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German Pages 369 [399] Year 2007
Ulrike Steinbrenner Objektive Wirklichkeit und sinnliche Erfahrung Zum Verhältnis von Geist und Welt
Ulrike Steinbrenner
Objektive Wirklichkeit und sinnliche Erfahrung Zum Verhältnis von Geist und Welt
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Dank an: Leo Aichinger Nora Bierich Burghard Damerau Marion Heinz Raffael Hüntelmann Richard Schantz Martin Schmidt Oliver Scholz Günter Steinbrenner Rosemarie Steinbrenner Ernst Tugendhat Ursula Wolf
Ich widme das Buch in Liebe und Dankbarkeit denen, ohne die es nicht wäre: Eric Aichinger und Jan Steinbrenner
Es ist immer von Gnaden der Natur, wenn man etwas weiß. Wittgenstein Über Gewißheit Die Natur ordnet sich immer und gibt zu erkennen, was sie bedeutet, wenn man sie achtet. Cezanne Gespräche mit Gasquet Manchmal fragt sich Herr Geiser, was er denn eigentlich wissen will, was er sich vom Wissen überhaupt verspricht. Als Herr Geiser vor der Zettelwand steht, erinnert er sich nicht, wie er darauf gekommen ist, Abbildungen von Sauriern und Lurchen auszuschneiden und an die Wand zu kleben – Saurier hat es im Tessin nie gegeben. Die zerschnittenen Bücher – Die Ameisen, die Herr Geiser neulich unter einer tropfenden Tanne beobachtet hat, legen keinen Wert darauf, daß man Bescheid weiß über sie, so wenig wie die Saurier, die ausgestorben sind, bevor ein Mensch sie gesehen hat. Alle die Zettel, ob an der Wand oder auf dem Teppich, können verschwinden. Was heißt Holozän. Die Natur braucht keine Namen. Das weiß Herr Geiser. Die Gesteine brauchen sein Gedächtnis nicht. Frisch Der Mensch erscheint im Holozän Hamm Clov Hamm Clov Hamm Clov Hamm Clov Hamm Clov
Nature has forgotten us. There's no more nature. No more nature! You exaggerate. In the vicinity. But we breathe, we change. We lose our hair, our teeth! Our bloom! Our ideals! Then she hasn't forgotten us. But you say there is none. sadly: No one that ever lived ever thought so crooked as we. We do what we can. We shouldn't.
Beckett Endgame
Inhaltsverzeichnis Einleitung
7
I.
Formen skeptischer Herausforderung
27
I.1.
Begründungsskeptizismus: Agrippas Trilemma
29
I.2.
Cartesianischer Skeptizismus
31
I.3.
Zusammenfassung: Der skeptische Stachel
38
II.
Transzendentale Erklärungen
41
II.1. II.1.1 II.1.2 II.1.3
Kants Transzendentalisierung der Philosophie Kants transzendentale Argumentation Kants Umgang mit der skeptischen Herausforderung Kritische Zusammenfassung
41 43 61 66
II.2. II.2.1 II.2.2 II.2.3
Zeitgenössische transzendentale Argumente Methodische Struktur Aufgabe und Funktion Zusammenfassung und Ausblick
68 70 75 79
III.
Naturalistische Erklärungen
83
III.1. Quines Naturalisierung der Philosophie III.1.1 Quines Kritik an den zwei Dogmen des Empirismus III.1.2 Quines Konzept einer Relativierung der Standpunkte III.1.2.1 Semantik 'von innerhalb' III.1.2.2 Erkenntnistheorie 'von innerhalb' III.1.3 Kritische Zusammenfassung III.1.3.1 Semantische und erkenntnistheoretische Relativität III.1.3.2 Robuster Realismus und immanente Epistemologie III.1.3.3 Quines Umgang mit der skeptischen Herausforderung
83 87 103 106 116 124 124 126 129
III.2. III.2.1 III.2.2 III.2.3
Zeitgenössischer Naturalismus Einleitung Epistemologie und Psychologie Epistemologie und Apriorisches
152 152 161 165
IV.
Realistische Erkenntnistheorie
173
IV.1.
Zwischen Transzendentalismus und Naturalismus
173
IV.2. IV.2.1. IV.2.2. IV.2.3. IV.2.4.
Realismus und Notwendigkeit Notwendigkeit als Denkgesetzlichkeit Denkgesetzlichkeit als Alternativlosigkeit Denkgesetzlichkeit als Sinnlosigkeit von Alternativen Denkgesetzlichkeit als Unanfechtbarkeit
177 178 182 186 188
IV.3.
Der dritte Weg
195
IV.4.
Strukturen der Erfahrung und Strukturen der Welt
208
V.
Objektive Wirklichkeit und nicht-solipsistische Erfahrung: Strawsons Version des Verhältnisses von Geist und Welt
225
V.1.
Einleitung
225
V.2. V.2.1 V.2.2 V.2.2.1 V.2.2.2 V.2.2.3 V.2.3 V.2.3.1 V.2.3.2
Einzelding und logisches Subjekt Methodische und inhaltliche Voraussetzungen Körper als grundlegende Einzeldinge Identifikation Re-Identifikation Die skeptische Herausforderung Kritische Zusammenfassung Grundlegende Einzeldinge Strawsons Umgang mit der skeptischen Herausforderung
231 231 243 244 250 266 268 268 278
V.3. V.3.1 V.3.2 V.3.3 V.3.3.1
Skeptizismus und Naturalismus Methodische Voraussetzungen Strawsons Naturalisierung der Philosophie Strawsons Relativierung der Standpunkte Wahrnehmung: Wissenschaftlicher und CommonsenseRealismus V.3.3.2 Primäre und sekundäre Qualitäten
282 282 286 292 294 294
V.4.
Schlußüberlegungen
307
VI.
Objektive Wirklichkeit und begriffliche Erfahrung: McDowells Version des Verhältnisses von Geist und Welt
313
VI.1. Die Versöhnung von Geist und Welt 313 VI.1.1 Krankheit: Konsequenzen aus dem Mythos des Gegebenen 315 VI.1.2. Therapie: Eine neue Konzeption von sinnlicher Erfahrung 319 VI.1.2.1 Wiederverzauberung der Natur 321 VI.1.2.2 Natürliche Fakten erster und zweiter Ordnung: Zweite Natur 322 VI.1.2.3 Spontaneität und Rezeptivität als Aktivität und Passivität 325 VI.1.3 Versöhnung 329
VI.1.4 Die skeptische Herausforderung Weltgerichtetheit und Objektivität: "Having the World in View" VI.2.1 Von neuem: Die Struktur sinnlicher Erfahrungen VI.2.2 Die logische Form einer Anschauung VI.2.3 Intentionalität als Relation zwischen begrifflichen und empirischen Elementen
331
VI.2.
332 336 342 351
VI.3.
McDowells Umgang mit der skeptischen Herausforderung
351
VII.
Objektive Wirklichkeit und sinnliche Erfahrung: Eine realistische Version des Verhältnisses von Geist und Welt
359
Literatur
Einleitung Für die meisten von uns ist die Frage, was wirklich existiert, nicht problematisch. Wir sind vertraut mit einer Welt, die Tische und Stühle, Bäume, Häuser, Tiere und Menschen enthält, also materielle Gegenstände unterschiedlichster Art. Und auch die Auskunft des Physikers, der beispielsweise auf die Instabilität der Materie verweist, kann uns darin nicht erschüttern: wahrnehmbar ist für uns eine Welt, die größtenteils aus Gegenständen besteht, die relativ beständig sind. Oder, wie Wittgenstein an einer Stelle formuliert: "Die Prozedur, ein Stück Käse auf die Waage zu legen und nach dem Ausschlag der Waage den Preis zu bestimmen, verlöre ihren Witz, wenn es häufiger vorkäme, daß solche Stücke ohne offenbare Ursache plötzlich anwüchsen, oder einschrumpften."1 Ebensowenig scheint es prima facie ein Problem darzustellen, daß wir noch in einem weiteren Sinn von Existenz sprechen. Wir sprechen von der Existenz von Ideen, Vorstellungen oder Konzeptionen, also von der Existenz abstrakter Entitäten. Unbestreitbar scheint ebenfalls, daß auch solche Entitäten einen kausalen Einfluß auf unsere materielle Welt haben. Dennoch scheint der Unterschied zwischen wirklicher und einer solchen abgeleiteten Form von Existenz eindeutig zu sein: die materielle Realisation erst macht in strengem Sinn reale Gegenstände, Wirklichkeit.2 Auch Hologramme, die Gegenstände mit einem Eindruck von Räumlichkeit erzeugen, oder auch die computergenerierten Gegenstände einer 'virtuellen Realität' sind in diesem Sinn nicht wirklich. Sie sind Bilder oder Simulationen, die der 'echten' Welt täuschend ähnlich sein mögen, aber sie bleiben dennoch Bilder. Die Wirklichkeit, so denken wir, existiert unabhängig von uns und unseren Vorstellungen, sie ist nicht unser Produkt, sondern in einem objektiven Sinn wirklich. Insofern scheint es überraschend, daß diese Auffassung überhaupt als diskussionswürdig erscheint, und damit als theoretische Konzeption in den Blick kommt, mehr noch, daß diese Commonsense-Konzeption der Welt möglicherweise zugunsten anderer Auffassungen aufgegeben werden soll1 (Wittgenstein, 1984) § 142. 2 Ein verbreitetes Bild für dieses Commonsense-Kriterium ist das der Widerständigkeit der Welt, des sich den Kopf Anschlagens. In der Philosophie ist die Idee der Widerstandsempfindung als Kriterium des Realseins von Gegenständen vor allem von Dilthey aufgegriffen worden, vgl. (Dilthey, 1924 (1890)), bis später dann Scheler das Realsein geradezu mit dem Widerstandsein identifiziert, vgl. (Scheler, 1977 (Bern 1960)), S. 237. Vgl. dazu etwa auch (Lenk, 1995).
8 te. Was könnte dazu führen, daß wir unser realistisches Weltbild, das trivialerweise wahr zu sein scheint, in Zweifel ziehen oder gar verwerfen? Unser erstes, vorläufiges Kennzeichen der Wirklichkeit war deren materielles Vorhandensein. Aber ist materielle Realisation wirklich ein verläßliches, trennscharfes Kriterium? Können nicht die Sinneswahrnehmungen in künstlichen, virtuellen Räumen denen in der wirklichen Welt verblüffend ähneln, sind die sinnlichen Erfahrungen in unseren Träumen nicht bisweilen von denen im Wachzustand ununterscheidbar? Und sind uns im Wachzustand die Dinge anders als durch unsere Sinneswahrnehmungen vermittelt gegeben? Können wir uns, wenn wir diese verschiedenen Sinneserfahrungen nicht unterscheiden können, denn sicher sein, daß wir nicht auch im Wachen träumen? Können wir also an dem Kriterium der materiellen Realisation festhalten, wenn auch dies nur mit Hilfe von Sinneserfahrungen entschieden werden kann? Und mehr noch: Es ist eine nicht unübliche Erfahrung, daß uns unsere Sinne täuschen können. Nicht nur, daß wir auf günstige Wahrnehmungsbedingungen wie geeignete Lichtverhältnisse, das Fehlen täuschender Spiegel etc. angewiesen sind. Durch Müdigkeit oder Erschöpfung können aus Schatten Objekte werden, bei übermäßigem Genuß von Alkohol kann es passieren, daß wir 'doppelt sehen', und in der Wüste soll man Oasen wahrnehmen können, die sich erst im Näherkommen dann als 'fata morgana' herausstellen. Aber es gibt auch üblichere Phänomene von Sinnestäuschung, denn manchmal sieht man trotz normaler Wahrnehmungsbedingungen nicht das Richtige. Ein beliebtes Beispiel dafür ist der gerade Stab, der, wenn er ins Wasser getaucht wird, gekrümmt aussieht. In all diesen Fällen nehmen wir etwas wahr, das entweder materiell überhaupt nicht vorhanden ist, oder nicht auf die wahrgenommene Weise existiert. Damit scheint sich aber ein weitergehender Zweifel nahezulegen: Eröffnen diese Beispiele nicht die Möglichkeit, daß uns unsere Sinne auch systematisch täuschen könnten? Könnte nicht die wirkliche, von uns unabhängige Welt vielleicht ganz anders sein und aussehen, als wir wahrnehmen und denken? Eine solche Frage, einen solchen Zweifel an der Güte oder Verläßlichkeit unserer Erkenntnisse über die Welt wollen wir skeptisch nennen, und in einer ersten Annäherung den Skeptiker als jemanden bestimmen, der uns in unserer alltäglichen, unhinterfragten Haltung zur Welt, unserem Realismus, herausfordert. Und um der skeptischen Herausforderung begegnen zu können, muß unsere naive, vortheoretische Haltung so in Form von Behauptungen gefaßt werden, daß sie zu einer theoretischen Position
9 wird. Wie also kann die These des Realismus genauer charakterisiert werden? Als Realisten wollen wir Dinge behaupten wie: Es gibt eine von uns unabhängige Außenwelt. Oder: Es existiert etwas unabhängig von uns und unseren Vorstellungen. Und weiter: Dieses Etwas, diese unabhängige Wirklichkeit weist Beschaffenheiten und Strukturen auf, die ebenfalls von uns und unseren Vorstellungen unabhängig sind.3 Da wir überzeugte Realisten sind, wollen wir auch nicht völlig offen lassen, wie die Wirklichkeit beschaffen ist, welche Strukturen sie aufweist: wir wollen, daß sie aus unseren üblichen Gegenständen besteht, aus Steinen, Bäumen, Katzen, Matten etc., und möglichst auch, daß unsere Wissenschaften Strukturen der Wirklichkeit beschreiben. Wir können also die allgemeinste Form von Realismus vorläufig mithilfe folgender Thesen beschreiben: •
Die Wirklichkeit existiert unabhängig von unseren Vorstellungen. Die meisten der Gegenstände, von denen der Commonsense und die Wissenschaften sprechen, sind Bestandteile dieser Wirklichkeit.4
Diese Überlegung hat zwei wichtige Dimensionen: wir wollen sie die Existenz- und die Unabhängigkeitsdimension nennen. Die Existenzdimension legt den Realisten darauf fest, daß die meisten der üblicherweise angenommenen Entitäten und möglicherweise auch die meisten der wissenschaftlichen Entitäten tatsächlich existieren. Mithilfe dieses ontologischen Aspektes wird überhaupt erst der Gegenstandsbereich des Disputes festgelegt. Daß irgendwelche Klassen von Entitäten existieren, wird auch von vielen der skeptischen oder antirealistischen Positionen nicht bestritten. Eine realistische Interpretation des notorisch unterbestimmten Begriffes 3 Diese Formulierungen entsprechen der von Devitt auch als "Feigenblatt-Realismus" bezeichneten realistischen Minimalannahme, vgl. (Devitt, 1991), S. 23. Und für den sog. wissenschaftlichen Realismus vgl. bsp. Fines Bestimmung der "NOA", unserer 'natural ontological attitude', so in (Fine, 1984 oder 1984a). 4 Die Einschränkung bei “Gegenständen” ist zum einen nötig, weil dieser Begriff hier in einem unspezifischen Sinn gebraucht werden soll. So sollen Gegenstände wie Artefakte, deren Existenz sich zwar insofern unseren Vorstellungen verdankt, als wir sie erfunden und nicht entdeckt haben, eingeschlossen sein, nicht eingeschlossen sind aber abstrakte Gegenstände wie Theorien, die nach einer naheliegenden Auffassung nicht mehr existieren, wenn die Menschheit nicht mehr existiert. Zum anderen muß natürlich auch bei einer solch basalen Behauptung die Möglichkeit des Irrtums eingeschlossen werden, sowohl was die Entitäten des Common Sense-Weltbildes als auch, was die der Wissenschaft betrifft.
10 von Existenz verlangt aber auch den zweiten der genannten Aspekte. Denn erst die Unabhängigkeitsdimension legt den Sinn der These fest: Was in einem primären Sinne existiert, sind nicht Gegenstände wie 'Ideen', 'Vorstellungen', 'Sinnesdaten' oder dergleichen, was existiert, soll für den Realisten in seiner Existenz von uns und unseren Vorstellungen unabhängig sein.5 Die Existenz und Natur der meisten Gegenstände hängt, so die These, weder von unseren Sinneswahrnehmungen noch von unseren kognitiven Fähigkeiten, unseren Praktiken, unserem Begriffsschema, unserer Sprache, unseren Theorien o.ä. ab.6 Meist bilden ontologische Annahmen den Gegenstand der Debatte zwischen dem Realisten und dem Skeptiker, oder, wo der skeptische Zweifel sich zu einer expliziten Gegenposition formiert hat, dem Anti-Realisten. Analysiert man den Streitpunkt aber genau, stellt man fest, daß erkenntnistheoretische Überlegungen dafür ausschlaggebend sind, welche Position oder Stellung im Rahmen der Ontologie bezogen wird. Denn, so die Überlegung, wenn es uns nicht gelingen kann, eine realistische Erkenntnistheorie zu begründen, macht es auch keinen Sinn mehr, eine realistische Ontologie zu vertreten. Würden wir die Welt nicht zu erkennen vermögen, wie sie ist, werden Aussagen über ihre 'wirkliche' Beschaffenheit leer: Man kann nicht Aussagen darüber treffen wollen, 'was es gibt', ohne zugleich Rechenschaft darüber abzulegen, wie wir 'herausfinden, was es gibt'. Insofern muß der Commonsense-Realismus so verstanden werden, daß er eine entscheidende erkenntnistheoretische Dimension beinhaltet. Diese wiederum setzt die ontologische zwar voraus: Sie besagt, daß wir uns kognitiv auf eine von uns unabhängige, objektive Außenwelt beziehen, sie erkennen können, und das impliziert, daß es eine solche auch gibt. Aber der Streit kann im Bereich der Ontologie nicht ausgetragen werden: Denn angenommen, der Skeptiker gibt zu, daß wir über zuverlässige Formen, über 5 Vgl. Devitt, p.14ff., in (Devitt, 1991). Auch die Rede von “objektiver” Existenz reicht nicht aus, diese Dimension festzulegen, denn in manchen Interpretationen kommen Sinnesdaten, oder Kants vorbegrifflichen Anschauungen, Existenz zu. Will ich also die Existenz einer nicht-mentalen externen Welt behaupten, reicht es nicht, die objektive Existenz von Mentalem zu fordern: “Otherwise her position is indistinguishable from a form of idealism: the doctrine that the only reality is an objectively existing mental one.”(S. 15) 6 Die genaue Art der vom Gegner behaupteten Abhängigkeit drückt sich innerhalb der einzelnen Disziplinen aus: So ist die Relativierung auf kognitive Fähigkeiten oder Begriffsschemata vor allem im erkenntnistheoretischen Anti-Realismus zu finden, die auf eine Theorie oder Sprache bei wissenschaftlichem oder semantischem Anti-Realismus usw. Realistische Thesen der einzelnen Bereiche können oft, auch wenn nicht ausdrücklich erwähnt, als Reaktionen auf Relativierungsversuche gelesen werden.
11 verläßliche Mittel verfügen, mit denen wir - zumindest im Prinzip - zu Erkenntnissen über die Welt gelangen könnten, worin sollte seine Herausforderung dann noch bestehen? Selbst wenn man annähme, daß sich einige der von uns heute als wahr angesehenen Tatsachenbehauptungen als falsch herausstellen sollten, würde diese Kritik nicht den skeptischen Zweifel unterstützen. Die skeptische Herausforderung bedient sich zwar in ihrer Argumentation der Irrtumsmöglichkeit, so wie wir sie verstehen wollen, hinterfragt sie aber nicht diese oder jene einzelne Erkenntnis oder Erkenntnisart. Sie fordert uns auf, unseren Wissens- oder Erkenntnisanspruch als solchen zu begründen, in ihrem Zweifel an einer Form von Erkenntnis, die die Unabhängigkeitsdimension berücksichtigen kann, betrifft sie die Möglichkeit der Erkenntnis von Existierendem überhaupt, unabhängig von dessen jeweiliger ontologischer Realisation. Ich möchte meinen Punkt des Primats der erkenntnistheoretischen Dimension noch einmal anders deutlich machen: Die Wirklichkeit, so implizieren die genannten realistischen Überzeugungen, wird gebildet durch die Gegenstände des Commonsense und der Wissenschaften. Wenn wir also, so die epistemologische Überlegung, über zumindest im Prinzip geeignete Mittel verfügen, die Wirklichkeit zu erkennen, ist es unplausibel anzunehmen, daß alle oder die meisten unserer diesbezüglichen Erkenntnisse falsch sind. Denn um die Irrtumsmöglichkeit in der vom Skeptiker verlangten Weise verallgemeinern zu können, müssen unsere Mittel, mit denen wir die Wirklichkeit zu erkennen versuchen, grundlegend defizient sein. Die ontologische These, daß die meisten der Gegenstände von anderer Art oder Beschaffenheit sind als wir annehmen, kann für sich genommen nur zu einer Überprüfung und möglicherweise Vervollkommnung der verwendeten Methoden und Standards führen. Erst wenn dies implizierte, daß unsere Irrtümer unüberwindlich sind, weil die Beschaffenheit der Wirklichkeit so ist, daß wir diese nicht zu erkennen vermögen, kann daraus eine skeptische Herausforderung folgen. Als ontologische Behauptung bliebe eine solche These leer: Denn wenn die Wirklichkeit so beschaffen wäre, daß wir diese ihre Natur nicht zu erkennen vermögen, wie könnten wir das je erkennen? Die ontologische These kann nur dadurch Plausibilität und Gewicht erhalten, daß sie durch epistemologische Überlegungen ergänzt wird: Wir erkennen, daß wir die Wirklichkeit nicht zu erkennen vermögen, weil unsere Mittel unzuverlässig sind, weil unsere Sinne als vermittelnde Instanz zwischen uns und der unabhängigen Wirklichkeit stehen etc. Zugespitzt könnte man sagen: der Skeptiker bezweifelt, daß wir eine unabhängige Welt zu erkennen vermögen, und zwar gerade weil diese als unabhän-
12 gig gefaßt wird. Wenn die Welt von uns unabhängig ist, vermögen wir sie nicht zu verstehen, wenn wir sie verstehen, dann, weil sie von uns abhängig ist. Damit können wir den Realismus, den wir verteidigen wollen, weiter präzisieren: Bis jetzt wurde offen gelassen, wie genau der Gegenstandsbereich zu charakterisieren ist, auf den sich die realistische Existenzbehauptung bezieht. Die These war: Die meisten der Gegenstände, von denen der Commonsense und die Wissenschaften sprechen, existieren unabhängig von unseren Vorstellungen. Wenn wir die skeptische Herausforderung in ihrer grundlegendsten Form beantworten wollen, tun wir gut daran, den Gegenstandsbereich möglichst elementar zu fassen. Wir wollen ihn dennoch insofern einschränken, als wir offen lassen wollen, ob auch die abstrakten Entitäten der Naturwissenschaften wirklich existieren. Ob die wissenschaftliche Entwicklung als Fortschritt in dem Sinne zu beschreiben ist, daß immer Neues entdeckt, die Welt immer genauer beschreiben wird, oder ob die Tatsache, daß sich die Natur oder die Beschaffenheit der postulierten Entitäten immer wieder radikal änderte, eher auf den Charakter der Naturwissenschaften als Konstruktion oder als Erfindung verweist, kann für unsere Belange offen bleiben. Ein Commonsense-Realist kann eher einräumen, daß sich die Physik oder auch andere Wissenschaften in ihren Existenzbehauptungen irren, als daß er akzeptieren kann, daß unsere alltäglichen Gegenstände wie Tische und Stühle, Häuser, Bäume etc. nicht existieren.7 Insofern wollen wir den Geltungsbereich unserer These einschränken auf unsere alltäglichen Gegenstände, auf materielle Gegenstände in Raum und Zeit, und die zu verteidigende realistische Einstellung anhand folgender drei Teilbehauptungen charakterisieren: • •
Es existiert eine Wirklichkeit, die von uns und unserem Bewußtsein unabhängig ist. Diese Wirklichkeit weist Beschaffenheiten und Strukturen auf, die ebenfalls von uns und unserem Bewußtsein unabhängig sind.
7 Eine ganz andere Vorgehensweise bestünde darin, den Commonsense-Realismus gegen den Angriff eines Realisten zu verteidigen, der sich der Ergebnisse der Naturwissenschaften bedient, und argumentiert, daß die Existenzbehauptung auf diejenigen Entitäten eingeschränkt werden muß, von denen die Wissenschaften, insbesondere die Physik, sprechen. Auf diese Variante eines 'wissenschaftlichen Realismus' werden wir im Rahmen unserer Auseinandersetzung mit dem Naturalismus zurückkommen. Aber ein Skeptiker, der sich dieser Argumentation bedient, akzeptiert die Existenzbehauptungen des wissenschaftlichen Realismus, und entspricht in dieser Hinsicht nicht der von uns skizzierten skeptischen Herausforderung: er schränkt die Erkenntnisquellen ein, bestreitet aber nicht die Möglichkeit von Erkenntnis als solcher.
13 •
Wesentliche Teile dieser Strukturen und Beschaffenheiten der Wirklichkeit sind unserem Erkennen zugänglich, diesbezügliche Behauptungen stellen unser Wissen über die Welt dar.
Da es für einen solchen Realismus unplausibel ist, für eine objektive Welt zu argumentieren, wenn wir diese nie zu erkennen vermöchten, wird sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, epistemologische Positionen zu formulieren, die es erlauben, unsere ontologischen Überzeugungen in ihrem Anspruch auf Erkenntnis zu rechtfertigen. Wir suchen also ein Konzept von Rechtfertigung, das unsere ontologischen Überzeugungen als Erkenntnisse von einer objektiven, unabhängigen Außenwelt ausweist, diese, so man kann auch sagen, als wahr ausweist. Wie rechtfertigen wir unsere Überzeugungen, wie rechtfertigen wir beispielsweise die Behauptung "Dies ist ein Tisch"? Nun, zum einen müssen wir glauben, daß dies ein Tisch ist, wir müssen an die Wahrheit dieses assertorischen Satzes glauben, ihn für wahr halten. Und auf Befragen sollten wir in der Lage sein, Gründe für diese Überzeugung anzugeben, und zwar im Allgemeinen möglichst gute Gründe. Soll unsere Behauptung als gerechtfertigt gelten, muß sie darüber hinaus aber auch wahr sein. Stellen wir uns also Situationen vor, in denen unsere Behauptung fragwürdig erscheint. Vielleicht befinden wir uns in einem modernen Möbelhaus und fragen uns, ob der betreffende Gegenstand wirklich ein Tisch ist oder eher als Stuhl dienen soll. Dann können wir unsere Behauptung rechtfertigen, indem wir auf Gebrauchsmerkmale wie das Fehlen einer Rückenlehne verweisen. Wir können uns auch Situationen vorstellen, in denen wir uns rechtfertigen, indem wir die Wahrnehmungsbedingungen klären oder einen 'Beweis' antreten und etwa antworten "Natürlich ist das ein Tisch, sieh doch genau hin, siehst du, ich kann mich daran setzen und mein Buch darauf legen". Werden auch solche Begründungen nicht als ausreichend erachtet, würden wir grundlegender zu antworten suchen. Wir würden möglicherweise unsere Wortverwendung erklären, indem wir auf Gegenstände zeigen und die entsprechenden Bezeichnungen nennen, die Rechtfertigung könnte dann im Erklären der Verwendung des Wortes 'Tisch', im Hinweis auf unsere Sprachkompetenz bestehen. Wir können Rechtfertigungen demnach vorläufig in zwei Klassen einteilen: Man kann die Wahrheit von Meinungen oder Überzeugungen einerseits 'intern', innerhalb der Sprache rechtfertigen, indem man Wortverwendungen, die Beziehungen zwischen einzelnen Behauptungen, Ableitungs-, Begründungsverhältnisse etc. auf Kohärenz analysiert, oder sozu-
14 sagen 'extern', indem man ihre Beziehung zur Wirklichkeit untersucht, ihre beschreibende Funktion zugrundelegt und die Korrespondenz zwischen Meinungen, Behauptungen und der Wirklichkeit untersucht. Wollen wir nun unseren Realismus rechtfertigen, der sich in einem Netz von einzelnen Meinungen oder Überzeugungen über die Weltmanifestiert, scheinen sich zumindest prima facie externe Begründungen anzubieten. Diese Herangehensweise entspricht dem Projekt der traditionellen Erkenntnistheorie, unser Wissen von der Außenwelt aus einem Fundament sinnlicher Erfahrung abzuleiten oder rational zu rekonstruieren, wobei einfache Beobachtungssätze die Grundlage bilden. Die leitende Vorstellung dabei ist, daß die Gesamtheit unseres Wissens als geordnetes Gefüge von begründeten Meinungen zu beschreiben ist, das an seiner Basis eine ausgezeichnete Klasse von Meinungen oder Begriffen enthält, die sich im Rahmen von Beobachtung, im direkten Abgleich mit der Welt rechtfertigen lassen. Ein solcher Fundamentalismus beruft sich darauf, daß epistemische Rechtfertigung, wenn ihr nur wieder jeweils andere Meinungen zur Verfügung stünden, die ihrerseits der Rechtfertigung bedürfen, in einen infiniten Regreß geriete. Dieser Regreß, so wird argumentiert, kann nur dann zum Stillstand kommen, wenn es eine ausgezeichnete Klasse von Überzeugungen gibt, die der Rechtfertigung nicht bedürfen, weil ihnen Gewißheit zukommt. Und die Klasse der Überzeugungen, die sich auf sinnliche Erfahrungen beziehen, schien ein ausgezeichneter Kandidat für die gesuchte Klasse zu sein. Auch für einen Commonsense-Realisten scheint sich eine solche Strategie anzubieten: Wollen wir unsere ontologischen Grundannahmen, die sich leicht in Form von Beobachtungssätzen ausdrücken lassen, begründen, scheint eine solche Art der Rechtfertigung, die unsere Sinneswahrnehmungen als wesentliche Erkenntnisquelle zugrunde legt, besonders geeignet. Denn vor allem durch Beobachtung kommen wir zu Überzeugungen über Strukturen oder Beschaffenheit der Welt, der sie konstituierenden Gegenstände oder Ereignisse. Aber gerade die Forderung nach Gewißheit, nach unbezweifelbaren Fundamenten, kann auch dazu führen, daß sinnliche Erkenntnis, weil sie uns täuschen kann, als unzuverlässige Erkenntnisquelle angesehen und verworfen wird. Wenn unsere Sinne uns täuschen können, so wird argumentiert, wie können wir rechtfertigen, daß sinnliche Wahrnehmungen nicht insgesamt unzuverlässig sind? Die Irrtumsmöglichkeit scheint eine Lücke oder Kluft zwischen Erscheinungen oder Vorstellungen und der wirklichen Beschaffenheit der Welt zu eröffnen. Alle unsere Erfahrungen, so die These, könnten genauso sein wie sie sind, gleich, wie externe Gegenstände beschaffen sind oder ob es überhaupt welche gibt.
15 Die Annahme einer Kluft zwischen Erscheinung und Wirklichkeit hängt folglich mit einer Auffassung zusammen, die auch die These der "epistemischen Priorität" von sinnlichen Erfahrungen (Vorstellungen, Repräsentationen, Wahrnehmungen etc.) genannt wird: Dinge einer bestimmten Art werden dann als "epistemisch vorrangig" vor Dingen einer anderen Art betrachtet, wenn man sie kennen, um sie wissen kann, ohne daß man die der zweiten Art kennt, aber nicht umgekehrt.8 In diesem Sinne wurde lange für die Vorrangigkeit der Sinnesdaten gestritten: Wahrnehmungswissen wurde nicht als Ergebnis direkter oder unvermittelter Wahrnehmung von Dingen in der Welt, sondern als über Sinnesdaten vermittelt verstanden. Wir können, so die Argumentation, um den Inhalt unserer Sinneswahrnehmung wissen, ohne zugleich zu wissen, ob es in der Welt einen entsprechenden Gegenstand gibt, auf den sich diese Wahrnehmung bezieht. Unbezweifelbares Wissen käme uns dann nicht bezüglich der Realität, sondern nur bezüglich unseres Wahrnehmungsinhalts, verstanden als subjektive Vorstellung, zu.9 Daraus resultiert - wenn nicht, wie bei Descartes, ein gütiger Gott die externe Realisierung unserer Vorstellungen, unserer Wahrnehmungen sichert, also die Kluft gar nicht erst entstehen läßt ein im Rahmen einer solchen Herangehensweise nicht zu lösender Zweifel an der These der Existenz einer von uns unabhängigen, realen Außenwelt. Auf die Möglichkeit einer solchen epistemischen Kluft kann nun ganz unterschiedlich reagiert werden. Charakterisiert man erkenntnistheoretische Strategien im Hinblick auf ihr Potential, den Realismus als gerechtfertigt auszuweisen, können grundlegend zwei Vorgehensweisen unterschieden werden. Entweder man hält an der Prämisse fest, daß nur solche ontologischen Annahmen gerechtfertigt geglaubt, also wirklich gewußt werden können, die sich 'gesicherten Quellen' verdanken, und übernimmt den Maßstab von Gewißheit als nicht bezweifelbarem Wissen. Dies ist die Grundprämisse transzendentaler Vorgehensweisen. Diese suchen die sinnlicher Erfahrung vorausliegenden und sie konstituierenden, begrifflichen Grundlagen unserer Erkenntnis als Basis der Rechtfertigung auszuzeichnen. Epistemische Priorität kommt dann den begrifflichen oder konzeptuel8 Strawson, wie wir noch sehen werden, spricht diesbezüglich jedoch von der ontologischen Priorität einer bestimmten Klasse von Entitäten. 9 Eine analoge Überlegung läßt sich in Bezug auf unsere Meinungen formulieren. Zur Rechtfertigung einer Behauptung, so die Argumentation, stehen uns nur wieder weitere Behauptungen zur Verfügung, diese können nie im Rahmen eines direkten Zugangs zur Welt verifiziert werden, und insofern sind wir auch hier in unseren subjektiven Ideen gefangen, nur daß die Ideen in diesem Fall nicht als Sinnesdaten, sondern als Meinungen verstanden werden.
16 len Bedingungen zu, die erfüllt sein müssen, damit wir uns auf Sachverhalte in der Welt überhaupt erst beziehen können. Oder man steht einer solchen philosophischen Begründung unseres Anspruchs auf Wissen generell eher mißtrauisch gegenüber und setzt auf die Naturalisierung der Erkenntnistheorie, bezieht also die Ergebnisse der Naturwissenschaften in philosophisches Denken mit ein. Dann wird der Gewißheitsanspruch meist als überzogen oder verfehlt zurückgewiesen, und es wird gezeigt, daß unsere Überzeugungen auch ohne Fundierung in unbezweifelbar Gegebenem als Wissen, d.h. als gerechtfertigte, wahre Meinung ausgewiesen werden können. Als kennzeichnend gilt dann eine Konzeption von Rechtfertigung, in der keine Klasse von Meinungen als epistemisch privilegiert betrachtet wird. Transzendentale Projekte setzen bei der Frage an, welche Erkenntnisquelle uns Wissen zu liefern vermag, das als unbezweifelbar gelten kann und das insofern epistemisch privilegiert ist. Sinnliche Erkenntnis oder empirisches Wissen ist nur kontingenterweise und nicht notwendig wahr, so die These, insofern können nur Erkenntnisse, die erfahrungsunabhängig sind, unbezweifelbar sein. Gesucht wird eine Art von Erkenntnis, die sich demnach nicht mit den Gegenständen von Erkenntnis, sondern mit unserer Erkenntnisart auseinandersetzt. Diese, zuerst von Kant verwendete Denkfigur sucht die unseren Erfahrungen vorhergehenden Bedingungen mithilfe rein formaler, nicht-empirischer Gesichtspunkte so zu bestimmen, daß ihnen eine Art von Notwendigkeit zukommt, deren Charakteristikum ausnahmslose Gültigkeit ist. Überzeugungen oder Erkenntnisse, die in diesem Sinne transzendentalen Charakter haben, stellen, so die Überlegung, einen guten Kandidaten für die gesuchten basalen, sich selbst rechtfertigenden Meinungen dar, die das Fundament unseres gesamten Systems von Meinungen bilden sollen. Dabei bedeutet transzendental nicht, die Erfahrung übersteigend, sondern ihr zugrundeliegend, sie überhaupt erst ermöglichend. Kants 'kopernikanische Wende', die zur Untersuchung nicht des empirisch Gegebenen, sondern der im Bewußtsein des Erkenntnissubjektes gegebenen 'Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung', der begrifflichen, kategorialen Strukturen führte, zielt auf eine dem Sinnlichen vorgängige Erkenntnisquelle. Eine solche Art von philosophischem Denken steht aber vor dem prinzipiellen Problem, die behauptete Grenze zwischen Philosophischem und Empirischem, zwischen Transzendentalem und Faktischem, Notwendigem und bloß Kontingentem zu ziehen. Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, was die Basis für transzendentales - im Unterschied zu empirischem oder naturwissenschaftlichem - Denken ist.
17 Naturalistische Projekte lehnen den Versuch, eine 'prima philosophia', einen Bereich genuin philosophischer, von den empirischen Wissenschaften unabhängiger Fragen auszuzeichnen, ab, da zwischen beiden keine scharfe Grenze zu ziehen sei, weder was die Methode, noch was die Datenbasis angehe. Zurückgewiesen wird auch die in transzendentalen Überlegungen meist akzeptierte Vorstellung von Gewißheit als strenger Notwendigkeit. Naturalisten übernehmen zwar die Forderung nach Rechtfertigung, nicht aber den traditionell verwendeten Maßstab der Legitimierung unserer Wissensansprüche. Wenn die Rechtfertigung unserer Überzeungen nicht den Nachweis notwendiger Fundierungsbeziehungen verlangt, eröffnet sich die Möglichkeit, Rechtfertigung als Angeben von Gründen oder Ausweisung der Wahrheit einer Überzeugung zu bestimmen. Dann stellt sich die Frage, inwieweit sinnliche Wahrnehmung wirklich eine unzuverlässige Erkenntnisquelle ist und ob denn der Aspekt der Irrtumsmöglichkeit vielleicht gar nicht zu der Konsequenz einer epistemischen Kluft führen muß. Akzeptiert man das Bild eines Fundaments empirischer Erkenntnis, weist aber den Aspekt der Gewißheit zurück, kann man also versuchen, Sinneswahrnehmungen als epistemisch privilegiert auszuzeichnen. Naturalisten, die die Vorstellung eines hierarchisch geordneten Aufbaus unserer Überzeugungen ablehnen, und keine Klasse von Meinungen als grundlegend ansehen, stehen hingegen vor dem Problem, das beschriebene Argument, das die Notwendigkeit einer Fundierung mit dem Aufweis eines drohenden, infiniten Rechtfertigungsregresses zu beweisen sucht, zu entkräften. Die inhaltlichen Differenzen dieser Alternativen sowie deren Ressourcen, einen am Commonsense orientierten Realismus zu begründen, der erkenntnistheoretische und ontologische Annahmen verbindet, werden in unseren folgenden Kapiteln genauer geprüft. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Realismus scheint sich im Rahmen von zwei methodisch unterschiedlichen Herangehensweisen rekonstruieren und begründen zu lassen. Man kann Realismus transzendental, als Bedingung der Möglichkeit für Erkenntnis überhaupt bestimmen, oder naturalistisch, und wie sich noch deutlicher zeigen wird, können bei beiden Vorgehensweisen fundamentalistische und kohärentistische Varianten unterschieden werden. Erstere begründen realistische Positionen mithilfe einer Auszeichnung unseres Beobachtungswissen, unserer Sinneswahrnehmung als basal oder privilegiert, letztere geben den starken Begriff der Rechtfertigung überhaupt auf, und rekonstruieren den Realismus eher als Element unseres Begriffssystems. Die Differenz zwischen transzendentalen und naturalistischen Herangehensweisen ist dabei nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine methodische: während transzendentale Argu-
18 mentation voraussetzt, daß es einen Begriff der Notwendigkeit gibt, der sich alleine formal bestimmen läßt, und in ihrer modernen Form demgemäß begriffsanalytisch vorgeht, bestreitet der Naturalismus eine solche Möglichkeit, und operiert auf der Basis empirischer Forschung oder Theoriebildung. Der Entwurf einer realistischen Erkenntnistheorie, die die ontologischen Grundannahmen des Commonsense-Realismus zu rechtfertigen vermag, bedarf demnach auch einer präzisen methodischen Selbstbestimmung. Generelles Ziel meiner Arbeit ist es, eine Form transzendentaler Argumentation als Ausarbeitung der Idee einer notwendigen, und d.h. unserer Erfahrung vorhergehenden, sie konstituierenden Struktur zu entwickeln, die die Gültigkeit unseres Wissens von der als objektiv verstandenen Außenwelt auszuweisen hilft. Insofern möchte ich sie als Beitrag zu einer deskriptiven Metaphysik verstehen, die zugleich beschreibend wie auch kritisch vorgeht, mehr noch, deren kritische Funktion gerade in einer Neubeschreibung besteht. Im Blauen Buch formuliert Wittgenstein dies so: "Man kann den common-sense gegen die Angriffe von Philosophen nur verteidigen, indem man ihre Probleme löst, d.h., indem man sie von der Versuchung heilt, den common-sense anzugreifen, und nicht, indem man die common-sense-Ansichten wiederholt. Ein Philosoph ist nicht jemand, der nicht bei Sinnen ist, er ist nicht jemand, der nicht sieht, was jedermann sieht. Noch ist seine Uneinigkeit mit dem common-sense die des Naturwissenschaftlers, der mit den groben Ansichten des Mannes in der Straße nicht übereinstimmt. Das heißt, sein Widerspruch gründet sich nicht auf eine scharfsinnigere Kenntnis der Tatsachen. Wir müssen uns deshalb nach dem Ursprung seiner Verwirrung umsehen."10
Was zu verteidigen ist, kann also als Binsenweisheit oder Trivialität gekennzeichnet werden, und, so möchte man betonen, auch wenn wir den Ursprung der philosophischen Verwirrung entdeckt haben, bleiben die Tatsachen dieselben: Das philosophische Problem entsteht nicht aufgrund einer scharfsinnigeren Kenntnis der Tatsachen. Versteht man den Skeptizismus in diesem Sinn als Angriff auf den Commonsense, der aus einer Verwirrung resultiert, kann die Lösung folglich dennoch nicht in einer Wiederholung, sondern muß in einer Neubeschreibung dieser CommonsenseÜberzeugungen bestehen. David Lewis beschreibt diese Situation folgendermaßen:
10 (Wittgenstein, 1984 (5)), S. 95.
19 "It is the profession of philosophers to question platitudes that others accept without thinking twice. A dangerous profession, since philosophers are more easily discredited than platitudes, but a useful one. For when a good philosopher challenges a platitude, it usually turns out that the platitude was essentially right; but the philosopher has noticed trouble that one who did not think twice could not have met. In the end the challenge is answered and the platitude survives, more often than not. But the philosopher has done the adherents of the platitude a service: he has made them think twice."11
Versteht man Philosophie in diesem Sinn wesentlich als Klärung, oder auch, um das beliebte Schlagwort zu verwenden, als Therapie, bedeutet dies, daß die skeptische Herausforderung nicht beantwortet, sondern nur aufgelöst werden kann.12 Was soll das heißen? Der Philosoph als Skeptiker will eigentlich etwas Unmögliches: eine Beschreibung von Erkenntnis aus der Gottesperspektive. Allein aus einer solchen nämlich könnten die beiden Relata, menschliches Erkennen und die Welt, ihre Gegenstände oder Sachverhalte, getrennt betrachtet und die Angemessenheit des ersteren bezüglich des letzteren geprüft werden. Die Welt, ihre Gegenstände, können für uns aber immer nur als Gegenstände unseres Erkennens in den Blick kommen, eine neutrale Rechtfertigung unserer Erkenntnis ist unmöglich. Es scheint diese logische Figur zu sein, die die skeptische Herausforderung motiviert, und insofern wird es darum gehen, diesen Sachverhalt so zu beschreiben, daß ersichtlich wird, warum daraus nicht notwendigerweise philosophische Probleme entstehen. Es gibt zahlreiche philosophische Theorien oder Ansätze, die die skeptische Position zu widerlegen suchen. Aber auch die weniger ambitionierten Versuche, die skeptische Herausforderung durch Beschreibung oder Neubeschreibung aufzulösen, sind weit davon entfernt, allgemeine Zustimmung zu erzielen. Dabei scheint nun gerade der bescheidenere Geltungsanspruch nicht zu ihrer Akzeptanz beizutragen, da sie ihrer Struktur nach notwendigerweise einen appellativen Charakter aufweisen, der philosophisch 11 David Lewis in der Einleitung zu Convention (1969), S. 1. Und auf die Frage, was denn eine Platitüde sei, antwortet er sinngemäß: Etwas, dessen Wahrheit zu bestreiten höchstens einem Philosophen einfallen könnte. 12 Wie in unserem Zitat deutlich wird, sieht Lewis es durchaus als sinnvolle Aufgabe des Philosophen an, Gemeinplätze zu hinterfragen. Wittgenstein verfolgt dagegen eine etwas andere Stoßrichtung, die mit dem Begriff der Therapie zu beschreiben wäre: "Der Philosoph ist der, der in sich viele Krankheiten des Verstandes heilen muß, ehe er zu den Notionen des gesunden Menschenverstandes kommen kann." Siehe die Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, (1984 (6)), Teil V, § 53.
20 verdächtig scheint. In einer solchen, beschreibenden Vorgehensweise wird es folglich darauf ankommen, den Realismus, der die Intuitionen des Commonsense aufgreift und zu rekonstruieren sucht, als 'natürliche' Haltung zur Welt möglichst lange beizubehalten, da ein Realist, der sich schon zu Beginn darauf einläßt, einem Anti-Realisten oder Skeptiker nach dessen Maßgaben zu antworten, noch nicht einmal dazu kommen würde, seine Position überhaupt erst zu entwickeln. Wenn wir also im Folgenden von Anti-Realismus sprechen, ist damit keine eindeutig bestimmbare philosophische Position oder These gemeint, dem Anti-Realismus kommt in meiner Darstellung, wo nicht ausdrücklich genauer gekennzeichnet, einfach die Funktion zu, einer der drei genannten realistischen Grundannahmen zu widersprechen. Die gesuchte Form einer Begründung oder Rechtfertigung des Realismus sucht die skeptische Herausforderung zu beantworten, indem sie auf die Verwobenheit epistemologischer und ontologischer Annahmen verweist, dies entspricht einer Antwort auf die generellste Form von Anti-Realismus. Dabei ist es entscheidend, im Auge zu behalten, daß unser Ziel nicht darin bestehen kann, den Skeptiker zu widerlegen: Der wiederholte Verweis auf das skeptische Räsonnement soll dazu dienen, die Rechtfertigungsforderung ernst zu nehmen, die gesuchte Konzeption von Erkenntnis und sinnlicher Erfahrung je von neuem daraufhin zu überprüfen, ob sie unseren realistischen Intuitionen genügt, diese Forderung also als erkenntnistheoretischen Prüfstein für mögliche Lösungen zu verwenden. Es muß zwar zugegeben werden, daß es nicht eben üblich ist, den Skeptiker als einen - im Prinzip - wohlwollenden Kritiker zu verstehen, in den späteren Überlegungen wird sich aber zeigen, daß eine ähnliche Auffassung auch hinter ehrgeizigeren Projekten stehen kann. Im Folgenden werde ich die mir vertretbar erscheinende realistische Position weiter entwickeln, und im Verlauf prüfen, ob es antirealistische Argumente geben kann, die uns zwingen, sie zu modifizieren oder gar aufzugeben. Ich möchte also an der für Realisten üblichen Strategie, ihre Metaphysik beizubehalten und zu versuchen, antirealistische Überlegungen höchstens zu Revisionen ihres Weltbildes führen zu lassen, festhalten. Um dies unter einem relativ neuen Schlagwort zu fassen: Ich möchte den Realismus gegen beide, seine hartnäckigen Widersacher wie seine hartnäckigen Vertreter, 'in einem realistischen Geiste' fassen. Es wurde eingestanden, daß eine Beschreibung von menschlicher Erkenntnis aus der Gottesperspektive nicht möglich ist: Die beiden Relata, Erkennen und Welt, ihre Gegenstände oder Sachverhalte, können nicht getrennt betrachtet werden, so daß die Angemessenheit des ersteren bezüg-
21 lich des letzteren überprüft werden könnte. Wenn aber die Welt, ihre Gegenstände und Sachverhalte, für uns immer nur als Gegenstände unseres Erkennens in den Blick kommen können, eine neutrale Rechtfertigung unserer Erkenntnis nicht möglich ist, wie kann dann die für realistische Positionen zentrale Unabhängigkeitsdimension verstanden werden? Die Welt soll in meiner Argumentation als das objektive Gegenüber, das sie meiner Ansicht nach zumindest in grundlegender Hinsicht ist, verstehbar werden. Ich möchte demnach nicht den intersubjektiven, sondern den objektiven Aspekt betonen: Die Welt ist, wie sie ist, und (auch) darum haben wir die kognitiven Strukturen oder die Sprache, die wir haben. Nicht die Übereinstimmung zwischen den Menschen entscheidet, was wirklich ist, oder anders formuliert, diese Übereinstimmung darf nicht alleine als eine der Meinungen verstanden werden, sondern drückt sich in unserer Lebensform aus. Und dabei heißt Lebensform auch, daß uns alle eine Welt umgibt, die sich auf eine bestimmte, zu entdeckende Weise verhält: In einer Welt etwa, in der sich alle Objekte ständig und in unvorhersehbarer Weise veränderten, sie anwachsen oder einschrumpfen, sich auflösen oder teilen, könnten wir die für die meisten unserer Sprachspiele, Begriffssysteme grundlegenden Begriffe der Zahl und Identität nicht verwenden, damit, so soll gezeigt werden, würde aber auch der Begriff des Gegenstandes seinen Sinn verlieren. Kann man denn überhaupt Sinn aus der skeptischen Behauptung machen, daß die Welt ganz anders sein könnte, als sie ist, ohne daß dies unser Denken, unsere Sprachspiele von Grund auf ändern würde? Welche Abweichungen von unserer Ontologie wären unter dieser Voraussetzung möglich, welche nicht? In Die Ordnung der Dinge zitiert Foucault einen Text von Borges, in dem seinerseits eine "gewisse chinesische Enzyklopädie" zitiert wird. In dieser, so Borges, heißt es, daß "die Tiere sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörende, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen."13
13 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Frankfurt/M. 1971, S. 17; Jorge Luis Borges, "Die analytische Sprache John Wilkins'", in Das Eine und die Vielen, München 1966, S. 212.
22 Wie sehr kann 'unsere tausendjährige Handhabung des Gleichen und des Anderen' schwanken, in Unruhe versetzt werden?14 Wie weit ist es möglich, sich abweichende Taxonomien zu denken? Welche Gedankenspiele sind möglich, und welche stoßen an die Grenze unseres Denkens? In seiner Erzählung Fluchtplan läßt Casares den Gouverneur einer Gefangeneninsel eine Art erkenntnistheoretisches Experiment anstellen.15 In der Absicht, den Gefangenen ein gewisses Maß an Freiheit zu schenken - eine tatsächliche Flucht ist unmöglich -, wagt er den Versuch einer völlig neuen 'Einstellung' der Sinne. Mithilfe mehrerer Operationen verbindet er die Sinne der Insassen systematisch neu, Gesichtssinn wird mit Gehörsinn, dieser mit dem Tastsinn verbunden, Zellen, die für Farbwahrnehmungen zuständig sind, werden mit denen verknüpft, die räumliche Wahrnehmungen erlauben etc. "Wir können die Welt beschreiben als eine Gesamtheit von Symbolen, die imstande sind, alles Beliebige auszudrücken; wir brauchen nur die Einstellung unserer Sinne zu ändern, und schon lesen wir ein anderes Wort in diesem natürlichen Alphabet. ... Die essentielle Einheit der Sinne und der Bilder, Darstellungen oder Daten existiert, und sie ist eine Alchimie, die imstande ist, Schmerz in Lust und die Kerkermauern in Ebenen der Freiheit zu verwandeln. ... Dieser Kerker, in dem ich schreibe, diese Papierblätter sind nur Kerker und Papierblätter für eine bestimmte Einstellung der Sinne (die des Menschen). Ändere ich diese Einstellung, so wird dies zu einem Chaos, in dem nach gewissen Regeln alles vorstellbar ist oder erschaffen werden kann. ... Das Wesen der geistigen Tätigkeit besteht darin, zu zerschneiden und zu trennen, was ein kontinuierliches Ganzes ist, und es nach Gesichtspunkten der Nützlicheit zu Dingen, Menschen, Tieren, Pflanzen umzugruppieren. ... Wenn die Patienten nach ihrer Verwandlung der Welt frei gegenüberstehen, wird sich die Deutung, die sie jedem Objekt geben, meiner Voraussage entziehen. Es gibt, vielleicht, eine Ordnung im Universum; es gibt, gewiß, eine Ordnung in meinen Unternehmungen... Aber ich weiß nicht, ob ich noch lange genug leben werde, um das Kriterium der Deutung zu erforschen."16
In dieser poetischen Fiktion sind alle Bestandteile jener erkenntnistheoretischen Auffassung enthalten, die zu der Kluft zwischen der Welt und unseren Überzeugungen führt: Die Sinne als Vermittler zwischen uns und einer Welt an sich, die unseren Deutungen unterworfen ist, und die wir nie wirklich und endgültig zu erkennen vermögen, sondern die wir anhand kontingenter oder gar willkürlicher Klassifikationen erschaffen, sowie die Mög14 Foucault, ebd. 15 Adolfo Bioy Casares, Fluchtplan, Frankfurt/M. 1975. 16 A.a.O., S. 122ff.
23 lichkeit eines Gottesstandpunktes, von dem aus die Deutung dennoch als Deutung erkannt und beschrieben werden kann. In der Erzählung von Casares mißlingt das Experiment zwar, die 'Versuchsobjekte' sterben an der vorgeblichen Freiheit. Aber es bleibt offen, was genau es ist, das nicht funktioniert hat, und insbesondere, ob dies eine implizite Widerlegung der Prämissen des Experiments darstellt. Was aber kann, wenn man ein solches Bild der Verbindung von Welt und Denken voraussetzt, überhaupt schiefgehen? Was ist es, anhand dessen über richtige und falsche Deutung entschieden werden kann? Setzen wir in einem solchen Bild nicht "Deutung hinter Deutung"?17 Menschliches Erkennen kann, so die These meiner Arbeit, in einem solch solipsistischen Bild nicht erklärt oder verstanden, sondern muß anhand eines triangulären Modells beschrieben werden, die notwendige Verbindung besteht zwischen mindestens drei Entitäten: mindestens zwei Menschen und einer Klasse von objektiven Gegenständen. Diesen Begriff von Objektivität will ich zu klären versuchen, gerade weil er in den aktuellen Diskussionen nicht unbedingt große Popularität zu besitzen scheint, und meines Erachtens allzu leichtfertig aufgegeben wird, ohne daß man sich immer im Klaren wäre, was ein solcher Verzicht für Konsequenzen beinhalten muß. Will man die Gegenständlichkeit der Welt objektiv verstehen und nicht nur als façon der parler, werden Konzeptionen sinnlicher Erfahrung wichtig. Die Beschreibung der Struktur sinnlicher Wahrnehmung, oder allgemeiner: unseres Bezugs zu Gegenständen, muß so beschaffen sein, daß sie unsere Verbindung zur Welt als direkte, nichtinferentielle Beziehung aufzufassen erlaubt. Oder, wenn sie nicht als direkt verstanden werden kann, dann muß man zumindest die aus der Indirektheit oder aus der inferentiellen Beschaffenheit vermeintlich folgende empirische Unentscheidbarkeit entkräften können, also den skeptischen Zweifel, der auf die Zuverläßigkeit der Wahrnehmung als zentraler Erkenntnisquelle zielt. In meiner Arbeit möchte ich so vorgehen, daß im ersten Schritt in enger Auseinandersetzung mit prominenten Positionen zuerst die für einen Realisten angemessene methodische Strategie entwickelt wird, und im Anschluß an diese methodische Selbstverortung im zweiten Schritt dann die inhaltlichen Bestandteile einer realistischen Position entwickelt werden, die, so die These, wesentliche Aspekte des Commonsense so zu übernehmen oder zu rekonstruieren vermag, daß die skeptische Forderung nach de17 Vgl. Wittgenstein, PU § 201.
24 ren Legitimation erfüllt ist. Das erste Kapitel soll dazu dienen, die Figur des philosophischen Skeptikers genauer zu charakterisieren. Hierzu werden zwei Formen skeptischer Herausforderung unterschieden, Begründungsskeptizismus, der sich generell gegen die Möglichkeit einer Rechtfertigung unserer erkenntnistheoretischen Grundannahmen richtet, und der für meine Arbeit zentrale cartesianische Skeptizismus, der sich insbesondere gegen die realistische Annahme einer unabhängigen Außenwelt richtet. In den beiden nachfolgenden Kapiteln werden zwei prominente Versuche diskutiert, der skeptischen Herausforderung zu begegnen, wobei sich zeigen wird, daß für realistische Positionen insbesondere die Verknüpfung des erkenntnistheoretischen und ontologischen Aspekts entscheidend ist. Diese auch historisch orientierten Erläuterungen sollen einem besseren Verständnis der im Begriff der 'analytischen Transzendentalphilosophie' enthaltenen Spannung den Weg ebnen, sie sollen den Versuch einer Synthese beider Traditionen, der sich in meiner Konzeption des Realismus findet, nachvollziehbar machen. Da mit der folgenden, historisierenden Beschreibung also eine eher methodische oder systematische Absicht verfolgt wird, kann unser Ziel auch nicht Vollständigkeit sein: In meiner Darstellung soll Kant als Paradigma transzendentaler, Quine als Paradigma naturalistischer Vorgehensweise dienen, wobei jeweils im Anschluß der Versuch einer zusammenfassenden Bewertung auch zeitgenössischer Ansätze unternommen wird. Im zweiten Kapitel wird transzendentale Argumentation zuerst in der Form diskutiert, die ihr Kant gegeben hat. Dabei werde ich zeigen, daß der Realismus im Rahmen seiner These einer aus begrifflichen Zusammenhängen resultierenden Notwendigkeit der Struktur unserer Erfahrungen oder Erkenntnisse, die als Fundament jeglicher Erkenntnis betrachtet wird, nicht legitimiert werden kann. Doch bevor die transzendentale Methode, auch in ihrer zeitgenössischen Gestalt, abschließend beurteilt werden kann, soll im dritten Kapitel nicht nur die vor allem mit dem Namen Quines verbundene Kritik, die zu wesentlichen Revisionen geführt hat, sondern auch dessen methodische Alternative des Naturalismus einer Prüfung unterzogen werden. Ich werde dafür argumentieren, daß auch Quine, und mit ihm zeitgenössische naturalistische Ansätze, die skeptische Herausforderung nicht zu beantworten, die Gültigkeit unserer Kenntnis von der Außenwelt nicht zu legitimieren vermag. Die beiden genannten Herangehensweisen sind in ihren Grundannahmen inkompatibel. Im vierten Kapitel wird es darum gehen, die Möglichkeit einer Alternative, eines dritten, zwischen beiden reinen Positionen liegenden Weges aufzuzeigen, der wichtige Facetten zu rekonstruieren erlaubt. Der gesuchte Mittelweg sollte die Vorteile der reinen Positionen so vereinen können, daß zum ei-
25 nen die Notwendigkeit realistischer Annahmen als transzendentaler Aspekt verständlich wird, zum anderen aber auch die naturalistische Einsicht aufgenommen werden kann, daß dieser Realismus sich nicht einem Konstitutionsverhältnis verdanken darf, das idealistische Konsequenzen hat. Der Notwendigkeitscharakter kann demnach weder im Sinne einer bloß psychologischen, noch im Sinne einer bloß intersubjektiven Notwendigkeit bestehen, im vierten Kapitel wird es also wesentlich um eine Rekonstruktion dieses Begriffs gehen, die, wie sich zeigen wird, auch zu einer Neubewertung des Geltungsanspruchs der realistischen These führen muß. In den beiden folgenden Kapiteln werden dann in enger Auseinandersetzung mit den Herangehensweisen Strawsons und McDowells Grundzüge und Elemente einer Konzeption einer solchen bescheideneren Form von Realismus entwickelt. Dabei wird insbesondere dafür argumentiert, daß der für jegliche Form von Realismus zentrale Begriff der Objektivität erst dann begründet werden kann, wenn der erarbeitete Begriff der Notwendigkeit auch mit einer Konzeption sinnlicher Erfahrung verknüpft werden kann. Versteht man sinnliche Wahrnehmung realistisch als primäre oder zentrale Erkenntnisquelle, muß man versuchen, die traditionelle Konzeption von Rechtfertigung so zu rekonstruieren, daß die epistemische Kluft überwunden wird, beispielsweise indem Wahrnehmungserfahrungen nicht mehr wie Sinnesdaten als bloß subjektive oder indirekte Vorstellungsinhalte verstanden werden, sodaß die Irrtumsmöglichkeit nicht zu einem generellen Zweifel führen kann. Dabei muß einerseits gewährleistet sein, daß der konstitutive Charakter der realistischen These auch im Rahmen empirischer Erkenntnis zum Tragen kommt, andererseits aber auch, daß zumindest im Prinzip empirische Überprüfung möglich ist. Die Notwendigkeit bestimmter grundlegender Überzeugungen oder begrifflicher Zusammenhänge muß dann darin bestehen, daß ihr Widerspruch grundlegende Revisionen konstitutiver Annahmen zur Folge hätte, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht denkmöglich sind, so daß dies keine Alternative darstellen kann. Dabei können die meisten der mit dem Commonsense verbundenen Annahmen erhalten bleiben, auch wenn die Beschreibung, das Etikett ungewöhnlich klingen mag: "Realismus als notwendige empirische Hypothese". Diese zugegebenermaßen prima facie kontraintuitive Arbeitshypothese wird vielleicht verständlicher, wenn man sie wesentlich auch als Reaktion auf die dem erkenntnistheoretischen Skeptiker geschuldete Einsicht versteht, daß sich Realismus, wie sich zeigen wird, weder rein deduktiv, mit rein begrifflicher Argumentation, noch rein induktiv, mit rein empiristischem Handwerkszeug begründen läßt. Versuche, den Skeptiker zu widerlegen, sind Legion. Ich halte eine solche starke Widerlegung nicht für
26 möglich, aber ich möchte zeigen, daß eine solche auch nicht nötig ist: Das bescheidenere Ziel einer Legitimation unseres Commonsense-Weltbildes, die der skeptischen Herausforderung zu begegnen vermag, ist auch dann erreichbar, wenn uns kein Inkohärenzbeweis zur Verfügung steht. Für die Realismus-Debatte soll folglich eine Argumentationsstrategie entwickelt werden, die die erkenntnistheoretische Grundfrage, die weitgehende metaphysische oder ontologische Implikationen hat, so mit dem Bereich des Empirischen verknüpft, daß apriorische Intuitionen rekonstruiert werden können. Ein solcher Versuch hat sich dann zwischen der Scylla empirischer Inhaltsleere, also der Sinnlosigkeit einer metaphysischen Scheinfrage, und der Charybdis eines relativistischen Empirismus zu bewegen, und was ich zeigen möchte, ist, daß diese Gratwanderung gelingen kann.
27
I. Formen skeptischer Herausforderung "General scepticism is the live mental attitude of refusing to conclude. It is a permanent torpor of the will, renewing itself in detail towards each successive thesis that offers, and you can no more kill it off by logic than you can kill off obstinacy or practical joking. This is why it is so irritating."18
Vertreten werden soll eine realistische Position, die sich möglichst eng an den Commonsense hält und die in folgende Teilbehauptungen zerfällt: • • •
Es existiert eine Wirklichkeit, die von uns und unserem Bewußtsein unabhängig ist. Diese Wirklichkeit weist Beschaffenheiten und Strukturen auf, die ebenfalls von uns und unserem Bewußtsein unabhängig sind. Wesentliche Teile dieser Strukturen und Beschaffenheiten der Wirklichkeit sind unserem Erkennen zugänglich, diesbezügliche Behauptungen stellen unser Wissen über die Welt dar.
Ferner wurde gesagt, daß es für einen solchen Realismus unplausibel ist, für eine objektive Welt zu argumentieren, wenn wir diese nicht erkennen könnten. Unser Hauptaugenmerk muß demnach einer epistemologischen Position gelten, die es uns erlaubt, unsere ontologischen Überzeugungen in ihrem Erkenntnisanspruch zu rechtfertigen. Wir suchen also ein Konzept von Rechtfertigung, das unsere ontologischen Überzeugungen als Erkenntnisse von einer objektiven, unabhängigen Außenwelt ausweist, oder man kann auch sagen: sie als wahr ausweist. Weiterhin wurde Rechtfertigung provisorisch in zwei Klassen eingeteilt: Interne Rechtfertigung, die die Wahrheit von Meinungen oder Überzeugungen innerhalb eines gegebenen Bezugsrahmens, etwa einer Sprache oder einer wissenschaftlichen Theorie, rechtfertigt, indem Wortverwendungen, die Beziehungen zwischen einzelnen Behauptungen, Ableitungs-, Begründungsverhältnisse etc. auf ihre Kohärenz, ihre innere Stimmigkeit analysiert werden, und externe Rechtfertigung. Letztere wurde vorerst als 18 William James in The Meaning of Truth (1978), S. 273f. Und er fährt fort: "Your consistent sceptic never puts his scepticism into a formal proposition - he simply chooses it as a habit. He provokingly hangs back when he might so easily join us in saying yes, but he is not illogical or stupid - on the contrary, he often impresses us by his intellectual superiority. This is the real scepticism that rationalists have to meet, and their logic does not even touch it." Ebd.
28 Untersuchung der Korrespondenz zwischen Meinungen, Behauptungen und der Wirklichkeit bestimmt, die die beschreibende Funktion von Theorien zugrundelegt. Die folgende Darstellung der verschiedenen Formen skeptischer Herausforderung gibt einen ersten Hinweis darauf, ob der Commonsense-Realismus allein mithilfe einer externen Form von Rechtfertigung begründet werden kann. In der Einleitung wurden der ontologische sowie erkenntnistheoretische Aspekt eines solchen alltäglichen Realismus erwähnt, wobei letzterer als grundlegend charakterisiert wurde: Behauptungen über die Beschaffenheit der Welt bleiben leer, wenn damit nicht zugleich Behauptungen über unsere Möglichkeit, die Beschaffenheit der Welt zu erkennen, verknüpft sind. Insofern ist auch der den Realismus herausfordernde Skeptizismus in seiner erkenntnistheoretischen Dimension zu kennzeichnen. Wir wollen uns demnach jetzt fragen, worin genau die skeptische Herausforderung gegenüber einem Realismus des Commonsense bestehen kann. Skeptizismus, so hatte sich bereits gezeigt, stellt kein praktisches, sondern ein theoretisches Problem dar. Im Alltag stellt uns die Aufforderung, unsere Behauptungen zu rechtfertigen, nicht vor unüberwindliche Probleme: Wir sind darin geübt, einzelne Behauptungen durch Angabe von Gründen zu verteidigen, und wir betrachten einen Großteil solcher begründbaren Meinungen auch als Wissen. Theoretischer Skeptizismus geht über solche Bedenken gegenüber einzelnen Behauptungen hinaus und verallgemeinert den Zweifel zu einer generellen Sicht auf menschliches Wissen: Es ist, so die These, nicht nur so, daß wir manchmal faktisch etwas nicht wissen, sondern daß Wissen prinzipiell nicht möglich ist.19 Skeptizismus ist darüberhinaus dann radikal, wenn er nicht nur die Möglichkeit von Wissen, also gerechtfertigter, wahrer Meinung bestreitet, sondern die Möglichkeit, unsere Meinungen überhaupt zu rechtfertigen. Radikal wird die Position dadurch, daß keine Rückzugsmöglichkeit bleibt: Es wird nicht nur eine spezifische Bedingung für Wissen wie die der Wahrheit unserer Behauptungen angegriffen; dadurch, daß die Unmöglichkeit jeglicher Art von Rechtfertigung behauptet wird, würde der Verzicht auf den Begriff des Wissens zu epistemologisch verheerenden Konsequenzen führen.20 19 Für die folgende Darstellung übernehme ich wesentliche Gesichtspunkte von Michael Williams, wobei besonders eine neue, noch unveröffentlichte Monographie zum Thema des erkenntnistheoretischen Skeptizismus, Problems of Knowledge, berücksichtigt wurde, die er im Januar 2001 auf einer Tagung in Potsdam vorgestellt hatte. 20 Williams unterscheidet radikale und wissensspezifische Formen des Skeptizismus und verdeutlicht dies am Beispiel des Gettier-Problems, vgl. (Gettier, 1963). Gettiers
29 Will die skeptische Position über möglichst große Schlagkraft verfügen, sollte sie auch eine dritte Bedingung erfüllen: sie sollte mittels relativ einfacher, 'irdischer' Überlegungen verfahren, ihre Argumente sollten offensichtlich einleuchtend sein und nicht von abwegigen Prämissen ausgehen, die niemand zu teilen bereit ist. Williams faßt dies konzis: "Philosophical scepticism's radical and general character harks back to the simplicity and intuitiveness of sceptical arguments. Such arguments point out radical and general conclusions precisely because they exploit only 'lowest common denominator' features of knowledge. But for the same reason, it is hard to say how, or even whether, they go astray. The result is that philosophical scepticism is hard to dismiss but impossible (sincerely) to accept. It produces a kind of intellectual split personality. And this is why it is a problem."21
Ausgehend von diesen drei Grundbedingungen können zwei Familien skeptischer Argumentation unterschieden werden, zum einen Versionen, die sich an Agrippas Begründungstrilemma orientieren, zum anderen cartesianische Versionen. I.1 Begründungsskeptizismus: Agrippas Trilemma Erkenntnistheoretischer Skeptizismus betrifft unsere Rechtfertigungspraktiken, mithin Argumentation. Mit Agrippa, nach dem Williams dieses skeptische Verfahren benannt hat, können fünf Modi der Argumentation unterschieden werden: Diskrepanz, Relativität, Unendlichkeit, (bloße) Annahme und Zirkularität. Der Modus der Diskrepanz besagt, daß wir in Bezug auf alles unterschiedlicher Meinung sein können, der der Relativität fügt hinzu, daß jede Behauptung mit der Qualifikation 'meiner Meinung nach' versehen werden kann oder sollte. Beide zusammen scheinen zu der Anerkenntnis zu führen, daß, wenn wir mehr als nur subjektive Gültigkeit beanspruchen, wir grundsätzlich immer aufgefordert werden können, unsere Gründe darzulegen.
Gegenbeispiele schienen zu zeigen, daß die traditionell als notwendig und hinreichend erachteten Bedingungen für Wissen nicht genügen. Demgemäß wurde lange versucht, zusätzliche Bestimmungen wie etwa Unwiderlegbarkeit einzuführen. Definiert man also Wissen als unwiderlegbar gerechtfertigte, wahre Meinung, und bestreitet der Skeptiker die Möglichkeit dieser spezifischen Bedingung, eröffnet sich, was Williams mit Wright einen 'Rückzug à la Russell' nennt: Wir geben den Begriff des Wissens zugunsten des Begriffs der Rechtfertigung auf. Vgl. a.a.O., Kap. 5, S. 4. 21 A.a.O., Kap. 5, S. 5.
30 Aber bereits mit dieser zwingend erscheinenden Reaktion ist der skeptischen Herausforderung der Weg geebnet: Geben wir zur Rechtfertigung unserer Behauptung einen Grund an, der selbst nur subjektive Gültigkeit besitzt, ist sie nicht gerechtfertigt, erheben wir mit unserer Begründung aber den geforderten weitergehenden Wissensanspruch, kann die Herausforderung erneut wiederholt werden. Rechtfertigung würde zu einem potentiell unendlichen Unterfangen, da jede neue Behauptung durch den implizierten Geltungs- oder Wissensanspruch eine neue Herausforderung nach sich ziehen würde. Damit scheinen nur die in den weiteren Modi beschriebenen Wege der Rechtfertigung offenzustehen: • • •
Man gibt immer neue Gründe an und akzeptiert damit den unendlichen Regress. Man endet den Regress durch eine dogmatische Annahme. Man greift auf etwas bereits Behauptetes zurück und argumentiert in einem Zirkel.
Agrippas Trilemma besteht nun darin, daß keine der Reaktionen als befriedigend gelten kann: Dogmatismus und Zirkelschlüssigkeit sind offensichtlich unbefriedigend. Aber auch der unendliche Regress stellt nur vermeintlich einen Ausweg dar: Erfüllt der Skeptizismus die Bedingung der Generalität, kann keine Behauptung als gerechtfertigt gelten, solange der Regress nicht beendet ist. Agrippascher Skeptizismus erfüllt alle drei Bedingungen: er verfährt einleuchtend und ohne fragwürdige theoretische Prämissen, er betrifft Wissensansprüche ganz unterschiedlicher Natur und Gegenstandsbereiche, und er ist radikal, weil er die unterschiedlichsten Konzeptionen von Wissen trifft. Diese Form des Skeptizismus wurde in der Einleitung bereits als Regress-Problem vorgestellt und betrifft die Möglichkeit der Rechtfertigung unserer Behauptungen. Wie könnten mögliche Lösungsversuche strukturiert sein? Auf die zwei unterschiedlichen Ansätze des Fundamentalismus und des Kohärentismus wurde bereits in der Einleitung hingewiesen, auf beide Strategien werden wir im Verlauf der Arbeit immer wieder Bezug nehmen, so daß sie in Bezug auf das Trilemma nur skizziert werden sollen. Die für den Fundamentalismus leitende Vorstellung ist, daß die Gesamtheit unseres Wissens als geordnetes Gefüge von begründeten Meinungen zu beschreiben ist, das an seiner Basis eine ausgezeichnete Klasse von Meinungen oder Begriffen enthält, die sich im Rahmen von Beobachtung, im direkten Abgleich mit der Welt rechtfertigen lassen. Er akzeptiert Agrippas Trilemma, das besagt, daß epistemische Rechtfertigung, der nur
31 wieder jeweils andere Meinungen zur Verfügung stünden, die ihrerseits der Rechtfertigung bedürfen, in einen infiniten Regreß oder Zirkel geriete. Dieser Regreß, so wird argumentiert, kann nur dann zum Stillstand kommen, wenn es eine ausgezeichnete Klasse von Überzeugungen gibt, die der Rechtfertigung nicht bedürfen, weil sie sich sozusagen selbst rechtfertigen. Der Fundamentalismus weist also die zweite der in Agrippas Trilemma formulierten Annahmen ab: die Klasse von Überzeugungen, die sich auf sinnliche Erfahrungen beziehen, können den Regress beenden, ohne selbst nur dogmatisch, und d.h. unbegründet zu sein. Die Strategie des Kohärentismus weist dagegen den Gewißheitsanspruch als überzogen oder verfehlt zurück, und versucht zu zeigen, daß unsere Überzeugungen auch ohne Fundierung in unbezweifelbar Gegebenem als Wissen, d.h. als gerechtfertigte, wahre Meinung ausgewiesen werden können. Kennzeichnend ist dann eine Konzeption von Rechtfertigung, in der keine Klasse von Meinungen als epistemisch privilegiert betrachtet wird, Meinungen, so die Vorstellung, werden nicht als einzelne gerechtfertigt, sondern im Rahmen eines holistisch verknüpften Netzes. Damit wird der dritten Annahme widersprochen: Der in der Vorstellung gegenseitiger Stützung und Bestätigung angelegte Zirkel wird nicht als problematisch verstanden. I.2 Cartesianischer Skeptizismus Die klassischen Formulierungen dieser Art von Skeptizismus finden sich in den Texten von Descartes. Um die Wissenschaften und insbesondere die Philosophie auf eine sichere und gewisse Grundlage zu stellen, entwickelt er die Methode des radikalen Zweifels, die er in seinem Discours de la méthode so beschreibt: "[D]a ich mich aber damals nur auf die Suche nach der Wahrheit begeben wollte, glaubte ich, ich müsse [...] all das als völlig falsch verwerfen, wofür ich mir nur den geringsten Zweifel ausdenken könnte, um zu sehen, ob danach nicht irgendeine Überzeugung zurückbliebe, die gänzlich unbezweifelbar wäre. Daher wollte ich, da uns unsere Sinne manchmal täuschen, voraussetzen, daß es nichts Derartiges gäbe, wie sie es uns glauben machen. Und da es Menschen gibt, die sich beim logischen Schließen selbst bei einfachsten geometrischen Fragen täuschen und sich Fehlschlüsse zuschulden kommen lassen, so verwarf ich in dem Gedanken, daß ich ebenso wie jeder andere der Täuschung unterworfen wäre, alle Begründungen als völlig falsch, die ich zuvor für Beweise gehalten hatte. Endlich erwog ich, daß uns genau die gleichen Vorstellungen, die wir im Wachen haben, auch im Schlafe kommen können, ohne daß in diesem Falle eine davon wahr wäre, und entschloß mich daher zu der Fiktion, daß nichts, was mir
32 jemals in den Kopf gekommen, wahrer wäre als die Trugbilder meiner Träume."22
Um etwas Festes und Bleibendes in den Wissenschaften zu finden, so beginnt auch die erste seiner Meditationen, gelte es, zu einem allgemeinen Umsturz aller bisherigen Meinungen, zur Untergrabung aller bisherigen Grundlagen und Prinzipien zu schreiten, um endlich einen sicheren, gewissen Ausgangspunkt zu finden.23 Zunächst, so Descartes, kann daher gar nichts als sicher angenommen werden, es gilt, alles anzuzweifeln, um dann zu sehen, was einem solchen radikalen Zweifel standhält. "Alles nämlich, was ich bisher am ehesten für wahr angenommen, habe ich von den Sinnen oder durch Vermittlung der Sinne empfangen. Nun aber bin ich dahinter gekommen, daß diese uns bisweilen täuschen, und es ist ein Gebot der Klugheit, niemals denen ganz zu trauen, die auch nur einmal uns getäuscht haben."24
Dieses Argument aus der Sinnestäuschung wird in der ersten Meditation mithilfe verschiedener skeptischer Szenarien weiterentwickelt.25 Wir sitzen in unserem Studierzimmer im Lehnstuhl neben dem Feuer, wir schauen auf ein Papier in unseren Händen. Aber könnten wir nicht auch nur träumen, daß wir dies erleben? In unseren Träumen haben wir doch ebenso lebendige Sinneseindrücke wie im Wachen, ohne daß diese irgendwelchen realen Vorgängen in der Welt entsprechen. Wie also können wir sicher sein, daß wir nicht jetzt träumen? Auch ein Test kann uns nicht die gewünschte Sicherheit liefern, denn ein jeder solcher Test könnte imaginiert, könnte auch wieder nur Bestandteil unseres Traumes sein. Und mit dem berühmten Gedankenexperiment des täuschenden Geistes wird diese Form des Skeptizismus noch weiter geführt: Könnte es nicht sein, daß alle Erfahrungen von der Außenwelt uns nur von einem allmächtigen Wesen eingegeben sind, das beabsichtigt, uns zu täuschen? Könnte es nicht sein, daß unsere Erfahrungen oder Erlebnisse keine Verbindung zur Wirklichkeit haben, mehr noch, daß es gar keine 'Außenwelt' gibt? Diese Überlegungen, so Descartes, mögen vielleicht nicht zu unserer Vorstellung von Gott als einem gütigen Wesen passen, da sich aber gezeigt habe, daß an allem, was wir für wahr halten, aus guten Gründen zu zweifeln ist, sollten wir diese Vor22 (Descartes, 1637), (1960), 4. Teil, Abs. 1, S. 53. 23 (Descartes, 1641), (1972), 1. Meditation, S. 11ff. 24 A.a.O., S. 12. 25 Vgl. auch im Discours, 4. Teil, Abs. 1-4.
33 stellung eines täuschenden Gottes zur Grundlage unseres Denkens machen, und nur für wahr halten, was sich dennoch als notwendig, als unbezweifelbar erweist. Eine zeitgenössische Variante dieses Arguments stellen die Gedankenexperimente zur Möglichkeit von 'Gehirnen im Tank' dar.26 Außerirdische Wissenschaftler, die über eine überaus hochentwickelte Technologie verfügen, entführen etwa die schlafende Protagonistin, entfernen ihr Gehirn, bewahren es in einer Nährlösung auf und versehen es mit Elektroden, die ihren Nervenenden genau das Muster von Sinnesreizen liefern, das in ihrer 'normalen' Umgebung vorkommen würde: sie hat beispielsweise jetzt die Sinneserfahrungen, in ihrem Studierzimmer im Lehnstuhl vor dem Computer zu sitzen und den Versuch zu unternehmen, die absurde Hypothese des 'Gehirns im Tank' zu widerlegen. Die cartesianische Herausforderung scheint also gute Gründe für sich zu haben: wenn wir die Welt immer nur vermittels unserer Sinne erfahren, uns unsere Sinne aber auf mannigfaltige Weise täuschen können, wie können wir sicher sein, daß die Welt auch wirklich so ist, wie sie uns erscheint? Die Welt, so scheinen die Alternativen einer Welt des Traums oder der systematischen Täuschung (durch einen bösen Geist oder extraterrestrische Wissenschaftler) zu zeigen, kann verschieden beschaffen sein, ohne daß sich auch meine Erfahrungen von ihr unterscheiden müßten. Damit ergibt sich die Möglichkeit, eine solche generelle Strategie auch auf andere, eher lokale Gegenstandsbereiche zu übertragen: Die cartesianische Form des Skeptizismus kann auch unsere Praxis, anderen Menschen psychische Zustände, Überzeugungen, Meinungen, Wünsche etc. zuzuschreiben, unser Wissen um Fremdpsychisches, sowie unsere Überzeugungen hinsichtlich unserer Vergangenheit wie unserer Zukunft betreffen. Schreiben wir anderen Personen psychische Zustände zu, steht uns als Basis hierfür allein deren äußeres Verhalten zur Verfügung. Da Erfahrungen, oder besser: Erlebnisse, aber wesentlich privater Natur sind, besteht die logische Möglichkeit, daß die Korrelation, die ich in meinem eigenen Fall zwischen meinen Erlebnissen und meinem Verhalten festzustellen vermeine, auf andere nicht zu übertragen ist: daß sie entweder ganz andere oder gar keine Erlebnisse haben. Damit legt sich die Haltung des Solipsismus nahe, die nur die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen als existierend annimmt. Gleiches gilt aber auch für Vergangenheit und Zukunft: Wir können die logische Möglichkeit 26 Eine der meistdiskutierten Formulierungen dieses Gedankenexperiments findet sich bei Hilary Putnam, bsp. im 1. Kapitel von Reason, Truth and History, (1981), wo es eine Art praktischer Anwendung seiner modelltheoretischen Argumente darstellt, vgl. dazu auch "Realism and Reason" in Meaning and the Moral Sciences (1978), oder "Models and Reality" von 1980, repr. in Realism and Reason, Phil. Pap. 3, (1983).
34 nicht ausschließen, daß die Welt samt unseren vermeintlichen 'Erinnerungen' erst vor fünf Minuten zu existieren begonnen hat, ebensowenig wie wir die logische Möglichkeit ausschließen können, daß sich die Welt zukünftig völlig anders verhält als es unsere Erinnerung an vergangene Abläufe von Ereignissen nahelegt. Damit scheint ein 'Solipsismus des gegenwärtigen Augenblicks' die logische Konsequenz zu sein. Descartes selbst sieht sich weder als Solipsist noch als Skeptiker. Die Methode des radikalen Zweifels soll uns zu dem Fundament führen, von dem aus der neuerliche, systematische Aufbau unserer Wissenschaften erst möglich ist. Descartes fundamentalistische Lösung kann hier nur skizziert werden. Unbezweifelbar gewiß ist doch, so Descartes in der zweiten Meditation, daß ich zweifle und d.h. denke, wenn ich aber denke, so existiere ich auch: cogito, ergo sum. Damit steht Descartes vor dem Problem, aus dem subjektiven Bewußtsein des Denkens unser Wissen von der Welt abzuleiten, er muß internalistisch, von innen nach außen vorgehen. Die Gewißheit dieser ersten, unbezweifelbaren Wahrheit wird dann insofern zum Ausgangspunkt für die weitere Beweisführung, als er aus ihr ein Kriterium auch anderer unbezweifelbarer Wahrheiten gewinnt: Alles, was ebenso 'klar und deutlich' erkannt werden kann, weist auch dieselbe Gewißheit auf wie das Bewußtsein meines Denkens. Klar und deutlich, so Descartes in der dritten Meditation, erkennen wir aber die Idee des vollkommenen, unendlichen und unerschaffenen Gottes. Und, so führt Descartes seine kausale Argumentation fort, da diese Idee göttlicher Vollkommenheit aufgrund menschlicher Unvollkommenheit nicht allein in unseren Vorstellungen entstanden sein kann, muß Gott selbst als Ursache dieser Idee angesehen werden. Descartes verwendet diesen Gottesbeweis in der sechsten Meditation als Grundlage, aus der er dann auch die, neben dem Denken, zweite 'geschaffene Substanz' der Ausdehnung ableitet: da Gott kein Betrüger, sondern vollkommen ist, und er mir die Neigung eingegeben hat, an die Existenz externer Dinge zu glauben, müssen diese auch existieren. Descartes' voraussetzungsreiche Argumentation muß im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden, abschließend sollen lediglich zwei Problemfelder festgehalten werden. Das cartesianische Projekt einer systematischen Neufundierung der Wissenschaften basiert auf einem Konzept von Wissen, das Wissen mit Gewißheit gleichsetzt. Legt man einen solch hohen Standard an, scheint es zwingend, daß der aus der bloßen Möglichkeit des Irrtums resultierende Zweifel an sinnlicher Wahrnehmung radikalisiert werden muß, die Sinne als grundlegende Wissensquelle verworfen werden müssen, was schließlich zu der weiteren Konsequenz führt, daß als Gegenstand der Wissenschaften nur die sinnlichen Qualitäten zuge-
35 lassen werden, die sich dem Modus der Ausdehnung verdanken. Nur diese 'primären Qualitäten', die mathematisch-quantifizierende Beschreibung ermöglichen, kommen tatsächlich den Gegenständen zu, so Descartes, alle anderen, 'sekundären Qualitäten' existieren nur in unserer Vorstellung, zwischen der wirklichen Welt und der Commonsense-Vorstellung von ihr liegt folglich eine unüberwindbare Kluft. Das zweite Problemfeld resultiert aus der eingangs beschriebenen Konzeption von Wissen als gerechtfertigter wahrer Meinung. Die erste Form skeptischer Herausforderung schien zu zeigen, daß der Versuch der Rechtfertigung unserer Wissensansprüche in Agrippas Trilemma mündet. Descartes' Argumentation vermag dieses Problem nicht zu lösen, da man ihr Zirkelschlüssigkeit oder Dogmatismus vorwerfen kann. Denn einerseits dient Gott insofern als epistemischer Garant für alle weiteren Wissensansprüche, als wir aus (unserer Vorstellung) seiner Existenz das Kriterium der 'Klarheit und Deutlichkeit' gewinnen, mithilfe dessen die Wahrheit unserer weiteren Vorstellungen bestimmt wird: "Und so sehe ich klar, daß die Gewißheit und Wahrheit alles Wissens einzig von der Erkenntnis des wahren Gottes abhängt, so sehr, daß ich, bevor ich ihn nicht erkannte, nichts über irgendeine andere Sache vollkommen wissen konnte."27
Und andererseits wird die Annahme der Existenz Gottes gerade mithilfe dieses Kriteriums gerechtfertigt. "Auch darf man nicht sagen, diese Idee Gottes sei vielleicht material falsch und könne also aus nichts stammen [...] Denn da sie vielmehr im höchsten Grade klar und deutlich ist und mehr objektive Realität, als irgendeine andere enthält, so gibt es keine, die an sich wahrer, keine, die in geringerem Grade der Falschheit verdächtig wäre. Es ist, sage ich, diese Idee des höchst vollkommenen, unendlichen Wesens im höchsten Grade wahr. [...] Sie ist auch im höchsten Grade klar und deutlich; denn alles, was ich als real, wahr und eine gewisse Vollkommenheit einschließend in klarer und deutlicher Weise erfasse, das ist ganz in ihr enthalten."28
27 5. Meditation, S. 60. 28 3. Meditation, S. 37f.
36 Dieses Begründungsproblem stellt sich, wie schon angedeutet wurde, jedem Ansatz, der wie Descartes' fundamentalistisch verfährt: Das Fundament, von dem aus die Rechtfertigung höherstufiger Behauptungen erfolgen kann, kann selbst nicht gerechtfertigt werden. Descartes' Vorgehensweise, aus der Gottesvorstellung eine epistemisch ausgezeichnete, sich selbst rechtfertigende Klasse von Wahrheiten zu entwickeln, kann keine Lösung darstellen. Für die zeitgenössische Diskussion prägend wurde die cartesianische Konzeption des skeptischen Problems als sich radikalisierender Zweifel mehr als dessen überraschende und unvermittelte Auflösung mithilfe eines vollkommenen, wahrheitsstiftenden Gottes. Cartesianischer Skeptizismus soll demnach so verstanden werden, daß die Irrtumsmöglichkeit dahingehend generalisiert werden muß, daß sie auf die logische Möglichkeit einer erkenntnistheoretischen Kluft zwischen dem, wie uns die Welt erscheint, und dem, wie sie wirklich ist, verweist. Damit stellt sich die Frage, wie grundlegend cartesianischer Skeptizismus ist. Theoretischer Skeptizismus, so wurde argumentiert, muß, um eine ernstzunehmende Bedrohung für unsere Commonsense-Auffassung unserer epistemologischen Situation darzustellen, die Bedingungen der Generalität, der Radikalität und der offensichtlichen Glaubwürdigkeit erfüllen. Die Frage nach der ersten Bedingung kann leicht beantwortet werden: Da die Familie des cartesianischen Skeptizismus alle Meinungen hinsichtlich der uns umgebenden Welt betrifft oder betreffen kann, ist er generell. Ist er auch radikal? Die Hypothesen des cartesianischen Skeptikers weisen auf logische Möglichkeiten, die nicht prima facie ausgeschlossen werden können, sie stellen uns nicht vor praktische Probleme: Jemand, der eine dieser absurden Hypothesen wirklich glauben würde, oder der glaubt, daß er sich in der unersprießlichen Lage befindet, alles bezweifeln zu müssen, würde vermutlich in einer Therapie landen. "This bracketing of practical constraints raises the standards of certainty to which beliefs may rationally be subjected to the maximum. To determinate whether they really deserve to be thought of as knowledge, the 'pure enquirer' must try to eliminate every logically coherent error-possibility, no matter how outré by everyday standards. Enter Evil Deceivers and brains in vats. It begins to look as though everyday 'knowledge' is not knowledge simpliciter but something less exalted: knowledge-for-all-practical-purposes, say."29
Williams wendet nun ein, daß ein aus dieser Anhebung der Standards für Rechtfertigung resultierender Skeptizismus nicht radikal, sondern wissens29 Williams, a.a.O., Kap. 6, S. 19.
37 spezifisch ist, da er sich erst dann ergibt, wenn Wissen mit absoluter Gewißheit, also dem Ausschluß aller logisch möglichen Alternativen, gleichgesetzt wird. Radikal wird er dadurch, daß man die Abwegigkeit der skeptischen Hypothesen bestreitet, und argumentiert, daß die Gesamtheit der uns zur Verfügung stehenden Belege sie ebenso wahrscheinlich machten wie unsere üblichen Überzeugungen. Hält man diese These der evidentiellen Unterbestimmtheit unserer Überzeugungen für grundlegend, läßt sich für die Familie des cartesianischen Skeptizismus' folgendes Trilemma formulieren. Der erste Schritt besteht darin, unser Wissen, beispielsweise das von der Außenwelt, als inferentiell, als indirekt zu kennzeichnen: Der mit diesbezüglichen Meinungen verknüpfte Geltungs- oder Wissensanspruch gilt erst dann als gerechtfertigt, wenn entsprechende Belege, in unserem Fall: sinnliche Wahrnehmungen, angeführt werden können. Im zweiten Schritt wird dann argumentiert, daß es keine logische Verbindung zwischen unseren Belegen und unseren Überzeugungen bezüglich der Außenwelt gebe, eine Deduktion der Fakten der Außenwelt aus unseren Erfahrungen nicht möglich sei. Aber auch eine induktive Verknüpfung ist nicht möglich, denn diese setzt die Schaffung von Korrelationen voraus, was nur möglich ist, wenn beide Relata unabhängig voneinander zugänglich sind: da uns die Außenwelt immer nur durch unsere sinnlichen Erfahrungen gegeben ist, können wir nicht beide miteinander vergleichen. "We have been led to a second, apparently fatal trilemma. To be rationally justifiable, our beliefs about the external world (other minds, etc.) must be either immediate themselves, deductively inferable from immediate knowledge, or inductively so inferable. But they cannot be any of these things. Accordingly, they cannot be justified at all. This is radical scepticism."30
Können wir cartesianischem Skeptizismus theoretische Hintergrundannahmen nachweisen, die seine intuitive Glaubwürdigkeit erschüttern würden, so daß also die dritte Bedingung nicht erfüllt wäre? Eine solche Prämisse wurde bereits genannt: Der historische Skeptizismus von Descartes definiert Rechtfertigung unter Verweis auf die epistemologische Zielsetzung als Erlangung von Gewißheit, und weist die Relevanz bescheidenerer Rechtfertigungsprozesse zurück. Versteht man den Skeptizismus dagegen im Rahmen der Unterbestimmtheitsthese, zeichnet er sich nicht durch ungerechtfertigte theoretische Prämissen aus. Dann, so gilt es für die weitere Argumentation in Erinnerung zu behalten, muß er aber seine Behauptung 30 A.a.O., S. 22.
38 der Wahrscheinlichkeit der skeptischen Hypothesen beibehalten können. Es wird sich erst zeigen müssen, ob dies plausibel bleibt, ohne daß zusätzliche, theoretische Annahmen hinzukommen. Wie könnten Lösungsversuche strukturiert sein, die cartesianischem Zweifel begegnen? Cartesianischer Skeptizismus entsteht mithilfe dreier Argumentationsschritte, demgemäß können auch drei Strategien zur Lösung des Problems unterschieden werden: Eine erste besteht darin, die Existenz einer Lücke zwischen unseren Belegen und unseren Meinungen über die Außenwelt zu bestreiten; Wissen, so die Gegenthese, kann sich auch 'direkt' auf die Welt beziehen und muß sich nicht in allen Fällen Schlußfolgerungen verdanken. Eine zweite Vorgehensweise versucht zu zeigen, daß es sehr wohl deduktive Beziehungen zwischen unseren Behauptungen über die Welt, genauer: unserem System einer quantifizierenden Sprache und der Welt geben kann, und eine letzte versucht dies mithilfe eines elaborierteren Konzepts in Bezug auf die Induktion zu beweisen. Zu beachten ist dabei, daß beide Formen des Skeptizismus einander ergänzen können, wie sich bereits in unserer Einleitung gezeigt hatte. Akzeptiert man die cartesianische Herausforderung31, und versucht etwa, die behauptete 'Dürftigkeit unserer Belege' dadurch aufzufangen, daß man bestimmte sinnliche Erfahrungen mithilfe von Brückenprinzipen als verläßlich auszeichnet, droht das Agrippasche Trilemma, da das Postulieren solcher Prinzipien entweder in einen Regress führt oder einer bloßen Annahme entspricht. Beantwortet man Agrippas Trilemma dadurch, daß man eine fundierende Klasse sich selbst rechtfertigender Meinungen annimmt, antwortet der cartesianische Skeptiker mit dem Argument der Unterbestimmtheit: wir können, so die These, nicht ausschließen, daß auch diese nicht rechtfertigungsbedürftigen Meinungen ein falsches Bild der Außenwelt liefern. I.3 Zusammenfassung: Der skeptische Stachel Unsere natürliche, unhinterfagte Haltung zu unserer Umwelt und unseren Mitmenschen, unser Commonsense-Realismus, beinhaltet, so könnte man sagen, Anti-Skeptizismus beiderlei Formen: Sehr häufig betrachten wir Personen in ihren Behauptungen als gerechtfertigt, ohne überhaupt nach ihren Gründen zu fragen, und wenn wir doch eine Rechtfertigung verlangen, beurteilen wir diese als geglückt, wenn Personen Gründe für ihre Überzeu31 Ist im Folgenden von der skeptischen Herausforderung oder dem cartesianischen Skeptizismus die Rede, beziehe ich mich auf den paradigmatischen Skeptizismus bezüglich der Außenwelt, der für den zu verteidigenden Realismus des Commonsense grundlegend ist.
39 gungen angeben, die auch für uns akzeptable Gründe sind. Bei schwierigen Fragen konsultieren wir Fachleute, aber der Aufwand, den wir zu betreiben bereit sind, hängt vom Kontext ab: nur in sehr seltenen Fällen muß auch die logische Möglichkeit des Irrtums ausgeschlossen werden. Ebenso glauben wir fest an die Existenz unserer Umwelt, anderer Menschen und der Gegenstände unserer vertrauten Umgebung. Dabei ist es nicht nur so, daß wir nicht damit rechnen, daß beispielsweise morgen die Sonne nicht aufgeht, sondern wir halten dies für ausgeschlossen. Sind wir einfach ignorant gegenüber den vielfältigen Möglichkeiten gravierender Irrtümer? Was besagt es, diese Haltung als natürlich zu bezeichnen? Kann ein solcher Realismus nur unreflektiert hingenommen werden, oder ist er der Untersuchung, Analyse und mithin Begründung zugänglich? Unsere weitere Vorgehensweise wird darin bestehen, realistische Positionen unterschiedlichster Autoren zu diskutieren. Dabei muß mithilfe einer mehrgleisigen Strategie vorgegangen werden: es gilt nicht nur, unterschiedliche Formen des Realismus auf ihre Nähe oder Abweichung von der skizzierten Form des Commonsense-Realismus zu prüfen, sondern auch deren anti-skeptisches Potential zu beleuchten. Ziel ist es, möglichst lange an der 'Natürlichkeit' des Realismus festzuhalten. Daraus folgt zum einen, daß die Nähe zur Auffassung des Commonsense zu gewährleisten ist, realistische Positionen, die sich weit von unseren alltäglichen Auffassungen entfernen, sollten dafür gute Gründe nennen können. Und aus dieser grundsätzlichen Entscheidung für unsere realistischen Intuitionen folgt weiter, daß, obwohl wir bereits jetzt über ein Vorverständnis der vielfältigen Möglichkeiten skeptischer Positionen verfügen, diese als Herausforderungen verstanden werden: die Beweislast fällt dem Skeptiker zu.32 Dies entspricht auch der in der Einleitung erwähnten Einschätzung, daß der Skeptizismus möglicherweise nicht zu widerlegen, sondern mithilfe einer theoretischen Diagnose zu 'therapieren' ist, indem je neu die hinter der Entscheidung für eine spezifische skeptische Haltung stehende Motivation beleuchtet wird und alternative Reaktionen aufgewiesen werden. Der erste Schritt des cartesianischen Arguments bestand in der Behauptung, zwischen Erscheinung und Wirklichkeit bestehe eine Art von Kluft oder Lücke, weil unseren sinnlichen Eindrücken epistemologische 32 Diese Strategie entspricht nicht einer Petitio, sondern versteht sich als diagnostisches Verfahren: Sie dient vor allem dazu, den Skeptizismus als theoretische Position und damit in seinen Voraussetzungen sichtbar zu machen, und betont die Verbindlichkeit bestimmter, meist implizit in Anspruch genommener Zusammenhänge. Zu einer solchen Zuschreibung der Beweislast vgl. etwa (Anderson, 1992), S. 52ff. Hierauf wird in den Kapiteln II.2, IV und VII ausführlicher eingegangen.
40 Priorität vor den von uns unabhängig im Raum existierenden Objekten zuerkannt werden muß. Und in Verbindung mit dem Begründungsskeptizismus à la Agrippa erhalten sinnliche Wahrnehmungen dann den Status bloßer Annahmen, die ihrerseits der Rechtfertigung bedürfen. Beide der folgenden Autoren, Kant wie auch Quine, scheinen zumindest den ersten Schritt der cartesianischen Herausforderung zu akzeptieren, weisen die Konsequenz hinsichtlich des Rechtfertigungsstatus aber ab, beide sind zumindest prima facie - als Realisten zu verstehen. Aber wie kann die antiskeptische Seite des Realismus aufrechterhalten werden, wenn man die These von der empirischen Unentscheidbarkeit akzeptiert? Zwei mögliche Reaktionen wurden bereits genannt: Man weist die skeptische Forderung nach einer Rechtfertigung unseres Wahrnehmungswissens als verfehlt, als inkohärent aus, und zwar entweder, indem man unseren alltäglichen Wahrnehmungsmeinungen eine sichere Rechtfertigungsbasis verleiht, dies versuchen fundamentalistische Ansätze transzendentaler sowie naturalistischer Prägung, oder indem man zeigt, daß kohärentistische Rechtfertigung weder in einen Zirkel noch einen unendlichen Regress führen muß.33 Mit Kant werden wir einen ersten transzendentalen Ansatz kennenlernen, der die Gewißheit nicht einer einzelnen Erkenntnisklasse auszuweisen sucht, sondern die Rechtfertigungsbasis in einer besonderen Struktur oder Form unserer Erkenntnis angelegt sieht: "If there indeed are highly general formal conditions which objects must satisfy in order to become possible objects of human knowledge, then, evidently, all objects of possible human knowledge must conform to these conditions. Any attempt to establish how things really are in total abstraction from these conditions will be doomed to failure."34
33 Kant würde allerdings den zweiten Schritt des cartesianischen Arguments nicht akzeptieren, er versteht seine Vorgehensweise als transzendentale Deduktion. 34 (Strawson, 1997a), 232f.
41
II. Transzendentale Erklärungen "[A]lmost all the problems of philosophy attain the form in which they are of real interest only with the work of Kant."35
II.1 Kants Transzendentalisierung der Philosophie Zwischen Erscheinung und Wirklichkeit, so wurde behauptet, entsteht eine Art von Kluft oder Lücke, wenn unseren sinnlichen Eindrücken, also Repräsentationen, die durch unsere Wahrnehmungen entstehen, epistemologische Priorität vor den von uns unabhängig im Raum existierenden Objekten zuerkannt wird. Und sobald diese epistemologische Kluft zwischen dem, wie es ist, und dem, wie es uns erscheint, zugelassen wird, scheinen antirealistische oder auch skeptische Überlegungen die unausweichliche Folge. Dies wird auch als die "konditionale Richtigkeit des Skeptizismus" bezeichnet: Wird unser Bezug auf Objekte oder unsere Objektwahrnehmung als indirekte oder inferentielle Beziehung zu äußeren Gegenständen beschrieben, kann der Zweifel, der an einer einzelnen Bezugnahme oder Wahrnehmung berechtigt sein mag, auch generell auf die Möglichkeit der Wahrnehmung überhaupt übertragen werden. Dann wäre aber auch die Schlußfolgerung, daß wir nichts über die äußere Welt wissen können, richtig.36 Und wir hatten weiter gesehen, daß damit nur noch die Möglichkeit bleibt, die skeptische Forderung nach einer Rechtfertigung unseres Wahrnehmungswissens in irgendeiner Hinsicht als verfehlt, als sinn- oder bedeutungslos, als inkohärent auszuweisen. Der Nachweis der Inkohärenz kann auf verschiedene Arten erfolgen. Die erste Vorgehensweise argumentiert mittels transzendentaler Überlegungen. Transzendentale Argumentation, zumindest in ihrer klassischen, an Kant orientierten Fassung37, akzeptiert die These der empirischen Unentscheidbarkeit, die skeptische Herausforderung besteht dann also darin, trotz einer logischen Kluft zwischen Erscheinung und Wirklichkeit unser faktisches System von Überzeugungen nicht nur als eines von verschiede35 (Putnam, 1990a), "Realism with a human face", S. 3. 36 So z.B. von (Stroud, 1984), vgl. S. 132, 158. 37 Im Folgenden schließe ich mich i.A. dem Sprachgebrauch an, den Terminus "transzendentale Argumentation" als Oberbegriff für die kantische Herangehensweise, "transzendentale Argumente" für nach-kantische transzendentale Analysen zu verwenden. Vgl. etwa (Vossenkuhl, 1982).
42 nen möglichen, sondern als notwendiges System zu rechtfertigen. Oder um es mit Kants vielzitierter Passage zu sagen: "Der Idealismus mag in Ansehung der wesentlichen Zwecke der Metaphysik für noch so unschuldig gehalten werden (das er in der Tat nicht ist), so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außer uns (von denen wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unsern innern Sinn her haben) bloß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es jemand einfällt, es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können."38
Der "Skandal" besteht für Kant folglich darin, die Existenz objektiver Gegenstände bloß annehmen zu können, er sucht eine Konzeption, die der skeptischen Herausforderung mit einer Form von Existenzbeweis antworten kann. Mit Kants Methode transzendentaler Argumentation sollen nicht einzelne Erkenntnisse, sondern unser Denken über die Welt als solches analysiert werden, sie bezieht sich nicht auf einzelne Gegenstände in der Welt, sondern auf unseren Begriff des Gegenstandes überhaupt. Eine solche Vorgehensweise sucht "Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung" auszuzeichnen, sie basiert auf dem Grundgedanken, daß bestimmte vorgängige begriffliche Zusammenhänge unsere Erfahrungen zwangsläufig strukturieren. Dabei sei schon eingangs betont, daß die transzendentalphilosophische Herangehensweise zwar eminente philosophische Bedeutung erlangt hat, aber weder über ihre Methode noch über mögliche Gegenstände Übereinstimmung besteht.39 Und bevor wir uns den jeweiligen Argumentationsstrategien im einzelnen zuwenden, sei nochmals zugestan38 Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, i.F. KdrV, Vorrede zu zweiten Auflage, Anm., B XL. 39 Um die Grundstruktur dieser Vorgehensweise nachzuvollziehen, ist eine genaue Exegese der Kantischen Gedanken nicht notwendig. In der Kant-Rezeption besteht selbst bezüglich zentraler Grundannahmen keine Einigkeit: Die Trennung von Apriorischem und Transzendentalem wird als ungenau, ihre Begründung als Zirkelschluß kritisiert, und umstritten sind auch Kants verschiedene Versuche, den empirischen Idealismus zu widerlegen, sowie sein zentrales Bemühen, den empirischen von einem transzendentalen Idealismus abzugrenzen. In Abschnitt II.2 werde ich versuchen, das Feld zumindest andeutungsweise zu ordnen. Für unsere Belange ist vor allem der sich auch in der zeitgenössischen analytischen Philosophie wieder häufiger zu findende Versuch wichtig, einen der Empirie vorgängigen Bereich kognitiver oder begrifflicher Strukturen auszuzeichnen, dessen strukturelle Beschaffenheit empirische Urteile mitbestimmt, auch ohne daß ein solches Vorgehen notwendigerweise als streng kantisch gekennzeichnet werden müßte. Zur Verwendung des Begriffs 'transzendental' siehe auch unsere Ausführungen in den Kapiteln IV und VI passim.
43 den, daß auch transzendentale Argumentation einen eingeschworenen Skeptiker nicht zu überzeugen vermag. Die folgenden Überlegungen dienen weniger der Widerlegung der skeptischen Position, sie stellen vielmehr eine erste Skizze einer Strategie dar, mit der sich die Problematik möglicherweise auflösen läßt.40 II.1.1 Kants transzendentale Argumentation Ähnlich wie Descartes Meditationen kann man Kants Kritik der reinen Vernunft als primär erkenntnistheoretisches Projekt verstehen.41 Kant beschreibt sein Zeitalter als "eigentliches Zeitalter der Kritik": Gleichgültigkeit und Zweifel gegenüber einer dogmatisch verfahrenden Metaphysik seien die ersten Zeichen einer gründlichen Denkungsart, die endlich zu strenger Kritik, d.i. zu freier und öffentlicher Prüfung der Ansprüche der Vernunft führen müsse. "Sie [sind] offenbar die Wirkung nicht des Leichtsinns, sondern der gereiften Urteilskraft des Zeitalters, welches sich nicht länger durch Scheinwissen hinhalten läßt, und eine Auffoderung an die Vernunft, das beschwerlichste aller ihrer Geschäfte, nämlich das der Selbsterkenntnis aufs neue zu übernehmen und einen Gerichtshof einzusetzen, der sie bei ihren gerechten Ansprüchen sichere, dagegen aber alle grundlosen Anmaßungen, nicht durch Machtsprüche, sondern nach ihren ewigen und unwandelbaren Gesetzen abfertigen könne, und dieser ist kein anderer als die Kritik der reinen Vernunft selbst."42
40 In Kant einen frühen Vertreter der in der Einleitung angekündigten Auflösungstrategie zu sehen, ist nicht unüblich. So versteht bsp. Strawson Kant als einen "deskriptiven Metaphysiker", z.B. in (Strawson, 1959), S. 9, vgl. dagegen aber auch Bird, a.a.O., oder (Baum, 1986), S. 176-181. Auf das Spannungsverhältnis zwischen deskriptiver Vorgehensweise und Inkohärenzbeweisen, das sich auch in den verschiedenen Auffassungen des Begriffs der transzendentalen Methode spiegelt, wird im Rahmen der Diskussion von Strawsons Vorgehensweise noch einzugehen sein. 41 Dabei ist allerdings festzuhalten, daß sich in der Kritik der reinen Vernunft neben dem erkenntnistheoretischen Projekt einer Begründung unserer Wissensansprüche als objektiv gültigen Erkenntnissen auch das Ziel findet, durch eine Kritik traditioneller, dogmatischer Metaphysik, d.h. durch den Aufweis der Quellen sowie Grenzen möglicher Erkenntnis, der Metaphysik zu einer neuen, gesicherten Grundlage zu verhelfen. Dieses Projekt, das etwa in den Überlegungen zu menschlicher Freiheit und insbesondere den moralphilosophischen Schriften weitergeführt ist, kann für meine Argumentation jedoch außer acht gelassen werden. Vgl. dazu aber auch Fußnote 303 zu Rorty. 42 KdrV, A XII.
44 Auch die methodische Funktion der Skepsis sieht Kant vor allem darin, die Legitimationsbedürftigkeit der Erkenntnis aufzuweisen, die sich aus dem als problematisch verstandenen Verhältnis zwischen empirischen Erkenntnissen und bloß empirischer Begründung ergibt: "Alles skeptische Polemisieren ist eigentlich nur wider den Dogmatiker gekehrt, der, ohne Mißtrauen auf seine ursprüngliche objektive Prinzipien zu setzen, d.i. ohne Kritik gravitätisch seinen Gang fortsetzt, bloß um ihm das Konzept zu verrücken und ihn zur Selbsterkenntnis zu bringen."43
Die Legitimation unserer Wissensansprüche, also die Ausweisung unserer Befugnis oder unseres Rechtsanspruchs, so Kant, erfolgt im Rahmen einer Deduktion.44 Dabei kann der Rahmen einer empirischen Deduktion nicht ausreichen, da sich diese nur im Rahmen der Faktizität unserer Erfahrungen bewegt.45 Um eine transzendentale Begründung zu ermöglichen, muß die Rechtfertigungsfrage als erkenntniskritische oder philosophische Frage, die auf die Bedingungen der bloßen Möglichkeit zielt, von faktischen oder empirischen Fragen getrennt werden können. Ein empirischer Beweis der Existenz der Außenwelt, also beispielsweise ein Beweis, der die in unseren Urteilen verwendeten Begriffe mithilfe referentieller Beziehungen zu der Menge aller Gegenstände, mit denen wir in unseren alltäglichen sowie wissenschaftlichen Erfahrungen umgehen, definiert, kann -ex hypothesi- nicht ausreichen. Damit weist unsere Prämisse der empirischen Unentscheidbarkeit in Richtung auf eine Erklärung, die mit dem Aufweis begrifflicher Zusammenhänge operiert. Um die Inkohärenz der skeptischen Herausforderung zu erweisen, muß demnach gezeigt werden, daß die erhobene Begründungs- oder Rechtfertigungsforderung erst verständlich ist auf der 43 KdrV, A 763. Skepsis, so Kant im betreffenden Abschnitt der transzendentalen Methodenlehre, 'zeugt von Vorsichtigkeit der durch Erfahrung gewitzigten Urteilskraft', da sie aber auf der dogmatischen Ebene verbleibe, und bloß die 'Fakta der Vernunft' zensiere, bedürfe es des dritten Schrittes einer Kritik der 'Vernunft selbst, nach ihrem ganzen Vermögen'. 44 Kant verweist auf das juristische Verfahren, in dem die Frage, was rechtens ist (quid juris), von der, was Tatsache ist (quid facti), unterschieden werde. KdrV, A 84. Dazu bemerkt Bubner, daß alleine der juristische Zusammenhang das methodische Verfahren bereits wesentlich ändere, da es nicht mehr um den "Zustimmungszwang eines Beweises" ginge, sondern um den Nachweis der Legitimität: "Wer zeigen kann, daß er berechtigt ist, einen bestimmten Begriff in einem bestimmten Zusammenhang zu gebrauchen, baut auf die einsichtige Anerkennung, ohne die kein Recht Geltung besäße." In (Bubner, 1984), S. 65. 45 Vgl. KdrV, A 85.
45 Grundlage solcher vorgängigen Strukturen, so daß selbst der Begründungsskeptiker diese in Anspruch nehmen muß, um seine Position zu formulieren. Und eine weitere Konsequenz der Argumentation muß sein, daß auch der cartesianische Skeptiker, wenn er diese Grundannahmen zu akzeptieren gezwungen ist, seine Position aufgeben, deduktive Beziehungen zwischen unseren Erfahrungen und der Welt akzeptieren muß. Kann die in der Methode rein begrifflicher Analyse und Unterscheidung implizierte Trennung zwischen philosophischer und empirischer, begrifflicher und faktischer Sphäre begründet werden? Und wenn ja, in welchem Sinn kann der Aufweis begrifflicher Zusammenhänge Notwendigkeit beanspruchen? Oder anders formuliert: Können transzendentale Überlegungen die Kraft eines Beweises haben? Welcher Art sind solche transzendentalen Beweise? Vernunft, oder menschliche Rationalität, so die Vorstellung Kants, folge eigenen, ewigen und unwandelbaren Gesetzen, diese gelte es, im Rahmen einer "Kritik der reinen Vernunft", herauszufinden und zu legitimieren. Selbst-Kritik der Vernunft wird verstanden als Kritik des Vernunftvermögens überhaupt, und zwar unabhängig von aller Erfahrung. Kritik, also Prüfung, und Rechtfertigung gehen dabei Hand in Hand: Rechtfertigung, verstanden als Legitimation, besteht geradezu in einer Prüfung grundlegender Prinzipien vor eben dem "Gerichtshof der Vernunft", der durch diese Prinzipien konstituiert wird. Reine Vernunft wird folglich als gesetzgebend oder konstitutiv gefaßt, sie ist dennoch insofern bezogen auf mögliche Erfahrung, als nur diese den möglichen "Probierstein", d.h. das Kriterium ihrer Grundsätze bilden kann. Will man der Erkenntnis eine sichere Grundlage geben, und nicht einzelne Überzeugungen, sondern Erkenntnis überhaupt als Wissen auszeichnen können, muß unser Erkenntnisvermögen ausgehend von diesen ersten Prinzipien erklärt werden, die als Fundament jeglichen Wissens einem besonderen Anspruch an Gewißheit genügen.47 Und der nächste Schritt besteht dann darin, die objektive Gültigkeit der fraglichen Begriffe, also ihre Bezogenheit auf faktische Er46
46 Kant spricht von transzendentalen Erörterungen, Beweisen und Deduktionen. Transzendentale Beweise, so z.B. Bubner a.a.O, S. 65, setzen die Prüfung der Rechtfertigung oder Legitimation im Sinne der Deduktion voraus, letztere ist folglich grundlegender. 47 Vgl. bsp. auch Kants Begriff transzendentaler Logik, KdrV, A 55ff. Zum Begriff der Gewißheit vgl. auch die genannten Überlegungen zum Skeptizismus, wo 'völlige Gewißheit' als einzig möglicher 'Wohnplatz zum beständigen Aufenthalte' der menschlichen Vernunft ausgezeichnet wird, A 761f., sowie die zweite und dritte Betrachtung in (Kant, 1968 (1764)), im Folgenden Nat. Theol., S. 752ff.
46 fahrungen, ihre Korrespondenz zur objektiven Welt, auszuweisen. Diese Reihenfolge folgt aus der Überzeugung, daß die Legitimation, der Nachweis der objektiven Gültigkeit unserer Erkenntnis, ihre Deduktion, nur aus ihr selbst, aus sicheren Prinzipien erfolgen kann. Transzendentale Argumentation sucht begriffliche Zusammenhänge als 'Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung' auszuzeichnen, Bedingungen also, die zwangsläufig oder notwendig unsere Erfahrungen strukturieren, diesen vorgängig sind und sie erst ermöglichen. "Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt."48
Erkenntnis entspringt für Kant aus zwei sich vereinigenden Quellen, aus Rezeptivität und Spontaneität. Mittels ersterer empfangen wir Vorstellungen oder Eindrücke, und verfügen damit über Anschauungen, mittels letzterer erkennen oder denken wir, wir bilden Begriffe. Diese beiden Quellen stellen zwar unterschiedliche Erkenntnisformen dar, sind aber dennoch nicht voneinander unabhängig: Anschauungen sind nur verständlich, wenn sie unter Begriffe gebracht werden, Begriffe wiederum benötigen einen korrespondierenden Gegenstand in der Anschauung. "Wollen wir die Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen, so fern es auf irgend eine Weise affiziert wird, Sinnlichkeit nennen: so ist dagegen das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontaneität des Erkenntnisses, der Verstand. [...] Keine dieser Eigenschaften ist der anderen vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind."49
Apriorische Erkenntnis ist dann transzendental, wenn wir durch sie erkennen, "daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe)
48 KdrV, B 25. In der A-Ausgabe ist nicht von unserer Erkenntnisart, sondern von unseren Begriffen die Rede. Die Verlagerung in der B-Auflage unterstreicht die aktive oder konstitutive Rolle des erkennenden Subjekts für die Struktur der Erkenntnis wie auch dessen, wovon sie Erkenntnis ist. Ich schließe mich insofern Hintikka an, als ich Kants Charakterisierung transzendentaler Erkenntnis in engem Zusammenhang mit der sog. 'kopernikanischen Wende' sehe, allerdings ohne dessen Auffassung bezüglich der Bedeutung der konstitutiven Rolle unserer Erkenntnis in allen Punkten zu teilen. Vgl. bsp. (Hintikka, 1972, Hintikka, 1984), dagegen etwa (Mohanty, 1984). 49 A.a.O., A 51 / B 75.
47 lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sein".50 Reine, d.h. empfindungsfreie Anschauung und reines Denken betreffen allein die Form, nicht den Gegenstand oder die Materie unserer Erkenntnis, nur sie sind a priori möglich.51 In einer ersten Annäherung kann man demnach sagen: Transzendentale Argumentation setzt Apriorisches voraus, das sich auf die Form, nicht aber die Inhalte unserer Erkenntnis bezieht, und sucht solche Bedingungen auszuzeichnen, die für die bloße Möglichkeit von Erfahrung oder Erkenntnis notwendig sind.52 Im Folgenden werden wir in einem ersten Schritt die zu einem Verständnis apriorischer Erkenntnis zentralen Begriffsbestimmungen Kants vorstellen, und diese dann in einem zweiten Schritt aus heutiger Sicht zusammenfassend diskutieren.53 Dabei soll es uns in diesen eher einleitenden Bemerkungen vorwiegend um eine an methodischen Gesichtspunkten orientierte Darstellung der Form apriorischer Erkenntnis gehen. Die spezifische Argumentation Kants bezüglich der apriorischen Geltung bestimmter inhaltlicher Aspekte wird nur dann erwähnt, wenn sie zur Illustration methodischer oder formaler Punkte unumgänglich ist. Dabei werden wir insbesondere die in der transzendentalen Ästhetik vorgenommene Herleitung der Kategorien von Raum und Zeit, die als reine Formen sinnlicher Anschauung apriorische Gültigkeit besitzen sollen, nicht berücksichtigen, weil diese neben anderen methodischen Voraussetzungen auch auf der fragwürdigen Prämisse des transzendentalen Idealismus beruht, die hier nicht angemessen diskutiert werden kann. Eine in wichtigen Punkten an Kants Form transzendentaler Argumentation orientierte Version dieser Herleitung werden wir in unserer Diskussion des Zusammenhanges von Objektivität und Gegenstandsbezug kennenlernen. 50 KdrV, A 56. 51 "Beide [Anschauungen und Begriffe] sind entweder rein, oder empirisch. Empirisch, wenn Empfindung (die die wirkliche Gegenwart des Gegenstandes voraussetzt) darin enthalten ist: rein aber, wenn der Vorstellung keine Empfindung beigemischt ist." KdrV, A 50 / B 74. 52 Für die folgenden Ausführungen vgl. auch die Begriffserläuterungen in den KantLexika von (Eisler, 1930) und (Ratke, 1929). 53 Insofern erfüllen wir Hintikkas Gebot, der bezüglich transzendentaler Argumentation betont: "The notion of transcendental argument was brought to philosophical prominence by Kant. Hence the first order of business in any discussion of such arguments is to try to see what Kant understood by the term." In (Hintikka, 1972), S. 274. Hintikkas inhaltlicher These jedoch, die Struktur transzendentaler Argumentation sei nur unter Berücksichtigung des grundsätzlich konstruktiven Charakters unserer Erkenntnisvermögen zu verstehen, kann m.E. nur bezüglich Kants Beweisbegriff zugestimmt werden. Vgl. auch die Ausführungen in Fn. 46, sowie die Überlegungen in Kapitel IV.
48 Apriorische Erkenntnis ist, so die Kantische Bestimmung, jeglicher Erfahrung vorangehend, von ihr unabhängig gewonnen und sie bedingend. Kennzeichen einer Erkenntnis a priori sind Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit, sie verweisen auf besondere Erkenntnisquellen. Es gibt mehrere Quellen der Apriorizität: Sinnlichkeit ist die Quelle apriorischer Formen der Anschauung, also von Raum und Zeit, aus dem reinen Verstand entspringen die Kategorien, aus der Vernunft (im engeren Sinne) die transzendentalen Ideen. Insofern apriorische Bestimmungen die Form jeglicher Erfahrung bestimmen, kann das Verhältnis des Apriorischen zum Aposteriorischen auch verstanden werden als Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen. Im Apriorischen bekundet sich die Gesetzlichkeit des reinen, erkennenden transzendentalen Bewußtseins. Es soll dennoch nicht subjektive, sondern objektive Geltung besitzen, da es den objektiven Erfahrungszusammenhang, und damit unseren Bezug zu Gegenständen, erst ermöglicht. Die Vorstellung a priori macht die Gegenstände unserer Erfahrung erst möglich, dieses Voraussetzungsverhältnis ist aber nicht als psychologisches, sondern als transzendental-logisches Prinzip zu verstehen: eine Erkenntnis a priori wird nicht durch Analyse des Denkens im empirischen Subjekt gefunden, sondern durch Analyse der logischen Struktur des Gedachten.54 Kants Konzeption apriorischer Erkenntnis verweist also auf den Gegenstandsbegriff als kritischen, dessen Betonung auf der Natur unseres Verstandes liegt, der über die Natur der Dinge a priori urteilt. Dennoch gilt dieses Voraussetzungsverhältnis nur insoweit, als der Verstand die Form einer 'möglichen Erfahrung überhaupt' zu antizipieren vermag, die Möglichkeit von Erfahrung bleibt Kriterium: "Daß ein Begriff völlig a priori erzeugt werden, und sich auf einen Gegenstand beziehen solle, obgleich er weder selbst in den Begriff möglicher Erfahrung gehöret, noch aus Elementen einer möglichen Erfahrung besteht, ist gänzlich widersprechend und unmöglich. Denn er würde alsdann keinen Inhalt haben, darum, weil ihm keine Anschauung korrespondierte, indem Anschauungen überhaupt, wodurch uns Gegenstände gegeben werden können, das Feld, oder den gesamten Gegenstand möglicher Erfahrung ausmachen. [...] Wenn es also reine Begriffe a priori gibt, so können diese zwar freilich nichts Empirisches enthalten: sie müssen aber gleichwohl lauter Bedingungen a priori zu einer möglichen Erfahrung sein, als worauf allein ihre objective Realität beruhen kann."55 54 Wobei Kant, wie von vielen Interpreten betont wird, transzendentale und psychologische Bedingungen nicht ausreichend trennt. Vgl. bsp. (Strawson, 1966) oder (Grundmann, 1993), S. 119. 55 Kant, KdrV, A 95. Oder wie Eisler in seinen Ausführungen zum Begriff des 'a priori' formuliert: "Die Elemente zu allen Erkenntnissen a priori müssen stets die 'reinen
49 Erkenntnis, so wurde gesagt, entsteht mithilfe von Anschauungen und Begriffen, wobei vor allem erstere den Bezug zu möglicher oder wirklicher Erfahrung herstellen. Die, wie Kant formuliert, "objektive Realität" unserer Erkenntnisse kann nun entweder dadurch aufgezeigt werden, daß die ihnen entsprechenden Gegenstände in der Erfahrung aufgewiesen werden, oder dadurch, daß ihre Notwendigkeit zur Möglichkeit von Erfahrung aufgezeigt wird. Insofern kann man auch sagen, daß Kant den Aufweis der Geltungsmöglichkeit apriorischer Bedingungen mit ihrem Geltungsbeweis verknüpft. Der Begriff der Möglichkeit ist selbst ein apriorischer Begriff. Möglich ist nur, was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinstimmt, und zwar bezüglich der Anschauungen sowie der Begriffe. Dies betrifft auch apriorische, reine Anschauungen oder Begriffe, da auch deren Objekte nur in der Erfahrung angetroffen werden können. "Die objektive Realität (Möglichkeit) eines Begriffs [...], seine 'transzendentale Wahrheit', kann man nur daraus ersehen, daß er Verhältnisse der Wahrnehmungen in jeder Erfahrung a priori ausdrückt. [...] Die Möglichkeit von Dingen überhaupt kann nie aus Begriffen a priori für sich allein, sondern immer nur 'aus formalen und objektiven Bedingungen einer Erfahrung überhaupt' stattfinden."56
Kant unterscheidet logische und reale Möglichkeit: Erstere fordert nur, daß der Begriff eines Dings nichts in sich Widersprüchliches habe, dies entspricht dem analytischen Merkmal der Möglichkeit, letztere verlangt auch das Dasein des dem Begriff entsprechenden Gegenstandes, die objektive Realität der Synthesis, durch die der Begriff erzeugt wurde, dies entspricht dem synthetischen Merkmal.57 Erst die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was unseren Erkenntnissen objektive Realität geben kann. Bevor aber auf die Frage eingegangen werden kann, worin die (Bedingung der) Möglichkeit der Erfahrung begründet ist, wie sie festgestellt werden kann, sollen die Ergebnisse unserer bisherigen Darstellung in systematischer Absicht zusammengefaßt sowie kritisch beleuchtet werden. Betrachtet man den formalen Aspekt, wird apriorisches Wissen mithilfe folgender drei Differenzierungen genauer bestimmt. Die erste ist eine epistemische Unterscheidung: Erkenntnis oder Wissen wird mithilfe der Bedingungen einer möglichen Erfahrung und eines Gegenstandes derselben' enthalten; denn sonst würden sie, ohne Data, auch nicht einmal im Denken entstehen können, abgesehen davon, daß durch sie nichts gedacht würde". A.a.O., S. 40. 56 Zitiert nach Eislers Ausführungen zum Begriff der Möglichkeit, a.a.O., S. 369. 57 Vgl. Kant, KdrV, B 630.
