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German Pages [73] Year 2016
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Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Kathrin Sevecke/Maya Krischer
Jugendliche Persönlichkeitsstörungen im psychodynamischen Diskurs
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40559-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Paul Klee, Kampfscene aus der komisch-phantastischen Oper »Der Seefahrer«, 1923/akg-images/Erich Lessing © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 Definition von Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1 Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter aus psychodynamischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2 Verlauf und Stabilität von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.3 Das Hybridmodell des DSM-5 aus psychodynamischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.4 Differenzialdiagnose Adoleszenzkrise versus Persönlichkeitsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3 Psychodynamische Theorien zum Verständnis von Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1 Objektbeziehungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.2 Das psychodynamische Identitätskonstrukt im Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4 Psychodynamisch orientierte Psychotherapieverfahren . . . . . . 32 4.1 Die psychodynamisch orientierte Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitspathologie . . . . . . . . . . . . 32
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4.2 Wirksamkeit psychodynamisch orientierter Psychotherapieverfahren zur Behandlung von Persönlichkeitspathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.3 AIT: Adolescent Identity Treatment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.4 MBT-A: Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 5 Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 6 Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie für Adoleszente – TFP-A . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 6.1 Der Behandlungsvertrag in der TFP-A . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 6.2 Rolle der Eltern beziehungsweise Familie . . . . . . . . . . . . . . 48 6.3 Interventionsmaßnahmen im Sinne der TFP-A . . . . . . . . . 51 7 Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
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Inhalt
Vorwort zur Reihe
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet 7
basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. ȤȤ Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung. Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
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Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
Das Buch zum Thema Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter greift die aktuelle Diskussion zur Frage auf, ob und wie Persönlichkeits störungen schon in jungen Lebensjahren erkannt und behandelt werden sollen. Denn die alten Argumente der Stigmatisierung, des Sichauswachsens normaler Entwicklungsvorgänge und der mangelnden Stabilität von Diagnosen haben sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht bestätigen lassen. Vielmehr sehen wir heute die große Entwicklungsgefährdung durch strukturelle Schwächen des Selbst, können die zerstörerischen Kräfte von Kontinuitätsbrüchen erkennen und erfahren, dass Therapieverfahren existieren, die Hilfe zu leisten vermögen. Der von den Autorinnen geführte psychodynamische Diskurs bewegt sich in diesem spannenden wissenschaftlichen Feld, in dem die Psychoanalyse den verhaltensorientierten Sichtweisen und Behandlungsmöglichkeiten ohne Feindschaft begegnen kann. Forschungsergebnisse werden vorurteilsfrei referiert und erlauben eine gedankliche Synthese unterschiedlicher Zugänge. Nach der Definition von Persönlichkeitsstörungen und einer Darstellung aktueller Modelle werden Forschungsergebnisse zu Verlauf und Stabilität von Persönlichkeitsstörungen zusammengefasst. Psychodynamische Theorien zum Verständnis der Entwicklung jugendlicher Persönlichkeitsstörungen leiten zu den psychodynamisch orientierten Therapieverfahren über, die derzeit praktiziert und wissenschaftlich evaluiert werden: das »Adolescent Identity Treatment«, die »Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz« und schließlich die »Übertragungsfokussierte Psychotherapie für 9
Adoleszente«, die auch mit einigen sehr interessanten Behandlungs details vorgestellt wird. Ein Fallbericht einer jugendlichen Borderline- Patientin rundet die Darstellung ab. Das Buch gibt einen beachtenswerten Überblick über die psychodynamisch orientierte Diagnostik, Therapie und Forschung auf dem Gebiet der Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter und öffnet sich für einen Dialog mit anderen aktuellen, verhaltensorientierten Verfahren. Die Bedeutung früher Störungen der Persönlichkeitsentwicklung für die Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz wird dadurch noch einmal unterstrichen. Es zeigt sich, wie groß der Beitrag ist, den die Psychodynamik zum Verständnis dieser Prozesse leisten kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
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Vorwort zum Band
1 Einleitung
Trotz vorliegender empirischer Studien, die eindeutig die Existenz und Diagnostizierbarkeit von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter belegen (Levy et al., 1999; Westen, Shelder, Durrett, Glass u. Martens, 2003; Krischer, Sevecke, Lehmkuhl u. Pukrop, 2007), werden Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen leider immer noch kontrovers diskutiert. Etliche Autorinnen und Autoren befürworten, dass Persönlichkeitsstörungen bereits bei Jugendlichen, teilweise sogar schon bei Kindern diagnostiziert werden sollten (Westen, S helder, Durrett, Glass u. Martens, 2003; Durrett u. Westen, 2005; Krischer, Sevecke, Petermann, Herpertz-Dahlmann u. Lehmkuhl, 2010), sodass durch eine Früherkennung gezielte therapeutische Interventionen möglich sind. Andere halten an der Skepsis fest, Jugendliche durch eine frühe Diagnose der Persönlichkeitspathologie zu stigmatisieren. Inzwischen existiert auch hinreichend empirische Evidenz dafür, dass entsprechend auffällige Persönlichkeitsmerkmale bereits im Kindesalter zu beobachten sind und sich in der Adoleszenz weiter ausdifferenzieren. Dem steht entgegen, dass die Manifestation im Sinne der formalen Diagnosesysteme wie ICD-10 erst ab dem Jugend- und jungen Erwachsenenalter kodierbar ist (De Clercq u. De Fruyt, 2003; Westen et al., 2003; Krischer et al., 2007). Längst ist auch der Nachweis wirksamer ambulanter psychodynamischer Behandlungsansätze von Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter mit der Übertragungsfokussierten und der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie geführt worden. Im Hinblick auf das Jugendalter gibt es aus psychodynamischer Sicht letztlich keinen Grund, die pathologische Persönlichkeitsorganisation, die auf 11
Repräsentanzen als Erinnerungsspuren früher defizitärer Interaktionsprozesse beruht, nicht frühzeitig zu identifizieren und spezifisch zu behandeln. Dennoch beschäftigen sich noch wenige Forschungsgruppen mit dem hochaktuellen Thema der Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie beispielsweise der Borderline-Persönlichkeitsorganisation im Jugendalter, obwohl aus klinischer Sicht die Schwierigkeiten hoher Suizidalität, wiederholter Klinikaufenthalte und schwerer Verläufe bei fehlender spezifischer Behandlung solcher strukturell gestörten Jugendlichen hinreichend bekannt sind. Groß ist immer noch die Zurückhaltung bei vielen Praktikern, die BorderlinePersönlichkeit im Jugendalter zu früh zu diagnostizieren, geschweige denn ambulant zu behandeln. Ziel dieses Buches ist es, die aktuellen Entwicklungslinien in der Erforschung von Persönlichkeitspathologie im Jugendalter darzustellen sowie neue Perspektiven hinsichtlich Diagnostik und psychodynamisch ausgerichteter Therapieoptionen zu skizzieren. Aktuelle Studienergebnisse verweisen eindeutig darauf, dass Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter zuverlässig erfasst werden können und diagnostiziert werden sollten. Zugleich fehlt es noch an spezifischen Instrumenten, welche die Besonderheiten von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter abbilden und von Adoleszenzkrisen differenzieren können. Da einige Persönlichkeitsstörungsmerkmale gleichzeitig auch passagere Entwicklungsmerkmale darstellen, wird auf diese Differenzialdiagnose ausführlich eingegangen. Die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen scheint im Jugendalter höher als im Erwachsenenalter zu liegen. Ihre Stabilität hingegen ist im Jugend- mit dem Erwachsenenalter vergleichbar und weniger unveränderlich, als lange Zeit angenommen (siehe auch Sevecke, Lehmkuhl, Petermann u. Krischer, 2011). Das Buch erläutert beispielhaft anhand einer Kasuistik, wie psychodynamische Interventionsmöglichkeiten basierend auf der Übertragungsfokussierten Therapie nach Kernberg bei Jugendlichen mit Persönlichkeitsentwicklungs störungen durchgeführt werden können.
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Einleitung
2 Definition von Persönlichkeitsstörungen
2.1 Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter aus psychodynamischer Sicht Das ursprünglich von Sigmund Freud geprägte psychodynamische Persönlichkeitsmodell sieht im Konflikt stehende unbewusste Aspekte (Es), moralische Instanzen (Über-Ich) und die bewusste Wahrnehmung (Ich) als die Persönlichkeit bedingend an. Demnach entwickelt sich die Persönlichkeit als eine individuelle Gestaltung dieser Aspekte in der Auseinandersetzung mit den kindlichen Bezugspersonen und darauf beruhender frühkindlicher Erfahrungsmuster. Eine weitere Annahme besteht darin, dass Verhaltensmuster durch die frühkindlich sich entwickelnde Persönlichkeit vorgeformt werden und in späteren Beziehungen wiederkehren. Dieses Persönlichkeitsmodell wurde durch die Objektbeziehungstheorie nach Melanie Klein und später Otto Kernberg weiterent wickelt. Diese Theorie schrieb die wesentlichen frühen Einflussfaktoren nicht nur einseitig der Mutter-Kind-Beziehung, sondern wechselseitig der Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson zu und hypostasierte, dass Kinder früh Vorstellungen über sich selbst sowie ihre Bezugspersonen entwickeln und dies zu frühen Repräsentanzen oder inneren Schemata von Beziehungen sowie Sichtweisen von sich selbst und anderen führt. Nach Ansicht der Objektbeziehungstheorie sind diese Selbst- und Fremdrepräsentanzen zentral für die Persönlichkeitsentwicklung sowie die spätere Beziehungsgestaltung eines Individuums. In der gesunden frühen Entwicklung eines Kindes bilden sich demnach flexible Selbst- und Objektrepräsentan13
zen dann aus, wenn in der frühen Mutter- bzw. Versorger-Kind-Interaktion die Beantwortung kindlicher Affekte passend erfolgt und sich infolgedessen eine sichere Bindung sowie die Erfahrung erwartbarer Reaktionen vonseiten der Hauptbindungsperson entwickelt hat. Nach den Erkenntnissen der Objektbeziehungstheorie wird frühen defizitären neben traumatischen Umwelterfahrungen ein wesentlicher Einfluss zugeschrieben und als maßgeblich für die Entwicklung von pathologischen Beziehungsgestaltungen angesehen (Kernberg, 2006). Unter dem Oberbegriff der psychischen Struktur hat die psychodynamische Theoriebildung alle früh internalisierten Objektbeziehungen konzeptionalisiert, welche die spätere individuelle Persönlichkeitsentwicklung sowie die Entwicklung von individuellen Verhaltensmustern unter Einbeziehung von Bewältigungsund Abwehrmustern beeinflusst. Der Einfluss einer psychischen Struktur auf die Wahrnehmung, die Gestaltung von Beziehungen, auf das Verhalten und die Abwehrprozesse eines Menschen wird als grundlegend angesehen, um eine Persönlichkeit verstehen zu können. Dementsprechend beeinflusst die psychische Struktur aus gegenwärtiger psychodynamischer Sicht alle Prozesse des psychischen Erlebens und Verhaltens auf jeder Entwicklungsstufe (Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013). Eine Persönlichkeitsstörung entspricht aus psychodynamischer Sicht einer sogenannten strukturellen bzw. frühen Störung des Selbst. Damit ist gemeint, dass die frühe Mutter-Kind-Interaktion mittels fehlender passender Spiegelung früher Affekte des Säuglings zu einer fehlenden Integration von Selbst- und Fremdrepräsentanzen geführt hat (Clarkin, Yeomans u. Kernberg, 2008). Eine darauf beruhende desintegrierte Struktur des Selbst wird als eine psychische Disposition definiert, welche sich während aller Entwicklungsphasen in Interaktionsschwierigkeiten äußern kann. Denn anzunehmen ist, dass eine derartige dispositionale Struktur zu problematischen adaptiven Verhaltensstrategien eines Individuums führt (Resch, 1996). So werden bei Kindern mit schwacher Ich-Struktur häufig Trennungsschwierigkeiten und Ängste beobachtet, wobei die Probleme im Kin14
Definition von Persönlichkeitsstörungen
desalter meist noch vom Umfeld getragen werden, ohne dass es zu dramatischen Zusammenbrüchen kommt (Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013). Erste Versuche, die strukturellen Störungen im Sinne einer Border line-Pathologie schon bei Kindern zu beforschen, sind in den Vereinigten Staaten von psychoanalytischen Forschern wie Efrain Bleiberg unternommen worden (Bleiberg, 1994). Letztlich sind diese Versuche auch aufgrund der uneinheitlichen diagnostischen Testinstrumente und aufgrund der empirischer Forschung stets vorzuhaltenden Vereinheitlichung komplexer individueller Phänomene allerdings vereinzelt geblieben und haben in der Wissenschaft wenig Aufmerksamkeit erlangt. Im Jugendalter treten bei einer solchen pathologischen Ich-Struktur angesichts zunehmender Entwicklung eines Identitätsgefühls und der entwicklungsbedingten Zunahme reiferer Abwehrmechanismen vermehrt Beziehungsschwierigkeiten und Symptomentwicklungen auf. Bei zunehmenden Anforderungen an die Autonomie steigen bei diesen Persönlichkeiten die Schwierigkeiten, eine eigenständige Identität zu entwickeln, geschweige denn sich mit anderen altersgemäß auseinanderzusetzen. Angesichts der fragilen und aufgespaltenen frühen Selbst- und Objektrepräsentanzen sowie der Bewältigung mittels primitiver Abwehrmechanismen wie Spaltung, Verleugnung und projektiver Identifikation brechen bei diesen Persönlichkeiten die vormals einigermaßen funktionierenden Bewältigungsstrategien in der Adoleszenz zusammen und führen zu schweren, nach außen hin plötzlich erscheinenden Zusammenbrüchen des Selbsterlebens, mit der Folge zum Beispiel von suizidalen Krisen und Handlungen oder schweren Selbstverletzungen (Krischer u. Normandin, 2015). Die fehlende Ich-Integration äußert sich in diesem Altersabschnitt in dauernden Affektschwankungen, Beziehungsabbrüchen und Ausbrüchen diverser Symptome, die sich beim Essen, in der Schule oder in schwer selbstschädigenden Verhaltensweisen u. a. manifestieren.
Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter aus psychodynamischer Sicht
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2.2 Verlauf und Stabilität von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter Die Frage der Stabilität von Persönlichkeitspathologie ist bis heute in der Forschung mit Adoleszenten ein bedeutsames und viel diskutiertes Thema. So wurden einerseits hohe Prävalenzraten für Persönlichkeitsstörungsmerkmale im Kindes- und Jugendalter nachgewiesen, die andererseits bis zum frühen Erwachsenenalter wieder deutlich abfielen (Johnson et al., 2000). Im Laufe verschiedener longitudinaler Untersuchungen zur Entwicklung von Persönlichkeitsstörungstraits wurde über einen Zeitraum von acht Jahren ein linearer Rückgang in der Ausprägung dieser Traits zwischen der Präadoleszenz und dem jungen Erwachsenenalter und eine hohe Stabilität nur in einer kleinen Untergruppe gefunden (Johnson et al., 2000; Cohen, Crawford, Johnson u. Kasen, 2005). Johnson führte als eine mögliche Erklärung Reifungsprozesse an, die eine allmähliche Abschwächung exzessiver Verhaltensmuster bedingen, sodass die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr erfüllt werden (Johnson et al., 2000). Andere Studien mit klinischen Stichproben fanden ähnlich mittelmäßig hohe Stabilitätsraten im Jugendalter wie bei Erwachsenen (Chanen, Jackson, McGorry, Allot u. Yuen, 2004; im Überblick Pukrop u. Krischer, 2005), wonach einerseits stabile Traits und andererseits veränderliche Symptom- bzw. Verhaltensmerkmale im Zeitablauf vorzufinden sind (Zanarini, Frankenburg, Hennen, Reich u. Silk, 2005). Etwa zeitgleich wurden mit der McLean Study of Adult Development (MSAD; Zanarini et al., 2005) und der Collaborative Longitudinal Personality Disorders Study (CLPS; Skodol et al., 2005) zwei longitudinal angelegte Studienresultate aus dem Erwachsenenalter publiziert. Die MSAD hat sich insbesondere der Frage nach der Stabilität der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) über einen Zeitraum von zwei, vier und sechs Jahren gewidmet. Im Gegensatz zu den bereits angesprochenen Forderungen der offiziellen Klassifikationssysteme nach einem stabilen überdauernden Muster erfüllen gemäß 16
Definition von Persönlichkeitsstörungen
diesen Ergebnissen 34,6 % der ursprünglich untersuchten erwachsenen Borderline-Patienten bereits nach zwei Jahren nicht mehr die Kriterien für eine BPS-Diagnose, 49,4 % nach vier Jahren und 68,6 % nach sechs Jahren (Zanarini, Frankenburg, Hennen u. Silk, 2003). Die Forschergruppe erkannte die sogenannten akuten Symptome der BPS als am wenigsten stabil, wie beispielsweise Selbstverletzung und quasipsychotisches Denken, wohingegen sich eher temperaments basierte Symptome, sogenannte Traits, über den Studienverlauf hinweg als deutlich stabiler erwiesen, beispielsweise chronische Wut gefühle und Impulsivität. Entsprechende Erkenntnisse aus dem Erwachsenenalter erbrachte die CLPS von Skodol und Mitarbeitern (2005), die ebenfalls einerseits die Stabilität von Persönlichkeitstraits feststellten, andererseits fanden, dass akute Symptome von Persönlichkeitsstörungen über die Zeit remittieren. In einer neueren Studie der Arbeitsgruppe berichten die Autoren von der höchsten Stabilität der Beeinträchtigung sozialer Beziehungen bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (Skodol, Shea, Yen, White u. Gunderson, 2010). Insgesamt weisen die aktuell durchgeführten longitudinalen Studien also darauf hin, dass Persönlichkeitsstörungen keine lebenslangen Zustände darstellen, sondern ihr Verlauf durch Perioden von Stabilität und Veränderung charakterisiert ist. Neuere US-amerikanische Forschungsansätze nehmen hinsichtlich der vergleichsweise häufiger vorkommenden Borderline-Persönlichkeitsstörung im Jugendalter an, dass es zwei Subgruppen Adoleszenter gibt. Die einen weisen schwerere Symptome und eine stabile Diagnose auf, wohingegen in der anderen Subgruppe die Symptomprofile eher schwanken und die Diagnose nicht stabil bleibt (Miller, Rathus u. Linehan, 2007). Der bisherigen Haltung, die Diagnose erst ab dem Erwachsenenalter stellen zu können, wird ein eher kontinuierlicher Entwicklungsgedanke entgegengehalten und angeführt, dass sich schon im Kindesalter bestimmte Auffälligkeiten (wie affektive Symptome und interpersonale Schwierigkeiten) identifizieren lassen (Stepp, Pilkonis, Hipwell, Loeber u. Stouthamer-Loeber, 2010), Verlauf und Stabilität von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter
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die hoch prädiktiv für spätere Persönlichkeitspathologie sind (Goodman, New, Triebwasser, Collins u. Siever, 2010). In einer Studie von Ullrich und Coid (2009) wurde darauf verwiesen, dass sich die erwartete Instabilität zwischen Adoleszenz und frühem Erwachsenenalter nur für histrionische und narzisstische dimensionale Persönlichkeitstraits fand, nicht hingegen für die anderen persönlichkeitspathologischen Merkmale. In einer eigenen Studie mit delinquenten Jugendlichen blieben die Ausprägungen für die mittels DAPP-Fragebogen (Dimensional Assessment of Personality Pathology – Basic Questionnaire; Livesley u. Jackson, 2001) untersuchten Persönlichkeitsmerkmale kognitive Verzerrung, affektive Labilität, Argwohn, unsichere Bindung, Reizsuche und Hartherzigkeit über die beiden Messzeitpunkte hinweg (nach anderthalb Jahren) stabil und zeigten keine Veränderung. Demgegenüber waren signifikante Mittelwertsveränderungen bezüglich der Skalen Identitätsprobleme, Oppositionalität, Selbstschädigung und Verhaltensprobleme auszumachen. Bezüglich dieser Merkmale fand sich zum zweiten Untersuchungszeitpunkt, ohne dass therapeutische Behandlungen durchgeführt worden waren, jeweils eine niedrigere Ausprägung im Vergleich zur Ausgangsmessung ca. anderthalb Jahre zuvor (Krischer, Pukrop, Halstenberg, Lehmkuhl u. Sevecke, 2012). Die Resultate in einer Population ehemals inhaftierter Jugendlicher zur Frage der Stabilität persönlichkeitspathologischer Merkmale nach Ablauf eines Jahres entsprachen den Ergebnissen mehrerer aktueller longitudinaler Studien aus dem Erwachsenenalter (Skodol et al., 2005). Im Einklang mit dem aktuellen Forschungsstand zum Erwachsenenalter befanden sich die stabileren Resultate für sogenannte »Temperamentssymptome« oder Persönlichkeitstraits wie affektive Labilität, Argwohn, Reizsuche, Hartherzigkeit, unsichere Bindung und kognitive Verzerrung.
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Definition von Persönlichkeitsstörungen
2.3 Das Hybridmodell des DSM-5 aus psychodynamischer Sicht Die aus dem DSM-IV bekannte kategoriale Klassifikation der zehn verschiedenen Persönlichkeitsstörungen ist trotz des eindeutig belegten erheblichen Mangels an Reliabilität und Validität in geringfügig veränderter und weiterhin gültiger Form im Kapitel II des DSM-5 zu finden. Das alternative dimensional-kategoriale Hybridmodell ist im Kapitel III (Titel: »Alternative DSM-5 Model for Personality Disorders«) verortet, in dem noch nicht vollständig empirisch überprüfte Konzepte platziert sind, obwohl es auf mehr als 14 Jahren Forschung beruht. Aufgrund berufspolitischer Kontroversen war es nicht möglich, einen Konsens bezüglich eines revidierten diagnostischen Konzepts für Persönlichkeitsstörungen zu erreichen, sodass entschieden wurde, das aus dem DSM-IV bekannte kategoriale Modell mit nur marginalen Veränderungen auch im DSM-5 fortzuführen. Eine dieser Veränderungen ist aus kinder- und jugendpsychiatrischer Perspektive allerdings von erheblicher Bedeutung: Die Alters beschränkung für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung wurde aufgehoben. Damit wird in Bezug auf die anfangs beschriebene Kontroverse den Stimmen Gewicht verliehen, die für Jugendliche mit einer eindeutigen Persönlichkeitspathologie eine entsprechende Diagnose einhergehend mit einer frühzeitigen, spezifischen Behandlung fordern (Überblick bei Sevecke, Schmeck u. Krischer, 2014). Die Inklusion beider Modelle in das DSM-5 bildet somit die Entscheidung der Expertengruppe ab, zum einen die klinische Praxis der bekannten kategorialen Persönlichkeitsstörungsdiagnosen aufrechtzuerhalten, zum anderen einen neuen Ansatz einzuführen, der sich mit den zahlreichen Schwächen des gängigen Models befasst. Kritisiert wurden in der Vergangenheit zum Beispiel die hohe Überlappung der vermeintlich spezifischen Kriterien für mehrere Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, die extreme Heterogenität von Patientinnen und Patienten mit derselben Persönlichkeitsstörungsdiagnose sowie die zeitliche Instabilität. Das Hybridmodell des DSM-5 aus psychodynamischer Sicht
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Die zentrale Neuerung des Hybridmodells stellt die Kombination von dimensionalen und kategorialen Kriterien dar: Die Erfassung der Persönlichkeitspathologie beinhaltet nun sowohl kategoriale Bereiche (sechs kategoriale Persönlichkeitsstörungsdiagnosen) und Facetten (auch diese werden dimensional mit einem Schweregrad geratet) als auch eine dimensionale Skala des Funktionsniveaus der Persönlichkeit zur Globaleinschätzung des Schweregrads der Persönlichkeitsstörung. Nach dem Hybridmodell besteht der Kern der Persönlichkeits pathologie in der Beeinträchtigung von Ideen und Gefühlen im Hinblick auf das Selbst sowie auf zwischenmenschliche Beziehungen. Deswegen muss im ersten Schritt mindestens eine mittelschwere Beeinträchtigung des Funktionsniveaus der Persönlichkeit vorliegen, welche selbstbezogene (»Identität« und »Selbststeuerung«) und zwischenmenschliche Fähigkeiten (»Empathie« und »Nähe«) umfasst. Die im DSM-5 abgebildeten Tabellen der »Level of Personality Functioning Scale (LPFS)« bewerten jeden dieser vier Funktions bereiche (Identität & Selbststeuerung sowie Empathie & Nähe) dimensional mit fünf Schweregraden von einer geringen bis keiner Beeinträchtigung (Grad 0), über eine leichte (Grad 1), mäßige (Grad 2), schwere (Grad 3) bis hin zu einer extremen Beeinträchtigung (Grad 4). Es muss mindestens eine mäßige Beeinträchtigung in der Funktionsfähigkeit der Persönlichkeit vorhanden sein, damit die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gestellt werden kann. Die detaillierte Bestimmung des Schweregrades der Funktionseinschränkung soll die Fähigkeit des Klinikers stärken, eine Persönlichkeitsstörung einwandfrei zu identifizieren und damit eine Grundlage zur Behandlungs entscheidung zu haben. Im zweiten Schritt werden fünf pathologische Persönlichkeitsmerkmale dimensional erhoben, die wiederum in 25 Merkmalsfacetten untergliedert sind. Dabei wird auf eine Variante des gut validierten »Big Five Model« mit den folgenden fünf übergeordneten persönlichkeitspathologischen Merkmalen oder Traits zurückgegriffen: »Negative Affektivität«, »Bindungslosigkeit (detachment)«, »Gegensätzlichkeit/ 20
Definition von Persönlichkeitsstörungen
Antagonismus«, »Enthemmung (disinhibition)« und »Psychotizismus«. Neben diesen fünf übergeordneten Merkmalsbereichen gibt es 25 spezifische untergeordnete Trait-Facetten (trait facets), die aus den existierenden Persönlichkeitsmodellen, Metaanalysen, empirischen Daten zum Zusammenhang dieser Traits und den DSM-IV-Persönlichkeitsstörungen sowie aus ihrer klinischen Relevanz abgeleitet wurden. Die spezifischen kategorialen Persönlichkeitsstörungen, die im Rahmen des Hybridmodells diagnostiziert werden können, sind von den bekannten zehn Kategorien auf die folgenden sechs begrenzt worden: ȤȤ antisoziale Persönlichkeitsstörung; ȤȤ vermeidende Persönlichkeitsstörung; ȤȤ Borderline-Persönlichkeitsstörung; ȤȤ narzisstische Persönlichkeitsstörung; ȤȤ zwanghafte Persönlichkeitsstörung; ȤȤ schizotypische Persönlichkeitsstörung; ȤȤ zusätzlich gibt das Hybridmodell die Möglichkeit einer trait-spezifischen Persönlichkeitsdiagnose (PS-TS) anstelle der DSM-IVRestkategorie »Persönlichkeitsstörung nicht anderweitig spezifiziert«. Schwerwiegende Beeinträchtigungen in der selbstbezogenen und in der interpersonellen Funktionsfähigkeit sind im Hybridmodell nun zu zentralen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung geworden. Das ist unter therapeutischen und insbesondere unter psychodynamischen Aspekten äußerst begrüßenswert, sind doch die Konstrukte »Identität«, »Selbstlenkungsfähigkeit«, »Empathie« und »Intimität« zentrale Komponenten einer gesunden Persönlichkeit. Unter klinischem Blickwinkel kann zusammenfassend festgehalten werden, dass im Gegensatz zur ICD-10 sowie zum bekannten kategorialen Modell im neuen Hybridmodell die Funktionalität der Persönlichkeit sowie pathologische Persönlichkeitsmerkmale und Merkmalsfacetten wesentlich umfangreicher und spezifischer als bislang erfasst werden sollen, was insbesondere aus jugendpsychiatrischer Das Hybridmodell des DSM-5 aus psychodynamischer Sicht
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Perspektive vor dem Hintergrund der Entwicklung der adoleszenten Patienten sinnvoll erscheint. Damit lassen sich nun durch diese detaillierte Beschreibung der pathologischen Merkmale und Facetten relativ stabile Verhaltens- und Erlebensdispositionen von akuten Symptomen einer Persönlichkeitsstörung im Sinne von Einschränkungen in der Funktionsfähigkeit unterscheiden. Dies setzt ausreichende Kenntnis und Schulung voraus und ist im klinischen Alltag deutlich zeitintensiver. Allerdings können die jeweiligen Einschränkungen und Symptome des Patienten oder der Patientin viel genauer erfasst und damit auch gezielter behandelt werden. So treten die für das Jugendalter sehr entscheidenden Dysfunktionalitäten in der Identität, aber auch in der Empathiefähigkeit wesentlich fokussierter hervor, ohne auf die im Jugendalter oft noch nicht eindeutig abzubildenden Persönlichkeitsstörungstypen abzustellen. Wie bereits erwähnt, ist aus kinder- und jugendpsychiatrischer und psychodynamischer Perspektive die aufgehobene Altersbeschränkung als eindeutige Stellungnahme zur Frage der Diagnostizierbarkeit und damit auch zur Behandlungsnotwendigkeit von Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter anzusehen. Dies ist von großer Bedeutung für den klinischen Umgang mit solchen »schwierigen« jugendlichen Patientinnen und Patienten und die Entwicklung spezifischer therapeutischer Ansätze in diesem Altersbereich. Aus grundlegenden Erwägungen heraus erscheint es jedoch bedenklich, dass die Schwelle zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung bei der Veröffentlichung des DSM-5 gesenkt wurde. Während in der aus dem DSM-IV übernommenen Klassifikation im Kapitel II als Schwelle »clinically significant distress or impairment« für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gefordert wird, ist in der im Kapitel III veröffentlichten modifizierten Fassung die Schwelle auf »moderate or greater impairment« gesenkt worden. Dieses Vorgehen wird bei konsequenter Anwendung die Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen deutlich erhöhen und trägt damit weiter bei zu der im Vorfeld der Veröffentlichung des DSM-5 geäußerten erheblichen Kritik (Frances, 2013). Gerade im Kindes- und Jugendalter 22
Definition von Persönlichkeitsstörungen
sollte mit der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sehr sorgfältig umgegangen werden, weshalb diese Absenkung der Schwelle als kritisch anzusehen ist.
