realm.“ Diese Annahme hat immerhin insofern einen wahren Kern, als natürlich ein Handeln im Geist immer zugleich eine entsprechende geistige Sphäre voraussetzt. 210 Identifiziert man Jesu Darbringung gar mit seinem Tod (= Fleisch und Blut), dann zeigt die vorliegende Stelle, dass Jesu πνεῦμα kein Teil der Opferdarbringung ist und daher nicht vom Sterben betroffen sein kann.
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Gestalt.“211 Und zwar ausschließlich in pneumatischer Gestalt, weil Blut und Fleisch nicht von Gott, sondern von den menschlichen Eltern stammen und daher nicht ewig, göttlich und himmlisch sein können. Dass das πνεῦμα wesentlicher Bestandteil des Menschen sein kann, zeigt etwa Hebr 12,9.212 Es bezeichnet auch in Hebr 9,14 nicht etwa den Heiligen Geist, wie vielfach vermutet wird.213 FUHRMANN, Vergeben, 201. Eine Unterscheidung, wie sie etwa HANS WINDISCH, Die Frömmigkeit Philos und ihre Bedeutung für das Christentum. Eine religionsgeschichtliche Studie, Leipzig 1909, 112, vornimmt, ist so nicht angemessen: „Als Hoherpriester freilich stellt Christus eine Synthese des alttestamentlichen Hohenpriesters und des alexandrinischen Logos dar: wie jener ist er Mensch gewesen, wie dieser ein ewiges gottgezeugtes Wesen.“ Jesus Christus hat nach dem Hebräerbrief, wie auch die (anderen) Menschen, Gott zum geistigen Vater. So sagt H. Windisch an anderer Stelle bzgl. Philons Vorstellungen zu Recht, a.a.O., 7: „Der Mensch ist ein Mittelwesen (μεθόριος), das an der sinnlichen Welt, aber auch an dem göttlichen Wesen teilhat. Mit dem Sterblichen sind wir eng verbunden und verwandt; andererseits ist der Mensch kein irdisches Gebilde, vielmehr ein Himmelsgewächs (φυτὸν οὐράνιον).“ Das gilt so auch für den Hebräerbrief. 213 So zuletzt M ASON, „Spirit,“ 188. Ebenso etwa M ICHEL, Hebräer, 314: „Der ‚ewige‘ Geist ist Umschreibung für den ‚Heiligen‘ Geist (= er hat Anteil an der Ewigkeit Gottes).“ Siehe dazu auch MARTIN KARRER, Hebräer, 2:158, der eine Verbindung von Hebr 9,8 zu 9,14 herstellen will und die beiden Pneumata miteinander identifiziert. In Hebr 9,8 geht es um den Heiligen Geist (In Großschreibung: KARRER, Hebräer, 2:131 innerhalb der Übersetzung; dagegen KARRER, Hebräer, 2:149: Kleinschreibung „heiliger Geist“ innerhalb der Erläuterung zum Vers) als dem Vermittler überkommener Gedanken, wie er in Hebr 3,7 und 10,15 vorkommt, jeweils mit Artikel. Hebr 9,14 ist zwar nicht allein aufgrund des fehlenden Artikels schon davon zu unterscheiden; fehlender Artikel kann aber heißen, dass es sich um etwas Unbestimmtes oder um einen Eigennamen handelt. Da die Wendung „ewiger Geist“ sonst unbekannt ist, ist ein Gebrauch als Eigenname unwahrscheinlich (vgl. WINTER, Einmaligkeit, 165). Der Indetermination wegen kann grammatisch daher kaum Hebr 9,8 wiederaufgenommen sein. SCHUNACK, Hebräerbrief, 124, empfindet den Gedanken an eine metaphysische, übernatürliche Personalität Christi „[s]icherlich abwegig.“ Es werde stattdessen lediglich ausgedrückt, dass der „Heilswille Gottes eigentlicher Beweggrund des eschatologischen Ereignisses“ (a.a.O., 125) sei. Zur Gleichsetzung von ewigem und heiligem Geist in der Forschung vgl. MASON, „Spirit,“ 186f. Nicht wenige griechische Textzeugen lesen διὰ πνεύματος ἁγίου – so laut NestleAland der ursprüngliche Text des Codex Claramontanus (Der ursprüngliche Wortlaut ist nach den mir vorliegenden Photographien nicht zu erkennen, aber der gegenüberstehende lateinische Text liest deutlich per spiritum sancti, was gewiss ἁγίου übersetzt, auch wenn der Übersetzer die Form als Genitivattribut interpretiert: „durch den Geist eines/des Heiligen“) sowie eine Marginalie im Sinaiticus. Die altlateinischen Traditionen bieten ebenfalls sowohl per spiritum sanctum (D und V) als auch per spiritum aeternum (J)/sempiternum (DVariante), was demnach auf unterschiedliche Vorlagen zurückgehen kann. Die Problematik ist jedenfalls alt. MARTIN EMMRICH, „‚Amtscharisma‘: Through the Eternal Spirit (Hebrews 9:14),“ Bulletin for Biblical Research 12.1 (2002), 17–32, behauptet die Verknüpfung von Heiligem Geist und Hohepriesteramt außerhalb des Hebräerbriefes (s. ebd. 32). Aber die dazu 211
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Dagegen spricht erstens, dass der Heilige Geist nie das Epitheton „ewig“ trägt und zweitens nie im Sinne einer eigenen Hypostase für die Heilstat Jesu Christi verantwortlich gemacht wird.214 Jesu Darbringung erfolgt kraft ewigen Geistes. Als Opfermaterial ist Jesu Blut genannt. Es ist nach Hebr 2,14, neben dem fleischlichen Leib, wesentlicher Bestandteil seiner menschlichen Existenz. Geist oder Seele sind die himmlischen215 und daher (beim Menschen potentiell,216 bei Jesus beschlossen) unvergänglichen Teile der Person.217 Dieses Konzept erinnert an das Dictum in Joh 6,63 (τὸ πνεῦμά ἐστιν τὸ ζῳοποιοῦν, ἡ σὰρξ οὐκ ὠφελεῖ οὐδέν; der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch ist nutzlos). Der Gedanke, dass der opfernde Priester selbst in irgendeiner Form die Darbringung überleben müsse, ist bereits gedacht worden.218
angeführten Belege „fail to make the connection between Spirit and high priesthood explicit (though it is certainly implicit),“ so Emmrich selbst (a.a.O., 30). Es ist also nur eine indirekte Beziehung zwischen Heiligem Geist und kultischem Wirken herzustellen. Gleiches gilt insofern vom Hebräerbrief, als in Hebr 9,14 gar nicht vom Heiligen, sondern von einem ewigen Geist die Rede ist. Auch diese Anspielung wäre folglich nur implizit. Emmrich argumentiert: „The Spirit is called ‚eternal Spirit‘ to bring out the (extraordinary) eschatological significance of the Spirit’s assistance in Christ’s once-for-all priestly action.“ Diese Begründung genügt meines Erachtens nicht aus. Πνεῦμα ohne Epitheton ist im Hebräerbrief nie auf den Heiligen Geist bezogen. 214 Vgl. JACK LEVISON, „A Theology of the Spirit in the Letter to the Hebrews,“ CBQ 78 (2016): 90–110: 105, in Berufung auf Martin Emmrich. Siehe auch: EMMRICH, „Amtscharisma,“ 23. Dieser liegt ebenfalls richtig, wenn er einen Bezug auf die Gottesknechtslieder (etwa Jes 42,1) ablehnt (ebd.). Der Hebräerbrief bietet keinen Anlass, mit einer solchen Intertextualität zu rechnen. 215 Siehe LAUBACH, Hebräer, 183: „Weist das ‚Blut‘ auf unsere menschliche Natur, derer Jesus teilhaftig war (vgl. Hbr 2,14), so der ‚Geist‘ auf seine göttliche Natur.“ Vgl. auch SODEN, Hebräerbrief, 33. Er spricht von der „Engelnatur“ des Sohns. 216 H EGERMANN, Hebräer, 77: „Das sterbliche Dasein des Menschen ist da verstanden als vom Schöpfer gegebener Erprobungsstand, in welchem Unsterblichkeit erlangt werden soll durch geschichtliche Bewährung.“ Das finde ich insbesondere in Hebr 10,26 wieder. Die Reinigung des Inneren durch den himmlischen Hohepriester bildet die Grundlage dafür, dass Unsterblichkeit für die Menschen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, rein zu werden, möglich wird. Erneute ‚Verunreinigung‘ zerstört diesen Weg. 217 S. dazu G ELARDINI, „Frei,“ 42, Fn 3: „Das Menschenbild des Hebräers weist ansatzweise dichotome Züge auf (Seele-Leib), nicht jedoch trichotome (Geist-Seele-Leib). Dabei jedoch scheint der Autor den vergänglichen Leib gegenüber der potentiell ewig lebenden Seele nicht abzuwerten (vgl. Hebr 10,39).“ Auch Gräßer nimmt für Hebr 2,14 das πνεῦμα als ungenannte Entsprechung von αἵμα καὶ σάρξ an (GRÄßER, Hebräer, 1:144). 218 B. W EIß, Hebräer, 226: „Unmöglich nun konnte das Vergiessen seines Blutes als ein von ihm selbst dargebrachtes Opfer aufgefasst werden, wenn mit dem Blute seine Seele entströmte und dem Todeszustande im Hades verfiel. Nur weil er mittels ewigen Geistes in seinem leiblichen Tode zugleich lebendig blieb, vermochte er in ihm sich selbst als ein fehlloses Opfer Gotte darzubringen.“ Vgl. auch SODEN, Hebräerbrief, 68.
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„Ein Wesen, das den ewigen Geist hatte, brachte sich selbst für Gott zum Opfer dar; seine Tötung selbst herbeiführend, überlebte es sie kraft des Geistes (I.Petr 3,18; Rm l,3f.), der seine δύναμις ζωῆς ἀκαταλύτου 7,16 darstellt, vermochte so das eigene Blut selbst darzubringen und beschaffte ihm Wirkung ins Geistige und für die Ewigkeit.“219
219 W INDISCH, Hebräerbrief, 78. Dass sich Hebr 7,16 und 9,14 gegenseitig auslegen, wird u.a. von MARTIN EMMRICH, „Amtscharisma,“ 20, bestritten. Die Betonung liege in Kapitel 7 ausschließlich „on his enduring office.“ Der Grund, die Stellen nicht zu vergleichen, sei, „that Christ's atoning death (see 7:27) does not come into play here until 7:26–28“ (a.a.O., 21). Und damit stünden beide Aussagen in verschiedenen Kontexten. Meines Erachtens bleibt das verbindende Element die zu beweisende Wirkkraft des himmlischen Priesterdienstes, die nach beiden Stellen durch die Unvergänglichkeit des Hohepriesters gewährleistet wird. Auch FRIEDRICH D. BÜCHSEL, Christologie des Hebräerbriefs, BFChTh 27/2, Gütersloh 1922, 50, hat Windischs Konzept bereits kritisiert. „Daß Jesus seine Tötung, die er selbst herbeiführt, überlebt, kann nicht auf der Ewigkeit seines Wesens beruhen. Dann wäre er gar nicht wirklich gestorben, hätte nicht sich selbst, sondern nur sein Blut und Fleisch geopfert. Der Geist darf nicht als ein Naturbestandteil Jesu oder gar als seine ‚wieder wirksam werdende göttliche Natur‘ (Windisch S.15) gedacht werden. Dann verliert man die Vollständigkeit des Sterbens Jesu.“ Mir scheint die systematisch-dogmatische Brille unangebracht, mit der der Hebräerbrief hier gelesen wird. Die Frage ist nicht, was man verliert, sondern, was uns der Text selbst an Informationen gibt. Wenn AuctHebr einen ewigen, unsterblichen Personenkern Jesu explizit macht – das mag sich vor dem Hintergrund griechischer Philosophie abspielen oder nicht –, dann muss die Exegese fragen, wie sich dies auf das Todesverständnis des Hebräerbriefes auswirkt. Das ist meines Erachtens über den Aspekt des Leidens greifbar. Mag Jesus am Ende seines irdischen Lebens auch nicht in den Zustand des Nicht-Seins übergegangen sein, das irdisch-fleischliche Leiden war ein echtes. Auch in griechisch-römischer Gedankenwelt gibt es vergleichbare Vorstellungen. Der Tod des Herakles mag als Beispiel dienen. Als Herakles dem leidvollen Flammentod ausgeliefert ist, sagt sein Vater, Juppiter, der das Vater-Sohn Verhältnis zum Beginn seiner Rede betont (Ovid Met. 9,245f.), über den Tod und das weitere Geschick seines Sohnes: omnia qui vicit, vincet, quos cernitis, ignes | nec nisi materna Vulcanum parte potentem | sentiet. aeternum est, a me quod traxit, et expers | atque immune necis nullaque domabile flamma, | idque ego defunctum terra caelestibus oris | accipiam (Er, der alles besiegt, wird auch die Flammen, die ihr [hier] seht, besiegen. Und er wird spüren, dass Vulcanus nur über seinen mütterlichen [also menschlichen, vgl 5,40: quod mortale fuit] Teil Macht hat. Ewig ist, was er von mir empfangen hat, und unberührt und frei vom Tod und von keiner Flamme zu bezwingen [9,251–255]. Dies [sc. was er von mir empfangen hat] werde ich, wenn es mit der Erde abgeschlossen hat, an den himmlischen Gestaden aufnehmen [Und zwar als einen Gott; deus, 9,256]). Es wird anschließend von der neuen Erscheinung des Herakles berichtet, dass, was zerstörbar (populabilis) war, von den Flammen weggenommen wurde (9,262) und er – hier nach seiner ‚menschlichen‘ Herkunft Tirynthier genannt – sich der sterblichen Glieder (mortales … artus, 9,268) entledigt habe. Die Ähnlichkeit zur Mutter sei verschwunden, die Züge Jupiters seien bewahrt (servare, 9,265). Die Parallelen zum Hebräerbrief sind augenfällig. Gott und Jupiter sind jeweils deutlich in ihrer Rolle als Göttervater dargestellt. Beide „Söhne“ haben sowohl Irdisch-Menschliches wie auch Göttliches an sich. Sie haben auf Erden viel Leid erfahren und sterben einen schmerzhaften Tod. Von beiden wird gesagt, sie hätten das Potenzial, ewig zu
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Diese Bemerkung Hans Windischs halte ich für wegweisend. Einen folgerichtigen Schritt weiter geht Aloysius Winter, der den Zusammenhang von Pneuma und Person – wenigstens im Zusammenhang mit dem himmlischen Hohepriester – erkennt. Er bietet die „Erklärung, daß nämlich das πνεῦμα αἰώνιον Christi ‚ewiges Ich‘ oder seine göttliche Natur ist.“220 Pointiert könnte man formulieren: Die Darbringung Jesu kraft ewigen Geistes ist seine Darbringung als ewiger Geist.221 Interessant scheint mir, dass auch Lukas in Apg 16,7 den Geist leben. Beide werden nach ihrem Tod im Himmel empfangen. Jeweils überdauert das, was sie vom Vater bekommen haben. Das klingt bei Ovid zugegebenermaßen nicht so spirituell wie im Hebräerbrief, aber nachdem laut AuctHebr Gott der Vater der Pneumata ist, spricht nichts dagegen zu vermuten, dass das Pneuma eben jener Teil Jesu ist, der die Todesleiden zwar durchaus erfährt, aber nicht stirbt. Gott ist, umgekehrt gesagt, nicht der Vater des Fleisches. Auf menschlicher Seite wird darum Jesu Abstammung aus dem Geschlecht Juda nicht verschwiegen (Hebr 7,14). Nur kann sie sein hohepriesterliches Amt nicht begründen. Dafür wird stattdessen sein göttliches Wesen und die ihm damit gegebene „Kraft unzerstörbaren Lebens“ bemüht. Dies soll die Pointe des Vergleichs Herakles–Jesus sein: Man kann kaum bestreiten, dass Herakles nach Ovid einen ‚echten‘ Tod erleiden und durchleiden musste, obwohl er göttlicher Abstammung ist und dadurch einen unzerstörbaren Wesensteil besitzt. Wenn man auch für Jesus einen solchen ewigen, göttlichen Wesensteil (Pneuma) annimmt, warum und wie sollte sich das auf die Echtheit seines Todes auswirken? Auch von den Menschen sagt AuctHebr schließlich, dass sie stürben und ihnen anschließend das Gericht bevorstehe. Auch hier wird nicht von einem endgültigen leiblichen Tod gesprochen. 220 W INTER, Einmaligkeit, 166. Ähnlich äußerte sich schon Martin Kähler, Zur Lehre von der Versöhnung. Dogmatische Zeitfragen. Alte und neue Ausführungen zur Wissenschaft der christlichen Lehre. Zweites Heft, Leipzig 1898, 307, wenn er den Sohn in Unterscheidung seines Äußeren und Inneren beschreibt. Er schildert ihn als den Sohn, „dessen Gegenbild nicht nur a parte post, sondern auch a parte ante zeitlos dargestellt werden musste; der, dessen Geist deshalb ewiger war und der die Kraft unauflöslichen Lebens so gut in sich trug als das sterbensfähige Blut und Fleisch an sich.“ Auch Paulus kann schon den (auferstandenen?) Christus als Pneuma verstehen (1Kor 15,45: οὕτως καὶ γέγραπται· ἐγένετο ὁ πρῶτος ἄνθρωπος Ἀδὰμ εἰς ψυχὴν ζῶσαν, ὁ ἔσχατος Ἀδὰμ εἰς πνεῦμα ζῳοποιοῦν). Vgl. auch Plutarch, Quaest. Conv. 8 (718B), nach dem das Wesen der Götter u.a aus Pneuma besteht. 221 A TTRIDGE, Hebrews, 251, formuliert: „Christ's self-offering was thus made with that portion of his being that was most truly himself.“ Unsere Stelle ist von einer Aussage, wie sie in Mt 12,28 begegnet, deutlich zu unterscheiden, wo Gottes Geist als Machtquelle und Legitimation der Taten Jesu verstanden ist. Dort heißt es, Jesus treibe kraft des Geistes Gottes (Lk 11,20 spricht vom Finger Gottes) Dämonen aus. Ebenfalls davon abzusetzen ist Röm 1,3f., wo Paulus die Kraft gemäß dem Geist der Heiligkeit – auch hier ist nicht vom Heiligen Geist die Rede – mit der Auferstehung zusammenbringt. Deutlicher Unterschied bleibt auch hier, dass der Geistbesitz Jesu Christi nicht notwendigerweise als ewig gedacht sein muss. AuctHebr geht über diese Stellen hinaus. Möglicherweise finden wir in 1Kor 3,17 einen Beleg dafür, dass Christus („der Herr“) als Geist bezeichnet werden kann. Allerdings ist genannter Vers „[s]chwierig und umstritten“ (RAC, IX, 506): „Soll damit gesagt sein, daß Christus in seiner Existenzweise zur Sphäre des Pneuma gehört, daß er die Gemeinde dort mit hineinnimmt […]?“ Die Schwierigkeiten der Exegese sind allerdings sogar noch rudimentärer, da angezweifelt werden darf, ob mit κύριος überhaupt Christus gemeint ist. JAMES D.G. DUNN, Christology in the Making.
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Jesu als handelndes Subjekt kennt, obwohl er sonst die Leiblichkeit des Auferstandenen so stark betont.222 Eric Mason wendet ein: „The major problem with such proposals is that they require one to read an admittedly difficult phrase in an even more awkward way. For example, one might very reasonably expect the author to have written ‚through his eternal spirit‘ had the phrase been intended as a statement about Jesus himself. Also, it is difficult to reconcile such a statement here – if it be read to speak of Jesusʼ sacrifice via his eternal nature – with the overwhelming emphasis elsewhere in the book on the importance of Jesusʼ humanity for his priestly service, as evident in passages like 2:5‐18 and 4:14–5:10. Even the statement about Jesusʼ ‚indestructible life‘ in 7:17 speaks to his ontology and ongoing intercession (cf. 7:25), not the means by which he offers himself.“223 Ein Possessivum, wie E. Mason es für unsere Interpretation lesen möchte, wäre klärend, aber eben nicht notwendig, um das πνεῦμα als zu Jesus gehörig zu verstehen. Man vergleiche etwa hinsichtlich der Seelenbegrifflichkeit Hebr 10,39 (ἡμεῖς δὲ οὐκ ἐσμὲν ὑποστολῆς εἰς ἀπώλειαν ἀλλὰ πίστεως εἰς περιποίησιν ψυχῆς.) Hier steht ψυχή ebenfalls ohne entsprechendes Genitivattribut.224 Die Feststellung Masons, dass AuctHebr die Menschlichkeit Jesu stark betone, ist völlig richtig.225 Aber die Vorstellung eines ewigen πνεῦμα tut ihr keinen Abbruch, wo doch nach dem Hebräerbrief alle Menschen ein πνεῦμα haben, genauer gesagt πνεῦμα sind, und am Körperlichen nur Anteil haben. Und auch sie leben gemäß ihrer himmlischen Natur himmlisch weiter, wenn sie die Heiligung und Reinigung durch Jesu Opferblut erfahren haben und an ihr festhalten. In ebendiesem Sinn macht Ernst Käsemann bezüglich des Todes Christi
A New Testament Inquiry into the Origins of the Doctrine of the Incarnation, London 21989, 143f., spricht sich dafür aus, dass nicht Christus, sondern Gott selbst mit dem Geist identifiziert werden solle. 222 Dort heißt es, der Geist Jesu verhinderte die Reise nach Bithynien. Ob das Pneuma Jesu tatsächlich „offensichtlich dieselbe göttliche Macht [ist], die in V.6 ‚der heilige Geist‘ hieß,“ (HAENCHEN, Apostelgeschichte, 424) ist zu diskutieren. Die Anordnung ist immerhin parallel, aber es könnte sich freilich auch um zwei voneinander zu unterscheidende Pneumata handeln. 223 M ASON, „Spirit,“ 186. 224 Dass es freilich auch möglich wäre, ein Pronomen zu setzen, zeigt etwa Hebr 12,3 (… ἵνα μὴ κάμητε ταῖς ψυχαῖς ὑμῶν ἐκλυόμενοι). Auch hier wäre die Auslassung des Possessivums jedoch nicht ungewöhnlich. Sie findet sich u.a. in den alten Papyri 𝔓13 und 𝔓46. 225 So unterstellt A LLEN, „Spirit,“ 61, wer meint, der ewige Geist repräsentiere die ewige Natur Christi, lese fälschlicherweise spätere dogmatische christologische Kategorien in den Text und ignoriere zudem, „the more pressing evidence that Hebrews is always at pains to emphasize Jesus' core humanity, especially in relation to his high priestly activity.“ Solche Pauschalisierung halte ich für unangemessen. Vielmehr setzt AuctHebr selbst an unserer Stelle mittels Seelenbegrifflichkeit nicht christologisch, sondern anthropologisch an.
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deutlich, dieser sei „das Abstreifen der Materie seines Körpers und damit die Freilegung der hinter der irdischen Maske verborgenen Himmelsnatur.“226 Ebenfalls richtig sieht Mason, dass es in Kapitel 7 um Ontologie und nicht wie in Kapitel 9 um die Opferdarbringung geht. Aber immerhin wird gerade das Priestertum mit der Unsterblichkeit Jesu legitimiert. Dass dies nur für die Fürsprache von Bedeutung sei, bleibt meines Erachtens eine Hypothese. 3.5 Exkurs: Das πνεῦμα als anthropologische Konzeption außerhalb des Hebräerbriefes Die vorausgehende Analyse des Lebens- und Todesverständnisses des Hebräerbriefes hat die Vorstellung des πνεῦμα als bedeutsam erwiesen. Das macht es notwendig, einen Seitenblick auf seine Verwendung im älteren griechischen wie jüdischen Schrifttum zu werfen. 3.5.1 Das πνεῦμα in der griechischen und jüdischen Antike Das Substantiv πνεῦμα hat ein so breites Bedeutungsspektrum, dass es hier nicht in Gänze untersucht werden kann.227 Der Fokus wird im Folgenden auf den Gebrauch in anthropologischen Kontexten gelegt. Dass der Begriff eine anthropologisch-psychologische Denotation aufweist, ist in der Antike nicht grundsätzlich der Fall. Platon beispielsweise handelte stattdessen von der unsterblichen ψυχή mit dem höheren Seelenteil des λογιστικόν, die freilich immateriell zu denken ist. Der Begriff πνεῦμα erscheint bei ihm indes nie in diesem oder einem vergleichbaren Sinn. In der Stoa dagegen ist der πνεῦμα-Begriff recht prominent, wird zuweilen auch in anthropologischem Sinn gebraucht und kann sogar mit der Psyche „in
226 ERNST K ÄSEMANN, Das wandernde Gottesvolk. Eine Untersuchung zum Hebräerbrief, FRLANT 55, Göttingen 21957, 102. Er begründet seine zutreffende Einschätzung fälschlich anhand gnostischer Tradition. Anlass zur Diskussion gibt der Begriff der irdischen Maske. Wie hoch ist die Wertschätzung des irdischen Daseins durch den AuctHebr? Aussagen über das Irdische als vorläufig, leidvoll, schwach, erschütterlich und sündhaft lassen durchaus in Betracht ziehen, dass AuctHebr dem an das Materielle gebundenen Leben geringere Qualität und damit einen geringeren Wert beimisst. 227 S. dazu etwa die noch immer lehrreiche Darstellung von H ERMANN SIEBECK, „Entwicklung,“ 361–407. Einen Überblick bietet etwa FRANCESCO MOISO, „Geist. 2. Begriffsgeschichte. 2.1 ‚Pneuma‘ und die anderen griechischen Wörter,“ in Hans Jörg Sandkühler (Hg.), Enzyklopädie Philosophie, Hamburg 2010, 792f. Vgl. auch MAIRE E. ISAACS, The Concept of Spirit. A Study of Pneuma in Hellenistic Judaism and its Bearing on the New Testament, London 1976. Hilfreich ist insbesondere die gelungene Übersicht über den Gebrauch von πνεῦμα, a.a.O.,150–154.
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eins“228 gesetzt werden (ψυχικὸν πνεῦμα229). Allerdings deklariert man als Stoiker das πνεῦμα nicht als immateriell, sondern als stofflich. Man wird jedoch übereinstimmend mit Hermann Siebeck feststellen müssen, dass sich das stoisch verstandene πνεῦμα im Laufe der Zeit „in seiner Reinheit im Grunde schon aller körperlicher Eigenschaften entledigt hat, obwohl man es (des Princips wegen) ausdrücklich noch als Körper postulirt […] Es ist in der Tat schon mehr Logos als Körper. Das Merkmal des alldurchdringenden Agens wiegt bei weitem vor über das des Massiven, Materiellen.“230 Für Siebeck steht diese Entwicklung unter dem Einfluss der oben genannten platonischen Ideen- und Seelenlehre, derer sich auch die Stoa nicht habe verschließen können.231 Das heißt, der immaterielle Seelenbegriff der Akademie trägt zu einer Modifikation des einstmals rein materiellen Pneuma-Begriffes der Stoa bei.232 Auch Cicero berichtet von einer allgemeinen Annäherung der Begrifflichkeiten animus (Geist/Seele, was der ψυχή entspräche) und anima (Geist/Hauch, was dem πνεῦμα entspräche): animum aut alii animam, ut fere nostri.233 Schließlich sei auf den pseudepigraphischen Platondialog Axiochos hingewiesen.234 Von Interesse ist die dort vorfindliche Argumentation, dass der göttliche Geist (θεῖον πνεῦμα) die Unsterblichkeit der menschlichen Seele garantiere, nachdem sie aus dem Körper-Gefängnis befreit sei. Zugleich sei es dieses πνεῦμα, das den Menschen zu Lebzeiten zu seinen intellektuellen 228 ThWNT, 6:351. Dazu lautet ein Argument, das Chalcidius (vermutl. um 400 n.Chr.) Zenon zuschreibt: Quo recedente a corpore moritur animal, hoc certe anima est; naturali porro spiritu recedente moritur animal, naturalis igitur spiritus anima est. Ebenso beruft er sich an gleicher Stelle auf Chrysipp: naturalis igitur spiritus anima esse invenitur (Chalcidius, In Platonis Timaeum c. 220sq, zitiert nach KARLHEINZ HÜLSER, Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker. Neue Sammlung der Texte mit deutscher Übersetzung und Kommentaren, Stuttgart/Bad Cannstatt 1987, 2:456). Seneca, Ep. 50,6 erklärt die Beschaffenheit der Seele so: Quid enim est aliud animus quam quodam modo se habens spiritus (Denn was ist die Seele anderes als ein Geist/Hauch, der sich auf eine bestimmte Art verhält). Beides wird im Folgenden noch als Stoff bestimmt, der aber leichter als alle andere Materie sei. 229 Chrysipp fr. 715–716. 230 SIEBECK, „Entwicklung,“ 387. Anders ThWNT, 6:355. 231 Für Platon ist die Seele immateriell. Den Begriff Pneuma verwendet er jedoch nie im anthropologischen Sinn. 232 Dazu passt, dass auch der Gedanke der Unsterblichkeit der Seele zu neutestamentlicher Zeit in der hellenistischen Popularphilosophie weiter verbreitet war als in den Schulphilosophien dieser Zeit. So etwa WALTER, „Unsterblichkeit,“ 51, Fn 9. 233 Cic. Tusc. 1,19. Kurz darauf (1,24) findet sich die Bemerkung: Wenn die Seele (animus) Herz, Blut oder Gehirn sei, stürbe sie als Teil des Körpers zusammen mit dem Körper. Animus wie anima sind daher unkörperlich zu denken. 234 Dieser Dialog wird gewöhnlich ins erste vorchristliche Jahrhundert datiert, jedenfalls m.W. nicht später (vgl. Irmgard Männlein-Robert u.a. [Hg.], Ps.-Platon. Über den Tod, SAPERE XX, Tübingen 2012, 6f.), und kommt daher als Referenztext für den Hebräerbrief infrage.
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Leistungen befähige, etwa der genauen Naturbeobachtung, dem Städtebau, der Schifffahrt usw.235 Es scheint sich daher auch hier um den besseren Seelenteil zu handeln und damit ähnlich verstanden zu sein wie sonst das λογιστικόν und der νοῦς. Dass dies möglich ist, zeigt Philons im Grunde gut stoische Definition des νοῦς als einem ἔνθερμον καὶ πεπυρωμένον πνεῦμα.236 Im Platonischen Corpus findet sich ein solcher Gebrauch von πνεῦμα noch nicht,237 der vorliegende Dialog jedoch, den man dem Mittelplatonismus zuordnet, integriert den Begriff und lässt das ihm zugrundeliegende Konzept gar zum Schlüsselargument werden, das schließlich Axiochos, dem Gesprächspartner des Sokrates, die Furcht vor dem Sterben nimmt. Im vorchristlichen jüdischen Schrifttum habe, so James D.G. Dunn, der Begriff πνεῦμα sukzessive an Bedeutung verloren. Diese Abkehr führt er hypothetisch auf eine Abgrenzung vom stoischen Verständnis zurück, da die dem πνεῦμα zugeschriebene Stofflichkeit nicht zum jüdischen Gottesbegriff gepasst habe. „To sum up, there is little or nothing in pre-Christian Judaism to prepare the sort of identification between Jesus and the Spirit which Paul and John seem to have envisaged, and nothing to provoke the idea of an incarnation of the Spirit in or as a man.“238 Das beschriebene Problem mag bestanden haben. Von konkurrierenden Vorstellungen kann man sich grundsätzlich entweder distanzieren oder aber man kann sie integrieren. Philon etwa kennt πνεῦμα als anthropologische Bezeichnung, mag der Begriff auch in seinem Werk nicht zum Vorzugsvokabular gehören. Bei ihm tritt nun die Eigenschaft der Immaterialität aufgrund seiner platonischen Färbung noch stärker in den Vordergrund als es sogar schon innerhalb der stoischen Schule zu beobachten war.239 Wie oben gezeigt, gibt es Ps.-Platon Ax. 370b–d. Philon, Fug. 134. 237 So auch von IRMGARD M ÄNNLEIN-R OBERT, Ps.-Platon, 81 in ihren Erläuterungen zur Stelle dargelegt. 238 D UNN, Christology, 136. 239 Vgl. Philon, Abr. 113: Hier wird von Engeln gesagt, sie wechselten ἀπὸ πνευματικῆς καὶ ψυχοειδοῦς οὐσίας εἰς ἀνθρωπόμορφον ἰδέαν. Diese Aussage ist besonders im Hinblick auf Gig. 12 interessant, wo es heißt, manche Seelen seien nie in Körper hinabgestiegen und hätten sich nicht mit Irdischem vermengt. Vgl. ThWNT, 6:370–373. S. dazu: SIEBECK, „Entwicklung,“ 396f.: Ähnlich verhält es sich innerhalb der Schriften des Neuen Testaments. Dort sei das Pneuma dem „Gebiete des Physischen … antipodisch.“ Pneuma trete an die Stelle, die klassisch dem νοῦς zukam. Anders ERNEST BEST, „The Use and Non-Use of Pneuma by Josephus,“ NovT 3/3 (1959), 218–225: 225: „[W]e may say that pneuma is retained in the meanings which a Greek would easily accept, e.g. wind, breath. It virtually disappears where it is applied to the spirit of man; this is an extension of a tendency already found in the LXX; the same occurs in Philo. When it applies to God we find θεῖον πνεῦμα rather than πνεῦμα θεοῦ; its usage here is almost completely restricted to prophecy and oracular speech and is used only of such within the Biblical period.“ 235
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ein solches Verständnis später etwa auch im mittelplatonischen Dialog Axiochus. Zudem gibt es biblische und apokryphe Schriften, die πνεῦμα als anthropologische Größe begreifen (etwa Ps 50,19 LXX, πνεῦμα für ;רוַּחähnlich auch Ps 77,7 LXX), beziehungsweise solche, für die es sogar imstande ist, den Tod zu überdauern.240 Es sei zum Beispiel auf Sir 38,23 hingewiesen: ἐν ἀναπαύσει νεκροῦ κατάπαυσον τὸ μνημόσυνον αὐτοῦ καὶ παρακλήθητι ἐν αὐτῷ ἐν ἐξόδῳ πνεύματος αὐτοῦ (Mit der Ruhe eines Toten lass sein Andenken ruhen, und lass dich indes mit dem Ausgang seines Geistes trösten). Es stellt sich die Frage, inwiefern der Gedanke an den ἔξοδος πνεύματος tröstlich sein kann. Nicht tröstlich wäre, wenn an ein bloßes Aushauchen gedacht wäre,241 und zwar im Sinne des deutschen Idioms „den Geist aufgeben“ oder „die Lebensenergie verlieren.“ Das ist auch im entsprechenden hebräischen Text zu Sir 38,23 so nicht angelegt. Es ist im Gegenteil sogar bezeichnend, dass die Vorlage für πνεῦμα offenbar נפשgewesen ist, nicht רוח. Die Konkordanz von Hatch und Redpath kennt keinen einzigen weiteren Beleg für eine Äquivalenz dieser beiden Vokabeln.242 Für נפשwäre ψυχή zu erwarten gewesen. In SapSal 3,2 findet sich erstaunlicherweise ebendiese Junktur tatsächlich mit nahezu identischem Sinngehalt (καὶ ἐλογίσθη κάκωσις ἡ ἔξοδος αὐτῶν [sc. ψυχῶν]). In SapSal 16,14 schließlich werden beide Begriffe parallel gebraucht.243 So kann meines Erachtens die Wahl des Begriffes bei Sirach nur ideologisch zu erklären sein und müsste die Vorstellung zur Grundlage haben, dass beim Tod eben gerade das πνεῦμα, möglicherweise im Sinne des besseren Seelenteils, überdauere.244 Woher diese Anschauung kommt, ist nicht klar. Dass Jesus 240 Vgl. zur Unsterblichkeit der Seele/des Geistes in der Septuaginta: W ALTER, „Unsterblichkeit,“ 55f. 241 So noch Gen 35,18: יצא+ ( נפשLXX: ἀφίημι + ψυχή) und Ps 146,4: יצא+ ( רוחLXX: ἐξέρχομαι + πνεῦμα), vgl. ThWNT 3:801 (dort fälschlich Gen 35,38 statt 35,18). 242 Der umgekehrte Fall, ψυχή für רוח, könnte evtl. in Sir 31,17 vorliegen (φοβουμένου κύριον μακαρία ἡ ψυχή). Zwar ist an der Stelle kein hebräischer Text überliefert, doch deutet die syrische Version ( $# )ܪܘauf רוחin der Vorlage hin. 243 Der Mensch, so SapSal 16,13–14, kann den hinausgegangenen Geist (ἐξελθὸν πνεῦμα) eines Verstorbenen nicht zurückholen und die (in der Unterwelt) aufgenommene Seele (ψυχὴν παραλημφθεῖσαν) nicht befreien. Gott ist dagegen beides möglich. Er führt zur Unterwelt und wieder hinauf. 244 Sir 46,20 zeigt am Beispiel Samuels, dass es für Jesus Sirach die Vorstellung einer postmortalen Existenz gibt oder geben kann. Zu Sir 31,14 (πνεῦμα φοβουμένων κύριον ζήσεται) stellt NORBERT PETERS, Das Buch Jesus Sirach oder Ecclesiasticus, EHAT 25, Münster 1913, 282, fest, es sei dort „keineswegs das ewige Leben [gemeint], sondern die Erhaltung in Todesgefahr.“ Der direkte Kontext gibt ihm auf den ersten Blick Recht. Peters nimmt andererseits an, dass der syrische Text dem verlorenen hebräischen entsprechen sollte und beide etwa lauten: „Den Sinn derer, die den Herrn fürchten, erforscht er.“ Dabei nimmt er an, ein mögliches רוחbedeute hier „Sinn“ und für ζήσεται nimmt er ein ζητήσεται als ursprünglich an. Die Lesart ζητήσεται ist uns nicht
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Sirach von der griechischen Philosophie, insbesondere der Stoa, beeinflusst sein könnte, wurde nicht selten vermutet.245 Die Forschungslage abwägend spricht sich etwa Sharon Lea Mattila dagegen aus.246 Die Art und Weise des Fortlebens des Pneumas bleibt bei Sirach unausgesprochen. Der Glaube an eine postmortale Existenz ist aber dennoch vorhanden.247 Πνεῦμα kann jedenfalls auch in biblischer Literatur einen konstitutiven Bestandteil des Menschen bezeichnen (etwa Ps 50,12 LXX) und weist insbesondere im hellenistischen Judentum – wie auch bei den Griechen248 – bisweilen eine Nähe zu den Seelenbegriffen der ψυχή249 oder – dies besonders bei Philon250 wie auch an einigen Stellen des NT251 – dem νοῦς auf.252 Spezifische überliefert, sondern vom lateinischen Text (quaeretur) her erschlossen. Die Frage nach der Vorlage des lateinischen Sirach ist nicht beantwortet. Üblicherweise nimmt man eine zweite griechische Übersetzungstradition an, die aber nur bruchstückhaft erhalten ist und für die im Grunde der lateinische Text selbst der beste Zeuge ist. Daher findet man immer wieder Nähen zum hebräischen Original, deren Wegen zum lateinischen Text nicht nachzuspüren ist. Daher ist nicht auszuschließen, dass der Grieche bewusst eine solche Vorstellung eingetragen hat, die das Leben, vielleicht sogar das ewige Leben, an das πνεῦμα bindet. 245 Paulus stellt eindrucksvoll die sterbliche ψυχή dem überdauernden πνεῦμα gegenüber, s. 1Kor 15,44. Mit NIKOLAUS WALTER, „Unsterblichkeit,“ 59 erkennen wir, dass sich Paulus philosophischer Terminologie bedient und dass er den Menschen als „duales Geschöpf“ sehen kann. Es ist aber auch festzustellen, dass er dabei die Grenzen der hellenistischen Anthropologie sprengt, spätestens wenn er sein Konzept der Unsterblichkeit auf den σῶμαBegriff anwendet. 246 SHARON LEA M ATTILA, „Ben Sira and the Stoics: A Reexamination of the Evidence,“ JBL 119/3 (2000), 473–501. 247 So auch das Resümee von FRIEDRICH V. R EITERER, „Deutung und Wertung des Todes durch Ben Sira,“ in ders., ‚Alle Weisheit stammt vom Herrn…‘ Gesammelte Studien zu Ben Sira, Renate Egger-Wenzel (Hg.), Berlin 2007, 307–344: 340f. 248 Vgl. H. C ROUZEL, Art. „Geist,“ in RAC, IX, 406: Das Pneuma wird „in einem vornehmlich biologischen Sinne zum Äquivalent von ψυχή.“ S. auch a.a.O., 499: „Für die früheren Stoiker dagegen ist das Pneuma die vernünftige Seele, u. zwar sowohl im Menschen wie in der Welt.“ 249 ISAACS, Concept, 36 (Als Beispiel führt sie zu Recht etwa Bar 3,1 und Dan 3,86 LXX an). Vgl. auch a.a.O., 61. Auch Paulus kennt πνεῦμα im Sinne des Menschengeistes und gebraucht es zuweilen synonym zu ψυχή (vgl. RAC, IX, 508). 250 ISAACS, Concept, 38. Anders RAC, IX, 501. Auch neutestamentlich kennt man das πνεῦμα in Erkenntnis wirkender Funktion. Darin kann man eine Nähe zum νοῦς vermuten (vgl. SIEBECK, „Entwicklung,“ 398). 251 Eph 4,23 (auch im Vergleich mit Röm 12,2). Anders freilich 1Kor 14,15. Vgl. zur Bedeutung des Begriffs Pneuma auch CHRISTIAN STRECKER, „Zugänge zum Unzugänglichen. ‚Geist‘ als Thema neutestamentlicher Forschung,“ ZNT 25 (2010), 3–20: Dort insb. 4f. 252 Kritisch sieht das R UDOLF B ULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 51965, 155, der die genannte anthropologische Konnotation ablehnt und meint, die Übersetzung von πνεῦμα mit ‚Geist‘ führe in die Irre. „Πνεῦμα bedeutet nicht ‚Geist‘ im Sinne des platonisch-griechischen und idealistischen Verständnisses, nämlich nicht Geist im Gegensatz zum σῶμα als dem Träger des sinnlichen Lebens oder zur Natur. ‚Geist‘ in diesem
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Eigenart des πνεῦμα mag sein, dass dessen unmittelbar göttlicher Ursprung vorausgesetzt wird.253 Es bleibt aber nicht etwa von Gott fremdbestimmt, sondern wird dem Menschen zu eigen, sodass es kognitive wie emotionale254 Funktionen übernehmen kann, ja zum persönlichkeitsbildenden Bestandteil eines sich selbst erfahrenden Individuums wird.255 Sinne, als Subjekt des ‚geistigen‘ Lebens, heißt griechisch ψυχή bzw. νοῦς oder λόγος. Vielmehr ist πνεῦμα die wunderbare göttliche Kraft, die im Gegensatz zu allem Menschlichen schlechthin steht.“ Davon abweichend äußert sich Bultmann in anderem Zusammenhang. Für Paulus findet er einen Gebrauch des Begriffs, der den Bezeichnungen σῶμα und ψυχή nahekommt. Alle drei Begriffe können demnach stellvertretend für ein Personalpronomen stehen und die Person bedeuten (a.a.O., 207). Ursprünglich ist in der griechischen Antike einer der Hauptunterschiede der beiden Begriffe, dass νοῦς immer schon immateriell gedacht ist, während πνεῦμα stofflich gedacht wurde, etwa wie das Licht im Unterschied zu „der viel stofflicheren Kraft des Luftzuges“ (Kleinknecht, zitiert in RAC, IX,496). 253 ISAACS, Concept, 35: „In terms of its origin and nature it could be said that πνεῦμα is always πνεῦμα θεῖον.“ Auch in der Stoa hat das Pneuma göttliche Eigenschaften, auch wenn es noch materiell gedacht oder bezeichnet ist. Vgl. SIEBECK, „Entwicklung,“ 386. Vermutlich verschwimmen je später je mehr die Grenzen zwischen immanentem und transzendentem Pneumabegriff, zwischen dem ‚rein‘ stoischen Verständnis und dem ‚rein‘ platonischen. Der stoische Monismus wird in seinem Gegenüber der platonischen Ideenwelt nicht mehr streng durchgehalten. Das Pneuma wird in der Stoa ebenfalls mit der Gottheit identifiziert (Erstmals wohl bei Kleanthes). Vgl. dazu REINHARD FELDMEIER, „Göttlicher Geist und Unsterblichkeit der Seele“ in Irmgard Männlein-Robert u.a., Ps.-Platon. Über den Tod, SAPERE XX, Tübingen 2012, 141–153: 149. Auch bei Philon ist die göttliche Nähe des πνεῦμα vorausgesetzt. Er unterscheidet den himmlischen Urmenschen, „dessen Substanz der Seele das πνεῦμα bildet, und einen irdischen, in dem νοῦς und πνοή vermischt sind.“ Vgl. FRIEDRICH WILHELM HORN, Das Angeld des Geistes. Studien zur paulinischen Pneumatologie, Göttingen 1992, 46. Vgl. a.a.O. den gesamten Abschnitt zu Philons Pneumatologie: 45–48. Vgl. auch Philon, Her. 55: „Blut [sei] das Wesen der ganzen Seele und ein göttlicher Hauch [sc. πνεῦμα] das ihres vorzüglichsten Teiles.“ Zu den vorliegenden anthropologischen Begrifflichkeiten bei Philon s. RUDOLF MEYER, Hellenistisches in der rabbinischen Anthropologie. Rabbinische Vorstellungen vom Werden des Menschen, BWANT 74, Leipzig 1937, 38, Fn 1. 254 Vgl. 1Kor 16,18. 255 Vgl. z.B. 1Kor 2,11: τίς γὰρ οἶδεν ἀνθρώπων τὰ τοῦ ἀνθρώπου εἰ μὴ τὸ πνεῦμα τοῦ ἀνθρώπου τὸ ἐν αὐτῷ. HERMANN BERTRAMS, Das Wesen des Geistes nach der Anschauung des Apostels Paulus, Münster 1913, 6, bemerkt zu dieser Stelle: „Man kann nicht umhin, zu gestehen, daß τὸ πνεῦμα τοῦ ἀνθρώπου nur den dem Menschen von Natur aus eignenden Geist bezeichnen kann, zumal sein Verhältnis zum Menschen mit dem Verhältnis des göttlichen Geistes zu Gott verglichen wird. Mit diesem sicheren Ergebnis ist aber entschieden, daß das Wort auch sonst beliebig oft dieselbe Bedeutung haben kann.“ Ob es diese Bedeutung hat, müsse dann der jeweilige Kontext erweisen. Maßstab dafür sei etwa, dass im Zusammenhang auch vom menschlichen Leib gesprochen werde. 1Kor 5,3 und Kol 2,5 sind gute Beispiele dafür. Darüber hinaus zählt Bertrams zu Recht Röm 1,9; 8,10.16; Eph 4,23 sowie die Schlussformeln in Gal 6,18; Phil 4,23; 2Tim 4,22; Phlm 25 ebenfalls zu dieser Kategorie.
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Es ist bereits die „jüdische Anthropologie […] von ihren Voraussetzungen her offen für eine dualistische Sicht des Menschen, welche der Seele himmlische, dem Leib aber irdische Abkunft beimißt.“256 Um dieser himmlischen Abkunft Ausdruck zu verleihen, kommt mit der Zeit der Pneumabegriff verstärkt ins Spiel. Als Beispiel mag ein Blick auf die Schöpfungsgeschichte, genauer auf Gen 2,7, genügen. Dort ist ursprünglich nicht von רוַּח/πνεῦμα die Rede. Aber auch wenn die Septuagintaversion des Schöpfungsberichtes den von Gott eingehauchten Lebensodem (hebr. )ְנָשָׁמהam Platze mit πνοή übersetzt257, wird doch bei der Rezeption dieser Stelle des Öfteren πνοή durch πνεῦμα ausgetauscht.258 Vielleicht spielt der Einfluss von Gen 6,17 dabei eine Rolle, wo es heißt, Gott wolle alles verderben, was Lebensodem (רוַּח/πνεῦμα) in sich habe (vgl. auch Gen 6,3 und 7,15). Wenn auf die Schöpfungsaussage nach Gen 2,7 Bezug genommen wird, wird jedenfalls dem πνεῦμα unmittelbarer göttlicher Ursprung zugesprochen. So kann sogar in Koh 12,7 formuliert werden: „Und der Staub kehrt zur Erde zurück, so wie er gewesen ist, und der Geist kehrt zu Gott zurück, der ihn gegeben hat“ (καὶ τὸ πνεῦμα ἐπιστρέψῃ πρὸς τὸν θεόν, ὃς ἔδωκεν αὐτό). Es bleibt festzuhalten: Bereits in der griechischen Philosophie, angestoßen von stoischen Denkern, wird der Begriff πνεῦμα anthropologisch gebraucht, wenn er auch gegenständlich gedacht wird. Im Laufe der Zeit tritt diese materielle Auffassung nach und nach in den Hintergrund und das Konzept nähert sich der platonischen Vorstellung von der unsterblichen, immateriellen Seele an. Auch in biblischen Texten gibt es durchaus Belegstellen, an denen das πνεῦμα für Identität, Intellekt und Persönlichkeit des Menschen steht. Bisweilen meint man, es überdauere die irdische Lebenszeit. Es zeigt sich daher, dass sich die Vorstellungen von Geist und Seele, wie sie im Hebräerbrief zum Ausdruck kommen, durchaus mit dem decken, was sich auch in philosophischen Schriften entwickelt und was dann möglicherweise auch seinen Niederschlag insbesondere in späterer biblischer Literatur (SapSal oder Sirach) gefunden hat. 3.5.2 Die Bedeutung des πνεῦμα in der Golgatha-Szene der Evangelien Wenn im Hebräerbrief nach der Rolle des Pneuma innerhalb des Christusgeschehens geforscht werden soll, wirft dies die Frage auf, ob auch sonst im Neuen Testament das Pneuma Christi eine größere Rolle spielt. Interessanterweise ist dies an prominenter Stelle der Fall, nämlich bei der Todesszene Jesu am Kreuz. Im synoptischen Vergleich lässt sich unter Einbeziehung des HORN, Angeld, 41. Nach der Konkordanz von Hatch/Redpath ist das auch die übliche Übersetzung. Gr. πνοή steht fast immer für hebr. ְנ ָשׁ ָמה, gr. πνεῦμα für hebr. רוַּח. 258 Exemplarisch seien angeführt: Jes 42,5; Ez 37,5.14; Philon, Leg. All. 3,161; Det. 60; Jos. Ant. 1,1,3. 256
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Johannesevangeliums eine inhaltliche Weiterentwicklung hin zum seelischen Pneumabegriff feststellen. Es soll im Folgenden der Wortlaut der einzelnen Evangelien näher beleuchtet und einander gegenübergestellt werden. Im Markusevangelium heißt es: Mk 15,37: ὁ δὲ Ἰησοῦς ἀφεὶς φωνὴν μεγάλην ἐξέπνευσεν. Jesus aber, der einen lauten Schrei ausstieß, hauchte (sein Leben) aus.
Das Verbum ἐκπνέω gehört zwar derselben Wortfamilie an wie das Substantiv πνεῦμα (im Sinn von Wind/Hauch), bedeutet aber schlicht, dass Jesus zu atmen aufhört, seine Lebensenergie verliert und stirbt. Etwas anders verhält es sich bei der Parallelstelle im Matthäusevangelium. Mt 27,50: ὁ δὲ Ἰησοῦς πάλιν κράξας φωνῇ μεγάλῃ ἀφῆκεν τὸ πνεῦμα. Jesus aber, der nochmals mit lauter Stimme schrie, ließ seinen Geist fahren.
Matthäus wandelt den Markustext also ab. Zum einen wählt er für die ‚laute Stimme‘ ein Verbum dicendi (κράζω) statt des etwas holprigen ἀφίημι. Zu ἀφίημι wiederum setzt er als neues Objekt τὸ πνεῦμα und lässt dafür das von Markus absolut stehende Prädikat ἐκπνέω ausfallen. Ist der Einsatz von πνεῦμα nur stilistisch? Welches Verständnis von Pneuma ist hier anzunehmen? Geht es um Gottes Geist im Sinne der prophetischen Begabung,259 die von Christus im Tod weicht? Geht es anthropologisch um die Lebenskraft oder um die Geistseele Christi? Auch in der griechischen Antike gab es die Vorstellung eines sich beim Tod vom Körper trennenden Pneuma, das sich dann jedoch „in der Luft oder dem Äther, […] zu verlieren“260 scheint. Ein Blick ins Lukasevangelium zeigt, dass der Vers dort noch weiter ausgebaut wird, und zwar unter Zuhilfenahme von Ps 30,6 LXX (nachfolgend in Kursivdruck). Lk 23,46: καὶ φωνήσας φωνῇ μεγάλῃ ὁ Ἰησοῦς εἶπεν· πάτερ, εἰς χεῖράς σου παρατίθεμαι τὸ πνεῦμά μου. τοῦτο δὲ εἰπὼν ἐξέπνευσεν. Und indem Jesus mit lauter Stimme schrie, sprach er: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist. Nachdem er dies gesagt hatte, hauchte er (sein Leben) aus.
Lukas ändert ebenfalls den markinischen Stoff ab, allerdings anders als Matthäus. Er entscheidet sich ebenfalls dazu, statt des holprigen ἀφίημι ein Verbum dicendi einzusetzen. Mit der Wendung φωνέω φωνῇ wählt er eine Figura 259 So etwa ERNST LOHMEYER, Das Evangelium des Matthäus. Nachgelassene Ausarbeitungen und Entwürfe zur Übersetzung und Erklärung von Ernst Lohmeyer für den Druck erarbeitet und herausgegeben von Werner Schmauch, KEK Sonderband, Göttingen 21958, 395. 260 RAC, IX, 495. A DOLF SCHLATTER, Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache sein Ziel, seine Selbständigkeit. Ein Kommentar zum ersten Evangelium, Stuttgart 71982, 783, interpretiert die Tatsache, dass Jesus das πνεῦμα hergeben musste, als „vollendete Gottverlassenheit. Das macht aus dem Sterben den von Gott Gerichteten.“
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etymologica.261 Das ἐξέπνευσεν am Ende lässt er stehen. Aber er nutzt die Gelegenheit, den bei Markus und Matthäus noch unartikulierten Schrei Jesu mit Inhalt zu füllen, und lässt Jesus Ps 30,6 LXX zitieren. Interessant ist, dass auch hier das Wort πνεῦμα vorkommt. Ursprünglich wohl als Abendgebet gedacht,262 wird nun der Sinn des Psalms vom folgenden Lebensende her neu bestimmt und muss entsprechend interpretiert werden. Das bloße ἐκπνέω bei Markus beschreibt medizinisch den Atemstillstand. Matthäus spricht vom Entweichen des Geistes Jesu. Es könnte sich um den Geist im Sinne seiner Seele, aber auch schlicht um den Lebensgeist (d.h. die Lebensenergie) handeln. Lukas aber beschreibt durch das Zitat des Psalms die Übergabe des Geistes in Gottes Hände.263 Spätestens hier kann es nicht mehr um entschwindende Lebensenergie gehen. Gerade ein Blick auf Lk 8,55 lässt den Leser unter πνεῦμα die identitätstragende Geistseele verstehen, die beim Tod den Körper verlässt und in ihn zurückkehrt (ἐπιστρέφω).264 Wenn auch in der Komposition anders, so doch in dem entscheidenden Punkt spannend, ist die entsprechende Passage im Johannesevangelium. Joh 19,30: ὅτε οὖν ἔλαβεν τὸ ὄξος ὁ Ἰησοῦς εἶπεν· τετέλεσται, καὶ κλίνας τὴν κεφαλὴν παρέδωκεν τὸ πνεῦμα. Nachdem Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und sein Haupt neigend übergab er den Geist.
Unterschied zu den synoptischen Evangelien ist zum einen das unaufgeregte Sterben Jesu. So fehlt bei Johannes der laute Schrei. An diese Stelle tritt die nüchterne Feststellung Jesu, es sei vollendet. Auch Johannes (oder womöglich
Zur Wendung vgl. Mk 1,26; Apg 16,28; Offb 14,18. Str-B., 2:269. 263 Ein Echo des Psalmverses findet sich in Apg 7,59, so JOACHIM JEREMIAS, Die Sprache des Lukasevangeliums. Redaktion und Tradition im Nicht-Markusstoff des dritten Evangeliums, KEK Sonderband, Göttingen 1980, 307. 264 Vgl. FRANÇOIS B OVON, Das Evangelium nach Lukas, EKK 3, 3 Bände, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989–2001, 1:452. Ebenfalls kann man Lk 9,31 in die Überlegung miteinbeziehen. In der Verklärungsszene verheißen Mose und Elia den ἔξοδος Jesu in Jerusalem. Es handelt sich um Lukas-Sondergut und klingt nach der Wendung, die sich in Sirach (38,23) und der Sapientia Salomonis (SapSal 3,2; 16,14) findet. Dort ist vom Auszug des Geistes/ der Seele beim Tod die Rede. ULRIKE MITTMANN, „‚Sie sprachen von seinem Exodus, den er in Jerusalem erfüllen sollte‘ (Lk 9,31),“ in Judith Gärtner/Barbara Schmitz (Hg.), Exodus. Rezeptionen in deuterokanonischer und frühjüdischer Literatur, DCLS 32, Berlin/Boston 2016, 321–370: 357, findet dabei einen Anklang an die Exodus- und Sinaitraditionen und damit an das „Urbild der Befreiung Israels […] Die eschatologische Herausführung des Menschen aus dem Zustand der Versklavung unter die Sünde erscheint als Frucht des Todes Jesu.“ 261
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schon die ihm vorliegende Quelle265) hat das πνεῦμα eingetragen.266 Dieses steht hier für den menschlichen, nicht den göttlichen Geist.267 Er spricht von der Übergabe des Geistes,268 was – anders als bei Matthäus, aber vergleichbar mit Lukas – unbedingt ein Gegenüber erfordert, das den Geist aufnimmt. Bei Lukas ist der Empfänger, wie im Psalm vorgegeben, explizit Gott. Johannes lässt es an dieser Stelle zwar offen, vermutlich ist jedoch ebenfalls Gott gemeint. Bei der Betrachtung der Sterbeberichte der Evangelien zeigt sich, dass der πνεῦμα-Begriff im ältesten Evangelium noch nicht vorhanden ist. In den übrigen wurde er eingetragen. und zwar – das ist nun das Erstaunliche – in unterschiedlicher Weise. Es liegt vielleicht eine gemeinsame Tradition zugrunde, aber der Wortlaut unterscheidet sich. Gleich bleibt, dass der Zeitpunkt des Todes mit dem Auszug oder der Übergabe des Geistes verbunden wird. Das bloße „Aushauchen“ im Markusevangelium schien den späteren Autoren offenbar zu schwach, es kommt eine spirituelle Dimension dazu. Das verbindet nun die Sterbeberichte der Evangelien mit Hebr 9,14, wo der ewige Geist Jesu an der Darbringung beteiligt ist. Joachim Jeremias sieht ebenfalls an dieser Stelle den Anknüpfungspunkt: „Die προσφορὰ τοῦ σώματος 10,10 und die προσφορά des Blutes gehören zusammen. (Vielleicht enthalten die Worte διὰ πνεύματος αἰωνίου 9,14 eine Anspielung auf den Zeitpunkt des Todes: sterbend gibt Jesus nach Lc 23,46 seinen Geist in die Hände des Vaters.) SCHNACKENBURG, Johannesevangelium, 3:332. Die Formulierung in Joh 19,30 ist mit Joh 10,17f. vergleichbar, wo es wörtlich heißt, Jesus lege seine Seele (= sein Leben?) nieder, um sie wieder zu nehmen. Die Begriffe ψυχή und πνεῦμα scheinen geradezu äquivalent. 267 SCHNACKENBURG, Johannesevangelium, 3:332f. Vgl. auch B ARRETT, Johannes, 532. Zuweilen meint man, dass Joh 7,39 mitgedacht werden müsse, wo es heißt, dass die Übergabe des πνεῦμα an die Glaubenden erst mit seiner Verherrlichung möglich werde. Dagegenspricht, dass diese Übergabe des (Gottes-)Geistes an die Glaubenden erst in Joh 20,22 eigens ausgeführt wird. Es ist also eine Beziehung zwischen Joh 7,39 und 20,22 als gegeben zu betrachten. JAMES D.G. DUNN, Christology, 141, verbindet demgegenüber Joh 19,30 mit 20,22. „John uses a deliberately ambiguous phrase (‚he handed over the Spirit‘ – John 19,30) which foreshadows the giving of the Spirit in 20,22 and seems thus already to equate Jesusʼ spirit with the Holy Spirit.“ Die Situationen, in die diese Geistübergaben gesprochen sind, sind jedoch völlig andere. Wenn Dunn die Übergabe des Geistes nicht mehr (ausschließlich) als Ausdruck des Sterbens verstehen will, ebnet er diese Unterschiede ein. Eine direkte Beziehung zwischen den beiden Stellen oder gar eine Andeutung von 20,22 in 19,30 halte ich darum für fraglich. 268 Die Wendung παραδιδόναι τὸ πνεῦμα hat keine wörtliche Parallele. So auch SCHNACKENBURG, Johannesevangelium, 3:322, FN 68. Wenn aber obige Annahme stimmt, dass die vergleichbaren Formulierungen in Joh 10,17f. und 19,30 auf eine ähnliche Verwendung der Begriffe ψυχή und πνεῦμα hindeuten, könnte am ehesten Platon eine Verständnishilfe bieten. Sokrates warnt davor, seine Seele den Sophisten anzubefehlen. Es liegen in Plat. Prot. 312c zwei Wendungen vor, nämlich παρέχω τὴν ψυχήν und παραδίδωμι τὴν ψυχήν, die synonym zu verstehen sind. 265
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Am Karfreitag also erfolgte die Darbringung des Blutes im himmlischen Allerheiligsten.“269 3.6 Geist und Seele Auch über die Seele (ψυχή) fallen im Hebräerbrief einige Bemerkungen.270 Wenn πνεῦμα als Persönlichkeitskern zu verstehen ist, evoziert das unmittelbar die Frage, wie es sich zu ψυχή verhält.271 Die einzige Stelle, an der beide Begriffe gemeinsam auftauchen, findet sich in Hebr 4,12: Ζῶν γὰρ ὁ λόγος τοῦ θεοῦ καὶ ἐνεργὴς καὶ τομώτερος ὑπὲρ πᾶσαν μάχαιραν δίστομον καὶ διϊκνούμενος ἄχρι μερισμοῦ ψυχῆς καὶ πνεύματος, ἁρμῶν τε καὶ μυελῶν, καὶ κριτικὸς ἐνθυμήσεων καὶ ἐννοιῶν καρδίας· Gottes Wort sei schärfer als jedes zweischneidige Messer,272 das bis zur Zerteilung vierer Elemente durchdringe.273 Diese vier Begrifflichkeiten (ψυχῆς καὶ πνεύματος, ἁρμῶν τε καὶ μυελῶν) stellen die Forschung gleich vor mehrere Schwierigkeiten. So ist nicht recht klar, was im Kontext mit ἁρμός und μυελός gemeint ist. Das Substantiv ἁρμός bezeichnet im Grunde die „Fuge“ als jene Stelle, an der zwei Körper zusammenhängen und kann dann auch in anatomischem Sinn konkret für das „(Schulter-) Gelenk“ stehen.274
JEREMIAS, „Karfreitag,“ 198. Zur Entwicklung des Seelenbegriffes, insbesondere hinsichtlich der Frage nach dualistischen vs. nichtdualistischen Konzepten, vgl. PETER MARINKOVIC, „Seele – Geist ohne Körper? Exegetische Anmerkungen zum Personverständnis im Judentum der persischen und hellenistischen Zeit,“ in Josef Quitterer/Georg Gasser (Hg.), Die Aktualität des Seelenbegriffs. Interdisziplinäre Zugänge, Paderborn 2010, 309–326. 271 Im Rahmen stoischer Vorstellungen kann man sagen, die Seele sei „eine besondere Ausgestaltung des Pneuma […] Das feinste Peuma ist die menschliche Seele, das gröbste die bloße ‚Beschaffenheit‘ (ἕξις) der unorganischen Dinge.“ So SIEBECK, „Entwicklung,“ 378. Ähnlich WILDBERGER, Seneca, 1:237 et passim. 272 Zu μάχαιρα s. G ENE R. SMILLIE, „‚Ὁ ΛΟΓΟΣ ΤΟΥ ΘΕΟΥ‘ in Hebrews 4:12–13,“ Novum Testamentum 46/4 (2004), 338–359: 348f. Es handele sich höchstens um ein kleines Schwert, eher aber um ein Schlachtermesser. Es gebe Hinweise, die dafürsprächen, dass es in Hebr 4,12–13 auf das Werkzeug eines Chirurgen anspielen könnte. Der Abschnitt enthalte folglich das Bild einer „benevolent, albeit painful, vivisection“ (a.a.O., 349). Möglicherweise liege eine Verbindung zur Beschneidung des Herzens (Röm 2,29) vor (a.a.O., 352). Jesus selbst würde als Operateur vorgestellt, der die seit Hebr 3,7 angesprochene Verhärtung des Herzens heilen könne (a.a.O., 354). 273 Vgl. Lk 2,35 „… und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“ 274 PASSOW, Handwörterbuch, 1:394. Die Vetus Latina-Traditionen schwanken bei der Übertragung entsprechend zwischen den Begriffen artus (Gefüge, anatomisch: Gelenk, Gelenkglied) und compago (Gefüge, anatomisch: Gerippe). Vgl. HERMANN JOSEF FREDE, „Epistula ad Hebraeos,“ in ders. (Hg.), Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel. 269
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Das Wort μυελός bedeutet zuerst anatomisch das „Mark“ der Wirbelsäule und allgemein das der Knochen. Gelegentlich bezeichnet es das Gehirn. Übertragen aber steht es auch für das „Innere“, den Kern einer Sache. Für die Begriffe ψυχή und πνεῦμα ist immerhin klar, dass sie sich in irgendeiner Form auf den inneren Menschen beziehen können. Ist es darum notwendig ἁρμός und μυελός, weil auf den Menschen zu beziehen, in ihrer anatomischen Bedeutung zu verstehen? Die Entscheidung hängt nicht zuletzt von der Frage nach der Gruppierung der vier Elemente ab. Was wird wovon durch Gottes Messer getrennt? Erwogen wird: a) Jedes Element wird einzeln zerteilt. Gottes Wort zerteilt die Seele, zerteilt den Geist, zerteilt die Gelenke, zerteilt das Mark. Eduard Riggenbach argumentiert: „Da Gelenke und Mark im menschlichen Körper nirgends zusammentreffen und also auch in keinem Sinn voneinander getrennt werden können, so muß jedes für sich Gegenstand der Scheidung sein.“275 Nach August Ebrard gilt das ebenso für die ersten beiden Elemente der Seele und des Geistes, die beide gleichermaßen das Zentrum der Person bezeichnen: „Das πνεῦμα ist ψυχή seiner natürlichen basischen Anlage nach; die ψυχή ist πνεῦμα ihrer persönlichen Entwicklung nach.“276 Wenn es zutreffen sollte, dass beide das Gleiche bezeichnen, kann auch nicht das eine vom anderen getrennt werden. Eine Schwierigkeit solchen Verständnisses ist allerdings der antiklimaktische Aufbau, absteigend vom Geistigen zum Körperlichen. Eine weitere ist das inkonzinn anmutende τέ, das die beiden letzten Elemente, ἁρμῶν τε καὶ μυελῶν, zu einer Einheit zu verbinden scheint.277 b) Selten wird eine Dreiteilung in Erwägung gezogen. Die Seele wird vom Geist und diese wiederum vom Leib getrennt. Gelenke und Mark stünden dann also pars pro toto für das Fleischliche. Ein möglicher Referenztext für eine Band 25. Epistulae ad Thessalonicenses, Timotheum, Titum, Philemonem, Hebraeos, Freiburg 1987, 998–1692, 1201. 275 R IGGENBACH, Hebräer, 111f. So beispielsweise auch B LEEK, Hebräer, 2:574; THOLUCK, Hebräer, 220; LÜNEMANN, Hebräerbrief, 159; HEGERMANN, Hebräer, 106; SCHUNACK, Hebräerbrief, 59. So unterteilt bereits die hauptsächlich von Augustinus überlieferte lateinische Übersetzungstradition A: „ad divisionem animae et spiritus et compaginum et medullarum.“ Siehe FREDE, „Hebraeos,“ 1201. 276 JOHANN H EINRICH A UGUST EBRARD, Der Brief an die Hebräer, Königsberg 1850, 173. Vgl. auch KARRER, Hebräer, 1:227: Das Wort dringe durch das Ohr des Menschen „(das der Hebr nicht erwähnt, wohl weil es sich selbstverständlich ergibt) in sein Inneres, zerteilt seinen Lebensatem (als ‚Leben‘ und ‚Geist‘ doppelt umschrieben) und seinen Körper (als ‚Gelenke‘ und ‚Mark‘ ebenfalls doppelt umschrieben) bis in die tiefste Mitte, zum ‚Herzen‘ hinein.“ Eine spezifische Anthropologie, etwa die Platons, zu übertragen, lehnt Martin Karrer zu Recht ab. Die o.a. Kritik des antiklimaktischen Aufbaus (vom Körperlichen zum Geistigen) trifft auch hier zu. 277 S. PASSOW, Handwörterbuch, 2,2:1837 s.v. τε; W INER, Grammatik, 409, §53,4. Das zweite Glied ist sogar dann häufig eine Näherbestimmung des ersten (K.-G., 2,2:247f., dort §521,2 und 522,2).
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solche Dreiteilung findet sich in 1Thess 5,23.278 Diese Unterteilung erklärte τε καὶ besser. Sie scheint andererseits der Anschauung des AuctHebr jedoch nicht zu entsprechen, da man zumindest ein weiteres καί zwischen πνεύματος und ἁρμῶν erwarten würde. c) Eine verbreitete Erklärung ist, dass die Konjunktion καί angebe, was wovon geteilt werde. Gottes Wort trenne Seele und Geist einerseits279, und es teile andererseits die Gelenke und das Mark voneinander.280 Gott sei imstande, das Unmögliche zu tun und Seele vom Geist und Gelenk vom Mark zu trennen, „Dinge, die wir uns getrennt gar nicht denken können.“281 Dabei bleibt die anatomische Ungenauigkeit, dass Gelenke und Mark im Körper gar nicht zusammentreffen, vernachlässigt.282 Ein weiteres Gegenargument ist die fehlende Bezeugung einer Konstruktion, in der μερισμός mit zwei Genitiven stünde, „die zwei verschiedene, auseinanderzuteilende Größen bezeichnen.“283 Auch τε, das nur bei dem zweiten Paar eingesetzt ist, scheint so unerklärbar.284 Überdies ist auch hier das oben genannte Problem der Antiklimax vorhanden.285 278 Von FRITZ LAUBACH, Der Brief an die Hebräer, Wuppertaler Studienbibel, Berlin 1969, 94f., als Möglichkeit vorgestellt. Interessant an der Stelle 1Thess 5,23 bleibt aber die Stellung des πνεῦμα an erstem Rang. Bei Aristoteles stand dort noch der νοῦς (vgl. SIEBECK, „Entwicklung,“ 398). 279 Eine mögliche Referenzstelle für die Einschätzung, dass Seele und Geist voneinander zu trennen seien, also voneinander unterschieden werden, ist bei Philon gegeben (Leg. All. 1,37f.). 280 So möglicherweise schon in den Vetus-Latina-Traditionen D und J verstanden, wenn sie ein -que an artuum anschließen bzw. ein quoque nach compaginum setzen. Eine Variante dieser Einteilung ist der Versuch, ἁρμῶν τε καὶ μυελῶν mit μερισμοῦ zu koordinieren, statt es ihm unterzuordnen. Bereits LÜNEMANN, Hebräerbrief, 158, wendet ein, dass dazu ἄχρι hätte wiederholt werden müssen. 281 SODEN, Hebräerbrief, 41. 282 Etwa STROBEL, Hebräer, 50: „Das Bild der Zertrennung von Gelenken und Mark will wahrscheinlich nicht den Bereich des Körperlichen einbringen, sondern bezieht sich auf Engverfugtes.“ 283 B RAUN, Hebräer, 118. 284 B LEEK, Hebräer, 2:580, hielte zu Recht eine Koordination der beiden Begriffspaare nur dann für möglich, wenn auch das erste Begriffspaar durch τε καί verbunden wäre. 285 B LEEK, Hebräer, 2:579: „Aber hier würde es immer eine unnatürliche Antiklimax geben, wenn, nachdem schon Seele und Geist genannt waren, als welche vom Worte Gottes getheilt würden, darnach noch in gleicher Beziehung Gelenke und das Mark des Körpers genannt würden.“ JOHANN HEINRICH KURTZ, Der Brief an die Hebräer, Mitau 1869, 145, sieht es dagegen als Klimax an, insofern er ἁρμοί καὶ μυελοί versteht als die leibliche „Basis, in der sie [sc. Seele und Geist] wurzeln.“ Vergleichbar ist die Ansicht LÜNEMANNS, Hebräerbrief, 159: „[…] ἁρμοί τε καὶ μυελοί ist nicht von den Gelenken und dem Marke des Leibes, sondern von den Fugen und dem Marke der ψυχή und des πνεῦμα zu verstehen, ist also bildlicher Ausdruck, um die innerste, verborgenste Tiefe des menschlichen Geisteslebens zu bezeichnen.“ So auch ALFRED SEEBERG, Der Brief an die Hebräer, EvThB, Leipzig 1912, 47: Die beiden Genitivgruppen seien nicht voneinander abhängig gedacht, „sondern das
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Gabriella Gelardini vermutet aufgrund der „merkwürdige[n] Anordnung von ‚Seele und Geist, Gelenk und Mark […] eine Analogie zwischen der ‚Seele‘ und dem ‚Gelenk‘ bzw. dem ‚Geist‘ und dem ‚Mark‘.“286 d) Friedrich Bleek und Johann von Hofmann etwa unterteilen wieder anders. Sie meinen, dass das Wort Gottes „der Seele und des Geistes Fugen und Mark zertheilt.“287 Damit fassen sie ψυχῆς καὶ πνεύματος als Genitivattribute von ἁρμῶν τε καὶ μυελῶν auf.288 Die Verbindung μυελὸς τῆς ψυχῆς in übertragener Bedeutung ist immerhin belegt,289 für ἁρμοί in Kombination mit einem Seelenbegriff gibt es dagegen keinen positiven Befund. Für diese grammatische Analyse spricht aber nichtsdestotrotz, dass man sich nicht der Problematik des antiklimaktischen Aufbaus aussetzt. Auch das nur die zweite Gruppe unterteilende τε bereitet bei Hofmanns Erklärung weniger Schwierigkeiten. Fugen und Mark wären die eigentlichen Objekte der Teilung290 und bezeichneten figurativ das Allerinnerste des menschlichen Geistes und der menschlichen Seele.291 Seele und Geist stünden wiederum schlichtweg für den ganzen inneren Men-
zweite Paar sagt appositionell aus, daß Seele und Geist nach ihrem Innersten in Betracht kommen.“ 286 G ELARDINI, „Frei,“ 50, Anm. 18. 287 H OFMANN, Heilige Schrift, 192. 288 Entsprechend urteilt G EORG H OLLMANN, „Der Hebräerbrief,“ in Wilhelm Bousset/Wilhelm Heitmüller (Hg.), Die Schriften des Neuen Testaments neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt, Band 3, Göttingen 31917, 157–218, 174: „Gelenke und Mark, in diesem Zusammenhang Bilder für das Innerste der Seele.“ 289 Eur. Hipp. 255; Themist. Or. 32. 290 M ARTIN K ARRER, Hebräer, 1:227, weist darauf hin, dass μάχαιρα nicht ein Schwert, sondern ein Schlachtmesser bezeichne. Das ließe unmittelbar an die anatomischen Konnotationen der Begriffe ἁρμός und μυελός denken. Bloß gibt es auch Belegstellen, klassische wie biblische, an denen μάχαιρα eine Waffe, nämlich „ein kleines Schwert, Säbel, Dolch“ bedeutet; s. PASSOW, Handwörterbuch, 2,1,137. Gegen die Deutung als Schlachtmesser argumentiert etwa BRAUN, Hebräer, 119. 291 Eine Vermengung organischer und geistiger Begrifflichkeiten, um das eigentlich metaphorisch verstandene Innere des Menschen zu beschreiben, findet sich, wenn auch freilich in satirischer Überspitzung, in einem Chanson des Liedermachers Walter Hedemann mit dem Titel „Die inneren Werte“ (1978): „Die äußere Schönheit, die vergeht irgendwann. // Auf den inneren Menschen, auf den kommt es an, // auf die tieferen Gründe, auf das menschliche Herz, // auf die Stühle, die Winde zwischen Zwerchfell und Sterz. // Da trägt jeder Mensch seinen Wert insgeheim, // zwischen Leber und Nieren und Magen und Schleim. // Was die inneren Organe durchströmt und durchpulst, // die Flora, die Fauna, ringsum die Geschwulst, // in Sekreten, Geweben, im Eiter, im Blut, // daran hängt das Leben und vielleicht hängt’s ja gut. // Es kommt, wie es kommt, und es kommt auch zum Schlimmen // und die inneren Werte, dann müssen sie stimmen. // Und wenn das so ist, freut sich dein Internist // und dein Röntgenologe und dein Anästhesist // und dein Chirurg // und vielleicht der Liturg. // Woran Du erst siehst, // wie viel wert du noch bist.“
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schen.292 Das heißt umgekehrt mit Blick auf den Pneumabegriff: Er steht nicht wie etwa in Hebr 2,4 für den dem Menschen zugeteilten göttlichen Geist. Das ist insbesondere dann augenscheinlich, wenn man bedenkt, dass – wie oben dargelegt – das πνεῦμα nach Hebr 4,12 in sich selbst geteilt und nicht von der ψυχή abgespalten gedacht wird. Es muss sich alleine aus diesem Grund schon um eine dem menschlichen Individuum zugehörige Komponente handeln, denn es bliebe völlig dunkel, weshalb Gottes Wort den eigenen Geist „analysieren“ oder offenlegen sollte. Aufgrund von Hebr 4,12 liegt die Vermutung nahe, dass die Begriffe ψυχή und πνεῦμα geradezu synonym,293 vergleichbar294 oder wenigstens komplementär gebraucht werden,295 auch wenn „die anthropologisch besonders interessante Stelle Hebr 4,12f. terminologisch nicht gepreßt werden“296 darf, so wird diese Annahme doch durch weitere Belegstellen gestützt, an denen AuctHebr von der Seele spricht, namentlich Hebr 6,19 und 10,39: a) Hebr 6,19: Unsere Seele hat dank Jesus einen Anker, der in das Allerheiligste reicht, wohin Jesus – gewiss nicht in fleischlicher Gestalt – vorausgegangen ist. Ψυχή würde hier als „Wesenskern“297 des Menschen verstanden, als Gestalt seines späteren himmlischen Daseins, wie sie sonst dem πνεῦμα zukommt. Entscheidend ist, dass gerade nicht gesagt wird, der ganze Mensch, bestehend aus Körper und Geist, habe einen Anker ins Allerheiligste.298
292 W ILFRIED EISELE, Unerschütterliches Reich, 392, meint: „Ob man das nun so versteht, daß der Geist von der Seele gespalten wird, oder mit Gräßer so, daß sie jedes in sich zerteilt werden‘ – klar ist in jedem Fall, daß die enge Zusammengehörigkeit von Seele und Geist betont wird.“ Nahezu synonymer Gebrauch von ψυχή und πνεῦμα gibt es etwa in Bar 3,1, SapSal 15,11. 293 Auch wenn H.-F. W EIß ablehnt, eine „bestimmt[e] Anthropologie“ ableiten zu können, weist er zu Recht darauf hin, dass von AuctHebr „ψυχή und πνεῦμα […] nicht qualitativ unterschieden“ werden. Ähnlich GRÄßER, Hebräer, 1:234: „Demzufolge gehören ψυχή und πνεῦμα engstens zusammen, stehen jedenfalls völlig unbetont nebeneinander zur Bezeichnung des Inneren des Menschen.“ Nach gängiger anthropologischer Unterscheidung sei ψυχή Ausdruck und πνεῦμα Bedingung des Lebens. 294 Platon kann vergleichend sagen, die Seele verhalte sich ὥσπερ πνεῦμα (Phaid. 70a), wenn sie aus dem Leib entweiche. Das Tertium Comparationis scheint die Beschaffenheit zu sein. Bei Platon hat das πνεῦμα jedoch keinen anthropologischen Gehalt. 295 H EGERMANN, Hebräer, 84 (Exkurs zur Anthropologie im Hebräerbrief), unterscheidet beide Begriffe durch den jeweiligen Aspekt. Die Seele sei „wollendes, denkendes, vertrauendes Ich,“ wobei das Pneuma dem – wenngleich stärker transzendental – entspreche. 296 H EGERMANN, Hebräer, 84. 297 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 250. 298 Auch Cicero kennt den Gedanken eines von Gott ermöglichten Zugangs zum Himmel. Vgl. Somn. Scip. 15: nisi enim deus is, cuius hoc templum est omne, quod conspicis, istis te corporis custodiis liberaverit, huc tibi aditus patere non potest (Zitat aus M. Tvllivs Cicero, Scripta qvae manservnt omnia. Fasc. 39. De re Publica. Liberorum sex qvae manservnt, Konrat Ziegler [Hg.], München 1969, 129; Denn wenn Gott, dem dieser ganze Tempel
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Solches setzte voraus, wer die leibliche Auferstehung des Menschen ins Konzept des Hebräerbriefes integrieren will. b) Hebr 10,39: Die Seele soll durch Glauben gerettet werden. Das ist die explizierende Parallelaussage zum vorangegangenen Wort, dass man durch Glauben leben werde (Hebr 10,38). Die Seele ist damit der Bestandteil des Menschen, der potentiell bestehenbleiben kann, sie ist „zur Ewigkeit und damit zur Vollgestalt des Lebens bestimmt.“299 Es ist also nicht nachzuweisen – was in hellenistisch-römischer Zeit durchaus möglich wäre – dass πνεῦμα als eine Bezeichnung für die „göttlich-unsterbliche Vernunft“ von ψυχή abzusetzen wäre. Letztere konnte als eine „vergängliche, unvernünftige, vegetativ animalische Lebenskraft“ verstanden werden.300 Viel eher scheint AuctHebr die beiden Begriffe synonym zu gebrauchen.301 Unklar bleibt bei der Untersuchung des Pneuma- und des Seelenbegriffes, ob und inwiefern sich AuctHebr überkommener philosophischer und theologischer Konzepte bedient. Aber es lässt sich zeigen, dass Motive und Ideen, die er in Anschlag bringt, in seiner Zeit nicht nur denkbar, sondern bereits gedacht waren. 3.7 Fazit Mit Gabriella Gelardini ist festzuhalten, es gelte für den Hebräerbrief, „dass es eine Substanz oder Instanz im irdischen Menschen aus ‚Blut und Fleisch‘ gibt, welche nicht wie ‚Blut und Fleisch‘ mit dem Tod vergehen muss. Dies ist für den Hebräer das pneuma, der Geist.“302 gehört, den du siehst, dich nicht aus dem Gewahrsam des Körpers befreit, kann dir hierher [sc. zum Himmel, s. Somn. Scip. 13] kein Zugang offenstehen). 299 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 373. G ENE R. SMILLIE, „ΛΟΓΟΣ,“ 343: „The author clearly uses ψυχή, at 6:19; 10:38, 39; 12:3; and 13:17 for the spiritual nature of the human (or divine, 10:38) person.“ 300 M ARTIN R ÖSEL, „Die Geburt der Seele in der Übersetzung. Von der hebräischen näfäsch über psyche der LXX zur deutschen Seele,“ in Andreas Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie, FRLANT 232, Göttingen 2011, 151–170: 161. Im pseudoplatonischen Dialog Axiochus wird der Besitz des Pneumas schließlich gar zur anthropologischen Begründung für die Unsterblichkeit des Menschen. Vgl. dazu Feldmeier, „Geist,“ 149f. Ziel ist, mit solcher Argumentation die Todesfurcht zu nehmen. Selbige scheint auch für den AuctHebr nicht unbedeutend (vgl. Hebr 2,15). 301 Biblisch findet sich solch synonymer Gebrauch beispielsweise in Jes 26,9 und, neutestamentlich, in Lk 1,46f. 302 G ELARDINI, „Frei,“ 50. Vgl. besonders SCHIERSE, Verheißung, 119: Es sei der Schlüssel zum Verständnis der Erlösungslehre, „daß der Mensch seinem πνεῦμα, seiner συνείδησις nach, wesentlich zur himmlisch-unsichtbaren Schöpfung gehör[e].“ GERD THEIßEN, „Das transformative Menschenbild der Bibel. Die Erfindung des ‚inneren Menschen‘ und seine Erneuerung im Urchristentum,“ in Bernd Janowski (Hg.), Der ganze Mensch. Zur
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A. Jesu Tod und Unvergänglichkeit
Über eine himmlische Existenz der Menschen vor der Geburt äußert sich AuctHebr zwar nicht explizit, sicher darf aber aus der göttlichen Vaterschaft des Pneumas, dem Geschwisterverhältnis zu Jesus, der gemeinsamen himmlischen Heimat, und der Herkunft ἐξ ἑνὸς πάντες303 vorausgesetzt werden, dass auch der Ursprung der Menschen als ein himmlischer gedacht ist.304 Auch sie sind, wie es in Anwendung von Ps 8 (Hebr 2,9) christologisch und vielleicht anthropologisch heißt, ein wenig unter die Engel erniedrigt. Das stimmte dann mit der ursprünglichen Intention des Psalms überein. Obige Analyse hat gezeigt, dass es für Jesus, wie auch für den Menschen, einen organischen Tod gibt, der aber das Leben nicht in einem ganzheitlichen Sinn beendet.305 Ein gerecht gelebtes Leben führt den Menschen an oder in das Heiligtum Gottes: Ein reiner Geist (also der Geist Jesu) und ein gereinigter Geist (also der Geist der Glaubenden, die sich das Christus-Heil zueignen) leben in himmlischer Sphäre weiter. Die sogenannte ‚bessere Auferstehung‘ wird bloß denjenigen Glaubenden zuteil, die bereits vor dem Christusgeschehen gestorben waren, auf dass schließlich alle gemeinsam vollendet würden (Hebr 11,40). Infolgedessen kann der im Hebräerbrief (vorsichtig) erwähnte Tod Jesu nur als ein bloß physisches Ableben der Person verstanden werden. Es ist das Durchschreiten des Fleisches (Hebr 10,20). Zu sehr betont AuctHebr die Unvergänglichkeit des Gottessohnes. Sein Leben kann nicht zerstört werden und darum hat eine Auferstehung oder gar eine Auferweckung im Hebräerbrief keinen Ort. Die seelisch-geistige Komponente Jesu überlebt das Kreuz. Solche
Anthropologie der Antike und ihrer europäischen Nachgeschichte, Berlin 2012, 269–287: 272, kennt eine Entwicklung hin zu der Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele innerhalb der spät- und nachalttestamentlichen Zeit, die sich aus der Hoffnung an ein Überleben des Todes herausgebildet habe: Der Glaube an die Zugehörigkeit zu Gott in alle Ewigkeit etwa in den Psalmen, der Auferstehungsglaube (Dan und 2Makk) und schließlich die Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele (SapSal). 303 Eine eng verwandte Aussage findet sich bei Seneca, Ep. 44,1: stemma non inspicit: omnes, si ad originem primam revocantur, a dis sunt (Den Stammbaum beachtet sie [sc. die Philosophie] nicht: alle stammen, wenn man zum ersten Anfang zurückgeht, von den Göttern ab). Vgl. auch Seneca, De Consolatione ad Helviam matrem, 6,7: Non est [sc. mens = anim(us)] ex terreno et graui concreta corpore: ex illo caelesti spiritu descendit (Sie [sc. die Seele] ist nicht aus irdischem und schwerem Leib geschaffen: von jedem himmlischen Geist ist sie herabgestiegen). 304 Nach SCHIERSE, Verheißung, 120, sei der Mensch ein Himmelswesen. Die Präexistenz gelte aber der Natur nach, nicht der Zeit. 305 In der Sapientia Salomonis ist ein verwandtes Konzept zu finden. Dort wird das Phänomen mit dem Begriff der ἀφθαρσία bezeichnet, der „zwar die Existenz des Menschen in die Ewigkeit hin entgrenzt, ohne aber zu suggerieren, dass der Mensch der Realität des Sterbens nicht unterworfen wäre.“ So BLISCHKE, „Zeit,“ 194.
3. Der Sohn Gottes ‚erlebt‘ den Tod
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Anschauung ist im neuen Testament nicht singulär.306 Dass AuctHebr in 9,14 die Selbstdarbringung durch Jesu ewigen Geist geschehen lässt, unterstützt diese Annahme. Er selbst ist in pneumatischer Gestalt Subjekt der Opferdarbringung seiner selbst.307 Martin Karrers Beobachtung mit Blick auf die Johannesapokalypse könnte eine Hilfestellung zur Deutung des Befundes im Hebräerbrief bieten. Er schreibt: „Im himmlisch-visionären Raum ist Christus durch alle Zeiten dauerhaft lebendig, integriert er Symbole seines Sterbens in sein Sein (Durchbohrung und Schlachtung) und ist er in steter Bewegung, um bei den Menschen irdischen Lebens in deren je nur einen Augenblick währendem Jetzt anzukommen.“308
306 Vgl. B ERTRAM, „Himmelfahrt.“ Wenn Bertrams Argumentation auch nicht in allen Einzelheiten zuzustimmen ist, so ist die eigentliche Annahme dennoch korrekt und bleibt gültig. 307 Anders JAMIESON, Jesusʼ Death, 83: „That the Son assumed a body at his incarnation and remains embodied after his resurrection is crucial to Hebrewsʼ entire cultic construal of the Christ-event.“ Damit fielen sozusagen Opfermaterie und Daseinsform Jesu in eins. 308 K ARRER, „Präexistenz,“ 182.
B.