50 zwei Kategorien des Apriorischen und des Aposteriorischen analysiert. Apriorisches Wissen, so Kant, ist unabhängig von jeglicher Erfahrung und, im Rahmen der Epistemologie, wird unabhängig von jeglicher Erfahrung gerechtfertigt. Diese Charakterisierung apriorischer Erkenntnis als erfahrungsunabhängig bleibt aber unterbestimmt. Zum einen akzeptiert Kant zwei Formen von Abhängigkeit: Erfahrung ist notwendig, um die in einem apriorischen Urteil verwendeten Begriffe zu erlernen und um ein solches Urteil fällen zu können. Zum anderen wird nicht deutlich gemacht, in welchem Sinne von Erfahrung die Rechtfertigung einer solchen Erkenntnis unabhängig sein soll. Unabhängig von sinnlicher Erfahrung? Da es, wie Rechtfertigung zeigt, die auf Erinnerung oder Gedächtnis beruht, Fälle von Rechtfertigung geben kann, die auf einer nicht-sinnlichen Quelle beruhen, die aber gleichwohl nicht apriorisch sind, ist dieser Ansatz zu weit.58 Da es eher schwierig scheint, die auszuschließenden Erfahrungsquellen zu erfassen, ist eine weitere, positive Bestimmung der fraglichen Art von Erkenntnis verlangt. Dies erfolgt bei Kant im Rahmen der zweiten, metaphysischen Unterscheidung von notwendigen und kontingenten Propositionen: Eine notwendig wahre (falsche) Proposition ist eine, die wahr (falsch) ist und nicht falsch (wahr) sein könnte, eine kontingenterweise wahre (falsche) Proposition ist eine, die wahr (falsch) ist aber falsch (wahr) sein könnte.59 Und apriorische Erkenntnis, so die These, drückt sich in notwendigen Sätzen aus. Und schließlich besteht die dritte, semantische Unterscheidung in der Trennung analytischer und synthetischer Sätze, ein Urteil wie 'Alle A sind B' ist analytisch dann, wenn das Prädikat im Subjektbegriff enthalten ist, synthetische Urteile verknüpfen Prädikat und Subjekt "ohne Identität".60 58 Kant allerdings würde Erinnerung oder Gedächtnis, insoweit es sich nicht auf reine, sondern auf sinnliche Anschauungen bezieht und damit von unserer ursprünglichen Rezeptivität herleitet, wahrscheinlich als sinnliche Erkenntnis- oder Rechtfertigungsquelle verstehen. 59 Der modallogische Status wird heute meist in der Terminologie 'möglicher Welten' ausgedrückt: notwendig wahr (falsch) ist eine Proposition dann, wenn sie wahr (falsch) ist in allen möglichen Welten; kontingenterweise wahr (falsch) ist eine Proposition dann, wenn sie wahr (falsch) ist in einigen möglichen Welten eingeschlossen der wirklichen Welt. Dies läßt sich auch mithilfe kontrafaktischer Konditionale ausdrükken. 60 Vgl. z.B. KdrV, A 6ff. Analytische Urteile, die Begriffe zergliederten, die wir schon von Gegenständen haben, seien bloße "Erläuterungsurteile", synthetische dagegen "Erweiterungsurteile", weil über den gegebenen Begriff hinausgegangen wird. Ich schließe mich der Einschätzung Strawsons an, der beanstandet, daß Kant nirgends eine
51 Demnach kann der erste Schritt der transzendentalen Strategie wie folgt zusammengefaßt werden: Es gibt eine Form von Erkenntnis, die von sinnlicher Erfahrung unabhängig ist. Diese apriorische Erkenntnis drückt sich in notwendigen Urteilen aus, die sowohl analytisch wie auch synthetisch sein können, wobei die wohl umstrittenste Behauptung Kants die Existenz synthetischer Urteile a priori betrifft. Bevor wir zur Prüfung dieser These übergehen können, gilt es aber, die umfassendere Behauptung bezüglich apriorischer Erkenntnis im Allgemeinen zu überprüfen. Da, wie sich gezeigt hat, eine genuine Bestimmung apriorischer Erkenntnis mit internen Schwierigkeiten belastet ist, besteht die gebräuchliche Herangehensweise darin, apriorische Erkenntnis von aposteriorischer mithilfe ihrer weiteren Bestimmung als notwendig zu unterscheiden.61 Auch Kant nennt Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit als Kriterien, denen apriorische Bedingungen genügen müssen.62 Kann man eine Klasse von Urteilen auszeichnen, die durch ein Merkmal charakterisiert sind, und weiter argumentieren, daß kein Urteil, das über dieses Merkmal verfügt, auf der Basis von sinnlicher Erfahrung gewußt werden kann, wäre die Ausweisung von apriorischer Erkenntnis geglückt. Eine solche Strategie findet sich auch bei Kant, wobei eine der verwendeten Urteilsklassen in den Sätzen der Mathematik besteht, und als Merkmal Notwendigkeit genannt wird. Zur Bestimmung des fraglichen Sinns von Notwendigkeit verweist er darauf, daß die Einsicht in die Wahrheit mathematischer Sätze uns nicht von der Erfahrung gelehrt werden könne. Erfahrung, so Kant, könne uns zwar lehren, daß eine Sache so-und-so sei, aber nicht, daß sie nicht anders sein könne, wirklich befriedigende theoretische Erklärung der analytisch-synthetisch-Dichotomie gebe. Vgl. (Strawson, 1966), S. 43. 61 In der modernen Diskussion scheint sich dagegen durch die Argumentation Kripkes inzwischen die Auffassung durchgesetzt zu haben, die a priori - a posteriori Unterscheidung als eine erkenntnistheoretische, die notwendig - kontingent Unterscheidung als eine metaphysische zu betrachten, wobei diese Differenzierungen nicht als koextensiv betrachtet werden. So hat Kripke m.E. überzeugend dafür argumentiert, daß es gleichermaßen notwendige Wahrheiten a posteriori wie auch kontingente Wahrheiten a priori gibt. Vgl. (Kripke, 1972a sowie 1972b). Beispiele für ersteres wären theoretische Identifikationen wie "Wärme ist die Bewegung von Molekülen", für letzteres "Der Urmeter in Paris ist ein Meter lang". Der für die vorliegende Arbeit entscheidende Begriff der Notwendigkeit wird in Kap. IV bestimmt. 62 Einleitung KdrV, Ausgabe B: "[...] d.i. so, daß gar keine Ausnahme als möglich verstattet wird" B 4. Als Beispiele werden mathematische Sätze und der Satz, daß alle Veränderung eine Ursache habe, genannt. Vgl. auch in den Prolegomena, im Folgenden: Pr, § 48, A 139, Anm.: "Notwendigkeit [...], die jederzeit das Zeichen eines Prinzips a priori ist."
52 daß sie so sein muß.63 Doch selbst wenn man zugesteht, daß mathematische Urteile notwendig sind, beweist Kants Überlegung nur, daß wir den modalen Status notwendiger Urteile nicht auf der Grundlage von Erfahrung kennen können, die Behauptung der Apriorizität bezieht sich aber auf den Geltungsanspruch oder Wahrheitswert mathematischer Sätze.64 Ein weiteres Charakteristikum, das man entweder so verstehen kann, daß es den gesuchten Sinn von Notwendigkeit oder strenger Allgemeinheit spezifizieren hilft, oder davon unabhängig als das gesuchte Merkmal der auszuzeichnenden Urteilsklasse, besteht in der behaupteten Immunität gegenüber empirischer Revision. Und die intuitiv einleuchtende Strategie besteht wiederum darin, Erfahrung als mögliche Erkenntnisquelle auszuschließen, indem ex negativo argumentiert wird, daß es ja auch keine Erfahrung gebe, die zur Preisgabe einzelner Sätze der fraglichen Urteilsklasse führen könne.65 Für Kant kann ein solche Überlegung allerdings kein zentrales Argument darstellen, da Erfahrung, oder die Möglichkeit von Erfahrung, als konstituiert durch die apriorischen Strukturen gedacht wird, eine widersprechende Erfahrung kann es also per definitionem nicht geben. Gäbe es eine Erfahrung, die den im Rahmen der Kritik entwickelten, begrifflichen Strukturen nicht entspricht, wäre dies für Kant kein Beweis der Erfahrungsabhängigkeit apriorischer Prinzipien oder Erkenntnisse, sondern Anzeichen für einen Fehler in der Durchführung des transzendentalen Programms. Als letztes Kennzeichen apriorischer Erkenntnis wird oft ihre Gewißheit genannt. Kant bestimmt Gewißheit folgendermaßen: "Man ist gewiß, in so ferne man erkennet, daß es unmöglich sei, daß eine Erkenntnis falsch sei. Der Grad dieser Gewißheit, wenn er objective genommen
63 "Erfahrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur angenommene und komparative Allgemeinheit [...], so daß es eigentlich heißen muß: so viel wir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme." KdrV, B 3f. 64 Allerdings würde Kant betonen, daß wir Wissen von der Wahrheit mathematischer Propositionen durch nicht-empirische, nicht-sinnliche, reine Anschauung haben, also ebenfalls nicht auf der Grundlage von - sinnlicher - Erfahrung. 65 Als Beispielklasse werden meist die Sätze der Logik, also analytische Sätze, genannt. Vornehmlich gegen diese Bestimmung richtet sich die wohl prominenteste Kritik an der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis: Quines Argumentation wendet sich zum einen gegen die Trennung analytischer und synthetischer Sätze, zum anderen wird das vorgeschlagene Kriterium selbst für die Sätze der Logik zurückgewiesen. Vgl. z.B. (Quine, 1961b). Quine wird in Kapitel III diskutiert.
53 wird, kommt auf das Zureichende in den Merkmalen von der Notwendigkeit einer Wahrheit an [...]."66
Metaphysische Gewißheit sowie die Gewißheit 'erster Grundwahrheiten' entsteht dadurch, daß uns Vernunftgründe zu der betreffenden Überzeugung führen, wobei Gewißheit insofern über bloße Überzeugung hinausweist, als sie nicht nur subjektiv, sondern objektiv zureichende Zulänglichkeit des Fürwahrhaltens verlangt.67 Die obersten und allgemeinsten Grundsätze der Gewißheit sind der Satz der Identität und der Satz des Widerspruchs.68 Gewißheit ist mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit verbunden, was ich weiß, und nicht bloß glaube oder meine, ist apodiktisch gewiß, d.i. allgemein und objektiv notwendig für alle geltend. Apodiktische Gewißheit kommt nur apriorischen Urteilen, nicht dem zu, was bloß aus der Erfahrung und Induktion kommt. Kant verwendet dieses Merkmal insbesondere, um Erfahrung an apriorische Erkenntnis rückzubinden, die die gesuchte, sichere Grundlage bilden soll: "Denn wo sollte selbst Erfahrung ihre Gewißheit hernehmen, wenn alle Regeln, nach denen sie fortgeht, immer wieder empirisch, mithin zufällig wären; daher man diese schwerlich für erste Grundsätze gelten lassen kann".69
Empirische Regeln können, da sie kontingent sind, nicht als erste Grundsätze oder Prämissen unserer Erfahrung dienen, diese müssen notwendig bzw. gewiß sein. Aber auch hier muß umgekehrt apriorische Erkenntnis selbst dazu dienen, die Bedeutung von Gewißheit festzulegen: "Denn das kündigt eine jede Erkenntnis, die a priori fest stehen soll, selbst an: daß sie vor schlechthinnotwendig gehalten werden will, und eine Bestimmung aller reinen Erkenntnisse a priori noch vielmehr, die das Richtmaß, mithin selbst das Beispiel aller apodiktischen (philosophischen) Gewißheit sein soll."70
66 Nat. Theol., 3. Betrachtung, § 1, A 87. Vgl. zum Begriff der Gewißheit insbesondere die Betrachtungen 2 und 3 sowie die Transzendentale Methodenlehre in der KdrV, bes. Abs. 3 im 2. Hauptstück. 67 Vgl. KdrV, B 850. 68 Vgl. Nat. Theol., 3. Betr., § 3. 69 KdrV, B 5. 70 KdrV, A XV. Apodiktische Urteile sind solche, in denen man das Bejahen oder Verneinen als notwendig ansieht. Vgl. B 100. "Man denkt sich hierbei den assertorischen Satz durch die Gesetze des Verstandes selbst bestimmt und daher als a priori etwas behauptend, so daß er logische Notwendigkeit hat." Eisler, a.a.O., S. 34. Apodiktische Gewißheit ist in der Mathematik gleichbedeutend mit absoluter und unbe-
54 Auch der Begriff der Gewißheit allein kann also den gesuchten Begriff apriorischer Erkenntnis nicht bestimmen, weil in seiner Definition wesentlich auf die Begriffe der Apriorizität sowie der Notwendigkeit zurückgegriffen wird. Aber auch die ersten beiden Merkmale der Notwendigkeit und der Immunität gegenüber empirischer Revision scheinen die gesuchte Klasse der Urteile a priori nicht auszeichnen zu können: Beide sind auf einen ungeklärten Begriff von Erfahrungsunabhängigkeit angewiesen, der am ehesten im Bereich logischer oder mathematischer, also analytischer Sätze präzisiert werden könnte. Analytisch apriorische Erkenntnis kann rein logisch durch den Satz des Widerspruchs gewonnen werden. Wenn aber unsere empirischen Erkenntnisse nicht "bloß auf Glauben angenommen", sondern als Wissen gerechtfertigt werden sollen, brauchen diese ein Fundament in Prinzipien, in synthetischen Sätzen, die ebenfalls apriorische Gültigkeit haben. Selbst wenn man also zugestehen würde, daß mithilfe der genannten Kriterien die Apriorizität analytischer Sätze bestimmt werden kann, so bleibt offen, wie synthetisch apriorische Sätze, die apodiktisch gelten sollen, herausgefunden und begründet werden können.71 Erkenntnisansprüche werden in transzendentalen Beweisen dadurch legitimiert, daß objektive Gültigkeit oder transzendentale Wahrheit zuerst für analytische apriorische Erkenntnis beansprucht und begründet wird, dann gezeigt wird, wie bestimmte empirische Erkenntnisse als synthetische a priori aus ersterer folgen können. Ein solcher hierarchischer Aufbau entspricht der skizzierten fundamentalistischen Konzeption von Erkenntnis. In transzendentalen Sätzen wird nun aber nicht einem Gegenstand, für den der Subjektbegriff steht, ein Prädikat zugeschrieben, vielmehr wird vom Gegenstand des Subjektbegriffes etwas ausgesagt, das selbst zur Möglichkeit dieses Gegenstandes gehört. Diese Figur logischer oder begrifflicher Notwendigkeit wird dann auf den Gegenstand sinnlicher Erfahrung übertragen, wird über diesen Gegenstand dann etwas transzendental ausgesagt, handelt es sich ebenfalls um eine Aussage, deren Notwendigkeit feststehen soll, weil sie die Möglichkeit des fraglichen Gegenstandes betrifft. dingter, in der Philosophie als analytischer Methode nur mit bedingter Notwendigkeit. Vgl. bsp. Kant, Pr §§ 6ff., s.a. die folgende Fußnote. 71 Synthetisch apriorische Sätze der Mathematik können für Kant mit bezug auf die reine Anschauung begründet werden, deren apodiktische Gewißheit, die durch intuitiven Vernunftgebrauch in der Konstruktion ihrer Begriffe erreicht werde, sei aber nicht mit der dogmatischen Gewißheit der Philosophie zu verwechseln, die durch Exposition, durch diskursiven Vernunftgebrauch nach Begriffen zustande komme. Vgl. KdrV, Transzendentale Methodenlehre, B 740ff.
55 Transzendental ist apriorische Erkenntnis dann, wenn sie sich auf ihre apriorische Möglichkeit bezieht und diese begründet.72 Transzendentale Argumentation begründet ihre Geltung also mit dem Aufweis der Notwendigkeit ihrer Postulate. Deren Notwendigkeit resultiert wiederum daraus, daß ohne sie Erfahrung, die ja tatsächlich statthat, nicht möglich wäre. Die Form transzendentaler Argumentation kann also folgendermaßen beschrieben werden: Behauptet wird, daß X nicht möglich sei, wenn nicht auch Y der Fall ist; da aber X der Fall ist, muß auch Y der Fall sein.73 Die Existenz sinnlicher Erfahrung wird als faktisch gesetzt, und es wird argumentiert, daß diese nur möglich sei, wenn auch bestimmte vorgängige Erkenntnisbedingungen der Fall wären, da sie aber faktisch und mithin auch möglich ist, müssen auch die Bedingungen erfüllt sein. Damit wäre die Apriorizität ausgewiesen, und da sich die Argumentationsfigur auf die Form sinnlicher Erfahrung, also auf Empirisches bezieht, sind die betreffenden Sätze synthetisch. Diese Argumentation weist hinsichtlich ihrer Beweisstruktur das Problem auf, daß die Verbindung von Geltungsfrage und Geltungsbeweis nicht eigens im Rahmen einer logischen Methode begründet wird. Es finden sich zwar vereinzelte Hinweise Kants. So wird die Methode der Philosophie auch als "analytische Methode" bezeichnet und über sie gesagt: "Analytische Methode, sofern sie der synthetischen entgegengesetzt ist, ist ganz was anderes, als ein Inbegriff analytischer Sätze: sie bedeutet nur, daß man von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein möglich."74
72 Siehe auch KdrV, B 25, B 80f., und zur Begründungsfrage vgl. B 117f., wo die transzendentale Deduktion als Beweisverfahren im Rahmen der Legitimationsfrage bestimmt wird. 73 Vgl. zur Beweisstruktur transzendentaler Argumentation bsp. die ausführliche Darstellung von Kants Methodenlehre und verschiedener in der KdrV verwendeter Beweisregeln in (Baum, 1986), insbes. S. 181ff., wo das transzendentalphilosophische Vorhaben der KdrV als "Metaphysik von der Metaphysik" bestimmt wird. 74 Pr, § 5 A 42, Fn., wo er diese Methode mit der "regressiven Lehrart" identifiziert.
56 Ob diese Methode allerdings in ihrer logischen Struktur so auszuzeichnen ist, daß der Begriff der Transzendentalität über die Beweisstruktur gerechtfertigt werden kann, halte ich für fragwürdig.75 Kant ist aber dennoch methodisch keine Nachlässigkeit vorzuwerfen, die Notwendigkeit, die Methode transzendentaler Argumentation in ihrer Beweisstruktur klar auszuzeichnen, stellt sich ihm m.E. deshalb nicht, weil die Verbindung von Geltungsfrage und Geltungsbeweis bei ihm im Rahmen der Konzeption der transzendentalen Subjektivität gerechtfertigt wird.76 Unsere Frage nach der Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse a priori läßt sich demnach auf unterschiedliche Weise verstehen: Entweder sie gilt als Frage nach einer Erklärung ihrer Möglichkeit, wobei ihre Geltung als Faktum vorausgesetzt wird, oder als Frage danach, ob diese Erkenntnisse möglich und wirklich sind, ob sie eine Form der Erkenntnis darstellen, gefordert wäre dann ein Geltungsbeweis. Verknüpfen kann man diese beiden Aspekte, indem die Erklärung der Möglichkeit der als gültig vorausgesetzten synthetischen Urteile a priori so als Geltungsbeweis gefaßt wird, daß die Prämissenhaftigkeit im Rahmen eines unhintergehbaren Begründungsprinzips entschärft wird.77 Das von Kant gewählte Begründungsprinzip besteht nun nicht darin, transzendentale Argumentation in ihrer Beweisstruktur auszuzeichnen, sondern verweist zurück auf die bereits erwähnte Grundannahme: Die mit der sog. "Kopernikanischen Revolution" einhergehende "veränderte Methode der Denkungsart" verwirft das Modell von Erkenntnis als Abbild der Wirklichkeit, als Repräsentation.78 Die Wirklichkeit ist nicht mehr externer Bezugspunkt, sondern wird zum Gehalt der Erkenntnis, letztere selbst wird als welthaltig angesehen. Damit wird der Gehalt unserer Erfahrung nicht mehr im Rahmen von Prämissen 75 Der Einwand, Kant berücksichtige transzendentale Beweise als Kriterium der Transzendentalität nicht, wird von verschiedenen Autoren vorgebracht. Vgl. bsp. (Niquet, 1991), S. 223ff., oder auch Grundmann, a.a.O., S. 229ff. und 236ff., dagegen Baum, a.a.O., S. 181ff. Siehe auch meine Ausführungen in Kap. II.2. und IV.2. 76 Insofern widerspreche ich auch den vorgenannten Autoren in der Einschätzung, daß der Begriff des Beweises bei Kant als Oberbegriff zu fungieren scheint, der Transzendentalität erst bestimmen muß. Einer solchen Einschätzung widerspricht auch Bubner, a.a.O., sowie bsp. Cramer, vgl. (Cramer, 1979). 77 Kant trennt die beiden Fragen nicht klar. Dagegen wird von einigen Autoren darauf hingewiesen, daß die beiden Vorgehensweisen auch einen unterschiedlichen begründungstheoretischen Status haben. Vgl. bsp. die Überlegungen von Aschenberg in (Aschenberg, 1982), S. 259ff., sowie dazu die kritischen Ausführungen von Grundmann, a.a.O., S. 96ff. 78 Kant, KdrV, B XVIII.
57 vorausgesetzt, sondern muß als konstitutiv gedacht werden.79 Folglich kann Kant sagen, daß die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zugleich auch Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung sind, und so den zweiten Schritt, den Geltungsbeweis, mit der Erklärung der Möglichkeit dieser Geltung verknüpfen.80 Wenn aber Erkenntnis als weltkonstituierend gedacht wird, kann sie nicht mehr selbst in der Welt vorzufinden sein. Diese Art der logischen Vorgängigkeit der Erkenntnis führt Kant dazu, die Grundlage aller Erkenntnis transzendental zu fassen: als reflexive Erkenntnis bezieht sie sich auf ihre innere Struktur und a fortiori die Prinzipien jeglicher Erfahrungserkenntnis. "Transzendental verstandene Philosophie behauptet insofern eine Zwischenstellung zwischen Ontologie und Erkenntnistheorie: eine Theorie des Seienden ist sie nur als Theorie unserer Erkenntnis a priori von ihm, eine Theorie der Erkenntnis nur als Bestimmung des Begriffs von einem Gegenstand als solchem."81
Nicht aktuell verfügbares Wissen oder faktische Erkenntnis, so die Überzeugung Kants, die sich auch in seiner Bejahung des Prinzips der empirischen Unentscheidbarkeit ausdrückt, kann dazu dienen, die Möglichkeit von Wissen überhaupt zu begründen. Erst transzendentale Subjektivität kann den Ausgangspunkt für kategoriale Ontologie bilden. "Es hat wohl den Anschein, als verschöbe der neue Begriff des Transzendentalen die Balance zugunsten der erkenntnistheoretischen Seite: nicht nur sollen unsere Begriffe von Gegenständen überhaupt aufgezeigt werden; es muß diesen Begriffen auch eine unentbehrliche Funktion in einer möglichen Erfahrungserkenntnis von Gegenständen nachgewiesen werden. Aber Kants Einsicht ist, daß erst die Erfüllung dieser zweiten Aufgabe die erste auflöst: nur Begriffe, die Erfahrung möglich machen, sind Begriffe von Gegenständen überhaupt. Der neue Sinn des Transzendentalen verstärkt das erkenntnistheoretische Moment des Begriffs, um dem ontologischen gerecht zu werden."82
Erkenntnis beginnt erst mit Erfahrung. Nur durch - reale oder mögliche Erfahrung erhalten Begriffe ihre Realität. Erfahrung ist das erste Produkt unseres Verstandes, wobei der Begriff des Produkts im Sinne einer geistigen Leistung verstanden wird, die aber ihrerseits gewisse Formen des 79 Dies spiegelt sich auch in der Doppeldeutigkeit des Ausdrucks 'Gegenstand der Erfahrung'. 80 Vgl. KdrV, A 111 sowie B 198. 81 (Bittner, 1974) in (Krings/Baumgartner/Wild, 1974), S. 1524. 82 Bittner, a.a.O., S. 1525.
58 Verstandes voraussetzt. Wie sind diese unsere Erfahrungen konstituierenden und bildenden Strukturen zu beschreiben? Die Grundlage der objektiven Einheit der Erfahrung besteht für Kant in der Einheit des Selbstbewußtseins. Dazu konzipiert er transzendentale Subjektivität so, daß diese im Rahmen der Synthesis-Leistung des Verstandes konstitutiv bezüglich gegenständlicher Einheiten wirkt und zugleich als Erkenntnisgrund der kategorialen Struktur der Welt dienen kann. Dieses transzendentale Bewußtsein soll mit der Welt dann im Rahmen der synthetischen Einheit der Apperzeption verbunden werden.83 Der Grund für die Möglichkeit jeglicher Erkenntnis, so Kant, besteht im Prinzip der notwendigen Einheit der reinen Synthesis der Einbildungskraft.84 Synthesis bedeutet "die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzuthun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen"85, sowie darüberhinaus die Verbindung verschiedener Vorstellungen zur Einheit eines Selbstbewußtseins. Im Rahmen der 'transzendentalen Deduktion' werden die gesuchten ersten Grundsätze oder Regeln apriorischer Erkenntnis als Formen des Denkens, und das heißt jetzt, als Formen der Synthesisleistung des Verstandes nachgewiesen. Dabei werden sowohl apriorische Anschauungsformen, wie Raum und Zeit, als auch apriorische Denk- oder Verstandesformen, die Kategorien, als konstitutiv für die Möglichkeit von Erfahrung, unseren Gegenstandsbezug sowie für Gegenstände überhaupt, als Objekte dieses Bezugs, ausgewiesen. Beide Arten apriorischer Erkenntnisformen ermöglichen erst Erfahrung: Raum und Zeit sowie die Kategorien sind Formen des Verstandes, die Erfahrung insofern bedingen, als sie der Wahrnehmung Erkenntnischarakter verleihen, die aber für sich allein, ohne Erfüllung durch Wahrnehmung, keinen Erkenntniswert
83 Kants Konzeption der transzendentalen Subjektivität ist enorm voraussetzungsreich. Umstritten sind nicht nur die inhaltlichen Prämissen bezüglich der Funktionsweise unserer Erkenntnis, so verweisen viele Kommentatoren auf implizite, vermögenstheoretische Überlegungen, vgl. z.B. Strawsons Kritik an Kants 'transzendentaler Psychologie' in (1966); auch die Prämisse der Möglichkeit objektloser, innerer Anschauung, in der das transzendentale Selbstbewußtsein gegeben sei, ist fragwürdig. Gegenstand unserer historisch-systematischen Einleitung ist die Darstellung der transzendentalen Methode, insofern haben die folgenden Ausführungen nur ergänzenden Charakter. 84 Vgl. KdrV, A 118. 85 A.a.O., B 103.
59 haben.86 Und unsere Empfindungen müssen sich notwendig erst in den Anschauungsformen des Raumes und der Zeit ordnen, um als Erfahrungen verständlich zu sein. "[D]ie eben angeführte Kategorien sind nichts anders, als die Bedingungen des Denkens in einer möglichen Erfahrung, so wie Raum und Zeit die Bedingungen der Anschauung zu eben derselben enthalten."87
Das urteilende Auffassen des Gegebenen gemäß den Strukturen unseres Bewußtseins nennt Kant Apperzeption. Apperzeption ist dabei zu verstehen als Geltungsbegriff, er dient als höchster Einheitsbegriff des Vernunftsystems, er bezeichnet das Bewußtsein oder die Wahrnehmung seiner selbst als denkendes Subjekt, und faßt alle transzendental-logischen Bedingungen a priori der Erkenntnis. Die Apperzeption ist Grund der Möglichkeit der Kategorien, ihre Einheit ist aber nur dadurch möglich, daß alles unter den allgemeinen Funktionen und Regeln der Synthesis steht, ist also selbst Produkt der Synthesis. Die Einheit der Apperzeption setzt damit Selbstbewußtsein als rein formales, stets identisches voraus, das alle Vorstellungen und Begriffe begleitet und bedingt. Was aber notwendig als numerisch identisch vorausgesetzt werden muß, kann, so Kant, nicht empirisch gegeben sein. "Ich nenne auch die Einheit derselben [der Apperzeption] die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehöreten, d.i. als meine Vorstellungen [...] müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter der sie allein in einem allgemeinen Selbstbewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden."88
Das gesuchte Selbstbewußtsein, so Kant, kann auch deshalb nicht das empirische sein, weil sich das Faktum des Selbstbewußtseins nicht auf gegenstandsbezogene Erkenntnis reduzieren läßt: im Fluß unserer Wahrnehmung gibt es keine einzige, konstante und unveränderliche Wahrnehmung, die 86 Die Vorstellung von Zeit und Raum sowie der Kategorien sind nicht angeboren, sie werden "bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt", B 91, Erfahrungen oder sinnliche Eindrücke sind "die Gelegenheitsursachen ihrer Erzeugung", B 118. 87 A.a.O., A 111. 88 A.a.O., B 132f.
60 das gesuchte Phänomen bezeichnete. Darum, so die weitere Argumentation Kants, beziehe sich dieses Selbstbewußtsein eben auch nicht auf ein Objekt, sondern auf ein - transzendentales - Subjekt, auf die bloße Form des Denkens.89 Die transzendentale Synthesis der Apperzeption ist also der Grund möglicher Einheit in der Verbindung von Mannigfaltigem, sowie Bedingung der Einheit und Identität des Selbstbewußteins, sie liegt beiden, der analytischen Vorstellung der Identität meines Bewußtseins sowie der Einheit in der Mannigfaltigkeit meiner Vorstellungen, zugrunde.90 Die Möglichkeit der Erfahrung, so wurde mit Kant argumentiert, gibt Erkenntnissen a priori ihre objektive Realität. Erfahrung, so hat sich gezeigt, beruht wiederum auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, auf einer Synthesis nach Begriffen vom Gegenstand der Erscheinungen überhaupt, die nach den Regeln eines durchgängig verknüpften Bewußtseins, im Sinne der transzendentalen, notwendigen Einheit der Apperzeption, verläuft. Als notwendigen Bedingungen kommt diesen Regeln objektive Realität zu, Raum und Zeit sowie die Kategorien müssen als Bedingungen der Möglichkeit jeglicher Erkenntnis verstanden werden. Mithilfe dieser Regeln wird nun auch synthetische Erkenntnis a priori möglich: A priori ist diese Erfahrungserkenntnis, weil sie den Bedingungen jeglicher Form von Erkenntnis entspricht, synthetisch, weil sie gegebene Begriffe, die nicht analytisch verbunden sind, im Medium der Synthesis 89 Vgl. insbesondere das Paralogismen-Kapitel der KdrV. So z.B. zum Begriff des "Ich denke" als "Vehikel aller Begriffe überhaupt" B 399, zum "Ich denke" als Satz, "der die Wahrnehmung seiner selbst ausdrückt" und von dem ich "innere Erfahrung" habe, sowie die Kennzeichnung dieser inneren Wahrnehmung als "bloße Apperzeption" und "transzendentale Erfahrung" B 401. Zum "Ich" als "einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung", als "bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet" B 404, zur bloß logischen Bedeutung des "Ich denke" A 350. Der für Kant sowie für die transzendental-idealistische Bewußtseinsphilosophie zentrale Begriff der 'inneren Anschauung' kann seit der mit dem Schlagwort des 'linguistic turn' verbundenen kategorialen Wende nicht mehr in diesem Sinne vorausgesetzt werden. Inwieweit die transzendental-logischen Bewußtseinsstrukturen als semantisch-pragmatische Redestrukturen rekonstruiert werden können, soll in unserem dritten Abschnitt Thema werden. Für eine sehr instruktive Kritik traditioneller Bewußtseinsphilosophie aus der Sicht der Sprachanalyse vgl. bsp. (Tugendhat, 1976 u. 1979). Vgl. auch die Ausführungen zum Begriff des Gegebenen in Kapitel IV.3. 90 Vgl. bsp. Niquets Ausführungen zu dieser Voraussetzungsstruktur: "Die Verbindung verschiedener Vorstellungen als meine Vorstellungen zur Einheit eines Selbstbewußtseins nach Regeln der apriorischen Synthesis [des Mannigfaltigen] im Sinne der Kategorien - repräsentiert durch die analytische Einheit des Selbstbewußtseins im Sinne des 'Ich denke' - erfordert die reine und ursprüngliche Apperzeption als synthetische Einheit des Bewußtseins." A.a.O., S. 221.
61 mit Anschauungen verknüpft. Bevor wir nun auf die zentrale Frage eingehen, ob oder inwieweit mit der Ausweisung der Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse a priori auch die skeptische Herausforderung beantwortet ist, soll folgendes festgehalten werden. Die problematische Doppelung im Bereich des Bewußtseins oder der Subjektivität in eine empirische und eine transzendentale Variante entsteht für Kant m.E. zwangsläufig: die Ablehnung empirischen Wissens als Grundlage einer Rechtfertigung oder Legitimation der Erkenntnis hat die Notwendigkeit einer transzendentalen Deduktion zur Folge, die erst die objektive Gültigkeit der vorausgesetzten Begriffe oder Strukturen zu erweisen vermag. Die transzendentale Deduktion wiederum verlangt ein einheitstiftendes Prinzip, das für Kant nicht empirisch gegeben sein kann. Folglich muß auch ein reines, nichtempirisches Bewußtsein als Grundlage transzendentalen Denkens angenommen werden. Nur transzendentales Bewußtsein erlaubt auch die gesuchte Gewißheit, da dieses aber kein empirisches Faktum sein kann, kann es weder erfahren, noch aus der Erfahrung begründet werden. Damit entstehen aber mindestens zwei Probleme: Zum einen wird ein unausweisbarer Begriff des Gegebenseins dieses transzendentalen Bewußtseins, einer als Evidenz verstandenen inneren Anschauung oder inneren Wahrnehmung, vorausgesetzt, der niemals empirisch verifizierbar ist, zum anderen entsteht die Frage, wie ein solches transzendentales und unser faktisches, empirisches Bewußtsein zusammenhängen können.91 Doch nehmen wir einmal an, diese die Struktur unseres Bewußtseins oder Selbstbewußtseins betreffenden Fragen könnten zufriedenstellend gelöst werden, und die Ausweisung apriorischer Erkenntnisse als notwendig der Erfahrung vorausgehend und diese bestimmend, und zwar sowohl in ihrer analytischen wie synthetischen Variante, sei geglückt. Ist damit die skeptische Herausforderung zurückgewiesen? II.1.2 Kants Umgang mit der skeptischen Herausforderung Unsere Frage war, ob die transzendentalphilosophische Methode als Paradigma einer Strategie dienen kann, die die skeptische Herausforderung als inkohärent ausweisen kann. Und die skeptische Herausforderung bestand darin, unsere realistischen Geltungsansprüche zu legitimieren, oder, in Kants Begrifflichkeit, ihre objektive Gültigkeit, ihre Wahrheit auszuwei91 Die Einheit des Selbstbewußtseins muß dann in einem weiteren, ebenfalls nur transzendental auszuweisenden Zusammenhang erwiesen werden. Vgl. dazu bsp. Tugendhats Kritik an der traditionellen Selbstbewußtseinstheorie in (Tugendhat, 1979), 3. Vorlesung, insbes. S. 51f.
62 sen.92 Der Inkohärenzbeweis müßte demnach in dem Nachweis bestehen, daß der Skeptiker die objektive Gültigkeit der fraglichen Geltungsansprüche bereits als erfüllt voraussetzen muß, um seine Herausforderung überhaupt formulieren zu können. In einem ersten Schritt soll nun also die Kantische Methode gezielter auf das Problem des Realismus angewendet werden, in einem zweiten Schritt soll dann gefragt werden, ob damit die Inkohärenz der skeptischen Position erwiesen werden kann. Transzendentale Argumentation muß Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung so ausweisen, daß die zur Begründung und Erklärung verwendeten Termini nicht in ihrer empirischen, sondern in ihrer formalen Verwendung zu verstehen sind. Idealismus auf der empirischen Ebene muß also nicht im Rahmen der Rechtfertigung unserer Alltagspraktiken oder unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse widerlegt werden, weil eine solche Widerlegung sich auf den Gehalt unserer Wissensansprüche beziehen würde. Daß aber unsere Erkenntnisse als solche, ohne Berücksichtigung ihrer jeweiligen Inhalte, aus philosophischer Sicht nicht gerechtfertigt werden konnten, stellt für Kant den eigentlichen "Skandal" dar. Wenn also, wie in unseren realistischen Eingangsthesen, gesagt wird, daß unsere Erfahrungen mit einer von uns unabhängigen Welt verbunden sind, müßte es möglich sein, den Sinn dieser Worte auf einer nicht-empirischen Ebene zu klären. Die Notwendigkeit dieser Forderung wird schon daraus ersichtlich, daß ein empirischer Beweis, der einzelne empirische Behauptungen als Wissen auszuweisen sucht, ex hypothesi nicht ausreichen kann. Die gesuchte Erklärung muß die Möglichkeit von Wissen angesichts empirischer Unentscheidbarkeit ausweisen können, die unvermeidlich zum Skeptizismus zu führen scheint. Insofern muß eine Strategie, die die skeptische Herausforderung dadurch zu beantworten sucht, daß sie ihre Quelle, ihre Motivation auflöst, entweder versuchen, den ersten Argumentationsschritt, die cartesianische Doktrin der epistemologischen Priorität der Sinneserfahrungen, Repräsentationen etc. über die unabhängig im Raum existierenden Gegenstände, als falsch oder gar notwendigerweise falsch zu erweisen, oder den zweiten Schritt angreifen und die Möglichkeit deduktiver Beziehungen zwischen Erfahrung und Welt ausweisen. Als letzte inhaltliche Frage an Kants Konzeption apriorischer Erkenntnis soll also geklärt werden, ob die Begriffe der 'Erfahrung' und der 'unabhängigen Welt' transzendental so erklärt werden, daß dies geleistet wird.
92 Zur Bestimmung der objektiven Gültigkeit einer vorgestellten Begebenheit als Wahrheit, vgl. KdrV, B 816.
63 Kants Weg zu einem empirischen Realismus läuft darüber, daß 'äußere Erfahrung' rekonstruiert wird als Bedingung, als conditio sine qua non 'innerer Erfahrung', innere Erfahrung damit als abgeleitet, als derivativ verstanden werden muß. In diesem Entwurf äußerer Erfahrung als "unmittelbares Bewußtsein des Daseins äußerer Dinge" oder als "eigentlich unmittelbar", bleibt, so Kant, kein Raum für antirealistische Zweifel.93 Alleine dadurch, daß Erfahrungen überhaupt möglich sind, ist die vorausgesetzte Existenz äußerer Gegenstände bewiesen: Gäbe es keinen äußeren, sondern nur einen inneren Sinn, d.h. würden wir uns unseren Bezug zu Äußerem als Äußerlichem nur einbilden, könnten wir überhaupt nicht zu einem Begriff der Anschauung, des Anschauungsvermögens kommen. Um von der Spontaneität, die Einbildung charakterisiert, überhaupt zu einem Begriff der Anschauung, die durch Rezeptivität charakterisiert ist, zu kommen, müssen wir über einen äußeren Sinn, der nicht im Allgemeinen Einbildung sein kann, verfügen. Nur unter der Voraussetzung eines solchen äußeren Sinnes, der sich rezeptiv auf äußere Dinge bezieht, kann dann abgeleitet von einer Einbildung oder auch Täuschung im Bereich der Rezeptivität, der Anschauung gesprochen werden. Die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter oder vermeintlicher Wahrnehmung kann folglich nicht auf Erfahrung generell übertragen werden. Direkte Erfahrungen können von indirekten unproblematisch in bestimmten Kontexten unterschieden werden, z.B. dadurch, daß deren täuschende Komponente erkannt wird: Wahrnehmung über Spiegel oder ähnliche Vermittlungsinstanzen ist dann indirekt, aber als solche auch prinzipiell unterscheidbar. Innere Erfahrungen, also unsere Vorstellungen, sind Resultat unserer äußeren, direkten Erfahrung, die Möglichkeit des Zweifels an der unabhängigen Existenz des unvermittelt wahrgenommenen Gegenstandes macht nicht als genereller, sondern nur als kontextuell gebundener Sinn.94 Genereller Zweifel würde die epistemische Priorität innerer Erfahrungen, verstanden als Vorstellungen oder bloße Erscheinungen äußerer Gegenstände, verlangen. Eine solche Art skeptischen Zweifels, so Kant, setzt die generelle Möglichkeit voraus, innere Erfahrungen zu besitzen, ohne jemals einen äußeren Gegenstand wirklich wahrgenommen zu haben. Für eine solch weitreichende These, die nach Kants Auffassung Erfahrungen überhaupt unmög93 KdrV, B 276, Anmerkung 1. Vgl. auch Kants Fußnote, in der er auf die Beweiskraft eingeht. 94 Als Kriterium, "vermeinte" und "wirkliche" Erfahrung zu trennen, wird von Kant der "Zusammenhalt", also das Merkmal interner Kohärenz oder Konsistenz, genannt. Vgl. bsp. KdrV, B 279.
64 lich machen würde, könne nicht allein mit dem bloßen Fakt der Irrtumsmöglichkeit argumentiert werden.95 Damit wendet Kant die Beweislast gegen den Skeptiker: indem die vorgeschlagene transzendentale Strategie äußere Erfahrung als direktes Bewußtsein von äußeren Gegenständen definiert, innere Erfahrung dagegen als von dieser abgleitet und mittelbar, kann die These der epistemischen Priorität innerer Erfahrung nicht ohne weitere Spezifikation aufrechterhalten werden. Diese Form der Zurückweisung des ersten cartesianischen Schritts durch den Aufweis der Möglichkeit eines empirischen Realismus', also der Möglichkeit äußerer, direkter Erfahrungen und damit von Erfahrungen überhaupt, ist, wie wir gesehen haben, für Kant allerdings nur deshalb möglich, weil menschlichem Erkennen die Gegenstände dieses Erkennens selbst zugehören. Nicht zufällige Übereinstimmung, zufälliges 'Zusammenpassen' unserer Wahrnehmungen und unseres Wissens, modern: von Inhalt und Schema, kann die prinzipielle Möglichkeit von Wissen begründen. Die Objekte oder Gegenstände unserer Erkenntnis und unsere Erkenntnis müssen übereinstimmen können. "Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten, aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. [...] Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori etwas von ihr wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen."96
Wir können von den Dingen nur das als a priori denken, was wir selbst in sie hineinlegen. Damit die Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt, und mithin auch die Möglichkeit empirischer Erkenntnis, erklärt werden kann, muß die Erfahrung der Gegenstände, die ja nur nach den a priori feststellbaren Regeln meines Verstandes erfolgen kann, notwendig mit diesen von 95 Auf diesen Punkt werden wir verschiedentlich zurückkommen: Im III. Kapitel werden wir ihm im Rahmen der Kritik Davidsons an Quines Konzeption sinnlicher Evidenz als neuronalem Input begegnen, und Strawson verwendet ihn als Kritik an einer cartesianischen Konzeption von subjektivem Erleben, vgl. unsere kurzen Bemerkungen über 'Personen als grundlegende Einzeldinge' in Kapitel V. 96 KdrV, B XVIf.
65 meinem Verstand auferlegten Regeln, Prinzipien oder Kategorien übereinstimmen. Kant versucht, die Inkohärenz der skeptischen Räsonnements also auch dadurch zu erweisen, daß er den zweiten Schritt der cartesianischen Argumentation angreift und aufzuzeigen sucht, inwiefern diese das Fundament der Möglichkeit von Wissen oder Erkenntnis überhaupt angreift, das Fundament, von dem aus die Forderung nach der Rechtfertigung unseres Wissenanspruchs überhaupt erst gestellt werden kann. Eine solche konstitutive Form apriorischen Wissens scheint also die Voraussetzung für die Möglichkeit der gesuchten Gewißheit. In dieser Formulierung deutet sich bereits an, was viele Interpreten für die Crux der Kantischen Strategie halten: die für die Legitimation der Erkenntnisansprüche im Bereich des Empirischen geforderte Notwendigkeit oder Gewißheit ist nur dadurch zu erlangen, daß die Anschauungsformen nicht als objektive, sondern als (inter-)subjektive rekonstruiert werden.97 Und es sind gerade die Überlegungen, die die cartesianische Doktrin der epistemischen Priorität zu widerlegen helfen, die die Priorität kantischer Anschauungen oder Vorstellungen über die Gegenstände begründen: empirischer Realismus kann für Kant nur mithilfe eines transzendentalen Idealismus vertreten werden - eine m.E. eher verzweifelt anmutende Konsequenz. Innerhalb des Paradigmas kantischer Argumentation kann damit auch der Begriff einer unabhängigen Welt transzendental nicht, oder nur im Rahmen und unter der Vorgabe des Idealismus erklärt werden: unabhängig ist nicht die Welt, wie wir sie kennen, die Welt der Erscheinungen, unabhängig ist nur die Welt der Dinge an sich. Und ebenso muß der Begriff der Direktheit unserer Wahrnehmungen auf die Erscheinungswelt zurückgebunden werden: direkt nehmen wir nur die Phänomena, nicht aber die diesen zugrundeliegenden Noumena war.98
97 Dies ist auch der Punkt, an dem Strouds Kritik an Kant ansetzt. A.a.O., Kap. IV, bes. S. 155ff. 98 Zur Unterscheidung vgl. z.B. KdrV, A 248f.: "Erscheinungen, so fern sie als Gegenstände nach der Einheit der Kategorien gedacht werden, heißen Phaenomena. Wenn ich aber Dinge annehme, die bloß Gegenstände des Verstandes sind, und gleichwohl, als solche, einer Anschauung, obgleich nicht der sinnlichen [...] gegeben werden können: so würden dergleichen Dinge Noumena (intelligibilia) heißen." Der Begriff des Noumenon kann in "negativer oder positiver Bedeutung" verwendet werden, in negativer dient er als Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken. Vgl. B 306, 307, 310f. Vgl. dazu auch die Unterscheidung von Strawson in unserem Kap. V.1.
66 II.1.3 Kritische Zusammenfassung Kant reagiert auf die skeptische Herausforderung, indem er einen Begriff der Legitimation entwickelt, der auf die Deduktion transzendentaler, vorgängiger Strukturen jeglicher Erkenntnis zielt. Eine solche Deduktion, also der Nachweis der objektiven Gültigkeit unserer Erkenntnis, kann aber, so Kants Prämisse, nur aus der Vernunft selbst, aus sicheren Prinzipien erfolgen. Der wesentliche Schritt der transzendentalen Strategie besteht folglich darin, den geforderten Geltungsbeweis, also die Ausweisung der fraglichen Begriffe als objektiv auf unsere Erfahrungen zutreffend, mit dem Aufweis ihrer Geltungsmöglichkeit zu verknüpfen: In der wechselseitigen Durchdringung von Anschauungen und Begriffen wird Erfahrung so konzipiert, daß sie den vorgängigen Bewußtseinsstrukturen notwendig entsprechen muß.99 Damit verändert sich aber der Sinn des Begriffs der Objektivität: nicht die Strukturen der Welt sind objektiver Maßstab möglicher Erkenntnis, sondern die Strukturen unserer Erkenntnis sind objektiver Maßstab möglicher Welt. Man kann also sagen, daß gerade die Immunisierungsstrategie Kants, die Strukturen jeglicher Erfahrungserkenntnis im Bewußtsein anzusiedeln, so daß Erfahrung nur möglich ist, wenn und insofern sie diesen Strukturen entspricht, zu idealistischen Konsequenzen führt. Das erkennende Subjekt ist nicht mehr zu verstehen als die Welt passiv abbildend, sondern als diese aktiv schöpfend, Geist und Welt sind nicht mehr zu verstehen als zwar aufeinander bezogene, aber dennoch relativ unabhängige Entitäten. In Kants Konzeption zerfällt die Welt in zwei Arten von Entitäten: von uns unabhängige, aber auch unerkennbare Dinge an sich und in von uns und unseren begrifflichen Strukturen abhängige Erscheinungen. In Fortführung dieser Überlegungen läßt sich aber für jegliche transzendentale Begründung entlang Kantischer Linien ein Dilemma aufzeigen: Rekonstruiert man die gegen die Möglichkeit skeptischen Zweifels verlangte philosophische oder transzendentale Erklärung, im Unterschied zu einer empirischen Begründung oder Rechtfertigung, als rein begriffliche, muß man diesen Bereich des Begrifflichen als der Erfahrung vorgängig verstehen. Damit scheint aber dem Einwand, dieser Bereich strukturiere unsere Erfahrungen so, daß sie doch nur von einer von uns abhängigen Außenwelt handeln könnten, nichts mehr entgegenzusetzen zu sein. Denn selbst wenn der Skeptiker einräumte, daß solche transzendentalen Untersuchungen wirklich notwendige Strukturen unserer Erkenntnis aufzeigen, die 99 Bedeutung und Konsequenz der anti-skeptischen Verknüpfung von Anschauung und Begriff, Rezeptivität und Spontaneität wird eingehender in Kapitel VI diskutiert.
67 epistemische Kluft scheint bestehen zu bleiben: Denn daß unsere Erkenntnisse notwendig so sind, impliziert nicht auch ihre objektive Wahrheit. Und insofern muß auch unsere eingangs aufgeworfene Frage, ob mithilfe begrifflicher Analyse und Unterscheidung eine Trennung zwischen philosophischer und empirischer, begrifflicher und faktischer Sphäre vorgenommen werden konnte, noch zurückgestellt werden. Die andere Seite des Dilemmas besteht darin, daß die durch den agrippaschen Skeptiker aufgeworfene Frage nach der Rechtfertigung unseres Wissens als Wissen nicht nur die beschriebene fundamentalistische, sondern auch eine externe Beantwortung zu verlangen scheint. Eine solche Frage kann prima facie nicht dadurch beantwortet werden, daß man, wie in empirischer Rechtfertigung, auf andere Instanzen oder Beispiele derselben Art von Wissen zurückgreift. Auch Kants Frage oder sein Versuch einer Beantwortung ist in diesem Sinn extern, weil sie nach der Legitimität unseres als realistisch zu verstehenden Wissens fragt. Aber der aufgezeigte, notwendige Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Welt bleibt ein interner: weil unsere begrifflichen Strukturen notwendig eine bestimmte Art von innerem Zusammenhang aufweisen, muß unsere Welt so sein, wie wir sie uns denken. Die Wahrheit dieser Grundbedingungen könnte nur von einem logischen Ort außerhalb erwiesen werden, über den wir ex hypothesi nicht verfügen. In ihrer klassischen Konzeption kann transzendentale Argumentation die skeptische Herausforderung demnach nicht lösen, der "Skandal" bleibt bestehen.100 Denn selbst wenn man die Notwendigkeit bestimmter begriff100 Mit den meisten Autoren bin ich der Überzeugung, daß transzendentale Argumentation, die sich im Rahmen des kantischen Paradigmas bewegt, dies nicht zu leisten vermag. Vgl. bsp. die besonders prominente Kritik Strouds, a.a.O. Die zwei neueren Kant-kritischen Arbeiten von Grundmann und Niquet wurden bereits erwähnt. Grundmann moniert vor allem die methodische Unklarheit kantischer transzendentaler Argumentation, und kommt zu dem Schluß, daß die Beweisstruktur transzendentaler Argumentation weder als deduktives noch als indirektes Argument überzeugend rekonstruiert werden kann. Niquet trennt zwei Varianten transzendental-sinnkritischer Argumentation, ein "kategorial-konstruktionistisches" Erfahrungs- von einem "pragmatisch-transzendentalen" Geltungsapriori, und sieht nur die Möglichkeit, 'kategoriale Basisstrukturen' im Rahmen eines 'überhaupt verständlichen Sprachgebrauchs' zu verorten. Unter Rekurs auf Ressourcen der Diskurstheorie wird dann versucht, transzendentale Argumentation in transzendentale Sinnkritik zu transformieren. Beide Autoren beziehen sich explizit auch kritisch auf Strawsons Programm sowie das Spannungsfeld zwischen transzendentaler Argumentation und Deskriptiver Metaphysik. Auf Strawsons berühmten Versuch, 'die Grenzen des Sinns' auch einer Kritik der reinen Vernunft
68 licher Erkenntnisstrukturen zugesteht, steht man vor der Wahl, die Welt entweder als von uns abhängig und unsere Urteile deshalb überhaupt für wahrheitsfähig anzusehen, oder sie weiterhin als unabhängige, als objektive zu postulieren, die dann aber von uns möglicherweise überhaupt nicht erkannt werden könnte. Ergänzt man transzendentale Argumentation hingegen um ein verifikationistisches Prinzip, das etwa besagt, daß unsere begrifflichen Erkenntnisstrukturen nur deshalb sinnvoll sind, weil die auf ihr beruhenden Urteile auch wahr sind, kann die Unabhängigkeitsthese zwar ohne solche unerwünschten Begleiterscheinungen aufrechterhalten werden. Aber es bleibt offen, wie ein solches Prinzip legitimiert werden soll, transzendental kann nur dafür argumentiert werden, daß bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn Erkenntnis überhaupt möglich sein soll. Selbst wenn man entlang der Linien von Kant behauptet, daß Erkenntnissubjekte wie wir nur über Erfahrung verfügen können, wenn die sie umgebende Welt, ihre Erkenntnisobjekte, wesentlich auch aus materiellen Gegenständen in Raum und Zeit besteht, scheint es prima facie nicht möglich, auch die Wahrheit, die Erfülltheit dieser Bedingung aus der geforderten externen Perspektive zu erweisen. Es wird noch zu fragen sein, ob diese Unmöglichkeit wirklich strukturell ist, ob also bei transzendentalen Überlegungen ohne zusätzliche verifikationistische Annahmen die epistemische Kluft notwendigerweise bestehen bleibt. II.2 Zeitgenössische transzendentale Argumente "Denn er ist nicht der erste, wird auch nicht der letzte große Mann sein, der sich diese Freiheit anderer im Untersuchen gefallen lassen muß."101
Mit der Orientierung an Kant, so wurde eingangs gesagt, werde nicht nur ein philosophiegeschichtliches Interesse verfolgt, vielmehr könne diese in ihrer kritischen Funktion als Einführung auch in die aktuelle Problematik dienen. Wohin also hat die Darstellung der transzendentalen Argumentation Kants nun geführt?
neu zu ziehen, sowie auf die diesbezügliche Kritik der genannten Autoren werden wir noch gesondert eingehen. 101 Kant über Leibniz in "Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll", Werkausgabe Bd. V, BA 34.
69 Als problematisch haben sich ganz unterschiedliche Punkte erwiesen. So wurde die methodische Selbstbestimmung Kants als nicht zureichend ausgewiesen: fragwürdig waren beispielsweise die Verbindung der Begriffe der Transzendentalität und der Apriorizität, die Bestimmung des letzteren in methodischer, ontologischer und semantischer Hinsicht sowie die Bestimmung des hierfür zentralen Begriffs der Notwendigkeit. Ebenso muß meines Erachtens die konstitutionstheoretische Fundierung transzendentaler oder apriorischer Strukturen als kritisch gelten, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie die 'Doublette' von empirischem Realismus und transzendentalem Idealismus zum Resultat hat. Dennoch gibt es eine unbestreitbare Aktualität Kants, die sich nicht nur in der Vielzahl aktueller Publikationen zeigt, die sich mit dem Begriff transzendentalen Philosophierens auseinandersetzen.102 Die Bedeutung Kants erweist sich m.E. mehr noch darin, daß in aktuellen Kontroversen zusehends ein Typus von Argumenten verwendet wird, der - sei dies positiv oder kritisch intendiert - als transzendental bezeichnet wird.103 Nun kann aus dem gemeinsamen Bezug auf Kant aber weder eine Übereinstimmung hinsichtlich der zu kritisierenden Aspekte noch hinsichtlich inhaltlicher Obligationen in Bezug auf Struktur oder Methode transzendentaler Argumente geschlossen werden. In der Literatur finden sich nicht nur unterschiedliche, sondern teilweise nicht kompatible Beschreibungen: transzendentale Argumente seien ihrer Struktur nach als metatheoretisch, antiskeptisch, verifikationistisch, selbstreferentiell, präsuppositionstheoretisch etc. zu spezifizieren. Dennoch läßt sich die Debatte anhand von zwei wesentlichen Gesichtspunkten systematisieren. Im Folgenden soll das Feld zeitgenössischer Typen von transzendentalen Argumenten sowie deren Bezug auf Kant dadurch gegliedert werden, daß die methodische Struktur so102 Vgl. die Sammelbände (Bieri, 1979), (Schaper, 1984) und (1989), (Forum für Philosophie, 1988), (Förster, 1989), (Parrini, 1994); Sellars Auseinandersetzung mit Kant in (Sellars, 1974) oder auch (McDowell, 1998). Die deutsche und die aus der analytischen Tradition stammende Kant-Rezeption bildeten lange zwei relativ unabhängige Stränge, als stellvertretend für erstere kann man etwa den vom Forum für Philosophie, für letztere den von Bieri herausgegebenen Band betrachten. 103 Damit sind nicht nur im engeren Bereich die durch Strawsons Individuals ausgelöste Debatte oder philosophische Richtungen, die mit dem Versuch einer Letztbegründung explizit ein Erbe der Transzendentalphilosophie angetreten haben, gemeint. So kann auch die Argumentation Davidsons, vgl. etwa in (Davidson, 1984d), meines Erachtens zurecht als transzendental bezeichnet werden, unter anderem deshalb, weil hier faktische Bedingungsverhältnisse in ihrem Erkenntnis konstituierenden Aspekt und insofern als 'unhintergehbar' ausgezeichnet werden. Vgl. auch Kap. V zu Strawsons und VI zu McDowells Verwendung des Begriffs 'transzendental'.
70 wie die zentrale Aufgabe oder Funktion transzendentaler Argumente diskutiert werden. II.2.1 Methodische Struktur Versucht man die methodische Vorgehensweise Kants möglichst neutral zu beschreiben, können zwei zentrale Aspekte unterschieden werden: die aus Kants antimetaphysischen Überzeugungen resultierende Orientierung hin zu einer Theorie auf Bewußtseinsbasis, aus der transzendentale Setzungen erschlossen werden, sowie die Verwendung verschiedener logischer Charakteristika, mithilfe derer die Behauptung der Notwendigkeit oder ausnahmslosen Gültigkeit, und das heißt, die objektive Geltung transzendentaler Setzungen erwiesen werden soll. Diesem Spannungsfeld entsprechend kann die Erkenntniskritik Kants anhand von zwei Lehr- oder Lesarten verstanden werden, die zwar primär den Duktus, aber auch den Anspruch von Theorien beschreiben: Setzen oder bestätigen sie?104 Kant, wie wir gesehen haben, unterscheidet regressive und progressive Vorgehensweise: erstere verfährt bestätigend, weil aus der Rückfrage in die Möglichkeit von Erkenntnis, die synthetisch a priori ist, die begründende Theorie dazu erst erschlossen wird, die progressive wirkt setzend, weil die fragliche Erkenntnis aus vorausgesetzten Grundlagen vorwärts erschlossen wird. Eine vom Bewußtsein ausgehende Theorie verfährt progressiv, indem sie, wie etwa Hartmann fomuliert, einen fraglosen, nicht bloß zu denkenden Ausgangspunkt setzt.105 Regressiver Theorieaufbau setzt die Wirklichkeit synthetischer Urteile apriori (der ersten Prämisse) als Faktum voraus und versucht, deren Bedingungen analytisch aufzuklären, in progressivem Aufbau müßten derartige Urteile synthetisch entwickelt werden, wie Aschenberg in Anlehnung an Kant formuliert, "ohne Voraussetzung ihrer Wirklichkeit 'gänzlich in abstracto aus Begriffen abgeleitet werden'".106 Daß regressiver Theorieaufbau eine Faktizität einzelner Elemente oder Bestandteile voraussetzen muß, führt manche Autoren dazu, diese Methode als metatheoretisch zu verstehen oder transzendentale Geltung allein mit progressiver Vorgehensweise zu verbinden. Die methodische Differenz entspräche dann einer Differenz im Geltungsanspruch, weil nur die 104 Vgl. bsp. (Aschenberg, 1984), S. 57ff., sowie (Hartmann, 1984), S. 38-41. 105 Ebd. Bezüglich zeitgenössischer Rekonstruktion transzendentaler Geltung votiert Hartmann für eine Verbindung beider Elemente, allerdings im Rahmen einer regressiven Transzendentalphilosophie: "Will sie Beweis, so nur mit der Lizenz der - ontologisch gesehen - fiktiven Ausgangsposition des Beweises." A.a.O., S. 40. 106 A.a.O., S. 57f.
71 progressive Vorgehensweise ein Konstitutionsverhältnis derart zu entwikkeln vermag, das für jegliche Form von Erkenntnis gelten würde. So hält etwa Aschenberg fest, daß der Anspruch transzendentaler Argumentation, die objektive (ausnahmslose, konstitutive) Gültigkeit ihrer Konklusionen (der Möglichkeit synthetischer Erkenntnis apriori) auszuweisen, nur erfüllt werden könne, wenn die Berufung auf das 'Faktum' ihrer Existenz nicht in den Beweis ihrer Möglichkeit eingeht, und schließt daraus: "Während sich durch eine regressive Metatheorie lediglich die Bedingungen einer jeweils vorausgesetzten Objekttheorie erschließen lassen, sind durch eine progressive Transzendentalphilosophie die Bedingungen jeder möglichen Erfahrung und Objekttheorie zu deduzieren."107
Die Progressivität der Kritik resultiert aber, wie gezeigt wurde, aus der analytisch nicht überzeugenden, idealistischen Konstitutionsmethode. Für einen solchen Ansatz ergibt sich folglich die Frage, wie - progressive 'Deduktion aus Begriffen' gelingen kann, wenn die dem Idealismus verdankte Konstitutionsmethode, die beim Bewußtsein ansetzt, als inadäquat erachtet wird. Aschenberg zufolge muß diese durch ein implikatives Verfahren ersetzt werden. Dies könne konstruktiv oder reduktiv erfolgen: Reduktive Vorgehensweisen versuchen, die Elemente, über die jedes Begriffsschema verfügen muß, um überhaupt verständlich zu sein, aus unserem faktischen Schema abzuleiten. Dieses Element von Faktizität, das sie mit den regressiven Vorgehensweisen teilen, führt Aschenberg allerdings wiederum dazu, die Transzendentalität der Konklusionen zu bestreiten. Konstruktiv sind Verfahren, die ausgehend von einer als unbezweifelbar geltenden Prämisse deren Voraussetzungen und Konsequenzen aufweisen, mit deren Hilfe dann weitere etc. Ist das Folgerungspotential der ersten Prämisse erschöpft, wird dasselbe Verfahren auf weitere Prämissen angewendet, die dann allerdings eine andere Ebene von Gewißheit oder Notwendigkeit aufweisen. Die Progressivität eines solchen Verfahrens ist nach Aschenberg eine strukturelle und liege darin, daß von Ebene zu Ebene größere Konkretion sowie Komplexität erreicht werden kann, die Methode ist analytisch-implikativ. Mittelstraß dagegen sieht in Kants Unterscheidung analytisch-regressiver und synthetisch-progressiver Methode ein Indiz dafür, daß dieser zwischen einem metatheoretischen und einem erkenntnistheoretischen Aspekt transzendentaler Theorie unterscheide:
107 In seiner Auseinandersetzung mit (Harrison, 1974) in (Aschenberg, 1984), S. 58; vgl. auch (Aschenberg, 1982).
72 "Während die 'analytisch-regressive' Methode die tatsächliche Geltung einer Theorie [...] unterstellt und ihren Aufbau rekonstruiert, sucht die 'synthetischprogressive' Methode ohne eine derartige Unterstellung, damit auch ohne explizite Orientierung an einem bereits geleisteten theoretischen Aufbau, auszukommen - ihre Rekonstruktionsleistung wird 'allgemein', d.h. adäquat für alle dann in der Rolle von Beispielen auftretenden Theoriebildungen, unterstellt."108
Die Differenz zwischen transzendentaler und metatheoretischer Perspektive reduziert sich für ihn auf eine 'Differenz methodologischer Perspektiven': "Wenn [...] 'transzendental' im Rahmen der Terminologie Kants die Reflexion der Vernunft auf ihre eigenen Elemente bezeichnet, dann erfolgt diese Reflexion im Rahmen einer synthetisch-progressiven Methode allgemein auf 'Begriffe und Grundsätze a priori', im Rahmen einer analytisch-regressiven Methode speziell auf 'Begriffe und Grundsätze a priori' einer gegebenen Theorie."109
Dabei mag die Unterscheidung der Methoden mithilfe des jeweiligen Anspruchs auf Allgemeinheit überraschen, dennoch bleibt festzuhalten, daß in dieser Lesart beiden Herangehensweisen transzendentale Geltung zugesprochen werden kann, was m.E. eher der Intention Kants entspricht. Problematisch wird erst die im weiteren vorgeschlagene Transformation transzendentaler in pragmatische Beziehungen. Mittelstraß betont, daß es nicht um Erkenntnistheorie, sondern um die Transformation transzendentaler Analysen im Rahmen 'pragmatischer Rekonstruktionen' gehen müsse, da das 'Faktum der Existenz eines begrifflichen Wissens stets auf ein nichtbegriffliches Apriori bezogen bleibt'.110 Die Begründung oder Rechtfertigung des Faktums unseres Wissens wird deshalb zu einer Fundierung, da die die Geltung betreffenden, konstitutiven Elemente, die Bedingungen der Möglichkeit, durch ein, um seine vor-theoretischen und nicht-begrifflichen Elemente erweitertes Apriori erklärt werden.111 Mit dieser Argumentation sucht Mittelstraß den Weg für eine pragmatische, an lebensweltlichen Bedingungen orientierte Rekonstruktion transzendentaler oder apriorischer Geltung zu ebnen.112 Andere Autoren halten dagegen an der Aufgabe einer 108 (Mittelstraß, 1984), S. 163. 109 Ebd., S. 164. 110 Vgl. a.a.O., S. 181. 111 Vgl. z.B.: "Allgemein scheint die Konzeption des Transzendentalen bei Kant Begründungsschritte auf Fundierungsschritte [...] zurückzuführen." A.a.O., S. 165. 112 Die methodische Orientierung an pragmatischer Rekonstruktion begründet auch seinen Vorzug der analytisch-regressiven Methode, deren metatheoretischen Schwer-
73 Rechtfertigung der Erkenntnis fest, die nicht die pragmatische, sondern die epistemische Rechtmäßigkeit der Erkenntnisse a priori auszuweisen vermag, was einem Vorrang der synthetisch-progressiven Methode entspricht. "Ich meine, man könnte argumentieren, daß die analytische Prüfung oder die pragmatische Rekonstruktion einer Theorie oder eines Erkenntnisbereiches solange von nur begrenztem Interesse ist, bis der Anspruch dieses Bereichs oder dieser Theorie darauf, Erkenntnis zu sein, gerechtfertigt ist; und daß dies letztere [...] nur durch eine Anwendung der synthetischen Methode gelingt - nur durch die Argumentation, daß überhaupt keine Erkenntnis oder Erfahrung möglich wäre, wenn die Dinge nicht soundso wären."113
Auch die Rechtfertigung anderer, verschiedentlich vorgeschlagener logischer oder methodischer Charakteristika transzendentaler Argumentation knüpft meist an den mit der transzendentalen Deduktion verbundenen Problemen an. So argumentiert etwa Bubner, daß nach der Ersetzung der Deduktion durch transzendentale Argumente deren Besonderheit nur noch in ihrer Strategie zu verorten sei, die er durch die Aspekte der Selbstbezüglichkeit oder des Aufweises der Alternativenlosigkeit gekennzeichnet sieht.114 Auch Förster versteht moderne Varianten transzendentaler Argumente nicht mehr als Deduktionen, sondern als Inkohärenzbeweise, weil sie nicht direkt, oder 'vom Begriff des Subjekts ausgehend', sein können. Der Aufweis der Inkohärenz erfolge zwar im Rahmen einer reductio ad absurdum, aber nicht als Reduktion im streng logischen Sinn, da die Negation der fragwürdigen Proposition, also die transzendentale Konklusion keine Tautologie ergebe. Zwingend, so Förster, werden transzendentale Argumente durch die Referenz auf die Möglichkeit von Erfahrung, Erkenntnis etc., indem gezeigt wird, daß diese nicht im Rahmen einer vom Kontrahenten vorgeschlagenen Alternative vorstellbar ist. "Such argument proposes to establish a non-analytical, non-empirical conclusion, thus warranting the label 'transcendental'. It does so by considering an alternative, and by demonstrating the internal incoherence of the alternative. It does so, more precisely, by showing that, in order to make itself intelligible, the alternative must borrow materials which it purports to rule out qua alternative."115 punkt er betont, da Rekonstruktionen immer Rekonstruktionen gegebenen Wissens seien, und damit, so Mittelstraß, in erster Linie orientiert an dessen 'theoretischer' Form. Vgl. a.a.O., S. 181. 113 (Walker, 1984), S. 203, ähnlich auch (Rosenberg, 1984), S. 196. 114 (Bubner, 1984). 115 (Förster, 1989a), S. 14.
74 Eingangs wurde gesagt, daß aus dem gemeinsamen Bezug auf Kant weder eine Übereinstimmung hinsichtlich der problematischen Gesichtspunkte noch betreffs inhaltlicher Obligationen bezüglich der Methode transzendentaler Argumente resultiere. Dies hat sich bestätigt: In der Literatur können zwei Lesarten transzendentaler Argumente unterschieden werden, die vor allem hinsichtlich des Geltungsanspruchs divergieren. Die stärkste und mithin voraussetzungsreichste Fassung ist die etwa von Aschenberg vorgeschlagene: nur die progressive Vorgehensweise, also eine Deduktion aus Begriffen, könne die Bedingungen jeder möglichen Erkenntnis begründen, die Methode wird als analytisch-implikativ bestimmt.116 Ich halte mit den meisten der diskutierten Autoren den ehrgeizigen Ansatz an einem unhintergehbaren Prinzip, mit dessen Hilfe die Bedingungen der Erfahrung jeglicher möglichen Erfahrung ausgewiesen werden könnten, für zu voraussetzungsreich. Der Dissens zwischen den konkurrierenden Lesarten betrifft besonders das Verhältnis von Deduktion und Transzendentalität: Sind Rekonstruktionen, die die bewußtseinstheoretische Konstitutivität, die progressive Theoriestruktur, durch regressive Elemente ersetzen, noch transzendental zu nennen? Regressive Vorgehensweisen suchen den Begriff der Bedingung der Möglichkeit nicht in Bezug auf jegliches Erkennen zu bestimmen, sondern im Hinblick auf unser faktisches Erkennen, unser faktisches Begriffsystem. Aber können solche bescheideneren Versuche, die konstitutive Apriorizität durch faktische Bedingungsverhältnisse zu erklären, also z.B. mithilfe lebensweltlicher Formen von Apriorizität oder im Rahmen theorielogischer Argumentation, den Geltungsanspruch transzendentaler Philosophie aufrechterhalten? Oder anders formuliert: Welche Geltung kann mit Versuchen verbunden werden, die den idealistischen Aspekt des Konstitutionsverhältnisses zwischen Erkenntnis und Welt durch die Betonung faktischer Beziehungen zu entschärfen suchen, die also die konstitutive Beziehung zwischen Geist und Welt nicht (nur) ausgehend vom Geist, sondern von der Welt rekonstruieren? Inkohärenzbeweise etwa versuchen transzendentale Geltung beispielsweise durch den Aufweis der Alternativlosigkeit zu gewährleisten, wobei hinsichtlich der Frage, welcher Status den Prämissen eines in der Form einer Reductio verfahrenden Inkohärenzbeweises zukommen muß, keine Einigkeit besteht. Bevor die Frage nach der Theoriestruktur oder den methodischen Vorgehensweisen trans116 Aschenberg unterscheidet Theoriestruktur und Methode: erstere hänge vom Status des Ausgangspunktes der Begründung ab - regressiv oder progressiv -, letzteres von der Art und Weise der Begründung - synthetisch oder analytisch-implikativ. Vgl. (Aschenberg, 1982), S. 259ff.
75 zendentaler Argumente in Kapitel IV abschließend diskutiert werden kann, wollen wir jedoch wie angekündigt zunächst kurz auf deren Aufgabe eingehen. Welche Funktion erfüllen transzendentale Argumente? Es hat sich bereits angedeutet, daß bei vielen der zeitgenössischen Ansätze der Begriff der Apriorizität durch den Begriff der Notwendigkeit ersetzt wird, und eine der umstrittensten Fragen bezieht sich auf das Verhältnis von Notwendigkeit und Faktizität. Notwendigkeit, so die in der Nachfolge von Kant lange akzeptierte Vorstellung, impliziert Merkmale wie Unabhängigkeit von Erfahrung, ausnahmslose Gültigkeit, Gewißheit oder die Unmöglichkeit der Falsifikation. In der Folge von Quines revolutionärer Kritik an der Trennung empirischer und begrifflicher Fragen wurden diese Vorstellungen aber entweder gänzlich aufgegeben oder entscheidenden Revisionen unterworfen. Für unsere Darstellung ergibt sich folglich das Problem, die Ausführungen bezüglich der Funktion transzendentaler Argumente von ihrer Begründung zu lösen: Die Begründungen bezüglich der jeweils bevorzugten Theoriestruktur reagieren meist implizit wie explizit auf diese Kritik, die aufgrund ihres richtungsweisenden wie voraussetzungsreichen Charakters im nachfolgenden Kapitel gesondert vorgestellt werden soll. Unsere Ausführungen sind an dieser Stelle daher notwendig vorläufig, erst im Anchluß an die Diskussion Quines können Struktur und Aufgabe transzendentaler Argumente abschließend diskutiert werden. II.2.2 Aufgabe und Funktion Allgemeine Übereinstimmung scheint es in Bezug darauf zu geben, daß eine der wesentlichen Aufgaben transzendentalen Philosophierens darin besteht, eine Antwort auf den Skeptizismus zu entwickeln, sei er lokaler oder genereller Natur.117 Gegen einen Vorschlag von Williams, die generelle Struktur transzendentaler Argumente als Inkohärenznachweis zu verstehen, macht Bird die hilfreiche Unterscheidung zwischen impliziten und expliziten anti-skeptischen oder transzendentalen Strategien.118 Erstere haben zwar eine größere Reichweite und legen nahe, daß sie generell auf skeptische Positionen angewandt werden können, andererseits liege darin auch 117 Dies wird auch als definierendes Merkmal oder hinreichendes Kriterium verwendet, transzendentale Argumente bsp. von bloß metatheoretischen Ansätzen abzugrenzen. 118 (Williams, 1984), S. 251, dagegen (Bird, 1989), S. 26f.
76 eine Quelle ihrer Probleme, denn sie müssten zeigen können, daß der Skeptiker tatsächlich auf die von ihm angeblich implizit in Anspruch genommene und als Prämisse für das transzendentale Argument verwendete Behauptung festgelegt ist. Expliziter Anti-Skeptizismus hingegen antworte dem sog. lokalen Skeptizismus, implizite Strategien werden dementsprechend oft als Reaktion auf den globalen Skeptizismus verstanden. Strawson in Individuals verfahre implizit, Kant - in der sog. Widerlegung des Idealismus wie auch in der zweiten Analogie - explizit. Nicht nur seien transzendentale Argumente, so Bird, ihrer Form nach wenig geheimnisvoll: "[...] their relevance to scepticism is straightforward in their ascribing explicit assumptions to a sceptic when those assumptions, according to Kant, do not cohere with the sceptics own conclusions. Not only is Kant not attempting, in those arguments, to refute scepticism in general; he is also not adopting the strategy of claiming an incoherence between the sceptic's conclusions and some presupposition implicit in them."119
Gilt dies auch für die im Allgemeinen als paradigmatisch geltende Form anti-skeptischer transzendentaler Argumentation in der Deduktion? Tendenziell ja, denn, so Bird, die einzig klar und eindeutig zu identifizierende Argumentationslinie Kants in der Deduktion behandele die apriorische Gültigkeit bestimmter Kategorien oder Konzepte. Dies sei aber für einen Skeptiker, allemal der generellen Variante, keine besonders lohnenswerte Auseinandersetzung. Eine andere, generelle und systematisch grundlegendere Frage aber, so Bird gegen die im letzten Abschnitt genannte Interpretation, sei in der notorisch schwierigen und kontroversen Deduktion nicht zu bestimmen. Wenn man die Argumentation der Deduktion als antiskeptische verstehen will, dann gegen einen lokalen Skeptiker, der durch den Aufweis apriorischer Konzepte mit objektiver Gültigkeit widerlegt werde, und gegen etwa Stroud bestreitet Bird folglich, daß dies aufgrund einer zwischen unseren Begriffen und der tatsächlichen Welt möglicherweise existierenden Kluft nicht gelungen sei. Dabei verwendet er eine Argumentationslinie, die wir gleich bei Harrison und Walker genauer kennenlernen werden. Wenn, so sein Einwand, unsere Art des Denkens wirklich notwendig ist, mache es auch keinen Sinn mehr, von einer möglichen Kluft zwischen unseren Kategorien oder Begriffen und der Welt auszugehen, d.h. an ihrer objektiven Gültigkeit zu zweifeln, da, anders als bei Hume, für Kant die Notwendigkeit keine bloß natürliche oder gar biologische sei, sondern eine erkenntnistheoretische. 119 (Bird, 1989), S. 35.
77 Harrison nimmt die anti-skeptische Funktion transzendentaler Argumente gar in deren Definition auf. Er nennt drei Bedingungen, denen diese genügen müssen: "[They] share a particular purpose, subject matter, and form with Kant's. The purpose is the refutation of scepticism, the subject matter is cognitive or conceptual (understanding, language, knowledge ...), and the form is that of a regress back up a series of necessary conditions (A only if B, B only if C, C only if D ...). So a typical transcendental argument attempts to refute a sceptical position by showing that the denial of its claim is a necessary condition of (a necessary condition of a necessary condition of ...) having thought or language of that subject matter at all."120
Die geforderte, erkenntnistheoretische Notwendigkeit ergäbe sich daraus, daß die Negation der Prämissen den jeweiligen Gegenstand der transzendentalen Argumentation unmöglich machen würde, oder anders formuliert: transzendentale Argumente würden die Alternativlosigkeit einer bestimmten Konzeption von beispielsweise Erkenntnis nicht dadurch aufweisen, daß alle Möglichkeiten abweichender Formen von Erkenntnis ausgeschlossen würden, sondern durch den Aufweis der generell für Erkenntnis notwendigen Voraussetzungen, die der Skeptiker bestreitet. Dies kann erst später deutlicher werden. Auch Walker teilt diesen mit transzendentalen Argumenten verknüpften Anspruch, den Skeptiker insofern zu widerlegen, als er einer Inkohärenz überführt wird, indem gezeigt wird, daß er gezwungen ist, bestrittene Prämissen zu akzeptieren, um überhaupt sinnvoll denken oder argumentieren zu können. Er bestreitet aber, daß dies ausreiche: wichtig sei nicht nur, bestimmte Prämissen als notwendig zu erweisen, sondern zu zeigen, daß solche - von beiden Opponenten vorauszusetzenden – Prämissen auch gerechtfertigt sind.121 Dabei genüge es nicht, auf (Alltags-) Überzeugungen zu verweisen, die unseren Ansprüchen an Wissen genügen, ohne in vollem Umfang gerechtfertigt zu sein: "What concerns him [the sceptic] is that those standards are not high enough, for they can be met in cases where he thinks the beliefs in question are strictly unwarranted."122
Um also eine auch für den Skeptiker überzeugende Form transzendentalen Argumentierens zu finden, muß das Argument mit einer nicht bezweifelten 120 (Harrison, 1989), S. 43. 121 (Walker, 1989a), S. 55-65. 122 A.a.O., S. 57.
78 sowie nicht bezweifelbaren Prämisse beginnen. Geeignete Kandidaten sind Prämissen wie die, daß es zumindest einige Fälle von Erfahrung oder Wissen gibt, denn dies zu bestreiten würde jede weitere Argumentation unmöglich machen, was auch für einen Skeptiker keine besonders attraktive Position darstellen kann. Die zweite Prämisse, so Walker, muß dann in Form eines Konditionals formuliert werden: ein Konditional, das etwa besagt, daß, wenn die erste Prämisse wahr ist, auch die Konklusion wahr sein muß, weil erstere letztere voraussetzt oder impliziert, die Wahrheit der Konklusion muß als notwendige Bedingung für die Wahrheit der Prämisse ausgewiesen werden. Bei der Beantwortung der Frage, welcher Art dieses Konditional sein muß, ergeben sich nun die eben erwähnten Schwierigkeiten: Empirische Konditionale oder nicht-analytische Notwendigkeiten werden vom Skeptiker im Allgemeinen als nicht überzeugend zurückgewiesen, und die Akzeptanz analytischer Konditionale verlangt eine Klärung des Begriffs der logischen oder begrifflichen Wahrheit, da der Skeptiker zumindest die Gesetze der Logik bzw. die Regeln schlußfolgernder Argumentation einhalten muß. Muß die zweite Prämisse analytisch sein? Oder anders gefagt: Gibt es andere Formen von Konditionalen, die den Vorteil analytischer Konditionale erfüllen, daß sie als wahr und gerechtfertigt akzeptiert werden müssen, wenn klar wird, was sie beinhalten? Walker lehnt das zwar nicht prinzipiell ab, sieht aber keine geeigneten Kandidaten, weil es Skeptizismus wohl gegenüber allem möglichen geben kann, und nur im Fall logischer Propositionen könne ohne ein weiteres (transzendentales) Argument gezeigt werden, daß, wer sie nicht als wahr und gerechtfertigt akzeptiert, auch nicht argumentieren kann.123 Walker versucht, den vermeintlichen Gegensatz mittels metatheoretischer Überlegungen zu entschärfen. So fragt er, ob dies denn überhaupt eine unbefriedigende Situation sei: Könne nicht auch im Rahmen einer anti-skeptischen Argumentation zugestanden werden, daß zwar wir - im Denken oder Argumentieren - bestimmte Sachverhalte akzeptieren oder voraussetzen müssen, diese aber dennoch in der Welt möglicherweise nicht erfüllt sind? "Transcendental arguments are designed to convince the sceptic. But convincing somebody is a different thing from establishing a conclusion in the abstract. The arguments work by treating the sceptic as a person, a participant in the debate: as such there are certain things he is committed to accepting (the reality of experience, the legitimacy of the principles on which argument depends). But then it seems that in a way he is caught by a trick; the argument plays on his 123 Vgl. a.a.O., S. 63ff.
79 weakness, his willingness to play our game, and establishes not that its conclusion is warranted but that he cannot deny it to be."124
Ist eine solche Argumentationslinie, die den philosophischen Skeptizismus von persönlichem Zweifel trennt, haltbar? Dies würde voraussetzen, daß es sinnvoll ist, die Perspektive des Beobachters von der des Partizipanten zu lösen, und ersterem einen quasi neutralen, objektiven Standpunkt zuzuschreiben. "[...] most sceptics are not real people at all, but creations of the philosophical imagination. They are created to play a dramatic role as the proponents of doubt."125
Aber auch philosophische Argumentation, so Walker, könne nicht 'from sideways on', von einem neutralen Standpunkt außerhalb der (für uns und damit für jeden und alle) geltenden Denk- oder Argumentationsregeln operieren. Der imaginierte generelle Zweifel sei nicht nur keine Haltung, die ein teilnehmender Mensch einnehmen kann, sondern inkohärent darin, daß er die Möglichkeit einer externen Perspektive voraussetzt: Aber der 'philosophische Lehnstuhl' in Descartes Studierzimmer, von dem aus die Hypothese des 'täuschenden Dämons' erwogen werden könnte, existiert nicht. II.2.3 Zusammenfassung und Ausblick Die letzten Überlegungen greifen bereits vor: Sie deuten eine Strategie an, die erst dann verlockend erscheinen kann, wenn man akzeptiert, daß die Forderung einer im strengen Sinn verstandenen Notwendigkeit transzendentaler Prämissen nicht aufrechterhalten werden kann. Wie hat sich der Begriff der Notwendigkeit inzwischen entwickelt? In unseren Ausführungen zu Kant hat sich gezeigt, daß auch dieser die methodische Funktion der Skepsis darin sieht, die Legitimationsbedürftigkeit der Erkenntnis aufzuweisen. Die Legitimation unserer Wissensansprüche erfolgte im Rahmen einer Deduktion, die Rechtfertigungsfragen als erkenntniskritische oder philosophische Fragen, die auf die Bedingungen der Möglichkeit zielen, von faktischen oder empirischen Fragen trennt. Vernunft, so die Vorstellung Kants, folgt eigenen Gesetzen, und die geforderte 'Selbst-Kritik der Vernunft' wurde folglich verstanden als Kritik des Vernunftvermögens überhaupt, d.h. unabhängig von aller Erfahrung. Will man der Erkenntnis 124 A.a.O., S. 65. 125 A.a.O., S. 66.
80 eine in diesem Sinne 'sichere Grundlage' geben, und demgemäß Erkenntnis überhaupt als Wissen auszeichnen, muß, so Kants Vorstellung, unser Erkenntnisvermögen ausgehend von diesen Gesetzen erklärt sowie deren 'objektive Gültigkeit', ihre Bezogenheit auf faktische Erfahrungen ausgewiesen werden. Um die Inkohärenz der skeptischen Herausforderung zu erweisen, mußte also gezeigt werden, daß die erhobene Begründungs- oder Rechtfertigungsforderung erst verständlich ist auf der Grundlage vorgängiger, notwendiger begrifflicher Strukturen. Kant hatte die Bestimmung von Notwendigkeit oder apriorischer Geltung mithilfe von drei Unterscheidungen zu präzisieren versucht. Das erste war eine epistemische Unterscheidung: Erkenntnis oder Wissen zerfalle in die zwei Kategorien des Apriorischen und des Aposteriorischen, apriorisches Wissen, so Kant, sei unabhängig von jeglicher Erfahrung und wird unabhängig von jeglicher Erfahrung gerechtfertigt. Diese Erfahrungsunabhängigkeit konnte aber weder durch einen Ausschluß von Erfahrungsquellen noch durch die weitere Bestimmung als Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit, als Immunität gegenüber empirischer Revision oder als Gewißheit zwingend festgelegt werden. Eine weitere Bestimmung erfolgte mittels der zweiten, metaphysischen Unterscheidung von notwendigen und kontingenten Propositionen, wobei, und dies war die dritte, semantische Unterscheidung, als Paradigma von notwendigen Propositionen analytische Sätze gelten sollten, in denen 'das Prädikat im Subjektbegriff enthalten' ist. Dabei hatte sich gezeigt, daß die vorausgesetzte Redeweise der Erfahrungsunabhängigkeit selbst beim paradigmatischen Fall notwendiger, analytischer Wahrheiten im Bereich der Logik oder Mathematik nicht eindeutig explizierbar war: Was genau kann es heißen, daß bestimmte Sätze erfahrungsunabhängig sind? Selbst wenn man also zugestehen würde, daß die Vorstellung einer notwendigen oder apriorischen Geltung bestimmter Annahmen im Rahmen analytischer Wahrheit rekonstruiert werden kann, setzt dies voraus, daß die prinzipielle Trennung von erfahrungsabhängigen, empirischen und erfahrungsunabhängigen, begrifflichen Fragen gerechtfertigt werden kann. Für transzendentale Herangehenswiesen bleibt folglich nur das Kriterium der Immunität gegenüber empirischer Revision oder der prinzipiellen Unrevidierbarkeit. In zeitgenössischen Ansätzen wird dieser Punkt meist akzeptiert, aber auch wenn die transzendentale Geltungsbehauptung sich nicht mehr auf eine semantisch ausgezeichnete Klasse von Meinungen bezieht sobald der als metaphysisch zu bezeichnende Unterschied zwischen faktischer und apriorischer Geltung verschwindet, so sollen doch bestimmte Überzeugungen epistemologisch als unverzichtbar ausgewiesen werden. Sollte sich allerdings zeigen lassen, daß es keinen prinzipiellen, sondern nur einen gra-
81 duellen Unterschied macht, welche Sätze bei widerstreitender Erfahrung verworfen werden, mehr noch, daß grundsätzlich alle Sätze revidierbar sind, scheinen transzendentale Argumente insgesamt auf unsicherem Grund zu stehen. Im Folgenden wollen wir uns demnach die in der Beschreibung des Skeptizismus skizzierte, zweite Lösungsstrategie anschauen, deren kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Grundprämissen transzendentaler Argumentation zu entscheidenden Revisionen beitragen wird. Der Ansatzpunkt war, die Forderung des Skeptikers, seine Zweifel müßten mit dem Aufweis eines 'archimedischen Punktes', mithilfe eines als unbezweifelbar wahren erkenntnistheoretischen Fundaments beantwortet werden, zurückzuweisen, und wir hatten gesagt, daß dies mit einer naturalistischen Neubewertung philosophischer Vorgehensweise einherging. Ausgehend vom Empirismus besonders des Wiener Kreises, der die Vorstellung, ein erkenntnistheoretisches Fundament könne in bestimmten apriorischen, unsere Erkenntnis strukturierenden Formen gesucht werden, zugunsten einer Betonung empirischer, sinnlicher Erkenntnis ablehnt, wird in Anlehnung an die Arbeiten Quines dann auch die Metapher des Fundamentes einer ersten Kritik unterzogen. Dabei wird sich zeigen, daß der Gegensatz weniger zwischen der Transzendentalphilosophie und dem Empirismus besteht, die Kritik des Naturalismus betrifft beide fundamentalistischen Positionen gleichermaßen. Insofern wird sich im Anschluß die Frage stellen, welchen systematischen Beitrag im Hinblick auf eine realistische Auffassung der Wirklichkeit naturalistische Positionen leisten, und insbesondere, ob der skeptischen Herausforderung im Rahmen einer naturalisierten Erkenntnistheorie begegnet werden kann, die beide der traditionellen epistemologischen Grundpfeiler, das Streben nach Gewißheit wie die daraus resultierende Suche nach einem Fundament unserer Erkenntnis, zurückweist. Damit wird sich dann auch unsere Eingangsfrage, ob mithilfe begrifflicher Analyse und Unterscheidung eine Trennung zwischen philosophischer und empirischer, begrifflicher und faktischer Sphäre vorgenommen werden kann, neu stellen lassen. Im Folgenden wollen wir uns also dem prominentestem Fürsprecher einer Naturalisierung der Philosophie zuwenden. "Bei der Anarchie, welche unter dem philosophierenden Volke unvermeidlicher Weise herrscht, weil es bloß ein unsichtbares Ding, die Vernunft, für seinen alleinigen Oberherrn erkennt, ist es immer eine Nothülfe gewesen, den unruhigen Haufen um einen großen Mann, als den Vereinigungspunkt, zu versammlen."126 126 Kant "Über eine Entdeckung", a.a.O., BA 118.
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III. Naturalistische Erklärungen "The important figures in the history of philosophy have almost always had both a strong negative and a strong positive agendum: They have seen, and made clear to all, what was wrong with ideas importantly current at the time, and they have proposed brilliant and intriguing alternatives. On both scores Quine makes the permanent list."127
III.1 Quines Naturalisierung der Philosophie Quines Schlagwort der 'Naturalisierung der Erkenntnistheorie' richtet sich zwar generell gegen ein Konzept von Philosophie, das, wie die traditionelle Erkenntnistheorie, von der Möglichkeit eines genuin philosophischen Vorgehens und insbesondere von der fundierenden Bedeutung der Epistemologie auch für die anderen Wissenschaften ausgeht, sein direkter Adressat oder Gegner aber war, wie schon der Titel eines seiner berühmtesten Aufsätze "Two Dogmas of Empiricism" verrät, der logische Empirismus. Mit dem Begriff des Empirismus soll jene Richtung der Philosophie bezeichnet werden, die die sinnliche Erfahrung als Grundlage allen Wissens sieht, und die nur jenen Aussagen einen Sinn oder eine Bedeutung beimißt, die verifiziert werden können, also entweder durch direkte Nachprüfung an sinnlich Gegebenem als wahr oder falsch erwiesen oder anhand logischer Folgerungen auf solche überprüfbaren Aussagen zurückgeführt werden können.128 Mithilfe dieses Prinzips oder Sinnkriteriums können dann drei Gruppen von Aussagen unterschieden werden: logische Aussagen, die sinnvoll und widerspruchsfrei sind, aber nichts über die Welt aussagen, und empirische Aussagen, die entweder Aussagen über die wirkliche Welt machen und dann im Rahmen der Wissenschaften zu verifizieren sind, oder solche, die nur beanspruchen, Aussagen über die wirkliche Welt zu sein, die aber nicht verifizierbar und damit sinnlos sind. Betrachten wir nun die Klasse der empirischen Aussagen, so können deren Teilklassen auch 127 Davidson in "Pursuit of the Concept of Truth", (1995), S. 7. 128 Das Verifikationsprinzip als zentrales empiristisches Sinnkriterium wurde vielfach revidiert. In späteren Arbeiten bestimmt Carnap Verifikation als Prüfbarkeit oder Bestätigungsfähigkeit und weist die Forderung nach vollständiger Verifikation zurück, da diese Forderung Sprachen ausschließen würde, die generelle All- und Existenzbehauptungen enthalten. Vgl. bsp. (Carnap, 1936, Carnap, 1937) sowie (Carnap, 1956b). Für unsere Zwecke ist die relativ weite Bestimmung des Prinzips als Forderung nach der Bestätigungsfähigkeit aller synthetischen Aussagen hinreichend.
84 auf eine andere Weise unterschieden werden. Einerseits kann mit einem Satz wie "Es gibt Tische und Stühle" eine empirische Aussage über die Existenz zweier Klassen von raumzeitlichen Gegenständen gemacht werden, diese Existenzbehauptung würde dann mithilfe von Beobachtung und empirischen Untersuchungen verifiziert werden. Andererseits kann diese Aussage auch als Behauptung über die Existenz der Klasse der raumzeitlichen Gegenstände insgesamt, also die Realität der Dingwelt, verstanden werden. Auf der Basis dieses Unterschieds führte Carnap im Rahmen des Problems abstrakter Entitäten die Unterscheidung von internen und externen Fragen ein: Will man über eine neue Art von Entitäten sprechen, muß man für diese ein neues Sprachsystem mit expliziten Regeln konstruieren. Mit Bezug auf dieses neue System kann man nun zwei Arten von Existenzfragen unterscheiden: interne, die die Existenz von bestimmten einzelnen (Klassen von) Entitäten betreffen, und externe, die die Existenz des Gesamtsystems von Entitäten betreffen.129 Ist der Unterschied nur einer der Allgemeinheit? Externe Fragen, die Existenz ganzer Systeme von Entitäten oder die grundlegenden Strukturen unserer Ontologie betreffend, sind nach Carnaps Auffassung philosophische Fragen, die nicht als theoretische, sondern nur als praktische Fragen bezüglich der Struktur unserer Sprache zu verstehen sind: Akzeptiert man eine bestimmte Sprachform, wie etwa das Sprachsystem für raumzeitlich geordnete Gegenstände und Ereignisse, hat man auch die Existenz dieser Klasse von Gegenständen akzeptiert, und es lassen sich sinnvoll nur noch interne Fragen stellen. Externe Fragen sind also nicht einfach nur allgemeiner, sondern sind keine ontologischen oder Tatsachenfragen mehr, sie verweisen darauf, daß Existenzfragen auch den Charakter einer Wahl haben.130 Versteht man philosophische Existenzfragen nicht in ihrem externen Charakter, sondern mißversteht sie als Tatsachenfragen, werden sie sinnlos: die Wahl eines Sprachsystems läßt sich, so die These, nicht im Abgleich mit unseren Sinneserfahrungen verifizieren oder rechtfertigen.
129 Vgl. (Carnap, 1956a), S. 206f., passim. 130 So besagt Carnaps "Prinzip der Toleranz", daß die Wahl einer Sprache eine Frage der Leistungsfähigkeit, nicht der Ontologie ist. Vgl. bsp. (1956a), wo er gegen die Beschränkung auf eine nominalistische Sprache, die die Referenz auf abstrakte Entitäten vermeidet, und für eine pragmatische oder funktionale Einstellung argumentiert, da die Einführung neuer Entitäten keine ontologische Frage sei, sondern die Einführung neuer Sprechweisen oder Rahmensprachen darstelle. Und er endet mit der Aufforderung: "Let us be cautious in making assertions and critical in examining them, but tolerant in permitting [new] linguistic forms." S. 221.
85 Diese beiden Grundannahmen des Empirismus, seine Ausrichtung an sinnlicher Erfahrung als Fundament unseres Wissens und der analytische Ansatz, ontologische oder metaphysische Fragen als Fragen bezüglich eines Sprachsystems oder Begriffsschemas zu rekonstruieren, führten bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu einer erneuten Wendung auch im Streit um Realismus oder Antirealismus: Während in der traditionellen Philosophie die Vorstellung vorgeherrscht hat, die Rechtfertigungsfrage, vor allem in ihrem Gewand als skeptische Herausforderung, könne und müsse von einer genuin philosophischen und d.h. nicht empirischen Basis aus beantwortet werden, hat sich der Streitpunkt von der Metaphysik oder Erkenntnistheorie in einzelne, eher empirisch zu nennende Disziplinen verlagert. Diese Entwicklung kann in der Folge im Besonderen mit dem Namen Quines verbunden werden. Dessen Konzept einer Naturalisierung philosophischer Fragen fordert, sie mit den in den Wissenschaften entwikkelten Standards und Methoden zu beantworten. Die Frage nach der Rechtfertigung des Realismus wird dann entweder zu einer 'metaphysischen Scheinfrage' oder wird als zur naturalisierten Erkenntnistheorie gehörig verstanden. Für unsere weiteren Überlegungen sind folglich insbesondere die Arbeiten Quines wichtig, wobei ich den einflußreichen Aufsatz "Two Dogmas of Empiricism" als paradigmatisch ansehen möchte.131 Quine setzt sich besonders hier kritisch mit den beiden Doktrinen des Empirismus auseinander, die in vergleichbarer Form auch für die traditionelle, fundamentalistische Erkenntnistheorie grundlegend waren, und deren Zurückweisung zu der beschriebenen Konsequenz einer vollständigen Neubewertung philosophischen Argumentierens führen soll. Naturalisierungsbestrebungen, so wurde gesagt, gab es bereits im Logischen Empirismus, die entscheidende Neuerung ergibt sich aber insofern erst mit "Two Dogmas", als hier die Trennung apriorischer oder rein begrifflicher und empirischer Fragen verworfen wird, die sich, so Quines Kritik, noch in Carnaps Differenzierung interner und externer Fragen wiederfindet. Die Unterscheidung werde von Carnap zwar nicht mehr mittels der Trennung von verschiedenen Quellen des Wissens als eine erkenntnistheoretische, sondern als eine linguistische verstanden. Durch die für analytische und synthetische Sätze verschiedenen Verifikationsmethoden hätte sie aber gleichwohl epistemologisches Gewicht. Betont man, wie der Empirismus des Wiener Kreises, mit dem Kriterium der Verifikation die Trennung von Tatsachen- und begrifflichen Fragen, würde dies als methodische Ressour131 (Quine, 1961b), i.F. auch "Two Dogmas".
86 ce reichen, um die traditionelle Vorstellung einer notwendigen oder apriorischen Geltung bestimmter Annahmen im Rahmen analytischer, rein begrifflicher Wahrheit zu rekonstruieren. Für eine solche Herangehensweise ist das Kriterium der prinzipiellen Unrevidierbarkeit, der Unmöglichkeit empirischer Widerlegung, zentral, mit dessen Hilfe apriorisches Wissen bestimmt werden kann. Quine wird dagegen argumentieren, daß es keinen prinzipiellen, sondern nur einen graduellen Unterschied macht, welche Sätze bei widerstreitender Erfahrung verworfen werden, mehr noch, daß grundsätzlich alle Sätze revidierbar sind. Für unsere Zielsetzung können zwei wesentliche Problembereiche unterschieden werden. Zum einen wird sich die Frage stellen, ob Quine die alten apriorischen Fragebereiche, die Geltung der klassischen Logik und metaphysische oder ontologische Existenzfragen, so rekonstruiert, daß ihr Grundzug, eine dann näher zu bestimmende Notwendigkeit oder Vorgängigkeit, erhalten bleiben kann. Im Besonderen ist zu fragen, inwieweit Quines Fallibilismus, die Behauptung der prinzipiellen Revidierbarkeit und damit der nurmehr notationellen Bedeutung erkenntnistheoretischer und ontologischer Annahmen, tatsächlich sinnvoll ist. Lassen sich tatsächlich alle unser Begriffssystem konstituierenden Begriffe und Annahmen revidieren? Und führt diese Art eines konsequenten Fallibilismus zu der angenommenen Konsequenz?132 Ich werde zeigen, daß durch Quines Orientierung an der naturwissenschaftlichen Methode kein logischer Raum für eine Erklärung der besonderen Stellung der Bereiche von Logik oder Erkenntnistheorie und Ontologie bleibt, seine Begründung der von ihm selbst zugestandenen "Zentralität" bestimmter Überzeugungen reicht nicht aus. Und zum anderen läßt sich an der Argumentation Quines meines Erachtens zeigen, daß epistemologische Herangehensweisen, die dem cartesianischer Skepsis geschuldeten Gewißheitsanspruch durch Naturalisierung zu genügen suchen, zu antirealistischen Konsequenzen führen. Quine selbst verweist zwar an manchen Stellen darauf, daß seine Epistemologie seine, und das sei die normale, übliche Ontologie voraussetze.133 Ich möchte aber fragen, ob mit dem von Quines empiristischen Grundannahmen zugelassenen methodischen Handwerkszeug ein ontologischer Realismus überhaupt ver-
132 Die Konsequenz ist, daß die Wahl eines Notationsschemas, oder wie Carnap es formulieren würde, eines Sprachsystems, bestimmt, wie Fragen über die Existenz gewisser Entitäten eingeschätzt werden, und weiterhin, daß es keinen 'fact of the matter' gibt, der diese Wahl rechtfertigen könnte. Vgl. auch die noch folgenden Ausführungen zu Quines ontologischem Kriterium sowie seinem Physikalismus. 133 Vgl. bsp. (Quine, 1981a), S. 21, oder (Quine, 1981d), S. 72.
87 tretbar ist oder ob dabei nicht vielmehr der Begriff der Ontologie einer fundamentalen Revision unterzogen wird.134 Ich werde dazu in drei Schritten vorgehen: Zuerst wird Quines Kritik an der Vorstellung diskutiert, unser Wissen von der Welt sei in zwei Bestandteile zu zerlegen, einen deskriptiven oder faktischen, der der empirischen Kontrolle unterliege, und einen logischen oder begrifflichen. Quine votiert dagegen für ein holistisches Verständnis von Theorien sowie für einen konsequenten Fallibilismus. Ausgehend von diesen Voraussetzungen soll im nächsten Schritt gefragt werden, welche Folge dies für seine Fassung einer naturalisierten Philosophie und im besonderen Erkenntnistheorie hat. Dabei wird sich zeigen, daß die wichtigste Neuerung in Quines entschlossener Absage an jegliche Form von externem Standpunkt besteht. Die Konsequenzen dieser als zentral anzusehenden Prämisse werden zuerst für die Semantik, dann für die Erkenntnistheorie diskutiert. Im letzten Schritt soll dann kritisch gefragt werden, was aus der allgemeinen These ontologischer Relativität für Quines Realismus sowie seinen Umgang mit der skeptischen Herausforderung folgt. Diese Reihenfolge legt allerdings eine hierarchische Ordnung nahe, die sich so bei Quine nicht findet: Keiner der einzelnen Bestandteile ist losgelöst von den ihn umgebenden und stützenden Nachbarn zu betrachten, Quine plädiert nicht nur für ein holistisches Verständnis theoretischer Zusammenhänge, er verfährt auch entsprechend. Um der internen Verwobenheit von Quines Argumentation eher gerecht zu werden, muß daher zum einen wiederholt mit Vor- und Rückverweisen gearbeitet werden, zum anderen kann eine abschließende Bewertung einzelner Thesen erst in den Schlußüberlegungen erfolgen. III.1.1 Quines Kritik an den zwei Dogmen des Empirismus Locus classicus für Quines Auseinandersetzung mit einer Konzeption von Philosophie, die dieser einen privilegierten Standpunkt gegenüber den Naturwissenschaften zuschreibt, sie als 'prima philosophia' faßt, ist sein Aufsatz "Two Dogmas of Empiricism". Hier wird insbesondere die sich an die Philosophie des Wiener Kreises, vorwiegend an Carnap, anschließende Form des Empirismus einer grundlegenden Korrektur unterzogen.135 Die134 Die Frage, welche der grundlegenden Überzeugungen Quines auch in zeitgenössischen naturalistischen Konzeptionen aufrechterhalten werden, soll im anschließenden Abschnitt III.2 getrennt behandelt werden. 135 Inwieweit Quine nicht nur als scharfsinniger Kritiker des Wiener Kreises zu sehen ist, sondern seine Philosophie gar einen "Integrationsversuch seiner unterschiedlichen theoretischen Schwerpunkte" darstellt, den Versuch einer Synthese der Positionen
88 ser Empirismus, so Quine, sei im Rahmen zweier Dogmen, zweier 'metaphysischer Glaubensartikel' zu beschreiben: der Annahme, analytische und synthetische Wahrheiten seien zu trennen, und der Annahme des Reduktionismus. Beide Annahmen werden von Quine verworfen: Die Trennung von 'Wahrheit aufgrund von Bedeutung' (oder Konvention) und 'Wahrheit aufgrund von Fakten' entziehe sich jeder direkten Bestimmung, und der empiristische Reduktionismus, der Versuch, nur die Sätze als bedeutungsvoll anzuerkennen, die reduziert werden können auf ein logisches Konstrukt aus Termini, die für direkte Sinneserfahrungen stehen, wird zugunsten einer eher holistisch orientierten Version von Bestätigung zurückgewiesen. Dabei macht Quine deutlich, daß seine Argumentation weitreichende Konsequenzen hat: "One effect of abandoning them [the two Dogmas] is, as we shall see, a blurring of the supposed boundary between speculative metaphysics and natural science."136
Mit dieser Formulierung ist angedeutet, was zwischen Quine und Carnap oder dem Logischen Empirismus insgesamt zur Debatte steht: Der Versuch des Wiener Kreises, philosophischem Vorgehen eine sichere Grundlage zu verleihen, indem Wissenschaft von Metaphysik, sinnvolle Fragen von unsinnigen Scheinproblemen getrennt werden, wird als gescheitert angesehen. In der Literatur besteht jedoch bei weitem keine Übereinstimmung darüber, wie genau "Two Dogmas" zu analysieren ist, was genau Quine mit seiner Argumentation wirklich gezeigt hat. In der hier gebotenen Kürze ist dieser verwickelten Debatte, die mit dem Erscheinen des Briefwechsels zwischen Carnap und Quine eine nochmalige Wende genommen hat, nicht gerecht zu werden, wir werden uns mit einem eher summarischen Überblick begnügen müssen.137 Im Folgenden sollen die zwei zentralen Punkte Quines dargestellt und diskutiert werden, abschließend sollen kurz die wesentlichsten Rekonstruktionsversuche vorgestellt werden.138 Carnaps und Neuraths, ist für unseren systematischen Punkt nicht von Belang. Vgl. dazu (Koppelberg, 1987). 136 (Quine, 1961b), S. 20. 137 Der Briefwechsel wurde 1990 von Richard Creath herausgegebenen, (Creath, 1990). Siehe dazu auch (Stroud, 1992). Zum Verhältnis Quine - Carnap vgl. das erwähnte (Koppelberg, 1987) oder auch die umfangreiche Studie von Naumann (1993). 138 In der Literatur werden vor allem die Argumente von Grice und Strawson (1956), von Gibson (1982, 1988), Roth (1983, 1984, 1986), Creath (1991) sowie Putnam genannt, der sich im Lauf der Jahre in einer Vielzahl von Arbeiten zu Quines Argumentation geäußert hat. Auf Putnams Kritik wird in Kapitel IV ausführlicher eingegangen.
89 Zum ersten Punkt, der Kritik Quines am Versuch einer Trennung der sprachlichen und faktischen Komponente einzelner Aussagen. Im Allgemeinen unterscheidet man zwei Arten analytischer, also aufgrund ihrer Bedeutung wahrer Aussagen: solche, die wahr sind aufgrund von logischer Wahrheit, und solche, die einen Begriff von Synonymie voraussetzen. Ein Beispiel für ersteres wäre "Kein unverheirateter Mann ist verheiratet", für letzteres "Kein Junggeselle ist verheiratet".139 Die Analytizität des letzteren wird dann damit begründet, daß man den Ausdruck "Junggeselle" durch den synonymen Begriff "unverheirateter Mann" ersetzen könne, so daß man eine logische Wahrheit erhalte. Versteht man Synonymität, also Bedeutungs- und d.h. Intensionsgleichheit, allerdings als logische Äquivalenz, gelangt man nicht über die erste Art analytischer Aussagen, d.i. logischer Wahrheiten, hinaus. Setzt man voraus, daß für den Begriff der logischen Wahrheit klare Kriterien bestehen, lautet folglich die zentrale Frage: Kann die zweite Klasse mithilfe von anderen Präzisierungen des Begriffs der Synonymie auf die erste reduziert werden? Quine diskutiert zwei Vorschläge: Reduktion mithilfe von Definitionen oder mithilfe des Kriteriums der Austauschbarkeit. Definitionen können zwar eine explikative Funktion erfüllen, dann setzen sie aber die im Sprachgebrauch vorhandene Synonymie voraus. Wie Quine anhand eines Exkurses über formale Systeme zeigt, sollten sie aber weniger als explikative Hinzufügungen zu einer Sprache verstanden werden, sondern vielmehr als Übersetzungsregeln oder Korrelationen zwischen zwei Sprachen, von denen die eine Teilsprache der anderen ist, sie ordnen dann jedem nicht in Grundnotation formulierten Ausdruck der Gesamtsprache einen in Grundnotation formulierten Ausdruck als gleich zu, wobei die Gleichheit in getreuer Paraphrase, also direkter Synonymie, in explikativer Korrektur oder in der konventionellen Einführung einer explizit neuen Notation bestehen kann. Kann die Synonymie zweier Ausdrücke in ihrer Austauschbarkeit salva veritate, d.h. in allen Kontexten ohne Veränderung des Wahrheitswertes, bestehen? Dabei zeigt sich zuerst, daß die Rede von 'allen Kontexten' eingeschränkt werden muß, weil in Sätzen, in denen die fraglichen Ausdrücke nicht verwendet, sondern zitiert werden, diese nicht immer wahrheitswerterhaltend ausgetauscht werden können.140 Aber auch die Einschränkung auf extensionale Kontexte hilft nicht weiter, weil Extensionsgleichheit keine Garantie für Bedeutungsgleichheit sein kann. Quine diskutiert zwei Mo139 Vgl. a.a.O., S. 22ff. 140 Der Satz "'Junggeselle' hat 11 Buchstaben" ist wahr, wird der synonyme Ausdruck eingesetzt, erhalten wir den falschen Satz "'Unverheirateter Mann' hat 11 Buchstaben".
90 difikationen, die Verschärfung der Bedingung an die Austauschbarkeit sowie die intensionale Spezifikation der Extensionsgleichheit als notwendig, beide, so wird gezeigt, führen nicht weiter, weil sie den Begriff der Analytizität, den es zu erklären gilt, voraussetzen. Kann nun nicht vielleicht doch der Begriff der Analytizität präzisiert werden? Analytizität, so wurde eingangs gesagt, soll eine linguistische Beziehung, eine Relation zwischen Aussagen und Sprachen sein, und die Schwierigkeit, so Quine, besteht darin, der Behauptung, eine Aussage S sei analytisch für eine Sprache L, für variable S und L einen Sinn zu geben. In Auseinandersetzung mit Carnap versucht Quine zu zeigen, daß dieses Problem sich nicht nur für natürliche Sprachen mit ihrer charakteristischen Vagheit stelle, sondern ebenso in Bezug auf künstliche Sprachen, die expliziten semantischen Regeln folgen.141 Quines hauptsächliche Kritik besteht darin, daß mithilfe semantischer Regeln oder verschiedener Bedeutungspostulate zwar die Extension von "analytisch in L0" festgelegt werden könne, damit aber der Begriff der Analytizität nicht geklärt sei: "From the point of view of the problem of analyticity the notion of an artificial language with semantical rules is a feu follet par excellence. Semantical rules determining the analytic statements of an artificial language are of interest only insofar as we already understand the notion of analyticity; they are of no help in gaining this understanding."142
Warum ist eine Definition des Analytizitätsbegriffes für eine vorgegebene künstliche Sprache L0 nicht ausreichend? Weil damit, so Quine, keine Methode angegeben werde, wie die Definition auch auf andere Sprachen übertragen werden könne, da man durch eine listenartige Definition noch nicht versteht, welche Eigenschaft es ist, die die zur gesuchten Klasse analytischer Sätze zugehörigen Sätze als solche auszeichnet. Doch bevor wir darauf eingehen, ob Quines Kritik der ersten vier Absätze von "Two Dogmas" so verstanden werden sollte, daß sie weniger die formale Adäquatheit der vorgeschlagenen Definitionen als Explanans betrifft, sondern das Fehlen eines geeigneten Explanandums betont, soll der weitere Argumentationsgang vorgestellt werden.143 Quine zieht den Schluß, daß der Begriff der 141 Vgl. a.a.O., § 4, S. 32ff. Die technischen Details seiner Argumentation wie die Unterscheidung verschiedener Arten von semantischen Regeln sind hier nicht wichtig. 142 A.a.O., S. 36. 143 Quine gibt an dieser Stelle einen ersten Hinweis, auf den später noch einzugehen sein wird: "Appeal to hypothetical languages [...] could conceivably be useful in clarifying analyticity, if the mental or behavioural or cultural factors relevant to analyticity
91 Synonymie oder Analytizität in den jeweiligen linguistischen Explikationsversuchen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, vorausgesetzt ist und mithilfe solcher Überlegungen nicht erklärt oder reduziert werden kann. Wenn aber sprachliche Kriterien allein nicht ausreichen, den Begriff der Analytizität eines Satzes zu klären, welche Kriterien dann? Kann hier vielleicht die Verifikationstheorie der Bedeutung weiterhelfen? Danach entspricht die Bedeutung eines Satzes, einer Äußerung der zu seiner Bestätigung - oder Widerlegung - verwendeten Verifikationsmethode. Die Beziehung der Entsprechung oder Übereinstimmung zwischen einer Aussage und ihrer Verifikationsmethode, bzw. den sie verifizierenden Erfahrungen wird dabei meist als Beziehung des 'direkten Berichts' verstanden. Diese Reduktion kann dann mithilfe des Begriffs der Übersetzung erklärt werden. Das würde heißen, daß für einzelne Termini oder auch ganze Sätze gilt, daß sie in Termini oder Sätze einer Sinnesdaten-Sprache (von sinnlichen Ereignissen oder auch Sinnesqualitäten) übersetzt werden können.144 Oder bei einem weniger radikalen Reduktionismus: daß jede Aussage mit einem bestimmten Spektrum von möglichen sinnlichen Erfahrungen so verknüpft ist, daß das Auftreten einer Erfahrung aus diesem Spektrum die Wahrheit der Aussage wahrscheinlich macht. Bei analytischen Sätzen würde die Verifikationstheorie nicht mehr von Übereinstimmung oder Bestätigung sprechen, sondern von der Unmöglichkeit der Falsifizierung: Ein Satz wäre dann analytisch, wenn keine sinnliche Erfahrung dazu führen könnte, daß er aufgegeben werden muß, Analytizität wird epistemisch als Immunität gegen Erfahrung gefaßt.145 Demgemäß sieht Quine die zwei Dogmen des Empirismus folgendermaßen verknüpft: "It is obvious that truth in general depends on both language and extralinguistic fact. [...] Thus one is tempted to suppose in general that the truth of a statement is somehow analyzable into a linguistic component and a factual component. - whatever they may be - were somehow sketched into the simplified model. But a model which takes analyticity merely as an irreducible character is unlikely to throw light on the problem of explicating analyticity." A.a.O., S. 36, m.H. 144 Ein Versuch, eine Sinnesdatensprache zu entwickeln, und zu zeigen, wie Aussagen über die physikalische Welt in solche Aussagen über direkte Erfahrung übersetzt, auf diese reduziert werden können, findet sich etwa in Carnaps einflußreicher Arbeit Der logische Aufbau der Welt (Carnap, 1928). 145 Eine analytische Aussage wäre insofern ein Grenzfall, als sie auf jeden Fall bestätigt ist: "[...] as long as it is taken to be significant to speak of the confirmation and infirmation of a statement, it seems significant to speak also of a limiting kind of statement which is vacuously confirmed, ipso facto, come what may; and such a statement is analytic." A.a.O., S. 41.
92 Given this supposition, it next seems reasonable that in some statements the factual component should be null; and these are the analytic statements. But, for all its a priori reasonableness, a boundary between analytic and synthetic statements simply has not been drawn. That there is such a distinction to be drawn at all is an unempirical dogma of empiricists, a metaphysical article of faith."146
Wenn Analytizität als Immunität gegenüber Revision definiert wird, setzt das aber bereits voraus, daß wir über eine Methode verfügen, mit deren Hilfe der sprachliche Bestandteil einer Aussage von deren faktischem Bestandteil getrennt werden kann: analytische Sätze sind solche, die auf jeden Fall als bestätigt angesehen werden können, weil sie keinen faktischen Bestandteil enthalten, der Falsifikation anhand von Erfahrungen erlauben würde. Quine räumt zwar durchaus ein, daß die Wahrheit eines Satzes, einer Äußerung, im Allgemeinen von diesen zwei Faktoren abhängt: den rein sprachlichen und den außersprachlichen Fakten. Das Scheitern aller Versuche, diese Bereiche säuberlich voneinander zu trennen, deute aber auf einen prinzipiellen Einwand. Gegen die Vorstellung eines grundlegenden Bedeutungsunterschiedes zwischen zwei Klassen von Sätzen, rein empirischen, synthetischen, und rein linguistischen, analytischen, betont er die holistische Grundstruktur unseres Wissens über die Welt: "The dogma of reductionism survives in the supposition that each statement, taken in isolation from its fellows, can admit of confirmation or infirmation at all. My countersuggestion [...] is that our statements about the external world face the tribunal of sense experience not individually but only as a corporate body."147
Folglich testen wir auch in Quines Konzeption unsere Theorien gegen die Evidenz unserer Sinneserfahrung. Aber wir prüfen nicht individuelle Aussagen durch einen Abgleich mit relevanten Sinneserfahrungen, einzelne Erfahrungen können uns niemals zwingen, bestimmte Sätze oder Überzeugungen aufzugeben. Nicht nur analytische Sätze, sondern prinzipiell jeder einzelne Satz, so Quine, könnte als wahr aufrechterhalten werden, 'komme, was da wolle'. Und die Neubewertung nicht einzelner Sätze, sondern ganzer Netze von Sätzen erfolge nach ganz unterschiedlichen und relativ frei wählbaren Kriterien, weil das gesamte Feld unserer Wissenschaften, unserer Theorien durch die Erfahrung unterbestimmt sei. Einzelne Sätze mögen besonders nah an evidentieller Stützung durch Sinneserfahrungen liegen, und auch unsere Tendenz, das gesamte System so wenig wie möglich zu 146 A.a.O., S. 36f. 147 A.a.O., S. 41.
93 stören, mag zu den empiristischen Vorurteilen beitragen. Aber um eine bestimmte Klasse von Sätzen oder Aussagen aufgrund ihres 'faktischen Bestandteils' vor denen auszuzeichnen, bei denen dieser nur gering sei, müßten wir eine solche ontologische Voreingenommenheit auch epistemologisch auszeichnen und begründen können: "My present suggestion is that it is nonsense, and the root of much nonsense, to speak of a linguistic component and a factual component in the truth of any individual statement. Taken collectively, science has its double dependence upon language and experience; but this duality is not significantly traceable into the statements of science taken one by one."148
Somit ist für Quine auch der zweite Punkt beantwortet, die zweite Grundannahme des Empirismus als Dogma ausgewiesen: die fundamentalistische Vorstellung, unsere Wissensansprüche seien - durch eine Reduktion auf direkte Berichte über Sinneserfahrungen - anhand ihres empirischen oder faktischen Bezuges zu rechtfertigen, wird als unmöglich erwiesen und zugunsten holistischer, wesentlich an Kohärenz orientierter Gesichtspunkte verworfen. Obwohl Quine an den zitierten Stellen eher über die wissenschaftliche Sprache spricht, gelten seine Bemerkungen mutatis mutandis auch für die Alltagssprache; wie wir noch sehen werden, versteht er auch das begriffliche System des Commonsense als theoretisch und mithin in seinem Bezug zur Welt, zu sinnlicher Erfahrung als unbestimmt. Wenn Quine nun betont, daß die empirischen oder faktischen sowie logischen oder linguistischen Bestandteile unserer Theorien nicht zu trennen sind, so daß von einer direkten Überprüfung nicht gesprochen werden kann, scheinen sich unsere ontologischen Überzeugungen eher der Erfindung als der Entdeckung zu verdanken, beschreiben sie die Welt weniger als daß sie sie konstruieren. Und diesen Schluß zieht Quine auch ohne jegliches Zögern. Nach seiner Auffassung unterscheidet sich unsere Ontologie in erkenntnistheoretischer Hinsicht nicht wesentlich von der der griechischen Mythologie: die Annahme der Existenz mittelgroßer physikalischer Objekte sei ebensosehr eine kulturelle Setzung wie die der Homerischen Götter. Der Mythos physikalischer Objekte sei zwar epistemologisch gesehen überlegen, aber nur insofern, als er sich als ein besonders hilfreiches Mittel dafür erwiesen hätte, eine Struktur in den Fluß unserer Erfahrungen hineinzuarbeiten: "As an empiricist I continue to think of the conceptual scheme of science as a tool, ultimately, for predicting future experience in the light of past experience. 148 A.a.O., S. 42.
94 Physical objects are conceptually imported into the situation as convenient intermediaries - not by definition in terms of experience, but simply as irreducible posits comparable, epistemologically, to the gods of Homer."149
Nur die Ecken, Ränder unseres Netzes wissenschaftlicher Theorien, unseres Begriffschemas werden als eng verbunden mit sinnlicher Erfahrung gedacht. Diese Ränder werden durch Sätze oder Aussagen über Sinneswahrnehmungen markiert, die Quine nun aber nicht mehr, wie der Logischen Empirimus, als epistemologisches Fundament versteht, sondern als diejenigen Sätze, deren Bedeutung vergleichsweise eng mit der beobachteten Situation verbunden ist, und das heißt dann nur noch, daß für deren Verständnis (deren Übersetzung oder Interpretation) weitestgehend auf theoretische Hintergrundannahmen verzichtet werden kann. Eine solch relative Verknüpfung, so Quine, reiche aber nicht aus, ontologische Fragen und Fragen wissenschaftlicher Theorien, wissenschaftlicher Theoriebildung, also erkenntnistheoretische Fragen, unser Begriffsschema betreffend, grundsätzlich zu trennen. Ein mehr als nur gradueller Unterschied, der die Dichotomie analytisch - synthetisch stützen könne, bestehe nicht. Soweit die Darstellung der Argumentation Quines. Es wurde bereits erwähnt, daß "Two Dogmas" ein schon klassisch zu nennender Text ist und philosophiegeschichtlich einen Wendepunkt darstellt, hochgeschätzt, aber bei weitem nicht unumstritten. Die Zahl der Veröffentlichungen zu dieser Arbeit ist Legion, im Folgenden werden vor allem die Publikationen berücksichtigt, die die Rezeption entscheidend beeinflußt haben. Wie zu Beginn bereits erwähnt wurde, differieren die in der Literatur diskutierten Rekonstruktionen seiner Argumentation beträchtlich.150 Wir wollen uns daher nochmals fragen, worin Quines zentrales Argument gegen die beiden Dogmen besteht. Man kann zwei mögliche Reaktionsweisen unterscheiden, abhängig davon, ob man den ersten Teil der Argumentation Quines als zentral ansieht oder von einer inneren Verknüpfung des ganzen Aufsatzes ausgeht. In den ersten vier Abschnitten, so wurde gezeigt, kritisiert Quine verschiedene Versuche, mithilfe von Bedeutungspostulaten, semantischen Regeln etc. eine rein formale Definition des Begriffs der Analytizität zu geben, wobei sich seine Kritik weniger gegen die formale Adäquatheit der vorgeschlagenen Bestimmungen richtet als vielmehr herauszustellen sucht, daß ein verständliches Explanandum fehlt: Da kein empirisches oder behaviou149 A.a.O., S. 44, m.H. 150 Zum Folgenden vgl. auch (Koppelberg, 1987), S. 287ff., oder (Naumann, 1993), S. 24ff.
95 rales Kriterium angegeben werden könne, das den Begriff der Analytizität pragmatisch stütze, sei völlig unklar, was mit ihm bezeichnet werden solle.151 Gegen diesen Punkt vor allem ist die Entgegnung von Grice und Strawson gerichtet.152 Betrachte man die Begriffe analytisch und synthetisch in ihrem philosophischen Gebrauch, zeige sich nicht nur, so die Kritik, daß viele Sprecher diese Ausdrücke verwenden, sondern auch, daß diese Verwendung als konstant und übereinstimmend sowohl in Bezug auf die negativen wie positiven Fälle betrachtet werden kann. Folglich stehe dieser Gebrauch von "analytisch" auch als Explanandum zur Verfügung. Und daß nun diese Verwendung nicht selbst wieder analog zu einer sog. Listendefinition verstanden werden dürfe, zeige sich darin, daß die meisten der Sprecher in der Lage wären, den Begriff der Analytizität auch auf neue Fälle anzuwenden, was nahelege, daß sie ein intuitives Verständnis der Anwendungsbedingungen für diesen Begriff besitzen. Aber kann mit dem Aufweis eines stabilen wie etablierten Gebrauchs auch eines philosophischen Begriffs dessen Verwendung bereits als gerechtferigt oder gar als wissenschaftlich akzeptabel gelten? Gerade für Carnap kann ein solcher Aufweis kein Argument darstellen, da beispielsweise auch Begriffe der Metaphysik einen solchen geregelten Gebrauch aufweisen könnten, für ihn aber dennoch nicht als akzeptabel gelten. Aber auch für Quines Position hat die Argumentation von Grice und Strawson Konsequenzen. Die Rechtfertigung der Verwendung des Begriffs der Analytizität kann nicht allein in dessen empirischer Verankerung bestehen, auch Quine würde zugestehen, daß eine Vielzahl wissenschaftlich für ihn nicht oder nur widerwillig akzeptabler Begriffe einen geregelten Gebrauch aufweist, so beispielsweise das Instrumentarium intensionaler Begriffe. Quines Forderung muß sich also auf den Nachweis einer eindeutigen, nützlichen oder gar unverzichtbaren Funktion eines solchen theoretischen Begriffs wie dem der Analyzität im Rahmen der ihn umgebenden Theorie beziehen. Erst wenn gezeigt werden kann, daß ein solcher Begriff epistemologische Signifikanz hat, etwa, weil er die explanatorische Kohärenz fördert, kann er als gerechtfertigt gelten. Solche Überlegungen weisen auf die Argumente des zweiten Teils von "Two Dogmas". Im Folgenden sollen demnach Autoren diskutiert werden, die eher die gesamte Architektur, also das Zusammenspiel der unterschiedlichen Argumente zu berücksichtigen suchen. Unsere erste Rekonstruktion 151 Diese Lesart wird auch durch den Briefwechsel zwischen Carnap und Quine unterstützt, (Creath, 1990), vgl. Naumann, a.a.O., S. 41ff., der insbesondere auf einen Quine-Brief von 1943, S. 336ff., verweist. 152 H.P. Grice and P.F. Strawson, (1956), "In Defense of a Dogma".
