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German Pages 404 [421] Year 2020
Beiträge zur historischen Theologie herausgegeben von
Albrecht Beutel
196
Johanna Hilpert
Neologie in Jena Johann Christoph Döderleins Wirken in Theologie und Universität
Mohr Siebeck
Johanna Hilpert, geboren 1987; Studium der Ev. Religionslehre und Geschichte in Jena, Sibiu und Wien; 2012–18 Promotionsstudentin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; 2018 Promotion; 2019 Promotionspreis der Friedrich-Schiller-Universität Jena; seit 2018 im Thüringer Schuldienst.
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). ISBN 978-3-16-159418-2 / eISBN 978-3-16-159419-9 DOI 10.1628/978-3-16-159419-9 ISSN 0340-6741 / eISSN 2568-6569 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen, Germany. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Das Buch wurde von epline in Böblingen aus der Minion gesetzt, von der Druckerei Gulde in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Für Andreas
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2017/2018 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Dissertation im Fach Kirchengeschichte angenommen. Für die vorliegende Druckfassung wurden geringfügige Überarbeitungen und die Erstellung eines Registers vorgenommen. Mit großer Dankbarkeit blicke ich auf die Unterstützung zurück, die das Zustandekommen dieses Buches ermöglichte. An erster Stelle sei mein Doktorvater Herr Professor Dr. Christopher Spehr genannt, der mit wertvollen Impulsen diese Arbeit begleitete und förderte sowie das Erstgutachten übernommen hat. Danken möchte ich außerdem Frau Professorin Dr. Katharina Bracht für die Erstellung des Zweitgutachtens. Förderliche und anregende Hinweise erhielt ich von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des kirchengeschichtlichen Oberseminars in Jena. Dafür und für die hilfsbereite Unterstützung von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der von mir besuchten Archive und Bibliotheken bin ich sehr dankbar. Besonders möchte ich zudem Herrn Professor Dr. Albrecht Beutel für die Aufnahme in die Reihe „Beiträge zur historischen Theologie“ danken. Für die freundliche Betreuung bei der Drucklegung bin ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags Mohr Siebeck sehr verbunden, vor allem Tobias Stäbler und Susanne Mang. Die Arbeit wurde maßgeblich durch ein Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung ermöglicht, wofür ich sehr dankbar bin. Der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sowie der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften gilt mein großer Dank für den Druckkostenzuschuss. Für Ratschläge, Ermutigungen sowie das Korrekturlesen danke ich von Herzen meinen Freunden und meiner Familie. Der größte Dank gilt meinem Mann Andreas, der diese Arbeit über Jahre begleitet und gefördert hat – ihm sei dieses Buch in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Einführung und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Quellenlage und Forschungsüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 3. Methode und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe. Seine erste Schaffensphase in den 1770er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Döderlein in Altdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Der Weg zum Professor der Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Die Auseinandersetzungen über das Profil der Theologischen Fakultät Altdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Döderlein als Exeget . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Der Jesajakommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Die Neuauflage von Grotius’ „Annotata ad Vetus Testamentum“ . . . 38 3. Die „Sprüche Salomons“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Döderlein und der Fragmentenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1. Die drei Antifragmente Döderleins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1.1. Döderleins Beurteilung der Fragmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1.2. Aufbau und Auswahl der „Fragmente und Antifragmente“ . . . . 50 1.3. „Vorläufige Betrachtungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1.4. Fragment und Antifragment „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1.5. Fragment und Antifragment „über die Auferstehungsgeschichte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.6. Fragment und Antifragment „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
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2. Die Rezeption von Döderleins „Antifragmente[n]“ zwischen höchstem Lob und kategorischer Ablehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.1. Die „Antifragmente“ im Urteil der Rezensenten . . . . . . . . . . . . . . 65 2.2. Goeze versus Döderlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Zwischenergebnis A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 B. Die Berufung Döderleins nach Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Die Universität Jena in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . 85 II. Von Walch zu Döderlein. Personeller Wandel und inhaltliche Neuausrichtung der Theologischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Der Streit zwischen der Theologischen Fakultät und Ernst Jakob Danovius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1.1. Die Berufung von Danovius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1.2. Die erste Streitetappe: Altehrwürdiges versus Reformbemühen 95 1.3. Die zweite Streitetappe: Hochmut versus Neid . . . . . . . . . . . . . . . 98 1.4. Die dritte Streitetappe: Doktorwürde trotz Irrlehren? . . . . . . . . 100 1.5. Die verschiedenen Konfliktebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Die Stärkung des aufklärerischen Profils der Theologischen Fakultät durch die Berufung von Johann Jakob Griesbach . . . . . . . . 104 3. Das Ringen um die Neubesetzung der dritten Professur . . . . . . . . . . . 106 4. Die Personalie Johann Christian Blasche, die Doppelvakanz und Döderleins Wechsel von Altdorf nach Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5. Die Berufungen von Danovius, Griesbach und Döderlein im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 6. Berufungen als eine diplomatische Angelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Zwischenergebnis B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 C. Döderleins Wirken in Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 I. Döderlein im universitären Verbund mit seinen Jenaer Kollegen . . . . . . 125 1. Döderleins Wahrnehmung von Jena in den Jahren 1782 bis 1787 zwischen dem Gefühl von Anerkennung und Einsamkeit . . . . . . . . . 125 2. Das Beziehungsgefüge der Jenaer Theologen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2.1. Döderlein und Griesbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2.2. Döderlein und Eichhorn: Das Problemjahr 1788 . . . . . . . . . . . . . 130 2.3. Griesbach verhindert die Rückberufung Eichhorns nach Jena . 134 2.4. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus als Nachfolger Eichhorns . . 137
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2.5. Johann Wilhelm Schmid und die Kantische Philosophie in Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Döderleins Beitrag in der Universitätspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.1. Der Streit im Senat über den Umgang mit den studentischen Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3.2. Der Auszug der Studenten 1792 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Döderleins Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 II. Döderlein als Hochschullehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Vorlesungstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1.1. Das Vorlesungsangebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1.2. Die Vorlesungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1.3. Ein aufklärungstheologisches Vorlesungsprogramm . . . . . . . . . . 167 1.4. Resonanz auf Döderleins Vorlesungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Das „Predigerinstitut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Exkurs: Döderlein als Prediger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Das Gesangbuch der Theologischen Fakultät . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4. Döderleins akademische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Zwischenergebnis C . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase in den 1780er und 1790er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Das dogmatische Werk: Die „Institutio“ und der „Christliche[] Religionsunterricht“ . . . . . . . . . . . 192 1. Die „Institutio“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1.1. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1.2. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1.3. Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1.4. Die Beurteilung der „Institutio“ in der Gelehrtenwelt als „vortreflicher Wegweiser“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Der „Christliche[] Religionsunterricht“ als erweitertes Dogmatikprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2.1. Entstehungshintergründe, Ziele und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2.2. Die Fortsetzung des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ durch Christian Gottfried Junge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2.3. Die Bewertung des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ in den Rezensionsjournalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
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II. „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Programmatik und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Inhaltliche Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Die zeitgenössische Bewertung der „Sittenlehre“ und spätere Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Schriften zum Thema Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. „Erläuterung des Vater Unsers für gemeine Christen“ (1780) . . . . . . . 219 2. „Ueber die christliche Fürbitte“ (1781) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2.1. Vom Nutzen und der Wirkung des Fürbittgebets . . . . . . . . . . . . . 226 2.2. Die praktische Verwirklichung des Fürbittgebets . . . . . . . . . . . . . 229 3. „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“ (1789) . . . . . . . . . . . . . 232 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Döderleins Tätigkeit als Rezensent und Zeitschriftenherausgeber . . . . . 233 1. Verfasser von Aufsätzen und Rezensionen für Zeitschriften . . . . . . . . 233 2. Herausgeber von Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2.1. Literarisches Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2.2. Nürnbergische gelehrte Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2.3. Auserlesene Theologische Bibliothek (ATB) . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2.4. Theologisches Journal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Zwischenergebnis D . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie in der Spätphase der Neologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Theologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1. Über die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 1.1. Was ist Religion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1.2. Der Wahrheitsanspruch innerhalb der Religion . . . . . . . . . . . . . . 258 1.3. Die Wechselbeziehung von natürlicher und geoffenbarter Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1.4. Die Frage nach der Seligkeit der Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Schrift und Vernunft als Erkenntnismittel der christlichen Religion 270 2.1. Göttlichkeit und Eingebung der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2.1.1. Im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2.1.2. Im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2.1.3. Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
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2.2. Die Bedeutung der Vernunft in der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Die Vorstellung von der Perfektibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 3.1. Die drei Hauptperioden der Offenbarungsgeschichte . . . . . . . . . 283 Exkurs: Die Akkommodationstheorie als Gegenstück zum Perfektibilitätsdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 3.2. Vervollkommnungsprozess in der natürlichen Religion . . . . . . . 288 3.3. Die Frage nach dem Ursprung der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3.4. Die Entwicklungsstufen der biblischen Schriften . . . . . . . . . . . . . 290 3.5. Theologiegeschichte als Entwicklungsgeschichte trotz vieler „Ausartungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3.6. Das Christentum als Träger des Vervollkommnungsprozesses . 301 3.7. Individueller Entwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 3.8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 4. Das Wesentliche des Christentums: Die Frage nach den Glaubensartikeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4.1. Definition und Merkmale eines Glaubensartikels . . . . . . . . . . . . 304 4.2. Gewichtung der Glaubensartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 4.3. Theologische Leitideen: die Lehre von den Fundamentalartikeln, das Konzept eines „Wesens des Christentums“ und das Ideal der Einfachheit . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 II. Theologie der Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Hamartiologie bei Döderlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1.1. Vom Ursprung der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1.2. Von den „wirkliche[n] Sünden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1.3. Von den Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Döderleins Christologie und Soteriologie zwischen Tradition und Traditionskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2.1. Aufbau der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 2.2. Zweinaturenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2.3. Versöhnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 3. Wunder als Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion . . . . . 336 3.1. Wunder als Bestätigung des göttlichen Gesandten . . . . . . . . . . . . 337 3.2. Ablehnung natürlicher Erklärungsversuche von Wundern . . . . 340 3.3. Einwände gegen David Humes „Sophisterey“ . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3.4. Auseinandersetzung mit den Thesen von Moses Mendelssohn 343 3.5. Widerspruch zu Gotthold Ephraim Lessing . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
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3.6. Zusammenfassung: Festhalten am Wunderglauben trotz aller Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Zwischenergebnis E: Potential und Grenzen von Döderleins Theologie . . . 348 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Anhang Lebenslauf Johann Christoph Döderlein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 1. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 3. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 4. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen folgen Siegfried M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/Boston 32014. Zusätzlich werden folgende Abkürzungen verwendet: AdB ALZ ATB AUA BM ChRU
Allgemeine deutsche Bibliothek Allgemeine Literatur-Zeitung Auserlesene Theologische Bibliothek Archiv der Universität Altdorf in der Universitätsbibliothek Erlangen Berlinische Monatsschrift Johann Christoph Döderlein, Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit Conc. Joachim von Fiore, Concordia Novi ac Veteris Testamenti GGA Göttingische Gelehrte Anzeigen GSA Goethe- und Schiller-Archiv Weimar h. e. Eusebius von Caesarea, Historia Ecclesiastica [Kirchengeschichte] JALZ Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung LAELKB Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern NA Schillers Werke. Nationalausgabe, begründet von Julius Petersen, hg. im Auftrag der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Goethe- und Schiller-Archiv) und des Schiller-Nationalmuseum in Marbach von Lieselotte Blumenthal und Benno von Wiese, 42 Bde, Weimar 1943–1967. NadB Neue allgemeine deutsche Bibliothek NStBibl Nürnberger Stadtbibliothek ThHStAW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar ThStAG Thüringisches Staatsarchiv Gotha ThULB Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek UAJ Universitätsarchiv Jena WAG Weimarer Ausgabe: Goethes Werke, hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, 4 Abteilungen, 146 Bde, Weimar 1887–1919. WiBiLex Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet
Einleitung 1. Einführung und Fragestellung „Jena mein Bester! ist eine Stadt, die man in vieler Hinsicht nicht ohne die innigste Verehrung betrachten kann. Hier brennen zu jeder Tagesstunde Fackeln der Weißheit, deren heller und richtiger Schein die ganze Welt zu erleuchten vermögend ist. […] Ueberall ertönen Worte des Seegens! Ueberall verjagen die mächtigen Strahlen einer richtigen Aufklärung den häßlichen Nebel des dummen Aberglaubens, zerstöhren die Kräfte der blinden Vorurtheile, fesseln die Dummheit, und verkündigen nach der Dauer der finstern Tage, endlich den hellsten Tag.“1
Diese euphorische Charakterisierung Jenas stammt von dem Schriftsteller Anton Kühl, der 1798 die Jenaer Universität in seinem Buch „Zeichnung der Universität Jena. Für Jünglinge welche diese Akademie besuchen wollen“ als eine Hochburg der Aufklärung anpries. Seine Beschreibung ist als Werbemaßnahme für die an der Saale gelegene Universität in Jena, die „Salana“, zu verstehen. Mit dem Eingangszitat wies Kühl auf die besondere Situation in Jena hin. Veranlasst durch die Berufungspolitik der Ernestiner, vor allem des Weimarer Hofes, lehrten in Jena Ende des 18. Jahrhunderts herausragende Persönlichkeiten, die eine Modernisierung der Universität bewirkten. Diese Zeit wird als Blütezeit der „Salana“ beschrieben,2 auch aufgrund der engen Verbindung zwischen der Universität in Jena und dem nahegelegenen Weimar als Ort der sogenannten Weimarer Klassik mit Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder, Christoph Martin Wieland und Friedrich Schiller. An dieser Aufbruchsbewegung der Jenaer Universität hatten die Professoren der Theologischen Fakultät einen wesentlichen Anteil. Die Theologische Fakultät galt Ende des 18. Jahrhunderts als aufgeklärt – auch hier leuchteten „die mächtigen Strahlen einer richtigen Aufklärung“3. Diese Tatsache ist keinesfalls selbstverständlich, sondern erstaunlich, da sich die Fakultät und die Universität Jena aufgrund ihrer Gründungsgeschichte lange als „Hort des Luthertums“ verstanden.4 1 [Anton Kühl], Zeichnung der Universität Jena. Für Jünglinge welche diese Akademie besuchen wollen, Leipzig 1798, 31 f. 2 Siehe Kapitel B/I. 3 [Kühl], Zeichnung der Universität Jena, 31. 4 Siehe Kapitel B/I.
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Einleitung
Dieser Sachverhalt lässt fragen, wie sich dieser Wechsel von einer traditionelllutherischen hin zu einer aufgeklärten Theologischen Fakultät konkret gestaltete. Worin manifestierte sich ferner der Anteil der Theologischen Fakultät an der Aufbruchsbewegung der Jenaer Universität? Welche Bedeutung hatte die räumliche Nähe des klassischen Weimars für die Fakultät? Wodurch zeigte sich, dass die Aufklärung an der Theologischen Fakultät Einzug gehalten hatte? Um die aufgeworfenen Fragen untersuchen zu können, wird eine Person gewählt, mit der der Aufbruch und die Aufklärung an der Theologischen Fakultät in den Quellen maßgeblich verbunden wird: der Theologe Johann Christoph Döderlein5 (1746–1792). Döderlein lehrte zunächst in Altdorf und seit 1782 in Jena als Professor der Theologie. Für die Zeitgenossen galt er als „einer der vorzüglichsten Theologen und Exegeten Deutschlands“6. Kühl schrieb in seinem Buch „Zeichnung der Universität Jena“ über den bereits verstorbenen Döderlein: „Viele würden mit Freuden die größten Schmerzen übernehmen, wenn sie, durch Erduldung derselben, ihren braven, innigstverehrten Döderlein wieder beleben könnten.“7 Welche Bedeutung hatte Döderlein allerdings für die Universität Jena und die Theologische Fakultät konkret? Wie sah seine Tätigkeit als Hochschullehrer aus und wie agierte er im Verbund mit seinen Jenaer Kollegen? Warum werden der Aufbruch in der Theologischen Fakultät und die Hinwendung zur Aufklärungstheologie in Jena mit ihm verbunden? Diese Fragen führen letztlich auch zu der Fragestellung nach den Grundlinien seiner Theologie und nach seinen Forschungsschwerpunkten sowie danach, wie seine Schriften und Forschungsergebnisse rezipiert wurden. Für die Beantwortung dieser leitenden Fragen kann an zwei Forschungsbereiche angeknüpft werden. Die vorliegende Studie versteht sich erstens im Kontext der zunächst von Gottfried Hornig und in den letzten Jahren maßgeblich von Albrecht Beutel vorangetriebenen Erforschung der Aufklärungstheologie.8 Es entstanden in diesem Zusammenhang mehrere Abhandlungen über Theologen der Aufklärungszeit (zum Beispiel über Johann August Nösselt von Malte von Span5 Zu seinem Namen gibt es die verschiedenen Schreibweisen „Doederlein“ und „Döderlein“. Seine Briefe unterzeichnete der Theologe mit „Doederlein“. Auch die auf Latein verfassten Schriften wiesen mit „Doederlein“ auf den Autor hin. Seine deutschen Werke kennzeichnete er allerdings überwiegend mit „Döderlein“. Diese Schreibweise ist überdies in der Sekundärliteratur üblich. Dem wird sich in der vorliegenden Studie angeschlossen. 6 Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon oder Beschreibung aller Nürnbergischen Gelehrten beyderley Geschlechts nach Ihrem Leben, Verdiensten und Schriften, zur Erweiterung der gelehrten Geschichtskunde und Verbesserung vieler darinnen vorgefallenen Fehler aus den besten Quellen in alphabetischer Ordnung fortgesetzt von Christian Conrad Nopitsch, Fünfter Theil oder erster Supplementband von A–G, Altdorf 1802, 237. 7 [Kühl], Zeichnung der Universität Jena, 178. 8 Einführend zum Forschungsstand der Aufklärungstheologie siehe Albrecht Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung. Ein Kompendium, Göttingen 2009, 28–33.
1. Einführung und Fragestellung
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keren9 und über Gottlieb Jakob Planck von Christoph T. Nooke10) sowie über spezifische Themen (zum Beispiel über Reunionsbewegungen zwischen Katholiken und Protestanten in der Aufklärungszeit von Christopher Spehr,11 über die Hermeneutik des Theologen Johann Salomo Semler von Marianne Schröter12, über die Göttinger Universitätskirche im 18. Jahrhundert von Konrad Hammann13 und neuerdings über die Dogmatik von Johann Jakob Griesbach von Marco Stallmann14). Außerdem wurden mehrere Forschungsprojekte mit dem Ziel entwickelt, die Schriften der Aufklärungstheologen der Nachwelt zugänglich zu machen. Erwähnt sei etwa das Editionsprojekt der Schriften Johann Joachim Spaldings15 sowie das Projekt „Bibliothek der Neologie“16. Ferner konnten bei dem im Jahr 2014 von Albrecht Beutel und seinen Mitarbeitern organisierten „Ersten Internationalen Kongress zur Erforschung der Aufklärungstheologie“ in Münster zu dem Thema „Religion und Aufklärung“ Forschungsergebnisse präsentiert, gebündelt und in einem internationalen Kontext verortet werden.17 9 Malte van Spankeren, Johann August Nösselt (1734–1807). Ein Theologe der Aufklärung (Hallesche Forschungen 31), Halle 2012. 10 Christoph T. Nooke, Gottlieb Jakob Planck (1751–1833). Grundfragen protestantischer Theologie um 1800 (BHTh 170), Tübingen 2014. 11 Christopher Spehr, Aufklärung und Ökumene. Reunionsversuche zwischen Katholiken und Protestanten im deutschsprachigen Raum des späteren 18. Jahrhunderts (BHTh 132), Tübingen 2005. 12 Marianne Schröter, Aufklärung durch Historisierung. Johann Salomo Semlers Hermeneutik des Christentums (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 44), Berlin/Boston 2012. 13 Konrad Hammann, Universitätsgottesdienst und Aufklärungspredigt. Die Göttinger Universitätskirche im 18. Jahrhundert und ihr Ort in der Geschichte des Universitätsgottesdienstes im deutschen Protestantismus (BHTh 116), Tübingen 2000. 14 Marco Stallmann, Johann Jakob Griesbach (1745–1812). Protestantische Dogmatik im populartheologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts (BHTh 190), Tübingen 2019. 15 Johann Joachim Spalding, Kritische Ausgabe, 2 Abteilungen (1. Schriften; 2. Predigten), 13 Bde, hg. v. Albrecht Beutel u. a., Tübingen 2001–2013. 16 Das Ziel dieses Langzeitprojektes ist es, ausgewählte Texte von zehn Neologen in einer kritischen Ausgabe für die Forschung bereitzustellen. 2019 erschienen die ersten beiden Bände: Johann Jakob Griesbach, Anleitung zum Studium der populären Dogmatik 11779–41789 (BdN 3), hg. v. Marco Stallmann, Tübingen 2019; Johann August Nösselt, Anweisung zur Bildung angehender Theologen 11786/89–31818/19 (BdN 4), hg. v. Albrecht Beutel/ Bastian Lemitz/Olga Söntgerath, Tübingen 2019. 17 Verwiesen sei auf den Tagungsband: Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie (Colloquia historica et theologica 2), hg. v. Albrecht Beutel/M artha Nooke, Tübingen 2016. Die Erforschung der Aufklärungstheologie wurde ebenso durch den Arbeitskreis „Religion und Aufklärung“ maßgeblich vorangetrieben. Hingewiesen sei auf die Aufsätze in den Sammelbänden Albrecht Beutel/ Volker Leppin (Hg.), Religion und Aufklärung. Studien zur neuzeitlichen „Umformung des Christlichen“ (AKThG 14), Leipzig 2004; Albrecht Beutel/Volker Leppin/ Udo Sträter (Hg.), Christentum im Übergang. Neue Studien zu Kirche und Religion in der Aufklärungszeit (AKThG 19), Leipzig 2006; Albrecht Beutel u. a. (Hg.), Aufgeklärtes Christentum. Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts (AKThG 31), Leipzig 2010; Albrecht Beutel/Thomas K. Kuhn/M arkus Wriedt (Hg.), Glau-
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Einleitung
Zweitens kann auf die Forschungen zur Universitätsgeschichte Jenas zurückgegriffen werden, wie beispielsweise auf die Ergebnisse, die im Zusammenhang des Sonderforschungsbereiches 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ erzielt wurden. Hervorzuheben ist an dieser Stelle etwa der instruktive Aufsatzband „Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800“, der von Gerhard Müller, Klaus Ries und Paul Ziche 2001 herausgegeben wurde.18 In dieser Studie sollen die beiden Forschungsbereiche Aufklärungstheologie und Universitätsgeschichte Jenas anhand einer Untersuchung über den Theologen Johann Christoph Döderlein, dessen Person und Wirkung bislang nur marginal erforscht wurden, miteinander verbunden werden. Diese Verbindung äußert sich auch im Titel: „Neologie in Jena. Johann Christoph Döderleins Wirken in Theologie und Universität“. Die Bezeichnung Neologie für die in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datierte19 „reife Gestalt der Aufklärungstheologie“20 wird hier bewusst gewählt, um zu akzentuieren, um welche Art von Aufklärungstheologie es sich zu dieser Zeit in Jena handelte. Das soll gleichermaßen in Abgrenzung zu Döderleins Nachfolger Heinrich Eberhard Gottlob Paulus geschehen, der einen theologischen Rationalismus vertrat. Indem Paulus Kants Erkenntnistheorie auf die Theologie anwenden wollte21 und das Anliegen verfolgte, aus den Evangelien einen echten, reinen Kern der Vernunftreligion Jesu herauszuarbeiten,22 vertrat er eine andere Form der Aufklärungstheologie als die Neologen. Ziel dieser Arbeit ist es folglich, exemplarisch an der Person Döderleins zu zeigen, wie sich universitäre Aufklärungstheologie, wie sich Neologie, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Jena gestaltete. Insgesamt möchte die vorliegende Abhandlung damit einen Beitrag zur Erforschung der Fakultäts- und Universitätsgeschichte Jenas sowie zur Theologie- als auch Gelehrtengeschichte leisten.
be und Vernunft. Studien zur Kirchen- und Theologiegeschichte des späten 18. Jahrhunderts (AKThG 41), Leipzig 2014. 18 Gerhard Müller/K laus Ries/Paul Ziche (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2), Stuttgart 2001. 19 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 115. 20 Beutel, aaO., 112. Weiterführend zum Begriff und zur Datierung der Neologie sei unter anderem verwiesen auf Beutel, aaO., 112–115, Hans-Martin Kirn/A dolf Martin Ritter, Geschichte des Christentums IV,2: Pietismus und Aufklärung (Theologische Wissenschaft. Sammelwerk für Studium und Beruf 8,2), Stuttgart 2019, 175 und Walter Sparn, Art. Neologie (EKL 3, 1992, 662–664). 21 Vgl. Friedrich Wilhelm Graf, Art. Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob (NDB 20, 2001, 135 f.), hier 135. 22 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 164.
2. Quellenlage und Forschungsüberblick
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2. Quellenlage und Forschungsüberblick Zur Annäherung an die Fragen kann in dieser Studie auf eine Vielzahl von Quellen zurückgegriffen werden. Einen Einblick in die Berufungsprozesse sowie auf das Engagement der Theologen in Altdorf und Jena als Hochschullehrer erhält der Forscher besonders anhand der Personal- und Fakultätsakten der Universitäten Altdorf und Jena, die in den Archiven in Erlangen (AUA), Jena (UAJ) und Weimar (ThHStAW) eingesehen werden können. Eine Beschreibung über die Lage der Theologischen Fakultät in Jena und ihrer Professoren gewährleisten zudem Briefe von Zeitgenossen, die in unmittelbarer Nähe zur Fakultät standen. Zu nennen sind an dieser Stelle etwa die Äußerungen von Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe und Johann Gottfried Herder. Für die Untersuchung des Wirkens von Johann Christoph Döderlein in Theologie und Universität dienen seine gedruckten Schriften als wichtigstes Quellenmaterial. Döderlein publizierte in seiner 22-jährigen Schaffenszeit neben der Herausgabe von Zeitschriften und dem Verfassen von Zeitschriftenartikeln mehr als 30 Abhandlungen unterschiedlichsten Umfangs. Die meisten Werke sind in mehreren Bibliotheken vorhanden und wurden mittlerweile größtenteils digitalisiert. Als Quellen eignen sich ferner Döderleins handschriftliche Briefe, obgleich nur wenige überliefert sind. Einblicke in das Gelehrtennetzwerk sowie in Döderleins Privatleben geben vor allem 24 in der Nürnberger Stadtbibliothek (NStBibl) vorliegende Briefe, die Döderlein an den Altdorfer Gelehrten Georg Andreas Will schrieb. Informativ ist zudem die von Döderlein verfasste Beschreibung seines Lebens im „Allgemeine[n] Magazin für Prediger“.23 Die Frage nach dem Stellenwert, der ihm und seinem Œuvre von den Zeitgenossen eingeräumt wurde, sowie nach der Rezeption lässt sich hauptsächlich anhand von Rezensionen in gelehrten Zeitschriften beantworten. Zeitschriften,24 die im 18. Jahrhundert, dem „Jahrhundert der Zeitschrift“25, zum „Medium der 23 [Johann Christoph Döderlein], [Lebensbeschreibung] (Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, 1. Bd., 4. Stück, 1789, 105–110). 24 Zu den Begriffen „Zeitschrift“, „Journal“, „Gelehrte Zeitungen“ Joachim Kirchner, Die Grundlagen des deutschen Zeitschriftenwesens. Mit einer Gesamtbibliographie der deutschen Zeitschriften bis zum Jahre 1790. 1. Teil: Bibliographische und buchhandelsgeschichtliche Untersuchungen, Leipzig 1928, 93–100 und Thomas Habel, Deutschsprachige Rezensionszeitschriften der Aufklärung. Zur Geschichte und Erschließung (in: Historische Presse und ihre Leser. Studien zu Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblättern und Kalendern in Nordwestdeutschland [Presse und Geschichte – Neue Beiträge 14], hg. v. Peter Albrecht/Holger Böning, Bremen 2005, 41–76), hier 43, Anm. 6. – Eine Übersicht über die zahlreichen, thematisch vielfältigen Zeitschriften, die im 18. Jahrhundert gegründet wurden, bietet Joachim Kirchner, Die Grundlagen des deutschen Zeitschriftenwesens. Mit einer Gesamtbibliographie der deutschen Zeitschriften bis zum Jahre 1790. 2. Teil: Die Bibliographie der deutschen Zeitschriften bis zur Französischen Revolution. Statistische Ergebnisse, Leipzig 1931. 25 Jürgen Wilke, Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2000, 94.
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Einleitung
Aufklärung“26 avancierten und deren Erfolg wesentlich mit dem Texttypus Rezension zusammenhing,27 boten das „Echo der Zeit“28. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit gelehrte Zeitschriften mit ihren Kritiken berücksichtigt. Da die meisten Rezensionszeitschriften29 den Leser allerdings im Ungewissen über den jeweiligen Verfasser der Rezension ließen, weil mit Hilfe der Anonymität eine ungehinderte Meinungsäußerung ermöglicht und ein Schutz vor Zensur, persönlichen Auseinandersetzungen und möglichen staatlichen Maßnahmen gewährleistet werden sollte,30 kann in der vorliegenden Studie oftmals nur allgemein von „dem Rezensenten“ gesprochen werden. Eine Aufschlüsselung der anonymen Rezensenten gelingt nur in wenigen Fällen. Zur Einordnung von Döderleins theologischen Schriften in den zeitgenössischen Diskurs werden in der folgenden Untersuchung sowohl allgemeinwissenschaftliche (Rezensions-)Zeitschriften einbezogen, als auch explizit theologische Zeitschriften,31 bei denen, wie bei den Zeitschriften aus anderen Fachgebieten, 26 Paul R aabe, Die Zeitschrift als Medium der Aufklärung (WSA 1, 1974, 99–136), hier 105. 27 Vgl. Christopher Spehr, Gelehrte Buchkritik. Der Beginn der theologischen Rezensionsjournale im 18. Jahrhundert (in: Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie [Colloquia historica et theologica 2], hg. v. Albrecht Beutel/M artha Nooke, Tübingen 2016, 269–284), hier 270. – Die Textsorte Rezension entwickelte sich mit der Entstehung der ersten periodisch erscheinenden Gelehrtenzeitschriften am Ende des 17. Jahrhunderts. Vgl. Habel, Deutschsprachige Rezen sionszeitschriften, 41. Der Begriff „rezensieren“ wurde im 17. Jahrhundert aus dem lateinischen „recensere“ entlehnt und als „kritisch anzeigen/besprechen“ gebraucht. Die Worte „Rezen sion“ und „Rezensierung“ fanden in Deutschland spätestens im frühen 18. Jahrhundert Verwendung. Vgl. Habel, aaO., 42. Habel unterscheidet diese Art von Rezension von früheren Formen literarischer Kritik mit dem Hinweis, dass die „modernen“ Rezensionen als eigenständiger, formal abgeschlossener Text konzipiert waren, die außerdem bibliographische Angaben über das zu besprechende Buch machten. Vgl. Habel, aaO., 41 f. 28 Klaus Leder, Universität Altdorf. Zur Theologie der Aufklärung in Franken. Die Theologische Fakultät in Altdorf 1750–1809 (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 14), Nürnberg 1965, 93. 29 Zur Rezensionszeitschrift besonders Habel, Deutschsprachige Rezensionszeitschriften und Ders., Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts (Presse und Geschichte – Neue Beiträge 17), Bremen 2007. – Die erste große deutsche Rezensionszeitschrift war die Zeitschrift „Acta Eruditorum“. Vgl. Ders., Deutschsprachige Rezensionszeitschriften, 45. Dazu auch Spehr, Gelehrte Buchkritik, 274. 30 Vgl. Habel, Deutschsprachige Rezensionszeitschriften, 55 f. Auch wenn das Prinzip der Anonymität umstritten war, es zahlreiche zeitgenössische Konflikte darüber gab und es außerdem zum Missbrauch der Anonymität kam, war die Mehrheit der Herausgeber und Rezensenten von den Vorteilen eines anonymen Veröffentlichens überzeugt. Vgl. ebd. Zur Anonymitätsdebatte in der ALZ sei verwiesen auf Stephan Pabst, Der anonyme Rezensent und das hypothetische Publikum. Zum Öffentlichkeitsverständnis der Allgemeinen Literatur-Zeitung (in: Organisation der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung in Jena 1785–1803 [Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen 5], hg. v. Stefan Matuschek, Heidelberg 2004, 23–54). 31 Im Verlauf der Ausdifferenzierung in den Wissenschaftsdisziplinen und der damit ver-
2. Quellenlage und Forschungsüberblick
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ab der Mitte des 18. Jahrhunderts ein ungeheurer Zuwachs verzeichnet werden kann.32 Um ein umfangreiches Bild zu erhalten, wie Döderleins Schriften von den Gelehrten bewertet wurden, sollen zudem Zeitschriften mit unterschiedlichem Profil und unterschiedlichem Herausgeber- und Leserkreis berücksichtigt werden. Von den allgemeinwissenschaftlichen Zeitschriften werden in besonderem Maße die Rezensionen der von Friedrich Nicolai verantworteten und neologisch ausgerichteten33 „Allgemeine[n] deutsche[n] Bibliothek“ (AdB) (1765– 1806)34 beachtet, die bis zur Mitte der 1780er Jahre als das führende deutsche Rezensionsorgan mit einer Auflage von über 2.000 Exemplaren gilt.35 Daneben sollen die Rezensionen aus der 1785 von dem Literaturprofessor Christian Gottfried Schütz und dem Unternehmer Friedrich Johann Justin Bertuch gegründeten „Allgemeine[n] Literatur-Zeitung“ (ALZ) angeführt werden. Die ALZ, als die bundenen Spezialisierung haben sich zunehmend Fachzeitschriften als Organe der verschiedenen Fachbereiche herausgebildet. Vgl. Angela Kessler, Ein Beitrag zur Geschichte der evangelischen Presse von ihrem Beginn bis zum Jahre 1800 (im deutschen Sprachgebiet), Diss. masch., München 1956, 209. – Als die erste theologische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum gelten Valentin Ernst Löschers „Unschuldige Nachrichten von Alten und Neuen Theologischen Sachen, Büchern, Uhrkunden […]“. Vgl. Gottfried Müller, Die Anfänge des theologischen Zeitschriftenwesens in Thüringen. Das Lebenswerk Johann Christoph Colerus’ (HerChr 5, 1967, 77–84), hier 77; Gottfried Mehnert, Evangelische Presse. Geschichte und Erscheinungsbild von der Reformation bis zur Gegenwart (EPF 4), Bielefeld 1983, 60. Zu den „Unschuldige[n] Nachrichten“ siehe Spehr, Gelehrte Buchkritik, 277–279. Spehr verweist in diesem Aufsatz (S. 270) auch darauf, dass es bei der Erforschung der theologischen Zeitschriften nach wie vor Defizite gibt. Er präsentiert in seiner Studie erste Ergebnisse zu diesem Thema und bietet einen Forschungsüberblick (S. 270–272). 32 Vgl. Otto Kippenberg, Art. Zeitschriften, theologische (RE3 24, 1913, 662–691), hier 667. – So kann beispielsweise im Zeitraum von 1766 bis 1790 in der Theologie ein Zuwachs von 159 Blättern verzeichnet werden. Vgl. Joachim Kirchner, Das deutsche Zeitschriftenwesen. Seine Geschichte und seine Probleme, 1. Teil: Von den Anfängen bis zum Zeitalter der Romantik, Wiesbaden 21958, 116. Allerdings muss bei diesen Zahlen auch beachtet werden, dass viele Zeitschriften oft nur wenige Jahre bestanden. Vgl. Spehr, Aufklärung und Ökumene, 252. 33 Vgl. Christopher Spehr, Aufklärerische Buchkritik. Theologische Rezensionsjournale im späteren 18. Jahrhundert (Manuskript), [5]. Aner bezeichnet die AdB als die „Herzkammer der neologischen Bestrebungen“. K arl Aner, Die Theologie der Lessingzeit, Halle 1929, 114. – Als Hauptmitarbeiter der AdB im theologischen Fachbereich wirkten neben Friedrich Germanus Lüdke, der fast 1.000 Rezensionen verfasste, Wilhelm Abraham Teller, Johann August Eberhard und Friedrich Gabriel Resewitz. Vgl. Christian Nottmeier, Aufgeklärter Protestantismus. Friedrich Nicolai, die Neologie und das theologische Profil der Allgemeinen Deutschen Bibliothek (in: Friedrich Nicolai und die Berliner Aufklärung, hg. v. R ainer Falk/ Alexander Košenina, Hannover 2008, 227–249), hier 237.239. 34 Einführend zur AdB siehe Ute Schneider, Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft 1), Wiesbaden 1995; Günther Ost, Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek, Berlin 1928. 35 Vgl. Nottmeier, Aufgeklärter Protestantismus, 235. – Seit 1783 sank die Auflagenzahl der AdB bis zu ihrer Einstellung kontinuierlich. So wurden beispielsweise im Jahr 1800 nur noch 752 Exemplare verkauft. Vgl. Schneider, aaO., 10.
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größte Konkurrentin der AdB, löste diese bald als führendes Rezensionsorgan ab.36 Abgesehen von diesen beiden für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts bedeutendsten Rezensionsorganen werden noch weitere allgemeinwissenschaftlich ausgerichtete Zeitschriften herangezogen, die als einflussreich galten und aus verschiedenen Regionen stammen. So hatten die „Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“, die unter anderem von dem Oberkonsistorialrat Emanuel Christoph Klüpfel in Gotha gegründet wurden und von 1774 bis 1804 existierten,37 unter den allgemeinwissenschaftlichen Journalen einen vortrefflichen Ruf.38 Als meinungsbildendes Rezensionsjournal galten ebenfalls die „Göttingische[n] Zeitungen von gelehrten Sachen“ (1739–1752), die als offizielles Organ der Georgia Augusta gegründet worden waren und seit 1753 unter dem Titel „Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen“ von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben wurden.39 Gleichermaßen werden Rezensionen von allgemeinwissenschaftlichen Zeitschriften ausgewertet, die in der unmittelbaren (geografischen) Umgebung Döderleins herausgegeben wurden, wie etwa die „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten“ und die „Nürnbergische gelehrte Zeitung“, an der Döderlein selbst mitarbeitete und deren Rezensionen aus diesem Grund auch unter dem Gesichtspunkt einer Werbemaßnahme für Döderlein betrachtet werden müssen.40 Ebenso finden die Zeitschriften seines späteren Wirkungsortes Jena Berücksichtigung: Neben der ALZ werden die Rezensionen aus den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ untersucht, welche von 1749 bis 1757 und von 1765 bis 1786 als vom Weimarer Hof subventioniertes Unternehmen von Mitgliedern der Jenaer Universität herausgegeben wurden.41 36 Vgl. Schneider, aaO., 342. – Die Auflage der ALZ stieg im ersten Jahr von 600 auf 1.100 und bestand im Jahr 1787 bereits aus über 2.000 Exemplaren. Vgl. Kirchner, Grundlagen 1, 47. Zur ALZ siehe Kapitel D/IV, 1. 37 Vgl. Kirchner, Grundlagen 2, 127. 38 Vgl. Kirchner, Das deutsche Zeitschriftenwesen, 122. 39 Vgl. Habel, Deutschsprachige Rezensionszeitschriften, 53, Anm. 24. – Die Zeitschrift wurde 1802 in „Göttingische Gelehrte Anzeigen“ (GGA) umbenannt und existiert unter diesem Titel bis heute. Sie ist damit das älteste noch bestehende Rezensionsorgan deutscher Sprache. Vgl. Peter-Eckhard Knabe, Die Rezeption der französischen Aufklärung in den „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ (1739–1779) (ARom 42), Frankfurt a. M. 1978, 8. Bei Knabe finden sich auch nähere Literaturverweise zu dieser Zeitschrift. Zur Bedeutung von Albrecht von Haller, Johann David Michaelis und Christian Gottlob Heyne für die GGA und ihrem Rezensionsstil siehe Claudia Profos Frick, Gelehrte Kritik. Albrecht von Hallers literarisch-wissenschaftliche Rezensionen in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen (Studia Halleriane 10), Basel 2009, v. a. 34–39.109–117 (Haller), 314–318 (Michaelis), 318–323 (Heyne). 40 Zur „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ siehe Kapitel D/IV, 2.2. 41 Vgl. Gerhard Müller, Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen 6), Heidelberg 2006, 158. Die „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ hatten zunehmend mit Verfallserscheinungen zu kämpfen und wurden von vielen Mitgliedern der Universität in den 1780er Jahren als nicht
2. Quellenlage und Forschungsüberblick
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Von den theologischen Zeitschriften werden besonders die Rezensionen von zwei Journalen beachtet, die sich in ihrem Zielpublikum maßgeblich unterschieden. Für „jede Classe der Leser“42, also „für alle Arten der Christen“43 war die von dem Erlanger Theologen Georg Friedrich Seiler von 1776 bis 1800 herausgegebene Zeitschrift „Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, welche Religion, Sitten und Besserung des menschlichen Geschlechts betreffen“ konzipiert. Seiler wollte mit dieser Zeitschrift einen Beitrag „zur Aufklärung und Bildung der Menschheit“44 leisten. Spezialisierter war das zunächst von dem Theologen Christoph Christian Sturm45 herausgegebene und von vielen Autoren unterstützte „Journal für Prediger“, welches von 1770 bis 1842 erschien, ab 1789 parallel unter dem Titel „Neues Journal für Prediger“. Es zählte unter den zahlreich existierenden Predigerjournalen dieser Zeit46 zu den führenden Organen.47 Die Herausgeber machten es mehr zeitgemäß empfunden. Vgl. Steffen Kublik, Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800 (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag. Reihe: Geschichtswissenschaft 6), Marburg 2009, 123. Der seit 1789 in Jena lehrende Gelehrte Heinrich Eberhard Gottlob Paulus schrieb über die Jenaische Zeitung: „Die Jenaische Zeitung geht die Universität selbst beinahe gar nichts an. […] Eine Zeit lang war Blasche einziger Bearbeiter des theologischen Faches. Eine kurze Zeit erbarmten sich Danovius und Griesbach dieser Artikel. Es hatte aber keinen Fortgang […]. Nun ist sie in den letzten Zügen.“ Zit. nach K arl Alexander Freiherr von Reichlin-Meldegg, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und seine Zeit, nach dessen literarischem Nachlasse, bisher ungedrucktem Briefwechsel und mündlichen Mittheilungen dargestellt, Erster Band, welcher Paulus’ Leben von der Geburt (1. September 1761) bis zur Anstellung in Heidelberg (13. December 1810) umfaßt, Stuttgart 1854, 98 f. Zu Paulus, Blasche, Danovius und Griesbach siehe Kapitel B/II und C/I, 2. Mit der Gründung der ALZ war das Ende dieses Organs abzusehen. Vgl. Kublik, aaO., 123. 42 Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1776, [Vorrede], 2. 43 Ebd. – Seiler kündigte dem Leser 1779 an, dass die „Gemeinnützige[n] Betrachtungen“ aufgrund der weiter anwachsenden Zahl von Buchveröffentlichungen eine Beilage und einen Anhang erhalten sollen. Er wollte damit gesondert auf sein Zielpublikum eingehen. Während die „Gemeinnützige[n] Betrachtungen“ nach wie vor für alle Christen gedacht waren, auch für solche, die nicht zum theologischen Stand gehörten, sollten in der Beilage Rezensionen aufgenommen werden, die besonders für Lehrer in Kirchen und Schulen und Theologiestudenten geeignet waren. Schriften, die explizit wissenschaftlich-theologische Themen diskutierten, sollten in einem gesonderten Buch mit dem Titel „Theologisch-kritische Betrachtungen neuer Schriften“ erscheinen. Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1779, 3 f. 44 Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1776, [Vorrede], 2. 45 Zu den anderen Herausgebern siehe Kippenberg, Art. Zeitschriften, 673 und Frank Stückemann, Franz Karl Rischmüller (1745–1811) im „Journal für Prediger“: Pastoral theologische Beiträge zur Volksaufklärung aus Preußisch-Minden (JbKG 16, 2014, 49–77), hier 49. 46 Vgl. Friedrich Wilhelm Graf, Theologische Zeitschriften (in: Von Almanach bis Zeitung. Ein Handbuch der Medien in Deutschland 1700–1800, hg. v. Ernst Fischer/ Wilhelm Haefs/York-Gothart Mix, München 1999, 356–373), hier 370. 47 Vgl. Ottfried Jordahn, Georg Friedrich Seiler – Der Liturgiker der deutschen Aufklärung (JbLH 14, 1969, 1–62), hier 9. So auch Leder, Universität Altdorf, 111, Anm. 131.
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Einleitung
sich hier zur Aufgabe, über alle Bereiche der Pastoraltheologie zu berichten.48 Als Zielgruppe galt hauptsächlich der Landprediger,49 dem oftmals der Zugang zu Bibliotheken fehlte und der darum über dieses Medium einen Überblick über pastoraltheologische Themen und aktuelle Diskurse erhalten sollte.50 Eine andere Quellengattung zur Untersuchung der Frage nach Döderleins Wirken in Theologie und Universität bilden die zeitgenössischen Darstellungen über Döderlein. Der Theologe Christoph Friedrich Ammon verfasste in dem von Döderlein übernommenen „Neue[n] theologische[n] Journal“ kurz nach dessen Tod eine Art Nachruf. Er würdigte darin kritisch Döderleins wissenschaftliche Leistungen.51 Eine erste ausführliche Darstellung von Döderleins Leben und Werk findet sich in dem Nekrolog von Friedrich von Schlichtegroll, die 1794 publiziert wurde.52 Hier wird nicht nur über Döderleins Herkunft, Schulbildung, Studium und seinen Charakter informiert, sondern Schlichtegroll kommentiert auch die wichtigsten Werke Döderleins und skizziert deren zeitgenössische Bedeutung. Etwas kürzer ist die Beschreibung Döderleins im „Nürnbergische[n] Gelehrten-Lexicon“ von 1802.53 Im Gegensatz zu diesem umfangreichen Quellenmaterial existieren bisher nur wenige wissenschaftliche Abhandlungen zu Döderlein. Die meisten Untersuchungen bestehen zudem vornehmlich aus allgemeinen Betrachtungen. Der Schriftsteller und Theologe Heinrich Döring verfasste im 19. Jahrhundert eine Überblicksdarstellung über Döderleins Leben und Werk. In seinem Buch „Die deutschen Kanzelredner des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts“ von 1830 bot Döring auf neun Seiten Informationen über Döderleins 48 Die Herausgeber wollten Abhandlungen abdrucken, „welche die Kanzelberedsamkeit und die Amtspflichten eines Predigers betreffen“. Journal für Prediger, 1. Bd., 1. Stück, 1770, Vorrede, [2]. Ab dem neunten Band erweiterten sie das Spektrum der Zeitschrift (vgl. Stückemann, Rischmüller, 49) um „Schriften, welche das Studium der Bibel erleichtern können, welche die Erziehung, Menschen und Weltkenntniß, so viel sie eine Beziehung aufs Predigtamt hat, und die neuere Kirchengeschichte betreffen“. Journal für Prediger, 9. Bd., 1. Stück, 1778, Vorbericht, [2]. 49 Vgl. Journal für Prediger, 1. Bd., 1. Stück, 1770, Vorrede, [2]. 50 Vgl. Thomas K. Kuhn, „Nicht bloß Religion in den Kopf bekommen“. (Religions-)Pädagogische Diskurse im Journal für Prediger (in: Glaube und Vernunft. Studien zur Kirchenund Theologiegeschichte des späten 18. Jahrhunderts [AKThG 41], hg. v. Albrecht Beutel/Thomas K. Kuhn/M arkus Wriedt, Leipzig 2014, 13–35), hier 19 f. In diesem Aufsatz finden sich auch weitere hinführende Informationen zum „Journal für Prediger“: v. a. S. 18– 23.34 f. – In dem Vorbericht zum neunten Band schrieben die Herausgeber: „wir wissen, daß unsere Schrift bey manchen weniger bemittelten und von den Sitzen der Gelehrsamkeit zu weit entfernten Predigern fast das einzige Journal und Lesebuch gewesen ist.“ Journal für Prediger, 9. Bd., 1. Stück, 1778, Vorbericht, [2]. 51 C[hristoph] F[riedrich] A[mmon], Johann Christoph Döderlein (Neues theologisches Journal, 1. Bd., 1. Stück, 1793, 1–15). 52 Friedrich Schlichtegroll, Nekrolog auf das Jahr 1792. Enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger in diesem Jahre verstorbener Personen, 3. Jahrgang, 2. Bd., Gotha 1794, 98–138. 53 Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 235–242.
2. Quellenlage und Forschungsüberblick
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Herkunft sowie über seinen theologischen Werdegang, erwähnte und kommentierte dessen Werke, skizzierte Döderleins Wirken als Hochschullehrer und stellte eine Bibliographie der döderleinschen Schriften zur Verfügung.54 Es fällt auf, dass sich Döring dabei hauptsächlich auf die Ausführungen Schlichtegrolls bezog und vieles von diesem sogar wortwörtlich übernahm, ohne allerdings auf den „Nekrolog“ zu verweisen. Die Beschreibung Döderleins in dem Werk „Die deutschen Kanzelredner“ nutzte Döring überdies als Grundlage für seinen Artikel über Döderlein von 1835 in der „Allgemeine[n] Encyklopädie der Wissenschaften und Künste“55, der ausführlicher ist. Neben Döring widmete sich im 19. Jahrhundert der Theologe Gustav Frank der Person Döderlein in gleich drei Abhandlungen. Frank beschrieb Döderlein in seiner „Jenaischen Theologie“ von 1858 als einen der „Ersten“ „in seinem Fache“56, sah ihn hauptsächlich als Dogmatiker, der als „moderater Neuerer“57 hatte gelten wollen und verwies daneben auf Döderleins „heftig[en und] auffahrend[en]“58 Charakter. In der „Geschichte der Protestantischen Theologie“59 von 1875, sowie seinem Artikel über Döderlein für die „Allgemeine Deutsche Biographie“60 (ADB) von 1877 formulierte Frank ähnlich. Einen ausführlicheren biographischen Abriss mit Verweis auf die wichtigen Werke bot der Theologe und Missionar Julius Döderlein, der Enkel von Johann Christoph Döderlein. 1891, fast 100 Jahre nach Döderleins Tod, verfasste er eine Abhandlung unter dem Titel „Unsere Väter“61. Im 20. Jahrhundert hat sich neben kurzen Skizzen über Döderlein, wie etwa die Darstellungen von Karl Aner62, Wolfgang Gericke63 und Albrecht Beutel64 54 Heinrich Doering, Die deutschen Kanzelredner des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt, Neustadt an der Orla 1830, 36– 45. – Döring verwandte für sich die beiden Schreibweisen „Doering“ und „Döring“. Bei bibliographischen Angaben wird dieser Unterschied beachtet, ansonsten wird für diese Studie die Schreibweise „Döring“ festgelegt. 55 Heinr[ich] Döring, Art. Döderlein (Johann Christoph) (Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet, Erste Section A–G, 26, 1835, 251–255). 56 Gustav Frank, Die Jenaische Theologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Eine Festgabe, Leipzig 1858, 88. 57 Frank, aaO., 89. 58 Frank, aaO., 88. 59 Gustav Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie. Dritter Theil: Von der deutschen Aufklärung bis zur Blüthezeit des Rationalismus 1750–1817 (Geschichte des Rationalismus und seiner Gegensätze), Leipzig 1875, 113 f. 60 G[ustav] Frank, Art. Döderlein, Johann Christoph (ADB 5, 1877, 280 f.). 61 Julius Döderlein, Unsere Väter. Kirchenrat Christof Döderlein, Oberconsistorialrat Immanuel von Niethammer und Hofrat Ludwig von Döderlein, Erlangen und Leipzig 1891, 1–17. 62 Aner, Theologie der Lessingzeit, 59.112 f. 307 f. 63 Wolfgang Gericke, Theologie und Kirche im Zeitalter der Aufklärung (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/2), Berlin 1989, 101 f. 64 Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 114. – In der umfangreichen
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sowie kurzen Lexikonartikeln65, die nicht mehr als biographische Eckdaten und Döderleins wichtigste Werke bieten, vor allem Klaus Leder sowohl um die Erforschung von Döderleins Leben und Wirken als auch um seine theologiegeschichtliche Einordnung verdient gemacht. Leders Studie ist die umfassenste, die bislang zu Döderlein existiert. Seine Forschungen zu Döderlein stehen, wie der Titel seines Buches „Universität Altdorf. Zur Theologie der Aufklärung in Franken. Die Theologische Fakultät in Altdorf 1750–1809“66 bereits suggeriert, unter dem Gesichtspunkt seiner universitäts- und fakultätsgeschichtlichen Betrachtungen zu Altdorf. Weil Döderlein maßgeblich dazu beigetragen hat, die Aufklärung an der Theologischen Fakultät in Altdorf zu etablieren, wird das Wirken Döderleins bei Leder, der neben diesem noch neun weitere Theologen Altdorfs vorstellt, ausführlich untersucht.67 Leder präsentiert Döderleins Biographie (Elternhaus, Schule, Studium, Berufung nach Altdorf, Wirken in Altdorf ) sowie seine Leistungen als Exeget, seine Tätigkeit als Prediger, seine Position im Fragmentenstreit und bietet eine Einführung in Döderleins Dogmatik und Sittenlehre. Insgesamt zeichnet sich Leders Darstellung dadurch aus, dass er sich eingehend mit den Quellen beschäftigt, was vor ihm keiner unternommen hat. Er stellt die Position des Altdorfer Theologen anhand seiner Schriften dar und trifft auf Grundlage dieser Erkenntnisse Aussagen über Döderleins theologischen Standpunkt. Ihm ist es zudem gelungen, einen Teil der Lücke zu schließen, die zwischen Döderleins zeitgenössischer Bedeutung und dem Forschungsstand über seine Person bestand. Was bei Leder allerdings unerforscht bleibt, ist Darstellung der „Geschichte der neuern evangelischen Theologie“ von Emanuel Hirsch wird Döderlein nur an drei Stellen kurz erwähnt. Siehe Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie. Im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, 4. Bd., neu hg. und eingeleitet von Albrecht Beutel (Emanuel Hirsch, Gesammelte Werke 8), Waltrop 2000, 99 f. 104 und aaO., 5. Bd. (Emanuel Hirsch, Gesammelte Werke 9), Waltrop 2000, 47. 65 Clemens Alois Baader, Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, 1. Bd., Augsburg/Leipzig 1824, 115–119; Friedrich Wilhelm Bautz (Hg.), Art. Döderlein, Johann Christoph (BBKL 1, 1990, 1341); Albrecht Beutel, Art. Döderlein, Johann Christoph (RGG4 2, 1999, 893); [K arl Rudolf] Hagenbach, Art. Döderlein (RE3 4, 1898, 716 f.); H[einrich] Hoffmann, Art. Döderlein, Johann Christoph (RGG2 1, 1927, 1958); [Hermann] M[ulert], Art. Döderlein, Johann Christoph (RGG 2, 1910, 97); E[berhard] H[ermann] Pältz, Art. Döderlein, Johann Christoph (RGG3 2, 1958, 217); Wigand’s Conversations-Lexikon. Für alle Stände. Von einer Gesellschaft deutscher Gelehrten bearbeitet, 4. Bd., Leipzig 1847, 252. – Mehrere dieser Artikel, wie beispielsweise der von Karl Rudolf Hagenbach, greifen unverkennbar auf Schlichtegrolls Nekrolog zurück. 66 Klaus Leder, Universität Altdorf. Zur Theologie der Aufklärung in Franken. Die Theologische Fakultät in Altdorf 1750–1809 (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 14), Nürnberg 1965. 67 Leders Abhandlung zu Döderlein umfasst die Seiten 161–244. Neben Döderlein stellt er die Theologen Johann Balthasar Bernhold, Johann Bartholomäus Riederer, Johann Augustin Dietelmaier, Johann Georg Hofmann, Johann Andreas Sixt, Christian Gottfried Junge, Johann Philipp Gabler, Gottlob Wilhelm Meyer und Paul Joachim Sigmund Vogel vor.
2. Quellenlage und Forschungsüberblick
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eine Betrachtung von Döderleins Wirken in Jena. Diese Schaffenszeit skizziert er äußerst kurz, da sie nicht zu seiner Fragestellung gehört. Außerdem beachtet er mehrfach den Kontext von Döderleins Thesen zu wenig. Genau an dieser Stelle setzt die vorliegende Studie an, zumal nicht nur Leder, sondern auch andere Darstellungen Döderleins Bedeutung für Jena nur marginal thematisieren. In Untersuchungen zur Geschichte der Theologischen Fakultät in Jena, wie etwa bei Ernst Böhme68 und Rudolf Herrmann69, werden nur kurz einzelne Werke Döderleins hervorgehoben und auf Konflikte Döderleins mit Kollegen vor Ort verwiesen. Etwas umfangreicher ist der Überblick von Karl Heussi70, der sich allerdings hauptsächlich auf die Abhandlungen von Heinrich Döring und Julius Döderlein bezieht. Neue Erkenntnisse werden hier nicht geboten. Ebenso ist der Eintrag von Wolfgang Leber in der „Geschichte der Universität Jena“71 über Döderlein eine synthetisierende Paraphrase der Darstellungen von Ernst Böhme und Gustav Frank. Neuere Forschungen zur Universitätsgeschichte Jenas haben demgegenüber einen Erkenntnisgewinn erzielt. Sowohl Gerhard Müller mit „Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena“72 von 2006 als auch Steffen Kublik mit „Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800“73 von 2009 haben in ihren Darstellungen das Prozedere um Döderleins Berufung sowie einzelne Aspekte der von ihm mitgestalteten Universitätspolitik untersucht. Hinweise zu Döderlein finden sich ferner in Werken zu bestimmten Spezialthemen. Noch zu Lebzeiten Döderleins befasste sich Christian Gottfried Heinrich in seinem „Versuch einer Geschichte der verschiedenen Lehrarten der christlichen Glaubenswahrheiten“74 (1790) ausführlich mit Döderleins Dogmatik. Fast 80 Jahre später stellte Wilhelm Gaß in der „Geschichte der Protestantischen Dogmatik“75 von 1867 Döderleins Position zu verschiedenen dogma68 Ernst Böhme, 350 Jahre Jenaischer Theologie. Eine geschichtliche Skizze, Jena [1898], 29. 69 Rudolf Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte, 2. Bd., Weimar 1947, 327. 70 K arl Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät zu Jena, Weimar 1954, 193–197. 71 Wolfgang Leber, Die Universität Jena in der Zeit der deutschen Klassik und des deutschen philosophischen Idealismus bis zum Zusammenbruch des Reichs (1768 bis 1806) (in: Geschichte der Universität Jena 1548/58 bis 1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum, 1. Bd.: Darstellung, hg. v. Max Steinmetz u. a., Jena 1958, 217–318), hier 262. 72 Gerhard Müller, Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800. Ästhetische Forschungen 6), Heidelberg 2006, v. a. 106– 108.122–130.214–220. 73 Steffen Kublik, Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800 (Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag. Reihe: Geschichtswissenschaft 6), Marburg 2009, v. a. 90–96. 74 Christian Gottfried Heinrich, Versuch einer Geschichte der verschiedenen Lehrarten der christlichen Glaubenswahrheiten und der merkwürdigsten Systemen und Compendien derselben, von Christo an bis auf unsre Zeiten, Leipzig 1790, 492–498. 75 Wilhelm Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik in ihrem Zusammenhange
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tischen Fragestellungen vor und bewertete ihn als „Vertreter der Mittelstufe“76. Überdies widmen sich Jan Rohls’77 und Hubert Filsers78 Arbeiten zur Geschichte der Dogmatik kurz Döderleins Theologie. Döderleins Erkenntnisse als Exeget des Alten Testaments werden wiederum in der alttestamentlichen Wissenschaft gewürdigt. Exemplarisch seien hier die Betrachtung von Martin Mulzer über Döderlein sowie die Erläuterungen von Jean M. Vincent genannt.79 Der Überblick zum Forschungsstand lässt erkennen, dass bis auf die Darstellung von Klaus Leder bisher nur allgemeine und meistens kurze Abhandlungen existieren oder dass Studien vorliegen, die Döderlein allein unter einem bestimmten Gesichtspunkt behandeln, wie sein Wirken als Dogmatiker und als Exeget oder den Prozess seiner Berufung nach Jena. 3. Methode und Aufbau der Arbeit Das Wirken Johann Christoph Döderleins in Theologie und Universität wird in dieser Studie in einer Abfolge von fünf Kapiteln untersucht. Dabei kommen verschiedene Aspekte zur Geltung. Döderlein wird sowohl unter einer biographischen, als auch universitäts- und theologiegeschichtlichen Perspektive betrachtet. Aus den unterschiedlichen Perspektiven resultieren verschiedene Schwerpunkte hinsichtlich der Quellenauswahl. Stehen biographische Fragen im Vordergrund, werden hauptsächlich Briefe berücksichtigt, die sowohl von Döderlein selbst als auch von seinen Zeitgenossen verfasst wurden. Bei universitätsgeschichtlichen Themen werden vor allem die oben erwähnten Personalund Fakultätsakten herangezogen. Sowohl die Briefe als auch die Akten werden quellenkritisch in den Kontext der Zeit eingeordnet und auf dieser Grundlage interpretiert. Um Aussagen über Döderleins theologiegeschichtliche Einordnung und Bedeutung treffen zu können, werden seine gedruckten Schriften nach quellenanalytischen Kriterien untersucht. In diesem Zusammenhang werden der Aufbau der Schriften sowie die Argumentation analysiert. Außerdem sind textpragmatische Fragen für die Untersuchung leitend. mit der Theologie überhaupt. 4. Bd.: Die Aufklärung und der Rationalismus. Die Dogmatik der philosophischen Schulen. Schleiermacher und seine Zeit, Berlin 1867, 120–127. 76 Gaẞ, aaO., 127. 77 Jan Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit. 1. Bd.: Die Voraussetzungen und das 19. Jahrhundert, Tübingen 1997, 217. 78 Hubert Filser, Dogma, Dogmen, Dogmatik. Eine Untersuchung zur Begründung und zur Entstehungsgeschichte einer theologischen Disziplin von der Reformation bis zur Spätaufklärung (SSThE 28), Münster u. a. 2001, 492. 79 Martin Mulzer, Döderlein und Deuterojesaja (BN 66, 1993, 15–22); Martin Mulzer, Art. Döderlein, Johann Christoph (WiBiLex, 2009 – letzter Zugriff 20. Jan. 2017); Jean M. Vincent, Studien zur literarischen Eigenart und zur geistigen Heimat von Jesaja, Kap. 40–55 (BET 5), Frankfurt a. M./Bern/Las Vegas 1977, v. a. 16–21.
3. Methode und Aufbau der Arbeit
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Die Grundstruktur und Abfolge der ersten drei Kapitel folgt weitgehend der Chronologie. In Kapitel A wird Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe skizziert, genauer seine erste Schaffensphase in Altdorf. Obgleich Döderleins Wirken in Jena im Fokus dieser Studie steht, ist dieses Kapitel notwendig, um nachvollziehen zu können, auf welche Grundlagen der Theologe in Jena aufbaute und wodurch er sich eine so große Popularität erwarb, dass man ihn unbedingt nach Jena berufen wollte. Diesem Berufungsprozess wird in Kapitel B nachgegangen. Hier wird analysiert, wie sich die Theologische Fakultät in Jena durch personelle Veränderungen zu einer aufgeklärten Fakultät wandelte. Im Fokus steht die Berufung von Ernst Jakob Danovius, dem ersten Aufklärungstheologen Jenas. Döderleins Berufung wird in diesen Kontext eingeordnet. Das aus der Berufung resultierende Wirken Döderleins in Jena findet in Kapitel C Erwähnung. Dabei werden zum einen biographische Aspekte berücksichtigt, wie Döderleins persönliche Situation in Jena, und zum anderen universitätsgeschichtlich relevante Faktoren, wie das Beziehungsgefüge der Professoren untereinander und Döderleins Tätigkeit als Hochschullehrer. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, auf welche Weise neologisches Gedankengut an der Theologischen Fakultät in Jena konkret entwickelt und transportiert wurde. Anschließend werden in Kapitel D Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase untersucht. Viele dieser Abhandlungen verfasste er in seiner Jenaer Zeit. Es werden der Aufbau und der Inhalt dieser Schriften vorgestellt sowie eine Kontextualisierung in den Diskurs der Zeit vorgenommen. Auf Grundlage der Erkenntnisse der vorangestellten Kapitel wird in Kapitel E ein systematischer Ansatz verfolgt, indem die Grundlinien von Döderleins theologischem Denken skizziert werden. Es wird analysiert, wie sich Döderlein zu theologiegeschichtlich relevanten Fragestellungen positionierte, womit ein Beitrag zur Erforschung der Neologie insgesamt geleistet werden soll. Abschließend werden die Ergebnisse dieser Studie in einer Schlussbetrachtung gebündelt sowie Döderleins Lebenslauf als auch ein Verzeichnis seiner Werke geboten.
A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe. Seine erste Schaffensphase in den 1770er Jahren Als der 26-jährige Johann Christoph Döderlein im November 1772 die dritte ordentliche Theologische Professur an der Universität Altdorf erhielt, der Hochschule der Reichsstadt Nürnberg,1 weitete sich sein Bekanntheitsgrad aufgrund mehrerer wegweisender Publikationen innerhalb weniger Jahre vom fränkischen auf einen deutschlandweiten Raum aus. Es waren sowohl Döderleins exegetische Schriften, zum Beispiel der Jesajakommentar, als auch sein Beitrag im sogenannten Fragmentenstreit, mit denen er die Gelehrten auf sich aufmerksam machte. Was aber waren das Neue und Innovative in diesen Schriften, das die Zeitgenossen achtgeben ließ? Inwiefern zeigte sich Döderlein hier außerdem als Aufklärungstheologe? Im Folgenden sollen von den exegetischen Schriften nicht nur der Jesajakommentar vorgestellt werden, sondern auch Döderleins Mitwirken an der Neuauflage von Hugo Grotius’ Schrift „Annotata ad Vetus Testamentum“ sowie seine deutsche Übersetzung der Sprüche Salomons (II) sollen in den Blick genommen werden. Anschließend wird auf Grundlage von Döderleins Abhandlung „Fragmente und Antifragmente“ seine Position im sogenannten Fragmentenstreit skizziert (III). Hier wird gefragt, wie Döderlein die Fragmente grundsätzlich bewertete und welche inhaltlichen Argumente er ihnen entgegen zu setzten hatte. Neben dem Aufbau des zweibändigen Werkes wird deshalb auch eine Inhaltsbeschreibung der „Antifragmente“ gegeben. Wie wurde Döderleins Schrift überdies rezipiert? In diesem Zusammenhang werden nicht nur zahlreiche Rezensionen analysiert, sondern auch die Kontroverse rekonstruiert, die Döderlein mit dem streitbaren Theologen Johan Melchior Goeze austrug. Den Unterkapiteln II und III ist eine Betrachtung über Döderleins Wirken in Altdorf vorangestellt (I). Was waren seine ersten theologischen Schriften, wie ge1 Einführend zur Universität Altdorf sei neben Leder, Universität Altdorf, 7–14 verwiesen auf: Horst Claus Recktenwald, Aufstieg und Niedergang der Universität Altdorf (in: Gelehrte der Universität Altdorf, hg. v. Dems., Nürnberg 1966, 11–49); Georg Andreas Will, Geschichte und Beschreibung der Nürnbergischen Universität Altdorf, Altdorf 1795. Als weiterführende Literatur seien Hanns Christof Brennecke/Dirk Niefanger/Werner Wilhelm Schnabel (Hg.), Akademie und Universität Altdorf. Studien zur Hochschulgeschichte Nürnbergs (BAKG 69), Köln/Weimar/Wien 2011 und Hanspeter Marti/K arin Marti-Weissenbach (Hg.), Nürnbergs Hochschule in Altdorf. Beiträge zur frühneuzeitlichen Wissenschafts- und Bildungsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2014 genannt.
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A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe
staltete sich sein Weg zum Professor der Theologie in Altdorf und was zeichnete die ersten Jahre seines Wirkens als Hochschullehrer aus?
I. Döderlein in Altdorf 1. Der Weg zum Professor der Theologie „Wir sehen uns heute, meine Geliebtesten, gewiß mit vieler Wehmuth an, und ich sehe voraus, daß diese Stunde mir und euch viele Rührung verursachen und meiner und eurer Liebe manche Thränen kosten wird. […] Ich werde nicht mehr euer Lehrer, nicht mehr ein Bote des Evangelii unter euch seyn […]. Bey dieser Trennung verläst mich aller Muth, alle Standhafftigkeit und selbst die Freudigkeit, welche ich bey dieser Veränderung aus der Ueberzeugung erhalte, daß ich dieselbe nie gesucht, nie zu wünschen Ursache fand, und daß es Gottes Wille sey, der mich nicht länger für euch bestimmen will. Ich werde mich meiner Thränen und meiner Wehmuth nicht zu schämen haben […]. Denn ich weiß es, daß ihr mir eine auszeichnende Liebe geschenkt, die ich nie erwarten konnte; daß die meisten unter euch, einige Wenige ausgenommen, denen meine Freymüthigkeit in Erforschung der Wahrheit oder Bestrafung der Laster anstößig war, mich ungern verlieren […].2 […] Gott sey mit euch allen! […] Er mache diese geliebte Universität, die mich einst bildete, und welcher ich so willig meine Kräfften [sic] aufopferte, zu einem steten Wohnplaz der Weißheit und der Tugend, und erhalte sie in ihrem Ruhm und in seinem bleibendem Schuz.“3
2 Johann Christoph Doederlein, Zwey Predigten bey seinem Abzug von Altdorf zu Altdorf und Nürnberg gehalten, Nürnberg 1782, 3 f. – Von Döderlein existieren neben diesen zwei Kanzelreden noch weitere Predigten, die er auf Grundlage einer veränderten Lebenssituation hielt. Siehe Johann Christoph Döderlein, Christliche Gesinnungen eines Lehrers zur Erweckung seiner Zuhörer bey Gelegenheit der Amts-Veränderung in einer AbschiedsPredigt zu Windsheim und einer Anzugs-Predigt zu Altdorf, Altdorf 1773. 3 Doederlein, Zwey Predigten, 19. – Ähnliche Worte fand Döderlein auch am 18. September 1782 in seiner letzten Vorlesung über die christliche Moral in Altdorf: „Wenn uns Gott hiro trent, und auch der Danck für ieden Rath, den ich Ihnen gegeben habe, und für den treuen Unterricht, den ich Ihnen ertheilte, den aber die Vorsehung jetzt Grenzen sezt, und den ich in dieser traurigen Stunde beschließe. Ich kan mein Amt mit de[m] ruhigen Bewustseyn schließen, das ich treu und redlich der Warheit vorgetragen. Gott vor dem ich stehe, ist mein Zeuge, mit welcher Treue mit welcher […] Freimüthigkeit ich gelehrt habe. Und ich kan, und will es Gott überlassen ob ich unter die Lehrer gehöre, für die man wegen der irrigen Religionsbegriffe öfentl. Gebete in den Kirchen abgelesen habe; unter die, die die Religion, Kirche und Vaterland in Gefahr sezten? […] Haben Sie Danck für die Achtung die Sie für mich hatten, für jedes gute Zutrauen und für Ihren Beifall. […] Ich habe dieser Universität meine besten Jahre, die Anstrengung meines Geistes, die Kräfte meines Körpers, und ich kan es sagen, einen großen Theil meiner Gesundheit aufgeopfert. Lassen Sie mir dafür den Trost der meine Thränen abwischen wird, daß ich Ihnen werth war. Ihre Thränen bürgen mir dafür. Leben Sie wol Brüder! Leben Sie wol!!!“ [Anonym], Moralische Vorlesungen von Professor Dr. J. Ch. Doederlein, Anhang, [unpag.]. Es handelt sich hier um handschriftliche Notizen eines Zuhörers von Döderleins Moralischer Vorlesung. Die Notizen sind sehr sauber und gut lesbar nach Paragraphen geordnet. Das Dokument findet sich im LAELKB unter der Signatur Ms 282.
I. Döderlein in Altdorf
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Mit diesen Worten verabschiedete sich Johann Christoph Döderlein 1782 von seiner Gemeinde und der Universität Altdorf, wo er fast zehn Jahre als Prediger und Theologieprofessor wirkte. Altdorf war für Döderlein der Ort, an dem seine akademische Laufbahn begann sowie die ersten Publikationen entstanden, mit denen er sich im gelehrten Deutschland etablierte und wegweisende Impulse für die Wissenschaft gab. Hier beförderte er eine Neuausrichtung der Theologischen Fakultät hin zur Aufklärungstheologie, gleichwohl ihn diese „Freymüthigkeit in Erforschung der Wahrheit“, wie er selbst formulierte, nicht nur Freunde machte und er in Altdorf viele „Kräffte[] aufopferte“. Altdorf blieb für ihn dennoch Zeit seines Lebens der Ort, an den er mit Wehmut und Liebe zurückdachte.4 Seinen ersten Berührungspunkt mit der Universität Altdorf hatte Döderlein allerdings nicht als Theologieprofessor, sondern bereits als Student. Der am 20. Januar 1746 als ältester Sohn des Predigers Johann Georg Döderlein und seiner Frau Adriana Sibylla in Windsheim geborene Döderlein ging als 18-jähriger 1764 an die Universität Altdorf, nachdem er laut seiner Lebensbeschreibung im „Allgemeine[n] Magazin für Prediger“5 die früheste Bildung von seinem Vater6 und besonders von dem Rektor des Windsheimer Gymnasiums Georg Wilhelm Diez erhalten hatte.7 Neben der schulischen Ausbildung im Windsheimer Gymnasium erhielt Döderlein Privatunterricht bei Diez,8 der ihn in den Sprachen Latein, Griechisch, Hebräisch, Chaldäisch und Syrisch unterrichtete.9 Döderlein äußerte, dass ihn der Unterricht von Diez zur „Liebe für das Studium des 4 Siehe Döderleins aus der Jenaer Zeit stammende Brief an Will vom 7.10.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,18, [2]: „[U]nd glauben Sie nur, daß mir das Wohl Altdorfs so sehr am Herzen liegt, als ob ich noch da waere. Dort sind meine Freunde; dort habe ich gewust, was Freundschaft ist und thut; dort bin ich der geworden, der ich etwan bin: und wenn ich noch nach dreysig Jahren leben sollte, so würde mir das Andenken an diesen Ort so heilig, so neu und so rührend seyn, als jezt, da ich drey Jahre weggerissen bin; als jezt vor drey Jahren, da ich es verließ.“ – Siehe auch Kapitel C/I, 1. 5 [Johann Christoph Döderlein], [Lebensbeschreibung] (Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, 1. Bd., 4. Stück, 1789, 105–110). 6 „Ich hatte das Glük in meinem Vater, Johann Georg Döderlein, Prediger an der heiligen Geistkirche, einen Mann zu verehren, der selbst in Wissenschaften gebildet war, die Kunst zu unterrichten und zu erziehen, in sehr hohem Grad besaß, Liebe und Ernst glüklich zu vereinigen gelernt hatte“. [Döderlein], aaO., 105. Zu Döderleins Vater sei auch verwiesen auf Johann Christoph Döderlein, Dem Grab seines Vaters geweiht, Altdorf 1779. 7 „Zu dem Glük, solche Eltern gehabt zu haben, kam noch das eben so wichtige, zu einer Zeit gebohren zu seyn, wo mein Vaterländisches sehr gut eingerichtetes Gymnasium mit den besten Lehrern besezt war, und vornehmlich der damalige Rektor, G. Wilh. Diez, mit aller Art von Kenntnissen in Sprachen und Wissenschaften die Gabe der Deutlichkeit, der Herablassung zu den Fähigkeiten der Zöglinge, der Geisterprüfung, und die Kunst, stets das Nachdenken seiner Schüler zu erwekken und zu beschäftigen verband.“ [Döderlein], [Lebensbeschreibung], 105. 8 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 164. 9 Vgl. [Döderlein], [Lebensbeschreibung], 105.
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a[lten] T[estaments]“10 geführt habe. Mit dieser „Liebe“ und profunden Kenntnissen ausgestattet, ging Döderlein dann „sehr glüklich vorbereitet“11 zum Studium nach Altdorf. In Altdorf besuchte er bei Johann Andreas Michael Nagel Veranstaltungen über die morgenländischen Sprachen, hörte Philosophie bei Georg Andreas Will und Theologie bei Johann Bartholomäus Riederer und Johann Augustin Dietelmaier.12 Die Professoren erkannten in Döderlein schon bald einen äußerst begabten Studenten.13 Der Theologe Riederer ermunterte Döderlein daher, sein ursprüngliches Ziel, die Gymnasialtätigkeit, zugunsten einer akademischen Laufbahn aufzugeben.14 Döderlein arbeitete in den folgenden Jahren auf dieses neue Ziel hin, obgleich er zunächst andere Ämter bekleidete. Nach dem Abschluss an der Universität Altdorf war er zunächst als Hauslehrer bei der Familie Scheurl in Engelthal tätig. Von dort wurde er am 17. Mai 1768 als Diakon an die Hauptkirche in Windsheim wegberufen.15 Nun begann, wie Döderlein es schilderte, die Phase eines intensiven selbstständigen Studierens. Da Döderlein sein Amt zeitlich wenig beanspruchte, nutzte er die freie Zeit, um die Schriften der Kirchenväter und anderer Theologen zu lesen und zu exzerpieren.16 Diese Arbeit sollte ihm in seinem späteren Amt als Theologieprofessor äußerst hilfreich sein.17 Allerdings beließ es Döderlein nicht beim bloßen Lesen und Exzerpieren. Er wurde darüber hinaus als theologischer Schriftsteller tätig. 1770 veröffentlichte er die Schrift „Curarum exegeticarum et criticarum in quaedam veteris Testamenti oracula Specimen“18. In dieser 140-seitigen Schrift, die mit einem Vorwort von seinem Lehrer Riederer eingeleitet wurde, gab Döderlein Hinweise zu 10 [Döderlein], aaO., 106. 11 Ebd. 12 Vgl. ebd. Zu Riederer: Heinrich Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt, 3. Bd., Neustadt an der Orla 1833, 592–599; Leder, Universität Altdorf, 81–90. Zu Dietelmaier: Heinrich Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt, 1. Bd., Neustadt an der Orla 1831, 325–327; Leder, Universität Altdorf, 94–141. 13 Vgl. Leder, aaO., 164 f. 14 „[Riederer erweckte] zuerst den Gedanken an ein akademisches Lehramt in mir […], da das höchste Ziel meiner Bestimmung und meines Strebens zuvor das Rektorat in meinem Vaterlande war.“ [Döderlein], [Lebensbeschreibung], 106. 15 Vgl. ebd. 16 „Dieses Amt ließ mir Zeit genug übrig zu studieren: und mit dieser Periode fängt sich eigentlich meine jezzige Bildung an: da ich unabhängig von Lehrern, entblößt von vielen Hülfsmitteln, abgezogen von Zerstreuung in Gesellschaft, selbst nachdenken lernte, und oft nur zum Zeitvertreib alte Kirchenväter und Theologen las, und excerpirte“. Ebd. 17 Vgl. ebd. 18 Io[hannes] Christoph[orus] Doederlein, Curarum exegeticarum et criticarum in quaedam veteris Testamenti oracula Specimen. Cum praefatione D. Joh. Barth. Riedereri, Altdorf/Nürnberg 1770.
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einem richtigen Textverständnis von einigen schwierigen Textstellen des Alten Testaments wie etwa zu Psalm 22,17 sowie zu Psalm 90. Er erklärte ferner verschiedene Verse aus dem Hohen Lied, verglich den hebräischen Text mit der alexandrinischen Übersetzung des Habakukbuches und bot eine verbesserte Übersetzung einzelner Textstellen für das Habakuk- und Nahumbuch an.19 Hatte Riederer Döderlein bei dieser Schrift unterstützt, so musste Döderlein bald den Tod seines Lehrers beklagen. Riederer starb im Februar 1771. Bei allem Verlust sah Döderlein in der nun vakanten theologischen Stelle auch die Chance, seinem Wunsch nach einem akademischen Lehramt näher zu kommen. Um überhaupt in die engere Auswahl der Kandidaten aufgenommen zu werden, bat er seinen ehemaligen Lehrer und späteren Freund Georg Andreas Will um die Unterstützung seines Anliegens bei den Nürnberger Kuratoren.20 Die Nürnberger Kuratoren, vier Personen, die dem Rat der Reichsstadt Nürnberg angehörten, bildeten die oberste Instanz der Universität und bestimmten mit ihrer Berufungspolitik über die Zusammensetzung des Lehrkörpers.21 Wie ein Brief von Döderlein an Will belegt, setzte sich dieser für Döderlein ein.22 Doch der Senior der Theologischen Fakultät, Johann Augustin Dietelmaier, äußerte sich gegenüber den Nürnberger Kuratoren energisch gegen eine mögliche Berufung Döderleins. Er begründete seine Ablehnung unter anderem damit, dass Döderleins Betragen als Student in Altdorf nicht immer vorteilhaft gewesen sei, und verwies auf hinterlassene Schulden, die zwar möglicherweise inzwischen bezahlt seien, aber dennoch ein ungünstiges Licht auf Döderlein werfen würden.23 Dietelmaiers Einspruch bewirkte, dass Döderlein bei dieser Vakanz nicht in die engere Wahl genommen wurde.24 Die Nürnberger Kuratoren beriefen stattdessen Johann Andreas Sixt nach Altdorf.25 Bereits ein Jahr später wurde 1772 durch den Tod des Theologen Johann Georg Hofmann26 erneut eine Stelle frei. Döderlein sah darin eine weitere Gelegenheit auf ein akademisches Amt in Altdorf und wandte sich wieder an Will mit 19 Siehe AdB, 15. Bd., 1. Stück, 1771, 166 f. – In dieser Rezension über Döderleins Schrift unterlief den Herausgebern bei der Nennung des Verfassers ein Druckfehler. Statt „Döderlein“ steht „Döderlin“. 20 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 165. 21 Vgl. Leder, aaO., 11. Über die Aufgaben der Kuratoren siehe Will, Universität Altdorf, 26 f. 22 Siehe der Brief Döderleins an Will, 2.4.1771, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 6,2. 23 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 166. Leder bezieht sich auf einen Brief Dietelmaiers vom 19.3.1771 in AUA 114,8. 24 Vgl. Leder, aaO., 166. 25 Zu Sixt siehe Leder, aaO., 145–157 (zur Berufung 145–147); Heinrich Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt, 4. Bd., Nebst einem allgemeinen Register über den ersten bis vierten Band der gelehrten Theologen, mit Einschluß des Werks: Die deutschen Kanzelredner, Neustadt an der Orla 1835, 240–243. 26 Zu Hofmann siehe Leder, aaO., 142–145.
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der Bitte um Unterstützung.27 Um seinen Bewerberstatus aufzubessern, bemühte er sich zudem um eine höhere akademische Qualifikation. Unter dem Titel „Quis sit ὁ Συρος Vet. Test. interpres graecus“28 erbat er bei der philosophischen Fakultät in Altdorf die Magisterwürde, welche er 1772 erhielt.29 Er setzte sich in dieser Schrift mit der Frage auseinander, was sich hinter dem Fragment einer griechischen Übersetzung der Bibel verbirgt, die den Namen „Syrer“ trägt. Was Johann Salomo Semler bereits vermutet hatte, wurde durch Döderleins Untersuchung belegt: Bei diesem Text handelt es sich um die griechische Übersetzung der lateinischen Bibelübersetzung von Hieronymus, die auf den Patriarchen von Byzanz, Sophronius, zurückgeht.30 Für diese Arbeit erhielt Döderlein anerkennende Worte von dem Leipziger Aufklärungstheologen Johann August Ernesti, der diese Abhandlung mit dem Prädikat „lesenwerth[…]“31 auszeichnete. Ungeachtet der Anstrengungen Döderleins32 und der Fürsprache der Gelehrten Will und Nagel33 bei den Kuratoren lässt ein Brief Döderleins an Will erkennen, dass Döderlein selbst alle Hoffnung aufgegeben hatte, die vakante Professur zu erhalten. Er schrieb darin, dass er „ganz zuverlaesig zu wissen glaube“, dass er „von der Vakanz nicht profitiren werde“34 und sich alle „Hoffnung“, seinen „ehemaligen Wunsch zu erreichen“, „ganz verloren“ habe.35 Dietelmaier war nach wie vor gegen die Berufung Döderleins. Er warf Döderlein erneut ein tadeliges Leben in der Studentenzeit vor, indem er behauptete, Döderlein habe damals zu ausschweifende Gesellschaften gehabt.36 Döderlein bestritt diesen Vorwurf gegenüber Will.37 Trotz dieser Vorbehalte Dietelmaiers wählten die Kuratoren 27 Siehe Döderleins Brief an Will, 19.6.1772, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 6,3. 28 Iohannes Christophorus Doederlein, Quis sit ὁ Συρος Vet. Test. interpres graecus, Diss. inaug. philos., Altdorf [1772]. 29 Vgl. Acta Historico-Ecclesiastica Nostri Temporis, 21. Theil, 1777, 642. 30 Vgl. Johann Gottfried Eichhorn, Einleitung in das Alte Testament, 1. Bd., Göttingen 41823, 554; Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 103. 31 Johann August Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 3. Bd., 5. Stück, 1773, 477. 32 Döderlein hatte sogar schon Vorlesungen erarbeitet, wie er Will in einem Brief vom 6.10.1772 gegenüber äußerte: „Die Vorbereitung zum Lehramt, wozu mich Euer Wohlgebohrn Magnificenz ermuntern, ist schon seit geraumer Zeit das Geschäft gewesen, dem ich die Stunden, die mir mein jeziges Amt übrig ließ, geweihet habe. Wollte ich nun erst anfangen, so würde es zu stark seyn. Ich will es Euer Magnificenz im Vertrauen schreiben, auf welche Vorlesungen (denn diese sind doch die Arbeiten, die am meisten Vorbereitung erlauben) ich seither mit besonderm Ernst gearbeitet. […]“. NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 6,8, [2 f.]. 33 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 166. 34 Brief Döderleins an Will, 28.7.1772, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 6,6, [1]. 35 Brief Döderleins an Will, aaO., [3]. 36 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 166. 37 „Es ist wahr, ich habe mich nie entschliesen können, allen Gesellschaften abzusagen – dieß kan ein Jüngling nicht, der Wissenschaft und Lebensart zu verbinden sucht – aber Gott ist mein Zeuge, daß ich mir bey allen meinen Bekanntschaften nie Ausschweifungen gestattet, deren ich mich vor jemanden schaemen dürfte, wenn ich den einzigen Umstand meiner unüberlegten Abreise ausnehme, den doch derjenige, der ihn jezt mißbilligt, selbst gewust und unterstüzt hat, und welcher nach ebendesselben Urtheil am ersten kan entschuldigt werden,
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dieses Mal Döderlein auf die vakante Stelle. Ende des Jahres 1772 erhielt Döderlein von den drei Stellen in der Theologischen Fakultät die dritte, mit der das Diakonat in Altdorf verbunden war.38 Als Reaktion auf die neue Lebenssituation notierte Döderlein bewegt: „So wunderbar führt mich die Vorsehung, daß nachdem ich oefter als einmal auf alle Hoffnungen Verzicht gethan, meine Wünsche in der Stille ihrem Ziel naeher kamen und die Thür zu einer neuen wichtigen Bahn meines Lebens sich unvermuthet aufschloß. Mit Zittern betrette ich sie“.39
Döderlein hatte sein Ziel erreicht. Allerdings war das Verhältnis zwischen Dietelmaier und Döderlein von vornherein belastet.40 Zu Dietelmaiers Kritik an der Lebensführung Döderleins in der Studentenzeit kamen zunehmend auch theologische Differenzen zwischen beiden Theologen. 2. Die Auseinandersetzungen über das Profil der Theologischen Fakultät Altdorf Einen ersten Anhaltspunkt für diese Differenzen zwischen Döderlein und Dietelmaier bietet Döderleins Publikation aus dem Jahr 1773. Die Schrift über den Gebrauch der Griechischen Klassiker zur Erklärung des Alten Testaments „Progr. qua graecae litterae ut subsidium egregium interpretationis V. T grammaticae commendantur“41 veröffentlichte Döderlein im Zusammenhang mit einer Rede und von denen, die wissen, daß dem davon befürchteten Übel jezt grosentheils abgeholfen ist, auch, wie ich zuverlaesig weiß, entschuldigt wird. Doch wenn ich rühmen wollte, so wollte ich mich nicht so wohl meiner Jugend-Jahre als meiner jezigen Lebens-Art rühmen, und der Zeugnisse, die ich hier in meinem Vaterland vor mir habe. Aber ich will mich meiner Schwachheit rühmen, und Gott bitten, daß er mich nicht zu einem Amt berufen wolle, wenn ich dasselbe mit Schaam, und Widerspruch des Gewissens und ohne Nuzen führen müste. Ich glaube zwar, daß ich bey Euer Wohlgebohrn Magnificenz dieser Apologie nicht noethig hab: aber ich wollte auch dieß nicht zu meiner Vertheidigung schreiben, sondern nur Euer Wohlgebohrn zu erkennen geben, daß ich diese Umstaende reiflich und gewissenhaft überdacht habe.“ Brief vom 21.7.1772, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 6,5, [2–4]. – Leder argumentiert, dass es sich bei den Behauptungen Dietelmaiers nur um Scheinargumente handle. In Wahrheit habe Dietelmaier längst anhand der Publikationen Döderleins erkannt, dass dieser aufgeklärt dachte und habe deshalb seine Berufung verhindern wollen. Vgl. Leder, aaO., 166. Die Quellen zeigen allerdings, dass es nicht um theologische Dissonanzen, sondern wirklich um Dietelmaiers Kritik an Döderleins Lebensführung ging. Dass Dietelmaier sittliches Verhalten wichtig war, lässt sich zudem bei der Berufung von Johann Andreas Sixt zeigen. Dietelmaier war gegen die Vokation des theologisch doch ähnlich denkenden Sixts, weil er ihm falsches Verhalten vorwarf. Vgl. dazu Leder, aaO., 146, Anm. 15. 38 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 103 und [Döderlein], [Lebensbeschreibung], 107. – In Altdorf war jede theologische Professur mit einem Pfarramt verbunden. Vgl. Leder, aaO., 19. 39 Brief Döderleins an Will, 2.11.1772, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 6,9, [1]. 40 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 167. 41 Der Titel ist nach den Angaben des „Nürnbergische[n] Gelehrten-Lexicon[s]“ zitiert, da die Schrift im Original nicht vorlag. Vgl. Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 238.
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„de Prophetis oratoribus“, mit der er sein akademisches Lehramt in Altdorf 1773 antrat.42 In dieser Schrift unterschied er zwischen der dogmatischen und grammatischen Exegese43 und veranschaulichte anhand mehrerer Beispiele, dass die Kenntnis der griechischen Literatur für die grammatische Auslegung des Alten Testaments äußerst wertvoll sei, vor allem bei der Bestimmung der Bedeutung von Worten und Redensarten.44 Erneut war Ernesti von Döderleins Ausführungen begeistert und empfahl „diese gelehrte und nützliche Abhandlung allen jungen Gelehrten und Studierenden, welche die hebräische Sprache recht verstehen und gute Ausleger des A. T. werden wollen“45. Zugleich wünschte sich Ernesti viele exegetische Schriften von Döderlein und war zuversichtlich, dass er „gute Ausleger des A. T. [heran-]ziehen werde“46. Neben Ernestis positiver Reaktion, die für Döderlein ein ungeheurer Prestigegewinn war,47 wurde auch in den „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten“ formuliert, dass „sich Altdorf noch viel [von Döderlein] versprechen“ dürfe.48 Mit dieser Schrift hatte Döderlein in Altdorf einen entscheidenden neuen Akzent gesetzt: War von den Altdorfer Theologen bislang nicht zwischen dogmatischer und grammatischer Exegese unterschieden worden,49 so änderte sich diese Situation mit Döderlein. Die maßgeblich von dem Leipziger Theologen Johann August Ernesti50 entwickelte und die Neologie kennzeichnende51 grammatisch-historische Exegese fand nun in Altdorf Berücksichtigung.52 Auch Döderleins Disputation „De redemtione a potestate diaboli insigni Christi beneficio“53, mit der er die theologische Doktorwürde erwarb, zeugt davon, dass er die biblischen Texte einer grammatisch-historischen Exegese unterwarf. Diese Disputation umfasste zwei Teile. Im ersten Teil, den Döderlein am 23. März 1774 vortrug,54 unterbreitete er Argumente, die für eine Existenz des Teufels sprechen, und untersuchte die Begriffe vom Reich und der Gewalt 42 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 167 und Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 237. 43 Vgl. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 19. Stück, 1773, 183. 44 Vgl. Jenaische Zeitungen von Gelehrten Sachen, 55. Stück, 1773, 444 f. 45 Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 3. Bd., 8. Stück, 1775, 765 f. 46 Ernesti, aaO., 766. 47 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 167. 48 Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 19. Stück, 1773, 184. 49 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 169. 50 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 138. 51 Vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit, 203 f. 52 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 167. 53 Iohannes Christophorus Doederlein, Dissertatio theologico-historica. De redemtione a potestate diaboli insigni Christi beneficio, partem primam, Altdorf [1774]. 54 Döderlein wurde auf Grundlage dieser Disputation 1775 bei einem Festakt zum Doktor der Theologie ernannt. Neben der Disputation gehörte zu dem Promotionsverfahren auch eine Probepredigt, die in der Stadtkirche in Altdorf gehalten werden musste. Diese wurde unter dem Titel „Christliche Gesinnungen eines Lehrers in Ansehung seiner Ehre in einer Predigt über das gewöhnliche Evangelium. Am Sonntag Judica in der Stadtkirche zu Altdorf einer zahlreichen Versammlung vorgetragen“ 1774 veröffentlicht. Vgl. die Schilderung in den Acta His-
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des Teufels.55 Im zweiten Teil, den er am 26. Juli 1775 mit seinem Respondenten Ernst Friedrich Andreas Cnopf verteidigte,56 legte er die Befreiung des Menschen aus der Gewalt des Teufels durch Jesus Christus dar.57 Wieder wurden diese Schriften unter anderem von Ernesti positiv rezensiert.58 Obgleich Döderlein in dieser Disputation die Meinung einiger zeitgenössischer Theologen, der Teufel existiere gar nicht, ablehnte und bei der Teufelsfrage eine Position der Mitte einnahm,59 erhielt er viel Widerspruch besonders von lutherisch-orthodoxen Theologen.60 Grund dafür war sein historisch-kritischer Umgang mit den Schriftstellen, wie etwa mit Eph 2,2, der ihn zudem zu einer anderen Interpretorico-Ecclesiastica Nostri Temporis, 21. Theil, 1777, 642 f. – Zum Promotionsverfahren an der Theologischen Fakultät in Altdorf Leder, Universität Altdorf, 45–55. 55 Vgl. die ausführliche Inhaltsangabe bei Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 3. Bd., 7. Stück, 1774, 668–672. 56 Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Dissertatio theologica. De redemtione a potestate diaboli ut insigni Christi beneficio, partem alteram, defendendam sumit Ernestus Fridericus Andreas Cnopf, Altdorf [1775]. – Cnopf war ein Schüler Döderleins, der nach dem Studium in Altdorf zu den aufgeklärten Geistlichen Nürnbergs zählte, bis er 1784 evangelischer Prediger in Wien wurde. Vgl. Georg Seiderer, Aufgeklärter Bürger in einer Zeit des Umbruchs – Paul Wolfgang Merkel [1756–1820] (in: Paul Wolfgang Merkel 1756–1820. Kaufmann. Reformer. Patriot. Ausstellungskatalog des Stadtarchivs Nürnberg, Nürnberg 2006, 12– 37), hier 16. Zu Cnopf siehe auch Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 170 f. 57 Eine ausführliche Inhaltsangabe bietet Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 4. Bd., 1. Stück, 1776, 78–80. – Beide Teile wurden erneut abgedruckt in Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Opuscula Theologica, Jena 1789, 93–160. In den „Opuscula Theologica“ nahm Döderlein zahlreiche Veränderungen vor und äußerte sich präziser als 1774. Er erklärte, dass der Satan der Inbegriff und Zustand der Lasterhaften und Gottlosen sei und im Gegensatz zum Reich Gottes und Christi stünde. Die Herrschaft des Satans sei uneigentlich zu verstehen, also bloß moralisch, nicht physisch. Die Lasterhaften seien dem Teufel in ihren Gesinnungen ähnlich und würden damit seine Absichten erfüllen. Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 59. Stück, 1789, 466 f. 58 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 106. Ernesti schrieb: „Wie wir diese Abhandlung mit vielem Vergnügen gelesen haben, welche so schöne Probe von des H. D[öderleins] Geschicklichkeit, die biblischen Begriffe aufzusuchen und zu erklären und auch voll von anderer theologischen Gelehrsamkeit ist; so empfehlen wir sie auch andern zu lesen, ob wir gleich sehen, daß sie denen, welche sehr an den gemeinen Postillenton gewöhnt sind, nicht ganz recht seyn wird; denn sie dürften glauben, der Satan käme dabey zu kurz.“ Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 3. Bd., 7. Stück, 1774, 672. 59 „[…] der H. D[öderlein] [bestreitet] verschiedene wunderliche Einfälle der Alten und Neuen […], aus welchen grobe Irrthümer entstanden sind“. Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 4. Bd., 1. Stück, 1776, 80. Zu den Teufelsvorstellungen in der Aufklärungszeit sei verwiesen auf Aner, Theologie der Lessingzeit, 234–252 und Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 93–96. 60 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 169. Siehe auch der Hinweis bei Ernesti, aaO., 79: „Unsere Vermutung, daß die Erklärung des Hrn. D[öderlein] von der Gewalt des Satans, vielen nicht anstehen werde, ist eingetroffen, und man hat ihm vorgeworfen, theils, daß er dem Satan zu viel, theils, daß er ihm zu wenig eingeräumt habe.“ – Wenn in der vorliegenden Studie von „lutherischer Orthodoxie“, „orthodox“ oder „Tradition“ gesprochen wird, dann ist damit entweder die Eigenart der Theologie des sich zwischen Mitte des 16. Jahrhunderts und Ende des 17. Jahrhunderts erstreckenden Konfessionellen Zeitalters gemeint oder die Theologie der sogenannten „Spätorthodoxie“ (1675–1780), die sich gegen Pietismus und Aufklärung richtete.
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tation führte, als es die orthodoxe Lehrmeinung vorgab. So erklärte Döderlein beispielsweise, dass das Reich des Teufels allein geistlicher Natur sei und sich nicht auf „körperliche Dinge, menschliche Schicksale [und] Witterungen“ erstrecke.61 Ferner erklärte Döderlein bestimmte Lehrmeinungen, wie etwa die, dass sich die Luft voller böser Geister befinde oder dass Menschen auch gegen ihren Willen vom Teufel regiert werden können,62 als Produkt einer geschichtlichen Entwicklung, was von seinen traditionell-lutherisch geprägten Kritikern ebenso missbilligt wurde.63 Richtungsweisend sollte allerdings die Veröffentlichung von Döderleins „Esaias“ sein.64 Döderlein bot hier eine Übersetzung des Jesajabuches und präsentierte einige neue aus seiner historisch-kritischen Textarbeit gewonnenen Erkenntnisse. Von orthodoxer Seite her wurde er auch für dieses Werk heftig kritisiert. Für andere Gelehrte, wie Will, bedeutete Döderleins „Esaias“ jedoch die Tür zur Aufklärung in Altdorf.65 Will äußerte 1788 rückblickend: „Mit ihm und seinem Jesaias wuchs und erstarkte [in Altdorf ] die Denkfreiheit“.66 Der Einschätzung Wills entgegen waren diese Schriften, in denen Döderlein die neuesten exegetischen Erkenntnisse aufgriff und weiterentwickelte, für Dietelmaier und Sixt, Döderleins Kollegen an der Theologischen Fakultät in Altdorf, ein Ärgernis. Der ehemalige Lehrer Döderleins und Senior der Theologischen Fakultät Dietelmaier erwies sich als ein Gegner der historisch-kritischen Exegese. Zu dem Schülerkreis von Siegmund Jacob Baumgarten gehörend und vom Pietismus beeinflusst, prägte er Altdorf in seiner fast 40 Jahre währenden Lehrtätigkeit mit seiner lutherisch-konservativen Theologie. Bei den Studenten beliebt und mit einem großen Lehrtalent befähigt, formte er mehrere Theologengenerationen in Altdorf.67 Zwar machte er sich um einige Neuerungen verdient – er forderte beispielsweise erstmals die Dogmengeschichte als eine eigene theologische Disziplin und entwickelte erste Konzepte für einen modernen Seminarbetrieb an der Theologischen Fakultät – aber er blieb dennoch der Neologie gegenüber äußerst kritisch.68 An den lutherischen Bekenntnisschriften festhaltend und seine Studenten nach orthodoxen Kompendien prüfend, sah Dietelmaier es vielmehr als seine Aufgabe an, gegen die Neologen einen apologetischen Kampf zu führen. Er fürchtete aufgrund der Aufklärungstheologie Siehe Johannes Wallmann, Art. Orthodoxie II. Christentum 2. Historisch a) Lutherische Orthodoxie (RGG4 6, 2003, 696–702), hier 696.698.700. 61 Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 23. Stück, 1774, 215. 62 Vgl. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, aaO., 215 f. 63 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 169 f. 64 Siehe Kapitel A/II, 1. 65 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 184. 66 Zit. nach Leder, aaO., 183. 67 Vgl. Leder, aaO., 94 f. 100.104 und Will, Universität Altdorf, 78. 68 Vgl. Leder, aaO., 107 f. 141. Über Dietelmaiers Verdienste um die Dogmengeschichte siehe Leder, aaO., 132–138.
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um die Existenz der Kirche.69 Mit Dietelmaier und Döderlein trafen daher zwei theologische Fronten aufeinander, weshalb zwischen beiden „ein kalter theologischer Krieg“70 herrschte, der allerdings nie zu einer offenen Auseinandersetzung eskalierte.71 Von diesem problematischen Verhältnis der beiden Theologen wusste überdies der sich mit Dietelmaier solidarisierende Hamburger Theologe Johann Dietrich Winckler zu berichten: „Ich bedaure de[n] rechtschaffenen H. D. Dietelm[a]ier, der einen solchen Mann [wie Döderlein] zum Kollegen haben muß. Vielleicht will man denselben auch nur bald aus dem Lande der Lebendigen wegärgern.“72 Ebenso galt Sixt, der vorher Professor der Philosophie in Jena und ein Schüler von Johann Georg Walch gewesen war, als Gegner der historisch-kritischen Exegese.73 Was die theologische Ausrichtung betraf, stand Döderlein in der Theologischen Fakultät in Altdorf demzufolge alleine da.74 Genau dieser Zustand sollte ihn später zu einem Wechsel nach Jena bewegen. Der Döderlein nahestehende Theologe Georg Theodor Strobel schrieb in einem Brief: „Am meisten mag [Döderlein] zum Wechsel [nach Jena] bestimmen das Paar seiner Kollegen, Dietelmaier und Sixt, die nicht wie er denken“.75 Denn Döderlein fühlte sich zwar, wie das Eingangszitat zeigt, Altdorf sehr verbunden, pflegte freundschaftliche Beziehungen zu vielen seiner Kollegen aus den anderen Fakultäten, wie beispielsweise zu Will, und lehnte deshalb Anfragen anderer Universitäten ab, wie von Greifswald, Königsberg, Gießen und zunächst auch Jena,76 aber den Zustand der unterschwelligen Anfeindungen an der Theologischen Fakultät hielt er auf Dauer nicht aus. Die Konflikte an der Theologischen Fakultät erwiesen sich für Döderlein auch insofern als problematisch, als dass sie auf die von Dietelmaier geprägte 69 Vgl. Leder, aaO., 112.123.141. Dietelmaier verfasste drei, in hoher Auflage gedruckte Sendschreiben, in denen er, aufgrund des seiner Meinung nach aktuell schlimmen Zustandes der Kirche, vor dramatischen Folgen in der Zukunft warnte. Vgl. Leder, aaO., 113. 70 Leder, aaO., 95. 71 Vgl. Leder, aaO., 167. 72 Theodor Wotschke, Aus Briefen Georg Theodor Strobels (ZBKG 3, 1928, 229–243), hier 232, Anm. 1. 73 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 146 f. 74 Dietelmaiers und Sixts ablehnende Haltung gegenüber der Neologie zeigt sich auch bei der Wiederbesetzung der döderleinschen Stelle nach 1782. Sie versuchten, einen Neologen als Nachfolger für Döderlein zu verhindern. Siehe dazu Leder, aaO., 248–252. Dass Will hier erneut für einen Neologen, diesmal für Christian Gottfried Junge, Partei ergriff und dessen Berufung beförderte, zeigt, welche entscheidende Rolle er bei der Etablierung der Aufklärungstheologie im Nürnberger Raum einnahm. Vgl. Georg Seiderer, Repräsentant der Aufklärung in Altdorf: Georg Andreas Will (1727–1798) (in: Akademie und Universität Altdorf. Studien zur Hochschulgeschichte Nürnbergs [BAKG 69], hg. v. Hanns Christof Brennecke/Dirk Niefanger/Werner Wilhelm Schnabel, Köln/Weimar/Wien 2011, 225–243), hier 237 f. 75 Wotschke, Aus Briefen Strobels, 240. 76 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 112 f.
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Nürnberger Pfarrerschaft ausstrahlten.77 Auch hier trafen Döderleins aufgeklärtes und das traditionell-lutherische Gedankengut der Pfarrer aufeinander. Klaus Leder konstatiert, dass Döderlein „im Nürnberger Gebiet bis in die achtziger Jahre im großen und ganzen als ein theologischer Fremdkörper“ galt.78 Döderlein fühlte sich demzufolge Anfeindungen ausgesetzt, weil er „mit dem Licht der Zeiten fort[]schreite[t]“79. Dieses problematische Verhältnis zwischen Döderlein und den Nürnberger Pfarrern lässt sich anhand von mehreren Briefen veranschaulichen, die Döderlein im Zusammenhang mit seinen Bemühungen, die Zensur an der Theologischen Fakultät in Altdorf abzuschaffen, an den einflussreichen Vormundamtsschreiber Karl Kalhard80 im September und Oktober 1777 verfasste. Döderlein sprach in diesen Briefen an Kalhard von „beleidigenden Urtheile[n] unwissender Geistlichen in Nürnberg“81, von „unbillige[n] Urtheil[en] eines grosen Theils des Nürnbergischen Ministerii“82, von „Laesterer[n], die im finstern Herumschleichen“83, von „Gewaesche von Idioten“84 und bezog sich dabei vor allem auf „den groesten Theil der Capitularen bey S. Sebald und Laurenzen“85. Mit Blick auf die Nürnberger Pfarrer und seine Kollegen beklagte Döderlein rückblickend im Entlassungsgesuch an den Rat der Reichsstadt Nürnberg 1782 die „schleichenden und offenbaren Angriffen auf [s]ein Ansehen, [s]eine Lehre und [s]eine Ruhe“86. Für Döderlein waren aber nicht nur diese aus unterschiedlichen theologischen Positionen resultierenden „Angriffe“ unerfreulich, sondern vor allem, dass er von einigen Geistlichen Nürnbergs abhängig war. An der Theologischen Fakultät in Altdorf war es üblich, dass Schriften, die veröffentlicht werden sollten, neben dem obersten Kirchenpfleger von einem Zensor geprüft werden mussten. Bei dem Zensor handelte es sich meistens um einen Geistlichen der Kirchen St. Lorenz oder St. Sebald in Nürnberg.87 Döderlein empfand diese Abhängigkeit und besonders die Zensur als Anmaßung. An Kalhard schrieb er im Herbst 1777: „Nur dieß will ich sagen, daß es für einen Mann, welcher den Beruf hat, nach seinen Einsichten zu reden und zu schreiben und dessen reine Gedenkungsart über die ersten Wahrheiten der Religion die Welt kennet, sehr empfindlich seyn muß, wenn er sich durch 77 Leder behauptet, dass die Nürnberger Geistlichkeit durch Dietelmaier kirchlich-orthodox geprägt war. Vgl. Leder, aaO., 98.244. 78 Leder, aaO., 244. 79 Brief Döderleins an Kalhard, 19.10.1777, AUA 84,13, [2]. 80 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 180. 81 Brief Döderleins an Kalhard, 27.9.1777, AUA 84,10, [1]. 82 Brief Döderleins an Kalhard, 19.10.1777, AUA 84,13, [2]. 83 Ebd. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Brief Döderleins an den Rat der Reichsstadt Nürnberg, 6.7.1782, AUA 95,1, [2]. 87 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 181.
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Kritiken und Censuren die Freyheit benommen sieht, seine Gedanken niederzuschreiben und zur Prüfung der Welt bekannt zu machen. Dieß ist allemal unziemlich und für den nachdenkenden und gewissenhaften Lehrer niederschlagend.“88 Zumal „was mit dem Lehrsystem unsrer Kirche und dem goettlichen Worte einstimmig ist oder nicht, hoffe ich so gut zu wissen als ein andrer Censor, und dann müste ich wenig Gewissenhaftigkeit haben, wenn ich unchristliche Dinge schriebe“.89
Für Döderlein war die Zensurfreiheit ein Teil der Lehrfreiheit und er verlangte diese Zensurfreiheit, die an den anderen Fakultäten Altdorfs schon üblich war, für sich und für die Theologische Fakultät als Ganzes.90 Döderlein konnte diese Forderung formulieren, weil er sich in der komfortablen Lage befand, einen Ruf nach Königsberg erhalten zu haben. Nachdem er bereits unter Bitten und Drängen der Kuratoren 1775 den Ruf nach Greifswald abgelehnt hatte und dafür mehr Geld und die Zusicherung erhalten hatte, bei der nächsten Vakanz aufzurücken,91 konnte er nun die Zensurfreiheit einfordern, um sein Bleiben in Altdorf zu erwirken.92 Außerdem äußerte er mit Nachdruck, dass es nicht im Sinne der Kuratoren Altdorfs sein könne, wenn er „um dem Druk und Intrigen der Censur“ zu entgehen, „von nun an die Feder niederlegen“ würde.93 Die Kuratoren bewilligten nach mehreren Verhandlungen schließlich die Zensurfreiheit. Sie sorgten sich um den Ruf ihrer Universität und wollten Döderlein auf keinen Fall verlieren, zumal viele Studenten nur wegen Döderlein nach Altdorf kamen. Döderlein lehnte daraufhin den Ruf nach Königsberg ab.94 Die Abschaffung der Zensur an der Theologischen Fakultät war nicht nur für ihn persönlich ein Erfolg. Es war gleichermaßen für die weitere Etablierung aufklärerischen Gedankenguts in Altdorf ein bedeutender Schritt.95 Döderlein und seine Nachfolger, die Aufklärungstheologen Christian Gottfried Junge und Jo88 Brief Döderleins an Kalhard, 27.9.1777, AUA 84,10, [1 f.]. – Döderlein schilderte in diesem Brief auch, dass er bereits mit dem Zensor in Konflikt geraten sei: „Nur so viel kan ich beweisen, daß bey verschiedenen Gelegenheiten, da ich etwas in Altdorf zum Druk befoederte, mir Bedenklichkeiten sind gemacht worden, über Stellen, welche durchaus die Religion nicht angehen, noch vielweniger derselben schaden und Nachtheil bringen koennen.“ AaO., [2]. 89 Brief Döderleins an Kalhard, 19.10.1777, AUA 84,13, [3]. 90 „Diesen Übelstand wünschte ich für meine Person gehoben zu sehen und die Freyheit zu haben, niemals weiter etwas, das ich zum Druk bestimme, einer Censur unterwerfen zu müssen. Daß es bißher geschehen, geschah nicht nach einem Gesez, sondern bloß nach Gewohnheit und da ohnehin in keiner Fakultaet auf hiesiger Universitaet diese Gewohnheit statt findet, so glaube ich, kan es einem Mitglied der theologischen ohne Bedenken gestattet werden, was jedes Mitglied der andern Fakultaeten vorzüglich und unangefochten hatte.“ Brief Döderleins an Kalhard, 27.9.1777, AUA 84,10, [2]. 91 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 179 f. 92 „Es wird sehr zur Bevestigung meines Entschlusses, an der Akademie laenger zu lehren, dienen, wenn durch Euer Hochfreyherrliche Gnaden mir diese Censur-Freyheit, welche ein Theil der Lehrfreyheit ist, verwilligt wird.“ Brief Döderleins an Kalhard, 27.9.1777, AUA 84,10, [2]. 93 Brief Döderleins an Kalhard, 19.10.1777, AUA 84,13, [3]. 94 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 179.183. 95 Vgl. Leder, aaO., 183.
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A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe
hann Philipp Gabler, konnten ihre Abhandlungen nun unabhängig von den Vorbehalten der Nürnberger Pfarrerschaft gegen ihre neologischen Thesen publizieren, und damit einem gelehrten Publikum vorstellen, welches sie überzeugen wollten.96 Döderlein setzte auch gegen Widerstände die ersten entscheidenden aufklärungstheologischen Akzente in Altdorf und Nürnberg.97 Ausdruck dieser Bemühungen sind nicht nur seine kleineren Schriften, sondern vor allem seine umfassenderen exegetischen Schriften, deren Bedeutung im Folgenden dargelegt wird.
II. Döderlein als Exeget 1. Der Jesajakommentar Wird Döderlein in den aktuellen alttestamentlichen Forschungen erwähnt, dann geschieht es meistens im Zusammenhang mit seinem Jesajakommentar98 „Esaias, ex recensione textus hebraei ad fidem codd. quorundam mss et versionum antiquarum latine vertit“99. Aber auch Döderleins Zeitgenossen verbanden seinen Namen eng mit dem „Esaias“ und hoben dieses Werk unter all seinen anderen hervor. Trotz einiger kritischer Einschätzungen, die Döderleins Erklärungen für „nicht immer glücklich“100 bewerteten und die Ablehnung vieler seiner Thesen bei lutherisch-orthodoxen Theologen, schrieb beispielsweise Ernesti in der „Neuesten Theologischen Bibliothek“, dass Döderleins Übersetzung zum richtigen Verstehen des Jesajabuches nützlicher und brauchbarer sei als mancher große Kommentar.101 Johann Gottfried Eichhorn wiederum bemerkte, dass sich Döderlein mit seinem „Esaias“ in ganz Deutschland als theologischer Schriftsteller bekannt gemacht habe.102 Auch der Rezensent in den „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten“ konnte festhalten, dass Döderleins „vortreffliche Uebersetzung“ von dem exegetischen Publikum „mit […] laute[m] 96 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 110. Will formulierte: „D. Döderlein hat das Verdienst, daß er sich und seine Nachfolger [von der Zensur] frei machte, und daß kein Professor in dieser Fakultät mehr, als seine Auspicalrede und, wenn er Doktor wird, die Inauguraldisputation, darf censiren lassen.“ Will, Universität Altdorf, 79. 97 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 184. Leder äußert dagegen über Dietelmaier, dass dieser den Einzug der Aufklärung in Altdorf gehemmt habe. Vgl. Leder, aaO., 141. 98 So beispielsweise bei Ulrich Berges, Jesaja 40–48 (HThKAT), Freiburg/Basel/Wien 2008, 31 f. 99 Io[hannes] Christoph[orus] Doederlein, Esaias, ex recensione textus hebraei ad fidem codd. quorundam mss et versionum antiquarum latine vertit notasque varii argumenti, Altdorf 1775. 100 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 124. 101 Vgl. Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 4. Bd., 2. Stück, 1776, 83. 102 Vgl. Johann Gottfried Eichhorn, Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur, 5. Bd., 1793, 1036.
II. Döderlein als Exeget
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Beyfall aufgenommen worden“ sei,103 wofür überdies die drei Auflagen von Döderleins „Esaias“ sprechen.104 Was aber war das Besondere an dem „Esaias“ und führte zu diesen überwiegend positiven Einschätzungen? Zur Beantwortung dieser Fragen soll hier keine ausführliche Studie über Döderleins „Esaias“ vorgelegt werden,105 sondern es soll anhand einzelner ausgewählter Punkte gezeigt werden, warum dieses Werk für die Zeitgenossen und für die alttestamentliche Forschung so von Bedeutung war und ist. Döderleins Grundidee dieses Buches war die Präsentation einer lateinischen Übersetzung des Jesajabuches, der es nicht um einen wortwörtlichen, sondern um einen sinngemäßen Charakter ging, sowie die Darbietung von textkritischen und philologischen Anmerkungen.106 In diesen Anmerkungen berichtigte Döderlein teilweise die Lesart des hebräischen Textes, indem er verschiedene Handschriften, ältere Versionen und noch ungedruckte Sammlungen heranzog, und erklärte bestimmte Worte und Sachverhalte. Für die Zeitgenossen war der „Esaias“ daher nicht nur aufgrund der Übersetzung, sondern ebenso wegen der Anmerkungen äußerst wertvoll. Die inhaltliche Qualität dieses Werkes hielt Döderlein bei, indem er bei der zweiten und dritten Auflage Veränderungen und Verbesserungen vornahm, sowie zeitgenössische Erkenntnisse aufgriff.107 Johann David Michaelis urteilte deshalb, dass Döderlein als Exeget gut aus dem Bekannten ausgewählt, einiges Neue entdeckt und damit eine fruchtbare Verbindung zwischen dem Alten und Neuen hergestellt habe.108 Dieses Werk eignete sich für die Zeitgenossen aber nicht nur für die eigenen Forschungen, sondern auch für den Vorlesungsbetrieb. Döderlein, der selbst viele Vorlesungen über Jesaja hielt,109 konzipierte den „Esaias“ ursprünglich zum Gebrauch für seine Lehrveranstaltungen.110 Aber nicht nur er konnte 103 Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 16. Stück, 1780, 156. – Auch spätere Darstellungen betonen, dass von Döderleins exegetischen Arbeiten besonders der Jesaja geschätzt wurde (vgl. Hagenbach, Art. Döderlein, 716; vgl. Heussi, Theologische Fakultät, 193) und Döderlein dafür viel Beifall erhalten habe (vgl. Doering, Die deutschen Kanzelredner, 37). 104 Io[hannes] Christoph[orus] Doederlein, Esaias, ex recensione textus hebraei ad fidem codd. quorundam mss. et versionum antiquarum latine vertit notasque varii argumenti, editio altera emendatior atque auctior, Altdorf 1780; Ioannes Christophorus Doederlein, Esaias, ex recensione textus hebraei ad fidem codicum manuscriptorum et versionum antiquarum latine vertit notasque varii argumenti, editio tertium recognita, Nürnberg/A ltdorf 1789. 105 Erste Ansätze dazu finden sich bei Mulzer, Döderlein und Deuterojesaja, 15–22. 106 Vgl. dazu etwa die Einschätzung von Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 4. Bd., 2. Stück, 1776, 83. 107 So bezog Döderlein beispielsweise in seiner zweiten Auflage die Erkenntnisse von Lowth, Michaelis und Dathe mit ein. Vgl. AdB, 46. Bd., 1. Stück, 1781, 268. 108 Vgl. Johann David Michaelis, Orientalische und Exegetische Bibliothek, 11. Theil, 1776, 148 f. 151. 109 Zu Döderleins Vorlesungstätigkeit in Jena siehe Kapitel C/II, 1.1. 110 Vgl. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 44. Stück, 1775, 411.
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A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe
dieses Buch für die wissenschaftliche Lehre nutzen. Andere Dozenten profitierten ebenso davon. So äußerte beispielsweise Michaelis, dass er Döderleins Werk seiner Jesaja-Vorlesung im Sommer 1776 zugrunde gelegt habe, um die Eignung für diesen Zweck zu prüfen.111 Sein Urteil fiel äußert positiv aus und führte zur Empfehlung des Döderleinschen „Esaias“ für alle Studenten, die Vorlesungen über Jesaja anhören.112 Es waren hauptsächlich Döderleins dogmatische Schlussfolgerungen, welche die Gelehrten aufmerksam werden ließen und die zu Kontroversen führten. Von diesen Folgerungen Döderleins sind besonders seine Ausführungen zu den sogenannten Messianischen Weissagungen des Jesajabuches zu nennen. Bei einigen Jesajaversen, wie etwa bei Jes 42,1–4, bestritt er aufgrund seiner exegetischen Erkenntnisse den Bezug auf Jesus Christus, der von der orthodoxen Jesajaauslegung behauptet wurde.113 Döderlein distanzierte sich nicht grundsätzlich von dem Gedanken, dass in den Propheten auf Jesus Christus verwiesen wird. Dennoch zeigte er bei zahlreichen Versen, dass sie nicht als dogmatische Beweisstellen herangezogen werden können. In der „[A]userlesene[n] Theologischen Bibliothek“ behauptete er später: „Die Dogmatik der Christen kan nicht die Dogmatik der Zeitgenossen des Esaias seyn, und wo Cyrus beschrieben ist, da denke ich nicht an den Meßias“.114 Döderlein ging bei den Weissagungen entschiedener vor als beispielsweise Michaelis, der feststellte, dass Döderlein zwar Weissagungen auf Christus erkenne, „aber doch wenigere als andere, auch wirklich wenigere als [ich selbst]“115. Von Ernesti erhielt Döderlein anerkennende Worte für seine Ausführungen zu diesem Thema.116 Dem Leipziger Aufklärungstheologen war allerdings bewusst, dass Döderleins Erkenntnisse und Behauptungen Missbilligung bei lutherisch-konservativen Theologen hervorrufen wird. Ernesti prognostizierte: „[Über Döderleins ‚Esaias‘ werden] diejenigen ein großes Geschrey erheben, die die Richtigkeit der Dogmatum nach der Menge der Beweisstellen beurteilen; die sie, ohne auf den Zusammenhang, oder die prophetische Schreibart zu sehen, zusammenhäufen. Allein dieß ist nicht die Schuld dessen, der nach richtigen Grundsätzen ausleget, sondern
111 Vgl. Michaelis, Orientalische und Exegetische Bibliothek, 11. Theil, 1776, 149 f. 112 „[Dieses Handbuch] schickt sich vortrefflich! Gerade der Reichthum und die Sparsamkeit von Anmerkungen, die so recht bequem ist: daß ich auch sehr oft anderer Meinung war, benahm der Brauchbarkeit des Buchs zu diesem Endzweck nichts; […]. Ich wollte es jedem, der über den Jesaias hört, und dessen Docent nicht etwas eigenes zu gleichem Endzweck geschrieben haben wird, recommendiren“. Michaelis, aaO., 150. 113 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 171. 114 Doederlein, ATB 1, 11. Stück, 1781, 832. 115 Michaelis, Orientalische und Exegetische Bibliothek, 11. Theil, 1776, 156. Weissagungen auf Christus erkannte Döderlein zum Beispiel im 53. Kapitel an. Ebd. 116 „Wir müssen gestehen, daß uns Hr. D. hierinne vorzüglich gefallen hat.“ Ernesti, Neueste Theologische Bibliothek, 4. Bd., 2. Stück, 1776, 93.
II. Döderlein als Exeget
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dererjenigen, die jene falschen Erklärungen, als richtig und hinlänglich bewiesen, angenommen haben.“117
Ernesti sollte mit dieser vorhergesagten Reaktion auf Döderleins „Esaias“ recht behalten. Es gab über Döderleins Ausführungen „großes Geschrey“, welches letztlich zu einem „Jesajastreit“118 zwischen Döderlein und lutherisch-konservativen Theologen führte. Ausgangspunkt für diesen Streit war eine 1776 in Leipzig erschienene anonyme Schrift gegen Döderlein mit dem Titel „Die neuen Propheten. Nebst einem wohlgemeinten Bittschreiben an Sr. Hochehrwürden Herrn Johann Christoph Döderlein, der Gottesgelahrtheit Licentiat, und Professor zu Altdorf, von einem Verehrer des prophetischen Wortes aus dem Meißnischen Erzgebürge“119. Neben vielen anderen Vorwürfen wurde Döderlein hier für seine Behauptungen kritisiert, die er über die sogenannten messianischen Beweisstellen geäußert hatte.120 Außerdem wurde Döderlein nahe gelegt, die Christenheit mit ähnlichen „überflüßigen und wohl entbehrlichen Werken“ zu verschonen, da er „gnung [sic] unbewiesenes und unerweißliches gesagt“ habe.121 Döderlein wurde in dieser Schrift als heterodoxer Theologe gebrandmarkt.122 Aber auch an anderer Stelle erfuhr Döderlein vehemente Ablehnung. Der in Jena lehrende Theologieprofessor Johann Friedrich Hirt solidarisierte sich mit der gegen Döderlein gerichteten Schrift und gab entscheidende Argumente des anonymen Autors in seiner „Orientalischen und Exegetischen Bibliothek“ wieder.123 117 Ernesti, aaO., 93. 118 Leder, Universität Altdorf, 170. 119 [Anonym], Die Neuen Propheten. Nebst einem wohlgemeinten Bittschreiben an Sr. Hochehrwürden Herrn Johann Christoph Döderlein, der Gottesgelahrtheit Licentiat, und Professor zu Altdorf, von einem Verehrer des prophetischen Wortes aus dem Meißnischen Erzgebürge, Leipzig 1776. – Zum Titel erklärte der anonyme Autor: Die neuen Propheten wollen „mit den alten elenden jüdischen und dergleichen Waaren, ihren neuen Auslegungskram schön ausputzen […], so hießen sie doch wohl, nach Verdienst, die neuesten oder neuen Propheten“. [Anonym], aaO., 16. Diese gedruckte Schrift befindet sich in der Nürnberger Stadtbibliothek: NStBibl, Will VIII, 780. 120 Vgl. Mulzer, Döderlein und Deuterojesaja, 18. 121 [Anonym], Die Neuen Propheten, 11. 122 Döderlein wurde vorgeworfen, er hege „grotianische[], jüdische[] und andre altmodische Meinungen und betrete daneben die ‚neumodischen Wege der biblischen Auslegung‘“. [Anonym], aaO., 14. In dieser Schrift heißt es ferner, Döderlein wolle mit seinem Jesaja nur „[w]eltberühmten Leuten“ gefallen. Doch dieser eitle Ruhm bringe vor Gott nichts. Im Gegenteil: wer so mit Gottes Weissagungen und Wundern umgehe, wie es die neuen Prophetenausleger täten, habe keinen Ruhm bei Gott zu erwarten. Vgl. [Anonym], aaO., 15. Siehe auch die Darstellung bei Johann Friedrich Hirt, Orientalische und Exegetische Bibliothek, 8. Theil, 1776, 427. 123 Vgl. Hirt, aaO., 425–428. – Grundsätzlich konnte Hirt der Aufklärungstheologie und den Aufklärungstheologen wenig abgewinnen. In Jena erwies er sich daher als Gegner von Ernst Jakob Danovius. Siehe Kapitel B/II, 1.3. und 1.5. Später positionierte sich Hirt auch gegen die Berufung Döderleins nach Jena. Siehe Kapitel B/II, 4.
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A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe
Döderlein reagierte auf diese Angriffe mit einer „Nachricht statt einer Antwort auf einen iüngsthin geschehenen Angriff der Uebersetzung des Esaias“124. In diesem kurzen Schreiben, denn mehr stehe dem anonymen Autor nicht zu,125 lässt sich erkennen, dass Döderlein nicht sachlich mit den Vorwürfen umging, sondern emotional und verletzt reagierte.126 Vor allem die Beschuldigung der Heterodoxie kränkte ihn,127 weshalb er einen gewissen erzgebirgischen Prediger mit dem Namen Hartwich128 persönlich angriff, den er als Autor der Schrift vermutete. Döderlein täuschte sich in dieser Zuschreibung allerdings. Später stellte sich heraus, dass Hartwich nicht der Verfasser war, weshalb Döderlein einen Widerruf in der „[A]userlesenen Theologischen Bibliothek“ einrücken musste.129 Der „Verehrer des prophetischen Wortes“ nahm auf dieses Schreiben von Döderlein mit einem zweiten Sendschreiben „Die Neuen Propheten. Fortgesetzt in einem zweyten Sendschreiben an Se. Hochwürden Herrn D. Joh. Christoph Döderlein zu Altdorf, von einem Verehrer des prophetischen Wortes aus dem Meißnischen Erzgebürge“130 Bezug. Hierin wurde hauptsächlich Döderleins unsachlicher Ton beanstandet131 und moniert, Döderlein sei auf die im ersten Sendschreiben geäußerten Kritikpunkte nicht eingegangen.132 Der anonyme Autor 124 Johann Christoph Döderlein, Nachricht statt einer Antwort auf einen iüngsthin geschehenen Angriff der Uebersetzung des Esaias, Leipzig 1776. Diese Schrift befindet sich angehängt an „Die Neuen Propheten“ in: NStBibl, Will VIII, 780. 125 Vgl. Döderlein, aaO., [4]. 126 „Ein Ungenannter, […] hat in [der] […] gedruckten Schrift: Die neuen Propheten […], mich selbst empfindlich und in einem sehr unwürdgen Ton […] angegriffen. […] Ich fand aber, daß die Unverschämtheit eines Ketzer- und Lästerermachers noch niemals weiter getrieben worden, als von ienem Verfasser, der dreiste genug ist, aus einer fremden Schrift vor den Augen ihres Verfassers Sätze herauszuziehen und zu tadeln, welche mit keiner Sylbe darinn angetroffen werden.“ Döderlein, aaO., [1]. 127 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 105. Schlichtegroll betonte an anderer Stelle: „es that ihm [Döderlein] aber auch, wenigstens in frühen Jahren, jedes Mahl ernstlich weh, für heterodox gehalten oder so genennt zu werden.“ Schlichtegroll, aaO., 125. 128 Döderlein nannte den Vornamen nicht. 129 Doederlein, ATB 1, 8. Stück, 1781, 598. – Döderlein behauptete nun, dass es sich beim Verfasser der Schrift um den Leipziger Zuchthausprediger Johann Friedrich Frisch handle. Vgl. ebd. 130 [Anonym], Die Neuen Propheten. Fortgesetzt in einem zweyten Sendschreiben an Se. Hochwürden Herrn D. Joh. Christoph Döderlein zu Altdorf, von einem Verehrer des prophetischen Wortes aus dem Meißnischen Erzgebürge, Leipzig 1776. Diese Schrift liegt in der Nürnbergischen Stadtbibliothek vor: NStBibl, Will VIII, 781. 131 Der anonyme Autor formulierte scharf: „Allein, mein Herr D. D. wie stets um Dero Ehre? Wer ein Hochwürdiger Mann seyn, und große Hochachtung haben will, muß nicht so schmähen und schimpfen, wie Sie gegen mich gethan haben. […] Kann man nicht mit Gegenbeweisen streiten? Muß man zu solchen Waffen greifen, derer der gemeine Haufe, und die niederträchtigste Klasse derselben, in ähnlichen Fällen, sich bedienet? Ist dieses ein Modell, das man seinen Zuhörern giebt?“ [Anonym], aaO., 27. Vgl. auch die Darstellung bei [Johann Friedrich Hirt], Wittembergische Neue Orientalische und Exegetische Bibliothek mit beygefügter Anzeige neuer theologischen Schriften und andern Nachrichten, 1. Theil, 1776, 119. 132 Vgl. [Anonym], aaO., 3 f.
II. Döderlein als Exeget
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brachte zudem nochmals seine Argumente vor.133 Döderlein reagierte auf dieses Sendschreiben nicht mehr explizit, so dass die offene Auseinandersetzung beendet war, auch wenn die inhaltlichen und persönlichen Differenzen nach wie vor bestanden. Haben die bisherigen Schilderungen vor allem gezeigt, warum der „Esaias“ für Döderleins Zeitgenossen so bedeutend war, soll nun anhand eines Beispiels kurz die Relevanz von Döderleins Erkenntnissen für die alttestamentliche Forschung skizziert werden. Eine bis heute wegweisende Entdeckung machte Döderlein mit der Feststellung, dass es sich bei Jes 40–66 nicht um Texte aus der vorexilischen Zeit handeln kann. Er vermutete hier vielmehr einen exilischen Verfasser. Diese Hypothese, die später durch Bernhard Duhm unter dem Namen „Deuterojesaja“ in die Forschung einging,134 wurde von Döderlein erstmals 1781 in der „[A]userlesenen Theologischen Bibliothek“ formuliert.135 Darin fragte Döderlein in einer Sammelrezension über die Werke zu Jesaja von Robert Lowth, Johann David Michaelis, Johann August Dathe und Johann Benjamin Koppe „ob es nicht sehr glaublich sey, daß dieser ganze Abschnitt erst während des Babylonischen Exils sey niedergeschrieben worden?“136. In allen späteren Ausführungen über Jesaja, wie beispielsweise in der dritten Auflage seines „Esaias“, griff Döderlein diese Behauptung wieder auf.137 Grundlage für diese Hypo133 Außerdem beschrieb der Autor, der sich selbst als „ehrliche[r] Lutheraner“ verstand, was ihn zu diesen Schriften veranlasst habe: „Wie auch die ganze Abhandlung, aus bloßen Eifer für die Religion, geschrieben ist. […] [E]s kränkte mich sehr, daß man so viel gute Stellen im Jesaia, von ihrem Werthe herabgesetzet, und der neumodischen Auslegungsart Weihrauch gestreuet hatte.“ [Anonym], aaO., 28 f. 134 Vgl. Mulzer, Art. Döderlein (WiBiLex). 135 Vgl. Mulzer, aaO. Diese Hypothese wurde von Döderlein erst 1781 formuliert und nicht schon in seinem „Esaias“ von 1775 wie unter anderem Diethelm Michel, Art. Deuterojesaja (TRE 8, 1981, 510–530), hier 510 und Leder, Universität Altdorf, 171 behaupten. Bereits Smend weist auf diesen Irrtum hin. Rudolf Smend, Lowth in Deutschland (in: Ders., Epochen der Bibelkritik. Gesammelte Studien Band 3 [BEvTh 109], München 1991, 43–62), hier 59, Anm. 98. 136 Doederlein, ATB 1, 11. Stück, 1781, 832. 137 In dem zweiten Band seines „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ aus dem Jahr 1786 diskutierte Döderlein das Thema Jesaja im Zusammenhang mit apologetischen Ausführungen gegen deistische, den Wert des Alten Testaments für Christen bestreitende Behauptungen. Die Erkenntnis, „daß der Einbruch der Kriege und die Zerstreuungen der Juden manche Unordnungen in den Prophetischen Büchern veranlaßt, daß man manches dem Esaias zuschrieb, was für sein Zeitalter nicht passend wäre, daß anonymische Urkunden mit dem Namen mehrerer Propheten autorisirt worden“, mindere die Bedeutung dieser Schriften nicht. Johann Christoph Döderlein, Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Nach dem lateinischen von dem Verfasser selbst ausgearbeitet, 2. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1786, 183. Präziser formulierte Döderlein wieder in seiner ATB. Hier gab er Gründe an, warum spätere Texte Jesaja zugeordnet wurden: „Es lassen sich verschiedene Ursachen denken, warum ein späterer Prophet zur Zeit des Exils, in der Periode, in welcher die Reste der frühen Schriftsteller und Propheten gesammelt wurden, seine Empfindungen und Ankündigungen lieber unter dem Namen eines älteren Propheten bekannt machen und in die Sammlungen eines älteren Schriftstellers verstecken wollte: und es war zu einer Zeit, wo die Kritik noch eine ziemlich
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these war Döderleins Prophetenverständnis. In Abgrenzung zum traditionellen Prophetenverständnis, dem Propheten als „Seher“,138 beachtet der Prophet seiner Meinung nach immer die Situation der Adressaten. Der Prophet wolle von den Zeitgenossen verstanden werden. Deshalb mache er keine unverständlichen Aussagen über die Zukunft, die von den Zuhörern, zu denen er spreche, nicht eingeordnet werden könnten. Da sich die Texte ab dem 40. Kapitel des Jesajabuches auf die exilische Situation bezögen, könnten sie deshalb nur von einem exilischen Autor stammen.139 Allerdings folgte für Döderlein aus dieser Erkenntnis, dass die Kapitel 40 ff. nicht von Jesaja stammen, keine Infragestellung der Autorität des biblischen Textes: „Eine Weissagung, eine Lehr- oder Trostrede im A. T. erhält ihre Autorität nicht vom Verfasser: […] sondern vom Inhalt, von der Uebereinstimmung mit der Lage und den Bedürfnissen der Nation“.140 Er distanzierte sich hier nicht nur von einer dogmatischen Auslegung des Jesajabuches, sondern auch von der deistischen These, die prophetischen Bücher seien aufgrund derartiger Beobachtungen gefälscht.141
unbekannte Wissenschaft war und wo man über dem Gefühl vom Wert des Buches nach den wahren Verfasser zu fragen leicht vergessen konnte, bald geschehen, dass sich unechte Abschnitte einschlichen. Man fordert von Juden zu viel, wenn man sie zu strengen Kritikern machen will, da selbst unter den Griechen Bücherkritik eine späte Erscheinung ist – und man traut ihnen zu viel, wenn man sie als die religiösesten Kritiker, die so ängstlich wie die Unsrigen heutzutage, mit allem historischen Scharfsinn und Misstrauen die wahren Verfasser aufsuchen, betrachtet.“ Doederlein, ATB 4, 8. Stück, 1788, 558 f. Explizit zu dem Bruch zwischen Jes 39 und Jes 40 äußerte sich Döderlein in der Vorrede zur dritten Auflage seines Jesajakommentars von 1789 (S. XV ): „Und deshalb scheint es sinnvoll, dass die Rede oder vielmehr das hintere Buch vom Kapitel 40 ab sich auf eine spätere Zeit als Jesaja bezieht und gegen Ende des Exils von einem Anonymus oder einem dem alten Prophet gleichnamigen (Verfasser) zusammengestellt wurde. Dies wird also ohne jede Gefahr, ja sogar sehr zweckmäßig angenommen.“ (Übersetzung von Mulzer, Art. Döderlein [WiBiLex]). 138 Vgl. Christian Moser, Umstrittene Prophetie. Die exegetisch-theologische Diskussion um die Inhomogenität des Jesajabuches von 1780 bis 1900 (BThSt 128), Neukirchen-Vluyn 2012, 99. 139 Vgl. Mulzer, Art. Döderlein (Wibiblex) und Mulzer, Döderlein und Deuterojesaja, 21. – Siehe Döderleins Rezension über Christian Gotthilf Henslers Ausführungen zu Jesaja in der ATB 4, 8. Stück, 1788, 558: „Ein Prophet schreibt und spricht doch zunächst für seine Zeitgenossen. Was konnten aber die Zeitgenossen des Esaias für Antheil an Weissagungen wider Babel nehmen, wider Babel, welches damals, in Vergleichung mit andern Reichen, noch so unbedeutend, den Juden so wenig fürchterlich, ja sogar freundschaftlich war?“ Bereits 1781 formulierte Döderlein: „Propheten sind keine Geschichtsschreiber, und können die Zukunft nicht anders als dunkel schildern.“ Doederlein, ATB 1, 11. Stück, 1781, 830. – Eine Abhandlung über das Spektrum der verschiedenen Prophetenbilder in der Aufklärung bietet Marianne Schröter, Zum Prophetenbild der Aufklärung (in: Schelling und die Hermeneutik der Aufklärung [HUTh 59], hg. v. Christian Danz, Tübingen 2012, 155–176). Direkt zu Eichhorns Prophetenbild sei verwiesen auf Eberhard Sehmsdorf, Die Prophetenauslegung bei J. G. Eichhorn, Göttingen 1971. 140 Doederlein, ATB 4, 8. Stück, 1788, 559 f. 141 Vgl. Vincent, Studien zur literarischen Eigenart, 20.