Die Heilsbedeutung des Todes Jesu 1. Der Stand der Forschung im Überblick
1. Der Stand der Forschung im Überblick
Der erste Teil meiner Untersuchung hat gezeigt, dass AuctHebr nur sehr zurückhaltend über den Tod Jesu spricht. Diese Diskretion ist jedoch nicht damit zu begründen, dass der physische Tod vom Autor in seiner Historizität geleugnet würde oder er im Hebräerbrief keine Rolle spielte. Dennoch betont AuctHebr angesichts seiner Vorstellungen vom ewigen Priestertum nach Ps 109 LXX sehr stark die Unvergänglichkeit des Gottessohnes und verflicht diese mit der zweifelsfrei für ihn heilsrelevanten Darbringung des himmlischen Hohepriesters. Wenn AuctHebr den Tod Jesu demgegenüber nun so reserviert und distanziert bespricht, stellt sich die Frage, ob ihm dennoch eine heilsrelevante Funktion zugestanden werden muss und, falls ja, in welchem Verhältnis er zur hohepriesterlichen Selbstdarbringung steht. Die Spannung zwischen beiden Ereignissen ist insbesondere auffallend, wenn man bedenkt, dass der Tod, verstanden als eine Begrenzung des irdischen Lebens, auch selbst ein irdisches Geschehen ist, die Darbringung des Hohepriesters dagegen im himmlischen Heiligtum lokalisiert wird. Eine geraume Zeit stritt man in der Forschung über die bloße Alternative, ob der Tod Jesu selbst als eigentliche Opferdarbringung zu werten sei oder ob es eine von ihm zu unterscheidende himmlische Darbringung gebe, die anstelle des Todes für das Heilsgeschehen verantwortlich sei.1 Exemplarisch sei dafür etwa Eduard Riggenbachs Deutung angeführt, der vom Tod Jesu als dem einzigen, vollgültigen Opfer sprach, die himmlische Darbringung hingegen nur als Zueignung der Todesleistung an Gott auffasste.2 Dagegen sah Hans Windisch den Zweck des Sterbens Jesu allein in der Gewinnung seines kostbaren Blutes,3 welches dann im himmlischen Heiligtum kultisch dargebracht werde. Konsens herrschte jedoch weitgehend darüber, dass Tod und himmlische Darbringung Jesu als zwei voneinander getrennte Vorgänge zu verstehen seien, die
R.B. JAMIESON, Jesusʼ Death, 4, spricht gar von drei Variablen, die man in Beziehung setzen müsse, nämlich dem Tod Jesu, dem Eintritt ins himmlische Heiligtum und dem Selbstopfer. 2 R IGGENBACH, Hebräer, 459. 3 W INDISCH, Hebräerbrief, 79. 1
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
man entweder als inkompatibel zueinander betrachtete oder über deren jeweilige Gewichtung man sich zu verständigen suchte. Franz Laub brachte erstmals einen gänzlich neuen Gedanken ein. Er stellte fest, dass im Hebräerbrief nie von einer Blutapplikation Christi im himmlischen Heiligtum gesprochen wird, sondern stattdessen der Eintritt ins Heilige als solches mit der dadurch erwirkten Erlösung in Verbindung gebracht wird (etwa in Hebr 9,12).4 Nun konnte er Kreuzestod und Blutdarbringung als einen einzigen Vorgang verstehen.5 Er sah nicht mehr eine chronologische Folge von Tod, Eingang ins himmlische Heiligtum mit anschließender Darbringung, sondern meinte, gerade im προσφέρειν am Kreuz ereigne sich das hohepriesterliche εἰσέρχεσθαι Jesu.6 In der neueren Forschung gibt es nun abermals die Tendenz, Kreuzestod und himmlische Darbringung voneinander zu trennen und das eigentliche Opfer an das himmlische Heiligtum zu binden.7 So versteht es etwa Georg Gäbel und betrachtet den Tod des irdischen Jesus nicht als eine opferkultische Selbsthingabe, sondern ganz profan als das Ende Jesu gehorsamen Lebens und daher als die Kulmination dieses Gehorsams. Die irdisch-profane Hingabe seines Lebens führe Jesus in Gestalt seines Blutes in die himmlische Gottespräsenz und bringe sie so als Opfer dar.8 David Moffitt schreibt dem Tod eine mindere Bedeutung für das Heilsgeschehen zu, und zwar sei er nicht unmittelbarer Grund des Heils, sondern bloß „event sine qua non“9 der Errichtung der neuen διαθήκη sowie Teil der
Dagegen wendet sich jüngst JAMIESON, Jesusʼ Death, 162 passim: „While the author does not report what is done with blood there, its sprinkling on the altar, per Lev 16:14–15, is assumed.“ 5 LAUB, Bekenntnis, 210, Fn 97. 6 FRANZ LAUB, „‚Ein für allemal hineingegangen in das Allerheiligste‘ (Hebr 9,12). Zum Verständnis des Kreuzestodes im Hebräerbrief,“ BZ 35, 1991, 65–85: 77; etwa MARTIN KARRER, Hebräer, 2:153 folgt ihm; Ähnlich auch KNUT BACKHAUS, Hebräerbrief, 319. Nicht unproblematisch ist, dass Laub meist nur von der Alternative der einmaligen Selbstdarbringung am Kreuz auf der einen und einer ewigen Selbstdarbringung im Himmel auf der anderen Seite spricht. Dass aber auch die himmlische Selbstdarbringung einmalig sein könnte, zieht er zu wenig in Betracht. Vgl. etwa LAUB, „Ein für allemal,“ 77: „Über die Selbstdarbringung am Kreuz […] hinaus redet Hebr nicht von einer ewigen Selbstdarbringung, die angeblich nach dem εἰσέρχεσθαι anhebt. Von einer solchen redet aber jene Exegese, die […] sich genötigt sieht, dort weiterzureden, wo Hebr schweigt.“ Oder auch a.a.O., 82: Blut dürfe in 9,11f. nicht als Substanz für sich genommen werden, wie es überall dort geschehe, „wo der Kreuzestod als Voraussetzung für die eigentliche ewige Selbstdarbringung im Himmel gedeutet wird.“ 7 Einen Überblick über die Forschungslage gibt etwa W ILLIAM LOADER, „Revisiting,“ 238–242. 8 G ÄBEL, Kulttheologie, 475. 9 M OFFITT, Atonement, 285. 4
1. Der Stand der Forschung im Überblick
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Vorbereitung Jesu auf den himmlischen Priesterdienst.10 Das eigentliche Opfer bringt nach Moffitt erst der leiblich Auferstandene im himmlischen Heiligtum dar. Tod und himmlische Dargabe Christi rückten dann, da sie durch die leibliche Auferstehung voneinander getrennt sind,11 zeitlich und damit wesentlich auseinander.12 In diese Linie reiht sich auch die jüngere Untersuchung von Benjamin Ribbens ein.13 Er versteht das Opfergeschehen ebenfalls als einen Himmel und Erde umspannenden Prozess, der sich in seiner Abfolge genau an der des alttestamentlich dokumentierten Jom Kippur orientiere. Das Tier werde geschlachtet, das Blut gesammelt, der Hohepriester nehme dann das Blut, trete ins Allerheiligste des Tempels ein, präsentiere das Blut und besprenge damit den Gnadenstuhl. Die himmlische Darbringung verhalte sich analog. Christus sterbe als Opfer, stehe von den Toten auf, steige in den Himmel empor, werde dann Hohepriester und bringe sein Blut ins himmlische Allerheiligste und besprenge es.14 „His priestly activity happens in heaven, where he offers himself as a sacrifice. The heavenly location of Jesusʼs offering does not, however, mean, that Jesusʼs death on earth is not sacrificial.“15 Problematisch an dieser Sichtweise sind meines Erachtens folgende Punkte: 1) Der Versöhnungstag ist für AuctHebr nicht das einzige Vorbild für Christi Heilshandeln.16 Als wichtigstes Beispiel sei auf den ausführlich 10 M OFFITT, Atonement, 296. Gemeint ist etwa die Erfahrung der Sterblichkeit, um ein barmherziger Hohepriester zu werden. 11 Zum fälschlichen Auseinanderreißen des Todes Jesu und seines hohepriesterlichen εἰσέρχεσθαι siehe bereits LAUB, „Ein für allemal,“ insb. 75, an der Stelle im Gespräch mit Otfried Hofius. 12 Zur Kritik an Moffitts (z.T. fehlender) Beurteilung jener Stellen im Hebräerbrief, die explizit eine Heilseffizienz des Todes Jesu behaupten, vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 14: „In Moffittʼs treatment of Jesusʼ death he omits entirely 2:14–15, and does not discuss potential soteriological implications of Christ’s tasting death ‚for everyone‘ (ὑπὲρ παντός) in 2:9.“ 13 B ENJAMIN J. R IBBENS, Levitical Sacrifice and Heavenly Cult in Hebrews, BZNW 222, Berlin/Boston 2016. 14 R IBBENS, Sacrifice, 133. 15 R IBBENS, Sacrifice, 107. 16 Vgl. D ANIEL STÖKL BEN EZRA, The Impact of Yom Kippur on Early Christianity. The Day of Atonement from Second Temple Judaism to the Fifth Century, WUNT 163, Tübingen 2003, 187. RICHARD M. DAVIDSON, „Entry,“ 184f., lehnt gar den Bezug zum Jom Kippur für Hebr 9,12 gänzlich ab. Dies u.a. weil τὰ ἅγια in der LXX für das gesamte Heiligtum, nie aber für das Allerheiligste stehe. Zudem finde sich τράγος nur in Num 7, dort im Zusammenhang mit den Inaugurationsriten des Heiligtums. Die Argumente leuchten im Grunde ein. Schwierig ist aber, dass in Hebr 9,7 vom Zugang des Hohepriesters einmal im Jahr gesprochen wird. Davidson selbst betrachtet dort die Beziehung zum Jom Kippur als gegeben (a.a.O., 187). Zwar ist hier nicht von τὰ ἅγια gesprochen, sondern von „εἰς δὲ τὴν δευτέραν,“ aber AuctHebr macht es seinen Hörern und Lesern dennoch nicht einfach, den Eintritt ins Heiligtum in Hebr 9,12 nicht vom Jom Kippur her zu deuten, selbst wenn Davidsons Argumente gegen die Deutung auf das Jom-Kippur-Ritual einleuchtend scheinen. Sollte Davidson
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
geschilderten Bundesschluss des vorbildhaft17 hohepriesterlich wirkenden Mose hingewiesen, bei dem die Blutbesprengung freilich nicht im Allerheiligsten stattfindet.18 Nicht das ἱλαστήριον, sondern Buch, Volk, Zelt und seine Geräte besprengt er. Nichtsdestotrotz ist auch Moses priesterliche Handlung wenigstens eine weitere wichtige Analogie zu Jesu Einweihung der neuen διαθήκη.19 Die priesterlichen Handlungen Moses wie die Jesu dienen dazu, durch Reinigung und Heiligung den Bund einzuweihen20 und den Eintritt in das Heiligtum, das heißt in die unmittelbare Gottespräsenz,21 zu ermöglichen.22 Und so gilt auch für das Blut Jesu Christi: Nicht nur das himmlische Heiligtum wird damit gereinigt, sondern auch von den Herzen heißt es, sie seien
jedoch mit seiner Analyse richtig liegen, wäre noch größere Vorsicht vor einer Überbewertung des Jom-Kippur-Rituals geboten. 17 C HRISTIAN A. EBERHART, Kultmetaphorik und Christologie, Opfer- und Sühneterminologie im Neuen Testament, WUNT 306, Tübingen 2013, 89, nennt die Kultzeremonie am Berg Sinai den „Präzedenzfall für Israels Opferkult.“ 18 Vgl. R ICHARD D. N ELSON, „‚He Offered Himself.‘ Sacrifice in Hebrews,“ Interpretation 57 (2003), 251–265: 252: „All three of these actions were part of the Day of Atonement ritual (slaughter in Lev 16:11,15a; entrance in vv. 12–13,15a; sprinkling blood in vv. 14,15b, 18–19). The first and last steps appear in the covenant ceremony of Exod 24:5, 6–8.“ Ähnlich auch FUHRMANN, Vergeben, 179. Dabei weist er auch auf den erstaunlichen Umstand hin, dass die dem Ritual des Versöhnungstages eigene Sühneterminologie (ἐξιλάσκεσθαι κτλ.) im Kontext nicht auftaucht, während Lev 16 davon durchzogen ist. Man bedenke überdies die Ambiguitäten der Terminologie hinsichtlich der Begrifflichkeiten zum Heiligtum und dem Allerheiligsten (τὰ ἅγια), dem ersten und zweiten Zelt etc. Vgl. dazu NORMAN YOUNG, „The Gospel According to Hebrews 9,“ NTS 27 (1981), 198– 210: 198–202. 19 Hinzu kommen hier Anklänge an weitere Opferarten und Szenarien, wenn etwa in Hebr 9,19 zum Blut Wasser, Purpurwolle und Ysop hinzukommen. Wenn damit auf den kultischen Umgang mit Aussatz (Lev 14,4–6) und auf die Asche der roten Kuh, aus der man Reinigungswasser für den Fall der Verunreinigung durch Tote herstellt (ὕδωρ ῥαντισμοῦ· ἅγνισμά ἐστιν; Num 19,9), angespielt ist, zeigt auch das wieder, dass für AuctHebr der Aspekt der Reinigung bedeutend ist. 20 Vgl. W OLFGANG K RAUS, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Röm 3,25–26a, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991, 240. Zur eschatologischen Einweihung des himmlischen Heiligtums, s. a.a.O., 244. 21 Zum Heiligtum als „Realsymbol der Gottesnähe“ vgl. B ERND JANOWSKI, „Der ‚Sinai auf der Wanderung.‘ Zur Symbolik des priesterlichen Heiligtums,“ in Matthias Ederer/Barbara Schmitz, Exodus. Interpretation durch Rezeption, SBB 74, Stuttgart 2017, 11–37: 32– 34. 22 Vgl. EBERHART, Kultmetaphorik, 87f.: „In Anbetracht dessen, dass sich die Israeliten erstens Gott unbeschadet nähern und zweitens Gott sehen können, liegt die Folgerung nahe, diesen Ritus in Analogie zu entsprechenden anderen Blutapplikationsriten gleichfalls als kultische Reinigungs- und Weihezeremonie zu deuten. Wie Priester für den Dienst vor Gott der speziellen Weihe bedürfen, so müssen auch die Israeliten vor ihrer Annäherung an Gott geweiht werden.“
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besprengt, was besser zur mosaischen Besprengung von Volk und Buch23 als zu der des ἱλαστήριον passt.24 Am Jom Kippur gibt es keine Besprengung des Volkes.25 Zudem hat die Zusammenstellung der Heiligungsmittel in Hebr 9,12f. „keinen Anhalt in der alttestamentlichen Beschreibung des Ritus am Versöhnungstag.“26 Damit ist in Zweifel zu ziehen, dass das Jom-KippurRitual ungeachtet der anderen alttestamentlichen Kulthandlungen als alleingültige Schablone für Jesu Opferdarbringung verstanden werden darf. Aus Sicht des Hebräerbriefes ist folglich das Opfer Jesu nicht – wenigstens aber nicht ausschließlich – auf das himmlische Heiligtum festzulegen. Viel stärker wiegt die Tatsache, dass nirgends von der Schlachtung, der Blutsammlung und insbesondere der Blutsprengung innerhalb des himmlischen Heiligtums27 gesprochen wird. 2) Gegen Ribbensʼ Auslegung spricht überdies, dass das Blut nicht das einzige Opfermaterial des himmlischen Hohepriesters ist. Denn ohne Entsprechung im alttestamentlichen Kult wird in Hebr 10,4f. dem Opferblut der geschlachteten Tiere nun der Leib Jesu,28 gerade nicht sein Blut, als sündentilgende Opfermaterie gegenübergestellt. Im Jom-Kippur-Ritual hat das keine
23 Die Erweiterung der Objekte der Besprengung Moses beim Bundesschluss am Sinai um das Buch könnte über Jer 31 zu erklären sein, da es dort heißt, die Gesetze seien in die Herzen geschrieben. Damit entspräche die Besprengung der Herzen der Besprengung von Volk und Buch. 24 Deshalb wäre durchaus in Erwägung zu ziehen, ob nicht der mosaische Bundesschluss sogar die übergeordnete Analogie zum Jesus-Geschehen darstellt. Das Ritual des Versöhnungstages heranzuziehen, diente dann als weiterführende Erklärung, wie es möglich ist, dass Volk und Herzen gereinigt werden. 25 Vgl. C LAUS-H UNNO H UNZINGER, „ῥαντίζω, ῥαντισμός,“ ThWNT, 6:976–984: 982f. 26 FUHRMANN, Vergeben, 199. 27 Vielleicht trifft STÖKL B EN EZRA, Impact, 188, den Punkt etwas besser: „For instance, Hebrews does not specify the place in which the blood is sprinkled. It is not the holy of holies. The sprinkling is performed neither by the high priest nor by Moses, but by the believers themselves. The object of this sprinkling is spiritualized as the conscience of the believers (10:22bc).“ Wie genau man Spiritualisierung in diesem Zusammenhang versteht, ist zu diskutieren. Die Verwendung des Begriffs scheint mir wesentlich angemessener als die Rede von einer Metaphorisierung. Für AuctHebr sind die Geschehnisse um Jesu Darbringung jedenfalls real. Und sie sind spirituell, insofern man die geistige Welt als eine reale Welt versteht. Die Besprengung und Reinigung der Herzen ist für unseren Autor – um es modern zu sagen – keine psychologische Frage, sondern eine im Glauben zu erfahrende Wirklichkeit. 28 Vgl. G ABRIELLA G ELARDINI, „The Inauguration of Yom Kippur According to the LXX and its Cessation or Perpetuation according to the Book of Hebrews. A Systematic Comparison,“ in Thomas Hieke/Tobias Nicklas (Hg.), The Day of Atonement. Its Interpretation in Early Jewish and Christian Traditions, Leiden/Boston 2012, 225–254: 241: „Christ’s body is declared as sacrifice, because the author reinterprets Christ’s ‘(sufferings) of death’ […] as the relevant and sufficient sin offering for the (high) priesthood.“
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Entsprechung. Und es ist ebenfalls nicht vorstellbar, dass der leiblich Auferstandene den irdischen Leib als Opfermaterial mitbringt. 3) Mitnahme und Darbringung des Blutes im himmlischen Allerheiligsten, wie sie von Ribbens vermutet wird, setzte die körperliche Auferstehung und Himmelfahrt Jesu voraus, von der ebenfalls keine Rede ist. Ganz im Gegenteil wird alles, was sich im himmlischen Bereich aufhält, unter Verwendung spiritueller Begrifflichkeiten als Teil einer unsichtbaren Realität vorgestellt.29 4) Ribbens schreibt der Blutapplikation im himmlischen Allerheiligsten alleine die heilbringende Wirkung zu, wenn er auch den Tod Jesu als wichtigen Teil des Gesamtprozesses würdigt. Der Tod Jesu hat jedoch nach dem Hebräerbrief eine eigene und zwar entscheidende soteriologische Bedeutung. Zuletzt hat sich R.B. Jamieson ausführlich im Rahmen seiner erkenntnisreichen Dissertation mit der Bedeutung des Todes Jesu im Hebräerbrief befasst. Sein gewichtigster Punkt ist, dass er den Kreuzestod Jesu nicht als Ort und Zeit der Darbringung auffasst, sondern als Opfermaterie, weshalb bei ihm auch die entscheidenden Stellen, etwa Hebr 2,9.14 und 9,15, ungeschmälert ihren Platz in der Theologie des Hebräerbriefes behalten. Obwohl Jamieson die Opferdarbringung himmlisch lokalisiert, kann für ihn dennoch der Tod Jesu heilswirksam sein. Er vermutet, dass „Jesusʼ death, as a soteriological achievement, is what he offers to God in heaven.“30 und „that the ‚blood‘ Jesus offers in heaven is the life he gave in death.“31 Jamieson erkennt also sehr richtig die große Relevanz des Todes Jesu innerhalb des Hebräerbriefes und auch speziell innerhalb der Hohepriesterchristologie. Damit korrigiert er eine Schwachstelle, die das Konzept einer im Himmel lokalisierten Opfergabe stets mit sich brachte. Schwierig scheint mir jedoch die Annahme, Jesus habe sein Leben in den Tod gegeben. Zu sehr betont AuctHebr die Unvergänglichkeit Jesu. Gerade das Priestertum wird ja mit der Kraft unzerstörbaren Lebens allererst begründet. Zudem greift auch hier der Einwand, dass von einer Auferstehung Jesu keine Rede ist.32 Problematisch ist überdies, dass unter Berufung auf das JomVgl. SCHIERSE, Verheißung, 62. Vom Blut aus betrachtet kann JAMIESON, Jesusʼ Death, 167, daher formulieren: „What Jesusʼ blood conveys to God is the value of the life he gave when he died for the redemption and forgiveness of his people.“ 31 JAMIESON, Jesusʼ Death, 20. 32 JAMIESON, Jesusʼ Death, 31f., bezieht die Unzerstörbarkeit des Lebens auf die Zeit nach der Auferstehung. Jesus habe an der sterblichen Existenz teilgehabt und zwar ohne Einschränkung. Dem steht, wie ich meine, die Aussage entgegen, Melchisedek wie der Gottessohn gehörten nicht zur Gruppe der ἀποθνῄσκοντες ἄνθρωποι (Hebr 7,8); an der Gruppe der ἄνθρωποι hatte der Gottessohn, der von Beginn an ewiges Pneuma (Hebr 9,14) gewesen ist, Anteil (vgl. Hebr 2,14). Es ist zu bedenken, dass der Unvergänglichkeit des Lebens als Legitimation des himmlisch-melchisedekischen Priestertums auf irdisch-levitischer Seite die Abstammung des Hohepriesters entspricht. Es handelt sich also um eine Qualifikation, die der jeweiligen Person 29
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Kippur-Ritual bloß das himmlische Allerheiligste als Ort und Gelegenheit der Darbringung, und bloß die dort stattfindende Blutbesprengung als Modus in den Blick kommen.33 Darauf, dass die Einweihung der διαθήκη durch Mose und dessen Besprengung des Volkes (Hebr 9,18–22), auf die im Hebräerbrief ebenfalls als Entsprechung zu Jesu Darbringung ausführlich Bezug genommen
ursprünglich zu eigen ist, nicht etwa um eine, die man sich nachträglich erwerben könnte. Jesu Leben ist und war immer unzerstörbar. Ebenso wie es für Melchisedek heißt, er habe keinen Anfang der Tage und kein Ende des Lebens. Melchisedek und der Gottessohn sind präexistent und leben für immer (πάντοτε ζῶν; Hebr 7,25). Weiterhin meint Jamieson (32), die Vervollkommnung, die Auferstehung und der Erwerb unzerstörbaren Lebens beschrieben das gleiche Ereignis. Von Auferstehung darf man nicht sprechen, weil sie, wie oben ausgeführt, nicht in das Konzept des Hebr passt. Richtig aber ist, dass die Vervollkommnung, insofern man sie als Ablegen des irdisch-vergänglichen Anteils versteht, den Zugang zur Gottespräsenz ermöglicht, der ebenfalls unkörperlich und damit für unsere Augen unsichtbar ist. Er ist der Übergang in eine geistige Existenzform, die von ihrer Natur her unvergänglich ist, es aber auch zuvor schon war. Jamieson selbst merkt entsprechend an, dass das Opfermaterial des Blutes im Hebräerbrief geistig sei, nicht physisch. „For Hebrews, there is an important sense in which Christ offers his blood in heaven, but that sense is not a physical one“ (JAMIESON, Jesusʼ Death, 162, Fn 104). 33 JAMIESON, Jesusʼ Death, 39f., macht zu Recht, darauf aufmerksam, dass im Hebräerbrief (Hebr 9,7), aber nirgends in der bekannten biblischen und jüdischen Literatur, die Blutmanipulation im Allerheiligsten mit dem Verbum προσφέρω umschrieben ist. Das zeige, dass nach dem Hebräerbrief „the ‚offering‘ happens when the high priest brings blood into the Holy of Holies, and not before.“ Mir scheint das Gegenteil der Fall. Die ungewöhnliche Verwendung des Begriffes προσφέρω bei der Blutapplikation ist einfacher zu erklären, wenn man eine Kontamination annimmt, die bei der Übertragung der Vorstellung vom letztgültigen Opfer auf die levitische Jom-Kippur-Zeremonie entstanden ist. Ähnlich sieht das auch YOUNG, „Gospel,“ 208–210: „The writer, in an absolutely singular way within the Greek Bible, uses προσφέρω of the Levitical sprinkling within the Holy of Holies on the Day of Atonement (Heb. 9. 7); but this is to inform us that Christʼs προσφέρειν on the cross fulfils this typical aspersion, not to indicate some heavenly oblation“ (a.a.O., 210). Für Jesu Opfer sind eben auch nicht bloß Jom-Kippur-Anspielungen nachweisbar. Viele verschiedene Opfervorstellungen stehen für das allgültige Opfer Pate und so ist Blut bei weitem auch nicht die einzige Opfermaterie, die eine Rolle spielt. Auch andere Opfer werden der Sünde wegen dargebracht. Und die Blutapplikation am Jom Kippur ist nicht der einzig mögliche Zeitpunkt für eine wirksame Darbringung unter der ersten διαθήκη. Vgl. auch Hebr 5,1 (ἵνα προσφέρῃ δῶρά τε καὶ θυσίας ὑπὲρ ἁμαρτιῶν); Hebr 8,3 (εἰς τὸ προσφέρειν δῶρά τε καὶ θυσίας); Hebr 8,4 (προσφερόντων κατὰ νόμον τὰ δῶρα); Hebr 9,9 (προσφερόντων κατὰ νόμον τὰ δῶρα); Hebr 10,1 (αῖς αὐταῖς θυσίαις ἃς προσφέρουσιν); Hebr 10,8 (θυσίας καὶ προσφορὰς καὶ ὁλοκαυτώματα καὶ περὶ ἁμαρτίας […] αἵτινες κατὰ νόμον προσφέρονται); Hebr 10,11 (πολλάκις προσφέρων θυσίας); Hebr 11,17 (τὸν μονογενῆ προσέφερεν). Es ist wichtig bei der Interpretation der Hohepriesterchristologie, bei allem Gewicht des Jom Kippur den Blick dennoch nicht ausschließlich darauf zu verengen. Noch größere Vorsicht ist geboten, falls DAVIDSON, „Entry,“ 184f., Recht behält und sich bereits Hebr 9,12 auf die Heiligtumsweihe und nicht auf den Jom Kippur bezieht.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
wird,34 als eigene Konzeption neben der Jom-Kippur-Konzeption zu gelten hat, habe ich bereits hingewiesen.35 Dazu kommt, dass das Ritual mit der Asche der roten Kuh, wie Georg Gäbel sehr überzeugend dargestellt hat, im Hebräerbrief in der Kombination mit dem Jom Kippur eine eigene, wichtige Bedeutung hat.36 Gegen Jamiesons Theorie spricht meines Erachtens überdies, dass nach Hebr 10,10 die Darbringung des Leibes die Heiligung der Menschen bewirken kann.37 Hiervon ist der Gedanke einer Blutbesprengung – noch dazu im Allerheiligsten – unbedingt fernzuhalten, denn es liegt auch dieser Darstellung keine Jom-Kippur-Theologie zugrunde.38 34 Vgl. Hebr 9,14 (τὸ αἷμα τοῦ Χριστοῦ […] καθαριεῖ τὴν συνείδησιν ἡμῶν) und Hebr 10,22 (ῥεραντισμένοι τὰς καρδίας ἀπὸ συνειδήσεως πονηρᾶς). 35 Gegen JAMIESON, Jesusʼ Death, 187, der auf die enge Verstrickung beider Vorstellungen durch AuctHebr hinweist: „[H]ow tightly interwoven are Hebrewsʼ appropriations of covenant inauguration and Yom Kippur.“ 36 Vgl. G ÄBEL, Kulttheologie, 324: „Die Aufnahme von Num 19 ist kein unwesentliches Detail, sondern sie durchzieht in ihrer Verknüpfung mit den Jom Kippur- und Bundesschluss-Typologien die kulttheologische Argumentation des Hebr.“ 37 JAMIESON, Jesusʼ Death, 77, findet auch im zehnten Kapitel im Jom-Kippur-Ritual den kultischen Hintergrund: „Therefore the emphasis on singularity in 10:10 and 10:14 confirms that these verses are conditioned by the cultic framework of Yom Kippur.“ Ob der Aspekt der Einmaligkeit dazu ausreicht, scheint mir fraglich, denn sie ist etwa in Hebr 9,27 argumentativ eng mit dem Tod des Menschen verknüpft. Richtig beobachtet er aber, dass es sich nicht um eine vom Rest des Schreibens verschiedene Darbringung handeln kann, obwohl die Opfermaterie nun anders benannt ist. Bloß mag sich die Darbringung des Leibes im himmlischen Allerheiligsten kaum in das Bild der Blutapplikation fügen. JAMIESON, Jesusʼ Death, 81: „The preexistent Son embraced the body prepared for him in order to offer that body back to God in heaven after obeying, suffering, dying, and rising again.“ Hinzu kommt, dass er, weil er den Körper als Jesu ‚Mitbringsel‘ in den Himmel versteht, Schwierigkeiten hat, Hebr 10,19f. zu deuten (ἣν [sc. εἴσοδον] ἐνεκαίνισεν […] διὰ τοῦ καταπετάσματος, τοῦτ’ ἔστιν τῆς σαρκὸς αὐτοῦ,). Er tut sich schwer, den Genitiv τῆς σαρκὸς αὐτοῦ unterzubringen und muss darum – mit Hofius – das lokale διά (durch den Vorhang) vor τῆς σαρκὸς gedanklich ergänzen und zugleich eine Änderung der eigentlich lokalen Sinnrichtung zu einer instrumentalen (mittels Fleisches) umdeuten (vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 86–91). Dass für eine solche Annahme keine Vergleichsfälle beizubringen sind, gesteht er ein. Da er aber die grammatisch einfache Lösung der Apposition und damit der Identifikation von Vorhang und Fleisch nicht in sein Konzept integrieren kann, schließt er die Analyse unbefriedigend, im Grunde resignativ mit der Bemerkung: „I suggest that the conceptual plausibility of the ‚implied διά‘ reading outweighs its relative grammatical implausibility“ (91). Wenn aber von AuctHebr nach dem irdischen Leben, das unter Teilhabe an Blut und Fleisch erfolgt, ein geistiges Weiterleben anzunehmen ist, funktioniert die grammatikalisch einfache Lösung problemlos. Eingang ins himmlische Allerheiligste bedeutet, irdisch verstanden, den Weg des Pneumas durch das Fleisch. 38 Wenn für JAMIESON, Jesusʼ Death, 35, das Opfer seinen Ort im himmlischen Heiligtum hat, ist dem zudem entgegenzuhalten, dass AuctHebr das Blut als Voraussetzung versteht, den himmlischen Bereich einmal und endgültig betreten zu können (διὰ
1. Der Stand der Forschung im Überblick
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Dass Jesu Leib, wie Jamieson behauptet,39 im himmlischen Allerheiligsten dargebracht werde,40 ist nicht zu belegen. Der Tatsache, dass eine Integration des Leibbegriffes in das Jom-Kippur-Schema problematisch ist, scheint sich Jamieson bewusst zu sein.41 Über weite Teile seiner Ausführungen hinweg legt er aber großen Wert darauf, dass sich die Opferdarbringung Jesu im Ablauf ganz analog zum levitischen Jom-Kippur-Ritual verhalte. Die Übereinstimmungen seien weder metaphorischer noch buchstäblicher Natur.42 Daher will er auch den Vorgang der Blutmanipulation des irdischen Kultes nicht eins zu eins auf das himmlische Heiligtum übertragen. Meines Wissens fällt daher in einer Fußnote43 zum ersten Mal der ausdrückliche Hinweis, dass man sich die [kausal/instrumental, nie modal „unter Mitnahme des Blutes“] τοῦ ἰδίου αἵματος εἰσῆλθεν ἐφάπαξ εἰς τὰ ἅγια). Jamieson schreibt dem Blut zugleich beide Funktionen zu: Eintrittskarte (JAMIESON, Jesusʼ Death, 160) und Opfermaterial. Das kann aber auch ein Indiz sein, wie AuctHebr die Elemente des irdischen Jom-Kippur-Rituals gewichtet. Auch in Hebr 9,6ff. liegt der Schwerpunkt auf dem eingeschränkten Zutrittsrecht der Hohepriester. Auch sie dürfen nur einmal im Jahr in das Allerheiligste treten. Das Blut ist für AuctHebr durchweg das Mittel, durch das man Zutritt erhält. Man beachte die Präpositionen, die er verwendet, da das Ritual in der Septuaginta nicht mit den gleichen Konstruktionen oder Präpositionen geschildert wird. Für Hebr gilt: levitisch: οὐ χωρὶς αἵματος (Hebr 9,7) und ἐν αἵματι ἀλλοτρίῳ (Hebr 9,25); Jesus: διὰ τοῦ ἰδίου αἵματος (Hebr 9,12) und für die Glaubenden ἐν τῷ αἵματι Ἰησοῦ (Hebr 10,19). Die Präposition ἐν kann wegen Hebr 10,19 nicht modal aufgefasst werden, weil der Gedanke, die Glaubenden träten unter Mitnahme des Blutes Jesu ein, abwegig ist. Daher ist instrumentaler oder kausaler Sinn unbedingt vorzuziehen. Dabei ist das Blut Jesu mehr als nur eine Eintrittskarte. Es ist Zugangsvoraussetzung zum himmlischen Heiligtum, insofern es nicht nur als Weihe des Heiligtums (Hebr 9,23) und als Weihe des Weges dahin (Hebr 10,20) verstanden ist (vgl. KRAUS, Heiligtumsweihe, 245f.), sondern auch die Hinzutretenden kultfähig macht. Das Blut ermöglicht vollumfänglich den ἁγιασμός, οὗ χωρὶς οὐδεὶς ὄψεται τὸν κύριον (Hebr 12,14), denn alles wird mit Blut gereinigt (Hebr 9,21). Eph 2,13 enthält den gleichen Gedanken: Die Reinigung durch das Blut Jesu ermöglicht die Gottesnähe (νυνὶ δὲ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ὑμεῖς οἵ ποτε ὄντες μακρὰν ἐγενήθητε ἐγγὺς ἐν τῷ αἵματι τοῦ Χριστοῦ; Jetzt aber, in Jesus Christus, seid ihr, die ihr einst fern wart, durch das Blut Christi nahe geworden). Vgl. dazu EBERHART, Kultmetaphorik, 114: „Die Weihe der Israeliten am Sinai bzw. von Priestern impliziert jeweils den Zugang zu Gott […] Dieser Aspekt wird in Eph 2,13 rezipiert.“ 39 Vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 165: „The fact that Hebrews speaks virtually interchangeably of Jesus offering his blood, body, and self to God in the heavenly tabernacle indicates that the action in view is his entrance into the heavenly inner sanctum and presentation of himself to God there.“ 40 JAMIESON, Jesusʼ Death, 181: „Christ assumed a body prepared by God in order to offer that body to God in heaven.“ 41 Vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 13 („The sprinkling of blood undoubtedly occurs in the heavenly sanctuary [cf. 9:23],“) und a.a.O., 47 („The high priest cleanses the tabernacle and the people by offering blood in the Holy of Holies; as we will consider in detail below, Hebrewsʼ Jesus does precisely the same“). 42 JAMIESON, Jesusʼ Death, 164. 43 JAMIESON, Jesusʼ Death, 162, Fn 104.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Opferdarbringung nicht physisch vorzustellen habe. Später geht Jamieson genauer darauf ein. Er nehme nicht an, AuctHebr impliziere, dass Jesus sein Blut physisch im himmlischen Heiligtum gesprengt habe. Grund dafür sei erstens, dass an anderer Stelle auch von Jesu Darbringung seines Körpers und seiner selbst gesprochen werde, und zweitens, dass es in Hebr 9,12 heiße, dass der Eintritt ins Heiligtum selbst und nicht etwa eine anschließende Blutsprengung die Erlösung bewirke.44 Zugleich betont Jamieson aber, Jesus bringe sein Opfer im himmlischen Allerheiligsten dar, und zwar „after his resurrection, as a glorified, embodied human being.“ Ausdrücklich wendet er sich gegen die Vorstellung von „Jesusʼ disembodied translation to heaven.“45 Er betont, dass der Gottessohn bei der Inkarnation einen Leib angenommen habe und dass er nach der Auferstehung ‚körperlich‘ bleibe. Dies sei entscheidend für die gesamte kultische Auslegung des Christusgeschehens im Hebräerbrief.46 Der Gedanke, dass sich die Auferstehung und damit der Eintritt ins himmlische Heiligtum leiblich ereignen sollte, dass aber dann gerade das dort dargebrachte Opfer geistiger Natur sein sollte,47 wirkt kaum stimmig. Jamieson meint, das Blut beziehe sich als Währung auf den Tod wie auf das himmlische Opfer. „I have argued that Jesusʼ blood is currency of his life-given-in-death. When Jesus died he obtained this currency; when he offered himself in heaven he tendered this currency to God.“48 Ich halte es für problematisch, von Lev 17,11 ausgehend die gesamte Kulttheologie und die himmlische Darbringung auf den Gedanken der Stellvertretung auszurichten.49 Die geistig-konzeptionelle Darbringung wäre dann ‚nur JAMIESON, Jesusʼ Death, 164. JAMIESON, Jesusʼ Death, 69. 46 So JAMIESON, Jesusʼ Death, 83. 47 JAMIESON, Jesusʼ Death, 165: „Blood’s role as sacrificial material is conceptual, not physical.“ 48 JAMIESON, Jesusʼ Death, 168. 49 Anders dagegen EBERHART, Kultmetaphorik, 122: „Dem alttestamentlichen Kultritual ist also jede Vorstellung eines stellvertretenden Todes der Opfertiere für Menschen fremd.“ Ebenso kann Eberhart für die neutestamentlichen Aussagen zum Blut Jesu feststellen, dass sie, insofern sie von kultischen Sühnevorstellungen abgeleitet sind, „kein stellvertretendes Geschehen“ (a.a.O.,130) implizieren. JAMIESON, Jesusʼ Death, 192, sieht die Theologie hinsichtlich des Gottesknechtsliedes Jes 53 insbesondere den Stellvertretungsgedanken von Lev 17 her entwickelt. Entsprechend kann er Hebr 9,28 als Anspielung auf Jes 53 verstehen und so in sein Konzept einbinden. Es ist dabei jedoch zu beachten, dass der Stellvertretungsgedanke nun ausgerechnet in der Septuagintaversion, die AuctHebr benutzt hat, von Jes 53 nicht nachweislich ist (vgl. WOLFGANG KRAUS, „Jesaja 53 LXX im frühen Christentum eine Überprüfung,“ in ders. [Hg.], Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, 149–182: 163). Zum Verständnis von Jes 53 bringt Jamieson insbesondere die Vorstellung des Azazel-Bockes mit ein, die aber von dem kathartischen Ritual des Jom-Kippur zu differenzieren ist. Es 44
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2. Ziel der Untersuchung
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noch‘ die Zueignung des Heilsereignisses an Gott. „On the cross Jesus gave his life for that of his people.“50 Unklar bleibt zudem, in welcher Form Jesus Gott seinen Tod überbringt, wenn nicht wirklich sein Blut übergeben wird. Der Hinweis Jamiesons, dass das Opfermaterial mit verschiedenen Wörtern (Leib, Blut, Selbst) bezeichnet wird, ist berechtigt. Dass aber ausgerechnet mit einer Begrifflichkeit, die sich nachweislich auf irdisch-Materielles bezieht,51 ein geistig-konzeptionelles Opfer beschrieben sein soll, leuchtet nicht ein. Vielmehr spricht gerade die Verwendung der genannten Begrifflichkeit für die Annahme, dass Jesu Opfer im irdischen Tod stattgefunden habe. Das entspräche der Aussage in Hebr 9,12, wo dem Eintritt ins Heiligtum die Heilswirkung zugeschrieben wird. Denn identifiziert man Jesu Darbringung mit seinem Eintritt ins Heiligtum, fällt sie am ehesten mit dem Tod in eins.52 Damit wäre dann entgegen der Annahme Jamiesons doch der Tod Ort und Zeit der Darbringung Jesu.
2. Ziel der Untersuchung 2. Ziel der Untersuchung
Im Folgenden widme ich mich der Frage, wie sich im Hebräerbrief der Tod Jesu und sein Opfer zueinander verhalten. In der Forschung gibt es beide Extrempositionen, dass man nämlich die Hohepriesterchristologie als bloße Metapher für den eigentlich heilswirksamen Tod auslegt. Oder dass man umgekehrt den Tod gewissermaßen nur als Ouvertüre des eigentlich heilswirksamen himmlischen Opfers versteht. Darf man also dem physischen Tod Jesu im Hebräerbrief tatsächlich jede Heilsbedeutung absprechen? Mit dieser Problematik verbindet sich die Frage, ob es zulässig ist, innerhalb der Hohepriesterchristologie des Hebräerbriefes mit einer eigenen, vom Tod verschiedenen, himmlischen Darbringung Jesu zu rechnen, wie es etwa Hebr 9,12 nahezulegen scheint. Wäre dies nämlich zu verifizieren, so hätte das weitreichende Konsequenzen für die Beurteilung des Todes Jesu. Er könnte dann in keinem Fall allein als suffizient betrachtet handelt sich um einen eigenen eliminatorischen Ritus. Die Verbindung zu Hebr 9,28 gestaltet sich dann ebenfalls als schwierig, weil der Sündenbock ja gerade nicht getötet wird (vgl. FRIEDHELM HARTENSTEIN, „Zur symbolischen Bedeutung des Blutes im Alten Testament,“ in Jörg Frey/Jens Schröter [Hg.], Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 22012, 119–137: 130). Das wiederum stimmt entsprechend mit der Beobachtung zusammen, dass AuctHebr das Azazel-Ritual, bei dem der Stellvertretungsgedanke deutlich hervortritt, in seinen Ausführungen übergeht. 50 JAMIESON, Jesusʼ Death, 168. 51 Für σῶμα vgl. Hebr 10,22; 13,3. Für αἷμα vgl. Hebr 2,14. 52 Vgl. EBERHART, Kultmetaphorik, 149.152. Christian Eberhart sieht die Aussage in Hebr 10,20 (Jesu Eingang durch sein Fleisch) als eine Parallele zu 9,12 (Eingang durch sein Blut) an. Beide Aspekte „fallen im Tode Jesu zusammen.“
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
werden, es wäre schließlich anderenfalls keine Opfergabe im himmlischen Heiligtum mehr notwendig. Ich halte es für eines der großen Verdienste Franz Laubs bei seinen Untersuchungen am Hebräerbrief, den Blick wieder auf diejenigen Kapitel gelenkt zu haben, die sich nicht der opferkultischen Sprache bedienen. Laub merkt an, es gebe eine verbreitete Hebräerbriefexegese, „die die Hohepriester-Christologie 7,1–10,18 wie einen erratischen Block innerhalb des Ganzen behandel[e], ohne viel darauf zu achten, wie der Autor in Vorbereitung seines Themas die Weichen“53 stelle. Dieser Hinweis bestimmt den Aufbau des vorliegenden Kapitels grundlegend. So sollen die Untersuchungen weitgehend die Chronologie des Textes wahren. Damit ist also hinsichtlich der Bedeutung des Todes Jesu zuvörderst das zweite Kapitel zu befragen, das die ersten drei expliziten Erwähnungen des Todes Jesu bietet (Hebr 2,9 [2x] und 2,14), ohne dabei von der Hohepriesterlehre des weiteren Schreibens und dessen Kultsprache unmittelbar beeinflusst zu sein; von Christus als dem Hohepriester wird bekanntlich erstmals in Hebr 2,17 gesprochen, wenn auch das deutlich kultsprachlich geprägte, hohepriesterliche Werk der Sündenreinigung (καθαρισμός τῶν ἁμαρτιῶν) in Hebr 1,3 schon genannt ist. Von den dabei gewonnen Erkenntnissen aus soll dann untersucht werden, wie AuctHebr selbst die Hohepriesterchristologie an das im zweiten Kapitel entfaltete Verständnis des Todes Jesu anschließt, um nachweisen zu können, ob dieses Verständnis auch innerhalb der Hohepriesterchristologie vorausgesetzt werden sollte. Grenzt AuctHebr die Hohepriesterchristologie von dem vorher Gesagten strikt ab oder stellt er Verknüpfungen her? Erst in einem nächsten Schritt wird die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Ausführungen zur Hohepriesterchristologie in den Blick genommen. Von besonderer Relevanz erscheinen die Kapitel 9 und 10. Dabei steht vor allem die Frage im Fokus, wie die Darbringung des Hohepriesters und der Tod Jesu zueinander in Beziehung stehen. Besonderes Gewicht erhält die Untersuchung der an das Herrenmahl erinnernden Begriffe ‚Blut‘ und ‚Leib‘, die von AuctHebr (neben dem Selbstopfer Jesu; Hebr 7,27) als Darbringungen Jesu benannt werden.
3. Die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu in Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers des Hebräerbriefes 3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
Bei einer Untersuchung der soteriologischen Bedeutung des Todes Jesu im Hebräerbrief muss ganz besonders auf die wenigen Stellen eingegangen 53
LAUB, „Ein für allemal,“ 66.
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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werden, die einen deutlichen Hinweis auf ihn bieten. Diese sind: Hebr 2,9.14; 6,6; 9,15f.; 9,27f. und 12,2. Dabei sind besonders die drei ersten Erwähnungen ausschlaggebend, die innerhalb der Verse 2,5–18 auftreten. Franz Laub schätzt die Bedeutung dieses Textabschnittes richtig ein, wenn er schreibt: „Der Text gehört zu den Schlüsseltexten des Hebr und je nachdem, wie hier die Auslegung verläuft, sind gewichtige Entscheidungen gefallen für die Interpretation des Hebr überhaupt.“54 Diese Aussage trifft insbesondere auf die Einschätzung der Bedeutung des Todes Jesu zu. 3.1 Hebr 2,9 Bei Hebr 2,9 handelt es sich um den ersten Vers im Hebräerbrief, der den Tod Jesu zur Sprache bringt55 und ihn gleich zweifach ausdrücklich erwähnt. Hebr 2,9: τὸν δὲ βραχύ τι παρ᾿ ἀγγέλους ἠλαττωμένον βλέπομεν Ἰησοῦν διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστεφανωμένον, ὅπως χάριτι θεοῦ ὑπὲρ παντὸς γεύσηται θανάτου.
Es ist in der Auslegungsgeschichte darüber diskutiert worden, welcher Teil des Satzes von der Präpositionalphrase διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου näher erläutert wird. Meist wird sie, auch in der neueren Forschung, als Begründung der Krönung Jesu aufgefasst (d.h. Jesus sei der Todesleiden wegen gekrönt).56 Betrachtet man zugleich aber den folgenden, mit der finalen Konjunktion ὅπως eingeleiteten Nebensatz (Hebr 2,9b), scheint sich eine chronologische Schwierigkeit zu ergeben. Hat man in 2,9a den Tod als Begründung der Krönung verstanden, so wird nun der Tod Jesu als Zweck der Krönung bestimmt.57 Um die beiden genannten Aussagen über Jesu Tod richtig zu deuten, ist es unabdingbar etwas weiter auszuholen und einige grundsätzliche Vorüberlegungen anzustellen. Diese Vorüberlegungen betreffen a.) das Prädikat des 54 FRANZ LAUB, „‚Schaut auf Jesus‘ (Hebr 3,1). Die Bedeutung des irdischen Jesus für den Glauben nach dem Hebräerbrief,“ in Hubert Frankemölle/ Karl Kertelge (Hg.), Vom Urchristentum zu Jesus, FS: Joachim Gnilka, Freiburg im Breisgau 1989, 417–432: 425. 55 Darüber hinaus gibt es lediglich die Vermutung, in Hebr 1,3 könnte mit der Reinigung von den Sünden eine Anspielung auf den Tod vorliegen, sodass die Verse 1,2–3 das Erniedrigungs-Erhöhungsschema in komprimierter Weise wiedergäben. Vgl. dazu bspw. OTFRIED HOFIUS, Der Christushymnus Philipper 2,6–11. Untersuchungen zu Gestalt und Aussage eines urchristlichen Psalms, WUNT 17, Tübingen ²1991, 85. Die Anwendung dieses Schemas auf den Hebräerbrief ist jedoch – das wird die weitergehende Analyse, insbesondere der Verwendung von Ps 8, erweisen – insgesamt nicht angebracht. 56 Um hier nur ein Beispiel zu nennen: B ACKHAUS, Hebräerbrief, 111. Als ebenfalls möglichen Bezug wurde die vorausgehende Erniedrigung angegeben (sc. erniedrigt der Todesleiden wegen), was aber früh als wenig sinnvoll erkannt worden ist, alleine schon aufgrund der grammatischen Struktur. Vgl. etwa GOTTLIEB LÜNEMANN, Hebräerbrief, 74f. 57 Zur Spannung in der Chronologie siehe die treffende Analyse von FRIEDRICH ZIMMER, Exegetische Probleme des Hebräer- und Galaterbriefes, Neutestamentliche Studien 1, Hildburghausen 1882, 48–51.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
übergeordneten Satzes (βλέπομεν), von dem das Verständnis des gesamten Verses abhängt, b.) den Psalm 8,5–7, den AuctHebr vorher (2,7f.) zitiert und nun in Vers 2,9 wieder aufgreift. Er bildet das gedankliche Gerüst des Verses. Erst dann kann in zwei letzten Schritten c.) die eigentliche Analyse der διάWendung und d.) des ὅπως-Satzes angegangen werden. 3.1.1 βλέπομεν (Hebr 2,9) AuctHebr formuliert in Vers 2,8, dass wir nicht sähen (ausgedrückt durch ὁράω), dass dem Menschen (beziehungsweise dem Menschensohn) alles unterworfen sei. Diese Bemerkung greift er im darauffolgenden Vers (Hebr 2,9) wieder auf und benennt, was wir aber stattdessen sehen können, nämlich Jesus. In diesem Falle verwendet der Autor das Verbum βλέπω. Meist wird etwa übersetzt: „Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel erniedrigt war, wegen des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch Gottes Gnade für jeden den Tod schmeckte.“58 Inwiefern kann der Autor jedoch sagen, dass wir Jesus sähen? Auffällig ist dabei, dass AuctHebr nicht das Verbum videndi des vorangegangenen Satzes (ὁράω) wiederholt.59 Also muss man fragen, ob und, falls ja, inwiefern er dadurch eine Differenzierung erreichen möchte.60 Es handelt sich hierbei um eine in der Forschung bekannte Fragestellung. Herbert Braun spricht hinsichtlich des βλέπω von einer „Wahrnehmung des Glaubens“61 und 58 So bspw. die Elberfelder Bibel (Hervorhebung d. Verf.). Es wird sich aber nach der Analyse des Satzes zeigen, dass an der Übersetzung Veränderungen vorgenommen werden müssen. 59 Mit ὁράω ist zweifelsohne eine sinnliche Wahrnehmung gemeint. meines Erachtens erfolgt die Auflösung des νῦν δὲ οὔπω ὁρῶμεν erst bei der Parusie, bei dem Wiedereintritt in die Welt (Hebr 1,6). Dann wird Christus ein zweites Mal erscheinen (= gesehen werden = ὁράω). Vgl. dazu 9,28: ἐκ δευτέρου χωρὶς ἁμαρτίας ὀφθήσεται τοῖς αὐτὸν ἀπεκδεχομένοις. Die Wiedereinführung in die Welt enthüllt dann, so MATHIAS RISSI, Die Theologie des Hebräerbriefs. Ihre Verankerung in der Situation des Verfassers und seiner Leser, WUNT II/41, Tübingen 1987, 53, die Herrschaftsstellung des Sohnes. 60 Bisweilen wird der Unterscheidung der beiden Verben weniger Bedeutung beigemessen. Sie werden dann synonym übersetzt, wie es etwa bei DAVID A. DESILVA, Perseverance, 109, geschehen ist: „Although ‚we’ do not yet see the psalm’s declaration as reality, the author will go on to tell the hearers what they can see: ‚but we see the one […].“ 61 B RAUN, Hebräer, 56. Ebenso auch H ANS-FRIEDRICH W EIß, Hebräer, 196: „Sehen des Glaubens“; in diesem Sinne und in Anlehnung an Weiß versteht es auch DAVID WIDER, Theozentrik und Bekenntnis. Untersuchungen zur Theologie des Redens Gottes im Hebräerbrief, BZNW 87, Berlin/New York 1997, 56, und stellt diesen Gedanken mit besonderem Nachdruck heraus; OTTO KUSS, Der Brief an die Hebräer, RNT, Regensburg ²1966, 42: „[W]ir schauen Jesus mit den Augen des Glaubens.“ So auch schon die Grundlage für Martin Luthers Vorlesung über den Hebräerbrief: „videmus per fidem“; Emanuel Hirsch/Hanns Rückert (Hg.), Luthers Vorlesung über den Hebräerbrief. Nach der Vatikanischen Handschrift, AzKG 13, Berlin/Leipzig 1929, 11.
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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führt als Vergleichsstellen Hebr 3,19 sowie 10,25 an. Dagegen lässt er aber gerade Hebr 11,1 sowie die beiden alsbald folgenden Stellen, Hebr 11,3 und 11,7, unberücksichtigt. AuctHebr formuliert in 11,1: Glaube ist eine Zuversicht auf die Dinge, die man nicht sieht (Ἔστιν δὲ πίστις […] πραγμάτων⸃ ἔλεγχος οὐ βλεπομένων). Nach der dem Hebräerbrief eigenen Definition von ‚Glaube‘ wird βλέπω folglich aus dem Bereich der Glaubenswahrnehmung gerade herausgenommen und das Sehen dem Glauben diametral gegenübergestellt.62 „Das ‚Erhoffte‘ ist mit dem (noch-) ‚Nichtsichtbaren‘ identisch (11,7!) und von daher gesehen gehört es im Sinne des Hebr zum Wesen des Glaubens, daß er im Raum des Unanschaulichen verbleibt.“63 Bei solch einer handfesten Definition kann AuctHebr unmöglich an anderer Stelle das Wort mit einer von ihr im Grundsatz verschiedenen Deutung belegen. In Hebr 11,3 wird das βλεπόμενον sogar dem Bereich der irdischen Schöpfung zugeordnet. Auch die Verwendung in Hebr 11,7 (περὶ τῶν μηδέπω βλεπομένων) steht diesem Gebrauch nahe und zeigt, dass βλέπω eine augenfällige Nähe zur irdischen Wirklichkeit hat, schließlich wurde die Flut für jeden auch visuell wahrnehmbar. Diese Feststellung lässt uns einen kurzen Blick auf die beiden von Herbert Braun angeführten Stellen werfen, die seine Sichtweise belegen sollen: Hebr 3,19: καὶ βλέπομεν ὅτι οὐκ ἠδυνήθησαν εἰσελθεῖν δι᾿ ἀπιστίαν.
Es ist besonders bei dieser Stelle unwahrscheinlich, dass ein ‚Sehen des Glaubens‘ gemeint sein kann. Der Autor berichtet von der Wüstenwanderung und gibt in Hebr 3,17 an, wen der Zorn Gottes damals getroffen hat, nämlich die Sünder (sc. die Ungläubigen). Anhand dieses in der Schrift (bspw. Num 14,21– 23) nachzulesenden Faktums kann der Leser auf kognitiv-intellektueller Ebene nachvollziehen, dass sie des Unglaubens wegen nicht in die Ruhe Gottes eingehen konnten. Er muss nicht erst den Glauben bemühen, um zu dieser Einsicht zu gelangen – dies insbesondere insofern man der Definition des Hebräerbriefes folgt, der den Glauben als eine Zuversicht auf Unsichtbares versteht. Das
G. G. FINDLAY, „Jesus Crowned for Death: Hebrews 2,5–9,“ Expositor. Third Series, 9,3 (1889), 222–231: 227: „If there is a word in the New Testament that denotes sight as opposed to faith, it is just this verb βλέπω.“ 63 H.-F. W EIß, Hebräer, 560 (Hervorhebung von mir). In ganz ähnlicher Weise spricht Paulus in Röm. 8,24f. von der Hoffnung, indem er sie von dem, was man sehen kann, abgrenzt: ἐλπὶς δὲ βλεπομένη οὐκ ἔστιν ἐλπίς· ὃ γὰρ βλέπει τίς ἐλπίζει; (25) εἰ δὲ ὃ οὐ βλέπομεν ἐλπίζομεν, δι᾿ ὑπομονῆς ἀπεκδεχόμεθα (Hoffnung aber, die man sieht, ist keine Hoffnung. Denn wer hofft, was man sieht? Wenn wir aber erhoffen, was wir nicht sehen, warten wir mit Ausdauer). Ebenfalls ist zum Verständnis unserer Textstelle 2Kor 4,18 von Bedeutung: μὴ σκοπούντων ἡμῶν τὰ βλεπόμενα ἀλλὰ τὰ μὴ βλεπόμενα· τὰ γὰρ βλεπόμενα πρόσκαιρα, τὰ δὲ μὴ βλεπόμενα αἰώνια (Denn wir richten nicht den Blick auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Das Sichtbare ist nämlich unbeständig, das Unsichtbare aber ewig). 62
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Verbum βλέπω kann hier nur ein Sehen des Verstandes bedeuten und bezieht sich auf etwas, das potentiell für jeden ersichtlich ist. Hebr 10,25: μὴ ἐγκαταλείποντες τὴν ἐπισυναγωγὴν ἑαυτῶν, καθὼς ἔθος τισίν, ἀλλὰ παρακαλοῦντες, καὶ τοσούτῳ μᾶλλον ὅσῳ βλέπετε ἐγγίζουσαν τὴν ἡμέραν.
Betrachtet man nun den zweiten von Braun angeführten Beleg, so muss man zugestehen, dass hier die Deutung im Sinne eines ‚Sehens des Glaubens‘ am ehesten möglich wäre. Es handelt sich um „den Tag“ (sc. die Parusie64), den man herannahen sieht. Βλέπω in der o.a. Weise als ein ‚Verstehen‘ auslegen zu können, scheint mir jedoch nicht abwegig. AuctHebr will innerhalb dieser paränetischen Rede, welche die Aufforderung zum Festhalten am Bekenntnis, zum aufeinander Achthaben, zum Anreizen zur Liebe und guten Taten, zum konsequenten Besuch der Versammlungen, zur gegenseitigen Ermunterung beinhaltet (Hebr 10,23ff.), einschärfen, dass der Tag in jedem Falle kommen wird. August Strobel hält es für „nicht ausgeschlossen, dass die allgemeine politische Zeitlage mit ihren Nöten und Bedrängnissen (Nero?) als Argument dient.“65 Der Autor ist also zum einen vom Kommen des Tages so sehr überzeugt und will zum anderen die Nähe und damit die Brisanz des Hereinbrechens des Gerichts so eindringlich herausstellen, dass er auch hier dieses Verbum videndi verwenden kann. Die Glaubenden haben erkannt, dass der Tag kommen wird. In summa: Natürlich darf man in Hebr 2,9 βλέπω nicht als Ausdruck einer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung auffassen, als welcher es in Hebr 11,3 und 11,7 vorzufinden ist, aber man muss ebenso beachten, dass das Verbum im Hebräerbrief weniger eine ‚Wahrnehmung des Glaubens‘ bezeichnet, als vielmehr Anhalt an der sinnlich wahrnehmbaren Realität hat und zumindest in den Bereich des geistigen Erfassens und damit in den Bereich der Ratio, einzuordnen ist,66 eine Feststellung, die nicht allein für den vorliegenden Brief Gültigkeit besitzt.67
Vgl. etwa BACKHAUS, Hebräerbrief, 362. STROBEL, Hebräer, 129, nutzt ebenfalls Verba sciendi, um das Sehen zu umschreiben: Die Gemeinde „weiß“ um den Tag. Das Recht, den Tag zu erwarten, sei „mehr oder weniger ersichtlich.“ Ebenso RISSI, Theologie, 54, auch hinsichtlich des Verses 2,9: „Er, der unter die Engel erniedrigt wurde, hat die Herrschaft über die ganze Schöpfung übernommen. Das wissen wir zwar, sehen es aber noch nicht“ (Hervorhebung von mir). 66 Georg Gäbel verwendet auch den Ausdruck „geistige[s] Wahrnehmen“ (G ÄBEL, Kulttheologie, 147), setzt es meines Erachtens aber im weiteren Verlauf nicht genügend vom Glauben ab. So schreibt er: „die Erwiderung V.9 lenkt die Aufmerksamkeit dagegen auf die geistige bzw. im Glauben vollzogene Wahrnehmung (ὁρᾶν) [sic! Hier sollte m.Ε. βλέπειν stehen; Anm. d. Verf.] des im Himmel erhöhten Christus“ (ebd.). 67 Vgl. dazu etwa: Röm 8,24; 1Kor 10,18; 2Kor 4,18; 7,8; 12,6; vgl. daneben auch bspw. Lev 23,42f. 64
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3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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Dieses Ergebnis zeigt, dass AuctHebr in Vers 2,9 eine zunächst rein auf den Gesetzen der Logik basierende Argumentation führt. Die Argumentation setzt bei den Zweifeln der Gemeinde an, welche die Heilseffizienz und die Gültigkeit des Werkes Christi betreffen. Diese Zweifel möchte der Verfasser auf der Basis einer logisch aufgebauten Argumentation beseitigen. „Auf die Diskrepanz zwischen Erhöhungsaussage und Welterfahrung und die daraus resultierende ‚Frage nach der Wirklichkeit des Jesusheils‘ hat er es geradezu angelegt.“68 3.1.2 Ps. 8,5–7 und seine christologische Auslegung im Hebräerbrief (Hebr 2,6–8) Eine entscheidende Frage der Exegese, was die Aufnahme von Ps 8 anbetrifft, ist, ob AuctHebr bei dem Zitat von Psalm 8 in Hebr 2,6–8 über den Menschen im anthropologischen Sinne rede69 oder ob er von vorneherein spezifisch über Christus als dem Menschensohn spreche.70 Was sagt der Psalm im Konzept des Hebräerbriefes über den Gottessohn aus und wie sind die darin beschriebene Herabsetzung und die Herrscherstellung miteinander in Beziehung zu setzen? Ulrich Rüsen-Weinhold nimmt an, dass Psalm 8 in Hebr 2,6–9 aufgegriffen worden sei, „weil der Verfasser des Hebr dadurch wieder eine Aussage über das Verhältnis zwischen Sohn und Engel machen“71 könne. Das scheint mir zu kurz gegriffen. Man muss zusätzlich in die Überlegung miteinbeziehen, dass es eine frühchristliche Interpretationstradition gegeben haben muss, welche die Psalmen 8 und 109 LXX miteinander verband.72 AuctHebr bezieht sich auf diesen Diskurs und bietet eine Neuinterpretation der beiden Texte.73 Dadurch So WIDER, Theozentrik, 55, in Anlehnung an Laub und Kögel. Dafür plädieren etwa FRANZ DELITZSCH, Hebräer, 59; JULIUS KÖGEL, Der Sohn und die Söhne. Eine exegetische Studie zu Hebräer 2,5–18, BFChTh 8,5–6, Gütersloh 1904, 21; EDUARD RIGGENBACH, Hebräer, 39; in der neuen Forschung beispielsweise GEORG GÄBEL, Kulttheologie, 145f.: Das Psalmzitat nimmt nach Gäbels Deutung zuerst ausschließlich auf den Menschen Bezug, wird dann ab 2,9 auf Christus hin ausgelegt und zwar dergestalt, „[d]ass Christus als der ‚Menschensohn’ der Mensch schlechthin ist, in dessen Geschick das Menschengeschick gewendet ist […]“ (a.a.O., 146). 70 So bspw. M ICHEL, Hebräer, 138; FRIEDRICH SCHRÖGER, Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger, BU 4, Regensburg 1968, 81; SCHUNACK, Hebräerbrief, 33; LAUB, Bekenntnis, 62ff., u.v.m. 71 U LRICH R ÜSEN-W EINHOLD, Der Septuagintapsalter im Neuen Testament: Eine textgeschichtliche Untersuchung, Neukirchen-Vluyn, 2004, 188. 72 G ERT JACOBUS STEYN, „Some observations about the Vorlage of Ps 8:5–7 in Heb 2:6– 8,“ Verbum et ecclesia 24,2 (2003), 493–514: 498 und 509; so auch SEBASTIAN FUHRMANN, „The Son, the Angels and the Odd: Psalm 8 in Hebrews 1 and 2,“ in Dirk J. Human and Gert Jacobus Steyn, Psalms and Hebrews: Studies in Reception, LHBOTS 527, New York 2010, 88. Ein sicherer Nachweis, dass es eine Testimonienquelle gegeben habe, derer man sich bediente, ist bisher nicht erbracht. 73 FUHRMANN, „Son,“ 97. 68
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
erhält die Zitation von Psalm 8 inhaltlich eine stärkere Gewichtung innerhalb seiner eigenen Konzeption. Nicht allein die Nennung der Engel löst das Zitat aus, sondern die Argumentationsstruktur der vorangegangenen Verse, wenigstens ab Vers 1,13,74 bereitet das Zitat schon vor. Eingeleitet wird es mit einer für das NT ungewöhnlichen Formulierung: διεμαρτύρατο δέ πού τις λέγων (jemand hat irgendwo bezeugt und gesagt). Sprecher und Ort des Zitats sind dabei durch Indefinitpronomina umschrieben und scheinen unwichtig. Solche unspezifische Zitateinführung kommt etwa bei Philon zum Einsatz, beispielsweise in Ebr. 61: εἶπε γάρ πού τις.75 Dagegen ist jedoch das Verbum διαμαρτύρομαι zur Zitateinleitung nirgends nachzuweisen.76 Es hat weitere 14 Belegstellen im Neuen Testament, davon neun allein in der Apostelgeschichte, drei in den Timotheusbriefen, eine im Lukasevangelium und eine im ersten Thessalonicherbrief. Insbesondere der Gebrauch in der Apostelgeschichte ist interessant, insofern es dort gewissermaßen als Terminus technicus der Verkündigung der Apostel eingesetzt wird.77 Häufig sind dabei Wort und Person Jesu Christi Inhalt dieser Verkündigung.78 Dies könnte man als Indiz dafür nehmen, dass auch im Hebräerbrief mit dem Psalmzitat die Christusbotschaft verbunden werden soll oder dass er sich zumindest in einem theologischen Diskurs mit Zeitgenossen sieht. Dass AuctHebr διαμαρτύρομαι in solcher Verwendung kannte, ist jedoch nicht belegbar. Aufgenommen wird vom Autor wie auch bei den anderen alttestamentlichen Zitaten der Wortlaut der Septuagintafassung. Textkritisch ist aber am Zitatbeginn zu entscheiden, ob das Interrogativpronomen τί oder τίς zu lesen ist.79 Seitens der Septuaginta ist in Ps 8,5 die Lesart τίς zwar belegt, aber wohl bloß sekundär. Insbesondere aufgrund der Beleglage ist auch für Hebr τί vorzuziehen. Ein gewichtiger Textzeuge für die Lesart τίς scheint, vornehmlich seines hohen Alters wegen, 𝔓46 zu sein.80 Allerdings ist nach genauerer Betrachtung
Vgl. STEYN, „Observations,“ 499. Vgl. auch STEYN, „Observations,“ 500. 76 So auch M ICHEL, Hebräer, 137, Fn 3. 77 S. dazu JOHANNES B EUTLER, EWNT, 2:963. 78 Apg 8,25; 10,42; 18,5; 20,21.24; 23,11. 79 In der Regel wird die Lesart τί in der Forschung bevorzugt. U.a. K ARRER, Hebräer, 1:168, nimmt an, der Text des Hebräerbriefes folge damit der Lesart, die etwa der Codex Vaticanus bietet. Bei τίς handele es sich um eine sekundäre Angleichung an den Codex Alexandrinus. So auch zu lesen bei ALAN H. CADWALLADER, „The Correction of the Text of Hebrews towards the LXX,“ NovT 34,3 (1992), 257–292: 275, FN 88: „The τίς is in fact likely to be a conforming of the New Testament text to a non-critical LXX (such as is evident in Codex Aʼs reading for Ps 8:4).“ Etwa BRAUN, Hebräer, 53, urteilt genau umgekehrt und hält für den Hebräerbrief die Lesart τίς für die Ursprüngliche; τί sei dann fälschlich in den Handschriften eingedrungen. 80 Vgl. FRANK W. B EARE, „The Text of the Epistle to the Hebrews in P46,“ JBL 63/4 (1944), 379–396: 379. 74
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3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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des Digitalisats81 sein Gewicht in dieser Frage gering.82 Der Lesart τί ist daher unbedingt der Vorzug zu geben. Eine am Wortlaut zu erweisende christo-
81 Er wird zur Verfügung gestellt von der University of Michigan Library und ist abrufbar unter: https://quod.lib.umich.edu/a/apis?view=reslist;q1=apis (P.Mich.inv. 6238); abgerufen am 8. Oktober 2018. 82 Die meisten und bedeutendsten Textzeugen gehen mit dem breit belegten Text der Septuaginta und schreiben τί, was auch die beste Übersetzung des hebräischen Textes ( )ָמה ist. Auf Seiten der LXX bezeugt allein der Codex Alexandrinus und wenige (nämlich 2 bis 16) Zeugen des Lukianischen Textes das τίς (nach ALFRED RAHLFS, Psalmi cum Odis, Göttingen 1931, 89, der auf die Kollationen von Holmes und Parsons zur Lukianredaktion zurückgreift, betonend, dass „diese Kollationen […] nicht erstklassig“ seien [a.a.O., 61]). Auf Seiten des Neuen Testaments findet sich τίς in 𝔓46 C* P 81. 104. 1881 d. Friedrich Zimmer konnte aufgrund der Beleglage noch festhalten „Bloß nach der Bezeugung gerechnet, wäre also τί unbedingt vorzuziehen“ (FRIEDRICH ZIMMER, Probleme, 30). Ihm stand damals aber 𝔓46 nicht zur Verfügung, ein Textzeuge, den man seines hohen Alters wegen nicht unberücksichtigt lassen darf; er wird gewöhnlich ans Ende des zweiten Jahrhunderts datiert. Eine Ausnahme ist die Einschätzung von YOUNG KYU KIM, „Palaeographical Dating of P46 to the Later First Century,“ in Bib 69 (1988), 248–257: 254, der die Abschrift vor die Regierungszeit Domitians datiert, also vor 81 n.Chr. Zuletzt wurde diese Datierung von KARL JAROŠ, Die ältesten griechischen Handschriften des Neuen Testaments: Bearbeitete Edition und Übersetzung, Köln 2014, 187f. vehement verteidigt. Er fordert einen C-14 Test zur Verifikation. Die Beleglage ist damit zwar besser als sie sich noch zu Zeiten Friedrich Zimmers dargestellt hatte, aber ein genauerer Blick in die Handschrift selbst weckt Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit, was unsere Stelle anbetrifft. Der Abschreiber hat auch im folgenden Vers (V.7) bei βραχύ τι zuerst das τι zu τις verschrieben, das ist auf dem Manuskript eindeutig zu erkennen. Er hat seinen Fehler aber wohl noch im Schreiben korrigiert und das Sigma zu dem Pi des folgenden παρ᾿ abgewandelt (So auch bei STEYN, „Observations,“ 503, er beruft sich dabei auf ein persönliches Gespräch mit Barbara Aland; s. daneben auch JAMES R. ROYSE, Scribal Habits in Early Greek New Testament Papyri, NTTSD 36, Leiden 2008, 226). Die Korrektur in Vers 7 zeigt, dass der Schreiber, obwohl in der Vorlage gewiss τι stand, zu einem τις tendierte. Da die LA am Ort grammatikalisch unmöglich gewesen wäre, erfolgte die Korrektur. In Vers 6 hingegen ist τις grammatisch wie inhaltlich sinnvoll. Selbst wenn es sich dort lediglich um einen Schreibfehler gehandelt haben sollte, so fiele er nicht ohne Weiteres auf. Das τις liegt wegen des Subjekts ἄνθρωπος sogar näher, es ist die „gewöhnliche Wendung, selbst wenn man nach der Eigenschaft, nicht nach der Person jemandes fragt“ (ZIMMER, Probleme, 31). Ein ganz ähnlicher Fall liegt in 𝔓46 für 1Kor 3,5 vor. Der Text sollte lauten: Τί οὖν ἐστιν Ἀπολλῶς; τί δέ ἐστιν Παῦλος; Auch hier hat 𝔓46 in Übereinstimmung mit einer Reihe jüngerer Textzeugen mutmaßlich beide Male τις statt τι geschrieben und lässt damit das Fragepronomen mit den Subjekten im Genus kongruieren. Die Lesart τις wird in NA28 an beiden Stellen für 𝔓46 angenommen, aber als unsicher („vid.“) gekennzeichnet. Ein Blick ins Manuskript zeigt jedoch, dass der vordere Teil des Satzes mechanisch zerstört ist, im zweiten Teil ist das τις deutlich zu erkennen, es ist noch zu lesen: […]στιν απολλως τις δε ε[…]. Aus dem zweiten τις kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das erste τις schließen.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
logische Umprägung des Psalms, weil der Autor etwa danach gefragt hätte, wer denn dieser Mensch/Menschensohn sei, kann aufgrund textkritischen Befunds nicht bestätigt werden. Ein zweites textkritisches Problem ist die Frage nach der Ergänzung oder Auslassung von Ps 8,7a nach Hebr 2,7 in den Manuskripten (και κατεστησας αυτον επι τα εργα των χειρων σου; und du setzt ihn über die Werke deiner Hände ein). Wir betrachten die Beleglage: Gewichtige Textzeugen überliefern diesen Halbvers in Hebr 2,7 (ℵ A C D* P Ψ 0243. 0278. 6. 33. 81. 104. 365. 629. 1505. 1739. 1881. 2464 [syp.h**] co),83 eine kleinere, aber nicht unbedeutende Gruppe lässt ihn aus (𝔓46 B D2 K L 630. 1175. 1241 𝔐 vgms). Die beiden wichtigsten Textzeugen auf Seiten der Auslassung des Psalmteiles sind 𝔓46 und der Codex Vaticanus. Friedrich Zimmer hielt seinerzeit die Wertschätzung des Vaticanus für übertrieben, da „diese Handschrift im Hebräerbriefe an vielen Stellen scheinbar Überflüssiges ohne weiteres ausl[asse]“84 und nicht wenig emendiert worden sei.85 Dieses Argument ist aber, seit 𝔓46 zur Verfügung steht, geschwächt, da die Auslassung nicht erst durch den Schreiber des Codex Vaticanus erfolgt ist, sondern vorher geschehen sein muss. Dafür, dass Ps 8,7a erst später ergänzt wurde, spräche seitens der Handschriften der Hang der Schreiber zur Vervollständigung.86 Ein inhaltliches Argument wäre, dass AuctHebr bei der folgenden Interpretation des Zitats alle Teile des Psalms wieder aufgegriffen hätte, Ps 8,7a aber nicht.87 Außerdem passe der Gedanke der Einsetzung über die Werke der Hände (Gottes? Des Sohnes?) nicht recht in das Konzept des Hebräerbriefes.88 Mit den beiden Damit gibt es für 𝔓46 immerhin starke Indizien, dass der Schreiber – bewusst oder unbewusst – zum τις tendiert. Als Textzeuge für ein ursprüngliches τις in Hebr 2,6 verliert er daher an Gewicht. 83 Auch die Vetus Latina überliefert den Vers in allen uns erhaltenen Traditionen (D, J und V) und in beinahe allen Manuskripten (vgl. FREDE, „Hebraeos,“ 1129). 84 ZIMMER, Probleme, 33. 85 ZIMMER, Probleme, 33, Anm. 86 Vgl. R ÜSEN-W EINHOLD, Septuagintapsalter, 190. 87 Vgl. R ÜSEN-W EINHOLD, Septuagintapsalter, 191. 88 Vgl. STEYN, „Observations,“ 505f.: Der ausgelassene Vers handelt von der Herrschaft des Menschen innerhalb der göttlichen Schöpfung. Damit passe dieser Gedanke nicht in den Argumentationsgang, der von der zeitweiligen Erniedrigung des Sohnes und der anschließenden eschatologischen Herrschaft spreche. Das trifft allerdings nur dann zu, wenn man Erniedrigung und Krönung chronologisch voneinander trennt. Davon ist abzusehen. Eine weitere Schwierigkeit erkennt Steyn darin, dass in Hebr 1,10 die Himmel als das Werk der Hände des Herrn (= Jesu) deklariert würden. Es wäre daher wenig sinnvoll, wenn Jesus während seiner Erniedrigung unter die Engel, aber über die Himmel (=Wohnstatt der Engel) gesetzt wäre. Es sei jedoch auf die unterschiedlichen Himmelskonzepte hingewiesen, die im Hebräerbrief vorliegen. Es gibt den Himmel als Teil der sichtbaren Schöpfung. Das sind jene Himmel, die veralten und vergehen. Es gibt aber auch den qualitativ besseren Himmel der
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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letztgenannten Argumenten kann Friedrich Zimmer jedoch auch für die Streichung von Überflüssigem und scheinbar Sinnwidrigem durch die Handschriften argumentieren.89 Es wäre tatsächlich schwierig, Christus als denjenigen zu verstehen, der über die irdische Schöpfung eingesetzt ist, da diese nach 1,10 Werk der Hände des Sohnes sind, nicht Gottes. Das Zitat aus Ps 101,26 LXX wird hier eindeutig zum Sohn gesprochen. Über ein Werk der Hände Gottes selbst gibt es keine explizite Aussage im Hebräerbrief. Wäre es eine Möglichkeit, in diesem Fall dem Psalmzitat den direkten christologischen Bezug abzusprechen und ihn stattdessen allgemein auf den Menschen hin auszulegen? Auch das ist schwierig. Denn wenn man das Possessivpronomen σου in der Wendung τὰ ἔργα τῶν χειρῶν σου auf den Sohn bezöge, wären auch alle Verben, die in der 2. Pers. Sg. stehen, auf den Gottessohn hin zu deuten. Dann wäre Jesus in Hebr 2,7 derjenige der erniedrigt und krönt, in Hebr 2,9 aber Objekt von Erniedrigung und Krönung. Das ist darum zu verwerfen. Es bleibt also dabei: „Deiner Hände Werk“ muss sich im Psalm wie im Hebräerbrief auf Gottes eigene Schöpfung beziehen. Im Psalm selbst wird damit der Bezug zur Schöpfung Gottes im Buch Genesis hergestellt. Im Hebräerbrief hat Gott zur Erschaffung von Himmel und Erde jedoch einen ihm wesensgleichen Sohn zum Schöpfungsmittler eingesetzt. Sie sind darum für AuctHebr Werke der Hände des Sohns, nicht Gottes. Von einer eigenen Schöpfung Gottes weiß der Hebräerbrief aber ebenfalls zu berichten. Er setzt sie von der sichtbaren Welt ab. Es werden insbesondere die ἐπουράνια, also die himmlische Stadt (11,10.16; 12,22) und das wahre Zelt (Hebr 8,2: ἣν ἔπηξεν ὁ κύριος, οὐκ ἄνθρωπος; Hebr 9,11), als Gottes eigenes Werk angesehen.90 Von dem vollkommenen Zelt sagt AuctHebr, es sei οὐ Gottespräsenz, den Ort des himmlischen Jerusalem und des himmlischen Heiligtums. Dort, nicht im sichtbaren, sondern im unsichtbaren Himmel sind die Engel und die vollendeten Gerechten zu denken. 89 ZIMMER, Probleme, 33. 90 Gegen O LE JAKOB FILTVEDT, „Creation and Salvation in Hebrews,“ ZNW 106/2 (2015), 280–303: 282ff., der Jesus als Schöpfer der himmlischen Welt versteht. Das widerspricht expliziten Aussagen über die von Gott bereitete himmlische Polis (Hebr 11,10.16) oder etwa dem vom Herrn (= Gott, da in Opposition zum Menschen) selbst erbauten Heiligtum (Hebr 8,2: ἣν ἔπηξεν ὁ κύριος, οὐκ ἄνθρωπος). Eindeutig wird aber gesagt, dass die Schöpfung des Sohnes – im Gegensatz zu der des Vaters – vergänglich ist (Hebr 1,10–12). Möglicherweise liegt dem die Vorstellung einer Schöpfungshierarchie zugrunde, wie sie sich etwa bei Platon findet. Der Schöpfer erschaffe Götter, die die Schöpfung vollenden sollen. Alles, was der Schöpfer/Vater geschaffen hat, ist zwar nicht eo ipso unsterblich, wird aber nicht vergehen, weil es Sache des Bösen wäre, wieder aufzulösen, was gut zusammengefügt worden ist. Diese vom Urschöpfer erschaffenen Götter, die von jenem Gott selbst als Götter angesprochen werden, erschaffen dann unter anderem die Menschen, um das sterbliche Werk dem unsterblichen anzuschließen (Platon Tim. 41a–d). Auch im Hebräerbrief gibt es
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
ταύτης τῆς κτίσεως, nicht Teil dieser Schöpfung. Es wird darum gerade als οὐ χειροποίητος bezeichnet. Kann das Zelt aber οὐ χειροποίητος heißen und dennoch als ἔργον τῶν χειρῶν θεοῦ verstanden sein? Das ist zu bejahen, denn das Adjektiv χειροποίητος bezeichnet ausschließlich das von Menschenhand gemachte91 und der Verfasser will auf diese Weise Gottes eigenes Werk in 9,11.24 vom ‚gezimmerten‘ Zeltheiligtum abgrenzen. Einleuchtend wird das, sobald man die Gegenprobe macht: Wenn etwa in Ex 15,7 vom Heiligtum (ἁγίασμα) gesprochen wird, das Gott mit seinen Händen gemacht habe (ἡτοίμασαν αἱ χεῖρές σου), dann kann man es dennoch nicht ein ἁγίασμα χειροποίητον nennen. Oder um innerhalb unseres Briefes zu bleiben: Wenn es in Hebr 1,10 heißt, die Himmel seien die Werke der Hände des Sohns, dann handelt es sich dennoch gewiss nicht um ἔργα χειροποίητα. Grund dafür ist, dass das Adjektiv χειροποίητος in biblischem Gebrauch durchweg negativ konnotiert ist und fast ausschließlich zur Charakterisierung von Götzen(-bildern) gebraucht wird.92 Entweder wird es als adjektivisches Attribut verwendet, um beispielsweise εἴδωλα in ihrer minderen Qualität zu kennzeichnen oder aber es wird substantiviert und ist dann – etwa als Übersetzung von – ֱאִלילvom jeweiligen Kontext her nur konkret als „Götzenbild“ zu verstehen.93
möglicherweise eine solche Schöpfungshierarchie. Denn es gibt den Teil der Schöpfung, der letztlich erschüttert wird und vergeht. Dieser Teil ist vom Gottessohn geschaffen (Hebr 1,10), der Gottessohn selbst ist dagegen als Schöpfungswerk Gottes (πιστὸν ὄντα τῷ ποιήσαντι αὐτὸν; Hebr 3,2) unvergänglich. Und daneben gibt es denjenigen Teil der Schöpfung, der unerschütterlich ist und darum Bestand hat. 91 Klassisch kann es auch für all das stehen, was ohne menschliches Zutun entstanden ist, etwa natürliche Zugänge, Wege, selbst entfachtes Feuer etc. (vgl. PASSOW, Handwörterbuch, s.v. χειροποίητος, 2,2: 2438f.). 92 Vgl. GELS 731 s.v. „χειροποίητος“: „with negative connotation of not being live, genuine or natural, and w. ref. to idols.“ 93 Dass א ִל יל ֱ mit χειροποίητος übersetzt wird, ist im Grunde überraschend. Zum einen handelt es sich um unterschiedliche Wortarten und zum anderen ist die Semantik beider Vokabeln verschieden. Das Substantiv ֱאִלילbezeichnet „Götzen“ mit der Konnotation der Eigenschaft der Nichtigkeit. Anders das Adjektiv χειροποίητος, das überhaupt nur in der Septuaginta (und sich ihrer bedienenden Schriften) in dieser substantivierten Bedeutung gebraucht wird: Die Eigenschaft des Abgottes, dass er nichts als ein Produkt von Menschen ist, wird verabsolutiert und kann offensichtlich für den Götzen selbst stehen, auch wenn die Formulierung elliptisch klingt. Die Septuaginta verfährt mit anderen Begriffen ähnlich. Zuweilen werden etwa die Adjektive γλυπτός und χωνευτός für die Götzen(bilder) benutzt (bspw. in Dtn 27,15: Επικατάρατος ἄνθρωπος, ὅστις ποιήσει γλυπτὸν καὶ χωνευτόν).
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Die Ausnahme bilden, soweit ich sehe, Lev 26,30 und Jes 16,12. Aber auch hier bleibt der pejorative Unterton spürbar. Insbesondere Jes 16,12 ist dabei interessant, da sich dort die biblisch einzige Belegstelle findet, an der χειροποίητος offenbar ein Heiligtum bezeichnet.94 94 Wo ein hebräisches Äquivalent vorhanden ist, ist laut der Konkordanz von Hatch/Redpath gewöhnlich ֱאִלילdie Vorlage (Lev 26,1; Jes 2,18; 10,11; 19,1; 31,7); HRCS, 1467. Es gibt zwei Stellen an denen der MT statt ֱאִלילandere hebräische Äquivalente bietet. Dort übersieht man jedoch (oder ist gegenteiliger Meinung darüber), dass in Lev 26,30 ַח ָמּ ןdurch ξύλινα χειροποίητα und in Jes 16,12 ִמ ְק ָדּשׁdurch χειροποίητα übersetzt wird. In Jes 21 wird der hebräische status constructus ( ֶהיָהJ = ְו ָכל־ ְפּ ִסיֵלי ֱאUnd alle Bilder seiner Götter) im Griechischen freier mit Hendiadyoin (τὰ ἀγάλματα καὶ τὰ χειροποίητα) wiedergegeben. a) Lev 26,30 ()ַח ָמּ ן: Dieser Vers ist Teil einer göttlichen Rede, die sowohl Verheißung als auch Drohung enthält. Gott gebietet, keine Götzen zu machen, seine Sabbate zu halten und Ehrfurcht vor seinem Heiligtum zu haben (Lev 26,1–2). Der Gehorsam Israels brächte Segen für Mensch und Land (Lev 26,3–13), der Ungehorsam zöge hingegen Strafen nach sich (Lev 26,13–39). Darunter fällt auch die Androhung, dass Gott die Opferhöhen vertilgen und die „Räucheraltäre“ (so die Übersetzung von ַחָמּ ןnach der Luther 2017) ausrotten werde. Die Bedeutung von ַחָמּ ןist jedoch unsicher. Die Etymologie ist unbekannt und über seine Bedeu– tung weiß der Gesenius nur zu sagen, dass es sich um einen „Kultbau od. Kultgegenstand“ handele, sprich eine Kapelle, eine Stele, ein Altar oder ein Räucherkästchen (GESENIUS, Handwörterbuch, 366, s.v. „ ;“ַחָמּ ןganz ähnlich auch K.M. BEYSE, המםet al., THWAT 2, 1048–1050, mit der Tendenz zur Säule oder einem säulenartigen Räucheraltar). Für die Bedeutung χειροποίητος lässt sich für Lev 26,30 daher nichts gewinnen, denn wir wissen weder, was genau ַחָמּ ןbedeutet, noch wissen wir, was davon der Septuagintaübersetzer verstanden hat. Möglicherweise hat er bei der Übertragung aus Verlegenheit zu einer allgemeinen Vokabel gegriffen. Dabei könnte er sich am Vorkommen der „Götzen“ ( ) ֱאִלילam Beginn der Gottesrede (Lev 26,1) orientiert haben. Die Kombination ָבָּמהund ַחָמּ ןfindet sich noch in 2Chr 14,4. Dort werden die Vokabeln mit θυσιαστήρια bzw. mit εἴδωλα übersetzt. Wenn man keine Vertauschung der Reihenfolge annimmt, haben wir hier zumindest einen weiteren Hinweis, dass ַחָמּ ןauch als (Götzen)bild verstanden werden konnte. b) Jes 16,12 ( )ִמ ְק ָדּשׁ: Im vorausgehenden Kontext wird vom Elend gesprochen, das Gott über Moab hereinbrechen ließ. Ab Vers 6 wird eine Klage über die Konsequenzen des Gerichts angestimmt. Unsere Stelle nimmt darauf Bezug und drückt aus, dass die eigene Religion keine Abhilfe schaffen kann. Septuaginta Deutsch übersetzt den genannten Vers so: „Und es wird zu deiner Beschämung geschehen, weil Moab sich Mühe gab auf den Altären, (da) wird es eintreten zu ihren handgemachten (Götzen), um (sie) anzubeten, und (doch) werden sie nicht imstande sein, es zu retten.“ Die Übersetzer ergänzten in Klammern „Götzen,“ dies entsprechend dem oben genannten Befund, dass χειροποίητα gewöhnlich genau das bedeutet. Im Erläuterungsband LXX.E II, 2547 heißt es, „‚ihren handgemachten (Götzen)‘ [sei eine d]eutende Wiedergabe von ‚ מקדשוsein Heiligtum‘.“ Ist diese Einschätzung angemessen? Dafür, dass χειροποίητα in Jes 16,12 „Götzen“ bezeichnet, spricht allein der oben genannte Septuaginta-Befund, insbesondere die Tatsache, dass auch die übrigen Jesaja-Belege das Wort in diesem Sinn verstehen (Jes 2,18; 10,11; 19,1; 21,9; 31,7; 46,6). Darf man aber so pauschal urteilen? Unsere Belegstelle bietet Besonderheiten. An den anderen Stellen ist die Bedeutung „Götzen“ durchaus auch vom Kontext her bestimmt, indem beispielsweise zusätzlich von εἴδωλα die Rede ist oder man sich vor den χειροποίητα niederwirft. Das ist an unserer Stelle nicht der Fall. Im Gegenteil: Der Septuagintaübersetzer entscheidet sich,
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Damit ist klar: Wenn das himmlische Zelt als οὐ χειροποίητος (nicht von Menschenhand) bezeichnet wird, kann es sich dennoch um Werke der Hände Gottes handeln.95 Man dürfte also durchaus τὰ ἔργα τῶν χειρῶν σου vom übrigen Hebräerbrief her betrachtet als die unsichtbare Schöpfung im Himmel verstehen, in Anlehnung an Hebr 9,11 möglicherweise sogar als das himmlische Heiligtum selbst. Lässt man diesen Gedanken zu, so fällt auf, dass κατέστησας αὐτὸν spannende Parallelstellen hätte, denn das Verbum καθίστημι hat insgesamt drei Belege im Hebräerbrief und wird jeweils ausschließlich gebraucht, um die Einsetzung des Hohepriesters zu beschreiben (Hebr 5,1; 7,28 und 8,3).96 Insbesondere ist diese Feststellung für Hebr 5,1 von Interesse, da der Kontext große Nähen zum zweiten Kapitel, besonders zu Hebr 2,17f. aufweist, wo zum ersten Mal explizit von Jesu Hohepriestertum gesprochen wird. Jeweils ist von der Einsetzung τὰ πρὸς τὸν θεόν (Hebr 2,17; 5,1) die Rede. Wenn man also die Einsetzung über die Werke Gottes als Anspielung auf die Einsetzung des himmlischen Hohepriesters versteht, fügt sich der Gedanke die hebräische Konstruktion ganz wörtlich ins Griechische zu übertragen ( – וָּב א ֶאל־ִמ ְק ָדּשׁוֹκαὶ εἰσελεύσεται εἰς τὰ χειροποίητα αὐτῆς). Auffallend dabei ist, dass sonst χειροποίητα nie mit der Präposition εἰς verbunden wird. Und interessanter noch ist, dass er als Verb das Kompositum εἰσέρχομαι „hineinkommen/eintreten“ wählt. Moisés Silva trägt dieser Tatsache in seiner Wiedergabe Rechnung und übersetzt: „…and she [sc. Moab] will enter the works of her hands in order to pray but will not be able to deliver him“ (Übersetzung nach NETS). Damit wird auch die Ergänzung des Akkusativobjekts überflüssig, die LXX.D benötigt („um [sie] anzubeten“). Im letzten Satzteil (καὶ οὐ μὴ δύνηται ἐξελέσθαι αὐτόν – „und (doch) werden sie nicht imstande sein, es zu retten“) macht LXX.D die Götzen zum Subjekt, was grammatikalisch – singularisches Prädikat bei sächlichem Subjekt im Plural – korrekt ist. Nicht möglich hingegen ist es, αὐτόν auf Moab zu beziehen, weil die θύγατερ Μωαβ (Jes 16,2) femininen Geschlechts ist. Ein muttersprachlicher Leser der Septuaginta wird folglich den Satz nicht vom sonstigen Wortgebrauch von χειροποίητος her verstehen, sondern vom direkten Kontext aus. Man denkt wegen εἰσέρχομαι εἰς bei χειροποίητα zuerst an ein Gebäude, nicht an eine Figur oder ein Bild. Warum aber wählt der Übersetzer dann nicht ein Wort, das ִמ ְק ָדּשׁbesser entspräche, wie beispielsweise ἁγίασμα (vgl. Jes 63,18)? Die Intention könnte gewesen sein, die heilige Stätte Moabs abzuwerten, da sie ja nun eben gerade nicht heilig sein kann. Dass dies aber durch das Prädikat „handgemacht“ geschieht ist nur insofern seltsam, als doch jedes Heiligtum mit Händen gemacht ist, auch das israelitische. Es ist jedoch so zu erklären, dass das Adjektiv den pejorativen Beiklang der Abgötterei auch hier innehat. Die Alternative, dass der Jesajaübersetzer als Gegenentwurf hier bereits ein Heiligtum im Sinn gehabt hätte, das nicht mit Händen gemacht ist, ist nicht zu belegen. 95 Dieses von Gott selbst geschaffene Heiligtum entspricht eben jenem, das sich Mose zum Vorbild für das irdische Zelt nehmen sollte. Wie etwa in SapSal 9,8 handelt es sich nicht nur um ein Bild oder ein Modell, sondern um das wahre Heiligtum schlechthin. 96 Hebr 5,1 (Πᾶς γὰρ ἀρχιερεὺς […] καθίσταται τὰ πρὸς τὸν θεόν), Hebr 7,28 (ὁ νόμος γὰρ ἀνθρώπους καθίστησιν ἀρχιερεῖς […], ὁ λόγος δὲ τῆς ὁρκωμοσίας […] υἱὸν) und Hebr 8,3 (Πᾶς γὰρ ἀρχιερεὺς εἰς τὸ προσφέρειν […] καθίσταται·).
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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von Ps 8,7a ganz hervorragend in den Kontext. Die Aufnahme von Ps 8,6f. spiegelte dann die im Hebräerbrief sehr geläufige Kombination von Menschwerdung und hohepriesterlichem Dienst wider. Man findet diese Kombination beispielsweise an folgenden Stellen: Hebr 2,7: ἠλάττωσας αὐτὸν – ἐστεφάνωσας αὐτόν καὶ κατέστησας αὐτὸν ἐπὶ τὰ ἔργα τῶν χειρῶν σου Hebr 2,9: ἠλαττωμένον – ἐστεφανωμένον Hebr 2,17: ἀδελφοῖς ὁμοιωθῆναι – ἵνα ἐλεήμων γένηται καὶ πιστὸς ἀρχιερεὺς τὰ πρὸς τὸν θεόν; Hebr 5,1: ἀρχιερεὺς ἐξ ἀνθρώπων λαμβανόμενος – καθίσταται τὰ πρὸς τὸν θεόν
Dass der Psalmvers 8,7a nach seinem Zitat in Hebr 2,7 nicht in 2,9 wieder aufgegriffen wird, lässt sich leicht erklären. Krönung und Setzen über die Werke ist ein Hendiadyoin, weshalb der erste Teil der Aussage zur Bezugnahme völlig ausreicht. Bei der Wiederaufnahme allein des Gedankens der Krönung wollte AuctHebr zudem insbesondere ihre soteriologische Perspektive (ὑπὲρ παντὸς γεύσηται θανάτου) mit einflechten. Satzbau wie Gedankengang sind ohnehin schon kompliziert und wären bei einer Wiederaufnahme des gesamten Psalmzitates noch ausladender und komplexer geworden. Wenn dem Autor des Hebräerbriefes tatsächlich beim Setzen Jesu über die Werke Gottes seine Einsetzung als Hohepriester vorschwebte, und wenn zudem das altruistische Schmecken des Todes auf die Opferdarbringung Jesu als dem einzigen Heilsgeschehen anspielt, entsprechen sich die beiden Teile überdies. Unglücklich bei der Auswahl des Zitates von Ps 8,7a ist, dass die Werke der Hände (dort aber die des Sohnes) bereits im ersten Kapitel vorkamen und man daher das Stichwort „Hände“ leicht falsch beziehen und dadurch inhaltlich unzutreffend füllen kann, was wiederum zu vermeintlichen Widersprüchen im Gedankengang führt. Eine Auslassung dieses Teils kann daher aus Gründen der Glättung des Gedankenganges geschehen sein. 3.1.2.1 Gründe für eine messianische Deutung von Psalm 8 Es sei erwähnt, dass schon für den hebräischen Text viele Fragen offenbleiben müssen. „A number of problem areas confront the exegete, inter alia text-critical problems, the unity and structure of the psalm, its date and genre and the interpretation of various words and phrases.“97 Es führte zu weit, auf jede der Fragen einzugehen, für unsere Belange entscheidend ist diejenige nach der ursprünglichen Gattung und der Bedeutung des Psalms. Dabei herrscht weitgehend der Konsens, es handele sich um einen Hymnus auf Schöpfung und
97 G.T.M. PRINSLOO, „Polarity as Dominant Textual Strategy in Psalm 8,“ OTE 8 (1995), 370–387: 371.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Schöpfer.98 Eine Erwähnung verdient demgegenüber der Versuch Douglas Greens, den Psalm als eschatologischen Königspsalm zu interpretieren.99 Er beurteilt seine Ausrichtung als „re-creational and eschatological“100 Statt des zurückliegenden Ereignisses der Unterwerfung der Welt unter Adam bei der Weltschöpfung will Green stattdessen den Gekrönten als zweiten Adam, also als eschatologische Figur, verstehen. Diese Herrscherstellung werde ein Nachkomme Davids einnehmen und so das verheißene Ziel der Geschichte Israels erreichen. Green resümiert: „Psalm 8 is less about the dignity and worth of humanity in general, and more about the dignity and worth, the glory and honor, of the true humanity Israel and the true human David (and his descendants). It testifies less to a high general anthropology and more to a high ‚Israelology‘ and especially to a high ‚Davidology.‘“101 Die neutestamentlichen Schriften, darunter seines Erachtens auch der Hebräerbrief, besetzten die Stelle des zweiten Adam mit der Person Jesu Christi.102 Sie schlössen sich damit einer Deutung von Ps 8 an, die bereits vorher gängig gewesen sei. Belege auf Seiten des jüdischen Schrifttums kann er leider nicht erbringen. Durch seine innertextlichen Beobachtungen bietet er Indizien für seine Interpretation an, die nicht abwegig sein mögen. Sein Ansatz bleibt aber leider hypothetisch. Nichtsdestotrotz geben Greens Überlegungen zur hebräischen Psalmüberschrift ()ְלָד ִוד, die er als Inhalts-, nicht als Verfasserangabe versteht, einen wichtigen Denkanstoß.103 In der Septuaginta ist der Psalm u.a mit ψαλμὸς τῷ Δαυιδ überschrieben. Anders als die hebräische Vorlage ִמְזמוֹר ְלָד ִוד, die neben Widmung und Thema auch die Verfasserschaft Davids angeben kann, ist der Dativ im Griechischen im ersten Sinn zu verstehen. In der LXX.D wird er darum mit „bezogen auf David“ übersetzt. Grund dafür sei, dass es in der Septuaginta die Tendenz gebe, Psalmen bestimmten Situationen im Leben Davids zuzuordnen. Man unterscheidet davon die Konstruktion im Genitiv ψαλμὸς τοῦ Δαυιδ, die man als Verfasserangabe versteht.104 Die Zuschreibung τῷ Δαυιδ könnte daher natürlich ein erster Auslöser dafür sein, dem Psalm nicht die Herrschaft der Menschheit über die Welt, sondern stattdessen die Herrschaft eines einzelnen, in dem Fall Davids oder eines Davididen, zu entnehmen. 98 LEONARD P. M ARÉ, „Psalm 8. God’s Glory and Humanity’s Reflected Glory,“ OTE 19/3 (2006), 926–938: 929. Vgl. auch WALTER BRUEGGEMANN/WILLIAM H. BELLINGER, Jr., Psalms, NCBC, Cambridge 2014, 58. 99 D OUGLAS J. G REEN, „Psalm 8: What Is Israel’s King That You Remember Him?“ (Informal and unpublished paper written in 2003 and lightly revised in June 2014), abgerufen am 14. September 2018: https://www.academia.edu/7222228/Psalm_8_What_Is_Israels_King_That_You_Remember_Him, 6. 100 G REEN, „Psalm 8,“ 6. 101 G REEN, „Psalm 8,“ 6. 102 G REEN, „Psalm 8,“ 7. 103 G REEN, „Psalm 8,“ 4f. 104 Vgl. LXX.E 2:1502.
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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3.1.2.2 Die Verwendung von Psalm 8 im Hebräerbrief Möglicherweise wird AuctHebr von dieser griechischen Psalmüberschrift beeinflusst. Zudem greift er freilich auf die nachweisbare frühchristliche Interpretationstradition zurück. Er kann also den Psalm durchaus christologisch gelesen und zitiert haben. Auch wenn ein τίς als Einleitung des Zitats möglicherweise noch eindeutiger eine christologische Interpretation begünstigt hätte, so steht dem aber auch die Lesart τί nicht im Wege, denn wenn AuctHebr nicht fragt, wer (τίς) der Mensch/der Menschensohn sei, deutet das darauf hin, dass auf eine titulare Verwendung der Begriffe kein Wert gelegt wird.105 Er kann in Übereinstimmung mit seiner Vorlage mithilfe des τί nach der Bedeutung des Menschen/Menschensohnes für die Welt fragen.106 Die künftige Welt107 (Hebr 2,5: τὴν οἰκουμένην τὴν μέλλουσαν) kann nicht als den Menschen allgemein unterworfen gedacht werden, bereitet der Verfasser doch in Hebr 1,13 bereits vor, zum Thema zu machen, dass die Herrschaft dem Sohn, der sich zur Rechten Gottes setzen soll, und nicht den Engeln zugedacht ist.108 Es folgt ein Einschub, der dazu ermahnt, auf das Wort zu achten (Hebr 2,1–4), woraufhin dann der Gegensatz Engel-Sohn wieder aufgegriffen wird (Hebr 2,5). Angeschlossen wird es mit einem γάρ, das auf das Vorausgehende Bezug nimmt, das heißt entweder auf das Wort, das durch den Herrn (sc. den Sohn) verkündet worden ist (Hebr 2,3), oder gar direkt auf den oben genannten Vers 1,13: Οὐ γὰρ ἀγγέλοις ὑπέταξεν τὴν οἰκουμένην τὴν μέλλουσαν (Hebr 2,5). In jedem Falle ist der Gottessohn im gesamten vorausgehenden Kontext Thema. Die folgende Aussage rein auf den Menschen zu beziehen, bedeutete einen Rückschritt in der Argumentation, zumal der Psalm – darauf deutet etwa die Verwendung bei Paulus (1Kor 15,27) und im Epheserbrief (1,22) hin – ein christologisches Verständnis mit einiger Wahrscheinlichkeit 105 Möglicherweise genügt dem Autor des Hebräerbriefes bereits die Rede vom ‚Sohn‘ (υἱός), um Christus mitgenannt zu denken. Mathias Rissi meint sogar, AuctHebr unterscheide auch nicht zwischen Sohn und Gottessohn (vgl. RISSI, Theologie, 45). Vom Sohn wurde zu diesem Zeitpunkt bereits viermal gesprochen (Hebr 1,2; 1,5 [2x] und 1,8). Hinzu kommt, dass im Psalm auch die Engel, in Opposition zu dem Menschensohn, aufgegriffen werden. 106 Vielleicht trifft LOADER, Sohn, 37, die Bedeutung des τί am ehesten, wenn er sie auf Jesus hin versteht und paraphrasiert: „Was für ein Mensch ist dieser?“ 107 Gemeint ist hier meines Erachtens der Erdkreis, wie er sein wird, wenn der Sohn wiederkommt. So dargestellt von AuctHebr etwa in 1,6, wo ihn die Engel anbeten sollen: ὅταν δὲ πάλιν εἰσαγάγῃ τὸν πρωτότοκον εἰς τὴν οἰκουμένην, λέγει· καὶ προσκυνησάτωσαν αὐτῷ πάντες ἄγγελοι θεοῦ. Diese Vorstellung steht auch hinter Hebr 9,28, wo ebenfalls von der Wiederkunft Christi (ohne Bezug zur Sünde) geredet wird. 108 So auch R ISSI, Theologie, 71: „Da 2,6–8a zur Testimoniavorlage gehört, die sich mit dem Verhältnis Sohn – Engel beschäftigt, ist klar, daß das Psalmwort vom ‚Menschen‘ oder ‚Menschensohn‘ hier nicht allgemein vom Menschen spricht, sondern vom Weltherrscher Christus.“
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
bereits mit sich bringt und damit bestimmte Konnotationen bei den Lesern auslösen dürfte. Es bedeutete auch deshalb eine Inkonsequenz im Gedankengang, weil der Sohn nicht nur im vorausgehenden, sondern auch im folgenden Kontext, ab Hebr 2,9, erneut im Fokus steht. Es ist demgemäß Franz Laub zuzustimmen, wenn er formuliert: „Es macht zu viele Schwierigkeiten, die Unterwerfung der künftigen Welt (V 5) als eine auf den Menschen bezogene Aussage zu begreifen, ähnlich wie auch das πάντα V 8 viel eher in einen christologischen Zusammenhang gehört im gleichen Sinn wie Hebr 1,2.3; Kol 1,16.“109 Die Krönung des Menschen ist laut Ps 8 innerhalb seiner Erniedrigung geschehen und darin schon gültig. Daran besteht kein Zweifel, weder für den griechischen noch für den hebräischen Text. „Ohne das Gering-Sein des Menschen aufzuheben, wird der Mensch königlich ausgestattet und mit weitreichender Verantwortung für die Schöpfung betraut.“110 Damit fallen auch Krönung und irdische Allunterwerfung in eins, denn in Ps 8,6f. stehen alle Prädikate im Aorist (2.Sg. Ind. Akt.). Der Mensch ist, wenngleich seiner ursprünglichen Würdeposition enthoben, gekrönt und herrscht so über die Werke der Hände Gottes. Ihm ist alles unter die Füße getan. Er ist zwar geringer als die Himmelswesen, hat aber zugleich die Macht über die Werke. Somit ist die Krönung unmittelbar mit der Herabsetzung zu verbinden.111 Gleiches hat für die christologische Deutung des Psalms auf Jesus hin zu gelten. Die verwendeten Verbformen (ἠλαττωμένον und ἐστεφανωμένον) stehen beide im Perfekt Passiv und korrespondieren miteinander.112 Auch Johann Christian Konrad von Hofmann äußerte sich seinerzeit in der Weise: „Sind ihm also die drei [m.E. vier] Sätze ἠλάττωσας αὐτὸν βραχύ τι παρ᾿ ἀγγέλους und δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστε– φάνωσας αὐτόν [nach obiger Analyse ist zu ergänzen: κατέστησας αὐτὸν ἐπὶ LAUB, Bekenntnis, 62. CHRISTIAN FREVEL, „‚Eine kleine Theologie der Menschenwürde.‘ Ps 8 und seine Rezeption im Buch Ijob,“ in Frank-Lothar Hossfeld/Ludger Schwienhorst-Schönberger (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten Testaments. FS Erich Zenger, Freiburg u.a. 2004, 244–272: 256. 111 LOADER, Sohn, 33: „Wenn es [sc. βραχύ τι] nicht zeitlich zu verstehen wäre, dann würden die Menschen immer niedriger als die Engel bleiben; das widerspricht 2,5, besonders wenn Jesus als Typus des Menschengeschlechtes verstanden wird. Außerdem ist βραχύ τι mit Bezug auf Jesus zeitlich zu verstehen (2,9). Sonst bliebe Jesus niedriger als die Engel!“ Das scheint mir überinterpretiert. Die geringfügige Herabsetzung Jesu kann als Annahme der menschlichen Daseinsform verstanden werden. Dass es ein Danach gibt, gilt sowohl für Jesus Christus, der ins himmlische Heiligtum eingeht, wie für die Menschen, denen das göttliche Gericht und, bei gelungener Lebensführung, die endgültige Teilhabe an der Gemeinschaft im himmlischen Jerusalem und seinem Heiligtum bevorsteht. Der Autor scheint mit Ps 8 sagen zu wollen, dass sich das Schicksal Jesu mit dem des Menschen verbindet. Da der Mensch ein wenig geringer ist als die Engel, musste der Gottessohn es auch werden, wenn er ihnen in allem gleich werden sollte. 112 Vgl. FINDLAY, „Jesus,“ 229. 109
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3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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τὰ ἔργα τῶν χειρῶν σου,] und πάντα ὑπέταξας ὑποκάτω τῶν ποδῶν αὐτοῦ gleichartigen Inhalts gewesen, so kann er jetzt βραχύ τι παρ᾿ ἀγγέλους ἠλαττωμένον und δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστεφανωμένον keinen Gegensatz wie der Erniedrigung zuvor und der Verherrlichung darnach ausdrücken lassen. Wie dort die drei Sätze einen und denselben Akt Gottes meinten, ähnlich muß es hier auch sein, und wie dort der erste die Herstellung des Menschen in fast engelgleichen Stand aussagte, so muß auch hier der Ton auf παρ᾿ ἀγγέλους ruhen und nicht auf ἠλαττωμένον und kann βραχύ τι nicht von der Zeitweiligkeit einer Erniedrigung verstanden sein wollen.“113 Was ist mit der sogenannten Erniedrigung gemeint? Bei dem Verbum ἐλαττόω handelt es sich um eine Verbalbildung zum Komparativ des Adjektivs ἐλαχύς, das „klein“ und „gering“ bedeutet. Das Verbum ἐλαττόω bedeutet daher wörtlich „verkleinern“ und kann dann auf die physische Größe (kleiner machen), die Menge (weniger machen) wie auch im übertragenden Sinn auf den Wert (verringern) oder den Zustand (schlechter machen, beeinträchtigen, schädigen) eines Gegenstandes oder einer Person Bezug nehmen.114 Dies gilt ebenso für das biblische Griechisch und es kann entsprechend in der Septuaginta als Antonym zu πλεονάζω (Jer 37,19; „mehren“, hebr.: )רבהund ganz ähnlich im Neuen Testament als Antonym zu αὐξάνω (Joh 3,30; „größer werden“) stehen. Wo ἐλαττόω das hebräische חסרin der Bedeutung „Mangel leiden“115 vertritt, nimmt es diese Bedeutung offenbar an. Für unsere Stelle ist 113 H OFMANN, Heilige Schrift, 114. Mit gewichtigem Argument spricht sich Hofmann (a.a.O., 110) dagegen aus, in βραχύ τι beide Aspekte, namentlich temporelle und graduelle, zugleich ausgedrückt zu finden. „Denn eines von beidem muß im βραχύ τι sein, entweder ‚für eine kleine Weile‘ oder ‚nur ein Wenig‘. Daß er den Doppelbegriff in seiner ungeschiedenen Einheit neben der temporellen Bedeutung auch die graduelle festgehalten habe, ist nicht nur nicht wahrscheinlich, sondern schlechthin undenkbar, da der Satz, je nachdem βραχύ τι in dem einen oder in dem andern Sinne gefaßt wird, mit ganz verschiedener Betonung, das eine Mal mit vorwiegender Betonung von ἠλάττωσας, das andere Mal mit vorwiegender Betonung des παρ` ἀγγέλους gelesen sein will.“ Ebenfalls gegen die temporale und für die graduelle Bedeutung von βραχύ τι argumentiert R.A. MITCHELL, „Jesus Crowned with the Glory of Sonship: Hebrews 2,9,“ ExpTim 3,10 (1982), 455–457: 457, und betont dabei „that it does not require us to assume that the writer misunderstood or altered the meaning of the Βραχύ τι of the Psalm, taking it in a temporal sense = ‚for a little while,‘ while it is properly an adverb of degree = ‚only a little’.“ Temporale Deutung vertritt etwa ELENA BELENKAJA, „βραχύ τι – qualitative, temporale und räumliche Aspekte. Zur Rezeption von Ps 8,5–7 LXX in Hebr 2,5–9,“ in Martin Meiser u.a. (Hg.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz. 6. Internationale Fachtagung, veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 21.–24. Juli 2016, Tübingen 2018, 508–529. 114 Vgl. etwa PASSOW, Handwörterbuch, 1,2: 865, s.v. ἐλασσόω. 115 Sowohl die Bedeutung „Mangel leiden lassen“ wie auch „geringer machen“ kann חסר im Piel haben (Gesenius, 378). Schon für außerbiblische Belegstellen stellt HEINZ-JOSEF FABRY, Art. „ ָח ֵסר,“ ThWAT 3,88, fest: „In allen diesen Belegen bezeichnet die Wurzel also etwas, was nicht im Vollbesitz aller ihm normalerweise zustehenden oder anhaftenden
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
jedoch letzteres aufgrund der Präposition παρά, die den Vergleich anzeigt, wie auch aus inhaltlichen Gründen, unwahrscheinlich, wenn solche Wiedergabe auch versucht worden ist.116 Die Übersetzung von ἐλαττόω mit „erniedrigen“ oder gar „niedriger machen“ im übertragenen Sinne ist möglich, jedoch missverständlich, weil sie gerade im Zusammenhang mit Himmel und himmlischen Wesen in der Gefahr steht, lokal aufgefasst zu werden, so als fände sich eine Bewegung vom Himmel zur Erde darin ausgedrückt. Etwa Knut Backhaus betitelt den Abschnitt Hebr 2,5–9 mit: „Die Herabkunft des Sohnes in die Menschenwelt.“117 Die altlateinischen Übersetzungen haben dagegen ganz adäquat in Hebr 2,7 ἐλαττόω mit minoro (D) und minuo (J, V), in Hebr 2,9 univok (D, J, A, V) mit minoro wiedergegeben, jedenfalls nicht etwa mit humilio. Verschärft wird die Problematik eines irrtümlich lokalen Verständnisses, wenn zur Deutung des στεφανόω die von AuctHebr nicht explizit genannte Erhöhung des Gottessohnes – nicht selten verstanden als Himmelfahrt – dieser Erniedrigung gegenübergestellt wird. Es bräuchte daher einen Begriff, der die gewissermaßen qualitative Veränderung der Daseinsform des Gottessohns zum Minderen hin ausdrücken kann. Am ehesten finde ich dies im Begriff der Schwächung ausgedrückt, insofern man es als „Eingehen in die menschliche Nothlage“118 versteht, oder als Zueignung der Körperlichkeit, insofern sie dem göttlichen Wesen ermöglicht, menschliche Schwäche und Not zu empfinden. Mit dem Aufenthaltsort in den himmlischen Höhen oder in den irdischen Tiefen hat es vorerst nichts zu tun. Eine andere Begrifflichkeit zu wählen, soll daher sowohl einem lokalen Verständnis wehren, zudem aber auch helfen, eine unreflektierte Übertragung des vom sogenannten Philipperhymnus119 her bekannten Erniedrigungs-Erhöhungs-Schemas zu vermeiden. Auch in der aktuellen Revision der Lutherbibel ist der Abschnitt Hebr 2,5–18 suggestiv mit „Die Erniedrigung und Erhöhung
Eigenschaften ist.“ Für Ps 8,5 nimmt Fabry, Art. „ ָח ֵסר,“ 98, eine geringe „Rangabstufung des Menschen gegenüber Gott“ ( ִהיםJ )ֵמ ֱאan. 116 So bietet die Lutherübersetzung (1545): „Den aber / der eine kleine zeit der Engel gemangelt hat / sehen wir / das es Jhesus ist / durch leiden des tods gekrönet mit preis vnd ehren / Auff das er von Gottes gnaden fur alle den Tod schmecket.“ Dem folgte seinerzeit noch LOUIS HARMS, Epistel an die Hebräer, Hermannsburg 1871, 46. 117 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 115. 118 SODEN, Hebräerbrief, 33. 119 Der Begriff des Hymnus ist freilich mit Vorsicht zu gebrauchen. Dass es sich in Wahrheit nicht um einen vorpaulinischen Hymnus handelt, sondern um eine epideiktische Passage, die unter bewusstem Einsatz eines Stilwechsels vom Verfasser selbst komponiert wurde, hat RALPH BRUCKER, ‚Christushymnen‘ oder ‚epideiktische Passagen.‘ Studien zum Stilwechsel im Neuen Testament und seiner Umwelt, FRLANT 176, Göttingen 1997, herausgestellt (vgl. etwa a.a.O., 352).
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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Christi“ überschrieben.120 Bloß unterscheidet sich das Vokabular im Philipperbrief frappierend von unserer Stelle. Mit ταπεινόω (V: humilio) und ὑπερυψόω (V: exalto) liegt dort tatsächlich eine Höhenmetaphorik vor und keine Größenmetaphorik, wie es im Hebräerbrief der Fall ist. Im Christushymnus des Philipperbriefes wird der Weg Christi in drei Stationen geschildert. Er führt aus der Gottgleichheit (Phil 2,6) in die irdischen Gefilde. Christus verzichtet dabei auf sein Gottsein oder verbirgt es (ἑαυτὸν ἐκένωσεν; 2,7) und wird Mensch (ἐν ὁμοιώματι ἀνθρώπων; 2,7). In seinem Menschsein führt der Weg immer weiter hinab zum äußersten Tiefpunkt menschlichen Daseins, seinem schändlichen Kreuzestod (2,8). Dieser Kreuzestod ist der Grund (διὸ καὶ; 2,9) dafür, dass Gott ihn aus seiner Niedrigkeit (ausgedrückt durch ἑαυτὸν ἐκένωσεν; 2,7 und besonders ἐταπείνωσεν ἑαυτὸν; 2,8) erhöht (αὐτὸν ὑπερύψωσεν; 2,9). Anders im Hebräerbrief. Dort wird nicht von einer chronologischen Abfolge der Ereignisse berichtet, sondern es wird ein Paradox vorgeführt.121 Schwachheit und Herrschaft sind dem Gottessohn gleichzeitig zu eigen. Und dadurch, dass Jesus als der Geschwächte und Geringe erkannt ist, ist er zugleich auch als der Gekrönte erkannt.122 Gerd Schunack beobachtet richtig: „Erniedrigung und Erhöhung, Menschsein Jesu und Gottes Identifikation mit ihm sind nicht zwei aufeinander folgende Etappen, sondern ein einheitliches Geschehen.“123 So lässt sich auch ohne Weiteres der Bezug zur Allunterwerfung herstellen. Der Geringste ist der Gekrönte und ist daher auch derjenige, dem alles
120 So legt auch jüngst noch JAMIESON, Jesusʼ Death, 104f., diese Stelle von Phil 2,8–9 her aus: „On either reading […] the verse articulates the programmatic pattern of humiliation-then-exaltation.“ 121 Anders etwa JAMIESON, Jesusʼ Death, 107, oder Rose, Hebräerbrief, 40, u.v.m. 122 Vgl. FRANZ LAUB, Hebräerbrief, SKK.NT 14, Stuttgart 1988, 36. Laub erkennt: „Dem Autor kommt es darauf an, hervorzuheben, dass der erhabene Sohn zugleich der Mensch Jesus ist […] Denn gerade das in der anstößigen Todeserniedrigung des Menschen Jesus wurzelnde Heilsgeschehen bezieht die Angeredeten unmittelbar mit ein.“ Auch für Laub ist zwar das Todesleiden der Grund der Krönung, jedoch stellt er hier Wegweisendes fest: 1.) „Jesus ist jetzt schon der in Herrlichkeit Erhöhte“ (ebd.). 2.) In diesem Abschnitt (2,5–9) wird die Glaubensproblematik der Adressaten aufgegriffen, die sich in der Frage: „Wo ist denn etwas wahrzunehmen und zu erfahren vom Jesusheil?“ zusammenfassen lässt (ebd.). Vgl. auch ULRICH LUCK, „Himmlisches und irdisches Geschehen im Hebräerbrief. Ein Beitrag zum Problem des ‚historischen Jesus‘ im Urchristentum,“ Novum Testamentum 6,2/3 (1963), 192–215: 211: „Wer also auf den erhöhten Jesus sehen will, den herrschenden Sohn, der muß auf den leidenden Angefochtenen sehen.“ Vgl. auch FUHRMANN, Vergeben, 65: „Auf den irdischen Jesus bezieht sich nicht nur die Aussage über die Erniedrigung unter die Engel (Hebr 2,9a), sondern auch die Rede von der Bekränzung mit Ehre und Ruhm.“ 123 SCHUNACK, Hebräerbrief, 33. Das gilt so auch schon für den Psalm. Die Verse 8,5–7 sprechen von der paradoxen Niedrigkeit und gleichzeitigen Hoheit des Menschen. Vgl. HANS KLEIN, „Zur Wirkungsgeschichte von Psalm 8,“ in Rüdiger Bartelmus/Thomas Krüger/Helmut Utzschneider (Hg.), Konsequente Traditionsgeschichte, FS Klaus Baltzer, OBO 126, Göttingen/Freiburg 1993, 183–198: 185.
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unterworfen ist (Hebr 2,8), auch wenn die Unterwerfung noch nicht zu sehen ist. Bereits Lünemann merkt an: „Aus der Wirklichkeit des Einen aber, welches wir sehen, folgt mit Nothwendigkeit die Wirklichkeit auch des anderen, welches wir noch nicht sehen. Denn ist das Schriftwort δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστεφανωμένον bereits bei ihm in Erfüllung gegangen, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass ebenso auch das im untrennbaren Zusammenhange damit stehende weitere Schriftwort πάντα ὑπέταξας ὑποκάτω τῶν ποδῶν αὐτοῦ sich bereits an ihm verwirklicht hat.“124 Dass AuctHebr dieses Psalmzitat einfügt, hat also seinen Zweck darin, das, was für die Gemeinde nicht sichtbar ist, argumentativ herauszustellen. „Bei der Nachzeichnung des Weges Jesu fällt auf, dass v.a. die Hoheitsaussagen mit alttestamentlichen Zitaten belegt werden.“125 Dies ist auch hier geschehen. AuctHebr zielt darauf ab, die Autorität Jesu nachzuweisen. Die Thematik, die das erste Kapitel dominiert, ist diejenige der Hoheitsstellung des Gottessohns im Vergleich zu den Engeln (bspw. Hebr 1,13: πρὸς τίνα δὲ τῶν ἀγγέλων εἴρηκέν ποτε) und im Vergleich zu Gott, der ihn sogar selbst als Gott (Hebr 1,8) betitelt. Das nachfolgende Kapitel 3 arbeitet die Überlegenheit Jesu gegenüber Mose heraus. Man darf den Rückschluss ziehen, dass die vom Verfasser verteidigte außerordentliche Hoheitsstellung Jesu von den Adressaten oder ihrer Umwelt angezweifelt worden ist. Dies vielleicht gerade aufgrund seines schändlichen Todes. „This is the crucial dilemma that confronts the writer to the Hebrews: how can Jesus be the Son of God if his earthly life is so ‚inglorious‘? The Greco-Roman world is full of mighty Gods with magnificent temples. But Christians have no temples, and their God is a man no one has ever heard of, except they themselves.“126 AuctHebr zeigt auf, weshalb derjenige, der in tiefer Schmach am Kreuz gelitten hat, trotzdem Gottes Sohn sein kann, indem er deutlich macht, dass die Herabsetzung dessen, dem alles unterworfen ist, in der Schrift nachweisbar ist und auf Jesus vorauswies.127 So kann man mit Erich Gräßer sagen: Durch den Psalm 8,5–7 belegt AuctHebr, „dass das Menschsein [Jesu] nicht die Infragestellung seiner eschatologischen Herrschaftsstellung, sondern ihre Begründung ist.“128 LÜNEMANN, Hebräerbrief, 73. ANGELA RASCHER, Schriftauslegung und Christologie im Hebräerbrief, BZNW 153, Berlin/New York 2007, 74. 126 JAN JOOSTEN, „Psalm 8. Macbride sermon 2015: Hertford College, Oxford,“ ExpTim 127/5. 243–246, 245. 127 A TTRIDGE, Hebrews, 72, nennt den Psalm ein „oracle that describes the humiliation and exaltation of Jesus.“ 128 ERICH G RÄßER, „Beobachtungen zum Menschensohn in Hebr 2,6,“ in Martin Evang/Otto Merk (Hg.), Aufbruch und Verheißung. Gesammelte Aufsätze zum Hebräerbrief, FS, BZNW 65, BZNW 65, Berlin/New York 1992, 155–165: 158. S. dazu auch KUSS, Hebräer, 41: Die Gestalt der Prophezeiung sei für den Hebräerbrief ohne Zweifel mit Jesus identisch, der Psalm sei eingeführt als Schriftbeweis für den Zusammenhang von Erniedrigung 124
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3.1.3 Die Bedeutung der Wendung διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου (Hebr 2,9) Bei der Wiederaufnahme und direkten Anwendung des Psalms auf Jesus fügt AuctHebr in 2,9 die Präpositionalphrase διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου hinzu, die nicht Bestandteil des zitierten Textes war. Man muss nun fragen, weshalb ihm diese Ergänzung, die über die Vorlage der Schrift hinausreicht, als notwendig erschien. Warum genügte es nicht zu sagen, wir sähen Jesus, den im Vergleich zu den Engeln geringer Gemachten, mit Preis und Ehre gekrönt? Gemeinhin wird in der Forschung die Einfügung als Begründung der Bekränzung betrachtet.129 So übersetzt beispielsweise Martin Karrer: „[…] wegen des Leidens am Tod mit Herrlichkeit und Ehre bekränzt […]“130 Der dieser Aussage folgende Finalsatz bringt dabei jedoch eine Spannung mit sich, die immer schon Schwierigkeiten aufwarf.131 Folgende beiden Aussagen, die sich bei solcher Deutung widersprechen, sind für die Unsicherheit in der Forschung verantwortlich: – –
Wegen des Todesleidens wurde Jesus gekrönt. Jesus wurde gekrönt, damit er für alle den Tod schmecke.