96 wurde von Gibson in seiner 1982 erschienenen Monographie zur Philosophie Quines vorgestellt.153 Hauptpunkt seiner Kritik an Quines Vorgehensweise ist, daß aus dessen Behauptung, bis jetzt sei weder eine klare Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen noch eine explizite Theorie der Bestätigung letzterer vorgelegt worden, nicht folgt, daß die Wahrheit eines einzelnen Satzes nicht doch in eine sprachliche und eine faktische Komponente zerlegt werden könne. Die letztere Annahme müsse aber nicht nur als faktisch, sondern als prinzipiell unhaltbar ausgewiesen werden, da erst sie die Grundlage für die beiden sog. Dogmen bilde. Dies könne jedoch nur mit der Ausweisung der These des Holismus gelingen, und für diese, so Gibson, habe Quine in "Two Dogmas" kein Argument genannt.154 Dem widerspricht die Rekonstruktion Roths: Quine brauche deshalb keine Alternative zu dem Vorgehen der Logischen Empiristen anzubieten, weil er mithilfe einer pragmatischen Reductio gezeigt habe, daß die von diesen verwendeten Kriterien unklar oder gar verwirrend seien.155 Versteht man die beiden Dogmen des Logischen Empirismus also so, daß sie einen Maßstab rationaler Rechtfertigung zu bestimmen suchen, reiche es aus zu zeigen, daß die verwendeten Regeln unklar seien. Bietet Quine aber keine Alternative an, kann dem entlang der eben genannten Überlegungen entgegnet werden, daß auch einem unklaren Begriff, zu dem es keinen Gegenvorschlag gebe, immer noch epistemologische Signifikanz zukommen kann, er zumindest in einem schwachen Sinn gerechtfertigt ist. Von Gibson stammt auch ein weitere Rekonstruktion, für die er in seinem 1988 erschienenen Buch argumentiert hat.156 Er hält daran fest, daß Quine in den ersten vier Abschnitten unabhängig von der Holismusthese gegen die Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätze argumentiere. Und da Quines weiterer Punkt, daß es bis jetzt nicht gelungen sei, eine explizite Theorie der Bestätigung synthetischer Sätze vorzulegen, zugleich als allgemein anerkannt gelten kann, könne auf diese Weise auch die These des Holismus als korrekt ausgewiesen werden. Gelte die These des Holismus aber, so die Voraussetzung der zwei folgenden Abschnitte, könnten nun auch, im Rückschluß, gute Gründe für das Scheitern solcher Versuche angegeben werden. Creaths Interpretation der Argumentation in "Two 153 (Gibson, 1982), The Philosophy of W. V. Quine: An Expository Essay, S. 103ff. 154 Vgl. a.a.O., S. 105. 155 (Roth, 1984), "Critical Discussion: On Missing Neurath's Boat: Some Reflections on Recent Quine Literature", S. 225ff., s.a. (1983, 1986) 156 (Gibson, 1988), Enlightened Empiricism. An Examination of W. V. Quine's Theory of Knowledge, S. 37ff.
97 Dogmas" hebt dagegen vor allem die Bedeutung von Quines holistischer These hervor: Die ersten vier Abschnitte betonten zwar die mit dem Begriff der Analytizität verbundenen Schwierigkeiten, der im zweiten Teil erfolgende Verweis auf die Position des Holismus stelle aber nicht ein Gegen-, sondern ein Entbehrlichkeitsargument dar, Quine schlage also sehr wohl eine Alternative vor.157 Demnach könne die Schlagkraft der in "Two Dogmas" vorgebrachten Argumentation auch erst durch einen Vergleich der jeweiligen Rolle, die in Carnaps Konzept von Philosophie dem Begriff der Analytizität und in Quines Konzept von Philosophie dem Begriff des Holismus zukomme, angemessen beurteilt werden. Geht man mit Roth und Creath davon aus, daß Quines Argument nicht gezeigt hat, daß es prinzipiell unmöglich ist, den Begriff der Analytizität zu bestimmen, kann eine Bewertung der alternativen holistischen These jedoch erst in Zusammenhang mit der von Quine propagierten Konsequenz einer Naturalisierung von Erkenntnistheorie erfolgen, erst in diesem weiteren theoretischen Kontext können das Potential wie möglicherweise auch die Schwächen des Holismus aufgezeigt werden. Da uns Quines Kritik am Begriff der Analytizität vor allem in Hinblick auf deren Konsequenz für eine realistisch orientierte Erkenntnistheorie interessiert, sollen im Weiteren seine Argumente vor allem in diesem umfassenderen Kontext und unabhängig von dem ursprünglichen Bezugsrahmen der Auseinandersetzung mit Carnap behandelt werden. Wir müssen uns also fragen, welche Rolle oder Funktion der These des Holismus in Quines Konzeption von Philosophie oder Erkenntnistheorie zukommt. Eine erste Schwierigkeit wurde in unserer obigen Darstellung bereits angesprochen: Wenn Quine die empiristische These, es könne eine Theorie der Verifikation (oder Falsifikation) synthetischer Sätze geben, mit der Begründung ablehnt, der empirische Gehalt einzelner Sätze sei nicht individuell, nicht unabhängig von den sie umgebenden und stützenden Sätzen einer gesamten Theorie zu beurteilen, wie kann die These empirischen Gehalts überhaupt erklärt oder gerechtfertigt werden? Oder vorsichtiger: Nach welchem Maßstab erfolgt die rationale Rechtfertigung theoretischer oder wissenschaftlicher Systeme? Bestreitet man wie Quine die Möglichkeit einer strikten Trennung von synthetischen oder empirischen und analytischen oder theoretischen Sätzen, muß auch der Maßstab rationaler Rechtfertigung in beiden Berei157 (Creath, 1991) S. 347f. Vgl. zum Stellenwert des Holismus in Quines Philosophie Koppelbergs Diskussion der unterschiedlichen Rekonstruktionen von Gibson und Roth, a.a.O., z.B. S. 287ff.
98 chen derselbe sein: Wie sich noch zeigen wird, sind es eher formale Gesichtspunkte, wie die Kohärenz, Einfachheit oder Reichweite von Theorien, anhand derer nach Quines Auffassung über die Akzeptanz oder Verwerfung einer Theorie entschieden wird. Eine Erkenntnistheorie, die den Begriff der Rechtfertigung fundamentalistisch versteht, und die komplexe theoretische Systeme auf Beobachtungssätze zurückzuführen sucht, ist für Quine nicht möglich, wenn unsere Sätze über die Außenwelt nicht von den eher theoretischen oder logischen Sätzen zu trennen sind, unsere Theorien, wie er formuliert, 'dem Tribunal der Sinneserfahrung als Kollektiv gegenübertreten'. Beobachtungssätze sind allerdings auch in Quines Philosophie zentral: sie sind erkenntnistheoretisch wie auch semantisch entscheidend. Erkenntnistheoretisch, weil erst sie uns mit den Daten versehen, auf die wir unsere Theorien stützen, semantisch, weil diese mit einer intersubjektiv zugänglichen Wahrnehmungssituation am engsten verknüpften Sätze sowohl für das Erlernen der Sprache wie auch für die Tätigkeit des Übersetzens die theoretisch am wenigsten voraussetzungsreichen Sätze darstellen.158 Da Quine aber das empiristische Projekt für gescheitert hält, Aussagen über die Außenwelt in Aussagen der Beobachtungssprache, in 'direkte Berichte', zu übersetzen, kann Beobachtungssätzen gleichwohl kein ausgezeichneter Status zukommen. Beobachtungssätze sind zwar vergleichsweise direkt mit der äußeren Welt verbunden, sie beziehen sich auf intersubjektiv zugängliche Gegenstände und Ereignisse und können insofern als Evidenz für theoretische Sätze fungieren, aber ihre Bedeutung besteht in der sinnlichen Evidenz, die sie verifiziert oder falsifiziert. Die Frage, inwieweit sinnliche Evidenz, verstanden als neuraler Input an unseren sinnlichen Rezeptoren, die epistemologischen Aufgaben übernehmen kann, die traditionell (Berichten über) Sinneswahrnehmungen zukam, die als epistemologisches Fundament verstanden wurden, kann erst im Rahmen unseres zweiten Abschnitts behandelt werden, in dem Quines Version eines semantischen sowie eines erkenntnistheoretischen Standpunktes 'von innerhalb' eingehender diskutiert wird. Zuvor soll weiter überlegt werden, welche Konsequenzen aus der Zurückweisung einer prinzipiellen Unterscheidung begrifflicher und empirischer Wahrheit, aus dem Postulat der Revidierbarkeit jeglicher Überzeugung, für Quines Konzeption von Philosophie oder Erkenntnistheorie folgen. In "Five Milestones of Empiricism" beschreibt Quine die für ihn grundlegenden fünf Neuerungen oder Verbesserungen, 158 Vgl. beispielsweise (Quine, 1969c), S. 88f. Die Rolle des Beobachtungsatzes in Quines Semantik wie auch Erkenntnistheorie sowie Quines eigener Fundamenatlismus wird in Abschnitt III.1.2 ausführlicher diskutiert.
99 die der Empirismus während der letzten zwei Jahrhunderte durchlaufen habe.159 Die erste Neuorientierung sei die Wendung weg von den Ideen oder Vorstellungen hin zu den Worten gewesen, die zweite die von einzelnen Worten oder Ausdrücken hin zu ganzen Sätzen, die dritte die von einzelnen Sätzen zu Systemen von Sätzen, welche eine erste, bescheidene Form von Holismus mit sich gebracht hätte, und die vierte sei schließlich die Wendung zu einem methodologischen Monismus, die Anerkenntnis, daß empirischer Gehalt sich auf ein nicht prinzipiell in Klassen von Sätzen unterscheidbares Sprach- oder Theoriesystem beziehe. "The fifth move, finally, brings naturalism: abandonment of the goal of a first philosophy. It sees natural science as an inquiry into reality, fallible and corrigible but not answerable to any supra-scientific tribunal, and not in need of any justification beyond observation and the hypothetico-deductive method."160
Als entscheidend für Quines eigenes theoretisches Gefüge muß meines Erachtens diese Veränderung im Status der Philosophie angesehen werden: Philosophie oder im Besonderen Erkenntnistheorie kann nicht mehr als prima philosophia oder als rein begriffliches Unterfangen verstanden werden, das überhaupt erst die Grundlage für andere Wissenschaften zu schaffen vermag, sondern muß auf den Bereich empirischer Wissenschaft zurückbezogen, naturalisiert werden.161 Ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts der Naturalisierung besteht folglich in der These, epistemologische Grundlagenforschung könne nicht von einem externen Standpunkt, nicht von außerhalb der Wissenschaften betrieben werden: "[E]pistemology still goes on, though in a new setting and a clarified status. Epistemology, or something like it, simply falls into place as a chapter of psychology and hence of natural science."162
Quines Konzeption von Philosophie ist in Bezug auf die Frage, wie genau die These naturalisierter Erkenntnistheorie zu verstehen ist, meines Erach159 (Quine, 1981d), in Theories and Things, i.F. T&T. 160 A.a.O., S. 72. 161 Vgl. beispielsweise auch (Quine, 1969b), S. 26, oder (Quine, 1981a), S. 21ff. und (Quine, 1981d), S. 67ff., beide in T&T. Den gleichen Punkt unterstützt auch Quines häufig wiederkehrender Verweis auf Neuraths berühmtes Gleichnis: "Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können", (Neurath, 1932), S. 206, so z.B. in (Quine, 1960), dem es als Motto dient. 162 (Quine, 1969c), S. 82.
100 tens nicht hinreichend eindeutig.163 Eine negative Bestimmung des genuin naturalistischen Elements der Epistemologie haben wir bereits kennengelernt, eine Fundierung von Philosophie mithilfe einer rein begrifflichen Grundlage als Wissenschaft apriorischer Gesetzmäßigkeiten lehnt Quine ab. Aber was heißt es positiv, daß Erkenntnistheorie als Kapitel der Naturwissenschaft verstanden werden muß? Man kann Naturalisierungsbestrebungen in der Philosophie im allgemeinen von solchen unterscheiden, die im Bereich der Erkenntnistheorie signifikante Unterscheidungen möglich machen. Erstere führen einfach zu verstärkter Interdisziplinarität, beispielsweise zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Semantik, Linguistik und Psychologie, und auch in der Philosophie des Geistes haben sich kognitionswissenschaftliche Herangehensweisen etabliert, die auf empirische Ergebnisse der Einzelwissenschaften zurückgreifen. "[T]he idea is to make sure that our philosophical theories are compatible with science. Put roughly, and it may be that it cannot be put any other way, this means that in our philosophical theories we are to make use only of those properties that are either reducible to or supervene upon properties that science countenances."164
Naturalistische Erkenntnistheorien hingegen können nicht alleine dadurch charakterisiert werden, daß in ihnen nur wissenschaftlich akzeptable Eigenschaften verwendet werden, da unter einer solch unspezifischen Zielsetzung selbst disparateste Vorgehensweisen zusammengefaßt werden könnten.165 Und Quines zitierte Begriffsbestimmung, Naturalisierung bedeute, daß Epistemologie durch Psychologie ersetzt wird, daß normative Rechtfertigungsfragen zugunsten von eher deskriptiven Vorgehensweisen 163 Vgl. die ganz unterschiedlichen Interpretationen von z.B. (BonJour, 1994, Foley, 1994, Hylton, 1994), um nur einige zu nennen, alle in dem informativen Sammelband Philosophical Naturalism von (French et al. 1994). Und ein durchaus wohlwollender Kritiker Quines formuliert: "When faced with the choice of expressing his views with great elegance or maximum clarity, he rarely chooses the latter. And nowhere is his penchant for the stunning phrase more on display than in his epistemology. The result, over the years, is a collection of maxims, mottos, and pronouncements that are none to easy to fit into a coherent role." Foley, a.a.O., S. 245. 164 Foley, a.a.O., S. 243. 165 So nennt Foley, a.a.O, als Beispiele für epistemologische Herangehensweisen, deren Grundbegriffe zwar "wissenschaftlich respektabel" sind, die aber üblicherweise dennoch nicht als naturalistisch betrachtet werden, die Kohärentisten, die Bayesianer oder auch die Arbeiten von Chisholm.
101 aufgegeben werden müssen, ist selbst erläuterungsbedürftig. Auch für diese, wie etwa Kornblith sie nennt, "Ersetzungsthese", gibt es eine starke und eine schwache Lesart: Die starke verlangt, daß die traditionellen epistemologischen Fragen restlos durch psychologische ersetzt werden, die schwache betrachtet die beiden Disziplinen als Alternativen, die letztlich zum selben Ergebnis führen werden.166 Gegen die naheliegende Standardinterpretation, die Quines Zurückweisung des Begriffs epistemischer Rechtfertigung und mithin des normativen Elements als definierendes Kriterium seiner Erkenntnistheorie versteht, also für die starke Lesart plädiert, können in Quines eigener epistemischer Praxis normative Elemente aufgewiesen werden.167 Wenn man Quine folglich im Rahmen der schwachen Lesart versteht, ergibt sich aber das Problem, inwieweit dies mit seiner Charakterisierung des Naturalismus kompatibel ist. Das Programm der Naturalisierung der Erkenntnistheorie muß also in einem ersten Schritt auf das Verhältnis normativer und deskriptiver Elemente hin untersucht werden. Quine selbst verfährt zwar normativ, seine methodische Selbstverortung läßt aber wenig Raum, dies auch adäquat zu begründen. Gerade eine der prominentesten Thesen Quines, die einen der Eckpfeiler naturalisierter Erkenntnistheorie darstellt, die Zurückweisung der analytisch-synthetischUnterscheidung und mit ihr jeglicher Trennung apriorischen und aposteriorischen Wissens sowie notwendiger und synthetischer Wahrheiten, hat wenig oder keinen Einfluß auf seine eigene erkenntnistheoretische Praxis. Diese Zurückweisung führt zwar zum Holismus, die methodische Neuerung besteht insofern darin, nicht einzelne Überzeugungen, sondern vielmehr ein zusammenhängendes Netz von Überzeugungen als Gegenstand epistemologischer Rechtfertigung anzusehen. Quine zieht zur Rechtfertigung der von ihm als grundlegend erachteten Normen aber dennoch nicht
166 Vgl. (Kornblith, 1985a), S. 3-8. Quine als Vertreter der starken Lesart aufzufassen, entspricht der Standardinterpretation, vgl. bsp. auch (Kim, 1988) oder (Goldman, 1986). Die Argumente für die starke Lesart wurden bereits genannt, für die schwache Lesart, so Kornblith, sprechen zum einen evolutionäre Überlegungen, die den Überlebenswert wahrer Überzeugungen betonen, und zum anderen Überlegungen, die die gegenseitige Zuschreibung von Rationalität als Bedingung der Interpretierbarkeit auszuweisen suchen, da beide die vermeintliche Kluft zwischen faktischen und normativen Gesichtspunkten, zwischen psychologischen und traditionell epistemologischen Ansätzen auflösen würden. Doch auch für die schwache Lesart gelte, daß Epistemologie von einer Öffnung zur Psychologie nur profitieren könne. 167 Als Belegstellen seien bsp. genannt (Quine/Ullian, 1970) oder (Quine, 1992a).
102 eigens empirische Evidenz heran.168 Damit kann ein Dilemma formuliert werden: Entweder die verwendeten Maximen resultieren aus einer Beschreibung des faktischen Vorgehens der Wissenschaft. Dann wäre aber zum einen zur Bestätigung einer solchen direkt empirischen These empirische Evidenz verlangt, und zum anderen stellte sich dann die Frage, inwieweit eine solche Art erkenntnistheoretischen Vorgehens noch normativ genannt werden kann. Oder aber die genannten Maximen resultieren aus erkenntnistheoretischen Erwägungen, etwa einer Theorie der Rationalität, werden also als genuin normativ verstanden. Dann scheint Quines Epistemologie aber nicht weniger apriorisch als die seiner erklärten Gegner. Denn das genuin naturalistische Element in Quines Epistemologie kann nicht allein in der Behauptung bestehen, die Normen rationaler Überzeugung seien identisch mit den Normen der Wissenschaften, da dies von nicht-naturalistischen Erkenntnistheorien nicht notwendigerweise bestritten werden muß. Um seine Erkenntnistheorie genuin naturalistisch zu gestalten, müßte Quine folglich zeigen können, daß die fundamentalen Maximen oder Normen Ergebnis der Wissenschaften sind. Aber um sie genuin normativ zu gestalten, dürften diese Maximen oder Normen nicht allein das faktische Vorgehen beschreiben. Das legt folgendes Bild des Verhältnisses von Erkenntnistheorie und Psychologie nahe: Epistemologie entwickelt aus einer Untersuchung des wissenschaftlichen Vorgehens epistemologische Standards, die in Zusammenarbeit mit der Psychologie mit faktisch angewandten Prozessen oder Strategien identifiziert und hinsichtlich korrekter Beschreibung sowie möglicher Verbesserung unserer epistemischen Praxis untersucht werden, und so zu einer Theorie der Rationalität weiterentwickelt werden können, die normative Elemente zu integrieren vermag.169 Ich will zunächst offen lassen, ob eine entlang solcher Linien verfahrende zeitgenössische naturalistische Epistemologie in Bezug auf die
168 So moniert bsp. Foley: "But once it is settled that the primary epistemological norms are to be ones that govern the revision of our overall theory, Quine proceeds in the usual manner. The specific norms Quine favors are ones that he recommends from his philosophical armchair, with little or no concern for an empirical defense of them." A.a.O., S. 258. Vgl. zur Spannung normativer Gesichtspunkte und naturalistischer Methode auch (Foley, 1993) in dem Sammelband Naturalism (Wagner/Warner, 1993). 169 Wie können solche Elemente der Qualitätssteigerung, der Empfehlung etc., die nicht alleine deskriptiv zu verstehen sind, in einer naturalistischen Herangehensweise berücksichtigt werden? Wir werden in Abschnitt III.2 bei den Ausführungen zu Kitcher noch sehen, daß dieses Problem auch in Ansätzen jüngeren Datums nicht überzeugend gelöst ist.
103 normative Dimension von Erkenntnis oder Wissen eine überzeugende Alternative zu traditionellen Ansätzen darstellen kann. Das Spannungsfeld zwischen deskriptiven und normativen Aufgaben naturalisierter Erkenntnistheorie entsteht dadurch, daß Quine den Anspruch traditioneller Erkenntnistheorie zurückweist, einen hinsichtlich der Einzelwissenschaften privilegierten, metatheoretischen Standpunkt einzunehmen, von dem aus normative Empfehlungen allgemeine Verbindlichkeit erlangen würden. Seine Rechtfertigung des Naturalismus hängt also wesentlich von der Prämisse ab, daß jeglicher Versuch, einen erkenntnistheoretischen Standpunkt als privilegiert auszuweisen, als gescheitert betrachtet werden muß: Der fundamentalistische Versuch, besondere Wissensquellen als Basis für Geltungsansprüche und Rechtfertigung auszuzeichnen, wird ebenso verworfen wie der transzendentalistische Versuch, mithilfe der linguistischen Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sätzen einen epistemologisch privilegierten Bereich begrifflicher Wahrheit zu legitimieren. Um also das Spezifische an der Idee der Naturalisierung nochmals anders in den Blick zu bekommen, soll dieser Punkt der Relativierung von Geltungsansprüchen nun eingehender untersucht werden. III.1.2. Quines Konzept einer Relativierung der Standpunkte Ich möchte folgende Selbstverortung Quines als Basis der nachfolgenden Überlegungen verwenden: "Naturalism has two sources, both negative. One of them is despair of being able to define theoretical terms generally in terms of phenomena, even by contextual definition. A holistic or system-centered attitude should suffice to induce this despair. The other negative source of naturalism is unregenerate realism, the robust state of mind of the natural scientist who has never felt any qualms beyond the negotiable uncertainties internal to science."170
Auf die Zurückweisung des radikalen Reduktionismus, die im Rahmen von Quines Auseinandersetzung mit Carnap diskutiert wurde, soll hier nicht mehr weiter eingegangen werden. Denn auch wenn Quine einer Reduktion, wie sie vom Logischen Empirismus vorgeschlagen wurde, skeptisch gegenüber stand, in seiner eigenen Rede von der epistemologischen Priorität von Sinnesdaten verrät sich eine größere Verwandtschaft, als er 1981 noch anzuerkennen bereit gewesen wäre. Im Nachfolgenden wird sich noch zei170 In (Quine, 1981d), S. 72. Vgl. auch Quines Selbstcharakterisierung als 'robuster Realist' in (Quine, 1981a), S. 21 sowie in (Quine, 1986), S. 171.
104 gen, daß nicht der Holismus als solcher, sondern erst seine Verbindung mit Quines Semantik, mit Überlegungen aus seiner Sprachtheorie, zu einem expliziten Argument für die Naturalisierung der Epistemologie führt.171 Sprache selbst, so kann die These vorwegnehmend zusammengefaßt werden, kann nicht verstanden werden als neutraler Rahmen, da sowohl das Erlernen wie auch das Sprechen einer Sprache voraussetzt, daß die verschiedenen Sprecher sowohl logische Funktionen wie auch basale Beobachtungssätze teilen. Beides, so Quine, impliziert bereits die Akzeptanz einer Theorie der Welt.172 Sind Beobachtungs- und theoretisches Wissen aber nicht zu trennen, ist ein externer oder neutraler Standpunkt, der die Rechtfertigung unserer Theorien im Sinne eines Abgleichs mit der Welt erlauben soll, unerreichbar, Rechtfertigung, so die naturalistische Position, ist folglich nur innerhalb und relativ zu einzelnen Theorien möglich. Dieser Punkt wird mit der erwähnten zweiten Quelle angesprochen: Negativ ist sie insofern, als sie eine robuste Widerständigkeit beschreibt, ein NichtAkzeptieren einer Herausforderung, und alternative Reaktionen implizit negiert werden. Und zurückgewiesen wird eine Art der Erkenntnistheorie, die entstehende Bedenken oder Zweifel nicht als intern zu unserer wissenschaftlichen oder allgemeiner theoretischen Herangehensweise versteht, sondern eine externe Begründung oder Rechtfertigung zu verlangen scheint, und zwar die Begründung eines angesichts mißverstandener Herausforderungen reformierten Realismus. Ich stimme Quine darin zu, daß eine prinzipielle Trennung von ontologischen Fragen und wissenschaftlichen Hypothesen nur dann möglich wäre, wenn analytische und synthetische Sätzen absolut unterschieden werden könnten.173 Da nur eine graduelle Trennung beider Bereiche möglich scheint, können die für eine erkenntnistheoretische Legitimierung ontologischer Entscheidungen leitenden Überlegungen nicht schlichtweg als begrifflich oder vorgängig aufgefaßt werden. Nach welchen Kriterien legen wir uns ontologisch fest, was heißt es, diese als pragmatisch oder intern zu charakterisieren?
171 Siehe auch bsp. (Hylton, 1994), S. 268ff., bes. 270-273. Diese Vorgehensweise erinnert an das in Fn. 166 genannte, zweite Argument für die schwache Lesart, das auf die Notwendigkeit gegenseitiger Zuschreibung von Rationalität verweist. 172 In Quines Sprachgebrauch stellt nicht nur das Sprechen einer Sprache bereits eine Theorie dar, auch die einfachsten Überzeugungen des Commonsense bilden eine, wenn auch rudimentäre Theorie. Vgl. z.B. (Quine, 1969e). Zum Begriff der Theorie siehe auch unsere Überlegungen zur Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten in Kap. V, sowie zur Struktur von Wahrnehmung in den Kap. V.3 und VII. 173 Vgl. (Quine, 1961b), "Two dogmas", S. 45f.
105 Es wurde bereits erwähnt, daß auch in Quines Herangehensweise Beobachtungssätze entscheidend sind, sie bilden die Ränder oder Ecken unseres begrifflichen Schemas, die am engsten mit den sinnlichen Belegen verbunden sind. Quine beschreibt das Verhältnis von sinnlicher Basis, also unseren Daten, und unseren Theorien oder Begriffsschemata im Rahmen von zwei Thesen, der Unbestimmtheits- und der Unterbestimmtheitsthese. Die klassischen Formulierungen der Unbestimmtheitsthese finden sich in den berühmten Überlegungen zur Vorgehensweise eines linguistischen Feldforschers, eines 'radikalen Übersetzers', der versucht, für eine vollständig fremde Sprache ein Übersetzungsmanual nicht nur der Beobachtungssätze, die über die sog. Stimulusbedeutung relativ eng mit beobachtbaren Situationen verbunden sind, sondern im Rahmen analytischer Hypothesen auch für höherstufige Sätze zu erstellen.174 Da die analytischen Hypothesen aber durch alle mögliche objektive Evidenz unterbestimmt sind, sich rivalisierende Systeme solcher Hypothesen gleichermaßen gut mit den wahrnehmbaren Dispositionen zu sprachlichem Verhalten in Einklang bringen lassen, bleibt Übersetzung letztlich unbestimmt.175 Analoges, so die Unterbestimmtheitsthese, gilt für unsere wissenschaftlichen Theorien: Diese sind nicht nur faktisch durch vergangene wie zukünftige Daten unterbestimmt, etwa, weil konfligierende Beobachtungen noch auftreten können oder unbemerkt bleiben, sie sind prinzipiell unterbestimmt, weil die Beobachtungskriterien für theoretische Terme flexibel und unvollständig sind, dieselbe Menge von Beobachtungssätzen prinzipiell verschiedene, logisch inkompatible Theorien unterstützen kann.176 Man kann den systematischen Punkt beider Thesen so zusammenfassen: Unsere Theorien über die Welt, seien sie nun Übersetzungen 174 Z.B. in (Quine, 1960), Kap. II. 175 "There can be no doubt that rival systems of analytical hypotheses can fit the totality of speech behaviour to perfection, and can fit the totality of dispositions to speech behaviour as well, and still specify mutually incompatible translations of countless sentences insusceptible of independent control." A.a.O, S. 72. 176 "Theory can [...] vary though all possible observations are fixed. Physical theories can be at odds with each other and yet compatible with all possible data even in the broadest sense. In a word, they can be logically incompatible and empirically equivalent." (Quine, 1970a), S. 179. Vgl. hierzu auch (Quine, 1975b), sowie zu der Frage, inwieweit beide Thesen untereinander, mit der These der Unerforschlichkeit der Referenz und mit der These des Holismus zusammenhängen, bsp. (Quine, 1970a, Quine, 1990b). Hierzu findet seit langem eine ausführliche Diskussion statt, die noch immer nicht gelöst scheint. Vgl. (Chomsky, 1969) oder (Chomsky, 1975), oder für den Bezug zur wissenschaftstheoretischen Diskussion beispielsweise (Boyd, 1973) oder (NewtonSmith, 1978).
106 sprachlicher Äußerungen oder naturwissenschaftliche Theorien, sind nicht eindeutig bestimmt, es kann mehrere alternative, gleichermaßen mit den zur Verfügung stehenden Daten verträgliche, aber untereinander logisch inkompatible Theorien geben. Damit stellt uns die Relativierung von Wahrheits- oder Geltungsansprüchen auf einzelne Bereiche, Theorien, Begriffsschemata oder Sprachen aber vor das Problem, wie mögliche Widersprüche gelöst werden können. Gibt es die Möglichkeit, konkurrierende Ansätze in einem gemeinsamen, übergreifenden Begriffsschema zu vereinen? Es hatte sich gezeigt, daß Quine Sprachen oder Begriffsschemata holistisch versteht, er vergleicht sie mit einem Netz oder Gewölbe, dessen einzelne Steine sich gegenseitig stützen, und das durch alle Grundsteine zusammen getragen wird, wobei die Grundsteine auf nicht-verbale Reize konditioniert sind.177 Wenn wir sagen, daß unser zugrundeliegendes Begriffsschema sozusagen einer Art 'Muttersprache' entspricht, in die andere Sprachen, andere Schemata übersetzt werden müssen, kann die Vorstellung begrifflicher Relativität, einer je nur internen Geltung, mithilfe des Begriffs der Unübersetzbarkeit formuliert werden: Es gibt, so die These, keinen externen oder neutralen Standpunkt, von dem aus empirisch äquivalente, aber logisch inkompatible Begriffsschemata oder Sprachen ineinander übersetzt werden können. Im Folgenden soll dies im Rahmen der zwei Problemfelder der Semantik wie der Erkenntnistheorie diskutiert werden. III.1.2.1 Semantik 'von innerhalb' Wird die Vorstellung begrifflicher Relativität, einer allein internen Geltung, mithilfe des Begriffs der Unübersetzbarkeit formuliert, müssen wir empirisch äquivalente, aber logisch inkompatible Begriffsschemata oder Sprachen unterscheiden können. Im Rahmen seiner Argumentation für die Unbestimmtheit der Übersetzung argumentierte Quine lange für diese Möglichkeit.178 Diese Möglichkeit entsteht dadurch, daß Quine zwar die Unterscheidung von analytischen, allein aufgrund ihrer Bedeutung wah177 (Quine, 1960), § 3, S. 11: "The theory as a whole [...] is a fabric of sentences variously associated to one another and to non-verbal stimuli by the mechanism of conditioned response." Und der Kontrast zwischen Fundamentalismus und Holismus könne folgendermaßen markiert werden: "Perhaps we should think of the arch as tottering on an earthquake; thus even a base block is supported, now and again, only by the other base blocks via the arch." Ebd. 178 Neben dem erwähnten (Quine, 1960) z.B. in (Quine, 1969e), (Quine, 1970a) oder (Quine 1990b), vgl. dazu auch (Føllesdal, 1973).
107 ren/falschen, und synthetischen, aufgrund ihrer Bedeutung und ihres empirischen Gehalts wahren/falschen Sätzen verwirft, die Vorstellung, daß Sätze wahr/falsch sind aufgund ihres empirischen Gehalts aber zumindest teilweise aufrechtzuerhalten sucht. Quines Grundgedanke ist, daß etwas dann als Sprache verstanden werden kann und somit ein Begriffsschema aufweist, wenn es mit der Erfahrung in geordneter Beziehung steht. So spricht er beispielsweise in "Two Dogmas" davon, daß unsere Theorien am Tribunal der Erfahrung getestet werden müssen oder daß das Begriffsschema der Wissenschaft als Werkzeug diene, zukünftige Erfahrungen zu prognostizieren.179 Diese Formulierungen spiegeln die Rede von empirischem Gehalt: Ein Satz, so kann man verkürzend sagen, hat nur dann empirischen Gehalt, kann nur dann dem Tribunal der Erfahrung gegenübertreten oder prognostiziert nur dann zukünftige Erfahrungen, wenn er durch das Belegmaterial bestätigt oder verworfen werden kann. Und für ganze Sprachen oder Begriffssysteme gilt gleiches, sie haben dann empirischen Gehalt, wenn sie mit der Gesamtheit der möglichen sinnlich wahrnehmbaren Belege übereinstimmen, diesen standhalten können. Oder um es mithilfe von Quines Kriterium der ontologischen Verpflichtung zu formulieren: Wenn eine Theorie für eine Klasse von Entitäten gebundene Variablen benützt, also über diese Klasse quantifiziert, so sind ihre Aussagen dann wahr, wenn sie als Ganzes den sinnlichen Belegen entspricht. Das Belegmaterial, das über den empirischen Gehalt entscheidet, besteht in Mustern von Sinnesreizungen. Quine, wie wir gesehen haben, weist aber gleichzeitig die Vorstellung zurück, sinnliche Erfahrungen könnten eine epistemisch ausgezeichnete Klasse darstellen. Unsere Freiheit im Interpretieren sinnlicher Reize wird als sehr weitreichend verstanden, auch die Beobachtungssätze unserer Sprache, die am engsten mit diesen verknüpft sind, sind nicht eindeutig mit empirischen Belegen verbunden. "We persist in breaking reality down somehow into a multiplicity of identifiable and discriminable objects, to be referred to by singular and general terms. We talk so inveterately of objects that to say we do so seems almost to say nothing at all; for how else is there to talk? It is hard to say how else there is to talk, not because our objectifying pattern is an invariable trait of human nature, but because we are bound to adapt any alien pattern to our own in the very process of understanding or translating the alien sentences."180
179 A.a.O., S. 41 und 44. 180 In (Quine, 1969a), S. 1.
108 Unübersetzbarkeit heißt also nicht, daß wir eine uns fremde Sprache in ihrer Abweichung erkennen, aber nicht übersetzen können, da wir, wie Quine selbst sagt, unser objektivierendes Muster, unsere ontologischen Festlegungen in die andere Sprache übertragen müssen. Mit dem Begriff der Inkompatibilität oder Unübersetzbarkeit wird, so Quine, der Möglichkeit Rechnung getragen, daß eine andere Gemeinschaft die Muster von Sinnesreizungen in einer Weise begrifflich faßt, die sich von unserer fundamental unterscheidet. Versteht man Quines These von der Unmöglichkeit eines externen Standpunktes in diesem Sinn als These der Unübersetzbarkeit, können vollständige und teilweise Unübersetzbarkeit unterschieden werden. Als prominentester Kritiker dieser Auffassung kann Davidson gelten, dessen einflußreiche Arbeit "On the very idea of conceptual scheme" uns im Folgenden als Bezugspunkt dienen soll.181 Davidson betont, daß Quines Rede von Sinneserfahrungen oder Oberfächenreizungen zwar eine Auffassung bezüglich des Ursprungs der Belege zum Ausdruck bringe. Eine solche kausale Erlärung sei aber erkenntnistheoretisch nicht maßgeblich, da sie keine Klasse von Entitäten auszeichne, mit deren Hilfe Begriffsschemata überprüft, gerechtfertigt werden könnten. "One can see how, from this point of view, such entities might be called posits. It is reasonable to call something a posit if it can be contrasted with something that is not. Here the something that is not is sensory experience - at least that is the idea."182
Akzeptabel sei eine Sprache, eine Theorie, ein Begriffsschema aber nicht dann, wenn sie in dem von Quine beschriebenen Sinne empirischen Gehalt habe, sondern dann, wenn sie - großenteils - wahr ist. Wahrheit, so Davidson, und der Begriff der Übersetzung sind intern verknüpft und nicht zu trennen: Eine Sprache überhaupt als Sprache zu erkennen, heiße, der Mehrheit ihrer Sätze Wahrheit zuzuschreiben. Diese Zuschreibung sei aber unabhängig von Übersetzung nicht möglich, wenn wir also eine fremde Sprache überhaupt als Sprache erkennen - und nicht beispielsweise als ein völlig unverständliches lautliches Verhalten ansehen - müssen wir bestimmte systematische Äquivalenzen wiedererkennen, wir setzen nicht nur bereits eine zumindest ähnliche Logik voraus, wir interpretieren das Verhalten der fremden Sprecher als in wesentlichen Punkten unserem ähnlich. Damit wäre aber zumindest die starke These vollständiger Unübersetzbar181 (Davidson, 1984d (1974)), vgl. auch (Davidson, 1990a, 1990b) sowie (Davidson, 1995). 182 (Davidson, 1984d), "On the very idea", S. 193.
109 keit als unmöglich erwiesen. Dabei bleibt für unsere spätere kritische Zusammenfassung bereits festzuhalten, daß Quine mittels seiner Analyse des empirischen Gehalts von sprachlichen Äußerungen, die uns erkenntnistheoretisch nur auf die Existenz von Sinnesreizungen festlegt, eine ontologische Neutralität anstrebt, während die Rede von der Wahrheit sprachlicher Äußerungen bereits Festlegungen hinsichtlich der Beschaffenheit der Welt impliziert. Dies, so dagegen Davidson, sei aber unumgänglich, wir müssen zwischen alternativen Begriffssystemen oder Übersetzungen begründet wählen, diese überprüfen und rechtfertigen können. Quine verzichte aufgrund seines an Kausalität orientierten Naturalismus' auf diese Forderung traditioneller Erkenntnistheorie, schaffe damit aber eine andere Art des Fundamentalismus. Kehren wir noch einmal zu unserer Ausgangsfrage zurück, wie die Möglichkeit empirisch äquivalenter, aber logisch inkompatibler Sprachen zu verstehen ist. Unser Problem läßt sich als Frage nach dem für Übersetzung (Interpretation) zentralen Begriff deutlich machen: Basiert Übersetzung primär auf Belegen oder auf der Zuschreibung von Wahrheit? Oder anders: Bestehen die Belege in Sinneserfahrungen oder in Einstellungen, hier: der Einstellung des Für-Wahr-Haltens? Die Differenz zwischen Davidson und Quine liegt vor allem darin, daß letzterer Oberflächenreizungen, oder Reizungen der Sinnesrezeptoren, als einzig verfügbare Belegbasis behauptet.183 Davidson vertritt dagegen die Ansicht, daß ein Empirismus, der aus der Zentralität von Beobachtungssätzen eine erkenntnistheoretische relevante These machen wolle, einen 'Dualismus von Schema und Inhalt' vertreten müsse, was er 'das dritte Dogma des Empirismus' nennt: Neuronenfeuer oder Muster von Sinnesreizungen spielten in Quines Theorie die Rolle, die in klassischen Theorien, die eine relativistische Position vertraten, die Sinnesdaten spielten: sie stellten die Vermittlungsinstanz eines 'uninterpretierten Inhalts' dar, der dann relativ zum Begriffsschema interpretiert wird. Dies stelle für Quine die wissenschaftlich akzeptable Form jener empiristischen These dar. "The most important difference concerns the objects or events that determine communicable content. For Quine this is the patterns of nerve endings which prompt assent to a sentence; an observation sentence of a speaker is 'stimulus synonymous' with an observation sentence of an interpreter if speaker and interpreter would be prompted to accept or reject their respective sentences by the 183 Vgl. z.B. (Davidson, 1984d). Der Aufsatz beinhaltet im Wesentlichen Überlegungen, die Davidson 1974 bei einer Diskussion in Oxford vorgetragen hatte, und auf die Quine bei besagter Tagung antwortete. Vgl. dazu auch Quines Aufsatz “On the very idea of a third dogma“ in (Quine, 1981).
110 same patterns of proximal stimulation. [...] My approach is by contrast externalistic: I suggest that interpretation depends (in the simplest and most basic situations) on the external objects and events salient to both speaker and interpreter, the very objects and events the speaker's words are then taken by the interpreter to have as subject matter. It is the distal stimulus that matters to interpretation."184
Dagegen wird bei Davidson der These, daß sich Welterkenntnis immer der Vermittlung durch die Sinne verdankt, keine erkenntnistheoretische Bedeutsamkeit zuerkannt: Die für das Belegmaterial konstitutiven Faktoren sind einfach die Ereignisse und Gegenstände, von denen die in den Beobachtungssituationen geäußerten Sätze (gemäß einer natürlichen und korrekten Interpretation) handeln. Daraus folge, daß die Quelle der Belege nicht wesentlich privat ist: die für alle Beteiligten wahrnehmbare öffentliche Situation, nicht das Wahrnehmungserlebnis oder das gleichzeitig stattfindende Muster von Sinnesreizungen sei es, was die richtige Belegbasis abgibt. Macht man sich allerdings klar, daß Quines Zurückhaltung gegenüber einem solchen Schritt vor allem daher rührt, daß sein erkenntnistheoretisches Interesse der Frage gilt, wie wir in den 'Fluß unserer Erfahrung' mithilfe von Objekten eine systematische Struktur eintragen, muß man gute Gründe aufzeigen können, warum man ihn dennoch für unverzichtbar hält. Es geht Quine nicht nur darum, entbehrliche ontologische Festlegungen, die gegen das Prinzip des Ockhamschen Rasiermessers verstoßen, zu vermeiden. Quines Naturalismus bestreitet, daß wir ontologische Überzeugungen aus begrifflichen Gründen rechtfertigen können, nicht Philosophie oder der Commonsense, sondern die besten der Naturwissenschaften sagen uns, was es wirklich gibt. Die von Davidson für Übersetzung zugrundegelegten Gegenstände und Ereignisse sind für ihn bereits Konstruktionen aus sinnlichen Reizen, will man also eine ontologisch neutrale erkenntnistheoretische Vorgehensweise, gilt es, ohne diese Entitäten auszukommen. In der Formulierung, Quines Belegbasis sei wesentlich 'privat', deutet sich Davidsons Vorbehalt bereits an. Der Ort, an dem der Reiz in der Kausalkette anzusiedeln ist, so Davidson, muß draußen in der Welt liegen, nur bei einer solchen Gemeinsamkeit der die Äußerungen verursachenden Ereignisse, Gegenstände oder Situationen haben wir eine Gewähr dafür, daß unsere Sicht der öffentlichen Welt zumindest in groben Zügen zutrifft.185 Der Skeptizismus, dem Davidson zufolge Quines proximale Theorie ausgesetzt ist, beruhe darauf, daß Bedeutung indirekt qua Reizung der Sin184 (Davidson, 1990a), S. 321. 185 Vgl. auch (Davidson, 1986a), S. 317f.
111 nesorgane mit den Belegen in Verbindung gebracht wird. Dann bestehe die Möglichkeit, daß es reizsynonyme Sätze mit unterschiedlichen Wahrheitswerten geben kann, da die Bedeutung der jeweiligen Beobachtungssätze an kausale Belege, an nicht intersubjektiv Zugängliches geknüpft wird. Distale Theorien seien zwar in dieser Hinsicht ontologisch voraussetzungsreicher, aber durch die Verknüpfung der Bedeutung mit den gemeinsamen, intersubjektiv zugänglichen Gegenständen oder Ereignissen der Außenwelt sei eine direkte und nicht eine vermittelte Verbindung geschaffen: "In spite of abjuring sense data and the reduction of theoretical terms to observational, Quine's proximal account of meaning and evidence leads to skepticism in much the same way as older theories did. The reason is that skepticism rests on the assumption neither of sense data nor of reductionism, but on the much more general idea that empirical knowledge requires an epistemological step between the word as we conceive it and our conception of it, and this idea is at heart of Quine's proximal theory."186
Worin besteht Davidsons Vorschlag zur Vermeidung der epistemologischen Kluft? Davidson weist die Fundierung des Bedeutungsbegriffes mithilfe einer kausalen Analyse der Belege zurück, die für ihn akzeptablen Belege bestehen in überaus allgemeinen Einstellungen zu Sätzen: Einen Satz Für-wahr-halten, ihn Als-wahr-akzeptieren sei die einzige Einstellung, die sich auf alle Sätze anwenden läßt, und die nicht schon ein Wissen um deren Bedeutung voraussetzt.187 Wollen wir einem Sprecher das Für-wahrhalten eines Satzes zuschreiben, so besteht unser Problem darin, "to abstract from the evidence a workable theory of meaning and an acceptable theory of belief".188 Wie Davidson zu zeigen versucht, kommt es dabei wesentlich darauf an, mittels einer sehr großzügigen Anwendung des auch von Quine akzeptierten Prinzips der Nachsicht hinsichtlich der Überzeugungen eine weitgehende Übereinstimmung vorauszusetzen: "Since charity is not an option, but a condition of having a workable theory, it is meaningless to suggest that we might fall into massive error by endorsing it. 186 (Davidson, 1990b), S. 74, 76. 187 Zur interdependenten Rolle von Bedeutung und Glauben, vgl. z.B. (Davidson, 1984c) S.134f. Die Interdependenzthese besagt, daß einen Satz Für-wahr-halten von der Bedeutung dieses Satzes sowie von dem, was der Sprecher glaubt, abhängt, bei einer Übersetzungstheorie also Überzeugungen - sowie möglicherweise andere Einstellungen - zugeschrieben und sprachliche Äußerungen interpretiert werden müssen. Siehe auch (Davidson, 1984d) "On the very idea", S. 195. 188 "On the very idea", S. 196.
112 Until we have successfully established a systematic correlation of sentences held true with sentences held true, there are no mistakes to make. Charity is forced on us; whether we like it or not, if we want to understand others, we must count them right in most matters. If we can produce a theory that reconciles charity and the formal conditions for a theory, we have done all that could be done to ensure communication. Nothing more is possible, and nothing more is needed."189
Wenn aber die These der Möglichkeit teilweiser Unübersetzbarkeit vor allem durch die großzügige Anwendung des Prinzips der Nachsicht entschärft wird, kann es dann ausreichen, dies zwar als Grundbedingung funktionierender Interpretationstheorien auszuzeichnen, nicht aber epistemologisch zu begründen oder gar zu rechtfertigen? Davidson würde diese Frage vermutlich wieder mit dem Verweis auf die Vorteile distaler Theorien beantworten: Identifiziert man die für die Interpretation verfügbaren Belege mit den intersubjektiv zugänglichen Gegenständen oder Ereignissen, bei denen die Möglichkeit des demonstrativen Aufweises besteht, und berücksichtigt das non-verbale Zustimmungs- oder Ablehnungsverhalten der zu interpretierenden Sprecher, scheint massiver Irrtum nicht möglich. Epistemologisch, so hält Davidson gegen Quine fest, spielen Kausalprozesse dennoch keine Rolle, da sie weder den Inhalt der resultierenden Meinungen festlegen noch rechtfertigend wirken können. Fassen wir das bisher Gesagte zusammen. Versteht man die These der Möglichkeit alternativer Begriffsschemata als These der Unübersetzbarkeit, können drei Thesen unterschieden werden: • • •
Es gibt zwei gleich akzeptable Übersetzungstheorien, von denen die eine einen gegebenen Satz als wahr, die andere ihn als falsch klassifiziert. Die logische Form, also die Frage, was als singuläre Termini, Quantoren oder Prädikate gilt, kann in gleichermaßen akzeptablen Übersetzungsmanualen unterschiedlich sein. Bei - in verschiedenen Theorien - gleichen Wahrheitswertzuschreibungen und gleicher logischer Form können diese sich in Hinblick auf die Bezüge, die sie denselben Wörtern oder Ausdrücken zuordnen, grundlegend unterscheiden.
189 A.a.O., S. 197.
113 Die beiden ersten Thesen beziehen sich auf die Möglichkeit partieller Unübersetzbarkeit: Gegen die erste Art von Unbestimmtheit setzt Davidson eine großzügige Anwendung des Prinzips der Nachsichtigkeit, gegen die zweite die Wahrheitstheorie im Stile Tarskis, die die zugrundeliegende Logik rekursiv festlegt. Wenn also teilweise Unübersetzbarkeit alleine durch unsere notwendigen Übersetzungspraktiken unmöglich ist, können wir dann wenigstens aus der letzten Alternative Sinn machen, daß unsere konkurrierenden Übersetzungsmanuale gleiche Wahrheitsbedingungen und logische Form zuschreiben, sich die als verursachend gedachte Wirklichkeit aber grundlegend unterscheidet? Kann sich, so lautet die Frage vollständiger Unübersetzbarkeit, in solchen Fällen die Gesamtontologie unterscheiden? Akzeptiert man Quines Ansatz, ja, aber, so würde Davidsons Replik lauten, genau dies sei das Problem: Unterschiedliche distale Ereignisse könnten ähnliche Stimulationsmuster auf unseren Oberflächen hervorrufen, und damit reizsynonym sein. Er hält es für einen großen Vorteil seiner nicht auf der Verbindung von sinnlicher Evidenz und Bedeutung sondern auf der Verbindung von Wahrheit und Bedeutung basierenden Herangehensweise, daß sich der Begriffsrelativismus mit ihm gar nicht mehr sinnvoll formulieren läßt: "In giving up dependence on the concept of an uninterpreted reality, something outside all schemes and science, we do not relinquish the notion of objective truth - quite the contrary. Given the dogma of a dualism of scheme and reality, we get conceptual relativity, and truth relative to a scheme. Without the dogma, this kind of relativity goes by the board. Of course, truth of sentences remains relative to language, but that is as objective as can be. In giving up the dualism of scheme and world, we do not give up the world, but re-establish unmediated touch with the familiar objects whose antics make our sentences and opinions true or false."190
Verzichtet man wie Davidson darauf, den Bereich kausaler Relationen rechtfertigend zu verwenden, bleiben nur die logischen Relationen zwischen Meinungen oder den sie ausdrückenden Sätzen, also der Gesichtspunkt der Kohärenz. Beobachtungssätze sind auch in Davidsons Semantik zentral, was er zurückweist, ist die Vorstellung, daß diese mithilfe ihres kausalen Bezugs auf neuralen Input gerechtfertigt werden können, sie in einer epistemischen Beziehung zu Sinnesreizen oder sinnlicher Erfahrung stehen.191 Aus der Zurückweisung des Dualismus' von neutralem, d.h. uninterpretierten Inhalt und begrifflichem Schema zieht Davidson die Konse190 A.a.O., S. 198. 191 Vgl. zu Quines Begriff der Evidenz (Schantz, 1996), bes. Kap. IV, Abs. 5-8.
114 quenz, daß es keine Evidenzquelle geben kann, die ohne Rekurs auf die Außenwelt identifiziert und charakterisiert werden könnte: Davidson hält daran fest, daß die Verwendung einer Sprache oder Interpretation ohne die Voraussetzung einer gemeinsamen, intersubjektiv geteilten Welt mit ihren vertrauten äußeren Gegenständen nicht möglich ist. Doch selbst wenn man Davidson zugesteht, daß Übersetzung oder Interpretation ohne die Übertragung grundlegender Strukturen unseres Denkens nicht möglich ist, es eine ontologisch neutrale Semantik nicht geben kann, bleibt die Frage, ob erkenntnistheoretisch dazu nicht mehr gesagt werden muß. Muß die verlangte großzügige Verwendung des von Davidson als grundlegend ausgezeichneten Prinzips der Nachsicht nicht epistemologisch gerechtfertigt werden? In "Subjektiv, Intersubjektiv, Objektiv" beschreibt Davidson das Prinzip der Nachsicht als bestehend aus zwei einzelnen Prinzipien, dem Kohärenz- und dem Korrespondenzprinzip: "Durch das Kohärenzprinzip wird der Interpret dazu veranlaßt, im Denken des Sprechers einen gewissen Grad an logischer Konsistenz ausfindig zu machen, während er durch das Korrespondenzprinzip veranlaßt wird, den Sprecher so aufzufassen, als reagiere er auf die gleichen Merkmale der Welt, auf die er selbst (also der Interpret) unter ähnlichen Umständen reagieren würde."192
Die Unterstellung von aus unserer Sicht elementarsten Formen von Rationalität betrifft also logische Wahrheit und Tatsachenentsprechung. Setzt eine Übersetzung oder Interpretation, die unseren begrifflichen Rahmen einer Substanzsprache auf die Ontologie anderer Sprachen unbedenklich überträgt, nicht doch genau das voraus, was es erkenntnistheoretisch, und damit auch gegen die skeptische Herausforderung, erst zu erweisen gilt? Wir können uns selbst und andere nicht anders verstehen, als daß wir gemeinsam auf Gegenstände und Ereignisse einer uns zugänglichen, objektiven Welt reagieren: eine solche 'hermeneutische Präsumtion' kann Strukturen des Denkens oder der Erkenntnis, elementare Formen der Rationalität beschreiben.193 Damit deutet sich eine erste Strategie an, den Commonsense-Realismus gegen die skeptische Herausforderung zu begründen. Eine 192 "Subjektiv, Intersubjektiv, Objektiv" (1991), rev. dt. Fass. von "Three varieties of knowledge" (Davidson, 1991), zitiert nach der Veröffentlichung in Dialektik und Dialog von 1993, S. 76f. 193 Vgl. hierzu die überaus instruktive Arbeit von (Scholz, 1999), bes. Teil II, Kap. 8, wo die verschiedenen Strategien, Interpretationsprinzipien wie die Rationalitätsannahme als unverzichtbar auszuweisen, ausführlich diskutiert werden. Scholz argumentiert m.E. überzeugend für eine Lesart, die hermeneutische Regeln als begriffskonstitutive Präsumtionsregeln mit widerleglichen Präsumtionen versteht.
115 erkenntnistheoretische Position, die als rechtfertigend nur Kohärenz, also Beziehungen zwischen Sätzen, gelten läßt, und eine Theorie sinnlicher Erfahrungen, weil mit Kausalerklärungen operierend, für epistemologisch irrelevant hält, kann aber meines Erachtens nicht zeigen, daß die Rede von Denknotwendigkeiten nicht nur intersubjektive, sondern auch objektive Geltung impliziert.194 Betont man dagegen mit Quine die Rolle sinnlicher Erfahrung im Rahmen der Rechtfertigung und betrachtet die Voraussage zukünftiger Stimulationen als zentral, können unterschiedliche Klassen von Gegenständen den Zweck erfüllen, systematische Zusammenhänge zwischen sensorischen Stimulationen herzustellen. Quine versteht sein Kriterium der 'ontologischen Verpflichtung' folglich als neutral, äußere Gegenstände sind für ihn nur eine von mehreren möglichen Klassen, über die wir quantifizieren, der Commonsense-Realismus ist für ihn eine von unterschiedlichen Alternativen, die sich nach immanenten Kriterien bewerten lassen. Er betont gegen Davidson, daß der Empirismus nicht als Wahrheitstheorie gedeutet werden kann und sollte, sondern als Theorie der Belege: "The proper role of experience or surface irritation is as a basis not for truth but for warranted belief. [...] The third purported dogma, understood now in relation not to truth but to warranted belief, remains intact. It has both a descriptive and a normative aspect, and in neither aspect do I think of it as a dogma. It is what makes scientific method partely empirical rather than solely a quest for internal coherence. It has indeed wanted some tidying up, and has had it."195
Es hat sich gezeigt, daß Quines semantische These empirisch äquivalenter, aber logisch inkompatibler Sprachen oder Übersetzungen wesentlich mit dieser erkenntnistheoretischen Prämisse zusammenhängt: Die Belege oder Evidenzen, anhand derer wir unsere Übersetzungen prüfen und rechtfertigen, sind kausaler Natur und bestehen in Sinnesreizen, die Möglichkeit eines direkten, nicht über Sinnesreizungen vermittelten und demnach bereits theoretischen Zugangs zur Welt wird bestritten. Im Folgenden sollen also die Grundlagen und Konsequenzen dieses 'dritten Dogmas' erörtert werden, das für Davidson ein letztes Residuum des Empirismus' darstellt.
194 Diese Behauptung greift vor: In Kap. IV wird die Rede von Denknotwendigkeit im Rahmen von vier unterschiedlichen Lesarten analysiert, und es wird argumentiert, daß Davidson, obwohl seine Erklärung des Verwobenseins unserer Erkenntnisformen eine schwache Form von transzendentaler Geltung aufweist, den CommonsenseRealismus nicht rechtfertigen kann. Vgl. auch (Davidson, 1991a und b). 195 (Quine, 1981c), S. 39.
116 III.1.2.2 Erkenntnistheorie 'von innerhalb' Aus der Zurückweisung jeglicher Trennung von begrifflichen und empirischen Fragen und a fortiori eines besonderen philosophischen Standpunkts resultiert auch für die Erkenntnistheorie das Problem äquivalenter, aber inkompatibler Begriffsschemata. Wenn nur noch jeweilige Einzelwissenschaften einen je internen Beurteilungsmaßstab für ehemals genuin philosophische Fragen abgeben, eine metatheoretische Perspektive nicht gerechtfertigt werden kann, stellt sich die Frage nach dem Geltungsbereich der einzelnen Begriffsschemata. Dabei handelt es sich nicht allein um ein innerphilosophisches Problem. Kann ein erkenntnistheoretisch privilegierter Standpunkt nicht legitimiert werden, hat dies Quine zufolge die Konsequenz, daß uns nur die eine, vereinte Betrachtungsweise der 'unified science' oder des 'universe of discourse' als begrifflicher Rahmen zur Verfügung steht.196 Wenn aber die Freiheit im Interpretieren der sinnlichen Daten nicht eingeschränkt werden kann, kann auch innerhalb dieses Rahmens zwischen alternativen Begriffsschemata ein unauflösbarer Widerstreit entstehen. Wie Quine selbst betont, legt diejenige Wissenschaft, die sich mit den Möglichkeiten des Wissenserwerbs befaßt, die also das methodische Erbe der Erkenntnistheorie übernimmt, die Psychologie, ein phänomenalistisches Begriffschema oder Weltbild nahe, und diejenige Wissenschaft, die den Gegenstandsbereich festlegt und also die Fragen der Ontologie beantwortet, die Physik, ein physikalistisches: "Here we have two competing conceptual schemes, a phenomenalistic one and a physicalistic one. Which should prevail? Each has its advantages; each has its special simplicity in its own way. Each, I suggest, should be developed. Each may be said, indeed, to be more fundamental, though in different senses: the one is epistemologically, the other physically, fundamental."197
Der letzte Satz scheint auf eine elegante Auflösung unseres Problems zu weisen: Fundamental sind die unterschiedlichen begrifflichen Schemata nur relativ zur jeweiligen Einzelwissenschaft, dem vorausgesetzten begrifflichen Rahmen. Dies wäre aber nur dann sinnvoll, wenn die Relativierung auf unterschiedliche Gegenstandsbereiche begründet werden kann: nur wenn die beiden Herangehensweisen der Epistemologie und der Physik ge196 So z.B. in (Quine, 1960), WaO: "[...] this structure of interconnected sentences is a single connected fabric including all sciences, and indeed everything we ever say about the world [...]." §3, S. 12. 197 (Quine, 1961a), S. 17.
117 trennt werden können, sie nicht als Alternativen bezüglich eines geteilten Gegenstandsbereichs gelten können, entsteht kein Widerspruch. Sind die beiden genannten begrifflichen Schemata aber in einer größeren Struktur verbunden, im Ganzen der Wissenschaften vereint, kann eine solche Relativierung das Problem nicht lösen. Der erste Satz, in dem davon gesprochen wird, daß die beiden Begriffsschemata konkurrieren, deutet an, daß die beiden begrifflichen Systeme nicht völlig unterschiedliche Gegenstandsbereiche aufweisen. Wie wird dann die Konkurrenz oder der Widerspruch erklärt? Kurz gesagt ist es meiner Auffassung nach so, daß sich der jeweils als basale erachtete Gegenstandsbereich, die jeweilige Ontologie widersprechen: Und wenn, wie Quine immer wieder betont, eine Reduktion auf direkte Berichte über geteilte Sinneserfahrungen nicht möglich ist, wie ist dieser Widerspruch dann aufzulösen? Quines Zielsetzung, so wurde gegen Davidson festgehalten, ist wesentlich epistemologischer Natur, die Aufgabe der Erkenntnistheorie besteht für ihn darin, zu untersuchen, wie wir mithilfe der 'Reifizierung von Gegenständen', dem zitierten 'objektivierenden Muster', eine Struktur in den Fluß der Erfahrung eintragen. Obwohl Quine also von einer 'Konkurrenz' spricht, erachtet er den Widerspruch m.E. deshalb nicht für problematisch, weil jegliche Ontologie, die alltägliche Ontologie raumzeitlich geordneter Gegenstände wie auch die der Physik, nach seiner Auffassung eine - bloße - Setzung ist, die uns hilft, unsere sinnlichen Erfahrungen zu ordnen. Epistemologisch ist diese, vom phänomenalistischen Begriffschema nahegelegte Ontologie von sinnlichen Erfahrungen oder Mustern von Sinnesreizungen grundlegend. Dieser wird m.E. uneingestanden eine erkenntnistheoretische Priorität zugesprochen, sie wird von Quine nicht in gleichem Maße als Setzung betrachtet wie die Ontologie der Physik.198 Quine vertritt zwar nach eigener Aussage einen 'robusten Realismus', er versichert, seine Epistemologie widerspreche den üblichen ontologischen Annahmen nicht, sondern setze diese voraus.199 Diese Selbsteinschätzung ist jedoch schwer nachzuvollziehen: Quine nimmt ein phänomenalistisches Begriffschema als in erkenntnistheoretischer Hinsicht grundlegend an, die Rede von Sinneserfahrungen oder genauer: Sinnesreizungen 198 Ein Indiz für unsere Interpretation ist, daß Quine die Ontologie der Psychologie nur selten als Setzung bezeichnet. So spricht er zwar davon, daß Sinnesdaten Setzungen psychologischer Theorien sein können, dies gilt aber auch hier nicht für die physikalische Stimulation unserer Nervenenden, die für ihn eine ontologisch unverdächtige Form von Evidenz bilden. Vgl. (Quine, 1976g), S. 252. 199 Siehe hierzu auch Fn. 170, sowie unsere Ausführungen zu Quines Realismus in der das Kapitel abschließenden Zusammenfassung.
118 beschriebe dann also die basalsten Entitäten. Ausgehend von dieser Vorentscheidung ist es ihm dann aber folgerichtig nicht mehr möglich, die Existenz physikalischer Entitäten anders denn als Setzung zu betrachten, die Trennung von Erkenntnistheorie und Ontologie muß zu einer skeptischen Position hinsichtlich einer realistisch aufgefaßten physikalischen Welt führen. Denn wie sollten unsere Wissensansprüche je von einer solchen epistemologischen Basis aus gerechtfertigt erscheinen? Die epistemologische Entscheidung führt notwendigerweise zu der erwähnten cartesianischen Kluft zwischen Erscheinung und Wirklichkeit. "But the question what ontology actually to adopt still stands open, and the obvious counsel is tolerance and an experimental spirit. Let us by all means see how much of the physicalistic conceptual scheme can be reduced to a phenomenalistic one; still, physics also naturally demands pursuing, irreducible though in toto it may be. [...] From among the various conceptual schemes best suited to these various pursuits, one - the phenomenalistic - claims epistemological priority. Viewed from within the phenomenalistic conceptual scheme, the ontologies of physical objects and mathematical objects are myths. The quality of myth, however, is relative; relative, in this case, to the epistemological point of view. This point of view is one among various, corresponding to one among our various interests and purposes."200
Wie dieses Zitat zeigt, betrachtet auch Quine die Frage, welche Ontologie wir akzeptieren sollten, nicht als gelöst. Wenn man die These der Naturalisierung der Epistemologie auf eine Erfahrungswissenschaft ernst nimmt, stehen sich die Ontologien von zwei Naturwissenschaften gegenüber. Aber wenn man Quine ebenfalls darin zustimmt, daß die Auszeichnung von Sinnesreizen oder Neuronenfeuer durch unser erkenntnisthoretisches Interesse gerechtfertigt werden kann, stellt sich die Frage, wie wir dies je entscheiden sollten. Welchen Stellenwert hat Quines Realismus, wenn die Setzung von Objekten relativ zu je unterschiedlichen theoretischen Systemen ist, die durch differierende Interessen oder Fragestellungen gebildet werden? In der Einleitung zur Neuauflage von From a Logical Point of View von 1980 betont Quine, daß die ontologischen Überlegungen in "Two Dogmas" wie in "On what there is" weder in ihrer These noch in ihrer Motivation als nominalistisch verstanden werden sollten: "I was concerned rather with ascribing ontologies than with evaluating them. Moreover, in likening the physicists' posits to the gods of Homer, in that essay and in 'Two dogmas', I was talking epistemology and not metaphysics. Posited
200 (Quine, 1961a) "On what there is", S. 19.
119 objects can be real. As I wrote elsewhere, to call a posit a posit is not to patronize it."201
Doch wie ist das zu verstehen: Wenn die Behauptung der Setzung von Objekten deren Realität nicht abträglich ist, von welcher Art von Realität spricht Quine dann? In "Posits and Reality" diskutiert Quine eine mögliche skeptische Argumentationslinie, die aus der eher indirekten Beziehung zwischen Begriffen der Molekulartheorie und der Realität, also aus der Tatsache, daß diese Begriffe nur per Analogie zu direkt beobachtbaren Phänomenen eingeführt werden, den Schluß zieht, daß die Gegenstände der Physik nicht real, sondern bloße Setzung sind.202 Akzeptiert man eine solche Argumentation, so Quine, müssten aber auch die gewöhnlichen Gegenstände des Commonsense als bloße Setzung, als unwirklich angesehen werden, da uns auch diese Gegenstände nicht direkt gegeben sind, auch hier bestünden die Belege in Mustern von Sinnesreizungen.203 Quines Schlußfolgerung hingegen lautet, daß die für alle Bereiche einzig zur Verfügung stehende Evidenz unsere gegenwärtigen und vergangenen Sinnesreizungen sind, in die wir eine Struktur eintragen, die Voraussagen bezüglich zukünftiger Sinnesreizungen erlaubt: "Having noted that man has no evidence for the existence of bodies beyond the fact that their assumption helps him organize experience, we should have done well, instead of disclaiming evidence for the existence of bodies, to conclude: such, then, at bottom, is what evidence is, both for ordinary bodies and for molecules."204
Quine hält daran fest, daß Sinnesdaten evidentielle Priorität zukommt und diese die einzig zur Verfügung stehende Belegbasis sind, aber er weist die Schlußfolgerung zurück, daß dies die Realität der gesetzten Objekte nicht belege. Sinnesdaten bildeten das evidentielle, physikalische Teilchen das natürliche und Commonsense-Gegenstände das begriffliche Fundament der Realität: 201 A.a.O., S. viii. 202 "Posits and Reality", (Quine, 1976g). 203 A.a.O., S. 250: "What are given in sensation are variformed and varicoloured visual patches, varitextured and varitemperatured tactual feels, and an assortement of tones, tastes, smells, and other odds and ends; desks are no more to be found among these sense data than molecules. If we have evidence for the existence of the bodies of common sense, we have it only in the way in which we may be said to have evidence for the existence of molecules." 204 A.a.O., S. 251.
120 "But these three types of priority must not be viewed as somehow determining three competing, self-sufficient conceptual schemes. Our one serious conceptual scheme is the inclusive, evolving one of science, which we inherit and, in our several small ways, help to improve."205
Auch wenn man akzeptiert, daß ontologische Fragen als gleichrangig mit Fragen der Naturwissenschaft anzusehen sind, sich ontologische sowie andere wissenschaftliche Hypothesen nicht nur Tatsachenfragen sondern auch einer Wahl, einer Entscheidung bezüglich des effektiveren begrifflichen Schemas verdanken, scheint Quines Fazit eher ein Versprechen als eine Zustandsbeschreibung zu sein: Denn die Versöhnung gleichermaßen grundlegender, aber konkurrierender begrifflicher Schemata in dem einen Schema der Wissenschaft bleibt zukünftigen Generationen vorbehalten. Wenn man Quine darin zustimmt, daß einzelne Begriffsschemata nicht durch eine Trennung logischer und empirischer Bestandteilen zu systematisieren sind, so daß eine Ordnung zwischen den einzelnen Begriffschemata auch nicht durch einen Vergleich der jeweiligen empirischen Basis möglich ist, ist es von entscheidender Bedeutung, nach welchen alternativen fundamentalen Prinzipien die anzustrebende Vereinheitlichung des Gesamtsystems stattfindet und vorgehen sollte. Können die unterschiedlichen einzelnen Theorien, Quine spricht auch von einzelnen Begriffsschemata, mithilfe von normativen Überlegungen so systematisiert werden, daß deren Widersprüchlichkeit aufgelöst wäre? - Und zwar ohne daß diese normativen Gesichtspunkte selbst von einem externen, privilegierten Standpunkt aus gerechtfertigt werden könnten? Die meisten der von Quine favorisierten epistemologischen Normen, deren zentrale lauten, Einfachheit zu maximieren und Widerspruch zu minimieren, betreffen formale Prinzipien der wissenschaftlichen Methode, so daß es einleuchtend ist anzunehmen, daß sie sich einer Analyse faktischen wissenschaftlichen Vorgehens verdanken.206 Wie sich gezeigt hat, ist jedoch die Begründung des 'dritten Dogmas', der von Quine betonten dritten grundlegenden Norm des Empirismus, entscheidender. Nihil in mente quod non primus in sensu: diese Norm markiert für Quine den Ort, an dem der Inhalt und die Wahrheitsbedingungen (oder besser: die Belege) unserer Theorien festzumachen sind. Quines naturalistische Wendung der Epistemologie besagt, daß es allein die Methoden der Wissenschaft sind, die uns zu einer wahren (oder erfolgreichen) Theorie der Welt führen können. Dies entspricht der auch oben zitierten zweiten Quelle von Quines Naturalis205 A.a.O., S. 252. 206 Vgl. z.B. in WaO, § 5, S. 22ff., sowie wieder in (Quine, 1990a), S. 19ff.
121 mus: Quine verweist auf den unbekehrten oder hartnäckigen Realismus des Wissenschaftlers, dessen Zweifel sich allein auf Probleme beziehe, die innerhalb der Wissenschaft entstehen. Dieser Realismus, so ebenfalls Quine, verweist folglich auch auf den besonderen Status von Beobachtungssätzen als empirisch testbaren Hypothesen. Dennoch wird diese realistische Vorstellung der empirischen Testbarkeit von Theorien durch deren Analyse im Rahmen der sog. empiristischen Norm gleichzeitig auch einer substantiellen Korrektur unterzogen: wenn Beobachtungen selbst unterbestimmt sind, weil sie nicht als direkt, sondern als vermittelt über unterschiedlich interpretierbare kausale Reize analysiert werden können, Beobachtungen also Deutungen entsprechen, ist die realistische Position nur eine unter mehreren empirisch äquivalenten, aber logisch inkompatiblen Optionen.207 Kann diese Spannung zwischen Quines Epistemologie, in der vor allem die Kluft zwischen Evidenz und Theorie betont wird, und Quines Selbstverständnis seiner Ontologie als realistischer, mithilfe normativer Überlegungen entschärft werden? Die empiristische Norm, oder auch das dritte Dogma, hat, wie Quine selbst sagt, einen deskriptiven wie einen normativen Aspekt. Der deskriptive Aspekt wurde im Rahmen der Semantik mit Bezug auf die Rolle sinnlicher Evidenz bereits diskutiert. Im Folgenden wollen wir uns daher vornehmlich dem normativen Moment dieser These zuwenden. Der Forderung, daß unsere Theorien an Beobachtung überprüft werden müssen, daß Widerlegung oder Bestätigung letztlich nur mithilfe von empirischen Tests möglich ist, würde kaum jemand widersprechen. Erst durch die Relativierung solcher Bestätigung auf einzelne Theorien entsteht das Problem, daß sich die jeweils gesetzten Ontologien grundlegend unterscheiden können. Dabei handelt es sich nicht nur um das durch die These der Unterbestimmtheit von Theorien ausgedrückte Problem.208 Daß unsere Theorien nicht nur faktisch durch vergangene wie zukünftige Daten unterbestimmt sind, sondern prinzipiell, weil die Beobachtungskriterien für theoretische Terme flexibel und unvollständig sind, verweist wieder auf die Frage der Übersetzbarkeit als Kriterium für ein Begriffsschema. Quines wesentlicher Punkt ist, daß dieselbe Menge von Beobachtungssätzen prinzipiell verschiedene, logisch inkompatible Theorien unterstützen kann, was auf die These vollständiger Unübersetzbarkeit zu verweisen scheint: über den ei207 Eine ähnliche Einschätzung finet sich auch bei anderen Autoren. Vgl. z.B. Hylton: "Quine's ontology, then, asserts an unqualified realism; his epistemology, however, argues for a wide disparity between evidence and theory, and thus seems to many to suggest skepticism or instrumentalism, or at any rate to make considerable qualification to the realism."A.a.O., S. 262, m.H. 208 (Quine, 1970a), (Quine, 1975b) sowie (Quine, 1990b).
122 nen privilegierten Standpunkt, von dem aus wir die logisch inkompatiblen Theorien miteinander vergleichen könnten, oder die eine, privilegierte Sprache, deren logisches Inventar neutral wäre, in die wir sie übersetzen könnten, verfügen wir nicht. Grundlegend ist nicht ein Begriffschema, eine Sprache, deren ontologische Verpflichtungen nicht weiter hinterfragt werden könnten, grundlegend ist der "Fluß der Evidenz" von der Stimulation unserer Nervenenden bis hin zur Reifikation von Körpern: "But I remain unswerved in locating stimulation at the neural input, for my interest is epistemological, however naturalized. I am interested in the flow of evidence from the triggering of the senses to the pronouncement of science. My naturalism allows me free reference to nerve endings, rabbits, and other physical objects, but my epistemology permits the subject no such starting point. His reification of rabbits and the like is for me part of the plot, not to be passed over as part of the setting."209
Welche Ressourcen hat der Naturalismus, die erkenntnistheoretische Kluft, oder das lose Verhältnis zwischen evidentiellen Daten und theoretischem Netz, mithilfe normativer Gesichtspunkte zu überbrücken?210 Man sollte Quine meines Erachtens gegen Davidson darin beipflichten, daß der Bezug zur Welt, der empirische Bestandteil unserer wissenschaftlichen Theorien epistemologisch berücksichtigt werden muß und nicht alleine durch das Streben nach interner Kohärenz gekennzeichnet werden kann. Aber warum sollte dies im Rahmen der Auszeichnung von Sinnesreizungen erfolgen? Bestreitet man, daß die Erkenntnistheorie über einen privilegierten Standpunkt verfügt, begibt man sich in den bereits beschriebenen Begründungszirkel: Naturalistische Erkenntnistheorie ist selbst nur eine der Wissenschaften, soll aber eine Norm begründen, die die Belege oder Evidenzen und damit auch den Geltungsbereich aller anderen Wissenschaften beschreibt. Dabei ist nicht nur schwierig, daß Quine diese Norm als trivial, als offensichtlich gegeben behandelt. Mehr noch: Es entsteht der Eindruck, daß Quine diese Maxime um beinahe jeden Preis aufrechterhalten würde, so daß sich der Anschein einer - uneingestandenen - Notwendigkeit ergibt. In unserem Interpretationsvorschlag resultierte das empirische Element in Quines naturalisierter Epistemologie aus dieser Norm des Empirismus, und 209 (Quine, 1990a), S. 41f. 210 Vgl. dazu z.B. Hylton, a.a.O., S. 261: "[...] Quine appeals to naturalism to defend the claim that his philosophy is a form of realism against charges that his view leads to idealism or instrumentalism or skepticism. Seeing how naturalism is supposed to defeat or deflect these charges will give us an idea of what naturalism, in Quine's hands, must come to."
123 deren normatives Element aus der Fundamentalität oder Zentralität dieser Norm. Wie also kann für die Zentralität der sog. dritten Norm des quineschen Naturalismus argumentiert werden? Wäre Quines epistemologisches Vorgehen rein naturalistisch, und das heißt, wäre Epistemologie ein Teilbereich der Wissenschaft, müßte er zeigen können, daß auch die fundamentalsten Normen Produkte wissenschaftlichen Vorgehens sind. Aber ist es einleuchtend anzunehmen, daß diese Norm ein Ergebnis und nicht eine Voraussetzung der Wissenschaft ist? Natürlich kann man sagen, daß die Wissenschaften zeigen, daß uns unsere Sinneswahrnehmungen die zuverlässigsten Informationen über die Welt liefern und wir nicht über einen Zugang zur Welt verfügen, der nicht auf Beobachtung basiert. Damit aber wäre die betonte Zentralität, die den normativen Charakter erklären soll, nur schwach begründet: die These, daß unsere wissenschaftlichen oder erkenntnistheoretischen Verfahrensweisen üblicherweise nicht dazu führen, daß die fundamentale Norm des Empirismus in Zweifel gezogen wird, wir Anpassungen vorzugsweise an weniger zentralen Stellen unseres holistisch verbundenen Meinungsnetzes vornehmen, würde implizieren, daß uns auch die Alternative, diese Norm bei zu starken gegenläufigen Evidenzen aufzugeben, offen steht.211 Aber es ist zumindest ein offenes Problem, ob sinnliche Erfahrung mit der Stimulation unserer Nervenenden identifiziert werden sollte, so daß äußere Körper immer nur als Postulate oder Setzungen verstanden werden können. Erst wenn man diese Prämisse ablehnt, kommt der Norm, daß unser Wissen sich sinnlicher Erfahrung verdankt, jene triviale Wahrheit zu, die Quine für sie in Anspruch nimmt, dann kann diese Maxime aber auch nicht mehr sinnvoll als revidierbar verstanden werden.
211 Damit deutet sich die m.E. erfolgreichste Strategie gegen beide Gegner der realistischen Position bereits in ihren Grundzügen an: die naturalistische Kritik am Begriff der Notwendigkeit bestimmter Grundannahmen kann dadurch zurückgewiesen werden, daß die alternative Vorstellung prinzipieller Revidierbarkeit zumindest im Bereich bestimmter fundamentaler Normen als leer ausgewiesen wird, und der skeptischen Rechtfertigungsforderung kann auf die gleiche Weise begegnet werden, weil gezeigt werden kann, daß auch der Skeptiker bestimmte fundamentale Normen voraussetzen muß, um überhaupt über den Begriff der Erkenntnis verfügen zu können.
124 III.1.3 Kritische Zusammenfassung III.1.3.1 Semantische und erkenntnistheoretische Relativität Als grundlegend für beide diskutierte Formen von Relativität kann Quines empiristisches Erbe angesehen werden: wie sich gezeigt hat, bindet Quine das Sprechen einer Sprache wie auch wissenschaftliche Theorien in epistemologischer Hinsicht an sinnliche Erfahrung, erst mithilfe von Beobachtungssätzen werden diese empirisch und mithin überprüfbar. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit empirisch äquivalente, aber logisch oder begrifflich inkompatible Begriffsschemata unterschieden werden können oder möglich sind, für beide Bereiche. Dabei muß das den Wissenschaften zugrundeliegende System oder Begriffschema letztlich als ein singuläres verstanden werden, als die eine, vereinte Betrachtungsweise der 'unified science', aus der heraus wir die Prüfung unserer Theorien vornehmen können. Versucht man, die These der Inkompatibilität oder Inkommensurabilität für beide Bereiche möglichst parallel auszudrücken, fällt allerdings auf, daß die beiden Thesen nicht deckungsgleich sind: Formuliert man Quines These einer möglichen Inkompatibilität für die Semantik, kann man sagen, daß es unterschiedliche (Fremd-)Sprachen gibt, die in unsere Muttersprache übersetzt werden, aber dadurch, daß uns als Belegbasis nur Sinnesreizungen zur Verfügung stehen, können wir nie sicher sein, daß es zum gewählten Übersetzungsmanual nicht empirisch äquivalente, aber logisch inkompatible Alternativen gibt. Formuliert man Quines These einer möglichen Inkompatibilität für die Erkenntnistheorie, kann man sagen, daß es unterschiedliche Theorien gibt, die in unser Begriffschema übersetzt werden, aber dadurch, daß uns als Belegbasis nur Sinnesreizungen zur Verfügung stehen, können wir nie sicher sein, daß es zum gewählten Übersetzungsmanual nicht empirisch äquivalente, aber logisch inkompatible Alternativen gibt. Im ersten Fall bildet unsere Muttersprache den Rahmen oder das zugrundeliegende Begriffsschema, in das andere Sprachen oder Systeme übersetzt werden. Diese 'Muttersprache' stellt für Quine selbst ebenfalls ein theoretisches Gefüge dar, das unsere Sinnesreizungen systematisiert, und das insofern unbestimmt ist, als es auch hierzu logisch inkompatible Alternativen geben kann.212 Wie wird die Relativität auf dieser Ebene ent212 Das hängt auch mit der von uns noch nicht explizit berücksichtigten These der Unerforschlichkeit der Referenz zusammen, vgl. z.B. (Quine, 1960), Kap, 2, S. 26ff., (Quine, 1969b), S. 35-38, (Quine, 1981a), S. 19-22, sowie (Quine, 1990b), S. 6, s.a. den späteren Abschnitt III.1.3.3.
125 schärft? Im letzteren Fall kann die mögliche Inkompatibilität der unterschiedlichen Theorien zwar auch nicht durch einen Rahmensprachenregress entschärft werden, eine letzte Übersetzung kann nicht stattfinden. In dem Ganzen unseres Begriffsschemas stehen die alternativen theoretischen Gefüge nebeneinander, eine Auflösung oder Aufhebung des Widerspruchs kann nur im günstigsten Fall durch eine metatheoretische Hierarchisierung, beispielsweise mithilfe der genannten normativen Gesichtspunkte, erreicht werden, ansonsten, so Quine, bleibt nur eine pragmatische Haltung. Aber die semantische Unbestimmtheit unserer Muttersprache scheint insofern schwerer zu wiegen, als die Vorstellung, unser alltägliches Reden und Denken sei in seinen ontologischen Verpflichtungen unbestimmt, mit unserem Realismus unvereinbar ist. Wissenschaftstheoretischer Anti-Realismus, oder eine pragmatische Haltung gegenüber Unterbestimmtheit kann als eine Art von Stimmenthaltung gegenüber theoretischen Entitäten verstanden werden. Unterbestimmtheit muß also nicht zu dem eingangs beschriebenen globalen Skeptizismus führen, Unbestimmtheit, wenn sie auch unsere Muttersprache betrifft, scheint dagegen zwangsläufig zu einer skeptischen Haltung zu führen. Auf diesen Punkt wird ausführlicher einzugehen sein, wenn geprüft wird, inwieweit Quine der von realistischen Herangehensweisen vorausgesetzten These, in unseren ontologischen Festlegungen berührten sich Strukturen der Erfahrung und Strukturen der Welt, Geltung verleihen kann. Grundlegend für beide Arten von Relativierung ist die erkenntnistheoretische Annahme, daß jedes begriffliche System, das über Sinnesreizungen hinausgeht, einen wesentlichen Bestandteil begrifflicher Freiheit beinhaltet, der nicht an den Daten, der Welt rechtfertigbar ist. Basiert denn aber nicht gerade die von Quine behauptete epistemologische Priorität des phänomenalistischen Begriffsschemas, die Betonung von Sinnesdaten oder Sinnesreizungen als letztlich einziger Quelle evidentieller Stützung, auf der Unterscheidung eines faktischen und eines begrifflichen Bestandteils unserer Überzeugungen? Denn es sind ja gerade die zwei, das Verhältnis von Daten und Begriffsschema betreffenden Thesen, die Unbestimmtheits- und die Unterbestimmtheitsthese, die das Hauptargument für die erkenntnistheoretische Zurückhaltung gegenüber raumzeitlichen Objekten bilden, die sich in der Rede von 'Setzungen' ausdrückt. Die von Quine zugelassene Datenbasis beschränkt sich, wie wir gesehen haben, auf weitestgehend interpretationsfreie, d.h. also von unserem jeweiligen begrifflichen Schema unabhängig zu erkennende, behaviourale oder auch wissenschaftliche Fakten, denn als solche werden die Stimulationen unserer Sinnesrezeptoren, die den einzig zugelassenen Input bilden, eingeführt. Bei einer solchen Datenbasis muß die Grundfrage der Erkenntnistheorie
126 für Quine folgerichtig lauten: "Given only the evidence of our senses, how do we arrive at our theory of the world?"213 Wie kann die epistemologische Präferenz bezüglich sinnlicher Evidenz, verstanden als Reizung unserer sensorischen Oberflächen, begründet werden? Verwirft man die Idee der Möglichkeit einer Trennung faktischer und begrifflicher Bestandteile, ist diese Priorität dann noch gut zu begründen? Denn die zugrundeliegende Idee scheint doch, mit dieser Konzeption unserer Datenbasis eine Art uninterpretierten, neutralen, in der Erfahrung gegebenen Inhalt auszuzeichnen, der dann variablen Deutungen in unterschiedlichen Begriffsschemata ausgesetzt wird. Eine solche Art Dualismus ist aber dem kritisierten Dogma des traditionellen Empirismus nicht unähnlich: wo dort die Trennung eines faktischen, empirischen und eines begrifflichen Bereiches propagiert wurde, trennt Quine Schema und Inhalt. Eine solche Trennung ist, wie sich auch in unserer Diskussion um den sog. Mythos des Gegebenen noch zeigen wird, allerdings prekär: nicht nur, daß damit unweigerlich die Kluft zwischen Erscheinung und Wirklichkeit, zwischen Subjektivität und Objektivität entsteht, die cartesianische Situation wiederhergestellt scheint. Neuraler Input scheint auch, selbst wenn er als neutral verstanden werden könnte, nicht die ihm zugedachte Rolle als Evidenz spielen zu können, weil kausale Beziehungen zumindest prima facie keine epistemologische, rechtfertigende Bedeutung zu haben scheinen. III.1.3.2 Robuster Realismus und immanente Epistemologie Eine erste Antwort auf unsere Frage, ob naturalistische Erkenntnistheorie unsere realistischen Intuitionen unterstützen kann oder ob sie vielmehr revidiert werden müssen, wurde bereits im vorangegangenen Abschnitt gegeben: Quines Realismus, so war dort die Schlußfolgerung, kann nicht als robust verstanden werden, das soll heißen, er kann nicht im Rahmen der drei eingangs genannten Bestimmungen definiert werden, der fragliche Begriff wird von Quine weitgehend uminterpretiert. Denn zum einen kann der Commonsense-Realismus Quines Rede von der nur intern zu rechtfertigenden Akzeptanz, der nur relativen Wirklichkeit materieller Körper sowie sein Verständnis von Evidenz als Stimulation nicht akzeptieren. Und zum anderen kann so, wie gegen tranzendentale Argumentation festgehalten wurde, daß mit einer Ausweisung eines notwendigen Begriffsgerüstes ohne verifikationistische Zusatzannahme nicht auch dessen Wahrheit erwiesen sei, gegen Quine auf die Lücke zwischen erfolgreicher Vorhersage 213 (Quine, 1974), S. 1.
127 und Wahrheit verwiesen werden. Zuverlässige Voraussagen zukünftiger Ereignisse, oder naturalistisch: zukünftiger Sinnesreizungen, so der Einwand, können nur insoweit als Kennzeichen realistischer Theorien gelten, als sie einen Hinweis auf die Wahrheit zugrundeliegender Überzeugungen darstellten. Wahrheit, so hält dagegen Quine fest, sei ebenfalls kein neutraler oder externer Begriff: So wie wir durch das Sprechen einer Sprache immer schon vor dem Hintergrund eines bestimmten theoretischen Rahmens argumentieren, so verfüge auch die Epistemologie nicht über einen ausgezeichneten Zugang zur Wirklichkeit, der extern zur Perspektive der auf Beobachtung und Vorhersage gerichteten Wissenschaften wäre: "Truth is immanent, and there is no higher. We must speak from within a theory, albeit any of various. Transcendental argument, or what purports to be first philosophy, tends generally to take on rather this status of immanent epistemology insofar as I succeed in making sense of it. What evaporates is the transcendental question of the reality of the external world - the question whether or in how far our science measures up to the Ding an sich."214
Was aber folgt daraus, daß wir immer nur von einer internen Position sprechen können? Quine betrachtet die Wissenschaften als Fortsetzung des Commonsense oder als selbstbewußten Commonsense, und diesen selbst bereits als eine Art rudimentärer physikalischer Wissenschaft.215 Wenn diese jeweiligen 'Theorien' aber nur graduell getrennt sind, müßte das in den Wissenschaften verwendete Testkriterium, inwieweit unsere Theorien erfolgreich sind in der Voraussage von Beobachtungen, auch auf unsere Commonsense-Überzeugungen übertragen werden: Commonsense, Philosophie und Natur-Wissenschaften verfügten dann letztlich weder über unterschiedliche Arten von Belegen noch über unterschiedliche Standards von Rechtfertigung, so auch Quines Fazit. Quines negativer Punkt, daß wir immer nur aus einer internen Perspektive argumentieren können, unsere Überzeugungen nur mithilfe eines immanenten Wahrheitsbegriffes ausweisen können, hätte folglich zur Konsequenz, daß unsere realistischen Intuitionen reformuliert werden müssen: Wird akzeptiert, daß ein Geltungsoder Wahrheitsanspruch sich allein vor dem Hintergrund irgendeiner bereits vorausgesetzten Theorie hinterfragen oder rechtfertigen läßt, dann, so Quine, stellt die Pluralität von Theorien kein Problem mehr dar, da sie als 214 (Quine, 1981a), T&T, S. 21f. Man beachte auch seine Gleichsetzung der Begriffe 'Realität der Außenwelt' und 'Ding an sich'. 215 So bsp. in (Quine, 1960), S. 3, in (Quine, 1975a), S. 67f., oder in (Quine, 1976f), S. 233.
128 Alternativen verstanden werden, die sich gegenseitig ergänzen, kritisieren oder ersetzen können. Die Frage, welche der alternativen Theorien wahr ist, kann dann nicht mehr gestellt werden, auf längere Sicht wird sich wahrscheinlich irgendeine der Theorien als nützlicher erweisen. Akzeptiert man diese Argumentationsweise, kann die realistische Intuition, daß es zwischen korrekter Voraussage und Wahrheit möglicherweise einen Unterschied gibt, nicht aufrechterhalten werden, so daß die mögliche Widersprüchlichkeit alternativer Begriffsschemata auch kein Indiz für einen Irrtum wäre, da es den geteilten Anspruch einer wahren Beschreibung der Wirklichkeit nicht mehr geben kann.216 "[I]t is a confusion to suppose that we can stand aloof and recognize all the alternative ontologies as true in their several ways, all the envisaged worlds as real. It is a confusion of truth with evidential support. Truth is immanent, and there is no higher."217
Wie ist diese Behauptung zu verstehen? Gegen wen wendet sich Quine mit dieser Formulierung? Zunächst einmal scheint diese Äußerung nur den bekannten Punkt der Unmöglichkeit eines Blicks von außerhalb oder von oberhalb, einer privilegierten externen Position zu wiederholen. Aber was heißt es, daß, wer annimmt, wir könnten die Wahrheit alternativer Ontologien von oben als je relativ gelten lassen, Wahrheit mit evidentieller Stützung verwechselt? Die Wahrheit alternativer Ontologien können wir nicht in der beschriebenen Weise beurteilen, den Bezug zu den Belegen aber schon? Die Formulierung erinnert an das erwähnte Argument gegen Davidson, in dem Quine festhält, daß der Empirismus nicht als Wahrheitstheorie, sondern als Theorie der Belege interpretiert werden sollte. Ersetzt man in unserem Zitat den Begriff der Wahrheit durch den evidentieller Stützung, besagt es, daß wir die evidentielle Stützung alternativer Ontologien von oben als je relativ gelten lassen können. Diese Lesart entspricht meinem Verständnis nach zwar einerseits Quines Intentionen, aber sie impliziert auch die Schlußfolgerung, Erkenntnistheorie als Theorie der Belege stelle doch einen privilegierten Standpunkt dar. Was heißt es, daß der 216 In manchen der neueren Arbeiten wird der Anschein von Inkompatibilität dadurch aufgelöst, daß die Kontradiktion als Ambiguität eines oder mehrerer zentraler Begriffe verstanden wird: "[...] we can resolve all conflict between the two theory formulations. Both can be admitted thenceforward as true descriptions of one and the same world in different terms. The threat of relativism of truth is averted." In (Quine, 1981g), S. 30. Einem solchen Verständnis der Wahrheit von alternativen Beschreibungen widerspricht m.E. das nachfolgende Zitat, ebenfalls aus dem Band T&T. 217 (Quine, 1981a), S. 21f.
129 Begriff der Wahrheit nicht in der skizzierten Weise relativ verwendet werden kann, aber gleichwohl immanent ist? Erinnern wir uns an jene Stellen, an denen Quine davon spricht, daß seine Erkenntnistheorie seine realistische Ontologie voraussetze, oder daß die Setzung von Objekten das begriffliche Fundament der Realität bilde: "Illusions are illusions only relative to a prior acceptance of genuine bodies with which to contrast them. [...] Bodies have to be posited before there can be a motive, however tenuous, for acquiescing in a non-committal world of the immediate given".218 "The positing of physical objects must be seen not as an ex post facto systematization of data, but as a move prior to which no appreciable data would be available to systematize."219
Wenn der Begriff der Wahrheit nicht relativiert verwendet werden kann, dann weil er intern ist zu solchen begrifflichen Voraussetzungen, zu unserem, wie Quine auch sagt, objektivierenden Muster. Quine betont damit meines Erachtens einerseits das Innerhalb, in dem wir zu unserer eigenen Ontologie stehen, die wir nicht als relativ, sondern als wahr ansehen müssen, und bestreitet zugleich, daß wir diese Voraussetzung, obwohl wir sie bei der Übersetzung zu großen Teilen übertragen müssen, auch als gültig für andere Begriffssysteme oder Sprachen ansehen können. Gemeinsam ist den verschiedenen Sprachen oder Theorien nicht diese für uns selbst nicht hintergehbare Struktur, sondern die Sinnesreizungen, also die Belege. Damit ist aber Quines Behauptung, er sei robuster Realist, nicht zu rechtfertigen: die realistische Behauptung einer objektiven Außenwelt, die Rede von einer einzigen, geteilten oder gemeinsamen Wirklichkeit, über die wir Aussagen zu machen suchen, muß dann entweder aufgegeben oder uminterpretiert werden. III.1.3.3 Quines Umgang mit der skeptischen Herausforderung Wir sind nun in der Lage, die zu Beginn gestellten Fragen zu beantworten. Es hat sich bereits gezeigt, daß die Frage nach einer besonderen Geltung der ursprünglich als apriorisch verstandenen Bereiche negativ beantwortet werden muß: Quines Fallibilismus, die Behauptung der prinzipiellen Revidierbarkeit und rein notationellen Bedeutung erkenntnistheoretischer und ontologischer Grundannahmen, läßt keinen Raum, die zugestandene Zen218 (Quine, 1975a), S. 67. 219 (Quine, 1976g), S. 251.
130 tralität bestimmter Überzeugungen erkenntnistheoretisch fruchtbar zu machen. Die Beantwortung der Frage, ob sich tatsächlich alle unser Begriffssystem konstituierenden Begriffe und Annahmen revidieren lassen, muß allerdings bis zur erneuten Diskussion des Begriffs der Notwendigkeit im vierten Kapitel zurückgestellt werden. Unsere Ausführungen haben weiter gezeigt, daß im Rahmen der von Quines empiristischen Grundannahmen zugelassenen methodischen Herangehensweise der gesuchte Commonsense-Realismus bezüglich raumzeitlicher Gegentände nicht vertretbar ist, der Begriff der Realität einer fundamentalen Revision unterzogen wird. Antirealistische Konsequenzen folgen nach Quines Auffassung daraus aber nur, wenn wir einem cartesianischer Skepsis geschuldeten Gewißheitsanspruch zu genügen versuchen. Dies soll nun geprüft werden. Versteht man Epistemologie als Untersuchung darüber, was Wissen ist, und wie wir zu Wissen kommen, so kann man zwar daran festhalten, daß diese Fragen, wie alle anderen, weniger allgemeinen, von einem internen, wissenschaftlichen Standpunkt aus untersucht werden müssen, keinen externen Bereich genuin philosophischer oder rein begrifflicher Natur bilden. Selbst Untersuchungen, unsere Begriffschemata betreffend, können nie von einem Standpunkt außerhalb ihrer selbst vorgenommen werden. Auch wenn Quine einräumt, daß ontologische Fragen einen eher theoretischen oder begrifflichen Charakter, eine eher zentrale Stellung im Netz unserer Überzeugungen haben, so heißt das für ihn nicht, daß sie mit prinzipiell anderem Handwerkszeug beantwortet werden würden als wissenschaftliche Hypothesen. Quine im besonderen, oder wie sich noch zeigen wird, naturalisierte Erkenntnistheorie im allgemeinen, geht über diesen Punkt aber hinaus. Wie sich gezeigt hat, hat die Betonung der Wissenschaftlichkeit, metaphysischer Spekulation oder bloßer Setzung gegenübergestellt, im Rahmen der Erkenntnistheorie zur Folge, daß deren Grundfrage bezüglich des Verhältnisses von Evidenz und Theorie in die Frage nach dem Verhältnis zwischen kausalem, sensorischem Input und begrifflichem Output umformuliert werden muß. Wollen wir die Gründe, Ursprünge unseres empirischen Wissens rechtfertigen, darf in dieser Rechtfertigung eigentlich nicht selbst wieder auf empirisches Wissen zurückgegriffen werden, so zumindest lautete Kants Reaktion auf das in Agrippas Trilemma beschriebene Rechtfertigungsproblem. Quine versucht, diesem Zirkularitätsproblem dadurch zu entgehen, daß er die skeptische Herausforderung, unser Wissen von der Außenwelt zu rechtfertigen, als Aufforderung, es zu vertiefen, und damit als Ergebnis der empirischen Wissenschaften sieht. Er betrachtet das skeptische Problem als eines, das sich innerhalb, nicht außerhalb des durch die
131 Wissenschaften gebildeten Rahmens stellt und auch dort beantwortet werden muß, so daß zur Rechtfertigung doch auf Erkenntnisse der Wissenschaften zurückgegriffen werden dürfe.220 Doch auch wenn sich das Rechtfertigungsproblem als interne Frage stellen läßt, reicht dies zur Rechtfertigung von naturalisierter Erkenntnistheorie als einzig verfügbarer Theorie oder Wissenschaft des Wissens nicht aus. Quines Charakterisierung der skeptischen Motivation unterschätzt diese: "The skeptic repudiates science because it is vulnerable to illusion on its own showing; and my only criticism of the skeptic is that he is overreacting."221
Die skeptische Frage, auch als interne Frage, versucht, tiefer zu greifen: Die Art der Erklärung, die verlangt ist, um Überzeugungen als gerechtfertigt, als Wissen zu erkennen, erfordert, daß wir diese Überzeugungen mit der (sie verursachenden) Welt vergleichen. Dabei impliziert ein solcher Vergleich nur, daß wir uns, unabhängig von den Aussagen etwa einer dritten Person, überzeugen können, daß die Welt so ist, wie behauptet wird, und daß das auch der Grund dafür ist, daß diese Person sagt/glaubt, daß sie so und so ist.222 Eine Erklärung, wie eine Person Wissen von der Welt erlangen kann, mithilfe des Konzeptes von magerem Input und überschüssigem Output würde nur dann ausreichen, wenn dieses Konzept auch auf Personen im allgemeinen, auf Wissen überhaupt sowie auch auf mein eigenes Wissen anzuwenden wäre. Auf die epistemische Situation der ersten Person übertragen folgt daraus aber meines Erachtens ein skeptischer Schluß: Wenn wir unsere eigenen Überzeugungen von der Welt als Konstruktionen oder Projektionen aus den Stimulationen unserer sinnlichen Rezeptoren verstehen, können wir uns nicht selbst gleichzeitig auch 'Wissen' zusprechen. Dies kann man sich vielleicht an folgendem Beispiel deutlich machen: Nimmt eine Person Rauschmittel, sog. bewußtseinserweiternde, halluzinogene Drogen, und ist in der Folge überzeugt, Einhörner, grüne Ideen oder das eigene Gehrin im Tank wahrzunehmen, wird diese 220 (Quine, 1974), S. 3. 221 (Quine, 1981f), S. 475, vgl. zum Folgenden auch (Stroud, 1981). 222 Stroud faßt diese Forderung konzis: "If some barrier prevents me from checking on the truth of his beliefs I should simply remove the barrier, or wait until it goes away, or change my position, or at the very least study those beliefs of his on which I can check without difficulty. [...] The point is that in this untypical and unusually restricted position I could not establish whether the subject knows something about the world he is describing or not." In "Naturalized Epistemology" aus The Significance of Philosophical Scepticism (Stroud, 1984), S. 239.
132 Person, wieder nüchtern, wahrscheinlich bereit sein, ihre diesbezüglichen Überzeugungen als bloße Konstruktionen aus Sinnesreizungen zu verstehen; sie wird aber nicht gleichzeitig sagen wollen, daß sie jetzt weiß, daß es Einhörner oder grüne Ideen gibt. Ein solcher Zweifel an der Qualität oder der Wahrheitsfähigkeit einzelner Wahrnehmungen ist aber nicht auf die Gesamtsicht unserer Sinneswahrnehmungen zu übertragen. Quine verweist zwar auch darauf, daß physikalische Objekte gesetzt werden müssen, bevor wir zweifeln können. Dies ist meiner Auffassung nach zwar zutreffend, aber wie gezeigt wurde, kann Quine aus dieser Voraussetzungsstruktur, die als begriffliche zu verstehen ist, keinen Gebrauch machen. Selbst wenn meine Überzeugungen, Setzungen zufälligerweise richtig (wahr, erfüllt) wären, und auch mit den Zuständen der Welt, die sie kausal verursachten, auf die richtige Weise verknüpft, eine Erkenntnistheorie à la Quine könnte dies nicht erklären. Denn Quines Bestimmung, mit der Hilfe unserer Überzeugungen/Setzungen müßten zukünftige Stimulationen erfolgreich vorhergesagt werden können, genügt - zumindest im eigenen Fall nicht, um sie so zu rechtfertigen, daß sie als Wissen gelten können. Im Fall der Interpretation eines anderen kann ich, wenn nicht mein Zugang zur Welt versperrt ist, auf diesen zur Kontrolle bzw. Bestätigung zurückgreifen. Ist aber auch mein eigener Zugang zur Welt nur als Konstruktion aus sinnlichen Informationen zu verstehen, verbunden mit der Welt nur durch kausale Abfolgen, kann ich der Vorstellung, Physikalisches in Hinsicht auf seinen Beitrag in der Produktion meines Outputs zu befragen, keinerlei Sinn geben.223 Wenn unser sinnlicher Input, die Reizung unserer Sinnesrezeptoren, und die aus diesen Reizungen resultierende Theorie, unser Output, von einer Kluft getrennt sind, erstere im Vergleich zu letzteren 'mager', dann ist unsere begriffliche Freiheit im Interpretieren dieser Daten, wie auch die beiden Unterbestimmtheitsthesen nahelegen, weitreichend. Dies gilt dann nicht nur für die Entitäten abstrakter Theorien, sondern ebenso auch für unser Wissen über die Existenz physikalischer Objekte, nur daß die Gründe oder Motive für letztere Setzung nicht mehr offen zutage liegen, sondern in unserer Vorgeschichte zu suchen wären: zukünftige Stimulationen unserer Sinnesrezeptoren vorhersagen zu können, bringe, so Quine, einen evolutionären Vorteil, und die Hypothese 223 Dazu nochmals Stroud: "Trying to follow Quine´s proposal and apply his conception of knowledge to myself, then, I would be left in an even worse position than that of an observer barred only from information about the truth of his subject´s beliefs. Perhaps the closest parallel to it in a third person case would be that of finding myself alone in total darkness and silence and suddenly hearing the words 'There is a tree' coming from somewhere." A.a.O., S. 246.
133 physikalischer Objekte habe sich darin als recht erfolgreich erwiesen. Wenn aber alles, was wir wissen, durch die Sinne vermittelt ist, und mit unterschiedlichsten Hypothesen darüber, was jenseits dieser Sinnesdaten liegt, vereinbar ist, scheint es keine Möglichkeit zu geben, zu entscheiden, welche dieser verschiedenen Möglichkeiten die richtige ist. Wenn zukünftige Evidenz nur wieder aus Sinnesreizungen besteht, kann es auf die Frage, welche - um nur diese zwei zu nennen - der beiden alternativen Hypothesen, die der Existenz physikalischer Objekte oder die phänomenalistische Hypothese, die angemessenere ist, keine Antwort geben, weder innerhalb unserer Wissenschaften, noch - ex hypothesi - von außerhalb dieser. Wie wir gesehen haben, macht Davidson einen ähnlichen Punkt. Quines Theorie habe skeptische Konsequenzen, weil diese bei empirischer Erkenntnis einen Schritt zwischen der Welt, wie wir sie eben auffassen, einerseits und unserer Auffassung andererseits fordere. Wahrheit werde dadurch auf Individuen, und nicht mehr, wie bei anderen UnbestimmtheitsThesen, auf eine Sprache relativiert. Bei proximalen Theorien, bei denen die Belege, nicht die Wahrheit die Rolle der Fundierung des Bedeutungsbegriffs spielen, werde der Wahrheitsbegriff dadurch auf Einzelpersonen relativiert, daß Bedeutung indirekt qua Reizung der je einzelnen Sinnesorgane mit den Belegen in Verbindung gebracht wird. Bei distalen Theorien werde er dagegen direkt qua Reiz mit den Belegen in Verbindung gebracht, diese aber erscheinen dann erkenntnistheoretisch nicht mehr so relevant, da sie als gemeinsame, intersubjektiv zugängliche Bestandteile der Außenwelt verstanden werden, Raum für skeptische Argumente bleibe dann nicht mehr.224 Inwieweit allerdings eine Herangehensweise skeptischen Konsequenzen entgehen kann, die - à la Davidson - die Vorstellung von Wahrheit als Relation der Entsprechung oder Korrespondenz zur Welt weder semantisch noch erkenntnistheoretisch als aufklärungsbedürftig versteht und unseren Bezug zu einer objektiven Welt allein als hermeneutische Präsumtion, als Hintergrundannahme, zu fassen vermag, soll
224 So sagt Davidson, daß, wenn es für manche Gedanken konstitutiv ist, daß ihr Inhalt durch ihre normale Ursache gegeben ist, es für die Kenntnis der kausal wirksamen Ereignisse und Situationen nicht erforderlich sein kann, daß ein denkendes Wesen unabhängige Beweise anführt oder Belege ermittelt für die Hypothese, daß es eine Außenwelt gibt, welche diese Gedanken bewirkt. Der Externalismus zeige, daß die Fehlerhaftigkeit der Mehrzahl solcher [Wahrnehmungs-] Urteile ausgeschlossen ist, denn der Inhalt der verfehlten Urteile müsse auf dem Inhalt der richtigen beruhen. So z.B. in “On the very idea”, (Davidson, 1984d), oder in "The Conditions of Thought", (Davidson, 1989b).
134 eingehender erst diskutiert werden, wenn wir uns mit McDowell auseinandersetzen. Ist es vielleicht einfach so, daß Quine keine Notwendigkeit sieht, die erwähnte Unterbestimmtheit unserer erkenntnistheoretischen wie ontologischen Annahmen zu beschränken, weil wir immer, indem wir quantifizierende Sätze verwenden, wenn wir - im weitesten Sinn - Konstruktionen aus unseren Sinnesreizungen, unserem Input beschreiben, Ontologisches voraussetzen?225 Daß wir keinen von unserem Begriffsschema oder unseren Theorien völlig unabhängigen, quasi vorbegrifflichen Zugang zur Welt haben, mit dem wir unsere Theorien gegenprüfen könnten, ist eine eher triviale Wahrheit. Wenn der Skeptiker eine Art 'Abgleich mit der Welt' fordert, fordert er nicht etwas prinzipiell Unmögliches. Nur wenn alle Überzeugungen als bloße Projektionen verstanden werden, Informationen aus der Umwelt zu kausalen Evidenzen werden, die unsere Überzeugungen unterbestimmt lassen, kann das geforderte Konzept von Wissen nicht begründet werden. Daß wir nicht anders können, als uns mithilfe von gebundenen Variablen auf die Außenwelt zu beziehen, beschreibt zwar in einem weiten Sinn unsere ontologischen Verpflichtungen, da die Variablen ''etwas', 'nichts' und 'alles' unserer natürlichen Sprache die gesamte Ontologie zum Gegenstandsbereich haben können, reicht dies zur Rechtfertigung eines bestimmten Systems von Entitäten nicht aus.226 Die Bestimmung unserer ontologischen Festlegungen mittels des Gebrauchs gebundener Variablen ist, gegen Quine, auch nicht trivial, denn sie impliziert die kontroverse metaphysische These, daß es keine Ordnung des Bestehenden gebe, die Art der Existenz von Gegenständen und Begriffen, oder konkreten und abstrakten Entitäten nicht unterschieden werden könne.227 Dies ist zwar für eine Epistemologie, die Sinnesreize als basale Entitäten ansieht, nur folgerichtig und entspricht der naturalistischen Wende. Damit ist aber die Existenz von physikalischen oder raumzeitlichen Gegenständen auch für unser eigenes Begriffsystem nicht als konstitutiv auszuzeichnen, so daß ein Inkohärenzbeweis gegen den Skeptiker nicht möglich ist, es kann nicht nachgewiesen werden, daß er genau die Objekte, für deren Existenz er eine Rechtfertigung verlangt, selbst voraussetzen muß. 225 Vgl. sein berühmtes Diktum: "The universe of entities is the range of values of variables. To be is to be the value of a variable." In (Quine, 1939 (1969)), S. 663 m.H., zitiert nach (Koppelberg, 1987), S. 175. 226 Quine sagt natürlich viel mehr als nur dies, vgl. z.B. Kap. VII in (Quine, 1960), oder (Quine, 1961a), S. 12ff. Wir werden Quines Begriff der ontologischen Festlegung sowie seinen Physikalismus gleich noch ausführlicher diskutieren. 227 Diesen Punkt macht bsp. auch Putnam, vgl. (Putnam, 1994j), S. 250, Fn. 12.
135 Diese Konsequenz läßt sich kurz auch nochmals anders deutlich machen: Wie sind die wissenschaftlichen Fakten, die Quine gelten läßt, und die zu der betonten "epistemologischen Priorität" des phänomenologischen Begriffsschemas zu führen scheinen, richtig zu beschreiben? Ist die Kritik an der traditionellen Rede von "Sinnesdaten", die sich ja auch bei ihm findet, und zwar, weil er alle Konzeptionen eines "Gewahrseins" der "Gegenstände der Apprehension" ablehnt, nicht doch auch auf die Rede von Mustern von Sinnesreizungen, physikalischer Stimulation, Input und Output, Konstruktion und Projektion etc. zu übertragen? Die größere kausale Nähe der Ursachen, verstanden als Reizungen unserer Oberflächen, begründet seiner Ansicht nach diese Priorität. Aber kausale Beziehungen zwischen Ereignissen draußen, an unseren Oberflächen, also dem Input, und Ereignissen drinnen, unseren Überzeugungen, dem Output, ergeben weder eine Kluft zwischen Input und Output, noch Unterbestimmtheit. Unterbestimmtheit oder auch eine Kluft im beschriebenen Sinn kann nur zwischen 'Wahrheiten', also Beschreibungen mit Wahrheitsanspruch, bestehen, nicht innerhalb von Kausalketten, nur wenn Kausales als 'Evidenz' verstanden wird, machen solche Beschreibungen Sinn. Daß Quine es nicht für notwendig erachtet, die These unserer begrifflichen Freiheit im Interpretieren der Daten, in der Setzung von Gegenständen einzuschränken, liegt genau daran, daß er unseren Behauptungen durch die Betonung kausaler Prozesse empirischen Gehalt zu verleihen sucht. Bei Quine, so könnte man folglich einräumen, mag es zwar keine Kluft geben, es gibt aber auch keine Welt mehr: Alles, was wir überhaupt haben, sind Sinnesreizungen, die wir unterschiedlichst systematisieren können. Strittig ist also vor allem Quines Verbindung von Ontologie und Erkenntnistheorie, Quines primär erkenntnistheoretischer Akzent führt dazu, daß die ontologischen Aspekte unserer Evidenzbasis nicht gerechtfertigt werden können. Versteht man die skeptische Herausforderung nicht länger als These der Möglichkeit empirisch äquivalenter, aber logisch inkompatibler Begriffsschemata, sondern reformuliert sie als Frage nach der Interpretation unseres faktischen Schemas im Hinblick auf dessen ontologische Festlegungen, geht es also weniger um Quines These der Unbestimmtheit der Übersetzung als um die Thesen der ontologischen Relativität und der Unbestimmtheit der Referenz, in denen sich der Verzicht auf eine Rechtfertigung der ontologischen Grundannahmen des Commonsense am deutlichsten ausdrückt. Quines Vorstellungen bezüglich der Verbindung von Welt und Erfahrung können, vereinfacht, so zusammengefaßt werden: Es gibt das Ganze der Sprache, das eine Begriffssystem oder die eine Theorie, die sich zusammensetzt aus allen Wissenschaften, den Commonsense-
136 Überzeugungen und dem logischen Apparat, d.i. bevorzugt der klassischen Prädikatenlogik. Dieses System steht als Ganzes dem Tribunal der Erfahrung gegenüber. Eine Rechtfertigung dieses Schemas ist nicht möglich, es wird ständig an der Erfahrung getestet und verfeinert. Sein Kriterium, zu entscheiden, welche ontologischen Voraussetzungen eine beliebige Theorie macht, besteht, wie wir gesehen haben, in der Analyse der Verwendung gebundener Variablen: Auf welche Gegenstände ein Begriffssystem angewiesen ist, zeigt sich darin, ob es für die Wahrheit dieses Systems erforderlich ist, daß sich diese Gegenstände unter den Werten befinden, über welche die gebundenen Variablen laufen. Nun entsteht aber, wie gezeigt wurde, das Problem, daß die ontologischen Festlegungen innerhalb des Ganzen unseres Begriffssystems ambig sind oder sich widersprechen können.228 Quines Vorschlag zur Auflösung dieses Widerspruchs besteht nun darin, zwar an der realistischen Vorstellung festzuhalten, daß Ontologien den Anspruch vertreten, grundlegende Aussagen zu machen über das, was es gibt, sowie daran, daß wir mit ontologischen Behauptungen Aussagen über die Welt machen, die wahr oder falsch sind. Aber zugleich wird unser als Einheit oder als Kontinuum verstandenes Begriffssystem, das Ganze unserer Theorie, auf einzelne Bestandteile mit getrennten Gegenstandsbereichen relativiert: Unsere ontologischen Festlegungen, unsere Verwendungen gebundener Variablen, müssen, so Quine, untersucht und gerechtfertigt werden innerhalb von in sich geschlossenen, definierten Begriffssystemen, die von einzelnen Wissenschaften oder Theoriesystemen gebildet werden. Akzeptiert man eine bestimmte Sprachform, wie etwa das Sprachsystem des Commonsense für raumzeitlich geordnete Gegenstände und Ereignisse, hat man, so die Konsequenz, auch die Existenz dieser Klasse von Gegenständen akzeptiert, und es lassen sich sinnvoll nur noch interne Fragen stellen, die dann als einzelne empirisch beantwortet werden. Diese einzelnen Systeme, so hatte sich bei unserer Diskussion Quines gezeigt, werden über die jeweils leitenden Interessen oder Gegenstandsbereiche definiert. So beschrieb Quine drei unterschiedlich grundlegende Systeme: das phänomenalistische, das erkenntnistheoretische Interessen verfolge, quantifiziere über Sinnesdaten, die das evidentielle Fundament bildeten, das physikalistische, das naturwissenschaftliche Interessen verfolge, über physikalische Teilchen, die das natürliche Fundament bildeten, und das System des Commonsense, in dem über mittelgroße, raumzeitlich lokalisierbare Gegenstände quantifiziert werde, bilde das begriffliche Fundament der
228 Vgl. hierzu unser Kapitel III.1.2.
137 Realität.229 Quine sucht die Ambiguität oder den Widerspruch also dadurch aufzulösen, daß der Geltungsanspruch dieser einzelnen Theorien als bloß interner verstanden, relativiert wird, und indem er die ontologische Inkompatibilität dadurch entschärft, daß er alle Theorien als gleichermaßen unterbestimmt durch Erfahrung versteht: die uns zur Verfügung stehende Evidenz, das Tribunal unserer Erfahrung, und die alternativen Schemata stehen sich dualistisch oder, in unserem Zusammenhang besser: pluralistisch gegenüber. Wie paßt nun eine solche Analyse unserer ontologischen Festlegungen zu Quines Selbstverständnis als Realist? Die aus den Thesen der Unterbestimmtheit empirischer Theorien, der Unbestimmtheit der Übersetzung und der Unerforschlichkeit der Referenz sowie dem Holismus resultierende lose Verbindung von Sinneserfahrungen oder 'Daten' und Netz oder Schema sucht Quine mithilfe seines Naturalismus auszugleichen: Solange es uns immer besser gelinge, mithilfe unserer verschiedenen wissenschaftlichen Theorien zukünftige Ereignisse vorauszusagen, bestehe auch keine Veranlassung, an diesen Systemen gundlegend zu zweifeln. Aber selbst wenn wir zweifeln sollten, so wurde Quines Auffassung bereits oben ausgeführt, ist dieser Zweifel entweder ein zu den Wissenschaften interner, oder er betrifft keine Tatsachenfrage, sondern eine Frage der Wahl. In "Events and Reification" wird diese Strategie besonders deutlich.230 Quine diskutiert dort die Frage, inwieweit es zur Analyse von Adverbien, zu deren Einfügung in die Struktur der klassischen Prädikatenlogik, beitragen kann, wenn man über Ereignisse quantifiziert und überträgt dazu die raumzeitlichen Individuationskriterien von Gegenständen auf die Individuation von Ereignissen. Dabei zeigt sich, daß Quine den Begriff des 'physikalischen Gegenstands' in einem sehr weiten Sinne verwendet, er bezeichnet für ihn den materiellen Inhalt eines beliebigen Stücks der RaumZeit. Kann nun, so die sich einem Realisten aufdrängende Frage, das Problem unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher ontologischer Festlegungen nicht mithilfe der Gegenstandsbezugnahme aufgelöst werden? Bei Quine wird Individuation entweder auf einzelne theoretische Systeme bezogen, und d.h., daß deren Methoden festlegen, was jeweils als 'physikalischer Gegenstand' angesehen wird, oder, wenn er über das Ganze unseres Begriffssystems spricht, dualistisch als unterbestimmt beschrieben: So sind es zwar einzelne Termini und nicht ganze Sätze, mit deren Hilfe wir auf Gegenstände referieren. Aber Termini treten nur als Knoten im Netz der Sätze auf, sie erfüllen eine 'Stellvertreterfunktion'. Permutiert man 229 Vgl. z.B. "Posits and Reality", (1976g), S. 252. 230 (Quine, 1986) in (LePore, 1986), S. 162ff.
138 ihre Referenz, können Beobachtungssätze mit denselben Reizmustern verbunden bleiben, und auch deren Beziehung zu den Sätzen der wissenschaftlichen Theorie bleibt unverändert. Termini sind, wie Quine sagt, 'Mittel zu einem satzgebundenen Zweck': Wenn wir eine wissenschaftliche Theorie mittels eines Beobachtungssatzes anhand von sinnlichen Belegen testen, testen wir ein Verhältnis von Sätzen untereinander, und wie Quines Holismus lehrt, können theoretische und Beobachtungssätze auf unterschiedlichste Weise verknüft werden. Termini regeln die Beziehungen zwischen den Sätzen oder Gliedsätzen, und durch die Reifizierung von Gegenständen können Beobachtungssätze der Prädiatenlogik angepaßt werden, was es uns wiederum ermöglicht, die losen Gliedsätze von Wahrheitsfunktionen zu verbinden. Der Beobachtungscharakter solcher Sätze, so betont Quine, bestehe aber nicht in der Bezugnahme auf einen oder mehrere Gegenstände, sondern in deren 'Empfindlichkeit für visuell ausgelöste Effekte': unsere Theorien über die Welt hängen von Sinnesreizungen und von der Struktur unseres Netzes von Sätzen, unserem Begriffssystem ab, die Reifizierung von Gegenständen dient einem logischen, nicht ontologischen Zweck. Aber was kann das heißen, daß die Methoden einzelner theoretischer oder wissenschaftlicher Systeme festlegen, was als physikalischer Gegenstand gilt? Wir haben gesehen, daß wir im Fall der Erstübersetzung eines aus verschiedenen Systemen analytischer Hypothesen auswählen, die alle mit den behaviouralen Daten, dem Zustimmungs- oder Ablehnungsverhalten der Sprecher, übereinstimmen können, wobei wir uns bei der Auswahl durch das 'Prinzip der Nachsicht' leiten lassen, das dazu führt, daß wir unsere Logik, d.h. unsere Individuationskriterien und damit unsere Ontologie übertragen. Und im Fall der Übersetzung unserer Muttersprache bestimmen wir, solange wir homophon übersetzen, die Referenz relativ zum vorgegebenen Individuationsapparat. Auch dies kann eine Vagheit enthalten, aber, so Quine, diese läge nicht im Begriff des 'physikalischen Gegenstands', sondern in unseren alltäglichen Begriffen, die eher vage bestimmte Extensionsfamilien bildeten als klar definierte Klassen. Was genau ist dann ein physikalischer Gegenstand? Sind Tische, Stühle oder Berge nicht die Prototypen? Und heißt das nicht, daß diese epistemologisch privilegiert sind? Dazu Quine in "Facts of the Matter": "Bodies are basic to our way of thought, as objects go. They are the paradigmatic objects, clearer and more perspicuous than others. Imitation and analogy continue their work, however, not stopping with an ontology of bodies. [...]
139 Bodies are assumed, yes; they are the things, first and foremost. Beyond them there is a succession of dwindling analogies."231
Die Ontologie des Commonsense, in der über die genannten prototypischen Gegenstände quantifiziert werde, sei aber in zwei Hinsichten vage und unordentlich: Die Individuationskriterien seien nicht klar, wodurch die angenommenen Objekte nur vage definiert sind, und auch die Reichweite sei vage, welche und wieviele Objekte postuliert werden, könne nicht eindeutig bestimmt werden. Nur in einer Sprache, die über klare und eindeutige Individuationskriterien verfügt, und in der die ontologische Festlegung mittels eines expliziten referentiellen Apparates zweifelsfrei erkennbar ist, kann die Frage nach dem, was Objekte wirklich sind, nach ihren wahren Natur gestellt werden, so Quine: "It is only our somewhat regimented and sophisticated language of science that has evolved in such a way as really to raise ontological questions. It is an object-oriented idiom. Any idiom purports to tell the truth, but this idiom purports, more specifically, to tell about objects. Its referential apparatus, the apparatus for referring to objects, is explicit; there is no question of a dwindling parallelism. Just what those objects are - what else besides bodies - is still as may be; but it becomes a siginificant question, and it can be variously answered in various scientific systems of the world."232
Bevor diese Voraussetzung genauer überprüft werden kann, soll Quines physikalistische Konsequenz vorgestellt werden. Daß sein Physikalismus nicht reduktiv ist, wurde bereits erwähnt, eine Übersetzung oder Rückführung unserer mentalen auf eine biologische oder physikalische Sprache hält er nicht für möglich. "The physicalist does not insist on an exclusively corporeal ontology. He is content to declare bodies to be fundamental to nature in somewhat this sense: there is no difference in the world without a difference in the positions or states of bodies. [...] I may better phrase the matter in terms of change: there is no change without a change in the positions or states of bodies."233
Nach welchen Kriterien außer dem einer möglichst ökonomischen Ontologie werden Körper oder Zustände von Körpern physikalisch individuiert?234 Wie Quine einräumt, fühlen wir uns wohl in unseren raumzeitli231 (Quine, 1979), S. 159f. 232 Ebd. 233 A.a.O., 162. 234 (Quine, 1986), (bei Fn. 4, 131).
140 chen Gefilden und mit dem Stoff, der sie ausfüllt, den Körpern und deren Extrapolationen ins Willkürliche oder Diffuse, ins Riesengroße oder winzig Kleine. Aber in neueren Feldtheorien, die Zustände direkt unterschiedlichen Regionen der Raum-Zeit zuschreiben, seien inzwischen auch die letzten, winzigkleinen Körper, die Elementarteilchen über Bord unseres Neurathschen Boots gegangen: "Sic transit gloria mundi."235 Und da die Raum-Zeit-Punkte innerhalb des willkürlich gewählten Koordinatensystems mit Quadrupeln von reellen oder komplexen Zahlen identifiziert werden, können Raum-Zeit-Regionen mit Mengen von Quadrupeln gleichgesetzt werden. Was bliebe, sei die völlig abstrakte Ontologie reiner Mengenlehre, reine Mathematik: "A lesson to be drawn from this debacle is that ontology is not what mainly matters. When bodies first came into my story I warned that they, even they, were theoretical. All theoretical entities are here strictly on sufferance; and all entities are theoretical. What were observational were not terms but observation sentences. Sentences, in their truth and falsity, are what run deep; ontology is by the way."236
Damit hat sich nicht nur der Begriff des 'physikalischen Gegenstands' völlig verändert, versteht man die physikalistische These so, daß nur noch über Raum-Zeit-Regionen quantifiziert werden sollte, wenn man Tatsachenfragen beantworten will, lautet die Konsequenz, daß es Gegenstände nicht wirklich gibt. Das Prinzip des Physikalismus zeichnet dann nicht mehr bestimmte ontologische Festlegungen begrifflich oder erkenntnistheoretisch vor anderen aus, der Physikalismus besagt nur noch, daß es keinen Tatsachenunterschied gibt ohne einen Unterschied in der Erfüllung bestimmter Zustandsprädikate durch Raum-Zeit-Regionen, Zustandsprädikate, die von der Physik allerdings erst noch in einem Lexikon elementarer Zustände erfaßt werden müssen.237 Der Begriff der Tatsache werde erst damit zu einem ontologischen Begriff und sei folglich intern zu unserer besten naturwissenschaftlichen Theorie. Was besagt dies für unser Verständnis von Beobachtungssätzen, denen allein die Möglichkeit zukommt, wahr oder falsch sein zu können und die dadurch, wie Quine sagt, tiefgehend sind? Verkürzend kann man sagen, 235 Vgl. (Quine, 1979), S. 164. 236 A.a.O., S. 164f. Denken wir auch an Quines vielzitiertes Diktum "Save the structure and you save all", in (Quine, 1981f), S. 474. 237 Diesbezüglich schließe ich mich Strouds Auffassung an, der von einer 'Erosion des Quineschen Physikalismus' spricht, vgl. (Stroud, 1990), S. 326ff.