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Döderlein, der aufgrund dieser Aussagen als Entdecker der deuterojesajanischen Hypothese gilt,142 entwickelte seine Erkenntnisse allerdings nicht völlig unabhängig, sondern war Teil eines Diskurses über das Jesajabuch.143 Er griff zur Frage nach der exilischen Verfasserschaft unter anderem die Anmerkungen Johann Benjamin Koppes auf, die dieser in der deutschen Übersetzung des englischen Jesajakommentars von Robert Lowth getroffen hatte.144 Koppe vermutete in diesem Buch, dass einzelne Stellen des Jesajabuches nicht vom Jesaja des 8. Jahrhunderts v. Chr. stammen.145 In diesem Zusammenhang deutete Koppe, der seine Beobachtungen äußerst vorsichtig formulierte,146 die exilische Verfasserschaft einzelner Abschnitte an.147 Zu Jes 40–66 traf er allerdings abgesehen von sporadischen Bemerkungen keine Aussagen über die Einheit dieser Kapitel oder die Verfasserschaft.148 Döderlein schrieb aus diesem Grund in der Rezension über Koppe: „Wir wundern, daß Herr Koppe, dessen Scharfsinn mehrere solche Probleme entdeckt und entwickelt hat, bey diesem Abschnitt über die Zeit seiner Abfassung und über seinen Innhalt schweiget.“149 Ein wichtiger Teil dieser Debatte war gleichermaßen der Beitrag des Theologen Johann Gottfried Eichhorn.150 Einerseits griff Eichhorn die ersten Hinweise und Erkenntnisse von Koppe und Döderlein in seiner „Einleitung in das Alte Testament“ auf.151 Er setzte sich darin allerdings anders als Döderlein sehr 142 Vgl. Berges, Jesaja 40–48, 31. 143 Christian Moser behauptet daher, es gebe keinen „eigentlichen ‚Entdecker‘ der jesajanischen Diversität“, weil sich die Debatte „über die Verfasserschaft der jesajanischen Prophetie“ „in engem Wechselspiel zwischen verschiedenen Exegeten“ vollzogen habe, „die innerhalb von zwei Jahrzehnten den anfänglich zurückhaltend geäußerten Verdacht einer vielfachen Verfasserschaft des Jesajabuchs zu einer in grundsätzliche Überlegungen zur alttestamentlichen Prophetie eingebetteten These entwickelt[]“ hätten. Moser, Umstrittene Prophetie, 10 f. 144 Johann Benjamin Koppe (Hg.), Robert Lowth’s Jesaias neu übersetzt nebst einer Einleitung und kritischen philologischen und erläuternden Anmerkungen. Aus dem Englischen. Mit Zusätzen und Anmerkungen, 4 Bde, Leipzig 1779–1781. 145 Vgl. Moser, Umstrittene Prophetie, 11 f.; Mulzer, Döderlein und Deuterojesaja, 20. 146 Vgl. Moser, aaO., 12. 147 Vgl. Vincent, Studien zur literarischen Eigenart, 16. 148 Vgl. Moser, Umstrittene Prophetie, 12 f. 149 Doederlein, ATB 1, 11. Stück, 1781, 832. 150 Einführend zu Eichhorn: Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 141; Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 1. Bd., 356–362; Kurt Galling, Art. Eichhorn, Johann Gottfried (NDB 4, 1959, 377 f.); Stefan Heidemann, Der Paradigmenwechsel in der Jenaer Orientalistik in der Zeit der literarischen Klassik (in: Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850, hg. v. Charis Goer/M ichael Hofmann, München 2008, 243–257); Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät, 189–191; Hans-Joachim Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 31982, 133–151; Martin Mulzer, Art. Eichhorn, Johann Gottfried (WiBiLex, 2009 – letzter Zugriff 20. Jan. 2017); [Carl Gustav Adolf] Siegfried, Art. Eichhorn, Johann Gottfried (ADB 5, 1877, 731–737); Rudolf Smend, Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen 1989, 25–37; HansJürgen Zobel, Art. Eichhorn, Johann Gottfried (TRE 9, 1982, 369–371). 151 Johann Gottfried Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, 3. Bd., Leipzig 1783,
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ausführlich mit den Kapiteln 40 ff. auseinander,152 die er ebenfalls in die Zeit des Babylonischen Exils einordnete153 und traf differenzierte Aussagen über das Jesajabuch als Ganzes.154 Andererseits partizipierte Döderlein ebenso an den Erkenntnissen Eichhorns, indem er in späteren Auflagen seines „Esaias“ und in anderen Werken dessen Aussagen aufnahm. Waren sich beide Theologen einig, was die Datierung der Kapitel 40 ff. betraf, so unterschieden sie sich wesentlich in ihren Behauptungen über die Anzahl der im Jesajabuch enthaltenen Propheten – eine Frage, welche die Forschung bis heute beschäftigt.155 Ging Döderlein von einem zweiteiligen Buch aus (I Jesaja – II späterer Prophet),156 so beinhaltete das Jesajabuch nach Eichhorn Orakel aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Propheten, die „wie einzelne Namenlose Perlen auf eine lange Schnur gereihet“157 sind. Obgleich Döderlein nicht in dem Umfang am Jesaja arbeitete wie Eichhorn158 und viele seiner Erkenntnisse heute als überholt gelten, hat er mit der später als „Deuterojesaja“ bezeichneten Hypothese entscheidend den Diskurs über das Jesajabuch beflügelt und sich und seinem „Esaias“ damit bis heute einen Platz in der alttestamentlichen Forschungsgeschichte gesichert. 2. Die Neuauflage von Grotius’ „ Annotata ad Vetus Testamentum“ Zur „Verbreitung seines theologischen Rufs“159 führte überdies Döderleins Herausgebertätigkeit der „immer noch schätzbaren und nicht entbehrlich gewordenen Anmerkungen des Hugo Grotius“160. Grotius161 hatte 1644 seine „Annotata 76–97. – Auf die Abhängigkeit Eichhorns von Döderlein verweisen Mulzer, Art. Döderlein (WiBiLex) und Smend, Deutsche Alttestamentler, 31. Eichhorn selbst machte kaum Angaben über seine Vorgänger. Er erwähnte zwar Koppe, nannte aber Döderlein gar nicht. Vgl. Smend, aaO., 31. 152 Vgl. Smend, aaO., 32. 153 „[…], je öfter ich die Orakel vom 40sten bis 52sten Kapitel Jesaias lese, desto weniger will es mir einleuchten, daß sie vor dem babylonischen Exil abgefaßt seyn sollen.“ Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, 3, 84. 154 Vgl. Vincent, Studien zur literarischen Eigenart, 21 und Alexander Weidner, Das Ende Deuterojesajas, Diss. theol., Jena 2017, 3. 155 Vgl. der Forschungsüberblick bei Weidner, aaO., 4–7. 156 Vgl. Vincent, Studien zur literarischen Eigenart, 21. 157 Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, 3, 77. – Einen Überblick über Eichhorns Beitrag in dieser Diskussion um die Verfasserschaft des Jesajabuches bietet unter anderem Moser, Umstrittene Prophetie, 14–21. 158 Im Nekrolog heißt es darüber: „Die Dienste, welche Koppe und Eichhorn der höhern Kritik des Jesaias geleistet haben, leistete [Döderlein] ihm lange nicht.“ Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 124. 159 Schlichtegroll, aaO., 107. 160 Ebd. 161 Einführend zu Grotius: Hans R. Guggisberg, Art. Grotius (TRE 14, 1985, 277–280); Christoph Link, Art. Grotius (RGG4 3, 2000, 1303 f.); Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, 3. Bd.: Renaissance, Reformation, Humanismus, München 1997,
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ad Vetus Testamentum“ veröffentlicht. In diesem Werk tätigte Grotius philologische und textkritische Anmerkungen und bemühte sich entgegen einer dogmatischen Interpretation um eine rein historische Erklärung der alttestamentlichen Texte.162 Nach Hans-Joachim Kraus gilt Grotius in der alttestamentlichen Forschung daher als „der letzte und bedeutendste Vorbote vor dem großen Durchbruch, der im Zeitalter der Aufklärung sich ereignet[e]“163. Er war mit seinem Bibelkommentar zum Alten und Neuen Testament164 ein entscheidender Vorläufer der historisch-kritischen Exegese.165 Allerdings wird Grotius nicht erst in der gegenwärtigen Forschung als Wegbereiter der historisch-kritischen Exegese beurteilt – bereits die Aufklärungstheologen bewerteten ihn als Vorläufer und beriefen sich auf ihren „grosse[n] Mann“166. Sie nahmen Grotius’ Methode einer philologisch-historischen Interpretation der biblischen Texte,167 die bei Grotius’ zeitgenössischen Theologen heftigen Widerspruch bewirkt hatte,168 äußerst wohlwollend auf und entwickelten sie weiter. So bezog sich beispielsweise Ernesti in seiner Lehrtätigkeit auf die „Annotationes“.169 Es verwundert daher nicht, dass die „Annotationes“ von Grotius in den 1760er Jahren in einer neuen Ausgabe herausgegeben wurden. Der in Halle als außerordentlicher Professor der Philosophie lehrende Georg Johannes Ludwig Vogel170 plante eine dreibändige Ausgabe mit dem Titel „Hugonis Grotii Annotationes in Vetus Testamentum“.171 Allerdings konnte er nur den ersten (Geschichtsbücher, Hi, Ps, Spr, Pred, 211–225. Einen ersten Überblick über die Literatur und Forschung bietet Florian Mühlegger, Hugo Grotius. Ein christlicher Humanist in politischer Verantwortung (AKG 103), Berlin/ New York 2007. Zur Rezeptionsgeschichte sei verwiesen auf K arl Heinrich Rengstorf, Hugo Grotius als Theologe und seine Rezeption in Deutschland (in: Theologische, juristische und philologische Beiträge zur frühen Neuzeit [Schriftenreihe der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster 9], Münster 1986, 71–83). 162 Vgl. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung, 50 f. 163 Kraus, aaO., 51. 164 Annotationes ad Novum Testamentum, 1641–1650. 165 Vgl. Link, Art. Grotius, 1304. 166 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1777, 74. – Anhand einer handschriftlichen Eintragung im Exemplar der „Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen“ der Universität Tübingen kann als Verfasser der Rezension Johann Benjamin Koppe ermittelt werden. Diese handschriftliche Notiz geht auf den Bibliothekar Jeremias David Reuß zurück, der als Schwiegersohn von Christian Gottlob Heyne, dem Herausgeber dieses Journals, Zugang zu den Unterlagen hatte. Vgl. Oscar Fambach (Hg.), Die Mitarbeiter der Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1769–1836. Nach dem mit den Beischriften des Jeremias David Reuß versehenen Exemplar der Universitätsbibliothek Tübingen, Tübingen 1976, IX. Im Folgenden wird sich bei der Zuordnung der Rezensionen der „Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen“ stets auf diese Notizen von Reuß bezogen. 167 Vgl. Rengstorf, Hugo Grotius als Theologe, 76. 168 Vgl. [Hugo] Haelschner, Art. Grotius (ADB 9, 1879, 767–784), hier 782. 169 Vgl. Rengstorf, Hugo Grotius als Theologe, 79. 170 Vgl. Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 4. Bd., 597. Vogel lehrte in Halle und nicht in Altdorf, wie Rengstorf, Hugo Grotius als Theologe, 79 behauptet. 171 Die Neuauflage der „Annotationes in Novum Testamentum“ war bereits in den Jahren
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Hhld)172 und dritten Band (apokryphe Bücher)173 verwirklichen, da er im Februar 1776 nach längerer Krankheit in Altdorf verstarb.174 Der Aufenthalt bei seinem Bruder Benedict Christian Vogel175 in Altdorf führte allerdings zu einer näheren Bekanntschaft mit Döderlein. Döderlein wurde Vogels Freund und Beichtvater. Ihn bat Vogel überdies um die Fortsetzung der Herausgabe der „Annotationes in Vetus Testamentum“.176 Der Altdorfer Theologe übernahm diese Aufgabe und veröffentlichte 1776 nach nur kurzer Zeit den noch fehlenden zweiten Band,177 welcher die Propheten umfasste.178 Die große Leistung Döderleins lag aber nicht nur in der Fortführung des Vogelschen Vorhabens, sondern 1755–1757 durch den Erlanger Professor Christan Ernst von Windheim erfolgt. Vgl. Rengstorf, ebd. 172 Hugonis Grotii Annotationes in Vetus Testamentum, emendatius edidit et brevibus complurium locorum dilucidationibus auxit Georgius Ioannes Ludov. Vogel, Tomus I, Halle 1775. 173 Hugonis Grotii Annotationes in Vetus Testamentum, curavit Georgius Ioannes Ludov. Vogel, Tomus III, Halle 1776. 174 Vgl. Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 4. Bd., 597. 175 Benedict Christian Vogel war zu dieser Zeit Professor der Arzneikunde in Altdorf. Zu ihm siehe Bernhard Friedrich Voigt (Hg.), Neuer Nekrolog der Deutschen, 3. Jahrgang, 1825, 1. Heft, 1827, 654–666. 176 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 107. – Döderlein kam später selbst in die Situation, dass er ein großes Projekt, eine Ausgabe der hebräischen Bibel, aufgrund seines plötzlichen Todes nicht fertigstellen konnte. Der Initiative des Verlegers Johann Gottlob Immanuel Breitkopf folgend, der die vergriffene Reinecciussche hebräische Bibel neu auflegen und mit dem Varianten-Apparat von Benjamin Kennicott und Giovanni Bernardo de Rossi versehen wollte, arbeitete Döderlein bis zu seinem Tod drei Jahre an diesem Projekt. Da es eine Handausgabe werden sollte, wählte Döderlein aus dem Varianten-Apparat von Kennicott und de Rossi die wichtigsten Varianten aus. Döderleins Editionsarbeiten reichten bis zum Propheten Ezechiel. Danach musste aufgrund seines Todes Johann Heinrich Meisner, der schon zu Lebzeiten Döderleins die Korrekturen vorgenommen hatte und daher mit dieser Arbeit vertraut war, dieses Projekt abschließen. Vgl. NadB, Anhang 1–28, 1797, 397 f. Die Ausgabe kam 1793 unter dem Titel „Biblia Hebraica olim a Christiano Reineccio edita et ad optimorum codicum et editionum fidem recensita et expressa, nunc denuo ad fidem recensionis Masoreticae cum variis lectionibus ex ingenti Codicum copia a. B. Kennicotto et. I. B. de Rossi collatorum ediderunt Io[annes] Christoph[orus] Doederlein et Ioannes Henricus Meisner, Leipzig 1793“ heraus. Die zweite Auflage von 1818 wurde von der Waisenbuchhandlung zu Halle und Berlin unter einem veränderten Titel herausgegeben: Biblia Hebraica olim a Christiano Reineccio evulgata post ad fidem recensionis masoreticae cum variis lectionibus ex ingenti codicum Mss. copia a Benj. Kennicotto et J. B. de Rossi collatorum edita curantibus Jo[hannes] Christoph[orus] Doederleinio et Jo[hannes] Henric[us] Meisnero. Quorum editioni ante hos. XXV. annos e bibliopolio Lipsiensi emissae nunc emtionis iure in librariam orphanothrophei Halensis translatae accessit Georgii Christiani Knappii praefatio de editionibus bibliorum Halensibus, Halle/Berlin 1818. 177 Vgl. Rengstorf, Hugo Grotius als Theologe, 79. – Döderlein blieben nur sieben Wochen, um den zweiten Band zu vollenden. Vgl. die Darstellung in den Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten, 52. Stück, 1776, 517. Der Band erschien unter folgendem Titel: Hugonis Grotii Annotationes in Vetus Testamentum, emendatius edidit et brevibus complurium locorum dilucidationibus auxit Georgius Ioannes Ludov. Vogel, post mortem b. Vogelii continuavit Iohannes Chistophorus Doederlein, Tomus II, Halle 1776. 178 Vogel hatte nur das komplette Jesajabuch und Jeremia 1–19 bearbeitet. Döderlein über-
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in den Anmerkungen, die er dem Text von Grotius beifügte. Anders als Vogel, der in den von ihm verantworteten Bänden nur wenige eigene Anmerkungen tätigte,179 setzte Döderlein viele eigene philologische und textkritische Erläuterungen hinzu. Dadurch gelang ihm nicht nur eine Aktualisierung des Werkes von Grotius, da der neueste exegetische Forschungsstand berücksichtigt wurde, sondern auch eine Erweiterung, weil er „schwürige Stellen“180 einordnete, zu denen Grotius keine Äußerungen gemacht hatte. Für die Zeitgenossen wurde das Werk von Grotius mit den Döderleinschen Anmerkungen folglich noch nützlicher. So bemerkte beispielsweise Johann Benjamin Koppe als Rezensent in den „Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen“, dass es die Döderleinschen Anmerkungen seien, die „dem ganzen Werke noch einen eigenen besondern Werth“181 gäben. Als Döderlein schließlich 1779 ein Buch mit Anmerkungen über Hiob, die Psalmen, die Sprüche Salomons, den Prediger und das Hohe Lied als Beigabe (Supplementband) zum ersten Teil der Vogelschen Ausgabe des Grotius herausgab,182 setzte er diesem Werk endgültig „eine bleibende Krone“ auf.183 nahm die Fertigstellung von Jeremia und die Bearbeitung der anderen Propheten. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1777, 79. 179 Vogel hatte aufgrund seiner Krankheit Band 1 mit nur wenigen eigenen Anmerkungen und Band 3 völlig ohne neue Anmerkungen herausgegeben. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, aaO., 75. 180 Ebd. 181 Ebd. Diese Meinung übernahm auch Döring, der behauptete, Döderleins eigene Noten und Supplemente hätten den Wert des Buches erhöht. Vgl. Doering, Die deutschen Kanzelredner, 37. 182 Hugonis Grotii Annotationum in Vetus Testamentum Auctarium. Scripsit D. Ioh[annes] Christophorus Doederlein, Tom I., qui continet observationes in libros poeticos – auch unter dem Titel: D. Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Scholia in libros Veteris Testamenti poeticos, Iobum, Psalmos et tres Salomonis, Halle 1779. Dieses Buch sollte die bei Vogel fehlenden Kommentierungen zu Grotius’ Ausführungen nachholen. Es kam unter zwei Titeln heraus, damit es auch gesondert von der Grotiusschen Ausgabe verkauft werden konnte. Vgl. AdB, Anhang 1771–1791, Anhang 37–52, 1783, 86. – Hatte Döderlein bereits gesondert eine Übersetzung der „Sprüche Salomons“ (siehe Kapitel A/II, 3.) herausgegeben, so publizierte er wenige Jahre später eine deutsche Übersetzung zum Predigerbuch und Hohem Lied: Johann Christoph Döderlein, Salomons Prediger und hohes Lied. Neu übersezt mit kurzen erläuternden Anmerkungen, Jena 1784, 21792. Er schätzte darin bestimmte Fragen, wie die nach dem Verfasser, anders als in den Scholien ein. Nicht mehrere Personen sprächen hier (Scholien), sondern nur eine Person äußere ihre philosophischen Betrachtungen. Vgl. Döderlein, Vorrede, Salomons Prediger und hohes Lied, 1784, X. XVIII f. Döderleins Übersetzung und Anmerkungen wurden von den Rezensenten äußerst wohlwollend aufgenommen. Vgl. Theologisch-kritische Betrachtungen neuer Schriften. In Vereinigung mit einer Gesellschaft Gottesgelehrten verfaßt und hg. v. Georg Friedrich Seiler, 6. Bd., 1784, 427; Journal für Prediger, 15. Bd., 3. Stück, 1784, 338.340; AdB, 66. Bd., 1. Stück, 1786, 217. 183 Ammon, Döderlein, 4. Vor allem Döderleins Anmerkungen zum Hiobbuch wurden von den Rezensenten positiv bewertet. In der „Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen“ schrieb Gottfried Less, dass Döderlein hier „vortreflich[e]“ Anmerkungen gegeben und er beispielsweise über Hiob 19,32 „nichts Besseres gelesen“ habe. Vgl. Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen, 2. Bd., 1780, 738. Bei Döderleins Erläuterungen zum Hohen Lied sahen die Rezensenten eine enge Verwandtschaft zu Herders Thesen, da Döderlein dieses biblische
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3. Die „Sprüche Salomons“ Neben Döderleins „Esaias“ und dem „Grotius“ war es vor allem Döderleins Buch „Sprüche Salomons“184, das beim theologischen Publikum ausgesprochen beliebt war.185 Es wurde innerhalb von acht Jahren dreimal aufgelegt.186 Döderlein bot hier eine deutsche Übersetzung der Sprüche Salomons, die sich eng an den Sprachduktus und den Charakter des Originals anlehnte und die er mit erläuternden Anmerkungen versah. Diese Anmerkungen dienten auch dazu, den Sinn einzelner Verse zu erklären, der aufgrund der möglichst originalgetreuen Übersetzung zuweilen nicht deutlich wurde.187 Anders als bei seinem „Esaias“ übersetzte Döderlein dieses biblische Buch bewusst ins Deutsche, da sich sein Werk zum einen an angehende Theologen und Nichttheologen richtete,188 und weil zum anderen bis dahin keine neuere Übersetzung ins Deutsche vorlag.189 Eine aktuelle Übersetzung hielt Döderlein jedoch für zwingend notwendig, weil er trotz aller Bewunderung für Luthers Übersetzung diese als nicht mehr zeitgemäß empfand.190 Döderlein hatte es sich daher zum Ziel gesetzt, den Fortschritt in der „biblischen Sprachkunde“ und die „glücklichen Bemühungen späterer Gelehrten“ aufzugreifen und eine bessere Übersetzung für „[d]en grösern Haufen unserer Landsleute“ zu bieten.191 Dass er ausgerechnet eine Übersetzung dieses Buch wie Herder für eine Sammlung von Liebesliedern hielt, in der sich nichts anstößiges finden lasse. Vgl. Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen, aaO., 749; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 11. Stück, 1780, 109. 184 Johann Christoph Döderlein, Sprüche Salomons, neu übersezt mit kurzen erläuternden Anmerkungen, Altdorf 1778. 185 Siehe die Einschätzung in der Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung, 35. Stück, 1787, 275. 186 Johann Christoph Döderlein, Sprüche Salomons, neu übersezt mit kurzen erläuternden Anmerkungen, Zweyte durchaus verbesserte Ausgabe, Nürnberg/A ltdorf 1782; Johann Christoph Döderlein, Sprüche Salomons, neu übersezt mit kurzen erläuternden Anmerkungen, Dritte durchaus verbesserte Ausgabe, Nürnberg/A ltdorf 1786. 187 Siehe Döderleins Schilderungen in der Vorrede von 1778, [5 f.]. Die Anmerkungen sollten auch mit Blick auf das Zielpublikum keinen genuin gelehrten Charakter haben. Eine gelehrte Auseinandersetzung und Beweisführung wollte Döderlein vielmehr in einem eigenen, auf Latein verfassten Buch leisten, welches er hier ankündigte. Ebd. Döderlein verwies damit auf seine „Scholia in libros Veteris Testamenti poeticos, Iobum, Psalmos et tres Salomonis“. Siehe oben Anm. 182. 188 Siehe die Darstellung in den Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften, 3. Stück, 2. Abtheilung, 1778, 532 und in den Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten, 33. Stück, 1778, 277. 189 Siehe die Bemerkung in Döderleins Vorrede, es gebe bisher nur Übersetzungen ins Lateinische. Vgl. Döderlein, Sprüche Salomons, 1778, [3]. 190 „Ich bewundere die Lutherische [Übersetzung], – und wahrhaftig war fast kein Buch der Bibel so gut von ihm übersetzt, als diese Sprüche, – weil es auch für Luthern natürlich war, kurz und voll zu schreiben.“ Ebd. 191 Ebd. – In seiner ATB verfasste Döderlein innerhalb einer Rezension über Georg Friedrich Seilers Jesaja eine Apologie für die Notwendigkeit von deutschen Übersetzungen der alttestamentlichen Bücher. Seine Ausführungen deuten darauf hin, dass diese Übersetzungen
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biblischen Buches für notwendig erachtete, welches „vielleicht unter allen biblischen Büchern am schwersten zu übersetzen ist“192, hing mit dem Inhalt zusammen, dem Döderlein eine hohe Bedeutung beimaß: „[Das Buch hat] so viel Regeln zur Gottesfurcht, Räthe für Regenten und Bediente, […] moralische, politische, statistische, öconomische Maximen – in solcher Kürze […], als kein Sittenbuch in der Welt“.193 Döderlein hoffte, dass viele Menschen die in diesem biblischen Buch gegebenen Anweisungen beherzigen und damit ein erfülltes Leben führen können.194 Für sein Ziel einer guten Übersetzung arbeitete Döderlein kontinuierlich an der Verbesserung seines Textes und seiner Anmerkungen. In der zweiten und dritten Auflage finden sich zahlreiche Änderungen und Berichtigungen. Diese Überarbeitungen sind überdies das Produkt einer Diskursgemeinschaft, in der Döderlein stand. Er nutzte in den neuen Ausgaben der „Sprüche Salomons“ nicht nur die Ausführungen anderer Theologen, wie die von Johann David Michaelis und Albert Jakob Arnoldi,195 deren Werke bei Döderleins erster Auflage sehr umstritten waren. „Wenn es gleich jetzt Gelehrte giebt, die, noch dazu mit der angenommenen Kennermine, vor dem Publikum sagen können, daß die neuen Uebersetzungen einzelner Bücher A. T. ins deutsche ohne Nutzen seyn, uns um keinen Schritt im wesentlichen weiter bringen, und bloß, weil sie so leicht sind, geliefert werden: so müssen wir doch gestehen, daß wir ein solches Urtheil, […] weder billig, noch vernünftig und den jetzigen Bedürfnissen der Kirche und ihrer Glieder angemessen finden. Freylich wenn unser deutsches Publikum mit guten und brauchbaren Arbeiten dieser Art bereits schon so genährt, gefüllt und überladen wäre, daß man Eckel befürchten müste: […] wenn wir schon befriedigende, auch Ungelehrten und Ungeweihten verständliche Uebersetzungen vom A. T. oder einzelnen Büchern hätten und dieß Feld der Litteratur schon, angebaut und blühend genug wäre: dann würden wir es begreifen, wie irgend jemand auf die ohnehin sparsam gemachten Versuche neuer deutscher Uebersetzungen einzelner Bücher des A. T. den Richterblick von Verweisung werfen und diese Produkte unter die Klasse der unnützen […] stellen könnte. So lange aber unser liebes deutsches Vaterland noch nichts befriedigendes hat und der Wunsch nach einer deutschen Uebersetzung des A. T. darinnen die Vorzüge und Aufklärungen unsres Zeitalters in der oriental. Litteratur und Sprachkunde genutzt sind, stark und gerecht ist; so lange der Laye das nutzen kann, was der Gelehrte, der mehr aus sich selbst nimmt, nicht tauglich findet; so lange die Uebersetzer als denkende und prüfende Männer erscheinen; so lange bleibt es gewiß Verdienst, Uebersetzer des A. T. zu seyn.“ Doederlein, ATB 3, 2. Stück, 1784, 81–83. Siehe auch Kapitel E/I, 3.4., Anm. 299. 192 Döderlein, Sprüche Salomons, 1782, [13]. So auch die Einschätzung des Rezensenten in den Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten, 33. Stück, 1778, 277: „Daß die Sprüchwörter eines der schwersten Bücher des alten Testamentes seyen, ist denen am besten bekannt, welche dieselben ihren Zuhörern richtig und genau zu erklären versucht haben. Und doch ist es weit leichter zu erklären, als zu übersetzen.“ 193 Döderlein, aaO., [2]. 194 Vgl. Döderlein, aaO., [14]. 195 Johann David Michaelis, Deutsche Übersetzung des Alten Testaments mit Anmerkungen für Ungelehrte. Der siebente Theil welcher die Sprüche und den Prediger Salomons enthält, Göttingen 1778; Albert Jakob Arnoldi, Zur Exegetik und Kritik des Alten Testaments, Erster Beitrag. Anmerkungen über einzelne Stellen der Sprüche Salomons, Frankfurt 1781. – Ein Vergleich der Übersetzungen von Döderlein und Michaelis findet sich in der Bey-
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noch nicht vorlagen, sondern griff auch die Anmerkungen und Anregungen der Rezensenten zu seinem Werk auf.196 Döderleins Bemühungen erwiesen sich als erfolgreich. Seine „Sprüche Salomons“ galten bei den Zeitgenossen lange als das Beste zu diesem biblischen Buch vorliegende Werk.197 Dieser Zuspruch drückte sich ebenso in den Rezensionen über Döderleins „Sprüche Salomons“ aus, die sich hauptsächlich positiv äußerten. Die meisten Rezensenten lobten nicht nur Döderleins Übersetzung, die von „vieler Sprachkunde“198 zeuge, sondern bemerkten ferner, dass sein Werk „viel zur Aufklärung der Dunkelheiten dieses [biblischen] Buches“199 beitrage. Daneben wurden Döderleins exegetische Verdienste hervorgehoben, so dass der Rezensent der „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten“ Döderleins „Sprüche Salomons“ „allen Verehrern ächter Exegese mit Wärme“200 anpreisen konnte. Widerspruch erfuhr Döderlein allerdings von orthodoxen Theologen. Sie empfanden Döderleins kritische Haltung gegenüber dem Heranziehen von dogmatischen Beweisstellen aus dem Alten Testament als Angriff. Döderlein lehnte beispielsweise die Behauptung ab, dass in dem biblischen Buch der Sprüche (vor allem in Kapitel 8) von Jesus Christus gesprochen wird.201 Es lage zu den Gemeinnützigen Betrachtung der neuesten Schriften, 3. Stück, 3. Abtheilung, 1778, 289–304. 196 Vgl. Döderlein, Sprüche Salomons, 1782, [13]. – Döderlein äußerte in der Vorrede zur dritten Ausgabe: „Indessen sind, wie ich glaube, auch die wiederhohlten Versuche, in einige Sentenzen mehr Licht und Klarheit des Sinnes, in andre mehr Würde und Leichtigkeit des Ausdrucks zu bringen, nicht ganz fruchtloß gewesen. Ich würde weniger Achtung fürs Publikum, weniger Gefühl meines Berufs und mehr Gemächlichkeit, als ich mir erlauben will, haben müssen, wenn ich in meinen Einsichten Stillstand, meine Untersuchungen für vollendet und allemal den ersten Blick für so glücklich halten wollte, daß ich nicht mit iedem Tage etwas zu berichtigen oder zu bessern fände.“ Döderlein, aaO., [13 f.]. 197 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 108.124; Ammon, Döderlein, 4; Conversations-Lexicon. Neue Folge. In zwei Bänden. Zweite Abtheilung des ersten Bandes oder des Hauptwerks Elften Bandes zweite Hälfte, D–J, Leipzig 1824, 132. – Döderleins „Sprüche Salomons“ verloren ihren Status erst, als Werner Carl Ludwig Ziegler 1791 sein Buch herausgab „Neue Uebersetzung der Denksprüche Salomo’s im Geist der Parallelen, mit einer vollständigen Einleitung, philologischen Erläuterungen und practischen Anmerkungen“. Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 124. 198 Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 3. Stück, 2. Abtheilung, 1778, 533. 199 Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 33. Stück, 1778, 277. 200 Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, aaO., 421. 201 Döderlein schrieb in seiner Vorrede (Sprüche Salomons, 1778, [6 f.]): „Wer Lust hat, über einzelne Aeußerungen und Auslegungen zu klagen; wer in sich den Beruf fühlt, in iedem zur Auslegung der Bibel geschriebenen Buche vor allen andern nachzusehen, ob nicht in dem Kompendium oder System seiner Dogmatik eine Beweisstelle in Gefahr gerathen möchte, aber es nicht zu achten, wenn die christliche Moral etwan ein paar Dutzend Beweis- und Erläuterungsstellen gewinnt – von dem kan ich freylich nicht viel Günstiges erwarten: denn er wird z. E. von der selbstständigen Weißheit beym achten Kapitel nichts gesagt finden, was in den Schulen und auf den Kanzeln von Kirchenvätern aus guter Meinung, ohne Kenntniß des Originals gesagt, und von spätern Dogmatikern, aus Ehrfurcht gegen die Kirchenväter, abgeschrie-
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war also erneut Döderleins historisch-kritische Exegese, welche die dogmatische Auslegung in Frage stellte und welche wiederum zur Kritik seitens der lutherisch-konservativen Theologen an ihm führte. Zu der dogmenkritischen Auslegung kam noch hinzu, dass Döderlein eine Beteiligung mehrerer Autoren aus unterschiedlichen Zeiten an einem biblischen Buch, hier am Sprüchebuch, für möglich hielt.202 Für den Alttestamentler Martin Mulzer gilt Döderlein daher als „ein Vorläufer moderner Exegese“.203 Wie Döderlein seine exegetischen Erkenntnisse im Streit über die von Lessing veröffentlichten Fragmente nutzte, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.
III. Döderlein und der Fragmentenstreit Indem Gotthold Ephraim Lessing Fragmente aus der Erkenntnisse des englischen Deismus rezipierenden Schrift204 „Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ von Hermann Samuel Reimarus veröffentlichte, in der radikal mit dem biblischen Offenbarungsglauben gebrochen wurde,205 initiierte er die größte theologische Debatte des 18. Jahrhunderts seit der Auseinandersetzung um die Wertheimer Bibel.206 In der Forschung ist man sich ben worden.“ Döderlein formulierte weiter: „[I]ch glaube, ein christlicher Lehrer, der seine Lehren aus dem Neuen Testamente schöpft, habe nicht Ursache, auf dogmatische Beweisstellen aus dem Alten Testamente geitzig zu seyn, es sey denn, daß er Judenlehrer werden solle“. Döderlein, aaO., [7 f.]. 202 Vgl. Mulzer, Döderlein (WiBiLex) – „Wie bey der Sammlung der Psalmen auch Gedichte von spätern Verfassern hinzugekommen, so wurden wegen der Verwandschaft der Materie auch Denksprüche andrer, vielleicht späterer, weisen Männer der Sammlung von Salomons Sentenzen beygefügt. Wer sie ihrem Stande, Amte, Zeitalter und andern äuserlichen Umständen nach seyn mögen, weiß ich nicht. Ich glaube, eine Untersuchung darüber ist vergeblich, so lange wir nicht mehr Denkmale der alten Zeiten haben, und unnütz, da es zum Gebrauch eines biblischen Buches nicht nöthig ist, den Verfasser zu kennen.“ Döderlein, aaO., 136. 203 Mulzer, Döderlein (WiBiLex). 204 Vgl. Johann Anselm Steiger, Ist es denn ein Wunder? Die aufgeklärte Wunderkritik. Oder: Von Spinoza zu Reimarus (in: 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg [AKG 95], hg. v. Dems., Berlin/ New York 2005, 113–130), hier 124. 205 Vgl. Albrecht Beutel, Art. Reimarus, Hermann Samuel (RGG4 7, 2004, 238). 206 Vgl. Dietrich Klein, Hermann Samuel Reimarus (1694–1768). Das theologische Werk (BHTh 145), Tübingen 2009, 169. Zu Reimarus sei neben Klein verwiesen auf: Christoph Bultmann, Langweiliges Wissen. Die Wahrheiten des Hermann Samuel Reimarus (in: Religion und Aufklärung. Studien zur neuzeitlichen „Umformung des Christlichen“ [AKThG 14], hg. v. Albrecht Beutel/Volker Leppin, Leipzig 2004, 81–92); Gerhard Freund, Ein Trojaner. Lessings Reimarus-Fragmente als Anfrage an die zeitgenössische Theologie (in: 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Promotionen der Theologischen Fakultät Hamburg [AKG 95], hg. v. Johann Anselm Steiger, Berlin/New York 2005, 134–152); Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hg.), Hermann Samuel Reimarus. Hand-
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über die einschneidende und weit in die Zukunft reichende Bedeutung der Fragmentenveröffentlichung und dem daran anschließenden Streit einig.207 Lessing, der nach dem Tod von Reimarus eine frühe Fassung der „Apologie“ von dessen Kindern erhalten hatte,208 publizierte unter Wahrung der Anonymität des Verfassers 1774 zunächst das Fragment „Von Duldung der Deisten“. 1777 folgten die fünf Fragmente „Von Verschreyung der Vernunft auf den Kanzeln“, „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“, „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“, „Daß die Bücher A. T. nicht geschrieben worden, eine Religion zu offenbaren“ und „Ueber die Auferstehungsgeschichte“. Ein Jahr später gab Lessing, der mit der Veröffentlichung der Fragmente eine Auseinandersetzung über zentrale theologische Fragen provozieren wollte,209 das letzte Fragment mit dem Titel „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger“ heraus.210 Abgesehen vom ersten Fragment war das publizistische schriftenverzeichnis und Bibliographie (Veröffentlichungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 37), Göttingen 1979; Peter Stemmer, Weissagung und Kritik. Eine Studie zur Hermeneutik bei Hermann Samuel Reimarus (Veröffentlichungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 48), Göttingen 1983. 207 Siehe Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 157; Wolfgang Kröger, Das Publikum als Richter. Lessing und die „kleineren Respondenten“ im Fragmentenstreit (Wolfenbütteler Forschungen 5), Nendeln/Liechtenstein 1979, 11; Arno Schilson, Art. Fragmentenstreit (LThK 3, 31995, 1377 f.), hier 1378. Der genaue Ablauf und die Hintergründe des Fragmentenstreits sollen hier nicht dargestellt werden. Zahlreiche Monographien und Aufsätze geben darüber Auskunft. Es sei verwiesen auf: William Boehart, Zur Öffentlichkeitsstruktur des Streites um die Wolfenbütteler Fragmente (in: Lessing und die Toleranz. Beiträge der vierten internationalen Konferenz der Lessing Society in Hamburg vom 27. bis 29. Juni 1985. Sonderband zum Lessing Yearbook, hg. v. Peter Freimark u. a., Detroit/München 1986, 146–157); William Boehart, Politik und Religion. Studien zum Fragmentenstreit (Reimarus, Goeze, Lessing), Schwarzenbek 1988; Klaus Bohnen/A rno Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Zweiter Teil (in: Gotthold Ephraim Lessing. Werke und Briefe in zwölf Bänden, hier 9. Bd.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1778–1780 [Bibliothek deutscher Klassiker 94], hg. v. Dens., Frankfurt a. M. 1993, 723–1356), hier v. a. 753–767; Monika Fick, Lessing-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 32010, 408–441; Gerhard Freund, Theologie im Widerspruch. Die Lessing-Goeze-Kontroverse, Stuttgart 1989; Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 120–165; Klein, Reimarus, v. a. 169–181; Kröger, Das Publikum als Richter; Arno Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil (in: Gotthold Ephraim Lessing. Werke und Briefe in zwölf Bänden, hier 8. Bd.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1774–1778 [Bibliothek deutscher Klassiker 45], hg. v. Dems., Frankfurt a. M. 1989, 721–1168), hier v. a. 960–963. 208 Klein zeigt, dass die Lessingschen Fragmente aus unterschiedlichen Stadien der „Apologie“ entstammen, die aber insgesamt vor allem der zweiten Fassung ähneln. Vgl. Klein, Reimarus, 169, Anm. 276. Es ist überhaupt unklar, ob Lessing eine Vollversion oder nur ein Auszug der „Apologie“ vorgelegen hat. Denn das von Reimarus’ Kindern an Lessing übergebene Manuskript gilt als verschollen, nachdem die Zensurfreiheit in Religionssachen für Lessing aufgehoben worden war und das Dokument von Herzog Karl beschlagnahmt wurde. Vgl. Klein, aaO., 179 f. 209 Vgl. Klein, aaO., 173. 210 Lessing hatte sein Manuskript bereits 1770 den Verlegern Friedrich Nicolai und Christian Friedrich Voss angeboten, die mit Verweis auf die preußische Zensur eine Drucklegung
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Echo auf die Fragmente enorm.211 Nachdem es anfangs durchaus positive Reaktionen gegeben hatte, überwogen dann kritische und ablehnende Stellungnahmen. Vor allem die Herausgabe des das Fundament des christlichen Glaubens noch mehr erschütternden letzten Fragments führte zu einer immer schärferen Ablehnung Lessings und der Fragmente.212 In diesem Fragment stellte Reimarus die These auf, dass sich der christliche Glaube und die christliche Lehre nicht auf Jesus berufen könnten, da sich dessen Lehre enorm davon unterscheide, was die Jünger, die Jesu Tod nicht ertragen konnten, daraus gemacht hätten.213 Mit Johann Daniel Schumanns Entgegnung „Ueber die Evidenz der Beweise für die Wahrheit der christlichen Religion“, welche auf das Jahr 1778 datiert ist, nahm der Streit um die Fragmente seinen Anfang. Neben zahlreichen umfangreichen Rezensionen erschienen bereits 1778 19 Gegenschriften.214 In den meisten Veröffentlichungen wurde nicht nur der Inhalt der Fragmente, sondern auch Lessings Verhalten – dass er die Fragmente überhaupt erst bekannt gemacht hatte – angeprangert. Inhaltlich setzte man sich besonders mit den Fragmenten „Ueber die Auferstehungsgeschichte“ und „Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger“ auseinander.215 Einen gewichtigen Beitrag innerhalb dieser Gegenschriften leistete Johann Christoph Döderlein mit seinen „Antifragmenten“, die 1778 und 1779 in Nürnberg veröffentlicht wurden und zwei Bände umfassen: „Fragmente und Antifragmente. Zwey Fragmente eines Ungenannten aus Herrn Lessings Beyträgen zur Litteratur abgedruckt mit Betrachtungen darüber“ und „Fragmente und Antifragmente. Einige von Herrn Lessing herausgegebene Fragmente abgedruckt mit Betrachtungen darüber, Zweiter Theil“.216 Von den Rezensenten wurde Döderleins Publikation in den höchsten Tönen gelobt. Beispielsweise äußerte der für die AdB rezensierende Aufklärungstheologe Friedrich Germanus Lüdke, dass Döderleins Argumente „bündig und treffend“217 seien und keine andere ablehnten. Als 1772 die Reihe „Beyträge zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel“ von der Zensur befreit wurde, nutzte Lessing dieses Medium zur Veröffentlichung. Vgl. ebd. 211 Vgl. Fick, Lessing-Handbuch, 438. 212 Vgl. Kröger, Das Publikum als Richter, 18–20. 213 Vgl. Freund, Ein Trojaner, 140 f. 214 Vgl. Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 960. 215 Vgl. ebd. 216 [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente. Zwey Fragmente eines Ungenannten aus Herrn Lessings Beyträgen zur Litteratur abgedruckt mit Betrachtungen darüber, nebst einigen Landkarten, Nürnberg 1778; [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente. Einige von Herrn Lessing herausgegebene Fragmente abgedruckt mit Betrachtungen darüber, Zweiter Theil, Nürnberg 1779. 217 AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 408. Die Rezension ist mit dem Kürzel „Br.“ unterzeichnet, welches für Friedrich Germanus Lüdke steht. Vgl. Julius W. Braun (Hg.), Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen. Zeitungskritiken, Berichte und Notizen, Lessing und seine Werke betreffend, aus den Jahren 1747–1781. Eine Ergänzung zu allen Ausgaben von Lessings Werken, 2. Bd.: 1773–1781, Berlin 1893, 358.
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Widerlegung an die von Döderlein herankomme.218 Auch dass die Schrift innerhalb von elf Jahren insgesamt viermal aufgelegt wurde, zeigt, mit welchem Interesse seine Ausführungen gelesen wurden.219 Umso verwunderlicher ist es, dass Döderleins „Antifragmente“ in der Forschungsliteratur zum Fragmentenstreit bislang nicht eingehender analysiert wurden. Abgesehen von bloßen Erwähnungen von Döderleins Gegenschrift liegen keine detaillierteren Untersuchungen vor.220 Zudem wurde Döderleins Publikation weder in der von Klaus Bohnen und Arno Schilson erstellten Chronologie des Fragmentenstreits noch in der Übersicht von William Boehardt aufgenommen.221 Aus diesem Grund ist es von besonderem Interesse, die „Antifragmente“ einer genaueren Analyse zu unterziehen und den Stellenwert und die Bedeutung dieser Gegenschrift herauszuarbeiten. 1. Die drei Antifragmente Döderleins 1.1. Döderleins Beurteilung der Fragmente In der Vorrede der zweiten Auflage des ersten Bandes fasste Döderlein pointiert seine Position zu den Fragmenten zusammen. Er zählte darin das Erscheinen der Fragmente zu den „denkwürdigsten“ und „vielleicht auch unter die vortheilhaftesten […] Begebenheiten der neuesten teutschen Kirche“.222 Denkwürdig, weil es sich bei den Fragmenten um „vaterländische Schriften“223 handle, und nicht um Schriften gegen die Religion, die nur „erborgt[]“224 seien. Ihm war bewusst, 218 Vgl. AdB, aaO., 416. 219 [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente. Erster Theil. Zweyte, verbesserte Auflage, nebst einigen Landkarten, Nürnberg 1780; [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente. Zweiter Theil. Zweyte, verbesserte Auflage, Nürnberg 1781; [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente. Erster Theil, Dritte mit einer neuen Vorrede versehene Auflage, nebst einigen Landkarten, Nürnberg 1782; [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente, Erster Theil, Neue Auflage, nebst einigen Landkarten, Nürnberg 1788; [Johann Christoph Döderlein], Fragmente und Antifragmente, Zweyter Theil, Neue Auflage, Nürnberg 1788. 220 Erwähnung findet Döderlein bei Kröger, Das Publikum als Richter, 18 und Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 886. Hirsch, Boehart und Fick nennen Döderlein nicht. 221 Vgl. Bohnen/S chilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Zweiter Teil, 760–767; Boehardt, Politik und Religion, 373–384 (Seiten der Chronologie). Dass Döderleins Schrift nicht aufgeführt ist, kann eventuell der Tatsache geschuldet sein, dass es aufgrund des Publikationsverbots von Lessing für das Gebiet der Religion zwischen Döderlein und ihm zu keiner Auseinandersetzung kam wie etwa mit Johann Daniel Schumann, Johann Heinrich Reß und Friedrich Wilhelm Mascho. Dennoch sind Döderleins „Antifragmente“ ein gewichtiger Beitrag innerhalb des Fragmentenstreits. 222 Fragmente und Antifragmente, 1, 1780, IIIf. 223 Fragmente und Antifragmente, aaO., IV. 224 Ebd. Viele Gelehrte artikulierten genau diesen Fakt, dass die Themen und Thesen, die durchaus schon von englischen Deisten bekannt waren, nun inmitten der deutschen Öffentlichkeit präsentiert wurden. Vgl. Klein, Reimarus, 179.
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dass eine „teutsche Originalschrift wider die Religion“225 aufgrund der wenigen deutschen Schriften dieses Charakters mehr „Attention und Erstaunen“226 errege als ausländische Schriften. Im Gegensatz zu anderen Autoren befürwortete er die Veröffentlichung der Fragmente, denn die „Vorsehung machte diese Schrift für ihre Kirche und die Würde der Religion auch so vortheilhaft, daß ich ihre öffentliche Bekanntmachung grade so betrachte, wie eine Seuche, die ein Mittel zur Erfindung der heilsamsten noch den spätesten Zeiten nützlichen Arzney wird“227. Denn diese „künstliche oder natürliche Kühle des Ausdrucks“, die ganze „anscheinende Stärke der Beweise“ und der „ganze aufgehäufte Apparatus von Einwürfen“ stellten seiner Meinung nach für den „bedachtsamen und unpartheyischen Forscher“ kein Problem dar.228 Ein solcher Forscher erkenne laut Döderlein, dass der von ihm als „Fragmentist“ oder „Ungenannter“ bezeichnete Verfassers der Fragmente229 zahlreiche Trugschlüsse zusammensetzte und dass er „alle Beweise, welche für eine Wahrheit sprechen, mit dem bedenklichsten Stilleschweigen übergeht, Einwendungen macht, aber nicht hört, Zweifel aufsucht, aber eine gänzliche Unwissenheit der Gegengründe und der Versuche diese Zweifel, die auch schon in 225 Fragmente und Antifragmente, 1, 1780, IV. 226 Fragmente und Antifragmente, aaO., V. 227 Fragmente und Antifragmente, aaO., Vf. – Für Döderlein war das Theologumenon der Vorsehung, dass Gott die von ihm erschaffenen Dinge mit Güte und Weisheit erhält und regiert, „der feste Grund aller Religion“. Johann Christoph Döderleins kurze Unterweisung in den Lehrwahrheiten der christlichen Religion, Erster Theil, Nürnberg/A ltdorf 1791, 161. Er charakterisierte die Vorsehung als „allgemein“, die „alle Geschöpfe und alle Ereignisse, die größten, wie die kleinsten“ umfasst (Döderleins kurze Unterweisung, 1, 173), also Gottes Ordnung in der Welt wie auch die Führung jedes Menschen, und die letztlich die Glückseligkeit aller „erschaffnen Dinge“ bewirkt. Döderleins kurze Unterweisung, 1, 160. Der Glaube an die Vorsehung war für Döderlein essentiell, da er „mannigfaltigen Trost“ gebe, weil sich der Mensch nicht vor der Zukunft zu fürchten brauche, das „Herz mit frommen Empfindungen“ erfülle und „zur Ausübung vieler Pflichten“ ermuntere. Zu diesen Pflichten zählte er etwa die „Ergebung in den göttlichen Willen“, die „Zufriedenheit mit Gottes Führungen“ und die „Empfehlung zur göttlichen Leitung bei allen unsern Geschäften“. Döderleins kurze Unterweisung, 1, 175 f. – Zum Vorsehungsglauben in der Aufklärung: Martin Kessler, Das Erdbeben von Lissabon und die Frage nach Gottes Providenz in der Aufklärungstheologie (in: Gott in der Geschichte. Zum Ringen um das Verständnis von Heil und Unheil in der Geschichte des Christentums [Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 18], hg. v. Mariano Delgado/ Volker Leppin, Stuttgart 2013, 351–407). Speziell zum Vorsehungsglauben bei Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem: Spehr, Aufklärung und Ökumene, 79 f. Als Einführung in die Thematik allgemein sei verwiesen auf: Hermann Deuser, Art. Vorsehung I. Systematischtheologisch (TRE 35, 2003, 302–324); Bengt Hägglund, De providentia. Zur Gotteslehre im frühen Luthertum (ZThK 83, 1986, 356–369) und J[ohannes] Köhler, Art. Vorsehung (HWP 11, 2001, 1206–1218). 228 Fragmente und Antifragmente, aaO., Vf. 229 Die Bezeichnung „Ungenannter“ geht auf Lessing zurück, der Reimarus seit der ersten Fragmentenpublikation als den „Ungenannten“ betitelte. Vgl. Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 842. – Im Folgenden wird Reimarus als Verfasser der Fragmente benannt, auch wenn Döderlein dies nicht bekannt war.
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andern Köpfen aufgestiegen sind, zu lösen, affektirt und mit Gespenstern von Meynungen ficht, welche die Religion nie aufgestellt hat“230.
Döderlein dankte der Vorsehung, dass sie Männer ausgerüstet habe, die diese Zusammenhänge erkennen würden, gegen den „Fragmentisten“ sprächen und Zweifel lösen könnten.231 Dass sich so viele „rechtschaffene[] Männer“232 auf unterschiedliche Weise mit den Argumenten des „Ungenannten“ auseinandersetzen, bewertete Döderlein hier positiv. Denn obgleich viele dieser Widerlegungen von seinen „Vorstellungen abweichen“233, so könnten deren Argumente „brauchbar und nützlich zur Bestättigung mancher redliche[r] Gemüther seyn“234. 1.2. Aufbau und Auswahl der „Fragmente und Antifragmente“ Bei der Betrachtung der beiden Bände fällt zunächst auf, dass Döderlein den ersten Band anonym herausgab. Allerdings galt er schon bald als gesicherter Autor, so dass er in den ersten Rezensionen bereits namentlich erwähnt wurde.235 In dem zweiten Teil bekannte er sich schließlich direkt zu dieser Schrift, indem er die Vorrede mit seinem Namen unterzeichnete. Döderlein wählte von den sieben Fragmenten zunächst die zwei Fragmente vom „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“ und „Ueber die Auferstehungsgeschichte“ aus und untersuchte diese in seinem ersten Band. Vor diese Ausführungen setzte er „Vorläufige Betrachtungen“. In seinem zweiten Band widmete er sich dem Thema „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“. Beide Bände sind ähnlich aufgebaut. Döderlein stellte seinen Anmerkungen, seinem „Antifragment“, jeweils den vollständigen Abdruck des Fragments voran, was ihn von zahlreichen Gegenschriften unterschied.236 Für seine Argumentation war dieser Aufbau allerdings ent230 Fragmente und Antifragmente, 1, 1780, VI. 231 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., VIf. 232 Fragmente und Antifragmente, aaO., VII. 233 Ebd. 234 Ebd. 235 Siehe Die neuesten Religionsbegebenheiten mit unpartheyischen Anmerkungen für das Jahr 1779, Zweyter Jahrgang nebst Register über alle XII. Stücke, 2. Stück, 106; Gothaische gelehrte Zeitungen, Beylage zum 89. Stück, 1779, 737. Auch Johann Joachim Spalding äußerte im März 1779 in einem Brief an Johann Caspar Lavater, dass Döderlein der Verfasser der „Antifragmente“ sei. Vgl. Spalding an Lavater, 13.3.1779 (in: Johann Joachim Spalding, Briefe, hg. v. Albrecht Beutel/Olga Söntgerath, Tübingen 2018, Nr. 156, 282–285), hier 284. Einzig in den „Hallische[n] Neue[n] Gelehrte[n] Zeitungen“ ging man zunächst von einem unbekannten Verfasser aus, merkte dann aber an, dass man nun „zuverläßig“ vernommen habe, dass Döderlein der Autor sei. Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 89./90. Stück, 1778, Anm. auf 712. 236 Nur in den wenigsten Gegenschriften wurden die Fragmente oder ein einzelnes Fragment abgedruckt. Neben Döderlein wandten Johann Balthasar Lüderwald und Johann Heinrich Daniel Moldenhawer diese Methode an. Lüderwald gab das Auferstehungsfragment wieder in: Johann Balthasar Lüderwald, Die Wahrheit und Gewisheit der Auferstehung Jesu Christi. Gegen eine neuere in dem Vierten Beytrag zur Geschichte und Litteratur aus der Her-
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scheidend: Dem Leser musste das Fragment geläufig sein, da sich Döderleins Widerlegung eng an den Thesen des Fragments ausrichtete.237 Betrachtet man den Umfang der drei von Döderlein herausgegriffenen Fragmente samt ihrer Antifragmente, fällt auf, dass die Thematik „Offenbarung“ mit circa 250 Seiten den größten Raum einnimmt, gefolgt von der Auseinandersetzung über die Auferstehung mit circa 155 Seiten. Die Frage nach dem „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“, die Döderlein zuerst behandelte, beansprucht nur 60 Seiten. Diese quantitative Gewichtung geht allerdings nicht auf Döderlein zurück. Er hielt sich mit seiner Widerlegung ungefähr an den Umfang des Fragments. Warum wählte Döderlein allerdings genau diese drei Fragmente aus? In seinen Schriften gab er keine Begründung an. Deshalb können nur Vermutungen geäußert werden. Dass er nicht das erste Fragment „Von Duldung der Deisten“ heranzog, verwundert nicht. Denn diese Veröffentlichung blieb fast gänzlich ohne Resonanz. So erwähnten beispielsweise lediglich drei Rezensenten dieses zoglichen Bibliotheck zu Wolfenbüttel dagegen herausgekommene und hier völlig eingerückte Schrift erwiesen und vertheidiget, Helmstedt 1778. Moldenhawer schrieb über alle sieben Fragmente und druckte dabei immer das jeweilige Fragment ab. Exemplarisch sei auf zwei Schriften Moldenhawers verwiesen: Joh[ann] Heinr[ich] Dan[iel] Moldenhawer, Ausführliche Prüfung des fünften Fragments aus der Wolfenbüttelschen Bibliotheck von der Auferstehung Jesu, durch welche zugleich die Auferstehungs-Geschichte Christi bestätiget und erläutert wird, Hamburg 1779 und Joh[ann] Heinr[ich] Dan[iel] Moldenhawer, Genaue und unparteyische Prüfung des Fragments aus der Wolfenbüttelschen Bibliothek vom Zweck Jesu und seiner Jünger, Bremen 1781. Allerdings gingen sowohl Lüderwald als auch Moldenhawer methodisch anders als Döderlein vor. Lüderwald unterteilte den Text des Fragments in vier Abschnitte. Nach jedem Abschnitt erfolgte seine Kommentierung. Moldenhawer wiederum druckte als Haupttext den Fragmententext ab und präsentierte seine dazugehörige Kritik in einem Anmerkungsteil. Dass es offenbar einer Rechtfertigung bedurfte, warum ein Abdruck des Fragmententextes erfolgte, lässt sich an der Vorrede Lüderwalds erkennen. Er schrieb dort: „Nur die ganze Einrückung der Schrift selbst möchte doch manchen nicht gefallen.“ Lüderwald, aaO., [1]. Lüderwald rechtfertigte sein Vorgehen aber mit dem Verweis, dass das Christentum eine „so feste[] Sache“ sei, dass „das Gegenseitige“ frei vorgestellt und dann widerlegt werden könne. Lüderwald, aaO., [2]. Zugleich wollte er zeigen, dass er transparent vor gehe und nichts „geheim“ halte. Lüderwald, aaO., 16. Zu den Schriften Lüderwalds im Fragmentenstreit sei verwiesen auf: Bohnen/S chilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Zweiter Teil, 923–925. 237 Weil Döderlein nicht voraussetzen konnte, dass seine Leser die Fragmente vorliegen haben, entschied er sich für diese Herangehensweise. Siehe die Darstellung des Rezensenten der „neuesten Religionsbegebenheiten“: „Sie [die Fragmente] sind deswegen abgedruckt worden, weil die Leßingische Beyträge zu kostbar sind, und viele Leute sie, da sie doch einmal da sind, lesen wollen.“ Die neuesten Religionsbegebenheiten mit unpartheyischen Anmerkungen für das Jahr 1779, 2. Stück, 106. Auch in der Döderlein nahestehenden „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ äußerte sich der Rezensent vergleichbar: „[Es] werden zuerst die beyden gedachten Fragmente vollständig abgedruckt, damit der Leser, der den Lessingischen Beytrag nicht selbst besitzt, im Stand gesetzt werde, Rüstung und Gegenrüstung, Sturm und Vertheidigung selbst anzuschauen und zu vergleichen“. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 83. Stück, 1778, 760. Zu Döderleins Mitwirkung an der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ siehe Kapitel D/IV, 2.2.
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Fragment am Rande und auch spätere Rezensionen und Gegenschriften nahmen nur peripher, ohne genauere Charakterisierung dieses Fragments, darauf Bezug.238 Auffällig ist wiederum, dass Döderlein nicht auf das umstrittenste Fragment „Vom Zwecke Jesu“ reagierte. Eventuell liegt das daran, dass Johann Salomo Semler im Sommer 1778 eine Widerlegung dieses Fragments ankündigte und Döderlein daher keine Veranlassung zu einer eigenen Veröffentlichung sah.239 Fest steht, dass Döderlein diese drei genannten Fragmente auswählte und dabei die von Lessing vorgegebene Reihenfolge umstellte. Zunächst bearbeitete er mit der Frage nach den historischen Tatsachen bei dem Fragment „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“ ein Thema aus dem Alten Testament. Als folgenschwerer bewertete er die zweite Untersuchung mit der Frage nach der Auferstehung Jesu. Nicht an Mose, sondern an der Auferstehungsfrage entschied sich für Döderlein alles. In seinem zweiten Band hinterfragte er schließlich die Thesen des Fragments „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“, welches dem Fragment über den „Durchgang“ und der „Auferstehung“ bei Lessing vorangestellt war. Hier problematisierte er mit der Frage nach dem Offenbarungsanspruch des Christentums ein Thema, das als Folge des Glaubens an die Auferstehung zu sehen ist. 1.3. „Vorläufige Betrachtungen“ Döderlein eröffnete seine Ausführungen zu den Fragmenten mit „Vorläufige[n] Betrachtungen“, in welchen er dem Leser seine Sicht über Zweifel in der Religion und die für ihn geltenden Auslegungsregeln von Texten darlegte. Indem er diesen Teil einleitend voranstellte, gab er dem Leser Parameter an die Hand, unter denen er die Fragmente lesen sollte, und präsentierte bereits erste Thesen, welche die Behauptungen von Reimarus widerlegen sollten. In dem ersten Teil dieser Betrachtungen „Ueber Zweifel besonders in der Religion“ betonte Döderlein, dass Zweifel wichtig seien. Keiner, der Zweifel vortrage, dürfe gleich als „Feind der Religion“240 gelten. Denn Zweifel alarmierten und förderten das Nachdenken. Polemik sei die Ursache von vielen richtigen Bestimmungen. Die Zweifel sollten deshalb mit Dankbarkeit und Freude aufgenommen werden. Er kritisierte Zeitgenossen, die „Heulen[]“, „Wehklagen[]“ und die „Sturmglocken“241 läuteten, wenn ein Buch gegen die Religion erscheine, denn dies sei nur ein Zeichen von Schwäche.242 Als Problemanzeige seiner Zeit bemerkte Döderlein zudem, dass sich viele Theologen hinter Beweisstellen 238 Vgl. Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 856 f. 239 Vgl. Joh[ann] Sal[omo] Semler, Nachricht an das Publikum (Neueste Mannigfaltigkeiten, 72. Woche, 1779, 349–352). Die Ankündigung findet sich auf S. 351. Unterzeichnet ist sie auf den 19. August 1778. 240 Fragmente und Antifragmente, 1, 1778, 2. 241 Fragmente und Antifragmente, aaO., 3 f. 242 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 4.
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versteckten, ohne die Argumente der anderen zu kennen. Dies sei Ursache für die „unglücklichen theologischen Feldzüge“243 derer, die die Religion verteidigen wollten. Dass er anders vorgehen wollte, zeigt schon die Aufmachung seines Buches: Er druckte die Fragmente ab und setzt sich bis ins kleinste Detail mit den darin vorgebrachten Argumenten auseinander. Döderlein wollte sich zudem nicht mit Einwürfen abspeisen lassen, dass viele angeführte Zweifel des „Fragmentisten“ armselig seien, weshalb man nicht auf sie reagieren müsse. Der Theologe sah es vielmehr als seine Pflicht an, Zweifel jeglicher Art zu hören, vor allem, wenn sie das Ansehen der christlichen Religion und der Heiligen Schrift beträfen.244 Nachdem er die Bedeutung von Zweifeln dargelegt hatte, entfaltete er, wie diesen Zweifeln begegnet werden könne, indem er dem Leser mehrere Auslegungsregeln präsentierte. Grundlage seiner Ausführungen war die Annahme, dass die meisten Zweifel ihren Ursprung in dem Feststellen von scheinbaren Unmöglichkeiten und Widersprüchen in den biblischen Erzählungen hätten. Döderlein war sich bewusst, dass es in einigen biblischen Geschichten Ungereimtheiten gibt. Er betonte allerdings, dass es unhistorisch und unchristlich sei, aufgrund einzelner Widersprüche allen biblischen Büchern die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Zur Untermauerung seiner Aussage zog er als Vergleichspunkt den Umgang mit Quellentexten zur profanen Geschichte heran: Auch dort werde nicht alles verworfen, nur weil einzelne Unstimmigkeiten enthalten seien.245 Seine Argumentation gipfelte in der Aussage: „Selbst Unrichtigkeiten in den Erzählungen der Apostel und Evangelisten […] stürzen unmittelbar das Christentum nicht“.246 Döderlein konnte eine derartige Aussage aufgrund seines historisch-kritischen Schriftverständnisses treffen. Er beachtete die zeitlichen Hintergründe und Absichten der Verfasser. Die Evangelisten waren seiner Meinung nach keine Schulgelehrten, sondern Männer, die ihre Geschichten auf eine simple und natürliche Art für den populären Unterricht vortrugen. So hätten sie beispielsweise verschiedene Begebenheiten häufiger nach der Verwandtschaft der Sachen als nach der Zeitordnung aufgeschrieben – also zum Beispiel mehrere Reden Jesu zusammengesetzt, um die Geschichten zu verbinden und dabei auch ihre eigenen Formulierungen gebraucht. Döderlein ging überdies davon aus, dass sie ihre Bücher nicht auf einmal geschrieben, sondern nach und nach Zusätze beigegeben hätten.247 Den Evangelisten sei es zudem um die Lehre Jesu gegangen und nicht darum, dass jeder historische Umstand korrekt dargestellt werde.248 Wer 243 Fragmente und Antifragmente, aaO., 2. 244 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 6.8. 245 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 9 f. 246 Fragmente und Antifragmente, aaO., 11. 247 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 20–23. 248 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 3.
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dies nicht beachte und dann Widersprüche herausarbeite, der zeigt nach Döderlein eine „schändliche Unwissenheit der Sprache“249. Bei seinen Auslegungsregeln präsentierte Döderlein ebenfalls Grundsätze für den Umgang mit mehreren Zeugen, wie es bei den Evangelien der Fall ist. Laut Döderlein müsse beachtet werden, dass jeder Geschichtsschreiber seine eigene Art und Weise des Berichtens habe und Verschiedenheit noch nicht Widerspruch bedeute. Es müsse ferner nicht die ganze Sache erdichtet sein, wenn sich zwei Zeugen in einzelnen Begebenheiten unterscheiden. Döderlein belegte seine Ausführungen erneut mit Beispielen aus der profanen Geschichte. So betonte er, dass wenn der eine den Anfang des Krieges um drei Uhr behauptete und der andere aber um fünf Uhr, zwar die Umstände nicht übereinstimmten, das Faktum aber schon.250 Demzufolge trügen auch die Autoren der Evangelien trotz aller Verschiedenheit doch immer eine Lehre vor.251 Für Döderlein blieben vor diesem Hintergrund die Hauptbegebenheiten des Lebens Jesu, seine Geburt, seine Wunder, sein Tod und seine Auferstehung glaubwürdig, obgleich „so lange die Welt steht, keine ganz unerschütterliche Harmonie der Evangelisten zusammengetragen [werden könne]“252. Döderlein unterstrich am Ende seiner „Vorläufige[n] Betrachtungen“ nochmals, warum er diesen Abschnitt verfasst habe: „Einmal zum Beweiß, daß der Verfasser der Fragmente seine Zweifel hätte bekannt machen dürfen, ohne deßwegen ein Bösewicht und Religions-Spötter zu heisen – […]. Hernach zur Einleitung in die folgende Prüfung, ob er [der Verfasser der Fragmente] nach den Gesetzen eines genauen […] Geschichtforschers gedacht, und geschrieben hat“.253
1.4. Fragment und Antifragment „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“ Die erste Abhandlung, die von den dreien die kürzeste ist, leitete Döderlein mit der Wiedergabe von Textauszügen aus Ex 12–14 ein. Döderlein nahm zu diesen Textauszügen Kommentierungen von inhaltlicher und philologischer Art vor, gab Übersetzungsvorschläge und verwies auf geografisches Kartenmaterial, das er als Anhang beilegte. Dem Leser sollte auf diese Weise bewusst gemacht werden, auf welcher Textgrundlage im Fragment und Antifragment argumentiert wird. Im Anschluss daran druckte Döderlein das Fragment von Reimarus ab. Reimarus, der sich in seinen Ausführungen auf die Bibel- und Wunderkritik der englischen Deisten bezog,254 entfaltete darin die zentrale These, dass die biblische Erzählung vom Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer unmöglich als eine historische Tatsache angenommen werden könne. Diese ganze Ge249 Fragmente und Antifragmente, aaO., 22. 250 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 25–27. 251 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 12. 252 Fragmente und Antifragmente, aaO., 29. 253 Fragmente und Antifragmente, aaO., 33 f. 254 Vgl. Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 889.
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schichte sei vielmehr ein „innere[r] Widerspruch“255, was er anhand von drei Argumenten belegte. Der erste Widerspruch ergab sich für ihn aus der Unmöglichkeit, dass die von ihm auf circa 3.000.000 berechnete Gruppengröße der Israeliten (mit 300.000 Ochsen/Kühen, 600.000 Schafen/Ziegen samt Futter und Wagen) innerhalb von vier Stunden durch das Meer hätte ziehen können.256 Schon gar nicht, und dass war sein zweiter Punkt, wenn der Durchgang durch das Meer ein so schmaler war, wie in der biblischen Erzählung behauptet wurde.257 Außerdem sei drittens der Boden des Meeres nicht so beschaffen gewesen, dass viele Personen zugleich hätten durchkommen können. Reimarus bezog sich hier auf die Darstellung des antiken Geschichtsschreibers Diodor.258 Als Fazit seiner Untersuchung kam Reimarus deshalb zu dem Schluss: „[Jeder sieht], daß diese Wunder einen inneren Widerspruch und wahre Unmöglichkeit in sich halten: so können sie nicht wirklich geschehen seyn; sondern sie sind nothwendig ertichtet und zwar […] von einem Schreiber, der weder diesem Zuge selber mit beygewohnet, und was alles dazu gehöre, nebst den Gegenden des rothen Meeres mit seinen Augen gesehen, […]. Sehet; so wenig Verstand und Nachdenken kostet es, Wunder zu machen! so wenig ist auch nöthig, sie zu glauben!“259
Döderlein griff diese Argumente von Reimarus auf und versuchte sie in seinem Antifragment Stück für Stück zu entkräften und zu widerlegen. Im Rahmen eines Dialogs zwischen einem fingierten „Rechnungsrevisor“ und „Rechnungsführer“ wollte Döderlein beweisen, dass es für die Zahlen (Gruppengröße und Tierbestand) des „Ungenannten“ keine Belege gebe und die Zahlen viel zu hoch gegriffen seien. Döderlein revidierte die Zahlen vielmehr deutlich nach unten.260 255 Fragmente und Antifragmente, 1, 1778, 52. 256 Diese zeitliche Spanne ermittelte er anhand der Annahme, dass das Meer einige Stunden gebraucht habe, bis es durch den Ostwind völlig trocken gewesen sei und dem Fakt, dass die Ägypter laut biblischem Bericht bereits früh am Morgen untergegangen seien. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 52–54. 257 Reimarus diskutierte in diesem Zusammenhang die mögliche Formation der Israeliten. Wenn immer zehn Mann nebeneinander gestanden hätten, dann hätte sich der ganze Zug über 180 deutsche Meilen gestreckt, so dass der Zug neun Tage und neun Stunden gebraucht hätte, ehe die letzte Person in die Fußstapfen der ersten hätte treten können. Auch wenn sich die Israeliten der Länge nach gelagert hätten, bliebe dieses Unterfangen seiner Meinung nach unmöglich. Ebenso funktioniere ein Lager in viereckiger Gestalt nicht. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 60–64. 258 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 64 f. Reimarus wollte diese These anhand von „unleugbare[n] Zeugnisse[n]“ beweisen. Fragmente und Antifragmente, aaO., 65. Deshalb druckte er den Text des antiken Geschichtsschreibers Diodor ab, in welchem dieser das Rote Meer beschreibt. Es sei kein tiefes Meer, sondern voller Schlamm, mit gefährlichen Klippen und Korallen. Schiffe hätten oft große Probleme hindurchzufahren. Aus diesen Aussagen interpretierte Reimarus, dass unabhängig von der Personenzahl und Formation ein Durchkommen unmöglich wäre: Der eine würde im Schlamm stecken bleiben, der andere sich an den Klippen stoßen. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 66–72. 259 Fragmente und Antifragmente, aaO., 78 f. 260 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 80–91.
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Daneben berief sich Döderlein bei der geografischen Einordnung der Gegend ebenso wie Reimarus auf die Darstellung eines Experten. Döderlein wählte Carsten Niebuhrs Beschreibung von Arabien261 (1777/1778) und bezog sich damit auf die aktuellsten Forschungsergebnisse.262 Als Mitglied einer Reisegesellschaft nach Arabien war Niebuhr der erste, der genaue Karten unter anderem vom Roten Meer anfertigte.263 Döderlein nutzte diese Karten und bestimmte daran den Durchgang der Israeliten bei Sues oder Rolsum – also am äußersten nördlichen Ende des arabischen Meerbusens, an der das Meer höchstens eine halbe Meile breit sei. Da die Israeliten gemäß Döderlein über 3 Meilen lagerten, hätte das letzte Glied der Gruppe höchstens 3 ½ Meilen zu laufen gehabt. Die von Reimarus beschriebenen Schwierigkeiten des Weges verwarf der Theologe, indem er darauf aufmerksam machte, dass diese Unwegsamkeiten nicht für die von ihm ermittelte Gegend gelten würden. Ebenso wies Döderlein das vom „Fragmentisten“ vorgegebene Zeitfenster von vier Stunden für den Durchzug zurück.264 Letztlich kam Döderlein zu dem Schluss, dass der Durchzug auch mit einer größeren Gruppe in kürzerer Zeit bei einem längeren Weg ohne ein Wunder möglich gewesen wäre.265 Bei der Betrachtung der Argumentation von Reimarus und Döderlein fällt auf, dass sich beide methodisch nicht unterschieden. Beide untersuchten den Text anhand der Frage nach der historischen Wahrheit, stellten Berechnungen wie über die Gruppengröße an und bezogen sich auf Ortsbeschreibungen an261 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 91. – Carsten Niebuhr, Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern, 1. Bd., Kopenhagen 1774; C[arsten] Niebuhr, Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern, 2. Bd., Kopenhagen 1778. 262 Döderlein konnte auf Niebuhrs Reisebeschreibungen zurückgreifen, da dieses Werk der Universität Altdorf von ihrem Kurator von Welser gestiftet wurde. Grundsätzlich war die Universität Altdorf hervorragend mit Büchern ausgestattet, die Döderlein für seine exegetischen Abhandlungen nutzen konnte. Vgl. Leder, Universität Altdorf, 168 f. 263 Vgl. Reimer Hansen, Art. Niebuhr, Carsten (NDB 19, 1998, 217–219), hier 218. Die Expedition, an der Niebuhr teilnahm, wurde vom dänischen König Friedrich V. finanziert und sollte der philologischen, naturkundlichen und geografischen Erforschung Arabiens dienen. Bis auf Niebuhr verstarben alle Teilnehmer während der Expedition. Trotzdem erbrachte diese Reise durch Niebuhrs Überlieferung des Materials einen hohen wissenschaftlichen Ertrag. Niebuhr selbst erstellte auf Grundlage von Vermessungen und geografischen Erkundigungen unter anderem Karten des Nildeltas, des Roten Meeres, des Jemen und des Persischen Golfes. Vgl. Hansen, aaO., 217 f. Näheres zu Niebuhr siehe Josef Wiesehöfer/Stephan Conermann (Hg.), Carsten Niebuhr (1733–1815) und seine Zeit. Beiträge eines interdisziplinären Symposiums vom 7.–10. Oktober 1999 in Eutin (OeO 5), Stuttgart 2002. 264 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 1, 1778, 92–96. Döderlein dementierte das Zeitfenster von vier Stunden und verwies darauf, dass ein schmales Gewässer auch innerhalb kürzester Zeit austrocknen könne und Mose außerdem von neun Stunden Zeit spreche. Da diese Karawane nach seinen Berechnungen für 3 ½ Meilen circa fünf Stunden gebraucht habe, sei also ausreichend Zeit für den Durchgang durchs Meer gewesen. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 95 f. 98 f. 265 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 109.
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derer Gelehrter. Döderlein antwortete argumentativ also genau auf der Ebene von Reimarus und wollte über diesen Weg die Zweifel und Vorwürfe beseitigen. 1.5. Fragment und Antifragment „über die Auferstehungsgeschichte“ Das Fragment „über die Auferstehungsgeschichte“, „[auf die] das ganze neue Systema der Apostel ankömmt“266, gliederte Reimarus in drei umfangreiche Teile. Er untersuchte erstens die matthäische Darstellung von den Wächtern am Grab.267 Als zweites beleuchtete er das Verhältnis von Matthäus zu den anderen Evangelien und verwies auf zahlreiche Unterschiede und Abweichungen in den Abhandlungen der Evangelisten. In einem dritten Punkt präsentierte er zehn Widersprüche, die verdeutlichen sollten, dass es „fast kein[en] einzige[n] Umstand, von dem Tode Jesu an bis zu Ende der Geschichte [gebe], darinn sich [die] Erzählungen [der Evangelisten] zusammen […] reimen [ließe]“268. Auf Grundlage dieser Betrachtungen kam Reimarus zu dem Schluss, dass die Auferstehung nur eine Erfindung der Jünger sei, die den Leichnam Jesu gestohlen hätten.269 Die Widersprüche in den Beschreibungen der Evangelisten erklärte er sich damit, dass sie von Personen stammen, „die sich zwar in der Haupt-Sache beredet, was sie sagen wollen, aber die kleineren Neben-Umstände unter sich zu bestimmen vergessen haben; daher ein ieder nach seiner Einbildungs-Kraft und Gutdünken dieselbe für sich dazu tichtet“270. Die Auferstehungsgeschichte konnte seiner Meinung nach unmöglich wahr sein,271 zumal die Zeugen auch noch den Anspruch gehabt hätten, „in allen Stücken, und in allen Worten, von dem Heiligen Geist, der sie in alle Wahrheit leitet, getrieben [worden zu] seyn“272. 266 Fragmente und Antifragmente, aaO., 113. 267 Laut Matthäus haben die Wächter vor dem Grab gestanden, Jesus aus dem Grab herausgehen sehen und dies den Hohepriestern und Ältesten verkündigt, die den Wächtern wiederum befahlen, davon nichts zu sagen, sondern zu behaupten, der Leichnam sei von den Jüngern gestohlen worden. Reimarus kam diese Darstellung verdächtig vor. Er fragte sich, warum dieses Geschehen in keinem anderen Evangelium stehe und warum die Jünger die Wächtergeschichte nicht als Argument für die Auferstehung vor dem Volk oder in den Synagogen genutzt hätten. Bereits an dieser Stelle schlussfolgerte Reimarus, dass die Sache so nicht geschehen sein könne. Matthäus habe vielmehr alles nur erfunden, um die Beschuldigung, die Jünger hätten den Leichnam gestohlen, zu entkräften. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 114– 118.127 f. 268 Fragmente und Antifragmente, aaO., 193. 269 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 146. 270 Fragmente und Antifragmente, aaO., 170. 271 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 177 f. 272 Fragmente und Antifragmente, aaO., 179. Reimarus richtete daher die Frage an die Leser: „Saget mir vor Gott, Leser, die ihre Gewissen und Ehrlichkeit habt, könnet ihr dieß Zeugniß in einer so wichtigen Sache für einstimmig und aufrichtig halten, das sich in Personen, Zeit, Ort, Weise, Absicht, Reden, Geschichten, so mannigfaltig und offenbar widerspricht?“ Fragmente und Antifragmente, aaO., 192 f.
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Diese fundamentale Anfrage an die Auferstehung, als „die wichtigste Geschichte des Christenthums“273, nahm Döderlein sehr ernst. Im Gegensatz zu dem Angriff, der das Ansehen der mosaischen Erzählung betraf, sei dieser viel bedeutender. Denn weder das Bestreiten von bestimmten Ausführungen bei Mose noch das Dementieren einzelner Wunder Jesu bedeute den Sturz des Christentums.274 An dem vorliegenden Fall aber, der Auferstehung Jesu, hing für Döderlein alles: „Entweder ist Jesus auferstanden, oder er ist ein Betrüger“.275 Alle anderen Beweisgründe für das Christentum zählten dann nicht. Weder die Tugend der christlichen Lehren noch die lange Dauer des Christentums könnten ein Argument für die Wahrheit des Christentums sein, wenn Jesus nicht auferstanden ist. Auch dass Jesus anderen bedeutenden Männern wie Sokrates und Mose viel voraus habe, sei dann nicht mehr von Bedeutung. Denn Jesus habe seine Auferstehung verheißen und sein Ansehen stehe und falle mit der Erfüllung dieser Verheißung oder der Täuschung seiner Jünger.276 „Wird sie [die Verheißung] erfüllt, so haben sie freylich den höchsten Beweiß seiner Würde: schlägt sie aber fehl, so müssen alle ehemaligen guten Eindrücke seiner Lehren auslöschen.“277 Mit Bezug auf Paulus und den 1. Korintherbrief unterstrich Döderlein nochmals, dass ohne den Glauben an die Auferstehung der ganze christliche Glaube eitel sei. Ohne diese Gewissheit tauge das ganze Evangelium nichts.278 Bei seiner ausführlichen Widerlegung der Argumente von Reimarus orientierte sich Döderlein an der von Reimarus vorgegebenen Gliederung. Er thematisierte dementsprechend die Problematik um die Wächterdarstellung bei Matthäus, erläuterte das Verhältnis zwischen Matthäus und den anderen drei Evangelien und ging detailliert auf die zehn Widersprüche ein. Zusätzlich widmete er sich aber nicht nur den Unterschieden, sondern ebenso den Übereinstimmungen der Auferstehungsgeschichte bei den Evangelisten. Seine Grundthese lautete, dass sich die Evangelisten in dem Hauptfaktum einig waren: Jesus Christus wurde von Gott auferweckt, erschien mehrfach unter seinen Freunden öffentlich, als diese nicht damit rechneten, und hat sie von seiner Auferstehung so überzeugt, dass sie dies anschließend anderen Menschen verkündigten. Döderlein behauptete, dass es nicht darum gehe, an welchem genauen Ort Jesus erschienen sei, sondern um die Aussage: Jesus lebt!279 Die Unterschiede in den Darstellungen rechtfertigte Döderlein mittels mehrerer Argumente. Wie schon in seinen „Vorläufige[n] Betrachtungen“ angekündigt, bemühte er sich unter anderem um eine historische Einordnung der einzel273 Fragmente und Antifragmente, aaO., 268. 274 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 199. 275 Fragmente und Antifragmente, aaO., 200. 276 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 200 f. 207–209. 277 Fragmente und Antifragmente, aaO., 209. 278 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 205.210. 279 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 235 f.
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nen Evangelien. So bewertete er beispielsweise Matthäus mit seiner Darstellung der Wächter vor dem Grab als glaubwürdig, denn dieser sei der einzige, der für die Christen in Palästina in Jerusalem geschrieben habe. Er habe also vor den Augen derer geschrieben, welche von diesem Vorfall die genaueste Nachricht hatten. Markus und Lukas hingegen hätten ihre Evangelien in Entfernung zu Jerusalem bekannt gemacht und deshalb könnten bei ihnen in dieser Sache auch leichter Unwahrheiten auftreten.280 Döderlein akzentuierte ferner, dass es den Evangelisten um keine vollständige Wiedergabe des Geschehens gehe281 und sie nicht den Anspruch gehabt hätten, exakt die Chronologie zu befolgen.282 Anhand der Ausführungen von Reimarus und Döderlein lässt sich erkennen, dass beide zu anderen Bewertungen der Texte kamen, weil sie sich in ihrem Schriftverständnis fundamental unterschieden. Reimarus, dessen Position im Kontext des streitbaren Hamburger Luthertums bewertet werden muss, der gegen die Theologie des traditionellen Luthertums, gegen das orthodoxe Lehrsystem seiner Zeit kämpfte,283 las den biblischen Text wie die orthodoxen Theologen, gegen die er stritt. Er betrachtete den Text unter dem Gesichtspunkt eines verbalinspirierten Dokuments und arbeitete auf dieser Grundlage die zahlreichen Widersprüche heraus. Dem entgegen untersuchte Döderlein die biblischen Schriften unter dem Blickwinkel seines historisch-kritischen Schriftverständnisses. Wie schon in seinen „Vorläufige[n] Betrachtungen“ angekündigt, ordnete er die Schriften in einen historischen Kontext ein und beachtete die Adressaten und die Hintergründe der Schreibenden. Er benutzte die Auslegungsregeln, die er dem Leser anfangs präsentiert hatte. So konnte er beispielsweise ohne Schwierigkeiten festhalten, dass es bei mehreren Zeugen auf das Hauptfaktum ankomme. Durch dieses Schriftverständnis war es Döderlein zudem möglich, an der Autorität der elf Apostel und damit an der Richtigkeit ihrer Aussagen festzuhalten. Dazu war Reimarus aufgrund seiner Auffassung von der Schrift nicht in der Lage, weshalb er die Jünger als „Betrüger“ charakterisierte. An dieser Debatte wird ersichtlich, dass sich Döderlein nicht nur von deistischen Thesen, die gegen die Bibel und das Christentum zielten, unmissverständlich abgrenzte und um eine Widerlegung bemühte, sondern dass er sich gleichermaßen von der orthodoxen Schriftlehre distanzierte. Die orthodoxe Lehre von der Verbalinspiration verwarf er zugunsten eines aufklärerischen Verständnisses von der Schrift. Döderlein zeigte hier, dass er sich als Neologe verstand.284
280 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 215. 281 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 216. 282 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 255. 283 Vgl. Freund, Ein Trojaner, 138.142. 284 Zu Döderleins Schriftverständnis auch in Abgrenzung von der orthodoxen Schriftlehre siehe Kapitel E/I, 2.1.
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1.6. Fragment und Antifragment „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“ In dem Fragment „Unmöglichkeit einer Offenbarung, die alle Menschen auf eine gegründete Art glauben könnten“ bestritt Reimarus, dass die Offenbarungsreligion eine universelle, Heil stiftende Religion sei.285 Er legte anhand mehrerer Paragraphen dar, dass die Offenbarung Gottes entgegen ihres universalen Wahrheitsanspruches286 keine Allgemeingültigkeit habe, die der wahren Religion allerdings eigen sein müsse.287 Reimarus behauptete, dass viele Menschen nichts von der Offenbarung wüssten, entweder weil sie bereits als Kinder verstarben oder sie keine Nachricht davon erhielten.288 Der Hamburger Gelehrte war zudem skeptisch, was die Ausbreitung des Christentums betraf. Barbarisches Auftreten von Christen in fremden Ländern, inkompetente Missionare und Streitigkeiten der Christen untereinander zeige Außenstehenden, dass Christen nicht besser und frommer seien. Dies alles sei keine Werbung für das Christentum. Dass Europa christlich ist, sei ferner zum großen Teil nur durch Gewalt und das Schwert erreicht worden. Zwar gehe man heute nicht mehr diesen gewaltvollen Weg, aber man lehre dafür gegen die Vernunft. Die vernünftige Religion sei aus dem Katechismus verbannt – übrig seien allein unbegreifliche Glaubensartikel. Für den Verfasser der Fragmente war es daher nur logisch, dass sich das Christentum bei den Heiden nicht weiter ausbreite.289 Aber seiner Meinung nach hätten nicht nur Heiden, sondern auch Juden und Muslime kein Interesse an der christlichen Offenbarung.290 Wenn die Offenbarung und ein „gegründeter Glaube“ allerdings die Voraussetzungen für die Seligkeit seien, wie könne dann Gott, so fragte Reimarus, noch als gerecht und weise beschrieben werden, da er doch in diesem Fall die Seligkeit nach Zufall und Glück spende und die meisten Menschen wegen unverschuldeter Beraubung des Mittels zu einer ewigen Strafe verdamme.291 285 Vgl. Freund, Ein Trojaner, 138. 286 Vgl. Freund, aaO., 138 f. 287 Vgl. Fick, Lessing-Handbuch, 417. 288 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 29–35.115 f. 289 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 48–50.52–54. 290 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 68 f. 72 f. Reimarus bewertete die Zugehörigkeit zu einer Religion als eine Frage der Erziehung. Die Natur des Menschen bringe es mit sich, dass jeder bei der Religion seiner Väter bleibe: „[E]in jetziger eifriger Christ [würde] eben ein so guter eifriger Türke und Jude […] seyn, wenn er darinn von gleichen Aeltern auf solche Weise wäre erzogen worden: imgleichen ein ehrlicher Protestante eben so ein Erz-Catholischer würde gewesen seyn, wenn er mitten unter Catholicken groß geworden wäre.“ Fragmente und Antifragmente, aaO., 70. Diese Tatsache beurteilte er negativ. Denn „ihre natürlichen Kräfte der Vernunft [werden] durch den bangen Gehorsam des väterlichen Glaubens so unterdrückt […], daß sie sich lebenslang zu Sclaven desselben dahingeben“. Fragmente und Antifragmente, aaO., 71. 291 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 28 f.
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Außerdem liege auch bei den meisten Christen kein „gegründeter Glaube“ vor. Darunter verstand Reimarus einen Glauben, der auf Grundlage des Lesens der Schrift diese versteht, reflektiert und sich schwierige Stellen unter Heranziehung von Hilfsmitteln erklären kann.292 Diesem Glauben stellte er den „blind[en]“ und „unbegründet[en]“ Glauben293 gegenüber. Bei diesem mache sich der Christ keine eigenen Gedanken, sondern verlasse sich auf die Aussagen anderer. Da aber nicht alle ein Exemplar der Bibel besäßen, einige nicht einmal lesen und nur wenige sich schwere Stellen erklären könnten, herrschte – laut Reimarus – von Beginn des Christentums an lauter „Köhler-Glaube“ und lauter „Katechismus-Glaube“. Der Begriff „Köhler-Glaube“ war bei ihm negativ konnotiert und diente als Umschreibung für den „blinden Glauben“ – das Nachsagen dessen, was die Priester vorgesagt haben.294 Reimarus bezichtigte die große Menge der Christen dieses Glaubens: Sie alle seien „bloße Papageien“295. Er bestritt ferner, dass die Bibel die Offenbarung Gottes sei. Seine Grundannahme war dabei folgende: Wolle die Bibel göttliche Offenbarung sein, dann müsse sie Gottes Wort sein. Wie verhält es sich aber damit? Die Ansicht, dass die Bibel Gottes Wort enthält, war für Reimarus die Folge einer jahrhundertelangen Nachbeterei, welche den Kindern von klein auf beigebracht wurde.296 Für Reimarus reichte eine einzige Unwahrheit, die der Erfahrung oder Vernunft widersprach, um ein Buch als eine göttliche Offenbarung zu verwerfen.297 Die Prüfung der Bibel mit Hilfe der Vernunft habe ihm nun gezeigt, dass viele Unwahrheiten und Widersprüche vorlägen und damit die Bibel nicht die Offenbarung Gottes sein könne.298 Reimarus formulierte schlussfolgernd: „[D]er Mensch [ist] für keine übernatürliche Offenbarung gemacht […]. Die Sprache der Natur, die in den Geschöpfen Gottes redet, nebst Vernunft und Gewissen, ist allein die allgemeine Sprache, dadurch sich Gott allen Menschen und Völkern offenbaren kann; […] [D]urch Worte eines Volks, die 500. Dolmetscher brauchen, ist es nicht möglich.“299
Eine religiöse Wahrheit kann demzufolge nicht durch die göttliche Offenbarung, sondern allein durch die Sprache der Natur einen allgemeingültigen Charakter erhalten. Mehr als die Erkenntnisse, die aus dieser natürlichen Vernunftreligion resultieren, braucht der Mensch nach Reimarus nicht. Sonst hätte Gott diese Erkenntnisse mit in der Natur oder in den natürlichen Kräften des Menschen an292 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 82 f. 293 Fragmente und Antifragmente, aaO., 84. 294 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 84–87. Zum Begriff „Köhlerglaube“ siehe Jacob Grimm/Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, 11. Bd.: K- Kyrie eleison, fotomechan. Nachdruck der Erstausgabe 1873, München 1984, 1591 f. 295 Fragmente und Antifragmente, aaO., 87. 296 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 103.108. 297 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 110 f. 298 Vgl. Jan Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis. Ideengeschichte des Christentums Band 2, Tübingen 2013, 482. 299 Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 61 f.
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gelegt.300 Indem Reimarus der Auffassung war, es brauche neben der natürlichen Vernunftreligion keine auf Offenbarung beruhende Religion,301 folgte er deistischen Positionen. Zu einer gänzlich anderen Bewertung kam Döderlein, der seine Widerlegung mit der Äußerung begann: „Ich kan […] auch ohne […] Sterbelisten, Rechnungskünste und geographische Reisen [des Ungenannten], bloß nach dem, was ieder weiß, die Nichtallgemeinheit ieder Religion zugeben“.302 Döderlein unterstrich bereits an dieser Stelle, dass seine Grundprämisse eine vom „Fragmentisten“ völlig verschiedene war. Es ging ihm bei der Frage nach göttlicher Offenbarung nicht um eine Beweisführung anhand der Allgemeinheit oder Nichtallgemeinheit der Religion. In seinem einleitenden Teil stellte er deshalb heraus, wie nichtig die Untersuchung und Argumentationsstruktur von Reimarus über die Frage nach der Allgemeinheit der Religion sei. Für ihn war Reimarus’ Ergebnis offensichtlich, dass das Christentum bisher keine allgemeine Religion sei. Aber im Gegensatz zu diesem schlussfolgerte Döderlein daraus nicht, dass der Glaube an eine göttliche Offenbarung deshalb abgelehnt werden müsse. Denn, so Döderlein, an der Allgemeinheit der Religion hänge nicht ihre Göttlichkeit. Zudem demontierte er die Argumentationskette des „Ungenannten“, dass, wer die Offenbarung nicht habe, von der Glückseligkeit ausgeschlossen sei, was Reimarus zur Behauptung führte, die Offenbarung könne kein Mittel zur Glückseligkeit sein, da Gott die Rettung aller wolle. Gemäß Döderlein bewirke die christliche Lehre zwar die vorzüglichste Glückseligkeit, aber bereits Paulus habe betont, dass Nichtkenner der Offenbarung nicht nach dem Gesetz und den Forderungen der Offenbarung beurteilt würden. Gott erteile ebenso denen Vergebung durch Jesus, welche „in der Periode der Unwissenheit“ lebten.303 Döderlein bezog sich mit dieser Aussage auf Ausführungen von Johann August Eberhard, Gottfried Less und Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, die seiner Meinung nach „diese ganze Philosophie so zerstört haben, daß ihre Reste entweder Ruinen oder Luftschlösser sind“304. Mit diesen einleitenden Worten meinte Döderlein, ein Hauptargument des „Fragmentisten“ widerlegt zu haben. Er spitzte seine Argumente zu, indem er postulierte, dass die von Reimarus hervorgehobenen Beweisgründe gegen die Offenbarung auch für die Naturreligion gelten würden. Im Gegensatz zu dessen Behauptung von der Allgemeinheit der Naturreligion würden viele Menschen die allgemeine Sprache der Natur nicht hören, auch weil sie durch Trägheit und Sinnlichkeit zu sehr betäubt seien. Ferner habe sich die Idee von dem 300 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 114–120. 301 Vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 482. 302 Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 121. 303 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 121–126. 304 Fragmente und Antifragmente, aaO., 127. Zum Thema Seligkeit der Heiden siehe apitel E/I, 1.4. K
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einen Gott, der in der Natur so offen liegen soll, doch bei den meisten Nationen verloren und sei nur noch dunkel erhalten.305 Obgleich Döderlein die Frage nach der Allgemeinheit der Religion als Grundlage für eine Diskussion über die Offenbarung ablehnte, hinderte es ihn nicht daran, in einem hinteren Abschnitt des „Antifragments“ zu behaupten, dass das Christentum im Gegensatz zur natürlichen Religion, dem Judentum und Islam die einzige Religion sei, welche einmal allgemein werden würde.306 Wann dieser Zustand allerdings erreicht sei, zähle zu den Geheimnissen Gottes.307 Unabhängig davon, wie es um den Stand der Allgemeinheit des Christentums bestellt ist, hielt Döderlein an der göttlichen Offenbarung fest. Die auf diesen einleitenden Teil folgenden Ausführungen Döderleins lesen sich wie eine Apologie für die Offenbarung. Da die Grundprämissen von Döderlein und Reimarus so verschieden waren, folgte Döderlein hier nicht mehr wie in seinen anderen Antifragmenten der Gliederung von Reimarus, sondern wählte einen 305 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 128 f. 306 Das Christentum sei eine Religion für das ganze Menschengeschlecht und die ganze Welt. Andere Religionen wie der Islam und der Hinduismus könnten nicht universal gedacht werden. Ihre Zeremonien und Bräuche seien meistens lokal und könnten auswärts kaum nachgeahmt werden. Denn was sei die Welt, wenn überall Polygamie und Alkoholverbot herrsche, wie es der Islam beispielsweise fordert? Döderlein widersprach hier Einwänden unter anderem von Charles de Secondat, Baron de Montesquieu, der behauptete, das Christentum (Monogamie) würde nicht zum Orient passen. Für Döderlein war es genau andersherum. Selbst die natürliche Religion könne seiner Meinung nach nicht allgemein sein, da sie immer bestimmte Kenntnisse in der Philosophie voraussetze. Anders sei es beim Christentum. Seiner Meinung nach könne die christliche Religion, können Taufe und Abendmahl in jeder Gegend der Welt, in allen Verhältnissen menschlichen Lebens praktiziert werden. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 201–210.216. Döderlein war außerdem der Meinung, dass die Muslime und Juden irgendwann zum Christentum konvertieren und die Heiden sich bekehren werden. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 244–247. – Der Frage nach der Judenbekehrung ging er gesondert ab der zweiten Auflage seines zweiten Bandes der „Fragmente und Antifragmente“ nach. Er erweiterte diesen zweiten Band mit dem „Anhang. Giebt die Bibel Hofnung zu einer künftigen allgemeinen Judenbekehrung?“. Diese Schrift gab er auch als eigenes Werk heraus: Joh[ann] Chr[istoph] Döderlein, Giebt uns die Bibel Hofnung zu einer künftigen allgemeinen Judenbekehrung? Kurz untersucht, Nürnberg 1781. Döderlein hielt in dieser Abhandlung durchaus an der Hoffnung einer allgemeinen Judenbekehrung fest, aber distanzierte sich von Spekulationen und dekonstruierte viele biblische Beweisstellen, besonders die prophetischen Weissagungen, die eine derartige Bekehrung beweisen sollten. Döderlein legte vielmehr dar, was der eigentliche Hintergrund dieser Bibelstellen sei. Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1781, Anhang, 265 f. 275–284. Auch die immer wieder für eine Bekehrung herangezogene Bibelstelle Röm 11,26 f. kann seiner Meinung nach nicht für eine solche Begründung gebraucht werden. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., Anhang, 290–296. Aufgrund seiner Untersuchungen kam Döderlein letztlich zu dem Schluss, dass die Bibel keine Beweisstellen für eine allgemeine Judenbekehrung liefere. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., Anhang, 300. Er betonte allerdings auch, dass für den Christen unumstößliche Gründe für eine Judenbekehrung nicht notwendig seien, da sie keinen Einfluss auf die Ruhe und Besserung des Christen hätten. Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., Anhang, 264. 307 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 248.
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eigenen Aufbau.308 Als Grundlage seiner Darstellung definierte er den Begriff Offenbarung: „Man versteht unter einer göttlichen Offenbarung entweder die Wahrheiten, welche Gott den Menschen mittheilt, und welche sie durch ihre Einsicht entweder gar nicht, oder nicht so leicht, nicht so frühe erhalten hätten, oder die Bücher, darinnen diese Entdeckungen enthalten sind, die Bibel“.309
Mit dieser Definition präsentierte Döderlein bereits seine zentralen Thesen. Für Döderlein stärkte die Offenbarung die unzureichende menschliche Erkenntnis: Sie eröffnet dem Menschen eine Wahrheit, die er nicht finden konnte oder die verloren war.310 Außerdem akzentuierte er, dass die Bibel nicht die eigentliche Offenbarung sei (wovon Reimarus ausging), sondern „nur das älteste und ächteste Denkmal und Geschichtsbuch der geoffenbarten Lehren“311. Alle Fragen nach der Echtheit und Richtigkeit der biblischen Bücher und ihrer göttlichen Eingebung fielen für ihn deshalb beiseite.312 Döderlein trennte damit zwischen Wort Gottes und der Bibel, weshalb er an der Göttlichkeit der Lehre festhalten konnte, ohne die göttliche Eingebung der ganzen Schrift anzunehmen.313 Zudem betonte Döderlein wie Lessing, dass die Beweise gegen die Schrift nicht zugleich als Beweise gegen die Erkenntnis einer Offenbarung gelten könnten, da das Christentum älter als die Bibel sei.314 Er wehrte sich auch dagegen, dass zwei oder drei unbegreifliche Lehren der christlichen Offenbarung für das ganze System stehen sollten.315 Wie im vorherigen Abschnitt bereits thematisiert, lässt sich hier wieder das unterschiedliche Schriftverständnis von Reimarus und Döderlein erkennen, was beide zu anderen Schlussfolgerungen führte. Für Reimarus war die Wahrheit der christlichen Religion abhängig von der Glaubwürdigkeit der Schrift als Of308 Döderlein gliederte seine Ausführungen unter acht Überschriften: Interesse bey dieser Untersuchung; Allgemeine Erkenntniß einer Offenbarung; Allgemeine Überzeugung von einer Offenbarung; Anstalten zur Allgemeinheit der Offenbarung biß auf Mosen; Anstalten zur Allgemeinheit der Offenbarung durch die Juden; Allgemeinheit der christlichen Religion; Hindernisse der Ausbreitung der christlichen Offenbarung; Hofnungen zur Ausbreitung der christlichen Offenbarung. 309 Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 141. 310 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 163. – Zur Verhältnisbestimmung von natürlicher und geoffenbarter Religion bei Döderlein siehe Kapitel E/I, 1.3. 311 Fragmente und Antifragmente, aaO., 167. 312 Vgl. ebd. 313 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 174 f. 314 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 141. So äußerte sich Lessing beispielsweise in seinen Axiomata, wenn es deren in dergleichen Dingen giebt. Wider den Herrn Pastor Goeze, in Hamburg (in: Gotthold Ephraim Lessing. Werke und Briefe in zwölf Bänden, hier 9. Bd.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1778–1780 [Bibliothek deutscher Klassiker 94], hg. v. Klaus Bohnen/A rno Schilson, Frankfurt a. M. 1993, 53–89), hier v. a. These 7 (67 f.). Allerdings zogen Lessing und Döderlein daraus verschiedenen Konsequenzen. Siehe Kapitel E/I, 3.4. 315 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 164 f.
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fenbarungszeugnis. Da die Schrift nach seinem Verständnis aufgrund der zahlreichen von ihm aufgeführten Widersprüche an Glaubwürdigkeit eingebüßt habe, leugnete er den Offenbarungsanspruch grundsätzlich.316 Döderlein wiederum brach mit diesem Konstrukt, indem er die Offenbarung nicht mit der Bibel gleichsetzte. Deshalb konnte er trotz Ungereimtheiten in der Bibel an der göttlichen Offenbarung festhalten. Anstelle die Richtigkeit und Exaktheit der Schrift als Kriterium für eine göttliche Offenbarung anzunehmen, bestimmte er als Kennzeichen einer göttlichen Offenbarung vielmehr die Auswirkungen auf die menschliche Glückseligkeit und Sittlichkeit317 und bewertete die Offenbarung als etwas dynamisches, sich den jeweiligen Bedürfnissen und Erkenntnissen der Menschen anpassendes Geschehen.318 2. Die Rezeption von Döderleins „ Antifragmente[n]“ zwischen höchstem Lob und kategorischer Ablehnung 2.1. Die „ Antifragmente“ im Urteil der Rezensenten Bereits in der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass Döderleins „Antifragmente“ in vielen gelehrten Zeitungen positiv rezensiert wurden. Diese Tatsache wird auch in der Forschungsliteratur, wie beispielsweise bei Klaus Leder aufgegriffen, der mehrere Rezensionen präsentiert, die sich sehr wohlwollend über Döderleins „Fragmente und Antifragmente“ äußerten.319 Eine detaillierte Übersicht über den Großteil der existierenden Rezensionen zu Döderleins „Antifragmenten“ bietet Wilhelm Schmidt-Biggemann.320 Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, was genau die Kritiker an Döderleins „Antifragmenten“ begeistert hat. Ferner wird ein kurzer Überblick über die Rezensionen zu Döderleins „Antifragmenten“ geboten. Die Rezensionen, die hier in den Blick genommen werden, stammen aus Zeitungen ganz unterschiedlicher Gegenden. Exemplarisch seien die in Greifswald herausgegebenen „Neueste[n] Critische[n] Nachrichten“, die „Hallische[n] Neue[n] Gelehrte[n] Zeitungen“, die „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen von gelehrten Sachen“, die „Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen[n]“ und die „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten“ genannt.321 Neben 316 Vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 482. 317 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 168. 318 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., 155. – Dazu siehe Kapitel E/I, 3.1. 319 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 204 f. 320 Schmidt-Biggemann, Hermann Samuel Reimarus. Handschriftenverzeichnis, 71 f. 321 Die Rezensionen befinden sich in: Neueste critische Nachrichten, 5. Bd., 11. Stück, 1779, 86; Neueste critische Nachrichten, 5. Bd, 34. Stück, 265; Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 89./90. Stück, 1778, 705–714; Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 65. Stück, 1779, 513–515; Jenaische gelehrte Zeitungen, 28. Stück, 1779, 225–230; Jenaische gelehrte Zeitungen, 47. Stück, 1779, 393–396; Gothaische gelehrte Zeitungen, 101. Stück, 1778, 827–834; Gothaische gelehrte Zeitungen, 102. Stück, 1778, 833–840; Gothaische gelehrte Zeitungen. Beylage zum 89. Stück, 1779, 737–744; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 43.
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der Herkunft unterscheiden sich diese Rezensionen im Format und Umfang. Einige der Rezensenten setzten sich mit Döderleins „Fragmenten und Antifragmenten“ in einer eigenen Abhandlung auseinander (zum Beispiel in den „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten“ und der „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitung“), andere besprachen dieses Werk in Sammelrezensionen (zum Beispiel im „Journal für Prediger“322 und in den „Hallische[n] Neue[n] Gelehrte[n] Zeitungen“). Neben kurzen Anzeigen (im „Allgemeine[n] Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen“323 und im „Journal für Prediger“) gab es Buchbesprechungen, die eine detaillierte Inhaltsangabe und Döderleins Hauptgedanken lieferten (zum Beispiel in der „Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften“324, den „Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ und den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“). Auch wenn der Charakter der Rezensionen sehr verschieden war, so wiesen sie doch alle eine große Gemeinsamkeit auf: Sie alle äußerten sich auffallend positiv über Döderleins „Antifragmente“. Lob fand nicht nur (1) sein Werk allgemein, sondern es wurden (2) die Art und Weise seines Vorgehens sowie sein Stil und Ausdruck anerkennend hervorgehoben. Daneben wurden (3) verschiedene Einzelthemen aus den Antifragmenten besonders akzentuiert. (1) Was das allgemeine Lob betrifft, so wurde an vielen Stellen festgestellt, Döderleins Bände würden „gewiß zu den vorzüglichsten Schriften, die bey Gelegenheit der Fragmente erschienen sind“325 gehören. Durch sie würde der „Vorwurf völlig zernichte[t], daß noch niemand mit Bestand die Einwürfe des Ungenannten beantwortet habe“326. Der Rezensent der „Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ schrieb daher: „[W]enn [der] R.[ezensent] bey der Wahl eines Apologeten für das Christenthum eine Stimme hätte, so würde er doch vorzüglich auf den V.[erfasser] votiren“.327 Überaus positiv äußerte sich der bereits in der Einleitung zitierte Friedrich Germanus Lüdke in der „Allgemeine[n] deutsche[n] Bibliothek“.328 Er habe unter den Antifragmenten noch keines gelesen, Stück, 1778, 390–392; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 36. Stück, 1779, 220–223; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 9. Stück, 1781, 88. 322 Journal für Prediger, 10. Bd., 2. Stück, 1779, 129–139. 323 Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen, 11. Stück, 1778, 810; Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen, 4. Stück, 1779, 237 f. 324 Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1779, 3–16; AaO., 4. Stück, 1. Abtheilung, 1779, 307–319. 325 Jenaische gelehrte Zeitungen, 28. Stück, 1779, 225. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch im Journal für Prediger, 10. Bd., 2. Stück, 1779, 137 und den Hallische[n] Neue[n] gelehrte[n] Zeitungen, 65. Stück, 1779, 513. 326 Neueste Crititsche Nachrichten, 5. Band, 11. Stück, 1779, 86. Auch in den Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen und Nachrichten, 36. Stück, 1779, 223 wurden Döderleins Antifragmente als „Muster, wie Controversen zum Sieg der Religion und zur Ehre der Menschheit zu führen sind“ beschrieben. 327 Gothaische gelehrte Zeitungen. Beylage zum 89. Stück, 1779, 737. 328 AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 408–416.
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welches „mit so reichhaltiger Kürze dem Forscher der Wahrheit in diesem Streit Genüge thäte, und den ehrlichen Zweifler beruhigen könnte“329. Lüdke nahm außerdem die Adressaten in den Blick: „Dieser würdige Gottesgelehrte faßt die Fragmente von der rechten Seite, und ist der einzige, der für Theologen und Nichttheologen, die aber gutgesinnte Christen sind, das beste und lesenswürdigste dagegen geschrieben hat.“330 Er sprach Döderlein daher seinen Dank und seine Hochachtung aus331 und empfahl Döderleins „Antifragmente“ „allen, welche durch die Fragmente stutzig gemacht sind zum eigenen Nachlesen“332. (2) Neben diesem allgemeinen Lob hoben viele Rezensenten Döderleins Stil hervor. Es wurden seine Gründlichkeit und sein Scharfsinn erwähnt.333 Zudem wurde unterstrichen, dass die „Antifragmente“ sehr gut geschrieben seien.334 Bei ihm zeige sich ferner „so viel[] Kenntniß der Sachen“335, „gute[] Exegese“336 und das richtige Verhältnis zwischen „Laune und Ernst“337. Überschwänglich äußerte sich wieder Lüdke: Döderlein führe eine „ruhige unpartheyische Untersuchung, in die er sich ohne Deklamation und Herabwürdigung seines Gegners einläßt“338. Er formulierte weiter: „[D]ie ausgebreitete gelehrte Kenntniß und richtige Beurtheilungskraft des V., von der diese Schrift zeuget, machen, daß sie sich vor allen ähnlichen durch ihren innerlichen Werth vorzüglich auszeichnet. Seine Antworten auf die Einwürfe des Ungenannten sind bündig und treffend. Dabey schreibt er mit so viel fühlbarer Theilnehmung des Herzens an der dabey interessirten Sache der Religion, mit so viel Geschmack und in einem so guten Styl, daß man sein Buch mit großem Interesse und Vergnügen lieset.“339
(3) Betrachtet man die verschiedenen Äußerungen zu bestimmten Einzelthemen aus den Antifragmenten, so fanden unterschiedliche Aspekte besondere Betonung. In der „Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften“ wurden beispielsweise Döderleins „Vorläufige Betrachtungen“ he329 AdB, aaO., 408. Lüdke besprach auch andere gegen die Fragmente gerichteten Werke. Allerdings reichten diese seiner Meinung nach nicht an die Antifragmente Döderleins heran. Er behauptete ferner, dass es bei manchen Verfassern besser gewesen wäre, wenn sie keine Widerlegung geschrieben hätten. Denn durch „seichte Apologien“ verliere die Wahrheit mehr, als dass sie gewönne. AdB, aaO., 416. 330 AdB, aaO., 413. 331 Vgl. ebd. 332 AdB, aaO., 408. 333 Siehe Oberdeutsche allgemeine Litteraturzeitung, 151. Stück, 1778, 1205; Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen, 11. Stück, 1778, 810; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 43. Stück, 1778, 390. 334 Vgl. Jenaische gelehrte Zeitungen, 28. Stück, 1779, 225; Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 89./90. Stück, 1778, 714. 335 Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, aaO., 713. 336 Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen, 11. Stück, 1778, 810. 337 Gothaische gelehrte Zeitungen. Beylage zum 89. Stück, 1779, 738. 338 AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 408. 339 Ebd.
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rausgestellt. Es wurde positiv gewürdigt, dass er nicht mit ins „Weheklagen und Jammergeschrey“ über die „Religionsspötter“ eingestimmt habe, sondern konstruktiv mit Zweifeln umgegangen sei.340 „Die neuesten Religionsbegebenheiten mit unpartheyischen Anmerkungen“ akzentuierten wiederum, Döderlein habe mit seinem Antifragment „Durchgang der Israeliten durchs rothe Meer“ „[a]lle Schwierigkeiten des Fragmentisten […] gut, und zuweilen mit Laune gehoben“341. Döderleins Antwort wurde auch im Gegensatz zu Äußerungen anderer Theologen zu diesem Thema als gelungen hervorgehoben.342 Daneben wurde Döderlein an mehreren Stellen angerechnet, dass er sich auf Carsten Niebuhr bezogen habe und drei von seinen Karten abdrucken ließ.343 Gleichermaßen wurden seine angefertigten Übersetzungen zu den jeweiligen Texten als hilfreich und gut empfunden.344 Beim Überblick über alle vorliegenden Rezensionen lässt sich erkennen, dass kritische Äußerungen kaum vorgenommen wurden. Wenn überhaupt Kritik geübt wurde, dann nur marginal. So wurde beispielsweise in den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ angemerkt, dass Döderleins Auflösung der Widersprüche des „Fragmentisten“ zur Auferstehungsgeschichte zwar zu den „ungekünsteltsten“ gehöre, aber „[d]aß die Evangelisten, falls wir sie selbst fragen könnten, über verschiedene Punkte uns noch eine andere Auskunft geben würden“345. Döderleins Antwort wurde hier als nicht ausreichend bewertet. Das „Journal für Prediger“ und die „Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ erwähnten nebenbei, dass viele Antworten, die Döderlein aufführe, schon „bekannt“ seien. Aber sie relativierten diesen Hinweis zugleich: Da er die Antworten so treffend gebe, höre man sie gerne von ihm wiederholt.346 340 Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1779, 4. 341 Die neuesten Religionsbegebenheiten mit unpartheyischen Anmerkungen für das Jahr 1779, 2. Stück, 109. 342 Vgl. AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 410. 343 Vgl. ebd.; Jenaische gelehrte Zeitungen, 28. Stück, 1779, 226; Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen, 11. Stück, 1778, 810; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 43. Stück, 1778, 391; Neueste Crititsche Nachrichten, 5. Bd., 11. Stück, 1779, 86. 344 Vgl. Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1779, 7; Hallische Neue Gelehrte Zeitungen, 89./90. Stück, 1778, 712. – Über den zweiten Band wurde sich ebenso lobend geäußert. Exemplarisch sei verwiesen auf das Journal für Prediger, 10. Bd., 2. Stück, 1779, 137 und auf die Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 4. Stück, 1. Abtheilung, 1779, v. a. 312 f. 345 Jenaische gelehrte Zeitungen, 28. Stück, 1779, 230. 346 Vgl. Journal für Prediger, 10. Bd., 2. Stück, 1779, 137. Auch in den Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, Beylage zum 89. Stück, 1779, 737 f. wurde ähnliches formuliert: „Die Sachen, welche hier vorkommen[,] sind freylich nicht lauter neue eigene Erfindungen; aber sie konnten es auch nicht seyn, da der Fragmentist selbst nur alte Materialien, die schon mehrmal bearbeitet waren, zusammen suchte, polirte oder umformte. Dies thut auch nichts zur Sache. Verlangt doch niemand vom Münzer, daß er zugleich Bergmann, Steiger, Markscheider etc. seyn soll. Es
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Insgesamt waren die verschiedenen Rezensenten so zufrieden mit Döderleins „Antifragmenten“, dass sie eine Fortsetzung forderten.347 Als dieser Wunsch nach Erscheinen des ersten Bandes geäußert wurde, kam Döderlein ihm mit der Herausgabe seines zweiten Bandes nach. In der Vorrede zum zweiten Teil äußerte er seine Freude, dass die „Antifragmente“ beim „richtenden Publikum“ gut aufgenommen worden seien.348 Ebenso sprach er in dem Vorwort zur zweiten Auflage vom öffentlichen und stillen Beifall, den er von mehreren Männern erhalten habe, die er sehr schätze.349 Zugleich formulierte er die Hoffnung, dass seine „Antifragmente“ auch dann noch brauchbar wären, „wenn die Fragmente wieder in ihre vorige Dunkelheit werden zurücke gesunken seyn und die Gährungen, in welche ein großer Theil des theologischen und religiösen Publikums durch sie versetzt worden, verbrauset haben.“350
Denn er suche seinen Platz nicht bei den polemischen Schriftstellern, „welche bloß für den Krieg schreiben, und, sobald Friede ist, abgedankt und ausgemustert werden“351. Ihm gehe es nicht um eine bloße Widerlegung, sondern um eine Untersuchung der einzelnen Themen.352 Da sein Werk noch mehrfach aufgelegt wurde, hat sich Döderleins Hoffnung diesbezüglich erfüllt.353 Die Bedeutung von Döderleins „Antifragmenten“ gewinnt noch an Gewicht, wenn man sie mit den Reaktionen auf Johann Salomo Semlers Widerlegung verist nicht gleich alles Nachbeterey, was man von andern annimmt. Die Art der Zueignung, der Plan, der Zuschnitt, die Ausführung und Darstellung – dieß ist Hauptsache, und macht den Unterschied zwischen Selbstdenken und Nachbeten. Der V. hat den Vorrath an Waffen für das Christenthum vortreflich benutzt“. 347 Siehe z. B. Neueste critische Nachrichten, 5. Bd., 11. Stück, 1779, 86; Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 43. Stück, 1778, 392; AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 413. 348 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, [1]. Zugleich spezifizierte Döderlein seine Freude noch: „Die Freude, daß durch meine Aeuserungen und Betrachtungen manche Seele, welche in Gefahr des Zweifels und der Verführung stund, bevestiget und erhalten worden, und die Ueberzeugung, daß Angriffe auf die Wahrheit, sie mögen durch Wiz oder durch Spott, durch kaltblütigscheinende Urtheile oder durch gehäßige Entstellungen der ächten Lehre ein fürchterliches Ansehen gewinnen, immer zum Vortheil der Religion ausschlagen, diese Ueber zeugung, welche ich auch in dieser Streitigkeit bestättigt fand, ist mir unendlich mehr Gewinn, als aller Beyfall, mit welchem der erstere Theil von sehr vielen Freunden der Wahrheit aufgenommen worden […].“ Fragmente und Antifragmente, aaO., [1 f.]. 349 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 1, 1780, VIII. 350 Fragmente und Antifragmente, aaO., IX. 351 Ebd. 352 Vgl. ebd. 353 Nicht nur an den Auflagen, sondern ebenso an verschiedenen Einschätzungen von Rezensenten lässt sich zeigen, dass Döderleins „Antifragmente“ auch nach dem Erliegen des Streits rezipiert wurden. So schrieb beispielsweise der Rezensent der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“: „Während als die ganze heftige Streitigkeit, welche durch die Fragmente erregt worden, in dem Schlummer des Friedens und der stillen Vergessenheit hinsinkt, ists Beweiß für die Güte dieser Widerlegung, daß sie noch gesucht und gelesen wird.“ Nürnbergische gelehrte Zeitung, 83. Stück, 1781, 678.
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gleicht. Semler gab im Frühjahr 1779 seine Schrift „Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten insbesondere vom Zweck Jesu und seiner Jünger“354 heraus, die in den theologischen Fachkreisen und in der literarischen Öffentlichkeit zwar viele positive Reaktionen hervorrief,355 die aber auch massiver Kritik ausgesetzt war. Viele Rezensenten bemängelten die Weitläufigkeit seines Werkes.356 Daneben führte beispielsweise der Rezensent der AdB357 an, dass die Schrift für nicht gelehrte Christen unverständlich sei. Für „forschende Theologen“ sei es allerdings ein „sehr interessantes Werk“358. Selbst Sympathisanten von Semler kritisierten das Werk als unlesbar.359 Im Gegensatz zu Semler kam Döderlein der Aufbau seines Buches zu gute. Druckte Döderlein, wie oben erwähnt, das vollständige Fragment und lies erst dann sein Antifragment folgen, gab Semler nach jedem Argument von Reimarus zugleich seine Antwort. Da er sich jedem einzelnen Argument und jeder Beschuldigung der Reihe nach widmete,360 kam es zu vielen Wiederholungen, die von den Zeitgenossen beanstandet wurden.361 Neben der verschiedenen Herangehensweise hatte ebenso der unterschiedliche Umgang mit dem Gegner Auswirkungen auf die Beurteilungen. Während Döderlein für seinen angemessenen 354 Joh[ann] Salomo Semler, Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten insbesondere vom Zweck Jesu und seiner Jünger, Halle 1779. – Semlers Schrift umfasst 452 Seiten und beginnt mit einer umfangreichen Vorrede, in der Semler auf die Entstehungshintergründe seiner Schrift einging, seine Motive und sein Anliegen kenntlich machte und sein Vorgehen erläutert. Darauf folgen der Widerlegungsteil und ein Anhang mit zwei kurzen Fragmenten, die beide von einem „ungenanten Gelerten“ (siehe Vorrede) stammen. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich der Hallesche Mathematiker und Physiker Johann Peter Eberhard. Vgl. Dirk Fleischer, Einleitung: Auf der Suche nach der Wahrheit. Johann Salomo Semlers Position im Fragmentenstreit (in: Johann Salomo Semler, Beantwortung der Fragmente eines Ungenanten insbesondere vom Zweck Jesu und seiner Jünger, Halle 1779, hg. und mit einer Einleitung versehen von Dirk Fleischer [WiKi 25], Waltrop 2003, 1–106), hier 49 f. Semler ahmte mit diesem Anhang offensichtlich die Aussagen Lessings über den „Ungenannten“ ironisch nach. Vgl. Kröger, Das Publikum als Richter, 80. Neben Fleischer hat auch Hornig Semlers Rolle im Fragmentenstreit untersucht: Gottfried Hornig, Johann Salomo Semler. Studien zu Leben und Werk des Hallenser Aufklärungstheologen (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 2), Tübingen 1996, v. a. 59–63. 355 Vgl. Fleischer, aaO., 15.97. 356 Vgl. Fleischer, aaO., 98. – So äußerte man beispielsweise im Journal für Prediger, 10. Bd., 2. Stück, 1779, 130: „Mancher würde lieber eine mehr koncentirte [sic] Widerlegung gewünscht haben; denn es ist etwas mühsam diese dreißig Bogen in engen kleinen Druck, zu lesen, zumal die vielen kritischen zum Theil aus Sammlungen bestehenden Arbeiten, dem Stil dieses Gelehrten das Angenehme und Fliessende genommen haben.“ 357 Die Rezension ist mit dem Kürzel „Agm.“ unterzeichnet. Laut Braun handelt es sich dabei allerdings um einen Druckfehler. Eigentlich müsste es „Egm.“ heißen und stünde dann für den Prediger Treumann zu Schönerlinde. Vgl. Braun (Hg.), Lessing im Urtheile seiner Zeitgenossen, 361. 358 AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 421 f. 359 Vgl. Boehardt, Politik und Religion, 393. 360 Vgl. Semler, Beantwortung der Fragmente, Vorrede, a4r. 361 Vgl. AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 421 f.
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Tonfall in den Rezensionen gelobt wurde, wurde Semlers ausgeprägte Polemik kritisch bewertet.362 Es darf nicht als selbstverständlich angesehen werden, dass sich Döderlein überhaupt zu den Fragmenten äußerte. In der Forschung wird immer wieder festgestellt, Vertreter der Universitätstheologie hätten sich zunächst nur marginal an dem Streit um die Fragmente beteiligt und es seien vor allem die Schulmänner und evangelischen Pfarrer gewesen, welche die Herausforderungen durch die Fragmente erkannt und dementsprechend auf sie reagiert hätten.363 Die wissenschaftliche Theologie habe sich erst spät positioniert.364 Döderlein kommt hier nun eine herausgehobene Rolle zu, da er mit der Veröffentlichung des ersten Bandes seiner „Fragmente und Antifragmente“ zu den ersten Universitätstheologen gehörte, die bereits 1778 auf den Streit reagierten – zu einer Zeit, in der viele Theologen lieber schwiegen, da sie den Fragmenten so wenig Beachtung wie möglich zukommen lassen wollten.365 Semler, der zunächst angenommen hatte, er sei der erste akademische Gelehrte, der sich zu dem Thema äußerte, schilderte in seiner Vorrede den Wunsch des Publikums nach einer Schrift, die von einem Akademiker verfasst ist und erwähnte Döderleins Veröffentlichung: „Indessen beharreten doch viele darauf, daß eigentlich academische Gelerte, oder ihnen in dieser Uebung nicht sehr unänliche Verfasser, sich an diese Fragmente machen müsten. Noch in aller dieser Zeit, da ich schon den Druck hatte anfangen lassen, wuste ich noch nichts dergleichen; erst nachher ist mir des Herrn Prediger Mascho und Herrn D. Döderleins Aufsatz bekant worden.“366
Das Zitat von Semler weist darauf hin, dass an dieser Stelle der Behauptung von Klaus Bohnen und Arno Schilson widersprochen werden muss, mit Semler habe sich das erste Mal „ein profilierter Vertreter [der] […] Neologie“367 geäußert. War 362 Zur Polemik Semlers siehe Fleischer, Auf der Suche nach der Wahrheit, 65.99. 363 Vgl. Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 960 f. 364 Vgl. Boehart, Politik und Religion, 393. Bis zum Ende der 1780er Jahre beteiligten sich schließlich viele Gelehrte, Publizisten und namhafte protestantische Theologen an dem Streit. Vgl. Fleischer, Auf der Suche nach der Wahrheit, 10. 365 So schilderte Semler in seiner Vorrede, er habe „ansehnliche Gottesgelerte“ dazu bringen wollen, sich zu vereinigen und ein öffentliches Zeugnis darüber abzugeben, was in der christlichen Religion und Lehre wesentlich und was stets veränderlich sei. Dazu sei es allerdings nicht gekommen. Semler, Beantwortung der Fragmente, Vorrede, a3r. Semler erwähnte ferner, dass „mehrere Gönner und Freunde“ geäußert hätten, dass man auf die Fragmente nicht antworten solle. „Dis war wirklich anfänglich das gemeinste Urtheil sehr vieler Gelerten…“. Semler, aaO., a4v. Auch der Rezensent von Semlers Schrift formulierte in der AdB: „Darf Rec. offenherzig seine Meynung sagen, so glaubt er, das viele Widerlegen dieser Fragmente habe am Ende vielleicht mehr geschadet als gefruchtet. Das Aufsehen, das sie gemacht, haben sie großentheils dem Gewicht zu danken, das sie nicht in sich selbst, sondern durch die herandrängende Widerlegungen erhalten haben.“ AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 420. 366 Semler, aaO., a4r. 367 Bohnen/S chilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Zweiter Teil, 974. Zur gegenteiligen Aussage kommt Karl Aner, der behauptet, außer Döderlein – Semler zählt für ihn nicht unter die Neologen – habe sich kein „eigentlicher Neologe“ mit einer Gegenschrift zu den Frag-
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Semler zu dieser Zeit auch bekannter als Döderlein, so hatte sich dieser bereits mit seinen exegetischen Schriften als Neologe in der gelehrten Welt bekannt gemacht. Ebenso muss die Aussage von Monika Fick hinterfragt werden, die äußert, dass sich die Neologie im Fragmentenstreit kaum zu Wort gemeldet und erst mit Semler spät eingegriffen habe.368 Sie übergeht hier nicht nur Döderlein, sondern hat daneben zu wenig im Blick, dass sich Neologen wie etwa Friedrich Germanus Lüdke sehr ausführlich mittels Rezensionen im Fragmentenstreit positionierten. Lükde besprach in der AdB fasst die gesamte Literatur, die im Zusammenhang mit dem Fragmentenstreit veröffentlicht wurde.369 Die Behauptung von Arno Schilson, der von Lüdkes zahlreichen Rezensionen nur eine herausnimmt und auf Grundlage dieser behauptet, Lüdke halte alles allgemein und es zeige sich „seine Unfähigkeit, echte Kritik an der Position des Fragmentisten oder Lessings selbst zu üben“, woran sich auch „die ganze Verlegenheit“370 der Neologie widerspiegle, ist an dieser Stelle zu undifferenziert. Lüdke brachte in seinen Rezensionen häufig eigene umfangreiche Bemerkungen an, die seinen Standpunkt ersichtlich werden ließen.371 2.2. Goeze versus Döderlein Neben diesen vielen positiven Resonanzen auf Döderleins „Antifragmente“ ist die Reaktion Johan Melchior Goezes von Interesse, da Döderlein auf sie in der Vorrede seiner dritten Auflage antwortete. Goeze, der mit seinem streitbaren Wesen in viele Auseinandersetzungen verwickelt war372 und dessen Disput mit Lessing im Fragmentenstreit Berühmtheit erlangte, positionierte sich auch menten geäußert. Vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit, 308. Diese Behauptung greift auch Albrecht Beutel auf: „[Döderlein] hat als einziger Neologie […] gegen die von G. E. Lessing hg. ‚Fragmente […]‘ lit. protestiert“. Beutel, Art. Döderlein, 893. 368 Vgl. Fick, Lessing-Handbuch, 410. 369 Vgl. Nottmeier, Aufgeklärter Protestantismus, 239. 370 Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 892. 371 So äußerte sich Lüdke beispielsweise konkret über die Frage nach der von Reimarus geleugneten Auferstehung. Siehe die Rezension über die „Fragmente und Antifragmente“ von Döderlein: AdB, 40. Bd., 2. Stück, 1780, 410 f. 372 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 255. Zu Goeze sei exemplarisch verwiesen auf: Boehart, Politik und Religion; Freund, Theologie im Widerspruch; Hans Höhne, Johan Melchior Goeze. Stationen einer Streiterkarriere (Vergessene Theologen 3), Münster 2004; Heimo Reinitzer (Hg.), Johann Melchior Goeze 1717–1786. Abhandlungen und Vorträge (VB 8), Hamburg 1987; Heimo Reinitzer/Walter Sparn (Hg.), Verspätete Orthodoxie. Über D. Johann Melchior Goeze (1717–1786), Vorträge gehalten anläßlich eines Arbeitsgespräches vom 8. bis 10. Oktober 1986 in der Herzog August Bibliothek (Wolfenbütteler Forschungen 45), Wiesbaden 1989; Harald Schultze, Toleranz und Orthodoxie. Johan Melchior Goeze in seiner Auseinandersetzung mit der Theologie der Aufklärung (NZSTh 4, 1962, 197–219); Ernst-Peter Wieckenberg, Johan Melchior Goeze, Hamburg 2007. – Zur verschiedenen Schreibweise von Goezes Vornamen (Johann; Johan) siehe Höhne, Goeze, 63, Anm. 185. Höhne verweist darauf, dass Goeze die Schreibweise „Johan“ bevorzugte.