Versteht man den Tod zugleich als Grund und als Zweck der Erhöhung, so steht man vor einem chronologischen Paradoxon, denn, so präzisiert James Swetnam: „[…] following the normal meaning of ὅπως, the text seems to say that Jesus suffered death in order to die.“132 Harald Hegermann gleicht, um dem Problem aus dem Wege zu gehen, die Bedeutung des διά an den Finalsatz an. Dies mit der Bemerkung: „Der folgende ὅπως-Satz legt […] eine intentionale Bedeutung der διά-Wendung näher.“133 Aus dem eindeutig kausal-instrumentalen διά mit Akkusativ (= propter134) und Erhöhung. Vgl. auch a.a.O., 133: Das verzweifelte Ende Jesu biete zunächst eine verwirrende Situation. 129 Vgl. dazu bspw. LÜNEMANN, Hebräerbrief, 74f., der daneben die Möglichkeit diskutiert, dass es sich auf das vorher genannte ἠλαττωμένον beziehen könnte. Er lehnt dies jedoch mit Argumenten der Grammatik wie der Logik zu Recht ab. 130 M ARTIN K ARRER, Hebräer, 1:158; sinngleich bspw. auch ERICH G RÄßER, „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu in Hebräer 2, 14–18,“ in Martin Evang/Otto Merk (Hg.), Aufbruch und Verheißung. Gesammelte Aufsätze zum Hebräerbrief, FS, BZNW 65, Berlin/New York 1992, 181–200: 182: „um seines Todesleidens willen erhöht;“ SCHUNACK, Hebräerbrief, 32f. (Gerd Schunack übersetzt zwar mit ‚um … willen’, versteht es aber kausal im Sinne von ‚wegen’, wie er explizit vermerkt); GÄBEL, Kulttheologie, 148f.; H.-F. WEIß, Hebräer, 196, u.v.a. 131 Diese Spannung sieht etwa auch R ASCHER, Schriftauslegung, 62. 132 JAMES SWETNAM, „The Crux at Hebrews 2,9 in Its Context,“ Bib 91 (2010), 103–111: 103. 133 H EGERMANN, Hebräer, 68. 134 So K.-G., 1:485, §434, Anm. Entsprechend findet sich in beinahe allen Textzeugen der gesamten lateinischen Texttraditionen zu unserer Stelle „propter passionem mortis.“ Nur wenige unbedeutende Zeugen lesen „per passionem mortis.“
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macht er also eines mit finalem Sinn, was meines Wissens nirgends belegt ist.135 Bei der Interpretation der Textstelle in Martin Karrers Kommentar scheint das Problem gebannt, da er τὸ πάθημα τοῦ θανάτου wegen des fehlenden Possessivpronomens nicht als Jesu eigenes Todesleiden, sondern als allgemeines Leiden am Tod versteht. „Wir sehen […] Jesus wegen des (seines und unseres) Leidens am Tod mit Herrlichkeit und Ehre bekränzt.“136 Bei der weiteren Erläuterung des AuctHebr in Vers 2,10 wird jedoch das Leiden wieder aufgegriffen137 und auf Jesus gedeutet. Hätte daher Vers 9 im Gegensatz zu Vers 10 auf ‚unser Todesleiden‘ mit anspielen wollen, so hätte man dazu eine nähergehende Erläuterung erwartet. So aber schiene seine Ausdrucksweise sehr verkürzt. Dass man allein die Wendung „für jeden“ als Zielrichtung des Finalsatzes verstehen kann, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich. Man müsste dann mit Georg Gäbel sagen, dass erst die posthume Verherrlichung Jesu das vorausgehende Todesleiden in seiner Bedeutung erschließe. „Die Erhöhung hat natürlich nicht die Leidenserfahrung zum Ziel, sondern sie hat zur Folge, dass die zurückliegende Leidenserfahrung nun eine ὑπὲρ παντός, ‚für einen jeden‘ geschehene wird.“138 Hätte AuctHebr ὑπὲρ παντός so stark gewichten wollen, so verwunderte es, dass er dieser Wendung nicht eine betontere Stellung im Satz zukommen lässt, etwa exponiert am Ende.139 Hinzukommt, dass die Satzkonstruktion durch AuctHebr höchst ungünstig gewählt und missverständlich wäre. Ein Finalsatz (auch und gerade mit Prädikat im Aorist140) hat immer einen gewissen futurischen Aspekt. Das liegt in der Natur der Sache begründet,
135 Vgl. z.B. B AUER, WB, Sp.359f., s.v. διά. Daneben G EORG B ENEDICT W INER, Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms. Als sichere Grundlage der neutestamentlichen Exegese. Bearbeitet von Dr. Georg Benedict Winer. Siebente verbesserte und vermehrte Auflage. Besorgt von Dr. Gottlieb Lünemann. Moskau 2012 (Nachdruck der 7. Auflage, Leipzig 1867), 372: „διά, mit dem Acc. ist die Präposition des Grundes (ratio), nicht der Absicht.“ 136 K ARRER, Hebräer, 1:172. 137 So auch SEBASTIAN FUHRMANN, „Christ Grown into Perfection. Hebrews 9,11 from a Christological Point of View,“ Bib 89, 2008, 92–100: 95. 138 G ÄBEL, Kulttheologie, 149. So neben vielen anderen jüngst auch JAMIESON, Jesusʼ death, 106 („[T]he ὅπως clause indicates that one purpose of Jesus' exaltation was to render his death just such a saving event“) und 169 („Hebrews 2:9 posits two-way traffic between Christ’s death and exaltation“). 139 Vgl. dagegen Hebr 9,24. 140 Hebr 9,15 bietet die gleiche Konstruktion. Aber auch bei Paulus findet sie sich: 2Kor 8,11.14; Gal 1,4; Phlm 1,6. Keine Stelle konnte im NT gefunden werden, an dem das Zeitverhältnis des Aorist Konj. im Finalsatz im Bezug zum Prädikat des Hauptsatzes vorzeitig wäre. Vgl. zum Finalsatz etwa auch BDR, 298ff., §369.
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denn wenn man A zum Zweck B tut, dann muss A vor B geschehen.141 Das Schmecken des Todes wird daher auch bei einem Muttersprachler gewöhnlich als nachzeitig zur Krönung aufgefasst worden sein. Die Betonung des ὑπὲρ παντός kann also noch so stark sein, entscheidend für das Zeitverhältnis bleibt das Prädikat, das deutlich anzeigt: Jesus wurde zuerst gekrönt, damit er dann den Tod schmecke, eine Handlung, die wiederum zum einen durch die Gnade Gottes geschieht und zum anderen jedem zugutekommt. Trotz besonderer Gewichtung der adverbialen Bestimmungen χάριτι θεοῦ und ὑπὲρ παντός, die für den Vers mitnichten bestritten werden soll, haben sie nur untergeordnete Funktion: ἐστεφανωμένον
δόξῃ καὶ τιμῇ
ὅπως … γεύσηται θανάτου.
χάριτι θεοῦ
ὑπὲρ παντὸς
Alle genannten Versuche können die Spannung zwischen den beiden Aussagen über Jesu Sterben darum nicht aufheben. Die Inkonsistenzen lassen sich meines Erachtens aber vermeiden, wenn man das διά nicht als Erläuterung der Krönung, sondern vielmehr als eine Ergänzung zu dem Prädikat βλέπομεν liest. Dies aus zwei Gründen: Erstens: Häufig steht im Neuen Testament διά ohnedies hinter dem Verbum, auf das es sich bezieht. Dazu lassen sich viele Belegstellen142 anführen. Stellvertretend sei hier Lk 5,19 genannt: καὶ μὴ εὑρόντες ποίας εἰσενέγκωσιν αὐτὸν διὰ τὸν ὄχλον, ἀναβάντες ἐπὶ τὸ δῶμα διὰ τῶν κεράμων καθῆκαν αὐτὸν σὺν τῷ κλινιδίῳ εἰς τὸ μέσον ἔμπροσθεν τοῦ Ἰησοῦ. Auch hier bezieht sich διά nicht auf das nachfolgende Partizip (ἀναβάντες), sondern auf das davor141 So W INER, Grammatik, 269: „Die Absichtspartikel ἵνα und ὅπως (welche aber beide eig. quo modo, ut bedeuten […]) construiren sich, da jede Absicht auf die Zukunft, also auf etwas erst zu Verwirklichendes gerichtet ist, ganz einfach mit dem Conjunct. und Optativ.“ 142 Neben der hier erwähnten Stelle im Lukasevangelium (Lk 5,19) auch: Mt 13,58: καὶ οὐκ ἐποίησεν ἐκεῖ δυνάμεις πολλὰς διὰ τὴν ἀπιστίαν αὐτῶν (Und er wirkte dort wegen ihres Unglaubens nicht viele Wunder). Bei dieser Textstelle liegt eine ähnliche syntaktische Struktur wie in Hebr 2,9 vor: Prädikat, Akk. Obj. und danach die διά-Ergänzung. Apg 21,34: μὴ δυναμένου δὲ αὐτοῦ γνῶναι τὸ ἀσφαλὲς διὰ τὸν θόρυβον ἐκέλευσεν ἄγεσθαι αὐτὸν εἰς τὴν παρεμβολήν (Da er aber wegen des Aufruhrs nichts Genaues erfahren konnte, befahl er, dass er ins Lager gebracht werde). Auch hier bezieht sich διά auf das Vorausgehende. Es heißt nicht etwa: Er konnte nichts Genaues erfahren und befahl wegen des Tumults, dass er in die Kaserne geführt werde. Vgl. zusätzlich etwa Joh 20,19 oder auch etliche Stellen bei Paulus, der die Präposition διά ebenfalls häufig auf das Prädikat folgen lässt. Als wenige Beispiele seien stellvertretend genannt: Röm 6,19; 1Kor 4,6; 2Kor 3,7; Phil 1,7; 1Thess 1,5. Die Reihe ließe sich mit weiteren neutestamentlichen Belegstellen fortsetzen (Eph 4,18; 1Tim 5,23 etc.)
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
stehende (εὑρόντες). Man vergleiche dazu die Übersetzung der Lutherbibel (2017): „Und weil sie wegen der Menge keinen Zugang fanden, ihn hineinzubringen, stiegen sie auf das Dach und ließen ihn durch die Ziegel hinunter mit dem Bett mitten unter sie vor Jesus.“143 Man beachte im Übrigen, dass sich wie in Hebr 2,9 (und etwa auch in Mt 13,58) zwischen dem Verbum und der Präposition ein Akk. Obj. befindet; hier in Form eines abhängigen Fragesatzes: ποίας εἰσενέγκωσιν αὐτόν. Es besteht darum keine Schwierigkeit in Hebr 2,9 die mittels Präposition διά angeschlossene Erläuterung auf das Prädikat des Satzes zu beziehen. Man darf sich von dem dazwischenstehenden Akkusativ Ἰησοῦν nicht täuschen lassen und es fälschlich mit ἐστεφανωμένον verknüpfen. Zweitens: Wenn man die Teile aus Hebr 2,9a hervorhebt, die nicht dem zitierten Psalm entlehnt sind, fällt auf, dass so die vorgeschlagene Konstruktion, die διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου auf βλέπομεν beziehen lässt, bestätigt wird: τὸν δὲ βραχύ τι παρ᾿ ἀγγέλους ἠλαττωμένον βλέπομεν Ἰησοῦν διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστεφανωμένον […]. Es ist wahrscheinlicher, dass AuctHebr sein neu hinzugefügtes Prädikat erklärt und nicht den Psalm selbst erweitert. Das διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου antwortet auf die Frage: „Wie können wir erkennen, dass Jesus mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt ist?“ Die Antwort: „Durch sein Todesleiden.“ Noch eindringlicher als es Franz Laub vermutet hat, geht AuctHebr auf eben genau diese Frage der Adressaten ein: „Wo ist denn etwas wahrzunehmen und zu erfahren vom Jesusheil?“144 Dieser Gedanke der Erkenntnis des Gekrönten anhand der Art seines Todesleidens weist eine gewisse Nähe zum Markusevangelium auf,145 namentlich zu Mk 15,39. War bei dem Evangelisten vor dem Tode Christi der Gottessohn als solcher nicht zu erkennen, so äußert ein anwesender Hauptmann, weil er gesehen hatte, dass Jesus auf diese Art146 gestorben sei, dass es sich um den υἱὸς Übersetzung nach Luther (2017); Hervorhebung von mir. LAUB, Bekenntnis, 36. Vgl. dazu ebenfalls KUSS, Hebräer, 40. Das eigentlich brennende Problem sieht Kuss in der tiefen Erniedrigung des Sohnes in Verbindung mit der Verzögerung des sichtbaren Triumphes. 145 Die Nähe des Gedankens wird festgestellt, ohne dass eine direkte Abhängigkeit postuliert würde. Stattdessen könnte aber nichtsdestotrotz eine gemeinsame Tradition im Bereich des Möglichen liegen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Hebräerbrief in Rom abgefasst oder nach Rom geschickt worden sein könnte, immerhin verweist das sekundäre Begleitschreiben nach Italien (Hebr 13,24). Auch für das Markusevangelium wird vielfach Rom als Abfassungsort angenommen; vgl. dazu z.B. WILFRIED ECKEY, Das Markusevangelium. Orientierung am Weg Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 22008, 10ff. 146 Es ist nicht klar, wie das οὕτως (Mk 15,39) zu verstehen und worauf es zu beziehen ist. Markus selbst gibt keine Erklärung. Der direkte Kontext bietet nur zwei Möglichkeiten: 1. Der direkte Bezug auf die Art Jesu Sterbens (Mk 15,37) oder 2. der Bezug auf die Begleitumstände, nämlich die Verdunkelung (allerdings läge der Bezug etwas weiter zurück: Mk 15,33) und das Zerreißen des Vorhanges (Mk 15,38). Letzteres könnte aber strenggenommen aufgrund der räumlichen Distanz vom Hauptmann nicht unmittelbar 143
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θεοῦ gehandelt haben müsse (Mk 15,39: Ἰδὼν δὲ ὁ κεντυρίων ὁ παρεστηκὼς ἐξ ἐναντίας αὐτοῦ ὅτι οὕτως ἐξέπνευσεν εἶπεν· ἀληθῶς οὗτος ὁ ἄνθρωπος υἱὸς θεοῦ ἦν).147
wahrgenommen werden. Mangels Alternativen meinte man, den Grund in der Lautstärke des Schreis suchen zu müssen, der für einen am Kreuz sterbenden ungewöhnlich sei. Immerhin könnte das wiederaufgegriffene ἐξέπνευσεν auf Vers 37 und damit auf den unartikulierten Schrei Jesu zurückverweisen. JULIUS WELLHAUSEN, Das Evangelium Marci, Berlin 1903, 141 urteilte seinerzeit: „Einen so skurrilen Unsinn wird man doch dem Mc nicht zutrauen dürfen.“ Dass man seine eigene Lösung, nämlich den weiten Rückbezug zur aufkommenden Finsternis, „allerdings nicht leicht herauslesen“ könne, gesteht er ein. Es ist eine Verlegenheitslösung. Ernst Haenchen meint, der Zenturio spreche stellvertretend das Bekenntnis der christlichen Gemeinde aus, weil von Jesu Angehörigen niemand zugegen gewesen sei. Dieses Bekenntnis beziehe sich auf den Schrei Jesu, der dann zu verstehen sei als „Klage des Frommen, der zu seinem Gott schreit und darum nicht enttäuscht und verzweifelt spricht, sondern in Glauben und Zuversicht“ (ERNST HAENCHEN, Der Weg Jesu. Eine Erklärung des Markus-Evangeliums und der kanonischen Parallelen, Berlin 21968, 537). Zu einem solchen Verständnis bietet Markus jedoch selbst keine direkten Indizien. Zudem ist dem heidnischen Hauptmann nicht zuzutrauen, den verzweifelten Schrei von Ps 22,2 als Zeugnis der Zuversicht Jesu auszulegen. ERNST, Markus, 473, bietet als weitere Möglichkeit, dass Markus bloß „allgemein die Einzigartigkeit dieses Sterbens betonen wollte.“ Schließlich spricht er dem Zeugnis des Hauptmanns funktionale Bedeutung zu. „Die Gemeinde des Mk konnte freilich, wie der Spannungsbogen von 1,1/1,11/9,7/14,61 zeigt, den Titel tiefer ausloten und für weitere Verdeutlichungen offenhalten. Das Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns ist in gewisser Weise die Spitze des Ev, wie es Mk versteht. Jetzt wird klar ausgesprochen, was am Anfang nur erahnt werden konnte: »Evangelium von Jesus Christus, dem Sohne Gottes« (1,1)“ (ERNST, Markus, 474). Es gibt der Deutungsversuche noch viele mehr. Das mag illustrieren, dass die Offenheit in der Beantwortung der Frage, was denn nun das Merkmal gewesen sei, das den Hauptmann zu seinem Bekenntnis veranlasste und wie tiefgreifend seine Erkenntnis gewesen sein mag, bewusst angelegt ist. Mk sieht keine Notwendigkeit der Vereindeutigung. Das missfiel aber wohl bereits den ersten Rezipienten: Mt trägt neue Elemente ein, an denen man die Besonderheit des Sterbens Jesu erkennen kann: Erdbeben, Zerreißen der Felsen, Auferstehung von Toten aus den Gräbern. Explizit schreibt Mt, dass der Hauptmann und nun auch weitere Umstehende, die Gottessohnschaft anhand des Erdbebens und den anderen Umständen erkannten. Auch Lk rückt immerhin die Erwähnung der aufkommenden Dunkelheit in den unmittelbaren Kontext. Zudem wird der unartikulierte Schrei des Markusevangeliums dort zu einem lautstarken und hoffnungsvollen Zitat von Ps 31,6. Der Hebräerbrief geht neue Wege, indem er den leidenden Gekrönten in Ps 8 angekündigt sieht und diesen Psalm als Schriftbeweis der Identität und damit als Erklärung des Leidens Christi ins Feld führt. Anhand des Todes Jesu kann man ihn mittels Ps 8 als Gottessohn erkennen. 147 Interessant ist, dass sich neben der inhaltlichen Ähnlichkeit zwei Begriffe finden, die auch für den Hebräerbrief von Bedeutung sind. 1.) Es fällt im direkten Zusammenhang (Hebr 2,6) der Begriff ‚Menschensohn.’ 2.) Man trifft im vorausgehenden Vers des Markusevangeliums auf das Motiv des zerrissenen Tempelvorhanges. Die Öffnung des Weges zu Gott ist eines der beherrschenden Motive des Hebräerbriefes und wird ebenfalls mit dem Vorhang in Verbindung gebracht (Hebr 10,20).
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Markus lässt den Hauptmann im Imperfekt reden: Dieser war der148 Sohn Gottes. Der Hauptmann ist zwar von der Identität des am Kreuz Gestorbenen überzeugt,149 kann aber die bleibende Bedeutung und das weitere Geschick des Gottessohnes nicht erfassen.150 Anders die Adressaten des Hebräerbriefes, die nach Hebr 2,9 den gekrönten und herrschenden Gottessohn vermittels Ps 8 an seinem Todesleiden erkennen können. Bezieht man also das διά in Hebr 2,9 auf das vorausgehende Prädikat des Satzes statt auf das folgende Partizip, so ist die Schwierigkeit, dass das Sterben Jesu nicht zugleich Grund (διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου) und Zweck (ὅπως […] γεύσηται θανάτου) der Krönung sein kann, gelöst. Hinzukommt, dass die Aoristformen (ἠλάττωσας und ἐστεφάνωσας), wie sie im Psalm zu finden waren, vom Autor des Hebräerbriefes in perfektische Partizipien verändert wurden (ἠλαττωμένον und ἐστεφανωμένον). Auch das ist ein Hinweis darauf, dass Herabsetzung und Krönung von bleibender Bedeutung151 und damit auch zu sehen und zu erschließen sind.152 Jesus wird hier also gleichermaßen als herabgesetzt und gekrönt charakterisiert, was schon die Untersuchung des eigentlichen Zitats von Ps 8,5–7 in Hebr 2,6–8 nahegelegt hatte. Βλέπομεν führt nun nicht Ἰησοῦν als einfaches Akk. Obj. mit sich, sondern lässt mit ἐστεφανωμένον ein prädikatives Partizip folgen. Das erste Partizip
148 Das Fehlen des Artikels im Griechischen lässt offen, ob υἱὸς θεοῦ zu determinieren ist oder nicht. Hätte Markus dagegen υἱός mit einem Artikel versehen, hätte er ihn eindeutig determiniert. Daher kann man zumindest sagen, dass Markus dem Leser die Entscheidung überlässt, wie tiefgreifend die Einsicht des Zenturios sei (vgl. auch ADELA YARBRO COLLINS, Mark. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007, 767). Möglicherweise weist gar die Feststellung von HEINRICH BAARLINK, Anfängliches Evangelium. Ein Beitrag zur näheren Bestimmung der theologischen Motive im Markusevangelium, Kampen 1977, 267 in eine gute Richtung. Er gibt zu bedenken, dass der Hauptmann mit seiner Feststellung „noch nicht [einmal] die Grenze seines römisch-heidnischen Denkens zu überschreiten“ brauchte. Mag die Aussage in dieser Form etwas zu historisch und zu wenig redaktionskritisch klingen (vgl. COLLINS, Mark, 764 zu Mk 15,39: „This verse is probably a Markan addition to the Markan passion narrative. It is the climax of the Markan theme of Jesus as the Son of God.“), so ist der zugrundeliegende Gedanke dennoch richtig, dass das Dictum des Hauptmanns in der vorliegenden Form sogar einem heidnischen Menschen zuzumuten wäre, der sich trotz seiner Erkenntnis keineswegs genötigt sehen musste, zu einem Christusgläubigen zu werden. 149 C OLLINS, Mark, 766: „The centurion […] sees (and hears) with insight into the significance of Jesusʼ suffering and his identity.“ 150 „The centurionʼs statement shows no expectation of the resurrection“ (COLLINS, Mark, 767). 151 W INER, Grammatik, 254, §40,4. 152 Das Partizip Perfekt gibt an: „Eine aus der Vergangenheit resultierende und abgeschlossene Handlung, die oft als Ergebnis gleichzeitig ist.“ So OTTO LEGGEWIE, Ars Graeca. Griechische Sprachlehre, Paderborn 42003, 196.
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des Satzes (ἠλαττωμένον) ist des davorstehenden Artikels wegen gewiss attributiv aufzufassen.153 Ich übersetze also nun den Vers in oben erklärtem Sinn: Den aber, der ein wenig geringer als die Engel gemacht worden ist, Jesus, erkennen wir anhand seines Todesleidens als denjenigen, der mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt worden ist, damit er durch Gottes Gnade für jeden den Tod schmecke. Die vorausgehende Analyse hat also ergeben, dass AuctHebr mithilfe einer logischen Argumentation Identität und Autorität Jesu vor Augen führen möchte. Die Wendung διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου begründet, dass Jesus, der ein wenig geringer als die Engel gemacht und mit Ruhm und Ehre gekrönt worden ist, als solcher von uns an seinem irdischen Schicksal erkannt werden kann.154 Die Herabsetzung des Gottessohnes beginnt und erschöpft sich in der von Gott für ihn verfügten Teilhabe an der sichtbaren Welt. Der himmlische Sohn bekommt einen Leib. Das heißt auch, dass er in seiner Leiblichkeit für die Menschen sichtbar wird. Das Irdisch-Sichtbare ist aber für den Verfasser des Hebräerbriefes qualitativ geringer als das Himmlisch-Unsichtbare. Schon von den Glaubensvorbildern des Alten Testaments kann AuctHebr sagen: ὧν οὐκ ἦν ἄξιος ὁ κόσμος (Hebr 11,38). Sie sind Fremde auf der Welt, was bedeutet, sie gehören von ihrem inneren Wesen her betrachtet nicht zum Irdischen und erwarten darum die Rückkehr in die himmlische Heimat (Hebr 11,13–16). Wieviel mehr muss das für den Gottessohn, den Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr 12,2), gelten. Dennoch: Die körperliche Niedrigkeit hat keinerlei Auswirkung auf das geistig-göttliche Wesen Jesu, das trotzdem makellos (ἄμωμος) bleibt und ewig (αἰώνιος) ist (Hebr 9,14). Mit der Erwähnung der Krönung ist wohl im Hinblick auf die folgenden Kapitel am ehesten die Einsetzung zum Hohepriester155 vorweggenommen. Es 153 Hinsichtlich der grammatischen Entscheidungen, die ich bei der Wiedergabe von Hebr 2,9 treffe (ausgenommen die von mir festgestellte Beziehung des διά auf das Prädikat), finde ich die wichtigsten von KÖGEL, Sohn, 37f., Anm. 2 gestützt: „Das Natürlichste ist wohl, das erste Partizipium ἠλαττωμένον als adjektivisches Attribut zu dem Objekt Ἰησοῦν zu ziehen und das zweite ἐστεφανωμένον als Prädikat zu deuten, in dem Sinne ‚als den aber für kurz unter die Engel Erniedrigten sehen wir Jesum, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.‘ Dabei ist allerdings im Auge zu behalten, daß das Objekt Ἰησοῦν durch die eigenartige Stellung, die es in der Mitte hat, mit einem besonderen Nachdruck versehen ist.“ 154 Vgl. FUHRMANN, „Christ,“ 95: „a realized event.“ 155 Vgl. etwa N ISSILÄ, Hohepriestermotiv, 33; H EGERMANN, Hebräer, 69; FUHRMANN, „Christ,“ 95: „The coronation of Heb 2,9 – as a realised event – can only be understood in terms of his investiture“ (Hervorhebung von mir). FUHRMANN, Vergeben, 65, weist zu Recht auf Sir 45,12 und Sach 6,11 hin, wo ebenfalls der Hohepriester bei der Investitur Kranz oder Krone erhält. Auch JÜRGEN ROLOFF, „Hohepriester,“ 144–167, nimmt wahr, dass Jesus im Hebräerbrief auch innerhalb der Grenzen seines menschlichen Lebens auf Erden bereits als Hohepriester bezeichnet wird, sieht dies aber als eine Vorwegnahme des Titels, der erst dem Erhöhten gebühre: „[…] während das Hohepriesterprädikat, das schon aufgrund seiner Tradition dem Erhöhten zugehörte, von ihm zwar nicht auf den Präexistenten, aber doch
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ist nicht die Erhöhung als Auferstehung oder des Auferstandenen gemeint.156 „Was die Erniedrigung in der traditionellen Sohneschristologie umfaßt, ist im Rahmen der Hohepriesteranschauung des Hebr nicht einfach Vorstufe, sondern selber schon hohepriesterliches Geschehen.“157 Diese Einsetzung zum Hohepriester erfolgt daher nicht erst aufgrund des Todesleidens (also posthum), sondern hat den soteriologisch bedeutsamen Tod zum Zweck. Darauf verweist der anschließende Zwecksatz, über den im Folgenden zu reden sein wird. 3.1.4 Der Finalsatz ὅπως χάριτι θεοῦ ὑπὲρ παντὸς γεύσηται θανάτου (Hebr 2,9) Der mit ὅπως eingeleitete Nebensatz (Hebr 2,9) hat in der Auslegungsgeschichte verschiedene Deutungen erfahren und verdient es daher, genauer untersucht zu werden. Er teilt die Schwierigkeiten der Auslegung der vorausgehenden διά-Wendung, wie sie sich oben dargestellt finden. Otto Michel äußert sich daher hinsichtlich dieses Nebensatzes: Er „schließt logisch nicht gut an; er weist zurück auf die Erniedrigung des Menschensohnes, springt über die Krönung mit Herrlichkeit und Ehre anscheinend hinweg.“158 So belässt es Michel bei dieser Aussage, vermutet, die Ursache des von ihm wahrgenommenen logischen Bruches müsse darin gesucht werden, dass der Finalsatz formelhaft geprägt und daher „nur formal angeschlossen“159 sei. Er nennt dabei Versuche, die es in der Forschung gegeben hat, den Text aufgrund der scheinbar fehlenden Stimmigkeit zu glätten, namentlich der Streichung von δόξῃ καὶ τιμῇ ἐστεφανωμένον als Zusatz oder der Annahme einer
weitestgehend proleptisch auf den Irdischen angewandt wird“ (a.a.O., 152); Dagegen KNUT BACKHAUS, „‚Licht vom Licht,‘ Die Präexistenz Christi im Hebräerbrief,“ in ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 77– 99: 95: „Ebenso deutlich wie die ewige Gottesgestalt des ‚Sohnes‘ betont er dessen irdische Menschengestalt als ‚Hohepriester‘, der den Glaubenden vorangeht […]“. Vgl. auch HOFMANN, Heilige Schrift, 118: „Sagt nun der Absichtssatz von einem Sterben Jesu, welches damit bezweckt war, daß er um des vorhandenen Leids des Todes willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönte wurde, so ist hiermit die Ehrenstellung gemeint, die ihm eignete, als er in den Tod ging, und ihm eignete, als sein menschliches Leben dasjenige war, in welches Gott den Menschen geschaffen hat, ein fast engelsgleiches Wesen zu sein.“ Damit bezieht Hofmann die Ehrenstellung etwas allgemeiner auf das Heilshandeln Jesu als Messias, einer „heilsgeschichtlichen Berufsstellung,“ die mit der Moses und Aarons verglichen werde. Letztgenannte werden aber ja in der Hauptsache gerade in ihrem hohepriesterlichen Handeln dargestellt und durch es definiert. 156 Das widerspräche im Übrigen auch Hebr 2,14, wo es heißt, Jesus sei Mensch geworden (= geringer als die Engel gemacht), damit er durch den Tod den Teufel entmachte. Auch hier verortet AuctHebr das Heilsgeschehen in der Zeit des Geringerseins. 157 LAUB, Bekenntnis, 135. 158 M ICHEL, Hebräer, 139. 159 M ICHEL, Hebräer, 139.
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Textverderbnis.160 Martin Karrer spricht sich gegen einen weiteren Glättungsversuch aus, welcher das ὅπως in Annäherung an „so dass“161 epexegetisch verstanden wissen will, wie es bei Isaacs162 und vielen anderen zu finden sei. Gegen dieses Verständnis macht Karrer völlig zu Recht unter Verweis auf Hebr 9,15 darauf aufmerksam, dass ὅπως ohne Zweifel den Zweck angebe.163 Auch etwaige Versuche, das ὅπως anders anknüpfen zu wollen, obzwar es sich grammatikalisch sehr klar auf das vorausgehende Partizip ἐστεφανωμένον bezieht, scheitern.164 Alle diese Glättungsversuche werden hinfällig, wenn man, wie oben geschehen, das διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου auf das Verbum statt auf die Krönung bezieht und damit die chronologische Spannung (wegen des Todesleidens gekrönt ↮ gekrönt, um für jeden den Tod zu schmecken) aufgelöst ist. Daher kann ohne Weiteres Martin Karrer darin zugestimmt werden, dass ὅπως in jedem Fall mit finaler Bedeutung wiederzugeben sei165 und dass das Gekröntsein Jesu den heilbringenden Tod erst ermögliche.166 So ist nach Karrer hinsichtlich des Anschlusses des Finalsatzes zu übersetzen: „[…] mit Herrlichkeit und Ehre bekränzt, auf dass er durch Gottes Gnade den Tod für jeden schmecke.“167 Der finale Sinn bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf die soteriologische Aussage: „für einen jeden,“ sondern auch auf den Tod selbst, der nur aufgrund des übermenschlichen Widerstandes des Sohnes gegen die Versuchung im Leiden heilwirksam werden konnte. Eine besondere Betonung des ὑπὲρ παντός soll dem Text dabei freilich mitnichten abgesprochen werden. Es bleibt also, ein Auge auf die inhaltliche Deutung des ὅπως-Satzes zu werfen. Dabei sind zwei Aussagen des Autors für das Verständnis entscheidend: Erstens die Wendung γεύσηται θανάτου und zweitens die ὑπέρ-Formel. 3.1.4.1 γεύσηται θανάτου Mit der Formulierung γεύσηται θανάτου legt AuctHebr, anders als es bei einem bloßen ἀποθνῄσκω der Fall wäre, die Betonung auf die sinnliche, leidvolle Erfahrung des Sterbens und kann damit auf das folgende ἒπρεπεν hinleiten. AuctHebr baut rhetorisch geschickt Spannung auf, indem er die skandalöse, paradox MICHEL, Hebräer, 139. KARRER, Hebräer, 1:160, Anm. 10. 162 M ARIE E. ISAACS, Sacred Space. An Approach to the Theology of the Epistle to the Hebrews, JSNTS 73, Sheffield 1992, 173, Fn 1, erklärt das ὅπως als „epexegetical of the preceding phrase. Christ’s death is thereby the means by which he tastes death for everyone.“ Die Übersetzung mit „so that“ hat allerdings dann doch konsekutiven oder finalen Klang. 163 K ARRER, Hebräer, 1:160, Anm. 10. So schon ZIMMER, Probleme, 48. 164 Siehe dazu die Kritik bei JAMIESON, Jesusʼ Death, 105f. 165 Gegen SWETNAM, „Crux,“ 103, der eine modale Bedeutung annimmt, etwa: Erhöht unter dem Umstand, dass er für jeden den Tod schmeckte. 166 Gegen G ÄBEL, Kulttheologie, 149. 167 K ARRER, Hebräer, 1:158. 160
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wirkende Aussage in den Raum stellt, Jesus habe durch die Gnade168 Gottes die Bitterkeit des Todes für einen jeden durchstehen müssen. Die Gnade ist aber freilich auf das ὑπὲρ παντός zu beziehen und besteht darin, dass Gott solches Leid den Menschen zugute, und keineswegs grundlos, geschehen lässt. Dass Jesu Tod ein leidvoller gewesen ist, hat AuctHebr schon in der Wendung πάθημα τοῦ θανάτου deutlich hervortreten lassen. Nichtsdestotrotz ist der Aspekt der Qual nicht der theologisch entscheidende. Das ‚Schmecken‘ des Todes deutet zwar auf die Bitterkeit des Todes hin, der sich der Sohn ausgesetzt hat, es ist aber August Strobel zuzustimmen, dass damit eine allgemeinmenschliche Erfahrung über die Schmerzhaftigkeit des Todes ausgedrückt werde.169 Zweifelsohne schwingt bei der Formulierung wie auch schon bei dem vorangegangenen πάθημα τοῦ θανάτου die Vorstellung des qualvollen Kreuzestodes Jesu im Speziellen mit; auf die Frage nach dem Heilsgeschehen hat dies aber keine direkte Auswirkung. Der entscheidende Aspekt der Aussage in Hebr 2,9b ist hinsichtlich der Bedeutung des Todes Jesu, dass dieses Sterben des Gottessohnes ὑπὲρ παντός geschah. Auch dieser Gedanke wird im Folgevers mitgetragen.170 Die Auskunft, dass es Gott angemessen gewesen sei, den Urheber des Heils durch Leiden zu vollenden, ist sowohl auf die Person Jesu als auch auf das Heilswerk gemünzt. „Dass sie zunächst seinem Heilswirken gilt, zeigen die Aussagen,
168 Von Bedeutung ist dabei die textkritische Frage, ob die Lesart χάριτι θεοῦ oder χωρὶς θεοῦ die ursprüngliche ist. Die Entscheidung ist, wie in der Forschung immer wieder festgestellt wurde, nicht mit letzter Sicherheit zu fällen, aber es spricht sehr viel für die erstgenannte Lesart (χάριτι θεοῦ). Sie ist meines Erachtens schon aufgrund der besseren Bezeugung zu bevorzugen, denn χωρίς lesen bloß zwei griechische Codices des zehnten Jahrhunderts (0243 und 1739*), von denen einer sogar korrigiert worden ist. Ähnlich sieht es in der Vetus Latina aus; die Hauptlesart ist gratia dei, Randlesarten sine deo, extra deum und absque deo. Zudem stellt χάριτι die Lectio difficilior dar, da eine Spannung zwischen dem Schmecken des (bitteren) Todes und der Gnade Gottes entsteht. Und nicht zuletzt kann sie durch den Kontext bestätigt befunden werden, v.a. wegen der Wiederaufnahme und der Erklärung des Gedankens der Gnade Gottes im darauffolgenden Vers 2,10 mittels ἒπρεπεν γὰρ αὐτῷ. Gott wird als handelndes und für das Geschehen verantwortliches Subjekt dargestellt, während χωρίς für eine Zurückhaltung Gottes spräche. Die häufig angeführte Argumentation, es sei wahrscheinlicher, dass man die Härte der Lesart χωρὶς θεοῦ habe abschwächen wollen, kann meines Erachtens keinen hinreichenden Grund bieten, sie zu bevorzugen. Ich pflichte EDUARD RIGGENBACH, Hebräer, 45, Anm. 13 bei, wenn er schreibt, es liege „[w]ahrscheinlich […] bloß das Versehen eines Abschreibers vor, der das in seiner Vorlage vielleicht undeutlich geschriebene χάριτι unrichtig las.“ 169 Vgl. STROBEL, Hebräer, 32. 170 Vgl. auch R OLOFF, „Hohepriester,“ 160: „Zugleich lässt v. 10 keinen Zweifel daran, dass die Erniedrigung der Raum des Heilswerkes Jesu ist.“ Ohne das Bild des Opferdienstes werde hier nach Roloff Jesu Leiden als ein „Für-andere-Sein, das sich im Mit-Ihnen-Sein konkretisiert,“ verstanden.
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wenn sie von einer Vollendung des ‚Heilsführers‘ (2,10), des ‚Heilsurhebers‘ (5,9), des hohepriesterlichen Sohnes (7,28) sprechen.“171 3.1.4.2 ὑπὲρ παντός Diese Wendung ist hinsichtlich der Frage von Interesse, ob Jesu Tod nach dem Hebräerbrief als heilseffizient beurteilt wurde. Nach Jürgen Roloff kann man „von einem soteriologischen Verständnis des Todes Jesu im eigentlichen Sinne […] da sprechen, wo davon die Rede ist, daß Christus ‚für uns‘ bzw. ‚für die Vielen‘ gestorben ist.“172 Er führt vorsynoptisches und vorpaulinisches Material an, das in der neutestamentlichen Briefliteratur und den Evangelien nachgewiesen werden kann.173 Das entscheidende Element, das die soteriologisch zu deutende Wendung als solche kennzeichnet, ist die Präposition ὑπέρ; dessen Bezugswort kann dabei je nach Kontext variieren, muss es im Grunde sogar. Beispiele für eine frühe Verwendung der sogenannten ὑπέρ-Formeln sind darum nach Roloff:174 Gal 1,4 (δόντος ἑαυτὸν ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν, wobei hier jedoch bedeutende Textzeugen, bspw. 𝔓46 und ℵ*, περί statt ὑπέρ überliefern); Röm 5,8 (ὑπὲρ ἡμῶν ἀπέθανεν); 8,32 (ὑπὲρ ἡμῶν πάντων παρέδωκεν αὐτόν); Eph 5,2 (παρέδωκεν ἑαυτὸν ὑπὲρ ἡμῶν προσφορὰν καὶ θυσίαν); 1Kor 15,3b–5 (ἀπέθανεν ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν); Mk 14,24 (τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν); 1Petr 2,21 (παθεν ὑπὲρ ὑμῶν). Daneben finden sich noch weitere Stellen innerhalb der Briefe, die diese urchristliche Tradition aufnehmen und abwandeln: 1Thess 5,10 (τοῦ ἀποθανόντος ὑπὲρ ἡμῶν); 1Kor 11,24 (τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα τὸ ὑπὲρ ὑμῶν); 2Kor 5,14f. (εἷς ὑπὲρ πάντων ἀπέθανεν, ἄρα οἱ πάντες ἀπέθανον); Röm 5,6 (ὑπὲρ ἀσεβῶν ἀπέθανεν); 1Petr 3,18 (ἅπαξ περὶ ἁμαρτιῶν ἔπαθεν, δίκαιος ὑπὲρ ἀδίκων) und indirekt auch die rhetorische Frage in 1Kor 1,13 (μὴ Παῦλος ἐσταυρώθη ὑπὲρ ὑμῶν, auch hier mit einer gewissen Unsicherheit zwischen den Lesarten περί 𝔓46 B D* und ὑπέρ rel.); nicht zuletzt wohl auch Hebr 6,20 (ὑπὲρ ἡμῶν εἰσῆλθεν).175 Es ist schwer vorstellbar, dass AuctHebr in Vers 2,9 nicht auf diese Tradition der ὑπέρ-Formeln zurückgreife. Der oben dargestellte Befund zeigt, dass bei der Anwendung der Formel entweder Gott Subjekt ist und Jesus von ihm hingegeben wird (bspw. in Röm 8,32), oder aber es Christus ist, der sich selbst 171 JOSEPH U NGEHEUER, Der Große Priester über dem Hause Gottes. Die Christologie des Hebräerbriefes, Würzburg 1939, 49. 172 JÜRGEN R OLOFF, „Anfänge der soteriologischen Deutung des Todes Jesu (Mk. X.45 und Lk. XXII.27),“ in ders., Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze, Martin Karrer (Hg.), Göttingen 1990, 117–143: 122. 173 Vgl. R OLOFF, „Anfänge,“ 122. 174 R OLOFF, „Anfänge,“ 122. 175 Vgl. dazu etwa H ARALD R IESENFELD: Art. ὑπὲρ, ThWNT, 8, 1969, 510–518: 511ff.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
hingibt (bspw. Gal 1,4). In Hebr 2,9 kommen nun beide Konzepte zu ihrem Recht. Jesus ist hier Subjekt. Er ist derjenige, der den Tod geschmeckt hat. Zugleich wird aber auch wahrgenommen, dass Gott das Heilsgeschehen mitverantwortet. Darauf verweist die Bemerkung χάριτι θεοῦ. Die Formel hat, wie oben gezeigt, einen gewissen Spielraum, was die Bezeichnung des Adressaten betrifft und ist bei weitem nicht auf ἡμων oder πολλῶν beschränkt (vgl. Röm 5,6 oder 1Petr 2,21). Die Wendung ὑπὲρ παντός des Hebräerbriefes liegt also durchaus im Bereich dessen, was als Variation der Formel in Betracht kommen kann. Sie hat aber zusätzlich in 2Kor 5,14 und Röm 8,32 nahe Verwandte, die ebenfalls πᾶς enthalten. Zweifelsfrei gibt AuctHebr hier also zu erkennen, dass er sich in dieser Traditionslinie befindet, in der der Tod Jesu eine final-soteriologische Deutung erfährt.176 Hebr 6,20 könnte ebenfalls in der gleichen Tradition beheimatet sein, falls Franz Laub mit seiner Annahme Recht behält, der Eintritt Jesu ins himmlische Heilige und seine Darbringung am Kreuz fielen in eins.177 3.1.5 Fazit Die Untersuchung an Hebr 2,9 hat also ergeben, dass Hebr 2,9a, genauer die Wendung διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου keine Aussage über eine Heilsbedeutung des Todes Jesu trifft und ebenso wenig der Tod Jesu als Ursache seiner Krönung angegeben wird. Vielmehr zeigt die Wendung an, dass man an Jesu Todesleiden, also an seinem beschämenden Kreuzestod, den Geschwächten und damit den Gekrönten erkennt, der im christologisch verstandenen Ps 8 vorgestellt wird. Demgegenüber trägt der Finalsatz aus Hebr 2,9b das christologisch-soteriologische Moment. Darauf deuten das Gnadenwirken Gottes und der final-soteriologische Ausdruck „für einen jeden“ hin, die mit dem leidvollen Sterben Jesu in Verbindung gebracht werden. AuctHebr verhandelt hier unter anderem die Problematik, wie es sein kann, dass der Sohn Gottes, der in seiner Präexistenz sogar an der Schöpfung beteiligt war (Hebr 1,10), der eigentlich einen Status über den Engeln innehat 176 Auch wenn das für einige der von mir angeführten neutestamentlichen Stellen zu diskutieren ist, ist mir dennoch nicht ersichtlich, warum man in der Wendung ὑπὲρ παντός eine Stellvertretungsaussage erkennen sollte, wie bei JAMIESON, Jesusʼ Death, 109, geschehen. Dazu bietet AuctHebr meines Erachtens keinen Anlass. Der Gedanke der Stellvertretung fügt sich indes nicht recht in die Hohepriesterchristologie, die stets den Gedanken der Reinigung von Sünden und die Heiligung der Glaubenden im Blick hat. EBERHART, Kultmetaphorik, 89, nimmt schon für die Sinaizeremonie in Ex 24 an, dass die „beiden Aspekte der Annäherung an Gott und der Gottesschau […] damit gleichfalls den Status eines Paradigmas für den priesterlichen Dienst am ‚Begegnungszelt‘ ( )ֹא ֶהל מוֵֹﬠדund an ‚späteren‘ Heiligtümern Israels“ hätten. Es werden jeweils die Zutrittsrechte erworben, um in die Gottespräsenz eintreten zu dürfen. Dass Gott dafür einen stellvertretenden Tod verlange, wird nirgends gesagt. 177 LAUB, „Ein für allemal,“ 77.
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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(Hebr 1,4), der alles mit seinem kräftigen Wort lenkt (Hebr 1,3), dass dieser „Gott“ (Hebr 1,9) einen leidenden Tod sterben musste. Die Gemeinde musste sich fragen: „Why not give up such an abject Messiah, such a disappointing life?“178 Dabei ist Psalm 8 auch im Sinne eines Schriftbeweise von herausragender Bedeutung. Denn der schmerzhafte, grauenvolle, erniedrigende Tod Jesu war der Gemeinde sehr wohl als geschichtliches Ereignis bekannt, das zeigt auch das βλέπω an. „The author of Hebrews places emphasis on the compassion of Christ with the attempted believers and gives an argument for Jesus disgraceful suffering on the cross by means of the scriptural proof of Ps 8.“179 Intention des Autors ist es, herauszustellen, dass der Gekrönte gerade an seinem schmachvollen Todesleiden erkennbar werden kann. Dem Geschwächten gehört schon die Krone (Ps 8,6), er ist in Gottes eigener Schöpfung – gemeint ist hier sicherlich schon das himmlische Heiligtum – eingesetzt (Ps 8,7a) und ihm ist alles unter die Füße getan (Ps 8,7b). Diese augenscheinliche Paradoxität wird den Autor später ebenfalls noch beschäftigen, wenn er Gottes Erziehung in die Überlegung einbezieht und die Leiden als pädagogisches Mittel und dadurch dann auch als Beweis der Sohnschaft vorstellt, denn nur wahre Söhne seien von Gott gezüchtigt. AuctHebr stellt freilich die Verbindung selbst nicht her, aber es sei auf die verwandte Gedankenstruktur hingewiesen: Nach Hebr 12,8 erkennt man einen Sohn an seiner παιδεία. Die παιδεία wiederum wird nach Hebr 12,7 mit dem Leiden identifiziert. Und ganz parallel wird die Krönung Jesu an den Todesleiden erkannt. Ob man solche Argumentation als feinfühlig empfinden kann, sei dahingestellt, aber es ist sicherlich tröstlich gemeint, wenn AuctHebr den bedrängten Adressaten sinngemäß vermitteln möchte: Je schlechter es euch geht, desto enger ist euer Verhältnis zu Gottvater und desto höher steht ihr in seinem Ansehen.180
178 R EUBEN E. O MARK, „The Saving of the Savior. Exegesis and Christology in Hebrews 5:7–10,“ Interpretation 12/1 (1958), 29–51: 49. Noch drastischer formuliert PARSONS, „Son,“ 204: „This humiliation, also stressed in the synoptics, must have hung like fishhooks in the throats of the Christian readers of Hebrews.“ 179 FUHRMANN, „Son,“ 98. 180 Auch heute scheint es zuweilen als tröstlich empfunden zu werden, wenn man weiß, dass das Leid, das man ertragen muss, von Gott selbst ausgeht. In dem Gedicht „Gebet“ schreibt Hermann Hesse Vergleichbares: „[…] Lass alles Leides Flammen an mir lecken,| Lass mich erleiden alle Schmach,| […] Doch wenn mir alles Ich zerbrach,| Dann zeige mir,| Dass Du es warst,| Dass du die Flammen und das Leid gebarst,| Denn gern will ich verderben,| Will gerne sterben,| doch sterben kann ich nur in Dir!“
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
3.2 Hebr 2,14f. Nachdem die Verse 2,11–13 die gleiche ‚Abstammung‘181 von Gottessohn und Menschen (ἐξ ἑνὸς πάντες; Hebr 2,11) feststellen, äußert sich AuctHebr in Vers 2,14 expressis verbis zur Inkarnation Jesu Christi. Die Menschen haben Anteil an Blut und Fleisch und aufgrund dessen hat auch der Sohn Anteil daran. Diese Anteilnahme erfolgt zu einem ganz bestimmten Zweck, wie der anschließende Finalsatz lehrt. Sie dient einerseits der Vernichtung des Todesmachthabers durch den Tod und andererseits der Befreiung der unter Todesfurcht Geknechteten. Diese beiden Stoßrichtungen sind zwei Seiten einer Medaille. Indem der Teufel besiegt ist, ist seine Macht über den Tod gebrochen und damit die Todesfurcht besiegt, die Menschen sind frei geworden. 3.2.1 Die Bedeutung der Wendung διὰ τοῦ θανάτου in Hebr 2,14 War in Vers 2,9 nur die Tatsache ausgedrückt, dass der Tod Jesu eine (soteriologische) Bedeutung für jeden (ὑπὲρ παντός) habe, so wird in Hebr 2,14 formuliert, welche Wirkung sein Tod hat.182 AuctHebr beschreibt sonst in seinem Traktat das Heilsgeschehen stets als Wegnahme oder Reinigung von Sünden.183 Das wird bereits in Hebr 1,3 zum Programm erklärt und danach immer wieder angesprochen. Bewirkt wird sie durch die Opferdarbringung Christi in seiner Funktion als Hohepriester.184 Befragt man nun aber das zweite Kapitel des Briefes, wie sich das durch Christus erworbene Heil äußert, scheint es, als läge hier ein dem restlichen Schreiben fremder Gedanke vor, nämlich die Entmachtung des Satans und die Befreiung der unter Todesfurcht Geknechteten. Hinzukommt, dass dies durch den Tod Jesu erreicht wird und nicht etwa, wie sich AuctHebr später ausdrücken wird, durch seine θυσία.185 Man stellt alsbald fest, dass sich der Verfasser nur spärlich zu dem Thema der Teufelsentmachtung äußert. Es bleibt daher vorerst unklar, in welchem Verhältnis sie zur Theologie, zur Christologie und zur Soteriologie des Gemeint ist sicher der Ursprung in Gott. Als weitere Möglichkeiten sind Adam, Abraham u.a. aufgeführt worden. Zuletzt findet sich bei Doran, „Arguments,“ 50, die These, die Wendung ἐξ ἑνὸς πάντες drücke die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Gruppe aus. Es ist JOSEPH UNGEHEUER, Priester, 37, zuzustimmen, dass vorher nur von Gott als dem All-Schöpfer (Hebr 2,10) gesprochen werde. Daher ist der Rückbezug auf den Vater am wahrscheinlichsten. 182 So auch G RÄßER, „Heilsbedeutung,“ 182. 183 Bspw. in Hebr 1,3; 2,17; 7,27; (8,12;) 9,14.15.26.28; 10,12.(17.)18. Die Wegnahme der Sünden ist dabei eine pagane Metapher, die denselben Vorgang beschreibt wie die kultische Reinigung von Sünden. Vgl. HERMUT LÖHR, Umkehr und Sünde im Hebräerbrief, BZNW 73, Berlin/New York 1994, 17. 184 So etwa Hebr 9,14. 185 Z.B. Hebr 9,26: εἰς ἀθέτησιν [τῆς] ἁμαρτίας διὰ τῆς θυσίας αὐτοῦ πεφανέρωται. 181
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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restlichen Schreibens steht. Es bleibt unausgesprochen, wie das Heilsgeschehen der Teufelsentmachtung durch den Tod auf der einen und das Heilsgeschehen der Sündenwegnahme durch die hohepriesterliche Darbringung auf der anderen Seite in Einklang zu bringen sind. Es fehlt scheinbar eine konkrete Deutung seitens des Verfassers zu dieser dringlichen Frage. Insbesondere fällt Herbert Braun wie vielen anderen Theologen auf, dass im Zusammenhang mit der Vernichtung des Teufels von den Sünden keine Rede sei.186 Diese Feststellung weckt Zweifel daran, dass der Tod Jesu im Kontext von Hebr 2,14 als Sühnetod oder gar als Sühnopfer aufzufassen sein kann. Man hat darum oft vermieden, die heilseffiziente Deutung des Todes Jesus, wie sie im zweiten Kapitel vorliegt, mit der Hohepriestervorstellung zusammenzubringen.187 Es kommt nun hinzu, dass das Wie der Entmachtung des Todesmachthabers im Hebräerbrief nicht näher ausgeführt wird.188 Die Erklärung ist rein auf die Aussage διὰ τοῦ θανάτου beschränkt. Dies führt dazu, dass man sich nicht selten Spekulationen hingibt. Und so wird die Frage, „wieso der Tod des Gottessohnes ‚den Tod des Todes‘ bedeutet,“189 in unterschiedlichster Weise beantwortet. „Die Herrlichkeit des Christusgeschehens,“ so sieht es Martin Karrer, „entmachtet den Teufel,“ welcher sich göttliche Kraft angemaßt habe, „indem sie [sc. die Herrlichkeit] den Tod in sich integriert.“190 Erich Gräßer meint, dass sich die Befreiung aus der Knechtschaft allein dadurch ereigne, dass „sich der himmlische Anthropos in die δουλεία irdischen Daseins“191 begebe. Nach Georg Gäbel wird der Teufel aufgrund des Leidensgehorsams Christi im Tode entmachtet.192 Andere, wie beispielsweise Julius Kögel, vermuten, dass der Teufel allein dadurch vernichtet wurde, dass Jesus gestorben sei, sich also ganz unter die Macht des Satans begeben habe „und […] umfassend die Bosheit desselben an seinem Leibe sich [habe] austoben lassen. Dadurch allein vermochte er ihn zu überwinden.“193 Franz Delitzsch spricht demgegenüber von einem Kampf mit dem Todesfürsten und zwar unter dem Hinweis auf καταργέω, das nicht nur von einem „leidentlichen Dulden und Bestehen“194 des
186 B RAUN, Hebräer, 65: „Die Sühnekraft des Todes ist […] kaum gemeint; die Sünde spielt hier ja gerade keine Rolle.“ 187 So auch G ÄBEL, Kulttheologie, insb. 162: „Die Hohepriestertheologie des Hebr knüpft hier also nicht an eine Deutung des Sterbens Christi als Sühnegeschehen an […].“ 188 B RAUN, Hebräer, 65; so auch STROBEL, Hebräer, 35: „Wie er [sc. AuctHebr] sich die Überwindung des Widersachers im Einzelnen vorstellt, erfahren wir nicht.“ 189 G RÄßER, „Heilsbedeutung,“ 192. 190 K ARRER, Hebräer, 1:180. 191 G RÄßER, „Heilsbedeutung,“ 193. 192 Vgl. G ÄBEL, Kulttheologie, 161. 193 K ÖGEL, Sohn, 77. 194 D ELITZSCH, Hebräer, 85.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Todes spreche, sondern ein „thätiges Kämpfen und Niederringen“195 ausdrücke. Dabei zieht er als Vergleich den Kampf Jakobs am Jabbok heran. Harold W. Attridge sieht indes Analogien zwischen Hebr 2,14f. und antiken Mythen, insbesondere dem Herakles-Mythos.196 Die große Bandbreite der Interpretationen von Hebr 2,14 lehrt also eines: Der Autor lässt die Erwähnung eines wie auch immer gearteten Kampfes oder Sieges über den Teufel vermissen. Er beschränkt sich auf die Wendung διὰ τοῦ θανάτου. Franz Laub hat damit nach meinem Empfinden die einzig annehmbare Lösung des Problems angerissen, nämlich die, dass man sich in jedem Falle nicht „allzu sehr mit der Rekonstruktion eines soteriologischen Schemas [aufhalten solle,] das er [sc. AuctHebr] sich selbst nicht zu eigen macht.“197 Die Versuche, mittels Bezugnahme auf hellenistische, biblische oder jüdische Traditionen die genauen Umstände der Entmachtung des Satans zu erläutern, bedienen sich meist solcher Fakten, die von außen an den Text herangetragen werden. Diese Vorgehensweise ist insofern problematisch, als die resultierenden Erklärungen den direkten Anhalt am Text des Hebräerbriefes zuweilen vermissen lassen. Festzuhalten sei aber, dass bei aller Unterschiedlichkeit in der Wahrnehmung der Verse 2,14f. dennoch in der Forschung darin Konsens herrscht, dass AuctHebr Jesu Tod mittels des Präpositionalausdruckes διὰ τοῦ θανάτου als ein Heilsgeschehen ausweist.198 Selbst Georg Gäbel, der im Allgemeinen dem irdischen Sterben Jesu im Hebräerbrief wenig oder nur mittelbar soteriologische Relevanz beimisst,199 ist dieser Meinung: „Die Aussage über die Überwindung des Todesmachthabers Hebr 2,14f. […] bezeichnet den Tod Christi als das Heilsereignis.“200 Sollte also AuctHebr innerhalb des zweiten Kapitels eine Heilseffizienz des Todes Jesu voraussetzen, innerhalb der Hohepriesterchristologie aber darauf verzichten?
DELITZSCH, Hebräer, 85. HAROLD W. ATTRIDGE, „Liberating Death’s Captives: Reconsideration of an Early Christian Myth,“ in ders., Essays on John and Hebrews, WUNT 264, Tübingen 2010, 247– 259: 254f. 197 LAUB, Bekenntnis, 86. 198 Man beachte, dass die Wendung διὰ τοῦ θανάτου auch innerhalb anderer neutestamentlicher Briefliteratur im Hinblick auf das ‚Heil‘ durchaus bekannt ist (Röm 5,10; Kol 1,22). Dort wird sie jeweils mit der Versöhnung verbunden; vgl. BRAUN, Hebräer, 65. 199 G EORG G ÄBEL, Kulttheologie, betont hinsichtlich der Hohepriesterchristologie des Hebräerbriefes, Christi Sterben auf Erden werde in der Jom Kippur-Typologie nur i. S. einer profanen Verbrennung erwähnt. Die Erlösung geschehe stattdessen durch den Eintritt des himmlischen Hohepriesters ins Allerheiligste, nicht aber durch seinen Tod. Jesus sei daher keinen Opfertod gestorben, sondern einen profanen, einen durch die Schmach des Kreuzes gezeichneten (vgl. etwa a.a.O., 461). 200 G ÄBEL, Kulttheologie, 159f. 195
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3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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Der Einwand Brauns, dass von Sünde und Sühne im unmittelbaren Zusammenhang von Hebr 2,14f. nicht explizit gesprochen werde, ist hinsichtlich der zu untersuchenden Problematik natürlich angebracht und richtig. Nach meiner Einschätzung ist es dennoch sehr schwierig anzunehmen, dass AuctHebr in 2,14f. explizit vom Tod Jesu als einem Heilsgeschehen sprechen kann, dieses Verständnis jedoch bereits in Vers 2,17, also nur zwei Verse später, aufgibt, nämlich da, wo er erneut auf die kultische Dimension des Christusheiles zu sprechen kommt und wo sich die erste explizite Äußerung zur Hohepriesterchristologie findet.201 Diese Bedenken werden vermehrt, wenn spätestens in Vers 9,15 deutlich wird, dass AuctHebr die Relevanz des Todes Jesu im Verlauf seines restlichen Schreibens nicht zu schmälern gedenkt. Der Tod wird dort zum Mittel der Inkraftsetzung der neuen διαθήκη. Zudem erhält er eine explizit soteriologische Dimension, wenn es heißt: θανάτου γενομένου εἰς ἀπολύτρωσιν. In welches Verhältnis setzt AuctHebr selbst seine in Vers 2,14f. vertretene Sichtweise vom heilseffizienten Tod Jesu und die unmittelbar danach folgende Hohepriesterthematik (Hebr 2,17f.)? Diese Frage wird nachstehend mittels einer genauen Analyse der Verse 2,14–18 zu beantworten versucht. 3.2.2 Hebr 2,14–18: Die Anknüpfung der Hohepriesterchristologie Bei der Betrachtung der Verse 2,14–17 hinsichtlich ihrer Struktur, fällt der parallele Aufbau ins Auge: 2,14f.:
2,16: 2,17:
A: Ἐπεὶ οὖν τὰ παιδία B: …ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ τὸν τὸ κεκοινώνηκεν αἵματος καὶ κράτος ἔχοντα τοῦ θανάτου, τοῦτ᾿ ἔστιν τὸν σαρκός, καὶ αὐτὸς διάβολον, 15 καὶ ἀπαλλάξῃ τούτους, ὅσοι παραπλησίως μετέσχεν τῶν φόβῳ θανάτου διὰ παντὸς τοῦ ζῆν ἔνοχοι αὐτῶν… ἦσαν δουλείας οὐ γὰρ δήπου ἀγγέλων ἐπιλαμβάνεται ἀλλὰ σπέρματος Ἀβραὰμ ἐπιλαμβάνεται. A: ὅθεν ὤφειλεν κατὰ πάντα B: …ἵνα ἐλεήμων γένηται καὶ πιστὸς τοῖς ἀδελφοῖς ὁμοιωθῆναι,… ἀρχιερεὺς τὰ πρὸς τὸν θεὸν εἰς τὸ ἱλάσκεσθαι τὰς ἁμαρτίας τοῦ λαοῦ.
Es sollen zu dem Schaubild nun drei Feststellungen angeführt werden, die die Verbindung zwischen Hebr 2,14f. und 2,17 aufzeigen und es nahelegen, Hebr 2,17 als Weiterführung des Gedankens von 2,14f. zu verstehen:
201 LAUB, „Ein für allemal,“ 77, ist ebenfalls dieser Ansicht. Er bezeichnet neben Hebr 2,5–18 auch Hebr 1,1–14 und 5,1–10 als Vorbereitung des Hohepriesterthemas. AuctHebr zeige „vom überkommenen Christusbekenntnis her neu die heilsbegründende und heilseröffnende Zuordnung von Kreuzeserniedrigung und Erhöhung auf. Diese Intention, die sich in der Grundlegung des christologischen Hauptthemas kundtut, darf bei der Exegese der Begriffe kultischer Räumlichkeit nicht wieder preisgegeben werden.“
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Der Vers 2,16 dient als Scharnierstelle und verbindet die Verse 2,14f. und 2,17 miteinander, was anhand der verwendeten Konjunktionen ersichtlich ist. Er begründet sowohl den vorausgehenden als auch den folgenden Vers. Denn durch die Konjunktion γάρ202 wird er begründend an die vorangehende Aussage Hebr 2,14f. angeschlossen, durch ὅθεν203 in Vers 17 wird Vers 16 wiederum als Begründung für den darauffolgenden Vers 17 ausgewiesen.204 Dass der Teufel den Samen Abrahams angreift205 – nur über die Menschen hat er ja Macht, da nur sie dem Tod unterworfen sind, nicht etwa die Engel –, ist der Grund Jesu für seine Menschwerdung und damit Antrieb und Motiv seines rettenden Handelns. Die Teilhabe des Sohnes an Blut und Fleisch (2,14) und das Gleichwerden mit den Brüdern (2,17) umschreiben jeweils die Fleischwerdung Jesu mit anderen Worten. Der Inhalt der A-Teile entspricht sich also.206 Beide Textstellen geben im B-Teil den Zweck der Inkarnation des Sohnes an, beide Male angeschlossen durch die Konjunktion ἵνα. Es kann daraus nur der Schluss gezogen werden: Die Aussage, dass Jesus durch den Tod den Teufel entmachtet und die Geknechteten befreit, wird mit der Aussage, dass er ein barmherziger und treuer Hohepriester vor Gott werde, um die Sünden zu sühnen, in engster Verbindung stehen. Sie werden durch syntaktische Mittel verknüpft. Indem man sich diese parallele Strukturierung, die die Verse 2,14f. und 2,17 miteinander koppelt, vor Augen führt, wird
BDR, 382, § 452. BDR, 381, § 451,6. 204 LAUB, Bekenntnis, 97, unter Aufnahme eines Zitats von W. Otto: „Sprachlich findet dieser Sachverhalt seinen Ausdruck in dem überleitenden ὅθεν (V 17), das die ‚bisherige Darlegung als die gesicherte Basis‘ erscheinen läßt […].“ 205 Ich übersetze Vers 16 wie folgt: „Denn er (sc. der Verleumder?) greift doch wohl nicht die Engel an, sondern den Samen Abrahams greift er an.“ Grund: Das Verbum ἐπιλαμβάνομαι hat für die Bedeutung „sich jmds. annehmen“ im positiven Sinne wenig einschlägige Belegstellen (so etwa Sir 4,11). LSJ führt für die Bedeutung „to assist“ nur einen einzigen Beleg an (App. BC 4.96), allerdings dort aktivisch gebraucht und den Dativ regierend, nicht wie an unserer Stelle, wo es medial gebraucht wird und den Genitiv regiert. Für alle aktiven wie medialen Belegstellen ist weithin ein physisches und besonders auch feindliches Angreifen dokumentiert. Zur gleichen Erkenntnis kommt auch SEBASTIAN FUHRMANN, „Son,“ 92: „Also in the LXX and the New Testament ἐπιλαμβάνεσθαι with the genitive nearly always designates a violant act, mostly in the sense of ‚take hold of someone or something using hands,‘ frequently with hostile intention.“ Er sieht damit ebenfalls den Teufel als Subjekt. 206 Vgl. dazu etwa R IGGENBACH, Hebräer, 57: „So gewiß nun die Aussage von 17a keinen wesentlich neuen Gedanken enthält, liegt der Nachdruck wie v. 14 ganz auf dem Finalsatz […].“ 202
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3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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ersichtlich, dass AuctHebr auf diesem Wege Vers 2,17 als Explikation von Vers 2,14 bewusst erkennbar macht.207 „Dieses bedeutet, dass man in 2,17 statt von einem Übergang vom Sohnmotiv zum Hohepriestermotiv vielmehr von einer Verbindung dieser beiden Motive sprechen könnte.“208 Es ist daher nicht angemessen, wenn man das soteriologische Modell aus Hebr 2,14f. von der Hohepriesterchristologie abzutrennen versucht.209 Mit der in Hebr 1,3 erwähnten Reinigung der Sünden ist das Hohepriesterthema schon angelegt,210 könnte insbesondere in der Zitierung von Ps 8,7a (κατέστησας αὐτὸν; Hebr 2,7) und der Krönung (Hebr 2,7.9) angespielt sein, scheint in Hebr 2,11 nochmals durch, wenn vom Heiligenden und von den Geheiligten die Rede ist, und wird nun endlich in Hebr 2,17 ausdrücklich zur Sprache gebracht.211 Das Thema des priesterlichen Handelns Jesu drängt in den ersten beiden Kapiteln immer wieder an die Oberfläche. AuctHebr redet zwar zwischenzeitlich in verschiedenen Bildern, jedoch von der gleichen Sache.212 Begreift man also Hebr 2,14f. als Auslegung des Gedankens der folgenden Hohepriesterchristologie, so wird deutlich, dass es dort der Erwähnung der Sünde oder der Sühne gar nicht bedurfte. Die ‚Metapher‘ der Teufelsentmachtung213 wird ja gerade in Hebr 2,17 durch die Transformation des Gedankens in die kulttheologische Sprache übersetzt. Sogleich werden die ἁμαρτίαι dann auch genannt. Die Sünden, die der Hohepriester sühnt, stehen daher auch schon im Hintergrund der vorangegangenen Überlegung. So erklärt bereits Kögel: „Die beiden Fragen gehörten zwar nicht unbedingt zur Ausführung, mußten sich aber im Anschluß daran dem Leser aufdrängen: woher der Teufel im Tode und über den Tod diese Macht besitzt, und was das innerste Motiv zu der 207 U.a. gegen G RÄßER, „Heilsbedeutung,“ 184: „Mit zwei ἵνα-Sätzen werden dann in V.14b–16 und V.17–18 zwei verschiedene Folgerungen aus der Menschwerdung gezogen“ (Hervorhebung von mir). 208 K EIJO N ISSILÄ, Das Hohepriestermotiv im Hebräerbrief. Eine exegetische Untersuchung, Helsinki 1979, 36. 209 So geschehen u.a. bei H.-F. W EIß, Hebräer, 220, und Rascher, Schriftauslegung, 69. 210 Ähnlich N ISSILÄ, Hohepriestermotiv, 36: Er geht von einer „Ausweitung in kultischer Richtung“ aus, die ihren Anlass in Hebr 1,3 findet. „Die Reinigung von den Sünden durch das Todesleiden des Sohnes (2,9f.) hat ihre kultische Entsprechung in der Sühnung der Sünden des Volkes durch den Hohepriester.“ 211 B RAUN, Hebräer, 71: „Die Sühne, analog dem καθαρισμός 1,3 […] macht die Sünden unwirksam […]. Die Sündensühnung, die bei der Todesvernichtung noch fehlte, wird hier nun ‚gleichsam nachgetragen‘.“ 212 So ist SCHUNACK, Hebräerbrief, 40, auf der richtigen Spur, wenn er erkennt, dass die von AuctHebr in Form der Teufelsentmachtung angewandte „mythologische Erklärung unzureichend“ ist, und es deshalb „der erst wirklich fundamentalen Interpretation durch das hohepriesterliche Sein und Werk Jesu“ bedarf. 213 Auch A TTRIDGE, „Liberating,“ 254f. spricht von der Teufelsentmachtung als einer Metapher, wenn er auch eine Herleitung aus dem antiken Mythos, besonders aus dem Hera– klesmythos, anstrebt: „That it is used in a metaphorical way is [..] obvious“ (a.a.O., 253).
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Todesfurcht sei? Die Beantwortung der Frage führt ohne Umwege auf die Berücksichtigung der Sünde.“214 Dies zumal die Sünden bereits in Hebr 1,3 genannt und die Reinigung von ihnen programmatisch als die Heilstat Christi schlechthin ausgewiesen worden ist.215 Hinzu kommt, dass in der Anwendung von Ps 8 zu Beginn des zweiten Kapitels ebenfalls der Sündenfall im Hinblick auf den Herrschaftsverlust des Menschen mitzudenken sein könnte.216 Von daher ist es keinesfalls willkürlich, im metaphorischen Sieg über den Teufel den tatsächlichen Sieg über die Sünde zu sehen.217 Die Befreiung aus der Knechtschaft des Todes erklärt sich auch mühelos, wenn sie darin ihren Ursprung hat, dass die Menschen, wie Nikolaus Walter
KÖGEL, Sohn, 92. Vgl. schon SODEN, Hebräerbrief, 32: „Der Teufel besitzt die Gewalt des Todes, was innerhalb der biblischen Weltanschauung [heißt], dass er dem Tod in die Arme führt durch die Wege, auf welche er die Menschen lockt, oder dass er über die Todten verfügt. In beiden Fällen ist die Sünde das Mittelglied […]. So erklärt sich die Jesu zugeschriebene Wirkung, das καταργεῖν τὸν διάβολον κτλ, aus der 1,3 angegebenen, der Reinigung der Sünden.“ 216 Vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 102: „Of course, in the narrative of Gen 3, it is through Satan’s deceit that Adam and Eve sin and are punished by death. This renders the fall a likely explanation of how the devil came to possess the ‚power of death‘ described in 2:14–15, corroborating its relevance for 2:5–8.“ 217 So verstanden etwa bei C HRISTIAN R OSE, Hebräerbrief, 47. Er betont, dass „Jesus, der himmlische Hohepriester, durch seinen Tod und seine Selbsthingabe die Sünde hinwegnimmt, dem Teufel die Machtgrundlage entzieht.“ Von MICHAEL THEOBALD, Der Römerbrief, EdF 294, Darmstadt 2000, 180 wird hinsichtlich des Römerbriefes über die Sünde gesagt, dass sie den Tod zur Folge habe. Es sei ein „Sterben in die absolute Gottesferne hinein.“ Ähnliches trifft auch für die Sichtweise des AuctHebr zu. Christus kann es durch die Entmachtung des Teufels wieder ermöglichen, sich Gott zu nahen. KARRER, Hebräer, 1:183f.: „Jesus wirkt […] ‚auf Gott zu‘ […] und das wegen 14 mit einem besonderen Akzent: Er schafft eine Gegenbewegung gegen Tod und Teufel. […]. Das Wirken von Tod und Teufel kristallisiert sich an den Sünden. In der Sünde greift der Tod aufs Leben zu, und im Tod kommt die Sünde zu ihrem ‚Lohn‘ […].“ In ähnlicher Weise argumentiert auch OTTO KUSS, Hebräer, 44, indem er, wie Martin Karrer, Paulus (Röm 6,23) als Referenz anführt. Er weist daneben noch auf 1Kor 15,56 hin. So auch schon LÜNEMANN, Hebräerbrief, 84. Eine weitere Möglichkeit die Selbstverständlichkeit zu erklären, mit der der Autor den Zusammenhang zwischen Teufel und Sündenreinigung herstellt, führt OTTO BÖCHER, Art. „Teufel III,“ TRE XXXIII, 2002, 117–121, an. Er erklärt hinsichtlich der im Neuen Testament aufgeführten „Abwehrmaßnahmen“ (a.a.O., 119) vor dem Teufel, dass sich auch in Jak 4,7f. altjüdische Katharik widerspiegele: „Reinigung der Hände und des Herzens schlägt den Teufel in die Flucht“ (a.a.O., 120). Die Reinigung des Herzens (= des Gewissens) wiederum ist eines der Hauptmotive der Theologie des Hebräerbriefes. Man kann daher einen Bezug zur Katharik möglicherweise auch als Hintergrund des Hebräerbriefes in Betracht ziehen. 214
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3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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meint, eine Schuld vor Gott empfinden, die der Sühne bedarf.218 Es handelt sich dann im eigentlichen Sinne um eine Furcht vor dem Gericht Gottes,219 die die Menschen knechtet.220 Versteht man also die Verse 2,17f. als Weiterführung und Weiterentwicklung des Gedankens aus Hebr 2,14f., dann ist verständlich, warum AuctHebr die Umstände, unter denen Jesus durch seinen Tod den Teufel besiegt, dort nicht weiter ausführt. Die hohepriesterliche Heilstat wird in Hebr 2,14f. innerhalb einer gewiss metaphorischen Schilderung vorweggenommen.221 Bloß weil man den Sturz des Teufels als ein Motiv der Apokalyptik222 kennt, das also aus dem Bereich der religiösen Erfahrungswelt stammt, meint man eine zweite, stark komprimierte Soteriologie neben derjenigen der Hohepriesterchristologie vermuten zu müssen.223 Diese gibt es jedoch für die Theologie des Hebräerbriefes nicht. 218 N IKOLAUS W ALTER, „Christologie und irdischer Jesus im Hebräerbrief,“ in Wolfgang Kraus/Florian Wilk (Hg.), Praeparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, WUNT 98, Tübingen 1997, 151–168: 163. 219 Vgl. dazu insbesondere JAMIESON, Jesusʼ Death, 103f. Für jeden Menschen gelte, dass er nach dem Tod Gericht und Strafe zu erwarten habe. Einziges Heilmittel sei Jesu Opferdarbringung. Wer dieses Heil fahren lasse, habe eine umso größere Schuld auf sich geladen. „Postmortem retribution is the personal response of God the judge to what contradicts his will. As sin is a universal human condition, so also the expectation of retribution“ (JAMIESON, Jesusʼ Death, 104). 220 Zu diesem Gedanken führt gewiss auch Hebr 4,12 (κριτικὸς ἐνθυμήσεων καὶ ἐννοιῶν καρδίας). Im Bild gesprochen könnte in der Gerichtsszene dann dem Teufel die Rolle des Anklägers zukommen. Vgl. dazu RISSI, Theologie, 77. 221 Vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 115: „Hence in 2:5–18 the characterization of humanity’s plight under sin and death, and brief statements of how Christ’s death saves from this plight, serve not only to announce believersʼ great salvation (cf. 2:3), but also to pave the way for Hebrewsʼ elaborate cultic construal of the Christ-event. The universal problems of sin, death, and the devil’s dominion form the backdrop to Christ’s high-priestly work.“ SODEN, Hebräerbrief, 32, erkannte den Zusammenhang zwischen Teufelsentmachtung und Sündenreinigung, bemerkte aber leider die Parallelität der Aussagen zwischen 2,14f. und 2,17f. nicht, wenn er sagt: „Warum Jesu Tod diese sündenreinigende und darum Tod befreiende Wirkung haben konnte, ist hier nicht gesagt.“ Auf die Beantwortung dieser Frage zielt AuctHebr aber doch gerade ab, wenn er vom erwirkten Heil durch Jesu Tod den Hohepriesterbegriff als Höhepunkt seiner Argumentation im Anschluss zum ersten Mal explizit nennt. 222 Vgl. G RÄßER, „Heilsbedeutung,“ 192; D ESILVA, Perseverance, 118. 223 Die Frage nach der Rolle des Satans ist bereits hinsichtlich des Alten Testaments eine schwer zu beantwortende und kann wohl in keinem Fall pauschal zu lösen sein; vgl. dazu etwa KIRSTEN NIELSEN: Art. Teufel II, TRE XXXIII, 2002, 115–117. So kann Satan bereits im Alten Testament und auch über es hinaus, im Neuen Testament und innerhalb des antiken Judentums, eine Reihe an Funktionen übernehmen, z.B. die des Widersachers Gottes, die des Anklägers der Menschen, die des Prüfers (a.a.O., 116f.), die des Machthabers über das Böse, die eines militärischen Oberbefehlshabers, die des Machthabers über den Tod (u.U. als Dämon vorgestellt). Er tritt auf als Todesengel, als Versucher, Verführer (OTTO BÖCHER, Art. Teufel III, TRE XXXIII, 2002, 117–121), Widersacher Israels und der Menschen allgemein, als Engel der Feindschaft (GOTTFRIED REEG, Art. Teufel IV. TRE XXXIII, 2002, 121–
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
3.2.3 Hebr 2,17f.: Die Hohepriesterchristologie im Licht des vorausgehenden Kontextes Es ist notwendig, Hebr 2,17f. detailliert zu untersuchen, nachdem dargelegt ist, dass das Bild der Teufelsentmachtung im Dienst der folgenden Einführung der Hohepriestertheologie steht und sich die Verse 2,14f. und 2,17f. gegenseitig auslegen. Weiterhin stehen die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Todes Jesu im Mittelpunkt des Interesses. 3.2.3.1 Hebr 2,17 Das Gleichwerden mit den Brüdern greift die in Hebr 2,14 erwähnte Anteilnahme Jesu an Blut und Fleisch wieder auf, dient also hauptsächlich der Parallelisierung. Beides bezieht sich zweifellos auf das Geringerwerden des Gottessohnes im Vergleich zu den Engeln (Hebr 2,9), die insofern den Menschen überlegen sind, als sie an der irdischen Schwäche und der daraus resultierenden leidvollen Erfahrungen, insbesondere dem Tod, keinen Anteil haben. Diese Menschwerdung des Gottessohnes, die ihn mit den Qualen des Menschseins vertraut gemacht hat, geschieht nun zu einem bestimmten Zweck, den der Autor mittels eines finalen ἵνα-Satzes angibt. Gleich am Beginn dieses Finalsatzes findet sich das „im griechischen Satzbau hervorgehoben[e]“224 Prädikatsnomen ἐλεήμων. Durch die Inkarnation soll Jesus also barmherzig werden.225 Oft wird diese Barmherzigkeit Jesu so verstanden, als hebe der Autor damit auf seine (hohepriesterliche) Fürbitte vor Gott ab.226 Diese Fürsprache-Funktion will man dabei aus dem βοηθῆσαι des Folgeverses herauslesen;227 eine explizite Erwähnung gibt es nicht.228 124: 121f.) u. Ä. Welches Verständnis genau im Hebräerbrief im Hintergrund stehen mag, kann nur unbefriedigend geklärt werden. Allein der Zusammenhang von Teufel, Tod und Todesfurcht gibt davon eine gewisse Kunde. Die Tatsache, dass die Todesfurcht angesprochen wird, könnte nahelegen, dass eine anthropologische Deutung eine Rolle spielt. Möglicherweise ist das Teufelsbild, das im Hebräerbrief im Hintergrund steht, ein diffuses, und man kann sich mit den genannten pauschalen Abgrenzungen nur unzureichend annähern. 224 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 130. 225 Liest man das Adjektiv ἐλεήμων als erstes Attribut zu ἀρχιερεύς kann man auch verstehen, Jesus solle ein barmherziger Hohepriester werden. 226 Etwa bei B RAUN, Hebräer, 70; A TTRIDGE, Hebrews, 95; K ARRER, Hebräer, 1:182; GÄBEL, Kuttheologie, 226. 227 Vgl. etwa PETER N YENDE, „Tested for Our Sake: The Temptations of Jesus in the Light of Hebrews,“ ExpTim 127/11 (2016), 525–533: 528. 228 Dass die Fürsprache Christi von AuctHebr möglicherweise angenommen wird, soll hier nicht kategorisch abgelehnt werden. Hebr 7,25 bietet z.B. einen Hinweis darauf, aber selbst dort wird nicht eindeutig die Art und Weise des gegenwärtigen Eintretens des himmlischen Hohepriesters geschildert (vgl. dazu LÖHR, Umkehr, 65). KARRER, Hebräer, 2:88 findet den Gebrauch des Verbums ἐντυγχάνειν überraschend, da man eigentlich hier
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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Eine andere Möglichkeit des Verständnisses legt ein Vergleich mit den Versen 4,14–5,3 nahe.229 Man sollte sich ins Gedächtnis rufen, dass dort ebenfalls ein Mitfühlen-Können (δυνάμενος συμπαθῆσαι; Hebr 4,15) von Christus ausgesagt ist,230 vom irdischen Hohepriester in Hebr 5,2 – unter Aufnahme von Hebr 4,15 – hingegen ein maßvolles Mitfühlen-Können (μετριοπαθεῖν δυνάμενος). Die Verse 4,14–5,3 können zu einem Vergleich mit 2,17f. herangezogen werden, da sie neben dem auffälligen Gedanken des Erbarmens231 auch sonst inhaltlich wie semantisch das in 2,17 Gesagte wiederaufnehmen.232 Hebr 2,17 ὅθεν ὤφειλεν κατὰ πάντα τοῖς ἀδελφοῖς ὁμοιωθῆναι ἐλεήμων τὰ πρὸς τὸν θεόν εἰς τὸ ἱλάσκεσθαι τὰς ἁμαρτίας τοῦ λαοῦ τοῦ λαοῦ
Hebr 5,1ff. Πᾶς γὰρ ἀρχιερεὺς ἐξ ἀνθρώπων λαμβανόμενος μετριοπαθεῖν δυνάμενος τὰ πρὸς τὸν θεόν ἵνα προσφέρῃ δῶρά τε καὶ θυσίας ὑπὲρ ἁμαρτιῶν περὶ τοῦ λαοῦ
Die Rede vom Mitgefühl des irdischen Hohepriesters ist verwunderlich. Eine solche Eigenschaft ist weder im alttestamentlichen noch antikjüdischen Verständnis für den Hohepriester charakteristisch, geschweige denn eine Vor-
priesterliche Terminologie erwarten müsste. So ist gar für Hebr 7,25 eine Fürsprachefunktion des himmlischen Hohepriesters nicht sicher nachzuweisen. In dem Verbum βοηθέω klingt sie aber meines Erachtens nicht an. Möglicherweise liegt eine ähnliche gedankliche Struktur hinsichtlich Todes und Lebens Jesu wie in Röm 5,10 zugrunde: εἰ γὰρ ἐχθροὶ ὄντες κατηλλάγημεν τῷ θεῷ διὰ τοῦ θανάτου τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, πολλῷ μᾶλλον καταλλαγέντες σωθησόμεθα ἐν τῇ ζωῇ αὐτοῦ· 229 G ERHARD FRIEDRICH, „Das Lied vom Hohenpriester im Zusammenhang von Hebr 4,14–5,10,“ in ders., Auf das Wort kommt es an. Gesammelte Aufsätze, FS, Göttingen 1978, 279–299: 295: „4,14ff. greift offensichtlich auf 2,17ff. zurück.“ 230 LAUB, Bekenntnis, 89: „‚Barmherzig sein‘ liegt auf derselben gedanklichen Linie wie ‚helfen‘ (2,18) und ‚mitfühlen‘ (4,15).“ Vgl. auch RUDOLF BULTMANN, Art. ἔλεος etc. ThWNT, 2, 1950, 474–484: 474, der die Bedeutung von ἔλεος im Sinne von ‚Mitleid‘ ebenfalls zu fassen weiß. Aber auch ‚Gnade‘ (Gottes) kann ausgedrückt sein (a.a.O., 476 und insb. auch 481). 231 Auch H EGERMANN, Hebräer, 79, sieht diese Verbindung zwischen Hebr 2,17 und 4,15 (συμπαθεῖν). 232 Die Entsprechungen im Vokabular sind: κατὰ πάντα τοῖς ἀδελφοῖς ὁμοιωθῆναι (2,17) – κατὰ πάντα καθ᾿ ὁμοιότητα (4,15); ἐλεήμων (2,17) – ἔλεος (4,16); ἀρχιερεύς (2,17) – ἀρχιερεύς (5,1); τὰ πρὸς τὸν θεόν (2,17) –τὰ πρὸς τὸν θεόν (5,1); ἁμαρτίας τοῦ λαοῦ (2,17) – ὑπὲρ ἁμαρτιῶν (5,1) und περὶ τοῦ λαοῦ (5,3); πειρασθείς (2,18) – πεπειρασμένον (4,15); βοηθῆσαι (2,18) – βοήθειαν (4,16).
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
aussetzung zum Priesterdienst.233 Daher muss ihre Erwähnung von der vorangehenden Beschreibung Christi als ihrem Urbild ausgelöst sein.234 Die Eigenschaft des Mitgefühls wird nun in Kapitel 5 nicht angeführt, um auf eine Fürbittenfunktion zu sprechen zu kommen, sondern es ist festzustellen, dass hier das ‚maßvolle Mitleid‘235 des irdischen Hohepriesters erstaunlicherweise in direktem Zusammenhang mit seiner Opfertätigkeit steht. Jeder Hohepriester werde von Menschen genommen und für Menschen eingesetzt. Schon zu Beginn des Verses ist die Menschlichkeit, die den Hohepriester auszeichnet, betont. Dies in einem Satz, der dank der Einleitungsworte πὰς ἀρχιερεύς zu einer allgemeinen Regel erhoben wird. Dieser menschliche Hohepriester wird eingesetzt, damit er Gaben und Opfer darbringe und zwar als einer, der mit den Unwissenden maßvoll mitfühlen kann (ἵνα προσφέρῃ δῶρά τε καὶ θυσίας ὑπὲρ ἁμαρτιῶν, μετριοπαθεῖν δυνάμενος τοῖς ἀγνοοῦσιν; Hebr 5,1f.). Somit wird die Teilhabe, die doch aus Barmherzigkeit erfolgt, zur Bedingung des Opferns und damit zum Charakteristikum des Hohepriesterseins erhoben, da sie aufs engste mit προσφέρω verknüpft wird. Bereits aus der obigen Gegenüberstellung der Verse 2,17 und 5,1ff. wird deutlich, dass dem προσφέρω auf Seiten des irdischen Hohepriesters das ἱλάςκομαι (= Sühnen) Jesu entspricht. Ihre Funktion ist jeweils die Aufhebung236
233 Vgl. M ICHEL, Hebräer, 165: „[…] das Neue und Eigenartige des Hohenpriesterbegriffes des Hb [ist] das Motiv der ‚Barmherzigkeit‘ […];“ so auch BRAUN, Hebräer, 70: „Keiner der Helfer und Erlöser neben Jesus, auch Michael nicht, ist barmherzig als Priester. Nicht verwunderlich, denn der opfernde und sühnende Priester des AT soll sich kultisch korrekt verhalten; Mitleid ist von ihm weder in Lv 16 noch in Joma […] gefordert.“ 234 Ähnlich SCHUNACK, Hebräerbrief, 69: „Dem Verfasser ist dieses Motiv wichtig wegen einer gewissen Entsprechung zum ‚Mitleiden‘ des Hohenpriesters Jesus.“ Der irdische Hohepriester wird durch die ihm anhängende ἀσθένεια von Christus abgegrenzt, aufgrund derer er auch für sich selbst opfern muss. Mit der ἀσθένεια ist vermutlich die sittliche Schwäche gemeint. Zum einen zeigt sie den Gegensatz zu dem χωρὶς ἁμαρτίας Jesu in Hebr 4,15 auf, zum anderen wird die Gegenüberstellung in Hebr 7,27f. noch deutlicher betont. Dem mit Schwachheit behafteten irdischen Hohepriester wird der in Ewigkeit vollendete Sohn gegenübergestellt. Gegen ROLOFF, „Hohepriester,“ 157: „Wie der Aaronide auch für sich selbst Opfer darbringen muss (v. 5,3), so muss der ‚Sohn‘ wegen seiner Teilhabe an der menschlichen ἀσθένεια (4,15) auch für sich selbst Gebet und Flehen ‚darbringen‘.“ Diese Sichtweise finde ich in Hebr 7,28 eindeutig widerlegt. Bei Christus werden die Barmherzigkeit (ἐλεήμων, Hebr 2,17) und das Mitleid (συμπαθέω, Hebr 4,15) nicht durch eine ihm selbst anhaftende Schwachheit erregt. Dennoch ist es aber mit dem maßvollen Mitfühlen des irdischen Hohepriesters (μετριοπαθέω, Hebr 5,2) vergleichbar und vielleicht als dessen Steigerung aufzufassen, da es aus dem Menschsein Jesu resultiert und ein völliges, nicht nur ein maßvolles Mitfühlen ausdrückt. 235 Vgl. zur Bedeutung von μετριοπαθεῖν B AUER, WB, Sp.1018; K ARRER, Hebräer, 1:258: „[…] sie müssten – aber dürften auch nur – ‚maßvoll mitleiden‘.“ 236 Zum synonymen Sprachgebrauch von ἱλάσκομαι und ἀφίημι vgl. STEPHANIE VON DOBBELER, Das Gericht und das Erbarmen Gottes. Die Botschaft Johannes des Täufers und
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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und das Unschädlichmachen der Sünden.237 Darauf konzentrieren sich also die Aussagen in Hebr 2,17 wie in 5,1f.: „Es sind die Dienste vor Gott, die durch
ihre Rezeption bei den Johannesjüngern im Rahmen der Theologiegeschichte des Frühjudentums, BBB 70, Frankfurt am Main 1988, 178. 237 R IBBENS, Sacrifice, 150, betont, „that the author is identifying sacrifice in general to be for sins and that ὑπὲρ ἁμαρτιῶν [zu finden in Hebr 5,1 für den irdischen Hohepriester und 10,12 für den himmlischen] is not a slight modification of the technical term in the LXX for the sin offering (περὶ ἁμαρτίας).“ RIBBENS, Sacrifice, 151, weist dabei zu Recht auf die engen Parallelen zwischen Hebr 5,1 und 2,17 hin. Zur Übersicht über die Verwendung des Verbums und seines Kompositums ἐξιλάσκομαι vgl. etwa GÄBEL, Kulttheologie, 219–227. In Hebr 2,17 ist das Verbum ἱλάσκομαι medial gebraucht, die ἁμαρτίαι sind als Akk. Obj. angeschlossen. Die Codices A Y 33 (und nach NA27, anders als NA28, wenige andere Handschriften) lesen stattdessen den Dativ. Vgl. auch CILIERS BREYTENBACH, „Gnädigstimmen und opferkultische Sühne im Urchristentum und seiner Umwelt,“ in Ulrich Mell/Ulrich B. Müller (Hg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte, FS Jürgen Becker, Berlin 1999, 419–442: 434ff. Wie die Verwendung ἱλάσκομαι + Akk. zustande gekommen sein mag, ist kaum zu beantworten. WINER, Grammatik, 213, §32,4, vermutet, „expiare peccata [sei] viell. daraus zu erklären, dass man angefangen hatte zu sagen: ἱλάσκεσθαι τὸν θεὸν τὰς ἁμαρτίας“ (sicher versteht er den Akkusativ τὰς ἁμαρτίας dabei als einen Beziehungsakkusativ). Mag dies zwar nur eine Hypothese sein, so ist dennoch mit einiger Sicherheit anzunehmen, dass ἱλάσκομαι dann das „Sühnen“ oder „Tilgen“ der Sünden bedeuten muss. In der Septuaginta gibt es insgesamt bloß zwölf Belege für das Verbum simplex. Neunmal (inkl. Dan 9,19 Th) steht es im Passiv und hat Gott zum Subjekt. In diesen Fällen ist es mit „gnädig gestimmt werden“ = „gnädig sein“ wiederzugeben (Ex 32,14; 2Kön 5,18, zweimal; 24,4; 2Chr 6,30; Esther 13,17; Ps 78,9 LXX; Klgl 3,42; vgl. auch Lk 18,3). Für unsere Stelle sind daher nur diejenigen Belege interessant, die das Medium verwenden (Ps 24,11; 64,4; Ps 77,38). In Ps 24,11 steht es mit Dativ (τῇ ἁμαρτίᾳ) und hat Gott zum Subjekt. Es übersetzt סלחund ist entsprechend mit „Schuld vergeben“ zu übersetzen. Das hebräische סלח hat stets JHWH zum Subjekt, häufig findet es sich in kultischem Kontext und es wird von einem dazugehörigen Sühneritus berichtet. Ps 24,11 steht jedoch nicht in dieser kulttheologischen Tradition, sondern gehört in die Reihe der Gebetstexte, in denen um Vergebung gebeten oder Gottes Vergebungsbereitschaft gelobt wird. S. J. HAUSMANN, Art. סלח, ThWAT 5:859–867. In Ps 64,4 steht es wie in Hebr 2,17 mit dem Akkusativ (τὰς ἀσεβείας) und übersetzt das hebräische כפר. Auch hier ist Gott Subjekt der Handlung. Insbesondere Vers 64,5 handelt von der Möglichkeit, sich Gott zu nahen und in seinen Vorhöfen, seinem Haus, seinem heiligen Tempel zu wohnen. Die Verben ἱλάσκομαι und כפרkann man darum als kultische Vorbereitung dieses Nahens begreifen. Gerade כפרfügt sich gut in diesen Kontext, denn es beschreibt häufig das priesterliche Sühnen, und wird in der Regel mit dem Kompositum ἐξιλάσκομαι übersetzt. Vermutlich handelt es sich um die Beschreibung der notwendigen innerlichen Reinigung vor dem Eintritt in Gottes Bereich, die hier allerdings nicht von einem Priester vollzogen wird. Gott selbst tilgt die Frevel. Diese Stelle ist derjenigen im Hebräerbrief am nächsten. Auch in Ps 77,38 übersetzt ἱλάσκομαι das hebräische כפר, regiert hier aber den Dativ (ταῖς ἁμαρτίαις). Es liegt kein kultischer Kontext vor. Der Vergebung oder Tilgung der Sünden durch Gott geht keinerlei Handlung seitens der Menschen voraus, sondern sie erfolgt aus der Barmherzigkeit Gottes.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
den Hohepriester geschehen sollen, und sie beinhalten die Sühnung der Sünden des Volkes.“238 Auch im zweiten Kapitel werden schon die Charakteristika ‚Treue‘ und ‚Barmherzigkeit‘ des Hohepriesters als Vorbedingung der Sündensühne angegeben.239 Es war erforderlich, dass Christus das Schicksal der Menschen, Leid und Versuchung inbegriffen, teilte (ὤφειλεν κατὰ πάντα τοῖς ἀδελφοῖς ὁμοιωθῆναι; Hebr 2,17), damit er ein barmherziger und treuer Hohepriester werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen.240
Entscheidend bei den wenigen uns vorliegenden Fundstellen ist, dass Gott selbst stets Subjekt ist, nie der Mensch. Insofern scheint Hebr 2,17 aus dem Rahmen zu fallen, da hier Jesus Christus in seiner Funktion als Priester Subjekt von ἱλάσκομαι ist. Anders verhält es sich bei dem Kompositum ἐξιλάσκομαι. Es gibt Belege, an denen Menschen Subjekt der Handlung sind und an denen zugleich der Akkusativ der Sache steht. Solche finden sich etwa in Dan 9,24 Th (τοῦ ἐξιλάσασθαι ἀδικίας) und im Sirachbuch, beispielsweise Sir 3,3.30 (ὁ τιμῶν πατέρα ἐξιλάσκεται ἁμαρτίας bzw. ἐλεημοσύνη ἐξιλάσεται ἁμαρτίας; vgl auch Sir 5,6; 20,28; 28,5; 31,23). Jedoch darf nicht ohne Weiteres Bedeutung und Gebrauch eines Kompositums auf das zugehörige Verbum simplex übertragen werden. Die Tatsache, dass es keinen eindeutigen Beleg dafür gibt, dass die beiden Vokabeln semantisch und syntaktisch austauschbar sind, wiegt schwer. Wenn nun das Subjekt von ἱλάσκομαι in der LXX immer Gott ist und auch im Hebräerbrief (Hebr 2,17) Christus als Gott angesprochen wird, scheint es nicht abwegig, auch in der Sündentilgung des himmlischen Hohepriesters eine Handlung göttlicher Autorität zu sehen. Christus selbst wäre folglich aufgrund seiner Gottheit und Gottessohnschaft befugt, die Sünden wegzunehmen. Damit ist noch nichts über Weg und Werkzeug des Sündentilgens oder -sühnens gesagt. Für unsere Stelle (Hebr 2,17) kommt hinzu, dass Jesu Barmherzigkeit (ἵνα ἐλεήμων γένηται) neben seinem Hohepriestertum als eine Voraussetzung des ἱλάσκεσθαι genannt ist. In den meisten Fällen ist ἐλεήμων in der Septuaginta ein Gottesprädikat. Hinter dem exekutiven Handeln Jesu Christi darf aber freilich weiterhin Gott als Auftraggeber gedacht werden (Hebr 10,10: ἐν ᾧ θελήματι ἡγιασμένοι ἐσμὲν). Das verwendete Tempus von ἱλάσκομαι, das Präsens, scheint merkwürdig zu sein. Es erklärt sich aber als grundsätzliche Aussage, die über den himmlischen Hohepriester getroffen wird. Es gibt die für jeden Hohepriester geltende Funktion der Sündensühnung an und ist nur indirekt auf die Heilstat Jesu Christi als solcher bezogen. Wie oben ausgeführt, entspricht sich das Sühnen der Sünden und die Darbringung der Opfer aus Hebr 5,1ff. Damit kann das ebenfalls präsentische προσφέρω zum Vergleich herangezogen werden: Hebr 5,1: ἵνα προσφέρῃ δῶρά τε καὶ θυσίας und ähnlich Hebr 8,3: εἰς τὸ προσφέρειν δῶρά τε καὶ θυσίας. Dass die Aussage auf allgemeiner Ebene steht, ist durch das Fehlen der Artikel deutlich. Jesus wird ein barmherziger und treuer Hohepriester zur Sühnung der Sünden. Das verwendete Präsens steht also nicht in Opposition zum Aorist in 1,3, wie GÄBEL, Kulttheologie, 226, meint. 238 H EGERMANN, Hebräer, 80. 239 Vgl. R ISSI, Theologie, 63. Hinsichtlich des Sohn-Seins sagt Rissi: „Sein Werk ist abhängig von seinem Wesen, ist die funktionelle Ausstrahlung seines Seins.“ Das trifft, wie ich meine, auch auf seine Eigenschaften zu. 240 Vgl. Sir 3.30: ἐλεημοσύνη ἐξιλάσεται ἁμαρτίας. Hier jedoch nicht vor kultischem Hintergrund.
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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Die Barmherzigkeit, das Mitfühlen wie auch die Gnade richten sich an die Menschen und so weisen sie auf die Haltung hin, die das ὑπὲρ παντός der Heilstat Jesu begründet. Aller Einsatz wird den Menschen zugute gebracht. AuctHebr macht immer wieder deutlich, wer die Empfänger des endzeitlichen Heils sind.241 In diesem Sinn ist auch das πιστός (Hebr 2,17) zu verstehen. Dieses wird im folgenden Kontext (Hebr 3,1–6) als Gottestreue (Hebr 3,2), danach aber auch als Treue den Menschen gegenüber (Hebr 3,6), ausgelegt.242 Dass also Jesus denjenigen helfen kann, die versucht werden, ist nicht bloß ein subjektives Können, etwa weil Jesus bei sich ein Bewusstsein für die Versuchung geschaffen hätte, sondern es ist als Eigenart und Voraussetzung hohepriesterlichen Dienstes die objektive Befähigung zu seiner Heilstat. Diese Heilstat konnte dadurch wirksam werden. Christus kann helfen, „weil sein Leiden den 14f. geschilderten Erfolg hat.“243 3.2.3.2 Hebr 2,18 Hebr 2,18 spielt dann noch einmal auf den erlittenen Tod an. Die verkürzte Formulierung ἐν ᾧ πέπονθεν muss dabei wohl zu ἐν τούτῳ ὅ πέπονθεν aufgelöst werden.244 Das einzige Leiden Jesu, das im vorangehenden Kontext erwähnt wird, ist sein Todesleiden. Höchstens implizit kann man auch an ein allgemein-menschliches Leiden denken, das dann auf die gemeinsame Teilhabe an „Blut und Fleisch“ zurückzuführen wäre. Sie wäre als Ursache allen Leids zu betrachten. Jedoch führt die von AuctHebr selbst gelegte Fährte in eine andere Richtung. Der Autor erwähnt in 2,9 das Todesleiden (διὰ τὸ πάθημα τοῦ θανάτου) und greift dieses erneut im darauffolgenden Vers 2,10 auf. Obgleich der Tod selbst nicht nochmals erwähnt ist, ist er doch mitgemeint: διὰ παθημάτων τελειῶσαι. Da nun im weiteren Verlauf keine anderen Leiden erwähnt werden, 241 Hebr 1,2: ἐλάλησεν ἡμῖν ἐν υἱῷ; 3,1: ἀδελφοὶ ἅγιοι, κλήσεως ἐπουρανίου μέτοχοι; 3,14: μέτοχοι γὰρ τοῦ Χριστοῦ γεγόναμεν; 4,3: Εἰσερχόμεθα γὰρ εἰς τὴν κατάπαυσιν οἱ πιστεύσαντες; etc. 242 Diese doppelte Ausrichtung der Loyalität Jesu geht ganz mit dem μεσίτης-Gedanken konform (Hebr 8,6; 9,15; 12,24). Als Bundesmittler ist Christus dafür verantwortlich, dass die Berufenen das ewige Erbe erhalten (Hebr 9,15). Dabei verhandelt er nicht zwischen Vertragspartnern, da die διαθήκη einseitig von Gott verordnet wird; vgl. DELITZSCH, Hebräer, 403. Siehe daneben etwa auch KUSS, Hebräer, 112: Jesus bringe den Bund zustande wie Mose, jedoch sei Mose nur Sprachrohr Gottes, Jesus sei zugleich der Ort des Vollzuges des Neuen Bundes. 243 SODEN, Hebräerbrief, 34. Er weist außerdem auf Ps 78,9 LXX hin, wo sich Gottes Hilfe für die Menschen ebenfalls vermittels Sündentilgung realisieren soll: βοήθησον ἡμῖν, ὁ θεὸς […] ῥῦσαι ἡμᾶς καὶ ἱλάσθητι ( ) ְו ַכ ֵפּרταῖς ἁμαρτίαις ἡμῶν (hilf uns, Gott […] errette uns und sühne/tilge unsere Sünden). 244 Nach W INER, Grammatik, 150, §23,2. Möglich wäre auch eine kausale Deutung im Sinne von „weswegen,“ so etwa BDR, 178, §219.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
hingegen aber der Tod Jesu kurz zuvor noch immer im Zentrum steht, muss er meines Erachtens in der Wendung ἐν ᾧ πέπονθεν ebenfalls mit anklingen.245 Auch das Tempus ist an dieser Stelle aussagekräftig, wird das Perfekt doch angewandt, um die bleibende Bedeutung eines bereits geschehenen Vorganges auszudrücken.246 So wird auch die Beziehung zu dem präsentischen Ausdruck δύναται […] βοηθῆσαι verständlich. Das Präsens will zeigen, dass das durch das eine Opfer ausgelöste Heil weiterhin ungemindert für die Gemeinde zugänglich ist. Die Glaubenden sind noch immer Teilhaber der himmlischen Berufung (Hebr 3,1). „Aus dem einmaligen Leiden damals entsteht eine fortdauernde Hilfe, eben in dem Sinne von 4,16 die εὔκαιρος βοήθεια.“247 Ist also die obige Analyse von Hebr 2,17 richtig, bezieht sich ἐν ᾧ πέπονθεν direkt auf das zuvor genannte ἱλάσκεσθαι, das ja, wie oben erklärt, die Darbringung des Hohepriesters umschreibt und sich damit auf den Tod Jesu beziehen muss.248 Dass Jesus in Hebr 2,18 in seinem Leiden als ein πειρασθείς bezeichnet wird, könnte diese Auffassung möglicherweise stützen. Im religiösen Sprachgebrauch bezieht es sich immer auf die „Haltung des Versuchten Gott gegenüber.“249 Christus hat in seinem Leiden die von Gott auferlegte Prüfung bestanden, die in der Erduldung des soteriologisch bedeutsamen Todes bestand. Zu Recht deutet Jürgen Roloff das Lernen des Gehorsams in Hebr 5,8 ebenso: „Er ließ sich […] nicht […] zu verzweifeltem Widerspruch gegen Gott und damit zur Sünde verleiten, sondern ‚lernte, indem er litt‘, d.h. er bewährte in dieser 245 Vgl. z.B. B RAUN, Hebräer, 75, der hier für πασχεῖν sogar die Bedeutung ‚sterben‘ an– nimmt. 246 Vgl. dazu K.-G., 2/1: 147, §384: „Das griechische Perfekt unterscheidet sich aber von dem anderer Sprachen dadurch, dass es nicht bloss eine gegenwärtig vollendete Handlung, sondern die vollendete Handlung zugleich auch als in ihren Wirkungen und Folgen noch fortbestehend kennzeichnet. Wo dies nicht der Fall ist, gebraucht der Grieche den Aorist.“ Ebenso BDR, 279, §340: Das Perfekt drücke die „Dauer des Vollendeten“ (kursiv im Original) aus. 247 H.F. W EIß, Hebräer, 226, Anm. 79. Die von Weiß angeführte Stelle, Hebr 4,16, wiederum erinnert an Jes 49,8, einen Vers, den Paulus in 2Kor 6,2 „als eschatologische Weissagung der Heilstat“ (RUDOLF BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, KEK Sonderband, Göttingen 1976, 169) Jesu auffassen kann. Dort ist von der Hilfe Gottes (Gott spricht: ἐβοήθησά σοι) am Tag des Heils die Rede. Inhaltlich passend fügen sich dabei auch die Bundesthematik und die Erwähnung des καιρός δεκτός, was dem εὔκαιρος nahekommt, ein. 248 Ganz ähnlich LÖHR, Umkehr, 63, der sagt: „der auctor ad Hebraeos [wolle] zwischen der (wie er später darlegt, einmaligen) Sündensühne und der (fortwährenden) Hilfe für die Seinen unterscheiden. Beides ist Auslegung des (Kreuzes-)Todes, aber die theologische und seelsorgerliche Abzweckung ist jeweils eine andere.“ S. dazu auch RISSI, Theologie, 61. Er betont, dass sich Hebr 2,17 nur auf den Hohepriester auf Erden beziehen könne. Die Sühne sei sein Selbstopfer am Kreuz, darauf deuteten nach Rissi auch die Stellen Hebr 7,27; 9,26.28; 10,10.12. 249 U NGEHEUER, Priester, 42. Siehe auch die gesamte Ausführung zur Versuchung Jesu, die nach wie vor richtungsweisende Gedanken enthält (a.a.O., 39–47).