141 daß Quine nicht nur die Referenz, die Bezugnahme auf Gegenstände, als theoretisch und mithin als un- oder unterbestimmt versteht, auch der von ihm häufig betonte Beobachtungscharakter unserer Sprache wird nicht mehr ontologisch oder repräsentational, also in seiner Welt beschreibenden Funktion verstanden, sondern vielmehr als interne, pragmatische Gesichtspunkte berücksichtigende Funktion.238 Einer Erkenntnistheorie, die das angenommene ontologische System (wie etwa das der raumzeitlich geordneten, beobachtbaren Dinge und Ereignisse) nur instrumentell ausweisen, nicht aber rechtfertigen oder legitimieren kann, drohen allerdings skeptische Konsequenzen. Hilft uns die These des Physikalismus, Quines These von der ontologischen Relativität besser zu verstehen? Was heißt es, daß ein System von Entitäten erkenntnistheoretisch, ein anderes begrifflich, ein drittes naturwissenschaftlich grundlegend sei? Oder anders gefragt: Welcher Art könnten die Überlegungen sein, die dazu führen würden, daß eine Klasse oder eine Art von Entitäten - elementaren Zuständen - als wirklich existierend, und nicht nur als angenommen akzeptiert wird? Durch die Relativierung auf den naturwissenschaftlichen oder physikalischen Theorierahmen können Gegenstände oder Körper nicht ontologisch ausgezeichnet werden. Aber wie vorne erwähnt wurde, betont Quine in mehreren Arbeiten, daß wir physikalische Objekte setzen müssen, bevor wir zweifeln können.239 Damit, so hat sich jetzt gezeigt, können dann aber nicht die Gegenstände der Physik gemeint sein. Die einfache Vorstellung, die makroskopischen Gegenstände des Commonsense seien dieselben Gegenstände, über die die Physik auf einer mikroskopischen Ebene quantifiziere, unsere ontologischen Festlegungen auf raumzeitliche, materielle Gegenstände seien also letztlich auch durch die Naturwissenschaften zu recht238 So betont Quine etwa in Quiddities (1987, "Things"), jede Herangehensweise, die physikalische Körper als etwas schlicht in der Wahrnehmung Gegebenes konzipiere, übersehe deren theoretischen Charakter: "We reduce the bewildering flux of observable events to system and simplicity, comparatively speaking, by interpolating an unseen intermediate career or trajectory between our observations of what we choose to regard as the same body or substance. We adjust and readjust our reifications and our reidentifications with a view to contriving the simplest and laziest of all worlds, that is to say, compatible with our observations. [...] Our tacit maxim is the law of least action - a law which, therefore, is one not so much of our discovery as of our own unconscious enacting. There is no denying, even so, that the maxim suits the whims of nature well. Our overwhelming success in predicting and controlling our environment, for good or ill, bears ample witness." S. 205. 239 Vgl. z.B. "Posits and Reality", (1976g), S. 251: "The positing of physical objects must be seen not as an ex post facto systematization of data, but as a move prior to which no appreciable data would be available to systematize."
142 fertigen, wird von Quine meinem Verständnis nach restlos zurückgewiesen. Der Begriff der Ontologie, so können diese Überlegungen zusammengefaßt werden, erfährt bei Quine folglich eine weitreichende Transformation: Ontologie ist, wie und worüber wir quantifizieren, mithin theoretisch und nicht deskriptiv oder faktisch zu verstehen.240 Und wir quantifizieren über die Entitäten, die unseren jeweils leitenden Interessen dienen, wobei letztere die begrifflichen Zusammenhänge definieren, innerhalb derer allein diese ontologischen Festlegungen zu rechtfertigen sind. Gegenstandsbezugnahme und Faktizität, oder theoretische, folglich geduldete Existenz und wirkliche Existenz in der Welt fallen auseinander. Wie im obigen Zitat deutlich wird, kontrastiert Quine nicht nur Ontologie und Theorie: Die Ontologie spiele keine wichtige Rolle, da theoretische Entitäten - und folglich alle Entitäten - nur geduldeterweise existierten. Ontologie selbst muß in der Folge als theoretische oder abstrakte Funktion verstanden werden. Konfrontiert werden auch Ontologie und Beobachtung: Nicht die Ontologie, also die geduldete Existenz theoretischer Entitäten, sondern die Beobachtungssätze seien tiefgehend, oder deutlicher formuliert: entscheidend für unseren Kontakt mit der Welt. Unsere ontologischen Festlegungen im Rahmen der Referenz haben, so kann man dann überspitzt sagen, keinen faktischen Hintergrund, faktische, d.h. weltbeschreibende Geltung kommt nur Beobachtungssätzen zu. Das ist zwar, auch unter Berücksichtigung der an Sätzen orientierten Semantik Quines, nur folgerichtig. Aber gerade wenn man wie Quine bestreitet, daß der begriffliche oder theoretische und der empirische oder faktische Bestandteil unserer (Beobachtungs-)Sätze säuberlich zu trennen sind, muß man sich fragen, ob hier nicht 'das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird': Daß unsere Referenz auf Körper (auch) theoretischer Natur ist, sollte dann kein Argument gegen deren Faktizität sein. Gerade die Überlegung, daß alle Körper letztlich theoretischer Natur sind, weil die Gegenstandsbezugnahme im Rahmen eine holistischen Netzes unterschiedlichster begrifflicher Gegebenheitsweisen und kognitiver Fähigkeiten statthat, untergräbt zugleich die Auszeichnung der Naturwissenschaften, im Besonderen der Physik, als letzter Ontologie. Quines Hervorhebung der Physik verdankt sich dem sog. 240 In "Events and Reification" formuliert dies Quine deutlich: Die Ontologie würde durch die gebundene Variable der Quantifikation geklärt, 'indem sie das reine Wesen der Gegenstandsbezugnahme aussondert', wobei die deskriptive Seite den Prädikaten vorbehalten bleibe. Vgl. (Quine, 1986), S. 162. Aber wie bereits betont wurde, ist die Bestimmung unserer ontologischen Verpflichtungen mittels des Gebrauchs gebundener Variablen nicht unumstritten, da sie die metaphysische These impliziert, daß es keine Ordnung des Bestehenden gebe.
143 Quines Hervorhebung der Physik verdankt sich dem sog. dritten Dogma, der Annahme eines dualistischen Verhältnisses von Schema und Inhalt: Die Wahrheit über die Natur von der Welt, so die Vorstellung, kann sie uns deshalb mitteilen, weil sie die uns auferlegten begrifflichen Verpflichtungen zu minimieren und auf lange Sicht zugunsten faktischer Wahrheit zu unterlaufen verspricht. Nur mit einem Lexikon der Physik, das nicht a priori erstellt werden kann, sondern empirische Fragen betrifft, scheinen wir uns im Bereich faktischer Wahrheit zu bewegen: "[T]he lexicon of natural science, not the ontology, is where the metaphysical action is."241 Dabei steht man nicht nur vor dem Problem, daß Quines Physikalismus die These der ontologischen Relativität oder der Unerforschlichkeit der Referenz meines Erachtens nur verschärft. Quine verwirft unter Bezugnahme auf die neuere Physik den Begriff eines 'physikalischen Gegenstands' zugunsten elementarer Zustände, die Raum-Zeit-Regionen zugeschrieben werden, die Ontologie wird abstrakt. Quines Physikalismus ist, wie er selbst betont, nicht reduktiv, die These besteht nicht darin, daß mentale Prädikate in physikalische übersetzt, auf diese zurückgeführt werden müssen. Identifiziert man den Physikalismus aber nur mit der (empirischen) Hypothese, daß es keinen Wechsel, keine Veränderung in der Welt gibt ohne eine physikalische Veränderung, stellt sich die Frage, inwieweit dies überhaupt Auswirkungen auf den Bereich des Mentalen, des Intentionalen, also im weitesten Sinne des Begrifflichen hat.242 Die Auszeichnung der naturwissenschaftlichen oder physikalischen Ontologie hängt meines Erachtens vor allem damit zusammen, daß Quine nur ihr faktische Geltung zuspricht, nur sie die Wahrheit über die Welt sprechen könne. Wahrheit, so kann man, wenn auch etwas überspitzt, die Position Quines zusammenfassen, gibt es nur in der Physik, im Bereich der Bedeutung, des Mentalen oder Intentionalen gibt es keinen 'fact of the matter', die Wahrheit unserer Übersetzungen oder Zuschreibungen ist nicht nur, wie in der Physik, empirisch unterbestimmt, sondern prinzipiell unbestimmt: Selbst wenn wir alle Wahrheiten über die Natur kennen würden, wäre die Unbestimmtheit der
241 (Quine, 1976i), S. 504. 242 Vgl. dazu (Stroud, 1990), S. 327: "It can scarcely be the thesis that the physical predicates are the only predicates we have. It is rather the idea that the physical lexicon is 'fundamental' in some way, or more 'fundamental' than others. The physical sentences must somehow be the only sentences that are determinately true, or the only ones that are 'fundamentally' true, so that strictly speaking there are only physical facts. The physical lexicon alone must somehow be sufficient to express everthing that is the case."
144 Übersetzung, die ontologische Relativität nicht aufgehoben.243 Wahrheit ist dann aber nicht mehr intern zu beliebigen begrifflichen oder theoretischen Schemata, sondern nur noch intern zum besten physikalischen Begriffsschema. Welche Konsequenz hat diese Lesart der These für unsere Übersetzungs- und Zuschreibungspraxis? Wenn etwa die Frage der Referenz weder im Fall der Übersetzung aus einer Fremd-, noch in unserer Muttersprache eine Tatsachenfrage ist, wird dann die Vorstellung einer Entsprechung von Schema und Inhalt, einer Verbindung von begrifflichem Schema und empirischer Welt, nicht völlig leer? Wenn ich noch nicht einmal von mir selbst behaupten kann, daß ich mit dem Begriff 'Kaninchen' auf ganze Kaninchen und nicht auf unabgetrennte Kaninchenteile o.ä. referiere, oder anders formuliert: wenn es keinen Unterschied macht, ob ich auf Kaninchen oder Kaninchenteile referiere, wird die Vorstellung der Bezugnahme an sich unsinnig. Wie soll die Relativierung auf ein bestimmtes, vorausgesetztes Schema die Unbestimmtheit der Referenz entschärfen? Wenn wir sinnvoll nach der Referenz bestimmter Termini nur innerhalb eines vorgegebenen Begriffsschemas, einer Rahmensprache fragen können, droht, wie wir gesehen haben, ein Regress von Rahmensprachen. Und da die ontologischen Festlegungen in der Physik ganz anderen Bedingungen genügen müssen als etwa in unserer Umgangssprache, kann erstere auch nicht dazu dienen, letztere zu rechtfertigen. Stellt unsere Muttersprache die Rahmensprache dar, so hält allerdings Quine fest, können wir den Regress dadurch beenden, daß wir 'zur Ruhe kommen', indem wir die Termini 'für bare Münze nehmen'.244 Aber was heißt es, daß wir Fragen der Referenz in der Muttersprache zwar nicht mithilfe eines absoluten, aber eines relativen Standpunktes bestimmen können? Auch wenn man Rahmensprachen durch Übersetzungsmanuale ersetzt, reicht es nicht, zu fordern, daß die Möglichkeit von Permutationen in der Muttersprache dadurch ausgeschlossen wird, daß wir für unser letztes Übersetzungsmanual die Identitätstransformation wählen. Denn wenn die Referenz auch in der Muttersprache unbestimmt ist, wie können wir 243 Siehe bsp. die "Reply to Chomsky" (Quine, 1969e) oder die oben zitierte Stelle aus (Quine, 1979), S. 159f. Dagegen (Quine, 1990), "Comment on Stroud", S. 335: "In propositional attitudes the bounds of factuality go vague, varying elusively from case to case; and indeterminacy of translation is the least of it. The fabric of intensional discourse is held together more by conceptual or linguistic links than by factual content, but content there is." 244 (1969b), S. 49: "[I]n practise we end the regress of background languages, in discussions of reference, by acquiescing in our mother tongue and taking its words at face value."
145 wissen, daß wir nicht wiederum einer ingeniösen Permutation der Identitätstransformation anheimgefallen sind? Was kann es dann heißen, daß wir in unserer Muttersprache 'zur Ruhe kommen'?245 Ist die Frage unterschiedlicher Übersetzung oder verschiedener Referenz keine Tatsachenfrage, muß sie auch für unsere Muttersprache als unbestimmt oder unerforschlich verstanden werden. Damit stellt sich aber die Frage, ob Quines Herangehensweise seiner eigenen Forderung, Sprache müßte in ihrem empirischen Element und nicht nur als Streben nach interner Kohärenz verstanden werden, noch genügen kann.246 Quine hat meiner Ansicht nach keine Möglichkeit, die skeptische Herausforderung zu beantworten: Obwohl er einräumt, daß die Bedeutungsebene nicht durch eine kausale Analyse der Reizung unserer Oberflächen erfaßt oder gar ersetzt werden kann, verwirft er die an intersubjektiv zugänglichen Gegenständen und Ereignissen in Raum und Zeit orientierte, distale Bedeutungsanalyse.247 Dabei wäre es vielleicht gerade mithilfe einer erkenntnistheoretischen Berücksichtigung der auch von ihm eingestandenen begrifflichen Priorität der mittelgroßen, raumzeitlichen Objekte des Commonsense, der uns vertrauten Tische, Stühle etc., bzw. diesbezüglicher Beobachtungssätze, möglich, den Übersetzungsregress zu stoppen und unseren kognitiven Zugang zur Außenwelt realistisch zu interpretieren. Daß dies tatsächlich möglich ist, wird noch zu zeigen sein. 245 Vgl. z.B. (Stroud, 1995), S. 40: "There is, I believe, a discernible resistance on Quine's part to a merely 'immanent' understanding of our possession of our language, and a desire to stand aloof and to describe our position in theses or doctrines which could be asserted, and would remain intelligible, from outside it. I have in mind Quine's doctrines of the indeterminacy of translation and of the inscrutablity of reference. What is it like to understand those theses as true of us and our language? Is it something we can really do, as it were, 'from within'? And will they have the kind of significance they are meant to have, if we can?" 246 Wie Schantz treffend formuliert: "Wenn nur Falschgeld in Umlauf ist, dann erweist sich Quines Aufforderung, die Termini der eigenen Sprache für bare Münze zu nehmen, als wenig hilfreich." (Schantz, 1996), S. 212. 247 Ich möchte hier nicht auf den Punkt eingehen, daß auch Davidson, der dezidiert eine solche externalistische Position vertritt, den Begriff der Referenz aufgrund seiner auf dem Wahrheitsbegriff fußenden Satzsemantik als unbestimmt und nicht weiter analysierbar zurückweist. Insbesondere eine an Tatsachen oder Situationen orientierte Semantik, die Referenz als Ort direkten Kontakts zwischen der Sprache und der objektiven Realität versteht, hält Davidson für hoffnungslos naiv. Eine an Barwise und Perry (1981) angelehnte, instruktive Kritik an Davidsons Version des 'SchleuderArguments' findet sich bei Schantz, a.a.O., Kap. V.1. Ich stimme Schantz darin zu, daß Davidson gute Gründe hätte, die These der Unbestimmtheit der Referenz aufzugeben. Vgl. hierzu auch sein Kap. VII.5.
146 Ich möchte Quines philosophisches Programm im Hinblick auf sein realistisches Potential demnach wie folgt zusammenfassen: Quine setzt an den logischen Strukturen theoretischer Systeme, und vornehmlich an der klassischen Prädikatenlogik, an und analysiert die Gegenstandsbezugnahme, als 'Reifizierung von Gegenständen', auf ihren diesbezüglichen Beitrag: Quantifiziert man über einen Gegenstandsbereich, legt man sich ontologisch auf die Existenz dieses Gegenstandsbereichs fest. Vorausgesetzt wird die Nützlichkeit oder Leistungsfähigkeit der logischen Struktur, die ontologische Festlegung wird intern gerechtfertigt: was auch immer es ist, was am einfachsten mit dieser Struktur zu verknüpfen ist, dies sind die existierenden Objekte. Quine unterscheidet insbesondere drei Kategorien von grundlegenden Gegenstandsbereichen und folglich drei Arten von Priorität: natürliche, begriffliche und evidentielle Priorität. Für die theoretischen Belange der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, heißt dies, daß letztlich über Raum-Zeit-Regionen quantifiziert wird, der Begriff des physikalischen Gegenstands wird sozusagen 'gegenstandslos'; für die begrifflichen Zusammenhänge unserer Alltagssprache heißt dies, daß mittelgroße, materielle Gegenstände in Raum und Zeit als fundamental gelten; und für die Erkenntnistheorie, daß unsere Erkenntnis als vermittelt über Sinnesreizungen verstanden werden muß, denen folglich epistemische Priorität zukommt. Eine bindendere Tatsachenfrage, so wird Quine nicht müde zu betonen, kann nicht gestellt werden, denn die Muster von Sinnesreizungen, die unsere Datenbasis abgeben, können hinsichtlich ihrer ontologischen Konsequenzen unterschiedlichst interpretiert werden. Die These der epistemischen Priorität wurde schon wiederholt erwähnt: Dinge einer bestimmten Art werden dann als epistemisch vorrangig vor Dingen einer anderen Art betrachtet, wenn man sie kennen, um sie wissen kann, ohne daß man die der zweiten Art kennt, aber nicht umgekehrt: Wir können, so lautet eine Variante, um den Inhalt einer sinnlichen Erfahrung (eines Sinnesdatums, einer Vorstellung, Repräsentation, Wahrnehmung etc.) wissen, ohne zugleich zu wissen, ob diese erfüllt ist, d.h. ob die Entität (der Gegenstand oder das Ereignis), auf die die Erfahrung sich bezieht, wirklich existiert. Eine solche These erkenntnistheoretischer Priorität kann es für Quine nicht geben: da Erkenntnistheorie zu naturalisieren ist, sind ihre Methoden identisch mit denen der jeweils verfügbaren besten Wissenschaften, keine Beschreibungsweise sinnlicher Wahrnehmung ist generell, also losgelöst vom jeweiligen theoretischen Gesichtspunkt, privilegiert. Quine formuliert seine Prioritätsthesen bereits im Hinblick auf die in unterschiedlichen Vokabularen jeweils fundamentalen ontologischen Festlegungen, versteht sie also rein deskriptiv, sie können nicht dazu die-
147 nen, ontologische Festlegungen zu rechtfertigen. Begriffliche Priorität komme raumzeitlichen Körpern nur deshalb zu, weil über sie im Commonsense quantifiziert wird. Dies könne zwar mithilfe der Funktion von Beobachtungssätzen für den Spracherwerb sozusagen 'genetisch' erklärt werden, aber weder im Rahmen der Überprüfung unserer Theorien noch bei der Übersetzung zwischen den verschiedenen Vokabularen oder Theorien spielten sie eine auszuzeichnende Rolle, evidentiell maßgeblich seien die Muster von Sinnesreizungen. Aber wie wir gesehen haben, vermag Quines These evidentieller Priorität nicht zu überzeugen: Die Belege, anhand derer wir unsere Theorien oder auch nur Äußerungen überprüfen, werden nicht primär von Sinnesreizungen gebildet, erst eine naturwissenschaftliche, physiologische Analyse unserer Methoden der Informationserlangung legt die Rede von Mustern von Neuronenfeuer nahe. Diese Herangehensweise entspricht natürlich der These des Naturalismus, die besagt, daß die Erkenntnistheorie naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden berücksichtigen muß, um überhaupt zu gehaltvollen Aussagen zu kommen.248 Gegen Quine möchte ich jedoch festhalten, daß gerade diese Forderung, die sich gegen die Privilegierung der Erkenntnistheorie wendet, zu einem guten Teil auf der extravaganten Vorstellung beruht, diese müsse über einen sicheren oder gar gewissen Ausgangspunkt verfügen, um zu einer deskriptiv wie normativ verbindlichen Theorie der Erkenntis zu gelangen, der Naturalismus stellt also seinerseits eine Prioritätsthese dar. Quine faßt Erkenntnistheorie als "Methodologie der Ontologie" auf: Da Erkenntnistheorie nicht weiterhin als 'prima philosophia' verstanden werden könne, sondern naturalisiert werden müsse, könne sie die Ontologie des Commonsense und der Wissenschaften nicht ableiten oder rechtfertigen, sondern setze sie voraus.249 Andererseits finden sich auch Äußerungen Quines, die deutlicher in Richtung der hier vertretenen Lesart weisen. Wie er etwa in Pursuit of Truth gegen Davidsons distalen Ansatz betont, führen seine epistemologischen Interessen dazu, daß die Ontologie des zu interpretierenden Subjekts als Gegenstand und nicht als Hintergrund der Erkenntnistheorie aufgefaßt werden muß, und mithin nicht einfach vorausgesetzt werden kann.250 Hat die Epistemologie aber die ontologischen Fest248 In ihrer schwächsten Variante. Vgl. unseren Abschnitt III.1, wo die unterschiedlichen Lesarten der naturalistischen Ersetzungsthese und das Spannungsfeld zwischen einer bloß deskriptiven und einer normativen Deutung diskutiert wurden. 249 Vgl. z.B. (Quine, 1981a), S. 21. 250 Vgl. etwa die bereits zitierte Stelle (Quine, 1990a), S. 41f.: "But I remain unswerved in locating stimulation at the neural input, for my interest is epistemological, however naturalized. I am interested in the flow of evidence from the triggering of the
148 legungen der Muttersprache zum Gegenstand, müssten wir - als Epistemologen - einen zur Ontologie externen Standpunkt einnehmen können, was nach Quines eigener Voraussetzung, die Erkenntnistheorie verfüge über keinen privilegierten Standpunkt, nicht möglich sein kann. Quine gelangt aufgrund erkenntnistheoretischer Erwägungen zur genannten Thesenfamilie ontologischer Relativität, der Begriff der Methodologie beinhaltet demnach eine starke normative Komponente. Seine Epistemologie beschreibt die von uns zur Informationserlangung verwendeten Methoden, zeichnet in der naturalistischen Variante aber bestimmte Methoden und eine bestimmte Ontologie aus: Kontrastiert werden beispielsweise interne, d.h. kohärentistische, und empirische Rechtfertigung, und empirisch, also für den Bezug zur Welt relevant seien Oberflächenreizungen.251 Also gerade, daß proximale Theorien ontologisch weniger voraussetzungsreich sind, zeichnet sie in Quines Augen aus. Die Akzeptanz von Quines Prinzip der ontologischen Enthaltsamkeit setzt aber voraus, was es erst zu erweisen gilt: Nur wenn man unsere ontologischen Festlegungen als Konstruktionen oder Setzungen versteht, macht es Sinn, diesen entsagen zu wollen.252 Insofern handelt es sich bei Quines Auszeichnung von Oberflächenreizungen sehr wohl um eine Privilegierung einer bestimmten erkenntnistheoretischen Herangehensweise, man kann sagen, daß naturalisierte Erkenntnistheorie doch die Wahrheit über die Ontologie und mithin die Welt spricht: Real sind Sinnesreizungen, die Ontologie Setzung. "Epistemology, for me, or what comes nearest to it, is the study of how we animals can have contrived that very science, given just that sketchy neural input. It is this study that reveals that displacements of our ontology through proxy functions would have measured up to that neural input no less faithfully. To recognize this is not to repudiate the ontology in terms of which the recognition took place. We can repudiate it. We are free to switch, without doing violence to any evidence."253
senses to the pronouncement of science. My naturalism allows me free reference to nerve endings, rabbits, and other physical objects, but my epistemology permits the subject no such starting point. His reification of rabbits and the like is for me part of the plot, not to be passed over as part of the setting." 251 Vgl. die erwähnte Stelle aus (Quine, 1981c), S. 39. 252 Sellars nennt Quine pointiert einen "admirer of desert landscapes". Sellars, Naturalism and Ontology, 1979, S. 6. 253 (Quine, 1981a), S. 21. Für eine direkte Auseinandersetzung mit dem Argument, mit Stellvertreterfunktionen ließe sich die Referenz unserer Termini so permutieren, daß wir alternative Referenzschemata erhalten, die empirisch äquivalent, aber ontologisch widersprüchlich seien, siehe Schantz, a.a.O., Kap. X.
149 Methodologische Überlegungen sollten uns aber meines Erachtens nur dann dazu bringen, unsere Festlegung auf gewöhnliche Gegenstände und Ereignisse als Setzung zu betrachten, wenn wir unsere Ontologie instrumentalistisch verstehen. Damit wird der Realismus des Commonsense aber nicht vorausgesetzt, sondern aufgegeben. In Analogie zu unseren obigen Ausführungen zu referentieller Unbestimmtheit kann man Quine folglich entgegnen, daß wir, wenn nur Falschgeld in Umlauf ist, neben der Referenz unserer Termini auch generell unsere Ontologie nicht für bare Münze nehmen und deshalb auch nicht zur Ruhe kommen können. Quines These evidentieller Priorität stellt somit die erkenntnistheoretisch folgenreichste der drei Prioritätsthesen dar, die skeptischen Konsequenzen resultieren gerade aus diesem Dogma: Der Skeptizismus, dem Quines Erkenntnistheorie ausgesetzt ist, beruht darauf, daß der Inhalt unserer (empirischen) Meinungen, d.h. deren Bedeutung, indirekt qua Reizung der Sinnesorgane mit den Belegen in Verbindung gebracht wird. Knüpft man die Bedeutung der jeweiligen Beobachtungssätze an die kausale Reizung unserer Oberflächen, mithin an nicht intersubjektiv Zugängliches, entsteht eine Form der epistemischen Lücke. Quines analytischer Ansatz, ontologische oder metaphysische Fragen vornehmlich als Fragen bezüglich eines Sprachsystems oder Begriffsschemas zu rekonstruieren, kann zwar partiell übernommen werden. Aber erstens kann der prinzipielle Unterschied zwischen empirischen Fragen, die innerhalb eines begrifflichen Rahmens gestellt werden, und externen, die die Annahme eines bestimmten ontologischen Rahmens betreffen, und demnach als pragmatische Fragen verstanden werden, zugunsten einer graduellen Trennung zurückgewiesen werden, die eine bescheidene Art von Notwendigkeit oder Vorgängigkeit bestimmter begrifflicher Elemente oder Strukturen zu berücksichtigen erlaubt. Und zweitens ist es offen, ob eine zukünftige Erkenntnistheorie psychologische und neurologische Untersuchungsmethoden wesentlich einschließen muß, und wie epistemologisch erhellend Erkenntnisse sein können, die mithilfe solcher neuen 'Übersetzungsmanuale' zu erreichen sind. Ein vollständig extensionales Vokabular, eine vollständige behaviourale Auflösung sind nicht möglich, und Quines Auszeichnung der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise als natürlich (oder metaphysisch) sowie evidentiell primär stellt meines Erachtens ein Residuum eines solchen Traums dar.254 Wie eingangs in Anlehnung an Michael Wil254 Eine scharfe Kritik an der Wissenschaftsgläubigkeit naturalistischer Philosophie findet sich u.a. bei Putnam. Vgl. etwa: "Since scientism is, in my opinion, one of the
150 liams betont wurde, bedarf es guter Gründe, um eine Erkenntnistheorie zu akzeptieren, die zu skeptischen Konsequenzen führt, und Quine, so brillant seine Argumentation ist, hat meines Erachtens keine Gründe genannt, die uns zwingen könnten, eine Erkenntnistheorie zu akzeptieren, in der der Binsenweisheit, daß Beobachtung oder allgemein sinnliche Wahrnehmung eng mit der Welt verbunden ist, keine epistemologische Bedeutung zukommen kann, und die unseren kognitiven Zugang zur Welt nicht realistisch zu interpretieren vermag. Für meine Version eines erkenntnistheoretischen wie ontologischen Realismus gilt es also, einen wichtigen Zwischenschritt festzuhalten. Meiner Ansicht nach müssen wir mit Quine die prinzipielle Revidierbarkeit, die Möglichkeit der Falsifikation aller unserer ontologischen Annahmen, auch der grundlegendsten, einräumen, und an dieser empirischen wie empiristischen These gilt es vorerst auch festzuhalten.255 Aber gegen Quine halte ich eine Trennung erkenntnistheoretischer und ontologischer Fragen, wie sie sich nach meinem Verständnis in seiner Trennung von Datenbasis und begrifflichem Schema ausdrückt, jedoch für unmöglich. Wir hatten gesagt, daß die Rechtfertigung unserer ontologischen Festlegungen für Quine nur allgemein, d.h. mit Bezug auf Sinnesreizungen, möglich ist, aber nicht im besonderen hinsichtlich einer bestimmten Ontologie wie die der raumzeitlicher Gegenstände erfolgen kann: Innerhalb unserer Ontologie kommt diesen immanente Wahrheit zu, erkenntnistheoretisch sind hingegen allein Stimulationen unserer sensorischen Oberflächen als das allen Theorien und Begriffssystemen gemeinsame Element auszuzeichnen. Und aus der bloßen Forderung, daß wir als Realisten uns den Wissenserwerb so denken müssen, daß es eine Art der Überprüfung unserer Überzeugungen und der Überzeugungen der anderen gibt, die nicht wieder als bloße Projektion Sinneswahrnehmungen, als Evidenzen, erlauben die Voraussage - verstanden werfen darf, folgt natürlich nicht bereits die Möglichkeit des Gesuchten. Im Folgenden wird uns demnach die Frage beschäftigen, wie eine solche, zugegebenermaßen interne Rechtfertigung aussehen könnte. Wollen wir unsere realistische Auffassung der Wirklichkeit in ihrem Existenz- wie Unabhängigkeitsaspekt gegen die cartesianische Herausforderung ausweisen, müssen wir, wie in unserem ersten Kapitel herausgestellt wurde, zumost dangerous contemporary intellectual tendencies, a critic of its most influential contemporary form is a duty for a philosopher who views his enterprise as more than a purely technical discipline." In R&R, S. 211. Auf diesen Punkt werden wir in Kapitel V.3 zurückkommen. 255 Im IV. Kapitel wird sich allerdings zeigen, daß diese Revidierbarkeit mit einem bescheidenen Begriff von Notwendigkeit verknüpft werden kann.
151 gleich auf eine Weise argumentieren können, die dem Begründungsskeptizismus entgeht. Wie unsere bisherigen Ausführungen gezeigt haben, kann für realistisch orientierte Erkenntnistheorien also folgendes Dilemma formuliert werden: Entweder man betont die Notwendigkeit einer empirischen Fundierung unserer Überzeugungen, unseres Begriffssystems, etwa indem man die Bedeutung kausaler Prozesse hervorhebt, dann gleicht die Behauptung der Existenz raumzeitlicher Objekte entweder einer bloßen Annahme oder einem Dogma; oder man betont die Notwendigkeit einer rechtfertigenden Fundierung unserer Überzeugungen, unseres Begriffssystems, etwa indem man die Bedeutung inferentieller Verknüpfungen zwischen Meinungen hervorhebt, dann gleicht die Annahme raumzeitlicher Objekte einem Zirkelschluß. Die erste Strategie entspricht fundamentalistischen Bestrebungen, die letztere kohärentistischen. Für beide Optionen gilt es, den objektivierenden Aspekt unseres Begriffsschemas, unserer Sprache zu rechtfertigen. Für die erste Option heißt dies, kausale Zusammenhänge so als rechtfertigend zu beschreiben, daß nicht Sinnesreizungen, sondern Gegenstände oder Ereignisse die basalen Entitäten darstellen, für die zweite Option heißt dies hingegen, begriffliche Zusammenhänge so als empirisch zu beschreiben, daß nicht Meinungen, sondern Gegenstände oder Ereignisse die basalen Entitäten darstellen. Bevor wir uns im vierten Kapitel fragen, ob eine Herangehensweise möglich ist, die beide Aspekte verbindet, soll abschließend diskutiert werden, inwieweit zeitgenössische naturalistische Ansätze dieses Dilemma lösen können. Es wurde bereits gesagt, daß Quines eigene Konzeption in Bezug auf die Frage, wie genau die These naturalisierter Erkenntnistheorie zu verstehen ist, nicht eindeutig bestimmt sei. Auch in Veröffentlichungen jüngeren Datums zeigt sich meines Erachtens nicht unbedingt ein gemeinsamer Nenner.256 Im Folgenden soll also nochmals versucht werden, das genuin naturalistische Element zeitgenössischer Epistemologie zu bestimmen. Dazu werden wir uns kritisch mit den Positionen zweier prominenter Vertreter auseinandersetzen, wobei wir von Kitcher eine Arbeit zur Grundlage nehmen, die so umfassend angelegt ist, daß sie auch als Synopsis zu naturalistischer Erkenntnistheorie überhaupt dienen kann. Dabei soll insbesondere gefragt werden, ob der eingangs bestimmte Begriff des Realismus in naturalistischen Erkenntnis256 Vgl. bsp. die unterschiedlichen Charakterisierungen bei Foley, a.a.O., S. 243-45, bei Kornblith (1985a und 1994), S. 50, bei Haack (1990 und 1993) oder bei Koppelberg (1998), Abs. 3, um nur einige zu nennen. Der programmatische Aufsatz "The Naturalists Return" von Kitcher (1992), in dem der Naturalismus als Gegenreaktion auf den Apsychologismus und Apriorismus traditioneller Epistemologie gedeutet wird, wird im folgenden Abschnitt ausführlich diskutiert.
152 theorien eine Rolle spielen kann und ob diese einen aussichtsreichen Weg erkennen lassen, die skeptische Herausforderung entweder zu beantworten oder als inkohärent auszuweisen. III.2. Zeitgenössischer Naturalismus "[W]e are all naturalists now. But, even so, this common naturalism is of a very vague and general sort, capable of covering an immense diversity of opinion. It is an admission of a direction more than a clearly formulated belief. It is less a philosophical system than a recognition of the impressive implications of the physical and biological sciences. And, not to be outdone, psychology has swelled the chorus by pointing out the organic roots of behaviour and of consciousness."257
III.2.1 Einleitung Wir hatten gesagt, daß die Beantwortung oder Zurückweisung der skeptischen Herausforderung die Rechtfertigung der empiristischen Norm verlange, d.h. der Annahme, unsere Sinneswahrnehmungen lieferten, etwa im Rahmen von Beobachtungssätzen, ein wahrheitsgemäßes Bild der Welt. Eine Ausweisung dieses Geltungsanspruches mithilfe der Wissenschaften, die dessen Gültigkeit bereits voraussetzen müssen und in ihrer naturalistischen Interpretation den problematischen Begriff ihrer Wahrheit durch den der Voraussagekraft ersetzen, sei nicht ausreichend, wobei insbesondere Quines Konzeption von sinnlicher Wahrnehmung als Stimulation, als Muster von Sinnesreizungen nicht überzeugen konnte. Um naturalistische Theorien nicht möglicherweise vorschnell auszuscheiden, wollen wir uns jedoch nochmals fragen, wie eine epistemologisch akzeptable Theorie der Rechtfertigung beschaffen sein muß. Die Debatte zwischen traditioneller und naturalistischer Erkenntnistheorie kann mithilfe zweier Annahmen strukturiert werden. So besagt die Position des Evidentialismus, daß die epistemische Rechtfertigung von Meinungen einer Person durch die Qualität der Belege bestimmt wird, über die das Subjekt verfügt. Dies legt ein argumentatives Verständnis von epistemisch gerechtfertigter Meinung nahe, schließt aber aus, daß es rechtfertigungsverleihende Grundlagen gibt, die dem Subjekt möglicherweise nicht zugänglich sind. Die zweite Annahme besagt, daß als Belege nur an257 Roy Wood Sellars im Vorwort zur ersten Ausgabe von Evolutionary Naturalism, New York, 1922. Und ein zeitgenössischer Autor fügt hinzu: "This assessment of naturalism seems as apt today as it was then." (Kornblith, 1994) S. 50, Fn. 4.
153 dere Meinungen anzuerkennen sind, daß Meinungen nur mithilfe der inferentiellen Beziehungen zwischen den propositionalen Inhalten der sie stützenden Meinungen gerechtfertigt werden können, dies ist die These des Propositionalismus. Epistemische Funktion, so dagegen die von vielen zeitgenössischen Naturalisten vertretene These, kommt aber nicht nur den inferentiellen Beziehungen zwischen Meinungen zu, evidentielle Fragen sollten auch im Hinblick auf die kausalen Beziehungen erlaubt sein. Und die Gegenthese lautet dann: Man ist gerechtfertigt, wenn man in den richtigen kausalen Relationen zu den betreffenden Ereignissen oder Sachverhalten steht oder wenn die Meinungen mithilfe bestimmter psychologischer Prozesse zustandekommen. So findet sich bsp. bei Kornblith, der bereits als Vertreter der sog. Standardinterpretation Quines erwähnt wurde, eine eindeutige Zurückweisung des Projektes der Rechtfertigung realistisch verstandener Geltungsansprüche.258 Kornblith favorisiert eine Erkenntnistheorie, die mehr Gewicht auf die Untersuchung standardmäßiger Umweltbedingungen legt, und diese auf ihren Beitrag zur Funktionsweise menschlicher Wahrnehmung oder Schlußfolgerungspraktiken analysiert.259 Seiner Auffassung zufolge muß eine angemessene epistemologische Theorie zwar erklären, wie Wissen möglich ist, die Errungenschaften der Wissenschaften zeigten aber bereits, daß wir eine ganze Menge über die Welt wissen. Es gilt also zu zeigen, wie uns dies möglich ist oder war. "As a naturalist, I do not view this project as some kind of a priori exercise. We are not trying to respond to some imaginary skeptical opponent who doubts that knowledge of any kind is possible at all. Rather, in recognizing the achievements of the sciences, we are faced with a straightforward question which science itself may address."260
Die Ergebnisse der unterschiedlichen Wissenschaften, hier: der Psychologie einerseits, der Naturwissenschaften andererseits, sollen benutzt werden, um ein Element gegenseitiger Kritik zu gewährleisten. Dabei wird jedoch wie auch bei Quine vorausgesetzt, daß diese Wissenschaften ein wahrheitsgemäßes Bild der Wirklichkeit liefern, oder, um es in eher naturalistischer Terminologie zu formulieren, daß das für den Erfolg der Wis258 Vgl. auch die Arbeiten (1980, 1982, 1985 sowie 1985a). 259 Vgl. (Kornblith, 1994), S. 43ff., sowie S. 47, wo die Relevanz dieser Untersuchungen am Beispiel der Frage erwiesen werden soll, inwieweit wir zuverlässig in der Lage sind, natürliche Arten zu entdecken. 260 A.a.O., S. 43.
154 senschaften verwendete Kriterium der erfolgreichen Voraussage von zukünftigen Beobachtungen oder Ereignissen tatsächlich wahrheitsindikativ ist. Und wie sich bereits gezeigt hat, ist es eine entscheidende Frage, ob sich für dieses Kriterium, das auch in Quines Methodologie eine zentrale Rolle spielt, allein naturalistisch, also innerhalb des von den Wissenschaften bereitgestellten methodischen Rahmens argumentieren läßt, oder ob eine solche Begründung einem Zirkelschluß gleichkommt.261 Die für mich grundlegendere Frage ist aber wiederum, ob man überhaupt verstehen kann, was eine solche, quineanische Herangehensweise voraussetzt: die Vorstellung, die Wissenschaften könnten jede unserer heute für wahr gehaltenen Vorstellungen und Überzeugungen als falsch erweisen. Kornblith allerdings argumentiert von der Voraussetzung aus, daß die heutigen wissenschaftlichen Theorien eher wohl ein weitgehend richtiges Bild der Welt liefern: Bemerkungen wie die, daß unser Wahrnehmungsapparat außerordentlich geeignet dafür wäre, uns ein akkurates Bild der Außenwelt zu liefern, oder die, daß wir die Voraussetzungen unserer Wahrnehmungssysteme sowie die Merkmale der standardmäßigen Umweltbedingungen, auf die sie reagierten, erkennen könnten, bleiben thetisch, sie setzen voraus, was eine realistische Erkenntnistheorie erst erweisen muß.262 Dieser Einwand erinnert an den bereits gegen Quine angeführten Vorbehalt, der naturalistischen Rechtfertigungskonzeptionen Zirkelschlüssigkeit vorwirft: wenn Wissen definiert wird als gerechtfertigte wahre Meinung und die diesen Wissensanspruch rechtfertigenden Behauptungen, Theorien oder auch psychologischen Prozesse keine ausgezeichnete 261 Dabei geht es nicht darum, daß bezüglich der angemessenen Analyse des Erfolgs der Wissenschaften ganz unterschiedliche Intuitionen im Spiel sind. Vgl. bsp. als kritischen locus classicus (Kuhn, 1962 (2. ed. 1970)), in dessen eher wissenschaftsgeschichtlicher Arbeit die Rolle nicht-kumulativer Umbrüche, sog. Paradigmenwechsel, betont wird. Inzwischen gehört es zu einem der Standardeinwände gegen einen emphatischen Begriff wissenschaftlichen Fortschritts, daß mit einem Theorienwandel oftmals auch ein Bedeutungswandel der die Theorie bestimmenden Grundbegriffe einhergehe, wodurch die Idee einer kontinuierlich präziseren und angemesseneren wissenschaftlichen Beschreibung der Welt, d.h. der Konvergenzbegriff, fragwürdig werde. Zweifelhaft ist dann aber nicht nur, ob die empirischen Wissenschaften als Paradigma jeglicher Form von Wissenschaft dienen sollten, die auch von Quine betonte Theorienrelativität basaler Termini läßt auch bsp. Kornbliths Idee gegenseitiger Kritik als zu einfach erscheinen. Die wichtigsten Texte der Debatte finden sich in dem 1991 von Boyd, Gasper und Trout herausgegebenen Band The Philosophy of Science, Part I, Sect. 1. 262 Diese Frage wird auch in Kornbliths anderen Arbeiten nicht wirklich beantwortet, vgl. seine Einleitung zu (Kornblith, 1985), sowie ebenda den Aufsatz (1985b).
155 epistemische Klasse darstellen, kann ihre Geltung nicht als ausgewiesen betrachtet werden, sie unterliegen ebenfalls der Rechtfertigungsanforderung, sind begründungsbedürftig und können nicht als Rechtfertigungen dienen. Dies verweist zurück auf den in der Einleitung angesprochenen Dissens bezüglich der angemessenen methodologischen Vorgehensweise, auf die Auseinandersetzung zwischen den erkenntnistheoretischen Grundpositionen des Fundamentalismus und des Kohärentismus. Die Begriffe der Rechtfertigung oder auch der Wahrheit können entweder fundamentalistisch bestimmt werden, das hieße, daß sie auf eine epistemologisch privilegierte Klasse von Sätzen zurückgebunden werden, denen Gewißheit zukommt, im Rahmen empirischer Erkenntnis also Sätzen über Sinneserfahrungen. Oder man bestimmt diese Begriffe mittels der Beziehungen zwischen Sätzen oder Meinungen, also innerhalb eines Begriffsnetzes oder einer Sprache. Präziser formuliert besteht der Kohärentismus also in der These, daß Rechtfertigung nur mithilfe der zwischen Propositionen, den Inhalten von Meinungen oder Überzeugungen, bestehenden inferentiellen Beziehungen erfolgen kann. Wie sich gezeigt hat, finden sich auch bei Quine Residuen des Fundamentalismus, etwa in seiner Auszeichnung von Beobachtungssätzen.263 Dem Begriff der Beobachtung wird epistemologische Bedeutung zugesprochen, allerdings keine, die fundamentalistischen Zielen genügen könnte: Quines Holismus, der dem Aspekt der Kohärenz Rechnung trägt, verbietet es, einzelne Meinungen oder Klassen von Meinungen als unrevidierbar anzusehen, folglich können auch die Beobachtungssätze nicht die verlangte Klasse evidenterweise wahrer Meinungen darstellen, die das epistemologische Fundament bildeten. Fundamentalistische Erkenntnistheorien, so scheint es, haben an Anziehungskraft verloren. Anders als Quine oder auch Davidson sehen manche der zeitgenössischen Naturalisten darin jedoch ein Problem. So versucht Kornblith eine Theorie der Rechtfertigung zu entwickeln, die wichtige Elemente beider Positionen aufnehmen kann.264 Die Meinungsverschiedenheit zwischen traditionellen Erkenntnistheoretikern und Naturalisten, so Kornblith, bestehe nicht darin, daß erstere Wissen als gerechtfertigte, wahre Meinung kennzeichen, während letztere die Rede von Rechtfertigung zugunsten einer Analyse mithilfe des Begriffs der Verläßlichkeit zurückweisen. Ausgehend von der behaupteten apsycholgischen Haltung traditioneller Epistemologie soll die übliche erkenntnistheoretische Herangehensweise, die Fragen nach Recht263 Vgl. hierzu auch z.B. (Cornman, 1978), S. 250, oder die Interpretation von Haack in (Haack, 1990), S.113f. 264 (Kornblith, 1980), repr. in (Kornblith, 1985).
156 fertigung als Fragen nach der Qualität unterschiedlicher Arten von Argumenten versteht, die also rechtfertigende Relationen nur zwischen den propositionalen Inhalten der betreffenden Überzeugungen anerkennt, in ihrer Prämissenhaftigkeit gekennzeichnet werden.265 Damit werde es möglich, die Opposition zwischen Fundamentalismus und Kohärentismus mithilfe der jeweils unterschiedlichen Auffassungen bezüglich dessen, was die Güte eines Arguments ausmacht, zu rekonstruieren. Gerechtfertigt werden soll eine beliebige Überzeugung, und gegeben sei für beide Positionen eine Liste der gültigen Inferenzen. Für Fundamentalisten zerfällt Rechtfertigung in zwei Klassen: Entweder die Rechtfertigung dieser Überzeugung verlangt gar kein Argument, weil die betreffende Proposition in eine angenommene Klasse von sich selbst rechtfertigenden Propositionen gehört, in diese Klasse gehören dann beispielsweise Propositionen, die als unkorrigierbar verstanden werden. Oder sie verlangt ein Argument, dann gilt nur ein solches Argument als gut, d.h. rechtfertigend, das die fragliche Überzeugung mithilfe der gültigen Schlußregeln auf sich selbst rechtfertigende Prämissen zurückführt. Kohärentisten, die die Existenz einer solchen ausgezeichneten Klasse von Propositionen bestreiten, akzeptieren als rechtfertigendes Argument nur ein solches, das eine im allgemeinen auf der Basis der gültigen Schlußregeln ausgezeichnete Relation, wie die der Kohärenz, zwischen der zu rechtfertigenden und weiteren Überzeugungen einer Person herzustellen erlaubt. Beide Auffassungen sind sich darin einig, daß die fraglichen Eigenschaften oder Relationen zwischen den propositionalen Inhalten unserer Meinungen bestehen müssen. Gegen diese als Propositionalismus bezeichnete Auffassung betont Kornblith die Notwendigkeit der 'psychologischen Wende': erst die Einsicht, daß nicht allein die zwischen Propositionen bestehenden inhaltlichen Relationen rechtfertigend wirken können, sondern auch die generierenden, psychologischen Prozesse ausschlaggebend sind, könne aus der zwischen den beiden Standardansätzen entstandenen Sackgasse herausführen. Resultiert eine zwar wahre und prinzipiell mithilfe eines verläßlichen Prozesses zu generierende Meinung aus einem unzulässigen Prozess, sind wir in ihr nicht gerechtfertigt. Eine Meinung darf nicht mithilfe von unabhängigen Prozessen oder Gründen gerechtfertigt werden, sondern muß von einem zulässigen Prozess abhängen.266 Diese Figur der 'belief dependence', so Kornbliths These, kann 265 Kornblith bezeichnet diese Annahme als 'arguments-on-paper thesis': "[Q]uestions about justification amount to nothing more than questions about the quality of various sorts of arguments." A.a.O., S. 117. 266 Kornbliths Beispiel ist allerdings zu vage: Wenn Alfred glaubt, daß der modus ponens gültig ist, und weiß, daß er auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, dann ist
157 nicht im Rahmen logischer, sondern allein mittels kausaler Beziehungen erklärt werden. "In rejecting the arguments-on-paper thesis, we must take a psychological turn. The notion of belief dependence must be accounted for by looking at the belief states of persons and, in particular, at the relations among them. Questions about the justification of beliefs are thus intimately tied to questions about the sorts of processes responsible for the presence of those beliefs."267
Auf der Basis einer Konzeption von Rechtfertigung, die die relevanten psychologischen Prozesse als kausale versteht, sollen dann bestimmte Aspekte der beiden ursprünglichen Ansätze übernommen werden: Vom Fundamentalismus die Vorstellung der hierarchischen Struktur unserer Überzeugungen, die Vorstellung, daß Rechtfertigung über die relevanten Kausalketten zu Überzeugungen führen muß, deren Kausalkette nicht selbst wieder andere Meinungen enthalte, deren Rechtfertigung also nicht von anderen Meinungen abhänge, bei Kornblith sind das die sog. 'terminal beliefs', sowie die Vorstellung, daß der Rechtfertigungsrekurs schließlich auf diese Letztüberzeugungen zurückführe.268 Und von der Kohärenztheorie die Vorstellung, daß dennoch Meinungen nicht unabhängig von ihren Beziehungen zu anderen Meinungen gerechtfertigt werden können, weil es zwar jeweilige Letztüberzeugungen geben müsse, bei denen die kausale Analyse der verantwortlichen psychologischen Prozesse nicht auf weitere Meinungen zurückführen darf, die Ausweisung der betreffenden Prozesse als adäquat im Hinblick auf Rechtfertigung, d.h. ihres epistemischen Potentials, aber andere Meinungen einschließen muß. Kornblith versucht auch, dem häufig von Fundamentalisten erhobenen Vorwurf, Kohärenztheorien würden Rechtfertigung von der Welt abkoppeln, zu begegnen: er auch gerechtfertigt, die Folgerung zu glauben. Oder aber, wie das Beispiel nahezulegen scheint, Alfred glaubt zwar, daß der modus ponens gilt, weiß oder akzeptiert nicht, daß er auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, und glaubt die Folgerung aus unabhängigen und für Rechtfertigung nicht akzeptablen Gründen, dann ist er auch für traditionelle Epistemologie nicht gerechtfertigt. Für Versionen dieses Arguments siehe auch (Harman, 1973), Kap. 2, und (Goldman, 1979). Darüberhinaus ist es eine offene Frage, ob Rechtfertigung verlangt, daß einer Person die logischen Relationen zwischen einzelnen Propositionen bewußt sein müssen. Verlangt man die deduktive Geschlossenheit von Wissen, wären viele, vielleicht die meisten Menschen in ihren Überzeugungen nicht gerechtfertigt, und dies erscheint den meisten Autoren als unhaltbare Konsequenz. Vgl. a.a.O., S. 118f. 267 A.a.O., S. 119. 268 A.a.O., vgl. S. 119ff.
158 "Justified beliefs are beliefs that, in some sense or other, are likely to be true. A proper theory of justification must therefore explain in what sense it is that justified beliefs are likely to be true. Since it is the way the world is which makes beliefs true or false, a proper theory of justification must explain what it is about justified beliefs which makes it likely that they should 'match up' with the way the world is."269
Die kausale Analyse der Elemente meinungsbildender Prozesse, die zu gerechtfertigten Meinungen führen, müsse also auch die Beziehung dieser Prozesse zur Welt enthalten. Kornblith sucht auch die fundamentalistische These der epistemischen Priorität bestimmter Aussagen zu rekonstruieren: epistemische Priorität kommt dann solchen (Klassen von) Aussagen zu, die in den Rechtfertigungsbäumen meist relativ niedrig angesiedelt sind.270 Dabei unterscheidet er eine schwache und eine starke Lesart: die schwache entspricht der These, daß eine oder mehrere Klassen von Aussagen zwar häufig, aber doch kontingenterweise einen basalen Platz innerhalb der Rechtfertigungsstruktur einnehmen, die starke behauptet, dies sei notwendigerweise so, oder anders formuliert, sie behauptet, daß die Letztüberzeugungen notwendigerweise Letztüberzeugungen sind. Gegen eine solche starke Lesart argumentiert Kornblith, daß dies - in einer auf der Analyse der kausalen Beziehungen der verantwortlichen psychologischen Prozesse basierenden Erkenntnistheorie - nur dann der Fall sein könnte, wenn diese Überzeugungen zugleich auch als unkorrigierbar verstanden werden könnten. Denn eine zum Zeitpunkt t1 als Letztüberzeugung fungierende Meinung l könnte, wenn sie nicht unkorrigierbar ist, immer durch eine zu t2 neu auftretende Evidenz e außer Kraft gesetzt werden. Sollte sich aber zu t3 diese Evidenz als irreführend herausstellen, so daß die Überzeugung l erneut Geltung erlangen würde, so könnte sie jetzt nicht mehr als Letztüberzeugung fungieren, da sie zu t3 auf der weiteren Überzeugung, daß e in die Irre führt, basieren würde. Damit landen wir aber wieder bei der als problematisch erwiesenen Prämisse, daß letztlich alle Überzeugungen sich als falsch herausstellen könnten. Es wird also noch zu fragen sein, ob ein Ansatz, der die epistemische Priorität von bestimmten grundlegenden Annahmen auch inhaltlich bestimmen könnte, indem er die Unverzichtbarkeit einer bestimmten Klasse von Überzeugungen ausweist, nicht doch mit naturalistischen Herangehensweisen in Einklang gebracht werden kann. Ich möchte jetzt allerdings zu Kitcher als einem prominenten zeitgenössischen Naturalisten über269 A.a.O., S. 122. 270 A.a.O., vgl. S. 123f.
159 gehen, dessen Arbeiten sich besonders durch intensive Analyse der metaepistemologischen Beziehungen auszeichnen.271 Im Besonderen soll uns sein programmatischer Aufsatz "The Naturalists Return" von 1992 als Richtlinie dienen, der sich gut als Zusammenfassung des 'state of the art' naturalistischer Epistemologie verstehen läßt.272 Meine Untersuchung verfolgt dabei zum einen das Ziel, zwei mögliche Reaktionsweisen auf die naturalistische Kritik zu unterscheiden: Es hat sich gezeigt, daß naturalistische Kritik, die sich eng an die Argumentation Quines anschließt, meist dazu führt, daß die Notwendigkeit einer völlig neuen Art von Erkenntnistheorie behauptet wird. Mit der Argumentation Kitchers läßt sich m.E. nochmals deutlicher zeigen, daß dieser Schritt nicht zwingend ist. Ich möchte aufweisen, daß sich die traditionelle epistemologische Herangehensweise so reformieren läßt, daß bisher vernachlässigte Aspekte, die sich mit den verwendeten Prämissen und der bevorzugten Methodologie aber in Einklang bringen lassen, stärker in den Vordergrund rüc??ken. Und zum anderen werde ich zeigen, daß sich Kitchers Argumente im Wesentlichen auf den Kritikpunkt reduzieren lassen, die traditionelle Ausrichtung an apriorische Geltung beanspruchenden Ergebnissen habe zu einer Vernachlässigung der Ergebnisse anderer Wissenschaften, historischer Studien und tatsächlich verwendeter Forschungspraktiken, die Wissenserwerb charakterisieren würden, geführt, ein Punkt, den meines Erachtens auch ein reformwilliger Erkenntnistheoretiker klassischer Couleur akzeptieren kann. Der Naturalismus, so Kitcher, beanstandet an traditioneller, sog. Nach-Fregescher Erkenntnistheorie vor allem zwei Punkte: die Vernachlässigung psychologischer Forschung und die Ausrichtung auf apriorisches Denken. Kitchers Eingangsdiagnose lautet folgendermaßen: "In recent years, confidence in conceptual analysis and in 'first philosophy' has begun to waver." Und so lautet die erste, tentative Bestimmung der naturalistischen Bestrebungen folgerichtig: "[T]here are several kinds of naturalism. Yet all share an opposition to the Frege-Wittgenstein conception of a pure philosophy above (or below?) the special disciplins."273 Als die entscheidenden zwei, die post-fregesche Tradition kennzeichnenden Annahmen werden genannt: die Behandlung erkenntnistheoretischer Fragen in einem logischen Vokabular und in einer apsychologischen Geisteshaltung, sowie die Auffassung, philosophische Reflexion ergäbe Apriorisches, - mit den 271 Vgl. etwa (Kitcher 1985; Kitcher, 1989; Kitcher, 1992; Kitcher, 1995). 272 (Kitcher, 1992), S. 53-114. 273 Beide Kitcher, a.a.O., S. 55.
160 Korollarien, Wissen eine logische Analyse angedeihen zu lassen, Skeptizismus als inkonsistent aufzuweisen und methodologische Verbesserungen so zu verstehen, als ob sie im Formulieren einer Wissenschaftslogik bestünden.274 Unabhängig von Varietäten, die dadurch entstehen, daß den zwei Grundannahmen traditioneller Erkenntnistheorie unterschiedliche Wichtigkeit zugesprochen wird, läßt sich die naturalistische Kritik an einem solchen epistemologischen Programm dann in zwei Gruppierungen einteilen: konservativer oder auch traditioneller Naturalismus und radikaler Naturalismus.275 Kitcher rechnet sich zu den 'konservativen' Naturalisten, die traditionelle Fragestellungen zu reformulieren suchen: "Their aim is to reflect on the cognitive enterprise (including the ventures of science), on its history and on the capacities of those who participate in it, to achieve corrigible formulations of the goals of the enterprise and corrigible accounts of promising strategies for achieving those goals. Epistemology and philosophy of science, thus construed, attempt to fulfill traditional normative functions, and conceive themselves as continuous with the methodological reflections of scientific practitioners."276
Die 'radikale' Variante sieht im behaupteten Scheitern der apriorischen Herangehensweise dagegen einen Beleg dafür, daß jegliche Möglichkeit normativer Bewertung unmöglich und die Aufgabe der Erkenntnistheorie rein deskriptiv zu verstehen ist. Für unsere Belange kann die Unterscheidung vernachlässigt werden, beiden gemeinsam ist die auch in Kitchers Überlegungen prominente These der Unmöglichkeit apriorischen Denkens. Denn sollte sich dies erweisen lassen, scheinen die Versuche, mit begrifflichen Überlegungen die Unverzichtbarkeit der realistischen Annahme aufzuweisen, Makulatur, bloße Lehnstuhl-Philosophie. Da ich mit Kitcher die beiden traditionellen Grundannahmen als zusammenhängend betrachte, soll im Folgenden zuerst kurz die Kritik an der apsychologischen, und eingehender dann die an der apriorischen Haltung analytischer Philosophie behandelt werden.
274 "Epistemological naturalism can be characterized negatively by its rejection of post-Fregean approaches to these investigations." A.a.O., S. 56. 275 Vgl. auch die Unterscheidung von zwei Arten des Naturalismus bei Kornblith, sowie bspw. bei Flew (1986) in (Garver/Hare 1986). 276 A.a.O., S. 58.
161 III.2.2 Epistemologie und Psychologie "Psychology re-entered epistemology quietly": und, so wird bisweilen hinzugefügt, diese Bewegung sei noch immer nicht abgeschlossen. Auch bezüglich dieser Neuorientierung kann eine schwache und eine starke Variante unterschieden werden: erstere betont nur die Bedeutung psychologischen Vokabulars für die Analyse epistemologischer Begriffe, letztere hält die Ergebnisse psychologischer Forschung für unverzichtbar bei der Formulierung epistemologischer Prinzipien.277 Erst letztere kann eine wirkliche Herausforderung für traditionelle Epistemologie darstellen, denn dieser Punkt betrifft die Notwendigkeit der Naturalisierung auch der normativen Dimension. So hält Kitcher gegen die Bestimmung logischer Prinzipien als begrifflichen Wahrheiten, die das normative Ideal definieren, fest: "For naturalists, however, such prescriptions must be grounded in facts about how systems like us could attain our epistemic goals in a world like ours. Simply asserting that prescriptions unfold our concept of rationality will be beside the crucial point. [...] The root issue will always be whether the methods recommended by the theory are well adapted for the attainment of our epistemic ends, and that cannot be settled by simply appealing to our current concepts."278
Begriffsklärung könne zwar eine Rolle spielen, aber, so das Argument, keine Alternative zu empirischen Vorgehensweisen darstellen. Nur im Rahmen einer Untersuchung faktisch verwendeter Prozesse sei es sinnvoll, eine Theorie unserer kognitiven Ziele und epistemischen Werte zu erstellen. Wir wollen kurz auf den prominentesten Gegenvorschlag konservativer Naturalisten, die die normative Dimension klassischer Epistemologie nicht zurückweisen, sondern zu rekonstruieren versuchen, eingehen. Welches Merkmal der für unsere Überzeugungen verantwortlichen psychologischen Prozesse macht sie zu solchen, die die resultierenden Meinungen rechtfertigen können? Viele Naturalisten halten einen epistemologischen Ansatz an der Verläßlichkeit der generierenden Prozesse für vielversprechend, und als verläßlich gelten zum Beispiel Prozesse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit wahre Meinungen generieren, oder die eine wahre Meinung auch in relevanten kontrafaktischen Situationen generieren wür277 "[T]he fundamental point [is] that the epistemic status of a belief state depends on the etiology of the state and, consequently, on psychological facts about the subject." A.a.O., S. 60. Siehe hierzu auch unsere Ausführungen bei Kornblith. 278 A.a.O., S. 63f.
162 den.279 Bei der Diskussion von Quines Naturalisierung der Erkenntnistheorie hatte sich bereits gezeigt, daß der Begriff der Wahrheit durch den Begriff der erfolgreichen Voraussage ersetzt wird. In naturalistischen Theorien, die sich der normativen Dimension von Wissen verpflichtet fühlen, und sich dem, wie Kitcher es nennt, meliorativen Projekt widmen, wird das Ziel epistemischer Prozesse meist ebenfalls einer Revision unterzogen: nicht Wahrheit, sondern epistemische Nützlichkeit gilt als erstrebenswert, und als nützlich können auch Prozesse gelten, die nicht zu wahren Überzeugungen führen. Und im Kontext epistemischer Evaluation, so Kitcher, könne sich sogar herausstellen, daß die philosophischen Dichotomien rational/irrational und gerechtfertigt/ungerechtfertigt eher ersetzt als analysiert werden müssen, denn diese müsse mit einem psychologisch reichhaltigeren Vokabular vorgenommen werden. Kitcher verweist nicht nur zustimmend auf verschiedene Versuche, zwei Formen erkenntnistheoretischer Vorgehensweise zu unterscheiden: "elucidating our 'epistemic folkways' and that of doing 'scientific epistemology'".280 Er räumt ebenfalls ein, daß die dem meliorativen Projekt entsprechenden Vorgehensweisen und Begrifflichkeiten eine erkenntnistheoretische Analyse der Standards von Rechtfertigung und Rationalität nicht ersetzen können.281 So unterscheidet etwa Goldman zwischen belief-forming processes und methods, erstere sind 'wired in features of our cognitive architecture', also Gegenstand vor allem der kognitiven Psychologie, letztere sind zu verstehen als Algorithmen, Heuristiken etc., insofern eher in das Gebiet der traditionellen Erkenntnistheorie fallend. Und innerhalb des Bereichs der Methoden unterscheidet Goldman zwischen starker und schwacher Rechtfertigung, um dem Fall Rechnung zu tragen, in dem jemand eine in einer Gemeinschaft allgemein als verläßlich angesehene Methode zur Voraussage von eintretenden Ereignissen benutzt, wie es etwa zu früheren Zeiten astronomische und astrologische Berechnungen waren, die wir heute nicht mehr als akzeptabel betrachten würden, die Person aber weder völlig ohne den Versuch einer Begründung vorgeht noch eines einfachen 279 Vgl. (Goldman, 1976): "Roughly, a cognitive mechanism or process is reliable if it not only produces true beliefs in actual situations, but would also produce true beliefs, or at least inhibit false beliefs, in relevant counterfactual situations." S. 771. Aktuellere Versionen finden sich in (Goldman, 1986 und 1992). Siehe auch verwandte Ansätze etwa bei Dretske, z.B. (Dretske, 1971 und 1981). 280 (Kitcher, 1992), S. 69, Fn. 46. 281 "It seems implausible to pursue both projects in tandem. Reliabilism gives a promising start to formulating a meliorative naturalistic enterprise, even if it is not the panacea for the problem of analyzing justification." A.a.O., S. 69.
163 Fehlschlusses zu überführen wäre. In einem schwachen Sinn von Rechtfertigung könne man dann auch in solchen Fällen von gerechtfertigten Überzeugungen reden.282 Inwieweit stellt die Forderung nach einer 'psychologischen Wende' demnach tatsächlich eine Herausforderung für die traditionelle Epistemologie dar? Die empirische Forschung im Bereich der Psychologie scheint zumindest auf ihrem heutigen Stand nicht eine solche Generalisierung verwendeter Rationalitätsstandards zuzulassen, wie sie traditionell durch die Annahme begrifflicher oder logischer, also universeller Zuammenhänge gefordert oder behauptet wird. Impliziert die Einführung psychologischer Vorgehensweisen aber bereits die Zurückweisung oder Relativierung universalen Geltungsanspruchs? Die Wendung zu empirischer Information, so wird nahegelegt, mache die Entdeckung universeller epistemischer Gesetzmäßigeiten zumindest unwahrscheinlich. Aber der wiederkehrende Verweis auf die Beschränkungen unserer kognitiven Situation verbirgt meines Erachtens, daß, um wirklich ein Argument darzustellen, eine weitere Prämisse verlangt ist. Was genau soll das heißen, daß der Geltungsanspruch einzelner Rationalitätsmaßstäbe nicht als universaler, sondern als partikulärer betrachtet werden muß? Müßte dann nicht die Möglichkeit einer Wahl oder einer Alternative bestehen? Und wie sollen wir eine solche Vorstellung verstehen, wenn es sich etwa um grundlegende logische oder epistemologische Prinzipien handelt? Betrachten wir beispielsweise das von Kitcher angeführte Argument: "But what exactly do we want? Advice for any reasoning being - for 'reason itself' - that would be good no matter what the world is like? Or advice for limited creatures like ourselves that would be effective in the actual world? [...] Ambitious recipes for universal success would be welcome, but [...] there is no alternative to appealing to empirical information. Analytic epistemology either idealizes so far from the human cognitive predicament that its deliverances are unhelpful, or it tries to disguise substantive principles about how to proceed in a particular kind of world (that which we take ourselves to inhabit) as if they offered universal recommendations."283
282 "On one conception, a justified belief is (roughly) a well-formed belief, a belief formed (or sustained) by proper, suitable, or adequate methods, procedures, or processes. On another conception, a justified belief is a faultless, blameless, or non-culpable belief. ... [The first] requires the belief to be formed by methods that are actually proper or adequate, whereas the second makes no such requirement."(1988, S. 52f.) 283 A.a.O., S. 64f.
164 Wird sozusagen analytisch, also etwa mit dem Begriff der Rationalität oder dem der Sprache argumentiert und darauf verwiesen, daß diese begriffliche Implikationen hätten, die notwendig dafür seien, etwas überhaupt als Rationalität oder Sprache zu identifizieren, ist natürlich immer auch Bezug genommen auf eine abstrahierte oder idealisierte Version unserer Vorstellungen von Rationalität oder Sprache. Aber unser Argument war ja gerade, daß wir uns unter einer Alternative, die sich nicht aus den als wesentlich erachteten, faktischen Bestandteilen zusammensetzt, die aber dennoch als Rationalität oder Sprache identifizierbar sein soll, nichts vorstellen können, eine solche Alternative leer bleibt. Behauptungen wie die, daß Wesen, die nicht denselben kognitiven Beschränkungen unterliegen wie wir, ebenfalls rational seien, obwohl die verwendeten Prinzipien nicht mit unseren übereinstimmten, sind unverständlich, weil diese gar nicht als Prinzipien der Rationalität erkannt werden könnten. Ein Argument würde aus naturalistischen Überlegungen, die den Geltungsbereich solcher Bestimmungen relativieren wollen, nur dann, wenn es gelingen könnte, empirisch festzustellen, daß es beispielsweise eine Art von Rationalität (in dieser unserer Welt) gibt, die als Rationalität zu erkennen ist, die aber dennoch nicht mit den behaupteten definierenden Prinzipien übereinstimmt. Doch selbst dann spräche für einen reformwilligen Traditionalisten nicht notwendigerweise etwas gegen den Schritt, diese vermeintlich neu entdeckte, aber 'übersetzbare' Art von Rationalität mit ihren definierenden Prinzipien oder Gesetzmäßigkeiten in die ursprüngliche Definition mit aufzunehmen, und wieder - bis auf Widerruf - Universalität zu beanspruchen. Denn daß die angenommenen Bestimmungen nicht unbedingt alle als unveränderlich angesehen werden, zeigt sich gerade am normativen Aspekt traditioneller Erkenntnistheorie: der Anspruch oder die Forderung, Wissen oder die Wahrheit zu fördern, wird ja auch auf die Epistemologie selbst angewendet, bezieht sich ja auch auf ihre eigene Methodologie und Grundbegriffe - wie sich beispielsweise an der Debatte um den angemessenen Wahrheitsbegriff zeigen läßt. Erst Rationalitätsmaßstäbe, die sich nicht mit unseren vereinbaren lassen, würden diesen, einem Traditionalisten immer offenstehenden Ausweg unmöglich machen - dann stellte sich aber die Frage, aus welchen Gründen wir eine solche, ganz andere Art, zu denken, noch rational nennen sollten. Notwendigkeit für die Ergebnisse begrifflicher Untersuchungen zu behaupten, muß also nicht notwendigerweise heißen, daß über 'alle möglichen Welten' quantifiziert wird. Damit ergeben sich für die Erkenntnistheorie zwei entgegengesetzte Strategien: Entweder man öffnet sich weitestgehend den empirischen Wissenschaften, allen voran der Psychologie - das entspricht der Naturalisie-
165 rungsbewegung, die mit dem Namen Quines verbunden wird, und impliziert, daß die theoretischen Grundannahmen explizit auf einen spezifischen Rahmen relativiert werden müssen. Oder man versucht, bestimmte der als universell erachteten erkenntnistheoretischen Begriffe und Zusammenhänge als Kernannahmen auszuzeichnen, deren Falsifikation zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellbar ist, so daß ihre Notwendigkeit zwar nicht 'ein für allemal' ausgewiesen wäre, es beim Auftreten zuwiderlaufender Evidenzen aber immer sinnvoll wäre, diese entweder als abgeleitete und in unseren Prämissen reformulierbare, interpretierbare Formen von Rationalität oder Sprache zu verstehen, oder zu fragen, in welchem Sinne die Anwendung des definierten Begriffes auf ein den Definitionen nicht entsprechendes Phänomen rechtfertigbar sei. III.2.3 Epistemologie und Apriorisches Wie die Ausführungen zur Notwendigkeit einer 'psychologischen Wende' gezeigt haben, liegt die grundsätzliche Differenz zwischen traditioneller und naturalistischer Erkenntnistheorie demnach weniger in der Bewertung der Relevanz psychologischer Forschung, als in der Einschätzung des möglichen Geltungsbereichs der Epistemologie selbst. Der zweite und für unsere Zwecke entscheidendere Zweig naturalistischer Beweisführung besteht folglich in dem Versuch der Widerlegung der als kennzeichnend für die traditionelle Erkenntnistheorie betrachteten Annahme apriorischer epistemischer Prinzipien.284 Übernimmt man die Wendungen, die die psychologistische Ausrichtung zeitgenössischer naturalistischer Erkenntnistheorie spiegeln, verläuft die Argumentation wie folgt: • • •
Rechtfertigung und Erkenntnis hängen ab von den Charakteristika der Prozesse, die Meinungen generieren. Apriorische Rechtfertigung und apriorische Erkenntnis hängen dann ab von Prozessen, die unabhängig von Erfahrung sind. Es gibt nur zwei mögliche Kandidaten für die gesuchte Klasse von Prozessen: die Prozesse, mit deren Hilfe Logiker und Mathematiker Axiome begreifen und Beweise konstruieren, und solche, in denen Schlüsse durch den Verweis auf unser Sprachverstehen verteidigt werden.
284 Vgl. Kitcher, a.a.O., S. 69-74, ins. S. 71f. Auf Kitchers eigene, alternative Konzeption apriorischen Wissens werden wir noch eingehen. Vgl. (Kitcher, 1985).
166 Und als Hauptargument gegen beide Klassen dient wieder der Verweis auf die Revidierbarkeit jeder Aussage: Diese impliziere, so die These, daß auch die Prozesse und Methoden, die Wissen oder Erkenntnis generieren sollen, als prinzipiell fallibel betrachtet werden müssen, sowie, bezogen auf die sprachliche Variante, daß die behauptete Unabhängigkeit von Erfahrung nur unter Absehung von den in die Sprache verwobenen empirischen Hintergrundannahmen aufrechterhalten werden könne. "[...] all such knowledge-generating processes are dependent on our absorption of ancestral lore, so that we are always implicitly dependent on the struggles of our predecessors to fashion a language apt for the description of the world, and are thus, vicariously, dependent on their experiences."285
Festzuhalten ist zunächst, daß die erste Prämisse naturalistischer Epistemologie, deren psychologische Wendung, für das hier beschriebene Argument keine zentrale Rolle spielt, da die These der Fallibilität und damit a fortiori der Erfahrungsabhängigkeit auch der logischen oder mathematischen Erkenntnis davon unabhängig ist, ob die diesbezüglichen Propositionen oder die sie generierenden Prozesse zugrundegelegt werden. Als wesentliches Argument dient also der uns schon von Quine vertraute Punkt, daß ein faktischer oder empirischer und ein begrifflicher Bestandteil unserer Meinungen oder Theorien nicht säuberlich zu trennen seien, so daß die These der prinzipiellen Revidierbarkeit auch auf vermeintlich apriorische Erkenntnisse zutreffe. Meiner Einschätzung nach wird auch in anderen Arbeiten aus dem Bereich naturalisierter Epistemologie dieser Argumentation kein wesentlich neuer Punkt hinzugefügt. Zugestanden werden muß, wie sich in unserer Diskussion bereits wiederholt gezeigt hat, daß der fragwürdige Begriff der Unabhängigkeit von Erfahrung verworfen werden muß, weil so der Begriff der Analytizität oder Unrevidierbarkeit bestimmter Annahmen nicht rekonstruiert werden kann. Aber die oben gegen die Relativierung normativer Geltung verwendete Strategie kann meines Erachtens auch im jetzigen Kontext angewendet werden: Um den Begriff der Notwendigkeit bestimmter Strukturen und Merkmale von Erkenntnis oder einzelnen Wissensansprüchen zu rechtfertigen, muß nicht die stärkere These ihrer prinzipiellen Unrevidierbarkeit ausgewiesen werden. Zur Diskussion dieses Punkt soll auch die von Kitcher verteidigte Variante eines konservativen oder traditionellen Naturalismus berücksichtigt werden. Angenommen, das Argument gegen eine Erkenntnistheorie, die versucht, den Begriff der Notwendigkeit oder des Apriorischen zu klären, wä285 A.a.O., S. 72.
167 re erfolgreich, welche Schlüsse sind Kitcher zufolge daraus zu ziehen? Die separaten Routen der psychologischen Wende einerseits und der Zurückweisung von Apriorizität andererseits konvergierten, so seine These, in der Position des sog. konservativen Naturalismus. Dieser könne mithilfe folgender vier Grundannahmen gekennzeichnet werden: (1) (2) (3)
(4)
The central problem of epistemology is to understand the epistemic quality of human cognitive performance, and to specify strategies through whose use human beings can improve their cognitive states. The epistemic status of a state is dependent on the processes that generate and sustain it. The central epistemological project is to be carried out by describing processes that are reliable, in the sense that they would have a high frequency of generating epistemically virtuous states in human beings in our world. Virtually nothing is knowable a priori, and, in particular, no epistemological principle is knowable a priori.286
Der erste Punkt wurde bereits verschiedentlich angesprochen: Naturalistische Epistemologie, zumindest in ihrer konservativen oder traditionellen Variante, greift damit den normativen Punkt auf, epistemische Strategien zu beschreiben, die zu einer Verbesserung unserer kognitiven Lage, zu mehr Erkenntnis führen können, formuliert dies aber mithilfe eher psychologischen Vokabulars. Die zweite These hat diese Wendung direkt zum Gegenstand, sie kann als eines der definierenden Merkmale naturalistischer Erkenntnistheorie angesehen werden. Geht man davon aus, daß der epistemische Status eines kognitiven Zustands, etwa einer Meinung, durch die Qualität der für diese Meinungen sprechenden Belege bestimmt wird, kommen nach dieser These nur die meinungsbildenden Prozesse, nicht aber die inferentiellen Beziehungen zu anderen Meinungen als Belege in Frage. Offen bleibt in Kitchers Formulierung, ob traditioneller Naturalismus nur der These des Propositionalismus widerspricht oder ob bereits die Annahme, daß Rechtfertigung durch die Qualität der Belege bestimmt wird, also die These des Evidentialismus, zurückgewiesen wird. (Letzteres ist anzunehmen, da die meinungsbildenden psychologischen Prozesse einem sich rechtfertigenden Subjekt meist nicht verfügbar sind.) Damit ist aber auch eine weitere Konsequenz der psychologischen Wende verbunden: Wenn der epistemische Status eines kognitiven Zustandes alleine im Rahmen der ihn generierenden psychologischen Prozesse analysiert 286 Vgl. a.a.O., S. 74ff.
168 wird, aber zugleich der normative Aspekt gewährleistet sein soll, müßte man von einer Entsprechung des Normativen und Faktischen ausgehen.287 Hält man dies nicht für sinnvoll, kann nur noch die schwache Lesart der Ersetzungsthese aufrechterhalten werden: Psychologie kann Epistemologie nicht ersetzen, wohl aber befruchten. Auf diesen Punkt reagiert die dritte These, die substantiellere Veränderungen des erkenntnistheoretischen Vorgehens nach sich zieht: Der klassische Begriff der Wahrheit von Meinungen oder Aussagen wird durch den Begriff der Verläßlichkeit kognitiver Prozesse ersetzt, wobei es die normative Dimension im Rahmen einer Theorie 'epistemischer Tugenden' zu berücksichtigen gilt. Die letzte These besagt, daß epistemologische Prinzipien, wie sie etwa für die Theorie epistemischer Tugenden benötigt werden, ausnahmslos keine apriorische Gültigkeit haben. Dazu allerdings Kitcher: "The mere fact that the apparent sources of epistemological recommendations (logic, conceptual analysis, probability theory) are no longer judged as a priori, does not mean that those sources need to be replaced with or extended by empirical investigations [...] Traditional naturalists ought to concede that there is a legitimate activity of using the arsenal of philosophical techniques [...] to articulate ideas about knowledge."288
Kitcher versieht seine Variante des Naturalismus gerne mit dem Epitheton 'traditionell', um auch terminologisch deutlich werden zu lassen, daß er sich als Nachfolger - und Erbe - klassischer Erkenntnistheorie sieht. Seine Herangehensweise besetze das Mittelfeld zwischen beiden extremen Postionen, was aber, wie er selbst konstatiert, insofern etwas unbehaglich sei, als beide die Argumente der jeweiligen Gegenseite benützen könnten, um die Möglichkeit einer Zwischenposition zu bestreiten. Dies zeigt sich deutlich auch an verschiedenen Einwänden gegen den konservativen Naturalismus, mit denen sich Kitcher auseinandersetzt. Ich werde im folgenden jedoch nur diejenigen Gegenargumente diskutieren, die für unsere Frage nach einer Erkenntnistheorie, die in der Lage ist, die skeptische Herausfor287 Diese Lesart des Psychologismus findet sich etwa auch bei Kornblith, aber anders als in dem bereits zitierten früheren Aufsatz definiert er den Begriff dann folgendermaßen: "Psychologism is the view that the processes by which we ought to arrive at our beliefs are the processes by which we do arrive at our beliefs". Hiervon unterscheidet er eine schwache Variante, die des 'ballpark psychologism', die in der Überzeugung bestehe, "that the processes by which we arrive at beliefs are at least roughly like the processes by which we ought to arrive at our beliefs; the one set of processes is in the same ballpark as the other." In (Kornblith, 1985a), S. 8f. 288 A.a.O., S. 77f.
169 derung zu beantworten und dabei unsere Intuitionen hinsichtlich des Realismus unserer Commonsense-Auffassung berücksichtigt, wichtig sind. Bei Kitcher findet sich ein Einwand, der auf die Möglichkeit skeptischer Konsequenzen insbesondere im Rahmen der Thesen drei und vier, die die normative Dimension beschreiben, verweist. In seiner Formulierung lautet die Herausforderung folgendermaßen: (B)
Only if we can arrive at principles that would properly guide inquiry in any world and which can be validated a priori will the problem of normative epistemology be solved. For otherwise the dependence of epistemology on information that had to be obtained using admittedly error-prone methods will lead to an unresolvable form of skepticism.289
Und die Extremlösung, die der traditionellen epistemologischen Vorgehensweise entspräche, bestehe darin, die naturalistischen Thesen drei und vier einfach zurückzuweisen und vom Naturalismus nur die Öffnung zu psychologischer Begrifflichkeit zu übernehmen. Radikaler Naturalismus dagegen würde an der These des Einwands festhalten und darauf insistieren, daß apriorische Prinzipien nicht verfügbar sind, und zöge folglich die Konsequenz, das skizzierte Projekt des traditionellen Naturalismus, das den normativen Aspekt aufzugreifen sucht, zu verwerfen. Als konservativer Naturalist formuliert Kitcher die skeptische Herausforderung in einer Form, die dem Psychologismus entspricht: Wie können einzelne meinungsbildende Prozesse, die sich als verläßlich, oder als 'kognitiv optimal' erwiesen haben, gerechtfertigt werden? Auf einer ersten Ebene erfolgt die Begründung der fraglichen Prozesse, indem sie unter Hinzuziehung empirischer Evidenz als erfolgreich in der aktualen Welt erwiesen werden, in einem zweiten Schritt werden davon die Prozesse ausgezeichnet, die den erwarteten kognitiven Wert maximieren würden. Bereits den ersten Schritt der Bestätigung würde ein Skeptiker aber als petitio betrachten, zumindest dann, wenn die empirischen Überzeugungen selbst wiederum die Gültigkeit der fraglichen Prinzipien implizieren. Kitcher gesteht ein, daß dem traditionellen Naturalisten eine synchrone Rekonstruktion eines beliebigen Korpus von Überzeugungen nicht gelingen kann: Mit der Ablehnung eines substantiellen apriorischen Wissens kann Rechtfertigung nur unter Hinzuziehung empirischer Befunde erfolgen. 289 Kitcher, a.a.O., S. 79, Seine Gegenargumente finden sich auf den Seiten 87-100.
170 "In consequence, one can produce unanswerable challenges by calling into question single claims or bodies of doctrine that are presupposed in all empirical investigations. On naturalism's own grounds there are bound to be unanswerable forms of skepticism."290
Kann dann vielleicht eine diachrone Rekonstruktion, die die Bedeutung der 'ancestral lore', unseres ererbten Wissens berücksichtigt, eine Alternative zur Legitimierung unseres aktualen Wissenskorpus darstellen? Zwei Formen skeptischer Einwände gegen eine solche Form von Rechtfertigung sind möglich: Zum einen könnte der Ausgangszustand, von dem aus unsere Vorfahren mit ihrer Erkundung der Welt begannen, so primitiv gewesen sein, daß wir mit einem solchen Erbe nie bei einem akkuraten Bild der Welt angelangen werden, zum anderen könnten die Mittel, mit deren Hilfe wir Modifikationen des ursprünglichen Bildes vornehmen, so unbedeutend oder schwach sein, daß substantielle Verbesserungen nicht möglich sind. Beide Einwände, so Kitcher, können aber dadurch abgeschwächt werden, daß man auf die positive Wirkung natürlicher Faktoren, die eine Auslese bewirken, setzt.291 Der zweite Einwand gehört jedoch auch zu einer Gruppe von skeptischen Überlegungen, die an verschiedenen Formen der Unterbestimmtheitsthese anknüpfen. Gegen eine Vorstellung, die Naturwissenschaft als sich selbst korrigierendes, in Bezug auf zentrale Annahmen zumindest langfristig konvergierendes Unternehmen ansieht, wird auch in der jüngeren Wissenschaftstheorie auf die Möglichkeit der logischen Konsistenz konkurrierender Interpretationen verwiesen.292 Darüberhinaus, so das Argument, zeige besonders eine historische Analyse faktischen wissenschaftlichen Vorgehens, daß Entscheidungen zwischen konkurrierenden Alternativen von unterschiedlichsten Faktoren beeinflußt werden: durch eine Änderungen der üblichen Standards, zum Beispiel durch Neubewertung von Problemen; die Theorie-Geladenheit von Beobachtung; eine Neubewertung von empirischen Tests, Experimenten etc.; und nicht zuletzt durch das Eingebettetsein von Wissenschaft in soziale oder institutionelle Hierarchien, das sich auch auf die Ergebnisse auswirke könne. Dagegen 290 Kitcher, a.a.O., S. 90. 291 Der Punkt findet sich in gewohnter Deutlichkeit bereits bei Quine: "There is some encouragement in Darwin. [...] Creatures inveterately wrong in their inductions have a pathetic but praiseworthy tendency to die before reproducing their kind." In (Quine, 1969d), S. 126. 292 Vgl. Fn. 261. Realistische Gegenpositionen finden sich etwa bei Boyd, Glymour oder in neueren Arbeiten von Laudan, etwa in (Boyd, 1973 und 1983), (Glymour, 1982), (Laudan, 1990 und 1991).
171 betont Kitcher, daß diese Überlegungen kein Gegenargument darstellten, sondern besonders für eine normativ ausgerichtete Erkenntnistheorie, die auf eine Verbesserung der angewandten kognitiven Strukturen und Prozesse abzielt, also vor allem das meliorative Projekt verfolgt, überaus hilfreich sein können. Erst der stärkere Punkt, daß wir aus der Vorstellung der Verbesserung keinen Sinn machen können, würde nach Kitcher eine skeptische Konsequenz zwingend machen. Die Möglichkeit, uns selbst zu korrigieren, scheint erst dann fragwürdig, wenn die gravierende Behauptung gerechtfertigt werden könnte, daß auch entwickeltere Versionen jetzt konkurrierender Ansätze fortwährende Divergenz aufweisen und selbst kognitiv überlegene Strategien nichts an der Unendlichkeit der Unterbestimmtheit zu ändern vermögen. Diachrone Untersuchungen dienen also nicht nur der Legitimierung aktuell verwendeter epistemischer Praktiken und Prozesse, sondern können auch wichtige Mängel aufzeigen und insofern zu einem realistischeren Bild wissenschaftlicher Praktiken führen. Die Anerkenntnis dieser kritischen Funktion, so Kitcher, könne aber nicht zu dem ungleich folgenschwereren Eingeständnis führen, die Angemessenheit kognitiver Praktiken und epistemologischer Prinzipien überhaupt zu negieren.293 Fassen wir also nochmals kurz zusammen. Eingangs wurde gesagt, daß der Erkenntnistheorie zwei alternative Wege offen stehen: Entweder, so die naturalistische Version, man öffnet sich weitestgehend den empirischen Wissenschaften, allen voran der Psychologie und akzeptiert, daß die theoretischen Grundannahmen explizit auf einen je spezifischen Rahmen relativiert werden müssen. Es sollte nun deutlich geworden sein, daß naturalistische Epistemologie, besonders in ihrer radikalen Variante, nicht nur mit immanenten Problemen zu kämpfen hat, sondern auch die skeptische Herausforderung nicht überzeugend zurückzuweisen vermag: Eine Rechtfertigung unseres Selbstverständnisses als rationale Wesen, die fähig sind, eine von ihnen unabhängig existierende Welt zu entdecken und zu verstehen, ist hier meines Erachtens nicht möglich, der Erfolg der Wissenschaf-
293 Des weiteren wird über die Tatsache, daß Relativierungsthesen auch auf sich selbst angewendet werden müssen, gern hinweggesehen: auch verschiedenste Analysen faktischen wissenschaftlichen Vorgehens sind nicht neutral, sondern können logisch inkonsistent sein, aber gleichermaßen den Belegen entsprechen. Insofern muß auch hier die normative, auf Selbstkorrektur zielende Frage gestellt werden, welche Beschreibung welchen Zwecken dient.
172 ten bliebe ein Rätsel.294 Nun wird von überzeugten Naturalisten bereits der Versuch, die skeptische Herausforderung zu beantworten und die Möglichkeit von Wissen zu begründen, als Erbe der Tradition betrachtet und verworfen. Vergegenwärtigt man sich allerdings die gravierenden Konsequenzen einer solchen Zurückhaltung, sollten die von naturalistischer Seite vorgebrachten Argumente nicht zu einer Zurückweisung, sondern nur zu einer Reform traditioneller Epistemologie führen. Die Alternative besteht nach meinem Verständnis darin, bestimmte erkenntnistheoretisch zentrale Begriffe und Zusammenhänge insofern als Kernannahmen auszuzeichnen, als deren Falsifikation zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellbar ist. Damit wäre die Notwendigkeit der fraglichen Praktiken, Methoden, Prozesse etc. zwar nicht für alle Zeiten und für alle möglichen Welten ausgewiesen. Würden widersprechende Evidenzen auftreten, müßte man entweder versuchen, diese als abgeleitete und in unseren Prämissen reformulierbare, also interpretierbare Formen von Erkenntnis, Rationalität oder Sprache zu verstehen, oder es wäre zu fragen, ob die Anwendung des in Bezug auf unser faktisches System definierten Begriffes auf ein diesen Definitionen nicht entsprechendes Phänomen überhaupt zu rechtfertigen ist. Wie eine solche, in ihrem Geltungsanspruch bescheidenere Form traditioneller Erkenntnistheorie aussehen könnte, wird Gegenstand unseres nächsten Kapitels sein.
294 "The positive argument for realism is that it is the only philosophy that doesn't make the success of science a miracle." So Putnam in Mathematics, Matter, and Method, Phil. Pap. I, (1975) S. 69.
173
IV. Realistische Erkenntnistheorie "[T]he picture of a profound metaphysical disagreement should ideally be replaced by that of a choice [...]. Ideally still, it should not matter greatly which choice is made; for any pair of philosophers of opposed persuasions (or, in this matter, perhaps, of temperaments) should be able to appreciate, across their difference in idiom, the force of each other´s attempts on the less general and more substantial problems that confront them both. But this is ideal; and it seems more likely that the old debate will continue, in variant guises and variant forms, as long as our civilization lasts. May that be long indeed!"295
IV.1 Zwischen Transzendentalismus und Naturalismus Wie sich gezeigt hat, trifft Roy Wood Sellars bereits erwähnte Charakterisierung von 1922, Naturalismus sei eher eine allgemeine Richtung denn eine bestimmte Überzeugung, eher eine Anerkennung der Leistungen der Naturwissenschaften denn ein eigenständiges philosophisches System, noch immer zu. Historisch kommt Quines Diktum, Erkenntnistheorie müsse naturalisiert werden und könne nur als Bestandteil der Wissenschaften, nicht aber als autonome 'prima philosophia' überleben, große Bedeutsamkeit zu, wie sich gezeigt hat, finden sich in der zeitgenössischen Epistemologie jedoch beide Projekte wieder. Die internen Schwierigkeiten beider, transzendentaler wie naturalistischer Herangehensweisen fordern meines Erachtens dazu auf, die Verbindung zwischen Metaphysik oder Ontologie und Erkenntnistheorie weder ausschließlich von den Wissenschaften noch allein von der Epistemologie her zu betrachten: Transzendentale Metaphysik, zumindest in der Kant folgenden Form, also die Überzeugung, daß letztlich allein eine Erkenntnistheorie als 'Gerichtshof der Vernunft' legitimierbare Aussagen darüber machen kann, was es gibt, welche Klassen von Gegenständen existieren, führt zum Idealismus. Naturalistische Metaphysik, zumindest in der Quine folgenden Form, also die Überzeugung, daß letztlich allein die besten unserer Natur-Wissenschaften legitimierbare Aussagen darüber machen können, was es gibt, welche Klassen von Gegenständen existieren, hingegen bedarf einer erkenntnistheoretischen Rechtfertigung, die über den bloßen Verweis auf ihren prognostischen Erfolg hinauszugehen vermag. Des weiteren wurde gezeigt, daß beide Herangehensweisen sich mit der Wahrheitsfrage und a fortiori mit der Vorstellung des Realismus auseinandersetzen müssen: In unseren kognitiven 295 (Strawson, 1979a), S. 10.
174 Unternehmungen wie in unserem Selbstverständnis spielen nicht alleine Voraussage und Kontrolle, sondern auch das Ziel, die Natur zu verstehen, eine Rolle, wobei Verständnis bestimmt werden kann als Erkenntnis eines externen Gegenstandes, der unabhängig von dem Akt des Erkennens oder Erfassens über Eigenschaften oder Charakteristika verfügt, die wir zu entdecken suchen.296 Für eine solche Zielsetzung ist Wahrheit ein intrinsischer Wert, der nicht alleine instrumentell oder pragmatisch bestimmt werden kann. Ob dies nur im Rahmen eines schwachen oder 'Feigenblatt'Realismus erfolgen kann, der sich nur auf die Existenz von irgendwelchen Gegenständen festlegt, die von menschlicher Kognition unabhängig sind, oder im Rahmen einer stärkeren Version erfolgen muß, die für die unabhängige Existenz 'natürlicher Arten' und einer kausalen Struktur der Natur argumentiert, kann zunächst offen bleiben. Beide Realismen sind sich bezüglich des Ziels der Wissenschaft, eine strukturierte Darstellung der Natur zu ermöglichen, einig, kognitiver Wert kommt folglich jenen Wahrheiten zu, die zu einer solchen Konzeption beitragen können. Dies wird als Aufgabe einer realistischen Erkenntnistheorie verstanden, die sich ihrer Verbindung zu Fragen der Ontologie bewußt ist. Naturalistische Züge erhält sie dadurch, daß in ihr weder von den, uns von den betreffenden Wissenschaften zugeschriebenen kognitiven Vermögen noch von unserer faktischen Rechtfertigungspraxis abgesehen wird, transzendentale dadurch, daß erst in ihr das weitere Desiderat einer Erklärung und Rechtfertigung der normativen Dimension von Erkenntnis möglich scheint. Erkenntnis muß in einem von den Naturwissenschaften oft unterschätzten Maße als abhängig von normativen Gesichtspunkten ausgewiesen werden. Damit aber kann den meist in einem pejorativen Sinn apriorisch genannten, m.E. aber genuin philosophischen Gesichtspunkten, von denen die Einzelwissenschaften notwendigerweise absehen, erneut zu ihrem Recht verholfen werden. Was aber kann als 'genuin philosophisch' ausgezeichnet werden? Diese Forderung muß mehr beinhalten als einen Begriff der Philosophie als Kritik, denn die Maßstäbe, anhand derer die Wissenschaften kritisiert oder bewertet werden sollen, können dann nicht selbst einfach die Maßstäbe der Wissenschaften sein.297 Ich möchte diesen Gesichtspunkt un296 "Nützt der Fortschritt der Wissenschaft der Philosophie? Gewiß. Die entdeckten Wirklichkeiten erleichtern dem Philosophen die Aufgabe, Möglichkeiten zu erdenken." In (Wittgenstein, 1984 (7)), § 807. 297 "Kann man sich eine genialere Aushilfe der sich ihrer Auflösung widersetzenden Philosophie gegen die Emanzipationstendenzen der einzelnen Forschungszweige und Forschungsobjekte denken als die Idee ihres kritischen Berufs? So legitimiert die Philosophie den Zustand ihrer Entmachtung, in den die Umbildung der wissenschaftli-
175 ter dem Begriff der Transzendentalisierung fassen, weil mit ihm auf die allgemeinste Form der Frage, wie Denken und Welt zusammenhängen, abgezielt wird. Die unbefangene Auskunft, das Denken handle eben von der Welt, ist wenig hilfreich, weil sie die intentionale Relation, dieses von nicht zu erklären vermag. Versucht man, eine Struktur von Erfahrung zu bestimmen, die so allgemein ist, daß sie den Rahmen von Prinzipien liefert, deren Gebrauch und Anwendung wesentlich für empirisches Wissen ist, und der in jeder kohärenten Konzeption von Erfahrung enthalten sein muß, bewegt man sich im Bereich transzendentalen Philosophierens. Die Struktur unserer Erfahrung spiegelt sich in unserem Begriffssystem: zu beschreiben ist also auch, wie die wesentlichsten Begriffe, mit denen wir über unsere Beziehung zu der uns umgebenden und von uns zu erfahrenden Welt reden, miteinander verknüpft sind. Eine solche begriffsanalytische Untersuchung beansprucht aber nicht bloß, kontingente, sondern notwendige Zusammenhänge aufzuzeigen: sie muß also zeigen, inwieweit die Geltung ihrer Behauptungen sich weder nur einer philosophischen Sanktionierung des faktischen Sprachgebrauchs, noch bloßer psychologischer Notwendigkeit verdankt, sondern mehr ist als dies. Die Vorgehensweise ist folglich zwar beschreibend, aber dennoch insofern transzendental zu nennen, als Begriffssysteme, die in zentralen Punkten nicht mit unserem übereinstimmen, als unverständlich, widersprüchlich oder sonstwie defizient analysiert werden müssen. Als transzendental verstehe ich dabei nicht allein Arbeiten wie Strawsons Individuals, das als locus classicus gelten kann, oder Arbeiten von Autoren wie Bennett oder Rosenberg, sondern vielmehr ein sich auch und vor allem in den Werken amerikanischer Autoren zeigendes, neues Grundverständnis des Verhältnisses von Geist und Welt.298 Hier wird ein Entwicklungsstrang wichtig, der sich bereits bei Wittgenstein andeutet, eine verbindliche Formulierung aber erst durch die großen Kritiken von Quine und Sellars fand, und der sich in der zeitgenössischen Philosophie in so disparaten Ansätzen wie denen von Putnam oder Rorty, Davidson oder McDowell zeigt. Das Verhältnis von Geist und Welt, so kann die Überlegung stark verkürzend skizziert werden, könne nicht exchen Arbeit sie gebracht hatte, unter gleichzeitiger Wahrung ihrer Führerschaft." (Plessner, 1959 (1935)), S. 138. 298 Wobei sich inzwischen gezeigt hat, daß die Terminologie alles andere als trennscharf verwendet werden kann und sich durch einige Willkür auszeichnet. In diesem Bereich philosophischer Theoriebildung scheinen bevorzugte Traditionslinien entscheidender als methodologische Prinzipien, was man auch als implizite Bestätigung dafür verstehen könnte, daß die Naturalisierung der Erkenntnistheorie auch zu ihrer Historisierung geführt hat.
176 tern, von einem Gottesstandpunkt aus, beschrieben werden, gefordert sei eine Hinwendung zu internen oder gar internalistischen Begründungsstrategien.299 Diese versuchen, die mit dem Begriff der Objektivität verbundenen Geltungsansprüche dadurch zu rekonstruieren, daß Geltung oder Wahrheitsanspruch auf unseren menschlichen, teilnehmenden Standpunkt bezogen wird, realistische Positionen, die sich dieser Relativierung zu widersetzen suchten, wurden als 'metaphysisch' bloßgestellt.300 Diese Verschiebung drückt sich auch darin aus, daß die Dichotomie von Tatsachen und Werten verworfen und entweder die normative Komponente der mit dem Begriff der Objektivität verbundenen Vorstellungen betont oder auch eine neue Art des sog. weichen Naturalismus propagiert wird, der Natur oder Materie und Geist oder begriffliches Denken nicht mehr als einander gegenüberstehend, sondern als einander durchdringend verstehen könne.301 Dies wird zum Teil auch unter Berufung auf Hegels Kritik an Kant gerechtfertigt und als Hinwendung zu Hegel verstanden, in diesem Zusammenhang sei etwa an Putnams umstrittene Aussage erinnert, daß 'der Geist und die Welt zusammen den Geist und die Welt schaffen'.302 Inwieweit die Aufstellung solcher Traditionslinien allerdings angemessen ist, soll uns nicht beschäftigen, ob die jeweils favorisierten Thesen gerechtfertigterweise bestimmten Autoren zugeschrieben werden können, ist eine Frage von eher historischem oder ideengeschichtlichem Interesse. Für unsere Belange ist ein anderer Punkt interessanter. Die bisherige Diskussion transzendentaler und naturalistischer Versuche, der skeptischen Herausforderung zu begegnen, schien eine grundsätzliche Unvereinbarkeit beider Standpunkte zu implizieren: Zuerst hinsichtlich der Frage nach dem Status von Philosophie oder Erkenntnistheorie, deren Beantwortung unterschiedliche methodologische Konsequenzen nach sich zog, die in der Folge dann auch den Gegenstand nicht unverändert lassen konnten: Erkenntnistheorie schien ihren privilegierten Status als 'grundlegende Disziplin' einzubü-
299 Zum Begriff des 'Gottesstandpunktes' vgl. etwa (Putnam, 1981), Kap. III. 300 Ein wesentlicher Impuls ging von Rortys 1979 erschienenem Buch Philosophy and the Mirror of Nature aus. s.a. (Rorty, 1972, 1989 sowie 1991). Ein weiterer prominenter Vertreter war der 'mittlere' Putnam des 'internen Realismus', z.B. in (Putnam, 1981) oder in (Putnam, 1987 sowie 1990). Neuerdings ist die von mir diagnostizierte Wendung bei Autoren wie McDowell oder auch Brandom zu beobachten. Wir werden auf McDowells Position im Verlauf der Arbeit noch genauer eingehen. 301 Vgl. z.B. für ersteres (Putnam, 1982a und 1982b), für letzteres (McDowell, 1994). 302 Siehe sein Vorwort zu Reason, Truth, and History, 1981.
177 ßen.303 Diese Einschätzung sollte sich jetzt korrigieren lassen. Doch auch wenn man meinem Punkt zustimmt, daß in der zeitgenössischen erkenntnistheoretischen Diskussion die beiden Strömungen der Naturalisierung sowie Transzendentalisierung zu beobachten sind, bleibt die Frage, was gegenwärtig unter dem Schlagwort transzendentaler Argumentation verstanden werden kann. Im Folgenden muß also nochmals gefragt werden, ob und wie der Zusammenhang von Geist und Welt, Begriffsnetz und Gegenstand so erklärt werden kann, daß die Rede von Objektivität, von objektivem Gehalt verständlicher wird. Ich will dies unter einem Cora Diamond entlehnten Schlagwort fassen: Unser Ziel ist es, den Realismus 'in einem realistischen Geiste' zu fassen.304 Im Anschluß an diese letzte methodische Selbstverortung sollen zwei prominente Versionen daraufhin untersucht werden, ob sie eine solchermaßen aufgeklärte Form von Realismus zu gewährleisten vermögen. Dabei wird sich zeigen, daß die gesuchte Kombination am Gegenstand sinnlicher Erfahrung überprüft werden muß, da unsere Sinnlichkeit, insbesondere die visuelle Wahrnehmung, in sich konstitutiv den Bezug zur Welt trägt, sie in einem direkteren Sinn als andere Formen von Kognition von der Welt handelt. IV.2 Realismus und Notwendigkeit Einen ersten, fundamentalen Einwand gegen transzendentale Argumente haben wir bereits kennengelernt: von verschiedenen Seiten wurde vorgebracht, daß die vorausgesetzte Notwendigkeit unklar oder nicht zu rechtfertigen sei, so beispielsweise in Quines Kritik an der Trennung begrifflicher und empirischer Sphäre sowie analytischer und synthetischer Sätze. Im Folgenden soll in Anlehnung an Putnams Überlegungen eine Konzeption von Notwendigkeit erarbeitet werden, deren Geltungsanspruch nicht absolut, sondern nur relativ zu verstehen ist. Im Anschluß daran werden zwei weitere prominente Argumente diskutiert, die möglicherweise auch gegen eine solche genügsamere Variante transzendentaler Argumentation vorgebracht werden könnten: Körners Punkt, transzendentale Argumente ver303 Vgl. auch Rortys interessante Darstellung in 1979, Kap. III 1., S. 131ff., der betont, daß Erkenntnistheorie erst in der Nachfolge Kants zu Ehren kam: "Kant, however, managed to transform the old notion of philosophy - metaphysics as 'queen of sciences' because of its concern with what was most universal and least material - into the notion of a 'most basic' discipline - a foundational discipline. Philosophy became 'primary' no longer in the sense of 'highest', but in the sense of 'underlying'." 304 Vgl. ihr Wittgenstein-Buch (Diamond, 1991), für einen ähnlichen Gedankengang s.a. (Weiner, 1990), sowie den hervorragenden Aufsatz von Conant (Conant, 1992).
178 suchten erfolglos, uns außerhalb unseres eigenen Begriffsnetzes zu bringen, so daß wir dieses mit alternativen Kandidaten vergleichen können, und Strouds Einwand, diese benötigten ein verifikationistisches Prinzip. Dabei wird sich zeigen, daß sich zeitgenössische transzendentale Vorgehensweisen durch das grundsätzliche Eingeständnis auszeichnen, daß es sich bei den behaupteten Formen von Notwendigkeit um eine Art Denkgesetzlichkeiten handelt, diese seien aber eben nicht bloß psychologischer Natur. Und es wird sich weiterhin zeigen, daß sich die Kritik wiederum darin ähnelt, daß gerade dieses Eingeständnis immer wieder von neuem problematisiert wird: das Argument, im Bekenntnis einer Notwendigkeit 'relativ zu unserem Denken' liege die Möglichkeit einer epistemischen Kluft zwischen unseren (notwendigen) Überzeugungen und der Welt begründet, wird nur variiert. IV.2.1 Notwendigkeit als Denkgesetzlichkeit Quines Kritik richtet sich, wie viele Kommentatoren bemerkt haben, auch gegen ein Konzept von Apriorizität, nicht nur gegen Analytizität.305 Putnam erklärt Quines Identifikation beider mit einer unbewußten Übernahme eines positivistischen Kriteriums: Die Festlegung der möglichen verifizierenden oder falsifizierenden Erfahrungen einer Aussage wurde im Logischen Empirismus als Festlegung (Stipulation) ihrer Bedeutung aufgefaßt, apriorische Ausssagen, die als auf jeden Fall bestätigt gelten, wurden folglich als 'wahr aufgrund ihrer Bedeutung' aufgefaßt, da dies aber auch die Bestimmung von Analytizität war, wurden beide Begriffe als gleichbedeutend verstanden.306 Putnam hat sich in einer Vielzahl von Aufsätzen bis in die jüngste Zeit immer wieder kritisch mit Quine auseinandergesetzt.307 Wir müssen uns hier auf knappe Hinweise beschränken. Mit der Trennung von Analytizität und Apriorizität bietet sich die Möglichkeit, zwei Stränge der Argumentation Quines zu trennen. Quines Zirkularitätsargument, so Putnam, wende sich gegen einen linguistischen Begriff von Analytizität, und bestehe in dem vergleichsweise schwachen Punkt, Synonymie könne nicht zwingend definiert werden. Quines historisches Argument, seine Kri305 "[T]he notion of an analytic truth as one that is confirmed no matter what [...] is the traditional notion of apriority, or rather, one of the traditional notions of apriority." (Putnam, 1976 (1983:3)), S. 87. 306 Ebd., S. 92. 307 Vgl. neben den hier verwendeten u.a. auch in (Putnam, 1962 (1979:2); Putnam, 1975 (1979:1); Putnam, 1979; Putnam, 1982b; Putnam, 1986a; Putnam, 1993; Putnam, 1994c; Putnam, 1995).
179 tik an der Vorstellung, Apriorisches könne mithilfe des Begriffs der Unwiderlegbarkeit, der Immunität gegen Revision, bestimmt werden, sei dagegen ungleich folgenschwerer. Eröffnet sich damit möglicherweise ein Weg, einen Begriff der Notwendigkeit so zu fassen, daß der berechtigten Kritik an absoluter Apriorizität entgangen werden kann? In "It ain't necessarily so" findet sich einer der ersten Versuche, Notwendigkeit bzw. Kontingenz relativ zu bestimmen: "[...] when we say that a statement is necessary relative to a body of knowledge, we imply that it is included in that body of knowledge and that it plays a special role in that body of knowledge. [...] But we do not imply that the statement is necessarily true, although, of course, it is thought to be true by someone whose knowledge that body of knowledge is."308
Diese Unterscheidung, so Putnam, operiere zwar mit dem Terminus 'begriffliche Unmöglichkeit', die behauptete Notwendigkeit sei dennoch nicht psychologischer Natur: "For the difference between statements that can be overthrown by merely conceiving of suitable experiments and statements that can be overthrown only by conceiving of whole new theoretical structures [...] is of logical and methodological significance, and not just of psychological interest."309
Auch in "'Two Dogmas' revisited" von 1976 wird Quines These des Fallibilismus, die sich, so Putnams Rekonstruktion, gegen die traditionelle Bestimmung von Apriorizität wende, explizit anerkannt - das historische Argument -, aber auch hier werden Aussagen, die durch mögliche neue Beobachtung widerlegt werden könnten, und Aussagen, deren Revision nur mittels einer rivalisierenden, neuen Theorie möglich wäre, unterschieden: letztere seien als kontextuell a priori zu verstehen.310 Der Fallibilismus besage zwar, daß im Prinzip alle möglichen Aussagen revidierbar sind, daraus resultiere aber nicht, daß man alle Aussagen als a posteriori und mithin empirisch verstehen könne: Solange man sich keine Vorstellung davon machen kann, wie die Erfahrungen zu bestimmen wären, durch die eine Aussage widerlegt würde, mache es keinen Sinn, sie als empirisch zu verstehen.
308 (Putnam, 1962 (1979:1)), S. 240. 309 A.a.O., S. 249. 310 Vgl. (Putnam, 1976 (1983:3)), S. 94f.
180 "[O]n the view avanced here, there are no truths by language alone. There are analytic truths: truths by logic and language. But analytic truths are not unrevisable (no truth is). They are only unrevisable unless we revise the logic or the language, which is a very different matter."311
Dies wird in "There is at least one a priori truth" präzisiert und weitergeführt. Ohne auf die diversen selbstkritischen Korrekturen einzugehen, kann man zusammenfassend sagen, daß Putnam seine Version des Fallibilismus aufrechterhält, die kontextuelle Verbindung von Rationalität und Widerlegung aber stärker betont.312 Nimmt man Apriorizität zum Kriterium der Unterscheidung kontingenter und notwendiger Aussagen, kann die erwähnte Zögerlichkeit im Aufgeben bestimmter Aussagen, die bei Quine teilweise wie ein nicht weiter erklärbarer behaviouraler Fakt behandelt wird, dann so bestimmt werden: Die Zentralität bestimmter Aussagen beinhaltet nicht nur, daß diese mit vielen anderen in Verbindung stehen, eine zentrale Stelle in unserem holistischen Meinungsnetz einnehmen, sondern mehr noch, daß wir uns die Verwerfung dieser Annahmen nicht vorstellen können. Solche apriorischen oder quasi-apriorischen Wahrheiten können etwa Versionen des Prinzips des Widerspruchs darstellen: So ergibt für uns einfach keinen Sinn, eine Aussage, p, und ihr Gegenteil, non-p, zu behaupten, oder, da Putnam die schwächste Lesart wählt, wir verstehen nicht, was es heißen könnte, den Satz, daß nicht jede Aussage zugleich wahr und falsch ist, zu verwerfen, d.h. wir können uns keine Umstände vorstellen, in denen es rational wäre, diesen Satz zu verwerfen.313 In den neuesten Überlegungen Putnams wird dies noch deutlicher. Es wird nicht mehr gesagt, es gäbe zumindest eine Wahrheit a priori. Bereits die Frage nach prinzipieller Revidierbarkeit oder Unrevidierbarkeit wird als sinnlos, als Scheinfrage, zu311 A.a.O., S. 97. 312 Vgl. (Putnam, 1978 (1983:3)), wo er in seinem zweiten Nachwort sagt: "[W]e philosophers are frequently torn in just the fashion that I am torn now between opposing considerations, but we very infrequently show it in print. What we do is let ourselves be torn in private until we finally 'plonk' for one alternative or the other; then the published paper only shows what we plonked for, and not the being torn." A.a.O., S. 111f. 313 (Putnam, 1978 (1983:3)), S. 100f. Im erwähnten Nachwort ersetzt Putnam den Satz des Widerspruchs durch eine sog. 'absolut inkonsistente Regel': 'from any and all premise-sets, including the null set of premises, to infer every p', und argumentiert: "[W]hatever might be said about everything being up for revision in the big spiderweb [...] of beliefs, at least one thing is sure: it can never be rational to accept the absolutely inconsistent rule." S. 113. Aber, so fügt er hinzu, da uns der 'rigide Designator' der Rationalität fehle, stehe eine solche beweiskräftige Argumentationsstrategie jedoch nur selten zur Verfügung.
181 rückgewiesen. Zum einen wird wieder darauf verwiesen, daß es Fälle dessen gibt, was man ein "kontextuelles a priori" oder ein "a priori relativ zu unserem Begriffsschema" nennen könnte.314 Wenn man die Idee aufgibt, es könne ein absolutes Apriori geben, also absolute Unrevidierbarkeit, dann könne es graduelle Abstufungen in der Revidierbarkeit geben, "relativ a priori" wäre eine Aussage dann, wenn wir uns ihre Verneinung relativ zu dem sie umgebenden Kontext, der sie enthaltenden Theorie, unserem Wissenskorpus oder unserem Begriffsschema, nicht vorstellen können, wenn ihre Revision eine Revision nicht des einzelnen Satzes, sondern der gesamten Theorie verlangt. Damit kann aber auch die meist korrelierte Idee, daß Aussagen a posteriori, also welche, die gleichzeitig als revidierbar und als synthetisch, im Sinne von "über die Welt", verstanden wurden, immer empirisch sein müssen, aufgegeben werden. Die prinzipielle Möglichkeit der Widerlegung impliziert nicht Empirie: Auch wenn es nicht möglich ist, die Zurückweisung der Forderung nach prinzipieller Revidierbarkeit zu begründen, indem etwaige Veränderungen ausgeschlossen werden können, solange wir uns von der Möglichkeit der Verwerfung auch im Bereich synthetischer Aussagen nicht die geringste Vorstellung machen können, können auch solche Sätze, Theoreme oder Gesetze etc., als begrifflich oder notwendig verstanden werden. Wenn wir uns aber bei manchen Aussagen von der Idee ihrer Revidierbarkeit keine Vorstellung machen können, wird die Behauptung ihrer (prinzipiellen) Revidierbarkeit leer oder sinnlos.315 Dieses Konzept von Sinnlosigkeit kann bspw. im Bereich der Logik erklärt und erwiesen werden, denn hier kann gezeigt werden, daß es erst dann eine Möglichkeit gibt, für notwendige erachtete logische Gesetze auf bestimmte theoretische Zusammenhänge zu relativieren, wenn Entdeckungen ein völlig neues Netz von theoretischen Zusammenhängen eröffnen, in deren Rahmen erst deutlich wird, was Widerlegung heißen könnte, die aus der möglichen Entdeckung solcher Formen abweichenden Denkens resultierende Revision kann aber nicht gedanklich vorweggenommen werden.316 Dadurch wird eine positive, gehaltvolle Begründung dieser Formen obsolet, oder mehr noch: unmöglich, denn das würde verlangen, daß wir innerhalb und außerhalb der uns notwendigen Gesetze unseres Denkens denken müssen. Diese Strategie läßt sich auf die Debatte um den Realismus 314 Ersteres findet sich z.B. schon im erwähnten (Putnam, 1976 (1983:3)), S. 95, letzteres in (Putnam, 1994b) S. 505. Vgl. auch (Putnam, 1994a). 315 Vgl. (Putnam, 1994a), S. 253f. 316 Dies spiegelt sich auch in Freges Diktum, bei der Verletzung bestimmter Formen logischer Gesetze könne es sich nur um eine bis dato unbekannte Form der Verrücktheit handeln. Vgl. hierzu auch den bereits erwähnten Aufsatz (Conant, 1992).
182 übertragen, auch hier verschleiert die Forderung, die realistische Position zu begründen, eine prinzipielle Unmöglichkeit: ein radikaler Skeptizismus ist nicht denkbar, ist eine zu realistischen Positionen nur parasitär oder lokal denkbare Alternative. Dabei stellt sich aber die Frage, inwieweit die sogenannten Denkgesetzlichkeiten nicht einfach psychologischer Natur sind. Putnam versucht die Behauptung ihrer Notwendigkeit durch den Aufweis ihrer Alternativlosigkeit zu rechtfertigen, wobei dies dann mithilfe des Begriffs der Sinnlosigkeit erklärt und ergänzt wurde. Der Begriff einer nicht absolut gedachten Notwendigkeit, in dem die These des Fallibilismus berücksichtigt wird, ändert die Struktur transzendentaler Argumente folglich in einem ersten Schritt dahingehend, daß ihre Prämissen transzendentalen Status dadurch erlangen, daß sie als alternativenlos gekennzeichnet werden.317 IV.2.2 Denkgesetzlichkeit als Alternativlosigkeit Nach der Ersetzung kantischer transzendentaler Deduktion durch transzendentale Argumente, so wurde bereits erwähnt, ist deren Besonderheit in der verwendeten Strategie zu verorten. Die faktische Erfahrung, soviel muß der skeptischen Herausforderung zugestanden werden, garantiert nicht per se auch ihre Gültigkeit: "Die Strategie der transzendentalen Reflexion besteht nun darin, durch Nachweis der Alternativenlosigkeit das vorhandene Wissen auch als legitimes Wissen auszuzeichnen."318
Bubner etwa unterscheidet zwei Vorgehensweisen: Man könne entweder zu zeigen versuchen, daß vorgeschlagene Alternativen kein Wissen ergeben, genauer: daß sie den Begriff des Wissens auflösen, oder daß sie nicht wirklich Alternativen darstellen, weil sie Strukturelemente der Konzeption von Wissen verwenden müssen, deren Alternative sie darstellen sollen.319 Und eine ähnliche Vorgehensweise verwendet auch Förster, der betont, 317 Eine solche Strategie entspricht nicht mehr dem ursprünglich mit Transzendentalphilosophie verknüpften Geltungsanspruch, da die Behauptung der Notwendigkeit bestimmter Strukturen einen 'quasi-empirischen' Überhang hat: die Möglichkeit ihrer Revidierbarkeit muß prinzipiell, wenn auch als nicht vorstellbar, eingeräumt werden. Diese Einschränkung drückt sich terminologisch in der Unterscheidung von transzendentalen Argumenten und transzendentaler Argumentation (à la Kant) aus, s.a. Kap. II.2. 318 (Bubner, 1984), S. 70. 319 A.a.O., S. 69ff.
183 daß solche Inkohärenzbeweise erst durch die Referenz auf die Möglichkeit von Erfahrung oder Erkenntnis zwingend werden, indem gezeigt wird, daß diese nicht im Rahmen einer vom Kontrahenten vorgeschlagenen Alternative vorstellbar ist.320 Welche Geltung kann mit Versuchen verbunden werden, die den problematischen Aspekt des Konstitutionsverhältnisses durch die Betonung faktischer Beziehungen zu entschärfen suchen? Die also, wie vorne formuliert wurde, die konstitutive Beziehung zwischen Geist und Welt nicht ausgehend vom Geist, sondern von der Welt rekonstruieren? Die Bedeutung dieser Frage erweist sich auch darin, daß hinsichtlich der Frage, welcher Status den Prämissen eines Inkohärenzbeweises zukommen muß, keine Einigkeit besteht: Die antiskeptische Funktion transzendentaler Argumente kann nämlich erst dann gewährleistet sein, wenn die auszuweisende Geltung faktischer Erkenntnis nicht in den Prämissen vorausgesetzt wird. Gesucht sind also Prämissen, die auch der Skeptiker als notwendige Bedingungen jeglicher Erkenntnis, jeglichen Argumentierens akzeptiert. Harrison bspw. unterscheidet hypothetisch und absolut notwendigen Prämissen: Hypothetisch notwendige Bedingungen müssen nicht auf das betreffende Objekt 'an sich' zutreffen, sondern beschreiben die Voraussetzungen, die ein Objekt erfüllen muß, damit es Gegenstand unserer Erfahrung, unserer Sprache sein kann.321 Erst durch das Eingeständnis der hypothetischen Notwendigkeit der Prämissen gelinge die Loslösung vom Idealismus Kants, wobei aber gleichzeitig die Gefahr entstehe, daß die so relativierten notwendigen Bedingungen auch ihren Status als Notwendigkeiten verlieren. Aber auch analytische Konditionale scheinen die Schwierigkeit nicht beheben zu können, denn erstens verlangen sie, daß die Gesetze der Logik bzw. die Regeln schlußfolgernder Argumentation auch vom Skeptiker eingehalten werden, zum andren entsteht das rein praktische Problem, daß Argumente, die auf begrifflicher Analyse beruhen, weit davon entfernt sind, einmütige Zustimmung zu erzielen, und man nie ganz sicher sein kann, nicht einen wenn auch bizarren Fall übersehen zu haben, indem die erste, auch vom Skeptiker möglicherweise geteilte Prämisse, z.B. das Vorhandensein von Erfahrung, erfüllt ist, ohne daß auch 320 Auf folgende Stelle wurde bereits verwiesen: "Such argument proposes to establish a non-analytical, non-empirical conclusion, thus warranting the label 'transcendental'. It does so by considering an alternative, and by demonstrating the internal incoherence of the alternative. It does so, more precisely, by showing that, in order to make itself intelligible, the alternative must borrow materials which it purports to rule out qua alternative." (Förster, 1989a), S. 14. 321 (Harrison, 1989)
184 die gewählte Bedingung erfüllt ist.322 Dies weist in die Richtung einer substantielleren Schwierigkeit. Denn selbst wenn man zugesteht, daß es Prämissen gibt, die auch der Skeptiker zu akzeptieren bereit ist, habe diese Form transzendentaler Argumente ebenfalls nur psychologische Geltung und eröffne die epistemologische Kluft, weil Alternativlosigkeit nicht für alle möglichen Welten erwiesen werden könne. So lautet ein vieldiskutiertes Argument von Körner, daß die Ausweisung bestimmter Bedingungen als notwendig innerhalb eines bestimmten begrifflichen Netzes, einer Sprache etc. nicht alle Alternativen ausschließen könne, und einem Argument, das eine Bedingung innerhalb nur eines bestimmten Netzwerkes als notwendig erweise, könne keineswegs transzendentale Geltung zukommen.323 "The person propounding a transcendental argument assumes that every and any thinker employs the same categorial framework as he does himself, and tries to show that, and why, the employment of this particular framework is 'necessary'. The defect of all transcendental arguments is their failure to provied a uniqueness proof, i.e. the demonstration that the categorial framework is unique."324
Eine verwandte Form der Argumentation, die den Aufweis der Alternativlosigkeit als Ausschluß versteht, und auf dessen bloß faktischer Geltung beharrt, finden wir bei Rorty: "All self-referential arguments are ad hominem arguments - arguments against a certain proposal by showing that the proposal tacitly presupposes what it purports to deny. There can be no such thing as wholesale self-referential arguments for negative conclusions. [...] [N]othing in heaven or earth could set limits to what we can in principle conceive; the best we might do is to show that nobody has in fact conceived of an exception".325
Dieser Punkt wurde aber, wie sich in den einleitenden Überlegungen zu einem relativierten Begriff der Notwendigkeit gezeigt hat, zumindest teilweise bereits zugestanden: die These des Fallibilismus auch unserer grundlegendsten Überzeugungen bereitet ja erst den Boden für eine schlagkräftige Fassung der Alternativlosigkeit. Denn nicht die historische Gewordenheit oder die bloß faktisch uneingeschränkte Geltung unseres Be-
322 Vgl. dazu z.B. (Walker, 1989a). 323 Vgl. bsp. (Körner, 1967), (Körner, 1971), Kap. 13, (Körner, 1974). 324 (Körner, 1974), S. 72. 325 (Rorty, 1979a), S. 82f. Vgl. auch (Rorty, 1972; Rorty, 1979).
185 griffsschemas stellen das grundlegende Problem dar, sondern die Verbindung von Denkgesetzen und Welt: "[T]he central point here is obviously a powerful one, being an application of the long-standing objection that it is improper to move from conceivability to possibility and from inconceivability to impossibility. Just because we cannot think of an alternative to some central concept or framework principle at a particular stage in the history of thought does not show that there is not one."326
Dieses Argument ist aber dann nicht besonders plausibel, wenn überhaupt nur zwei Alternativen zur Verfügung stehen, wenn transzendentale Argumente eine mögliche notwendige Bedingung und deren Verneinung analysieren. Des weiteren, und das ist der wirklich wichtige und neue Punkt, verweist die Kritik auf ein zentrales Element dieser Strategie. Denn die Notwendigkeit einer zur Debatte stehenden Konklusion wird im Allgemeinen nicht dadurch erwiesen, daß der skeptische Punkt, aus einer von beiden akzeptierten Prämisse (wie der Existenz unserer Empfindungen) folge nicht die Wahrheit der gewünschten Konklusion (die Existenz externer Objekte), bestritten würde, sondern dadurch, daß der Fokus von den notwendigen Bedingungen der Wahrheit einer Überzeugung zu den notwendigen Bedingungen unseres Meinens oder Fürwahrhaltens dieser Überzeugung verlagert wird. Dies kann nur dann gelingen, so etwa Harrison, wenn eine Inanspruchnahme des Verifikationsprinzips verteidigt werden kann, erst diese Verbindung zeige die antiskeptische Kraft transzendentaler Argumente: "[Transcendental arguments] show what must be the case for judgement of this truth to be possible. Here it is natural to assume that verification is one such necessary condition. For while it might be quite possible to assume that something could exit without possibility of verification (super-spartans with always undisplayed pains), it seems to me right that there could not be meaningful, coherent, judgement of the area in question unless sometimes it was possible to distinguish between appropriate und inappropriate beliefs."327
Und wenn Verifikation - zumindest im strittigen Fall - eine notwendige Bedingung für unser sinnvolles Urteilen ist, lassen sich mithilfe der Bedingungen, die für die Verifikation notwendig sind, auch weitere notwendige Bedingungen bilden. Aber wie soll dafür argumentiert werden, daß Denken oder Kommunikation ohne Verifikation nicht möglich ist? Hier wird nun 326 Harrison, a.a.O., S. 48. 327 Harrison, a.a.O., S. 51.