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gegen Döderleins „Antifragmente“ und besonders gegen den darin behaupteten Satz „Der Sturz des Ansehens Mosis zieht nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich“373. Goezes erste schriftliche Äußerungen gegen diesen Satz findet sich 1782 als Anhang zu seiner Schrift „Untersuchung zwoer in der Historie der Augsb. Confeßion sehr wichtigen Fragen: Ob der Kurprinz Joh. Friedrich von Sachsen und der Herzog Franz von Lüneburg, das dem Kayser überreichte Exemplar der A. C. mit unterschrieben haben? […] Nebst der Ehrenrettung des Verfassers, gegen eine schmähsüchtige in die Nürnb. gel. Zeit. eingerückte Recension seines Beweises gegen den Herrn Stiftsprediger Weber“374. Wie der Titel dieser Schrift erkennen lässt, thematisierte Goeze hier hauptsächlich ein anderes Problem. Er setzte sich an dieser Stelle mit einer Rezension in der von Döderlein mitverantworteten „Nürnbergische[n] Gelehrte[n] Zeitung“375 auseinander, die sich kritisch über sein Buch „Beweis, daß der, von dem Herrn Stiftsprediger Weber in Weimar, vor einiger Zeit gelieferte Abdruck der Augsburgischen Confeßion unmöglich eine Copie von dem, vor dem Kayser Karl V. verlesenen und dem Reichs-Archive einverleibten Originale, seyn könne“376 geäußert hatte. Goeze war der Meinung, dass diese Rezension, als deren Verfasser er Döderlein vermutete, viele „boshafte Verleumdungen“377 enthalte, was ihn dazu führte, diese oben genannte Schrift zu verfassen.378 Darin wollte er seine „Unschuld gegen die 373 Fragmente und Antifragmente, 1, 1778, 199. 374 Johan Melchior Goeze, Untersuchung zwoer in der Historie der Augsb. Confeßion sehr wichtigen Fragen: Ob der Kurprinz Joh. Friedrich von Sachsen und der Herzog Franz von Lüneburg, das dem Kayser überreichte Exemplar der A. C. mit unterschrieben haben? imgleichen: Ob der Kurfürst Johan, und andre protest. Stände, vor der Vollendung und Uebergabe der A. C. unvolständige Abschriften derselben ausgegeben haben? Nebst der Ehrenrettung des Verfassers, gegen eine schmähsüchtige in die Nürnb. gel. Zeit. eingerückte Recension seines Beweises gegen den Herrn Stiftsprediger Weber, an das Licht gestellet, Hamburg 1782. 375 Nürnbergische gelehrte Zeitung, 83. Stück, 1781, 673–678. Zu Döderleins Beteiligung an der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ siehe Kapitel D/IV, 2.2. 376 Johan Melchior Goeze, Beweis, daß der, von dem Herrn Stiftsprediger Weber in Weimar, vor einiger Zeit gelieferte Abdruck der Augsburgischen Confeßion unmöglich eine Copie von dem, vor dem Kayser Karl V. verlesenen und dem Reichs-Archive einverleibten Originale, seyn könne. Ein freundschaftlicher Beytrag zu des Herrn Panzers Prüfung dieser Ausgabe, Hamburg 1781. 377 Johan Melchior Goeze, Widerlegung des Satzes: der Sturz des Ansehens Mosis, ziehet nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich. Gegen den Herrn Doctor und Prof. Döderlein in Jena, Hamburg/Leipzig 1783, 5. 378 Hintergrund ist der Streit, den Georg Gottlieb Webers Buch „Augspurgische Confession nach der Urschrift im Reichsarchiv. Nebst einer Ehrenrettung Melanchthons. Herausgegeben von Georg Gottlieb Weber, Weimar 1781“ ausgelöst hatte. Weber stellte in diesem Buch die Behauptung auf, dass man bisher nicht den echten Text der Augsburgischen Konfession gehabt habe. Erst jetzt habe er das „ächte Original“ im Reichsarchiv gefunden und dieses unterscheide sich in vielen Punkten von dem, was bisher für das Original gehalten wurde. Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 83. Stück, 1781, 673 f. Goeze beteiligte sich mit seiner Schrift „Beweis, daß der, von dem Herrn Stiftsprediger Weber in Weimar, vor einiger Zeit gelieferte Abdruck der Augsburgischen Confeßion unmöglich eine Copie von dem, vor dem Kayser Karl V. ver-
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feindseligen Zunöthigungen und hämischen Angriffe“379 des Rezensenten retten und gleichzeitig „noch ein Wort mit [Döderlein] […] reden“380. Dieses „Wort“ redete er mit ihm, indem er den Satz „Der Sturz des Ansehens Mosis zieht nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich“ aus den „Antifragmenten“ verwarf und auf die Gefahr dieser Aussage aufmerksam machte. Laut Goeze stehe hinter diesem Satz „eine zwar künstlich versteckte, aber gleichwol ganz volständige Verleugnung der Person, der Gottheit, des Amtes und der Versöhnung unsers hochgelobten Heylandes“381. Für Goeze war das Ansehen Jesu an lesenen und dem Reichs-Archive einverleibten Originale, seyn könne“ an der Debatte. In der Rezension, auf die sich Goeze bezog, wurde Webers Standpunkt zwar kritisch betrachtet, aber sein Vorgehen wurde gleichzeitig auch entschuldigt, während Goezes Schrift und seine darin über Melanchthon getroffenen Aussagen kritisiert wurden. In der Rezension heißt es: „Die Ehrenrettung Melanchthons gegen den Vorwurf, daß er willkührlich in dieser öffentlichen Bekenntnißschrift vieles nach der Uebergabe geändert, ist, wie ich glaube, nicht sehr nöthig: Die Verständigern haben ihn nie darüber getadelt, am allerwenigsten wegen einer Aenderung in den teutschen Ausgaben: und die Unverständigen, die als Sklaven ihres Kirchensystems um jedes Wort in den Bekenntnißschriften einen heiligen Zaun, wie die Masorethen um die Bibelbuchstaben, ziehen, lassen sich doch nicht bessern. Wer das nicht glauben will, darf nur Herrn Gözens angezeigte Schrift lesen, die den grossen Mann [Melanchthon] in der hämischen Controversien-Beredsamkeit […] noch immer mit den unbilligsten Vorwürfen kränken kann. Nur ein Mann, wie Göze, kann im Canzelton sagen, daß die Verfälschung des 10 Art. der A. C. der lutherischen Kirche tödliche und unheilbare Wunden geschlagen. […] Nur er kann den unprotestantischen Wunsch thun: Gott schenke seiner Kirche viele Luthers, so wie er bis an sein Ende gewesen; so viel nützliche Melanchthons: als sie bedarf, so wie er vor 1540 war“. Nürnbergische gelehrte Zeitung, aaO., 677. Goeze fühlte sich aufgrund dieser Worte persönlich angegriffen und warf Döderlein zudem vor, dass seine nach Nürnberg geschickte Verteidigungsschrift nicht gedruckt worden sei. Vgl. Goeze, Widerlegung des Satzes, 4 f. Die Verteidigungsschrift Goezes wurde tatsächlich nicht veröffentlicht, obgleich Goeze dies eindringlich gefordert hatte. Vielmehr wurde zu seinem Entsetzen das Memorial, welches er an den Rat in Nürnberg gerichtet hatte, abgedruckt. Vgl. Goeze, Untersuchung zwoer in der Historie, Zweite Nachschrift, 84. Das Memorial beinhaltete folgende Worte: „Ich habe das Schicksal gehabt, daß ein ungenanter Recensent in dem 83sten Stücke der Nürnbergischen Gel. Zeit. d. J. meinen Aufsatz gegen die, von dem Herrn P. Weber in Weimar an das Licht gestellete, angeblich wahre Augsb. Confeßion, auf eine ganz unerlaubte Art gemishandelt, und dabey seine bittern Angriffe vornehmlich auf meine Person und Charakter gerichtet, und alle Kunstgriffe einer hämischen Controversen-Beredsamkeit angewandt hat, um mich dem Publico und der Kirche, in einer recht schwarzen Gestalt darzustellen; so daß diese Recension alle Eigenschaften eines, in den Reichsgesetzen so hoch verbotenen Pasquils hat.“ Goeze, Untersuchung zwoer in der Historie, Zweite Nachschrift, 85. Goeze betonte, dass er berechtigt sei, den Urheber „dieser Schmähschrift“ namhaft zu machen und seine Ehre und Unschuld gerichtlich durchzusetzen. Aber „[d]a man keinen Degen ergreift, um eine Schmeißfliege zu verjagen, begnüge ich mich damit, daß Verleger und Drucker dieser Zeitung meine Rechtfertigung unverkürzt und unverstümmelt einrücken“. Goeze, Untersuchung zwoer in der Historie, Zweite Nachschrift, 85 f. – Eine ausführliche Darstellung des Streits aus Goezes Perspektive findet sich in den Vorerinnerungen der später erschienenen Schrift „Widerlegung des Satzes“. Hier verwies Goeze auch auf andere Rezensionen, die beweisen sollten, dass Döderlein „Hass und Groll“ gegen ihn empfinde. Goeze, Widerlegung des Satzes, 3 f. 379 Goeze, Untersuchung zwoer in der Historie, 77. 380 Goeze, aaO., 78. 381 Ebd.
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das Ansehen Moses gekoppelt. Werde das Ansehen Moses gestürzt, werde also gezeigt, dass er kein unmittelbarer göttlicher Gesandter war und würden seine Wunder als Erdichtungen oder Betrug deklariert, dann falle Jesu Ansehen mit, weil Jesus oft das göttliche Ansehen Moses bestätigt und sich auf die Weissagungen von Mose berufen habe.382 Einen möglichen Einwand, dass Döderlein vom „Sturz des Christenthums“ und nicht vom „Sturz des Ansehens Christi“ gesprochen habe, nahm Goeze gleich vorweg. Denn für Goeze war das Christentum nichts anderes als der Inbegriff der Glaubenslehren, welche Jesus selbst oder durch seine Apostel offenbart hat383 – und „unter diesen sind alle diejenigen Artikel, welche die Person, die Stände, und das Mitleramt des Erlösers betreffen, wesentlich, […] so daß keiner davon geleugnet werden kan, ohne daß das ganze Gebäude des Christenthums […] zerrüttet […] wird“384. Werde das Ansehen Jesu gestürzt, so stürzten alle Glaubenslehren gleich mit.385 Der von Döderlein behauptete Satz könne deshalb nur stimmen, wenn das Wort Christentum „in dem betrüglichen Verstande“386 des Matthew Tindal gebraucht werde – also als die natürliche Religion oder die Sittenlehre der Vernunft. Denn sowohl Mose als auch Jesus könnten dann fallen, ohne dass es sich nachteilig auswirken würde, weil die natürliche Religion zur Erreichung der Seligkeit ausreiche. Für Goeze stand Döderlein mit seinem Christentumsverständnis daher in einer Reihe mit Johann Joachim Spalding, Johann Salomo Semler, Gotthold Ephraim Lessing und Carl Friedrich Bahrdt.387 Döderlein reagierte auf diese Anschuldigungen Goezes 1782 unter der Überschrift „Zwey Worte an Herrn Pastor Göze, statt einer Vorrede zur dritten Ausgabe der Fragmente und Antifragmente“. Bereits seine Einleitung zeigt, dass er Goeze ungern antwortete: „Sie haben mit mir früher gesprochen, als ich mit Ihnen sprechen muß. Muß, sage ich, denn kein Mann, dem Aufklärung der Theologie lieb ist, wird in theologischen Materien gerne mit Ihnen sprechen. Denn es gibt eine Art von Geschöpfen, denen es am besten ist, mit Stillschweigen zu antworten“.388
382 Vgl. Goeze, aaO., 78 f. Goeze äußerte ferner: „Ist nun Moses ein Betrüger gewesen, so hat Jesus solches entweder nicht gewust, oder Er hat es gewust. In dem ersten Falle ist Er eben so blind, und mit eben so thörigten Vorurtheilen eingenommen gewesen, als damals alle Juden; und wer kan Ihn alsdenn für einen von Gott gesandten Lehrer der Wahrheit ansehen? In dem andern Falle aber, wäre Er ein eben so arger Betrüger gewesen, als Moses. Denn nur ein Betrüger kan einem andern, den er als einen Betrüger kennet, das Wort reden, und sich auf ihn, als auf einen glaubwürdigen Zeugen, berufen.“ Goeze, aaO., 79. 383 Vgl. Goeze, aaO., 79. 384 Goeze, aaO., 79 f. 385 Vgl. Goeze, aaO., 80. 386 Ebd. 387 Vgl. Goeze, aaO., 80 f. 388 Fragmente und Antifragmente, 1, 1782, IIIf.
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Er verglich Goezes Äußerungen gegen ihn als ein „Anbellen“ und „Anfallen“ eines Hundes, welches er im „Vorbeigehen“ abschütteln wollte.389 „Sie haben mich in den Rock gebissen, und ich trage an demselben Ihren theologischen Schaum als Ehrenzeichen.“390 Döderlein ging auf die Vorwürfe Goezes nicht detailliert ein. Vielmehr versuchte er, den Satz „Der Sturz des Ansehens Mosis zieht nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich“ zu kontextualisieren. Er wies zum einen darauf hin, dass sein Zielpublikum die „Gegner des Christenthums“ gewesen seien, denen er zeigen wollte, dass die Wahrheit und Göttlichkeit der christlichen Religion bewiesen werden könne, ohne vom Ansehen Moses auszugehen.391 Zum anderen habe er diesen Satz „um der Verbindung willen“ gesetzt, als er „von der Rettung eines Wunders Mosis zur Rettung der Auferstehung Jesu überging“392. Auf Goezes Kopplung von Moses und Jesus ließ er sich nur insofern ein, als dass er Goeze fragte, ob man wirklich alles aufgeben müsse, sobald man an einem Wunder Moses zweifle? Seiner Meinung nach könne die Würde der Religion Jesu Christi unabhängig vom Ansehen Moses bewiesen werden. Abschließend formulierte Döderlein polemisch, Goeze solle seinen Triumph gerne behalten, und weiter behaupten, dass er ein Lästerer Jesu sei – Goezes Logik könne nicht die seine sein. Das Publikum wisse auch so, dass er Mose mehr schätze und ihm die Religion mehr wert sei, als es bei Goeze und dessen Denkungsart der Fall sei.393 Goeze konnte diese Vorrede Döderleins nicht unbeantwortet lassen. Er nahm zu dieser Thematik 1783 erneut Stellung mit der 30-seitigen Schrift „Widerlegung des Satzes: der Sturz des Ansehens Mosis, ziehet nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich. Gegen den Herrn Doctor und Prof. Döderlein in Jena“394. Darin ordnete er zunächst Döderleins Vorrede ein, erläuterte dann, wer den Streit angefangen habe, wiederholte schließlich seine Argumente, um letztlich auf weitere Schriften Döderleins einzugehen und sie zu kommentieren. Gleich zu Beginn seiner Schrift warf Goeze Döderlein Arroganz vor, die er in der Herausgebertätigkeit Döderleins der „[A]userlesene[n] Theologische[n] Bibliothek“ begründet sah: Er spreche in einem „Tone, der einem Manne eigen wird, der schon geraume Zeit her sich selbst bevolmächtiget, einen erhabenen papiernen Richterstuhl zu besteigen, und von demselben die Arbeiten andrer Gelehrten, nach seinen vorgefaßten Meynungen, zu beurtheilen“395. Außerdem 389 Fragmente und Antifragmente, aaO., IV. 390 Ebd. 391 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., IV f. 392 Fragmente und Antifragmente, aaO., V. 393 Vgl. Fragmente und Antifragmente, aaO., VI–VIII. 394 Johan Melchior Goeze, Widerlegung des Satzes: der Sturz des Ansehens Mosis, ziehet nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich. Gegen den Herrn Doctor und Prof. Döderlein in Jena, Hamburg/Leipzig 1783. 395 Goeze, aaO., 7.
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zeige Döderleins Vorrede die Schwäche seiner Urteilskraft. Es sei nur „ungereimtes Gewäsche“396. Goeze stellte zudem dar, dass nicht er, so wie Döderlein behauptete, sondern dieser selbst den Streit angefangen habe. Döderlein habe „aus bloßem Hasse und Widerwillen [ihn] […] zuerst, und zwar auf eine, den stolzen und parteyischen Bücherrichtern unsrer Tage, gewöhnliche Art“397 – mittels einer Rezension – angegriffen und damit den Zank angefangen.398 Zudem sah Goeze seine Einwände als berechtigt an. Schließlich sei es eine Notwendigkeit, die Wahrheit zu verteidigen, zu der man auch durch den Eid verpflichtet sei.399 Gewiss würden die „unberufenen neuen Reformatoren“, die „immer von Aufklärung in der Theologie ein großes Aufheben machen“, aber nur „Verdunkelung und Verwirrung“ brächten, nicht aufgezeigt bekommen wollen, „daß ihre so hoch gepriesenen neuentdeckten Wahrheiten […] Irrtümer sind“.400 Aber genau zu diesem Aufdecken fühlte sich Goeze berufen. Nach diesen einführenden Worten brachte Goeze erneut seine Argumente vor, die den Satz „Der Sturz des Ansehens Mosis…“ widerlegen sollten. Er trug keine neuen Begründungen vor, sondern wiederholte allein seine Ausführung aus dem Anhang der Schrift „Untersuchung zwoer in der Historie der Augsb. Confeßion sehr wichtigen Fragen“. Im Anschluss daran druckte er Döderleins Antwort Wort für Wort ab. Goeze kritisierte hier unter anderem, dass Döderlein nicht näher dargelegt habe, was er unter dem Begriff Christentum verstehe. Der Hamburger Theologe erklärte nochmals, dass die Wahrheit und Würde des Christentums nicht unabhängig vom Ansehen Moses bewiesen werden könne. Wenn Mose ein Betrüger sei, dann könne die Auferstehung kein sicherer Grund seines Glaubens sein. Döderleins Behauptung zeige vielmehr die Leugnung der Person, der Gottheit und der Versöhnung Jesu.401 Goeze vermutete, Döderlein wolle damit „dem declarirten Feinde und Stürmer Mosis und des ganzen alten Testaments, dem Herrn Semler, ein Compliment […] machen“402 sowie „den andern Verführern gefällig […] werden“.403 Unter der Überschrift „Nachschrift“ kommentierte Goeze abschließend andere Werke und Rezensionen Döderleins. Dabei erklärte Goeze, dass er ursprünglich keine anderen Schriften von Döderlein gekannt habe, aber „durch die Beschuldigungen“ neugierig geworden sei, wer dieser Mann sei. Seine nun folgende Auseinandersetzung mit Döderleins Schriften404 hat einen destruktiven Charakter. Goeze schrieb: Da Döderlein nicht nur seine Arbeit und Person, 396 Goeze, aaO., 7 f. 397 Goeze, aaO., 9. 398 Vgl. ebd. 399 Vgl. Goeze, aaO., 10. 400 Goeze, aaO., 8 f. 401 Vgl. Goeze, aaO., 15–18. 402 Goeze, aaO., 18 f. 403 Goeze, aaO., 19. 404 Vgl. Goeze, aaO., 20.
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sondern seinen ganzen Charakter in der Rezension herabgewürdigt habe, wolle er nun ein paar von Döderlein „in einem sehr dictatorischen Tone dahin geworfene paradoxe Sätze“ aufzeigen, in dem Wissen, „daß diejenigen, die in der gelehrten Welt alles zu richten sich unternehmen, es am wenigsten vertragen können, wenn andere auch […] ihre Blössen entdecken“.405 Anhand der Aussagen, die Goeze gegen Döderlein formulierte, wird sein orthodoxer Standpunkt offensichtlich. Er klassifizierte die Aufklärungstheologie nicht nur als Verführung, sondern warf Döderlein beispielsweise vor, er relativiere die Symbolischen Bücher, weil er in seinem Traktat über die Judenbekehrung von einer Bekehrung ausgehe, die ohne die Symbolischen Bücher auskomme.406 Dabei seien sie doch der einzige Weg zur Seligkeit. Semler und Bahrdt wurden von ihm in diesem Zusammenhang als Feinde der evangelischen Kirche bezeichnet. Auch Döderleins Äußerung in der „[A]userlesene[n] Theologische[n] Bibliothek“, dass Luther in seiner Abendmahlslehre Schwäche zeige, wurde von Goeze herangezogen, um Döderlein vorzuwerfen, er übertrete seinen Eid und folge offenbar dem Lehrbegriff der reformierten Kirche.407 Daneben machte Goeze sich zum wiederholten Male über Semler lustig: Dieser „binde[] den Glauben an das Lokale, bald wird er solchen an die Witterung binden“408. Goeze stellte noch einmal heraus, dass ihm die Streitsucht nur angedichtet werde, formulierte aber gleichzeitig: „Noch gereuet mich keine Zeile, welche ich gegen die Wölfe in Schafskleidern, gegen die, so Zerrüttung und Aergernis anrichten, und durch süße und prächtige Worte unschuldige Herzen verführen, geschrieben habe“.409 Die Erwiderung Goezes kann als gutes Beispiel dafür dienen, auf welche Weise der Hamburger Theologe seine Konflikte austrug. Seine Argumente lassen allerdings auch erkennen, dass es Goeze nicht allein um Döderleins „Antifragmente“ ging, sondern dass er hauptsächlich auf die verschiedenen gegen ihn 405 Goeze, aaO., 20 f. 406 Vgl. Goeze, aaO., 21. Zu dem Traktat siehe oben Anm. 306. Döderlein behauptete in dieser Schrift, dass sich die Juden bekehren könnten, auch wenn sie keinem römischen Bischof huldigten oder die Symbolischen Bücher unterschrieben. Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1781, Anhang, 273. 407 Vgl. Goeze, aaO., 21 f. 408 Goeze, aaO., 26. – Goeze äußerte sich auch gegen Georg Theodor Strobel und dessen „Apologie für Melanchthon“ (Georg Theodor Strobel, Apologie Melanchthons wider einige neuere Vorwürfe des Herrn Hauptpastor Götzen zu Hamburg, Nürnberg 1783), die im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Weber und Goeze entstanden war. Goeze war der Meinung, dass Döderlein und Strobel in ihren Gesinnungen und Verhalten vortrefflich übereinstimmen würden. Er wollte beiden keinen Vorwurf „ihre[r] abgöttische[n] Verehrung des Melanchthons“ machen, betonte aber, sie hätten kein Recht, ihn, der anders über Melanchthon denke, mit „Lästerungen zu verfolgen“. Goeze, aaO., 29. – Zu Georg Theodor Strobel: Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 4. Bd., 433–437 und [Ernst] Mummenhoff, Art. Strobel, Georg Theodor (ADB 36, 1893, 603–605). – Zur Auseinandersetzung mit Goeze sei verwiesen auf Wotschke, Aus Briefen Strobels, 241 f. und die Rezension von Döderlein in der ATB über Strobels „Apologie“: Doederlein, ATB 2, 8. Stück, 1782, 624–637. 409 Goeze, aaO., 29 f.
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gerichteten Rezensionen Döderleins reagierte, die er als eine persönliche Beleidigung auffasste. Döderlein äußerte sich zu diesem Schreiben Goezes nicht mehr. Er formulierte im Februar 1783 gegenüber Will: „Das wissen Sie wohl schon, daß mir Goeze nun oeffentlich den Handschuh zugeworfen hat: nach seiner Art: indessen werde ich mein Wort halten und dem bellenden Hunde mit Stillschweigen antworten.“410 Stattdessen erhielt Döderlein einen „ungenannten Verteidiger“411, der sich in seiner Schrift „Behauptung des Sazzes: der Sturz des Ansehens Mosis ziehet nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich. Vertheidigung des Herrn Doktor und Prof. Döderlein in Jena gegen einen Angrif des Herrn (Haupt-) Pastor Goeze in Hamburg von einem warmen Verehrer des Herrn D. Döderlein und seiner Schriften“412 von 1783 erneut mit den Vorwürfen Goezes auseinandersetzte und für Döderlein Partei ergriff. Wie sich später herausstellte, verbarg sich hinter dem „ungenannten Verteidiger“ der Hamburger Theologe Johann Otto Thieß.413 Thieß führte in seiner 48-seitigen Schrift zunächst unter der Überschrift „Vorerinnerung“ die verschiedenen Streitigkeiten von Goeze auf, gab dann in der „Einleitung“ die Vorgeschichte der Auseinandersetzung Goeze-Döderlein wieder, wobei er sich eindeutig auf die Seite von Döderlein stellte,414 um sich schließlich den Satz „Der Sturz des Ansehens Mosis zieht nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich“ zu diskutieren. Thieß bemerkte in seiner „Vorerinnerung“, dass er Goeze für einen Streiter „wider die gesunde Vernunft“ und „wider […] die neuen Reformatoren“ halte, 410 Brief Döderleins an Will, 25.2.1783, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,11, [3]. 411 Diese Bezeichnung stammt von Strobel. Siehe Wotschke, Aus Briefen Strobels, 242. 412 [Johann Otto Thiess], Behauptung des Sazzes: der Sturz des Ansehens Mosis ziehet nicht nothwendig den Sturz des Christenthums nach sich. Vertheidigung des Herrn Doktor und Prof. Döderlein in Jena gegen einen Angrif des Herrn (Haupt-) Pastor Goeze in Hamburg von einem warmen Verehrer des Herrn D. Döderlein und seiner Schriften, Frankfurt/Leipzig 1783. 413 Zu Thieß: [Carl] Bertheau, Art. Thieß, Johann Otto Th. (ADB 38, 1894, 22–26); Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 4. Bd., 474–483; Hans-Werner Engels, Art. Thiess, Johann Otto (Hamburgische Biografie. Personenlexikon 2, 2003, 418 f.). Thieß bekam später die Schwierigkeiten mit Goeze persönlich zu spüren. Döring führt auf, dass Thieß „[u]ngeachtet des Beifalls, den seine schriftstellerische Thätigkeit und seine Kanzelberedtsamkeit fand“ bei Vakanzen in Hamburg „wegen [der ihm vorgeworfenen] Heterodoxie“ immer wieder übergangen wurde, was vor allem von Goeze und Christian Ludwig Gerling veranlasst wurde. Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 4. Bd., 475. – Zur Auseinandersetzung zwischen Thieß und Goeze siehe Ernst-Peter Wieckenberg, Angst vor der Aufklärung? Der Hamburger Hauptpastor Goeze und die aufgeklärten Theologen (in: Aufklärung im 21. Jahrhundert. Vorträge [Wolfenbütteler Hefte 18], hg. v. Helwig SchmidtGlintzer, Wiesbaden 2004, 107–153), hier 140. 414 Thieß bemühte sich darum, Döderleins Vorgehen zu rechtfertigen. Zudem versuchte er bestimmte Ausdrücke Döderleins, wie „Invalide“ und „alter Gaul“, abzumildern, indem er behauptete, Döderlein habe das nicht so gemeint. Zudem sei die Rezension in der „Nürnbergische[n] Gelehrte[n] Zeitung“ dem Ton Goezes angemessen, auch wenn sie „derb“ ausgefallen sei. Vgl. [Thiess], Behauptung des Sazzes, 20 f.
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der „unaufhörlich“ versuche, das „niederzureissen […], was die Neulinge haben aufbauen wollen“. Er sei eine Person, die sich „in seine eigene […] Polemik […] verliebt“ habe, obwohl ihm dies doch alles keinen Nutzen gebracht habe, da das „ganze aufgeklärte Publikum“ ihm gezeigt habe, dass „er Unrecht habe“.415 Thieß zählte auf, mit wem sich Goeze bereits gestritten habe: unter anderem mit Johann Bernhard Basedow, Johann Salomo Semler, Gottfried Less, Carl Friedrich Bahrdt, Friedrich Nicolai, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Friedrich Germanus Lüdke und Anton Friedrich Büschung. Auf Goezes Angriffe hätten nur wenige Männer geantwortet, wenn es nicht um der Erhaltung ihrer Ehre notwendig gewesen sei.416 Da sich Goeze nun auch gegen Döderlein gewandt habe, der sich laut Thieß „durch so viele vortrefliche Schriften einen so festen und gegründeten Ruhm in der lutherischen Kirche, wie in der gelehrten Welt überhaupt, erworben hat“417 und den er als einen Lehrer bezeichnete, „dem ich so viel zu danken habe“418, setzte sich Thieß zum Ziel „mit Hintansetzung [des] […] eigentlichen wichtigern Geschäfts“419, Goezes Schrift zu widerlegen.420 Dabei war ihm seine Anonymität wichtig, da Goeze bei Kenntnis der Person oft gegen den Namen vorgehe, als sich auf die Argumente zu konzentrieren. Er gab Goeze allerdings den Hinweis, dass er noch nie gegen ihn geschrieben und durchaus Hochachtung für seine Geschichte der lutherischen Bibelübersetzung habe.421 In dem dritten Teil seiner Schrift, in welchem Thieß detailliert auf das eigentliche Problem, den Zusammenhang von Mose und Christentum, einging, gab er zunächst Goezes Argumente wieder. Thieß bezeichnete dessen Einwände als „schwach“ und „lose Steine, die beyeinander liegen“.422 Der Verteidiger Döderleins dachte sich die Religion vielmehr als unabhängig von allen „Vorbereitungsanstalten“ wie die mosaischen Anordnungen und Gesetze. Er betonte, dass Jesus das Gesetz abgeschafft habe und nur der Glaube selig mache.423 Mit Verweis auf Wilhelm Abraham Teller forderte Thieß zudem eine Unterscheidung zwischen christlicher Lehre und Lehrart: Die anfängliche Erhebung des mosaischen Ansehens gehörte für ihn zur damaligen Lehrart.424 Thieß fragte schließ415 [Thiess], aaO., 2–5. 416 Vgl. [Thiess], aaO., 5 f. 9.15. 417 [Thiess], aaO., 15. 418 [Thiess], aaO., 17. 419 [Thiess], aaO., 16. 420 Vgl. ebd. 421 Vgl. [Thiess], aaO., 16 f. – Döderlein wies in einem Brief an Will darauf hin, dass der Kontext der Verteidigungsschrift in Hamburg zu suchen sei: „Mein Apologet, dessen Schrift er [Goeze], wie er sagt, ungelesen ins Feuer geworfen hat, ist nicht in Nürnberg zu suchen. Er lebt in Hamburg und kennt mich von Person so wenig als ich ihn. Aber er schreibt mit Vorwissen einiger Hamb. Prediger, die es gern sehen moegen, wenn ihr [Goeze] herabgesezt wird.“ Brief vom 30.6.1783, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,12, [2]. 422 [Thiess], aaO., 34. 423 Vgl. [Thiess], aaO., 35.39. 424 Vgl. [Thiess], aaO., 46.
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lich polemisch: „[W]as geht dich doch immer Moses an; was hat deine einfache Christuslehre mit jüdischen Gebräuchen, Anordnungen und Vorschriften zu thun?“425 Zugespitzt formulierte er daher: „[D]ie Wahrheit und Göttlichkeit unsrer Religion [steht] so fest […], daß sie auch nicht gestürzt werden kann […] gesetzt, daß auch nie ein Moses gelebt und die Kinder Israel durchs rothe Meer geführt hätte.“426 Abschließend kritisierte er Goeze, dass sich dieser herausnehme, über andere Schriften Döderleins zu sprechen. Denn wer Döderleins Werke („Institutio“, „Esaias“, „Sprüche Salomos“, „Erläuterung des Vater Unsers“) nicht kenne, der solle sich nicht anmaßen, über Döderlein zu urteilen.427 Dass Goeze über Döderleins Arbeiten nicht näher Bescheid wusste, sagt überdies etwas über deren Verbreitungsgrad aus. Obwohl Goeze mit vielen Neologen bekannt war und um deren Schriften wusste, waren Döderleins Publikationen offensichtlich zu dieser Zeit in seinen Kreisen noch nicht präsent. Den Aufklärern wie Thieß waren die Schriften jedoch sehr wohl vertraut. Thieß hat mit seiner Schrift einen gewichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung zwischen Goeze und Döderlein geleistet. Im Gegensatz zu Döderlein, der sich nur im Rahmen einer Vorrede auf wenigen Seiten mit Goezes Einwürfen auseinandersetzte, ging Thieß mit seiner Schrift umfassender auf die Thematik ein. Er präsentierte die Hintergründe des Streits, wiederholte Döderleins Argumente und brachte neue ein. Mit seiner Schrift kam die Auseinandersetzung über die Frage, inwiefern der Sturz des Ansehens Moses und der Sturz des Christentums zusammenhängen, zu einem Abschluss. Goeze veröffentlichte keine weitere Schrift zu diesem Thema.428
Zwischenergebnis A Mit Döderlein kam die Aufklärung an die Theologische Fakultät in Altdorf. Mehrere kleinere Abhandlungen Döderleins ließen es schon erahnen, aber spätestens mit seinem Jesajakommentar wurde es offensichtlich: Döderlein war ein Exeget, der ein historisches Verständnis von den biblischen Texten hatte und der sich demzufolge von einer dogmatischen Lesart der Texte distanzierte. Aus diesem Grund verwarf er zum Beispiel mit Jes 42,1–4 Verse im Jesajabuch als dogmatische Beweisstellen, die nach orthodoxer Lehrmeinung auf Jesus Christus verweisen. Seine Erkenntnisse führten ihn zudem zur später als „Deuterojesa425 [Thiess], aaO., 42. 426 [Thiess], aaO., 46. 427 Vgl. [Thiess], aaO., 47. 428 Siehe Herwarth von Schade, Johann Melchior Goezes Schriften. Eine Bibliographie (in: Johann Melchior Goeze 1717–1786. Abhandlungen und Vorträge [VB 8], hg. v. Heimo Reinitzer, Hamburg 1987, 114–160).
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A. Döderleins Etablierung als Aufklärungstheologe
ja“ bezeichneten Hypothese, womit er einen entscheidenden Beitrag zu der bis heute anhaltendenden Diskussion über die Textgeschichte des Jesajabuches leistete. Er verstand es aber nicht nur, für das gelehrte Publikum zu schreiben. Mit seinen „Sprüchen Salomons“ richtete er sich auch an Nichttheologen. Ihm gelang es hier, eine zeitgemäße Übersetzung zu liefern, die nicht den Sprachduktus des Originals aus dem Blick verlor und die er mit Anmerkungen versah, in denen er sich erneut kritisch mit einer dogmatischen Auslegung der biblischen Texte auseinandersetzte. Stets kämpfte Döderlein gegen zwei Positionen: gegen die radikalkritischen Thesen des Deismus, die viele alttestamentliche Texte der Fälschung bezichtigten, und gegen traditionell lutherisch-orthodoxe Standpunkte, die die Texte einer dogmatischen Lesart unterwarfen und sie damit zu wenig als Produkte ihrer Zeit betrachteten. Aufgrund dieser aufklärerischen Haltung hatte Döderlein mehrere Konflikte auszutragen. Zum einen hatte er ein problematisches Verhältnis zu seinen Kollegen an der Fakultät. Diese erwiesen sich als Gegner der Aufklärungstheologie. Zum anderen gestaltete sich die Beziehung zu einem großen Teil der Nürnberger Pfarrerschaft als schwierig. Auch sie lehnten Döderleins aufklärungstheologische Impulse ab und die dafür Beauftragten nahmen ihr Amt als Zensoren von Döderleins Schriften zum Ärger von diesem ernst. Erst durch viel Verhandlungsgeschick gelang Döderlein die Abschaffung der Zensur an der Theologischen Fakultät in Altdorf. Zum Dritten stritt er sich außerhalb des fränkischen Raums mit orthodoxen Theologen, die ihm aufgrund seines Jesjakommentars Heterodoxie vorwarfen. Döderlein kämpfte oft leidenschaftlich für seine Position, ging dabei aber auch zu weit, indem er fälschlich Personen, die nicht die Verfasser waren, für bestimmte Äußerungen verantwortlich machte und Kritik als persönlichen Angriff wertete. Seine exegetischen Schriften brachten Döderlein aber nicht nur Missbilligung, sondern vor allem Anerkennung ein. Diese erhielt er von Gelehrten in Altdorf, wie Will, der mit Döderlein eine neue Zeit in Altdorf anbrechen sah, aber besonders von anderen Exegeten, wie Ernesti. Dieser hatte bereits Döderleins erste kleine Abhandlungen als vielversprechend beurteilt. Wie sehr er als alttestamentlicher Exeget geschätzt wurde, zeigt auch, dass ihn Vogel um die Fortsetzung der Neuauflage von Grotius’ exegetischem Werk bat. Döderlein entwickelte seine Thesen zudem stets weiter, was die verschiedenen Auflagen seiner Werke erkennen lassen. Er griff neue Erkenntnisse seiner Fachkollegen auf und blieb ein aktives Mitglied der exegetischen Diskursgemeinschaft. Döderlein konnte sich aber nicht allein mit seinen exegetischen Schriften als Theologe profilieren und etablieren. Sein Beitrag im sogenannten Fragmentenstreit trug ebenfalls dazu bei, dass er außerhalb des Fränkischen Raums rezipiert wurde. Er lieferte mit seinen „Antifragmenten“ einen maßgeblichen Beitrag aus Perspektive der Neologie. Sein zweibändiges Werk verkörperte einen Mittelweg:
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Döderlein bewertete die Auseinandersetzung über die Fragmente als einschneidend. Aber daraus folgte für ihn weder, dass sich die Theologie verstecken oder nicht darauf reagieren müsste, noch, dass Sturmglocken geläutet werden müssten. Ihm war vielmehr an einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Verfasser der Fragmente gelegen und er betonte den Wert und richtigen Umgang von und mit Zweifeln. Auf der Grundlage seines neologischen Schriftverständnisses, welches mit dem Gedanken der Verbalinspiration brach, bemühte er sich um eine historische Einordnung der Evangelien. Dadurch gelang es ihm, die Vorwürfe von Reimarus zu widerlegen und anscheinende Widersprüche zu entkräften. Dass er mit diesem Vorgehen Beifall bei dem Lesepublikum fand, lässt sich an der Auflagenstärke seiner „Antifragmente“ sowie an den positiven Rezensionen ablesen. Auch Goezes Angriff gegen ihn konnte an diesem Erfolg nichts ändern, sondern bestärkte Döderlein vielmehr in seiner Position.
B. Die Berufung Döderleins nach Jena War Döderlein in Altdorf ein Pionier der Aufklärungstheologie, so änderte sich seine Situation, als er 1782 nach Jena wechselte. In Jena wirkten mit dem an der Theologischen Fakultät lehrenden Johann Jakob Griesbach und mit dem der Philosophischen Fakultät zugehörigen Professor für orientalische Sprachen Johann Gottfried Eichhorn zwei Vertreter der Neologie. Bis zu seinem Tod im Frühjahr 1782 unterrichtete seit 1768 ferner Ernst Jakob Danovius an der „Salana“ – der erste Aufklärungstheologe Jenas. Für die traditionell-lutherisch geprägte Universität war es eine neue Situation, dass an der Theologischen Fakultät nun Aufklärungstheologie gelehrt wurde. Dieser Sachverhalt lässt fragen: Wie ging dieser Wechsel von einer traditionell-lutherischen zu einer aufgeklärten Theologischen Fakultät vonstatten und wer initiierte diesen Wechsel? Was bedeutete diese Neuausrichtung der Theologischen Fakultät für die gesamte Universität? Zur Beantwortung dieser Fragen muss die Berufung von Ernst Jakob Danovius im Fokus stehen, da er als erster neue aufklärerische Impulse in Jena setzte. In diesem Kontext wird zudem die Berufung von Griesbach untersucht. Welche Bedeutung hatte schließlich die Herbeiziehung Döderleins nach Jena? Seine Berufung, die erst in diesem Zusammenhang verständlich wird, soll abschließend analysiert werden. Der Darstellung des Neuausrichtungsprozesses der Theologischen Fakultät (II) sind einführende Bemerkungen zur Situation der Universität Jena in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (I) vorangestellt.
I. Die Universität Jena in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Johann Wolfgang von Goethe bezeichnete Jena als „Stapelstadt des Wissens und der Wissenschaft“, womit er auf die besondere Situation in Jena aufmerksam machen wollte.1 Zum einen verwies er damit auf die Universität Jena, auf die „Salana“, die Ende des 18. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebte und an der berühmte Gelehrte unterrichteten.2 Jena etablierte sich zum anderen aber auch zum Zen1 Brief Goethes an Schiller, 20.7.1800 (in: Goethes Werke, WAG IV, 15, 90–93), hier 91. 2 Vgl. Steffen Kublik u. a., Die Universität um 1800 (in: Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, hg. v. Joachim Bauer u. a., Heidelberg 2008, 109–131), hier 109. – Für einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der Universität Jena sei insbesondere verwiesen
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
trum der Frühromantiker und des frühen deutschen Idealismus3 und bildete mit Weimar den „geographischen Kristallisationspunkt“4 eines Kulturverdichtungsprozesses, der über mehrere Jahrzehnte anhielt.5 Dass sich die „Salana“ Ende des 18. Jahrhunderts in einem so guten Zustand befand, war nicht selbstverständlich. Betrachtet man beispielsweise die Immatrikulationszahlen Mitte des 18. Jahrhunderts, dann erreichten diese im Zeitraum von 1771–1780 mit nicht einmal 250 immatrikulierten Studenten pro Jahr ihren Tiefstand (im Vergleich: zwischen 1711 und 1720 waren durchschnittlich über 700 Studenten immatrikuliert).6 Jena hatte unter anderem mit einem Modernisierungsrückstand gegenüber den Universitäten Halle und Göttingen zu kämpfen.7 auf Max Steinmetz u. a. (Hg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58 bis 1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum, 1. Bd.: Darstellung, Jena 1958 und Siegfried Schmidt (Hg.), Alma mater Jenensis. Geschichte der Universität Jena, Weimar 1983. 3 Vgl. Kublik, aaO., 109. 4 Gerhard Müller/K laus Ries/Paul Ziche, Einleitung (in: Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2], hg. v. Dens., Stuttgart 2001, 7–12), hier 7. 5 Vgl. ebd. – Zur Beschreibung dieser Kulturverdichtung wird oft von der „Doppelstadt“ Weimar-Jena gesprochen. Vgl. K atja Deinhardt, Stapelstadt des Wissens. Jena als Universitätsstadt zwischen 1770 und 1830 (VHKTh.KR 20), Köln/Weimar/Wien 2007, 15. Nähere Ausführungen über die „Doppelstadt“ finden sich bei Jürgen John/Volker Wahl, Zur Einführung: Die „Doppelstadt Jena-Weimar“ um 1900 – eine Einheit von Gegensätzen (in: Zwischen Konvention und Avantgarde. Doppelstadt Jena-Weimar [Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte 2], hg. v. Dens., Weimar/K öln/Wien 1995, IX–XLV). Diese Bezeichnung geht wiederum auf Aussagen Goethes zurück. Vgl. Klaus Manger, Das Ereignis Weimar-Jena um 1800 aus literaturwissenschaftlicher Sicht (SSAW.PH 139/5), Leipzig 2005, 6. Goethe schrieb im Dezember 1825 in einem Brief an den Senat der Universität Jena: „Nun aber muß ich mich höchlich erfreuen, daß ich bis auf den heutigen Tag noch immer Jena und Weimar wie zwey Enden einer großen Stadt anzusehen habe, welche im schönsten Sinne geistig vereint, eins ohne das andere nicht bestehen könnten“. An den Senat der Universität Jena, 7.12.1825 (in: Goethes Werke, WAG IV, 40, 153 f.), hier 153 f. Als weitere Beschreibungen Goethes zur Thematik Weimar-Jena werden in der Literatur folgende Zitate angegeben: Im November 1817 schrieb er an Johann Friedrich Rochlitz: „[…] ich führe jetzt ein etwas unstätes Leben, und spiele rouge et noir zwischen Weimar und Jena, wo es an beiden Enden zu thun giebt“. Goethe an Rochlitz, 24.11.1817 (in: Goethes Werke, WAG IV, 28, 307 f.), hier 307. Auch in den Xenien wird diese Thematik berührt: „,Wohin willst du dich wenden?` Nach Weimar-Jena, der großen Stadt, Die an beiden Enden Viel Gutes hat.“ Zahme Xenien V. (in: Goethes Werke, WAG I, 3, 313–349), hier 314. In einem Brief an Christian Gottlob von Voigt schrieb Goethe im Mai 1807 von der „Ehre des Weimar-Jenaischen Wesens, welches denn doch eigentlich nicht separirt werden kann, und bey unmittelbarer Wirkung und Gegenwirkung mit einander stehen und fallen muß“. Goethe an Christian Gottlob von Voigt, 1.5.1807 (in: Goethes Werke, WAG IV, 19, 316–319), hier 319. 6 Vgl. Ulrich R asche, Umbrüche – Zur Frequenz der Universität Jena im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert (in: Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2], hg. v. Gerhard Müller/K laus Ries/Paul Ziche, Stuttgart 2001, 79–134), hier 95 f. – Rasche zeigt überdies die genauen Ursachen für diesen Rückgang auf. Vgl. R asche, aaO., 98–101. Siehe auch Fritz Hartung, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775–
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Der Aufschwung der Universität Jena, der in den 1790er Jahren noch einmal der Anschluss an die frequenzstärksten Universitäten gelang,8 hing unter anderem mit dem Engagement und Reformen ihrer Erhalterstaaten zusammen. Die Universität war mit ihren 18 ordentlichen Professoren9 als Herzoglich Sächsische Gesamtuniversität allen ihren fürstlichen Erhaltern, damals zumeist als Nutritoren bezeichnet,10 gemeinsam unterstellt.11 Alle ernestinischen Linien – Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Coburg-Saalfeld12 – hatten zusammen die Oberaufsicht inne. Obgleich sich die einzelnen Höfe unterschiedlich an der Finanzierung der Universität beteiligten, mussten die Entscheidungen übereinstimmend getroffen werden.13 Es war daher zum Beispiel bei der Neubesetzung eines Lehrstuhles Pflicht, sich auf ein gemeinsames Votum zu verständigen. Dieser Umstand hatte allerdings oft langwierige Verhandlungen unter den Höfen zur Folge, weil Kompromisse erzielt werden mussten und wichtige Entscheidungsfindungen häufig hinausgezögert wurden.14 Bei den nötigen Reformmaßnahmen betätigte sich vor allem die Weimarer Regierung, die großen Wert auf die Hochschulpolitik legte. Das Engagement des Weimarer Hofes zeigt sich exemplarisch bei der aufgrund der Krisenlage durchgeführten Visitation der Universität 1766 und den sich daraus ergebenden Neue1828 (Carl August. Darstellungen und Briefe zur Geschichte des Weimarischen Fürstenhauses und Landes. Im Auftrage der Weimarischen Gebietsregierung, hg. v. Erich Marcks, 2. Abtheilung), Weimar 1923, 138 f. 7 Vgl. R asche, aaO., 100. 8 Vgl. R asche, aaO., 96 f. 9 Diese 18 Professoren verteilten sich folgendermaßen auf die vier Fakultäten: Zur Philosophischen Fakultät gehörten sieben Ordinarien, zur Juristischen fünf und zur Medizinischen und Theologischen Fakultät jeweils drei. Vgl. Stefan Wallentin/Daniela Siebe/Nicole Grochowina, Die Korporation: Verfassung, Ämter und Finanzen (in: Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, hg. v. Joachim Bauer u. a., Heidelberg 2008, 47–71), hier 47 f. – Neben diesen Ordinarien waren außerordentliche und Honorarprofessoren, Privatdozenten und Magister an der Universität tätig, die vor allem auf Hörergelder angewiesen waren. Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 19. 10 Vgl. Kublik, aaO., 20. 11 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 39. Einführend über das Verhältnis der fürstlichen Erhalter zu ihrer Universität sei verwiesen auf: Joachim Bauer/Gerhard Müller, „Kleinod“ der Ernestiner – die Herzoglich Sächsische Gesamt-Universität Jena und die Höfe (in: Neu entdeckt. Thüringen – Land der Residenzen 1485–1918. Essays. 2. Thüringer Landesausstellung Schloss Sondershausen 15. Mai – 3. Oktober 2004, hg. v. Konrad Scheurmann/Jördis Frank, Mainz am Rhein 2004, 324–336); Thomas Pester, „Ein unveräußerlicher Schmuck des Ernestinischen Hauses“. Die Ernestiner und ihre Universität in Jena (in: Die Ernestiner. Politik, Kultur und gesellschaftlicher Wandel [Veröffentlichung der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe 50], hg. v. Werner Greiling u. a., Köln/Weimar/ Wien 2016, 305–333). 12 Nur Sachsen-Hildburghausen hatte seine Rechte an der Universität abgetreten. Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 39. 13 Vgl. ebd. 14 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 22.
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
rungen. Die Reformvorhaben sahen unter anderem vor, die geduldeten Studentenverbindungen aufzuheben, Privatdozenten zu erlauben, ihre Veranstaltungen auch im Vorlesungsverzeichnis und nicht nur am „Schwarzen Brett“ bekannt machen zu dürfen und der Universität erstmalig seit der Gründung einen festen Etat zur Verfügung zu stellen. Außerdem zahlte der Weimarer Hof den 18 ordentlichen Professoren einen Gehaltszuschuss von 100 Gulden. Damit unterstrich die Weimarer Regierung die von ihr beanspruchte universitäre Führungsrolle innerhalb der vier Erhalterstaaten.15 Die Modernisierung der Universität wurde überdies möglich, weil sich besonders die Höfe in Weimar und Gotha darum bemühten, die personelle Zusammensetzung des Lehrkörpers zu beeinflussen. Über die von ihnen favorisierten Personen sollten der Universität neue Impulse gegeben werden.16 Dabei nutzten sie auch die Möglichkeit, Nichtordinarien finanziell zu unterstützen, um über diesen Weg ihre Personalvorstellungen durchzusetzen.17 Gerhard Müller hat dafür den Begriff „extraordinäre Universität“ geprägt. Darunter versteht er unter anderem extraordinale Finanzierungsmodelle, ergänzende Sonderzahlungen von Weimar und Gotha, die an einzelne Hochschullehrer gingen, um deren 15 Vgl. Kublik, Die Universität um 1800, 112. Die Forschung ist sich bei der Einschätzung der Bedeutung dieser Visitation und der Reformen uneins. In der älteren Historiographie wurde die Visitation als ein bedeutendes Ereignis beschrieben. Vgl. aaO., 56 f. Auch Gerhard Müller bezeichnet die Reformen als eine „innovative Restauration der akademischen Körperschaft“, mit denen die Grundlagen für die Universitätspolitik der nächsten Jahrzehnte gelegt wurden. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 43. Zu einer ähnlichen Bewertung kommt auch Hans-Werner Hahn, der den Erfolg der 1780er Jahre in der Visitation begründet sieht. Er behauptet, dass die Visitation die Grundlage für den eigenen Reformweg der Universität Jena gelegt habe. Vgl. Hans-Werner Hahn, Aufbruch und Krisen: Die Universität Jena zwischen 1770 und 1870 (in: Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft nach 1800, um 1860 und um 1910 [Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 76], hg. v. Rüdiger vom Bruch unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 2010, 21–42), hier 24. Marcus Ventzke bemerkt jedoch, dass die alten Strukturen mit der Visitation und den Reformen nicht aufgebrochen worden seien und keine neue wissenschaftspolitische Orientierung stattgefunden habe. Vgl. Marcus Ventzke, Das Herzogtum Sachsen-WeimarEisenach 1775–1783. Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft? (VHKTh.KR 10), Köln/Weimar/ Wien 2004, 371. 16 Vgl. Bauer/Müller, „Kleinod“ der Ernestiner, 329. 17 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 748. Der Begriff Nichtordinarien umfasst die Privatdozenten, die extraordinären Professoren, die Adjunkten und die Ordinarien im Status eines Honorar- und Supernumerarprofessors – also alle Personen, die neben den 18 Ordinarien an der Universität in Lehre und Wissenschaft tätig waren und nicht über den Universitätsfiskus finanziert wurden. Vgl. Gerhard Müller, Die extraordinäre Universität – Jenas Modernisierungsweg (in: Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2], hg. v. Gerhard Müller/K laus Ries/Paul Ziche, Stuttgart 2001, 191–195), hier 191 f. Bei Vakanzen bestand die Möglichkeit, diese „reformfreudige[n]“ Nichtordinarien ins Ordinariat zu erheben. Das Extraordinariat konnte daher als Karrieresprungbrett dienen. Wallentin/Siebe/Grochowina, Die Korporation, 55 f.
I. Die Universität Jena in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
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Einkommenssituation zu verbessern oder an Nichtordinarien gezahlt wurden, wodurch die Zahl dieser erheblich aufgestockt werden konnte. Diese Finanzierungsmöglichkeit ergab sich ab Ende der 1770er Jahre, da eine institutionelle Erweiterung der Universität, beispielsweise durch Etablierung neuer Lehrstühle, aufgrund der Nutritorenverfassung nicht möglich war. Diese sah vor, dass alle Nutritoren paritätisch an der Finanzierung der Ordinaria beteiligt sein mussten. Aber eine Erweiterung der Ausgaben war aufgrund des überschuldeten Coburger Hofes nicht möglich. Die Bereitschaft der Höfe von Weimar und Gotha, zusätzlich Finanzmittel für die Universität aufzubringen, bewirkte eine Stabilisierung und war ein entscheidender Faktor für den Aufstieg der Universität Ende des 18. Jahrhunderts. Fast alle bedeutenden Persönlichkeiten, die um 1800 an der Universität Jena lehrten, wie beispielsweise Carl Christian Erhard Schmid, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, Friedrich Schiller, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Lorenz Oken, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Wolfgang Döbereiner,18 hatten ihre Tätigkeit an der Universität als Nichtordinarien begonnen. Weimar und Gotha zogen mit ihrer Berufungspolitik auch viele junge Gelehrte an die Universität, wie Johann Jakob Griesbach, Johann Gottfried Eichhorn, Justus Christian Loder oder den Philosophen Karl Leonhard Reinhold.19 Mit der „extraordinären Universität“ gelang nach Müller ein Modernisierungsweg, mit dem auf aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaft reagiert werden konnte.20 Als besonderes Charakteristikum der „Salana“ sei noch auf ihr Selbstverständnis hingewiesen, „Hort des Luthertums“ zu sein.21 Dieser Anspruch spielte in der Geschichte der Theologischen Fakultät eine bedeutende Rolle und be18 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 747 f. 19 Vgl. Bauer/Müller, „Kleinod“ der Ernestiner, 330. 20 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 753. – Gerhard Müller versteht unter dem Begriff „extraordinäre Universität“ neben dem alternativen Finanzierungsmodell auch alle wissenschaftlichen Institutionen und Sammlungen, die zwar rechtlich gesehen nicht zum Bestand der Universität gehörten, aber als herzogliche Einrichtungen an die Lehre und Wissenschaft der Universität gekoppelt waren. Ebenso zählen darunter die von Universitätsangehörigen (mit-)gegründeten privaten Sozietäten und Institute, die für den Universitätsbetrieb bedeutend waren. Vgl. Müller, Die extraordinäre Universität, 192. Als Beispiele für diese Art der „extraordinären Universität“ können die Bibliothek und der 1794 eingerichtete Botanische Garten gelten. Privat geführte Institutionen waren beispielsweise die staatlich geförderte Privatklinik von Johann Christian Stark des Älteren und die ALZ. Vgl. Hahn, Aufbruch und Krisen, 26. 21 Vgl. Georg Schmidt, Die Tradition der Freiheit: Johann Friedrich und Friedrich Schiller (in: Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, hg. v. Joachim Bauer u. a., Heidelberg 2008, 11–23), hier 11. – Entscheidend zu diesem Thema ist die Studie von Joachim Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos. Erinnerung, Selbstvergewisserung und Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548–1858 (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 41), Stuttgart 2012, die in hervorragender Weise unter anderem die Entstehung, Entwicklung und Weiterführung des Mythos’ vom lutherischen Jena darstellt. – Einführend zum Thema Reformation und Jena siehe Christopher Spehr/Joachim Bauer (Hg.), Orte der Reformation. Jena (Journal 30), Leipzig 2017.
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rief sich auf die Gründungsgeschichte der Universität. Zentral war hierbei Johann Friedrich I., dem als Gründer der Hohen Schule Jenas 1548 in der Erinnerungskultur die Rolle des Verteidigers und Märtyrers des wahren Luthertums zugesprochen wurde.22 Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg gelang den Ernestinern mit der Gründung der Hohen Schule, die 1558 zur Universität erhoben wurde, ein wichtiger Prestigeerfolg.23 Die Universität Jena diente aber nicht nur als Ersatz für das verlorene Wittenberg. Von Anfang an ging es um das eigene Profil beziehungsweise um die „Deutungshoheit über das Luthertum“24. Mit der ernestinischen Erinnerung an Luther und der damit verbundenen strikten lutherischen Rückbesinnung (Confessio Augustana, Schmalkaldische Artikel),25 die nach dem verlorenen Schmalkaldischen Krieg als Krisenbewältigung für das Herzogtum diente, wurde der Anfang für eine „orthodox“ ausgerichtete Theologie in Jena gelegt. Die „Salana“ entwickelte sich zur Trägerin dieser Position.26 Nach Richtungsstreitigkeiten um und über Matthias Flacius (genannt Illyricus) etablierte sich Jena um 1600 neben Wittenberg und Leipzig zu einer Hochburg der lutherischen Orthodoxie.27 Der Gründungsmythos vom „lutherischen Jena“ diente auch im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Grundlage für die eigene Identität.28 Georg Schmidt und Joachim Bauer konstatieren erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen Bruch in dem Anspruch, „Hort des Luthertums“ zu sein. Schmidt sieht diesen Wandel durch die Neologen herbeigeführt und in dem Selbstverständnis der „Doppelstadt Weimar-Jena“ begründet, 22 Vgl. Joachim Bauer, Die alte Universität in der Erinnerungskultur (in: Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, hg. v. Dems. u. a., Heidelberg 2008, 187–199), hier 192 und Schmidt, Die Tradition der Freiheit, 13. 23 Vgl. Schmidt, aaO., 13. 24 Daniel Gehrt u. a., Gründung, Aufbau und Konsolidierung im 16. Jahrhundert (in: Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, hg. v. Joachim Bauer u. a., Heidelberg 2008, 25– 45), hier 44. Für detaillierte Studien zur Gründungsgeschichte und Johann Friedrich I. siehe Joachim Bauer/Dagmar Blaha/H elmut G. Walter, Dokumente zur Frühgeschichte der Universität Jena 1548 bis 1558 (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena 3/I), Weimar 2003; Volker Leppin/Georg Schmidt/S abine Wefers (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst. Vorträge der gleichnamigen Tagung, die anlässlich seines 500. Geburtstages 2003 in Jena stattfand, Gütersloh 2006 und Helmut G. Walther, Die Gründung der Universität Jena im Rahmen der deutschen Universitätslandschaft (BDLG 135, 1999, 101– 121). Siehe auch Daniel Gehrt, Ernestinische Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung und dynastische Identitätsstiftung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel 1577 (AKThG 34), Leipzig 2011. 25 Vgl. Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos, 47. 26 Vgl. Bauer, aaO., 44 f. 27 Vgl. Gehrt, Gründung, Aufbau und Konsolidierung, 42. Zur Ausrichtung und Bedeutung der Theologischen Fakultät Jenas im 17. Jahrhundert sei exemplarisch auf die Untersuchungen zu dem Theologen Johann Major verwiesen. Siehe K atharina Bracht (Hg.), Johann Major (1564–1654). Professor der Theologie, Superintendent in Jena und Kirchenpolitiker im Dreißigjährigen Krieg, Leipzig [2017]. 28 Vgl. Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos, 181.
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ein literarisches, wissenschaftliches und ästhetischen Zentrum sein zu wollen, nicht aber ein theologisches. Der Jenaer Historiker betont aber auch, dass der Anspruch, das „wahre“ Luthertum zu vertreten, im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder an Bedeutung gewann.29 Joachim Bauer wiederum verdeutlicht, dass neben diesem Ablösen von der lutherischen Orthodoxie durch die Aufklärung,30 der Mythos des lutherisch-protestantischen Jenas am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf eine nationale Perspektive transformiert wurde. Johann Friedrich I. wurde nun als „Volksfreund“ interpretiert und unter dynastischen, liberalen und nationalen Deutungsparametern betrachtet.31 Die Jenaer Universität beanspruchte um 1800, „protestantisch“, „national“, „frei“ und „liberal“ zu sein.32 Was waren allerdings die Hintergründe dafür, dass sich der Anspruch, „Hort des Luthertums“ zu sein, Ende des 18. Jahrhunderts durch die Aufklärungstheologie veränderte? Dieser Frage soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden.
II. Von Walch zu Döderlein. Personeller Wandel und inhaltliche Neuausrichtung der Theologischen Fakultät An dem eben beschriebenen Aufschwung der Universität Jena in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts hatte auch die Theologische Fakultät einen entscheidenden, bisher oft nicht ausreichend beachteten Anteil.33 Die Theologische Fakultät beförderte diese Entwicklung, da mit den Berufungen von Aufklärungstheologen eine inhaltliche Neuausrichtung einherging, die für die „Salana“ fundamental war, um sich in der wissenschaftlichen Lehre mit anderen Universitäten – wie beispielsweise mit Halle – messen zu können. Entscheidend für diese Neuausrichtung war zunächst die Berufung von Ernst Jakob Danovius,34 der die Grundlagen für einen Umschwung an der Theologi29 Vgl. Schmidt, Die Tradition der Freiheit, 16. 30 Vgl. Bauer, Die alte Universität in der Erinnerungskultur, 192. 31 Vgl. Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos, 450. Wie der lutherische Mythos in einen nationalen überging, zeigt sich für Bauer beispielsweise beim Wartburgfest 1817, das einen wichtigen Stellenwert in der deutschen Erinnerungskultur fand und bei dem Jena eine besondere Rolle zukam. Vgl. Bauer, aaO., 49. Trotzdem schließen sich beide Mythen, der vom „lutherisch-protestantischen Jena“ und der vom „nationalen Jena“ nach Bauer nicht aus, sondern bilden eine „eigenwillige Symbiose“. Auch in der Gründung habe bereits ein nationaler Impetus gelegen und die Durchsetzung des nationalen Anspruchs benötigte wiederum das protestantische Fundament. Vgl. Bauer, aaO., 481 f. 32 Vgl. Bauer, aaO., 55. 33 Erste Ansätze dieser Untersuchung finden sich bei Johanna Hilpert, Die Ernestiner und die Theologische Fakultät in der späteren Aufklärung (in: Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, hg. v. Siegrid Westphal/H ans-Werner Hahn/Georg Schmidt, Köln/ Weimar/ Wien 2016, 89–98). 34 Einführend über Danovius sei vor allem auf die Darstellung des Freundes und Schwa-
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schen Fakultät legte. Der theologischen Aufklärung nahestehend, lehrte er ab 1768 an der Theologischen Fakultät neben Johann Georg Walch, Johann Christoph Köcher und Friedrich Samuel Zickler. Walch, der insgesamt mehr als 40 Jahre Vorlesungen an der Theologischen Fakultät hielt und die Stellung des Primarius innehatte, nahm unter diesen drei letztgenannten Theologen die zentrale Position ein.35 Trat Walch als junger Theologe für frühaufklärerische Ideen ein, so lehnte er nun wie Köcher und Zickler die neueren aufklärerischen Impulse entschieden ab. Karl Heussi wertet deshalb Walchs Tod am 18. Januar 1775 als „ein Symbol für den Ausgang einer ganzen theologischen Periode“36. Als Nachfolger für Walch einigten sich die Nutritoren auf den Aufklärungstheologen Johann Jakob Griesbach.37 gers Christian Gottfried Schütz verwiesen: Christian Gottfried Schütz, Leben und Charakter des Herrn D. Ernst Jakob Danovius der Gottesgelahrtheit ersten Professors zu Jena. Beilage zu: A[ntoine] J[acques] Roustan, Briefe zur Vertheidigung der christlichen Religion. Neue Uebersetzung mit einigen Anmerkungen von Ernst Jakob Danovius, Halle 1783. Sich an dieser Abhandlung orientierend seien zudem folgende Beschreibungen genannt: Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 1. Bd., 310–314; Frank, Die Jenaische Theologie, 86– 88; Gustav Frank, Art. Danovius (RE3 4, 1898, 464–466). Bei Schütz und Döring findet sich zudem ein Verzeichnis von Danovius’ Schriften. 35 Vgl. Heussi, Theologische Fakultät, 163. Johann Georg Walch (1693–1775) war seit 1718 außerordentlicher Professor für Philosophie und Altertümer, seit 1719 ordentlicher Professor der Beredsamkeit und seit 1721 Professor der Dichtkunst. 1724 tauschte er die ordentliche Professur in der Philosophischen Fakultät mit einer außerordentlichen in der Theologie. Doktor der Theologie wurde er 1726. Zwei Jahre später wurde er ordentlicher Professor der Theologie. Vgl. ebd. 36 Heussi, aaO., 185. Volker Leppin äußert sich differenzierter, indem er den Wechsel von Walch zu Griesbach als einen „einigermaßen abgeschlossenen Klärungsprozess“ bezeichnet. Volker Leppin, Auf dem Weg zur Konstitution des Fächerkanons. Zum Vorlesungsprogramm der theologischen Fakultät Jena 1749–1854 (in: ‚Gelehrteʽ Wissenschaft. Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 26], hg. v. Thomas Bach/Jonas Maatsch/Ulrich R asche, Stuttgart 2008, 59–69), hier 63. 37 Einführend über das Leben und Werk von Griesbach sei neben seiner eigenen Lebensbeschreibung [Johann Jakob Griesbach], [Lebensbeschreibung] (Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, 3. Bd., 5. Stück, 1790, 537–544) verwiesen auf: Bernhard Rudolf Abdeken, Johann Jakob Griesbach (in: Zeitgenossen. Ein biographisches Magazin für die Geschichte unserer Zeit. Dritte Reihe, hg. v. Friedrich Christian August Hasse, 1. Bd., Leipzig 1829, 3–44 [Beilagen, hauptsächlich Briefe 45–64]); Joh[ann] Christian Wilhelm Augusti, Ueber Johann Jakob Griesbach’s Verdienste. Eine akademische Vorlesung gehalten auf der Universität zu Breslau am 13. April 1812, Breslau 1812; Friedrich Wilhelm Bautz (Hg.), Art. Griesbach, Johann Jakob (BBKL 2, 1990, 350 f.); [Carl] Bertheau, Art. Griesbach, Johann Jacob (ADB 9, 1879, 660–663); Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 140; Gerhard Delling, Johann Jakob Griesbach. Seine Zeit, sein Leben, sein Werk (ThZ 33, 1977, 81–99); Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 1. Bd., 531–542; Hans-Jürgen Findeis, Art. Griesbach, Johann Jakob (LThK 4, 1995, 1055); J[ohann] Hasemann, Art. Griesbach (Johann Jacob) (Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet, Erste Section A–G, 91, 1871, 28–35); Heussi, Theologische Fakultät, 185–188; Friedrich August Koethe, Gedächtnißrede auf Johann Jacob Griesbach. Nebst einer Skizze seines Le-
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Für die Theologische Fakultät indirekt bedeutend war die ebenfalls 1775 erfolgte Berufung von Johann Gottfried Eichhorn an die Philosophische Fakultät. Sowohl Eichhorn, der als Begründer der modernen biblischen Einleitungswissenschaft gilt,38 als auch Griesbach, der mit seiner griechische Ausgabe des Neuen Testaments wegweisende Impulse für die textkritischen Forschungen zum Neuen Testament gab,39 brachten neue Erkenntnisse für die kritische Exegese.40 Nach weiteren personellen Umstrukturierungen, die auch durch den Tod von Danovius 1782 notwendig geworden waren, wurde nach mehreren diplomatischen Verhandlungen der vier ernestinischen Erhalterstaaten Johann Christoph Döderlein nach Jena berufen. Mit Döderlein erhielt der Langensalzaer Diakon Georg Gottlob Ausfeld einen Ruf, der allerdings noch vor seinem Amtsantritt Ende 1782 starb. Die Höfe verständigten sich zügig auf den Diakon der Jenaer Stadtkirche Johann Wilhelm Schmid als Nachfolger.41 Bis 1792 blieb die Besetzung Griesbach, Döderlein und Schmid unverändert. Die eben erwähnten Berufungen veränderten die Ausrichtung und den Zustand der Theologischen Fakultät entscheidend. Deshalb sollen die einzelnen Berufungsvorgänge in der vorliegenden Studie näher untersucht werden. Die Funktionsweise des Berufungswesens in Jena hat Daniela Siebe hervorragend dargestellt.42 Das Prozedere und die Schwierigkeiten der einzelnen Berufungen Ende des 18. Jahrhunderts in Jena haben Steffen Kublik und Gerhard Müller43 anhand der einzelnen Berufungsakten ermittelt, so dass hier auf diese Arbeiten benslaufs, Jena 1812; Bruce M[anning] Metzger, Art. Griesbach, Johann Jakob (TRE 14, 1985, 253–256); Martin Mulzer, Art. Griesbach, Johann Jakob (WiBiLex, 2012 – letzter Zugriff 25. Sept. 2017); Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, 4. Bd.: Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, München 2001, 200–202; Ed[uard] Reuss, Art. Griesbach, Johann Jacob (RE3 7, 1899, 170–172); Heinrich Seesemann, Art. Griesbach, Johann Jakob (NDB 7, 1966, 62 f.). Kurz vor Drucklegung der vorliegenden Studie erschien zudem Marco Stallmann, Johann Jakob Griesbach (1745–1812). Protestantische Dogmatik im populartheologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts (BHTh 190), Tübingen 2019. 38 Vgl. Beutel, aaO., 141. – In seiner Jenaer Zeit gab Eichhorn unter anderem die erste Auflage seiner dreibändigen „Einleitung in das Alte Testament“ und die Zeitschriften „Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur“ sowie die „Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur“ heraus. Vgl. Heussi, Theologische Fakultät, 190. 39 Vgl. Mulzer, Art. Griesbach (WiBiLex). 40 Vgl. Heussi, Theologische Fakultät, 185. 41 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 96; Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 93–96. 42 Daniela Siebe, Berufungswesen (in: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven [Wolfenbütteler Forschungen 128], hg. v. Ulrich R asche, Wiesbaden 2011, 225–239) und Daniela Siebe, Berufungen zwischen Universität und Landesherrschaft: das Beispiel Jena 1650–1700 (in: „Orte der Gelahrtheit“. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches [Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 66], hg. v. Ders., Stuttgart 2008, 159–191). Siebe verdeutlicht in diesen Aufsätzen unter anderem den Ablauf von Berufungen, den formalen Rahmen von Präsentationsschreiben, die rechtlichen Grundlagen und die ausschlaggebenden Kriterien bei Entscheidungsfindungen. 43 Kublik, Die Universität Jena; Müller, Vom Regieren zum Gestalten.
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aufgebaut werden kann. Der Schwerpunkt in dieser Studie liegt allerdings weniger auf dem Prozedere als vielmehr auf den Fragen, wie die einzelnen Theologen, Ernst Jakob Danovius, Johann Jakob Griesbach und Johann Christoph Döderlein, wahrgenommen und mit welcher Absicht sie vorgeschlagen wurden. Warum erhielten sie einen Ruf nach Jena und welche Rolle spielte dabei ihr theologischer Standpunkt? 1. Der Streit zwischen der Theologischen Fakultät und Ernst Jakob Danovius 1.1. Die Berufung von Danovius Die Berufung des 27-jährigen Ernst Jakob Danovius im Jahr 1768 war eng mit der oben angesprochenen Visitation verbunden. Anhand der Visitationsprotokolle lässt sich erkennen, dass die Visitationskommission den Zustand der Theologischen Fakultät als verbesserungswürdig einschätzte.44 Zu den Reformmaßnahmen zählte deswegen auch die Berufung eines Honorarprofessors an die Theologische Fakultät, dem bei der nächsten Vakanz eine ordentliche Professur zugesichert wurde. Diese Berufung diente zudem als Präventivmaßnahme, da aufgrund des hohen Alters von Johann Georg Walch (er war 1768 75 Jahre alt) und von Johann Christoph Köcher (er war 1768 69 Jahre alt) mit deren baldigem Ausscheiden aus der Fakultät zu rechnen war und daher ein bereits mit seinen Aufgaben vertrauter Nachfolger zur Verfügung stehen sollte. Es sollte ein „frischer Wind“ in die Theologische Fakultät einziehen, so dass von vornherein auf einen auswärtigen Theologen gesetzt wurde.45 Anfangs waren der Danziger Pfarrer und 44 Vgl. Kublik, aaO., 61. In den Visitationsprotokollen wurde bemerkt, dass der „gäntzliche[] Verfall“ der Universität sehr nahe sei. An die Theologische Fakultät kämen kaum noch eine große Anzahl an auswärtigen Studenten so wie früher. Nach Aussage der Studenten sei die Ursache darin zu sehen, dass man in Jena nicht mehr „in allen zum Studio Theologico gehörigen Wißenschaften“ ausreichenden Unterricht erhalte. Walch sei aufgrund seines hohen Alters und der Trauer über den Tod seiner Ehefrau „niedergeschlagen“ und habe lange Zeit nicht mehr gelesen. Auch Köcher fehle es aufgrund seiner nachlassenden Kräfte „an der Munterkeit im Dociren“. Zickler erhalte „wegen seiner Lehrart“ keinen „applausum“ mehr. Visitationsprotokoll vom 26.2.1767, ThHStAW, A 5553, 223–224v. 45 Vgl. Visitationsprotokoll vom 11.12.1766, ThHStAW, A 5552, 26–26v. – Heussi spricht vor diesem Hintergrund polemisch von der „Ära Walch“ als einer Zeit der „überalterte[n] und absterbende[n] Orthodoxie“ (Heussi, Theologische Fakultät, 163) und bezichtigt die Theologische Fakultät der „Inzucht“, weil bis auf Danovius alle Lehrenden eine enge Bindung an Jena gehabt hätten. Diese „Inzucht“ und Überalterung wirkten sich nach Heussi nachteilig auf das Niveau der Fakultät aus. Vgl. Heussi, aaO., 169.171. Ähnlich pauschale Aussagen finden sich bereits bei Gustav Frank. Dieser charakterisiert Walch, Köcher und Zickler als „wenig glänzende Vertreter des alten Lehrbegriffs“, weshalb die theologische Fakultät „ins Sinken“ gekommen sei. Um „den sinkenden Flor durch eine zeitgemäßere Richtung und eine frische Kraft wieder herzustellen“ sei Danovius berufen worden. Frank, Art. Danovius, 464. Auch Danovius’ Schüler, Johann Wilhelm Schmid, schätzte die Situation ähnlich ein: „Die Akademie fieng an, einen neuen Glanz zu erhalten, und sich nach und nach zu ihrem alten Flor wieder zu erheben. In der Theologie machte Danovius den ersten Versuch, die Finsterniß zu vertreiben, das System von manchen Auswüchsen zu reinigen und dasselbe reiner und biblischer darzustellen.
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Gymnasialdirektor Ernst August Bertling und der Coburger Prediger Erhard Andreas Frommann im Gespräch. Beide lehnten allerdings ab. Ebenso wollte der besonders von Meiningen und Gotha bevorzugte Johann Friedrich Burscher nicht nach Jena wechseln, der zu dieser Zeit noch Professor der Philosophie in Leipzig war. Bertling schlug den Nutritoren jedoch vor, seinen ehemaligen Schüler Ernst Jakob Danovius, den Rektor der Johannisschule in Danzig, anzufragen. Dieser wollte den Ruf unter der Bedingung annehmen, dass sein Gehalt von 400 Reichstalern nicht verringert würde, wenn er später in ein Ordinariat aufrücken sollte.46 Dem entgegen hatte die Theologische Fakultät allerdings Bedenken, Danovius zu berufen, da er ihnen „weder nach seiner Person, noch aus seinen Schriften bekannt“ sei und sie schlugen stattdessen vier andere Theologen vor.47 Die Weimarer Regierung lehnte diese neuen Vorschläge jedoch ab und blieb bei dem Vorhaben, Danovius „wegen seine[r] Geschicklichkeit und sonstigen guten Eigenschaften“48 den Ruf zu erteilen. Sie erwirkten also gegen den Willen der Theologischen Fakultät, dass Danovius am 10. September 176849 als Honorarprofessor in Jena installiert wurde. Die Bedenken der Fakultät waren damit nicht aufgehoben. Zwischen dem jungen Theologen Danovius und den Professoren der Theologischen Fakultät entbrannten heftige Streitigkeiten, die im Folgenden dargelegt werden sollen. Die Untersuchung der Auseinandersetzung erfolgt detailliert in drei Etappen untergliedert, weil der Konflikt umfassende Einblicke in die Ausrichtung und den Zustand der Theologischen Fakultät ermöglicht. 1.2. Die erste Streitetappe: Altehrwürdiges versus Reformbemühen Die erste Etappe des Streits begann mit einer Beschwerde der Theologischen Fakultät gegen Danovius, die auf den 29. Mai 1770 datiert ist.50 Diese Klage bildete den Anfang einer jetzt im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar vorliegenden 277-Blatt starken Akte, die betitelt ist mit „Geheime Canzley-Acta die gegen den Professorem Theologia Danovius zu Jena, vorgekommene Beschwerden“. Das geschahe freylich nicht ohne heftige Stürme, so gering und unbedeutend an sich seine Abweichungen von der herrschenden Meinung waren.“ [Johann Wilhelm Schmid], [Lebensbeschreibung] (Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, 11. Bd., 5. Stück, 1795, 97–112), hier 107. 46 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 62 f. 47 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät, 15.3.1768, UAJ, A 453, 3v–4. Sie schlugen den Theologen Gottfried Schwartz, Professor in Rinteln, den Tübinger Johann Friedrich Cotta, den Gießener Johann Daniel Müller und den Hauptpastor an St. Nicolai in Hamburg Johann Dietrich Winckler vor. 48 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Universität Jena, Kanzleischreiben, 3.5.1768, ThHStAW, A 6144, 210. 49 Danovius erwähnte dieses Datum in seinem Brief an Sachsen-Weimar-Eisenach, 20.9.1768, ThHStAW, A 6144, 226. – Der neu berufene Danovius trat sein Lehramt mit einer öffentlichen Rede an: Ernestus Iacobus Danovius, De Christi gloria ex divi Paulli sententia Psalmis LXVIII. et CII. celebrata, [Jena] [1759]. 50 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 29.5.1770, ThHStAW, A 6143, 1–3.
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Der Ausgangspunkt des Missmutes lag in der positiven Haltung Danovius’ gegenüber dem Hallenser Aufklärungstheologen Johann Salomo Semler. Tatsächlich schätzte Danovius Semler neben Johann August Ernesti von den aktuellen Theologen am meisten51 und gab im Frühjahr 1770 eine Verteidigungsschrift für Semler heraus mit dem Titel „Schreiben an den Herrn Doktor Semler zu Halle, desselben neuere Streitigkeiten betreffend“52. Die Theologische Fakultät warf Danovius nun vor, er habe „mit dem grösten Ungestüm und starkem Geschrey“ für Semler Position ergriffen.53 Nicht nur dies, sondern ebenso sein – in ihren Augen – unanständiges Benehmen, fand Ablehnung bei Walch, Köcher und Zickler. Danach wurde aufgeführt, dass Danovius behauptet habe, „er streite allein für den Flor der hiesigen Academie […] [, der ohne ihn] längst gefallen [wäre]“ und „er wolle der andern Luther werden und die Theologie reformieren“ zumal die anderen Dozenten „nichts neues vorbrächten“. Aber nicht nur die Jenaer Kollegen, sondern auch die „grösten Theologos“ versuche er „verächtlich zu machen“, indem er beispielsweise die Schriften Johann Gerhards und Abraham Calovs für nicht tauglich erachte.54 Neben dieser Darstellung, die suggerieren sollte, wie überheblich und anmaßend Danovius sei, wurden dessen Irrlehren vorgetragen. So behaupte Danovius unter anderem, dass der Teufel keine Macht habe und die Erbsünde nicht verdammlich sei.55 Die Theologische Fakultät warnte davor, zu welchem Schaden solche Irrlehren und solches Verhalten führen könnten. Man habe doch gesehen, auf welche Abwege Danovius’ Lehrer Johann David Heilmann in Göttingen und Wilhelm Abraham Teller in Helmstedt gekommen seien. So etwas wolle man in Jena auf gar keinen Fall. Nicht nur die Studenten gerieten dadurch in Verwirrung, sondern auch das Verhältnis der Kollegen untereinander werde gestört, wenn Danovius den Studenten abra51 Vgl. Schütz, Leben und Charakter des Herrn D. Ernst Jakob Danovius, 25. Schütz wies darauf hin, dass in Danovius’ Bibliothek fast kein Buch dieser beiden Gelehrten fehlte. Ebd. 52 [Ernst Jakob Danovius], Schreiben an den Herrn Doktor Semler zu Halle, desselben neuere Streitigkeiten betreffend, Jena 1770. – Als Veranlassung für diese Schrift gab Danovius unter anderem an: „Am wenigstens lasse ich mir die Befugnis nehmen, es öffentlich übel zu heißen, daß kleine Geister sich erkühnen, einem verdienten Lehrer [Semler] den verhasten Nahmen einer Sekte anwerfen [Sozianer] zu wollen, für deren Unterscheidungslehren er sich doch nie erklärt hat.“ [Danovius], aaO., 14. 53 Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 29.5.1770, ThHStAW, A 6143, 1. – Schütz, Leben und Charakter des Herrn D. Ernst Jakob Danovius, 26 f. vermerkte dazu: „Was mir in der gegen ihn angebrachten Klage am meisten aufgefallen ist, war, daß man aus der von ihm gebrauchten lateinischen Redensart: Semlerum meum conviciis lacerant einen besondern Klagepunkt formiret, als ob es eine propositio male sonans, et piarum aurium offensiva wäre, und ihn aus dem unschuldigen meum einer abergläubischen Anhänglichkeit an diesen grossen Gelehrten beschuldiget hatte.“ 54 Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 29.5.1770, ThHStAW, A 6143, 1v–2v. 55 Diese Position findet sich auch in Danovius’ Dogmatik „Theologiae Dogmaticae Institutio“ (2 Bde, 1772/1776). Vgl. Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 111. Näheres zur Dogmatik von Danovius siehe Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 475–477.
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te, bestimmte Veranstaltungen zu besuchen.56 Außerdem hätten auswärtige Personen bereits nachgefragt, was in Jena los sei – ob Danovius wirklich „viel Neues und Paradoxes in seinen Collegiis vortrag[e]“? Die Weimarer Herrschaftsträger wurden darum gebeten, „diesem Uebel abzuhelfen“57. In einem späteren Brief von der Theologischen Fakultät an Sachsen-WeimarEisenach lässt sich erkennen, dass dieser Streit neben inhaltlichen Differenzen (die in den Symbolischen Büchern vorkommende Dogmata müssen für wahr angenommen werden, ihnen darf nicht zuwider gelehrt werden58) ein Beispiel für einen Generationenkonflikt und für einen Konflikt intern versus extern darstellt. Mit großem Unverständnis wurde gefragt, wie es sich Danovius, der doch in der gelehrten Welt noch unbekannt sei, anmaßen könne, „verdiente Theologen, aus deren Büchern er noch immer viel lernen könnte, so herunter zu machen“59. Wie könne er, der erst vor 1 ½ Jahren nach Jena gekommen sei, althergebrachte Gegebenheiten – zum Beispiel Bücher, die in Jena immer gelesen wurden – plötzlich in Frage stellen, „als ob er zum Aufseher über die ganze Academie bestellt sey“60? Die Theologische Fakultät verlangte daher, dass Danovius 1. nichts mehr gegen die Symbolischen Bücher lehren dürfe, 2. seine Irrlehren widerrufe, 3. ohne vorige Zensur nichts Theologisches veröffentliche und 4. andere Collegiis und 5. seine Kollegen nicht mehr herabwürdige.61 Aufgrund dieser Beschwerden forderte der Meininger Hof eine Untersuchung gegen Danovius, so dass sich auch Weimar zu diesen Vorwürfen äußern musste, obgleich sie diese Beschuldigungen zunächst eigentlich nicht beachten wollten.62 Der Weimarer Hof unterstrich das Anliegen der Theologischen Fakultät, dass Danovius an die Symbolischen Bücher gebunden sei. Sie wiesen allerdings die Forderung der Fakultät nach einem Widerruf Danvoius’ zurück. Ein Widerruf schade dem Ansehen der „Salana“, insbesondere weil man damit zugestehe, dass in Jena Irrlehren gelehrt würden. Ebenso monierten sie das Verlangen der Fakultät, Danovius’ Schriften vor dem Druck zu zensieren. Dies sei „der Verfassung der Academie […] ganz zuwider“63. Es war ihnen ein Anliegen, dass die „Verbitterung unter beyen Theilen“ eingedämmt werde.64 Die anderen Nutritoren befürworteten diese Ausführungen der Weimarer Herrschaft.65 56 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 29.5.1770, ThHStAW, A 6143, 2v–3. 57 Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 3. 58 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 8.8.1770, ThHStAW, A 6143, 37–37v. 59 Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 36v–37. 60 Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 36v. 61 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 39. 62 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 65. 63 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 14.8.1770, ThHStAW, A 6143, 40–41. 64 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, aaO., 41v. 65 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 65.
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1.3. Die zweite Streitetappe: Hochmut versus Neid Die zweite Etappe in diesem Konflikt wurde durch eine Sonntagspredigt des Jenaer Superintendenten Johann Friedrich Hirt ausgelöst, in der Hirt die Versuchungen des Teufels thematisierte. Danovius hatte laut des Beschwerdebriefes, den Hirt an die Theologische Fakultät richtete,66 am darauffolgenden Montag in seinem Collegio diese Predigt auseinandergenommen, die Versuchung des Teufels geleugnet und sich äußerst beleidigend über Hirt geäußert.67 Die Theologische Fakultät nahm diese Beschwerde seitens Hirts zum Anlass, um den „neuerlich[en] […] Hochmuth“68 Danovius’ den Nutritoren anzuzeigen und darauf zu verweisen, dass Danovius trotz Ermahnung weiterhin Irrlehren vertrete.69 Dass es gerade Hirt war, der Danovius erneut der Irrlehren bezichtigte und in der Theologischen Fakultät einen dankbaren Helfer fand, verwundert nicht. Denn Hirt wollte drei Jahre zuvor genau das Amt einnehmen, welches Danovius erhalten hatte.70 Hier zeigt sich eine weitere Ursache für die Streitigkeiten: Neid und persönliche Missgunst. In einem Brief vom 9. April 1771 positionierte sich Weimar in diesem erneut aufgebrochenen Konflikt eindeutig auf der Seite von Danovius. Sie kritisierten die Vorgehensweise von Hirt und der Theologischen Fakultät: Hirt hätte sich bei den Höfen selbst beschweren sollen und nicht bei der Theologischen Fakultät, die sich dadurch „auf eine gantz incompetente Weise in diese Sache“ eingemischt habe.71 Die Bedenken der Theologischen Fakultät bezüglich der irrigen Sätze Danovius’ versuchte die Weimarer Regierung abzuschwächen, indem sie behauptete, dass der Anlass dieser Beschwerde mehr in gegenseitigen Animositäten läge, als in Irrlehren des Danovius. Es fehle außerdem an Beweisen. Vielmehr müsse darauf geachtet werden, dass Danovius nicht aus Ärger die Akademie verlasse und einen auswärtigen Ruf annehme. Beide Seiten sollten sich „befleißigen“ nicht zu neuen Missstimmungen beizutragen und die Theologische Fakultät wurde aufgefordert, die Nutritoren weniger mit „Anzeigen und Beschwerden zu behelligen“, sondern Danovius mit Güte zu begegnen.72 Der Weimarer Hof bemühte sich, den Konflikt herunterzuspielen. Die Bedenken der Theologischen Fakultät ließen sich damit allerdings nicht ausräumen. Sie verfassten erneut einen Bericht an Sachsen-Weimar-Eisenach, in welchem viele Kritikpunkte wiederholt, aber noch ausführlicher begründet wurden.73 Die Fakultät 66 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 18.3.1771, ThHStAW, A 6143, 62–64. Davon bildet Blatt 63–64 als Anlage den Brief von Hirt. 67 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 63–63v. 68 Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 62. 69 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 62v. 70 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 65 f. 71 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 9.4.1771, ThHStAW, A 6143, 124v. 72 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, aaO., 124v–125. 73 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 7.5.1771,
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verwehrte sich ferner gegen den Vorwurf, ihre Beschuldigungen gegen Danovius seien dem „Neid über seinen Applausum“ geschuldet. Man gönne ihm seinen Applausum, auch wenn dieser keine Aussage über die Qualität des Lehrenden treffe, da die Studierenden meistens von Neuem und Paradoxen angezogen werden würden.74 Walch, Zickler und Köcher verlangten Konsequenzen für das Verhalten von Danovius, da sie sonst ihren Ämtern nicht mehr mit „Ehre und Reputation“ vorstehen könnten. Danovius solle, falls er sein Verhalten nicht ändere und von seinen Irrlehren ablasse, aus seinem Amt abgesetzt werden.75 Da der Konflikt zwischen den Parteien derartig eskaliert war, nutzten Beschwichtigungsversuche nichts mehr. Die Nutritoren verpflichteten deshalb den ranghöchsten Professor der Universität, den Prorektor,76 eine genaue Untersuchung der Vorwürfe vorzunehmen. Die Nachforschungen betrafen hauptsächlich die Fragen, ob die Behauptung von Danovius stimme, Hirt habe ihn in seiner Predigt über die Versuchungen des Teufels persönlich angegriffen, und ob Hirts Anschuldigung zutreffe, dass sich Danovius daraufhin beleidigend über ihn geäußert habe.77 Mit Verweis auf Äußerungen von Zeugen kam man zu dem ErThHStAW, A 6143, 130–138. Danovius lehre irrige Sätze, breche den Eid auf die Symbolischen Bücher, schade dem Ruf der Akademie, da sich der Ruf seiner Heterodoxie ausbreite, und spreche falsch und schlecht über seine Kollegen. Sein Stolz und Hochmut seien unerträglich und es habe „seit langer Zeit nicht einen solchen Zancksüchtigen, hitzigen und unruhigen Mann auf hiesiger Academie“ gegeben. (137v). – Tatsächlich sind sich die Zeitgenossen in der Beschreibung Danovius’ als Choleriker einig. Schütz äußerte beispielsweise: „Am meisten hatte er [Danovius] mit dem Feuer seines cholerischen Temperaments […] zu kämpfen, welches ihn bisweilen bei Sachen, die er für recht und gut ansah, mit grösserer Schnelligkeit, Lebhaftigkeit und Hize zu sprechen und zu handeln vermochte; oder bei erlittnen Beleidigungen in heftigeren Zorn brachte, als er vor dieser Ueberraschung wollte, oder nachher billigte.“ Schütz, Leben und Charakter des Herrn D. Ernst Jakob Danovius, 33. 74 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 137. – Die Vorlesungen von Danovius waren sehr beliebt. Schütz behauptete: „Seine verständigsten Zuhörer rühmen an seinem Vortrage eine einnehmende Lebhaftigkeit des Tons und der Stimme, eine anständige Declamation, eine lichtvolle Deutlichkeit, Bestimtheit und Ordnung, und eine philosophische Bündigkeit der Gedanken.“ Schütz, aaO., 13 f. Danovius’ Talent bei Vorlesungen oder mündlichen Äußerungen stand in einem großen Kontrast zu seinem Stil bei schriftlichen Beiträgen. Schütz veranschaulichte in seinem biographischen Abriss, welche Schwierigkeiten Danovius beim Schreiben hatte. Danovius’ Texte seien immer steif, gekünstelt und gezwungen gewesen und sie hätten viel Zeit und Kraft von ihm gefordert. Vgl. Schütz, aaO., 15 f. 75 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 7.5.1771, ThHStAW, A 6143, 138. 76 Da der Weimarer Herzog nominell als Rektor der Universität bezeichnet wurde, wurde der ranghöchste Professor der Universität als Prorektor betitelt. Das Prorektorat wechselte jedes Semester. Vgl. W. Daniel Wilson (Hg.), Goethes Weimar und die Französische Revolution. Dokumente der Krisenjahre, Köln/Weimar/Wien 2004, 15. 77 Vgl. Bericht vom Prorektor, 18.7.1771, ThHStAW, A 6143, 144–159 (Anhänge der Zeugenaussagen, Vernehmungen etc. Blatt 160–199), hier 145v. Daneben wurde geprüft, inwieweit Danovius gegen die von den Nutritoren ergangene Anweisung, er solle nichts gegen die Symbolischen Bücher lehren, verstoßen habe und inwieweit seine Lehren heterodox seien und der Akademie schaden würden. Vgl. Bericht vom Prorektor, aaO., 145v–146.
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gebnis, dass sich die Predigt von Hirt wirklich gegen Danovius gerichtet habe und dass sich Danovius entgegen der Behauptung von Hirt in seinem Collegio nicht spöttisch oder höhnisch über den Superintendenten geäußert habe. Die Zeugen bemerkten, Danovius habe lediglich versucht, sich zu verteidigen.78 In einem Schreiben an die Gesamt-Akademie lobte Gotha das gründliche Gutachten. Mit Verweis auf die Untersuchungen wurde festgestellt, dass Hirt in der Predigt Danovius angegriffen und falsche Angaben darüber gemacht habe. Danovius wiederum habe „darinnen sehr gefehlet“, dass er die Beleidigungen von Hirt selbst habe rächen wollen, anstatt sich bei den Höfen zu beschweren. Die bereits beim ersten Streit geäußerten Bestimmungen, nichts gegen die Symbolischen Bücher zu lehren, sollten Danovius erneut „nachdrücklich ein[ge]schärf[t]“ werden. Daneben betonte die Gothaer Regierung, dass solche „höchstunangenehmen und der Universität bey auswärtigen zum üblen Ruf geruhenden […] Zänkereyen“ in Zukunft unterbleiben sollten.79 Diese Forderung blieb allerdings ein bloßer Wunsch: Trotz aller Bemühungen um Eindämmung der Streitigkeiten war das Verhältnis zwischen den Beteiligten inzwischen so schlecht, dass der Konflikt ein Jahr später erneut aufbrach. 1.4. Die dritte Streitetappe: Doktorwürde trotz Irrlehren? Die dritte Phase der Streitigkeiten zwischen Danovius und der Theologischen Fakultät begann mit dem Tod von Johann Christoph Köcher am 21. September 1772. Die zweite Professorenstelle war nun frei und Zickler sollte in diese aufrücken. Die dritte ordentliche Professur sollte Danovius erhalten, gemäß der Berufungsabsprachen von 1768. Das Problem war allerdings, dass Danovius die dafür notwendige Qualifikation, die Promotion in der Theologie, noch nicht besaß. Er holte dies mit einer Schrift über die Rechtfertigung des Menschen nach. Die Theologische Fakultät meldete aber ihre Bedenken gegen Danovius’ Arbeit an.80 Schon in den ersten Bögen seien irrige Sätze, die gegen den fundamentalen Lehrbegriff der Kirche, gegen die Heilige Schrift und gegen die Symbolischen Bücher gerichtet seien.81 Um diesmal nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, es gäbe keine Belege für die Irrlehren von Danovius, gab die Theologische Fakultät ihrem Schreiben einen Anhang bei, in dem irrige Stellen aufgeführt wurden.82 78 Vgl. Bericht vom Prorektor, aaO., 148v. 151–151v. 79 Sachsen-Gotha-Altenburg an die Gesamt-Akademie, 12.9.1771, ThHStAW, A 6143, 207–207v. An die Theologische Fakultät schrieb Gotha: „Ihr wollet Euch gegen den gedachten Professorem Danovius ins künftige verträglich verhalten, und, wenn Ihr an seinen Lehren und Handlungen etwas mit Recht zu tadeln findet, solches bey den Fürstl. Höfen gründlich und bescheiden anzeigen“. Sachsen-Gotha-Altenburg an die Theologische Fakultät, 12.9.1771, ThHStAW, A 6143, 208. 80 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 68 f. 81 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 10.6.1773, ThHStAW, A 6143, 213–213v. 82 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 213v–214.
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Hervorgehoben wurden hauptsächlich Sätze, welche das Verhältnis von Rechtfertigung und Gnadenwahl betrafen. Daneben hängten sie ein Schreiben von Danovius an, in welchem er zu diesen Vorwürfen Stellung nahm.83 Danovius ging darin kaum auf die Vorwürfe ein, sondern ließ erkennen, dass er von dem Verfahren genervt war.84 Die Fakultät verweigerte Danovius aufgrund der ihrer Meinung nach irrigen Sätze und der in ihren Augen unzureichenden Erklärung des Danovius die Anerkennung der Doktorwürde. Sie betonten, dass dies nicht aus Animositäten resultiere, sondern aus der Pflicht um die Aufrechterhaltung der reinen evangelisch-lutherischen Lehre. Außerdem hätten die Höfe doch verlauten lassen, dass Danovius nichts schreiben und lehren solle, was den Symbolischen Büchern entgegenstehe. Die Konsistorien in Weimar und Jena wurden von der Fakultät aufgefordert, die danoviusschen Sätze zu prüfen. Zudem sei die Fakultät offen für Gutachten von einer „unverdächtigen theologischen Fakultät“ – also nicht von Halle und Leipzig.85 Walch und Zickler waren sich sicher, dass die danoviusschen Sätze als irrig erkannt würden und forderten deshalb, dass Danovius diese Sätze widerrufe.86 Der Anhang trägt den Titel „Einige bedenkliche Sätze welche in der Inauguraldisputation des Profes. Danovius vorkommen“. In sechs Propositionen wurden jeweils die danoviusschen Sätze zitiert, denen dann Stellen aus der Heiligen Schrift und den Symbolischen Büchern entgegengesetzt wurden. Anhang: aaO., 218–225. 83 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., Anhang: 226–227v. – Das Thema Rechtfertigung beziehungsweise das Verhältnis von Rechtfertigung und Gnadenwahl beschäftige Danovius auch später. Zum Standpunkt von Danovius siehe Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 127 f. Aufgrund von Danovius’ Identifikation von Rechtfertigung und Gnadenwahl geriet dieser unter anderem in eine Auseinandersetzung mit dem Erlanger Theologen Georg Friedrich Seiler und mit der Theologischen Fakultät Erlangen. Vgl. Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit, 212. Danovius veröffentlichte in diesem Zusammenhang mehrere Schriften. Verwiesen sei auf: Ernst Jakob Danovius, Drei Abhandlungen von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Aus dem Lateinischen übersezt. Nebst Beantwortung zweier, gegen des Verfassers Vorstellungsart von dieser Lehre herausgekommenen, Erlangischen Programmen, Jena 1777; Ernst Jakob Danovius, Kurze Erklärung über die neue, von dem Herrn Geheimekirchenrath Seiler gegen ihn der Lehre von der Rechtfertigung halber herausgegebene Schrift, Jena 1778. 84 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., Anhang: 226v–227. Danovius bekundete, dass dies seine allerletze Erklärung sei und er des Handelns schon müde sei. 85 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 214–215v. Weder Halle noch Leipzig zählten für die Theologische Fakultät in Jena als „unverdächtige“ Fakultät, „da in der ersten d. Semler, welcher bekanntermassen in der Religion laxe und weitschweifige Grundsätze heget […], in den zwoten aber d. Ernesti sich befindet, welcher, dem äußerlichen Vernehmen nach, mit dem Profeßor Danovius in genauere Correspondenz steht, und in seiner theologischen Bibliothek mehrmalen gezeigt, daß er bey Beurtheilung abweichender Meynungen sehr gelinde und nachgiebig sey.“ Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 215v. 86 Vgl. Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 216. – Auch den Vorschlag von Danovius, die Fakultät solle seiner Inauguraldisputation doch ein Kapitel beifügen, in welchem sich die Fakultät positionieren und seine „Irrtümer“ benennen könne,
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In dieser verzwickten Lage wurden zwei Gutachten eingeholt, die den weiteren Verlauf bestimmten. Das eine wurde auf Initiative von Weimar87 von dem Leipziger Theologen Johann August Ernesti erbeten, obgleich sich die Theologische Fakultät gegen eine Stellungnahme aus Leipzig ausgesprochen hatte. Von ihm erhofften sich die Weimarer Herrschaftsträger eine positive Äußerung und eine Stärkung der eigenen Position. Ernesti fand an der danoviusschen Schrift keinen Tadel. Er bemühte sich um Genauigkeit und ordnete Begriffe wie „praedestinatio“ und „iustificatio“ ein, erläuterte den Kontext und äußerte sich zu den einzelnen Vorwürfen der Theologischen Fakultät. Ernesti versuchte für beide Seiten Verständnis aufzubringen und zeigte, dass der Konflikt teilweise der Zweideutigkeit von Worten geschuldet sei und darin begründet liege, dass Danovius von der gewöhnlichen Sprache der Theologen abweiche. Im Grunde aber stimmte er dem Standpunkt von Danovius in weiten Teilen zu. In seinem Schlusswort wollte er vermitteln: Danovius sei in der Sache selbst orthodox, sein System sei allerdings für die Gelehrten und nicht für den Unterricht in der Kirche geeignet. Um neuen Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen, riet er Danovius, seine Schrift umzuarbeiten.88 Das andere Gutachten kam vom Coburger Konsistorium. Hier wurde die theologische Position von Danovius (Gnadenwahl und Rechtfertigung sind eins) abgelehnt und mit Belegen aus der Schrift und den Symbolischen Büchern widerlegt. Aber die Gutachter bemühten sich um eine Deeskalation und schlugen vor, dass Danovius über ein „ungleich interessanter[es] und lehrreich[es]“ Thema disputieren solle.89 Danovius nahm diesen Ausweg an und wählte ein anderes Thema.90 Die Fakultät sollte diesen Kompromiss ebenso annehmen, Danovius promovieren und keine weiteren Hindernisse in den Weg legen. Damit wollte sich die Fakultät aber nicht zufrieden geben. Walch verlangte in einem Brief an Coburg erneut, dass Danovius seine Lehren widerrufe und eine Untersuchung seiner Lehren erfolge, da sonst eine Gefahr für die evangelisch-lutherische Kirche, für die Akademie und für die Studierenden bestehe.91 Die Coburger Regierung zeigte für die „Walchische Besorgniß“ Verständnis und schloss sich seiner Forderung nach einer Unterlehnte die Fakultät ab. Siehe Bericht der Theologischen Fakultät an Sachsen-Weimar-Eisenach, 12.6.1773, ThHStAW, A 6143, 217–217v. 87 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 69. 88 Vgl. Gutachten Johann August Ernestis zum Disputationsmanuskript von E. J. Danovius, 6.7.1773, ThHStAW, A 6143, 234–235v. 89 Gutachten des Coburger Konsistoriums, 12.7.1773, ThHStAW, A 6143, 243–243v. 248. 90 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 69. 91 Vgl. Walch an Sachsen-Coburg-Saalfeld, 18.8.1773, ThHStAW, A 6143, 258–259. Walch betonte, dass er als 80jähriger Mann über 50 Jahre der Akademie und Fakultät gedient und daher so viel Erfahrung habe, dass er die Gefahr, die von Danovius ausgehe, voraus sehen könne. Es wurden wieder die bekannten Gründe aufgeführt: Danovius stoße mit seinen Lehrsätzen den Grund des Glaubens um, verdrehe viele Stellen der Heiligen Schrift und neige zum Sozinianismus und Pelagianismus. Walch an Sachsen-Coburg-Saalfeld, aaO., 258–258v.
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suchung der danoviusschen Lehrsätze an.92 Sowohl Weimar als auch Gotha intervenierten dagegen.93 Beide unterstrichen, dass ihnen die reine Lehre ebenso wichtig sei und Irrlehren nicht geduldet würden, aber es sollten nicht dort „Ketzereyen gesucht und ausgestellet werden, wo keine sind“94. Das Gutachten von Ernesti habe doch gezeigt, dass die danoviusschen Lehrsätze nicht irrig seien. Die Haltung der Fakultät sei bei Walch in „seine[m] hohen Alter[] und damit verbundene[r] Schwachheit“ gegründet und bei Zickler in seinem Neid auf den „Applausum“ des Danovius. Ein Widerspruch sei zudem zwecklos, weil Danovius aus „Liebe zum Frieden“ über andere Themen disputiere und daher eine Untersuchung keinen Sinn mache. Im Gegenteil – ein derartiges Unterfangen werde dem Ruf der Akademie schaden.95 Es wurde erneut davor gewarnt, Danovius könne Jena verlassen. Vielmehr wurde gefordert, dass Danovius endlich in die dritte ordentliche Professur aufrücken solle.96 Coburg beugte sich dem Druck Weimars und Gothas, weshalb die Untersuchungen zu Danovius’ Lehrmeinung eingestellt wurden, ihm die dritte Professorenstelle angetragen wurde und er die Aufforderung erhielt, seine Promotion abzuschließen, was er umgehend tat.97 1.5. Die verschiedenen Konfliktebenen Der Streit, der an der Theologischen Fakultät indirekt seit 1768 und direkt seit 1770 herrschte und sich in mehreren Etappen bis 1775 hinzog, belastete die Fakultät immens. Der Konflikt fand auf mehreren Ebenen statt. Zum einen hatten sich die Höfe durch die Initiative Weimars gegen den Willen der Fakultät auf Danovius als Honorarprofessor geeinigt. Der Ausgangspunkt des Streits entstand daher aus dem Dissens zwischen Fakultät und Nutritoren und der Unmut gegenüber Danovius war von vornherein da. Zum anderen zeigt sich ein Generationskonflikt: Walch war 50 Jahre älter als Danovius. Außerdem war der junge 92 Vgl. Sachsen-Coburg-Saalfeld an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kanzleischreiben, 26.8. 1773, ThHStAW, A 6143, 260. 93 Vgl. Sachsen-Gotha-Altenburg an Sachsen-Coburg-Saalfeld, Kanzleischreiben, 10.9. 1773, ThHStAW, A 6143, 254–255v und Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Coburg-Saalfeld, Kanzleischreiben, 10.9.1773, ThHStAW, A 6143, 252–252v und vom 17.9.1773, ThHStAW, A 6143, 265–266. 94 Sachsen-Gotha-Altenburg an Sachsen-Coburg-Saalfeld, aaO., 254. 95 Sachsen-Gotha-Altenburg an Sachsen-Coburg-Saalfeld, aaO., 254v–255. 96 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Coburg-Saalfeld, Kanzleischreiben, 17.9. 1773, ThHStAW, A 6143, 266. 97 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 71. – Danovius verteidigte am 8.6.1774 seine Inauguraldisputation mit dem Titel „de Episcopis aetate Apostolorum“. Bereits am 5.8.1774 folgte seine Disputation pro loco „Locorum quorundam scripturae s. divinitatem Jesu Christi probantium explanatio“. Vgl. Acta Historico-Ecclesiastica Nostri Temporis, 6. Theil, 1775, 857 f. Die vollständigen bibliographischen Angaben der Schriften lauten: Ernestus Iacobus Danovius, De Episcopis aetate Apostolorum, Jena 1774 sowie Ernestus Iacobus Danovius, Locorum quorundam scripturae s. divinitatem Jesu Christi probantium explanatio, Jena 1774.
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Danovius ein nicht aus Jena stammender Theologe, der mit seinen neuen Impulsen von den Alteingesessenen als Eindringling empfunden wurde. Daneben waren die Charaktere sehr verschieden und gegenseitige Verletzungen und Anfeindungen sowie Neid und Missgunst verstärkten die beiderseitige Abneigung. Der wesentlichste Konfliktpunkt bestand in den theologischen Differenzen. Walch, Zickler und Hirt lehnten neuere Entwicklungen ab, die sie namentlich an Neologen wie Johann Salomo Semler, Johann August Ernesti, Johann David Heilmann und Wilhelm Abraham Teller festmachten, und verwarfen alle Ansätze, die ihrer Meinung nach den Symbolischen Büchern und der Heiligen Schrift widersprachen. Sie sorgten sich um die reine lutherische Lehre und um Jenas Ruf als „Hort des Luthertums“. Danovius hingegen äußerte sich positiv über Semler, vertrat dogmenkritische Standpunkte und hatte den Anspruch, die Fakultät zu reformieren. Es war daher ein fundamentaler Richtungskampf um das zukünftige Profil der Fakultät: traditionell-lutherisch oder modern-aufklärerisch. Da der Konflikt so existenziell und auf so vielen verschiedenen Ebenen stattfand, konnte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Dass Danovius dennoch Mitglied der Theologischen Fakultät bleiben konnte, hatte er überwiegend der Weimarer Regierung zu verdanken. Weimar ergriff von vornherein für ihn Partei und brachte in diesem Zusammenhang immer wieder die gleichen Argumente vor: Die Anfeindungen gegen Danovius hätten ihren Grund im Neid und es lägen keine Beweise gegen irrige Lehrsätze vor. Zudem versuchte der Weimarer Hof mehrfach eine gründliche Auseinandersetzung mit den danoviusschen Lehrsätzen zu verhindern. Dieses Anliegen verfolgten sie nicht nur zum Schutz für Danovius. Es ging ihnen hauptsächlich um das Ansehen der „Salana“. Keinesfalls sollte der Eindruck entstehen, dass in Jena „heterodoxes“ gelehrt werde.98 Die Weimarer Regierung forcierte einen Wandel und einen Umbruch, aber sie wollte keinesfalls, dass an der lutherischen Identität der Universität Jena gezweifelt wird. 2. Die Stärkung des aufklärerischen Profils der Theologischen Fakultät durch die Berufung von Johann Jakob Griesbach Die für Danovius äußert angespannte Situation an der Theologischen Fakultät änderte sich mit dem Tod von Walch 1775. Mit dessen Ableben fiel für ihn ein Gegner an der Fakultät weg. Zudem konnte Danovius auf die Neubesetzung der Stelle Einfluss nehmen und einen Kollegen vorschlagen, der seine Vorstellungen teilte. Im Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät wurden mehrere Kandidaten benannt. Unter der Kategorie der einheimischen Interessenten wurden Johann Friedrich Hirt, Christoph Friedrich Polz, Professor für Logik und Metaphysik, und Johann Christian Blasche, theologischer Extraordinarius und Rektor der Stadtschule, erwähnt. Als auswärtige Kandidaten wurden 98 Vgl. Kublik, aaO., 72.
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Johann Mathias Schröckh, Gottlob August Tittel, Johann Jakob Griesbach und Johann Christoph Döderlein genannt. Der von Danovius bevorzugte SemlerSchüler Griesbach99 wurde „zu vorderst“ empfohlen, weil er sich mit seiner Kritik des Neuen Testaments hervorgetan habe, seine Vorlesungen geschätzt würden, er „beifällig aufgenommene Schriften“ verfasst und sich als „Kenner der alten Kirchenlehrer und ihrer Schriften“ bekannt gemacht habe. Die beiden letzten Qualifikationsmerkmale wurden gleichermaßen bei Döderlein angeführt.100 Die Nutritoren einigten sich zunächst auf den Theologen Schröckh, aber nachdem dieser abgelehnt hatte, nahmen die Weimarer Herrschaftsträger eigenständige Verhandlungen mit dem in Halle lehrenden Griesbach auf, bei denen Danovius als Vermittler fungierte.101 Weimar teilte den anderen Erhaltern im April 1775 mit, dass Griesbach bereit sei, einen Ruf nach Jena anzunehmen.102 Die anderen Höfe stimmen einer Berufung Griesbachs zu. Nachdem es aber Schwierigkeiten mit Griesbachs Entlassungsgesuch bei Friedrich II. gegeben hatte, musste die Regierung in Weimar beim Preußischen Staatsministerium um Griesbachs Freigabe bitten. Griesbach wurde schließlich aus dem preußischen Dienst entlassen und konnte zum Sommersemester 1776 mit seiner Tätigkeit in Jena beginnen.103 Zuvor hatte sich Griesbach allerdings aufgrund der Streitigkeiten mit Danovius abgesichert, inwiefern ihm Lehrfreiheit in Jena zugestanden werde. Griesbach schrieb darüber in seiner kurzen Lebensbeschreibung, die er von sich in der dritten Person verfasste: „Während dem [sic] er mit dieser mühsamen Arbeit noch beschäftiget war, erhielt er im Frühjahre 1775 den Ruf zu einer ordentlichen Lehrstelle der Theologie in Jena. Anfangs schrekten ihn die Verdrüßlichkeiten ab, die noch kurz vorher Danovius, wegen einiger freyern Aeußerungen, in Jena gehabt hatte. Da ihm aber alle Lehrfreyheit, die ein akademischer Lehrer auf einer lutherischen Universität billiger Weise nur immer fordern kann, unter gehöriger Autorität zugesichert ward, und da das Benehmen des damaligen Kurators der Hallischen Universität, der auf die Anfrage, ob die Entlassung aus den Diensten des Königs zu erhalten sey, eine positive Antwort zu geben zu vermeiden schien, ihn, der als ein freyer Mann behandelt seyn wollte, beleidigte: so entschloß er sich, dem erhaltenen Rufe zu folgen.“104
In Jena angekommen, hielt Griesbach 1776 seine Antrittsrede unter dem Titel „De historiae ecclesiasticae, nostri seculi usibus sapienter accommodatae utilitate“105. Am 7. Februar 1777 erlangte er mit der Schrift „Curae in historiam textus 99 Vgl. Kublik, aaO., 73 f. 100 Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät, 18.1.1775, ThHStAW, A 6144, 340–344. 101 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 74. 102 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 21.4.1775, ThHStAW, A 6144, 359–359v. 103 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 74 f. 104 [Griesbach], [Lebensbeschreibung], 541. 105 Vgl. Koethe, Gedächtnißrede auf Griesbach, 35. – Ioannes Iacobus Griesbach, De historiae ecclesiasticae, nostri seculi usibus sapienter accommodatae utilitate, [Jena 1776].
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graeci epistolarum Paulinarum“ seine Doktorwürde.106 Die Besetzung der Theologischen Fakultät sah nun folgendermaßen aus: Zickler – Danovius – Griesbach. Mit der Berufung von Griesbach gewann die „Salana“ einen zweiten Aufklärungstheologen. Der Weg der Neuausrichtung der Fakultät wurde mit ihm fortgesetzt und Danovius erhielt einen Kollegen, der ähnliche theologische Standpunkte vertrat wie er. Griesbach brachte allerdings nicht nur aufklärerische Impulse an die Theologische Fakultät, sondern er engagierte sich auch in der Hochschulpolitik, beteiligte sich an Reformvorhaben und war als Deputierter der Universität bei den jenaischen Landständen tätig.107 Er setzte sich auf diese Weise über mehrere Jahrzehnte für das Wohl seines Landes und seiner Stadt Jena ein, indem er beispielsweise als Finanzspezialist die problematische Finanzsituation der Stadt Jena untersuchte oder sich nach der Überschwemmungskatastrophe von 1784 um zukünftigen Hochwasserschutz bemühte.108 3. Das Ringen um die Neubesetzung der dritten Professur Durch den Tod von Zickler im April 1779 wurde erneut eine theologische Professur vakant. Die Professoren der Theologischen Fakultät Danovius und Griesbach legten ein Denominationsgutachten vor, in welchem Döderlein nach Erwähnung der Einheimischen (Polz, Blasche) an erster Stelle stand. Polz und Blasche wurden ebenso in den folgenden Denominationsgutachten aufgrund der Observanz immer wieder als erstes genannt, obgleich Griesbach und Danovius keineswegs gewillt waren, dass einer von beiden, hauptsächlich aufgrund ihrer mangelnden fachlichen Kenntnisse, als ordentlicher Professor an die Theologische Fakultät berufen wird. Nach Döderlein wurden Georg Heinrich Lang, Heinrich Valentin Becker, Justus Friedrich Froriep und Johann Georg Rosenmüller als Kandidaten präsentiert. Für Danovius und Griesbach war das zentrale Auswahlkriterium, dass der Kandidat schon einmal in einem ordentlichen Predigtamt gestanden, also praktische Erfahrungen in der Theologie vorzuweisen habe. Daher wurde als Charakteristikum bei den aufgeführten Personen hauptsächlich deren praktische Tätigkeiten hervorgehoben. Döderlein wurde beispielsweise als jemand beschrieben, der sich durch Predigten und andere Schriften hervorgetan habe und im Pastoralgeschäft Übung besitze.109 106 Vgl. Koethe, ebd. – Io[annes] Iacobi Griesbachii, Curae in historiam textus graeci epistolarum Paulinarum, specimen primum, Jena 1777. 107 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 75 f. Dazu auch Stallmann, Griesbach, 94 f. 108 Vgl. Stallmann, aaO., 98 f. 109 Vgl. Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät, 14.5.1779, ThHStAW, A 6145, 3–6. Im Gutachten wurde zugleich angemerkt, dass es schwierig sein werde, Froriep und Rosenmüller für Jena zu gewinnen.
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Die höchste Beratungsinstanz beim Herzog in Weimar,110 das Geheime Consilium, verständigte sich zügig darauf, Polz und Blasche zu übergehen.111 Beide wurden in den meisten Schreiben mit der Floskel abgetan, auf sie könne wegen ihres Alters und wegen anderer Umstände keine Rücksicht genommen werden.112 Sie genehmigten auch das Aufrücken von Danovius und Griesbach auf die erste und zweite Fakultätsstelle. Da es aber bereits in der Vergangenheit mit den Höfen in Coburg und Meiningen Meinungsverschiedenheiten über die Person Blasche gegeben hatte, wollte Weimar diplomatisch vorgehen und kein sofortiges Votum für einen der Wunschkandidaten der Theologischen Fakultät aussprechen.113 Vielmehr wurden Gutachten von anderen Theologen eingeholt, deren Urteil dann das Votum Weimars gegenüber den anderen Höfen untermauern sollte.114 An Johann Friedrich Burscher in Leipzig, Christian Wilhelm Franz Walch in Göttingen und Johann Friedrich Hirt, der 1775 als Professor der Theologie nach Wittenberg berufen worden war, erging Ende Mai 1779 von dem Geheimen Consilium die Bitte, ihre „unparteyische[n] Gedanken“ über die von der Fakultät vorgeschlagenen Personen und den inoffiziell insbesondere von Justus Christian Loder ins Gespräch gebrachten Göttinger Ernst Adolph Weber115 zu 110 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 11. 111 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 106. 112 So beispielsweise im Schreiben von Schnauß an Burscher, Walch und Hirt, Konzept, 28.5.1779, ThHStAW, A 6145, 8. Näheres über Blasche siehe folgende Anmerkung. 113 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 106. Bereits bei der Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Poesie und Beredsamkeit stand Blasche im Denominationsgutachten. Zudem hatte Blasche eine Bittschrift an die Höfe gesandt, neben der Professur für Poesie und Beredsamkeit auch eine Honorarprofessur an der Theologischen Fakultät zu erhalten. Coburg, Meiningen und Gotha votierten für eine Berufung Blasches auf den Lehrstuhl für Poesie und Beredsamkeit, da sie aufgrund der geringen Besoldung nicht glaubten, dass ein auswärtiger Kandidat die Stelle annehmen würde. Allerdings sprachen sich Meiningen und Gotha gegen eine zusätzliche Ernennung Blasches zum Honorarprofessor der Theologie aus. Ebenso äußerte sich die Theologische Fakultät gegen eine Honorarprofessur für Blasche. Weimar versuchte beides – eine Ernennung Blasches auf den Lehrstuhl für Poesie und Beredsamkeit und eine theologische Honorarprofessur – zu verhindern, auch aus der Befürchtung heraus, Blasche, der als Vertreter der lutherischen Orthodoxie bekannt war, könnte diese Ernennung als Sprungbrett auf eine Theologieprofessur nutzen. In einem Schreiben an die Konnutritoren bat Weimar daher bezüglich der Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Poesie und Beredsamkeit darum – sie drückten sich diplomatisch aus und verwiesen auf das hohe Alter Blasches –, erst die Reaktionen der auswärtigen Kandidaten abzuwarten. Insbesondere Griesbach und Danovius betrieben die Berufung des auswärtigen, mit ihnen beiden verschwägerten Johann Gottfried Schütz voran, auch um auf diesem Weg Blasches Ernennung auf den Lehrstuhl für Poesie und Beredsamkeit zu verhindern. Blasche beschwerte sich darüber und fühlte sich übergangen. Er konnte die Lage aber nicht mehr ändern. Schütz nahm den Ruf nach Jena an. Vgl. Müller, aaO., 102–104. 114 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 90 f. 115 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 106. Loder, der selbst in Göttingen studiert hatte, schlug Geheimrat Fritsch bereits bei einem Gespräch über den zu erwartenden Tod Zicklers den Göttinger Universitätsprediger Weber vor. Loder zog weitere Erkundigen über Weber ein und konnte Fritsch noch bevor die Fakultät ihr Denominationsgutachten unterbrei-
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
äußern, und einzuschätzen, inwiefern diese „den Ruf der Orthodoxie vor sich haben“.116 Die Weimarer Regierung holte diese Gutachten bewusst von als orthodox geltenden Theologen ein, um sich von vornherein gegen Vorwürfe der Heterodoxie zu verwahren. Neben diesen dreien – Hirt, Walch und Burscher – wurde noch Johann Gottfried Herder, der Generalsuperintendent von SachsenWeimar, um eine Meinungsäußerung gebeten.117 Die erste Antwort traf am 8. Juni von Hirt ein. Er hatte nicht nur Schwierigkeiten mit den meisten von der Theologischen Fakultät vorgeschlagenen Personen, sondern, der Streit mit Danovius lag noch nicht weit zurück, überdies mit Danovius und Griesbach selbst. Hirt war der einzige, der offen das gängige Aszendenzprinzip hinterfragte und sich gegen ein Fortrücken von Danovius und Griesbach auf die erste beziehungsweise zweite Fakultätsstelle aussprach. Die Fakultät brauche einen Theologen auf der ersten Stelle, der die Studenten von außen anziehe. Das könne Danovius jedoch nicht leisten, der sich mit seinen Streitigkeiten um die Rechtfertigungslehre verdächtig gemacht habe. Wenn er die erste Stelle erhalte, könne der Eindruck entstehen, in Jena werde keine Orthodoxie mehr gelehrt. Hirt sprach sich daneben nicht nur gegen Weber aus, sondern auch gegen Döderlein, der von „allen den übrigen am wenigsten auf die Orthodoxie Anspruch machen könne[]“, was sich vor allem an seinem Jesajakommentar und seinen Äußerungen in der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ erkennen lasse.118 Für am geeignetsten hielt er Rosenmüller, der von den Studenten als guter Dozent gelobt werde.119 Das darauf folgende Gutachten von Burscher ist nur ein kurzes Schreiben. Seiner Meinung nach hätten alle vorgeschlagenen Personen „den Ruf der Orthodoxie in Absicht auf die Evangelisch-Lutherische wesentliche Lehre vor sich“120. Informativer und ausgewogener ist demgegenüber das Gutachten von Walch. Er behauptete ebenso, dass alle Personen für die Orthodoxie nicht nachteilig seien. Jeder Kandidat wurde von ihm ausführlich kommentiert. Döderlein bewertete er beispielsweise als einen guten Prediger und Schriftsteller, der den „Lehrbegriff unserer Kirche“ mit „Ergebenheit“ befolge. Diese Qualitäten seien aber nicht die für die jetzige Vakanz zwingend notwendigen. Walch sprach sich daher tet hatte, ein Gutachten von Walch übermitteln, in welchem dieser neben zwei anderen Pastoren vor allem Weber empfahl. Vgl. Kublik, aaO., 91. 116 Schreiben von Schnauß an Burscher, Walch und Hirt, Konzept, 28.5.1779, ThHStAW, A 6145, 8v–9. 117 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Gotha-Altenburg, Kanzleischreiben, 19.6. 1779, ThHStAW, A 6145, 19. 118 Gutachten von Hirt, 8.6.1779, ThHStAW, A 6145, 12–13. Hirt hatte sich gegen Döderlein und dessen Jesajakommentar bereits in seiner „Orientalische[n] und Exegetischen Bibliothek“ positioniert. Siehe Kapitel A/II, 1. 119 Vgl. Gutachten von Hirt, aaO., 13. Seiner Meinung nach dürfte es entgegen der Behauptung aus dem Denominationsgutachten nicht so schwer sein, Froriep oder Rosenmüller für Jena zu gewinnen. Ebd. 120 Gutachten von Burscher, 10.6.1779, ThHStAW, A 6145, 15.
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in erster Linie für Weber aus, bei dem er die hervorragende Anlage zu einem guten Professor und seinen untadeligen „moralische[n] Charakter“ besonders hervorhob.121 Am 18. Juni ging als letztes das Gutachten von Herder ein. Ihm waren die anderen Stellungnahmen bekannt, so dass er sich auf diese beziehen konnte. Walchs Urteil bewertete er als gut, während er Hirts Ausführungen als hart, unerwiesen und dem Wachstum der Universität nicht förderlich klassifizierte. Daneben hob Herder hervor, dass er das im Denominationsgutachten genannte Kriterium, einen Theologen zu wählen, der sich im Bereich der Pastoralie profiliert habe, nicht nachvollziehen könne. Nach dem jetzigen Zustand der Universität benötige man vielmehr einen Theologen, der „Dogmatik mit gutem Beifall“ lese. Denn Pastoralie trage doch der Superintendent Oemler vor, was ausreichend sei. Aber an der Dogmatik, vor allem der lutherischen Dogmatik, würde es der Universität Jena, die doch eine lutherische Universität sei, fehlen. Da Jena also keinen sich durch Predigten auszeichnenden Theologen brauche, hier schloss er sich dem Hinweis von Walch an, kamen Lang und Becker für Herder nicht in Frage. Döderlein, Froriep und Rosenmüller waren seiner Meinung nach für Jena zu berühmt. Sie müssten sich an Rang und Einkünften herabsetzen, was sie sicherlich nicht tun würden. Er bewertete diese Tatsache aber nicht als problematisch, da diese Gelehrten für die aktuelle Lage der Universität nicht notwendig seien. So bringe beispielsweise Döderlein, den er als einen der ersten Theologen Deutschlands charakterisierte, der sehr gute Kenntnis in den orientalischen Sprachen und die besten Widerlegung gegen die „Angriffe der Religion“ verfasst habe, doch nichts für Jena. Denn Jena habe bereits einen „vorzüglichen Orientalisten“ [gemeint ist Eichhorn], außerdem nehme Döderlein, der schon den Ruf nach Königsberg abgelehnt habe, sicherlich nicht die dritte Stelle in Jena an. Herder bat darum, dass, wenn die Wahl auf eine der eben genannten Personen falle, zunächst kein offizieller Ruf an diese ergehe. Denn ein abgeschlagener Ruf sei schlecht für das Image und bei den jetzigen Umständen der Universität nicht zu gebrauchen. Daher solle erst privat angefragt werden. Für Herder blieb von den Vorgeschlagenen letztendlich nur Weber übrig.122 Auf Grundlage dieser Gutachten kamen die Weimarer Herrschaftsträger zu dem Ergebnis, dass erst Rosenmüller privat angefragt werden solle und falls dieser ablehne, die Anfrage an Weber gehe. Weimar bezog sich hier vor allem auf Herders Gutachten123 und griff dessen Argumente in dem Schreiben an die Kon121 Gutachten von Walch, 13.6.1779, ThHStAW, A 6145, 16–17. 122 Gutachten von Herder, 18.6.1779, ThHStAW, A 6145, 14–14v. Dass Döderlein als Dogmatiker nicht bekannt war, verwundert nicht, da Döderlein seine Institutio erst 1780/1781 veröffentlichte. 123 An dieser Stelle hatte Herders Votum Gewicht. Bei den weiteren Berufungsverhandlungen nahm seine Einflussnahme allerdings ab, da stattdessen Griesbachs Urteil als maßgeblich zählte. Vgl. Martin Kessler, Johann Gottfried Herder – der Theologe unter den Klassikern.
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
nutritoren auf.124 Auch Gotha und Coburg verständigten sich auf die Reihenfolge Rosenmüller und dann Weber.125 Meiningen lehnte dieses Vorhaben allerdings ab. In dem Schreiben an Sachsen-Weimar-Eisenach wurde gefordert, dass ein Mann an die Theologische Fakultät kommen solle, der den Ruf der Orthodoxie vor sich habe, nämlich Blasche. Denn Blasche besitze alle notwendigen Qualitäten und sei sehr zum Bedauern Meiningens schon mehrfach übergangen worden.126 Blasche sollte bewusst als orthodoxer Theologe den Aufklärungstheologen Danovius und Griesbach entgegengesetzt werden. Sachsen-Weimar war über dieses Schreiben der Meininger Regierung verärgert. Die Weimarer Regierung formulierte dem entgegen ihre Zweifel an Das Amt des Generalsuperintendenten von Sachsen-Weimar. Teil 1 (AKG 102/I), Berlin/New York 2007, 251. 124 Es werde nicht ein Mann gebraucht, der sich im Bereich der Pastoralie verdient gemacht habe, sondern einer, der die Dogmatik und die anderen zentralen theologischen Wissenschaften nach den Grundsätzen der evangelisch-lutherischen Religion vortrage. Daher kämen Lang und Becker nicht in Betracht. Döderlein und Froriep entfielen, da sie die Stelle nicht annehmen würden und ein abgeschlagener Ruf äußerst schädlich für die Universität sei. Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Gotha-Altenburg, Kanzleischreiben, 19.6.1779, ThHStAW, A 6145, 19–21. Weimar schrieb dies am 7.7.1779 auch an Coburg und Meiningen (ThHStAW, A 6145, 24–24v. 25–27v) und am 12.7.1779 an die Universität Jena (ThHStAW, A 6145, 23–23v). Bemerkenswerterweise interessierte Weimar dieses Argument „er könnte den Ruf abschlagen“ bei Rosenmüller nicht: Der ebenfalls von Hirt bevorzugte Kandidat sollte trotzdem, wenn auch privat, angefragt werden. Diese Tatsache lässt erkennen, dass dieses Argument teilweise nur als Scheinargument angeführt wurde. – Dass Döderlein wirklich nicht gewillt war, Altdorf zu verlassen, wird anhand eines Briefs von dem mit Döderlein befreundeten Georg Theodor Strobel ersichtlich: „Wenn Döderlein auch [eine] Vokation nach Jena bekommen sollte, so nimmt er sie nicht an. Er steht in Altdorf schon auf tausend Gulden, wo es noch überdies sehr wohlfeil zu leben ist. Und wird er nach dem Tode Dietelmaiers, der sehr schwach wird, secundus, so bekommt er wieder gegen 300 Gulden mehr. Allen applausum hat er überdies schon im Predigen und Lehren.“ Wotschke, Aus Briefen Strobels, 235. 125 Vgl. Sachsen-Gotha-Altenburg an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kanzleischreiben, 28.8. 1779, ThHStAW, A 6145, 22–22v sowie Sachsen-Coburg-Saalfeld an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kanzleischreiben, 5.8.1779, ThHStAW, A 6145, 30. 126 Vgl. Sachsen-Meiningen an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kanzleischreiben, 30.7.1779, ThHStAW, A 6145, 31–32v. In diesem Schreiben wurde Blasche folgendermaßen charakterisiert: „Er hat derselben durch seine herausgegebenen und wohlaufgenommen Schriften und durch sein fleißiges Docieren hinlänglich gezeigt, daß er mit denen Eigenschaften eines Theologischen Lehrers genugsam begabt sey, und an seiner Orthodoxie ist so wenig als an seinem Lebenswandel mit Grund etwas auszusetzen. Sein heraus gestiegenes Alter kann Unseren Ermeßen nach seiner Beförderung nicht entgegen gesezt werden; da er die zu einem Theologischen Lehr Amt nöthige Erfahrung welche ein nun angehender Lehrer erst mit der Zeit erlangen muß, bereits besizet, hiernächst er noch Kraft genug hat, ein Lehr Amt zu versehen, und es übrigens in der Billigkeit selbst beruhet, daß ein ohne sein Verschulden mehrmals übergangener Lehrer in seinem Alter zu einer Beförderung gelange. Wir gedenken hiebey, wie es der Ruhm und das Wohl der gesamten Academie mehr erheische, daß die auf derselben sich befindende Lehrer befördert, als daß fremde Lehrer herbey gezogen, und die einheimischen in ihrem Fleiß und Eifer läßig gemacht werden.“ Sachsen-Meiningen an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 31v–32.
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Blasches fachlichen Qualitäten und wies auf seine unzureichende häusliche Lage hin.127 Der kleinere, unter Druck gesetzte Erhalterstaat Meiningen lenkte schließlich auch in dieser Situation ein,128 so dass die Konformität hergestellt werden konnte. Da Rosenmüller den Ruf nach Jena ablehnte, wurde im November 1779 Ernst Adolph Weber als dritter Ordinarius nach Jena berufen. Seine Zeit als Theologieprofessor in Jena sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Weber verstarb bereits im September 1781.129 4. Die Personalie Johann Christian Blasche, die Doppelvakanz und Döderleins Wechsel von Altdorf nach Jena Die dritte Stelle an der Theologischen Fakultät war durch den frühen Tod von Weber schnell wieder vakant. In dem Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät vom 25. September 1781 wurden erneut Polz und Blasche erwähnt, daneben auch der Honorarprofessor der Philosophischen Fakultät Johann August Heinrich Ulrich und der Diakon der Stadtkirche Johann Wilhelm Schmid. Wie bereits im Denominationsgutachten von 1779 wurde hier ein weiteres Mal der Wunsch geäußert, dass ein Theologe berufen werde, der sich in der praktischen Theologie, also in Homiletik, Katechetik und Pastoraltheologie, hervorgetan habe, jemand der im Predigtamt stehe oder gestanden habe. Diesen Kriterien folgend wurde von den auswärtigen Kandidaten zuerst Döderlein erwähnt, obgleich dieser „nicht wiederum in unterthänigsten Vorschlag“ gebracht werden solle, da er sich „zu einer neuen Ortsveränderung nicht so leicht entschließen möchte“. Mit Verweis auf das Denominationsgutachten von 1779 wurden abermals Georg Heinrich Lang und Heinrich Valentin Becker vorgeschlagen. Daneben präsentierte man den Langensalzaer Diakon Georg Gottlob Ausfeld und den Frühprediger der Leipziger Universitätskirche Michael Weber als Kandidaten.130 127 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Meiningen, Kanzleischreiben, 28.8.1779, ThHStAW, A 6145, 33–34. „Nun möchten wir zwar demselben eine Verbeßerung seiner Umstände gerne gönnen. Da aber, wie Uns zuverläßig versichert worden und deßen Schriften auch besagen, gedachter Blasche […] mithin in dem Fach der Theologie, wo man jetzo hauptsächlich einen geschickten Mann nöthig hat, nicht die erforderliche Stärke besitzet; u[nd] noch weniger darauf zu rechnen seyn möchte, daß er darinn jemals einig[en] applausum erhalt[e]n werde; auch deßen häußliche Umstände nicht so beschaffen sind, daß er, als Profeßor der Theologie mit dem gehörigen Anstand leben die darzu erforderl. Bibliothek unterhalt[e]n und die zu Erlangung der Doctor-Würde erforderlichen beträchtlichen Kosten aus seinen Mittel bestreiten könne: So sind Wir aus diesen und andern guten Gründen bewogen worden, denseben bey der jetzigen Vacanz zu übergehen, und nur auf die in Unseren vorigen bemerkte[n] Subjecta zu reflectieren“. Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Meiningen, aaO., 33–33v. 128 Vgl. Sachsen-Meiningen an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kanzleischreiben, 5.10.1779, ThHStAW, A 6145, 36–37. 129 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 92. 130 Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät, 25.9.1781, ThHStAW, A 6145, 42–45v.
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
Neben dem Denominationsgutachten wurden zwei Denkschriften an das Geheime Consilium gesandt, welche die Gründe der Denomination erklären sollten und in denen man auf Dinge verwies, die im Gutachten nicht gesagt werden konnten, weil dieses noch durch den Senat der Universität gehen musste.131 Die eine Denkschrift wurde von Griesbach verfasst, die andere vermutlich von Danovius.132 In beiden Promemoria wurde betont, dass Ulrich (mit ihm „würden wir aufs empfindlichste gestraft seyn“133), Blasche (er sei „eine blose Niethe“134) und Polz (der „nur der Observanz wegen“ genannt worden sei135) für die Fakultät ein großer Schaden wären. Besonders in der Denkschrift von Danovius wurden Ulrich und Blasche einer ausführlichen Kritik unterzogen. Blasche habe nie gepredigt, aufgrund fehlender Zähne eine schlechte Sprache und abseits der philologischen und exegetischen Wissenschaften mangelnde Kenntnisse; er sei alt und sein Geld reiche nicht für Kleidung, Bücher und den Doktortitel. Die Stelle an der Theologischen Fakultät führe daher zu keiner Verbesserung seiner finanziellen Situation. Die Nutritoren wurden eindringlich gebeten, sich auf einen auswärtigen Kandidaten zu verständigen.136 Dass ein derartiges zusätzliches Schreiben verfasst wurde, zeigt die Befürchtungen von Griesbach und Danovius, diesmal könne dem schon so oft vor allem von Meiningen favorisiertem Blasche die vakante Stelle angetragen werden. Diese Sorge war durchaus berechtigt. Zwar sprachen sich Weimar und Gotha gegen Ulrich, Blasche und Polz aus und bevorzugten in erster Linie Georg Heinrich Lang und falls dieser absage Ausfeld,137 aber sowohl Coburg als auch Meiningen schlossen sich dem nicht an, sondern votierten für die Berufung von Blasche. Wieder gab es um die Personalie Blasche einen Konflikt zwischen den Nutritoren.138 131 So begründete es Griesbach in seiner Denkschrift vom 28.9.1781, ThHStAW, A 6145, 47. 132 Siehe die Denkschrift von Griesbach, aaO., 47–47v und die Denkschrift o. D., ThHStAW, A 6145, 48–52. Die zweite Denkschrift trägt keine Unterschrift und wurde nicht datiert. Aber die Handschrift und Logik lassen auf Danovius schließen. Deshalb wird im Folgenden davon ausgegangen, dass es sich um seine Denkschrift handelt. So auch Kublik, Die Universität Jena, 93 und Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 122. 133 Denkschrift von Griesbach, aaO., 47v. 134 Ebd. 135 Denkschrift [von Danovius], o. D., ThHStAW, A 6145, 48. 136 Vgl. Denkschrift [von Danovius], aaO., 48v–52. An Ulrich kritisierte Danovius, dass er mangelhafte inhaltliche Kenntnisse habe, sein Vortrag die Ernsthaftigkeit fehle, er gegen Kollegen stichle, er die Harmonie störe und er doch schon die Anwartschaft auf die Stelle von Polz habe. Johann Wilhelm Schmid wurde in dem Gutachten von Ulrich und Blasche positiv abgehoben. Unter anderem fanden seine Kenntnisse und sein Fleiß positive Erwähnung. Bemängelt wurde allerdings, dass er nur in Jena bekannt sei. Die Kritik, die an Blasche geübt wurde, ähnelte in einigen Punkten dem Schreiben Weimars an Meiningen vom 28.8.1779. Siehe Anm. 127. 137 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 2.10.1781, ThHStAW, A 6145, 53–54; Sachsen-Gotha-Altenburg an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kanzleischreiben, 12.10.1781, ThHStAW, A 6145, 55–55v. 138 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 123. Auch Blasche selbst setzte sich für seine Beförderung ein. Vgl. ebd.