2.4 Differenzialdiagnose Adoleszenzkrise versus Persönlichkeitsstörung Die Adoleszenz als eine Zeit der biopsychosozialen Umstrukturierung geht zum einen mit der Entwicklung neuer Fähigkeiten einher, zum anderen kommt es zum Verlust des bisherigen inneren und äußeren Gleichgewichts. So beschreibt die psychoanalytische Literatur sie als eine Phase des »Sturms und Drangs«, als eine Phase des Übergangs oder als psychosoziales Moratorium mit Aufschub der Erfüllung von Verbindlichkeiten (Erikson, 1966). Die sogenannte Adoleszenzkrise, Reifungskrise, adoleszente Identitätskrise oder adoleszente Entwicklungskrise stellt die wichtigste Differenzialdiagnose einer jugendlichen Persönlichkeitsstörung dar. Die Begriffe stehen synonym für eine kritische Phase der Entwicklung und für eine Reihe von Störungsmustern, die nach derzeitigem Verständnis im Gegensatz zur Persönlichkeitsstörung meist plötzlich auftreten, eine dramatisch verlaufende Symptomatik zeigen, auf die dann aber in der Regel eine völlige Normalisierung des Verhaltens folgt (Remschmidt, 1997). Gemäß bisherigem Verständnis können sich Adoleszenzkrisen »als Störung der Sexualentwicklung, Autoritäts-, Identitätskrisen, narzisstische Krisen, aber auch als Depersonalisations- und Derealisationserscheinungen äußern und sind als Überspitzung normaler adoleszenter Entwicklungsvorgänge zu erklären« (Herpertz-Dahlmann u. Herpertz, 2005). Es handelt sich um einen krisen- und schmerzhaften seelischen Zustand, der durch ein überraschendes Ereignis, ein akutes Geschehen oder einen Konflikt hervorgerufen wurde und dann entsteht, wenn sich die Person auf dem Weg zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder bei der Alltagsbewältigung Hindernissen gegenübersieht, die nicht mit den zur Verfügung stehenden ProblemlösungsDifferenzialdiagnose Adoleszenzkrise versus Persönlichkeitsstörung
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methoden bewältigt werden können. Diese zeitlich begrenzte Krise äußert sich als plötzliche oder fortschreitende Verengung der Wahrnehmung, der Wertesysteme sowie der Handlungs- und Problem lösungsfähigkeit, stellt die bisherigen Erfahrungen, Normen, Ziele und Werte infrage und hat für die betroffene Person oft einen bedrohlichen Charakter (Fegert, Streeck-Fischer u. Freyberger, 2009). Dementsprechend hat Remschmidt (1997) die Adoleszenzkrise als fehlgeschlagene Bewältigung der altersspezifischen Entwicklungsaufgaben definiert. Resch und du Bois (2005) sehen darin Störungen, die den Jugendlichen daran hindern, seine alterstypischen und situationsgemäßen Lebensvollzüge zu bewerkstelligen, und betonen biologische, genetische und psychosoziale Einflüsse, die im Rahmen der Strukturbildung und infolge des Risikoverhaltens während der Adoleszenz in Krise, Delinquenz oder Krankheit führen können. Fonagy und Mitarbeiter (Fonagy, Gergely, Jurist u. Target, 2004) hingegen sehen einen krisenhaften Zusammenbruch im Jugendalter nicht als Folge der Adoleszenz, sondern als Folge früherer Entwicklungsstörungen. Remschmidt (1992) hat auf die problematische Ausweitung in der Verwendung des Begriffs Adoleszenzkrise aufmerksam gemacht. Es gebe weder Abgrenzungen zu Lebensschwierigkeiten einerseits noch zu psychiatrischen Erkrankungen andererseits. Die sehr weite Definition der Adoleszenzkrise, die in das gesamte Spektrum zwischen Normalität und Psychose münden kann, wurde wiederholt kritisiert. Aufgrund der Verwirrung, welche Erscheinungen als Adoleszenzkrise angesehen werden können, wurde der Begriff in der psychiatrischen Literatur in den letzten Jahren selten und wenn, dann kritisch verwendet, sodass sich auch hier eine Diskussion entfacht hat, ob es die Adoleszenzkrise überhaupt gibt (Fegert et al., 2009). Die wenigen Forschungsergebnisse hierzu legen dar, dass 46 % aller 13-Jährigen und 33 % aller 16-Jährigen Persönlichkeitsauffälligkeiten in den verschiedenen Bereichen zeigen, die im Erwachsenenalter rückläufig sind (Korenblum, Maron, Golombek u. Stein, 1990). Verlaufsstudien von Hofstra und Mitarbeitern (Hofstra, Van der Ende u. Verhulst, 2002) beschreiben, dass ein höherer Prozent24
Definition von Persönlichkeitsstörungen
satz an Jugendlichen, die in der frühen Adoleszenz große Auffälligkeiten zeigen, im frühen Erwachsenenalter unauffällig ist. Auch SeiffgeKrenke (1993) kann in ihren Untersuchungen zum Bindungsverhalten bei Jugendlichen, die in der eigentlichen Adoleszenz ein Bindungsloch aufweisen, zeigen, dass in der Phase der Umorientierung sich bisher stabile Muster aufzulösen scheinen. Zusammenfassend scheint es vor dem Hintergrund der krisenhaften Umstrukturierung im Jugendalter nach unserer Ansicht jedoch angemessen, an dem Begriff der Adoleszenzkrise festzuhalten und damit der dynamischen Betrachtung einer zeitlich begrenzten Entwicklungsproblematik gerecht zu werden. Wenn von einer Adoleszenzkrise gesprochen wird, schlagen Streeck-Fischer et al. (2009) die Berücksichtigung folgender Punkte vor: ȤȤ Zeitfaktor; ȤȤ der jeweilige (adoleszenzspezifische) Auslöser für das krisenhafte Geschehen, welches den Jugendlichen hindert, seine Entwicklungsaufgabe zu bewältigen, sollte erkennbar werden; ȤȤ es sollten keine schweren psychischen Dekompensationen bzw. Pathologien vorliegen. Da einige Persönlichkeitsstörungsmerkmale gleichzeitig auch passagere Entwicklungsmerkmale darstellen, erscheint eine Differenzierung zwischen einer Persönlichkeitsstörung und einer Adoleszenzkrise mitunter schwierig und als klinische Herausforderung (Schmid, Schmeck u. Petermann, 2008). Dazu gehören insbesondere die mehr verhaltens- als traitbezogenen Merkmale, die nach derzeitigem Forschungsstand eher wenig stabil sind (Skodol et al., 2005). Zwar wird im DSM-5 durch die Aufnahme des Hybridmodells (siehe Kapitel 2.3) – im Gegensatz zur aktuellen kategorialen Erfassung in der ICD-10 – der dringend notwendige Entwicklungsaspekt stärker berücksichtigt, trotzdem ist eine genaue differenzialdiagnostische Einordnung von Persönlichkeitsstörungen versus Adoleszenzkrise auch auf der Basis des aktuellen Systems leider nicht möglich. Differenzialdiagnose Adoleszenzkrise versus Persönlichkeitsstörung
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3 Psychodynamische Theorien zum Verständnis von Persönlichkeitsstörungen
3.1 Objektbeziehungstheorie Die Objektbeziehungstheorie, wie sie bis heute von Otto Kernberg weiterentwickelt wurde, basiert auf der Grundannahme, dass alle Internalisierungen von Beziehungen mit anderen für ein Individuum bedeutsamen Personen von Beginn an affektiv unterschiedliche Merkmale aufweisen, abhängig von der affektiven Färbung der Interaktion, von affektschwachen Interaktionen bis hin zu solchen mit affektiven Spitzen (Kernberg, 2006). Bei der Aktivierung affektiver Spitzen setzen spezifische Internalisierungen ein, die von der dyadischen Natur der frühen Mutter-Kind-Interaktion geprägt sind und zum Aufbau spezifischer Gedächtnisstrukturen führen. Gemäß der Theorie Kernbergs möchte das Baby im Sinne eines primären psychischen Motivationssystems die Voraussetzungen positiver Affektspitzen schaffen oder verstärken, wohingegen es die Bedingungen für negative Affektspitzen zu verringern bzw. zu vermeiden sucht (Clarkin et al., 2008, S. 5). In der Entwicklung eines Individuums kommt es mit zunehmender Integration und Differenzierung der Wahrnehmungen nach Kernberg (2006) zur »Bildung von Arbeitsmodellen zwischenmenschlicher Interaktionen«. Die Objektbeziehungstheorie nimmt an, dass in die frühen Internalisierungen des Kindes die positiven und negativen Erinnerungsspuren getrennt voneinander einfließen und aktiv abgespalten werden, um einen »idealen Erfahrungsraum der Beziehung zwischen Selbst und anderen aufrechtzuerhalten und den bedrohlichen Erfahrungen negativer Affektzustände zu entkommen« (Kernberg, 2006). Dem26
nach werden von Kindern negative Affektzustände häufig projiziert, um sich in der Angst vor »bösen« äußeren Objekten zu manifestieren, während positive Affektzustände in die Erinnerung an eine Beziehung mit »idealen« Objekten münden. Damit entstehen frühkindlich zwei abgespaltene Bereiche psychischen Erlebens, nämlich ein idealisierter und ein verfolgender Erfahrungsbereich, wobei das idealisierte Segment den Säugling vor der Kontaminierung mit schlechten Erfahrungen schützt, bis zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt eine größere Fähigkeit zur Frustrationstoleranz entstanden ist. Diese frühe Entwicklungsphase psychischer Selbst- und Objektrepräsentanzen geht im Zuge normaler frühkindlicher Erfahrungen in die Phase der Integration dieser zwei Segmente affektiver Spitzen über, indem allmählich mittels der Vorherrschaft idealisierter Erfahrungen paranoides Erleben neutralisiert und dadurch besser integriert wird. Dieser Prozess wird gemäß der Ich-Psychologie der Entwicklung einer Objektkonstanz bzw. dem Übergang von der paranoidschizoiden zur depressiven Position (im kleinianischen Sinne) dem zweiten und Ende des dritten Lebensjahres zugeschrieben. Wenn diese Stufe der Identitätsintegration nicht erreicht wird, halten Phasen der Dissoziation und Spaltung zwischen idealisierten und verfolgenden Erfahrungsanteilen im Sinne vieler nicht integrierter Selbst- und Objektrepräsentanzen an. Dies ist die Basis für das Syndrom der Identitätsdiffusion, welches nach Otto Kernberg eine der Voraussetzungen für die pathologische Entwicklung im Sinne einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation darstellt. In der Objektbeziehungstheorie nach Kernberg werden Einheiten des Selbst, des Anderen und der verbindende Affekt beschrieben, welche als eine Objektbeziehungsdyade verstanden werden (Normandin, Ensink, Weiner u. Kernberg, 2014). Die Einheiten aus Selbst und Anderem werden als Repräsentanzen verstanden, die jeweils mit affektiven Erinnerungsspuren aus frühen Bindungserfahrungen aufgeladen bzw. verbunden sind. Um diese Objektbeziehungsdyaden organisiert sich die innerpsychische Abwehr, die das beobachtbare Verhalten des Individuums beeinflusst. Objektbeziehungstheorie
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3.2 Das psychodynamische Identitätskonstrukt im Jugendalter Identität kann als ein fundamentales Organisationsprinzip verstanden werden, das einem Menschen erlaubt, unabhängig von anderen zu funktionieren. Identität spielt eine Rolle beim Selbstwert und bei der Selbstwahrnehmung und unterstützt die Fähigkeit, zwischen sich und anderen zu unterscheiden sowie zu erkennen, wie man selbst auf andere wirkt. Über verschiedene Situationen und die Zeit hinweg schafft eine stabile Identität Vorhersehbarkeit und Kontinuität innerhalb einer Person (Kernberg et al., 2000). Demzufolge beschrieb Paulina Kernberg ein Modell, um die Entstehung von Identitätsstörungen im Kindes- und Jugendalter erklären, erfassen und behandeln zu können (Kernberg et al., 2000; siehe auch Foelsch et al., 2010). In diesem Modell konzentrierte sie sich besonders auf die Adoleszenz, in der zwischen einer normalen Identitätskrise oder auch Adoleszentenkrise (siehe Kapitel 2.4) und einer Identitätsdiffusion unterschieden werden kann. Identität enthält nach Akhtar und Samuel (1996) die folgenden Komponenten: realistisches Körperbild, Selbstkonstanz, gleichbleibende Einstellungen und Verhalten, zeitliche Kontinuität des Selbsterlebens, Aufrichtigkeit und Authentizität, Geschlechtsidentität, internalisiertes Gewissen und ethnische Identität (Wertevorstellungen, Erziehungspraktiken, Sprache, Kultur, Tradition u. a.). Identitätskrisen gehen normalerweise in eine normale und gefestigte Identität mit flexiblem und anpassungsfähigem Funktionsniveau über, während Identitätsdiffusion als die Grundlage für spätere Persönlichkeitspathologien angesehen werden kann, die zu einem breiten Spektrum an maladaptivem und dysfunktionalem Verhalten führt. Nach Erikson gehört die Entwicklung einer stabilen Identität zu den zentralen Entwicklungsaufgaben eines Jugendlichen. Er entwickelte bereits 1950 die Konzepte einer »normalen Ich-Identität«, der »Identitätskrise« sowie der »Identitätsdiffusion« und hielt sie für die entscheidenden Bedingungen für eine normale adoleszente Per28
Verständnis von Persönlichkeitsstörungen
sönlichkeitsentwicklung bzw. für die Ausbildung von adoleszenten schwerwiegenden Persönlichkeitsstörungen. Erikson (1966) beschrieb den Prozess der Identitätsbildung als einen, in dem der Adoleszente frühere Identifikationen miteinander verbindet und zu einer integrierten persönlichen Identität gelangt. Herausforderungen während der Identitätsbildung eines Adoleszenten bestehen in grundlegenden Entwicklungsaufgaben wie der Definition der eigenen Person im sozialen Kontext (»psychosoziale Selbstbestimmung«), der Etablierung erster Partnerschaften (»körperliche Intimität«), der Festlegung auf einen Beruf und dem aktiven Konkurrenzkampf mit anderen, die alle mehr oder weniger schwer ausgeprägte Identitätskrisen erzeugen können (Erikson, 1966). Vor allem die Diskrepanz zwischen dem sich schnell verändernden körperlichen Selbst und dem psychischen Erleben einerseits und der immer breiter werdenden Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung andererseits kann zu einer vorübergehenden Überforderung und zur Entwicklung einer Identitätskrise führen. Bei Identitätskrisen bleibt jedoch trotz des Experimentierens mit verschiedenen Rollen die Kontinuität des Selbst über Situationen und Zeit hinweg erhalten und sie enden meistens in einer gut integrierten Identität. Der Prozess der Identitäts bildung beschleunigt sich in der Adoleszenz und endet typischerweise im jungen Erwachsenenalter. Deshalb hilft die Lösung einer Identitätskrise einem Heranwachsenden, befriedigende Freundschaften zu entwickeln, intime und sexuelle Beziehungen einzugehen, angemessen mit Eltern und Lehrpersonen zu interagieren, sich selbst klare Ziele zu setzen und ein positives Selbstbewusstsein zu entwickeln. Im Gegensatz dazu versteht man unter einer sogenannten Identitätsdiffusion eine Identitätsstörung, die beispielsweise einer BPS zugrunde liegt. Clarkin beschreibt das wie folgt: »Fehlen eines integrierten Konzepts des Selbst und der wichtigen Bezugspersonen […] [Es ist] sichtbar in unreflektierten, widersprüchlichen und chaotischen Beschreibungen des Patienten von sich selbst und anderen und zeigt sich auch in der Unfähigkeit, diese Widersprüche zu integrieren oder überhaupt wahrzunehmen« (Clarkin et al., 2001, S. 6). Das psychodynamische Identitätskonstrukt im Jugendalter
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Von Paulina Kernberg wurde die Identitätsdiffusion beschrieben als »das Fehlen eines integrierten Selbstkonzepts und eines Konzepts wichtiger Bezugspersonen, deswegen kann sich der Kliniker kein Bild von der Selbstsicht des Patienten oder seiner Sicht auf andere Menschen seines Umfeldes machen« (Kernberg et al., 2000, S. 54). Für die Unterscheidung zwischen normaler Identitätskrise und Identitäts diffusion sollten die folgenden Kriterien beachtet werden, die normalerweise bereits im ersten Interview in der Selbstbeschreibung oder der Beschreibung von anderen zu erkennen sind: ȤȤ Verlust der Fähigkeit, sich selbst zu definieren; ȤȤ Defizite in Autonomiefunktionen; ȤȤ fehlende Integration des Konzepts von sich selbst und bedeutsamen Anderen; ȤȤ mangelnde Überwindung der Separations-/Individuationsphase; ȤȤ instabile Selbst- und Objektrepräsentation; ȤȤ Verlust von Perspektiven; ȤȤ chaotische Selbstbeschreibung; ȤȤ Beschreibung von anderen in widersprüchlicher, rigider oder klischeehafter Form; ȤȤ Pseudounterwürfigkeit oder Pseudoaufsässigkeit; ȤȤ nicht integriertes Über-Ich; ȤȤ Schwierigkeiten, sich bei der Arbeit, in vertraulichen Beziehungen, bei Werten oder Zielen zu engagieren; ȤȤ Überidentifikation mit Gruppen oder Rollen; ȤȤ schmerzhaftes Gefühl von Inkohärenz. Seiffge-Krenke beschreibt in ihrem Buch »Therapieziel Identität« (2012) eine durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen stark veränderte Identitätsentwicklung, die spezifische Behandlungstechniken erfordere. Das Buch arbeitet die Ursachen für die veränderte Identitätsentwicklung heraus, die letztendlich auch zu veränderten Beziehungen geführt haben, und reflektiert die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die therapeutische Arbeit. Wo früher nach Seiffge-Krenke die Entwicklung einer stabilen Bindung und 30
Verständnis von Persönlichkeitsstörungen
die Wiederherstellung der Autonomie vordringliche Therapieziele waren, rücke heute verstärkt die Identitätsarbeit in den Vordergrund und oftmals »das Zusammenfügen von nichtkohärenten Identitätsfragmenten«. Da sich Familie und Arbeitswelt als eigentliche Ankerpunkte für eine solide Identitätsentwicklung im Umbruch befinden, nimmt nach Seiffge-Krenke die Zahl der Fälle mit Identitätsdiffusion gegenwärtig zu. Auch die zeitlichen Dimensionen der Identitätsentwicklung hätten sich stark verändert und führen nun zu einer länger dauernden Beelterung.