186 der eben genannte Punkt wichtig: nicht, indem alle Alternativen ausgeschlossen werden, sondern indem gezeigt wird, daß Kommunikation oder Erfahrung ohne die Möglichkeit der Verifikation keinen Sinn macht. IV.2.3 Denkgesetzlichkeit als Sinnlosigkeit von Alternativen Dabei wird zugestanden, daß Sinn oder Sinnlosigkeit bestimmter Annahmen nicht durch analytisch notwendige Schritte aufgezeigt werden kann, die sich aus der Bedeutung der verwendeten Begriffe logisch ergeben würden. Nicht analytische Wahrheit, sondern Verifikation, so die Überlegung, sei die Grundlage transzendentaler Argumente. Damit ergibt sich aber auch eine Entgegnung gegen das von Körner vorgebrachte Argument, die NichtVorstellbarkeit radikaler Alternativen impliziere nicht auch ihre Unmöglichkeit. "It is possible that man will one day apprehend the world in a manner which is as different from what we call 'thinking' as is our thinking when compared with the manner in which, say, an earthworm apprehends his environment. I have no conception of what such super-thinking might be. But what is inconceivable to me may nevertheless be possible."328
Diese Behauptung der Möglichkeit radikal abweichender Begriffsnetze, eines völlig anderen Denkens bleibt ohne Gehalt, wenn wir aus dieser Alternative keinen Sinn machen können, nicht zeigen können, was diese Möglichkeit ist, worin sie besteht. Es gibt nur diese zwei Wege: entweder wir halten etwas für eine gedankliche Notwendigkeit, dann spielt es auch keine Rolle, ein relativierendes 'hier und jetzt' anzuhängen, denn wir können uns keine Welt vorstellen, in der diese nicht gelten würde, oder wir relativieren unsere Gültigkeitsbehauptung, dann erlischt aber auch die Notwendigkeit. Gültig in allen möglichen Welten heißt dann nicht mehr, daß alle Alternativen geprüft und als unmöglich erwiesen werden müßten, sondern daß aus der bloßen Behauptung einer möglichen Alternative kein Sinn gemacht werden kann. Ohne die Einschränkung durch ein wenn auch schwaches, verifikationistisches Prinzip, wäre es möglich, daß alles mögliche über Möglichkeiten gesagt werden könnte, dann kann aber nichts sinnvollerweise über Möglichkeit gesagt werden. In einer verwandten Form stehen Überlegungen, die mit der Möglichkeit einer epistemologischen Kluft zwischen unseren Überzeugungen und der Welt operieren, auch hinter der geschilderten Kritik Strouds an transzendentaler Methode. Analysiert man 328 (Körner, 1971), S. 219.
187 Strouds Argumention, können zwei Argumente oder auch zwei Lesarten unterschieden werden. Das eine betrifft die Form der durch transzendentale Argumente erreichten Konklusion: die erreichte Konklusion P, so die Kritik, könne korrekt nur etwa lauten 'wir glauben, daß Q'. Dem stimmen die meisten Interpreten hinsichtlich der Argumentation Kants, dessen Vorgehensweise an der Synthesisleistung des Selbst als Subjekt der Erfahrung ansetzt, nicht zu. Das andere Argument, so beispielsweise Walker, läuft darauf hinaus, daß auch wenn es gelänge, eine transzendentale Vorgehensweise zu entwickeln, deren Konklusion etwas über die Welt, und nicht alleine über unsere Überzeugungen über die Welt aussage, damit nicht die Wahrheit dieser Konklusion verbürgt sei, sondern nur, daß wir diese glauben müssen. Doch was mehr könnte verlangt werden, als daß bestimmte Überzeugungen durch zwingende Argumente so etabliert werden, daß auch ein Skeptiker nicht mehr zweifeln kann?329 Man kann sich dies mithilfe der cartesianischen Vorstellung des täuschenden Gottes deutlich machen. Diese Hypothese kann nicht widerlegt werden, weil ex hypothesi jede weitere Überzeugung, gerechtfertigt oder nicht, mit ihr in Einklang zu bringen wäre. Diese epistemische Möglichkeit könnte noch nicht einmal mithilfe einer idealistischen Konzeption des Verhältnisses zwischen unserer Kognition und der Welt ausgeschlossen werden, da auch diese von der Basis nicht zu bezweifelnder Prämissen starten muß. Daraus wird dann von manchen Autoren folgende Konsequenz gezogen: "Just as one may feel in certain moods that there is a gap between showing that something really is true and justified and showing that everyone must believe it to be - a gap staked out by the malin génie hypothesis in its most radical cartesian form - so in other moods one may feel that this idea is just absurd [...]."330
Aber wenn es von unserem, menschlichen, teilnehmenden Standpunkt keine Möglichkeit gibt, diese Hypothese zu eliminieren, könne es auch keine Aufgabe der Erkenntnistheorie sein, diesen Skeptiker zu überzeugen. Die Auffassung, transzendentale Argumente, die dies nicht zu leisten in der Lage seien, seien gescheitert, verlangt das Unmögliche: Wenn unsere Art des Denkens für uns wirklich notwendig ist, erscheint es auch nicht mehr sinnvoll, von einer möglichen Kluft zwischen unseren Kategorien oder Begriffen und der Welt auszugehen, d.h. an ihrer 'objektiven Gültigkeit' zu zweifeln.331 Heißt das, daß die Form der skeptischen Herausforderung, die 329 Vgl. (Walker, 1989a), Abs. III, S. 66-68, zusammenfassend S. 73. 330 Walker, a.a.O., S. 66. 331 Vgl. auch (Bird, 1984).
188 die Möglichkeit einer epistemischen Kluft mittels einer unzugänglichen, aber gleichwohl möglichen Parallelwelt erklärt, bereits ausgeschlossen worden ist? Ja und nein: die behauptete Möglichkeit wird zwar erkennbar als rein logische Möglichkeit, auf sie verweisen etwa die von Quine verwendeten Permutationsargumente, aber, wie sich in der Argumentation Davidsons gezeigt hat, dies scheint auf ein dualistisches Verständnis von Denk- oder Begriffsschemata und Welt zu verweisen: die Welt stellt den neutralen oder objektiven Rahmen dar, auf den sich unsere bloß subjektiven Erfahrungen beziehen. Inwieweit eine solche Auffassung sinnvoll ist, wird sich noch zeigen. Bevor wir jedoch genauer auf die Frage eingehen wollen, inwieweit dualistische Konzeptionen des Verhältnisses von Geist und Welt uns vor unabwendbar skeptische Konsequenzen stellen oder ob sie im Gegenteil Garant einer realistischen Auffassung sind, soll eine letzte Version der Bestimmung des charakteristischen Elements transzendentaler Argumente vorgestellt werden. IV.2.4 Denkgesetzlichkeit als Unanfechtbarkeit Dazu soll ein Vorschlag von Stroud diskutiert werden, der in mehreren neueren Arbeiten seine kritische Haltung gegenüber transzendentalen Argumenten modifiziert hat.332 "[...] I think what makes [an argument] transcendental is not its logical form or its subject matter, but its aim or goal. We might speak rather of a transcendental strategy or project, or a transcendental enterprise. This brings it closer to Kant's 'transcendental philosophy'. Particular arguments put forward to achieve that goal, or advance or promote that project, might be good or bad, sound or unsound, or even of different logical forms, without losing the label 'transcendental'. What they are meant to do is what counts."333
Kann man sagen, daß ein Argument dann transzendental ist, wenn die Existenz einer Sache dadurch bewiesen werden soll, daß aufgezeigt wird, daß dies eine für die Existenz einer anderen, zweiten Sache und mithin für die Lösung eines Problems notwendige Voraussetzung ist? Dieser Vorschlag, so Stroud, weise in die richtige Richtung, sei aber noch zu unbestimmt, weil ein Argument nicht alleine dadurch transzendental zu nennen sei, daß es eine Sache als notwendige Bedingung einer anderen auszuweisen sucht, 332 Vgl. (Stroud, 1994) und (Stroud, 1999), sowie zu seiner eigenen Verwendung transzendentaler Strukturen zur Verteidigung der Farbwahrnehmung bsp. (Stroud, 2000). 333 (Stroud, 1999), S. 157.
189 denn damit wären alle gültigen Deduktionen transzendental. Wenn aber diese andere, zweite Sache Denken oder Erfahrung ist, dann, so Stroud, kann man sagen, daß die dafür als notwendig erwiesene Bedingung transzendentalen Status hat: "Understanding what transcendental arguments are, or are meant to do, means understanding this special transcendental status, and seeing the point of trying to establish that certain things have it."334
Über den transzendentalen Status notwendiger Bedingungen in transzendentaler Argumentation, die sich an Kant orientiert, wurde bereits gesprochen. Stroud präzisiert seine frühere Kritik dahingehend, daß solche 'ehrgeizigen' Konzeptionen transzendentaler Argumente, die in der Nachfolge Kants grundlegende Wahrheiten über die Welt allein aus den Bedingungen der Möglichkeit von Gedanken oder Erfahrungen über eine Welt zu schließen suchen, nur in Verbindung mit der Annahme des transzendentalen Idealismus aufrechtzuerhalten sind, der die bloße Möglichkeit einer solchen Strategie erst zu erklären vermag.335 Stroud unterscheidet in seinen neueren Arbeiten hiervon eine als 'bescheiden' zu kennzeichnende Form transzendentaler Argumente. Auch hier sind die Prämissen des Arguments psychologischer Natur, aber im Unterschied zu den ehrgeizigeren transzendentalen Projekten besteht hier die Konklusion nicht in einer notwendigen Wahrheit über die Beschaffenheit der externen Welt, sondern hat ebenfalls psychologischen Charakter: sie betrifft die Notwendigkeit bestimmter Annahmen von die Welt erfahrenden Personen. Als Ausgangspunkte oder Prämissen solcher bescheidener Strategien können Überlegungen dienen, die sich auf unsere Praxis der Zuschreibung von Gedanken und Erfahrungen beziehen. Akzeptiert man diese Praktiken - zumindest in Teilbereichen - kann 'in a broadly Kantian spirit' nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit gefragt werden: "That is the kind of reflection that I think promises to reveal a special role or position for certain thoughts or beliefs in our conception of the world, or a certain kind of philosophical invulnerablity for some of them, even if it falls short of the full Kantian story, or even of the conclusions of the more ambitious postKantian transcendental arguments."336
334 A.a.O., S. 158. 335 Vgl. a.a.O., S. 159ff. 336 A.a.O., S. 163f.
190 Grundlegend für eine solche Vorgehensweise ist die Annahme, daß die Zuschreibung psychologischer Sachverhalte, also bestimmter Erfahrungen oder Überzeugungen, nicht möglich ist ohne entsprechende Annahmen über die Welt, von der diese Erfahrungen oder Überzeugungen handeln. Das Ziel einer bescheidenen transzendentalen Beweisführung besteht also darin, die Notwendigkeit bestimmter interner Verknüpfungen von Mengen oder Klassen von Überzeugungen sichtbar zu machen, die unserem komplexen Welt- und Selbstbild immanent sind. Gelingt dies, weisen Überzeugungen oder Praktiken eine Unanfechtbarkeit gegenüber der skeptischen Herausforderung auf, denn ihre Preisgabe wäre gleichbedeutend mit der Aufgabe eines wesentlich umfangreicheren Bereiches von Überzeugungen oder Praktiken.337 Ausgehend von diesem Begriff der Unanfechtbarkeit unterscheidet Stroud drei Strategien bescheidener transzendentaler Argumentation. Die erste versucht, eine bestimmte Klasse von Annahmen als unverzichtbar für eine bestimmte Konzeption der Welt auszuzeichnen. Als Beispiel nennt Stroud eine Version eines Arguments von Strawson: Soll die Welt, so das Argument, als von uns unabhängig gedacht werden können, muß diese beständige Einzeldinge enthalten. Für den Moment kann offen bleiben, ob es, wie Stroud behauptet, Strawsons Ziel ist, zu zeigen, daß es eine notwendige Wahrheit ist, daß diese Klasse von Einzeldingen existiert, oder ob seine Vorgehensweise der bescheideneren Version eines solchen transzendentalen Arguments entspricht, die zu zeigen versuchen würde, daß es eine notwendige Verbindung von unserer Annahme einer unabhängigen Welt zu der Annahme der Existenz beständiger Einzeldinge gibt. Die Notwendigkeit besteht nur zwischen Gedanken, dennoch wäre damit die betreffende Klasse von Überzeugungen als unverzichtbar sowie als unanfechtbar ausgewiesen: unverzichtbar wäre die betreffende Klasse, weil wir sie ohne Preisgabe der Vorstellung einer unabhängigen Außenwelt nicht aufgeben könnten, und unanfechtbar, weil sie sich nicht als falsch herausstellen könnte. Unverzichtbarkeit impliziert Unanfechtbarkeit, aber nicht umgekehrt: Dies macht sich eine zweite Variante bescheidener transzendentaler Argumentation zunutze. Davidson beispielsweise argumentiert, daß aus unserer Zuschreibungspraxis folge, daß wir anderen zumindest mehrheitlich wahre Erfahrungen oder Überzeugungen zuschreiben müssen, da andernfalls die zugrundeliegende Konzeption von Welt (oder Sprache) für uns völlig un337 Zum Begriff der Unanfechtbarkeit, 'invulnerability', vgl. insbesondere Strouds Aufsatz von 1994.
191 verständlich bliebe. Und auch hier besteht die Strategie der bescheideneren Version darin, nicht die Wahrheit des Zugeschriebenen, sondern nur die Notwendigkeit der Zuschreibung zu behaupten, wir müssen anderen, um sie überhaupt verstehen zu können, einen Großteil derjenigen Überzeugungen zuschreiben, von denen wir selbst überzeugt sind. In dieser Vorgehensweise soll nicht eine bestimmte Klasse von Überzeugungen als unverzichtbar ausgezeichnet werden, dennoch würde sich auch das holistisch konzipierte Meinungsnetz als unanfechtbar erweisen, da die Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß ein Großteil der Überzeugungen sich als falsch herausstellt und zugeschrieben wird. Und am Beispiel der Farbwahrnehmung wird schließlich die letzte, dritte Variante bescheidener, gleichwohl transzendentaler Strategien erläutert: im Rahmen externalistischer Theorien lassen sich möglicherweise bestimmte Klassen von Überzeugungen bestimmen, die zwar nicht als Klasse unverzichtbar sind, die aber dennoch über eine Form von Unanfechtbarkeit verfügen können, indem man sie als sui generis, als irreduzibel ausweist. In allen drei Fällen gibt es starke und schwache Formen der Transzendentalität, erstere zielen auf die Wahrheit, letztere auf die Unanfechtbarkeit der Konklusionen. Stroud hält in Übereinstimmung mit seiner früheren Kritik fest, daß unanfechtbare und in diesem Sinn notwendige Bedingungen, falls es sie gibt, selbst mit einem gelungenen transzendentalen Argument nicht als wahr ausgezeichnet werden können. Bestenfalls kann es gelingen, sie als notwendig in dem Sinne auszuzeichnen, als daß die Umstände, unter denen sie falsch wären, Umstände wären, unter denen es Denken oder Erfahrung nicht geben könnte, oder bescheidener formuliert: in denen wir uns Denken und Erfahrung nicht vorstellen könnten. Dennoch, so Stroud, bleibt die angestrebte anti-skeptische Funktion transzendentaler Argumente erhalten: "If there is a certain invulnerablity against philosophical scepticism here, it does not amount to anything as strong as a denial of what scepticism says. [...] But invulnerability is available without having to reach such ambitious conclusions. It does not imply that we know the things in question, and it does not imply that they are true. [...] What it implies about invulnerable beliefs is that we could never see ourselves as holding the beliefs in question and being mistaken. We could not consistently find that human beings are simply under the misapprehension or the illusion that those things are true - that they think they are true, but that really they are not."338
338 A.a.O., S. 167f.
192 Gesteht man zu, daß generelle skeptische Positionen nicht direkt zu widerlegen sind - wir sprachen bereits von der sog. konditionalen Richtigkeit des Skeptizismus - scheinen diese Vorgehensweisen vielversprechend, da sie als Inkohärenzbeweise gegen den Skeptiker dienen können. Dies würde aber voraussetzen, daß das zugrundeliegende Konzept der Rechtfertigung unserer Überzeugungen akzeptabel scheint. Aber bietet ein transzendentales Argument, das uns zeigt, daß wir nicht anders können, als bestimmte Überzeugungen zu haben, und ebenso, daß diese unanfechtbar, also der Korrektur nicht zugänglich sind, ausreichende Rückversicherung gegen einen Skeptiker? Unsere Gründe, an bestimmte Dinge zu glauben, von ihnen überzeugt zu sein, können ganz unterschiedlich sein, eine epistemologisch überzeugende Konzeption muß uns - so scheint es zumindest angesichts der skeptischen Herausforderung - auch mit guten Gründen versehen. Diese Frage kann nur angesichts spezifischer Entwürfe beantwortet werden. Doch bevor wir in den beiden folgenden Kapiteln zwei unterschiedliche Weisen, die Grundzüge unseres begrifflichen Systems zu beschreiben, darauf untersuchen, ob und inwieweit diese Bedingung erfüllt ist, müssen wir uns fragen, ob Strouds Vorschlag generell überzeugen kann. Unterstützung findet eine solche Vorgehensweise auch bei anderen Autoren. So unterscheidet etwa Hookway zwei Arten transzendentaler Argumente: solche, die eine völlig neue Annahme beweisen sollen, und solche, die bestimmte Überzeugungen, die gebräuchlich sind und im allgemeinen als gerechtfertigt angesehen werden, gegenüber einer Herausforderung verteidigen sollen.339 Das eingangs gekennzeichnete realistische Weltbild besteht großteils aus solchen Alltagsannahmen über die uns umgebende Welt von mittelgroßen Objekten in Raum und Zeit, gehört also in die zweite Gruppe. Transzendentale Beweisführungen, die in die erste Klasse gehören, so Hookways Argumentation, müssen die Wahrheit ihrer Konklusion belegen können, denn ansonsten gebe es keinerlei Grund, sie zu akzeptieren. Bescheidene Strategien sind also nur hinsichtlich unserer Alltagsüberzeugungen erfolgversprechend, denn hier versetzt uns erst die skeptische Herausforderung - etwa als Skeptizismus bezüglich der Außenwelt - in eine Lage, in der diese Überzeugungen eigens begründet oder gerechtfertigt werden müssen. Aber hat der Skeptiker gute Gründe, die Gültigkeit unserer Annahmen bezüglich der Außenwelt zu bezweifeln? "The only way in which I can see modest transcendental arguments having antisceptical force is through undermining the force of these potential defeaters and thus allowing the legitimacy the beliefs originally possessed to shine through. If 339 Vgl. (Hookway, 1999).
193 the anti-sceptical impact of the transcendental argument then consists in enabling us to see why we should not take seriously certain distinctive challenges to those beliefs, then the argument does not have to establish the truth of the propostion: in a sense, we have that to begin with. The 'logical possibility' which the modest argument fails to eliminate is dismissed as irrelevant once we take note of the uses to which the transcendental argument is put. Thus the argument is not irrelevant to the belief's being justified: but it does not originate that justification; it merely undermines a challenge to it."340
Diese Strategie, die skeptische Herausforderung im Rahmen unserer alltäglichen Wissensansprüche zurückzuweisen, und vom Skeptiker zu verlangen, seine logisch möglichen Alternativen müßten auch relevante Alternativen darstellen, findet sich auch bei Williams. In seinem bereits erwähnten Buch Problems of Knowledge entwickelt Williams eine Konzeption von Rechtfertigung, 'epistemischer Berechtigung', die auf der Idee beruht, daß wir als gerechtfertigt anzusehen sind, solange die Rechtfertigungsherausforderung nicht zwingend ist, und das heißt, den schon erwähnten Bedingungen der Radikalität und Natürlichkeit genügt.341 Gelingt es, dem Skeptiker nachzuweisen, daß er theoretische Hintergrundannahmen in Anspruch nehmen muß, um seine Herausforderung zu begründen, ist die Bedingung der Radikalität nicht erfüllt. Für den Bereich des Begründungsskeptizismus, der hier nur skizziert werden kann, besteht Williams Strategie darin, die intuitiv einleuchtende Verbindung von persönlicher Rechtfertigung und der Möglichkeit, adäquate Belege für seine Überzeugungen nennen zu können, zu hinterfagen. Agrippas Trilemma besagt, daß die Rechtfertigung einer Überzeugung entweder in einen unendlichen Regress oder in einen Zirkelschluß mündet oder mithilfe einer ungerechtfertigten, bloßen Annahme endet. Zwingend ist diese skeptische Schlußfolgerung allerdings nur unter der Voraussetzung, daß Meinungen nur dann gerechtfertigterweise vertreten werden können, wenn sie auf adäquaten und verfügbaren Belegen beruhen.342 Rechtfertigung, so die Gegenthese, muß aber nicht 340 A.a.O., S. 185f. 341 Siehe unser Kapitel I, in dem die zwei Grundformen, in denen die skeptische Herausforderung auftreten kann, agrippascher Begründungsskeptizismus sowie cartesianischer Skeptizismus, unterschieden werden, und die Bedingungen für eine zwingende skeptische Argumentation genannt werden. 342 Williams, a.a.O., unterscheidet vier Unterprinzipien dieser Voraussetzung: PG1, das 'No Free Lunch Principle', besagt, daß epistemische Berechtigung durch epistemisch verantwortliches Benehmen verdient werden muß, was nicht möglich ist, PG2, das 'Priority Principle', wenn die Gründe für eine Meinung weniger als adäquat sind; PG3, 'Evidentialism', fügt dem die Forderung hinzu, daß die Belege für eine Meinung
194 solch starke Anforderungen an ein 'prior grounding', eine durch verfügbare gute Gründe verdiente Berechtigung stellen, sondern weise eine 'default and challenge'-Struktur auf: "The difference between the 'prior grounding' and 'default and challenge' conceptions of justification is like that between legal systems that treat the accused as guilty unless proved innocent and those that do the opposite, granting presumptive innocence and throwing the burden of proof on the accuser. Adopting the second model, epistemic entitlement is the default status of a person's beliefs and assertions. One is entitled to a belief or assertion (which, remember, is an implicit knowledge claim, unless clearly qualified) in the absence of appropriate 'defeaters': i.e. reasons to think that one is not so entitled."343
Und, so die weitere Argumentation von Williams, die aus der methodischen Neubestimmung von Rechtfertigung resultierende Umkehrung der Beweislast zwinge den Skeptiker, seinerseits überzeugende Gründe für seine Herausforderung zu nennen, wobei die Qualität von Gründen oder die Standards von Rechtfertigung nicht als eindeutig fixierbar, sondern als abhängig vom Kontext verstanden werden.344 Begründungsskeptizismus, so die These, ist folglich weder im geforderten Maße eine radikale oder allgemeine, noch eine intuitiv einleuchtende oder natürliche Position, weil die theoretische Diagnose ihre Verwurzelung in uneingestandenen erkenntnistheoretischen Vorannahmen aufgedeckt hat. Kann eine solche Strategie auch auf den von uns diskutierten cartesianischen Außenwelt-Skeptizismus angewendet werden? Die cartesianische Herausforderung scheint, wie gesagt, gute Gründe für sich zu haben: wenn wir die Welt immer nur vermittels unserer Sinne erfahren, uns unsere Sinne aber auf mannigfaltige Weise täuschen können, wie können wir sicher sein, daß die Welt auch wirklich so ist, wie sie uns erscheint? Die Welt, so scheinen die Alternativen einer Welt des Traums oder der systematischen Täuschung - durch einen bösen Geist oder extraterrestrische Wissenschaftler - zu zeigen, kann verschieden beschaffen sein, ohne daß sich auch meine Erfahrungen von ihr unterscheiden müßten. aus Gründen bestehen müssen, und zwar Gründen, die uns, PG4, das 'Possession Principle', auch tatsächlich zur Verfügung stehen und die wahrheitsindikativ sind. Vgl. S. 27. 343 A.a.O., S. 28f. 344 A.a.O., Kap. 14, S. 39-44. Williams nennt fünf maßgebliche Faktoren, denen unsere Rechtfertigungspraxis unterliege: semantische Auflagen oder Auflagen der Intelligibilität, methodologische Auflagen sowie dialektische, wirtschaftliche und situationsbedingte Faktoren.
195 Können wir cartesianischem Skeptizismus theoretische Hintergundannahmen nachweisen, die seine intuitive Glaubwürdigkeit erschüttern würden? Eine solche Prämisse wurde bereits genannt: Der historische cartesianische Skeptizismus definiert Rechtfertigung unter Verweis auf die epistemologische Zielsetzung als Erlangung von Gewißheit und weist die Relevanz bescheidenerer Rechtfertigungsprozesse zurück. Versteht man den Skeptizismus dagegen im Rahmen der Unterbestimmtheitsthese, scheint weniger klar, daß er sich durch ungerechtfertigte theoretische Prämissen auszeichnet. Wie aber ist die verbleibende logische Möglichkeit einer alternativen Parallelwelt einzuschätzen? Ist diese wahrscheinlich?345 Es wird sich erst zeigen müssen, ob eine solche Überlegung plausibel bleiben kann: Die Möglichkeit einer Lücke zwischen unseren Belegen und unseren Meinungen über die Außenwelt setzt voraus, daß sich Wissen nicht 'direkt' auf die Welt beziehen kann und sich in allen Fällen Schlußfolgerungsprozessen verdankt. IV.3 Der dritte Weg Transzendentale Argumente in ihrer bescheidenen Fassung verwenden eine Strategie, die der skeptischen Herausforderung Inkohärenz nachzuweisen sucht. Die zwei wichtigsten Einwände gegen eine transzendentale Argumentationsstruktur haben wir bereits kennengelernt: Transzendentale Überlegungen versuchten das schlechthin Unmögliche, sie versuchten, unser konzeptuelles oder begriffliches Schema einerseits als notwendig, d.h. als unhintergehbar, apriorisch, aller Erfahrung vorgängig zu bestimmen, versuchten aber andererseits, dies von einem Ort außerhalb desselben zu leisten. Man kann aber nicht eine als unhintergehbar angesehene Struktur im Abgleich mit anderen Strukturen rechtfertigen, man kann in diesem Fall nicht extern, sondern nur intern argumentieren. Bescheidene Varianten akzeptieren diesen Punkt, sehen sich dann aber mit dem Vorwurf konfrontiert, eine solche interne Argumentation könne wiederum die gesuchte antiskeptische Funktion nicht erfüllen. Und eine weitere Art von Kritik wurde ebenfalls bereits in jenem Abschnitt erwähnt: Wollen transzendentale Begründungen nicht nur zeigen, wie wir nun eben denken oder erfahren müssen, sondern darüberhinaus zeigen, daß die Welt auch wirklich so ist, brauchen sie die Inanspruchnahme einer Art von Verifikationsprinzip. Die345 Vgl. die in Kap. I genannte Bedingung der intuitiven Plausibilität, für die es Voraussetzung ist, daß skeptische Hypothesen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen können.
196 ses Prinzip muß so etwas behaupten wie: Sinnvoll sind unsere Erkenntnisstrukturen nur dadurch, daß die meisten unserer Urteile auch wahr sind; denkbar oder erfahrbar ist nur, was sich zumindest im Prinzip verifizieren läßt, gehen wir in unseren Behauptungen darüberhinaus, laufen wir Gefahr, Unsinn oder Sinnloses zu sagen. Bescheidene transzendentale Strategien werden also zeigen müssen, inwieweit die Verwendung eines solchen Prinzips nicht selbst einer petitio entspricht. Taylor beschreibt die Schwierigkeiten transzendentaler Argumentation pointiert: "Transcendental arguments thus turn out to be quite paradoxical things. I have been asking here what arguments of this kind prove, and how they prove it. They appear to be rather strange in both these dimensions. They prove something quite strong about the subject of experience and his place in the world; and yet since they are grounded in the nature of experience, there remains an ultimate, ontological question they cannot foreclose - for Kant, that of the things in themselves; for the thesis of embodied agency, the basic explanatory language of human behaviour. When we ask how they prove what they prove, we see another paradoxical mixture. They articulate a grasp of the point of our activity which we cannot but have, and their formulations aspire to self-evidence; and yet they must articulate what is most difficult for us to articulate, and hence are open to endless debate. A valid transcendental argument is indubitable; but it is hard to know when you have one, at least one with an interesting conclusion. But then that seems true of most arguments in philosophy."346
Transzendentale Argumente, so hatte sich auch in unseren Ausführungen gezeigt, sind tatsächlich merkwürdige Gebilde. Sie versuchen, etwas Grundlegendes über das Verhältnis von Geist und Welt zu sagen; da die Begründung aber auf die Natur unserer Erfahrung abhebt, also epistemologisch ist, scheinen ontologische Schlußfolgerungen hinsichtlich der Beschaffenheit der Welt letztlich immer fragwürdig zu bleiben. Auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht sind transzendentale Argumente bis heute umstritten, bezüglich ihrer methodischen Vorgehensweise hat sich gezeigt, daß selbst dem zentralen Begriff der Apriorizität oder Notwendigkeit bestimmter Strukturen bis heute keine verbindliche Definition zukommt.347 Formuliert man die Schwierigkeit anhand des Begriffs der Notwendigkeit, 346 (Taylor, 1978/79), S. 165. 347 Vgl. auch die bereits im II. Kap. erwähnte Charakterisierung von Bittner, transzendental verstandene Philosophie behaupte "eine Zwischenstellung zwischen Ontologie und Erkenntnistheorie": eine Theorie des Seienden sie sie nur als Theorie unserer Erkenntnis von ihm, eine Theorie der Erkenntnis nur als Bestimmung des Begriffs von einem Gegenstand als solchem. (Bittner, 1974), S. 1524.
197 kann man die Forderung folgendermaßen zuspitzen: Die Notwendigkeit des zu rechtfertigenden Begriffssystems kann nicht extern oder transzendental, sondern immer nur ausgehend von dem faktisch verwendeten ausgewiesen werden, sie darf andererseits aber auch nicht eine bloß psychologische Notwendigkeit sein, denn daraus, daß wir die Welt nicht anders erfahren können als unsere psychologische Konstitution, unser Begriffsschema zuläßt, folgt nicht, daß die Welt auch so ist. Die Notwendigkeit, obwohl aus faktischen Beziehungen resultierend, muß eine strukturelle oder begriffliche sein. Die skeptische Herausforderung stellt den Kontrast nicht zwischen Notwendigkeit und Revidierbarkeit auf, sondern zwischen Notwendigkeit und Willkürlichkeit.348 Unsere Argumentation muß also nicht zeigen, daß unser begriffliches Schema nicht revidiert werden könnte, sondern wir müssen zeigen, daß die Strukturen dieses Schemas nicht willkürliche, sondern determinierte sind.349 Dieser Anforderung wäre Genüge getan, wenn es uns gelingt, die gesuchte, determinierte Struktur des Schemas als solche auszuzeichnen, zu der es - weil der Gottesstandpunkt für uns alle nicht einzunehmen ist - keine Alternative geben kann, und für die darüberhinaus noch unabhängige Gründe gegeben werden können, die sie als eine korrekte, eine der Welt adäquate, erscheinen lassen. Dies hat sich auch in unseren Ausführungen zu naturalistischen Positionen gezeigt: Wenn nicht eine Trennung zwischen begrifflichen oder strukturellen und faktischen Behauptungen erfolgen kann, so die These, bleibt die transzendentale Methode, die sich um die Aufhellung aller Erfahrung vorgängiger Bedingungen der Möglichkeit bemüht, leer. Dennoch haben transzendentale Erklärungen auch nach der propagierten 'Naturalisierung' von Erkenntnistheorie wenig von ihrer Attraktivität eingebüßt. Dies ist vielleicht besser zu verstehen, wenn wir uns nochmals vergegenwärtigen, daß naturalisierte Epistemologie - zumindest im Rahmen einer starken Lesart der Ersetzungsthese - die skeptische Herausforderung nicht beantworten kann. Dies kann natürlich noch kein Argument darstellen: "To rely on the philosopher's interest in skepticism and penchant for armchair philosophy as a rhetorical device to recruite wavering naturalists, however, might be viewed as a new low in the art of philosophical persuasion. The mere fact that philosophers have been preoccupied with a certain sort of question 348 Vgl. (Rosenberg, 1980). 349 Rosenbergs Gegensatzbegriff zu "arbitraryness" ist "determinateness". Im Deutschen gibt es hierfür keine gute Übersetzung: "Notwendigkeit" ist ein theoretischer Term, der andere Kontexte impliziert, "Bestimmtheit" legt den Zusammenhang mit "Eindeutigkeit" nahe, der Gegensatz dazu wäre dann aber Mehrdeutigkeit oder Vagheit, nicht Willkürlichkeit. Ich verwende das etwas unschöne "Determiniertheit".
198 does not mean they were qualified to answer it. There are all kinds of perfectly respectable candidates for misguided philosophical investigations."350
Aber ist der Versuch, den Commonsense-Realismus zu rechtfertigen, das Verhältnis von Geist und Welt so zu beschreiben, daß unsere Erkenntnisse und Erfahrungen als Wissen gelten können, tatsächlich eine solche zwar respektable, aber fehlgeleitete philosophische Untersuchung, gar eine metaphysische Scheinfrage? "But to avoid asking the metaphysical questions is not even an option for us if we are to retain our present conceptual scheme [...], for the questions are thrown up naturally by the concepts we possess."351
Die skeptische Herausforderung wirft also sehr wohl eine wichtige Frage auf, sie verweist auf eine mit unseren Geltungsansprüchen verknüpfte, fundamentale Schwierigkeit: Entgegen der Rekonstruktion skeptischen Zweifels durch Quine hat sich gezeigt, daß nicht die Alltagsbegründung unserer Wissensansprüche in Zweifel gezogen wird, die uns interessierende Variante des cartesianischen Skeptizismus bestreitet nicht, daß es einzelne Instanzen von Wissen geben kann, sie verweist vielmehr darauf, daß wir im Rahmen der Erkenntnistheorie dieses Wissen noch nicht als Wissen über eine von uns unabhängige, objektive Außenwelt gerechtfertigt haben. Kann dieser "Skandal" der Philosophie im Rahmen bescheidener transzendentaler Argumente gelöst werden? Wie die zur Beschreibung der unterschiedlichen Strategien verwendeten Metaphern durch die Verwendung solcher Begriffe wie Innen und Außen, Externem (Welt) und Internem (Geist) nahelegen, läßt sich das Problem auch als eines der Räumlichkeit thematisieren: Wie kann eine Vorstellung der Welt als außen, als von uns unabhängig, als objektiv gerechtfertigt werden, wenn doch unsere Vorstellungen von dieser Welt innere, subjektive sind, wie können wir rechtfertigen, daß unsere Vorstellungen sich auf diese Welt richten, von ihr handeln? Wie schon Wittgenstein formuliert hat: "Nicht Empirie und doch Realismus in der Philosophie, das ist das schwerste."352 Mit rein empiristischem Handwerkszeug, d.h. also allein mit dem Wissen, das aus unseren Sinneswahrnehmungen stammt, kann man - darauf hat schon Hume verwiesen - nur Aussagen über die Welt, wie sie jetzt ist, oder vielleicht - unter Zuhilfenahme der Erinnerung - wie sie war, rechtfertigen, niemals aber 350 (Fumerton, 1994), S. 333. 351 (Walker, 1989a), S. 71. 352 (Wittgenstein, 1984 (6)), S. 325, in § 23.
199 Notwendigkeit oder Gesetzmäßigkeit zukünftiger Ereignisse begründen.353 Versteht man Sinneswahrnehmungen als kausale Reizung unserer Sinnesorgane und läßt nur diese als evidentielle Basis unseres Wissens zu, kann die Begrifflichkeit, mit deren Hilfe wir die Welt erklären, sie ordnen, ihr eine Struktur zuschreiben, also die Konzepte von Raum und Zeit, Identität, Kausalität, etc., nur als nicht-objektive, menschliche Anschauungsform verstanden werden. Für diese wiederum galt, daß sie nicht zu rechtfertigen waren: entweder, wie z.B. bei Hume, weil sie als nicht rechtfertigungsfähig, als de jure unstatthaft galten, oder, wie z.B. bei Locke, weil sie als de facto unhintergehbar, die menschlichen angeborenen Denkstrukturen beschreibend, also als nicht rechtfertigungsbedürftig angesehen wurden. Beide Alternativen, Empirismus ebenso wie Rationalismus, lassen Raum für skeptischen Zweifel: Wenn die unser Denken konstituierenden Anschauungsformen nicht begründet werden können, bleibt offen, wie dem Anspruch, die als von uns unabhängig verstandene Welt werde in ihrem Sein erkannt und beschrieben, Gehalt verliehen werden kann. Zwischen unserem Denken, unseren Anschauungsformen, unseren begrifflichen Schemata und der Welt scheint dann eine Lücke zu bestehen, unsere Repräsentationen und das Repräsentierte scheinen nicht notwendigerweise übereinzustimmen. Diese Überlegung erinnert zwar an das in der Einleitung erwähnte Argument aus der Sinnestäuschung, generalisiert dieses aber. Der Begriff des Irrtums ist nur sinnvoll, wenn wir auch entdecken können, daß wir uns getäuscht haben, man bedarf also der Kontrastklasse der Wahrheit: bei einem Irrtum besteht, zumindest im Prinzip, immer die Möglichkeit, durch weiteres Nachforschen die Wahrheit herauszufinden. Die Behauptung einer epistemischen Lücke muß die gebräuchliche Rede von Wahrheit und Irrtum vollständig verwerfen: Wenn man daran festhält, daß auch ein mehrfach überprüftes, d.i. gut bestätigtes Wissen 'falsch' sein könnte, und das heißt dann: die Welt nur so beschreibt, wie wir sie eben wahrnehmen und verstehen müssen, nicht aber so, wie sie wirklich ist, werden Wahrheit und Irrtum relativiert: auf unsere Sicht der Welt, unsere Anschauungsformen, unser Begriffsschema etc. Und die Schlußfolgerung lautet dann: Solange wir nicht in der Lage sind, die Strukturen unseres Denkens mit den Strukturen der Wirklichkeit zu vergleichen, solange sind wir auch nicht in unseren Wissensansprüchen gerechtfertigt. Dieses Rechtfertigungsproblem scheint sich also besonders dann zu stellen, wenn die 353 So wird etwa in der Wissenschaftstheorie die skeptische Frage diskutiert, ob induktive Generalisierungen gesetzesartigen Charakter haben. Siehe z.B. (Stegmüller, 1996 (1971)), s.a. Kap. VI.3.
200 Wahrheit / Richtigkeit / Korrektheit der Formen unserer Erkenntnis, unseres begrifflichen Schemas in irgendeinem Sinn als Angemessenheit oder Übereinstimmung mit der Welt gefaßt wird. Die grundlegende Frage ist demnach, ob dualistische Konzeptionen des Verhältnisses von Geist und Welt uns vor unabwendbar skeptische Konsequenzen stellen oder ob im Gegenteil nur sie den Begriff der Unabhängigkeit zu erläutern vermögen und insofern Garant einer realistischen Auffassung sind. Dualistische Modelle ziehen die Möglichkeit eine epistemischen Lücke nach sich, man kann also die unterschiedlichen Argumente für die Möglichkeit einer solchen Kluft dadurch ordnen, daß man die vermittelnde Instanz zwischen den jeweiligen Dualismen zum Ausgangspunkt nimmt: Kohärentistische Positionen verstehen die Sprache als grundegende Vermittlungsinstanz zwischen Geist und Welt, fundamentalistische zeichnen sinnliche Wahrnehmungen aus. Wittgenstein verweist an einer häufig zitierten Stelle auf die sog. Kantische Lösung des Skandals der Philosophie: "Die Grenze der Sprache zeigt sich in der Unmöglichkeit, die Tatsache zu beschreiben, die einem Satz entspricht (seine Übersetzung ist), ohne eben den Satz zu wiederholen."354
Argumentieren, begründen können wir, wenn wir nicht mit einem bloß emphatischen Verweis auf angeblich evidenterweise Wahrzunehmendes operieren wollen, naturgemäß nur in Sprache. Sinnliche Erfahrungen sind ohne Begriffe nicht denkbar oder zumindest nicht kommunizierbar.355 Aber wenn wir die zugestandene "Unbeschreibbarkeit der Welt unabhängig von Sprache" in einem kantischen Sinne verstehen, folgt daraus nicht auch die vom Skeptiker behauptete "Unerkennbarkeit der Welt, wie sie an sich ist": Nur weil wir die Sprache als Bedingung der Möglichkeit für Denken, und mithin für Erkenntnis, anerkennen, muß ihre formale oder strukturelle Beschaffenheit nicht die Beschaffenheit der Welt verbergen. Der Aufweis eines solchen Zusammenhanges bräuchte eine weitere Prämisse: Sprache - oder auch Wahrnehmung - müßte als Vermittlungsinstanz so zwischen uns und der Welt stehen, daß sie entweder als erkenntnisverhindernd gelten kann oder es muß aufgewiesen werden, daß sie eine bloß subjektive oder auch intersubjektive Gültigkeit besitzt, die im Gegensatz 354 (Wittgenstein, 1984 (8)), S. 463f. 355 In der Terminologie Kants: Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Gedanken ohne Inhalt sind leer, KdrV, A 51. McDowell wird diese Ausdrucksweise wieder aufgreifen, s. unser Kap. VI.
201 zu einer objektiven steht.356 Da aber auch der Verfechter einer solchen Position nicht aus der Sprache heraus kann, auch ihm kein "Gottesstandpunkt", kein Blick "from sideways on" zur Verfügung steht, kann diese Prämisse nicht ausgewiesen werden.357 Hilft es weiter, die Sprache als neutrales Medium zu verstehen? Nein, denn solange die Sprache als 'ordnende Kraft' verstanden wird, die zwischen dem Denken und der Welt 'vermittelt', kann unser Zugang zur Welt nicht als direkt verstanden werden, sondern muß auf unsere Sprache oder unsere Begrifflichkeit relativiert werden. Wie anhand von Davidsons Kritik an Quine gezeigt wurde, legt bereits die Rede von einem Medium nahe, daß die Welt als unstrukturiertes Ganzes verstanden wird, aus dem wir mittels der Sprache einzelne Teile heraustrennen. Aus der Zurückweisung des Dualismus von neutralem, d.h. uninterpretiertem Inhalt und begrifflichem Schema zieht Davidson die Konsequenz, daß es keine Evidenzquelle geben kann, die ohne gleichzeitigen Rekurs auf die Welt identifiziert und charakterisiert werden könnte: Die gemeinsame, intersubjektiv geteilte Welt mit ihren vertrauten äußeren Gegenständen muß vorausgesetzt werden, damit wir überhaupt über eine Sprache verfügen können.358 Aber, so möchte man Davidson entgegnen, wenn unsere Sprache oder unser Begriffsschema nicht in ihrem Bezug zur Welt erklärt werden kann, sondern dieser vorausgesetzt werden muß, aber ohne epistemologische Konsequenz bleibt, ist nur das intersubjektive Moment von Sprechen oder Denken verständlich, die Rede von Objektivität kann in einer solchen Konzeption nicht ausgewiesen worden. Heißt das, daß wir den Gedanken aufgeben sollten, daß unsere Wissens- oder Geltungsansprüche sich auf die Beschaffenheit der Welt beziehen können, sie einen realistischen Bestandteil beinhalten, der wesentlich ist? Oder zumindest, daß wir Realismus nur als intersubjektive Haltung oder Hintergrundannahme, nicht aber als erkenntnistheoretische These rechtfertigen
356 Probleme lassen sich hinsichtlich mehrerer Strukturmerkmale der Sprache stellen: Quine verweist auf den Zusammenhang von quantorenlogischer Form und der Reifizierung von Objekten, Wittgenstein betont die philosophische 'Verwirrung', die daraus resultiere, daß diese Struktur Fragen nach dem Wesen des vergegenständlichten, als Entität mißverstandenen substantivierten Begriffs erlaube. Ähnliche Probleme gibt es auch hinsichtlich der Prädikation, vgl. dazu unsere späteren Überlegungen zu primären und sekundären Qualitäten. 357 Zu der Metapher der Unmöglichkeit eines "Gottesgesichtspunktes" siehe (Putnam, 1981) bes. Kap. III, und zu der Metapher der Vorgehensweise "from sideways on" (McDowell, 1994), Kap. VI. 358 Vgl. (Davidson, 1984d).
202 können? Ist unser Commonsense-Realismus bloß ein Bild, das uns gefangen hält?359 Mit der Frage, wie Erkenntnis von der Welt möglich ist, fragen wir auch nach den Grundlagen, dem Fundament unserer Erkenntnis. Die entgegengesetzte Herangehensweise beharrt folglich darauf, daß die Welt uns nicht nur durch Sprache gegeben ist, sondern durch eine Vielfalt von Sinneseindrücken, daß wir sie im kinästhetischen Umgang mit ihr erfahren.360 Erst der durch Sinneswahrnehmungen vermittelte Zugang zur Welt verleihe unserer Erkenntnis einen empirischen Aspekt, und, so die weitere These, erst mithilfe der Anerkenntnis von Sinneswahnehmungen als selbst nicht rechtfertigungsbedürftig könne dem in Agrippas Trilemma beschriebenen Rechtfertigungsproblem entgangen werden. Nun ist zumindest seit Sellars berühmter Kritik am sog. 'Mythos des Gegebenen' der Begriff eines Fundaments unseres Wissens in Veruf geraten: die Vorstellung, eine bestimmte Klasse unserer Meinungen, die Wahrnehmungsmeinungen, seien besonders eng mit der Welt verknüpft, so daß hier die Möglichkeit grundlegenden Irrtums auszuschließen sei, und unsere anderen Überzeugungen nur auf diese Basis zurückzuführen sein müßten, als daß sie ebenfalls gerechtfertigt wären, wurde als naiv ausgewiesen.361 Man kann zwei Begriffspaare unterscheiden, in denen die Vorstellung der Gegebenheit eine zentrale Rolle spielt. 'Gegebenheit' wird, wie in der diskutierten Gegenüberstellung von Schema und Inhalt, kontrastiert mit 'Interpretation'. Die Erklärung empirischer Erkenntnis verläuft dann so, daß Sinnesdaten, Sinneseindrücke o.ä. als gegebene 'Daten' verstanden werden, die im Rahmen einer Sprache, eines Begriffsschemas interpretiert, d.h. begrifflich gefaßt, klassifiziert werden, und zur Rechtfertigung unserer Wissensansprüche müßte gezeigt werden, daß diese in der richtigen Weise durch die Belege 359 Wittgenstein, PU § 115ff., vgl. auch (Diamond, 1991), sowie (Putnam, 1994d; Putnam, 1994e). 360 Daß die mit der linguistischen Wende verbundenen These der 'Unhintergehbarkeit von Sprache' nicht in der einfachen Form gültig ist, in der sie meist rezipiert wurde, ist inzwischen Allgemeingut. Kognitive Strukturen bilden sich nicht erst durch Versprachlichung aus, ein Großteil der kognitionspsychologischen Forschung belegt, daß unterschiedlichste körperliche Erfahrungen als conditio der Begriffsbildung, des Spracherwerbs sowie der Sprachbeherrschung anzusehen sind. 361 Vgl. (Sellars, 1991a (1963)), 'Empiricism and the Philosophy of Mind' (i.F. EPM), und (Sellars, 1991b (1963)), 'Phenomenalism', beide in (Sellars, 1991 (1963, London)), sowie (Sellars, 1973). Vgl. dazu aber auch (Putnam, 1994g), der betont, daß der im Fundamentalismus zentrale Aspekt der Gewißheit oder Nicht-Korrigierbarkeit unserer Wahrnehmungsmeinungen bei Sellars keine große Rolle spiele, und der diese Art der Kritik am Mythos Reichenbach zuschreibt.
203 abgestützt sind. 'Gegeben sein' kann aber auch unterschieden werden von 'aufgenommen werden', gegeben sind dann Phänomene oder Erscheinungen, zu denen wir dadurch kognitiv in Verbindung treten, daß wir sie direkt und unvermittelt aufnehmen. In diesem Sinne aufgenommen werden kann nur phänomenales Wissen, weil der Ausschluß von Vermittlung sich auf den semantischen oder propositionalen Bereich unseres Wissens bezieht, und diese Art kognitiver Leistung nicht-inferentiell, also ohne Zuhilfenahme von Schlußfolgerungs-prozessen statthaben soll. Die Rechtfertigung empirischen Wissens würde im letzte Schritt dann auf phänomenales Wissen zurückführen, das als sich selbst rechtfertigend, als 'unmittelbar evident' gelten soll. Auch Sellars unterscheidet verschiedene Begriffe der Gegebenheit, verschiedene Mythen des Gegebenen, er spricht von einem "framework of givenness".362 Wesentlich für eine Kritik an mythischen Vorstellungen sei weder die Zurückweisung der Sinnesdatentheorie, die nur einen ersten Schritt darstelle und nicht auch die Ablehnung 'innerer Episoden' beinhalten dürfe, noch allein die Abweisung der Metapher des Fundaments, das beinhalte, daß man die Kenntnis oder das Vertrautsein mit jeweiligen inneren Erfahrungen als Prämissen benutzen könne, auf denen empirisches Wissen ruhe. Wesentlicher Bestandteil des Mythos sei die genannte Vorstellung einer Art 'innerer Episoden' als unvermittelter, direkter Erfahrungen, deren Kenntnis oder deren bloßes Haben ausreiche, sich als gerechtfertigt anzusehen.363 "The idea that observation 'strictly and properly so-called' is constituted by certain self-authenticating nonverbal episodes, the authority of which is transmitted to verbal and quasi-verbal performances when these performances are made 'in conformity with the semantical rules of the language', is, of course, the heart of the Myth of the Given. For the given, in epistemological tradition, is what is taken by these self-authenticating episodes. These 'takings' are, so to speak, the unmoved movers of empirical knowledge, the 'knowings in presence' which are presupposed by all other knowledge, both the knowledge of general truths and the knowledge 'in absence' of other particular matters of fact. Such is the framework in which traditional empiricism makes its characteristic claim that the perceptually given is the foundation of empirical knowledge."364
Auf Sellars eigene, adverbiale Analyse solcher innerer Erlebnisse, von phänomenaler oder Wahrnehmungserfahrung, kann im Rahmen dieser Ar-
362 EPM, I/1, S. 127f. 363 A.a.O., VI/26, S. 157 364 A.a.O., VIII/38, S. 169f.
204 beit leider nicht eingegangen werden.365 Sellars wesentliches Argument gegen eine erkenntnistheoretische Auszeichnung von Beobachtungssätzen, gegen eine Auffassung, die Sinneswahrnehmungen als wesentliche Bestandteile von Rechtfertigung ansieht, besteht darin, daß er für eine strikte Trennung von Grund und Ursache, von Rechtfertigungsbeziehungen und Kausalbeziehungen plädiert: Wahrnehmungserlebnisse können zwar verursachen, daß wir Überzeugungen haben, Äußerungen machen u.ä., sie können diese aber nicht rechtfertigen, nur eine andere Überzeugung, eine andere Äußerung kann einen Grund darstellen. Siedelt man aber Rechtfertigungsbeziehungen allein innerhalb unseres propositionalen Wissens an und versteht die Wahrheit unserer Überzeugungen, bzw. unseren Anspruch auf Erkenntnis oder Wissen alleine im Rahmen kohärentistischer Überlegungen, scheint die Vorstellung unseres Bezugs zur Welt verloren zu gehen. Zumindest wird dann die Vorstellung einer Korrespondenz oder Übereinstimmung unserer empirischen Urteile mit der Welt erkenntnistheoretisch irrelevant. So warnt etwa McDowell vor der Gefahr, einer der sog. "two opposing pitfalls" zu erliegen, bzw. zwischen beiden zu oszillieren: Bei einem Kohärentismus, der der Rede von externen Auflagen keinen Sinn beimessen könne, drohe zuviel Freiheit, da unser Denken ohne Kontrolle von außerhalb einem 'freischwebendem Herumspintisieren im leeren Raum' ähneln würde, Überzeugungen und Rechtfertigung zu 'Zügen in einem sich selbst genügenden Spiel' würden. Der Fundamentalismus dagegen fordere zuviel Kontrolle, dann bestehe die Gefahr, einem naiven Bild des Gegebenen zu erliegen, und den 'Mythos nicht zu entwaffnen'.366 Und diese Gefahr, so McDowell, besteht vor allem darin, daß die epistemologische Auszeichnung nicht-begrifflichen, phänomenalen Inhalts uns nicht Rechtfertigungen, sondern nur 'Exkulpationen', also Entschuldigungen oder Entlastungen, erlaube: Wollen wir ein empirisches Urteil rechtfertigen, darf die Beziehung zwischen Urteilendem und Welt nicht zu eng gefaßt werden, analysiert man diese im Rahmen von Kausalbeziehungen, fällt sie nicht in den Bereich von Spontaneität und rationalen Beziehungen, dann können unsere Urteile aber auch nicht als freie, möglicherweise zu rechtfertigende in den Blick kommen, sondern sind bloße unausweichliche Fakten, sozusagen Naturereignisse. Wie können die zwei 'Fallgruben' eines dogmatischen Fundamentalismus und eines freischwebenden 365 Vgl. hierzu die überaus instruktive Arbeit von Schantz, bes. Kap X und XI, (Schantz, 1990). 366 (McDowell, 1994) passim, die meisten der Formulierungen sind aus Lecture 1, §§ 3 - 5.
205 Kohärentismus vermieden werden? Wie kann eine Herangehensweise aussehen, die das Rationale beider Positionen aufnehmen kann, wie kann ein 'dritter Weg' zwischen transzendentalen und naturalistischen Ansätzen, oder, wenn man die jeweilige Bestimmung von Rechtfertigung oder Wahrheit zugrundelegt, zwischen Fundamentalismus und Kohärentismus aussehen? Wir hatten gesagt, daß Wissen von der Außenwelt so rekonstruiert werden muß, daß der skeptische Zweifel daran, daß es gerechtfertigter Weise als Wissen von einer externen und unabhängigen Welt zu verstehen ist, gar nicht erst entsteht. Aus der Unmöglichkeit des Vergleichs von Geist oder begrifflicher Struktur und Welt von einem 'Gottesstandpunkt' folgt m.E. primär eine methodologische Konsequenz: Kurz gesagt muß die im methodischen Rahmen deskriptiver Metaphysik erfolgende Rechtfertigung an denjenigen Bestandteilen unseres Begriffschemas ansetzen, die es erlauben, die Verbindung sinnlicher Wahrnehmung, also phänomenaler Bestandteile, und begrifflichem oder theoretischem Netz, also propositionalem Wissen, zu untersuchen. Zwei Einschränkungen oder Vorbehalte sind möglicherweise angebracht. Ein solches begriffsanalytisches Projekt sollte nicht einfach als Definition von 'notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Wissen' verstanden werden, denn der transzendentale Anspruch besteht ja gerade darin, sowohl dadurch etwas über die Bedeutung unserer grundlegenden Begriffe auszusagen, als ihr üblicher Gebrauch, ihre faktische Verwendung beschrieben wird, als auch, etwas Neues oder bisher Mißverstandenes über die Natur der fraglichen Elemente aufzudecken. Das in einer solchen Struktur verborgene Paradox, auf das mit Taylor bereits hingewiesen wurde, wiederholt sich auch in der Vorstellung einer 'deskriptiven Metaphysik', die Geltungsansprüche rechtfertigen helfen soll. Eine zweite Einschränkung betrifft die Frage nach einer möglichen Fundierung unserer Wissensansprüche: Ob die Struktur unseres Begriffsrepertoires hierarchisch ist, oder ob seine Bestandteile holistisch zusammenhängen, kann erst im Rahmen einer präzisen Beschreibung beantwortet werden. Wenn also im Folgenden von strukturell grundlegenden, basalen oder allgemeinsten Vorstellungen die Rede ist, so soll damit auch der naturalistischen Vorstellung von zentralen Knotenpunkten unseres Meinungs- oder Begriffsnetzes Ausdruck verliehen werden. Der transzendentale Anspruch bleibt dennoch bestehen, da diese zentralen Strukturen als "Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt" ausgewiesen werden sollen. Eine solche Art deskriptiver Metaphysik bildet Modelle "to test and strengthen our own reflective understanding of our own conceptual struc-
206 ture."367 Wie es Evans im Hinblick auf Strawsons Methodologie formuliert: "[T]he connections between the fundamental concepts of our conceptual scheme are central objects of philosophical investigation, and [...] explanatory pressure may have to be put upon these connections by imagining situations radically unlike our own."368
Diese unser Begriffschema konstituierenden Begriffe und die Welt sollen folglich so verknüpft werden, daß skeptische Zweifel bezüglich der Berechtigung oder Rechtfertigung gar nicht erst entstehen oder ausgeräumt werden können, und die Angemessenheit und Notwendigkeit unseres Begriffsschemas in Bezug auf die als unabhängig verstandene Außenwelt erklärbar wird. Heißt das, daß wir Metaphysik betreiben, weil wir doch wieder auf eine Art Skeptiker reagieren? Ja, dieser Versuch einer Rechtfertigung antwortet einem Skeptiker: Einem Skeptiker, der die Kriterien der Voraussagekraft, Konsistenz oder Kohärenz unserer Erkenntnis nicht als hinreichend für eine Bestätigung ihrer Verbindung zur Welt hält, und der der Überzeugung ist, daß eine Erkenntnistheorie, die unseren Bezug zur externen Welt nicht erklären kann, der Erkenntnis ihre Fundierung zu nehmen droht. Wie es Bieri in einer Entgegnung auf Stroud formuliert: "[...] the enterprise of a philosophical theory of knowledge, understood as the attempt to find one´s way around in a cluster of concepts like knowledge, belief, evidence, truth etc. is best understood as a reaction to scepticism [...]"369
Aber einem Skeptiker, der die Position vertritt, die Welt könnte völlig anders sein, als wir sie uns vorstellen, und der nicht bereit ist, diesem Einwand einen verständlichen Sinn zu geben, der nicht deutlich zu machen vermag, inwieweit der (logischen) Möglichkeit einer epistemischen Kluft auch Wahrscheinlichkeit zukommen kann, kann nicht geantwortet werden. Inwieweit im Rahmen einer solchen deskriptiven Metaphysik sinnlicher Erfahrung noch Bedeutsamkeit zukommt, wird sich erst noch zeigen. Die auszuzeichnenden strukturellen Bestandteile wären zum einen solche, die durch größte Allgemeinheit gekennzeichnet sind, zum anderen aber würden sie nicht nur beschreiben, wie unser Begriffssystem faktisch verwendet oder strukturiert ist, sondern man würde durch sie, etwa unter Verwendung kontrafaktischer Überlegungen, zu bestimmen suchen, wie 367 (Strawson, 1959), Teil I, Kap. 2, S. 86. 368 (Evans, 1985a), S. 290. 369 (Bieri, 1979a), S. 299.
207 jedes für uns überhaupt denkbare Begriffssystem strukturiert sein muß. Dies kann man auch als Immunisierungsstrategie bezeichnen: die gesuchte Notwendigkeit bestimmter ausgezeichneter Begriffe oder begrifflicher Zusammenhänge und Strukturen besteht darin, daß diese in einem bescheidenen Sinn als immun gegenüber der Möglichkeit ihrer Revision verstanden werden. Ausgeschlossen wird dann allerdings nicht mehr, wie noch bei Kant, empirische Widerlegung, als sinnlos wird die Vorwegnahme einer begrifflichen Revision ausgewiesen, die Immunität besteht also nicht prinzipiell. In den nachfolgenden Ausführungen werden wir unterschiedliche Antworten auf die Frage, was diese strukturell zentralen Bestandteile oder Merkmale unseres Begriffschema sind, sowie auf die Frage, welchen begrifflichen Strukturen eine solche Immunität zukommt, kennenlernen. Gemeinsam ist den Ansätzen die antiskeptische Stoßrichtung sowie der Versuch, mithilfe dessen, was eine kombinierte Strategie genannt wurde, naturalistische wie auch transzendentale Begündungsaspekte zu verknüpfen. Gefordert ist eine Theorie der Rationalität, die deskriptive und normative Gesichtspunkte verknüpft, unser begriffsanalytisches Projekt sollte Schlüsselbegriffe wie Rechtfertigung, Begründung, Wahrheit, Evidenz, und besonders Erkenntnis und Wissen zu erklären und zu rechtfertigen suchen. Auf einen naheliegenden Einwand gegen einen solchen Versuch, traditionelle oder normative Epistemologie weiterzuführen, wurde bereits verwiesen: Er besagt, daß bezüglich der epistemisch angemessenen Methoden, der zu erreichenden Ziele oder Werte nur Beschreibungen tatsächlichen Vorgehens und bestenfalls lokale, nicht aber universelle Empfehlungen möglich sind. Auf die interne Problematik eines solchen Relativierungsvorschlags wurde bereits eingegangen. Wenn man überhaupt akzeptiert, daß im Rahmen einer Theorie epistemischer Normativität der Begriff der Wahrheit als zentral gelten muß, und besondere Signifikanz jenen Wahrheiten zukommt, die zu unserem Verständnis der Welt beitragen, muß man auch die Beziehung zwischen Geist und Welt in ihrer objektiven Dimension zu verstehen suchen. Aber legt die Rede von 'signifikanten Wahrheiten' oder von 'unserem Verständnis der Welt' nicht selbst wieder relativistische Konsequenzen nahe? Die Interessensrelativität unseres menschlichen Standpunktes widerspricht nicht der Forderung nach Objektivität, sondern dem Absolutheitsanspruch des Gottesstandpunktes. Akzeptiert man dessen Unmöglichkeit, wird die Behauptung der Relativität sinnlos: "'So sagst du also, daß die Übereinstimmung der Menschen entscheide, was richtig und was falsch ist?' - Richtig und falsch ist, was Menschen sagen; und in
208 der Sprache stimmen die Menschen überein. Dies ist keine Übereinstimmung der Meinungen, sondern der Lebensform."370
Was also, so könnte man unsere Frage paraphrasieren, ist das Charakteristische unserer Lebensform, was ist das, wie Wittgenstein auch sagt, "Hinzunehmende, Gegebene" unserer Sprachspiele? IV.4 Strukturen der Erfahrung und Strukturen der Welt Für die meisten von uns, so wurde in der Einleitung gesagt, ist die Frage, was wirklich existiert, nicht problematisch: Wir sind vertraut mit einer Welt, die Tische und Stühle, Bäume, Häuser, Tiere und Menschen, also materielle Gegenstände unterschiedlichster Art enthält, ebenso wie wir die Geschichte unserer Welt als bestehend aus Ereignissen verstehen. Diese Gegenstände und Ereignisse sind uns aber nun nicht in dem einfachen Sinne zugänglich, als daß wir isoliert von unseren Meinungen, Überzeugungen, Wünschen etc. auf sie Bezug nehmen könnten; unsere Bezugnahme auf die Gegenstände und Ereignisse der Welt muß als Bestandteil eines Netzes verschiedener kognitiver Fähigkeiten und intentionaler Einstellungen verstanden werden. So kann man verallgemeinernd sagen, daß wir nur dann überhaupt Behauptungen aufstellen können, wenn wir von deren Wahrheit überzeugt sind und (gute) Gründe anführen können; wir können nur etwas suchen, von dessen Existenz wir ausgehen; wenn wir verstanden werden wollen, können wir nicht eine Meinung und anschließend ihr Gegenteil äußern etc. Dieses holistische Netz intentionaler Einstellungen ist nun nicht nur intrinsisch vielfältig und auf systematische Weise verknüpft, dieses Netz, so möchte man sagen, ist wesentlich auch mit der Welt verknüpft: So ist es zwar sinnvoll, zu sagen, unsere Wünsche richteten sich auf nicht oder noch nicht Existierendes, aber die Behauptung, wir würden etwas wahrnehmen, das nicht existiert, ist zumindest in ihrem wörtlichen Verständnis unsinnig, und wir können zwar etwas suchen, von dessen Existenz wir nicht wissen, aber, wie Wittgenstein etwas drastisch formuliert, wir können nicht jemanden hängen, der nicht existiert.371 Viele unserer Überzeugungen, Wünsche und Handlungen richten sich auf oder handeln von Gegenständen und Ereignissen in der Welt. Dieses begriffliche Netz, 370 (Wittgenstein, 1984 (1)), PU, § 241. 371 Vgl. Wittgenstein (1984 (1)), §462: "Ich kann ihn suchen, wenn er nicht da ist, aber ihn nicht hängen, wenn er nicht da ist. Man könnte sagen wollen: 'Da muß er doch auch dabei sein, wenn ich ihn suche'. - Dann muß er auch dabei sein, wenn ich ihn nicht finde, und auch, wenn es ihn gar nicht gibt."
209 oder unsere 'Lebensform', hat folglich intersubjektive wie auch objektive Aspekte.372 Die dem cartesianischen Skeptizismus geschuldete Herausforderung besteht nun nicht nur darin, die intrinsischen Verknüpfungen unseres Begriffssystems zu rechtfertigen, die Herausforderung besteht wesentlich darin, diese Verbindung zwischen den Strukturen unserer Erfahrung und den Strukturen der Welt zu rechtfertigen. Was also, so wurde unsere zentrale Frage mit Wittgenstein paraphrasiert, ist das Charakteristische unserer Lebensform, was ist der hinzunehmende, gegebene Hintergrund unserer Sprachspiele? Eine erste Variante dieser Herausforderung haben wir im Rahmen von Quines These der Möglichkeit empirisch äquivalenter, aber logisch inkompatibler Begriffsschemata bereits kennengelernt, und wie sich anhand der Kritik gezeigt hat, sollte die Frage nach einer solchen Möglichkeit reformuliert werden als Frage nach der Interpretation unseres faktisch verwendeten Begriffschemas: Da wir im Rahmen der Übersetzung nicht umhin können, die ontologischen Festlegungen unserer Sprache auf andere Sprachen oder Begriffsysteme zu übertragen, besteht die skeptische Herausforderung nun darin, die realistischen Verbindungen zwischen den Strukturen unserer Muttersprache und den Strukturen der Welt zu rechtfertigen. Und gegen allein kohärentistisch verfahrende Ansätze wurde festgehalten, daß die Frage, wie wir rechtfertigen können, daß unsere Überzeugungen von unabhängigen Gegenständen und Ereignissen handeln, nicht alleine durch eine Betonung der Unverzichtbarkeit bestimmter Interpretationsmaximen zu beantworten ist: Will man nicht nur die intersubjektive Notwendigkeit, sondern die unabhängige Existenz von Gegenständen und Ereignissen rechtfertigen, muß die Konstitutivität unseres Bezuges zur Welt auch im Hinblick auf die Objektivitätsdimension untersucht werden. Damit akzeptieren wir die skeptische Herausforderung, die ontologischen Festlegungen unseres faktischen Begriffsystems nicht als selbstverständlich anzusehen, sondern diese zu rechtfertigen und möglicherweise zu verwerfen, wir akzeptieren die Aufforderung, für etwas eigens zu argumentieren, von dem wir alle - oder zumindest die meisten von uns - über-
372 Zu meiner Interpretation von Wittgensteins Begriff der Lebensform als Verbindung oder gar Verschmelzung intersubjektiver und objektiver oder auch erkenntnistheoretischer und ontologischer Aspekte vgl. etwa PU, §§ 241-242 oder S. 572, sowie insbes. Über Gewißheit (Wittgenstein 1984 (8)), u.a. §§ 94ff. Auf diesen Punkt werde ich im Zusammenhang mit Strawsons zweiter Antwort auf die skeptische Herausforderung ausführlich eingehen.
210 zeugt sind.373 Unsere Vorgehensweise hat insofern einen deskriptiven sowie einen normativen Aspekt: Wir müssen zuerst die wesentlichen ontologischen Verpflichtungen unseres Begriffsystems beschreiben und diese dann zu begründen suchen. Ontologische sind metaphysische Fragen. Sind sie damit bloße 'Scheinfragen'? Erinnern wir uns an die mehrfach verwendete Unterscheidung interner und externer Fragen. Carnap, und wie wir gesehen haben, auf eine verwandte Art auch Quine, trennen zwei Typen von Existenzfragen: interne Fragen, die die Existenz von bestimmten einzelnen (Klassen von) Entitäten innerhalb eines vorgegebenen Rahmens betreffen, und externe, die die Existenz des Gesamtsystems von Entitäten betreffen.374 Beide Fragen betreffen die Rechtfertigung möglicher Existenzbehauptungen, unsere realistische Frage, die darauf abzielt, die grundlegenden Strukturen unserer Ontologie im Hinblick auf ihre erkenntnistheoretischen Implikationen zu untersuchen, wäre nach diesem Verständnis jedoch als extern zu bezeichnen. Wir können, so sind sich die Verfechter eines relativierten Geltungsanspruchs einig, diese externe Frage aber nur als pragmatische Frage bezüglich der Nützlichkeit, Eleganz etc. der Struktur unserer Sprache verstehen. Externe Fragen, so die These, sind nicht einfach nur allgemeiner, sondern können nicht mehr als ontologische oder Tatsachenfragen aufgefaßt werden, sie verweisen darauf, daß Fragen nach der Existenz von Klassen von Objekten den Charakter einer Wahl haben. Nun wurde zwar zugestanden, daß die Vorstellung, die Wahl eines Sprach- oder Begriffsystems ließe sich im Abgleich mit unseren Sinneserfahrungen, mit der Welt verifizieren oder rechtfertigen, zu schlicht ist. Aber die Unmöglichkeit, den zu unserem Begriffsschema internen Standpunkt zugunsten einer Art von 'Gottesstandpunkt', eines neutralen Standpunktes außerhalb zu transzendieren, betrifft beide, transzendentale wie auch naturalistische Ansätze, beide sollten somit weniger als antagonistische Konkurrenten, sondern vielmehr als - sich im besten Falle gegenseitig ergänzende - Alter373 "Philosophers have a peculiar form of the Midas touch. Everything they touch becomes a puzzle, and eventually a problem." (Sellars, 1979), Naturalism and Ontology, S. 17. 374 Siehe unser Kapitel III.1.2. Quine beharrt auf der 'Immanenz' der Wahrheitsfrage und bestreitet die Möglichkeit eines 'transzendenten' Standpunktes, von dem aus die Wahl eines ontologischen Schemas gerechtfertigt werden könnte. Ich verwende die Unterscheidung 'interner' und 'externer' Perspektiven in einem weiten Sinn, sodaß auch der Disput um die Un-Möglichkeit eines externen oder Gottesstandpunktes, also die Trennung eines internen und eines metaphysischen Realismus einbezogen ist.
211 nativen angesehen werden.375 Als strittig sollte demnach weniger die Perspektive als vielmehr, wie in unserer Diskussion Quines bereits gezeigt wurde, die jeweils vorausgesetzte Verbindung von Ontologie und Erkenntnistheorie erachtet werden: Eine Auszeichnung der erkenntnistheoretischen These, unsere Evidenzen bestünden in sensorischen Stimulationsmustern, in (Mustern von) Sinnesreizungen, mündet in einen Dualismus von begrifflichem Schema und uninterpretierten, neutralen Daten, was zu einer, die cartesianische Herausforderung motivierenden epistemischen Kluft zwischen den Strukturen der Erfahrung und den Strukturen der Welt führt. Quines Thesen zu Fragen der Ontologie und Referenz gehören noch immer zu den einflußreichsten und zugleich auch umstrittensten.376 In unserer Diskussion konnte meines Erachtens jedoch gezeigt werden, daß eine philosophische Vorgehensweise, die unseren Zugang zur Außenwelt nicht als direkten oder unmittelbaren sicherzustellen vermag, zu weitreichenden anti-realistischen Konsequenzen führen muß: Quines primär erkenntnistheoretisch motivierter Ansatz führt dazu, daß die ontologischen Aspekte unserer Evidenzbasis nicht gerechtfertigt werden können. Und wie bereits mehrfach betont wurde, bedarf es meiner Ansicht nach guter Gründe, um eine Erkenntnistheorie zu akzeptieren, die zu skeptischen Konsequenzen führt. Eine Erkenntnistheorie, in der der Platitüde, daß Beobachtung oder allgemein sinnliche Wahrnehmung uns ein wahrheitsfähiges Bild der Welt zu liefern vermag, keine epistemologische Bedeutung zukommen kann, und die folglich unseren kognitiven Zugang zur Welt nicht realistisch zu interpretieren vermag, scheint kontra-intuitiv. Verwirft man Quines These evidentieller Priorität, eröffnet sich möglicherweise ein Weg, Erkenntnistheorie und Ontologie enger zu verknüpfen. Die methodischen Überlegungen dieses Kapitels sollen folglich mit der Frage abgeschlossen werden, ob das Primat der Erkenntnistheorie über die Ontologie nicht zugunsten letzterer zu justieren ist: Als grundlegend würde in diesem Fall nicht der Fluß der Evidenz von der Stimulation unserer Nervenenden bis hin zur Reifikation von Körpern betrachtet werden, sondern ein Begriffschema oder eine Sprache, deren ontologische Verpflichtungen ernst genommen werden. Was kann das heißen? Es war bereits von der Notwendigkeit eines dritten Weges die Rede, und auch hier ist eine Alternative zu zwei scheinbar gegensätzlichen und unvereinbaren Positionen verlangt, eine Art epistemi375 Wie auch das dieses Kapitel einleitende Zitat von Strawson nahelegt, (Strawson, 1979a), S. 10. 376 "It is impossible to write about reference without referring to Quine. He who does the first does the second." (Strawson, 1997c), S. 123.
212 scher Königsweg: Unsere Ontologie darf weder als bloße Setzung, als Mythologie verstanden werden, noch kann sie als sakrosankt gelten, d.h. sie muß sich erkenntnistheoretisch rechtfertigen lassen. Rechtfertigung hieße dann etwa, daß unsere ontologischen Festlegungen auf ihren epistemologischen Status zu untersuchen wären: Welcher Art sind die Gründe, die Existenz bestimmter Klassen von Entitäten zu behaupten? Und gibt es grundlegende, gar unverzichtbare Klassen von Entitäten? Legen wir unsere Muttersprache oder das Begriffsystem des Commonsense zugrunde, so auch Quine, sind Körper, also materielle Einzeldinge in Raum und Zeit begrifflich primär. Strawson, dem wir uns im nächsten Kapitel zuwenden, zieht es dagegen vor, von der ontologischen Priorität einer bestimmten Klasse von Entitäten zu sprechen: Ontologisch primär, fundamental oder grundlegend sind bestimmte Klassen von Einzeldingen dann, wenn man sie identifizieren kann, ohne auf einen anderen Typ von Einzeldingen rekurrieren zu müssen.377 Diese These der Identifikationsabhängigkeit grundlegender Einzeldinge wird aber allgemein als erkenntnistheoretische Prioritätsthese verstanden. Wir müssen uns im Folgenden demnach fragen, wie die Thesen der epistemischen und der ontologischen Priorität zusammenhängen. Diese Frage zielt ins Zentrum der Debatten um den Realismus: Es wurde bereits betont, daß ein gehaltvoller Realismus, der dem Commonsense weitgehend entspricht, zugleich erkenntnistheoretische wie ontologische Aspekte beinhaltet, die sich in drei kennzeichnenden Thesen ausdrücken lassen: • • •
Es existiert eine Wirklichkeit, die von uns und unserem Bewußtsein unabhängig ist. Diese Wirklichkeit weist Beschaffenheiten und Strukturen auf, die ebenfalls von uns und unserem Bewußtsein unabhängig sind. Wesentliche Teile dieser Strukturen und Beschaffenheiten der Wirklichkeit sind unserem Erkennen zugänglich, diesbezügliche Behauptungen stellen unser Wissen über die Welt dar.
Die gesuchte Unabhängigkeit wurde auch als Objektivität gekennzeichnet. Nun beinhaltet auch der Begriff der Objektivität erkenntnistheoretische sowie ontologische Aspekte. Etwas ist dann ontologisch objektiv, wenn es unabhängig von jeglichem Wissen oder Bewußtsein, jeglicher Wahrnehmung, Erfahrung, Vorstellung von seiner Existenz und seinem So-Sein etc. existiert und ist, wie es ist. Subjektive Entitäten sind dann solche, die in ihrer Existenz von ihrem Wahrgenommen- oder Gedachtwerden abhängen. 377 (Strawson, 1959), Individuals, S. 16f.
213 Beispiele für ersteres sind besagte Tische, Stühle, Steine, Bäume und Menschen, möglicherweise aber auch Zahlen, Mengen, Sachverhalte oder Tatsachen u.ä., für letzteres Empfindungen, Träume, Erinnerungen etc. Unsere ersten beiden Thesen behaupten eine ontologische Objektivität, von der Wirklichkeit wird ein Sein sowie ein So-Sein prädiziert, das von unserem Bewußtsein, unserer Erkenntnis unabhängig sein soll. Identifiziert man die Realität allerdings mit dem, was von uns unabhängig ist, käme Entitäten wie Empfindungen, Träumen, Erinnerungen oder sekundären Qualitäten etc. keine Realität zu, aber man könnte dann etwa von deren intersubjektiver Realität sprechen. Will man diese Rede von zwei unterschiedlichen Formen oder Arten von Realität vermeiden, bleibt nur die epistemische These der Objektivität. Diese besagt, daß Objektivität nur von Urteilen, Überzeugungen, Theorien etc. behauptet werden kann, objektiv sind dann Aussagen wie etwa "Berlin ist die Hauptstadt von Deutschland", subjektiv hingegen Aussagen wie "Kreuzberg ist der interessanteste Stadtteil Berlins".378 Welche Eigenschaft macht bestimmte Aussagen zu erkenntnistheoretisch objektiven? Erinnern wir uns an die Minimalbestimmung von Wissen oder Erkenntnis: Eine Meinung stellt dann Wissen dar, wenn sie gerechtfertigt und wahr ist. Rechtfertigung verlangt gute Gründe, Meinungen, die durch Hörensagen oder vermeintliche Hellseherei zustandekommen, gelten nicht als gerechtfertigt. Epistemologische Objektivität können Überzeugungen aber nicht alleine dadurch erlangen, daß sie die Bedingungen für Wissen erfüllen, es sei denn, man bestreitet moralischen oder ästhetischen Urteilen die Wahrheitsfähigkeit. Und auch Minimalkriterien wie etwa 'angenommene Universalität' sind nicht unproblematisch, denn es wäre auch denkbar, daß bestimmte moralische Urteile eine größere Übereinstimmung aufweisen als manche wissenschaftliche Behauptung, die Objektivität beansprucht.379 378 Es wurden Aussagen verwendet, die keine indexikalischen Ausdrücke beinhalten. Die Frage, ob erst nicht-perspektivische Aussagen, in denen die deiktischen Ausdrükke, die Relativierung auf Raum, Zeit und Sprecher, vollständig objektiviert wurden, ob nur 'der Blick von nirgendwo' objektiv ist, kann hier offen bleiben. Wir werden auf diesen Punkt im Rahmen unserer Ausführungen zum Verweisungszusammenhang von objektiver und subjektiver Lokalisierung zurückkommen. 379 Siehe dagegen die Ausführungen von Bell zu dem Stichwort 'Objectivity' in (Dancy/Sosa, 1992), S. 309ff., der eine Minimalbestimmung von sog. E-Objektivität für möglich hält, die von konkurrierenden epistemologischen Theorien akzeptiert wird: "Perhaps the best notion is one that exploits Kant's insight that E-objectivity entails what he calls 'presumptive universality': for a judgement to be objective it must at least possess a content that 'may be presupposed to be valid for all men'." S. 310.
214 Hier nun erhält die realistische These der notwendigen Verbindung von Epistemologie und Ontologie weiteres Profil: Erkenntnistheoretisch objektiv sind für Realisten insbesondere diejenigen Aussagen, die sich auf eine zu spezifizierende Weise - auf ontologisch objektive, d.h. unabhängig existierende Entitäten beziehen. Beide Klassen dürfen aber dennoch auch für Realisten nicht zusammenfallen, der Geltungsanspruch von Aussagen, die sich auf ontologisch subjektive Entitäten beziehen, darf nicht per definitionem ein subjektiver sein. Versteht man beispielsweise sekundäre Qualitäten als ontologisch subjektiv, muß es dennoch möglich sein, eine Aussage über die Farbe eines Gegenstandes als epistemologisch objektiv zu verstehen. Beide epistemologisch zentralen Begriffe, die Rede von guten Gründen wie die von Wahrheit, können in diesem Sinne ontologisch oder epistemologisch verstanden werden. Wir wollen uns dies am beliebten Beispiel der mittelgroßen Gegenstände in Raum und Zeit deutlich machen. Die anti-realistische These einer bloß erkenntnistheoretischen Objektivität besagt dann etwa, daß diese Gegenstände zwar natürlich existieren, wir dies aber nur mithilfe ontologisch subjektiver Begriffe oder Vorstellungen rechtfertigen können: Wir können keine Aussagen über die Realität dieser Entitäten an sich, unabhängig von unseren Herangehens-, Wahrnehmungsoder Erkenntnisweisen machen. Will man Aussagen über die Existenz einzelner Objekte oder über Klassen dieser Objekte rechtfertigen, so diese Auffassung, stellen solche Argumente gute Gründe dar, die die internen Verknüpfungen von Aussagen berücksichtigen, die die Kohärenz oder die intersubjektive Akzeptanz der Aussagen über raumzeitliche Gegenstände ausweisen. Und auch die Wahrheit solcher Meinungen wird im Rahmen eines kohärenten Netzes ausgewiesen. Wahrheit, so möchte ich die genannte Position zusammenfassen, ist kein objektiver, sondern ein intersubjektiver Faktor, wahr sind Aussagen über raumzeitliche Gegenstände dann, wenn sie übereinstimmend akzeptiert werden.380 380 Mit dieser Gegenüberstellung wird auf den Dissens zwischen Versionen der Korrespondenztheorie der Wahrheit, die an der Vorstellung einer Art von Übereinstimmung zwischen Meinungen und der Welt festhalten, und Auffassungen angespielt, die Wahrheit als epistemischen Begriff verstehen, und ihn an Verifikation oder Rechtfertigung binden. Versuche, den Begriff der Rechtfertigung so zu präziseren, daß er den notorisch schwierigen Begriff der Übereinstimmung zu ersetzen vermag, haben wir bereits bei Quine und Davidson kennengelernt: Verifikation wird dann holistisch im Rahmen von Kohärenz interpretiert und mit pragmatistischen Bedingungen ergänzt. Eine andere Herangehensweise stellt Putnams Wendung zum internen Realismus dar, vgl. bsp. in (1978, 1981, 1983(3)), der Wahrheit mit rationaler Akzeptabilität oder Rechtfertigbarkeit unter epistemisch idealen Bedingungen gleichsetzt. Aber auch
215 Ein Realist würde dem entgegen halten, daß die Aussage, es gebe einzelne oder Klassen von raumzeitlichen Gegenständen, dann wahr ist oder gute Gründe für sie sprechen, wenn es diese Gegenstände tatsächlich gibt, und zwar zumindest im Prinzip unabhängig davon, ob wir erkennen (können), daß es sie gibt. Die Forderung, wir müßten die Gegenstände an sich, unabhängig von unserem Erkennen erkennen, wird als sinnlos zurückgewiesen. Daß wir objektive Gegenstände erkennen, verändert diese nicht, in ihrer Existenz und ihrer Qualität sind sie von uns und unserem Erkennen unabhängig: wir entdecken sie und erfinden sie nicht. Am deutlichsten kann die Differenz zwischen Realisten und Antirealisten vielleicht mithilfe der These der ontologischen Relativität formuliert werden. Diese besagt etwas zugespitzt, daß raumzeitliche Gegenstände zwar natürlich existieren, aber nur insofern, als wir im Commonsense über sie quantifizieren. Ontologische Behauptungen wären dann nurmehr als eine façon de parler zu verstehen, der Begriff der Existenz kann nicht nur nicht objektiv, sondern nur intersubjektiv bestimmt werden, sondern wird auch noch auf einzelne theoretische Zusammenhänge relativiert, von denen kein einzelner epistemologische Priorität beanspruchen kann, die aber, so die Annahme, auf lange Sicht, wenn wir dann mit geeigneten Übersetzungsmanualen ausgerüstet sind, alle miteinander harmonieren werden.381 Ich möchte dagegen für die realistische These plädieren, daß es Strukturen der Erkenntnis gibt, die sich erst durch einen Umgang mit Strukturen der Welt bilden, die als objektive oder unabhängige verstanden werden müssen. Erst durch die Annahme der ontologischen Objektivität bestimmter Entitäten können wir überhaupt einen Unterschied zwischen uns und der Welt, zwischen unseren Zuständen und dem, wovon unsere Zustände handeln, machen. Im Folgenden will ich also versuchen, beide Seiten der realistischen These, die Existenz- wie die Unabhängigkeitsdimension, in bezug auf die uns vertraute Welt von raumzeitlichen Gegenständen und Sachverwenn man zugesteht, daß ein von den Verifikationsbedingungen völlig losgelöster Wahrheitsbegriff droht, leer zu werden, sollte Wahrheit mit Rechtfertigbarkeit selbst unter idealen Bedingungen nicht identifiziert werden. Denn zum einen halte ich die realistische Auffassung, eine gerechtfertigte Meinung könnte sich als falsch herausstellen, für zwingend, zum anderen, diesen Punkt macht bsp. Schantz (2000) S. 363ff., ist eine angemessene Erklärung der Rechtfertigung auf den Begriff der Wahrheit angewiesen, nicht jedoch umgekehrt. 381 Wobei sich in Quines Rede vom 'natürlichen Fundament', das die Gegenstände der Physik bildeten, seine Parteinahme für ein szientistisches Verständnis von Existenz ausdrückt, vgl. dazu aber unsere Ausführungen im vorangegangenen Kapitel, III.1.3.3.
216 halten so zu beschreiben, daß die skeptische Herausforderung gegenstandslos wird. Die realistische Grundeinstellung, die primär die Überzeugungen des Commonsense zu rechtfertigen sucht, findet eine Entsprechung in der Herangehensweise und Aufgabenstellung deskriptiver Metaphysik. Wie Strawson in der Einleitung zu seinem epochemachenden Werk Individuals bemerkt, will diese mehr als nur begriffliche Analyse, weil sie darauf abzielt, 'die allgemeinsten Grundzüge unserer begrifflichen Strukturen freizulegen', diejenigen Kategorien und Begriffe, die in ihrem Grundcharakter nicht historisch zu verstehen sind, sondern die sich nicht ändern: "They are the commonplaces of the least refined thinking; and are yet the indispensable core of the conceptual equipment of the most sophisticated human beings. It is with these, and the structure that they form, that a descriptive metaphysics will be primarily concerned."382
Deskriptive Metaphysik, wie überhaupt transzendental orientierte Philosophie, behauptet insofern eine Zwischenstellung zwischen Ontologie und Erkenntnistheorie, wie dies vorne mit Bittner formuliert wurde: eine Theorie des Seienden ist sie nur als Theorie unserer Erkenntnis von ihm, eine Theorie der Erkenntnis nur als Bestimmung des Begriffs von einem Gegenstand.383 Dabei, und diese Auffassung ist Kant geschuldet, können nicht einzelne Instanzen aktuell verfügbaren Wissens oder faktischer Erkenntnis dazu dienen, die Möglichkeit von Wissen überhaupt zu begründen.384 Aber die Rechtfertigung unserer Form kategorialer Ontologie kann, gegen Kant, dennoch nicht von transzendentaler Subjektivität ihren Ausgang nehmen. Ein solcher, als unbezweifelbar vorgestellter Ausgangspunkt 382 (Strawson, 1959), S. 10. 383 Vgl. (Bittner, 1974) in (Krings et al., 1974), S. 1524. Sowie die bereits vorne zitierte Stelle: "Es hat wohl den Anschein, als verschöbe der neue Begriff des Transzendentalen die Balance zugunsten der erkenntnistheoretischen Seite: nicht nur sollen unsere Begriffe von Gegenständen überhaupt aufgezeigt werden; es muß diesen Begriffen auch eine unentbehrliche Funktion in einer möglichen Erfahrungserkenntnis von Gegenständen nachgewiesen werden. Aber Kants Einsicht ist, daß erst die Erfüllung dieser zweiten Aufgabe die erste auflöst: nur Begriffe, die Erfahrung möglich machen, sind Begriffe von Gegenständen überhaupt. Der neue Sinn des Transzendentalen verstärkt das erkenntnistheoretische Moment des Begriffs, um dem ontologischen gerecht zu werden." A.a.O., S. 1525. 384 Auch Moores Beweis von der Existenz der Außenwelt, wie Wittgenstein formulieren würde, wiederholt nur die Ansichten des Commonsense, befreit den Philosophen aber nicht von seinen Problemen.
217 steht für die im Folgenden zu diskutierenden bescheidenen Varianten transzendentaler Argumente nicht zur Verfügung. Der Ausgang von unserem faktischen begrifflichen Schema - wie individuieren wir, über welche Fähigkeiten verfügen wir, etwas zu erkennen - mag uns zwar, wenn man so will, Beschränkungen hinsichtlich der erwiesenen Notwendigkeit auferlegen, da aber andererseits mit dem Nachweis der Unverzichtbarkeit bestimmter Grundzüge die Rede von Alternativen als leer oder als sinnlos aufgezeigt werden soll, besteht die Rechtfertigung unserer kategorialen Strukturen folglich nicht einfach in einer Beschreibung faktischer Züge, sondern in deren Legitimation. Eben wurde gesagt, daß für einen Realisten besonders diejenigen Ausagen, die sich auf ontologisch objektive, d.h. unabhängig existierende Entitäten beziehen, als erkenntnistheoretisch objektiv gelten können, daß aber auch für ihn beide Klassen nicht zusammenfallen dürfen. Wie also ist die Verbindung der beiden Bereiche aus der Sicht deskriptiver Metaphysik zu beschreiben? Was gibt es, und wie können wir dies erkennen? Deskriptive Metaphysik knüpft explizit an den Commonsense, an unsere Lebensform an, mehr noch, sie kann als deren Verteidigung gelten. Wenn wir jedoch die Ontologie des Commonsense voraussetzen und diese dann im Rahmen der Struktur unserer Erfahrung rechtfertigen, können wir dann noch sagen, daß die Ontologie von uns unabhängig ist? Ob dies möglich ist und wie sich eine solche Argumentation im Einzelnen gestaltet, welche unserer erkenntnistheoretischen Grundüberzeugungen als zu rechtfertigen, als unanfechtbar oder gar als unverzichtbar ausgewiesen werden können, kann erst eine detaillierte Analyse einzelner Ansätze zeigen. Pointiert kann die Grundüberzeugung aber vielleicht so ausgedrückt werden: Behauptungen bezüglich der Existenz von Entitäten, die wir prinzipiell nicht erkennen können, sind leer, aber eine Einschränkung existierender Gegenstände auf das, was wir erkennen können, ist dennoch überzogen. Für jemanden, der die kategorialen Strukturen unserer CommonsenseAuffassung der Welt erklären möchte, lautet eine der zentralen Fragen demnach: Welche Struktur muß unsere Erfahrung oder Erkenntnis haben, wenn der Begriff der Objektivität, objektiver Einzeldinge zur Anwendung kommen soll? Und umgekehrt: Welche Struktur muß die Welt oder Wirklichkeit haben, wenn der Begriff von Erfahrung oder Erkenntnis zur Anwendung kommen können soll? Will man die Frage der ontologischen Verpflichtung auf bestimmte Gegenstände zwingend entscheiden, so scheinen sich hierzu zwei, durch Quines berühmte Epigramme markierte Tests für eine sparsame Ontologie anzubieten: "To be is to be the value of a variable" und "No entity without
218 identity". Auf die erste Bedingung soll hier nicht mehr eingegangen werden. Der zweite Test fordert, daß für jedes Subjekt von Prädikationen, das als Objekt der Variablen der Quantifikation gelten können soll, auch ein Identitätsprinzip vorhanden sein muß, denn sonst hätten Sätze, die eine solche Variable enthalten, die beiderseits des Identitätszeichens stehen kann, keinen bestimmten Sinn. Bei allem, was es gibt, was existiert, ist es also sinnvoll zu fragen, ob es mit etwas ebenfalls Existierendem identisch ist, ob es Gegenstand von Identitätsurteilen sein kann. Wann sind zwei Gegenstände, zwei Entitäten identisch? Eine mögliche Antwort liefert Leibnizens Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren, welches besagt, daß x die gleiche Entität ist wie y genau dann wenn y jede Eigenschaft hat, die x hat und umgekehrt. "a = b" bedeutet "(F) (Fa ∫Fb)".385 Nach Leibniz dürfen für die Variable F nur generelle Termini eingesetzt werden, die für interne Eigenschaften des Gegenstandes stehen, nicht aber Termini, die Relationen zu anderen Gegenständen bezeichnen. Eine solche Interpretation des Prinzips hätte aber zur Folge, daß Entitäten, die in all ihren Eigenschaften identisch sind, deren qualitative Identität also absolut ist, auch numerisch identisch sein müssen, sich nicht unterscheiden lassen. Qualitative Identität muß aber numerische Identität nicht implizieren, seriell hergestellte Gegenstände wie z.B. Reihen von Tischen oder Stühlen, Plastikperlen etc. können eine weitgehende qualitative Identität aufweisen, dennoch sind sie numerisch nicht identisch, und umgekehrt wollen wir über Personen, die sich im Lauf ihres Lebens möglicherweise weitgehend verändern, dennoch sagen können, daß sie mit sich identisch sind. Akzeptiert man die These der Identität des Ununterscheidbaren, bleibt die Möglichkeit, die von Leibniz verlangte Beschränkung der Eigenschaften zurückzuweisen.386 Will man diese These etwa auf die paradigmatische Klasse raumzeitlicher Gegenstände anwenden, kann die raumzeitliche Position als die eine Eigenschaft bestimmt werden, die Entitäten nicht teilen können, ohne identisch zu sein. Materielle Einzeldinge werden meist gerade deshalb als paradigmatischer Fall von Existierendem angesehen, weil die raumzeitliche Verfaßtheit unseres Begriffssystems die Bedingung 385 Vgl. (Leibniz, G.W. 1985), Vol. III/1, S. 391. 386 Vgl. hierzu etwa Wiggins, (1967) oder (1980), S. 56. Auf die umfangreiche Literatur zu den mit den Begriffen der Identität und Individuation einhergehenden logischen Problemen kann hier nicht eingegangen werden, vgl. etwa die von Lorenz 1982 herausgegebenen, gleichnamigen Sammelbände. Unbestritten ist, daß raumzeitliche Individuation für unser faktisches Bezugssystem grundlegend ist, vgl. etwa (Böhm, 1989), die Details einer solchen Auffassung werden im folgenden Kapitel diskutiert.
219 der Möglichkeit oder das konstituierende Prinzip für eine eindeutige Individuierung darstellt.387 Verwendet man eine bestimmte Eigenschaft als identifizierendes Kriterium, zerfallen Entitäten in verschiedene Sorten oder Kategorien: zwei voneinander verschiedene Entitäten einer Kategorie können in dieser einen Eigenschaft nicht übereinstimmen, ohne identisch zu sein.388 Die Kategorie wird durch diese wesentliche Eigenschaft gebildet, sie stellt ihre Individuationsbedingung dar. Wenn man folglich die Individuationsbedingung einer Gegenstandsart kennt, kennt man auch ihre wesentliche Eigenschaft. Aber nicht jede Identitätsbedingung ist auch hinreichend für die Individuation, so spezifiziert beispielsweise gerade das o.g. Prinzip der Identität von Ununterscheidbarem keine Entität, es nennt keine Individuationsbedingung. Darüberhinaus soll eine solche Angabe einer wesentlichen, individuierenden Eigenschaft uns aber auch Aufschluß auf unsere ontologische Frage geben, sie soll uns sagen, was Entitäten einer bestimmten Art oder Kategorie sind. Wenn die ontologische Frage, was es gibt, verstanden wird als Frage danach, welche Kategorien von Entitäten es gibt, kann man die weitere Frage anschließen, ob es ausgezeichnete Klassen von Entitäten gibt, ob bestimmte Klassen als ontologisch und / oder epistemologisch objektiv ausgezeichnet werden können oder müssen. Wir hatten gesagt, daß die raumzeitliche Verfaßtheit unseres Begriffssystems das konstituierende Prinzip für eine eindeutige Individuierung von Einzeldingen darstellt: raumzeitliche Identität wird mithilfe der Prinzipien des Zählens, Unterscheidens und Identifizierens hergestellt. Im Folgenden soll dies ausgehend von Strawsons Vorgehensweise in seinem berühmten Buch Individuals diskutiert werden. Dabei soll auch gefragt werden, ob diese Prinzipien nicht insgesamt die Bedingung der Möglichkeit von Individuation darstellen, ob nicht erst im Rahmen dieser Strukturen sinnvoll von Erkennen gesprochen werden kann. Unsere realistische Frage zielt also darauf ab, die grundlegenden 387 Für andere Klassen von Gegenstände können dann andere solche identifizierende Eigenschaften bestimmt werden, Mengen beispielsweise sind genau dann identisch, wenn sie in allen ihren Elementen übereinstimmen. Die Forderung nach einer individuierenden Eigenschaft oder hier: Relation wird von Einzeldingen erfüllt, nicht aber von Universalien (außer von mathematisch definierten Objekten wie Mengen und Zahlen), da für Universalien nicht ein gemeinsames Identitätkriterium vorliegt. Auf die Frage der Existenz abstrakter Entitäten soll erst später eingegangen werden. 388 In der Vorstellung unterschiedlicher wesentlicher Eigenschaften, anhand derer (Klassen von) Entitäten individuiert werden, findet sich ein erster Widerspruch zu Quines Auffassung, der letztlich nur eine rein mengentheoretische Ontologie anzuerkennen scheint, und die Rede von unterschiedlichen Arten von Existenz oder Existierendem ablehnt.
220 Strukturen unserer Ontologie im Hinblick auf ihre erkenntnistheoretischen Implikationen zu untersuchen. Argumentiert man dafür, daß Philosophie wesentlich auch Ontologie ist, setzt man sich dem Vorwurf aus, die Konsequenzen der sog. 'linguistischen Wende' nicht zu berücksichtigen: Sprache, so deren Resultat, könne nicht länger in einem repräsentationalen Sinn als 'Spiegel der Natur' verstanden werden, die Vorstellung von Sachverhalten, die unabhängig von der Sprache existierten und Aussagen erst wahrmachten, müsse als metaphysische Fiktion angesehen und folglich aufgegeben werden. So plädiert etwa auch Sellars dafür, ontologische Fragen zu naturalisieren, sie wesentlich als semantische zu verstehen.389 Um zu verstehen, was Ontologie ist, so beginnt die erste seiner John Dewey Lectures Naturalism and Ontology, "In Praise of 'something'", müssen wir folgende Frage verstehen: "Was gibt es?" Diese Frage, obwohl in der Oberflächengrammatik auf einen Singular deutend, sollte im Kontext philosophischer Ontologie zwar als Frage danach, welche Arten von Dingen es gibt, verstanden werden. Dabei wiederum könne der Begriff der Art irreführen: Was-Fragen sollten nicht so verstanden werden, als ob sie nach dem Wesen oder der Natur einzelner Arten fragten, wenn wir fragen, was es gibt, und die Antwort lautet, es gibt Tische und Stühle, Bäume, Häuser, Tiere und Menschen (oder auch Zahlen und Klassen, Eigenschaften, Propositionen oder mögliche Welten), dann verwenden wir diese Begriffe nicht als Universalien, sondern als Sortale, als Zählbegriffe. Wenn wir das Sortal 'Mensch' verwenden und fragen, ob es die Art der Menschen gibt, meinen wir damit nicht, ob es 'das Menschsein' gibt, nach dessen Charakteristik dann weiter gefragt werden könnte.390 Sellars unterscheidet zwei Weisen, auf die diese Frage verstanden werden kann. Versteht man die Frage in der ersten Lesart, könne die Antwort nur in einer truistischen Bejahung bestehen, in der zweiten fänden sich überaus kontroverse Antworten. Diese Unterscheidung erinnert an die 389 Z.B. in (Sellars, 1979). 390 Hier bereits von Existenz zu sprechen, führt zu Schwierigkeiten: In welchem Sinn von existieren? Existenz im Unterschied zu Essenz, zu Subsistenz, im Zusammenhang mit Sein als Aktualität oder als Realität? Ist der Begriff der Existenz definiert, wenn man ihn mit raumzeitlicher Existenz gleichsetzt? Zur Mehrdeutigkeit dieses Begriffs s. a. (Rescher, 1978), zur Verteidigung eines je vorausgesetzten Begriffs von Existenz s. (Gibson, 1994). Wenn wir auf Entitäten referieren, für die wir Sortale verwenden, beinhaltet das nicht, daß wir uns gleichzeitig darauf festlegen, daß es von den raumzeitlichen Individuen losgelöste, freischwebende Wesenheiten gibt, auf die wir uns mit den Universalien beziehen. Man kann auch ein Universalienrealist aristotelischer Prägung sein.
221 Trennung interner und externer Fragen, wobei Sellars die externe Lesart der Frage so paraphrasiert: Gibt es wirklich Tische/Menschen/Zahlen etc.?391 Und mit dieser Art 'externer' Fragen, so führt Sellars unser Eingangsmotto fort, kann nun ein "philosophisches Problem" entstehen: "The concept of reference, and, particularly, of indeterminate reference is certainly no exception. I have touched it, and, speaking for myself, at least, have found myself confronting the problem of how words and the world are related. I found it evident that in the case of ordinary objects, at least, determinate reference involves real relations between objects and the expressions which refer to them. But while I found this general thesis evident, I found nothing evident about what specifically these relations might be."392
Sellars gesteht zwar zu, daß es zumindest im Fall gewöhnlicher Gegenstände in Raum und Zeit offensichtlich ist, daß zwischen diesen und den auf sie referierenden Ausdrücken eine wirkliche oder natürliche Relation besteht, aber ähnlich wie Quine sieht er keine Möglichkeit, diese Relation genauer zu kennzeichnen.393 Aber läßt sich über unseren Bezug auf Gegenstände tatsächlich nichts Genaueres sagen? Übertragen wir die üblichen, im Rahmen einer Satzsemantik verwendeten Formulierungen, die eine Relation der Übereinstimmung oder Korrespondenz von Aussagen und Sachverhalten behaupten, - wobei ein Sachverhalt traditionell als zusammengesetzte Gegenständlichkeit vorgestellt wird -, in Formulierungen, die der Referenz entsprechen, wird oft von der Gegebenheitsweise der Gegenstände gesprochen: Unterschiedliche Gegenstandsbereiche, so stellt man sich beispielsweise vor, sind uns auf eine 391 Vgl.: "[A]lthough there are attributes, there really are no attributes. It will be remembered that the qualification 'really' indicates that a philosophical point is being made, for in the ordinary sense of 'really', of course, there really are attributes." A.a.O., S. 47. 392 Sellars, a.a.O., S. 17. 393 Vgl. aber auch z.B. S. 11f. und 15f., wo er gegen Quines Holismus, dessen 'Duhemian gambit', eine Verbindung zur Welt nur für das Gesamtnetz der Sprache zuzulassen, votiert. Sellars betont gegen Quine die radikale Diskontinuität zwischen solchen Entitäten, für die es im Rahmen einer Theorie möglich ist, Kausalerklärungen ihres spezifischen Hook-ups mit der Welt zu liefern, und abstrakten logischen, semantischen oder mathematischen Entitäten. In späteren Arbeiten schränkt aber auch Quine seinen Holismus ein: "Looking back on it, one thing I regret is the needlessly strong statement of holism [...] In later writings I have invoked not the whole of science but chunks of it, clusters of sentences just inclusive enough to have a critical semantic mass. By this I mean a cluster sufficient to imply an observable effect of an observable experimental condition." (Quine, 1991), S. 268.
222 je besondere Art und Weise gegeben, auf materielle Gegenstände in Raum und Zeit referieren wir im Allgemeinen mithilfe der Wahrnehmungsrelation, auf mathematische Gegenstände im Rahmen von Berechnung und Beweis etc. Diese Einteilung der (Gegenstände der) Welt in Arten und Zugangsweisen stellt aber bereits eine petitio zugunsten einer traditionell ontologischen, gegenstandstheoretischen Herangehensweise dar. Jede Bezugnahme auf Gegenstände steht immer schon in einem Mannigfaltigkeitsfeld. Was, so möchte man fragen, sind Gegenstände als Gegenstände? Und wie wird aus einer Pluralität Einzelnes herausgegriffen? Im Begriff der Identität oder des Identifizierens lassen sich die beiden Aspekte verbinden: Man kann zwar auch im bloßen Gespräch einen Gesprächsgegenstand identifizieren, wenn man die semantische Bedeutung des an Subjektstelle verwendeten Ausdrucks versteht. Eindeutige Identifizierung ist aber erst dann erreicht, wenn Fragen wie "Wen oder was meinst du (mit dem Ausdruck ...)?" auf einer untersten Ebene beantwortet sind. Wenn wir also im Folgenden Vorschläge diskutieren, die eine Beziehung zwischen den Strukturen der Welt und den Strukturen unseres Denkens zu spezifizieren suchen, kann die Funktionsweise sprachlicher Ausdrücke, wie der singulären Termini des Stehens-für-Gegenstände, nicht unberücksichtigt bleiben. Ohne bereits eine Vorentscheidung zugunsten einer bestimmten Ontologie zu treffen, könnte man also sagen, daß auf der ersten Ebene unsere Frage lautet: Wie identifizieren wir Gegenstände? Die Verwendung von Sprache steht in einem Kontinuum mit nicht- oder vorsprachlichen Fähigkeiten: oft sprechen wir über oder referieren auf Gegenstände, die uns auch in der Wahrnehmung gegeben sind oder sein können, die wir sehen, berühren, hören oder riechen können. Kann eine - auch semantisch gewendete - Ontologie auf eine Theorie sinnlicher Erfahrung verzichten? Nein, denn so wie man meines Erachtens Quines sparsamer Ontologie, seiner extensiven Verwendung von Ockhams Rasiermesser, vorwerfen kann, daß sie aufgrund des dadurch unvermeidlich gewordenen Übersetzungs- oder Rahmensprachenregresses auf die Muttersprache deren Ontologie unaufgeklärt voraussetzt, so möchte ich auch einer sparsamen Erkenntnistheorie, die sich allein als Semantik versteht, vorwerfen, daß eine Auffassung der Alltagssprache als 'letzter Metasprache' ebenfalls in einen Regress mündet, der die Ontologie unaufgeklärt läßt. Wer Sprache nicht als ein sich selbst genügendes, rein ästhetisches Vergnügen versteht, das keiner externen Rechtfertigung bedarf, sondern ihre beschreibende Funktion ernst nimmt, aus der allein sich die Rede von Wahrheit oder Falschheit ursprünglich ergibt, kommt, wie ich zeigen möchte, nicht umhin, die Verbindung zu anderen
223 kognitiven Fähigkeiten und im Besonderen zu Sinneswahrnehmungen miteinzubeziehen.
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V. Objektive Wirklichkeit und nichtsolipsistische Erfahrung: Strawsons Version des Verhältnisses von Geist und Welt "Der Verdacht, man treibe Metaphysik, ist in der Philosophie inzwischen etwas ähnliches wie im öffentlichen Dienst der Verdacht, man sei ein Sicherheitsrisiko. Ich persönlich weiß nicht, was dabei mit dem Wort 'Metaphysik' gemeint ist. Die einzige Definition, die nach meiner Beobachtung alle gängigen Verwendungsweisen abdeckt, lautet: 'eine philosophische Meinung, die der Autor dieses Textes nicht teilt'."394
V.1 Einleitung Wir bewegen uns im Bereich einer Theorie der Erkenntnis, und der mit den realistischen Überzeugungen einhergehende Geltungsanspruch, über gerechtfertigte, wahre Meinungen von einer objektiven Welt zu verfügen, soll mit Bezug auf ein holistisches Gefüge aus erkenntnistheoretischen sowie ontologischen Begriffen und Strukturen begründet werden. Wir wollen unser Begriffsystem also nicht nur als de facto, sondern auch als de jure bestehendes analysieren können.395 Ich halte allerdings Interpretationen nicht für befriedigend, die Strawsons Programm deskriptiver Metaphysik an dem Vorhaben Kants messen, durch eine Selbstkritik der Vernunft zu einer sicheren Grundlegung der Metaphysik zu gelangen. Auch wenn Strawson in Bezug auf das Verfahren von Individuals an manchen Stellen von einem analytischen Argument spricht, so betont er doch auch, daß dieses von unserem faktischen Begriffssystem, unserem Erkennen ausgeht, das selbst in wesentlichen Zügen nicht als legitimationsbedürftig aufgefaßt wird, der Geltungsanspruch ist demnach ersichtlich nicht der von Kant.396 394 Russell in My Philosophical Development, S. 221, zitiert nach (Künne, 1975), S. 168. 395 Dieser Punkt wird von verschiedenen Autoren betont, vgl. z.B. (Bieri, 1981), oder, wie bereits erwähnt, (Grundmann, 1993), (Bird, 1989). Auf das Spannungsverhältnis zwischen deskriptiver Metaphysik und transzendentalen Geltungsansprüchen wird im Folgenden noch ausführlicher eingegangen. 396 Ob man diesen Erklärungsansatz für überzeugend hält, hängt bsp. davon ab, ob man den in Scepticism & Naturalism (1985, i.F. S&N) vorgeschlagenen 'menschlichen
226 Demnach ist zu beachten, daß die Charakterisierung des Zusammenhangs von Erfahrungselementen als notwendig nur im Rahmen einer sog. bescheidenen transzendentalen Strategie erfolgen kann, da eine Begründungsstrategie mithilfe als analytisch verstandener Sätze, die selbst als gewiß gelten könnten, nicht zur Verfügung steht, empirische Evidenzen oder Korrelationen aber nicht ausreichen. Die Beschreibung faktischer Zusammenhänge muß ihre Notwendigkeit also durch die Sinnlosigkeit oder Denkunmöglichkeit von Alternativen ausweisen können, oder à la Stroud, durch die Unverzichtbarkeit oder Unanfechtbarkeit der zu rechtfertigenden Zusammenhänge. Strawsons Ziel ist es, eine realistische Position hinsichtlich der beiden, für unsere faktische Ontologie grundlegenden Klassen von Gegenständen zu begründen, der materieller Gegenstände und der von Personen. Wie im zweiten Kapitel erwähnt wurde, kann die Geltung beider realistischer Thesen bestritten werden: der cartesianische Skeptizismus kann in einen Solipsismus hinsichtlich der Außenwelt ebenso wie bezüglich anderer Personen münden. Meines Erachtens sollten daher beide Fragen nicht völlig losgelöst voneinander betrachtet werden. Eine Entscheidung bezüglich des Zusammenhanges zwischen diesen beiden Bereichen wäre allerdings verfrüht: Die Frage, ob die gesuchte Objektivität unseres Weltbezugs sich nur im Rahmen intersubjektiven Handlungsvollzugs rekonstruieren läßt oder ob erstere nicht vielmehr grundlegend auch für letzteres sein muß, entspricht in etwa der Frage, ob die Objektivitätsthese ontologisch oder erkenntnistheoretisch verstanden werden muß, und dies wird Gegenstand der nachfolgend zu beschreibenden Kontroversen sein. In enger Anlehnung an Strawsons Struktur soll meine Vorgehensweise zunächst folgende sein. Als zentraler Begriff eines realistischen Verständnisses beider Bereiche kann der Begriff eines "nicht-solipsistischen Bewußtseins" dienen. Ein nicht-solipsistisches Bewußtsein ist eines, das in der Lage ist, folgende Bedingung zu erfüllen: zwischen sich und seinen dazugehörigen Zuständen einerseits und etwas davon Verschiedenem, von dem die Erfahrungen handeln, andererseits zu unterscheiden. Ein nicht-solipsistisches Begriffssystem wiederum ist ein Begriffssystem, in dem diese Unterscheidung vorgesehen ist. Leitfrage der Überlegungen ist also, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein solches Bewußtsein Naturalismus' für eine Erläuterung oder eher für eine Kritik seiner früheren Vorgehensweise hält. Ich verstehe die Ausführungen in S&N zwar als Korrektur eines zu ehrgeizigen Vorhabens, dennoch zeigt sich etwa auch an Strawsons jüngsten KantArbeiten (in Entity and Identity, 1997), daß dies die Argumentationsstruktur hinsichtlich der Priorität raumzeitlicher Einzeldinge nicht wesentlich ändert.
227 oder Begriffssystem möglich wird, oder anders formuliert, welche Struktur Erfahrung haben muß, wenn in ihr Begriffe von Objekten (objektiven Einzeldingen) zur Anwendung kommen sollen. Insofern stellt sich zuerst einmal die Frage, wie wir überhaupt zu Erkenntnis von Dingen und Ereignissen in der Welt kommen. Ausgehend von Strawsons Begriff der Identifikation als Unterscheiden und Wiedererkennen soll im ersten Schritt versucht werden, die für Erkenntnis grundlegende Bezugnahme auf Gegenstände in Raum und Zeit so zu klären, daß einsichtig wird, warum die grundlegende Kategorie von Erfahrungselementen als bestehend aus objektiven Einzeldingen verstanden werden muß. Mit Objektivität soll zuerst einmal nicht mehr gemeint sein, als was in der Bedingung für ein nicht-solipsistisches Bewußtsein gefordert wird. Will man aber nicht bloß eine Beschreibung, sondern auch eine Rechtfertigung des faktisch bestehenden Begriffssystems, kann dies im Rahmen kontrafaktischer Überlegungen erfolgen. Ist unsere Kategorie von raumzeitlichen Einzeldingen unverzichtbar, oder könnte eine andere als die von uns verwendete Klasse von Einzeldingen grundlegend sein? Diese Frage wird von Strawson im zweiten Kapitel von Individuals anhand des Modells einer rein auditiven Welt behandelt. Hat ein Bewußtsein, das allein über auditive Erlebnisse verfügt, die Ressourcen, die im Rahmen von Identifikation beschriebenen, notwendigen Begriffe des Wiedererkennens und der nichtwahrgenommenen Existenz zu bilden? Meines Erachtens vermag Strawsons Argumentation für eine bejahende Antwort auf diese Frage nicht zu überzeugen. Denn als Ergebnis seiner Ausführungen gibt er die von ihm selbst als Definition von Objektivität eingeführte Trennung zwischen einem Bewußtsein und seinen Zuständen und etwas davon Unabhängigem auf, die sich als Grundvoraussetzung für einen Begriff des Raumes, wie er auch für eine rein auditive Welt verwendet werden muß, erweisen läßt. Es erscheint aber als zweifelhaft, ob von Wiedererkennen oder unabhängiger Existenz die Rede sein kann, wenn das fragliche Begriffssystem als solipsistisch zu kennzeichnen ist. Meines Erachtens läßt sich zeigen, daß Strawsons Diagnose des Problems alternativer Klassen grundlegender Einzeldinge zu kurz greift.397 In der auditiven Rekonstruktion implizieren weder der Begriff wiedererkennbarer Einzeldinge, noch der Begriff der nichtwahrgenommenen Existenz einen Begriff von Raum, der die Rede von objektiven Erfahrungsgegenständen stützen 397 Vgl. insbesondere Evans' hervorragenden Kommentar, in dem die bei Strawson ineinander verwobenen Einzelschritte präzise ausgearbeitet werden, und namentlich für die Unverzichtbarkeit des Begriffs der Kausalität argumentiert wird, der in einer rein auditiven Welt nicht rekonstruiert werden könne. "Things without the Mind", (Evans 1980) in (van Straaten, 1980), repr. in (Evans, 1985).
228 Raum, der die Rede von objektiven Erfahrungsgegenständen stützen könnte. Evans etwa argumentiert, daß in einer rein auditiven Welt wesentliche Aspekte unseres Raumbegriffes nicht rekonstruierbar sind, die erst die verlangte Unabhängigkeit der Erfahrungsgegenstände verständlich machen können.398 Sind in einem solipsistischen Universum die wahrgenommenen Entitäten aber vom Wahrnehmenden abhängig, verliert die Alternative an Relevanz: Die skeptische Herausforderung besteht nicht darin, uns aufzufordern, mithilfe kontrafaktischer Überlegungen die logische Möglichkeit einer rein phänomenalen Welt abhängiger Gegenstände auszuschließen, sondern unser faktisches Erkennen, das sich auf unabhängige Gegenstände bezieht, zu legitimieren. Meines Erachtens unterschätzt Strawson die Tragweite der Bedingung des nicht-solipsistischen Begriffssysstems oder Bewußtseins. Die Erfüllung dieser Bedingung ist unverzichtbar, weil die Rede von Existenz nur darüber verständlich zu machen ist. Ein zentraler Punkt bleibt ungeklärt: Wenn einem Wesen, dessen Erfahrungen von der Welt auf rein sinnlicher Basis gewonnen werden, die Ressourcen für einen Begriff objektiver Existenz, oder anders: primärer, theoretischer Qualitäten abgesprochen werden müssen, wie gelangen dann wir zu einer solchen Vorstellung? In Individuals bleibt Strawsons Konzeption von Erfahrung unterbestimmt: Die Frage, wie wir mittels rein sinnlicher Erfahrungen zu einer Theorie oder einem Begriffssystem gelangen, welche apriorische oder notwendige Verknüpfungen von Welt und Erfahrung beinhaltet, die aber zugleich empirisch korrigibel sind, bleibt unbeantwortet. Versteht man unseren Gegenstandsbegriff aber realistisch, sind dies genau die Desiderata; die skeptische Herausforderung besteht gerade in der Aufforderung, die Legitimität dieser Kennzeichnungen auch zu begründen oder zu rechtfertigen. Für Strawson kann der Unterschied, den wir zwischen uns und unseren Zuständen einerseits und einer davon unabhängigen Welt, von der unsere Erfahrungen handeln, andererseits, machen, erst dann als apriorischer oder notwendiger in den Blick kommen, wenn der Begriff der Person berücksichtigt wird: Indem wir uns als Personen ansehen, so argumentiert er 398 Evans versucht zu zeigen, daß die Begriffe des Raumes, der Objektivität oder Unabhängigkeit, und des Wiedererkennens nichtwahrgenommener Existenz einen Zirkel bilden, der nur dann zu wahrheitsfähigen Aussagen über die umgebende Welt führen kann, wenn das Erfahrungssubjekt in der Lage ist, auf der Basis seiner rein sinnlichen Welt die Vorstellung primärer Qualitäten zu bilden, die den Begriff der Kausalität ermöglichen. Der Verzicht auf einen dieser Begriffe, so könnte man seine These mit Quine formulieren, führt zum Einsturz des gesamten Gebäudes, weil sich die einzelnen Bestandteile gegenseitig stützen. Vgl. hierzu auch Kap. V.3.
229 im dritten Kapitel von Individuals, schreiben wir uns gleichursprünglich mentale wie physikalische Prädikate zu. Personen sind also Körper und insofern grundlegende Einzeldinge, bei denen die materielle Realisation nicht als sekundär oder abgeleitet verstanden werden kann, erst mithilfe dieser Vorstellung kann gezeigt werden, daß wir uns die Welt ursprünglich als objektiv und unabhängig vorstellen müssen. Nach Strawsons Auffassung ist es erst im Rahmen der These der unabhängigen Existenz dieser Art oder Kategorie grundlegender Einzeldinge möglich, der skeptischen Herausforderung zu begegnen. In Strawsons Behandlung des Begriffs der Person wird betont, daß sich Selbstzuschreibungen nicht im Rahmen der Vorstellung eines solipsistischen, cartesianischen Egos verstehen lassen, sondern daß mit "Ich" auf einen Gegenstand Bezug genommen werden muß, dem gleichermaßen mentale wie physische Prädikate zugeschrieben werden können - man kann dies auch als eine Wittgensteinsche Lösung bezeichnen. Identifikation aus einer "Innenperspektive" ist dazu nicht ausreichend, Personen müssen als Elemente einer objektiven Ordnung verstanden werden, deren Unterscheidungsgrund ihre raumzeitlichen Positionen sind. Auch von anderen Autoren werden die beiden Thesen der Unabhängigkeit der Außenwelt und eines nicht-solipsistischen Bewußtseins als interdependent gekennzeichnet: für den Besitz einer Konzeption der Welt als räumlich, objektiv und wahrnehmbar ist es Bedingung, daß wir uns selbst - als Subjekt dieser Konzeption - so verstehen, daß wir einen Ort innerhalb dieser Welt einnehmen und ihn bestimmen können.399 Ohne einen Begriff des Raumes als mithilfe materieller Gegenstände identifizierbarer, objektiver Ordnung scheint Lokalisierung nicht möglich. Unsere Vorgehensweise wird allerdings eine andere sein. Strawsons Ausführungen zum Begriff der Person müssen im Rahmen meiner Arbeit unberücksichtigt bleiben, weil die darin behandelten subjektitätstheoretischen Fragen einen wesentlich allgemeineren Kontext verlangen und spezifische Probleme aufwerfen, die, wie ich zeigen möchte, nicht in einem zwingenden Zusammenhang mit unserem Ziel einer realistischen Erwiderung der skeptischen Herausforderung stehen. Strawson sucht die Unverzichtbarkeit (der Annahme) der Existenz raumzeitlicher, materieller Einzeldinge dadurch auszuweisen, daß er sie als konstitutiv für unseren Selbstbegriff als Personen erweist. Ich möchte dagegen fragen, ob eine Vorgehensweise, die den Begriff sinnlicher Erfahrung, also strukturelle 399 Ich denke dabei bsp. an Davidsons bekannte Beschreibungen der sog. Triangulationssituation, bes. in (1991 a und b), oder spezifischer etwa Evans' Behandlung der Selbstidentifizierung, z.B. in (Evans, 1982), vor allem Kap. 7. Vgl. auch die Kritik von Rödl an Strawson, in (Rödl, 1998), Abs. 2.1.3.
230 Merkmale der Wahrnehmung stärker berücksichtigt, die Notwendigkeit objektiver Einzeldinge nicht bereits aufgrund interner, holistischer Zusammenhänge auszuweisen vermag. Wenn es gelingt, einen Begriff sinnlicher Erfahrung so auszuarbeiten, daß deutlich wird, inwiefern die Erfüllung der Bedingung(-en) für ein nicht-solipsistisches Bewußtsein oder Begriffsystem zentral für unsere Rede von Objektivität oder Erkenntnis ist, könnte eine Form des Realismus in den Blick kommen, zu dem eine Alternative, weil sie einen Verzicht auf ein notwendig holistisch zu verstehendes Netz von Begriffen darstellt, auch von einem Skeptiker nicht logisch denkbar ist. Wie verstehen wir, als Wesen, die über eine solche Unterscheidung verfügen, die beiden Bereiche der Erfahrung und der Welt, von der diese handeln, wie denken wir uns die Beziehungen zwischen beiden?400 Oder anders formuliert: Wie müssen die Objekte unserer Wahrnehmung beschaffen sein, damit wir überhaupt von Erkenntnis sprechen können? Können wir in diesem grundlegenden Bereich kontrafaktische Überlegungen überhaupt verstehen? Nehmen wir beispielsweise an, Objekte, gewöhnliche physikalische Gegenstände, würden ständig und in unvorhersehbarer Weise anwachsen oder einschrumpfen, sich auflösen oder teilen. Wie sollen wir etwa eine solche Annahme oder skeptische Überlegung überhaupt verstehen? Man möchte sagen, diese Annahme der Unbeständigkeit physikalischer Gegenstände dürfe nicht wahr oder nicht realisiert sein, wenn wir die für die meisten unserer Sprachspiele oder Begriffssysteme grundlegenden Begriffe der Zahl und Identität verwenden wollen. Aber schon bereits indem wir die skeptische Annahme überhaupt formulieren, haben wir genau diejenigen Begriffe verwendet, die von der NichtErfüllung dieser Annahme abhängen: Um überhaupt von der Auflösung oder Teilung eines Gegenstandes sprechen zu können, brauchen wir bereits einen Begriff seiner Identität! Dieser Sinn von Strawsons Diktum, die Zweifel des Skeptikers seien keine wirklichen Zweifel, weil sie der Ablehnung des gesamten Begriffssystems gleichkommen, innerhalb dessen sie erst sinnvoll wären, das sie also gleichzeitig voraussetzen, ist folglich bereits im Begriff der Identifikation enthalten. Dieser Zusammenhang kann und muß allerdings, so die These meiner Arbeit, in einer umfassenderen Konzeption sinnlicher Erfahrung erklärt werden. Da sich Strawson in 400 Dabei wird auch darauf einzugehen sein, daß von manchen Autoren argumentiert wird, Zweifel bezüglich der primären Qualitäten von Körpern sei logisch nicht mit einem kohärenten Reden über sie vereinbar, daß beides inkompatibel ist, wohingegen selbiges bezüglich sekundärer Qualitäten nicht gelte. Vgl. z.B. (Bennett, 1965), oder auch, wie bereits erwähnt, Wittgenstein, vgl. z.B. (1984 (6)), Bem. Grundl. d. Mathem., V-1, s. unser Kap. V.3.