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Sachsen-Weimar brachte erneut die bekannten Argumente gegen Blasche vor139 und warb dafür, Ausfeld zu berufen, da Lang abgesagt habe.140 Während sich die Verhandlungen unter den Höfen hinzogen und das Geheime Consilium bereits auf Beschleunigung der Entscheidungen drängte, verschlimmerte sich die Lage noch durch den Suizid des Danovius am 18. März 1782.141 Jetzt waren zwei der drei Stellen an der Theologischen Fakultät vakant. Im Denominationsgutachten vom 30. März 1782 schilderte Griesbach die Doppelvakanz als großes Problem. Er befürchtete nicht nur das Ausbleiben der auswärtigen Studenten, sondern auch, dass Studierende vor Ort aufgrund der ungewissen Situation an der Theologischen Fakultät die Universität wechseln könnten. Aus dieser Sorge heraus forderte er eine rasche Neubesetzung der zweiten und dritten Stelle. Er selbst wünschte, in die erste Stelle aufzurücken. Neben den immer wieder genannten Kandidaten Polz und Blasche wurden von den auswärtigen nur die genannt, bei denen es wahrscheinlich war, dass sie den Ruf annehmen würden. Döderlein fand daher keine Erwähnung mehr. Als auswärtige Kandidaten wurden Gottlieb Schlegel, Pastor in Riga, Carl Traugott Eiferts, Prediger an der Domkirche zu Merseburg, sowie der Leipziger Universitätsprediger Christoph Friedrich Euke genannt.142 In dieser Situation erreichte Griesbach ein Schreiben von dem Theologen Johann Georg Rosenmüller, in welchem er erklärte, dass Döderlein unter be139 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an Sachsen-Coburg-Saalfeld, Kanzleischreiben, 23.11. 1781, ThHStAW, A 6145, 62–63v. Hier wurden in unveränderter Abfolge die gleichen Argumente angeführt, wie sie Danovius in seiner Denkschrift geäußert hatte. 140 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 23.11.1781, ThHStAW, A 6145, 64–64v. 65–66. 141 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 123 f. So lässt beispielsweise der Brief von Loder an Fritsch vom 1.1.1782 die Sorge erkennen, dass sich der hinziehende Besetzungskonflikt der dritten Stelle an der Theologischen Fakultät negativ auf die Akademie auswirken könnte: „[E]s [ist] für unsre Akademie vom äussersten Nachtheil […], wenn die Stelle lang unbesetzt bliebe, da gerade unsre Akademie im theologischen Fach sehr hervorsticht. […] Vielleicht können Hochdieselben noch bey Zeiten Mittel finden, unsre Akademie vor den traurigen Folgen, die eine so üble Disharmonie der durchl. Höfe nothwendig nach sich ziehen muß, zu bewahren.“ Brief von Loder an Fritsch, 1.1.1782, GSA 20/37,5, 1 – Die geschockte Reaktion auf den Suizid des Danovius lässt sich exemplarisch an den Briefen Loders aufzeigen. Loder rekonstruierte den Hergang, legte den Abschiedsbrief bei, verwies auf seine vergeblichen Wiederbelebungsversuche und die Bestürzung bei seinen Kollegen. Er versuchte Erklärungen für den Suizid zu finden und schilderte die Bestattung von Danovius. Briefe von Loder an Fritsch, 17.3., 20.3. und 22.3., GSA 20/37,5, 17.21.22. Dazu auch die Darstellung von Schütz, Leben und Charakter des Herrn D. Ernst Jakob Danovius, 41–56. Schütz ließ als Beilage unter anderem den Sektionsbericht abdrucken sowie das Fragment des Textes, an dem Danovius am Abend vor seinem Tod noch gearbeitet hatte. Siehe Beilage B und Beilage C. 142 Vgl. Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät, 30.3.1782, UAJ, A 458, 9–12. Dass die Gefahr bestand, viele Studenten könnten Jena aufgrund der schwierigen Lage verlassen, zeigt auch der Brief Loders an Fritsch: „Was die durch Hrn. Danov entstandene neue Vacanz in der theol. Facultät betrift, so leidet freylich unsre Akademie dadurch gewaltig. Wie ich höre, so wollen viel von unsern jungen Theologen weggehen.“ Brief von Loder an Fritsch, 22.3.1782, GSA 20/37,5, 22v.
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
stimmten Bedingungen bereit wäre, einen Ruf auf die zweite Stelle nach Jena anzunehmen.143 Das Geheime Consilium war nun um ein diplomatisches Vorgehen bemüht, um den Konflikt mit Coburg und Meiningen zu vermeiden, die sich für eine Berufung Blasches ausgesprochen hatten. Zwischen den Höfen bestand eine Pattsituation: Coburg und Meiningen wollten die Reihenfolge Griesbach – Blasche – Ausfeld und Weimar und Gotha wollten an Stelle von Blasche Döderlein. Auf der einen Seite stand zudem die Drohung Griesbachs, den Ruf nach Königsberg anzunehmen, wenn Blasche käme, was Weimar auf jeden Fall verhindern wollte. Auf der anderen Seite musste Coburg und Meiningen entgegengekommen werden, die sich schon mehrfach für Blasche eingesetzt hatten.144 Der nominell für Universitätsangelegenheiten zuständige weimarische Geheimrat Christian Friedrich Schnauß145 verhandelte mit Blasche, unter welchen Bedingungen er bereit sei, auf die Fakultätsstelle zu verzichten. Blasche forderte für seinen Verzicht unter anderem den Status eines Honorarprofessors der Theologie mit Sitz und Stimme im Senat und eine Verbesserung seiner Einkünfte. Durch Verhandlungen Goethes mit Meiningen und Coburg gelang es, dass dieser Kompromissvorschlag angenommen wurde.146 Weimar betonte in einem Schreiben an die Konnutritoren nochmals, dass „die Herbeyziehung“ von Döderlein, „welcher mit seinen übrigen Kenntnißen auch Erfahrung in Pastoralsachen verbindet, für die gesammte Academie überaus vortheilhaft“ sei.147 Am 25. Mai 1782 wurde schließlich vom Geheimen Consilium das Vokationsreskript für Döderlein und Ausfeld ausgestellt, welches die anderen Nutritoren rasch reskribierten.148 Döderlein nahm den Ruf an.149 Als Gründe für den Ortswechsel führte der mit Döderlein befreundete Theologe Georg Theodor Strobel nicht nur den Konflikt Döderleins mit seinen Kollegen Johann Augustin Dietelmaier und Johann Andreas Sixt an,150 sondern auch „die Freundschaft mit 143 Vgl. Rosenmüller an Griesbach, 28.3.1782, ThHStAW, A 6145, 88. 144 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 124.127. Loder schrieb an Fritsch: „[Griesbach] versichert, daß er mit Freunden in Jena bleiben wird, wenn auf die angegebene Art die vacanten Stellen der theol. Facultät bald besorgt werden sollen“. Brief von Loder an Fritsch, 3.5.1782, GSA 20/37,5, 31. (Hervorhebung von Loder). 145 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 11. 146 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 127–129. Dass Blasche auch einen Sitz und eine Stimme im Senat erhalten sollte, führte zu einigen Unstimmigkeiten. Schnauß behauptete, Blasche habe diese Forderung erst nachträglich aufgestellt. Ebenso weigerte sich die Universität, Blasche als Senatsmitglied zu akzeptieren. Trotz dieser Einwände wurde die Universität angewiesen, Blasche diesen Sitz zu gewähren. Vgl. Müller, aaO., 130. 147 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 12.4.1782, ThHStAW, A 6145, 89. 148 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 129. 149 Trotzdem waren noch nicht alle Fragen im Zusammenhang mit Döderleins Berufung geklärt. Diskutiert wurden beispielsweise noch die erste Quartalsbezahlung (aufgrund der Zahlungen des Gnadenquartals an die Witwe von Danovius) und die Reisekostenerstattung für Döderlein. Müller, aaO., 138, Anm. 182. 150 Vgl. Wotschke, Aus Briefen Strobels, 240. Dazu siehe Kapitel A/I, 2.
II. Von Walch zu Döderlein
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H. Griesbach“151 sowie Döderleins „Verlangen das geistliche Amt [in Altdorf ] los zu werden und die eigene Zulage vom Herzoge“152. Für die Theologische Fakultät war die Berufung von Döderlein ein Gewinn. Mit ihm, der gegen die Fragmente von Reimarus gestritten und mit seinem Jesajakommentar wegweisende exegetische Bemerkungen getroffen hatte, verbanden die Beteiligten in Jena die Hoffnung, dass er der krisengeschüttelten Fakultät wieder Aufschwung, Ansehen und Stabilität verleihen werde. So formulierte beispielsweise der in Jena lehrende Anatom Justus Christian Loder: „Ich bin entzückt vor Freuden über die Hofnung, die unsre Akademie sich nun machen kann, einen Mann zu erlangen, der eine ihrer vorzüglichen Zierden abgeben wird, und durch dessen Ruhm wir uns einen neuen und ansehnlichen Zuwachs versprechen können“.153 Dem mit Döderlein berufenen Ausfeld war es nicht vergönnt, in Jena zu leben und zu lehren. Kurz nach seinem Amtsantritt starb er.154 Die Theologische Fakultät hatte damit erneut einen Todesfall zu beklagen. Ausfeld war der vierte theologische Lehrer, der in den letzten viereinhalb Jahren verstorben war.155 Anders als bei den vergangenen Neubesetzungen der Stellen, gab es bei dieser Neubesetzung zwischen den Nutritoren allerdings keine Meinungsverschiedenheiten mehr. Im Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät wurde wieder ein praktischer Theologe gesucht, der für die „Bildung künftiger Prediger“ ein „Muster guter Kanzelvorträge“ darstelle. Neben dieser Qualifikation solle berücksichtigt werden, dass es ein junger Theologe sei, der der Universität lange Dienste leisten könne. In dem Gutachten wurde pragmatisch vorgegangen, 151 Ebd. 152 Ebd. – Döderlein schrieb im Entlassungsgesuch an den Rat der Reichsstadt Nürnberg 1782, dass „sich die Durchlauchtigsten Fürsten [und Erhalter der Universität Jena] so schnell und unter so vortheilhaften und auserordentlichen Conditionen“ auf ihn geeinigt hätten, dass er „den Willen Gottes sehr deutlich erkenne und es für Pflicht halten muß, demselben zu folgen“. Brief Döderleins an den Rat der Reichsstadt Nürnberg, 6.7.1782, AUA 95,1, [2]. 153 Brief von Loder an Fritsch, 7.4.1782, GSA 20/37,5, 30. – Dem einen zur Freude, dem anderen zur Klage. Strobel schrieb am 29.1.1782: „Möchte doch Danow noch leben und den fatalen Schritt nicht getan haben! Er entreißt uns unseren Freund Döderlein, der aller ihm von hier gemachten guten Propositionen unerachtet den erhaltenen Ruf nach Jena angenommen hat. H. Ephorus von Welser ist selbst nach Altdorf gereist und hat ihn zu halten gesucht, ihm das Diakonat, über dessen Last er sich oft beklagte, abzunehmen, ihn dafür zu entschädigen und andere Vorteile zu geben versprochen, aber alles war umsonst! […] Zweimal habe ich ihn bestimmt, auswärtige Rufe nach Greifswald und Königsberg abzuschlagen.“ Wotschke, Aus Briefen Strobels, 240. Für Altdorf war Döderleins Fortgang problematisch, da viele Studenten Altdorf wegen ihm als Studienort gewählt hatten. Vgl. Leder, Universität Altdorf, 179. 154 Am gleichen Tag wie Ausfeld, am 2.12.1782, starb Christian Friedrich Polz, Professor der Logik und Metaphysik, Konsistorialrat und Prof. theol. ordinarius supernumerarius. Dieser Hinweis findet sich bei Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 139. 155 Döderlein schrieb zum Tod von Ausfeld an Will: „Es ist traurig, daß die Sterblichkeit bey den Theologen groeser ist, als ihr Nachwuchs!“ Brief vom 25.2.1783, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,11, [3].
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
indem bedacht wurde, dass aufgrund der finanziell „weniger anreizenden dritten theologischen Professur“ keine bekannte Größe berufen werden könne. Deshalb stand an erster Stelle der bereits 1781 aufgeführte Diakon der Jenaer Stadtkirche Johann Wilhelm Schmid. Dessen guter Charakter und seine Fähigkeiten als Prediger und akademischer Privatlehrer fanden positive Erwähnung. Von den auswärtigen Kandidaten wurden der Rudolstädter Diakon Ludwig Friedrich Cellarius und erneut der Leipziger Universitätsprediger Christoph Friedrich Euke genannt.156 Griesbach bat um eine zügige Neubesetzung der Stelle157 und sprach sich gegen einen weiteren ins Gespräch gebrachten Kandidaten, den Rektor und Professor der Klassischen Philologie Christian Friedrich von Matthäi aus Moskau aus, da ihn dieser mit seinem Feuereifer und steifen Ton an Johan Melchior Goeze erinnere.158 Auch durch das Verhandlungsgeschick Goethes einigten sich die Höfe zügig auf Schmid, so dass dieser bereits zu Beginn des Sommersemesters 1783 sein Amt antreten konnte.159 Mit der Berufung von Schmid, der ebenso wie Döderlein das aufklärungstheologische Profil der Theologischen Fakultät stärkte, blieb die Besetzung der Theologischen Fakultät für die nächsten neun Jahre konstant. In Jena lehrten bis 1792 die ordentlichen Professoren Griesbach, Döderlein und Schmid. 5. Die Berufungen von Danovius, Griesbach und Döderlein im Überblick Die Untersuchungen der verschiedenen Berufungsprozesse lassen erkennen, dass die Berufung von Griesbach am unproblematischsten verlief. Der Streit um und mit Danovius war hingegen so heftig, dass er die Einheit der Fakultät gefährdete. Döderlein wiederum wurde von der Theologischen Fakultät mehrfach in Denominationsgutachten genannt und kam zu einem Zeitpunkt nach Jena, als man es schon gar nicht mehr erwartete. Es war insbesondere Weimars Absicht, mit dem nicht in Jena ausgebildeten jungen Theologen Danovius, frischen Wind in die Fakultät zu bringen. 156 Vgl. Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät, 14.12.1782, UAJ, A 459, 2–2v. 3v–6. 157 Vgl. Griesbach an Schnauß, 27.1.1783, ThHStAW, A 6145, 206–208. „Da die Facultät nun schon beynahe seit 2 Jahren incomplet ist und manche Collegia seit langer Zeit nicht haben gelesen werden können, und da auch jetzt es uns beyden unmöglich fällt, alles auf einmal zu bestreiten, zumalen im nächsten halben Jahre das Prorectorat einen Theil meiner Zeit und Aufmercksamkeit anfordern wird, so ist freilich zu besorgen, daß bey einer lang dauernden Vacanz unsre Studiosi Anlaß nehmen möchten zu klagen, und daß auch auswärts der Gedanke um sich greifen möchte, ein Studiosus Theologiae finde hier nicht alle zu seiner Bildung nöthige Gelegenheit.“ Griesbach an Schnauß, aaO., 206v. 158 Griesbach an Schnauß, aaO., 207v. Griesbach äußerte mehrfach, dass Matthäi keinen Nutzen für die Akademie habe und dass er kein richtiger Theologe sei. Vgl. Griesbach an Schnauß, aaO., 206v–207. – Über die Personalie Matthäi gab es mehrfach Auseinandersetzungen mit Eichhorn. Siehe Kapitel C/I, 2.3. 159 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 138.
II. Von Walch zu Döderlein
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Die extra für ihn geschaffene Honorarprofessur diente als Reformmaßnahme. Es muss offen bleiben, inwieweit den Hochschulpolitikern Weimars vor dem Dienstantritt von Danovius bewusst war, welche theologischen Ansichten dieser vertrat.160 Von Seiten der Theologischen Fakultät wurde er als Störfaktor und Gefahr wahrgenommen. Trotz allen Widerstandes hat sich Weimar immer schützend vor ihn gestellt. Für Danovius änderte sich die Situation als Griesbach nach Jena berufen wurde, den Danovius und Weimar auch deshalb bevorzugten, weil sie mit ihm eine Stärkung des aufklärerischen Profils in der Theologischen Fakultät erhofften. Griesbach bewährte sich in diesem Sinne. Wie wiederum Döderlein von seinen Zeitgenossen wahrgenommen wurde und warum er für die „Salana“ in Frage kam, lässt sich anhand der Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät und anhand der Stellungnahmen von auswärtigen Theologen ermitteln. Döderlein wurde in drei Denominationsgutachten der Theologischen Fakultät positiv hervorgehoben. In dem von 1775 wurde er als Kenner der alten Kirchenlehrer vorgestellt und als einer, dessen Bücher wohlwollend rezipiert werden. In dem Gutachten nach dem Tod von Zickler 1779 betonte man wie 1781 hauptsächlich seine praktische Predigttätigkeit. Ebenso lassen die von der Weimarer Regierung erbetenen Gutachten der externen Theologen erkennen, wie Döderlein verortet wurde. Die Spannbreite reicht von Walchs Aussage, Döderlein zähle zu den orthodoxen Theologen, über Burschers Kommentar, alle – also auch Döderlein – seien bei der „wesentlichen Lehre“ orthodox, zu Herders Charakterisierung von Döderlein als einen der bedeutendsten Theologen Deutschlands, der die „Angriffe der Religion“ widerlege bis zu Hirts ablehnender Haltung gegenüber Döderlein. Hirt monierte, Döderlein sei kein orthodoxer Theologe, was sich exemplarisch an seinem Jesajakommentar veranschaulichen lasse. Hier zeigt sich ein unterschiedliches Verständnis vom Wort „orthodox“. Für Hirt war jegliche Neuerung, wie sie Döderlein in seinem Jesajakommentar vornahm, nicht-orthodox oder der Orthodoxie schädlich. Burscher wiederum grenzte den Begriff „orthodox“ auf die „wesentlichen Lehren“ ein und störte sich nicht daran, wenn in unwesentlichen Dingen andere Standpunkte vertreten werden. Anhand der Denominationsgutachten lässt sich ferner ablesen, in welcher Lage sich die Fakultät befand. So wurde beispielsweise Döderlein in dem Gutachten von 1781 zwar erwähnt, aber nicht mit aufgelistet, weil er, wie Herder exemplarisch formulierte, „zu gut“ für Jena sei. Die Universität konnte finanziell kaum Anreize bieten.161 Aus den Gutachten lässt sich zudem immer wieder eine große Sorge um das Wachstum der Universität entnehmen. Ebenso sollte dem 160 So auch Kublik, Die Universität Jena, 64. 161 Da Coburg zahlungsunfähig war, durfte das Universitätsbudget der Nutritoren nicht erweitert werden. Vgl. Kublik, aaO., 99. Die dadurch notwendige Sparsamkeit äußerte sich auch in Berufungsangelegenheiten. Teure Berufungen von anerkannten Gelehrten unterblieben daher in der Regel. Vgl. Siebe, Berufungswesen, 233.
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
Ruf der Fakultät nicht durch eine abgelehnte Berufungsanfrage geschadet werden, die von Döderlein erwartet wurde. Auch deshalb wurde er in das Denominationsgutachten von 1782 nicht mit aufgenommen.162 Die Gutachten zeigen außerdem, dass die Bedürfnisse der Fakultät unterschiedlich eingeschätzt wurden. In ihren Stellungnahmen von 1779 und 1781 betonten die Professoren der Theologischen Fakultät, sie wünschten einen Theologen in Jena, der in der praktischen Theologie Erfahrung habe. Nach diesem Kriterium wurden die Kandidaten eingeordnet und bewertet. Deshalb wurden diese Eigenschaften bei Döderlein immer hervorgehoben. Herder und der sich ihm anschließende Weimarer Hof wiederum verlangten nach einem Dogmatiker, da ein solcher in Jena fehle.163 In den verschiedenen Gutachten wurde überdies häufig die lutherische Ausrichtung betont. Die lutherische Identität der Universität sollte formal nicht in Frage gestellt werden. Letztlich bedeutete die Berufung der Aufklärungstheologen, die den Richtungskampf an der Theologischen Fakultät zwischen traditionell-lutherisch und modern-aufklärerisch für sich entschieden, aber einen Einschnitt – auch in dem Selbstverständnis, „Hort des Luthertums“ zu sein. Zwar sahen sich die Aufklärungstheologen in der Tradition Luthers164, aber sie trennten sich letztlich mit ihrer Kritik an den Dogmen und Symbolischen Büchern entschieden davon. Wie eben gezeigt, bescheinigten auch die Gegner der Aufklärungstheologen ihnen einen unlutherischen, mit der Tradition brechenden theologischen Standpunkt, weshalb sich Gelehrte wie Danovius den Vorwurf der Heterodoxie gefallen lassen mussten.165 War Danovius noch diesen Anfeindungen ausgesetzt, so änderte sich das mit den Berufungen von Griesbach und Döderlein. Mit den Berufungen dieser beiden Aufklärungstheologen kann der Klärungs- und Neuausrichtungsprozess in der Theologischen Fakultät als abgeschlossen gelten. Die Veränderung des Profils der Theologischen Fakultät war nun offensichtlich: Jena war jetzt weniger „Hort des Luthertums“ als vielmehr ein universitäres Zentrum der Aufklärungstheologie. 162 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an die Konnutritoren, Kanzleischreiben, 12.4.1782, ThHStAW, A 6145, 89–89v. 163 Es scheint paradox, dass in den Denominationsgutachten Theologen mit praktischer Predigttätigkeit gesucht wurden und als einer mit diesen Qualitäten berufen wurde, nämlich Döderlein, diese Forderung nicht eingestellt wurde. Im nächsten Denominationsgutachten wurde dieser Wunsch vielmehr erneut geäußert. Griesbach rechtfertigte diesen Sachverhalt damit, dass Döderlein „diese Geschäfte“ zwar übernehmen könnte, aber dann jemand fehlen würde, der sich um die Fächer kümmert, „die man so sehr von ihm bearbeitet wünschet“. Griesbach an Schnauß, 27.1.1783, ThHStAW, A 6145, 207. Gemeint sind damit vor allem Döderleins Vorlesungen über Dogmatik – also genau der Bereich, den Herder und die Weimarer Regierung abgedeckt haben wollten. 164 Siehe Kapitel E/I, 3.5. 165 Siehe auch Schmidt, Die Tradition der Freiheit, 16: Mit den Neologen sei das „wahre“ Luthertum als sichtbarer „heiliger Kern“ der Universität verschwunden.
II. Von Walch zu Döderlein
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6. Berufungen als eine diplomatische Angelegenheit Der Prozess der Neuausrichtung der Theologischen Fakultät war abhängig von den ernestinischen Erhaltern der Universität. Allerdings hatten die ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, welches Profil die Theologische Fakultät in der Zukunft haben sollte. Sowohl der Weimarer als auch der Gothaer Hof waren Initiatoren der Neuausrichtung. Beide Höfe bemühten sich um eine zeitgemäße Wissenschaftspflege,166 auch in der Hoffnung, dadurch neue Impulse und einen Aufschwung für die Universität Jena zu erhalten. Durch das einvernehmliche Vorgehen von Weimar und Gotha167 konnten die Berufungen von Danovius, Griesbach und Döderlein teilweise gegen den Widerstand der kleineren Höfe in Coburg und Meiningen durchgesetzt werden. Anders als Weimar und Gotha standen Meiningen und Coburg den Aufklärungstheologen und neueren Entwicklungen kritisch gegenüber. In der älteren Forschung zur Universitätsgeschichte Jenas wurde dieses Verhalten der Höfe häufig einer Bewertung unterzogen: Das Vorgehen von Weimar und Gotha wurde positiv dargestellt, während das von Coburg und Meiningen kritisiert wurde. So behauptete beispielsweise Fritz Hartung 1923, dass diese von Weimar und Gotha getragenen „modernen Entwicklungen“ oft durch Meiningen und Coburg gehemmt worden seien, weil diese nichts vom „neuen Geist der Wissenschaft“ hätten wissen wollen.168 Steffen Kublik mildert diesen Vorwurf in der gegenwärtigen Forschung ab, indem er herausstellt, dass das Vorgehen „der eher konservativ gesinnten Regierungen“ von Meiningen und Coburg immer aus Sorge um ihre Universität geschah, die sich als lutherisch definierte und deren Theologiestudenten auch aus anderen Ländern stammten, die auf eine „orthodoxe“ Ausbildung Wert legten.169 Denn Jena war beispielsweise für die protestantischen Ungarn seit Beginn des 18. Jahrhunderts der Ort für ihre theologische Ausbildung.170 Diese „viel[en] Ausländer“171 wollte man nicht verlieren. Dass man wirklich auf die auswärtigen Studenten Rücksicht nahm, wird anhand eines Schreibens Loders an Minister Fritsch ersichtlich, in welchem Loder betonte, dass die Denomination so ausfallen müsse, dass alle „Ungarn [und] Siebenbürger […] zufrieden seyn werden“172. 166 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 251. 167 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 124 f. 168 Hartung, Das Großherzogtum Sachsen, 145. So auch Leber, Die Universität Jena, 230: Meiningen und Coburg standen jeder Reform und Änderung feindlich gegenüber. 169 Kublik, Die Universität Jena, 96 f. 251. 170 Vgl. R asche, Umbrüche, 111. Dazu auch Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos, 51. 171 Brief von Loder an Fritsch, 3.6.1782, GSA 20/37,5, 45v. 172 Brief von Loder an Fritsch, 14.5.1779, GSA 20/37,2, 39v. Dazu auch siehe Kapitel C/I, 2.3. und 2.4. Welche Probleme es mit sich bringen konnte, wenn die auswärtigen Studenten wegfielen, zeigt sich ungefähr 20 Jahre später an der sogenannten Ungarnkrise und den Maßnahmen gegenüber Fichte. Denn im April 1798 verbot der russische Zar Paul I. seinen
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B. Die Berufung Döderleins nach Jena
War für Meiningen und Coburg der Mythos, „Hort des Luthertums“ zu sein, nach wie vor identitätsstiftend und waren die neuen Akzente der Aufklärungstheologen daher ein Ärgernis, so ist der Widerstand beider Höfe gegen die Berufungen allerdings ebenfalls Ausdruck eines prinzipiellen Problems: Meiningen und Coburg, als die kleineren und politisch weniger einflussreicheren Höfe, die sich den größeren Erhalterstaaten gegenüber oft zurückgesetzt fühlten, versuchten in den Berufungsverhandlungen auf ihre Bedeutsamkeit und ihr Gewicht aufmerksam zu machen. Wie die verschiedenen Berufungsprozesse zeigen, war ein diplomatisches Vorgehen zwischen den Höfen unerlässlich.173 Weimar und Gotha mussten bei ihrem Vorhaben, aufgeklärte Theologen nach Jena zu holen, allerdings nicht nur auf die Wünsche von Coburg und Meiningen und die ausländischen Studierenden Rücksicht nehmen, sondern auch die Forderungen der Theologischen Fakultät abwägen. Zwar besaß die Universität das Vorschlagsrecht, an dem sich die Landesherren oftmals orientierten,174 aber die Nutritoren hatten gemäß der Statuten das Recht, Kandidaten zu berufen, die ihnen geeigneter als die von der Universität vorgeschlagenen erschienen.175 Am Beispiel von Danovius lässt sich erkennen, wie die Vorschläge und Wünsche der Fakultät übergangen wurden und der von den Höfen bevorzugte Kandidat durchgesetzt wurde. Bei der Berufung von Weber wird zudem offensichtlich, dass entgegen der offiziellen Fakultätsdenomination ein eigener Kandidat (hier vor allem auf Initiative Loders) über inoffizielle Wege und inoffizielle Diplomatie ins Gespräch gebracht und ernannt wurde. Bei derartigen Berufungen bediente man sich der europaweiUntertanen das Studium an ausländischen Universitäten und auch der Vielvölkerstaat Österreich schränkte die Studienortwahl ein. Die protestantischen Untertanen duften nur noch in Göttingen, Leipzig, Wittenberg und Tübingen studieren. In Wien hatte man Angst, dass die Studenten in Jena mit den Gedanken der Französischen Revolution in Berührung kämen. Um 1800 kamen kaum noch baltische oder ungarische Studenten nach Jena. Vor allem das Wegbleiben der vermögenden ungarischen Theologiestudenten machte sich so deutlich bemerkbar, dass Griesbach die Nutritoren bat, beim Wiener Hof zu intervenieren. Ob nun dadurch oder durch persönliche Kontakte – Jena wurde im Oktober 1800 in die Liste der erlaubten Universitätsorte aufgenommen. Ein Jahr später konnte wieder ein Zulauf an ungarischen Studenten verzeichnet werden. Die Balten durften ebenfalls wieder in Jena studieren, da der neue Zar Alexander I. das Verbot seines Vorgängers 1801 aufhob. Man versuchte in Jena dem Frequenzabfall entgegenzuarbeiten, so dass direkt nach der Ungarnkrise die Professoren der Philosophischen und Theologischen Fakultät in einem Schreiben ermahnt wurden, in ihren Schriften und Vorlesungen alle Lehren und Meinungen zu vermeiden, die den ausländischen Staaten missfallen könnten. Der Frequenzabfall konnte damit allerdings nicht verhindert werden. – Auch bei der Entlassung von Fichte beugte sich Weimar dem äußeren Druck. Denn die sächsische Regierung hatte schon 1798 gedroht, dass ihre Landeskinder nicht mehr in Jena studieren dürften, wenn man nichts gegen Fichte unternähme. Der Weimarische Minister Voigt schrieb daher an Goethe, dass man in dieser Sache handeln müsse, da bei Umsetzung der sächsischen Drohung die Theologische Fakultät ruiniert wäre. Vgl. R asche, Umbrüche, 117–122. 173 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 111. 174 Vgl. Wallentin/Siebe/Grochowina, Die Korporation, 48. 175 Vgl. Siebe, Berufungswesen, 231.
Zwischenergebnis B
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ten Kommunikationsnetze der Gelehrten und, um die Verhandlungen abzukürzen, der privaten Kontakte zwischen den Verhandlungspartnern der einzelnen Höfe.176 Trotzdem waren die Nutritoren darum bemüht, sich mit der Fakultät und Universität zu einigen. Denn solche andauernden Streitigkeiten wie im Fall Danovius wollten und konnten sich die Höfe, die sich immer auch um den Ruf der „Salana“ sorgten, nicht permanent leisten.
Zwischenergebnis B Das Profil der Theologischen Fakultät in Jena veränderte sich Ende des 18. Jahrhunderts entscheidend: Die Fakultät entwickelte sich von einer traditionelllutherischen zu einer der Aufklärungstheologie verhafteten Fakultät und trug damit zum Aufschwung der gesamten Universität Jena bei. Diese Neuausrichtung wurde durch Berufungen von jungen, der Aufklärung nahestehenden Theologen ermöglicht, die wesentlich von den Höfen in Weimar und Gotha initiiert und vorangetrieben wurden. Der erste, der in Jena neue Akzente setzte, war Ernst Jakob Danovius. Er hatte gegen massive Widerstände an der Theologischen Fakultät zu kämpfen, konnte sich letztlich aber durchsetzen, weil er vom Weimarer Hof unterstützt wurde und seine gegnerischen Kollegen starben. Mit dem Aufklärungstheologen Johann Jakob Griesbach gewann er zudem einen engagierten Mitstreiter, dessen Berufung den Prozess der Neuausrichtung fortsetzte. Als Johann Christoph Döderlein schließlich 14 Jahre später als Danovius nach Jena berufen wurde, fand er eine andere Situation als dieser vor. Er musste nicht mehr wie Danovius für seine Theologie kämpfen. Jedoch war die Fakultät von einer massiven personellen Krise gekennzeichnet. Durch den Tod des Theologen Weber sowie durch den Suizid des Danovius waren zwei der drei Fakultätsstellen unbesetzt, so dass die Lehre kaum noch abgedeckt werden konnte. Mit Döderlein änderte sich diese problematische Situation: Jena hatte nun einen theologischen Lehrer gewonnen, der den Neuausrichtungsprozess abschloss, der Fakultät neues Ansehen verlieh und der gemeinsam mit Griesbach und dem nach ihm berufenen Johann Wilhelm Schmid für Stabilität sorgte. Mit der Neuausrichtung der Fakultät hin zur Aufklärungstheologie hing auch eine Veränderung im Selbstverständnis, „Hort des Luthertums“ zu sein zusammen. Die lutherische Identität der Universität wurde zwar nicht hinterfragt, aber die Aufklärungstheologen hatten vom Grundgedanken her weniger den Anspruch Hort, also Schutzraum einer früheren theologischen Lehrmeinung, als vielmehr Ort einer zeitgemäßen, modernen Theologie zu sein. Sie grenzten sich unmissverständlich von vielen Lehrmeinungen der lutherischen Orthodoxie ab und verfolgten das Ziel, dass die Theologische Fakultät in Jena einen gewichtigen Beitrag in der zeitgenössischen Theologie leistet. 176 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 114.
C. Döderleins Wirken in Jena Als Döderlein 1782 von Altdorf nach Jena umzog und sein Amt als Professor der Theologie an der „Salana“ antrat, war er voller Zuversicht und Euphorie. Noch in Altdorf formulierte er, dass er sich „unter Gottes Beystand“ in Jena „ein gemeinschaftlicheres Zusammenwirken mit andern zu Einem Zweck“ und einen „ausgebreitetern Nuzen für die theologische Gelehrsamkeit“ versprechen könne als an seiner bisherigen Wirkungsstätte.1 Denn er traf in Jena auf die Aufklärungstheologen Johann Jakob Griesbach und Johann Gottfried Eichhorn – also auf zwei „Gesinnungsgenossen“2, wie es Fritz Hartung ausdrückt. Aufgrund ihres gemeinsamen theologischen Standpunktes und ihres gleichen Vornamens „Johann“3 werden diese drei Theologen von Gustav Frank als glänzendes „johanneisches Dreigestirn am jenaer Theologenhimmel“4 charakterisiert. Auch in anderen Darstellungen findet das Zusammenwirken dieser drei Gelehrten besondere Erwähnung.5 Albrecht Beutel behauptet sogar, dass Jena wegen dieser Personenkonstellation als ein „hochkarätiges Zentrum“6 der Neologie gelte. Schon die Zeitgenossen bemerkten das außerordentliche Potential, welches sich mit diesen drei Neologen an einem Ort bot. Georg Theodor Strobel schrieb an den Eisenacher Generalsuperintendenten Christian Wilhelm Schneider von dem „vortreffliche[n] Kleeblatt, das Jena gewiß in merkliche Aufnahme bringen wird“7. 1 Brief Döderleins an den Rat der Reichsstadt Nürnberg, Entlassungsgesuch, 6.7.1782, AUA 95,1, [2]. 2 Hartung, Das Großherzogtum Sachsen, 150. 3 Johann Jakob Griesbach, Johann Gottfried Eichhorn, Johann Christoph Döderlein. 4 Frank, Die Jenaische Theologie, 88. 5 So beispielsweise bei Böhme, 350 Jahre Jenaischer Theologie, 30. Allein Wolfgang Schenk behauptet, dass nicht Eichhorn, sondern Johann Wilhelm Schmid Teil der „johanneische[n] Trias“ sei. Wolfgang Schenk, „Burschen heraus!“ Die Jenaer Studentenbewegung 1792 und ihre geistigen Hintergründe. Eine Fallstudie zum zivilen Ungehorsam und zur gewaltfreien Aktion (in: Jena soll leben. Beiträge zum historischen Studentenleben an der Universität Jena [Jenaer Reden und Schriften. Veröffentlichung der Friedrich-Schiller-Universität Jena], hg. v. Ernst Schmutzer, Jena 1991, 133–151), hier 140. 6 Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 140. 7 Wotschke, Aus Briefen Strobels, 240. Dass dieses Zusammenwirken von Griesbach, Eichhorn und Döderlein eine Besonderheit darstellte, wurde auch in Schlichtegrolls Nekrolog behauptet: Die drei Theologen hätten eine Verbindung gebildet, „die durch ganz Deutschland und selbst im Auslande berühmt war“. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 113. Desgleichen sprach Herder von einem „Trifolium“ (Kleeblatt), welches nun in Jena mit Döderlein „florir[e]“. Herder an Eichhorn, 12.7.1782 (in: Johann Gottfried Herder, Briefe, 4. Bd.: Ok-
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C. Döderleins Wirken in Jena
Was verbarg sich aber wirklich hinter dieser Zuschreibung des „Dreigestirns“? Wie sah die Beziehung dieser drei Gelehrten untereinander aus? Inwiefern haben sie gemeinsam an ihrem Ziel, die Aufklärungstheologie in Jena zu etablieren, gearbeitet? Diesen Fragen wird in einem ersten Teil des Kapitels (I) über Döderleins Wirken in Jena nachgegangen. Es wird hier untersucht, wie sich das Verhältnis Döderleins zu seinen Jenaer Kollegen gestaltete (2.). Dabei wird nicht nur das Beziehungsgefüge des „Dreigestirns“ analysiert, sondern gleichermaßen wird das Verhältnis Döderleins zum dritten Professor der Theologie, zu Johann Wilhelm Schmid, und zu Eichhorns Nachfolger Heinrich Eberhard Gottlob Paulus in den Blick genommen, dessen Professur für orientalische Sprachen (Philosophische Fakultät) eng mit der Theologischen Fakultät verbunden war. Im Zusammenhang mit diesem Beziehungsgeflecht werden überdies drei weitere Fragen thematisiert: Wie nahm Döderlein sein Leben und Wirken in Jena selbst wahr (1.), welche Rolle spielte er in der Universitätspolitik (3.) und welches Verhältnis hatte er zu den Studenten (3./4.)? Die Darstellung dieser Themen behält allerdings aufgrund der lückenhaften Quellenlage einen Skizzencharakter. Von Döderlein existiert beispielsweise kein vollständiger Nachlass, aus dem nähere Auskünfte gewonnen werden könnten. Wenn vorhanden, werden bevorzugt Briefe als Quelle herangezogen, weil sich persönliche Beziehungen darin am besten abbilden und Briefe einen Einblick in das Denken und Empfinden geben.8 Besonders aussagekräftig sind hier vor allem 14 Briefe, die Döderlein in dem Zeitraum von Februar 1783 bis November 1789 an seinen Altdorfer Kollegen und Freund Georg Andreas Will geschrieben hat und die sich jetzt im Nachlass von Will befinden, der in der Nürnberger Stadtbibliothek archiviert ist.9 Döderlein teilte Will in diesen in einem vertraulichen und persönlichen Ton abgefassten Briefen unter anderem Neuigkeiten und Gerüchte aus Jena mit, äußerte sich über seinen Gemütszustand und seine Kollegen und schrieb über Abhandlungen und Themen, an denen er gerade arbeitete. Aussagen über das Beziehungsgefüge in Jena können neben diesen Briefen auch aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Johann Gottfried Eichhorn10 und aus der rückblickenden Darsteltober 1776-August 1783, bearb. v. Wilhelm Dobbek/Günter Arnold [Johann Gottfried Herder. Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803], Weimar 1979, Nr. 222, 228). Günter Arnold ist allerdings der Meinung, dass Herder damit Griesbach, Döderlein und Ausfeld bezeichnete. Vgl. Günter Arnold (Hg.), Johann Gottfried Herder. Briefe. 12. Bd.: Kommentar zu den Bänden 4–5 (Johann Gottfried Herder. Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803), Weimar 2005, 220. 8 Vgl. Detlef Döring, Gelehrtenkorrespondenz (in: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven [Wolfenbütteler Forschungen 128], hg. v. Ulrich R asche, Wiesbaden 2011, 315–340), hier 316. Dazu auch: Detlef Döring, Art. Gelehrtenkorrespondenz (EdN 4, 2006, 386–389) und Klaus-Dieter Herbst/Stefan Kratochwil (Hg.), Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. u. a. 2009. 9 NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., Umschlag 7, Briefe 11–24. 10 Von und an Herder. Ungedruckte Briefe aus Herders Nachlaß, hg. v. Heinrich Dünt-
I. Döderlein im universitären Verbund mit seinen Jenaer Kollegen
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lung von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus11 gewonnen werden. Aufschlussreich sind ebenso die Briefe und offiziellen Dokumente, die in den staatlichen Akten zu den Universitätsangelegenheiten des Herzogtums Sachsen-Weimar und Eisenach12 sowie in den Dekanatsakten der Theologischen Fakultät13 enthalten sind. In einem zweiten Teil dieses Kapitels (II) wird nach Döderleins Wirken in Jena, nach seiner Tätigkeit als Hochschullehrer gefragt. Inwiefern lässt sich darin überdies sein aufklärungstheologischer Standpunkt erkennen? Da die Vorlesungen im Zentrum des akademischen Lehrbetriebs standen,14 wird als erstes das Vorlesungsangebot und die Vorlesungspraxis innerhalb des Zeitraums von Döderleins Wirkungszeit in Jena (WiSe 1782/83-WiSe 1792/93) vorgestellt (1.). Die vorliegende Studie konzentriert sich dabei vornehmlich auf die Veranstaltungen von Döderlein. Ergänzend wird auf die Vorlesungen von Johann Jakob Griesbach, Johann Wilhelm Schmid, Johann Gottfried Eichhorn und Heinrich Eberhard Gottlob Paulus verwiesen.15 Danach wird skizziert, welchen Beitrag Döderlein hinsichtlich des akademischen Gottesdienstes leistete. Hierbei finden das sogenannte „Predigerinstitut“ (2.) mit einem Exkurs über Döderlein als Prediger sowie das von Döderlein verantwortete neue Gesangbuch der Theologischen Fakultät (3.) Erwähnung. Abschließend werden kurz Döderleins Schriften vorgestellt, die er explizit für ein akademisches Publikum in Jena verfasste (4.).
I. Döderlein im universitären Verbund mit seinen Jenaer Kollegen 1. Döderleins Wahrnehmung von Jena in den Jahren 1782 bis 1787 zwischen dem Gefühl von Anerkennung und Einsamkeit Döderlein begann seine Tätigkeit als zweiter Professor an der Theologischen Fakultät in Jena mit dem Michaelistag 1782, also mit dem Beginn des Winterzer/Ferdinand Gottfried von Herder, 2. Bd.: Herders Briefwechsel mit Hartknoch, Heyne und Eichhorn, Briefe an Grupen, Herders Gattin und J. Müller, nebst Briefen von Fr. L. W. Meyer und A. von Einsiedel, Leipzig 1861, 265–316; Johann Gottfried Herder, Briefe, 4.–8. Bd., bearb. v. Wilhelm Dobbek/Günter Arnold (Johann Gottfried Herder. Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803), Weimar 1979–1984. 11 Heinr[ich] Eberh[ard] Gottlob Paulus, Skizzen aus meiner Bildungs- und Lebens-Geschichte zum Andenken an mein 50 jähriges Jubiläum. Den Theilnehmenden gewidmet, Heidelberg/Leipzig 1839. 12 Siehe ThHStAW Bestand A: Fürstenhaus und Hofwesen, Universität Jena, Kunst und Wissenschaft. 13 Siehe UAJ unter der Signatur J. 14 Vgl. Magdalena Herbst, Karl von Hase als Kirchenhistoriker (BHTh 167), Tübingen 2012, 71. 15 Keine Berücksichtigung finden die in den Vorlesungsverzeichnissen angezeigten Veranstaltungen der Extraordinarien.
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C. Döderleins Wirken in Jena
semesters 1782/1783.16 Fast ein halbes Jahr später beschrieb Döderlein seinem Altdorfer Kollegen Will in einem Brief, wie er seinen Zustand in den ersten Monaten in Jena empfunden hat. Dieser Brief lässt erkennen, dass Döderlein mit enormen Anfangsschwierigkeiten und Enttäuschungen zu kämpfen hatte. Döderlein sprach davon, dass Jena nicht seiner „Denkart oder Erwartung angemessen“17 und „leer an allen Freuden“18 sei. Seiner Meinung nach könne Jena im Vergleich mit Altdorf nicht mithalten. Allein die Studenten seien besser, als er sie sich vorgestellt habe, wenn „auch nicht so leicht zur Liebe gegen ihre Lehrer beugsam“19 wie in Altdorf. Es war zwar der Gepflogenheit entsprechend, dass Döderlein seinem ehemaligen Kollegen gegenüber wertschätzend von Altdorf sprach, aber die Formulierungen in diesem und den folgenden Briefen gingen über das übliche Loben der alten Wirkstätte hinaus. Döderlein hatte eine große Sehnsucht nach Altdorf und nach seinen alten Freunden dort. Er fühlte sich in Jena nie so heimisch wie in Altdorf.20 Nach den Anfangsschwierigkeiten konstatierte Döderlein seit dem Jahresanfang 1783 eine positive Wendung seiner Lage: Er empfand Jena nun erträg16 Vgl. Brief von Döderlein an die Universität Jena, 9. Juli 1782, UAJ, A 458, 32v. Zu den Semesterzeiten siehe unten Kapitel C/II, 1.2. 17 Brief Döderleins an Will, 25.2.1783, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,11, [2]. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Vgl. Brief Döderleins an Will, aaO., [1]. – Diese Anfangsschwierigkeiten Döderleins schilderte auch der mit Döderlein befreundete Georg Theodor Strobel in einem Brief vom 7. Dezember 1782 an Christian Wilhelm Schneider: „H. Döderlein will es leider in Jena durchaus nicht gefallen und noch weniger seiner Gemahlin. Vielleicht sprechen sie aber über ein Jahr anders als jetzt. Doch fürchte, daß H. Döderlein sich verrechnet hat. Hatte er gleich in Altdorf nicht das Gehalt wie in Jena, so hatte er dort seine freie, gute Wohnung, Holz, Getreide, mehr als er brauchte, Lebensmittel von Beichtkindern, Mehl, Schmalz, Eier, Fleisch und was sonst mit einer Pfarre, die täglich etwas ins Hauswesen abwirft, verbunden ist. Aber in seiner neuen Stellung bekommt er bloß alle Vierteljahre etwas, das zu sehr auffällt.“ Wotschke, Aus Briefen Strobels, 240, Anm. 1. Ähnlich äußerte sich ebenfalls Eichhorn in einem Brief an den Göttinger Philosophen Michael Hißmann vom 15. November 1782: „Ubrigens ist auch Döderlein hier [in Jena] nicht recht vergnügt, weil er und seine Frau blos an die Nürnbergische Atmosphäre gewöhnt waren; wo der liebe Gott die Frau Pfarrerin mit Butter, Eyern und was sonst zur Leibes Nahrung und Nothdurft gehörte, von den Bauerhöfen, wie die Israeliten in der Wüste mit Manna vom Himmel, segnete: und hier der Frau Professorin niemand ohne baares Geld Küche und Keller füllen will! […] Und vielleicht glaubt auch Hr. D[öderlein] hier nicht genug geehrt zu seyn. In Altdorff wurde er freilich halb angebetet; sie haben ihn dort als den Gesalbten des Herrn entlassen: hier ist nun nicht das fac totum; die Studenten sind hier an eben so gute Dinge gewöhnt gewesen, als er ihnen vorsetzen kan: vielleicht hat er also mehr erwartet, als er gefunden hat, ob er gleich mit einer allgemeinen Freude hier aufgenommen worden ist.“ (Hervorhebung von Eichhorn). Michael Hissmann, Briefwechsel, hg. v. Hans-Peter Nowitzki u. a. (Werkprofile. Philosophen und Literaten des 17. und 18. Jahrhunderts 8), Berlin/Boston 2016, 190. – Schlichtegroll konnte daher resümierend festhalten: „Daher liebte er [Döderlein] auch Altdorf bis an seinen Tod, schrieb öfters noch an auswärtige Freunde, dass er sein liebes Altdorf nicht vergessen könne, und rühmte die dortige Universität bey jeder Gelegenheit, die sich ihm darbot, selbst öffentlich; ja, er schickte sogar noch seinen ältesten Sohn von Jena aus dahin, um dort eine Zeitlang zu studiren.“ Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 112.
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licher.21 Allerdings schätzte der Theologe seine Situation trotzdem nach wie vor ambivalent ein, was sich exemplarisch an seinem Schreiben an den Geheimen Rat Jakob Friedrich Fritsch vom Februar 1784 zeigen lässt: Döderlein sprach ihm gegenüber von „unangenehme[n] und niederschlagende[n] Erfahrungen“ in Jena, aber auch von der Belohnung durch den „auszeichnenden Beyfall und [der] Liebe der Studierenden“.22 War der Wechsel von Altdorf nach Jena für Döderlein daher mit gemischten Gefühlen verbunden, so waren die ernestinischen Höfe dem entgegen äußerst zufrieden mit Döderleins Ortsveränderung. Sie sahen in Döderlein einen Professor, der für den Ruf und das Ansehen der Universität Jena sehr nützlich war und wollten ihn deshalb für eine möglichst lange Zeit an Jena binden. Als Döderlein im Frühjahr 1784 einen Ruf nach Göttingen erhielt und zusätzlich die Sorge bestand, Döderlein könnte bei einer Vakanz die erste Professorenstelle in Altdorf angetragen werden,23 versuchten die Erhalter deshalb mit einer großen Dringlichkeit, Döderlein von einem Verbleib in Jena zu überzeugen. Döderlein, der „Jena dießmal noch vor[]ziehen“24 wollte, nutzte dieses Werben um seine Person, um seinen Status in Jena aufzubessern: Für das Ablehnen des Göttingischen Rufes erhielt er eine Gehaltserhöhung von 150 Reichstalern und den Titel des Geheimen Kirchenrates.25 Trotz dieser Anerkennung seitens der Nutritoren schrieb Döderlein in den Briefen an Will aus dem Jahr 1785 von nicht mehr nur einer ambivalenten, sondern vielmehr von einer kritischen Lage. Die Beziehung zu einigen seiner Professorenkollegen gestaltete sich als äußerst problematisch. Döderlein fühlte sich Feindseligkeiten ausgesetzt, die er vor allem mit dem Neid auf seine Zustimmung bei den Studenten begründete.26 Obgleich er es Will gegenüber nicht explizit erwähnte, resultierten die Feindseligkeiten unter den Professoren auch aus deren unterschiedlichen Vorstellungen über universitätspolitische Fragen. Im Senat war man aufgrund der Frage, wie mit den studentischen Orden verfahren werden sollte, unsäglich zerstritten.27 Angesichts dieser belasteten Verhältnisse trauerte Döderlein nach wie vor seinen Freunden in Altdorf nach.28 In 21 Vgl. Brief Döderleins an Will, 25.2.1783, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,11, [1]. 22 Brief Döderleins an Fritsch, 25.2.1784, GSA 20/10, 3v. 23 Vgl. Sachsen-Gotha-Altenburg an Sachsen-Weimar-Eisenach, 3.5.1784, ThHStAW, A 6145, 242v. 24 Brief Döderleins an Will, 13.7.1784, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,14, [2]. 25 Vgl. Dankschreiben Döderleins an Carl August, ThHStAW, A 6145, 246–247. – Griesbach, der als Primarius der Theologischen Fakultät nicht zurückgesetzt werden sollte, bekam diesen Titel zeitgleich mit Döderlein zugesprochen. Als Griesbach auch noch das Versprechen ablegte, Jena nie aufgrund eines auswärtigen Rufes zu verlassen, erhielt er im September 1784 eine Besoldungszulage. Vgl. ThHStAW, A 6145, 250 und ThHStAW, A 6146a, 11. 26 Vgl. Brief Döderleins an Will, 7.10.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,18, [1 f.]. 27 Dazu siehe unten Kapitel C/I, 3.1. 28 Vgl. Brief Döderleins an Will, 7.10.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,18, [2]. Bereits im September 1784 hatte Döderlein an Will geschrieben, dass seine „vergnügten gesell-
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dieser für Döderlein unzufriedenen Situation erhielt er erneut die Möglichkeit, Jena zu verlassen, da ihm Professuren an den Universitäten in Helmstedt und in Gießen zu sehr guten Konditionen angeboten wurden. Trotz seiner Probleme in Jena nahm Döderlein diese Angebote jedoch nicht an, da er „fast aengstlich von Weimar aus gebetten [sic] wurde“ an der „Salana“ zu bleiben, wie er an Will schrieb.29 In Weimar hatte man die Befürchtung, diesen berühmten und der Universität zu neuem Glanz verhelfenden Theologen wieder zu verlieren. Deshalb wurde sowohl in einer persönlichen Unterredung mit dem Geheimen Rat Christian Friedrich Schnauß als auch in einem Schreiben des Geheimen Consiliums an Döderlein eindringlich an ihn appelliert, „Jena nicht die Kränckung wiederfahren [zu] lassen“30, indem er einen anderen Ruf annehme. Es wurde betont, wie unentbehrlich er für die Universität sei und wie sehr er von den Fürsten geschätzt werde. Daneben wurden ihm erneut finanzielle Zulagen versprochen, die seinem Bleiben in Jena einen weiteren Anreiz geben sollten.31 Die Weimarer Regierung brachte zusätzlich die Hoffnung zum Ausdruck, Döderlein werde in Zukunft sofort jeden weiteren Ruf ausschlagen. Diese Hoffnung erfüllte Döderlein insofern, dass er die an ihn im August 1785 ergangenen Anfragen Darmstadts und Braunschweigs unverzüglich ablehnte.32 Blieb er Jena auch treu, so änderte sich seine Lage gegenüber den Kollegen keineswegs. Selbst ein in Jena unter den Professoren installierter „Club“ brachte Döderlein seinen Kollegen nicht näher. Döderlein schrieb darüber an Will im Dezember 1787: „Wir haben unsern sogenannten Club an unserm neuen Gebäude [Rosensaalgebäude] angefangen, kommen am Sonntage zusammen, speisen miteinander, und gehen, nachdem jeder sich mit seinem Häufgen unterhalten hat, wieder auseinander.“33 schaftl. Stunden“ in Jena etwas seltenes seien und es keine „offene[n] Herzen“ gebe. Brief vom 29.9.1784, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,15, [1]. 29 Brief Döderleins an Will, 7.10.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,18, [1]. 30 Geheimes Consilium an Döderlein, Konzept, 13.8.1785, ThHStAW, A 6145, 251r. 31 Vgl. Geheimes Consilium an Döderlein, aaO., 251. – Döderlein erhielt letztendlich 800 Reichstaler, wovon 300 Reichstaler Extrabesoldung waren. Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 510, Anm. 49. 32 Vgl. Brief Döderleins an Schnauß, 15.8.1785, ThHStAW, A 6145, 253v. 33 Brief Döderleins an Will, 10.12.1787, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,21, [3]. Dazu auch Pol Schmoetten, Aspekte des Lebens in Jena im Sommer 1792. Einführung zum Verständnis der Briefe an die Eltern (in: Immanuel Carl Diez. Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegründung in der Glaubenskrise Tübingen-Jena [1790–1792], hg. v. Dieter Henrich, Stuttgart 1997, 1033–1051), hier 1040. Schmoetten konstatiert, dass sich das gesellschaftliche Leben Jenas, bei dem es anders als in Weimar weniger offizielle Anlässe gab, vor allem in Bekannten- und Freundeskreisen abspielte. Ebd. – Dass zu dieser Professorenzusammenkunft auch ausgewählte Studenten geladen wurden, beschrieb Schiller in einem Brief an Christian Gottfried Körner: „Von den Anstalten zur Geselligkeit in Jena habe ich auch ein Probe gesehen. Es ist dort von halbem Jahr zu halbem Jahr ein Clubb unter den Profeßoren veranstaltet, wozu auch eine Auswahl von Studenten gezogen wird. Zuweilen werden Concerte oder auch Bälle gegeben. […] Man bezahlt halbjährig 8 Thaler, wofür man 25mal zu Abend ißt, versteht sich,
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Für Döderlein konnte diese Zusammenkunft der Professoren jedoch nicht mit dem Club in Altdorf mithalten – in Jena sei es kein „Harmonieklub“ und es seien keine „Gelehrte[n]“ wie in Altdorf anwesend. Es sei allein eine „Gelegenheit sich zu sprechen“.34 Döderlein fühlte sich im Jahr 1787 in Jena äußert unwohl. Das hing nicht nur mit dem belasteten Verhältnis zu vielen seiner Kollegen zusammen, sondern gleichermaßen mit dem Tod seiner Frau Rosina Maria am 2. März 1787. Sie war „nach einer langwierigen und beschwerlichen Krankheit“35 gestorben. Die Briefe an Will aus diesem Jahr haben daher einen depressiven Charakter: „[a]lles um mich einsam, alles schweigend, alles verschlossen oder kalt“36; „mein Blick ist trüb, mein Geist umwoelckt“37. Döderlein konstatierte im Dezember 1787 außerdem nicht nur seine eigene problematische Lage, sondern ebenso, dass die Umstände in Weimar „nicht mehr [so] glaenzend [seien] wie einst“38: „Musaeus, dessen Laune unerschoepflich war, starb; Goethe lebt in Rom, wo er Mahlereyen verfertigt; Wieland wird allmaehlig stumpf; Bertuch hat hypochondrische Stunden, wie ich“.39 Auch das Jahr 1788 wurde für Döderlein kein besseres Jahr. Im Gegenteil: Das folgende Kapitel zeigt, dass die Situation für Döderlein in Jena aufgrund des Zwistes mit seinem Kollegen Eichhorn so unerträglich wurde, dass er unmittelbar davor stand, Jena zu verlassen und eine erneute Berufungsanfrage Göttingens an ihn anzunehmen. 2. Das Beziehungsgefüge der Jenaer Theologen 2.1. Döderlein und Griesbach Döderlein beschrieb in den oben vorgestellten Briefen an Will das Verhältnis zu seinen Kollegen generell als schwierig. Über seine Beziehung zu Griesbach äußerte er sich dabei allerdings nicht. Neben den Briefen Döderleins an Will liegen bisher leider keine weiteren Quellen vor, welche einen näheren Aufschluss über daß man für den Wein besonders zu sorgen hat. Ich habe auch abonnirt, ohne mir übrigens viel Vergnügen zu versprechen. Es ist eine Ersparniß von Zeit, weil man hier viele Sachen abthun kann, die man sonst zu Hause auf dem Hals hätte.“ Schiller an Christian Gottfried Körner, 26.3.1789 (in: NA 25, Nr. 162, 229–232), hier 230. 34 Brief Döderleins an Will, aaO., [3]. – Ganz anders ist die Darstellung im Nekrolog. Schlichtegroll behauptete, Döderlein sei in Jena ein unterhaltender Gesellschafter gewesen, der in vielen Zirkeln sehr beliebt gewesen sei. Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 119. Passender erscheint eher die Einschätzung von Paulus, Döderlein habe in seinen letzten Lebensjahren mehr in seinem häuslichen Kreis zurückgezogen gelebt. Vgl. Paulus, Skizzen, 4. 35 Siehe die Traueranzeige, die Döderlein an Will schickte: NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,19. – Döderlein ließ das Abschiedsgedicht an seine Frau drucken: Johann Christoph Döderlein, Am Grabe seiner geliebten Gattin Rosina Maria Döderlein, geb. Merklein, Jena [1787]. 36 Brief Döderleins an Will, 10.12.1787, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,21, [2]. 37 Ebd. 38 Brief Döderleins an Will, aaO., [3]. 39 Ebd.
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die Verbindung beider geben könnten. Es kann nur anhand eines Briefes Döderleins an Griesbach aus der Altdorfer Zeit konstatiert werden, dass zwischen beiden einmal ein freundschaftlich-kollegiales Verhältnis existiert haben muss.40 Ferner war es bei Döderleins Berufung vornehmlich Griesbach, der sich für Döderlein einsetzte.41 Döderlein wiederum hatte auch aufgrund der Freundschaft mit Griesbach den Ruf nach Jena angenommen.42 Wie sich diese Beziehung allerdings entwickelte, als Döderlein ein direkter Kollege von Griesbach wurde, kann mittels eines Schreibens von Eichhorn an den Göttinger Philosophen Michael Hißmann nur vermutet werden. Der damals noch nicht mit Döderlein zerstrittene Eichhorn43 schrieb im November 1782, also kurz nachdem Döderlein nach Jena gekommen war: „Unsre theologische Facultät ist nun wieder hergestellt; nur (unter uns gesagt) ist es Schade, daß die Innhaber derselben sehr früh mit einander nicht vergnügt sind. Döderlein wird von ihnen unter den Augen ihrer Freunde eines gränzenlosen Geitzes und eines gränzenlosen Stolzes beschuldiget. […] Es ist aber doch sonderbar, daß die geistlichen Herren sich nirgends recht vertragen können.“44
2.2. Döderlein und Eichhorn: Das Problemjahr 1788 Im Unterschied zum Verhältnis von Döderlein und Griesbach lassen sich über die Beziehung von Döderlein und Eichhorn differenziertere Aussagen treffen. In der Forschungsliteratur findet sich darüber meist die Anmerkung, dass Eichhorn die Universität Jena 1788 verlassen und einen Ruf nach Göttingen angenommen habe, weil er den Anfeindungen Döderleins entgehen wollte.45 In diesen Darstellungen gilt zumeist Döderlein, dem ein schwieriger Charakter nachgesagt 40 Vgl. Döderlein an Griesbach, 20.10.1778, GSA 33/192,1. – Döderlein formulierte außerdem in seiner Schrift „Ueber die christliche Fürbitte“ von 1781 (siehe Kapitel D/III, 2.), dass er „Jerusalem, Spalding, Nösselt – Leß – Griesbach!“ gegenüber ein „Herz voll inniger Bruderliebe“ habe, denen er zudem „Aufklärung und Erbauung“ zu verdanken habe. Johann Christoph Döderlein, Ueber die christliche Fürbitte, Jena 1781, 11. 41 Siehe Kapitel B/II, 5. 42 Vgl. Wotschke, Aus Briefen Strobels, 240. 43 Eichhorn schrieb in dem Brief, dass er über Döderlein noch nicht urteilen wolle und als „ruhiger Zuschauer“ dastehe. Hissmann, Briefwechsel, 190. 44 Ebd. 45 Vgl. Frank, Jenaische Theologie, 88 f. So auch: Böhme, 350 Jahre Jenaischer Theologie, 29; Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät, 197; Herbert Koch, Kleine Beiträge zur Universitätsgeschichte (Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 6, 1956/1957, 745–757), hier 745; Gerhard Müller, Perioden Goethescher Universitätspolitik (in: Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2], hg. v. Gerhard Müller/K laus Ries/Paul Ziche, Stuttgart 2001, 135–153), hier 143. – Als unzureichend erweist sich die Aussage Leders, Eichhorn wäre Döderlein zugetan gewesen. Vgl. Leder, Universität Altdorf, 238.
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wird, als Urheber des belasteten Verhältnisses.46 In nur wenigen Abhandlungen wird kurz der Anteil Eichhorns an diesem Konflikt benannt, wie etwa bei Gustav Frank („[d]er […] auch nicht ränkelose Eichhorn“47) oder bei Rudolf Herrmann („[Eichhorn war] recht wenig verträglich“48). Was wirklich das Problem zwischen den beiden Gelehrten war, wird in diesen Untersuchungen nicht dargelegt. Erst die verschiedenen Quellentexte, wie Briefe und Akten, lassen erkennen, dass das Problem sehr vielschichtig war. Zur näheren Untersuchung des Problems bietet sich besonders das Jahr 1788 an. Es ist das Schlüsseljahr in der Beziehung von Döderlein und Eichhorn, weil in diesem Jahr der Streit zwischen beiden eskalierte und eine endgültige Trennung der beiden Gelehrten erfolgte. Anlass für den Konflikt zwischen Döderlein und Eichhorn war ein Streit zwischen der Theologischen und der Philosophischen Fakultät über die venia legendi für den Magister M. Schmitz. Die Philosophische Fakultät hatte Schmitz die venia legendi verweigert, während die Theologische Fakultät ihm diese erteilt hatte. Beide Fakultäten stritten sich heftig darüber, wer im Recht oder vielmehr im Unrecht war.49 Döderlein sprach in diesem Zusammenhang vom „Krieg“ beider Fakultäten.50 Auf Seiten der Theologischen Fakultät stritt hauptsächlich Döderlein für Schmitz, da Döderlein ihn noch aus seiner Altdorfer Zeit kannte, und dieser ihn um die Unterstützung seines Anliegens gebeten hatte.51 In der Schilderung dieses Vorfalls an Will bezichtigte Döderlein seinen Kollegen Eichhorn als die „Triebfeder“ des „ganze[n] Spektakel[s]“, „der nur Gelegenheit gesucht“ habe, die „geheime Gaehrung oeffentlich ausbrechen zu lassen“ und sich dabei „andrer Maschienen zu bedienen“.52 Für Döderlein stand fest, 46 So beispielsweise bei Böhme, aaO., 29 und Frank, aaO., 88. Schon Herder schrieb parteiergreifend für seinen Freund Eichhorn 1788 an Carl August, dass „beim Zwist zwischen Döderlein u[nd] Eichhorn“ „immer [Döderlein] der anmaassende gewesen“ sei, „der seines Ruhms keine Grenzen zu wißen“ scheine. Herder an Carl August, März 1788 (in: Johann Gottfried Herder, Briefe. 5. Bd.: September 1783 – August 1788, bearb. v. Wilhelm Dobbek/Günter Arnold [Johann Gottfried Herder. Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803], Weimar 1979, Nr. 273, 280). 47 Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 114. 48 Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte, 328. Ähnlich formuliert es auch Hartung, der behauptet, Eichhorn habe fachliche Gegensätze nicht „durch persönlich maßvolles Auftreten zu mildern verstanden“ gewusst. Hartung, Das Großherzogtum Sachsen, 150. 49 Näheres zu diesem Streit aus der Perspektive von Döderlein siehe der Brief von Döderlein an Will, 22.7.1788, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,22, [2]. Aus der Sicht von Herder siehe der Brief Herders an Carl August vom März 1788 (in: Herder, Briefe. 5. Bd., Nr. 273, 280). Verwiesen sei ferner auf die Briefe und Schriften zu diesem Thema in den Dekanatsakten der Theologischen Fakultät (UAJ, J 19, 3–14.17–23) und der Philosophischen Fakultät (UAJ, M 189, 22–76.80–97.99.100). – Der exakte Vorname des Magisters Schmitz lässt sich anhand dieser Quellen nicht ermitteln. In den Quellen wird entweder von „Hrn. Mag. Schmitz“ oder „Hrn. M. Schmitz“ gesprochen. Auch ein von Schmitz überlieferter Brief in der Dekanatsakte der Theologischen Fakultät ist nur mit dem Kürzel „M.“ versehen. 50 Brief Döderleins an Will, 22.7.1788, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,22, [2]. 51 Vgl. ebd. 52 Ebd.
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dass Eichhorn der eigentliche Akteur des Streits war. Eichhorn wurde von ihm als ein im Hintergrund agierender „Strippenzieher“ dargestellt, der die Gelegenheit nutze, um die bis dahin unterschwelligen Konflikte aufbrechen zu lassen. Allerdings gab Döderlein auch zu, dass er selbst Anteil an diesem Streit habe. Ihm war bewusst, dass seine Äußerungen aufgrund seines hitzigen Temperaments „heftig“ und „beleidigend“ wirken konnten.53 Für Döderlein war diese Situation so unerträglich, dass er das Angebot Göttingens, die dritte Stelle an der Theologischen Fakultät zu erhalten, in Betracht zog und Bedingungen für einen Wechsel nach Göttingen schickte.54 Diese Bedingungen wurden ihm „über alle [seine] Erwartung gröstentheils genehmigt“55, so dass Döderlein entschlossen war, den Ruf anzunehmen. Als jedoch der Streit mit der Philosophischen Fakultät durch die Vermittlung des Gothaischen Hofes beigelegt und die Tatsache bekannt wurde, dass Eichhorn ebenso einen Ruf nach Göttingen erhalten habe, änderte sich die Situation für Döderlein schlagartig. Döderlein stellte Göttingen nun die Bedingung, nur dann an diese Universität zu wechseln, wenn die Berufung Eichhorns zurückgenommen werde. Diese Forderung verweigerte Göttingen allerdings, so dass Döderlein die bereits ausgestellte Vokation ablehnte.56 Er wollte auf keinen Fall erneut mit Eichhorn an einer Universität lehren, „um nicht wieder in solche unangenehmen Verhaeltnisse zu kommen“57. Anders als Eichhorn blieb Döderlein demzufolge in Jena. Der Konflikt zwischen Döderlein und Eichhorn eskalierte zwar bei diesem Streit über den Fall Schmitz, hatte allerdings schon eine längere Vorgeschichte. Döderlein selbst sprach von den „Gaehrungen“, die nun durch den Streit öffentlich wurden. Er schrieb ferner an Will, dass „die vorher enge Freundschaft“ zwischen Eichhorn und ihm „schon seit drey Jahren“ gebrochen sei,58 was auf ein vormals besseres Verhältnis schließen lässt.59 Aber was genau führte zum Bruch? Johann Wolfgang von Goethe äußerte, dass sich der Zwist erst aus der Unvorsich53 Ebd. – Deshalb wurde im Nekrolog formuliert, dass Döderlein die Lebhaftigkeit seines Temperaments gefährlich werden konnte. Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 135. 54 Vgl. Döderleins Schilderung an Will vom 22.7.1788, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,22, [2]. Ähnlich begründete Döderlein sein Vorgehen auch in einem Schreiben an den Geheimen Rat Schnauß vom 7. Juli 1788: Er (Döderlein) habe zwar sonst Anträge anderer Universitäten immer gleich abgelehnt, aber da ihn der Streit mit der Philosophischen Fakultät so belaste, überlege er, den Ruf nach Göttingen anzunehmen. Vgl. ThHStAW, A 6145, 255r. – Zum Schriftverkehr zwischen Döderlein und Schnauß bezüglich des Göttinger Rufes sei verwiesen auf ThHStAW, A 6145, 255–263. 55 Brief Döderleins an Schnauß, 7.7.1788, ThHStAW, A 6145, 255r. 56 Vgl. Brief Döderleins an Will, 22.7.1788, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,22, [2 f.]. Vgl. auch der Bericht Heynes an Herder, der im Auftrag des Ministeriums in Hannover mit Döderlein verhandelte. Vgl. Arnold (Hg.), Johann Gottfried Herder. Kommentar zu den Bänden 4–5, 541. 57 Brief Döderleins an Will, aaO., [3]. 58 Ebd. – Allerdings sprach Döderlein in Briefen an Will vorher nie von seinem „engen Freund Eichhorn“. Diese Formulierung findet sich hier das erste Mal. 59 Trotz der Entzweiung und des Streits äußerte Döderlein gegenüber Will, dass ihm „Eich-
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tigkeit im Sprechen voneinander und dann im Hetzen übereinander entwickelt habe.60 Es können auch die unterschiedlichen Standpunkte in der Universitätspolitik gewesen sein.61 Genauere Aussagen lassen sich aufgrund der Quellenlage nicht treffen. Allerdings können einige Beobachtungen festgehalten werden: Döderlein und Eichhorn beschäftigten sich mit ähnlichen Themengebieten, wie beispielsweise mit dem Propheten Jesaja. Beide stellten die später als „Deuterojesaja“ bezeichnete These auf, dass es sich bei Jes 40–66 nicht um Texte aus der vorexilischen Zeit handeln könne.62 Es war allerdings Eichhorn, der „die erste zusammenhängende Darstellung des Problems und seiner Lösung“ formulierte.63 Eichhorn verwies in seiner Darstellung auf andere Gelehrte, die schon ähnliche Vermutungen geäußert hatten, und hob hier besonders den Göttinger Theologen Johann Benjamin Koppe hervor. Döderlein nannte er nicht.64 Das geschah nicht aus Unwissenheit, sondern vermutlich aus Konkurrenzdenken.65 Aus der Sicht Döderleins musste dies eine Missachtung sein, welche die Beziehung sicherlich belastete. Demgegenüber fühlte sich Eichhorn als Professor an der Philosophischen Fakultät im Vergleich zu den beiden Theologieprofessoren Griesbach und Döderlein zurückgesetzt. Eichhorn schrieb am 10. August 1783 an Herder: „Ich habe nur gewünscht Griesbach und Döderlein an fixem Gehalt gleich gesetzt zu werden, weil ich doch nicht absehn kann, warum ich so tief unter ihnen stehen soll“.66 Er wollte sich auch nicht an Jena binden, obgleich ihm die Höfe ein Angebot gemacht hatten, dass er bessere Bedingungen erhalten könnte, wenn er wiederum garantiere, Jena nie zu verlassen.67 Dass Eichhorn 1788 den Ruf nach horns Abzug [aus Jena] empfindlich“ falle und er sich deshalb frage, ob das aus dem „Gefühl der vorigen Freundschaft“ resultiere. Ebd. 60 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Massnahmen zur Verbesserung der Universität Jena, November 1788 (in: Goethes amtliche Schriften, Veröffentlichung des Staatsarchivs Weimar, 2. Bd., Die Schriften der Jahre 1788–1819. 1. Halbband 1788–1797, bearbeitet v. Helma Dahl, Weimar 1968), 137. 61 Dazu siehe unten Kapitel C/I, 3.1. 62 Siehe Kapitel A/II, 1. 63 Smend, Deutsche Alttestamentler, 32. 64 Vgl. Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, 3, 76. – Dabei hatte sich Koppe im Gegensatz zu Döderlein nur sporadisch zu Einzeltexten in diese Richtung geäußert. Vgl. Smend, aaO., 31. 65 Vgl. Smend, aaO., 31. 66 Eichhorn an Herder, 10.8.1788 (in: Von und an Herder, Nr. 17, 280 f.), hier 281. Eichhorn sprach hier einen Konflikt an, der Ausdruck der Emanzipationsbewegung der Philosophischen Fakultät gegenüber den drei höheren Fakultäten war. Im Zuge der Ausdifferenzierung der Fächer und der Entwicklung der Philosophie zu einer eigenständigen Disziplin im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde zunehmend gefordert, mit den anderen Fakultäten gleichgesetzt zu werden. Vgl. Marian Füssel, Organisationsformen, Rituale und Rangstreitigkeiten (in: Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576–1810. [Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 92], hg. v. Jens Bruning/Ulrike Gleixner, Wiesbaden 2010, 88– 97), hier 93. 67 Vgl. Eichhorn an Herder, ebd. Eichhorn äußerte sich über dieses Angebot: „[S]o will ich
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Göttingen annahm, ist also nicht allein dem Zwist mit Döderlein zuzurechnen – vielmehr war die „Salana“ für ihn von vornherein nur eine Zwischenstation. 2.3. Griesbach verhindert die Rückberufung Eichhorns nach Jena Döderleins Schwierigkeiten mit Eichhorn waren nicht nur sein individuelles Problem. Denn zwischen den im gleichen Jahr nach Jena berufenen Gelehrten Griesbach und Eichhorn herrschte ebenso ein angespanntes Verhältnis, was sich exemplarisch an drei Begebenheiten zeigen lässt. Als Beispiel für kleinere Dissonanzen lässt sich das Vorhaben Griesbachs heranziehen, Döderlein 1782 nach Jena zu berufen. Eichhorn wünschte sich auf Vorschlag seines Göttinger Lehrers Christian Gottlob Heyne, dass die vakante Stelle nicht mit Döderlein, sondern mit dem Moskauer Philologen Christian Friedrich von Matthäi besetzt werde. Für Griesbach kam dieser allerdings überhaupt nicht in Frage. Aus Sicht Herders, der Eichhorn in seinem Anliegen unterstützte, habe Griesbach „gute Ursache gehabt“68, Matthäi nicht zu wollen. Herder spielte hier darauf an, dass Matthäi, der sich wie Griesbach hauptsächlich mit der neutestamentlichen Textkritik beschäftigte, von Griesbach als potentieller Konkurrent empfunden wurde.69 Laut Herder wollte Griesbach mit der Berufung von Döderlein vielmehr Eichhorn einen Konkurrenten vorsetzen.70 Da Griesbach Herder zufolge „alles in Besitz genommen“ hatte, war „nichts zu thun“71 und es wurde nicht Matthäi, sondern Döderlein an die „Salana“ berufen.72 Gleichermaßen konnte sich Eichhorn bei der Neubesetzung der Ausfeldischen Stelle mit seinem Vorhaben, Matthäi diesmal nach Jena zu berufen,73 erneut nicht durchsetzen. Eichhorn äußerte sich deshalb in einem Brief an Herder abwertend über Griesbach und warf diesem vor, er wolle nur seine Monopolstellung beibehalten.74 lieber hier [in Jena] auf die bisherige zurückgesetzte Weise fortleben als meine Freiheit verkaufen und die Zeit abwarten, wo Gott alles besser machen wird.“ Ebd. 68 Brief Herders an Christian Gottlob Heyne, 24.5.1782 (in: Herder, Briefe. 4. Bd., Nr. 216, 219 f.), hier 219. 69 Vgl. Arnold (Hg.), Johann Gottfried Herder. Kommentar zu den Bänden 4–5, 209. 70 Vgl. ebd. 71 Herder an Eichhorn, 12.7.1782 (in: Herder, Briefe. 4. Bd., Nr. 222, 228). Siehe auch Delling, Griesbach, 91 f., Anm. 58. 72 Zu dieser Zeit schätzte Herder Döderlein allerdings noch als einen „verträgliche[n] Mann“ ein. Vgl. ebd. Später, im Streit zwischen Eichhorn und Döderlein, ergriff Herder eindeutig für den ersteren Partei. Siehe Anm. 46. Herder bekundete auch selbst mehrfach Interesse an Döderleins Stelle. 1788 bat er Carl August um Döderleins Stelle, falls dieser wirklich aus Jena weggehe. Vgl. Herder an Carl August, 26.2.1788 (in: Herder, Briefe. 5. Bd., Nr. 262, 268–271). Nach Döderleins Tod war es Herders Frau Caroline, die Goethe um Mithilfe bei dem Vorhaben bat, den Herzog davon zu überzeugen, Herder auf die vakante Stelle zu setzen. Vgl. Caroline Herder an Johann Wolfgang von Goethe (in: Johann Gottfried Herder, Briefe. 6. Bd.: August 1788 – Dezember 1792, bearb. v. Wilhelm Dobbek/Günter Arnold [Johann Gottfried Herder. Briefe. Gesamtausgabe 1763–1803], Weimar 1981, Anhang Nr. 22, 313 f.). Dazu auch Koch, Kleine Beiträge, 475 f. 73 Vgl. Eichhorn an Herder, 23.12.1782 (in: Von und an Herder, Nr. 12, 276 f.), hier 276. 74 Vgl. ebd.
I. Döderlein im universitären Verbund mit seinen Jenaer Kollegen
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Das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Eichhorn und Griesbach lässt sich zweitens anhand Eichhorns Reaktion auf seine Entlassung aus Jena zeigen. Eichhorn schrieb an Herder, dass er von Griesbach, der als Prorektor im Namen des Senats auf die Bekanntmachung von seiner Entlassung eingehen musste, eine „giftige Antwort“ erhalten habe.75 Eichhorns Reaktion darauf war: „Wohl mir, daß es das letzte Gift ist, womit er mit seinem Gelichter mich anhaucht.“76 Am deutlichsten wird die angespannte Beziehung zwischen den beiden Gelehrten allerdings im dritten Punkt: bei der Frage nach der Neubesetzung der dritten theologischen Professur nach Döderleins Tod 1792. Obgleich Griesbach Eichhorn im Denominationsschreiben der Theologischen Fakultät mit keinem Wort erwähnte,77 schlug auf Initiative des Gothaischen Herzoges Ernst sein Minister Sylvius Friedrich Ludwig v. Frankenberg vor, Eichhorn nach Jena zurückzuholen. Denn Döderlein, wegen dem Eichhorn Jena verlassen habe, sei doch tot. Ebenso befürwortete es Herder, seinem Freund Eichhorn die vakante Stelle anzutragen.78 Die Weimarer Regierung war dem gleichermaßen nicht abgeneigt und forderte deshalb von Griesbach, dass er noch ein Gutachten über den Helmstedter Professor Heinrich Philipp Konrad Henke und den nun in Göttingen lehrenden Eichhorn schreiben solle, deren Fehlen sie im Denominationsschreiben bemängelten.79 Griesbach verfasste daraufhin das angeforderte Gutachten80 und führte darin fachliche Gründe an, warum Eichhorn für die vakante Stelle an der Theologischen Fakultät nicht in Frage komme. Sein Hauptargument war Eichhorns theologische Schwerpunktsetzung, die Exegese. Dieses Fachgebiet sei in Jena durch Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, den Nachfolger Eichhorns, und ihn selbst schon ausreichend besetzt. Es sei vielmehr ein Theologe nötig, dessen Hauptgebiet in der Dogmatik, Pastoraltheologie und Moral liege und der darüber Vorlesungen halten könne, um keine theologische Disziplin zu vernachlässigen. Die Abdeckung dieser Disziplinen könne Eichhorn aber nicht leisten.81 75 Eichhorn an Herder, 22.7.1788 (in: Von und an Herder, Nr. 39, 298 f.), hier 298. 76 Ebd. 77 Vgl. Denominationsschreiben der Theologischen Fakultät, 10.12.1792, UAJ, J 28, 11–12. 78 Vgl. Koch, Kleine Beiträge, 746. – Siehe der Brief Frankenbergs an Voigt, 31.12.1792, ThHStAW A, 6146, 20: „Niemand weiß es besser als Ihr gnädigster Herr u[nd] H[err] G[eheimer] R[at] v[on] Goethe. Der Haupt Umstand ist gestorben und begraben – Requiescat in pace! Ich wette, er kommt, Eichhorn, wenn wir ihn rufen“. (Hervorhebung von Frankenberg). 79 Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an die Theologische Fakultät, 11.1.1793, UAJ, J 28, 14. 80 Gutachten von Griesbach, 14.1.1793, UAJ, J 28, 16r–20v [zu Eichhorn]. 81 Vgl. Gutachten von Griesbach, aaO., 17v–19v. – Mögliche Einwände, Eichhorn könne sich in diese Fachgebiete einarbeiten und er habe auch schon privat in Göttingen über die Dogmatik gelesen, wurden von Griesbach sofort widerlegt. Seiner Meinung nach könne sich Eichhorn zwar mit anderen theologischen Disziplinen vertraut machen, aber dafür sei zum einen sehr viel Hintergrundwissen nötig und zum anderen sollte man an einem solchen Fach selbst Interesse haben. Griesbach unterstellte jedoch, dass Eichhorn keinerlei Vorliebe für das dogmatische Fach habe. Und nur weil Eichhorn schon einmal Dogmatik gelesen habe, worüber man allerdings nichts genaues wisse, bedeute das nicht, dass er für dieses Fach hinreichend geeignet sei. Vgl. Gutachten von Griesbach, aaO., 19r–20r.
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Selbst wenn Eichhorn eine Vorlesung zur Dogmatik anbiete, so schätzte Griesbach ihn derartig ein, dass ihm in der Lehre der Spagat nicht gelingen würde, zwischen „den Bedürfnißen und Fortschritten des Zeitalters“ und den „Bedürfnißen“ der ausländischen Studenten (zum Beispiel der Ungarn, Siebenbürger und Livländer), deren Kirchenleitungen zum großen Teil „noch Liebhaber der ältern mehr scholastischen Vorstellungsart der Dogmatik“ seien, zu vermitteln.82 Griesbach hatte Sorge, dass Eichhorn zu progressive Vorlesungen halten könnte. Aus diesen Gründen, so rechtfertigte Griesbach sich, habe er Eichhorn, „den wir als talentvollen Gelehrten von ausgezeichneten Verdiensten und überdies als gewesenen Collegen und alten Freund sehr werth schätzen“83, nicht in das Denominationsgutachten aufgenommen. Wie wenig Griesbach dazu geneigt war, seinen offiziell „alten Freund“ Eichhorn eine Stelle in der Theologischen Fakultät anzubieten, beschrieb Paulus in einem Brief an den Orientalisten und Alttestamentler Christian Friedrich Schnurrer im Januar 1793: „Griesbach wünscht sehr einen unbescholtenen Theologen, am allerwenigsten Freund Eichhorn.“84 Dass Eichhorn letztendlich nicht nach Jena zurückberufen wurde, lag aber nicht nur an Griesbachs Widerspruch,85 sondern gleichermaßen an Eichhorns Forderung, sein Göttinger Gehalt von 1400 Reichstalern auch in Jena zu erhalten (zum Vergleich: Döderlein hatte – alle Zulagen mit eingerechnet – 800 Reichstaler erhalten).86 Das war für die Nutritoren „zu teuer“, wie Carl August an Geheimrat Schnauß formulierte, zumal jedes „Ding in der Welt seinen gewissen Werth [habe], der nicht […] überschritten werden [dürfe]“87. Aufgrund der sehr hohen Gehaltsforderung Eichhorns liegt die Vermutung nahe, die Paulus äußerte: „Für Eichhorn haben sich seine Freunde, besonders in Gotha – wahrscheinlich doch auf seine Veranlassung – sehr verwendet. Man sieht dies nicht für ernstlichen Willen von 82 Gutachten von Griesbach, aaO., 20v. – Dass das Argument, man müsse auf die nicht aus den Erhalterstaaten stammenden Studenten und deren theologische Hintergründe achten, durchaus seine Berechtigung hatte, belegt eine Auflistung der Studentenzahlen von Loder. Er listete für den Dezember 1792 399 Studenten an der Theologischen Fakultät auf, wovon nur 110 aus den Erhalterstaaten stammten und schon allein 81 Studenten aus den eben benannten Territorien kamen. Vgl. Brief von Loder an Sachsen-Weimar-Eisenach, abgedruckt bei Herbert Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten nach Nohra am 19. Juli 1792 (Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 5, 1955–1956, 445–457), hier 456. 83 Gutachten von Griesbach, aaO., 19r. 84 Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 197. 85 Brief Voigts an Carl August, 7.1.1793, ThHStAW, A 442a, 309v: „Dieser Widerspruch [von Griesbach] muß uns in der That in vielem Betracht von Gewicht seyn“. 86 Vgl. Brief Voigts an Carl August, aaO., 310r. 87 In dem Brief heißt es weiter: „Fleiß und Talente mussen allerdings belohnt werden, […] aber wo würde es endigen, wenn die Geh[ä]lter der Professoren so fort stiegen, wie in den letzten zehn Jahren.“ Brief Carl Augusts an Schnauß, 31.1.1793, ThHStAW, Hausarchiv A XIX, No. 111b, 23.
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Eichhorn an, hieher [sic] zu kommen, sondern in Göttingen seine Unentbehrlichkeit fühlbar zu machen.“88
Die zahlreichen Spannungen und Konflikte zwischen Griesbach, Döderlein und Eichhorn lassen erkennen, dass die Bezeichnung „johanneisches Dreigestirn“ für ihr Verhältnis nur eingeschränkt gelten darf. Zwar bildeten die drei Jenaer Professoren ein „Dreigestirn“, bezieht man diese Aussage darauf, dass es sich bei den drei Gelehrten um Aufklärungstheologen handelte, deren Verdienst es war, die Aufklärungstheologie in Jena zu etablieren. Für ihr zwischenmenschliches Verhältnis und ihre Zusammenarbeit kann das Bild eines „Kleeblatts“ oder „Dreigestirns“ jedoch nicht gelten. Ihre teilweise schwierigen Charaktere, ihre differierenden Vorstellungen bei universitären Belangen (wie bei der Neubesetzung von Stellen oder bei der Frage nach den Rechten der einzelnen Fakultäten), das Konkurrenzverhältnis und das finanzielle Ungleichgewicht bei der Besoldung verhinderten, dass diese drei Gelehrten ein harmonisches Gefüge bildeten. 2.4. Heinrich Eberhard Gottlob Paulus als Nachfolger Eichhorns Auf die durch den Weggang Eichhorns freigewordene Professur für orientalische Sprachen und Literatur in der Philosophischen Fakultät wurde 1789 Heinrich Eberhard Gottlob Paulus berufen. Paulus war den Professoren in Jena schon durch seine sogenannte literarische Reise89 bekannt, die den jungen Gelehrten unter anderem für sechs Wochen nach Jena geführt hatte. Rückblickend äußerte Paulus darüber in seinen „Skizzen“, dass er in dieser Zeit von Griesbach, Döderlein und Eichhorn im täglichen Umgang belehrt und von ihnen und anderen Professoren gut aufgenommen worden sei.90 Dieser erste Kontakt legte die Grundlage für eine dauerhafte freundschaftliche Beziehung zwischen den Professoren der Theologischen Fakultät und Paulus.91 Paulus, der in seinen Schriften und Briefen immer positiv und wertschätzend von seiner Jenaer Zeit und seinen dortigen Kollegen sprach, druckte in seinen „Skizzen“ an herausgehobener Stelle einen Brief Döderleins ab, in welchem Döderlein seiner Freude Ausdruck verlieh, Paulus als Kollegen zu gewinnen.92 Dieses freundschaftliche und 88 Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 197. 89 Dazu seine eigenen Schilderungen der Reise in den Skizzen (Paulus, Skizzen, 116– 123) sowie die Darstellung bei Hans Erich Bödeker, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus’ Tagebuch einer literarischen Reise (1787/1788). Eine Skizze (in: Dessau Wörlitz und Reckahn. Treffpunkte für Aufklärung, Volksaufklärung und Philanthropismus [Philanthropismus und populäre Aufklärung. Studien und Dokumente 9], hg. v. Hanno Schmitt/Holger Böning, Bremen 2014, 235–246). 90 Vgl. Paulus, Skizzen, 4. 91 Vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 96. 92 Vgl. Paulus, Skizzen, 3 f. Der abgedruckte Brief enthält folgenden Inhalt: „Ich will nicht der letzte seyn, der Ihnen mein theuerster Herr Professor! zur Vocation nach Jena Glück wünscht. Wie sehr dieser Ausgang der Sache Meinen Wünschen gemäss ist, wie innig ich mich freue, Sie nun bald als Collegen zu sehen und Ihre Freundschaft, von welcher Sie mir so schätzbare Versicherungen gegeben hatten, näher zu genüssen, und wie sehr ich hoffe, dass unsere
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kollegiale Verhältnis wurde auch nicht dadurch getrübt, dass Döderlein und Paulus Konkurrenten im selben Fach waren.93 Sie hielten beispielsweise beide Vorlesungen über Jesaja.94 Ebenso konnte eine unterschiedliche theologische Ausrichtung – Paulus vertrat einen von den Neologen skeptisch hinterfragten rationalistischen Standpunkt95 – der guten Beziehung zwischen Paulus und Döderlein und zwischen Paulus und Griesbach keinen Abbruch tun. Paulus schrieb nachträglich darüber: „Die von meinen Kollegen, welche den jungen Mann bei differenten Ansichten durch eine Fülle von Gelehrsamkeit und lange begründetes Ansehen irgend hätten drücken oder hindern können, waren zwar oft im Umgang scharfsinnig-strenge Beurteiler einzelner meiner Denkversuche; aber im ganzen, und besonders, wo es um Verteidigung der allgemeinen Denkfreiheit und der wissenschaftlichen Lehrfreiheit oder Gedankenmitteilung ankam, herzliche Beförderer und Beschützer meiner Tätigkeit. Griesbach namentlich, dieses Muster in gelehrter Unterscheidungskraft, wie in patriotischer Geschäftigkeit, war auch darin unübertrefflich, daß er bei Verschiedenheit gelehrter oder praktischer Überzeugungen seine Ansicht durch alle löbliche Mittel geltend zu machen suchte, dann aber, wenn etwas anderes überwog, nach dem Erfolge so rein parteilos sich betrug, wie wenn er nie dissentiert hätte.“96
Griesbach wurde von Paulus an dieser Stelle besonders hervorgehoben. Paulus bezeichnete ihn auch an anderer Stelle als den einflussreichsten der Jenaer Theologen auf ihn.97 Mit dem Rationalisten Paulus hatte man seitens der Theologischen Fakultät also einen Kollegen gewonnen, mit dem, trotz unterschiedlicher theologischer Standpunkte, ein ganz anderes Verhältnis als mit Eichhorn möglich war. Diese Erkenntnis bestätigt die Annahme, dass der Streit zwischen der Theologischen Fakultät (Griesbach, Döderlein) und Eichhorn vor allem auf zwischen menschlichen Animositäten beruhte und weniger auf fachlichen Differenzen, die wie die Beziehung zu Paulus zeigt, nicht zwangsläufig zum Bruch führen mussten.
Verbindung eine Quelle von den besten und dauerhaftesten Freuden dieses Lebens für mich seyn werde, das sagt Ihnen ein Brief, der doch nur Buchstabe ist, nicht genug; das sagt Ihnen lieber mein Blick, mein Herz, wenn Sie kommen. Nur will ich nicht versäumen, Ihnen den grossen und aufrichtigen Antheil zu bezeugen, den ich an ihrer Vocation nehme und an welchem – Patriotismus für die hiesige Akademie, die Empfindung des Werthes Ihrer edlen Freundschaft und (wenn ich’s sagen darf ) auch die Selbstliebe gleich grossen Theil nehmen“. (Hervorhebung durch Paulus). Paulus, aaO., 3. 93 Vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 178 f. 94 Vgl. Reichlin-Meldegg, aaO., 202. – Leder liegt daher mit seiner Behauptung, Paulus sei ein Neider Döderleins gewesen, der böse Gerüchte über Döderlein verbreitet habe, nicht richtig. Vgl. Leder, Universität Altdorf, 238. 95 Zum theologischen Rationalismus siehe Einleitung S. 4. 96 Paulus, Skizzen, 127. (Hervorhebung durch J. H.) 97 Vgl. Paulus, aaO., 4.
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Die Freundschaft von Paulus und Griesbach,98 die nach Paulus’ Weggang von Jena (1803) durch einen Briefwechsel forterhalten wurde,99 wurde auch dadurch nicht getrübt, dass sich Griesbach bei der Neubesetzung der döderleinschen Stelle gegen Paulus’ Übertritt von der Philosophischen zur Theologischen Fakultät positionierte: Für die Vergabe der vakanten Stelle waren verschiedene Theologen im Gespräch.100 Obgleich Griesbach eigentlich seinen Schüler Johann Philipp Gabler als Nachfolger Döderleins wünschte,101 hatte man sich letztlich auf den Rostocker Gelehrten Werner Karl Ludwig Ziegler geeinigt.102 Als dieser allerdings kurzfristig aufgrund gesundheitlicher Beschwerden absagte,103 überlegte man in Weimar und Gotha, Paulus auf die dritte Stelle zu berufen. Dagegen äußerte sich allerdings Griesbach und zwar vor allem aufgrund von Paulus’ rationalistischer theologischer Position. Ähnlich wie bei Eichhorn hatte Griesbach Sorge vor zu radikalen Äußerungen. Seiner Meinung nach brauche die Theologische Fakultät einen Lehrer, der Dogmatik und nicht nur Kritik der Dogmatik lese.104 Griesbach wünschte, „daß die höchste Wahl auf einen Mann gerichtet seyn möchte, der hell denkt und in keinem Stück hinter dem Zeitalter zurück ist, der aber in seinen Vorträgen die noch immer so nöthige Klugheit und Vorsicht zu beobachten weiß, und auch auswärts durch allzu freye Äusserungen seine theologische Existination bey dem großen Haufen nicht zweydeutig gemacht hat. Ein unverständiger Eiferer für alte Orthodoxie wäre uns eben so schädlich als lästig; aber noch nachtheiliger für die Akademie würde ein allzu vorlauter Neuerer seyn“105.
Griesbach begründete seine Haltung wie bei der möglichen Rückberufung Eichhorns mit der Rücksichtnahme auf die ausländischen Studierenden in Jena.106 Der Geheimrat Christian Gottlob von Voigt schrieb deshalb an Carl August: 98 Nicht nur die beiden Männer, sondern auch ihre Frauen waren eng miteinander befreundet. Vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 333. 99 Vgl. ebd. Der Briefwechsel, in dem sowohl private als auch fachliche Themen besprochen wurden, wurde bis zum Tod von Griesbach fortgesetzt und zeichnet sich durch einen freundschaftlich und vertraulichen Ton aus. Vgl. Reichlin-Meldegg, aaO., 370. 100 Zu Eichhorn siehe oben Kapitel C/I, 2.3. 101 Vgl. Koch, Kleine Beiträge, 746. – Gabler hatte von 1772 bis 1778 in Jena studiert und war seit 1785 Professor der Theologie in Altdorf. Vgl. G[eorg] E[duard] Steitz, Art. Gabler, Joh[ann] Philipp G. (ADB 8, 1787, 294–296), hier 294 f. 102 Paulus sollte eine Stelle als Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät erhalten. Vgl. Koch, aaO., 746 f. 103 Griesbach teilte den Höfen mit, Ziegler habe wegen einer „hypochondrischen Leberkrankheit und Melancholie“ abgesagt. Zit. nach Koch, aaO., 747. Vgl. auch Zieglers Brief an die Universität Jena, 3.9.1793, ThHStAW, A 6146, 154. 104 Vgl. Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte, 328. – Zu Griesbachs Sorge bezüglich Eichhorn siehe oben Kapitel C/I, 2.3. 105 Brief von Griesbach an Voigt, 24.12.1792, ThHStAW, A 6146, 8v. 106 Griesbach formulierte: „Auf einer Universität, welche vornehmlich [Rücksicht] auf Ausländer nehmen muß, kommt es nicht blos darauf an, welchen Grad von Freymüthigkeit die erleuchteten Fürsten den Lehrern Ihrer Universität gestatten wollen; sondern es muß auch da-
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„Wahr ist es, daß Griesbach, aus orthodoxer Behutsamkeit, die er auch wider Eichhorn anführte, nicht recht Lust zu Paulus hat. Ich glaube, er fürchtet zu viel. Paulus wird gewiß Rath und Zurechtweisung annehmen; er ist ein gesetzter, verständiger Mann“.107
Der Weimarer und Gothaer Hof waren trotz Griesbachs Bedenken entschlossen, Paulus zu berufen.108 Um aber Griesbach nicht zu verärgern, wurde ein skurriles Abkommen geschlossen: Griesbach hatte gegenüber dem Geheimrat Voigt geklagt, dass er in seinem Garten keine Hasen und Kaninchen schießen dürfe, obgleich die ihm alles wegfräßen. Daraufhin erhielt Griesbach vom Herzog das Recht der Niederjagd auf Lebenszeit in seinem Garten und sollte dafür sozusagen die Berufung von Paulus auf die dritte Stelle der Theologischen Fakultät akzeptieren.109 Denn, so die humorvolle Aussage Voigts: „[E]s ist immer besser, Griesbach schießt auf Kaninchen als gegen Paulus“.110 Am 3. Dezember 1793 – also fast genau ein Jahr nach Döderleins Tod – erhielt Paulus die dritte Stelle in der Theologischen Fakultät.111
rauf gesehen werden, auf welchem Grad der theologische Barometer in Ungarn, Siebenbürgen, Livland, Mecklenburg, Lübeck, Hamburg, Bremen, Schwaben, Franken u. s. w. stehn. Denn sonst bilden wir diesen Ländern Lehrer, die man dort nicht brauchen mag oder kann, und man schickt uns also weiter keine zu. Auch geben nicht die aufgeklärtesten Personen in diesen Ländern den Massstab ab, sondern die Consistorien, Superintendenten, und diejenigen, welche auf den herrschenden theologischen Ton den meisten Einfluß haben.“ Brief von Griesbach an Voigt, aaO., 8v. 9r. 107 Brief von Voigt an Carl August, 16.9.1793, ThHStAW, A 442a, 422r. 108 Vgl. Koch, Kleine Beiträge, 747. Der Gothaische Minister v. Frankenberg schrieb: „Wenn Ziegler nicht kommt, so müssen wir Paulus nehmen, Griesbach mag Lust haben oder nicht.“ Zit. nach ebd. 109 Vgl. ebd. Es gibt Quellen, die einen anderen Hintergrund erwähnen, wie Griesbach zu diesem Recht der Niederjagd kam: In der sachsen-weimarischen Ständeversammlung gab es eine Auseinandersetzung um eine Neubesetzung, bei der Griesbach als ein geistlicher Vertreter in der Landesdeputation neben anderen Vertretern eine andere Meinung als der Herzog vertrat. Um ihn für sich zu gewinnen, gewährte ihm der Herzog das Recht der Niederjagd. Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 53–55. Laut Voigt wirke dieses Griesbach zugestandene Recht mehr als eine Besoldungszulage oder andere wichtige Gnadenbezeigungen. Vgl. Brief von Geheimrat Voigt an Carl August, 24.7.1793 (in: Goethes Weimar und die Französische Revolution, hg. v. W. Daniel Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 501, 644 f.), hier 645. Es waren letztlich also zwei herzogliche Entscheidungen, die Griesbach vor dem Hintergrund akzeptierte, dass ihm das Recht der Niederjagd eingeräumt wurde. 110 Zit. nach Koch, aaO., 747. Voigt schrieb auch an Goethe scherzhaft: „In der Tat wird die Griesbachische Hasen- und CaninchenJagd viel Freude erwecken; wiewohl ich nicht sehr fürchte, daß diese Intoleranz den Hasen und Caninchen vielen Schaden zufügen werde.“ Brief von Geheimrat Voigt an Carl August, 27.9.1793 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 537, 672). Denn so äußerte er sich wiederum Carl August gegenüber: „die Feder braucht weniger Festigkeit der Hand und weniger scharfsichtige Augen, als die Flinte, und ich fürchte nicht sehr für das Wild der Niederjagd, was sich in Griesbachs Garten verlaufen wird.“ Brief von Geheimrat Voigt an Carl August, 24.7.1793 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 501, 644 f.), hier 645. 111 Schmid war in die zweite Stelle aufgerückt.
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2.5. Johann Wilhelm Schmid und die Kantische Philosophie in Jena Wenn in diesem Kapitel das Beziehungsgeflecht der Theologieprofessoren thematisiert wurde, dann standen bislang hauptsächlich die die erste und zweite Professur innehabenden Gelehrten Griesbach und Döderlein im Fokus der Betrachtung. Johann Wilhelm Schmid112 jedoch, der seit 1783 die dritte Stelle besetzte, blieb im Hintergrund. Das wiederum liegt an Schmid selbst und an der Quellenlage: In den herangezogenen Akten und Briefen wurde Schmid meistens nur kurz erwähnt, wobei weder eine positive noch eine negative Charakterisierung seiner Person vorgenommen wurde. Das suggeriert wiederum, dass Schmid selten in auffallender Weise in Erscheinung getreten ist. Auch Schmid selbst gab keine näheren Informationen, sondern äußerte in seiner Lebensbeschreibung über den Verbund in der Theologischen Fakultät nur, dass die Eintracht in der Fakultät nie gestört gewesen sei113 und er es als Ehre empfunden hätte, „mit zween so verdienten Männern, Griesbach und Döderlein gemeinschaftlich an dem Wohl der Akademie zu arbeiten, […] und mit ihnen in eine nähere collegialische Verbindung zu treten“114. Blieb Schmid auch im Hintergrund, so bewirkte er doch mit seinem Bemühen, die Kantische Philosophie in die Theologie zu integrieren, aufsehenerregende Veränderungen an der Theologischen Fakultät. Zwar hatte er in Jena unter Johann Georg Walch, Johann Christoph Köcher, Friedrich Samuel Zickler und Johann Friedrich Hirt studiert115 und galt anfangs als „orthodoxer Wolfianer“116, aber durch Danovius, dem „Mitbereiter des fruchtbaren Bodens, auf dem die Kantische Philosophie, […] in Gestalt des frühen Kantianismus […] an der Jenaer Universität erblühte“117, erhielt er einen Zugang zur Neologie. Er wandte sich bald der Kantischen Philosophie zu und gehörte zu den ersten Theologen, welche die Kantische Philosophie auf das christliche Moralsystem bezogen.118 112 Zu Schmid siehe seine eigene Beschreibung seines Lebens: [Schmid], [Lebensbeschreibung] (Allgemeines Magazin für Prediger, 11. Bd., 5. Stück, 1795, 97–112). Die Darstellung bei Döring (Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands, 3. Bd., 820–824) orientiert sich an Schmids Ausführungen. In beiden Abhandlungen werden auch die Schriften Schmids aufgelistet. Ähnlich auch [Julius August] Wagenmann, Art. Schmid, Johann Wilhelm (ADB 31, 1890, 672 f.). 113 Vgl. [Schmid], aaO., 111. 114 [Schmid], aaO., 110. 115 Vgl. [Schmid], aaO., 102 f. 116 Wagenmann, Art. Schmid, 672. 117 Horst Schröpfer, Danovius und Kant. Einige ergänzende Anmerkungen zu dem Brief von Ernst Jakob Danovius an Immanuel Kant vom 12. Januar 1770 (Aufklärung 7, 1992, 77–83), 83. Danovius sympathisierte mit Kant und dessen Ideen. Bevor er nach Jena kam, besuchte er offenbar Kant in Königsberg und war von ihm und seiner Philosophie außerordentlich beeindruckt. Vgl. Schröpfer, aaO., 77. 118 Vgl. Wagenmann, Art. Schmid, 672. Schmid schrieb über den Einfluss der Kantischen Philosophie auf ihn in seiner Lebensbeschreibung: „Die neue Epoche in der Philosophie, welche der scharfsinnige Denker, Kant verursachte, machte mich ebenfalls aufmerksam und erregte in mir das Verlangen, mit dem Geist seiner Philosophie vertrauter zu werden. So schwer
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Da er mehrere Schriften zur Moraltheologie herausgab wie „Ueber den Geist der Sittenlehre Jesu und seiner Apostel“ (1790) und die „Christliche Moral“ (1789– 1804), erhielt er in Jena den Beinamen „Moralschmid“.119 Neben Schmid gab es noch weitere Gelehrte in Jena, die sich um die Aufnahme und Verbreitung der Kantischen Philosophie verdient machten.120 Es waren vor allem der zu dieser Zeit an der Philosophischen Fakultät lehrende Carl Christian Erhard Schmid, der 1787 an eben diese Fakultät berufene Karl Leonhard Reinhold sowie Christian Gottfried Schütz und seine Allgemeine Literaturzeitung, die die Anerkennung der Kantischen Philosophie an der „Salana“ beförderten.121 Auch Paulus gehörte zu diesem Kreis von vor allem jungen Gelehrten, die sich in Jena intensiv mit der Kantischen Lehre auseinandersetzten.122 Wer der Kantischen Philosophie hingegen überhaupt nichts abgewinnen konnte, war Döderlein.123 So schrieb Döderlein über den Kantianer Reinhold: „Ich habe nichts an dem ehrlichen und guten Reinhold auszusezen, als seinen beyspiellosen Enthusiasmus für Kant, der so weit geht, daß er keinen grösern Mann in der Welt vom Anfang der Schoepfung an kennt, als den Koenigsberger Philosophen.“124
Döderlein verstand diese Aufregung um Kant nicht und konnte daher nicht nachvollziehen, dass sich sein Freund Will „diese neue, verworrene, aristotelische“ Philosophie zu eigen gemacht hatte.125 Für ihn war nicht nur die Begeisterung für Kant unverständlich, sondern er empfand die Kantische Philosophie es ist, in einem Alter, in welchem ich mich damals schon befand, und bey andern Geschäften sich in ein neues zum Theil dunkles System hineinzuarbeiten, scheuete ich doch keine Mühe, meinen Zwek besonders in Rücksicht auf [s]eine praktische Vernunftlehre zu erreichen. Ich fand mich für meine Bemühung reichlich belohnt und achtete es für Pflicht, auch bei Entwikkelung der christlich moralischen Religionslehren davon einen vorsichtigen Gebrauch zu machen. Einen Beweiß davon habe ich besonders in meiner theologischen Moral geliefert.“ [Schmid], [Lebensbeschreibung], 110 f. 119 Vgl. Wagenmann, aaO., 673. Der letzte Teil der „Christliche[n] Moral“ wurde nach Schmids Tod von seinem Kollegen und Schwiegersohn Carl Christian Erhard Schmid fertiggestellt. 120 Dazu Norbert Hinske/Erhard Lange/Horst Schröpfer (Hg.), „Das Kantische Evangelium“. Der Frühkantianismus an der Universität Jena von 1785–1800 und seine Vorgeschichte. Ein Begleitkatalog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993. 121 Zu Schmid siehe Kapitel 3 bei Hinske/L ange/S chröpfer (Hg.), Das Kantische Evangelium, 37–56; zu Reinhold siehe Kapitel 5, aaO., 101–111; zu Schütz beziehungsweise der ALZ und Kant siehe Kapitel 2 und 4, aaO., 15–23.85–93. 122 Vgl. seine Schilderung in den Skizzen: Paulus, Skizzen, 128 f. 123 Hinskes Äußerung, Döderlein, Johann Wilhelm Schmid und Schütz gehörten zu den ersten Kantianern in Jena, ist daher ungenau. Zu Hinske siehe Horst Schröpfer, Kants Weg in die Öffentlichkeit. Christian Gottfried Schütz als Wegbereiter der kritischen Philosophie (FMDA 18), Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 136. 124 Brief Döderleins an Will, 22.7.1788, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,22, [4]. 125 Brief Döderleins an Will, aaO., [3]. – Will war in Altdorf der erste Professor, der Vorlesungen über die Kantische Philosophie hielt. Vgl. [Ernst] Mummenhoff, Art. Will, Georg Andreas (ADB 43, 1898, 241–243), hier 242; Leder, Universität Altdorf, 228–230. Auch wenn Will 1787/88 damit begann, Vorlesungen über Kant zu halten, wurde er nicht zum Kantianer.
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außerdem als ausgrenzend, da es „Symbol dieser Schule“ sei: „[W]er nicht mit mir ist, der ist wider mich“.126 Döderlein war ferner der Meinung, dass noch viele „Reformen und Einlenkungen“127 nötig seien, bis die Kantische Philosophie an Klarheit gewinne.128 Auch Griesbach, der sich intensiv mit den Schriften Kants auseinandersetzte, beurteilte Kants Erkenntnistheorie sowie den rationalistischen Gottesbegriff kritisch.129 Betrachtet man die theologische Ausrichtung von Döderlein und seinen Kollegen, so fällt ein interessantes Konglomerat auf: Auf der einen Seite standen die Neologen Griesbach und Döderlein, durch deren Wirken sich die Neologie in Jena etablierte und von denen besonders Döderlein keinerlei Verständnis gegenüber der Kantischen Philosophie aufbringen konnte. Ihnen gegenüber standen Johann Wilhelm Schmid und Paulus, die einen von Kant beeinflussten theologischen Rationalismus vertraten und lehrten.130 Den Theologiestudenten in Jena wurden damit zwei verschiedene Positionen der zeitgenössischen Aufklärungstheologie geboten. 3. Döderleins Beitrag in der Universitätspolitik 3.1. Der Streit im Senat über den Umgang mit den studentischen Orden Fragt man nach Döderleins Wirken in Jena, muss ebenfalls sein universitätspolitisches Handeln untersucht werden. Dieses Thema gewinnt zusätzlich noch dadurch an Gewicht, dass Döderleins Verhältnis zu seinen Kollegen maßgeblich davon geprägt war. Für eine Untersuchung über den Beitrag Döderleins in der Universitätspolitik bietet sich vorzugsweise die sich über mehrere Jahre hinziehende Auseinandersetzung im Senat über die Frage an, wie die akademische Disziplinargewalt gehandhabt werden soll. Im Mittelpunkt der Diskussion stand das Problem, wie mit den nicht öffentlich auftretenden studentischen Orden, die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts unter Einfluss der Freimaurer-Logen aus den Landsmannschaften hervorgegangen waren,131 verfahren und mit den Studentenunruhen umgegangen werden soll.132 Im Folgenden wird analysiert, welchen Ihm war es allerdings ein Anliegen, seinen Studenten die Philosophie Kants zu vermitteln. Vgl. Seiderer, Repräsentant der Aufklärung in Altdorf, 233 f. 126 Brief Döderleins an Will, aaO., [4]. 127 Ebd. 128 Zu Döderlein und Kant siehe Kapitel D/II, 3. 129 Vgl. Stallmann, Griesbach, 118 f. 130 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 142. 131 Vgl. Matthias Asche/Stefan Gerber, Art. Studentenverbindung (EdN 12, 2010, 1166–1175), hier 1168. 132 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 227. – Zu den studentischen Verbindungen in Jena siehe Joachim Bauer/Jens Riederer (Hg.), Zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit. Jenaer Freimauerei und studentische Geheimgesellschaften (Schriften zur Stadt- Universitäts- und Studentengeschichte Jenas 1), Jena/Erlangen 1991; Joachim Bauer, Studentische Verbindungen zwischen Revolution und Restauration. Von den Landsmannschaften zur
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Standpunkt Döderlein in dieser Debatte einnahm und auf welche Art er seine Position vertrat. Bei dieser Thematik kann besonders auf die Untersuchungen von Gerhard Müller und Daniel Wilson zurückgegriffen werden.133 Die Frage, wie mit den Orden und Studentenunruhen umzugehen sei, wurde im Senat sehr unterschiedlich beantwortet. Schon bevor Döderlein nach Jena berufen wurde, hatte es mehrfach Streit über das akademische Selbstverständnis im Zusammenhang mit den Landsmannschaften und Orden gegeben. So standen sich bei dem Streit im Frühjahr 1780 eine „gouvernementale Reformergruppe“134, die ein härteres Vorgehen gegen diese studentischen Verbindungen forderte und dabei auch die Nutritoren in die Pflicht nehmen wollte, und eine größere Gruppe von „ständisch-korporativen Traditionalisten“135 gegenüber. Die letztere Fraktion setzte sich hauptsächlich aus Lehrern der Juristischen Fakultät zusammen, die mit Verweis auf die akademischen Freiheiten jegliche Eingriffe der Höfe abwehren wollten und für ein tolerantes Vorgehen gegenüber den Orden und Landsmannschaften plädierten.136 Bereits ein Jahr nach Döderleins Berufung, im Wintersemester 1783/84, musste sich auch Döderlein in dieser Frage positionieren, da es vermehrt zu Studententumulten kam. Die Disziplinarverfahren häuften sich und mehrere Studentenorden konstituierten sich neu. Außerdem gab es im Juni 1784 das erste Mal seit 1778 wieder ein Duell mit tödlichem Ausgang.137 Von Seiten der ErhalBurschenschaft (in: Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte [Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 17], hg. v. Friedrich Strack, Stuttgart 1994, 59– 79); Otto Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden des XVIII. Jahrhunderts, Jena 1932; Axel Kuhn, Jena als Zentrum der deutschen Studentenbewegung 1794/95 (in: Europa in der Frühen Neuzeit. FS für Günter Mühlpfordt, 4. Bd.: Deutsche Aufklärung, hg. v. Erich Donnert, Weimar/Köln/Wien 1997, 583–617); Jens Riederer, Aufgeklärte Sozietäten und gesellige Vereine in Jena und Weimar zwischen Geheimnis und Öffentlichkeit 1730–1830. Sozialstrukturelle Untersuchungen und ein Beitrag zur politischen Kultur eines Kleinstaates, Jena 1995. 133 Müller, Vom Regieren zum Gestalten; Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution. 134 Müller, aaO., 195. 135 Ebd. 136 Vgl. die Darstellung bei Müller, aaO., 195–199, der die Hintergründe und die Beilegung des Streits untersucht. 137 Vgl. Müller, aaO., 202 f. – Im Duell wurde Johann Immanuel Neander, der Sohn des Kirchenlieddichters Christoph Friedrich Neander getötet. Döderlein hielt dazu eine ergreifende Rede. Diese Ansprache wurde 1784 unter dem Titel „Rede, welche bey Gelegenheit des letzthin in Jena im Zweykampf erlegten Musensohnes von Dr. Döderlein gehalten wurde“ herausgegeben. Dieser Druck war allerdings nicht von Döderlein autorisiert, sondern beruhte nur auf Mitschriften von Zuhörern. Vgl. Baader, Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller, 117. Will äußerte darüber, dass dieser Druck sowie einige anderen – es gab überdies eine französische Übersetzung dieser Rede – inhaltlich falsch und mit vielen Druckfehlern behaftet seien. Deshalb ließ er einen Druck anfertigen, der auf dem Konzept von Döderlein beruhte. Vgl. [Georg Andreas] Will, Briefe über eine Reise nach Sachsen. Nebst einigen Beilagen, Altdorf 1785, 71 f.; Abdruck der Rede: 226–236.
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terstaaten reagierte man auf diese problematische Lage nicht mit einer repressiven Politik, sondern die Höfe einigten sich vielmehr auf ein mildes Vorgehen gegenüber Disziplinarverstößen138 und bemühten sich um ein einvernehmliches Handeln mit der Universität.139 Von den Professoren gab es verschiedene Lösungsvorschläge, wie mit den Problemen umgegangen werden soll. Neben Loder140 war es vor allem Döderlein, der alternative Konzepte vorschlug. Döderlein, der im Wintersemester 1784/85 das erste Mal das Prorektorat inne hatte, förderte eine studentische Vereinigung, die den studentischen Orden und Landsmannschaften eine eigene Organisationsform entgegenstellen wollte und in der man sich Aufklärung, Bildung und gesitteten Umgang zum Ziel gesetzt hatte. Unter seinem Prorektorat und dem nachfolgenden von Carl Friedrich Walch im Sommersemester 1785 wurden keine Tumulte oder landsmannschaftliche Aktivitäten vermerkt. Es schien, als wäre die Disziplinkrise vom Sommer 1784 überstanden.141 Doch im Sommer 1785 kam es erneut zu einer Reihe von Disziplinverstößen, Unruhen und Tumulten.142 So wurden beispielsweise die Gärten von Döderlein und Walch verwüstet, obgleich beide Professoren als Prorektoren kein hartes Vorgehen gegenüber den studentischen Verbindungen forciert und sich eher um Vermittlung bemüht hatten.143 Im Senat wurde daraufhin zwar eine „Tumultkommission“ gebildet und Christian Gottfried Gruner ging in seiner Funktion als Prorektor des Wintersemesters 1785/86 im Gegensatz zu seinen Amtsvorgängern Döderlein und Walch hart gegen Disziplinarverstöße vor. Anders als zuvor konnte man sich im Senat jedoch nicht mehr auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen.144 Grund dafür waren nicht nur die verschiedenen Standpunkte, welche Maßnahmen gegen die Studentenverbindungen ergriffen werden 138 Vgl. Müller, aaO., 208. 139 Vgl. Müller, aaO., 207.209. 140 Zu Loders Lösungsvorschlägen siehe Müller, aaO., 213 f. 141 Vgl. Müller, aaO., 214–217. 142 Vgl. Müller, aaO., 217. – Ein genaues Bild von den Ursachen und dem Verlauf der Tumulte vom Sommer 1785 zu erhalten, ist aufgrund der fehlenden Quellenüberlieferung nicht möglich. Vgl. Müller, aaO., 217, Anm. 430. 143 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 148. – Döderlein schrieb darüber im Oktober 1785 an Will: „[In Jena] traf mich der Unwille einiger Studenten, welche in mein Gaertgen am Paradies einbrachen und dort allerley Unfug mit Bäumen und Gewaechsen trieben […]. Die Veranlassung war wohl die Relegation einiger schedlich[e]n Studenten, welche in Orden waren, und auf deren Entfernung ich stark und ernstlich nebst Walchen, in dessen Gartenhaus der Haufe eben so, wie in meinem Garten Thaetlichkeiten anstelte, drang“. Brief vom 7.10.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,18, [1]. – Die Gartenkultur hatte zu dieser Zeit eine besondere Stellung im geselligen Leben. In Jena besaß fast jede Familie der Gesellschaft einen Garten, der sich zum Teil am Rand der Stadt befand und oft mit einem Gartenhaus versehen war. Dort verbrachte man den Sommer und traf sich mit Freunden und Bekannten. Den Mittelpunkt der Geselligkeit bildete das Griesbachsche Gartenhaus. Vgl. Schmoetten, Aspekte des Lebens in Jena im Sommer 1792, 1042 f. 144 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 217.
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sollten, sondern wie bereits beim Streit 1780 waren es vor allem die unterschiedlichen Vorstellungen über das Verhältnis von akademischer Autonomie und landesherrlicher Kontrolle. Die Lage im Senat verschärfte sich. Kompromisse waren nicht mehr möglich, da sich die inhaltlichen Dissonanzen zu persönlichen Konflikten entwickelt hatten.145 Der Schlagabtausch fand unter anderem zwischen Döderlein und dem Juristen Johann Ludwig Eckardt statt.146 Hintergrund bildete der Antrag Griesbachs, der Senat solle zur Bewältigung dieser Krise Unterstützung von den Erhaltern erbitten und die dem Senat eigene Disziplinarkompetenz an das durch mehrere ständige Beisitzer verstärkte Concilium arcitus, dem Exekutivausschuss des Senats, abtreten. Dieses Gremium sollte die Befugnis erhalten, Studenten, die der Mitgliedschaft in verbotenen Verbindungen verdächtigt werden, ohne ein förmliches Untersuchungsverfahren zu exmatrikulieren.147 Die Mehrheit der Senatoren stimmte Griesbachs Votum zu – abgelehnt wurde es allerdings besonders von Eckardt. Döderlein, der Griesbachs Vorschlag unterstützte, empfand Eckardts ablehnende Haltung als lächerlich und zwar aus persönlichen Gründen: Döderlein warf Eckardt vor, nur auf das strenge Einhalten des justizmäßigen Verfahrens bei Straferkenntnissen gegen Studenten zu beharren, weil sein jüngster Sohn in diese landsmannschaftlichen Aktivitäten (wie die Gartenzerstörung), die sich gegen ihn (Döderlein) persönlich gerichtet hatten, beteiligt gewesen sei.148 Eckardt wiederum betonte, ihm gehe es nur darum, Studenten ein rechtliches Verfahren zu garantieren. Döderlein jedoch sah in dieser Haltung nur ein Paktieren mit den Landsmannschaften.149 145 Vgl. Müller, aaO., 217–219. 146 Vgl. Müller, aaO., 219. – Eckardt wurde 1783 als Professor an die juristische Fakultät berufen und war daneben als Deputierter der Landschaft Weimar tätig. Näheres zu ihm siehe Kublik, Die Universität Jena, 139 f. 147 Vgl. Müller, aaO., 219.222. Müller beurteilt dieses Ansinnen Griesbachs äußerst negativ. Denn damit wurde seiner Meinung nach das Prinzip der strikten Unterordnung von Prorektor und Concilium arctius unter den Senat, was zu den wichtigsten Errungenschaft der korporativistischen Restauration der Universität bei der Visitation von 1767 zählte, in Frage gestellt. Vgl. Müller, aaO., 219. Obgleich sich zwar der Kompetenzverlust des Senats lediglich auf die Handhabung der akademischen Disziplinargewalt in landsmannschaftlichen Angelegenheiten beziehen sollte, bedeutete dies nach Müller trotzdem ein schwerer Schlag für die Korporationsautonomie. Denn auch den Studenten hätte damit der Verlust ihrer Rechtssicherheit gedroht, wenn man ohne gerichtsverwertbare Beweise von der Universität hätte verwiesen werden können. Vgl. Müller, aaO., 222 f. 148 Vgl. Müller, aaO., 219. Müller bezieht sich auf Döderleins Votum in der Missive vom 22.12.1785, UAJ, A 1231, 110. – Döderlein formulierte gegenüber Will: „[D]ie Triebfedern […] sind selbst [die] Professoren (es waren auch Professorsoehne dabey) deren es unvertraeglich ist, daß ich in Jena bey den Studenten und dann bey den Haufen etwas gelte; die jeder Gelegenheit auflauern, um mich zu stürzen“. Brief vom 7.10.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr. 7,18, [1 f.]. 149 Vgl. Müller, aaO., 219 f. Döderlein beharrte darauf, dass „Geseze wider Landsmannschaften und aehnliche Verbindungen ganz umsonst sind, so lange selbst einige aus unserm Mittel es giebt, welche dieses Unwesen durch Nachsicht in der Stille, oder durch Vertrettung oeffentlich begünstigen“. Müller, aaO., 220 – Zusatzvotum Döderleins zur Missive vom 22.12.1785, UAJ, A 1231, 113–114v, hier 113.
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In dieser verfahrenen Situation zwischen den beiden Parteien im Senat forderte die Weimarer Regierung von allen Senatsgliedern das Verfassen eines eigenen Votums mit Vorschlägen zur Bekämpfung der Landsmannschaften.150 Aus den Einzelvoten der Professoren wird ersichtlich, dass neben Eckardt vor allem Eichhorn als Kritiker des hauptsächlich von Griesbach und Loder getragenen Reformprojektes auftrat. Eichhorn befürchtete eine Vernichtung der akademischen Freiheit und präsentierte daher ein eigenes Reformkonzept, welches vornehmlich aus präventiven Maßnahmen bestand.151 Da der Senat aufgrund der unterschiedlichen Standpunkte und persönlichen Dissonanzen nicht mehr handlungsfähig war, bemühte sich nun Goethe auf Anweisung der Weimarer Regierung um einen Kompromiss, den er auf Grundlage der verschiedenen Voten erarbeitete. Dieser Kompromiss berücksichtigte sowohl das Anliegen der Gruppe um Griesbach und Loder, der auch Döderlein angehörte, die ein härteres Vorgehen gegen die studentischen Orden und Landsmannschaften verlangten als auch die Forderung der Gruppe um Eckardt nach einem juristisch ordentlichen Verfahren in Disziplinfragen. Daneben sah Goethe vor, das Concilium arcitus um vier ständige Assessoren aus den vier Fakultäten zu erweitern. Diese vier Assessoren sollten Johann Jakob Griesbach, Justus Christian Loder, Johann August Reichardt und Johann Gottfried Eichhorn sein.152 Laut Gerhard Müller sollte über diese Reform eine wirkungsvollere Bekämpfung der studentischen Landsmannschaften und Orden erreicht werden.153 Goethes Anliegen sei es aber gleichermaßen gewesen, über dieses Gremium „ein informelles universitätspolitisches Steuerungsinstrumentarium“ zu etablieren, über das die Weimarer Regierung neben den Disziplinfragen Entscheidungen aus anderen Bereichen des akademischen Lebens beeinflussen können sollte.154 Die von Goethe vorgeschlagene Form der Umstrukturierung des Concilium arcitus wurde von den Nutritoren bewilligt, so dass mit Beginn des Wintersemesters 1786/87 das reformierte Concilium zusammentrat.155 Das reformierte Concilium sollte allerdings nicht lange in dieser Form bestehen bleiben. Hatte Eckardt, als er Anfang 1787 Prorektor wurde, bereits die Disziplinarverfahren des erweiterten Concilium arcitus kritisiert und zu unterlaufen begonnen,156 so gab es unter den Senatsmitgliedern bald eine Mehrheit, 150 Vgl. Müller, aaO., 220. Dieses Verfahren wurde nur sehr selten angewendet, da es faktisch eine Suspendierung der kollegialischen Willensbildung des Senats bedeutete. Vgl. ebd. 151 Vgl. Müller, aaO., 225. – Zu Eckardts und Eichhorns Voten vgl. Müller, aaO., 223–227. 152 Vgl. Müller, aaO., 229 f. 232. – Genaueres zu Goethes Kompromissvorschlag: Müller, aaO., 229–232. – Ein Vorteil der vier ständigen Assessoren sollte es sein, dass sie nicht wie die anderen regulären Mitglieder des Consiliums halbjährlich nach einem Rotationsprinzip wechselten. Vgl. Müller, Perioden Goethescher Universitätspolitik, 142. 153 Vgl. Müller, Perioden Goethischer Universitätspolitik, 142. 154 Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 232. 155 Vgl. Müller, aaO., 236. 156 Dazu nähere Hinweise bei Müller, aaO., 319–321.
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welche die Befugnisse der außerordentlichen Assessoren auf die Zerschlagung der Studentenverbindungen reduzierten und sie daher bei anderen wichtigen Fragen und Sitzungen ausschlossen.157 Döderlein, der im Wintersemester 1790/91 erneut das Amt des Prorektors inne hatte, rechtfertigte dieses Verhalten im Februar 1791 gegenüber dem Herzog damit, dass die außerordentlichen Assessoren ausschließlich für Untersuchungen über Landsmannschaften und Orden zuständig seien und ihnen keine richterliche Mitgewalt bei allen anderen Fragen und Themen zustehe.158 Die Forderung der außerordentlichen Assessoren, auch bei anderen Angelegenheiten eine Entscheidungskompetenz zu erhalten, sei eine „willkührliche Ausdehnung“159 der obrigkeitlichen Verfügungen, führe zu „Dißharmonien im Senate“160 und sei „eine Neuerung, welche sehr leicht in ein gefaehrliches Dominat ausarten koennte“161 und der „Eintracht und dem Wohlstand der Akademie entgegen“162 stehe. Döderlein zweifelte überdies entschieden die Befehle des Herzogs gegen die Orden an, die seiner Meinung nach nur zu einer Verschärfung der Lage führen würden. Seiner Meinung nach könne man die studentischen Verbindungen nie mit Gewalt und Gesetzen zerstören.163 „Unter solchen Umstaenden“ wolle er die Verordnungen nicht beachten, mit deren Ausführungen man „ein Zerstoerer, ein Verraether der Akademie werden“ würde.164 An den Äußerungen Döderleins lässt sich erkennen, dass die vier außerordentlichen Assessoren Johann Jakob Griesbach, Johann August Reichardt, Justus Christian Loder und Lorenz Johann Daniel Succow, der als Nachfolger für Eichhorn berufen worden war, sehr viel Widerstand von ihren Kollegen erhielten. Das wiederum führte letztlich dazu, dass die vier Professoren bei den Nutritoren um die Entlassung von dieser Aufgabe baten. Im Mai 1791 wurde diesem Anliegen stattgegeben.165 Für Müller ist das Scheitern des erweiterten Concilium arcitus ein Zeichen von „einer […] selbstbewussten Manifestation der Universitätsautonomie“166. 157 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 153 f. 158 Vgl. Döderleins Bericht an Carl August, 8.2.1791, ThHStAW, A 8471, 229v–230r. 159 Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 230r. 160 Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 231v. 161 Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 230v. 162 Ebd. 163 Vgl. Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 231v–232r. 164 Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 231v. Döderlein äußerte: „Es giebt Zeitpunkte wo es Verdienst ist, Verordnungen nicht zu beobachten, und wo der Erfolg dieser Nichtbeobachtung die beste Rechtfertigung wird.“ Ebd. Döderlein sah es vielmehr als sein Verdienst an, dass sich der Zustand der Akademie nun gebessert, die öffentliche Ruhe fortgedauert habe und die öffentliche Disziplin als wiederhergestellt gelten könne. Vgl. Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 229r. Durch seine „überlegten, zwar stillen, aber vesten, Maßregeln“ sei in der Zeit seines Prorektorates die Akademie „in den seltnen und beharrlichen Ruhestand versezt worden“. Döderleins Bericht an Carl August, aaO., 232r. 165 Vgl. Kublik, Die Universität Jena, 154 f. 166 Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 321.
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Hatte Döderlein noch 1785/86 die Partei von Griesbach unterstützt, so erwies er sich jetzt als deren Gegner. Er stellte sich in seiner Funktion als Prorektor nun auf die Seite der Professoren um Eckardt, welche immer wieder auf die Selbstständigkeit und akademische Freiheit der Universität und des Senats hingewiesen hatten. Dass Döderlein nun ausgerechnet Eckardts Anliegen unterstützte, obgleich er diesen noch 1785/86 als seinen Feind bezeichnet hatte, und obgleich dessen Sohn angeblich an der Gartenzerstörung beteiligt gewesen war, wirkt zunächst sonderbar. Wenn man aber beachtet, dass Döderlein am 6. April 1790, also drei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau, Eckardts Tochter Rosina Christina Eleonora heiratete, erscheint diese Tatsache nicht mehr so verwunderlich.167 Diese persönliche Verbindung hat sein universitätspolitisches Agieren mit Sicherheit beeinflusst. 3.2. Der Auszug der Studenten 1792 Ein weiteres Mal spielte Döderlein im Rahmen der Studentenunruhen eine aktive und entscheidende Rolle, nämlich beim sogenannten Auszug der Studenten im Juli 1792.168 Hintergrund dieses Geschehens, welches die Universität nach Döderleins Ansicht in eine „äußerst critische[] Lage“169 gebracht hatte, bildeten zwei bekannte Probleme: das des Duellierens unter den Studenten und die Existenz der eigentlich seit 1767 in Sachsen-Weimar verbotenen Studentenorden.170 Da sich in Jena die Studentenfrequenz erhöht hatte, stieg die Zahl der Ordensmitglieder beträchtlich. Die Disziplinverstöße, die auch aus den Rivalitäten zwischen den Orden und den Landsmannschaften resultierten, nahmen wieder 167 Mit Rosina Christina Eleonora hatte Döderlein den Sohn Johann Ludwig Christoph Wilhelm Döderlein (1791–1863), der später als klassischer Philologe berühmt wurde. Nach dem Tod von Döderlein heiratete Rosina Christina Eleonora 1797 den Theologen und Philosophen Friedrich Immanuel Niethammer. Vgl. Döderlein, Unsere Väter, 1. – Bevor sie Döderlein heiratete, wollten sie einige Personen wohl mit Schiller verkuppeln. So äußerte es zumindest Schiller: „Es ist hier ein gewisser Geh. Hofrath Eccardt, ein Jurist, der Vermögen und einen vorzüglichen Einfluß bey der Academie hat. Er hat noch eine unverheirathete Tochter, mit der mich einige gedacht haben mögen zusammen zu kuppeln, aber ich mag weder sie noch die Familie.“ Schiller an Christian Gottfried Körner, 28.5.1789 (in: NA 25, Nr. 182, 256–260), hier 258. 168 Dazu: Immanuel Carl Diez, Briefe und Schriften, Brief: An die Eltern, 24.–27. Juli 1792 (in: Immanuel Carl Diez. Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegründung in der Glaubenskrise Tübingen-Jena [1790–1792], hg. v. Dieter Henrich, Stuttgart 1997, 296– 308); Götze, Die Jenaer akademischen Logen, 103–118; Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten, 445–457; Ehrentraud Matz, Die Studentenunruhen an der Universität Jena im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, [masch.], [Jena 1957], v. a. 87–103; Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 318–349; Schenk, Burschen heraus, 133–151; Schmoetten, Aspekte des Lebens in Jena im Sommer 1792, v. a. 1038–1040; Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 14–31 und v. a. die dort abgedruckten Quellen (für den Juli 1792 sind es in der Dokumentsammlung die Nummern 90 bis 156). 169 Protokoll einer Beratung im Geheimen Consilium, 21.7.1792 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 135, 255–259), hier 255. 170 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 15 f.