3. Hebr 2,9 und 2,14f. – eine Grundlegung des Verfassers
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Lage den Gehorsam […].“250 Sicher schwingt der Gehorsam Jesu Gott gegenüber in dem Adjektiv πιστός (2,17) bereits mit.251 Es fällt nebenbei auf, dass πειράζειν im Hebräerbrief freilich auch bei der Opferung Isaaks aus der biblischen Vorlage (Gen 22,1: ὁ θεὸς ἐπείραζεν τὸν Αβρααμ) aufgenommen wird. Bei einem strukturellen Vergleich sind auch hier einige augenfällige Parallelen festzustellen (Hebr 11,17–19).252 Abraham hat im Vertrauen auf Gott (πίστει) Isaak dargebracht (προςενήνοχεν), und zwar als einer, der von Gott geprüft wurde (πειραζόμενος).253 „Die Versuchung besteht [bei Abraham] offenbar in der Spannung zwischen Vaterliebe und dem Willen Gottes,“254 also darin, ersteres dem zweiten vorzuziehen. Dieser Versuchung ist er nicht erlegen. Jesu Versuchung hingegen liegt in dem Wunsch, dem Tod zu entgehen,255 wie er in Hebr 5,7 explizit zum Ausdruck gebracht wird. Für Hebr 2,17f. ist ein ähnliches Schema feststellbar: Jesus hat in seinem Gottvertrauen (πιστός) für uns sein Opfer dargebracht, denn mit seinem Tod (ἐν ᾧ πέπονθεν) kann er als einer, der von Gott auf die Probe gestellt worden ist (πειρασθείς), denjenigen helfen, die geprüft werden. Eines der Hauptmotive ist in beiden Fällen die Bewahrung des Gottvertrauens und damit die Erfüllung seines Willens. Die Versuchungssituation ist nach Joseph Ungeheuer mit derjenigen Abrahams grundsätzlich vergleichbar, mit dem Unterschied, dass es bei Jesus nicht um den Glauben als solchen gehe, „sondern um die Bewährung der gehorsamen Haltung gegenüber dem Willen seines Vaters im Leiden.“256 ROLOFF, „Hohepriester,“ 158. Sowohl ἐλεήμων als auch πιστός sind damit gleichermaßen auch schon auf den irdischen Jesus bezogen, nicht erst auf den Erhöhten. Jesus war gerade in seiner Selbsthingabe im Tode treu. Zudem wurde oben herausgestellt, dass ἐλεήμων insbesondere auf die Darbringung zu beziehen sein muss. 252 So etwa U NGEHEUER, Priester, 43, besonders auf die Versuchungssituation als solche bezogen; JAMES SWETNAM, Jesus and Isaac. A Study of the Epistle to the Hebrews in the Light of the Aqedah, AnBib 94, Rom 1981, 122f. 253 Kann man AuctHebr unterstellen, er habe durch Vers 2,16 (σπέρμα) diese Stelle mit Hebr 11,18 gewissermaßen verlinkt, und ist Abrahams Opfer eine Vorabbildung des Opfers Jesu? Isaak wurde nach dem Hebräerbrief tatsächlich getötet, das ist aufgrund des Perfekts προσενήνοχεν gewiss. Dadurch gewinnt die Erzählung von Isaaks Opferung vergleichbare Züge mit Jesu Geschick. Als Vorwegnahme des Opfertodes Jesu muss sie deshalb noch nicht dienen. Als Parabel ist jedoch nicht der Tod Isaaks, sondern seine Auferweckung ausgewiesen. Diese sollte aber nicht mit Jesu Auferstehung in Bezug gesetzt werden, sondern stattdessen mit der die Glaubenden der ersten διαθήκη betreffenden besseren Auferstehung. Jesu Auferweckung spielt im gesamten Hebräerbrief nicht nur keine Rolle, sie widerspräche seinem Konzept der Unvergänglichkeit des Gottessohnes. 254 U NGEHEUER, Priester, 43. 255 R ISSI, Theologie, 78. 256 U NGEHEUER, Priester, 43. Vgl. daneben auch R OLOFF, „Hohepriester,“ 161: „Darin vollzieht sich nämlich die helfende Zuwendung Jesu zu den Menschen, daß er als Mensch 250
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Das wäre nach meinem Empfinden aber bloß ein marginaler Unterschied, vielleicht bloß eine Frage der Perspektive. Wenn AuctHebr Jesus in seinem hohepriesterlichen Amt als πιστός (Hebr 2,17) bezeichnet, macht er deutlich, dass es auch um das Gottvertrauen geht. Der entsprechende Lohn erfolgt, wenn man den Glauben unter Beweis gestellt hat und also sündlos257 geblieben ist. Sollte also tatsächlich eine Reminiszenz auf die Opferdarbringung Jesu innerhalb der Abraham-Isaak-Geschichte vorliegen, so wäre dies ein weiteres Indiz dafür, dass in Hebr 2,17f. der Gedanke des Opfertodes tatsächlich präsent ist. 3.2.4 Fazit Man sollte davor auf der Hut sein, das Bild der Teufelsentmachtung zu überinterpretieren. Denn die textimmanenten Signale, die AuctHebr mittels syntaktischer Parallelisierung innerhalb der Verse 2,14–18 gibt, sind der Schlüssel zum rechten Verständnis. Er versucht keineswegs anhand der Einführung des διάβολος oder dem Bild der Knechtschaft unter der Todesfurcht eine zweite Soteriologie neben der des hohepriesterlichen Werkes Jesu zu entwickeln. Darauf deutet bereits die Einmaligkeit des Vorkommens des Teufels im gesamten Brief hin.258 AuctHebr bewegt sich immer in nur einem einzigen soteriologischen Schema, das er mit Bildreichtum259 illustriert. Aus dieser Erkenntnis müssen die nötigen Konsequenzen für die Bedeutung des Todes Jesu gezogen werden. Wenn AuctHebr im zweiten Kapitel des und unter menschlichen Bedingungen die Situation der Anfechtung und Gottverlassenheit durchsteht, indem er die Gottgemeinschaft bewährt, um so die heillose Situation der Menschen grundlegend zu verwandeln. Angst und Todesfurcht […] haben dadurch das letzte Wort verloren.“ Roloff konkretisiert die Hilfeleistung Jesu zwar nicht in der Opferdarbringung, wie ich es vorschlage, aber doch sieht er, dass die Hilfe Jesu auf Erden erfolgt ist und nicht notwendig im Sinne einer Fürsprache verstanden werden muss. 257 U NGEHEUER, Priester, 43: Der Bewährung entspreche als Gegenstück die Sünde (vgl. dazu Hebr 4,15: χωρὶς ἁμαρτίας und Hebr 3,12ff.). 258 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 126, nennt die Heilsbeschreibung, wie sie in Hebr 2,14f. vorliegt, gar einen „Meteorit aus fremden Himmeln.“ 259 Vgl. zum Gebrauch von Bildern im Hebräerbrief etwa K NUT B ACKHAUS, Hebräerbrief, 15f. Daneben nennt BACKHAUS, „Der Hebräerbrief. Potential und Profil. Eine Hinführung,“ in ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 1–19: 5, folgende Bilder: „[D]er Hoffnungsanker, das wandernde Gottesvolk, das Erdenexil, die Wüste und das Land der Verheißung, das schwertgleiche, lebendige Gotteswort, das Finale am himmlischen Gottesberg.“ Zusätzlich zu den von Backhaus schon genannten Bildern wären noch viele weitere anzufügen, beispielsweise nach Hebr 3,3 das Bild vom Hausbau, nach Hebr 6,7 das Bild von der regentrinkenden Erde oder nach Hebr 12,1 die Metapher vom Wettlauf, den die Glaubenden unterstützt von einer Wolke von Zeugen laufen (KARRER, Hebräer 2:300, begreift sie als „Zuschauerschar“), etc. Auffallend ist, dass auch das Bild der Teufelsentmachtung keinen Eingang in Backhausens Aufzählung gefunden hat.
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
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Briefes, also noch zu Beginn des Schreibens, den Tod Jesu sehr deutlich als heilseffizienten Tod ausweist, so ist das intentional geschehen und beruht mitnichten auf einer Inkonsistenz seiner Gedankenführung. Vielmehr legt er hier das Fundament, von dem aus die folgenden Kapitel zu betrachten sein werden. Dies belegt die Strukturanalyse von Hebr 2,14–18. Die interpretierende Gegenüberstellung von Sachverhalten ist eine Eigenheit des Verfassers und deren schleichende Übergänge sind Kennzeichen seines Stils.260 Für die Untersuchungen hinsichtlich der Bedeutung des Todes Jesu im zweiten Kapitel des Hebräerbriefes kann also festgehalten werden, dass in Hebr 2,9 und 2,14 dessen Heilseffizienz grundgelegt wird. Hebr 2,9 zeigt an, dass Jesu Tod einem jeden zugutekommt, dass er also soteriologisch gedeutet wird. Hebr 2,14 enthüllt hingegen, in welcher Hinsicht die Menschen davon profitieren. Dazu bedient er sich des Bildes der Teufelsentmachtung. Alsdann überführt er diese Beurteilung der Heilswirksamkeit in die Hohepriesterthematik. Der geschlossene syntaktische Aufbau verwehrt es, Hebr 2,14f. und 2,17f. auseinanderzureißen. Und so wird schon für Vers 2,17f. deutlich, dass die soteriologische Deutung des Todes Jesu nicht auf das zweite Kapitel zu beschränken sein wird. Es ist daher ganz Gerd Schunack beizupflichten: „Auch für die Hohepriester-Christologie ist also der Tod Jesu das entscheidende Heilsgeschehen, das in seiner Bedeutung durch den kultischen Sühnegedanken und die Kategorie des Opfers expliziert wird.“261
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief 4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
Es gibt im Hebräerbrief nur zwei Stellen, die den Tod Jesu am Kreuz explizit erwähnen, nämlich Hebr 6,6 und 12,2. 4.1 Hebr 6,6 Für Hebr 6,6 hat man bisher meist angenommen, keine weiterführenden Erkenntnisse für die Heilsbedeutung des Todes Jesu gewinnen zu können. Letztlich geht es aber auch in diesem Zusammenhang um die Heilsgüter, die den Glaubenden bereits zuteilgeworden sind. Die Glaubenden sind nach Hebr 6,4f. a) erleuchtet, b) haben die himmlische Gabe geschmeckt, c) sind Teilhaber an 260 Diese Methode der parallelen Strukturierung, um Sachverhalte in eins zu setzen, wiederholt sich viele Male innerhalb des Briefes. Es sei hier auf 9,15–18 hingewiesen, wo er Blut, Tod und Opferdarbringung Jesu miteinander identifiziert, ohne jedoch expressis verbis darauf hingewiesen zu haben. Das gleiche Vorgehen findet sich in 9,26–28, wo AuctHebr die Darbringung Jesu auf die gleiche Ebene mit dem Sterben der Menschen stellt. In Hebr 10,10.12 geschieht eine ebensolche Gleichsetzung der Begriffe σῶμα und θυσία. 261 SCHUNACK, Hebräerbrief, 42.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
heiligem Geist und d) haben das gute Wort Gottes und die Kräfte des kommenden Äons geschmeckt.262 Wichtige Fragen sind, was diese Heilsgüter für die Glaubenden bedeuten und wodurch sie zu erlangen waren. a) Die Erleuchtung (Hebr 6,4): Das Verbum φωτίζω hat in der LXX häufig die konkrete Bedeutung „Licht abgeben/ hell sein.“263 An nicht wenigen Belegstellen wird es im übertragenen Sinn verwendet und kann mit „lehren“264 wiedergegeben werden. In Ri 13,23 wird es parallel zu ἀκουστὰ ποιέω gebraucht und bedeutet darum „erleuchten“ im Sinne von „sichtbar machen.“ Die hebräische Vorlage dazu war, folgt man dem masoretischen Text, das Verbum ראה. Der Kontext von Esra 9,8 handelt von Vitalität und Lebenskraft, die man in den Augen der Menschen wahrnehmen könne. Die Augen „leuchten.“ Häufig, gerade in Verbindung mit dem Objekt ὀφθαλμοὺς, ist φωτίζω in diesem Sinn zu verstehen.265 Darüber hinaus gibt es einige schwer zu gruppierende Einzelbelegstellen, die für unsere Frage aber kaum von Relevanz sind.266 Das Neue Testament bietet insgesamt elf Belegstellen. Allein die drei Belege der Johannesoffenbarung kennen den Begriff in der konkreten Bedeutung des Hellmachens (Offb 18,1; 21,23; 22,5).267 An einigen Stellen wird φωτίζω als Terminus der Offenbarung in übertragener Bedeutung („ans Licht bringen“) verwendet. In dem Fall hat es aber ebenfalls nicht Mensch, sondern Sache zum Objekt (1Kor 4,5; Eph 3,9; 2Tim 1,9).268
262 Jedes der vier Heilsgüter wird durch ein Partizip ausgedrückt. Diese sind formal auf gleicher Ebene. Dass ἅπαξ nur einmal steht, sich aber auf alle gleichermaßen beziehen kann, ist fraglos möglich. Mir ist nicht erklärlich, weshalb man die letzten drei (γευσαμένους, γενηθέντας, γευσαμένους) als attributive Epexegese zu dem ersten (φωτισθέντας) verstehen sollte. So verfährt GRÄßER, Hebräer, 2:347, aber auch schon SODEN, Hebräerbrief, 49. 263 So in Ex 38,13 LXX; Num 4,9 ( מ אוֹר ָ ); 8,2 ( ;)אור1Sam 29,10 ( ;)אורNeh 9,12 ( ;)אור Ps 104,39 ( ;)אורPs 138,12 ( ;)אורProv 4,18 ( ;)אורSir 42,16 ( ;)זהר43,9 ( ;)שׂרק50,7 ( ;)ראה Mi 7,8 ( ;)אורJes 60,1.19 ( ;)אורEpJer 66; Dan 4,11. 264 So in Ri 13,8 ( ;)ירה2Kön 12,3 ( ;)ירה17,27.28 ( ;)ירהSir 45,17; ähnlich in Hos 10,12: „erleuchtet euch mit dem Licht der Erkenntnis“ ( )? ניר. Dazu passt die Verwendung in Ps 118,130 LXX (in parallelem Gebrauch mit συνετίζω, allerdings mit der Vorlage )אור. 265 So oder ähnlich gilt dies für LXX Ps 12,4; 17,29; 18,9; 33,6; Sir 31,20; Bar 1,12. 266 Diese seien hier wenigstens genannt: Esra 3,63 spricht von den „Leuchtenden und Vollkommenen,“ Begriffe, die für Urim und Tummim, die Orakelsteine des Hohepriesters stehen (vgl. dazu auch Neh 7,65). In Ps 75,5 LXX wird von Gott ausgesagt, dass er leuchte. In Koh 8,1 wird Gleiches von der Weisheit gesagt: Sie erleuchte das Gesicht des Menschen. Ein ähnliches Motiv findet sich in Sir 24,32: Die Weisheit lasse Erziehung leuchten wie den Morgen. 267 Es leuchten jeweils die δόξα eines Engels (Offb 18,1) und die δόξα Gottes (sodass die Stadt keine Sonne und keinen Mond mehr brauche); die Lampe des Lammes trete noch daneben (Offb 21,23) sowie der Herr selbst, sodass man keine Lampe und keine Sonne mehr brauche (Offb 22,5). 268 So etwa in 1Kor 4,5, dort synonym zu φανερόω. Es hat darum die Bedeutung „ans Licht bringen.“ Ebenso verhält es sich in Eph 3,8f. Paulus „verkündigt“ (εὐαγγελίζω) und
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Einzig Eph 1,18 kennt das Verbum als reinen Erkenntnisbegriff.269 Gott soll die Adressaten für die frohe Botschaft empfänglich machen, indem er die Augen der Herzen erleuchte. Komplexer ist die semantische Erschließung des Verbums im Lukas- und im Johannesevangelium. In Lk 11,36 wird das Auge als Lampe des Leibes bezeichnet. Bei lauterem270 Auge sei der Leib licht. Der erleuchtete Leib ist vermutlich als Metapher für die positive charakterlich-moralische Haltung des Menschen angesichts der eschatologischen Dringlichkeit des Gottesreiches zu verstehen.271 In Joh 1,9 ist mit dem Verbum φωτίζω die Wirkung Christi auf die Menschen bezeichnet (φωτίζει πάντα ἄνθρωπον). Es ist eine weite Metaphorik, die Wichtigkeit, Würde und positiven Einfluss des Kommens Jesu beschreibt. Das Licht symbolisiert dabei die Präsenz Jesu in der Welt und ist daher mit der Inkarnation verknüpft.272 Die Relevanz des Erscheinens Jesu auf Erden kann dennoch nur im Glauben erkannt werden.273 Insofern man das Angebot dieser Gabe annimmt, beschert sie ein glückliches, sinnerfülltes Leben und man ist also erleuchtet.274 Das Licht und das damit verbundene Erleuchtetsein ist
„bringt ans Licht.“ Auch 2Tim 1,9 kennt diesen Gebrauch des Verbums: Durch das Evangelium werden Leben und Unvergänglichkeit „ans Licht gebracht.“ 269 Vgl. aber dazu 2Kor 4,6: φωτισμὸς τῆς γνώσεως. 270 Die Bedeutung von ἁπλοῦς ist im Zusammenhang schwierig zu bestimmen. Das Wort wird nicht zur Beschreibung gesunder Organe verwendet. Außerdem steht es in Kontraposition zu πονηρός und könnte darum ethisch gemeint sein (vgl. BOVON, Lukas, 2:212). 271 Möglich wäre es zwar, das Auge als ein Organ zu verstehen, das dem Menschen die Erkenntnis der Heilsbotschaft bringen kann. Ähnlich versteht es BOVON, Lukas, 2:213, wenn er vom geistigen, inneren Auge spricht: „Was aber ist es, das in unserem religiösen Leben dieselbe Rolle erfüllt wie das Auge in unserem Alltag? […] Der Spruch behauptet, daß das menschliche Wesen ein geistliches Organ hat, das es in Kontakt mit Gott bringt und das das Ganze seines Glaubenslebens bestimmt.“ KLEIN, Lukasevangelium, 423, bringt die Stelle sogar mit Hebr 6,4 zusammen und erklärt, es handele sich um „die Erleuchtung, die mit der Annahme des Evangeliums und der Taufe dem Glaubenden geschenkt ist.“ Wahrscheinlicher ist aber, dass die Rede vom lauteren und bösen Auge mit einer ethischen Haltung der Güte bzw. Gier zu verbinden ist. JÜRGEN WEHNERT, „Jesus Sirach, Jesus von Nazareth und die Bösäugigkeit,“ in Bonifatia Gesche/Christian Lustig/Gabriel Rabo (Hg), Theology and Anthropology in the Book of Sirach, SCS 73, Atlanta 2020, 187–201: 190, erklärt die Stelle unter Hinweis auf die formgeschichtliche Selbstständigkeit nicht anhand des Kontextes innerhalb des Evangeliums, sondern mithilfe einer semantischen Untersuchung einer weisheitlichen Terminologie und versteht die Gut- und Bösäugigkeit der Menschen als Ausdruck ihrer Großzügigkeit bzw. ihres Geizes (a.a.O., 196 passim). „Der Gutäugige weiß mit seinem Besitz angemessen umzugehen; er ist großzügig gegenüber sich selbst und gütig gegenüber anderen“ (a.a.O., 196). 272 Vgl. ZUMSTEIN, Johannesevangelium, 78. 273 ZUMSTEIN, Johannesevangelium, 80. 274 ZUMSTEIN, Johannesevangelium, 80.
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darum nicht alleine ein intellektueller Zustand. Erleuchtung steht hier für eine ganzheitliche Lebensveränderung hin zum Positiven. AuctHebr selbst verwendet den Begriff neben unserem Vers (6,4) erneut in Hebr 10,32. Auch hier ist jedoch wie schon in 6,4 über die inhaltliche Deutung des Verbs keine genauere Aussage getroffen. Man erfährt lediglich, dass die Adressaten bereits erleuchtet waren (φωτισθέντες: Partizip Aorist) und Leiden auszustehen hatten. Man darf mutmaßen, dass sie diese Leiden wegen ihrer Glaubensüberzeugung haben durchstehen müssen. Ich schlage zur Deutung daher eine kausale Sinnrichtung des Partizips vor. An den meisten Stellen im Neuen Testament sind nicht die Menschen Objekte des Erleuchtens, sondern etwa die Stadt, das Evangelium, höchstens noch die Augen. Die Belegstellen im Epheserbrief und im Johannesevangelium stehen unserer Stelle daher am nächsten, weil die Glaubenden dort Objekte der Erleuchtung sind. Zusammen mit den alttestamentlichen Belegen betrachtet gibt es also zwei Möglichkeiten, was das Verbum an unserer Stelle (Hebr 6,4) bedeuten könnte. Es könnte das Begriffsfeld der Lehre und der Bildung zugrunde liegen und φωτίζω wäre dann im Sinn von „zur Erkenntnis führen“ gebraucht. Wer „erleuchtet“ ist, hätte demgemäß Erkenntnis und Einsicht erlangt. Dann wäre die Erleuchtung durch die Verkündigung des Herrn ausgelöst, wie sie in Hebr 2,3 erwähnt wird. Oder es könnte, wie im Johannesevangelium, ein ganzheitliches Erleuchtetsein gemeint sein, das durch die existenzverändernde Realisierung des Jesusgeschehens bewirkt worden ist. Entscheidend ist jedenfalls das Faktitive der Aussage, denn „es handelt sich […] um einen Erleuchtungsakt, der den Erleuchteten einmal von außen getroffen hat.“275 Auch geht es über ein bloßes Passivum divinum hinaus276 und bezeichnet, nachdem es nicht zu den Anfangsgründen gerechnet wird, nicht allgemein das Gottgläubigwerden, sondern spezieller die einmalige Erleuchtung (ἅπαξ φωτισθέντας,), die an das programmatisch einmalige Heilsgeschehen um die Person Christi (Hebr 7,27; 9,12; 9,26–28; 10,2.10) geknüpft ist. b) Das Schmecken der himmlischen Gabe (Hebr 6,4): Das Adjektiv ἐπουράνιος bezeichnet an den fünf weiteren Belegstellen, die sich über den gesamten Hebräerbrief verteilen, jene Güter, die mit der neuen διαθήκη in Zusammenhang stehen und wesentlich zur Sphäre Gottes gehören.277 Hebr 3,1: die himmlische Berufung; (Hebr 6,4: die himmlische Gabe); Hebr 8,5 und 9,23: die ἐπουράνια als dem Urbild des irdischen Zeltes mit dazugehörigem
WINTER, Einmaligkeit, 13, unter Hinweis auf das faktitive -ίζω in φωτίζω. So etwa bei PETER T. O’BRIEN, The Letter to the Hebrews, Michigan/Cambridge 2010, 221. 277 Vgl. SODEN, Hebräerbrief, 50: „denn ἐπουρ. bedeutet nicht, was vom Himmel kommt, sondern, was himmlischer Art ist, in die himmlische Welt gehört.“ 275
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Kultgerät; Hebr 11,16: die himmlische Heimat; Hebr 12,22: das himmlische Jerusalem. Auch die unspezifische δωρεά hat daher in jedem Falle „jenseitig himmlischen Charakter.“278 Und mag auch ein Kosten der himmlischen Gabe nicht notwendigerweise ein Auskosten meinen, so ist dennoch klar, dass der Zugang zu dieser Gabe schon besteht.279 Man sollte den Begriff der Gabe hier soweit als nur möglich auffassen.280 Gemeint muss das „in Christus angebotene Heil“281 sein,282 das den Zugang zu den Dingen ermöglicht, die der himmlischen Sphäre angehören. „To taste the heavenly gift (6:4b) is to become ‚partakers in a heavenly calling‘ (3:1) and gain access to God’s throne.“283 Eine der damit geschaffenen Voraussetzungen zum Zugang ist die bereits vollzogene Heiligung. Auch diese gehört zu den im Folgenden genannten Heilsgütern. c) Teilhabe an heiligem Geist (Hebr 6,4): Die Wendung μετόχοι πνεύματος ἁγίου ist eine feierliche Variation des einfacheren ἁγιαζόμενοι und des ἅγιοι284 – so werden die Teilhaber der himmlischen Berufung bereits in Hebr 2,11 beziehungsweise Hebr 3,1 bezeichnet. Die Heiligung der Menschen wird wiederum häufig als eine Wirkung der Opferdarbringung verstanden (Hebr 9,12; 10,10; 10,29; 13,11).285 Für die Berufenen ist diese Darbringung schon vollzogen. Sie ist eine der Voraussetzungen für den Zugang ins Heiligtum.286 Auch der Zugang zu den ἐπουράνια, die in Hebr 8,5 und 9,23 ebenfalls metonymisch das himmlische Heiligtum und den „Himmel selbst“ (Hebr 9,24) bezeichnen, steht erst nach der Heiligung und
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BRAUN, Hebräer, 166. Ich verstehe damit γεύομαι im Sinne von „real erfahren.“ Vgl. KARRER, Hebräer,
2:43. KARRER, Hebräer, 2:43, spricht von einem „große[n] Feld göttlichen Schenkens.“ MICHEL, Hebräer, 242, unter Hinweis auf Röm 5,15 und 2Kor 9,15. 282 Ähnlich vielleicht Röm 5,17 (δωρεά τῆς δικαιοσύνης) oder etwa Eph 3,7; 4,7, wo jeweils die Gabe auf das Christusheil bezogen steht. 283 JAMES W. THOMPSON, Hebrews, Michigan 2008, 133. 284 Der Schwerpunkt ist also auf die Heiligkeit, nicht auf den Geistbesitz zu legen. Jeder Mensch hat ohnehin πνεῦμα (vgl. Hebr 12,9), entscheidend ist die Heilsgabe der Heiligung desselben durch den himmlischen Hohepriester. 285 Den Zusammenhang zwischen Opfer und heiligem Geist erkennt auch M ARTIN EMMRICH, „Hebrews 6:4–6. Again! (A Pneumatological Inquiry),“ WTJ 65 (2003), 83–95: 95: „After all, the gift of πνεύμα hinges on Christʼs once-for-all sacrifice.“ Er versteht aber unsere Stelle im Sinne einer Teilhabe am Heiligen Geist, nicht als Teilhabe an heiligem Geist (a.a.O., 85). 286 ERNEST B EST, „Spiritual Sacrifice. General Priesthood in The New Testament,“ Interpretation 14/3 (1960), 273–299: 286 et passim, behauptet gar das Priestertum der Glaubenden: „Through Christʼs priestly work Christians become priests (10:10,14; 2:10 f.). As priests they have access to God and can approach him without having to make an offering for their sins (10:22).“ 280 281
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damit nach der Opferdarbringung Jesu offen. Gleiches gilt für die himmlische Heimat und das damit identische himmlische Jerusalem (Hebr 11,16; 12,22). d) Schmecken des guten Wortes Gottes und des kommenden Äons (Hebr 6,5): Es fällt auf, dass die Kombination von ῥῆμα und αἰών noch ein weiteres Mal, nämlich in Hebr 11,3 vorkommt. Schon in Hebr 1,3 wird ῥῆμα genau wie in Hebr 11,3 mit der Schöpfung in Verbindung gebracht.287 Die Äonen seien durch Gottes Wort geschaffen. Es liegt nun nahe, in Hebr 6,5 Wort und künftigen Äon als Einheit zu verstehen, zumal ῥῆμα und αἰών gleichgeordnete Akkusativobjekte zu dem Partizip γευσαμένους sind und folglich vom Autor bewusst als Kopula angelegt wurden. Es handelt sich – dazu rät der Vergleich mit Hebr 11,3 – um ein Hendiadyoin und ist auf Gottes eigene Schöpfung hin zu deuten. Diese besteht laut AuctHebr insbesondere aus dem himmlischen Zelt, das Gott selbst errichtet hat, nicht ein Mensch, und das daher nicht von dieser Schöpfung ist. Diese Deutung passt zu der Vermutung, dass sich auch schon die himmlische Gabe wie auch die Heiligung (d.h. heiligen Geistes teilhaftig zu werden) auf eben jenen Ort der unmittelbaren Gottespräsenz beziehen. Um es zu rekapitulieren: Himmlische Gabe, Teilhabe an heiligem Geist und kommender Äon sind unbedingt auf das Heiligtum Gottes hin zu verstehen. Bei der Erleuchtung handelt es sich um eine Begrifflichkeit, hinsichtlich der uns AuctHebr keinen expliziten Hinweis gibt, wie sie in sein theologisch-soteriologisches Konzept einzuzeichnen sein könnte. Die obige Analyse hat jedoch gezeigt, dass der Begriff der Erleuchtung als Heilsgut die gegebene Deutung der anderen Heilsgüter (b–d) zwar nicht stützt, ihr aber auch nicht widerspricht. Wenn man dem kleinen Katalog an Heilsgütern eine zeitliche Reihenfolge unterstellen darf, könnte die Erleuchtung tatsächlich die Erkenntnis des Jesusgeschehens bezeichnen.288 Es folgte dann das Schmecken und damit Aneignen289 der himmlischen Gabe (wobei in δωρεά das hohepriesterliche δῶρον anklingen könnte). Daraus resultierte die Heiligung der Person und damit der Erwerb der Zutrittsrechte. Und mit dem kommenden Äon wäre schließlich der Eingang ins himmlische Heiligtum gemeint.290 287 SODEN, Hebräerbrief, 51, erkennt diese Verbindung zwischen ῥῆμα, der Schöpfung wie auch der Kraftwirkungen, zieht aber die etwas rätselhafte Konsequenz daraus, es sei von der „christl. Verkündigung als Ganzes“ die Rede. 288 G RÄßER, Hebräer, 2:349, weist zu Recht auch auf die Verwendung als Terminus der Bekehrungssprache und auf die Zusammengehörigkeit von Licht und Leben hin. 289 Vgl. zur Bedeutung von γεύεσθαι G RÄßER, Hebräer, 2:350, Fn 30: „kosten, schmecken, in übertragener Bedeutung zu fühlen bekommen, inne werden, durch eigene Erfahrung kennenlernen hebt das Moment existentieller Betroffenheit hervor.“ So auch H.-F. WEIß, Hebräer, 343: Das Verbum bezeichne die „persönliche Erfahrung des Heils.“ 290 Es ist nicht so, wie G RÄßER, Hebräer, 2:353, meint, dass die Kräfte des künftigen Äons „ein ‚Vorspiel‘ und ein ‚Vorgeschmack‘ der μέλλουσα οἰκουμένη (2,5)“ seien, sondern mit den δυνάμεις muss im Gegenteil die ganze Fülle und Macht der himmlischen Welt
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Mit Hebr 6,6 setzt dann mit dem Partizip von παραπίπτω ein überraschender Wechsel im Tonfall ein. Trotz solch gewaltiger Eindrücke und Heilsgaben wird ihr Verlust wenigstens hypothetisch in Betracht gezogen. Das Verbum παραπίπτω ist ein Hapaxlegomenon im Neuen Testament. In der LXX gibt es acht Belegstellen. Die Nähe des Begriffes zu ἁμαρτάνω ist sehr deutlich. An einigen Stellen, insbesondere bei Ezechiel, könnte man die konkretere Bedeutung eines Abfallens von Gott im Sinne eines Glaubensverlustes annehmen.291 ausgedrückt sein. Es sei insbesondere auf Hebr 7,16 verwiesen, wo Christi Hohepriesteramt freilich nur von der gewaltigen Stärke her, die ihm aus der Unvergänglichkeit heraus erwächst, begründet sein kann. 291 1) Est 6,10: Das Subjekt ist λόγος. Haman soll Mardochaios im Wortlaut berichten, was er dem König erzählt hat: „Und es soll kein Wort wegfallen (μὴ παραπεσάτω) von dem, was Du gesagt hast.“ Damit unterscheidet sich der Text der Septuaginta vom masoretischen, denn das hebräische Äquivalent נפלsteht in der 2. Person: „Lass nichts ausfallen…“ 2) SapSal 6,9: Im Kontext wird den Mächtigen vorgeworfen, falsch gehandelt zu haben. Sie hätten – so SapSal 6,4 – nicht recht regiert (οὐκ ἐκρίνατε ὀρθῶς), das Gesetz nicht geachtet (οὐδὲ ἐφυλάξατε νόμον) und nicht nach dem Willen Gottes gelebt (οὐδὲ κατὰ τὴν βουλὴν τοῦ θεοῦ ἐπορεύθητε). Ihnen wird ein hartes Gericht (κρίσις ἀπότομος; SapSal 6,5) angedroht sowie eine strenge Prüfung (ἔρευνα; SapSal 6,8). Darum richtet der Verfasser das Wort an sie, damit sie Weisheit lernten und nicht abfielen (i.S. von abirren; μὴ παραπέσητε). Im Zusammenhang des Gerichtskontextes ist offensichtlich, dass παραπίπτω im Sinne eines Sündigens verstanden werden muss, das sich konkret im oben genannten unrechten Handeln der Mächtigen äußert. Damit entspricht es hier in etwa ἁμαρτάνω. 3) Ähnliches gilt für SapSal 12,2. Παραπίπτω steht dort auf gleicher Stufe wie ἁμαρτάνω. Zugleich wird es von Menschen gesagt, die mit Bosheit (κακία) behaftet sind. Auch hier sind also παραπίπτω und ἁμαρτάνω annähernd synonym. 4–7) Am häufigsten taucht παραπίπτω bei Ezechiel auf. Die Belegstelle zu Ez 14,13 findet sich inmitten einer Drohrede Gottes an Götzendiener. Die Figura etymologica (παραπεσεῖν παράπτωμα), die so auch in der hebräischen Vorlage zu finden ist ( = מעלtreulos handeln, aber auch: Frevel begehen), sollte in diesem Kontext der Abgötterei als die Abkehr von Gott hin zu Götzenbildern aufzufassen sein. Hinsichtlich der Septuaginta ist dies jedoch nicht ganz eindeutig, weil man im Allgemeinen das Substantiv παράπτωμα recht sicher auf die Bedeutungen „Sündentat/Vergehen“ festlegen zu können meint (vgl. bspw. LEH, Art. „παράπτωμα,“: „transgression, trespass; neol.?“; WILHELM MICHAELIS, Art. „παραπίπτω, παράπτωμα,“ [ThWNT, 6:171]: „die einzelne Verfehlung“; MICHAEL WOLTER, Art. „παράπτωμα,“ [EWNT, 3,78]: „die einzelne Verfehlung(stat)“; BAUER, WB, Art. „παράπτωμα,“: „Verfehlung“; LSJ, Art. „παράπτωμα,“: Dort werden für die Polybius-Belege die Bedeutungen „false step, slip, blunder“ ergänzt). Durch den Gebrauch der Figura etymologica scheint daher auch die Bedeutung des Verbums παραπίπτω i.S. des allgemeineren „Verfehlens“ statt des konkreten „Abfallens von Gott“ angezeigt. Die Belege in Ez 15,8; 18,24 und 20,27 haben einen ähnlichen Kontext, Vorlage ist jeweils מעל. An allen drei Stellen wird wie in Ez 14,13 konstruiert und es handelt sich um die gleiche Figura etymologica in der Ausgangs- wie in der Zielsprache. 8) Einzig in Ez 22,4 ist nicht מעל, sondern אשׁםdas Äquivalent zu παραπίπτω, und so wird entsprechend auch die Figura etymologica der anderen Belegstellen vermieden. Die Tat-
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Im Neuen Testament gibt es zwar keine Belege für das Verbum παραπίπτω, dafür aber 19 für das Substantiv παράπτωμα. Nach EWNT steht es als Verbalsubstantiv für die einzelne Verfehlung(stat) und deckt sich auch hier mit einem Teil des Bedeutungsspektrums von ἁμαρτία/ἁμάρτημα.292 Allein die vorliegende Stelle wird zuweilen, gemeinsam mit Röm 11,11f., davon differenziert als „Herausfallen aus dem Heilsbereich“293 verstanden. Es gehe im Hebräerbrief um eine „bewußt vollzogene Abwendung von der Gemeinde.“294 Für unsere Stelle Hebr 6,6 kommen die Bedeutungen „sündigen“ und „(vom Glauben/von Gott/ vom Heil) abfallen“ infrage. Das ist aber offenbar für AuctHebr kein großer Unterschied. Die entscheidende Sünde besteht für den Verfasser ja nun gerade im Abfallen von Gott.295 Für diese Sünde erhielt die Wüstengeneration die große Strafe.296 Wenn wir mit παραπίπτω auf die Spur des „Sündigens“ gebracht sind und mit φωτίζω einen Begriff der Erkenntnis vor uns haben, kommt unweigerlich Hebr 10,26 in den Sinn, wo ebenfalls vom Sündigen nach der Erkenntnis gesprochen wird.297
sache, dass auch Ez (LXX) παραπίπτω für eine hebr. Vorlage mit der Bedeutung „schuldig sein/sündigen“ verwenden kann, zeigt, dass diese Konnotation bei dem griechischen Begriff zumindest mitschwingt. Michaelis nimmt bei seinem Artikel im ThWNT gar für alle Ezechiel-Belege für παραπίπτω die Bedeutung „sündigen“ an (WILHELM MICHAELIS, „παραπίπτω, παράπτωμα,“ ThWNT, 6:171: „Der Zshg zeigt in allen Fällen, dass es sich in Ez um sündhafte Verfehlung, um Sündigen handelt“). 292 W OLTER, „παράπτωμα,“ EWNT, 3,78. 293 W OLTER, „παράπτωμα,“ EWNT, 3,79. Anders D OUGLAS J. M OO, The Epistle to the Romans, NICNT, Michigan 1996, 687, Fn 20. Mit Verweis auf Röm 5,15–21, wo παράπτωμα die Sünde Adams beschreibt, übersetzt er mit „trespass.“ 294 W OLTER, „παραπίπτω,“ EWNT, 3,77. 295 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 232: „Es geht nicht darum, dass der Sünder gegen die göttliche Zuwendung verstößt, sondern dass er diese Zuwendung als solche verstößt. Die letztgültige Zuwendung Gottes zu den Menschen ist das Kreuz, die letztgültige Zuwendung der Getauften zu Gott ist der Glaube. Daher erscheint hier der Abfall vom Glauben als letztgültig.“ Vgl. auch WINTER, Einmaligkeit, 14f. 296 In Hebr 3,12 wird vom bösen Herzen des Unglaubens gesprochen (καρδία πονηρὰ ἀπιστίας). Damit erhält der Unglaube die ethisch-moralische Wertung πονηρός. Schon im nächsten Vers wird dies auch explizit mit der Sünde in Verbindung gebracht. Ebenso wird das durch die rhetorischen Fragen in Hebr 3,16f. deutlich. Gott zürnte denen, die gesündigt hatten; Gott ließ nicht in seine Ruhe einkehren, die ungehorsam waren. Als Grund für ihre Verstoßung wird dann in 3,18 ebenfalls der Unglaube genannt. Es ist ein bewusstes Abkehren von Gott und Christus gemeint. Umgekehrt: Ausharren heißt, die Sünde abzulegen (Hebr 12,1). Der Kampf gegen die Sünde verlangt den Widerstand bis aufs Blut (Hebr 12,4). 297 Vgl. O’B RIEN, Hebrews, 221.
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
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Zum besseren Vergleich ist in der folgenden Tabelle die Reihenfolge der Elemente aus Hebr 10,26 der Chronologie angepasst und entsprechend den Elementen in Hebr 6,4–6 gegenübergestellt.
10,26
6,4–6
a μετὰ τὸ λαβεῖν τὴν ἐπίγνωσιν τῆς ἀληθείας, ἅπαξ φωτισθέντας … (4–5)
b Ἑκουσίως γὰρ ἁμαρτανόντων
c οὐκέτι περὶ ἁμαρτιῶν ἀπολείπεται θυσία.
… καὶ παραπεσόντας …
(ἀδύνατον) … πάλιν ἀνακαινίζειν εἰς μετάνοιαν ἀνασταυροῦντας ἑαυτοῖς τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ
Am Beginn (a) steht die Erkenntnis der Wahrheit beziehungsweise die Erleuchtung (d.h. die vollkommene Erkenntnis). Wenn man sich trotz dieser Erkenntnis (b) willentlich versündigt (ἁμαρτάνω bzw. παραπίπτω), gibt es (c) nach Hebr 10,26 keine Möglichkeit mehr, durch ein Opfer diese (neue) Sünde zu beseitigen. AuctHebr denkt dabei von der Voraussetzung eines weiteren ἀδύνατον her: Es ist den Opfern minderer Ordnung, die man hätte wiederholen können und wiederholen musste, unmöglich, Sünden (gänzlich) wegzunehmen (Hebr 10,4). Das bessere Opfer war demgegenüber zwar wirksam, kann aber nur einmalig sein (ἅπαξ κεκαθαρισμένους; Hebr 10,2). Diesem Fehlen eines weiteren Opfers in Hebr 10,26 stünde in Hebr 6,6 nun die Unmöglichkeit gegenüber, durch eine erneute Kreuzigung des Sohnes zur μετάνοια erneuert zu werden.298 Für die Teile a und b wurde bereits mithilfe semantischer Untersuchungen belegt, dass sie sich inhaltlich entsprechen. Darf man nun auch für Teil c die Aussage über das fehlende Opfer zur Sündentilgung und die Unmöglichkeit der Kreuzigung zur Erneuerung miteinander identifizieren?299 Der Gedanke liegt nicht mehr fern, nachdem bereits belegt ist, dass AuctHebr vorher in Hebr 2,14–18 mithilfe eines parallelen Aufbaus das Heilsereignis des Todes Jesu mit dem des hohepriesterlichen Sühneaktes identifiziert. Wir betrachten Hebr 6,6 im Detail: πάλιν ἀνακαινίζειν: Im Neuen Testament ist ἀνακαινίζω ein Hapaxlegomenon. Oft werden daher zur Interpretation des Hebräerbriefes die Fundstellen 298 Gegen G RÄßER, Hebräer, 1:356, der meint, „das Heil [fahrenzulassen] heiß[e] also, den Heilbringer zu kreuzigen.“ Das Verhältnis ist jedoch umzukehren. Der Verlust des Heils ließe eigentlich eine zweite soteriologische Tat notwendig werden, die aber nicht mehr erfolgen kann und wird. Daher wäre dieser Verlust endgültig, wo doch der Tod und damit das Opfer Jesu nur ἅπαξ möglich war und bleibt. 299 D AVID M OFFITT, Atonement, 289, lehnt das ab und konstatiert für Hebr 6,6, „that as with 2:9–10, 14–18; 5:7–10, and 12:2, the notion of Jesusʼ crucifixion is not portrayed here in sacrificial terms.“
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
zu ἀνακαινόω (2Kor 4,16 und Kol 3,10300) herangezogen. Eher noch könnte die Betrachtung der Belege des Substantivs ἀνακαίνωσις weiterführen (Röm 12,2; Tit 3,5). Nach Röm 12,2 führt die Erneuerung des Sinns (νοῦς) zur Verwandlung der Gerechtfertigten, und zwar zu einer „Verwandlung seiner ganzen Existenz.“301 Die Erneuerung beurteilt Otto Michel als hellenistisch-sakral und bezieht sie auf die Taufe. Diese Erneuerung des Sinns sei eine Begabung mit dem Geist.302 Darf man solchen gedanklichen Hintergrund auch für den Hebräerbrief annehmen? Die μετάνοια des Hebräerbriefes passte gut zum νοῦς des Römerbriefes. Von der Teilhabe an heiligem Geist war im Hebräerbrief zwei Verse zuvor ebenfalls die Rede. Auch Tit 3,5 spricht im Zusammenhang mit der Taufe (λουτρόν παλιγγενεσίας) von der Erneuerung des heiligen Geistes.303 AuctHebr stellt jedoch demgegenüber keinen konkreten Bezug zur Taufe her,304 es sei denn, man verstünde φωτίζω als terminus technicus der Taufsprache,305 was im zweiten nachchristlichen Jahrhundert für Justin als gesichert gelten darf,306 für den Hebräerbrief aber nicht zu beweisen ist.307 Entscheidend ist aber die Erkenntnis, dass das Substantiv ἀνακαίνωσις schon in paulinischer und nachpaulinischer Literatur mit dem Bezug zur Taufe kultisch-sakramental gebraucht wird.308 300 Nach EWNT beschreibe ἀνακαινόω in 2Kor 4,16 (und Kol 3,10) die tägliche Erneuerung des ἔσω ἄνθρωπος durch den Geist Gottes. 301 O TTO M ICHEL, Der Brief an die Römer, KEK 4, 51978, 371. 302 Vgl. M ICHEL, Römer, 371. 303 Vgl. LORENZ O BERLINNER, Die Pastoralbriefe. Dritte Folge. Kommentar zum Titusbrief, Freiburg/Basel/Wien 1996, 175. 304 Vgl. K ARRER, Hebräer, 2:43: „So verbietet sich wieder eine verengt ritusbezogene Lektüre.“ Anders ROSE, Hebräerbrief, 95. Häufig wird angenommen, dass Hebr 10,22 auf die Taufe rekurriere. Vgl. etwa PETER J. LEITHART, „Womb of the World: Baptism and the Priesthood of the New Covenant in Hebrews 10,19–22,“ JSNT 78 (2000), 49–65: 54 et passim: „Hebrews 10.22 describes baptism with imagery borrowed from ordination.“ 305 Vgl. FERDINAND H AHN, Theologie des Neuen Testaments, 2 Bände, Tübingen 32011, 1:435, der hinsichtlich des Hebräerbriefes von einem Vorkommen „charakteristische[r] Taufterminologie“ spricht. 306 Vgl. etwa PGL, 1509. 307 Eine andere Möglichkeit, eine Anspielung an die Taufe zu belegen, schlagen MATTHEW LARSEN und MICHAEL SVIGEL, „The First Century Two Ways Catechesis and Hebrews 6:1–6,“ in Jonathan A. Draper/Clayton N. Jefford (Hg.), The Didache: A Missing piece of the Puzzle in Early Christianity, ECL 14, Atlanta 2015, 478–496 vor. Die These lautet: „At bottom, when read in light of the Two Ways didactic pattern, the purpose of the author of Hebrews in Heb 6:1–6 is to warn the stagnant Christians of the impossibility of a second baptism, implicitly urging them to return to the Christian way of life“ (a.a.O. 495). 308 Prominent ist insbesondere die Aussage von Johannes dem Täufer, der εἰς μετάνοιαν tauft (Mt 3,11). Diese βάπτισμα μετανοίας soll nach Lk 3,3 zur Wegnahme der Sünden (εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν) geschehen.
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Für den Hebräerbrief lässt das aber noch in eine ganz andere Richtung denken. Schließlich gehört ἀνακαινίζω der Wortfamilie καινός an. Gerade das Adjektiv ist einer der Schlüsselbegriffe des Hebräerbriefes, der vermittels des Jeremia-Zitates in Hebr 8,8 zum ersten Mal eingeführt wird und dann auch über das direkte Zitat hinaus die neue διαθήκη kennzeichnet. Gerade Hebr 9,15 ist dabei von Relevanz, weil hier Christus selbst als Mittler dieser διαθήκη selbige durch seinen Tod in Kraft setzt. Dieser Tod bewirke die Erlösung von Übertretungen, wird also auch hier als heilswirksames Geschehen aufgefasst. In diesem Kontext der Inkraftsetzung der neuen διαθήκη heißt es, dass es dafür des Todes dessen bedürfe, der die διαθήκη gesetzt habe, weshalb auch die erste διαθήκη nicht ohne Blut eingeweiht worden sei. Diese Einweihung wird nun durch das Verbum ἐγκαινίζω ausgedrückt (Hebr 9,18). Sie geschieht mittels Blutmanipulation, wobei Buch, Volk und Zelt mit dem Opferblut besprengt werden (Hebr 9,19.21). Wirkung der Besprengung ist die Reinigung (καθαρίζω) und die (Sünden-)Wegnahme (ἄφεσις; Hebr 9,22). Die Einweihung der διαθήκη geschieht also unter Reinigung und Sündenwegnahme, und zwar bei der ersten διαθήκη durch Blut (Hebr 9,22), bei der neuen διαθήκη durch den Tod Jesu (Hebr 9,15). Das heißt also ganz prägnant: Die Inkraftsetzung (Hebr 9,17) der neuen διαθήκη, also ihre Einweihung (ἐγκαινίζω), geschieht durch den Tod Jesu. Ganz ausführlich wird diese Einweihung der neuen διαθήκη nochmals in Hebr 10,19–22 geschildert. Der Eingang ins Heiligtum stehe aufgrund des Blutes Jesu offen. (Hebr 10,19). Wie das Zelt bei der ersten διαθήκη mit Blut besprengt ist, ist auch das himmlische Heiligtum mit Blut gereinigt (Hebr 9,23), und der Weg durch den Vorhang ist für den Verfasser ebenfalls (durch Jesu Blut) eingeweiht (ἐγκαινίζω; 10,20). Und so wie es für die erste διαθήκη hieß, das ganze Volk werde besprengt (πάντα τὸν λαὸν ἐρράντισεν; Hebr 9,19), so heißt es entsprechend für die neue διαθήκη, die Herzen der Menschen seien besprengt (ῥεραντισμένοι τὰς καρδίας, Hebr 10,22). Die Konzentration auf das Innere des Menschen ist im Hebräerbrief typisch für die neue διαθήκη, zumal diese Verinnerlichung durch das Zitat von Jeremia 31 so vorgegeben war.309 Das erklärt im Übrigen auch, weshalb bei der Beschreibung der Einweihung der neuen διαθήκη die Besprengung des Buches keine eigene Entsprechung hat. Denn nachdem das Gesetz fortan auf den Herzen geschrieben steht, fällt die Besprengung des Volkes mit der des Buches in eins. Diese Tatsache könnte vielleicht sogar der Auslöser dafür sein, dass das Gesetzesbuch in Hebr 9,19 überhaupt mitgenannt ist. Laut Vorlage Ex 24,3–8 wurden von Mose nur Altar und Volk besprengt. Entscheidend ist also, dass bei der Einweihung jeder διαθήκη auch die Menschen mit Blut besprengt werden. Sie sind, wie das Heiligtum, Bestandteil und 309 Hebr 8,19: διδοὺς νόμους μου εἰς τὴν διάνοιαν αὐτῶν καὶ ἐπὶ καρδίας αὐτῶν ἐπιγράψω αὐτούς.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Objekt des Weiheritus. Das Verbum ἀνακαινίζω (Hebr 6,6) sollte von dieser Weihe her verstanden werden.310 Im Neuen Testament gibt es die Vokabel nur im Hebräerbrief. In der LXX begegnet sie fünfmal (1Makk 6,9; Ps 38,3; 102,5; 103,30 Klgl 5,21). Zugegebenermaßen lässt es sich in der Septuaginta nur in profanem Kontext in der Bedeutung „erneuern“ nachweisen. Die beiden Belege für das Substantiv ἀνακαίνωσις machen aber deutlich, dass der Begriff sich hinsichtlich des Christusgeschehens auf die Wirkung der Taufe und damit die Aneignung des Heilsgeschehens einengt. Die Nähe der Begriffe ἀνακαινίζω und ἐγκαινίζω ist dadurch etwas verschleiert, als man sich zur Wiedergabe im Deutschen zweier unterschiedlicher Wortfamilien bedient, nämlich „einweihen“ und „neumachen.“ Frisk zählt das Kompositum ἐγκαινίζω semantisch zu bloßem καινίζω und gibt als Bedeutung für beide „erneuern, zum erstenmal benutzen“ an.311 Eine Weihe ist eben genau das: der erste Gebrauch einer Sache. Auch nach Passow hat bereits das Verbum Simplex die Bedeutung „einweihen.“312 Im Neuen Testament gibt es keine Belegstellen, in der Septuaginta bloß fünf, die jeweils im Sinne eines profanen „Erneuerns“ zu deuten sind. Das schließt aber eine mögliche sakrale Bedeutung, wie auch allgemein die Bedeutung der Weihe nicht aus. Denn man betrachte umgekehrt die Beleglage für ἐγκαινίζω in der Septuaginta. Von insgesamt 15 Belegstellen weisen nur 4 eindeutig sakralen Gebrauch auf (1Kön 8,63, entsprechend 2Chr 7,5; 2Chr 15,8?; 1Makk 4,36.54 [57 dagegen nicht]; 5,1?). Alles in allem scheinen Kompositum und Simplex Synonyma zu sein. εἰς μετάνοιαν: Zweck der Wiederweihe ist nach Hebr die μετάνοια. Das Substantiv kommt im Hebräerbrief noch weitere zweimal vor, nämlich in Hebr 6,1 und 12,17. Hebr 6,1 ist, wie die zu untersuchende Stelle Hebr 6,6, Teil der Parekbasis, in der der Verfasser die Adressaten sehr eindringlich ermahnt, den erworbenen Heilsstand nicht aufzugeben. AuctHebr wolle dazu nicht noch einmal die Anfangsgründe des Glaubens an Christus erläutern, sondern sich der tiefergehenden Christologie widmen. Er wolle – hier nun die Stelle, auf die es ankommt – nicht das Fundament der μετανοίας ἀπὸ νεκρῶν ἔργων καὶ πίστεως ἐπὶ θεόν legen. In der Kombination mit der Lehre vom Glauben an Gott (nicht an Christus!) scheint die μετάνοια hier von jener μετάνοια in Hebr 6,6, die sich auf das Christusheil bezieht, zu unterscheiden sein. Sie ist gewissermaßen rudimentärer. Es beschäftigt freilich die Frage, warum AuctHebr es in Betracht zieht, den 310 Auch H EGERMANN, Hebräer, 134, erkennt richtig, dass ἀνακαινίζειν nicht Lehrer zum Subjekt hätte, sondern dass damit „ein göttlich-schöpferisches Tun ausgesagt sei.“ Der Einwand richtet sich wohl gegen MICHEL, Hebräer, 243. 311 H JALMAR FRISK, Griechisches etymologisches Wörterbuch, 3 Bände, Heidelberg 1960–1972, s.v. καινός, 1:754. 312 PASSOW, Handwörterbuch, 1,2:1541.
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Glauben an Gott und eine Abkehr von toten Werken als hypothetische Themen seiner Ausführung zu nennen, wenn er sich an jüdische Adressaten richtet. Es könnte sich freilich um eine Hyperbel handeln, wie auch die Gabe von Milch im Satz davor (Hebr 5,14) metaphorisch, aber zugleich auch hyperbolisch gemeint ist. AuctHebr könnte mit dieser Überspitzung provozieren wollen, indem er ihnen vorwirft: Man müsste bei Euch Adressaten eigentlich ganz bei null anfangen. Andererseits ist trotz alledem aber auch zu bedenken: Fehlender Gottesglaube und tote Werke müssen nicht notwendigerweise auf ein heidnisches Milieu und auf die Zeit vor dem Glauben an den einen Gott hinweisen. So wurde doch besonders den Vätern in der Wüste laut Hebr 3,19 die ἀπιστία zum Verhängnis. Nicht wenigen unter dem Volk hat der Ungehorsam gegen Gott und der Abfall von ihm den Tod gebracht (Hebr 3,17). Und man bedenke zudem, dass nach Hebr 9,14 auch Jesu Opfergabe die Gewissen von den toten Werken reinigt. Diese betreffen also das Innere des Menschen. Die μετάνοια hat folglich ihren Ort im Gewissen und im Herzen, da, wo auch die Reinigung durch Jesu Opfergabe stattfindet. Die Befreiung von diesen toten Werken ermöglicht es, sich Gott zu nahen und ihm zu dienen. So sind auch die toten Werke in Hebr 6,6 als solche Werke zu verstehen, die zum Tod oder zur Todesstrafe führen. Es sei dazu insbesondere auf Hebr 10,28f. verwiesen, wo es heißt, dass diejenigen, die das Gesetz Moses verworfen hätten, die Todesstrafe erlitten hätten. Noch größer sei darum die Strafe für den, der den Sohn Gottes und das Blut der διαθήκη missachte. Die μετάνοια ἀπὸ νεκρῶν wie auch der Glaube an Gott dürfen also innerjüdisch als entscheidende religiöse Grundlagen verstanden werden, die man, gerade unter Bedrängnissen, stets einschärfen muss. Abkehr von Gott heißt immer Zuwendung zur Sünde. Die Tatsache, dass solche Apostasie von den Vätern vollzogen und böse geahndet worden ist, legitimiert umgekehrt, jederzeit zum Glauben und zur μετάνοια zu ermahnen, falls diese Gefahr neuerlich droht. Die Gewissen sind zwar von den toten Werken gereinigt, aber das heißt nicht, dass man sich ihnen nicht wieder zuwenden könnte. Die Belegstelle für μετάνοια in Hebr 12,17 gehört in den Kontext der EsauErzählung. Esau, von AuctHebr als Hurer und Unheiliger bezeichnet, habe sein Erstgeburtsrecht verkauft (Hebr 12,16).313 Zu spät habe Esau seine Tat bereut und es habe keine Möglichkeit mehr zur μετάνοια gegeben (Hebr 12,17). Diese Erzählung ist als Gleichnis auf die Adressaten hin zu deuten. Sie sollen der Sünde bis aufs Blut widerstehen (Hebr 12,4), nicht wie Esau der Versuchung des schnellen, aber falschen Glückes erlegen. Das Elend, das sie erleiden, sollen sie als Erziehungsmaßnamen Gottes verstehen, die die Gotteskindschaft Zu Esau als Typus des Undisziplinierten in jüdischer Tradition vgl. MATTHEW THIES„Hebrews 12.5–13, the Wilderness Period, and Israel’s Discipline,“ NTS 55 (2009), 366–379: 376. 313
SEN,
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
nicht nur nicht ausschließt, sondern sogar belegt (Hebr 12,5–8). Der Gottgehorsam führt zum Leben, Gottes Züchtigung bringt Gerechtigkeit (Hebr 12,9– 11). Die Adressaten sollen Geduld beweisen, Frieden erstreben und die Heiligung nicht fahrenlassen (Hebr 12,14), die Grundvoraussetzung ist, um zum Ort der Gottespräsenz zu gelangen; sie sollen ihr eigenes, ewiges Erbe (vgl. Hebr 9,15) nicht verspielen. Wenn man es nun zuließe, dass man durch eine „Wurzel der Bitterkeit“ verunreinigt würde, hätte man, wie Esau, keine Möglichkeit mehr zur μετάνοια. Mit Blick auf den Kampf gegen die Sünde (Hebr 12,4), auf das Jagen nach der Heiligung (Hebr 12,14) und auf die Charakterisierung Esaus als Hurer und Gottloser/Unheiliger (Hebr 12,16) ist die mögliche Verunreinigung durch die Wurzel der Bitterkeit als eine Verunreinigung durch die Sünde, das heißt insbesondere die Kardinalsünde der Abkehr von Gott, zu interpretieren. Auch in Hebr 12,24f. sind Blut der Besprengung – stellvertretend für die geschehene Reinigung und Heiligung – und mögliche Apostasie miteinander verknüpft. Ich darf folglich darauf aufmerksam machen, dass wir alles in allem auch hier den gedanklichen Dreischritt vorliegen haben, wie ich ihn oben für Hebr 6,4–6 und 10,26 belegt habe. Die Tabelle ist also um Hebr 12,14–17 zu ergänzen:
10,26
6,4–6
12,14–17
a μετὰ τὸ λαβεῖν τὴν ἐπίγνωσιν τῆς ἀληθείας, ἅπαξ φωτισθέντας […] καὶ μετόχους […] πνεύματος ἁγίου (4–5)
b Ἑκουσίως γὰρ ἁμαρτανόντων
c οὐκέτι περὶ ἁμαρτιῶν ἀπολείπεται θυσία
[…] καὶ παραπεσόντας […]
Εἰρήνην διώκετε […] καὶ τὸν ἁγιασμόν, οὗ χωρὶς οὐδεὶς ὄψεται τὸν κύριον, (12,14)
[…] μή τις ῥίζα πικρίας ἄνω φύουσα ἐνοχλῇ καὶ δι’ αὐτῆς μιανθῶσιν πολλοί […] (12,15)
(ἀδύνατον) […] πάλιν ἀνακαινίζειν εἰς μετάνοιαν ἀνασταυροῦντας ἑαυτοῖς τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ […] μετανοίας γὰρ τόπον οὐχ εὗρεν
Was bedeutet der Befund für Hebr 6,6? Unser Autor schildert die hypothetische Situation, dass ehemals Glaubende ihrer gewonnenen Heilsgüter verlustig gehen. Es geht um die Frage: Können sich diese Menschen noch einmal bekehren oder haben sie ihr Heil verspielt? Dazu fällt die parallele Bildung von ἀνακαινίζω und ἀνασταυρόω auf. Bei ἀνασταυρόω könnte das Präfix ἀνά- die Erhöhung ans Kreuz ausdrücken. Dann wäre das Kompositum aber annähernd synonym zum Simplex zu verstehen, da es dem Autor auf eine „Erhöhung“ ans Kreuz keineswegs ankommen kann. Nicht selten sieht man daher im Präfix
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
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eine Wiederholung angezeigt und übersetzt mit ‚wieder kreuzigen.‘314 Es drückte damit verstärkt die Unmöglichkeit dieser Tat aus. Die Einmaligkeit des Sterbens schließt ein mehrfaches Kreuzigen aus. Lateinisch am besten ausgedrückt durch das strikte impossibile est (Χ, J und V), nicht durch abgeschwächtes difficile est (D). Dass Jesus nicht oftmals leiden müsse und dass seine Darbringung, nicht zuletzt aufgrund der Sterblichkeit, nur eine einmalige sein kann, ist auch andernorts im Hebräerbrief Thema.315 Das Verbum ἀνακαινίζω ist nun mit dem gleichen Präfix versehen. Zusätzlich geht ihm ein πάλιν voraus. Da καινίζω „erneuern“ oder „weihen“ heißt, wirkt das Präfix intensivierend, wenn eine Wiederholung der Erneuerung zur Grundbedeutung hinzutritt: „Wiedererneuerung.“ Obwohl aufgrund des vorausgehenden πάλιν ein gewisser Pleonasmus vorliegt, ist zu beachten, dass ἀνασταυρόω und ἀνακαινίζω identisch gebildet und damit eng verknüpft sind. Vieles spricht dafür, dass der Gedanke der Wiederholung auch durch die Vorsilbe evident ist. Aber selbst, wenn dies nicht der Fall sein sollte, wäre noch immer das πάλιν auf beide Partizipien zu beziehen, so wie auch das korrespondierende ἅπαξ in Hebr 6,4 auf alle ihm folgenden Partizipien zu beziehen ist. Kern der Argumentation ist daher, dass „to renew
314 So übersetzt etwa O’B RIEN, Hebrews, 226, „‚crucify again‘ […]. The immediate context and the later argument (9,25–28) favour this meaning […] For our author, who insists on the uniqueness of Christ’s sacrifice, to speak of recrucifying him would be a dreadful paradox.“ Anders GRÄßER, Hebräer, 1:356. Das Präfix ἀνά- könne keine Wiederholung ausdrücken. Ebenso BRAUN, Hebräer, 168f., der meint, als guter Stilist, hätte AuctHebr wissen müssen, „daß ἀνασταυροῦν nicht die Wiederholung mein[e].“ Dass die alten Übersetzungen von einer erneuten Kreuzigung sprechen, sei nach Braun theologisch motiviert. Auffällig ist aber doch, dass es innerhalb der Texttraditionen der Vetus Latina zwar voneinander offensichtlich unabhängige Varianten, aber dennoch keine inhaltlichen Unterschiede gibt (z.B. recruciantes in eis; rursus/iterum crucifigentes sibimet ipsis; denuo configentes a se ipsis cruci). Interessant ist insbesondere die älteste lateinische Texttradition der Stelle (X), die mit refigentes cruci in semet ipsos filium dei übersetzt. Das Verbum refigo heißt nun klassisch genau und ausschließlich das Gegenteil dessen, was man für unsere Textstelle erwartete, nämlich: „losmachen,“ das ist in dieser Bedeutung etwa bei Cicero belegt (Objekte sind tabulas, signa templis etc.). Vgl. GEORGES, Handwörterbuch, 4097; Lewis/Short, Dictionary, 1546; OLD, 1595f. Man erwartete aber den Ablativus separativus, der angäbe, wovon man etwas losmacht, nicht wie an unserer Stelle den Dativ. Die andere Möglichkeit scheint daher wahrscheinlicher zu sein, dass nämlich der Übersetzer die Vorlage etymologisch wiedergeben wollte. Das Verbum figo heißt ‚anschlagen‘ und ist bereits klassisch für das Kreuzigen verwendet. Die Konstruktion stimmte dann ebenfalls (Vergil: corpus in crucem/ Cicero: aliquem cruci). So fasst etwa SOUTER, Glossary, 345 das Verb unter der Bedeutung „fix again“ und hat auch – kaum verwunderlich – als älteste Belegstelle Hebr 6,6 und weiter bloß dessen Zitat bei Tertullian angegeben. Wenn es korrekt ist, dass hier etymologisch übersetzt sein will, ist bezeichnend, dass sich der Übersetzer für das Präfix re- entscheidet. 315 Hebr 9,26.27f.; 10,10.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
to repentance again is impossible because the decisive moment of conversion cannot be repeated.“316 Meist wird von Kommentatoren angeführt, dass diejenigen, die die Erkenntnis und die Gaben fahren ließen, den Tod Jesu nicht als gültiges Heilsgeschehen akzeptierten. Dadurch würde Jesu heilswirksamer Kreuzestod zu einem profanen Geschehen abgewertet und zur Strafe eines gewöhnlichen Verbrechers erklärt.317 Die Abgefallenen träten „auf die Seite derer, die Christus beseitigt“318 hätten. Das wiederum sei der Grund dafür, dass es für diese Menschen keine Erneuerung zur Buße gebe. Jedoch drückt sich AuctHebr allzu konkret aus, wenn er sagt, die Abgefallenen kreuzigten Jesus. Er gibt selbst keinen Hinweis, dass er dieses Kreuzigen übertragen als ein Umdeuten des Geschehenen verstehen will. Man erwartete doch wenigstens ein ὡς. Zudem erscheint das ἑαυτοῖς – bei genannter Auslegung als Dativus incommodi zu verstehen – allzu komplex. Es hieße, dass sich die Heilsleugner zu ihren eigenen Ungunsten auf die Seite einer implizit mitzudenkenden Gruppe von Personen schlügen, die Christus tatsächlich gekreuzigt hatten. Nirgends im 316 THOMPSON, Hebrews, 134, ebenfalls unter Verweis auf die Sachparallele in Hebr 10,26–31. Allerdings bezieht er bei seinen Erläuterungen zu Hebr 6,6 den „decisive moment“ nicht auf das Heilsgeschehen und damit nicht auf das hohepriesterliche Opfer, obwohl er die Einmaligkeit der Erleuchtung mit dem Argument der Einmaligkeit des Todes Jesu stützt (a.a.O., 133): „At the head of the list is the memory that they were once enlightened. Here, for the first time in this homily, the author emphasizes the singularity of the event by the use of ‚once‘ (hapax), a theme that will be central to the argument (9:7, 26, 27, 28; 10:2; 12:26; cf. ephapax, 7:27; 9:12; 10:10). Just as the saving significance of Jesusʼ death is ‚once for all,‘ so also believers have been ‚once enlightened‘ at their conversion.“ Das Argument leuchtet aber nur dann ein, wenn eine unmittelbare Verbindung zwischen der Erleuchtung und der Darbringung Jesu besteht. Daher kam häufig das Konzept der Taufe als Brücke ins Spiel, die als Aneignung des Jesusheiles zu verstehen ist und wegen des dahinterstehenden einmaligen Heilsereignisses nur einmalig sein kann. Warum die Symbolhandlung aber nicht wiederholt werden können soll, ist mir nicht einsichtig. Vielmehr ist doch zu vermuten, dass AuctHebr das tatsächliche Ereignis des Todes und damit des reinigenden Opfers mit der Erleuchtung verbunden sieht. Nachdem das Heilsereignis in der Vergangenheit liegt, darf die Kardinalsünde der Apostasie nicht mehr vorkommen, weil es dann keine Rettung mehr geben kann. AuctHebr erwähnt keine Riten oder Sakramente, nicht Taufe noch Herrenmahl. Ob solche in seiner Gemeinde begangen wurden, ist uns nicht bekannt, wenn es auch nicht unwahrscheinlich scheint. 317 Vgl. M OORE, Repetition, 137f.: Die Apostasie setze Christus ein zweites Mal der Schmach des Kreuzes aus, zudem werde die Effizienz dieses Geschehens für nichtig erklärt. So etwa auch PETER S. PERRY, „Making Fear Personal: Hebrews 5.11–6.12 and the Argument from Shame,“ JSNT 32/1 (2009), 99–125: 109f.: „By falling away, they are rejecting these gifts, re-crucifying and shaming the Son of God (6.6)“ (vgl. a.a.O. 106.114.117). Vgl. auch IUTISONE SALEVAO, Legitimation in the Letter to the Hebrews. The Construction and Maintenance of a Symbolic Universe, JSNTSup 219, London 2002, 287 et passim. 318 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 235.
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
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Hebräerbrief wird aber überhaupt erwähnt, dass es Menschen gäbe, die am Kreuzestod Jesu eine eigene Schuld trügen, oder sogar, dass ihnen diese aufgeladene Schuld zum Verhängnis geworden wäre. Im Gegenteil: Der Tod Jesu ist für AuctHebr Angelpunkt des Heilsgeschehens. „[E]l hombre pecador necesitaba una refundición completa de su ser [ausgedrückt in Hebr 6,6 durch ἀνακαινίζειν εἰς μετάνοιαν], que no podía realizarse más que a través de la muerte.“319 Er hat folglich kein Interesse an der historischen Schuld und an möglichen Übeltätern,320 denn die Leiden Jesu sind nach dem Hebr von Gott selbst nicht nur gewollt (Hebr 10,9), sondern auch ausgeführt (Hebr 2,10), sie sind Gnade für uns (Hebr 2,9) und Kennzeichen wahrer Sohnschaft (Hebr 5,8 mit 12,6–8).321 Stoßrichtung der Argumentation ist also die: Wenn man jenes Heil verspielt, das einem durch Gottes Gnade unter Lebenseinsatz Jesu zugekommen ist, gibt es keine Möglichkeit, selbst tätig zu werden, um so den Heilszustand wiederherzustellen. Man kann den Zugang zu Gott nicht aus eigener Kraft zurückgewinnen.322 „The claim that those who have ‚once (ἅπαξ) been enlightened‘ cannot be restored to repentance (6.4) is consistent with the logic of the author’s argument in the central theological section in 7.1–10.18. Inasmuch as the
Albert Vanhoye, El Mensaje de la Carta a los Hebreos, Estella (Navarra) 21980, 56. Aufschluss über die Frage nach der historischen Schuld am Tod Jesu gibt Hebr 12,24. Abels Blut bewirke – so EBERHART, Kultmetaphorik, 154 – Rache und Vergeltung. Wenn es heißt, Jesu Blut rede besser als das unheilbringende Blut des Märtyrers, werde deutlich, „dass der Autor des Hebräerbriefes Jesu Tod nicht im Rahmen der martyriologischen Tradition als ungerechtfertigte Exekution oder als Mord an einem Unschuldigen mit entsprechender Unheilswirkung deutet, sondern – losgelöst von den geschichtlichen Fakten – nach anderen, nämlich heilsgeschichtlichen Interpretationskategorien.“ 321 Auch die ἁμαρτωλοί und ἐχθροί, von denen AuctHebr hier und da spricht, kommen daher nicht infrage, weil Personen gemeint sind, die dem hohepriesterlichen Wirken im Wege stehen wollen (vgl. GRÄßER, Hebräer, 2:68; 3:245). 322 Ἀδύνατον ist also eine grundsätzliche Aussage. Es ist unmöglich das Heilsgeschehen zu wiederholen. Es ist nicht etwa gemeint, was CASEY W. DAVIS, „Hebrews 6:4–6 From an Oral Critical Perspective,“ JETS 51/4 (2008), 753–767: 767 annimmt, dass es nämlich dem Verfasser des Hebräerbriefes unmöglich sei, durch die Lehre der Anfangsgründe die Gelegenheit zur Umkehr zu schaffen. Er habe es auch nicht nötig gehabt, „because their situation was not ‚unrepentable.‘ It was simply not something he could fix for them.“ Ob es Gott selbst möglich wäre, Apostaten erneut in den Heilszustand zu versetzen, wird vom AuctHebr nicht explizit besprochen. Aber nicht selten gibt er zu bedenken, dass das Opfer des himmlischen Hohepriesters einmalig ist. Ein zweites Heilsereignis kennt er nicht. Im Gegenteil: Für den, der mutwillig sündigt, gibt es kein Opfer mehr. Das klingt endgültig und ist bis auf Weiteres so gemeint. Der Autor setzte sich zur Wehr, wenn man das durch Jesus gestiftete Heil und die neue διαθήκη nicht mit dem nötigen Ernst betrachtete, und sich aufs Geratewohl mögliche künftige Gnadengaben Gottes verspräche. 319
320
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Christ event is ἐφάπαξ the salvation event is unrepeatable (ἅπαξ) for believers, for whom ‚there is no more sacrifice for sins‘ (10.26).“323 Wie fügt sich die Aussage über das παραδειγματίζειν ein? Üblicherweise wird das Wort im Sinne von „zum Gespött machen“ oder „der öffentlichen Schande preisgeben“ verstanden. Diese Bedeutung leitet sich davon her, dass man es ursprünglich so verstand, dass man jemanden „zum παράδειγμα, d.h. zum (warnenden) Beispiel“324 machte, an jemandem also ein „Exempel statuierte.“ Solcher Gedanke der öffentlichen Beschämung wäre dem Hebräerbrief zugegebenermaßen nicht fremd. Dass Jesus durch die Kreuzigung Schmach (αἰσχύνη, Hebr 12,2) erleiden musste, ist dem Autor wichtig. So läge es durchaus im Bereich des Möglichen, dass AuctHebr auf diesem Weg betonen möchte, der Gedanke eines wiederholten Opfers führte dazu, dass man obendrein das tatsächliche und einmalige Heil verspotte. Dann wäre der Gedanke mit dem in Hebr 10,28 vergleichbar. Denn dort heißt es, die Missachtung des mosaischen Gesetzes führe zum Tod. Und noch härtere Strafe verdiene, wer den Gottessohn mit Füßen trete und das Bundesblut, durch das er geheiligt worden sei, für profan halte. Und das gilt ja dem Hebräerbrief auch als die größte Sünde, dass man nämlich von Gott und von Christus abfalle. So könnte man für unsere Stelle vermuten, AuctHebr kennzeichne jene hypothetische Meinung, dass man sein Heil selbst wieder herstellen könne, als absurd, indem er sagt, dass man dazu einerseits den Sohn erneut kreuzigen müsste, was natürlich unmöglich ist, und dass man andererseits sogar das eigentliche einmalige und unwiederholbare Heilsgeschehen profanierte. Was an dieser Interpretation störend wirkt, ist, dass die eigentliche Kreuzigung Jesu in jedem Fall der Vergangenheit angehört und das Exempel damit bereits statuiert ist. Eine echte Wiederholung der Kreuzigung des Gottessohnes ist ohnehin unmöglich. Darauf kommt es AuctHebr gerade an. Warum sollte er von einer hypothetischen zweiten Kreuzigung ausgehend wiederum eine hypothetische Verspottung Jesu einführen? Das Verbum παραδειγματίζω ist in unserem Kontext nicht eben leicht zu verstehen. Schon die altlateinischen Übersetzer haben sich bei der Wiedergabe sehr schwergetan. Es gibt daher verhältnismäßig viele unterschiedliche Übersetzungsversuche für das Partizip παραδειγματίζοντας, fast alle sind 323 THOMPSON, „EPHAPAX,“ 571. Ähnlich schon SODEN, Hebräerbrief, 51: „Nicht für die übrigen, nicht an sich, aber für ihre Person kreuzigen sie Christus wieder; weil damit Christus für sie nicht mehr vorhanden ist, ist ein πάλιν ἀνακ. unmöglich gemacht.“ Vgl. auch LEOPOLD SABOURIN, „‚Crucifying Afresh for Oneʼs Repentance‘ (Heb 6:4–6),“ BTB 6/2–3 (1976), 264–271: 267: „The author of Hebrews would thus declare: It is not possible to crucify afresh with a view to oneʼs repentance, for the purpose of restoring). He of course knows that the Christian re-birth is founded on the Cross, but the crucifixion cannot be repeated, since Christʼs sacrifice wes [sic!] offered once-for-all (9:28).“ 324 Vgl. etwa PASSOW, Handwörterbuch, 677.
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
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interpretierende Wiedergaben, nur in A findet sich die etymologische Übersetzung exemplantes.325 Der Belege in der Septuaginta sind es sechs. Davon bewegen sich fünf im Kontext der Bestrafung (Num 25,4; Esther 14,11; PsSal 2,12; Ez 28,17; Dan 2,5). Auffällig ist, dass es an jeder dieser Stellen nicht um eine bloße Zurschaustellung geht, sondern dass das Verbum παραδειγματίζω offenbar stets den Präzedenzfall, im Besonderen die exemplarische Bestrafung bezeichnet: Wer sich wie die schon Bestraften verhält, hat mit der gleichen Bestrafung zu rechnen.326 Solches Verständnis ist jedoch für den Hebräerbrief nicht naheliegend. Wenn man den Gottessohn zum Strafbeispiel machte, wer sollte dann die gleiche Strafe bekommen? Eventuell ist eine andere Interpretation möglich, wenn man sich von der Grundbedeutung des παραδειγματίζω her annähert. Die Abgefallenen können nicht zur Umkehr erneuert werden, indem sie den Gottessohn wieder kreuzigen und so zum παράδειγμα machen. Das Substantiv παράδειγμα heißt unter anderem „Beispiel,“ „Muster,“ „Vorbild,“327 und damit kann es verstanden werden als der/die/das Erste einer Reihe. Dieser Gebrauch ist etwa bei Philon vorfindlich, der sagt, ὅτι μίμημα καλὸν οὐκ ἄν ποτε γένοιτο δίχα καλοῦ παραδείγματος (dass es keine gute Kopie gibt, ohne gute Vorlage).328 Das hieße dann, dass der Versuch, die betont einmalige Kreuzigung für die eigene Person zu wiederholen, dazu führte, dass man den Tod Jesu zur bloßen Schablone für künftige „Kopien“ degradierte. Ein solches Verständnis fügte sich gut in den Zusammenhang ein, wo AuctHebr doch die Einmaligkeit (ἅπαξ: 325 Diese sind: X: dedecorantes (schänden/ entehren); D: propalantes (offenbar machen); publicantes (öffentlich bekanntmachen); ostentatione triumphantes (durch Zurschaustellung triumphieren); J/V: ostentui habentes (zum Vorzeigen besitzen). A: exemplantes (laut NIERMEYER, Lexicon, 391, in den Bedeutungen „to copy“ und „to draft.“ SOUTER, Glossary, 136, kennt zusätzlich „show by example,“ und „give as an example“). Am Befund zur Vetus Latina wird deutlich, dass die heute weit verbreitete Wiedergabe des παραδειγματίζω als „verspotten“ für die lateinischen Übersetzer nicht nahelag. Am nächsten kommt ihr das verhältnismäßig alte, aber seltene dedecoro, das ebenfalls deutlich pejorativen Klang hat. Die Verben propalo und publico sind neutral, und exemplo ist die rein etymologische und ebenfalls unpassende Übersetzung. Die Vulgata-Version ostentui habentes geht wie die D-Variante ostentatione triumphantes in eine andere Richtung. Hier ist ausgedrückt, dass man den Gekreuzigten nicht aus innerer Überzeugung, sondern nur zum Vorzeigen besitze. Damit bedient sich diese Übersetzung eines semantischen Feldes, das παραδειγματίζω wohl ebenfalls abdeckt, das öffentliche Zur-Schau-Stellen. 326 Lediglich an der einzigen weiteren Stelle im NT, Mt 1,19 (παραδειγματισαι), wäre das nicht der Fall. Allerdings ist dieser Beleg – vielleicht sogar deshalb – textkritisch fraglich. Die bessere Bezeugung findet sich auf Seiten der Lesart δειγματίσαι. 327 Vgl. PASSOW, Handwörterbuch, 677. 328 Philon, Op. 16; vgl. auch Post. 31 et passim, freilich stets unter platonischem Spracheinfluss.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Hebr 6,4; 9,26.27.28; ἐφάπαξ: Hebr 7,27; 9,12; 10,10) und Unwiederholbarkeit (Hebr 6,4–6; 9,25f.; 10,11) des Ereignisses so stark betont.329 4.2 Hebr 12,2 Hebr 12,2 bildet den Abschluss der Rede von der sogenannten „Wolke der Zeugen.“ Indem sich die Zuhörer über die alttestamentlichen Glaubensbeispiele hinaus das Vorbild Jesu vor Augen führen, sollen sie in den Stand versetzt werden, ihre eigene Bürde zu tragen. Diese Stelle ist damit der paränetischen Rede zuzuordnen. Über ein theologisches oder christologisches Konzept findet sich demgemäß keine unmittelbare Aussage. Es handelt sich um eine kurze Zusammenfassung des vorbildlichen Lebensweges Jesu, der in der Kreuzesschmach gipfelt und schließlich mit dem Setzen zur Rechten des Thrones Gottes zum Abschluss kommt. Zur Interpretation des Todes Jesu im Hebräerbrief kann die Stelle dennoch beitragen, und zwar aufgrund ihres Aufbaus, der nachweislich mit vier anderen Versen des Briefes parallel läuft.330 Dem Gedanken des Sich-zur-Rechten-Setzens (B) stellt der Autor des Hebräerbriefes in drei von vier Fällen eine Handlung Jesu voran. Etwas anders verhält es sich in Hebr 8,1, wo er gewissermaßen als Bekenntnis ἔχομεν ἀρχιερέα als Einstieg wählt (A). a) 1,3
b) 10,12
c) 12,2
A καθαρισμὸν τῶν ἁμαρτιῶν ποιησάμενος … er hat die Reinigung von den Sünden bewirkt οὗτος δὲ μίαν ὑπὲρ ἁμαρτιῶν προσενέγκας θυσίαν Dieser aber hat ein einziges Opfer für Sünden dargebracht ὃς ἀντὶ τῆς προκειμένης αὐτῷ χαρᾶς ὑπέμεινεν σταυρὸν αἰσχύνης καταφρονήσας … der um der vor ihm liegenden Freude willen die Schande nicht achtete und das Kreuz erduldete
B ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τῆς μεγαλωσύνης ἐν ὑψηλοῖς und sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt εἰς τὸ διηνεκὲς ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ und sich für immer zur Rechten Gottes gesetzt ἐν δεξιᾷ τε τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ κεκάθικεν und sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat
329 Ob es für diese Aussage einen Sitz im Leben geben könnte, ist ungewiss. Nicht auszuschließen wäre aber, dass er sich gegen eine opfertheologische Auslegung des Abendmahls zur Wehr setzt. Das muss aber Spekulation bleiben. 330 H OFIUS, Christushymnus, 85, findet bereits in Hebr 1,3 eine Anspielung auf den Tod Jesu. Er merkt an, dass in den ersten Versen des Briefes die Inkarnation zwar unerwähnt bleibe, dass aber stattdessen mit dem Vers 1,3c „allein das Kreuzesgeschehen herausgehoben“ werde. Dies insofern als die Reinigung (καθαρισμός) auf den Kreuzestod Jesu hinweise. Diese Deutung betrachtet Hofius unter Einbeziehung der Verse 10,12f. und 12,2 als gesichert (ebd.).
4. Der Kreuzestod im Hebräerbrief
d) 8,1
τοιοῦτον ἔχομεν ἀρχιερέα
Wir haben einen solchen Hohepriester,
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ὃς ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τοῦ θρόνου τῆς μεγαλωσύνης ἐν τοῖς οὐρανοῖς der sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones der Majestät in den Himmeln
Die B-Teile entsprechen sich offensichtlich in der Grundaussage. Unterschiedlich ist dort lediglich die Bezeichnung für Gott. Identisch sind sowohl das verwendete Prädikat (καθίζω), der Ort (ἐν δεξιᾷ) sowie die Konstruktion des an ἐν δεξιᾷ angeschlossenen Genitivs. Inspiriert sind diese Aussagen freilich von Ps 109,1 LXX, der in Hebr 1,13 wörtlich zitiert wird. Damit erfolgt also die Hoheitsaussage, dass sich nämlich Christus zur Rechten Gottes gesetzt hat, a) nachdem er die Reinigung der Sünden vollbracht hat (1,3), b) nachdem er ein Opfer für die Sünden dargebracht hat (10,12) und c) nachdem er das Kreuz erduldet hat (12,2). Im letzten Fall d) wird eine Charakterisierung vorgenommen. Der Hohepriester, den wir haben, ist aufgrund seiner ewigen Vollendung (Hebr 7,28) so beschaffen, dass er sich zur Rechten gesetzt hat. Die Verse Hebr 1,3 und 10,12 beschreiben inhaltlich unzweifelhaft dieselbe Tat Jesu. Beide Male werden die Sünden explizit genannt, derer durch Reinigung beziehungsweise durch das Opfer Einhalt geboten wird. Damit geht also der himmlischen Thronbesteigung die hohepriesterliche Heilstat Jesu chronologisch voraus. Dass AuctHebr in 12,2 mittels einer gleichen syntaktischen Verbindung das Setzen zur Rechten mit dem Kreuzestod verbinden kann, legt nun die Deutung nahe, dass das Opfer Jesu mit dem schmachvollen Tod am Kreuz zusammenfällt.331 Neutestamentliche Vergleichsstellen Dass das Setzen zur Rechten im direkten Anschluss an das irdische Dasein Jesu stattfindet und mit der Erhöhung in den Himmel identifiziert wurde, findet in der neutestamentlichen Literatur durchaus Parallelen. So sind etwa in Apg 2,34f. Himmelfahrt und himmlische Thronbesteigung gleichzusetzen. Wenn dort David und Jesus miteinander verglichen werden, heißt es, „nicht David [sei] in die Himmel hinaufgestiegen. Er (sc. David) sagt aber selbst: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege!“ Durch das Zitat von
Vgl. H-J. WEIß, Hebräer, 149, im Zusammenhang mit der Auslegung von 1,3: „Entspricht solche syntaktische Verbindung den entsprechenden Formulierungen in 10,12 […] und 12,2 […], so wird auf diese Weise in sachlicher Hinsicht die für Hebr insgesamt entscheidende Einheit des Heilsgeschehens von (Opfer-)Tod und Erhöhung zur Aussage gebracht.“ 331
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Ps 109 LXX wird Jesus Christus als derjenige ausgewiesen, der im Unterschied zu David tatsächlich in den Himmel emporgestiegen ist. David selbst hat dies in Form des Psalms vorhergesagt und wird damit in seiner prophetischen Funktion als Autorität herangezogen. Auch etwa im sekundären Schluss des Markusevangeliums (Mk 16,19) werden der Aufstieg des Auferstandenen in den Himmel und das Sich-zur-Rechten-Setzen als eine einzige zusammenhängende Handlung beschrieben.332 Gleiches gilt für den Epheserbrief (Eph 1,20: … und er hat ihn aus den Toten auferweckt und zu seiner Rechten in den Himmeln gesetzt). Der Gedanke wird dann auf spiritueller Ebene auf die Gemeinde übertragen, wo ebenfalls Auferweckung und Sitzen im Himmel gemeinsam zu betrachten sind: „Er hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den Himmeln in Christus Jesus“ (Eph 2,6). Interessant ist, dass hier wie im Hebräerbrief, nicht von einem irdischen Aufenthalt des Auferstandenen gesprochen wird, auch wenn in Eph 2,6 von der Auferweckung als solcher noch die Rede ist. Die Johannesoffenbarung verquickt die beiden Gedanken noch intensiver: „Wer da siegt, dem werde ich gestatten, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich gesiegt und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe“ (Offb 3,21). Martin Karrer betont zu Recht, dass mit dem Sieg konkret die Überwindung des Todes gemeint sein muss.333 Damit scheint hier die Thronbesteigung unmittelbar auf den Tod Jesu zu folgen. Von einer Erdenzeit des Auferstanden wird nichts berichtet. Der erste Petrusbrief rechnet zwar mit einer posthumen Handlung Jesu, einer Hadespredigt (1Petr 3,19f.), aber sie muss man wohl zeitlich vor der Auferstehung verorten. Mit der Auferweckung spricht auch 1Petr direkt vom Gang in den Himmel und dem Zur-Rechten-Sein (1Petr 3,21f.). Wie könnte eine Chronologie des Ablaufs nach dem Hebräerbrief aussehen? 1) Nach Hebr 1,3 und 10,12 ist klar, dass die Opferdarbringung des himmlischen Hohepriesters vor dem Akt der Thronbesteigung stattfindet. Nachdem Jesus von den Sünden gereinigt beziehungsweise für die Sünden geopfert hat, hat er sich zur Rechten Gottes gesetzt.334 Auch, dass vom himmlischen Hohepriester dieses „Sitzen“ ausgesagt wird, und zwar im Gegensatz zum Stehen des irdischen Hohepriesters (Hebr 10,11), ist immer wieder bemerkt worden. Man hat es stets so gedeutet, dass dessen einmalige Opferhandlung zu einem endgültigen Abschluss gekommen ist.335
332 „Der Herr wurde nun, nachdem er mit ihnen geredet hatte, in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes“ (Mk 16,19). 333 M ARTIN K ARRER, Johannesoffenbarung, Teilband 1, EKK 24, Göttingen 2017, 369. 334 Die Zitation von Ps 109 LXX in Hebr 1,13 kann kein Argument zur Chronologie bieten, da hier nur das Geheiß Gottes an den Sohn ergeht, er solle sich zu seiner Rechten setzen. Wann die eigentliche Handlung stattfindet, bleibt offen. 335 Vgl. R OSE, Hebräerbrief, 154.
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
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2) In Anbetracht der angeführten ntl. Vergleichsstellen ist anzunehmen, dass das Setzen zur Rechten weithin synonym zum Aufstieg und Eintritt in den Himmel geworden ist. Es gibt also sonst keinerlei himmlische Handlung vor der Thronbesteigung. Wenn aber der AuctHebr die hohepriesterliche Darbringung als Novum zwischen Tod am Kreuz und Setzen zur Rechten eigens eingeführt hätte, wäre es merkwürdig, dass er dann in 12,2 Jesu schmachvollen Kreuzestod und das Setzen zur Rechten erwähnt, die dazwischenliegende entscheidende Heilstat aber übergangen haben sollte.
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie 5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
5.1 Hebr 9,11–22: Die Identität von Blut und Tod Jesu Knut Backhaus bezeichnet nicht zu Unrecht Hebr 9,11–22 als „theologischen Höhepunkt des Hebr.“336 Hebr 9,15 bietet eine weitere Stelle, an der AuctHebr ausdrücklich von Jesu Tod spricht. Der Kontext ab 9,11 handelt von der Darbringung Jesu. Christus ist gekommen als Hohepriester der künftigen Güter, der in das Heiligtum kraft seines eigenen Blutes hineingegangen ist (9,11f.). Im darauffolgenden Vers wird die Wirkmacht des Blutes Christi mit dem der Tieropfer verglichen, mit dem Ergebnis, dass ersteres das Gewissen, letzteres jedoch nur das Fleisch reinigt (9,13f.). Mit καὶ διὰ τοῦτο wird nun Vers 15 angeschlossen. „Und darum ist er Mittler einer neuen Verfügung, damit die Berufenen, nachdem der Tod zur Erlösung von den Übertretungen innerhalb der ersten Verfügung geworden ist, die Zusage des ewigen Erbes empfangen sollen.“ Im Folgenden wenden wir uns zunächst den für das Verständnis von Vers 9,15 signifikanten Textstellen des vorausgehenden Kontextes zu. 5.1.1 Hebr 9,12 In Hebr 9,12 fällt das Präpositionalgefüge δι᾿ αἵματος ins Auge, das der Verfasser im Zusammenhang mit dem Eintritt ins Heiligtum gebraucht. Christus gehe διὰ τοῦ ἰδίου αἵματος ins Heiligtum hinein, nicht δι᾿ αἵματος τράγων.337 Die Aussage in Hebr 9,12 wird folglich als Abgrenzung der Kulthandlung Christi von den irdischen Kulthandlungen formuliert, denn Christus gehe nicht durch Tierblut ins Heiligtum ein. Das Blut von Böcken und Kälbern ist als Bestandteil der Opferdarbringung alter Ordnung genannt. Ist aber die BACKHAUS, Bund, 203. Das Christusgeschehen wird typologisch gegenübergestellt; in diesem Sinn etwa KARRER, Hebräer, 2:152. 336
337
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Präposition διά ebenfalls auf den irdischen Kult zu beziehen oder wird sie von der folgenden Aussage über Christus ausgelöst, der durch sein eigenes Blut eingetreten sei? Als eine mit Hebr 9,12 nahe verwandte und damit auch vergleichbare Textstelle lässt sich Hebr 9,25 nennen, wo AuctHebr über den Eintritt des irdischen Hohepriesters handelt. Hier gebraucht er jedoch die Präposition ἐν, um den Sachverhalt auszudrücken, der jenem scheinbar entspricht338 (ὁ ἀρχιερεὺς εἰσέρχεται εἰς τὰ ἅγια κατ᾿ ἐνιαυτὸν ἐν αἵματι ἀλλοτρίῳ). Diskutiert wird im Allgemeinen, ob διά modal339 (= mit/ unter Mitnahme von), instrumental340 (= mittels/ kraft/ durch) oder kausal341 (auf Grund von) zu bestimmen ist. Georg Gäbel versucht den Sinn der Präposition διά zu erschließen. Dass bei dem ersten διά, welches die Handlung des irdischen Hohepriesters beschreibt, die Bedeutung ‚mit‘ gültig sein müsse, sei „offenkundig.“342 Er stützt sich dabei auf andere Stellen innerhalb des Hebräerbriefes, wo der Eintritt des Hohepriesters ins Allerheiligste beschrieben ist. So etwa in Hebr 9,7.25 (er fragt also an dieser Stelle nicht, weshalb AuctHebr die Begrifflichkeit variiert). Dabei wendet sich Gäbel ausdrücklich gegen die in der Forschung teils vertretene Meinung, die Mitnahme von Blut sei einzig in Hebr 9,25 und dort nur vom irdischen Hohepriester ausgesagt. In Bezug auf Christus sei hingegen absichtlich διά mit Genitiv angewandt und sei instrumental wiederzugeben.343 Gäbel denkt aber vielmehr an eine Interpretation des διά, welche beides zugleich ausgesagt sein lässt, sowohl die schlichte Mitnahme des Blutes, als auch die instrumentale Bedeutung ‚kraft.‘344 Er meint in der für ihn zu bevorzugenden Wiedergabe „unter Mitnahme von“ klinge die instrumentale Sinnrichtung aber dennoch mit an. Jamieson spricht von einem ‚Eintrittsticket.‘345 In jedem Falle wird, das zeigt auch die Lösung Gäbels, durch die Verwendung von διά eine innere Abhängigkeit zwischen dem Blut und dem Eintritt ins Heiligtum anzunehmen sein.346 Ein modaler Gebrauch liegt im Hebr für διά 338 Etwa D ELITZSCH, Hebräer, 381, merkte jedoch an, der Gegensatz von χωρίς sei nicht διά sondern ἐν, was eher die Stellen Hebr 9,7 und 9,25 eint. 339 A TTRIDGE, Hebrews, 248, übersetzt mit „with,“ betont dabei aber, dass es metaphorisch zu verstehen sei und merkt vorsichtig an: „Yet the image should not be pressed.“ 340 D ELITZSCH, Hebräer, 381; LAUB, „Ein für allemal,“ 82; G RÄßER, Hebräer, 2:151; KARRER, Hebräer, 2:153. 341 STROBEL, Hebräer, 107. 342 G ÄBEL, Kulttheologie, 285. 343 G ÄBEL, Kulttheologie, 285. 344 G ÄBEL, Kulttheologie, 286. 345 JAMIESON, Jesusʼ Death, 160: „Blood is a condition of his entry – his ticket of admission.“ 346 Die altlateinischen Texttraditionen D, J, C, A, V setzen hier geschlossen per für διά ein (vgl. Frede, Hebraeos, 1395). Dieses wird nicht selten als Alternative zu einem Ablativus
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
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sonst nicht vor.347 An den meisten der insgesamt 38 Belegstellen hat διά instrumentalen Charakter. Von diesen Stellen sollen uns im Folgenden nur diejenigen vier näher interessieren, an denen die Präposition sogar mit dem von Jesus dargebrachten Opfer, seinem Tod oder seinem Blut verbunden steht. Hinsichtlich dieser vier Stellen ist eine sehr ähnliche Struktur vorfindlich: Zuerst wird mit der διά-Wendung das Heils-Mittel genannt und es ist in der Folge dann das Werk Christi erwähnt: 2,14: ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ τὸν τὸ κράτος ἔχοντα τοῦ θανάτου 9,26: νυνὶ δὲ ἅπαξ […] εἰς ἀθέτησιν τῆς ἁμαρτίας διὰ τῆς θυσίας αὐτοῦ πεφανέρωται 10,10: ἡγιασμένοι ἐσμὲν διὰ τῆς προσφορᾶς τοῦ σώματος Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐφάπαξ 13,12: ἵνα ἁγιάσῃ διὰ τοῦ ἰδίου αἵματος τὸν λαόν
Im Zusammenhang mit den Darbringungen des irdischen Hohepriesters taucht diese διά-Wendung interessanterweise nie auf. Infolgedessen ist unbedingt zu beachten, dass der sprachliche Hintergrund des Verses 9,12 an frühchristlichem Sprachgebrauch gemessen werden muss, nicht aber an seiner inhaltlichen Bezugsstelle, die uns im Alten Testament (Lev 16) begegnet.348 Dazu sei hier beispielsweise auf die semantische Verwandtschaft zu Eph 1,7 und Kol 1,20, denen auch die Wendung διὰ τοῦ αἵματος zur Verfügung steht, und auf Offb 12,11 (dort findet sich allerdings διά mit Akkusativ) hingewiesen.349
instrumentalis verwendet, bisweilen zwar auch im modalen Sinn, dann jedoch dem instrumentalen Gebrauch angenähert. Vgl. dazu HERMANN MENGE, Lehrbuch der lateinischen Syntax und Semantik. Völlig neu bearbeitet von Thorsten Burkard und Markus Schauer, Darmstadt ³2007, 261, §201, Nr. 19. 347 Von den insgesamt 38 Stellen, an denen die Präposition mit Genitiv Verwendung findet, ist eine modale Sinnrichtung meines Erachtens nur in einem einzigen Fall überhaupt möglich, aber nicht zwingend (Hebr 12,1: δι᾿ ὑπομονῆς τρέχωμεν τὸν προκείμενον ἡμῖν ἀγῶνα). Dem steht eine Vielzahl an Stellen gegenüber, bei denen eine instrumentale Verwendung feststellbar ist. Dies merkt auch BACKHAUS, Hebräerbrief, 318, an: Die beiden „Präpositionalwendungen (durch Tieropferblut, durch eigenes Blut), die sich ebenfalls auf das Prädikat ‚hineinschreiten‘ beziehen, haben dagegen eindeutig instrumentalen Charakter (‚kraft Blutes‘), der auch sonst im Hebr überwiegt.“ 348 So etwa R IBBENS, Sacrifice, 118, der den instrumentalen Gebrauch der Präposition nicht leugnet, sie aber um die modale Sinnrichtung erweitern will: „[A]lthough the διά in each instance functions instrumentally, the idea of with resonates and is connoted.“ Noch deutlicher sagt Ribbens für Hebr 9,25, dass das ἐν αἵματι ἀλλοτρίῳ auch für den Eintritt ins himmlische Allerheiligste eine Blutmitbringung impliziere. Dass dem nicht so ist, zeigt eindeutig der Blick auf Hebr 10,19, wo von der εἴσοδος τῶν ἁγίων ἐν τῷ αἵματι Ἰησοῦ der Gläubigen die Rede ist. Sie vermögen nicht mit dem Blut, sondern aufgrund des Blutes Jesu in das Heiligtum einzutreten. Auch ἐν wird häufig instrumental wie kausal gebraucht (BDR, 178, §219; K.-G. 2,1:464, §431,3) und darum kann und sollte das Blut jeweils als Mittel oder gar als Voraussetzung für den Zugang zu verstehen sein. 349 Nicht genannt sind hier die Stellen, an denen das Blut Jesu allgemein als Tod Jesu verstanden wird.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Im Kolosserbrief wird die Verbindung zwischen Blut und Kreuzestod explizit herausgestellt, indem ein erläuterndes Genitivattribut beigefügt wurde (εἰρηνοποιήσας διὰ τοῦ αἵματος τοῦ σταυροῦ αὐτοῦ). In Kol 1,22 folgt daneben auch der Ausdruck διὰ τοῦ θανάτου, der wie oben gezeigt, ebenfalls im Hebräerbrief Verwendung findet. Eine Übereinstimmung in der Beschreibung des Heilswerkes Christi zwischen Hebräer- und Kolosserbrief ist nicht ohne Weiteres gegeben.350 Der Epheserbrief hat wohl die größten semantischen wie inhaltlichen Übereinstimmungen mit dem Hebräerbrief zu bieten. In Eph 1,7 heißt es: Ἐν ᾧ ἔχομεν τὴν ἀπολύτρωσιν διὰ τοῦ αἵματος αὐτοῦ, τὴν ἄφεσιν τῶν παραπτωμάτων,351 κατὰ τὸ πλοῦτος τῆς χάριτος αὐτοῦ (In ihm haben wir die Erlösung kraft seines Blutes, die Wegnahme der Vergehen, wie sie dem Reichtum seiner [= Gottes oder Christi?]352 Gnade entspricht). Neben der Wendung διὰ τοῦ αἵματος αὐτοῦ ist auf die ἀπολύτρωσις als Ausdruck der Sündenvergebung, wie sie in Hebr 9,15 gebraucht wird, und desgleichen auf die ἄφεσις, die „ganz unpaulinisch“353 ist, sich aber in Hebr 9,22 und 10,18 findet, hinzuweisen. Nach dem Epheserbrief ist damit die Vergebung der Sünden „im Sterben Jesu geschehen […].“354 In der Johannesoffenbarung (Offb 12,11) gibt es ebenfalls die Kombination διά und αἷμα, jedoch schließt αἷμα hier im Akkusativ an. Die Stelle ist dennoch vergleichbar, da auch διά mit Akkusativ kausal verwendet werden kann; διά mit Genitiv bezeichnet bloß „die Wirksamkeit einer Sache oder Person unmittelbarer und stärker.“355 Interessant ist, dass laut Offenbarung der Sieg über den Ankläger (κατήγωρ)356 διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου errungen wird. Der junge 350 Nach Kol 1,20.22 wird das Heilswerk Jesu mit ἀποκαταλλάσσω (versöhnen) gekennzeichnet und nach Kol 1,22 zusätzlich mit der Infinitivkonstruktion παραστῆσαι ὑμᾶς ἁγίους καὶ ἀμώμους καὶ ἀνεγκλήτους κατενώπιον αὐτοῦ erweitert. Heiligkeit und Makellosigkeit sind zwar Kategorien, in denen AuctHebr denkt, er verbindet sie aber eben nicht mit dem üblicherweise profan gebrauchten ἀποκαταλλάσσω – es finden sich auch keine anderen Vertreter der Wortfamilie im Hebräerbrief –, das die Versöhnung zwischen verfeindeten Parteien bezeichnet. 351 Diese Stelle ist vom Autor des Epheserbriefes, dem der Kolosserbrief wohl als Vorlage diente, übernommen, allerdings mit einigen Änderungen versehen, etwa Einfügung des Blutes und Austauschen der Vokabel für die Verfehlungen (Kol 1,14). 352 G ERHARD SELLIN, Der Brief an die Epheser, KEK 8, Göttingen 2007, 99: „Ungewöhnlich ist, dass hier Christus Subjekt der Gnade ist.“ 353 SELLIN, Epheser, 98. 354 SELLIN, Epheser, 98. 355 K.-G., 2,1:485. 356 Üblicherweise bezeichnet κατήγορος im NT einen „menschlichen Ankläger vor menschlichem Gerichte.“ Nur die Johannesoffenbarung bezeichnet mit κατήγωρ den Teufel (Offb 12,10). Die Form ist vulgärgriechisch und/oder semitisierend. Das Fremdwort קטיגור bezeichnet in der rabbinischen Sprache den Teufel. Die Offb verwendet auch sonst Teufelsnamen jüdischer Herkunft (BÜCHSEL, ThWNT, 3:637).