Das psychodynamische Identitätskonstrukt im Jugendalter
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4 Psychodynamisch orientierte Psychotherapieverfahren
4.1 Die psychodynamisch orientierte Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitspathologie Im Jugendalter kommen Borderline-Patientinnen und -Patienten am häufigsten aufgrund von Selbstverletzungen, Depressivität und akuter Suizidalität in die klinische, meist stationäre Behandlung. Ambulante Therapieversuche, wenn sie überhaupt von Borderline-Jugendlichen in Anspruch genommen werden, scheitern oft an deren fehlender Motivation. Bisher wurde die Borderline-Problematik in der Adoleszenz allerdings aufgrund der Zurückhaltung gegenüber zu frühem Label ing in der Forschung lange Zeit vernachlässigt und erst in der jüngsten Zeit vermehrt beforscht. Inzwischen liegen Untersuchungen auch aus dem deutschsprachigen Raum vor, welche belegen, dass die Zahl von Adoleszenten mit einer Borderline-Störung deutlich höher ist, als lange Zeit angenommen, und vergleichbare Resultate aus dem Erwachsenenalter übertrifft (Krischer et al., 2007; Krischer, Sevecke, Döpfner u. Lehmkuhl, 2006). Die klinisch-vollstationäre Behandlung dieser Jugendlichen auf allgemeinen Versorgungsstationen birgt die Gefahr, dass sie dort zu stark regressivem Verhalten und Ausagieren neigen und dadurch die stationäre Behandlung erschweren und häufig verlängern (oder zum Abbruch bringen). Einerseits bedingt ihre Regressionsneigung häufig eine Verschlechterung der Symptomatik mit vermehrten Selbstverletzungen und Zunahme der Suizidalität, andererseits gelingt es ihnen, das gesamte Behandlungsteam in gut und böse zu spalten und damit die Behandelnden zu überfordern und bei ihnen Ausstoßungstendenzen gegenüber diesen Patientinnen und Patienten hervorzurufen. 32
Bis heute stellt die ambulante psychotherapeutische Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörungen für niedergelassene Behandler eine Herausforderung dar, insbesondere wenn wiederholte Suizidversuche mit stationären Behandlungsabschnitten die ambulante Psychotherapie unterbrechen und zum Teil unmöglich machen. Noch gibt es wenige für jugendliche Borderline-Patienten spezialisierte niedergelassene Therapeuten oder auch Kliniken, welche die besonderen Schwierigkeiten mit dieser Patientengruppe in den Blick nehmen. Diese Angebote sind vorwiegend an das Konzept der Dialektisch-Behavioralen Therapie für Adoleszente (DBT-A) angelehnt, welche auf die Verringerung selbstverletzenden Verhaltens durch Erlernen von Fertigkeiten zu innerer Achtsamkeit, Stress- und Gefühlstoleranz abzielt (Stippel, 2015). Die lange währende Zurückhaltung, eine Persönlichkeitsstörung überhaupt im Jugendalter zu diagnostizieren, hat den Prozess der Entwicklung adäquater spezialisierter Behandlungsansätze für Jugendliche mit Borderline-Persönlichkeitsstörung in den letzten Jahren verlangsamt und erschwert. Doch beginnen klinische Einrichtungen, die Therapie von Persönlichkeitsstörungen bei Jugendlichen überhaupt in ihr Behandlungsprogramm aufzunehmen. Eine auf der Übertragungsfokussierten Psychotherapie für Adoleszente (Transference Focused Psychotherapy for Adolescents, TFP-A) basierende spezialisierte Behandlungsform ist an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Köln mit der Einrichtung einer Tagesklinik zur Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitsentwicklungsstörungen unter der Leitung der Autorin Krischer entstanden (Krischer u. Normandin, 2015). Nach einem spezialisierten psychodynamisch basierten Konzept werden hier Borderline- Jugendliche in einem mehrwöchigen Programm einzel-, gruppenund milieutherapeutisch mit Techniken der TFP-A behandelt, was derzeit beforscht wird.
Die psychodynamisch orientierte Behandlung
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4.2 Wirksamkeit psychodynamisch orientierter Psychotherapieverfahren zur Behandlung von Persönlichkeitspathologie Die Anzahl empirischer Arbeiten, die sich mit der Wirksamkeit psychodynamischer Jugendlichenpsychotherapien bei verschiedenen psychopathologischen Störungsbildern beschäftigen, ist zwar im Vergleich zur Verhaltenstherapie immer noch gering, hat sich aber in den letzten Jahren deutlich erhöht (Seiffge-Krenke, 2010; Seiffge-Krenke u. Nitzko, 2011; Krischer et al., 2013; Midgley, Anderson, Grainger, Nesic u. Urwin, 2009). Eine Metaanalyse verschiedener Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie bei Erwachsenen von Leichsenring (2008) hat gezeigt, dass insbesondere die für Persönlichkeitsstörungen charakteristische komorbide Symptomatik (affektive Störungen, Phobien, Zwangsstörungen, somatoforme Störungen) sich mittels psychodynamischer Therapie mit bemerkenswert großen Effekten von d = 1,88 zum Therapie-Ende und d = 2,19 zur Katamnese verbessert und auch mit positiven Veränderungen im Bereich der interpersonellen Probleme von d = 1,41 zum Therapie-Ende und d = 1,50 zur Katamnese einhergeht. Angesichts der noch zurückhaltenden Beforschung von Persönlichkeitsentwicklungsstörungen im Jugendlichenalter liegen zu diesem Störungsbild noch wenige Studien zur Wirksamkeit psychodynamischer Behandlungsansätze vor (Krischer et al., 2013). Nach einhelligem Forschungsstand der verschiedenen Therapieschulen erscheint jedenfalls eine störungsspezifische Therapie in dieser Entwicklungsphase der Adoleszenz notwendig und hilfreich (Fleischhaker et al., 2011; Chanen u. McCutcheon, 2013; Stippel, 2015; Normandin et al., 2014). Frühe Interventionen werden als bedeutsam angesehen, um Folgeproblematiken und chronische Entwicklungen möglicherweise eindämmen zu können (Kaess, Brunner u. Chanen, 2014). Die Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz (MBT-A) stellt eine Modifikation der MBT dar und hat sich bei der Behandlung Jugendlicher mit selbstverletzendem Verhalten bereits als wirksamer 34
Psychodynamisch orientierte Psychotherapieverfahren
erwiesen als eine unspezifische psychiatrische Behandlung (»treatment-as-usual«) (Rossouw u. Fonagy, 2012). Für die von Kernberg und Mitarbeitenden entwickelte Übertragungsfokussierte Psychotherapie und ihre Weiterentwicklung im Jugendalter (Krischer u. Normandin, 2015), auf die weiter unten näher eingegangen wird, steht der Wirksamkeitsnachweis für die Behandlung Jugendlicher mit Border line-Persönlichkeitsstörung noch aus. Im Unterschied dazu hat die Erforschung der Wirksamkeit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie (Transference Focused Psychotherapy, TFP, Clarkin et al., 2008) sowie der Mentalisierungs basierten Therapie (MBT, siehe Kapitel 4.4) bei Erwachsenen mit BPS eine Vielzahl an Veröffentlichungen und mehrere Wirksamkeitsnachweise mit einem randomisierten Forschungsdesign erbracht (Clarkin, Levy, Lenzenweger u. Kernberg, 2007; Doering et al., 2010). So konnte die Untersuchung von Doering und Mitarbeitern (2010) nach einem Jahr ambulanter Psychotherapie von Erwachsenen mit BPS eine signifikante Verbesserung im Hinblick auf Symptomatik und psychosoziales Funktionieren in jener Gruppe der Patienten belegen, die mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie behandelt wurden, gegenüber der Gruppe, die von nicht spezialisierten niedergelassenen Psychotherapeuten therapiert wurde. Darüber hinaus fand diese Forschungsgruppe Hinweise auf eine Überlegenheit der Untersuchungsgruppe hinsichtlich der Reduzierung der Suizidalität und der Inanspruchnahme stationärer Behandlung. Mit einem randomisierten Behandlungsdesign und der Einbeziehung von drei Behandlungsgruppen, nämlich einer TFP-Gruppe, einer DBT-Gruppe und einer, die mit einer supportiven psychodynamischen Therapie behandelt wurde, konnten Clarkin und Mitarbeiter (2007) in allen drei Gruppen eine signifikante Reduzierung der Suizidalität sowie der Impulsivität belegen, allerdings nur in der TFP-Gruppe eine Verbesserung im Hinblick auf Reizbarkeit, Ärger und verbale Angriffe sowie eine deutliche Verbesserung des reflexiven Funktionsniveaus und des Bindungsstils. Damit erfüllt die TFP nach den deutschsprachigen S2-Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Wirksamkeit psychodynamisch orientierter Psychotherapieverfahren
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Gesellschaften (AWMF) die Kriterien für eine wirksame Therapiemethode bei der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen und dabei den Evidenzgrad 1b (mehrere randomisierte kontrollierte Studien).
4.3 AIT: Adolescent Identity Treatment Wie schon ausgeführt, werden Identitätsstörungen als Kernsymptom von Persönlichkeitsstörungen beschrieben (siehe auch Schmeck, Schlüter-Müller, Foelsch u. Doering, 2013) und zählen im DSM-5 zu den Einschränkungen im Funktionsbereich »Selbst-bezogene Persönlichkeitsfunktionen« (Identität und Selbstlenkung). AIT (Adolescent Identity Treatment; Foelsch et al., 2014) integriert spezifische Techniken zur Behandlung von Persönlichkeits pathologien im Jugendalter auf der Grundlage der Objektbeziehungstheorie und modifizierter Elemente der Übertragungsfokussierten Psychotherapie (siehe Kapitel 4.1 und 6) von Clarkin et al. (2008). Techniken sind Klärung, Konfrontation und Deutung, wobei der Schwerpunkt deutlich auf der Klärung und Konfrontation liegt und Deutungen zurückhaltend und wenn, dann eher spielerisch und als Hypothese unter Einbeziehung des Adoleszenten angewandt werden (»Ich könnte mir vorstellen, dass …, was denkst du, wenn ich das sage, macht das für dich Sinn?« Usw.). Wie beim Vorgehen in der Übertragungsfokussierten Psychotherapie wird die dominante Objektbeziehungsdyade bestimmt, und die therapeutischen Interventionen sind auf das affektive Erleben im Hier und Jetzt fokussiert. Im Gegensatz zu anderen psychodynamischen Verfahren werden bei AIT gezielt Elemente aus verhaltenstherapeutischen und systemischen Therapieansätzen integriert, und die allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie werden als wesentliche Elemente der therapeutischen Arbeit betont. Zu Beginn der Behandlung werden die Patientinnen und Patienten und ihre Eltern ausführlich über das Störungsbild und die daraus folgenden Konsequenzen für die Behandlung aufge36
Psychodynamisch orientierte Psychotherapieverfahren
klärt (Psychoedukation). Da Jugendliche basale Verhaltensstandards erfüllen müssen, um zu Hause leben zu können, sind verhaltensbezogene Interventionen oft notwendig. Diese werden bei AIT mit einem verhaltenstherapeutisch orientierten »Homeplan« umgesetzt. Da die meisten Adoleszenten im Familiensystem leben, müssen Eltern in die Behandlung einbezogen werden, was auch in der TFP-A, der MBT-A und der DBT-A erfolgreich umgesetzt wird. Die intensive Einbeziehung der Familien oder anderer Bezugspersonen bei den Jugendlichen, die in Institutionen leben, ist deshalb ein fester Bestandteil von AIT, um den therapeutischen Prozess der Jugendlichen zu unterstützen. Ferner wird, wie auch bei anderen Therapieverfahren, ein Vertrag mit den Jugendlichen und deren Eltern abgeschlossen. Seit 2015 wird in der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg sowie der Universidad Católica in Santiago de Chile eine kontrollierte klinische Studie durchgeführt, die die beiden Verfahren zur Behandlung von Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörungen, AIT (Adolescent Identity Treatment) und DBT-A (Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente), miteinander vergleicht.