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zu.171 Außerdem gab es unter den Studenten seit Anfang des Jahres 1792 zahlreiche Konflikte, weil es von Seiten einiger Studenten den Plan gab, die verbotenen Orden durch neu zu bildende und von der Universität legitimierte Landsmannschaften zu ersetzen und das Duell zugunsten der Errichtung studentischer Ehrengerichte abzuschaffen. Diese Gruppe fand vehementen Widerspruch bei Studenten, die einem Orden angehörten, und wurde von jenen mit dem Spottnamen „Schokoladisten“ abgewertet.172 Die Regierung wollte diese Auseinandersetzungen unter den Studenten nutzen, um die verbotenen Orden endgültig zu zerschlagen. Anfang Februar 1792 wurden die Ordenssenioren der Universität verwiesen, die Orden sollten abgeschafft werden und gegen einzelne Ordensstudenten wurden Strafen verhängt.173 Eine besondere Rolle kam hierbei dem Geheimen Rat Christian Gottlob von Voigt zu, der mit Nachdruck gegen die studentischen Orden vorging und dafür auch auf Spitzel und Informanten unter den Studenten setzte.174 Gerhard Müller beschreibt dieses Vorgehen der weimarischen Regierung als Repressionspolitik, die von den Studenten als eine Provokation empfunden wurde.175 Der Unmut erreichte seinen Höhepunkt in einem Tumult am 10. Juni 1792, bei dem die Wohnung des von den Studenten ungeliebten Prorektors Johann August Heinrich Ulrich demoliert und Wertsachen gestohlen wurden. Dieser Tumult hatte zur Folge, dass in Jena fast anarchische Zustände herrschten.176 Ein geregelter Lehrbetrieb war kaum noch möglich.177 Die Professoren sorgten sich daher sowohl um den Bestand der Universität als auch um ihr eigenes Wohlergehen, da sie Angst hatten, selbst Opfer eines Überfalls zu werden.178 Neun Professoren, darunter Johann Wilhelm Schmid, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus 171 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 319. 172 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 16 f. Jede Partei verfügte ungefähr über 200 bis 300 Anhänger (von insgesamt fast 900 Studenten). Vgl. Wilson, aaO., 17. Zum Verhältnis von Goethe und den Duellgegnern sei verwiesen auf Wilson, aaO., 17. – Der Name „Schokoladisten“ (auch: „Chokoladisten“) rührte von der spöttischen Behauptung her, dass diese Personen „alle Streitigkeiten bei einer Tasse Chokolade [hätten] schlichten“ wollen. Wilhelm Fabricius, Die Deutschen Corps. Eine historische Darstellung der Entwicklung des studentischen Verbindungswesens in Deutschland bis 1815, der Corps bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 21926, 154. Siehe auch Paul Ssymank, Die Jenaer Duellgegner des Jahres 1792 und Karl Augusts Kampf gegen die geheimen Studentenverbindungen (in: Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung, 4. Bd., hg. v. Herman Haupt, Heidelberg 1913, 1–30). 173 Vgl. Wilson, aaO., 18–20. 174 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 331 f. Hier auch nähere Informationen zur Rolle Voigts. 175 Vgl. Müller, aaO., 333. Als Grund für die Abkehr von der vorher liberaleren Universitätspolitik gibt Müller unter anderem die Verunsicherung der Herrscher aufgrund der Geschehnisse in Frankreich an. Vgl. Müller, aaO., 334–338. 176 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 22. 177 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 345. 178 Vgl. Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten, 446.
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und Friedrich Schiller,179 appellierten aus diesem Grund am 8. Juli an die Weimarer Regierung, eine Garnison von 20 Husaren nach Jena zu senden, damit die Ordnung endlich wieder hergestellt werden könne. Von Weimar wurden am 14. Juli nicht nur Husaren geschickt, sondern dazu eine Jägerkompanie von 50 Soldaten und neun Offizieren. Für die Studenten bedeutete das eine erneute Provokation, da ihnen nach Unruhen im Jahr 1790 versprochen worden war, dass die Jäger nie wieder in Jena stationiert werden sollten. Sie forderten den sofortigen Abzug der Jägerkompanie. Als dies nicht geschah, zogen am 19. Juli 1792 zwischen 300 und 500 Studenten mit Fahnen und Waffen bestückt aus Jena aus, einige mit dem Vorhaben, sich an der zu Kurmainz gehörenden Erfurter Universität zu immatrikulieren.180 In Nohra, dem Grenzort zwischen dem herzoglichweimarischen und dem erfurt-kurmainzischen Gebiet, bezogen sie Quartier.181 Zu dieser für die Universität ungemein katastrophalen Lage kam noch die Drohung der in Jena verbliebenen Studenten hinzu, dass auch sie die Universität im Herbst verlassen würden, wenn mit den ausgezogenen Studenten keine zufriedenstellenden Verhandlungen geführt werden würden.182 In dieser Situation nahm Döderlein eine gewichtige Aufgabe wahr. Er und sein Kollege, der geheime Justizrat Carl Friedrich Walch, gingen als Delegation der Jenaer Professorenschaft nach Weimar, um beim Geheimen Consilium anzufragen, welche Maßnahmen bisher getroffen worden seien, um die Studenten zurückzuholen.183 Beide Professoren erklärten, dass es unter den Ausgezogenen zwar streitbare Studenten gebe, auf die man in Jena verzichten könne, dass sich die Mehrheit aber aus „gesittet[en] [und] gute[n] und ordentliche[n] Bezahler[n]“184 zusammensetze. Döderlein und Walch unterstrichen die Dringlichkeit, die Studenten zurückzuholen nicht nur damit, dass sonst die bisher in Jena verbliebenen Studenten abgehen könnten, sondern auch mit ihrer eigenen Lage: Mit dem Verlust der Studenten gehe ein Verlust für die Professoren einher, da sie als Lehrende finanziell größtenteils von jenen abhängig seien.185 Döderlein zählte zu den Professoren, die aus Sorge um ihre gut besuchten Kollegien um ein Entgegenkommen mit den Studenten bemüht waren, während beispiels179 Die anderen Professoren waren Karl Leonhard Reinhold, Johann Georg Carl Batsch, Johann Friedrich August Göttling, Christian Gottfried Schütz, Gottlieb Hufeland und Friedrich Ernst Carl Mereau. 180 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 22–24. – Zu den Unruhen 1790 siehe Irmtraut Schmid, Die Beilegung der Jenaer Studentenunruhen vom März 1790 durch Goethe und Herzog Karl August von Sachsen-Weimar (in: Archivistia docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds [Potsdamer Studien 9], hg. v. Friedrich Beck/Wolfgang Hempel/E ckart Henning, Potsdam 1999, 359–369). 181 Vgl. Schenk, Burschen heraus, 147. 182 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 24. 183 Vgl. Protokoll einer Beratung im Geheimen Consilium, 21.7.1792 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 135, 255–259), hier 255 f. 184 Protokoll einer Beratung im Geheimen Consilium, aaO., 256. 185 Vgl. Protokoll einer Beratung im Geheimen Consilium, aaO., 255 f.
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weise Schiller dafür plädierte, nicht nachzugeben und stattdessen auf die Reue der Studenten zu warten.186 Von Seiten der Regierung war man bestrebt, nicht offiziell mit den Studenten zu verhandeln. Aber inoffiziell wurde über Unterhändler ein Kompromiss erarbeitet. Die Regierung bot den Studenten eine Amnestie der Straftaten an, die nach dem 10. Juni verübt worden waren. Der von den Studenten so vehement geforderte Abzug des Militärs sollte jedoch nicht sofort angeordnet werden, sondern erst wenn Ruhe und Ordnung wieder hergestellt seien. Die Studenten erklärten sich bereit, nach Jena zurückzuziehen, allerdings wollten sie dabei von Walch und Döderlein begleitet werden, um durch sie Legitimation zu erfahren.187 Sie wollten, so die Darstellung der Regierung, „mit Ehren u[nd] ohne Verspottung nach Jena zurück kehren“188. Am 23. Juli kamen die ausgezogenen Studenten zurück und wurden dabei von den „von allen Studirenden geliebten Lehrer[n]“189 Döderlein und Walch begleitet. Vor Jena wurden sie von den in Jena verbliebenen Studenten und der Bürgerschaft Jenas, die ebenso von den Studenten abhängig war, freudig begrüßt.190 Die Rückkehr nach Jena glich somit einem Volksfest.191 Döderlein schrieb in seiner Funktion als Inspektor der in Jena studierenden gotha-altenburgischen Landeskinder192 am gleichen Tag noch an den Gothaer Hof und berichtete von der Rückkehr der Studenten.193 Er artikulierte darin seine Hoffnung, dass „die leidigen Unruhen hoffentlich auf lange Zeit beygelegt“ sind und äußerte daneben seine feste Überzeugung, dass „der Fall der Emi186 Erinnerungen von Ludwig Friedrich Göritz zu den Ereignissen, um den 22.7.1792 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 139, 262 f.), hier 262. 187 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 24–26. 188 Brief von Geheimrat Schnauß an Carl August, 23.7.1792 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 142, 266 f.), hier 266. 189 Anonyme Druckschrift der Studenten, 26.7.1792 (in: Wilson, Dokumentsammlung, Nr. 147, 273–294), hier 292. 190 So jedenfalls die Darstellung der Studenten: Anonyme Druckschrift der Studenten, aaO., 293. Zur Abhängigkeit der Bürger von den Studenten vgl. Schmoetten, Aspekte des Lebens in Jena im Sommer 1792, 1036. 191 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 347. 192 Für die Landeskinder aus den vier Erhalterstaaten gab es jeweils einen Professor, der in besonderem Maße für sie zuständig war und als Ansprechpartner fungierte. Döderlein hatte als Inspektor die Aufsicht über die Studenten aus Sachsen-Gotha-Altenburg. Sein Kollege Griesbach betreute die aus Sachsen-Weimar stammenden Studenten. Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 283, Anm. 391. Zu den genauen Aufgaben eines Inspektors gibt die Regierungsakte näheren Aufschluss, welche die von Griesbach über die Landeskinder aus Sachsen-Weimar verfassten Berichte und die Anweisungen seitens der Regierung an ihn in der Funktion als Inspektor enthält. Darin wurde als Aufgabenbeschreibung eines Inspektors unter anderem vermerkt, er solle darauf achten, dass die ihm zugeordneten Studenten die universitären Veranstaltungen aufsuchten, sich gottesfürchtig verhielten, nicht auf Abwege gerieten und den Gottesdienst besuchten. Darüber und über ihren sittlichen Charakter sollte er halbjährlich einen Bericht verfassen. Vgl. ThHStAW, A 8450, 2r–5v. 193 Vgl. Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten, 449.
I. Döderlein im universitären Verbund mit seinen Jenaer Kollegen
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gration nicht so bald wieder[]kommen werde“, „[d]a die Studirenden bey dieser Gelegenheit gelernt haben, daß man es doch besser in der Ordnung als in der Unordnung hat“.194 Dass Döderlein den Rückzug begleitete, wurde vor allem aus studentischer Sicht positiv gewertet. Anders beurteilte es hingegen der zu dieser Zeit in Jena Medizin studierende Immanuel Carl Diez,195 der in einem Brief an seine Eltern vom „kriechende[n] Benehmen“196 Döderleins schrieb: „Döderlein ist zu nichts zu gut, der, da mitten unter den Unruhen ihm ein Ständchen gebracht, erklärte, daß er für ihr Zutrauen danke und es als einen Beweis ihrer übereinstimmenden Denkungsart mit der seinigen ansehe“.197 Nicht nur die Rolle von Döderlein, sondern das ganze Geschehen des Auszugs wird in den Quellen und der Literatur äußerst verschieden bewertet und dargestellt. Denn bereits unmittelbar nach der Rückkehr erklärten sowohl die Ausgewanderten als auch die Regierung, sie hätten in dieser Sache einen Sieg davon getragen. Es entwickelte sich, so Daniel Wilson, ein regelrechter Propagandakrieg über die Deutungshoheit dieses Vorfalls.198 In der Sekundärliteratur spiegelt sich dies wieder. Die meisten Darstellungen sind entweder aus der Studenten- oder aus der Regierungsperspektive verfasst.199 Herbert Koch beispielsweise will mit dem Bild brechen, der Auszug der Studenten sei eine Heldengeschichte gewesen und schenkt bei seiner Darstellung der Ereignisse den Berichten der Weimarischen Regierung Glauben, weshalb er unter anderem behauptet, die Regierung wäre keinen Kompromiss mit den Studenten eingegangen.200 Richard und Robert Keil201, Wolfgang Schenk202 und Otto Götze203 wiederum erarbeiteten ihre Darstellung aus der Sicht der Studenten. Auch wenn in den folgenden Wochen nach dem Auszug ein Krieg über die Deutungshoheit herrschte, so gab es keine Tumulte oder anderweitige Unruhen 194 Döderlein an die Gothaer Regierung, 23.7.1792, abgedruckt bei Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten, 450. 195 Zu Diez siehe Dieter Henrich, Diez zwischen Kant und Fichte (in: Immanuel Carl Diez. Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegründung in der Glaubenskrise Tübingen-Jena [1790–1792], hg. v. Dems., Stuttgart 1997, XVII–CVI), hier v. a. XVII–XCIII. 196 Diez, Brief: An die Eltern, 24.–27. Juli 1792, 304. 197 Ebd. 198 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 26; so auch Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 347. Der Auszug der Studenten aus der studentischen Sichtweise: Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, Dokumentsammlung Nr. 140, Nr. 147, Nr. 162. Aus der Perspektive der Weimarer Regierung Nr. 144, Nr. 148, Nr. 172. 199 Diese Beobachtung formuliert auch Schmoetten, Aspekte des Lebens in Jena im Sommer 1792, 1039. 200 Vgl. Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten, 445.448. 201 Richard Keil/Robert Keil, Geschichte des Jenaischen Studentenlebens von der Gründung der Universität bis zur Gegenwart (1548–1858). Eine Festgabe zum dreihundertjährigen Jubiläum der Universität Jena, Leipzig 1858, 262–283. 202 Schenk, Burschen heraus. 203 Götze, Die Jenaer akademischen Logen.
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C. Döderleins Wirken in Jena
in Jena.204 Selbst die Veranstaltungen der Professoren wurden wieder gut besucht.205 Es wurde nur noch die Forderung formuliert, dass die Jäger endlich abgezogen werden.206 Ferner erwies sich die Sorge, das Geschehen könnte der Universität geschadet haben, als unbegründet. Im Gegenteil: Der Bericht Loders über die Studentenzahlen zeigt, dass die Immatrikulationszahlen vom Dezember 1792 zum Juni 1793 anstiegen. Insgesamt betrug die Zahl der immatrikulierten Studenten im Juni 1793 907 – das war mehr als erwartet und mehr als die Konkurrenzuniversität Göttingen vorweisen konnte.207 Betrachtet man Döderleins Haltung in der Frage nach dem Umgang mit studentischen Disziplinverstößen und studentischen Orden im Ganzen, dann zeigt sich, dass er nicht zu den Professoren gehörte, die ein hartes Vorgehen gegen Disziplinverstöße forderten. Zwar verlangte er 1785/86 vehement eine Eindämmung der studentischen Orden und förderte eine Alternativorganisation, aber er war stets um ein gutes Verhältnis zu den Studenten bemüht. Die Auseinandersetzungen über diese Themen im Senat, die sich über mehrere Jahre hinzogen und sich häufig von einer sachlichen zu einer persönlichen Kontroverse entwickelten, haben allerdings dazu beigetragen, dass Döderlein mit seiner Lage in Jena oft unzufrieden war und ein äußerst angespanntes Verhältnis zu vielen seiner Kollegen hatte. 4. Döderleins Tod Döderleins Tätigkeit in Jena wurde abrupt durch seinen Tod am 2. Dezember 1792 ein Ende gesetzt. Der nur 46-jährige Theologe verstarb an den Folgen einer Grippeerkrankung.208 Bei den Reaktionen auf seinen Tod lassen sich zwei Dinge erkennen. Erstens zeigt sich in dieser Situation die Hochachtung der Studenten gegenüber ihrem Lehrer Döderlein. Laut der Darstellung in Schlichtegrolls Nekrolog und der späteren Beschreibung von Döderleins Enkel Julius Döderlein begleiteten den Theologieprofessor alle seine Studenten zum Grab.209 Auch noch sechs Jahre nach seinem Tod wurde in dem Bericht von Anton Kühl Döderleins Tod von studentischer Seite her als Verlust empfunden.210 Dass diese Verehrung von Döderlein durch die Studenten nicht nur spätere Zuschreibungen sind, wird 204 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 27. 205 Vgl. Diez, Brief: An die Eltern, 24.–27. Juli 1792, 308. 206 Vgl. Wilson, Goethes Weimar und die Französische Revolution, 27. 207 Vgl. Loder an Carl August, abgedruckt bei Koch, Der Auszug der Jenaischen Studenten, 456. 208 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 115. Die Grippeerkrankung wurde zeitgenössisch als „nervöses Katarrhalfieber“ beschrieben. Vgl. Heinrich Schweich, Die Influenza. Ein historischer und ätiologischer Versuch, Berlin 1836, 25 f. 209 Vgl. Schlichtegroll, ebd.; Döderlein, Unsere Väter, 16. 210 Siehe Einleitungstext dieser Studie.
I. Döderlein im universitären Verbund mit seinen Jenaer Kollegen
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an einer Akte ersichtlich, die sich im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar befindet und betitelt ist mit: „Das Leichenbegängnis des verstorbenen Geheimen KirchenRathes und Professores der Theologie, Döderlein, zu Jena, im Jahr 1792 betrf.“211 Die Akte wurde angelegt, weil die Studenten bei dem damaligen Prorektor Johann Wilhelm Schmid einen besonderen Leichenzug für Döderlein erbaten, um „ihre Achtung gegen ihren Lehrer zu Tage“212 legen zu können. Bei dem gewünschten Leichenzug sollten unter anderem alle Landsmannschaften mit ihren Marschällen auftreten und man sah vor, den Sarg mit 16 Trägern zu begleiten.213 Schmid hatte zwar „kein[e] Bedenken“214, diesen Leichenzug zu genehmigen, musste aber über dieses studentische Anliegen Rücksprache mit der Weimarer Regierung halten. Da die Studenten versichert hatten, die Einteilung in Landsmannschaften nur der Ordnung halber vornehmen zu wollen und nicht, um anderweitig aufzufallen, gestattete Weimar diesen Leichenzug ebenso wie das zusätzliche Glockengeläut, um das Vertreter der Studentenschaft mündlich in Weimar angefragt hatten. Allerdings wurde Schmid von Weimar aus dazu angehalten, die Studenten mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass sie die „Ordnung“ und die „angemessene[] Stille“ einhalten müssen.215 Wurde Döderlein von den Studenten mit einem besonderen Leichenzug geehrt, an dem sich die Wertschätzung zeigen lässt, so war allerdings zweitens die Anteilnahme der meisten Professorenkollegen an seinem Tod äußerst gering. Gustav Frank schreibt beispielsweise: „In seinem Charakter etwas auffahrend, heftig und mit Prätensionen behaftet, war die Liebe seiner Collegen nicht sonderlich bei ihm [Döderlein]. […] [U]nd als er starb, war die Rührung in der Nähe äußerst klein.“216 Diese Schilderung orientiert sich an der Äußerung von Paulus: „Griesbach litt an einem Stickhusten sehr. An Döderlein’s Tod dachte Niemand. Jener hat sich wieder fast ganz erholt. Dieser war in wenigen Tagen dahin. Sein Verlust für die Universität ist unläugbar. Aber sein Tod bewies, wie wenig er von seinen Collegen fast durchaus geliebt war. Die Rührung war äußerst klein. Besonders hat seine Verbindung mit der Eccard’schen Familie in den letzten Jahren und die Herrschsucht derselben darauf sehr gewirkt.“217 211 ThHStAW, A 8509. 212 Brief von Schmid an Sachsen-Weimar-Eisenach, 3.12.1792, ThHStAW, A 8509, 1r. 213 Vgl. Brief von Schmid an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 2r. – Üblich waren sechs, höchstens aber acht Träger. Nur auf spezielle Bitte waren mehr Träger gestattet. Vgl. Johannes Schmidt, Aeltere und neuere Gesetze, Ordnungen und Cicular-Befehle für das Fürstenthum Weimar und für die Jenaische Landes-Portion bis zum Ende des Jahres 1799. In einem alphabetischen wörtlichen Auszug gebracht, 1. Bd., Jena 1800, 376 f. 214 Brief von Schmid an Sachsen-Weimar-Eisenach, aaO., 1. 215 Sachsen-Weimar-Eisenach an die Universität Jena, Konzept, 3.12.1792, ThHStAW, A 8509, 5. Für das Geläut war das Konsistorium zuständig, weshalb am gleichen Tag auch ein Schreiben von Sachsen-Weimar-Eisenach an das Konsistorium mit der Anweisung erging, dieses Geläut zu gestatten und alles Nötige dafür zu veranlassen. Vgl. Sachsen-Weimar-Eisenach an das Konsistorium, Konzept, 3.12.1792, ThHStAW, A 8509, 6. 216 Frank, Art. Döderlein, 281. 217 Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 197.
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C. Döderleins Wirken in Jena
Dass Döderlein grundsätzlich mit den Kollegen in Jena nie ein besonders herzliches Verhältnis hatte, wurde schon oben bemerkt. Bei Paulus werden allerdings zwei verschiedene Begründungen für das kühle Verhältnis zwischen Döderlein und seinen Kollegen geboten: Einmal Döderleins heftiges Temperament, über das er sich, wie im Konflikt mit Eichhorn erkennbar wurde, selbst bewusst war. Und zweitens Döderleins Verbindung mit der Eckardtschen Familie, die über seine zweite Frau Rosina Christina Eleonora zustande kam. Eckardt war zwar bei den Studenten beliebt,218 wurde aber von vielen Kollegen als unverträglich und herrschsüchtig wahrgenommen.219 Paulus war der Meinung, dass dieses Verhältnis auch auf den Schwiegersohn Döderlein abgefärbt habe. Allerdings, so schrieb Paulus ebenfalls, war den Kollegen bewusst, dass Döderlein nur schwer zu ersetzen sein würde.220 Döderleins Tod bedeutete deshalb nicht nur für seine Familie und seine Freunde, sondern auch für die Universität einen schweren Verlust.221 Die verschiedenen Reaktionen auf Döderleins Tod spiegeln in besonderer Weise sein Leben in Jena wieder, wie er es bereits 1783, also kurz nach seiner Ankunft in Jena, selbst beschrieben hatte: Er fand in Jena die Anerkennung der Studenten, aber behielt ein problematisches Verhältnis zu der Mehrheit seiner Kollegen.
II. Döderlein als Hochschullehrer 1. Vorlesungstätigkeit „Der selige Geh. Kirchenrath Döderlein las unausgesezt Dogmatik und Moral, und zwar beyde nach einem so ausführlichen Plan, daß nicht nur die biblischen Beweise ins Licht gesetzt und die nöthigen philosophischen Erörterungen beygebracht, sondern auch bey der Dogmatik sorgfältigere Rücksichten auf Geschichte, Polemik (die eben darum nur selten besonders vorgetragen zu werden brauchte) und Symbolik genommen werden konnten. Beynahe eben so unausgesezt las er auch Dogmengeschichte. Nächstdem trug er am öftersten Pastoraltheologie vor. Einigemal beschäftigte er sich mit Erzählung und Beurtheilung der theologischen, vornehmlich neuern, Streitigkeiten, wie auch mit den christlich[en] Alterthümern. Endlich, wenn die Bearbeitung der […] genannten Fächer ihm Zeit übrig ließ, erklärte er ein Buch entweder des Alten Testaments, meistens seinen Lieblings Schriftsteller Jesaias, oder auch des Neuen Testaments, jedoch lezteres, wie schon die Ankündigungen in den Lections Catalogen bezeugen, nicht sowohl in kritisch 218 Vgl. Leber, Die Universität Jena, 281. 219 Vgl. Hartung, Das Großherzogtum Sachsen, 52. 220 Auch auswärtige Kollegen wie beispielsweise Franz Volkmar Reinhard bemerkten diesen Verlust für Jena: „Jena und die ganze theologische Literatur haben an diesem Manne sehr viel verloren, und ich sehe vor der Hand keine Möglichkeit, wie man in Jena diesen Verlust ersetzen will“. Zit. nach Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 114. 221 Vgl. Koch, Kleine Beiträge, 745; Döderlein, Unsere Väter, 16.
II. Döderlein als Hochschullehrer
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philologischer oder eigentlich exegetischer, als vielmehr in theologischer, praktischer, oder wie er selbst es zu nennen pflegte, populärer Rücksicht“.222
Mit diesen Worten beschrieb Johann Jakob Griesbach die Vorlesungstätigkeit Döderleins in einem Schreiben der Theologischen Fakultät an die Gesamtakademie eineinhalb Monate nach Döderleins Tod. Griesbachs Bericht bietet erste Hinweise, in welchen Fächern Döderlein Vorlesungen hielt und worauf er seinen Schwerpunkt setzte, nämlich auf Vorlesungen in den Bereichen Dogmatik und Moral. Eine detaillierte Analyse von Döderleins Vorlesungstätigkeit soll im Folgenden geboten werden. Die Grundlage dieser Untersuchung bilden die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Jena.223 Obgleich die Quellengattung der Vorlesungsverzeichnisse durchaus Probleme mit sich bringt, weil hier allein Auskunft darüber gegeben wird, welche Vorlesungen angekündigt, und nicht, welche Vorlesungen tatsächlich gehalten wurden,224 stellen sie trotzdem die beste Quelle dar, um Aussagen über die universitären Lehrinhalte und Lehrangebote treffen zu können.225 Laut dem Historiker Horst Walter Blanke hat diese Quellengattung eine fundamentale Bedeutung für die Forschung, weil sich daran ablesen lasse, wie sich bevorzugte Themen und Fragestellungen des akademischen Lehrbetriebes verschoben und sich einzelne Fachwissenschaften beziehungsweise der Wissenschaftsbetrieb als solches entwickelt haben.226 222 Gutachten von Griesbach, 14.1.1793, UAJ, J 28, 18v. 223 Zu den Vorlesungsverzeichnissen in Jena siehe Ulrich R asche, Über Jenaer Vorlesungsverzeichnisse des 16. bis 19. Jahrhunderts (in: ‚Gelehrte‛ Wissenschaft. Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 26], hg. v. Thomas Bach/Jonas Maatsch/Ulrich R asche, Stuttgart 2008, 13–57). Mit Blick auf die Theologische Fakultät: Leppin, Auf dem Weg zur Konstitution des Fächerkanons, 59–69. Allgemein zum Begriff, zur Entstehungsgeschichte und Funktion dieser Verzeichnisse Ulrich R asche, Seit wann und warum gibt es Vorlesungsverzeichnisse an den deutschen Universitäten? (ZHF 36, 2009, 445–478) und Jens Bruning, Vorlesungsverzeichnisse (in: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven [Wolfenbütteler Forschungen 128], hg. v. Ulrich R asche, Wiesbaden 2011, 269–292). 224 Vgl. Bruning, aaO., 269. Die Auflistung weiterer Grenzen und Problemfelder Bruning, aaO., 286 f. und Isa Schikorsky, Vorlesungsverzeichnisse im 18. Jahrhundert als Quellen zur Hochschulgeschichte. Eine Problemskizze (in: Referate beim Workshop zur Geschichte der Carolo-Wilhelmina am 30. Juni 86 und Kurzprotokoll der Veranstaltungen des Hochschultages am 5. Juli 85 [Projektberichte zur Geschichte der Carolo-Wilhelmina 1], Braunschweig 1986, 39–50), hier 40 f. – Allerdings kann für Jena punktuell überprüft werden, ob die angezeigten Vorlesungen tatsächlich gehalten wurden. Verwiesen sei auf die für einige Semester vorliegenden Rechenschaftsberichte der Professoren (siehe unten). So kündigte Döderlein beispielsweise für das WiSe 1785/85 eine Veranstaltung unter dem Titel „Die Methode, die Theologie zu studiren“ an. Im Rechenschaftsbericht erklärte er allerdings, er habe diese Vorlesung nicht gehalten und könne sie erst anbieten, wenn er sein Prorektorat abgelegt habe. Siehe GA, M sub Mond (15), 121, 229r. 225 Vgl. Bruning, aaO., 284. Über die weiteren Vorzüge dieser Quellengattung Bruning, aaO., 284–286 und Schikorsky, aaO., 41. 226 Vgl. Horst Walter Blanke, Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruck-
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C. Döderleins Wirken in Jena
Für den in der vorliegenden Studie zu untersuchenden Zeitraum (WiSe 1782/83 bis WiSe 1792/93) werden die Vorlesungsverzeichnisse herangezogen, die in den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ (WiSe 1782/83–WiSe 1786/87), den „Jenaische[n] gelehrte[n] Anzeigen“ (SoSe 1787 und WiSe 1787/88) sowie dem „Intelligenzblatt der Allgem. Literatur-Zeitung“ (SoSe 1788–WiSe 1792/93) abgedruckt sind.227 Nicht nur in Jena, sondern auch an anderen Universitäten war es seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblich, die Vorlesungsverzeichnisse regelmäßig in Gelehrten Zeitungen zu publizieren. Die Abdrucke erfolgten als deutsche Übersetzungen der auf Latein erschienenen Vorlesungsverzeichnisse beziehungsweise der Lektionskataloge der Universitäten,228 wobei die Veranstaltungen in den Zeitschriften nicht nach der Hierarchie der Dozenten, sondern nach der Systematik der Wissenschaften angeordnet wurden.229 Aufgrund der Veröffentlichung von Vorlesungsankündigungen in den Zeitschriften entwickelte sich in der Aufklärungszeit eine neue Form von Öffentlichkeit und Kommunikationsverdichtung: Über das Medium Zeitschrift sollten nicht nur die eigenen Studierenden, sondern auch ein überregionales Publikum erreicht und ein nicht-akademischer Personenkreis angesprochen werden.230 Für Jena hat Horst Neuper auf Grundlage der Vorlesungsverzeichnisse in den Zeitschriften eine hilfreiche Übersicht für die Jahre 1749 bis 1854 zusammengestellt.231 ten Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten 1700–1899. Teil I (BerWissGesch 6, 1983, 205–227), hier 205. 227 Die genauen Seitenangaben listet Horst Walter Blanke, Bibliographie der in periodischer Literatur abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse deutschsprachiger Universitäten 1700–1919. Teil II (BerWissGesch 10, 1987, 17–43), hier 23 auf. 228 Vgl. Blanke, Bibliographie I, 206. 229 Vgl. R asche, Jenaer Vorlesungsverzeichnisse, 35. Um eine solche Systematik zu erreichen, wurden Großrubriken erstellt, unter denen die Vorlesungen angezeigt wurden. Die drei Rubriken „Gottesgelahr(t)heit“/ „Theologie“, „Rechtsgelahr(t)heit“/ „Jurisprudenz“ und „Arzneygelahr(t)heit“ entsprachen den drei Fakultäten. Die Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät wurden in mehrere Rubriken unterteilt wie in „Philosophie“, „Mathematik“ und „Philologie“. Vgl. R asche, aaO., 36, Anm. 90. Auch innerhalb der Großrubrik selbst wurden die Veranstaltungen nach den einzelnen Disziplinen und nicht nach dem Rang der Professoren angeordnet. – Die an der Philosophischen Fakultät lehrenden Professoren Johann Gottfried Eichhorn und Heinrich Eberhard Gottlob Paulus wurden mit ihren auf den theologischen Fachbereich bezogenen Veranstaltungen unter der Rubrik „Theologie“ aufgeführt und mit ihren anderen Vorlesungsangeboten unter eine bestimmte Rubrik der Philosophischen Fakultät (meistens „Philologie“) eingeordnet. Dieser Sachverhalt lässt den engen Zusammenhang der Professur für orientalische Sprachen mit der Theologischen Fakultät erkennen. Eine Ausnahme bildete allein die Anzeige des Vorlesungsprogramms für das Sommersemester 1788. Hier wurde keine einzige Veranstaltung Eichhorns bei der Theologischen Fakultät angekündigt. Hintergrund ist der Streit zwischen der Theologischen und Philosophischen Fakultät über den Magister Schmitz. Dazu siehe oben Kapitel C/I, 2.2. 230 Vgl. Blanke, Bibliographie II, 19. 231 Horst Neuper (Hg.), Das Vorlesungsangebot an der Universität Jena von 1749 bis 1854, 2 Bde, Weimar 2003 (Manuskriptfassung). – Diese von Neuper erstellte Übersicht ermöglicht einen guten Einblick in die Jenaer Vorlesungsverzeichnisse und stellt eine wertvolle Arbeitsgrundlage dar. Allerdings haben sich auch Fehler eingeschlichen. So stimmt bei-
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Neben den in den Zeitschriften erschienenen Vorlesungsverzeichnissen werden für die vorliegende Untersuchung ebenfalls die handgeschriebenen Anschlagzettel der Professoren berücksichtigt. Auf solchen Anschlagzetteln gaben die Professoren ihr gesamtes Lehrprogramm für ein bestimmtes Semester bekannt. Sie sind für die Forschung äußerst wertvoll, weil aus ihnen konkrete Informationen über die Form und die Uhrzeit der Vorlesungen entnommen werden können.232 Auf eine weitere „überaus wertvolle Quelle zur Erfassung des Lehrbetriebes“233 hat zudem Ulrich Rasche aufmerksam gemacht.234 Für die „Salana“ liegen in dem Zeitraum vom WiSe 1767/68 bis zum WiSe 1784/85 Rechenschaftsberichte der Professoren in tabellarischer Form vor, in denen sie den Erhaltern semesterweise über ihre Vorlesungstätigkeit Auskunft erteilen mussten. Die Professoren wurden angewiesen, in den nach Fakultäten sortierten Tabellen, bei denen die Extraordinarien und Privatdozenten gesondert aufgeführt wurden, eigenhändig Angaben über „Die Collegia so er würkl. lieset“ zu machen, sowie über die Bücher, die ihren Vorlesungen zu Grunde lagen. Zugleich sollten sie beantworten, ob die Veranstaltungen „publicum“ oder „privatum“/ “privatissimum“ gewesen seien, wie viel Honorar sie von den Zuhörern verlangt und wie viele Studenten zugehört hätten. Ebenso mussten sie notieren, wie viele Stunden sie wöchentlich für die angegebene Vorlesung und für alle Vorlesungen zusammen benötigt hatten, zu welchem Datum sie mit ihrer Vorlesungstätigkeit begonnen hatten und ob eine geplante Vorlesung unter Umständen nicht zu Stande gekommen sei.235
spielsweise die Zuordnung von einzelnen Lehrveranstaltungen zu bestimmten Personen nicht. Nicht Griesbach hat im WiSe 1782/83 über Polemik gelesen, sondern Döderlein (1. Bd., 203). Zudem werden im Quellenverzeichnis mehrfach die Jahreszahlen oder Zeitschriftennummern falsch angegeben (2. Bd., 691–693, z. B. beim SoSe 1784; WiSe 1786/87). 232 Die Anschlagszettel befinden sich in den jeweiligen Akten der Fakultät. Für den vorliegenden Zeitraum sei auf die Akten im Universitätsarchiv Jena verwiesen: UAJ, J 10; J 11 und J 12. Zu dieser Quellengruppe: Bruning, Vorlesungsverzeichnisse, 270 und R asche, Jenaer Vorlesungsverzeichnisse, 29.32. – Die Abdrucke der Vorlesungsverzeichnisse in den Zeitschriften enthielten nur selten Informationen über die Uhrzeit. Für den Zeitraum vom WiSe 1782/83 bis zum WiSe 1792 wurden diese Angaben nur dreimal gemacht (siehe Vorlesungsverzeichnisse in den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ für das SoSe 1784 und im „Intelligenzblatt der Allg. Literatur-Zeitung“ für das SoSe 1788 und WiSe 1788/89). 233 R asche, aaO., 39. 234 Vgl. ebd. mit Anm. 103. 235 Die tabellarischen Rechenschaftsberichte liegen fast vollständig im Staatsarchiv Gotha in drei Bänden vor: Bd. 1 (1767–1770): GA, M sub Mond, 15, 110; Bd. 2 (1772–1780): GA, M sub Mond, 15, 116 und Bd. 3 (1781–1793.1796): GA, M sub Mond, 15, 121. Rasche ermittelt, dass für das SoSe 1785 noch eine handschriftliche Tabelle existiert haben muss, die allerdings nicht mehr erhalten ist. Nach diesem Semester beschloss der Senat, keine Listen mehr anzufertigen, wenn sie nicht explizit von den Erhaltern eingefordert wurden. Da das offenbar nicht geschah, wurden auch keine Rechenschaftsberichte mehr verfasst. Vgl. R asche, aaO., 39, Anm. 103.
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C. Döderleins Wirken in Jena
1.1. Das Vorlesungsangebot Döderleins Vorlesungstätigkeit in Jena begann mit dem Wintersemester 1782/83. Aus dem Vorlesungsverzeichnis in den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ kann entnommen werden, dass Döderlein seine ersten Vorlesungen über „Salomons Schriften“, „Polemik“ und „Dogmatik nach seinem Compendio“ hielt. Betrachtet man Döderleins Vorlesungstätigkeit in diesem Semester im Kontext mit seinen Lehrveranstaltungen der darauf folgenden Semester, können einige Beobachtungen festgehalten werden: Über die Dogmatik las er nicht nur im WiSe 1782/83, sondern jedes Semester, wie Griesbach schon oben anmerkte. Im Wintersemester bot er immer den ersten Teil an und im Sommersemester beendete er diese Veranstaltung. Die Dogmatikvorlesung, der er seine „Institutio“ zu Grunde legte, fand also in einem zweisemestrigen Turnus statt. Als weniger repräsentativ für seine Lehrtätigkeit in Jena müssen die Vorlesungen über „Polemik“ und „Salomons Schriften“ angesehen werden. Über Polemik las er in den folgenden Semestern sehr selten236 und über Salomons Schriften gar nicht mehr. Wenn er über das Alte Testament las, dann vor allem über Jesaja; das jedoch auch sehr unregelmäßig.237 Worüber er in seinem ersten Semester in Jena noch nicht lehrte, dann aber regelmäßig, war über die Sittenlehre. In den Jahren 1783 bis 1790 bot er diese Veranstaltung jeweils im Sommersemester an. Wählte er bis zum Sommersemester 1788 das Lehrbuch von Gottfried Less als Grundlage seiner Vorlesungen, so nutzte er seit dem Sommersemester 1789 sein eigenes Lehrbuch mit dem Titel „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“.238 Seit dem Sommersemester 1791 las er über dieses Thema in einem zweisemestrigen Turnus: Er unterrichtete im Sommer jeweils über den ersten Teil und im Winter über den zweiten. Regelmäßig dozierte er ebenso über die Pastoraltheologie, die er meistens im Wintersemester anbot.239 Auch Disputier-, Examinier- und Homiletikübungen standen ab dem Sommersemester 1783 regelmäßig unter seinem Namen im Vorlesungsverzeichnis.240 Vorlesungen, die er nur einmal durchführte, stammen aus dem kirchengeschichtlichen Bereich, wie etwa die Vorlesung über „Die christlichen 236 Nur im SoSe 1783; WiSe 1783/84; SoSe 1785 und WiSe 1790/91. 237 Über Jesaja las Döderlein im WiSe 1783/84; SoSe 1784; WiSe 1786/87; WiSe 1788/89 und im SoSe 1790. Die Vorlesung im WiSe 1792/93 konnte er nicht bis zum Ende halten, weil er im Dezember 1792 starb. Im WiSe 1791/92 verband er seine Ausführungen über Jesaja mit dem Hohen Lied. Daneben bot er im SoSe 1786 eine Genesisvorlesung und im SoSe 1789 eine Vorlesung über die Bücher Moses an. Über zwei Semester hinweg lehrte er über die Psalmen (WiSe 1787/88; SoSe 1788). 238 Dazu siehe Kapitel D/II. 239 Vorlesungen über die Pastoraltheologie: SoSe 1783; WiSe 1784/85; WiSe 1785/86; WiSe 1787/88; WiSe 1788/89; WiSe 1789/90; WiSe 1790/91; SoSe 1792. 240 Eine Ausnahme bildete nur das SoSe 1792. Hier wurden keine Übungen von ihm im Vorlesungsverzeichnis angezeigt. Neben Döderlein war es der dritte Ordinarius Schmid, der zahlreiche Übungen anbot.
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Altertümer“ (WiSe 1785/86)241, und aus dem neutestamentlichen Fachgebiet. So las er beispielsweise über den Korintherbrief und die drei ersten Evangelien jeweils nur einmal.242 Besondere Akzente setzte Döderlein mit seinen Vorlesungen über die Geschichte der Dogmen und über die Geschichte der theologischen Moral, weil er damit der erste Professor der Theologischen Fakultät in Jena war, der Veranstaltungen unter diesen Titeln anbot. Über die Dogmengeschichte lehrte er sieben Mal243 und über die Geschichte der theologischen Moral einmal (SoSe 1791). Anhand dieser Beobachtungen kann resümiert werden, dass Döderlein zu fast jeder theologischen Disziplin Vorlesungen hielt.244 Sein Lehrschwerpunkt lag allerdings bei den Fächern Dogmatik und Ethik, wie bereits Griesbach in dem Eingangszitat bemerkte. Dass sich Döderlein mit Vorlesungsangeboten im Neuen und Alten Testament sowie in der Kirchengeschichte zurückhielt, lag nicht unbedingt an seinem eigenen Forschungsschwerpunkt. Gerade im Alten Testament hatte er sich mit seinem „Jesajas“ profiliert. Der Grund ist vielmehr in der Ausrichtung der Vorlesungstätigkeit seiner Kollegen zu suchen. Es waren hauptsächlich Griesbach und Eichhorn und später Paulus, welche die Vorlesungen im Neuen Testament abdeckten. Griesbach bot jedes Semester ein bis zwei neutestamentliche Vorlesungen an. In der Regel las er für den hier zu untersuchenden Zeitraum in einer sich über fünf Semester hinziehenden thematischen Abfolge: Mt/Mk/ Lk – Joh/Apg – Röm/kleine paulinische Briefe – Kor/die übrigen paulinischen Briefe – Thess/Hebr/kath. Briefe. Danach begann er wieder mit den drei ersten Evangelien.245 Auch unter Eichhorns Namen wurde in jedem Semester eine neutestamentliche Vorlesung angezeigt.246 Eichhorn las meistens nach folgendem Zyklus: die vier Evangelisten/Apg – alle paulin. Briefe – kath. Briefe/Offb. Für die Disziplin Altes Testament war Eichhorn ebenso zuständig. Er bot dazu 241 Daneben lehrte er einmal über „Die Religionsstreitigkeiten“ (WiSe 1787/88) und begann im WiSe 1792/93 erstmals eine Veranstaltung über die „Augsburger Konfession“. Einmalig waren auch seine Vorlesungsankündigungen mit den Titeln „Die Methode, Theologie zu studieren“ (WiSe 1784/85) und „Regeln zur Bildung eines Religionslehrers nach eigenen Grundsätzen“ (WiSe 1786/87). Die Vorlesung „Die Methode, Theologie zu studieren“ fand allerdings nicht statt. Siehe Anm. 224. 242 Über die Korintherbriefe las er im SoSe 1784 und über die drei ersten Evangelisten im WiSe 1784/85. Seine anderen neutestamentlichen Vorlesungen betrafen den Römerbrief (WiSe 1783/84; WiSe 1785/86), das Johannesevangelium (SoSe 1785) und den Hebräerbrief (WiSe 1789/90). 243 WiSe 1786/87; SoSe 1787; WiSe 1788/89; SoSe 1789; WiSe 1789/90; SoSe 1790; SoSe 1792. 244 Schon in Altdorf hatte er über fast alle theologischen Disziplinen gelehrt. Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 110 f. 245 Daneben hielt er auch Einleitungsvorlesungen über das Neue Testament: WiSe 1782/83; SoSe 1784; WiSe 1784/85; SoSe 1786; WiSe 1787/88; WiSe 1789/90; WiSe 1791/92. 246 Nur im WiSe 1782/83 bot er zwei neutestamentliche Vorlesungen an.
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jedes Semester eine Veranstaltung an.247 Griesbach wiederum, der in den Jahren 1782 bis 1792 nicht eine alttestamentliche Vorlesung hielt, deckte den Bereich Kirchengeschichte ab. Las er 1777 noch die Kirchengeschichte auf der Grundlage des Millerschen Auszugs nach Johann Lorenz Mosheim, so dozierte er ab dem Sommersemester 1778 nach dem aktuelleren Werk seines Leipziger Lehrers Johann Matthias Schröckh. Diese Vorlesung erstreckte sich in dem zu untersuchenden Zeitraum immer über drei Semester.248 Obgleich Döderlein hauptsächlich für die Dogmatik zuständig war, so widmeten sich ebenso Griesbach und Schmid dieser Disziplin. Griesbach las in unregelmäßigen Abständen über seine „Anleitung zur gelehrten Kenntniß der Dogmatik“.249 Schmid lehrte ab dem Wintersemester 1789/90 durchgängig die Dogmatik nach Samuel Friedrich Nathanael Morus („Epitome Theologiae Christianae“, 1789). Auch die Sittenlehre beziehungsweise Moral lag nicht allein in Döderleins Zuständigkeitsbereich. Schmid, der sich ansonsten ganz auf die praktische Theologie konzentrierte, wie die Homiletik, Katechetik und Pastoraltheologie, las seit dem Wintersemester 1785/86 mehrfach die Sittenlehre nach Carl Christian Tittmann. Die Studenten in Jena hatten daher die Möglichkeit, jedes Semester eine Vorlesung über die Sittenlehre zu hören: im Sommersemester bei Döderlein (nach Less), im Wintersemester bei Schmid (nach Tittmann). Das änderte sich, als Döderlein seine eigene „Sittenlehre“ für die Vorlesung heranzog und nun jedes Semester darüber lehrte. Seit dem Wintersemester 1790/91 las auch Schmid nach seinem eigenen Buch „Theologische Moral“, wobei er im Unterschied zu Döderlein den Vorlesungsstoff auf ein Semester beschränkte. 1.2. Die Vorlesungspraxis In Jena war es wie an fast allen protestantischen Universitäten Deutschlands üblich, dass eine Vorlesung eine Zeitstunde umfasste,250 die oft an fünf oder sechs Tagen der Woche gehalten wurde.251 Außerdem waren die Professoren 247 Hier lässt sich folgender Zyklus erkennen: Jes – Ps – 12 kleine Propheten – Pentateuch – Hiob/Daniel. 248 1) Ältere Kirchengeschichte, 2) Zweiter Teil der Kirchengeschichte, 3) Kirchengeschichte von der Reformation an. 249 WiSe 1783/84; WiSe 1785/86; SoSe 1787; SoSe 1788; WiSe 1788/89; SoSe 1792. Zu Griesbachs Dogmatik siehe Anm. 286. – Neben den hier angeführten Veranstaltungen bot Griesbach auch Vorlesungen über die Hermeneutik an (SoSe 1783; WiSe 1784/85; SoSe 1789). Dazu sei verwiesen auf Delling, Griesbach, 88. 250 Vgl. Arno Seifert, Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien (in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, 1. Bd.: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, hg. v. Notker Hammerstein, München 1996, 197–374), hier 268. 251 Zumindest sind es für den zu untersuchenden Zeitraum nur wenige Vorlesungen, die mit weniger als fünf oder sechs Stunden in der Woche angegeben werden. Siehe die Rechenschaftsberichte der Professoren. Die Tabellen der Theologischen Fakultät befinden sich unter
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dazu angehalten, auf die Vorlesungen ihrer Kollegen Rücksicht zu nehmen, so dass sich die einzelnen Veranstaltungen kaum überschnitten.252 Bei den Vorlesungen wurde grundsätzlich zwischen privaten und öffentlichen Vorlesungen unterschieden. Für das 18. Jahrhundert kann konstatiert werden, dass die öffentlichen Vorlesungen immer mehr zu Gunsten der Privatvorlesungen zurücktraten.253 Dass die Privatvorlesungen so zur „eigentliche[n] Substanz des Unterrichts“254 wurden, hing unter anderem mit der dürftigen Besoldung der Professoren zusammen.255 Die von den Studenten zu zahlenden Honorare für die privaten Veranstaltungen boten eine zusätzliche Einnahmequelle.256 Wurden die öffentlichen Vorlesungen im Collegium Jenense angeboten, wo alle vier Fakultäten über einen eigenen Vorlesungssaal verfügten,257 so nutzten die Professoren für ihre Privatvorlesungen einen eigenen Hörsaal, der sich oft in ihrem Wohnhaus befand.258 Griesbach hatte beispielsweise in seinem Stadthaus einen eigenen Hörsaal.259 Auch Döderlein verfügte in seinem Haus über einen Hörsaal mit mehr als 200 Plätzen.260 Da viele Dozenten allerdings keine eigenen Räume besaßen, mussten sie einen Hörsaal bei einem anderen Professor miefolgender Signatur: GA, M sub Mond (15), 121, 100v/101r (WiSe 1782/83), 130v/131r (SoSe 1783), 152v/170r (WiSe 1783/84), 246v/247r (SoSe 1784), 228v/229r (WiSe 1784/85). 252 Vgl. Ewald Horn, Kolleg und Honorar. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der deutschen Universitäten, München 1897, 46. 253 Zu dieser Entwicklung siehe Markus Huttner, Geschichte als akademische Disziplin. Historische Studien und historisches Studium an der Universität Leipzig vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Aus dem Nachlaß hg. v. Ulrich von Hehl (BLUWiG A 5), Leipzig 2007, 158 f. 254 Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht, 2. Bd., Berlin/Leipzig 31921, 131. 255 Vgl. ebd. 256 Vgl. Rudolf Mau, Programme und Praxis des Theologiestudiums im 17. und 18. Jahrhundert (Theologische Versuche 11, 1979, 71–91), hier 77. – Angaben über die Höhe der Honorare können aus den Rechenschaftsberichten der Professoren entnommen werden. Siehe Anm. 235. 257 Vgl. R asche, Jenaer Vorlesungsverzeichnisse, 23. 258 Vgl. Horn, Kolleg und Honorar, 55; siehe auch die Darstellung bei Barbara Oehme, Wohnhäuser und Lektionsräume der Professoren (in: Von Schillers Berufung bis Fichtes Entlassung. Vorlesungen an der philosophischen Fakultät der Universität Jena 1789–1799 [Jenaer Reden und Schriften. Veröffentlichung der Friedrich-Schiller-Universität], hg. v. Hans Herz, Jena 1989, 73–85). 259 Vgl. Martin Ohst, Der Theologie- und kirchengeschichtliche Hintergrund des Atheismusstreits (in: Fichtes Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren [Kritisches Jahrbuch der Philosophie 4], hg. v. Klaus-M. Kodalle/M artin Ohst, Würzburg 1999, 31–47), hier 32; Oehme, Wohnhäuser, 79 f. 260 Vgl. die Schilderung Schillers an Christian Gottfried Körner, 13.5.1789 (in: NA 25, Nr. 181, 254–256), hier 255. – Das sich in der Leutragasse befindende Haus, in dem Döderlein lebte und lehrte, diente schon ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts als Professorenwohnhaus. Nach Döderleins Tod vermietete seine Witwe den Hörsaal an den Juristen Gottlieb Hufeland. 1945 wurde das Haus zerstört. Vgl. Oehme, Wohnhäuser, 84.
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ten.261 So hielt zum Beispiel Friedrich Schiller seine Antrittsvorlesung in Griesbachs Hörsaal.262 Dass die drei Ordinarien an der Theologischen Fakultät für den zu untersuchenden Zeitraum meistens nur eine öffentliche Vorlesung anboten und die Vorlesungszeiten unter sich aufteilten, wird exemplarisch an dem Vorlesungsplan für das Wintersemester 1783/84 ersichtlich. Uhrzeit
Professor
Titel der Veranstaltung Über die 3 ersten Evangelisten nach seiner Synopsi
Wochenstunden
8–9
(privatas)
Griesbach
9–10
(privatas)
Döderlein Die Dogmatik nach seinem Kompendio. Von Neuem.263
6
10–11 (privatas)
Döderlein Polemik
5
11–12 (privatas)
Griesbach
6
1–2
(publicas)
Döderlein Über einige Stücke des Jesaias
1–2
Schmid (publicas, nur Mo + Do)
Populäre Dogmatik nach seiner Anleitung Die Leidensgeschichte Christi, mit Anmerkungen für Prediger erklärt
6
6 5
2–3
(privatas)
Döderlein Über den Brief an die Römer
3
3–4
(publicas)
Griesbach
Die Kirchengeschichte nach Schrökh [ Fortsetzung]
5
4–5
(privatas)
Schmid
Homiletik, nebst den nöthigen Uebungen, nach Steinbart
5
5–6
(privatas)
Schmid
Symbolik nach Walch
2
Anm.: Die Vorlesungszeiten sind den Anschlagzetteln entnommen, die Titel den „Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen“ 70./71. Stück, 1./5. September 1783, 553 f. und die Wochenstunden dem Rechenschaftsbericht der Professoren der Theologischen Fakultät zum WiSe 1783/84 (GA, M sub Mond [15], 121, 152v/170r).
Aus dieser Übersicht kann zudem entnommen werden, dass Döderlein im Wintersemester 1783/84, das von Michaelis bis Ostern ging,264 20 Stunden pro 261 Vgl. R asche, Jenaer Vorlesungsverzeichnisse, 33, Anm. 77. 262 Vgl. Ohst, Hintergrund des Atheismusstreits, 32. Schiller wollte seine Vorlesung eigentlich im Hörsaal von Karl Leonhard Reinhold halten. Als die Zuhörerzahl die Kapazität dieses Raumes aber weit überstieg, wechselte Schiller in den Saal von Griesbach. Dieser konnte nach Schillers Angaben zwischen 300 und 400 Menschen fassen. Vgl. Schiller an Christian Gottfried Körner, 28.5.1789 (in: NA 25, Nr. 182, 256–260), hier 256 f. 263 Diese Veranstaltung war auch in den anderen Semestern in der Regel eine private Veranstaltung, die von 9–10 Uhr gehalten wurde. 264 Das Wintersemester ging immer von Michaelis bis Ostern und das Sommersemester von Ostern bis Michaelis. Die genaue Vorlesungsdauer mit exakter Datumsangabe wurde unter anderem auf den Anschlagzetteln bekannt geben. Eine derartige Semestereinteilung setzte sich
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Woche las. In anderen Semestern waren es sogar noch mehr Stunden.265 Griesbach wiederum entschuldigte seine drei Lehrveranstaltungen mit 17 Wochenstunden damit, dass er das Prorektorat innehatte, was mit einem erhöhten Arbeitsaufwand verbunden war.266 Döderlein empfand sein Lehrpensum und das der anderen Dozenten als sehr hoch: „Man lieset hier so viel Collegia – wenigstens in einigen Fakultaeten, daß der Geist weder zum Studiren noch zum Schreiben kommen kan!“267 Diese hohe Stundenzahl war nur zu leisten, weil die Professoren verhältnismäßig wenig Zeit für die Vorbereitung aufwenden mussten. Wie das Vorlesungsangebot bereits erkennen lässt, war es auch noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts üblich, dass die Lehrenden ihrer Vorlesung ein bestimmtes Lehrbuch zu Grunde legten. Aus diesem Buch wurden in der Regel Textpassagen wörtlich vorgetragen, die dann vom Lehrer erklärt und ausgelegt wurden.268 Das Buch diente so als Ausgangspunkt für die eigenen Ausführungen.269 Obgleich es teilweise als Missstand empfunden wurde,270 nutzten die Dozenten daneben einen erheblichen Teil der Vorlesung zum Diktieren, weil sich viele Studenten die gedruckten Lehrbücher nicht leisten konnten.271 Blickt man auf die Lehrbücher, die zwischen 1782 und 1792 in Jena als Textgrundlage für die Vorlesungen an der Theologischen Fakultät genutzt wurden, fällt auf, dass sie zum großen Teil von den Lehrenden selbst verfasst waren. Wie sich bereits oben zeigte, las Döderlein beispielsweise die Dogmatik und die Pastoraltheologie nach seinen eigenen Grundsätzen und bot die Sittenlehre zunächst nach dem Lehrbuch von Less und dann nach seinem eigenen an. Auch Schmid benutzte für seine Katechetikvorlesungen und später für die Vorlesungen in der Homiletik und Moral die eigenen Lehrwerke. Ebenso verhielt sich durch, als mehrheitlich Privatvorlesungen angeboten wurden. Da man diese bezahlen musste, brauchte man festgelegte Semestertermine. Vgl. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, 132. 265 Döderlein las in seinem ersten Semester in Jena, im WiSe 1782/83, 21 Stunden in der Woche. In dem darauf folgenden SoSe 1783 umfasste sein Wochenpensum sogar 23 Stunden. Siehe Rechenschaftsberichte der Theologischen Fakultät zum WiSe 1782/83 (GA, M sub Mond [15], 121, 100v/101r) und SoSe 1783 (GA, M sub Mond [15], 121, 130v/131r). 266 Siehe sein Eintrag in der Tabelle des Rechenschaftsberichts zum WiSe 1783/84 (GA, M sub Mond [15], 121, 152v/170r). 267 Brief Döderleins an Will, 10.12.1783, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,13, [2]. 268 Vgl. Huttner, Geschichte als akademische Disziplin, 163 f. 269 Vgl. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts, 142. 270 Vgl. Huttner, Geschichte als akademische Disziplin, 164. Huttner führt Beispiele aus Wittenberg und Leipzig an. Vgl. Huttner, aaO., 166. – Anders wurde es in Altdorf praktiziert, da den Studenten hier die Vorlesungsmanuskripte zur Abschrift überlassen wurden. Vgl. Leder, Universität Altdorf, 32. 271 Vgl. Björn Hambsch, Art. Vorlesung (HWRh 9, 2009, 1194–1204), hier 1197; ebenso Notker Hammerstein, Universitäten (in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, 2. Bd.: 18. Jahrhundert. Vom späten 17. Jahrhundert bis zur Neuordnung Deutschlands um 1800, hg. v. Dems./Ulrich Herrmann, München 2005, 369–400), hier 385.
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Griesbach, der für seine neutestamentlichen und dogmatischen Vorlesungen die eigenen Ausführungen heranzog. Allein die Kirchengeschichte las Griesbach nach wie vor nach Schröckh. Dass die drei Ordinarien zunehmend auf ihre eigenen Lehrbücher zurückgriffen, ist nicht nur Ausdruck ihres eigenen wissenschaftlichen Anspruches und ihres akademischen Fleißes,272 sondern auch ein Zeichen dafür, dass die alten Lehrbücher als nicht mehr zeitgemäß betrachtet wurden, wie unter Punkt 1.4. dargelegt wird. Zunächst soll hier aber noch auf eine besondere Quelle für die Vorlesungspraxis hingewiesen werden. Im Bestand der ThULB befindet sich ein Exemplar der „Christliche[n] Moral“ von Less, welches Döderlein gehörte.273 Eine Notiz auf der ersten Seite lautet: „Ist unstritig Döderlein’s Handexemplar, worüber er in Altorf [sic] u Jena (bis zum Erscheinen seines eignen Compendium’s) las“. Diese Bemerkung geht auf den Theologen und Orientalisten Andreas Gottlieb Hoffmann (1796–1864)274 zurück, der ab 1822 als außerordentlicher und ab 1826 als ordentlicher Professor an der Theologischen Fakultät in Jena lehrte275 und dessen Privatbibliothek von der Universitätsbibliothek Jena übernommen wurde.276 Dass es sich wirklich um Döderleins Exemplar handelt, beweisen überdies die handschriftlich verfassten Anmerkungen, die direkt in das Buch eingetragen worden sind. Denn neben inhaltlichen Notizen am Rand, die teilweise jede freie Fläche in Anspruch nehmen, und Streichungen im Text von Less277 finden sich immer wieder Angaben über den Ort und den Tag, an dem über das Buch gelesen wurde. Diese Daten zeigen an, dass aus diesem Buch bis zum Sommer 1782 in Altdorf gelesen und von da an bis September 1788 in Jena vorgetragen wurde.278 Diese Anmerkungen treffen exakt auf Döderlein zu: Im Sommer 1782 272 Vgl. Hambsch, aaO., 1197. 273 Stefan Michel sei für diesen Hinweis gedankt! – Die Signatur ist folgende: 8 Theol. XXXI,127. 274 Siehe die Unterschrift unter der Notiz. 275 Vgl. [Gustav Moritz] Redslob, Art. Hoffmann, Andreas Gottlieb (ADB 12, 1880, 571 f.), hier 572. 276 Vgl. Johannes Wischmeyer, Art. Hoffmann, Andreas Gottlieb (BBKL 27, 2007, 676– 682), hier 677. 277 Döderleins Anmerkungen bestanden aus Hinzufügungen, Streichungen, Verbesserungen und Konkretisierungen. Er notierte auch Verweise auf zusätzliche Bibelstellen (z. B. S. 41), gliederte den Text von Less (z. B. S. 42) und ergänzte Literaturangaben (z. B. S. 48). Diese Anmerkungen sind mit unterschiedlicher Tinte geschrieben, was darauf schließen lässt, dass Döderlein den Text beziehungsweise die einzelnen Themen immer wieder neu bearbeitete. An manchen Stellen strich er auch seine eigenen Notizen später wieder durch (z. B. S. 129). Das Ausmaß der Anmerkungen selbst ist sehr verschieden: Es gibt Seiten, auf denen kein einziger Vermerk Döderleins steht (z. B. S. 11), Seiten, auf denen er nur minimale Bemerkungen machte (z. B. S. 10) und Seiten, auf denen er die komplette Seite (abgesehen vom Druckbild) beschrieb (z. B. S. 26 f.). Grundsätzlich sind die Notizen Döderleins unterschiedlich gut zu entziffern. Das liegt nicht nur an seiner Handschrift, sondern auch daran, dass viele Vermerke, die mit heller Tinte geschrieben wurden, mittlerweile verblasst sind. 278 Vgl. die Angaben auf S. 392. – Die früheste sicher zu entziffernde Angabe steht auf S. 103
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wechselte er von Altdorf nach Jena und ab 1789 nutzte er sein eigenes Lehrbuch als Vorlesungsgrundlage. Die Datumsangaben, bei denen oft mehr als sieben Angaben untereinander oder nebeneinander stehen,279 lassen aber noch Weiteres ersichtlich werden: Sie bestätigen zum einen das Vorlesungsverzeichnis, worin angegeben wird, dass Döderlein in Jena jedes Sommersemester (bis 1789) nach Less las. Am Buchanfang steht nämlich für die Jahre 1783 bis 1788 meistens ein Datum aus dem Mai (Beginn des Sommersemesters) und am Buchende ein Datum aus dem September (Ende des Sommersemesters).280 Diese Daten zeigen somit erstens, dass Döderlein wirklich nur ein Semester benötigte, um über das ganze Buch zu lesen, und zweitens, dass die Veranstaltungen, die im Vorlesungsverzeichnis angezeigt waren, auch wirklich gehalten wurden. Zum anderen geben die Daten darüber Auskunft, wie viel Zeit Döderlein für ein bestimmtes Thema beanspruchte, da sich zu den einzelnen Semestern an verschiedenen Stellen des Buches, meistens bei neuen Kapitelüberschriften, Datumsangaben finden lassen. So hielt Döderlein beispielsweise für das Sommersemester 1784 mit elf Datumsangaben akribisch fest, wie lange er für welchen Teil brauchte. Aus dem zweiten Teil der Moral nach Less, welcher 214 Seiten umfasst, las er beispielsweise vom 9. August bis 27. September 1784.281 Im Ganzen ist dieses Buch hinsichtlich der Frage nach dem Stoffumfang einer Vorlesung und eines Semesters sowie der Vorgehensweise, vorgegebene Ausführungen zu kommentieren, zu ergänzen und zu korrigieren, eine äußerst wertvolle Quelle für die Erforschung der Vorlesungspraxis am Ende des 18. Jahrhunderts. 1.3. Ein aufklärungstheologisches Vorlesungsprogramm Das Döderleinsche Handexemplar von Less ist ein hervorragendes Beispiel für Markus Huttners These, die Lehrpraxis dieser Zeit sei wesentlich eine „Wissenschaft des Buchs“282 gewesen. Er drückt damit aus, dass die Dozenten ihre Vorlesungen in Inhalt und Aufbau eng an Lehrbücher anlehnten. Deshalb, so behauptet er weiter, können wesentliche Lehrinhalte anhand der Lehrbücher rekonstruiert werden, auch wenn voreilige Rückschlüsse vermieden werden müssen.283 Die Frage, inwiefern es an der Theologischen Fakultät Veränderungen beim Vorlesungsprogramm und bei den Vorlesungsinhalten im Vergleich zu den Jahren vor 1782 gegeben hat, kann daher nicht nur anhand der Vorlesungsund gibt als Datum den 1.9.1778 an. Zum Jahr 1779 gibt es keine Notiz. Aber zu den Jahren 1780 bis 1788 sind mehrere Nennungen vorhanden. 279 Auf S. 161 stehen sogar 10 Angaben. 280 Datumsangaben vom Buchanfang: 15.5.1783; 10.5.1784; 25.4.1785; 15.5.1786; 7.5.1787; 21.4.1788. Am Buchende stehen folgende Angaben: 28.9.1783; 30.9.1784; 27.9.1785; 28.9.1786; 12.9.1787; 19.9.1788. 281 Siehe die Angaben auf S. 161 und S. 375. 282 Huttner, Geschichte als akademische Disziplin, 167. 283 Vgl. Huttner, aaO., 166 f.
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titel, sondern gleichermaßen mithilfe der verwendeten Lehrbücher beantwortet werden. Für die Theologische Fakultät in Jena kann vor diesem Hintergrund ein Paradigmenwechsel bei den Vorlesungsinhalten konstatiert werden,284 der sich besonders bei den Vorlesungen über die Dogmatik festmachen lässt: In Jena wurde über mehrere Jahrzehnte nach dem aus der Spätorthodoxie stammenden Lehrbuch „Compendium theologiae positivae“ (1686) des in Jena und später in Halle lehrenden Theologen Johann Wilhelm Baier gelehrt. So lasen Johann Georg Walch, Johann Christoph Köcher und Friedrich Samuel Zickler beispielsweise im Wintersemester 1767/68 über dieses Buch. Mit der Berufung von Ernst Jakob Danovius änderte sich diese Praxis, da dieser über Carpzov und schließlich aus seinem eigenen Lehrbuch „Institutio theologiae dogmaticae“ (1772) las. Danovius’ „Institutio“ orientierte sich an dem Buch seines Lehrers Johann David Heilmann und nahm bereits erste aufklärerische Impulse auf.285 Auch Griesbach dozierte einige Semester später, im Wintersemester 1781/82, das erste Mal über seine „Anleitung zur gelehrten Kenntniß der Dogmatik“, die er verfasst hatte „[w]eil er aber zu bemerken glaubte, daß der dogmatische Vortrag seiner damaligen Kollegen noch fast etwas zu scholastisch sey, und die Studierenden nicht Anweisung genug bekämen, das, was jedem nachdenkenden Christen interessant seyn muß, von dem, was blos zum gelehrten Apparat des Lehrers gehört, abzusondern[. So] entschloß er sich, auch Vorlesungen über die populäre Dogmatik zu halten, und zum Behuf derselben ein kurzes Handbuch zu entwerfen, welches anfangs blos für seine Zuhörer bestimmt war, nachher aber in verbesserten Ausgaben ins Publikum kam.“286
Trotz dieser neuen Herangehensweisen in der Dogmatik wurde parallel dazu in Jena weiter über Baiers Lehrbuch gelesen. Erst Döderleins Berufung nach Jena markierte einen Bruch mit dieser langen Tradition: Zwar wurde im Wintersemester 1782/83 noch einmal die Baiersche Dogmatik von Christoph Friedrich Polz vorgetragen, doch sollte dies das letzte Mal sein. Mit Döderlein hatte man nun einen anerkannten Dogmatiker in Jena, der den Großteil an Vorlesungen in dieser Disziplin abdeckte und sein eigenes Lehrbuch „Institutio Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accommodata“ zur Vorlesungsgrundlage erhob.287 Das Baiersche Lehrbuch erschien als nicht mehr zeitgemäß 284 Siehe die ersten Erkenntnisse dazu bei Leppin, Auf dem Weg zur Konstitution des Fächerkanons, 60–63. 285 Vgl. Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik, 116 f. Zu Danovius’ aufklärerischem Standpunkt samt den daraus resultierenden Problemen in Jena siehe Kapitel B/II, 1. 286 [Griesbach], [Lebensbeschreibung], 541 f. – Johann Jakob Griesbach, Anleitung zur gelehrten Kenntnis der populären Dogmatik, Jena 1779. Später unter dem Titel: Anleitung zum Studium der populären Dogmatik, besonders für künftige Religionslehrer, Jena 21786, 31787, 41789. Zu Griesbachs Dogmatikvorlesungen sei verwiesen auf Delling, Griesbach, 86 f. Eine inhaltliche Untersuchung von Griesbachs Dogmatik nimmt Marco Stallmann (Stallmann, Griesbach) vor. – Zur Rezeption von Griesbachs Dogmatik außerhalb Jenas siehe Abdeken, Griesbach, 28 und v. a. Stallmann, Griesbach, 263–265. 287 Zu Döderleins Dogmatik siehe Kapitel D/I.
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und überholt. Döderleins Dogmatik jedoch nahm, wie der Titel schon sagt, auf die Bedürfnisse der Zeit Rücksicht. Außerdem wurde Döderleins Dogmatik der Situation in Jena gerecht. Da Döderlein darin eine vermittelnde Position zwischen Tradition und Traditionskritik einnahm, sich um einen theologischen Mittelweg bemühte,288 konnten sowohl die traditionell-lutherisch geprägten, oft aus dem Ausland stammenden Studenten, als auch die progressiveren Studenten Döderleins Buch für sich in Anspruch nehmen. Griesbach akzentuierte mehrfach, wie wichtig es sei, auf beide Gruppen einzugehen, „für die Bedürfniße beyder Classen zu sorgen“289. Gleichermaßen waren die Vorlesungen von Schmid nach der Dogmatik von Samuel Friedrich Nathanael Morus Ausdruck dieses Bedürfnisses, da Morus, ein Schüler Ernestis, ebenso wie Döderlein als ein vermittelnder Aufklärungstheologe galt.290 Gab es punktuell noch Dogmatikvorlesungen in Jena, die sich bewusst gegen diese Entwicklung stellten, wie etwa Blasches Vorlesung über die Artikel von der Genugtuung Christi und der Erbsünde (WiSe 1785/86; SoSe 1786), so befanden sich diese nun in der Minderheit. Dogmatik wurde in Jena nach aufklärungstheologischen Paradigmen gelesen. Auch Döderleins Tod im Dezember 1792 änderte daran nichts. Seine „Institutio“ wurde weiterhin als Vorlesungsgrundlage genutzt. Las Schmid immer im Wintersemester über Morus, so lehrte Paulus in den Sommersemestern 1794 bis 1797 jeweils nach Döderleins Lehrbuch. Grundsätzlich galt ihm Döderleins Dogmatik als ein positives „Muster“.291 An dieser Stelle kann Martin Ohsts Verwunderung darüber, warum Döderleins Lehrbuch im kantischen Jena nach wie vor gelesen wurde,292 nicht geteilt werden. Ohst erklärt sich diesen Sachverhalt damit, dass Paulus „trotz aller Dankesbekundungen an Kant in erkenntnistheoretischen Fragen der Gotteslehre ein unselbstständiger Eklektiker“ gewesen sei, der daher auf die „vorkritische Gotteslehre Döderleins“ und damit problemlos auf dessen Dogmatik zurückgreifen konnte.293 Hier ist anzumerken, dass in Döderleins Dogmatik viel mehr Themen als nur die Gotteslehre diskutiert werden und Paulus trotz aller Achtung gegenüber Döderlein und seinem Werk oft einen anderen Standpunkt einnahm als Döderlein. Dass Paulus Döderleins „Institutio“ für seine Dogmatikvorlesungen benutzte, lag vielmehr an seinem Bemühen, sich 288 Dazu siehe Kapitel E. 289 Denominationsschreiben der Theologischen Fakultät, 10.12.1792, UAJ, J 28, 11v. 290 Zu Morus siehe Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik, 136–141; [?] Mangoldt/Georg Müller, Art. Morus, Samuel Friedrich Nathanael (RE3 13, 1903, 481–483); G[otthard] [Victor] Lechler, Art. Morus, Samuel Friedrich Nathanaël (ADB 22, 1885, 342–344); Heinrich Doering, Die gelehrten Theologen Deutschlands im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Nach ihrem Leben und Wirken dargestellt, 2. Bd., Neustadt an der Orla 1832, 563–575; Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 114–116. Frank behauptete, Morus habe „[d]ieselbe Richtung“ wie Döderlein vertreten, „nur mit weniger Freimuth“. Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 114. 291 Vgl. Paulus, Skizzen, 3. 292 Vgl. Ohst, Hintergrund des Atheismusstreits, 36. 293 Ohst, aaO., 36 f.
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an die Jenaer Gegebenheiten anzupassen. Er wollte die Bedenken zerstreuen, die Griesbach ihm gegenüber geäußert hatte, dass er als Lehrer der Theologischen Fakultät nicht angemessen über die Dogmatik lesen werde.294 Mit Döderleins Dogmatik bewies er dem Senior der Theologischen Fakultät das Gegenteil. Außerdem führte Paulus’ erste Dogmatikvorlesung im Wintersemester 1793/94, die überschrieben war mit „Die ganze Glaubenslehre nach Henke“295, zum Ausbruch eines Konfliktes zwischen dem Eisenacher Oberkonsistorium mit dem Superintendenten Christian Wilhelm Schneider und Paulus. Schneider, der die über Weihnachten nach Hause gereisten Theologiestudenten nach den bisher bei Paulus in der Dogmatikvorlesung gelernten Glaubensartikel befragte, musste feststellen, dass die Studenten in diesem für ihn wichtigstem Bereich keinerlei Unterweisung von dem Theologieprofessor erhalten hatten. Schneider richtete daraufhin eine umfangreiche Beschwerde an Herzog Carl August, welche den Konflikt eröffnete.296 Zwar konnte Paulus diesen Streit letztendlich für sich gewinnen, da Carl August ihn unterstützte – Paulus formulierte „[e]in einziges Mal drohte meiner Lehrfreiheit Gefahr; und – dieser Regent [Carl August] selbst hob und entfernte sie für immer“297 – aber indem er in den folgenden Semestern die Dogmatik nach Döderlein las, wollte er weitere Probleme in diesem Bereich vermeiden. Paulus bot mit dem Bezug auf Döderlein rein formal weniger Angriffsfläche für theologische Gegner wie Schneider. In diesem Zusammenhang muss allerdings auch beachtet werden, dass Paulus in seinen ersten Semestern als Theologieprofessor keine Zeit hatte, jede Vorlesung anhand eigener Ausführungen zu entwickeln.298 Es war daher naheliegend, auf die schon bewährte Döderleinsche Dogmatik zurückzugreifen. Neben den Vorlesungen über die Dogmatik gab Döderlein mit seiner Vorlesung über die Dogmengeschichte neue Impulse für die Theologische Fakultät in Jena. Befanden sich erste dogmengeschichtliche Exkurse bereits in seiner „Institutio“, so gab er der Dogmengeschichte nun einen größeren Stellenwert in Form einer eigenen Vorlesung. Der vor allem auf Johann Salomo Semler zurückgehende dogmengeschichtliche Ansatz, d. h. über die Historisierung des Dogmas Kritik zu ermöglichen, ist ein Charakteristikum der Aufklärungstheo294 Siehe oben Kapitel C/I, 2.4. 295 Vgl. Neuper, Das Vorlesungsangebot, 1. Bd., 275. 296 Zu diesem Konflikt siehe die Darstellung von Paulus: Paulus, Skizzen, 159–168 und darauf aufbauend: Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 243–266 sowie Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät, 206–209. Daneben sei auf Kublik, Die Universität Jena, 211–217 verwiesen, der seiner Darstellung die offiziellen Akten zu den Universitätsangelegenheiten der Erhalterstaaten zugrunde legt und sich besonders um eine Einschätzung der Rolle Carl Augusts in diesem Streit bemüht. 297 Paulus, aaO., 157. Carl August wurde von Paulus an mehreren Stellen seiner Skizzen überschwänglich gerühmt. Diese Beobachtung macht auch Kublik, aaO., 211. 298 Vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 198.241. – Paulus beschäftigte sich laut Selbstaussage in den ersten Jahren seines Lehramtes hauptsächlich mit alt- und neutestamentlicher Exegese. Vgl. Paulus, aaO., 157.
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logie.299 Dass dieser Ansatz nun offiziell in das Vorlesungsprogramm in Jena aufgenommen wurde, ist Ausdruck der in Jena gelehrten Neologie. Wie bereits Griesbach in dem Eingangszitat erwähnte, steht in Zusammenhang zu dieser sich um Objektivität bemühenden Darstellung der Geschichte der Dogmen die Entwicklung, dass nur noch wenige Vorlesungen zur Polemik angeboten wurden. Hatte die Zahl der Polemikvorlesungen bereits in den 1770er Jahren in Jena rapide abgenommen, so wurde jetzt kaum noch Wert auf diese für die lutherische Orthodoxie so charakteristische Disziplin gelegt.300 Aber nicht nur anhand der Vorlesungen von Döderlein lässt sich ein wegweisender Wandel in den Vorlesungsinhalten konstatieren. Auch Griesbach setzte neue Akzente. Diese zeigen sich neben seiner Dogmatikvorlesung insbesondere bei seinen exegetischen Vorlesungen, wie etwa über die drei ersten Evangelisten nach seiner Synopse. Mit dieser Synopse, die zu den wichtigsten exegetischen Werken des 18. Jahrhunderts gehört,301 gab er richtungsweisende Impulse für die neutestamentliche Wissenschaft.302 Der Theologe Schmid wiederum war der erste Ordinarius an der Theologischen Fakultät, dessen Vorlesungstitel „Der populäre Gebrauch der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft“ für das Wintersemester 1790/91 auf eine Auseinandersetzung mit der Kantischen Philosophie schließen lässt.303 Im gleichen Semester bot er überdies das erste Mal die Vorlesung über die „Theologische Moral“ nach seinem Lehrbuch an, in welchem er die Kantische Philosophie in das christliche Moralsystem integrierte.304 Man gewinnt bei Schmid den Eindruck, dass er es vermehrt ab den 1790er Jahren wagte, neuere Wege in der Theologischen Fakultät einzuschlagen. Das lässt sich nicht nur an der Auseinandersetzung mit Kant erkennen, sondern auch an der Vorlesung „Die Lebensgeschichte Jesu praktisch erläutert“, die er erstmalig im Sommersemester 1792 anbot. Martin Ohst bemerkt daher zu Recht, dass nicht Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher 1819/20 die erste Vorlesung über das Leben Jesu las, sondern bereits Schmid 1792 in Jena!305 299 Siehe Kapitel E/I, 4.1. 300 So auch Leppin, Auf dem Weg zur Konstitution des Fächerkanons, 65. Zur Polemik bei Johann Georg Walch siehe Gunther Wenz, „Das sey ferne, daß wir alle Griechen verdammen solten.“ Ein Kapitel lutherischer Kontroverstheologie im ausgehenden konfessionalistischen Zeitalter (KuD 60, 2014, 111–125), v. a. 122 f. 301 Vgl. Leppin, aaO., 64. 302 Zu Griesbachs Innovationen und Erkenntnissen sei auf die Literatur verwiesen, die in Kapitel B/II, Anm. 37 angegeben ist. 303 In den Lehrveranstaltungen der Philosophischen Fakultät wurde schon seit 1784 direkt auf Kant Bezug genommen. Vgl. Hinske/L ange/S chröpfer (Hg.), Das Kantische Evangelium, 1. – Zu den Vorlesungen der Philosophischen Fakultät siehe Hans Herz, Von Schillers Berufung bis Fichtes Entlassung. Vorlesungen an der philosophischen Fakultät der Universität Jena 1789–1799 (Jenaer Reden und Schriften. Veröffentlichung der Friedrich-Schiller-Universität), Jena 1989. 304 Dazu siehe oben Kapitel C/I, 2.5. 305 Vgl. Ohst, Hintergrund des Atheismusstreits, 32.
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Diese Veränderungen in dem Vorlesungsprogramm, zu denen jeder der drei Ordinarien seinen Teil beitrug, veranschaulichen, dass es sich bei der Theologischen Fakultät Jenas in den 80er und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts um eine „aufgeklärte Fakultät“306 handelte. 1.4. Resonanz auf Döderleins Vorlesungen Das eben angeführte Vorlesungsangebot wurde von den Studenten wohlwollend aufgenommen. Insbesondere Döderleins Vorlesungen fanden bei etlichen Zeitgenossen positive Erwähnung. So wurde Döderlein beispielsweise von Andreas Georg Friedrich Rebmann aufgrund seiner Vorlesungen als ein maßvoller theologischer Neuerer wahrgenommen: „[…] Döderlein […] ist der zweite Stern [nach Griesbach], der hier am theologischen Himmel glänzt. Es ist bei dem ganzen Publikum längst entschieden, daß er durch die gesunden Grundsätze, die er in seiner Moral und Dogmatik, doch mit weiser Mäßigung lehrt, unendlich viel dazu beigetragen hat, den dicken Nebel der Orthodoxie in manchen düstern Köpfen zu verscheuchen.“307
Döderleins Vorlesungen wurden von zahlreichen Studenten besucht. Friedrich Gedike zählte 300 Zuhörer in Döderleins Dogmatikvorlesung.308 Ähnlich äußer306 Leppin, Auf dem Weg zur Konstitution des Fächerkanons, 60. 307 Andreas Georg Friedrich Rebmann, Briefe über Jena. 4. Brief. Die vier Fakultäten und ihre Professoren (in: Andreas Georg Friedrich Rebmann, Jena fängt an, mir zu gefallen. Stadt und Universität in Schriften und Briefen, hg. u. mit einer Einleitung von Werner Greiling [Schriften zur Stadt-, Universitäts- und Studentengeschichte Jenas 8], Leipzig 1994, 55– 61), hier 55. – Friedrich Nicolai äußerte sich in dem zweiten Band seiner Reisebeschreibung ähnlich über den zu dieser Zeit noch in Altdorf lehrenden Döderlein: „Herr D. Doederlein hat das Verdienst für seine Zuhörer, daß er durch die Art seines Vortrags [in der Dogmatik] den Geist der Untersuchung in ihnen rege macht. Er wählt unter Lehren und Beweisen. Er verschweigt seinen Zuhörern die Einwürfe nicht, welche wider manche Lehren gemacht werden, und läßt sie auch die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Beweise bemerken, wofern diese allzu unzulänglich sind. Durch einen solchen Vortrag werden die jungen Leute zum Nachdenken über die ihnen gelehrten Wahrheiten gewöhnet, und der blinde Köhlerglauben wird vertrieben.“ Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten, 2. Bd., (Friedrich Nicolai. Gesammelte Werke 15), Reprog. Nachdr. d. Ausg. Berlin/Stettin 1783, Hildesheim/Zürich/New York 1994, 318. Später schrieb auch Gottfried Thomasius, dass Döderlein in Altdorf „den Uebergang aus der älteren in die neue Richtung vermittelt habe“ und sich spätestens ab seinem Wirken in Jena zu „eine[m] der berühmtesten Sterne am theologischen Horizont“ entwickelt habe. G[ottfried] Thomasius, Das Wiedererwachen des evangelischen Lebens in der lutherischen Kirche Bayerns. Ein Stück süddeutscher Kirchengeschichte (1800–1840), Erlangen 1867, 20. 308 Richard Fester, „Der Universitäts-Bereiser“ Friedrich Gedike und sein Bericht an Friedrich Wilhelm II. (AKG Ergänzungsheft 1), Berlin 1905, 81. – Da die Rechenschaftsberichte der Professoren, die auch Auskünfte über die Zuhörerzahl geben, leider nur bis zum WiSe 1784/85 reichen und Hörerlisten für kostenpflichtige Vorlesungen erst seit 1818 mit Einrichtung der Quästur vorliegen (vgl. R asche, Jenaer Vorlesungsverzeichnisse, 31), lässt sich diese Zahl nicht belegen. Was sich allerdings aus den Tabellen des Zeitraums vom WiSe 1782/83 bis WiSe 1784/85 ablesen lässt, ist die Tatsache, dass Döderleins Dogmatikvorlesung die meisten
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te sich der Altdorfer Professor Georg Andreas Will, der Döderlein das stärkste Auditorium in Jena bescheinigte309 und behauptete, die Frequenz der Studenten sei auch aufgrund von Döderleins gutem Ruf und seiner beliebten Vorlesungen gestiegen.310 Dass Döderlein bei den Studenten Erfolg hatte,311 war aufgrund seiner Erscheinung nicht selbstverständlich. Denn, so heißt es im Nekrolog: „Sein Aeusseres war nicht das Vorteilhafteste; er hielt seinen Körper nicht gut, ging vorwärts gebückt, schnell und hastig. Seine Mine hatte, besonders durch die emporstehende Nase, etwas Witziges und Loses, was den so gründlichen, so angestrengt arbeitenden Gelehrten auf dem ersten Blick nicht zu verrathen schien […]. Er hatte einen wohlklingenden Tenor, aber etwas Einförmiges im Tone, das im Affecte nahe an das Übellautende gränzte. Er war in Aussprache und Grammatik nicht ganz frey von fehlerhaften Provinzialismen seiner vaterländischen Gegend.“312
Trotz seiner „[e]införmige[n]“313 Stimme bei Vorträgen, müssen seine Vorlesungen auf dem Katheder aber sehr lebhaft und anregend gewesen sein, wie Gedike behauptete.314 Heinrich Döring bemerkte ebenso, dass es Döderlein „[u]m ohne Concept, leicht und fließend auf dem Katheder sprechen zu können“ „an Gewandtheit“ fehlte, er aber dennoch mit seiner „edle[n], hinreißende[n] Sprache“ selten seine Wirkung verfehlt hätte.315 Döderlein hat als Hochschullehrer die Theologische Fakultät in Jena entscheidend geprägt. Nicht nur seine Vorlesungen bestärkten das aufklärerische Profil dieser Fakultät, sondern auch seine Lehrbücher, die wie im Falle der „Institutio“ bis über seinen Tod hinaus als Vorlesungsgrundlage genutzt wurden. Aufgrund der neuen inhaltlichen Impulse und seiner lebhaften Vortragsart erfuhr er Verehrung und Wertschätzung von den Studenten. 2. Das „Predigerinstitut“ Döderleins Tätigkeit als Hochschullehrer umfasste nicht nur das Halten von Vorlesungen, sondern er leitete auch das „Predigerinstitut“316 in Jena. Bis zu DöStudenten auf sich vereinte. Lag die Zahl anfangs noch bei 150 Studenten (WiSe 1782/83), so stieg sie im WiSe 1783/84 bereits auf 189 Zuhörer. 309 Vgl. Will, Briefe über eine Reise, 71. 310 Vgl. Will, aaO., 78. Zur Frequenzsteigerung, die unter anderem mit Döderlein in Zusammenhang gebracht wurde, ebenso Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 114 und Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 113. Siehe auch Kapitel B/I. 311 Vgl. Schlichtegroll, aaO., 114; Hagenbach, Art. Döderlein, 717; Doering, Die deutschen Kanzelredner, 38. 312 Schlichtegroll, aaO., 116 f. 313 Schlichtegroll, aaO., 117. Auch Hagenbach behauptete, Döderleins Vorträge hätten an Monotonie gelitten. Vgl. Hagenbach, Art. Döderlein, 717. 314 Vgl. Fester, „Der Universitäts-Bereiser“, 81. 315 Doering, Die deutschen Kanzelredner, 43. Döring bezieht sich auf die Darstellung im Nekrolog: Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 132 f. 316 Der Begriff „Predigerinstitut“ ist von Schlichtegroll, aaO., 134 übernommen. All-
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derleins Erneuerungsbestrebungen 1783 hatte dieses „Institut“ aufgrund der häufigen Todesfälle des Lehrpersonals an der Theologischen Fakultät nicht mehr existiert.317 Nun aber wurde den Studenten wieder ermöglicht, abwechselnd mit den Professoren der Theologischen Fakultät in der Kollegienkirche, der Universitätskirche Jenas, zu predigen.318 Die Studenten unternahmen hierbei die ersten Versuche, ihre theoretischen homiletischen Kenntnisse praktisch anzuwenden.319 Diese Predigten wurden dann am Sonntagnachmittag nachbesprochen, wofür zahlreiche Studenten direkt zu Döderlein kamen, der das Gespräch leitete.320 Bei diesen Auswertungsrunden zeigte sich nach Äußerungen von Zeitgenossen Döderleins Talent als Moderator: Zunächst durfte jeder seine kritischen Bemerkungen äußern, die Döderlein schließlich mit bewundernswerter „Treue des Gedächtnisses“321 und mit „Scharfsinne“322 zusammenfasste. Anschließend teilte Döderlein sein eigenes Urteil über die Predigt mit.323 Friedrich von Schlichtegroll formulierte im Nekrolog über diese Predigtnachbesprechung: „[Döderlein] hat […] durch dieses Institut, welches von den mehrsten wahrhaft lehrbegierigen jungen Theologen besucht wurde, gewiss sehr viel Gutes gestiftet, das jetzt noch fortwirkt und lange fortwirken wird.“324 Er kam zu dieser Einschätzung, weil Döderlein mit diesem „Institut“ dem Bedürfnis nach einer praktischen Theologenausbildung nachkam und die in Jena studierenden Theologen als spätere Prediger entscheidend prägte.325 gemein zu Predigerseminaren Paul Graff, Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands. 2. Bd.: Die Zeit der Aufklärung und des Rationalismus, Göttingen 1939, 3 f. und Philipp Heinrich Schuler, Geschichte der Veränderungen des Geschmacks im Predigen, insonderheit unter den Protestanten in Deutschland, mit Actenstücken im Auszug belegt. Dritter und letzter Theil, von Erscheinung der Allgem. Deutschen Bibliothek und des Journals für Prediger bis auf unsere Zeit, Halle 1794, 119–122. 317 Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 2. Stück, 2. Abtheilung, 1783, 318. Döderlein eröffnete diese Neueinrichtung mit der Predigt „Ermunterung zur christlichen Liebe aus der Gegenwart beym öffentlichen Gottesdienst, eine Predigt über Hebr. 10, 24.25“. Ebd. Siehe auch Journal für Prediger 14, 1783, 117. – Zum früheren Predigerinstitut unter Johann Georg Walch um 1750 siehe Heussi, Geschichte der Theologischen Fakultät, 177. 318 Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, ebd. 319 Vgl. Schuler, Geschichte der Veränderungen, 122. 320 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 134. 321 Ebd. 322 Ebd. 323 Vgl. ebd. „Zuweilen, wenn die Arbeit, die er doch eben jetzt zuerst gehört hatte, nicht beyfallwerth war, excurrirte er über die vorliegende Materie, zeigte, wie mannichfaltig und nützlich sie sich behandeln lasse, und setzte durch den Reichthum von Gedanken, die ihm so unvorbereitet zuflossen, seine jungen Freunde in Erstaunen“. Ebd. 324 Schlichtegroll, aaO., 134 f. 325 In der Jenaische[n] Allgemeinen Literatur-Zeitung sprach der Rezensent in seiner Besprechung über das Buch „Predigten und Reden, grösstentheils bey besonderen Veranlassungen, zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten gehalten“ (1835) von Carl Christian Schreiner, einem Schüler Döderleins, von einer „Döderlein’schen Schule“. Er bezog sich damit auf das von Johann Christian Wilhelm Augusti verfasste Vorwort, in welchem festgestellt
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Döderleins Erfolg bei der Leitung des „Predigerinstituts“ und die große Zustimmung der Studenten resultierten auch aus Döderleins Erfahrung. Bereits in Altdorf gab es eine ähnliche Veranstaltung. Auf die dort erworbenen Kenntnisse konnte Döderlein in Jena zurückgreifen.326 Ferner war er selbst über mehrere Jahre als Prediger aktiv gewesen, was in verschiedenen Gutachten als vorteilhaft hervorgehoben wurde, die im Zusammenhang mit einer möglichen Berufung seiner Person nach Jena verfasst wurden.327 Außerdem ließ Döderlein eigene Predigten drucken und beschäftigte sich mit theoretischen Fragen der Homiletik. Welche Akzente er dabei setzte, wird im Folgenden kurz skizziert. Exkurs: Döderlein als Prediger Zu den vielen bereits angesprochenen Wirkungsbereichen Döderleins gehörte ebenfalls das Predigen.328 Als Döderlein noch Professor in Altdorf war, predigte er regelmäßig, da in Altdorf jede theologische Professur mit einem Pfarramt kombiniert war.329 In Jena gab es diese Verbindung von Professur und Pfarramt nicht. Trotzdem predigte Döderlein auch hier, obgleich nur im universitären Kontext. So hielt er beispielsweise 1783 eine „Predigt über 1 Mos. 1, 28. bey Gelegenheit der Geburt eines Erbprinzen von SachsenWeimar“.330 Zeitgenossen berichteten, dass Döderleins Predigten oft emotionale Rührung bei den Zuhörenden bewirkt hätten.331 Auch seine publizierten Predigten waren beliebt und wurden vielfach gelesen. Von diesen Druckwerken ist vor allem der Band „Einige Predigten zur christlichen Belehrung über verschiedene Wahrheiten der Religion“ von 1777 hervorzuheben.332 Döderlein ließ darin 17 Predigten abdrucken, in denen keine „alltägliche[n]“, aber auch keine „erkünstelte[n]“333 Themen angesprochen wurden und die er meistens an Feiertagen vorgetragen wurde, dass sich der Autor Döderleins „homiletische Virtuosität“ „zum vorzüglichsten Muster genommen“ und sich „dessen kurze und kräftige Predigtweise“ anzueignen versucht habe. JALZ, Nr. 42, 1836, 336. 326 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 42. Dort finden sich auch nähere Ausführungen zum Homiletischen Seminar in Altdorf. 327 Siehe Kapitel B/II, 5 und 6. 328 Döderlein als Prediger wird kurz bei Leder, Universität Altdorf, 185–194, bei Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 103.133 und bei Schuler, Geschichte der Veränderungen 146–148 thematisiert. 329 Siehe Kapitel A/I, 1., Anm. 38. 330 Joh[ann] Christoph Doederlein, Predigt über 1 Mos. 1, 28. bey Gelegenheit der Geburt eines Erbprinzen von SachsenWeimar gehalten in der akademischen Kirche, Jena 1783. 331 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 133. 332 Johann Christoph Döderlein, Einige Predigten zur christlichen Belehrung über verschiedene Wahrheiten der Religion, Halle 1777. – Von Döderlein wurden mehrere Predigten auch in Sammelbände übernommen. Siehe Neue und vollständige Sammlung erbaulicher Predigten über die Sonn- Fest- und Feyertäglichen Evangelien von guten Canzelrednern, 1. Bd., Nürnberg 1777 und Sammlung vorzüglicher Predigten über alle Sonn- Fest- und Feyertäglichen Evangelien, hg. v. Georg Ernst Waldau, 2 Bde, Nürnberg 1780. 333 Döderlein, Einige Predigten, Vorrede, [4].
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hatte.334 So lautet der Titel der fünften Predigt etwa „Das Glück des ehelichen Lebens“.335 In der achten Predigt setzte er sich wiederum mit dem Thema „Von der Bereitwilligkeit zu sterben“ auseinander.336 In der Vorrede zu diesem Predigtband erläuterte Döderlein die „Grundsätze“337, die seinen Predigten zugrunde liegen. Er wandte sich darin gegen eine gelehrte Predigtweise, was spezifisch für die Forderungen vieler Aufklärungstheologen war, die für die Predigt eine Orientierung an dem Fassungsvermögen der Hörer338 und eine allgemeine Verständlichkeit, Popularität und Simplizität des Ausdrucks339 verlangten. Theologische Gelehrsamkeit gehörte für Döderlein nicht auf die Kanzel.340 Jegliche „Schulsprache“341 und „blühende[…] Beredsamkeit“342 müsse aus der Predigt entfernt werden. Die Predigt solle vielmehr dem Stil einer „edle[n] Simplicität“343 folgen. Mit dieser Ansicht bezog er sich auf Johann Joachim Spalding, „eine[m] unsrer größten und würdigsten Kanzelredner“344, den er in diesem Zusammenhang teilweise wortwörtlich zitierte.345 334 Vgl. Döderlein, aaO., [5]. 335 Döderlein legt hier den Vers Spr 18,22 („Wer eine Frau gefunden hat, der hat etwas Gutes gefunden und Wohlgefallen erlangt vom Herrn“) aus. Mit seiner Auslegung wollte er bei den Zuhörern bzw. Lesern ein Bewusstwerden erreichen, dass die Ehe „Veranlassung zum Dank und zur Bewunderung der göttlichen Vorsehung“ sei, was leider oft vergessen werde. Döderlein, aaO., 84. 336 Anhand der Perikope Lk 2,22–33 mit der Aussage Simeons „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren“ wollte Döderlein zeigen, dass „sein Ende mit Freude zu erwarten“ nicht bedeutet, die „ natürliche[] Liebe zum Leben“ verleugnen zu müssen, sondern dass es darum gehe, diese Liebe „zu mäßigen und dem Willen Gottes zu unterwerfen“. Voraussetzung für diese Haltung sei es, den Tod in „Erwartung der Ewigkeit“ als etwas „vortheilhaftes an[zu]sehen“. Döderlein, aaO., 165 f. 337 Döderlein, aaO., [4]. 338 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 229. 339 Vgl. Reinhard Krause, Die Predigt der späten deutschen Aufklärung (AzTH II.5), Stuttgart 1965, 16. – Neben Krause sei einführend zur Predigt in der Aufklärung verwiesen auf: Albrecht Beutel, Art. Predigt VIII. Evangelische Predigt vom 16. bis 18. Jahrhundert (TRE 27, 1997, 296–311), hier 304–307; Albrecht Beutel, Art. Predigt. II. Geschichte der Predigt (RGG4 6, 2003, 1585–1591), hier 1589; Hammann, Universitätsgottesdienst; Alfred Niebergall, Die Geschichte der christlichen Predigt (Leit. 2, 1955, 181–352), hier 306–315; Schuler, Geschichte der Veränderungen; Werner Schütz, Geschichte der christlichen Predigt, Berlin/New York 1972, 159–171; Werner Schütz, Die Kanzel als Katheder der Aufklärung (WSA 1, 1974, 137–171). 340 Döderlein, Einige Predigten, Vorrede, [2]: „So sehr ich die so genannte theologische Gelehrsamkeit schätze: so fest habe ich mich gleichwol überzeugt, daß die Kanzel der unschicklichste Ort ist, sie anzubringen und so sehr warne ich jeden, der sich zum Predigtamt vorbereitet, nur bey dem öffentlichen Vortrag der Religionswahrheiten nicht gelehrt scheinen zu wollen.“ 341 Ebd. 342 Döderlein, aaO., [4]. 343 Döderlein, aaO., [2]. 344 Döderlein, aaO., [4]. 345 Döderlein zitiert hier aus [Johann Joachim Spalding], Ueber die Nutzbarkeit des
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Die meisten Rezensenten äußerten sich begeistert über Döderleins Predigtband. Im „Journal für Prediger“ hieß es, dass kein Altdorfer Theologe bisher bessere Predigten habe drucken lassen. Döderlein vereinige hier alles, was „zur Förderung und Unterhaltung christlicher Erkenntnisse und Gesinnungen dienen kann“346. Auch die Döderlein nahestehende „Nürnbergische gelehrte Zeitung“ fand nur anerkennende Worte.347 In der AdB schrieb der Rezensent, dass die Predigten „sehr gut“ und „unterhaltend zu lesen“ seien, der Vortrag „simp[el]“ und „faßlich[]“ und von einer „natürliche[n] ungekünstelte[n] Sprache des Herzens“ geprägt sei.348 Döderlein urteilte in diesem Predigtband positiv über Spalding und wurde als „glücklicher Nachahmer“349 des Berliner Propstes empfunden. Konnte er Spalding zwar zustimmen, was die „äuserliche Einkleidung“350 des „KanzelVortrags“351 betraf, dass die Kanzel eben kein Ort für die theologische Gelehrsamkeit, kein Ort für „witzige Einfälle oder einen poetischen Geist“352 sei, so war Döderlein doch ganz anderer Meinung, was die Themen und den Inhalt einer Predigt betraf. Wenige Jahre vor dem Predigtband hatte er die Abhandlung „Materialien zum Kanzel-Vortrag“353 (1774) verfasst, eine Gegenschrift zu Spaldings Werk „Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung“ (1772).354 Döderlein kritisierte in dieser Schrift, dass Spalding das Predigen von theoretischen Glaubenslehren auf der Kanzel ablehnte. Spalding legte in seiner Schrift, die vom Charakter her eine „prinzipielle Homiletik in apologetischer Absicht“355 war, neben der Legitimität des PredigtPredigtamtes und deren Beförderung. Lasset es alles geschehen zur Besserung. Paulus, Berlin 1772, 241. 346 Journal für Prediger, 7. Bd., 1777, 459. 347 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 1. Stück, 1777, 1–5. „Der Predigten, die aus einem aufgeklärten Kopf und aus einem für die segensvollen Wahrheiten der Religion warmen Herzen herkommen, bey denen der denkende Mann, der Mann von geläutertem Geschmack, der Erbauung sucht, gleich sehr, wie ieder verständige Christ Befriedigung findet, können wol nicht zu viel seyn […]. Ausser der richtigern bessern Belehrung über das, was zu wissen und zu thun ist, haben solche auch noch den wichtigen Nutzen, daß durch sie mehr, als durch alle oft so seichte und unzulängliche Theorien und Homiletiken, gute Prediger gebildet werden.“ Nürnbergische gelehrte Zeitung, aaO., 1. 348 AdB, 33. Bd., 1 Stück, 1778, 107 f. 349 Journal für Prediger, 7. Bd., 1777, 459. 350 [Johann Christoph Döderlein], Materialien zum Kanzel-Vortrag. Ein jeglicher prüfe sein selbst Werk. Paulus, Altdorf/Nürnberg 1774, Vorrede, [2a]. 351 Ebd. 352 [Döderlein], aaO., [2b]. 353 [Johann Christoph Döderlein], Materialien zum Kanzel-Vortrag. Ein jeglicher prüfe sein selbst Werk. Paulus, Altdorf/Nürnberg 1774. 354 [Johann Joachim Spalding], Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung. Lasset es alles geschehen zur Besserung. Paulus, Berlin 1772, 21773, 31791. 355 Albrecht Beutel, Johann Joachim Spalding. Meistertheologe im Zeitalter der Aufklärung, Tübingen 2004, 226. – Anders dazu Christian Albrecht, Johann Joachim Spaldings Programm der Pastoraltheologie (in: Religion und Aufklärung. Akten des Ersten In-
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amtes356 (Teil I) auch den Aufgabenbereich und das Wesen des Predigtamtes357 (Teil II) dar.358 In diesem zweiten Teil erklärte er es als die Pflicht des Predigers, den Menschen fromm, zufrieden und glückselig zu machen. Ziel sei die Besserung und Gottseligkeit der Menschen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte der Prediger laut Spalding von den Glaubenslehren nur die auswählen und predigen, welche die Menschen zu Gott führen und glücklich machen.359 Alle theoretischen Lehren, die keinen Einfluss auf das Gemüt und Leben hätten, sollten vom Prediger weggelassen werden.360 Unter diese „unfruchtbare[n] speculativische[n] Lehrmeinungen“361 zählte Spalding beispielsweise die Zweinaturen-, Trinitäts- und Versöhnungslehre.362 Seiner Meinung nach reiche es, wenn der Christ wisse, dass er durch Christus Vergebung erhalte – den genauen Grund jedoch, warum die Vergebung geschehe, müsse er nicht kennen.363 Auch für andere kirchliche Lehren, wie die Rechtfertigungs- und Erbsündenlehre, verlangte Spalding einen eingeschränkten Umgang.364 Spalding unterschied hier für die Neologen charakteristisch zwischen Religion und Theologie.365 Für Döderlein ging diese Forderung nach Reduktion beziehungsweise nach völliger Weglassung von bestimmten theoretischen Glaubenslehren zu weit. Zwar war er sich mit Spalding einig, dass das Ziel einer Predigt Ruhe und Glückseligkeit sein müsse, weswegen er eine allein philosophische Predigt, wie einige Wolffianer es handhabten oder politische, nützliche und ökonomische Predigten, wie über die Blatternimpfung, ablehnte.366 Dennoch verstand er den Prediternationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie [Colloquia historica et theologica 2], hg. v. Albrecht Beutel/M artha Nooke, Tübingen 2016, 113–131), hier 123–126. 356 Vgl. Beutel, aaO., 226. 357 Vgl. Krause, Die Predigt der späten deutschen Aufklärung, 19. 358 Einführend über den Aufbau und den Gedankengang von Spaldings Werk sei verwiesen auf Albrecht, Spaldings Programm der Pastoraltheologie, 115–117. 359 Vgl. Albrecht Beutel, „Gebessert und zum Himmel tüchtig gemacht“. Die Theologie der Predigt nach Johann Joachim Spalding (in: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, hg. v. Dems., Tübingen 2007, 210–236), hier 220–222. 360 Vgl. Beutel, aaO., 223. 361 [Spalding], Ueber die Nutzbarkeit, 1772, 121. 362 Vgl. Beutel, „Gebessert und zum Himmel tüchtig gemacht“, 223 f. 363 Vgl. Schuler, Geschichte der Veränderungen, 141 f. 364 Vgl. Hammann, Universitätsgottesdienst, 270. [Spalding], Ueber die Nutzbarkeit, 1772, 160: „Aber desto mehr wäre es denn auch allerdings nöthig, gewisse Lehren der Kirche in der richtig bestimmten Einschränkung und mit der Behutsamkeit vorzutragen, daß sie nicht selbst Hindernisse desjenigen Ernstes in der Gottseligkeit werden, deßen Erweckung den Hauptzweck unsers Amtes ausmacht.“ 365 Vgl. Beutel, Art. Predigt, TRE, 306. 366 Zu Spalding besonders Krause, Die Predigt der späten deutschen Aufklärung, 27. Döderlein schrieb darüber: „[…] hoffentlich wird der [Ü]berrest philosophischer Schwärmer auch bald, ohne Nachkommen zu hinterlassen, ausgestorben seyn, welche durch alle metaphysischen Demonstrationen über die Sätze vom zureichenden Grund und der besten möglichen Welt aus dem Pöbel für Wolfen Schüler warben. Jedermann begreifft es, daß dergleichen
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ger auch als Haushalter von Gottes Geheimnissen.367 Anhand der zentralen Frage „Was sind die Materialien des Unterrichts, welchen Christen begehren können? Was muß ich predigen, um zu nützen?“368 legte er dar, wie wichtig dogmatische und theoretische Lehren für die Predigt sind. Seiner Meinung nach gebe die christliche Lehre viele Anweisungen zur Ruhe, die er seinen Zuhörern nicht vorenthalten wolle – der gesamte Inhalt der Apostolischen Verkündigung müsse vorgetragen, die allgemeinen Wahrheiten der göttlichen Offenbarung müssten bekannt gemacht werden.369 So behauptete er beispielsweise, dass der Mensch eine größere Zufriedenheit und Sicherheit habe, wenn er bei der Verkündigung der göttlichen Begnadigung um Christi willen wisse, dass dieser Jesus Christus zugleich wahrer Gott sei.370 Er prangerte dabei den Missbrauch mit der Theorie der Akkommodation, dem hermeneutischen Prinzip der Aufklärung,371 an, alle Glaubensartikel auszumerzen, die als nicht passend empfunden werden und die Wahrheiten des göttlichen Wortes nur noch „als veralterte Sätze und entbehrliche Kleinigkeiten“372 zu deklarieren. Es ist seiner Meinung nach Undank, den „Unterricht, den uns Gott gab, zu verschmähen, und weil wir jetzt nicht wissen, wozu er uns nüzt, für ganz unnütz zu erklären“373. Dass diese theoretischen Glaubenslehren unverständlich seien, wie Spalding behauptete, bestritt DöderWeißheit nicht für den populären Lehrstuhl gehöre, theils weil sie hier unnütz und verwirrend ist, theils, weil sie, wenn sie noch so viel Faßlichkeit hätte, das Brauchbarere verdrängt. Selbst die nützliche, die zum Glück und Ruhe der Menschen erfundne Wahrheit hat nie an sich ein Recht, vor einer christlichen Versammlung abgehandelt zu werden, so sehr sonst ihre Verbreitung dem Menschenfreund am Herzen liegt und zum würklichen Verdienst gereicht. Sollen wir politische Anstalten empfehlen, diätetische Regeln bekannt machen, Blatter-Einimpfungen rathen, glückliche ökonomische Versuche von Verbesserung des Feldbaues und der Bienen-Zucht […] erzählen […]? Wahrheiten können es seyn, heilsame Anstalten, vortheilhafte Kenntniße […]. […] Nicht der Richtigkeit, nicht des Vortheils wegen werden [solche Wahrheiten] zum Innhalt öffentlicher Belehrungen bestimmt, sondern wegen ihrer Verbindung mit den Gesinnungen, welche das Christenthum fordert und empfiehlt, deren Beförderung allemal das eigne Haupt-Geschäffte des Predigers bleiben wird […].“ [Döderlein], Materialien, 20–22. – Es traten gegen Ende des 18. Jahrhunderts vermehrt Prediger auf, die Predigten über Ackerbau und andere nützliche Themen hielten. Vgl. Ulrich Dressman, Aufklärung der Religion. Die Religionstheologie Johann Joachim Spaldings (PThK 20), Stuttgart 2008, 166. Gab es in der Vergangenheit Forscher, die die Predigt der Aufklärung fast ausschließlich unter diesem Aspekt untersuchten und sie darauf reduzierten (so listet beispielsweise Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 124–129 fast ausschließlich derartige Predigten auf ), so beachten die neueren Studien, dass die Predigt in der Aufklärungszeit vielfältig war und mehrere Ansätze und Strömungen vorkamen. Vgl. Beutel, Art. Predigt, TRE, 307. 367 Vgl. [Döderlein], aaO., 7. 368 [Döderlein], aaO., 18. 369 Vgl. [Döderlein], aaO., 36. „[Uns muss] die Pflicht heilig [sein], das Evangelium in seiner Lauterkeit und Vollständigkeit reichlich zu verkündigen – wir die wir von Jesu Christo berufen sind, seine ganze Lehre zu predigen“. [Döderlein], aaO., 46. 370 Vgl. [Döderlein], aaO., 62. 371 Vgl. Schütz, Geschichte der christlichen Predigt, 162. 372 [Döderlein], Materialien, 44 f. 373 [Döderlein], aaO., 62.
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lein. Sie könnten vielmehr in populärer und fasslicher Art und Weise, den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Zuhörer gemäß, vorgetragen werden.374 Im Grunde unterschieden sich beide Theologen darin, welche Lehren sie den allgemeinen Religionswahrheiten, dem Bereich Religion, und welche sie dem Bereich Theologie zuordneten. Spalding zählte viele Glaubenslehren, wie etwa die Zweinaturenlehre, dem Bereich Theologie zu, weil sie für ihn bloß menschliche Spekulationen waren. Döderlein differenzierte zwar auch zwischen Spekulationen (Theologie) und Lehren des Evangeliums (Religion), aber er wertete viele theoretische Glaubenslehren, wie etwa die zur göttlichen Natur Jesu, als zentrale Aussagen des Evangeliums, weshalb sie für ihn auf die Kanzel gehörten. Döderlein war nicht der einzige, der sich gegen Spaldings „Nutzbarkeit“ äußerte. Johann August Ernesti, Johann Ernst Schubert, Johann Gottfried Herder und Christian Wilhelm Oemler bemühten sich gleichermaßen um eine Widerlegung.375 So erklärte beispielsweise Ernesti, dass jeder Christ wissen müsse, dass er auf den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist getauft sei. Diese Aussage müsse aber erklärt werden, damit der Christ nicht denke, es handle sich um drei Götter.376 Theoretische Lehren hatten für Ernesti daher eine wichtige Funktion auf der Kanzel. Herder wiederum ging einen längeren Streit mit Spalding ein. Er griff Spaldings Position in seinen „An Prediger. Funfzehn Provinizialblätter“377 mit einem spöttischen, ironischen und sarkastischen Ton an.378 Es war gerade dieser Ton, den viele Leser bei Herder beanstandeten.379 Auch deshalb wurde in den Rezensionen über Döderleins „Materialien“ immer wieder positiv hervorgehoben, dass dieser sich sachlich mit Spalding auseinandergesetzt habe. 374 Vgl. [Döderlein], aaO., 47.85. Döderlein äußerte, dass es Prediger gebe, die unverständliche und unbequeme Wahrheiten „ab[]sägen“ wollten. „Auf diesen äussersten Gedanken, sollte man glauben, könnten nur dieienigen gerathen, welche aus Gemächlichkeit sich die Mühe dauren lassen, die ihnen eine populaire und faßliche Einkleidung der höhern Wahrheiten verursachte.“ [Döderlein], aaO., 85. 375 Vgl. Schuler, Geschichte der Veränderungen, 144. 376 Vgl. Schuler, aaO., 145. 377 Johann Gottfried Herder, An Prediger. Funfzehn Provinzialblätter (in: Johann Gottfried Herder. Werke in zehn Bänden, Bd. 9/1: Theologische Schriften [Bibliothek deutscher Klassiker 106], hg. v. Christoph Bultmann/Thomas Zippert, Frankfurt a. M. 1994, 67–138). 378 Vgl. Beutel, Spalding. Meistertheologe, 232. Zum Streit zwischen Herder und Spalding siehe Albrecht Beutel, Herder und Spalding. Ein theologiegeschichtlicher Generationenkonflikt (in: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, hg. v. Dems., Tübingen 2007, 237–265); Beutel, Spalding. Meistertheologe, 232–236; Björn Hambsch, „… ganz andre Beredsamkeit“. Transformationen antiker und moderner Rhetorik bei Johann Gottfried Herder (Rhetorik-Forschungen 17), Tübingen 2007, 97–101; Christoph Bultmann/Thomas Zippert, Kommentar (in: Johann Gottfried Herder. Werke in zehn Bänden, Bd. 9/1: Theologische Schriften [Bibliothek deutscher Klassiker 106], hg. v. Dens., Frankfurt a. M. 1994, 859–1205), hier 920–925. 379 Vgl. Beutel, Spalding. Meistertheologe, 232 f.; Bultmann/Z ippert, Kommentar, 929.
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„Man hört in [Döderlein] einen ehrlichen Mann, dem die Wahrheit am Herzen liegt, über diese Sache zu sprechen, und man schätzt ihn wegen seiner billigen Denkungsart und Bescheidenheit im urtheilen um so mehr hoch, je weniger man einer solchen Mäßigung an mehreren Männern, die sich mit ihm über einerlei Sache beschweren, zeither gewohnt ist.“380
Bei Döderlein selbst findet man bereits in der Vorrede den Vermerk, dass es ihm wichtig sei, keine Person zu beleidigen. Spaldings Einsichten verdienten seiner Meinung nach „Hochachtung“, aber keine „blinde Anhänglichkeit“. Obgleich er einen anderen Standpunkt als Spalding vertrete, solle es weder an „Achtung“ noch an „Dankbarkeit“ ihm gegenüber fehlen.381 Diese Wertschätzung zeigt sich nicht nur hier, sondern bestand zwischen beiden zeitlebens.382 Allerdings hatte weder Döderleins Kritik noch die der anderen Theologen an Spaldings „Nutzbarkeit“ einen wirklichen Einfluss auf die zeitgenössische Homiletik.383 Im Gegenteil – Döderlein hatte zwar den Ruf eines guten Predigers und konnte sich später mit seinem Predigtband profilieren, aber seine „Materialien“ wurden einer scharfen Kritik von Friedrich Germanus Lüdke in der AdB384 und von Carl Friedrich Bahrdt in der „Allgemeinen theologischen Bibliothek“385 unterzogen. Auch diese Kritiken bewogen Döderlein dazu, eine geplante Fortsetzung seiner „Materialien“ zu unterlassen.386 Es war Spaldings Abhandlung, die 380 AdB, 27. Bd., 1. Stück, 1775, 92. Diese Rezension stammt von dem Theologen Friedrich Germanus Lüdke. Auch im Journal für Prediger, 5. Bd., 1774, 117 f. stand über Döderleins Schrift: „Möchten doch all[e] Polemiker, und besonders der grosse Streiter in der evangelischlutherischen Kirche, von diesem liebenswürdigen Schriftsteller die Kunst lernen, ohne Bitterkeit, Sektirgeist und seichten Raisonnements die theologischen Wahrheiten zu untersuchen.“ 381 [Döderlein], Materialien, 20. 382 Vgl. Beutel, Spalding. Meistertheologe, 279. Siehe auch der wertschätzende und freundschaftliche Brief Spaldings an Döderlein. Spalding an Döderlein, 31.1.1792 (in: Spalding, Briefe, Nr. 198, 347–350). 383 Vgl. Beutel, „Gebessert und zum Himmel tüchtig gemacht“, 236. 384 Vgl. AdB, 27. Bd., 1. Stück, 1775, 91–98. 385 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 106. In der „Allgemeinen theologischen Bibliothek“ stand: „Die eigentliche Absicht des Verfassers [Döderleins] ist wider die Spaldingische Schrift von der Nutzbarkeit des Predigtamtes gerichtet. Er will beweisen, daß allerdings gewisse Materien auf die Canzel gehören, denen es Hr. S[palding] nicht hätte zulassen wollen. Aber was der V. sagt, ist so seicht, unzusammenhängend und unverdaut – daß die Parthey, deren Meynung er verfechtet, Ursache hat, zu erröthen.“ Allgemeine theologische Bibliothek, 3. Bd., 1775, 286. 386 Döderlein hatte sowohl in der Vorrede als auch in dem Nachtrag seiner „Materialien“ eine Fortsetzung angekündigt. „[N]ach meinem allgemeinern Endzweck habe ich […] theils mir vorgenommen, künfftighin von andern Materien, welche einer allgemeinen Beherzigung werth sind, und der unschädlichen Art ihres Vortrags meine Meinung zu äussern. Gegenwärtige Bögen enthalten nur Grundsätze und allgemeine Betrachtungen, vornehmlich vom Werth und der Brauchbarkeit der theoretischen Lehren.“ [Döderlein], Materialien, Vorrede, [4a.b]. Im Nachtrag gab er bekannt, dass er genauere Untersuchungen über einzelne Lehrsätze in „einigen folgenden Stücken dieser […] Schrifft“ wagen wolle, darüber inwiefern sie Inhalt des Evangeliums und nicht nur menschliche Erfindungen seien. [Döderlein], aaO., 97.
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das wirkungsreichste homiletische Werk dieser Zeit blieb,387 und durch die eine ganze Predigergeneration entscheidend geprägt wurde.388 3. Das Gesangbuch der Theologischen Fakultät Kurze Zeit nachdem Döderlein das „Predigerinstitut“ beziehungsweise den akademischen Gottesdienst in Jena wieder belebt hatte, gab die Theologische Fakultät 1784 unter der verantwortlichen Leitung Döderleins ein Gesangbuch für den Gottesdienst in der Universitätskirche heraus.389 Dieses Gesangbuch trägt den Titel „Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder zur Unterhaltung einer vernünftigen Andacht unter Christen“.390 Gemäß des akademischen Kontextes bestand das Zielpublikum aus „denkenden und etwas gebildetern Christen“391. Für sie wurden in diesem schmalen Band von 134 Seiten 215 Lieder publiziert. Wie zu dieser Zeit üblich, wurde nur der Text des Liedes, nicht die Melodie abgedruckt.392 Allerdings fand sich oberhalb des Liedtextes der Hinweis, nach welcher Melodie das Lied gesungen werden sollte. Diese „Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder“ ist ein typisches Beispiel für das Gesangbuch der Aufklärungszeit.393 Schon der Titel lautet programmatisch: „Lieder zur Unterhaltung einer vernünftigen Andacht“. Alle Lieder, die eine solche Andacht störten, wurden herausgenommen oder umgearbeitet. Entschei387 Vgl. Schütz, Die Kanzel als Katheder der Aufklärung, 151. 388 Vgl. Krause, Die Predigt der späten deutschen Aufklärung, 29; Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 104 f. 389 Vgl. Will, Briefe über eine Reise, 90; Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 240. 390 Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder zur Unterhaltung einer vernünftigen Andacht unter Christen, Jena 1784. 391 Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder, Vorrede, [1]. 392 Vgl. Hammann, Universitätsgottesdienst, 76. 393 Einführend über die Gesangbücher in der Aufklärungszeit sei verwiesen auf: Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 226 f.; Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 174–199; Catherine Maurer, Aufgeklärte Gesangbücher und „gemeine Leute“: Äußerungen und Inhalte der Gesangbuchstreite des ausgehenden 18. Jahrhunderts im protestantischen Deutschland (in: Le livre religieux et ses pratiques. Etudes sur l’histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l’époque moderne [Der Umgang mit dem religiösen Buch. Studien zur Geschichte des religiösen Buches in Deutschland und Frankreich in der frühen Neuzeit] [VMPIG 101], hg. v. Hans Erich Bödeker/Gerald Chaix/Patrice Veit, Göttingen 1991, 269–288); Paul Sturm, Das evangelische Gesangbuch der Aufklärung. Ein Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, Barmen 1923; Alexander Völker, Art. Gesangbuch (TRE 12, 1984, 547–565), v. a. 552–556. – In der Forschung wurden die Gesangbücher der Aufklärung oft negativ bewertet. So beispielsweise bei Christoph Albrecht, Einführung in die Hymnologie, Göttingen 41995, 114 f. und bei Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 174–199. Um Differenzierung bemühen sich besonders Sturm, Das evangelische Gesangbuch der Aufklärung; Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 227 und Johannes Block, Das singende Ich. Der Klang der Aufklärung in Georg Joachim Zollikofers Gesangbuchlied „Lass mich, o Herr, in allen Dingen“ (in: „Gedanke ohne Empfindung ist selten wirksam“. Georg Joachim Zollikofer – Prediger der Spätaufklärung, hg. v. Christian Schmelzer/Sebastian Schaar, Leipzig/Magdeburg 2009, 45–55).
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dend war bei den Liedtexten die „Richtigkeit der Gedanken [und] […] des Ausdrucks“394, wie es in der Vorrede dieses Buches heißt. Damit wurden in dieser Vorrede genau die zwei Ziele formuliert, um die es den Aufklärungstheologen bei ihren Gesangbuchrevisionen ging: Die Lieder sollten erstens an die zeitgenössischen Sprachgewohnheiten angepasst und zweitens in ihrer dogmatischen Aussage überarbeitet werden.395 Deshalb wurden sprachlich anstößige oder unverständliche Formulierungen entfernt und auf Klarheit der Sprache gedrungen.396 Inhaltlich wandte man sich gegen Lieder, in denen Sündenpessimismus, Blut- und Wundenfrömmigkeit397 sowie Teufel- und Gespenstervorstellungen398 vermittelt wurden.399 In den Liedern der Aufklärung standen stattdessen der gütige, liebende Gott,400 die christliche Lebenspraxis und Zuversicht401 sowie die Toleranz402 394 Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder, Vorrede, [1]. 395 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 226. 396 Vgl. Sturm, Das evangelische Gesangbuch der Aufklärung, 17–19. 397 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 226 f. 398 Vgl. Sturm, Das evangelische Gesangbuch der Aufklärung, 51. 399 Döderlein schrieb darüber 1782 in einer Rezension über das „Neue[] Anspachische[] Gesangbuch“: „[E]s ist uns täglich mehr die Störrigkeit und der Steifsinn unbegreiflich und unerträglich, womit sich sogenannte Priester, und nach ihren Vorspieglungen auch Obrigkeiten der Einführung neuer und verbesserter Gesangbücher und Liturgien entgegen setzen. Inzwischen wer einmal in seinem Sumpf lange gesteckt ist und gequakt hat, läßt sich nicht gerne in einen andern versetzen, hält jede Reinigung für gefährlich, und ist des Gestanks und der faulen Ingredienzen, die sich in dem Wust unserer ältern Gesangbücher sehr zahlreich finden, schon so gewohnt, daß es ihn befremdet, wie doch andre an dem dummen Zeug, so oft in den Liedern vorkommt, noch Ekel finden können. […] [I]n den vorigen Zeiten [war] die Sprache noch so ungebildet, die Aufklärung und der Geschmack nur unter den vornehmern zu suchen, bey der Abfassung der Lieder der jedesmalige Geschmack in der Theologie, manchmal ein mystischer, manchmal ein kindischer […]. […] [S]ollte man glauben, daß […] jetzt, wo unsre Sprache und das Ohr des gemeinen Mannes die Archaismen und den Unsinn vieler Ausdrücke, verunstaltete Reime, und Sprachfehler nicht mehr recht verträgt, und wo hoffentlich die Grundsätze allgemein anerkannt sind, daß Liturgische Schriften zur Erbauung, das heißt, zur Aufklärung und Läuterung der Religionsbegriffe und zur Hervorbringung würdiger Religionsempfindungen, dienen müssen, daß Männer, die den Wust der Gesangbücher noch reinigen und mehr Würde, mehr Geschmack, mehr Wahrheit und mehr Verständlichkeit in dieselben bringen wollen, Widerspruch fürchten – und sich dagegen verwahren müssen? Doch, wohl dem Lande, […] wo es schon so weit gekommen ist, daß die Reinigung geschah, und wo der Widerspruch und der Tadel so zu spät kommt, wie es Gottlob! in allen Gegenden, in denen bisher die Obrigkeit durch wenige und weise Männer diese Verbesserungen des öffentlichen Gottesdienstes vornehmen lassen, geschehen ist.“ Doederlein, ATB 2, 4. Stück, 1782, 304–306. – Über die Streitigkeiten bei der Einführung einiger Gesangbücher: Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 227; Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 195–199; Hammann, Universitätsgottesdienst, 86 f.; Maurer, Aufgeklärte Gesangbücher; Peter Weber, Der Berliner Gesangbuchstreit 1781. Aporien der Aufklärung „von oben“ (in: Berliner Aufklärung. Kulturwissenschaftliche Studien, 1. Bd., hg. v. Ursula Goldenbaum/A lexander Košenina, Hannover 1999, 101–119). 400 Vgl. Sturm, Das evangelische Gesangbuch der Aufklärung, 41. 401 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 227. 402 Vgl. Maurer, Aufgeklärte Gesangbücher, 274 f.: So wurde beispielsweise das Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“ weggelassen, da es als Kampflied gegen die Katholiken galt.
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im Vordergrund. Neben diesen beiden Zielen forcierte Döderlein in seinem Gesangbuch noch die Kürze. Weil es für den Universitätsgottesdienst konzipiert war, wurden alle Lieder, die nur für eine „Privatandacht“403 gedacht waren, nicht aufgenommen. Außerdem wurden bei einigen Liedern weniger Strophen abgedruckt.404 Das Döderleinsche Gesangbuch kann aber nicht nur als repräsentativ für das Gesangbuch der Aufklärung gelten, es speist sich hauptsächlich auch aus zwei bedeutenden Vorbildern dieser Zeit. In der „Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder“ wurden 132 Lieder vom „Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Königlich Preußischen Landen“405 (1781) übernommen, welches nach seinem Verleger August Mylius auch als das „Myliussche“ Gesangbuch bezeichnet wurde.406 Das „Myliussche“ Gesangbuch, welches sich bereits auf eine Gesangbuchrevision von 1765 bezog,407 diente vielen Gesangbüchern als Vorlage.408 Zahlreiche Liedtexte stimmen bei Döderlein exakt mit dem Berliner Vorbild überein, stellenweise werden allerdings minimale Veränderungen erkennbar. Satzzeichen sind anders gesetzt409 oder einzelne Wortgruppen mittels Paraphrase geändert.410 Hier zeigt sich eine Vorgehensweise, die den Aufklärern oft vorgeworfen wurde – das Fehlen von Einheitlichkeit. Jeder Herausgeber änderte den Text nach seinem Geschmack, so dass zahlreiche Versionen ein und desselben Liedes existierten.411 403 Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder, Vorrede, [2]. 404 Vgl. ebd. 405 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Königlich Preußischen Landen, Berlin 1781. 406 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 227. – Zum „Myliusschen“ Gesangbuch unter anderem: Ebd.; Joseph Schollmeier, Johann Joachim Spalding. Ein Beitrag zur Theologie der Aufklärung, Gütersloh 1967, 32–36; Weber, Berliner Gesangbuchstreit. 407 Vgl. Beutel, aaO., 227. 408 Vgl. Schollmeier, Spalding, 35. 409 So fügte Döderlein beispielsweise beim Lied „Allein Gott in der Höh sey Ehr“ in der 4. Strophe zwei Kommata ein. Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder, Lied Nr. 3, S. 2. 410 Beim Lied „Herr, stärke mich dein Leiden zu bedenken“ stimmen die Strophen 3–10 im Jenaer Gesangbuch exakt mit der Berliner Vorlage überein. In den ersten beiden Strophen zeigen sich allerdings Änderungen. Im „Myliusschen“ Gesangbuch hieß es in der ersten Strophe: „Herr, stärke mich dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die dich bewog, von aller Schuld des Bösen uns zu erlösen.“ Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Königlich Preußischen Landen, Lied Nr. 88, S. 72. Im Döderleinschen Gesangbuch wurde formuliert: „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mein Herz auf jene Liebe hinzulenken, die dich bewog, für unsre Sündenschulden so viel zu dulden.“ Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder, Lied Nr. 46, S. 29. 411 Vgl. Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 192; Sturm, Das evangelische Gesangbuch der Aufklärung, 17; Hammann, Universitätsgottesdienst, 78. – Döderlein selbst forderte in einer Rezension über das „Neue Anspachische Gesangbuch“ von 1782 diese Einheitlichkeit. Das „Myliussche“ Gesangbuch sollte dabei als Vorlage dienen, da dort die „Aenderungen der Alten Lieder so leicht und glücklich sind“. Doederlein, ATB 2, 4. Stück, 1782, 309. In seinem eigenen Gesangbuch hielt er sich allerdings selbst nicht konsequent an diese Forderung.
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Döderlein übernahm vom „Myliusschen“ Gesangbuch aber nicht nur zahlreiche Lieder, auch der Aufbau des Gesangbuchs orientierte sich an dem Berliner Werk. Die Lieder wurden im „Myliusschen“ Gesangbuch in zwei Rubriken eingeordnet: in die Rubrik „Lob Gottes“ und die Rubrik „Bitten zu Gott“. Der erste Teil umfasste demnach Lieder zur Glaubenslehre und der zweite Teil Lieder zur Sittenlehre.412 Diese Einteilung in einen dogmatischen und in einen ethischen Teil findet sich bei den meisten aufklärerischen Gesangbüchern. Man trennte sich damit von einem Gliederungsschema, das auf das Kirchenjahr oder die kirchliche Liturgie Bezug nahm.413 Auch Döderlein folgte einer Einteilung in Dogmatik und Ethik, allerdings ohne diese Teile mittels Überschriften kenntlich zu machen. Der Aufriss des dogmatischen Teils erinnert sehr an die Gliederung einer Schuldogmatik. Beginnend mit „Gott und dessen Eigenschaften“, worunter die Unterpunkte „Dreyeinigkeit“, „Gottes Unveränderlichkeit“ und „Allmacht“ fallen, folgen dann Lieder zu „Gottes Werke[n]“ (Schöpfung, Vorsehung), gefolgt von dem Teil „Der Mensch und dessen Bestimmung“, über die Sünde, Erlösung, bis hin zu „Von dem, was uns bevorsteht nach diesem Leben“ – also Liedern zum Thema Tod, Auferstehung und Gericht. Der ethische Teil ist wiederum vor allem in drei umfangreiche Bereiche gegliedert: „Christliche Gesinnungen gegen Gott“, „Christliches Verhalten gegen uns selbst“ und „Christliches Verhalten gegen andre Menschen“. Neben dem „Myliusschen“ Gesangbuch diente gleichermaßen das von den Göttinger Theologen Gottfried Less und Johann Peter Miller erarbeitete „Neue[] christliche[] Gesangbuch. Nebst einer Anleitung zur Gebetsübung“ von 1779 als Vorlage für Döderlein.414 Ebenso wie in Jena war dieses Gesangbuch ursprünglich für den akademischen Gottesdienst bestimmt. Dieses Göttinger Gesangbuch ist insofern besonders, als dass hier zum ersten Mal innerhalb des deutschen Protestantismus ein Gesangbuch speziell für den Universitätsgottesdienst konzipiert wurde.415 In Jena orientierte man sich fünf Jahre später daran. Aber nicht nur in der Spezifizierung auf den Universitätsgottesdienst, auch im Druckbild und Layout ähneln sich beide Gesangbücher. Anhand der Liedregister zeigt sich ferner, dass für das Jenaer Gesangbuch 24 Lieder, die nicht im „Myliusschen“ Gesangbuch zu finden sind, aus dem Göttinger übernommen wurden. Wie im „Myliusschen“ und Göttingischen Gesangbuch, so lässt sich gleichermaßen in der „Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder“ erkennen, dass etliche Lieder nach der gleichen Melodie gesungen wurden. Es war üblich, neue Liedtexte auf bekannten Melodien zu dichten.416 Im Döderleinschen Gesang412 Vgl. Sturm, aaO., 62. 413 Vgl. Hammann, Universitätsgottesdienst, 75 f. 414 Neues christliches Gesangbuch. Nebst einer Anleitung zur Gebetsübung, Göttingen 1779. – Dazu besonders Hammann, aaO., 72–76. 415 Vgl. Hammann, aaO., 72. 416 Vgl. Hammann, aaO., 76.
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C. Döderleins Wirken in Jena
buch kommen auf die 215 Lieder 73 verschiedene Melodien. Am häufigsten wurde die Melodie des Liedes „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ herangezogen. 30 Lieder wurden nach dieser Melodie gesungen.417 Döderleins „Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder“ war, wie der Titel schon sagt, eine Sammlung und Zusammenstellung von nach aufklärerischen Prämissen umgearbeiteten oder neu gedichteten Liedern. Es war zu dieser Zeit „Dank […] der göttlichen Fürsehung […], nicht schwer, eine gute, vernünftige dem Bedürfniß unsrer Zeiten gemäße Liedersammlung zu machen; aber unter vielem, das Beste zweckmäsig auszusuchen, dazu gehört etwas mehr […]“418. Die Zeitgenossen waren sich einig, dass Döderlein dies gelungen ist.419 In der „Nürnbergische[n] gelehrten Zeitung“ formulierte der Rezensent: „So gering die Zahl der Bogen und der Numern [sic] ist […] so kann sie [die Sammlung] doch auf Vollständigkeit, durch Wahl und gutes Verhältniß der Lieder unter einander, gerechten Anspruch machen.“420 Döderlein setzte damit in Jena einen eigenen Akzent innerhalb des Spektrums, was an aufgeklärten Gesangbüchern im deutschsprachigen Raum existierte. 4. Döderleins akademische Schriften Döderlein profilierte sich an der „Salana“ nicht nur mit seinen Vorlesungen, dem sogenannten „Predigerinstitut“ und dem Gesangbuch. Auch verschiedene akademische Schriften trugen dazu bei, dass er den gelehrten Diskurs in Jena belebte. Seine ersten Ausführungen legte Döderlein am 25. Januar 1783 im Zusammenhang mit seiner Antrittsrede als Professor der Theologie vor. Diese Abhandlung veröffentlichte er im gleichen Jahr unter dem Titel „De difficultatibus in tradenda morum doctrina“.421 Er beklagte darin die gegenwärtige Lehrart, den Unterricht für die Jugend möglichst leicht zu machen und alles spielend erlernen zu wollen. Der Theologe sah hier eine Gefahr für die wahre Gelehrsamkeit und war vielmehr der Meinung, dass die Jugend an Arbeit und Mühe gewöhnt werden müsse. Besonders die Behauptung, die Moral beziehungsweise Sittenlehre sei eine leichte Disziplin, die sich mühelos studieren lasse, fand seinen Widerspruch. Döderlein führte in seiner Antrittsrede aus diesem Grund verschiedene Schwierigkeiten dieses Fachgebiets auf, die eine intensive Auseinandersetzung, 417 Die zweithäufigste Melodie (13x) war die des Liedes „Herzliebster Jesu“. – Das „Myliussche“ Gesangbuch umfasste 447 Lieder mit 90 Melodien. Die Melodie „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ nahm auch hier die Spitzenposition ein. 50 Lieder wurden nach dieser Melodie gesungen. Vgl. Hammann, aaO., 76, Anm. 17. 418 Nürnbergische gelehrte Zeitung, 44. Stück, 1784, 761. 419 Siehe die Rezension von Friedrich Nicolai in der AdB, 66. Bd., 2. Stück, 1786, 359. 420 Nürnbergische gelehrte Zeitung, 44. Stück, 1784, 762. 421 Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, De difficultatibus in tradenda morum doctrina, Jena [1783].