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Widder/das Lamm357 steht freilich als Chiffre für Christus. Die metaphorische Redeweise vom Blut Jesu als dem Blut des jungen Widders ist durch die Annäherung an das Opferlamm am Passah verständlich. Möglicherweise wird überdies das Bild des Sühnewidders mit eingespielt.358 Es zeigt sich jedenfalls, dass sich der Verfasser der Offenbarung wie auch der AuctHebr innerhalb opfertheologischen Sprachgebrauchs bewegt, wenn auch nicht der Jom Kippur das Bezugssystem bildet. Spannend ist zudem, dass hier wie in Hebr 2,14 die Satansentmachtung eine Rolle spielt. Auch kennt die Johannesoffenbarung das himmlische Heiligtum.359 Die Reinigung mit dem Blut des jungen Stiers dient sogar der Kultbefähigung in Gottes Tempel.360 Diese Stellen belegen also meines Erachtens, dass der Verfasser des Hebräerbriefes, was den formelhaften Sprachgebrauch hinsichtlich des Blutes Christi anbetrifft, in einer frühchristlichen Tradition stand, die demjenigen der genannten Schriften sehr ähnelt.361 Im gesamten griechischsprachigen Alten Testament findet sich eine derartige Wendung indes nur innerhalb der Makkabäerbücher.362 Zum Problem der Wiedergabe des Begriffs s. KARRER, Johannesoffenbarung, 1:452. Trotz der Verwendung des Begriffs ἀρνίον, der keinen direkten Rückschluss auf die Passah-Tradition erlaubt, steht das Passahlamm dennoch Pate. Siehe KARRER, Johannesoffenbarung, 1:454. 359 Vgl. etwa Offb 15,5: ὁ ναὸς τῆς σκηνῆς τοῦ μαρτυρίου ἐν τῷ οὐρανῷ. 360 Vgl. Offb 7,14f.: καὶ ἔπλυναν τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου. (15) διὰ τοῦτό εἰσιν ἐνώπιον τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ καὶ λατρεύουσιν αὐτῷ ἡμέρας καὶ νυκτὸς ἐν τῷ ναῷ αὐτοῦ (Und sie haben ihre Gewänder gewaschen und gebleicht durch das Blut des jungen Stiers. Deshalb befinden sie sich vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel). 361 Die Abfassung aller drei Schriften könnte in eine ähnliche Zeit fallen, wie die Entstehung des Hebräerbriefes, je nachdem wie man letzteren datiert. Beispielsweise bei UDO SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 62007 werden als Entstehungszeiten der Briefe angegeben: Kol: 70 n.Chr.; Eph: 80–90 n.Chr.; Offb: 90–95 n.Chr.; Hebr: sehr späte Datierung mit dem Ende des 1. Jh. n.Chr., eine Frühdatierung wird vereinzelt in Betracht gezogen; vgl. dazu etwa STROBEL, Hebräer, 11: um etwa 60 n. Chr; GÄBEL, Kulttheologie, 484: „vor 70 n. Chr.“ Auch KURT ERLEMANN, „Alt und neu bei Paulus und im Hebräerbrief. Frühchristliche Standortbestimmung im Vergleich,“ ThZ 4/54 (1998), 345–368: 360f. tendiert zur Datierung vor 70 n. Chr. Jüngst spricht sich SIMON J. JOSEPH, „‚In the Days of His Flesh, He Offered Up Prayers:‘ Reimagining the Sacrifice(s) of Jesus in the Letter to the Hebrews,“ JBL 140/1 (2021), 207–227: 208–210 für eine Datierung vor 70 aus: „[T]here is no good reason to dismiss the (imagined) literary present of the author of Hebrews, and no particularly compelling a priori reason to assume that a post-70 context is a better fit for the epistle.“ 362 2Makk 14,18 (rein profaner Sprachgebrauch vom Blutvergießen); 4Makk 17,22 (Hier liegt ein märtyrertheologisches Verständnis vor. Ein solches fügte sich zum einen keineswegs in den Kontext von Hebr 9,12 und hinzu kommt zum anderen, dass die Schrift erst ans Ende des ersten Jahrhunderts datiert wird. Ein direkter Einfluss ist also einigermaßen ausgeschlossen; vgl. dazu KARRER, Hebräer, 2:153f.). 357
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Ist es aber nun möglich und erforderlich, soweit es Hebr 9,12 betrifft, das Blut Christi gewissermaßen als Chiffre für seinen Tod zu verstehen? Begreift man Christi Eintritt ins Heiligtum in Analogie zum Eintritt des irdischen Hohepriesters, der Blut in den Tempel mitnimmt und innerhalb des Allerheiligsten die Blutapplikation ausführt, so wird man gegen die Gleichsetzung von Blut und Tod Einwände haben. Doch diese Analogie ist nicht zwangsläufig vorauszusetzen. So mag auffallen, dass etwa von einer Blutsprengung weder hinsichtlich des irdischen noch hinsichtlich des himmlischen Hohepriesters die Rede ist,363 stattdessen wird über die Heiligung der Unreinen allgemein gehandelt und so die Qualität des Tierblutes mit der des Blutes Jesu verglichen. AuctHebr beschreibt in Hebr 9,11–15 also nirgends die Handlungen des Hohepriesters im himmlischen Allerheiligsten und man kann daher annehmen, er „vermeide[…] so das Mißverständnis, als sei neben dem Heilsmittler ein davon zu unterscheidendes Heilsmittel im Spiel.“364 Demgemäß hat auch Riggenbach bereits festgestellt, dass die Verwendung des διά anstelle von ἐν oder μετά auszudrücken vermöge, dass das Blut untrennbar mit Jesus verbunden sei.365 So wenig eine Besprengung oder eine Reinigung der Herzen (Hebr 9,14; 10,22) im materiellen Sinne vorstellbar ist und von AuctHebr beabsichtigt wäre, so wenig kommt für ihn eine materiell gedachte Blutapplikation im himmlischen Heiligtum (etwa Hebr 9,12; 9,23) infrage. Beides bewegt sich auf einer geistigen Ebene und beschreibt jeweils die Wirkung des Todes Jesu. Es muss weiterhin auffallen, dass die λύτρωσις aus Vers 12, die durch das Blut Jesu erreicht wird, in Vers 14 sinngemäß im Sachverhalt der ‚Gewissensreinigung‘ (τὸ αἷμα τοῦ Χριστοῦ, […] καθαριεῖ τὴν συνείδησιν ἡμῶν) weitergeführt und schließlich in Vers 15 im Begriff ἀπολύτρωσις wieder aufgenommen wird.366 Im letzten Fall wird die Befreiung von Vergehen aber nun der Wirkkraft des Todes Jesu zugeschrieben. Auf die Frage, warum AuctHebr von der Befreiung von den Übertretungen einzig unter der ersten διαθήκη spreche, 363 Vgl. LAUB, „Ein für allemal,“ 71; SCHUNACK, Hebräerbrief, 123; G RÄßER, Hebräer, 2:149, Anm. 52: „Ob der Hebr überhaupt einen Altar im himmlischen Debir annimmt? Wohl kaum.“ In diesem Sinne warnt auch KUSS, Hebräer, 136 vor „grober ‚Materialisierung der Bilder und natürlich auch vor einer Systematisierung-um-jeden-Preis.“ 364 G RÄßER, Hebräer, 2:151. 365 R IGGENBACH, Hebräer, 258. 366 Zuweilen wird angenommen, dass sich Simplex und Kompositum sachlich etwas voneinander unterscheiden, so bspw. KARRER, Hebräer, 2:160. Nichtsdestotrotz wird in jedem Falle die semantische Nähe durchaus ins Auge fallen. Karrer macht darum nach meinem Empfinden zu sehr den Aspekt des Rechtsvorganges stark und meint „Jesu Tod gleichsam als das Lösegeld (lytron)“ verstehen zu müssen. So auch NISSILÄ, Hohepriestermotiv, 184. Hingegen hält HEINRICH ZIMMERMANN, Das Bekenntnis der Hoffnung. Tradition und Redaktion im Hebräerbrief, BBB 47, Köln 1977, 196, die Begriffe für identisch. So auch ATTRIDGE, Hebrews, 254f.
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lässt sich schlicht antworten: Wenn, wie beschrieben, der Tod Jesu die neue διαθήκη in Kraft setzt – immerhin stellt AuctHebr den Tod Jesu dem Opferblut gegenüber, mit dem Mose zur Einweihung der ersten διαθήκη Volk, Buch und Zelt besprengt –, steht dieses Opfer ganz am Beginn dieser neuen Kultordnung, denn es weiht das neue Heiligtum ein, heiligt die Glaubenden und macht sie so kultfähig. Für Sünden, die nach dieser allumfassenden Reinigung und Einweihung begangen werden, ipse dixit (Hebr 10,26), gibt es kein Opfer mehr und die Glaubenden können auch nicht wiedergeweiht werden (Hebr 6,6).367 Alle Sünden, die gereinigt worden sind, sind ergo zeitlich vor der Darbringung, und das heißt während der ersten διαθήκη geschehen.368 Martin Karrer bindet die Rede von der λύτρωσις – ganz zu Recht, wie ich meine – an die Aussagen in 2,14f.17 zurück. Eine Ausweitung dieses Motives ist nach seiner Meinung gerechtfertigt, „[w]eil die LXX das ungewöhnliche lytrôsis weder im Zusammenhang der Schuldopfer noch des Versöhnungstages nach Lev 16 verwendet.“369 Den Eingang Jesu durch sein eigenes Blut versteht Karrer damit als Tod Jesu und sieht in dessen Hingabe Tod und Sünden bezwungen.370 Es liegt also hier sehr wahrscheinlich eine Identifikation von Blut und Tod371 vor, wie sie aus anderen biblischen und vor allem christologischen Kontexten bekannt ist. Man findet sie bei neutestamentlichen Autoren in freier Formulierung, sie wird aber insbesondere über das Kelchwort auf Jesus selbst zurückgeführt.372
Auch die Adressaten haben ursprünglich unter der ersten διαθήκη gelebt und ihre Gebote befolgt (Vgl. HUGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 33). Es gibt eine Zeit vor der Erleuchtung (Hebr 6,4) und vor der Erkenntnis der Wahrheit (Hebr 10,26). 368 Für das zeitliche Verständnis der Wendung ἐπὶ τῇ πρώτῃ διαθήκῃ spricht sich etwa BACKHAUS, Bund, 193, aus. 369 K ARRER, Hebräer, 2:155. 370 K ARRER, Hebräer, 2:156. 371 Genannte Identifikation sehen für diesen Abschnitt etwa auch R IGGENBACH, Hebräer, 258; NISSILÄ, Hohepriestermotiv, 178: „Blut und Tod erscheinen nahezu wie Wechselbegriffe;“ KUSS, Hebräer, 118, spricht von einer „blutigen Selbsthingabe;“ auch LAUB, Bekenntnis, 196, äußert sich in ähnlicher Weise: Blut sei „kultischer Terminus für den Kreuzestod und seine Heilswirksamkeit;“ ebenso auch LAUB, „Ein für allemal,“ 82. Jüngst spricht sich JAMIESON, Jesusʼ Death, 128f., dafür aus, „that at key points Hebrews conceptually equates blood, including Christʼs blood, with death. Blood is indeed a metonym for Christ’s death.“ Auch er redet sogar von „Blood as ritually enacted death“ (129). 372 K NUT B ACKHAUS, Hebräerbrief, 319, erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass der Kreuzestod im Urchristentum als „rettendes Blutvergießen“ wahrgenommen worden sei, und dass es eine Entsprechung zwischen Kreuzestod und sühnendem Blutgestus des Versöhnungstages gegeben habe. Für den Hebräerbrief nimmt er an, dass dieser auf solche Zusammenhänge, wie sie der Gemeinde von der Eucharistie bekannt gewesen sein dürften, habe zurückgreifen können. 367
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Spätestens für Hebr 9,16–18 ist diese hier schon vollzogene Identifikation von Blut und Tod nicht mehr zu leugnen.373 Georg Gäbel vermisst die Schlachtung in der Gegenüberstellung der Opfer des irdischen Heiligtums und des Opfers Christi und konstatiert unter anderem auf dieser Basis, dass der Tod Jesu für den Hebräerbrief untergeordnete Bedeutung habe: „Das Sterben Christi auf Erden wird in der Typologie 9,11f. jedoch gar nicht erwähnt, ebensowenig wie die Schlachtung der Opfertiere als Teil des Jom Kippur-Rituals (der Christi Sterben typologisch entsprechen würde) von Hebr je erwähnt wird.“374 Dass sich diese Erwähnung tatsächlich nicht explizit findet, hat seinen Grund allerdings gerade nicht in der Bedeutungslosigkeit des Todes Jesu. Die Rede von einer ‚Schlachtung Jesu‘ wäre in ihrer ausdrücklichen Ausführung für den Sohn Gottes unangemessen, die Rede von einem θάνατος der Opfertiere träfe ebenfalls nicht den Punkt und so bietet die Parallelisierung von Blut der Tiere und Blut Jesu eine Möglichkeit dennoch den gesamten Opferprozess im sühnenden Tod des Hohepriesters zu bündeln. Dieser wird in Hebr 9,14 angedeutet (ἑαυτὸν προσήνεγκεν) und schließlich in Hebr 9,15 genannt: θανάτου γενομένου εἰς ἀπολύτρωσιν. 5.1.2 Hebr 9,15–17 als ein erbrechtliches Argument? Lange Zeit war es, insbesondere in der deutschen Forschung zum Hebräerbrief, opinio communis, dass innerhalb der genannten Verse die Bedeutung des Todes Jesu anhand einer erbrechtlichen Ausführung verdeutlicht würde. Wie GERD SCHUNACK, Hebräerbrief, 123, weist ebenso darauf hin, dass die Wendung „‚kraft des eigenen Blutes‘ [eine] sühnetheologisch geprägte Metapher des Todes Christi [sei], wie dies auch in der Herrenmahl-Paradosis und in der vorpaulinisch-judenchristlichen Überlieferung Röm. 3,25.26a der Fall“ sei. Schunack schließt daraus, dass der Autor des Hebräerbriefes von der frühchristlichen Interpretation des Todes Jesu geprägt sei. Diese habe schon Bezug zum Sühnedenken gehabt und sei „zumindest implizit eminent kultisch orientiert“ gewesen. Auch das in Hebr 9,12 auftauchende ἐφάπαξ kann als Indiz dafür in Betracht gezogen werden, dass vom Tod Jesu gesprochen wird. So weist HERMUT LÖHR, Umkehr, 243 unter Bezugnahme auf Röm 6,10 darauf hin, dass es sich um einen Terminus technicus für die Einmaligkeit des Todes Jesu handele. Dabei lehnt er sich an die Deutung von GUSTAV STÄHLIN: Art. ἅπαξ, ἐφάπαξ, ThWNT, 1, 1949, 380–383: 382 an. Jedoch ist dieses Indiz für sich genommen nicht sehr stichhaltig. Außer Röm 6,10 bietet nur Hebr selbst ἐφάπαξ in dieser Bedeutung. 373 Gegen R ASCHER, Schriftauslegung, 148: Sie sieht die Notwendigkeit des Todes Jesu für die Einsetzung des neuen Bundes, meint aber dann: Blut und Tod seien notwendig und die Blutbesprengung sei das zentrale Heilsereignis. So interpretiert sie die αἱματεκχυσία als Blutsprengung, nicht als Ausdruck des Sterbens. Die Trennung von der Einweihung des Bundes und dem Heilsereignis ist meines Erachtens aufgrund von Hebr 10,29 unmöglich. Durch das Bundesblut ist man geheiligt. Dass hier im Bundesblut noch an das sündentilgende Opfer Jesu gedacht sein muss, ergibt sich aus Hebr 10,26. 374 G ÄBEL, Kulttheologie, 286.
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kommt es dazu? Grund dafür, trotz bekannter Unstimmigkeiten eine erbrechtliche Argumentation zu vermuten, ist, dass für den AuctHebr in irgendeiner Weise der Tod dessen, der die διαθήκη aufgesetzt hat, die Bedingung für das Inkrafttreten der διαθήκη darstellen soll (Hebr 9,16f.). Da eine Begründung fehlt, ist davon auszugehen, dass sich der Autor auf einen den Adressaten bekannten Tatbestand beruft.375 Dazu kommt die Beobachtung, dass außerbiblisch für διαθήκη die Bedeutung ‚Vertrag‘ bloß an einer Stelle bei Aristophanes nachweislich ist. Die Bedeutung ‚Anordnung‘ oder ‚Verfügung‘ in allgemeinem Sinn ist sehr unsicher, denn die einzige mögliche Belegstelle ist textkritisch umstritten.376 Und umgekehrt gilt, dass die Septuaginta gerade die in der klassischen Antike populäre Bedeutung ‚Testament‘ ignoriert.377 Das Geschehensein des Todes wird in Kombination mit dem Zweck des Erhalts des ewigen Erbes (Hebr 9,15) sachlich festgestellt. Gültig sei die διαθήκη nur ‚bei Toten‘ (ἐπὶ νεκροῖς378), denn sie habe keine Kraft, solange der διαθέμενος noch lebe (Hebr 9,16). Nach dem Tod des Gottessohns erhielten also die Berufenen das Erbe. Diese Darstellung klingt, insbesondere auch auf dem Hintergrund unserer heutigen Lebenswelt, am ehesten nach einer letztwilligen Verfügung. Grund dafür, einen Erbrechtsdiskurs einzufügen, könnte nach Christian Eberhart sein,
375 Dies gilt umso mehr, wenn für 9,17b eine rhetorische Frage anzunehmen ist. So mit guten Gründen empfohlen von DANIEL STEVENS, „Is It Valid? A Case for the Repunctuation of Hebrews 9:17,“ in JBL 137/4 (2018), 1019–1025. Er schlägt als Übersetzung vor: „For a testament is made sure upon death. After all, is a testament ever valid while the one who made it lives?“ (a.a.O., 1024). 376 E. A. C. PRETORIUS, „ΔΙΑΘΗΚΗ in the Epistle to the Hebrews,“ Neotestamentica 1971/5, Ad Hebraeos: Essays on the Epistle to the Hebrews, 37–50: 40 behauptet apodiktisch: „διαθήκη never had any other meaning than ‚last will‘.“ Vgl. aber ThWNT, 2:127 (JOHANNES BEHM): Die Bedeutung ‚Abkommen‘, ‚Vertrag‘ sei nachweisbar in Aristoph. Av. 440f. (Nach Aristophanes, Birds, Nan Dunbar [Hg.], Oxford 1998, 56 handelt es sich um Vers 439). Die allgemeine Bedeutung ‚Anordnung‘ oder ‚Verfügung‘ wäre in Dinarch 1,9 belegt, falls die LA διαθήκας tatsächlich als lectio difficilior bevorzugt werden kann. Die Stelle ist textkritisch fraglich. Ansonsten glaubt Behm die Bedeutung über διάθεσις erschließen zu können. Es spreche „nichts für eine selbständige Umdeutung des Wortes [διαθήκη] durch die Juden,“ sie hätten auf einen ihnen bekannten Sinn zurückgegriffen. Behms Ansicht bleibt aber leider eine Hypothese. LSJ sowie E.A. SOPHOCLES, Greek Lexicon of the Roman and Byzantine Periods (From B.C. 156 to A.D. 1100), Cambridge 1914 s.v. διαθήκη bestätigen diesen Befund. Vgl. außerdem BACKHAUS, Bund, 86f. 377 PRETORIUS, „ΔΙΑΘΗΚΗ,“ 40. 378 Die Formulierung ἐπὶ νεκροῖς ist auffallend. In der Regel wird sie aufgrund vermuteten erbrechtlichen Kontextes glättend wiedergegeben, beispielsweise Luther 2017: „erst in Kraft mit dem Tode;“ EÜ 2016: „erst im Todesfall rechtskräftig;“ Elberfelder Bibel: „gültig, wenn der Tod eingetreten ist;“ Menge: „erst nach Eintritt des Todes rechtskräftig;“ Zürcher: „erst im Todesfall wirksam.“ Wörtlich ist zu übersetzen: Ein Testament ist nur wegen Verstorbener/für Verstorbene/bei Verstorbenen fest.
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dass der Autor die Notwendigkeit des Todes anhand des Opferkultes nicht habe erklären können, „denn dieser liefer[e] dazu keine Argumente.“379 Allerdings ist die Sache nicht so einfach, wie sie scheinen mag. Die erste Schwierigkeit ist diejenige, dass man einen Wechsel in der Denotation des entscheidenden Begriffes der διαθήκη annehmen muss. Zuvor und auch danach wird διαθήκη im Sinne eines Bundes, einer Verfügung, einer Heils- oder Kultordnung verwendet. Für unseren kurzen Abschnitt aber hätte διαθήκη nun stattdessen die Bedeutung „Testament“ oder „letztwillige Verfügung.“ Das ist insbesondere deshalb schwierig, weil der kurze Abschnitt syntaktisch sehr eng an den vorausgehenden wie an den folgenden Kontext gebunden ist. Scott W. Hahn meint daher, „[i]t would be a priori unlikely for the author of Hebrews, in the midst of this tightly knit argument, to use διαθήκη in vv. 16–17 in a sense entirely different from its meaning in the rest of the passage.“380 Die Schwierigkeiten solcher Deutung sind lange schon im Bewusstsein, aber sie wurden bisher mangels einer echten Deutungsalternative meist hingenommen.381 So schreibt etwa Harald Hegermann im EWNT: „Da auch beim Testament eine Inkraftsetzung durch den Tod erfolgt, wird Hebr 9,15–17 die Bedeutung δ. Testament unterstützend herangezogen, in einem für uns schwer nachvollziehbaren, gleitenden Übergang: Aus der durch Christus ergehenden neuen Heilsverfügung Gottes wird die letztwillige Verfügung Christi, durch den Tod des letztwillig Verfügenden selbst (διαθέμενος) in Kraft gesetzt.“382 Hegermann nimmt aber wie viele andere Forscher an, dass dieser Wechsel für „das damalige Sprachgefühl […] offenbar ohne Problem“ gewesen sei.383 Dass dem EBERHART, Kultmetaphorik, 149. HAHN, „Broken Covenant,“ 421. Man darf jedoch bemerken, dass AuctHebr auch bei dem Begriff αἷμα zwischen den Denotationen Blut und Tod wechselt. Hebr 9,14: Blut als Opfermaterie, die zur Reinigung gesprengt wird. Hebr 9,18: Hier steht Blut metonymisch für den Tod, ausgelöst durch Hebr 9,17, wo vom notwendigen Tod des διαθέμενος gesprochen wird, von dem her die Notwendigkeit des Blutes zur Einweihung des ersten Bundes hergeleitet wird. 381 B ACKHAUS, Bund, 198: „[…] so gilt es doch auch den geringen Anspruch in Betracht zu ziehen, den der Verfasser selbst – nicht seine Ausleger – an die kleine Argumentationssequenz (γάρ – γάρ – ἐπεί – ὅθεν) stellt.“ Tertium Comparationis sei bloß auf den Nexus Tod/Geltungskraft beschränkt. Das mag stimmen, aber es bleibt dennoch die Frage, wie überzeugend solche Argumentation ist. 382 EWNT, 1:724f. 383 Als Belege für solchen Wechsel der Denotation nennt man gerne Gal 3,15–17 und Philon, Mut. 51f. u.a. Für Gal 3,15 wird er etwa von JOHN J. HUGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 70 ebenfalls angezweifelt. Sollte aber, wie weithin angenommen, ein Denotationswechsel vorliegen, ist folgendes dennoch zu bedenken: Anders als im Hebräerbrief würde durch die Zwischenbemerkung κατὰ ἄνθρωπον λέγω die semantische Unterschiedlichkeit vorbereitet. Zudem wäre nicht der Tod des Testators der Vergleichspunkt zwischen menschlicher und göttlicher διαθήκη, sondern allgemein die Unumstößlichkeit dessen, was einmal festgesetzt worden ist. Auch in Philon, Mut. 51ff. mag die Semantik von διαθήκη changieren, sicherlich 379
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tatsächlich so gewesen sei, ist schwerlich zu widerlegen oder zu beweisen.384 Aber die Schwierigkeiten unserer Stelle reichen ohnedies über den bloßen Wechsel der Denotation hinaus. Im Folgenden wollen wir die Interpretation der Textstelle mithilfe der Idee der letztwilligen Verfügung auf die Probe stellen. Wir spielen es durch: Im Hebräerbrief ist das Tertium comparationis der Tod des Testators. Wie bei einem Testament der Erblasser sterben muss, so wurden für die neue διαθήκη der Tod Jesu und für die erste διαθήκη das Blut der Opfertiere notwendig. Fünf Anfragen, die meines Erachtens für das Verständnis des Textabschnittes von großer Bedeutung sind, sollen die Problemlage aufzeigen: 1) Wozu braucht es den Tod des διαθέμενος? Allein durch den Tod des Testators trete die διαθήκη in Kraft (Hebr 9,16f.). Das ist bei einem Testament aber im Grunde gar nicht der Fall, denn es ist bereits bei der Erstellung gültig. Mit dem Tod des Testators wird stattdessen bloß das gültige Testament vollstreckt.385 Dieser Vollzug könnte jedoch bei beiden διαθῆκαι im Blick sein. Den Einwand, dass Christus nicht tot geblieben sei und damit das Testament ungültig, weil eine Auferstehung im Testamentswesen nicht vorgesehen sei,386 halte ich für zu spitzfindig. Schwierig ist aber überdies die Formulierung, ein Testament sei nur bei oder über Toten (ἐπὶ νεκροῖς) gültig. Insbesondere der Plural „Tote“ mag verwundern, wenn von einem Testament im Singular gesprochen wird, da sich ein einzelnes Testament nur auf den Tod einer einzelnen Person beziehen dürfte.387 2) Wer ist der διαθέμενος? Es geht um den Tod Jesu, und so muss man annehmen, er selbst sei auch διαθέμενος. Doch wäre er nur hier als Erblasser verstanden, während er sonst im Hebr die Rolle des Erben übernimmt, am prominentesten in Hebr 1,2 (κληρονόμος πάντων). Im direkten Kontext ist er μεσίτης, ein Begriff, der im Testamentswesen nicht nachweislich ist.388 3) Welche Funktion hat Jesus für die διαθήκη? Im Hebräerbrief setzt Gott gewöhnlich selbst die διαθήκη ein.389 Wieso sollte dann Jesu Tod Gottes klingt die erbrechtliche Perspektive wenigstens an. Trifft das zu, so wäre der Vergleichspunkt die Frage nach dem Begünstigten. Ein Testament sei das Sinnbild (σύμβολον) der Gnade. Es bekommt nur derjenige etwas, dem es gebührt. Die Frage nach der Bedeutung des Todes dessen, der die διαθήκη aufgesetzt hat, wird nicht gestellt. 384 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 195f., zur Frage, wie man eine traductio (= semantischer Übergang von einer Bedeutung zur anderen bei Beibehaltung des Lexems) in der antiken Theorie bewertet hat. Es gebe Stimmen dafür (Cicero) und dagegen (Quintillian). 385 Vgl. H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 60. 386 H AHN, „Broken Covenant,“ 422. 387 Vgl. H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 43. 388 Vgl. H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 64. 389 Hebr 8,10 (Jer 31,31); 9,20 (Ex 24,8); 10,16 (Jer 31,33). Vgl. H AHN, „Broken Covenant,“ 421: „This runs counter to a testamentary model, in which only God (the Father, 1:5) could function as the testator, since he dispenses the inheritance. Yet it is impossible for God
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‚Testament‘ in Kraft setzen?390 Man müsste denn für den Hebräerbrief die völlige Gleichsetzung von Gott und Jesus annehmen391 und fragen, wie sich das mit dem Begriff des μεσίτης vereinbaren ließe. Wäre dann an eine Stellvertretung zu denken, d.h., Jesus stürbe an Gottes statt? 4) Welche Funktion hat das Blut der Opfertiere? Gott ist auch der Testator der ersten διαθήκη. Beim Bundesschluss am Sinai wurden aber ‚bloß‘ Tiere geschlachtet und anschließend ihr Blut zur Applikation verwendet. Auch bei der Inkraftsetzung der ersten διαθήκη wäre daher nicht der Testator selbst gestorben. Sollte auch für die Tiere ein stellvertretendes Sterben angenommen werden? Für die Stringenz der Argumentation ist es jedenfalls höchst problematisch, dass weder für das erste, noch für das zweite Testament tatsächlich der Tod des Erblassers, der ja eigentlich Gott selbst sein müsste, eingetreten ist. Zumal es mit solcher Nachdrücklichkeit heißt: μήποτε (niemals!392) ἰσχύει ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος. 5) Wie ist das Verhältnis von allgemeinmenschlicher, neuer und erster διαθήκη zu bestimmen? Der Sprachgebrauch in unserem Abschnitt ist bestenfalls semi-juristisch. Er klingt zwar „juristisch-nüchtern“393 und „standesamtlich,“394 doch lassen sich für die Wendungen und Termini in antiken erbrechtlichen Ausführungen keine oder nur schwache Parallelen beibringen.395 Betreffs Einsetzung der πρώτη διαθήκη wird die Betonung alleine auf ihre to die. Ironically, it is not God, the ‚testator‘, but Christ, the heir, who must die to receive ‚the heavenly inheritance.‘“ 390 Vielleicht kann man die Formulierung aus Lk 22,29 klärend heranziehen, dass nämlich Gott das Königreich seinem Sohn Christus, und Christus es wiederum den Gläubigen vermacht habe (jeweils διατίθημι). Das ist jedoch nicht einfach zu belegen, da das Objekt ein anderes ist. Der Bund/die Verfügung/das Testament wird nicht in gleicher Weise vermacht wie ein Königreich. Der sprachliche Kontext ist zu verschieden, als dass man die Verwendung ohne Weiteres übertragen dürfte. Zudem ist das Verständnis von διατίθημι in Lk 22,29 umstritten. 391 Als Möglichkeit bemerkt D AVID H. W ENKEL, „The Paradox of High Christology in Hebrews 1,“ Bib 99.3 (2018), 431–446: 433, dass AuctHebr bereits im ersten Kapitel das Paradox aufstellt: „the Father is God, and the Son is God. This paradox of high Christology frames the discourse for the rest of the letter and establishes rules for engaging further paradoxical elements in the letter.“ Die Tatsache, dass auch das Tieropferblut an die Stelle des Todes des Erblassers treten kann, ist damit nicht zu erklären. 392 Vgl. PASSOW, Handwörterbuch, 2,1: 230, s.v. μή. 393 G RÄßER, Hebräer, 2:170. Der Vergleich etwa mit einer Trostschrift Plutarchs zeigt, dass dies nicht notwendigerweise so verstanden sein muss, sondern vom Kontext abhängt. Plut. Cons. ad Apoll. 118C: Ἀποβλέπειν δὲ καὶ πρὸς τοὺς εὐγενῶς καὶ μεγαλοφρόνως τοὺς ἐπὶ τοῖς υἱοῖς γενομένους θανάτους… (Hier geht es um das tapfere Ertragen des Verlusts der eigenen Söhne.) 394 G RÄßER, Hebräer, 2:169. 395 Zu den Schwierigkeiten der Einordnung der Ausführungen vgl. etwa FUHRMANN, Vergeben, 210, Anm. 349: „Viele der hier zu findenden Lemmata sind – zumindest in ihrem Kontext – singulär.“ Vgl. auch a.a.O., 211, Anm. 358.
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Einweihung (Hebr 9,18) gelegt. Aber ἐγκαινίζω ist kein Terminus der Testamentssprache. Das stimmt mit der Beobachtung überein, dass die erste διαθήκη eigentlich nicht beim Tod der Tiere, sondern erst bei der Blutbesprengung (daher: )ַדם־ַהְבּ ִריתin Kraft tritt.396 Der Gedanke an eine letztwillige Verfügung wäre damit unmittelbar nach Hebr 9,17 und mit Beginn des eigentlichen Vergleichsobjektes wieder aufgegeben, obwohl doch mit der Konjunktion ὅθεν der notwendige Tod des Testators als Grund der blutigen Einweihung ausgewiesen worden ist.397 Im Zusammenhang mit einer letztwilligen Verfügung gibt es jedoch keine Einweihung, keine Reinigung und keine Blutapplikation.398 Neben den genannten Schwierigkeiten, die die erbrechtliche Auslegung mit sich bringt, ist unklar, wie der soteriologische Zweck der ἀπολύτρωσις vom Tod des Testators abhängig sein kann (Hebr 9,15). Eine weitere große Schwierigkeit sehe ich darin, dass AuctHebr, wenn er den Begriff διαθήκη in unserem Abschnitt als Testament verstünde, unterstellte, dass sich Gott bei der Einhaltung seiner Verfügungen an menschlichem Erbrecht messen ließe. So formuliert Martin Karrer: „Die diathêkê im Sinne des Bundes ist – schlägt er [sc. AuctHebr] vor – eine Sonderart des Testaments.“399 Das scheint unwahrscheinlich, zumal AuctHebr in seiner gesamten Schrift durchgehend zeigt, dass er stets vom Himmlischen auf das Irdische schließt, nie umgekehrt. Die Vorstellung einer letztwilligen Verfügung scheint sich in Anbetracht all dieser Schwierigkeiten kaum in den Gesamtzusammenhang fügen zu wollen.400
396 PRETORIUS, „ΔΙΑΘΗΚΗ,“ 45 sagt völlig zu Recht, „that the New Covenant had to be ratified by the death of its mediator. This could not have been self-evident, since it had not been the case with the first covenant.“ 397 Vgl. H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 34. 398 Das war zuvor und ist hinterher aber auch für die neue διαθήκη das relevante Geschehen. Nach Hebr 9,12 betont der Autor den Eingang Jesu ins Heiligtum durch Blut und nach 9,14 die Reinigung der Glaubenden. Das Gleiche wird dann vom ersten Bund berichtet: Hebr 9,19–22: Besprengen und damit Reinigen des Buches, des Volkes, des Heiligtums. Dann kommt es nochmals in Bezug zum neuen Bund in Hebr 9,23 zur Sprache: Reinigung der himmlischen Dinge durch bessere Opfer. 399 K ARRER, Hebräer, 2:162. 400 FUHRMANN, Vergeben, 211 zieht in Erwägung, dass Gott Jesus als Verwalter des Erbes der jüngeren Söhne eingesetzt habe. Er bringt eine Parallele aus dem römischen Erbrecht. Im Hebräerbrief ist davon nichts zu lesen. Einschränkend äußert Fuhrmann dementsprechend: „Da der Hebräerbrief keine formaljuristische Abhandlung über das antike Erbrecht darstellt, ist auch nicht zu erwarten, dass sich der Verfasser erbrechtlicher Terminologie (korrekt) bedient.“ WINTER, Hebräer, 43, versucht die Spannung auf anderem Wege zu lösen: „Christus hinterläßt uns die Erbschaft, die er selbst durch seinen Tod für uns erworben hat. Durch seinen Tod hat er die Erbschaft des Heiles für uns verdient und an uns weitergegeben.“
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5.1.2.1 Alternativen zur erbrechtlichen Deutung von Hebr 9,15–17 Angesichts all dieser Spannungen und Ungereimtheiten, die eine erbrechtliche Metaphorik mit sich bringen, ist versucht worden, die Textstelle ohne den Denotationswechsel zu lesen. Es sei insbesondere auf die detaillierte Untersuchung von John J. Hughes401 und die beiden Aufsätze von Scott W. Hahn402 zum Thema hingewiesen. Jüngst stützt R.B. Jamieson diese Ansicht.403 a) John J. Hughes Insbesondere die lexikalischen,404 syntaktischen405 und semantischen406 Einwände seitens Hughes gegen ein Verständnis von διαθήκη als Testament, sind nach wie vor richtungsweisend. Im Folgenden soll aber insbesondere sein Interpretationsvorschlag ins Auge gefasst werden. Der Begriff διαθέμενος bedeute nach Hughes nicht Testator, sondern „ratifier.“ Dieser unterwerfe sich einem Mächtigeren, was unter einem selbstverpflichtenden Schwurritual geschehe.407 Bei einem Vertragsbruch sei er der Gerichtsbarkeit des Mächtigeren unterworfen. Für den Vertragsabschluss selbst sei der Tod dessen, der den Vertrag ratifiziert, nicht notwendig, es gebe stattdessen eine repräsentative Handlung, etwa die Schlachtung von Tieren. Hughes kann sich dazu auf die merkwürdige Verwendung des φέρω berufen und übersetzt θάνατον ἀνάγκη φέρεσθαι τοῦ διαθεμένου mit „it is necessary to bring forward (i.e. to represent) the death of the one who ratifies (it).“408 Als Beispiele für diese Verwendung von φέρω nennt er 2Petr 1,21; 2,11; Joh 18,29. Dabei fällt jedoch zumindest auf, dass die Objekte an diesen Belegstellen stets verbaler Natur sind, also ein Wort, eine Botschaft übermittelt wird. Vorgebracht werden προφητεία beziehungsweise βλάσφημος in 2Petr und κατηγορία im JohEv. Die Anwendung auf vorliegende Stelle im Sinne dessen, dass auf den Tod als eine mögliche Sanktion bei Vertragsbruch hingewiesen werden soll, scheint mir sprachlich schwierig.409 Wiederum etwas anders argumentiert er an HUGHES, „Hebrews IX 15ff.“ Dort findet sich eine sehr detaillierte Beschreibung einer Reihe von sprachlichen wie inhaltlichen Schwierigkeiten. 402 H AHN, „Broken Covenant.“ Und ders., „Covenant,“ 65–88. 403 JAMIESON, Jesusʼ Death, 116–126. 404 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 28–33. 405 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 33–34. 406 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 35ff. 407 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 40f. 408 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 42. 409 Auch alle vorhandenen Texttypen der Vetus Latina (namentlich D, J und V) haben es anders verstanden – oder verstehen wollen – und lesen mors necesse est intercedat testatoris (es ist notwendig, dass der Tod des Testators eintritt). Damit wiederholt die lateinische Übersetzung die Vokabel aus Hebr 9,15, wo sie θανάτου γενομένου mit morte intercedente 401
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späterer Stelle, dass φέρω ein jüdischer Kultterminus sei und darum mit dem repräsentativen Opferakt in Verbindung gebracht werden müsse.410 Die Wendung ἐπὶ νεκροῖς beziehe sich dann ebenfalls auf die Opfertiere, die den Tod dessen, der den Vertrag ratifiziert, repräsentierten. Damit könnte man zwar den Plural ganz gut erklären, aber es spricht meines Erachtens dagegen, dass sich νεκρός in der LXX nie als Bezeichnung für Opfertiere findet, sondern fast ausschließlich für verstorbene Menschen.411 Nach Hughes sei die διαθήκη über Totem bekräftigt.412 Umgekehrt sei die διαθήκη nicht gültig, solange der διαθέμενος noch lebe. Letzterer Satz soll ebenfalls auf die repräsentierenden Opfer gedeutet werden und Hughes versteht ihn „in the sense of not having slain the representative animals.“ Dieser Gedankenschritt scheint mir jedoch sehr weit zu reichen, denn der Tod des διαθέμενος wird allzu konkret erwähnt. Dass er hier stellvertretend und in Vorausdeutung einer möglichen Sanktion bei Missachtung des Vertrages angeführt sein sollte, ist schwer herauszulesen. Die erste διαθήκη sei nach Hughes von Israel mit Blut ratifiziert worden.413 In Hebr 9,18 wird von der διαθήκη gesagt: ἐγκεκαίνισται (sie ist eingeweiht worden). Zu sehr wird aber im Hebräerbrief anschließend auf die reinigende Wirkung des Blutes abgehoben, als dass es an unserer Stelle bloß um die Ratifizierung im Sinne eines selbstverpflichtenden Schwures gehen könnte. Es geht AuctHebr um die Weihe und um die damit verbundene Sündenwegnahme, die
wiedergegeben hatte. Das heißt, dass mors intercedat in Hebr 9,16 sowohl eine Verlegenheitslösung sein könnte, weil man eben mit denselben Schwierigkeiten zu tun hatte, wie die Ausleger heute, oder es könnte sich um eine bewusst theologisierende Wiedergabe handeln, die das Dass des Todes wieder in den Fokus rücken will, anstatt von einem bloßen (re)ferre im Sinne eines Vorbringens zu sprechen. 410 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 65f. 411 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 61 behauptet: „Ratification of covenants (in the OT sense) was, of course, ἐπὶ νεκροῖς as Gen. xv; Exod. xxiv; Jer. xxxiv; Ps. xlix (1) 5; passim show.“ Inhaltlich mag das stimmen, aber die Vokabel νεκρός sucht man vergeblich. Als ἐπίWendung kommt es in der LXX im Plural nur in 4Makk 15,20 vor. In Lev 21,5 und Dtn 14,1 steht der Ausdruck singularisch (ἐπὶ νεκρῷ) als Kollektivum. An diesen Stellen, wie auch an beinahe allen übrigen Belegstellen (insgesamt 79 an der Zahl) bezeichnet νεκρός ausschließlich menschliche Leichname. In SapSal 15,5.17 bezeichnet es leblose Götzenbilder. Nur in Koh 9,4 bezieht es sich auf ein Tier, genauer auf einen Löwen, nicht aber auf ein Opfertier. Den gleichen Befund fördert eine Untersuchung der neutestamentlichen Belegstellen (insgesamt 16) zutage. An allen bezeichnet νεκρός tote Menschen, und zwar nicht zuletzt auch im Hebräerbrief (Hebr 11,35: Ἔλαβον γυναῖκες ἐξ ἀναστάσεως τοὺς νεκροὺς αὐτῶν). 412 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 45: βέβαιος sei am besten mit „secured“ oder „confirmed“ zu übersetzen. 413 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 47.
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zur Kultbefähigung dient (Hebr 9,22.26).414 Genauso wird auch Jesu Opfer dann als (weihendes) Reinigungsopfer verstanden (Hebr 9,23).415 Neben der Funktion des repräsentativen Opfers der neuen διαθήκη habe nach Hughes der Tod Jesu zugleich die Funktion, die Mitglieder der ersten διαθήκη auszulösen, indem er die eigentlich ihnen zukommende Strafe auf sich genommen habe.416 Diese doppelte Funktion der Vollendung der alten und der Ratifikation der neuen διαθήκη findet Hughes auch in den Abendmahlsberichten, die sich bekanntlich an Ex 24 anlehnen. Die stellvertretende Annahme der Strafe der alten Ordnung liest Hughes dabei aus den soteriologischen Wendungen (περὶ πολλῶν in Mt 26,28; ὑπὲρ πολλῶν in Mk 14,24 und Lk 22,20 [sic! Dort aber eigentlich: ὑπὲρ ὑμῶν]) und aus der etwa in Mt 26,28 beschriebenen Wirkung des Todes Jesu (εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν), die Hughes als „remission of sins committed under the old covenant“417 versteht.418 Dass es sich um Sünden unter der ersten διαθήκη handele, mag letztlich zutreffen, aber es wird im Evangelium nicht expliziert und bleibt darum eine Deutung von Hughes. Hinzu kommt, dass von einer Sanktion im Zusammenhang mit Jesu Tod nie gesprochen wird. Gerade im zweiten Kapitel wird der Kampf um die Todesmacht geschildert, die zuvor der Teufel innehatte (Hebr 2,14f.). Dieser Erfolg ist Ausdruck der Stärke Jesu, es handelt sich nicht um ein Strafleiden. Die Sünden werden durch Jesu Handeln gereinigt (Hebr 1,3), kultisch (!) gesühnt (Hebr 2,17; 5,1.3; 7,27; indirekt Hebr 10,18.26; 13,11) oder weggenommen (Hebr 9,22; 9,26.28; 10,11–12; 10,18 indirekt Hebr 10,4), keineswegs aber finden sie ihre Vergeltung darin. Nichts als die Apostasie bewirkt nach Hebr ein strafendes Handeln Gottes, sonst ist die Drangsal, die einem im Leben begegnet, stets auf die wohlwollende Erziehung des Vaters zurückzuführen. Die Strafe für die Apostasie aber ist für die Wüstengeneration bereits auf dem Fuße erfolgt. Bei einem Abfall innerhalb der Neuen διαθήκη gibt es scheinbar kein Zurück.419 Zuwiderhandlungen (παράβασις), wie sie in Hebr 9,15 beschrieben sind, verlangen keine Bestrafung.420 Vgl. SCHIERSE, Verheißung, 152. Das widerspricht auch der Bezugsstelle Lev 16 nicht, denn auch dort sind Sühne- und Reinigungsterminologie schon verbunden und haben für Personen und Heiligtum Geltung. Siehe Gäbel, Kulttheologie, 410. 416 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 48. 417 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 53, Fn 76. 418 H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 53, Fn 78: „[T]he prepositions περί and ὑπέρ stress both the substitutionary and representative aspects of Christʼs death, while the idea of death and forgiveness of sin through the death of the substitute stresses the vicarious nature of Christʼs death.“ 419 Vgl. Hebr 12,25. 420 JAMIESON, Jesusʼ Death, 118 verweist zu Recht auf die Entsprechungen der Terminologie von Hebr 2,2 und 9,15–17 (jeweils βέβαιος und παράβασις). Nichtsdestotrotz ist in 414
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b) Scott W. Hahn Scott W. Hahn modifiziert die Vorstellung eines Drohritus in unserm Textabschnitt. Ein Drohritus ist die rituelle Schlachtung von Opfertieren, die den Todesfluch vorwegnehmen, der den Bundespartner treffe, falls er vertragsbrüchig würde.421 Als Einwand gegen die Deutung des Todes Jesu als Drohritus sieht Hahn, dass nicht jeder Bund durch die genannte rituelle Schlachtung ratifiziert werden musste. Schon der Eid sei nicht unabdingbar und auch auf den Ritus habe man verzichten können. Die Notwendigkeit des Ritus wäre aber nach Hebr 9,17 der Schlüssel der Argumentation (μήποτε ἰσχύει ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος).422 Ein zweites Problem erkennt er in der Formulierung ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος. Der figurative Sinn dieser Aussage (etwa: solange der διαθέμενος rituell am Leben sei) sei zwar möglich, aber nicht sehr plausibel. Der Autor spreche vom tatsächlichen, nicht von einem repräsentierten Tod des διαθέμενος.423 Hahn schlägt also vor: In Hebr 9,15–17 seien nicht allgemein Bünde das Thema, sondern die Ausführungen seien speziell auf den (gebrochenen) Sinaibund hin zu verstehen, denn dieses Thema sei in 9,15 angelegt, wenn die Übertretungen unter dem ersten Bund genannt werden. Weil es einen solchen Bund gebe, müssten die Übertretungen auch entsprechend geahndet werden. „The sense is this: under different circumstances, the fact that there had been transgressions (παράβασεις) might have been inconsequential or given rise to some lesser punishment, but ‚since there is a covenant‘ – at least one that has been ratified by a bloody Drohritus (vv. 18–22), entailing a curse of death for unfaithfulness – ‚the death of the covenant maker must be borne.‘“424 Die problematische Wiedergabe von φέρω, die Hughes seinerzeit vorschlug (der Tod müsse repräsentiert werden), lehnt Hahn also ab und rät stattdessen Hebr 2,2 festgehalten: καὶ πᾶσα παράβασις καὶ παρακοὴ ἔλαβεν ἔνδικον μισθαποδοσίαν (und jede Übertretung und jeder Ungehorsam erhielt seine gerechte Strafe). Im Blick steht nun ausschließlich, ob sich die Gemeinde gegen die neue διαθήκη versündige. Nirgends heißt es, dass noch weitere Strafen unter der alten Ordnung ausstünden, sie sind bereits vergolten. Es gibt zudem für AuctHebr keine Kollektivstrafen. Es geht stets um das Herz (Hebr 3,12) und die Seele (Hebr 6,19) des einzelnen. Überdies ist hier, das zeigt der Kontext, die Kardinalsünde der Apostasie (παραρρέω, Hebr 2,1; ἀμελέω σωτηρίας) bestimmend. Die Pointe dabei ist, dass es ja gerade für die Leugnung der aktuellen Heilsbotschaft, des reinigenden Opfers Jesu, ebenfalls keine Möglichkeit geben kann, der Strafe zu entkommen. 421 H AHN, „Broken Covenant,“ 428f. Vgl. K RAUS, Heiligtumsweihe, 105: „Sachlich völlig richtig nennt Hebr 9,15 die Sünde παράβασις, da es sich um Übertretung des Sinai-Gesetzes handelt. Der Tod Jesu beseitigt also die in der Zeit des Sinai-Gesetzes begangenen und durch den Kult nicht vergebenen Sünden.“ 422 H AHN, „Broken Covenant,“ 430. 423 H AHN, „Broken Covenant,“ 431. 424 H AHN, „Covenant,“ 432.
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dazu, mit „ertragen“/„erdulden“ zu übersetzen. Diese Bedeutungen sind lexikalisch gesichert. Unter Hinweis auf Jes 53 LXX, worauf seines Erachtens in Hebr 9,28 angespielt werde, versteht Hahn das Verbum simplex φέρω und ebenso das Kompositum ἀναφέρω (Hebr 9,28) als „bear something for another.“425 Er zielt also auf den Stellvertretungsgedanken ab. Sowohl διαθέμενος als auch ἐπι νεκροίς bezieht Hahn auf das Volk Israel.426 Dabei wäre νεκροί sozusagen resultativ zu verstehen, „yet the actualization of the curse of death upon them would result in ‚dead bodies‘ (νεκροί, cf. Deut 28:26 LXX).“ Wenn der διαθέμενος nach Vertragsbruch am Leben bliebe, zeige das, so die Interpretation von ἐπεὶ μήποτε ἰσχύει ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος, die Ohmacht der διαθήκη. Hebr 9,18 (ὅθεν οὐδὲ ἡ πρώτη χωρὶς αἵματος ἐγκεκαίνισται) diente dann bloß dazu, für die erste διαθήκη zu konstatieren, dass es sich um eben solch ein Bündnis handelte, das den Todesfluch für den Vertragsbrüchigen mit sich bringen würde.427 Allerdings wäre dafür meines Erachtens die Konjunktion ὅθεν (aus welchem Grund428) eigenartig. A ὅθεν B drückt aus, dass A der Grund für B ist.429 Das hieße dann: Weil die διαθήκη nicht in Kraft ist, solange der διαθέμενος noch lebe, wurde auch die erste διαθήκη nicht ohne Blut eingeweiht. Es wird so der Tod des διαθέμενος an den Beginn, nicht an den Abschluss der διαθήκη gestellt und als Weihegeschehen gedeutet. Denn wenn umgekehrt Jesu notwendiges Dulden des Todesfluches die erste διαθήκη als kraftvoll auszeichnen sollte, müsste doch stattdessen – vielleicht durch ein γάρ – B als Grund für A ausgewiesen werden (Weil auch die erste διαθήκη mit Blut eingeweiht wurde, das heißt, weil es einen Drohritus gab, musste der Tod des διαθέμενος erfolgen, damit sich die erste διαθήκη als kraftvoll erweise). Zudem ist es nach meinem Dafürhalten prinzipiell schon nicht möglich, die Blutrituale des ersten Bundes als „extensive self-maledictory“ zu deuten. Hahn sagt: „In fact, nearly everything about the first covenant was covered in blood, prefiguring the necessity of death for the forgiveness of transgressions of the covenant.“430 Und darum habe der Tod des διαθέμενος nach Hebr 9,15 zur Vergebung der Übertretungen geführt. Auch hier gilt, was mir eines der wichtigsten Argumente gegen Hughesʼ These zu sein scheint: Die in Hebr 9,18–22 geschilderten Blutapplikationen werden nach dem Hebräerbrief ganz eindeutig als Reinigungs- und Weiheriten HAHN, „Covenant,“ 433. HAHN, „Covenant,“ 434. 427 H AHN, „Covenant,“ 434f. 428 B AUER, WB, 1099. 429 Häufig wird ὅθεν in der lokalen Grundbedeutung „woher“ gebraucht (an sieben von fünfzehn Stellen im Neuen Testament). Wenn es kausal gebraucht ist (und zwar an den übrigen acht Stellen), gibt es immer – entsprechend der lokalen Bedeutung der Herkunft – die Ursache an. Vgl. Mt 14,7; Apg 26,19; Hebr 2,16; 3,1; 7,25; 8,3; 11,19 (vielleicht dort auch lokal auf ἐκ νεκρῶν zu beziehen); 1Joh 2,18. 430 H AHN, „Covenant,“ 435. 425
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bestimmt.431 Es heißt eben nach Hebr 9,22 gerade nicht: Nearly everything […] was covered in blood. Es wird nicht bloß bedeckt, sondern ausdrücklich gereinigt (καθαρίζεται, Hebr 9,22; καθαρίζεσθαι, Hebr 9,23) und eingeweiht (ἐγκεκαίνισται, Hebr 9,18). Diese Konnotationen des Reinigens und Weihens trägt auch schon das bloße ῥαντίζω (Hebr 9,19 und 21).432 Laut Hebr 9,13 ist die Wirkung des Blutes stets die Heiligung und die Reinigung, und zwar schon unter der ersten Kultordnung.433 Grammatisch ist ῥαντίζουσα (femininer Singular) zwar nur auf die Asche bezogen, man darf gewiss aber auch eine Sprengung des Blutes mitdenken, denn wenn es heißt, Blut und besprengte Asche heiligten die Unreinen, so ist der Kontakt der Menschen mit dem Blut implizit. Insbesondere aber Hebr 10,22 zeigt, dass ῥαντίζω mehr als nur den Vorgang der bloßen Applikation beschreibt, wenn es heißt, die Hinzutretenden seien ῥεραντισμένοι […] ἀπὸ συνειδήσεως πονηρᾶς. Der Separativ, mit ἀπό angeschlossen, gibt an, wovon man gereinigt ist. Die Darbringung Christi steht also ganz und gar im Zeichen der besseren Kultordnung, des himmlischen Priestertums melchisedekischer Ordnung, und kann damit nicht Abschluss der ersten διαθήκη sein. Für die Menschen wird ein neues Kultverhältnis mit Gott geschaffen, indem Jesu Opfer von den Sünden reinigt, das heißt, Volk und Heiligtum heiligt und weiht (Hebr 9,26: ἀθέτησις [τῆς] ἁμαρτίας διὰ τῆς θυσίας αὐτοῦ). Diese kultische Opferdarbringung ist damit keinesfalls als stellvertretendes Strafleiden im Sinne eines Aktes der Aufopferung Jesu zu verstehen. Scott W. Hahn ist daher nicht zuzustimmen, wenn er vom ausgeführten Tod des Vertragsbrüchigen, nämlich des Volkes Israel, spricht. Gott erklärt, er gedenke der Sünden nicht mehr. Schlicht die Tatsache, dass Gott eine neue διαθήκη ankündigt, setzt die alte außer Kraft, ohne dass es einer abschließenden Strafhandlung bedürfte (vgl. Hebr 8,13: ἐν τῷ λέγειν καινὴν πεπαλαίωκεν τὴν πρώτην). c) R.B. Jamieson Zu Recht stellt Jamieson fest: „Whether one reads διαθήκη as testament or covenant – and, if covenant, whether the focus is inauguration or the execution
431 Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 171. Vgl. außerdem G ÄBEL, Kulttheologie, 409: „Auch hier [sc. in Hebr 9,18–23] wird der Bundesschluss als Reinigungsritual gedeutet, der dem ganzen Volk gilt.“ So ist aber auch schon Ex 24 selbst zu deuten. Vgl. auch RIKKI E. WATTS, Isaiahʼs New Exodus in Mark, Michigan 2000, 352: Der Ritus in Ex 24 ähnele dem in Lev 8. Es gehe um die Weihe und Heiligung des Gottesvolkes. 432 Neutestamentlich ist 1Petr 1,2 (ῥαντισμός) in diesem Sinne zu verstehen. C HRISTIAN EBERHART, Kultmetaphorik, 112f. spricht für 1Petr 1,2 von einem Weihegeschehen und zieht ebenfalls Parallelen zu Ex 24 und dem Bundesschluss am Sinai, nämlich zwischen dem Geloben auf das Buch des Bundes mit der anschließende Blutapplikation in Ex 24,7 und dem Gehorsam mit der anschließenden Besprengung in 1Petr 1,2. 433 G ÄBEL, Kulttheologie, 409.
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of sanctions – death remains the focus of 9:16–17.“434 Er selbst versteht in Anlehnung an Scott W. Hahn den Tod Jesu als Scharnier zwischen alter und neuer διαθήκη. „Jesusʼ death at once satisfies the sanctions of the old covenant and ushers in the blessings of the new.“435 Insbesondere sieht er in dem Begriff der ἀπολύτρωσις eine „substitutionary nuance, in which something given in someone else’s stead effects deliverance. Here the deliverance consists in release from judicial liability. Jesus releases the heirs of the new covenant from the old covenant’s overhanging sentence of death by suffering that sentence on the cross.“436 Zuerst einmal scheint es mir nicht um die Erben der Neuen διαθήκη zu gehen, sondern um solche, die, bereits der neuen διαθήκη angehörig, Zugang zur himmlischen Sphäre erhalten sollen. Es geht um die Teilhaber der himmlischen Berufung (Hebr 3,1). Entscheidend für die These Jamiesons ist nun meines Erachtens wie Hebr 9,15 mit 9,12 zu vereinbaren ist. Nach Hebr 9,12 bewirkt das Blut Jesu die Erlösung (λύτρωσις). Nach Hebr 9,15 bewirkt wiederum der Tod Jesu die Erlösung (ἀπολύτρωσις). Was ist jeweils mit der (ἀπο)λύτρωσις gemeint? Zur λύτρωσις (Hebr 9,12) äußert sich Jamieson nicht eigens, deutet aber an, dass er beide Vokabeln identifiziert.437 Dass das Blut Jesu eine Metonymie seines Todes sei, hält Jamieson ebenfalls fest.438 Damit müssten die beiden genannten Stellen aber den gleichen Sachverhalt beschreiben. Für Jamieson wird die Darbringung des Blutes Jesu nicht in seinem Opfertod vollzogen, sondern das Blut, und d.h. gleichermaßen der Tod, werden seines Erachtens als Objekt der Darbringung in den Himmel mitgeführt. Jesu Tod ist also Buße der vormaligen Vergehen. Die in Hebr 9,18 beschriebene Einweihung des ersten Bundes „nicht ohne Blut“ erklärt er als „ritually inacting death,“439 als Vorwegnahme der Strafe, die bei Missachtung der διαθήκη drohen. Diese Strafe habe Jesus stellvertretend auf sich genommen.440 Dabei merkt Jamieson an, „Hebrews treats the ritual manipulation of blood as symbolically enacting death in a context intimately associated with Levitical purification rites. A conceptual equation between blood and death is integral to how Hebrews ‚reads‘ the Levitical cult.“441 Dunkel bleibt dabei, wie die Blutapplikation eine warnende Andeutung einer möglichen Strafe und zugleich eine kultische Reinigung von Sünden bedeuten könnte. Drohritus und Reinigungsritus verhalten sich doch nun geradezu konträr zueinander. Bei einem Drohritus gibt es aus Sicht der διαθήκη noch keine Sünde, bei dem Reinigungs- und WeiheJAMIESON, Jesusʼ Death, 129. JAMIESON, Jesusʼ Death, 122. 436 JAMIESON, Jesusʼ Death, 123. 437 JAMIESON, Jesusʼ Death, 123: „ἀπολύτρωσις (or simple λύτρωσις).“ 438 JAMIESON, Jesusʼ Death, 128f. 439 JAMIESON, Jesusʼ Death, 130. 440 JAMIESON, Jesusʼ Death, 131. 441 JAMIESON, Jesusʼ Death, 131.
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ritus soll die Sünde weggenommen werden, das heißt, es gibt danach keine Sünde mehr. Hebr 9,18 kann aufgrund dessen, was folgt, nur als Reinigungsritus verstanden sein.442 Jamieson argumentiert, dass die Feststellung in Hebr 9,22b, ohne Blutvergießen gebe es keine ἄφεσις, auf Lev 17,11 zurückzuführen sei.443 Dort sei von einem Austausch „life-for-life“444 gesprochen. Das Blut trage das Leben in sich und sei von Gott gegeben, damit man für das eigene Leben Sühne wirken (ἐξιλάσκομαι) könne. Dabei legt Jamieson die Betonung darauf, dass nicht das Blut Leben sei oder dass eine vom Körper zu unterscheidende Lebensenergie darin sei, sondern „[t]he point is simply that when blood is gone, there is no life.“445 Darum kann er dann über den Begriff der αἱματεκχυσία, was ebenfalls den Verlust des Lebens bezeichnen kann, die Brücke zwischen beiden Texten schlagen.446 An beiden Stellen habe das Blut darum ‚sühnende‘ Funktion. Jamieson interpretiert αἱματεκχυσία unter anderem in Anlehnung an Gen 9,6 (ἀντὶ τοῦ αἵματος αὐτοῦ ἐκχυθήσεται) und Num 35,33 (ἀντὶ τοῦ αἵματος αὐτοῦ ἐκχυθήσεται) in ebendiesem Sinn.447 Ein Leben würde für ein anderes gegeben. Es gehe um die rituelle Schlachtung. „I conclude that Heb 9:22b does indeed assert that without the bloodshed of death, there is no forgiveness of sins.“448 Die Schlachtung wiederum sei hier deshalb so sehr betont, weil nach Lev 17,11 die Blutmanipulation nur deshalb Sühne wirke, weil der Austausch eines Lebens gegen ein anderes ihm diese Bedeutung verleihe: „Atoning blood is lifegiven-in-death.“449 Hebr 9,22 liege gemäß Lev 17,11 also folgende Logik zugrunde: „No death, no life given; no life given, no atonement for life owed.“450 442 Auch alttestamentlich hat die Blutbesprengung Moses am Sinai reinigenden und weihenden Charakter. Sie ermöglicht den Zugang zu Gott (vgl. EBERHART, Kultmetaphorik, 88). 443 Es handelt sich hier um einen Schlüsselgedanken in der Argumentation Jamiesons. Die Verbindung zwischen Hebr 9,22 und Lev 17,11 ist möglich, aber ist sie zwingend? AuctHebr bezieht sich jedenfalls nicht explizit darauf. Wie er die Stelle ausgelegt haben mag, falls sie tatsächlich im Hintergrund stünde, ist ebenfalls nicht leicht zu beantworten, denn er selbst nennt die in Lev 17,11 vorhandene Verbindung ψυχή – αἷμα nicht als Grund für die Wirksamkeit des Blutes. Hinzu kommt, dass der ψυχή-Begriff im Hebräerbrief anders verstanden ist, nämlich als eine den Tod wenigstens potentiell überdauernde Instanz im Menschen, die einen Anker ins himmlische Heiligtum braucht (Hebr 6,19) und gerade nicht wie Fleisch und Blut dem Irdisch-Sichtbaren zugehört (Hebr 2,14). 444 JAMIESON, Jesusʼ Death, 135. Die Argumentation ist ausführlich, vgl. 135–141. 445 JAMIESON, Jesusʼ Death, 155. 446 JAMIESON, Jesusʼ Death, 167: „When Hebrews says that bloodshed is necessary for forgiveness, it makes the giving of life in death explicit.“ 447 JAMIESON, Jesusʼ Death, 151. 448 JAMIESON, Jesusʼ Death, 153. 449 JAMIESON, Jesusʼ Death, 154. 450 JAMIESON, Jesusʼ Death, 155.
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Jamieson deutet also die Schlachtung der Opfertiere, und für ihn damit auch den Tod Jesu, mittels Kategorien des levitischen Kultes, nämlich der Reinigung durch das Blut und der Vergebung, die durch das im Blut enthaltene Leben bewirkt werde. Das wäre soweit ein schlüssiges Konzept, aber die Annahme eines Drohritus hat in dieser Vorstellung nach meinem Empfinden keinen Platz, es wäre ein Hysteron-Proteron.451 Die Weihe des ersten Bundes durch Blut wäre ein Drohritus, der die Todesstrafe bei Missachtung des Bundes vorwegnehme. Zugleich sollte nun dieser Ritus aber – nun verstanden als Reinigungs- oder Sühneritus – die Erlösung (Hebr 9,12 und 15) oder die Wegnahme von Sünden (Hebr 9,22) bewirken. Die Anwendung der Kategorie des Drohritus sollte erklären, weshalb der Tod des διαθέμενος den Grund dafür darstellen sollte, dass die erste διαθήκη nicht ohne Blut eingeweiht wurde. Wenn man den Tod Jesu aber als stellvertretenden Tod der Angehörigen der ersten διαθήκη verstünde und die Einweihung dieser ersten διαθήκη als den ihm vorausgehenden Drohritus, hätte AuctHebr umgekehrt argumentieren müssen, nämlich so dass der διαθέμενος habe sterben müssen, weil die erste διαθήκη im Blutritus den Tod des Vertragsbrüchigen antizipiert hätte. Stattdessen wird aber vielmehr gesagt, dass das reinigende Blut Jesu die Erlösung brachte (Hebr 9,12), der Tod Jesu also die Erlösung von den Vergehen (Hebr 9,15). Damit ist der Tod Jesu stets der Beginn der neuen, nie Abschluss der ersten διαθήκη. Diese geht ‚unspektakulär‘ durch Gottes Ankündigung in die neue über (8,12f.). Die bloße Tatsache, dass es ein anderes relevantes Priestertum gibt, bringt die Gesetzesänderung mit sich (Hebr 7,12). Jesu Blut und Tod sind ausschließlich Teil, ja Hauptteil der neuen, nicht der ersten διαθήκη, mit der der Gottessohn ja auch sonst bewusst nicht in Verbindung gebracht wird. Jesu Blut weiht die neue διαθήκη ein.452 Auch die erste ist daher nicht ohne Blut eingeweiht worden. Der Vergleichspunkt ist die Reinigung, die in beiden Bünden die Teilhabe und damit auch die Kultbefähigung bewirkt. 5.1.2.2 Ein Deutungsversuch für Hebr 9,15–17 im Kontext des neunten Kapitels Sowohl die Deutung der Verse unter erbrechtlicher Perspektive als auch die Deutung unter Kategorien des Vertragsschlusses, der den Tod des 451 Die Spannung, die bei der Doppeldeutung des Blutritus entsteht, wird besonders in Jamiesons Zusammenfassung deutlich, vgl. daher JAMIESON, Jesusʼ Death, 159: Punkt 1 schildert Tod und Blut als Strafgeschehen, Punkt 2 Tod und Blut im Sinne der Schlachtung als Voraussetzung für Vergebung (life-for-life exchange via a life given in death for a life liable to death). 452 Vgl. W OLFGANG K RAUS, „Zur Aufnahme von Ex 24f. im Hebräerbrief,“ in Matthias Hopf/Wolfgang Oswald/Stefan Seiler (Hg.), Heiliger Raum. Exegese und Rezeption der Heiligtumstexte in Ex 24–40, TA 8, Stuttgart 2016, 91–112: 104.
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vertragsbrüchigen Bündnispartners fordert, haben, wie gezeigt, ihre Schwierigkeiten. Weil ein traditionsgeschichtlicher Bezug nicht mehr zu erschließen ist,453 sei der Versuch gewagt, sich bei der Exegese auf das zu beschränken, was uns der Autor des Hebräerbriefes preisgibt. a) Die διαθήκη Das achte Kapitel bringt zum ersten Mal den Gedanken der neuen διαθήκη ein. Unter ausführlicher Aufnahme von Jer 38,31–34 LXX wird die Frage nach dem Gottesverhältnis in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt (καὶ ἔσομαι αὐτοῖς εἰς θεόν, καὶ αὐτοὶ ἔσονταί μοι εἰς λαόν). Sebastian Fuhrmann betrachtet Jer 38 LXX dabei als den „eigentlichen Fokustext“454 des Abschnitts Hebr 8,1–10,18.455 Gottes Handeln am Volk Israel dient einzig dazu, sich ihm wieder präsent zu machen. Die neue διαθήκη ist ein Bund der gesteigerten Gottesnähe und weil die Gebote in den Herzen geschrieben stehen, wird es auch keinen Bundesbruch mehr geben. Schließlich kann kein Zweifel mehr am Bundesverhältnis aufkommen, weil Gott den Glaubenden stets erfahrbar sein wird. Es bedarf daher keines Unterrichts und keiner Aufforderung zur Gotteserkenntnis mehr, weil alle Menschen Gott ohnehin kennen werden. Und gerade diese Aussage, πάντες εἰδήσουσίν με (Hebr 8,11), wird nach Jeremia interessanterweise damit begründet (kausales ὅτι), dass Gott der Sünden nicht mehr gedenke. Wenn die Sünden das Verhältnis zwischen Menschen und Gott nicht mehr stören, kann die Distanz aufgehoben werden und das Volk wird Gott persönlich kennen. Daran knüpft Hebr 9,1–5 an, indem die Einrichtungen der ersten διαθήκη allein darum beschrieben werden, zu zeigen, dass der Zugang in die unmittelbare Gottespräsenz noch beschränkt ist (Hebr 9,6–10). Selbst in das irdische Allerheiligste, in dem Gott als gegenwärtig gedacht ist, dürfen allein die Hohepriester eintreten und zwar nur unter strenger Beachtung der Auflagen, die das Kultgesetz vorgibt. Denn der Eintritt ins Allerheiligste ist einzig mit dem ‚besonderen‘ Blut des Jom-Kippur-Rituals gestattet (Hebr 9,7) und auch nur einmal im Jahr möglich. Alle δῶρά τε καὶ θυσίαι (Hebr 9,9) können den Dienenden im Gewissen nicht vollkommen machen. Das heißt, sie können ihm den Zutritt ins Allerheiligste nicht ermöglichen. Darum muss der übliche Gottesdienst im vorderen Zelt stattfinden (Hebr 9,6), weil – und zugleich obwohl – Gott dort gar nicht gegenwärtig ist. Darum werden diese Kultregeln als Interimsordnung qualifiziert (Hebr 9,10). Denn den einzigen Zweck, den die Riten nach dem Hebräerbrief hätten, nämlich die Gottesnähe zu erwirken, können sie FUHRMANN, Vergeben, 209: „Mangels eindeutiger Belege aus anderer antiker Literatur verschließen sich diese Verse [sc. Hebr 9,15–17] einer gänzlich befriedigenden Auslegung.“ 454 FUHRMANN, Vergeben, 184. 455 Zur makrotextuellen Einordnung vgl. insb. B ACKHAUS, Bund, 181f. 453
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nicht erfüllen, weil sie nicht auch geistig rein machen können. Die Sünden stehen einer unmittelbaren Gottesbegegnung im Weg. Das soll im καιρός διορθώσεως, also in der neuen διαθήκη, anders werden. So verspricht es die Verheißung im Buch Jeremia. Eingeleitet wird das Geschehen des Neuen Bundes durch den Hohepriester Christus, der durch das größere und vollkommenere Zelt zu den Menschen gekommen ist (Hebr 9,11).456 Nicht kraft Tierblutes, sondern kraft eigenen Blutes ist er ins Heilige eingetreten und hat so ewige Erlösung erlangt (Hebr 9,12). Erneut folgt der Gedanke, dass Tierblut nicht das Innere des Menschen, sondern das Fleisch rein mache; diese Kraft aber wird ihm immerhin attestiert (Hebr 9,13). Wenn das nun dem Tierblut möglich ist, wieviel mehr kann das Blut Christi das Gewissen reinigen. Christi Blut bewirkt ergo eine Reinigung, die vom Geist (διὰ πνεύματος) ausgeht und auf den Geist (καθαριεῖ τὴν 456 Wie ist das Verbum παραγίνομαι in der Kombination mit der Präposition διά zu verstehen? Es handelt sich um ein Verbum, das die Anwesenheit einer Person ausdrücken kann (PAPE, Handwörterbuch, s.v. παραγίγνομαι: „daneben od. dabei sein, zugegen od. anwesend sein;“ so auch LSJ, 1306), aber auch schon „mit Rücksicht auf die vorangegangene Bewegung, hinkommen“ (PAPE, Handwörterbuch). Insbesondere die Tatsache, dass die Bewegung konnotiert sein kann, lässt nun an ein lokal verstandenes διά (durch/hindurch) denken. Dabei ist aber zu beachten, dass erstens die Kombination beider Vokabeln bei 37 Belegstellen im Neuen und 174 Belegstellen im Alten Testament sonst nicht nachweisbar ist, es ist also kein übliches Paar. Zweitens findet sich διά mit Genitiv vermehrt im Kontext unserer Stelle und ist mit Ausnahme von Hebr 10,20 (durch den Vorhang) fast ausschließlich kausal/instrumental verstanden. Die Überlegung, dass Christus also kraft des vollkommeneren Zeltes als Hohepriester auftreten konnte, ist darum bedenkenswert. Die Parallelität der beiden διά-Aussagen διὰ […] τελειοτέρας σκηνῆς und διὰ τοῦ ἰδίου αἵματος wird von JAMES SWETNAM, „Christology and the Eucharist in the Epistle to the Hebrews,“ Bib 70 (1989), 74–95: 80 erkannt. Er überspannt aber den Bogen, wenn er aus dem Parallelismus von Blut und Zelt schließt, dass das vollkommenere Zelt hier Jesu Leib bezeichne, kraft dessen er das himmlische Heiligtum habe betreten können. Ich halte es für ausgeschlossen, dass Jesus zugleich als Hohepriester bezeichnet wird und ein Bestandteil seiner selbst als Zelt(-heiligtum), auch wenn man es als „play on word“ (SWETNAM, „Christology,“ 81) auffassen wollte. Versteht man διά lokal, muss man nach dem Beginn und dem Endpunkt des Kommens fragen. Von wo nach wo ging Christus durch das vollkommenere Zelt? Wenn mit Hebr 10,20 (der Identifikation von Vorhang und Fleisch) angenommen werden darf, dass der Ausgang aus dem Leben mit dem Eingang ins himmlische Allerheiligste (10,19f.: εἴσοδος τῶν ἁγίων […] διὰ τοῦ καταπετάσματος = 9,12; εἰσῆλθεν εἰς τὰ ἅγια) zusammenfällt, dann kann man sich nicht vorstellen, dass der Weg durch das vollkommenere Zelt himmlisch vor dem Eintritt ins Allerheiligste beschritten wird. Es kann also kein Kommen in den Himmel gemeint sein. Wenn es heißt, Christus sei gekommen, versteht man ohnehin eine Bewegung hin zu den Menschen, nicht von den Menschen weg und ins Heiligtum. Das wird ja auch sonst stets mit εἰσέρχομαι ausgedrückt. Wenn zudem anzunehmen ist, dass σκηνή und ἅγια das gleiche Heiligtum bezeichnen, kann eigentlich nur gemeint sein, dass Jesus vom himmlischen Heiligtum/Zelt her zu uns gekommen ist (= Inkarnation) und anschließend, nachdem er Blut und Fleisch angenommen hatte (Hebr 2,14), im Zuge seiner Darbringung kraft Blutes (Hebr 9,12) durch den Vorhang seines Fleisches (Hebr 10,20) wieder ins Heiligtum eintritt.
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συνείδησιν) wirkt (Hebr 9,14).457 Damit werden die Menschen zum Dienst für Gott befähigt, sie werden an den Ort der lebendigen Gottespräsenz gebracht.458 Dass das Blut Christi den inneren Menschen reinigen kann, ist für AuctHebr der Grund dafür, dass Christus die ewige Erlösung bewirken konnte; der Anschluss in Hebr 9,14 erfolgt mit der Konjunktion γάρ. So ist der Vorgang der λύτρωσις inhaltlich mit der Gewissensreinigung zu füllen. Das Gewissen wurde von den Werken gereinigt, die potentiell den Tod bringen, also von den Sünden.459 Entsprechend kann auch mit der λύτρωσις nur eine Befreiung von den Sünden gemeint sein. Wenn die Sünden getilgt sind, ist man rein und heilig für den Gottesdienst.460 b) Der μεσίτης Erneut wird in Hebr 9,15 kausal angeschlossen: Weil Jesu Blut die Gewissen gereinigt hat und die Menschen sich folglich Gott nahen können, deshalb (διὰ τοῦτο) ist Jesus Mittler einer neuen διαθήκη. Mit dieser Feststellung wird nun der Blutritus, der ausgehend vom Jom Kippur bereits als Möglichkeit in Aussicht gestellt worden ist, einen Menschen in die direkte Gottespräsenz zu bringen, mit der Inauguration der neuen διαθήκη in Verbindung gebracht. Mit der Anwendung des μεσίτης-Begriffes auf Christus könnte schon der Vergleich mit dem Bundesschluss am Sinai antizipiert sein, dessen μεσίτης – das findet sich in Hebr 8,5f. bestätigt – Mose ist.461 Der genannte Vergleich wurde schon 457 Vgl. M ICHAEL ERNST, „Eucharistie im Hebräerbrief?,“ PZB 20 (2011), 51–65, 57: „Das Blut Jesu hat diese einzigartige Wirksamkeit, weil Jesus sich kraft ewigen Pneumas Gott dargebracht hat (9,14). Denn schon immer war in ihm die ‚Kraft unauflöslichen Lebens‘ (7,16), so dass er durch seinen Tod den Todesbeherrscher entmächtigte (2,14). Deshalb hat das Blut Jesu solche Wirkkraft, weil die ganze Person Jesu dem pneumatischen Aion angehört.“ 458 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 191. 459 In Hebr 6,1 ist von der Abkehr (μετάνοια) von toten Werken als einer grundständigen Lehre die Rede. Gerade μετάνοια wird sonst im Neuen Testament häufig als eine Abkehr von Sünden näher bestimmt. Exponiert bereits etwa in Mk 1,4: βάπτισμα μετανοίας εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν (die Taufe der Umkehr zur Wegnahme der Sünden), die Johannes der Täufer praktizierte. So fordert auch Jesus ausdrücklich Sünder, nicht Gerechte, zur μετάνοια auf. Weitere Belege finden sich insbesondere im lukanischen Schrifttum, beispielsweise Lk 15,7 passim; Apg 5,31 passim. 460 Vgl. SCHIERSE, Verheißung, 152. 461 Auf Mose wird die Bezeichnung in Philons Vita Mosis 2:166 angewandt, als er zwischen Volk und Gott nach dem Vorfall mit dem goldenen Kalb vermitteln muss und dabei als Fürbitter agiert. Es stehen sich dort aber freilich zwei Parteien gegenüber, das sündige Volk und der erzürnte Gott. Außerdem wird nicht die διαθήκη vermittelt. Unserer Stelle näher steht Gal 3,19. Hier muss Mose gemeint sein, wenn es heißt, das Gesetz sei durch Engel und durch die Hand eines Mittlers befohlen, vielleicht wird auf Lev 26,46 angespielt: νόμος, ὃν ἔδωκεν κύριος […] ἐν τῷ ὄρει Σινα ἐν χειρὶ Μωυσῆ. Man kann fragen, ob durch χείρ eine Aktivität oder Initiative Moses angedeutet werden soll, allerdings kann in alttesta-
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vorbereitet, indem Jesus bereits in Kapitel 8, dort ebenfalls in Anlehnung an ihn, Mittler einer besseren διαθήκη genannt wurde.462 Im Zuge dessen wird Mose als derjenige vor Augen geführt, der nach göttlichem Auftrag das irdische Heiligtum einsetzt. Entscheidend dabei ist: Der Bundesschluss am Sinai durch Mose ist nicht etwa schattenhaftes Abbild, sondern Vorläufer des Neuen Bundes.463 Mose ist neben Vater, Sohn und Geist der einzige namentlich identifizierte Sprecher im Hebräerbrief.464 Dessen Bundesschluss ist für den Autor ein reales, historisches und zum Neuen Bund analoges Geschehen.465 Mose hat den ersten Bund realiter eingesetzt466 und dieser Bund war bis zum Christusereignis vollumfänglich gültig. Zudem haben die in Hebr 9 beschriebenen Reinigungsriten, die Mose selbst in hohepriesterlicher Funktion467 vollzieht, immerhin 74 Menschen die Gottesschau mit anschließendem gemeinsamem Mahl ermöglicht.468 Vielleicht mentlichem Griechisch sogar wörtliche Rede ἐν χειρὶ übermittelt werden, weil die Wendung häufig ein zur instrumentalen Präposition verblasstes ְבַּידim Sinne eines διά übersetzt (so bspw. Num 17,5: καθὰ ἐλάλησεν κύριος ἐν χειρὶ Μωυσῆ). Vgl. BDR §217,2. 462 Vgl. FRIEDRICH LANG, „Abendmahl und Bundesgedanke im Neuen Testament,“ EvTh 35 (1975), 524–538: 537: „[A]ls Antitypus des Mittlers des alten Bundes Mose ist Christus der Mittler des neuen Bundes.“ 463 Vgl. SWETNAM, „Christology,“ 85. 464 So richtig M ADISON N. PIERCE, Divine Discourse in the Epistle to the Hebrews. The Recontextualisation of Spoken Quotations of Scripture, SNTMS 178, Cambridge 2020, 22. 465 Vgl. die richtungsweisende Feststellung bei PARSONS, „Son,“ 207: „Allowing that Moses is much more than a ‚whipping boy‘ for the author, the fact remains that the figure Moses is utilized as a basis for christology.“ 466 H EGERMANN, Hebräer, 184. 467 Auch Philon sah in Ex 24 Mose als Hohepriester. Gebraucht er die Bezeichnung sonst häufig als Titel (etwa Sacr. 130; Mos. 2:3.66 passim), so ist einzig im Bezug zu unserem Kontext eigens Wert auf die hohepriesterliche Handlung Moses gelegt (Philon, Her. 182 mit Bezug auf Ex 24,6; Mos 2:75 zur Einrichtung des Zeltes wurde der „wahre Hohepriester“ beauftragt). Zur Frage nach dem Hohepriestertum Moses vgl. insbesondere JOHN LIERMAN, „Moses as Priest and Apostle in Hebrews 3:1–6,“ in Gabriella Gelardini/Harold W. Attridge (Hg.), Hebrews in Context, Ancient Judaism and Early Christianity 91, Leiden/Boston 2016, 47– 62. GERT JACOBUS STEYN, „Moses as θεράπων in Hebr 3:5–6. Portrait of a Cultic ProphetPriest in Egypt?“ JNSL 40/2 (2014), 113–125 deutet auch die Verwendung des Begriffs θεράπων (Hebr 3,5) entsprechend. AuctHebr habe den Begriff bewusst eingesetzt, um die kultische Funktion Moses anklingen zu lassen: „Moses, however, is subordinate to the Son and was a mere (cultic) servant (high priest?) in the earthly sanctuary of God. But the relation between Moses and Jesus as servants in Godʼs sanctuary is not too distant. The one is just a sketch and a shadow of the other (Heb 8:5). Similar to Mosesʼ role as θεράπων, Jesus has also been appointed as Godʼs Son in the heavenly sanctuary as a high priest (ἀρχιερέα, Heb 5:5–6; 8:1) and as a minister (λειτουργός, Heb 8:2)“ (a.a.O., 124). 468 Vgl. Ex 24,10.11. Auch wenn in der Septuaginta das Schauen Gottes etwas verhaltener zum Ausdruck gebracht wird (MT: ֵהי ִי ְשׂ ָרֵאלJ ; ַוִיּ ְראוּ ֵאת ֱאLXX: καὶ εἶδον τὸν τόπον, οὗ εἱστήκει ἐκεῖ ὁ θεὸς τοῦ Ισραηλ), ist die Gottesschau noch deutlich herauszulesen. Im
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ist das auch einer der Gründe, warum AuctHebr in Worten von Ex 24 beschreibt, was sachlich im Grunde erst in Ex 40 folgt, nämlich die Einweihung von Zelt und Kultinstrumenten.469 Denn in Kapital 40 heißt es ausdrücklich καὶ οὐκ ἠδυνάσθη Μωυσῆς εἰσελθεῖν εἰς τὴν σκηνὴν τοῦ μαρτυρίου (und Mose konnte nicht in das Zelt des Zeugnisses eintreten). Das wäre exakt das Gegenteil dessen, was AuctHebr eigentlich belegen möchte. Auch das Jom-Kippur-Ritual hat den Zweck, Zugang zu Gott zu schaffen470 und bleibt nicht ohne Wirkung, allerdings wird es als nicht so effizient vorgestellt wie die Inaugurationsriten Moses nach Ex 24. Gerade indem AuctHebr dem Ritual am Sinai die Elemente Wasser, Scharlach und Ysop hinzufügt, zeigt er an, dass er es als Reinigungsritual verstanden wissen will,471 das nach seiner Meinung für einen Zugang zu Gott notwendig ist. Darum gilt dem Verfasser der Jom Kippur (bloß) als παραβολή. Was AuctHebr als intendiertes Ziel jedes Opferrituals versteht, nämlich das Volk zu reinigen und zu Gott zu bringen, konnte nicht in vollem Maße erreicht werden.472 Letztlich erhielt nur der Hohepriester allein Zutrittsrechte, die zudem auch noch zeitlich eng beschränkt
hebräischen Text wird darauf Wert gelegt, dass Gott keine Hand an die Auserwählten gelegt habe (Ex 24,11). Das könnte den Erfolg der vorausgehenden Riten bescheinigt haben. Der griechische Text stellt demgegenüber bloß fest, dass die Ausgewählten allesamt anwesend waren. Die ermöglichte Gottesschau ist für PETER STUHLMACHER, „Das neutestamentliche Zeugnis vom Herrenmahl“ ZThK 84,1 (1987), 1–35: 13, auch im Zusammenhang mit dem Abendmahl bedeutsam. Auch beim Abendmahl wird dem Blut sühnende Funktion zugeschrieben. Nach Ex 24,11 aßen und tranken Mose, Aaron und die Ältesten vor Gott. Stuhlmacher vermutet, dass Jesus diese Szene beim Kelchwort vor Augen gehabt habe. 469 Es wird die Besprengung von Zelt und Kultgeräten erwähnt, die aber eigentlich erst später (Ex 25–21) hergestellt werden (vgl. WOLFGANG KRAUS, „Aufnahme,“ 104: „Da aber nach dem Hebr auch Zelt und Geräte besprengt werden, handelt es sich nach dem Hebr in Ex 24 ebenfalls um einen Heiligtumstext“). 470 Lev 16,1 (μετὰ τὸ τελευτῆσαι τοὺς δύο υἱοὺς Ααρων) ist an Lev 10,1–3 rückgebunden. Dort ist vom Tod Nadabs und Abihus die Rede, die sich unerlaubt Jahwe genähert und ein nicht befohlenes Feuer darbrachten. Sie werden vom Feuer des Herrn verzehrt. Vgl. FRIEDHELM HARTENSTEIN, „Bedeutung,“ 125. Lev 16 beschreibt die Anweisungen des Herrn an Aaron, um das Leben des Hohepriesters zu schützen und den Eintritt in das Allerheiligste zu ermöglichen. Auch AuctHebr redet vom Feuer des Herrn, das verzehrt, wer sich ihm nicht rechtmäßig nähert: Hebr 10,27 (die Widersacher); Hebr 12,29 (diejenigen, die nicht an der Gnade festhalten und Gott nicht nach seinem Willen dienen). 471 G ÄBEL, Kulttheologie, 407. 472 Vgl. STEVE STANLEY, „Hebrews 9:6–10: The ‚Parable‘ of the Tabernacle,“ NT 37/4 (1995), 385–399: 394: „The importance of coming into Godʼs presence was illustrated by the high priestʼs entry into the holy of holies on behalf of the people, which was the cultic high-point of the year. But as it was, the people had to be satisfied with a superficial and temporary cleansing that did not afford them direct and intimate access to God.“
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waren. Auch alle anderen Opferarten konnten den Zugang zu Gott nicht ermöglichen.473 Moses Opferhandlungen und Weiheriten sind wirksam und so ist er aktiv an der Einrichtung der διαθήκη auf Erden beteiligt.474 Er ist nicht bloß Vermittler etwa in dem Sinne, dass er den Menschen eine von Gott eingesetzte διαθήκη übermittelte.475 Das gilt für Hebr 8,5 wie für Hebr 9,19–21. Und ebenso trifft dies auch auf Christus zu, dessen Mittlerrolle im gleichen Atemzug mit der Ausübung eines vorerst nicht näher spezifizierten „vortrefflicheren Dienstes“ (Hebr 8,6) genannt ist. Dieser Dienst könnte auf die Reinigung des Volkes in Hebr 9,14 und die Weihe des Heiligtums in Hebr 9,23 vorausdeuten, die ebenfalls ihre Entsprechungen bei der Inauguration des ersten Bundes unter dem ‚ersten‘ μεσίτης Mose haben (Hebr 9,19 bzw. 9,21). Wie ist also der Begriff des μεσίτης zu verstehen?476 Mose wie Jesus waren verantwortlich für die Inauguration der jeweiligen διαθήκη477 und haben die Vgl. BACKHAUS, Bund, 190. Vgl. HARTENSTEIN, „Bedeutung,“ 133: „Herstellung und Bekräftigung einer engen Beziehung.“ 475 Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 83. Die Vetus Latina-Wiedergabe in der Tradition D mit arbiter (Zeuge/Schiedsmann) weist daher in eine falsche Richtung, wenn sie durchaus am semantischen Feld teilhat, das auch μεσίτης abdeckt. J und V übersetzen mit dem seltenen und unbestimmteren Begriff mediator (Mittler/Mittelsperson). 476 W OLFGANG K RAUS, „Jesus als ‚Mittler‘ im Hebräerbrief,“ in Andrea Taschl-Erber/Irmtraud Fischer (Hg.), Vermittelte Gegenwart. Konzeptionen der Gottespräsenz von der Zeit des Zweiten Tempels bis Anfang des 2. Jahrhunderts n.Chr., Tübingen 2016, 293–315: 309, interpretiert den Begriff μεσίτης als Bürge. Garant und Realisator der διαθήκη. Die Bedeutung ‚Bürge‘ belegt er u.a. unter Verweis auf den parallelen Gebrauch von ἔγγυος in Hebr 7,22 und die Bedeutung des Verbs μεσιτεύω (Hebr 6,17), das „sich verbürgen“ heiße. Dass von ἔγγυος auf μεσίτης geschlossen werden darf, ist aus meiner Sicht nicht gewiss (anders KRAUS, „Mittler,“ 312). Der Gebrauch des ἔγγυος-Begriffes ist vom Kontext geprägt, bei dem es um den Eid (ὁρκωμοσία) Gottes geht, den er zur Ernennung des Priesters nach Ps 109,4 spricht: „Der Herr hat geschworen und nie wird es ihn reuen: Du bist Priester auf ewig.“ So sei Jesus Gewähr oder Bürge des neuen Bundes. Jesus wird damit gewissermaßen zum personifizierten göttlichen Eid. Es geht hier nicht um eine aktive Funktion, die Jesus einnimmt, sondern um den in seiner Person dokumentierten Nachweis des göttlichen Schwurs. Das ist beim μεσίτης-Begriff anders, denn er führt „über das Bürgschaftsmotiv hinaus, da Jesus in seinem ‚mittlerischen‘ Heilstod das Verbürgte zugleich herbeiführt und in Kraft setzt“ (BACKHAUS, Bund, 146). Diesen Aspekt greift Wolfgang Kraus mit dem Begriff des Realisators auf. Die zweite Schwierigkeit sehe ich im Gebrauch des Verbums μεσιτεύω nach Hebr 6,17. Auch hier geht es im Kontext um den göttlichen Eid. Die Wendung μεσιτεύω ὅρκῳ wird in der Regel wiedergegeben als „sich mit einem Eid verbürgen.“ Mir scheint das eine der deutschen Idiomatik angepasste kontextuelle Übersetzung zu sein. PASSOW, Handwörterbuch, s.v. μεσιτεύω gibt recht wörtlich wieder: „in der Mitte sein“/„Vermittler sein“ (darunter ist auch unsere Stelle gefasst), „vermitteln.“ 477 K NUT B ACKHAUS, Bund, 143f., sieht richtig: „Jesus realisiert die von Gott inaugurierte neue Heilsdisposition.“ Nicht zuzustimmen ist ihm darin, dass er meint, Mose habe als 473
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Weihe- und Reinigungshandlungen beziehungsweise die Reinigungshandlung vollzogen, das heißt sie haben Volk und Kultstätte geweiht.478 In welchem Verhältnis steht aber dann der μεσίτης-Begriff zum διαθέμενος-Begriff? Für die erste διαθήκη ist festzustellen, dass Mose selbst explizit Gott als διαθέμενος bezeichnet, wenn er sagt, τοῦτο τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς ἐνετείλατο πρὸς ὑμᾶς ὁ θεός (Hebr 9,20; cf. Ex 24,8). Gleiches gilt nach dem Jeremiazitat für die neue διαθήκη.479 Auch sie wird von Gott eingesetzt. Die beiden Erwähnungen rahmen unseren Abschnitt (Hebr 8,10; 10,16). Da in Hebr 9,16 vom Tod des διαθέμενος gesprochen wird, kann in unserem Zusammenhang nicht Gott als διαθέμενος verstanden sein. Es bleibt daher keine andere Option als Jesus diese Funktion zuzuschreiben. Wenn es aber im biblischen Schrifttum um göttliche διαθῆκαι geht, ist es selten ein Mensch, der sie einsetzt oder gar als διαθέμενος der Verfügung bezeichnet wird. Ausnahmen bilden aber immerhin 4Kgt 23,4 (entspricht 2Chr 34,31);480 2Chr 29,10;481 Esra 10,3 (Esdr II, 10,3);482 Neh 10,1 (Esdr II,
Gesetzgeber und Mittler der πρώτη διαθήκη keine eigenständige Bedeutung für den Hebräerbrief und ebenso wenig werde Jesus als Moyses novus oder Stifter der nova lex dargestellt. 478 N ELSON, „Sacrifice,“ 256: „Sprinkled blood is also a feature in the sacrificial ritual by which Moses ratified the covenant in Exod 24:3–8. The blood that Moses sprinkled on people and altar unified God and Israel covenantally. Likewise, Jesus mediated a new covenant through his own death and sprinkled blood (9:15; 12:24).“ 479 Schon Jer 31 bezieht sich bei der Einsetzung des neuen Bundes auf Ex 24. Vgl. z.B. A. VAN DER WAL, „Themes from Exodus in Jeremiah 30–31,“ in M. Vervenne (Hg.), Studies in the Book of Exodus. Redaction, Reception, Interpretation, BETL 76, Leuven 1996, 559– 566: 564. 480 Vor König Josias, dem Volk und den Priestern wird das Bundesbuch (βιβλίον τῆς διαθήκης) verlesen (2Chr 34,30). Dass sich Josias diesem gottgegebenen Bund verpflichtet, wird interessanterweise mit Vokabular geschildert, das auch zur Beschreibung der Einsetzung der διαθήκη verwendet wird: διέθετο διαθήκην ἐναντίον κυρίου (= MT: ַוִיּ ְכֹרת ֶאת־ַהְבּ ִרית )ִל ְפֵני ְיה ָוה. 481 Nachdem die Vorfahren die διαθήκη gebrochen haben, indem sie sich von Gott abgewandt (2Chr 29,6) und keine Opfer mehr dargebracht haben (29,7), befiehlt nun Ezekias, den Tempel instand zu setzen (29,3), die Priester und den Tempel zu heiligen (29,4–5). Nachdem die Väter gefallen und die Verwandten in Gefangenschaft sind, will er διαθέσθαι διαθήκην κυρίου, den Bund mit dem Herrn schließen. Es ist damit eine Wiederaufnahme der Kultvorschriften und des Tempels der ursprünglichen διαθήκη gemeint. Diese Wiederaufnahme geschieht unter und mittels kultischen Weihehandlungen. 482 Nach dem Bundesbruch fasst Sechenias den Entschluss, selbst eine Verfügung mit Gott einzusetzen ( ֵהינוּJ ;ִנ ְכָרת־ְבּ ִרית ֵלאδιαθώμεθα διαθήκην τῷ θεῷ ἡμῶν), um die Missetaten wiedergutzumachen. Es ist dabei aber vorausgesetzt, dass diese Verfügung in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes steht.
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19,38);483 SapSal 18,9.484 Der Asaphpsalm (Ps 49,5 LXX) ist dabei ein wichtiger Beleg, weil dort wie im Hebräerbrief das Partizip gebraucht wird. Im masoretischen Text handelt es sich in Ps 50,5 um eine direkte Gottesrede, die in der Übersetzung zu einer indirekten umgeschrieben oder verlesen wurde. Es sollen die Frommen für Gott versammelt werden, die seine διαθήκη unter Opfern schließen (τοὺς διατιθεμένους τὴν διαθήκην αὐτοῦ ἐπὶ θυσίαις). Üblich ist, im genannten Bundesschluss einen Verweis auf denjenigen in Ex 24 zu sehen.485 Franz Delitzsch interpretiert das διατίθημι als Aufrechterhaltung des nach Ex 24 von Gott initiierten Bundesverhältnisses durch Opferdarbringungen. Diese Darbringungen seien Ausdruck ihres Gehorsams und ihrer Treue.486 Vielleicht steht auch ein Bundeserneuerungsfest im Hintergrund.487 Aber bezieht man Hebr 9,18 in die Überlegungen mit ein, so kann man auch Ps 50 in jenem Sinn verstehen, dass die Opferdarbringungen der Menschen ebenfalls notwendig sind, um eine göttliche διαθήκη tatsächlich in Kraft zu setzen. Sie wird nicht von Gott auf ein in Passivität verharrendes Volk übertragen, sondern es bedarf der aktiven Aneignung auf menschlicher Seite, wofür die Priester stellvertretend Reinigungs- und Weiheriten ausführen. Der Bund wird ἐπὶ θυσίαις eingesetzt. Insbesondere ist daher auch 4Kgt 11,17 für uns von Interesse, weil es dort heißt: διέθετο Ιωδαε διαθήκην ἀνὰ μέσον κυρίου καὶ ἀνὰ μέσον τοῦ βασιλέως καὶ ἀνὰ μέσον τοῦ λαοῦ τοῦ εἶναι εἰς λαὸν τῷ κυρίῳ (Jodae [er ist Priester!] setzte einen Bund zwischen Herrn und König und Volk 483 Neh 10,1 ist mit Esra 10,3 vergleichbar. Jedoch wird eine Selbstverpflichtung ( מ ָנ ה ָ ֲא und πίστις), nicht ein Bund, Gott gegenüber aufgerichtet. In MT wie LXX wird das Verbum benutzt, das auch für das Einsetzen eines Bundes verwendet wird ( כרתund διατίθημι). Die Begriffe ְבּ ִריתund διαθήκη werden jedoch – anders als in Esra 10,3 – vermieden, obwohl anschließend verschiedenste Elemente genannt sind, die zu einer Verfügung gehörten: Die Vertragsunterzeichnung (10,1), die Selbstverfluchung (nur LXX; 10,30), Opfer (10,34), die Erstlingsgaben (10,26f.), die Erhebung des Zehnten (10,38). Gemeint ist an dieser Stelle, dass sich Menschen selbst dazu verpflichten können, das Gesetz des Mose einzuhalten (10,30). Es wird also von den Menschen keine Verfügung erlassen, aber dennoch ist auffällig, dass hier vorausgesetzt wird, dass man sich selbst zur Einhaltung der gottgegebenen Verfügung entscheiden und sich ihr verpflichten kann. Üblicherweise ist Gott derjenige, der die Menschen dazu verpflichtet. 484 Eine weitere Ausnahme bildet eventuell SapSal 18,9, allerdings ist hier νόμος Objekt zu διατίθημι. Wohl bezieht sich dieses Gesetz auf das Gesetz des Pessach (Ex 12,43ff.). Unter Opferdarbringungen setzten die Israeliten beim Aufbruch aus Ägypten das Gesetz der Gottheit (τῆς θειότητος) ein oder verpflichteten sich darauf. Entscheidend ist, dass διατίθημι hier nicht das Schaffen des Gesetzes bezeichnet, sondern die Annahme des gottgegebenen Gesetzes durch die Menschen. 485 Vgl. etwa H ERMANN G UNKEL, Die Psalmen, Göttingen 61986, 219. 486 FRANZ D ELITZSCH, Über den Psalter. Erster Theil. Übersetzung und Auslegung von Ps. I–LXXXLX, Leipzig 1859, 391. 487 So B ENJAMIN K ILCHÖR/B EAT W EBER, „‚Unser Gott kommt…!‘ (Ps 50,3): Psalm 50 und sein Setting im Lichte aufgenommener Überlieferungen,“ OTE 27/3 (2014), 1084–1111: 1098, unter Hinweis auf Textverwandtschaften zu Dtn 30–33 und Jos 22; 24 u.a.
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ein, auf dass es dem Herrn zum Volk sei). Keine der beiden Parteien, weder Volk noch Gott, ist das Subjekt des διατίθημι. Jodae ist also in diesem Sinn vermittelnd tätig und im gleichen Sinne auch διαθέμενος. Die Funktion des μεσίτης und die des διαθέμενος schließen einander folglich nicht aus, im Gegenteil. Bei einer göttlichen διαθήκη ist freilich immer Gott derjenige, der instruiert – zu solcher Deutung passt, dass AuctHebr das Prädikat bei der Stiftungsformel von διέθετο (Ex 24,8) zu ἐνετείλατο (Hebr 9,19) abändert.488 Gott ist freilich dennoch stets der ‚eigentliche‘ διαθέμενος. Wenn also Menschen – etwa Josias, Ezekias, Sechenias, das Volk Israel (und damit speziell auch Mose) – als Subjekt des διατίθημι genannt werden, dann ist damit eine Selbstverpflichtung auf die von Gott gegebenen Gesetze und Satzungen ausgedrückt. Das ist auch für den Hebräerbrief so zu verstehen. In Jer 31 findet sich die neue διαθήκη beschrieben. Nicht Christus gibt die Regeln vor, sondern alles geschieht nach Gottes Willen und Plan. Über Christi Vermittlung und unter dessen reinigendem, die Gottesbegegnung ermöglichendem Opfer (Hebr 9,14f.) findet die Einsetzung der διαθήκη statt. Im Abschnitt Hebr 9,11–17 werden die Motive des Hohepriestertums und der Bundesmittlerschaft miteinander verknüpft.489 Wenn im Hebräerbrief von Gott selbst das διατίθημι ausgesagt ist, sollte es kausativ verstanden werden. Gott veranlasst den Bundesschluss mit den notwendigen kultischen Handlungen. Für diese Reinigung von Sünden ist das Blut (Hebr 9,14) und der Tod (Hebr 9,15) verantwortlich. Diese werden, da sie die gleiche Funktion haben, miteinander identifiziert. Es folgen sehr strikte Aussagen darüber, dass eine διαθήκη ohne den Tod des διαθέμενος nicht in Kraft treten könne. Wie oben gezeigt, hatte aber auch Moses Einsetzung der ersten διαθήκη Erfolg. Gerade der Tod, der AuctHebr wichtig zu sein scheint, hat innerhalb dieser ersten Einsetzung keine echte Entsprechung. Im Folgenden soll zuerst der neue Bundesschluss und die Bedeutung des Todes dabei im Fokus stehen. Das ist auch die vom unmittelbaren Kontext vorgegebene Chronologie. Ausgehend von der Neuen διαθήκη (Hebr 9,14–17) kommt AuctHebr erst anschließend auf den Modus der ersten (Hebr 9,18ff.) zu sprechen.
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Möglicherweise ist dies von Ps 110,9 LXX inspiriert. Vgl. FUHRMANN, Vergeben,
148. 489 Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 188, der gegen die Anschauung argumentiert, dass es nach den Ausführungen zum Jom Kippur einen argumentativen Neueinsatz mit dem Thema der Bundeseinsetzung gebe.
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c) θανάτου γενομένου Dieser Genitivus absolutus ist keine bloß juridische Formulierung, wie häufig angenommen wird.490 Das zeigt etwa der Vergleich mit dem Gebrauch der Wendung bei Plutarch. Dieser berichtet von der vorbildlichen Reaktion berühmter Männer angesichts des „geschehenen Todes“ ihrer Söhne.491 Es geht um das Zügeln der Affekte und gewiss nicht um eine juristische Fragestellung. Auch im Hebräerbrief handelt es sich nicht um eine rein nüchterne Feststellung des Todes Jesu. Vielmehr ist der Tod, genau wie vorher schon das Blut (Hebr 9,12.14), mit einem soteriologischen Zweck492 verknüpft: θανάτου γενομένου εἰς ἀπολύτρωσιν τῶν ἐπὶ τῇ πρώτῃ διαθήκῃ παραβάσεων.493 Vom Blut Jesu, dem neuen Bundesblut, wechselt AuctHebr wie selbstverständlich in Hebr 9,15 zum Thema des Todes Jesu und kommt in Hebr 9,18 erneut vom Tod zum Blut, hier zu jenem Blut, mithilfe dessen die erste διαθήκη in Kraft gesetzt worden ist. Wenn beispielsweise David Moffitt zu dieser Stelle anmerkt, der Tod sei für den Hebräerbrief nur insofern wichtig, als er „Event sine qua non“494 und damit lediglich Teil eines größeren Opferaktes ohne eigene Effizienz sei,495 so muss er, um seine These zu halten, die Bedeutung des εἰς ἀπολύτρωσιν als bloß indirekt gemeint abschwächen. Nicht der Tod selbst, sondern die ihm folgende Blutapplikation des Auferstandenen stehe eigentlich im Fokus.496 Die Reihe hieße bei ihm etwa: Tod, Auferstehung, Eintritt ins himmlische Heiligtum und dann dort die Blutapplikation zur Sündenvergebung, wobei AuctHebr die genannten Zwischenglieder in Hebr 9,15 ausgelassen hätte. Moffitt muss daneben die Gleichsetzung von Tod und Blut in Hebr 9,18 als Ausnahme qualifizieren, da für ihn das Blut sonst im Hebräerbrief ausschließlich Sühnemittel ist. Er selbst gesteht aber ein: „The author clearly links death
490 G RÄßER, Hebräer, 2:170, sieht in diesem Genitivus absolutus bereits den Beginn des juridischen Abschnittes vorweggenommen. Doch obwohl „sozusagen standesamtlich“ (a.a.O., 169) vom Tode gesprochen wird, ist die Soteriologie dennoch greifbar und die Gleichsetzung von Blut und Tod bleibt erhalten. Auch GÄBEL, Kulttheologie, 183, stellt fest, dass der Tod Jesu an dieser Stelle soteriologisch (aber nicht kultisch) gedeutet werde. 491 Cons. ad Apoll. 118D: […] τοὺς ἐπὶ τοῖς υἱοῖς γενομένους θανάτους καὶ πράως ὑποστάντας […]. Zitiert nach Gregorius N. Bernardakis (Hg.), Plutarchi Chaeronensis moralia, Vol. I, Leipzig 1888. 492 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 191. 493 Vgl. zur ἀπολύτρωσις: Kol 1,14; Eph 1,7; evtl. Röm 3,24; 8,23. 494 M OFFITT, Atonement, 285. 495 So auch zu finden bei N ELSON, „Sacrifice,“ 255: „His willing death was the first phase of a complex priestly action that continued in his ascension through the heavenly realms and entrance with blood into the heavenly sanctuary.“ 496 M OFFITT, Atonement, 290. Vgl. a.a.O., 293: „Between the death of Jesus and the offering of his sacrifice is […] the resurrection.“
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and blood language in this passage,“497 jedoch zieht er nicht die entsprechenden Konsequenzen für den davon betroffenen Kontext. Die ausdrückliche Erwähnung des Todes Jesu in Hebr 9,15 hat ihren Sinn offenbar doch gerade darin, an einer der gewichtigsten Stellen des Hebräerbriefes die metonymische Redeweise (‚Blut‘ anstelle von ‚Tod‘) der vorangehenden Verse, im Zuge derer AuctHebr den Tod Jesu gewissermaßen verschlüsselt aufgreift, nun für jeden verständlich zu machen.498 Hier liegt also nicht bloß ein „Nebenmotiv“499 vor, auch kein „nicht sehr gelungene[r] Vergleich,“500 sondern ein für das Verständnis des Kontextes essentieller gedanklicher Einschub. Die erneute Erwähnung des Blutes in Hebr 9,18, wiederum in Aufnahme des Todes, fördert dann eine Eineindeutigkeit zutage und weist die beiden Begriffe Blut und Tod als untereinander austauschbar aus.501 Es ist daher für den Autor des Hebräerbriefes nicht von Bedeutung, was Georg Gäbel vermisst, dass nämlich der Tod Jesu innerhalb der kulttheologischen Argumentation explizit hätte aufgegriffen werden müssen.502 Otto Michel trifft, auch wenn der Begriff „Testament" gewiss fehl am Platze ist, den Kern der Sache, wenn er sagt: „Opfer und Opferblut, Bund und Bundschließung, Testament und Tod des Testators schließen sich in diesem Abschnitt zusammen, um den Tod Jesu, seine Notwendigkeit und seine Heilsbedeutung zu erklären.“503
MOFFITT, Atonement, 293. Diese Sichtweise orientiert sich in Grundzügen an der Auslegung RIGGENBACHS, Hebräer, 258, geht aber über diese hinaus. Jener erkannte richtig, dass die Rede vom Blut als Ausdruck für den alttestamentlichen Kult zu verstehen ist und dass der Begriff des Todes Jesu in nicht kultisch geprägten Abschnitten aufzufinden ist: „Wie die Vergleichung von 9,14 mit 9,15 und von 9,16f. mit 18 lehrt, sind αἷμα und θάνατος für den Vf gleichbedeutend. Ob er den einen oder den anderen Ausdruck wählt, entscheidet er danach, ob er sich durch den Zusammenhang veranlasst fühlt, für seine Darstellung des Werkes Christi die Symbolik des atl Kultus zu verwenden.“ Kritisch betrachte ich lediglich die Verwendung des Begriffes der Symbolik, der die Ausführungen des AuctHebr zum Kult nicht ernst genug nimmt. Für ihn ist das Kultgeschehen real, nicht symbolisch, nicht metaphorisch. Man kann mit H.-F. WEIß, Hebräer, 480, Anm. 21 sagen: „Der Übergang vom θάνατος in den VV. 15 und 16 zu αἷμα in V. 18 weist wiederum darauf hin, daß αἷμα im Hebr den Tod bezeichnet.“ 499 M ICHEL, Hebräer, 318. 500 ZIMMERMANN, Bekenntnis, 197. 501 Anders G ÄBEL, Kulttheologie, 183f., der meint, es handele sich in 9,15ff. nur um ein objektives Feststellen des Todes, also ausschließlich um eine juridische Argumentation. Vergebung der Sünde und Tod Jesu seien damit nicht direkt miteinander verbunden, sondern fielen nur zeitlich in eins. 502 Vgl. G ÄBEL, Kulttheologie, 286 et passim. 503 M ICHEL, Hebräer, 316. 497
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d) Die (ἀπο)λύτρωσις Durch den Tod Jesu wurde nach Hebr 9,15 die Erlösung von den Vergehen unter der ersten διαθήκη bewirkt. Mit dem Wort ἀπολύτρωσις wird an die drei Verse zuvor (Hebr 9,12) genannte ewige Erlösung (αἰωνία λύτρωσις) angeknüpft. Wir betrachten beide Stellen. Worum handelt es sich bei der ewigen Erlösung nach Hebr 9,12? Mit dem Adjektiv αἰώνιος kann AuctHebr die Zugehörigkeit einer Sache zur himmlischen Sphäre ausdrücken. Irdisches ist vergänglich, Himmlisches bleibt. AuctHebr kennt das ewige Heil, dessen Urheber Christus ist (Hebr 5,9).504 Und auch im direkten Kontext unserer Textstelle (Hebr 9,12–15) kommt das Adjektiv αἰώνιος dreimal vor. Zuerst wird die Erlösung, die Jesus mit dem Eintritt in das himmlische Heiligtum erworben hat, als eine ewige bestimmt (Hebr 9,12). Bewirkt wird sie durch Jesu Selbstdarbringung kraft ewigen Geistes (Hebr 9,14). Und gleich im folgenden Vers findet sich unsere Stelle, an der es heißt, Jesus habe eine Mittlerrolle eingenommen, um den Berufenen das ewige Erbe (Hebr 9,15) zugänglich zu machen. Dabei trägt die κληρονομία ebenfalls wieder die Konnotation des verheißenen himmlischen Landes in sich.505 Wie Knut Backhaus es zu Recht festhält, bezeichnet das Adjektiv αἰώνιος also „nicht nur die endgültige Wirkung der Heilstat, sondern auch deren Seinsmacht und Zielort.“ Die ewige Erlösung, also die λύτρωσις, wird beim hohepriesterlichen Eingang ins himmlische Heiligtum erworben. „Der kultische Zusammenhang legt es zwingend nahe, dass der Hebr bei der Erlösung an die kultische Sühne denkt.“506 Die Erlösung von den Vergehen unter der ersten διαθήκη, also die ἀπολύτρωσις, die zum ewigen Erbe berechtigt, ist kraft des Todes erworben. Wie das vonstatten geht, ist hier nicht explizit genannt. Wie hängen λύτρωσις und ἀπολύτρωσις zusammen? Sind sie voneinander zu unterscheiden? Klassisch bezeichnen die beiden griechischen Begriffe das Gleiche. Das Nomen actionis λύτρωσις bedeutet nach Passow: „Losmachen“/„Loskaufen“/„Auslösen.“ Damit ist es im Grunde synonym zu ἀπολύτρωσις, für das die Bedeutungen „Loslassung für Lösegeld“/„Loskaufung“ angeführt werden. Das Wort ist allerdings recht selten.507 Inwiefern die Konnotation des zur käuflichen Erlösung eingesetzten Gegenwertes, dem λύτρον, jeweils präsent ist, steht zur Diskussion. 504 Als Erben dieses ewigen Heils kommen die Glaubenden infrage (Hebr 1,14). Vielleicht ist es darum schon hier gestattet, das ewige Erbe mit dem ewigen Heil zu identifizieren. 505 SCHIERSE, Verheißung, 130, bemerkt, κληρονομία habe „betont räumlichen Klang“ und verweist dabei auf Hebr 11,8. 506 R OSE, Hebräerbrief, 139. 507 Vgl. B AUER, Wörterbuch, 190.