231 Scepticism and Naturalism explizit und ausführlich mit antiskeptischen Strategien auseinandersetzt, soll im Anschluß an die Individuals folgende Erarbeitung eines Begriffs raumzeitlicher Einzeldinge demnach gefragt werden, ob sich hier Material für einen Ansatz zeigt, der die meines Erachtens zentrale Frage zu beantworten vermag, wie wir - als Wesen, deren Erfahrungen von der Welt auf sinnlicher Basis gewonnen werden - zu einem als notwendig verstandenen Begriff objektiver Existenz gelangen. V.2 Einzelding und logisches Subjekt Bevor wir die Argumentation für die Priorität von raumzeitlichen Einzeldingen genauer betrachten, müssen wir auf zwei Gesichtspunkte eingehen, die Strawson in dem hierfür zentralen Teil von Individuals nicht eigens thematisiert, die jedoch die Voraussetzungsstruktur seiner Beweisführung bilden: die Methode deskriptiver Metaphysik sowie logisch-semantische Überlegungen. V.2.1 Methodische und inhaltliche Voraussetzungen Deskriptive Metaphysik, wie viele der in einem weiten Sinne transzendental zu nennenden Ansätze, geht nicht nur von der Annahme aus, daß ein guter Teil der von uns heute für wahr gehaltenen Überzeugungen tatsächlich wahr ist, sondern davon, daß unser Begriffssystem Bestandteile aufweist, die nicht fallibel und in diesem Sinne notwendig sind, und ebenso, daß wir herausfinden können, welches diese sind. Damit soll nicht die Geschichtlichkeit vieler Elemente unseres Denkens geleugnet werden, der deskriptive Metaphysiker geht aber davon aus, daß zumindest einige Strukturen oder Bestandteile unseres Begriffsrahmens nicht veränderlich sind, sondern ihrerseits den Rahmen oder Hintergrund bilden, vor dem erst Veränderungen möglich sind. Anders als in naturalistisch ausgerichteten epistemologischen Herangehensweisen werden allerdings nicht solche Überzeugungen für besonders sicher oder gewiß gehalten, die sich besonderen Methoden des Wissenserwerbs verdanken; wie sich zeigen wird, wird die Klasse der unverzichtbaren Strukturen, Begriffe oder Überzeugungen durchaus heterogen konzipiert. Strawson knüpft an dem als 'kopernikanische Revolution' bezeichneten Vorschlag Kants an, daß es für die Metaphysik fruchtbarer sei, davon auszugehen, daß die Gegenstände sich nach unserer Erkenntnis richten müssen, anstatt anzunehmen, diese richte sich nach den Gegenständen:
232 "Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori etwas von ihr wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen."401
Wollen wir verstehen, wie sich unsere Erkenntnis überhaupt auf die Welt beziehen, mit ihr übereinstimmen kann, so die Kantische These, muß die Erfahrung der Gegenstände notwendig mit den von meinem Verstand auferlegten Regeln, Prinzipien oder Kategorien übereinstimmen. Kants kopernikanische Wende, die zur Untersuchung nicht des empirisch Gegebenen, sondern der im Bewußtsein des Erkenntnissubjektes gegebenen 'Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung', der begrifflichen, kategorialen Strukturen führte, zielte auf eine dem Sinnlichen vorgängige Erkenntnisquelle reinen Denkens. Eine solche Art von philosophischer Vorgehensweise steht aber vor dem Problem, Kriterien für eine solche prinzipielle Grenzziehung zwischen transzendental Vorausgesetztem und faktisch Vorhandenem, Notwendigem und bloß Kontingentem anzugeben. Strawsons Vorgehensweise deskriptiver Metaphysik weist diesen Geltungsanspruch als zu ehrgeizig zurück. Deren Ausgangspunkt bilden nicht die vermeintlichen Bedingungen reiner oder transzendentaler Subjektivität, die Strawson - vor allem in Bezug auf Kants Theorie der Synthesis - als 'transzendentale Psychologie' bezeichnet, sondern sie versucht, die grundlegende allgemeine Struktur jeder Konzeption von Erfahrung, die wir uns verständlich machen können, in bezug auf unser faktisches Begriffssystem zu bestimmen.402 Und obwohl Strawson selbst in Bezug auf das positive Ergebnis der KdrV auch von einem analytischen Argument spricht, Kants Versuch der Auszeichnung der strukturell entscheidenden Sätze als synthetisch a priori hält er nicht nur für nicht gelungen, sondern für überflüssig, wie er in The Bounds of Sense selbst sagt, ist zu deren Ausweisung eine erhabene Lehre nicht notwendig: "[...] I see no reason why any high doctrine at all should be necessary here. The set of ideas, or schemes of thought, employed by human beings reflect, of course, their nature, their needs and their situation. They are not static schemes, but allow of that indefinite refinement, correction, and extension which accom401 KdrV, B XVIf. In Kapitel II findet sich die vollständige Textstelle. 402 Vgl. hierzu auch (Strawson, 1966), 1. Teil. Dies hat zur Folge, daß das transzendentale Argument auch von einem immanenten Standpunkt aus vertreten werden kann. Vgl. auch die Ausführungen in Kap. VI, wo sich McDowell gegen Rortys Kritik wehrt, transzendentale Argumente verlangten einen transzendenten Ausgangspunkt.
233 pany the advance of science and the development of social forms. At the stage of conceptual self-consciousness which is philosophical reflection, people may, among other things, conceive of variations in the character of their own situation and needs and discuss intelligibly the ways in which their schemes of thought may be adapted to such variations. But it is no matter for wonder if conceivable variations are intelligible only as variations within a certain fundamental general framework of ideas, if further developments are conceivable only as developments of, or from, a certain general basis. There is nothing here to demand, or permit, an explanation such as Kant's. In order to set limits to coherent thinking, it is not necessary, as Kant, in spite of his disclaimers, attempted to do, to think both sides of those limits. It is enough to think up to them."403
Der mit der kopernikanischen Revolution verbundene Schock, so Strawson, verringere sich, wenn man sich klar mache, daß die Aufgaben der Metaphysik sehr generelle sind: sie beziehen sich auf die allgemeine Form oder die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Erkenntnis oder Forschung stattfindet, nicht auf einzelne Erkenntnisse. "If there indeed are highly general formal conditions which objects must satisfy in order to become possible objects of human knowledge, then, evidently, all objects of possible human knowledge must conform to these conditions. Any attempt to establish how things really are in total abstraction from these conditions will be doomed to failure."404
Deskriptive Metaphysik setzt also an solchen Strukturen oder Überzeugungen an, die theoretisch am wenigsten voraussetzungsreich sind, und die insofern als grundlegend für unseren Begriffsrahmen angesehen werden können, als sie sich in kontrafaktischen Variationen als Bedingungen der Intelligibilität herausgestellt haben. Aber ist ein solches Verfahren nicht immer dem Einwand ausgesetzt, daß selbst wenn wir Strawsons Argumente für die Notwendigkeit oder Unverzichtbarkeit einzelner begrifflicher Strukturen auf der Grundlage der Unverständlichkeit alternativer Konzeptionen akzeptierten, damit nicht 403 1966, S. 44. Allerdings hält Strawson den Punkt der Apriorität zentraler begrifflicher (Urteils-) Strukturen, der sich weitgehend aus der diskursiven Form unseres Denkens ergebe, für mehr oder weniger unstrittig, und zwar u.a. aufgrund der Überlegung, "that logic was universal for any discursive intellect". (Strawson 1997g), S. 247, sowie (1997f), S. 247: "[W]hat is a necessary condition of any empirical judgement is not itself the product of any such judgement, i.e. is a priori." Vgl. auch die Ausführungen zu Analytizität in (1997e), S. 159, sowie in seinen "Replies" (1998) die Antwort auf Haack (1998), S. 65. 404 (Strawson, 1997f), S. 232f.
234 mehr erwiesen ist, als daß eben wir uns keine Alternative verständlich machen können?405 Strawson würde die Möglichkeit einer solchen Kritik zwar einerseits bejahen, andererseits aber darauf verweisen, daß diese Kritik ihrerseits solange leer bleibe, als keine Alternative zu den als notwendig erachteten Bedingungen vorgeschlagen werden könne. Dies aber setze einen Gottesstandpunkt, oder anders formuliert, die Position des metaphysischen oder transzendenten Realismus voraus.406 Strawson unterscheidet zwei Varianten des Realismus: "Both concern the same question: that of the relations between the nature of reality (variously conceived) on the one hand, and human cognitive and intellectual powers on the other; i.e. between how things really are, and what we can, in principle, know or understand about how they are."407
Metaphysischer oder transzendenter Realismus, wie ihn seine Gegner nennen, hält an der Idee einer Realität fest, die im Prinzip alles mögliche menschliche Verstehen oder Wissen übersteigt, interner, menschlicher oder auch wissenschaftlicher Realismus weist diese Vorstellung zurück. Strawson versucht nun aufzuzeigen, daß eine Position, die die Notwendigkeit apriorischer Bedingungen für jegliches Wissen betont, mit beiden Versionen des Realismus vereinbar ist, und nicht nur mithilfe eines transzendentalen Idealismus gerechtfertigt werden kann. Ein Problem entstehe erst dann, wenn nicht nur die Quelle der apriorischen Bedingungen in der menschlichen kognitiven Konstitution angesiedelt wird, sondern die Möglichkeit völlig anderer Formen von Erfahrung und einer Realität, die unserer völlig unähnlich ist, explizit behauptet wird.408 Verstehe man hinge405 Vgl. unsere Ausführungen zu den verwandten Einwänden von Körner und Rorty in Kap. IV.2.2. Einen ähnlichen Punkt machen auch Aschenberg (1982), S. 351, oder Bittner, a.a.O., S. 1536. 406 Vgl. hierzu etwa die beiden Kant-Aufsätze in Entity and Identity (1997f und g). 407 (1997g), S. 244. 408 Vgl. (1997f und g) Erst die transzendentale Idealität von Raum und Zeit, die positiv besagt, daß allein das Reich der 'Dinge an sich', die außerhalb von Raum und Zeit liegen, uns affizieren und in uns - aufgrund der apriorischen Formen - räumlich und zeitlich geordnete Erscheinungen auslösen, wirklich und unser gegenständliches Reich bloße Erscheinung ist, stelle ein Problem für den Realismus dar, und zwar für beide Versionen. Strawson trennt also die transzendentalen oder apriorischen Bestandteile der Philosophie Kants von dessen Idealismus und argumentiert, daß ein rein negatives Verständnis des Begriffs der Dinge an sich, der sog. noumena, die These des transzendenten Idealismus zu einer leeren These, zu einer Tautologie mache. Dies erinnert an die bsp. von Allison propagierte sog. Zwei-Aspekte-Lesart der Unterscheidung von Dingen als Erscheinungen und Dingen an sich selbst betrachtet, vgl. z.B. (Allison,
235 gen die Kritik am Bezug auf die Intelligibilitäts- oder Kohärenzbedingungen der uns faktisch möglichen Erkenntnis nur als Verweis darauf, daß einer Welt von 'noumena' oder 'Dingen an sich', die rein negativ, in Abstraktion von den Bedingungen unserer Erkenntnis betrachtet werden, Merkmale zukommen könnten, von denen wir nichts wissen können, bestehe keine Notwendigkeit, von der Existenz einer separaten und uns unerreichbaren Realität auszugehen. "But this [...] is hardly a concession which would seriously disturb an empirical realist; he may merely observe that whatever, if anything, lies beyond the scope of our cognitice capacities can have no possible interest or importance for us."409
Damit wird einerseits die prinzipielle Möglichkeit eingeräumt, daß Wesen mit kognitiven Fähigkeiten, die von unseren wesentlich abweichen, über andere Erfahrungen, ein anderes Begriffssystem, und damit eine alternative Sicht auf die Welt, die Realität verfügen. Andererseits wird betont, daß diese Überlegung für uns leer bleiben muß, die Anerkenntnis, "that there may be more to the nature of the very things we can have knowledge of than we can possibly know of them", bleibt ohne Konsequenz.410 Ob und inwieweit mit einer solchen Vorgehensweise die skeptische Herausforderung beantwortet oder zurückgewiesen werden kann, die ja gerade den Unterschied zwischen der faktischen Geltung und der Legitimität der von uns verwendeten Begriffe betont, muß noch offen bleiben. In unserem Kant-Kapitel wurde bereits darauf hingewiesen, daß zwischen deskriptiver Vorgehensweise und Inkohärenzbeweisen ein Spannungsverhältnis besteht, das sich auch in den verschiedenen Auffassungen des Begriffs der transzendentalen Methode spiegele.411 Einen Inkohärenz1983, 1987). Andere Autoren plädieren dagegen für eine dreifache Gliederung, da Dinge unabhängig von jeglicher Art der Betrachtung, also Dinge an sich, nicht mit den noumena identifiziert werden sollten, vgl. etwa (Willaschek, 1992), S. 317f.: das Phänomenon als Korrelat sinnlich vermittelter Erkenntnis, das Noumenon in negativer Bedeutung als Ding an sich, unabhängig von jeglicher Betrachtung, das Noumenon in positiver Bedeutung als Korrelat nicht-sinnlicher Arten von Erkenntnis, z.B. als Gegenstand einer Art 'intellektueller Anschauung'. Nur die Zusicherung der Existenz des letzteren ergäbe unser Problem. 409 (1997g), S. 250, siehe auch (1997f), S. 241. 410 A.a.O., S. 241. 411 Versuche, die Argumentation Strawsons durch einen Vergleich mit dem Vorgehen, der Methode oder den Zielen Kants zu bewerten, die sich vor allem in der kontinentaleuropäischen Diskussion finden, haben die Tendenz, sich zu Kant-Exegesen zu
236 beweis gegen skeptische Positionen könnten transzendentale Ansätze nur dann erbringen, so die Gegner Strawsons, wenn sie progressiv oder zumindest konstruktiv verfahren. Dagegen wurde im vierten Kapitel über transzendentale Strukturelemente die Möglichkeit einer bescheidenen Form von Geltungsanspruch betont: Zeitgenössische transzendentale Vorgehensweisen zeichnen sich durch das grundsätzliche Eingeständnis aus, daß es sich bei den behaupteten Formen von Notwendigkeit um Denkgesetzlichkeiten handelt, die allerdings nicht psychologisch aufgefaßt werden.412 Grundlegend für diese Vorgehensweisen ist die Annahme, daß die Zuschreibung psychologischer Sachverhalte, also bestimmter Erfahrungen oder Überzeugungen, nicht möglich ist ohne daß nicht zugleich entsprechende Annahmen über die Welt, von der diese Erfahrungen oder Überzeugungen handeln, als gerechtfertigt gelten. Das Ziel bescheidener transzendentaler Beweisführung besteht also darin, die Notwendigkeit bestimmter interner Verknüpfungen von Mengen oder Klassen von Überzeugungen sichtbar zu machen, die unserem komplexen Welt- und Selbstbild immanent sind. Gelingt dies, weisen Überzeugungen oder Praktiken eine Unanfechtbarkeit gegenüber der skeptischen Herausforderung auf, denn ihre Preisgabe wäre gleichbedeutend mit der Aufgabe eines wesentlich umfangreicheren Bereiches von Überzeugungen oder Praktiken. Im Unterschied etwa zu Davidson, der die Möglichkeit bestreitet, uns mehrheitlich falsche Überzeugungen zuzuschreiben, zielt Strawson nicht nur darauf ab, ein holistisch konzipiertes Meinungsnetz als weitgehend unanfechtbar zu erweisen, sondern er versucht, eine bestimmte Klasse von Annahmen als unverzichtbar für eine bestimmte Konzeption der Welt auszuzeichnen. Soll die Welt, so das Argument, als von uns unabhängig gedacht werden können, muß diese relativ beständige, raumzeitliche Einzeldinge enthalten. Strawsons Ziel ist es, so kann vorwegnehmend gesagt werden, zu zeigen, daß es eine notwendige Wahrheit ist, daß diese Klasse von Einzeldingen existiert. Berücksichtigt man, daß der Begriff der Notwendigkeit in seiner bescheidenen Version entwickeln. Auch wenn Strawson selbst als herausragender Kant-Interpret angesehen werden muß, kann die Qualifikation seiner Metaphysik als 'deskriptiv' auch als Zurückweisung der mit transzendentaler Philosophie verbundenen Geltungsansprüche aufgefaßt werden. Vgl. auch unsere Ausführungen in Kapitel II.2. und IV. Da der Begriff 'transzendental' in der analytischen Philosophie eher vage verwendet wird und auch sog. 'bescheidene' Geltungsansprüche als transzendental qualifiziert werden können, halte ich es für fruchtbarer, den Begriff transzendentaler Philosophie methodisch mit dem naturalistischer Philosophie zu kontrastieren. Vgl. allerdings Kapitel V.3. zu Strawsons Begriff eines 'menschlichen' oder 'weichen' Naturalismus. 412 Gegen eine psychologische Deutung der 'Bedingungen der Möglichkeit' vgl. auch (Strawson, 1989).
237 verwendet wird, erweist sein Argument, soweit es stichhaltig ist, eine notwendige Verbindung von unserer Annahme einer unabhängigen Welt zu der Annahme der Existenz beständiger Einzeldinge. Die Notwendigkeit besteht nur zwischen Gedanken, dennoch wäre die betreffende Klasse von Überzeugungen als unverzichtbar sowie als unanfechtbar ausgewiesen: unanfechtbar wäre die betreffende Klasse, weil wir nicht verstehen, was es heißt, daß diese Überzeugungen sich als falsch herausstellen würden, und unverzichtbar, weil wir sie ohne Preisgabe der Vorstellung einer unabhängigen Außenwelt nicht aufgeben könnten, eine Konsequenz, die auch die Begriffe der Erkenntnis, der Wahrheit und der Objektivität obsolet machen oder zumindest grundlegend verändern würde. Deskriptive Metaphysik kann aber nicht nur methodisch charakterisiert werden, sie zeichnet sich des weiteren auch durch inhaltliche Voraussetzungen aus. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß sich transzendentale Ansätze durch eine Verbindung erkenntnistheoretischer, ontologischer sowie, in Strawsons Fall, logischer Gesichtspunkte auszeichnen. Dies wird deutlicher, wenn wir uns der Frage nähern, was denn nun die behaupteten allgemeinsten formalen Bedingungen sind, denen unsere Erkenntnis entsprechen muß. Eine erste zentrale und, wie Strawson oft betont, eher unumstrittene oder gar triviale Prämisse bestehe in der Anerkenntnis dessen, daß wir Wesen sind, deren Anschauung rezeptiv und deren Denken oder Erkenntnis diskursiv ist.413 Wir nehmen das Material der Erfahrung passiv auf und formen aktiv unter notwendiger Verwendung allgemeiner Begriffe Überzeugungen oder Urteile. Beide Fähigkeiten, Rezeptivität und Spontaneität, müssen zusammenwirken: Durch erstere wird uns ein Gegenstand erst gegeben, durch letztere wird dieser im Verhältnis auf jene Vorstellung gedacht. Weder Begriffe allein, ohne korrespondierende Anschauung, noch Anschauung allein, ohne korrespondierende Begriffe, ergeben Erkenntnis.414 Und beide Fähigkeiten, so die weitere These, erlegen unserer Erkenntnis nun bestimmte formale, notwendige Bedingungen auf. Da die notwendige raumzeitliche Verfaßtheit unserer Anschauung oder Sinneserfahrung primärer Gegenstand der Beweisführung von Individuals ist, 413 Vgl. zum Folgenden die erwähnten Kant-Aufsätze (1997f und g) sowie zu Kants Theorie der Synthesis (Strawson, 1989). 414 Vgl. die berühmte Passage aus der KdrV, A 51: "Keine dieser Eigenschaften ist der anderen vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so notwenig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), als, seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen)."
238 möchte ich hier nur auf einige Konsequenzen eingehen, die aus der diskursiven Verfaßtheit unseres Verstandes resultieren. Die fundamentalen logischen Urteilsformen oder Operationen, die Strawson im Anschluß an Kant nennt, sind Prädikation, Generalisierung und Satzbildung (einschl. Negation, Disjunktion, Konditionalen). Auch wenn sich die jeweiligen formalen Hilfsmittel verschiedener Logiksysteme unterscheiden mögen, so sei es dennoch eine analytische Wahrheit, daß Urteile die Begriffsverwendung voraussetzen, und diese ihrerseits beinhalte, daß Begriffe in einer oder mehreren Instanzen anwendbar oder nicht anwendbar sind, sowie daß Urteile wahr oder falsch sein können.415 Damit hält Strawson an einer weiteren Auffassung fest, die er selbst als Plattitüde bezeichnet: Der primäre Sinn unserer Begriffsverwendung, so die These, besteht in deren Urteilscharakter, und mit Urteilen zielten wir auf eine wahre Beschreibung der Welt ab. Und wahr seien unsere Urteile genau dann, wenn die Welt oder die Realität oder die Tatsachen so sind, wie wir in unseren Überzeugungen oder Urteilen, bzw. Äußerungen behaupten.416 Frage man sich nun, wie es überhaupt möglich ist, daß Überzeugungen wahrheitsfähig sind, reiche es nicht, auf die Erfahrung zu verweisen, die ein Bewußtsein der Realität ermögliche. Erst eine empiristische Deutung der Rolle sinnlicher Erfahrung könne deren konstitutive Kraft deutlich machen, unsere fundamentalen begrifflichen Differenzierungen müssen sich, so die Annahme, auf Wahrnehmungskriterien beziehen lassen. "Experience is not to be conceived of as merely, as it were, a convenient link with the world, enabling the concept-user to go into action as a judgmentformer with a fair prospect of forming true beliefs. The connection between judgment, concept and experience is closer than that. It is not [...] even enough to say [...] that concepts of the real are nothing at all to a potential user of them except insofar as they relate directly or indirectly to a possible experience of the real. More especially [...] those concepts which enter into our basic or least 415 Vgl. (1997f), S. 237ff. Strawson wendet sich zudem gegen die von Kant behauptete Unmöglichkeit einer weiteren Begründung oder Erklärung der Urteils- sowie Anschauungsformen. Daß Kant zwar deren apriorische Geltung betone, aber in B 145/6 dennoch eine gewisse Kontingenz dieser Formen einräume, hänge mit seiner Idee der Möglichkeit nicht-diskursiver, rein intellektueller Anschauung zusammen, die für uns unverständlich bleibe. Für die folgenden Überlegungen siehe auch (1974b), Teil 1, Kap. 1. 416 Dies sei die Binsenweisheit in sog. Korrespondenztheorien der Wahrheit. Vgl. (1974b), S. 14. Eine epistemische Auffassung des Wahrheitsbegriffs, die diesen auf Rechtfertigung zurückführt, lehnt Strawson folglich ab, auch der metaphysische Realismus wird m.E. nur dann zurückgewiesen, wenn er zu idealistischen Konsequenzen führt.
239 theoretical beliefs, into our fundamental judgements, are just those concepts which enter most intimately into our common experience of the world. They are what [...] we experience the world as exemplifying, what we see things and situations as cases of. Correlatively, experience is awareness of the world as exemplifying them. "417
Erkenntnis wird also insofern realistisch verstanden, als die Rolle sinnlicher Erfahrung betont wird, aber zugleich wird die fundamentalistische Vorstellung, unsere sinnlichen Erfahrungen stellten die neutrale Basis dar, mit deren Hilfe unsere Begriffsverwendung gerechtfertigt werden könnte, als zu naiv verworfen. So fährt Strawson fort: "We should not say that judgments at this level are made on the basis of experience. Rather we should say that at this level judgment, concept and experience are merged; that seeing and believing really are, at this level, one. Of course this would be an exaggeration; for judgment may not only be corrected, it may be suspended; or assent may be denied, we may refuse to believe what our senses tell us. But it is only an exaggeration and a corrigible one."418
Die Vermischung von sinnlicher Erfahrung und begrifflichem Denken in Urteilen, die zugleich auf die Welt gerichtet sind, also wahr oder falsch sein können, zeigt sich besonders an unseren fundamentalen oder am wenigsten theoretischen Überzeugungen: Auch wenn wir selbst solche Urteile korrigieren können oder wir unseren Wahrnehmungen keinen Glauben schenken mögen, so stellen solche Reaktionen doch Einzelfälle dar, die ein zusätzliches Wissen um abweichende Faktoren verlangen.419 Im Allgemeinen, so Strawson, stellen Wahrnehmungen, begriffliches Denken und Ur417 A.a.O., S. 14. Empirismus sei dabei zu verstehen als "a strand in a tradition which, since Kant, embraces us all". Ebd. 418 A.a.O., S. 14f. 419 Ein beliebtes Beispiel für eine Situation, in der wir uns entscheiden, unserer visuellen Wahrnehmung nicht zu vertrauen, stellt die Müller-Lyer-Illusion dar: Zwei parallele, gleichlange Linien unterscheiden sich dadurch, daß die eine in nach außen gewendeten, die andere in nach innen gewendeten Spitzen endet, wodurch die erste kürzer aussieht. Auch ein Wahrnehmungssubjekt, das bereits weiß, daß die Zeichnung eine Sinnestäuschung erzeugt, sieht die beiden waagerechten Linien weiterhin als unterschiedlich lang. In diesem Fall wollen wir, salopp formuliert, nicht glauben, was wir sehen, bzw. wir glauben etwas, das wir nicht entsprechend sehen können. Diese Illusion wird oft als Beleg für die Notwendigkeit der Trennung einer phänomenalen von einer doxastischen Weise der Wahrnehmung verwendet, siehe etwa (Dretske, 1995), oder als Beleg für eine im Sinne Fodors modulare Auffassung unserer Sinneswahrnehmung, vgl. z.B. (Fodor, 1983). Auf diesen Punkt kommen wir in der Diskussion McDowells zurück.
240 teilen drei Faktoren unserer kognitiven Verfaßtheit dar, die auf einer fundamentalen Ebene miteinander verknüpft sind. Dies stellt eine mögliche Lesart einer Verbindung dar, die ich, wie mehrfach betont, als charakteristisch für deskriptive Metaphysik erachte: ontologische und erkenntnistheoretische Gesichtspunkte werden nicht nur als verknüpfte, sondern vielmehr als gleichrangige Aspekte betrachtet, die ontologische Frage nach dem, was existiert, und die erkenntnistheoretische Frage nach dem, was wir erkennen können, werden als gleichberechtigt behandelt.420 Diese Verknüpfung spiegelt sich auch in Strawsons eher logisch-semantisch ausgerichteten Arbeiten, oder anders formuliert, auf der sehr allgemeinen und fundamentalen Ebene der Frage nach den für unser Begriffssystem grundlegenden Einzeldingen stellen Ontologie, Epistemologie und Logik drei Aspekte einer einzigen, vereinten Untersuchung dar.421 Bezüglich der logisch-semantischen Voraussetzungen ist festzuhalten, daß Strawson die semantische Form von Subjekt-Prädikat für eine grundlegende und nicht eliminierbare Struktur menschlicher Erkenntnis hält.422 Das logische Subjekt stellt in seiner Funktion des 'Stehens für Gegenstände' den Bezug zur Welt her, das Prädikat klassifiziert oder charakterisiert den betreffenden Gegenstand, Strawson nennt dies die "basic combination", wobei an Stelle des logischen Subjekts vorzugsweise singuläre Termini, an Prädikatstelle generelle Termini vorkommen.423 Eine rein funktionale Unterscheidung von singulären und generellen Termini erscheint aber nicht 420 Dies drückt sich auch darin aus, daß Strawson immer wieder deutlich macht, daß er ('harte') naturalistische wie nominalistische Tendenzen für ein szientistisches Vorurteil hält, das aus der Disposition resultiere, den Begriff der Existenz auf den der Existenz in der Natur einzuschränken. Vgl. u.a. (1979a) S. 7ff., (1985, S&N) S. 73, oder (1994) S. 43f. Strawson bezeichnet seine eigene Auffassung inzwischen als 'liberalen' oder 'menschlichen' Naturalismus und argumentiert zunehmend dafür, beide Positionen nicht als absolut und also unvereinbar, sondern als relativ zu den jeweils leitenden Fragestellungen zu interpretieren. Auf diese an S&N anschließende Diskussion werden wir noch gesondert eingehen. 421 Dies macht Strawson besonders in (1994) deutlich, s. z.B. S. 41ff. 422 Vgl. zum Folgenden den zweiten Teil von Individuals, bes. die Kap. 5 und 6; in den Logico-Linguistic-Papers die Aufsätze (1971a) und (1971b); sowie Subject and Predicate in Logic and Grammar, (Strawson, 1974b), Kap. 1 "The 'basic combination'", und (1994), Teil 1. 423 Der Begriff des Prädikats entspricht nicht genau dem dem des generellen Terminus, ersterer ist ein grammatischer, letzterer ein semantischer Begriff: in einem Satz wie "Der Tisch ist groß" kommen zwei generelle Termini, aber nur ein Prädikat vor. Vgl. z.B. (Tugendhat, 1976), S. 52. Ich schließe mich Strawsons Verwendung an, der mit dem Ausdruck 'Prädikat' auch generelle Termini oder Universalien bezeichnet.
241 als zwingend, insofern spricht Strawson auch von der Asymmetrie von Subjekten und Prädikaten: In Relation zu Einzeldingen können letztere in sog. Inkompatibilitäts- sowie Einschließungsgruppen auftreten, oder anders formuliert, sie bilden ein System von Ausdrücken, dessen Elemente sich kraft ihres Sinnes ausschließen.424 Generelle Aussagen, die ohne ein logisches Subjekt auskommen, verweisen nach Strawsons Auffassung auf singuläre Aussagen zurück, bei der Angabe ihrer Wahrheitsbedingungen sind wir auf das Verständnis singulärer Sätze angewiesen. Dabei spielen Referenz und Prädikation, singuläre und generelle Termini oder Prädikate unterschiedliche Rollen: die Wahrheit einer Behauptung setzt voraus, daß wir wissen, für welchen Gegenstand der singuläre Terminus steht, und hängt dann davon ab, ob das Prädikat auf diesen Gegenstand zutrifft.425 Und die Rolle der beiden Bestandteile eines singulären prädikativen Satzes ist insofern asymmetrisch, als wir überhaupt erst fragen können, ob das Prädikat auf den Gegenstand zutrifft, wenn wir wissen, für welchen Gegenstand der singuläre Terminus steht.426 Gegen Quine lehnt Strawson den Versuch einer vollständigen Elimination logischer Subjekte durch Existenzquantifikation und generelle Termini folglich ab, eine Sprache, in der keine identifizierende Referenz auf Einzeldinge möglich ist, wäre nach
424 Diese Formulierung verwendet Künne, der allerdings Strawsons Verknüpfung ontologischer und semantischer Aspekte nicht teilt, und nicht nicht-sprachliche Gegenstände verschiedener Stufen, sondern nur Termini verschiedener Kategorien zu unterscheiden sucht. Vgl. Künne (1983), Teil 1 §1, bes. S. 24ff., wo die These als "These von der Differenz zwischen singulären und generellen Termen hinsichtlich der semantischen Exklusivität" aufgegriffen wird. Strawson führt den Gedanken der Asymmetrie bes. in dem gleichnamigen Aufsatz von 1970 aus, repr. in (1971), sowie bsp. in (1974b), S. 18-20 und 35-40. Andere Autoren machen die Unterscheidbarkeit abhängig von der Verfügbarkeit des Identitätsoperators, ein Term ist dann ein singulärer, wenn er in einem quantorenfreien Aussagesatz auf beiden Seiten eines Ausdrucks wie "ist derselbe Gegenstand wie" stehen kann. Vgl. z.B. Tugendhat, a.a.O., Vorl. 3 und 19. 425 So faßt beispielsweise (Tugendhat, 1979), S. 339, die Auffassung von Strawson zusammen. Vgl. auch die Logico-Linguistic-Papers, (Strawson 1971), S. 11ff., oder (1997d (1986)), S. 127. Auf Strawsons Kritik an Russells Auffassung von Kennzeichnungen, die besagt, daß wir, wenn wir eine Kennzeichnung verwenden, voraussetzen und nicht behaupten, daß es ein Objekt gibt, auf das sie zutrifft, soll in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden, ich schließe mich diesbezüglich der Kritik von Tugendhat an, a.a.O., Vorlesung 22, S. 374ff. 426 Vgl. (Strawson, 1971a), S. 56f., sowie (1971b).
242 seiner Auffassung eine Sprache, in der Referenz auf Einzeldinge überhaupt unmöglich ist.427 Versteht man basale singuläre Sätze als solche, deren Subjektausdruck in einer direkten Weise für einen Gegenstand steht, und kennzeichnet die Direktheit als direktes Gegebensein in der Wahrnehmungssituation, könnte sich eine Auffassung nahelegen, die die Gegenstandsbezugnahme unabhängig von der Prädikation zu erklären sucht. Die referentielle Funktion käme logischen Subjekten, also z.B. singulären Termini, dann dadurch zu, daß uns der Referent in einer unmittelbaren Vorstellungsrelation gegeben ist. Dies, so betont Strawson, kann aber nicht ausreichen, denn der bloße Fakt, daß wir uns einen Gegenstand vorstellen, kann diesen Gegenstand nicht unabhängig von Beschreibungen unterscheiden oder bestimmen.428 Identifikation, dies wird im Folgenden klarer werden, bedeutet also, einen Referenten im Rahmen aller möglichen Gegenstände eindeutig und kontextunabhängig herauszustellen, besteht in einem "picking or singling it out from all other things of that class".429 Referenz ist also immer der - gelungene oder mißlungene - Versuch einer Beziehung auf Einzelnes, der Identifikation oder Spezifizierung von Einzelnem aus einer Vielzahl als das Gemeinte, von dem dann etwas prädiziert wird, und ist in diesem Verhältnis zu einer Pluralität auch nicht sinnvoll als Relation zu verstehen. Das traditionelle Verständnis von Referenz als Relation zwischen zwei Gegenständen, einem (sprachlichen) Zeichen und einem (realen) Gegenstand, verschleiert die Leistung, die sich mithilfe der Formulierung des Stehens-für so ausdrücken läßt, daß ein Zeichen für seinen Gegenstand steht. Singuläre Termini stehen also für Einzelnes, unabhängig davon, ob sie sich auf konkrete oder abstrakte Gegenstände beziehen, ob sie, in Strawsons Terminologie, "particulars", also Einzeldinge, oder "individuals", Individuen oder logische Subjekte, bezeichnen.430 Es wird also zu klären sein, inwieweit diejenigen singulären
427 Vgl. z.B. (Strawson, 1956), S. 440ff. Im Gegensatz zu Quine macht Strawson einen großzügigen Gebrauch von Quantifikation, dessen rigide Auffassung der Voraussetzungen für ontologische Festlegung er vielfach kritisiert, ich möchte nur auf die bsp. in Entity and Identity (1997) veröffentlichten Aufsätze (a, b und d) verweisen. 428 Vgl. z.B. Individuals, S. 182. Vgl. aber auch (1997c), in dem Strawson betont, daß bei direkter singulärer Referenz der deskriptive Inhalt eines singulären Terminus über Fragen der Referenz hinaus irrelevant ist für die Festlegung der Wahrheitsbedigungen der verwendeten Proposition. 429 (Strawson, 1956), S. 438.
243 zeichnen.430 Es wird also zu klären sein, inwieweit diejenigen singulären Termini, die für konkrete Einzeldinge stehen, sich durch eine besondere Art und Weise der Identifizierung ihrer Gegenstände auszeichnen, so daß man, wenn man daran festhält, daß uns Gegenstände nicht primär in einer eindeutigen Vorstellungsrelation gegeben sind, dann auch umgekehrt sagen könnte, daß die konkreten Einzeldinge selbst sich durch eine besondere Gegebenheitsweise auszeichnen. Eine Bestimmung des Begriffs der Identifikation verspricht folglich auch den Begriff des Einzeldings zu klären. "The simplest schema of an atomic sentence (Fx) represents a certain fundamental operation of speech and thought: viz. the operation of identifying some individual item and characterizing it in some general way; or, in other words, the operation of definite singular reference together with predication; or, in yet other words, the coupling of a definite singular term (e.g. a name) with a predicate expression. I call this a fundamental operation since it is presupposed by the other logical operations of generalisation and sentence-composition." Und er fährt fort: "[W]hat at bottom underlies and sustains the formal (and grammatical) distinction is precisely the ontological or metaphysical distinction [...] between spatio-temporal particulars and universals or general concepts."431
V.2.2 Körper als grundlegende Einzeldinge Wir denken uns die Welt, so beginnt Strawson das erste Kapitel von Individuals, als bestehend aus einzelnen Dingen, von denen manche unabhängig von uns existieren, und die Geschichte der Welt als zusammengesetzt aus einzelnen Ereignissen, von denen manche unabhängig von uns stattfinden. Man könnte also auch sagen, unsere Ontologie enthält objektive Einzeldinge.432 Als objektive Einzeldinge werden folglich Objekte verstanden, die uns zwar anschaulich gegeben sein können, deren Existenz sich aber nicht im Wahrgenommenwerden erschöpft, sondern die auch unabhängig von uns, als Erfahrungssubjekten, und unseren Erfahrungen existieren.433 Die Erkenntnis objektiver Einzeldinge ist also nur möglich, wenn die 'Bedingung für ein nicht-solipsistisches Bewußtsein oder Begriffssystem' erfüllt ist; also innerhalb eines Begriffssystems, in dem zwischen den Er430 Individuals, Kap. 5 und 6 passim, sowie bes. Kap. 8. Zu Strawsons Kriterium der Abstraktheit von Gegenständen (non-particulars oder general things) vgl. Künne, a.a.O., 2. Kap. § 5. 431 (1994), S. 22f. 432 Vgl. Individuals, S. 15. 433 In seinem Kant-Buch Bounds of Sense bezeichnet Strawson diese Klasse von Entitäten oder Objekten als "objects in the weighty sense", (Strawson, 1966), S. 73.
244 fahrungssubjekten und ihren Erfahrungen oder Wahrnehmungen einerseits und dem, wovon diese Erfahrungen handeln, unterschieden wird oder werden kann. Strawsons vorrangiges Ziel im ersten Teil seines Buches besteht darin, zu zeigen, daß und warum materiellen Körpern im allgemeinen Rahmen der Erkenntnis von Einzeldingen eine zentrale Position zukommt. Da, wie bereits angesprochen wurde, ontologische Festlegungen vor allem dann gerechtfertigt werden können, wenn wir über klare Individuationskriterien verfügen, lautet die für die Bestimmung der allgemeinsten Klasse der eine jeweilige Ontologie konstituierenden Objekte wichtigste Frage folglich: Wie funktioniert Identifikation, und was müssen demnach ihre primären Gegenstände sein? Der Begriff der Identifikation soll anhand folgender Fragen bestimmt werden: Wie erkennen oder identifizieren wir Einzeldinge? Wie können wir sie wiedererkennen oder reidentifizieren? Bietet sich eine Klasse von Einzeldingen hierfür als grundlegend an? Diese Fragen beziehen sich auf unser faktisch auf eine bestimmte Weise strukturiertes Begriffssystem. Da wir uns aber auch fragen wollen, ob und wie sich ein nicht-solipsistisches Bewußtsein rechtfertigen läßt, das einen Unterschied macht zwischen sich und seinen Zuständen und etwas davon Unabhängigem, wovon diese Zustände oder Erlebnisse handeln, ergibt sich die weitere Frage: Könnte es auch andere Formen von Erkenntnis oder Identifikation und folglich andere Klassen von grundlegenden Einzeldingen geben? Oder anders: Sind die Bedingungen für Identifikation notwendige Bedingungen? V.2.2.1 Identifikation Was versteht Strawson unter Identifikation? In einer ersten Herangehensweise wird Identifikation im Rahmen einer Kommunikationssituation bestimmt: ein Sprecher bezieht sich auf oder erwähnt irgendein Einzelding. Sehr oft weiß der Hörer, wovon die Rede ist, von welchem Gegenstand der Sprecher etwas aussagt, und das heißt dann: er identifiziert den Gegenstand.434 Zu den Ausdrücken, zu deren wichtigster Funktion es gehört, diese Identifikation zu ermöglichen, gehören Eigennamen, Pronomina oder Beschreibungen, die mit dem bestimmten Artikel eingeleitet werden. Den Gebrauch eines solchen Ausdrucks von seiten des Sprechers bezeichnet Strawson als identifizierende Referenz.
434 Vgl. auch (Strawson, 1971a), S. 59.
245 "But when a speaker makes an identifying reference to a particular, and his hearer does, on the strength of it, identify the particular referred to, then, I shall say, the speaker not only makes an identifying reference to, but also identifies, that particular. So we have a hearer's sense, and a speaker's sense, of 'identify'."435
Diese Stelle ist mißverständlich: Entweder Strawson sagt, diese gesamte Situation - ein Sprecher bezieht sich identifizierend auf ein Einzelding, sein Zuhörer identifiziert daraufhin das gemeinte Einzelding - nenne er Identifikation, oder er sagt, das Wort 'identifizieren' sei einmal im Sinne des Hörers, einmal im Sinne des Sprechers zu verstehen. Zumindest die Identifikation auf seiten des Sprechers scheint doch aber nicht von dieser gemeinsamen, kommunikativen Grundsituation abzuhängen. Diese der Sprecher-Hörer-Situation vorgängige Identifikation wird auch in den weiteren Beschreibungen Strawsons, in denen zumeist über die Identifikationsleistungen des Hörers gesprochen wird, nicht eigens erwähnt. Erst in seinen Ausführungen im Abschnitt über die Möglichkeit einer rein auditiven Welt wird deutlicher, daß Strawson Identifikation nicht nur als kognitiven Akt versteht, der im kommunikativen Bereich anzusiedeln ist. Und in seinem späteren Abschnitt über Personen wird Identifikation primär als in Gedanken oder Beobachtung vollzogene Unterscheidung eines Einzeldings von anderen bestimmt.436 Darauf wird noch zurückzukommen sein. Mithilfe welcher Kriterien können wir bestimmen, ob es sich bei einem vorliegenden Fall der gemeinsamen Bezugnahme auf einen Gegenstand im Rahmen einer Kommunikationssituation um echte, d.h. eindeutige Identifikation handelt? Wird der Fall der gelungenen Identifikation für den Hörer formuliert, läßt sich die Frage so stellen: Wann weiß der Hörer, von welchem Einzelding der Sprecher redet? Oder: Was muß der Hörer wissen, um genau zu wissen, von welchem Gegenstand die Rede ist? Der klarste Fall von gelungener Identifikation liegt dann vor, wenn das gemeinte Einzelding sinnlich wahrgenommen und durch unsere Sinne von anderen unterschieden werden kann, und wenn gewußt wird, daß dies das Gemeinte ist: "[T]he hearer can pick out by sight or hearing or touch, or can otherwise sensibly discriminate, the particular being referred to, knowing that it is that particular."437 In solchen Fällen spricht Strawson von demonstrativer Identifikation, oder davon, daß "the hearer is able di435 Individuals, S. 16. 436 A.a.O., S. 87. 437 A.a.O., S. 18, m.H. In (Strawson, 1956), S. 438, wird dies auch als "to single out" paraphrasiert.
246 rectly to locate the particular referred to."438 Auch hier stellt sich wieder die Frage, inwieweit diese Bestimmung ebenso für den Sprecher gilt, denn auch er muß den Gegenstand, auf den er sich in seiner Rede bezieht, herausgreifen. Diese erste Bedingung bezeichnet Strawson als hinreichend, aber nicht als notwendig. Eine weitere Möglichkeit, Einzeldinge auf die verlangte Art zu identifizieren, besteht darin, nicht direkt wahrnehmbare Einzeldinge durch beschreibende Kennzeichnungen, also nichtdemonstrativ, zu individuieren. Beschreibungen sind aber wesentlich allgemeiner Natur und können von mehreren Objekten erfüllt sein, so daß im strengen Sinn keine Identifikation vorliegt.439 Auch kontextabhängige Identifikationen, obgleich ein Fall von Identifikation, weil auch durch sie das Gemeinte hervorgehoben werden kann, reichen nicht aus: der Bereich von Einzeldingen, innerhalb dessen Identifikation gelingt, bleibt bestimmt vom Kontext, d.h.: er kann ohne den vom Erzähler gewählten Rahmen nicht in den objektiven oder intersubjektiven Bereich von Einzeldingen überführt werden. Die allgemeine Bedingung für nicht-demonstrative Identifikation ist nach Strawson folglich nur dann erfüllt, wenn mithilfe des Wissens um eine sog. "individuierende Tatsache" eine Beschreibung gegeben werden kann, die eindeutig auf das fragliche Einzelding zutrifft, und wenn nicht-tautologisch hinzugefügt werden kann, daß das durch diese Beschreibung gekennzeichnete Ding dasselbe ist wie das, wovon die Rede ist, das (von Sprecher oder Hörer) Gemeinte. Dabei darf die Beschreibung das betreffende Einzelding nicht wesentlich wieder nur durch Bezugnahme auf die Äußerung eines Sprechers identifizieren.440 Eine solche Forderung müssen beide, Sprecher wie Hörer, erfüllen. Beschreibungen können also letztlich nur dann hinreichend sein, wenn mit ihrer Hilfe das fragliche Einzelding eindeutig mit einem anderen, seinerseits demonstrativ identifizier438 Individuals, S. 19. 439 Strawson gibt darauf zwei Antworten, eine 'praktische', die nicht mehr sagt, als daß dies manchmal kein Problem sein mag, weil der Hörer einfach weiß, welche Reihe von Gegenständen der Sprecher meint, und die im Text genannte 'theoretische'. 440 A.a.O., S. 23. Mit einem solchen Ausschluß kontextbedingter Identifikation wird, wie bsp. Bernard Williams betont, jegliche Identifikation ausgeschlossen , die relativ zu einem Diskurs erfolgt, also können z.B. auch fiktionale Charaktere nicht im strengen Sinn identifiziert werden, (Williams, 1961), S. 311f. Williams moniert zurecht, daß Strawson nirgendwo direkt sagt, daß es für nicht-demonstrative Identifikation wesentlich ist, daß das so erwähnte Einzelding in einer eineindeutigen Relation zu einem demonstrativ identifizierten Einzelding stehen muß, daß aber die einzige Art von im geforderten Sinn "individuierender Tatsache", die Strawson nennt, derart ist, daß das fragliche Einzelding mit einem anderen, demonstrativ zu identifizierenden Einzelding in Verbindung gesetzt wird.
247 baren Einzelding verknüpft wird oder werden kann, nicht-demonstrative auf demonstrative Identifikation zurückzuführen ist.441 Und in anderen Arbeiten definiert Strawson den Begriff des Einzeldings geradezu mithilfe dieses Kriteriums: "It is a necessary condition of a thing's being a particular thing that it cannot be referred to by a singular substantival expression, a unique reference for which is determined solely by the meaning of the words making up that expression."442
Da wir gewöhnlich aber weder explizit noch implizit mithilfe von individuierenden Tatsachen individuieren, die den gemeinten Gegenstand eindeutig mit der gegenwärtigen Situation seiner Erwähnung, mit vorhandenen Objekten oder Personen, verbinden, und dies zum Teil auch gar nicht können, wodurch wird die für die Verständigung notwendige Eindeutigkeit erreicht? Wodurch sind wir in der Lage, die erwähnte Forderung zu erfüllen? Strawson postuliert hierzu eine Art von 'implizitem Wissen', ein 'Hintergrundwissen' oder einen 'Rahmen'. Ein solcher Rahmen bestehe aus einem mehr oder weniger spezifischen, ausgearbeiteten oder bewußten System von Kenntnissen über die Welt und ihre Geschichte, über mögliche Gegenstände und Situationen etc.: "[E]ach of us is, at any moment, in possession of such a framework - a unified framework of knowledge of particulars, in which we ourselves and, usually, our immediate surroundings have their place, and of which each element is uniquely related to every other and hence to ourselves and our surroundings.
441 Strawson bestreitet die Möglichkeit nicht-demonstrativer Identifikation nicht: Man kann natürlich sehr wohl mit einem singulären Terminus, der keine Positionsangabe enthält, so auf Gegenstände referieren, daß allein der Sinn des Terminus die Eindeutigkeit gewährleistet, dies trifft aber nur auf 'non-particulars', auf abstrakte Gegenstände zu, nur diese können wir rein begrifflich identifizieren. Siehe auch unsere Bemerkungen zu seiner Kritik an nominalistischen Auffassungen. 442 (1971a), S. 49. Und umgekehrt definiert Strawson Abstraktheit oder Allgemeinheit wie folgt: "It is a necessary condition for a thing's being a general thing that it can be referred to by a singular substantival expression, a unique reference for which is determined solely by the meaning of the words making up that expression." Ebd. Vgl. hierzu auch Künne (1983), 2. Kap., § 5, der dieses Kriterium zwar für hinreichend, nicht aber für notwendig hält, da manche allgemeinen Gegenstände wie etwa Typen oder natürliche Arten nicht rein begrifflich, sondern nur mithilfe zusätzlicher positionaler Eigenschaften eindeutig identifizierbar seien.
248 [...] It is a neccessary truth that any new particular of which we learn is somehow identifyingly connected with the framework [...]."443
Das Wissen um den Kontext und die Umstände des Gesprächs und die Kenntnis der Gesprächspartner über diesen gemeinsamen Hintergrund erlauben es, vieles als selbstverständlich anzunehmen, d.h. es nicht explizit zur Individuierung zu verwenden. Wenn es also eine, wie Strawson sagt, notwendige Wahrheit ist, daß jedes neue Einzelding identifizierend mit diesem Rahmen verbunden werden muß, stellt sich die Frage, wodurch dieser, als 'einheitlich und gemeinsam' beschriebene Rahmen selbst wesentlich bestimmt ist. Anders formuliert: Die Identifikation von Einzeldingen kann zweifelsfrei erst dadurch gelingen, daß auf eine Art von Hintergrundwissen zurückgegriffen wird.444 Wodurch aber bildet sich dieses, was sind seine konstitutiven Elemente? Was ist allgemein und grundlegend genug, einen solchen für die Individuierung notwendigen und ihre faktische Möglichkeit begründenden Bezugsrahmen zu bilden? Nach Strawson gelingt dies wesentlich mithilfe unseres einheitlichen Systems von raumzeitlichen Relationen. Zum einen ist das raumzeitliche faktisch das einzige von uns verwendete System, das hinreichend eindeutig ist, d.h. in dem jedes Einzelding zu jedem anderen in einer eindeutigen Beziehung steht. Es kann zwar, wie oben bereits erwähnt, jede Tatsache, die ein zu identifizierendes Einzelding mit einem anderen, bereits identifizierten Einzelding in Beziehung setzt, als 'individuierende Tatsache' dienen, formal ist also nur eine solche Beziehung nötig, die es gewährleistet, daß es faktisch nur ein Ding gibt, die ihr entspricht. Aber keines der verschiedenen, von uns zur Individuierung verwendeten Beziehungssysteme ist auch nur annähernd so eindeutig sowie zugleich so umfassend wie das raumzeitliche: "Every particular either has its place in this system, or is of a kind the member of which cannot in general be identified except by reference to particulars of 443 Individuals, S. 24, m.H. Und Strawson beendet den Satz "[...] even if only through the occasion and method of our learning of it." Daß die Verbindung neu kennengelernter Einzeldinge mit unserem Hintergrundwissen zumindest in der Situation des Begriffserwerbs gegeben sein muß, macht, wie etwa auch Quine betont, die Spracherwerbssituation zu einer zentralen. Auf diesen Punkt werden wir später im Rahmen unserer Kritik am einseitig kommunikativ ausgerichteten Konzept der Identifikation sowie an Stawsons damit korrespondierender Vernachlässigung der Wahrnehmungssituation des Einzelnen zurückkommen. 444 Und zwar sowohl die beschreibende als auch die demonstrative, im Folgenden zeigt sich dies im Verweisungscharakter von objektiver und subjektiver Lokalisierung.
249 other kinds which have their place in it; and every particular which has its place in the system has a unique place there. There is no other system of relations between particulars of which all this is true."445
Die Möglichkeit, mithilfe beschreibender Relationen die verlangte eindeutige Identifizierung konkreter Einzeldinge ohne Bezugnahme auf einen solchen allgemeinen Rahmen herstellen zu können, ist für Strawson leicht ausgeräumt. Denn egal, ob es sich dabei um "logisch individuierende Beschreibungen", wie z.B. "der erste, der ...", oder um "reine individuierende Beschreibungen", wie z.B. "der erste Hund, der auf See geboren wurde", handelt, beide laufen entweder Gefahr, nicht erfüllt zu sein, weil es keinen solchen Hund gibt, oder von mehreren Gegenständen erfüllt zu sein, weil es zwei oder mehr Hunde gibt, die gleichzeitig auf See geboren wurden. Je mehr man versuche, solche Beschreibungen durch weitere Details individuierend zu machen, desto mehr laufe man Gefahr, den gemeinten Gegenstand doch auf die eine oder andere Art und Weise mit anderen Elementen im System unserer Kenntnis von Einzeldingen zu verknüpfen.446 Gelinge es jedoch, unsere Kenntnis des fraglichen Einzeldings tatsächlich hinreichend eindeutig zu gestalten sowie von unseren übrigen Kenntnissen zu isolieren, dann würde dies nicht zu einem Zuwachs von Wissen, zu einem integrierbaren Bestandteil, sondern allerhöchstens zu analytischen oder begrifflichen Wahrheiten führen, die den isolierten individuierten Gegenstand betreffen. Unser individuierendes Denken über Einzeldinge schließt also deren Einordnung in das einheitliche raumzeitliche System zwar vielleicht nicht notwendig ein. Eine solche Individuierung über nichtdemonstrative, beschreibende Relationen der erwähnten Art wäre aber für die Analyse eines Großteils unseres Wissens irrelevant.447 Zum anderen, aber auf diese Frage wird gleich noch ausführlich einzugehen sein, scheint das raumzeitliche Bezugssystem zumindest im Rahmen der als ontologisch primär erachteten materiellen Einzeldinge insofern das einzig mögliche zu sein, als die primären Qualitäten der fraglichen Gegenstände dieses allgemeine System präfigurieren, wie auch umgekehrt. 445 Vgl. Individuals, S. 25f. 446 Entweder mithilfe der Verwendung von logischen Konstanten wie Eigennamen, Ortsbezeichnungen oder Zeitangaben, die den Bezugsrahmen bilden, oder mithilfe von demonstrativen Elementen, die den Bezug zur jeweiligen Verwendungssituation herstellen. Aber auch die singuläre demonstrative Referenz verweist implizit auf den allgemeinen raum-zeitlichen Bezugsrahmen, ist ohne Verknüpfung mit jenem nicht eindeutig identifizierend. Dazu gleich mehr. 447 Vgl. a.a.O., S. 28.
250 Dies hängt mit dem Verweisungscharakter von Orten und Gegenständen zusammen: Orte und in der Zeit andauernde und Raum einnehmende Gegenstände sind in ihrer Identifikation aufeinander bezogen. Bevor wir uns also fragen wollen, ob es weitere Argumente zur Stützung dieses Rahmens geben kann, die ja auch für die Nicht-Kontingenz unseres Begriffssystems entscheidend wären, möchte ich den zweiten wesentlichen Bestandteil von Strawsons Begriff einer Einzelding-Ontologie diskutieren, das WiederErkennen von Entitäten. V.2.2.2 Re-Identifikation Der eben beschriebene Rahmen des von uns faktisch verwendeten RaumZeit-Systems wurde als einheitlich bestimmt, d.h. jedes Einzelding kann zu jedem anderen in eine eindeutige Beziehung gesetzt werden.448 Dies gilt sowohl räumlich als auch zeitlich. So setzen wir beispielsweise nicht nur ein beliebiges Einzelding zu einem Zeitpunkt seiner Geschichte zu einem anderen Einzelding zu einem bestimmten Zeitpunkt von dessen Geschichte in Beziehung, sondern wir vergleichen Einzeldinge zu beliebigen Zeitpunkten der jeweiligen Geschichten. Wir brauchen also Methoden, um Einzeldinge unabhängig vom jeweiligen Kontext, in dem wir ihnen bereits begegnet sind oder in denen sie uns beschrieben wurden, zu reidentifizieren, d.h. sie als dieselben wiederzuerkennen. Dies kann man sich noch anders klar machen: Wir verwenden bei unterschiedlichen Anlässen denselben Rahmen. Da die Anlässe selbst verschiedene Orte im Bezugssystem haben, reicht es nicht, einige Einzeldinge nicht-relativ oder eindeutig zu identifizieren; um die Anlässe selbst miteinander in Verbindung zu bringen, um sie als Elemente eines einzigen, kontinuierlich angewendeten Rahmens verstehen zu können, müssen wir diese Einzeldinge als bestimmbare gemeinsame Elemente der jeweiligen Gelegenheiten oder Anlässe wiedererkennen können, ein tertium comparationis steht uns nicht zur Verfügung. Wir müssen uns folglich fragen, welche Struktur unsere Erfahrung 448 Strawson spricht nicht nur davon, daß unser Raum-Zeit-System einheitlich, sondern davon, daß es geschlossen ist: "We have [...] the idea of a system of elements every one of which can be both spatially and temporally related to every other." A.a.O, S. 31. Zur Objektivität des Raums ist weiter festzuhalten, daß dieser eine Voraussetzung für die vorne vorgeschlagene Interpretation von Leibnizens Gesetz darstellt. Nur wenn Raum objektiv verstanden wird, und nicht als bloßes Epiphänomen interner Lageeigenschaften der Gegenstände, können räumliche Beziehungen die gesuchten externen Beziehungen darstellen, die eine Unterscheidung von numerischer und qualitativer Identität ermöglichen.
251 aufweisen muß, damit Re-Identifikation im Unterschied zu Identifikation, Wiedererkennen im Unterschied zu Erkennen stattfinden kann. An manchen Stellen spricht Strawson davon, daß die Unterscheidung zwischen Identifikation als Sprecher-Hörer-Identifikation einerseits und Re-Identifikation als Wiedererkennen andererseits terminologischer Natur sei, und verweist auf ein beiden zugrundeliegendes Element: "It is not surprising that it should be natural to use the word 'identify' in both connexions. In both kinds of case, identifying involves thinking that something is the same: that the particular copy that I see in the speaker's hand is the same particular as that to which he is referring; that the copy in his hand is the same particular as the copy I bought yesterday."449
Formuliert man die Parallele zwischen Erkennen und Wiedererkennen so, scheint sich aber eine Asymmetrie zwischen Sprecher und Hörer zu ergeben: auf der Seite des Sprechers, der, wie wir gesehen haben, ja ebenfalls identifizierend auf seinen Gegenstand Bezug nimmt, gibt es keine solche Leistung des Identifizierens, daß das, wovon er spricht, dasselbe ist wie das, welches er sieht. Daß Strawson auf diese Asymmetrie nicht eingeht, liegt daran, daß er primär Kommunikationssituationen, und darin vor allem die Identifikationsleistung des Hörers berücksichtigt. Strawson unterscheidet identifizieren im Sinne des Wissens, wovon gesprochen wird, wovon die Rede, was gemeint ist, dafür stehen seine Begriffe des "to pick out" oder "to single out", und re-identifizieren im Sinne des Wiedererkennens eines Einzeldings als dasselbe - wie das zu anderer Zeit, an einem anderen Ort Gemeinte, Erkannte. Den ersten Aspekt, welcher eng verbunden ist mit Überlegungen zum Problem der Referenz, nennt Strawson auch den "distinguishing aspect of identifying".450 Wiedererkennen hingegen ist eng verbunden mit Fragen, die die identitätsbestimmenden Faktoren unserer Ontologie betreffen: der Hörer erkennt einen Gegenstand als identisch mit einem, zu einem anderen Zeitpunkt oder an einem anderen Ort wahrgenommenen Gegenstand wieder. Wir wollen uns nun zuerst der aufgeschobenen Frage zuwenden, inwieweit die Identifikationsleistungen seitens von Sprechern und Hörern sich unterscheiden, und klären, ob die von Strawson weitgehend getrennt behandelten Fragen von Identifikation und ReIdentifikation nicht intern enger verknüpft sind. Obwohl also Strawson den Aspekt des Identifizierens später auch als Unterscheiden bezeichnen wird, wird die dadurch naheliegende Frage, ob, 449 A.a.O., S. 31f. 450 Vgl. a.a.O., S. 60.
252 und wenn ja, wie denn der Sprecher den gemeinten Gegenstand von anderen unterscheidet, nicht gestellt. Tugendhat hat m.E. konzis ausgearbeitet, daß die Identifizierungsfunktion, von der bei Strawson eingangs die Rede ist, Identifizieren von seiten eines Hörers in der Kommunikation, nicht das Identifizieren ist, von dem späterhin auch explizit in Bezug auf einen Sprecher die Rede ist.451 Daß Strawson die Ergebnisse der ersten Überlegungen einfach überträgt, zeigt sich an Stellen, an denen er die Möglichkeit der Gleichsetzung von identifizierendem Sprechen und Denken behandelt: "[...] so far in the exposition the idea of distinguishing one particular from others has been closely tied to the situation in which a hearer identifies a particular as the one currently referred to by a speaker. This tie I want now to loosen [...]. I may legitimately do so; for it is not to be supposed that the general structure of such thinking [about particular-identification] is different when we are concerned with each other in speach and when we are not."452
Und eine Seite weiter: "So long as 'identification' means 'speaker-hearer identification', any question about the general conditions of a scheme providing for identifiable particulars is a question about the general conditions of speaker-hearer identification of particulars. So it is a question which can only arise given that we at least have speakers and hearers communicating with each other. But we can, or at least it seems that we can, raise a similar question without any such prior assumption of speakers and hearers. For each of us can think identifyingly about particulars without talking about them."
Was Strawson hier nur andeutet, ist, daß identifizierendes Denken von identifizierendem Sprechen logisch abhängen mag, damit bleibt die vom Sprecher vorausgesetzte Identifikationsleistung aber weiter unaufgeklärt. Die eingangs beschriebene Vorstellung der Hörerleistung läßt sich mithilfe eines Identitätssatzes der Art "etwas ist mit etwas identisch" charakterisieren, in Strawsons Beispiel, daß dieser versteht, daß das Buch, von dem der Sprecher spricht, das ist, das der Hörer in seiner Hand sieht. Dabei markiert die Verwendung zweier singulärer Termini die Leistung des Hörers, der etwas, von dem der Sprecher spricht, mit etwas identifiziert, das er selbst wahrnimmt. Wenn die Bezugnahme auf einen Gegenstand - dies scheint das zu sein, was Strawson mit seinem Begriff des Unterscheidens im Auge hat - ebenfalls Identifizieren genannt wird, so hat es doch eine 451 Vgl. (Tugendhat, 1976),Vorlesungen 21-25, insbes. Vorl. 23. Diesen Punkt macht auch Bernard Williams, a.a.O., S. 312ff. 452 Individuals, S. 60.
253 andere Form, weil sowohl der Sprecher als auch der Hörer - indem er den Gegenstand für sich selbst identifiziert - dabei nur einen singulären Terminus verwenden. Diese Form von Identifizieren, die Strawson mit Begriffen wie "to pick out" oder "to single out" paraphrasiert, kann als die Handlung des Herausstellens oder Angebens, welches von allen es ist, über das dann etwas ausgesagt wird, von dem etwas prädiziert wird, charakterisiert werden. Dabei wird aus den Ausführungen zu Bezugnahme mithilfe demonstrativer und beschreibender Mittel klar, daß es Strawson nicht um eine mittelbare Identifikation mithilfe von Kennzeichnungen geht, da eine solche das Gemeinte doch wieder so herausgreifen muß, daß es in Bezug zu etwas verstanden werden kann, das demonstrativ zu identifizieren ist, sondern um das von ihm als direkte Lokalisierung beschriebene Phänomen. Ich möchte Tugendhats Kritik etwas ausführlicher darstellen, weil ich seinen Vorbehalt teile, daß eine Analyse, die Identifikation hauptsächlich in der Kommunikationssituation ansiedelt, den Blick auf die zugrundeliegenden epistemologischen Strukturen verstellt: "Die heute z. T. übertriebene und unreflektierte Tendenz zu einer kommunikationstheoretischen Semantik um jeden Preis kann nur zu einer Semantik führen, die die Sprache wieder nur als bloßes Kommunikationsmittel versteht und die aufklärungsbedürftigen erkenntnistheoretischen Strukturen, wie schon in der traditionellen Philosophie, als vorsprachliche voraussetzt; sie werden dann also gerade nicht aus der Gesprächssituation verstanden. Der scheinbar radikalere gesprächstheoretische Ansatz, radikaler, weil für ihn die Trennung von Sprecher und Hörer essentiell ist, führt zu einer geringeren Radikalität in der Durchführung, weil er notgedrungen an der Oberfläche bleibt. [...] Ebenso müßte eine Theorie der singulären Termini, die deren Funktion nur darin sieht, daß durch sie ein Gesprächspartner einem anderen vermittelt, auf welchen Gegenstand er bezugnimmt, die Bezugnahme auf Gegenstände als solche als etwas, was selbst nicht erst aus der Sprache und dem Gespräch verständlich zu machen ist, schon voraussetzen. Eine solche Theorie der singulären Termini könnte also für die grundsätzliche Frage nach dem Gegenstandsbezug und dem Begriff des Gegenstandes nichts beitragen."453
Die Funktion singulärer Termini, so hält dagegen Tugendhat fest, besteht im Spezifizieren dessen, was gemeint ist, also allererst im Meinen selbst, und nicht primär im Mitteilen dessen, was gemeint ist. Tugendhat unterscheidet folglich zwei Formen von Identifikation: Sprecher-HörerIdentifikation, die in Identitätssätzen unter Verwendung zweier singulärer Termini ihren Ausdruck finden, die aber die Identifikation in ihrer zweiten, grundlegenderen Bedeutung voraussetze, die in einem Herausstellen oder 453 Tugendhat, Vorlesungen, S. 392f.
254 Angeben dessen besteht, wovon etwas prädiziert wird. Bei dieser Form des Identifizierens, die Strawsons Begriffen des "to pick out", "to single out" entspricht, wird der Gegenstand spezifiziert, herausgegriffen, von dem im folgenden Satz etwas prädiziert werden soll, es handelt sich also, wie bereits gesagt wurde, um den Fall, in dem nur ein singulärer Terminus verwendet wird. Wie findet diese zweite und grundlegende Art von Identifikation, die Tugendhat als Spezifikation bezeichnet, statt? Mit Strawson wurden diesbezüglich zwei Möglichkeiten unterschieden: Direkte, d.h. demonstrative Identifikation, die in den Fällen stattfindet, in denen der gemeinte Gegenstand in der Wahrnehmung gegeben ist und direkt lokalisiert werden kann, und indirekte, nicht-demonstrative Identifikation, in der der gemeinte Gegenstand durch seine Einfügung in das System raumzeitlicher Relationen eindeutig mit einem wie oben identifizierten Gegenstand verknüpft werden kann.454 Legt man an den gesuchten Begriff der Identifikation aber das Kriterium der Eindeutigkeit an - die Frage, 'welches von allen ist gemeint?' kann nicht mehr wiederholt werden -, erscheint subjektive Lokalisierung mithilfe der Verwendung deiktischer Pronomina selbst als notwendig ergänzungsbedürftig: subjektive Lokalisierung setzt selbst wieder die raumzeitliche, objektive Lokalisierung voraus, daß wir deiktische Audrücke zur Identifikation verwenden können, hängt damit zusammen, daß wir sie ersetzen können durch Ausdrücke, die die objektive, raumzeitliche Stelle, an der sich ein Gegenstand befindet, angeben.455 Das Stehen eines Ausdrucks für einen Gegenstand ist nicht zu verstehen als schlicht demonstrative Relation, zu deren Klärung auf etwas in der Wahrnehmung Gegebenes gezeigt werden könnte, weil in einer solchen direkten Relation kein Herausstellen, welcher von allen Gegenständen gemeint ist, stattfindet. Raumzeitliche Lokalisierung mit ihrem Zusammenspiel objektiv und subjektiv lokalisierender Ausdrücke stellt, so auch Strawson, insofern die grundlegende Form der Identifikation dar, als nur innerhalb dieses Systems jeder Gegenstand mit anderen und dem Identifizierenden selbst in eine eindeutige Relation gebracht werden kann. Die von Tugendhat betonte Ersetzungsfunktion deiktischer Ausdrücke durch singuläre Termini spiegelt sich in Strawsons Betonung des bereits erwähnten Verweisungszusammenhanges von Einzeldingen und Orten, auf den wir gleich zurückkommen. Tugendhat erklärt die herausragende Rolle des 454 Individuals, S. 18f., 21, 22-25. Im Folgenden werden wir außer Acht lassen, daß Strawson auch nicht-demonstrative Identifikation mittels anderer 'individuierender Tatsachen' zuläßt, vgl. dazu auch Tugendhat, a.a.O., S. 401ff., sowie die erwähnte Kritik von Williams. 455 Tugendhat, a.a.O., S. 400.
255 raumzeitlichen Verweisungssystems im Rahmen einer verifikationistischen Semantik: die Bedeutung der betreffenden Ausdrücke wird über ihre Verwendungsweise, d.h. darüber, wie festgestellt wird, für welchen Gegenstand ein solcher Ausdruck steht, geklärt, welches sich, da singuläre Termini wesentlich ergänzungsbedürftige Ausdrücke sind, wiederum nur im Zusammenhang der prädikativen Aussagen klären läßt, die erst unter Berücksichtigung der Wahrheitsfähigkeit der assertorischen Rede verstanden werden können. Letzteres würde hier allerdings zu weit führen, auf die identifizierende Funktion bestimmter Klassen von singulären Termini wird jedoch in unseren Ausführungen zur Rolle von Sortalen eingegangen. Wie Tugendhat zusammenfassend formuliert: "Als wichtigste Korrektur an Strawsons Auffassung ist die Widerlegung seiner Konzeption einer isolierten demonstrativen Identifizierung festzuhalten; diese Konzeption ist ein Residuum der traditionellen Theorie vom Gegenstandsbezug als einer schlichten Beziehung auf etwas unmittelbar Vorgegebenes und widerspricht der Einsicht, daß die Bezugnahme auf einen Gegenstand als Spezifizieren zu verstehen ist, als Herausstellen, welcher von allen gemeint ist."456
Unsere Eingangsfrage war, wie, bzw. mithilfe welcher Faktoren wir Einzeldinge als mit sich selbst identisch wiedererkennen können. Da sich die Identifikation von Einzeldingen - im grundlegenden Sinn des Spezifizierens -, wie wir gesehen haben, letztlich auf die Identifikation als Lokalisierung innerhalb eines einheitlichen raumzeitlichen Systems zurückführen läßt, wobei dies eine weitere Bestimmung im Rahmen einer Beschreibung oder Kennzeichnung, eine prädikative Ergänzung verlangt, kann die Frage jetzt auch so formuliert werden: Wie beschreibt Strawson diese Lokalisierung, und wie ist seine These des Verweisungszusammenhangs zwischen Dingen und Orten zu verstehen? Wie auch schon beim Phänomen der Identifikation muß es darum gehen, das Phänomen des Wiedererkennens nicht nur in seinem faktischen Vorhandensein zu erklären, sondern dessen Möglichkeit auch zu rechtfertigen. Zum einen wurde über Identifikation gesagt, daß sie Einordnung in ein einheitliches, kontinuierliches Raum-Zeit-System verlangt. Dabei zeigt es sich, daß es einen internen, gegenseitigen Verweisungscharakter von Einzeldingen und den, das raumzeitliche System bestimmenden Entitäten gibt. Unser Konzept eines einheitlichen, objektiven Raum-Zeit-Systems setzt nämlich nicht nur die Identifikation und Re-Identifikation von Einzeldingen voraus, sondern auch, daß wir in der Lage sind, Orte wiederzu456 Tugendhat, a.a.O., S. 404, m.H.
256 erkennen: Erst dadurch, daß wir die Wahrnehmungssituationen selbst objektiv lokalisieren können, können wir in wechselnden Situationen denselben raumzeitlichen Rahmen verwenden.457 Der Verweisungszusammenhang besteht also darin, daß Orte nur durch die Beziehungen zwischen konkreten Einzeldingen definiert sind, diese aber über eine kontinuierliche Existenz nicht nur in der Zeit, sondern auch im Raum verfügen müssen, was bei nicht-kontinuierlicher Beobachtung nur durch das Wiedererkennen von Orten als gewährleistet gelten kann. Sind wir etwa zum Zeitpunkt t1 mit einem demonstrativ zu identifizierenden Objekt x konfrontiert, und behaupten, es zu t2 als dasselbe Objekt x wiederzuerkennen, so reicht es für die Bestimmung der raumzeitlichen Relation zwischen beiden Objekten nicht aus, daß sie eindeutig zu einem dritten Objekt, einem gemeinsamen Bezugsgegenstand lokalisiert werden können. Dieses Objekt muß selbst als invariant, als unbewegt charakterisiert werden können, und das kann nur gelingen, wenn wir über objektive Raumpositionen verfügen. Orte wiederum lassen sich nur mithilfe der Identität der sie definierenden Gegenstände bestimmen. Wenn wir nun berücksichtigen, daß unsere faktische Wahrnehmung diskontinuierlich ist, die numerische Identität eines Gegenstandes uns also meist nicht einfach durch Beobachtung gegeben ist, reicht das Kriterium der relativen Unbewegtheit zur Bestimmung numerischer Identität nicht aus. Wie Strawson betont, können auch Elemente als identitätsstiftend angesehen werden, die insofern wesentlich sind, als sie dem Gegenstand unabhängig von unserer jeweiligen Betrachtung zukommen, d.h. in unterschiedlichen Kontexten und bei unterbrochenen Beobachtungsperioden. Solche wesentlichen Elemente können mithilfe dessen bestimmt werden, was Strawson "qualitative Wiederkehr" nennt: die Tatsache der wiederholten Beobachtung etwa desselben Musters oder desselben Arrangements von Objekten.458 Innerhalb einer zusammenhängenden Beobachtungsperiode kann klar unterschieden werden zwischen zwei beispielsweise deskriptiv unterschiedlichen Bezugnahmen auf ein und dasselbe Objekt, also numerischer Identität, und der Bezugnahme auf zwei qualitativ identische Objekte. Bei unterbrochenen Beobachtungsperioden sind wir gezwungen, Ähnlichkeitskriterien zu verwenden, so verweisen wir etwa darauf, daß die Beobachtungssituationen und Schauplätze, oder bestimmte Merkmale derselben, sich hinreichend ähneln oder genügend voneinander unterscheiden, um Klassen von Fällen unterscheiden zu können.
457 Vgl. Individuals, S. 32. 458 Vgl. Individuals, S. 33.
257 Aber was gibt uns Grund zu der Annahme, die verwendeten Kriterien lieferten nicht nur verschiedene Arten der qualitativen, sondern auch Anhaltspunkte in Bezug auf numerische Identität? Nur ununterbrochene Beobachtung scheint dies sicherstellen zu können. Da qualitative Identität keine numerische Identität verbürgt, qualitative Identität allein aber nicht ausreichend ist, um die Rede von Einzelding-Identität, die wir zur Sicherung unseres raumzeitlichen Bezugssystems brauchen, nämlich Identifikation als Wiedererkennen, zu begründen, scheinen wir vor einem Dilemma zu stehen: entweder wir meinen nicht, was wir tatsächlich meinen, d.h. wir sprechen, wenn wir von Identität sprechen, immer nur von (Arten von) qualitativer Identität, oder wir können uns dessen, was wir meinen, wenn wir von numerischer Identität sprechen, nie sicher sein.459 Machen wir uns unser Problem nochmals klar: Numerische Identifikation scheint im Fall ununterbrochener Beobachtung eines beispielsweise raumzeitlichen Gegenstands kein Problem darzustellen, weil die verlangte kontinuierliche Geschichte direkt wahrgenommen werden kann. Bei Beobachtungslücken hingegen brauchen wir Kriterien, bloß qualitative von numerischer Identität abzugrenzen, wir müssen angeben können, warum ein Gegenstand nicht nur der gleiche ist wie ein zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort Wahrgenommener, sondern der selbe. Erst mithilfe als identisch erkannter Gegenstände können wir auch Orte als identische wiedererkennen, und erst dadurch kann unser Raum-Zeit-System als ein geeinigtes, koordiniertes angenommen werden. Da wir es nicht nur mit einer Vielzahl von möglichen Entitäten zu tun haben, sondern als Beobachter auch immer eine bestimmte, beschränkte Perspektive einnehmen, ist die Annahme unbeobachteter Existenz für unser Begriffssystem folglich von zentraler Wichtigkeit: Damit wir überhaupt von Objekten reden können, deren Existenz von uns und unseren Zuständen oder Erlebnissen unabhängig sind, und nicht bloß von Sinnesdaten, für die das nicht gilt, müssen wir Sinn machen können aus der Annahme, ein Objekt habe bereits existiert, bevor wir es wahrnahmen, oder wird weiter existieren, nachdem wir es wahrnahmen, wir müssen also Gegenstände in nacheinanderfolgenden Wahrnehmungssituationen wiedererkennen können.
459 Vgl. Individuals, S. 34-36. Grundmann, a.a.O. S. 59ff., spricht diesbezüglich vom "Paradox der Identifikation". Ich halte seine Interpretation jedoch nicht für überzeugend: Ein Paradox ergibt sich m.E. nur, wenn man die skeptische Vorstellung akzeptiert, daß, um in Fällen der nicht-kontinuierlichen Beobachtung Gewißheit zu haben, eine kontinuierliche Beobachtung nötig wäre, dies ist aber genau die Vorstellung, die auch Strawson als selbstwidersprüchlich zurückweist.
258 Es wurde bereits eingangs darauf hingewiesen, daß die Frage danach, wie wir 'herausstellen, welcher von allen gemeint ist', im Hinblick auf Subjektausdrücke, die für konkrete Gegenstände stehen, auch formuliert werden kann als Frage danach, wie die Verwendung von Sortalen geregelt ist.460 Hier zeigt sich nun eine weitere identifikationstheoretische Besonderheit dieser Klasse von Ausdrücken. Wollen wir einen Gegenstand, dem wir zu einem bestimmten Zeitpunkt begegnet sind, zu einem späteren Zeitpunkt als denselben wiedererkennen, müssen wir imstande sein, die Frage 'derselbe was?' zu beantworten: Wir müssen beide Gegenstände oder beide Wahrnehmungen unter einen Begriff bringen, der uns erlaubt, die Anwendungsfälle dieses Begriffs zu unterscheiden, sowie angeben zu können, wieviele Objekte dieser einen Art wir wahrnehmen. Wir brauchen also Kriterien der Unterscheidung oder Enumeration sowie Kriterien der Re-Identifikation oder der Identität in der Zeit. Prädikate, die Kriterien der räumlichen Abgrenzung oder Konfiguration und der Zählbarkeit konkreter Gegenstände enthalten, werden auch als Sortale bezeichnet.461 Konzediert man, daß wir, wenn wir Gegenstände identifizieren und re-identifizieren, nicht jedesmal ein völlig neues und isoliertes räumliches System verwenden, sondern die räumlichen Beziehungen als objektiv aufeinander und auf meine jetzige, subjektive Situation bezogen verstehen, müssen wir einige Gegenstände auch re-identifizieren können. Können nun alle Sortale zur Re-Identifikation herangezogen werden? Da zwischen den einzelnen Zeitpunkten unserer Beobachtungen eines Gegenstandes beliebig lange Zeiträume liegen können, brauchen wir, um von der Identität eines Gegenstandes sprechen zu können, Kriterien, bloße Veränderungen ein und desselben Gegenstandes von dessen Vergehen unterscheiden zu können.462 Insofern müssen wir die Bedingungen präzisieren, denen Sortale 460 Vgl. Individuals, Teil II, S. 167ff. sowie die Ausführungen zu den sog. 'feature placing statements', S. 202ff., oder (1971a). Hierzu auch Tugendhat, a.a.O., Vorl. 26, S. 453-61, sowie die Ausführungen von Künne (1975), S. 171ff. 461 Künne a.a.O., S. 173ff., unterscheidet Individuativa, Kontinuativa und Abstrakta. Die meisten, aber nicht alle Individuativa sind sortale Ausdrücke, kategoriale Termini bsp. nicht, und für Abstrakta gilt, daß, wenn eine weitere Spezifikation vorgenommen wird, die ein Kriterium der Zählbarkeit liefert, manche von ihnen als Sortale verwendet werden können: So kann etwa der Begriff 'Gold' mittels der Ergänzung durch Barren als Sortal verwendet werden. 462 Vgl. hierzu etwa die Diskussion um das "Schiff des Theseus" in Analysis 32 und 33 (1972 und 1973), insbes. die Aufsätze von Smart und die Antworten etwa von Dauer oder Davis, oder die Debatten zwischen Garrett und Noonan sowie zwischen Lowe und Over in Analysis 45 und 46 (1985, 1986).
259 genügen müssen, damit eine stabile Referenz auf persistierende Gegenstände möglich ist: Sortale müssen einen Hinweis auf solche Eigenschaften enthalten, die einem Gegenstand, einer Klasse von Gegenständen wesentlich zukommen, oder anders formuliert, Sortale sollten uns ein Kriterium liefern, wesentliche oder essentielle Eigenschaften von akzidentellen zu unterscheiden. Manche Autoren unterscheiden Phasensortale, wie "Kind", "Jugendlicher" etc. von Substanzsortalen wie "Mensch": ein Erwachsener hört auf, ein Kind oder ein Jugendlicher zu sein, aber solange er lebt, hört er nicht auf, ein Mensch zu sein.463 Phasensortale enthalten ein Unterscheidungs- und Identifizierungsprinzip für zeitliche, Substanzsortale für räumliche Gegenstände. Daß aber auch mithilfe von Substanzsortalen keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen angegeben werden können, kann man sich leicht klar machen: Würden beispielsweise bei einem menschlichen Wesen sukzessive alle inneren Organe durch Maschinenteile ersetzt, dieses Wesen verhielte sich aber weiterhin wie gewohnt, ab wann würden wir nicht mehr von einem Menschen sprechen wollen? Erst, wenn auch Funktionen seines Gehirns von maschinellen Teilen übernommen werden? Aber was, wenn sich dieses Wesen in seinem Verhalten, seinen Gefühlen nicht änderte, wenn es gar über Erinnerung verfügte, die eine Kontinuität aufzuweisen scheint?464 Auch Substanzsortale liefern also möglicherweise keine notwendigen Bedingungen, die Identität eines Gegenstandes über Veränderungen hinweg eindeutig festzulegen. Andererseits ist diese Forderung vielleicht zu hoch: Daß sich solche Festlegungen ändern können, wenn wir über die 463 Etwa Wiggins, 1967, § 2, S. 28, hierzu auch Tugendhat, a.a.O., Vorl. 26, S. 453ff. Tugendhat spricht nicht von Substanz-, sondern von 'Gestaltprädikaten', ebd. Fn. 4/5, und betont, daß Phasensortale ein dem räumlichen analoges, zeitliches Abgrenzungskriterium für zeitliche Gegenstände bereitstellen, die er als Veränderungen definiert. 464 Ich kann hier weder auf das schwierige Problem personaler Identität, noch auf die Kausaltheorie der Referenz eingehen. Ob wir bei Sortalen, die für natürliche Arten stehen, über notwendige und hinreichende Bedingungen verfügen, kann offen bleiben. Allerdings halte ich Putnams berühmtes Argument für überzeugend, (Putnam 1975a), hierzu auch (Kripke 1980). Käme auf einer Zwillingserde eine Flüssigkeit vor, die von unserem Wasser qualitativ ununterscheidbar wäre, die aber nicht die Struktur H2O, sondern XYZ aufweist, würde wir diese nicht Wasser, sondern Zwasser nennen. Damit ist nur gesagt, daß wir Begriffe für natürliche Arten als rigide Designatoren verwenden (wollen). Würden wir jedoch eines fernen Tages eine Zwillingserde entdecken, in der natürliche Arten wie H2O - all other things equal - sich häufig nicht qualitativ identisch verhalten würden, wären wir eher geneigt, unserem naturwissenschaftlichen Klassifikationssystem zu mißtrauen, mit dessen Hilfe wir den begrifflichen Bestandteil des Stereotyps festlegen.
260 als paradigmatisch erachteten Exemplare neue Erkenntnisse gewinnen, daß wir also wissenschaftliche Theorien heranziehen, um über essentielle und akzidentelle Eigenschaften von Gegenständen zu entscheiden, kann kein Gegenargument sein. Dennoch verfügen wir mit Substanzsortalen über Objektbegriffe, die man als Bündel gesetzesartiger Aussagen, als Begriffe mit prognostischem Gehalt oder einfach nur als theoretische Begriffe bezeichnen kann.465 Gefordert ist hierfür nicht, daß diese Begriffe Gesetzmäßigkeiten, sondern nur, daß sie Regularitäten folgen. Wie im Anschluß an Wittgenstein mehrfach betont wurde, würde unsere Praxis der Identifikation und Re-Identifikation von objektiven Einzeldingen ihren Sinn verlieren, wenn diese ständig und in unvorhersehbarer Weise beispielsweise anwachsen oder einschrumpfen, sich auflösen oder teilen würden.466 Wie kann mithilfe dieser Überlegungen die behauptete kategoriale, oder wie Strawson auch sagt, ontologische Priorität von Dingen, objektiven, makroskopisch wahrnehmbaren Einzeldingen erklärt und gerechtfertigt werden? Betrachtet werden sollte ein grundlegender Typus von Sprechakt, Urteil oder Erkenntnis: Wir sprechen einem in einer Wahrnehmungssituation vorhandenen Gegenstand ein Prädikat zu, wir äußern einen singulären, prädikativen Satz. Strawsons Beschreibung der Identifizierung und ReIdentifizierung eines raumzeitlichen Gegenstandes nach einer unterbrochenen Wahrnehmungsperiode zeigt nun zum einen, daß allein in der Wahrnehmung auf etwas Gegebenes nicht eindeutig Bezug genommen werden kann: mit einem solchen wahrnehmungsmäßigen Herausgreifen kann der Gegenstand bestenfalls in einem schwachen Sinn identifiziert werden, erst im Zusammenspiel objektiver und subjektiver Lokalisierung vollzieht man ein Herausstellen, welcher von allen Gegenständen eines Gegenstandsbereiches der Gemeinte ist.467 Der angesprochene Bezug zu 465 Die Forderung, die Sortale erfüllen müssen, wird auch als Spezifitätsforderung bezeichnet: Individuationsbedingungen müssen Identitätsbedingungen für je eine bestimmte Kategorie von Entitäten bieten. 466 Erinnern wir uns auch an den § 142, PU: "Und verhielten sich die Dinge ganz anders, als sie sich tatsächlich verhalten [...]; würde, was Regel ist, Ausnahme und was Ausnahme, zur Regel; oder würden beide zu Erscheinungen von ungefähr gleicher Häufigkeit - so verlören unsere normalen Sprachspiele damit ihren Witz." 467 Einen ersten Bezug zu einer Pluralität hat sich bereits in unseren Überlegungen zu Identifikation ergeben: Ein in einer Wahrnehmungssituation gegebener, also subjektiv zu lokalisierender Gegenstand kann erst dann als eindeutig identifiziert gelten, wenn er mithilfe objektiver Lokalisierung in unser raumzeitliches System einzuordnen ist. Die
261 einer Pluralität besteht nämlich auch dann, wenn uns - etwa in einer idealtypischen Wahrnehmungssituation - nur ein Gegenstand gegeben ist: Etwas als etwas, als einen Gegenstand oder ein Objekt, und nicht etwa als ein Sinnesdatum, zu erkennen, auf das wir mit einem singulären Terminus referieren können, verlangt nicht nur, daß wir das Wahrgenommene unter Begriffe für sensorische Qualitäten bringen, wir müssen es - zumindest theoretisch - als räumlich und zeitlich konfiguriert erkennen und es wiedererkennen können. Will man einen Gegenstand nach einer Wahrnehmungslücke re-identifizieren, muß seine Existenz aber logisch unabhängig sein von meiner Wahrnehmung seiner Existenz. Ostensive Identifizierung, die Verwendung von deiktischen Ausdrücken wie "dies" etc., erlaubt keine eindeutige, objektive Lokalisierung eines Gegenstandes, und Raum-ZeitStellen können wir nicht als solche unterscheiden, sondern nur mithilfe von dort befindlichen Gegenständen, die unter sortale Prädikate fallen, die Kriterien der räumlichen und zeitlichen Abgrenzung und Re-Identifikation enthalten. Erst mithilfe sortaler Prädikate können wir Aussagen machen wie: "Der Gegenstand x, der sich zum Zeitpunkt t1 am Ort l1 befand, ist derselbe wie der Gegenstand y, der sich zu t2 am Ort l2 befand." Erst das Zusammenspiel subjektiv lokalisierender, deiktischer Ausdrücke, objektiv lokalisierender Kennzeichnungen und sortaler Prädikate erlaubt es uns, aus einer Vielzahl von in der Wahrnehmung gegebenen Gegenständen ein Einzelnes identifizierend herauszugreifen.468 Wie bereits oben formuliert wurde: Das Stehen eines Ausdrucks für einen Gegenstand ist nicht zu verstehen als schlicht demonstrative Relation, zu deren Klärung auf etwas in der Wahrnehmung Gegebenes gezeigt werden könnte, weil in einer solchen direkten Relation kein Herausstellen, welcher von allen Gegenständen gemeint ist, stattfindet. Strawson argumentiert mit Verweis auf unser faktisches Begriffssystem, daß der raumzeitliche Bezugsrahmen als einziger hinreichend allgemein sowie spezifisch ist, daß jeder Gegenstand mit jedem anderen in eindeutige Relationen gebracht werden kann, sodaß dieser für die Identifikation und Re-Identifikation als wesentlich anzusehen ist. Und durch den internen Verweisungscharakter von Raum-Zeit-Stellen und relativ beständigen, wahrnehmbaren Einzeldingen, die unter Sortale fallen, bieten sich Frage, inwieweit Identifikation, die in unserem Begriffssystem wesentlich raumzeitlich orientiert ist, in einem Begriffsystem zu rekonstruieren ist, das nur Begriffe für sensorische Qualitäten, aber keine Objektbegriffe beinhaltet, das also soz. 'statusneutral' ist, kann nur kursorisch behandelt werden. 468 Vgl. z.B. Tugendhat, a.a.O., Vorl. 27, S. 472-83, der diesbezüglich auch von 'reziproker' Verweisung spricht.
262 diese nun als der gesuchte Typus von grundegenden Einzeldingen, sog. 'particulars' an: Sie sind in ihrer Identifizierung nicht von einem anderen Typus von Einzeldingen abhängig.469 Ähnliche Auffassungen bezüglich der grundlegenden Funktion von raumzeitlichen Einzeldingen findet sich auch bei anderen Autoren zum Thema Raum und Materie, das generelle Bild bleibt im wesentlichen bestehen. So beschreibt etwa Swinburne raumzeitliche Identifikation als im Rahmen eines Bezugssystems aus materiellen Gegenständen stehend: "A place is identified by describing its spatial relations to material objects forming a frame of reference, and which are for this purpose regarded as fixed. Any set of material objects which over a period of time retain the same spatial relations among themselves may form a frame of reference and will form such a frame if they are used for locating places and objects."470 "[...] only given a frame of reference can we reidentify places. We can only say whether or not something is in the same place as it was before if we specify or take for granted the reference frame."471
Nur von raumeinnehmenden Entitäten kann richtigerweise gesagt werden, daß sie einen Ort haben. Alles, von dem richtigerweise gesagt werden kann, daß es einen Ort hat, ist ein räumliches Ding: "Spatial things are many and various. They include tables and chairs, rainbows and explosions, quantities of gas, fields of force, quantities of cosmic radiation, people, sounds, and smells. Spatial things may be divided into what I shall call material objects, mere physical objects, contingently dependent occupants of Space, and logically dependent occupants of Space."472 469 Von verschiedenen Autoren wird der Einwand vorgebracht, die Re-Identifikation von Einzeldingen sei nur mithilfe der Bezugnahme auf Ereignisse möglich. Vgl. z.B. den bereits erwähnten Aufsatz von Rorty (1971), oder Davidson (1980 (1969)). Dagegen argumentiert Künne m.E. überzeugend, daß wir, wenn wir einen Gegenstand reidentifizieren, zwar von dem Ereignis der letzten Identifikation berichten, auf dieses aber nicht referieren, vgl. (1975), S. 185f. Vgl. auch die Arbeit von Stoecker (1992), der unterschiedliche Vorschäge zur Individuation von Ereignissen diskutiert, und für eine raumzeitliche Individuation plädiert, die aber nicht reduktionistisch verfahren könne, da beide Kategorien von Entitäten auf unterschiedliche Weise raumzeitlich lokalisiert werden, bes. Kap. 14, S. 224ff. 470 (Swinburne, 1981) Space and Time, S. 11. 471 A.a.O., S. 12. 472 Ebd., m.H. Zur Terminologie 'abhängiger' und 'unabhängiger' Entitäten vgl. Strawson, Individuals, Teil II, Kap. 5.2, S. 168ff., sowie Künnes Adaption und kritische Diskussion in (1983), S. 72ff.
263 Materielle Objekte, angefangen bei makroskopischen wie Planeten oder Sternsystemen über mittelgroße, gebräuchliche Objekte wie Stühle, Tische etc. bis hin zu mikroskopischen wie Molekülen, zeichnen sich dadurch aus, daß sie die sog. primären Qualitäten aufweisen: Solidität, Ausdehnung, Form, Bewegung oder Ruhe und Zahl. Die Ausdehnung dieser Klasse kann mittels Variation zweier Kennzeichen abgesteckt werden, denen der Solidität (Festigkeit, Dichte), besser: der logischen Undurchdringlichkeit, und der Zusammensetzung. Als logisch notwendige Wahrheit wird dabei vorausgesetzt, daß keine zwei materiellen Objekte zum selben zeitlichen Moment am selben Ort sein können, dabei wird der Begriff des Ortes verstanden als "primärer Ort", d.h. logisch so präzise als möglich mithilfe der ihn umgebenden Oberfläche definiert. Mit Strawson räumt Swinburne also ein, materielle Objekte seien die wichtigste Klasse räumlicher Objekte: "[I]t is only by referring to them that we are able to talk about other things [...]"473 Aber es gebe noch drei weitere Klassen von räumlichen Dingen. Von diesen wiese zwar die Mehrzahl ebenfalls die genannten primären Qualitäten auf, allen aber fehle das Merkmal der logischen Undurchdringlicheit. Er nennt die Klasse bloßer physikalischer Objekte, wie beispielsweise Photonen, die Klasse logischerweise sowie die kontingenterweise abhängiger Raumbesetzer, Beispiel für ersteres wären Gravitationsfelder, für letzteres Geräusche und Gerüche. Räumlich, so die Begründung bei allen drei Klassen, seien die Phänomene, weil man ihren Ort angeben könne.474 Die in ihrer Existenz von der Existenz physikalischer oder materieller Objekte abhängenden Entitäten brauchen uns insofern nicht weiter zu beschäftigen, als wir die Frage der ontologischen Priorität einer bestimmten Klasse von Entitäten klären wollen. Was aber ist zu den sog. bloßen physikalischen Objekten zu sagen, deren Existenz unabhängig von der Existenz materieller Objekte sei? Welche Art von Unabhängigkeit ist gemeint? Unsere Frage war, ob es eine grundlegende, in ihrer Identifikation nicht auf andere Entitäten zurückweisende Klasse von Gegenständen geben kann, der der Status von objektiven Einzeldingen zukommen könnte. 473 Vgl. a.a.O., S. 15. 474 Vgl. a.a.O.: "They [physical objects] are spatial things for we can say where the photon is or talk about the quantity of radiation in interstellar space", S. 19, "It is a spatial thing for we can say where there is a gravitational field of such and such a strength and direction" und "These [smells and sounds] have places and so are spatial things", beide S. 20.
264 Die von Swinburne als Beispiele für die Klasse rein physikalischer, nicht materieller Objekte genannten Elementarteilchen liegen nicht in dem uns durch unsere Sinne vorgegebenen Wahrnehmungsbereich. Könnten sie trotz allem die ontologisch grundlegende Klasse von räumlichen Entitäten sein? Quinton, den man als weiteren Vertreter der These, materielle Objekte seien die primären räumlichen Dinge, nennen kann, verweist zum einen darauf, daß zu unserem Begriff von Raum die Vorstellung des Raumeinnehmens oder Raumbesetzens wesentlich gehört, daß aber gerade die Objekte, die sich nicht durch das Merkmal der logischen Undurchdringlichkeit auszeichnen, dies nicht erfüllen, sondern nur eine räumliche Position haben.475 Zum anderen, so wird argumentiert, setzt das Postulieren submikroskopischer, theoretischer Entitäten in mehrerlei Hinsicht die Existenz gewöhnlicher, mittelgroßer Objekte voraus. Quinton trennt den Bereich der materiellen Dinge in drei Ebenen, die sich, so die Behauptung, aber nur graduell unterscheiden: eine erste Klasse der direkt wahrnehmbaren, gewöhnlichen Objekte, eine zweite von Objekten, die mithilfe von Mikroskopen, aber nicht direkt wahrnehmbar sind, und eine dritte Klasse radikal unbeobachtbarer, submikroskopischer Objekte. Analogieschlüsse könnten dazu helfen, bestimmte, in der direkt beobachtbaren Welt geltende Regelmäßigkeiten und Merkmale auf die mithilfe von Mikroskopen wahrgenommenen Objekte zu übertragen, und so vermittelte Wahrnehmungen als Bestätigung oder Korrektur direkter Wahrnehmung zu verwenden. "More extended analogies are conceivable by means of which the realm of admissible material objects can be further extended into the theoretical domain. In general we can say that there is a material thing present wherever there is a fair analogy of effect, wherever situations are brought about that are in some respects comparable to the straightforwardly observable effects of common material things."476
Doch selbst wenn es gute Gründe geben sollte, bestimmten submikroskopischen Entitäten, so beispielsweise Elementarteilchen wie Photonen, diese Verwandtschaft abzustreiten, und sie wie Swinburne als nicht materiell anzusehen, so bleibt festzuhalten, daß sie nicht die gesuchte grundle475 Vgl. (Quinton, 1964): "By this convention all four geometrical types have position; volumes, areas and lines have size or are extended; volumes and areas have shape; [only] volumes occupy space. I think it is natural to suppose that the cartesian principle takes the occupancy of space, in other words, voluminousness or geometrical solidity, to be the essential attribute of matter." S. 334. 476 A.a.O., S. 346.
265 gende Klasse von Entitäten darstellen können, weil sie in ihrer Identifikation die Existenz gewöhnlicher Gegenstände voraussetzen. "Furthermore the fundamental evidence for the existence and nature of theoretical objects must all consist of statements about common objects, the literally perceptible pointers and mercury-columns, reports of which constitute the scientists basic experimental findings. Common objects, then, are doubly presupposed by theoretical ones; they are the basis of the analogies from which theoretical statements derive their meaning and the subject-matter of the reports to which theoretical statements owe their confirmation."477
Sind also materielle Gegenstände die für Identifikation als Unterscheiden und Wiedererkennen primären oder fundamentalen Einzeldinge? Könnte es eine andere als die Klasse materieller Gegenstände geben, die sich dafür eignet? Swinburne faßt Strawsons Ausführungen folgendermaßen zusammen: "Material objects are the most important occupants of space. Indeed, as Strawson has shown, it is only by referring to them that we are able to talk about other things - I identify a certain pain by referring to the person, the material object, whose the pain is; I identify a colour by saying which material objects it characterises, and so on."478
Diese verkürzte Darstellung der Argumentation Strawsons kann meiner Auffassung nach nur dann gelten, wenn man ein starkes "wir" liest, den impliziten Verweis auf unser faktisch verwendetes Begriffssysstem also berücksichtigt, denn wie eingangs erwähnt wurde, räumt Strawson in seinem Kapitel über Geräusche ein, daß in anderen begrifflichen Schemata bestimmte Arten von Objekten - sensorische Qualitäten - möglicherweise ohne Zuhilfenahme materieller Gegenstände zu identifizieren sind, ein Eingeständnis, das in der Literatur allerdings zurecht nicht unwidersprochen ge-blieben ist. Da unsere Frage nach der Möglichkeit eines Realismus, der die Intuitionen des Commonsense weitgehend zu rekonstruieren und begründen vermag, eher Strawsons allgemeinen Ansatz und weniger die spezifischen Details seiner Analyse betrifft, möchte ich meine Darstellung an dieser Stelle vorläufig unterbrechen und auf die anti-skeptische Zielsetzung deskriptiver Metaphysik eingehen.
477 Ebd. 478 Swinburne, a.a.O., S. 15.
266 V.2.2.3 Die skeptische Herausforderung Wie in den einführenden Überlegungen schon angedeutet, würde der Skeptiker Strawsons Argumentation nicht nur Zirkelschlüssigkeit vorwerfen, sondern insbesondere die Adäquatheit der für numerische Identität verwendeten Kriterien bestreiten: Bei Kriterien, die wieder nur auf Qualitativem, auf Ähnlichkeitsrelationen etc., beruhen, so die Herausforderung, können wir uns der Identität nie sicher sein. Für Strawson kann zu einer solchen Rechtfertigungsfrage nicht mehr gesagt werden, als daß "ein solcher Maßstab für Gewißheit einer Kontradiktion gleichkommt": der Maßstab also so festgelegt wäre, daß wir, um in Fällen unterbrochener Beobachtung Gewißheit haben zu können, ununterbrochene Beobachtung bräuchten.479 Aber - gegen Strawson - äußert der Skeptiker wirklich nicht mehr als die Tautologie, daß man nicht ununterbrochen beobachtet, was man nicht ununterbrochen beobachtet?480 Und kann von realistischer Seite nicht mehr getan werden, als einfach nur darauf zu verweisen, daß wir de facto in einigen Fällen der nicht-kontinuierlichen Beobachtung EinzeldingIdentität, also numerische Identität, zuschreiben? Unsere oben genannten Gründe müssen doch als 'gute Gründe' erwiesen werden können, oder derjenige, der nicht an die Kraft dieser Gründe glaubt, muß vor ein seiner Position immanentes Problem gestellt werden können. Strawson operiert dazu mit kontrafaktischen Überlegungen: Nehmen wir an, wir würden in solchen Fällen nie von Einzelding-Identität sprechen wollen. Da die Kontinuität des Raumes (oder räumlichen Systems) aber nur dann angenommen bzw. gerechtfertigt werden kann, wenn es feststellbare Einzelding-Identität gibt, würden wir nach der Unterbrechung unserer Beobachtungsperioden von einem je neuen räumlichen System ausgehen müssen. Einen Zweifel hinsichtlich der Identität eines Einzeldings mit einem anderen in einem neuen Raumsystem gäbe es dann nicht, weil Identität nur innerhalb eines Raum-Systems festzustellen ist und es für die Konstruktion eines größeren, die beiden Systeme umfassenden, sie als Sub-Systeme verstehenden, Rahmens wiederum zumindest einiger Fälle von Einzelding-Identität bedarf.481 Akzeptiert man also, so Strawson, die skeptische Herausforderung, unsere de facto verwendeten Gründe als erkenntnistheoretisch zwingende oder als de jure verwendete auszuweisen, und akzeptiert man zugleich den vom Skeptiker vorausgesetzten erkenntnistheoretischen Maßstab für diese Legi479 Vgl. a.a.O., S. 34. 480 Ebd. 481 Vgl. a.a.O., S. 35f.
267 timität, kann weder unsere Praxis der Einzelding-Identifikation noch die Verwendung eines umfassenden raumzeitlichen Rahmens aufrechterhalten werden. Hier ergibt sich nun meines Erachtens die schon erwähnte Schwierigkeit, die die skeptische Herausforderung zu legitimieren scheint: Strawson gibt sich mit dem Aufweis, daß eine solche, dem skeptischen Zweifel geschuldete (ontologische) Vorsicht ein erkenntnistheoretisches und ontologisches Weltbild ergeben würde, das nicht unseres ist, zufrieden. Der faktisch bestehende Unterschied - denn in unserem raumzeitlichen System ist ja durchaus auch bei unterbrochenen Beobachtungsperioden von numerischer Identität die Rede - wird aber selbst nicht wiederum dadurch gerechtfertigt, daß das alternative skeptische Begriffssystem oder Weltbild etwa durch den Aufweis eines internen Widerspruchs als unmöglich erwiesen würde.482 Sein Programm deskriptiver Metaphysik setzt unser eigenes begriffliches System als gegeben und bestimmt voraus, und untersucht, wie wir auch im folgenden sehen werden, dann nur noch die einem solchen Zweifel zugrundeliegenden Motive. Da wir, so könnte man Strawsons Argumentation überspitzt zusammenfassen, überhaupt Gründe haben, bei manchen Einzeldingen von numerischer Identität auch nach unterbrochener Beobachtung auszugehen, müssen diese Gründe auch 'gute Gründe' sein. Nun haben wir auch schon die Strategie kennengelernt, den Skeptiker selbst zur Angabe seiner 'guten Gründe' aufzufordern - solange er nicht zeigen kann, daß er über gute Gründe verfügt, brauchen wir uns nicht auf seine Forderung einer zusätzlichen Rechtfertigung einzulassen.483 Nun kann man aber meines Erachtens sofort sehen, daß Strawsons Vorgehensweise letztlich nicht überzeugt, denn der Skeptiker könnte es ja Strawson gleichtun und ebenfalls behaupten, daß er, wenn er überhaupt in der Lage ist, Gründe anzugeben, auch über 'gute Gründe' verfüge - es entsteht ein argumentatives Patt.484 482 Ob die für den Opponenten unumgängliche Annahme eines je neuen räumlichen Systems von Strawson als reductio ad absurdum verstanden wird, wie bsp. Bieri ihn liest, kann m.E. nur im Rahmen einer genauen Prüfung von Strawsons Gedankenexperiment einer rein phänomenalen Welt entschieden werden. Diesen Punkt können wir nicht behandeln. Vgl. den schon genannten Aufsatz "Quine, Strawson und der Skeptiker" von 1981, S. 36f. 483 Vgl. unser Kapitel IV. Auf diesen in jüngster Zeit vor allem von Michael Williams vorgebrachten Punkt werden wir in den Schlußüberlegungen nochmals eingehen. 484 Vgl. Bieri, a.a.O., bes. S. 38ff. Bieri betont meines Erachtens zurecht, daß eine anti-skeptische Rechtfertigung mehr leisten muß, als begriffliche Zusammenhänge de facto auszuweisen, eine de jure Ausweisung der von Strawson als logisch aäquat be-
268 V.2.3 Kritische Zusammenfassung Bevor wir auf den Punkt der anti-skeptischen Funktion deskriptiver Metaphysik und damit auf Frage eingehen, ob es Strawson gelungen ist, die in unserem faktischen Begriffssystem für die Identifikation konstitutiven Begriffe auf eine Weise einzuführen und zu verknüpfen, die dem transzendentalen Geltungsanspruch gerecht wird, soll das bisher Erreichte kritisch diskutiert werden. Kann Strawsons Vorhaben, ausgehend vom allgemeinen Charakter unseres Begriffssystems eine Klasse von Einzeldingen auszuzeichnen, die grundlegender als jede andere Klasse von Gegenständen ist, deren Identifikation von unserer allgemeinen Rede vorausgesetzt wird, als erfolgreich gelten? V.2.3.1 Grundlegende Einzeldinge Grundlegend oder ontologisch primär sind für Strawson Faktoren oder Einzeldinge dann, wenn sie für die Identifikation grundlegend sind.485 Unser Begriffssystem, so wurde weiter ausgeführt, ist in folgendem Sinn wesentlich raumzeitlich verfaßt: Erstens, weil nur dieses System eindeutig sowie einheitlich ist, so daß darin jedes raumzeitliche Element mit jedem anderen verknüpft werden kann; zweitens insofern, als unser Begriff der Existenz mit einer Lokalisierung in diesem System verknüpft ist, Dinge, die nicht in das raumzeitliche System eingeordnet werden können, werden auch nicht als wirklich angesehen; und drittens hilft uns dieses System auch insofern bei der Identifikation von Einzeldingen, als auch wir selbst einen Platz innerhalb dieses Systems einnehmen.486 Wenn diese Prämissen auf unser faktisch verwendetes Begriffssystem zutreffen, dann, so Strawson Punkt, sind auch raumzeitliche, d.h. raumeinnehmende und zeitlich andauernde Einzeldinge grundlegend, denn erst mithilfe des internen Verweisungszusammenhangs zwischen solchen Einzeldingen und räumlichen wie zeitlichen Gegenständen wird der gemeinsame Bezugsrahmen, unser gemeinsames Begriffssystem konstituiert. Man kann die gegen Strawson vorgebrachten Kritikpunkte unter folgenden Überschriften zusammenfassen: Problematisiert werden identikatizeichneten Kriterien numerischer Identität erfolge aber nicht. Auf diesen Punkt kommen wir zurück, wenn wir genauer überlegen, wie Strawson die skeptische Herausforderung meines Erachtens zu beantworten oder zurückzuweisen sucht. 485 Individuals, S. 38f., S. 59. 486 Vgl. auch Bernard Williams (1961), S. 315ff.
269 onstheoretische Aspekte, darunter seine Ausrichtung an Kommunikationssituationen wie auch die Adäquatheit der Kriterien für numerische Identität, eine gewisse Zirkelschlüssigkeit seines Ansatzes, sowie die ontologische Interpretation seiner identifikationstheoretischen Ergebnisse. Bezüglich der unser Bezugssystem konstituierenden Identifikationsleistungen können also im Wesentlichen drei Vorwürfe festgehalten werden: (1)
der Begriff der Identifikation fuße auf einem unaufgeklärten Begriff der Referenz;
(2)
in der Beschreibung unseres raumzeitlichen Systems werde der Verweisungszusammenhang zwischen deiktischen Ausdrücken, die subjektiv lokalisieren, und objektiv lokalisierenden Ausdrücken, zwischen denen die Möglichkeit geregelter Substitution bestehe, vernachlässigt, auch hier spiele der Begriff der Referenz eine Rolle;
(3)
die Begründung der Auszeichnung materieller Einzeldinge als primärer oder grundlegender Einzeldinge sei zu schwach.
(1) Argumentationslücken bezüglich verschiedener, unser referentielles System prägender Aspekte haben sich bereits in der Behandlung des Begriffes der Identifikation als solcher gezeigt.487 So haben wir gesehen, daß Strawson Identifikation wesentlich im Rahmen von Kommunikationssituationen einführt, und sie dabei vor allem als Hörer-Identifikation versteht. Auf die vom Sprecher zu erbringende Leistung wird nicht eigens eingegangen. Da Identifikation mittels Beschreibungen aber nicht den fraglichen Fall von eindeutiger Identifikation, also den Fall, in dem ein und nur ein Gegenstand der Beschreibung entspricht, gewährleisten kann, da bei Beschreibungen mittels Kennzeichnungen oder Namen es immer auch entweder keinen oder mehr als einen Gegenstand geben kann, auf den die Kennzeichnungen zutreffen, nennt Strawson als Bedingung für eindeutige Hörer-Identifikation, daß der Hörer eine individuierende Tatsache derart kennt, daß das betreffende Einzelding in eindeutige Beziehung zu einem direkt lokalisierten Einzelding zu bringen ist.488 Identifikation mithilfe von Beschreibungen beruht also letztlich auf demonstrativer Identifikation. 487 Insbesondere die erwähnte kritische Studie von Bernard Williams sowie die von David Pears, “Critical Study of P.F. Strawson's Individuals.” The Philosophical Quarterly 11 (1961): 172-185, Part I; 262-277, Part II. 488 Der verlangte objektive oder starke Sinn des Identifzierens ist notwendig, weil die Wahrheitsbedingungen einer Aussage sich nur erfassen lassen (und damit sich die
270 Für ein solches Verständnis von Identifikation ergeben sich aber verschiedene Probleme. Zum einen kann die Identifikationsleistung des Sprechers nicht in derselben Weise verstanden werden, da dies die Identifikationsleistung bei direkter Wahrnehmung des entsprechenden Objektes voraussetzt, diese bleibt dann entweder unaufgekärt oder muß als identifikationsfreies Gegebensein, als eine Art von Vorstellungsrelation verstanden werden. Und es wurde auch schon auf die weitere, durch Strawsons Gleichsetzung von Hörer-Identifikation und Wiedererkennen entstehende Schwierigkeit verwiesen: Urteile, die Wiedererkennen beschreiben, beinhalten bezüglich beider individuierenden Ausdrücke Existenzpräsuppositionen; identifiziert der Hörer das, wovon der Sprecher spricht, worauf dieser sich bezieht, als das, wovon ihm eine individuierende Tatsache bekannt ist, scheint der erstere der individuierenden Ausdrücke nicht auf einer solchen Präsupposition zu beruhen. Nimmt man das an, ist Strawsons Gleichsetzung falsch. Nimmt man aber an, es handele sich auch bei dieser Verwendung um einen Ausdruck, der die Existenz des fraglichen Gegenstandes voraussetzt, so müssen wir sagen, es gebe ein x, auf das der Sprecher sich bezogen hat, wenn es ein x gibt, auf das die in dem verwendeten individuierenden Ausdruck enthaltene Kennzeichnung zutrifft. Wie bereits oben gezeigt wurde, scheint es sinnvoller, Identifikation wesentlich in ihrer referentiellen Funktion zu verstehen, und zwar analog für Sprecher und Hörer, Referenz oder Bezugnahme aber im Zusammenspiel demonstrativer, mithin subjektiver und objektiver Lokalisierung zu analysieren. So verweist etwa Williams darauf, daß auch Hörer-Identifikation im wesentlichen darin besteht, daß eine Bezugnahme klar wird: "Hearer-identification is essentially the act of catching on to a reference, and is expressible in the form 'the thing he is referring to is the thing which ...'. This, on Strawson's account, reduces essentially to 'the thing that falls under the description which he used is the thing which ...'. If speaker-identification is defined by reference to hearer-identification, it will be a necessary condition of speaker-identification that the hearer has an independent description in hand; and this notion cannot be generalised to cover speaker-identification without benefit of hearer, as identification in thought."489
Und auch Williams führt dies auf die kommunikationstheoretische Orientierung Strawsons zurück, und betont darauf, daß die in diesem Zusammenhang eingeführten Begriffe solange unaufgeklärt bleiben, solange der Aussage verstehen läßt), wenn der Gegenstand eindeutig identifiziert wird, vgl. z.B. Strawson (1956), S. 438. 489 Williams, a.a.O., S. 314.
271 vorgängige Begriff der in Gedanken vollzogenen Bezugnahme eines Individuums auf Gegenstände nicht adressiert wird. Nicht-demonstratives Identifizieren mithilfe von Kennzeichnungen ist wesentlich allgemein, es ist immer möglich, daß mehr als ein Gegenstand der Beschreibung entspricht. Nicht-demonstrative Identifizierung mittels Kennzeichnungen kann also nur dann zu sicherer Identifikation führen, wenn das betreffende Einzelding eindeutig zu einem demonstrativ lokalisierten in Beziehung steht. Dieser Zusammenhang, so hatten wir schon im Rahmen der etwa von Tugendhat geäußerten Kritik gesehen, wird von Strawson aber nicht genügend expliziert. Er betont zwar den für unser raumzeitliches Individuierungssystem grundlegenden Verweisungszusammenhang von Orten und Gegenständen, nicht aber das Zusammenspiel subjektiver und objektiver Lokalisierung, das eine systematische Ersetzbarkeit der singulären Termini und der deiktischen Ausdrücke beinhaltet. Dies führt zum zweiten Kritikpunkt. (2) Nicht direkt lokalisierbare Einzeldinge müssen zu anderen, direkt lokalisierbaren in eine eindeutige Beziehung gesetzt werden können, um Identifikation zu ermöglichen. In unserem Begriffssystem dient dazu das raumzeitliche System. Von diesem wurde gesagt, (i) daß es einzigartig sowie geschlossen sei, (ii) daß es, relativ zu unserem Bezugsrahmen, nicht kontingent sei, sowie (iii), daß es uns dazu verhelfen kann, Einzeldinge, die zu diesem System gehören, zu uns selbst in eine eindeutige Beziehung zu setzen, da wir unseren jeweiligen Ort in diesem System kennen. Für die Behauptung der Nicht-Kontingenz unseres Begriffssystems ist besonders relevant, wie der von Strawson beschriebene Wahrheits- oder Geltungsanspruch der grundlegenden Faktoren unseres Begriffssystems analysiert werden muß. In diesem Zusammenhang sind wir vorne die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie Strawson den Faktor der einheitlichen Verfaßtheit unseres Rahmens über Raumzeitliches hinaus begründet. Was besagt sein zur Stützung des Rahmens oder Hintergrundwissens angeführtes Argument der Rationalität des "Eine-Welt"-Modells?490 Daß wir unsere Welt aus einzelnen Dingen und Ereignissen aufbauen und die Möglicheit unabsehbarer Verdoppelungen einfach ignorieren, sei, so Strawson, "völlig rational", und beruhe auf unserem gerechtfertigten Vertrauen in eine gewisse Gemeinsamkeit unserer Erfahrungen und unserer Informationsquellen. Natürlich könne die Szenerie, in der wir Gegenstände identifizieren müssen, unübersichtlich oder unordentlich sein, und ebenso könnte es im Universum identische Sektoren geben, die wir nicht 490 Individuals, S. 19-30 passim.
272 kennen oder überschauen können, in denen es zu Verdoppelungen kommt. Aber das Problem, so Strawson, entbehre sowohl in praktischer als auch theoretischer Hinsicht einer Grundlage, oder, wie er auch sagt, dieses Gefühl der Sorge sei bloß theoretisch, da es auf der Mißachtung der Tatsache beruhe, daß wir selbst in dem einen, raumzeitlichen System einen Platz einnehmen und diesen Platz kennen, so daß wir selbst einen Bezugspunkt bilden, mit dessen Hilfe das Netz individuiert werden kann.491 Daß wir einen einheitlichen Bezugsrahmen verwenden können, der eindeutige Identifikation erlaubt, hängt also letztlich auch damit zusammen, daß wir nicht wesentlich solipsistische Wesen sind, die allein über private Erlebnisse verfügen, sondern denen gleichursprünglich körperliche Prädikate zukommen: Wir leben in einer öffentlichen, objektiven und intersubjektiven Welt, wir sind Bestandteile einer 'öffentlichen Ordnung'.492 Damit bleibt als letzter Punkt der oben unter (3) genannte Einwand, Strawsons Begründung der Auszeichnung materieller Einzeldinge als primär oder grundlegend sei insgesamt zu schwach. Dieser Vorbehalt betrifft die Vorgehensweise wesentlich, und nimmt oft die Form an, Strawsons Ansatz eine Zirkelschlüssigkeit vorzuwerfen.493 Dies ist in der Literatur allerdings nicht unumstritten, und insofern möchte ich auf eine spezifische Variante dieses Einwands eingehen, die ich für zentral halte. Strawsons antiskeptische Argumentation, die bei der Identifikation festzustellende Ordnung sei, relativ zu unseren Erkenntnisbedingungen, als notwendig zu bezeichnen, basiert, wie wir bereits gesehen haben, auf einer Auffassung des Skeptikers als revisionärem Metaphysiker: Werden fak491 Individuals, ebd. sowie Kapitel 3. 492 Autoren wie etwa Evans, die diesen Punkt, daß wir selbst uns als Personen gleichursprünglich mentale wie körperliche Prädikate zuschreiben, wesentlich stärker als Strawson auch zum Ausgangspunkt ihrer Analyse unseres referentiellen Systems machen, kommen teilweise auch zu anderen Ergebnissen. Vgl. bsp. (Evans, 1982), Kap. 6 und 7. Auf Evans Herangehensweise können wir hier nicht eingehen, dies würde eine Diskussion des Begriffs der Referenz verlangen, die den Rahmen dieser Arbeit weit übersteigt. 493 Wobei der Vorwurf unterschiedlichste Formen annimmt: An kantischer Transzendentalphilosophie orientierte Autoren wie Aschenberg, Grundmann, Bittner oder auch Bird orten den Zirkel letztlich in der Methode, vgl. hierzu die diversen Fußnoten in meinem Text; Williams, a.a.O, hält den konstitutiven Bezug auf uns selbst als Personen für problematisch, dagegen aber Wiggins, der betont, daß eine Identifikation und Re-Identifikation des Selbst als Beobachters nicht verlangt ist, hierzu auch Strawsons Kritik an Bennett in (1997c), oder Woods, der eine harmlose Variante des Zirkels von einem Regress unterscheidet und argumentiert, daß die beschriebene bloße Abhängigkeit noch keinen Regress ergibt.
273 tisch bestehende Kategorienpräferenzen hinterfragt, wird, so Strawson, das Begriffsystem, das dem Zweifel erst seinen Sinn verleiht, gleichzeitig in Anspruch genommen und verworfen. Aber nicht jede Aufforderung, faktische Zusammenhänge zu rechtfertigen, als begriffliche oder notwendige auszuzeichnen, sei in der von Strawson nahegelegten Weise sinnlos: "For when Mr. Strawson tries to determine which particulars are basic in our system, he confines himself to available major categories. However, this is not just a convenient limitation imposed on the scope of the inquiry. Behind it there lies the belief that the old quarter of our conceptual city is firmly based on its own established criteria. How is this belief justified?"494
Wir wollen zeigen, daß die Struktur unserer Erfahrung so ist, daß die Bedingung für ein nicht-solipsistisches Bewußtsein oder Begriffssystem erfüllt wird oder werden kann: In unserem Begriffssystem machen wir einen Unterschied zwischen uns als dem Subjekt der Erfahrungen und dem, wovon diese Erfahrungen handeln. Es muß also möglich sein, daß Gegenstände existieren, ohne daß wir sie wahrnehmen, sowie, daß wir diese Gegenstände nach Beobachtungslücken wiedererkennen können. Und das hat zur Folge, daß wir auch über Kriterien verfügen müssen, um numerische von bloß qualitativer Identität zu trennen. Und diese Kriterien, so die skeptische Herausforderung, müssen solche sein, daß damit unsere - unbestrittene - Praxis des Wiedererkennens nicht nur beschrieben, sondern gerechtfertigt werden kann, sie müssen logisch adäquat sein. Aber was kann es heißen, daß man zeigen muß, daß die Kriterien logisch adäquat sind? Es kann entweder heißen, daß man eine formale Definition von Identität gibt, die entweder für alle Fälle identifizierenden Denkens oder für einzelne Arten von zu identifizierenden Gegenstände notwendige und hinreichende Kriterien angibt, oder daß man den Zirkel von involvierten Begriffen weiter untersucht, und zeigt, daß und wie diese sich gegenseitig so stützen, daß nicht ein einzelner aus dem Netz bezweifelt werden kann, ohne daß man auf das Gesamtnetz verzichtet. Ich denke, man wird Strawson nur gerecht, wenn man anerkennt, daß er beides versucht: Er gibt Kriterien an, mit deren Hilfe raumzeitliche Gegenstände als numerisch identisch bestimmt werden können. Und wenn wir für den Moment davon ausgehen, daß seine Analyse unseres Systems raumzeitlicher Identifikation in wesentlichen Zügen richtig ist, umstrittenere spezifische Einzelheiten innerhalb des vorgegebenen Rahmens korrigiert werden können, so kann man m.E. auch sagen, daß Strawson notwendige Kriterien 494 Diesen Punkt macht bsp. Pears, a.a.O., S. 175.
274 nennt. Aber, so könnte der Opponent weiter fragen, sind es auch hinreichende Kriterien? Wie Strawson selbst sagt, muß für eine Lösung des Problems der Identifikation "straightforward" nur gegeben sein, daß unser Intellekt diskursiv und unsere Anschauung rezeptiv ist, sowie gegeben sein, daß die Gegenstände, nicht als 'Gegenstände möglichen Wissens', sondern als Gegenstände in sich selbst, raumzeitlich sind. Da die Anwendung genereller Begriffe auf einzelne Instanzen verlangt, daß diese numerisch unterschieden werden können, brauchen wir Mittel, mit deren Hilfe wir diese Unterscheidung leisten können. Dazu liefern Raum und Zeit die 'uniquely necessary media': "[T]he one way in which they [the objects] could not fail to be distinguishable the one way in which they are necessarily distinguishable - is in respect of their spatial and/or temporal location."495
Nun kann natürlich eingewendet werden, daß die Prämisse bezüglich der Wirklichkeit raumzeitlicher Gegenstände voraussetzt, was erst erwiesen werden müßte: Vielleicht sei ja Kants Auffassung richtig, der streng zwischen Dingen an sich selbst und Erscheinungen trenne, und allein letztere als Gegenstände empirischen Wissens gelten lasse, und betont, Dinge an sich müssten in Abstraktion von den uns auferlegten Urteilsstrukturen und Formen der Anschauung gedacht werden. Nun hatten wir schon gesehen, daß diese Formulierung noch neutral ist: Ihre Interpretation hängt davon ab, ob man einen positiven oder negativen Begriff von Noumena oder Dingen an sich hat. Erst eine gehaltvolle, positive Beschreibung dessen, wovon unsere Erscheinungen Erscheinungen sind, indem man sie als Konstruktionen etwa aus Sinnesdaten oder aus Mustern von neuronaler Stimulation charakterisiert, könnte eine idealistische oder skeptische Position, die diesen Konstruktionen die objektive oder wirkliche Realität abspricht, oder ihnen eine nur empirische Realität, aber transzendentale Idealität zuschreibt, unterstützen. Obwohl sich Strawson gemeinhin eher vorsichtig ausdrückt, ist m.E. klar, daß er eine solche Lesart der Gedanken Kants nicht für sinnvoll hält, und ihn als Versuch interpretieren würde, 'zugleich innerhalb und außerhalb' unseres Begriffssystems zu stehen. Anders formuliert: In einer solchen Lesart wird Kants eigenes Sinnprinzip verletzt, das besagt, daß Begriffe empirische Anwendungsbedingungen verlangen. Hat man dagegen ein rein negatives Konzept des Begriffs des Noumenons, wird die Vorstellung leer: Wenn Dinge in sich selbst zu verstehen sind als 495 Strawson (1989), S. 72. Ähnlich auch in 1997 (f und g).
275 genau die Dinge, von denen Erfahrung möglich ist, nur eben in völliger Abstraktion von dem, was wir als Bedingung jeglicher solcher Erfahrung annehmen, fehlt jegliche positive Bestimmung eines Noumenons. Der transzendentale Idealismus Kants reduzierte sich auf die Behauptung, daß wir zwar Wissen von Dingen haben können, sich deren Natur aber über unser Wissen hinaus erstrecken mag, ein Eingeständnis, das die meisten von uns, wie Strawson, sagt, bereitwillig teilen würden. Wenn es aber zu der Annahme, Gegenstände seien an sich raumzeitlich konstituiert, keine verständliche Alternative gibt, sind die genannten Kriterien auch hinreichend, da die Alternative leer bleibt. Dies mag solange problematisch erscheinen, solange man nicht berücksichtigt, daß Strawsons Vorgehensweise begriffsanalytisch nicht nur in diesem engeren Sinn ist, sondern er, wie oben behauptet, auch zu zeigen versucht, daß der Begriff der Identifikation mit einem Zirkel von Begriffen zusammenhängt, die sich gegenseitig so stützen, daß nicht ein einzelner aus dem Netz bezweifelt werden kann, ohne daß das Gesamtnetz in Mitleidenschaft gezogen wird. Verwerfen wir die Vorstellung numerischer Identität, weil wir die genannten Kriterien nicht für logisch hinreichend erachten, können wir den Unterschied zwischen uns und den von uns unabhängigen Gegenständen, von denen unsere Erfahrungen handeln, von denen unsere Wahrnehmungen Wahrnehmungen sind, nicht mehr aufrechterhalten. Würde sich die Konzeption unserer Erfahrung aber hinsichtlich dieses Aspekts nicht bewahren lassen, hätte dies eine solipsistische Position nicht nur hinsichtlich der Außenwelt, sondern auch hinsichtlich der Selbst- und Fremdzuschreibung zur Konsequenz. Entsteht damit, wie oben formuliert wurde, ein argumentatives Patt? Denn jemand, der die skeptische Herausforderung für philosophisch zwingend erachtet, der eine Rechtfertigung - im Unterschied zu einer Erklärung - unserer Praktiken verlangt, könnte diese Konsequenz für die einzige Möglichkeit erachten, unsere kognitive Situation zu charakterisieren. Meines Erachtens ist dies genau der argumentative Moment, an dem man mit Strawson die Beweislast umkehren, eine analoge realistische Herausforderung formulieren muß: Es wurden Gründe genannt, die unsere Kriterien, numerische von qualitativer Identität zu unterscheiden, rechtfertigen, Gründe, die auch auf wesentliche Zusammenhänge innerhalb unseres begrifflichen Schemas verweisen. Verfügt der Opponent, so die Gegenfrage, seinerseits über Gründe, die der Konsequenz adäquat sind, diesen internen Zusammenhang grundlegender oder konstitutiver Begriffe unseres Selbstverständnisses als denkende und erfahrende Wesen aufzugeben?