4.4 MBT-A: Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz Mentalisierung wird von Fonagy und Kollegen (Fonagy, Gergely, Jurist u. Target, 2002) als die sozial-kognitive Fähigkeit verstanden, sich mentale Zustände im eigenen Selbst und in anderen Menschen vorzustellen. In der Adoleszenz müssen Bindungsqualitäten und frühkind liche Formen der Objektbeziehungen zwischen Eltern und Kind auf soziale Institutionen und Peers übertragen und adaptiv aktualisiert werden. Die Adoleszenten verändern dabei ihre Identität, Selbstwahrnehmung und ihre sozialen Beziehungen. Fonagy et al. (2002) sehen MBT-A: Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz
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den Anstieg psychopathologischer Erkrankungen in der Adoleszenz eng mit einer eingeschränkten Mentalisierungsfähigkeit verbunden, wobei sie den Ursprung der Mentalisierungsdefizite auf Fehlabstimmungen und missbräuchliche Erfahrungen in den frühen Bindungsbeziehungen zurückführen. Die Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz (MBT-A) ist eine Modifikation der MBT und hat sich bei der Behandlung Jugendlicher mit selbstverletzendem Verhalten bereits als wirksamer erwiesen als eine standardpsychiatrische Behandlung (»treatment-as-usual«) (Rossouw u. Fonagy, 2012). MBT-A ist eine psychodynamische Psychotherapie, die in der Bindungstheorie wurzelt. Die Behandlung besteht aus einer Kombination von Einzel- und Familiensitzungen. Die wöchentliche Frequenz variiert in Abhängigkeit vom jeweiligen Therapierahmen: In ambulanten Settings werden die Einzelsitzungen zumeist einmal pro Woche und die Familiensitzungen einmal im Monat durchgeführt; in stationären Settings werden oftmals Einzelsitzungen und Gruppensitzungen zweimal pro Woche sowie wöchentliche Familiensitzungen abgehalten. Die Länge von MBT-A kann ebenfalls in Abhängigkeit vom jeweiligen Programm variieren. MBT-A ist eine manualisierte Therapie, deren Durchführung von einer regelmäßigen Supervision begleitet werden sollte, welche ebenfalls einen mentalisierenden Schwerpunkt aufweist (für einen Überblick siehe Taubner u. Sevecke, 2015, sowie das geplante Buch von Svenja Taubner zur MBT-A in der Reihe »Psychodynamik kompakt«). Die Behandlung ist in vier Phasen unterteilt, die jeweils eigene Zielformulierungen enthalten. Nach der Diagnostikphase erhält jeder MBT-A-Patient eine schriftliche Fallformulierung, die zusätzlich einen Krisenplan für die Familie und den Patienten beinhaltet. In der Folge wird an dem Kernziel der MBT-A gearbeitet, die Mentalisierungsfähigkeit in Situationen mit starker Affektivität zu verbessern, zum Beispiel bei Gefühlen von Zurückweisung und Konflikten in Bindungsbeziehungen. Die Sitzungen sind generell nicht vorstrukturiert, sondern fokussieren auf die aktuellen interpersonalen 38
Psychodynamisch orientierte Psychotherapieverfahren
Erfahrungen der Patientinnen und Patienten. Das Ziel der Familiensitzungen besteht darin, die Mentalisierungsfähigkeiten des Familiensystems, besonders in Bezug auf familiäre Konflikte, zu steigern. In der finalen Phase der Behandlung werden, wie in vielen psycho dynamischen Therapien üblich, Themen von Trennung und Abschied sowie weitere Bewältigungsstrategien und Herausforderungen mentalisierend besprochen. Die MBT-A eignet sich insbesondere auch für Jugendliche mit einer Störung des Sozialverhaltens, die auf der Grundlage einer Affektdysregulation aggressives Verhalten zeigen. Die Wirksamkeit von MBT-A bei einer Störung des Sozialverhaltens wird aktuell im Rahmen einer Umsetzbarkeits- und Pilotstudie unter der Leitung von Svenja Taubner und Kathrin Sevecke in Innsbruck, Klagenfurt und Heidelberg erprobt.
MBT-A: Mentalisierungsbasierte Therapie in der Adoleszenz
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5 Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht
Die Problematik einer kategorialen Diagnostik von Persönlichkeitspathologie mit einer hohen Überschneidung mehrerer komorbider Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, mit der extremen Heterogenität von Patienten mit der gleichen Persönlichkeitsstörungsdiagnose und der zeitlichen Instabilität ist hinlänglich bekannt und vielfach diskutiert. Dennoch ist, wie bereits beschrieben, angesichts langjähriger klinischer Erfahrungen bis heute die kategoriale Diagnostik auch im DSM-5 nicht aufgegeben worden. Für das Jugendalter wird angesichts der hoch angesetzten Schwellenwerte für das Vorliegen einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung empfohlen, die Schwelle auf Wahrscheinlichkeitsdiagnosen herabzusetzen, um der noch fehlenden Lebenserfahrung und etwa den vergleichsweise geringen Erfahrungen im Bereich der Beziehungen von Jugendlichen Rechnung zu tragen (Fleischhaker et al., 2011). Die empirische Forschung gibt der dimensionalen Diagnostik insbesondere im Jugendalter gegenüber der kategorialen Diagnostik den Vorzug, da die hohen Überschneidungen zwischen den verschiedenen Persönlichkeitsstörungskategorien in der Adoleszenz zu wenig passenden und individuellen Diagnosen führen. In den vergangenen Jahren wurde in der Erwachsenenliteratur intensiv darüber diskutiert, dass die hohe Komorbidität zwischen Persönlichkeitsstörungen und Achse-I-Störungen einerseits und die Überschneidungen zwischen den einzelnen Persönlichkeitsstörungen andererseits zu Schwierigkeiten bei der individuellen Diagnosestellung und Behandlungsplanung führen (Herpertz-Dahlmann u. Herpertz, 2005; Pukrop, 2008). Aus diesem Grund besteht inzwischen weitgehende Einigkeit darüber, die 40
Trennung zwischen Achse-I- und Achse-II-Störungen aufzuheben, um damit dem Bedürfnis nach einer individualisierten Diagnostik, zum Beispiel durch dimensionale Profile, Rechnung zu tragen. Für das Jugendalter wird insbesondere die Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen mit Essstörungen, AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Posttraumatischer Belastungsstörung hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass sich daraus spezifische Probleme für die Klassifikation von Persönlichkeits störungen im Jugendalter ergeben. Verschiedene deutschsprachige Studien konnten die hohe Überschneidung um 40 % von Persönlichkeitsstörungen mit Essstörungen insbesondere für die Bulimia nervosa im Jugendalter belegen (Salbach-Andrae et al., 2008). Hinsichtlich der Klassifikation stellt sich die Frage, ob sich Jugendliche mit und ohne Persönlichkeitsstörung in der Ausprägung und Schwere der Problematik unterscheiden. Insbesondere führen diese Resultate zu der Frage, ob sich beim Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung der Verlauf von Essstörungen gegenüber Patienten ohne Persönlichkeitsstörungen unterscheidet (Krischer, Sevecke, Petermann, HerpertzDahlmann u. Lehmkuhl, 2010). Aus klinischer Sicht wäre denkbar, dass bei Patienten ohne Persönlichkeitsstörung eine Essstörung eher ein vorübergehendes Phänomen im Rahmen der Adoleszenz darstellt, wohingegen sich die Essstörung bei Jugendlichen mit Persönlichkeitsstörung bis ins Erwachsenenalter erstreckt. Darüber hinaus haben Forscher die hohe Überschneidung der ADHS mit Persönlichkeitsstörungen speziell vom antisozialen Typ sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenalter nachgewiesen (Manuzza, Klein, Bessler, Malloy, LaPaluda, 1998; Nigg et al., 2002; Rösler, Fischer, Ammer, Ose u. Retz, 2009; Salbach-Andrae et al., 2008; Sevecke, Lehmkuhl u. Krischer, 2008). Demnach stellt sich die Frage, ob eine ADHS als ein Vorläufer für eine Persönlichkeitsstörung anzusehen ist, ob die diagnostischen Kriterien der ADHS zu unspezifisch für eine eindeutige Unterscheidung sind oder ob die bisherige Trennung zwischen kindheitsspezifischen und Erwachsenendiagnosen ohne Einbeziehung des Entwicklungsprozesses über die LebensDiagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht
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spanne zu einer unterschiedlichen Klassifikation ähnlicher Symptome in den unterschiedlichen Altersspannen führt (Sevecke et al., 2008). In diesem Fall wäre zu überlegen, ob nicht die bisherige Zurückhaltung bei der Einbeziehung früher pathologischer Persönlichkeitsentwicklungen schon bei Kindern die Weiterentwicklung des Verständnisses der ADHS einschränkt. Eine hohe konzeptionelle Überschneidung zwischen insbesondere der Borderline- sowie der antisozialen Persönlichkeitsstörung und frühen Traumatisierungen wurde in verschiedenen deutschen Studien hervorgehoben (Brunner, Parzer u. Resch, 2001). Schmid und Mitarbeiter (Schmid, Fegert u. Petermann, 2010) beschrieben eine Breitbandsymptomatik als Folge sequenzieller Kindheitstraumata, andere die gemeinsame ätiologische Grundlage von Persönlichkeitsstörungen und der Posttraumatischen Belastungsstörung (Jucksch, Salbach-Andrae u. Lehmkuhl, 2009; Sevecke et al., 2008). So konnten Herbst und Mitarbeiter in einer Stichprobe stationär behandelter Patienten mit multiplen und lang anhaltenden interpersonellen Traumatisierungserfahrungen zwar nur einen geringen Anteil von 29 % mit der Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung, aber mit einem Anteil von 44 % der Jugendlichen die am häufigsten vergebene Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus feststellen (Herbst, Jaeger, Leichsenring u. StreeckFischer, 2009). Sie beschreiben die Borderline-Persönlichkeitsstörung in ihrer Studie als die Diagnose, welche die Folgen von traumatischen Erfahrungen, wie interpersonelle Schwierigkeiten, Störungen der Affekt- und Impulsregulation, chronische Ängste, Depression und selbstdestruktive Verhaltensweisen, am ehesten abbildet. Die Autoren verweisen darauf, dass im Jugendalter eine genauere diagnostische Differenzierung vonnöten erscheint, um zwischen einer BorderlinePersönlichkeitsstörung und einer Traumafolgestörung zu unterscheiden, da traumatisierte Jugendliche Symptome zeigen, welche der BPS klassifikatorisch zugeordnet werden können (ähnlich auch StreeckFischer, 2008), obwohl möglicherweise die Diagnose der komplexen Traumastörung angemessener wäre. Ähnlich wird die Übernahme der 42
Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht
Diagnostikkriterien aus dem Erwachsenenalter für die Beschreibung von kinder- und jugendspezifischen Symptomen nach Traumatisierungen als problematisch bezeichnet und die hohe Komorbidität mit Symptomen insbesondere der BPS betont (Schmid et al., 2010). Im Jugendalter wäre differenzielle Forschung vonnöten, um mittels der Unterscheidung von Gruppen (einfach und vielfach) traumatisierter Jugendlicher mit und ohne Symptome der BPS genauere Erkenntnisse zum Verständnis der Problematik zu gewinnen. Eine theoriegeleitete Definition der Borderline-Persönlichkeitspathologie wurde von Otto Kernberg mit dem Begriff der Border line-Persönlichkeitsorganisation eingeführt. Gemäß seiner Definition zeichnen sich Personen mit Borderline-Persönlichkeitsorganisation durch eine Identitätsdiffusion, den Einsatz primitiver Abwehrmechanismen, eine brüchige, aber vorhandene Realitätsprüfung, Beeinträchtigungen in der Regulation von Affekten, inkonsistente innere Werte sowie gestörte Beziehungen zu anderen aus (Kernberg, Weiner u. Bardenstein, 2000). Mit dem Syndrom der Identitätsdiffusion ist ein Mangel an innerer Integration angesprochen, der den Kern der Störung ausmacht. Damit ist gemeint, dass diesen Patientinnen und Patienten ein integriertes Selbst- und Fremdkonzept fehlt, was sich im Einsatz unreifer Abwehrmechanismen zeigt und zudem in fragmentierten primitiven positiven (idealisierten) und negativen (verfolgenden) Segmenten früher Objektbeziehungen, die als Erinnerungsspuren früher Erfahrungen die Persönlichkeitsstruktur bestimmen. Unreife Abwehrmechanismen als vorherrschende Abwehrformation organisieren sich gemäß dieser Definition um den Modus der Spaltung als einer radikalen Trennung von guten und schlechten Affekten sowie guten und bösen Objekten. Die darauf beruhende Beziehungsstörung drückt sich in einem schwach ausgebildeten Selbstgefühl aus, das zwischen den Extrempolen eines bedürftig-hilflosen und eines omnipotenten Selbst hin- und herschwankt. Dem entsprechend werden andere Personen abwechselnd als bestrafend-versagende oder idealisiert-nährende Objekte wahrgenommen, ohne sich in einem realistischen Mittelbereich zu treffen. Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht
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Für die in Entwicklung begriffenen Ausprägungen der Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter stellt das theoretisch fundierte Modell der Borderline-Persönlichkeitsorganisation ein griffiges diagnostisches Bezugssystem dar, das weniger auf verhaltensbezogene als auf strukturelle Merkmale der Persönlichkeit abstellt, wie Organisation der Abwehrmechanismen, Gestaltung der Objektbeziehungen, Affektregulierung u. a. Mit dem Begriff der Borderline-Persönlichkeitsorganisation können jugendliche Patienten identifiziert werden, die einem einheitlichen Störungsbild entsprechen und sich im Hinblick auf ihre strukturellen Defizite der Persönlichkeit gleichen. Da diese Definition von strukturellen Aspekten einer Borderline-Persönlichkeit ausgeht, die sich früh auf der Basis von angeborenen Merkmalen und lebensgeschichtlichen Erfahrungen entwickeln, erstreckt sich ihr Gültigkeitsbereich auch auf Jugendliche (Normandin et al., 2014). Die Persönlichkeitsorganisation ist mit einem semistrukturierten Interview, dem Strukturierten Interview zur Persönlichkeitsorganisation (STIPO, Clarkin et al., 2004), valide zu erfassen und definiert Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation, wobei zugleich das Strukturniveau (niedrig, mittel, hoch) ermittelt wird. Das Modell der Borderline-Persönlichkeitsorganisation vermittelt somit ein strukturelles Verständnis für die im DSM-5 aufgelisteten deskriptiven Verhaltensmerkmale und ordnet die in DSM-5 und ICD-10 klassifizierten verschiedenen Persönlichkeitsstörungen unterschiedlichen Strukturniveaus der Persönlichkeit zu (hohes, mittleres und niedriges Niveau der Borderline-Persönlichkeitsorganisation; siehe Clarkin et al., 2008). Allerdings setzt die Diagnostik in Abgrenzung von Adoleszentenkrisen eine gründlichere und jugendspezifische Betrachtung voraus, auch unter Einbeziehung der Eltern, da die Jugendlichen ihre Schwierigkeiten oft als ich-synton erleben und eine eingeschränkte Verbalisierungsfähigkeit sowie fehlende Selbstreflexionsfähigkeiten zeigen.