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Für λύτρωσις gibt es nominell immerhin 12 Belege in der Septuaginta. Für neun Belegstellen, die sich aber auf nur sechs Verse verteilen, ist die Bedeutung „Loskauf“ anzunehmen.508 Bei den übrigen drei Belegen fehlt bereits die merkantile Konnotation, und zwar in Ps 110,9 LXX (Hebräisch: ) ְפּדוּת, wo Gott als Subjekt gedacht ist,509 sowie in Ps 129,7 LXX, wo ἔλεος und λύτρωσις gemeinsam das Handeln Gottes charakterisieren, und schließlich Oden 9,68, das einen ganz ähnlichen Gebrauch aufweist. Im Neuen Testament findet sich der Begriff – abgesehen von Hebr 9,12 – nur noch in Lk 1,68 und 2,28. Die Belegstelle in Lk 1,68 ist vermutlich Teil eines vorlukanischen Hymnus und inhaltlich mit Ps 110,9 LXX vergleichbar. Die Erlösung war damit ursprünglich konkret auf eine Zeit der gesellschaftlichen Unterdrückung bezogen und wird von Lukas als „geistliche Rettung […] als Befreiung oder Erlösung von der Macht der Sünde“510 verstanden. Lk 2,38 bleibt unbestimmter. Wohl ist die λύτρωσις Jerusalems, derer man harrt, als Erwartung des Messias511 oder, wie Bovon vorschlägt, noch allgemeiner heilsgeschichtlich, juristisch und liturgisch als eschatologische Befreiung512 zu deuten. Worin die Erlösung aber genau besteht und ob man einen Kaufpreis anzunehmen hätte, bleibt offen. Hebr 9,12 bestimmt nun die erworbene λύτρωσις als einen Effekt des kultischen Wirkens Jesu.513 Eine Stellvertretung oder gar ein Loskauf durch einen eingebrachten Gegenwert ist in diesem Kontext kaum plausibel.514 Und wie der vorausgehende Blick in die Septuaginta gezeigt hat, ist solcher Gebrauch durchaus möglich. Die λύτρωσις muss nicht notwendigerweise an einen Preis
Lev 25,29 (2x); 25,48; Num 18,16; für Ri 1,15 (3x) ist die Deutung nicht ganz klar, die LXX las wohl גאלתanstatt ( גלתvgl. LXX.E, 670). LXX.D übersetzt mit „Ausgleich;“ Ps 48,9; Jes 63,4 (gemeinsam mit ἀνταπόδοσις). 509 Besonders spannend ist, dass im Psalm auch die Wendung ἐνετείλατο […] διαθήκην vorkommt, so wie es in Hebr 9,20 der Fall ist. 510 So K LEIN, Lukasevangelium, 123. 511 K LEIN, Lukasevangelium, 150. Ganz ähnlich auch B OVON, Lukas, 1:104. 512 B OVON, Lukas, 1:159. 513 D AVID M OFFITT, Atonement, 289, weiß um die kultische Konnotation von λύτρωσις in Hebr 9,12. Er zieht aber daraus den Schluss für Hebr 9,15, „that it is not necessary to assume that the death itself –presumably of Jesus – is identified here as the agent that effects the redemption. The preposition εἰς might mean ‚for‘ as in ‚for the purpose of.‘ The preposition, however, can also indicate a result.“ 514 Gegen G RÄßER, Hebräer, 2:154, der das Blut als λύτρον versteht. Es sei „der die Sünde strafende Gott (Hebr 10,30), dem die Lösung geleistet“ werde. Warum Gräßer bei der λύτρωσις einen Loskauf annimmt, sich aber bei der ἀπολύτρωσις trotz ähnlichen lexikalischen Befundes anders entscheidet, ist unklar. Gerade für ἀπολύτρωσις, das an unserer Stelle nicht ganz so eng mit der kultischen Begrifflichkeit verwoben ist, nimmt Gräßer an, es sei „ein anderes Wort für ἂφεσις.“ Das träfe doch umso mehr für die λύτρωσις zu, zumal ja nach Hebr 9,22 das Blutvergießen (als Blutapplikation?) und Hebr 10,18 ausgerechnet die Opfergabe die ἂφεσις bewirken. 508
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geknüpft sein.515 Dafür hat offenbar die älteste Vetus Latina-Tradition D ein Gespür, wenn sie – zugegebenermaßen etwas unerwartet – mit expiatio übersetzt.516 Die anderen Textzeugen übersetzen sowohl λύτρωσις (Hebr 9,12) als auch ἀπολύτρωσις mit redemptio, einer Vokabel, die klassisch517 wie nachklassisch518 den Aspekt des Kaufens noch inhärent hat. Für ἀπολύτρωσις gibt es in der Septuaginta nur einen einzigen Beleg, namentlich in Dan 4,34, wo es eine „Erlösung“ aus Strafkrankheit519 bezeichnet und zwar ohne den Aspekt eines dazu notwendigen Gegenwertes. Der Begriff steht dort sogar in enger Verbindung mit Sünden.520
515 Anders etwa M ICHEL, Hebräer, 312: „Eigentlich ist diese Partizipialkonstruktion [sc. αἰωνίαν λύτρωσιν εὑράμενος] nicht dem Sühneritus von Lev 16 entnommen und ihm auch nicht angepasst; sie klingt eher wie eine selbständige Deutung des Todes Christi.“ Vom Tod Jesu ist aber hier noch nicht explizit die Rede. Alleine der Kult bildet den Rahmen. Man sollte freilich die Beziehung zur Deutung des Todes in Hebr 9,15 nicht übersehen, aber der Begriff der λύτρωσις ist offen genug, um auch innerhalb opfertheologischer Ausführungen das Heilsgut zu bezeichnen. 516 Die λύτρωσις ist in der ältesten Tradition mit expiatio (D) und sonst mit redemptio (J, C und V) wiedergegeben. Bei dem lateinischen Wort expiatio ist eine deutende Wiedergabe anzunehmen (denkbar wäre höchstens, dass die Äquivalente – ֹכֶּפרλύτρον [Ex 21,30; 30,12] und ἐξίλασμα [Ps 48,8] eine Brücke bilden.). Es handelt sich um einen vornehmlich kultischen Terminus und bedeutet „Sühne.“ Darum findet er sich gemeinsam mit dem Verbum expio auch in Lev 16,27.30 im Zusammenhang mit dem Jom Kippur, was semantisch besser zu dem in Hebr 9,12 beschriebenen Eintreten des Hohepriesters ins Allerheiligste passt. Es verwundert daher nicht, dass ἱλάσκομαι in Hebr 2,17 in D (und J) mit expio übersetzt wird (C: deprecari; A: propitiari; V: repropitiari). Interessant für Hebr 9,12 ist überdies auch die Zuordnung des Adjektivs aeternus. Der Textausschnitt εἰς τὰ ἅγια αἰωνίαν λύτρωσιν εὑράμενος wird in D zu: in sanctis aeternis expiatione reperta (hier wäre nicht die Erlösung, sondern das Heiligtum ewig). J, C, V übersetzen: in sancta aeterna redemptione inventa (reperta in C). Hier ist der Bezug von aeterna nicht eindeutig, es kann mit sancta (Akk.Pl.n.) und mit redemptione (Abl.Sg.f.) kongruieren. Dass das Heiligtum als ein ewiges charakterisiert wird, ist auf griechischer Seite immerhin durch den alten Papyrus 𝔓46 gegeben: εις τα αγια αιωνια. So zu finden bei FREDE, „Hebraeos,“ 1398, und zu bestätigen nach eigener Kollation; nicht aufgenommen ist die Lesart bei Nestle-Aland, 28. Auflage. In Hebr 9,12 (ausgenommen D) und Hebr 9,15 ist die ἀπολύτρωσις mit redemptio übersetzt. Das heißt also: Alle Textzeugen der Vetus Latina außer D betrachten λύτρωσις und ἀπολύτρωσις damit als Synonyme. 517 G EORGES, Handwörterbuch, 4082, führt als Bedeutungen: Erkaufung, Bestechung, Pachtung, Mietung, Übernahme eines Prozesses und seiner Gefahr gegen eine Summe, Loskaufung aus Gefangenschaft. 518 Vgl. N IERMEYER, Lexicon, 895f. 519 Vgl. B RAUN, Hebräer, 272: „Entlassung aus Strafkrankheit.“ 520 Dan 4,34: ὁ χρόνος μου τῆς ἀπολυτρώσεως ἦλθε, καὶ αἱ ἁμαρτίαι μου καὶ αἱ ἄγνοιαί μου ἐπληρώθησαν.
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Im Neuen Testament kommt die Vokabel zehnmal vor. Ihre Verwendung ist nicht homogen.521 Auch wenn nicht mit Gewissheit zu entscheiden ist, ob die ursprüngliche Bedeutung des Loskaufes bei der Verwendung des Begriffes jeweils mitschwingt, so ist doch auffallend, dass ein möglicher Kaufpreis nie explizit genannt wird.522 Allein aus diesem Grund scheint es schon Vgl. KRAUS, Heiligtumsweihe, 177. In Lk 21,28 werde die ἀπολύτρωσις die endzeitlichen Geschehnisse abschließen. Sie ist daher mit der Parusie des Menschensohnes nach Dan 7,13 verbunden, vielleicht ist auch der ἀπολύτρωσις-Begriff aus Dan entlehnt. Den Gedanken eines Kaufpreises gibt es auch hier nicht, vermutlich ist eine Erlösung (i.S. einer Befreiung) aus der endzeitlichen Drangsal gemeint. Röm 3,24 spricht von der geschenkweisen Rechtfertigung durch die ἀπολύτρωσις in Christus. Dass die Vorstellung eines λύτρον mitschwinge, kann freilich nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden. Vgl. KRAUS, Heiligtumsweihe, 183. Für DIETER ZELLER, Der Brief an die Römer, RNT, Regensburg 1984, 86, ist es denkbar, dass die Erlösung für die Menschen deshalb kostenfrei sei, weil Christus den Preis mit seinem Blut bezahlt habe. Aber auch Zeller weist darauf hin, dass die ἀπολύτρωσις nicht unbedingt den Kaufpreis assoziieren müsse, sondern „wie im AT die Stämme gʾl und pdh einfach ‚Befreiung‘ meinen“ könne. Insbesondere in Röm 3,25 ist dann aber der kultische Hintergrund der entscheidende, nicht der eines käuflichen Gegenwertes. KRAUS, Heiligtumsweihe, 179, Fn. 90 lässt im Gespräch mit Theodor Zahn einen zwingenden Rückschluss von ἱλαστήριον auf ἀπολύτρωσις hinsichtlich kultischen Gebrauchs nicht mehr zu, da Röm 3,25f.* als Formel zu gelten habe. Aber es ist meines Erachtens dennoch nicht auszuschließen, dass Paulus sein Vokabular auch auf das Traditionsgut hin wählt. So gesteht auch KRAUS, Heiligtumsweihe, 183 dem Begriff eine „Offenheit hin auf eine kultische Interpretation“ zu. Röm 8,23 kennt eine ἀπολύτρωσις τοῦ σώματος. Das Genitivattribut kann objektiv (d.h. der Leib wird erlöst; vgl. PETER STUHLMACHER, Der Brief an die Römer, NTD 6, 151998, 123: „Erlösung ihrer Leiber von Vergänglichkeit und Tod.“ So auch Otto MICHEL, Römer, 270) oder separativ (d.h. man wird vom Leib erlöst; so etwa FRIEDRICH LANG, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 171994, 34, spricht von der „endzeitliche[n] Erlösung aus dem sterblichen Leib“) aufgefasst werden. Das gilt auch für Röm 8,21, wenn von der Befreiung aus der Knechtschaft der Vergänglichkeit die Rede ist. Erhält das Leibliche damit Unvergänglichkeit, oder wird das πνεῦμα aus dem vergänglichen Körper erlöst (erhält nach 1Kor 15,44 einen neuen, pneumatischen Leib) und wird dadurch unsterblich? In 1Kor 1,30 wird Christus zur Personifikation von σοφία, δικαιοσύνη, ἁγιασμός und ἀπολύτρωσις, vermutlich um die Großartigkeit des Heilsgeschehens, das man alleine der Erwählung durch Gott zu verdanken hat, in Schlagworten auszudrücken. Die Weisheit steht hervorgehoben. Insbesondere die Trias danach bildet das umfassende Heil ab, das durch Christus erwirkt wurde. Vgl. LANG, Korinther, 34: „Die drei eng verbundenen Begriffe Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung bezeichnen hier je für sich das ganze Heilsgeschehen; es ist damit nicht ein stufenweiser Fortschritt von der Rechtfertigung über die Heiligung zur endgültigen Erlösung beschrieben.“ Über Mittel und Wege, wie die ἀπολύτρωσις erreicht werde, schweigt Paulus hier. Eph 1,7 identifiziert die Erlösung mit der Wegnahme der Verfehlungen (ἄφεσις τῶν παραπτωμάτων), was der Aussage in Kol 1,13 entspricht, wo ebenfalls die Erlösung als Wegnahme der Sünden (ἄφεσις τῶν ἁμαρτιῶν) bestimmt wird. Im Unterschied zum Kolosserbrief heißt es aber in Eph 1,7, dass sie durch Jesu Blut bewirkt worden sei. Welche 521
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wahrscheinlich, dass sich das semantisch ursprünglich sehr enge Spektrum ins Allgemeine hin geweitet hat. Das gilt für Simplex wie Kompositum: Wer von (ἀπο)λύτρωσις hört, fragt nicht gleich, was sie kostet – das gilt sogar für Hebr 11,35, wo es um die Erlösung oder Befreiung aus der Folter geht.523 Semantisch ist zwischen λύτρωσις und ἀπολύτρωσις kein Unterschied feststellbar.524 Wenn im Hebräerbrief beide Begriffe innerhalb von drei Versen vorkommen und jeweils mit dem Heilswirken Jesu verbunden werden, dann sind sie, nicht anders als im übrigen biblischen und antiken Schrifttum, als Synonyme zu verstehen.525 Durch das Blut und durch den Tod Jesu wird jeweils „Erlösung“ bewirkt. Im Jom-Kippur-Ritual dient das Blut zur Befreiung von den Sünden, ebenso wie der Tod von den Verfehlungen befreit.526 Es handelt sich in der Folge auch bei ἀπολύτρωσις und ἄφεσις um ein semantisches Begriffspaar.527 Wie genau der Tod Jesu es vermag, von Sünden zu befreien, wird nicht explizit gesagt. Aufgrund der Parallelisierung durch die (ἀπο)λύτρωσις-Begrifflichkeit lässt sich aber annehmen, dass er wie das Blut reinigende und weihende Funktion hat.528 Nur so kann der nahtlose Übergang von Jesu Blut zu seinem Tod und vom Tod Jesu auf das weihende und reinigende Opferblut der ersten διαθήκη erklärt werden. Die Scharnierverse Hebr 9,16f. müssen unter dieser Perspektive gelesen werden.
Funktion das Blut dabei einnimmt, ist nicht expliziert. Gerhard Sellin vermutet jedoch, dass es hier absolut gebraucht ein umfassender Ausdruck des gegenwärtigen Heils sei. Dies sei mit Ausnahme von Hebr 11,35, wo es konkret „Freikauf“ bedeute, durchgehend im Neuen Testament so vorfindlich (SELLIN, Epheser, 98, Fn 132.). Es sei angesichts des anderen Gebrauchs des Wortes in Eph 1,14 und 4,30 darum „fraglich, ob der ursprüngliche Sinn von ‚Freikauf‘ (wobei das ‚Blut‘ als Kampfpreis verstanden wäre) hier noch vorhanden“ (SELLIN, Epheser, 98, Fn 133.) sei. Während nach Eph 1,7 die Erlösung als eine bereits geschehene betrachtet wird, sei in Eph 1,14 wie in 4,30 „die noch ausstehende endgültige Erlösung gemeint“ (SELLIN, Epheser, 118. Vgl. a.a.O., 375). 523 Gegen R IBBENS, Sacrifice, 181: Preis der λύτρωσις (Loskauf) ist das Blut Jesu. 182: „Christʼs sacrifice […] was of adequate payment, whereas the old covenant sacrifices were not.“ 524 FUHRMANN, Vergeben, 189: „Die Präposition ἀπό verändert die Bedeutung des Kompositums ἀπολύτρωσις nur wenig; der separierende Charakter ist auch λύτωσις eigen.“ 525 Vgl. LOADER, „Revisiting,“ 258. 526 Es ist wahrscheinlich, dass Tod und Blut, die AuctHebr als Bedingung des Bundesschlusses und als Mittel der Sündentilgung ins Feld führt, in ihrer Verbindung von den Abendmahlsworten Jesu her aufgenommen wurden. In der Abendmahlsüberlieferung wird einstimmig berichtet, dass durch das Blut Jesu der (Neue) Bund geschlossen werde (vgl. JENS SCHRÖTER, Das Abendmahl. Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart, SBS 210, Stuttgart 2006, 126). 527 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 183. 528 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 182: Die himmlische Liturgie entspreche dem Tod Jesu.
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Die explizite Erwähnung des heilsbedeutsamen Todes Jesu, verbunden mit seinem Zweck der (ἀπο)λύτρωσις, lässt an die in Kapitel 2 genannte Befreiung (ἀπαλλάσσω, Hebr 2,15) aus der Knechtschaft des Todesmachthabers denken. Wie die Befreiung aus der Knechtschaft im zweiten Kapitel an den Exodus des Gottesvolkes erinnert, so wird auch in Hebr 9,15 mit der Verheißung des ewigen Erbes ein entscheidendes Motiv der Landverheißung angespielt.529 Auch die Befreiung aus der Knechtschaft in Hebr 2,14f. erfolgte durch den Tod Jesu, wobei dieser in einem zweiten Schritt auch dort an die Sündenwegnahme und an den hohepriesterlichen Sühnedienst rückgebunden worden ist. Ich wies auf die Parallelität der Aussagen hin: a) Der Gottessohn ist Mensch geworden, um durch den Tod den Teufel zu entmachten. b) Der Gottessohn ist Mensch geworden, um die Sünden des Volkes zu sühnen. Dass dem Tod Jesu solche Heilseffizienz zugeschrieben wurde, ist den Adressaten also bekannt. „Was in Jesu Sühnetod ‚auf Erden‘ neu angebrochen ist, ist das HimmlischEwige und Bleibende der ἀπολύτρωσις und damit der Gemeinschaft mit Gott als der wahren λατρεία (vgl. 9,14).“530 Die Notwendigkeit des Todes für die hohepriesterliche Handlung ist vom Verfasser bereits herausgearbeitet. Folglich verläuft die Argumentation in Kapitel 9 umgekehrt, nämlich ausgehend von der neuen διαθήκη zur alten. Der Tod Jesu ist das Axiom, aus dem alles Weitere abzuleiten ist. e) Cui bono? – Der Tod Jesu ἐπὶ νεκροῖς Da mit dem Gedanken der (ἀπο)λύτρωσις eine deutliche Brücke zu Hebr 2,14 geschaffen ist, schlage ich vor, Hebr 9,16f. vor diesem Hintergrund näher zu betrachten. Diejenigen, die sich in der Todesknechtschaft befinden, sind es, die vom Tod Jesu profitieren. Die Formulierung ἐπὶ νεκροῖς in Hebr 9,16f. ist analog zu interpretieren. Der Tod Jesu sei notwendig gewesen, weil die διαθήκη für Tote, das heißt für die unter den Tod Geknechteten, in Kraft treten soll.531 Sie kommt denjenigen zugute, deren Gewissen noch nicht ἀπὸ νεκρῶν ἔργων (Hebr 9,14) gereinigt war und die andernfalls des Todes würdig gewesen wären.532 „Denn mit der Reinigung des Gewissens von ‚toten Werken‘ nimmt er 529 Das Motiv findet sich etwa auch in Lk 9,31, wenn von Jesu Exodus in Jerusalem gesprochen wird. ULRIKE MITTMANN, „Exodus,“ 358 schreibt zur genannten Lukasstelle: „Jesu Tod ist das neue Urdatum der Herausführung des Menschen aus der Knechtschaft des Bösen, das Urdatum des neuen Exodus.“ 530 B ACKHAUS, Bund, 191. 531 Vgl. SCHIERSE, Verheißung, 152: „Indem das Gewissen von ‚toten Werken‘ befreit wird, hat es die Todesknechtschaft grundsätzlich überwunden und kann wieder dem ‚lebendigen Gott‘ dienen. So schließt schon der Begriff ‚reinigen‘ eine neue, himmlisch endgültige Existenzweise ein.“ 532 SCHIERSE, Verheißung, 142, sieht „Sünde und Tod als Existenzweise der unerlösten Vergangenheit,“ aber auch als „gegenwärtige Versuchung und Anfälligkeit.“
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[sc. AuctHebr] typologisch auf die Reinigung von Leichenunreinheit Bezug.“533 Die νεκροί bezeichnen darum eine von der Person des διαθέμενος zu unterscheidende Gruppe. Es sind diejenigen, deren Vergehen unter der ersten διαθήκη nun beseitigt sind (Hebr 9,15). Die Präposition ἐπί in diesem Sinn zu verstehen, ist ohne weiteres möglich, denn „neben den Ausdrücken ‚ein Gesetz geben, eine Einrichtung treffen‘ u. dgl. wird die Person, für welche das Gesetz sich günstig od. ungünstig zeigt durch ἐπί mit d. Dat. beigefügt.“534 Man darf die Wendung nicht in dem Sinne deuten, dass der Tod des διαθέμενος notwendig wäre, weil eine διαθήκη (verstanden als letztwillige Verfügung) „mit dem Tode“535 in Kraft trete,536 sondern er ist notwendig, weil die διαθήκη (verstanden als neue Heilssetzung) für Tote oder dem Tod Ausgelieferte wirksam werden soll. Dass der Begriff νεκρός nicht nur den kalten Leichnam bezeichnet, sondern auf bestimmte Aspekte des Menschseins bezogen werden kann, macht etwa Lk 15,24.32 deutlich, wo es vom verlorenen Sohn heißt, er sei in der Zeit, als er sündigte, tot gewesen (νεκρὸς ἦν). Ganz ähnlich heißt es in Eph 2,1: Καὶ ὑμᾶς ὄντας νεκροὺς τοῖς παραπτώμασιν καὶ ταῖς ἁμαρτίαις ὑμῶν (auch ihr wart tot eurer Verfehlungen und eurer Sünden wegen).537 Und auch AuctHebr spricht vom Tod im übertragenen Sinn etwa in Hebr 11,12, wo es von Abraham heißt, er sei ein νενεκρωμένος. Auch wenn diese Aussage freilich physisch gemeint ist und sich auf seine Fruchtbarkeit bezieht, zeigt sie dennoch, dass immerhin hyperbolisch-figurativ Lebende als Tote bezeichnet werden können, das νενεκρωμένος wird ja von der ganzen Person gesagt.538 Bei Hebr 9,17 handelt sich folglich um eine Analogie zur Aussage in Hebr 2,14f. Weil die Kinder an Blut und Fleisch teilhaben, also weil sie dem Tod unterworfen sind, nahm der Gottessohn gleichermaßen daran Anteil, um
GÄBEL, Kulttheologie, 376. PASSOW, Handwörterbuch, 1,2: 1037, s.v. ἐπί. Als Bespiele werden u.a. aufgeführt: νόμον τιθέναι od. τίθεσθαι ἐπὶ τινι. Vgl. dazu auch Soph. Ant. 88: θερμὴν ἐπὶ ψυχροῖσι καρδίαν ἔχεις; du hast ein warmes Herz für Erkaltete; Ismene spricht so Antigone an, die den Bruder Polyneikes begraben will, obwohl ihr dafür die Steinigung droht. 535 Lutherbibel 2017. Vgl. etwa auch EÜ 2016: „[D]enn ein Testament wird erst im Todesfall rechtskräftig.“ 536 Zur Schwierigkeit dieses Verständnisses vgl. etwa H UGHES, „Hebrews IX 15ff.,“ 43. 537 Eph 2,1 entspricht Kol 2,13, wo aber nur die Verfehlungen (παράπτωμα), nicht aber die Sünden (ἁμαρτία) erwähnt sind. 538 Vgl. etwa auch Bar 3,4: κύριε […] ἄκουσον δὴ τῆς προσευχῆς τῶν τεθνηκότων Ισραηλ; d.h. „Herr, […] erhöre doch das Gebet der Toten Israels!“ Siehe CHRISTIAN LUSTIG, „Das Buch Baruch,“ in Jürgen Wehnert (Hg.), Bibliothek der antiken jüdischen und christlichen Literatur, Paderborn 2023 (im Druck). 533
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eben durch diesen Tod dem Machthaber des Todes die Kraft zu nehmen.539 Der Gedanke wird in Hebr 2,16 erklärt: Die Inkarnation ist notwendig, weil der Gottessohn sterblichen Menschen zu Hilfe kommen will und nicht Engeln. Denn der Todesmachthaber greift eben nicht die Engel an – sie sind ja vom Tod gar nicht betroffen –, sondern die Menschen (σπέρμα Ἀβραάμ).540 Nur durch den Tod kann Jesus den ἀποθνῄσκοντες ἄνθρωποι helfen. So wird dies in Hebr 9,17 durch die rhetorische Frage nochmals verdeutlicht: ἐπεὶ μήποτε ἰσχύει ὅτε ζῇ ὁ διαθέμενος (denn ist sie etwa in Kraft, wenn der διαθέμενος noch lebt?).541 Für die neue διαθήκη träfe dies nicht zu. Im Hebräerbrief wie etwa auch im Kelchwort ist dieser Tod obligatorisch. Aus dem Jesusgeschehen leitet AuctHebr nun eine allgemeine Regel ab542 und behauptet, der Tod des Verfügenden sei der Grund dafür, dass die erste διαθήκη nicht ohne Blut eingeweiht worden sei. Er baut dabei die Analogie zwischen erstem und neuem Bundesschluss aus und bedient sich dazu einer Reihe von Motiven und Deutungen, wie sie sich ebenfalls in den uns bekannten Abendmahlsberichten finden. Auch diese zeigen Bestrebungen, die mosaische und die neue διαθήκη in ein Verhältnis zu setzen. f) Sinaibund und Abendmahl – die Subtexte in Hebr 9,15–22 Insbesondere das achte und neunte Kapitel des Hebräerbriefes enthalten viele Nähen und Anspielungen auf das Herrenmahl.543 Alleine schon aufgrund der
539 Der Gedanke ist dem in SapSal 2,24 sehr ähnlich. Der Tod sei durch den Teufel in die Welt gekommen und betreffe nun diejenigen, die an ihm Anteil haben. 540 Zu dieser Deutung von ἐπιλαμβάνεσθαι s.o. S. 126. Vgl. auch FUHRMANN, Vergeben, 63: Es hat „zweifelsohne den διάβολος als intendiertes Subjekt.“ 541 Meist wird μήποτε an vorliegender Stelle mit „niemals“ oder „nicht“ übersetzt. So auch noch Lutherbibel 2017 (vgl. stellvertretend auch GRÄßER, Hebräer, 2:174; KARRER, Hebräer, 2:132). Das ist sprachlich nicht völlig auszuschließen (vgl. BRAUN, Hebräer, 274: „μήποτε, im Hellenismus statt οὔποτε zur Vermeidung des Hiatus“; vgl. auch EWNT, 2:1045), aber weniger wahrscheinlich. Zu μήποτε als Einleitung einer rhetorischen Frage vgl. etwa Joh 7,26. BDR §428,5: „Hb 9,17 […] ist μήποτε deutlich fragend (Theophylakt; ‚niemals‘ ist μηδέποτε οὐδέποτε)“; DANIEL STEVENS, „Is It Valid,“ 1024. 542 Genau umgekehrt formuliert ERNST, „Eucharistie,“ 55: „Wie im Falle der alten, so muss auch – gemäß dem Gesetz der typologischen Entsprechung – bei der neuen Bundesstiftung Blut vorhanden sein.“ Ausgangspunkt jener Übertragung ist aber gerade nicht das Blut, sondern der Tod des Verfügenden. 543 Vgl. dazu EBERHART, Kultmetaphorik, 146f.; JOHANNES B ETZ, Die Eucharistie in der Zeit der griechischen Väter. Band II/1. Die Realpräsenz des Leibes und Blutes Jesu im Abendmahl nach dem Neuen Testament, Freiburg ²1964; LOADER, Sohn, 249: „Im Hb scheint der Begriff ‚Bund‘ in einem engen Zusammenhang mit eucharistischer Tradition zu stehen (vgl. vor allem 9,20).“ Auch über die Grenze der genannten Kapitel hinaus gibt es mögliche Indizien für Anspielungen auf das Abendmahl, u.a. wird häufig die Bemerkung zum „Schmecken der
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Thematik des Neuen Bundes544 und der dahinterstehenden Kombination von Ex 24545 und Jer 38 LXX ist eine Verwandtschaft der Texte naheliegend.546 In der gesamten Jesusüberlieferung fehlt jenseits des Herrenmahles die Bundesthematik.547 Nur im Abendmahl trifft man auf die auch im Hebräerbrief vorfindliche und dort charakteristische548 Verbindung von Blut, ἄφεσις und Bundesschluss.549 Und um die Medaille zu wenden: Gerade in der Herrenmahlstradition liegt „der Ursprung der soteriologischen Deutung des Todes Jesu.“550 himmlischen Gabe“ (Hebr 6,5) ins Feld geführt. Vgl. R. WILLIAMSON, „The Eucharist and the Epistle to the Hebrews,“ NTS 21 (1974), 300–312: 302. Vgl. auch ERNST, „Eucharistie,“ 51–65, der viele weitere Stellen nennt und erläutert, die an eine Abendmahlsreminiszenz denken lassen. Er zielt in seiner Untersuchung aber insbesondere auf den rituellen Vollzug des Abendmahls in der Gemeinde des AuctHebr ab und scheint mir dabei etwas zu empfänglich für mögliche Anspielungen. Gleichwohl wird die Tendenz sehr deutlich, dass nämlich gewiss für den Autor des Hebräerbriefes eine genaue Kenntnis des Abendmahls und seiner Deutung vorausgesetzt werden muss. Kritisch zu betrachten ist die Schlussbemerkung Ernsts, AuctHebr spreche die radikale Forderung: „Weg vom überholten Judentum, das kein Heil bringt! Hin zu Christus und dem Abendmahl, wo uns das Heil winkt!“ Was hier – wohl verstärkt durch den unbeabsichtigten (?) Endreim – als vom Judentum distanzierende Parole einer vollständig abgenabelten christlichen Gemeinde erscheint, liegt dem Autor des Hebräerbriefes fern. Er sieht den Glauben an Christus als innerjüdische Weiterentwicklung. Es gibt ein Verheißungskontinuum. Die ursprünglich ergangenen Verheißungen gelten noch (Hebr 4,7). Schon Abraham erwartete die himmlische Heimatstadt (Hebr 11,9f.). Schon er war Fremdling in der Welt. Das himmlische Heiligtum existierte schon und wurde von Mose geschaut und unter irdischer Beschränkung nachgebaut. Die erste διαθήκη war aus Sicht des Hebräerbriefautors immer schon irdisch und immer schon als endende gedacht. Sie fiel keinem Bundesbruch zum Opfer, wie es etwa ADRIAN SCHENKER, Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel, Göttingen 2006, 71, aufgrund der Anwendung der Septuagintaversion von Jer 31 erschließen will. 544 Vgl. H EGERMANN, Hebräer, 185. 545 Vgl. JOEL M ARCUS, „Passover and Last Supper Revisited,“ NTS 59 (2013), 303–324: 312. 546 Vgl. B AARLINK, Evangelium, 234, Fn. 495; FUHRMANN, Vergeben, 226. 547 SCHRÖTER, Abendmahl, 133. Auch B ARNABAS LINDARS, The Theology of the Letter to the Hebrews, Cambridge 1991, 96 sieht die Verbindung von Hebr 9,15–22 zu den Abendmahlsworten. Lindars geht allerdings davon aus, dass die Verse 9,15ff. die διαθήκη als Testament auslegen und wagt den Rückschluss, dass dieser Gedanke nicht mit der Abendmahlsparadosis im Widerspruch stehe, sondern von ihr ausgelöst sein könnte: „However, there may be a further connection, because the Last Supper tradition may have suggested the ‚testament’ concept, if the institution narrative, with the anamnēsis command (‚do this . . . in remembrance of me‘, 1Cor. 11.25), is regarded as Jesusʼ testament to his followers as he prepares for his death.“ 548 Vgl. LANG, „Abendmahl,“ 529. 549 FUHRMANN, Vergeben, 160f. 550 C HRISTFRIED B ÖTTRICH, „Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas,“ in Jörg Frey/Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 22012, 413–436: 416.
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Die Adressaten wissen dies freilich. So ist mit William Loader festzustellen: „Die Christen gehören zum neuen Bund, eine Vorstellung, die dem Vf und seinen Lesern offensichtlich ebenso geläufig war wie die Vorstellung von Jesus als Mittler dieses neuen Bundes.“551 Entscheidend ist also, dass in Hebr 9,15 der neue Bund mit Jesu Blut und Tod in eine Beziehung gesetzt wird.552 Knut Backhaus spricht hinsichtlich des Passus Hebr 9,11–22 von einer „staurologische[n] Explikation des διαθήκηMotivs.“553 Wie im Hebräerbrief ist auch in den Abendmahlsberichten der Tod Jesu das Initialereignis der Bundesstiftung554 und bewirkt die Inauguration der Beteiligten.555 Aalen spricht von einem „Bundesschließungsopfermahl,“556 das sich an Ex 24 orientiere. „Die Bundesschlüsse Israels werden also – ungeachtet der jeweiligen Anspielungen auf alttestamentliche Texte – vom Tod Jesu her verstanden und dadurch in eine neue Perspektive gerückt.“557 Genau das ist auch für AuctHebr die Denkrichtung. So kann er sich vom Abendmahl her erschließen, „dass auch das Sinaigeschehen mit einer ἄφεσις verbunden war.“558 Ein Hauptargument dafür, dass AuctHebr bei seinen Ausführungen das Abendmahl vor Augen hatte, ist, dass die allgemeine Regel, die er in Hebr 9,22 aufstellt, einen Gedanken aufnimmt, der zwar ähnlich in frühjüdischer Priestertheologie vorkommt (etwa Joma 5a), der aber mittels eines Vokabulars formuliert ist, das stark an dem orientiert zu sein scheint, was uns insbesondere LOADER, Sohn, 255. Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 146. ERNST, „Eucharistie,“ 54, fragt, ob es sich insbesondere bei den Kapiteln 7–10 des Hebräerbriefs um einen „Kommentar zum synoptischen Kelchwort“ handele. AuctHebr entfalte „ausführlich gerade die vom synoptischen Kelchwort zur Geltung gebrachten Motive, nämlich den Tod Jesu als kultische Opferdarbringung und die Konstituierung eines neuen Bundes und einer neuen Kultordnung durch Jesu Blut.“ 553 B ACKHAUS, Bund, 185. 554 1Kor 11,25 (Sühnkraft des Todes = sühnende Wirkung des Blutes, vgl. Stuhlmacher, „Herrenmahl,“ 20). Vgl. OSWALD BAYER, „Tod Gottes und Herrenmahl,“ ZThK 70/3 (1973), 346–363: 355f.: Der Tod Jesu sei das ratifizierende Opfer des Neuen Bundes. 555 Vgl. W ATTS, New Exodus, 353: „[T]he Exodus allusion seems to imply that Jesusʼ death not only inaugurates a covenant but also articulates, if not a new covenant people, at least a new identity for them. […] an appeal to Exodus 24 only underlines the point that Markʼs Jesus is about the reconstitution of Israel.“ 556 SVERRE A ALEN, „Das Abendmahl als Opfermahl im Neuen Testament,“ NT 6,2/3 (1963), 128–152: 151. 557 SCHRÖTER, Abendmahl, 126. Vgl. auch ERNST, Markus, 417: „Wie der Bund Gottes mit seinem Volk Israel im Blut von geopferten Tieren besiegelt worden ist (Ex 24,8; Sach 9,11), so der Bund mit dem neuen Gottesvolk durch das Blut Jesu.“ Der Tod Jesu sei bei Markus als Bundesopfer verstanden. Zu Ex 24,8 im Lukasevangelium vgl. MICHAEL PATRICK BARBER, „The New Temple, the New Priesthood, and the New Cult in Luke-Acts,“ Letter & Spirit 8 (2013), 101–124: 116ff. Vgl. auch ERNST KUTSCH, „Das sog. ‚Bundesblut‘ in Ex XXIV,8 und Sach IX 11,“ VT, 23/1 (1973): 25–30: 30. 558 FUHRMANN, Vergeben, 215. Die Annahme sei naheliegend, „dass diese Deutung durch die Aufnahme von Ex 24,8 in den Einsetzungsworten vorgeprägt gewesen ist.“ 551
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bei Matthäus (Mt 26,27f.) im Zusammenhang des Herrenmahls überliefert ist.559 Augenfällig ist daher, dass zwei Verse zuvor ausgerechnet die Stiftungsformel nach Ex 24,8 zitiert wird,560 die bekanntlich den Einsetzungsworten, insbesondere dem Kelchwort markinisch-matthäischer Tradition, zugrunde liegt.561 5.1.3 Hebr 9,20 In diesem Zitat562 der Stiftungsformel (Ex 24,8) sahen und sehen nicht wenige Theologen eine Aufnahme der Herrenmahlworte Jesu oder wenigstens eine deutliche Reminiszenz an sie,563 denn im Vergleich des Zitats mit dem 559 Vgl. ERNST, „Eucharistie,“ 55. B AARLINK, Evangelium, 234, sieht die Beziehung auch schon zum Markusevangelium. „Er [sc. AuctHebr] kann Versöhnung und Bundesschluß nur in ihrer Einheit sehen. In Mk 14,24 ist beides in komprimiertester Form enthalten.“ 560 Nach B ACKHAUS, Bund, 203, stehe das Stiftungswort innerhalb der Inclusio ἀπολύτρωσις und ἄφεσις in Hebr 9,15.22 und sei das Zentrum der akkuraten Ringfügung in 9,18–22. 561 B ACKHAUS, Bund, 294: „Im Kelchwort spiegelt sich eine wohl von Ex 24 beeinflußte kulttypologisches (sic!) Anschauung wider […] und setzt die Sinai-διαθήκη in jedem Fall voraus.“ EBERHART, Kultmetaphorik, 147: „Wenn der Hebräerbrief also auf die Tradition des Sinaibundes zurückgreift und eine christologische Konzeption u.a. anhand der Blutriten von Sündopfern entwickelt, ist es schwer vorstellbar, dass dabei gerade die Abendmahlstradition mit ihrem Bezug auf den Sinaibund nicht rezipiert würde.“ Sehr ähnlich äußert sich auch SEBASTIAN FUHRMANN, Vergeben, 174: „Dass aber die Leser/Hörer ihre Kenntnis über die Feier des Herrenmahls vor dem Hintergrund der im Hebr explizit zitierten Intertexte nicht aktualisiert haben sollten, erscheint nur sinnvoll, wenn man diesen eine Unkenntnis über das Herrenmahl unterstellte.“ Dass dies für die Adressaten zutreffe, hält Fuhrmann zu Recht für historisch unwahrscheinlich. Auch LOADER, „Revisiting,“ 251, bemisst die Bezugnahme auf das Blut an der eucharistischen Tradition: „He may have known its use [sc. des Blutes] in the eucharistic tradition (cf. Matt 26,28; Mark 14,24; Luke 22,20; 1Cor 10,16; 11,25), unless we make the unlikely claim that he would have been in a tradition of the Jesus movement that did not know about it or practice it.“ 562 Ob man von einem Zitat sprechen darf oder ob man bloß eine Schriftparaphrase vor sich hat, wird diskutiert. Vgl. GUDRUN HOLTZ, „Pentateuchrezeption im Hebräerbrief,“ in Thomas Scott Caulley/Hermann Lichtenberger (Hg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum. The Septuagint and Christian Origins, WUNT 277, Tübingen 2011, 359–381: 370f. Die Übergänge scheinen mir jedoch fließend. Man kann von einem weniger wörtlichen Zitat oder von einer sehr nah am Urtext orientierten Schriftparaphrase sprechen. Holtz selbst votiert für letzteres, verwendet aber – völlig legitim – schon auf S. 371 selbst den Begriff des Zitats. So auch LUKE TIMOTHY JOHNSON, „The Scriptural World of Hebrews,“ Interpretation 57/3 (2003), 237–250: 241, der betont, dass Ex 24,8 erstaunlicherweise das einzige biblische Zitat des neunten Kapitels sei. 563 So etwa B ETZ, Eucharistie, dort insb. 145f.; daneben auch G ERD THEIßEN, Untersuchungen zum Hebräerbrief, StNT 2, Gütersloh 1969, 72f.; WINDISCH, Hebräerbrief, 83; MICHEL, Hebräer, 319; DONALD GUTHRIE, The Letter to the Hebrews. An Introduction and Commentary, Michigan 1983, 194; HEGERMANN, Hebräer, 185; CLAUS-PETER MÄRZ, Hebräerbrief, NEB 16, Würzburg 1989, 59; STROBEL, Hebräer, 113; JÖRG FREY, „Die alte und
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205
Septuagintatext, zeigen sich einige Differenzen.564 Die Übereinstimmungen mit den neutestamentlichen Texten gegen die LXX sind dabei durch doppelte Unterstreichung markiert. a)
Ex 24,8; 40,9 LXX λαβὼν δὲ Μωυσῆς τὸ αἷμα (+ εραντισεν αυτους εκ του αιματος του εν τω κρατηρι 53´) κατεσκέδασεν τοῦ λαοῦ καὶ εἶπεν (Lev 8,5: καὶ εἶπεν Μωυσῆς τῇ συναγωγῇ…)
b)
Ἰδοὺ (MT: )ִה ֵנּה (+τουτο f-56*) τὸ αἷμα τῆς διαθήκης, ἧς διέθετο κύριος πρὸς ὑμᾶς (Lev 8,5: … Τοῦτό ἐστιν τὸ ῥῆμα, [τοῦτό ἐστιν B A†] ὃ ἐνετείλατο κύριος ποιῆσαι.)
Hebr 9,19–22 λαβὼν [sc. Μωυσῆς] τὸ αἷμα τῶν μόσχων καὶ τῶν τράγων μετὰ ὕδατος καὶ ἐρίου κοκκίνου καὶ ὑσσώπου αὐτό τε τὸ βιβλίον καὶ πάντα τὸν λαὸν ἐρράντισεν (20) λέγων·
Mt 26,27f. καὶ λαβὼν [sc. Ἰησοῦς] ποτήριον καὶ εὐχαριστήσας ἔδωκεν αὐτοῖς λέγων· πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες,
Mk 14,23f. καὶ λαβὼν [sc. Ἰησοῦς] ποτήριον εὐχαριστήσας ἔδωκεν αὐτοῖς, καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες. (24) καὶ εἶπεν αὐτοῖς·
τοῦτο τὸ αἷμα τῆς διαθήκης ἧς ἐνετείλατο πρὸς ὑμᾶς ὁ θεός
τοῦτο γάρ ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης τὸ περὶ πολλῶν
τοῦτό ἐστιν τὸ αἷμά μου τῆς διαθήκης
(9,28: Χριστὸς ἅπαξ προσενεχθεὶς εἰς τὸ πολλῶν ἀνενεγκεῖν ἁμαρτίας)
(vs. 1Kor 11,25: τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐστὶν ἐν τῷ ἐμῷ αἵματι·)
die neue διαθήκη nach dem Hebräerbrief,“ in Friedrich Avemarie/Hermann Lichtenberger (Hg.), Bund und Tora. Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition, WUNT 92, Tübingen 1996, 263–310: 290; DESILVA, Perseverance, 310; BACKHAUS, Hebräerbrief, 322ff. und CHRISTIAN EBERHART, Kultmetaphorik, 146f. H-F. WEIß, Hebräer, 480, Anm. 22 hält eine Anspielung immerhin nicht für ausgeschlossen, betont aber, es läge „allenfalls eine Reminiszenz in dieser Hinsicht vor, die im Ganzen des Hebr theologisch nicht zum Tragen komm[e].“ Eine Mittelposition beziehen daneben etwa auch RIGGENBACH, Hebräer, 276: „unsicher;“ ATTRIDGE, Hebrews, 257f., SCHUNACK, Hebräerbrief, 129. Gänzlich gegen die These stellen sich etwa BRAUN, Hebräer, 277; ERICH GRÄßER, „Der historische Jesus im Hebräerbrief,“ in Martin Evang/Otto Merk (Hg.), Aufbruch und Verheißung. Gesammelte Aufsätze zum Hebräerbrief, FS, BZNW 65, Berlin/New York 1992, 100– 128: 105; GÄBEL, Kulttheologie, 406; KARRER, Hebräer, 2:165f. 564 Bei dem Vergleich wird insbesondere auch auf die Handschriftengruppe f und ihre Teilgruppe 53´ ein besonderes Augenmerk gelegt. Zur Beschreibung der Gruppe und ihrer Eigenart, s. JOHN WILLIAM WEVERS, Text History of the Greek Genesis, AAWG.PH 3/81, Göttingen 1974, 112–129.
206 c)
d)
B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Ex 40,9 καὶ λήμψῃ τὸ ἔλαιον τοῦ χρίσματος καὶ χρίσεις τὴν σκηνὴν καὶ πάντα τὰ ἐν αὐτῇ καὶ ἁγιάσεις αὐτὴν καὶ πάντα τὰ σκεύη αὐτῆς, καὶ ἔσται ἁγία.
(21) καὶ τὴν σκηνὴν δὲ καὶ πάντα τὰ σκεύη τῆς λειτουργίας τῷ αἵματι ὁμοίως ἐρράντισεν. (22) καὶ σχεδὸν ἐν αἵματι πάντα καθαρίζεται κατὰ τὸν νόμον καὶ χωρὶς αἱματεκχυσίας οὐ γίνεται ἄφεσις
ἐκχυννόμενον εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν
τὸ ἐκχυννόμενον ὑπὲρ πολλῶν
Zu a) Bereits in Hebr 9,19 wird durch die Partizipialwendung λαβὼν τὸ αἷμα ein Bezug zu Ex 24,8 geschaffen. Der Name Μωυσῆς darf ausfallen, weil er zuvor bereits genannt ist. Bei den Abendmahlsworten steht ποτήριον anstelle von αἷμα, was den Grund hat, dass Wein symbolisch an die Stelle des Blutes tritt. Es gibt daher keine Besprengung, der Wein wird zum Trank gereicht. Entscheidend ist, dass bei der Bundesschließung die Menschen mit dem Blut in Kontakt kommen, um gereinigt zu werden. In dieser Hinsicht sind Blut und Kelch(-inhalt) Äquivalente.565 Auffallend ist der Zusatz der Septuaginta-Handschriften 53´ (= 53 und 664, also zwei Handschriften der f-Gruppe: εραντισεν αυτους εκ του αιματος του εν τω κρατηρι). Es scheint sich im Grunde um eine erweiterte Dublette zu κατεσκέδασεν τοῦ λαοῦ zu handeln. Die Besprengung des Volkes mit Blut entspricht sich dabei. Ergänzt wird aber in den Mss. 53´ das Gefäß (κρατήρ), in dem sich das Blut befindet. Es ist determiniert und scheint auf ein dem Leser bereits bekanntes Gefäß hinzuweisen. Das Wort κρατήρ begegnet tatsächlich einige Verse zuvor in Ex 24,6. Dort ist allerdings von mehreren Gefäßen die Rede, in die Mose die Hälfte des Blutes gefüllt habe (εἰς κρατῆρας). Der Bezug auf das Gefäß nach Mss. 53´ ist daher nicht ganz konsistent. Das Substantiv κρατήρ bezeichnet klassisch das Mischgefäß, in dem Wein mit Wasser verdünnt wurde (so auch Prov 9,2f., wovon es keine hebräische 565 So EBERHART, Kultmetaphorik, 122f. „Wenn durch die Blutapplikationsriten in Ex 24,6–8 ein Verhältnis zwischen Gott und Menschen begründet wird, da diese durch den Kontakt mit dem Blut ‚indexiert‘, also unmittelbar gekennzeichnet werden, dann lässt sich eine solche Interpretation ebenso auf das Trinken des Weines beim Abendmahl anwenden“ (a.a.O. 123). Ex 24 empfahl sich aus diesem Grunde besonders als Interpretationshilfe für das Abendmahl. Denn, so AALEN, „Abendmahl,“ 149, es „ist das einzige alttestamentliche Opfer, von dem berichtet wird, daß das Blut nicht nur an Altar, sondern zugleich auf das Volk gesprengt wird.“
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
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Vorlage gibt). Im Alten Testament übersetzt es sonst ( אַ ָגּןEx 24,6; Hld 9,3 Schale, Tonschale, Sprengschale; Gesenius, Handwörterbuch, s.v. אַ ָגּן, S.12) und ( ָגִּבי ַﬠEx 35,31.33.34 Libationsgefäß, Kelch, [Wein-]Krug, Blumenkelch; GESENIUS, Handwörterbuch, s.v. ) ָגִּבי ַﬠ. Demgegenüber bezeichnet ποτήριον nicht Weinkrug/Schale, sondern den (Wein-)Becher, aber die semantische Nähe beider Begriffe ist deutlich. Wenn in Mss. 53´ ins Gedächtnis gerufen wird, dass Mose bei der Besprengung des Volkes eine Wein-/Blutschale in Händen hält, und von dem Blut (ἐκ τοῦ αἵματος, also partitiv gedacht) die Anwesenden566 besprengt, dann erinnern Pose und Handlung Moses – und ich meine das in aller Zurückhaltung – an das Pendant der Pose und der Handlung Jesu, der den Becher haltend (πίετε) ἐξ αὐτοῦ (sc. ἐκ ποτηρίου) spricht, was man grammatisch ebenfalls partitiv statt lokal verstehen könnte, nämlich „trinkt davon!“ Beweisen lässt sich ein Bezug der Texte zueinander anhand des genannten Befundes freilich nicht. Neutestamentlich kennt man die Bestrebung, die Bundesschlüsse des ersten und des Neuen Bundes zu parallelisieren. So äußert sich etwa Karin Lehmeier zum Markusevangelium – „[d]ie Teilhabe der Gemeinde am Sinai-Bund wird durch die Teilhabe am Kelch ermöglicht.“567 Ob sich diese Bestrebung in Zusätzen der Septuagintahandschriften niederschlägt, bleibt vorerst ungewiss. Erstaunlich ist nun, dass sich in ebendiesem Zusatz auch das Verbum ἐρ(ρ)άντισεν568 findet, das sonst nur der Hebräerbrief in den Zusammenhang mit der Stiftungsformel stellt. Das Verbum ῥαντίζω hat nur wenige Belegstellen. Es gibt im Alten Testament bloß drei (Lev 6,20; 4Kgt 9,33; Ps 50,9). In Levitikus (hebr. )נזהist das versehentliche Besprengen (= Bekleckern) mit Blut ausgedrückt, 4Kgt beschreibt den blutigen Fenstersturz Isebels (ebenfalls hebr. )נזה. Einzig in Ps 50 ist der Gebrauch mit unserer Stelle vergleichbar. Dort geht es um eine Reinigung (hebr. = חטאentsündigen) durch Ysop. Was gesprengt wird, ob etwa Wasser oder Blut, bleibt ungesagt. Eine kultische Besprengung mit Blut wird folglich mit dem Derivat ῥαντίζω nirgends explizit ausgedrückt, stattdessen aber mit dem Stammwort ῥαίνω (bspw. Ex 29,21).569 Das αυτους ist, wie εἶπαν im vorhergehenden Vers, ad sensum konstruiert und bezieht sich auf λαός (Ex 24,7). 567 K ARIN LEHMEIER, „Abendmahl,“ in St. Alkier/M. Bauks/K. Koenen (Hg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (http://www.wibilex.de), 2017, §4.4.1, abgerufen am 28. Mai 2021 (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/48941). 568 Ob mit einem oder zwei ρ geschrieben, ist unerheblich. Beides kommt auch in den Handschriften des Hebräerbriefes vor (vgl. auch BRAUN, Hebräer, 277). 569 C LAUS-H UNNO H UNZINGER, Art.: „ῥαντίζω, ῥαντισμός,“ ThWNT, 6:976–984: 976 meint, ein Unterschied zwischen den beiden Verben sei nicht festzustellen, weshalb zur Klärung des Sprachgebrauches von ῥαντίζω auch ῥαίνω herangezogen werden müsse. Meines Erachtens ist aber die Beleglage für ῥαντίζω zu schwach, als dass man eine sichere Aussage über einen vermeintlich identischen Gebrauch treffen könnte. Dass beide Vokabeln ähnlich und vergleichbar sind, sei unbestritten. 566
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Im Neuen Testament kommt ῥαντίζω ausschließlich im Hebräerbrief vor, dort aber viermal (Hebr 9,13.19.21; 10,22).570 Das zugehörige Substantiv findet sich in der bezeichnenden Wendung αἷμα ῥαντισμοῦ (Hebr 12,24), die gewiss dem atl. Terminus Technicus ὕδωρ ῥαντισμοῦ nachgebildet ist (Num 19,9.13.20.21). Dass also über ῥαντίζω ein intertextueller Bezug zwischen Hebräerbrief und dem Zusatz in 53´ besteht, ist nicht unwahrscheinlich, denn da das Derivat ῥαντίζω biblisch sehr selten ist, ist auffällig, dass es ausgerechnet in einem Zusatz zu Ex 24,8 auftaucht. Außerdem bezeichnet es nur im Hebräerbrief und im genannten Zusatz eine kultische Besprengung mit Blut. Das Verbum des Septuaginta-Haupttextes, das die Blutapplikation Moses beschreibt, heißt κατασκεδάννυμι. Es handelt sich um ein Hapaxlegomenon im biblischen Schrifttum und bedeutet „ausgießen,“ beispielsweise aus Bechern.571 Es ist vorstellbar, dass AuctHebr das κατασκεδάννυμι der Vorlage durch ῥαντίζω ersetzt hat, weil er sich ῥαντίζω ohnehin angeeignet zu haben scheint und trotz seiner sonstigen Seltenheit auch gegen die LXX-Vorlagen, auf die er anspielt, verwendet. So benutzt AuctHebr zur Beschreibung der Handlung Moses bei der Weihe des Heiligtums nach Ex 40 (Hebr 9,21f.), die am Ort mit ἁγιάζω und χρίω beschrieben wird (Ex 40,9f.), ebenfalls ῥαντίζω.572 Georg Gäbel ist zuzustimmen, wenn er das Verbum eng mit dem Ritual mit der Asche der roten Kuh verbunden sieht. Für AuctHebr ist die Aufnahme von Num 19 ein „wesentliches Motiv [seiner] Kulttheologie.“573 Mehrfach spielt er auf das Reinigungsritual an und verflicht es mit den Ausführungen zum Jom Kippur sowie dem Bundeschluss am Sinai.574 In Num 19 ist die Wortfamilie prominent vertreten. Dort findet sich das Substantiv ῥαντισμός, das Stammwort ῥαίνω sowie Komposita von ῥαίνω und
570 Zusätzlich findet es sich in Mk 7,4, und zwar immerhin im Codex Sinaiticus und im Codex Vaticanus: ραντισωνται. Alle anderen Codices lesen βαπτιζωνται oder βαπτισωνται. Es geht also an genannter Stelle um eine Reinigungsvorschrift vor Mahlzeiten. Dies zeigt auch die parallele Formulierung im vorausgehenden Vers, Mk 7,3, mit νίπτω (waschen). Kultischer Gebrauch liegt für νίπτω etwa in Ex 38,27 LXX vor. 571 Vgl. PASSOW, Handwörterbuch, 1649. Damit unterscheidet es sich von ῥαντίζω wohl hinsichtlich der Menge an Flüssigkeit. In Ex 24,8 steht κατασκεδάννυμι für hebr. ( זרקversprengen), das wiederum einige griechische Äquivalente hat, u.a. Komposita von χέω (vergießen), πάσσω (bespritzen) und einmal auch ῥαίνω (sprengen/gießen; Ez 36,25). Auch MURAOKA, Art. „κατασκεδάννυμι,“ (GELS 382) weist auf ἐπιχέω hin. 572 Im gesamten Buch Exodus gibt es demgegenüber nur einen einzigen Beleg der Wortfamilie, namentlich ῥαίνω (Ex 29,21: Mose soll Aaron und dessen Söhne mit Opferblut besprengen.) 573 G ÄBEL, Kulttheologie, 324. 574 G EORG G ÄBEL, Kulttheologie, 408, weist zu Recht auf Ez 36,16–30.33 hin, wo ebenfalls die Erneuerung des Bundesschlusses, Reinigungsritus und Sündenwegnahme miteinander in Beziehung gesetzt werden. Zudem steht auch hinter der Ezechielstelle die Bundesverheißung nach Jer 31.
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ῥαντίζω, das Verb ῥαντίζω selbst aber nicht.575 Gemäß der detaillierten Untersuchung von Georg Gäbel, ist die Terminologie ὕδωρ ῥαντισμοῦ wie das Verbum περιρραντίζω ein Proprium des Rituals aus Num 19.576 Und umgekehrt gewendet: Wo diese Vokabeln auftauchen, deutet das darauf hin, dass das genannte Ritual im Hintergrund steht. Weshalb aber benutzt AuctHebr das Derivat ῥαντίζω statt des weit üblicheren ῥαίνω577 oder des in Num 19 verwendeten Kompositums περιρραντίζω? Es scheint zwei Möglichkeiten zu geben. Entweder ist es eine Verbalisierung dessen, was AuctHebr in Num 19 vorgefunden hat, wenn er vom ὕδωρ ῥαντισμοῦ (Num 19,13) las. Das ist zu erwägen, weil er als einziger neutestamentlicher Autor von αἷμα ῥαντισμοῦ (Hebr 12,24) spricht und dieses dort ebenfalls über den μεσίτης-Begriff an Mose rückkoppelt. Vermutlich hat er selbst diese Wendung in Analogie zu ὕδωρ ῥαντισμοῦ gebildet.578 „[D]as Blut Christi im himmlischen Jerusalem [hat] als ‚Besprengungsblut‘ eine Funktion analog der des ‚Besprengungswassers‘ im Ritual von Num 19.“579 Die andere Möglichkeit scheint mir zu sein, dass die Formulierung in Hebr 9,19 unter dem Einfluss von Ps 50,9 LXX (ῥαντιεῖς με ὑσσώπῳ, καὶ καθαρισθήσομαι) steht. Im Psalm wie im Hebräerbrief erfolgt die Besprengung mit Ysop,580 der vermutlich als Sprengwedel dient.581 Beide Möglichkeiten, die Herleitung aus Num 19 und die aus Ps 50 LXX, schließen sich nicht gegenseitig aus, denn auch der Psalm bezieht sich bereits auf das Ritual mit der roten Kuh zurück.582 Soweit es den Hebräerbrief anbetrifft, ist die Veränderung zu ῥαντίζω jedenfalls leicht zu erklären. In den Septuaginta-Manuskripten 53´ ist die Wahl des Verbs hingegen überraschend. Ein Einfluss des Hebräerbriefes auf den Zusatz in 53´ ist daher gut vorstellbar. Objekt der Besprengung ist in Hebr 9,19 das Buch und das ganze Volk. Die Besprengung des Buches findet seine Entsprechung in der Besprengung der
575 Num 19,4: ῥαίνω (vom Blut der Kuh); Num 19,13: ὕδωρ ῥαντισμοῦ (Reinigungswasser mit der Asche der roten Kuh); Num 19,13.20: περιρραντίζω; Num 19,18.19.21: περιρραίνω. 576 G ÄBEL, Kulttheologie, 329. 577 Das Verbum ῥαίνω stünde etwa auch im Zusammenhang mit dem Jom Kippur (Lev 16,14). 578 Inhaltlich ähnlich nur 1Petr 1,2: ῥαντισμός αἵματος. Vgl. zur Analogiebildung Hunzinger, ThWNT, 6:982. Nach GEORG GÄBEL, Kulttheologie, 323, ist das „Besprengungsblut“ vom „Besprengungswasser“ und damit von der „roten Kuh“ her zu verstehen. 579 G ÄBEL, Kulttheologie, 384. 580 Eine Besprengung mit Ysop gibt es sonst in Lev 14,7 zwecks Reinigung vom Aussatz, Lev 14,51 zwecks Entsündigung eines Hauses und Num 19,18 im Zusammenhang mit der Asche der roten Kuh (jeweils aber mit περιρραίνω verbunden). 581 Vgl. M ICHEL, Hebräer, 319. 582 Siehe G ÄBEL, Kulttheologie, 328.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Herzen im neuen Bund, weil das Gesetz in die Herzen geschrieben steht. Die Satzung selbst soll damit jeweils mit in den Weiheritus einbezogen sein. Die Besprengung des ganzen Volkes hat ihr Vorbild im Begießen des Volkes aus Ex 24,8. Allerdings findet sich dort das Adjektiv πᾶς nicht. Es könnte von AuctHebr an dieser Stelle eingesetzt worden sein, um die Objekte der Besprengung zu parallelisieren (πάντα τὰ σκεύη; Hebr 9,21 und Ex 40,9). Allerdings wurde es bei σκηνή nicht ergänzt. Stehen die Abendmahlsworte im Hintergrund, könnte das πᾶς von daher eingedrungen sein. Dort sind die πάντες an die Stelle von λαός getreten. Der Hebräerbrief hätte damit beide Perspektiven, die universale wie die des jüdischen Gottesvolkes, miteinander vereint. Zu b) Nach der Besprengung/Begießung folgt die wörtliche Rede Moses, in der er seine kultische Handlung des Blutsprengens/-ausgießens erklärt. Der Text der wörtlichen Rede Moses weist im Vergleich zur Vorlage im Exodusbuch vier Unterschiede auf. 1) AuctHebr schreibt τοῦτο statt ἰδού zu Beginn des Satzes: In der Forschung wurde häufig diskutiert, ob es sich bei der Variation: τοῦτο statt ἰδού um eine intentionale Vertauschung des AuctHebr handele, ob eine ungenaue Zitation des Verfassers aus dem Gedächtnis der Grund der Variation sei, oder ob der Verfasser auf Septuagintatexte zurückgegriffen habe, welche bereits die Lesart τοῦτο boten.583 Herbert Braun merkt bezüglich der letztgenannten Hypothese an, „die wenigen LXX-Handschriften mit τοῦτο oder ἰδοὺ τοῦτο [seien] Hb-Einfluß, nicht umgekehrt.“584 Bloßes τοῦτο bietet in griechischer Sprache laut Göttinger Edition ausschließlich der Dialog zwischen Timotheus und Aquila (DialTA 88). Er scheint sich jedoch bereits auf den Hebräerbrief zurückzubeziehen, denn es wird im vorausgehenden Satz gesagt, Mose besprenge auch das Buch mit Blut.585 Ein Gedanke, der im Kontext zu Ex 24 nicht vorkommt, sondern eine Eigenheit des Hebräerbriefes darstellt. Die Kombination von ἰδού und τοῦτο findet sich in den Handschriften der f-Gruppe (also f-56*), von denen zwei den oben besprochenen Zusatz (εραντισεν αυτους εκ του αιματος του εν τω κρατηρι 53´) bieten. Auf eine mögliche Beziehung dieser Handschriften zum Hebräerbrief, den die Verwendung des Prädikats εραντισεν nahelegt, habe ich bereits hingewiesen. In der Erwähnung des Blut-/Weingefäßes mag man gar einen leisen Hinweis auf den Abendmahlskelch erahnen. Nun kommt als ein weiteres Element die Ergänzung des τοῦτο So bspw. KARRER, Hebräer, 2:167. BRAUN, Hebräer, 277. Eucharistische Tradition vermutet er aber ebenso wenig. 585 J.C. M CC ULLOUGH, „The Old Testament Quotations in Hebrews,“ NTS 26/3 (1980), 363–379: 375, hingegen nimmt an, dass nicht der Hebräerbrief, sondern die Abendmahlsworte den Text beeinflusst hätten, leider aber ohne rechte Begründung: „This change was inevitable as soon as the Old Testament became a Christian book. Jesus had been reported as using the word τοῦτο at the Last Supper and this would have influenced the text before us.“ 583
584
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
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hinzu, das den Verdacht eines Zusammenhangs mit dem neutestamentlichen Schrifttum erhärten könnte. Die Frage ist aber, wer hier wen beeinflusst hat. Der Zusatz in 53´ könnte freilich auch durch das in der Vorlage schon vorhandene τοῦτο mit ausgelöst sein. Wie erklärt sich aber eine Einfügung von τοῦτο am einfachsten? Meines Erachtens ist von den Herrenmahlsworten auszugehen, und zwar aus folgendem Grund: Das Brotwort („Dies ist mein Leib…“) und das Verzichtswort (Lk 22,18: „Ich werde von nun an nicht trinken…“) dürften die (formal) älteren Bestandteile der Abendmahlsworte sein. Das Wort vom Wein wurde dem Brotwort vermutlich sekundär angeglichen.586 Das wiederum heißt, dass das τοῦτο (zusammen mit dem ἐστιν und dem Possessivpronomen) ursprünglich ein sprachliches Element des in beiden Abendmahlstraditionen beinahe univok überlieferten Brotwortes587 ist.588 Dort identifiziert es Brot und Leib miteinander.589 Dass im Kelchwort im Zuge der Gestaltung einer Anspielung an Ex 24,8 das τοῦτο stehengeblieben ist, verdankt sich also am ehesten dem intendierten Parallelismus zum Brotwort. In der paulinisch-lukanischen Traditionslinie wird anders konstruiert.590 Innerhalb der Abendmahlstradition lässt sich also die Auswechslung von ἰδού zu τοῦτο am einfachsten erklären. Für die Handschriftengruppe f ist kein plausibler Grund für die Ergänzung des τοῦτο nachzuweisen.591 Für die Beleglage innerhalb der Septuaginta gilt also: Es gibt keine aussagekräftigen Textzeugen für ein einfaches τοῦτο, da DialTA jung ist und zudem nachweislich unter neutestamentlichem Einfluss steht. Denn insbesondere die
Vgl. SCHRÖTER, Abendmahl, 128. Mt 26,26; Mk 14,22; Lk 22,19: τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου; Mk 14,22: τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου; 1Kor 11,24: τοῦτό μού ἐστιν τὸ σῶμα. 588 Vgl. etwa R OBERT H ORTON G UNDRY, The Use of the Old Testament in St. Matthews Gospel. With special Reference to the Messianic Hope, S.NT 18, Leiden 1968, 57f. 589 Gegen SCHRÖTER, Abendmahl, 128, der meint: „Die Formulierung ‚Das ist‘ (τοῦτό ἐστιν) bezieht sich also nicht einfach auf das Brot, was grammatisch ohnehin schwierig wäre, da ‚Brot‘ im Griechischen Maskulinum ist, worauf sich das Neutrum ‚dieses‘ nicht gut beziehen kann. Mit ‚Dieses ist…‘ wird deshalb der Vorgang des Brechens und Verteilens des Brotes auf den Leib Jesu gedeutet.“ Die Deutung Schröters mag nicht ganz ausgeschlossen sein, die Begründung aber schon. Das neutrale Genus von τοῦτο wird durch das direkte Bezugswort innerhalb der Kopula ausgelöst, also durch σῶμα. Worauf es sich zurückbezieht ist grammatisch nicht zu entscheiden. S. dazu BDR §132: Kongruenz bei pronominalem Subjekt. 590 Lk 22,20: τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη: τοῦτο ist zusammen mit ποτήριον Subjekt des Satzes, ἡ καινὴ διαθήκη ist Prädikatsnomen, nicht Genitivattribut wie in Mk, Mt und Ex 24 (τῆς διαθήκης). 591 Dass es durch Zufall in den Text geraten sein könnte, ist freilich nicht ganz auszuschließen. 586
587
212
B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Erwähnung der Besprengung des Gesetzesbuches durch Mose zeigt sehr deutlich seine Abhängigkeit vom Hebräerbrief. Die Lesart ἰδοὺ τοῦτο findet sich in einer relativ jungen Handschriftengruppe. Der älteste Zeuge der Gruppe, Hs 56, kennt τοῦτο ursprünglich nicht, doch wurde es dort später nachgetragen. In den jüngeren Handschriften der Gruppe ist es erhalten. Es ist andererseits aber schon in der Tradition vorhanden gewesen, ehe hexaplarische Lesarten aufgenommen worden sind.592 Daher ist es unwahrscheinlich, dass τοῦτο eine sehr alte Lesart ist. Den ältesten Beleg für die Kombination von Interjektion und Demonstrativum bietet der Targum Onkelos. Solange es nicht stichfest zu beweisen ist, ist vorerst nicht davon auszugehen, dass sich TarO selbst in einem Diskurs mit christlichen Abendmahlsvorstellungen befindet.593 Ob die dort im Aramäischen vorfindliche Lesart (ָהא ) ֵדיןauf einen entsprechenden hebräischen Text verweist, ist nicht mit letzter Gewissheit auszumachen. Jedoch wird im direkten Kontext ein weiterer entscheidender Teil ergänzt (nachfolgend fettgedruckt). Ex 24,8 (MT) Ex 24,8 (TarO)
ַוִיּ ַקּח ֹמֶשׁ ה ֶאת־ַה ָדּם ַוִיּ ְזֹרק ַﬠל־ָהָﬠם ַויּ ֹא ֶמר ִה ֵנּה ַדם־ַהְבּ ִרית Und Mose nahm das Blut und sprengte es auf das Volk und sprach: Siehe, das Blut des Bundes… וְּנ ִסיב מֶשׁ ה ָית ְדָמ א וּ ְזַרק ַﬠל ַמ ְדְבָּח א ְל ַכ ָפָּרא ַﬠל ַﬠָמא ַוֲאַמר ָהא ֵדין ָדם ְקָיָמ א Und Mose nahm das Blut und sprengte es auf den Altar zur Entsühnung für das Volk und sprach: Siehe, dies (ist) das Blut des Bundes…
Wird also laut masoretischem Text das Volk besprengt, so nach TarO stattdessen der Altar.594 Damit wird aufgrund des neuen Ritualarrangements das Blut der direkten Anschauung des anwesenden Volkes entzogen, und möglicherweise löst dieser Umstand die Vereindeutigung des Hinweises auf das Blut durch ein demonstratives Element aus. Wenn das stimmt, wäre damit die Ergänzung in TarO selbst angebracht und dürfte nicht als ein Hinweis auf die hebräische Vorlage verstanden werden.595 592 Dieser Einfluss ist erst für 53´ anzunehmen. Vgl. C HRISTIAN SCHÄFER, Benutzerhandbuch zur Göttinger Septuaginta. Band 1. Die Edition des Pentateuch von John William Wevers, Göttingen 2012, 123. 593 Vgl. C HARLES THOMAS R OBERT H AYWARD, „The Giving of the Torah. Targumic Perspectives,“ in George J. Brooke/Hindy Najman/Loren T. Stuckenbruck (Hg.), The Significance of Sinai. Traditions about Sinai and Divine Revelation in Judaism and Christianity, 269–285: 273. 594 Es ist hier vermutlich ein Bezug zum Jom Kippur gegeben. Vgl. B ACKHAUS, Bund, 295. Oder man könnte es umgekehrt deuten: „Die Besprengung des Volkes wird aus dem Text geradezu beseitigt […] Die direkte Berührung mit der heiligen Opfermaterie, die in diesen Akten einbeschlossen war, war ihnen zu viel, denn eine solche Berührung widerstrebt dem Wesen der jüdischen Opferanschauung.“ So bei SVERRE AALEN, „Abendmahl,“ 150. 595 Zu belegen ist das nicht, denn dass die Hinzufügung des τοῦτο eine Beziehung zu dem Text haben könnte, wie er im Targum Onkelos überliefert ist (dort findet sich ebenfalls die
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Wir haben also keine Hinweise darauf, dass AuctHebr bei der Aufnahme von Ex 24,8 auf eine Vorlage zurückgegriffen hat, die bereits τοῦτο enthalten oder wenigstens ergänzt hätte. Führt man die Änderung demnach auf den Autor des Hebräerbriefs selbst zurück, so liegt die Vermutung nicht fern, wir hätten es hier ebenfalls mit einer Anspielung auf die Herrenmahlworte zu tun.596 Dass diese in irgendeiner christlichen Urgemeinde gänzlich unbekannt gewesen sein sollten, scheint undenkbar. Und immerhin deutet die frappierende Nähe des Vokabulars von Hebr 9,22 zu dem in Mt 26,28 darauf hin, dass AuctHebr eine Form des Kelchwortes markinisch-matthäischer Tradition gekannt hat.597 Kombination von Interjektion und Demonstrativum: )ָהא ֵדין, ist nicht gänzlich auszuschließen, wenn auch unwahrscheinlich. Sollte das Demonstrativum im Targum Onkelos, anders als angenommen, nicht aus der Feder des Übersetzers stammen, müsste die Verwandtschaft zur f-Gruppe auf ein vergleichbares hebräisches Original zurückgeführt werden. Wie aber wäre f an eine solche Lesart gekommen? Möglich wäre, dass Korrekturen des griechischen Textes hin zum Hebräischen unter hexaplarischem Einfluss in die Tradition geraten wären. Solcher Einfluss wird aber nur für die jüngeren Zeugen, namentlich 53´ (14. und 15. Jh.), erwogen (vgl. CHRISTIAN SCHÄFER, Benutzerhandbuch, 123). In die älteste Handschrift der Gruppe, 56, wurde das τοῦτο zwar bloß hineinkorrigiert, aber es bleibt immer noch Ms 246 (1195) als ältester Beleg für unsere Lesart. Sie ist damit älter als die Sonderlesarten, die unter hexaplarischem Einfluss in die Gruppierung 53´ eingedrungen sind. Schließlich gibt es auch den Versuch TarO wiederum vom Abendmahl her zu verstehen; vgl. HAYWARD, „Giving,“ 273. ISRAEL DRAZIN/STANLEY M. WAGNER, Onkelos on the Torah. Understanding the Bible Text. שמותExodus. Including: Original English Translation of Targum Onkelos, Commentary, Appendix, Onkelos Highlights, ‚Beyond the Text‘ and Translation of the Haphtarot from the Aramaic Targumim, Jerusalem 2006, 161, ziehen in Betracht, dass die Bemerkung zur Blutbesprengung an den Altar zwecks Sühne hinzugefügt worden sein könnte, „to avoid the interpretation found in the Gospels (Matthew 26:28, Luke 22:20, 1Corinthians 11:25, Hebrews 9:20, 10:29) that the sprinkling prefigures the Last Supper.“ Drazin/Wagner verstehen damit auch die Zitation von Ex 24,8 an unserer Stelle im Hebräerbrief als eine Präfiguration des Abendmahls. 596 Vgl. B ACKHAUS, Bund, 200: „Hier dürfte die Herrenmahl-Paradosis sprachprägend im Hintergrund stehen.“ Einen Einfluss auf die theologische Argumentation findet Backhaus aber nicht. Vgl. auch HEGERMANN, Hebräer, 185; FUHRMANN, Vergeben, 174. Die Vermutung Erich Gräßers, es handele sich hierbei um die „unschuldigste variatio“ des ExodusZitats und sie sei schlichtweg durch den Rückbezug auf αἷμα zu erklären (GRÄßER, Hebräer, 2:182), wäre meines Erachtens nur dann gültig, wenn sich keine weiteren Anhaltspunkte für eine Reminiszenz an die Abendmahlsworte finden ließen. 597 Auch B ETZ, Eucharistie, 54, fällt die zweimalige Erwähnung des synoptischen Kelchprädikates ‚Bundesblut‘ in Hebr 10,29 und 13,20 auf (vgl. a.a.O., 146). Gerade die Motive, die beim synoptischen Kelchwort zur Geltung gebracht würden, entfalte auch der Verfasser des Hebräerbriefes: Erstens: Der „Tod Jesu als kultische Opferdarbringung“ (ebd.; man denke dabei auch an die oben herausgestellte Gleichsetzung des AuctHebr vom Blut der Opfertiere und dem Tod Jesu) und zweitens „die Konstituierung eines neuen Bundes und einer neuen Kultordnung durch Jesu Blut“ (ebd.). Vgl. auch BARBER, „Temple,“ 117, zum Kelchwort im Lukasevangelium: „Yet Jesus' cup-saying not only anticipates his death, it describes it as a sacrifice. Not only is the
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2) AuctHebr schreibt ὁ θεός anstelle des κύριος der Vorlage: Der Wechsel der Gottesbezeichnung ist in wenigen späten Textzeugen der Septuaginta überliefert. Er ist aber ein häufig zu beobachtendes Phänomen, aus dem man kaum Schlüsse für Intertextualitäten ziehen darf.598 Dass jedoch AuctHebr von „Gott“ statt vom „Herrn“ spricht, mag einer Verwechslung von Gott und Christus vorbeugen. Entsprechend meint Erich Gräßer, AuctHebr habe so den neutestamentlichen ‚Klang‘ von κύριος vermeiden wollen.599 Dies darf man aber dennoch nicht so verstehen, dass etwa durch die Veränderung am Schriftzitat zu den Abendmahlsworten Abstand gesucht würde.600 Auch wenn zweifellos auf das Abendmahl angespielt wird, ist zu bedenken, dass AuctHebr am Ort dennoch primär den mosaischen Bundesschluss beschreibt, der damit zu dem neuen in Analogie gesetzt wird. Hinzu kommt, dass derjenige, der eigentlich den Bund mit den Menschen schließt, auch aus der Perspektive des neuen Bundes Gott ist, nicht Jesus Christus. Der Relativsatz ἧς ἐνετείλατο πρὸς ὑμᾶς ὁ θεός bezieht sich auf die διαθήκη, nicht etwa auf das Blut Jesu und weist damit Gott als Subjekt der διαθήκη und ὑμᾶς als Adressaten aus.601 Anders verhält es sich mit der Partizipialwendung der Abendmahlsworte in Mt 26,27: τὸ περὶ πολλῶν ἐκχυννόμενον. Hier heißt es dann eben nicht, die διαθήκη komme den vielen zugute, sondern das Blut. Damit wird der Fokus auf Jesu Anteil am Bundesschluss gelegt, aber es ist dennoch möglich und nötig, Gott als veranlassendes Subjekt der διαθήκη zu verstehen. Ebenso ist Christus für AuctHebr der ausführende μεσίτης, der Mittler und Bürge des Neuen Bundes, während der Auftrag (ἐντέλλομαι) von Gott selbst kommt.602 Damit stellt er die beiden Bundesmittler, Mose und Jesus Christus,
language of Jesusʼ blood being ‚poured out‘ (ekchynnomai) a reference to his violent death, the terminology evokes the imagery of cultic sacrifice; the terminology used in depictions of cultic offerings (see, for example, Lev. 4:7, 18, 25, 30, 34; 4Q220 I, 3; 11Q19 LII, 11). That the sacrificial connotation of ‚poured out‘ is intended is clear from the fact that Jesus explicitly links the term to the language of a ‚new covenant.‘“ Auch Barber erkennt die Handlungen Moses in Ex 24, auf die sich die Abendmahlsworte beziehen, als priesterliche an. Vgl. auch EBERHART, Kultmetaphorik, 121. Aufgrund des Bezugs des Kelchwortes auf Ex 24 lasse sich ein kultischer Hintergrund plausibel machen. 598 Nur die Minuskel 44 (15. Jh.) liest ο θεος anstelle von κυριος. In DialTA findet sich – auch im Kontext nachweislich vom Hebräerbrief beeinflusst – ο θεος ημων. 599 G RÄßER, Hebräer, 2:182. 600 So etwa K ARRER, Hebräer, 2:165. 601 Das steht in Kongruenz zu dem Jeremia-Zitat (38,31–34 LXX) in Hebr 8,8–12 und verkürzt in 10,16f., wo ebenfalls Gott als derjenige bezeichnet wird, der den Bund schließt. 602 Hebr 8,6; 9,15; 12,24. S. dazu K NUT B ACKHAUS, „Per Christum in Deum. Zur theozentrischen Funktion der Christologie im Hebräerbrief,“ in ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 49–75: 71: „Genau so aber stiftet Christus – antitypisch zu Mose – mit dem ‚Blut des Bundes‘ die neue Diatheke,
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einander gegenüber.603 Die Rolle Gottes und Jesu Christi stehen miteinander nicht in Konkurrenz. Die Einsetzung ‚Gott‘ statt ‚Herr‘ kann daher keineswegs als Argument gegen eine Bezugnahme auf das letzte Mahl ins Feld geführt werden.604 3) Auct Hebr setzt ὁ θεός exponiert ans Ende des Satzes: Mit der exponierten Stellung von ὁ θεός am Satzende betont AuctHebr die Aussage besonders, dass Gott selbst auch die erste διαθήκη angeordnet habe und zeigt damit, dass er ihre (einstige) Gültigkeit in keiner Weise schmälern will.605 4) AuctHebr ersetzt das Prädikat διέθετο durch ἐνετείλατο: Ein gewichtiger Grund für eine Änderung des Prädikats διέθετο zu ἐνετείλατο ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich.606 Sie erstaunt sogar,607 denn beiden Vokabeln sind ‚die Gott anordnete für euch‘ (9,20:[…]). Selbst dieses Schriftzitat verschärft gegenüber der biblischen Vorlage (Ex 24,8 LXX) noch einmal den theozentrischen Akzent.“ 603 Vgl. insb. Hebr 8,5f.; 9,19 oder auch den ausgeführten Vergleich zwischen den beiden im dritten Kapitel. Auch der Begriff des ἀπόστολος könnte in die gleiche Richtung weisen. Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 85, der anhand einschlägiger Belege zeigt, dass „die Aufgabe eines Apostels darin besteht, Verträge zustande zu bringen.“ Damit wäre schon zu Beginn des dritten Kapitels diese Vergleichsperspektive aufgetan. Vgl. auch STROBEL, Hebräer, 112: Mose und Jesus erfüllen gleiche Funktionen: Mittler, Versöhner, Priester. 604 Es ist daneben festzustellen, dass im Neuen Testament, wenn von διαθήκη gesprochen wird, üblicherweise nicht mehr im Sinne eines von zwei Parteien ausgehandelten Bündnisses die Rede ist. Es hat stattdessen eine Annäherung an den ursprünglichen Sinn von διαθήκη als einer allein von Gott aufgestellten Satzung stattgefunden. Vgl. AXEL GRAUPNER, „Exodus 24 und die Frage nach dem Ursprung der Bundestheologie im Alten Testament mit einem Ausblick auf die Herrenmahlsüberlieferung im Neuen Testament,“ in Wolfgang Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin 2009, 129–148: 147; ebenso BACKHAUS, „Per Christum,“ 71. Der Bundesgedanke, der im hebräischen Alten Testament seinen Ursprung hat, beinhaltet eine zwar einseitige, aber dafür auch bedingungslose Gottesgemeinschaft. Von der engen Verbindung mit der Willensoffenbarung Gottes ist der Neue Bund wieder gelöst (GRAUPNER, „Exodus 24,“ 147). Gott allein ist der Agens. Auch auf diesem Wege lässt sich die besondere Betonung Gottes als Subjekt der διαθήκη erklären, ohne eine im Text meines Erachtens nicht zur Sprache gebrachte Distanz zum Herrenmahl konstatieren zu müssen. 605 H-F. W EIß, Hebräer, 480, Anm. 22; B ACKHAUS, Bund, 200. R IGGENBACH, Hebräer, 276, sieht aus dem gleichen Grund, nämlich der Betonung der Autorität der διαθήκη, auch die Änderung des Prädikats διέθετο zu ἐνετείλατο veranlasst, was Weiß aber in diesem Zusammenhang infrage stellt. 606 Entsprechend hält man die Änderung zuweilen für stilistisch motiviert (vgl. etwa MCCULLOUGH, „Quotations,“ 375). 607 FUHRMANN, Vergeben, 151f., macht darauf aufmerksam, dass auch in Hebr 8,8.9 jeweils das in der Vorlage (Jer 38,31f. LXX) gebrauchte διαθήκην διατίθημι von AuctHebr ersetzt wird, und zwar durch διαθήκην συντελέω im Zusammenhang mit der neuen bzw. διαθήκην ποιέω im Zusammenhang mit der ersten διαθήκη. Die Verwendung des συντελέω in Opposition zum ποιέω kennzeichne nach FUHRMANN, Vergeben, 152, den „qualitativen Unterschied“ der beiden Satzungen. In Hebr 8,10 zeigt sich, dass er aber ebenso die
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beinahe synonym und bewegen sich in dem Bedeutungsspektrum „bestimmen“/„verfügen.“ Kurz zuvor war jedoch bereits Christus als διαθέμενος vorgestellt worden. Zusammen mit der Änderung von κύριος zu ὁ θεός könnte im Zusammenhang die Rollenverteilung beim Bundesschluss verdeutlicht sein. Jesus Christus vollzieht den Weiheritus und nimmt dabei die Rolle des hohepriesterlichen μεσίτης, also des stellvertretenden διαθέμενος, ein. Als solcher ist er von Gott geschickt (Hebr 3,1: ἀπόστολος). Gleiches gilt für Mose: Nach Hebr 9,18 wird die erste διαθήκη mit Blut eingeweiht. Wenn Mose die Besprengung vornimmt (Hebr 9,21f.), ist er dabei ebenfalls μεσίτης und damit stellvertretender διαθέμενος. Das Prädikat ἐνετείλατο ist daher kausativ zu verstehen. Gott ist derjenige, der die διαθήκη in Auftrag gibt. Man beachte, dass das ἐνετείλατο das im vorangegangenen Vers verwendete Substantiv ἐντολή (Hebr 9,19) – dort bezeichnet es Gottes Gebote, die Mose dem Volk vorträgt – wieder aufgreifen soll. Zu c) Die Aussage nach Hebr 9,21f., dass Zelt und Kultgeräte von Mose mit Blut besprengt worden seien, verwundert. Eine Vorlage für diesen Gedanken sucht man in Ex 24 vergeblich. Dies zumal ja Zelt und Kultgeräte gemäß Erzählzusammenhang eigentlich erst später hergestellt werden und folglich beim Bundesschluss am Sinai noch nicht existieren. AuctHebr bedient sich also eines Gedankens, der – cum grano salis – Ex 40,9 entspricht. Immerhin finden sich die beiden Elemente σκηνή und πάντα τὰ σκεύη. Jedoch werden diese dort gerade nicht mit Blut besprengt und gereinigt,608 sondern mit Salböl gesalbt und geheiligt.609 Dass AuctHebr dennoch auf diese hinsichtlich der Formulierung διαθήκην διατίθημι verwenden kann. AuctHebr ersetzt das Verbum also nicht prinzipiell, sondern dann, wenn es ihm geboten erscheint. 608 Vgl. H EGERMANN, Hebräer, 185. Er weist aber auch darauf hin, dass schon frühjüdische Priestertradition den Blutritus generalisierend ergänzt habe. Sein Beleg, Jos. Ant 3,206, ist jedoch recht spät. Zudem ist nicht ganz sicher, ob nur die Priester (Aaron und seine Söhne) oder auch Zelt und Geräte mit Blut besprengt wurden. Targum Onqelos kennt immerhin die Besprengung des Altars mit Blut. Allerdings im Kontext zu Ex 24, nicht 40. Auch in diesem Erzählzusammenhang gibt es eine Opferstätte, aber es ist nicht die des Zeltheiligtums. Zudem wird als Zweck dieser Besprengung die Entsühnung des Volkes angegeben, nicht die Reinigung des Heiligtums. 609 Y OUNG, „Gospel,“ 205 meint, AuctHebr könnte das Öl als äquivalente Substanz verstanden haben: „He would no doubt appeal to something like the Rabbinic dictum [sc. B. Yoma 4a] that the oil (water) stands for the blood.“ Im Wortlaut sehr ähnlich zu Ex 40 ist Num 7,11: καὶ ἔχρισεν αὐτὴν καὶ ἡγίασεν αὐτὴν καὶ πάντα τὰ σκεύη αὐτῆς. Auch hier ist von einer Salbung die Rede. Nach Lev 8,11 wird immerhin ein Sprengen des Öls erwähnt. Allerdings nicht auf Zelt und Gerät, sondern siebenmal an den Altar. Zelt und alles, was darin ist, wird wiederum gesalbt. Beim anschließenden Sündopfer wird mit Blut bestrichen (Lev 8,15), an den Altar wird Blut ausgegossen (ἐκχέω). Dort tatsächlich zwecks Reinigung, Heiligung und Sühne. YOUNG, „Gospel,“ 205 sieht Lev 8 deutlich im Hintergrund der Ausführungen von Hebr 9.
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Chronologie unpassende Episode anspielt, ist dem Interesse geschuldet, „die Einsetzung der διαθήκη mit der Weihe des Zeltes ineins zu fassen.“610 Zu d) Dass AuctHebr davon ausgehend – wider den Wortlaut des Bezugstextes – zu der Feststellung kommt, fast alles werde nach dem Gesetz mit Blut gereinigt (Hebr 9,22), ist erstaunlich. Georg Gäbel vermutet, AuctHebr „denk[e] hier also noch an seine eigene Schilderung des Bundesschlussrituals als Reinigungsritual.“611 Vermutlich aber wird umgekehrt ein Schuh daraus. AuctHebr schildert den Bundesschluss als ein Reinigungs- und Weiheritual, das er selbst auf das Blut fokussiert, weil er die herausragende Bedeutung des Blutes für den neuen Bundesschluss vom Abendmahl her einbringen möchte. Damit nähert er die beiden Bundesschlüsse weiter einander an und leistet seinen Beitrag zu dem Abendmahlsverständnis markinisch-matthäischer Tradition, in der das Kelchwort als Ausdruck der Bekräftigung des Sinaibundes an Ex 24 angepasst worden ist.612 Das Ausgießen des Blutes zur Vergebung der Sünden wird damit als Reinigungs-, Weihe- und Inaugurationsritus ausgelegt.613 Die Pointe (χωρὶς αἱματεκχυσίας οὐ γίνεται ἄφεσις) ist deutlich christologisch vom Abendmahl her geprägt.614 Wenn das Blut obligatorisch ist und den neuen Bundesschluss bestimmt, dann muss diese umfassende Bedeutung auch FUHRMANN, Vergeben, 170. GÄBEL, Kulttheologie, 410. 612 Vgl. etwa PETER FIEDLER, Das Matthäusevangelium, ThKNT 1, Stuttgart 2006, 390. 613 Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 167; K RAUS, „Mittler,“ 314. Insbesondere in johanneischer Tradition wird der Aspekt der Reinigung beim letzten Abendmahl sehr verstärkt, indem die dem Abendmahl (δεῖπνον, Joh 13,2) vorausgehende Fußwaschung besondere Gewichtung erhält. Vgl. CHRISTINE SCHLUND, „Deutungen des Todes Jesu im Rahmen der Pesach-Tradition,“ in Jörg Frey/Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, Tübingen 22012, 397–411: 408. Die Jünger werden damit als „ganz rein“ (καθαρός ὅλος) bezeichnet und haben sich „im rechten, angemessenen Status einer Pesach-Gemeinschaft konstituiert“ (SCHLUND, „Deutungen,“ 408). Dass sich diese Reinheit auf das Innere beziehe, wird nicht zuletzt klar, wenn es vom Verräter Judas heißt, er sei nicht rein. Unter Verweis auf 1Joh 1,7 betont Stuhlmacher, dass der Sklavendienst der Fußwaschung bedeute, „daß Jesus für sie [sc. die Jünger] in den Tod geh[e] und sein Blut die Glaubenden von aller Sünde reinig[e]“ (STUHLMACHER, „Herrenmahl,“ 26). Auch für AuctHebr ist der Aspekt der Reinigung entscheidend. Es ist Christine Schlund beizupflichten, dass sich die Sühnopfer-Soteriologie freilich nicht von Pesach her erklärt. SCHLUND, „Deutungen,“ 411: „Mit der Vergebung der Sünden eines Individuums hat das Pesachfest nichts zu tun.“ Vgl. auch BAARLINK, Evangelium, 235: „Es sei hier nur erwähnt, daß Mk 14,24 auch nicht von dem Schlachten der Passalämmer abgeleitet werden darf.“ Wenn das Pesachfest dazu dient, die Gemeinde Gottes neu oder wieder zu konstituieren und die Reinigung dazu die Vorbedingung ist (SCHLUND, „Deutungen,“ 400), steht dies ganz im Einklang mit dem Modus der neuen διαθήκη. 614 Gemäß Altem Testament wäre die Regel des AuctHebr gar zu falsifizieren, denn nach Lev 5,11–13 wird ein vegetabiles Opfer zur Sündentilgung dargebracht. Den Hinweis verdanke ich Wolfgang Kraus. 610
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im ersten Bundesschluss nachweislich sein. Der Begriff αἱματεκχυσία ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Neologismus, in jedem Falle aber ein Hapaxlegomenon innerhalb der gesamten uns bekannten Gräzität. Vom Begriff her könnte der Bezug zu Ex 29,12; Lev 4,7ff.; 8,15; 9,9 vorliegen. Hier finden sich beide Wortbestandteile, das Substantiv αἷμα wie auch das Verbum εκχεῖν.615 In 3Kgt 18,28 und Sir 27,15 ist sogar das Substantiv ἐκχύσις zu finden, das αἷμα als Genitivattribut mit sich führt und somit dem Neologismus αἱματεκχυσία näherstünde.616 Es ist jedoch dort nur im Sinn eines profanen Sprachgebrauches vorfindlich und bezeichnet das Blutvergießen nach einer Verletzung. An keiner der genannten Stellen der Septuaginta – sei es unter sakraler, sei es unter profaner Bedeutung – ist jedoch die für die Argumentation in Hebr 9,22 wesentliche Verbindung zur ἄφεσις gegeben.617 Diese deutet aber auf ein Sühnegeschehen hin, denn ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung. Es ist also bei dieser Verknüpfung von Bundestheologie und Sühnopfergedanken618 anzunehmen, dass AuctHebr hinsichtlich Vers 9,22 den neuen, nicht den alten Bund vor Augen hat,619 betont er doch an anderer Stelle das Unvermögen der Opfer nach dem Gesetz und sagt beispielsweise in Hebr 10,4.11620 gerade über die Opfer der alten Ordnung, dass sie niemals Sünden wegnehmen können.621 Aber eben diese Sündenvergebung findet sich nun bei den Abendmahlsworten nach Mt 26,28. Matthäus spricht vom Blut Jesu, das zur Vergebung der Sünden vergossen worden sei. Das Verbum ἐκχύννω findet sich in allen synoptischen Abendmahlsworten, aber die Zweckangabe εἰς ἄφεσιν geht über den Bestand der anderen Evangelien hinaus, wenngleich anzunehmen ist, dass 615 Vgl. etwa H.-F. W EIß, Hebräer, 482, Anm. 32. Auf dem Blutvergießen liegt bei Leviticus aber kultisch kein besonderes Gewicht. „Our author is attracted to it even though it was a cultically minor word because it carries the further nuance of a life poured out in death. The death of Christ literally surrounds this verse,“ so YOUNG, „Gospel,“ 206. 616 G RÄßER, Hebräer, 2:185 meint, AuctHebr gebrauche das ‚Blutvergießen‘ in ebendiesem Sinn. Der Tod stehe im Vordergrund. 617 Auch JAMIESON, Jesusʼ Death, 143, argumentiert zu Recht: „The problem, however, is that this is not an atoning act, but the disposal of leftover blood that was not used for any atoning purpose. It is the blood that is not sprinkled, daubed, or tossed on the altar that is poured out at its base. It is the blood that does not effect atonement that is disposed of by pouring.“ 618 Vgl. R ASCHER, Schriftauslegung, 64. 619 Vgl. B AARLINK, Evangelium, 234: „Obwohl das Bundesopfer von Ex 24 nicht als sühnendes Opfer gedeutet wird, kann der Verfasser den Abschnitt abschließen mit dem Hinweis auf die Unerläßlichkeit des Blutvergießens für die Vergebung (ἄφεσις; V. 22; vgl. Lev 4,20.26.) Er kann Versöhnung und Bundesschluß nur in ihrer Einheit sehen.“ 620 Hebr 10,4: ἀδύνατον γὰρ αἷμα ταύρων καὶ τράγων ἀφαιρεῖν ἁμαρτίας. Hebr 10,11: προσφέρων θυσίας, αἵτινες οὐδέποτε δύνανται περιελεῖν ἁμαρτίας. 621 In diesem Sinn argumentiert ebenfalls ERICH G RÄßER, Hebräer, 2:151. Auch er sieht den Widerspruch zwischen 9,22 und 10,4.
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„auch bei den anderen Versionen die Vergebung der Sünden zur Erneuerung des Bundes bzw. zu einem neuen Bundesschluss gehört.“622 Eine direkte Abhängigkeit der beiden Texte ist nicht zu belegen und auch von mir nicht vorausgesetzt. Was wir aber vorfinden, sind dennoch starke Indizien dafür, dass man insbesondere das Kelchwort, offenbar in einer Form die dem Kelchwort des Matthäusevangeliums glich, als Subtext vorauszusetzen hat.623 AuctHebr bewegt sich ganz im Rahmen eines theologischen Verständnisses des Kelchwortes, wie es im frühen Christentum überliefert ist.624 „[D]ie kultische Christologie des Hebräerbriefes [knüpft] anhand des Begriffspaars ‚Blut‘ und ‚Bund‘ verschiedentlich an die Tradition des sühnenden Kelchs des Abendmahls an.“625 Diese Erkenntnis führt zu der Annahme, AuctHebr verstehe den Tod Jesu sowohl vor dem Hintergrund der Schriftauslegung des Alten Testaments als auch auf der Basis einer Anschauung frühchristlicher Zeit, welche Jesu Stiftung des neuen Bundes mit den Herrenmahlsworten,626 genauer
622 JENS SCHRÖTER, Abendmahl, 47. Vgl. auch ERNST, Markus, 417: Das vergossene Blut werde auch im Hinblick auf den Bundesschluss als Sühnehandlung gedeutet. Ernst weist auf Targum Onkelos zu Ex 24,8 hin. Nicht richtig kann es sein, beim Blutvergießen an den Märtyrertod zu denken (in diese Richtung argumentiert etwa REINMUTH, „Befreiung,“ 192), zu sehr wird doch der Aspekt der Reinigung betont. 623 Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 171–175. Gegen den Versuch, Hebr 9,22 vom Abendmahl her zu erklären, argumentiert WILLIAM G. JOHNSSON, Defilement and Purgation in the Book of Hebrews, PhD diss., Graduate School of Vanderbilt University, Nashville, Tennessee 1973, 325, Anm. 193: „But this is manifestly false procedure: the Matthean form of the ‚cup-word‘ is patently late; we have no assurance that Hebrews was written after Matthew; and, above all, it is only by gross distortion of the argument that any allusion to the Last Supper is to be discerned in Heb. 9–10.“ 624 Zur Vergleichbarkeit des Gebrauchs von ἄφεσις in Mt 26,28 und dem Hebräerbrief vgl. FUHRMANN, Vergeben, 160. Zu möglichen Beziehungen zwischen Hebräerbrief und Abendmahlstradition vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 152: „[…] it is plausible that such traditions informed Hebrewsʼ reasoning about the Christ-event, and therefore the cult in light of Christ. Hebrews frames its ‚blood canon‘ to highlight something the Levitical cult and Christʼs saving act have in common: a life-for-life exchange enacted in death.“ 625 EBERHART, Kulttheologie, 147. 626 S. dazu die Ausführung von B ACKHAUS, Hebräerbrief, 297: „Das semantische Netz, in dem der diathēkē-Begriff in Hebr verwendet wird […], macht es wahrscheinlich, dass der Vf. ihn aus dem Zusammenhang der Herrenmahl-Überlieferung übernimmt und sich davon inspirieren lässt. […] Die Annahme, der Vf. habe die Eucharistie-Praxis nicht gekannt oder verworfen, wirkt angesichts der sonst festzustellenden Traditionskontakte gezwungen.“ Die Anmerkung, dass man auch von einer Abendmahlspraxis des Paulus nichts erfahren habe, hätten es die Korinther geordnet gefeiert, mag ebenfalls den Blick für eine im Hintergrund stehende Eucharistie innerhalb der Ausführungen des Hebräerbriefes weiten. SEBASTIAN FUHRMANN, Vergeben, 46, erkennt sogar in der Anwendung des Hohepriesterbegriffes nach der Ordnung Melchisedeks auf Jesus einen eucharistischen Hintergrund. Melchisedek, der nach Gen 14,18 Brot und Wein reichte, habe ein „Vorbild der Eucharistie“ gegeben.
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gesagt mit dem Kelchwort, in Verbindung brachte.627 Der Begriff der αἱματεκχυσία erfährt vermittelt durch seine Anlehnung an den Abendmahlskontext – auch wenn ἐκχεῖν eigentlich keinen sühnewirkenden Vorgang bezeichnen kann628 – eine kultische Interpretation.629 Fazit: Die Analyse der Verse 9,20.22 hat gezeigt, dass hier nicht allein eine rein oberflächliche, formale Annäherung an die Einsetzungsworte vorliegt, sondern, dass auch und vor allem inhaltliche Motive übertragen wurden. Diese sind 1.) das metonymische Verständnis des Blutes Jesu als dessen Tod,630 2.) die kultische Interpretation des Todes/Blutes Jesu, 3.) die bundesstiftende Wirkung des Blutes Jesu, wie sie auch im Kelchwort beschrieben ist.631 Im Hebräerbrief kommt jedoch hinzu, dass all dies von der übergreifenden Idee des Hohepriestertums Jesu Christi her eine neue Prägung erfährt.632 „Der Bundesschluss am Sinai wird als Sühnopferzeremonie verstanden, und Parallelen zwischen erstem Bundesschluss und dem Bund, der durch Jesus Christus geschlossen wurde, werden gezogen (Hebr 9,15.18–26).“633 Ausdrücklich sei darauf aufmerksam gemacht, dass eine Kenntnis der Herrenmahlsworte sowie die deutlich vernehmbare Anspielung auf sie keine Auseinandersetzung mit dem Abendmahl als einer in der Gemeinde vollzogenen 627 K NUT B ACKHAUS, „Per Christum,“ 60, bezeichnet die Eucharistie sogar als primären Reflexionshintergrund und weist auf die Wortfelder καινὴ διαθήκη/ αἷμα/ ὑπέρ- und περίFormel/ Sündenvergebung hin. 628 Vgl. C HRISTIAN EBERHART, „Opfer, Sühne und Stellvertretung im Alten Testament,“ in Michael Hüttenhoff/Wolfgang Kraus/Karlo Meyer (Hg.), ‚… mein Blut für Euch.‘ Theologische Perspektiven zum Verständnis des Todes Jesu heute, Biblisch-theologische Schwerpunkte 38, Göttingen 2018, 40–55: 50. 629 JAMIESON, Jesusʼ Death, 150, bezieht den Begriff auf die rituelle Schlachtung. Zur Doppelbedeutung des Begriffs vgl. NELSON, „Sacrifice,“ 255. S. auch H.-F. WEIß, Hebräer, 482, Anm. 32. Dass die Kreuzigung eine blutige Todesart war, betont ausdrücklich etwa EBERHART, Kultmetaphorik, 111. AuctHebr bildet die Begrifflichkeit in Anlehnung an die Abendmahlsworte. Zur Bedeutung des Blutvergießens und des Bundesblutes in Anlehnung an Ex 24,8 vgl. STUHLMACHER, „Herrenmahl,“ 11. 630 H EGERMANN, Hebräer, 185. 631 Vgl. B ETZ, Eucharistie, 148. H EGERMANN, Hebräer, 185, betont die zentrale Bedeutung des Begriffes „Bundesblut,“ der in Hebr 9,20; 10,29 und 13,20 vorkomme. Der Ausdruck zeige an, dass AuctHebr „mit diesem Schriftzeugnis in alter urkirchlicher Überlieferung steh[e]: in der ältesten Herrenmahlstradition, wie sie sich in der Markusfassung des Deutewortes zum Becher erhalten ha[be].“ Vgl. auch EBERHART, Kultmetaphorik, 124: „Der Bezug auf den Sinaibund im Rahmen des Kelchwortes impliziert demnach, dass Christen zu einem geweihten Volk von Priestern vereint werden.“ Vgl. allgemein zum Begriff des Bundesblutes BACKHAUS, Bund, 201ff. Es gebe in Hebr 9,18–22 keine besondere theologische Beziehung zum Blut als eucharistischer Substanz, „[g]leichwohl deutet sich in 9,20 das eucharistische Kelchwort als ursprünglicher Interpretationszusammenhang der διαθήκηTheologie an.“ 632 B ETZ, Eucharistie, 144. 633 R ASCHER, Schriftauslegung, 67.