276 Nach meinem Verständnis ist also die Begründung dafür, raumzeitliche Einzeldinge als grundlegend oder primär zu bezeichnen, gerade darin zu finden, daß Strawson vor allem die 'üblichen Kategorien der uns vertrauten begrifflichen Gegend' berücksichtigt. Die Priorität wird durch die ausgezeichnete Rolle erklärt, die Einzeldingen im Rahmen der Identifikation zukommt. Aber obwohl Strawson, wie seine Kritiker anmerken, sehr wohl sehe, daß dadurch dieser Klasse von Gegenständen nicht etwa mehr Wirklichkeit zukommt, spricht er davon, daß sie ontologisch primär sei.496 In welchem Sinn ist das zu verstehen? Es wurde bereits erwähnt, daß transzendentale Argumente vielfach dadurch charakterisiert werden können, daß sie erkenntnistheoretische und ontologische Aspekte nicht völlig losgelöst voneinander betrachten. Und die Kritik an der generellen Methode knüpft meist genau an den behaupteten ontologischen Schlußfolgerungen an, die von mir als charakteristisch erachtete Verbindung erscheint vielen Kritikern als nicht überzeugend. Für Strawson sind raumzeitliche Einzeldinge in erkenntnistheoretischer und ontologischer Hinsicht grundlegend, und zwar insofern wir andere Einzeldinge, Eigenschaften (primäre und/oder sekundäre) oder Ereignisse erst auf der Basis einer Identifikation der Gegenstände dieser Klasse identifizieren können. Aber auch wenn man akzeptiert, daß in dem Begriffssystem, das wir faktisch verwenden, die Kategorie 'relativ permanentes Einzelding mit dispositionalen Eigenschaften', Priorität vor der Kategorie der Ereignisse hat, erst mithilfe der weiteren These, daß wir Ereignisse nur im Rekurs auf Einzeldinge identifizieren können, kann diese kategoriale Präferenz auch gerechtfertigt werden. Wäre es möglich, Gesetzmäßigkeiten oder Regularitäten des beschriebenen Typs im Rahmen einer Theorie zu erklären, die solche Eigenschaften nicht mehr Entitäten zuschreibt, die den Charakter von Objekten haben, sondern Ereignissen, die als unabhängig begriffen werden, scheint die kategoriale Präferenz unseres Begriffsschemas zwar faktisch oder intern gerechtfertigt, nicht aber als einzig mögliche ausgezeichnet worden zu sein.497 Eine solche alternative Metaphysik haben wir 496 Vgl. Pears, a.a.O., S. 175, Williams, a.a.O., S. 315. Strawson spricht aber auch davon, daß Gegenständen oder Ereignissen, die sich nicht in das raumzeitliche System einordnen lassen, i.A. keine wirkliche - im Unterschied etwa zu fiktionaler - Existenz zugesprochen werde. Obwohl Strawson, wie mehrfach erwähnt, keinerlei Hang hat, abstrakten Gegenständen die Existenz abzusprechen, gibt es eine Trennung von 'natürlicher' und 'nicht-natürlicher' Existenz, die nicht genügend expliziert wird. 497 Damit können dann allerdings nicht Ereignisse oder Prozesse gemeint sind, die nur unter Zuhilfenahme makroskopisch wahrnehmbarer Körper re-identifiziert werden
277 etwa in der Diskussion von Quine kennengelernt, der für eine Ontologie plädiert, die letztlich physikalische Prädikate direkt Raum-Zeit-Stellen zuschreibt, und in dieser Diskussion hatte sich auch gezeigt, daß der theoretische Anspruch, der mit dem Aufweis einer solchen Alternative verbunden wird, sehr weitgehende Reformabsichten beinhaltet: Welche Ontologie wir für richtig erachten, ist nicht einfach eine Frage der Wahl - der Ökonomie, der Eleganz, der Nützlichkeit, sondern hängt eng mit der Frage zusammen, was wir als wirklich exitierend betrachten. Und insofern behauptet ein solcher Reformvorschlag revisionärer Metaphysik in Bezug auf die grundlegenden Entitäten unseres Begriffschemas, was Strawson bestreitet: die Möglichkeit, unsere Ontologie in wesentlichen Hinsichten zu verändern.498 Da der von uns favorisierte Commonsense-Realismus beansprucht, seine Ontologie von Einzeldingen und Ereignissen beschriebe unsere Welt, wie sie wirklich ist, würde eine solche Möglichkeit die skeptische Forderung unterstützen, unsere Ontologie nicht nur zu beschreiben, sondern zu legitimieren, der bescheidene Geltungsanspruch deskriptiver Metaphysik würde der anti-skeptischen Zielsetzung entgegenstehen. Die genannte Alternative kann auch unter dem Schlagwort des wissenschaftlichen Realismus gefaßt werden, die Diskussion dreht sich dann um die Frage, ob die beeindruckenden Fortschritte der wissenschaftlichen Erkenntnis bezüglich der Natur unserer Umwelt nicht zu drastischen Veränderungen unseres Commonsense-Weltbildes und -Begriffsschemas führen müssen. Diese Problemstellung soll aber für den Moment nur genannt sein. In Individuals adressiert Strawson diese Alternative nicht direkt.499 Und auch wir werden auf diese Frage erst anschließend, im Rahmen unser Ausführungen zu den in Scepticism and Naturalism vorgebrachten Überlegungen, eingehen. Aber auch hier - und das dürfte nach dem Vorhergehenden nicht wirklich überraschen - argumentiert Strawson dafür, die beiden Realismen nicht als wirkliche Alternativen anzusehen, da eine direkte, neutrale Konfrontation einer wissenschaftlichen und einer Commonsense-Auffassung der Welt können, sondern nur 'non-particulars'. Vgl. zur Ontologie von Ereignissen auch Künne (1983), Kap. 2. 498 Vgl. z.B. Individuals, S. 35. Da aber weder Strawsons Unterscheidung zwischen deskriptiver und revisionärer Metaphysik, noch der Begriff eines Begriffssystems präzise sind, ist die Frage, was eine Veränderung und was eine Zurückweisung eines solchen darstellt, nicht neutral zu beantworten. Vgl. auch unsere obigen Ausführungen zu Strawsons Kritik an nominalistischen und naturalistischen Ansätzen. 499 Vgl. aber die logisch-semantischen Überlegungen, a.a.O., Teil II, § 7, wo Strawson die Möglichkeit einer Sprache ohne Einzeldinge, einer sog. Grundzuglokalisierenden Sprache, diskutiert.
278 oder der Ontologie nicht möglich und die Wahl zwischen beiden Auffassungen eine Frage des Standpunktes sei. Eine solche Auffassung kann vielleicht verständlicher werden, wenn wir uns nochmals allgemeiner fragen, wie nach dem bisher Dargestellten Strawson die skeptische Herausforderung zu parieren sucht. V.2.3.2 Strawsons Umgang mit der skeptischen Herausforderung Was ist zu Strawsons methodischem Vorgehen zu sagen? Kommt seiner Behauptung einer ausgezeichneten Klasse primärer Einzeldinge transzendentale Geltung zu, und wenn ja, welche: starke oder nur bescheidene? Erinnern wir uns an die Ausführungen zum Begriff der Notwendigkeit: Einen starken Begriff von Notwendigkeit kann man entweder mithilfe einer Bestimmung notwendiger Propositionen als analytisch oder als apriorisch zu begründen suchen. Weist man aber mit Quine die Bestimmung mithilfe der Analytizität dadurch zurück, daß man die Möglichkeit der strikten Trennung eines empirischen und begrifflichen Bestandteils bestreitet und beschreibt Aussagen als in einem holistischen Netz stehend, scheint man den Begriff der Notwendigkeit nur noch vertreten zu können, wenn man an der erkenntnistheoretischen Position einer prinzipiellen Unrevidierbarkeit einer Klasse von Propositionen festhält, eine Voraussetzung, die selbst für die als paradigmatisch erachtete Klasse logischer Gesetze zumindest nicht unmodifiziert aufrechterhalten werden konnte. Es wurde aber auch gezeigt, daß die daraus resultierende die These des Fallibilismus sich nur gegen einen starken Begriff von Apriorizität wendet. Bescheideneren Versionen, die sich darauf beschränken, die Unverzichtbarkeit begrifflicher Zusammenhänge für unser momentanes Schema zu erweisen, beispielsweise, indem gezeigt wird, daß eine Revision - für uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellbar ist, die These des Fallibilismus in Bezug auf solche Zusammenhänge folglich leer ist, kommt gleichwohl eine Art transzendentaler Geltung zu. Strenggenommen sollte also in einem Ansatz, der die aufgewiesenen begrifflichen Zusammenhänge nicht als analytisch versteht, weniger von Notwendigkeit als von (relativer) Unanfechtbarkeit oder Unverzichtbarkeit die Rede sein: Strawsons Taktik, einen Zirkel von Begriffen aufzuzeigen, die so verwoben sind, daß der Verzicht auf einen der Bestandteile die Preisgabe auch der anderen Begriffe nach sich zieht, verstehe ich als bescheidene Variante transzendentaler Argumentation.500 Strawson 500 Insofern kann ich auch Grundmanns Kritik nicht zustimmen, der Strawson Fundamentalismus vorwirft und eine holistische Alternative vorschlägt, die sich aber letzt-
279 operiert zwar auch mit kontrafaktischen Konditionalen, aber die dadurch aufgewiesene begriffliche Notwendigkeit wird nicht als eine verstanden, die in allen möglichen Welten gilt. Strawson versucht nicht zeigen, daß materielle Entitäten in allen möglichen Begriffsschemata die grundlegenden Einzeldinge sein müssen. Und seine Vorgehensweise, so wird von manchen Interpreten beanstandet, besteht ebenfalls nicht darin, die aus der Ablehnung numerischer Identität resultierende skeptische Konsequenz, verschiedene, je neue räumliche Einzelsysteme annehmen zu müssen, als unmöglich, sinnlos oder widersprüchlich auszuweisen. Zur Diagnose und Zurückweisung der skeptischen Herausforderung verweist Strawson auf folgende, den Skeptiker, oder wie er auch sagt, den philosophischen Skeptiker allgemein kennzeichnende argumentative Figur: "He [the sceptic] pretends to accept a conceptual scheme, but at the same time quietly rejects one of the conditions of its employment. Thus his doubts are unreal, not simply because they are logically irresoluble doubts, but because they amount to the rejection of the whole conceptual scheme within which alone such doubts make sense. So, naturally enough, the alternative to doubt which he offers us is the suggestion that we do not really, or should not really, mean what we think we mean, what we do mean. But this alternative is absurd."
Und weiter: "For the whole process of reasoning only starts because the scheme is as it is; and we cannot change it even if we would. Finally, we may, if we choose, see the sceptic as offering for contemplation the sketch of an alternative scheme; and this is to see him as a revisionary metaphysician with whom we do not wish to quarrel, but whom we do not need to follow."501
Diese Figur ist uns bereits des öfteren begegnet: der Skeptiker will, wie Strawson auch sagt, 'zugleich innerhalb und außerhalb unseres Begriffssy-
lich von Strawsons Vorgehensweise nur dadurch unterscheidet, daß keine der für Identifikation wesentlichen Bedingungen als notwendig verstanden wird. Wird aber die Notwendigkeit der Re-identifikation zurückgewiesen, kann die Möglichkeit der Identifikation von objektiven Raumpositionen nicht erklärt, sondern muß vorausgesetzt werden. Vgl. a.a.O., S. 59ff. Meines Erachtens fußt Grundmanns vermeintlicher Gegensatz zwischen fundamentalistischer und holistischer Methode auf einer Mißinterpretation von Strawsons Vorgehen als transzendental im Sinne Kants. Und auch der Gegensatz kann nicht überzeugen, so finden sich auch in holistisch verfahrenden Erklärungen Behauptungen über begriffliche, und mithin analytische oder notwendige Zusammenhänge. 501 A.a.O., S. 35f.
280 stems' stehen. Er gibt vor, dieses zu akzeptieren, verwirft aber zugleich eine der Grundbedingungen für dessen Anwendung. Zusammenfassend kann man also Strawsons Argumentation so skizzieren: Wenn skeptische Zweifel der Ablehnung eines ganzen Begriffssystems gleichkommen, innerhalb dessen sie erst sinnvoll oder überhaupt nur verständlich sind, kann die Begründungsforderung des Skeptikers gerechtfertigterweise zurückgewiesen werden: "It is only because the solution is possible that the problem exists."502 Auf diese Struktur transzendentaler Argumentation wurde bereits in den Eingangsüberlegungen verwiesen. Sein Programm kann aber meines Erachtens oft nicht zeigen, was zu zeigen er - z.B. durch die eben zitierte Behauptung, wir könnten, auch wenn wir wollten, unser begriffliches Schema nicht ändern - verpflichtet ist, sein "Zugeständnis", der Skeptiker sei vielleicht zu verstehen als "Metaphysiker mit Reformabsichten", wird dadurch leer. Entweder unser System kann reformiert werden, dann ist es auch sinnvoll, über seine Adäquatheit nachzudenken, es zu rechtfertigen. So könnte man Strawsons Taktik, die im zweiten Kapitel über Geräusche beschriebene Möglichkeit einer Art von phänomenalistischer Welt nicht zu verwerfen, als Anzeichen für die Möglichkeit einer Revidierbarkeit unserer Ontologie, unseres begrifflichen Schemas, unserer Metaphysik interpretieren, dann muß er seine Version aber gegen solche Vorschläge auch verteidigen können. Oder diese Grundannahmen können nicht verändert werden, dann muß allerdings positiv mehr über deren Unverzichtbarkeit oder Unanfechtbarkeit gesagt werden. Zugestanden: Wir können unser Begriffssystem nicht grundlegend ändern, wenn wir Realisten sein wollen. Aber die Auffassung, daß ein idealistisches Begriffssystem zwar vielleicht nicht unseres ist, aber sein könnte - und eben vielleicht sein sollte, ist damit allein nicht widerlegt. Nun findet sich in dem angegebenen Strawson-Zitat auch der Verweis darauf, daß die skeptischen Zweifel "logically irresoluble", also mit Mitteln der Logik nicht aufzulösen seien, und an anderen Stellen, daß sie widersprüchlich oder selbstwidersprüchlich seien.503 Es wurde aber ebenfalls betont, daß man - auch unter Berücksichtigung des Fallibilismus - die skeptische Herausforderung so verstehen muß, daß sie den Kontrast nicht zwischen Gewißheit und Revidierbarkeit, sondern Gewißheit und Willkürlichkeit herstellt. Die Argumentation muß folglich nicht zeigen, daß un502 A.a.O., S. 50. 503 Diesen Punkt betont etwa Rosenberg, der der von Strawson im Kapitel über Geräusche eingeräumten Möglichkeit, auf den Begriff numerischer Identität zu verzichten, vorwirft, der Forderung nach nicht-willkürlicher Zählung zu widersprechen, damit also ein idealistisches Weltbild zu implizieren, vgl. (Rosenberg, 1980).
281 ser begriffliches Schema nicht revidiert werden kann, sondern es muß gezeigt werden, daß die Strukturen dieses Schemas nicht willkürliche, sondern bestimmte oder notwendige sind. Dieser Anforderung ist Genüge getan, wenn es gelingt, die gesuchte, determinierte Struktur des Schemas als solche auszuzeichnen, zu der es für uns - weil der Gottesstandpunkt nicht einzunehmen ist - keine Alternative geben kann, und für die darüberhinaus noch unabhängige Gründe gegeben werden können, die sie als eine korrekte, eine der Welt adäquate, erscheinen lassen. Gezeigt werden muß also zum einen etwas in der Art, daß die 'Reformabsichten' derart weitgehend sind oder sein müssen, daß sie der anfänglichen skeptischen Motivation widersprechen, und zum anderen müssen die Gründe, die für die Akzeptanz des Begriffs der numerischen Identität sprechen, als ausreichend ausgewiesen werden. Ich denke, man sollte Strawson zugestehen, daß die Rede von logisch adäquaten Kriterien in diesem Sinn zu präzisieren und verstärken ist, daß gezeigt werden kann, daß unsere Gründe, Einzelding-Identität nicht nur qualitativ, sondern numerisch zu verstehen, gut abgesichert sind und diese Auffassung in unseren kognitiven Praktiken tief verankert ist, sowie daß, wie Bieri es formuliert, "ein solches System gegenüber anderen ein Plus an explanatorischer Kohärenz mit sich bringt".504 Meiner Ansicht nach wurde gezeigt, daß es ohne materielle Einzeldinge nur einen äußerst eingeschränkten Begriff von Identifikation geben kann, der unseren faktischen Erkenntnisfähigkeiten oder -möglichkeiten nicht entspricht, sodaß unter Berücksichtigung dieser eher holistisch operierenden Voraussetzung von einer bescheidenen Notwendigkeit gesprochen werden kann. Aber es wurde auch festgehalten, daß eine Ontologie, die die Verbindung der logisch-semantischen Strukturen mit der Welt, deren 'hook-up', nicht auch im Rahmen einer Wahrnehmungstheorie zu erklären oder rechtfertigen vermag, die grundlegenden erkenntnistheoretischen Strukturen unaufgeklärt läßt.505 Mit Scepticism and Naturalism liegt eine Arbeit Strawsons vor, die dieses Desiderat einzulösen verspricht, hier wird die skeptische Herausforderung vor allem methodisch sowie im Hinblick 504 A.a.O., S. 45. 505 Dieser Einwand richtet sich allerdings auch gegen formalsemantische Ansätze wie den, gegen Strawson in Anschlag gebrachten Ansatz von Tugendhat: In unserer Verwendung von Sprache drücken sich kognitive Strukturen aus, die erst im Zusammenspiel unterschiedlicher Vermögen verständlich sind. Dieser Punkt wird vor allem in den abschließenden Überlegungen und der darauffolgenden Auseinandersetzung mit McDowell wichtig, und kann auch als nicht unbeträchtliches Eingeständnis gegenüber naturalistischen Positionen aufgefaßt werden.
282 auf die internen Verbindungen von Erkenntnis und Wahrnehmung thematisiert. Wir wollen uns im Folgenden also vorwiegend der Frage widmen, ob deskriptive Metaphysik, verstanden als genügsame Version transzendentaler Argumentation, die skeptische Herausforderung auf dieser grundlegenden Ebene entkräften kann. V.3 Skeptizismus und Naturalismus "Ich glaube, daß ich Ahnen habe und daß jeder Mensch sie hat. Ich glaube, daß es verschiedene Städte gibt, und überhaupt an die Hauptdaten der Geographie und der Geschichte. Ich glaube, daß die Erde ein Körper ist, auf dessen Oberfläche wir uns bewegen, und daß er sowenig plötzlich verschwindet oder dergl. wie irgendein andrer fester Körper: dieser Tisch, dieses Haus, dieser Baum etc. Wenn ich an der Existenz der Erde lange vor meiner Geburt zweifeln wollte, müßte ich alles mögliche bezweifeln, was mir feststeht. Und daß mir etwas feststeht, hat seinen Grund nicht in meiner Dummheit oder Leichtgläubigkeit."506
V.3.1 Methodische Voraussetzungen Eine zwar noch unter der Überschrift deskriptiver Metaphysik zu fassende, aber in den Grundzügen veränderte Herangehensweise findet sich in Strawsons späteren Arbeiten. Am deutlichsten manifestiert sich dieser Wandel in den Woodbridge-Lectures von 1983, erschienen 1985 unter dem Titel Skepticism and Naturalism. Some Varieties.507 Die bereits in Individuals zentrale, aber einigermaßen willkürlich erscheinende Unterscheidung von verschiedenen Skeptizismen, philosophischen und eher alltäglichen, wird jetzt präzisiert und als Grundbaustein der antiskeptischen Strategie verwendet. Zwar kann bezweifelt werden, daß Strawson in Individuals wirklich versucht hat, den 'Skandal der Philosophie' zu lösen, also die Existenz der Dinge außerhalb von uns gegen jemanden zu beweisen, dem es einfällt, diese zu bezweifeln.508 Daß dennoch mit der damals verwendeten Form von transzendentaler Argumentation die Hoffnung auf eine antiskeptische Lösung verbunden wurde, zeigt sich meines Erachtens gerade darin, daß der Skeptiker als Opponent nicht wirklich ernst genommen wird. Die Mög506 Wittgenstein, Über Gewißheit, i.F. ÜG, (1984 (8)), §§ 234/5. 507 (Strawson, 1985), i.F. S&N. 508 Etwa indem man darauf verweist, daß Strawson seine Vorgehensweise als deskriptiv bezeichnet, und die Legitimation bestimmter Erfahrungs- oder begrifflicher Zusammenhänge folglich nicht als absolut, sondern als relativ zu unserem faktisch verwendeten System kennzeichnet.
283 lichkeit einer radikalen Infragestellung unseres Begriffsschemas als eines realistischen wurde von Strawson sowenig in Erwägung gezogen, daß er auch kein Problem darin sah, die Möglichkeit einer alternativen Welt, bestehend aus Audibilia, einzuräumen, in der Erkenntnis - mit den Korolarien des Wiedererkennens nichtwahrgenommener Existenz - gewährleistet ist: Damit eröffnet sich aber möglicherweise zugleich ein Weg, die skeptische Herausforderung in die skeptische Hypothese zu verwandeln, unsere Welt bestünde ebenso aus phänomenalen, nicht aber objektiven Gegenständen. In Strawsons Vorgehensweise schien die Möglichkeit einer epistemischen Lücke angelegt, einer Kluft zwischen dem, was wir, etwa aus erkenntnistheoretischen Erwägungen, für richtig erachten und dem, was in ontologischer Hinsicht wirklich ist. Aber nicht nur gemäß einem strengen Anspruch an die Beweiskraft transzendentalen Vorgehens, auch wenn man transzendentale Argumentation im hier verteidigten Rahmen eines bescheidenen Geltungssanspruchs verortet, der es sich zur Aufgabe macht, die Verbindung von erkenntnistheoretischen und ontologischen Notwendigkeiten zu plausibilisieren, muß die antiskeptische Funktion erhalten bleiben. Die zentrale Aufgabe besteht also weiterhin darin, der skeptischen Herausforderung zu begegnen, und wie sich zeigen wird, heißt dies jetzt, abweichende Interpretationen der unserem Begriffschema zugrundeliegenden begrifflichen Zusammenhänge als ungefährliche Alternativen auszuweisen. Die Argumentation Strawsons in Individuals wird oft als Paradigma zeitgenössischer oder auch analytischer transzendentaler Argumentation bezeichnet, und die meisten Kommentatoren halten daran fest, daß Strawson versucht habe, eine - cartesianische - Version des Skeptizismus zu widerlegen. Auch in Skepticism and Naturalism dient die skeptische Position als Kontrast, mit dessen Hilfe die eigene Position entwickelt wird. Aber expliziter als in früheren Arbeiten zielt Strawsons Argumentation nicht auf eine Widerlegung des Skeptizismus, sondern auf eine Entkräftung der ihm zugrundeliegenden Motivation. Diese Verschiebung spiegelt sich auch in einer neuen Beschreibung oder Charakterisierung des Skeptizismus: "Strictly, skepticism is a matter of doubt rather than of denial. The skeptic is, strictly, not one who denies the validity of certain types of belief, but one who questions, if only initially and for methodological reasons, the adequacy of our grounds for holding them. He puts forward his doubts by way of a challenge sometimes a challenge to himself - to show that the doubts are unjustified, that the beliefs in question are justified."509 509 S&N, S. 2.
284 Und bezogen auf das für uns zentrale Problem des Realismus, der unabhängigen Existenz der Außenwelt, formuliert Strawson diese Herausforderung folgendermaßen: "At its most general, the skeptical point concerning the external world seems to be that subjective experience could, logically, be just the way it is without its being the case that physical or material things actually existed."510
Die skeptische Herausforderung besteht demnach in der Aufforderung, zu zeigen, daß unsere subjektiven Erfahrungen oder Erlebnisse einen direkten Zugang zur Außenwelt beinhalten, oder, im Hinblick auf zugrundeliegende holistische Zusammenhänge formuliert, zu zeigen, daß unsere subjektiven Erfahrungen ohne diese Welt objektiver, d.h. raumzeitlicher und zumeist materieller Gegenstände so nicht möglich wären. Versteht man diese Herausforderung als Aufforderung, unser Begriffssystem 'von außen', und das heißt auch, voraussetzungslos, zu rechtfertigen, kann sie nicht beantwortet werden, eine solche externe Frage muß zurückgewiesen werden. Externen Ansätzen, so Strawsons im Anschluß an Stroud formulierte Kritik, gelänge es nicht, die skeptische Herausforderung zu beantworten, und zwar Quines naturalistischer Epistemologie ebensowenig wie vor ihm den Programmen von Moore oder Carnap. Dennoch, Carnaps Versuch, die Frage nach der Rechtfertigung nicht einzelner Sätze, sondern unseres Begriffssystems als solchem als der Welt korrespondierend, als überzogen zurückzuweisen, sei zwar durch den vorausgesetzten Verifikationismus dogmatisch, weise aber in die richtige Richtung.511 Bevor jedoch dazu übergegangen werden könne, gleichsam interne Fragen nach der Gültigkeit alternativer Rechtfertigungssysteme zu beantworten:
"[...] it must first be shown that there is something radically faulty, radically misconceived, about the skeptical challenge, about regarding [...] the external question as raising a genuine issue."512
Dazu könnten transzendentale Argumente dienen. Diese, so Strawson, nehmen üblicherweise eine von zwei Formen an: Entweder man geht von einer Prämisse aus, die auch der Skeptiker teilt, und zeigt dann, daß eine Bedingung der Möglichkeit der geteilten Prämisse in der vom Skeptiker 510 S&N, S. 5. 511 Vgl. bsp. (Carnap, 1956). 512 S&N, S. 8.
285 geleugneten Existenz externer Gegenstände besteht. Oder man versucht aufzuzeigen, daß der Skeptiker, um seinen Zweifel zu formulieren, Begriffe verwenden muß, zu deren Anwendungsbedingungen es gehört, daß er von der Wahrheit zumindest einzelner der bezweifelten Propositionen weiß.513 Stroud, so weiter Strawson, meint nun ein Dilemma aufzeigen zu können: Entweder man setzt auch hier wieder eine Form des Verifikationsprinzips voraus, dies gelte vor allem für Argumente der zweiten Form, oder die transzendentalen Argumente zeigten nur, daß wir zwar davon ausgehen müssen, daß bestimmte Propositionen wahr sind, so beispielsweise die Behauptung, daß wir über Wissen von externen physikalischen Objekten verfügen, dies impliziere aber nicht, daß diese Propositionen auch tatsächlich wahr seien. "In either case, according to Stroud, the sceptic is unshaken because he does not deny that we do, and need not deny that we must, employ and apply the concepts in question in experiential conditions which we take to warrant or justify their application. His point is, and remains, that the fulfillment of those conditions is consistent with the falsity of all the propositions we then affirm; and hence that - failing further argument to the contrary - we cannot be said really to know that any such propositions are true."514
Unter dieser Interpretation läßt sich die Behauptung, der Skeptiker sei ein Zweifler, der uns auffordere, zu zeigen, daß seine Zweifel nicht gerechtfertigt seien, nicht aufrechterhalten. Sind mit diesen beiden Reaktionen alle Möglichkeiten ausgeschöpft? Muß man die Herausforderung annehmen; haben wir nur die Möglichkeit, den Skeptizismus entweder durch rationale Argumentation direkt zu widerlegen, oder ihn als unverständlich oder selbstwidersprüchlich auszuweisen? Strawson sieht eine andere Möglichkeit, "a different kind of response to skepticism - a response which does not so much attempt to meet the challenge as to pass it by."515 Diese dritte Vorgehensweise oder Strategie, die er mit Hume und im besonderen Wittgenstein verbindet, bezeichnet Strawson als 'liberalen', 'weichen' oder auch 'menschlichen' Naturalismus.516 Was ist damit gemeint? 513 Vgl. Strawson, S&N,, S. 8f. 514 S&N, S. 10. 515 S&N, S. 3. 516 Hinsichtlich der philosophischen Terminologie herrscht oft keine Übereinstimmung, und dies gilt besonders für den Begriff des Naturalismus: Wie sich zeigen wird, entspricht Strawsons Form des 'liberalen Naturalismus' in keiner Weise dem mit Quine verbundenen, gängigen Begriff des Naturalismus, und auch sein in S&N diskutierter Ansatz ist eher als transzendental im bescheidenen Sinne zu bezeichnen. Die Bezeich-
286 V.3.2 Strawsons Naturalisierung der Philosophie Die Natur, so führt Strawson Überlegungen Humes aus dem Treatise of Human Nature aus, lasse uns keine andere Möglichkeit, als mit absoluter und unkontrollierbarer Notwendigkeit an bestimmte Sachverhalte wie z.B. die Existenz von Körpern zu glauben.517 Insofern ließen sich zwei Ebenen des Denkens unterscheiden, die des philosophischen, kritischen Denkens, die uns nicht gegen den Skeptizismus versichern könne, und die des üblichen empirischen Denkens, bei dem die 'Anmaßungen des kritischen Denkens' durch die Natur selbst unterdrückt und überwunden werden, durch die unvermeidliche oder zwangsläufige Verpflichtung, an die Existenz von Körpern und die auf Induktion gegründeten Erwartungen zu glauben. Diese Einsicht könne als die naturalistische Seite in Humes Denken bezeichnet werden, die Vernunft, unser kritisches Denken, spiele eine Rolle nur innerhalb unseres, durch diese Rahmenbedingungen festgelegten Begriffssystems. Wenn aber die Vernunft der Natur nur bei-, nicht aber übergeordnet werden könne, könnten skeptische Zweifel letztlich die Festlegung auf diese Grundüberzeugungen auch nicht erschüttern, sie seien vergeblich. Eine ähnliche Vorgehensweise, in der ebenfalls Fragen, die sinnvoll gestellt werden können, von solchen unterschieden werden, für die das nicht gilt oder gelten kann, sieht Strawson bei Wittgenstein.518 Im Besonderen finden sich solche Überlegungen in Wittgensteins Über Gewißheit. Dort werden bestimmte Sätze als grundlegend zu unserem Weltbild, zu unserer Lebensform gehörend ausgezeichnet und mit Regeln verglichen, deren Wahrheit im Vollzug unserer Sprach-Spiele vorausgesetzt sind. § 83 "Die Wahrheit gewisser Erfahrungssätze gehört zu unserem Bezugssystem."
nung 'menschlicher Naturalismus' scheint noch am angemessensten, weil in ihr zumindest die geläufige Idee des internen Realismus' anklingt, s.a. S&N, S. 27, oder unsere Fn. 298. Auch in der Literatur hat sich Strawsons Terminologie nicht durchgesetzt. 517 Vgl. Treatise, Selby-Bigge ed., Buch 2, Abs. 3, S. 415, Buch 1, S. 183, 187. Strawson faßt den Punkt folgendermaßen zusammen: "His point is really the very simple one that, whatever arguments may be produced on one side or the other of the question, we simply cannot help believing in the existence of body, and cannot help forming beliefs and expectations in general accordance with the basic canons of induction." S&N, S. 11. 518 Zur Parallele zwischen Hume und Kant, vgl. S&N, S. 18ff.
287 §§ 94-95 "Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe; auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin. Sondern es ist der überkommene Hintergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide. Die Sätze, die dies Weltbild beschreiben, könnten zu einer Art Mythologie gehören. Und ihre Rolle ist ähnlich der von Spielregeln, und das Spiel kann man auch rein praktisch, ohne ausgesprochene Regeln, lernen." § 105 "Alle Prüfung, alles Bekräften und Entkräften einer Annahme geschieht schon innerhalb eines Systems. Und zwar ist dies System nicht ein mehr oder weniger willkürlicher und zweifelhafter Anfangspunkt all unserer Argumente, sondern es gehört zum Wesen dessen, was wir ein Argument nennen. Das System ist nicht so sehr der Ausgangspunkt, als das Lebenselement der Argumente."
Und in anderen Paragraphen ist die Rede von der Funktion bestimmter Auffassungen als dem "Gerüst aller unsrer Betrachtungen"(§211), davon, daß bestimmte Annahmen im ganzen System unserer Sprachspiele zum Fundament gehören, sie die Grundlage des Handelns und damit auch des Denkens bilden (§411), oder daß "gewisse Sätze am Grunde aller Fragen und alles Denkens zu liegen scheinen" (§415).519 Gewißheit, so könnte man mit Wittgenstein sagen, erreicht man nicht dadurch, daß alles bezweifelt wird: §§ 341-343 "D.h. die Fragen, die wir stellen, und unsre Zweifel beruhen darauf, daß gewisse Sätze vom Zweifel ausgenommen sind, gleichsam die Angeln, in welchen jene sich bewegen. D.h. es gehört zur Logik unsrer wissenschaftlichen Untersuchungen, daß Gewisses in der Tat nicht angezweifelt wird. Es ist aber damit nicht so, daß wir eben nicht alles untersuchen können und uns daher notgedrungen mit der Annahme zufriedenstellen müssen. Wenn ich will, daß die Türe sich drehe, müssen die Angeln feststehen."
Was aber gehört zu diesen unhinterfragbaren Überzeugungen, mithilfe welchen Kriteriums können die Sätze, an denen sinnvoll gezweifelt werden kann, die empirisch überprüft werden können und sollten, von denen unterschieden werden, für die das nicht gilt, die erst das Fundament jeglichen Fragens bilden, und die insofern die Logik bilden? Eine erste Unterscheidung wird zwar durch die Trennung von Erfahrungssätzen und Regeln, 519 Vgl. auch die §§ 356-9, wo die Sicherheit gewisser Sätze als Lebensform, als jenseits der Frage nach berechtigt/unberechtigt ruhend gekennzeichnet wird, und insofern als 'animalisch'. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit Moores Beweis der Existenz der Außenwelt, meines Körpers, z.B. in den §§ 136, 151ff.
288 Spielregeln oder, wie es in den Philosophischen Untersuchungen heißt, grammatischen Sätzen nahegelegt, Wittgenstein betont aber, daß es ein trennscharfes Kriterium nicht gibt, und versucht, die Unterscheidung mithilfe eines Bildes deutlich zu machen: §§96-99 "Man könnte sich vorstellen, daß gewisse Sätze von der Form der Erfahrungssätze erstarrt wären und als Leitung für die nicht erstarrten, flüssigen Erfahrungssätze funktionierten; und daß sich dies Verhältnis mit der Zeit änderte, indem flüssige Sätze erstarrten und feste flüssig würden. Die Mythologie kann wieder in Fluß geraten, das Flußbett der Gedanken sich verschieben. Aber ich unterscheide zwischen der Bewegung des Wassers im Flußbett und der Verschiebung dieses; obwohl es eine scharfe Trennung der beiden nicht gibt. Wenn aber Einer sagte 'Also ist auch die Logik eine Erfahrungswissenschaft', so hätte er Unrecht. Aber dies ist richtig, daß der gleiche Satz einmal als von der Erfahrung zu prüfen, einmal als Regel der Prüfung behandelt werden kann. Ja, das Ufer jenes Flusses besteht zum Teil aus hartem Gestein, das keiner oder einer unmerkbaren Änderung unterliegt, und teils aus Sand, der bald hier bald dort weg- und angeschwemmt wird."
Damit ist Wittgensteins Konzeption derjenigen Überzeugungen oder Sätze, die unser Weltbild formen, dessen unhintergehbare Grundlage darstellen, vielgestaltiger als die Humes: Während letzterer diese Notwendigkeit nur für zwei Bereiche beansprucht, die Annahme der Verläßlichkeit unserer induktiven Methoden und die Akzeptanz raumzeitlicher Körper, sind es bei ersterem ganz unterschiedliche Überzeugungen, die wesentlich zu unserem System gehören. Auch wenn die in den PU als grammatisch bezeichneten Sätze zu der gesuchten Klasse von Angel-Sätzen gehören, betont Wittgenstein doch, daß die Klasse von Sätzen, die das Grundgerüst unserer Lebensform bilden, sich nicht durch die Eigenschaft, logisch wahr, also analytisch zu sein auszeichnet. Gleichwohl sind diese auch nicht einfach als a posteriori, und mithin empirisch wahr zu bezeichnen.520 Einer der wenigen Hinweise, wie ein Kriterium aussehen könnte, mit dessen Hilfe wir herausfinden können, welche Überzeugungen unverzichtbar oder unanfechtbar sind, findet sich in §356:
520 Da Wittgenstein auch davon spricht, daß Sätze wie 'Es gibt physikalische Gegenstände' unsinnig sind (ÜG, §§35-37), kennzeichnet Strawson diese auch als 'cryptopropositions', a.a.O., S. 18f.
289 "Mein 'Seelenzustand', das 'Wissen', steht mir nicht gut für das, was geschehen wird. Er besteht aber darin, daß ich nicht verstünde, wo ein Zweifel ansetzen könnte, wo eine Überprüfung möglich wäre."
Hume und Wittgenstein teilen also, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, die Überzeugung, daß bestimmte unserer Überzeugungen nicht bezweifelt werden können, weil wir nicht verstehen, was dieser zur Folge hätte: Wie können wir etwa die Überzeugung, daß es physikalische Gegenstände gibt, einem Test unterziehen? "To attempt to confront the professional skeptical doubt with arguments in support of these beliefs, with rational justifications, is simply to show a total misunderstanding of the role they actually play in our belief-systems."521
Für unsere Frage nach der Überzeugungskraft skeptischen Räsonnements hätte dies weitreichende Konsequenzen: Die skeptische Herausforderung könnte nicht mehr in der Aufforderung bestehen, unser realistisches Weltbild zu rechtfertigen, da der Realismus dann eine Annahme oder Überzeugung darstellen würde, die den Hintergrund allen Argumentierens bildet und die insofern nicht falsifizierbar ist, als wir uns keine Alternative vorstellen können. Diese Überlegungen erinnern an den bereits im vierten Kapitel angesprochenen Punkt: Dort wurde eingeräumt, daß ein starker Begriff der Analytizität oder Notwendigkeit, der für alle möglichen Welten gelten würde, nicht aufrechtzuerhalten ist, die aus erkenntnistheoretischen und ontologischen Annahmen bestehende realistische These nur im Rahmen eines bescheideneren Geltungsanspruchs ausgewiesen werden kann. Auch Strawson ist sich dieser transzendentalen Argumenten inhärenten Schwierigkeit bewußt: "Typically, the criticism is that what is claimed to be a necessary condition has not been shown to be so and could not be shown to be so without eliminating all possible (or candidate) alternatives, a task which is not attempted. The transcendental arguer is always exposed to the charge that even if he cannot conceive of alternative ways in which conditions of the possibility of a certain kind of experience or exercise of conceptual capacity might be fulfilled, this inability
521 S&N, S. 19. Dieser Gedanke wird auch in späteren Arbeiten Strawsons zustimmend aufgegriffen. Solche Überzeugungen formten unser Weltbild und damit eine Struktur, für die gilt: "it is the inherited background against which I distinguish between true and false." 1997f, S. 235.
290 may simply be due to lack of imagination on his part - a lack which makes him prone to mistake sufficient for necessary conditions."522
Und auch er akzeptiert die Konsequenz, den Geltungsanspruch zu beschränken: Selbst wenn es transzendentaler Argumentation nicht gelänge, notwendige Verbindungen innerhalb unseres begrifflichen Systems als gültig für alle möglichen Welten auszuweisen, so sei es für einen - liberalen Naturalisten dennoch die richtige oder zumindest wichtigste Aufgabe analytischer Philosophie, grundlegende begriffliche Verbindungen innerhalb unseres Systems zu beschreiben, die ein kohärentes Netz bilden, dessen Bestandteile sich gegenseitig unterstützen und bedingen: "So, even if we have a tenderness for transcendental arguments, we shall be happy to accept the criticism of Stroud and others that either such arguments rely on an unacceptable simple verificationism or the most they can establish is a certain sort of interdependence of conceptual capacities and beliefs: e.g., as I put it earlier, that in order for the intelligible formulation of skeptical doubts to be possible or, more generally, in [...] order for self-conscious thought and experience to be possible, we must take it, or believe, that we have knowledge of external physical objects or other minds."523
Mehr, und das sollte mit den vorhergehenden Überlegungen gestützt werden, brauchen wir aber auch nicht: Mithilfe des Aufweises von Abhängigkeiten oder notwendigen Zusammenhängen innerhalb unseres Begriffsnetzes kann, um es in Wittgensteins Worten zu sagen, das harte Gestein der Überzeugungen aufgewiesen werden, von denen wir nicht verstehen, was es heißen könnte, sie zu bezweifeln. Dies mag zwar den Skeptiker nicht widerlegen, aber es wurde ja bereits betont, daß die Forderung nach Widerlegung ungerechtfertigt stark ist.524 Kann man den skeptischen Begründungsanspruch als externen ausweisen, kann er auch als ungerechtfertigt gelten, so könnte man Strawsons Position auf den Punkt bringen. Genau die Behauptung der Unverzichtbarkeit realistischer Überzeugungen aber ist es, die der Skeptiker mit seinen Gegenbeispielen anzu522 S&N, S. 22f. 523 S&N, S. 21. Vgl. auch S. 23: "Whence the phrase, 'descriptive [as opposed to validatory or revisionary] metaphysics.'" 524 S&N, S. 27f.: "It is to be remembered that the point has been, not to offer a rational justification of the belief in external objects and other minds or of the practise of induction, but to represent skeptical arguments and rational counter-arguments as equally idle - not senseless, but idle - since what we have here are original, natural, inescapable commitments which we neither choose nor could give up."
291 greifen sucht. Wie können wir begründen, daß wir von ursprünglichen, natürlichen und unvermeidlichen Bindungen oder Verpflichtungen sprechen? Strawson räumt ein, daß die skeptischen Argumente, obwohl überflüssig, so doch nicht sinnlos seien. Das, so möchte man einwenden, hieße aber doch, daß wir sie verstehen können, daß wir uns etwa vorstellen können, was das Bestehen einer epistemischen Lücke zwischen der Welt und unseren Erfahrungen von der Welt für Konsequenzen hätte! Es scheint, als bräuchte man die skeptische Position nur ein wenig anders formulieren, um diese bescheidene Art von Realismus von neuem herauszufordern. In einer solchen, veränderten Fassung könnte der Skeptiker etwa folgendes behaupten: Die empirischen Materialien, all die Beobachtungen, die unsere - intern verküpften - Begriffsverwendungen rechtfertigen, könnten dieselben sein, und dennoch könnten all unsere darauf gegründeten Urteile falsch sein, insofern können wir also nicht gerechtfertigt von Wissen sprechen. Und der naheliegende Schritt besteht dann natürlich darin, den vorausgesetzten Begriff von Wissen zu überprüfen: Ist ein Maßstab gerechtfertigt, der die Auszeichnung von Überzeugungen als Wissen derart exklusiv gestaltet, empirische Rechtfertigung einzelner Urteile innerhalb unseres Begriffssystems anerkennt, aber zugleich eine andere Art der Rechtfertigung des Netzes von außen verlangt? Ist eine solche Art von Rechtfertigung überhaupt denkbar? Aber wäre nicht ein seinerseits bescheidener Skeptiker denkbar? Die bescheidene, im Unterschied zur radikalen Herausforderung könnte etwa folgendermaßen lauten: Die empirischen Materialien, all die Beobachtungen, die unsere - intern verküpften - Begriffsverwendungen rechtfertigen, könnten dieselben sein, und dennoch könnte es alternative Systeme darauf gegründeter Urteile geben, die sich widersprechen. Mit anderen Worten: Es kann empirisch äquivalente, aber in den internen Verbindungen inkonsistente Begriffsschemata geben. Will man nun eine realistische Auffassung des Verhältnisses von Geist und Welt, kann man Begriffssysteme nicht nur im Hinblick auf intersubjektive oder pragmatische Zusammenhänge beurteilen, sondern man muß sie in ihrem objektiven Geltungsanspruch vergleichen. Unser realistisches Weltbild sei eine Lebensform, keine Frage der Wahl oder der Entscheidung, es kann hierzu, so die im Anschluß an Hume und Wittgenstein formulierte Behauptung, keine Alternative geben. Damit kann man nun aber ein Dilemma formulieren: Entweder wir akzeptieren den Punkt, daß es nur interne Begründungen eines begrifflichen Schemas geben kann, und räumen folglich die Möglichkeit empirisch äquivalenter Schemata ein. Dann muß die Frage nach ihrer Wahrheit auf eine Frage der intersubjektiven Wahl reduziert werden, Wahrheit kann dann nicht mehr realistisch
292 verstanden werden als Verhältnis zwischen Aussagen oder Behauptungen, und dem, was sie behaupten. Oder die Alternativen müssen als vermeintliche entlarvt werden, es muß eines von etwa zwei sich widersprechenden Systemen falsch sein, nur dann können wir gerechtfertigt von Wissen sprechen. Dies scheint aber die Möglichkeit einer externen Perspektive vorauszusetzen. Nun kann es natürlich auch sein, daß die logische Inkompatibilität erst auf einer relativ abstrakten Ebene zum Tragen kommt. Dies würde aber bestenfalls auch nur einen sehr abstrakten Skeptizismus unterstützen, eine solche Position würde nicht mehr die eingangs genannten Bedingungen der Generalität, Radikalität und intuitiven Glaubwürdigkeit erfüllen. Es wurde aber auch schon davon gesprochen, daß es zu der realistischen Annahme der Priorität materieller Gegenstände die Alternative einer Ereignis-Ontologie gibt, die deren Identifikation nicht als eine versteht, die von der raumzeitlichen Identifikation von Einzeldingen abhängig ist. Und bis jetzt hat uns Strawson kein Argument geliefert, das diese Möglichkeit prinzipiell ausschießen könnte. Gegen Quine wurde zwar behauptet, daß seine Ontologie zu skeptischen Konsequenzen führe, was als Argument gegen deren Priorität oder Geltung angeführt wurde. Das Argument war aber ad hominem, und nicht generell. Will man zeigen, daß eine realistische Haltung zur Welt wirklich unvermeidlich ist, muß man ein realistisches Weltbild auch gegen solche Alternativen verteidigen können, man muß zeigen, daß nicht-realistische Alternativen nicht wirklich äquivalent sind. Oder anders formuliert: Man muß zeigen, daß wir nur in Ausnahmefällen von diesem zugrundeliegenden System, dieser Lebensform Abstand nehmen können. V.3.2 Strawsons Relativierung der Standpunkte Strawson adressiert das Problem des Realismus nicht direkt. In S&N diskutiert er vier Formen des Skeptizismus: Skeptizismus bezüglich der Legitimität moralischer Zuschreibungen, der Wahrheit sinnlicher Wahrnehmung, der Verbindung mentaler und physikalischer Ereignisse und im Bereich der Semantik die Skepsis hinsichtlich intensionaler Entitäten. Für die Frage des Realismus ist das Problem der Relativität der Wahrnehmung am entscheidendsten. Hier scheinen, wie in der Einleitung bereits erwähnt wurde, skeptische Überlegungen am ehesten angebracht, denn verweist etwa der Vergleich menschlicher mit der - aus unserer Sicht eingeschränkten - Sinneswahrnehmung von Tieren nicht zugleich auf die prinzipielle Möglichkeit einer höherentwickelten Spezies, die, etwa ausgerüstet mit zusätzli-
293 chen Sinnesorganen, die Welt anders oder gar angemessener wahrnimmt als wir? Müssen wir unsere Wahrnehmung nicht als ähnlich eingeschränkt und damit als, wenn nicht subjektive, dann doch bloß intersubjektive, aber nicht objektive Sicht auf die Welt verstehen? Objektivität würde damit meines Erachtens aber zur bloßen Chimäre, denn wenn alle Erkenntnis, weil sinnlich vermittelt, als vorläufig aufgefaßt werden müßte, könnte nicht von der Wahrheit unserer empirischen Überzeugungen gesprochen werden, die wirkliche Welt wäre wie hinter einem Schleier verborgen. Strawson entwickelt seine Überlegungen zur Wahrnehmung als Parallelfall zu moralischen Fragen.525 Wie schon in seinem berühmten Aufsatz "Freedom and Resentment" von 1962 verweist er auch jetzt auf die Wichtigkeit der Wahl eines Standpunktes, und obwohl er die Freiheit dieser Wahl prinzipiell einräumt, betont er doch deren Konsequenzen.526 Aufgrund der engen begrifflichen Verknüpfungen einzelner moralischer Haltungen und Einstellungen haben wir, so Strawson, nur die Möglichkeit, das Netz von Zuschreibungen oder Zurechnungen als Ganzes zu akzeptieren oder aufzugeben. Es gebe zwar die Möglichkeit, sich bewußt auf eine objektive, d.h. nicht zurechnende Haltung zurückzuziehen, dieser Rückzug, diese Loslösung sei aber nur zeitweilig möglich: "The price of doing so would be higher than we are willing, or able, to pay; it would be the loss of all human involvement in personal relationships, of all fully participant social engagement."527
Zusammenfassend kann vorläufig festgehalten werden, daß die aus der Möglichkeit der Wahl scheinbar entstehende Relativität dadurch eingeschränkt wird, daß die Aufgabe des menschlichen oder CommonsenseStandpunktes, von dem aus wir moralische Urteile fällen und andere Personen als moralisch verantwortlich betrachten, nicht die Regel, sondern nur die Ausnahme darstellen kann. Will man also zwei alternative, divergierende Positionen vergleichen, gelte es nicht, eine als falsch auszuweisen, der Irrtum, so Strawson, liege darin, die Wahl zu forcieren. Kontrastiert man die zwei moralischen Standpunkte, einen teilnehmenden, interessierten und einen objektiven, losgelösten, so können beide angemessen sein, der erste aber kann dadurch als der grundlegendere, unverzichtbare ausgezeichnet werden, als seine Aufgabe zum Zusammenbruch eines ganzen
525 S&N, 2. Vorlesung, S. 42ff. 526 (Strawson, 1962), wiederabgedruckt in (Strawson, 1974). 527 S&N, S. 34.
294 Netzes von Haltungen, Zuschreibungen oder Überzeugungen führen würde. V.3.3.1 Wahrnehmung: Wissenschaftlicher und Commonsense-Realismus Im Fall der Wahrnehmung läßt sich das Problem folgendermaßen formulieren: Besitzen physikalische Objekte wirklich die phänomenalen Eigenschaften, die wir ihnen zuschreiben? Sind 'Tische, Berge, Orangen, Menschen und andere Tiere' wirklich farbig, haben sie eine sichtbare Form, fühlbare Textur? Eine erste Antwort auf diese Frage haben wir in den Ausführungen zur raumzeitlichen Verfaßtheit unseres Begriffsschemas bereits diskutiert: Damit einem Subjekt die Vorstellung einer objektiven Welt mit räumlich verteilten, unabhängigen Gegenständen, von denen es bewußte, sinnliche Erfahrungen hat, möglich ist, müssen diesen wahrnehmbaren Gegenstände sinnliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Nun kann aber eingewendet werden, daß sinnliche oder sekundäre Eigenschaften am ehesten zu verstehen sind als dispositionale Eigenschaften, die darin bestehen, daß Objekte die Fähigkeit haben, in uns bestimmte sinnliche Erfahrungen hervorzurufen. Dispositionale Eigenschaften, die als Eigenschaften von als genuin unabhängig zu verstehenden Gegenständen prädiziert werden, verlangen eine beständige kausale Basis. Diese wird in unserem Begriffssystem meist mithilfe des Begriffs der Substanz erklärt, mithilfe der primären Qualitäten, die uns Gegenstände als raumbesetzend und materiell verstehen lassen. Sinnliche Eigenschaften und Relationen, die uns nicht erlauben, den Begriff primärer Qualitäten zu bilden, erlauben uns ebenfalls nicht, den Begriff der Kausalität einzuführen. In einem Satz: die Unabhängigkeit oder Objektivität von Gegenständen verlangt primäre Qualitäten. Und die naheliegende Schlußfolgerung wäre, daß auch nur primäre Qualitäten den Objekten wirklich zukommen. Bevor wir ausführlicher auf den Dissens zwischen dem Commonsense- und dem sog. wissenschaftlichen Realismus eingehen, soll diese Unterscheidung eingehender diskutiert werden. V.3.3.2 Primäre und sekundäre Qualitäten Primäre Qualitäten wurden ursprünglich verstanden als die Qualitäten, die einem Objekt tatsächlich und in Wahrheit zukommen. Die den Objekten zugeschriebenen Qualitäten zerfielen in diese beiden Klassen: Eigenschaften, die nicht nur zugeschrieben werden, sondern wirklich in den Objekten vorkommen, und solche, die sich menschlicher Wahrnehmung, der zufälli-
295 gen Beschaffenheit unserer Sinnesorgane beispielsweise, verdanken, also zugeschrieben werden, aber nicht wirklich im Objekt vorliegen. Die Aufgabe der Feststellung der primären oder wirklichen Qualitäten wurde meist der jeweils als exakt geltenden Wissenschaft zugeteilt. Insofern handelte es sich bei der ursprünglichen Trennung weniger um eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Qualitäten, die Objekte besitzen ('primären' und 'sekundären'), oder Qualitäten, die zugeschrieben werden und nicht, sondern um eine Unterscheidung zwischen Qualitäten, die Objekte wirklich haben, und solchen, die ihnen nur zugeschrieben werden, ihnen aber nicht zukommen. Die Unterscheidung glich also einer Behauptung darüber, was wirklich ist.528 Der Begriff 'sekundäre Qualitäten' scheint von Robert Boyle geprägt worden zu sein, bekannt gemacht wurde er von Locke.529 Zu Erfahrungsinhalten, den sog. 'ideas', gelangen wir entweder durch äußere Wahrnehmung (sensation) oder durch Selbstbeobachtung (reflexion). Durch erstere kommen wir zur Erkenntnis von Qualitäten, nicht zu den Dingen (Substanzen) selbst. Bei den primären Qualitäten besteht auch für Locke ein direkter und begreiflicher Zusammenhang zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung: Ausdehnung, Gestalt, Festigkeit, Zahl, Lage usw. haften den Körpern konstant an, sind von ihm untrennbar, es besteht also kein Grund, an ihrer Wirklichkeit zu zweifeln. Sekundäre Eigenschaften dagegen kommen den Dingen nur gelegentlich und in bestimmten Beziehungen zu: Farbe, Geschmack, Geruch usw., werden in uns als bloß subjektive Vorstellungen erzeugt. Körper haben also, nach Locke, nicht bloß Qualitäten, sondern auch Kräfte oder Vermögen, in uns bestimmte Vorstellungen zu erzeugen, wenn auch solche Vermögen nur dadurch zustandekommen, daß diesen Körpern bestimmte primäre oder wirkliche Qualitäten zukommen, die dies erklären können. Die kraft dieser Vermögen hervorgerufenen Vorstellungen (ideas) werden dann im Rahmen einer Ähnlichkeitsrelation den Körpern zugeschrieben.
528 Dies zeigt sich beispielsweise auch in Descartes Unterscheidung von Qualitäten, die einem Objekt, einem Körper, wirklich zukommen, das sind die, die sich aus dem die Körper definierenden Begriff der Ausdehnung ergeben, und allen anderen Qualitäten, die wir irrtümlicherweise als Körpern zukommend verstehen. (Descartes, R. 1972 (1641)), vgl. II. und teilweise VI. Meditation. Dies wurde bei den Ausführungen zur Priorität raumzeitlicher, materieller Einzeldinge als das cartesianische Prinzip bezeichnet. 529 (Locke, J. 1981 (1690)), vgl. z.B. II. Buch, Kap. 8, Abs. 9-26. Vgl. zum Folgenden auch den Artikel "primary and secondary qualities" von Stroud in (Dancy, J., Sosa, E. 1992), S. 362-65.
296 Manche Kommentatoren verweisen auf eine zugrundeliegende Inkonsistenz dieser Bestimmungen: Entweder sekundäre Qualitäten werden identifiziert mit den Kräften, bestimmte Wahrnehmungen in uns zu erzeugen, sind nichts anderes als diese, dann können Zuschreibungen dieser Qualitäten auch wahr sein, aber es handelt sich nicht eigentlich mehr um zwei verschiedene Arten von Qualitäten, sondern um wirkliche Qualitäten und bloße Kräfte; oder man versteht den Verweis auf Kräfte, die allein mittels der primären Qualitäten in uns bestimmte Vorstellungen erzeugen können, so, daß Zuschreibungen sekundärer Qualitäten falsch sind, weil es in den Dingen in Wirklichkeit nur primäre Qualitäten gibt.530 Dagegen verstehe ich Locke im Rahmen der ersten Lesart so, daß er nicht die Wirklichkeit oder Berechtigung unserer Zuschreibungen zurückweist, sondern die Vorstellung, bei sekundären Qualitäten gäbe es, wie bei primären, eine Abbild- oder Ähnlichkeitsrelation zwischen unseren Ideen und den Körpern.531 Ohne auf den weiteren Verlauf der Debatte einzugehen, so beispielweise auf Berkeleys Kritik an der Lockeschen Vorstellung einer Ähnlichkeit zwischen Idee und Wahrnehmung oder Empfindung, bleibt für unsere Überlegungen festzuhalten, daß bereits Locke eine kategorielle Basis oder Grundlage dieser Kräfte (Fähigkeiten oder Dispositionen), in uns bestimmte Vorstellungen zu erzeugen, annahm, auch wenn uns diese unbekannt sein oder bleiben möge. Dies hat dazu geführt, daß in einigen moderneren Auffassungen sekundäre Qualitäten gleich mit der qualitativen Basis dieser kausalen Kräfte identifiziert wurden. Zuschreibungen sekundärer Qualitäten könnten also die wirkliche Natur der Dinge beschreiben. Solche Auffassungen haben aber das Problem, daß die Grundlage aller kausalen Wirkungen in Begriffen primärer oder wirklicher Qualitäten bestimmt wird, so daß die Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Arten von Qualitäten dann entlang anderer, zusätzlicher Linien erfolgen müßte. Zwei Vorgehensweisen sind also grundsätzlich zu unterscheiden: Eine Verteidigung der ursprünglichen Unterscheidung in (primäre) Eigenschaften, die den Dingen real zukommen, und solchen (sekundären), für die das nicht gilt, die bloß subjektive oder von unseren Sinnesorganen abhängige, also irrtümliche Zuschreibungen sind, steht, wie etwa Stroud es formuliert, vor dem epistemologischen Problem, ein Kriterium anzugeben, mit dessen Hilfe die Zuordnung zur jeweiligen Klasse gerechtfertigt werden kann. Naturwissenschaft kann uns zwar sagen, welche Objekte mit welchen Eigenschaften es gebe, die Behauptung, dies seien 530 Vgl. Stroud, a.a.O., S. 363. 531 So etwa auch an der von Stroud erwähnten Stelle im II. Buch, Kap. 8, Abs. 15.
297 die einzigen Arten von Qualitäten, die den Objekten zukommen, muß in einer metaphysischen Theorie aber eigens ausgewiesen werden. Die 'Relativität unserer Wahrnehmungen' bezüglich der sog. sekundären Qualitäten wie Farbe, Geschmack etc. allein kann dazu nicht ausreichen, unabhängig davon, daß zu zeigen bliebe, daß Urteile bezüglich der primären Qualitäten eine größere Einheitlichkeit aufweisen. Eine solche Herangehensweise stellt der Naturalismus quinescher Prägung dar, und wie bereits betont wurde, drückt sich darin meines Erachtens auch die heute vorherrschende Neigung zu einer Idealisierung des wissenschaftlichen Fortschritts aus. Meiner Ansicht nach ist die alternative Vorgehensweise vorzuziehen, die darin besteht, unsere Commonsense-Auffassungen der Welt gegen naturalistische Kritiker zu verteidigen, indem man die Vorstellung zu rechtfertigen sucht, mithilfe unserer Wahrnehmungssätze bezüglich sekundärer Eigenschaften könne ein objektiver Wahrheitsanspruch begründet werden. Dies kann zum einen durch eine Analyse der Bedeutung der Termini für sekundäre Qualitäten geschehen: Eine Objektbeschreibung mittels des Terminus 'farbig' beispielsweise wird dann interpretiert als bedeutungsgleich mit "das Objekt hat die Qualität, in menschlichen Wesen die betreffenden Farbwahrnehmungen zu generieren", oder mit "hat das Vermögen, in menschlichen Wesen die betreffenden Farbwahrnehmungen zu generieren", oder als bedeutungsgleich mit dem Terminus, der die physikalisch zu beschreibende Eigenschaft, in uns die betreffenden Farbwahrnehmungen auszulösen, denotiert. Oder zum anderen, indem man, ohne zu behaupten, die Bedeutung der denotierenden Termini sei dieselbe, die in Frage stehende sekundäre Qualität direkt mit der physikalischen Qualität oder Kraft identifiziert. In beiden Fällen wären Zuschreibungen sekundärer Qualitäten rechtfertigbar oder wahrheitsfähig. Der Status dieser Qualitäten wäre aber verändert, es würden nicht wirklich zwei in der Natur vorliegende, unterschiedliche Klassen von Eigenschaften unterschieden, Zuschreibungen sekundärer Qualitäten könnten also die Natur der Welt nicht direkt beschreiben. Stellt man diese Auseinandersetzung in den weiteren Rahmen des Streits zwischen Anhängern eines "direkten" oder auch robusten, naiven oder Commonsense-Realismus und eines "wissenschaftlichen" Realismus, kann unser Problem demnach mit folgender Frage pointiert werden: Kommen den physikalischen Gegenständen unserer Sinneswahrnehmungen nur primäre oder auch sekundäre Eigenschaften zu? Auch Strawson verbindet die zwei prima facie fundamental unterschiedlichen Beschreibungsweisen menschlicher Wahrnehmung mit den Positionen des wissen-
298 schaftlichen Realismus und des Commonsense-Weltbildes. Diese mit Sellars532 populär gewordene Unterscheidung läßt sich hinsichtlich der Wahrnehmung so präzisieren: im wissenschaftlichen Realismus wird großes Gewicht auf die Tatsache gelegt, daß unsere Wahrnehmung mithilfe einer bestimmten physiologischen Konstitution unseres Wahrnehmungsapparates zustandekommt. Zu ihrer Beschreibung genügen physikalische Faktoren, phänomenale Eigenschaften oder Qualitäten müssen nicht erwähnt werden, diese gehören zum bloß subjektiven Charakter unserer Erfahrungen. Und die Schlußfolgerung lautet demnach: "Had that [physiological] make-up been radically different, we would not even have seemed to ourselves to perceive things in space as having the phenomenal properties we do seem to ourselves to perceive them as having."533
Der Gegner eines solchen objektivierenden Standpunktes wird dagegen zum einen die Unverzichtbarkeit, die Stärke der Annahme, daß wir die Dinge so wahrnehmen, wie sie sind, herausstellen, und zum anderen darauf verweisen, daß wir die vom wissenschaftlichen Realismus erlaubten primären Qualitäten überhaupt nur mithilfe der Wahrnehmung beispielsweise visueller oder taktiler, also sekundärer Qualitäten wahrnehmen können. Beide Aufassungen scheinen einander also komplementär gegenüber zu stehen. Dieser soweit vertrauten Gegenüberstellung hält Strawson folgendes entgegen: "What I want now to suggest is that error lies not on one side or the other of these two contrasting positions, but in the attempt to force the choice between them. The question was: From which standpoint do we see things as they really are? and it carried the implication that the answer cannot be: from both. It is this implication that I want to dispute."534
Man würde darauf, so Strawson, zwar antworten wollen, daß von zwei kontradiktorischen Aussagen doch nicht beide wahr sein können. Aber: "I want to say that the appearence of contradiction arises only if we assume the existence of some metaphysically absolute standpoint from which we can judge between the two standpoints I have been contrasting. But there is no such supe-
532 Siehe beispielsweise in (Sellars, 1963), Science, Perception, and Reality. London, 1963, wo das manifeste Weltbild (des Commonsense) vom wissenschaftlichen Weltbild unterschieden wird. 533 S&N, S. 43. 534 S&N, S. 37.
299 rior standpoint - or none that we know of; it is the idea of such a standpoint that is the illusion."535
Sieht man ein, so Strawson, daß beide Standpunkte als relative zu betrachten sind, daß in unserer Auffassung der Wirklichkeit eine endgültige Relativität unvermeidbar ist, läßt sich die Forderung nach einer vergleichenden Bewertung beider nicht mehr aufrechterhalten. Die Frage nach den wirklichen Eigenschaften der Dinge läßt sich ohne eine Angabe des bedeutungsbestimmenden Hintergrundes nicht adressieren: relativ zum alltäglichen Wahrnehmungsstandpunkt sind die gewöhnlichen physikalischen Dinge wirklich visuell-taktile Beständigkeiten, relativ zum Standpunkt der Naturwissenschaften haben diese wirklich nur die Eigenschaften, die in einer physikalischen Theorie vorkommen können, also beispielsweise vermutlich keine Farbigkeit. Wenn, so Strawson, die Relativität des Prädikats "wirklich" bezüglich unterschiedlicher Beschreibungsmaßstäbe anerkannt wird, verschwinde auch der Anschein von Widersprüchlichkeit. Einen Naturalisten beispielsweise Quinescher Provenienz würde dies natürlich nicht überzeugen: die Möglichkeit interner Relativität, so würde dieser einwenden, zeige nur den völlig subjektiven Charakter phänomenaler Beschreibung, da es möglich sei, daß es ohne eine Veränderung der intrinsischen Beschaffenheit der Gegenstände in verschiedenen Situationen und bei unterschiedlichen Beobachtern zu verschiedenen subjektiven Erfahrungen kommen könne. Der von den (Natur-) Wissenschaften postulierte intrinsische Charakter zeige damit die essentielle oder wesentliche, der phänomenale dagegen bloß die akzidentelle, subjektive Natur der betreffenden Gegenstände oder Erfahrungen. Demgegenüber verweist Strawson zum einen darauf, daß das gebräuchliche Begriffsrepertoire zur Beschreibung menschlicher Erfahrungen, Wahrnehmungen etc. im Laufe der Jahrhunderte im Kern unverändert gebleiben ist, während sich die kausalen Beschreibungen der Wissenschaften stark verändert haben, wobei diese Veränderungen nicht einfach als kumulativer Wissensfortschritt zu beschreiben sind, und zum anderen wiederum darauf, daß die Rede von wesentlichen Eigenschaften selbst relativ und rechtfertigungsbedürftig ist. Die methodischen Standards der Wissenschaften sind nicht evidentermaßen wahr. So wie man nicht sagen kann, daß ein Blutstropfen, der mit bloßem Auge rot aussieht, unter dem Mikroskop aber gelblich, 'in Wahrheit' letzteres ist, und zwar, weil die mikroskopische nur eine unter anderen Betrachtungsweisen ist, so sind auch wissenschaftliche Theorien nur mit Be535 Ebd.
300 zug auf die zugrundeliegenden Fragestellungen zu rechtfertigen. Bevor wir allerdings auf die Frage eingehen können, inwieweit bereits unseren Sinneswahrnehmungen ein theoretischer Charakter zuzuschreiben ist, sollen die Grundzüge von Strawson Wahrnehmungstheorie deutlicher werden. Strawson akzeptiert zwar die Prämisse, daß unsere gewöhnlichen Wahrnehmungsurteile Implikationen bergen, die über die rein sinnliche Erfahrung hinausgehen: "Our perceptual judgements [...] embody or reflect a certain view of the world, as containing objects, variously propertied, located in a common space and continuing in their existence independently of our interrupted and relatively fleeting perceptions of them. Our making of such judgements implies our possession and application of concepts of such objects."536
Da unsere sinnlichen Erfahrungen selbst grundlegend durch solche Begriffe geprägt, von ihnen durchdrungen sind, sei es nicht möglich, eine Trennung zwischen einerseits vortheoretischem, sinnlichen und andererseits theoretischen, begrifflichen Bestandteilen vorzunehmen. Aber die üblichen, repräsentationalen Redeweisen, Wahrnehmungsurteile hätten den Status einer Theorie, die von einer Basis von Sinneswahrnehmungen als Daten oder Evidenzen abgeleitet werden würde, oder die, daß sie eine Interpretation des Inhalts der sinnlichen Erfahrungen darstellten, werden von Strawson allesamt zurückgewiesen. "In order for some belief or set of beliefs to be correctly described as a theory in respect of certain data, it must be possible to describe the data on the basis of which the theory is held in terms which do not presuppose the acceptance of the theory on the part of those for whom the data are data."537
Da die sog. Theorie aber nichts anderes sei als ein allgemein realistisches Weltbild, könne man auch nicht von einer Theorie sprechen. Der Begriff mache in diesem Zusammenhang überhaupt nur insofern Sinn, als ein philosophisch Denkender, der aufgrund der skeptischen Überlegung, es sei möglich, daß der Charakter unserer sinnlichen Erfahrungen genau so ist wie er ist, ein realistisches Weltbild aber dennoch falsch sei, dieses Weltbild in der Folge dann als Theorie aufrechterhalten könne.538 Sinnliche Wahrnehmung basiere auf einem an gewöhnlichen physikalischen Objek536 S&N, S, 44. 537 S&N, S. 45. 538 Auf Strawsons Umgang mit der skeptischen Herausforderung gehe ich im folgenden Abschnitt ein.
301 ten orientierten Gegenstandsbegriff und sei nicht als repräsentational oder als vermittelt, sondern als direktes, unvermitteltes Bewußtsein von Dingen außerhalb von uns zu verstehen, wobei Direktheit wiederum nicht impliziere, daß Wahrnehmungsurteile infallibel sein müßten. Inwiefern können diese Überlegungen dazu dienen, das Verhältnis von wissenschaftlichem und Commonsense Realismus zu klären? Oder, um den Konflikt zwischen beiden Weltbildern auf unsere Frage zurückzubeziehen: Welche Eigenschaften kommen den physikalischen Gegenständen unserer Sinneswahrnehmungen wirklich zu, allein primäre oder auch sinnliche, sekundäre? Nach Strawsons Auffassung ist diese Frage nicht sinnvoll zu stellen. Bereits in seiner älteren Antwort auf Evans kritisiert er dessen Behandlung der Funktionsweise der Prädikate für sekundäre Qualitäten, dessen Rede von theoretischen Grundannahmen, die Wahrnehmungssituationen strukturierten.539 Im Rahmen dieser Arbeit kann leider nicht auf diese sich an Strawsons faszinierendem Gedankenexperiment über die Möglichkeit des Identifizierens und Re-Identifizierens in einer rein auditiven Welt anschließende Debatte eingegangen werden. Evans betont in seiner Kritik vor allem den Punkt, daß der Begriff der Kausalität in einer rein sinnlichen, auditiven Welt nicht erklärt werden kann. Aber wie bei Strawson dient auch in Evans Darstellung, die mit dem Begriff der Theorie operiert, und diesen beispielsweise als primitive Mechanik erläutert, dieser Begriff und die Unterscheidung von primären, theoretischen und sekundären, sinnlichen Qualitäten oder Eigenschaften nicht dazu, unseren direkten Zugang zu Welt zu bestreiten. "Theoretisch", so Evans, dürfe jedoch nicht als gleichbedeutend mit "vermittelt" verstanden werden, daß sich sinnliche Wahrnehmungen und aus diesen resultierende Abstraktionen gegenseitig durchdringen, daß also in unsere Wahrnehmungen Wissen einfließt, sei ein Fakt, den auch Strawson einräume. Jeder Erklärungsansatz, der primäre Eigenschaften in der Welt, sekundäre hingegen im Beobachter verortet, so sind sich Strawson und Evans einig, tappe in eine 'repräsentationale Falle': er könne unseren Zugang zur Welt, unsere wahrnehmungsmäßige Bezugnahme auf Gegenstände nicht mehr als direkt und unvermittelt verstehen, und, konsequent weitergedacht, müsse ein solcher sogar die Folge gegen539 (Strawson, 1980a), S. 278ff. Wie sich vor allem in der auf S&N folgenden Debatte zeigt, hält es Strawson nicht für sinnvoll, hinsichtlich der von ihm als 'presuppositions' bezeichneten, grundlegend mit unserer Lebensform, unserem Begriffschema verknüpften Überzeugungen von einem 'empirischem' oder 'theoretischem' Charakter zu sprechen. Vgl. etwa die Antworten auf Haack und Blackburn in dem von Hahn edierten Band The Philosophy of Sir Peter Strawson von 1998.
302 wärtigen, daß wir Gegenstände gar nicht so wahrnehmen (können), wie sie wirklich sind. Denn da wir nur dadurch der primären Eigenschaften der physikalischen Gegenstände, wie Form, Größe oder Position, gewahr werden können, daß wir Grenzbereiche wahrnehmen, die durch verschiedene sinnliche Modalitäten wie z.B. durch visuelle oder taktile, also sekundäre Qualitäten bestimmt sind, müßten wir, um die Dinge so wahrzunehmen wie sie 'wirklich' sind, sie eigentlich wahrnehmen ohne diese. Nach einer solchen Auffassung nehmen wir die Dinge nicht wahr, wie sie sind, genaugenommen würden wir dann auch die physikalischen Objekte, wie der wissenschaftliche Realist sie versteht, gar nicht wahrnehmen können. Die Gegenstände der Welt, die uns in unserer, wie Strawson es auch nennt, vortheoretischen Herangehensweise als direkt und unmittelbar gegeben erscheinen, würden dann zu kantischen noumena, nichtwahrnehmbaren 'Dingen an sich': "We are, rather, the victims of a systematic illusion which obstinately clings to us even if we embrace scientific realism. For we continue to enjoy experience as of physical objects in space, objects of which the spatial characteristics and relations are defined by the sensible qualities we perceive them as having; but there are no such physical objects as these. The only true physical objects are items systematically correlated with and causally responsible for that experience; and the only sense in which we can be said to perceive them is just that they cause us to enjoy that experience."540
Es bleibt unklar, ob Strawson die Trennung von primären Qualitäten, die den Dingen im Rahmen einer beispielsweise physikalischen Theorie zukommen, und sekundären oder sinnlichen Qualitäten überhaupt aufrechterhalten will. Doch selbst wenn man seine Kritik an jenen Rekonstruktionen des Commonsense-Realismus teilt, die diesen als repräsentational vermittelt verstehen; und geneigt ist, einem wissenschaftlichen Realismus, der uns als "Opfer einer systematischen Täuschung" darstellt, mit Skepsis und Strawsons Versöhnungsversuch zwischen beiden Weltsichten mithilfe des Aufweises ihrer jeweiligen Relativität folglich eher mit Sympathie zu begegnen, so glaube ich nicht, daß sein Ansatz als ausreichend betrachtet werden kann: Sein Versuch, die Unverzichtbarkeit eines eher robusten Realismus, der davon ausgeht, daß wir die uns umgebenden und von uns unabhängigen Dinge direkt wahrnehmen, nachzuweisen, bleibt unklar. Strawson räumt ein, daß wir in unseren (Wahrnehmungs-) Urteilen über das in der rein sinnlichen Wahrnehmung Gegebene hinausgehen. Seine Erklärung, diese als Realismus gegenüber einer Welt mit objektiven, von 540 (Strawson, 1979), S. 49.
303 uns unabhängigen Gegenständen zu beschreibende Haltung sei unvermeidlich, sei nicht als theoretische Verpflichtung oder Festlegung zu verstehen, ist, weil bloß ex negativo, unbefriedigend, seine positive Äußerung dagegen "It is, rather, something given with the given", dunkel.541 Evans' Konzeption primärer Qualitäten, die sich theoretischer, von einzelnen sinnlichen Erfahrungen abstrahierender und generalisierender Schritte verdanken, kann eher deutlich machen, inwiefern Wahrnehmungen über das rein sinnlich Gegebene hinausgehen: erst das Zusammenspiel verschiedener Sinneswahrnehmungen und mithin das Zusammenspiel verschiedener sekundärer Qualitäten erlaubt es uns, den Gegenstände konstante, so nicht wahrnehmbare Eigenschaften zuzuschreiben. Farbempfindungen beispielsweise sind zwar der Modus, in dem uns materielle Gegenstände mit ihren primären Qualitäten gegeben sind, aber während primäre Qualitäten den objektiven Inhalt der visuellen Wahrnehmung bilden, stellen sekundäre Qualitäten wie Farbwahrnehmungen eine Art sinnlicher Reaktion auf dispositionale Eigenschaften dar. In Bezug auf die Farbwahrnehmung wird von manchen Autoren zwar durchaus von der bereits erwähnten systematischen Sinnestäuschung gesprochen: ein objektloser, nicht-relationaler Zustand werde als Beschreibung der objektiven Welt, eines äußeren physischen Gegenstandes verstanden.542 Diese Analyse mag für die Wahrnehmung von Farben einleuchten, da Versuche, diese mit einer physikalisch zu beschreibenden Eigenschaft zu identifizieren, bis jetzt nicht gelungen zu sein scheinen.543 Dies scheint mir aber eine Strategie zu sein, die nicht für sinnliche Qualitäten überhaupt gelten kann, da wir ansonsten auch die anderen sinnlichen Wahrnehmungen nicht als relational 541 A.a.O., S. 47. Siehe auch die Arbeiten etwa von Sosa, der bestreitet, daß die mit dem sog. weichen Naturalismus verbundene Argumentationsstrategie die Überflüssigkeit oder Sinnlosigkeit der skeptischen Position erweisen könne, und ähnlich auch Putnam, der dafür allerdings eine Spannung zwischen dem Ansatz von Individuals und dem bescheideneren von S&N als ursächlich ansieht und für die frühere Argumentationsstrategie plädiert; oder Szubka, der bei Strawson gar antirealistische Züge ortet, alle in dem von Hahn editierten Sammelband von 1998, sowie die jeweiligen Antworten Strawsons. 542 Vgl. z.B. (Schantz, 1990), S. 261f., der eine Adverbialtheorie zur Analyse des sinnlichen Gehalts der Wahrnehmung vorschlägt und in Bezug auf Farben dispositionale Ansätze, die von einer noch ausstehenden theoretischen Identifikation von Farben mit physikalischen Eigenschaften äußerer materieller Gegenstände ausgehen, vor allem als nicht von den Ergebnissen der empirischen Wissenschaften gerechtfertigt kritisiert. Vgl. dazu auch das neue Buch von Stroud, das für diese Arbeit allerdings nicht mehr berücksichtigt werden konnte (Stroud, 2000). 543 Vgl. Schantz, a.a.O., S. 252ff.
304 auffassen könnten, d.h. nicht mehr so auffassen könnten, als ob sie Erfahrungen von der Welt, von unabhängigen, sie kausal verursachenden Gegenständen oder Ereignissen wären, und damit jegliche Form von Realismus unmöglich würde. Nicht jedem phänomenologisch unterscheidbaren Aspekt unserer Wahrnehmung muß ein ontologischer Unterschied entsprechen: dies mag für Farbwahrnehmungen die unvermeidbare Konsequenz sein, würde man dies, wie von skeptischen Positionen nahegelegt, insgesamt für die sekundären Qualitäten annehmen, müßte die Frage, was es an den jeweiligen Gegenständen ist, das bestimmte spezifische Erfahrungen auslöst, insgesamt als sinnlos verworfen werden. Die, wie auch Strawson betont, alleine mithilfe der Wahrnehmung sekundärer Eigenschaften gebildeten Vorstellungen primärer Qualitäten, die einen Begriff der materiellen Konstanz unabhängiger Gegenstände erlauben, sind es, die es wiederum ermöglichen, von einer beständigen kausalen Basis für unsere Sinneswahrnehmungen auszugehen.544 Und Strawsons Schlußfolgerung ist: "We must therefore suppose that we are antecendently or 'innately' equipped with a disposition to react to sensory stimulation by forming and applying concepts which are not simply concepts of sense-experiences but which belong to the range of objective-spatial concepts: just such concepts, in fact, as we naïvely and naturally form of the mundane objects of our daily experience."545
Kann dieser Verweis auf unsere 'natürliche Ausstattung' genügen? Strawson räumt selbst ein, daß die Faktizität unserer Wahrnehmung auch von seinem Gegner anerkannt wird: "The scientific realist will lay considerable stress on the point that the character of our perceptual experience, the fact that we seem to perceive visuo-tactual objects in physical space, is causally accounted for by a combination of physical factors in describing which no mention is made of phenomenal properties; and that these factors include our own physical constitution, our physiological make-up."546
Und Strawson sieht ebenfalls, daß dies, wie wir in unserer Diskussion der naturalistischen Agumentation Quines bereits gesehen haben, eine weitere Überlegung nahelegt, die einmal mehr das skeptische Räsonnement hervorzurufen scheint:
544 Z.B. in (Strawson, 1979), S. 49. 545 (Strawson, 1980a), S. 279. 546 S&N, S. 43.
305 "Had that make-up been radically different, we would not even have seemed to ourselves to perceive things in space as having the phenomenal properties we do seem to ourselves to perceive them as having. [...] These phenomenal properties belong, at best, to the subjective character of our perceptual experience."547
Der Commonsense-Realist wird dagegen betonen, daß unsere natürliche Bindung an die Annahme, physikalische Gegenstände hätten phänomenale Eigenschaften, die notwendige Vorbedingung dafür ist, die Auffassung des wissenschaftlichen Realismus, der ihnen diese Eigenschaften abspricht, überhaupt zu verstehen, da die Möglichkeit der wissenschaftlichen Erforschung der "wahren" Natur der den Raum besetzenden Gegenstände auf der durch phänomenale Qualitäten vermittelten Wahrnehmung ihrer primären Eigenschaften beruht.548 "[W]e could not become perceptually aware of the primary qualities which scientific realism allows to physical things - of their shape, size, motion, and position - except by way of awareness of spatial boundaries defined in some sensory mode, e.g. by visual and tactile qualities such as scientific realism denies to the objects themselves."549
Und, in Anlehnung an die Argumentation in Individuals: "Now our very possession of the concept of physical space, hence the very possibility of research into the nature of its occupants, depends on such perceptual awareness of primary or spatial qualities of things."550
Der, wie Strawson formuliert, "unversöhnliche Antagonismus" beider Positionen verschwände, sobald die grundlegende Relativität beider Realitätsvorstellungen klar werde: relativ zum menschlichen, zum CommonsenseStandpunkt sei die Welt farbig, seien physikalische Objekte 'sicht- und fühlbare Beständigkeiten', relativ zum Standpunkt des Physikers oder des 547 Ebd. 548 Erinnern wir uns auch an die schon zitierte Stelle aus (Strawson 1974), S 14f.: "We should not say that judgments at this level [of basic or least theoretical beliefs] are made on the basis of experience. Rather we should say that at this level judgment, concept and experience are merged; that seeing and believing really are, at this level, one. Of course this would be an exaggeration; for judgment may not only be corrected, it may be suspended; or assent may be denied, we may refuse to believe what our senses tell us. But it is only an exaggeration and a corrigible one." 549 S&N, S. 43f. 550 S&N, S. 44.
306 wissenschaftlichen Realismus kämen den Gegenständen nur die Eigenschaften zu, die von physikalischer Theorie zu beschreiben seien. Der Wirklichkeit, dem "wirklich Wirklichen" kann, so implizieren diese Überlegungen, nicht neutral begegnet werden. Es ist also nicht nur als schlicht evolutionäre Tatsache oder Zufälligkeit anzusehen, daß wir wahrnehmen, wie wir das tun, es ist nicht eine - leider nicht zu überwindende - Schwäche unseres Sinnesapparates, daß wir Gegenstände etwa als farbig sehen, sondern eine notwendige Bedingung. "Without the relativizing move, the scientific hardliner, or reductive naturalist, [or the skeptic] could stick to his line; admitting that we are naturally committed to the human perceptual and morally reactive viewpoints, he could simply conclude that we live most of our lives in a state of unavoidable illusion. The relativizing move averts this (to most) unpalatable conclusion. It would surely be an extreme of self-mortifying intellectual Puritanism which would see in this very fact a reason for rejecting that move."551
Der auf Standpunkte relativierende (Schach-)Zug mag zwar die skeptische Konklusion verhindern, aber wie sich in unserer Diskussion der in diesem Punkt ganz ähnlichen Argumentation Quines gezeigt hat, sind damit für einen Realisten die Probleme noch nicht aus der Welt geschafft. Nun wendet sich Strawson explizit gegen eine Interpretation, die die antiskeptische Funktion auch seiner späteren Vorgehensweise lediglich in diesem relativierenden Schritt verortet: Die Strategie, zwei offensichtlich kontradiktorische Auffassungen dadurch zu versöhnen, daß deren Geltungsanspruch auf die jeweilige Auffassungen der zugrundeliegenden Realitäten relativiert werde, könne nur in zwei ausgezeichneten Fällen angewendet werden, im Falle moralischer Reaktionen und Zuschreibungen in Bezug auf menschliches Verhalten und im Falle der Zuschreibung phänomenaler Qualitäten in Bezug auf beobachtbare physikalische Gegenstände.552 Und er fügt hinzu, daß in Bezug auf den traditionellen Skeptizismus bezüglich der materiellen Welt könne eine solche Argumentationsstrategie eh nur in Bezug auf jene Positionen überzeugen, die einem strikten Phänomenalismus huldigten. Aber ich möchte dennoch betonen, daß der von Strawson hinsichtlich der Sinneswahrnehmung verteidigte Schritt der Relativierung, mehr noch als bei Quine, dazu führen soll, die Anziehungskraft der Schlußfolgerung zu vermindern, wir lebten unser Leben im Zustand der Il-
551 S&N, S. 50. 552 Etwa in (Hahn, ed, 1998), vgl. die 'Reply to Butchvarov', S. 106.
307 lusion.553 Und damit stellt sich auch die Frage nach dem Stellenwert der von Strawson unter Bezug auf die Humeschen Aspekte seines sog. weichen Naturalismus vorgebrachten Überlegung, der von Wittgenstein betonte Hintergrund, der all unseren Fragen unterliege, vor dem wir überhaupt erst zwischen wahr und falsch, Wirklichkeit und Illusion unterscheiden könnten, sei das Ergebnis natürlicher evolutionärer Prozesse.554 Strawson betont einerseits, unsere Praxis induktiver Schlußfolgerung könne (und müsse) nicht im Rahmen rationaler Argumente erklärt oder gerechtfertigt werden, und räumt zugleich ein, die skeptische Position verweise auf eine logische Möglichkeit, sei also zumindest 'minimal intelligibel'. Wer diese Anerkenntnis verweigere, tue dies, so seine Diagnose, aufgrund des heute verbreiteten Hangs, "to minimize or reduce or even, in extreme cases, to deny the reality of what I shall unashamedly refer to as inner or subjective experience".555 Betrachte man bewußte Erfahrung, so sein Eingeständnis, in ihrem inneren oder subjektiven Aspekt, könnte diese logisch sein wie sie ist, ohne daß es physikalische Objekte geben müsse. Ich halte es in diesem Fall dagegen mit Putnams Interpretation der Argumentation Strawons und weniger mit dessen Selbstverständnis: Entweder man akzeptiert unser begriffliches Schema, innerhalb dessen Zweifel erst sinnvoll oder verständlich sind, dann ist die skeptische Position nicht intelligibel, oder man versteht die skeptische Herausforerung so, daß sie auf eine logische Möglichkeit verweist, dann sind wir aber auch aufgefordert, unser Begriffsystem, unsere induktiven Praktiken gegen diese Möglichkeit zu rechtfertigen, und ich hoffe, in meiner Darstellung ist deutlich geworden, daß ich nur die erste dieser beiden Möglichkeiten für vertretbar halte. V.4 Schlußüberlegungen Wir bewegen uns im Bereich einer Theorie der Erkenntnis, und der realistische Geltungsanspruch, über gerechtfertigte, wahre Meinungen von einer objektiven Welt zu verfügen, sollte mit Bezug auf ein holistisches Gefüge aus erkenntnistheoretischen sowie ontologischen Begriffen und Strukturen begründet werden. Dabei sollte unser Begriffsystem nicht nur als de facto, sondern auch als de jure bestehendes analysiert werden. Und zugleich wurde betont, daß die Charakterisierung des Zusammenhangs von 553 Siehe hierzu auch den m.E. überzeugenden Aufsatz von Putnam zu Strawson, in Hahn, 1998. 554 Siehe auch in (Hahn, 1998) die 'Reply to Putnam', S. 289ff. 555 A.a.O., S 292.
308 Erfahrungselementen als notwendig nur im Rahmen einer sog. bescheidenen transzendentalen Strategie erfolgen kann, die Notwendigkeit struktureller Zusammenhänge sollte also durch die Sinnlosigkeit, Denkunmöglichkeit, Unverzichtbarkeit oder Unanfechtbarkeit von Alternativen ausgewiesen werden. Strawsons Ziel ist es, eine realistische Position hinsichtlich der beiden, für unsere faktische Ontologie grundlegenden Klassen von Gegenständen zu begründen, der materieller Gegenstände und der von Personen. Wie erwähnt wurde, kann die Geltung beider realistischer Thesen bestritten werden: der cartesianische Skeptizismus kann in einen Solipsismus hinsichtlich der Außenwelt ebenso wie bezüglich anderer Personen münden. Leitfrage unserer Überlegungen war, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein nicht-solipsistisches Bewußtsein oder Begriffssystem möglich wird, oder anders formuliert, welche Struktur Erfahrung haben muß, wenn in ihr Begriffe von Objekten (objektiven Einzeldingen) zur Anwendung kommen sollen. Insofern stellte sich zuerst die Frage, wie wir überhaupt zu Erkenntnis von Dingen und Ereignissen in der Welt kommen. Ausgehend von Strawsons Begriff der Identifikation als Unterscheiden und Wiedererkennen wurde im ersten Schritt versucht, die für Erkenntnis grundlegende Bezugnahme auf Gegenstände in Raum und Zeit so zu klären, daß einsichtig wird, warum die grundlegende Kategorie von Erfahrungselementen als bestehend aus objektiven Einzeldingen verstanden werden muß. Und es wurde weiter argumentiert, daß die skeptische Herausforderung nicht darin besteht, mithilfe kontrafaktischer Überlegungen die logische Möglichkeit einer rein phänomenalen Welt abhängiger Gegenstände auszuschließen, sondern darin, unser faktisches Erkennen, das sich auf unabhängige Gegenstände bezieht, zu legitimieren. Dabei, dies wurde als Reaktion auf die diesbezüglich als überzeugend erachtete Argumentation von Quine gekennzeichnet, muß auch die Fallibilität, Veränderbarkeit und gar Willkürlichkeit unserer Überzeugungen verständlich werden. Strawsons Fassung unseres Begriffsschemas sucht daher die allgemeinsten und grundlegendsten Züge desselben auszuzeichnen, aber obwohl ich mit seiner, Wittgenstein entlehnten Grundthese übereinstimme, daß sich kein Kriterium angeben läßt, mit dem sich wesentliche Bestandteile, die sich aber - etwa durch revolutionäre wissenschaftliche Entdeckungen - ändern können, von notwendigen Bestandteilen trennen lassen, die keinem oder nur einem nicht wahrnehmbaren Wechsel unterliegen, bleibt seine Rede von unserem Begriffschema zu unbestimmt: Unser Begriffsschema, unsere Lebensform wird nicht nur dadurch konstituiert, daß unser Intellekt diskursiv ist, wir
309 allgemeine Begriffe anwenden, die auf einzelne Instanzen bezogen werden müssen, zu unserem Begriffschema gehört wesentlich auch die Rezeptivität sinnlicher Erfahrung. Strawson lehnt Versuche ab, in der Beschreibung der Synthesis gleichsam von innen vorzugehen, solche Versuche würde er wohl als 'rationale Psychologie' verwerfen. Dennoch gibt es vereinzelt Äußerungen, die in die Richtung einer solchen Frage weisen: Kognition, Erkenntnis oder Wissen ergäbe sich nicht, so Strawson, wenn unsere Repräsentationen nur einzelne, unverbunden aufeinander folgende Elemente einer Synthesis des Mannigfaltigen wären. Und seine Schlußfolgerung, in der bereits die Terminologie McDowells anklingt, auf den wir im Anschluß eingehen wollen, lautet, daß wir über eine Form der Repräsentation verfügen müssen, die die sukzessiven Elemente des Mannigfaltigen zusammenhält: "And this in turn is possible only if the knower deploys, in his current representational state, concepts that themselves exemplify or incorporate the crucial categories or concepts of an object in general, specifically those of substance and cause; that is, the concepts to be deployed are concepts 'of enduring independent substances whose states stand in rule-governed relations of succession and have determinate effects upon the succession of our states as well.'"556
Denn, so Strawsons Punkt, verstehe man den intrinsischen Charakter eines einzelnen sukzessiven Eindrucks so, daß er nicht bereits die Verwendung objektiver Begriffe einschließt, würde erst ein nachträglicher Akt des Reproduzierens vergangener Eindrücke und Kombinierens mit einem gegenwärtigen unter Zuhilfenahme eines verbindenden objektiven Begriffs Erkenntnis herstellen, und dieses Modell, so Strawson, ähnelt dem problematischen pychologischen Modell zu sehr.557 Strawson unterschätzt jedoch die Tragweite der sog. Bedingung des nicht-solipsistischen Begriffssysstems oder Bewußtseins. Die Erfüllung dieser Bedingung ist unverzichtbar, weil die Rede von Existenz nur darüber verständlich zu machen ist. Ein zentraler Punkt blieb ungeklärt: Wenn einem Wesen, dessen Erfahrungen von der Welt auf rein sinnlicher Basis gewonnen werden, die Ressourcen für einen Begriff objektiver Existenz, oder anders: primärer, theoretischer Qualitäten abgesprochen werden, wie gelangen dann wir zu einer solchen Vorstellung? Strawsons Konzeption von Erfahrung bleibt zu unbestimmt, die Frage, wie wir mittels rein sinnli556 (1989), S. 75. 557 Die in Strawsons Antwort auf Guyer (1989, S. 74ff.) diskutierte Gefahr des Psychologischen ist m.E. analog zur Gefahr des Phänomenologischen.
310 cher Erfahrungen im Rahmen einer Theorie zu apriorischen oder notwendigen Verknüpfungen von Welt und Erfahrung gelangen, die gleichwohl empirisch korrigibel sind, kann nicht beantwortet werden. Versteht man unseren Gegenstandsbegriff aber realistisch, sind dies genau die Desiderata, die skeptische Herausforderung besteht gerade in der Aufforderung, die Legitimität dieser Kennzeichnungen auch zu begründen, zu rechtfertigen. Strawson sucht die Unverzichtbarkeit (der Annahme) der Existenz raumzeitlicher, materieller Einzeldinge vor allem dadurch auszuweisen, daß er sie als konstitutiv für unseren Selbstbegriff als Personen erweist. Ich plädiere dagegen für eine Vorgehensweise, die den Begriff sinnlicher Erfahrung, also strukturelle Merkmale der Wahrnehmung stärker berücksichtigt, so daß die Notwendigkeit objektiver Einzeldinge aufgrund interner, holistischer Zusammenhänge ausgewiesen werden kann: Wenn es gelingt, einen Begriff sinnlicher Erfahrung so auszuarbeiten, daß deutlich wird, inwiefern die Erfüllung der Bedingung-en für ein nicht-solipsistisches Bewußtsein oder Begriffsystem zentral für unsere Rede von Objektivität oder Erkenntnis ist, könnte eine Form des Realismus in den Blick kommen, zu dem eine Alternative, weil sie einen Verzicht auf ein notwendig holistisch zu verstehendes Netz von Begriffen darstellt, auch von einem Skeptiker nicht logisch denkbar ist. Wie verstehen wir, als Wesen, die über eine solche Unterscheidung verfügen, die beiden Bereiche der Erfahrung und der Welt, von der diese handeln, wie denken wir uns die Beziehungen zwischen beiden?558 Oder anders formuliert: Wie müssen die Objekte unserer Wahrnehmung beschaffen sein, damit wir überhaupt von Erkenntnis sprechen können? Können wir in diesem grundlegenden Bereich kontrafaktische Überlegungen überhaupt sinnvoll verwenden? Der Sinn von Strawsons Diktum, die Zweifel des Skeptikers seien keine wirklichen Zweifel, weil sie der Ablehnung des gesamten Begriffssystems gleichkommen, innerhalb dessen sie erst sinnvoll wären, das sie also gleichzeitig voraussetzen, sind zwar einerseits bereits im Begriff der Identifikation enthalten. Dieser Zusammenhang kann und muß allerdings, so die These meiner Arbeit, erst in einer umfassenderen Konzeption sinnlicher Erfahrung erklärt werden. Aber auch in Scepticism and Naturalism wird die meines Erachtens zentrale Frage, wie wir - als Wesen, deren Er558 Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß von manchen Autoren argumentiert wird, Zweifel bezüglich der primären Qualitäten von Körpern sei logisch nicht mit einem kohärenten Reden über sie vereinbar, daß beides inkompatibel ist, wohingegen selbiges bezüglich sekundärer Qualitäten nicht gelte. Vgl. z.B. (Bennett, 1965), oder auch, wie bereits erwähnt, Wittgenstein, vgl. z.B. in den Bemerkungen zu den Grundlagen der Mathematik, V-1 (1984 (6)).
311 fahrungen von der Welt auf sinnlicher Basis gewonnen werden - zu einem als notwendig verstandenen Begriff objektiver Existenz gelangen, nicht befriedigend beantwortet, weil die geforderte Verknüpfung der beiden, für eine realistische Auffassung wesentlichen Elemente, die kausale und mithin empirische Verbindung mit der Welt wie auch die begrifflichen Verknüpfungen innerhalb unseres Erkennens, nicht ausreichend berücksichtigt wird. Eine solche Konzeption verspricht auch McDowell mit seinem großangelegten Entwurf Mind and World vorzulegen. Erst eine Konzeption von Erkenntnis, die Elemente des Kohärentismus und Fundamentalismus zu vereinigen verstehe, könne eine Versöhnung von Geist und Welt verbürgen, und einer solchen Herangehensweise, so McDowells Versprechen, gelinge es auch, 'die Welt im Blick zu haben'. Obwohl nicht explizit als deskriptive Metaphysik gekennzeichnet, kann man McDowells Vorgehensweise in wesentlichen Punkten als Ergänzung und Fortführung der bei Strawson angelegten transzendentalen Struktur verstehen, wobei das deskriptive Moment insofern anders akzentuiert wird als bei Strawson, als die therapeutische Funktion der Philosophie betont wird.559
559 Die Konzeption von Philosophie als Therapie stammt ursprünglich von Wittgenstein, wurde aber mit Rortys Buch Philosophy and the Mirror of Nature populär, in dem eine Weiterentwicklung der Philosophie hin zur Literatur propagiert wird. In "Two Conceptions of Philosophy" wendet sich Strawson explizit gegen ein solch starkes Verständnis der deskriptiven Komponente: "[T]he alternative conception I have in mind is not such as to meet the needs of the student who looks for inspirational or edifying writing in philosophy". (1990), S. 312.
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VI. Objektive Wirklichkeit und begriffliche Erfahrung: McDowells Version des Verhältnisses von Geist und Welt "Der Philosoph ist der, der in sich viele Krankheiten des Verstandes heilen muß, ehe er zu den Notionen des gesunden Menschenverstandes kommen kann." 560
VI.1 Die Versöhnung von Geist und Welt Man kann McDowells Projekt, das sich zwar bereits in verschiedenen früheren Aufsätzen angedeutet findet, dessen Reichweite sich aber erst in Mind and World zeigt, vielleicht ein hegelianisches nennen: beide eint der Versuch, die Kantische Erbschaft der Trennung von Geist und unerkennbarer noumenaler Realität zu überwinden.561 Empirischer Realismus und transzendentaler Idealismus, die Konsequenz dieser Verbindung zu überwinden, aber gleichwohl dem Kantischen Diktum, Anschauungen ohne Begriffe seien blind, Begriffe ohne Anschauungen leer, Rechnung zu tragen, so daß unser Anspruch auf Erkenntnis der objektiven Welt rechtfertigbar ist, kurz: Geist und Welt, Mind and World zu versöhnen, das ist der durchaus ehrgeizige Plan. In der hier gebotenen Kürze kann man dem Tenor dieses Buches vielleicht am ehesten entlang der Begriffe Krankheit, Therapie und Gesundung gerecht werden: McDowell diagnostiziert ein verbreitetes philosophisches Übel, eine Beklemmung oder Sorge, er schlägt die seiner Auffassung nach einzig mögliche Therapie vor, und beschreibt den Zustand der Erleichterung, Befreiung oder Versöhnung. Mind and World versteht sich insofern auch als Beitrag zur Erkenntnistheorie, allerdings nicht in dem schlichten Sinn, als dass Rechtfertigungsfragen bezüglich unseres An-
560 (Wittgenstein 1984(6)), Bemerkungen zu den Grundlagen der Mathematik, Teil V, § 53. 561 Vgl. McDowells Selbstverortung im Vorwort von MaW, S. IX, sowie beispielsweise (Wright, 1996), S. 235. Erste Andeutungen des Versuchs, Geist in die Welt zu verlagern, finden sich z.B. in (McDowell, 1992b). Vgl. auch die späteren WoodbridgeLectures (1998a), S. 466, wo McDowell davon spricht, daß er die Hegelsche Konzeption von 'rezeptiver Vernunft' auf die Erde holen wolle.
314 spruchs auf Wissen behandelt würden, sondern auf einer fundamentaleren, als therapeutisch verstandenen Ebene. McDowell formuliert dies so: "I think it is helpful to see the problems about knowledge in particular that pervade modern philosophy as more or less inept expressions of a deeper anxiety an inchoately felt threat that a way of thinking we find ourselves falling into leaves minds simply out of touch with the rest of reality, not just questionably capable of getting to know about it."562
Hier deutet sich auch das Problem oder die Krankheit bereits an: die Sorge, eine naheliegende Art philosophischen Denkens könne keine Verbindung zwischen unserem Geist und dem Rest der Realität herstellen. Dabei soll die gesuchte Verbindung, die McDowell mit solch unterschiedlichen Termini wie Weltgerichtetheit, empirischem Gehalt, objektiver Geltung oder Intentionalität beschreibt, so beschaffen sein, daß weder unserem Denken zuviel Freiheit ohne Beschränkung von außerhalb desselben, noch der Welt zuviel Kontrolle zugesprochen wird. Weltgerichtetheit unseres empirischen Denkens: in diesem Kontext sind sinnliche Wahrnehmungen von zentraler Bedeutung, da sie es sind, die uns ein Bild unserer Umgebung, Information über die Außenwelt vermitteln. Insofern legt auch McDowell eine Art von Wahrnehmungstheorie vor, und ähnlich wie in den bisher behandelten Herangehensweisen von Quine oder Strawson werden auch hier nicht die physiologischen oder informationstheoretischen Vorgänge, sondern die erkenntnistheoretischen oder begrifflichen Voraussetzungen einer solchen Theorie untersucht. Man kann daher sagen, daß die gesuchte Verbindung dann gewährleistet ist, wenn es gelingt, eine Konzeption sinnlicher Erfahrung derart zu fassen, daß die Rede vom empirischem Gehalt unserer Wahrnehmungsurteile durch die Struktur der Erfahrung gerechtfertigt ist. McDowell formuliert diese, von ihm auch "minimaler Empirismus" genannte und als Grundvoraussetzung jeglicher Konzeption behandelte Forderung in Anlehnung an Quine so: "[T]he world's verdict, to which thinking must be answerable if it is to be thinking at all, is delivered by way of a pronouncement from [...] 'the tribunal of experience'."563 "[M]inimal empiricism [...] links empirical content with the idea that empirical thinking is answerable to the tribunal of experience."564
562 (McDowell, 1995a), S. 232. 563 A.a.O., S. 231.
315 Und McDowells weitere Annahme besteht darin, daß all das, was diese Konzeption von Erfahrung als 'Tribunal der Sinne' unmöglich macht, auch als Ursprung und Ursache der Krankheit anzusehen ist. Als Ausgangspunkt seines diagnostischen Vorgehens wählt McDowell eine Version des bei Sellars diskutierten 'Mythos des Gegebenen'.565 VI.1.1 Krankheit: Konsequenzen aus dem Mythos des Gegebenen Gegen Davidson versucht McDowell, den Begriff des Inhalts als repräsentationalem Inhalt zu retten, der zu verwerfende Dualismus, so das Argument, bestehe nicht zwischen Schema und Inhalt, sondern zwischen Schema und Gegebenem. Nicht die Vorstellung eines empirischen Inhalts als solche sei zu verwerfen, nur eine Vorstellung dieses Inhalts als dem Begrifflichen dual Gegenüberzustellendes. Der Begriff des 'repräsentationalen Inhalts', so dagegen der terminologische Vorschlag, sei neutral bezüglich des Dualismus.566 Alleine der bloße Begriff repräsentationalen Inhalts, so McDowell, verlange aber ein Zusammenspiel von Begriffen und Anschauungen oder empirischen Erfahrungen. Nun könne diese Forderung leicht zu einer Vorstellung führen, die die gesuchte Verbindung mithilfe von Gegebenem, nicht-begrifflichen bloßen Präsentationen, herzustellen versucht. Dieser Zug könne sich in verschiedenen Bereichen anbieten, im Bereich der Fundierungsbeziehung zwischen Beobachtung und Theorie sowie auch im Bereich der Begriffsbildung oder der empirischen Rechtfertigung. Wie schon bei Sellars wird also die Vorstellung von Gegebenem nicht nur im Rahmen von Sinnesdatentheorien als Mythos kritisiert. Um den, dem fragwürdigen Dualismus aber gleichwohl zugrundeliegenden Unterschied zu markieren, greift McDowell folgende Überlegung von Sellars auf: "The essential point is that in characterizing an episode or a state as that of knowing, we are not giving an empirical description of that episode or state; we are placing it in the logical space of reasons, of justifying and being able to justify what one says."567 564 A.a.O., S. 234. Zu minimalem Empirismus als unverzichtbarer Voraussetzung vgl. auch die "Reply to Byrne", S. 286f., in (McDowell, 1995b). 565 (Sellars, 1991a (1956)) 566 Vgl. unsere Bemerkungen in der Einleitung zur Debatte zwischen Davidson und Quine um das sog. 'dritte Dogma des Empirismus', Kap. III.1.2. 567 EPM §36, S. 169. Und zur von McDowell ebenfalls aufgegriffenen Unterscheidung natürlicher vs. epistemischer Fakten vgl. EPM §17, S. 146: "In short, it explains
316 Dabei spielt es für McDowells Herangehensweise weniger eine Rolle, daß die Rechtfertigung in Bezug auf unseren Anspruch auf Wissen zu erfolgen hat, ebensowenig, wie sich die vorgeschlagene Gegenüberstellung mit empirischer Beschreibung empfiehlt, zentral ist vielmehr, daß der Raum der Gründe dem Raum der Natur oder der Gesetze gegenübergestellt wird. "[W]e are identifying the natural, as indeed Sellars sometimes does, with the subject matter of empirical description [...]. Sellars, then, draws a distinction between, on the one hand, concepts that are intelligible only in terms of how they serve to place things in the logical space of reasons and, on the other hand, concepts that can be employed in empirical description. And we can equate empirical description, as Sellars conceives it, with placing things in the logical space of nature [...]"568
Diese Trennung in zwei heterogene Sphären scheint McDowell zu bejahen, aber wie wir noch sehen werden, werden diese im Verlauf seiner Argumentation ähnlich wie bei Strawson als unterschiedliche Arten rekonstruiert, sich den jeweiligen Gegenstandsbereichen zu nähern, die durch unterschiedliche Begriffsschemata mitgeformt werden.569 McDowell verwendet zur weiteren Kennzeichnung der zu unterscheidenden Bereiche die kantischen Termini der Spontaneität und der Rezeptivität. Spontaneität bestimmt den Raum der Gründe, das Reich begrifflicher Aktivität, von Intentionalität und Rationalität, und Rezeptivität den Bereich von Natur oder Naturgesetzlichkeit. McDowells weitere Überlegung ist nun geprägt durch räumliche Metaphern: Das Reich der Natur, so wird von der vorherrschenden naturalistischen Herangehensweise argumentiert, umfasse auch das Reich der Gründe, empirische Überzeugungen, die begründeterweise bestehen, sind solche, die auf der Basis von Erfahrung, im besonderen von Sinneswahrnehmungen, gewonnen wurden. Diehow things can have a merely generic look, a fact which would be puzzling indeed if looking red were a natural as opposed to epistemic fact about objects". 568 (McDowell, 1995a), S. 233. 569 Dies erinnert an Davidsons Überlegungen im Rahmen des Körper-Geist-Dualismus. In seinem Aufsatz "Mental Events" (Davidson, 1970, repr. in 1980) argumentiert er, daß es zwar stimme, daß beide Sphären unterschiedlich konstituiert seien: die im Rahmen der Interpretation notwendigen logischen Verknüpfungen im Bereich des Geistes, der Intentionalität bzw. Normativität ließen sich nicht auf die gesetzesmäßigen Beziehungen innerhalb des Bereichs der Natur abbilden. Diese Sphären seien aber nur kategoriell oder begrifflich, durch unterschiedliche Beschreibungs- oder Herangehensweisen gebildet, nicht aber in ihrer fundamentalen Natur, also ontologisch verschieden, diese Charakterisierung wird als 'anomaler Monismus' charakterisiert.
317 ses Modell, Wright nennt es das "Enclosure Model"570, bietet nach McDowells Auffassung nun aber gerade keine Möglichkeit, das Verhältnis der Fundierung, die geforderte Basierungsbeziehung zu erklären. Innerhalb des 'Enclosure Models' gebe es nur zwei Möglichkeiten: reinen Kohärentismus, der zwar berücksichtige, so die auch von McDowell in Übereinstimmung mit Davidson vertretene Prämisse, daß Rechtfertigungsbeziehungen nur zwischen begrifflich strukturierten, rational verfaßten Entitäten bestehen können.571 Dann aber kann Rechtfertigung nur innerhalb des Raums der Gründe stattfinden, eine Verbindung zum weiteren Bereich der Natur ist nicht möglich, Rechtfertigung wird nur innerhalb des Systems unserer Überzeugungen, nicht aber zu etwas außerhalb Stehendem, Externem zugelassen. Mit einer solchen Konzeption läßt sich aber die Basierungsbeziehung nicht erklären. Die andere mögliche Reaktion biete der Fundamentalismus. In der Fassung von McDowell vertreten dessen Befürworter die Sicht, der Raum der Gründe erstrecke sich weiter als der Bereich des Begrifflichen, in anderen Worten, epistemische Rechtfertigung sei letztendlich kausal gegründet in bloßen Gegebenheiten, in nicht-begrifflichen Erfahrungen oder Erlebnissen. Dies weist McDowell aufgrund der schon erwähnten Prämisse zurück: Leitend sei hier zwar die richtige Vorstellung, ein Denken ohne empirische Auflagen von seiten der Natur sei nicht rechtfertigbar, eine Konzeption, die diese Auflagen aber bloß als kausale verstehe, von außerhalb der Sphäre des Denkens und Urteilens, erliege dem Mythos, d.h. dem Dualismus von Schema und nicht-begrifflichem Inhalt. Die aus der Erkenntnis, die Verwendung von Erfahrungen als schlichtweg Gegebenes im Rahmen rechtfertigenden Denkens komme einem Mythos gleich, resultierenden Konsequenzen können innerhalb des 'Enclosure Models' also immer wieder beide Reaktionen nach sich ziehen, beide Arten von Intuitionen wachrufen. Eine Betonung des kohärentistischen Poles ergebe zuviel Freiheit ohne ausreichendeKontrolle von außerhalb unseres Denkens. Dies führe dazu, daß "the operations of spontaneity resemble a frictionless spinning in a void" oder zu "moves in a selfcontained game" werden: "The more we play up the connection between reason and freedom, the more we risk loosing our grip on how exercises of concepts can constitute warranted judgements about the world."572 570 Vgl. (Wright, 1996), S. 237. 571 Vgl. beispielsweise die Argumentation in (Davidson, 1986a), und bei McDowell in MaW, Lecture I, insbesondere S. 7, 14. 572 MaW, S. 5.
318 Darauf allerdings mit fundamentalistischen Positionen zu antworten, führe zu zuviel Kontrolle und ergebe ein naives Bild des Gegebenen, das nicht die geforderte 'Entwaffnung' des Mythos erlaube. Dessen primäre Gefahr bestehe darin, uns nur "exculpations", also Entschuldigungen oder Entlastungen, zu ermöglichen, wo Rechtfertigungen verlangt seien573: Wollen wir ein (empirisches) Urteil rechtfertigen, darf die Beziehung zwischen Urteilendem und Welt nicht zu eng gefaßt werden, wir müssen sie verstehen können als in den Bereich von Spontaneität und rationalen Beziehungen fallend, ansonsten können die Urteile nicht als freie, möglicherweise zu rechtfertigende in den Blick kommen, sondern sind bloße unausweichliche Fakten, sozusagen Naturereignisse. Beide Herangehensweisen werden als Reaktionen auf die charakteristischen Schwächen der entgegengesetzten Position verstanden, und die erwähnte Krankheit, so McDowell, besteht genau darin, zwischen beiden immer wieder von Neuem hin und her zu schwanken, eine Bewegung, die er als 'recoil', 'seesaw' oder 'oscillation' beschreibt. Die Aufgabe kann also gekennzeichnet werden als Versuch, den Begriff sinnlicher Erfahrung so zu bestimmen, daß er Rechtfertigung, oder die in der Basierungsbeziehung geforderte Weltgerichtetheit, erlaubt und gleichwohl das Oszillieren zwischen beiden 'pitfalls', den Fallgruben von einerseits Kohärentismus, andererseits Fundamentalismus, vermeiden hilft. Auch wenn manche Formulierungen dies nahelegen mögen: Es geht McDowell nicht darum, die Frage nach der Weltgerichtetheit, der objektiven Geltung empirischer Urteile als 'metaphysische Scheinfrage' zu entlarven, seine Therapie besteht nicht darin, die Motivation, die zu dieser Frage führt, zu 'dekonstruieren', sondern darin, eine positive Antwort derart zu geben, daß weitergehende Forderungen als gegenstandslos, als Rückfall in den Mythos des Gegebenen zurückgewiesen werden können.574 Insofern kann man zwar einerseits sagen, 573 MaW, S. 8. Das englische Wort 'exculpation', für das es im Deutschen keine gute umgangssprachliche Entsprechung gibt, ist im juristischen Kontext anzusiedeln. Bei einer 'Exkulpation' handelt sich weniger um eine Entschuldigung als vielmehr um einen Freispruch bzw. Schuldausschluß. Die Schuldausschließungsgründe können unterschiedlicher Natur sein, entscheidend ist, daß das Subjekt für die relevanten Umstände nicht verantwortlich zu machen ist, weil diese sich seiner Einflußsphäre entziehen, Beispiele können höhere Gewalt, Notstandssituationen, dienstliche Abhängigkeitsverhältnisse etc. sein. 574 Vgl. bsp. (McDowell, 1995a), S. 237 für eine scheinbare Zurückweisung der Frage, S. 238 für die Bestätigung ihrer Wichtigkeit. Und an anderen Stellen weist McDowell zwar die im allgemeinen mit der skeptischen Position identifizierten Anforderungen an Rechtfertigung bzw. Begründung zurück, mit der als transzendental ver-
319 daß McDowell die skeptische Herausforderung annimmt, die Behauptung der Objektivität unseres Weltbezuges zu begründen, zugleich aber versucht, ähnlich wie Strawson, aufzuzeigen, daß diese Begründung nur vor dem Hintergund eines als notwendig akzeptierten begrifflichen Rahmens stattfinden kann. VI.1.2 Therapie: Eine neue Konzeption sinnlicher Erfahrung Wenn im Rahmen des Einschließungsmodells keine Möglichkeit besteht, das Oszillieren zwischen beiden Positionen zu überwinden, welches Modell des Verhältnisses der beiden Sphären, des Raums der Gründe und des Raums der Natur, steht noch zur Verfügung? Wie sich bei der Diskussion des Mythos des Gegebenen gezeigt hat, sind McDowells Verweise auf Sellars teilweise nicht wirklich überzeugend. Die zu kontrastierenden Sphären sind für beide nicht diesselben, Sellars kann m.E. nicht als Gewährsmann für eine Herangehensweise, die sinnliche Erfahrung ausschließlich im Raum der Gründe ansiedelt, herangezogen werden.575 Im Rahmen der Überlegungen von Mind and World kann folgende Stelle helfen, den Scheidepunkt einzukreisen: "If one succumbs to the temptation to identify the logical space of reasons as the logical space of nature, one will take the idea of sensibilty and the idea of actualizations of conceptual capacities to belong in logical spaces that are alien to each other. This makes it seem that an episode of sensibilty cannot, in itself and as such, be an actualization of conceptual capacities."576
Wie sollen die zu kontrastierenden Sphären dann konzipiert werden? Nicht der logische Raum der Natur, sondern der logische Raum der in den Naturwissenschaften verwendeten Natur-Beschreibungen wird dem Raum der Gründe gegenübergestellt. Denn, so argumentiert McDowell, Charakteristikum naturwissenschaftlicher Theorien ist die Gesetzmäßigkeit der beschriebenen Zusammenhänge in einer 'entzauberten Natur'. "But we should not allow the logical space of scientific understanding to hijack the very standenen Begründungsanforderung, die systematisch entfaltet wird, verläßt er aber den üblicherweise mit 'therapeutischer Philosophie' verbundenen Bezugsrahmen. Vgl. die einleitenden Ausführungen zum Begriff transzendentalen Philosophierens, sowie McDowells Gebrauch dieser Figur vor allem in (1998a) sowie (1998c). 575 Vgl. hierzu insbesondere McDowells Woodbridge-Lectures, erschienen unter dem Titel "Having the World in View: Kant, Sellars, and Intentionality", (1998a). Auf diesen Punkt wird im nächsten Abschnitt gesondert eingegangen. 576 (McDowell, 1998c), S. 367.
320 idea of the natural."577 Damit würden die zu unterscheidenden Sphären, wie bereits angedeutet, zwei logisch unterschiedlichen Betrachtungsweisen entsprechen, der ontologische würde als terminologischer oder struktureller Dualismus rekonstruiert. Insgesamt ergeben sich vier verschiedene mögliche Reaktionsweisen oder Lösungsvorschläge: Entweder man betont die Priorität einer der beiden Sphären, und schlägt eine Neubeschreibung der abgeleiteten innerhalb des Vokabulars der vorrangigen vor, wobei (a) eine Priorität des Raums der Gesetze die mit dem Naturalismus verbundene Herangehensweise kennzeichnet, wobei zwischen Rekonstruktion und Reduktion unterschieden werden kann, das entspräche dem Naturalismus des 'Enclosure Models', und (b) eine Priorität des begrifflichen Raumes die Herangehensweise einer Art von Phänomenalismus oder Platonismus charaktrisiert, wobei McDowell die seiner Ansicht nach allein problematische Variante 'rampant platonism' nennt. Oder man betrachtet beide Bereiche als gleichrangig und nicht ineinander übersetzbar, wobei beispielsweise mit einem strukturellen Dualismus ein ontologischer Monismus einhergehen kann, wie in Davidsons 'Anomalem Monismus'. Dann bestehen wiederum zwei Möglichkeiten, den Berührungspunkt im Rahmen einer Theorie der Erfahrung zu spezifizieren: (c) als kausale Relation, mithilfe nicht-begrifflicher Erfahrung oder Wahrnehmung, dann besteht die Schwierigkeit darin, zu erklären, wie kausale Verbindungen unsere Urteile begründen können, oder (d), und das soll McDowells Reaktion oder Fazit kennzeichnen, als begrifflich und gleichwohl rezeptiv. Ob aber McDowells Version (d) nicht doch eher in Richtung auf die unter (b) beschriebene Konzeption tendiert, inwieweit seine Betonung des begrifflichen Elementes nicht doch zu einem fragwürdigen Platonismus führt, muß sich zeigen. Gesucht ist also eine neue Herangehensweise, die die Frage nach der Verbindung zwischen Denken und Welt beantwortet, so daß Denken als repräsentational überhaupt erst verstanden werden kann. Seine Argumentation verläuft in zwei Schritten. Zuerst wird dafür argumentiert, daß das im Naturalismus oder auch in den Naturwissenschaften generell verwendete Konzept von Natur unzureichend ist, die 'Entzauberung' der Natur, so McDowell, müsse rückgängig gemacht werden.578 Ausgerüstet mit dem Konzept einer begrifflich durchdrungenen Natur kann sinnliche Erfahrung dann 577 Ebd. 578 Auch dies könnte mit dem Verweis auf Kant gerechtfertigt werden. Zu dessen Konzeption von Natur oder Naturgesetzlichkeit vgl. bsp. in den Prolegomena, "Der transzendentalen Hauptfrage Zweiter Teil", §§ 14-39, sowie die zu Kants Naturbegriff genannten Stellen in (Ratke, 1929), S. 151ff.
321 so konzipiert werden, daß in ihr Elemente beider Bereiche zum Tragen kommen: Erfahrung wird, insofern sie im Rahmen der Rechtfertigung als Grund fungieren können soll, ein rational verantwortliches, aktives Operieren mit Begriffen sein, insofern sie aber empirischen Gehalt haben und eine Verbindung zur Welt gewährleisten soll, wird sie als auf den Bereich der Natur reagierend beschrieben werden. VI.1.2.1 Wiederverzauberung der Natur Charakteristisch für Wahrnehmungen, die das epistemische Subjekt von der Welt hat, ist, daß es, wenn es vermöge seiner Empfindsamkeit einwirkende Aspekte der Welt passiv aufnimmt - Rezeptivität, ebenfalls begriffliche Fähigkeiten anwendet - Spontaneität. Diesen begrifflichen Fähigkeiten des Verstehens ist im wesentlichen inhärent, daß sie beim Urteilen wie auch beim Rechtfertigen eines Urteils auf seiten eines sich selbst bewußten und selbstkritischen Subjekts angewendet werden bzw. werden können. Wir teilen die Fähigkeit der Wahrnehmung zwar auch mit Kreaturen, die unfähig sind, aktiv und selbstkritisch zu denken. Sowohl Tiere als auch Menschen haben ein perzeptuelles Empfindungsvermögen bezüglich Merkmalen der Umwelt, das der Tiere ist jedoch unabhängig von dem Vermögen der Spontaneität, während unseres von ihm durchdrungen ist.579 Aber wenn unser Empfindungsvermögen ein Teil der Natur ist und wir dieses mit Tieren teilen, scheint es inkohärent anzunehmen, daß das, was charakteristischerweise dem Reich der Gesetze angehört, insbesondere Wahrnehmungen, auch wesentlich dadurch gekennzeichnet sein soll, daß es dem kontrastierendem Raum der Gründe angehört, also begrifflich durchdrungen ist. "According to the picture I have been recommending, our sensibility yields states and occurences with conceptual content. That enables us to see an experiencing subject as open to facts. The conceptual sphere does not exclude the world we experience. To put it another way: what we experience is not external to the realm of the kind of intelligibility that is proper to meaning. [...] But in so far as what we experience includes merely natural facts, this can look like a call
579 Gerade ein Vergleich mit den Tieren kann Zweifel an der Möglichkeit begrifflich durchdrungener Wahrnehmung wecken: Denn auch unser Empfindungsvermögen, als ein Aspekt unserer animalischen Natur, könnte lediglich darin bestehen, daß unsere Sinne eben gerade nicht begrifflich, sondern "auf natürliche Weise" auf die Wirkungen der Welt auf sie antworten. Vgl. auch z.B. (Collins, 1998) und McDowells Antwort in (McDowell, 1998).
322 to regress into a pre-scientific superstition, a crazily nostalgic attempt to reenchant the natural world."580
Für McDowell gilt es daher, zweierlei zu zeigen: Zum einen muß die Trennung zwischen den sog. 'merely natural facts', Planetenbewegungen etc., und den geichfalls natürlichen Fakten, die in den Rahmen einer Handlungserklärung fallen, also die Zuschreibung von Intentionalität verlangen, in seiner Konzeption von Natur rekonstruiert werden können, und ob dies ohne Rückfall in einen vorwissenschaftlichen Aberglauben oder ein Verwischen der Grenze beider logischen Räume zu bewerkstelligen ist, scheint fraglich. Zum anderen muß erklärt werden, wie die begrifflichen Fähigkeiten, die der Art des Verstehens angehören, und deren Korrelat die Bedeutungs-Intelligibilität ist, in der Wahrnehmung angewendet werden können. VI.1.2.2 Natürliche Fakten erster und zweiter Ordnung: 'Zweite Natur' Das - Webersche - Bild der Entzauberung der Natur verweise auf die Trennung von zwei als Kontrastklassen verwendeten Modi der Intelligibilität: Zum einen die Intelligibilität der Naturwissenschaften, die Phänomene der Natur als durch Naturgesetze geregelt versteht und der Natur somit ihren Zauber raubt, und auf der anderen Seite die Intelligibilität, die Phänomene beschreibt, indem sie die Beschreibung ins Verhältnis zu anderen Bestandteilen des Raums der Gründe setzt. Was wir benötigen, so McDowell, ist eine Konzeption der Aktualisierungen unserer Natur, die so beschaffen ist, daß sie unser menschliches Empfindungsvermögen, unser 'Ansprechen auf Bedeutung', in den Bereich des natürlichen Empfindungsvermögens setzt. Wenn wir jedoch andererseits den Raum der Gründe nicht als 'naturalistisch' im Sinne des sog. schlichten Naturalismus auffassen wollen, drohe uns eine Verpflichtung auf 'zügellosen Platonismus': Wir müßten einen von dem was menschlich, also spezifisch natürlich ist, autonomen Bereich postulieren. Diese Gefahr, so McDowell, bestehe aber nur scheinbar, denn obwohl die Errungenschaften der modernen Naturwissenschaften sehr wohl eine neue Klarheit über das Reich der Gesetze brachten, gelte dies nicht für den Begriff der Natur überhaupt. McDowells Behauptung ist nun, daß wir uns beiden Konzeptionen, einerseits Gesetzmäßigkeit versus Normativität und andererseits Platonismus, widersetzen können, indem wir uns vergegenwärtigen, daß Natur auch 'zweite Natur' sein kann. Unser Leben, unsere Lebensform sei 580 MaW, S. 72.
323 geprägt vom Gebrauch von Spontaneität, durchdrungen von dem konstitutiven Ideal der Rationalität, und da unsere Lebensform Ausdruck oder Aktualisierung unserer tierischen Natur sei, könne man auch sagen, daß die Anwendung von Spontaneität Ausdruck unserer tierischen Natur sei: "This removes any need to try to see ourselves as peculiarly bifurcated, with a foothold in animal kingdom and a mysterious separate involvement in an extranatural world of rational connections."581
Spontaneität könne weiterhin als sui generis aufgefaßt werden, sie forme unser Leben, und gerade in ihrer Anwendung drücke sich unsere Lebensform aus, Spontaneität ist damit nicht etwas Übernatürliches, sondern etwas im grundlegenden Sinne Menschliches, und damit auch Natürliches.582 Für die Gegenannahme, daß Leben und seine Formen in das Reich der Gesetze gehörten, gebe es keinen überzeugenden Grund. Wenn wir das Dilemma vermeiden und nicht in die Fallgrube eines Naturalismus fallen wollen, der mit seinen Reduktions- oder Rekonstruktionsversuchen den Kontrast zwischen beiden logischen Räumen nivelliere, müssten wir die aristotelische Einsicht, daß der Mensch ein vernunftbegabtes Tier sei, mit der kantischen Einsicht, daß Rationalität als autonom zu betrachten sei, verbinden. Am Beispiel aristotelischer Ethik zeige sich, daß zwischen Autonomie und intrinsisch Menschlichem kein Widerspruch bestehen muß, durch Erziehung und Bildung seien Menschen für diesen Bereich zu sensibilisieren. Warum aber beinhaltet die Annahme der Autonomie keinen Platonismus? "But this autonomy does not distance the demands from anything specifically human, as in rampant platonism. They are essentially within reach of human beings. [...] But human beings are intelligibly initiated into this stretch of the space of reasons by ethical upbringing, which instils the appropriate shape into their lives. The resulting habits of thought and action are second nature."583
581 A.a.O., S. 78. 582 Um seine Konzeption von Natur zu untermauern, verweist McDowell auf die aristotelische Ethik. Nun gibt es aber auch hier zwei Lesarten: Eine am Naturalismus orientierte Herangehensweise schreibt Aristoteles eine Art naturalistischer Gründung der Ethik insofern zu, als die Erfordernisse der Ethik aus vom Menschen unabhängigen Fakten des Reichs der Gesetze konstruiert werden. Für McDowell hingegen ist ein wesentliches Charakteristikum aristotelischer Ethik, daß die Tugendhaftigkeit des Charakters eine spezifische Art des praktischen Verstandes beinhaltet: praktische Weisheit. Vgl. beispielsweise (McDowell, 1995c) in (McDowell, 1998). 583 MaW, S. 84.