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eine gründliche Kenntnis und eifriges Studieren verlangen würden.422 Im gleichen Jahr, am 16. August 1783, verteidigte Döderlein seine Disputation pro loco unter dem Titel „De mutatione religionis publicae“.423 Er nahm mit dieser Habilitationsdisputation Anteil an der Debatte über die Verbindlichkeit der Bekenntnisschriften, die seit Friedrich Germanus Lüdkes Schrift „Vom falschen Religionseifer“ von 1767 wieder aufgeflammt war und an der mehrere Theologen, wie etwa Wilhelm Abraham Teller, Johann Gottlieb Töllner, Johan Melchior Goeze und Anton Friedrich Büsching beteiligt waren.424 Döderlein behauptete in seiner Abhandlung, in der er die Lehrgesetzlichkeit der Bekenntnisschriften in Frage stellte,425 dass alle Dinge der Veränderung und dem Wechsel unterworfen seien. Das gelte auch für die Religion. Die Einsichten der Menschen nähmen zu, genauso wie die Einsichten in der Schriftauslegung und den Religionswahrheiten. Döderlein verfolgte hier den Gedanken der Perfektibilität.426 Vor diesem Hintergrund war es ihm unverständlich, wie einige Theologen die Bemühungen verschiedener Gelehrter ablehnen könnten, welche die christliche Religion zeitgemäß dächten.427 Veränderungen der Religionswahrheiten fanden seiner Meinung nach schon immer statt: Entweder durch Hinzufügen einer neuen Wahrheit oder durch die Festlegung von zweideutigen oder umstrittenen Meinungen 422 Vgl. Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 4. Stück, 1. Abtheilung, 1783, 388. Eine ausführliche Wiedergabe von Döderleins wichtigsten Argumenten findet sich in den Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, 14./15. Stück, 1783, 115–118. 423 Johannes Christophorus Doederlein, De Mutatione religionis publicae, Dissertatio Theologica, Jena [1783]. 424 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 124. Zur Kontroverse über die Verbindlichkeit der Bekenntnisschriften sei neben Beutel, aaO., 258 f. auf Aner, Theologie der Lessingzeit, 254–269; Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 102–104 und Gottfried Hornig, Neologie und Aufklärungstheologie (HDThG2 3, 1998, 125–146), hier 133–135 verwiesen. – Zu Töllner/Toellner gibt es verschiedene Schreibweisen. Hier wird die Variante „Töllner“ gewählt, da es die vorwiegende Schreibweise war. Vgl. Erst Feil, Religio. 4. Bd.: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 18. und frühen 19. Jahrhundert (FKDG 91), Göttingen 2007, 412, Anm. 1. 425 Bereits 1780 positionierte sich Döderlein gegen eine „Concordien-Jubelfeyer“ zum 200-jährigen Jubiläum der Aufnahme der Konkordienformel ins Konkordienbuch, auch um einen erneuten Streit über diese Schrift zu vermeiden: „Da die Erfahrung lehrt, daß alle Jubiläen Gährungen veranlassen und die gesammte Evangelische Kirche sich schwerlich dieser Concordie zu freuen hat, so möchte ich diesem Wunsch [nach einer Feier] so wenig beytreten, als dem Wunsch ihrer Gegner, Jubiläen deswegen zu feyern, daß sie nicht autorisirt worden. Doch wir wollen den Obrigkeiten nichts vorschreiben: jeder Lehrer und Bekenner der Religion wird das zweyhundertjährige Andenken an diese Begebenheit am besten durch Gebet um den Frieden der Kirche, und durch die Betrachtung feyern, daß nicht alles Mittel zur Eintracht ist, was Menschen dafür halten und daß viele Streitigkeiten weit glücklicher durch Schweigen als durch Widerspruch, oder Vermittler oder Feststellungen eines öffentlichen Lehrbegriffs und religiöse Unterscheidungen gestillt werden.“ Doederlein, ATB 1, 5. Stück, 1780, 399. Siehe auch sein Beitrag im Literarische[n] Museum, 2. Stück, 1777, 204–254. 426 Siehe Kapitel E/I, 3. 427 Vgl. die Zusammenfassung von Döderleins Text in der Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1784, 145.149.
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C. Döderleins Wirken in Jena
oder durch das Verwerfen gewohnter Lehrsätze.428 Döderlein postulierte daher, dass aktuell viel in der öffentlichen Religion geändert werden könne, was die Unwissenheit der vorigen Zeiten übrig gelassen habe oder nur um gewisser Streitigkeiten willen nötig gewesen sei.429 Diese Änderungen müssten allerdings behutsam geschehen.430 Döderleins Schrift wurde von vielen Rezensenten positiv aufgenommen431 und von mehreren Theologen rezipiert. So nutzte etwa der auch in Altdorf und später in Jena lehrende Johann Philipp Gabler Döderleins Beitrag als Grundlage für seine eigenen Ausführungen.432 Neben diesen beiden akademischen Schriften veröffentlichte Döderlein fünf Abhandlungen in Form eines Weihnachtsprogramms. Es war an der Theologischen Fakultät in Jena üblich, dass jeweils ein Ordinarius zu einem bestimmten christlichen Fest ein lateinisches Programm verfasste.433 Bis auf das Jahr 1789 liegt für jedes Jahr ein Weihnachtsprogramm von Döderlein vor. Das erste Programm von 1782 trägt den Titel „De vi et usu formulae: Christum de coelo venisse“.434 Döderlein fragte hier nach der Bedeutung und dem Nutzen das Ausdrucks „Christus ist vom Himmel gekommen“. Seiner Meinung nach verweise dieser Ausdruck auf Christi vorzügliche Natur, die ihn von den Menschen unterscheide und die Einfluss auf sein Werk und seine Wohltaten habe.435 In den vier darauf folgenden Weihnachtsprogrammen, die überschrieben sind mit „De historiae Iesu tenendae tradendaeque necissitate ac modo“ (4 Teile, 1783–1786),436 beschäftigte sich Döderlein mit einem Thema, nämlich mit der Frage nach der Bedeutung des Lebens Jesu für die Gläubigen. Döderlein richtete sich darin zum einen gegen Theologen, die „blos am Buchstaben der Lebensgeschichte Jesu kleben“437 und zum anderen gegen Gelehrte, die neuerdings die Geschichte Jesu als eine nur für die damaligen Juden nützliche Darstellung verwerfen würden.438 Er führte folglich Argumente für die Notwendigkeit des Studiums der Geschichte Jesu an und gab Kriterien für die Auswahl der einzelnen Geschichten und ihrer 428 Vgl. Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, aaO., 146–148. 429 Vgl. Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, aaO., 148 f. 430 Vgl. Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, aaO., 151. 431 Z. B. in der Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung, 77. Stück, 1783, 657–659. 432 Vgl. dazu Rochus Leonhardt, Johann Philipp Gablers Rektoratsrede über die Autorität der Symbolischen Bücher (1791). Ein Dokument politischer Ethik vom Ende der Stabilisierungsmoderne (KuD 59, 2013, 164–185 und 272–315), hier 177.183.306. 433 Vgl. Reichlin-Meldegg, Paulus und seine Zeit, 213. Griesbach verfasste meistens ein Pfingstprogramm. Vgl. Abdeken, Griesbach, 24 und Delling, Griesbach, 88. 434 [Johann Christoph Döderlein], De vi et usu formulae: Christum e coelo venisse, Jena 1782. 435 Vgl. Theologisch-kritische Betrachtungen neuer Schriften, 5. Bd., 1783, 222. 436 [Johann Christoph Döderlein], De historiae Iesu tenendae tradendaeque necissitate ac modo, 4 Teile, Jena 1783–1786. 437 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1787, 916. 438 Vgl. ebd.
II. Döderlein als Hochschullehrer
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Behandlungsart.439 Dabei zeigte er überdies, dass die Aneignung der Lebensgeschichte Jesu eine Stärkung des Glaubens bewirke und gute Gesinnungen befördere.440 In dem Weihnachtsprogramm „Christum alienum fuisse a legibus civilibus ferendis“ von 1787441 wiederum legte Döderlein dar, dass die Religion zwar vorteilhaft für den Staat sei, Jesus sich aber nicht in bürgerliche Gesetzgebung und Staatsverfassungen eingemischt habe. Jesus habe nur Religionsverbesserer sein wollen, weshalb er alle weltliche Herrschaft und Rechtsentscheidungen von sich abgelehnt habe.442 Diese Ausführungen richteten sich auch gegen die „Fragmente eines Ungenannten – Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger“, worin behauptet wurde, Jesus habe nach weltlicher Ehre und Macht gestrebt.443 Ein Jahr später, 1788, trug Döderlein seine exegetischen Überlegungen zum 8. Kapitel des Römerbriefs vor: „Commentatio ad locum Pauli Rom. VIII. 19–25“.444 In den letzten beiden Weihnachtsprogrammen von 1790 und 1791 behandelte er wieder ein Thema unter der Überschrift „Observationes morales de obligatione ad normam quandam doctrinae Ecclesiae Evangelicae“.445 Erneut setzte er sich hier mit der Frage nach der Verbindlichkeit der Bekenntnisschriften auseinander. Da die einzelnen Abhandlungen in nur niedrigen Auflagen gedruckt wurden und demzufolge schnell vergriffen waren,446 gab Döderlein 1789 eine Sammlung seiner kleinen theologischen Schriften unter dem Titel „Opuscula Theologica“447 heraus und machte sie damit einem breiteren Publikum zugänglich.448 In diesem Zusammenhang überarbeitete und aktualisierte er die einzelnen Texte. 439 Vgl. Jenaische gelehrte Anzeigen, 1. Stück, 1787, 1. 440 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1787, 916. 441 [Johann Christoph Döderlein], Christum alienum fuisse a legibus civilibus ferendis, Jena 1787. 442 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 59. Stück, 1789, 466. 443 Vgl. Beylage zu den Gemeinnützigen Betrachtungen der neuesten Schriften, 2. Stück, 2. Abtheilung, 1788, 174. 444 [Johann Christoph Döderlein], Commentatio ad locum Pauli Rom. VIII. 19–25, Jena 1788. 445 [Johann Christoph Döderlein], Observationes morales de obligatione ad normam quandam doctrinae Ecclesiae Evangelicae, Jena 1791. 446 Vgl. Gothaische gelehrte Zeitungen, 9. Stück, 1790, 65. 447 Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Opuscula Theologica, Jena 1789. 448 Enthalten sind folgende Schriften: De historiae Iesu tenendae tradendaeque necessitate ac modo; De vi et usu formulae: Christum de coelo venisse; De Christo, a legibus civilibus ferendis alieno; De redemtione a potestate Diaboli, ut insigni Christi beneficio; De mutatione religionis publicae; De difficultatibus in tradenda christiana morum doctrina und Oratio de libertate ingenii in religione, magno concordiae praesidio. Die letzte Schrift war vorher noch nicht gedruckt worden. – Zu Döderleins Schrift „De redemtione a potestate Diaboli, ut insigni Christi beneficio“ siehe Kapitel A/I, 2. – Die Abhandlung „Commentatio ad locum Pauli Rom. VIII. 19–25“ wurde wiederum in dem von Johann Caspar Velthusen, Christian Theophil Kühnöl und Georg Alexander Ruperti herausgegebenen Sammelband „Commentationes Theologicae“, Vol. I, Leipzig 1794, 483–500 abgedruckt. Dieser Sammelband verfolgte das Anliegen, gelehrte, auf Universitäten geschriebene Abhandlungen, die oft wenig bekannt und verbreitet waren, publik zu machen. Vgl. ALZ, Nr. 292, 1795, 221.
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C. Döderleins Wirken in Jena
Zwischenergebnis C Döderleins Wirken in Jena war von einer erheblichen Spannung geprägt. Denn Döderlein, dem daran gelegen war, mit theologisch ähnlich denkenden Kollegen an der Theologischen Fakultät arbeiten zu können, musste schnell feststellen, dass Jena nicht seinen Erwartungen entsprach. Das lag hauptsächlich an dem Streit und Missmut, der aufgrund von zwischenmenschlichen Animositäten schon bald unter den Theologen herrschte. Auch Differenzen der Professoren in universitätspolitischen Belangen, wie etwa bei der Frage nach dem Umgang mit studentischen Orden, führten zu zahlreichen Konflikten, in die Döderlein direkt involviert war. Er fand unter den Professoren somit keinen richtigen Anschluss und hatte zudem privat mit Problemen zu kämpfen. Seine Frau starb in Jena nach langer Krankheit. Döderlein belastete diese Gesamtsituation außerordentlich. Dementgegen konnte er seine Begabungen bei den verschiedenen akademischen Tätigkeiten, wie den Vorlesungen und dem sogenannten „Predigerinstitut“ zur Geltung bringen und neue Impulse setzen. Vor allem seine Vorlesungen über die Dogmatik, die er nach seinem eigenen Lehrbuch las, und die Dogmengeschichte sind Ausdruck eines abgeschlossenen Paradigmenwechsels an der Theologischen Fakultät. Dogmatik wurde in Jena nun fast ausschließlich nach aufklärungstheologischen Gesichtspunkten gelehrt. Die Fakultät hatte sich endgültig zu einer „aufgeklärten Fakultät“ entwickelt, wovon ebenso das neu konzipierte Gesangbuch für den akademischen Gottesdienst zeugt. Insgesamt fand Döderlein mittels seiner verschiedenen universitären Wirkungsfelder, zu denen auch die kleineren akademischen Schriften gehörten, die Anerkennung der Studenten. Deren Hochachtung für ihren theologischen Lehrer lässt sich bei seinem Leichenzug in besonderer Weise erkennen. Döderlein erfuhr ebenso von den Erhalterstaaten Wertschätzung, weil sich sein Ruf positiv auf das Ansehen der „Salana“ auswirkte und die Studenten auch wegen ihm Jena als Studienort wählten. Es war ihm zwar nicht vergönnt, mehr als zehn Jahre in Jena zu lehren, aber sein theologischer Nachlass, wie etwa die „Institutio“, überlebten ihn. In Jena wurde nach diesem Lehrbuch noch mehrere Jahre nach Döderleins Tod gelesen.
D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase in den 1780er und 1790er Jahren Döderlein war ein Gelehrter, „der nicht stille stand, als er vorgerückt war und festen Fuß gefaßt hatte, sondern immer fortfuhr, zu sichten, zu prüfen [und] zu entdecken“1. Auch als etablierter Aufklärungstheologe, der in Jena eine zeitaufwendige theologische Professur innehatte, forschte Döderlein intensiv weiter und publizierte zahlreiche Abhandlungen. Anders als in der ersten Zeit seines theologischen Arbeitens, in der sich Döderlein hauptsächlich mit exegetischen Themen beschäftigte, fielen in die zweite Phase seines Schaffens vor allem Schriften systematisch-theologischen und praktischen Inhalts. Hervorzuheben sind hier fünf Werke Döderleins: seine Dogmatik, die er zunächst auf Latein veröffentlichte („Institutio“) und der später eine deutsche eigenständige Ausarbeitung („Christlicher Religionsunterricht“) folgte; seine Ethik („Sittenlehre“) sowie seine beiden Schriften zum Thema Gebet („Erläuterung des Vater Unsers“ und „Ueber die christliche Fürbitte“). Im Folgenden werden diese fünf Publikationen, auf die teilweise in den vorherigen Kapiteln schon verwiesen wurde, genauer vorgestellt. Nachstehende Fragen sind dabei leitend: Welcher Programmatik folgte Döderlein mit den einzelnen Schriften? Wie sind sie aufgebaut und wie wurden sie von den Zeitgenossen beurteilt? Bei den Schriften zur „Sittenlehre“ und zum Gebet wird daneben gefragt, welche Thesen Döderlein formulierte und was seine inhaltlichen Schwerpunktsetzungen waren. Für die umfangreiche Dogmatik erfolgt eine inhaltliche Skizze im Teil E der vorliegenden Studie. Eine Sonderstellung nehmen Döderleins Engagement als Beiträger von Aufsätzen und Rezensionen für verschiedene Journale sowie seine Funktion als Herausgeber mehrerer Zeitschriften ein. Diese Tätigkeit lässt sich nicht in Schaffensphasen einteilen. Döderlein verfasste über die gesamte Zeit seines Wirkens hinweg Rezensionen und versuchte sich mehrfach als Herausgeber. Dennoch soll dieses Thema an dieser Stelle untersucht werden, weil Döderleins wirkungsreichste Zeitschrift, die „Auserlesene Theologische Bibliothek“, in die zweite Phase seines Schaffens fällt.
1 Ammon, Döderlein, 1 f.
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D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase
I. Das dogmatische Werk: Die „Institutio“ und der „Christliche[] Religionsunterricht“ Döderlein verfasste auf Wunsch seiner Studenten in Altdorf2 eine eigene Dogmatik. Dieser gab er den Titel „Institutio Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accommodata“, weil er unter Dogmatik die Darstellung von Lehrmeinungen der Theologen verstand.3 Seine „Institutio“ umfasste zwei Bände. Die erste Auflage erschien 1780 (Band 1) und 1781 (Band 2) und wurde zunächst bogenweise unter den Zuhörern von Döderleins Vorlesung verteilt.4 1797 kam die sechste und letzte Auflage seines Werkes heraus.5 Zusätzlich zur „Institutio“ nahm Döderlein eine deutsche Übersetzung nach dem „Plan des lateinischen [Werkes]“6 in Angriff, die aber als eigenständiges Werk gewertet werden kann. Er betitelte diese deutsche Fassung mit „Christlicher Religionsunterricht, nach den Bedürfnissen unserer Zeit“.7 1785 erschien der erste Band. Insgesamt bestand der „Christliche[] Religionsunterricht“ aus zwölf Bänden. Davon wurden allerdings nur fünf von Döderlein geschrieben. Die anderen Bände erstellte nach Döderleins Tod Christian Gottfried Junge,8 Döderleins Schüler und Nachfolger in Altdorf. Der letzte Band erschien 1803. Eine zweite Auflage gab es von den ersten vier Bänden.9
2 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 108 und Ammon, aaO., 5. 3 Vgl. Filser, Dogma, Dogmen, Dogmatik, 606 f. 4 Vgl. Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 239. – Die vollständige bibliographische Angabe dieser Schrift lautet: Io[hannes] Christoph[orus] Doederlein, Institutio Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accommodata, 2 Bde, Nürnberg/A ltdorf 1780/1781. 5 Die sechs Auflagen erfolgten im Abstand von wenigen Jahren: 21782/1783; 31784; 41787; 51791; 61797. Bei der sechsten Ausgabe war Junge der Herausgeber. – Döderlein gab zusätzlich eine verkürzte Ausgabe seiner „Institutio“ heraus: Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Summa institutionis Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis. In usum praelectionum academicarum, Nürnberg/A ltdorf 1782, 21786. Die dritte Auflage gab Junge 1793 heraus: Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Summa institutionis Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis. In usum praelectionum academicarum, post obitum b. auct. denuo edidit Christ[oph] Godofr. Iunge, Nürnberg/A ltdorf 1793. 6 Johann Christoph Döderlein, Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Nach dem lateinischen von dem Verfasser selbst ausgearbeitet, 1. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1785, 3. – Im Folgenden wird der „Christliche[] Religionsunterricht“ mit „ChRU“ abgekürzt. 7 Für eine Dogmatik war diese Titelwahl einmalig. Allerdings findet sich die Bezeichnung „Religionsunterricht“ als Beschreibung für einen Unterricht in der Religion auch bei anderen Theologen, beispielsweise bei Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. Vgl. Feil, Religio, 4. Bd., 396. 8 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 252. 9 ChRU 1: 1785, 21790; ChRU 2: 1786, 21790; ChRU 3: 1787, 21791; ChRU 4: 1789, 21793; ChRU 5: 1791; ChRU 6: 1796; ChRU 7: 1798; ChRU 8: 1799; ChRU 9: 1800; ChRU 10: 1801; ChRU 11: 1802; ChRU 12: 1803.
I. Das dogmatische Werk
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Doch selbst nach dem Erscheinen der ersten Bände des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ wurde die lateinische „Institutio“ noch auf „Wunsch [des Publikums] […] gegen die Verlagshandlung“10 als „Handbuch zum Unterricht auf Schulen und Gymnasien“11 „so getreu und gedrängt, als es bei der Verschiedenheit beider Sprachen nur immer möglich war, übersetzt“12, um „gründliche Einsichten in den Lehrbegrif der Religion zu befördern, und die Wahrheit […] zu verbreiten“13. Dieses Unterfangen lässt auf die Beliebtheit der „Institutio“ schließen. Herausgegeben wurden diese zwei Bände mit dem Titel „Johann Christoph Döderleins kurze Unterweisung in den Lehrwahrheiten der christlichen Religion“ 1791 und 1792.14 Beide Bände sind nicht, wie der Titel suggeriert, auf Döderlein zurückzuführen, sondern wurden vermutlich ohne dessen Wissen und Genehmigung veröffentlicht.15 1. Die „Institutio“ 1.1. Gliederung Döderleins „Institutio“ besteht aus zwei Bänden mit insgesamt 1.252 Seiten. Den Inhalt dieser Seiten gliederte Döderlein in vier Bereiche. Nach Prolegomena („Von der Religion“, „Von der christlichen Religion“, „Von den Quellen der christlichen Religion“, „Von der Theologie“16) unterteilte der Theologe seine Dogmatik in zwei Bücher und einen Anhang. Das erste Buch umfasste drei Kapitel. Im ers10 Johann Christoph Döderleins kurze Unterweisung in den Lehrwahrheiten der christlichen Religion, Erster Theil, Nürnberg/A ltdorf 1791, Vorrede, [2]. 11 Ebd. 12 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., [3]. 13 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., [4]. 14 Johann Christoph Döderleins kurze Unterweisung in den Lehrwahrheiten der christlichen Religion, Erster Theil, Nürnberg/A ltdorf 1791; Johann Christoph Döderleins kurze Unterweisung in den Lehrwahrheiten der christlichen Religion, Zweiter Theil, Nürnberg/A ltdorf 1792. 15 So vermutete es auch der Rezensent der ALZ, 1. Bd., Nr. 79, 1792, 629. – Es ist kaum anzunehmen, dass Döderlein ein solches Unterfangen gebilligt hätte. Denn wie im Abschnitt D/I, 2.1. analysiert wird, war er dagegen, eine bloße Übersetzung seiner „Institutio“ anzufertigen. So etwas sei unnütz (siehe unten Anm. 61). Außerdem beklagte er schon 1785, dass es von ihm nicht genehmigte Übersetzungen und Nachdrucke gebe. Und genau das, was Döderlein von dem Vorhaben einer bloßen Übersetzung abgehalten hatte, nämlich die Frage nach dem Zielpublikum, hinterfragte auch der Rezensent der AdB. Er behauptete, dass die „Kurze Unterweisung“ für Nichtgelehrte nicht geeignet und viel zu schwer sei und Gelehrte wiederum keine Übersetzung bräuchten. Das Anliegen der Verleger, ein Handbuch für Schulen und Gymnasien zu liefern, sei daher völlig überambitioniert. Deshalb bewertete der Rezensent das Buch als überflüssig. Vgl. AdB, 108. Bd., 2. Stück, 1792, 374 f. Unterzeichnet ist diese Rezension mit dem Kürzel „Zw.“ [in Fraktur]. Dahinter verbirgt sich Franz Volkmar Reinhardt. Vgl. Gustav F. C. Parthey, Die Mitarbeiter an Friedrich Nicolai’s Allgemeiner Deutscher Bibliothek nach ihren Namen und Zeichen in zwei Registern geordnet. Ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte, Berlin 1842, 53. 16 Die Überschriften der Kapitel und Abschnitte werden im Folgenden immer übersetzt angegeben.
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D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase
ten Kapitel behandelte der Verfasser Gott, sein Dasein, seine Natur, seine Eigenschaften und die Dreieinigkeit. Darauf folgte im zweiten Kapitel die Erörterung der Schöpfungsthematik und in Exkursen die Untersuchung der Frage nach den Engeln sowie nach dem ursprünglichen Zustand des Menschen. Im letzten Kapitel des ersten Buches widmete sich Döderlein der Vorsehung. Das zweite Buch thematisierte Christi Wohltaten in zwei Teilen, die sich jeweils aus mehreren Kapiteln zusammensetzen. Döderlein untersuchte im ersten Teil das „Elend des menschlichen Geschlechts“, das heißt die Themen Sünde und die Strafen, die auf die Sünde folgen. Im zweiten Teil erläuterte er in drei Kapiteln, die nochmals untergliedert sind, auf welche Weise eine „Wiederherstellung des menschlichen Geschlechts“ erfolgt. In diesem Zusammenhang analysierte er die Geschichte Jesu (Jesu Stand der Erniedrigung und Erhöhung, seine zwei Naturen) und vor allem seine Wohltaten, die zur Erlösung von der Macht der Sünde und Auferstehung führen und durch die der Mensch Glückseligkeit erwerben kann. Das dritte Kapitel setzte diese Überlegungen fort. Hier prüfte Döderlein, auf welche Art und Weise die Glückseligkeit im Christentum erlangt werden kann. Dabei ging der Verfasser auf die Bedeutung des Glaubens und der Gnade ein. Im ersten Anhang erläuterte Döderlein schließlich die Sakramente, die Taufe und das Abendmahl. Seine Dogmatik schloss er mit dem zweiten Anhang ab, der ekklesiologische Untersuchungen enthält. Auf den ersten Blick scheint die eben vorgestellte Gliederung unspektakulär zu sein. Die Reihenfolge des ersten Teils „Gott – Schöpfung – Engel – ursprünglicher Zustand – Vorsehung“ findet sich so beispielsweise gleichermaßen bei Johann Wilhelm Baier, dessen Handbuch Döderlein vor dem Verfassen seiner eigenen Dogmatik als Leitfaden für seine Vorlesungen benutzte.17 Auch der letzte Teil der Dogmatik (Sakramente, Ekklesiologie) entspricht dem Aufbau der Dogmatiken von Johann Wilhelm Baier, Johann Franz Buddeus und anderen Theologen. Döderlein folgte mit seiner Gliederung, mit der Reihenfolge der Lehrstücke, Gott, dann der Mensch als Subjekt der Theologie (im Stand der Unschuld und im Stand der Sünde) und schließlich den Ursachen und Mitteln des Heils, dem sogenannten analytischen Schema.18
17 Vgl. Ammon, Döderlein, 5; Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein 108 und darauf aufbauend Leder, Universität Altdorf, 206. Johann Wilhelm Baiers „Compendium theologiae positivae“ war zunächst noch „bevorzugte[r] Referenztext“ für die aufklärerische Dogmatik, die an die „(spät-)orthodoxe Systemarbeit“ anknüpfte. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 221. 18 Der Rezensent im „Journal für Prediger“ konnte daher feststellen: „In Absicht der Hauptabtheilung der gesamten Glaubenslehre ist [Döderlein] […] der gewöhnlichen, auch ganz bequemen Eintheilung die eigentliche Theologie von der Anthropologie zu trennen, gefolgt.“ Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 96. – Zu Gliederungsschemata von Dogmatiken: vgl. Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 348–351 und Gottfried Hornig, Die altprotestantische Orthodoxie (HDThG2 3, 1998, 71–96), hier 82 f.
I. Das dogmatische Werk
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Allerdings fällt auf den zweiten Blick das Spezifische an Döderleins Dogmatik auf. Er nahm zahlreiche Reduktionen vor und ließ ganze Punkte aus, die in den meisten Dogmatiken der lutherischen Orthodoxie und Übergangstheologie19 behandelt wurden. So betitelte er beispielsweise die Prädestinationslehre nur noch als einen „Anhang“20, führte sie äußerst kurz aus und schob sie in die Abhandlung über die Eigenschaften Gottes ein. Die Prädestinationslehre hatte damit nicht mehr den Status, den sie noch bei Baier und Buddeus hatte, die diese Materie zwischen der Sakramentenlehre und der Ekklesiologie thematisierten.21 Ebenso wie die Prädestinationslehre erhielten auch die Sakramentenlehre und Ekklesiologie bei Döderlein nur noch den Rang eines Anhangs. Dies und der Umfang – gerade mal 17 von 728 Seiten des zweiten Bandes umfassen die Ekklesiologie – lassen erkennen, dass diese Themen für Döderlein von geringer Relevanz waren. Damit einhergehend behandelte er unter diesem Punkt nicht die verschiedenen Stände (Kirchenstand, obrigkeitlicher Stand, Hausstand, Ehestand), die üblicherweise an dieser Stelle erörtert wurden, wie zum Beispiel bei Baier und Siegmund Jacob Baumgarten.22 Außerdem standen seine eschatologischen Überlegungen wie die Auferstehung und die „ewige Seligkeit“ nicht als die „letzten Dingen“ zusammen, so wie es beispielsweise Johann David Michaelis, Siegmund Jacob Baumgarten, Leonhard Hütter und Johann Gerhard am Ende ihrer Dogmatik handhabten. Döderlein ordnete sie vielmehr in die Ausführungen zu Jesu Wohltaten und die durch ihn erworbene Glückseligkeit ein. Für Döderlein gehörten diese Themen so eng zusammen, dass er sie aufeinander folgen ließ. Eine solche Anordnung fand man bis dahin in keiner anderen Dogmatik.23 Auch die Prolegomena zeigen bereits die aufklärerische Ausrichtung von Döderleins Dogmatik an. Als Quelle der christlichen Religion behandelte er neben dem Alten und Neuen Testament gleichermaßen die Vernunft. Die Vernunft wurde also nicht nur am Rande oder untergeordnet thematisiert, wie beispielsweise bei Michaelis, sondern fand gleichberechtigt neben den biblischen Schriften an exponierter Stelle Betonung.24 19 Aus pragmatischen Gründen wird an dem durchaus problematischen Begriff „Übergangstheologie“ festgehalten. Dazu Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 96–98. 20 Lat. Appendix – Döderlein, Institutio, 1, 1797, § 96, 358. 21 In Dogmatiken der lutherischen Orthodoxie und Übergangstheologie wurde die Prädestinationslehre an verschiedenen Stellen erörtert, aber nie so randständig wie bei Döderlein. Siehe Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 349. Zur Dogmatik von Buddeus siehe Friederike Nüssel, Bund und Versöhnung. Zur Begründung der Dogmatik bei Johann Franz Buddeus (FSÖTh 77), Göttingen 1996. 22 Döderlein untersuchte diese Themen in seiner „Sittenlehre“. 23 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 57. Stück, 1782, 451. – Zu diesem Aufbau auch siehe Kapitel E/II, 2.1. 24 Zur Stellung der Vernunft bei Döderlein siehe Kapitel E/I, 2.2.
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Es kann daher festgehalten werden, dass sich Döderlein bei der Gliederung der „Institutio“ an seinen Vorgänger-Dogmatiken orientierte und trotzdem – wenn auch eher unauffällig – einige entscheidende Änderungen vornahm. 1.2. Methode Die einzelnen Kapitel und Abschnitte der Dogmatik sind jeweils durch fortlaufende Paragraphen unterteilt, durch die das Werk eine übersichtliche Struktur erhält. Die insgesamt 365 Paragraphen sind von ganz unterschiedlicher Länge. Manche bestehen aus wenigen Zeilen, andere wiederum sind länger als 15 Seiten. Die einzelnen Paragraphen beginnen mit einem Lehrsatz und werden durch Observationes [Beobachtungen] kommentiert, die teils exegetischer, teils dogmatischer oder polemischer sowie historischer oder literarischer Art sind.25 In seinen exegetischen Anmerkungen erklärte Döderlein die biblischen Beweisstellen. „[V ]on Vorliebe zum Alten und von übertriebener Neigung zum Neuen gleich fern“ stellte er die Lehren aus den angeführten Schriftstellen in den dogmatischen Observationes vor, so wie er sie „nach seiner gewissenhaftesten Ueberzeugung als wahr erkannt[e]“.26 In den historischen Observationes präsentierte Döderlein die Geschichte der Lehrmeinungen, in seinen literarischen Anmerkungen verwies er auf verschiedene dogmatische und exegetische Schriften und in seinen wenigen polemischen Anmerkungen, in denen er die Gegner oft nicht nannte, wiederlegte er deren Meinung „ohne Zanksucht“27. Daneben bot er einige praktische Anmerkungen, indem er darlegte, was die einzelne theoretische Lehre für moralische Folgen haben kann.28 Christian Gottfried Heinrich bemerkte, dass Döderlein „nie diktatorisch“ entschied, wenn er sich einer Lehre nicht gewiss war.29 Klaus Leder stellt daher fest, dass Döderlein kein geschlossenes Lehrsystem aufbaute: Oft stehen entgegengesetzte Aussagen – verschiedene Meinungen, die in der Kirche zu einem Lehrsatz geäußert wurden – hintereinander, die von Döderlein nicht immer abgewogen oder bewertet wurden. Auf diese Weise blieb vieles unbestimmt und der Leser hatte die Aufgabe, sich aus dieser Materialsammlung das Beste auszuwählen. Döderlein ist laut Leder der erste, der auf diese Weise vorging.30 Diese Methode brachte Döderlein aber auch Vorwürfe und Kritik ein. Er wurde beschuldigt, seinen Standpunkt mit Absicht zu verstecken oder sich so vorsichtig 25 Vgl. Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 495. 26 Ebd. 27 Heinrich, aaO., 496. 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. Heinrich, aaO., 495. Heinrich bezog sich hier möglicherweise auf eine Besprechung im „Journal für Prediger“, in welcher der Rezensent bemerkte, Döderlein würde an Stellen, an denen er sich unsicher sei, nie einen entscheidenden Ton annehmen. Vgl. Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 99. 30 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 212 f.
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auszudrücken, dass seine Position nicht ersichtlich wird.31 Letztlich führte dieses Vorgehen auch zu Missdeutungen, was für Döderlein ein Grund war, eine deutsche Fassung der Dogmatik vorzulegen.32 1.3. Anliegen In der ausführlichen Vorrede zur „Institutio“ stellte Döderlein seine Programmatik vor. Seinen Ausführungen legte er die Annahme zugrunde, dass sich die Religion entwickelt. Die Lehre werde immer weiter verfeinert und sei je nach Zeiten und Personen verschieden. Jede Zeit habe ein anderes Gesicht. Den Zustand seiner Epoche beschrieb Döderlein als weitgehend positiv. In den Wissenschaften könne ein Zuwachs verzeichnet werden, in der Religion herrsche mehr Tugend und Ehre und die Missbräuche in der Religion nähmen ab. Aufgrund dieser Lage formulierte er für seine Gegenwart bestimmte, an die Gelehrten gerichtete Anliegen. Er forderte, dass die Gelehrten ihre Lehrmeinungen dem Denken der Zeit anpassen müssen. Wie schon der Titel seiner „Institutio“ sagt, ging es ihm darum, dass die Lehren „nostris temporibus accommodata“ behandelt werden. Döderlein gab dafür verschiedene Leitlinien vor: Argumente und Methoden müssten besser ausgewählt werden. Vor allem Lehrsätze, die von Zeitgenossen bezweifelt und bestritten werden, müssten umso sorgfältiger und richtiger bestimmt werden.33 An Argumenten solle das herausgegriffen werden, was deutlich und anschaulich sei. Eine unsichere Auslegung hielt er für schädlich. Döderlein sprach sich überdies für das Ersetzen alter Beweisstellen aus. Mit besseren Beweisstellen solle eine richtigere Auslegung in die Theologie gebracht werden.34 „[Der Theologe soll] nicht in der Vergangenheit und in gebräuchlichen und allgemein bewiesenen Bestimmungen zur Ruhe komm[en], sondern [er soll] bessere oder ausführlichere [Bestimmungen] durch den Gebrauch der glücklichen Zeitumstände und durch das Licht der Wissenschaften darleg[en]“.35
Das hieß für Döderlein allerdings nicht, dass pauschal alles Alte zurückgewiesen und neue Lehren erfunden werden müssten.36 Der Theologe soll nach Döderlein vielmehr einen zugänglicheren Weg zur christlichen Wahrheit aufzeigen und das, was bisher verborgen schien, hervorholen, und das, was bisher mittelmäßig war, vervollkommnen. Durch die Heilige Schrift und durch die „Un31 Siehe die Ausführungen des Rezensenten in der Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung, 82. Stück, 1785, 665. 32 Siehe S. 201 f. 33 Vgl. Döderlein, Institutio, 1, 1797, III–V. 34 Vgl. Döderlein, aaO., X. XI. 35 Döderlein, aaO., V. (Übersetzung durch J. H.). Tamen sic, ut non acquiescat in vetustate et definitionibus usitatis et vulgo probatis, sed meliora aut plura, usus temporum felicitate ac literarum luce, exponat. 36 Vgl. Döderlein, aaO., X.
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terstützung der besten Wissenschaften“ werde der Stoff dann sorgfältiger ausgearbeitet, besser bestimmt und präzisiert. Auf diese Art solle „althergebrachter Aberglaube“ korrigiert werden, die Dunkelheit aufgeklärt und die Erleuchtung gebracht werden.37 Döderlein selbst nahm sich in seiner „Institutio“ vor, diesen Anforderungen Genüge zu leisten.38 Zugleich akzentuierte er, dass seine Dogmatik kein Abfall von der Lehrmeinung und der Wahrheit der Kirche bedeute.39 Döderlein wollte in seiner Vorrede aber auch auf zwei Gefahren aufmerksam machen. Erstens sah er das Problem bei den Theologen selbst. Ihm fehlte das Verständnis für Gelehrte, welche den gegenwärtigen Zustand der Religion beklagen und überall Gefahren sehen. Diese begriffen seiner Meinung nach nicht, dass zur Religion auch Entwicklung gehört.40 Gleichermaßen fanden die vielen Streitigkeiten innerhalb der Theologie seine Missbilligung. Schnelle Vorwürfe und Klagen gegen bestimmte Bücher und Autoren seien schlecht, denn die Wahrheit müsse maßvoll eingebracht werden. Der Gelehrte solle alle bösen Beschuldigungen ablehnen und bei Meinungsverschiedenheiten überlegen, ob im Fehler nicht auch ein Funken Wahrheit stecken könnte. Döderlein war der Meinung, dass die Wahrheit nach und nach zur Eintracht führt.41 Zweitens bewertete Döderlein den Spott der Religionsgegner als eine große Gefahr, da dieser das Volk verunsichere. Viele Dinge würden die Spötter der Religion zu Unrecht vorwerfen. Zugleich sah er das Problem wiederum bei den Theologen. Sie würden der Wahrheit oft beistehen, aber ohne eine sorgfältig ausgearbeitete Verteidigung und sich dadurch dem Hohn der Gegner aussetzen.42 Döderlein forderte daher eine ordentliche Vorbereitung43 und bemühte sich, dies in seiner „Institutio“ zu verwirklichen. 37 Döderlein, aaO., V. (Übersetzung durch J. H.). Quidquid igitur vel curatius elaboratum, meliusque definitum expolitumque sacrae scripturae auctoritate et optimarum disciplinarum adiumentis, quidquid nostra aetate ingeniis humanis sive veteris superstitionis correctum, sive obscuritatis declaratum, sive lucis maioris illatum, sive recens inventum est, quocunque demum auctore, in theologia christiana, id ab eo, qui ad nostri temporis rationes accommodate docere velit, commemorari sine invidia ingenueque ac liberaliter commendari et tanquam de flore scientiarum decerpi postulem. 38 In seiner ATB formulierte Döderlein über den ersten Band seiner „Institutio“: „Daher suchten wir [in der ‚Institutio‘] den Vortrag der Religionswahrheiten so einzurichten, daß wir von den neuesten Aufklärungen in der Religion und Theologie, von den Anmerkungen unsrer besten Exegeten, und von den Berichtigungen, welche einzelne Materien durch Veranlassung der neuern Streitigkeiten, erhalten haben, sorgfältigen und unpartheyischen Gebrauch machten, manchen schädlichen Verwirrungen und Mißdeutungen der Heilslehren durch Präcision des Vortrags vorbeugten, und durch strenge Wahl in den Beweisen für die Gewißheit der Lehre sorgten.“ Doederlein, ATB 1, 1. Stück, 1780, 74. 39 Vgl. Döderlein, Institutio, 1, 1797, XIII. 40 Vgl. Döderlein, aaO., IV. 41 Vgl. Döderlein, aaO., VIIIf. 42 Diese Kritik hatte Döderlein bereits in seinen „Antifragmente[n]“ geäußert. Siehe Kapitel A/III, 1.3. 43 Vgl. Döderlein, Institutio, 1, 1797, VIf.
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1.4. Die Beurteilung der „Institutio“ in der Gelehrtenwelt als „vortreflicher Wegweiser“ Welche Zeitschrift oder welches bedeutende Rezensionsjournal auch herangezogen wird: Fast überall lässt sich großes Lob für Döderleins „Institutio“ finden. Als besonders enthusiastisch erweist sich der Rezensent des „Journals für Prediger“. Er formulierte: „Mit wahrer Hochachtung und Dankbarkeit gegen denselben gestehe ich, dass mir seit langer Zeit keine Schrift im Fach der Theologie erschienen zu seyn scheint, die mit so viel wahrer Gelehrsamkeit, so viel eignen Beobachtungsgeist, so viel wahrhaftig christlicher Bescheidenheit und Mässigung, so viel sichtbaren Fleiß und Ehrfurcht gegen das Publicum geschrieben wäre, die so viel Stoff zum feinern Nachdenken – gäbe, so ein glückliches Mittel zwischen überladner Systemsgelehrsamkeit, und seichten theologischem Geschwätz hielte, mit einem Wort so sehr Handbuch des Theologen in allerley Aemtern zu seyn verdiente, als dieses Lehrbuch.“44
Ebenso äußerten sich andere Zeitungen voller Anerkennung, wie die Döderlein nahestehende „Nürnbergische gelehrte Zeitung“45 sowie die AdB46. Hervorgehoben wurde vor allem der Nutzen, den dieses Werk als Lehrbuch bringt, gleichwohl die Rezensenten nicht jeder theologischen Bemerkung Döderleins zustimmten. Für die Anfänger sei es ausgezeichnet, weil Döderlein in seinen Anmerkungen auf viele zeitgenössische Schriften verweise, wodurch der Leser schon durch die bloße Lektüre des Buches mit der neuesten theologischen Literatur bekannt werde. Außerdem seien seine ausführlichen Erklärungen der Beweisstellen, das Anzeigen älterer Lehrmeinungen und die historischen Erläuterungen äußerst brauchbar.47 Es wurde ferner honoriert, dass er den Prinzipien seiner Vorrede treu geblieben sei, immer wieder die Bedürfnisse der Zeit im Blick 44 Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 95. 45 „Wie schwer ists, die Anzeige von einer solchen Schrift in einem Zeitungsblate zu machen, wenn die Anzeige ein Innbegriff aller darinn enthaltenen unterscheidenden Treflichkeiten der Begriffsentwicklung, der Beweisauswahlen, der Artikelstellungen, des Ebenmaases, der edelsten, nie zur Licenz auffahrenden Freymüthigkeit, welche die kirchlichen Lehrsätze mit gleichem Eifer schüzt und verwirft, wie es lautere von Weisheit und Scharfsinn geleitete Wahrheitsliebe gebeut, seyn soll?“ Nürnbergische gelehrte Zeitung, 57. Stück, 1782, 449. 46 Der Rezensent der AdB schrieb über die dritte Auflage der „Institutio“: „Die dritte Auflage binnen dreyen Jahren könnte schon ein gunstiges Vorurtheil für die Güte der Döderleinschen Dogmatik erwecken, wenn auch nicht der eigne Gebrauch jeden überzeugte, daß sie an Plan, Ordnung, Gründlichkeit, Behutsamkeit, schicklicher Einschaltung der Geschichte der Glaubenslehren, und erklärter Beweisstellen, und nicht weniger an Eleganz des größtentheils reinen lateinischen Ausdrucks, gewiß den meisten itzt gangbaren (denn von ältern ist gar nicht die Rede) lateinischen Lehrbüchern den Rang streitig mache, und, was der Titel sagt, wirklich unsern Zeiten angemessen sey.“ AdB, 70. Bd., 2. Stück, 1786, 418 f. Zum Verfasser dieser Rezension siehe Anm. 54. 47 Vgl. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 4. Stück, 1780, 37. Das bisherige Fehlen eines solchen Repertoriums wurde auch von Gottfried Less in den „Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen“ bemerkt. Durch Döderleins „Institutio“ gebe es nun ein Buch, was die exegetischen, philosophischen und historischen Bemerkungen neuerer Zei-
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habe, gegnerische Standpunkte nicht polemisch abwerte, sondern sich mit ihnen auseinandersetze,48 so dass er seine Untersuchung „ohne beständige Seitenblicke auf Orthodoxie und Heterodoxie“49 vornehme. Döderlein, so konnte der Rezensent des „Journals für Prediger“ bewundernd formulieren, „hält es weder mit dem Alten noch mit dem Neuen. Er hält es mit der Wahrheit, oder, weil er selbst sich nicht für infallibel hält, mit dem was er nach seiner gewissenhaftesten, ruhigsten Ueberlegung für Wahrheit erkannt hat“50. Dass sich Döderlein bemühte, verschiedene Meinungen im Blick zu halten, wurde ihm allerdings auch negativ angerechnet. Gottfried Less, dem einige dogmatische Äußerungen von Döderlein grundsätzlich zu weit gingen,51 äußerte in den „Göttingische[n] Anzeigen“, dass Döderleins Werk noch an Kürze und Präzession gewinnen könne, wenn er nicht versuchen würde, „verschiedene oder gar widersprechende Meinungen in Eine zusammen zuschmelzen“52. Aber abgesehen davon wurde Döderleins Dogmatik mehrheitlich als „vortreflicher Wegweiser“53 beschrieben. Dass die „Institutio“ nicht nur gut besprochen, sondern überdies wirklich genutzt wurde, verdeutlichen neben den zahlreichen Auflagen auch Randbemerkungen in den Rezensionen: Der Rezensent der AdB konnte in seiner Besprechung über die vierte Auflage der „Institutio“ schreiben, dass das Werk nicht weiter vorgestellt werden müsse, da es sich „schon längst in den Händen aller angehenden und ausübenden Theologen“54 befinde. Außerdem wurde mehrfach betont, dass andere Theologen Döderleins „Institutio“ als Vorlesungsgrundlage nutzten.55 Auch abseits von Rezensionsjournalen wurde Döderleins „Institutio“ positiv herausgestellt. Christian Gottfried Heinrich hielt 1790 in seinem „Versuch einer Geschichte der verschiedenen Lehrarten“ fest, dass Döderlein, „einer unsrer besten gesammelt biete, diese beurteile und eigene Anmerkungen und Hinweise gebe. Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen, 24. Stück, 1781, 369 f. 48 Vgl. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 4. Stück, 1780, 37. 49 Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 98. 50 Journal für Prediger, aaO., 99. 51 Siehe seine kritischen Anmerkungen in der Rezension Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen, 24. Stück, 1781, 369–376. 52 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 83. Stück, 1783, 830. 53 Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 102. 54 AdB, Anhang zum 53.–86. Bd., 1. Abtheilung, 1791, 233. Bereits in der Rezension zur dritten Auflage der „Institutio“ wurde angenommen, dass dieses Werk bekannt ist: „[Wir können] voraussetzen […], daß jeder Lehrer und Schüler der Religionskenntnisse, dieses, in seiner Art und für unsre Zeiten, für die so manche, sonst berühmte ältere Dogmatik keine Brauchbarkeit mehr hat, einzige Lehrbuch, selbst lesen und studieren werden.“ AdB, 70. Bd., 2. Stück, 1786, 422. – Beide hier aufgeführten Rezensionen wurden von Albrecht Georg Walch, Professor und Rektor am Gymnasium in Schleusingen, verfasst. Bei der Rezension von 1786 erscheint er unter dem Kürzel „Pk.“ [Fraktur] und bei der von 1791 unter der Abbreviatur „Kb.“ [Fraktur]. Vgl. Parthey, Die Mitarbeiter, 43.48. Walch schrieb für die AdB zahlreiche Buchbesprechungen, darunter viele Abhandlungen über Döderleins Schriften. Vgl. Parthey, aaO., 31. 55 Siehe Acta Historico-Ecclesiastica Nostri Temporis, 97. Theil, 1787, 888. Auch Paulus nutzte Döderleins „Institutio“ für seine Vorlesungen. Siehe Kapitel C/II, 1.3.
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ten und berühmtesten jetzt lebenden Theologen“56, mit seiner Dogmatik „unserm Jahrhundert wahre Ehre mach[e]“57. Christoph Friedrich Ammon bemerkte zudem, dass Döderlein nicht nur seinen Ruf zum großen Teil seiner Dogmatik zu verdanken habe, sondern auch, dass er die dogmatischen Schriften von Johann Jakob Griesbach, Samuel Friedrich Nathanael Morus, Jakob Christoph Rudolf Eckermann und August Hermann Niemeyer beeinflusst habe.58 1867 konnte Wilhelm Gaß in seiner „Geschichte der Protestantischen Dogmatik“ rückblickend postulieren, dass Döderleins Lehrbuch zwar „längst nicht mehr gelesen“ werde, es aber in der „literar-historischen Folge“ der dogmatischen Wissenschaft „ein wichtiges Glied“ bilde, da es „einen bedeutenden Schritt“ weiterführte.59 Gustav Frank konstatierte aus diesem Grund knapp 100 Jahre nach dem Erscheinen der „Institutio“, dass Döderleins Dogmatik damals ein epochemachendes Werk gewesen sei.60 2. Der „Christliche[] Religionsunterricht“ als erweitertes Dogmatikprojekt 2.1. Entstehungshintergründe, Ziele und Aufbau Nachdem Döderleins „Institutio“ in der Gelehrtenwelt positiv aufgenommen worden war, plante und verwirklichte der Theologe eine deutsche Bearbeitung dieses Werkes und nannte es „Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit“. Was bewog Döderlein zu diesem Schritt? Döderlein rechtfertigte in seiner Vorrede zum ersten Band dieses Vorgehen und führte mehrere Beweggründe an. Als Anlass nannte er das Vorhandensein von deutschen Übersetzungen seiner Dogmatik, die allerdings nicht von ihm autorisiert worden waren. Döderlein beschwerte sich heftig darüber.61 Existierende Missver56 Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 239. – Heinrich schrieb Döderleins „Institutio“ zahlreiche positive Eigenschaften zu: „Dies wäre denn ein dogmatisches Werk, in welchem ausgezeichnete Gelehrsamkeit, unermüdeter Fleiß, richtiges Urtheil, gute Ordnung, genaue Wahl der Beweise, richtige Bibelerklärung, deutlicher und gründlicher Vortrag, eleganter Stil etc. etc. kurz, alles angetroffen wird, was zu einer guten Dogmatik gehört.“ Heinrich, aaO., 496. 57 Heinrich, aaO., 492. 58 Vgl. Ammon, Döderlein, 6. – Andere Abhandlungen wiederum verwiesen in ihrem Titel auf Döderleins Dogmatik. Exemplarisch sei genannt: Johann Heinrich Tieftrunk, Censur des Christlichen Protestantischen Lehrbegriffs nach den Principien der Religionskritik mit besonderer Hinsicht auf die Lehrbücher von D. J. C. Döderlein und D. S. F. N. Morus, 3 Bde, Berlin 1791–1795. 59 Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik, 120. 60 Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 113. 61 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 3. In der zweiten Auflage dieses Bandes bemerkte Döderlein erneut, dass „bald von gutmeinenden Männern, bald von gewinnsüchtigen Verlegern, eine deutsche Uebersetzung dieses absichtlich lateinisch geschriebenen Buches ohne [s]einen Willen und wider [s]eine Absicht“ herausgegeben worden sei. Döderlein, ChRU 1, 21790, IV. Es sei außerdem traurig, dass es in einer Zeit, in der die Aufklärung so gerühmt werde und die Rechte des Menschen verteidigt würden, Nachdruckern trotzdem noch erlaubt sei, sich unter Vorwänden des rechtmäßigen Eigentums fremder Verfasser zu bemächtigen. Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, VII. Zu dieser Problematik des unerlaubten Nachdruckens siehe Hans Wid-
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ständnisse und an ihn gehende Forderungen und Wünsche gab er als weitere Gründe an: Zwar habe er seine „Institutio“ auf Latein verfasst, weil er die Vernachlässigung der lateinischen Sprache nicht unterstützen und auch außerhalb Deutschlands bekannt werden wollte, aber da er aus Mangel an Sprachkenntnissen oft nicht verstanden oder vielmehr missverstanden worden sei und es der Wunsch mehrerer „aufgeklärter Christen“ gewesen sei, auch außerhalb der Klasse der Theologen das Buch kennen zu lernen, habe er nun eine deutsche Fassung geplant.62 Diese Bearbeitung solle aber keine bloße Übersetzung sein, weil das nur „Taglöhnerarbeit“ wäre, zu der er sich nicht berufen fühle und die außerdem „zweckwidrig“ sei.63 Da Döderlein im Gegensatz zur „Institutio“ auch die Personen erreichen wollte, die eine solche Übersetzung so vehement von ihm forderten, nämlich die „aufgeklärten Christen“, veranlasste ihn das zu einer veränderten Darstellung der Themen. Er wollte nun manche Erklärungen weglassen und andere Erläuterungen wiederum hinzufügen, die er in einer für den akademischen Unterricht geplanten „gelehrten Dogmatik“ hatte übergehen können.64 Außerdem konzipierte er den methodischen Aufbau seiner Abhandlung neu: Es gab keinen Leitsatz mehr, auf den Observationes folgen. Aus der Aneinanderreihung der lateinischen Fassung machte Döderlein nun eine geschlossene Darstellung.65 Er verfolgte dabei das Ziel, Erklärungen und Betrachtungen über die christliche Religion zu geben, „wie sie dem Prediger nützlich, dem nachdenkenden Christen unterrichtend, den Bedürfnissen unserer Zeiten angemessen […] sind“66. Zum einen wollte er einer Entstellung des echten Chrismann, Geschichte des Buchhandels vom Altertum bis zur Gegenwart, 1. Teil: Bis zur Erfindung des Buchdrucks sowie Geschichte des deutschen Buchhandels, völlige Neubearbeitung der Auflage von 1952, Wiesbaden 1975, 110–112 und Werner Greiling, Verlagsstrategien zur Schulverbesserung und Volksbildung im 19. Jahrhundert. Gustav Friedrich Dinter und Johann Karl Gottfried Wagner, Leipzig 2017, 157 f. – Es gab auch Ankündigungen, dass Döderlein in der Keyserischen Buchhandlung zu Erfurt eine deutsche Übersetzung herausgebe, wovon Döderleins allerdings nichts wusste. Eine solche Ankündigung findet sich zum Beispiel in den Jenaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, 80. Stück, 1782, 639 f. Döderlein reagierte darauf eine Woche später: „Auf die […] Nachricht, daß im Verlag der Keyserischen Buchhandlung in Erfurt eine deutsche Uebersetzung meiner institutio theologi Chr. herauskommen solle, muß ich anzeigen, daß ich an dieser Unternehmung durchaus keinen Antheil nehmen könne, nicht nur, weil sie ohne mein Vorwissen angekündigt worden, sondern auch, weil mein Buch seiner Einrichtung nach gar nicht zum Uebersetzen geschrieben oder brauchbar ist.“ Jenaische gelehrte Zeitungen, 81. Stück, 1782, 648. 62 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, Vorrede, 2 f. In einem Brief an Will vom 5. Januar 1785 formulierte Döderlein: „Jezt beschaeftigt mich ganz die deutsche Dogmatik, wovon der Anfang biß Ostern erscheinen soll! Ich rechne dabey auf den Beyfall vieler Deutschen, denen das Lateinische zu schwer ist: aber auch auf den Tadel eben so vieler, die das Lateinische für orthodox gehalten haben, weil Kürze, und gesuchte Amphibolie sie in der Ungewißheit ließ.“ NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,17, [2]. 63 Döderlein, ChRU 1, 1785, Vorrede, 3. 64 Vgl. Döderlein, aaO., 4. 65 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 212. 66 Döderlein, ChRU 1, 1785, Vorrede, 4.
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tentums vorbeugen und zum anderen „die Verbindung der Religionswahrheiten mit den großen Absichten aller wahren Religion auf Menschenglük in Ruhe und Tugend“ aufzeigen.67 Bei der Betrachtung von Döderleins Adressatengruppe, seinem Vorgehen und seiner Zielsetzung kann der Äußerung des Rezensenten in der „Allgemeine[n] Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Litteratur“ zugestimmt werden, dass Döderleins Buch weder eine „bloße deutsche Dogmatik“ noch eine „bloße populäre Theologie“ sei.68 Döderlein ging hier einen Mittelweg, indem er den Inhalt und die Methodik seiner Darstellung auf beide Gruppen – auf Theologen/Prediger und Nichttheologen – abstimmte. Deshalb hielt sich sein „Christlicher Religionsunterricht“ in den Grundsätzen und im Plan und Aufbau exakt an die lateinische Vorlage. Zum großen Teil stimmen sogar die einzelnen Paragraphennummern überein. Legt man den Fokus allerdings auf das veränderte Zielpublikum und die abgeänderte Art der Abhandlung, so wird ersichtlich, dass das Wort „Übersetzung“ für den „Christliche[n] Religionsunterricht“ nicht treffend ist. Es spricht viel dafür, entweder von einer „erweiterten Übersetzung“ zu sprechen, oder dem „Christliche[n] Religionsunterricht“ den Status eines eigenen Werkes zuzuerkennen.69 Dass die lateinische und deutsche Dogmatik überdies von den Zeitgenossen als zwei Werke wahrgenommen wurden, verdeutlicht nicht nur der Hinweis, dass die „Institutio“ auch nach dem Erscheinen des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ noch neu verlegt wurde, sondern zeigt sich ebenfalls an Bemerkungen in Rezensionen, die „Institutio“ sei durch das deutsche Werk nicht entbehrlich gemacht worden.70 Aber nicht nur an der überarbeiteten Darstellungsart und an den auf die Zielgruppe abgestimmten inhaltlichen Neuakzentuierungen lässt sich erkennen, dass Döderlein seinen „Christliche[n] Religionsunterricht“ im Vergleich zur „Institutio“ abänderte, sondern auch am Umfang des Werkes. Anders als die zwei67 Döderlein, aaO., 4 f. 68 Allgemeine Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Litteratur, 8. Bd., 1787, 5. Dass Döderlein keine populäre Dogmatik liefern wollte und in seinen Untersuchungen mehr sagte, als was in „Volksvorträge“ gehört, wurde von den Rezensenten überwiegend positiv bewertet. Vgl. Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 448 f. 69 So auch die Einschätzung einiger Rezensenten wie beispielsweise in den Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1786, 3. 70 Siehe Rezension über den ChRU 1 in der ALZ, 4. Bd., Nr. 260, 1785, 109: „Es [die Institu tio] wird, wegen der exegetischen, kritischen und historischen Untersuchungen, wegen der über anderer Theologen und Partheyen Meinungen eingestreuten Nachrichten und Urtheile, wegen der reichhaltigen litterarischen Nachweisungen etc. für den gelehrten und forschenden Religionskenner immerfort ein wichtiges, und unter andern seiner Art, zum weitern Fortstudiren für unser Zeitalter das bequemste Buch bleiben. Auch wegen der Sprache, in der es abgefasst ist, und die, zum unvermeidlichen Nachtheil der Gelehrsamkeit, immer mehr aufhört, die Sprache der Gelehrten zu seyn, ist es uns lieb, dass es für einen grossen Theil derjenigen, welchen es zum Gebrauch bestimmt ward, und die aus Bequemlichkeit seinen ganzen Inhalt lieber in der Muttersprache lesen möchten, durch eine blosse Uebersetzung nicht überflüssig gemacht worden ist, sondern auch für sie, neben dem gegenwärtigen deutschen Buche, unentbehrlich bleibt.“
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bändige „Institutio“ umfasst der „Christliche[] Religionsunterricht“ insgesamt 12 Bände mit 4.291 Seiten (allerdings wurden nur fünf Bände von Döderlein herausgegeben). Allein die Prolegomena nehmen drei Bände ein – also insgesamt 1.051 Seiten! An einigen Rezensionen zu Döderleins „Christliche[m] Religionsunterricht“ lässt sich ablesen, dass ein solcher Umfang zunächst nicht vorgesehen war und durchaus als problematisch empfunden wurde. Anfangs wurde die Ausdehnung des Werkes noch gerechtfertigt: Der Umfang ginge nicht auf Döderleins „Aufwand an Worten“71 zurück, sondern es seien wichtige Materien, die hier behandelt werden würden,72 und die Bedürfnisse der Zeit würden eine so umfangreiche Darstellung erfordern.73 Trotzdem wurde beispielsweise in der „Allgemeine[n] Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Literatur“ eine zukünftig kürzere Abhandlung gewünscht, damit sich die Vollendung des so nützlichen Werkes nicht über viele Jahre hinziehe.74 Zunächst rechnete man aufgrund der Ankündigung im dritten Band damit, dass nach diesem Band nur noch drei weitere folgen würden.75 Aber als nach dem vierten Band die Gotteslehre immer noch nicht abgeschlossen war, wurden die ersten Rezensenten darüber ungehalten: Wenn Döderlein diese Ausführlichkeit beibehalte, hätte man noch mit einem Dutzend Bänden zu rechnen.76 Es wurde ferner moniert, dass weder Döderlein noch der Verleger in einer Vorrede oder Nachschrift diese Umstände entschuldigen77 oder Ursachen über die getäuschte Erwartung der Vollendung des Werkes sowie über die Hoffnung der Fortsetzung erklären würden.78 Nach dem fünften Band hatten einige Rezensenten die Besorgnis, Döderlein könne stillschweigend mit diesem Teil seinen „Christliche[n] Religionsunterricht“ abschließen.79 Für Albrecht Georg Walch, dem Rezensenten der AdB, wäre dies ein „wahrer Verlust für die theologische Litteratur“80. Inwiefern Dö71 Z. B. in der ALZ, 4. Bd., Nr. 260, 1785, 112. 72 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 52. Stück, 1786, 409. 73 Vgl. Nürnbergische gelehrten Zeitung, 7. Stück, 1788, 54. So auch in der ALZ, 4. Bd., Nr. 260, 1785, 109 f. – Mit diesen Argumenten rechtfertigte sich Döderlein auch selbst in der Vorrede zum dritten Band: „Meine Absicht, nach den Bedürfnissen unsrer Zeit zu schreiben, nöthigte mich, gerade in diesen Materien, welche am meisten streitig sind, bey der Reichhaltigkeit des Stoffes meinen Betrachtungen mehrere Ausdehnung zu geben, als bey einer andern Lage der Religion nöthig gewesen seyn möchte: und ich hoffe, daß ich nicht unter die Schriftsteller zu rechnen seye, welche die Armuth an Sachen durch Fülle an Worten zu ersezen suchen.“ Döderlein, ChRU 3, 1787, Vorrede, [2 f.]. 74 Vgl. Allgemeine Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Literattur, 8. Bd., 1787, 29. 75 Siehe Nürnbergische gelehrte Zeitung, 7. Stück, 1788, 55 und AdB, 99. Bd., 1. Stück, 1791, 17. 76 Vgl. Rezension über den ChRU 4 in AdB, 99. Bd., 1. Stück, 1791, 17. 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. AdB, 104. Bd., 1. Stück, 1791, 78. 79 Vgl. AdB, aaO., 79. 80 Ebd. – Hinter diesem Kürzel „Kb.“ [Fraktur] verbarg sich der Gelehrte Albrecht Georg Walch. Siehe Anm. 54.
I. Das dogmatische Werk
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derlein die Bearbeitung weiterer Bände plante, lässt sich nicht mehr eruieren, da sein früher Tod das Projekt zwangsläufig zu Ende kommen ließ. Allerdings lässt die Fortsetzung Junges darauf schließen, dass Döderlein die Vollendung wichtig gewesen war. 2.2. Die Fortsetzung des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ durch Christian Gottfried Junge Dass Döderlein sein Projekt des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ nicht beenden konnte, lag nicht nur an seinem frühen Tod. Er selbst begründete die Verzögerung der Herausgabe der einzelnen Bände mit seiner „Hochachtung für das Publikum“81, weshalb er die Arbeit nicht übereilen wolle, und mit den „unvermeidlichen Geschäfte[n]“82 seines Berufs, die viel Zeit in Anspruch nehmen würden.83 Auch Junge sah den Grund für Döderleins nicht gelungene Vollendung des Werkes in seinen zahlreichen Beschäftigungen und in seinem Anspruch, seine Ideen immer noch weiter berichtigen zu wollen, sowie „von der Aufklärung der Zeiten mehr Gebrauch machen [zu] woll[en], und es der Nachwelt in vollkommener Gestalt zu übergeben“84. Junge setzte Döderleins Werk fort. Diese Tatsache wurde von den Rezensenten ambivalent bewertet. Der Rezensent der NAdB äußerte sich am treffendsten: Seiner Meinung nach sei die Fortsetzung kein sonderlicher Gewinn für die Literatur, zumal sich die Theologen mit Döderleins lateinischem Werk begnügen könnten. Außerdem sei die Weiterführung eines fremden Werkes immer eine schwierige Angelegenheit. Allerdings habe Junge die Vorteile, dass er nicht nur Döderleins Schriften kenne und die Anordnung aus der „Institutio“ übernehmen könne, sondern auch Döderleins langjähriger Freund sei. Ihm sei daher Döderleins Art zu denken bekannt. Wenn der „Christliche[] Religionsunterricht“ schon fortgesetzt werde, dann sei Junge dafür der richtige Gelehrte.85 Trotzdem wurde hier erneut der ausufernde Umfang der Dogmatik als problematisch be81 Döderlein, ChRU 3, 1787, Vorrede, [1 f.]. 82 Döderlein, aaO., [2]. 83 Döderlein betonte daneben, dass es ihm aufgrund eines „schmerzlichen Verlustes“ über mehrere Monate hinweg unmöglich gewesen sei, Untersuchungen vorzunehmen. Döderlein, aaO., [2]. Mit dem „schmerzlichen Verlust[]“ spielte Döderlein auf den Tod seiner Frau Rosina Maria Döderlein, geb. Merklein an, die im März 1787 nach längerer Krankheit verstorben war. 1790 äußerte sich Döderlein erneut über den Grund der Verzögerung des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“. Neben den bereits bekannten Argumenten („mühsames Amt[]“, „Achtung fürs Publikum“) verwies er auch auf seine „nicht eben sehr feste[] Gesundheit“. Döderlein, ChRU 1, 21790, VIII. 84 Johann Christoph Döderlein, Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Nach dem lateinischen von dem Verfasser selbst ausgearbeitet von Christian Gottfried Junge, Sechster Theil, Nürnberg/A ltdorf 1796, IV. 85 Vgl. NAdB, 60. Bd., 1. Stück, 1801, 11 f. – Diese kritischen Anmerkungen stammen von Franz Volkmar Reinhardt, der diesen Text unter dem Kürzel „Eg.“ veröffentlichte. Vgl. Parthey, Die Mitarbeiter, 57.
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D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase
schrieben. Nach dem Erscheinen des zehnten Bandes wünschte sich der Rezensent der ALZ, dass Junge nun den Rest der „Institutio“ zusammenfasse, damit das deutsche Werk nicht zu stark und damit weniger brauchbar wäre.86 Der eben genannte Rezensent der NAdB sprach gleichermaßen von einem „so abschreckendem Umfange“ des Werks,87 der, wie ein anderer Rezensent bemerkte, dazu führe, dass das „deutsche Werk für […] [die] Oekonomie [der Religionslehrer] zu groß seyn sollte“88. Inwiefern aber kann aus der Fortsetzung Junges Döderleins Standpunkt herausgelesen werden? Junge erläuterte, dass er als Grundlage zwar Döderleins Ideen nehme, aber überdies Meinungen von neueren Autoren einbringe, die Döderlein noch nicht benutzt habe.89 Auch den Kritikern fiel auf, dass Junge die „Institutio“ zwar als Ausgangspunkt heranzog, aber oft von den Meinungen und Vorstellungsarten Döderleins abwich.90 Sie vermissten zudem oft trotz Junges „ruhige[r] unbefangene[r] Prüfung“ die „Lebhaftigkeit der Darstellung“ und die „feurige Beredsamkeit“ Döderleins.91 Da Band sechs bis zwölf des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ aus diesen Gründen hauptsächlich als das Werk Junges und nicht Döderleins gelten müssen, werden sie in der vorliegenden Untersuchung nicht mit berücksichtigt. 2.3. Die Bewertung des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ in den Rezensionsjournalen Wie bereits die „Institutio“, so wurde auch Döderleins „Christlicher Religionsunterricht“ von ganz unterschiedlichen Rezensionsjournalen in den höchsten Tönen gelobt. Der Rezensent in der AdB formulierte: „Lange hat die theologische Literatur keinen so wichtigen Zuwachs erhalten, als an gegenwärtigem Buche, das so sehr, wie es der Titel verspricht, den Bedürfnissen unsrer Zeit, unsern Fortschritten in philosophischen und theologischen Untersuchungen, angemessen ist, das glükliche Mittel zwischen gedankenloser Nachbetung alter dogmatischer Begriffe und Formeln und unbegränzter Neuerungssucht hält, den Theologen sowohl als Nichttheologen reichen Stof zur Berichtigung und Erweiterung ihrer Religionskenntnisse giebt, durch und durch so ganz das Gepräge sorgfältiger Untersuchungen, eigner Ueberzeugungen und eines von den großen Wahrheiten, die es enthält, gerührten Herzens trägt, und sich überdem so sehr durch Richtigkeit und Schönheit des Vortrags empfiehlt.“92 86 Vgl. ALZ, 1. Bd., Nr. 6, 1802, 45. 87 NAdB, 60. Bd., 1. Stück, 1801, 11. 88 NAdB, 88. Bd., 2. Stück, 1804, 297. – Hinter dieser Rezension („H.“ [Fraktur]) verbirgt sich der in Rostock lehrende Theologieprofessor Werner Karl Ludwig Ziegler. Vgl. Parthey, Die Mitarbeiter, 41. 89 Vgl. Döderlein, ChRU 6, Vorrede von Junge, V. 90 Vgl. NAdB, 60. Bd., 1. Stück, 1801, 12 f. 91 NAdB, aaO., 12. 92 AdB, 69. Bd., 1. Stück, 1786, 30. – Diese Rezension stammt von Albrecht Georg Walch (Kürzel „Eg.“ [Fraktur]). Siehe Anm. 54.
I. Das dogmatische Werk
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In diesem Satz lassen sich fast alle Aspekte finden, die ebenso in anderen Rezensionen hervorgehoben wurden: Nämlich, dass das Buch zu den wichtigsten Erscheinungen dieser Zeit gehöre,93 dass es den Zeiten angemessen sei,94 dass es sowohl von Gelehrten als auch von aufgeklärten Laien mit Nutzen gelesen werden könne,95 dass darin die neuesten Streitigkeiten und neuesten Schriften beachtet würden,96 dass immer wieder zwischen „alten und neuen Behauptungen“97 changiert werde und dass es sich durch einen guten Stil, gründliche Untersuchung98 sowie einen „warmen und aufgeklärten Eifer für Wahrheit und Tugend“99 auszeichne. Das „Journal für Prediger“ empfahl dem Leser daher, lieber „manchen Quartanten aus [der] Büchersammlung Preis zu geben“100, als dieses „reichhaltige Buch“101 zu entbehren. Obgleich Döderlein manche Themen aufgreife, die schon als bekannt gelten könnten, so zeichne sich seine Darstellung 93 In der ALZ wurde der „Christliche[] Religionsunterricht“ zu den „grössten Gewinne[n] […] in unserem Jahrzehend“ gezählt. ALZ, 4. Bd., Nr. 260, 1785, 112. Auch in einer späteren Ausgabe wurde betont, dass das Werk zu dem „besten Zuwachs[] der theologischen Literatur“ gehöre. ALZ, 2. Bd., Nr. 108, 1790, 137. Ebenso wurde es in den „Gemeinnützige[n] Betrachtungen“ als eines der „allerbesten Werke“ „die in unserm Jahrzehend über Gegenstände der Religion erschienen sind“ beschrieben. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1786, 3. 94 So z. B. in den Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften, aaO., 3 sowie in den Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1790, 166. 95 Vgl. Allgemeine Bibliothek der neusten deutschen theologischen Litteratur, 8. Bd., 1787, 4. 96 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 82. Stück, 1785, 666. 97 Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 448. Während Döderleins Versuche, Altes und Neues zu verbinden, sonst wohlwollend aufgenommen wurden (z. B. in der AdB, 73. Bd., 1. Stück, 1787, 71), wurde dieses Bemühen Döderleins in den „Göttingische[n] Anzeigen“ von Gottfried Less kritisch betrachtet. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1787, 914. Less hatte dies bereits in seiner Besprechung über die „Institutio“ beanstandet. Siehe oben Anm. 51. 98 In der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ wurden Döderleins „Klarheit“, „Wärme“, „Sprachfülle“ (Nürnbergische gelehrte Zeitung, 52. Stück, 1786, 409), sowie seine „glühende[] und hinreissende[] Beredsamkeit“ (Nürnbergische gelehrte Zeitung, 7. Stück, 1788, 55) akzentuiert. Auch in der AdB hob Albrecht Georg Walch (Kürzel „Pk.“ [Fraktur]) Döderleins „reinen [und] […] kraftvollen Ausdruck“ neben seiner „sorgfältigsten Untersuchung und genauen Prüfung“ hervor. AdB, 73. Bd., 1. Stück, 1787, 71 f. Döderleins Gründlichkeit, Scharfsinn und guter Stil wurden auch in anderen Zeitschriften unterstrichen: Siehe z. B. Allgemeine Bibliothek der neusten deutschen theologischen Litteratur, 8. Bd., 1787, 28; Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 448 und Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 2. Bd., 1785, 2045. 99 ALZ, 4. Bd., Nr. 260, 1785, 112. 100 Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 447. – So auch Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 498: Dieses Werk gehört nach Heinrich in jede Predigerbibliothek. 101 Journal für Prediger, aaO., 447. Das Buch könne dem Prediger aus dreierlei Gründen sehr nützlich sein: „1) [es] werden die Beweisstellen sehr richtig und gut übersezt […] 2) [es] sind die neuesten Angriffe und Behauptungen bey Untersuchung der Religion überhaupt hier geprüft und werden von mehrern Seiten beleuchte[t] […] 3) [es] kann ein Prediger auch daraus lernen, wie er sich bey Vertheidigung mancher Lehrpuncte zu verhalten habe, daß er nicht bey redlicher Absicht der guten Sache schade, und den Eingang der Wahrheit hindere. Man kann oft dem Gegner manches unbeschadet der Wahrheit zugestehen, so wie bey den meisten Irthü-
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doch durch eine besonders „gefällige und wenig ermüdende Art“102 aus und sei zudem aufgrund seiner „bündigen Kürze“103 hervorzuheben. Wie die „Institutio“, so fand Döderleins „Christlicher Religionsunterricht“ auch deshalb Anerkennung, weil Döderlein Meinungen, die seiner entgegenstanden, mit Achtung behandelte.104 Unterschiedlich wurde allerdings bewertet, dass Döderleins eigener Standpunkt dadurch nicht immer erkennbar wurde.105 3. Zusammenfassung Döderlein machte die Zeitgenossen mit seiner auflagenstarken „Institutio“, die über seine Erwartungen gelesen und rezipiert wurde,106 auf sich aufmerksam. Er orientierte sich beim Aufbau seiner Dogmatik an den Abhandlungen der Orthodoxie und Übergangstheologie, setzte aber durch Verschiebungen und Auslassungen eigene Akzente und durchbrach auf diese Weise das sogenannte analytische beziehungsweise heilsgeschichtliche Schema. Der „Christliche[] Religionsunterricht“, Döderleins deutsche Dogmatik, glich in der Anordnung der Themen zwar der „Institutio“, richtete sich aber an ein erweitertes Zielpublikum, weshalb die Darstellungsart im Vergleich zur lateinischen Dogmatik geändert wurde. Nicht mehr nur die akademische Welt stand im Fokus, sondern der „aufgeklärte Christ“. Auf einen Lehrsatz folgten nicht mehr verschiedene Beobachtungen, sondern der „Christliche Religionsunterricht“ wurde als eine geschlossene Darstellung präsentiert. Döderlein bot mit beiden Werken einen dogmatischen Entwurf, der zeitgenössische Fragestellungen berücksichtigte und aufklärungstheologische Erkenntnisse aufgriff und weiterführte.107 Damit trug er dazu bei, „die Zeitgenossen in theologischer Aufklärung vorwärts zu bringen“108.
II. „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“ 1. Programmatik und Aufbau „In einer Wissenschaft, wie die christliche Sittenlehre, läst sich Neuheit der Sachen schwerlich erwarten, sondern höchstens nur richtigere Erklärung der Vorschriften Jesu mer etwas Wahrheit zum Grunde liegt, ohne daß man die Lehre selbst Preis giebt.“ Journal für Prediger, aaO., 451. 102 Journal für Prediger, 19. Bd., 3. Stück, 1787, 337. 103 Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 449. 104 Vgl. ALZ, 4. Bd., Nr. 260, 1785, 112 und Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 2. Bd., 1785, 2045. 105 Eher kritisch gesehen wurde diese Tatsache von Albrecht Georg Walch in der AdB, 73. Bd., 1. Stück, 1787, 71 f. und von Gottfried Less in den Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1787, 914. Das Journal für Prediger bewertete diese „Unpartheilichkeit“ hingegen positiv. Vgl. Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 448. 106 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, Vorrede, 2. 107 Dazu detailliert siehe Kapitel E. 108 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 125.
II. „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“
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und seiner Apostel, grösere Präcision in der Bestimmung der Pflichten, natürlichere Zusammenstellung und Entwikelung der Materien und besonders mehr Sorgfalt nach dem Geist seiner Anweisungen die Gesinnungen und das Betragen der Bekenner seiner Religion vorzuzeichnen.“109
Bereits in diesem Satz, mit dem Döderlein seinen „Kurze[n] Entwurf der christlichen Sittenlehre“ einleitete, sowie in dem bezeichnenden Untertitel „Zum Gebrauch für Vorlesungen“ lässt sich die Programmatik seines Werkes ablesen: Das Buch war hauptsächlich für den akademischen Unterricht bestimmt110 und löste damit Gottfried Less’ „Christliche Moral“ ab, welche Döderlein bis dahin als Grundlage für seine Vorlesungen benutzt hatte.111 Aus dem Einleitungssatz kann ebenfalls entnommen werden, dass es Döderlein nicht um eine innovative Darstellung oder Anordnung der Themen ging. Er wollte sich vielmehr über die wichtigsten Punkte bestimmter, zuverlässiger und anwendbarer äußern, als es in anderen Lehrbüchern dieser Art der Fall war. Döderlein erhoffte sich davon einen Nutzen für die Prediger.112 Für ihn war der praktische Nutzen elementar. Unter dieser Maßgabe formulierte er in der Vorrede sein Ziel: Er beabsichtigte, die moralischen Grundsätze Jesu und seiner Apostel darzustellen, ihren Einfluss auf das Menschenglück aufzuzeigen, die Verbindung mit der Erlösung des Menschen darzulegen und eine Anleitung zum Nachdenken über die einzelnen Pflichten zu geben.113 Döderlein strukturierte seine 313 Seiten umfassende „Sittenlehre“ in eine Einleitung und drei Hauptteile, die jeweils in mehrere Paragraphen untergliedert sind.114 Die Paragraphen weisen eine sehr unterschiedliche Länge auf. Ihnen ist es allerdings gemein, dass Döderlein hier grundsätzlich sehr kurz und dicht formulierte. Er selbst war sich dieser „Zusammendrängung der Materien“115 und der damit oft verbundenen „schwerfällige[n]“116 Darstellungsweise bewusst, begründete dies aber mit der Gattung eines Kompendiums, in welches „Perlen von Rednerschmuk“117 nicht gehören. Dass Döderlein sein Werk als Kompendium konzipierte, lässt sich ebenso daran erkennen, dass er unter sehr viele Paragraphen Literaturhinweise setzte, die entweder weiterführenden Charakter hatten oder zeigen sollten, auf wessen Argumentation er sich in diesem Abschnitt be109 Johann Christoph Döderlein, Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre. Zum Gebrauch für Vorlesungen, Jena 1789, Vorrede, [1 f.]. 110 Aus diesem Grund wurde die erste Auflage auch bogenweise herausgegeben. Döderlein merkte an, dass deswegen, und weil „der Druk oft beschleunigt werden muste“, einige Druckfehler entstanden seien, die er vom Leser entschuldigt wissen wollte. Döderlein, Sittenlehre, 1789, [314]. 111 Siehe Kapitel C/II, 1.1. 112 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, Vorrede, [3]. 113 Vgl. Döderlein, aaO., [2 f.]. 114 Insgesamt umfasst das Werk 301 Paragraphen. 115 Döderlein, Sittenlehre, 1789, Vorrede, [3]. 116 Ebd. 117 Ebd.
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D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase
rief. Döderlein gab Werke von Theologen und Philosophen aus ganz verschiedenen Jahrhunderten an. Dabei hatte er die neuesten Erscheinungen im Blick und bot damit einen umfassenden Überblick über die zu diesem Thema gehörende Literatur. Neben den Paragraphen wählte er zum besseren Lesen und zum Organisieren des Stoffes an vielen Stellen die Methode des Durchzählens. Als weiteres wichtiges Charakteristikum der „Sittenlehre“ sei noch genannt, dass Döderlein den Großteil seiner Aussagen mit Bibelstellen belegte. Der Bezug zur Schrift war für ihn wesentlich, wobei er allerdings eine Eingrenzung vornahm: Döderlein distanzierte sich von jeglichen moralischen Beweisstellen aus dem Alten Testament. Für ihn kam das gesamte mosaische Gesetz, worunter er den Dekalog zählte, weder als Erkenntnis noch als Bestimmungsgrund für christliche Vorschriften in Betracht.118 Seiner Meinung nach ist der Christ nur an die Vorschriften Jesu und seiner Schüler gebunden. Aber auch hier forderte Döderlein einen sorgfältigen Umgang – der eigentliche Sinn der Vorschriften muss ihm zufolge immer genau herausgearbeitet werden.119 Döderleins „Sittenlehre“ wurde dreimal aufgelegt. Nachdem die erste Ausgabe dieses Werkes von 1789 bereits nach einem dreiviertel Jahr vergriffen war,120 kam 1791 die zweite Auflage heraus.121 Dieser fügte Döderlein eine neue Vorrede hinzu, nahm aber ansonsten nur minimale Änderungen vor: Innerhalb der einzelnen Paragraphen wurden an einigen Stellen Bibelstellen hinzugefügt, teilweise wurden Literaturhinweise ergänzt oder einige wenige vervollständigende Sätze angeführt. Die dritte Auflage erschien 1794, also bereits nach Döderleins Tod.122 Döderlein hatte diese erneute Publikation seiner „Sittenlehre“ noch geplant, aber sein Tod ließ dieses Vorhaben unvollendet. Deshalb übernahm der auch den „Christliche[n] Religionsunterricht“ fortführende Christian Gottfried Junge die Fertigstellung der dritten Auflage. Junge änderte nur wenig. Er fügte hauptsächlich Literaturhinweise hinzu und verbesserte biblische Zitate.123 118 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 76 f. 119 Vgl. Döderlein, aaO., 79. Um unrichtige Vorstellungen und zweckwidrige Anwendungen zu unterbinden, müsse man darauf achten, „daß 1) allegorische Belehrungen nie eigentlich genommen, 2) allgemeinlautende nach Maßgab ihrer Absicht eingeschränkt, 3) Gebote und Rathschläge, die bestimmt auf einzelne Fälle und Personen, oder nur auf die Apostel und Lehrer gehen, nicht als allgemein gültig betrachtet, 4) Rathschläge (consilia,) welche sich stets nach der Beschaffenheit der äusern Umstände richten, nicht zu Gesezen gemacht, 5) keine Vorschrift weiter nach Ort, Zeit und Personen, als die Absicht Jesu und seiner Apostel es mit sich bringt, ausgedehnt, 6) und alles dem Geiste des Evangelii gemäß, d. i. wie es die Vollkommenheit und Glükseeligkeit der Seele befördert, erkläret und angewendet werde.“ Döderlein, aaO., 79 f. 120 Siehe der Hinweis in der Mainzer Monatschrift von geistlichen Sachen, 1790, 887. 121 Johann Christoph Döderlein, Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre. Zum Gebrauch für Vorlesungen, Zweyte Ausgabe, Jena 1791. 122 Johann Christoph Döderlein, Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre. Zum Gebrauch für Vorlesungen, Dritte verbesserte Auflage, Jena 1794. 123 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1794, Vorrede von Junge, [3].
II. „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“
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2. Inhaltliche Skizze Döderlein begann seine „Sittenlehre“ mit einer Einleitung, die er in fünf Kapitel untergliederte. Er thematisierte im ersten Kapitel die moralische Natur des Menschen und im zweiten die Hindernisse der Sittlichkeit. Als Hauptfehler der Sittlichkeit bestimmte er die menschliche Schwäche und den bösen Willen. Er distanzierte sich von der Vorstellung der Erbsünde und der Behauptung einer Anlage zum Bösen.124 Vielmehr sah er die Ursache der menschlichen Fehlerhaftigkeit besonders in verkehrter Erziehung und in schlechten Vorbildern gegründet. Aber auch Temperament, Klima, Lebensart, Regierungsverfassung und Nationalreligion tragen seiner Meinung nach dazu bei und führen zu individuellen und nationalen Formen der Unsittlichkeit.125 Dem dritten Kapitel über die Beförderungsmittel der Sittlichkeit lag Döderleins Grundüberzeugung zugrunde, dass es kein „kräftigeres Mittel“126 gebe, die Sittlichkeit zu befördern, als die Religion Jesu und seiner Apostel.127 Im vierten Kapitel stellte Döderlein die Natur, Verschiedenheit und Stufen der Tugend dar und gab schließlich im fünften Kapitel einen Abriss über den Charakter und die Geschichte der christlichen Sittenlehre. In diesem letzten Kapitel der Einleitung schilderte er, wie in der Reformationszeit der „Weg zu einer bessern Moral“128 eingeschlagen wurde, welche Verdienste Georg Calixt in dem Prozess der Trennung der Moral von der Dogmatik inne hatte und auf welche Art und Weise sich Personen wie Christian Thomasius, Christian Wolff, die englischen Philosophen sowie Philipp Jacob Spener um die Moral verdient gemacht hätten.129 Nach der Einleitung behandelte Döderlein die christliche Moral anhand von drei Teilen: Zuerst thematisierte er die Frage nach der Erkenntnis des Gesetzes. Er fragte hier, ob es ein allgemeines Prinzip der Sittenlehre gebe, nach dem alles, was Recht oder Unrecht sei, beurteilt werden und aus welchem alle Pflichten abgeleitet werden könnten.130 Um die Frage zu beantworten, analysierte er verschiedene bereits existierende Antwortversuche. Diese Untersuchung bietet einen Überblick über die unterschiedlichen philosophischen und theologischen Ansätze und Herangehensweisen innerhalb der Ethik. Döderlein äußerte sich über sie alle allerdings kritisch: Sowohl die Meinung, das moralische Gefühl könne als Prinzip fungieren (er hatte die Theorie von Francis Hutcheson im Sinn131) als auch den Versuch, aus der Übereinstimmung der Völker eine all124 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 13 f. 125 Vgl. Döderlein, aaO., 18 f. 126 Döderlein, aaO., 30. 127 Vgl. ebd. 128 Döderlein, aaO., 54. 129 Vgl. ebd. 130 Vgl. Döderlein, aaO., 61. 131 Auf Grundlage der Thesen von Anthony Ashley Cooper Earl of Shaftesbury konzipierte Francis Hutcheson die Theorie des moral sense in der Ethik. Vgl. J[oachim] S[tolz], Art. Hut-
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gemeine Bestimmung zu formulieren, hielt er für untauglich.132 Auch die Ansicht, die Lehrer des Neuen Testaments oder das Vorbild Jesu und Gottes könnten als Bestimmungsgrund gelten, fand Döderleins Ablehnung.133 Ebenso verwarf er andere Grundsätze, wie „Suche dein Vergnügen“, „Mache dich vollkommen“, „Befördere das Wohl der Menschheit, das mit dem deinigen unzertrennlich verbunden ist“. Diese sind ihm zufolge nur Ausdruck des Satzes „Liebe dich selbst“.134 Gleichermaßen gab Döderlein dem Glückseligkeitsprinzip und dem besonders von Gottfried Less vertretenen Gemeinnützigkeitsprinzip eine Abfuhr,135 wie auch dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant.136 Döderlein lehnte überdies das Doppelgebot der Liebe als mögliches Hauptgesetz ab, wie es beispielsweise der Theologe Johann Ernst Schubert behauptete.137 Aus seiner Untersuchung schlussfolgerte Döderlein, dass es keinen allgemeinen Grundsatz gebe, um das ganze System der menschlichen Pflichten daraus abcheson (EPhW2 3, 2008, 476–478), hier 477. Dort finden sich nähere Hinweise zu Hutcheson mit Literaturangaben. 132 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 62. Gegen das moralische Gefühl wandte er ein, dass man hier den Instinkt zur Tugend unabhängig von Vorstellungen mache oder angeborene Begriffe von Recht und Unrecht annehmen müsse, was er aber bezweifelte. Vgl. Döderlein, aaO., 61. Die Ableitung eines Prinzips aus der Übereinstimmung der Völker lehnte Döderlein unter anderem mit der Begründung ab, dass es kaum ein Laster gebe, welches nicht in irgendeinem Zeitalter oder einem Land durch die öffentliche Meinung geschützt worden wäre. Vgl. Döderlein, aaO., 62. 133 Vgl. Döderlein, aaO., 63–67. Für Döderlein konnte vorbildliches Verhalten von Menschen nicht als oberstes Gesetz gelten, da dieses nach einem vorhandenen Gesetz geprüft und beurteilt werden müsse. Außerdem ist seiner Meinung nach auch der beste Mensch zuweilen seinen Grundsätzen untreu und ein großer Teil seiner Handlungen zudem situationsgebunden. Auch Christi vollkommenes Beispiel kann ihm zufolge nicht als oberstes Gesetz bestimmt werden, weil seine Tugend erst dadurch nachahmungswürdig werde, dass er den Willen Gottes für sein erstes Gesetz hielt, von seiner Denkungsart nur einzelne Züge bekannt seien und seine Handlungen bestimmten Verhältnissen entsprächen. Auch Gottes Beispiel beziehungsweise der Wille Gottes könne nicht als das oberste Prinzip fungieren, zumal Gottes Handlungen dem Menschen nur unvollständig bekannt seien. Vgl. Döderlein, aaO., 63–66. 134 Vgl. Döderlein, aaO., 67. 135 Vgl. Döderlein, aaO., 68–70. Gegen das Prinzip der Gemeinnützigkeit (tue das, was das Wohl der menschlichen Gesellschaft, deren Teil du bist, befördert) formulierte Döderlein, dass es nur ein Prinzip für Handlungen, nicht aber für Gesinnungen sei und bei der Verschiedenheit der Erfolge des eigenen Verhaltens und der Schwierigkeit, das Gemeinnützige zu bestimmen, oft in die Irre führe. Vgl. Döderlein, aaO., 70. 136 Vgl. Döderlein, aaO., 71 f. Döderlein wusste um die Vorzüge dieses Prinzips, aber bemerkte kritisch: „Allein nicht der Werth sondern der Gebrauch dieses Principiums der reinen Moral scheint doch einigermassen eingeschränkt und vermindert zu werden, weil es doch nur für Handlungen gelten soll und kan; weil nie ein Verstand Richter über den andern seyn wird; weil es als Princip der reinen Sittlichkeit für den Menschen, der hienieden noch keine reine Vernunft haben und nie als blose Intelligenz betrachtet werden kan, nicht anwendbar ist, und weil es doch endlich noch die Frage übrig läst, warum ich bey einer Handlung wollen muß, daß meine Maxime als Princip einer allgemeinen Gesezgebung gelte?“ Döderlein, aaO., 71. 137 Vgl. Döderlein, aaO., 72 f. – zu Schubert: Carl Friedrich Stäudlin, Geschichte der christlichen Moral seit dem Wiederaufleben der Wissenschaften, Göttingen 1808, 761.
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zuleiten.138 Er bewertete es vielmehr als „der Moralität sehr zuträglich“139, dass der Mensch „auf dem Wege zur Tugend“140 über mehrere Mittel verfüge: nämlich über die Erfahrung, die Vernunft und die Bibel.141 Nach diesem ersten Teil beleuchtete Döderlein in einem zweiten Schritt die Gesinnung, die aus der Erkenntnis des Gesetzes folgt. Die christliche Gesinnung umfasste für ihn zwei Hauptteile: 1) die Abneigung gegen alle Sünde und 2) die Ausrichtung des Menschen auf alles, was gesetzmäßig ist. Im ersten Teil behandelte Döderlein unter anderem die Lehre von der Bekehrung und im zweiten Teil wurden unter Voraussetzung des christlichen Wahrheitssinnes sowohl die Gesinnungen der Ehrfurcht, der Liebe, des Vertrauens, der Demut und der Dankbarkeit gegen Gott und Jesus als auch die Selbst- und Menschenliebe thematisiert.142 Im dritten Teil stellte Döderlein die Wirkungen aus dieser Gesinnung vor. Er verblieb hier im klassischen Gliederungsschema143 und erörterte diese Wirkungen in Bezug auf Gott, Jesus, sich selbst und die Nebenmenschen. Im Rahmen dieses Kapitels analysierte er auch die Themen Gebet144, Gottesdienst und Eid und gab praktische Regeln über den Genuss sinnlicher Vergnügungen. So billigte er Tanz, Schauspiele und Opern und empfahl diese unter gewissen Bedingungen sogar.145 3. Die zeitgenössische Bewertung der „Sittenlehre“ und spätere Rezeption Döderlein gliederte sich mit seiner „Sittenlehre“ in die Reihe derjenigen Theologen des 18. Jahrhunderts ein, die sich mit ihren Bemühungen, die theologische Moral von der Dogmatik zu unterscheiden, im Protestantismus verdient gemacht haben. Genannt seien hier Johann Franz Buddeus, Johann Lorenz Mosheim, Johann Peter Miller, Siegmund Jacob Baumgarten, Johann Gottlieb Töllner, Gottfried Less und Carl Christian Tittmann. Döderleins „Sittenlehre“ spiegelt zudem das außerordentliche Interesse der Aufklärungstheologen 138 Vgl. Döderlein, aaO., 73. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Vgl. ebd. – Die eigene Erfahrung zeige, bei welchen Gesinnungen und Handlungen man sich besser, ruhiger und glückseliger fühle; die Vernunft entwerfe das Ideal von der höchsten Vollkommenheit des Menschen und von der höchsten Glückseligkeit und mache alles zur Pflicht, was den Menschen zu diesem Ideal erheben kann; die Bibel (abgesehen von dem mosaischen Gesetz – siehe oben) sei wiederum ein wichtiges Beförderungsmittel zur Erkenntnis des Willens Gottes oder der Pflichten des Christen. Vgl. Döderlein, aaO., 74 f. 142 Vgl. Döderlein, aaO., 91–171. 143 Dazu siehe Friedrich Vollhardt, Christliche Moral und civiles Ethos. Mosheims Sitten-Lehre der Heiligen Schrifft (in: Johann Lorenz Mosheim [1693–1755]. Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte [Wolfenbütteler Forschungen 77], hg. v. Martin Mulsow u. a., Wiesbaden 1997, 347–372), hier 357, Anm. 29. 144 Dazu siehe unten Kapitel D/III, 3. 145 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 254–257.
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an ethischen Fragen wider. Für diese Mühe um eine den Zeitbedürfnissen entsprechende Bestimmung der christlichen Moral fand Döderlein bei vielen Kritikern große Anerkennung. Die unmittelbar nach der Herausgabe des Buches erschienene Rezension in der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ hob die „fruchtbare Kürze“146, die Anordnung, die Genauigkeit und den Bezug auf die neueste Literatur hervor.147 In der ALZ gab man dem Leser neben einer genauen Gliederung auch den Hinweis, dass die hier behandelten Materien zwar die gewöhnlichen seien, sie aber nicht auf eine herkömmliche Art behandelt werden würden: Es herrsche in dieser Publikation „Reichthum und […] Fruchtbarkeit der Ideen, wie man sie selten findet“.148 Aus diesem Grund wurde dieses Werk besonders angehenden Predigern empfohlen. Der Rezensent der ALZ vertrat die Meinung, dass es nichts Besseres zum Nachlesen gebe, als was Döderlein in gedrängter Kürze über die Materien gesagt habe.149 Diese Ansicht wurde ebenso in der sich bereits auf die zweite Auflage der „Sittenlehre“ beziehenden Besprechung im „Journal für Prediger“ vertreten. Hier wurde das Werk nicht nur positiv gewürdigt, weil man darin eine richtige Bestimmung und Scheidung der Begriffe und eine richtige Exegese finde, sondern vor allem deshalb, weil es für Prediger eine sehr gute Hilfestellung gebe. Im Gegensatz zu anderen Hilfen für Prediger gehe es Döderlein nicht um ein bloßes Nachbeten, sondern er gebe einen „wohlgeordneten, in gedrängter und vielsagender Kürze neben einander gestellten Ideenvorrath“150. Der Rezensent dieses Journals empfahl Predigern dieses Buch daher nachdrücklich. Sie sollten es für ihre Pastoralarbeiten gebrauchen.151 Dabei hob er überdies den praktischen Mehrwert hervor, dass man hier „für wenig Geld ein[en] reiche[n] Schatz“152 finde im Gegensatz zu „größeren, weitläufigeren Lehrbücher[n] und Systeme[n]“153, wie beispielsweise die Bücher von Franz Volkmar Reinhard.154 Auch in der AdB wurde das Werk Döderleins als eines „der zweckmäßigsten und praktischsten Compendien der christlichen Sittenlehre“155 beschrieben. Bei all der positiven Beurteilung muss indes festgehal146 Nürnbergische gelehrte Zeitung, 94. Stück, 1789, 745. 147 „Mit eben dem Scharfsinn und glücklichen Fleis, mit dem der würdige Hr. V. ehehin die Dogmatik bearbeitete, manche öde Gegenden urbar, und manche Finsternisse licht machte, behandelt er auch die christl. Sittenlehre, und liefert hier ein Compendium, das zwar seiner Bestimmung nach nicht so weitläufig werden durfte, dennoch aber alles, was zur Moral gehört, faßlich, lichtvoll, in einer eignen guten Ordnung, mit vorzüglicher Genauigkeit und steter Rücksicht auf die neueste Litteratur darstellt.“ Ebd. 148 ALZ, 2. Bd., Nr. 136, 1790, 365. 149 Vgl. ebd. 150 Journal für Prediger, 26. Bd., 1. Stück, 1792, 116. 151 Vgl. Journal für Prediger, aaO., 112. 152 Journal für Prediger, aaO., 113. 153 Ebd. 154 Vgl. ebd. – Reinhard gab 1788, etwa zur selben Zeit wie Döderlein, den ersten Band seines später noch mehrere Bände umfassenden Werkes „System der christlichen Moral“ heraus. 155 AdB, 117. Bd., 1. Stück, 1794, 38.
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ten werden, dass es offenbar nicht zu den aufsehenerregendsten Publikationen zählte. Denn der Rezensent in der AdB bemerkte 1794, dass die Anzeige dieses Werkes erst so spät erscheine, „[n]icht, als ob wir’s für geringfügig hielten, sondern weil es von uns übersehen wurde“156. Negative Kritik wurde in den meisten Rezensionen nur vereinzelt geübt. In der ALZ betrachtete man beispielsweise den Aufbau und die Zuordnung der einzelnen Kapitel skeptisch.157 Ansonsten wurden bisweilen bestimmte inhaltliche Aussagen Döderleins hinterfragt, wie etwa über den Eid158, was aber nichts an der positiven Grundeinstellung gegenüber diesem Buch änderte. Einen ganz anderen Charakter hatte die Besprechung von Gottfried Less in den „Göttingischen Anzeigen“.159 Diese Rezension bestand fast durchgängig aus einer Mängel- und Fehlerliste. Hier wurden nicht nur der Aufbau und die Zusammenstellung der Themen beanstandet,160 sondern Döderlein wurde darüber hinaus vorgeworfen, begriffliche Verwechslungen und Ungenauigkeiten vorgenommen zu haben.161 Less führte verschiedene „undeutige“ und „missdeutige“ Sätze auf162 und kritisierte, dass Döderlein die Gemeinnützigkeit, die Less selbst in seinem Buch „Christliche Moral“ als Prinzip der Moral aufstellt hatte, nicht als Fundament gelten ließ.163 Der Rezensent missbilligte zudem Döderleins Behauptungen über den Eid164, sowie dessen Äußerungen über den außerehelichen Beischlaf.165 Das Thema des außerehelichen Beischlafs führte zu einer hitzigen Debatte. Auslöser war Döderleins Differenzierung zwischen außerehelichem Beischlaf und Hurerei. Seiner Meinung nach ist der außereheliche Beischlaf durch die bürgerlichen, nicht aber durch die christlichen Gesetze untersagt, und Hurerei (im Bibelsinn) muss als Ausschweifung der Wollust, die überall Befriedigung des Geschlechtstriebes sucht, definiert werden.166 Less, der sich zu die156 Ebd. 157 Vgl. ALZ, 2. Bd., Nr. 136, 1790, 364 f. Der Rezensent beanstandete besonders, dass das Kapitel „Von den Hindernissen der Sittlichkeit“ falsch platziert sei. 158 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 94. Stück, 1789, 748. Der Rezensent riet davon ab, die von Döderlein als problematisch bewertete Formel „So wahr mir Gott helfe“ abzuschaffen. 159 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 2. Bd., 1789, 1961–1967. 160 Da sich die Vorstellung von Less über den Aufbau einer Ethik enorm von der gewöhnlichen Herangehensweise unterschied, verwundert diese Kritik an Döderleins Anordnung nicht. In der Vorrede zur „Christlichen Moral“ behauptete Less, dass die Einteilung der Moral in Pflichten gegen Gott, uns selbst und den Nächsten zu großen Missverständnissen führe, weil suggeriert werde, dass das Christentum nur aus Beten, Kirchbesuch und Teilnahme am Abendmahl bestehe. Vgl. Gottfried Less, Christliche Moral, Göttingen 1777, Vorrede, [3 f.]. Less gliederte seine „Christliche Moral“ deswegen in den inneren und den äußeren Gottesdienst sowie in eine Darstellung von den allgemeinen christlichen Tugendmitteln. 161 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 2. Bd., 1789, 1962–1964. 162 Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, aaO., 1964. 163 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, aaO., 1965. 164 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, aaO., 1965 f. 165 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, aaO., 1966. 166 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 250.
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ser Zeit „durch eine strenge Opposition gegen die laxe Moral des Zeitgeistes“167 auszeichnete, behauptete dem entgegen, dass die Bibel eindeutig den außerehelichen Beischlaf verbiete und Döderleins Definition von Hurerei völlig unzureichend sei: Außerehelicher Beischlaf sei Hurerei.168 Auch die Rezensenten der ALZ und der „Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften“ griffen diese Thematik auf und argumentierten ähnlich wie Less. Sie artikulierten ihr Unverständnis169 und wünschten sich bei einer weiteren Auflage exaktere Ausführungen von Döderlein.170 Döderlein fühlte sich von der Kritik des Rezensenten in den „Göttingischen Anzeigen“ tief getroffen. In der Vorrede zu der zweiten Auflage seiner „Sittenlehre“ bemühte er sich um eine Verteidigung. Er bemerkte: „Nie habe ich freylich meinen Ruhm auf Recensionen gebaut; nie Recensentenurtheil gefürchtet, nie gegen Zeitungstadel mich verantwortet, oder verwahrt: und ich würde auch dießmal kein Wort verlieren und keine Feder ansezen, wenn ich nicht ganz speciell wüste, daß diese Anzeige [in den Göttingischen Anzeigen], ich weiß nicht, warum? an einigen Orten und bey einigen Personen besondre Sensation machte.“171
Döderlein wollte deshalb von den vielen Vorwürfen vor allem die Frage nach dem außerehelichen Beischlaf richtigstellen.172 Ihm war es wichtig, einer falschen Darstellung seiner Position entgegenzutreten und betonte deshalb, dass er kein Vertreter sei, der den Missbrauch des Geschlechtstriebes gut heiße. Trotzdem sehe er einen großen Unterschied zwischen „einer Geschwächten, [einer] Gefallnen und [einer] Hure“173. Er empfand es als ungerecht, außerehelichen Beischlaf von zwei Personen, die ledig sind und schon vor ihrer Eheschließung „sinnlicher werden“174 gleichzusetzen mit dem „unkeuschen Wollüstling und [der] feile[n] Dirne“175. Ihm war bewusst, dass andere Moralisten strenger urteilen, verwehrte sich aber gegen den Verdacht, seine Meinung sei unchristlich oder den Sitten schädlich.176 Er hielt folglich an seiner Position fest, weshalb auch in der zweiten Auflage in diesem Paragraphen nur kleine Änderungen vorgenommen wurden, die erklärenden, aber nicht sinnverändernden Charakter hatten.177 167 Friedrich Schlichtegroll, Nekrolog auf das Jahr 1797. Enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger in diesem Jahre verstorbener Deutschen, 8. Jahrgang, 2. Bd., Gotha 1801, über Gottfried Less: 219–247, hier 223. 168 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 2. Bd., 1789, 1966. 169 „Wir verstehen also den Vf. wirklich nicht recht.“ ALZ, 2. Bd., Nr. 136, 1790, 367. 170 Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 2. Abtheilung, 1790, 112. 171 Döderlein, Sittenlehre, 1791, Vorrede, [4]. 172 Vgl. Döderlein, aaO., [7]. 173 Döderlein, aaO., [8]. 174 Ebd. 175 Ebd. 176 Vgl. Döderlein, aaO., [9]. 177 So fügte er beispielsweise der Behauptung, christliche Gesetze würden den außerehelichen Beischlaf nicht verbieten, das Wort „unmittelbar“ hinzu. Er betonte ferner die negativen
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Neben dieser Verteidigungsrede gibt die Vorrede zur zweiten Auflage Einblick in ein weiteres Problem. Einige Zeitgenossen monierten Döderleins kritische und ablehnende Einstellung gegenüber Immanuel Kants „Kritik der praktischen Vernunft“. Döderlein erweckte in der Vorrede den Anschein, als hätte er mit einer solchen Beanstandung gerechnet und erläuterte zugleich seine Position: „Auch war mir nicht unerwartet, daß die geäuserten Zweifel nicht sowohl wider die Gültigkeit als wider die Brauchbarkeit einiger Hauptsäze in der Kritik der praktischen Vernunft dem ersten Enthusiasmus, womit diese, wie alles Neue, von einigen bewundert der Welt angepriesen, und mit dem Christenthum in Parallele, ja so gar was noch sonderbarer ist, in die vollkommenste Harmonie gesezt worden, nicht so bescheiden, als ich sie vortrug, aufgenommen und wirklich zuweilen auf eine sehr sonderbare Art mißverstanden und mißgedeutet worden“.178
Die Auseinandersetzung mit Kant gestaltete sich für Döderlein als problematisch. Nach eigener Aussage verstand er die kritische Philosophie nicht, weil ihm Zeit für eine intensive Auseinandersetzung fehlte und weil er sich an eine andere Vorstellungsart gewöhnt hatte.179 Folgen dieser Unzucht: In der ersten Auflage hieß es nur, dass die bürgerlichen Gesetze den außerehelichen Beischlaf verbieten würden, weil er der Erziehung der Kinder meist sehr nachteilig sei. In der zweiten Auflage trug er nach, dass derartiges Tun bürgerliche Schande nach sich ziehe und andere traurige Folgen, selbst bis zum Mord, haben könne. Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 250 und Döderlein, Sittenlehre, 1791, 258 f. 178 Döderlein, Sittenlehre, 1791, Vorrede, [2 f.]. Er formulierte weiter: „[D]enn ich bin nicht der Erste und nicht der lezte, dem Zweifel an der Irrlosigkeit dieser Philosophie eine unruhige Mine oder ein bedeutendes Achselzuken zuzieht; ich weiß aus der Geschichte, daß bey jeder Revolution der Philosophie allemal die Lehrsäze der neuesten Philosophie als die christlichsten angepriesen und, wenn sie veraltert sind, wider als unschriftmäsig verworfen worden; und da ich sehe, daß gerade diese Philosophie die fruchtbarste Mutter von Mißverständnissen geworden ist, so befremdet es nicht, wenn ihre gewöhnliche Wirkung auf die positiven Gegner derselben oder die skeptischen Eklektiker einmal auf ihre Vertheidiger reagirt hat.“ Döderlein, aaO., [3]. Ein Jahr später äußert er sich in seinem „Theologische[n] Journal“ (Theologisches Journal 1, 1. Stück, 1792, Rez. zu Carl Friedrich Stäudlins „Ideen zur Kritik des Systems der christlichen Religion“ [1791], v. a. 29–38) etwas moderater, indem er der kantischen Philosophie, die zwar seiner Meinung nach noch eine „ungegohrne Materie“ sei (32), die erst „noch mehr geläutert“ (32) werden müsse, durchaus einen Nutzen für die Theologie zuerkannte. Ihm war bewusst, dass er sich der kantischen Philosophie nicht entziehen kann und behauptete nun, dass bei allem Missbrauch, der mit dieser Philosophie in Verbindung stehe, auch aus der kantischen Philosophie Gutes und Wahres „nach reiferer Prüfung“ (35) herausgezogen werden könne. Die „Neue Theologie“, die Aufklärungstheologie, müsse auch die kantische Philosophie für sich nutzen. Zwar kritisierte er „daß unsre Theologen […] mit einer so ängstlichen Krümmung sich mit ihrem System unter den Schuz und das Ansehen“ (31) der kantischen Philosophie geflüchtet seien, wusste aber auch, dass neuere philosophische Konzepte, wie etwa das von Spinoza, Leibniz und Wolff immer zunächst als Gefahr für das Christentum gesehen wurden, was sich allerdings jedes Mal als unbegründet erwiesen hätte. Döderlein war vielmehr von dem Sieg des „reine[n] Christenthum[s]“ (38) überzeugt. – Zu Kant auch siehe Kapitel C/I, 2.5. 179 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 130 f.
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Obgleich Döderlein in der Vorrede die Kritik an seiner Kantposition leichtfertig abtat, so wurde seine „Sittenlehre“ in der Folgezeit nur noch daran gemessen. Im „Neue[n] theologische[n] Journal“ wurde beispielsweise formuliert, dass Döderlein im Bereich der Moral zwar auch nach Gottfried Less und Franz Volkmar Reinhard „mehrere Lücken dieser Wissenschaft auszufüllen“180 verstand, aber dass eine „sorgfältige[] Bekanntschaft mit der kritischen Philosophie“181 fehle. Im Nekrolog wurde spekuliert, dass Döderlein für dieses Werk große Zustimmung erhalten hätte, wenn es vor dem Bekanntwerden der kritischen Philosophie erschienen wäre oder wenn Döderlein die Kantischen Ideen in sein System der christlichen Moral integriert hätte.182 So aber wurde Döderleins Position als nicht mehr zeitgemäß betrachtet.183 In Überblickswerken über die Geschichte der Moral aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Döderlein meistens nur kurz erwähnt und zwar oft im Zusammenhang mit Reinhard. Beide wurden als Gegner der Kantischen Grundsätze aufgeführt.184 Spätere Darstellungen, die einen Überblick über protestantische Theologen gaben, wie etwa die von Heinrich Döring und Gustav Frank, bezogen sich teilweise wortwörtlich auf die im Nekrolog und im „Neue[n] theologische[n] Journal“ getroffene Einschätzung der „Sittenlehre“. Klaus Leder bemerkt daher richtig, dass sich Döderleins Ethik trotz der großen Anerkennung seitens der Zeitgenossen aufgrund ihres vorkantischen Profils kaum durchsetzen konnte.185
III. Schriften zum Thema Gebet Döderlein gab innerhalb von zwei Jahren zwei Schriften zum Thema Gebet heraus. Die erste Schrift, „Erläuterung des Vater Unsers für gemeine Christen“186, erschien 1780. Sie wurde 1782 und 1788 erneut aufgelegt und 1784 ins Holländische187 und 1791 ins Dänische188 übersetzt. Im Jahr 1781 veröffentlichte Dö180 Ammon, Döderlein, 11. 181 Ebd. 182 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 130 f. 183 „Aber der menschliche Geist hat nur eine Zeit seiner Blüthe; ist diese vorüber, so trägt er selten mehr andere Früchte, als die, welche der Frühling seiner Jahre vorbereitet und erzeugt hat.“ Ammon, Döderlein, 13. 184 So z. B. bei Stäudlin, Geschichte der Moral, 790 f. und bei Wilhelm Martin Lebe recht de Wette, Christliche Sittenlehre, Zweyter Theil: Allgemeine Geschichte der christlichen Sittenlehre. Zweyte Hälfte: Geschichte der römisch-katholischen und protestantischen Sittenlehre, Berlin 1821, 350. 185 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 227. – Döderleins „Sittenlehre“ wurde nur vereinzelt rezipiert. So las beispielsweise der Erlanger Theologe Georg Friedrich Seiler im SoSe 1786 seine Vorlesung zur Ethik nach Döderleins Werk. Vgl. Leder, aaO., 243. 186 Johann Christoph Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers für gemeine Christen, Zweite vermehrte Ausgabe, Nürnberg 1788. 187 Siehe die Notiz in den Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, 51. Stück, 1784, 427. 188 Vgl. der Hinweis bei Baader, Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller, 117.
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derlein „Ueber die christliche Fürbitte“.189 Beide Werke sowie seine Ausführungen in dem „Kurze[n] Entwurf der christlichen Sittenlehre. Zum Gebrauch für Vorlesungen“190 von 1789, die hier ergänzend hinzugezogen werden sollen, lassen erkennen, dass Döderlein dem Gebet einen großen Stellenwert beimaß. Döderlein formulierte: „Bey keiner Sache sollte ein Christ weniger Leichtsinn und mehr Aufmerksamkeit bliken lassen, als beym Gebet, wenn er vor den Allerhöchsten im Geiste hintritt und von ihm Gutes erfleht.“191 Gleichwohl Döderleins Überlegungen zum Gebet in diesen drei Texten jeweils eine unterschiedliche Ausrichtung haben, so sind sie ein Kennzeichen für Döderleins Interesse an gelebter Religiosität. Ihm war bewusst, dass solche Abhandlungen „zwar weniger Aufsehen und Verwirrung anrichten“ als „die gepriesenen Beyträge zur Aufklärung der dogmatischen Wahrheiten“, aber sie sorgen seiner Meinung nach „sicherlich mehr für Ruhe der Menschen und für das gemeine Beste“192. Dass Döderlein der religiösen Praxis an dieser Stelle einen höheren Stellenwert einräumte als dogmatischen Diskussionen, ist charakteristisch für die Aufklärungstheologie.193 1. „Erläuterung des Vater Unsers für gemeine Christen“ (1780) Wie das Zitat oben zeigt, verlangte das Beten für Döderlein einen bewussten Umgang. Diesen vermisste Döderlein allerdings in seiner Zeit. Er bemerkte, dass die meisten Menschen weder andächtig noch bewusst beten würden. Unter den vielen Missständen, die es seiner Meinung nach beim Beten gibt, sei es ausgerechnet das Vater Unser, „das uns wegen seines Verfassers und wegen seines grosen Inhalts vor allen heilig und ehrwürdig seyn sollte“194, das am „schändlich[sten] gemißbraucht“195 werde. Wie kam Döderlein zu einer solchen These? Grundsätzlich konstatierte er, dass viele Christen ihre Gebete ohne Nachden189 Joh[ann] Christoph Döderlein, Ueber die christliche Fürbitte, Jena 1781. 190 Zur Sittenlehre siehe oben. 191 Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers, 5. 192 Döderlein, Fürbitte, 5. 193 Vgl. Walter Sparn, Vernünftiges Christentum. Über die geschichtliche Aufgabe der Aufklärung im 18. Jahrhundert in Deutschland (in: Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, hg. v. Rudolf Vierhaus, Göttingen 1985, 18–57), hier 38 f. – Zur Stellung des Gebets in der Aufklärungszeit siehe Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 228; Alfred Ehrensperger, Die Theorie des Gottesdienstes in der späten deutschen Aufklärung (1770–1815) (SDGSTh 30), Zürich 1971; Graff, Geschichte der Auflösung, 2; Hans Jürgen Luibl, Des Fremden Sprachgestalt. Beobachtungen zum Bedeutungswandel des Gebets in der Geschichte der Neuzeit (HUT 30), Tübingen 1993; Carl Friedrich Stäudlin, Geschichte der Vorstellungen und Lehren von dem Gebete, Göttingen 1824; Johannes Wallmann, Art. Gebet IV. Kirchengeschichtlich. 2. Reformation bis Neuzeit (RGG4 3, 2000, 492–494). Zum Vater Unser siehe K arl Aner, Das Vaterunser in der Geschichte der evangelischen Frömmigkeit (SGV 109), Tübingen 1924. 194 Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers, 1788, 9. 195 Ebd.
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ken und ohne Herzensbeteiligung sprechen und nur Formeln herunterbeten würden. Die Ursache dafür sah Döderlein hauptsächlich in einer fehlerhaften Erziehung. Er prangerte an, dass Kindern nicht beigebracht werde, mit Empfindung und selbstständig, ohne Formeln, zu beten und viele vorformulierte Gebete außerdem nicht altersentsprechend seien. Das größte Problem registrierte Döderlein aber in dem täglichen Wiederholen bestimmter Formeln, was besonders auf das Vater Unser zutreffe.196 Der häufige Gebrauch führt für Döderlein zu einem mechanischen, gedankenlosen197 und gleichgültigen Gebet.198 In seinen Ausführungen konzentrierte sich Döderlein vor allem auf das letztgenannte Problem: das häufige Beten des Vater Unsers. Argumentativ ging er sehr geschickt vor, indem er die Behauptungen derjenigen Theologen anführte, die sich für einen häufigen Gebrauch aussprachen, und diese dann sofort widerlegte. Er wandte sich erstens gegen die Meinung, dass das Vater Unser oft gebetet werden müsse, weil es kein vollkommeneres Gebet gebe. Döderlein durchbrach diese Schlussfolgerung, dass die Vortrefflichkeit des Vater Unsers, an der er festhielt, automatisch zu einem alltäglichen Gebrauch führen müsse, und maß vielmehr dem persönlichen, aus dem Herzen stammenden Gebet eine große Bedeutung bei.199 Zweitens widersprach Döderlein der Ansicht, dass das Vater Unser, weil es auf Jesus selbst zurückgehe, in der Form unveränderlich beibehalten und zu einem allgemeinen Gebet werden müsse. Mithilfe exegetischer Beobachtungen hob Döderlein hervor, dass Jesus keinen Befehl zu diesem Gebrauch gegeben habe, selbst die Apostel das Vater Unser als Muster und nicht als Formel benutzt hätten und der Inhalt des Gebets eigentlich auf die damaligen Zeiten und Personen bezogen gewesen sei.200 Döderlein wandte sich ferner gegen die unter anderem vom Pietisten August Hermann Francke vertretene These, dass das Vater Unser leicht verständlich sei und dem Charakter eines Kindertextes entspräche.201 Im Gegenteil: Döderlein behauptete, dass hier viele christlichen Kenntnisse vorausgesetzt werden würden, zumal die Sprache und die Worte Ausdruck der damaligen Zeit seien. Für ihn waren beim Beten 196 Vgl. Döderlein, aaO., 6–8. 197 Vgl. Döderlein, aaO., 6. 198 Vgl. Döderlein, aaO., 19. 199 Vgl. Döderlein, aaO., 12. „Entweder müste es dem Christen nie erlaub seyn, etwas auser dem Vater Unser zu beten, weil er doch nichts vollkommner machen kan, als Jesus, […] oder es muß die entschiedene Vortreflichkeit dieser Vorschrift nicht hinreichen, uns zu einem beständigen und alltäglichen Gebrauch zu berechtigen.“ Döderlein, aaO., 12 f. 200 Vgl. Döderlein, aaO., 14–16. Außerdem zeige die Verschiedenheit dieses Gebets in den Handschriften des Neuen Testaments zwischen Matthäus und Lukas, dass es damals keine unveränderliche Formel war. Wie sonst solle man sich die Unterschiede zwischen den Evangelisten erklären? Vgl. Döderlein, aaO., 15 f. – Der Gedanke, dass es sich bei dem Vater Unser nicht um eine Formel, sondern um ein Muster handle, findet sich unter anderem auch schon bei Carl Friedrich Bahrdt, System der Moraltheologie, Erfurt 1770, 291. 201 Vgl. Aner, Das Vaterunser, 25.
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des Vater Unsers daher bestimmte inhaltliche Kenntnisse fundamental wichtig.202 Als letztes legte Döderlein dar, wie problematisch die Argumentation mit der Tradition sei: Nur weil angeblich schon in den frühsten Zeiten des Christentums das Vater Unser häufig gebetet wurde, muss das für Döderlein noch lange kein Grund sein, es in heutiger Zeit ebenso zu handhaben.203 Darüber hinaus bezweifelte er, dass in der frühen Christenheit dieses Gebet tatsächlich so alltäglich war. Den Missbrauch, das häufige Beten des Vater Unsers, datierte er vielmehr in eine spätere Zeit.204 Dabei betonte er, dass der Missbrauch nicht nur ein Problem der katholischen Kirche sei: „Daß die Reformation den Rosenkranz wegwarf, ist wahrhaftig kein Verdienst, wenn der Mißbrauch des Paternosterbetens bleibt.“205 Trotz seiner Einwände war sich Döderlein bewusst, dass eine sofortige Änderung im Beten des Vater Unsers nicht möglich ist. Im Privaten ist es seiner Meinung nach ansatzweise durch den Hausvater möglich, der einen sparsamen Umgang mit dem Vater Unser vorleben kann. Aber im Gottesdienst, in dem das Vater Unser teilweise bis zu fünfmal gebetet werde, hielt er einen Wandel kaum für möglich. Da sich viele Gläubige und auch Pfarrer mit Veränderungen und Neuerungen schwer täten, rechnete er außerdem mit viel Widerstand gegen seine Überlegungen.206 Döderlein wollte jedoch, wenn er das Übel schon
202 Vgl. Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers, 1788, 16. „Eigentlich kan ich doch um nichts beten, was ich nicht verstehe; eigentlich kan Gott an dem Schall des Wortes keinen Gefallen haben: und wenn das Herz auch noch so rein und gerührt wäre; so ist doch, so bald es an der Erkenntniß fehlt, was die Worte bedeuten und der Ausdruck sagen will, alle Andacht erträumt und alles Gebet Geplerre. Und so lange diese Erkenntniß nicht verschaft wird […], so lange wäre es gewiß christliche Klugheit, dieß Gebet nicht zu lehren, nicht gebrauchen zu lassen.“ Döderlein, aaO., 17 f. 203 „Nicht alles, was alte kirchliche Gewohnheit ist, hat dadurch den Stempel der Rechtmäßigkeit und das Ansehen der Güte.“ Döderlein, aaO., 21. 204 „Von dem gepriesenen häufigen Gebrauch des Vater Unsers schon in den ältesten Zeiten des Christenthums, fürchte ich, wird der Beweiß schwer aufzutreiben seyn. Erst da die Unwissenheit, die fruchtbare Mutter vom Nachbeten und die eifrigste Freundin von Formeln, unter den gemeinen Christen überhand nahm, da sich die Lehrer zu schwach fühlten, selbst christliche Gebete abzufassen, da die unfreundliche Periode sich näherte, in welcher Mittel zur Tugend für die Tugend selbst gehalten wurden und der Aberglaube der Vielbeterey sich mit der Unwissenheit vereinigen lassen solte, da man dem sinkenden Christenthum zu Hülfe kommen und alles leicht machen wollte, erst da fieng man an, das Gebet des Herrn zu allen Gelegenheiten zu mißbrauchen“. Döderlein, aaO., 20 f. 205 Döderlein, aaO., 21. 206 „Man weiß es aus der Erfahrung, mit wie viel Widerstand ieder zu kämpfen habe, der sich auch den verwerflichsten Gewohnheiten widersetzt, so bald sie in den sogenannten öffentlichen Gottesdienst eingeflochten sind und dadurch ein heiliges Ansehen haben, […]. Niemand will gern unter die Verwegnen gehören, die dieß Heiligthum antasten, […]: und daher wird es so bald nicht zu hoffen seyn, dass der Verschwendung, mit welcher die heiligste Perle der Religion zum Zertretten Preiß geben wird, Einhalt geschehe.“ Döderlein, aaO., 25.
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nicht ganz beseitigen könne, wenigstens die Missbräuche abmindern.207 Er tat dies, indem er zum einen, ganz in der Tradition der Katechismen, gegen das mangelhafte Verstehen der Worte des Vater Unsers „für gemeine nicht ganz unwissende Christen“208 Jesu Absicht darlegte und eine Erklärung der Worte bot. Zum anderen gab er erläuternde Umschreibungen, Paraphrasen, an, die sowohl im öffentlichen Gottesdienst209 als auch im häuslichen Gebrauch210 gesprochen werden können. Mit den Paraphrasen wollte er das Vater Unser an die aktuellen Rahmenbedingungen anpassen. Döderlein erhoffte sich von solchen Anweisungen, dass den Gläubigen der Sinn des Vater Unsers offenkundiger wird, sie mehr Achtsamkeit in ihrer Andacht aufbringen,211 sie dieses Gebet seltener und sparsamer sprechen212 und sie „mehr eignes Gebet mit Empfindung und Andacht“213 wählen – sie mehr „aus den Herzen“214 beten. Döderlein wertete ein solches Beten schon als großen Erfolg, obgleich er auf eine „glückliche[re] Periode“215 des „freyern Christenthums“216 wartete, in welcher der Christ ohne Formel und Zwang beten werde. Sein Ideal war das freie Herzensgebet, womit er ganz in der Tradition des Pietismus stand.217 Für ihn war das Gebet etwas Individuelles und ein Akt der Verinnerlichung – zwei Charakteristika, die für die gesamte Aufklärungstheologie gelten.218 Um dem Ideal näher zu kommen, appellierte er zum Schluss an die Eltern und Lehrer. Seiner Meinung nach können diese einen Teil zur Verinnerlichung und Individualisierung beitragen, indem sie die Jugend zum Nachdenken über ihre Glückseligkeit anleiten, keine Formeln beim Beten gebrauchen und zum Vertrauen auf Gott ermuntern.219 Döderlein ordnete sich mit seinen kritischen Anmerkungen über den Gebrauch des Vater Unsers und den daraus abgeleiteten Forderungen in das von Paul Graff als „liturgische Bewegung“220 charakterisierte Bemühen vieler Theologen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein, für den Gottesdienst angemes207 Vgl. Döderlein, aaO., Vorrede, [1 f.]. 208 Döderlein, aaO., 27. 209 Döderlein bot beispielsweise Paraphrasen für das Gebet vor und nach der Predigt sowie für das Abendmahl und die Taufe. 210 Hier gab Döderlein Umschreibungen für das Vater Unser als Gebet am Morgen, am Abend, als Tischgebet und für Kinder. 211 Vgl. Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers, 1788, 26. 212 Vgl. Döderlein, aaO., 28. 213 Ebd. 214 Döderlein, aaO., Vorrede, [1]. 215 Döderlein, aaO., 110. 216 Ebd. 217 Zum Gebet im Pietismus sei exemplarisch verwiesen auf: Wallmann, Art. Gebet, 494. 218 Vgl. ebd. 219 Vgl. Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers, 1788, 109 f. 220 Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 51 – Der Begriff wird auch von Jordahn, Seiler, 2 und Ehrensperger, Die Theorie des Gottesdienstes, 11 aufgegriffen. – Während Graff, wie bereits der Titel seiner Arbeit suggeriert, die Aufklärungszeit liturgiegeschichtlich negativ be-
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senere Formen zu finden, die den Bedürfnissen der Zeit entsprechen. Aus diesem Anliegen heraus entstanden mehrere liturgiewissenschaftliche Abhandlungen und Zeitschriften,221 wie etwa der „Versuch einer evangelischen Liturgie“222 und das „Liturgische Magazin“223 vom Erlanger Theologen Georg Friedrich Seiler, einem maßgeblichen Vertreter der „liturgischen Bewegung“.224 Innerhalb dieser „Bewegung“ wurden auch der Stellenwert und die Bedeutung des Gebets sowie des Vater Unsers diskutiert. Den Missbrauch des Gebets bemängelte nicht nur Döderlein. Auf dieses Übel wies beispielsweise schon der reformierte Leipziger Prediger Georg Joachim Zollikofer in seiner Schrift „Anreden und Gebete, zum Gebrauche bey dem gemeinschaftlichen, und auch dem häuslichen Gottesdienste“ 1777 hin.225 Zollikofer forderte in der Vorrede zu diesem Werk beim Gebet „[m]ehr ‚Mannichfaltigkeit und Abwechslung; mehr Deutlichkeit und Richtigkeit in Absicht auf Gedanken und Ausdruck; mehr Empfindung und Wärme im Vortrage‘“226. Er kritisierte ferner das häufige Beten des Vater Unsers und verlangte, es nicht mehr als einmal im Gottesdienst zu beten.227 Zugleich war er sich wie Döderlein bewusst, dass eine Änderung der Praxis langsam vonstatten gehen müsse.228 Die Aufklärungstheologen wussten um die Diskrepanz zwischen ihren liturgischen Forderungen und deren Verwirklichung.229 Der Geraer Pfarrer Gottfried Benjamin Eisenschmid, der selbst für eine Verbesserung der Liturgie eintrat, konnte 1795 polemisch über die Gründe für die mangelnde Umsetzung in der Praxis schreiben: „[D]er Pöbel, der ein ewiges Ding aus dem Alten machte, spie Wuth und Galle, und viele dieser würdigen Männer [, die eine Verbesserung der Liturgie anstrebten,] wurden als Neuerungssüchtige, Ketzer und Freydenker gebrandmarkt.“230 Er behauptete daneben, dass sich in den letzten Jahrzehnten „[d]er freye Geist des trachtet, bemüht sich Ehrensperger um eine positive Würdigung der liturgischen Neuerungsprozesse in der Aufklärungszeit. 221 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 226. 222 Georg Friedrich Seiler, Versuch einer christlich-evangelischen Liturgie, Erlangen 1782. 223 Zur Bedeutung dieses Magazins siehe Jordahn, Seiler, 10–16. 224 Zum Stellenwert von Seiler siehe der Aufsatz von Jordahn, Seiler. 225 Zu Zollikofer: K atharina Middell, „[…] immer unter der Herrschaft der Vernunft“ – Der Prediger Georg Joachim Zollikofer als Aufklärer (in: Plurales Deutschland – Allemagne Plurielle. FS für Étienne François, hg. v. Peter Schöttler u. a., Göttingen 1999, 179– 191). 226 G[eorg] J[oachim] Zollikofer, Anreden und Gebete, zum Gebrauche bey dem gemeinschaftlichen, und auch dem häuslichen Gottesdienste, Leipzig 1777, 3. 227 Vgl. Zollikofer, aaO., 3v. „Ein paar Vater unser beten, ist die Sprache des alten Aberglaubens, von dem sich noch gar zu viele Spuren finden!“ Ebd. 228 Vgl. Zollikofer, aaO., 4v. 229 Vgl. Ehrensperger, Die Theorie des Gottesdienstes, 11. 230 Gottfried Benjamin Eisenschmid, Geschichte der vornehmsten Kirchengebräuche der Protestanten. Ein Beytrag zur Verbesserung der Liturgie, Leipzig 1795, Vorbericht, [7 f.].
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Protestantismus“231 nur an einigen Orten, bei einigen Fürsten, Ministern und den höheren geistlichen Kollegien durchgesetzt habe, aber eben noch nicht überall. So wertete er es zwar als Zwischenerfolg, dass die Synode 1793 in Baden-Durlach gestattete, nach der Predigt eine Paraphrase des Vater Unsers zu beten,232 aber seiner Meinung nach gibt es noch viele Orte, an denen jegliche Erneuerung unterbleibt.233 Deshalb wurde diese Forderung nach einer Reform in der Gebetspraxis und des Vater Unser-Gebrauchs immer wieder formuliert, wie etwa 1783 bei Michael Weber, 1786 bei Johann Wilhelm Rau234 und 1795 bei dem eben genannten Eisenschmid. Im Gegensatz zu Döderlein, der nur die Lehrer und Eltern in die Pflicht nahm und eine direkte Aufforderung an die Fürsten und Konsistorien vermied, war es beispielsweise Eisenschmid, der die obrigkeitlichen Autoritäten direkt zu einer Verbesserung der Agenden aufforderte.235 Die Bedeutung, die Döderleins „Erläuterung des Vater Unsers“ innerhalb dieses liturgiegeschichtlichen Prozesses hatte, lässt sich nicht nur an den Auflagen, Übersetzungen und dem Hinweis zeigen, dass sein Werk beispielsweise auch in Mähren in Benutzung war,236 sondern auch an den Rezensionen und der Rezeption. Im „Journal für Prediger“ wünschte man diesem Buch „recht viel[e] Leser“237 und der Rezensent der „Jenaischen gelehrten Zeitungen“ charakterisierte es als „das einzige und beste in seiner Art“238 und behauptete, Döderlein habe aus seiner Seele gesprochen.239 231 Eisenschmid, aaO., Vorbericht, [8]. 232 Vgl. Eisenschmid, aaO., 360, Anm. k. 233 Vgl. Eisenschmid, aaO., [8]. 234 Weber kritisierte das häufige Beten des Vater Unsers in der privaten Andacht und im öffentlichen Gottesdienst. Er verwies auch auf die schlechte Gewohnheit, dass Eltern und Erzieher die Kinder das Vater Unser beten ließen, ohne es ihnen vorher zu erklären. Vgl. Rezension über „Morgen- und Abend-Andachten für vernünftige und fromme Christen auf alle Tage nach Anleitung des Vater-Unsers, nebst einer Predigt vom Misbrauch desselben von M. Weber, Leipzig 1783“ in den Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften, 2. Stück, 1. Abtheilung, 1783, 286 f. Auch Johann Wilhelm Rau beanstandete in Anlehnung an Döderleins Ausführungen den „allzuhäufige[n] Gebrauch des Vater unsers“. Johann Wilhelm R au, Wünsche und Vorschläge in Absicht auf liturgische Verbesserungen (Liturgisches Magazin, 2. Bd., 2. Stück, 1786, 1–79), hier 19.47–50 (Zitat siehe 47). 235 Vgl. Eisenschmid, Geschichte der Kirchengebräuche, Vorbericht, [8]. 236 Vgl. Graff, Geschichte der Auflösung, 2, 21. 237 Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 121. – Kritisch wurde nur angemerkt, dass Döderleins Umschreibungen für den gemeinen Christen nicht populär genug seien. Vgl. Journal für Prediger, aaO., 122. Dieser Hinweis wurde auch von Gottfried Less in den „Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen“ gegeben. Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1781, 448. Die „Jenaische gelehrten Zeitungen“ wiederum betonten, Döderleins Paraphrasen seien allgemeinfasslich und meisterhaft ausgeführt. Vgl. Jenaische gelehrte Zeitungen, 30. Stück, 1781, 238. 238 Jenaische gelehrte Zeitungen, aaO., 237. 239 Vgl. ebd.