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Liturgie notwendig einschließen muss. Eine Analyse, die dies nicht berücksichtigt wird ein ähnliches Ergebnis wie Martin Karrer festhalten müssen: AuctHebr „nützte die Chance nicht, das Herrenmahl in die Mitte des Christentums zu stellen, sei es, weil er die Chance nicht erkannte (was angesichts seiner theologischen Kraft unwahrscheinlich ist), sei es (wahrscheinlicher), weil er diesen Schritt für zu kühn erachtete und sich ihm verweigerte. So oder so warnt der Hebr vor einer kultischen Überbewertung des Herrenmahls.“634 Dieser Aussage ist natürlich dahingehend zuzustimmen, dass AuctHebr kaum einen Hinweis darauf gibt, dass er das Abendmahl als kultischen oder liturgischen Akt kennt oder pflegt.635 Diese Tatsache möge jedoch dahinstehen, da es dem AuctHebr darauf gar nicht ankommt. Vielmehr wird er die Worte, die beim letzten Abendmahl von Jesus gesprochen worden seien, als eine Möglichkeit der Interpretation seines Todesgeschehens verstehen.636 Er kann sie so für seine Theologie dingbarmachen, ohne deshalb gleich auf eine Liturgie zu sprechen kommen zu müssen.637 Jesus wird auf einer frühen Deutungsebene bereits ein 634 K ARRER, Hebräer, 2:166. Möglicherweise ist sogar das Gegenteil der Fall, dass nämlich nach dem einmaligen und endgültigen Opfer Jesu für den Autor des Hebräerbriefes auch eine kultisch-liturgische Abendmahlsfeier unnötig oder gar unangebracht erscheinen muss. Insbesondere wenn, wie etwa BARBER, „Temple,“ 120f., meint, in der Herrenmahlfeier – Barber bezieht sich hauptsächlich auf das Lukasevangelium, vieles hätte aber auch für die anderen Berichte Gültigkeit – opfertheologische Anspielungen enthalten sind. Etwa unter dem Befehl Jesu an die Apostel, künftig den von ihm initiierten Ritus auszuführen (τοῦτο ποιεῖτε), sieht Barber unter Verweis auf Lev 4,20 LXX; Num 15,11–13 LXX einen priesterlichen Auftrag ausgesprochen (a.a.O., 121f.). „If the Eucharist is described as a cultic rite, and if Jesus is assuming a priestly role in the rite, then his instructions to the apostles to repeat it would seem to imply a priestly role for them as well“ (a.a.O., 121). Solche Implikationen, die ein kultisches Handeln nach dem einzigen und letztgültigen Opfer des himmlischen Hohepriesters einforderten, wären unvereinbar mit der Kulttheologie des Hebräerbriefes. Vgl. auch WILLIAMSON, „Eucharist,“ 309f. 635 Man beachte dazu auch die Abendmahlsberichte der synoptischen Evangelien. Markus kennt keinen Wiederholungsbefehl, er berichtet nur von der Mahlgemeinschaft (Mk 14,23): καὶ ἔπιον ἐξ αὐτοῦ πάντες. Matthäus ändert dies, möglicherweise bereits aus liturgischen Gründen, in eine wörtliche Rede Jesu um. Aus der 3.Sg. wird also ein Imperativ (Mt 26,27): πίετε ἐξ αὐτοῦ πάντες. Einzig Lukas hat den Wiederholungsbefehl (Lk 22,19): τοῦτο ποιεῖτε εἰς τὴν ἐμὴν ἀνάμνησιν (= 1Kor 11,23–25). „Die lk Fassung ist ein Ausgleich zwischen dem mk/mt Typ der Einsetzungsworte und dem paulinischen Typ,“ so GERD THEIßEN/ANNETTE MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen ³2001, 367. 636 Dass das Abendmahl nicht unbedingt eine Bedeutung innerhalb der Liturgie der Gemeinde haben muss, heißt im Übrigen nicht, dass das Abendmahl, wenn auch als ein einmaliges Geschehen, nicht dennoch eine kultische Dimension aufweist. Vgl. etwa BARBER, „Temple,“ 119f. 637 Die Deuteworte beim letzten Mahl werden bis heute als relevante Aussagen über die Bedeutung des Todes Jesu angesehen. Beschäftigt man sich mit der Frage nach dem Sinn seines Todes, wird man als Theologe notwendigerweise zuerst auf das Herrenmahl verwiesen, nicht zuletzt deswegen, weil die dabei gesprochenen Worte möglicherweise Jesu
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Verständnis seines Geschickes zugeschrieben, innerhalb dessen sein Tod als bundesstiftendes Opfer ausgewiesen wurde. Eine unmittelbare Zitation von Jesusworten liegt dem Autor des Hebräerbriefes jedoch fern und so kann er Ex 24 sprechen lassen. Es ist naheliegend, dass AuctHebr von dem, was er für Jesu eigene Interpretation seines Todes hält, dem Bundesblut und der bewirkten ἄφεσις, Rückschlüsse auf den Sinaibund zieht.638 Die Evangelien hatten kein Interesse daran, das διαθήκη-Motiv zu entfalten. Das geschieht aber „am anderen Ende der neutestamentlichen Herrenmahl-Überlieferung: im soteriologischen Neuentwurf des Hebr.“639 So von Knut Backhaus richtig gesehen. AuctHebr setzte bei den Adressaten eine genaue Kenntnis der Abendmahlsworte voraus und gründet seine Ausführung darauf, dass der Tod Jesu den Neuen Bund einweiht.640 Und so muss es auch für das Vorbild des neuen Bundesschlusses, also für den Bundesschluss durch Mose nach Ex 24 ein äquivalentes Geschehen geben. Das sieht er offenbar im Blut der Opfertiere. Diese Verbindung ist möglich, weil auch nach den Einsetzungsworten das Blut für die vielen als Bundesblut gedeutet wird und damit „im Rahmen des Passahmahles an Ex 24,8 [erinnert], wo Mose das ‚Blut des Bundes‘ auf das Volk sprengt, um so den Sinai-Bund zwischen Gott und Israel zu vollziehen und zu besiegeln.“641 AuctHebr will – das ist sein erklärtes Ziel seit Kapitel 8 – die neue διαθήκη mit der ersten sowie den neuen μεσίτης mit dem ersten vergleichen. Wenn der Tod Jesu als Weihegeschehen für die neue διαθήκη gilt und zur Einsetzung des Bundes notwendig war, dann stellt sich unweigerlich die Frage, ob beim Sinaibund kein Tod notwendig gewesen sei. So reagiert AuctHebr auf einen möglichen Einwand seiner Adressaten, die nachfragen könnten, wieso denn der Tod Jesu für die διαθήκη überhaupt bedeutsam sei, wo doch Mose auch keinen Tod beigebracht habe. AuctHebr behauptet aber, dass es für jede Reinigung des
eigenes Verständnis seines Todes einschließen. Vgl. dazu bspw. ANTON VÖGTLE, „Todesankündigungen und Todesverständnis Jesu,“ in Karl Kertelge (Hg.), Der Tod Jesu. Deutungen im Neuen Testament, Freiburg im Breisgau 1976, 51–113; RUDOLF PESCH, „Das Abendmahl und Jesu Todesverständnis,“ in Karl Kertelge (Hg.), Der Tod Jesu. Deutungen im Neuen Testament, Freiburg im Breisgau 1976, 137–187. 638 LANG, „Abendmahl,“ 534: In der Nachfolge des Täufers wende sich Jesus mit der Botschaft von der Nähe des gnädigen Gottes an alle. Die Urgemeinde habe darum den neuen eschatologischen Bund universal verstanden und durch die Gnade Gottes gekennzeichnet. „In dieser Konzeption vom neuen Bund ist das Motiv der Sündentilgung von Anfang an sachlich mit dem Bundesgedanken verbunden“ (a.a.O., 535). 639 B ACKHAUS, Bund, 296. 640 Mit LANG, „Abendmahl,“ 528, gehe ich davon aus, „daß der Bundesgedanke schon sehr früh in der Urgemeinde mit den Abendmahlsworten verbunden wurde.“ Vgl. auch STUHLMACHER, „Herrenmahl,“ 12, Fn. 10. 641 STUHLMACHER, „Herrenmahl,“ 12.
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Blutvergießens bedarf. Er beabsichtigt so vom Geschehen des neuen auf das Geschehen des ersten Bundes zu schließen. Dazu justiert er die Interpretation des Sinaigeschehens in seinem Sinn. Zu Recht bemerkt Gudrun Holtz: „Die entscheidende Veränderung [des AuctHebr] aber besteht in der Verkürzung des Zitats, das in Ex 24,8 in seiner vollen Länge folgendermaßen lautet: ‚Siehe, das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch errichtet hat über allen diesen Worten.‘ Indem der Hebr die kursiv gesetzten Wörter auslässt, verlagert er den Schwerpunkt des Bundesopfers weg von der Verpflichtung des Volkes auf das Gesetz hin zu seiner Reinigung.“642 Und somit macht AuctHebr beide Bundesschlüsse vergleichbar, indem er die Einweihung der ersten nicht etwa disqualifiziert, weil dort, anders als beim Neuen Bund, der διαθέμενος nicht gestorben sei. Stattdessen sieht er in den Reinigungsriten des mosaischen Bundesschlusses das Äquivalent dessen, was der Tod Jesu für die neue διαθήκη bedeutet.643 5.2 Hebr 9,27f.: Jesu Tod als Begründung der Einmaligkeit des Opfers Christi Wurde nach Hebr 9,15 Blut und Tod als eine Einheit verstanden, so ist im Zusammenhang mit Hebr 9,27f. eine große Nähe zwischen Tod und Opfer festzustellen. Helmut Feld merkt zwar an: „Obwohl der Tod Christi von eminenter Bedeutung ist, wird doch nirgendwo eine ausdrückliche und ausschließliche Identifikation von Opfer und Tod gemacht,“644 dennoch wird diese Identifikation vom Autor des Hebräerbriefes in den Versen 9,27f. bewusst zu Tage gefördert: Hebr 9,27f.: καὶ καθ᾿ ὅσον ἀπόκειται τοῖς ἀνθρώποις ἅπαξ ἀποθανεῖν, μετὰ δὲ τοῦτο κρίσις, (28) οὕτως καὶ ὁ Χριστὸς ἅπαξ προσενεχθεὶς εἰς τὸ πολλῶν ἀνενεγκεῖν ἁμαρτίας ἐκ δευτέρου χωρὶς ἁμαρτίας ὀφθήσεται τοῖς αὐτὸν ἀπεκδεχομένοις εἰς σωτηρίαν.
In Hebr 9,27f. nimmt der Autor den Tod im Allgemeinen in den Blick. Betrachtet wird insbesondere die unbestreitbare Einmaligkeit des menschlichen Sterbens. In den vorliegenden Versen bringt er dazu einen Vergleich an, den er durch die korrelierende Wendung καθ᾿ ὅσον […] οὕτως καί kennzeichnet.645 HOLTZ, „Pentateuchrezeption,“ 371. Vgl. HOLTZ, „Pentateuchrezeption,“ 371: „Ähnlich bestimmen die Bundesmittlerschaft Christi im Blut (9,14f.) und sein als kultisches Reinigungs- und Sühnegeschehen interpretiertes Hohepriestertum Auswahl und Kombination der in Hebr 9,19–21 herangezogenen Texte des Pentateuch.“ 644 H ELMUT FELD, Der Hebräerbrief, EdF 228, Darmstadt 1985, 83. 645 Die Wendung καθ᾿ ὅσον ist selten. Es gibt vier Belegstellen dafür in der Septuaginta. Dort drückt sie stets eine echte quantitative Entsprechung aus: Ex 22,16 (Geld abwiegen, soviel die Mitgift beträgt, καθ᾿ ὅσον ἐστὶν ἡ φερνὴ); Dtn 15,8 (leihen, soviel er benötigt, καθ᾿ ὅσον ἐνδεεῖται); Ps 102,12 LXX (so weit der Osten vom Westen entfernt ist, so weit entfernt er von uns unsere Untaten, καθ᾿ ὅσον ἀπέχουσιν); Sir 43,30 (so viel ihr könnt, erhebt 642
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Es handelt sich dabei um eine argumentatio ad hominem,646 für die die kulttheologische Erläuterung kurz unterbrochen wird. Der Autor bespricht zuvor noch das einmalige Opfer Christi (Hebr 9,26) vor seinem Gegenüber, den oftmaligen Opferhandlungen der irdischen Hohepriester. Dabei spricht er von der Opferdarbringung Christi zur Wegnahme der Sünden und genau dieses Motiv greift er nur zwei Verse später in Hebr 9,28 wieder auf, indem er es dank des Verses 9,27 aus allgemein menschlicher Sicht erneut in den Blick genommen hat. Hebr 9,26
ἅπαξ […] εἰς ἀθέτησιν τῆς ἁμαρτίας διὰ τῆς θυσίας αὐτοῦ
Hebr 9,28:
ἅπαξ προσενεχθεὶς εἰς τὸ πολλῶν ἀνενεγκεῖν ἁμαρτίας
In den hier verglichenen Versen sind also die inhaltlichen und strukturellen Übereinstimmungen nicht zu übersehen.647 Die Einmaligkeit ist in beiden durch ἅπαξ zum Ausdruck gebracht. Die Darbringung Christi wird jeweils in leichter Variation angesprochen und als ihr Zweck (εἰς) wird in beiden Fällen die Sündenwegnahme angegeben.648 Zwar ist ἅπαξ in 9,26 nicht direkt auf die Darbringung bezogen, sondern auf πεφανέρωται, auf Christi Erscheinen also, doch wird beides, Darbringung und Erscheinung, durch εἰς voneinander abhängig gemacht, sodass die Einmaligkeit des Erscheinens nichtsdestotrotz die Einmaligkeit des Opfers notwendig mit sich bringt. rühmend den Herrn, καθ᾿ ὅσον ἂν δύνησθε). Dieser Befund deckt sich mit dem klassischen Gebrauch. Im neuen Testament ist die Wendung nur im Hebräerbrief selbst zu finden, dort neben der zu untersuchenden Stelle weitere zweimal: In Hebr 3,3 liegt ebenfalls ein wirkliches proportionales Verhältnis vor (Christus ist größerer Ehre wert als Mose, so sehr der Erbauer eines Hauses größere Ehre hat als das Haus, καθ᾿ ὅσον πλείονα τιμὴν ἔχει). In Hebr 7,20–22 scheint es nicht mehr um den Vergleich eines Grades oder einer Menge zu gehen. Hebr 7,20 bildet den Vordersatz eines erst in 7,22 folgenden Nachsatzes, der durch eine Parenthese von ihm getrennt ist. BDR, 394, §465,3 spricht sogar von einem Anakoluth: und wie dies nicht ohne Eid geschah, […] so wurde Jesus Bürge einer besseren διαθήκη; (7,20) Καὶ καθ᾿ ὅσον οὐ χωρὶς ὁρκωμοσίας […] (7,22) κατὰ τοσοῦτο καὶ κρείττονος διαθήκης γέγονεν ἔγγυος Ἰησοῦς. Etwa GRÄßER, Hebräer, 2:52 übersetzt „Und in dem Maße […] in eben dem Maße […]“. Die Schwierigkeit bei solcher Wiedergabe sehe ich darin, dass οὐ χωρὶς (Litotes i.S. von „mit“) keine quantitative Abstufung auszudrücken vermag. Es gibt nur „ohne“ oder „mit,“ nichts dazwischen und nichts darüber hinaus. Damit scheint mir καθ᾿ ὅσον hier zum bloßen Vergleich „so wie … so auch“ verblasst. Solche Abschwächung des Korrelativpronomens ὅσος finde ich auch in Hebr 2,15. Für die vorliegende Stelle scheint mir Gleiches zu gelten. Es wird schlicht die Einmaligkeit (ἅπαξ) des menschlichen Todes mit der Einmaligkeit (ἅπαξ) der Darbringung Jesu gleichgesetzt. Auf Grad oder Maß kommt es AuctHebr auch hier nicht an. 646 S. dazu H.-F. W EIß, Hebräer, 493. 647 Vgl. dazu G ÄBEL, Kulttheologie, 306. 648 W INTER, Einmaligkeit, 29: „ἀθέτησις, das ‚Weglegen‘ ist ein juristisches Wort: Annullierung, stärker als ἄφησις (die priesterlichen Opfer konnten nicht einmal ἀφαιρεῖν [10,4]).“
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Bezieht man hinsichtlich dieser Frage die Verse 7,27 (τοῦτο [sc. θυσίας ἀναφέρειν] γὰρ ἐποίησεν ἐφάπαξ ἑαυτὸν ἀνενέγκας) und 9,28 als Orientierungshilfe in die Überlegung mit ein, muss meines Erachtens sogar erwogen werden, ob es sich in Hebr 9,26 nicht um eine Enallage handelt und das ἅπαξ damit sinngemäß auf die θυσία selbst zu beziehen wäre, wo doch die irdische Erscheinung wie auch die Sündenvergebung ohnehin ganz im Zeichen des Opfers stehen. Wenn sich also Hebr 9,26 und 9,28 derart ähneln, so zeigt das an, dass Vers 9,27 als eine Erklärung für die beiden ihn umschließenden Verse zu begreifen ist. Ein Sachverhalt, der in einem ersten Schritt dargestellt ist, wird nach einem Perspektivwechsel erneut aufgegriffen. AuctHebr bewegt sich in konzentrischen Kreisen um den Gegenstand. In den Versen 9,27.28 werden, wie oben gezeigt, das einmalige Sterben der Menschen und die einmalige Opferdarbingung gegenübergestellt. Das Wort ἅπαξ gibt das Tertium Comparationis an.649„Der Opfertod Christi ist so endgültig wie der Menschentod und faßt alles zusammen, was überhaupt nur für eine umfassende Sühne je denkbar wäre. Alles auf einmal und vor allem: einmal endgültig.“650 Was AuctHebr in diesem Vergleich anspricht, erinnert folglich an die den Menschen wie auch Christus gemeinsame Teilhabe an Blut und Fleisch, wie sie in Hebr 2,14 eingeführt wurde. Die Teilnahme an der menschlichen Existenzbedingung steht aber dort explizit im Zeichen seines heilswirksamen Todes (καὶ αὐτὸς παραπλησίως μετέσχεν τῶν αὐτῶν, ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ […] τὸν διάβολον). Die Einmaligkeit des Opfers Jesu kann folglich nur in der für beide geltenden physischen Sterblichkeit651 begründet sein, die sich bereits in Hebr 2,14 notwendig aus der gemeinsamen Existenzbedingung, nämlich Blut und Fleisch, ergibt. Auch das Leiden in Hebr 9,26, das Christus hinsichtlich des Opfers erdulden muss, kann nur als Umschreibung seines Sterbens zu verstehen sein.652 Dafür sprechen folgende Indizien: WINTER, Einmaligkeit, 7f., schlägt vor, ἅπαξ mit „einmal endgültig“ zu übersetzen. Er wendet sich gegen die Übersetzung „ein für alle Male.“ Diese Übersetzung sei insofern „missverständlich, als es ‚andere Male‘ in den betreffenden Fällen oft überhaupt nicht gibt, daß es sie oft gerade durch den besonderen Charakter des angeführten ‚einmal‘ gar nicht mehr geben kann.“ Dieser Vorschlag erweise sich insbesondere an unserer Stelle (Hebr 9,26–28) als richtig. Es sei mehr ausgedrückt als die zeitliche Einmaligkeit (a.a.O., 41). 650 W INTER, Einmaligkeit, 43. 651 Vgl. ECKART R EINMUTH, „Befreiung,“ 180f.: „So, wie der Tod jedes Menschen einmalig ist (Hebr 9,27), ist es auch der Tod Jesu; deshalb kann weder seine Opferung noch ihr sündentilgender Effekt wiederholt werden (9,28).“ 652 H.-F. W EIß, Hebräer, 489: „Leiden – Tod – Eintritt ins himmlische Heiligtum […] verdichten sich hier also – wie auch sonst im Hebr – zu einem einzigen Vorgang, der im 649
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1) Der Kontext: In Hebr 9,15 wird der Tod Jesu genannt. In 9,18 werden Tod Jesu (Inkraftsetzung der neuen διαθήκη) und Blut (Inkraftsetzung der ersten διαθήκη) identifiziert, wobei Blut nach Hebr 9,22 die Darbringung darstellt, die reinigt und Vergebung erwirkt. Dies geschieht unter Anspielung auf uns bekannte Elemente der Abendmahlsparadosis und damit auf ein entscheidendes Moment der Passionsgeschichte. Hebr 9,23–26a. beschreibt die Reinigung der himmlischen Dinge durch bessere Opfer. Man bewegt sich also in 9,25f. nach wie vor im Kontext von Opfer und Reinigung und damit auch im Kontext von Tod und Blut. Wenn demnach in 9,26 vom Leiden Jesu gesprochen wird, das mit der Darbringung Jesu Christi hier in eins fällt, hat man als Leser weiterhin seinen Tod vor Augen. 2) Man muss hinsichtlich des Verses 9,26 die Verwendung des Verbums πάσχω betrachten. Dabei fällt auf, dass AuctHebr in 2,9 das Substantiv πάθημα bereits mit dem Tod Jesu in Verbindung gesetzt hat. Beispielsweise in 2,18 steht das Verbum πάσχω metonymisch für Jesu Sterben.653 Es ist zwar in Hebr 9,26 nicht richtig, die Bedeutung auf „sterben“ zu verengen, jedoch klingt der Tod Jesu zumindest an. Darauf verweisen auch Belegstellen im Neuen Testament über den Hebräerbrief hinaus.654 Ganz deutlich ist eine Ähnlichkeit zu einer Aussage des ersten Petrusbriefes655 zu erkennen: ἅπαξ περὶ ἁμαρτιῶν ἔπαθεν (1Petr 3,18). Durch das Sinne des Autors zugleich ein einmaliger Vorgang ist – alles andere wäre absurd!“ So ebenfalls HEGERMANN, Hebräer, 189. 653 Dass πάσχω im Hebräerbrief grundsätzlich „absolut gesetzt ist und offenkundig […] die Bedeutung sterben“ habe, wie WILHELM MICHAELIS: Art. πάσχω etc. ThWNT, 5, 1954, 903–939: 911, meint, kann so pauschalisierend meines Erachtens nicht behauptet werden (vgl. nämlich z.B. Hebr 5,8). Die Denotation des Verbums will für den Einzelfall entschieden sein. Man muss differenzieren. Dennoch steckt hinter der Vermutung Michaelisens ein wahrer Kern. Vgl. auch STROBEL, Hebräer, 116: „Der Begriff des ‚Leidens‘ zielt auf das ‚Erleiden des Todes‘ und ist insofern bereits technisch verwendet (s. auch 2.9).“ Ähnlich HEGERMANN, Hebräer, 189: „Mit παθεῖν ist eine in der griechischen Urkirche verbreitete zusammenfassende Bezeichnung nicht nur des Leidens, sondern auch des Todesgeschicks Jesu aufgenommen und vom Kontext her entsprechend gefüllt.“ So auch schon RIGGENBACH, Hebräer, 285: „An die Stelle des προσφἐρειν ἑαυτόν v. 25 setzt der Vf v. 26 das παθεῖν. Daraus erhellt, was ihm bei dem Opfer Christi das Entscheidende ist. Die Selbstdargabe fällt mit seinem Todesleiden (2,9; 13,12) wesentlich zusammen.“ 654 Bspw. in 1Petr 2,21–24; 4,1; insb. aber 3,18. 655 Zur Klärung der Frage nach der Vergleichbarkeit zwischen Hebr und 1Petr, wäre allgemein von Interesse eine mögliche Intertextualität der beiden Schriften oder auch ein Rückgriff auf gemeinsame Traditionen zu untersuchen. Bei der Lektüre des 1Petr springen viele Übereinstimmungen mit dem Hebräerbrief ins Auge. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, seien einige aufgeführt: 1Petr 1,2: ῥαντισμὸν αἵματος – Hebr 12,24: αἵματι ῥαντισμοῦ; 1Petr 1,18f.: ἐλυτρώθητε […] τιμίῳ αἵματι ὡς ἀμνοῦ ἀμώμου καὶ ἀσπίλου Χριστο – Hebr 9,14: τὸ αἷμα τοῦ Χριστοῦ, ὃς διὰ πνεύματος αἰωνίου ἑαυτὸν προσήνεγκεν ἄμωμον; 1Petr 2,3: ἐγεύσασθε ὅτι χρηστὸς ὁ κύριος (Ps 34,9) – Hebr 6,5: καλὸν γευσαμένους θεοῦ ῥῆμα; 1Petr 2,5: οἶκος πνευματικὸς εἰς ἱεράτευμα ἅγιον ἀνενέγκαι πνευματικὰς θυσίας – Hebr 3,6: οὗ οἶκός ἐσμεν ἡμεῖς und Hebr 13,15: ἀναφέρωμεν θυσίαν αἰνέσεως.
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Präpositionalgefüge περὶ ἁμαρτιῶν ist hier ganz wie im Hebräerbrief der Zusammenhang zur Kultsprache präsent, es handelt sich um den Terminus Technicus für ein Sündopfer.656 Zusätzlich ist, was sogar ein wenig erstaunen mag, das Adverb ἅπαξ genannt, jedoch mit etwas anderer Betonung als im Hebr.657 Was AuctHebr also zuvor in kultischer Sprache entfaltet hat, überträgt er nun in profanen Sprachgebrauch. Ein ‚gewöhnlicher‘ Mensch stirbt, während Jesus Christus in seinem Tod die freilich einmalige Opferdarbringung seiner selbst vollzieht.658 Der Mensch hat nach seinem Tod das Gericht in Aussicht,659 während Christus gewiss ebenfalls innerhalb der genannten Gerichtsszenerie zum Heil erscheinen wird. Ausgehend von der Einmaligkeit des Todes aller Menschen wird hier auf die Einmaligkeit des Opfers Christi geschlossen.660 Dass sie also alleiniger Zweck der Gegenüberstellung ist, sollte nicht abzustreiten sein. Es fällt dazu wortstatistisch bereits ins Auge, dass eine Häufung des Adverbs ἅπαξ vorliegt.661 Und es ist weiterhin bemerkenswert, dass der vorausgehende Kontext ab Hebr 9,25 bereits die Einmaligkeit des Opfers Christi in Gegenüberstellung zu dem alljährlichen Blutritus des irdischen Hohepriesters in die Überlegungen aufnimmt, gleichwie auch der unserer Stelle folgende Vers 10,1 die alljährliche Darbringung der gleichen Opfer erneut zur Sprache bringt und diese Wiederholung als Grund dafür angibt, dass die Herannahenden nicht vollkommen gemacht werden können. Daneben gibt es auch gemeinsame Einzelbegriffe, z.B.: συνείδησις (1Petr 2,19; 3,16 und Hebr 13,18); ἀντίτυπος (im NT nur in 1Petr 3,21 und Hebr 9,24). Außerdem finden sich auch inhaltliche Entsprechungen (1Petr 3,22: ὅς ἐστιν ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ πορευθεὶς εἰς οὐρανὸν ὑποταγέντων αὐτῷ ἀγγέλων καὶ ἐξουσιῶν καὶ δυνάμεων; 1Petr. 4,1: Χριστοῦ οὖν παθόντος σαρκὶ καὶ ὑμεῖς τὴν αὐτὴν ἔννοιαν ὁπλίσασθε, ὅτι ὁ παθὼν σαρκὶ πέπαυται ἁμαρτίας). 656 LEONHARD G OPPELT, Der erste Petrusbrief, KEK 12/1, Göttingen 81978, 242f. merkt dagegen an, dass περὶ ἁμαρτιῶν hier nicht die alttestamentliche Wendung aufnehme, die das Opfer umschreibe, sondern die neutestamentliche Sterbe-Formel. Dennoch betont er, dass es sich hier wie dort um Sündentilgung und Sühne handele. Nach meinem Dafürhalten deutet 1Petr 1,19 sehr darauf hin, dass auch opfertheologische Aspekte innerhalb dieses Briefes durchaus eine Rolle spielen. 657 S. dazu etwa G OPPELT, erste Petrusbrief, 242. 658 In diesem Sinn auch H.-F. W EIß, Hebräer, 494. 659 Nicht einfach ist es zu entscheiden, ob das Gericht individuell nach dem Tod des Einzelnen gehalten wird, oder ob hier nur ausgedrückt werden soll, dass mit dem Gericht, im Sinne eines für alle stattfindenden Gerichtstages, nicht vor dem eigenen Tod gerechnet wird. Auf ein kollektives Gericht deutet etwa Hebr 10,25 hin. Vgl. dazu u.a. BRAUN, Hebräer, 285, der anmerkt, dass man zur Zeit der akuten Naherwartung nicht mehr mit dem eigenen Tod gerechnet hat, sondern mit einem Eintreten des Gerichts bereits zu Lebzeiten. 660 Hilfreich bei der Analyse der Verse scheint mir die graphische Darstellung zur Strukturanalyse bei EISELE, Unerschütterliches Reich, 68, zu sein. 661 Insgesamt dreimal innerhalb dreier Verse wird es genannt (9,26–28). Darauf weist u.a. EISELE, Unerschütterliches Reich, 77, hin.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Da die Einmaligkeit des ersten Subjektes auf die des zweiten übertragen werden soll, muss es einen Anhaltspunkt geben, der dies ermöglicht. In dem Fall ist dies das Sterben,662 darauf deutet auch die einzig passive Verwendung von προσφέρω innerhalb des Hebräerbriefes hin.663 Gedachter Agens dieser kultischen Darbringung sind freilich nicht die historischen Personen, die Jesus verraten, verurteilt oder gekreuzigt haben. Am ehesten liegt ein Passivum divinum vor,664 das seine nächste Parallele in Hebr 2,10 hat, wo ebenfalls Gott als derjenige genannt wird, dem es sich zieme, Jesus durch Leiden zu vollenden. An beiden Stellen steht nicht der konkret handelnde Gottessohn im Fokus, sondern Wille und Plan Gottes, dem der Sohn in seinem Tun folgt. So ist es auch gemeint, wenn es in Hebr 10,10 heißt: ἐν ᾧ θελήματι ἡγιασμένοι ἐσμὲν διὰ τῆς προσφορᾶς τοῦ σώματος Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐφάπαξ. Was hat aber nun den Autor an unserer Stelle (Hebr 9,28) veranlasst, nicht auch hier von Jesu Darbringung seiner selbst zu reden? Es ist die einfachste Möglichkeit mit den Mitteln kulttheologischer Sprache auf den Tod Jesu zu rekurrieren. Denn wäre nicht vorausgesetzt, dass das Opfer Jesu im Tod vollzogen würde, ließe sich die Einmaligkeit schlichtweg nicht auf Jesu Darbringung übertragen. So ist mit August Strobel festzuhalten: „Was konstitutiv dem Mensch-sein zugehört, nämlich der Tod, ist auch Jesus nicht erspart geblieben, der in allen Dingen seinen Brüdern hat gleich werden müssen (s. 2,10ff.).“665 Für den Menschen gilt nun, dass nach dem Tod das Gericht auf ihn wartet. Für Jesus folgt nach dem Opfertod ebenfalls das Gericht, jedoch aus anderer Perspektive. Er sitzt zur Rechten Gottes. Gott selbst wird in Vers 12,23 als κριτής θεός πάντων bezeichnet. Diese Funktion nimmt Christus also nicht ein.666 Umschreibend könnte man demnach formulieren: Der Sohn wohnt dem Prozess gewissermaßen als Anwalt bei. Trotz der Beschreibung des Fortganges der Geschichte Christi nach seiner Opferdarbringung liegt dennoch alles Gewicht auf dem Opfer(tod) selbst. Aloysius Winter liest das auch aus dem einleitenden ἐκ δευτέρου. Es sei zu verstehen als das „zweite“ im Sinne von „hinter etwas zurückbleibend.“ Er schlägt daher die Übersetzung „des weiteren“ vor, „um der Einmaligkeit des Kreuzes und Erdenlebens Jesu ihren Vorrang zu belassen.“667
662 Im Geopfert-Werden Jesu sehen ebenfalls sein Sterben gemeint: M ICHEL, Hebräer, 327; HEGERMANN, Hebräer, 190; STROBEL, Hebräer, 117; DESILVA, Perseverance, 315; SCHUNACK, Hebräerbrief, 133; EISELE, Unerschütterliches Reich, 68; BACKHAUS, Hebräerbrief, 339; grundsätzlich auch GRÄßER, Hebräer, 2:197 u.v.m. 663 Siehe dazu bspw. M ICHEL, Hebräer, 327; G RÄßER, Hebräer, 2:198. 664 Vgl. N ELSON, „Sacrifice,“ 254: „Use of the passive voice in 9:28 points beyond Jesus himself to the will and plan of God, who has set the Son into his role (5:10; 10:10; 11:40).“ 665 STROBEL, Hebräer, 117. 666 Gegen STROBEL, Hebräer, 118. 667 W INTER, Einmaligkeit, 43.
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
229
Wie es schon in Hebr 2,14f. festzustellen war, verlässt der Autor auch in 9,27 für einen Moment den unmittelbar kultischen Sprachgebrauch, wenn er auf den Tod Jesu Christi zu sprechen kommen möchte. Dennoch darf man diese Stellen darum nicht als unwichtig markieren und aus der Darstellung der Hohepriesterchristologie des Hebräerbriefes wegdenken. Der Autor beschreibt den Tod Jesu in Hebr 2,14 als heilseffizientes Mittel der Teufelsentmachtung und Sklavenbefreiung, in Hebr 9,15 als das entscheidende Ereignis, das die neue διαθήκη in Kraft setzt und in Hebr 9,28 nun – in Analogie mit dem menschlichen Tod – als die einmal und endgültig geschehene Opferdarbringung, die die Wegnahme der Sünden bewirkt.668 Aufgrund der Feststellung, dass „nirgends im Hebr syntagmatisch der Tod Jesu als Opfer bezeichnet wird,“669 darf man dem Tod seine umfassende Bedeutung nicht absprechen. Vielmehr ist mit William Loader festzuhalten: „That this [sc. das in Hebr 9,26 genannte Sündopfer] refers to the sacrifice of his death not to an action in the heavenly world is clear from what follows where the author specifically identifies that once for all with his death [sc. Hebr 9,27– 28].“670 5.3 Die προσφορὰ τοῦ σώματος Ἰησοῦ Χριστοῦ (Hebr 10,5–10) Der Abschnitt Hebr 10,5–10 befindet sich noch innerhalb des großen Komplexes, der die Frage nach dem neuen Bund und dem Tod Jesu behandelt.671 Der Tod wurde in Hebr 9,15–22 als für das Inkrafttreten des neuen Bundes notwendig herausgestellt. Dies geschah mittels Gegenüberstellung der beiden Bundesschlüsse und dabei in Analogie mit dem Blut, das bei der Stiftung des ersten Bundes Anwendung fand. Im Hintergrund stand dabei die Abendmahlsparadosis, insbesondere das Kelchwort, das seinerseits ebenso am Sinaibund ausgerichtet wurde. Und so ist bislang das Blut Jesu als wirksames Opfermaterial vorgestellt (Hebr 9,12), kraft dessen Jesus ins Heiligtum eingehen und die Erlösung bewirken konnte, und durch das er die Glaubenden zur Kultausübung befähigte. Die Opferbegrifflichkeit findet sich aber in Hebr 9,14 bereits auf die ganze Person Christi bezogen, wenn von der Darbringung seiner selbst die Rede ist. Was man sich genau unter ἑαυτὸν προσήνεγκεν vorzustellen habe, wird dort zwar noch nicht näher erläutert, doch der Dreischritt vom erlösenden Blut Jesu 668 August Strobel unterscheidet an dieser Stelle zwischen der ‚negativen Wirkung‘ (= Befreiung von der Sünde) und der positiven (= Befreiung zum Heil = Erlangung des ewigen Erbes), die bei Jesu zweiter Erscheinung erzielt werde (vgl. STROBEL, Hebräer, 118). 669 LÖHR, „Wahrnehmung,“ 459 (Auch Löhr selbst kommt dennoch zu dem Schluss, dass der Tod Jesu Heilsbedeutung habe; a.a.O., 474). 670 LOADER, „Revisiting,“ 259. 671 Die Thematik reicht bis zum Jeremiazitat (Hebr 10,15–17) und dem Abschlussgedanken in Hebr 10,18.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
hin zur Selbstdarbringung und wiederum zu seinem erlösenden Tod zeigt an, dass man sich angesichts der Analogie zum Jom Kippur keinesfalls auf das Blut als einziges Opfermaterial beschränken darf. Vielmehr ist, ganz im Sinne der Deutung des Todes Jesu bei den Einsetzungsworten, Blut und Tod Jesu zusammen zu betrachten. Vor diesem Hintergrund entfaltet AuctHebr seine Deutung der Stiftungsformel aus Ex 24,8. Entsprechend bringt er nach seiner am Kelchwort orientierten Auslegung des ersten und neuen Bundesschlusses nun scheinbar unvorbereitet auch die Vorstellung vom Leib Jesu als gleichwertigem Opfermaterial ein. Innerhalb der Verse 10,1–4 stellt er die These auf, die alttestamentlichen Opfer seien nicht heilseffizient gewesen, und begründet sie anschließend. Die Ausführung schließt mit der schonungslosen, wenn auch singulären, Feststellung, dass das Blut von Stieren und Böcken unmöglich Sünden wegnehmen könne. Wenn man nun nicht in den Kategorien des Abendmahls dächte, sollte doch sehr irritieren, dass diesem Tierblut die Fähigkeit der Sündenwegnahme (ἀφαιρεῖν) abgesprochen wird (nach Hebr 9,22 gab es keine ἄφεσις ohne Blut!) und dass ihm nicht mehr Jesu Blut, sondern sein Leib in Worten aus Ps 39,7–9 LXX gegenübergestellt wird.672 5.3.1 Der Begriff σῶμα in Hebr 10,5.10 Das Zitat aus Ps 39 LXX folgt, soweit das festzustellen ist, recht streng einer oberägyptischen Textform, die dem Verfasser in dieser Form vorgelegen hat.673 Alle Differenzen zum Septuagintatext lassen sich anhand der Überlieferungsgeschichte des griechischen Alten Testaments erklären, keine ist absichtlich vom AuctHebr angebracht.674 So muss man auch den für diese Untersuchung relevanten Begriff des Leibes, wiewohl er in der hebräischen Bibel nicht vorkommt, als Bestandteil des Zitats und nicht als Einfügung des AuctHebr 672 D ESILVA, Perseverance, 322: „[T]he body that accomplishes Godʼs will can be seen in strict parallelism to the animal sacrifices that do not please God (i.e., do not accomplish God’s will).“ 673 R ÜSEN-W EINHOLD, Septuagintapsalter, 205. AuctHebr folge, so Rüsen-Weinhold, allgemein hinsichtlich der Psalmen der oberägyptischen Textfamilie, die sogar ein älteres Überlieferungsstadium widerspiegele als die Septuaginta-Hauptüberlieferung (a.a.O., 206). Am ehesten auffallend sei allein die Auslassung des Wortes ἐβουλήτην, was zwar einen nicht geringen Unterschied hinsichtlich der Konstruktion zur Folge hat (vgl. etwa SCHRÖGER, Verfasser, 175), hinsichtlich des Inhaltes jedoch für unsere Untersuchung nicht eigens durchleuchtet werden muss: Dass nunmehr τοῦ ποιῆσαι τὸ θέλημά σου statt wie im Psalm auf das ἐβουλήτην beim Hebräerbrief auf ἥκω zu beziehen ist, bewirkt – soviel sei dazu angemerkt – eine Verstärkung der (christologischen) Aussage (vgl. DELITZSCH, Hebräer, 462). War vorher das Tun des Willens Gottes nur beabsichtigt, so ist es nun dem Aspekt eines menschlichen Wollens (vgl. BAUER, WB, Sp. 288f.), welches in βούλομαι enthalten ist, entzogen. Die Stoßrichtung bleibt aber dennoch die gleiche. 674 Vgl. dazu v.a. K ARRER, Hebräer, 2:195f.; G ÄBEL, Kulttheologie, 187–191.
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auffassen. Es ergibt sich dennoch unweigerlich die Frage, wie man das Wort σῶμα in seinem neuen Zusammenhang zu verstehen hat. Als ein Begriff der Opfermaterie wird es beispielsweise von Harald Hegermann gedeutet. Die Vielzahl an Tieropfern würde damit durch ein ihnen überlegenes, erneut kultisches Opfer ersetzt. „So hat Gott dem Sohn also mit diesem seinem Leibe letztlich die wahre Opfergabe bereitet, die er in seinem Selbstopfer darbringen soll.“675 Hegermann verweist auf Vers 10, wo ausdrücklich von der προσφορὰ τοῦ σώματος gesprochen wird.676 Die Opfer seien zwar von Gott nach dem Gesetz angeordnet, entsprächen aber dennoch nicht seinem Willen, weil sie nur als „vorausweisende Schattenbilder der kommenden Heilsoffenbarung“677 zu verstehen seien. Georg Gäbel lehnt es demgegenüber ab, in der Aufopferung des Leibes ein besseres kultisches Opfer zu denken.678 Dabei geht er von der eigentlichen Intention des Psalms aus und stellt zu Recht fest, dass dort an die Stelle des kultischen Opfers ein andersartiges Opfer rücke, nämlich „ein gottgefälliges Tun, das nicht opferkultischer Art“679 sei. Hinsichtlich des Hebräerbriefes hieße das im Sinne Gäbels: Wie der Psalmist, so sähe auch AuctHebr den Leib als eine Möglichkeit an, den Willen Gottes zu erfüllen.680 Anders ausgedrückt: Indem Gott dem Menschen den Leib schafft, eröffnet er ihm die Chance, ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen. Wenn dann in Hebr 10,10 von der Darbringung des Leibes Jesu Christi gesprochen wird, so möchte Gäbel auch dies als sittliches Opfer verstehen. „Die προσφορά des σῶμα ist als Selbsthingabe zu verstehen, welche im Tod kulminiert, aber das ganze im Gehorsam gelebte Leben einschließt.“681 Die schlichte Tatsache, dass Jesus Christus auf Erden den Willen Gottes erfüllt habe, sei daher nach Gäbel für die Erschließung des „Zugang[es] zur himmlischen Herrlichkeit“682 verantwortlich. Dagegen ist das Axiom in Hebr 9,22 ins Feld zu führen: Es werde fast alles mit Blut gereinigt und ohne Blutvergießen gebe es keine ἄφεσις. Dieses Statement könnte man gar als Kritik an ethisierender Opfermetaphorik verstehen, wie sie unter anderem im Buch Jesus Sirach (bspw. Sir 3,3.30) nachweislich ist. Wenn man Sünden tilgen will, bedarf es nach dem Hebräerbrief immer und zwingend eines blutigen Opfers.683 HEGERMANN, Hebräer, 195. HEGERMANN, Hebräer, 195. 677 H EGERMANN, Hebräer, 196. 678 Zur gesamten Darlegung seiner Ausführungen über Hebr 10,5–10 vgl. G ÄBEL, Kulttheologie, 187–200. 679 G ÄBEL, Kulttheologie, 191. 680 G ÄBEL, Kulttheologie, 192. 681 G ÄBEL, Kulttheologie, 192. 682 G ÄBEL, Kulttheologie, 198f. 683 So versteht C HRISTIAN EBERHART, Kultmetaphorik, 98f., auch die Anwendung des ganz ähnlichen Mottos „Es gibt keine Sühne ohne Blut,“ wie es u.a. in b.Jom 5a; b.Zeb 6a; 675
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Dass σῶμα nicht als kultischer Terminus Verwendung findet und insbesondere als Ausdruck für eine Opfermaterie biblisch wie außerbiblisch nicht belegbar ist,684 ist sicherlich ein gewichtiger Einwand gegen den Versuch, die Darbringung des Leibes im Hebräerbrief als den letztgültigen und wirksamen kultischen Akt zu verstehen, nach dessen Vollbringung jedweder irdische Kult zum Ende gekommen ist. Man muss diesbezüglich allerdings auch beachten, dass Hebr 10,5–10 immer noch dem übergeordneten Kontext des Neuen Bundes (Hebr 8,7–10,18) zugehört, welcher sich, wie oben dargelegt, an den Deuteworten des Herrenmahles orientiert. In Hebr 9,15 wird mit der Bezeichnung Jesu als διαθήκης καινῆς μεσίτης die Thematik der neuen Satzung nochmals deutlich angezeigt,685 danach die Bedeutung des Todes Jesu herausgestellt (9,16f.) und der Tod selbst mit dem Blut des Sinairituals parallelisiert (9,18). Anschließend wird von der Besprengung mit Blut und dessen Sühne- und Reinigungskraft gehandelt. Hier ist nicht in Anlehnung an Lev 16 auch von einer Blutapplikation Jesu im Allerheiligsten gesprochen. Mit Hebr 9,23f. wird nun mittels der Erwähnung der Reinigung der irdischen und himmlischen Dinge zum besseren Opfer übergeleitet, welches nun in den folgenden Versen charakterisiert und in Opposition zu den unwirksamen irdischen Opfern gestellt wird: Hebr 9,25– 10,4. Die irdischen Opfer konnten die Hinzutretenden nicht im Gewissen rein machen, die Sünden also nicht wegnehmen (Hebr 10,2). Darum bedarf es folglich einer Neuerung, die die Hinzutretenden im Gewissen rein machen kann. Dies ist gemäß der Aussage von Hebr 10,5 der Leib, den Gott seinem Sohn bereitet hat. Die Sünden sind durch dessen Opfer weggenommen (Hebr 10,11f.), diejenigen, die geheiligt werden, infolgedessen für immer vollendet (Hebr 10,14). Und jetzt erst schließt der Gedankengang ab, indem AuctHebr mittels eines weiteren Schriftzitates auf den Neuen Bund zurückkommt. Der heilige Geist (Hebr 10,15) spricht erneut nach Jer 38 LXX von der neuen διαθήκη, deren Merkmal es sei, dass das Gesetz in Herz und Sinn geschrieben ist und die Sünden vergeben sind (Hebr 10,16f.). Da die neue Satzung nun aufgerichtet worden ist, die Sünden vergeben sind, gibt es kein Sündopfer mehr (Hebr 10,18). Alleine die Rahmung der Darbringung des Blutes und der Darbringung des Leibes durch die Aufnahme und Wiederaufnahme des Zitates aus
Sifra Ned. 4,10 vorkommt. „Angesichts seiner Exklusivität kann dieses Motto als Versuch gewertet werden, nicht-kultische Sühnemaßnahmen aufgrund ihrer zunehmenden Popularität einzuschränken.“ Dazu passt etwa auch die Betonung im Hebräerbrief, dass es nach der Darbringung Jesu keine weiteren Opfer mehr geben könne. Man müsste denn den Sohn Gottes für sich selbst erneut opfern, was aber freilich nicht möglich ist. 684 G ÄBEL, Kulttheologie, 194. 685 Es handelt sich in Hebr 9,15 um einen Rückbezug, der über die Verknüpfung mit Hebr 8,13 bis zu Hebr 8,6 reicht. Prodeiktisch wird der Mittler des besseren Bundes sogar bereits in Hebr 7,22 genannt.
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Jer 38 LXX zum Neuen Bund weist Blut und Leib als dazu notwendiges Opfer aus und lässt zwingend an die Abendmahlsparadosis denken. In Hebr 10,5 wird also nun zum ersten Mal vom Leib Jesu gesprochen. Johannes Betz erkennt nach meinem Dafürhalten richtig, dass angesichts der vorhergehenden Argumentation als Selbstdarbringung eigentlich ‚Blut‘ und nicht ‚Leib‘ zu erwarten gewesen wäre,686 wo doch AuctHebr in 10,1f. ansetzt, über die Reinigung des Gewissens zu handeln. Diese Funktion der Gewissensreinigung wird schon in Hebr 9,14 dem Blut Jesu zugeschrieben. Wenn man jedoch die oben angeführten Indizien für eine Anspielung auf die Abendmahlsworte ernstnimmt, verwundert es hingegen wenig, dass der Autor nach den Ausführungen über das Blut im Folgenden eine Betrachtung zum Leib anschließen kann.687 „Die Erwähnung des Leibes statt des Blutes erklärt sich aber daraus, daß beide Größen für den Autor eine selbstverständliche Einheit sind: sie sind es im Abendmahl.“688 Nicht der Psalm bringt also den Leib in die Überlegungen des Autors ein, sondern die Rede vom Leib innerhalb des Psalms hat den Verfasser des Hebräerbriefes zur Aufnahme bewegt. Für das Kelchwort und damit für die Deutung des Blutes Jesu kennt man mit Ex 24,8 bereits vor der Abfassung des Hebräerbriefes einen alttestamentlichen Bezugstext, den AuctHebr seinen Erläuterungen entsprechend zugrunde legt. Vermutlich kann es als eigene Leistung des AuctHebr angesehen werden, dass er für die Deutung des Leibes nun mit Ps 39 LXX einen zweiten alttestamentlichen Bezugstext gefunden hat. Es ist nach Angela Rascher allgemein für den Hebräerbrief kennzeichnend, dass „der ursprüngliche Ort bzw. Kontext des Zitats […] meistens ausgeblendet“689 wird. Sie weist unter anderem auch auf die Zitat-Einleitungen hin, welche die von Menschen gesprochenen Verse als von Gott oder dem Sohn gesprochen ausgeben. Allein dadurch zeigt AuctHebr schon an, dass nicht alle Zitationen den alttestamentlichen Kontext ins Bewusstsein bringen wollen. Ein solcher Fall liegt auch in Hebr 10,5 vor.690 Vom alttestamentlichen Kontext BETZ, Eucharistie, 146. Vgl. etwa THEIßEN, Untersuchungen, 73: „Ein neuer Abschnitt beginnt mit dem Zitat von Ps. 40,7–9. Bei der Wahl dieser Schriftstelle ist wohl der Begriff σῶμα entscheidend gewesen. Wenn in αἵμα (9,20) ein gleichnishafter Bezug zum Abendmahl steckt, so können wir etwas Entsprechendes für σῶμα erwarten.“ Es ist daher nicht gerechtfertigt, zwei voneinander zu unterscheidende Darbringungen anzunehmen, wie NELSON, „Sacrifice,“ 254, es tut, wenn er sagt, Jesu Tod sei ein Opfer des Leibes (Hebr 10,5.10), für die Effizienz des gesamten Opfervorganges sei jedoch die Darbringung des Blutes wichtiger gewesen. 688 B ETZ, Eucharistie, 146. ERNST, „Eucharistie,“ 53, übernimmt die Aussage fast wörtlich (unter Anpassung an die neue Rechtschreibung und Hinzufügung eines „wohl“), aber ohne entsprechende Kennzeichnung. 689 R ASCHER, Schriftauslegung, 33: Sie macht hier überdies deutlich, dass diese allgemeine Feststellung auch für Hebr 10,5ff. gelte. 690 R ASCHER, Schriftauslegung, 33f., insb. 34. 686
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kann Rascher zufolge darum wohl auch hier abgesehen werden.691 AuctHebr mag sich zwar dessen bewusst gewesen sein, dass der Psalm opferkritisch gelesen werden kann und gelesen wurde, jedoch veranlassen ihn das Heilsgeschehen und die Abendmahlsworte dazu, ihn in neuem Licht zu sehen. Wie bereits in Hebr 2,14 Jesu Teilhabe an Blut und Fleisch ganz auf die Erlösungstat zielt, so ist auch in Hebr 10,5–10 die Annahme des Leibes ganz auf die Darbringung desselben ausgerichtet.692 AuctHebr findet im Psalm das Opfer des Leibes Jesu als die eine und einzige sündentilgende Darbringung.693 Nicht grundsätzlicher Gehorsam wird hier von Christus abverlangt, sondern gerade und ausschließlich in der Aufopferung des Leibes694 erfüllt er den Willen Gottes,695 nämlich die Heiligung des Volkes (Hebr 10,10).696 Dass im Hebräerbrief die Abendmahlsworte nirgends ausdrücklich zitiert werden, dürfte nicht erstaunen. Es ist vielmehr programmatisch für seinen Autor, Jesus nicht selbst zu Wort kommen zu lassen. Dieses Faktum ist nicht auf eine Unkenntnis jeglicher Jesusworte zurückzuführen, sondern auf die Eigenart des AuctHebr mittels heiliger Schrift die Autorität des Gottessohnes herauszustellen. In dieser Funktion stehen auch die anderen Worte Jesu.697 Die Jesu eigene Begrifflichkeit von Leib und Blut bleibt erhalten, wird jedoch vermittels der Schriftzitate wiedergegeben.698 „[D]er Autor ad Hebraeos legt die Schrift nicht aus nach dem, was sie für den jeweiligen Verfasser zu dessen Zeit und dessen Anschauung enthält, sondern danach, was sie nach seinem Urteil 691 R ASCHER, Schriftauslegung, 35: „Die Zitate erhalten so eine andere Bedeutung als im ursprünglichen Zusammenhang.“ 692 Vgl. R OSE, Hebräerbrief, 140: In der Schaffung des Leibes Jesu sieht nach Rose der Verfasser des Hebräerbriefes zugleich „die Voraussetzung für die Inkarnation Jesu und für die mit der Menschwerdung verbundene hohepriesterliche Selbsthingabe des Leibes.“ 693 Vgl. Hebr 10,10–12. 694 Es ist darauf hinzuweisen, dass der ‚Leib‘ auch sonst innerhalb der Passionstradition seinen Platz hat. Vgl. etwa 1Petr 2,24. 695 B RAUN, Hebräer, 299, äußert hinsichtlich Vers 10,10: „Jetzt wird deutlich, was der Wille Gottes ist. Das Ziel: die Heiligung der Christen. Betont aber ist durch Breite und Achterstellung das Mittel, die Darbringung des Leibes Jesu Christi und ihre, wie 10,14, nicht endende Wirkung.“ Vgl. auch LOADER, „Revisiting,“ 261: „Doing God’s will entails replacing such sacrificial deaths with his own.“ 696 Die Kombination von Gottes Willen mit der Heiligung des Volkes ist möglicherweise ebenfalls bereits frühchristlich geprägt. Vgl. 1Thess 4,3 und 1Clem Präskript; s. dazu ATTRIDGE, Hebrews, 276. Innerhalb der Grenzen von Ps 39 LXX wäre jedoch die Vorstellung von einer Heiligung des Volkes durch den Leib undenkbar. 697 Vgl. Hebr 2,12f. 698 Ähnlich sieht dies auch K NUT B ACKHAUS, „Per Christum,“ 60: „Der soteriologische sermo des Hebräerbriefes dokumentiert auf seine Weise das Zusammenwachsen von theozentrisch prädisponierter Schriftinterpretation und christozentrischer (obgleich ihrerseits biblisch ‚rückversicherter‘) Herrenmahl-Paradosis. Er betreibt zuerst eine christologisch akzentuierte Soteriologie, aber kann sie nicht anders betreiben als in jenem theo-logischen Koordinatengefüge, das ihm die ‚Schrift‘ vorgegeben hat.“
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an ‚christlicher Botschaft‘ enthält.“699 Möglicherweise könnte dies aus der Adressatensituation resultieren. Richtet sich der Traktat vornehmlich an jüdische Christusgläubige,700 die von ihrem Glauben an den Messias Jesus wieder abzufallen drohen, so wäre eine Argumentation, die sich am Alten Testament orientiert geeignet, sie zu überzeugen.701 5.3.2 Die Verbindung von Blut (Hebr 9,20.22) und Leib (Hebr 10,5.10) Jesu Oben wurde bereits befunden, dass für beide Stellen, Hebr 9,22 und 10,10, die Thematik der διαθήκη maßgeblich ist.702 Dass die neue διαθήκη und das SCHRÖGER, Verfasser, 87. So vertreten etwa von GÄBEL, Kulttheologie, 488, und aktuell von WOLFGANG KRAUS, „Wer soll das verstehen? Überlegungen zu den Adressaten des Hebräerbriefs. Ein Gespräch mit Udo Schnelle,“ in Michael Labahn (Hg.), Spurensuche zur Einleitung in das Neue Testament. Eine Festschrift im Dialog mit Udo Schnelle, FRLANT 271, Göttingen 2017, 279–293. Vielleicht handelt es sich beim Hebräerbrief tatsächlich um eine „Mitarbeiterschulung“ für künftige Lehrende (vgl. a.a.O., 293). Jedenfalls ist er am besten zu verstehen, wenn man ihn nicht liest „as an anomalous outlier of an emergent, aberrant Christian supersessionism but as an early attempt to make meaning of Jesusʼs life and death within a Jewish context“ (JOSEPH, „Days,“ 208). Etwa RÉGIS BURNET, „Ouverture. Quelles frontières l’Épître aux Hébreux trace-t-elle?,“ in Régis Burnet/Didier Luciani/Gert van Oyen (Hg.), Epistle to the Hebrews. Writing at the Borders, CBET 85, Leuven 2016, 1–17: 15, vertritt demgegenüber die Meinung, dass sich die Gemeinde dadurch auszeichne, dass sie daran glaube, „que le sacerdoce lévitique a été institué par l’autorité divine.“ AuctHebr begnüge sich, ihnen zu zeigen, dass dies nicht die letzte Stufe der göttlichen Vorsehung für sie darstelle. Ob die Adressaten heidnischer oder jüdischer Herkunft seien, sei nicht von Interesse. Es wäre aber die Gegenfrage zu stellen, wer, wenn nicht jüdische Adressaten, die Vorstellung einer göttlichen Autorität des levitischen Priestertums vertreten. 701 Es ist daher unwahrscheinlich, dass AuctHebr ein ursprüngliches ὠτία (Konjektur nach Rahlfs) oder ὦτα (Konjekturvorschlag von Christian-B. Amphoux/Gilles Dorival, „‚Des oreilles, tu m’as creusées‘ ou ‚un corps, tu m’as ajusté.‘ À propos du Psaume 39[40 TM],7,“ in Φιλολογία. FS: Michel Casevitz, Collection de la Maison de l'Orient méditerranéen ancien. Série littéraire et philosophique, 35, Lyon 2006, 315–327) zu σῶμα geändert hätte und diese Aktualisierung des Psalms anschließend in die Septuagintahandschriften eingedrungen wäre (vgl. die textkritische Besprechung in PIERCE, Discourse, 116–121). So hätte AuctHebr seine bibelfesten Zuhörer nicht überzeugen können. Der σῶμα-Begriff ist der Schlüssel seiner Argumentation. „Die Erwähnung des Leibes in Ps 39 in seiner griechischen Psalmenhandschrift dürfte der eigentliche Grund sein, warum der Autor des Hebr diesen Psalm zitiert hat, der sonst vor dem Hebr keine Rezeptionsgeschichte aufweist.“ So WOLFGANG KRAUS, „Zur Rezeption von Ps 40 (39 LXX),7–9 in Hebr 10,5–10,“ in Martin Meiser u.a.. (Hg.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz. 6. Internationale Fachtagung, veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 21.–24. Juli 2016, Tübingen 2018, 110–129: 126. 702 Vgl. auch K NUT B ACKHAUS, „Das Bundesmotiv in der frühchristlichen Schwellenzeit. Hebräerbrief, Barnabasbrief, Dialogus cum Tryphone,“ in ders., Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009, 153–174: 161. 699
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Herrenmahl in naher Verbindung stehen, und zwar auch für AuctHebr, wurde ebenfalls dargetan. Daneben gibt es aber eine weitere Gemeinsamkeit, die Blut und Leib miteinander verbindet: Die Sündentilgung. Auch sie spielt schon bei der Rede vom neuen Bund in Jer 31 eine Rolle und wird in den Abendmahlsworten matthäischer Tradition betont. Man versteht den Tod Jesu als Sühnetod, der die „Verwirklichung des in Jer 31,31–34 angekündigten Heils“ möglich macht.703 In Hebr 9,22 heißt es, dass es ohne Blutvergießen keine ἄφεσις geben könne. Nun wird aber doch eindeutig der προσφορὰ τοῦ σώματος aus Hebr 10,10 in Hebr 10,11f. die Fähigkeit der Sündenwegnahme zugesprochen, indem AuctHebr eine erneute Gegenüberstellung der Opfer des irdischen Kultes und des Opfers Christi anschließt. Hier wird nochmals dargetan, dass der irdische Priester (πολλάκις προσφέρων θυσίας; Hebr 10,11) die Sünden nicht wegnehmen könne. Dem steht das einmalige Opfer (μία θυσία; Hebr 10,12) Jesu gegenüber. Dieses einmalige sündentilgende Opfer ist vom AuctHebr als der Leib ausgewiesen, denn προσφέρειν θυσίαν (Hebr 10,12) korrespondiert zweifellos mit der προσφορὰ τοῦ σώματος aus Hebr 10,10, und folglich wird so die προσφορά als θυσία näherbestimmt. Die Identität der beiden Vokabeln704 wird erneut in Hebr 10,14 manifest, wo beide Begriffe parallelisierend mit der Kardinalzahl εἰς versehen werden. Ausgehend von der προσφορά (Hebr 10,14) aber wird erneut auf den neuen Bund und die in ihm verwirklichte Vergebung der Sünden übergeleitet (Hebr 10,15– 18). Da die neue διαθήκη durch die Opfergabe Christi verwirklicht sei und Gott der Sünden nicht mehr gedenke (Hebr 10,17), kann AuctHebr nun formulieren, dass es keiner weiteren Darbringung mehr bedürfe (Hebr 10,18). Auch in diesem letztgenannten Vers ist zu beobachten, dass die προσφορά als θυσία verstanden wird: Die Identität wird durch die Näherbestimmung προσφορὰ περὶ ἁμαρτίας anempfohlen, da sie auf die θυσία in Hebr 10,12 zurückweist (μίαν ὑπὲρ ἁμαρτιῶν προσενέγκας θυσίαν).705 Wenn nun die beiden Begriffe (προσφορά und θυσία) synonym zu verstehen sind, so ist notwendig die προσφορὰ τοῦ σώματος als die sündentilgende θυσία aus Hebr 10,12.14 aufzufassen.706 Sowohl σῶμα als auch αἷμα bewirken also die Sündenvergebung. Ebenso verhält es sich zweifelsfrei hinsichtlich der Heiligung. Auch die Heiligung des
GUNTHER WANKE, Jeremia. Teilband 2. Jeremia 25,15–52,34, Zürich 2003, 294. Die Begriffe προσφορά und θυσία sind auch nach Feld, Hebräerbrief, 83, für den Autor des Hebräerbriefes Synonyme. 705 Ein Unterschied zwischen περί und ὑπὲρ ἁμαρτίας ist dabei nicht anzunehmen. „Die beiden Präpositionen περί und ὑπέρ wechselten bereits in der LXX bei der Bezeichnung des Sündopfers ohne Bedeutungsunterschied“ (GOPPELT, erste Petrusbrief, 242). 706 Gegen G ÄBEL, Kulttheologie, 201, der innerhalb des zehnten Kapitels des Hebräerbriefes zwischen beiden Begriffen unterscheiden will. 703
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Volkes wird in Hebr 10,10 von der προσφορὰ τοῦ σώματος bewirkt, in Hebr 10,29 (und 13,12) hingegen wird die Heiligung vom Blut erreicht.707 Alle diese in 9 und 10 durchgängig besprochen Themen (διαθήκη, Sündenvergebung, Heiligung und implizit auch das Herrenmahl) zeigen, dass hier die Identität von Blut, Leib und Tod Jesu vorauszusetzen ist. Alle drei werden als Voraussetzung der Verwirklichung des neuen Bundes und der Sündenvergebung vorgestellt: αἷμα
σῶμα (=προσφορά = θυσία) θάνατος
διαθήκη 9,18: ὅθεν οὐδὲ ἡ πρώτη χωρὶς αἵματος ἐγκεκαίνισται· (vgl. 9,20)
Sündentilgung 9,14: πόσῳ μᾶλλον τὸ αἷμα τοῦ Χριστοῦ […] καθαριεῖ τὴν συνείδησιν ἡμῶν
10,29: αἷμα τῆς διαθήκης […] ἐν ᾧ ἡγιάσθη
9,22: καὶ σχεδὸν ἐν αἵματι πάντα καθαρίζεται κατὰ τὸν νόμον καὶ χωρὶς αἱματεκχυσίας οὐ γίνεται ἄφεσις. Verbund der Verse 10,10–12. Vgl. die vorausgehende Analyse. Man beachte aber daneben auch 10,4f.708 9,15: θανάτου γενομένου εἰς ἀπολύτρωσιν […]
10,16f. als Weiterführung des Gedankens aus 10,10: vgl. die vorausgehende Analyse. 9,16: Ὅπου γὰρ διαθήκη, θάνατον ἀνάγκη φέρεσθαι
5.3.3 Das Verhältnis von Blut, Leib und Tod Jesu Die Analyse von Hebr 9,20.22 in ihrem Kontext hat gezeigt, dass die Funktion des Todes Jesu mit der des Bundesblutes identifiziert wird. Durch dieses Blut wird die Vergebung der Sünden (9,22) und die Heiligung der Glaubenden (10,25; 13,12) bewirkt. Durch die Analyse von Hebr 10,5.10 wiederum konnten diese Funktionen auch für den Leib Jesu nachgewiesen werden. Der Leib ist das Opfer, das im Gegensatz zum Blut von Böcken und Stieren die Sünden tilgen kann (10,4f.), In Hebr 2,11 steht die Heiligung auch in ganz engem Zusammenhang mit Tod und Leiden Jesu. Eine direkte Verbindung kann zwar nicht nachgewiesen werden, aber diese Stelle macht doch deutlich, dass auch schon innerhalb des zweiten Kapitels diese Begrifflichkeit für den Verfasser von Bedeutung ist und dass er sie in einem geschlossenen Gedankengang verwenden kann, innerhalb dessen, wie oben belegt, der Tod Jesu als das Heilsereignis schlechthin herausgestellt wird (Hebr 2,11: ὅ τε γὰρ ἁγιάζων καὶ οἱ ἁγιαζόμενοι ἐξ ἑνὸς πάντες). Vgl. dazu KUSS, Hebräer, 141: „Dieser Wille Gottes geht auf unsere Heiligung, die gleichbedeutend ist mit der Zulassung zum Heiligtum und dem Gewinn der Heilsgüter, und er findet seine Erfüllung in dem Opfer Jesu Christi, der Darbringung seines Leibes am Kreuze auf Golgatha, ein Geschehen, das sich ein einziges Mal ereignet hat (7,27; 9,12.26.28) und ‚einmalige‘, endgültige Heiligung an ‚uns‘ wirkt.“ 708 Den Opferdarbringungen, die die Sünden nicht wegnehmen konnten, wird hier der Leib Jesu gegenübergestellt. 707
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
und er bewirkt daneben die Heiligung der Gemeinde (10,10). Der zugrundeliegende Bezug zu den Herrenmahlsworten erklärt dabei die Austauschbarkeit der Begriffe Leib und Blut, die beide metonymisch für Jesu Tod stehen. Auffällig ist, dass nach den Erörterungen zum Blut und vor der Einführung des σῶμα-Begriffes in 9,26–28 mittels einer argumentatio ad hominem der Gedanke des Todes Jesu aufgeworfen worden ist. Diese Verse wirken damit wie ein Bindeglied zwischen den beiden Begriffen. „The offering of the body of Jesus Christ once and for all connects with the statements in 9,27–28 about his death and must mean this here. Hence the contrast with the sacrificial death of the animals in what immediately precedes.“709 Es dürfte damit erwiesen sein, dass AuctHebr die einzelnen Darbringungen, Leib und Blut, keineswegs voneinander trennt.710 Sie werden in ihrer heilsrelevanten Bedeutung nicht unterschieden. Gleiches gilt für das Begriffspaar Blut und Tod, wie es durch die Analyse des neunten Kapitels des Hebräerbriefes aufgewiesen worden ist. Blut, Leib und Tod Jesu Christi sind für AuctHebr zureichend in der Rede von der Darbringung seiner selbst (Hebr 7,27; 9,14; indirekt 9,25) ausgedrückt. 5.4 Fazit Aus der vorangegangenen Analyse hat sich ergeben, dass das Opfermaterial Jesu, sein Blut und sein Leib, auf einen Subtext hinweist, der dem Einsetzungsbericht matthäischer Tradition ähnelt.711 Mit Jer 38 LXX, Ex 24 und Jes 53 ruft er Texte auf, deren Bezug zum Herrenmahl den Adressaten bekannt gewesen sein muss. Auch lexikalische Nähen zum matthäischen Kelchwort konnten aufgezeigt werden. Bereits der Nachweis, dass das Abendmahl für AuctHebr die entscheidende Deutungsgrundlage des Todes Jesu darstellt, belegt zugleich, dass der Tod Jesu Christi selbst für den Autor auch das eine entscheidende Heilsereignis gewesen sein muss. Auch die Bedeutung der Kulttheologie muss aus dieser Perspektive beurteilt werden. Es geht dem Autor nicht um eine himmlische Fortschreibung von Geschick und Heilshandeln des Gottessohnes oder gar um die Einführung eines vom Tod selbst zu unterscheidenden himmlischen Opfers – Eine solche Konzeption wäre ein Fremdkörper in der gesamten uns bekannten neutestamentlichen Christologie. Es geht dem Autor vielmehr um eine erweiterte Deutung und Begründung dessen, was der Abendmahlsbericht markinisch-matthäischer Tradition in nuce LOADER, „Revisiting,“ 261. So z.B. bei GÄBEL, Kulttheologie, 201, zu finden. 711 Vielleicht deutet die Reihenfolge von Blut und Fleisch (Hebr 2,14), sowie die Chronologie der Behandlung von Blut und Leib in Hebr 9–10 auf die Abfolge von Kelch- und Brotwort hin. 709
710
5. Die Bedeutung des Todes Jesu innerhalb der Hohepriesterchristologie
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ebenfalls bietet. Ausgehend von der für AuctHebr so bedeutenden Einweihung der neuen διαθήκη und der damit verbundenen Sündenwegnahme entwickelt der Hebräerbrief sein theologisches wie christologisches Konzept.712 Dass der Tod Jesu die διαθήκη in Kraft setzte, war dem Autor dabei das Axiom. Die damit verbundene Sündenwegnahme war ihm vermutlich ebenfalls bekannt. Da es zum Bundesschluss gewissermaßen eines kultischen Unterbaus bedarf, ist es für ihn naheliegend, den Gottessohn in seine priesterliche Rolle einzuzeichnen. Dafür findet er reichlich Material in den heiligen Schriften (etwa Ex 24,8; Lev 16; Ps 39 LXX; Ps 109,1.4 LXX). Das Hohepriestertum mitsamt der Frage seiner Legitimation, die Ausführungen zur Opferdarbringung Jesu, die Heiligung und Weihe des kultisch notwendigen Heiligtums, die Inauguration der Glaubenden im himmlischen Kult – dies alles soll erklären, wie, wo und wem es möglich gewesen ist, den Zugang zur himmlischen Gottespräsenz zu schaffen. „Für den Auctor ad Hebraeos gewinnt ein geschichtliches Ereignis göttliche Dignität und eröffnet so den Zugang zur ewigen Seinssphäre.“713 Seine Argumentation zielt darauf, Jesu Handeln auf Erden als das eine, einzige und unwiederholbare Heilsgeschehen auszuweisen. Der stetige Vergleich mit dem alttestamentlichen Kult, mit dem Jom 712 So merkt beispielsweise H.-F. W EIß, Hebräer, 231, an, dass es eines entsprechenden Umfeldes bedurft habe, um Christus die hohepriesterliche Funktion beizulegen. „Ein solches Umfeld war im Urchristentum bereits vor der Abfassung des Hebr speziell dort gegeben, wo zur Deutung des Todes Jesu als Heilsgeschehen eine letztlich aus biblischer Tradition herzuleitende kultische Terminologie benutzt worden ist.“ Das heißt, gerade in dem frühchristlichen Verständnis des Todes Jesu ist der Beginn der Hohepriesterchristologie überhaupt zu suchen. Ähnlich äußert sich auch LOADER, „Revisiting,“ 248: „The matter was further complicated by the existence not simply of diverse Jewish traditions but also of a developing Christian tradition which had already begun to employ cultic motifs to describe Jesusʼ significance, and especially that of his death, including the language of sacrifice and blood. It simply will not do to read Hebrews in the light of the Old Testament and Jewish traditions and ignore what had already taken place within the traditions of believers in Jesus, not least in their diverse and creative attempts to explain the significance of his death […].“ Die Anwendung des Psalms 109 LXX auf Christus kann nicht allein der Auslöser der Hohepriesterchristologie gewesen sein. Denn erstens ist dort nur vom Priester, nicht vom Hohepriester die Rede, zweitens findet sich dort keine Erwähnung eines Opfers. Es geht nur um die Herrschaft. Verbindet man nun aber die Anschauung des Todes Jesu unter opferkultischen Begriffen und als Bundesschlussritual mit der Anwendung von Ps 109,4 LXX, dessen erster Vers schon vor Abfassung des Hebräerbriefs auf Christus bezogen wurde (zur Bedeutung der schon bestehenden urchristlichen Tradition für den Hebräerbrief vgl. LOADER, „Revisiting,“ 250), so liegt eine Ausführung des Themas dergestalt, wie sie AuctHebr leistet, durchaus im Bereich des Möglichen. 713 B ACKHAUS, Bund, 189. Das dahinterstehende Problem ist jedoch nicht, wie Backhaus meint, die „unüberbrückbare Scheidung zwischen Himmel und Erde, Göttlichem und Menschlichem,“ wie sie hellenistisch-mittelplatonisch empfunden worden sein mag, sondern die nach dem Kultgesetz vorgegebene obligatorische Reinigung und Heiligung vor dem Eintritt in die Gottespräsenz.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Kippur, aber auch insbesondere mit der größten Persönlichkeit der Heiligen Schrift, Mose, dient dazu, seine Adressaten zu überzeugen, die meinen, aufgrund der Unanschaulichkeit des Heils einerseits und andererseits ihrer Tradition zuliebe ihren Christusglauben fallenlassen zu müssen. AuctHebr führt ihnen daher vor Augen, inwiefern das Christusgeschehen im Glauben der Vorfahren verankert ist und dass es für ihn die konsequente und bereits im Alten Testament angekündigte Weiterentwicklung ihres Glaubens darstellt. AuctHebr führt einen breit angelegten Schriftbeweis zur heilsrelevanten Deutung des Todes Jesu und der von ihm in Kraft gesetzten neuen Heilsordnung.
6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes 6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
Nicht selten wird vermutet, dass der briefliche Schluss nachträglich angefügt sein könnte.714 Diskutiert wird, welche Verse er umfasst. Beispielsweise sieht Erich Gräßer erst im „Amen“ in Hebr 13,21 den oratorischen Redeschluss.715 Danach folge ein pseudopaulinischer Briefschluss, „der dem anonym abgefaßten Schreiben apostolische Würde verleihen“716 solle. Hebr 13,22–25 sei also eine Hinzufügung zweiter Hand, die die Aufnahme des Hebräerbriefes in den Kanon ermöglichte.717 Den Gedanken, dass der Schluss auf den AuctHebr selbst zurückgehe, lehnt Gräßer mit der Begründung ab, der Verfasser stehe sonst dem Paulinismus völlig fern.718 So muss man also fragen: Ist tatsächlich zuvor kein paulinischer Einfluss nachweislich? Für Walter Schmithals beginnt der „briefliche Anhang“719 schon mit Hebr 13,15, denn Hebr 13,15–17 sei bereits eine an Paulus orientierte Überleitung zu dem eigentlichen Briefschluss. Er bietet dazu einleuchtende Vergleichsstellen.720 714 Vgl. dazu die Zusammenschau bei C LARE K. R OTHSCHILD, Hebrews as Pseudepigraphon. The History and Significance of the Pauline Attribution of Hebrews, WUNT 235, Tübingen 2009, 47ff. Lehrreich ist auch die detaillierte Analyse von GERT J. STEYN, „The ending of Hebrews reconsidered,“ ZNW 103 (2012), 236–253, der sich für einen sekundären Schluss ab Hebr 13,22 ausspricht. 715 G RÄßER, Hebräer, 3:400. 716 G RÄßER, Hebräer, 3:409. 717 G RÄßER, Hebräer, 3:410. 718 G RÄßER, Hebräer, 3:409. Demgegenüber argumentiert C LARE R OTHSCHILD, Pseudepigraphon, 81ff., dass der paulinische Duktus bereits früher im Schreiben einsetze. 719 W ALTER SCHMITHALS, „Der Hebräerbrief als Paulusbrief. Beobachtungen zur Kanonbildung,“ in Erich Gräßer (Hg.), Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche. FS Ulrich Wickert, BZNW 85, Berlin 1997, 319–337: 323. 720 SCHMITHALS, „Hebräerbrief,“ 330, vergleicht insbesondere Hebr 13,16–17 mit paulinischem Material. Zu Vers 16: z.B. Phil 4,18b(!); Gal 6,10; 1Thess 5,15; 2Thess 3,13. Zu Vers 17 vor allem Gal 6,6; 1Kor 16,16.18 und 1Thess 5,12f. Ebenso sei die Bitte um Fürbitte
6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
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Wenn Schmithals auch zuzustimmen ist, dass Hebr 13,15–25 Nähen zur paulinischen Diktion und dessen Stil aufweisen, so lässt sich wiederum hinterfragen, ob der Einschnitt ausgerechnet nach Hebr 13,14 gerechtfertigt ist. Schmithals argumentiert, Hebr 13,1–9 reihe „in gewöhnlicher, keineswegs schon ausschließlich brieflicher Weise Einzelermahnungen [… aneinander …], von denen einige sich deutlich auf die konkrete Situation beziehen, die den Anlaß der vorangehenden Schrift bildet.“721 Hebr 13,10–14 wiederhole „den Gedankengang von Hebr 9,6–10 hin zu 9,11–12“ und formuliere die Quintessenz seiner Mahnrede.722 Das letztgenannte Argument ist in Zweifel zu ziehen. Man kann nicht für Hebr 1–12 und Hebr 13 die Identität des Autors belegen, indem man nachweist, dass sich das 13. Kapitel auf die Kapitel 1–12 rückbeziehe. Alexander Wedderburn betont zu Recht, dass ein zweiter Autor natürlich die ersten zwölf Kapitel gekannt, Gedanken daraus aufgenommen und sie fortgeschrieben haben kann.723 Man muss folglich über die reine Feststellung des Rückbezugs hinaus fragen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und ob sie sich kongruent zueinander verhalten. Wedderburn stellt viele Spannungen fest und betrachtet daher das gesamte dreizehnte Kapitel als sekundär.724 Der Übergang von Kap 12 zu 13 ist tatsächlich sehr abrupt, ein stilistischer, formaler und inhaltlicher Neueinsatz.725 Kapitel 12 endet mit der eindrücklichen Schilderung der Ankunft der Gemeinde am himmlischen Jerusalem (Hebr 12,22), zu Gott (12,23) und zu Jesus (12,24). Der Autor mahnt, den nicht abzuweisen, der vom Himmel spreche (12,25). Gott kündige die letztmalige Erschütterung von Himmel und Erde an (Zitat von Haggai 2,6; Hebr 12,26). (Hebr 13,18–19) an Paulus angelehnt. Neben weiteren Vergleichsstellen gibt Schmithals an, Hebr 13,18a habe die engste Parallele in 1Thess 5,25, Vers 19 finde in Röm 15,30–32 seine Entsprechung. Das „reine Gewissen,“ auf das sich AuctHebr beruft, könnte an 2Kor 1,11f. angelehnt sein“ (SCHMITHALS, „Hebräerbrief,“ 324). Auch AUGUST STROBEL, Hebräer, 174 sieht die Bitte um Fürbitte als paulinisch an. 721 SCHMITHALS, „Hebräerbrief,“ 330f. 722 SCHMITHALS, „Hebräerbrief,“ 331. 723 W EDDERBURN, „Thirteenth Chapter,“ 393. 724 C LARENCE R USSELL W ILLIAMS, „A Word-Study of Hebrews 13,“ JBL 30/2 (1911), 129–136: 136, spricht sich dafür aus, dass Kapitel 13 von demselben Autor geschrieben worden sei wie Hebr 1–12. Aber auch er empfindet den Einschnitt an der letzten Kapitelgrenze und betrachtet daher das gesamte Kapitel 13 als Begleitschreiben zu der in Hebr 1– 12 vorfindlichen Mahnrede oder Homilie. 725 Zur Gegenposition vgl. etwa A LBERT V ANHOYE, „La Question Littéraire de Hebreux XIII. 1–6,“ NTS 23 (1977), 121–139. Aber auch er erkennt den Bruch zwischen den beiden Kapiteln, interpretiert ihn jedoch anders: „Le brusque changement de rythme et de thème que lʼon observe entre xii. 28–9 et xiii. 1 remplit un double rôle: (1) marquer nettement le passage dʼune subdivision a lʼautre; (2) attirer lʼattention sur le rapport paradoxal qui relie les deux thèmes exprimés successivement: entre le culte (xii. 28) et la vie concrète (xiii. 1– 6), il ne doit plus y avoir séparation, mais identification“ (a.a.O., 139).
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Dabei bleibe übrig, was unerschütterlich sei (12,27). Es wird in Aussicht gestellt, das unerschütterliche Reich zu empfangen. Nun könnte man Vers 28f. mit der Lutherbibel so verstehen: „Darum, weil wir ein Reich empfangen, das nicht erschüttert wird, lasst uns dankbar sein und so Gott dienen mit Scheu und Furcht, wie es ihm gefällt; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ Was dann anschließend in Kapitel 13 folgt, wäre unter anderem nach Gräßer726 die praktische Anweisung, wie man in seiner Dankbarkeit Gott dienen solle.727 Bedeutet ἔχωμεν χάριν hier tatsächlich „lasst uns dankbar sein“? Das Substantiv χάρις kommt im Hebräerbrief neben 12,28 weitere siebenmal vor (Hebr 2,9; 4,16 [2x]; 10,29; 12,15; 13,9; 13,25) und bedeutet nie „Dank“, sondern ausnahmslos „Gnade.“ Der Beleg in Hebr 12,15 gehört zum näheren Kontext unserer Stelle. Nach Hebr 12,14 solle man nach der Heiligung (ἁγιασμός) trachten, ohne die niemand den Herrn schaue, und – so Hebr 12,15–17 – darauf achten, dass keiner Mangel an der Gnade Gottes habe (ὑστερῶν ἀπὸ τῆς χάριτος τοῦ θεοῦ) und wie Esau von Gott abtrünnig werde. Denn man sei nicht zum greifbaren Sinai gekommen (12,18–21), sondern zum himmlischen Jerusalem. Hier stehen sich ἁγιασμός und χάρις, also Heiligung beziehungsweise Gnade als Voraussetzungen für eine Gottesschau sehr nahe oder erklären sich gegenseitig.728 Der gleiche Befund ergibt sich in Hebr 10,19–22: Auch hier liegt das Motiv des Zutritts zum himmlischen Heiligtum vor (10,19: Εχοντες […] παρρησίαν).
726 G RÄßER, Hebräer, 3:337 (Hervorhebung von Gräßer): „Welche Form der christlichen Lebensgestaltung damit in den Blick gefaßt ist, wird c. 13 explizieren.“ 727 Gerade der Mahnkatalog (Hebr 13,1–7) hat kaum Entsprechungen. Er will nicht praktische Auslegung einer Theologie des vorausgehenden Kapitels sein, denn das zeigt sich allein schon an der willkürlichen Aufnahme von Einzelmahnungen. Die Themen sind: Bruderliebe, Gastfreundschaft, Anteilnahme an der Gefangenschaft anderer, Verbot von Unzucht und Ehebruch, Bescheidenheit. Die Aufforderung zur Bruderliebe mag man lose mit dem zweiten Kapitel in Verbindung bringen können, indem man auf die brüderliche Verbundenheit von und zu Jesus verweist. Die Mahnung zur Gastfreundschaft hingegen hat weder ein Äquivalent noch einen Auslöser im übrigen Schreiben. Zudem ist das Motiv des Engelbesuchs dem AuctHebr fremd. Engel sind für ihn durchweg leiblose πνεύματα (Hebr 1,7; 12,22), keine unerkannten göttlichen Wesen in Menschengestalt. Von „Gefangenen“ ist in Hebr 10,34 schon einmal berichtet worden. Dort heißt es indikativisch: τοῖς δεσμίοις συνεπαθήσατε. Dieses Motiv scheint mir die deutlichste Nähe zwischen Traktat und Mahnkatalog zu sein. Unzucht und Ehebruch sind vorher ebenfalls nicht genannt und scheinen nicht das Problem der Adressaten zu sein, von Geldgier war bisher ebenso wenig die Rede. Festzuhalten ist also: Nur ein einziges Motiv, nämlich das der Gefangenschaft, scheint eine adäquate Entsprechung im übrigen Schreiben zu haben. 728 Auch in Ex 19,10 (εἶπεν δὲ κύριος πρὸς Μωυσῆν Καταβὰς διαμάρτυραι τῷ λαῷ καὶ ἅγνισον αὐτοὺς σήμερον καὶ αὔριον, καὶ πλυνάτωσαν τὰ ἱμάτια·) und Ex 19,22 geht die Heiligung der Gottesbegegnung voraus: καὶ οἱ ἱερεῖς οἱ ἐγγίζοντες κυρίῳ τῷ θεῷ ἁγιασθήτωσαν.
6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
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Anschließend wird geschildert, wie man sich verhalten solle, um das Zutrittsrecht zu behalten: hintreten in Glaubensgewissheit, festhalten am Bekenntnis der Hoffnung, aufeinander achtgeben, anregen zur Liebe und guten Werken, Zusammenkünfte nicht versäumen (10,23–25). Umgekehrt, wenn man vorsätzlich sündigt, gibt es keine Möglichkeit mehr, durch ein weiteres Opfer das Recht wiederzuerlangen (Hebr 10,26), sondern es warten Gericht und Feuer, das die Widerspenstigen verzehren wird (10,27; vgl. 12,29). Wer das Gesetz Moses gebrochen hat, musste sterben (Hebr 10,28), eine umso härtere Strafe erhält, wer den Sohn Gottes mit Füßen tritt, das Blut des Bundes, durch das er geheiligt worden ist (ἐν ᾧ ἡγιάσθη), für ‚profan‘ erachtet und den Geist der Gnade (τὸ πνεῦμα τῆς χάριτος) schmäht (10,29). Der Abschnitt endet mit dem erneuten Hinweis auf den strafenden Gott (10,30–32). In Kapitel 10 sind wie in Kapitel 12 Heiligung und Gnade aufs Engste verbunden. Beides wird dem Menschen von Gott durch das hohepriesterliche Heilswerk Jesu gewährt. Verspielt man diese Gnade aber, so ist mit Gottes Zorn zu rechnen. Alttestamentlicher Hintergrund bilden jeweils die Geschehnisse um Mose und sein Volk. Zurück zu Hebr 12,28 (ἔχωμεν χάριν, δι᾿ ἧς λατρεύωμεν εὐαρέστως τῷ θεῷ): Sollte man das soeben für Hebr 10,29 und 12,15 erschlossene Verständnis nicht auch für den vorliegenden Vers annehmen? In Hebr 10 wird die Kultbefähigung (i.e. der Eintritt ins Heiligtum, Hebr 10,19) zugesichert, so man das heiligende Blut und den Geist der Gnade nicht zurückweise. Letztere sind also die Voraussetzung für den Eintritt. In Hebr 12,15 sind Heiligung und Gnade ebenfalls die Voraussetzung, sich Gott zu nahen. Mein Übersetzungsvorschlag für 12,28 lautet daher: „Lasst uns die Gnade bewahren, durch die wir Gott wohlgefällig dienen.“729 Auch hier können durchaus die Kultbefähigung und das Recht, sich Gott zu nahen, die entscheidenden Motive sein. Dafür spricht auch der Gebrauch der Wortfamilie λατρεύω (= Gott dienen) und λατρεία (= Gottesdienst), die der Kultsprache zugehört und im Hebräerbrief nur in diesem Sinn gebraucht wird. Am häufigsten stehen die Begriffe im Zusammenhang mit den Dienern und dem Dienst der ersten διαθήκη (so in Hebr 8,5; 9,1; 9,6; 9,9; 10,2; 13,10). Nur an einer, aber dafür entscheidenden Stelle wird das Verbum λατρεύω auch auf die Adressaten der neuen διαθήκη bezogen (Hebr 9,14). Dort heißt es sinngemäß: Wenn schon das Blut der Opfertiere zur Reinheit des Fleisches heilige (Hebr 9,13), um wieviel mehr reinige das Blut Christi die Gewissen, um dem lebendigen Gott zu dienen (εἰς τὸ λατρεύειν θεῷ ζῶντι). Auch hier spielt die Heiligung die entscheidende Rolle. An die Stelle der Befähigung der Priester zum Dienst am Zelt mittels Heiligung
729 Bei dem Konjunktiv λατρεύωμεν handelt es sich gewiss um eine attractio modi. Indikativische Übersetzung ist daher gestattet. Die recht gut bezeugte Variante λατρεύομεν ist als Korrektur dieser Modusattraktion zu verstehen.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
tritt nun die Gewissensreinigung der Adressaten durch das Blut Jesu; ebenfalls wird dies mit der Zweckangabe versehen, Gott zu dienen. Dieser ‚Gottesdienst‘ erfolgt laut Hebr 12,28 unter Furcht (μετὰ εὐλαβείας καὶ δέους), denn Gott ist ein verzehrendes Feuer (πῦρ καταναλίσκον, wohl ebenfalls eine Sinai-Anspielung: Dtn 5,22). Damit stellt AuctHebr die Situation der Adressaten – angstvoll vor dem Zion stehend – der Situation Moses und seines Volkes (Hebr 12,19–21) – angstvoll vor dem Sinai stehend – gegenüber.730 Gott zu dienen heißt aber nichts anderes, als sich nicht von ihm abzuwenden, denn allein der Abfall von Gott hat die Strafe zur Folge (Hebr 12,25). So ist es auch in Kapitel 10 angelegt: Das Brechen des mosaischen Gesetzes hat sein Äquivalent in der Verschmähung des Bundesblutes und des Gnadengeistes, also in der Abkehr vom Heilswerk Jesu.731 Entsprechend ist auch die Gottesrede von der neuerlichen Erschütterung des Himmels und der Erde eine äußerst bedrohliche. Und nicht nur die Gottesrede, sondern Gott selbst ist nach dem Hebräerbrief zu fürchten. Das ist Teil der schwarzen Pädagogik des Verfassers oder, besser gesagt, einer Pädagogik, die so schon die Bücher Exodus und Deuteronomium vertreten haben. In beiden Büchern wird betont, dass es Gottes Intention sei, sein Volk das Fürchten zu lehren. Mose erklärt nach Ex 20,20, Gott wolle sein Volk prüfen, ihm Furcht einflößen und es so vom Sündigen abbringen.732 Laut Dtn 4,10 erklärt sogar Gott selbst dies zu seiner Absicht.733 Das Volk soll nicht von Gott abfallen, sondern die διαθήκη halten (Dtn 4,23: προσέχετε ὑμεῖς, μὴ ἐπιλάθησθε τὴν διαθήκην κυρίου). Das deckt sich mit Hebr 12,29. Wenn AuctHebr dort von Gott als einem „verzehrenden Feuer“ spricht, so zitiert er schließlich Dtn 4,24. Damit konzentriert sich das Festhalten an der χάρις, verbunden mit der die Aufforderung, Gott zu dienen, einzig auf die Glaubensstärke und das Verharren in der neuen διαθήκη, die den Eintritt ins himmlische
730 Vgl. M ICHAEL K IBBE, Godly Fear or Ungodly Failure? Hebrews 12 and the Sinai Theophanies, BZNW 216, Berlin/Boston 2016, 191: „Fear is certainly the right reaction to the warnings in Hebrews 2, 4, 6, and 10, and Hebrews 12 itself ends with a plea for ‚reverence and awe‘ in response to the fact, alluding to the Sinai event, that God is a consuming fire (12:28–29). Fear has always been, and will always be, a fundamental element of oneʼs approach to God, wherever he may be found.“ 731 Mose selbst hat der Furcht zum Trotz die Anwesenheit am Sinai ertragen, das Volk dagegen konnte den Mut kaum aufbringen, sondern hat darum gebeten, „dass ihnen keine Worte mehr gesagt würden“ (Hebr 12,19). Sie haben Todesangst (Ex 20,19). 732 Ex 20,20: Θαρσεῖτε· ἕνεκεν γὰρ τοῦ πειράσαι ὑμᾶς παρεγενήθη ὁ θεὸς πρὸς ὑμᾶς, ὅπως ἂν γένηται ὁ φόβος αὐτοῦ ἐν ὑμῖν, ἵνα μὴ ἁμαρτάνητε (Nur Mut! Denn um euch zu versuchen, ist Gott zu euch gekommen; sodass die Furcht vor ihm in euch sei, damit ihr nicht sündigt). 733 Dtn 4,10: Ἐκκλησίασον πρός με τὸν λαόν, καὶ ἀκουσάτωσαν τὰ ῥήματά μου, ὅπως μάθωσιν φοβεῖσθαί με (Versammle das Volk vor mir und sie sollen meine Worte hören, sodass sie lernen, mich zu fürchten).
6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
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Heiligtum ermöglichen.734 Es handelt sich nicht, wie Erich Gräßer meint, um eine Hinführung zum Mahnkatalog in Hebr 13,1–7. Dieser folgt völlig unvorbereitet. Demgemäß wurde in der Forschung oft auf den starken Bruch zwischen dem zwölften und dreizehnten Kapitel hingewiesen.735 Nichtsdestotrotz erklärt man sich meist den in Hebr 13,1 unvorbereitet beginnenden Mahnkatalog als Konkretion des Vorhergehenden und nimmt den harten Übergang hin. Der Autor nutze die Möglichkeit, Persönliches und Aktuelles anzusprechen.736 Die Argumentation ist jedoch mit Hebr 12,29 zu einem nicht zu überbietenden, wenn auch nicht sehr feinfühligen, Abschluss gekommen. Der Mahnkatalog ist daher unvorbereitet und zudem an dieser Stelle nicht mehr notwendig. 734 Diese Sicht fügt sich gut in den Gedankengang des vorausgehenden Kontextes. Das elfte Kapitel enthielt nichts als das ausführliche Lob der πίστις im Sinne eines Mediums, dank dessen die πρεσβύτεροι Gottes Willen erkannten, die Beziehung zu ihm aufrechterhielten und in ihren Taten erfolgreich waren. Das Kapitel schließt mit dem Hinweis, dass diese πρεσβύτεροι „nicht ohne uns“ vollendet werden sollten (Hebr 11,40). Das ist die Überleitung zur Aufforderung an die Adressaten, die gleiche, der πίστις verschriebene Haltung wie die Vorväter, anzunehmen (Hebr 12,1: τοιγαροῦν καὶ ἡμεῖς…). So findet nun endlich auch das größte Glaubensvorbild Erwähnung (Hebr 12,2–3): ἀφορῶντες εἰς τὸν τῆς πίστεως ἀρχηγὸν καὶ τελειωτὴν Ἰησοῦν. Bis aufs Blut sollen die Adressaten nach Jesu Vorbild gegen die Sünde Widerstand leisten (12,4). Denn, was Übles widerfährt, ist Züchtigung des Herrn (12,5–12,11). Man soll nicht vom rechten Weg abkommen (12,13), nach Frieden und Heiligung trachten (12,14), nicht hinter der Gnade Gottes zurückbleiben, damit niemand vom Unheil befleckt (μιαίνω) werde (12,15). Esau wird als Beispiel angeführt, als einer, der fahrlässig sein Erbe verspielt und sein Recht auf den Segen verloren hat (12,16–17); hier wird deutlich, dass es auch im Hinblick auf die Adressaten thematisch noch immer um den Empfang der Verheißung geht. Im Folgenden beginnt dann die Sinai-Zion-Passage (12,18–29), die das Ziel des schwierigen Weges ausmalt. Das Recht an dieser Verheißung soll man nicht verspielen, sondern an der Gnade festhalten. Gott als verzehrendes Feuer steht dem als Zeichen der Warnung, als drohender Zeigefinger entgegen. 735 Vgl. u.a. R IGGENBACH, Hebräer, 427: „Wie eine Art Nachtrag nimmt es sich aus, wenn der Vf mit 13,1 zu Ermahnungen von so allgemeiner Natur übergeht, daß sie ungefähr ebenso an jede andere Gemeinde gerichtet sein könnten.“ STROBEL, Hebräer, 173: „Kap. 13 hebt sich nach Form und Inhalt deutlich von den bisherigen Ausführungen ab. Wird man auch nicht sagen, daß ein ‚Nachtrag‘ vorliegt, so doch unverkennbar ein Anhang, der das gesamte Schreiben als eine in Briefform gebrachte Homilie ausweist.“ SCHUNACK, Hebräerbrief, 219: „Die Reihe der Ermahnungen setzt in V. 1 ohne syntaktische und kompositorische Verknüpfung mit dem zuvor Dargelegten ein.“ BACKHAUS, Hebräerbrief, 459: „Die rednerische Eleganz sinkt dahin, die großen Perspektiven schwinden, die katalogische Paränese wirkt kleinkariert und autoritär, die Sorge scheint nur auf den gemeindlichen Binnenraum gerichtet, das Verhältnis zum Redekorpus ist unklar, die Abfassungsverhältnisse sind umstritten.“ Anders etwa KARRER, Hebräer, 2:351: Die vorangegangene Ausführung „drängt zu Konkretionen. Unser Abschnitt teils allgemeiner (usueller), teils aktueller ethischer Weisungen bietet sie. Er bildet den notwendigen Abschluss des Hebr.“ 736 H EGERMANN, Hebräer, 266.
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Er nimmt dem erschreckenden und zugleich faszinierenden Bild des himmlischen Jerusalems die Kraft. Es ist also Knut Backhaus zuzustimmen, dass Kapitel 13 gewiss nicht mehr zur eigentlichen Rede gehört. „Mit dem Finale am Gottesberg und dem Furioso von 12,29 ist die Rede abgeschlossen“737 Ein respektables Indiz dafür, dass die Rede mit Hebr 12,29 endet, ist der in Hebr 12,25–26 vorliegende Brückenschlag zum Beginn des Werkes: Das Motiv der Gottesrede wird hier abschließend wieder aufgenommen. AuctHebr spricht von Gott als demjenigen, der vom Himmel her redet und die Erschütterung alles Geschaffenen ankündigt. Die Komposition endet folglich, wie sie beginnt, nämlich mit der endzeitlichen Gottesrede an das literarische Uns.738 Sie erging (im Aorist formuliert:) indirekt durch die Propheten und durch den Sohn (Hebr 1,1f.) und zum Schluss ergeht sie (λαλοῦντα: präsentisch aufgrund des die Zeitstufe angebenden βλέπετε739) unmittelbar vom Himmel her (Hebr 12,25). Das Schlusswort bildet der erschreckende und zugleich provokante Höhepunkt: καὶ γὰρ ὁ θεὸς ἡμῶν πῦρ καταναλίσκον. Dass ein späterer Redaktor den originären, harten Schluss als Anstoß empfunden haben könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Ganz analog ist das im Markusevangelium geschehen, das sekundär um die Auferstehungsbeschreibung erweitert worden ist, um es nicht mit der Furcht der Frauen enden zu lassen. Es ist demnach anzunehmen, dass der Autor des brieflichen Schlusses auch schon den „Nachtrag“740 in Hebr 13,1–14 verfasst hat. Clare Rothschild findet bereits in Hebr 13,1 paulinisches Gedankengut.741 Und tatsächlich ist auffällig, dass der Autor φιλαδελφία und φιλοξενία im gleichen Atemzug nennt. Beides fordert auch Paulus im Römerbrief in kurzem Abstand (Röm 12,10 bzw. Röm 12,13). Mag dies kein sicherer Beweis für eine literarische Abhängigkeit sein, so ist es aber doch geeignet zu zeigen, dass – anders als etwa Schmithals meint – der fehlende Paulinismus kein gültiges Argument dafür sein kann, die literarische Einheitlichkeit des dreizehnten Kapitels selbst anzuzweifeln. Wenn also nun die Rede mit Hebr 12,29 endet und Hebr 13 keinen Anlass zur weiteren Unterteilung bietet, sollte man ob der vielen Argumente, wie sie insbesondere in den Arbeiten von Alexander Wedderburn und Wolfgang Kraus742 zusammengetragen sind, annehmen, dass der Autor der Rede in Hebr 1–12 ein anderer ist als der des 13. Kapitels. BACKHAUS, Hebräerbrief, 459. Hebr 1,1–2 (ἐπ᾿ ἐσχάτου τῶν ἡμερῶν τούτων ἐλάλησεν ἡμῖν ἐν υἱῷ). 739 K.-G. 2/1: 182, §389,3. 740 R IGGENBACH, Hebräer, 427. 741 R OTHSCHILD, Pseudepigraphon, 83. Zu Vergleichsstellen für Hebr 13,2–15 s. a.a.O., 84–87. 742 W EDDERBURN, „Thirteenth Chapter;“ W OLFGANG K RAUS, „Zur Schriftverwendung in Hebräer 13. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Hebr 13 zu Hebr 1– 12,“ in Siegfried Kreuzer/Marcus Sigismund (Hg.), Die Schriftzitate im Hebräerbrief als Zeugen für die Überlieferung der Septuaginta, WUNT II/580, Tübingen 2022, 177–192. 737
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6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
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6.1 Das Verhältnis der Deutung des Opfertodes Jesu zu der in Hebr 1–12 Der Abschnitt Hebr 13,11f., der die Leiden Jesu mit dem Verbrennen der Opfertiere gleichsetzt, hat der Forschung in der Vergangenheit große Probleme bereitet. Bisher erklärte AuctHebr das Opfer Jesu als eine Entsprechung zur Blutdarbringung des irdischen Hohepriesters im Allerheiligsten und zum Bundesopfer Moses, das der Autor ebenfalls ans Heiligtum bindet. Beides eröffne den Menschen den Zugang zur Gottespräsenz. In Hebr 13,11f. heißt es: ὧν γὰρ εἰσφέρεται ζῴων τὸ αἷμα περὶ ἁμαρτίας εἰς τὰ ἅγια διὰ τοῦ ἀρχιερέως, τούτων τὰ σώματα κατακαίεται ἔξω τῆς παρεμβολῆς. (12) Διὸ καὶ Ἰησοῦς, ἵνα ἁγιάσῃ διὰ τοῦ ἰδίου αἵματος τὸν λαόν, ἔξω τῆς πύλης ἔπαθεν.
Nun gibt es im 13. Kapitel folglich drei gravierende Unterschiede zur bisherigen Deutung des Opfers, nämlich hinsichtlich des Modus und des Ortes: a) Sündenvergebung, Reinigung und Heiligung sind für den Autor des Hebräerbriefes durch die Darbringung des Blutes möglich. Man erinnere sich insbesondere an die Blutregel in Hebr 9,22. Vermittelt durch die Abendmahlsworte wird ebenso die Rede von der Darbringung des Leibes Jesu eingeführt.
Vgl. auch den zwar alten, aber noch immer originellen Beitrag von EDMUND D. JONES, „The Authorship of Hebrews XIII,“ ExpTim 46 (1934), 562–567, 562: Er spricht sich dafür aus, dass das 13. Kapitel sekundär ist. Aber er lehnt auch die für diese These vertretene Sicht ab, dass es sich um eine bewusste Imitation paulinischen Stils handele, um die Aufnahme des Hebräerbriefs in den Kanon zu ermöglichen. Ein Nachahmer hätte sich erstens genauer am paulinischen Stil vorhandener Briefe orientiert und hätte zweitens die Mahnungen anhand des Hauptteiles besser auf die Bedürfnisse der Gemeinde des Hebräerbriefs abgestimmt. Seine Theorie ist, dass der Briefschluss, ehemals originär von Paulus verfasst, aufgrund einer Blattvertauschung von einem Kopisten aus Versehen an den Schluss der Predigt des Hebräerautors gehängt worden sei, weil diese vormals als einzige Schrift der Sammlung keinen Briefschluss hatte und weil sich die Themen von Briefschluss und Traktat ähnelten. Er erwägt, dass es sich um den Briefschluss des sog. Tränenbriefes handeln könnte (a.a.O., 564). Dass es sich bei allen angeführten Argumenten bloß um Indizien handeln kann, ist sich Jones bewusst: „The suggestion made that this chapter was the end of the ‚severe letter‘ must remain at present a conjecture.“ Für eine sekundäre Anfügung der Verse 13,15ff. vgl. auch SCHMITHALS, „Hebräerbrief.“ Auch Erich Gräßer gesteht zu, dass das dreizehnte Kapitel abschnittsweise nicht vom AuctHebr verfasst worden sei. Unter Berufung auf Martin Dibelius gibt Gräßer an, es handele sich um ein Stück der üblichen Paränese, das der Verfasser teilweise kommentiert habe, am deutlichsten in 13,10–15. (GRÄßER, Hebräer, 3:347). Gräßer besteht dabei aber auf die Zugehörigkeit dieser Paränese zur vorangegangenen Rede, obwohl er sehr richtig sieht, dass der Verfasser hier das traditionelle Schema der epistolaren Paränese rezipiere (GRÄßER, Hebräer, 3:346). Dies mit der fragwürdigen Begründung, „Hebr ist kein Brief. Also kann Vers 1 nicht bereits Übergang zum ‚traditionellen Briefschluß‘ sein“ (GRÄßER, Hebräer, 3:348). Sollte man nicht umgekehrt sagen: Der plötzliche Wechsel hin zum brieflichen Stil markiert das Ende der Rede?