324 Wenn wir einsehen, daß wir Tiere sind, deren natürliche Seinsweise durchdrungen ist von Rationalität, wie sich im Zusammenspiel von Spontaneität und Rezeptivität zeige, erreichten wir eine Versöhnung, die der Philosophie ihre Ruhe wiedergeben könne. Wie aber kann der Verweis auf die menschliche Offenheit, unsere Erziehbarkeit in Bezug auf Ethisches, wie kann das Betonen unserer Bildungsfähigkeit das Problem lösen, besonders, wenn man berücksichtigt, daß dieses Argument, wie McDowell selbst andeutet, stellvertretend für andere Gebiete wie die Logik, Mathematik etc. sein soll?584 Wenn 'zügelloser Platonismus' natürlich so definiert wird, daß die Autonomie des Ethischen betont, der Raum der Gründe als sui generis verstanden wird, während Natur weiterhin mit dem Raum der Gesetze gleichgesetzt wird, dann kann Ethisches nicht in diesem Sinne als natürlich verstanden werden, wohl aber als für den Menschen prinzipiell erreichbar. Wenn man dagegen die 'Erreichbarkeit' aber als spezifisch zur (menschlichen) Natur gehörend, als 'zweite Natur' versteht, was beinhaltet dann der Begriff der Natur? Zugestanden: In einer solchen Herangehensweise werden zwar nicht die Rationalität oder Intentionalität involvierenden Bereiche mythologisiert, aber der Begriff der Natur selbst wird zu einem platonischen. Wright faßt diese Idee McDowells folgendermaßen zusammen: "The root idea seems merely to be that we can free ourselves of the temptations both of (bald) naturalistic reconstruction of the subject matters and epistemology of normative discourses and of a contrasting platonistic mythologizing of them if only we remind ourselves often enough, with the appropriate Aristotelian and German texts open, that these express forms of thought into which it comes naturally to us to be educable. But it is simply not explained how that is supposed to help."585
Dieser Vorwurf gelte auch für die betreffenden Passagen der folgenden Vorlesung: "But it becomes no clearer [...] why it might be supposed to follow - if indeed it does follow - from our natural educability into responsiveness to the 'demands of reason' that both the epistemology and the ontology of discourses which feature the categories of Spontaneity can with clear conscience be regarded as fully 'natural' [...]."586 584 Vgl. auch die m.E. überzeugende Kritik von Wright, insbesondere S. 245-251 in (Wright, 1996). 585 Wright, a.a.O., S. 249. 586 Wright, a.a.O., S. 250.
325 Tatsächlich sollte der Verweis auf die Möglichhkeit, durch Bildung eine Art 'zweiter Natur' zu schaffen, meines Erachtens nicht darüberhinwegtäuschen, daß die Spannung zwischen beiden Sphären entweder nicht aufgelöst wurde, oder aber, nimmt man McDowells Vorschlag an, wir uns eine neue Spielart von 'zügellosem Platonismus' einhandeln. Wenn Normatives und Natürliches auf diese Weise 'versöhnt' werden, Rationalität oder Intentionalität involvierende Diskurse als natürliche Phänomene verstanden werden, beinhaltet Natur selbst diese Bestandteile, die beiden Sphären werden zu Arten, denselben Gegenstandsbereich zu untersuchen. Auf diesen Punkt werden wir später zurückkommen müssen. Doch zuerst soll unsere Ausgangsfrage, wie Erfahrung konzipiert werden muß, um Weltgerichtetheit zu ermöglichen, geklärt werden. Wie sieht McDowells Vorschlag positiv aus, welcher Art ist die vorgesehene Therapie? Der Raum der Gründe ist begrifflich strukturiert und der Raum der Natur ist nun nicht mehr der der wissenschaftlich verstandenen Natur, sondern auch der der sog. 'zweiten Natur', er selbst ist teilweise begrifflich verfaßt. Erfahrung muß nun so konzipiert werden, daß in ihr beide Elemente zum Tragen kommen: Erfahrung muß, insofern sie im Rahmen der Rechtfertigung als Grund fungieren können soll, ein rational verantwortliches, aktives Operieren mit Begriffen sein, insofern sie aber empirischen Gehalt haben und eine Verbindung zur Welt gewährleisten soll, muß sie auf den Bereich der Natur reagieren können. Wie wir schon gesehen haben, wird dies in Anlehnung an Kant als Zusammenspiel von Spontaneität und Rezeptivität gefaßt. VI.1.2.3 Spontaneität und Rezeptivität als Aktivität und Passivität Spontaneität, so McDowell, erstreckt sich über die gesamte Sphäre des Begrifflichen, externe Kontrolle ist nicht dadurch zu gewährleisten, daß man annimmt, Spontaneität nehme ab, je näher wir dem Bereich direkter empirischer Erfahrung kommen, bis zu einem Bereich des direkt Gegebenen, in dem sie überhaupt keine Rolle spiele. Die zwei Desiderata, empirische Bindung oder Kontrolle und ein Begriff der Rechtfertigung, im Unterschied zu bloßer 'Exkulpation', sollen durch das Zusammenspiel aktiver wie passiver Fähigkeiten gewährleistet sein. Dabei wird zur Aktivität folgendes gesagt: "[...] the capacities that are drawn on in experience are recognizable as conceptual only against the background of the fact that someone who has them is responsive to rational relations, which link these contents of judgements of ex-
326 perience with other judgeable contents. These linkages give the concepts their place as elements in possible views of the world." "And part of the point of the idea that the understanding is a faculty of spontaneity - that conceptual capacities are capacities whose exercise is in the domain of responsible freedom - is that the network [...] is not sacrosanct. Active empirical thinking takes place under a standing obligation to reflect about the credentials of the putatively rational linkages that govern it. There must be a standing willingness to refashion concepts and conceptions if that is what reflection recommends."587
Die in sinnlicher Erfahrung, in Wahrnehmungen verwendeten Fähigkeiten sind als begriffliche zu identifizieren, weil sie im Rahmen eines Netzes rationaler Verbindungen zwischen den Gehalten von Wahrnehmungs- und anderen Urteilen stehen, die aktiver Revision offen stehen, so die Bestimmung. Dabei stellt sich jedoch die Frage, was, wenn in Erfahrungen oder Erlebnissen dann aber im beschriebenen Maße auf das freie Operieren mit Begriffen oder Vorstellungen zurückgegriffen wird, die genuin zum Bereich der Spontaneität gehören, ihre Bestimmung als passiv dann noch heißen kann. McDowell bleibt uns eine genaue Beschreibung schuldig. Seine Minimalbestimmung lautet folgendermaßen: "But one's control over what happens in experience has limits: one can decide where to place oneself, at what pitch to tune one's attention, and so forth, but it is not up to one what, having done all that, one will experience."588
Aber, und damit wird wieder der erwähnten Revidierbarkeit Rechnung getragen: "No doubt there is no serious prospect that we might need to reshape the concepts at the outermost edges of the system, the most immediately observational concepts, in response to the pressures from inside the system. But that no doubt unreal prospect brings out the point that matters for my present purpose. This is that although experience itself is not a good fit for the idea of spontaneity, even the most immediately observational concepts are partly constituted by their role in something that is indeed appropriately conceived in terms of spontaneity."589
So mag es zugestandenermaßen zwar unwahrscheinlich sein, daß die am engsten direkt mit Beobachtbarem zusammenhängenden Begriffe einer Revision unterzogen werden müssen, dies aber prinzipiell auszuschließen, 587 MaW, S. 12f. 588 A.a.O., S. 10, Fn.8. 589 A.a.O., S. 13.
327 hieße, den Mythos des Gegebenen zu reinstallieren, empirische Urteile wie beispielsweise Wahrnehmungsurteile nicht mehr rechtfertigen, sondern nur 'exkulpieren' zu können. Revisionen müssen also prinzipiell immer möglich sein. Wie McDowell aber in seiner Minimalbestimmung selbst sagt, steht es uns nicht frei, den Inhalt unserer Wahrnehmungen zu wählen. Die Begriffe, mit denen wir unsere Wahrnehmungen beschreiben oder bezeichnen, können wir ändern, nicht aber deren Inhalt. Was besagt dies für McDowells Konzeption von Erfahrungen als begrifflichen und gleichwohl passiven, rezeptiven? Wir würden die in Erlebnissen involvierten Fähigkeiten nicht als begriffliche erkennen können, wenn diese nur in Erlebnissen, nur im Falle von Rezeptivität, eine Rolle spielten.590 Nur dadurch, daß diese Fähigkeiten auch bei aktivem Denken, dem gut zur Idee der Spontaneität passenden Fall, verwendet werden, können sie als begriffliche erkannt werden. Die Frage ist allerdings, was diese "capacities that are in play in experience", "capacities which are also exercised in active thinking" sind, in welcher Hinsicht oder kraft welcher Eigenschaft sie, wenn sie die Voraussetzung für die Identifikation des (gemeinsamen) begrifflichen Elementes darstellen, selbst ihrerseits als dieselben (Fähigkeiten) zu definieren sind. Dieser Punkt, auf den McDowell vor allem im Rahmen seiner Woodbridge Lectures von 1998 eingeht, wird allerdings erst in unserer anschließenden Diskussion behandelt werden können. "Minimally, it must be possible to decide whether or not to judge that things are as one´s experience represents them to be. How one´s experience represents things to be is not under one´s control, but it is up to one whether one accepts the appearance or rejects it."591
Also nicht der - propositionale - Inhalt unserer Repräsentation hängt von unserem aktiven Urteilen ab, nur das 'Urteil, daß ...' unterliegt unserer Spontaneität. Dies legt auch McDowells erläuternde Fußnote nahe, in der er auf die oben bereits erwähnte Müller-Lyersche Illusion verweist. Das ist aber eine Schlußfolgerung, die McDowell meines Erachtens nicht zulassen kann. Denn das hieße nicht mehr, als daß "urteilen, daß" im Bereich des Begrifflichen, mithin im Bereich der Spontaneität liegt, was nicht bestritten 590 Vgl. auch "[...] the passive operation of conceptual capacities in sensibility is not intelligible independently of their active exercise in judgement, and in the thinking that issues in judgement" und "even the most immediately observational concepts are partly constituted by their role in something that is indeed appropriately conceived in terms of spontaneity". A.a.O., S. 13. 591 A.a.O., S. 11, m.H.
328 wird. Ob man die Erscheinung zweier unterschiedlich langer Linien akzeptiert oder nicht, liegt im Bereich des Urteilsvermögens, diese Aktivität beeinflußt aber nicht den Inhalt der Erscheinung, die Beschaffenheit sinnlicher Erfahrung, die uns dies nahelegt: Wir sehen die Linien als unterschiedlich lang, auch wenn wir sie gemessen haben. Auch McDowells nächste Überlegung hilft uns nicht weiter. Er fährt fort: "Moreover, even if we consider only judgements that register experience itself, which are already active in this minimal sense, we must acknowledge that the capacity to use concepts in those judgements is not self-standing; it cannot be in place independently of a capacity to use the same concepts outside that context."592
Der Sachverhalt scheint, jenseits philosophischer Theorie, doch folgender zu sein: Unsere sinnlichen Erlebnisse in 'irreführenden Umständen' wie beispielsweise bei einem ins Wasser getauchten Stab oder der MüllerLyer-Illusion, bleiben trotz unseres Wissens über diese Umstände unverändert: unabhängig davon, daß wir nicht urteilen würden, daß der Stab gekrümmt ist oder daß die Striche unterschiedliche Länge haben, werden wir genau das immer wieder von Neuem so wahrnehmen. Die sinnliche Erfahrung ändert sich trotz der möglichen Änderung der den Sachverhalt betreffenden 'Urteile, daß' nicht. Ich sehe nicht, wie McDowell diesen basalen Punkt in der vorgeschlagenen Verknüpfung von begrifflichen, aktiven und passiven Komponeneten im Bereich sinnlicher Erfahrung berücksichtigen kann. Die Redeweise von 'Urteilen, die die Erfahrung nur registrieren' ist irreführend: Entweder das Urteil registriert oder beschreibt die Erfahrung, dann aber ist es nicht 'aktiv im geforderten Sinn', denn wir werden bei der Beschreibung der Erfahrung nicht von unserem Wissen, daß die Umstände täuschen, Gebrauch machen können, da die Erfahrung dadurch nicht beeinflußt wird; oder das Urteil ist ein Urteil, daß - der Stab eben nicht gekrümmt ist, die Striche nicht unterschiedlich lang sind -, wir greifen also im Urteilen aktiv auf andere Bestandteile unseres begrifflichen Wissens zurück, wir verwenden Spontaneität, dann aber registriert es nicht die sinnliche Erfahrung. Das Argument muß ein anderes sein. In unserem Zitat endet McDowell so: "[...] the capacity to use concepts in those [registering] judgements is not selfstanding; it cannot be in place independently of a capacity to use the same concepts outside that context."593 592 Ebd., m.H. 593 Ebd.
329 Das erinnert an den schon erwähnten Punkt: alleine die Möglichkeit, die sinnliche Erfahrung begrifflich zu beschreiben, verweise auf beiden Modalitäten, Urteilen wie Wahrnehmen, zugrundeliegende Fähigkeiten. Und unsere Frage war, was diese Fähigkeiten sind, in welcher Hinsicht oder kraft welcher Eigenschaft sie, wenn sie die Voraussetzung für die Identifikation des gemeinsamen begrifflichen Elementes darstellen, selbst ihrerseits als dieselben Fähigkeiten zu definieren sind. Und wir werden sehen, daß McDowell eine zugrundeliegende logische Struktur postuliert, die sich als Propositionalität der Erfahrung beschreiben läßt. Unser kritisches Zwischenergebnis kann also folgendermaßen zusammengefaßt werden: Wahrnehmungsurteile werden so verstanden, daß in ihnen die Erscheinung, der begriffliche Inhalt, den die Erfahrung als solche bereits besitzt - da Begriffe ja bereits in der Rezeptivität in Anspruch genommen werden -, akzeptiert werden kann oder nicht. Erfahrungen selbst sind ebenfalls begrifflich und propositional, aber nichtdoxastisch, weil sie nicht den zwischen Überzeugungen bestehenden, inferentiellen Beziehungen unterliegen. Daß sinnliche Erfahrung als nichtdoxastisch verstanden wird, mag man aus unabhängigen Gründen für überzeugend halten. Wenn McDowell aber zur Rechtfertigung seiner Behauptung, sinnliche Erfahrung sei begrifflich, auf Spontaneität, auf Revisionsfähigkeit verweist, diese Aktivität dann aber nur im Bereich doxastischen oder epistemischen Sehens oder unserer Wahrnehmungsurteile möglich ist, dann scheint entweder der Begriff der Freiheit oder Spontaneität in den Bereich des Doxastischen zu gehören und nicht in den Bereich des Begrifflichen, oder es stellt sich die Frage, warum Wahrnehmungen als begrifflich verstanden werden sollten. Die Frage, inwieweit dieser Punkt der Verschmelzung aktiver und passiver Vermögen zur Lösung des durch den Mythos des Gegebenen gestellten Problems beitragen kann, wird uns im Rahmen der "Lectures" weiter beschäftigen. Doch zuvor soll McDowells Vorschlag aus Mind and World zusammengefaßt und einer abschließenden Prüfung unterzogen werden. VI.1.3 Versöhnung Im Rahmen der uns interessierenden Frage kann McDowells Lösungsvorschlag summarisch folgendermaßen charakterisiert werden: Die Krankheit besteht darin, daß die unterschiedlichen Attacken auf den Mythos des Gegebenen zu einer sich selbst perpetuierenden Oszillation zwischen den Polen des Kohärentimus und Fundamentalismus führen. Keine der Theorien
330 ist aber in der Lage, den zwei Erklärungszielen gleichermaßen gerecht zu werden: Wahrnehmung, sinnliche Erfahrung als Tribunal zu verstehen, in Bezug auf das sich unsere Überzeugungen rechtfertigen lassen müssen, oder kurz: minimalen Empirismus und Rechtfertigung zu vereinen. Nur eine Konzeption von Natur als 'zweiter Natur' könne die Versuchung, den Raum der Gründe oder der Rechtfertigung und den Raum der Natur oder der Gesetze als unversöhnbare Gegensätze zu konzipieren, heilen. Wenn wir aber sehen, daß Rechtfertigung als rationale Relation zwischen begrifflich verfaßter, sinnlicher Erfahrung und der Welt bestehen kann, mehr noch, daß ohne diese Richtung auf Welt unsere Erfahrungen keinen repräsentationalen Inhalt hätten, dann können die zwei gegenläufigen Bestrebungen versöhnt werden. Wie McDowell in seinem "Précis of Mind and World" von 1998 formuliert: "The transcendental thought is that we need to be able to see how the spontaneity of the understanding can be constrained by the receptivity of sensibility, if we are to be entitled to the very idea of subjective postures with objective purport. [This thought is] deformed by an attempt to combine it with the thought that the receptivity of sensibility would have to be independent of the acquisition of conceptual capacities. ... But th[is] thought about sensibility obliterates this possibility of transcendental comfort from view. ... The therapy I offer is a reminder of the idea of second nature [...]. ... Thus the fact that sensibility is a natural capacity, as it obviously is, does not imply that our sensibility cannot itself be conceptually informed. This brings the possibility of transcendental comfort back into visibility. Transcendental relief comes, in this picture, from a notion of experience as an actualization of conceptual capacities in sensory consciousness."594
Man hat, so McDowells These, keine Wahl bezüglich des Inhalts der Erlebnisse, man hat nicht erst ein Erlebnis, eine Wahrnehmung, und stattet sie dann mit begrifflichem Inhalt aus, hierin liege also die Passivität der Erfahrung, man kann aber die Begriffe oder begrifflichen Vorstellungen, auf die unsere Erlebnisse zurückgreifen, mit deren Hilfe allein sie erst ihren repräsentationalen Inhalt bekommen, verändern, hierin liege unsere Freiheit oder Aktivität. Sinnliche Erfahrung könne somit als begrifflich und mithin als in rationalen Relationen stehend verstanden werden, ohne daß eine solche Berücksichtigung ihrer rechtfertigenden Funktion sie aus ihrer Verknüpfung mit der empirischen Welt, der Natur lösen würde, weil Natur selbst im Rahmen der zweiten Natur als begrifflich durchdrungen
594 (McDowell, 1998c), vgl. S. 365-367.
331 verstanden werden muß. Eine solche Art epistemischen Königsweges ermögliche endlich die Versöhnung von Mind and World. VI.1.4 Die skeptische Herausforderung Für unsere Arbeit stellt sich aber die Frage, ob der von McDowell eröffnete Gegensatz zwischen Aktivität und Kontrolle einerseits und Passivität andererseits, bzw. deren Zusammenspiel, der auch von ihm als zentral erachteten Frage nach der Möglichkeit einer Verbindung von objektiver Geltung und Rechtfertigungsbeziehungen entspricht. Die skeptische Herausforderung bestreitet die Möglichkeit, unseren realistischen Anspruch auf objektive Geltung zu rechtfertigen, insofern geht es also weniger darum, unserer Kontrolle Einhalt zu gebieten, wie McDowell meint, sondern darum, der durch die Mitwirkung der begrifflichen Seite entstandenen Freiheit ein Gegengewicht an die Seite zu stellen, das unsere Bindung an die Wirklichkeit betont. Die Vorstellung von Weltgerichtetheit verlangt eine Konzeption sinnlicher Erfahrung, in der der Vorstellung 'empirischer Auflagen' Sinn verliehen werden kann, in der der sinnlichen Erfahrung epistemische Signifikanz so verliehen werden kann, daß unser Anspruch auf Objektivität gewahrt wird. Die unbestrittene Tatsache aber, daß wir den Inhalt unserer Erfahrungen oder Wahrnehmungen nicht frei bestimmen, setzt zwar der Spontaneität, der Möglichkeit, die beteiligten Begriffe einer Revision unterziehen zu können, Grenzen, kann aber m.E. noch nicht die geforderte Erklärung unseres empirischen Bezugs, unserer Weltgerichtetheit darstellen. Entweder man betont die Passivität entlang dieser Linie, dann aber droht die erwähnte Möglichkeit, die beteiligten Begriffe einer Revision unterziehen zu können, leer zu werden. Oder die Freiheit, die Aktivität, die Möglichkeit rationaler Relationen, rationalen Zugriffs wird betont, dann, so scheint es, müßte es aber auch in unserer Macht stehen, den Inhalt unserer ex hypothesi gleichursprünglich begrifflich verfaßten Erlebnisse zu beeinflußen, womit die geforderte Passivität oder Rezeptivität verlorenginge. Der theoretische Stellenwert dieser meines Erachtens notorisch unterbestimmten Vorstellung von Passivität ist McDowell aber sehr wohl klar: "In fact it is precisely because experience is passive, a case of receptivity in operation, that the conception of experience I am recommending can satisfy the craving for a limit to freedom that underlies the Myth of the Given."595 595 MaW, S. 10.
332 Mit anderen Worten: Erst die Bestimmung unserer Erlebnisse als rezeptiv kann die Verbindung zwischen den begrifflich verfaßten und damit dem Bereich der Freiheit unterstehenden kognitiven Inhalten und ihrem Gegenstand, der Welt, von der diese Erlebnisse handeln, so in den Blick nehmen, daß diese Beziehung als von einer objektiv gefaßten Welt mitgestaltet verstanden werden kann. Erst die Einhaltung einer solchen, meist als Forderung einer realistischen Position verstandenen Bestimmung kann das dem Mythos des Gegebenen zugrundeliegende Verlangen nach empirischem Gehalt so beantworten, daß die skeptische Herausforderung gegenstandslos wird. Die Frage ist, ob dies mithilfe des vorgestellten theoretischen Rahmens gelingen kann, ob also die von McDowell verwendeten Bestimmungen unserer Erlebnisse ausreichen, eine Vorstellung der Welt als objektiv zu rechtfertigen. Die Desiderata sowie die jeweils drohenden "pitfalls" oder Fallgruben werden von McDowell meines Erachtens überzeugend herausgearbeitet, Mysterium bleibt in seinem Entwurf aber, wie es zu einer Verbindung von aktiven wie passiven Bestandteilen in der Wahrnehmung, in sinnlichem Erleben kommt. Gerade jedoch in dieser Verknüpfung besteht die Herausforderung, wenn man den beiden reinen Positionen des Fundamentalismus oder Kohärentismus mißtraut. Warum sollten wir die kontraintuitive Konsequenz ziehen, Sinneserfahrungen als begrifflich zu kennzeichnen? McDowell betont, daß alleine schon die bloße Möglichkeit, sinnliche Erfahrung begrifflich zu beschreiben, auf eine beiden Modalitäten zugrundeliegende Fähigkeit verweise. In den folgenden Überlegungen wird uns also zum einen die Frage beschäftigen, was diese Fähigkeit ist, kraft welcher Eigenschaft sie, wenn sie die Voraussetzung für die Identifikation des gemeinsamen begrifflichen Elementes darstellt, selbst ihrerseits als dieselbe Fähigkeit zu definieren ist. Zum anderen soll nochmals ausführlicher gefragt werden, ob die Kennzeichnung sinnlicher Erfahrung als begrifflich und die daraus resultierende Konzeption von Welt als begrifflich durchdrungen die skeptische Herausforderung zurückzuweisen vermag. VI.2 Weltgerichtetheit und Objektivität: "Having the World in View" Grundlage für die folgenden Überlegungen sind überwiegend die Woodbridge Lectures, drei Vorlesungen aus dem Jahre 1997, deren Titel bereits die Richtung andeutet: "Having the World in View: Sellars, Kant, and In-
333 tentionality".596 Erklärungsziel ist auch hier, stärker noch als in Mind and World, die bereits in der Auseinandersetzung mit Strawson und Evans diskutierte Begründung oder Rechtfertigung unserer Rede davon, daß unsere Erfahrungen oder Erlebnisse von der Welt handeln. Alleine durch die Ausweisung oder Legitimierung dieser Redeweise kann der Anspruch auf Objektivität begründbar werden, so lautet auch McDowells Prämisse. Erlebnisse handeln von der Welt: In dieser Beziehung der Weltgerichtetheit liegt Intentionalität. McDowell formuliert die Grundfrage folglich so: Wie kommen unsere Erlebnisse oder Erfahrungen und Urteile zu ihrem empirischen Gehalt? Und unsere Frage wird sein, inwieweit die neue Konzeption, mehr als die bisherige Herangehensweise, die, wie gezeigt wurde, in der Betonung der Begrifflichkeit unserer Sinneswahrnehmungen gerade dieses Element ihrer Weltgerichtetheit, ihres empirischen Gehalts vernachlässigt, diese Beziehung erklären und begründen hilft.597 Dabei sollen besonders zwei Fragen als Leitfaden unserer Überlegungen dienen: Wie präzisiert McDowell die bereits diskutierte Verknüpfung von Erfahrungsgehalten und Urteilen, von Rezeptivität oder Passivität und Spontaneität oder Aktivität? Und die zweite Frage ist, ob McDowell seinem Begriff der "necessitation", der die in wahren Wahrnehmungen oder Wahrnehmungssurteilen bestehende Beziehung zur Welt beschreiben oder kennzeichnen soll, Sinn verleihen, seine Verwendung erklären bzw. rechtfertigen kann. Die Vorlesungen können zum einen als eigenständiger Beitrag zu der bereits in seiner Arbeit Mind and World behandelten Frage, wie Geist und Welt zusammenhängen, verstanden werden. Dann ist zu klären, auch nach McDowell's eigener Auffassung, ob die sich damals abzeichnende Rolle sinnlicher Erfahrung als rezeptiv und gleichwohl begrifflich, als aktiv und passiv, präzisiert und weiterentwickelt werden kann. Zum anderen können sie, wie ihr Titel bereits nahelegt, als Interpretation der Auffassungen Kants und Sellars bezüglich dieser Frage betrachtet werden, wobei sich insbesondere McDowells Bezug auf Kant verändert hat. Während er in der 596 (McDowell, 1998a), S. 431-91, i.F. WiV, sowie "Sellars's Transcendental Empiricism", (McDowell, 2000), S. 42-51, und die "Précis of Mind and World" von 1995 und 1998 mit Kommentaren und Antworten. 597 Seine eigene, explizite Selbstkritik allerdings liefert keinen Hinweis auf eine solche Einsicht. Die Selbstkorrekturen beziehen sich vor allem auf den Begriff transzendentaler Philosophie. McDowell nimmt seine eigene geringschätzige Haltung gegenüber transzendentaler Philosophie noch aus MaW (S. 41-43, 95-98) zurück und betont jetzt, daß diese keinen besonderen Standpunkt erfordere, und insbesondere nicht einen transzendenten. Vgl. bsp. a.a.O., S. 446.
334 früheren Arbeit die Kritik als 'Prolegomenon' zur Phänomenologie Hegels versteht, korrigiert er nun seine Aufassung nicht nur bezüglich des für transzendentale Philosophie erforderlichen Standpunktes, sondern auch mit Hinblick auf die Rolle, die der Anschauung in Kants theoretischem Bezugsrahmen zukommt.598 Im Folgenden berücksichtige ich vornehmlich die erste der genannten Lesarten, da McDowells These meines Erachtens unabhängig davon beurteilt werden kann, ob man sein exegetisches Unternehmen für überzeugend hält.599 Wie auch in Mind and World besteht das Leitmotiv der Vorlesungen in der Annahme, daß der vielversprechendste Versuch, Intentionalität zu verstehen, entlang Kantischer Linien erfolgen sollte. Intentionalität, Repräsentation, empirischer Gehalt oder objektive Geltung, diese Begriffe drükken in McDowells Verwendungsweise dasselbe aus: das Gerichtetsein auf Welt, auf Objekte; sie sollen dazu dienen, die in Mind and World als 'leeres Herumspintisieren' bezeichnete Gefahr eines 'Kohärentismus ohne Auflagen' zu vermeiden. Gegen Kritiker, die seinen Bezug auf Kant als trivial betrachten, betont McDowell, daß nicht alleine die Annahme, Empfindungsfähigkeit sei für eine Erklärung von Intentionalität zentral, als kantisch zu betrachten sei, zur Debatte stehe vielmehr, ob begriffliche Episoden im Rahmen sinnlicher Wahrnehmung als "guided by sheer receptivity" verstanden werden müssen, oder ob die Sicherung der transzendentalen Rolle der Empfindungsfähigkeit anders, entlang kantischer Linien erfolgen 598 Der positive Bezug auf Hegel bleibt allerdings erhalten. Vg. etwa WiV, S 488, wo McDowell daran festhält, der wesentliche Fehler in Sellars Lesart Kantischer Philosophie bestünde in der Annahme, "that Hegel merely muddies the Kantian waters": "[...] Sellars's blind spot, his inability to contemplate the possibility that intentionality might be relational, is part of a package with his conviction that to give philosophical reflection about intentionality a Hegelian shape is to abandon objectivity rather than to vindicate it." 599 Im Folgenden werden also zwar manche der genannten Belegstellen erwähnt, sein Bezug auf Kant kann aber nicht kritisch diskutiert werden. McDowell zitiert nur sporadisch und verweist insgesamt auf nur wenige Passagen, diese werden aber umso extensiver genutzt. Aufgrund dieser Dichte und des teils eher assoziativen Charakters des Aufsatzes würde die Frage, inwieweit seine Lesart bei genauerer Interpretation bzw. unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges der Kritik haltbar ist, hier zu weit führen. Vgl. hierzu etwa die Kritik von Bird (1996). Von Sellars sind für McDowell vor allem folgende Arbeiten relevant (Sellars, 1991a (1956)), (Sellars, 1991 (1963, London)) und (Sellars, 1967). Daß nicht nur McDowells Interpretation von Kant, sondern auch die von Sellars stark idiosynkratische Züge hat, wurde bereits oben anhand seiner Darstellung des Mythos' des Gegebenen gezeigt, vgl. auch die diesbezügliche Kritik von Rorty in (Rorty, 1998), sowie zu Sellars (McDowell, 2000).
335 kann. Was heißt in diesem Zusammenhang "transzendental"? Wie McDowell in mehreren Arbeiten der letzten Jahre betont, seine frühere Lesart kritisierend, charakterisiert dieser Begriff Herangehensweisen, die die Berechtigung unserer Rede von Weltgerichtetheit, Objektivität oder auch nur der Möglichkeit repräsentationalen Gehalts auszuweisen suchen. Wie er etwa im "Précis of Mind and World" von 1998 formuliert: "Here I am using the word to characterize any philosophical thinking whose aim is that there not be a mystery in the very idea of objective purport. This description fits my own thinking in Mind and World, which I there distinguish from acccepting a transcendental story."600
Bei einer solchen Art von Begründung geht es, so könnte man folglich sagen, weniger um einen epistemologischen als vielmehr um einen als transzendental oder konstitutiv verstandenen Zusammenhang, ähnlich wie in Strawsons Konzept 'deskriptiver Metaphysik' sollen interne Strukturen unseres Begriffssystems in Bezug auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis analysiert werden. Stärker noch als in Mind and World soll es in den Woodbridge Lectures um eine Auseinandersetzung mit als fundamentalistisch bezeichneten Auffassungen und damit um den Mythos des Gegebenen gehen, um die Frage, ob zur Ausweisung unseres Objektivitätsanspruchs eine Konzeption sinnlicher Erfahrung verlangt ist, die deren Weltgerichtetheit auf der Basis reiner Rezeptivität erklärt. In der ersten Vorlesung, "Sellars on Perceptual Experience", versucht McDowell anhand einer Darstellung der Sellarsschen Lesart von Kant die Struktur sinnlicher Erfahrung genauer zu bestimmen. In der zweiten Vorlesung, die "The Logical Form of an Intuition" zu klären verspricht, präzisiert McDowell dann seine Rede von Anschauungen als gleichermaßen sinnlich wie begrifflich. In der letzten Vorlesung, "Intentionality as Relation", soll McDowells Ansatz, Weltgerichtetheit als untrennbares Zusammenspiel von begrifflichen und empirischen Elementen zu verstehen, im Rahmen einer Analyse von Intentionalität ausgewiesen werden. In den beiden letzten Vorlesungen wird Sellars, der für die Notwendigkeit eines nicht-begrifflichen Aspektes, von rein Sinnlichem argumentiert, nicht direkt, sondern vor allem anhand seiner KantInterpretation kritisiert. Für unsere Überlegungen ist folglich insbesondere die erste Vorlesung zentral, die Frage nach der Möglichkeit alternativer Konzeptionen sinnlicher Erfahrung, die nicht dem Mythos unterliegen, wird anschließend gesondert behandelt. 600 (McDowell, J. 1998c), S. 365, Fn. 2.
336 VI.2.1 Von neuem: Die Struktur sinnlicher Erfahrungen Die in der ersten Vorlesung leitende Grundfrage ist, welcher Platz sinnlicher Erfahrung in der Rechtfertigung unserer Überzeugungen zukommen kann. Als Kontrastfolie dient Sellars, Ausgangs- und Referenzpunkt der Auseinandersetzung ist dessen Grenzziehung zwischen Charakterisierungen 'above the line', epistemische Fakten betreffend, und 'below the line', natürliche Fakten betreffend.601 Erstere versetzen Beschreibungen in den 'logischen Raum der Gründe', solche Charakterisierungen oder auch Zustände, Sachverhalte gehören in den Bereich der Rechtfertigung. Wie wir schon in Mind and World gesehen haben, identifiziert McDowell diesen Bereich mit dem Kantischen Bereich der Freiheit, wie er sich im Urteilen als paradigmatischer begrifflicher Fähigkeit zeigt, dadurch kann die relevante Freiheit dann wesentlich als Empfänglichkeit für Gründe verstanden werden.602 Epistemische oder begriffliche Zustände bzw. Episoden, so der Sinn der Grenzziehung, können nicht (alleine) als Aktualisierungen 'natürlicher' Fähigkeiten verstanden werden. Die mit der Kritik am Mythos des Gegebenen einhergehenden Überlegungen verlangen eine Neubewertung auch des Fundamentalismus, d.i. der Vorstellung, empirisches Wissen ruhe auf einem Fundament atomistisch zu verstehenden Beobachtungswissens, das insofern als basal zu betrachten sei, als es selbst nicht wiederum auf anderem Wissen gründe. Betone man aber, wie Sellars gegen diese Art von traditionellem Empirismus, die wechselseitige Abhängigkeit von einerseits Beobachtungssätzen und andererseits empirischen Propositionen, einer Weltsicht, könne es nicht mehr vorrangig darum gehen, Beobachtungswissen über den sinnlichen Gehalt als nicht-begrifflich oder vorintentional sozusagen direkt an die Welt anzubinden, um die Behauptung objektiven Gehalts zu rechtfertigen. "We can capture this part of the picture by saying that the intentionality, the objective purport, of perceptual experience in general [...] depends, in that logical dimension, on having the world in view, in a sense that goes beyond glimpses of the here and now. It would not be intelligible that the relevant episodes present themselves as glimpses of the here and now apart from their being related 601 Vgl. z.B. EPM §17, S. 146: "In short, it explains how things can have a merely generic look, a fact which would be puzzling indeed if looking red were a natural as opposed to epistemic fact about objects". Zu McDowells 'weitem' Gebrauch von 'epistemisch', vgl. WiV, S. 433, und S. 436: "[...] 'epistemic' can amount to no more than 'concept involving'." 602 Vgl. auch WiV, S. 434.
337 to a wider world view in the logical dimension Sellars adds. But the wider world view depends in turn, in the logical dimension that figures in traditional empiricism, on perceptual experience that is capable of yielding knowledge, in the form of glimpses of the here and now."603
Epistemische Zustände oder Episoden in der genannten Grenzziehung seien dann gleichbedeutend mit begrifflichen - so bereits in Mind and World und intentionalen, denn die genannte Grenzziehung, so McDowell, betreffe mit der Auszeichnung rationaler Relationen nicht nur die Rechtfertigung empirischen Wissens, sondern erlaube auch Aussagen über die Voraussetzungen, oder kantisch: die Bedingungen der Möglichkeit der Weltgerichtetheit unseres Denkens. Einen paradigmatischen Fall des Erwerbs von Wissen über die Welt liefert die Sinneswahrnehmung. McDowell übernimmt Sellars Kritik an der klassisch empiristischen Interpretation mithilfe von Sinnesdaten als "a mongrel resulting from a crossbreeding of two ideas"604: der Idee von nicht-begrifflichen, sinnlichen Empfindungen und der Idee eines nichtinferentiellen Wissens, daß etwas der Fall ist, wobei Sinnesdaten insofern als 'Mischlinge' oder Zwischendinge anzusehen sind, als Zuschreibungen von nicht-begrifflichen Episoden unter, solche von Wissen über die Grenzlinie gehören. Wenn aber eine Vermischung von Elementen ober- und unterhalb der Linie auf diese Weise nicht möglich ist, so McDowell, wie kann die Verbindung von Sinnlichem und Begrifflichem dann so beschrieben werden, daß beide Aspekte - die Intentionalität und der Erwerb von Wissen über die Welt, die Vorstellung des sinnlichen Fundamentes - berücksichtigt werden? Wendet man die vorgenannten Überlegungen auf die Wahrnehmungserfahrung an, so ergibt sich nach McDowell folgendes Bild.605 Der Aspekt von oberhalb der Grenze wird dadurch rekonstruiert, daß Wahrnehmungserfahrungen als Behauptungen enthaltend analysiert werden, und zwar, insofern sie begriffliche Episoden oder Aktualisierungen begrifflicher Fähigkeiten sind. McDowell will das folgendermaßen deutlich machen: Wenn wir urteilen, daß sich ein roter Würfel vor mir befindet, so wird eine begriffliche Fähigkeit ausgeübt, die auch in z.B. dem Urteil, daß 603 McDowell, a.a.O., S. 435f., m.H. Vgl. dazu auch Sellars in EPM, § 38, S. 169f. 604 Sellars, EPM §7, S. 132. 605 Wahrnehmungen im Sinne von Wahrnehmungserlebnissen, unabhängig davon, ob es sich um scheinbares oder wirkliches Sehen handelt. Vgl. McDowells Ausführungen zum Begriff der "ostensible seeings", a.a.O., S. 438: "Ostensible seeings are experiences in which it looks to their subject as if things are a certain way".
338 sich eine rote Pyramide vor mir befindet, ausgeübt wird, und eine zweite, die auch in beispielsweise dem Urteil, daß sich ein blauer Würfel vor mir befindet, angewendet wird. Wenn wir also urteilen, daß sich ein roter Würfel vor mir befindet, so werden (zumindest) diese zwei Fähigkeiten zusammen angewendet. Zusammen bedeute dabei nicht nur, daß beide unabhängig voneinander in einem Urteil Ausdruck finden, wie z.B. in dem Urteil, daß sich ein roter Würfel und eine blaue Pyramide vor mir befinden, sie müssen auf eine spezifische Art zusammengehören, wie sich das im Beispiel der logischen oder semantischen Zusammengehörigkeit der Ausdrücke 'rot' und 'Würfel' im verbalen Ausdruck des Urteils, im Akt der Prädikation, widerspiegelt.606 Wahrnehmungsmeinungen, so McDowell, kommen nun nicht durch aktives Anwenden dieser zwei unterschiedlichen begrifflichen Fähigkeiten zustande. Anders als dies im Urteilen der Fall ist, werden im Wahrnehmen die relevanten begrifflichen Fähigkeiten und die darin enthaltenen Behauptungen sozusagen unfreiwilligerweise, unwillkürlich aktualisiert, und nicht freiwillig oder absichtlich ausgeübt. Ein Prozess des Schließens oder Ableitens ist nicht erforderlich, die Überzeugung zeichnet sich aus durch "psychische Unmittelbarkeit".607 "They [ostensible seeings] 'contain' their claims as ostensibly necessitated by an object ostensibly seen. [...] [T]hey 'contain' their claims as ostensibly visually imposed or impressed on their subject."608
'Necessitation' heißt also zunächst einmal nicht mehr, als daß die relevanten Wahrnehmungen nicht aktiv, sondern passiv zu verstehen sind, aber wie bereits gegen Mind and World festgehalten wurde, dies kann m.E. nicht ausreichen, um deren objektive Geltung zu rechtfertigen. Was also wird aus Sellars' Aspekt unterhalb der Linie? Wird er noch gebraucht, und wenn ja, aus welchem Grund? McDowell unterscheidet bei Sellars zwei Herangehensweisen, die beide sinnliche Erlebnisse zu Erklärungszwecken postulieren. Die eine, so McDowell, gehe von der Frage aus, worüber die Gleichheit des sinnlichen Gehalts zu erklären sei, wenn (i) ein rotes und 606 McDowell, a.a.O., S. 438ff. McDowell verweist auf Evans' "generality constraint" in VoR, S. 100-105. 607 Diesen Ausdruck übernehme ich von Schantz, vgl. (Schantz, 1998), S. 211, vgl. auch (Schantz, 1990), S. 159f., der McDowell hinsichtlich der Struktur von Wahrnehmung allerdings nur insofern zustimmt, als dieser sehe, daß Wahrnehmungsmeinungen nicht-inferentiell sind, sich nicht Schlußfolgerungsprozessen verdankten. Dazu mehr in unserem Schlußkapitel. 608 McDowell, a.a.O., S. 440.
339 rechteckiges Objekt vor mir wirklich wahrgenommen wird, (ii) es nur so aussieht, als ob das Objekt rot und rechteckig sei, das in Wirklichkeit aber nicht der Fall ist, und (iii) es nur so aussieht, als ob da ein rotes und rechteckiges Objekt sei, in Wirklichkeit aber kein Objekt da ist. Geht man von einem solchen - eher naturwissenschaftlichen - Erklärungsziel aus, setze man aber voraus, daß die Annahme, Wahrnehmungserfahrungen enthielten Behauptungen, innerhalb der Erklärung 'oberhalb' bereits gerechtfertigt sei. Geht man aber von dieser Prämisse aus, so McDowell, muß die fragliche Gleichheit nicht notwendigerweise im Rahmen von gleichen sinnlichen Erfahrungen, von Bewußtsein erklärt werden, eine Annahme wie die, dies würde erklärt durch gleiche proximale Stimuli, gleiche Muster von Licht, das auf unsere Retina trifft, reiche dann aus. Die zweite mögliche Begründung der Notwendigkeit von sinnlichen Erlebnissen setze an der Frage an, wie es überhaupt dazu kommt, daß unsere sinnliche Bezogenheit auf die Umwelt die oben beschriebene Form begrifflicher Episoden annimmt, die Urteile 'enthalten'. "[T]he reason Sellars thinks our complete account of visual experience must include visual sensations -nonconceptual visual episodes- is that he thinks this is the only way we can find it intelligible that there should so much as be the conceptual shaping of sensory consciousness that constitutes the above-the-line element in his account of visual experience."609
Die Rede davon, daß die Aktualisierungen begrifflicher Fähigkeiten im Bereich der Wahrnehmung so verstanden werden müssen, als enthielten sie Behauptungen über Objekte, könne, so die dann leitende Annahme, nur mithilfe ihrer Beziehung zu visuellen Erfahrungen begründet werden. Die Begründungsanforderung bezüglich sinnlicher Episoden, so hält dann McDowell fest, sei in diesem Fall aber nicht mehr naturwissenschaftlich, sondern methodisch motiviert: nichtbegriffliche, sinnliche Erlebnisse stellen dann die Bedingung der Möglichkeit begrifflichen sinnlichen Bewußtseins dar. Dies wird als transzendentale Begründung analysiert:
609 A.a.O., S. 444. Dies sei ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Sellars von EPM und dem von SaM, so McDowell. Die naturwissenschaftliche Motivation der früheren Arbeit sei der Vorstellung gewichen, daß vor allem die Begründung des intentionalen Charakters von z.B. Wahrnehmung eine solche Erklärung verlange. Eine solche Motivation ist nach McDowells Definition 'transzendental' zu nennen.
340 "Sellar's sense-impression inference is a piece of transcendental philosophy, in the following sense: it is directed towards showing our entitlement to conceive subjective occurrences as possessing objective purport."610
Dabei verwahrt sich McDowell gleichzeitig dagegen, transzendentale Philosophie als gleichbedeutend mit der Einnahme eines externen Standpunktes zu verstehen. Sellars Position könne zwar so verstanden werden, da er den objektiven Sinn begrifflicher Vorkommnisse von außerhalb des Begrifflichen zu erweisen suche, und mithin eine Beschreibungsrichtung wähle, die bereits in Mind and World als 'from sideways on' zurückgewiesen wurde. Dies sei aber nicht für transzendentale Philosophie generell gültig. Auf diesen Punkt werden wir noch zurückkommen müssen. Für meine Arbeit kann offen bleiben, ob McDowells Interpretation Sellars gerecht wird, wobei insbesondere zu fragen wäre, ob die Trennung zweier unabhängiger Erklärungsziele, mehr noch: zweier gegensätzlicher Perspektiven, so aufrechtzuerhalten ist. Wir wollen uns dagegen fragen, wie McDowell die sellarsianische 'transzendentale Inferenz auf Sinneseindrücke' beurteilt.611 Stark verkürzend kann man sagen, daß in "Empiricism and the Philosophy of Mind" die Begründung für die Möglichkeit sinnlicher Erfahrung als innerer, der Rechtfertigung aber zugänglicher Episoden in zwei Stufen verläuft: Auf der ersten Stufe werden die fraglichen Episoden im Rahmen einer Theorie eingeführt und können alleine inferentiell zugeschrieben werden, auf der zweiten können diese im Rahmen von Selbst-Zuschreibungen dann durch fortlaufendes Training auch unmittelbar, ohne Rückgriff auf die evidentielle Bestätigung, die die Theorie bereitstellt, verwendet werden.612 Am Ende sind begriffliche Episoden wie nicht-begriffliche sinnliche Episoden der nicht-inferentiellen Selbstzuschreibung zugänglich. Im Rahmen seiner Wendung zu einer eher transzendentalen Auffassung, so McDowell in kritischem Anschluß an den Sellars von Science and Metaphysics, müsse aber berücksichtigt werden, daß sinnliche Episoden ihre transzendentale Rolle oder Funktion als ermöglichende Episoden des 'äußeren Sinns', Episoden, die Behauptungen über die Außenwelt 'enthalten', nur als Bewußtseinszustände im Rahmen reiner Rezeptivität ausüben könnten, nicht aber als Objekte, auf die das Bewußtsein gerichtet ist. Wenn diese Episoden aber nicht für das Bewußtsein prinzipiell unzugänglich sein sollen, muß ihnen, so der Vorschlag von McDowell, 610 A.a.O., S. 445. Siehe hierzu auch "Sellars's Transcendental Empiricism", (McDowell, 2000), S. 42. 611 A.a.O., S. 447. 612 Vgl. EPM, §§ 45-63.
341 eine Doppelrolle zugeschrieben werden: einerseits sind Sinneseindrücke Bestandteile der Mannigfaltigkeit reiner Rezeptivität, in diesem Rahmen ihrer transzendentalen Funktion werden sie nicht bewußt wahrgenommen, sie können andererseits aber in den Bereich des bewußten Wahrnehmens gehoben werden: "One can focus one's attention on the manifold of sheer receptivity that was, a moment before, enabling one's attention to be directed toward the ostensibly seen environment. But in doing so - in bringing it within the scope of one's apperception - one ensures that it ceases to perform that function."613
Ohne diese Doppelrolle, so McDowell, ergäbe sich das Problem, daß die Elemente 'unterhalb der Linie' nur opak gekennzeichnet werden könnten, und damit bestenfalls eine Basis bereitstellen könnten, von der aus wir auf die uns umgebende Welt schlußfolgern können. Denn, so die Argumentation, die einzige von Sellars ursprünglich erwähnte Form, in der etwas in unserem Bewußtsein sein könne, sei die, Gegenstand unseres Bewußtseins zu sein. Figurierten sinnliche Erlebnisse aber als Gegenstände des Bewußtseins, verstellten sie uns die Sicht auf die uns umgebenden Objekte, von denen diese Erlebnisse handeln. Erst im Rahmen der späteren Ausführungen könne Sellars konzedieren, daß der transzendental verlangte Bezug zu einer sinnlichen Mannigfaltigkeit, ohne daß diese Gegenstand des Bewußteins sei, dazu dienen könne, unsere Aufmerksamkeit auf die uns umgebenden Gegenstände zu richten.614 Festhalten möchte ich zunächst, daß sich McDowells Rede von 'necessitation' hier noch ganz harmlos ausweisen zu lassen scheint, sie besagt nicht mehr, als daß kein Prozess des Ableitens oder Schließens vom Sinneseindruck zur Überzeugung oder Meinung nötig ist. Der Sinneseindruck zieht also eine (Wahrnehmungs-) Meinung zwingend nach sich: wie kann diese Beziehung näher bestimmt werden, da es ja nicht irgendeine Meinung sein darf, sondern die dem Wahrnehmungsinhalt entsprechende? Diese Verbindung müßte, da sich an ihr der Streit zwischen Theoretikern wie etwa Davidson, der sie als kausale beschreibt, und McDowell entzündet, er sich also insbesondere hier konkretisieren und dingfest machen ließe, präzise beschrieben werden. Und ein weiterer Einwand, der von unterschiedlichen Autoren vorgebracht wird, wendet sich gegen die Vorstellung der notwendigen Folge einer W-Meinung aufgrund eines Sinneseindrucks, und
613 Ebd. 614 A.a.O., S. 447-50.
342 argumentiert, unsere Sinneseindrücke seien wesentlich feinkörniger.615 Doch bevor wir auf spezifische Einwände gegen McDowells Konzeption sinnlicher Wahrnehmung eingehen, soll die Argumentation der nachfolgenden Vorlesungen summarisch dargestellt werden. VI.2.2. Die logische Form einer Anschauung Die in McDowells zweiter Vorlesung leitende Grundfrage ist, inwieweit Sellars Annahme, die begrifflichen Elemente 'oberhalb der Linie' bräuchten - aus transzendentalen, nicht aus phänomenologischen Gründen - eine Fundierung in Elementen unterhalb, in der Mannigfaltigkeit reiner, nichtbegrifflicher Rezeptivität, tatsächlich begründet ist. "The idea is that we are entitled to talk of conceptual episodes in which claims are ostensibly visually impressed on subjects [...] only because we can see the flow of such conceptual representations as guided by manifolds of sensations, non-concept-involving episodes or states in sensory, and specifically visual, consciousness."616
McDowell vertritt, wie wir bereits aus Mind and World wissen, die gegenteilige These: Sellars Aspekt 'unterhalb' werde nicht gebraucht, um die Behauptung eines empirischen Gehalts von Anschauungen zu erklären oder zu rechtfertigen, Anschauungen und Urteile seien beide gleichermaßen begrifflich, der Unterschied könne alleine darin bestehen, daß letztere "free exercises of conceptual capacities" sind, während erstere "ostensibly necessitated" sind. Intentionalität oder empirischer Gehalt, beide Konzepte oder Begriffe drücken in McDowell's Verwendungsweise dasselbe aus: das Gerichtetsein auf Welt, auf Objekte; mithilfe dieser soll die Vorstellung gerechtfertigt werden, unseren Überzeugungen käme empirischer Gehalt oder objektive Geltung zu. Anschauungen stellen den Ort dar, an dem unsere begriffliche mit der empirischen Welt verbunden ist, mittels unserer Anschauungen erhalten unsere Urteile, die ansonsten der Spontaneität unterstehen, ihre empirischen oder objektiven Auflagen. Anschauungen spielen also eine Doppelrolle: sie sollen den Bezug zur Realität gewährleisten - der empirische Bestandteil, andererseits aber aber auch das begriffliche Denken informieren können - der Bestandteil des Gehalts.
615 Auf diesen Punkt komme ich in meinen Schlußüberlegungen zurück. 616 A.a.O., S. 451, m.H.
343 Sellars Interpretation von Kant, so McDowell, unterscheide zwei verschiedene Beschreibungen von Anschauungen: einerseits als "shapings of sensory consciousness by the understanding", die ein jeweiliges Einzelding als ein dies derartige repräsentieren, in dieser Beschreibung sind Anschauungen oder sinnliche Erfahrung bereits durch unser Begriffsvermögen geprägt. Aber aufgrund seiner Überzeugung, die transzendentale Sicherung begrifflichen Denkens erfolge auch bei Kant durch eine Kontrolle des Flußes begrifflicher Repräsentationen mithilfe nicht-begrifflicher, sinnlicher Mannigfaltigkeit, reiner Rezeptivität, sehe Sellars bei diesem auch eine weitere Verwendungsweise des Terms Anschauung: als vollständig bestimmte, basale Anschauung eines Objektes als solches-derartiges, wobei die Bestimmung des Objektes als ein derartiges nicht als begrifflich, sondern als protobegrifflich (-e Vorstufe) zu verstehen wäre. Der in einem Urteil verwendete generelle Terminus würde bei einer Anschauung dann durch eine synthetische Operation des Verstandes im Rahmen produktiver Imagination ersetzt bzw. vorgebildet werden. Anschauungen in der zweiten Lesart würden also die begrifflich verfaßten Anschauungen in der ersten Lesart transzendental stützen. Auf diese von Sellars propagierte Auslegung von Kant, die seine Konzeption von sinnlicher Erfahrung als 'verinnerlichten Episoden' voraussetze, wendet McDowell Sellars eigene Kritik an Sinnesdaten als 'Bastarden' an: Interpretiere man Kants Begriff der Anschauung-en wie Sellars, also als Mischling aus Begrifflichem und rein Sinnlichem, ergeben sich, so McDowell, verschiedene interne Schwierigkeiten, denn zum einen werde Begriffsbildung schwierig, und zum anderen werde die kantische Vorstellung, Raum sei die Form äußeren Sinns, unhaltbar.617 Wie müssen Anschauungen folglich konzipiert werden? In unserer Darstellung der ersten von McDowells Woodbridge-Lectures war bereits von einer spezifischen Art des Zusammenspiels verschiedener begrifflicher Fähigkeiten die Rede, das am Beispiel der logischen oder semantischen Zusammengehörigkeit der Ausdrücke 'rot' und 'Würfel' im verbalen Ausdruck des Urteils, dem Akt der Prädikation, erläutert wur617 Für seine Kritik an Sellars Lesart der kantischen Konzeption von Begriffsbildung vgl. a.a.O. S. 453f. sowie Fn. 3, wo McDowell zu verteidigende Grundüberzeugung so beschreibt: "[T]he capacity to experience things as thus-and-so should be seen as coeval with the capacity to judge that they are thus-and-so." Vgl. auch unsere Ausführungen zur Verbindung primärer und sekundärer Qualitäten in Kap. V. Für seine Kritik an Sellars Verständnis der kantischen Konzeption des Raumbegriffs vgl. S. 454-457. Ob Kant, wie McDowell argumentiert, den 'äußeren Sinn' allein mithilfe des Raumbegriffs oder unter Hinzuziehung reiner Rezeptivität faßt, ist für unsere Argumentation nicht entscheidend, vgl. a.a.O., S. 457.
344 de.618 Wahrnehmungsmeinungen, so wurde weiterhin gesagt, kämen zwar nicht durch ein solches aktives Anwenden der verschiedenen begrifflichen Fähigkeiten zustande, im Wahrnehmen würden die relevanten begrifflichen Fähigkeiten und die darin enthaltenen Behauptungen aber unmittelbar aktualisiert. Zur Klärung dieser eher kursorischen Bemerkungen verweist McDowell nun auf eine Passage aus der KdrV: "Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedruckt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann."619
Das erwähnte Zusammenspiel verschiedener begrifflicher Vorstellungen soll dann eine genauere Spezifikation dieser Funktion sein, die Einheit unter verschiedenen Repräsentationen in einem Urteil stiftet. Betrachtet man die relevanten Passagen bei Kant, scheint sich allerdings eine andere Lesart nahezulegen.620 Synthesis faßt die Mannigfaltigkeit unserer Vorstellungen in einer Erkenntnis; sie ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori (wie das im Raum und in der Zeit) gegeben ist. "Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen."(A77) Die Synthesis ist dasjenige, was die Elemente, d.h. die Vorstellungen, zu Erkenntnissen sammelt und zu Inhalten vereinigt. "Die Synthesis überhaupt ist [...] die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überhaupt keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten einmal bewußt sind. Allein, diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Funktion, die dem Verstande zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschaffet."(A78) Allgemeine Logik handelt davon, daß analytisch verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff gebracht werden; transzendentale 618 McDowell, a.a.O., S. 438ff. 619 A.a.O., A 79. 620 Vgl. zum Synthesisbegriff insbes. die A-Auflage, etwa A 77ff., Von den reinen Verstandesbegriffen.
345 Logik lehrt, nicht die Vorstellungen, sondern die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe zu bringen. "Das erste, was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist das zweite, gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reinen Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zum Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem Verstande."621
Synthesis allein findet also nach Kants Auffassung in der Einbildungskraft statt, sie ist nicht- oder vorbegrifflich, sie ordnet das Mannigfaltige der Anschauung und stellt damit die Vorstufe zu Erkenntnis dar. Diese Synthesis dann unter Begriffe zu bringen, stellt einen weiteren, dritten Schritt dar, der erst verstandesmäßige Erkenntnis ermöglicht. Dies scheint aber der von McDowell kritisierten Auffassung Sellars zu entsprechen. Auch Sellars interpretiert die genannte Stelle so, daß die in einer Anschauung verkommende prädikative Objektrepräsentation als nicht- oder vorbegrifflich verstanden werden kann, wogegen McDowell festhält, dies schreibe der relevanten Kant-Passage nicht 'ihre volle Bedeutung' zu.622 Bei optischen Sinneswahrnehmungen etwa hat die einheitstiftende Funktion für McDowell - zumindest - zwei Dimensionen: eine logische, die etwa in einem prädikativen Urteil ausgedrückt wird, und eine visuelle, die in Wahrnehmungen aktualisiert wird, wobei die Analogisierung der logischen oder semantischen in der visuellen mit dem Verweis auf die 'Zusammengehörigkeit', die interne Verknüpfung der Bestandteile gerechtfertigt wird, dies drücke sich auch darin aus, daß ein 'ostensible seeing' eine Behauptung 'beinhalte'. Der Unterschied zwischen beiden Fähigkeiten, so die Auffassung bereits in Mind and World, bestehe darin, daß begriffliche Fähigkeiten im Urteilen frei und selbstständig aktualisiert werden, im Wahrnehmen dagegen "involuntarily drawn into operation under ostensible necessitation from an ostensibly seen object".623 Diesselbe Funktion, die verschiedene Aspekte unserer jeweiligen Objektrepräsentation im Urteilen wie im Wahrnehmen vereinige, vereinige auch die Synthesis verschiedener Repräsentationen in einer Anschauung. 621 Vgl. A 78f. 622 Vgl. a.a.O., S. 457. 623 WiV, S. 458. Letzteres klingt wie eine paradigmatische Formulierung 'from sideways on', und wäre nach McDowells Vorgaben insofern unzulässig. Darauf werden abschließend zurückkommen.
346 Verkürzend kann man sagen, daß die von Sellars - wie der hier befürworteten Lesart nach auch von Kant - vertretene Auffassung dagegen betont, daß die einheitsstiftende Operation der Synthesis auf einem vorbegrifflichen Material der Erfahrung ansetzt, dem Mannigfaltigen der Anschauung, das durch die Einbildungskraft in einem Akt der Synthesis zu Anschauungsbildern zusammengesetzt wird, auf die die aus der Verstandestätigkeit resultierenden, einheitsstiftenden Begriffe angewendet werden, es handelt sich also um ein dreistufiges Modell. Der Dissens zwischen McDowell und Sellars ist allerdings nicht immer leicht auszumachen. Wie bereits in Mind and World setzt McDowell voraus, daß für Kant die Einbildungskraft eine Art von 'Verstandestätigkeit' ist, die intrinsisch mit dem Vermögen, begrifflich zu denken, verknüpft ist, ohne dafür eigens zu argumentieren. Dahingegen besteht Sellars Kritik an Kant meines Erachtens wesentlich in dem Vorwurf, in dessen Gebrauch des Terminus' Anschauung werde keine klare Trennung zwischen den Vermögen der Einbildungskraft, des Verstandes und dem Begriffsvermögen gezogen. Insofern könnte dann aber McDowells weitere Lesart und Kritik von Sellars so nicht hingenommen werden, es wäre schlichtweg falsch zu sagen, daß es in dessen zweiter Lesart des Terminus' Anschauung nur um eine Mannigfaltigkeit sinnlicher Eindrücke gehe, die vor jeglicher Verstandestätigkeit seien.624 Wir werden auf die Frage, wie eine Konzeption von Empfindung, wie Formen der Sinnlichkeit oder Repräsentationen reiner Rezeptivität unabhängig nicht von bloßer Verstandestätigkeit, wie McDowell nahelegt, sondern unabhängig von Begrifflichkeit aussehen könnten, im Schlußkapitel zurückkommen. Betrachtet man die von McDowell genannten Passagen bei Kant, bleibt der hier vertretenen Auffassung nach offen, ob es jenseits der von beiden Kontrahenten unbestrittenen Interdependenz von Anschauungen und Begriffen möglich ist, Formen reiner Rezeptivität, oder anders formuliert, Formen nichtbegrifflicher sinnlicher Erfahrung als Bedingung der Möglichkeit für begriffliches Denken mit empirischem Gehalt zu postulieren. Läßt man die Auseinandersetzung bezüglich Kants Begriff der Ansschauung außer acht, so bleibt jedoch noch immer die Frage, wie McDowell seine eigene Rede von 'necessitation', mit der die Behauptung empirischen Gehalts gerechtfertigt werden soll, auszuweisen sucht, wenn die Vorstellung einer 'guidance', also der Abhängigkeit begrifflichen Inhalts von rein sinnlicher Rezeptivität, verworfen wird. Dies soll insbesondere in der dritten Vorlesung deutlicher werden. 624 Vgl. auch a.a.O., S. 461f.
347 VI.2.3 Intentionalität als Relation zwischen begrifflichen und empirischen Elementen Die hier leitende Grundfrage ist, wie der Behauptung empiririscher, und das heißt auch, externer Auflagen Sinn verliehen werden kann: Brauchen wir, wie Sellars argumentiert, die 'guidance' durch reine Rezeptivität, um diese Behauptung intelligibel zu machen oder zu rechtfertigen, oder kann diese Aufgabe von der objektiven Welt selbst erfüllt werden? McDowells Vorschlag, wie bereits anhand von Mind and World gezeigt wurde, besteht darin, die Sphäre des Begrifflichen in die Welt hinein zu verlagern, so daß deren Objekte selbst die empirischen Auflagen, die Leitschnur darstellen können sollen: "The transcendental task is entitling ourselves to see conceptual activity as directed toward a reality that is not a mere reflection of it. To discharge that task, we need not see conceptual representations in perception as externally constrained by anything except the relevant elements of the very independent reality toward which we are in the course of entitling ourselves to see conceptual activity, in general, as directed."625
McDowell räumt zwar ein, daß dieser Vorschlag eine gewisse Zirkularität enthält: Unsere begriffliche Aktivität ist auf externe Objekte gerichtet, die ihrerseits dieser Aktivität externe Beschränkungen auferlegen. Der Zirkel, so McDowell, werde aber dadurch entschärft, daß bei Wahrnehmung die Aktualisierungen begrifflicher Fähigkeiten Formungen sinnlichen Bewußtseins seien und insofern als rezeptiv zu charakterisieren wären, die externen, leitenden Objekte seien folglich nicht als bloße Projektion unserer begrifflichen Aktivität zu verstehen. "That ensures that the objects we are entitling ourselves to see as present in intuition are genuinely independent of the subjects."626
Sellars lehne diese Möglichkeit zum einen aufgrund seiner Überzeugung ab, nicht im manifesten, sondern im wissenschaftlichen Weltbild werde letztlich darüber entschieden, welchen Gegenständen reale Existenz zukomme. Wie auch McDowell festhält, spricht Sellars den alltäglichen Gegenständen des manifesten Weltbildes nur insofern reale oder unabhängige Existenz zu, als diese durch Korrelationen mit dem wissenschaftlichen 625 WiV, S. 473. 626 Ebd.
348 Weltbild vindiziert werden können. Nun wurde zwar zugestanden, daß ein wissenschaftlicher Instrumentalismus, der theoretischen Termini entweder ihre referentielle Funktion abspricht oder diese durch Termini der Beobachtungssprache für ersetzbar hält, nicht überzeugend ist. Wie bereits wiederholt argumentiert wurde, kann dennoch auch der Anspruch eines starken wissenschaftlichen Realismus', nur denjenigen Entitäten oder Eigenschaften reale Existenz zuzusprechen, die durch theoretische Termini oder Prädikate denotiert werden, nicht akzeptiert werden.627 Meines Erachtens sind alleine Minimalversionen überzeugend, die zwar an der referentiellen Funktion und mithin dem Wahrheitsanspruch derjenigen unserer theoretischen Prädikate festhalten, die wir für die besten Erklärungen beobachtbarer Phänomene benötigen, der weitergehenden Anspruch, alleine im wissenschaftlichen Weltbild könne überhaupt reale Existenz zugesprochen werden, muß aber zurückgewiesen werden.628 McDowell wendet sich aber auch gegen einen zweiten, entscheidenderen Punkt von Sellars. Für McDowells Lösung ist es ausschlaggebend, daß die realen Objekte der Außenwelt selbst die Funktion übernehmen können, unsere Wahrnehmung zu 'leiten', ihr empirische Beschränkungen aufzuerlegen, oder besser: sie mit empirischer Geltung auszustatten. Diese Lösung, so McDowell, könne Sellars aus verschiedenen Gründen nicht akzeptieren. Zum einen, weil er in die Spezifikation des Gehalts der jeweiligen Wahrnehmung kausale Antezedenzien mitaufnehme - wird das wahrgenommene Objekt aber am Ende einer Kausalkette angesiedelt, die die betreffende Wahrnehmung generiere, so McDowell, werde es unmöglich, Wahrnehmung als direkte und unvermittelte Anschauung von Objekten aufzufassen.629 Man kann McDowell zwar zugestehen, daß es nicht überzeugend ist, vom Subjekt eine Kenntnis der 'Normalität' der Wahrnehmungsbedingungen zu fordern, und folglich darüber streiten, ob eine Spezifikation dessen, was als die normalen Umstände von Wahrnehmung gelten kann, in die Beschreibung des Gehalts einer Wahrnehmung aufgenommen werden muß. Aber einerseits wird auch McDowell nicht bestreiten wollen, daß unsere Wahrnehmung nur vor einem Netz von (zumeist er627 Vgl. etwa unsere Ausführungen in den Kap. III. und V.3. 628 Vgl. hierzu WiV, S. 473 und 489, sowie für eine instruktive und kritische Diskussion von Sellars Position die Ausführungen von Schantz in (1990), Kap. XI, S. 219ff., insbes. 225ff. 629 Vgl. a.a.O., S. 474ff. Auf die von McDowell auch in diesem Kontext betonten Parallelen zu Evans kann ich hier nicht eingehen. Da Evans letztlich für eine Aufassung plädiert, die der nichtbegrifflichen Seite der Wahrnehmung Rechnung zu tragen sucht, kann er m.E. nicht als Gewährsmann der McDowellschen Position gelten.
349 füllten) Hintergrundannahmen oder -bedingungen statthaben kann.630 Und andererseits findet sich im Text kein Argument für McDowells implizite Prämisse, eine Berücksichtigung der Kausalität unserer Wahrnehmung ergebe notwendig eine Auffassung, die den unvermittelten oder direkten Zugang zu Objekten der Außenwelt nicht zu gewährleisten vermag.631 Interessanter ist aber zunächst McDowells zweiter Einwand. Anschauungen in McDowells Verständnis stehen, qua begrifflichen Vorkommnissen, in Relation zu Objekten, eine begriffliche Episode hat dann anschaulichen Gehalt, wenn sie in einer bestimmten Relation zu einem Objekt steht. Für Sellars Auffassung ist es hingegen zentral, daß Elemente der begrifflichen Ordnung in semantischen oder bedeutungstragenden Relationen nur zu weiteren Elementen der begrifflichen Ordnung stehen können, nicht aber zu Elementen der wirklichen Ordnung, zwischen dem Denken und der Welt, so die These, kann es keine begrifflichen, sondern nur kausale Relationen geben.632Dieser Punkt ist entscheidend. McDowell spricht davon, daß die unterschiedlichen Auffassungen der Grenze der Sphäre des Begrifflichen auch zwei unterschiedliche Auffassungen des transzendentalen Projekts reflektierten: "For Sellars, our entitlement to see elements in the conceptual order as intentionally directed towards elements in the real order has to be transcendentally secured from outside the semantical, from outside the conceptual order. [...] Given a conviction to that effect, a transcendental role for sensibility can only be the sort of thing Sellars envisages, a matter of conceptual activity beeing guided by 'sheer receptivity'. [...] Against this, I have urged that [...] we can take perceived objects themselves to supply the external constraint on conceptual goings-on [for which Sellars thinks we need to appeal to 'sheer receptivity']. A non-sheer receptivity is operative in intuition so conceived, and that is enough 630 Im Gegenteil: Daß der spezifische Gehalt unserer Wahrnehmungen und Urteile von dem Erfülltsein unterschiedlichster Hintergrundannahmen abhängt, nützt McDowell in seiner Argumentation für die Unhintergehbarkeit eines internen vs. eines Standpunktes 'from sideways on' aus. Darauf komme ich gleich zurück. 631 McDowells Argumentation ist auch insofern überraschend, als sein positiver Bezug auf Davidson eine andere Auffassung nahelegen würde. Ich denke dabei an dessen Konzeption der Triangulation, die den distalen Charakter der Kausalität betont, und unseren Bezug zu Objekten gleichwohl als unvermittelten sicherzustellen sucht. 632 WiV, S. 477ff., bes. 483 passim. McDowell schlägt dagegen eine an Tarski angelehnte Semantik vor, die den Begriffen der Bedeutung, der Erfüllung oder Referenz ihren relationalen Charakter zurückgeben könne: Es gehöre, so seine Auffassung, zum intrinsischen Charakter intellektueller Akte, insbesondere, sofern sie Anschauungen sind, daß diese eine unvermittelte Relation zu Objekten der wirklichen Welt haben könnten.
350 to undermine the threat of 'idealism', the threat that the supposed objects of these conceptual shapings of consciousness can only be projections of our conceptual activity."633
Wie aber soll das 'unvermittelte Gegebensein von Objekten gegenüber einem anschauungsmäßig strukturierten Bewußtsein' die von McDowell favorisierte transzendentale Rolle der Sensibilität erklären und rechtfertigen? Oder anders formuliert: Wie begegnet McDowell dem Einwand, dies stelle bereits seinerseits eine Form begrifflichen Gerichtetseins dar und könne insofern nicht zugleich auch eine Rechtfertigung dieser Idee des Gerichtetseins darstellen? Meines Erachtens findet sich im vorliegenden Text, wie bereits in Mind and World, nur ein Argument, und dieses wird zugleich gegen den Zirkelvorwurf wie gegen den Vorwurf, die als Gegenstände der Außenwelt angesehenen Objekte seien bloße Projektionen unserer begrifflichen Aktivität, in Anschlag gebracht: Anschauungen seien nicht nur als begrifflich, sondern auch als rezeptiv zu verstehen, und auch wenn dieser Bestandteil der Rezeptivität nicht von dem begrifflichen Bestandteil zu lösen wäre, so sei doch durch das Element der Passivität gewährleistet, daß ihr jeweiliger empirischer Gehalt durch die Objekte notwendig gemacht werde. Damit sind wir erneut bei der zentralen Frage angelangt: Wie begründet McDowell nun wiederum seine Rede von 'necessitation', von Notwendigmachung, mit der die Behauptung eines empirischen Gehalts von Wahrnehmungsurteilen gerechtfertigt werden soll? Intentionalität oder empirischer Gehalt, beide Konzepte oder Begriffe drücken in McDowell's Verwendungsweise dasselbe aus: das Gerichtetsein auf Welt, auf Objekte, und Anschauungen sollen den Ort darstellen, an dem unsere begriffliche mit der empirischen Welt verbunden ist: mittels unserer Anschauungen erhalten unsere Urteile, die ansonsten der Spontaneität unterstehen, ihre empirischen oder objektiven Auflagen. Anschauungen spielen folglich die bereits beschriebene Doppelrolle: sie sollen den Bezug zur Realität gewährleisten, das ist ihr empirischer Bestandteil, andererseits aber aber auch das begriffliche Denken informieren können, das ist der Bestandteil des Gehalts. Wie wird nun die behauptete Empirizität von begrifflich aufgeladenen Wahrnehmungen erklärt und gerechtfertigt? Was besagt die Behauptung eines vom Objekt ausgehenden Zwangs, einer Nötigung? Betrachten wir nochmals ein typisches Zitat:
633 A.a.O., S. 488, 489 passim.
351 "Judgements are free exercises of conceptual capacities [...]. But in an ostensible seeing whose content includes that of a given judgement, the same conceptual capacities are actualized [...] in a way that is ostensibly necessitated by the objective reality that is ostensibly seen."634
Wie sich gezeigt hat, muß zwischen zwei verschiedenen Lesarten dieser Behauptung unterschieden werden. An manchen Stellen spricht McDowell nur davon, daß diese der These der sog. psychischen Unmittelbarkeit entspricht, also der These, zwischen einer Wahrnehmung und dem sie ausdrückenden Urteil verlaufe kein Prozess der Schlußfolgerung.635 Berücksichtigt man McDowells Zurückweisung kausal verfahrender Erklärungsansätze als vermittelt, verbirgt sich in diesem Begriff andererseits aber auch die Behauptung, Wahrnehmung sei wesentlich eine begriffliche Fähigkeit und insofern nicht mit Bezug auf reine Rezeptivität zu beschreiben oder zu rechtfertigen. Rezeptivität in McDowells Verständnis bedeutet folglich nichts anderes, als daß Objekte direkt auf unser begriffliches Vermögen einwirken können, und dies, ohne daß sie selbst als Projektion unserer begrifflichen Aktivität zu verstehen wären. Bevor also auf die Frage eingegangen werden kann, ob alternative Konzeptionen unseres Gerichtetseins auf Objekte, unserer Sinneswahrnehmung möglich sind, die die Kausalität berücksichtigen können, ohne Objektwahrnehmung als vermittelt ansehen zu müssen, müssen wir uns zusammenfassend fragen, inwieweit McDowells Gegenüberstellung von Rezeptivität und Projektion, die auf sein Grundverständnis des transzendentalen Projekts verweist, überzeugend ist: Kann McDowell der skeptischen Herausforderung gerecht werden, die Objektivität unseres Weltbezugs zu rechtfertigen? VI.3 McDowells Umgang mit der skeptischen Herausforderung Läßt man die Details von McDowells Auseinandersetzung mit Sellars sowie die jeweiligen Kant-Exegesen außer acht, zeigt sich meines Erachtens, daß McDowell mehr in Aussicht stellt, als er halten kann.636 Denn wie McDowell selbst in den auf Mind and World folgenden Diskussionen be634 WiV, S. 471, m.H. 635 A.a.O., S. 472: "[I]ntuitions [are] representations in which objects are immediately present to subjects." 636 Vgl. etwa Brandoms Charakterisierung in (1995), passim, sowie (1998), S. 370. Auf Brandom kann hier nicht eingegangen werden, da er die Idee, sinnlicher Erfahrung könne eine transzendental rechtfertigende Rolle zukommen, überhaupt verwirft.
352 tont, muß jede Theorie, die das zu unserer begrifflichen Aktivität gehörende intentionale Gerichtetsein auf Welt nicht einfach voraussetzt, sondern zu erklären sucht, auch der Begründungsanforderung genügen, dieses Gerichtetsein auf Welt in seinem empirischen Charakter zu erklären, sie muß also die These des 'minimalen Empirismus' rechtfertigen können.637 Die entscheidende Frage ist demnach, wie die Behauptung empirischen Gehalts oder, wie McDowell gleichbedeutend sagt, objektiver Geltung gerechtfertigt werden soll, wie das 'Tribunal der Erfahrung' hierzu konzipiert werden muß. Wie sollen der Bereich des Begrifflichen und der Bereich des Sinnlichen verbunden werden? Wie kann Rechtfertigung, die im Raum der Gründe angesiedelt ist, und empirische Geltung, die meist kausal erklärt wird, also zum Raum der Gesetze gehören würde, verknüpft werden? Vorne wurde gesagt, daß man insgesamt vier Reaktionsweisen oder Lösungsvorschläge unterscheiden kann: Entweder man betont die Priorität einer der beiden Sphären, wobei man entweder für eine Elimination oder für eine Neubeschreibung der abgeleiteten Sphäre votieren kann. Naturalistische Herangehensweisen argumentieren für eine Priorität des Raums der Gesetze, platonistische Herangehensweisen können durch eine Priorität des begrifflichen Raumes gekennzeichnet werden. Wie in dieser Arbeit gezeigt wurde, können weder die Argumente für naturalistische noch die für idealistische Prioritätsthesen überzeugen. Die hier favorisierten Vorschläge betrachten hingegen beide Bereiche als gleichrangig und nicht aufeinander rückführbar. Im Rahmen einer Theorie der Erfahrung bestehen dann zwei Möglichkeiten, den Berührungspunkt beider Sphären zu spezifizieren: Entweder im Rahmen kausaler Relationen, also mithilfe einer Konzeption nicht-begrifflicher Erfahrung oder Wahrnehmung, oder, und darin besteht McDowells Fazit, im Rahmen begrifflicher Relationen. Fundamentalistische Positionen werden von McDowell zurückgewiesen, weil sie dem Mythos des Gegebenen erliegen und durch die Annahme bloß kausaler Relationen keine Rechtfertigungen, sondern bestenfalls Exkulpationen zu liefern vermöchten. Aber auch kohärentistische Konzeptionen, die die begrifflichen Beziehungen betonen, seien nicht ausreichend, weil sie sinnlicher Erfahrung keine transzendentale Rolle zuspre637 Zwei Formulierungen dieser These wurden bereits erwähnt: Das 'Verdikt der Welt', demgegenüber sich unser Denken zu verantworten habe, werde durch eine Äußerung des 'Tribunals der Erfahrung' überbracht, und eine zweite Formulierung lautet, minimaler Empirismus verbinde empirischen Gehalt mit der Idee, empirisches Denken müsse sich vor dem Tribunal der Erfahrung verantworten. In die erste Formulierung findet bereits McDowells Prämisse Eingang, sinnliche Erfahrung müsse, um rechtfertigend wirken zu können, als begrifflich aufgefaßt werden.
353 chen und damit unser intentionales Gerichtetsein auf Welt nur vorauszusetzen vermögen. Wenn, so McDowell, aber erklärt werden soll, wie die Welt mittels unserer Erfahrungen oder Sinneseindrücke einen rationalen Einfluß auf unser Denken auszuüben vermag, so muß die Annahme einer Grenze zwischen der Sphäre des Begrifflichen und einer außen liegenden Welt, die dann nur kausal auf uns einwirken könnte, verworfen werden. Das, was von außen, von der Welt auf uns einwirkt, muß als bereits begrifflich aufgeladen konzipiert werden: "The facts that are made manifest to us in those impressions, or at least seem to be, are not beyond an outer boundary that encloses the conceptual sphere, and the impingements of the world on our sensibilty are not inward crossings of such a boundary."638
Verwirft man die Vorstellung einer Grenze zwischen zwei Systemen und denkt beide Bereiche als Bestandteile eines größeren Zusammenhanges, so könnten Wahrnehmen und Denken, die innerhalb eines solchen dynamischen Systems stattfinden, auch nur von innerhalb dessen beschrieben werden: "It cannot be a matter of picturing the system´s adjustments to the world from sideways on: that is, with the system circumscribed within a boundary, and the world outside it."639
Solange die verwendeten Begriffe - von uns selbst oder von einem zu interpretierenden, zuerst opaken Sprecher - nur als kausal von der Welt beeinflußte in den Blick kommen können, bleibt es, so McDowell, ein Rätsel, wie diese zu Begriffen mit genuin empirischem Gehalt werden sollen. Interpretation, so der in Anlehnung an hermeneutische Vorstellungen formulierte Punkt, kann erst dann statthaben, wenn der Andere als Teilhabender an derselben Lebensform oder als über einen Standpunkt innerhalb desselben Systems verfügend angesehen wird.640 Und genau dies behaupte die 638 MaW, a.a.O., S. 34. 639 Ebd., m.H. 640 McDowell verweist zur Klärung auf Gadamers Begriff einer "Verschmelzung der jeweiligen Horizonte", etwa in Wahrheit und Methode, Vol. 1, 2. Teil, Kap. II (1960). Wie argumentiert wurde, scheinen andere Autoren naheliegender: Wittgenstein mit seiner Vorstellung einer geteilten "Lebensform" (sowie Strawsons Bezugnahme hierauf, vgl. Kap. V.3) oder Davidson, der die Notwendigkeit oder Unverzichtbarkeit bestimmter logischer, erkenntnistheoretischer und ontologischer (Hinter-) Grundannahmen für jegliche Interpretation betont.
354 These eines dynamischen Gesamtsystems: begriffliches System, Welt und der Andere können nicht als voneinander getrennte, unabhängig identfizierte Bestandteile betrachtet werden, der Andere kann, wie auch die Welt, nur als Teil meiner Welt, meines begrifflichen Systems in den Blick kommen. Damit würde jeglicher Versuch, die Empirizität unserer Überzeugungen mittels einer Verbindung von Sinnlichem und Begrifflichem zu erklären oder zu begründen, fragwürdig. Eine solche Diagnose kann nach meinem Verständnis allerdings nur dann hingenommen werden, wenn McDowells eigene Konzeption die Verbindung zur Welt auf eine Weise sichert, die die objektive Geltung unseres Weltbezugs gewährleisten vermag. Idealistische Positionen, so kann man in Einklang mit McDowells eigener Bestimmung festhalten, sind solche, die die Unabhängigkeit der Welt entweder schlichtweg bestreiten oder nicht zu rekonstruieren erlauben. Liefert uns McDowells Herangehensweise die Resourcen, die Unabhängigkeit zu rechtfertigen? Können wir in McDowells theoretischem Rahmen in einer genuinen Weise anerkennen, daß die Realität unabhängig ist von unserem Denken? Festzuhalten bleibt, daß bei McDowell die Unabhängigkeit der Realität allein im Rahmen der Passivität, oder besser: der Rezeptivität sinnlicher Erfahrung in den Blick kommt. Die Kritik, in seiner Herangehensweise werde die Bedeutung des sinnlichen Elements unterschätzt, greift nach der Auffassung McDowells dennoch kurz, da seine Argumentation nicht allein in dem negativen Punkt bestehe, rein Sinnliches könne, nichtbegrifflich verstanden, den Bezug zur Welt nicht gewährleisten, weil es nicht in den für Rechtfertigung verlangten rationalen Relationen stehen könne, sondern im positiven Aufweis dessen, daß sinnliche Erfahrung, versteht man sie als gleichursprünglich rezeptiv wie begrifflich durchdrungen, dies zu leisten vermag. Die gesuchte Verbindung zur Welt, die Weltgerichtetheit, deren mögliche Objektivität müsse nicht durch rein Sinnliches gewährleistet werden; wie etwa mithilfe des Konzepts der 'zweiten Natur' plausibel gemacht werden sollte, ist dies in einer selbst begrifflich verfaßten Welt auch durch begrifflich verfaßte Wahrnehmungen möglich ist. Reicht das Moment der Rezeptivität, um die Welt als von uns unabhängig, als objektiv verstehen zu können? Oder anders formuliert: Wie verwendet McDowell den Begriff des Empirischen, wenn er von empirischen Auflagen spricht, wozu sind die Auflagen extern, wenn sie nicht extern zu unserer durch Freiheit gekennzeichneten begrifflichen Aktivität sind?
355 Um Sinneswahrnehmungen nicht alleine als Überzeugungen, also in ihrem Urteilscharakter in den Blick zu bekommen, müssen wir den genuin sinnlichen Bestandteil fassen können, vor dem Hintergrund dieser Grundannahme mag es überzeugend sein, den Unterschied sozusagen in der Genese der jeweiligen Meinung zu suchen. Nehmen wir also an, der Unterschied zwischen Überzeugungen und Wahrnehmungsmeinungen bestehe im Unterschied zwischen "free exercises of conceptual capacities" und "ostensibly necessitated exercises of conceptual capacities": Will man die Welt als unabhängig und nicht als bloße Projektion verstehen, stellt die Behauptung, Sinneswahrnehmungen seien, obwohl begrifflich, im Rahmen eines notwendigen Zusammenhanges mit einer extern zu verstehenden Welt verbunden, eine problematische petitio principii dar. Die Möglichkeit der objektiven Geltung ihres empirischen Gehalts erscheint mysteriös, denn wie würde McDowell einen solchen Vorgang beschreiben? Wir nehmen etwas wahr. Dieses 'etwas' ist mithilfe von Demonstrativa als ein 'thissuch', ein 'dies-derartige' begrifflich zu beschreiben. Die dabei verwendeten prädikativen Begriffe werden von einer selbst intrinsisch begrifflich verfaßten Welt ausgelöst, oder besser, weil dies für McDowell zu kausal klingen dürfte, rational notwendig gemacht. Und weil wir - trotz unserer begrifflichen Spontaneität - notwendigerweise diese und keine anderen Begriffe verwenden, kommt unseren empirischen Urteilen objektive und nicht bloß scheinbare Geltung zu? Es mag den Anschein von Trivialität haben, die von McDowell vorausgesetzten philosophischen Grundannahmen, etwa von einerseits rationalen und andererseits externen Relationen, als widersprüchlich oder zumindest als in ihrer Motivation gegenläufig zu kennzeichnen, da sich seine Konzeption gerade als Versöhnungsversuch versteht. Aber wie auch anderen Interpreten scheint mir etwa Sellars Argumentation gegen den sog. Mythos des Gegebenen wesentlich in dessen scharfer Trennung zwischen den kausalen Antezedenzien einer Überzeugung und deren Platz im logischen Raum der Gründe zu bestehen.641 Gerade diese Trennung aber läßt entweder McDowells Berufung auf Sellars oder seine titelgebende Frage nach einer transzendentalen Verbindung von Geist oder Vernunft und Natur als verfehlt erscheinen. Andererseits ist auch die zur Begründung der von Kant übernommenen Trennung zwischen Rezeptivität und Spontaneität, zwischen Passivität und Freiheit (als sui generis) verwendete Berufung auf Davidson strittig. Dissens besteht vor allem im Hinblick auf die ad641 In (Rorty, 1998). Vgl. hierzu etwa auch Putnam in (1994c und d) sowie zu McDowells und Sellars 'Mythos des Gegebenen' (Putnam, 1994g), S. 483-486.
356 äquate Rekonstruktion der auch in unserer Einleitung schon diskutierten Schema-Inhalt-Unterscheidung: Unklar sei, so argumentiert etwa Rorty, inwieweit McDowell Davidsons Angriff auf diesen Dualismus, das 'zweite Dogma des Empirismus', beipflichten könne, wenn er andererseits die Kantische Trennung übernehme, die geradezu einen paradigmatischen Fall des kritisierten Dualismus darstelle. Ich will hier auf Rortys exegetische Bemühungen, das Verständnis Davidsons betreffend, nicht näher eingehen.642 Meines Erachtens verweist die Debatte auf eine tiefere, McDowells Umgang mit beiden Autoren betreffende Schwierigkeit. McDowell verknüpft in seiner Lesart der Kritik am Mythos des Gegebenen auf eine teilweise etwas undurchsichtige Weise die Argumentation beider, Sellars wie Davidsons. Was bei beiden Autoren ursprünglich als Kritik am Empirismus verstanden wurde, soll nun im Gegenteil gerade dazu dienen, eine empiristische Grundannahme zu motivieren oder gar auszuweisen. McDowells Beschreibungen dieser These muten einerseits wie paradigmatische Formulierungen des Schema-Inhalt-Dualismus an: Empirischer Inhalt antwortet auf das Tribunal der Erfahrung, das das Schema liefert, dem wir Inhalt überhaupt erst verdanken. Andererseits soll der Dualismus dadurch überwunden werden, daß Schema und Inhalt als gleichermaßen begrifflich verfaßt und sinnliche Erfahrungen nicht als kausal konzipiert werden. Meines Erachtens würden aber weder Sellars noch Davidson die bereits erwähnte, von McDowell als 'minimaler Empirismus' bezeichnete Grundannahme akzeptieren: Davidson deshalb nicht, weil er die Berufung auf das Tribunal der Erfahrung nicht teilen würde, Sellars schon deshalb nicht, weil er aufgrund seines wissenschaftlichen Realismus die darin vorausgesetzte Rede von einfachen logischen Subjekten als den Trägern der 642 Für Rorty läßt sich der exegetische Dissens auf folgende Frage zuspitzen: Sind die dem konstitutiven Ideal der Rationalität geschuldeten Auflagen andere als diejenigen, die sich durch den Holismus ergeben? Brauchen wir einen Begriff wie den der Spontaneität, um die Irreduzibilität der Sphären oder Vokabulare erklären zu können, was a fortiori eine Revision des Naturalismus bedeuten würde? Für die recht unterschiedlichen Lesarten macht Rorty vor allem bestimmte Passagen in Davidsons "Mental Events", a.a.O., verantwortlich, die, beeinflußt durch die mit Quine geteilte These, die Unbestimmtheit der Übersetzung sei irgendwie getrennt von der gewöhnlichen Unterbestimmtheit von Theorien, nahelegten, daß es einen großen Unterschied zwischen intentionalen oder normativen Beschreibungen auf der einen und naturwissenschaftlichen oder physikalistischen auf der anderen Seite gebe, wohingegen Rorty dies nicht für eine prinzipielle, sondern für eine graduelle Trennung hält. Die Idee geteilter Rationalität im Bereich des Psychischen stelle nur einen Fall der auch in anderen Erklärungsbereichen vorhandenen und dem Holismus geschuldeten Auflagen dar, nicht eine genuine Irreduzibilität. A.a.O., vgl. S. 391ff., bes. 393.
357 sinnlichen Erfahrung verwirft. Im Falle der Bezugnahme auf Sellars ist auch in anderer Hinsicht Vorsicht geboten. So räumt McDowell fast wie nebenbei ein, daß, wo er von Erfahrungen oder Erlebnissen spricht, in Sellars Bild von Beobachtungssätzen die Rede ist.643 Dies droht aber m.E. einen grundlegenden Unterschied zu verwischen: In Sellars Modell wird dem Unterschied zwischen den Bereichen der Freiheit und der Rezeptivität oder Kausalität im Konzept der Beobachtungssätze Rechnung getragen, in McDowells Konzeption von Erfahrung ist dies, um es vorsichtig zu formuieren, nicht offensichtlich so. Denn unabhängig davon, ob die empiristische Annahme ihrerseits überzeugend ist, was ich, wie sich schon in der Einleitung gezeigt hat, zugunsten eines realistisch zu nennenden Konzeptes bejahen würde, McDowell kann nicht zeigen, daß seine Konzeption diese von ihm selbst als Begründungsanforderung an jegliche realistisch zu nennende Theorie erfüllt. Meiner Auffassung nach kann das Problem folgendermaßen zusammengefaßt werden: Der Anspruch, ein transzendentales Bild des Zusammenhanges von Geist und Welt so zu zeichnen, daß wir "die Welt im Blick haben können", und die Forderung, dies aus einer internalistischen Perspektive zu tun, stehen in McDowells Theorie nicht in Einklang. Denn auch wenn McDowell die Sellarsianische Forderung nach einer transzendentalen Sicherung begrifflichen Denkens in reiner Rezeptivität als zu stark oder gar als unerfüllbar und damit überflüssig zurückweist, auch er hat den Anspruch, die Behauptung der objektiven Geltung unserer empirischen Überzeugungen zu rechtfertigen. Und objektive Geltung oder empirischer Gehalt, so auch McDowell, kann sinnlicher Erfahrung nur dann zukommen, wenn diese externen Auflagen unterliegt. Die Behauptung der Rezeptivität unserer Erfahrung, die die Redeweise der Externalität ersetzen soll, kann demnach nicht, wie etwa bei Strawson, einfach vorausgesetzt werden und ich sehe nicht, wie sie aus einer internalistischen Perspektive gerechtfertigt werden könnte. In "Having the World in View" formuliert McDowell die vermeintliche Schlüsselfrage für ein Verständnis Kants folgendermaßen: "Can the transcendental project be acceptably executed from within the conceptual order, or does it require a sideways-on point of view on the directedness of the conceptual at the real?"644
Und seine Antwort lautet: 643 (McDowell, 1995b), S. 284, Fn.1. 644 A.a.O., S. 490.
358 "The fate of Sellars's reading suggests that the thought Hegel tries to capture with the image of Reason as subject to no external constraint - the rejection of a sideways-on standpoint for philosophy - is already Kant's own thought."645
Wenn aber unsere Verstandestätigkeit, wie nicht nur der zustimmende Bezug auf Hegel nahelegt, keinen externen Auflagen unterliegt, kann nicht mehr dafür argumentiert werden, daß die Welt nicht bloße Projektion unserer begrifflichen Aktivität ist, und die notwendige Konequenz eines solchen theoretischen Rahmens ist der Idealismus. Ich möchte McDowells Argumentationslinie bezüglich sinnlicher Erfahrung demnach folgendermaßen zusammenfassen: Rechtfertigungsbeziehungen sind logische oder rationale Beziehungen. Kausale Relationen können per definitionem keine logischen oder rationalen Rechtfertigungsbeziehungen darstellen, sondern stellen nur Exkulpationen dar. Unsere Beziehung zur Außenwelt, unsere Weltgerichtetheit, also unser Verständnis von Wahrnehmungsurteilen als über empirischen Gehalt verfügend muß in unserer epistemologischen Theorie erfaßt werden, da ansonsten unsere Begriffe oder Überzeugungen leer blieben. Wenn aber sinnliche Wahrnehmungen (obwohl nicht-doxastisch) als eine rechtfertigungsbedürftige Klasse aufgefaßt werden müssen, muß die in sinnlicher Erfahrung angelegte Relation zur Welt als logische oder rationale Relation rekonstruiert werden, was nur dadurch gelingen kann, daß der empirische Gehalt von Wahrnehmungurteilen als begrifflich verfaßt verstanden wird. Dies wiederum hat zur Folge, daß die Welt ihrerseits als begrifflich verfaßt konzipiert werden muß. Bei der Wahl zwischen Scylla und Charybdis, so möchte man konzedieren, hat McDowell zwar versucht, sich auf keine der beiden Seiten zu schlagen: weder auf die Seite derer, die dem Realismus empirische Inhaltsleere vorwerfen und ihn als sinnlose metaphysische Scheinfrage zu entlarven suchen, noch auf die jener, die allein einen relativistischen Empirismus für möglich halten. Wie sich gezeigt hat, kann seine versöhnende Gratwanderung zwischen objektiver Wirklichkeit und begrifflicher Erfahrung dennoch nicht als erfolgreich gelten, es gelingt ihm nicht, das Verhältnis von Geist und Welt als realistisches in den Blick zu nehmen.
645 Ebd.
359
VII. Objektive Wirklichkeit und sinnliche Erfahrung: Eine realistische Version des Verhältnisses von Geist und Welt "Wo sich wirklich zwei Prinzipien treffen, die sich nicht miteinander aussöhnen können, da erklärt jeder den Andern für einen Narren und Ketzer."646
Läßt man die spezifischen Details der McDowellschen Analyse sinnlicher Erfahrung außer acht, hat sich gezeigt, daß die grundlegende Entscheidung darin besteht, im Rahmen epistemisch gültiger Rechtfertigung die Möglichkeit einer Verbindung nicht-begrifflicher und begrifflicher Elemente anzuerkennen oder zu verneinen. Ich möchte folglich abschließend nochmals auf die Frage der Verbindung von Rechtfertigung, die im Raum der Gründe angesiedelt ist, und empirischer Geltung, die meist kausal erklärt wird, also zum Raum der Gesetze gehören würde, eingehen. Ist eine Konzeption sinnlicher Erfahrung, in der in einer genuinen Weise berücksichtigt werden kann, daß die Realität unabhängig ist von unserem Denken, in dem hier entwickelten, begrifflichen Rahmen möglich? Idealistische Positionen bestreiten diese Unabhängigkeit entweder schlichtweg oder erlauben zumindest nicht deren Rekonstruktion. Wie sich gezeigt hat, kann für einen Realisten nur eine Herangehensweise für angemessen gelten, die sinnliche Erfahrung als nicht-begrifflich versteht, aber gleichwohl deren Bedeutung für Rechtfertigungsprozesse betont. Ähnlich wie Strawson oder McDowell denke auch ich, daß die Weltgerichtetheit bereits in der logischen Struktur von Erfahrungen angelegt sein sollte, Erfahrungen wie Sinnesdaten als vermittelnde Instanz zu begreifen und sie nicht in ihrem direkten Bezug zu Gegenständen und Sachverhalten der Außenwelt anerkennen zu können, öffnet dem Skeptiker erst die benötigte Kluft, unsere Wahrnehmung wird dann zu einem die Wirklichkeit verbergenden Schleier. Beide Autoren beziehen sich positiv auf Kants transzendentalen Bgründungsanspruch, und während Strawson den für eine realistische Konzeption von Erkenntnis wichtigen Begriff der Rezeptivität in Anspruch nimmt, ohne ihn eigens zu legitimieren, sieht McDowell zwar, daß die Rede von objektiver Geltung oder empirischem Gehalt unserer Erkenntnis ohne den Bezug auf eine Theorie sinnlicher Erfahrung leer bleibt. Dennoch muß auch sein Vorschlag als unbefriedigend gelten: Meines Er646 (Wittgenstein, 1984 (8)), ÜG, § 611.
360 achtens konnte nicht nur gezeigt werden, daß McDowells Konklusion nur dann gelten könnte, wenn in den Prämissen vorausgesetzt wird, daß kausale oder nicht-begriffliche Relationen nicht als rechtfertigende Relationen angesehen werden können, sondern auch, daß selbst wenn man dies akzeptierte, der skeptischen Herausforderung nicht begegnet werden kann. Weist man die genannte Prämisse jedoch zurück, eröffnet sich meines Erachtens die Möglichkeit einer alternativen Verbindung von sinnlichem Gehalt und Urteil. Wie aber muß Rechtfertigung konzipiert werden, wenn sie nicht allein zwischen begrifflich organisierten Entitäten bestehen soll? Oder anders formuliert: Wie kann der Behauptung eines sinnlichen, nichtbegrifflichen Wahrnehmungsinhalts epistemische Signifikanz zukommen?647 Wie sich gezeigt hat, muß dazu McDowells im Anschluß an Sellars Kritik am Mythos des Gegebenen formulierte Auffassung, der Raum der Rechtfertigungsbeziehungen könne sich nicht weiter erstrecken als der Raum der Begriffe, zurückgewiesen werden. Dazu gilt es zunächst, eine Konzeption nicht-begrifflichen, sinnlichen Gehalts zu entwic??keln, die anders als die McDowellsche Konzeption die spezifische 'Offenheit sinnlicher Erfahrung für das Layout der Realität' tatsächlich berücksichtigen kann. Und weiter muß man dann zeigen, wie ein solches in sinnlicher Erfahrung gegebenes Element rechtfertigend wirken kann. Wahrnehmen, so wurde dargelegt, wird bei McDowell mit Wahrnehmen-daß oder Wahrnehmen-als gleichgesetzt, aber, wie etwa Schantz formuliert, "[l]ack of concepts does not blind us to the entities we phenomenally experience."648 Dies zeigt sich etwa auch darin, daß sinnliche Erfahrungen eine charakteristische Überzeugungsresistenz aufweisen, und wie argumentiert wurde, reicht der Verweis auf die Passivität oder auch Rezeptivität sinnlicher Erfahrung nicht aus, um diesem spezifischen Element gerecht zu werden: Ist der Gehalt sinnlicher Erfahrung als begrifflich zu kennzeichnen, stellt sich die Frage, warum die in Erfahrungen verwendeten Begriffe nicht in gleichem Maße der Freiheit oder Spontaneität unterliegen wie im Rahmen von Urteilen.649 McDowell betont zwar, daß un-
647 Solche Konzeptionen finden sich etwa bei Evans (1982), bei Crane (1992a), bei Peacocke (1989, 1992, 1992a und b, 1998), sowie in den neueren Arbeiten von Schantz, (1996, 1998, 1999) vgl. besonders die Diskussion zwischen Schantz und McDowell in Philosophy and Phenomenological Research , Vol. 62, (2001). 648 (2001), S. 174. 649 Schantz spricht von der aus Lernen und Forschen resultierenden Reversibilität kognitiver Prozesse, die phänomenale Erscheinung und das heißt, der qualitative Gehalt
361 sere sinnliche Erfahrung wesentlich nicht-doxastisch ist, auch er hält daran fest, daß es für die Wahrnehmung eines Gegenstandes nur notwendig ist, daß er mir auf eine bestimmte Weise erscheint. Dieses Moment der Erscheinung, des Gewahrwerdens wird dann aber im Rahmen einer Konzeption von Ansschauung erklärt, die deren begrifflichen und propositionalen Charakter betont. Doch selbst wenn McDowell zugestehen würde, daß sinnliche Erfahrungen eine Konzeptualisierung nicht notwendig erfordern, bliebe für ihn die Frage, wie nicht-begriffliche, nicht-propositionale Erfahrungen unseren Überzeugungen über die Welt Rechtfertigung verleihen, wie sie die Behauptung empirischen Gehalts oder objektiver Geltung von Überzeugungen legitimieren sollen. Wie sich zeigen läßt, ist dies jedoch mithilfe einer Differenzierung möglich, die McDowell aufgrund seines Internalismus nicht in Erwägung zieht: Spricht man von Rechtfertigungsbeziehungen, kann sinnvoll zwischen den, dem Subjekt zur Verfügung stehenden rechtfertigenden Relationen (d.h. der Tätigkeit des Rechtfertigens) und der externen Relation, dem Zustand des Gerechtfertigtseins unterschieden werden.650 So kann man etwa sagen, daß ich, wenn etwas mir X (etwa rötlich) erscheint, gerechtfertigt bin oder Grund habe anzunehmen, daß es X (rot) ist. Der Übergang von einer Erscheinung - sinnlich, nicht-propositional, nicht-begrifflich - zu einer Überzeugung - propositional, begrifflich - kann auch als hier direkt verstanden werden, er ist nicht vermittelt durch weitere Prozesse, wie z.B. den der Inferenz von der Erscheinung zu der Überzeugung. Dieser Punkt kann auch so formuliert werden: Die Erscheinung oder Wahrnehmung wird nicht als Grund benützt. Damit wird Wahrnehmungswissen, wie gefordert, zu einer Art des direkten Wissens. Man kann mit McDowell folglich auch sagen: die Erscheinung oder Wahrnehmung kann nicht als Grund benützt werden, da - ex hypothesi - als Gründe nur Überzeugungen oder Urteile verwendet werden können. Epistemische Rechtfertigung muß nicht allein als Funktion der inferentiellen Beziehungen zwischen unseren Überzeugungen betrachtet werden, als Angeben von Gründen. Die Aktivität des Rechtfertigens ist nach der hier favorisierten Auffassung zwar nur im Rahmen des Angebens von rechtfertigenden Argumenten möglich, gerechtfertigt sein jedoch ist eine Relation, die auch zwischen einer Erscheinung und der sie ausdrückenden Überzeugung bestehen
sinnlicher Erfahrung könne aber nicht verändert werden. Vgl. (1998), S. 209, sowie (2001), S. 174. 650 Vgl. auch Schantz, 1995, S. 6f., 1998, S. 211, 2001, S. 176f.
362 kann.651 Damit soll nicht behauptet werden, daß wir, um in unseren gewöhnlichen Wahrnehmungsüberzeugungen gerechtfertigt zu sein, annehmen müssen, daß uns die Dinge auf eine bestimmte Weise erscheinen: Unsere Überzeugungen richten sich nicht auf die Erscheinungen, sondern direkt oder unvermittelt auf die Gegenstände und Sachverhalte der externen Welt. Damit eröffnet sich der systematische Ort, kurz auf die vorne zurückgestellte Frage einzugehen, wie McDowells Argumentation gegen diejenigen Konzeptionen von sinnlicher Erfahrung zu bewerten ist, die diese mit nicht-begrifflichem repräsentationalem Gehalt auszustatten suchen.652 Das Argument, nicht-begrifflicher sinnlicher Gehalt könne für ein Subjekt keine Rechtfertigung für eine bestimmte Überzeugung darstellen, wurde bereits zurückgewiesen. Weiterhin sind für seine Ablehnung solcher Ansätze meines Erachtens vor allem zwei Argumente wichtig: McDowell betrachtet Versuche, die Individuierung von Begriffen nicht-zirkulär zu gestalten, als verfehlt, weil sie gegen das Verbot eines Blicks 'from sidewayson' verstießen.653 Und gegen den von seinen Gegnern vorgebrachten Verweis auf die phänomenologische Tatsache, daß wir in der Lage sind, den sinnlichen oder phänomenalen Gehalt einer Wahrnehmung feinkörniger zu diskriminieren als unsere diesbezüglichen Begriffe es erlauben, verweist McDowell auf die Möglichkeit, mithilfe von singulären Termini wie 'dieser Farbton' der Feinkörnigkeit gerecht zu werden. Die Kombination von Demonstrativpronomen und Begriff sichere den begrifflichen Gehalt wie auch die Erfassung des phänomenalen Elements, durch die Indexikalität des demonstrativen Pronomens sei eine Diskriminierung des sinnlichen Elements gewährleistet. Man kann aber nicht nur bezweifeln, ob Konzeptualisierungen dieses Typs ausreichen, der Propositionalität von Begrifflichem gerecht zu werden. Wichtiger ist meines Erachtens folgender Punkt: Selbst wenn zugestanden würde, daß wir mithilfe von Ausdrücken wie 'dieser 651 Eine ähnliche Überlegung wurde bereits in Kapitel IV.2. im Rahmen der Unterscheidung von fundierenden und default-challenge-Konzeptionen von Rechtfertigung verwendet. Vgl. Michael Williams (2001), S. 27, sowie seine Diskussion mit Dretske über epistemische Berechtigung (2000). 652 Peacocke nennt vier wesentliche Argumente: 'the Argument from Articulability', 'the Argument from Overextension of a Routine Thought', sowie zwei unterschiedliche Argumente gegen Evans' Konzeption nicht-begrifflicher sinnlicher Erfahrung, vgl. (1998). Schantz diskutiert wesentlich McDowells bereits erwähnte Argumentation gegen die These von u.a. Evans, sinnliche Erfahrungen habe einen feinkörnigeren Inhalt als ihre begriffliche Repräsentation, vgl. (2001), S. 175f. 653 Vgl. MaW, S. 168, sowie hierzu Peacocke (1998), S. 387f.
363 Farbton' feinkörnig diskriminieren können, der begriffliche Charakter von Wahrnehmung, von sinnlicher Erfahrung ist damit nicht erwiesen.654 Damit kann dann auch McDowells Forderung nach 'minimaler Artikulierbarkeit' zurückgewiesen werden. Diese geht davon aus, daß die Gründe, die ein Subjekt für eine Überzeugung hat, und die Gründe, die ein Subjekt hierfür nennen kann, zusammenhängen, und besagt, daß letztere, um zumindest minimal artikulierbar zu sein, begrifflich sein müssen. Aber auch hier gilt, daß die in minimaler Artikulierbarkeit implizierte Begrifflichkeit nicht den begrifflichen Charakter dessen gewährleistet, was artikuliert wird. In der hier vorgeschlagenen Konzeption sinnlicher Erfahrung wird hingegen dafür plädiert, den Begriff der Rezeptivität ernst zu nehmen, es wird anerkannt, daß wir in sinnlicher Wahrnehmung 'gegebene' Elemente passiv aufnehmen, und obwohl zugestanden wird, daß die Tätigkeit des Rechtfertigens, das Angeben von Gründen nur begrifflich zu verstehen ist und nur innerhalb des begrifflich strukturierten Netzes von Überzeugungen stattfinden kann, wird daran festgehalten, daß diesem gegebenen Element epistemische Signifikanz zukommt. McDowells Einwand, dem sinnlichen, nicht-begrifflichen Informationszustand käme lediglich kausale, nicht aber epistemische Signifikanz zu, vermag nicht zu überzeugen: Bei der Frage etwa, welchen Farbton ein Gegenstand hat, spielen nicht nur die von ihm betonten Sachverhalte, die Aspekte der Welt eine Rolle, sondern auch, wie mir der Gegenstand, der Farbton etc. erscheint, der phänomenale Gehalt meiner Wahrnehmung: Erscheint er mir rötlich, bin ich darin gerechtfertigt, anzunehmen, daß er rot ist. Der Übergang von nicht-begrifflichem, sinnlichem Gehalt zu einer Überzeugung besteht in dessen Konzeptualisierung, das Wahrnehmungssubjekt wechselt von einem nicht-begrifflichen Informationszustand in einen kognitiven Zustand mit einem bestimmten begrifflichen Gehalt, wobei man nur dann von bewußter sinnlicher Erfahrung sprechen sollte, wenn es sich bei dem Subjekt dieser Erfahrung um ein denkendes, Begriffe anwendendes und rational operierendes System handelt.655 Obwohl man folglich sagen kann, daß unser diesbezüglicher begrifflicher Zustand, unsere Überzeugung oder unser Urteil auf dem relevanten nicht-begrifflichen Informationszustand beruht, sind diese Urteile nicht Urteile über Informationsszustände, sondern über Gegenstände oder Ereignisse in der Welt. Der begriffliche Zustand bezieht sich nicht auf den sinnlichen Gehalt, sondern drückt diesen begrifflich aus. McDowells Vorwurf, eine Berücksichtigung des sinnlichen Gehalts führe zu einer Konzep654 Vgl. Peacocke (1998), S. 383f., Schantz (2001), S. 175f. 655 Evans (1982), Kap. 6, bes. S. 158.
364 tion unseres Weltgerichtetseins als vermittelt, kann also zurückgewiesen werden: Unsere Sinneswahrnehmung liefert uns direktes, unvermitteltes Wissen von physikalischen Objekten und Ereignissen, sie verdankt sich nicht inferentiellen Prozessen zwischen verschiedenen Typen von kognitiven Zuständen, sinnlichen und begrifflichen, sondern besteht aus einem subjektiven repräsentationalen Zustand mit objektivem nicht-begrifflichen Gehalt, der in einer begrifflich und propositional verfaßten Überzeugung ausgedrückt werden kann. Inwiefern kann nun eine solche Konzeption sinnlicher Erfahrung den Realismus stützen? In der Einleitung wurde die zu verteidigende realistische Einstellung anhand folgender drei Teilbehauptungen charakterisiert: • • •
Es existiert eine Wirklichkeit, die von uns und unserem Bewußtsein unabhängig ist. Diese Wirklichkeit weist Beschaffenheiten und Strukturen auf, die ebenfalls von uns und unserem Bewußtsein unabhängig sind. Wesentliche Teile dieser Strukturen und Beschaffenheiten der Wirklichkeit sind unserem Erkennen zugänglich, diesbezügliche Behauptungen stellen unser Wissen über die Welt dar.
Weiter wurde festgehalten, daß es unplausibel ist, für eine objektive Welt zu argumentieren, die wir prinzipiell nicht erkennen können, zu der uns der kognitive Zugang versperrt ist, es geht also auch darum, epistemologische Positionen zu formulieren, die es erlauben, einen Gutteil unserer tatsächlichen ontologischen Überzeugungen in ihrem Anspruch auf Erkenntnis zu rechtfertigen. Wir suchen also ein Konzept von Rechtfertigung, das unsere ontologischen Überzeugungen als Erkenntnisse von einer objektiven, unabhängigen Außenwelt ausweist, diese, so man kann auch sagen, als wahr ausweist. Insofern stimme ich mit McDowell darin überein, daß die Rede von Weltgerichtetheit, von empirischen Gehalt und objektiver Geltung nicht vorausgesetzt werden kann, sondern erkärt werden muß: Die Legitimität dieser Vorstellung muß erst erwiesen werden. Die behauptete 'Verbindung zur Welt' kann nun trivialerweise anhand von Wahrnehmungswissen untersucht werden, der mit empirischen Behauptungen verbundene Anspruch auf Wissen, die angestrebte objektive Geltung scheint hier augenfällig zu sein. Gleichzeitig lassen sich hier auch die Probleme deutlich stellen: Mit der Irrtumsmöglichkeit und der sog. Relativität der Wahrnehmung, die sich etwa in der Trennung primärer und sekundärer Eigenschaften spiegelt, scheint gerade die wesentlichste der möglicherweise Objektivität gewährleistenden Verbindungen zur Welt diskreditiert.
365 Meines Erachtens verfügen wir nun über all die einzelnen Bestandteile, die für eine realistische Auffassung unserer Erkenntnis oder unseres Bezugs zur Welt verlangt sind. Im ersten Kapitel wurden zwei verschiedene Formen der skeptischen Herausforderung unterschieden, Begründungsund cartesianischer Skeptizismus, und es wurde argumentiert, daß aufgrund des spezifisch ontologisch gewendeten Zweifels letzterer eine besondere Herausforderung für realistische Positionen darstellt. Im zweiten Kapitel wurden in Auseinandersetzung mit Kant erste Grundzüge einer Konzeption von Erfahrung entwickelt, der antiskeptische Geltung zukommen kann. Dabei wurde zum einen betont, daß die Rechtfertigung einzelner Erkenntnisse nicht ausreichen kann, sondern Erkenntnis überhaupt rechtfertigungsbedürftig ist, daß es also darum gehen muß, die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis oder Erfahrung überhaupt zu begründen. Der von Kant behauptete konstitutive Charakter, der zur Folge hat, daß die Welt sich nach den Formen unserer Erkenntnis zu richten hat, führte allerdings zu idealistischen Konsequenzen, Kants Fassung der Notwendigkeit bestimmter kognitiver oder begrifflicher Strukturen erwies sich als zu stark. Anschließend wurde folglich eine methodisch radikal anders ausgerichtete Konzeption von Erfahrung und Erkenntnis sowie von Rechtfertigung diskutiert, die die empiristische Grundidee, sinnliche und begriffliche Bestandteile unseres Weltbildes könnten fein säuberlich getrennt werden ebenso verwirft wie die Vorstellung, es könne einen zu unseren Überzeugungen neutralen, externen Gesichtspunkt geben, von dem aus wir rechtfertigen. Beiden Punkten Quines stimme ich zu, dennoch konnte meines Erachtens gezeigt werden, daß es an der Notwendigkeit der Rechtfertigung oder Legitimierung der realistischen These festzuhalten gilt, dann muß jedoch Quines radikale Alternative einer Naturalisierung der Erkenntnistheorie letztlich genauso zurückgewiesen werden wie die meisten der aktuellen naturalistischen Projekte. Kann die Unterscheidung interner und externer Perspektiven nicht mehr in einem starken, an Kant orientierten Sinne verstanden werden, muß allerdings auch das transzendentale Projekt rekonstruiert werden: Im vierten Kapitel wurden folglich bescheidenere Versionen transzendentalen Vorgehens entwickelt, die dieser Quine geschuldeten Einsicht gerecht werden und den Begriff der Apriorität oder Notwendigkeit als Unverzichtbarkeit oder als Unanfechtbarkeit zu rekonstruieren erlauben. Im Anschluß an diese wesentlich methodisch orientierten Überlegungen wurde dann mithilfe der Überlegungen Strawsons eine Konzeption von Erkenntnis entwickelt, die nicht nur eine Verknüpfung interner und externer Perspektiven erlaubt, sondern die mit den Begriffen der Identifikation und Re-Identifikation auch ein Kriterium bereitstellt, mit
366 dessen Hilfe Klassen von Gegenständen mit Bezug auf ihre Unverzichtbarkeit beurteilt werden können. Es wurde argumentiert, daß der Begriff objektiver, raumzeitlicher Einzeldinge konstitutiv ist für jegliche Konzeption von Erkenntnis. Strawsons Konzeption blieb aber insofern unbefriedigend, als zur Stützung seines Commonsense-Realismus etwa gegen wissenschaftliche Varianten eine Theorie sinnlicher Erfahrung verlangt ist, die die logisch oder begrifflich orientierte Prioritätsthese zu stützen vermag. Eine solche Konzeption versprach McDowell vorzulegen: Indem Erkenntnis im Zusammenspiel von Spontaneität und Rezeptivität verortet werde, könne deren objektiver Geltungsanspruch, deren Weltgerichtetheit erklärt und begründet werden: Eine transzendentale Legitimation des im Erkennen und Wiedererkennen raumzeitlicher, objektiver Gegenstände vorausgesetzten Bezugs auf die Welt, unserer Weltgerichtetheit, sei nur möglich, wenn man Erkenntnis wie auch Wahrnehmung begrifflich konzipiere, da nur dann Rechtfertigung überhaupt möglich wäre. Versteht man Wahrnehmung jedoch wesentlich im Rahmen ihres begrifflichen Elements, so wurde dann gegen McDowell gezeigt, handelt man sich idealistische Konsequenzen ein, die Legitimation unserer Rede von Weltgerichtetheit oder objektiver Geltung ist in einem solchen Rahmen gerade nicht möglich. Und in Abgrenzung von McDowell wurde abschließend gezeigt, daß eine Erklärung von sinnlicher Erfahrung möglich ist, die ein gegebenes, sinnliches Element berücksichtigt und auch in der Lage ist, dieses als rechtfertigend zu verstehen. Welche Konsequenzen hat dies für die Frage, ob und wie der Realismus ausgewiesen werden kann? Die realistische These, so wurde in der Einleitung festgehalten, hat zwei Dimensionen, die Existenz- und die Unabhängigkeitsdimension. Die Existenzdimension legt den Realisten darauf fest, daß die meisten der üblicherweise angenommenen Entitäten tatsächlich existieren, mithilfe dieses ontologischen Aspektes wird der Gegenstandsbereich des Disputes festgelegt. Eine realistische Interpretation des Begriffes von Existenz verlangt aber auch den durch die Unabhängigkeitsdimension gekennzeichneten Aspekt: Was in einem primären Sinne existiert, soll für den Realisten in seiner Existenz von uns und unseren Vorstellungen unabhängig sein. Die Existenz und Natur der meisten Gegenstände hängt, so die These, weder von unseren Sinneswahrnehmungen noch von unseren kognitiven Fähigkeiten ab. In der hier vorgestellten Konzeption sinnlicher Erfahrung kann zum einen der Rede von einem in Erfahrung gegebenem Element Sinn verliehen werden, damit trägt sie der Unabhängigkeitsdimension der realistischen These Rechnung, indem sie zu zeigen vermag, inwieweit unsere begriffli-
367 che Freiheit durch dieses Element der Passivität oder Rezeptivität eingeschränkt ist. Es wurde darüberhinaus auch gezeigt, daß dieser sinnliche Gehalt von Wahrnehmungen, die sich auf gewöhnliche raumzeitliche Gegenstände beziehen, gerechtfertigt werden kann, Wahrnehmungen eine Spezies von Wissen sind, es wurde also eine Konzeption von Rechtfertigung entwickelt, die auch die Existenzdimension der realitischen These zu berücksichtigen vermag. Können die hier entwickelten Argumente nun einen Skeptiker von der Richtigkeit der realistischen These überzeugen? Es sollte deutlich geworden sein, daß in dieser Arbeit nicht der Möglichkeit eines philosophischen oder epistemologischen Gottesstandpunktes das Wort geredet werden soll. Einen zu den mit unserer Sprache, unserem Begriffsschema oder unserer Lebensform einhergehenden Verpflichtungen neutralen Gesichtspunkt, von dem aus diese Annahmen oder Überzeugungen als notwendig oder unverzichtbar gerechtfertigt werden könnten, kann es nicht geben. Insofern kann eingestanden werden, daß uns wir auch bei dem Versuch einer Begründung des Realismus innerhalb unseres holistisch verknüpften Meinungsnetzes bewegen. Aber auch eine Rechtfertigung dieses überaus zentralen Bestandteils kann von innen erfolgen, wenn man sich vor Augen führt, wie eng dieser mit anderen Elementen verknüpft ist, welche Konsequenzen eine Preisgabe dieser These folglich nach sich ziehen würde. Damit eröffnet sich aber auch die als Oszillation beschriebene Bewegung: Einerseits muß auch der Skeptiker anerkennen, daß ein externer Standpunkt aus prinzipiellen Gründen nicht zur Verfügung steht, andererseits wird er daran festhalten, daß unser Weltbild nicht allein auf Treu und Glauben akzeptiert werden kann, er wird es als solches legitimiert sehen wollen. Wie gezeigt wurde, basiert diese Argumentation jedoch auf einer Trennung von Glauben und Wissen, in der ein Begriff der Rechtfertigung verwendet wird, der letzten Endes Gewißheit zu fordern scheint. Gewißheit kann aber nicht heißen, daß wir mit dem Angeben von Gründen an eine definitives Ende kommen müssen, Gewißheit von Überzeugungen bedeutet der hier vertretenen Aufassung nach nicht mehr, als daß es sinnlos ist, weiter zu fragen. Damit ist vielleicht auch ein anderer Punkt dieser Arbeit verständlicher geworden: Mit dem Verweis auf die auch in der hier propagierten Methode anerkannte Relativierung des Standpunktes auf einen teilnehmenden, oder allgemein menschlichen Standpunkt sollte unser transzendentales Projekt, das für eine interne Verknüpfung von Erkenntnistheorie und Ontologie plädiert, vielleicht nicht mehr, wie zu Beginn der Arbeit, vorrangig im Rahmen der Erkenntnistheorie angesiedelt werden, sondern als Metaphysik
368 gekennzeichnet werden: als Metaphysik, weil es um das Finden von Gründen für Überzeugungen geht, die wir grundlos akzeptieren. Wie dies Strawson in seinem anschaulichen Fazit formuliert: "There seems no doubt that these things of which I have tried to give a rational account are, in a sense, beliefs, and stubbornly held ones, of many people at a primitive level of reflection, and of some philosophers at a more sophisticated level of reflection; though many other philosophers, at a perhaps still more sophisticated level, have rejected, or seemed to reject, them. It is difficult to see how such beliefs could be argued for except by showing their consonance with the conceptual scheme we operate, by showing how they reflect the structure of that scheme. So if metaphysics is the finding of reasons, good, bad, or indifferent, for what we believe on instinct, then this has been metaphysics."656
Und das ist am Ende die kurze Antwort auf die Frage, inwieweit die Verbindung zwischen unserem Denken, unseren Erfahrungen und der Welt als realistisch gekennzeichnet werden kann: Der Realismus gehört zu unserer Lebensform, und auch die scharfsinnigste Analyse der Tatsachen kann nicht dazu führen, daß wir diese wesentlich ändern. Deskriptive Metaphysik versucht, am Anfang anzufangen, beim 'Hinzunehmenden' oder 'Gegebenen': "Es ist so schwer, den Anfang zu finden. Oder besser: Es ist schwer, am Anfang anzufangen. Und nicht zu versuchen, weiter zurückzugehen."657
Diese den Begriff der Rechtfertigung betreffende Oszillation, das immer weiter zurückgehen wollen, hat zur Folge, daß man zwar einerseits daran festhalten kann, daß der Realismus als grundlegender Bestandteil des holistischen Netzes all unserer Überzeugungen ausgewiesen und damit gerechtfertigt wurde. Man könnte andererseits aber vielleicht auch daran festhalten wollen, daß sich der Realismus gar nicht begründen läßt.658 Da aber gezeigt wurde, daß die mit dem Realismus verknüpften Annahmen über die uns umgebende Welt und unser Verhältnis zu dieser auf engste verknüpft sind mit einer Vielzahl ebenfalls grundlegender Überzeugungen und insofern unverzichtbar ist, mehr noch, da gezeigt wurde, daß der Rea656 Individuals, S. 247. 657 Wittgenstein, ÜG § 471. 658 Man könnte mir demnach vielleicht entgegen halten, die hier vorgeschlagene Begründung der These des Realismus berge ein Paradox, aber mit Quine würde ich dem folgendermaßen entgegnen: "Of all the ways of paradoxes, perhaps the quaintiest is their capacity on occasion to turn out to be so very much less frivolous than they look." (1976a (1961)), S. 18.
369 lismus in dem Sinne unanfechtbar ist, als dass keine sinnvolle Alternative aufgezeigt werden konnte, kann dieser Verweigerung meines Erachtens keine Relevanz mehr zukommen: "Committed in thought to what we shun in speech, we should then seem like people seeking euphemisms in order to avoid explicit mention of distasteful realities."659
Man kann einwenden, daß es einen langen Weg gekostet hat, zu einer solchen genügsamen Schlußfolgerung zu kommen. Aber diese Debatte existiert, seit es Philosophie gibt, und auch meine Überlegungen werden nicht dazu führen, daß sie endet. Und dem noch immer möglichen Einwand, eine solche These des Realismus erlange ihre Geltung nicht von einem neutralen, sondern einem zutiefst menschlichen Standpunkt aus, möchte ich mit einem letzten Zitat begegnen: "My picture of the world is drawn in perspective, and not like a model to scale. The foreground is occupied by human beings and the stars are all as small as threepenny bits. I don´t really believe in astronomy, except as a complicated description of part of the course of human and possibly animal sensation. I apply my perspective not merely to space but also to time. In time the world will cool and everything will die; but that is a long time off still, and its present value at compound discount is almost nothing. Nor is the present less valuable because the future will be blank. Humanity, which fills the foreground of my picture, I find interesting and on the whole admirable. I find, just now at least, the world a pleasant and exciting place. You may find it depressing; I am sorry for you, and you despise me. But I have reason and you have none; you would only have a reason for despising me if your feeling corresponded to the facts in a way mine didn´t. But neither can correspond to the fact. The fact is not in itself good or bad; it is just that it thrills me but depresses you. On the other hand, I pity you with reason, because it is pleasanter to be thrilled than to be depressed, and not merely pleasanter but better for all one´s activities."660
659 Strawson, "Universals", 1979, S. 6. 660 (Ramsey, 1931), S. 291f.
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