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Was sich die Rezensenten der AdB240 und der „Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften“241 wünschten, nämlich dass Döderleins Umschreibungen des Vater Unsers bei den Verbesserungsbemühungen der Liturgien berücksichtigt werden, erfüllte sich insofern, als dass diese in Werken anderer Liturgiker aufgegriffen wurden. Georg Friedrich Seiler übernahm im Anhang seines „Versuchs einer christlich-evangelischen Liturgie“ von 1782 einige Umschreibungsgebete von Döderlein.242 2. „Ueber die christliche Fürbitte“ (1781) Ebenso wie Döderleins Ausführungen über das Vater Unser ist seine Schrift „Ueber die christliche Fürbitte“ von 1781 Ausdruck der oben erwähnten „liturgischen Bewegung“. „[D]en Einbildungen des Aberglaubens“243 beim Gebet entgegenzuwirken, war Döderlein ein zentrales Anliegen. Er verfolgte mit diesem Werk allerdings noch ein zweites Anliegen. Döderlein wollte das Gebet gegen Kritiker verteidigen, die dem Gebet jeglichen Nutzen absprachen. Deshalb erläuterte er besonders in dem ersten Teil der Schrift, der sich nochmals in drei Abschnitte untergliedert [1) „Nothwendigkeit der christlichen Fürbitte“; 2) „Vom Werth der christlichen Fürbitte“; 3) „Von der Kraft und den Wirkungen der Fürbitte“] und sich hauptsächlich an den gelehrten Christen richtete, die genauen Hintergründe und Vorteile des Fürbittgebets.244 In dem zweiten Teil thematisierte Döderlein vor allem praktische Fragen, die mit dem Fürbittgebet zusammenhängen [Abschnitt 4) „Von der Einrichtung der christlichen Fürbitte“; 5) Vermischte Anmerkungen“]. Döderlein hatte hier sowohl den Prediger als auch die Gläubigen im Blick und warb für eine den Zeitbedürfnissen angepasste Gebetspraxis sowie für liturgische Verbesserungen. In diesen beiden Teilen analysierte Döderlein ganz verschiedene Aspekte und Probleme des Fürbittgebets, wodurch er einen guten Einblick in den Diskussionsstand seiner Zeit ermöglicht. Von den Rezensenten wurde sein Buch überwiegend positiv aufgenommen.245 Sie waren sich sicher, dass es „zur Auf240 Vgl. AdB, 50. Bd., 1. Stück, 1782, 96. – Die Rezension stammt von Christian Friedrich Baumann, dem Prediger der reformierten Gemeinde in Cleve. Er steht für das die Rezension abschließende Kürzel „Db.“ Vgl. Parthey, Die Mitarbeiter, 56. 241 Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 3. Stück, 2. Abtheilung, 1780, 522. 242 Seiler schrieb in seiner Vorrede: „Was der Herr D. Döderlein in seiner Erläuterung des Vater unsers für gemeine Christen von dem vernünftigen Gebrauch dieses herrlichen Gebets auch bey öffentlichen Gottesdienstlichen Handlungen geschrieben hat, verdient den Beyfall ganz, den es erhielt, und ich habe einige seiner Gebete im Anhang mit einrücken lassen.“ Georg Friedrich Seiler, Versuch einer christlich-evangelischen Liturgie, Erlangen 21785, XXVI. 243 Döderlein, Fürbitte, 5. 244 Vgl. Döderlein, aaO., 3 f. 245 Vgl. Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1782, 487.
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klärung der Relig[ion] […] u[nd] Beförderung christl[icher] Tugend“246 beitragen werde. 2.1. Vom Nutzen und der Wirkung des Fürbittgebets Döderlein begründete die Pflicht zur Fürbitte mit dem „erste[n] Gesez des Christenthums“247, mit der Liebe zu allen Menschen und die Teilnahme an ihrem Glück und Unglück. Er verwies außerdem auf zwei Vorteile des Fürbittgebets. Erstens reinigt dieses Gebet seiner Meinung nach die menschlichen Gedanken von Schlechtigkeiten, da man sich vor Gott nicht verstellen kann: Man könne vor Gott nicht für einen Menschen um Segen beten, ihm aber in Wirklichkeit Schlechtes wünschen.248 Zweitens gibt die Fürbitte für ihn Trost und Beruhigung, gerade wenn man für denjenigen, für den man betet, nicht direkt etwas tun kann.249 Döderlein hielt die Fürbitte neben diesen Vorteilen aber auch deshalb für eine christliche Pflicht, weil sie im Neuen Testament befohlen wird. Er untermauerte seine Argumentation mit verschiedenen Bibelstellen, die er mit exegetischen Anmerkungen versah.250 Daneben berief er sich auf Jesu Beispiel, der Gott um der Menschen willen angefleht habe. In einem kleinen Exkurs warnte Döderlein allerdings vor falschen Vorstellungen von Jesus als Fürsprecher. So verwarf er beispielsweise die Lehre vom Dreifachen Amt Christi und hinterfragte die Zuordnung der Fürbitte zum hohenpriesterlichen Amt.251 Als weiteres Argument für die Notwendigkeit der Fürbitte gab er den Hinweis, dass die eigene Glückseligkeit, das eigene Wohlbefinden, immer im Zusammenhang mit dem Glück anderer stehe. Der Wunsch nach dem eigenen Glück kann seiner Meinung nach nicht von dem Glück anderer getrennt werden.252 In dem zweiten Kapitel führte Döderlein weitere Vorteile des Fürbittgebets an. Die Fürbitte ist seiner Meinung nach ein Mittel, das Tugend und Ruhe, 246 So Gottfried Less in den Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen, aaO., 488. 247 Döderlein, Fürbitte, 6. 248 Vgl. Döderlein, aaO., 8. 249 Vgl. Döderlein, aaO., 10. „[Es ist] unläugbar noch wahrer tiefgegründeter Trost, daß Gott [den Menschen] […] eine Art übrig läßt, wodurch sie Andenken, Liebe, Dankbarkeit beweisen können, die Fürbitte.“ Döderlein, aaO., 12. „Das Gemüth ist weit ruhiger, und in unschuldiger und christlicher Hofnung weit gelassener und vester, wenn es [die Hoffnungen und Wünsche] […] Gott vorgetragen und empfohlen hat, als wenn es alles nur aus sich selbst hoffen, und durch sich selbst würken will.“ Döderlein, aaO., 13. 250 Vgl. Döderlein, aaO., 14–17. 251 Vgl. Döderlein, aaO., 17–20. 252 Vgl. Döderlein, aaO., 28. „Wir können ohne die Siege der Wahrheit, ohne den Frieden des Staats, ohne den Fortgang heilsamer Anstalten, ohne tausend zufällige Ursachen nicht die glüklichen seyn und bleiben, die wir sind und seyn wollen. Wie ungerecht, wenn wir nur für unser Wohl beten, aber diejenigen, welche die Vorsehung uns als Werkzeuge unsers Wohlstandes und Beförderer unsers Glüks oder unserer Zufriedenheit zugesellt hat, in unseren Gebeten vergessen wollten?“ Döderlein, aaO., 29. Zu Döderleins Vorsehungsglauben siehe Kapitel A/ III, 1.1., Anm. 227.
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„die beiden grosen Absichten Gottes bey allen Veranstaltungen unter den Menschen“253, bewirkt. Für Döderlein werden durch die Fürbitte Vorstellungen von Gottes Eigenschaften, wie seine Allgegenwart, lebendig.254 Sie ist ihm ferner ein Weg zur Förderung von einträchtiger Liebe, da Hass- und Rachegebete, wie sie teilweise im Alten Testament zu finden sind, nicht dem christlichen Geist entsprächen.255 Davon nicht zu trennen ist die seiner Meinung nach in der Fürbitte enthaltene Aufforderung zur Tätigkeit: „Nun handle, nachdem du gebetet hast, […] und werde […] nun Werkzeug der Vorsehung.“256 Nahm Döderlein bisher vor allem die Vorteile für den Betenden in den Blick, betrachtete er anschließend die Vorzüge für denjenigen, dem das Fürbittgebet gilt. Döderlein sprach optimistisch davon, dass die Fürbitte indirekt Einfluss auf die Tugend anderer Menschen habe. Tugend hing für ihn zwar immer an eigener Tätigkeit, aber das Wissen, dass man Gegenstand eines Fürbittgebets ist, bessert seiner Meinung nach den Menschen. Auch in der Situation der Not könne die Fürbitte anderer Menschen Mut und Trost schenken.257 Die entscheidende Frage war für ihn aber, ob das Fürbittgebet darüber hinaus etwas hervorrufe: Kann man einen Kranken gesund beten? Erfolgt eine Erhörung des Gebets? Diese Fragen thematisierte Döderlein in seinem dritten Kapitel. Seine Antworten fielen sehr vage aus und sein Standpunkt wird nicht immer ersichtlich. Letztlich zeigt sich aber, dass er von einer Erhörung der Gebete ausging, die er mit seinem Gottesbild, von Gott als dem Menschenfreund, der seinen Freunden einen Gefallen in der Welt tun kann, und den biblischen Beispielgeschichten begründete. Diese Erhörung schränkte er allerdings ein: Es würden keine Wunderwerke erfolgen und die von der Vorsehung getroffene Ordnung ändere sich nicht aufgrund eines Gebets. Demzufolge ist die Fürbitte für ihn kein unmittelbares Mittel. Sie wirke nicht physisch auf den Kranken wie eine Arznei.258 Döderlein wertete es als Aberglauben, wenn man mittels einer Fürbitte die wunderhafte Heilung eines Menschen erwirken wolle259 und widersprach vehement Johann Caspar Lavater, für den es sicher war, dass eine „kräftige Bitte des Gerechten“260 eine erfolgreiche Wirkung nach sich ziehe, die sonst nicht geschehen wäre.261 Wie genau sah aber die Erhörung für Döder253 Döderlein, aaO., 32. 254 Vgl. Döderlein, aaO., 32–34. 255 Vgl. Döderlein, aaO., 36 f. 256 Döderlein, aaO., 41. 257 Vgl. Döderlein, aaO., 44–46.48. 258 Vgl. Döderlein, aaO., 53–56. 259 Vgl. Döderlein, aaO., 64 f. 260 [Johann Caspar Lavater], Antritts-Predigt zum Diakonate bey der Kirche zu St. Peter. Gehalten Sonntags Abends den 5ten Julius 1778 (in: Ders., Abschiedspredigt von der Waysenkirche, und Antrittspredigt zum Diakonate bey der Kirche zu St. Peter, Winterthur 1778, [38]–96), hier 62. 261 Vgl. [Lavater], aaO., 61–63. Dass die Fürbitte auf andere wirkt, begründete Lavater mit
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lein aus? Döderlein fertigte den Leser mit allgemeinen, unkonkreten Sätzen ab, wie: „Sey’s unbegreiflich, wie die Wirkung [die Erhörung der Fürbitten] erfolgt: genug, wenn sie erwartet werden kann“.262 Ähnlich unverbindlich ist seine Behauptung, dass die menschlichen Neigungen und Wünsche oft mit dem göttlichen Plan und Gesetzen übereinstimmen würden und daher auch eine Erhörung erfolgen könne.263 Diese ungenauen Formulierungen sind Döderleins Bemühungen um einen Mittelweg geschuldet. Man erkennt den Einfluss der philosophischen und deistischen Gebetskritik auf seine Argumentation. Denn dort wurde behauptet, dass Gottes Ordnung unveränderlich ist, weshalb der Mensch nicht auf diese Ordnung einwirken und Gott nicht umstimmen kann.264 Döderlein übernahm den der Erfahrung: „Wer das [diesen Zusammenhang] läugnet, läugnet die Geschichte und die Verheissungen des Evangeliums. Wer das nicht erfahren hat, soll nicht denken, nicht sagen, sich nicht träumen lassen, daß er ein Christ sey.“ [Lavater], aaO., 60. – Döderlein bezweifelte, dass ein Geschehen, zum Beispiel eine Heilung, allein als Erhörung auf ein Gebet gewertet werden darf. Er warnte vor der Gefahr, sich von seinen Einbildungen täuschen zu lassen. Seiner Meinung nach lassen sich die Ursachen der Dinge meistens nicht ergründen und außerdem würden oft mehrere Kräfte beziehungsweise natürliche Ursachen parallel wirken. Vgl. Döderlein, Fürbitte, 75 f. Daneben verwies Döderlein auf die Unbegreiflichkeit Gottes: „Ueberhaupt läst sichs in einzelnen Fällen schwerlich bestimmen, warum Gott etwas thut und veranstaltet; die geheim wirkende Ursachen sind oft die entscheidendsten, und es wäre ein übereiltes Urtheil, nur bey Einer sichtbaren stehen zu bleiben, welche noch dazu nicht physisch wirken kan.“ Döderlein, aaO., 77. 262 Döderlein, aaO., 57. 263 Vgl. Döderlein, aaO., 59. 264 Zur philosophischen Gebetskritik siehe Friedrich Heiler, Das Gebet. Eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung, München 51923, 202–219. Heiler untersucht beispielsweise die Positionen von Rousseau und Voltaire und zeigt, dass die philosophische Gebetskritik nicht zwangsläufig zur völligen Ablehnung des Gebets führte, obgleich es als entbehrlich angesehen wurde. Vgl. Heiler, aaO., 206–208. Dass die göttliche Ordnung ewig und unveränderlich ist, sieht Heiler am deutlichsten bei Spinoza formuliert. Vgl. Heiler, aaO., 211. Spinoza behauptete: „Es geschieht also in der Natur nichts, was ihren allgemeinen Gesetzen widerstreitet, aber ebensowenig etwas, das mit ihnen nicht übereinstimmt oder nicht aus ihnen folgt. Denn alles, was geschieht, geschieht nach dem Willen und dem ewigen Ratschluß Gottes, d. h., wie gesagt, alles, was geschieht, geschieht nach Gesetzen und Regeln, die ewige Notwendigkeit und Wahrheit in sich schließen. […] Daraus nun, daß in der Natur nichts geschieht, was nicht aus ihren Gesetzen folgt, und daß ihre Gesetze sich auf alles erstrecken, was auch der göttliche Verstand selbst begreift, und daß endlich die Natur eine feste und unveränderliche Ordnung einhält, daraus folgt mit völliger Klarheit, daß das Wort nur mit Beziehung auf die menschlichen Anschauungen verstanden werden kann […].“ Baruch de Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, auf der Grundlage der Übersetzung von Carl Gebhardt neu bearbeitet, eingeleitet und hg. v. Günter Gawlick (Baruch de Spinoza, Sämtliche Werke 3), Hamburg 1994: Sechstes Kapitel: Von den Wundern, 95 f. – Zur Gebetskritik im Deismus siehe unter anderem die in apologetischer Funktion gegen deistische Positionen verfasste Schrift von John Leland (John Leland, Abriß der vornehmsten Deistischen Schriften, die in dem vorigen und gegenwärtigen Jahrhunderte in Engeland bekandt geworden sind, nebst Anmerkungen über diesselben und Nachrichten von den gegen sie herausgekommenen Antworten, in verschiedenen Briefen an einen guten Freund. Aus dem Englischen übersetzt von Henrich Gottlieb Schmid, Hannover 1755), in der Leland die Position Thomas’
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Gedanken der unveränderlichen Ordnung und musste sich demzufolge von der Idee distanzieren, dass das Gebet zu einer wunderhaften Wirkung führt. Gleichzeitig wollte er nicht völlig mit der lutherischen Tradition brechen und behielt die Vorstellung einer Erhörung bei, obgleich er diese nicht näher erläuterte. Auch sein Argumentationsmuster ist von diesem Mittelweg geprägt: Er begründete seinen Standpunkt zum einen mit der Heiligen Schrift und zum anderen mit der Vernunft. Wie seine Aufzählung über die Vorteile des Fürbittgebets zeigt, lag der Schwerpunkt seiner Abhandlung aber darauf, vernunftgemäße Gründe für das Fürbittgebet anzuführen, um die Skeptiker für dieses Gebet zu gewinnen. Döderlein wollte demonstrieren, dass das Argument, Gottes Ordnung sei unveränderlich, nicht zwangsläufig zu der Behauptung führt, dass das Gebet nutzlos sei.265 Deshalb betonte er vor allem den sittlichen Nutzen des Betens. 2.2. Die praktische Verwirklichung des Fürbittgebets Nach diesen hauptsächlich in apologetischer Absicht verfassten Punkten untersuchte Döderlein im vierten Abschnitt liturgische Fragen. Er setzte sich kritisch mit bestimmten Formen des Fürbittgebets in der Praxis auseinander. Das Beten von allgemeinen Redensarten, beispielsweise dass man einem bestimmten Menschen alles Gute oder für das Volk Wohlstand wünscht, wurde von ihm hinterfragt. Döderlein forderte, dass diese Redensarten wieder in fassliche Begriffe aufgelöst werden, da sie andernfalls nur Worte ohne Inhalt und Sinn seien. Der Prediger im Gottesdienst und der Gläubige in seiner Andacht sollen ihm zufolge vielmehr fragen, was die jetzigen Bedürfnisse sind und dann konkret dafür beten.266 Aus diesem Grund wünschte er auch eine Änderung der liturgischen GeChubbs darlegte, der behauptete, dass das Gebet keinen Einfluss auf Gott habe und es Gott sogar missfalle. Vgl. Leland, Abriß, 398 f. Zu Leland siehe Christopher Voigt, Der englische Deismus in Deutschland. Eine Studie zur Rezeption englisch-deistischer Literatur in deutschen Zeitschriften und Kompendien des 18. Jahrhunderts (BHTh 121), Tübingen 2003, 130–138. 265 Döderlein bemühte sich, die Einwände der philosophischen Gebetskritik zu widerlegen. Gegen den beispielsweise von Voltaire formulierten Vorwurf, dem Gebet lägen anthropomorphe Gottesvorstellungen zugrunde, weil Gott wie ein Pascha oder Sultan behandelt werden würde, den man reizen und beschwichtigen könne (vgl. Heiler, aaO., 210), wandte Döderlein ein: „Daß bey dieser Vorstellung von Gott etwas menschliches zu Grunde liege, macht sie nicht unwahr, und nicht verdächtig. Was bleibt uns denn in unsrer Erkenntniß von Gott übrig, wenn wir alles menschliche davon absondern? – Es klingt unedel, wenn man sagt: Gott läßt sich durch die Gebete seiner Kinder bewegen, seine Entschliessung zu ändern, […] hierdurch erklärt man ihn für einen schwachen Regenten, der durch Winseln und Geheul sich erst in Bewegung setzen läst […]. Aber man verändere die Sprache, und denke sich einen Gott, der als Vater verehrt seyn will, dem es eine Freude ist, die Wünsche seiner Kinder erfüllen zu können, […] der bey dem ewigen Plan seiner Vorsehung […] auch bedacht hat, was zu allen Zeiten die redlichen unter den Menschen für gut und heilsam erkennen und begehren werden […].“ Döderlein, Fürbitte, 58 f. 266 Vgl. Döderlein, aaO., 80 f.
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betsformeln267, rief dazu auf, sich von dem „altväterische[n] Ausdruk“268 vieler Gebete im Gottesdienst zu trennen und verlangte gegen die ermüdende Einförmigkeit Abwechslung und Vielfalt im Fürbittgebet.269 Was für den Gottesdienst gilt, trifft überdies auf die Privatfürbitte zu, weshalb Döderlein den Sinn von vorgeschriebenen Formularen anzweifelte.270 Der Aufklärungstheologe appellierte eindringlich an den Gläubigen, seine Hinweise zu berücksichtigen, da Wert und Nutzen der Fürbitte von dem Inhalt und von der Gesinnung abhängig seien und ein unverständliches, bloß mechanisches Beten keinerlei Nutzen habe.271 Im fünften Abschnitt ging Döderlein auf verschiedene Fragen und Probleme ein, die von Zeitgenossen im Zusammenhang mit dem Fürbittgebet diskutiert wurden und gewährt damit theologiegeschichtlich interessante Einblicke. Als erstes hob er hervor, dass es kein Aberglauben sei, wenn man seinen Freund um Fürbitte bitte, da die Fürbitte des Freundes einem selbst Hoffnung und Mut gebe. Er warnte allerdings vor dem häufigen, aber falschen Verständnis, dass Gott etwas bloß aufgrund der Fürbitte ohne eigenes Zutun des Menschen und gegen die festgesetzte Ordnung tun werde und auch davor, dass fremdes Gebet wirksamer sei als das eigene.272 267 Vgl. Döderlein, aaO., 82. – Döderlein führte als Beispiel die Formel „daß Gott seine Kirche erhalten und segnen wolle“ an und versuchte diese zu konkretisieren und zu aktualisieren. Vgl. Döderlein, aaO., 82–84. Ebenso verfuhr er mit der Bitte „Segne mein Vaterland“. Vgl. Döderlein, aaO., 85–88. 268 Döderlein, aaO., 90. 269 Vgl. Döderlein, aaO., 93. – In seiner ATB schrieb Döderlein später, dass er an dieser Stelle seiner Schrift über die Fürbitte noch die Erwähnung eines Missstandes vergessen habe, worauf bereits der Rezensent der „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen“ 1781 (27. Stück, 260) hingewiesen habe: die Nennung aller Titel der Obrigkeiten in der öffentlichen Fürbitte. Vgl. Doederlein, ATB 1, 12. Stück, 1781, 938. Die Hintergrundinformationen über diese Debatte gibt erneut Eisenschmid. Eisenschmid bezeichnete die Titulaturen als unanständig, da man Menschen in diesem Fall mit allen Titeln anspreche, Gott aber nur mit „du“. Der Kontrast zwischen Gott und Mensch stehe daher in einem falschen Verhältnis. Ihm war allerdings bewusst, dass der Prediger hier nichts eigenmächtig unternehmen könne und lobte daher einige Landesherren, wie den preußischen König Friedrich Wilhelm I., die diesen Übelstand abgeschafft hätten. Vgl. Eisenschmid, Geschichte der Kirchengebräuche, 351 f. Dazu auch Johann Wilhelm Rau, der formulierte: „Gegen Titulaturen und Komplimentern in Gebeten empört sich bei mir alles so sehr, daß ich die Abschaffung derselben nicht ernstlich genug wünschen kann.“ R au, Wünsche und Vorschläge, 38. 270 Vgl. Döderlein, Fürbitte, 97. 271 Vgl. Döderlein, aaO., 79.90. 272 Vgl. Döderlein, aaO., 101. – Dass Döderlein hier nicht immer stringent argumentierte, zeigt sich an seiner Äußerung einige Seiten vorher: „Wenn der Mensch fürchtet, daß seine eigenen Gebete nicht rein, nicht erhörlich genug seyen: so baut er Hofnungen auf die Gebete der andern […] Sey dies menschliche – sey’s irrige Vorstellung von Gott: sie ist doch in tausend Fällen unschädlich; und warum sollte ich das bisgen Trost, an das er sich zuweilen hält, gänzlich zerstören, weil es ein schwacher Trost ist?“ Döderlein, aaO., 49. Für diese Behauptung fand Döderlein Widerspruch, wie beispielsweise von dem Rezensenten in den Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, 37. Stück, 1782, 305.
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Gegen den Missstand der erkauften Fürbitte verwahrte er sich als zweites. Anhand der zeitgenössischen Quellen lässt sich feststellen, dass diese Praxis, gegen Geld zu beten, an vielen Orten üblich war. Denn neben Döderlein, der dieses Übel in Armenhäusern, in Krankenhäusern und in Kirchen vorfand, wo man Kranke, Reisende, Verlobte und Sterbende gegen Bezahlung ins Vater Unser einschloss,273 berichtete Eisenschmid einige Jahre später von diesem Problem. Er erörterte allerdings auch die Hintergründe dieses Zustandes: Viele Prediger und Küster seien auf das Geld angewiesen. Deshalb forderte Eisenschmid eine bessere Bezahlung von Predigern und Kirchendienern, um auf diese Weise dieses Übel beheben zu können.274 In einem dritten Punkt äußerte sich Döderlein auffallend moderat über die in der katholischen Kirche übliche Praxis, die Heiligen um ihre Fürbitte bei Gott zu bitten. Für ihn ist das weder Abgötterei, noch Aberglauben, noch ein Verbrechen gegen die Religion.275 Döderlein stimmte an dieser Stelle in die kontroverstheologische Polemik vieler seiner Zeitgenossen nicht mit ein. Für ihn ist diese Bitte bei den Heiligen eher unüberlegt und der Vernunft widersprechend, da man sich gar nicht sicher sein könne, ob der Heilige den betenden Menschen überhaupt hören kann.276 Döderlein nutzte hier ein Argument, was schon in der Reformation herangezogen wurde.277 Als letztes Problem thematisierte Döderlein die Frage, ob man auch für einen bereits verstorbenen Menschen Fürbitte leisten dürfe. Er war sich bewusst, dass das Schicksal der Verstorbenen durch das Gebet nicht geändert werden könne und der Verstorbene dadurch nichts gewinne, aber er hielt trotzdem an diesem Gebet fest und wertete es nicht als lächerlich ab. Denn Döderlein erachtete dieses Gebet als tröstend für die Hinterbliebenen. Er verstand es als Äußerung der Liebe der Hinterbliebenen gegenüber dem geliebten, nun verstorbenen Menschen.278 Wie im ersten Teil bemühte sich Döderlein auch bei diesen praktischen Fragen um einen Mittelweg. Er hatte seelsorgerisch den Gläubigen im Blick und hielt daher an bestimmten Traditionen wie dem Gebet am Grab für den Verstorbenen fest, interpretierte dieses Gebet allerdings um: Es ist nicht für den Verstorbenen, sondern für den Hinterbliebenen wichtig. Die Fürsprache der Heiligen wurde von ihm nicht polemisch als Abgötterei bezeichnet, er zeigte aber doch, dass sie nicht sinnvoll ist. Ebenso akzeptierte er die Bitte um Fürbitte, warnte allerdings vor einem falschen Verständnis.279 273 Vgl. Döderlein, aaO., 104. 274 Vgl. Eisenschmid, Geschichte der Kirchengebräuche, 367 f. 275 Vgl. Döderlein, Fürbitte, 104 f. 276 Vgl. Döderlein, aaO., 107. 277 Vgl. Stäudlin, Geschichte der Vorstellungen, 219. 278 Vgl. Döderlein, Fürbitte, 114–116. 279 Der Vorwurf des Rezensenten in den Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, 37. Stück, 1782, 307, man wisse nicht genau, welche Meinung Döderlein hier eigentlich vertrete und
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3. „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“ (1789) Was Döderlein in seiner Schrift über die Fürbitte noch unpräzise formulierte, artikulierte er in seiner „Sittenlehre“ nun eindeutig. Gab er in den beiden Schriften zuvor keine genaue Definition, was ein Gebet ist, begann er seine Abhandlung in der „Sittenlehre“ damit: „Das Gebet oder die Verbindung des Andenkens an Gott mit unsern Bedürfnissen […] oder unserm Wünschen […] ist die allgemeinste und natürlichste Aeuserung der Selbst- und Menschenliebe“.280 Mit dem Beten aus einem Bedürfnis heraus, welches der Mensch genau kennen muss, folgte Döderlein der mosheimschen Definition von Gebet.281 War Döderlein erst noch unsicher, inwiefern Gott die Gebete trotz seiner festen Ordnung erhören kann, schrieb er nun, dass man sich „niemals der Erhörung gewiß“282 sein könne. Das Gebet dürfe nicht als ein „sichres Erwerbungsmittel göttlicher Wohlthaten“283 betrachtet werden, da es Gott nicht zur „Veränderung der Ordnung in der Welt“284 bewegen könne. Wer an einer solchen Wirksamkeit des Gebets festhält, neigt nach Döderlein zu gefährlichen Schwärmereien. Döderlein distanzierte sich hier unmissverständlich von dem lutherischen Gebetsverständnis.285 Diese Position verlangte von ihm allerdings, dass er sich argumentativ neu aufstellen musste. Hatte er in „Ueber die christliche Fürbitte“ noch mit biblischen Stellen als Beleg für die Erhörung gearbeitet, interpretierte er diese Stellen nun um, indem er ihnen allein die Funktion zuerkannte, das Vertrauen auf Gott zu bestärken.286 Dass man nicht mit einer Erhörung der Gebete rechnen kann, führte bei Döderlein allerdings nicht, wie bei einigen Deisten zu der Schlussfolgerung, dass das Gebet keinen Nutzen habe.287 Obgleich „handeln besser sey, als beten“288, verwies Döderlein erneut auf die sittlichen Vorteile des Gebets: Das Gebet sei beispielsweise ein Läuterungsmittel der menschlichen Wünsche sowie ein als Mittel zur Beruhigung und Zufriedenheit.289 wie die verschiedenen Meinungen zusammenpassen würden, wurde Döderlein nicht gerecht. Denn Döderlein bemühte sich an dieser Stelle um einen Mittelweg und wog die einzelnen Argumente gegeneinander ab. 280 Döderlein, Sittenlehre, 1789, 189. In den Schriften über das Vater Unser und über die Fürbitte sprach Döderlein immer nur indirekt davon, dass das Gebet das Anbringen der menschlichen Bedürfnisse bei Gott sei. Vgl. etwa Döderlein, Erläuterung des Vater Unsers, 1788, 29. 281 Zu Mosheim vgl. Stäudlin, Geschichte der Vorstellungen, 225. 282 Döderlein, Sittenlehre, 1789, 190. 283 Döderlein, aaO., 189. 284 Döderlein, aaO., 190. 285 Dazu unter anderem Heiler, Gebet, 399. 286 Vgl. Döderlein, Sittenlehre, 1789, 190. 287 Vgl. Heiler, Gebet, 208. 288 Döderlein, Sittenlehre, 1789, 191. 289 Vgl. Döderlein, aaO., 190 f.
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4. Zusammenfassung In seinen beiden Schriften über das Gebet samt den Äußerungen in seiner „Sittenlehre“ untersuchte Döderlein unterschiedliche Aspekte des Gebets: Anfangs stand das Vater Unser im Mittelpunkt seiner Fragestellung, dann die christliche Fürbitte und schließlich gab er in der „Sittenlehre“ einen allgemeinen Überblick über das Gebet. Döderleins Hauptanliegen aber wird in den drei Texten durchweg ersichtlich: Er forderte ein der Vernunft angemessenes und ein verinnerlichtes Beten. Demzufolge unterstrich er besonders den sittlichen Nutzen des Gebets und problematisierte ein bloß mechanisches, gedankenloses Beten. Aus diesem Grund postulierte er zudem ein Auflösen alter Gebetsformeln und verlangte die Eindämmung des häufigen Betens des Vater Unsers. Gegen diese vielen Missstände beim Beten gab er konkrete Vorschläge für Verbesserungen und Erneuerungen in der Liturgie und in der individuellen Gebetspraxis. Damit kann Döderleins Gebetsverständnis als exemplarisch für die Aufklärungstheologie gelten.
IV. Döderleins Tätigkeit als Rezensent und Zeitschriftenherausgeber „Der Genius unsrer Zeit ist Journalistisch“.290 Mit diesem Satz charakterisierte Döderlein die Bedeutung und den Stellenwert des Mediums Zeitschrift am Ende des 18. Jahrhunderts treffend. Die Zeitschrift war ein zentrales Medium, über das die aufklärerischen Diskurse geführt wurden. Bislang wurde gezeigt, wie Döderlein indirekt von diesem Medium profitieren konnte: Seine Werke wurden in vielen Journalen rezensiert und damit einem gelehrten Publikum bekannt gemacht. Diese Rezensionen regten das Interesse an seinen Schriften und seiner Person an. Aber Döderlein arbeitete über seine gesamte akademische Laufbahn hinweg auch aktiv an Zeitschriften mit. Er verfasste nicht nur Aufsätze und Rezensionen für verschiedene Journale, sondern trat überdies selbst als Herausgeber mehrere Zeitschriften auf. 1. Verfasser von Aufsätzen und Rezensionen für Zeitschriften Döderleins Tätigkeit als Verfasser von Zeitschriftenartikeln und Rezensionen begann in den Jahren 1776 und 1777. So beteiligte er sich von 1777 bis 1780 an Johann Gottfried Eichhorns „Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur“291, der ersten Zeitschrift, die sich unter aufklärungstheologischen Fragestellungen mit dem Thema Orient beschäftigte und einen Ort für Forschungs290 Theologisches Journal 1, 1. Stück, 1792, Vorrede, X. 291 Das „Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur“ erschien von 1777 bis 1786. Vgl. Heidemann, Der Paradigmenwechsel, 246. Als Nachfolgeorgan gründete Eich-
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diskussionen bot.292 In diesem Medium publizierte Döderlein fünf Aufsätze, die vor allem textkritische Fragen thematisierten.293 Als Rezensent verfasste er Besprechungen in den von Seiler „in Vereinigung mit einer Gesellschaft von Gottesgelehrten“ seit 1776 herausgegebenen „Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften“, in denen auch einige Rezensionen über Döderleins Schriften erschienen. Wie viele und welche Artikel von Döderlein stammen, lässt sich allerdings aufgrund der anonym verfassten Beiträge nicht ermitteln. Diese Ungenauigkeit und Ungewissheit trifft gleichermaßen auf seine Abhandlungen in Wilhelm Friedrich Hufnagels „Nova Bibliotheca Theologica“ und auf die von Gottlieb Christoph Harleß herausgegebenen „Anzeigen und Beurteilungen akademischer und anderer kleiner Schriften“ zu.294 Mehr lässt sich allerdings darüber sagen, warum Döderlein ausgerechnet diese Organe unterstützte. Eichhorns „Repertorium“ entsprach vom Profil seinem anfänglichen Forschungsschwerhorn die „Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur“, die von 1787 bis 1803 existierte. Vgl. Schröter, Zum Prophetenbild der Aufklärung, 172. 292 Vgl. Heidemann, aaO., 246. 293 Im ersten Teil des Repertoriums veröffentlichte Döderlein einen Text „Zu den Hexaplen des Origenes“. Vgl. J[ohann] C[hristoph] D[öderlein], Zu den Hexaplen des Origenes (Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur, hg. v. [Johann Gottfried Eichhorn], 1. Theil, 1777, 217–256). Im zweiten Teil wurde sein Aufsatz „Vom Wort πνευμα, wenn es von Christo gebraucht wird“ abgedruckt, auch wenn er nicht als Autor aufgeführt wird, sondern der Text anonym erschien. Vgl. [Johann Christoph Döderlein], Vom Wort πνευμα, wenn es von Christo gebraucht wird (Repertorium, 2. Theil, 1778, 1–24). Der Hinweis, dass es sich dabei um eine Abhandlung Döderleins handelt, findet sich bei Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 241. Einen zweiten Aufsatz publizierte Döderlein in diesem Band, hier mit der Nennung seines Namens, unter dem Titel „Von arabischen Psaltern. Ein Beytrag zu einer Einleitung ins A. Test.“. Vgl. Joh[ann] Christoph Döderlein, Von arabischen Psaltern. Ein Beytrag zu einer Einleitung ins A. Test. (Repertorium, 2. Theil, 1778, 151–179). Im vierten Teil des „Repertoriums“ führte Döderlein diese Abhandlung unter der Überschrift „Von arabischen Psaltern“ fort. Vgl. Repertorium, 4. Theil, 1779, 57–96. Auch im sechsten Teil griff er mit der Frage nach den Hexaplen des Origenes eine schon einmal angesprochene Thematik auf. Vgl. Repertorium, 6. Theil, 1780, 195–207. 294 Dass Döderlein Rezensionen für diese Zeitschriften verfasste, darauf verweisen Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 241 und Baader, Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller, 119. – Von der „Nova Bibliotheca Theologica“ kamen zwei Bände heraus: Nova Bibliotheca Theologica, Vol. I, Fasc. I, 1782; Nova Bibliotheca Theologica, Vol. I, Fasc. II, 1783. Danach wurde das Erscheinen dieses Journals eingestellt. Auch die „Anzeigen und Beurtheilungen“ bestand nur aus zwei Bänden: „Anzeigen und Beurtheilungen akademischer und anderer kleinen Schriften, 1. Bd., 1777“; „Anzeigen und Beurtheilungen akademischer und anderer kleiner Schriften, 2. Bd., 1778“. – Die Rezensionen in den „Anzeigen und Beurteilungen“ sind zwar mit Kürzeln unterzeichnet, allerdings wurde diese noch nicht aufgelöst. In der Vorrede dieses Organs, welches es sich zum Ziel gemacht hatte, kleine Schriften eingehender als in anderen Journalen zu beurteilen, wurde allein hervorgehoben, dass es sich bei den Verfassern der Rezensionen um Männer handle, die der gelehrten Welt schon durch mehrere Schriften und seit mehreren Jahren bekannt seien und es sich größtenteils um Lehrer auf Universitäten oder ansehnlichen Gymnasien handle. Vgl. Anzeigen und Beurtheilungen, 1. Bd., 1777, Vorrede, 4.
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punkt, der Textkritik des Alten Testaments. Die drei letztgenannten Journale wiederum sind Ausdruck seines Gelehrtennetzwerkes: Alle drei Zeitschriften wurden von Erlanger Gelehrten herausgegeben, von Personen also, die sich in unmittelbarer geographischer Nähe zu dem damals in Altdorf lebenden Döderlein befanden. Diese Gelehrten standen mit Döderlein in engem Kontakt, so dass die Zusammenarbeit auf der Hand lag. Später, als Theologieprofessor in Jena, verfasste Döderlein Artikel für die in Jena erscheinende ALZ.295 Diese Rezensionszeitschrift wurde 1785 als Konkurrenzorgan zu der AdB296 von dem Verleger und Unternehmer Friedrich Johann Justin Bertuch297 und dem Professor für Poesie und Beredsamkeit Christian Gottfried Schütz gegründet.298 Die Herausgeber hatten es sich zum Ziel gesetzt, alle deutschsprachigen Bücher, die in den beiden jährlichen Leipziger Messkatalogen verzeichnet werden, sowie ausgewählte ausländische Literatur zu rezensieren.299 Für dieses Projekt wurden zahlreiche Rezensenten benötigt. Schütz und Bertuch nahmen bei der Suche nach Kritikern eine genaue Auswahl vor. Es sollten nur „Männer von erwiesenem Verdienst und entschiedenen Talenten“300 herangezogen werden. Junge Gelehrte, denen es bisher an „einleuchtende[n] Beweise[n] ihrer Tüchtigkeit“301 fehle, wurden als Rezensenten abgelehnt. Die Herausgeber wollten damit sicherstellen, dass nur „würdige, mit Kenntniss 295 Ausgewählte Literatur zur ALZ: Sylvia K all, „Wir leben jetzt recht in Zeiten der Fehde“. Zeitschriften am Ende des 18. Jahrhunderts als Medien und Kristallisationspunkte literarischer Auseinandersetzung (Bochumer Schriften zur deutschen Literatur 62), Frankfurt a. M. u. a. 2004, 53–132; Stefan Matuschek (Hg.), Organisation der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung in Jena 1785–1803 (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen 5), Heidelberg 2004; Margarete Mildenberger, Die „Allgemeine LiteraturZeitung“ – der „heilige Anker“ der Alma mater Jenensis? (in: Die Universität Jena. Tradition und Innnovation um 1800. Tagung des Sonderforschungsbereichs 482: „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ vom Juni 2000 [Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2], hg. v. Gerhard Müller/K laus Ries/Paul Ziche, Stuttgart 2001, 197–203); Schönfuss, Das erste Jahrzehnt; Siegfried Seifert, „Eine vollständige Uebersicht der Kantischen Grundsätze“. Die Jenaer „Allgemeine Literatur-Zeitung“ und ihr Beitrag zur Kritik in einer Zeit des Umbruchs und Aufbruchs (in: Evolution des Geistes. Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte [Deutscher Idealismus. Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 17], hg. v. Friedrich Strack, Stuttgart 1994, 275–293). 296 Eine Gegenüberstellung von AdB und ALZ bietet Schneider, Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek, 336–343. 297 Zu Bertuch siehe Gerhard R. K aiser/Siegfried Seifert (Hg.), Friedrich Justin Bertuch (1747–1822). Verleger, Schriftsteller und Unternehmer im klassischen Weimar, Tübingen 2000 und K atharina Middell, „Die Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben.“ Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-Industrie-Comptoir vor 1800, Leipzig 2002. 298 Christoph Martin Wieland war noch vor dem ersten Erscheinen dieser Zeitschrift aus dem Projekt wieder ausgestiegen. Vgl. Schönfuss, Das erste Jahrzehnt, 16. 299 Vgl. ALZ, 1. Bd., 1785, Vorbericht, 2 f. 300 ALZ, aaO., 1. 301 Ebd.
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der Sachen urtheilende Gelehrte“, also „competente Richter“ als Kritiker auftreten.302 Neben auswärtigen Rezensenten, wie beispielsweise Immanuel Kant,303 traf dieses Kriterium auf die Universitätsprofessoren in Jena zu, um deren Mitarbeit Schütz warb. Es gelang ihm, die meisten der Jenaer Professoren als Rezensenten für die Zeitschrift zu gewinnen,304 auch weil die Rezensenten für ihre Artikel sehr gut bezahlt wurden und diese Nebentätigkeit für die Professoren daher äußerst lukrativ war.305 Döderlein war mit Rezensionen an diesem Projekt beteiligt.306 Allerdings lassen sich aufgrund der anonym verfassten Artikel keine Aussagen darüber treffen, wie viele es waren und welche.307 Vielmehr lässt sich beobachten, dass sich Döderlein über die ALZ, die zum wichtigsten Rezensi302 Ebd. 303 Die ALZ beförderte die Ausbreitung der Kantischen Philosophie. Siehe Kapitel C/I, 2.5. 304 Vgl. Schönfuss, Das erste Jahrzehnt, 36. 305 Vgl. Mildenberger, Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“, 199. 306 Siehe die Auflistung der Mitarbeiter in dem „Verzeichniss, der seit dem Jahre 1785 bis Junius 1800 verstorbenen Gelehrten, die zur A. L. Z. als Mitarbeiter Beyträge geliefert haben“ im Intelligenzblatt der ALZ, Nr. 108, 1800, 921–936. Als Mitarbeiter im Bereich der Theologie wurden neben Döderlein und Johann Wilhelm Schmid auch Johann Rudolf Schlegel und Heinrich Corrodi genannt, die für Rezensionen im Bereich Kirchengeschichte zuständig waren. Der Eisenacher Generalsuperintendent Christian Wilhelm Schneider war für die neueste Kirchengeschichte verantwortlich. Der katholische Mainzer Theologe Felix Anton Blau verfasste die Rezensionen, welche die katholische Theologie betrafen. Vgl. ALZ, aaO., 928 f. – Döderleins Beteiligung an diesem Journal erwähnen auch Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 241 und Baader, Lexikon verstorbener Baierischer Schriftsteller, 119. 307 Von den Artikeln im Bereich Theologie ist allein bekannt, dass Johann Jakob Griesbach die erste ALZ vom 3. Januar 1785 mit einem Beitrag über die griechische Version einiger Bücher des Alten Testaments eröffnete. Vgl. Mildenberger, Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“, 198. Griesbach beteiligte sich von den Theologieprofessoren Jenas am häufigsten mit Rezensionen an der ALZ. Vgl. Schönfuss, Das erste Jahrzehnt, 35. Er hatte zudem die Funktion inne, die Rubrik „Gottesgelahrtheit“ zu leiten. Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 159. Diese Rubrik stand an der Spitze der Abteilung „Realwissenschaften“, einer der vier Hauptabteilungen, in welche die ALZ untergliedert war. Vgl. Schönfuss, aaO., 10. Die anderen Hauptabteilungen waren die Sprachgelehrsamkeit (Philologie), die allgemeine Literatur-Historie und Vermischte Schriften. Vgl. Mildenberger, aaO., 199. Griesbach kam überdies eine besondere Rolle zu: Er war als einziger Externer in den internen Kreis der Wochen- und Monatskonferenzen zugelassen. Ab 1800 konnte er sogar als Mitherausgeber gewonnen werden. Vgl. Mildenberger, aaO., 198. – Trotz der Anonymität der Artikel kann festgehalten werden, dass die theologischen Rezensionen in den ersten Jahren des Bestehens der ALZ vor allem aus der aufklärungstheologischen Perspektive verfasst wurden, sich ab den 1790er Jahren allerdings zunehmend ein rationalistischer Standpunkt durchsetzte. Vgl. Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [5]. Dieser Wandel hing mit dem Engagement von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus zusammen. Als dieser 1789 nach Jena berufen wurde, forderten ihn die Herausgeber der ALZ noch im gleichen Jahr dazu auf, in den Bereichen der orientalischen Literatur und der Exegese die Rezensionen zu übernehmen. Vgl. Schönfuss, aaO., 36. Hatte er in den ersten Jahren nur wenige Rezensionen verfasst, so schrieb er wenige Jahre später zahlreiche Artikel für die ALZ und avancierte so zu einer „für seine Wissenschaft maßgebende[n] Persönlichkeit in der A. L. Z.“. Schönfuss, aaO., 36. Er war auch der einzige unter den Rezensenten, der für das Schreiben von Artikeln ein festes Jahresgehalt von der „Societät der Unternehmer der A. L. Z.“ erhielt. Vgl. Mildenberger, aaO., 199.
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onsorgan im deutschsprachigen Raum avancierte308 und für die Universität Jena prestigefördernde Wirkung hatte,309 auffallend zurückhaltend äußerte. Zwar hatte er die Gründung dieser Zeitschrift befürwortet,310 aber er konnte für dieses Projekt nur wenig Anteilnahme und Begeisterung aufbringen. Er äußerte gegenüber Will: „Doch habe ich keine Inbrunst dabey. Sie [die ALZ] stehe oder falle, so faellt sie ihrem Herrn!“311 Zwar begründete Döderlein diese Haltung nicht, aber es lässt sich vermuten, dass ihm sein eigenes Zeitschriftenprojekt, die ATB312, genug Energie und Zeit abverlangte, so dass er für die ALZ nur wenig Muße und Engagement aufbringen konnte. 2. Herausgeber von Zeitschriften Neben seiner Tätigkeit als Verfasser von Aufsätzen und Rezensionen übernahm Döderlein auch selbst die Hauptverantwortung für mehrere Zeitschriften. Im Jahr 1777 war er gleich an zwei Zeitschriftengründungen beteiligt und fungierte in Zusammenarbeit mit anderen Gelehrten als Herausgeber dieser Journale. Es handelte sich hierbei um das „Literarische[] Museum“ und die allgemeinwissenschaftlich ausgerichtete „Nürnbergische gelehrte Zeitung“. Für das periodische Erscheinen der auf das Fachgebiet Theologie bezogenen „Auserlesene[n] Theologische[n] Bibliothek“ und das „Theologische[] Journal“ war er alleine zuständig. 2.1. Literarisches Museum Seit Januar 1777 erschien in Altdorf das „Literarische[] Museum“. Diese Zeitschrift hatte sich zwei Dinge zum Ziel gesetzt: Es sollten erstens herausragende, aber bisher unbekannte oder zu wenig beachtete Bücher, Urkunden und Briefe der gelehrten Welt präsentiert und in einen historischen Kontext eingeordnet werden. In diesem Zusammenhang sollten zudem Biographien und Verdienste von Gelehrten und die Geschichte einzelner Wissenschaften vorgestellt werden. Zweitens wollte man neuere Schriften anzeigen und beurteilen, die – wie der Titel des Journals sagt – „zur Literargeschichte“ gehören.313 Hier wurde sich folglich vornehmlich kirchengeschichtlichen, profanhistorischen und literaturgeschichtlichen Themen gewidmet. Diese Themenfelder entsprachen der Profession der Herausgeber dieser Zeitschrift. Sie erschien zwar anonym, aber die 308 Vgl. Schneider, Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek, 342. 309 Vgl. Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 160. 310 Brief Döderleins an Will, 5.1.1785, NStBibl, Will VIII. 80. Autogr., 7,17, [1]: „Von Unsrer LiteraturZeitung haben sie Wohl nun den Anfang gesehen: ich bin begierig, ob sie ihr Glück macht und sich erhaelt, da der Plan es groß, die Unternehmung so kostbar, die Ankündigung so vielversprechend […] ist.“. 311 Ebd. 312 Siehe S. 240. 313 Vgl. Literarisches Museum 1, 1. Stück, 1777, Vorrede, [V ].
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Namen wurden bald publik. Es handelte sich um Johann Christoph Döderlein, um Georg Christoph Schwarz, der Professor für Philosophie in Altdorf war, um den ebenfalls in Altdorf lehrenden Professor für die abendländischen Sprachen Wolfgang Jäger und um den Theologen und Kirchenhistoriker Georg Theodor Strobel.314 Der erste Band des „Literarische[n] Museum[s]“ wurde mit einem Aufsatz von Döderlein eröffnet,315 der unter dem Titel „Von Correctoriis biblicis“316 stand. Darin thematisierte der Theologe verschiedene kritische Ausgaben der Vulgata, die sich vor allem auf ältere Handschriften, die hebräischen und griechischen Originalschriften sowie andere Übersetzungen bezogen und daher von der gewöhnlichen Lesart abwichen. Döderlein bezeichnete solches textkritische Vorgehen als vorbildhaft für „unser[e] Zeiten, wo die biblische Kritik mehr mit Ernst und Einsicht getrieben wird“317, und warnte davor, sich bei textkritischen Arbeiten am Alten und Neuen Testament auf den Text der Vulgata zu berufen.318 Hier und auch in seinen anderen Aufsätzen nutzte er diese Zeitschrift, um aufklärungstheologische Gedanken zu verbreiten. Nach diesem ersten Band mit seinen vier Stücken (Bd. 1: 1777–1778) erschien nur noch ein zweiter Band (Bd. 2: 1778–1780). Danach wurde das „Literarische[] Museum“ eingestellt. Trotz der positiven Resonanz – der Rezensent der AdB schrieb, dass er dieser Zeitschrift „eine lange Fortsetzung“319 wünsche – waren die Absatzzahlen zu niedrig. In der dem „Literarische[n] Museum“ sehr wohlwollend gegenüberstehenden Zeitschrift für „Historische Litteratur“ wurde nach Ursachen für den Niedergang dieses Journals geforscht: Das Ende der gelehrten Zeitung hinge mit dem „verderbte[n] Geschmack unsrer Zeiten“ zusammen, die „es nun einmahl so mit sich [bringen], daß ein literarisches Werk nicht leicht über den ersten oder höchstens zweyten Band fortgesetzt werden 314 Vgl. die Auflistung der Mitarbeiter von Strobel: vgl. Wotschke, Aus Briefen Strobels, 232. 315 Siehe die handschriftliche Notiz „v. Döderlein“ in dem mir vorliegenden Exemplar (Literarisches Museum 1, 1. Stück, 1777, 1 – Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek, Signatur: 6642851 Eph.lit. 151–1). 316 Literarisches Museum 1, 1. Stück, 1777, 1–42. 317 Literarisches Museum, aaO., 9. 318 Vgl. Fortsetzung des Aufsatzes im Literarischen Museum 1, 2. Stück, 1777, 177–204, 193 f. Weitere Aufsätze, die laut dieser handschriftlichen Notiz von Döderlein stammen: Literarisches Museum 1, 2. Stück, 1777, 204–254 „Zur Geschichte der Formula Concordiae“; Literarisches Museum 1, 4. Stück, 1778, 475–519 „Beschreibung eines unverglichenen griechischen geschriebenen Euangelistarii. Aus der Nürnberger Staatsbibliothek“. In dem letztgenannten Aufsatz stellte Döderlein eine Handschrift vor, die bisher unbekannt war. Er präsentierte dem Leser Proben daraus und stellte Beispiele von Textvarianten mit dem Verweis auf die Arbeiten der Textkritiker John Mill, Johann Jakob Wettstein und Johann Jakob Griesbach vor. – Von Döderlein wurden noch weitere Aufsätze und Rezensionen verfasst, aber bei den meisten Artikeln findet sich keine handschriftliche Notiz, die eine Zuordnung ermöglicht. 319 AdB, 38. Bd, 2. Stück, 1779, 543. – Die Rezension ist mit dem Kürzel „Pk.“ (Fraktur) unterzeichnet. Dahinter verbarg sich der Gelehrte Albrecht Georg Walch. Siehe Anm. 54.
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kann“320. Außerdem schrecke der Titel „literarisch“ manche Buchhändler und Käufer ab. Es wurde daher vorgeschlagen, dass die Verfasser ihr Projekt unter einem neuen Titel fortsetzen sollten.321 Dazu kam es allerdings nicht. Döderlein machte hier eine Erfahrung, die charakteristisch für das Zeitschriftenwesen in dieser Zeit war: Wenn die Absatzzahlen nicht stimmten, konnte ein Journal nicht überleben, unabhängig davon, für wie wertvoll es in der gelehrten Welt angesehen wurde. Das häufig schnelle Einstellen von Zeitschriften darf bei allem Zuwachs in der Zeitschriftenliteratur Ende des 18. Jahrhunderts nicht außer Acht gelassen werden.322 2.2. Nürnbergische gelehrte Zeitung Anders als das „Literarische[] Museum“ existierte die ebenso 1777 gegründete „Nürnbergische gelehrte Zeitung“ über mehrere Jahre hinweg. Sie erschien wöchentlich zweimal (dienstags und freitags)323 im Umfang von acht Seiten. Die Herausgeber blieben anonym, obgleich die Gelehrtenwelt bald wusste, wer sich dahinter verbarg. Es wurden insbesondere Döderlein, auf dessen aktive Unterstützung die Gründung dieser Zeitung zurückging, und der ihn und Georg Andreas Will umgebene Kreis von mehreren Theologen und Gelehrten genannt.324 Döderlein selbst war an diesem bis 1789325 bestehenden und danach unter dem Titel „Neue Nürnbergische gelehrte Zeitung“ (1790–1800)326 erscheinenden Journal bis zu seinem Weggang nach Jena 1782 beteiligt.327 Die „Nürnbergische gelehrte Zeitung“ zählte zu den allgemeinwissenschaftlichen, kritischen Zeitschriften, da Rezensionen aus allen Wissenschaftsgebieten geboten wurden.328 Man konzentrierte sich allerdings auf Schriften aus Öster320 Historische Litteratur für das Jahr 1782. In Gesellschaft einiger Gelehrten hg. v. Johann Georg Meusel, 1. Stück, 1782, 534. Ähnlich äußerte sich auch Strobel. Er schrieb über die Einstellung des „Literarische[n] Museum[s]“ am 16. Februar 1780 in einem Brief an den Weimarer Assessor des Oberkonsistoriums Christian Wilhelm Schneider: „Schande für unsere Zeit, daß ein so nützliches Journal aus Mangel des Verschleißes aufhören muß, das das längste Leben vor anderen billig verdient hätte!“ Wotschke, Aus Briefen Strobels, 235 f. 321 Vgl. Historische Litteratur, 1. Stück, 1782, 534 f. 322 Kirchner zeigt auf, wie allein bei den theologischen Zeitschriften ein rapides Wachstum zu verzeichnen war. Existierten beispielsweise in dem Jahrzehnt von 1711–1720 15 theologische Zeitschriften, so waren es 1771–1780 50 und 1781–1790 bereits 88. Vgl. Kirchner, Grundlagen 2, 337. Diese Zahlen dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es unter diesen nur wenige theologische Zeitschriften mit großer Bedeutung gab. Oftmals war die Qualität gering und die Blätter waren nur von kurzer Dauer. Vgl. Kirchner, Das deutsche Zeitschriftenwesen, 82.114 f. Viele Zeitschriften mussten außerdem nach dem dritten oder vierten Jahrgang bereits wieder eingestellt werden. Vgl. Spehr, Gelehrte Buchkritik, 275. 323 Siehe die Information in der Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung, 1. Stück, 1777, 8. 324 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 119.184. 325 Vgl. Kirchner, Grundlagen 2, 143. 326 Vgl. Kirchner, aaO., 206. 327 Vgl. Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, 241. 328 Vgl. Kirchner, Grundlagen 2, 143. – Neben den Rezensionen, die den Großteil der Zeitschrift ausmachten, wurden auch Anzeigen geschaltet, wie etwa das Vorlesungsverzeichnis
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reich, Bayern, Schwaben und Franken.329 Döderlein war vor allem für Buchbesprechungen aus dem theologischen Fachbereich zuständig.330 Mithilfe dieser Rezensionen verbreiteten Döderlein und seine Mitstreiter neologisches Gedankengut bei den Pfarrern und Gebildeten im Nürnberger Raum.331 Diese Zeitung war hier das „neologische Sprachrohr“332 schlechthin. Klaus Leder konstatiert, dass die Bedeutung der „Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung“ für den Einzug neologischen Denkens in diesem Gebiet nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.333 Allerdings wurde die Verbreitung aufklärerischen Denkens nicht überall positiv gesehen. Im Jahresrückblick Ende 1777 formulierten die Herausgeber selbst, dass es viele Leser und Nichtleser gegeben habe, die sich über diese Zeitschrift beschwert hätten.334 Auch in Synoden und Kirchenkonventen gab es „manchen Seufzer“ über dieses Journal.335 Trotzdem nahm die Zahl der Leser zu,336 so dass sich die Zeitung auf dem Markt behaupten konnte. 2.3. Auserlesene Theologische Bibliothek (ATB) Nachdem Döderlein einige Erfahrungen im Zeitschriftenwesen gesammelt hatte, sowohl als Beiträger, als auch als Herausgeber – und hierbei sowohl das Scheider Universität Altdorf. Man findet beispielsweise das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1777/1778 in der Nürnbergische[n] gelehrte[n] Zeitung, 86. Stück, 1777, 719–722. 329 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung auf das Jahr 1777 nebst Beylagen und Register, Vorrede, [4]; vgl. Wotschke, Aus Briefen Strobels, 232. 330 Neben Döderlein wurden theologische Schriften noch von dem Sulzbacher Pfarrer Seidel, von dem Oettinger Superintendent Georg Heinrich Lang und einer Person Namens Oyr, über deren Identität keine näheren Informationen herausgefunden wurden, rezensiert. Vgl. Wotschke, aaO., 233. – Nähere Zuordnungen sind wieder aufgrund der Anonymität nicht möglich. 331 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 184. 332 Ebd. – Zeitschriften dienten in der Aufklärung meistens als Sprachrohre einer bestimmten Position, für die das Publikum gewonnen werden sollte. Vgl. Ursula Goldenbaum, Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1697–1796. Einleitung (in: Appell an das Publikum. Die öffentliche Debatte in der deutschen Aufklärung 1687–1796. Teil 1, hg. v. Ders., Berlin 2004, 1–118), hier 98. 333 Vgl. Leder, aaO., 184. 334 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung auf das Jahr 1777 nebst Beylagen und Register, Vorrede, [1]. – In der Vorrede wurden auch noch andere Kritiker genannt: „Daß ein paar Schriftsteller namentlich und förmlich – mit hölzernen Säbeln – gerußten Bärten und papiernen Schießgewehren gegen uns in das Feld gezogen sind, wird der Leser so gut, als wir, vergessen haben. Denn wer wird im Winter noch an den Stich der Sommermücke denken? – Daß einige von unsern auswärtigen Herren Mitkollegen – nur so im Vorbeygehen – das Näsgen gegen uns gerümpft haben, hat unter den Recensenten nicht viel zu bedeuten. Theils muß man das so genau nicht nehmen, und theils weiß man ja ohnehin, daß Klempern zum Handwerk gehört. Manche Nase ist noch überdieß schon von Natur etwas krumm gewachsen, und manche hängt in einem so fatalen Gleichgewicht, daß sie sich leicht vom Winde hin und her wehen läßt.“ Nürnbergische gelehrte Zeitung, aaO., [2]. 335 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 109. – Zum teilweise problematischen Verhältnis von Döderlein zur Nürnberger Pfarrerschaft siehe Kapitel A/I, 2. 336 Vgl. Wotschke, Aus Briefen Strobels, 233.
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tern („Literarisches Museum“) als auch den Erfolg („Nürnbergische gelehrte Zeitung“) kennengelernt hatte –, publizierte er von 1780 bis 1792 in insgesamt vier Bänden die „Auserlesene Theologische Bibliothek, darinnen von den wichtigsten theologischen in- und ausländischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird“ beim Verleger Johann Gottlob Immanuel Breitkopf. Diese Rezensionszeitschrift, für deren Herausgabe er allein zuständig war, stellt, obgleich es nicht ausdrücklich vermerkt wurde, das Fortsetzungsorgan der ebenso bei Breitkopf erschienenen „Neue[n] Theologische[n] Bibliothek“337 (1760–1769) beziehungsweise der „Neueste[n] Theologische[n] Bibliothek“338 (1771–1777) von Johann August Ernesti dar.339 Ernestis Zeitschrift wiederum führte die von dem Frankendorfer Pfarrer und späteren Göttinger Professor und Danziger Senior und Oberpfarrer Friedrich Wilhelm Kraft im Jahr 1741 gegründete Zeitschrift „Nachrichten von den neuesten theologischen Büchern und Schriften“ (unter seiner Herausgeberschaft von 1741–1745) weiter, die 1746 von Kraft in „Neue theologische Bibliothek“340 (1746–1758) umbenannt wurde. Döderlein gliederte sich in diese Fortsetzungskette ein und knüpfte mit seiner Titelwahl zudem an eines der ersten theologischen Rezensionsjournale an, an die „Auserlesene Theologische Bibliothec“341 (1724–1736) des Weimarer Gymnasiallehrers und späteren Hofpredigers Johann Christoph Colerus.342 Für Döderlein bedeutete die Herausgabe dieser Rezensionszeitschrift eine enorme Chance, seinen Wirkradius zu vergrößern, zumal die Zeitschrift bereits etabliert war und über einen großen Abnehmerkreis verfügte.343 Die Übertragung dieser Aufgabe auf Döderlein lässt erkennen, dass er in der gelehrten Welt aufgrund seiner exegetischen Arbeiten als geeigneter Nachfolger Ernestis emp337 „Neue Theologische Bibliothek, darinnen von den neuesten theologischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird“. 338 „Neueste Theologische Bibliothek, darinnen von den neuesten theologischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird“. 339 Zu Ernestis Zeitschrift: Graf, Theologische Zeitschriften, 358 f.; Kippenberg, Art. Zeitschriften, 666; Spehr, Gelehrte Buchkritik, 282 f. – Graf bestimmt 1771 als das Jahr, an dem Ernesti die Arbeit an dieser Zeitschrift übernahm, was nicht korrekt ist. Vgl. auch Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [7]. 340 „Neue theologische Bibliothek, darinnen von den neuesten theologischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird“. – Die Umbenennung und der Wechsel des Verlags, die Zeitschrift wurde nun bei Breitkopf in Leipzig herausgegeben, erfolgte aufgrund von Streitigkeiten zwischen Kraft und seinem Verlag Gollner in Jena. Zu Kraft: Kippenberg, Art. Zeitschriften, 666; Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [6]; Spehr, Gelehrte Buchkritik, 281 f. 341 „Auserlesene Theologische Bibliothec. Oder Gründliche Nachrichten von Denen neuesten und besten Theologischen Büchern und Schrifften“. 342 Vgl. Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [6]. Zu Colerus besonders Müller, Die Anfänge des theologischen Zeitschriftenwesens und Spehr, Gelehrte Buchkritik, 280 f. 343 Vgl. Kirchner, Grundlagen 1, 76. – Ernestis Zeitschrift verfügte über eine Auflage von 2.500 Exemplaren, die 1771 noch um 500 Exemplare erhöht wurde. Diese Auflagengröße war damit höher als beispielsweise Nicolais AdB mit 1.500 beziehungsweise 1.800 Exemplaren. Vgl. Kirchner, aaO., 42.46.51.
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funden wurde.344 Die Änderung des Titels unter Döderleins Leitung wiederum hing nicht nur mit ihm als dem neuen Herausgeber zusammen, sondern hatte auch verkaufstechnische Gründe. Mit einem abgeänderten oder neuen Titel sollte bei den Lesern und Abonnenten neues Käuferinteresse geweckt werden.345 Der Titel „Auserlesene Theologische Bibliothek, darinnen von den wichtigsten theologischen in- und ausländischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird“ wollte nicht nur verkaufstechnisch eine Zäsur setzen, sondern traf gleichermaßen eine Aussage über die Programmatik der Zeitschrift, die Döderlein in der Vorrede seines ersten Bandes darlegte. Er versprach dem Leser, dass dieser einen sorgfältigen Überblick über die theologische Literatur, „unpartheyische[] Urtheile[], welche über die wichtigsten neuen Schriften gefällt werden“, „eingestreute[] Anmerkungen“ und „Berichtigung mancher Sätze und Meynungen“ erhalte.346 Dabei wollte Döderlein, der die Artikel hauptsächlich selbst verfasste,347 nicht nur auf deutschsprachige Publikationen eingehen, sondern in Anknüpfung an Kraft und Ernesti auch Schriften aus dem Ausland vorstellen und besprechen.348 Das war ein Vorzug, den andere theologische Zeitschriften nicht boten.349 Allerdings wollte Döderlein bewusst nicht alle neu erschienenen Schriften aufnehmen, sondern eine Auswahl treffen. Als Kriterien für diese Auswahl bestimmte er: „[I]ch [beurteile] hier die Wichtigkeit einer Schrift bloß nach dem […], was ich, oder nach meiner Hoffnung, der größere Theil gelehrter Leser, daraus lernen können: nach ihrem Innhalt, wenn er für die Religion und Theologie wichtig ist; nach ihrer Ausführung, wenn sie neu ist, oder seyn soll: und nach der Brauchbarkeit, die sie, nicht eben fürs gemeine Leben (denn sonst würden Predigtbücher, Erbauungsschriften u. dergl. die Hauptklasse ausmachen), sondern zur Beförderung der reinen und wahren theologischen Gelehrsamkeit hat.“350
344 Vgl. etwa die Rezension über den ersten Band der ATB in den Gothaische[n] gelehrte[n] Zeitungen, 22. Stück. 1780, 169: „Die Liebhaber der vormaligen berühmten Ernestischen theologischen Bibliothek können dieses neue Journal als eine Fortsetzung jener mit allgemeinem Beyfall aufgenommenen Bibliothek ansehen, und die bekannten Verdienste des Hrn. Doct. [Döderlein] geben uns die gewisseste Versicherung, daß jener Verlust auf die beste und würdigste Art werde ersetzt werden.“ 345 Vgl. Habel, Deutschsprachige Rezensionszeitschriften, 52 und Habel, Gelehrte Journale, 92. 346 Doederlein, ATB 1, 1780, Vorrede, 5. 347 Vgl. Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 109; Wotschke, Aus Briefen Strobels, 235; ALZ, 2. Bd., Nr. 105, 1785, 125. – Einmal markierte Döderlein einen Artikel mit einem Stern (*), um anzuzeigen, dass dieser Artikel nicht von ihm verfasst worden ist: siehe ATB 4, 1792, drittes Register, [937]. 348 Vgl. Doederlein, ATB 1, 1780, Vorrede, 7. – Kraft hatte sich bei seiner Anzeige ausländischer theologischer Neuerscheinungen auf französisch- und englischsprachige Werke konzentriert. Vgl. Graf, Theologische Zeitschriften, 358. 349 Vgl. Nürnbergische gelehrte Zeitung, 21. Stück, 1780, 164. 350 Doederlein, ATB 1, 1780, Vorrede, 6 f.
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Döderlein grenzte sich hier ausdrücklich von Erbauungsschriften ab. Ihm ging es um Schriften, von denen er sich einen Impuls für den Diskurs innerhalb der theologischen Wissenschaft versprach.351 Seine Zeitschrift sollte in diesem Diskurs das „kritische[] Forum“352 sein, weshalb er sich auch dagegen verwahrte, einer bestimmten theologischen Richtung zugeordnet zu werden: „Bey den Gährungen in der Theologie ists nicht bloß Mode, sondern natürliche Würkung, daß man fragt, zu welcher Klasse der Journalist gehöre? – Gott Lob! daß ich keine Fesseln einer Schule trage: daß der vernünftige Theil gesteht, der freymüthige Theolog sey nicht sogleich ein anbrüchiger: und daß ich von Gott hoffen kann, er werde auch in diesem Stücke mich für Gefahr des Irrthums bewahren und meine redlichen Absichten zur Beförderung der Religion und ächten Theologie nicht ungesegnet seyn lassen.“353
Bei dem Aufbau der einzelnen Stücke lehnte sich Döderlein an Ernestis Struktur an. Wie bei Ernestis „Bibliothek“ wurden zunächst Besprechungen von einzelnen Büchern geboten. Bei Döderlein waren es meistens fünf bis sieben Rezensionen,354 dem die Kategorie „Andere theologische Schriften“355 folgte. Unter dieser Sammelüberschrift wurden kleinere Abhandlungen und Disputationen besprochen. Der Umfang dieser Kategorie variierte stark, sowohl was die Anzahl der besprochenen Schriften als auch was den Seitenumfang betraf.356 Döderlein nutzte diese Zeitschrift aber nicht nur für Rezensionen und eingeschobene Kommentare, sondern ebenso, um dem Publikum seine eigenen Schriften vorzustellen357 und anzukündigen358 sowie um Missverständnisse, die seine Person betrafen, richtig zu stellen.359 Den Abschluss eines jeden Bandes 351 Allerdings nahm er dann doch vor allem im dritten und vierten Band der ATB vereinzelt Predigtbücher zur Besprechung auf. 352 Doederlein, ATB 1, 1780, Vorrede, 5. 353 Doederlein, aaO., 8 f. 354 Einmal sind es nur drei (ATB 2, 7. Stück, 1782) und zweimal sind es sogar acht Rezensionen (ATB 4, 1. Stück, 1787 und 5. Stück, 1788). Meistens sind es sechs (25x). – Viele der Rezensionen waren so aufgebaut, dass Döderlein zunächst seine eigenen Gedanken zu dem Thema präsentierte und dann die Schrift selbst vorstellte. Siehe Döderleins Anmerkung in der ATB 4, 9. Stück, 1790, 688. 355 Döderlein verwendete diese Überschrift sehr oft. Gelegentlich gab er diesem Teil allerdings auch die Titel „Andere theologische Schriften und Disputationen“, „Andere theologische Schriften und Dissertationen“, „Andere theologische Schriften und Predigten“ oder ähnliche. 356 Meistens wurden bis zu vier Schriften rezensiert. Es kam aber auch vor, dass acht Abhandlungen thematisiert wurden. Der Seitenumfang reicht von einer bis zu 28 Seiten. 357 So stellte er beispielsweise im ersten Band das Anliegen und die Gliederung seiner „Institutio“ (ATB 1, 1. Stück, 1780, 73–76) und seines Buches „Ueber die christliche Fürbitte“ (ATB 1, 12. Stück, 1781, 937 f.) vor. 358 In dem zweiten Band kündigte er zum Beispiel an, dass die zweite Auflage seiner Dogmatik vollendet sei und dass ein Auszug aus der Dogmatik gedruckt wurde: „Summa institutionis Theologi Christiani“. Vgl. ATB 2, 7. Stück, 1782, 554. 359 Döderlein beklagte beispielsweise, dass eine Predigt, die er zu seinem Abschied in Altdorf gehalten hatte, unerlaubterweise unter seinem Namen gedruckt worden sei. Er erklärte diese Druckfassung für untergeschoben, unecht und seinem Predigtstil nicht entsprechend.
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bildete das Register, das vergleichbar mit Ernestis „Bibliothek“ in drei Kategorien untergliedert war: nach dem Verfasser/den Schriften, den Bibelstellen und den Themen.360 Diese für den Leser ungemein hilfreiche Handreichung eines Registers war zu dieser Zeit essentiell, um auf dem Markt bestehen zu können.361 Dem Forscher und der Forscherin gibt dieses Register heute einen Überblick darüber, aus welchen theologischen Fachgebieten die einzelnen Rezensionen stammen. Grundsätzlich nahm Döderlein Bücher und Abhandlungen aus allen Fachbereichen der Theologie auf. Christopher Spehr ermittelte, dass im Vergleich von Ernestis erstem und Döderleins letztem Band die Zahl der Buchbesprechungen in der systematischen Theologie aufgrund der Auseinandersetzungen um die kantische Philosophie leicht angestiegen waren und nach wie vor exegetische, vor allem das Alte Testament betreffende Besprechungen dominierten.362 Döderlein veröffentlichte zum Alten Testament keine Kommentare mehr, sondern nutzte nun dieses Medium der Zeitschrift, um exegetische Anmerkungen zu treffen.363 Mit dieser Programmatik und dieser Konzeption seiner ATB hatte Döderlein Erfolg. Er thematisierte zwar noch in der Vorrede zum ersten Band zwei ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig auftretende Probleme: Nämlich erstens, dass aufgrund des rapide angewachsenen Zeitschriftenmarktes oft viele Zeitschriften mit einer ähnlichen Ausrichtung nebeneinander existierten, und zweitens, dass viele Journale nach einer kurzen Lebensdauer wieder eingingen.364 Döderlein hob in der Vorrede deshalb hervor, dass sein Journal nicht als Konkurrenzblatt angesehen werden solle, weil jedes Blatt seine eigene Absicht, Zielgruppe und Charakteristik habe.365 Er war außerdem zuversichtlich, was die Lebensdauer seiner Zeitschrift betrifft.366 Diese Zuversicht sollte sich als berechtigt erweisen. Obgleich der Verlag den Verkaufspreis im Vergleich zu Ernestis Organ von ein auf zwei Groschen erhöht „Vor dergleichen Produkten unsern Nahmen zusehen, ist in unsern Augen wahre Entehrung, gegen welche wir uns so feyerlich als gegen jedes Pasquill verwahren müssen.“ Gleichzeitig kündigte er an, dass er die „ächte Predigt“ drucken lassen wolle. Doederlein, ATB 2, 7. Stück, 1782, 553 f. 360 Die Register sind im ersten Band der ATB folgendermaßen betitelt: „Erstes Register über die in diesem Band angezeigten Bücher und Schriften“, „Zweytes Register über diejenigen Schriftstellen, davon in diesem Bande Uebersetzungen und Erklärungen vorkommen“ und „Drittes Register über die vornehmsten Sachen“. 361 Vgl. Thomas Habel, Deutschsprachige Gelehrte Journale und Zeitungen (in: Quellen zur frühneuzeitlichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven [Wolfenbütteler Forschungen 128], hg. v. Ulrich R asche, Wiesbaden 2011, 341–398), hier 385. 362 Vgl. Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [10]. 363 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 175. 364 Siehe oben Anm. 322. 365 Vgl. Doederlein, ATB 1, 1780, Vorrede, 4. „[J]edes [geht] seinen eignen Gang […], und sie [können] […] alle neben einander […] gelesen werden, ohne Gefahr, durch den Gebrauch des einen das andre ganz unnütz zu finden.“ Doederlein, aaO., 5. 366 Vgl. ebd.
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und in Erwartung einer aufgrund der Preiserhöhung zurücktretenden Abonnentenzahl die Auflagenhöhe von 3.000 auf 1.500 Stück gesenkt hatte, wurde Döderleins ATB vom Publikum äußerst positiv angenommen.367 Die Nachfrage war groß, so dass die Auflage bereits 1781, im zweiten Jahr des Bestehens, auf 2.500 erhöht wurde368 und diese Zeitschrift so zur auflagenstärksten im Breitkopfschen Verlag avancierte.369 Insgesamt zählte die ATB zu den absatzstärksten Fachzeitschriften in Deutschland.370 Auch in Rezensionen über dieses kritische Organ wurde Zuspruch geäußert. So behauptete beispielsweise der Rezensent in den „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen“, dass die Rezensionen der ATB dem Leser einen durchdachten und sicheren Leitfaden für die eigene Lektüre geben würden.371 Die ALZ bescheinigte der ATB wiederum einen großen Wert für den theologischen Diskurs.372 Für Döderlein selbst bedeutete diese Zeitschrift einen ungeheuren Prestigegewinn. Friedrich von Schlichtegroll konnte im „Nekrolog“ folglich schreiben: „[V ]on 1780 an erschien seine eigne theologische Bibliothek, […] die den Ruhm, den er sich durch […] [seine] Schriften erworben hatte, vollendete und sicherte, indem sie ihn in eine fortgehende Verbindung mit dem gelehrten Publicum setzte.“373 Dieses Publikum bestand ähnlich wie bei Ernesti vor allem aus der jüngeren Pfarrerschaft, die das Ideal eines gelehrten und aufgeklärten Predigers verfolgten und für die die Zeitschriftenlektüre daher selbstverständlich war.374 In einigen Regionen wurde von den Pfarrern die Lektüre von Fachzeitschriften allerdings auch von der kirchlichen Obrigkeit gefordert.375 Mit Absatzschwierigkeiten oder mangelndem Interesse bei der Leserschaft hatte Döderlein dementsprechend nicht zu kämpfen. Was sich allerdings als pro367 Vgl. Kirchner, Grundlagen 1, 76 f. – Zur Auflagenhöhe siehe Kirchner, aaO., 41 f. – Kirchner analysiert, dass der Reingewinn des Verlags vorher zu gering war, weshalb der Preis nun verdoppelt werden musste, selbst auf die Gefahr hin, damit Abonnenten zu verlieren. Vgl. Kirchner, aaO., 80. 368 Vgl. Kirchner, aaO., 77. 369 Vgl. Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [10]. – Die ATB lag damit weit über der Auflagenhöhe von 1.000 Exemplaren, die nötig war, um einen längeren Bestand der Zeitschrift garantieren und für den Verleger ein rentables Geschäft ermöglichen zu können. Auflagen über 2.000 Exemplare zählen für diese Zeit zu den Seltenheiten. Vgl. Kirchner, Grundlagen 1, 49.54–56. 370 Vgl. Spehr, ebd. 371 Vgl. Beytrag zu den Erlangischen gelehrten Anmerkungen, 38. Woche, 1786, 596. 372 Vgl. ALZ, 2. Bd., Nr. 105, 1785, 125. Der Rezensent formulierte zudem: „Dies Journal behauptet seinen Werth und sein Ansehn, insbesondere durch die Auswahl der recensirten einheimischen und auswärtigen Schriften, durch Mannichfaltigkeit der Artikel, Gründlichkeit, und Unparteylichkeit der Urtheile, auch gelegentlich eingemischte lehrreiche und freymüthige Untersuchungen.“ Ebd. Gleichzeitig wurde vom Verleger Breitkopf aufgrund einiger Druckfehler eine genauere Korrektur gewünscht. 373 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 109. 374 Vgl. Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [7.10]. Dazu auch Kirchner, Grundlagen 1, 42 und Graf, Theologische Zeitschriften, 360 f. 375 Vgl. Graf, aaO., 361.
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blematisch erweisen sollte, war das periodische Erscheinen der ATB. Döderlein hatte ursprünglich geplant, dass monatlich je ein Stück von 80 Seiten376 erscheinen sollte. Die zwölf Stücke eines Jahres sollten dann mit fortlaufender Paginierung einen Band ergeben. Dieses Vorhaben ließ sich allerdings nicht umsetzen. Bereits die ersten zwölf Stücke des ersten Bandes zogen sich über zwei Jahre (1780/1781).377 Auch der zweite Band umfasste Einzelstücke aus mehreren Jahren.378 Döderlein hatte so beispielsweise im Jahr 1783 nur drei Stücke produziert. Gleichermaßen zeugen der dritte und vierte Band von dem unregelmäßigen Erscheinen der einzelnen Teile.379 Döderlein war sich der Problematik dieser Verzögerungen bewusst. Er versuchte, beim Leser Verständnis zu erhalten, indem er beispielsweise im 12. Stück des dritten Bandes auf die „traurigen Zerstreuungen“380 hinwies, die dazu geführt hätten, dass seine Arbeit liegen geblieben sei. Mit diesen „Zerstreuungen“ verwies er auf den Tod seiner Ehefrau Rosina Maria Döderlein, geborene Merklein.381 Allerdings betraf dieses Problem der zeitlich verzögerten Herausgabe von Zeitschriften nicht nur Döderlein. Viele kritische Journale erschienen trotz ihres periodischen Charakters unregelmäßig, was unter anderem der Anzahl und Arbeitskapazität der Mitarbeiter sowie der Materiallage geschuldet war.382 Für Döderlein war dieses unregelmäßige Erscheinen aber ein Grund, dass er trotz des Erfolges der ATB die Einstellung dieser Zeitschrift im vierten Band ankündigte. Döderlein schrieb, dass „das Publikum mit der Art, der Wahl und dem Ton dieses Journals [zwar] zufrieden war“383, er aber aufgrund von „[m]ehrere[n] Ursachen […] diese theologische Bibliothek, die zwar mit langsamem Schritt, aber doch ununterbrochen fortlief, mit diesem Bande schließe[n]“384 wolle. Neben der zeitlichen Verzögerung der einzelnen Stücke bewogen Döderlein wohl auch der enorm große Arbeitsaufwand dieser Zeitschrift zu diesem Schritt. Döderlein konnte und wollte diesen Zeitaufwand und diese Anstrengung auf Dauer neben seinen universitären Verpflichtungen und eige376 Dieser Umfang war eine Vorgabe vom Verlag. Wenn Döderlein mehr Text unterbringen wollte, wurde das Druckbild auf den letzten Seiten verkleinert: siehe beispielsweise ATB 2, 11. Stück, 1784, 874–876. 377 Stück 1–7 von 1780; Stück 8–12 von 1781. 378 Stück 1–7 von 1782; Stück 8–10 von 1783; Stück 11–12 von 1784. 379 Bd. 3: Stück 1–3 von 1784; Stück 4–8 von 1785; Stück 9–11 von 1786, Stück 12 von 1787 – Bd. 4: Stück 1–3 von 1787; 4–8 von 1788; Stück 9 von 1790; Stück 10 von 1791, Stück 11–12 von 1792. – Vom vierten Band sind die ersten beiden Stücke sogar vor dem 12. Stück des dritten Bandes erschienen, weil das Register die Herausgabe verzögerte. Vgl. Beytrag zu den Erlangischen gelehrten Anmerkungen, 44. Woche, 1787, 691. 380 Doederlein, ATB 3, 12. Stück, 1787, 935. 381 Auch in der Vorrede zum dritten Band seines „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ wies er auf diesen Verlust hin. Siehe oben Anm. 83. 382 Vgl. Habel, Gelehrte Journale, 94. 383 Doederlein, ATB 4, 12. Stück, 1792, Vorrede, [I]. 384 Ebd.
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nen Publikationen nicht mehr alleine tragen. Um diesen Zustand zu beenden, stellte er die ATB ein, kündigte aber gleichzeitig eine Fortsetzungszeitschrift ab Juli 1792 an, an der mehrere Gelehrte gemeinsam arbeiten sollten: das „Theologische Journal“. Dieser veränderte Titel sollte erneut Ausdruck einer Zäsur sein und das Interesse der Leser neu beleben. 2.4. Theologisches Journal „Bey dem jezigen Zustand der Religion, der Theologie und der Literatur wird es zwar täglich mehr bedenklich, den kritischen Schriftsteller zu machen: denn wer kann ohne Schrecken die Menge, und ohne Verwirrung die Beschaffenheit der meisten theologischen Produkte ansehen? wer sollte es wagen, bey den noch fortdauernden Gährungen zwischen alter und neuer Theologie, bey der ungleichartigen Thätigkeit der speculativen und der empfindenden Schriftsteller, bey den wetteifernden Versuchen, womit bald das ältere System vertheidigt, bald das erworbene neue Terrain cultivirt, und bald auch auf dieses der hinreisende Strom einer neuen Philosophie hingeleitet wird, um es zu befruchten, oder […] auszurotten, und bey den Erfahrungen, wie anstösig Freymüthigkeit […] bey vielen ist: Wer nicht für uns ist, ist wider uns, wer sollte es hiebey wagen, sich die Last des Lesens so vieler Schriften aufbürden, den Zorn und die Rache ungelobter Schriftsteller zuzuziehen“.385
Mit diesen Worten eröffnete Döderlein seine neue Zeitschrift, das „Theologische Journal“, deren erstes Stück im Juli 1792 erschien. Diese Vorrede ermöglicht ähnlich wie die Vorrede zur ATB einen Einblick in den Zustand der Theologie und die Zeitschriftenlandschaft am Ende des 18. Jahrhunderts. Döderlein verwies hier auf die große Menge an Publikationen, die immer unüberschaubarer wurde. Er thematisierte die Spannungen zwischen den verschiedenen theologischen Strömungen und sprach die Leiden eines Kritikers an. Das alles konnte ihn aber nicht von seiner Tätigkeit als Kritiker abschrecken.386 Es waren vor allem drei Aspekte, die ihm in seinem Dasein als Zeitschriftenherausgeber und Rezensent bestärkten. Döderlein nannte als erstes das Publikum, das seine Arbeiten als Gewinn für die theologische Literatur betrachtete. Als zweites bescheinigte er sich selbst einen Nutzen von seiner Tätigkeit. Denn er könne über seine Zeitschrift „gute Bemerkungen in Umlauf, neue Vorstellungen zur Bekanntschaft und selbst unreife Gedanken zum prüfenden Nachdenken unter mehrere Leser […] bringen“387. Und drittens behauptete er, dass die theologischen Wissenschaften ansonsten über kein „ganz zweckmäsiges kritisches Journal“388 verfügen würden. 385 Theologisches Journal 1, 1. Stück, 1792, Vorrede, IIIf. 386 Vgl. Theologisches Journal, aaO., V. 387 Theologisches Journal, aaO., Vf. 388 Theologisches Journal, aaO., VII. „Welche beträchtliche Lücken durchaus alle gelehrte Zeitungen, selbst die allgemeine Literatur-Zeitung, die bisher kaum den fünften Theil der in Deutschland erschienenen theol. Schriften recensirt hat, in der Anzeige und Beurtheilung der theologischen Bücher übrig lassen, ist ohnehin bekannt: und, so interessant für mehrere Leser auch die Annalen der theologischen Literatur und die Seilerischen gemeinnützigen Betrachtungen sind, so bin ich doch nicht der einzige, der es bezweifelt, ob sie als Journale für
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Gleichzeitig betonte er wie in der Vorrede zur ATB, dass jeder Schriftsteller sein Publikum habe und mehrere theologische Journale nebeneinander existieren könnten.389 Das „Theologische Journal“ stand nicht nur mit seiner Vorrede, sondern auch mit seinem Aufbau und Profil ganz in der Tradition der ATB. Es wurden deutschund fremdsprachige Schriften390 in mehreren Rezensionen pro Stück besprochen. Drei Neuerungen gegenüber der ATB gab es allerdings: Es wirkten mehrere Gelehrte daran mit391 und die Zeitschrift erschien bei einem anderen Verlag, nämlich im Eigenverlag bei Döderlein selbst und den Universitätsbuchhändlern Monath und Kußler in Nürnberg, über deren Verlag Döderlein bereits mehrere seiner Schriften, wie etwa den „Christliche[n] Religionsunterricht“ herausgegeben hatte.392 Zudem verließ die Zeitschrift ihren ausschließlichen Rezensionscharakter, indem theologische Aufsätze mit in das Programm aufgenommen wurden. Das „Theologische Journal“ erhielt damit eine Zweiteilung: Es wurden immer ein Aufsatz und mehrere Rezensionen geboten. Döderlein hatte diese Erweiterung vollzogen, weil ihm zwei Dinge aufgefallen waren. Er stellte erstens fest, dass wichtige Aufsätze für Theologen zwar in der „Berlinische[n] Monatsschrift“ und dem „Teutsche[n] Merkur“ publiziert wurden, diese aber oft von Theologen und Predigern aufgrund ihrer finanziellen Lage oder aufgrund von Vorurteilen gegenüber diesen Journalen nicht wahrgenommen wurden. Diese Aufsätze erreichten also nicht die Breitenwirkung, die Döderlein erhoffte. Zweitens gab es seiner Meinung nach einige nützliche Abhandlungen, die aus Angst vor Unannehmlichkeiten unter Verschluss gehalten wurden. Für solche Unterdie Wissenschaft das Zeitbedürfniß vollkommen stillen, und den Leser eben so glücklich in die abgehandelte Materie hineinführen, wie er durch sie mit den angezeigten Büchern bekannt wird.“ Ebd. (Hervorhebung von Döderlein) – Die Herausgeber der ALZ griffen die Behauptung, sie hätten kaum den fünften Teil der theologischen Schriften rezensiert, in ihrem Intelligenzblatt auf und widersprachen ihr. Es wurde gefragt, auf welche Zahlen sich Döderlein berufe und eine Gegenrechnung aufgestellt. Diese Rechnung ergab, dass die ALZ mindestens 3/5 der erschienenen theologischen Literatur rezensiert habe. Außerdem wurde angemerkt, dass Schriften, die bisher nicht besprochen wurden, noch rezensiert werden könnten, da es doch keinen „Terminum praeclusivum“ gebe. Die Herausgeber waren um das Ansehen und die Bedeutung der ALZ besorgt und ließen deshalb die Behauptung Döderleins nicht gelten. Vgl. Intelligenzblatt der ALZ, Nr. 121, 1792, 999 f. Döderlein wiederum antwortete auf diesen Artikel in dem fünften Stück seines „Theologische[n] Journal[s]“. Er vermutete, dass die Direktion der ALZ offenbar „aus triftigen Ursachen“ „gegen eine sehr unschuldige Aeuserung“ eine Verteidigung eingerückt habe. Döderlein wollte, sobald er Zeit finde, seinen Lesern eine Berechnung vorlegen, an der ersichtlich wird, wer in dieser Sache Recht habe. Theologisches Journal 1, 5. Stück, 1792, [1]. 389 Vgl. Theologisches Journal 1, 1. Stück, 1792, Vorrede, VII f. 390 Vgl. Theologisches Journal, aaO., VIII f. 391 Vgl. Theologisches Journal, aaO., IX. 392 Johann Caspar Monath und Johann Friedrich Kußler leiteten diesen Verlag. Sie hatten ihn von Georg Peter Monath (1715–1788), dem Vater Johann Caspar Monaths, übernommen, der auch bereits Schriften Döderleins, wie die „Institutio“ und die ersten Bände des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“, verlegt hatte.
IV. Döderleins Tätigkeit als Rezensent und Zeitschriftenherausgeber
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suchungen wollte das „Theologische[] Journal“ ein „Vereinigungspunkt“ sein. Hier sollten derartige Schriften auch anonym publiziert werden, die dann, anders als beispielsweise bei der „Berlinische[n] Monatsschrift“, von den Theologen und Predigern wirklich gelesen werden sollten.393 Um dieses ambitionierte Vorhaben, das „Theologische[] Journal“, gewährleisten zu können, rief Döderlein die „edlen Männer und die patriotischen Theologen Deutschlands“394 zur Unterstützung seines Unternehmens auf. Im Gegensatz zur ATB gelang es Döderlein 1792, monatlich ein Stück des „Theologischen Journals“ herauszugeben. Im Jahr 1792 erschienen also sechs Stücke von jeweils 91 Seiten.395 Döderleins Tod am 2. Dezember 1792 beendete sein neu begonnenes Projekt allerdings bereits nach einem halben Jahr Bestehen. Damit war „die Hofnung einer langen Dauer seines theologischen Journals“396 zerschlagen, wie Christoph Friedrich Ammon und Heinrich Carl Alexander Hänlein formulierten. Sie empfanden Döderleins Tod nicht nur als einen persönlichen Verlust, sondern auch für die Theologie selbst, „die eine kritische unbefangene Zeitschrift […] unter ihre nöthigen Bedürfnisse rechnet“397. Beide übernahmen deshalb seit Januar 1793 die Herausgabe von Döderleins Zeitschrift unter dem Titel „Neues theologisches Journal“. Sie behielten sowohl das monatliche Erscheinen als auch den Aufbau (Abhandlung, Rezension) bei.398 Die bis auf Kraft und Ernesti zurückgehende und von Döderlein zwölf Jahre betreute kritische Zeitschrift wurde auch nach Hänlein und Ammon unter verschiedenen Titeln und von unterschiedlichen Theologen fortgeführt: Seit 1795 gab Heinrich Eberhard Gottlob Paulus dieses Organ heraus. Johann Philipp Gab393 Vgl. Theologisches Journal 1, 1. Stück, 1792, Vorrede, X–XII. – Döderlein nahm sich außerdem vor, Biographien berühmter verstorbener Prediger und Theologen für sein Theologisches Journal auszuarbeiten und abzudrucken. Er begann diese Arbeit mit einer Biographie über den Nürnberger Prediger, Professor und Bibliothekar Johann Sigmund Mörl. Aufgrund seines plötzlichen Todes konnte er diese Abhandlung aber nicht mehr beenden. Der Theologe Georg Theodor Strobel erhielt diese Ausführungen aus Döderleins Nachlass und veröffentlichte die Biographie, so wie sie Döderlein hinterlassen hatte. Strobel setzte dem nur noch einen Vorbericht und Anmerkungen bei. Vgl. der Vorbericht in Johann Christoph Döderlein, Leben und Verdienste Johann Sigmund Mörls vordersten Predigers, Professors und Bibliothekars in Nürnberg, Nürnberg/A ltdorf 1793. Daneben wurde Döderleins Biographie über Mörl auch in dem Nachfolgeorgan des „Theologische[n] Journal[s]“, im „Neue[n] theologische[n] Journal“ aus Achtung gegenüber Döderlein und seinem Vorhaben abgedruckt: [Johann Christoph Döderlein], Johann Sigmund Mörl (Neues theologisches Journal, 1. Bd., 3. Stück, 1793, 181–212). 394 Theologisches Journal 1, 1. Stück, 1792, Vorrede, XII. 395 Eine Ausnahme bildet nur das fünfte Stück, welches 99 Seiten umfasst. Dass Döderlein hier Platzprobleme hatte, lässt sich auch an dem kleineren Druckbild der letzten Seiten zeigen: siehe 451–456. 396 H[einrich] C[arl] A[lexander] Hänlein/C[hristoph] F[riedrich] Ammon, Vorrede (Neues theologisches Journal, 1. Bd., 1. Stück, 1793, [III]–VII), hier [III]. 397 Ammon, aaO., [III]f. 398 Vgl. Ammon, aaO., Vf.
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D. Döderleins Hauptschriften seiner zweiten Schaffensphase
ler übernahm die Redaktion 1798 und veröffentlichte die Zeitschrift bis 1801 unter dem Titel „Neuestes theologisches Journal“ und von 1801 bis 1804 unter dem Titel „Journal für theologische Literatur“. Gabler wechselte nochmals die Bezeichnung in „Journal für auserlesene theologische Literatur“. 1811 übernahm wieder Ammon die Herausgabe, ab dem vierten Stück gemeinsam mit Leonhard Bertholdt, unter der Aufschrift „Kritisches Journal der neuesten theologischen Literatur“.399 Ab dem fünften Band war Bertholdt bis 1823 der alleinige Herausgeber. Das Schlusslicht dieser langen Fortsetzungskette bildete das „Neue[] kritische[] Journal der theologischen Literatur“, welches von Georg Benedict Winer und Johann Georg Veit Engelhardt in neun Bänden von 1824 bis 1830 herausgegeben wurde.400 3. Zusammenfassung Döderlein war sich der Möglichkeiten und Chancen des Mediums Zeitschrift bewusst. Er beteiligte sich an Fachdiskursen als Verfasser von Rezensionen und veröffentlichte selbst mehrere Zeitschriften in unterschiedlichen Formaten. Hervorzuheben ist sein Engagement als Herausgeber der ATB. Döderlein leistete mit der ATB eine gewaltige Arbeit und investierte hier im Vergleich zu seinen anderen Zeitschriftenprojekten am meisten Zeit und Mühe. Diese Zeitschrift ist auch in der Rezeption am deutlichsten mit Döderleins Namen verbunden.401 Mit seiner ATB beförderte Döderlein die theologische Diskussion über bestimmte Fragestellungen, wie beispielsweise über Jesaja402, und informierte auf diese Weise die Leser über den neuesten Forschungsstand. Döderlein gab über seine Rezensionen und eingestreuten Kommentare, mit denen er sich von einem bloßen Inhaltsreferat abgrenzte,403 aufklärerische Impulse und verbreitete wie bereits Ernesti404 mit der historisch-kritischen und dogmenkritischen Ausrichtung seiner theologischen Zeitschrift neologisches Gedankengut.
399 Siehe die Darstellung in dem Kritische[n] Journal der neuesten theologischen Literatur, hg. v. Christoph Friedrich Ammon/L eonhard Bertholdt, 1. Bd., 4. Stück, 1814, Vorrede IVf. 400 Vgl. Kippenberg, Art. Zeitschriften, 667 f. 401 Über seine Mitarbeit an den anderen Journalen findet man nur sehr sporadisch Informationen. Das ist bei der ATB anders. 402 Siehe seine zum Jesaja-Diskurs beitragenden Rezensionen in ATB 1, 8. Stück, 1781, 565– 598; ATB 1, 11. Stück, 1781, 805–842; ATB 3, 2. Stück, 1784, 81–97; ATB 4, 8. Stück, 1788, 555– 579. 403 Döderleins Art des Rezensierens, nämlich wertende Urteile zu geben und sich von einer bloßen Darstellung des Inhalts abzugrenzen, ist Ausdruck des „modernen“ Rezensierens, wie es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblich wurde. Vgl. Habel, Deutschsprachige Rezensionszeitschriften, 57 f. 404 Vgl. Spehr, Aufklärerische Buchkritik, [8].
Zwischenergebnis D
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Zwischenergebnis D Döderlein erweiterte mit den hauptsächlich in Jena erarbeiten Schriften seiner zweiten Schaffensphase sein Œuvre um ein Wesentliches. Klaus Leders Bemerkung, Döderlein habe in seiner Jenaer Zeit „seinen produktiven Höhepunkt überschritten“405, ist daher unzutreffend. Zwar schrieb er seine „Institutio“ noch in Altdorf, aber auch die in Jena verfasste deutsche Dogmatik, der „Christliche[] Religionsunterricht“, ist Ausdruck seines schöpferischen, erfolgreichen Tuns. Die lateinische und deutsche Dogmatik brachten dem bisher vor allem als Exegeten bekannten Döderlein erneut Anerkennung in der gelehrten Welt. Seine „Sittenlehre“ wurde in Rezensionen gleichermaßen positiv besprochen. Sowohl seine Dogmatik als auch seine Ethik wurden Theologen, Predigern und gebildeten Nichttheologen wärmstens zum Kauf und gründlichem Studium empfohlen. Allerdings unterscheiden sich seine Dogmatik und „Sittenlehre“ in der späteren Rezeption. Wurden die „Institutio“ und der „Christliche Religionsunterricht“ auch noch nach Döderleins Tod als zeitgemäß empfunden, so galt die vorkantische „Sittenlehre“ bald als überholt. Döderleins weniger umfangreiche Schriften dieser Schaffensphase, seine Veröffentlichungen zum Thema Gebet, die sein Interesse an praktisch religiösen Fragen erkennen lassen, erreichten ebenso eine beachtliche Breitenwirkung. Seine Schrift über das Vater Unser wurde sogar in mehrere andere Sprachen übersetzt und lässt Döderleins Wirken auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes erkennen. Mit seinen Ausführungen über das Gebet partizipierte Döderlein am Diskurs über die praktischen Verbesserungen im Gottesdienst und im religiösen Alltag – einem maßgeblichen Anliegen der Aufklärungstheologen. Die Verbreitung von aufklärerischem Gedankengut wollte Döderlein aber nicht nur mit seinen Büchern erreichen. Über das Medium der Zeitschrift beteiligte sich Döderlein aktiv am Diskurs über verschiedene (aufklärungs-)theologische Themen und setzte sich hier zudem mit exegetischen Fragestellungen auseinander, die ihn überwiegend in seiner ersten Schaffensphase beschäftigt hatten.
405 Leder, Universität Altdorf, 168.
E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie in der Spätphase der Neologie Döderlein hat ein umfangreiches Œuvre hinterlassen, das von Predigten über exegetische Werke und dogmatische sowie ethische Ausführungen bis zu praktisch-theologischen Schriften reicht. In den voranstehenden Kapiteln wurden diese Publikationen vorgestellt und einer Analyse unterzogen. Wie er sich konkret zu bestimmten theologischen Themen und Fragestellungen äußerte sowie welche Grundvorstellungen Döderleins Theologie geprägt haben – diese Fragen blieben in der vorliegenden Studie bislang weitgehend unberücksichtigt. Im Folgenden soll deshalb auf Grundlage der Ergebnisse von Kapitel A bis D Döderleins theologisches Denken in Grundlinien skizziert werden. In einem ersten Abschnitt werden Themen erörtert, welche die Grundlagen von Döderleins Überlegungen bilden, und an denen sich das Gesamtverständnis seiner Theologie zeigen lässt. Dazu wird 1) sein Religionsbegriff beleuchtet, 2) seine Schriftverständnis sowie die Rolle der Vernunft in der Religion betrachtet, 3) Döderleins Perfektibilitätsdenken dargelegt und schließlich 4) sein Verständnis von Glaubensartikeln untersucht. Der zweite Abschnitt widmet sich Döderlein als einem Theologen der Mitte, da sich hier sein vermittelnder Standpunkt zwischen Tradition und Traditionskritik erkennen lässt. Es werden Lehren analysiert, die sowohl zu den gewichtigen Themen der Aufklärungstheologie gehören als auch eine Zentralstellung in Döderleins Dogmatik einnehmen. Demzufolge werden 1) seine Sündenlehre, 2) seine Christologie und Soteriologie und 3) sein Verständnis von Wundern dargestellt. Der Untersuchung von Döderleins theologischen Grundlinien liegen hauptsächlich dessen Ausführungen in dem „Christliche[n] Religionsunterricht“ zugrunde. Die vorliegende Studie konzentriert sich insbesondere auf Döderleins deutschsprachiges dogmatisches Werk, da es zum einen präziser und ausführlicher ist als die lateinische Fassung und bestimmte Standpunkte hier schon eine Weiterentwicklung erfahren haben. Zum anderen hat er den „Christliche[n] Religionsunterricht“ in seiner in dieser Studie im Fokus stehenden Jenaer Wirkungszeit angefertigt. Bei Themen allerdings, die er nicht mehr im „Christliche[n] Religionsunterricht“ darlegen konnte, wie die Sündenlehre und die Christologie, wird zwangsläufig auf die „Institutio“ zurückgegriffen.1 1 Hier wird neben dem lateinischen Text oftmals auf „Döderleins kurze Unterweisung“ als
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
I. Theologische Grundlagen 1. Über die Religion Spielten der Begriff und das Thema „Religion“ oder „religio“2 weder in der Scholastik noch im Humanismus noch bei den Theologen der Reformation eine wichtige Rolle, so gewann diese Materie in der Aufklärungszeit an Bedeutung.3 Es entstanden zahlreiche Publikationen mit dem Wort „Religion“ und „das Religionsthema [wurde] auch in Deutschland zu einem zentralen Gesprächsgegenstand“4. Döderlein eröffnete seinen „Christliche[n] Religionsunterricht“ mit diesem Thema und stellte in den ersten Paragraphen dar, was er unter „Religion“ versteht. Er erarbeitete dafür zunächst eine Definition des Begriffs „Religion“ (§ 1), fragte dann, was als „wahre“ und „falsche“ Religion bezeichnet werden muss (§ 2), um schließlich seine Verhältnisbestimmung und Charakterisierung von natürlicher und geoffenbarter Religion (§ 3) vorzustellen. In seiner Abhandlung differenzierte Döderlein zwischen den Themen „Religion“ und „Christliche Religion“. Anfangs sprach er allgemein von „Religion“. Hier behandelte er das Christentum als eine Religion unter anderen Religionen. Mit diesem Bemühen um die Bestimmung eines allgemeinen Religionsbegriffes stand Döderlein in einer Traditionslinie mit Johann Franz Buddeus, der die theologische Relevanz des Religionsbegriffes erkannte5 und mit seiner Ausarbeitung als Vorreiter gelten kann.6 Allerdings verstand Buddeus unter diesem Allgemeinbegriff die natürliche Religion als das Fundament aller Religion.7 Übersetzungsgrundlage zurückgegriffen. Auch wenn diese Übersetzung nicht von Döderlein stammt (siehe Kapitel D/I), so ist sie doch textgetreu und fließend. Vgl. ALZ, 2. Bd., Nr. 162, 1793, 553; ALZ, 1. Bd., Nr. 79, 1792, 629; AdB, 108. Bd., 2. Stück, 1791, 374. 2 Das deutsche Lehnwort „Religion“ wurde um die Mitte des 16. Jahrhunderts geläufig. Es diente als Bezeichnung für den „Christlichen Glauben“ oder als äquivalentes Wort für „Konfession“. Der Begriff wurde überdies als Beschreibung für die christlichen wie auch außerchristlichen Glaubensweisen sowie als Ausdruck für „Christentum“ herangezogen. Vgl. Albrecht Beutel, Religion zwischen Luther und Schleiermacher. Bemerkungen zur Semantik eines theologiegeschichtlichen Schlüsselbegriffs (in: Über die Religion. Schleiermacher und Luther [LAR 30], hg. v. Joachim Heubach, Erlangen 2000, 35–68), hier 44 f. 3 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 241. 4 Beutel, aaO., 242. Neben den Darstellungen von Beutel (§ 46, aaO., 241–246 und Beutel, Religion zwischen Luther und Schleiermacher) sei zum Thema „Religion“ in der Aufklärung verwiesen auf Gerhard Alexander/Johannes Fritsche, „Religion“ und „Religiosität“ im 18. Jahrhundert. Eine Skizze zur Wortgeschichte (in: Religionskritik und Religiosität in der deutschen Aufklärung [WSA 11], hg. v. K arlfried Gründer/K arl Heinrich Rengstorf, Heidelberg 1989, 11–24); Ulrich Dierse, Art. Religion VI. 18. Jahrhundert (HWPh 8, 1992, 653–673); Feil, Religio. 4. Bd.; Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk (Kapitel V. Zur Begründung der Unterscheidung von Religion und Theologie); Falk Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986. 5 Vgl. Nüssel, Bund und Versöhnung, 229. 6 Vgl. Nüssel, aaO., 227.231. 7 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 241.
I. Theologische Grundlagen
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Döderlein fasste unter diese Definition hingegen auch die geoffenbarte Religion. Erst ab § 5 konzentrierte sich Döderlein ausschließlich auf das Christentum und führte mehrere Beweise an, welche die Wahrheit des Christentums belegen sollen. In der vorliegenden Untersuchung liegt der Fokus allerdings auf der Analyse seines allgemeinen Religionsbegriffs (§ 1–§ 3). 1.1. Was ist Religion? Bei der Frage, was Religion ist, war sich Döderlein der Mehrschichtigkeit des Begriffs bewusst und lehnte deshalb eine rein etymologische Begriffserklärung ab.8 Er postulierte, dass die Gesellschaft unter „Religion“ ganz verschiedene Phänomene verstehe: nämlich Sätze, welche die Beziehung zu Gott aufklären, aber auch Zeremonien und Bräuche. Der Begriff diene ebenso als Beschreibung für eine Religionspartei.9 Döderlein war allerdings an einer Spezifizierung dieses Wortes gelegen, auch weil „Sophisten“ die „Vieldeutigkeit“ des Religionsbegriffs nutzen würden, um über Religion „unter allerley Namen zu spotten“10. In seiner Darstellung verfolgte Döderlein demzufolge ein apologetisches Interesse. Er definierte Religion als eine Sache des Verstandes und des Herzens.11 Zur Religion gehört seiner Meinung nach immer Erkenntnis, also Wissen über Gottes Dasein und über sein Verhältnis zu Welt und Mensch, sowie Empfindung beziehungsweise Gesinnung. Obgleich die Erkenntnis der Empfindung Döderlein zufolge vorausgeht, stehen beide in einer engen Verbindung zueinander.12 Auf das Christentum bezogen bedeutet Religion für Döderlein die „Erkenntniß des Heils“ (Einsichten in die Wahrheit) und die „Gesinnung der Gerechten“ (Tugend).13 Ihm war allerdings bewusst, dass sowohl die Kenntnisse als auch die Empfindungen von bestimmten Parametern wie Klima, Kulturraum, Stand der Aufklärung, Temperament und Bildung abhängig sind.14 Ergänzend zu dieser Definition unterteilte Döderlein die Religion in eine innere (Religion des Geistes) und eine äußere Religion (Gebräuche, Taten). Döderlein bevorzugte die innere Religion. Er betonte zum einen, dass äußere Religion ohne innere Heuchelei sei,15 und behauptete zum anderen, dass die Re8 Etymologische Erklärungsversuche, wie die von Cicero („religio“ leitet sich von „relegere“ ab) und Laktanz („religio“ leitet sich von „religare“ ab) hielt Döderlein weder für „zuverläßig noch [für] nützlich“. Döderlein, ChRU 1, 1785, 11. Zum Religionsbegriff von Cicero und Laktanz siehe Beutel, Religion zwischen Luther und Schleiermacher, 37 f. 9 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 11 f. 10 Döderlein, aaO., 12. 11 An dieser Stelle lässt sich eine Ähnlichkeit zur Konzeption von Ernesti erkennen, der allerdings nur auf die geoffenbarte Religion bezogen behauptete, die Religion beziehe sich ebenso auf den Verstand wie auf das Herz. Vgl. Feil, Religio, 4. Bd., 375. 12 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 1 f. Döderlein formulierte, dass es eine Zerstörung „der menschlichen Seele [sei], […] wenn eines ohne das andere“ wäre. Döderlein, aaO., 2. 13 Döderlein, aaO., 3. 14 Vgl. Döderlein, aaO., 5 f. 15 Vgl. Döderlein, aaO., 4.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
ligion immer mehr zur inneren werde, da sich die Kenntnisse von Gott kontinuierlich veredeln würden. Demut sei besser als Kniebeugen und Gehorsam besser als Opfer.16 Döderlein sprach in diesem Zusammenhang überdies von „Privatreligion“ als Bezeichnung für die Religion des Einzelnen. Wenn sich mehrere Personen in den Grundzügen ihrer Vorstellungen von Gott einig seien, so werde aus der Privatreligion eine öffentliche Religion, eine „Religionspartey“.17 Doch selbst wenn sich die Einzelnen mit ihrer Privatreligion in einer Religionspartei sammeln, blieb für Döderlein der individuelle Bezug in der Religion zentral. Jeder Mensch habe trotzdem noch seine eigene Religion, sein eigenes Maß an Kenntnissen, seine eigenen Ideen von Gott.18 Das Vorschreiben einer Religion wäre eine „Versetzung des Geistes in einen unwürdigen Sclavenstand“19 und führte nur zu einer bloß äußeren Religion, zu „Formeln ohne Bedeutung, [und] Gebräuche[n] ohne Nutzen“20. Von dem Begriff „Religion“ leitete Döderlein ferner das Wort „Religiosität“ ab. Er akzentuierte, dass die Worte „Religion“ und „Religiosität“ anders als im Mittelalter nicht als termini technici für den geistlichen Stand dienen.21 Für Döderlein war „Religion“ und „Religiosität“ eben nicht die Angelegenheit einiger weniger, „die sich mit vielen andern Privilegien, den Namen von Religiosen zu erschleichen wußten, weil sie mehr sogenannte Religionsübungen […] übernahmen, und […] die Gottheit mehr als andere zu verehren glaubten“22, sondern sie „ist die Würde und der Ruhm jedes Menschen, dem Glaube an Gott und Vergeltung heilig, jede Vorstellung von der […] Erhabenheit Gottes wichtig, jede Wohlthat der Gottheit schäzbar, jede ihrer Vorschriften […] Pflicht ist“23.
Religion war für Döderlein die „erheblichste[] Angelegenheit der Menschheit“24. Aus Döderleins Erklärungen zum Wort „Religion“ wird ersichtlich, dass sein Religionsbegriff mehrere Aspekte umfasste. Grundsätzlich verstand er unter „Religion“ Erkenntnis und Empfindung beziehungsweise Gesinnung. Was er allerdings genau unter den Begriffen „Empfindung“ und „Gesinnung“ verstand, wird in seiner Ausführung nicht eindeutig bestimmt. Einerseits gebrauchte er sie als Bezeichnung für „Verehrung“25 – definierte hier Religion wie Johann Franz 16 Vgl. Döderlein, aaO., 5. 17 Vgl. Döderlein, aaO., 4. 18 Vgl. Döderlein, aaO., 6. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Vgl. Beutel, Religion zwischen Luther und Schleiermacher, 39. Der Mönch wurde in diesem Zusammenhang als „homo religiosus“ bezeichnet und die monastische Lebensform als „status religionis“. Vgl. ebd. 22 Döderlein, ChRU 1, 1785, 8. 23 Döderlein, aaO., 8 f. 24 Döderlein, aaO., 18. 25 Döderlein, aaO., 13.
I. Theologische Grundlagen
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Buddeus als Erkenntnis und Verehrung26 – andererseits ging seine Begrifflichkeit in Richtung „Gefühl“, vor allem wenn er von den „Empfindungen des Herzens“ sprach. Dabei war er aber ähnlich wie Johann Joachim Spalding weit entfernt von einem „pietistisch gefärbten Gefühlskult am Herzen“27. Es war Döderlein nicht an einer bloß inneren Einstellung gelegen: Für ihn gehörte immer die Handlung und Ausübung dazu. Die Religion umfasste für Döderlein die gesamte menschliche Existenz, was er mit den beiden Begriffen „Verstand“ und „Herz“ hervorhob. Sie macht die Würde des Menschen aus. Döderlein differenzierte seinen Religionsbegriff in verschiedene Unterpunkte. Er unterschied die innere von der äußeren Religion und die Privatreligion von der öffentlichen Religion. Hier fällt auf, dass er Semler rezipierte und der Leser das semlerische Konzept von innerer und äußerer und von öffentlicher und Privatreligion kennen muss,28 um Döderlein Argumentation nachvollziehen zu können. Denn Döderlein führte diese Begrifflichkeiten nur sehr kurz an, ohne sie ausführlich zu erläutern oder zu erklären. Er übernahm aber nicht nur die Begriffe, sondern auch die inhaltlichen Schwerpunktsetzungen von Semler: Wie dieser bevorzugte Döderlein die innere Religion,29 unterschied Privatreligion und öffentliche Religion und betonte, dass die öffentliche Religion nicht der Normierung des Einzelnen diene, sondern allein zur Bildung einer äußeren Kirchengemeinschaft.30 Bei beiden Theologen lässt sich die für die Aufklärung charakteristische Tendenz zur Individualisierung der Religion31 und die damit zusammenhängende Auffassung von der Pluralität der Christen erkennen:32 Jeder Mensch hat gemäß seiner Umstände seine eigene Religion. Döderlein modifizierte Semlers Ausführungen aber auch. Die Ausdifferenzierung der Religion in eine innere und eine äußere führte bei ihm nicht zu einer Einteilung der Gläubigen in zwei Klassen, die der „innerlich-moralischen“ und der „äußerlich-unmoralischen“.33 Außerdem unterschied er stärker als Semler zwischen äußerer Religion (Gebräuche) und öffentlicher Religion (Religionspartei).34 Daneben bezog Semler seine Differenzierung ausschließlich auf das Christentum. Im Unterschied zu Semler beschrieb Döderlein diese Religionsformen als Charakteristikum für die Religion allgemein. Die Formen von äußerer und innerer, von 26 Vgl. Nüssel, Bund und Versöhnung, 230. 27 Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 245. 28 Zu Semlers Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion sei verwiesen auf Beutel, aaO., 244 f.; Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk, 170–172 und Spehr, Aufklärung und Ökumene, 359–364. 29 Zu Semler vgl. Feil, Religio, 4. Bd., 440. 30 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 244. 31 Vgl. Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk, 180. 32 Vgl. Spehr, Aufklärung und Ökumene, 362. 33 Zu Semler vgl. Spehr, aaO., 363. 34 Semler gebrauchte beide Begriffe als Beschreibung für eine „in Symbolischen Büchern und Bekenntnisschriften lehrhaft fixierte Religion“. Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk, 170.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
privater und öffentlicher Religion gelten demzufolge nicht allein für das Christentum, sondern ebenso für die anderen Religionen.35 Damit universalisierte Döderlein Semlers Ansatz. 1.2. Der Wahrheitsanspruch innerhalb der Religion Nach der Definition von „Religion“ war für Döderlein die Frage entscheidend, inwiefern sich eine Religion oder eine Religionspartei oder auch ein Mensch im Alleinbesitz der Wahrheit rühmen kann.36 Döderlein konstatierte, dass jeder Mensch seine Religion, sowohl seine Privatreligion als auch die Lehre seiner Partei, für die wahre und richtige Religion halte und den anderen Religionen den Stempel „falsch“ aufdrücke.37 Derartiges Verhalten fand Döderleins Ablehnung, da seiner Meinung nach jeder Mensch und damit jede Religionsgemeinschaft dem Irrtum ausgesetzt und Täuschungen unterworfen sei.38 Aus diesem Grund empfand er es als „Anmassung [zu glauben], allein ins Heiligthum der Wahrheit aufgenommen [worden] zu seyn“39, und mahnte zur Vorsicht, andere Religionsgemeinschaften ohne genauere Bestimmung zu verdammen oder gar von „falscher Religion“ zu sprechen.40 Aber nicht nur Irrtum, sondern auch Wahrheit lässt sich seiner Meinung nach in jeder Religion finden: „Ganz falsch ist […] keine Religion.“41 Vielmehr habe jede Religion in unterschiedlichen Abstufungen von Würde, Umfang und Gewissheit42 die Idee vom vollkommeneren Wesen, seiner Größe, Macht und Güte, seiner Regierung und die Vorstellung der Vergeltung für Gutes und Böses in diesem Leben und nach dem Tod sowie die daraus resultierende Hochachtung und Dankbarkeit. Diese Idee klassifizierte Döderlein als Wahrheit, als die Summe 35 Daher konnte Döderlein beispielsweise anders als Semler nicht formulieren, woraus die öffentliche Religion konkret besteht. Zu Semlers Standpunkt bei diesem Thema: ebd. 36 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 17. Gemäß seiner Definition von Religion verstand Döderlein unter Wahrheit sowohl die Wahrheit in der Erkenntnis, wenn die menschlichen Kenntnisse von Gottes Eigenschaften Gott würdig sind, und die Wahrheit in den Gesinnungen, wenn das, was der Mensch, in der Absicht Gott zu verehren, wählt und handelt, Gottes Zustimmung findet. Vgl. Döderlein, aaO., 13. 37 Vgl. Döderlein, aaO., 14. 38 Vgl. Döderlein, aaO., 16 f. 21. Als Irrtum bezeichnete Döderlein beispielsweise die Übertragung von menschlichen Eigenschaften auf Gott oder die Behauptung von bestimmten Vorschriften als göttliches Gesetz, obwohl diese zu Streit und Feindschaft führen. Seiner Meinung nach gibt es unzählige Irrtümer und zahlreiche Verirrungen des Herzens und des Verstandes. Vgl. Döderlein, aaO., 13.27. „Mangel an Nachdenken, zu früher Stillestand in Betrachtung, Einmischung von Sinnlichkeit und Leidenschaft, und das Verweilen auf der Oberfläche der Dinge, ohne die Sorgfalt, sie auf allen Seiten nach ihrem innern Gehalt zu erforschen, verführen den Menschen, selbst den Bedachtsamsten, zum Irrthum“. Döderlein, aaO., 12 f. 39 Döderlein, aaO., 17. 40 Vgl. Döderlein, aaO., 18. 41 Ebd. 42 Vgl. Döderlein, aaO., 26.
I. Theologische Grundlagen
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von richtigen Begriffen und Empfindungen.43 Er postulierte hier eine gemeinsame Basis und gemeinsame Idee, die alle Religionen verbindet. Die Verschiedenheit der Religionen erklärte er damit, dass sich aus dieser Idee unterschiedliche Religionslehren und -übungen herausgebildet hätten.44 In diesen lasse sich jeweils ein „Mehr oder Weniger an Wahrheit oder Irrthum“45 finden, woraus ein differierender Einfluss auf das Ziel der Religion, auf die menschliche Glückseligkeit, auf Ruhe und Rechtschaffenheit, resultiere.46 Daneben konstatierte er einen Entwicklungsprozess innerhalb der Religion. Aber auch eine „minder reine, minder aufgeklärte [Religion]“47, die sich nach den Fähigkeiten und den 43 Vgl. Döderlein, aaO., 18 f. 44 Vgl. Döderlein, aaO., 19. 45 Ebd. 46 Vgl. ebd. – Glückseligkeit und Glück war ein zentrales Thema im 17. und 18. Jahrhundert. Gelehrte wie John Locke und Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelten wegweisende Glückskonzeptionen. Vor allem der Ansatz von Leibniz wurde von der Aufklärungsphilosophie aufgenommen. Zum Thema Glück und Glückseligkeit in der Aufklärung: Massimo Mori, Glück und Autonomie. Die deutsche Debatte über den Eudämonismus zwischen Aufklärung und Idealismus (StL 25, 1993, 27–42); Angela Nüsseler, Dogmatik fürs Volk. Wilhelm Abraham Teller als populärer Aufklärungstheologe (Münchner theologische Beiträge), München 1999, 167–181; Robert Spaemann, Art. Glück, Glückseligkeit III. Neuzeit (HWPh 3, 1974, 697–704). Aber auch in den Schriften der Neologen finden sich viele Verweise auf „Glück“ und „Glückseligkeit“. Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 23. Hervorzuheben ist hier Gotthilf Samuel Steinbart, der ein System einer christlichen Glückseligkeitslehre konzipierte. Gotthilf Samuel Steinbart, System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums für die Bedürfnisse seiner aufgeklärten Landesleute und andrer die nach Weisheit fragen eingerichtet, Züllichau 1778. – Döderlein erarbeitete den Gedanken der Glückseligkeit unter keiner systematischen Perspektive und gab keine Definition dieses Begriffes an. Wie bei den meisten Aufklärern wurde der Begriff „Glück/ Glückseligkeit“ von ihm nicht reflektiert, sondern gehörte zu den selbst evidenten Begriffen. Vgl. Werner Schneiders, Art. Glück (Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, 1995, 165 f.), hier 165. „Glückseligkeit“ wurde von ihm vielmehr in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisiert. Dabei fällt auf, dass er dieses Wort oft in Verbindung mit „Ruhe“, „Zufriedenheit“ und „Vollkommenheit“ setzte, was allerdings keine Besonderheit ist. Auch Philosophen wie beispielsweise René Descartes (vgl. Catherine Newmark, Art. Glück [EdN 4, 2006, 969–974], hier 970) oder Theologen wie Wilhelm Abraham Teller gingen so vor (vgl. Nüsseler, Teller, 176). Daneben lassen sich trotz fehlender Definition anhand verschiedener Bemerkungen implizit drei Charakteristika von „Glückseligkeit“ bei Döderlein feststellen: Es war für ihn erstens ein Zustand, der schon im Diesseits besteht und im Jenseits seine Vollendung findet. Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 73. Der Begriff „Glückseligkeit“ ist also immer unter einem eschatologischen Bezug zu lesen, zumal Döderlein ihn teilweise synonym zum Wort „Seligkeit“ gebrauchte. Hiermit stand Döderlein ganz in der christlichen beatituto-Tradition. Zweitens betrachtete er die Glückseligkeit als ein Geschenk Gottes. Gott habe sie durch Jesus Christus bekannt gemacht. Deshalb könne durch Jesu Lehre Glückseligkeit erlangt werden; deshalb sei die christliche Religion der beste Weg zur Glückseligkeit. Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 169.433. Aber drittens kann und muss der Mensch auch seinen eigenen Beitrag leisten. Döderlein postulierte einen engen Zusammenhang von Glückseligkeit und Tugend. Gute Taten und ein guter Zustand sind aneinander geknüpft. Vgl. Döderlein, ChRU 5, 35.41. Diese Verbindung von Tugend und Glückseligkeit ist eine der „unhinterfragbaren Selbstverständlichkeiten“ in der Aufklärungszeit. Nüsseler, Teller, 171. 47 Döderlein, ChRU 1, 1785, 19.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Gegebenheiten des Menschen richtet, kann seiner Meinung nach wahre Vorstellungen enthalten.48 Welche Folgen hat diese Grundannahme für den Anspruch der eigenen Konfession, die echte Lehre des Christentums zu vertreten? Für Döderlein ist das Christentum aufgrund des Inhalts die „beste und vortreflichste [Religion] vor allen andern“49. Es gebe „keine bessere, beglückendere Religion […] als die christliche“50. Trotzdem bedeute dies nicht, dass das Christentum die allein wahre Religion sei und alle anderen Religionen in Lüge und Irrtum leben würden.51 Was für die verschiedenen Religionen gilt, trifft gleichermaßen auf die christlichen Konfessionen zu. Döderlein charakterisierte das Christentum als einen „Hauptstrom“52, der sich in mehrere „Bäche“53 zerteilt, in dem jeder seinen eigenen Akzent setzt. In jeder Konfession werde man einerseits Grundsätze antreffen, die dem Geist des Evangeliums gemäß sind, und andererseits werde man Irrtümer vorfinden.54 Döderlein rief dazu auf, sich gegen allen „Partheygeist[]“55“damit [zu] beruhigen, daß wir zur besten Partey gehören“56. Döderlein trennte sich hier unmissverständlich von zentralen Inhalten der lutherischen Orthodoxie, indem er den alleinigen Wahrheitsanspruch des Luthertums und des Christentums relativierte und sich von der oft gebräuchlichen Trennung der Religion in „religio vera“ und „religio falsa“57 distanzierte, wie sie beispielsweise Abraham Calov herausgearbeitet hatte. Für Calov durfte allein die christliche Religion als wahr bezeichnet werden, da der Mensch nur durch Christus zu Gott und damit zum ewigen Heil geführt werde.58 Außerhalb des 48 Vgl. Döderlein, aaO., 20. Döderlein beschrieb das Judentum als eine unvollkommene Religion, da Gott hier als Despot gedacht werde. Trotzdem könne das Judentum deswegen nicht als „falsche Religion“ bezeichnet werden. Vgl. ebd. Ebenso reiche zwar der Islam nicht an „die Würde des Christenthums“ heran, aber auch in dieser Religion seien wahre Aussagen über Gott anzutreffen. Vgl. Döderlein, aaO., 24 f. Ähnlich äußerte sich Döderlein über die anderen christlichen Konfessionen: Gleichwohl die Gebräuche der Katholiken zeigen würden, dass sie weniger aufgeklärt sind, so fände man auch bei ihnen schätzbare Wahrheiten vor. Vgl. Döderlein, aaO., 20.25. Näheres zur Entwicklung der Religion siehe unten Kapitel E/I, 3.1. 49 Döderlein, aaO., 22. 50 Döderlein, aaO., 23. 51 Vgl. ebd. – Für diese Aussage erhielt er Beifall von Albrecht Georg Walch, dem Rezensenten der AdB. Döderleins Behauptung, dass die christliche Religion nicht die einzig wahre sei, kommentierte Walch mit der Aussage: „Da[mit] ist nun wohl alles gesagt, was man nur von einem toleranten Theologen fordern kann!“ AdB, 69. Bd., 1. Stück, 1786, 31. 52 Döderlein, aaO., 23. 53 Ebd. 54 Vgl. Döderlein, aaO., 24 f. 55 Döderlein, aaO., 24. 56 Ebd. 57 Vgl. Falk Wagner, Zur Revolutionierung des Gottesgedankens. Texte zu einer modernen philosophischen Theologie. Aus dem Nachlaß ediert von Christian Danz/M ichael Murrmann-K ahl, Tübingen 2014, 327. 58 Vgl. Ernst Feil, Religio, 3. Bd.: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs im 17. und 18. Jahrhundert (FKDG 79), Göttingen 2001, 36.
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Glaubens an Christus gibt es seines Erachtens nach kein Heil.59 In Abgrenzung dazu zählte Calov unter die „falsa religio“ die „religio pagana, Mahometana, Papistica, Calvinistica etc“60. Auch der von Döderlein so geschätzte Johann August Ernesti behauptete, allein das Christentum sei die „wahre Religion“, so dass es nicht gleichgültig sein könne, welche Religion man habe.61 Gegen diesen betonte Döderlein, dass seine Konzeption nicht zur Gleichgültigkeit oder zu Indifferentismus führe und es überdies nicht gleich sei, in welcher Religion man lebe.62 Gleichwohl es in jeder Religion in unterschiedlichen Abstufungen Wahrheit gebe und man in jeder Religion selig werden könne, welche „Ermunterung zur Tugend giebt, und uns der Gottheit ähnlich […] macht“63, so sei doch das Christentum die beste Religion.64 Trotz dieses Beschwichtigungsversuches ist Döderleins Neubewertung des Wahrheitsanspruches offensichtlich. Bei seiner Neuakzentuierung fällt die Bezugnahme auf Johann Gottlieb Töllners Wahrheitskonzeption auf. Töllner unterschied zwischen vollkommener und wahrer Religion und zwischen falscher und unvollkommener Religion. Er behauptete, dass keine, auch nicht die falscheste Religion gänzlich unvollkommen sei, da das ja bedeuten würde, dass es in dieser Religion gar keine rechtmäßige Handlung und gar keine Wahrheit gebe. Dieser Fall komme nicht vor. Auf der anderen Seite existiere aber auch keine Religion, die in allen Dingen vollkommen sei.65 Inhaltlich übernahm Döderlein diese Argumentation, obgleich er die Begrifflichkeiten „vollkommen“/ „unvollkommen“ nicht teilte. Interessant ist ferner Döderleins Konzept von der gemeinsamen Idee aller Religionen. Sie erinnert, wenn auch in sehr abgewandelter Form, an die Behauptung Herbert of Cherburys, es gebe fünf allgemeine vernunftgegebene Wahrheiten in der Religion („consensus universalis“), die allen Menschen gemein seien. Jede Religion verfüge demzufolge über eine gewisse Wahrheit.66 Döderlein griff 59 Vgl. Feil, aaO., 39. 60 Zit. nach Feil, aaO., 36. Calov behauptete sogar, dass zwischen der „Religio Christiana“ und den „falsae religiones“ eine solche Differenz bestehe, dass der Terminus „religio“ im zweiten Fall nur noch äquivok verwendet werden könne. Vgl. Feil, aaO., 38. – Daneben klassifizierte beispielsweise auch Georg Calixt die „religio Christiana“ durch eine Gegenüberstellung zu den „religiones“ der Heiden als die einzig wahre. Vgl. Feil, aaO., 100. 61 Vgl. Feil, aaO., 371.373. 62 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 26 f. 63 Döderlein, aaO., 26. 64 Döderlein verglich das Christentum mit anderen Religionen anhand von unterschiedlichen Gegenden: Das Christentum entspräche einem „blühenden“ Ort, während die anderen Religionen mit dem Gebiet des Feuerlandes umschrieben werden. Die Bewohner des Feuerlandes seien mit ihren Kenntnissen zufrieden, sie würden auch keine bessere Lage kennen. Wer aber den besseren Ort (Christentum) kenne, der sei nicht gewillt, seinen besseren Zustand gegen einen schlechteren einzutauschen. Vgl. Döderlein, aaO., 27. 65 Vgl. Joh[ann] Gottlieb Töllner, Kurze vermischte Aufsätze, 2. Bd., 1. Sammlung, Frankfurt/Oder 1769, 151–155. 66 Vgl. Feil, Religio, 3. Bd., 191 f. – Näheres zu Cherburys Religionsbegriff Feil, aaO.,
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hier sozusagen die Idee der „Religion für alle“67 auf und nutzte sie, ähnlich wie Cherbury, um für ein friedliches und tolerantes Miteinander der Religionen zu werben.68 An dieser Stelle wird ersichtlich, dass sich Döderlein vortrefflich im Transformieren verstand: Was Semler für das Christentum behauptete, beanspruchte Döderlein für die Religion im Allgemeinen. Was Cherbury für eine vernunftgegebene Religion oder für eine Religion bemerkte, die auf einer natürlichen Gotteserkenntnis beruht,69 konnte Döderlein verändert für eine Religion feststellen, die sich sowohl aus natürlicher Erkenntnis als auch aus Offenbarung zusammensetzt. Wobei auffallend ist, dass Döderlein bei seiner Bestimmung von Religion bisher völlig ohne die Begrifflichkeiten „natürliche“ und „geoffenbarte Religion“ auskam. Die Charakterisierung dieser Begriffe nahm er erst im Anschluss an die Frage nach dem Wahrheitsanspruch des Christentums vor. 1.3. Die Wechselbeziehung von natürlicher und geoffenbarter Religion Die Neologen waren aufgrund von offenbarungskritischen, vom Deismus beeinflussten Positionen herausgefordert, Stellung zu der Frage nach dem Verhältnis von natürlicher und geoffenbarter Religion zu beziehen.70 Grundsätzlich ähnelten sich die Ansätze der Aufklärungstheologen in ihrer Verhältnisbestimmung, in welcher die natürliche Religion gegenüber der lutherischen Orthodoxie und Übergangstheologie eine Aufwertung erfuhr. Winfried Schröder spricht in diesem Zusammenhang von einer Emanzipation der natürlichen Religion.71 Im Detail fielen die einzelnen Entwürfe allerdings unterschiedlich aus. Wie andere Neologen hielt auch Döderlein in Abgrenzung zu den Fragmenten des Reimarus72 und anderweitiger radikaler deistischer Behauptungen,73 welche die Notwendigkeit der geoffenbarten Religion bestritten, an der geoffenbarten Religion neben der natürlichen Religion fest. Für Döderlein standen beide in einem Abhängigkeitsverhältnis, wobei er der geoffenbarten Religion eine Vor189–205 und Roland M. Lehmann, Die Transformation des Kirchenbegriffs in der Frühaufklärung (JusEcc 106), Tübingen 2013, 68–81. 67 Winfried Schröder, Art. Religion bzw. Theologie, natürliche bzw. vernünftige (HWPh 8, 1992, 713–727), hier 719. 68 Cherbury sah in den fünf allgemeinen Wahrheiten die Grundlage gegeben für einen Frieden der konkurrierenden Religionen und Konfessionen. Vgl. ebd. 69 Feil arbeitet heraus, dass bei Cherbury der Terminus „religio naturalis“ fehlt. Er hinterfragt daher dessen Zuordnung zum Deismus. Vgl. Feil, Religio, 3. Bd., 205. 70 Vgl. Jan Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion. Ideengeschichte des Christentums Band 1, Tübingen 2012, 454. 71 Vgl. Schröder, Art. Religion, 721. 72 Dazu siehe Kapitel A/III. 73 Vgl. Schröder, Art. Religion, 719. Schröder zeigt, dass auch in der deistischen Religionsphilosophie eine Vielfalt von Bestimmungen der natürlichen Religion zur geoffenbarten Religion existierte. Allein die radikalste Ausprägung lehnte die Existenz einer geoffenbarten Religion ab. Vgl. Schröder, aaO., 718 f.