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Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen aus psychodynamischer Sicht
6 Behandlung mit der Übertragungs fokussierten Psychotherapie für Adoleszente – TFP-A
Zu den maßgeblichen Zielen in der Behandlung Jugendlicher mit der TFP-A gehört – ähnlich wie bei anderen spezialisierten Behandlungsansätzen für adoleszente Borderline-Patientinnen und -Patienten – eine Verbesserung der Verhaltenskontrolle, eine zunehmende Affektregulation, eine Zunahme intimer und gratifizierender Beziehungen mit der Familie, mit Gleichaltrigen und nahen Freunden sowie eine Beteiligung an Schul- und Zukunftszielen (Normandin et al., 2014). Anders als andere therapeutische Ansätze sollen diese Ziele mittels einer allmählichen Integration der Selbst- und Objektrepräsentanzen, der Veränderung der primitiven Abwehrvorgänge und letztlich der Auflösung der Identitätsdiffusion erreicht werden, die bisher zur Fragmentierung der inneren Welt der Adoleszenten beigetragen haben. Die TFP-A-Interventionen entsprechen zu weiten Teilen den Grundsätzen der TFP für Erwachsene und sehen eine Reihe von Taktiken, Strategien und Techniken vor, die weiter unten beschrieben werden. Die inhaltlichen Modifikationen in der Umsetzung der Taktiken, Strategien und Techniken in der Arbeit mit der Jugendlichen-TFP sind derzeit im Gange (Normandin et al., 2014). Nach bisherigem Kenntnisstand spielt die externe Realität eine größere Rolle in der Behandlung von Jugendlichen als bei Erwachsenen. Damit ist gemeint, dass sich der Therapeut oder die Therapeutin die maßgeblichen Probleme in der Realität des Adoleszenten stets bewusst machen sollte, um zu verstehen, was die innere Welt beeinflussen und von einem therapeutischen Weiterkommen abhalten könnte. Dazu gehört der Umgang mit jugendlichen Entwicklungsaufgaben wie Schulbesuch, 45
häuslichen Verpflichtungen oder persönlicher Fürsorge als dominanten Schwierigkeiten der Adoleszenten (Krischer u. Normandin, 2015). Ein weiterer wesentlicher Unterschied in der Behandlung Jugendlicher ist die notwendige Einbeziehung der Eltern, um die Therapie beginnen und im Verlauf sicherstellen zu können. Elterngespräche gemeinsam mit den Jugendlichen dienen (einerseits) der Klärung, der Sicherstellung gegenüber den Jugendlichen von Transparenz und Verschwiegenheit und nicht zuletzt der Beobachtung von familiären Übertragungsprozessen. Wie in jeder psychodynamischen Jugendlichenpsychotherapie kann eine Arbeit an der inneren Struktur nicht gelingen, wenn die Eltern diese nicht unterstützen und eine Veränderung ihres jugendlichen Kindes nicht tolerieren. Die Modifikation der Elternarbeit im Verlauf der TFP-A-Therapie wird derzeit noch erprobt und überarbeitet. Gemäß TFP-Konzept geht es in den therapeutischen Interventionen um die Herausarbeitung und Benennung der dominanten Objektbeziehungsdyaden, welche die Interaktionen des jugendlichen Border line-Patienten bestimmen. Darüber hinaus soll dem Jugendlichen taktvoll und in jugendadäquater Formulierung sein Anteil an den destruktiven Beziehungen in seinem Umfeld konfrontativ vermittelt werden, genauso wie seine realitätsverzerrenden Haltungen.
6.1 Der Behandlungsvertrag in der TFP-A Ähnlich der TFP für Erwachsene wird in der TFP mit Adoleszenten vor Beginn der Psychotherapie die Erarbeitung eines individuellen Behandlungsvertrags als wesentliche Grundlage für die explorative Behandlung von Jugendlichen mit Strukturdefiziten und Dominanz primitiver Abwehrmechanismen angesehen. Das Eingangsprozedere unterscheidet sich insofern bei Jugendlichen, als die Eltern von den Absprachen Kenntnis haben müssen und in die Vereinbarungen einbezogen werden. So kann es sein, dass die Eltern im Rahmen der Vertragsvereinbarung eine Unterstützung für den Umgang mit schwerem 46
Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie
Ausagieren zu Hause oder mit der Frage des Schulbesuchs benötigen, um nicht zum Beispiel durch dauerndes schulisches Entschuldigen ihrer Kinder mitzuagieren und damit die Behandlung zu gefährden. Ziel dieses Ansatzes ist, das Agieren im Alltag, in der Schule, zu Hause sowie in der Therapie einzudämmen und die Motivation der Jugendlichen zur Exploration eigener Anteile und innerer Schwierigkeiten zu verbessern. Ähnlich den Ausführungen im Manual zur TFP wird vor Beginn der Behandlung der Behandlungsvertrag mit den jugendlichen Patientinnen und Patienten erarbeitet und es werden bestimmte Vereinbarungen zur Behandlung getroffen. Dazu gehört die Erarbeitung von Bedingungen für den Umgang mit therapiegefährdendem Verhalten, das eingegrenzt werden soll. So wird den Jugendlichen erklärt, dass selbstgefährdendes Verhalten und Selbstverletzungen die therapeutische Arbeit erschweren bzw. unmöglich machen, da sie zu einer Konzentration auf das Handeln verleiten und damit das Analysieren darunterliegender Motive und Gefühle verhindern. Von den Jugendlichen wird im Rahmen der Vereinbarung erwartet, selbstgefährdendes Verhalten zu kontrollieren, anzuzeigen und sich selbst etwa um die Versorgung von tiefen Wunden durch einen Arztbesuch zu bemühen. Darüber hinaus erstreckt sich die Vereinbarung auf ein Verbot der habituellen Drogeneinnahme. Teilweise können verbindliche ambulant-psychiatrische Termine der Jugendlichen als Teil des Behandlungsvertrags abgesprochen werden, um Gefährdungssituationen von Beginn an zu berücksichtigen, so beispielsweise um selbstgefährdendes Essverhalten eigenverantwortlich fachärztlich kontrollieren zu lassen. Im Fall akuter Suizidalität kann zum Beispiel die sofortige Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie durch den ambulant zuständigen Kinderpsychiater als Teil des Behandlungsvertrags vereinbart werden. Dies würde innerhalb des Vertrags bedeuten, dass die übertragungsfokussierte Behandlung in dieser Zeit aussetzt und im Fall mehrmaliger vollstationärer Aufenthalte sogar beendet werden kann. Des Weiteren sieht die Vertragsvereinbarung vor, dass jeder Patient die Schule besuchen oder einem Praktikum nachgehen muss, Der Behandlungsvertrag in der TFP-A
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um sich am Alltag zu beteiligen und nicht durch dauerhafte Zukunftsverweigerung zu agieren. Es stellt einen weiteren Teil der Vertragsvereinbarung dar, dass jeder Jugendliche die Therapietermine verbindlich einhalten muss und bei Nichterscheinen ein mit seinem Taschengeld zu vereinbarendes Ausfallhonorar leisten muss, um dem Agieren mit den Therapieterminen von Beginn an Einhalt zu gebieten. Alle Jugendlichen verpflichten sich ferner zu Offenheit in der Therapie. Die Eltern werden nach Absprache solcher Kernverabredungen in die Vertragserarbeitung einbezogen, gemeinsam mit der oder dem Jugendlichen über die Rahmenbedingungen informiert und gefragt, ob sie die Therapie unter diesen Bedingungen unterstützen. Lehnen sie ab, wird der Vertrag gemeinsam mit ihnen nachgearbeitet oder eventuell sogar die Aufnahme der Behandlung infrage gestellt. Die Arbeit hinsichtlich die Vertragseinhaltung stellt ein haltgebendes Kernstück für die Behandlung der Jugendlichen im Sinne der Übernahme elterlicher Funktionen dar, indem das bisher wirksame agierende Verhalten der Jugendlichen eingedämmt wird und sie zu mehr eigenverantwortlichem und konstruktivem Handeln ermutigt werden. Dies stellt zu Beginn der Therapie schon einen Schwellenwert für die Arbeit an der Übertragung dar (Krischer u. Normandin, 2015).
6.2 Rolle der Eltern beziehungsweise Familie Die Eltern bzw. die wesentlichen Bezugspersonen (Pflegeeltern o. a.) werden, wie bereits beschrieben, bei der Erarbeitung des Behandlungsvertrags einbezogen, wobei ihnen auch auferlegt wird, sich an der Behandlung ihres jugendlichen Kindes durch regelmäßige Elterngespräche zu beteiligen. Diese können in Anwesenheit, aber auch in Abwesenheit der oder des Jugendlichen stattfinden, im Sinne des üblichen Prozedere in analytischer Jugendlichenpsychotherapie. Die Elternarbeit stellt insofern ein Kernstück der Behandlung mittels der TFP-A dar, als eine Arbeit mit den Jugendlichen ohne Unterstützung der Eltern in der Regel zu immensen Schwierigkeiten und möglicher48
Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie
weise zum Behandlungsabbruch führt. Hierzu hält das Manual zur Erwachsenen-TFP keine Hinweise bereit. Aus der Erfahrung der deutschen TFP-A-Arbeitsgruppe des Berliner Instituts für Psychotherapie, IfP (Kehr et al., o. J.) hat sich in der übertragungsfokussierten Arbeit mit Borderline-Jugendlichen herausgestellt, dass es ein zentrales Problem darstellt, mit den Eltern dieser Patientinnen und Patienten überhaupt ein funktionierendes Arbeitsbündnis herzustellen. Insofern erscheint es noch vor Behandlungsbeginn geboten, die Motivation der Eltern für die Psychotherapie ihrer Kinder zu eruieren, nämlich ob sie an den Schwierigkeiten ihrer Kinder leiden oder ob die Kinder vorwiegend von institutioneller Seite (Schule oder Jugendamt) in die Therapie geschickt werden. Darüber hinaus ist es für die TFP-A-Therapeutin oder den -Therapeuten hilfreich, einzuschätzen, wie es um die Psychopathologie in der Familie bestellt ist, also ob eine um den Abwehrmechanismus der Spaltung organisierte Familienpathologie im Vordergrund steht oder die Familie durch die Psychopathologie der Jugendlichen sehr beeinträchtigt ist. Für den TFP-A-Therapeuten kann es nützlich sein, die Übertragungsprozesse der Eltern auf ihn vor bzw. zu Beginn der Behandlung besser zu verstehen. Damit sind die möglichen Übertragungen auf den Therapeuten gemeint: ob er für die Familie die Rolle des Retters innehat, der alles wieder in Ordnung bringen soll, oder ob er in der Rolle der Müllabfuhr wahrgenommen wird, die von jeglicher Verantwortung befreit. Manche Eltern nehmen den Therapeuten auch als Dieb wahr, der ihnen das Kind im Hinblick auf dessen Zuneigung stiehlt und der die Eltern-Kind-Beziehung gefährdet. Wieder andere Eltern scheinen den Therapeuten in der Rolle eines Instruments oder einer Waffe gegen das Kind zu sehen. Diese Übertragungsprozesse spielen für die Vertragsvereinbarung eine wesentliche Rolle und sollten nach Möglichkeit schon im diagnostischen Prozess eingeschätzt werden, um in die Vertragsvereinbarungen einzufließen und damit eine Handhabe dafür zu schaffen, wie die Übertragungsarbeit mit der Jugendlichen vor Gefährdungen geschützt werden kann. Ein häufig vorkommendes Problem in der Anfangsphase und in der Phase der Vertragsvereinbarung stellen eine Rolle der Eltern beziehungsweise Familie
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in diesen Familien häufig vorkommende Feindseligkeit der Eltern gegenüber ihrem Kind oder ein ausgesprochenes elterliches Desinteresse dar, Eltern, die sich letztlich für eine Veränderung ihres jugendlichen Kindes wenig interessieren und dem Therapeuten mit Ablehnung begegnen. Teilweise kann dies zu einer unüberwindbaren Hürde für die Erarbeitung einer Grundlage der Zusammenarbeit führen und dazu, die therapeutische Arbeit mit der Jugendlichen gar nicht erst beginnen zu können. Hier bringt die Vertragsphase eine Klärung mit den Eltern und der Jugendlichen, die möglicherweise die Anerkennung unüberwindlicher Grenzen bedeutet. Darüber hinaus dient die Phase der Vertragserarbeitung dazu, die Psychodynamik der Eltern als eine wesentliche pathologieerhaltende Komponente zu verstehen. So kann beispielsweise die Neigung der Eltern, innere Konflikte auszuagieren, dazu führen, dass jugendliche Patientinnen und Patienten kaum einen inneren Raum des Nachdenkens und Reflektierens entwickeln können und wenig Möglichkeiten haben, sich eigenständig und losgelöst von ihren psychopathologisch schwer beeinträchtigten Eltern zu entwickeln. Zum Prozess der Erarbeitung eines Behandlungsvertrags gehört auch, den Eltern ein Verständnis für die Problematik der jugend lichen Patienten zu vermitteln, den Behandlungsansatz zu erläutern und ein Mindestmaß an Akzeptanz und Unterstützung zu erreichen, um ein Gegenagieren durch die Eltern und einen durch die Eltern gespeisten sekundären Krankheitsgewinn zu reduzieren. So könnte eine aufgrund des fehlenden Schulbesuchs ihres »schulphobischen« Kindes selbst krank geschriebene Mutter darauf hingewiesen werden, inwiefern sie zum Erhalt der Pathologie des Kindes beiträgt. Es ist von wesentlicher Bedeutung, die mit der Erkrankung verbundenen Vorteile der Jugendlichen (Vermeidung des Schulbesuchs, sozialer Rückzug hinsichtlich aller Entwicklungsaufgaben, Vermeidung jeglicher Anforderungen) ihren Eltern zu vermitteln und damit dem Erhalt des sekundären Krankheitsgewinns durch die Familie entgegenzuwirken. Dadurch soll ein innerer Raum zum Nachdenken anstelle des häufigen Mitagierens entstehen. 50
Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie
Im Laufe der die TFP-A begleitenden Elternarbeit geht es unter anderem darum, ein zunehmendes Verständnis bei den Eltern für die Schwierigkeiten ihrer Tochter bzw. ihres Sohnes herzustellen sowie Einsicht in krankheitserhaltendes Verhalten aufseiten der Eltern anzustoßen. Dabei steht auch die in jeder Adoleszententherapie wesentliche Bearbeitung des Themas Ablösung auf dem Plan, die zum Beispiel in einer Hilfestellung bei der Entwicklung von Akzeptanz seitens der Eltern bestehen kann, ein anderes, etwa therapeutisches Wohnmodell für ihr jugendliches Kind zu tolerieren.