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Dass jedoch die Verbrennung der Opfertiere eine heiligende Funktion hätte, kommt nirgends in Betracht. b) Wurden bisher alle Opfer an das zugehörige Heiligtum rückgebunden, so wird nun von einem Leiden Jesu ἔξω τῆς πύλης berichtet, das dem Verbrennen der Tierleiber ἔξω τῆς παρεμβολῆς entsprechen solle. Auch das steht im Widerspruch zur bisherigen kulttheologischen Schilderung. Man vermutet zuweilen, es solle auf den historischen Ort des Todes Jesu, also auf Golgatha, angespielt werden.743 Bisher war dieses historische Setting für AuctHebr nicht von Belang, denn das wahre Opfer spielt sich ja in himmlischer Realität ab. Wenn nun der historische Ort außerhalb des Lagers mit einem ominösen Altar mit ins Spiel kommen, scheint der himmlische Kult zur bloßen Metapher zu verblassen. c) Zudem stellt sich dann die Frage, wie der Kohortativ in Hebr 13,13 gemeint sein könnte, Jesus nachfolgend ἔξω τῆς παρεμβολῆς zu gehen.744 743 Bspw. B ACKHAUS, Hebräerbrief, 472: „Die Entsprechungen zwischen dem Geschehen auf Golgota und dem Ritual des großen Versöhnungstages sind nicht zu pressen: So werden die Sündopfer nicht vor dem Lager bzw. der Stadt Jerusalem dargebracht, sondern nur die Körper der geopferten Tiere werden dort verbrannt.“ 744 Wie ist die Aufforderung zum Verlassen des Lagers zu verstehen? 1) Sie könnte metaphorisch gemeint sein und bloß bedeuten, man solle sich wie Jesus den Leiden/der Schmach aussetzen. Das passt aber nur schlecht zu der schwarzen Pädagogik in Hebr 12. Dort werden die Leiden als Erziehungsmaßnahmen Gottes geschildert und man müsse sie durchhalten und sie erdulden. Die Aufforderung, bewusst die Schmach zu suchen, findet sich nicht. 2) Es könnte heißen, dass man sich vom irdischen Tempel abwenden solle. Jesus habe das Opfer dargebracht, wo im irdischen Kult sonst nur die Leiber verbrannt werden, d.h. betont nicht im irdischen Tempel. Wenn man solch eine konkrete Forderung nach Abkehr vom irdischen Tempel lesen wollte, dann müsste man, meine ich, unterstellen, dass auch Kapitel 13 vor der Tempelzerstörung entstanden wäre. Denn andernfalls gäbe es ja schon nichts mehr, wovon man sich abwenden sollte. 3) Zuweilen stößt man auf die Annahme, die Forderung nach dem ἔξω verlange eine Abkehr vom Judentum. Vgl. bspw. C. VAN DER WAAL, „The people of God in the Letter to the Hebrews,“ Neot 5 (1971), 88–92: 91: „For the ‚Hebrews‘ it implied going outside the camp of the synagogue (13:13; cf. Rev. 18:4). The camp that must be left behind is the camp of apostasy and sin; it is not the camp of the created world.“ Solche Aufforderung nach der Abkehr vom Judentum ist bereits schwer vorstellbar, mag vielleicht aber noch möglich sein (wenngleich die postulierte Identifikation der Synagoge mit dem Lager der Apostasie für den Hebräerbrief äußerst unpassend ist, man denke bloß an die lange Reihe jüdischer Glaubensvorbilder in Kapitel 11). Aber was bedeutete dann Jesu Leiden ἔξω? Der Parallelismus wäre gestört, weil der Ort des Leidens Jesu nicht übertragen als „außerhalb des Judentums“ verstanden werden kann. 4) Kann die Wendung auf ein „außerhalb“ der irdischen Grenzen hin ausgelegt werden? So argumentiert etwa DIETER LÜHRMANN, „Der Hohepriester außerhalb des Lagers (Hebr 13,12),“ ZNW 69/3, 178–186: 185. Die Adressaten erwarten die künftige Stadt. Sie wäre himmlisch. Aber auch da gilt: Jesus hat ja gerade im Irdischen gelitten. Und wenn außerhalb jenseits des Irdischen meint, dann hätte er nun eben gerade nicht außerhalb
6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
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AuctHebr wurde bisher nicht müde zu betonen, Christus sei ins Heilige hineingegangen. Die Adressaten sollten hinzutreten oder seien schon hinzugetreten. Alles ist auf das himmlische Heilige ausgerichtet, zu ihm sucht man Zutritt. Durch sein Fleisch hat Jesus den Weg eingeweiht, die Seelen haben ihren Anker dorthin. Das Wirken Jesu soll stets den Menschen helfen, ins Heilige hineinzukommen, es garantiert den Zugang. Im 13. Kapitel dreht sich die Richtung.745 Jetzt heißt es, Christus sei ἔξω τῆς πύλης gegangen und die Adressaten sollten ebenfalls nach draußen gehen.746 Im Grunde handelt es sich um eine Perversion der gesamten vorausgegangenen Rede.747 Besonders auffällig ist, dass das Adverb ἔξω ausschließlich in gelitten (Dieser Spannung ist sich Lührmann bewusst, er mildert ab: „Doch wird man schwerlich aus 13,12 lesen können, Christus habe im Himmel gelitten, zumal ja auch mit dem Verlassen der irdischen Stadt in 13,14 die himmlische noch nicht erreicht ist, vielmehr eine Zeitspanne vorausgesetzt wird, anders gesagt die himmliche [sic!] Stadt eschatologisches Ziel ist“). Zudem passt nicht, dass der himmlische Raum, der dem AuctHebr als Allerheiligstes gilt, nun außerhalb sein sollte. Die Bewegung zum Himmel hin war für AuctHebr immer mit einem εἰς verbunden. 5) Kann es umgekehrt sein, dass außerhalb „irdisch“ im Gegensatz zu „himmlisch“ bedeutet? Das würde insofern passen, als Jesus dann außerhalb des himmlischen Lagers/ der himmlischen Stadt gelitten hätte. Unklar bliebe dann, warum der Autor den Adressaten hier plötzlich nahelegen sollte, sich nicht auf das Himmlische auszurichten, sondern auf das Irdische. 745 JARED C. C ALAWAY, The Sabbath and the Sanctuary. Access to God in the Letter to the Hebrews and its Priestly Context, WUNT II/349, Tübingen 2013, 118, spricht von einer „directional incongruence.“ 746 In Hebr 13,10 heißt es, wir hätten dort unseren Altar (θυσιαστήριον). Von einem Altar war aber bei den bisherigen Ausführungen des himmlischen Kultes keine Rede. Und falls einer impliziert sein sollte (darauf könnte Hebr 7,13 hindeuten), so müsste er auch im Heiligtum lokalisiert sein. 747 C ALAWAY, Sabbath, 118, meint, der Hebräerbrief spiele mit den Zeltkonzeptionen des Pentateuchs: „God’s glory dwells within the tabernacle, but God meets Moses outside the tent of meeting; and the tabernacle is centrally located within the camp, but the tent of meeting is located outside the camp. Hebrews, therefore, may be playing with this tension within the Pentateuch. „In that way, ‚going forth‘ outside the camp and ‚entering‘ the sanctuary may be functionally equivalent phrases: going forth outward is entering the heavenly sanctuary or city.“ Diese Sicht ist aus zweierlei Gründen schwierig: 1) Indem AuctHebr den Ort außerhalb des Lagers mit dem Verbrennen der Opfertiere identifiziert, macht er deutlich, dass es ihm nicht auf ein dort befindliches Begegnungszelt ankommt. Es ist also nicht eine Abfolge intendiert, wie Calaway sie annimmt, dass man nämlich zuerst das Lager verlassen müsse, um dann in ein Heiligtum außerhalb des Lagers einzutreten. 2) AuctHebr baut stets seine Argumentation auf den Septuagintatext auf. Während der MT tatsächlich die beiden Begegnungszelte eher identifiziert als unterscheidet, versuchen die Übersetzer diese Gleichsetzung der beiden Zelte zu unterbinden. Kultische Funktionen werden dem Mosezelt weder im hebräischen noch im griechischen AT attestiert, auch wenn ein (hohe)priesterliches Wirken Moses grundsätzlich nicht geleugnet werden kann. Zur ausführlicheren Behandlung des Themas vgl. CHRISTIAN LUSTIG, „Moses eigenes Zelt. Zur Unterscheidung zweier Zelt-
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
Hebr 13,11–13 vorkommt.748 Die bisher vom Autor betonte Bewegung nach drinnen, das Hineingehen und das Nahen, hat folgende 31 Belegstellen: Hebr 2,1: εἰς δόξαν ἀγαγόντα; 3,11.18; 4,1.3.5 (2x).10.11: εἰς τὴν κατάπαυσίν; 3,19: ὅτι οὐκ ἠδυνήθησαν εἰσελθεῖν δι’ ἀπιστίαν; 4,16: προσερχώμεθα … τῷ θρόνῳ; 6,19: ἄγκυραν … εἰς τὸ ἐσώτερον τοῦ καταπετάσματος; 6,20: πρόδρομος ὑπὲρ ἡμῶν εἰσῆλθεν Ἰησοῦς; 7,25: προσερχομένους δι’ αὐτοῦ τῷ θεῷ; 9,6: εἰς τὴν πρώτην σκηνὴν; 9,7: εἰς τὴν δευτέραν; 9,8: τὴν τῶν ἁγίων ὁδὸν; 9,12: εἰσῆλθεν ἐφάπαξ εἰς τὰ ἅγια; 9,24: οὐ γὰρ εἰς χειροποίητα εἰσῆλθεν ἅγια Χριστός, ἀντίτυπα τῶν ἀληθινῶν, ἀλλ’ εἰς αὐτὸν τὸν οὐρανόν; 9,25: εἰς τὰ ἅγια; 10,1: προσερχομένους; 10,19: εἴσοδος τῶν ἁγίων ἐν τῷ αἵματι Ἰησοῦ; 10,20: ὁδὸν … διὰ τοῦ καταπετάσματος; 10,22: προσερχώμεθα; 10,31: εἰς χεῖρας θεοῦ; 10,39: als Gegenaussage: ἡμεῖς δὲ οὐκ ἐσμὲν ὑποστολῆς; 11,6: πιστεῦσαι γὰρ δεῖ τὸν προσερχόμενον τῷ θεῷ; 11,8: ἐξελθεῖν εἰς τόπον (!) für Abraham; 11,9: παρῴκησεν εἰς γῆν τῆς ἐπαγγελίας; 12:18–22: Οὐ γὰρ προσεληλύθατε ψηλαφωμένῳ … (22) ἀλλὰ προσεληλύθατε Σιὼν ὄρει καὶ πόλει θεοῦ ζῶντος, Ἰερουσαλὴμ ἐπουρανίῳ. Insbesondere ist die Spitzenaussage in Hebr 12,22 von Relevanz. Dort heißt es perfektisch προσεληλύθατε Σιὼν ὄρει καὶ πόλει θεοῦ ζῶντος, Ἰερουσαλὴμ ἐπουρανίῳ (ihr seid hinzugetreten zum Berg Zion und der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem). In Hebr 13,14 heißt es nun, man suche die zukünftige Stadt erst noch.749 Und während AuctHebr bisher wie im Mantra sein „wir haben“750 betont, heißt es nun in Hebr 13,14 resignativ „wir haben nicht“ (οὐ γὰρ ἔχομεν ὧδε μένουσαν πόλιν.) Welch gewaltiger Rückschritt!
konzeptionen im griechischen Exodusbuch,“ in Martin Meiser u.a. (Hg.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz. 6. Internationale Fachtagung, veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 21.–24. Juli 2016, Tübingen 2018, 168–180. 748 Belege für ein Hinausgehen finden sich in Hebr 8,9: ἐξαγαγεῖν αὐτοὺς ἐκ γῆς Αἰγύπτου (vgl. auch Hebr 11,27: κατέλιπεν Αἴγυπτον). Ägypten kann aber nicht mit dem Lager oder den Toren identifiziert werden. Folglich hat es mit dem Gedanken in 13,11ff. nichts zu tun. 749 Nach Hebr 11,10.16 ist die himmlische Stadt nicht zukünftig, sondern schon vorbereitet; bei KURT NIEDERWIMMER, „Vom Glauben der Pilger. Erwägungen zu Hebr. 11,8–10 und 13–16,“ in Wilhelm Pratscher/Markus Öhler (Hg.), Quaestiones Theologicae. Gesammelte Aufsätze, BZNW 90, Berlin 1998, 207–216: 216, findet sich der prägnante Begriff der „Ouranopolis.“ Das passt zu dem Gedanken der Ankunft dort. Eine Ankunft in einer zukünftigen Stadt ist nicht möglich. Vgl. JONES, „di,“ 565: „How different the idea in the mind of the writer of Hebrews – ‚ye are come (perfect tense) unto the city of the living God, the heavenly Jerusalem.‘“ 750 Hebr 4,14.15: einen großen Hohepriester; 6,18: starken Trost; 6,19: einen Anker der Seele in das Innere des Vorhangs; 8,1: einen Hohepriester zur Rechten des göttlichen Thrones; 10,19: die Freiheit zum Eintritt ins himmlische Heiligtum; 12,1: eine Wolke von Zeugen; 12,28: ein unerschütterliches Reich.
6. Der Tod Jesu im 13. Kapitel des Hebräerbriefes
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6.2 Fazit Selten wird angezweifelt, dass man den Briefschluss als sekundär betrachten müsse, denn der sogenannte Brief an die Hebräer ist eigentlich mitnichten ein Brief. Zur Diskussion steht bloß, wo dieser sekundäre Briefschluss beginne. Freilich ist Vorsicht angeraten, ehe man große Teile einer Schrift als nicht ursprünglich betrachtet. Doch sind die theologischen Ausführungen auch am Beginn des 13. Kapitels und der vorhergehende Traktat zu verschieden, um sie dem AuctHebr zuzuschreiben, auch wenn sie an verschiedenen Aspekten des Traktates orientiert sind. Der größte stilistische und inhaltliche Einschnitt findet sich zu Beginn des letzten Kapitels und so ist es am plausibelsten, den sekundären Briefschluss, wenn man ihn schon anzunehmen hat, am Beginn des 13. Kapitels anzusetzen. Ist das ganze Kapitel also sekundär, so nimmt es auch nicht wunder, dass sich das Verständnis des Opfertodes Jesu ebenso verschiebt. Zwar ist die kulttheologische Ausführung sprachlich an den Traktat angelehnt, aber das dahinterstehende Konzept ist anders. 1) Auffällig ist, dass die Speisegebote in Hebr 13,9 als fremde (ξένος) Lehre bezeichnet werden. In Hebr 9,10 werden sie der ersten διαθήκη zugeordnet und sind damit den Adressaten, die AuctHebr als Kenner der heiligen Schriften anspricht, nicht fremd. Das spricht sehr dafür, dass andere Adressaten im Blick sind. 2) Der Altar (Hebr 13,10), von dem man isst, ist nach der Aussage über die Speisevorschriften nur mehr schwer symbolisch zu verstehen. Es klingt tatsächlich sehr nach einem kultischen Abendmahlsvollzug, dem AuctHebr skeptisch gegenüberzustehen scheint. Bisher ist von einem Altar nie die Rede gewesen, insbesondere nicht außerhalb des Lagers. Die Darbringung Jesu ist stets auf das Heiligtum und nicht auf den Außenbereich bezogen. Die Glaubenden sollen seinem vorbildlichen Weg ins himmlische Heiligtum folgen und nicht zu einem Altar außerhalb gehen. 3) Die Analogie zwischen Verbrennung der Opferleiber und der Heiligung des Volkes durch das Blut Jesu (Hebr 13,11–12) widerspricht der bisherigen Chronologie der Kultbeschreibung. Innerhalb des Traktates war die Heiligung durch Jesu Blut mit der Blutbesprengung identifiziert. Wenn man das Leiden mit der Verbrennung der Opfertiere gleichsetzte, stünde die Verbrennung der Opfertiere zeitlich vor der Darbringung.751 Dies ist insbesondere deshalb problematisch, weil Jesus nach Hebr 10,10 auch seinen Leib darbringt.
Erich GRÄßER, Hebräer, 3:383, glaubt, AuctHebr habe diese Ungenauigkeit des Vergleiches bewusst hingenommen: „[…] wobei es unseren Verf. allerdings nicht stört, daß die Entsprechung nur sehr unvollkommen ist: Die Leiber der Tiere wurden ja in dem Lager geopfert und danach erst vor dem Lager verbrannt, Christus aber leidet und stirbt außerhalb des Tores (V.12).“ 751
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B. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu
4) Der Begriff der θυσία ist nur in Hebr 13,15 figurativ und damit unkultisch gebraucht.752 5) Jesus Christus ist vor Hebr 13,15 dementsprechend nie Gebetsmittler.753 6) In Hebr 13,20 könnte die Auferstehung Jesu anklingen. Sie spielt im gesamten Traktat keine Rolle. „Why, therefore, introduce it here?“754 Man darf also die Kulttheologie des Traktates nicht durch die Vorstellungen im dreizehnten Kapitel aushebeln und Hebr 13,11 gewissermaßen als Gegenbeweis zur Heilseffizienz des Todes Jesu ins Feld führen.755 Die opferkultischen Auslegungen des Traktates sind in sich stimmig. Das dreizehnte Kapitel ist demgegenüber die früheste, wenngleich – sit venia verbo – wenig gelungene Rezeption des Traktats.
Vgl. SCHMITHALS, „Hebräerbrief,“ 332. Vgl. SCHMITHALS, „Hebräerbrief,“ 332. 754 JONES, „Authorship,“ 565. 755 Vgl. G ÄBEL, Kulttheologie, 463; M OFFITT, Atonement, 276f.
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753
C.
Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
Gemäß den Ergebnissen des ersten Kapitels ist zwischen einem ewigen, unvergänglichen πνεῦμα und der vergänglichen σάρξ, dem σῶμα, zu unterscheiden. AuctHebr erklärt den himmlischen Kern der Person Jesu zum Subjekt der Opferdarbringung und die irdischen Komponenten zum Opfermaterial. Kraft ewigen Geistes bringt der Gottessohn im Tod Blut und Leib dar. Wie fügt sich dazu die Vorstellung eines Hohepriesters am himmlisch-ewigen Heiligtum? Wie kann die Darbringung irdisch-vergänglicher Materie ewige Bedeutung erlangen?
1. Die hohepriesterliche Investitur Jesu Christi 1. Die hohepriesterliche Investitur Jesu Christi
Wenn die Opferdarbringung im Tode erfolgt sein soll, ist nach dem Beginn des Hohepriestertums Jesu zu fragen.1 Nicht selten meint man, Jesus sei erst zugleich mit seiner Erhöhung zur Rechten auch zum Hohepriester geworden. Die Argumentation lautet dann etwa wie folgt: Jesus ist nach Hebr 7,16 Hohepriester kraft unzerstörbaren Lebens. Da man aber Jesu Tod nicht als bloß physischen Tod begreift, könne das unzerstörbare Leben erst posthum erworben sein.2 Die Stellen im Hebräerbrief, die eine soteriologische Wirkung des Todes 1 Die Frage nach dem Zeitpunkt der Einsetzung zum Hohepriester wurde in der Forschung immer wieder besprochen und es ließ sich trefflich darüber streiten, weil der Hebräerbrief selbst keine explizite Stellungnahme formuliert. Darum tendiert man in der jüngeren Forschung häufig dazu, keine genaue Datierung mehr vorzunehmen. Die Einsetzung wird in der Präexistenz angenommen oder man vermutet, sie sei „in keiner Zeitkategorie recht aussagbar“ (KARRER, Hebräer, 1:263). FRANZ LAUB, Bekenntnis, 135, beurteilt schon die Frage nach einem Wann der Einsetzung als solche für den Hebräerbrief als unsachgemäß. Meines Erachtens ist aber unverkennbar, dass die Inauguration dennoch für AuctHebr eine große Bedeutung besitzt. Auch RISSI, Theologie, 63, gibt zu bedenken, dass davon gesprochen wird, dass Jesus Hohepriester geworden ist. 2 Vgl. D AVID M OFFITT, Atonement, 203. Ders., „Jesusʼ Heavenly Sacrifice in Early Christian Reception of Hebrews: A Survey,“ JTS 68/1 (2017), 46–71, verteidigt die bereits in seiner Dissertation vertretene These. JAMIESON, Jesusʼ Death, 65, vertritt die Ansicht, Jesus sei auf Erden bloß makelloses Opfer gewesen, Hohepriester aber erst im Himmel. Problematisch scheint mir aber zu sein, die προσφορά einmal irdisch als Tötung Jesu auszulegen (unter Verweis auf Hebr 9,28 und die dort einmalig gebrauchte passivische
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C. Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
beschreiben, werden dadurch mit dem hohepriesterlichen Werk inkompatibel, weil sich nach dieser Anschauung der Tod zu einer Zeit ereignet hat, als der Gottessohn noch nicht Hohepriester war. Das führt unter Umständen zur Überbetonung einer rein himmlischen Opferdarbringung. Oder aber man rechnet mit Ungereimtheiten im Konzept des Hebräerbriefes. Etwa Jürgen Roloff meint, AuctHebr habe „unter Inkaufnahme einiger Inkonsequenzen, den Irdischen zwar nicht explizit als Hohenpriester bezeichnet, aber doch sein Werk als hohepriesterliches“3 dargestellt. Der Gedankengang des Hebräerbriefes legt aber beispielsweise in den Versen 8,1–6 ein anderes Verständnis nahe. In Hebr 8,1 stellt der Verfasser den Hauptpunkt (κεφάλαιον) seiner Schrift bekenntnisartig heraus: ἔχομεν ἀρχιερέα, ὃς ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τοῦ θρόνου τῆς μεγαλωσύνης ἐν τοῖς οὐρανοῖς.4 Georg Gäbel bezeichnet diese Stelle als „Pointe der ganzen Argumentation.“5 Es handelt sich um eine Beschreibung der gegenwärtigen Lage, darauf weist die Verwendung der 1.Pl. Präs. Ind. Akt. (ἔχομεν) deutlich hin. Wir haben einen Hohepriester, der sich zur Rechten des Thrones gesetzt hat. Von anderen Stellen im Hebräerbrief weiß man aber, dass der Zeitpunkt des Setzens zur Rechten zeitlich nach der Darbringung des Opfers liegt, welche die Wegnahme der Sünden und damit die Reinigung bewirkt hat.6 Formulierung) und die προσφορά seiner selbst, deren Subjekt er ist, ausschließlich auf die himmlische Blutapplikation zu beziehen (vgl. JAMIESON, Jesusʼ Death, 169f.). JAMIESON, Jesusʼ Death, 181, schreibt: „As victim, Christ gives his life in death; as resurrected high priest, Christ gives that life-given-in-death to God.“ Meines Erachtens ist der Begriff „victim,“ der einen metaphorischen Gebrauch des Opferbegriffes suggeriert, als Beschreibung des προσενεχθεὶς unzulässig. 3 R OLOFF, „Hohepriester,“ 165. Gerade die Tatsache, dass man die Einsetzung zum Hohepriester oftmals im Tod Jesu gesehen hat (etwa nach Hebr 2,9: wegen des Todesleidens gekrönt), hat zu dem Dilemma geführt, dass man nur schwerlich den (Opfer-)Tod Jesu bereits als hohepriesterliches Werk betrachten konnte. Möglicherweise resultierte unter anderem aus dieser Problematik, dass man von einer zeitlichen Festlegung der Ernennung Jesu zum Hohepriester abzusehen begann (vgl. z.B. KARRER, Hebräer, 1:263). 4 In Hebr 4,14 und 4,15 sind bereits ähnliche Aussagen gemacht (Ἔχοντες οὖν ἀρχιερέα bzw. in zweifach negativer Formulierung, die die Beschaffenheit des Hohepriesters beschreibt: οὐ γὰρ ἔχομεν ἀρχιερέα μὴ δυνάμενον συμπαθῆσαι). Ab Hebr 5,1 wird ein Hauptthema des Hebräerbriefes begonnen: Die Einsetzung des Sohnes zum Hohepriester. 5 G ÄBEL, Kulttheologie, 477. 6 Man vergleiche dazu die Verwendung der Tempora in Hebr 1,3: καθαρισμὸν τῶν ἁμαρτιῶν ποιησάμενος ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τῆς μεγαλωσύνης ἐν ὑψηλοῖς. Ursprünglich bezeichnet ein Partizip im Griechischen nicht die Zeitstufe. Die relative Zeit von Neben- und Haupthandlung bleibt eigentlich unberücksichtigt (vgl. K.-G. 2,1, §389). BDR, §339, stellen demgegenüber jedoch fest: „Da das die Vollendung ausdrückende Ptz.Aor. meistens vor dem Verb.fin. steht, verbindet sich mit dem Ptz.Aor. bis zu einem gewissen Grad auch die Bedeutung der relativen Vergangenheit (vorzeitig im Verhältnis zum übergeordneten Verb.fin.).“ Für vorliegenden Vers trifft das zu. Das dem Prädikat vorausgehende Partizip Aorist (ποιησάμενος) drückt daher vermutlich die Vorzeitigkeit zur Haupthandlung ἐκάθι-
1. Die hohepriesterliche Investitur Jesu Christi
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In Hebr 8,3 wird nun eine andere Perspektive eingenommen und gedanklich auf die Zeit vor der Einsetzung verwiesen,7 während Christus in den beiden vorausgehenden Versen hingegen bereits im Amt und also Diener am himmlischen Heiligtum ist. Daher folgt zunächst eine allgemeine Aussage über Hohepriester, dass sie nämlich zur Darbringung (εἰς τὸ προσφέρειν) von Gaben und Opfern eingesetzt werden.8 Nun ist zu bedenken, dass die Darbringung von Opfern sozusagen das Identifikationsmerkmal des (Hohe-)Priesteramtes ist. „Der Daseinszweck des Priestertums liegt im Opfer.“9 Dieser allgemeine Gedanke wird nun auf Christus bezogen. Was für alle Hohepriester gilt, gilt auch für ihn. Das heißt also sinngemäß: Wenn Christus zum Hohepriester eingesetzt werden soll, dann muss(te)10 auch er etwas haben, das er opfern kann. Festzuhalten ist also: Das Vorhandensein einer Opfergabe ist eine Notwendigkeit (ἀναγκαῖον), um überhaupt Hohepriester sein zu können. Was der Gegenstand der Darbringung Christi ist, lässt der Autor in diesem Zusammenhang absichtlich offen,11 präziser gesagt, er nennt die Darbringung, die er in Vers 7,27 bereits eingeführt hat, hier nicht nochmals beim Namen, sie ist dort längst als Selbstopfer definiert. AuctHebr bezieht also zu folgender Frage Stellung: Warum musste der himmlische Hohepriester etwas opfern? Die Antwort: Weil jeder Hohepriester Opfer darbringen muss. Es wird hier also vielmehr das Problem der Notwendigkeit des Opferns behandelt als die Frage nach der Art des Opfers. Das Pronomen indefinitum τι anstelle eines erneuten ἑαυτόν hilft daher lediglich, das Gewicht der Aussage auf das ἀναγκαῖον zu verlagern. Unter Zuhilfenahme von Vers 7,26f. kann man hinzufügen: Christus muss zwar notwendigerweise als Hohepriester etwas haben, das er opfern kann, aber er hat nicht die Notwendigkeit (ähnlich wie ἀναγκαῖον in 8,3, aber hier nominal σεν aus. Wahrscheinlicher ist also, dass die Reinigung von den Sünden erfolgt, bevor sich der Gottessohn zur Rechten Gottes setzt. Gleiches gilt auch für Hebr 10,12: οὗτος δὲ μίαν ὑπὲρ ἁμαρτιῶν προσενέγκας θυσίαν εἰς τὸ διηνεκὲς ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ) Auch hier gibt vermutlich das vorausgehende Partizip im Aorist (προσενέγκας) die Vorzeitigkeit der Haupthandlung (ἐκάθισεν) an: Zuerst die Darbringung, danach erst das Sich-Setzen. 7 Vgl. nämlich die sprachliche Nähe zu Hebr 5,1, wo ebenfalls Hintergründe der Einsetzung eines Hohepriesters besprochen werden. An dieser Stelle geht es jedoch hauptsächlich um die Vorbedingungen, die die ‚Kandidaten‘ zu dem Amt befähigen. 8 Gegen R ISSI, Theologie, 289, der behauptet, Kapitel 8 sei gelöst vom Opfergedanken. 9 B ACKHAUS, Hebräerbrief, 289. 10 Aufgrund der Ellipse des Hilfsverbs zu ἀναγκαῖνον, ist das Tempus nicht zu bestimmen. Ist kein Tempus der Vergangenheit gemeint, wäre aber auch das Präsens als eine Anwendung der zuvor angegebenen allgemeinen Regel zu erklären. 11 Die Intentionalität der Auslassung erkennt schon R IGGENBACH, Hebräer, 221. Cum grano salis pflichte ich der Feststellung von HANS HÜBNER, Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band 3. Hebräerbrief, Evangelien und Offenbarung. Epilegomena, Göttingen 1995, 51, bei: „Christus ist der Hohepriester gerade dadurch, dass er sein Blut vergoß, also sein Leben als ‚Opfer‘ gab.“
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C. Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
formuliert οὐκ ἔχει ἀνάγκην) täglich zu opfern,12 da die einmalige Darbringung seiner selbst suffizient gewesen ist. Der folgende Genitivus absolutus in Hebr 8,4 (ὄντων τῶν προσφερόντων κατὰ νόμον τὰ δῶρα) führt den Gedanken weiter und will zeigen, dass das irdische Heiligtum seine eigenen Priester hat, nämlich diejenigen, die nach dem Gesetz eingesetzt sind (vgl. Hebr 7,28) und daher auch nur gemäß den Vorschriften des Gesetzes und nur im irdischen, von Menschenhand erbauten, schattenhaften Abbild des wahren Heiligtums ihre Opfer darbringen (Hebr 8,4f.). Die Einsetzung des Hohepriesters, irdisch als auch himmlisch, steht hier erneut in direkter Korrelation zur Opferdarbringung. Auch der folgende Vers (Hebr 8,6) ist ganz der Einsetzung des himmlischen Hohepriesters gewidmet: Er hat ein vortrefflicheres Amt erlangt. Das Prädikat τυγχάνω steht hier im Perfekt. Die Erlangung ist bereits geschehen und hat bleibende Gültigkeit für die Gegenwart. Das Opfer Jesu fällt wiederum mit dem Eingang ins himmlische Heilige in eins.13 Der weitere hohepriesterliche Dienst aber ist innerhalb des himmlischen Heiligtums zu verrichten.14 Nikolaus Walter trifft mit seiner Erkenntnis beinahe den Punkt, wenn er vom „Hohepriester auf der Grenze zwischen Himmel und Erde“15 spricht. Jedoch muss man sagen: Christus ist schon vor, spätestens aber bei der Darbringung Hohepriester geworden,16 nicht erst danach. Walter sieht hingegen die Einsetzung „im Überschritt aus dem Tode in die Erhöhung“ und damit erfolgt die Einsetzung sozusagen um Haaresbreite zu spät. Walter meint, der „Erhöhte [könne] der Hohepriester sein, weil er als der in den Tod Gehende sich dafür ‚qualifiziert‘“ habe.17 Man sollte folglich die Formulierung des AuctHebr
12 Von einem täglichen Opfer ist im AT keine Rede. Erst Sir 45,14 gibt dazu einen Hinweis: θυσίαι αὐτοῦ ὁλοκαρπωθήσονται καθ᾿ ἡμέραν ἐνδελεχῶς δίς (Seine [sc. Aarons] Opfer werden als Ganzopfer aus Früchten dargebracht werden, jeden Tag, fortwährend, zweimal [täglich]). Der griechische Text entspricht inhaltlich recht exakt dem, was der hebräische B-Text überliefert. Die wichtigsten Vertreter des Gr 2-Textes verallgemeinern jedoch, indem sie pluralisch von „ihren“ Opfern (sc. Aarons und seiner Nachkommen, also letztlich aller Priester) sprechen. 13 LAUB, „Ein für allemal,“ 77. 14 Möglicherweise ist der Dienst des himmlischen Hohepriesters die Fürbitte (Hebr 7,25). Darauf deutet auch Hebr 9,28 hin, wo es heißt, Jesus werde ein zweites Mal zum Heil ‚sichtbar werden.‘ Sowohl Menschen wie auch Christus nehmen nach dem Tod am göttlichen Gericht teil. Jene als Angeklagte, dieser gewissermaßen als Anwalt. 15 W ALTER, „Christologie,“ 154. 16 In diesem Sinn argumentiert LAUB, „Ein für allemal,“ 77 et passim, wenn er Darbringung und Eingang ins Heiligtum als zwei Seiten einer Medaille betrachtet. Jedoch sieht Laub die Frage nach dem ‚Wann‘ der Einsetzung Christi als Hohepriester als unsachgemäß an (LAUB, Bekenntnis, 135). 17 W ALTER, „Christologie,“ 161.
1. Die hohepriesterliche Investitur Jesu Christi
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ernstnehmen, wenn er sagt, der Hohepriester werde zur Darbringung, d.h. behufs Darbringung, eingesetzt.18 Diese Aussage fügt sich auch hervorragend zu der oben durchgeführten Analyse von Hebr 2,9. Dort habe ich zu belegen versucht, dass Jesus gerade nicht wegen seines Todesleidens bekränzt wurde, sondern bekränzt wurde, damit er jedem zugute sterbe. Mit anderen Worten ausgedrückt, er wurde εἰς τὸ προσφέρειν (Hebr 8,3) bekränzt. Nur so kann das Opfer seiner selbst ein hohepriesterlich dargebrachtes und vollgültiges Opfer sein. Betrachtet man die in Hebr 2,10 folgende Vollendungsaussage, ergibt sich ein kongruentes Bild. AuctHebr verbindet dort τελειοῦν mit den Leiden Jesu: Vollendet durch Leiden. Dabei nimmt τελειοῦν die Aussage der Krönung wieder auf, die zum Zweck des Todes geschehen ist (Hebr 2,9) und stellt damit eine sehr enge Verbindung zwischen Tod und Vollendung her. Das führte beispielsweise bei Volker Hampel zu dem Missverständnis, dass AuctHebr durch τελειοῦν den Tod Jesu selbst habe ausdrücken wollen.19 Die Vollendung geschieht, da τελειοῦν 18 Vgl. dazu FUHRMANN, Vergeben, 130: „Jesu Opfer ist der Akt, mit dem sein Hohepriestertum beginnt. Der Hohepriester der christlichen Gemeinde erfüllt somit die formale Bedingung des Opferns.“ JAMIESON, Jesusʼ Death, 64f., möchte Jesu Rolle als Opfer streng von der Rolle des Hohepriesters trennen. Anhalt dafür bietet ihm insbesondere Hebr 9,28 aufgrund der passivischen Formulierung, dass Jesus dargebracht worden sei (ἅπαξ προσενεχθεὶς). Jesus sei erst nach seiner Auferstehung Hohepriester. Jesu Vollendung sei die Qualifikation für dieses Amt (24). Hauptsächlich unter Betrachtung des Jom-Kippur-Rituals habe nach Jamieson das Opfer des Hohepriesters im himmlischen Allerheiligsten nach der Auferstehung stattgefunden (35). Jamieson will dies von der Selbstdarbringung strikt unterscheiden. „Therefore, while Hebrews consistently locates Christ’s high-priestly self-offering in heaven, when it figures Christ as victim here, it says he was offered on the cross“ (64). Auf Erden sei Jesus als makelloses Opfer dargebracht worden. Erst nach der Auferstehung habe er aufgenommen, was dargebracht worden war, und habe es im Himmel Gott dargebracht. Damit sei Hebr 9,28 die einzige Stelle im Hebräerbrief, die die Darbringung auf Jesu Tod beziehe. Dieses Eingeständnis, dass nämlich AuctHebr diesen Bezug wenigstens einmal zweifellos hergestellt hat, darf schon hellhörig machen. Jamieson argumentierte zuvor mit dem semantischen Feld der Wortgruppe προσφέρω/προσφορά. „The verb προσφέρω is not a synonym for slaughter, nor does προσφορά denote that which is slaughtered. Certainly, slaughter is necessary in animal sacrifice, but slaughter is not an act to which προσφορά draws attention“ (17). Freilich muss er hier schon zugestehen, dass „in Hebrews ‚sacrifice‘ includes slaughter but is not reducible to it.“ Jedenfalls will er nicht zuletzt gemäß seiner semantischen Untersuchung Jesu Selbstdarbringung dann alleine auf die Blutapplikation im himmlischen Heiligtum hin verstanden wissen (18). Dass sich nun προσφέρω in Hebr 9,28 doch auf den Tod Jesu, was für ihn ja der Schlachtung entspräche, beziehe, führt er dort auf die bloße „lexical diversity – being offered on the cross, offering himself in heaven“ (65) zurück. Im Himmel opfere Jesus „the outcome of his ‚being offered‘ on earth,“ also das Ergebnis seines Geopfertseins. 19 V OLKER H AMPEL, Menschensohn und historischer Jesus. Ein Rätselwort als Schlüssel zum messianischen Selbstverständnis Jesu, Neukirchen-Vluyn 1990, 121, Anm. 309. Diese Ansicht wird zwar von der berechtigten These gespeist, dass im Lukasevangelium (13,31–
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C. Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
das στεφανόω aufgreift, gemäß Hebr 2,10 nicht im Tod, sondern auf den Tod, auf das Opfer hin. Für Jesus ist diese Vollendung die Kultbefähigung.20 „Gott hat Jesus, den υἱος (Hebr 5,8f.; 7,28), fähig gemacht, priesterlich handelnd vor ihn zu treten, und zwar durch das Leiden (2,10), in dem er Gehorsam bewährte (5,8f.),“21 gerade aber nicht durch den Tod.22 So nimmt also das Partizip 33) durch τελειοῦν der Tod Jesu ausgedrückt werden solle (vgl. a.a.O., 121), kann aber nicht auf den Hebräerbrief übertragen werden. Außer im Lukasevangelium ist an sämtlichen biblischen Belegstellen zweifellos eine andere Bedeutung anzunehmen (vgl. etwa GERHARD DELLING, Art. τέλος etc. ThWNT, 8, 1969, 50–88, insb. 80–85). 20 LOADER, Sohn, 43, betont völlig zu Recht, „daß τελείωσις ein kultischer Begriff ist, der das Nahen zu Gott und besonders im eschatologischen Zusammenhang das Treten vor sein Angesicht in der himmlischen Welt bedeutet. Zugleich aber bezieht sich τελείωσις auf das Schaffen der Vorbedingung dafür. Für eine Deutung von τελείωσις als Priesterweihe haben wir keine Spur gefunden.“ Anders MARTIN DIBELIUS, „Kultus,“ 167: „Also ist mit τελειοῦν offenbar gemeint ‚die erforderlichen kultischen Eigenschaften verleihen,‘ d.h. ‚weihen‘.“ Das zweite, häufig vertretene Verständnis der τελείωσις ist das der sittlichen Vollendung. So etwa zu finden bei ALLEN WIKGREN, „Patterns of Perfection in the Epistle to the Hebrews,“ NTS 6 (1960), 159–167. Vielleicht sind beide Deutungen, die kultische und die ethische, miteinander vereinbar. Die Ausführung über die Kultbefähigung Jesu im Leiden findet möglicherweise ihr Pendant in der pädagogischen Begründung der Forderung an die Gemeinde durchzuhalten (insb. Hebr 12,1–11). In Hebr 12,2 wird das Leiden Jesu beim Namen genannt. Wir sollen den betrachten, der das Kreuz erduldete und so großen Widerspruch von Sündern ertrug, damit wir nicht ermatten. ERICH GRÄßER, Hebräer, 3:238, weist auf die πίστις hin, die er als „standhafte Bewährung“ ins Deutsche überträgt und die zur χαρά führe. Gerade die Tatsache, dass er sich in den Versuchungen bewährt habe, mache ihn zum τελειωτής (Hebr 5,9). Den Menschen aber kann die sittliche Vollkommenheit nicht allein den Zutritt in die Gottespräsenz ermöglichen. Für sie wird das reinigende Opfer Jesu vorausgesetzt. Den dadurch erwirkten reinen und heiligen Zustand muss man aber anschließend durch ein sittliches und frommes Leben aufrechterhalten. Das Sohn-Sein bringt, so Hebr, notwendig die Züchtigung des Vaters mit sich. Diese Züchtigung des Herrn aber schenkt den Anteil an der Heiligkeit (Hebr 12,10: εἰς τὸ μεταλαβεῖν τῆς ἁγιότητος αὐτοῦ) sowie Frieden und Gerechtigkeit (Hebr 12,11: ὕστερον δὲ καρπὸν εἰρηνικὸν τοῖς δι’ αὐτῆς γεγυμνασμένοις ἀποδίδωσιν δικαιοσύνης). Da also Gott grundsätzlich so mit seinen ‚Kindern‘ verfährt, die Kindschaft Gottes gerade in der Züchtigung bestätigt wird, erklärt sich auch die Verwendung des ἔπρεπεν in 2,10. Es ist Gott angemessen Jesus durch Leiden zu vollenden, dieses höchste Leid zeugt damit in den Augen des Verfassers von der nahen Beziehung zwischen Vater und Sohn. 21 D ELLING, „τέλος,“ 84. 22 Vgl. LÖHR, Umkehr, 278, der τελειοῦν als die „Vollendung des Dienenden […], um zu dienen“ versteht. Löhr äußert diesen Gedanken zwar v.a. unter Betrachtung von Hebr 9,9, jedoch liegt meines Erachtens eine solche Bedeutung auch für Hebr 2,10 nahe. Im Zusammenhang mit Hebr 5,9 sieht auch Löhr die Nähe zwischen der Vollendung Jesu und seiner Einsetzung zum Hohepriester, die nach seiner Meinung „vielleicht zeitlich gleich“ (a.a.O., 277) geschehen sind. Anders DAVID PETERSON, Hebrews and Perfection. An Examination of the Concept of Perfection in the ‚Epistle to the Hebrews‘, SNTSMS 47, Cambridge
2. Hebr 8,4 als Argument gegen das irdisch lokalisierte Opfer Jesu
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τελειωθείς in Hebr 5,9 den Gedanken des vorhergehenden Satzes erneut auf. Er ist ‚vollendet‘ heißt damit: Er hat sich jetzt im Gehorsam bewährt und wird darum zum Urheber ewigen Heils, nachdem er von Gott als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks bezeichnet worden ist. In summa: Die Berufung und die Qualifikation Christi zum Hohepriester erfolgt vor dem Opfervorgang im Leiden, nicht erst posthum bei der Erhöhung.23 Eine feierliche Investitur gibt es nicht. Indem er die hohepriesterliche Aufgabe des Opferns übernimmt, ist er auch im Amt. Letztlich wird der Sache gemäß Hans Hübner zuzustimmen sein: „Christus ist der Hohepriester gerade dadurch, dass er sein Blut vergoß, also sein Leben als ‚Opfer‘ gab.“24
2. Hebr 8,4 als Argument gegen das irdisch lokalisierte Opfer Jesu 2. Hebr 8,4 als Argument gegen das irdisch lokalisierte Opfer Jesu
Hebr 8,4 (εἰ μὲν οὖν ἦν ἐπὶ γῆς, οὐδ’ ἂν ἦν ἱερεύς) scheint auf den ersten Blick meiner Ausführung zu widersprechen. Auf diese Stelle berufen sich häufig die Verteidiger des himmlischen Priesterdienstes und des angeblich ebenfalls im Himmel zu lokalisierenden Opfers.25 Die Aussage ist aber konsistent mit der Annahme, dass Jesu Hohepriesteramt aufs Engste mit seinem Opfer verbunden ist. Wo kein Opfer, da kein Priester. Denn in Hebr 8,3 heißt es, dass jeder Hohepriester εἰς τὸ προσφέρειν δῶρά τε καὶ θυσίας eingesetzt werde und dass darum Jesus etwas haben müsse, das er opfern konnte, um Hohepriester zu werden. Sein Opfermaterial ist Leib und Blut. Das kann er aber nur dann opfern, wenn er den Tod erleidet. Nach dem physischen Tod aber, das wurde bereits verdeutlicht, verlässt er die irdische Sphäre. Wenn daher Jesus noch auf Erden wäre, hieße das, dass er sein Opfer nicht dargebracht hätte. Und damit könnte er auch nicht Hohepriester sein. Seine irdische Abwesenheit ist durch das οὖν mit dem Bedarf des Opfermaterials verbunden. Das konfirmative Adverb ist wie etwa in Hebr 9,23 syllogistisch gebraucht26 und man sollte übersetzen: „Er musste etwas haben, das er opfern kann. Daher wäre er, wenn er noch auf Erden wäre, kein Priester.“
1982, der meint, die Vollendung Jesu sei eine geistige Reife („spiritual maturity,“ a.a.O., 185), aber keine moralische. Sie geschehe durch sein Leben im Gehorsam, seinen Opfertod und durch die Erhöhung in den Himmel (a.a.O., 186). 23 Vgl. FUHRMANN, Vergeben, 116. Die Vollendung vollziehe sich „an der Nahtstelle zwischen Todesleiden und Tod.“ 24 H ÜBNER, Theologie, 51. 25 Vgl. G ÄBEL, Kulttheologie, 249; M OFFITT, Atonement, 198f. JAMIESON, Jesusʼ Death, 33. RIBBENS, Sacrifice, 124f. betont demgegenüber, die Erde stehe repräsentativ für das irdische Heiligtum, so wie in Hebr 9,24 οὐρανόν für das himmlische Heiligtum stehe. 26 K.-G. 2/2: 326, §544.
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C. Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
Dieser Kausalzusammenhang ist nur dann sinnvoll, wenn man Tod und Opfer identifiziert. Nach einer kurzen Erklärung zur ersten Kultordnung, kommt AuctHebr in Hebr 8,6 auf Jesus zurück und erwähnt dort den vortrefflichen Dienst, den er empfangen habe, wie er auch Mittler eines besseren Bundes sei. Es folgt anschließend das Zitat aus Jer 38 LXX zum Neuen Bund. Welches Jesu Bundesschlussopfer ist, ist in Hebr 9,15–17 expliziert. Damit bezieht sich folglich die Aussage in Hebr 8,4 auf die uns schon bekannte Problematik der Unanschaulichkeit des Heils. Auch an Hebr 2,9 wurde bereits deutlich, dass die Adressaten damit rangen, dass sie nicht sähen, dass dem Gottessohn alles unterworfen sei. Sie haben stattdessen nur den am Kreuz Erniedrigten gekannt. Danach wurde Jesus ihrer direkten Anschauung entzogen, sie haben den Sohn in seiner Machtstellung nie gesehen (Νῦν δὲ οὔπω ὁρῶμεν αὐτῷ τὰ πάντα ὑποτεταγμένα; Hebr 2,8).27 An seinem Tod wird aber deutlich, dass der Erniedrigte zugleich der Gekrönte ist. So gilt dies auch für Hebr 8. Die Hauptsache sei, dass wir einen Hohepriester hätten, der zur Rechten des Thrones sitze. Das ist eine Aussage des Glaubens und den Menschen nicht unmittelbar ersichtlich. Nun ist aber der Grund dafür, dass Jesus Christus nicht mehr auf Erden ist, nach dem Hebräerbrief die Notwendigkeit seines Opfertodes. Er musste etwas haben, das er opfern konnte. Wäre er nun nicht gestorben, wäre er noch auf Erden, aber er wäre kein Priester, denn eben das im Tod dargebrachte Opfer hat ihn erst zum himmlischen Priester gemacht. Und so kann man an seinem Tod, an seinem Opfertod, den Priester erkennen, so wie man am erniedrigenden Tod den Gekrönten erkannte. Die hohepriesterliche Opferhandlung vollzog er noch irdisch, um durch das Opfer gänzlich in die himmlische Sphäre überzugehen, das heißt, den Vorhang seines Fleisches zu durchschreiten.
3. Der Bezug des irdischen Opfers zum himmlischen Heiligtum 3. Der Bezug des irdischen Opfers zum himmlischen Heiligtum
Bei den kulttheologischen Ausführungen handelt es sich für den AuctHebr sicherlich nicht um eine metaphorische Redeweise, sondern sie sind die Beschreibung einer höheren Realität.28 So ist das himmlische Heiligtum eben nicht nur eine von mehreren Möglichkeiten, die AuctHebr nutzt, um seine Jenseitsvorstellung zu schildern.29 Himmel und Heiligtum sind identisch und das 27 Die Unsichtbarkeit Jesu lässt sich auch aus Hebr 9,27f. her ableiten. Wie die Menschen einmal gestorben sind, so ist auch Jesus geopfert worden. Anschließend ist er für sie nicht mehr sichtbar und zwar bis zu seiner zweiten Erscheinung (ἐκ δευτέρου […] ὀφθήσεται; Hebr 9,28). 28 Vgl. R IBBENS, Sacrifice, 129: „The heavenly sanctuary is a created reality (ἔπεξεν ὁ κύριος; 8:2) with spatial and temporal existence.“ 29 H ERMUT LÖHR, Umkehr, 270, gibt hinsichtlich der Verben εἰς- und προσέρχεσθαι zu bedenken, dass mit ihnen verschiedene Bilder verbunden würden: Das Eingehen in die κατά-
3. Der Bezug des irdischen Opfers zum himmlischen Heiligtum
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Eintreten in diesen heiligen Bereich der Gottesnähe muss durch das weihende und reinigende Opfer Jesu vorbereitet sein. Es handelt sich um eine Realität, die wir einst geistig wahrnehmen und gewissermaßen zu spüren bekommen werden. „Auch das Warten auf ein zeitliches Voraus mündet für ihn letztlich ein in das Ja zur irdischen Unsichtbarkeit des Himmlischen.“30 Im ersten Teil der Arbeit wurde ausgehend von einer textimmanenten Analyse herausgearbeitet, dass AuctHebr den Gottessohn als unsterblich versteht. Dies aber nicht in jeder Hinsicht. Es gibt für ihn auch den irdischen Jesus, der genau wie alle Menschen Anteil an Fleisch und Blut hatte, der also geboren wurde und gestorben ist. Aber ebenfalls hatte Jesus – wie alle Menschen – ein πνεῦμα, dessen Vater Gott selbst ist. Dieses wiederum kennt, wie bei Melchisedek, weder Anfang noch Ende. Es ist ewig und unzerstörbar. Dieses πνεῦμα wurde – gewissermaßen als Träger der Persönlichkeit Jesu – in den Erdkreis eingeführt und hat an Fleisch und Blut Anteil erhalten, um in die irdisch-menschliche Existenz einzutreten und so den Brüdern gleich zu werden. Im fleischlichen Gewand erfährt, fühlt und erleidet Jesus alles, was man als Mensch erleiden muss. Er ist aufgrund der göttlichen Herkunft über die irdischen Schmerzen und Unbilden nicht erhaben, sonst müssten es alle Menschen sein, die doch ebenfalls Gott zum geistigen Vater haben. Im Gegenteil gilt für AuctHebr: Je enger die Beziehung zum göttlichen Vater, desto größer ist auch die Züchtigung und damit das Leid im Leben. Die Sohnschaft bringt also grundsätzlich allen Leben (Hebr 12,9) und Leid (Hebr 12,11). Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Abgesehen davon, dass Jesus Christus erwählt ist, weil und indem er Abglanz des Wesens Gottes ist, unterscheidet ihn unter irdischen Bedingungen nichts von den anderen Menschen. Aber sein Glaube und seine Treue waren so groß, dass er den Sündern Widerstand leistete und keinen Anteil an der Sünde hatte (Hebr 7,26). Dadurch ist er der erste, der eo ipso kultbefähigt ist, ohne für sich selbst ein Opfer bringen zu müssen (Hebr 7,27). Und dadurch ist er auch der erste und einzige, der es vollbracht hat, eine perfekte Opfergabe zu finden, die es vermag, die Sünde tatsächlich wegzunehmen und wahre Reinigung zu bewirken. Die andere Seite der Medaille ist: Zur Errettung der Menschheit bedurfte es eines Menschen, denn nur ein Mensch kann Menschen vor Gott vertreten. Daher tritt Jesus Christus sein Hohepriesteramt als einer an, der wie alle Hohepriester „von Menschen genommen“ (Hebr 5,1) ist. παυσις (Kap. 3f.) im Zusammenhang mit dem Bild der Wüstenwanderung; den Eingang ins himmlische Heiligtum oder das Hinzutreten zu ihm; das Hinzutreten zum Berg Zion, zur himmlischen Stadt (zum himmlischen Jerusalem), zur Festversammlung im zwölften Kapitel. 30 H ERBERT B RAUN, „Die Gewinnung der Gewißheit in dem Hebräerbrief,“ ThLZ 96 (1971), 321–330: 329.
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C. Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
Gott verheißt einen neuen Bund, der alle Sünden vergessen macht. Aber wie es auch beim Bundesschluss am Sinai nötig war, dass die Menschen sich selbst des Bundes verpflichteten und das Heiligtum, die Satzung und nicht zuletzt auch sich selbst zu weihen, so ist dies auch für den neuen Bund obligatorisch. Es bedurfte also eines würdigen neuen μεσίτης, der wie sein Vorgänger Mose die Weihe- und Reinigungsriten zu vollziehen hatte und damit den von Gott befohlenen Bund so in Kraft setzte, wie es Gottes Wille gewesen ist. Dies sollte aber nun alles unter besseren Vorzeichen geschehen. Während Mose am Nachbau des himmlischen Heiligtums wirkte, die Opfer nur fleischlich reinigten und nur für eine begrenzte Zeit wirkten, ist gemäß der jeremianischen Verheißung nun das Herz selbst als dem Sitz der Person, des Verstandes, des Geistes zu reinigen und kultfähig zu machen. Dazu bedarf es also eines besseren Opfers, eines Opfers, das zum himmlischen Heiligtum gehört, wie auch das zu reinigende πνεῦμα himmlischer Qualität ist.
4. Wie und wo wird das qualitativ himmlische Opfer vollzogen? 4. Wie und wo wird das qualitativ himmlische Opfer vollzogen?
Christus wird hinsichtlich seines Priesteramtes nach melchisedekischer Ordnung als unvergänglich, lebendig und ewig bezeichnet. Bei seinem physischen Tod stirbt sein πνεῦμα nicht, sondern er bringt sich selbst gerade kraft des ewigen πνεῦμα dar. Das πνεῦμα, das zu den ἐπουράνια gehört, schafft dabei die Beziehung zum himmlischen Heiligtum. Physisch befindet sich Jesus auf Erden, der Geist betritt im Opfer das Heiligtum.31 Als Opfermaterial benennt AuctHebr unmissverständlich Jesu Blut und Leib. Beides ist nach seiner Vorstellung an das Irdische gebunden und gehört der irdisch-menschlichen Existenzweise an (Hebr 2,14). Dabei zwischen σάρξ und σῶμα einen Unterschied machen zu wollen, erscheint mir künstlich. AuctHebr greift im zehnten Kapitel den σῶμα-Begriff auf, weil er im Abendmahl vorgeprägt ist. Er hätte aber ansonsten durchaus auch vom Fleisch reden So etwa zu lesen bei Philon, Her. 82. Ein vollkommener Hohepriester (τέλειος ἀρχιερεύς), der sich im Heiligtum aufhält, befindet sich dennoch zugleich auch außerhalb. In Bezug auf den sichtbaren Körper ist er drinnen (ἔνδον μὲν τῷ φανερῷ σώματι), die Seele (ψυχή) aber zieht draußen umher. Ein θεοφιλής und φιλόθεος, der nicht von priesterlicher Abstammung sei, stehe zwar außerhalb des Heiligtums, sei aber dennoch in Wahrheit in dessen innersten Teilen (ἐσωτάτω). Sein Körper sei in einem fremden Land, aber da er einzig in der Seele leben könne, wisse er sich in seiner Heimat. In diesem kurzen Abschnitt sind viele Gemeinsamkeiten mit dem Hebräerbrief zu erkennen. Philon spricht vom vollkommenen Hohepriester, benennt den Dualismus einer sichtbaren und unsichtbaren Welt, hat mit dem Hebräerbrief das Thema des Eingangs ins Heiligtum gemein und berichtet schließlich von einem Menschen, der sich trotz fehlender priesterlicher Abstammung geistig im Heiligtum befindet. Und zudem kommt das Motiv der Fremdlingschaft in der Welt vor. 31
4. Wie und wo wird das qualitativ himmlische Opfer vollzogen?
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können.32 Christus opfert als πνεῦμα unter ehrlicher Qual den irdischen Anteil seiner Person. Dass die Darbringung, die wesentlich zum himmlischen Heiligtum gehören sollte, irdischer Natur ist, stellt für diese Interpretation kein Hindernis dar. Es geht schließlich nicht darum, dass man Gott etwas schenkt, das für ihn wertvoll ist. Das Opfer erhält seinen Wert aufgrund der Gesinnung des Opfernden. AuctHebr stellt das im Zusammenhang mit Abels Opfer klar heraus. Dessen innere Haltung, dessen Glaube also, ist das entscheidende Kriterium, das sein Opfer besser als das seines Bruders sein lässt. Und so wird Abel bezeugt, dass er gerecht sei (Hebr 11,4). Die Frage nach der Opfermaterie wird nicht gestellt. Ähnliches ist bei Philon zu lesen: εἰ μὲν γὰρ ἀγνώμων καὶ ἄδικος, ἄθυτοι θυσίαι καὶ ἀνίεροι ἱερουργίαι καὶ εὐχαὶ παλίμφημοι παντελῆ φθορὰν ἐνδεχόμεναι· καὶ γὰρ ὁπότε γίνεσθαι δοκοῦσιν, οὐ λύσιν ἁμαρτημάτων, ἀλλ’ ὑπόμνησιν ἐργάζονται· (108) εἰ δ’ ὅσιος καὶ δίκαιος, μένει βέβαιος ἡ θυσία, κἂν τὰ κρέα δαπανηθῇ, μᾶλλον δὲ καὶ εἰ τὸ παράπαν μηδὲν προσάγοιτο ἱερεῖον· ἡ γὰρ ἀληθὴς ἱερουργία τίς ἂν εἴη πλὴν ψυχῆς θεοφιλοῦς εὐσέβεια; ἧς τὸ εὐχάριστον ἀθανατίζεται καὶ ἀνάγραπτον στηλιτεύεται παρὰ θεῷ συνδιαιωνίζον ἡλίῳ καὶ σελήνῃ καὶ τῷ παντὶ κόσμῳ.33 Denn wenn ein Irrender und Ungerechter opfert, sind die Opfer ungeopfert und unheilig, die heiligen Handlungen und Gebete sind widersprüchlich und lassen (seine) völlige Vernichtung zu. Denn auch wenn sie zu geschehen scheinen, bewirken sie keine Erlösung von den Sünden, sondern nur die Erinnerung daran. Wenn aber ein Frommer und Gerechter opfert, bleibt sein Opfer in Kraft, auch wenn das Fleisch verzehrt ist, mehr noch, auch wenn er gar kein Opfer darbringt. Denn welche wahrhaft heilige Handlung gibt es jemals, wenn nicht die Gottesfurcht einer gottliebenden Seele? Ihre Dankbarkeit wird unsterblich sein und ist aufgeschrieben bei Gott und bleibt ewig zusammen mit Sonne und Mond und der ganzen Welt.
Die Haltung, die hinter einem kultischen Vollzug steht, konnte also zur Zeit des Hebräerbriefes die entscheidende Komponente des Rituals sein. Man darf daher nicht meinen, dass eine irdisch-vergängliche Opfergabe, wie es Blut und Leib sind, der Reinigung und Weihe der himmlischen Dinge nicht gewachsen seien oder dass man sogar die gesamte Opferdarbringung Jesu transzendieren
32 Vgl. Joh 6,51: Diese Stelle wird gewöhnlich als eine Abendmahlsüberlieferung aufgefasst (s. ZUMSTEIN, Johannesevangelium, 269f., insb. Fn 137 und 139), auch wenn von σάρξ die Rede ist (καὶ ὁ ἄρτος δὲ ὃν ἐγὼ δώσω ἡ σάρξ μού ἐστιν ὑπὲρ τῆς τοῦ κόσμου ζωῆς); JOACHIM JEREMIAS, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil. Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 1971, 276, Fn 57, vermutet „hinter σῶμα (Mk 14,22 par: 1Kor 11,24) ein baśar/bisra“ aufgrund der „Übersetzungsvariante σάρξ (Joh 6,51c ff.: Ignatius, Smyrn. 7,1; Röm 7,3; Philad. 4,1; Trall 8,1; Justin, Apol. I 66,2).“ 33 Philon, Mos. 2,107f.
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C. Irdisches Opfer in himmlischem Heiligtum
oder spiritualisieren müsste.34 AuctHebr denkt in alttestamentlichen Opferkategorien. Und entsprechend konnte Jesus das bestmögliche Opfer darbringen, denn bei seiner Amtsausübung ist beides makellos, Opfernder und Opfer.35 Christus war treu (Hebr 2,17; 3,2.6), blieb sündlos (Hebr 4,15), er hat den Gehorsam gelernt (Hebr 5,8), war heilig, unschuldig, unbefleckt und von den Sündern geschieden (Hebr 7,26), makellos (Hebr 9,14) er hat den Willen des Vaters erfüllt (Hebr 10,7.10). Und so konnten die vielen und zu wiederholenden Opfer, die Gott nicht gefielen (Hebr 10,8), durch das eine perfekte Opfer (Hebr 10,10) ersetzt werden.36
34 Vgl. STEPHEN FINLAN, „Spiritualization of Sacrifice in Paul and Hebrews,“ in Christian A. Eberhart, Ritual and Metaphor. Sacrifice in the Bible, RBS 68, Atlanta 2011, 96: „This is why it is so unconvincing to claim that Hebrews overthrows sacrificial thinking. It is more accurate to say that the author plants seeds of thought that do lead logically to concepts of God as nonsacrificial, nonviolent, and nonretributive, but that the author himself was unable to stay with those ideas, reverting instead to sacrificial and retaliatory notions.“ Dem ist soweit zuzustimmen, allerdings darf man im Hebräerbrief nicht von „retaliatory notions“ sprechen, da es ihm um die notwendige Reinigung und Heiligung geht, derer es beim Eintritt in die Gottespräsenz bedarf, um nicht zu sterben. Die Heiligung, nicht eigentlich das Opfer, ist Gottes Wille. Und man kann es auch mit CHRISTIAN A. EBERHART/DONALD SCHWEITZER, „The Unique Sacrifice of Christ According to Hebrews 9. A Study in Theological Creativity,“ Religions 10/47 (2019) (https://doi.org/10.3390/rel10010047), 1– 14: 12 ins Positive wenden: „Yet ultimately it is a humanizing discourse. It employs a barbaric concept, human sacrifice, but uses it to show how Jesusʼ death and ascension have ended the need for ritual sacrifices of any kind.“ 35 Zur Makellosigkeit von Opferndem und Opfer vgl. etwa Philon, Spec. 1,191.283. 36 LOADER, „Revisiting,“ 264: „It is also implicit in the contrast between the sacrifice of animals and Christ’s sacrifice where the contrast is based not on the superiority of humans over animals, making a human sacrifice more potent or effective, a shocking notion, but on the difference between unblemished animals and a morally unblemished life. Both may be ritually unblemished, but the salient difference, namely moral unblemishedness, is what made Christ’s death much more than a preparatory event like the killing of the animals. For it is what achieved atonement. This, too, reflects a Gewichtsverlagerung in relation to the understanding of the initial sacrifice.“
D.
Ergebnisse
Im Hebräerbrief stehen sich die Erwähnungen des (Kreuzes-)Todes Jesu und die Ausführungen zu Jesu Unvergänglichkeit diametral gegenüber. Die Behauptung des Todes Jesu scheint seine Unvergänglichkeit auszuschließen und seine Unvergänglichkeit scheint umgekehrt seinen Tod auszuschließen. Dennoch wird beides vom Verfasser des Traktats vorausgesetzt. Durch die ontologische Untersuchung zu Beginn konnte gezeigt werden, dass für den Verfasser zwei Konzepte des Lebens nebeneinander existieren. Es gibt einerseits das physische Leben, das sich innerhalb der Grenzen von Geburt und Tod ereignet, andererseits gibt es ein Leben geistiger Qualität, das diese Grenzen überschreiten kann. Jesu πνεῦμα ist ewig. Auch das seiner menschlichen Geschwister hat das Potential den Tod zu überdauern, denn alle Menschen sind himmlischer Abkunft. Bloß hatte der Gottessohn Begabung und Willen, seinen Geist rein zu erhalten. Jesus war und blieb gerecht. Das war ein Charakterzug des Sohnes von Beginn an (vgl. Hebr 1,9). Damit steht die Anschauung des Hebräerbriefes einem Konzept nahe, das sich ganz ähnlich für die Weisheit Salomos nachweisen lässt. Dort ist deutlich, „dass das diesseitige Leben sowohl für Gerechte als auch für Gottlose mit dem Sterben endet, dem jeder unterworfen ist. Für die Gottlosen ist das Sterben der Anfang ihres Endes überhaupt. Sie erfahren den Tod in ihrer ganzen Konsequenz, werden zunichte gemacht und bleiben ewig tot (Sap 4,19).“1 Jedoch war der Tod eigentlich von Gott nicht intendiert. Denn jede seiner Schöpfungen ist zuallererst heilbringend und führt zum Guten. „Allerdings ist für den Menschen die Voraussetzung dafür, Teil dieser heilsamen Schöpfungen zu sein, die Tatsache, dass er die Gerechtigkeit liebt.“2 Das wird im Hebräerbrief auch von Jesus bezeugt (Hebr 1,9: ἠγάπησας δικαιοσύνην). Der Geist Jesu ist damit unvergänglich und unsterblich, δικαιοσύνη γὰρ ἀθάνατός ἐστιν.3 Blut und Fleisch hingegen gehören zum materiellen, sichtbaren und damit vergänglichen Teil der Schöpfung und werden vom πνεῦμα bloß bewohnt. Der Tod Jesu am Kreuz wird damit als rein leiblicher Tod dargestellt. Dennoch wird bereits bei genauer Betrachtung des zweiten Kapitels des Hebräerbriefes ersichtlich, dass dieser bloß leibliche Tod Jesu mit einer BLISCHKE, „Zeit,“ 200. BLISCHKE, „Zeit,“ 200. 3 In Worten aus SapSal 1,15.
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soteriologischen Bedeutung belegt wird. Am deutlichsten ist das beim Bild der Teufelsentmachtung im zweiten Kapitel. Er geschieht allen zugute (ὑπὲρ παντός; Hebr 2,9). Das Heil oder, um im Bild zu bleiben, die Befreiung aus der Knechtschaft wird ausdrücklich durch seinen Tod (διὰ τοῦ θανάτου; Hebr 14) bewirkt. Dieses Todesverständnis wird am Ende des zweiten Kapitels in die Hohepriesterchristologie überführt. Mit keinem einzigen Wort zieht der Verfasser eine Grenze zwischen vorausgehendem Kontext und anschließender Hohepriesterchristologie, ganz im Gegenteil: Durch parallele syntaktische Strukturen und inhaltliche Entsprechungen verknüpft er beides aufs Engste. Es ist mithilfe einer gründlichen Analyse der Verse möglich nachzuweisen, dass für ihn Tod und Opferdarbringung Jesu in eins fallen. Auch für das Hohepriesterthema ist damit die Basis des heilsrelevanten Todes Jesu hier bereits grundgelegt. Mit William Loader darf man den Zugang in die Gottespräsenz, der durch Jesu Heilshandeln eröffnet worden ist, als roten Faden der ganzen Schrift verstehen: „The theme of access in cultic terms meets us, of course, already in the letter’s important opening statement about the Son’s achievement. He made purification for sins. The language of purification belongs to the language of access to holy space. The common theme behind both 1,3, purification, and 2,14–15, disempowering the controller of death, is access.“4 Die Analysen der wesentlichen Stellen innerhalb der Ausführungen der Hohepriesterchristologie führen zu dem gleichen Ergebnis. AuctHebr bewegt sich zwar weitgehend in einem anderen semantischen Feld und redet nie ausdrücklich vom Tod Jesu als Opfer, jedoch durchbricht er gerade an entscheidenden Stellen (bspw. 9,15f.; 9,27f.) die Kultsprache, um dem Leser zu verdeutlichen, dass immer noch der Tod Jesu als Axiom der gesamten Argumentation betrachtet werden muss. Sieht man dann die Inkraftsetzung der neuen διαθήκη und die Herrenmahlsworte als den Hintergrund an, vor dem die Begrifflichkeiten „Blut,“ „Leib,“ „Tod“ und „Opfer seiner selbst“ betrachtet werden, so ist der recht unbeschwerte Wechsel der Termini leicht einsehbar. Wenn im zweiten Kapitel das Heilsgeschehen vom irdischen Jesus aus durchleuchtet wird, redet AuctHebr vom Tod als dem soteriologischen Mittel. Wenn er dann im neunten Kapitel Jom Kippur und Blutsprengung Moses zur Bundesstiftung in seine Überlegungen einflicht, lässt er sich auch auf deren Begrifflichkeiten ein und kann den Tod Jesu aus der Perspektive des himmlischen Heiligtums im Blut konnotiert finden. Basierend auf einer Tradition des Kelchwortes interpretiert er den Tod Jesu über den Begriff des Blutes als Reinigungsopfer, das von den Sünden befreit, und als Weiheopfer, das die neue διαθήκη in Kraft setzt und Volk wie Heiligtum kultfähig macht. 4
LOADER, „Revisiting,“ 256.
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Die gleiche Funktion hat die Darbringung des Leibes, die AuctHebr unter Aufnahme von Ps 39 LXX einbringt. Auch sie geschieht, wie die Blutdarbringung, zur Heiligung. Dabei erfolgt mehrfach die Rückbindung der Opferbegrifflichkeiten an Jesu Tod (Hebr 9,15f.; 9,27 und 12,2; und mittelbar in Hebr 5,7; 6,6). Mit Ulrich Luck bleibt festzuhalten: „Der Leidensweg Jesu ist der Mittelgrund aller Ausführungen. In dieses Leiden und Sterben ist die ganze himmlische Welt hineingezogen.“5 Damit unterscheidet sich der Hebräerbrief hinsichtlich seiner Aufgabe nicht von den Evangelisten. So betont Karl-Heinrich Ostmeyer: „Es geht ihnen [sc. den kanonischen Evangelien wie dem Hebräerbrief] um die Darstellung Jesu Christi als dem, der die menschliche Existenz in der Zeit mit dem Heil der himmlischen Welt verbindet.“6 Entsprechend kann er den Hebräerbrief als „Evangelium von Ewigkeit“ bezeichnen. Die entscheidende Erkenntnis ist, dass AuctHebr das Opfer Jesu im gesamten Traktat niemals vergeistigt. Christus nimmt an Fleisch und Blut Anteil. Und er opfert – völlig unmetaphorisch7 – Leib und Blut.8 Die himmlische Daseinsform ist dagegen eine rein geistige.9 Was und wer immer im Himmel ist, ist πνεῦμα. Das Opfer Jesu kann daher nur irdisch gedacht sein. Das ist möglich, weil seine himmlische Daseinsform als πνεῦμα mit dem Eintritt in irdische Gefilde nicht endet, sondern bloß am Materiellen teilhat. Beide Sphären, himmlische und irdische, überlagern sich gewissermaßen. So hat jeder Sohn zugleich zwei Väter, den Vater des Fleisches und den des Geistes. Innerhalb der irdischen Grenzen kann Jesus entsprechend pneumatisch handeln. Seine Darbringung, die sich auf das himmlische Heiligtum bezieht, kann sich auf diesem Wege ins Irdische erstrecken, denn pneumatisch ist der Sohn beständig Priester im himmlischen Heiligtum und vollzieht seinen Opfertod in dieser Hinsicht himmlisch. Christus musste etwas haben, das er opfern konnte. Blut und Leib sind nach dem Hebräerbrief unmissverständlich die ‚Opfermaterialien‘ und zwar orientiert am historischen Jesus, der in den Abendmahlsworten Anlass für eine solche Deutung gegeben hat. Ansatzpunkt für die Konzeption des Hebräerbriefes ist jene Kernfrage, die die Urgemeinde seit frühester Zeit umtrieb, nämlich die LUCK, „Himmlisches,“ 214. KARL-HEINRICH OSTMEYER, „Der Hebräerbrief – Evangelium von Ewigkeit,“ ZNT 29 (2012), 25–34: 32. 7 So richtig R IBBENS, Sacrifice, 135f. 8 G ERT JACOBUS STEYN, „‚Jesus Sayings‘ in Hebrews,“ ETL 77/4 (2001), 433–440: 433: „sacrificing his incarnated body as High Priest.“ 9 Gegen R IBBENS, Sacrifice, 129, Fn 211, der zur Materialität der himmlischen Schöpfung Stellung bezieht. 5
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Frage nach dem Sinn des Todes Jesu. Dazu gehörte immer die „Suche nach Verständnishilfen in den Schriften.“10 Christus hatte aufgrund seines unzerstörbaren Lebens, das für den besseren priesterlichen Dienst die Voraussetzung darstellt, die Möglichkeit, in seinem Tod sein makelloses Opfer vor Gott zu bringen, indem er als πνεῦμα auch im Leiden und Sterben Agens blieb und so sein Opfer in pneumatisch-unsichtbarer Sphäre am und im himmlischen Heiligtum darbrachte. Im Opfertod ereignet sich das eine und vollgültige Heilsgeschehen. Es gibt für ihn keine Zueignung oder gar eine eigene Darbringung im Himmel. Es gibt nur die einzige,11 einmalige12 und endgültige13 Darbringung Jesu, die jedes weitere Opfer überflüssig werden lässt.14 Immer wieder betont AuctHebr das durch sein emphatisches ἅπαξ15 und ἐφάπαξ.16 Der kultische Dienst des himmlischen Hohepriesters ereignet sich auf Erden am Kreuz und zugleich in pneumatischer Sphäre an Gottes eigenem Heiligtum.
10 JÖRG FREY, „Die kultische Deutung des Todes Jesu,“ in Michael Hüttenhoff/Wolfgang Kraus/Karlo Meyer (Hg.),‚… mein Blut für Euch.‘ Theologische Perspektiven zum Verständnis des Todes Jesu heute, Biblisch-theologische Schwerpunkte 38, Göttingen 2018, 97–117: 97. Vgl. auch LOADER, „Revisiting,“ 252: „[…] we see his understanding of Jesusʼ salvific significance on the cross as his starting point which then governs his particularly selective and creative use of Atonement Day typology.“ 11 Hebr 10,12: οὗτος δὲ μίαν ὑπὲρ ἁμαρτιῶν προσενέγκας θυσίαν εἰς τὸ διηνεκὲς ἐκάθισεν ἐν δεξιᾷ τοῦ θεοῦ. 12 Hebr 9,28: ὁ Χριστὸς ἅπαξ προσενεχθεὶς εἰς τὸ πολλῶν ἀνενεγκεῖν ἁμαρτίας. 13 Hebr 10,10: ἡγιασμένοι ἐσμὲν διὰ τῆς προσφορᾶς τοῦ σώματος Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐφάπαξ. 14 Hebr 10,18: ὅπου δὲ ἄφεσις τούτων, οὐκέτι προσφορὰ περὶ ἁμαρτίας. 15 Hebr 9,26; 9,28. 16 Hebr 7,27; 9,12; 10,10.
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Autorenregister Allen, David M. 48, 57 Attridge, Harold W. 25, 52, 124 Baarlink, Heinrich 114 Backhaus, Knut 36, 39, 106 138, 170, 188, 194, 239 Barber, Michael Patrick 213f., 221 Bertram, Georg 18, 75 Bertrams, Hermann 63 Bleek, Friedrich 71 Braun, Herbert 42, 90–92, 125, 153, 210 Büchsel, Friedrich D. 54 Bultmann, Rudolf 62 Burnet, Régis 235 Calaway, Jared C. 249 Davidson, Richard M. 79 Delitzsch, Franz 11, 123, 190 Dibelius, Martin 46 Dunn, James D.G. 60, 67 Eberhart, Christian A. 120, 169f. Ebrard, Johann Heinrich August 69 Eisele, Wilfried 13, 72 Emmrich, Martin 53, 55, 143 Ernst, Michael, 201f. Feld, Helmut 223 Feldmeier, Reinhard 51 Filtvedt, Ole Jakob 97 Finlan, Stephen 264 Fuhrmann, Sebastian 126, 173 Gäbel, Georg 78, 84, 92f., 110, 123f., 162, 168, 193, 208f., 217, 231 Gelardini, Gabriella 71, 73 Goppelt, Leonhard 227
Gräßer, Erich 44, 123, 140, 144, 147, 195, 213, 224, 240, 245, 247 Graupner, Axel 215 Green, Douglas 102 Hahn, Scott W. 12, 177–179 Hampel, Volker 257 Hegermann, Harald 54, 72, 170, 216, 231 Hofius, Otfried 158 Hofmann, Johann Christian Konrad von 71, 105, 116 Hollmann, Georg 71 Holtz, Gudrun 204, 223 Hübner, Hans 259 Hughes, John J. 12, 174–176 Hunzinger, Claus-Hunno 207 Isaacs, Marie E. 117 Jamieson, R.B. 82–87, 120, 162, 179– 182, 253f., 257 Jones, Edmund D. 247 Karrer, Martin 19, 53, 56, 71, 110. 117, 123, 160, 166, 173, 221 Käsemann, Ernst 57f. Kibbe, Michael 21 Kim, Young Kyu 95 Kögel, Julius 115 Kraus, Wolfgang 80, 85f., 177, 187f., 197, 217, 235, 246 Kurtz, Johann Heinrich 70 Laub, Franz 19, 26f., 78, 88f., 104, 107. 112, 124, 253 Lehmeier, Karin 207 Levison, Jack 54 Lierman, John 186
288
Autorenregister
Lindars, Barnabas 202 Loader, William R.G. 104, 229, 258, 266 Löhr, Hermut 2, 21 Luck, Ulrich 267 Mason, Eric F. 57f. McCullough, J.C. 210 Michaelis, Wilhelm 226 Michel, Otto 116, 148, 196 Mitchell, R.A. 105 Moffitt, David M. 19, 25f., 46, 78f., 192f., 195 Müller, Ulrich B. 31
Schlund, Christine 49, 217 Schmithals, Walter 240f. Schnackenburg, Rudolf 23 Schröter, Jens 211 Schunack, Gerd 36, 127, 139 Seeberg, Alfred 70 Soden, Hermann von 129, 144 Söllner, Peter 46 Steyn, Gerd Jacobus 95f. Strobel, August 43, 92, 228 Swetnam, James 117, 184 Thompson, James W. 154 Thurén, Jukka 35
Nelson, Richard D. 233 Niederwimmer, Kurt 250
Ulrichsen, Jarl Henning 30 Ungeheuer, Joseph 122, 137
Ostmeyer, Karl-Heinrich 267
Vollenweider, Samuel 30, 50
Peeler, Amy L. B. 27, 31f. Peters, Norbert 61 Prinsloo, G.T.M. 101
Walter, Nikolaus 24, 256 Wedderburn, Alexander 15, 241, 246 Wehnert, Jürgen 141 Wellhausen, Julius 113 Wenkel, David H. 172 Wildberger, Jula 45 Williams, Clarence Russell 241 Windisch, Hans 36, 53, 56, 77 Winter, Aloysius 4, 56, 228
Rascher, Angela 168, 233f. Ribbens, Benjamin J. 79–82, 163, 198 Riggenbach, Eduard 69, 77, 166, 193 Rissi, Mathias 255 Roloff, Jürgen 3, 115, 119, 132, 136– 138, 254 Rose, Christian 51 Rothschild, Clare K 246 Rüsen-Weinhold, Ulrich 93 Schenker, Adrian 202 Schierse, Franz Joseph 19, 73
Yaroš, Karl 95 Zimmer, Friedrich 95f.
Stellenregister Altes Testament Genesis 2,7 6,3 6,17 7,15 9,6 14,18 22,1 22,12f. 35,18 Exodus 12,43–45 15,7 19,10.22 20,19f. 22,16 24 24,3–8 24,6 24,8 24,10f. 29,12 29,21 32,14 35,31.33f 207 38,13 LXX 38,27 LXX 40 187 40,9f. 40,9 Leviticus 4,7–9 4,20 5,11–13 6,20
64 64 64 64 181 219 137 23 61 190 98 242 244 223 187, 189, 202f., 216f., 222, 238 149 186, 206f. 171, 191, 203–206, 208, 210–213, 223, 239 186 218 207f. 133 140 208 208 205, 210, 216 218 221 217 207
8,5 8,11 8,15 9,9 10,1–3 14,4–6 14,7 14,51 16 16,1 16,14 17,11 23,42f. 25,29.48 26,1–39 26,46
205 216 216, 218 218 186 80 209 209 80, 163, 239 187 209 86, 181 92 195 99 185
Numeri 4,9 140 7,11 8,2 14,21–23 15,11–13 16,22 17,5 18,16 19,4 19,9 19,13 19,18–21 19,20f. 35,33
216 140 91 221 49 186 195 209 208 208f. 209 208 181
Deuteronomium 4,10.23f. 7,8 15,8 21,17 27,15
244 10 223 32 98
290 Richter 1,15 13,8.23
Stellenregister
195 140
1. Samuel (1. Königtümer) 29,10 140 2. Samuel (2. Königtümer) 7,14 27 1. Könige (3. Königtümer) 2,24 36 8,63 150 18,28 218 19,17 10 2. Könige (4. Königtümer) 5,18 133 9,33 207 11,17 190 12,3 140 17,27f. 140 23,4 189 24,4 133 1. Chronik 26,26
32
2. Chronik 6,30 7,5 14,4 15,8 29,3–7.10 34,30f.
133 150 99 150 189 189
Esra 3,63 9,8 10,3
140 140 189f.
Nehemia 7,65 9,12 10,1
140 140 189f.
Esther 6,10 13,17
145 133
1. Makkabäer 4,36.54 5,1.57
150 150
2. Makkabäer 14,18
165
4. Makkabäer 10,10 17,22
33 165
Psalmen (LXX-Zählung) 2,7 27, 34 8 74, 93, 113, 120, 128 8,5–7 108, 114 8,5 94, 106 8,6f. 101, 104 8,6 121 8,7a 96–101, 121, 127 12,4 140 17,29 140 18,9 140 21,16 7 21,23 44 22,2 113 24,11 133 30,6 65f. 31,6 113 33,6 140 34,9 226 39 233–235, 239, 267 39,7–9 230 39,7 43 48,9 195 49,5 190 50,9 207, 209 50,12 62 50,19 61 64,4 133 72(73),24 37 75,5 140 77,7 61 78,9 133, 135 77,38 133 101,26–28 16 101,26 97 102,12 223 103,3f. 44 103(104),39 140 109 4, 77, 93 109,1 34, 159, 239 109,4 20, 34, 52, 239 110,9 191, 195 118,130 140 129,7 195 137(138),12 140
291
Stellenregister 145(146),4
61
Oden 9,68
195
Proverbien 3,11f. 4,18 9,2f. 12,28
28, 34 140 206 45
Kohelet 8,1 12,7 Hiob 33,24.28
140 64
43,9 43,30 45,14 45,17 46,20 50,7
140 223 256 140 61 140
Hosea 10,12
140
Micha 7,8
140
Habakuk 1,12 2,4
25 22, 35
Haggai 2,6
241
Jesaja 2,18 10,11 16,2 16,12 19,1 21,9 31,7 26,9 42,5 46,6 49,8 53 60,1.19 63,4 63,11 64,18
99 99 100 99 99 99 99 73 64 99 136 86, 178, 238 140 195 15 100
10
Sapientia Salomonis 1,15f. 45 2,24 201 3,1–3 45 3,2 60, 66 3,8 45 4,16 45 5,5 50 5,15 45 6,4f.8f. 145 6,19 45 8,20 43 9,8 100 9,15f. 43 12,2 145 15,11 72 16,13f. 61 16,14 66 18,9 190 Jesus Sirach (nach Zieglers Zählung) 3,3.30 134, 231 4,11 126 5,6 134 14,17 39 20,28 134 24,32 140 27,15 218 28,5 134 31,14 48, 61 31,17 61 31,20 140 31,23 134 38,23 61, 66 42,16 140
Jeremia 16,14f. 38 LXX 38,31.33 LXX 37,19 38,31–34 LXX
36 81, 149, 189, 191, 202, 208, 232f., 238, 260 171 105 183, 214f., 236
Baruch 1,12 3,1 3,4
140 62, 72 200
292
Stellenregister
Klagelieder 3,42
133
Epistula Jeremia 66
140
Ezechiel 14,13 15,8 18,24 20,27 22,4
145 145 145 145 145
36,16–30.33 37,5.14
208 64
Daniel 3,86 4,11 4,34 6,27 7,13 9,19 Th 9,24 Th
62 140 196 39 197 133 134
Alttestamentliche Pseudepigraphen Jubiläen 23,31
45
Testament Abrahams 11,5 (Rez. B) 8
Schriften aus Qumran 1QH 11,19–20 1QH 11,21–22
10 45
1QH 11,22
10
Jüdisch-hellenistische Literatur Josephus Flavius Ant. 1,1,3 4,6,9 3,15,1
64 7 33
Fug. 134
60
Gig. 12 13f. 14f.
44, 60 46 47
Her. 55 82 182
63 262 186
Leg. All. 1,37f. 3,161
70 64
Mos. 2,3 2,66 2,75
186 186 186
Philon Abr. 113
60
All. 1,31–33
49
Det. 60 Ebr. 61
64 94
293
Stellenregister 2,107f. 2,166 2,288 Mut. 32–38 51f. Op. 16
263 185 18 23 170
Post. 31
157
Somn. 1,151f. 2,252
46 48
Spec. 1,191.283
264
157
Griechisch-römische Autoren Aratos von Soloi Phaen. 5
Homer 47
Aristophanes Av. 440f.
42
Lukian 169
Chrysipp fr. 715f.
Od. 12,21f.
Nigr. 28
6
Marc Aurel 3,3
37
59 Ovid
Cicero Somn. Scip. 15
Met. 9,245–268
55
72 Pindar
Tusc. 1,19 1,27 1,46 1,51 1,52 1,65 1,72.76 1,79 1,118
59 45 7 46 41 51 45 51 47
Dinarch 1,9
169
Euripides Hec. 379
6
Nem. 6, 41
6
Platon Krat. 399c Phaid. 70a 81a 105d Prot. 312c Tim. 41a-d
42 72 51 38 67 97
294
Stellenregister
Pseudo-Platon Ax. 370b–d
60
Plutarch Cons. ad Apoll. 118C Quaest. Conv. 8 718B
172
47 74 59 9 45, 47 47 37
Ad Helv. 6,7
74
prov. 1,5f.
49
56
Seneca Ep. 41,2
41,5 44,1 50,6 54,4 79,12 92,30 93,10
51
Neues Testament Matthäus 1,19 3,11 8,11 8,35 9,1 12,28 13,58 14,7 15,39.58 16,28 26,11 26,26 26,27f. 26,27 26,28 27,50
157 148 46 23 23 56 111 178 112 6 18 211 204f. 214, 221 176, 213, 218f. 65
Markus 1,4 185 7,3f. 9,1 9,31 12,25–27 14,7 14,22 14,23 14,23f. 14,24 15,37–39 15,37 15,39
208 6 66 45 18 211 221 205 119, 176, 217 112f. 65 113f.
16,11 16,19
17 160
Lukas 1,46f. 2,35 3,3 3,23–38 3,38 5,19 8,55 9,27 9,31 11,20 11,36 15,7 15,24.32 18,3 21,28 22,18f. 22,19 22,20 22,29 24,26 24,39 23,42 23,46
73 68 148 47 32 111 65 6 66, 199 56 141 185 200 133 197 211 221 176 172 18 47 18 18, 65, 67
Johannes 1,9 1,14 3,30
141 41 105
295
Stellenregister 6,51 7,39 8,52 10,17f. 12,27 11 11,25f. 12,27 12,34 18,29 19,30 20,19 20,22 21,22
263 67 6 67 9 22 22 22 39 174 66f. 111 67 39
5,3 5,5 6,16f. 10,18 11,23–25 11,24 11,25 14,15 15,3–8 15,3b–5 15,27 15,44f. 15,44 16,18
63 51 51 92 221 119, 211 202, 205 62 18 119 103 51 62, 197 63
Apostelgeschichte 2,34f. 5,31 7,59 14,11 16,7 16,28 17,26.28 21,34 26,19
159 185 66 42 56 66 47 111 178
2. Korintherbrief 3,7 3,17 4,16 4,18 5,8–10 5,14f. 6,2 7,8 8,11.14 12,6
111 41 148 91f. 43 119f. 136 92 110 92
Römerbrief 1,3f. 3,24f. 5,6 5,8 5,10 5,17 6,19 6,23 8,3 8,6 8,14–16 8,15–24 8,21 8,24f. 8,32 12,2 12,10.13
56 197 120 119 124, 131 143 111 128 41 51 49 50 197 91 119 62, 148 246
Galaterbrief 1,4 3,15–17 3,19
110, 119f. 170 185
1. Korintherbrief 1,13 1,30 2,11 3,5 3,17 4,5 4,6
Epheserbrief 1,7 1,18 1,22 2,1 2,6 2,13 3,7 3,8f. 4,7 4,18 4,23 5,2 6,12
163f., 197 141 105 200 160 85 143 140 143 111 62 119 41
119 197 63 95 56 140 111
Philipperbrief 1,7 111 2,6–9 2,8
107 34
296 Kolosserbrief 1,13 1,20 1,22 2,5 2,13 3,10
Stellenregister
197 163f. 41, 124, 164 63 200 148
1,2 1,3
1. Timotheusbrief 1,9 5,23
140 111
2. Timotheusbrief 1,9
141
Titusbrief 3,5
148
1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 1,10 1,11f. 1,10–12 1,13 1,14 2,1 2,3 2,4 2,6–9 2,6 2,7 2,8f. 2,8 2,9f. 2,9
Philemonbrief 1,6
110
2,10
1. Petrusbrief 1,2 1,18f. 1,19 2,3.5 2,19 2,21 2,24 3,16 3,18 3,19–22 3,21–4,1
179, 209, 226 226 227 226 227 120 234 227 119, 226 160 227
2. Petrusbrief 1,21 2,11
174 174
1. Thessalonicherbrief 1,5 111 4,3 234 5,10 119 5,23 70
1. Johannesbrief 1,7 2,16f. 3,18 4,1
217 50 178 50
Hebräerbrief 1,1f. 1,1–3
246 30
2,11 2,12 2,14–18 2,14f. 2,14
2,15 2,16 2,17f. 2,17 2,18 3,1 3,2 3,3 3,6 3,7 3,12 3,16–18 3,17.19 4,3 4,7 4,12
27, 29, 135, 171 88f., 122, 127f., 134, 144, 254 27 32, 103 44 27, 31, 108 265 98, 120 16 2 108 44, 194 177 141 48, 72 93, 114 28, 113 101, 127 260 90, 108 155, 257f. 2f., 5–8, 74, 82, 88– 121, 118, 127, 139, 226, 266 5, 25, 28f., 29, 32f., 110, 228 29f., 47, 143 44 125–139 19, 25, 138, 229 2f., 8f., 40, 49, 54, 82, 116, 122–129, 165, 171, 199. 225, 262, 266 38, 224 137, 178, 201 100f., 138 41, 88, 122, 130– 135, 264 135–138 135f., 142f., 178, 180, 216 98, 264 138, 224 28, 226, 264 48 146, 177 146 91, 151 135 202 68–73, 129
Stellenregister 4,14–5,3 4,14f. 4,14 4,15 5,1–3 5,1 5,5 5,7–10 5,7–9 5,7 5,8 5,9 5,10 6,1 6,4–6 6,4–5 6,4 6,5 6,6 6,7 6,17 6,19 6,20 7,2 7,3 7,5 7,8 7,14 7,16 7,17 7,20–22 7,21 7,23 7,24f. 7,25 7,26f. 7,26 7,27 7,28 8,1–6 8,1 8,2 8,3 8,4–6 8,4 8,5f. 8,5
131–133 254 28 264 134 83, 100f., 254f. 28 9, 27, 33–35 19, 21 20, 22, 25f., 32, 137, 267 9–11, 26, 28, 136, 155, 264 194, 258f. 20 150, 185 147, 152f. 7 48, 140–143 144, 226 11, 28, 139–158, 167, 267 138 188 26, 72, 177, 181 119 39 16, 20, 28 26, 28 16, 20, 38, 82 56 17, 20, 36, 145, 253 52 224 52 17, 21 52 83, 130f., 178 255, 261 35, 264 122, 158, 225, 238, 268 28, 52, 100, 159, 256 254f. 159 97 100, 134, 178, 257, 259 256 83, 259f. 188, 215 142f.
297
8,6 135, 214 8,8–12 214f. 8,8f. 149f. 8,10 171, 189 8,13 179 9,1–10 183 9,7 79, 83, 85, 162 9,8 48 9,9 24, 83 9,11–22 161 9,11–13 184 9,11 40, 98, 100 9,12–15 194 9,12f. 81 9,12 41, 78f., 85–87, 143, 158, 161–168, 173, 180, 182. 196, 268 9,13f. 52, 243 9,13 179, 208 9,14–20 191 9,14f. 185 9,14 3, 52–54, 67, 75, 82, 115, 122, 151, 166, 173, 188, 226, 238, 264 9,15–18 139 9,15–17 12, 16, 36, 168–201 9,15f. 267 9,15 2f., 82, 110, 117, 122, 125, 135, 180, 182, 203, 214, 226, 229, 266 9,16f. 199 9,16 189 9,17 173, 177, 200 9,18–23 149 9,18–22 83, 178f. 9,18 175, 178, 181, 192f., 226 9,19–22 205, 216 9,19–23 173, 188 9,19 79, 206, 208, 215 9,20–22 235–238 9,20 171, 189, 204–223 9,21f. 208 9,21 85, 210 9,22–26 226 9,22 4, 181, 203, 213, 217f., 220, 230f., 236, 247 9,23 85, 142f., 166, 259 9,24f. 227
298 9,24 9,25 9,26–28 9,26 9,27f. 9,27 9,28 10,1–4 10,1 10,2 10,4f. 10,4 10,5–10 10,5 10,7f. 10,8 10,9 10,10–12 10,10 10,11 10,12 10,15 10,16f. 10,16 10,18 10,19–22 10,19f. 10,20 10,22 10,23–32 10,23–25 10,25 10,26 10,27 10,28f. 10,29 10,32 10,34 10,38f. 10,38 10,39 11,1 11,3 11,4 11,4f. 11,6
Stellenregister 98, 110, 143 13, 85, 162, 238 139, 153, 158, 223, 238, 268 122, 179 12–14, 223–229, 260, 266f. 25, 84 87, 103, 122, 178, 205, 228, 256f., 268 230 83, 227 147 81 147, 218 229–240 42 264 83 155 139, 158 41, 84, 134, 143, 153, 228, 264, 268 83, 160, 218 122, 158f., 255, 268 48 214 171, 189 122, 268 149, 242 84 26, 35, 74, 85, 87, 113 166, 179, 208 243 92 91, 227 54, 146f., 152, 167f. 44, 187 151 28, 48, 143, 168, 237 142 24, 39, 242 73 22, 35 35 91 91, 144 263 40 35
11,7 11,9f. 11,10 11,12 11,13–16 11,16 11,17–19 11,19 11,21f.24 11,25 11,27 11,35 11,38 11,40 12 12,1–11 12,1 12,2 12,3 12,4 12,5–17 12,5–7 12,6–8 12,7–8 12,7 12,8 12,9 12,10f. 12,11 12,12 12,14 12,15 12,15–21 12,16f. 12,17 12,18 12,19 12,22–29 12,22 12,23 12,24f. 12,24 12,25f. 12,27 12,28f. 12,29 12,29–13,1 13,1–14 13,1–7 13,8
91 202 97 200 46, 115 97, 143 137 24, 178 28 23 250 24f., 198 46, 115 25, 74 245 33–35 138, 146, 163 115, 139, 158f., 161, 258, 267 57 25, 151 152 28 155 121 28 47 2, 19, 28, 40, 49, 53, 261 258 261 15 85 243 242 151 26, 150 44 244 241f. 44, 97, 143, 242, 250 47, 228 152 135, 208, 214, 226 246 40 243f. 44, 187, 246 254 246 242 16
299
Stellenregister 13,9–12 13,10 13,11f. 13,11 13,12 13,13 13,14–25 13,14 13,15 13,18 13,20 13,21–25 13,24
250 249 247 143, 252 237 248 241 250 226, 240, 252 226 15, 252 240 112
Jakobusbrief 4,7f. 5,20
128 10
Johannesoffenbarung 3,21 160 7,4f. 165 12,11 163f. 14,18 66 15,5 165 18,1 140 21,23 140 22,5 140
Targumim Targum Onkelos Ex 24,8
212
Christliche Literatur Dialog zwischen Timotheus und Aquila 88 210
1. Clemensbrief Präskript
234
Sachregister (deutsch) Abel 263 Abendmahl 201–223, 230, 233f., 238f., 266f. Abendmahlsüberlieferung 205, 219 Abraham 23f., 137f., 200 Abstammung 19, 21, 31f., 47, 56 Adressaten 24, 27, 121, 142, 150–152, 222, 235, 244f., 251, 260 Allerheiligstes 35, 72, 80, 84–86, 162, 166, 183 Allunterwerfung 104 Altar 212f., 248, 251 Anthropologie 29, 49, 57–64, 69, 72, 93 Apostasie 145f., 151f., 156, 176f., 244 Auferstehung 10f., 15, 17–19, 21–26, 35, 73f., 79, 82f., 86, 160, 192 Auferweckung, siehe Auferstehung Außerhalb des Lagers 248f. Besitz, bleibender 24, 39 Besprengung, siehe Blutapplikation bleiben 25, 39 Blut 161–168, 193, 198, 202, 206–223, 235–239, 259, 262f. Blut und Fleisch 13f., 41, 54, 135 Blutapplikation 80–85, 149, 166, 172f., 178, 206–210, 216, 232, 266 Blutvergießen 168, 181, 217–220 Briefschluss 240, 251 Brotwort 211 Bundesschluss 186, 191, 201–223, 229, 239, 262 Dankbarkeit 242 Daseinsform 41–43, 48, 51, 106, 267 Datierung 165 David 102, 159f. Denotationswechsel 170f., 174
Drohritus 177f., 180, 182 Einheitlichkeit, literarische 240–252 Einmaligkeit 13f., 84, 153, 157, 223– 229, 268 Einsetzung zum Hohepriester, siehe Investitur, hohepriesterliche Eintritt 79f., 86f., 144, 161f., 166, 244 Einweihung, siehe Weihe Engel 44f., 48, 94, 103f., 108f., 242 Epikur 37 Erbarmen 131–135 Erbrecht 168–173 Erhöhung 107–109 Erhörung 22, 25, 34 Erleuchtung 140–142, 144 Erlösung 194–199 Erniedrigung, siehe auch Herabsetzung und Schwächung 89, 105–107 Erscheinung 224 Esau 151 Eschatologie 50 Exodus 66, 199 Feuer 44, 187 Fremde 42, 46, 115, 262 Furcht 128f., 244, 246 Fürsprache 130f., 138, Gabe 141–144 Gebetsmittler 252 Gehorsam 34f., 50, 136f., 234, 258f. Geist 43–75 Gericht 14, 56, 92, 129, 227f., 243, 256 Gesetzesbuch 81, 149, 209f., 212 Gethsemane 10, 22, 35 Gewissen 51, 151, 166, 183–185, 199, 232f., 243f.
Sachregister (deutsch) Glaube 23–25, 35, 40, 73, 90–92, 137f., 150f., 240, 261, 263 Gnade 111, 118, 135, 155, 242f. Golgatha 35, 64, 248 Gottesprädikation 9, 11, 23 Gottespräsenz 80, 144, 183–187, 239, 243, 266 Gottesrede 29, 34, 244, 246 Gottvertrauen 23, 137f. Götzen 98–100 Haltung 23, 135–137, 263f. Hände 96–101 Hauptmann 112–114 Heiliger Geist 48, 53f., 56, 144 Heiligtum 74, 78–81, 85–87, 98–100, 121, 143f., 149, 161–163, 166f., 184, 186, 202, 239, 256, 260–263, 268 Heiligung 80, 84, 143f., 152, 166, 179, 234, 236–239, 243, 251 Heilseffizienz 123–125, 139 Heilsereignis 238 Heilsgeschehen 116, 122–125, 268 Heimat, himmlische 45–47, 74, 262 Herabsetzung, siehe auch Erniedrigung 93, 104f., 114f. Herakles 55f. Herrenmahl, siehe Abendmahl Herz 149, 151, 166, 183, 210, 262 Hexapla 212f. Himmel 14, 16, 35, 44–47, 78f., 97f., 100, 106, 143, 159–161, 241, 246, 260, 267f. Hoheitstitel 27, 30–32, 113–115 Hohepriesterchristologie 82, 87f., 125– 240, 266 Identität 49–51, 64, 66, 114f. Immaterialität 59–61 Inkarnation, siehe Menschwerdung Investitur, hohepriesterliche 96, 100f., 115f., 253–259 Isaak 23f., 137f. Israel 175, 178f., 183, 191, 203 Jodae 190f. Jom Kippur 79–85, 185, 187, 230, 266 Juda 19, 56
301
Kelch 206, 210 Kelchwort 167, 201, 203f., 211–213, 217, 219f., 229f., 233, 266 Knechtschaft 38, 42, 128f., 138, 199, 266 Kreuz 11, 15, 39, 64, 78, 108, 112–114, 118, 139, 147, 152f., 158f., 260, 265, 268 Kreuzigung 64–68, 147, 153–157, 220 Krönung 89, 101, 104, 109–112, 114, 117, 120f., 257 Kultbefähigung 135, 165, 176, 182, 229, 243, 258, 261 Kultsprache 3, 88, 127, 228, 243, 266 Kulttheologie 3, 86, 193, 224, 238f., 248, 252, 260 Lazarus 22f. Leben 24f., 36–43, 45f., 50, 62, 74, 253, 265, 268 Leib 4, 23, 43, 49, 81f., 84f., 115, 121, 211, 229–238, 259, 262f., 267 Leiden 5–7, 32–35, 55f., 89, 109f., 112–118, 120f., 135f., 155, 179, 225f., 247f., 257–259, 268 Licht 141 Liturgie 221 Loskauf 194–197 Mahnkatalog 242, 245 Melchisedek 16–17, 20f., 38f., 261 Menschensohn 27f., 31, 103 Menschwerdung 29, 41–43, 49, 101, 104, 122, 126, 130, 201 Mitgefühl 131f., 135 Mittler 97, 135, 149, 185–191, 214 Mose 80f., 185–191, 204–210, 214, 216, 222, 262, 266 Odyssee 42 Opferkritik 234 Opfermaterial 54, 82f., 87, 229–232, 238, 259, 262f., 267 Opfertod 138, 228, 260, 267f. Pädagogik, schwarze, siehe auch Züchtigung 32–34, 244 Parusie 92 Passah 165, 222
302
Sachregister (deutsch)
Platon 38, 58–60, 72, 97 Propheten 29 Prüfung, siehe Versuchung Qualifikation 259 Ratio 92 Redaktor 246 Redeschluss 245f. Reinigung 80, 128, 149, 159, 166f., 178–182, 184–191, 222f., 232f., 263 Reinigungsopfer 176, 266 Reinigungsritus 178–182, 186f., 217, 223 Rettung 9–11 Satan, siehe Teufel Scheol 37 Schlachtung 168, 181 Schmach 11, 15, 108, 121, 156, 159, 248 Schmecken 6f., 117f–119 Schöpfer 39, 97 Schöpfung 64, 96–101 Schöpfungshierarchie 97 Schrei Jesu 113 Schriftbeweis 121, 240 Schriftzitat 2, 204, 214, 233f. Schwächung, siehe auch Erniedrigung 106f. Schwert 68, 71 Seele 68–75 Sehen 90–93 Sohn/Söhne 27–34 Soteriologie 119f., 122, 129, 138f., 173, 192, 202 Sphäre, himmlische und irdische 44, 51, 74, 194, 259f., 267f. Stadt, himmlische 51, 97, 202, 249f. Stellvertretung 86, 172, 178–182, 195 Sterbeberichte 64–68 Stiftungsformel 204–207 Stoa 37, 45, 58, 62f. Strafe 33, 146, 151, 156f., 176f., 179f., 243f. Sühne 80, 123, 127, 132–134, 181f., 194, 196, 199, 218–220 Sünde 122–134, 146f., 152, 167, 179, 183–185, 191, 198, 218, 232, 236f.
Sündenbock 86f. Taufe 148, 154 Testament 12, 169–173 Teufel 122–129, 138f., 164f., 266 Tote 175, 199f. Treue 25, 35, 134f., 261 Übertretungen 166 Umkehr 157 Unanschaulichkeit, siehe auch Unsichtbarkeit 260 Unsichtbarkeit/Sichtbarkeit 44, 83, 91, 97, 100, 108, 115, 262, 268 Unsterblichkeit, siehe Unvergänglichkeit Unvergänglichkeit 16–21, 36–38, 45f., 52, 54f., 58–61, 73f., 265 Verbrennung 247–249, 251 Vergebung 164, 217–219, 236f. Verheißung 50, 184, 199, 202, 245, 262 Versöhnungstag, siehe Jom Kippur Verspotten, 156f. Versuchung 135–137, 244 Vetus Latina 11, 24, 53, 68–70, 106, 118, 153, 156f., 174, 188, 196 Volk 81, 149, 178f., 183, 187–191, 209f., 212, 234, 237, 244, 266 Vollendung 5, 24, 44f., 118f., 159, 257–259 Weihe 80, 85, 149f., 173, 175, 178f., 182, 187–190, 216f., 222f., 239, 261–263 Weinen 22 Werke, tote 151, 185, 199f. Wiederholungsbefehl 221 Wille Gottes 25, 50, 137, 191, 228, 234, 245, 262, 264 Zelt 80, 97f., 100, 144, 149, 187, 216f., 249 Züchtigung, siehe auch Pädagogik, schwarze 33, 35, 121, 151f., 258, 261 Zugang 143, 155, 183, 186–188, 239, 249, 266 Zutritt 85, 143f., 183, 187, 242f., 258
Sachregister (griechisch) ἁγιάζω 208 ἁγιασμός 242 ἀδύνατον 155 αἷμα 206–223, 235–239 αἱματεκχυσία 168, 181, 220 αἰών 144 ἀκατάλυτος 2, 17, 20, 38 ἀνακαινίζω 147–150, 152f. ἀνακαινόω 148 ἀνακαίνωσις 148 ἀνασταυρόω 11, 152f. ἅπαξ 157, 223–229, 268 ἀπιστία 151 ἁπλοῦς 141 ἀποθνῄσκω 2, 17, 38f. ἀποκαταλλάσσω 164 ἀπολύτρωσις 164, 164, 173, 180, 194– 199 ἀπόστολος 215f. ἁρμός 68 ἀσθένεια 132 ἀφαιρέω 230 ἄφεσις 149, 164, 198, 202f., 218f., 222, 231, 236 ἀφθαρσία 74 βλέπω 90–93, 111f., 114, 121 βραχύ τι 95, 104f. γεύομαι 6f., 117–119 δακρύω 22 δεῖπνον 217 διά 111, 114, 162–164 διάβολος 138 διαθέμενος 171, 174, 177f., 189–191, 216 διαθήκη 12, 161–240 διαμαρτύρομαι 94
διαμένειν 39 διατίθημι 190f., 215f. δωρεά 143 ἔγγυος 188 ἐγκαινίζω 150, 173, 179 εἰσέρχομαι 100 ἐκπνέω 65f. ἐκχύννω 218 ἐλαττόω 105f., 114 ἐλεήμων 130, 132, 137 ἐντέλλω 215f. ἐντολή 216 ἐξιλάσκομαι 133f. ἔξοδος 61, 66 ἔξω 248f. ἐπιλαμβάνομαι 126 ἐπουράνιος 97, 142 ἐφάπαξ 158, 268 ζάω 38 θάνατος 2, 192f. θυσία 236, 252 ἰδού 210–213 ἱλάσκομαι 132–134 ἱλαστήριον 80 καθαρίζω 149 καθίστημι 100 καθ᾿ ὅσον 223f. καινίζω 150, 179 καινός 149 καίπερ 26f., 34f. κατήγορος 164 κλαίω 22 κληρονομία 194 κρατήρ 206
304
Sachregister (griechisch)
λατρεία 243 λατρεύω 243 λογιστικόν 60 λύτρωσις 166, 180, 185, 194–199 μανθάνω 32 μάχαιρα 68, 71 μένειν 39 μερισμός 70 μεσιτεύω 188 μεσίτης 171f., 185–191, 209, 214, 217 μετάνοια 150f. μετριοπαθέω 131f. μήποτε 201 μυελός 69 νεκρός 175, 178, 199–201 νοῦς 60, 62, 148 ξένος 251 οἰκουμένη 103f. ὅπως 109, 116f. ὁράω 90 ὁρκωμοσία 188 πάθημα 89, 110, 112, 115, 118, 135, 226 παιδεία 121 πάλιν 153 παραβολή 187 παραγίνομαι 184 παράδειγμα 157 παραδειγματίζω 156f. παραδίδωμι 67 παραμένειν 39 παραπίπτω 145–147 παραπλησίως 41 παράπτωμα 146 πᾶς 210 πάσχω 32, 226 πατρίς 46
πειράζω 137 πιστός 137f. πνεῦμα 43–75 πνοή 64 πόλις 47 ποτήριον 206f., 211 προσφέρω 83, 132, 134, 228, 236, 255– 257 προσφορά 236, 253f., 257 πῦρ 44 ῥαίνω 207, 209 ῥαντίζω 179, 207–209 ῥαντισμός 179, 208 ῥῆμα 144 σάρξ 49, 262 σπέρμα 137 στεφανόω 106, 112, 114, 258 συμπαθέω 131f. σῶμα 211, 229–239, 262 ταπεινόω 107 τελειόω 257–259 τοῦτο 210–213 υἱός 27–34 ὑπακοή 32 ὑπέρ 119 ὑπερυψόω 107 ὑπομένω 15 φέρω 174, 177f. φωτίζω 140–142, 148 χάρις 242–244 χείρ 97 χειροποίητος 98f. χρίω 208 χωρίς 118 ψυχή 57f., 61f., 68–75