6.3 Interventionsmaßnahmen im Sinne der TFP-A Die TFP-A-Interventionen umfassen wie bei der TFP für Erwachsene eine Reihe von Taktiken, Strategien und Techniken. Zu den taktischen Vorgehensweisen gehört die Vereinbarung eines Behandlungsvertrags, welcher mittels festgelegter Rahmenbedingungen zu Ort, Zeit und Verantwortung von Patient, Eltern und Therapeut einen sicheren Rahmen darstellt, der es dem Therapeuten ermöglicht, im Schutze dieser Vereinbarung seine gefühlsmäßigen Reaktionen auf die vom Patienten inszenierten Beziehungsdyaden zu explorieren. Dies umfasst das Aushandeln eines Umgangs vom Jugendlichen und dessen Eltern mit therapiegefährdendem Verhalten, so etwa ein verantwortungsvolles Verhalten bei akuter Suizidalität oder das sofortige Berichten und Unterlassen selbstverletzenden Verhaltens. Die Übertragungsfokussierte Psychotherapie wird in individuellen Einzelsitzungen mit zwei Sitzungen pro Woche durchgeführt. Die Patientin wird angewiesen (detailliert und präzise), frei zu assoziieren. Die Therapeutin beschränkt ihre Rolle auf eine sorgfältige Beobachtung der Aktivierung der regressiven, aufgespaltenen Beziehungen in der Übertragung und hilft der Patientin, sie zu identifizieren, das eigene Verhalten und die Interaktionen zu reflektieren, in die sich beide verstricken. Interventionsmaßnahmen im Sinne der TFP-A
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Generell stellt die größere Bedeutung der äußeren Realität einen taktischen Unterschied in der Behandlung Jugendlicher gegenüber Erwachsenen dar, was die Auswahl an Themen in der Behandlung beeinflusst. Eine Prioritätenliste, nämlich die Auswahl eines Hauptthemas aus dem Material des Patienten durch den Therapeuten, vermittelt dem Therapeuten oder der Therapeutin eine Orientierung (Normandin et al., 2014). Grundsätzlich ähnelt die Prioritätenliste in der TFP-A-Behandlung derjenigen bei Erwachsenen. So orientiert sich die Auswahl der therapeutischen Themen an der Rangreihe möglicher Gefährdungen der Behandlung (Suizidalität und selbstzerstörerisches Verhalten, Bedrohung des Therapeuten, Unehrlichkeit, Schweigen, fehlende Einhaltung der Stunden, Trivialisierung u. a.). Gemäß den strategischen Prinzipien der TFP gilt es in der therapeutischen Arbeit, stets die in der Therapie dominante Objektbeziehungsdyade, die sich zwischen Patient und Therapeut herstellt, zu definieren und in ihrer Abwehrfunktion zu deuten und durchzuarbeiten. Damit ist die ständige Reflexion des Therapeuten darüber gemeint, welche Form der Übertragung sich auf den Therapeuten in der jeweiligen Situation einstellt und welche Form der Gegenübertragung sie hervorruft. Die Übertragungen erlauben Rückschlüsse auf frühe Repräsentanzen von dominanten Objektbeziehungen, die sich in der therapeutischen Interaktion wie Szenen eines Dramas inszenieren und Hinweise auf jeweils aktivierte Teil-Selbst- und Teil-Objektrepräsentanzen geben (vgl. Clarkin et al., 2008). Es können Objektbeziehungsdyaden aktiviert sein, die der Patient mit verschiedenen Familienmitgliedern inszeniert, oder auch solche, die Eltern oder andere Familienmitglieder mit dem Patienten inszenieren. Wie schon in Kapitel 6.2 erwähnt, besteht die Aufgabe des TFP-A-Therapeuten auch darin, Objektbeziehungsdyaden zu erkennen, welche die Eltern mit dem Therapeuten inszenieren. Die Interpretation dieser aufgespaltenen Objektbeziehungen basiert auf der Annahme, dass jede einzelne von ihnen eine dyadische Einheit einer Selbstrepräsentation, einer Objektrepräsentation sowie eines damit verbundenen dominanten Affekts darstellt (Kernberg, Krischer u. Foelsch, 2008). Außerdem wird angenommen, dass 52
Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie
die Aktivierung dieser dyadischen Beziehungen die Wahrnehmung der Therapeutin durch die Patientin bestimmt und in der Übertragung mit schnellen Rollenwechseln vorkommt. So identifiziert sich die Patientin mit einer primitiven Selbstrepräsentation und projiziert gleichzeitig eine entsprechende Objektrepräsentation auf die Therapeutin, zehn Minuten später beispielsweise identifiziert sie sich dann mit der Objektrepräsentation, während sie zugleich die Selbstrepräsentation auf die Therapeutin projiziert. Indem die Therapeutin das beobachtende Ich der Patientin mit einbezieht, schafft sie die Voraussetzung dafür, die Konflikte dieser Dyaden sowie die daraus folgenden Bilder von sich selbst und anderen, getrennt und übertrieben, zu deuten. Damit wird in einem fort der Mechanismus der Spaltung im Lichte der enormen Schwierigkeiten dieser Patientinnen und Patienten gedeutet. Bis diese Repräsentationen in eher nuancierte und modulierte integriert werden, wird die Patientin sich selbst und andere weiterhin in einer übertriebenen, verzerrten und schnell wechselnden Art und Weise wahrnehmen (Kernberg et al., 2008). Die strategischen Überlegungen betreffen stets das erklärte Behandlungsziel der TFP, nämlich die Aufhebung der Identitätsdiffusion, das Erreichen von Objektkonstanz und ein integriertes Selbstbild, wozu die Reduzierung der primitiven Abwehrmechanismen gehört, insbesondere der primitiven Spaltung. In der Arbeit mit Jugendlichen entsprechen die Techniken der Klärung, Konfrontation und Deutung bzw. Interpretation weitgehend den bekannten psychodynamischen Behandlungstechniken. Im Unterschied zu den Erwachsenen wird Klärung und Konfrontation häufiger eingesetzt als Deutung (Kernberg et al., 2008). Der Einsatz von Interpretation fokussiert bei Jugendlichen hauptsächlich auf die frühen Phasen im Deutungsprozess, nämlich auf die Klärung der subjektiven Erfahrung des Patienten und eine Konfrontation in dem Sinn, dass die Aufmerksamkeit des Patienten taktvoll auf mögliche Ungereimtheiten oder Widersprüche in seiner Kommunikation gelenkt wird. Das kann sich als Ungereimtheit darstellen zwischen dem, was der Patient zu einem bestimmten Zeitpunkt sagt, aber zu einem anderen Zeitpunkt Interventionsmaßnahmen im Sinne der TFP-A
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revidiert, oder zwischen verbaler und nichtverbaler Kommunikation oder schließlich zwischen dem, was der Patient kommuniziert, und dem, was sich in der Gegenübertragung herauskristallisiert. Nichtverbale Aspekte des Verhaltens haben einen sehr hohen Stellenwert in der psychoanalytischen Psychotherapie gerade von jugendlichen Patientinnen und Patienten mit schwerer Persönlichkeitspathologie. Die Interpretation an sich, das heißt das Aufstellen von Hypothesen bezüglich der unbewussten Funktionen dessen, was sich bei der Klärung und Konfrontation herauskristallisiert hat, wird über diese beiden Methoden vorgenommen. Als Hypothese für unbewusste Bedeutung bezieht sich die Interpretation bei diesen Patienten als Erstes auf die unbewusste Bedeutung im »Hier und Jetzt«, das »gegenwärtige Unbewusste« (Sandler u. Sandler, 1987), im Gegensatz zu genetischen Deutungen, welche die unbewusste Bedeutung im »Hier und Jetzt« mit angenommenen unbewussten Bedeutungen im »Dort und Damals« verbinden (Kernberg et al., 2008). Solche genetischen Deutungen spielen bei der Behandlung insbesondere jugend licher Borderline-Patientinnen und -Patienten erst in fortgeschrittenen Stadien eine Rolle. Die Deutung wird systematisch mittels der vorbereitenden Phasen von Klärung und Konfrontation angewandt sowie mittels Interpretation des »gegenwärtigen Unbewussten«. Die Übertragungsanalyse unterscheidet sich von der gängigen Psychoanalyse insofern, als sie immer eng mit der Analyse der Probleme der Patientin in der äußeren Realität verbunden ist, um die Dissoziation der Psychotherapiesitzungen vom äußeren Leben der Patientin zu vermeiden. Wesentliche Modifikationen der Übertragungsfokussierten Psychotherapie für die Behandlung von Jugendlichen bestehen nach Kernberg und Mitarbeitenden (2008) in der Änderung der Häufigkeit und Länge einiger spezifischer Techniken (z. B. mehr Klärung, mehr Arbeit an den Beziehungen außerhalb der Übertragung, bevor man zur Übertragung direkt übergeht) und in der Änderung der Vorgehensweise (z. B. das Miteinbeziehen der Familie während der diagnostischen Phase, während der Vertragsvereinbarung und begleitend im Verlauf der Behandlung; die Einbeziehung unterstützender Inter54
Behandlung mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie
ventionen im Umfeld, wobei gleichzeitig die analytische Haltung in den Sitzungen aufrechterhalten wird). Die technischen Interventionen während der Behandlung werden wie bei Erwachsenen gehandhabt, wobei es einen Unterschied in der Schwerpunktsetzung sowie der Frequenz gibt. Deutungen werden, wie schon erwähnt, mit einer Betonung ihrer Vorbereitungsphasen Klärung und Konfrontation durchgeführt. Die Klärung der Erfahrung des Jugendlichen nimmt die meiste Zeit in Anspruch, sodass die gesamte Kette von der Konfrontation bis zur Interpretation im Vergleich zu Erwachsenen deutlich verlängert ist. Ferner wird die Interpretation unbewusster Bedeutungen im Hier und Jetzt normalerweise durch die Bearbeitung dieser Konflikte in Bereichen angesiedelt, die außerhalb der Übertragung liegen, bevor man sich auf die unbewussten Elemente in der direkten Übertragung konzentriert. Die systematische Interpretation der Übertragung stellt zwar das globale Ziel der Behandlung dar, aber dieses wird an die bestehende Beziehung des Jugendlichen mit seiner Familie angepasst. Ein wesentlicher Bestandteil des technischen Vorgehens bezieht sich auf das Einhalten der technischen Neutralität, womit gemeint ist, dass die Therapeutin in gleichbleibender Distanz zu Selbst- und Objektrepräsentanzen teilnehmende Objektivität bewahrt und nicht für eine Seite des inneren Konfliktes Partei ergreift. Als wesentliches methodisches Element bleibt die technische Neutralität eines der Hauptziele in der TFP-A-Behandlung, allerdings mit dem Verständnis, dass sie durch das schwere Ausagieren der Jugendlichen immer wieder eingeschränkt werden kann. So erfordert das ausagierende Verhalten jugendlicher Borderline-Patientinnen und -Patienten, in der Behandlung und in der äußeren Lebenssituation der Jugendlichen Grenzen zu setzen. Solche Abweichungen sind in der Behandlung von Jugendlichen unvermeidbar und kommen sogar noch häufiger und ausgeprägter vor als bei der Behandlung der meisten Erwachsenen mit schweren Persönlichkeitsstörungen. Hier ist die Unterscheidung zwischen technischer Neutralität bezüglich der unbewussten innerpsychischen Konflikte der Patientin und der zwischenmenschlichen Situation der Familiendynamik, welche die Behandlung beeinflussen, manchmal sehr schwer zu treffen. Interventionsmaßnahmen im Sinne der TFP-A
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7 Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel
Das folgende Fallbeispiel soll die Arbeit mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie für Jugendliche illustrieren. Nach einem ernsthaften Suizidversuch mittels Tabletteneinnahme begibt sich die 15-jährige Patientin auf Empfehlung der stationär behandelnden Ärzte in die ambulante Psychotherapie. Auslöser für den Suizidversuch und die nachfolgende stationäre Behandlung war eine Auseinandersetzung in der Schule, in der die Patientin von einigen Mitschülerinnen und Mitschülern gehänselt wurde und sich von der gesamten Schulklasse abgelehnt fühlte. Zur Beginn der ambulanten Psychotherapie besteht die Symptomatik in einer bulimischen Essproblematik neben Zwangshandlungen in Form eines Waschzwangs, ritzenden Selbstverletzungen, depressiven Verstimmungen und diversen sozialen Ängsten. Die Patientin zeigt sich anfangs kaum dazu in der Lage, die Hintergründe für ihre Schwierigkeiten zu reflektieren. Sie berichtet, in ihrer Familie habe es immer viel Streit um den älteren Bruder gegeben, sie sei stets viel weniger schwierig als dieser gewesen. Die Eltern beschreiben beide ihre Tochter als ein »ruhiges und ausgeglichenes« Kind im Unterschied zum aufbrausenden Bruder, ohne differenziertere Angaben machen zu können. In den ersten Lebensjahren habe die Patientin viele Krankheiten gehabt, die zu diversen Krankenhausaufenthalten geführt hätten, oft sei ihr Mund bis zur Speiseröhre entzündet gewesen, woraufhin sie nichts habe essen und trinken können. Im Kindergarten sei die Patientin als ein soziales und ruhiges Kind beschrieben worden, das sich gern zurückgezogen habe. In der Schulzeit werden erste Schwierigkeiten beschrieben, so habe die Patientin das Gefühl gehabt, sie könne es ihrer Lehrerin nicht 56
recht machen, und habe über Jahre schon morgens vor der Schule die Luft so lange angehalten, bis sie einen hochroten Kopf gehabt habe. Schließlich habe die Schule die Eltern auf die Magersucht ihrer Tochter aufmerksam gemacht. Der kurz darauf erfolgte Suizidversuch der Tochter ist für die Eltern völlig überraschend. Im Rahmen der klinischen Diagnostik erhielt die Patientin die Diagnose einer Anorexia nervosa mit Verdacht auf eine BorderlinePersönlichkeitsentwicklungsstörung bei wiederkehrenden Selbstverletzungen mittels Ritzen; außerdem umfasste die Problematik wiederholten Schulabsentismus. Die geschilderte Entwicklung stellt einen relativ typischen Verlauf für die Erstvorstellung einer Jugendlichen mit einer BorderlinePathologie dar. In früher und mittlerer Kindheit überwiegen Anpassungsmechanismen, die keine Hilfe von außen nötig machen, in der Jugend kommt es dann zu einem nach außen überraschend wirkenden Zusammenbruch mit einer gravierenden Symptomatik, die zunächst zu einem längeren stationären Aufenthalt führt. Während der Vertragsabsprache zeigt sich die Patientin anfangs noch sehr ambivalent, sie kann sich nicht vorstellen, zweimal pro Woche über mehr als ein halbes Jahr regelmäßig in eine Psychotherapie zu gehen. Im Laufe der übertragungsfokussierten Therapie wird die Übertragungsdyade eines unterwürfigen Kindes und eines übermächtigen, alles bestimmenden Erwachsenen herausgearbeitet sowie die immer wieder auftauchende Rollenumkehr. Die Therapie findet im Sitzen zweimal pro Woche mit Elterngesprächen alle vier Wochen statt. Die Diagnostik basierte auf einem semistrukturierten klinischen Interview zur Erfassung der Persönlichkeitsstörung (die International Personality Disorder Examination nach Loranger et al., 1994). In diesem Interview erfüllte die Jugendliche die Kriterien für eine selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung sowie für die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer Borderline- Persönlichkeitsstörung. Der Behandlungsvertrag umfasste zu Beginn der TFP-A-Behandlung, wie oben beschrieben, die Vereinbarung zur verbindlichen Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel
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Einhaltung von Terminen zweimal pro Woche, außerdem die Verpflichtung, sich anfangs wöchentlich zur Gewichtskontrolle sowie zur Suizidalitätsabklärung psychiatrisch in der Klinikambulanz vorzustellen. Darüber hinaus wurde zwischen Jugendlicher und Therapeutin zu Beginn festgehalten, dass die Jugendliche im Fall eines Nichterscheinens trotz vereinbarten Termins ein Ausfallhonorar von zehn Euro, also einem Viertel ihres monatlichen Taschengeldes, zu leisten habe Es wurde zudem eine Ratenzahlung von zwei Euro zur Ableistung des Ausfallhonorars mit der Patientin vereinbart. Zum Zeitpunkt der unten aufgeführten Beispielstunde war die Jugendliche bereits zehn Monate in Therapie. Die Selbstverletzungen hatten seit Monaten nicht mehr stattgefunden, die Jugendliche ging wieder regelmäßig zur Schule und hatte die Klassenstufe neun wiederholt. Seit Therapiebeginn hatte es keinen Suizidversuch mehr gegeben. Die Patientin hielt vereinbarungsgemäß ihr Gewicht. Beispiel aus einer Therapiesitzung (nach siebzig Stunden) mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie für Jugendliche: P.: Hallo! Th.: Hm … ja. Ich seh, du hast die zwei Euro mir hingelegt. [Technik: Klärung] P.: Ja (grinst), ich hab ja gesagt, ich geb sie Dienstag. Th.: Das hab ich nicht so in Erinnerung. [Technik: Konfrontation mit fehlender Vertragskonformität] P.: Echt? Wie haben Sie’s denn in Erinnerung? Th.: Dass du es für mich offengelassen hast. [Technik: erneute Schleife, Konfrontation mit fehlender Vertragskonformität] P.: Ach ja stimmt, ich hab erst mal so gedacht, so vielleicht vergisst sie es ja und dann muss ich ja … und dann kann ich Dienstag einfach sagen, dass ich es vergessen habe, Freitag abzugeben, und hätte das dann heute schon einfach abgegeben, und als Sie sich dann so am Ende der Stunde daran erinnert haben, dann so (nicht verständlich), ja … 58
Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel
Th.: Also ist ja ganz interessant, wie du mich so behandelst mit dem Ausfallhonorar, dass du nicht ganz ehrlich bist, dass du dich nicht daran hältst, was wir vereinbart haben, so als ob du mich so behandeln würdest, als ob ich an der Stelle nicht so ganz ernst genommen werden müsste. [Technik: Benennung der aktivierten Objektbeziehungsdyade mit Rollenumkehr in der Übertragung – Therapeutin als hilfloses Objekt, Patientin als übermächtig und bestimmend] P.: Also doch schon, nur ich hab dann halt vorher nicht so drüber nachgedacht, ich hab halt auch gedacht, also vielleicht hab ich Glück und sie vergisst es wirklich. Th.: Also, das hört sich ja fast so ein bisschen scheinheilig an. [Technik: Konfrontation mit der manipulativen Seite der Patientin] P.: Was ist scheinheilig? Th.: Also, wenn man was vorgibt, was gar nicht richtig stimmt. P.: Ach so, joa … Th.: Also, dass du so quasi in Deckung gehst, als ob du erwartest, hoffentlich vergisst sie’s, und auch so, als ob du’s mir in die Schuhe schiebst. [Technik: Konfrontation mit dem manipulativen Ich-Anteil der Patientin und mit ihrer Vermeidung von Verantwortungsübernahme] P.: Nee, das weniger. Th.: Ja, schon allein die Kontrolle, die du dabei ausübst: Ich darf es nicht vergessen, sonst bringst du es nicht mit, sonst hältst du dich nicht an unsere Vereinbarung. Und wenn ich es vergessen würde, dann würdest du es einfach von dir aus vergessen. Also schiebst du es mir ja in die Schuhe und stehst dafür nicht gerade. [Technik: Benennung der in der Übertragung aktivierten Objektbeziehungsdyade – Patientin identifiziert sich mit dem übermächtig kontrollierenden Selbstanteil und projiziert den ohnmächtig ausgelieferten Selbstanteil auf die Therapeutin] P.: Neee (lacht) … Th.: Also, ich hab das Gefühl, anders als das, was du sagst mit Worten, krieg ich irgendwie mit, als ob das ankommt bei dir. [Technik: Einbeziehung der nonverbalen Kommunikation] Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel
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P.: Hmm, ja. Th.: Ich hab mich gefragt, ob du jetzt in dieser ganzen Sache mit diesen zehn Euro mich ein bisschen so behandelst, wie du es ja oft beklagst, wie du behandelt wirst, nämlich dass ich am Haken hänge, darauf warte, immer wieder nachfragen muss und ich so der Spielball deines Handelns bin. [Technik: Konfrontation mit der Rollenumkehr in der Übertragungsbeziehung, mit dem auf die Therapeutin projizierten ohnmächtig ausgelieferten Selbstanteil] P.: Nee also, keine Ahnung, also ich finde, das mit den zwei Euro, das kann man damit nicht vergleichen, so, also wie ich mich manchmal fühle. Also, zum Beispiel das im letzten Jahr, dass ich einfach in eine andere Klasse gesteckt wurde, obwohl ich das gar nicht wollte, so was zum Beispiel, finde ich, kann man nicht mit den zwei Euro vergleichen, also … Th.: Da können wir doch mal drüber nachdenken. P.: Joa. Th.: … da kann man doch noch mal darüber nachdenken, wie du dich gefühlt hast, dass du »einfach in eine andere Klasse gesteckt« wurdest. Also mir fällt dazu ein, dass ich stutze, du seist »einfach in eine andere Klasse gesteckt worden«. Wenn du das noch mal wiederholst, wie du dich da gefühlt hast, kommt es mir so vor, als ob du dabei außer Acht lässt, dass das ja eine Folge deines Verhaltens war, nämlich, dass die Schulleistungen nicht so stimmten vorher. [Technik: Benennung der in der schulischen Übertragungssituation aktivierten Objektbeziehungsdyade – Patientin als ausgeliefertes ohnmächtiges Objekt und die Schule als übermächtiger Täter] P.: Ja also … Th.: … du es aber so wahrnimmst, als ob es mit dir nichts zu tun hätte und dass dir einfach böse mitgespielt wird. [Technik: Benennung der inneren aufgespaltenen Welt] P.: Ja also, keine Ahnung, weil ich weiß es noch bei anderen in meiner alten Klasse, da waren die Noten auch nicht so die besten und die durften trotzdem in der Zehnten bleiben. Deswegen hab ich das nie so wirklich verstanden. Also ich konnt es zwar verstehen, dass 60
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die sagen: »Ja, deine Noten sind schlecht und das läuft auf einen schlechten Hauptschulabschluss hinaus.« Aber dann hab ich nie so ganz verstanden, warum das denn bei mir so gemacht wird, also warum ich die Einzige sein sollte, die dann gehen musste, und andere, die vielleicht auch schlechte Noten hatten, die dann trotzdem dableiben durften. Th.: Ja, und ich stutze, dass du das Gefühl hast, als ob dir übel mitgespielt wurde, obwohl du ja gleichzeitig auch hättest sagen können: »Ach, mir ist das egal, wie schlecht meine Noten sind, ich will trotzdem jetzt meinen Schulabschluss machen.« Es erscheint so, als ob es diese Entscheidungsmöglichkeit nicht gegeben hätte. [Technik: Klärung der aufgespaltenen inneren Welt anhand der aktivierten Objektbeziehungsdyade in der sozialen Umwelt] P.: Also die Möglichkeit hat es auch in der Tat nicht gegeben, also die haben nur damals zu mir gesagt, dass ich mir die neunten Klassen angucken soll und danach gucken die (Lehrer), wie es weitergeht … Aber mein Direktor hat gesagt, dass, wenn ich sage, dass ich nicht dahin gehen möchte, also in die neunte Klasse, dass er es dann noch mal in der Zehnten versuchen würde. Und dann war ich ja in der neunten Klasse und dann wollte ich sagen: »Ich will in die Zehnte zurück.« Und dann, keine Ahnung, dann meinten die Lehrer und der Direktor: »Ja … das hast du da ja sehr gut gemacht. Es muss sich ja für dich sehr gut angefühlt haben da, auch mal etwas zu wissen.« Und dann dachte ich mir so, ja, jetzt bist du darauf reingefallen, was die wahrscheinlich von Anfang an vorhatten, dass ich mir die neunten Klassen angucke, dann ein besseres Gefühl bekomme, weil ich da mal etwas wusste, und die dann sagen: »Dann kannst du jetzt auch fest in diese Klasse gehen.« Und da gab’s für mich dann nicht mehr diese Möglichkeit, dass ich doch wieder in die zehnte Klasse kann, obwohl mir das am Anfang, bevor ich mir die neunten Klassen angeguckt hab, obwohl das davor so ausgemacht war. Th.: Ja, und ich glaub an der Stelle, das passt gut zu der Parallele mit dem Geld. Denn dann kommt es dir am Ende so vor, als ob du gar Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel
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nichts mehr entscheiden kannst, als ob du jetzt quasi mitmachen musst, der Spielball bist und gar nichts selbst entscheiden kannst. Es scheint bei dir so hängen zu bleiben, als ob du nie entscheiden konntest und die anderen das von Beginn an vorhatten, dich da reinzustecken, komme, was wolle. [Technik: Vergegenwärtigung der wiederholt erlebten Objektbeziehungsdyaden, der Identifikation mit dem ohnmächtigen Selbstanteil] P.: Joa … Th.: … und das kommt mir parallel vor mit dem Ausfallhonorar, weil du dich ja scheinbar entweder nicht mehr daran erinnerst oder dich zumindest im Prozess des Ausfallhonorars, das du die ganze Zeit zu bekämpfen versuchst, es nicht so siehst, als ob du etwas damit zu tun hast. Sprich, du lässt außer Acht, dass du zu dieser einen Stunde nicht erschienen bist, kein Bemühen unternommen hast, mit mir vorher noch mal Kontakt aufzunehmen, das zu klären, welche Uhrzeit gemeint war, geschweige denn, auf meine Nachricht zu antworten. Also das Honorar war ja eine Konsequenz, eine Folge auf dein Handeln. Und du scheinst es in der Folge ja so wahrzunehmen, als ob ich dir hier etwas Unzumutbares zumute. Da scheint es mir eine Ähnlichkeit in deiner Wahrnehmung zu geben … kannst du das sehen? [Technik: wiederholte Konfrontation mit der Rollenumkehr in der Übertragungsbeziehung zur Therapeutin – jetzt Identifikation mit dem übermächtig kontrollierenden Objekt, das die ohnmächtig ausgelieferte Rolle auf die Therapeutin projiziert] P.: Was? Th.: Kannst du die Ähnlichkeit sehen? [Technik: Erarbeitung der Anerkennung des Widerspruchs durch die Patientin] P.: Ach so … Th.: … zwischen den beiden Beispielen, also das Beispiel mit der Schule kam dir ja gerade noch mal in den Sinn. [Technik: konfrontative Schleife] P.: Ja, also so eben … ein bisschen sehe ich da Ähnlichkeit, ja … Th.: Und ehm, was mir am Anfang aufgefallen ist, dass ich aber an dieser Sache mit dem Geld jetzt plötzlich in so eine Rolle komme, 62
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wie du sie sonst von dir beschreibst, ich hänge hier am Angelhaken … [Technik: wiederholte Konfrontation mit der Rollenumkehr in der Übertragungsbeziehung] P.: Hmm … Th.: … und du so jetzt in dem Prozess, wir haben den ja noch nicht ganz überwunden, weil es fehlen noch, glaub ich, die letzten zwei Euro. Aber ich will noch mal auf den Freitag ansprechen, dass du, du beschriebst das ja so, als würdest du hoffen, ich würde nicht daran denken, und du mir ja letztlich ganz schön mitspielst … soll ich’s ausführen oder fällt dir etwas dazu ein? [Technik: Erarbeitung der Anerkennung des Widerspruchs durch die Patientin] P.: Neeeee … Mir fällt nichts dazu ein. Th.: Also du sagst ja zu mir, ich will mir am Wochenende einen Schal kaufen, also Schal und Handschuhe oder so was, und, Frau Krischer, ich brauch jetzt das Geld, da kann ich Ihnen jetzt nicht das Geld geben, was wir vereinbart haben. Also ich meine, dass du mir ordentlich mitspielst, das meine ich damit. [Technik: konfrontative Schleife im Hinblick auf den üblicherweise projizierten Selbstanteil der Dyade, des mächtigen, manipulativen Täters] P.: Ach so, hmm … Th.: … und es ja so wirkt, als ob du dich an der Stelle im Grunde ja ganz deutlich positionieren willst, dass ich respektlos behandelt werde von dir, nicht ernst genommen werde, wie du es ja sonst von dir selbst oft beschreibst. Und ich habe beobachtet, wie du mit einem gewissen Triumph, saßt du ja da … [Technik: konfrontative Schleife im Hinblick auf den üblicherweise projizierten Selbstanteil der Dyade, mit Benennung des assoziierten Triumph-Affekts] P.: Nee … Th.: … die hat’s ja vielleicht gar nicht gemerkt, die Krischer! [Technik: Erarbeitung des assoziierten Affekts] P.: Nee … Th.: … vielleicht, ne, red ich ja von etwas anderem und dann merkt die das gar nicht … Ich sehe, wie du stutzt. [Technik: konfrontative Schleife] Anwendung von TFP-A: Ein Fallbeispiel
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P.: Joa … keine Ahnung, ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll. Th.: So, als ob ich dich entdeckt hätte. [Technik: Konfrontation mit dem assoziierten Affekt] P.: Nee, keine Ahnung, also nein, ich find’s nur komisch, also ich hab mir ja diese Woche nicht so was Großes gedacht, ich hab nur gedacht, vielleicht fällt’s nicht auf, mehr hab ich dazu gar nicht gedacht, und keine Ahnung. Und dann sagen Sie irgendwie, dass das für Sie so vorkommt, keine Ahnung, dass ich Sie, ich sag mal, benutzen wollte oder so oder dass ich Sie verarschen wollte, was ich ja eigentlich an sich gar nicht so direkt vorhatte, ja und dann, keine Ahnung, also ja … ich kann’s gar nicht so erklären, ja … Th.: Du guckst mich jetzt ganz belustigt an … [Technik: Einbeziehung der nonverbalen Kommunikation] P.: (grinst) Th.: Und du hast es genau verstanden, wie es mir geht. [Technik: Nutzung der Gegenübertragung] P.: Ja (grinst). Th.: Und du bringst ja selber die Parallele von dieser Schulsituation, die du bis heute so verstehst, als ob du verarscht worden wärst. [Technik: Benennung des assoziierten Wut-Affekts bei Aktivierung des ausgeliefert-ohnmächtigen Selbstanteils der Dyade] P.: Joa. Th.: Und interessant ist, dass du hier jetzt den Vorteil von dem Wechsel in die neunte Klasse hast, denn deine Schulleistungen sind doch in diesem Schuljahr viel besser als im letzten Jahr … [Technik: Konfrontation mit der aufgespaltenen inneren Welt] P.: Na ja, manche Fächer gehen noch, aber in einigen schon. Th.: … also im Schnitt wahrscheinlich schon, aber desto interessanter, dass du dich dennoch bis heute total verarscht vorkommst und das so aufrechterhältst. [Technik: konfrontative Schleife] P.: Hmmm … Th.: Als ob es nur diese Sichtweise gäb und du hältst so daran fest. [Technik: wiederholte Konfrontation mit der aufgespaltenen inneren Welt; Erarbeitung der Anerkennung des Widerspruchs durch die Patientin] 64
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P.: Joa … Th.: Und ich frage mich, ob es um die Frage geht, was … wie ist das denn für dich, einzustehen für etwas. Um das Thema geht es ja mit den vor uns hier liegenden zwei Euro, darum, für etwas einzustehen. [Technik: Klärung der inneren Bedeutung von Verantwortungsübernahme] P.: Keine Ahnung, also mir fällt so was, also nicht nur hier, sondern generell, fällt mir so was schwer. Also, wenn ich irgendwas falsch gemacht hab, keine Ahnung, würde mir nie irgendwie einfallen, das dann zuzugeben oder so. Ich weiß nicht, also ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich das jemals gemacht habe, wenn ich irgendwas falsch gemacht hab. Als ich klein war, hab ich einfach überhaupt nichts gesagt oder … also oder wenn ich heute irgendwas falsch mache, dann, keine Ahnung, sag ich entweder: »Nee, das war ich aber nicht.« Also, wenn ich zum Beispiel irgendwas kaputt mache zu Hause, das oft genug passiert, dann sag ich ganz oft: »Nee, das war ich nicht.« Oder ich schieb es auf die Katze oder so, also, ich würde niemals sagen, dass ich das gewesen bin.
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8 Fazit
Wie in diesem Buch aufgezeigt, erscheint es nach aktuellem psychodynamischem Forschungsstand hilfreich, Persönlichkeitsstörungen als eine frühe Störung bzw. Strukturschwäche bereits im Jugendalter zu erkennen und zu behandeln. Häufig gehen mit dieser Problematik in der Adoleszenz ein Zusammenbruch der kindlichen Anpassungsmechanismen und das Auftreten einer schweren Symptomatik mit gravierender Selbstdestruktivität einher. Eine gezielte Behandlung mit spezialisierten psychoanalytischen Therapieverfahren wie der Übertragungsfokussierten Psychotherapie nach Kernberg hat den Vorteil der Fokussierung auf die der Symptomatik zugrunde liegende Strukturschwäche sowie auf die Integration abgespaltener Selbstanteile und kann zudem den häufigen Behandlungsabbrüchen im Jugendalter entgegenwirken.
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