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rangstellung zuordnete. Er behauptete, dass es neben den natürlich erkannten Wahrheiten, die der Mensch aus seinen eigenen Fähigkeiten, Kräften und Empfindungen – aus den Schlüssen der Vernunft – gewinnt, er definierte dies als natürliche Religion, Vorstellungen und Lehren gebe, die der Mensch aufgrund seiner Trägheit und schwachen Vernunft ohne die Hilfe der Gottheit nicht oder nur wesentlich später hätte entdecken können. Letzteres bestimmte er als geoffenbarte Religion.74 Erst durch die Offenbarung würden Vorstellungen zusammengeleitet, die vorher in der Seele schon zerstreut und einzeln da waren. Durch die Verbindung dieser einzelnen Annahmen entstünden neue Wahrheiten.75 Außerdem würden die Vorstellungen der Menschen erst durch die göttliche Offenbarung ihre „höchste und unerschütterliche Gewißheit“76 erhalten. Besteht zwischen Natur und Offenbarung deshalb ein „wesentliche[r] Unterschied“77, so erkannte Döderlein aber auch die Abhängigkeit der geoffenbarten Religion von der Vernunft und den natürlichen Wahrheiten. Offenbarung bedeutete für Döderlein nicht ein „Einsenken neuer Begriffe, ohne Vorbereitung“78, sondern es braucht die natürlichen Wahrheiten als Grundlage.79 Daneben müssen die neuen Wahrheiten, wenn sie einmal durch die Offenbarung bekannt gemacht worden sind, seiner Meinung nach auch aus der Vernunft ihre Bestätigung erhalten.80 Aufgrund des wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses von Natur und Offenbarung behauptete Döderlein, dass der Spott über das eine zugleich Spott über das andere sei.81 Döderlein verfolgte mit seiner Abhandlung ein doppeltes apologetisches Interesse. Er sprach sich nicht nur gegen deistische Positionen aus, die eine geoffenbarte Religion ablehnten, sondern ebenso gegen eine Abwertung der natürlichen Religion.82 Der Theologe wollte sowohl die geoffenbarte als auch die natürliche Religion verteidigen. Die Offenbarungsreligion rechtfertigte er, indem er zwischen der „ächten Offenbarung“83 und dem „Unsinn“84 unterschied, der im Namen der Offenbarung 74 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 36 f. 75 Vgl. Döderlein, aaO., 39. 76 Döderlein, aaO., 41. 77 Döderlein, aaO., 40. – Döderlein sprach sich gegen jegliche Vermischung von natürlicher und geoffenbarter Religion aus. Er lehnte vor allem das Bemühen einiger Gelehrter ab, die geoffenbarte Religion zu einer natürlichen machen zu wollen. Vgl. Döderlein, aaO., 103. – In diesem Zusammenhang thematisierte er auch die Frage, ob am Anfang der Menschheit die Erkenntnis zuerst durch die Offenbarung oder durch die Vernunft erfolgt sei und inwiefern man bestimmen könne, ob ein Lehrsatz zur geoffenbarten oder zur natürlichen Religion gehört. Dazu sei verwiesen auf Kapitel E/I, 3.3. 78 Döderlein, aaO., 39. 79 Vgl. ebd. 80 Vgl. ebd. 81 Vgl. Döderlein, aaO., 40. 82 Vgl. Döderlein, aaO., 51–53. 83 Döderlein, aaO., 98. – Für eine „ächte[] Offenbarung“ gab er verschiedene Merkmale
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gemacht werde. Er akzentuierte mehrfach, dass es nicht „unschicklich“85 sei, an einem „unmittelbare[n] Unterricht von der Gottheit“86 festzuhalten. Döderlein schrieb Gott die Rolle eines Erziehers und Lehrers zu87 und betonte, dass die Offenbarung als „Damm gegen die Flut der Abgötterey“88 die Religion aufrechterhalten habe, wo die Vernunft sie fast verloren hätte.89 Die natürliche Religion wiederum verteidigte er, indem er ihr viele Vorzüge bescheinigte. Obgleich die Vernunft den Geist nicht so weit führen könne wie die göttliche Offenbarung und im Vergleich mit der Offenbarung nur langsam voranschreite,90 so fasse die natürliche Religion trotzdem Wahrheit in sich91 und gebe richtige Anweisungen zur Erkenntnis und Verehrung Gottes.92 Als Beleg für seine Behauptungen führte er an verschiedenen Stellen die paulinische Argumentation an, auch der Heide kenne Gott (Röm 1,17–20).93 Gegen den Vorwurf, die natürliche Religion bestünde nur aus Fanatismus, Laster und Aberglauben warf er ein, dass sich hier, wie in der geoffenbarten Religion auch, eine Mischung an Tugend und Laster, an Wahrheit und Aberglauben finden lasse. Döderlein forderte darum, dass die Negativbeispiele nicht den Wert der natürlichen Religion herabwürdigen dürfen.94 Bei Döderleins Verhältnisbestimmung von natürlicher und geoffenbarter Religion fallen zwei Aspekte auf. Erstens adaptierte er bei seiner Bestimmung der zentralen Funktion der Offenbarung die Thesen von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem und Gotthold Ephraim Lessing. Bereits Jerusalem maß an: Eine Offenbarung sei selten, unerwartet und gebe neue Einsichten. Vgl. Döderlein, aaO., 96. Demjenigen, der sie erhalte, dem würden die Inhalte der Offenbarung ohne eigenes Nachdenken deutlich werden, sie drängten sich ihm auf (vgl. Döderlein, aaO., 98) und sie würden über die Bildung und über die Umstände des Verkünders der Offenbarung hinausgehen. Vgl. Döderlein, aaO., 107 f. Diese Ideen seien sowohl der Würde der Gottheit und der Religion als auch den menschlichen Bedürfnissen und der Glückseligkeit angemessen. Vgl. Döderlein, aaO., 98 f. – Bei der Frage, wie sich Gott offenbart, nahm Döderlein gegenüber der Tradition eine erhebliche Reduktion vor: Gott offenbare sich weder durch Träume, Visionen, Ekstase noch durch Buchstaben beziehungsweise eine schriftliche Offenbarung (siehe unten Anm. 153). Allein durch die Stimme vom Himmel und durch die Wirkung auf den Geist offenbare Gott Religionslehren. Vgl. Döderlein, aaO. 112–119. Inhalt der Offenbarung können für Döderlein sowohl Geschichtswahrheiten als auch Lehrsätze sein. Indem er daran festhielt, dass Lehrsätze Gegenstand einer Offenbarung sein können, wandte er sich gegen Moses Mendelssohn, der dies bestritt. Vgl. Döderlein, aaO., 121–123. 84 Döderlein, aaO., 97. 85 Döderlein, aaO., 109. 86 Ebd. 87 Vgl. ebd. 88 Döderlein, aaO., 111. 89 Vgl. Döderlein, aaO., 112. 90 Vgl. Döderlein, aaO., 92. 91 Vgl. Döderlein, aaO., 53. 92 Vgl. Döderlein, aaO., 64. 93 Vgl. Döderlein, aaO., 54. 94 Vgl. Döderlein, aaO., 68.70.
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der Offenbarung Gottes die Aufgabe bei, dem Menschen Wahrheiten mitzuteilen, auf die er durch seine eigene Einsicht gar nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt gekommen wäre.95 Auch Lessing akzentuierte, dass die Offenbarung Wahrheiten gibt, die der Mensch zwar aus der Vernunft hätte entwickeln können – nur eben nicht in der Schnelligkeit und in diesem Entwicklungsstadium. Daneben hatte bereits Lessing den Neuheitscharakter der Offenbarung unterstrichen: Eine Offenbarung ist nur dann eine Offenbarung, wenn etwas bisher Unbekanntes mitgeteilt wird.96 Döderlein ordnete der Offenbarung aufgrund ihrer wichtigen Funktion eine Vorrangstellung zu. Die natürliche Religion dagegen charakterisierte er – dies sei als zweiter Aspekt hervorgehoben – als eine Grundlage, als Vorbereiterin für die geoffenbarte Religion. Dieser Gedanke der Vorbereiterfunktion war nicht neu. So bezeichnete beispielsweise Johann Franz Buddeus die natürliche Religion, um deren Begriffsbestimmung er sich in der lutherischen Theologie verdient machte, als Grundlage.97 Ebenso bestimmte Christian Wolff sie als „philosophische Grundlage“ der geoffenbarten Religion.98 Entscheidend ist bei Döderlein ein anderer Akzent: Er gestand der natürlichen Religion zu, dass sie zur Erkenntnis und Verehrung Gottes führen kann. Zwar ist diese Erkenntnis und Verehrung für Döderlein mittels der Offenbarung gefestigter, aber auch ohne die Offenbarung ist sie durchaus möglich. Döderlein argumentierte hier ähnlich wie Johann Gottlieb Töllner, welcher der natürlichen Religion nicht nur die Vorbereitungsrolle zuschreiben wollte, sondern ihr als Zweck überdies beifügte, sie solle zum „Dienst Gottes und Gehorsam […] [aufrichten], den Menschen […] heiligen und […] selig […] machen“99. Indem Döderlein der natürlichen Religion die Möglichkeit zur Gotteserkenntnis zusprach, trennte er sich offensiv von der orthodoxen Theologie, da in der lutherischen Orthodoxie fast gänzlich bestritten wurde, dass eine natürliche Gotteserkenntnis möglich ist. Argumentiert wurde mit dem durch den Sündenfall eingetretenen Vernunftdefekt.100 Zwar wusste Döderlein um die Schwachheit der Vernunft, begründete diese aber erstens nicht mit dem Sündenfall und gestand zweitens trotz der Einschränkungen Erkenntnis zu. Während also Theologen wie Buddeus die natürliche Religion zwar als Grundlage 95 Vgl. Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion, 457. 96 Vgl. Rohls, aaO., 469. 97 Nach Nüssel ist der von Buddeus gegen den Atheismus konzipierte Begriff der natürlichen Religion als ein Novum in der damaligen lutherischen Theologie zu bezeichnen. Vgl. Nüssel, Bund und Versöhnung, 251. Nüssel arbeitet heraus, dass sich Buddeus darum bemühte, den Begriff der natürlichen Religion aus dem Konzept von Musäus’ natürlicher Theologie zu entwickeln. Buddeus definierte die natürliche Religion als natürliche Erkenntnis Gottes und die daraus resultierende Pflicht zum Kultus beziehungsweise zur Verehrung Gottes. Vgl. Nüssel, aaO., 236 f. 98 Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion, 429. 99 Töllner, Kurze vermischte Aufsätze, 151. 100 Vgl. Schröder, Art. Religion, 716 f.
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der geoffenbarten Religion beschrieben, ihr aber damit keinen „eigenständigen, von der Offenbarung unabhängigen religiösen Vollzug[]“101 zugestanden, konnte Döderlein ihr eine gewisse Unabhängigkeit zusprechen. Dieser Standpunkt hatte Auswirkungen auf die Frage, inwiefern die natürliche Religion zur Seligkeit führen kann. 1.4. Die Frage nach der Seligkeit der Heiden Als Konsequenz aus seiner oben dargestellten Wahrheitsdefinition und seinem Verständnis von natürlicher Religion vertrat Döderlein die Meinung, auch die natürliche Religion könne selig machen102, beziehungsweise auch Heiden könnten den Zustand der Seligkeit erreichen.103 Er fasste unter den Begriff der Seligkeit sowohl diejenige, die der Mensch bereits auf Erden erreichen kann, als auch die zukünftige. Seligkeit wurde bei ihm als ein Zustand des Geistes definiert und wurde eng verbunden mit den die Religion charakterisierenden Begriffen104 „Wahrheit“ und „Tugend“: Je mehr davon in der Seele sei, umso größer sei die Seligkeit. Wenn die natürliche Religion also Wahrheit und Tugend ermöglicht, dann führt sie für Döderlein gleichermaßen zur Seligkeit.105 Deshalb können die Heiden seiner Meinung nach nicht nur im gegenwärtigen Leben – das wurde ihnen oft zugestanden106 –, sondern ebenfalls in der jenseitigen Welt selig werden. Döderlein sprach sich hier gegen die Behauptungen Athanasius’ und Augustins aus.107 Sie und die „anwachsende Gewalt des Priestertums“108 hätten die Meinung befördert, dass es außerhalb der Kirche keine Seligkeit gebe. Das aber widerspreche dem Inhalt und der Würde der Religion. Es sei der christlichen Offenbarung und der Vernunft gemäß, dass Heiden selig werden können.109 Auch im christlichen Altertum (Döderlein erwähnte unter anderem Justin den Märtyrer und Clemens von Alexandrien)110 und bei dem „gutherzige[n] Teil der Reformatoren“111 (unter anderem Martin Bucer, Philipp Melanchthon, Huldrych Zwingli)112 sei man der Meinung gewesen, dass Heiden selig werden können. Von den Zeitgenossen, welche diesen Standpunkt ebenso vertreten, erwähnte 101 Nüssel, Bund und Versöhnung, 259. 102 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 73. 103 Vgl. Döderlein, aaO., 64. 104 Siehe oben Kapitel E/I, 1.1. 105 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 73–75. 106 Vgl. Döderlein, aaO., 79. 107 Vgl. ebd. 108 Döderlein, aaO., 87. 109 Vgl. Döderlein, aaO., 79. 110 Vgl. Döderlein, aaO., 87. 111 Ebd. 112 Vgl. ebd. Calvins Standpunkt, der Augustin folgte, wurde von Döderlein als „unbarmherzige[] Behauptung“ abgetan. Ebd. – Zur Einschätzung Calvins in der Aufklärungstheologie siehe K arl Völker, Die Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärung, Tübingen 1921, 73.
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Döderlein ausdrücklich die Gelehrten Johann August Eberhard, Johann Gottlieb Töllner und Johann Heinrich Daniel Moldenhauer.113 Für Döderlein widersprach eine Bindung der ewigen Seligkeit an die geoffenbarte Religion der christlichen Offenbarung, der Vernunft und vor allem der Güte Gottes. Er fragte, wie von der Güte Gottes gesprochen werden könne und gleichzeitig der größere Teil des Menschengeschlechts ausgeschlossen werde, zumal die Offenbarung nie allen zuteil werde.114 Wäre Gott nicht unbarmherzig, wenn er es Menschen, die lange Zeit vor dem Evangelium lebten, und Menschen, die noch keinen Unterricht vom Christentum hatten, als Verbrechen anrechne, dass sie keine Christen sind?115 Sollen wirklich Menschen wie Sokrates und Seneca der Verdammung ausgeliefert werden?116 Döderlein glaubte dementgegen, dass Gott auch ein Gott der Heiden sei und diese gemäß ihrer Werke behandle. Zugleich schränkte er ihre Seligkeit aber ein: Die Seligkeit und Tugend der Heiden könne nicht mit der Tugend und Seligkeit der Christen gleichgesetzt werden. Vielmehr bestünde die ewige Seligkeit aus vielen Stufen und Modifikationen und die Heiden könnten demzufolge auf eine Seligkeit in geringerem Grade hoffen.117 Nur weil der „Nichtchrist einige Hoffnung zum Himmel hat“118, werde das Christentum dadurch nicht entwertet.119 113 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 87. 114 Vgl. Döderlein, aaO., 83 f. 115 Vgl. Döderlein, aaO., 80 f. Döderlein schloss nur Menschen von der Seligkeit Gottes aus, welche die christliche Botschaft kennen und verachten. Aber selbst diese Annahme relativierte er zugleich, indem er hervorhob, dass es auch Menschen gebe, die nur ein entstelltes oder vermischtes Christentum kennen würden und daher den wahren Wert des Christentums nicht entdecken könnten. Diesen Menschen dürfe es nicht als Verbrechen angerechnet werden, dass sie keine Christen sind. Vgl. ebd. 116 Vgl. Döderlein, aaO., 86. Döderlein griff hier Argumente auf, die von „Naturalisten“ gegen eine göttliche Offenbarung geäußert wurden und dekonstruiert sie zugleich. Er schrieb in seiner ATB: „Lange hat man schon von Seiten der Naturalisten gegen die Offenbarung, deren Annehmung das Mittel zur Glückseligkeit seyn soll, den Vorwurf unter mancherley Gestalten vorgetragen, daß Gott sehr mißgünstig oder sehr partheyisch handele, indem er diese Wohlthat immer nur auf wenige eingeschränckt und bey der unläugbaren Nichtallgemeinheit der Offenbarung grausam genug gewesen, einem großen Theil der Menschen die wesentlichen Mittel zu ihrer Glückseligkeit zu versagen. Er ist in England vielfältig und mit vielem Schein ausgeschmückt, und, wie bekannt, auch von dem Wolfenbüttlischen Fragmentisten sehr blendend, zum Nachtheil der Offenbarung und zur Erschütterung des Beweises für ihre Göttlichkeit mit Mühe unterstützt worden. […] [D]as ganze fürchterliche Ansehn desselben fällt auf einmal zusammen, so bald man nicht mehr auf den strengen und unbiblischen Grundsätzen beharret, daß die ewige Glückseligkeit des Menschen allein an das Christenthum gebunden sey, und jeder Nichtchrist unfehlbar auf immer verdammt werden soll.“ Doederlein, ATB 3, 4. Stück, 1785, 284. 117 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 84. 118 Ebd. 119 „Wollen wir, die wir höhere Glückseligkeit erwarten, dazu scheel sehen, daß Gott so gütig ist, auch andre neben uns, nur in geringerm Grade, beglücken zu wollen?“ Döderlein, aaO., 84 f.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Es lässt sich erkennen, dass der Hintergrund von Döderleins Argumentation besonders in seiner Dogmenkritik, in dem Verweis auf die gütigen Eigenschaften Gottes und in einer moralorientierten Frömmigkeit120 – auch die Heiden werden ihren Werken gemäß behandelt – bestand. Ferner ging er hier genauso vor wie bei seiner Bestimmung des Wahrheitsgehalts der Religionen: Auch dort gab er mehrere Abstufungen an, wobei das Christentum an höchster Stelle steht und nichts von seinem Wert verliert, nur weil anderen Religionen Wahrheit zugestanden wird. Abschließend äußerte er: „Mögen doch noch Orthodoxen seyn, die […] glauben, daß der Himmel durch Heiden profanirt werde […]; Menschenliebe ist besser als Orthodoxie und Umgang mit guten Seelen rührender als Umgang mit Rechtgläubigen“.121 Die Frage nach der Seligkeit der Heiden war keine neue Problemstellung des Aufklärungszeitalters. Schon in der frühen Kirche wurde darüber diskutiert.122 Aber innerhalb der deutschen Aufklärungstheologie wurde diese Debatte mit einer neuen Intensität geführt, was sich unter anderem an Johann August Eberhards „Neue[r] Apologie des Sokrates“ zeigen lässt, dessen Werk bezeichnenderweise den Untertitel „oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden“ trägt.123 Bei Döderleins Argumentation fällt allerdings auf, dass er sich hauptsächlich auf Töllners Untersuchung „Beweis, daß Gott die Menschen bereits durch die Offenbarung der Natur zur Seligkeit führt“124 bezog, die noch vor 120 Diesen Begriff wählt Björn Spiekermann als ein Charakteristikum der Neologie: vgl. Björn Spiekermann, Socrates christianus – Socrates atheus. Zur Vorgeschichte von Eberhards Neuer Apologie in der Frühen Neuzeit (in: Ein Antipode Kants? Johann August Eberhard im Spannungsfeld von spätaufklärerischer Philosophie und Theologie [Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung 46], hg. v. Hans-Joachim Kertscher/Ernst Stöckmann, Berlin/Boston 2012, 135–164), hier 139. 121 Döderlein, ChRU 1, 1785, 88. 122 Vgl. Benno Böhm, Sokrates im Achtzehnten Jahrhundert. Studien zum Werdegange des modernen Persönlichkeitsbewusstseins (Kleine Studien zur deutschen Literaturgeschichte 4), Neumünster 21966, 154. 123 Johann August Eberhard, Neue Apologie des Sokrates, oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden, Berlin/Stettin 1772. – Ausgelöst wurde der Streit um die Seligkeit der Heiden oder vielmehr um die ewige Verdammung der Heiden im 18. Jahrhundert durch den Roman „Bélisaire“ des Franzosen J.‑F. Marmontel. In Eberhards „Apologie“ kulminierte diese Auseinandersetzung. Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 260. Eberhard wurde aufgrund dieser Schrift von Johann Gottfried Herder als der „große[] Heidenseligmacher“ bezeichnet. Zit. nach Walter Sparn, Einleitung (in: Johann August Eberhard, Neue Apologie des Sokrates, oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden, Berlin/Stettin 1772, 1. Bd., Nachdruck mit einer Einleitung hg. v. Walter Sparn [Historia scientiarum. Fachgebiet Philosophie], Hildesheim/Zürich/New York 2010, V*-XXXIII*), hier VIII*. Näheres zu Eberhards „Apologie“ auch bei Gunther Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, 1. Bd., (MMHST 9), München 1984, 190 f. 124 Johann Gottlieb Töllner, Beweis, daß Gott die Menschen bereits durch die Offenbarung der Natur zur Seligkeit führt, als der zweite Theil der wahren Gründe, warum Gott die Offenbarung nicht mit augenscheinlichern Beweisen versehen hat. Nebst Erläuterungen und Zusätzen zu den gesamten ersten Theile, Züllichau 1766.
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Eberhards „Apologie“ erschien. Wie Töllner unterschied Döderlein verschiedene Stufen der Seligkeit125 und wahrte damit die Besonderheit und Vorrangstellung der übernatürlichen Offenbarung und der Seligkeit der Christen. Es ist interessant, dass er Töllners Gedanken, den Heiden werde postmortal der Glaube an Jesus Christus geschenkt, was zum wirklichen Genuss der Seligkeit führe,126 nicht übernahm. Seine Konzeption von Seligkeit kam ohne eine solche Übertragung aus, auch weil er nicht wie Töllner davon ausging, dass die durch den Sündenfall unfähig gewordene Vernunft den Glauben an Jesus Christus nötig habe, um Aussagen über Gott treffen zu können.127 Wie bereits oben gezeigt, reicht für Döderlein die natürliche Gotteserkenntnis durchaus zum Heil aus. Dass diese Behauptung einen immensen Bruch mit der orthodoxen Lehrmeinung bedeutete, die von der Insuffizienz der Vernunft und der natürlichen Gotteserkenntnis ausging, ist offensichtlich. Von der AdB wurde Döderlein für seine Darstellung über die Seligkeit der Heiden gelobt: „[t]reffender und bündiger“128 hätte er „in so gedrungener Kürze“129 nichts über diese Fragestellung schreiben können. 1.5. Zusammenfassung Mit seiner Bearbeitung der Religionsthematik gab Döderlein grundlegende Linien vor, die für seine weiteren Untersuchungen dogmatischer Themen den Hintergrund bilden. Hier wird Döderleins Grundprämisse offenkundig, dass sich Religion entwickelt und kein unveränderliches System darstellt. Ebenso zeigt sich Döderleins Tendenz zur Individualisierung sowie sein apologetisches Interesse. Seine Ausführungen richteten sich nicht nur gegen deistische Äußerungen, sondern gleichermaßen gegen Theologen, die starr an der Lehrmeinung der lutherischen Orthodoxie festhielten. Döderleins Abhandlung über die Religion verdeutlicht exemplarisch, wie entschlossen er sich bei einigen Themen von der Tradition trennte: Er verneinte den Absolutheitsanspruch des Christentums und des Luthertums, obgleich er immer wieder akzentuierte, dass das Christentum oder vielmehr der Protestantismus auf der höchsten Stufe aller Religionen steht. Überdies löste er sich von der Behauptung, dass die natürliche Religion keine zum Heil ausreichende Erkenntnis ermöglicht. Seiner Meinung nach können auch Heiden selig werden. Mit seinem Beitrag zum Thema Religion verortete sich Döderlein, der verschiedene Konzepte und Entwürfe anderer Theologen aufgriff und auf seine Vorstellungen hin transformierte, unter die Theologen der Aufklärung und gestaltete den Diskurs über dieses Thema aktiv mit. 125 Töllner behauptete, dass der Mensch bereits mittels der natürlichen Religion Seligkeit erlangen kann, auch wenn man durch die geoffenbarte Religion eine höhere Seligkeit erhält. Vgl. Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion, 458 f. 126 Zu Töllner siehe ebd. 127 Zu Töllner siehe Feil, Religio, 4. Bd., 414. 128 AdB, 69. Bd., 1. Stück, 1786, 32. – Diese Rezension stammt von Albrecht Georg Walch. 129 Ebd.
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2. Schrift und Vernunft als Erkenntnismittel der christlichen Religion Nachdem sich Döderlein im ersten Band seines „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ allgemein über die Religion und die christliche Religion geäußert hatte, widmete er sich anschließend der Frage nach den Quellen der christlichen Religion. Er war davon überzeugt, dass die christliche Wahrheit aus drei Quellen gewonnen werden kann: aus den Schriften der Apostel, den Religionsschriften der Juden und aus der Vernunft.130 Dass er die Vernunft neben der Heiligen Schrift als Erkenntnisprinzip anführte, zeigt bereits seinen aufklärerischen Hintergrund und bedeutete eine Neuerung gegenüber orthodoxen Theologen, die diese Funktion allein der Schrift zuerkannten.131 In dem vorliegenden Kapitel liegt der Fokus auf zwei Aspekten. Erstens wird Döderleins den gesamten zweiten Band seines „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ einnehmende Schriftlehre analysiert und zwar unter der Frage, inwiefern er die Schrift als eingegeben und göttlich betrachtete. Dabei wird die von Döderlein vorgegebene Unterteilung in Neues und Altes Testament übernommen. Als zweites wird untersucht, welche Bedeutung er der Vernunft in der Religion konkret zukommen ließ. 2.1. Göttlichkeit und Eingebung der Schrift 2.1.1. Im Neuen Testament Döderlein widmete sich mit der Frage nach der Göttlichkeit und Eingebung der Schrift einem brisanten und aktuellen Thema. In seiner ATB formulierte er: „Noch immer sind die Meinungen über die Eingebung der heiligen Schrift, ihre Beschaffenheit, ihre Wirkung und ihre Beweise so sehr unter den Protestanten getheilt; noch immer selbst nach den neuern Bemühungen, Untersuchungen und Aufklärungen, […] noch manches dunkel, zweifelhaft und bestritten“.132
Döderlein wollte mit seiner Abhandlung den Diskurs weiterführen. Ihm war bei diesem Thema die Grundannahme wichtig, dass, selbst wenn Gott keinen unmittelbaren Anteil an der Abfassung jedes Buches gehabt habe, dennoch das Vertrauen der Christen in die Bibel unerschütterlich sein könne und trotzdem von einer göttlichen Schrift gesprochen werden müsse. Er begründete das zum einen mit der Behauptung, dass es kein brauchbareres Buch gebe als das Neue Testament und zum anderen mit dem Inhalt der Schrift und dem Ansehen Jesu und der Apostel. Da die in der Schrift enthaltene Lehre Jesu göttlich sei, könne auch das Buch als göttlich bezeichnet werden.133
130 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 13. 131 Vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 372. 132 Doederlein, ATB 4, 1. Stück, 1787, 36 f. 133 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 57–60.
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Für ihn hingen die Göttlichkeit und der Wert der christlichen Religion nicht an einem göttlichen Ursprung der Bücher. Er plädierte wie Johann Gottlieb Töllner dafür, zwischen göttlicher Lehre und göttlichen Schriften, zwischen dem göttlichen Ursprung des Christentums und einem göttlichen Ursprung der Schriften zu unterscheiden. Wie in seinen „Antifragmente[n]“ bereits dargelegt, war er der Meinung, dass die Behauptung vom durchgängig göttlichen Ursprung der Worte und Sätze des Neuen Testaments der Religion viele Nachteile gebracht habe. Aufgrund solcher Annahmen sei jeder Angriff gegen die Bibel zum Angriff gegen die Religion geworden und der Aberglaube befördert worden, welcher anstelle der Wahrheit das Buch schätze. Wenn man allerdings zwischen göttlicher Lehre und Schrift differenziere, dann griffen alle herausgearbeiteten Mängel und Unrichtigkeiten der Bibel die Religion nicht an.134 Mit dieser Trennung versuchte Döderlein bibelkritischen und deistischen Vorwürfen, wie sie beispielsweise in den „Fragmenten“ formuliert wurden, zuvorzukommen.135 Zugleich löste er sich hier von Grundannahmen der orthodoxen Schriftlehre, dass das Schriftwort mit dem Gotteswort gleichgesetzt werden kann und dass die Schrift durchgängig inspiriert ist.136 Döderlein hob hervor, dass die Lehre Jesu nicht weniger Wahrheit habe, wenn zugestanden werde, dass die Geschichtsschreiber wie Menschen erzählen und dabei Unrichtigkeiten auftreten. Denn die Wahrheit der Lehrsätze sei nicht an das Buch gebunden, sondern an Jesus und an ihre innere Evidenz.137 Mit diesem Gedanken ermöglichte Döderlein das Durchführen von textkritischen Untersuchungen, ohne an der Autorität der christlichen Lehre zu zweifeln. Obgleich Döderlein anfangs suggerierte, Gott habe keinen unmittelbaren Anteil an der Abfassung der Schriften, so wird doch im weiteren Verlauf seiner Darstellung erkennbar, dass er von einem unmittelbaren Wirken des Heiligen Geistes ausging. Döderlein erklärte, dass der Geist Gottes an der Abfassung der Schrift beteiligt sei – allerdings nur was die der religiösen Teile beträfe.138 Er begründet diese „Mitwirkung Gottes […] bey dem schriftlichen Religionsvortrag“139 mit den Versicherungen Jesu an die Apostel, sie könnten mit dem göttlichen Beistand rechnen. Diese Verheißungen hätten sich nach Jesu Tod be134 Vgl. Döderlein, aaO., 60 f. 64. Zu Töllner: Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 511. 135 Siehe auch Kapitel A/III, 1.3. und 1.5. 136 Zur orthodoxen Schriftlehre: Gottfried Hornig, Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie. Johann Salomo Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther (FSThR 8), Göttingen 1961, 40–55. 137 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 61. Siehe auch Kapitel A/III, 1.3. und 1.5. – Den Bezug auf die innere Evidenz erwähnte Döderlein erst in der zweiten Auflage des ChRU 2. In der Ausgabe von 1786 koppelte er die Wahrheit allein an Jesus. Abgesehen von dieser Änderung zwischen den beiden Auflagen fügte er in die zweite Auflage nur vereinzelt kleine Einschübe ein, die aber nie sinnverändernden Charakter haben. 138 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 65. 139 Döderlein, aaO., 77.
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wahrheitet, was sich besonders an Pfingsten, den Wundern und neuen Erkenntnissen verdeutlichen lasse. Außerdem hätten die Apostel und Paulus selbst das Verständnis gehabt, Gottes Beistand zu haben, aus dem sie auch ihre Einsichten hergeleitet hätten.140 Döderlein grenzte die Beteiligung Gottes auf die religiösen Teile der Schrift ein. Aber was verstand er darunter? Er antwortete darauf sehr weitläufig: Es handle sich um Stellen, bei denen die Schreiber Aufklärung ihrer Einsicht und die Kraft der Wahrheit nötig gehabt hätten.141 Etwas deutlicher äußerte er sich an einer späteren Stelle, wobei er auch hier keine genauen Stellenbeispiele angab. Er behauptete dort lediglich, dass alles, was erbaulich sei, auf Gottes Geist zurückgehe.142 Allerdings merkte er zugleich an, dass nicht nur die Stellen inspiriert seien, die nach den eigenen Eindrücken und der eigenen Zeit als erbaulich gelten. Die Brauchbarkeit einer Stelle und ihre Inspiration dürfe nicht nur deshalb geleugnet werden, weil sie in keinem Zusammenhang zur eigenen Vollkommenheit und Glückseligkeit stehe oder weil sie für einen selbst weniger interessant sei. Denn diese Stellen seien einst nützlich und den damaligen Zeitbedürfnissen angemessen gewesen.143 Mit dieser Erklärung wandte sich Döderlein gegen Johann Salomo Semler, gleichwohl er ihn nicht explizit erwähnte. Semler behauptete in seiner „Abhandlung von freier Untersuchung des Canon“, dass nur die Bücher oder Buchteile als göttlich eingegeben gelten könnten, welche allgemeinnützig und zu allen Zeiten wichtig seien, welche die natürlichen moralischen Kenntnisse erweitern und verbessern würden. Wenn bestimmte Stellen nur auf ihre Zeit beschränkt seien und gegenwärtig keine Bedeutung mehr hätten, dann trügen sie nicht den Charakter einer göttlichen Schrift.144 Döderlein unterstrich dagegen, dass, was in den Anfangszeiten des Christentums nützlich war und als eingegeben gelten muss, auch gegenwärtig den Status der Eingebung behält.145 Wenn Döderlein von Eingebung und Mitwirkung Gottes sprach, so implizierte er damit nicht, dass den Verfassern jedes Wort unmittelbar von Gottes Geist 140 Vgl. Döderlein, aaO., 65 f. 70. – In der ATB formulierte Döderlein: „Wir wagen es nicht, Antheil des Geistes Gottes an dem Vortrag der Apostel irgendwo zu suchen, wo er wirklich unnöthig ist, und wo nicht Religion gelehrt oder bestätigt wird. Nur dazu ist den Aposteln die Hülfe des Geistes verheissen: nur da hat er gewirkt. Wo die Materie nicht religiös ist, da spricht der bloße Mensch.“ Doederlein, ATB 4, 1. Stück, 1787, 36 f. 141 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 66. 142 Vgl. Döderlein, aaO., 102 f. „Was tröstet, was ermuntert, was zu Thaten weckt, was die Seele in der Ehrfurcht für Jesum stärkt, gegen Irrthümer verwahrt, vom Laster heilt, zur genauern Erkenntniß und vernünftigen Bewunderung der Gottheit bey den Anstalten fürs Christenthum und seine Bekenner anleitet; kurz, was einst die Absicht der Lehre Jesu entdeckte und förderte, oder noch jetzt fördert, das ist […] Lehre von Gottes Geist. Erbaulichkeit des Inhalts ist der Charakter, der von Gott eingegebenen Theile der Bibel.“ Ebd. 143 Vgl. Döderlein, aaO., 104–106. 144 Vgl. Joh[ann] Salomo Semler, Abhandlung von freier Untersuchung des Canon; nebst Antwort auf die tübingische Vertheidigung der Apocalypsis, Halle 1771, § 8 (34–38). 145 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 105.
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in die Seele gesprochen wurde. In den biblischen Schriften stehen die Ansichten, Grundsätze und Formulierungen ihrer menschlichen Verfasser.146 Also nicht Gott, wie es in der lutherischen Orthodoxie behauptet wurde, sondern die Verfasser der jeweiligen Schriften sind als die Autoren zu bezeichnen. Döderlein löste sich hier unmissverständlich von der Diktattheorie, wie sie beispielsweise von Abraham Calov, Johann Andreas Quenstedt und David Hollaz vertreten wurde.147 Er lehnte diese Lehre auch deshalb ab, weil sie eine Tötung der Vernunft bedeute und sowohl der mündliche Unterricht Jesu als auch die von Gott geschenkten Gaben dann eigentlich ohne Zweck gewesen wären.148 Döderlein brach zudem mit den klassische Beweisstellen der lutherischen Orthodoxie, die für eine Verbalinspiration der gesamten Schrift herangezogen wurden: Sowohl 2Petr 1,21 als auch 2Tim 3,16 bezeichnete er als „ungewisse[] Stellen“, aus denen keine „durchgängige Eingebung aller Worte pünktlich bestimm[t]“ werden könne.149 In welchem genauen Verhältnis die eigene Tätigkeit der biblischen Schriftsteller und die Wirkung Gottes (Eingebung) aber jeweils standen, erachtete Döderlein als nicht zu lösende Frage, die aber für die Religion nicht von Bedeutung sei. Beide seien so eng miteinander verbunden, dass selbst die Apostel nicht wussten, was ihr und was Gottes Anteil ist. Als Christ müsse man nur wissen, dass diese Lehrer mit göttlicher Autorität schrieben und ihre Bücher dem Geist des Christentums gemäß seien.150 Döderlein widmete sich in einem weiteren Abschnitt der Problematik, Kennzeichen und Merkmale über die Eingebung anzugeben. Allerdings grenzte er sich hier eher von bestimmten Theorien und Ansätzen ab, als dass er zu einer genauen eigenen Bestimmung gelangte. Wie Semler verzichtete er damit im Unterschied zur orthodoxen Lehre auf eine genaue Beschreibung, wie der Vorgang der göttlichen Eingebung erfolgte.151 Was Döderlein allerdings akzentuierte war erstens, dass nicht jede Eingebung eine Offenbarung gewesen sei und daher nicht von einer Offenbarung bei der 146 Vgl. Döderlein, aaO., 77. 147 Zur Diktattheorie siehe Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 41–43. 148 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 78. „Soll die Vernunft noch ihre Rechte, der Geist der biblischen Schriftsteller seine Würde in eigner Thätigkeit und Nachdenken, […] für ihre eigne Mitwirkung bey Abfassung ihrer Reden und Schriften ihre Evidenz behaupten: so fällt ohnehin die Meinung, daß Gottes Geist ihnen jedes Wort in die Feder dictirt habe; oder; wie sich Athenagoras auszudrücken wagt, daß sie die Flöten gewesen, in denen Gottes Geist den Ton angegeben, hinweg. Macht doch Menschenkraft nicht zur Maschine; Menschensprache nicht zum Laut eines Instruments, das nichts denkt, nichts fühlt; und die Gottheit nicht zum Zerstörer der edelsten Kräfte.“ Döderlein, aaO., 80 f. 149 Döderlein, aaO., 212. Nach Döderlein spricht Petrus in 2Petr 1,21 nur vom Neuen Testament und dabei nur von Weissagungen, und auch Paulus (2Tim 3,16) rede von der göttlichen Eingebung der gesamten Schrift, ohne deutlich zu erklären, worin die Wirkung des Geistes bestanden habe. Vgl. ebd. 150 Vgl. Döderlein, aaO., 79 f. 151 Zu Semler siehe Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 74 f.
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Abfassung jedes einzelnen Buches gesprochen werden dürfe.152 Eine Eingebung vermehre die bereits vorhandenen Wahrheiten, die sich mit den bereits bekannten Kenntnissen vertrage. Die Eingebung werde nur dann zur Offenbarung, wenn die Wahrheit neu, unerhört und durch Menschenkraft nicht zu erfinden war – wenn die Seele nicht durch eigenes Nachdenken Aufklärung gefunden habe. Döderlein unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die Bibel nicht die Offenbarung, sondern allein Urkunde der Offenbarung sei.153 Zweitens betonte er, dass die Redensarten „Eingebung“, „Einhauchung“ und „Antrieb“, die teilweise aus der Schrift entlehnt sind, immer bildliche Redensarten blieben und nicht zwangsläufig auf eine übernatürliche und unmittelbare Mitwirkung Gottes bei dem Religionsvortrag verweisen würden.154 Deshalb könne anhand dieser Bilder nichts über die Natur der Eingebung ausgesagt werden.155 Die Eingebung bestand für Döderlein drittens auch nicht darin, dass ein innerer Drang die Verfasser zum Schreiben brachte, wie es die Schriftlehre der lutherischen Orthodoxie (impulsus a scribendum) behauptete.156 Vielmehr seien es oft Aufforderungen von außen gewesen, die zum Schreiben animierten.157 Gleichermaßen fand viertens der beispielsweise von Georg Calixt158 und Christoph Matthäus Pfaff159 unternommene Versuch, bei der Abfassung der biblischen Bücher von einer Direktion Gottes zu sprechen, durch welche der Irrtum bei den Aposteln verhindert worden wäre, Döderleins Ablehnung.160 Ebenso verwarf er fünftens die Theorie, dass die Apostel aufgrund des Pfingst152 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 81 f. – So auch schon Johann Lorenz von Mosheim und Siegmund Jacob Baumgarten (vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 472) und Johann Salomo Semler (vgl. Hans-Eberhard Hess, Theologie und Religion bei Johann Salomo Semler. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts, Augsburg 1974, 177). 153 Vgl. Döderlein, ebd. „Man redet gewöhnlich von einer schriftlichen Offenbarung: aber es sey mir erlaubt, zu erinnern, daß, da die Gottheit nie unmittelbar durch Buchstaben und Schrift Religionswahrheiten entdeckt hat, es eine schriftliche Offenbarung im eigentlichen Sinne nicht giebt. Alle Lehren, Vorschriften und Verheißungen der Religion waren gedacht, gesagt, bekannt gemacht, ehe sie geschrieben wurden: und man würde gewiß sehr viele Verwirrungen vermeiden, viele Pfeile der Deisten abgestumpft, unzählige Spöttereyen der Gegner der Religion auf ihrer lächerlichen Seite erkannt und dargestellt, und die geoffenbarte Religion nach ihrer Würde und Göttlichkeit viel leichter und glücklicher vertheidigt haben, wenn man, statt von einer schriftlichen Offenbarung in der Bibel zu reden, diese nur als Urkunden und Denkmale, in denen die Sätze der verschiednen geoffenbarten Religion aufbewahrt, und gegen Untergang, Vergessenheit und Entstellung gerettet werden sollten, geschätzt und empfohlen hätte.“ Döderlein, ChRU 1, 1785, 117 f. 154 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 83. 155 Vgl. Döderlein, aaO., 85. 156 Vgl. Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 43. 157 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 85 f. 158 Dazu Georg Christian Knapp, Vorlesungen über die christliche Glaubenslehre nach dem Lehrbegriff der evangelischen Kirche. Aus der hinterlassenen Handschrift unverändert herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet von Carl Thilo, Erster Theil, Halle 21836, 91. 159 Dazu Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 471. 160 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 86 f.
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geschehens über erhöhte Seelenkräfte verfügten. Auch hier wird seiner Meinung nach nicht geklärt, woher die wirklichen Kenntnisse und Einsichten kamen, sondern vielmehr eine Hypothese auf der nächsten aufgebaut.161 Döderlein hob im Gegenteil hervor, dass die Erkenntnisse, welche die biblischen Schriftsteller mitteilen, in den meisten Fällen ohne eine unmittelbare Einwirkung Gottes zustande gekommen seien. Viele Wahrheiten hätten sie aus dem Unterricht Jesu gewonnen und bestimmte Dinge, die vor Jesu Tod noch unverständlich waren, hätten nun plötzlich an Klarheit gewonnen. Aus Jesu Grundsätzen hätten sie durch Verknüpfen von Wahrheiten und eingehendem Nachdenken richtige Folgerungen getroffen.162 Die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Lehren wiederum machte Döderlein an ihrer moralischen Gesinnung fest. Diese Gesinnung gebe den Einsichten mehr Festigkeit, dem Vortrag mehr Klarheit und dem Ausdruck mehr Wahrheit. Die Ehrfurcht und die Liebe zu Jesus, der Eifer für seine Lehre – das sei der Antrieb der Apostel gewesen. Und dieser Antrieb bewirke prüfende Wahrheitsliebe, so dass ihre Lehren als zuverlässig charakterisiert werden können.163 Döderlein beschränkte das Wirken Gottes hier also mittelbar darauf, dass die Apostel immer unter göttlichem Beistand gestanden hätten und ihre Gesinnung Ausdruck für das Wirken des Heiligen Geistes sei.164 Döderlein griff schließlich die viel diskutierte Frage auf, ob nur die Sachen oder auch die Worte vom Geist Gottes eingegeben wurden. Er hielt von dieser Unterscheidung nicht viel, da die Vorstellungen und die Inhalte immer an Worte gebunden seien und beides eigentlich nicht getrennt voneinander betrachtet werden könne. Dabei erklärte er allerdings nachdrücklich, ähnlich wie bei der Unterscheidung von Lehre und Lehrart,165 dass die Wortwahl Veränderungen unterworfen sei, währenddessen der Inhalt und die Sache unveränderlich seien und das Wesentliche ausmachen. Döderlein forderte daher, mehr die Bedeutung als das Wort, mehr den Geist als den Buchstaben aufzusuchen.166 Er kritisierte es, wenn die Worte der Buchstaben für heilig, unverletzlich und göttlich gehalten werden, ohne dass die dahinterstehende Wahrheit verstanden wird. Die biblischen Redensarten müssten als Reden der damaligen Zeit angesehen werden, die vom heutigen Verfasser anders geschrieben werden würden.167 Selbst wenn den Autoren daher die Worte mit den Sachen eingegeben worden wären, so sei 161 Vgl. Döderlein, aaO., 88–90. – Dazu auch seine Äußerung in der ATB 4, 1. Stück, 1787, 46–48. 162 Vgl. Döderlein, aaO., 90–93. 163 Vgl. Döderlein, aaO., 93–95. 164 „Gott ist in der Seele […] geschäftig: es ist göttlicher Geist, der in ihr lebt; es ist Christi göttliche Lehre, die in ihr wirkt […].“ Döderlein, aaO., 92. 165 Zur Unterscheidung von Lehre und Lehrart siehe Kapitel E/I, 4.1. 166 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 97 f. 167 Vgl. Döderlein, aaO., 98 f.
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die Wahrheit der Religion nicht an den „Schall der Worte“168 gebunden, sondern an den eigentlichen Sinn, den diese Ausdrücke enthalten.169 2.1.2. Im Alten Testament In einem zweiten Teil setzte sich Döderlein mit den Schriften des Alten Testaments auseinander. Er betonte, dass auch bei einer Bevorzugung des Neuen Testaments die Hochachtung für das Alte Testament bestehen bleiben müsse. Döderlein verwehrte sich gegen den Spott der Deisten und unterstrich, dass diese alten Schriften von Jesus und den Aposteln geachtet wurden, weshalb jeder Christ es ihnen gleich tun solle.170 Wie beim Neuen Testament so hob er auch hier die Heiligkeit und Göttlichkeit der alttestamentlichen Schriften hervor, selbst wenn an der Abfassung nur menschliche Kräfte beteiligt gewesen sind. Denn die Heiligkeit eines Buches hing für Döderlein nicht an Buchstaben und Worten, sondern an der darin enthaltenen Wahrheit.171 Die Göttlichkeit wiederum behauptete er nicht nur, weil Jesus diese Schriften so bezeichnet hatte, sondern auch weil sich darin die „[z]wey Charaktere der Göttlichkeit“172 finden ließen, das Ansehen der Verfasser und die Erbaulichkeit des Inhalts.173 Dass die alttestamentlichen Schriften erbaulich sind, verteidigte er sehr ausführlich. Letztlich liegt an dieser Stelle wieder sein Argument zugrunde, dass die Schriften dem Christen heute zwar weniger Nutzen bringen, sie aber damals wichtig waren und es für die Juden immer noch sind.174 Für das Alte Testament sprach Döderlein ebenfalls von einer engen Verbindung zwischen der eigenen Tätigkeit, dem eigenen Geist der Verfasser und dem Beistand Gottes.175 2.1.3. Reflexion Döderleins Ausführungen über die Frage nach der Eingebung der Heiligen Schrift explizieren in besonderer Weise, dass er sich bei einigen Themen bewusst undeutlich ausdrückte und einige Fragen absichtlich in der Schwebe ließ. So klärte er beispielsweise nicht genau, welche Texte zu dem religiösen Teil der Schrift gehören oder was die Merkmale für eine Eingebung sind. Um sich nicht angreifbar zu machen, formulierte er verklausuliert. Dem Leser wird daher nicht ersichtlich, welchen Standpunkt Döderlein vertrat. So denkt man bei der Frage nach der Eingebung anfangs, Döderlein sei gegen jegliche Eingebung der Schrift. 168 Döderlein, aaO., 99. 169 Vgl. ebd. 170 Vgl. Döderlein, aaO., 157–160. 171 Vgl. Döderlein, aaO., 185–190. 172 Döderlein, aaO., 192. 173 Vgl. ebd. 174 Vgl. Döderlein, aaO., 204. 175 Vgl. Döderlein, aaO., 211.
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Dann wiederum zeigt sich, dass er eine Eingebung annahm. Zum Schluss dagegen behauptete er, dass die meisten Texte ohne göttliche Beteiligung verfasst wurden, aber der Heilige Geist immer in der Seele der Autoren geschäftig gewesen sei. Auch die Rezensenten bemängelten dieses wenig stringente Vorgehen: „[Es fällt schwer], zu sehen, ob der Hr. Verf. diese Schriften für gemeine menschliche halte, oder einigen übernatürlichen Einfluß Gottes dabey annehme: indem einige Aussprüche, die das letztere behaupten, durch andere ihnen widersprechend wiederum scheinen aufgehoben zu werden.“176
Die Rezensenten kritisierten zudem Döderleins Ausführungen über die Eingebung des Alten Testaments. Der Rezensent der AdB, Albrecht Georg Walch, warf Döderlein vor, dass er sich nicht deutlich äußere und jeder denken könne, was er wolle.177 Ebenso wurde in den „Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften“ angemerkt, dass es den Anschein habe, als wolle Döderlein nicht wirklich darüber diskutieren.178 Döderlein war sich dieser Vorwürfe bewusst und griff sie in der Vorrede zu seinem dritten Band des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ auf. Er bemühte sich um eine Rechtfertigung, wobei seine Anmerkungen eher wie Ausflüchte wirken. In diesem Zusammenhang betonte er erstens, dass eine vorsichtige Darstellung noch keine Verheimlichung der eigenen Meinung bedeute und dass zweitens jeder Forscher dem Leser das Gefühl der Wahrheit überlassen und das Nachdenken nicht durch eigene Entscheidungen ersticken solle.179 Dass er auch in seiner zweiten Auflage des zweiten Bandes des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ keine wesentlichen Änderungen trotz der Kritik vollzogen hat, zeigt, dass er tatsächlich keine stringentere Darstellung zu diesem Thema vornehmen wollte oder sich vorzunehmen getraute.180 176 So Gottfried Less in den Göttingische[n] Anzeigen von gelehrten Sachen, 1. Bd., 1787, 914. 177 Vgl. AdB, 73. Bd., 1. Stück, 1787, 74. 178 Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 4. Stück, 1. Abtheilung, 1786, 634. 179 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, Vorrede, [4 f.]. 180 Schlichtegroll versuchte dieses Vorgehen Döderleins zu rechtfertigen: „Deutlichkeit und Bestimmtheit der Begriffe, die nichts zu wünschen mehr übrig lässt, war in den Gegenständen, über die er [Döderlein] arbeitete, oft an sich nicht möglich, oft nicht rathsam, zuweilen auch wohl für seine Art zu untersuchen und die ganze Richtung seines Geistes nicht erreichbar. Dann half ihm der Reichthum des Ausdrucks, den er im Deutschen und Lateinischen besass, um die Schwäche der Beweise oder auch seine eigentliche Meinung unter vieldeutigen Worten und Rednerblumen zu verbergen. Hat ihm diess bey manchem einen Vorwurf zugezogen, so muss man nicht vergessen, dass er in einer Periode der theologischen Untersuchung lebt, wo diese Klugheit nothwendig war, und wo einige Sätze noch nicht allgemein anerkannt waren, die jeder männlichen und freyen Prüfung des Religionssystems zum Grunde gelegt werden müssen, und die man jetzt immer allgemeiner als verträglich mit ächtem Christenthum und wahrer, fruchtbarer Religion zu erkennen und aufzustellen anfängt.“ Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 120.
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Letztlich muss man Döderlein wohl so verstehen, dass er bei einigen Stellen an einer Eingebung festhielt, aber ansonsten den Anteil des Heiligen Geistes auf den seelischen Beistand der Verfasser reduzierte. Außerdem lässt sich trotz der oft unpräzisen Ausführungen ein Bruch mit zentralen Aussagen der orthodoxen Schriftlehre erkennen. Weder galt ihm der gesamte biblische Textbestand als eingegeben, noch bestimmte er einen genauen Grad der Eingebung, noch bezeichnete er die Verfasser als göttliche Werkzeuge. Döderlein verwarf hier nicht nur die Diktattheorie, sondern gleichermaßen die Lehre von der Verbalinspiration. Zwar negierte er nicht die Möglichkeit, dass Worte eingegeben sein können, aber ihm ging es nicht um die Göttlichkeit dieser Worte, sondern um die dahinter stehende Vorstellung, um die Göttlichkeit der Lehre Jesu. Weil ihm Jesu Lehre als göttlich galt, hielt er an der Bezeichnung der Heiligen Schrift als göttlichem Buch fest. 2.2. Die Bedeutung der Vernunft in der Religion Aufbauend auf seine Ausführungen über die natürliche und geoffenbarte Religion181 klassifizierte Döderlein die Vernunft neben der Schrift als Erkenntnismittel der Religion. Für Döderlein war der Gebrauch der Vernunft in Religionsfragen selbstverständlich. Er beschrieb sie als die „natürliche Führerin“182 des Menschen, welche in der Religion vor Despotismus, Schwärmerei, Aberglaube und Unglaube schütze.183 Döderlein grenzte sich hier von Gelehrten ab, welche eine gewichtige Stellung der Vernunft innerhalb der Religion kritisch betrachteten. Die „Klagen über neue Lehren“, die Verwendung des „Namen[s] Neolog [als] […] charakteristischen Kezernamen“ und das Bemühen, „die Vernunft der jezigen Welt in Fesseln legen zu wollen“184, waren für Döderlein nicht nachvollziehbar. Denn wem es um die Wahrheit gehe, der müsse sich vor der Vernunft, vor neuen Urteilen nicht fürchten.185 Sein zentrales Anliegen war es, die Vereinbarkeit von Vernunft und Christentum aufzuzeigen und herauszuarbeiten, dass das Christentum eine vernünftige Religion ist.186 Um dieses Grundanliegen zu untermauern, verwies er zum einen auf Jesus und die Apostel, die die Vernunft 181 Siehe Kapitel E/I, 1.3. 182 Döderlein, ChRU 3, 21791, 2. 183 Vgl. Döderlein, aaO., 7. 184 Döderlein, aaO., 50. 185 Vgl. Döderlein, aaO., 50 f. 186 Vgl. Döderlein, aaO., 91. – In einer Rezension seiner ATB formulierte Döderlein: „Es ist eine unsrer Zeiten ganz eigentlich angemeßne Arbeit, die Lehren der Schrift nach der Vernunft zu untersuchen, und beyde mit einander in Harmonie zu bringen. Man ist dabey gar nicht gesinnet, wie so manche in kränkelndem Unmuth wähnen, die Vernunft über die Offenbarung zu erheben, man will bloß, da sie doch einander nicht wirklich widersprechen können, beyde vereinigen, und den von allen Spötterzungen wiederholten Vorwurf über den Haufen werfen, als ob uns die Bibel Sätze aufdränge, die sich mit Vernunftwahrheiten nicht vertrügen.“ Doederlein, ATB 1, 6. Stück, 1780, 440.
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in der Religion gebraucht und verehrt hätten.187 Zum anderen bemühte er sich, die Einwände der Skeptiker und Zweifler zu widerlegen, die der Vernunft mangelhafte Erkenntnis und Verirrungen bescheinigen. Es war für Döderlein offenkundig, dass die Vernunft irren kann. Aber daraus folgte für ihn keine Abwertung, da Schwäche zu allen menschlichen Kräften gehöre. Auch den Einwurf, dass Unglaube, Zweifelsucht und Gleichgültigkeit Früchte der Vernunft seien, dass sie doch die Quelle für die Behauptungen der Sozinianer und des Deismus sei, ließ Döderlein nicht gelten. Er merkte an, dass die Unterdrückung der Vernunft dieses Übel zwar beseitigen würde, aber die Unterbindung der Vernunft noch schlimmer sei als das Übel selbst.188 Vielmehr sei die Vernunft ein Mittel, um die Religion gegen die Angriffe der Deisten zu verteidigen: Vernunft entwaffne Vernunft.189 Wahre Religion habe sich vor keiner Philosophie zu fürchten.190 Die Vernunft war für Döderlein aber nicht nur ein Mittel zur Verteidigung. Sie ermöglicht seiner Meinung nach vielmehr die Erkenntnis und Erläuterung von Religions- und Glaubenswahrheiten. Für den Glauben sei die Vernunft zentral: „Glaube, der die Vernunft entbehren kann, ist Unvernunft“.191 Vernunft und Glaube haben ihm zufolge vielmehr die gleiche Stimme.192 „[Sie haben nicht] das Verhältniß zwischen Gebieterin und Sklavin, sondern sie sind zwey Töchter Eines Vaters, zwey friedliche Schwestern, die für einander leben, einander rathen, und sich wechselseitig unterstüzen“.193 Mit Verweis auf seine Untersuchung über die natürliche und geoffenbarte Religion wiederholte Döderlein die These, dass die Offenbarung die Vernunft nicht überflüssig mache, sondern sie die natürlichen Kenntnisse vielmehr voraussetze und stärke.194 Vernunft und Offenbarung seien die „zwey große[n] Lehrer der Menschheit“195. Döderlein unterstrich, dass die Vernunft Klarheit in die Glaubenswahrheiten und Belehrungen der Bibel bringe. Sie untersuche und prüfe außerdem die Bedeutung der Worte und Formeln und frage nach den Absichten der jeweiligen Lehre.196 Vor allem erfolge durch sie das Erkennen von Akkommodationen197 und damit eine Trennung zwischen dem „bleibenden Geist der Religion“198 und 187 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 10. 188 Vgl. Döderlein, aaO., 15 f. 189 „Drehet dem Feind seine Waffen aus den Händen, sezt Vernunft gegen Vernunft: dann wird nicht bloß der Glaubige, sondern auch der Glaube selbst mehr Sicherheit, und der Unglaube mehr Beschämung haben.“ Döderlein, aaO., 80. 190 Vgl. Döderlein, aaO., 79. 191 Döderlein, aaO., 33. 192 Vgl. Döderlein, aaO., 36. 193 Ebd. 194 Vgl. Döderlein, aaO., 32. 195 Döderlein, aaO., 90. 196 Vgl. Döderlein, aaO., 31. 197 Siehe Kapitel E/I, Exkurs. 198 Döderlein, ChRU 3, 21791, 42.
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der „vergängliche[n] Lehrform“199. Für Döderlein war die Vernunft der Maßstab für die „Brauchbarkeit einer Lehre“200. Mittels der Vernunft könnten ebenfalls „willkührliche Bestimmungen von Concilien und Bischöffen“201 aufgedeckt werden. Döderlein dachte bei diesen „willkührliche[n] Bestimmungen“ beispielsweise an die Lehren von der Erbsünde, der Trinität und dem Teufel.202 Indem er diese Lehren innerhalb seines Systems umformte und kompatibel mit der Vernunft machte,203 wollte er den Vorwürfen zuvorkommen, die aufgrund derartiger Lehren das Christentum als unvernünftig klassifizierten. Auch wenn der „Spötter oder der Unglaubige“204 immer wieder die Lehre von der Erbsünde und Trinität als Unvernunft darstellen würde, so tadle er einen längst „abgelegte[n] Fehler“205, weil diese Meinungen einer „veraltete[n] Theologie“206 angehören würden. Mit dieser Aussage implizierte Döderlein, dass jetzt zwischen der Vernunft und den Lehren des Christentums kein Widerspruch mehr besteht.207 Trotzdem war sich Döderlein gleichzeitig immer der Schwäche der Vernunft bewusst und warnte vor Missbrauch: Der Mensch könne irren und seinen Forschungen seien Grenzen gesetzt. Wenn das vergessen werde, dann führe dies zu Tyrannei, dann würden eigene Behauptungen zu unumstößlichen Wahrheiten erhoben werden. Als Negativbeispiel zog Döderlein Voltaire und die Voltairische Schule heran.208 Döderlein griff mit seinen Ausführungen über die Vernunft ein wichtiges Thema auf, welches auf der philosophisch-theologischen Ebene im 18. Jahrhundert intensiv diskutiert wurde.209 Sein zentrales Anliegen war es, die Kompatibilität der christlichen Religion mit der Vernunft herauszustellen. Dieses Vorhaben und die dahinter stehende Überzeugung, dass die Vernunft für den Glauben unentbehrlich ist, gehörte zum „Allgemeingut unter den Theologen der Aufklärung“210. Für Döderlein war die Vernunft der entscheidende Parameter, der über die Tauglichkeit einer Lehre bestimmt, gleichwohl er immer im Blick hatte, dass die Vernunft Verirrungen ausgesetzt sein kann. Trotzdem darf seines Erachtens 199 Ebd. 200 Döderlein, aaO., 44. 201 Döderlein, aaO., 24. 202 Vgl. ebd. 203 Christopher Voigt-Goy hat in seiner Studie über die Rezeption des englischen Deismus in Deutschland herausgearbeitet, dass das Ziel der Neologen „nicht mehr der Ausschluss des Andersdenkenden, sondern seine Reintegration“ war. Voigt, Der englische Deismus in Deutschland, 220. 204 Döderlein, ChRU 3, 21791, 237. 205 Ebd. 206 Ebd. 207 Vgl. Döderlein, aaO., 55. 208 Vgl. Döderlein, aaO., 82–86. 209 Vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 248. 210 Dierse, Art. Religion, 664.
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keine Lehre der Vernunft entgegenstehen. Damit eignete Döderlein der Vernunft einen viel höheren Stellenwert zu als es orthodoxe Theologen getan haben, die der Vernunft eine dienende Funktion zuschrieben.211 Döderlein grenzte sich zudem vom Wolffianismus mit der Klassifizierung bestimmter Offenbarungsinhalte als übervernünftig ab. Er setzte ähnlich wie bei seiner Verhältnisbestimmung von natürlicher und geoffenbarter Religion die Vernunft mit der Offenbarung parallel.212 Beide wirken eng zusammen und wechselseitig aufeinander. Für seine Darstellung erhielt Döderlein viel Anerkennung. Der Rezensent in der AdB, Albrecht Georg Walch, formulierte: „Nirgends können die Rechte der Vernunft in Religionssachen wärmer und überzeugender vertheidigt worden seyn, als es hier geschehen ist.“213 Auch im „Journal für Prediger“ wurden die döderleinschen Ausführungen als „[v]ortreflich[]“214 beschrieben. 3. Die Vorstellung von der Perfektibilität An einigen Stellen wurde bereits darauf verwiesen, dass Döderleins Denken von der Vorstellung der Perfektibilität215 geprägt war. Der Gedanke der Vervollkommnung bildete den Hintergrund seines gesamten theologischen Denkens. Dennoch führte Döderlein diese Vorstellung nie systematisch aus, sondern sie findet sich an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Zusammenhängen seines Œuvres. Außerdem gebrauchte er den Begriff „Perfektibilität“ nicht, sondern sprach vom „Fortschritt“216, von einer „stufenweise[n] Ausbildung und Entwicklung“217, von Gedanken und Vorstellungen, die sich „nach und nach zur Vollkommenheit“218 hinaufschwingen, indem sie sich „veredeln“219 und „reiner“220 werden. Döderleins Ausgangspunkt war die Annahme, dass sich „[a]lles“221 – also die menschlichen Erkenntnisse, die Erfindungen, der Verstand, die Wissenschaf211 Vgl. Hornig, Neologie und Aufklärungstheologie, 127. Hornig spricht davon, dass in der Aufklärungstheologie der „Zuständigkeitsbereich [der Vernunft] erweitert“ wurde. Ebd. 212 Für Aner gilt dies als Kennzeichen der Neologie. Vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit, 354. 213 AdB, Anhang 53–86. Bd., 1. Abtheilung, 1791, 233 f. – Hinter dem Kürzel „Kb.“ [Faktur] verbarg sich Walch. Siehe Kapitel D, Anm. 54. 214 Journal für Prediger, 20. Bd., 1. Stück, 1788, 98. 215 Der Begriff „Perfektibilität“ stammt aus der lateinischen Sprache und wurde als Lehnwort aus dem Französischen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den deutschen Sprachraum übernommen. Vgl. Gottfried Hornig, Perfektibilität. Eine Untersuchung zur Geschichte und Bedeutung dieses Begriffs in der deutschsprachigen Literatur (ABG 24, 1980, 221–257), hier 221. 216 Z. B. Döderlein, ChRU 1, 1785, 39. 217 Z. B. Döderlein, ChRU 2, 21790, 179. 218 Z. B. Döderlein, ChRU 1, 1785, 63. 219 Z. B. Döderlein, aaO., 5. 220 Z. B. ebd. 221 Döderlein, ChRU 1, 21790, 63.
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ten und die Religion – allmählich zur Vollkommenheit aufschwingt. Das sei der natürliche Gang der Menschheit.222 Wie die individuelle Entwicklung mehrere Phasen von der Kindheit über die Jugend bis zum Erwachsensein durchläuft, so sprach Döderlein gleichermaßen von mehreren Stufen in der Weltgeschichte, die mit der „Kinderzeit“ beginnt. Dieser Entwicklungsprozess ging für ihn mittels der Vorsehung vonstatten: Gott erhält und regiert alle Dinge.223 Döderleins Perfektibilitätsdenken ist charakteristisch für die Aufklärungstheologie. Der Gedanke der „Vervollkommnungsfähigkeit“ und der „Vervollkommnung“ bildete eine Leitidee dieser Epoche,224 gleichwohl der aufklärerische Fortschrittsoptimismus, der hinter diesem Denken zutage tritt, nicht von allen Geistesgrößen dieser Zeit geteilt wurde.225 Der Begriff selbst unterlag einem Bedeutungswandel. Stand er zunächst für die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen, war also ethisch und anthropologisch konnotiert, wurde er schon bald auch als Ausdruck für den Prozess faktischer „Vervollkommnung“ verwendet, wurde also auf Bereiche wie die Historie, das Christentum, die Kultur und die Gesellschaft ausgeweitet.226 In der protestantischen Aufklärungstheologie lässt sich der Gedanke der Perfektibilität seit ungefähr 1770 belegen.227 Johann Salomo Semler, der die Verbreitung und Anerkennung dieser Idee beförderte, verstand unter der Perfektibilität neben der geistlichen und sittlichen Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen228 eine Vervollkommnung der Geschichte und ein immer reineres Erkennen der christlichen Lehren.229 Gerade im Vergleich mit der pessimistischen Anthropologie und der negativen Geschichtsauffassung der lutherischen Orthodoxie markiert die Anerkennung des Perfektibilitätsgedankens in der Aufklärungstheologie einen Paradigmenwechsel.230 Im Folgenden wird Döderleins Perfektibilitätsdenken einer ausführlichen Analyse unterzogen. Grundlage dieser Untersuchung sind Döderleins entsprechende Ausführungen in seinen zentralen Schriften, in den „Antifragmente[n]“, 222 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 155. 223 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 1, 160 f. Siehe Kapitel A/III, 1.1., Anm. 227. 224 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 22. Der Gedanke der Vervollkommnungsfähigkeit ist allerdings älter als der Begriff „Perfektibilität“ und die Verwendung in der Aufklärung. Hornig untersucht, was die Voraussetzungen des Perfektibilitätsbegriffs sind. Neben der antiken Philosophie, der biblisch-christlichen Tradition wie beispielsweise die Lehre von der Gottesebenbildlichkeit, dem Einfluss von Renaissance und Humanismus auf die Anthropologie und dem pietistischen Anliegen nach sittlicher Vollkommenheit erwähnt Hornig auch den Einfluss von Leibniz und Wolff. Vgl. Hornig, Perfektibilität, 222–224. 225 Vgl. Hornig, aaO., 222.225. 226 Vgl. Hornig, aaO., 221.224 f. 247 f. 227 Vgl. Hornig, Neologie und Aufklärungstheologie, 143. 228 Vgl. ebd. Zu Semlers Einfluss auf die Perfektibilitätsdebatte vgl. Hornig, Perfektibilität, 232. 229 Vgl. Gottfried Hornig, Der Perfektibilitätsgedanke bei J. S. Semler (ZThK 72, 1975, 381–397), hier 381. 230 Vgl. ebd.
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der „Institutio“ und dem „Christliche[n] Religionsunterricht“. Da Döderlein diese Thematik äußerst unsystematisch entfaltete, werden seine Überlegungen in der vorliegenden Studie inhaltlich nach mehreren Themenkomplexen geordnet. Daneben wird in einem Exkurs auf die Akkommodationstheorie als Gegenstück zum Perfektibilitätsgedanken eingegangen. 3.1. Die drei Hauptperioden der Offenbarungsgeschichte Im Kapitel über Döderleins Religionsbegriff ließ sich bereits zeigen, dass Döderlein die Offenbarungen Gottes an die Menschheit als essentiell erachtete, da die Vernunfterkenntnis der Menschen in religiösen Belangen nicht ausreicht. Diese Offenbarungswahrheiten wurden den Menschen laut Döderlein sukzessive bekannt gemacht, je nach den Fähigkeiten der Menschen und dem Grad ihrer Aufklärung. Die Offenbarung vollzog sich daher immer der sinnlichen Vorstellungsart und der Sprache gemäß.231 Gott hielt bei seiner Offenbarung also ein angemessenes Maß ein. Er gab nach Döderlein immer so viel Licht, wie nötig war, aber nie so viel, dass die Vernunft träge werden konnte.232 Das Spektrum der Erkenntnisse reichte für Döderlein vom „rohen Zustand“ über verschiedene Zwischenstände und unterschiedliche Klassen bis zu einer „vollkommnern Religion“.233 Döderlein klassifizierte drei Hauptperioden, in denen durch Gottes Offenbarung vollkommen neue Wahrheiten hinzukamen und die die Gestalt der früheren Religion völlig veränderten.234 Er ordnete die geoffenbarte Religion in die „Patriarchalische“, in die „Mosaische oder Jüdische“ und in die „christliche“ ein.235 Das Wissen über die patriarchalische Zeit, mit der er den Abschnitt zwischen Adam und Mose bezeichnete, bewertete Döderlein als stückhaft. Dennoch kann seiner Meinung nach festgestellt werden, dass Gott in dieser Phase seine Macht und Existenz mittels sinnlicher Erscheinungen darstellte. Diese Religion beschrieb er als die „unvollkommenste“, da hier keine abstrakten Ideen oder metaphysischen Begriffe, sondern allein sinnliche Begriffe von Gott herrschten.236 Trotzdem hat diese Phase ihren Wert, denn „warum soll der Kindergeist schon Manneskraft haben“?237. Auch wenn es in dieser Phase von Adam zu Mose durch Noah und Abraham Entwicklungssprünge gab, begann für Döderlein die zweite Periode mit Mose. Mose wurde von Döderlein als „Lehrer und Retter seiner Nation“238 betitelt, der mit göttlicher Autorität aufgetreten sei und eine neue Offenbarung „zur Bestät231 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 156 f.; Döderlein, ChRU 4, 1789, 185. 232 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 167. 233 Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 156 f. 234 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 131. 235 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 1, 6. 236 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 132–135. 237 Döderlein, ChRU 1, 21790, 135. 238 Döderlein, aaO., 145.
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tigung und Entwicklung der vorhandnen“239 erhalten habe. Diese aufgezeigte Entwicklungslinie führte Döderlein durch die gesamte Geschichte Israels durch. Seiner Meinung nach hat sich die jüdische Religion immer weiter gereinigt und von sinnlichen Vorstellungen befreit.240 Jesus wurde schließlich von Döderlein als der Stifter des neuen Bundes vorgestellt, der eine richtigere Gottesverehrung und reinere Tugend gelehrt habe. Durch Jesu Tod verliere das mosaische Gesetz seine Gültigkeit.241 Er sei der Vollender dessen, was durch die Offenbarungen an Abraham und Mose vorbreitet wurde, der letzte Gesandte Gottes.242 Die drei Phasen lassen sich für Döderlein auch am Geist der Religion erkennen. Der Geist der ältesten Religion sei Furcht gewesen, im Judentum habe Vertrauen und Treue vorgeherrscht, und der Geist des Christentums bestehe aus Liebe, welche die Furcht verscheucht und das Vertrauen stärkt.243 Döderleins Offenbarungsgeschichte zeigt eine auffallende Ähnlichkeit zur Konzeption von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. Denn Döderlein nahm wie Jerusalem eine Dreiteilung vor: die Uroffenbarung, die Offenbarung an Mose und die Offenbarung durch Jesus.244 Neben der analogen Einteilung beschrieben beide Gelehrte die Zustände und Gegebenheiten der verschiedenen Offenbarungsstufen ähnlich und ließen mit dem Vollender Jesus Christus eine neue Epoche beginnen. Das ursprünglich auf Gott und Israel beschränkte Verhältnis bezogen sowohl Döderlein als auch Jerusalem nun auf die ganze Menschheit.245 Gleichermaßen ist der Bezug zu Gotthold Ephraim Lessing und seiner 239 Ebd. 240 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 153. 241 Vgl. Döderlein, aaO., 160 f. 242 Vgl. Döderlein, aaO., 165. 243 Vgl. Döderlein, ChRU 4, 1789, 171. Judentum und Christentum stehen für Döderlein in einer engen Verbindung, da er das Christentum als Weiterentwicklung beurteilte. Beide Religionen verglich Döderlein mit zwei Brüdern: Der jüngere Bruder habe beim älteren das ABC gelernt. Der jüngere werde den älteren nicht verstoßen, nur weil der ältere noch das ABC‑Buch behält. Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 164. Die Einordnung des Islams, als dritte abrahamitische Religion, bereitete Döderlein hingegen Schwierigkeiten. Er musste mit dem Problem umgehen, dass sich nach dem Christentum noch eine Religion herausgebildet hat, obwohl doch gemäß seines Entwicklungsschemas das Christentum die letzte Stufe der an die Menschheit ergangenen Offenbarungen darstellt. Döderlein „löste“ das Problem, indem er den Umstand, dass der Islam historisch später als das Christentum entstanden ist, möglichst verschwieg und dem Islam ähnlich wie dem Judentum – nur hier ohne ihm einen Platz in dem Offenbarungsprozess zuzugestehen – eine Vorbereiterfunktion für das Christentum zuordnete. Döderlein behauptete, dass viele heidnische Völker durch den Islam den wahren, einen Gott kennen lernen und sich dann letztlich dem Christentum zuwenden würden. Vgl. Fragmente und Antifragmente, 2, 1779, 158.245. 244 Zu Jerusalems Einteilung: Wolfgang Erich Müller, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. Eine Untersuchung zur Theologie der „Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion“ (TBT 43), Berlin/New York 1984, 45. 245 Zu Jerusalem siehe Müller, aaO., 48 f. – Döderlein zitierte auch direkt aus Jerusalems Betrachtungen über die christliche Religion (2. Theil, 2. Bd., 1779, 475). Siehe Döderlein, ChRU 1, 1785, 149.
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Schrift „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ offensichtlich, zumal Döderlein mehrfach auf diese Abhandlung verwies. So zitierte Döderlein Lessing beispielsweise, als er den geordneten Gang von Gottes Offenbarung darstellt.246 Die Einteilung der Zeitalter nahmen sie allerdings auf unterschiedliche Art und Weise vor. Lessing fasste die Uroffenbarung (die patriarchalische Zeit) und die jüdische Zeit zu einem Komplex zusammen. Das Judentum oder vielmehr Gottes Offenbarung im Alten Testament wurden der „Kindheit“ zugeordnet und das Christentum wurde als Knaben- und Jünglingsalter umschrieben. Das dritte Zeitalter klassifizierte er als die „Zeit eines neuen ewigen Evangeliums“, das „Zeitalter der Vollendung“, in welchem die Spaltung zwischen Diesseits und Jenseits überwunden wird. Lessing spielte hier auf die Thesen von Joachim von Fiore an, der behauptete, dass ein drittes, vollkommeneres Evangelium das Neue Testament ablösen werde.247 Auch wenn Döderlein viele Kerngedanken von Lessing übernahm, konnte er doch diese Idee von der Ablösung nicht mittragen.248 Mit seiner Darstellung der Offenbarungsgeschichte wollte Döderlein drei Dinge hervorheben. Er wollte erstens zeigen, dass frühere Erkenntnisse immer den Boden für spätere Wahrheiten bilden. Zweitens wollte er darlegen, wie sich Religion immer zu einer „höheren Reinigkeit“ weiterentwickelte. Obschon es partielle Rückschritte gab, so war das darauf folgende Steigen dann umso höher. Die Offenbarung sei nie ganz untergegangen.249 Und drittens hat diese Vervollkommnung den Modus eines „langsame[n] Gang[es]“250, der immer in Verbindung mit der allgemeinen Aufklärung der Vernunft steht. In diesem Zusammenhang spielt die Theorie von der Akkommodation eine entscheidende Rolle. Exkurs: Die Akkommodationstheorie als Gegenstück zum Perfektibilitätsdenken Für Döderlein kam die bisherige Entwicklungsgeschichte mit Jesus Christus an einen Höhepunkt, wobei Döderleins Perfektibilitätsdenken hier und ebenso in den folgenden Zusammenhängen immer eng mit der Idee der Akkommodation (lat. accommodatio – Anpassung)251 verbunden ist.252 Der Akkommodations246 Vgl. Döderlein, aaO., 167. Zu Lessings Erziehungsschrift sei auf Fick, Lessing-Handbuch und Arno Schilson/A xel Schmitt, Kommentar. Die Erziehung des Menschengeschlechts (in: Gotthold Ephraim Lessing. Werke und Briefe in zwölf Bänden, 10. Bd.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1778–1781 [Bibliothek deutscher Klassiker 176], hg. v. Dens., Frankfurt a. M. 2001, 794–879) verwiesen. 247 Vgl. Fick, aaO., 468 f. 480–482. Zu Joachim von Fiore u. a. Conc. V,84, fol.112r–v. Dazu auch siehe Matthias Riedl, Joachim von Fiore. Denker der vollendeten Menschheit (Epistemata 361), Würzburg 2004, v. a. 280–289. 248 Siehe Kapitel E/I, 3.5. 249 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 166–168. 250 Döderlein, aaO., 168. 251 Vgl. Ulrich H[einz] J[ürgen] Körtner, Art. Akkommodation I. Dogmatisch und fundamentaltheologisch (RGG4 1, 1998, 254). 252 Was Marianne Schröter für Semler konstatiert, gilt auch für Döderlein. Schröter stellt
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
gedanke zählte zu den zentralen Wesensmerkmalen der Neologie253 und beförderte gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine große Streitdebatte.254 Das Konzept von Akkommodation wurde aber nicht erst im Aufklärungszeitalter vertreten, sondern lässt sich, wenn auch in anderen Ausformungen, bereits in der christlichen Antike und vor allem im 17. Jahrhundert finden.255 Allerdings gilt nach Vorarbeiten Siegmund Jacob Baumgartens256 die Aufklärung als „Blüte“-zeit257 der Akkommodationstheorie, als deren Hauptrepräsentant Johann Salomo Semler gelten kann.258 Die Aufklärer trennten sich in ihrem Ansatz völlig von der Akkommodationstheorie der lutherischen Hoch- und Spätorthodoxie. Diese verbanden ihre Konzeption eng mit der Verbalinspirationslehre. Der Heilige Geist akkommodiere sich in seinem Diktat an den Stil und Ausdruck des jeweiligen Verfassers.259 Döderlein und mit ihm auch andere Theologen wie Semler260 betrachteten Akkommodation jedoch unter einem anderen Aspekt: Nicht nur, dass sich Gott mit seinen Offenbarungswahrheiten an den Zustand der Menschheit anpasse – Döderlein folgte hier Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem261 – auch Jesus und seine Apostel hätten auf die Vorstellungen und Begriffe ihrer Zeitgenossen Rücksicht genommen und die Wahrheiten nach den Vorstellungen ihrer Zeit präsentiert. Deshalb hätten sie unrichtige Meinungen geduldet, da es noch nicht an der Zeit gewesen sei, diese abzustreifen.262 Unter solchen Meinungen verstand Döderlein beispielsweise die Vorstellungen von einem Opfer und von fest: „Der Fortschritt in der Geschichte des Christentums resultiert […] erst aus Prozessen, die sich mit der Spannung zwischen Akkomodation und Perfektibilität ergeben, denn beide bedingen einander, auch wenn sie gleichzeitig einen entgegengesetzten Richtungssinn aufweisen. Diese skizzierte Doppelbewegung der Selbstdurchsetzung und Selbstreinigung verleiht im Ganzen dem Entwicklungsprozess den Charakter eines anhaltenden Strebens. Er gelangt allerdings im Verlauf der Geschichte nicht an sein natürliche Ende.“ Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 206. 253 Vgl. Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit, 216 und Fick, Lessing-Handbuch, 469. 254 Vgl. Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 211. 255 Vgl. Hornig, aaO., 212 f. Hier finden sich auch nähere Informationen zur Beschaffenheit der verschiedenen Akkommodationstheorien im 17. Jahrhundert sowie Angaben, auf welche Ansätze Semler sich bezog. Vgl. Hornig, aaO., 212–215. 256 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 110. Zu Baumgartens vermittelnder Akkommodationstheorie siehe Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 215–219. 257 Körtner, Art. Akkommodation, 254. 258 Vgl. Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 212. 259 Vgl. Hornig, aaO., 214. Die orthodoxe Akkommodationstheorie besaß eine apologetische Tendenz. Sie wollte mithilfe dieser Theorie die Verbalinspirationslehre gegen philologische Einwände, dass der Stil, die Grammatik und der Ausdruck der biblischen Verfasser verschieden sei, sichern. Vgl. ebd. 260 Zu Semlers Akkommodationstheorie siehe Hornig, aaO., 220–236. 261 Zu Jerusalem siehe Müller, Jerusalem, 66–75. 262 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 40 f.
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der Wirksamkeit der Engel und des Teufels.263 Ansichten wie die Opfervorstellung sind seiner Meinung nach den „Kinderjahre[n]“264 geschuldet und jetzt „unzeitig und zweckloß“265. Döderlein ging wie Semler davon aus, dass es innerhalb der neutestamentlichen Verkündigung zeitbedingte Vorstellungen gibt,266 die jetzt nicht mehr beibehalten werden müssen.267 Die Akkommodationstheorie bot ihm als „Kunstgriff der Exegese“268 auf diese Art Freiraum zur kritischen Betrachtung bestimmter Dogmen. Er nutzte diese Theorie aber ebenso als ein hermeneutisches Mittel, um die historische Distanz zwischen der neutestamentlichen Zeit und der eigenen Gegenwart aufzuheben.269 Hierbei kam der Vernunft eine zentrale Aufgabe zu: Sie ist es, die entscheiden soll, was nur zeitgebundene Wahrheiten sind und was auch für die Gegenwart noch verbindlich ist.270 Damit folgte Döderlein Wilhelm Abraham Teller, der forderte, nur die Schriftstellen zur christlichen Lehre zu rechnen, die sich als Vernunftwahrheiten bestimmen lassen und demnach nicht zu den zeitbedingten Akkommodationen gehören.271 Anhand von Döderleins Akkommodationstheorie lässt sich erkennen, dass er die Ansätze von Semler, Jerusalem und Teller mischte und in eigener Weise zusammenstellte. Waren sich die Aufklärungstheologen in ihren Grundsätzen einig, empfanden es ihre Gegner als Affront, dass die Aufklärer der neutestamentlichen Verkündigung zeitbedingte und damit auch irrige Vorstellungen anlasteten. Das bedeute nämlich, dass Jesus und die Apostel die Pflicht zur Wahrhaftigkeit verletzt und die Christen in Unklarheit über die Art und den Umfang der christlichen Lehre gelassen hätten.272 Es wurde ferner beanstandet, dass die Aufklärungstheologen die Akkommodationstheorie als Mittel nutzen würden, um sich „mancher unbequemen Offenbarungslehre[] zu entledigen“273. Diese Kritik war durchaus berechtigt. Die Beurteilung, was eine Akkommodation ist 263 Vgl. Döderlein, aaO., 41. 264 Döderlein, aaO., 40. 265 Döderlein, aaO., 42. 266 Vgl. Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 211. 267 Vgl. Hornig, aaO., 226. 268 Wenz, Versöhnungslehre, 1, 199, Anm. 29. 269 So auch Hornig über Semler: vgl. Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 236. 270 „Die Vernunft scheidet also den bleibenden Geist der Religion von dem Buchstaben, welcher für die ersten Zeitgenossen gehörte; sie sucht durch die Hülle bildlicher Vorstellungen in das Mark der lebendigen Wahrheit einzudringen; sie urtheilt, was veste Lehre und vergängliche Lehrform“. Döderlein, ChRU 3, 21791, 42. „Sie bestrebte sich, alle die Ideen, mit denen sich damals die schwächere Vernunft begnügen muste, gegen bessere, die der entwikeltern Vernunft angemessener sind, zu vertauschen“. Döderlein, aaO., 43. „Sie [die Vernunft] hat den Maßstab der Brauchbarkeit einer Lehre, wornach [sic] sie dieselbe ins Gebiet der christlichen Religion aufnimmt, oder aus demselben verweiset“. Döderlein, aaO., 44. 271 Vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 507. 272 Vgl. Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 211 f. 273 Rudolf Hofmann, Art. Accommodation (RE3 1, 1896, 127–130), hier 129.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
und was nicht, hatte nicht nur bei Döderlein die Tendenz, eine subjektive Entscheidung zu sein.274 3.2. Vervollkommnungsprozess in der natürlichen Religion Für Döderlein unterlag nicht nur die Offenbarung, sondern gleichermaßen die natürliche Religion einem Perfektibilitätsprozess. Es gibt seiner Meinung nach so viele Formen der natürlichen Religion wie Stufen der Aufklärung: vom „niedrigsten Stand der Rohheit bis zum höchsten in der reinen Philosophie“275. Sokrates habe eine andere „Naturreligion“ gehabt als die Gallier, und wer die natürliche Religion in Verbindung mit der christlichen Offenbarung betrachte, habe wieder einen anderen Standpunkt. Jede Stufe und Ausprägung habe zu der jeweiligen Zeit ihren Wert und ihre Berechtigung. Deshalb sprach sich Döderlein gegen Vergleiche wie etwa von Sokrates mit Jesus aus, da beide auf ganz verschiedenen Entwicklungsstufen stünden.276 3.3. Die Frage nach dem Ursprung der Religion Die im Kapitel über Döderleins Religionsbegriff erörterte Frage nach dem Verhältnis von geoffenbarter und natürlicher Religion betrifft zugleich die Frage nach dem Ursprung der Religion. Für Döderlein war es mit Verweis auf Johann Joachim Spalding und Johann Friedrich Gruner offensichtlich, dass die Offenbarung, die Erkenntnis eines einzigen höchsten Wesens, am Anfang der Menschheitsgeschichte stand. Er widersprach damit zwei Thesen: Zum einen stellte er sich gegen David Humes Behauptung, dass eine Entwicklung vom Polytheismus zum Monotheismus stattgefunden hat.277 Döderlein behauptete dementgegen wie Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem278 und Gotthold Ephraim Lessing279, dass am Anfang der Glaube an den einen Gott gestanden habe und dann Aberglaube den früheren und besseren Glauben ver274 Das zeigt sich exemplarisch an Döderleins Wunderverständnis (siehe Kapitel E/II, 3.). Im Gegensatz zu Semler war es Döderlein wichtig, dass Wunder nicht als eine Akkommodation an das Volk zu verstehen sind. Aber da er keinen dezidierten Kriterienkatalog für Akkommodationen angab, sind es weniger historisch-kritische Überlegungen, als theologische Reflexionen, die ihn zu dieser Annahme bewegten. 275 Döderlein, ChRU 1, 21790, 61. – Eine Entwicklung der natürlichen Religion behauptete unter anderem auch Semler. Vgl. Feil, Religio, 4. Bd., 450 f. 276 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 63 f. – Zum Sokratesbild in der Aufklärungszeit siehe Böhm, Sokrates im Achtzehnten Jahrhundert. 277 Vgl. Döderlein, aaO., 45. Zur Rezeption von Humes Polytheismus-These in der Aufklärung siehe Günter Gawlick/L othar Kreimendahl, Hume in der deutschen Aufklärung. Umrisse einer Rezeptionsgeschichte (FMDA II,4), Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 156– 159. 278 Vgl. Andreas Urs Sommer, Neologische Geschichtsphilosophie. Johann Friedrich Wilhelm Jerusalems Betrachtungen über die vornehmsten Wahrheiten der Religion (ZNThG 9, 2002, 169–217), hier 204. 279 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts, § 6. Abdruck des Textes in: Gotthold Ephraim Lessing. Werke und Briefe in zwölf Bänden, hier 10.
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drängte. Diese Abfolge – Monotheismus-Polytheismus-Monotheismus – stand für ihn in keinem Widerspruch zu seinem Perfektibilitätsdenken. Denn, so fragte er, welche Wahrheit hätte nicht das Schicksal gehabt, entstellt zu werden?280 Er bemühte sich, diese Abfolge zu rechtfertigen. Den Polytheismus ordnete er den Jugendsünden der Religion zu: „Jede Religion trägt, wie sie in ihrer Kindheit einfach, lauter und unschuldig ist, in ihrem Knabenalter immer die Spuren des raschen, ungeübten, strebenden und versuchenden Geistes, der noch keinen festen Schritt wagen, noch nicht helle sehen kann, und daher leicht verblendet wird, und leicht auf Thorheiten geräth.“281
Die Versinnlichung in der Religion und die Abgötterei haben laut Döderlein den Polytheismus befördert.282 Döderlein versuchte zudem, den Polytheismus mit der Zerstreuung der Völker zu erklären. Als alle Menschen noch vereint waren, hätten sie den Glauben an den einen Gott bewahrt, aber durch die Ausbreitung hätten sich die Vorstellungen von der Gottheit geändert.283 Trotz alledem sei die Erkenntnis des einen Gottes nie ganz verloren gegangen und habe sich unter den Juden und unter den „Weisen des Heidenthums“ erhalten und sich dann als „Volksglaube“ insbesondere durch das Christentum wieder verbreitet.284 „[Durch Jesus Christus beziehungsweise das Christentum] kehrt der alte Glaube an Einen Gott auf die Erde zurücke, verbreitet sich durch alle Nationen, entvölkert die Tempel, beschämt die Priester, stürzt die Altäre, und wird, nachdem ihn das Christenthum in Umlauf gebracht, bey zunehmender Aufklärung und größerer Sicherheit, von der Vernunft angenommen und befestigt.“285
Döderlein widersprach aber nicht nur dem Ansatz von Hume, sondern bewertete zweitens die Auffassung, der Mensch hätte die Erkenntnis von Gottes Dasein aus der Vernunft gewonnen, als falsch. Seinem Entwicklungsschema gemäß war die Vernunft in diesem Zustand zu einer solchen Erkenntnis gar nicht in der Lage. Vielmehr habe am Anfang die Offenbarung gestanden und die durch sie bekannt gemachte Wahrheit wurde dann von der Vernunft weiter bearbeitet.286 Döderlein wandte sich aber zugleich gegen das Vorhaben, bei jedem ReligionsBd.: Gotthold Ephraim Lessing. Werke 1778–1781 (Bibliothek deutscher Klassiker 176), hg. v. Arno Schilson/A xel Schmitt, Frankfurt a. M. 2001, 73–99. 280 Vgl. Döderlein, ChRU 4, 1789, 139 f. 146. 281 Döderlein, aaO., 146. 282 Vgl. Döderlein, aaO., 148. 283 Vgl. Döderlein, aaO., 147. 284 Vgl. Döderlein, aaO., 157 f. 285 Döderlein, aaO., 165. 286 Vgl. Döderlein, aaO., 45–48. In einer späteren Abhandlung relativierte er diese Aussage. Im vierten Band des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ aus dem Jahr 1789 bewertete Döderlein es als eine dreiste, unerforschliche Frage, wie die Menschen zu dem Glauben an Gottes Dasein gekommen sind. Das könne gar nicht mehr herausgefunden werden. Von dem Gedanken einer unmittelbaren Offenbarung distanzierte er sich. Denn eine Offenbarung setze schon die Idee von einer Gottheit in der Seele voraus. Vgl. Döderlein, aaO., 59–61.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
satz genau bestimmen zu wollen, ob er zur natürlich erkannten oder zur geoffenbarten Religion gehört. Denn Natur und Offenbarung seien durch ihr Zusammenwirken in ihrem Inhalt sehr eng verbunden. Er stimmte vielmehr Gotthold Ephraim Lessing zu, dass sich geoffenbarte Wahrheiten zu Vernunftwahrheiten entwickeln.287 Auch an dieser Stelle lässt sich erkennen, dass zu Döderleins Entwicklungsgedanken Rückschläge gehörten, die zwar einen großen Einschnitt bedeuteten (wie der Polytheismus), aber nie zur völligen Untergrabung der Wahrheit führten. Ebenso zeigt sich hier die enge Verbindung von Vernunft und Offenbarung. Beide ließen sich für Döderlein nicht getrennt voneinander denken. 3.4. Die Entwicklungsstufen der biblischen Schriften Dass sich Religion immer weiter entwickelt und erst allmählich der Vollkommenheit annähert, hat überdies Auswirkungen auf das Verständnis der alt- und neutestamentlichen Schriften. Döderlein nahm wie Gotthold Ephraim Lessing288 eine Zweiteilung vor: Die Schriften des Alten Testaments galten ihm als „Denkmale der jüdischen Religion“289 und dienten als „Vorbereitung auf die größere Erleuchtung der Welt durch Christum“290. Das Neue Testament ist dagegen Ausdruck einer höheren Entwicklungsstufe mit „reinere[n] Einsichten“291. Ebenso diagnostizierte er einen Entwicklungsprozess in den einzelnen Büchern. Vor allem in den Schriften des Alten Testaments lassen sich seiner Meinung nach ganz verschiedene Zeitalter feststellen.292 Wie aber kann der Christ damit umgehen? Soll er die Schriften des Alten Testaments lesen, obwohl er eine reinere Religion hat? Der Christ kann nach Döderlein das Alte Testament so gebrauchen, dass er diejenigen Wahrheiten herausnimmt, die Teil der allgemeinen Religion sind – Wahrheiten also, die Glückseligkeit und Ruhe des Herzens hervorbringen und die Lehrsätze des Neuen Testaments damit vervollständigen oder erläutern.293 Die Erkenntnis, dass das Alte Testament einem anderen Entwicklungsstadium entstammt, befreit den Christen laut Döderlein jedoch von Angriffen, die gegen diese Schriften und Vorstellungen gerichtet sind.294 Denn die Geschichten von Ruth oder Bileam sind nicht Teil seiner Religion.295 Aber auch die Schriften des Neuen Testaments bildeten für Döderlein kein abgeschlossenes System. Da seinem Perfektibilitätsgedanken zufolge die Wahrheit der Re287 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 49–51. 288 Siehe Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts § 53 und § 54. 289 Döderlein, ChRU 2, 21790, 167. 290 Ebd. 291 Döderlein, aaO., 158. 292 Vgl. Döderlein, aaO., 179 f. 293 Vgl. Döderlein, aaO., 236 f. 250 f. 294 Vgl. Döderlein, aaO., 236 f. 250 f. 261. 295 Vgl. Döderlein, aaO., 261. „Was für Kinder geschrieben ist, können Männer entbehren“. Döderlein, aaO., 262.
I. Theologische Grundlagen
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ligion unerschöpflich ist, kann sie gar nicht in einem Buch zusammengestellt werden.296 Dieser Entwicklungsgedanke hatte für Döderlein drei Konsequenzen für den gegenwärtigen Gebrauch der Bibel, gleichwohl er sie nicht in diesem Zusammenhang thematisierte: Erstens forderte er, ähnlich wie Semler297, einen Auszug der Bibel für Laien. Den Menschen solle mit Deutlichkeit und Kürze gelehrt werden, was eigentlich Christentum ist. Deshalb müsse Wesentliches und Nebensächliches getrennt werden, damit sich die Laien nicht auf die falschen Dinge konzentrierten und unnötige Bedenken und Fragen aufkämen. So solle ein Auszug aus dem Alten Testament nur das enthalten, was den Christen dem Ziel der Gottseligkeit näher bringe. Es müssten daher beispielsweise Teile sein, die Trost spenden und Stoff zum Gebet geben. Auch aus dem Neuen Testament sollten alle lokalen und temporellen Gegebenheiten herausgenommen werden.298 Zweitens verlangte Döderlein eine bessere Bibelübersetzung, die den Bedürfnissen der Zeit und dem jetzigen Entwicklungsstand der Religion angemessen ist.299 296 Vgl. Döderlein, aaO., 9. 297 Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 65 und Hornig, Anfänge der historisch-kritischen Theologie, 112 f. 298 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 150 f. 257.259.311 f. – Die Forderung nach einem Auszug der Bibel wurde in der Gelehrtenwelt sehr unterschiedlich aufgenommen. Während beispielsweise das „Journal für Prediger“ diesen Vorschlag befürwortete (vgl. Journal für Prediger, 19. Bd., 3. Stück, 1787, 339), lehnte Less diese Idee kategorisch ab und wies polemisch auf die Probleme hin: „Dieser Vorschlag [Auszug aus dem NT] vieler neuern Gelehrten will uns immer noch nicht gefallen. Denn wozu? Im ganzen N. T. ist nichts, das nicht selbst der Unfähigste bei einer guten Uebersezung […] verstehen sollte. Wird man ferner je einig werden, was man weglassen soll? Und würden nicht solche Auszüge, wie ehedem die Postillen der mittlern Zeit, die Menschen von der Bibel ganz abfüren? […] Aber ein abgekürztes, epitomirtes N. T. würde nichts nützen; hingegen für die neuen Reformatoren ein bequemes Mittel seyn, das Christenthum auszumerzen; und unsere protestantische Christen allmälig den Papisten gleich machen.“ Zugabe zu den Göttingischen gelehrten Anzeigen, 1. Bd., 1781, 372 f. An dieser Rezension von Less lässt sich exemplarisch zeigen, welchen Vorwürfen die Aufklärungstheologen von konservativeren lutherischen Theologen ausgesetzt waren: Sie würden das Christentum ausmerzen und sich anmaßen, die neuen Reformatoren zu sein. 299 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 314.316. Döderlein zog zur Untermauerung dieser Forderung die Autorität Luthers heran. Auch Luther würde „jetzt, wo die Hülfsmittel zur Auslegung der Bibel weit zahlreicher und brauchbarer sind, wo sich die Sprache wie die Sitten in Ausdrücken und Redensarten sehr geändert haben, […] sein unsterbliches Werk umbilden“. Döderlein, aaO., 315. Außerdem sei Luthers „Meisterstück“ auch weiterhin „ein schäzbares Denkmal seiner Gelehrsamkeit […] [und] ein Muster für alle Uebersezer“. Es eigne sich aber eben nicht „zum Gebrauch für alle Zeiten“. Döderlein, aaO., 314 f. Mit einer neuen Übersetzung könne auch den „Einwürfen des Unglaubens“ begegnet werden, indem gezeigt werde, dass „sie ihre Pfeile aus einer unrichtigen Uebersezung“ genommen haben. Döderlein, aaO., 315. Einwürfe anderer Theologen, die argumentierten, die Zeit sei für eine neue Übersetzung noch nicht reif, versuchte Döderlein zu entkräften, indem er auf die zahlreichen Hilfsmittel und schon existierenden Übersetzungen einzelner Bücher verwies. Vgl. Döderlein, aaO.,
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Drittens stimmte er Lessing zu, dass die Religion auch ohne Bücher, ohne die Bibel, gedacht werden kann, da Religion schon vor schriftlichen Zeugnissen existierte. Obgleich das Christentum ohne diese Schriften Bestand hätte, so sind sie allerdings für Döderlein unentbehrlich. Durch sie erlange der Christ Gewissheit, dass Jesus Christus der Bevollmächtigte Gottes ist, durch sie könne die Wichtigkeit einzelner Sätze beurteilt werden und durch sie werde die Reinheit der Lehre Jesu gegen Aberglauben, Irrtümer und Leichtsinn erhalten.300 Döderlein bemühte sich hier um einen Mittelweg: Er stand zwischen Lessing, der die oben genannte These vertrat, die Religion könne ohne Bücher bestehen, und Johan Melchior Goeze, der behauptete, ohne Schriften, die unmittelbar vom Heiligen Geist erleuchtet sind, gehe die christliche Religion unter.301 3.5. Theologiegeschichte als Entwicklungsgeschichte trotz vieler „ Ausartungen“ Auf der Suche nach der „Mittelstrasse“ vom apostolischen Zeitalter bis zur Gegenwart Mit der Herausbildung des Christentums kam dieser Entwicklungsprozess für Döderlein nicht zum Erliegen, sondern zog sich weiter durch die Gelehrsamkeit in der Religion und durch die Theologiegeschichte. Döderlein bewertete die Gelehrsamkeit in der Religion als Gewinn für das Christentum, da hier Wahres und Falsches, Nützliches und Unnützes in der Religion unterschieden werde, eine größere Bildung der Vernunft erlangt werde und die Einsichten der vorangehenden Zeit aufgehellt und berichtigt werden würden.302 Als Ideal von der Gelehrsamkeit der Religion gab Döderlein folgendes Bild: „[W]enn jene [die Gelehrsamkeit] für alle Theile von dieser [Religion] gleich wirksam wäre, wenn sie den Verstand mit deutlicher und nüzlicher Wahrheit bereicherte, das Herz durch dieselben mit würdigen Empfindungen erfüllete und diese so stärkte, und zugleich so mäsigte, daß sie nicht zu matt wären, um Thaten hervorzubringen, nicht zu gespannt und ungestümm [sic], um Thätigkeit zu verhindern, und nicht zu regellos, um in Gesinnungen überzugehen. Bleibt Eine unter diesen Wirkungen der Gelehrsamkeit isolirt, so entsteht Ausartung der vortreflichen Wissenschaft und […] Unordnung.“303 316. – Dass sich viele Theologen mit dem Gedanken schwer taten, sich von Luthers Übersetzung zu trennen, zeigt die Rezension über Döderleins zweiten Band des „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ in den „Gemeinnützige[n] Betrachtungen der neuesten Schriften“. Hier wurde auf die Schwierigkeiten hingewiesen, mit denen bei einer Einführung einer neuen Übersetzung zu rechnen sei, da schon die Einführung eines neuen Gesangbuchs viel Ärger verursacht habe. Gegner der Religion könnten gerne mit einer neuen Übersetzung widerlegt werden, aber in der Kirche dürfe sie keine Verwendung finden. Der Zeitpunkt sei dafür noch nicht reif. Vgl. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 4. Stück, 1. Abtheilung, 1786, 643. 300 Vgl. Döderlein, ChRU 2, 21790, 130.133–135.138 f. 301 Zu Goeze siehe Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 518. 302 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 124.126. 303 Döderlein, aaO., 142.
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Diese „Ausartung[en]“ bilden sich für Döderlein heraus, wenn allein der Verstand herangezogen wird, ohne die Einsichten mit Empfindungen zu verbinden. Auf diese Weise entsteht seiner Meinung nach Religion der Spekulation. Empfindungen ohne Verstand wiederum führen zu Schwärmerei, zur Religion der Mystiker. Fallen sowohl der Verstand als auch die Empfindung weg, dann bliebe nur noch die Religion der Gebräuche.304 Für Döderlein zeigen sich diese drei „Ausartung[en]“ in unterschiedlicher Ausprägung in vielen Zeiten der Kirchengeschichte; der Mensch fände kaum die ideale „Mittelstrasse“305. Bereits im apostolischen Zeitalter verwies er auf Missstände, die aus der Vermischung von Philosophie mit christlichen Lehrsätzen resultierten.306 Aber immer, wenn der Zustand extrem im Argen war, „[n]ach langem Schlummer“307, folgte eine Blüte des Nachdenkens, der Untersuchung und der Aufklärung.308 So bewertete Döderlein beispielsweise die Reformation. Er war überzeugt, dass die „dreyfachen Ausartungen der Religion“ niemals so groß waren wie zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Aber „dieser höchste Grad des Verderbens bereitete zur Verbesserung vor“309. Diese „Verbesserung“ sah Döderlein durch die Waldenser und Hussiten, den Humanismus und die verschiedenen Reformatoren, vor allem Philipp Melanchthon, gewährleistet. Martin Luther kam bei ihm aber ein besonderer Verdienst zu, denn dieser „war nicht der Einzige, aber doch gewiß der Erste, muthigste, wirksamste Reformator, den Temperament, Bildung und Lage zu einer solchen Unternehmung geschickt machte, dem innerlich seine Kraft und äusserlich sein Amt den Beruf dazu gab, […] [und der] die göttliche Legitimation dazu aufweisen kann“310.
Luther sei derjenige gewesen, der Vernunft mit Empfindung verband, der die „Mittelstrasse“311 betrat. Er bewirkte die „große Revolution der Kirchenverbesserung“312, die nicht nach einem vorher entworfenen Plan vollzogen wurde, sondern erst nach und nach vonstattenging. Döderlein listete zahlreiche Verdienste Luthers auf. Er hob vor allem hervor, dass sich Luther von dem Papst, der „Stüze aller Mißbräuche“313, getrennt habe und er gegen Ablass sowie gegen blin304 Vgl. Döderlein, aaO., 143–145. 305 Döderlein, aaO., 146. 306 Vgl. Döderlein, aaO., 146.149–153. 307 Döderlein, aaO., 154. 308 Vgl. Döderlein, aaO., 154 f. 309 Döderlein, aaO., 163. 310 Döderlein, aaO., 175. Döderlein konkretisierte, was er unter „göttliche[r] Legitimation“ verstand: „Denn wo ist ein Beruf göttlicher als der, die Menschen vom Joch des Irrthums zu befreyen, die reine Gottesverehrung zu befördern und das Schmachten des Herzens nach Licht und Trost zu befriedigen? Wo ist eine Legitimation apostolischer, als die durch den Fortgang einer Unternehmung und durch ihre wohlthätigen Wirkungen, nach dem evangelischen Grundsaz: ist das Werk aus Gott, so wirds bestehen?“ Ebd. 311 Döderlein, aaO., 177. 312 Döderlein, aaO., 178. 313 Döderlein, aaO., 180.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
den Glauben und Aberglauben vorgegangen sei. Luther habe ferner die Untersuchung der Wahrheit nach der Bibel und der Vernunft befördert und angefangen, Theologie und Religion zu unterscheiden. Außerdem habe er die Laien im Blick gehabt und mittels seiner Bibelübersetzung dazu beigetragen, dass unter den Laien mehr Religionskenntnisse vorherrschten und sie so von ihrem Aberglauben befreit werden konnten, in welchem sie absichtlich gehalten wurden. Ebenso habe er sich für die Bildung der „Lehrer des Christenthums“ eingesetzt, so dass diese dem Volk mehr Aufklärung bringen und der Tugendlehre mehr Ansehen verschaffen konnten.314 Döderlein akzentuierte, dass durch die Reformation keine neue Religion entstanden sei, sondern alle Lehren der Reformatoren schon lange vor ihnen existierten und im System der Religion enthalten, aber verdunkelt und vergessen waren.315 Er wollte damit eine Kontinuität der christlichen Wahrheit zur Lehre Jesu herstellen. Das von Döderlein als herausragende Leistung beschriebene Tun Martin Luthers wurde ihm zufolge auch nicht dadurch gemindert, dass sich in der Zeit der Reformation Verirrungen und Schwärmerei finden lassen. Das geschehe im Überschwange, wenn die Vernunft „im Taumel ihrer Freude“, endlich Freiheit zu haben, überreagiere.316 Auch dass sich bei Luther menschliche Absichten und Fehler eingeschlichen haben, schmälere seinen Verdienst nur wenig. Unter diesen Fehlern verstand Döderlein zwei Dinge: Zum einen fasste er darunter Luthers Temperament („heftig“, „beleidigend“), wobei er dies mit Luthers Lage, mit den Schmähungen seiner Gegner, zu rechtfertigen versuchte, und zum anderen meinte er damit falsch getroffene Entscheidungen und Verhaltensweisen Luthers. Letztere wurden von Döderlein allerdings nicht konkretisiert.317 Gegen diese Fehler hob er Melanchthon positiv hervor.318 Melanch314 Vgl. Döderlein, aaO., 178–180. Den Gedanken, dass Luther schon die Trennung von Religion und Theologie vollzogen habe, übernahm Döderlein von Semler. Zu Semler: Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 72; Georg R aatz, Auf dem Weg zur kritischen Identität des Protestantismus. Johann Salomo Semlers Lutherdeutung (in: Erinnerte Reformation. Studien zur Luther-Rezeption von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert [TBT 143], hg. v. Christian Danz/Rochus Leonhardt, Berlin/New York 2008, 5–39), hier 18. – Döderlein formulierte ferner über Luther: „Er warf die Fesseln ab, und erregte nun Liebe zur Freyheit, die sich vor keines Menschen Befehl in Glaubenssachen beugt […] und [war entschlossen], nichts als [die] Bibel in der Religion, nichts als die Wahrheit, die Sicherheit hat, Trost giebt, und das Herz beglückt, hinfort gelten zu lassen.“ Döderlein, ChRU 3, 21791, 180 f. 315 Vgl. Döderlein, aaO., 189. – So auch Semler: siehe Albrecht Beutel, Martin Luther im Urteil der deutschen Aufklärung. Beobachtungen zu einem epochalen Paradigmenwechsel (ZThK 112, 2015, 164–191), hier 183 f. 316 Döderlein, aaO., 192. Döderlein wehrte sich hier gegen katholische Vorwürfe, die Reformation habe nur zu Trennung und Menschenhass geführt. Denn erstens sei der Nutzen der Reformation viel größer als die negativen Begleiterscheinungen, zweitens könne man die Reformation nicht für alle Folgen verantwortlich machen und drittens sei die Teilung in Parteien nicht so schlimm wie erzwungene Harmonie. Vgl. Döderlein, aaO., 189 f. 194. 317 Vgl. Döderlein, aaO., 181. – Döderlein versuchte Luthers Verhalten immer wieder zu
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thon habe Luthers schwieriges Verhalten ansatzweise mindern können, indem er die Strenge mancher Meinungen, die Heftigkeit mancher Behauptungen und die Hitze mancher Ausdrücke Luthers milderte319 und als Versöhner zwischen den verschiedenen Parteien fungierte.320 Was Luthers Schriften für das Volk, für den weniger aufgeklärten Teil waren, das seien Melanchthons „Loci communes“ für die aufgeklärten Gelehrten gewesen.321 Aber sowohl Luther als auch er hätten nicht gleich alles richtig sehen können. Die eigentliche Berichtigung und Verbesserung bestimmter Dinge sei späteren Zeiten vorbehalten gewesen. Döderlein verglich die Situation der Reformation mit der von Jesus – dem „größeste[n] und weisseste[n] Reformator“. Es können nicht mit einmal alle schon vorhandenen Vorstellungen verändert werden. Auch Jesus habe manche Meinungen stehen gelassen, die später berichtigt werden sollten.322 Hätte die Reformation alles vollenden wollen, dann hätte dies einen enormen Sprung in der Entwicklung menschlicher Ideen bedeutet. Da Religion aber immer im Verhältnis zur allgemeinen Aufklärung der Vernunft fortschreitet, sei das von der Vorsehung kontextualisieren und damit zu rechtfertigen. Bestimmte Beschuldigungen gegen Luther, wie er habe nur aus Eigennutz, Stolz und Neid gehandelt, klassifizierte Döderlein als Verleumdungen. Aber auch wenn diese Vorwürfe stimmen würden, so vermindere es doch nur die Achtung für Luthers Person, nicht aber die Dankbarkeit für seinen Verdienst. Vgl. Döderlein, aaO., 182. Die Rezensenten bewerteten Döderleins Charakterisierung von Luther als gelungen. Ihm wurde besonders positiv angerechnet, dass er Luther „gegen die itzt bei vielen Schriftstellern zur Mode werdende Verunglimpung in Schutz genommen“ habe. Journal für Prediger, 20. Bd., 1. Stück, 1788, 101. 318 „Melanchthon, der bey der ganz ungleichen Gemüthsart mit Luthern doch, wie er, unauslöschlichen Haß gegen Druck des Geistes, brennende Liebe zur Freyheit und warmen thätigen Eifer für die Wahrheit hatte und äusserte. Sanft und stark, bescheiden und nachdrücklich, gefällig und ernstlich; minder zerstreut durch Streitigkeiten, aber desto ruhiger und fester in seinen Untersuchungen; […] wenig bekannt mit der Speculation, aber desto mehr mit der Bibel […] – so war Melanchthon.“ Döderlein, aaO., 185. – Diese positive Sicht auf Melanchthon hatte Döderlein mit anderen Aufklärern gemein. Siehe Völker, Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärung, 72; Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 73. Ferner sei auf den Aufsatz von Matthias Pohlig verwiesen: Matthias Pohlig, Humanismus als Aufklärung? Erasmus und Melanchthon im 18. Jahrhundert (in: Das Bild der Reformation in der Aufklärung [SVRG 218], hg. v. Wolf-Friedrich Schäufele/Christoph Strohm, Heidelberg 2017, 300–318). 319 Vgl. Döderlein, aaO., 185. „Er [Melanchthon] war es, […] der Fürsten und Gelehrten die Fackel der Wahrheit vortrug, wenn Luther durch sein rasches und rauhes Betragen bey beyden minder geschäzt war; der im Zusammenhang die Lehren Luthers und seiner Genossen darstellte, in welchem sie als ein würdiges Ganzes erscheinen, dessen Theile alle zusammenpassen, alle Einen Grund, Vernunft und Bibel, und Eine Absicht ächtere Gottesverehrung haben.“ Ebd. 320 Vgl. Döderlein, aaO., 186. 321 Vgl. Döderlein, aaO., 185 f. Diesen Gedanken hat Döderlein direkt von Gottlieb Jakob Planck abgeschrieben, ohne es allerdings zu kennzeichnen: [Gottlieb Jakob Planck], Geschichte der Entstehung, der Veränderungen und der Bildung unsers protestantischen Lehrbegriffs vom Anfang der Reformation bis zu der Einführung der Konkordienformel, 2. Bd., Leipzig 1783, 81. 322 Vgl. Döderlein, aaO., 181–183.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
nicht gewollt gewesen.323 In Döderleins Entwicklungsschema hatte alles seine Zeit und seinen Ort. Er drückte daher poetisch aus: „[D]ie Reformation war die Morgendämmerung des künftigen hellern Tages, der Anfang einer Läuterung der Religion, welche die rohesten Unlauterkeiten niederstürzte, und Vorbereitung der Vernunft zu den freyern Uebungen“.324 An dieser Einschätzung Döderleins lässt sich erkennen, dass er die Reformation als Voraussetzung, als eine entscheidende Entwicklungsstufe, für die Aufklärungszeit ansah und die Aufklärung auf dem Boden der Reformation verorten wollte.325 Hinter diesem Anspruch, als Aufklärer der „Testamentvollstrecker Luthers“326 zu sein, stand nicht nur aufklärerisches Selbstbewusstsein, sondern gleichermaßen Abwehrverhalten gegenüber Vorwürfen orthodoxer Theologen, welche die Aufklärer beschuldigten, sie seien Lutherverächter.327 Letztlich richtete Döderlein sich hier auch gegen die flacianische Behauptung, die ganze Reformation sei mit Luther vollendet.328 Döderlein sah aber nicht nur seine Zeit in Kontinuität zur Reformation, sondern kontextualisierte die Reformation als solche. So fand beispielsweise der Humanismus eine Aufwertung.329 Es fällt ferner auf, dass Döderlein weniger an Luthers Schriften und einer intensiven Auseinandersetzung mit seiner Theologie interessiert war als an Luthers Persönlichkeit und Tun. Er reihte sich damit ganz in das „neue[] […] Bild“330 ein, welches die Aufklärungstheologie von Luther hatte, in welchem Luthers Charakter und seine 323 Vgl. Döderlein, aaO., 196.198. 324 Döderlein, aaO., 198. 325 Dies ist ein gängiges Motiv innerhalb der Aufklärungstheologie. Siehe Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 71.74; Leopold Zscharnack, Reformation und Humanismus im Urteil der deutschen Aufklärung. Zur Charakteristik der Aufklärung des 18. Jahrhunderts (PrM 12, 1908, 81–103.153–171), hier 83. Als Forschungsliteratur zur Lutherrezeption in der Aufklärungszeit sei neben den bereits genannten Darstellungen (Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung; R aatz, Semler; Völker, Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärung; Zscharnack, Reformation) noch verwiesen auf Beutel, Martin Luther im Urteil der deutschen Aufklärung; Heinrich Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart, Göttingen 21970; Walter Mostert, Art. Luther III. Wirkungsgeschichte (TRE 21, 1991, 567–594); K arl-Heinz zur Mühlen, Reformatorisches Profil. Studien zum Weg Martin Luthers und der Reformation, Göttingen 1995; K arl-Heinz zur Mühlen, Art. Wirkung und Rezeption. II. Im Zeitalter von Pietismus und Aufklärung (in: Luther Handbuch, hg. v. Albrecht Beutel, Tübingen 22010, 473–477); Wolf-Friedrich Schäufele/Christoph Strohm (Hg.), Das Bild der Reformation in der Aufklärung (SVRG 218), Heidelberg 2017; Christopher Spehr (Hg.), Luther denken. Die Reformation im Werk Jenaer Gelehrter (SGThFJ 2), Leipzig 2019; Horst Stephan, Luther in den Wandlungen seiner Kirche, Berlin 21951. 326 Stephan, aaO., 43. 327 Vgl. Zscharnack, Reformation, 83.97. 328 Vgl. Zscharnack, aaO., 97. 329 Diese Aufwertung der vorreformatorischen Phase zeigt sich beispielsweise auch bei Semler. Vgl. R aatz, Semler, 34 und Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 71. 330 Bornkamm, Luther, 16.
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reformatorische Art Anklang fanden, während man in Luthers konkreter Lehre wenige Vorzüge zu akzentuieren wusste, ganz im Gegensatz zur lutherischen Orthodoxie.331 Luthers Charakter und seine Art wurden allerdings, in Fortführung der moralischen Einwände des Pietismus,332 ambivalent wahrgenommen.333 Die von Döderlein herausgestellten Vorzüge Luthers, er habe dem Volk Aufklärung gebracht, es aus Unmündigkeit und von Aberglauben befreit und die Bibel und Vernunft zur Grundlage seiner Untersuchungen gemacht,334 fanden genauso Erwähnung wie Luthers auffahrender Charakter. Döderlein bewertete Luther hier aus seiner aufklärerischen Perspektive und betonte genau das als positiv, worin Luther den Idealen der Aufklärung entsprach.335 Was an Luther problematisch erschien, zum Beispiel sein Festhalten an Augustin336 und seine Heftigkeit, erklärte Döderlein historisch, aus Luthers Zeit und Lage heraus.337 Wie aber ging es für Döderlein nach der Reformation weiter? Die Zeit danach beschrieb er als Periode des Streits.338 Glaube habe mehr gegolten als Liebe, Orthodoxie mehr als Sanftmut und Bestimmungen der Symbolischen Bücher mehr als Gotteswort. Über das Streiten sei die reine Gottesverehrung und die Ausübung der Tugend völlig vergessen worden, und die Konflikte hätten zur Lähmung des Geistes geführt. Die Zeit der lutherischen Orthodoxie sah er deshalb hauptsächlich unter einem negativen Blickwinkel, als Zeit des Rückschritts. Mit Arminius von Holland, René Descartes und Baruch de Spinoza begann für Döderlein aber wieder eine positive Phase. Deren Philosophien hätten zwar viele Zweifel hervorgerufen, aber diese Gelehrten hätten sich um eine Vereinigung von Vernunft und Religion bemüht und viele Lehrmeinungen in der Theologie 331 Vgl. ebd.; Mühlen, Reformatorisches Profil, 246; Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 72; R aatz, Semler, 27. 332 Vgl. Bornkamm, Luther, 16. 333 Vgl. R aatz, Semler, 38. Vor allem Semler arbeitete die Ambivalenzen Luthers heraus. Dazu siehe R aatz, Semler und Hornig, Anfänge historisch-kritischer Theologie. Hornig setzt sich innerhalb von zwei Kapiteln mit Semlers Lutherbild auseinander. Kapitel V (116– 148) hat Hornig mit „Semlers Lutherkritik“ und Kapitel VI (149–175) mit „Semlers Luthernachfolge“ überschrieben. 334 Die Darstellung Luthers als den Befreier von Aberglauben und Glaubenszwang ist ein Topos unter den Aufklärungstheologen. Siehe Mühlen, Reformatorisches Profil, 246; Bornkamm, Luther, 17; Mostert, Art. Luther, 571. 335 So sehen es auch Völker, Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärung, 70 und Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 72 für die gesamte Aufklärungstheologie. Beutel hebt hervor, dass Luther „zum Urbild der eigenen aufklärerischen Identität“ avancierte. Beutel, Martin Luther im Urteil der deutschen Aufklärung, 168. 336 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 182. 337 Dieses Entschuldigen Luthers aus seinen historischen Umständen heraus können Stephan, Luther in den Wandlungen, 42 und Bornkamm, Luther, 16 f. auch für andere Aufklärungstheologen feststellen. 338 Diese Bewertung nahmen auch andere Aufklärungstheologen vor. Siehe Völker, Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärung, 75 f.
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berichtigt.339 Es brauchte allerdings noch Zeit, bis sich diese Lehrsätze und Meinungen allgemein durchsetzten und auch in Deutschland rezipiert wurden. Döderlein hob in diesem Zusammenhang Georg Calixt und Philipp Jacob Spener hervor. Durch Spener sei die Bibelauslegung nicht mehr „ein Paradeplatz von Wortgelehrsamkeit“ gewesen, sondern eine Übung, die praktischen Lehren des Christentums zu entdecken. Nach Speners Tod habe es wieder Verirrungen gegeben, die Vernunft sei wieder „[einge]schlummert[]“ und es sei unsinnigerweise zwischen Wiedergeborenen und Unwiedergeborenen differenziert worden.340 Einen neuen Aufschwung gab es nach Döderlein durch die Leibniz-Wolffsche Philosophie. Obgleich diese durch ihre „Trockenheit“ viel von ihrer Verständlichkeit verloren habe, so habe sie doch zu mehr Harmonie zwischen Christentum und der Vernunft geführt.341 Stand der Aufklärung und des Vervollkommnungsprozesses in der Gegenwart Wie bewertete Döderlein seine Gegenwart innerhalb dieser Entwicklungsgeschichte? Zur Beantwortung dieser Frage muss zunächst ein Blick auf Döderleins Verständnis von dem Begriff „Aufklärung“ geworfen werden. Im dritten Band seines „Christliche[n] Religionsunterricht[s]“ definierte er in dem Kapitel „Betrachtungen über den jezigen Zustand der Religion und Theologie“, was er unter „Aufklärung“ versteht. Ihm ging es dabei allerdings nicht darum, diese Frage im Grundsätzlichen zu beantworten, wie es Moses Mendelssohn und auch Immanuel Kant getan hatten.342 Döderlein untersuchte vielmehr, was Aufklärung im Bereich der Religion und Theologie meint. Er hatte dabei die „Schmähungen frömmelnder Orthodoxen“343 gegenüber der Aufklärungstheologie vor 339 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 204–206. 340 Döderlein, aaO., 208–211. 341 Vgl. Döderlein, aaO., 212. 342 Nachdem Johann Friedrich Zöllner 1783 in der „Berlinische[n] Monatsschrift“ (BM) in einer Fußnote die Frage gestellt hatte „Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wol beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge! Und doch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden!“ ([Johann Friedrich] Zöllner, Ist es rathsam, das Ehebündniß nicht ferner durch die Religion zu sanciren? [BM, 2. Bd., 1783, 516]) bemühten sich Mendelssohn und Kant um die Beantwortung dieser Frage. Dazu und zu Antwortversuchen weiterer Gelehrter sei verwiesen auf Ehrhard Bahr (Hg.), Kant, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn, Riem, Schiller, Wieland. Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, Stuttgart 1974; Hans-Dietrich Dahnke, „Was ist Aufklärung?“ (in: Debatten und Kontroversen. Literarische Auseinandersetzungen in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts, 1. Bd., hg. v. Dems./Bernd Leistner, Berlin/Weimar 1989, 39–134); Norbert Hinske, Nachwort zur zweiten Auflage. Die Diskussion der Frage: Was ist Aufklärung? durch Mendelssohn und Kant im Licht der jüngsten Forschungen (in: Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift, in Zusammenarbeit mit Michael Albrecht ausgewählt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Norbert Hinske, Darmstadt 41990, 519–558); Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Was ist Aufklärung? Thesen, Definitionen, Dokumente, Stuttgart 2010. 343 AdB, Anhang 53–86. Bd., 1. Abtheilung, 1791, 234.
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Augen und wollte diese widerlegen. Sein Anliegen hatte hierbei durchaus apologetischen Charakter. Zunächst stellte er fest, dass mit dem Namen „Aufklärung“ oft Missbrauch betrieben werde, indem beispielsweise behauptet werde, Aufklärung sei das Eliminieren von Offenbarungswahrheiten und bestünde nur aus Spitzfindigkeiten oder sie bedeute, dass jeder Laie alles wissen und glauben müsse. So aber sei Aufklärung nicht zu verstehen. Döderlein definierte Aufklärung als die Harmonie zwischen Vernunft und Christentum, als das Aufgeben unhaltbarer Sätze, die Verbindung von Religion und Tugend, den Lernprozess, Gott würdiger zu denken und die Befähigung der größeren Masse der Menschen zur Kenntnis der Wahrheit und Anregung des eigenen Nachdenkens.344 Ein solches Verständnis von Aufklärung bewirkt seiner Meinung nach verschiedene Dinge: Religionslehren würden vereinfacht, anderen religiösen Standpunkten könne mit Toleranz begegnet und Reformen in den Schulen, der Liturgie und den Gesangbüchern könnten umgesetzt werden.345 Dass hier Wunsch und Realität ineinander fließen, lässt sich an Döderleins gespaltener Zeitdiagnose erkennen. Einerseits behauptete er, die Vereinigung von Vernunft und Offenbarung sowie von Tugend und Religion sei schon vorangeschritten. Man sei in die Fußstapfen Luthers getreten und habe das, was er unvollendet lassen musste, der Vollendung näher gebracht. Döderlein benannte an dieser Stelle die Verdienste einiger Gelehrter seiner Zeit wie beispielsweise von Moses Mendelssohn, Johann August Eberhard, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Johann August Nösselt, Johann Joachim Spalding, Johann David Michaelis, Gottfried Less, Johann August Ernesti und Johann Jakob Griesbach.346 Andererseits erkannte Döderlein aber auch, dass sich alle diese Entwicklungen erst am Anfang befinden. Es gebe noch genug Beispiele, wo Aberglauben und Dummheit herrschten. Die Aufklärung sei von vielen Seiten her bedroht: Die einen würden wie Voltaire die Vernunft zum Maß aller Dinge erheben und den Glauben lächerlich machen, die anderen würden wie Johann Caspar Lavater die Vernunft abwerten und ein Wiedererwachen des Hangs zum Wunderbaren bewirken.347 Trotz all dieser Gefahren erwartete der Jenaer Theologe, dass letztendlich die Aufklärung siegen wird und die Besorgnisse verschwinden.348 Denn keine Einschränkungen seien je von Dauer gewesen, und alle finsteren Perioden dienten immer als Vorbereitung für die größere Aufklärung. In diesem Zusammenhang hoffte Döderlein, dass die neuesten durch die Philosophie Kants eingetretenen Erschütterungen in wenigen Jahren wieder abklingen, sowie dass 344 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 223–227. 345 Vgl. Döderlein, aaO., 243–246. 346 Vgl. Döderlein, aaO., 235.238–241.243.249. Ihnen sei es zu verdanken, dass die ideale „seltene Temperatur zwischen Kälte der Spekulation und Fieberhitze der Schwärmerei getroffen“ sei. Döderlein, aaO., 239 f. 347 Vgl. Döderlein, aaO., 249–256. 348 Vgl. Döderlein, aaO., 260. Der Rezensent des „Journal[s] für Prediger“ beurteilte Döderleins Darstellung als mutmachend. Vgl. Journal für Prediger, 20. Bd., 1. Stück, 1788, 102.
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die Spekulationen wieder gemäßigter werden, die Vernunft „minder geschwäzig“ und der „Glaube dem […] Spötter minder anstößig“ sein wird.349 Ihm blieb die Hoffnung, dass die „glücklichen Aufklärungen und Berichtigungen in der Religion in der Folge noch mehr als jetzt geschäzt und genuzt“350 werden. Warum sollte es auch in allen Wissenschaften Aufklärung geben, aber nicht in der Religionslehre?351 Da Döderlein seinen Ausführungen den Gedanken der Perfektibilität zugrunde legte, war es für ihn unverständlich, warum viele seiner Zeitgenossen über die Neuerungen in der Religion klagen und ein festgesetztes christliches Lehrsystem behaupten. Sie würden doch nur die Trägheit begünstigen, den Geist in Fesseln legen und die Vernunft niederdrücken wollen und sich damit gegen eine Entwicklung stellen. Wer aber die Wahrheit suche, der freue sich über die Wahrheit und ihren Wachstum. Denn was sei Wahrheit ohne Zuwachs und Fortschritt?352 Aber wie weit ging der eben beschriebene Fortschritt bei Döderlein? Wird das Christentum in der Zukunft durch eine bessere Religion beiseitegeschoben werden, so wie das Christentum einst das Judentum verdrängte? Döderlein verneinte diese Frage. Obgleich sich die Religion zu einer reineren Vernunftreligion entwickle, so würde diese doch noch Christentum bleiben, denn die höchste Vernunft könnte Gott nie reiner denken, als dass er Geist ist, und dem Menschen keine dringendere Pflicht als die Menschenliebe empfehlen. Auch eine neue Offenbarung hielt Döderlein für unwahrscheinlich. Jesus habe kein weiteres Zeitalter vorausgesehen. Außerdem sei das Christentum nicht wie das Judentum auf eine Nation beschränkt, sondern universal. Döderlein hoffte zwar auf eine Zeit, in der das Christentum vom Aberglauben gereinigt in seiner wahren Gestalt auftritt, aber er ging davon aus, dass das Christentum nie als unbrauchbar oder veraltet abgestoßen wird. Denn eine Religion, die den Menschen schon zur höchsten Vollkommenheit anführe, mache keine neue notwendig.353 An dieser Stelle ist es entscheidend, noch einmal einen Blick auf Döderleins Religionsverständnis zu werfen. Neue Wahrheiten werden seiner Meinung nach durch Gottes Offenbarung bekannt gemacht. Da aber die Offenbarung Jesu Christi für ihn die letzte ist, werden sich im Christentum keine Grundsätze mehr ändern. Im Zuge der Entwicklung werden sich die Vortragsart und die Behandlung der Lehren ändern, bestimmte Wahrheiten werden miteinander verknüpft, alles wird „reiner“, aber der Grund bleibt der Gleiche.354 349 Döderlein, aaO., 259 f. 261. 350 Döderlein, aaO., 261 f. 351 Vgl. Döderlein, aaO., 219. 352 Vgl. Döderlein, aaO., 46 f. 50 f. 353 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 399–407. 354 Vgl. Döderlein, aaO., 446 f.; Döderlein, ChRU 3, 21791, 204. – Hintergrund für Döderleins Überlegungen bildete überdies die Unterscheidung von Lehrart und Lehre (siehe Kapitel E/I, 4.1.).
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Döderleins Durchgang durch die Theologiegeschichte lässt erkennen, dass er hier dieselben Grundannahmen wie bereits bei der Offenbarungsgeschichte zugrunde legte: Trotz möglicher Rückschritte ist immer eine Weiterentwicklung zu verzeichnen, wenn diese auch langsam vorwärts geht. Die Geschichte erscheint bei ihm als wellenförmige Aufwärtsbewegung. Döderlein griff mit seiner Entwicklungsgeschichte auf die Thesen von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem und Johann Salomo Semler zurück. Jerusalem ging davon aus, dass nicht am Anfang, sondern am Ende der Geschichte das wahre Christentum zu finden ist.355 Semler sprach vom sukzessiven Wachstum der christlichen Religion und sah weder im Urchristentum, noch in der Reformation oder der Orthodoxie, noch in der Aufklärungszeit einen Abschluss des Vervollkommnungsprozesses.356 Denn seiner Meinung nach kann die Vollkommenheit nicht am Anfang einer geschichtlichen Erscheinung liegen, sondern wird erst durch einen Entwicklungsprozess erreicht. Semler äußerte sich daher gegen eine Idealisierung des Urchristentums, wie es Orthodoxie und Pietismus taten. Das Christentum wurde von ihm vielmehr als eine dynamische und entwicklungsfähige Größe wahrgenommen. Deshalb stellte die Reformation für Semler auch eine tiefgehende Zäsur dar, bei der allerdings der Prozess der geschichtlichen Vervollkommnung noch nicht abgeschlossen ist.357 Döderlein übernahm diese Thesen von Semler. 3.6. Das Christentum als Träger des Vervollkommnungsprozesses Döderleins Perfektibilitätsdenken betraf aber nicht allein die Religion als Größe an sich. Er adaptierte erneut Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, indem er die Entwicklung der Religion in Beziehung zur Moralität, zu Bildung und Wohlstand sowie zur Politik setzte.358 Das Christentum beschrieb Döderlein als Träger des Vervollkommnungsprozesses. Seiner Meinung nach hat das Christentum der Menschheit zu einer neuen Gestalt verholfen. Die Bildung der Menschen habe sich entscheidend verbessert. Das Christentum habe mehr als andere Religionen das Nachdenken gefördert und die Bildung auf alle Menschen ausgeweitet. Obschon es Missstände gebe und nicht immer nach den Grundsätzen gehandelt werde, so habe das Christentum zur Verbesserung der Sitten und Tugend geführt. Auch der äußerliche Wohlstand habe zugenommen. Die Regierungen seien ferner beständiger, Kriege menschlicher, Despoten gelinder geworden. Außerdem bewirke das Christentum Ruhe für die Seele. Auf alle wichtigen Fragen des Lebens würde man in der christlichen Religion eine befriedigende Antwort 355 Vgl. Sommer, Neologische Geschichtsphilosophie, 197; Hans Wagenhammer, Das Wesen des Christentums. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung (TTS 2), Mainz 1793, 203. 356 Vgl. Hornig, Perfektibilität, 231. 357 Vgl. Hornig, Der Perfektibilitätsgedanke bei J. S. Semler, 384–387. 358 Für Jerusalem standen alle humanitären Entwicklungen des Abendlandes in Verbindung mit der christlichen Religion. Vgl. Sommer, Neologische Geschichtsphilosophie, 196.
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finden.359 Döderlein baute ein utopisches Bild auf: Je mehr der Geist des Christentums emporkomme, desto mehr werde sich alles der natürlichen Gleichheit annähern, und nicht die Geburt, sondern der Verdienst, nicht Reichtum und Güter, sondern Tugend und Taten seien dann entscheidend.360 3.7. Individueller Entwicklungsprozess Döderlein bewertete überdies die religiöse Entwicklung jedes einzelnen Christen unter dem Gesichtspunkt der Perfektibilität. Er unterschied bei jedem Menschen zwischen der Religion der Jugend und der des reiferen Alters. Kinder haben seiner Meinung nach ihre eigenen Vorstellungen und Empfindungen von Gott. Obgleich in dieser Religion der Kindheit noch viel Unvollkommenheit und Sinnlichkeit stecke, so habe sie ihren Wert und ihren Wahrheitsgehalt. Sie entwickle sich dann zur „Mannsreligion“, bei der sich die Wahrheit durch Nachdenken rechtfertigt und Empfindungen durch deutlichere Begriffe und eigene Erfahrung vernünftiger würden.361 Diese individuelle Perfektibilität findet für Döderlein ihre Fortführung im ewigen Leben. Jeder Mensch sei zu Lebzeiten von seinen Kenntnissen, seinem Glauben und seinen Werken her unterschiedlich und habe eine andere Stufe in dem Vervollkommnungsprozess erreicht. Allerdings erlangt nach Döderlein kein Christ die Vollkommenheit in Gänze. An der individuellen Lage werde im Leben nach dem Tod angesetzt und die Kenntnisse und der Glaube würden in einem steten Fortgang zunehmen. Es erfolge hier ein Wachstum zu mehr Vollkommenheit.362 3.8. Zusammenfassung Döderlein griff wie viele Aufklärungstheologen den Gedanken der Perfektibilität auf und verarbeitete ihn in verschiedenen Themenbereichen. Die Idee einer Vervollkommnung stand bei ihm immer in Verbindung mit der Akkommodationslehre. Gott gibt die Offenbarung angepasst an die menschlichen Fähigkeiten; ebenso beachten Jesus und seine Jünger die Kenntnisse ihrer Zuhörer. Die verschiedenen Stufen an Verstand und Erkenntnis, gleichwohl sie aus der „Kindheit“ der Menschheit stammen, erfuhren bei Döderlein keine Abwertung. Im Gegenteil: Jede Stufe hat ihren Wert und ist ihrer Zeit gemäß. Das Nachfolgende kann von den vorigen Erkenntnissen profitieren, indem Änderungen oder Vervollständigungen vorgenommen werden. Indem Döderlein von diesem Entwick359 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 202–212.215. 360 Vgl. Döderlein, aaO., 212. – Schon die Rezensenten wiesen auf die Problematik dieser These hin. Den von Döderlein dargestellten Zusammenhang von hoher Kultur und Christentum bewerteten sie als Fehlschluss. Vgl. Albrecht Georg Walch in der AdB, 69. Bd., 1. Stück, 1786, 34 f. 361 Vgl. Döderlein, aaO., 7 f. 20. 362 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 145 f. 172.176 f.
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lungsprozess ausging, konnte er weder die Vergangenheit (Urchristentum und Reformation) noch die Gegenwart als Zeiten der höchsten Vollendung ansehen. Die Entwicklung geht weiter. Das Christentum wird sich weiter reinigen. Dementsprechend kann hier von einer „Selbstrelativierung der Aufklärungstheologie“363 gesprochen werden. Das Vervollkommnungsgeschehen betrifft nach Döderlein aber nicht nur das Christentum, sondern alle Bereiche des menschlichen Lebens. Dabei ordnete Döderlein dem Christentum eine entscheidende Rolle zu. Das Christentum steht seiner Meinung nach nicht nur auf einer höheren Stufe als die anderen Religionen, es ist überhaupt der Träger für die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse. Die christliche Religion ist nicht irgendwann überlebt, sondern führt die Menschheit zur höchsten Vollkommenheit. In seiner Ausführung entsprach Döderlein an vielen Stellen den Behauptungen von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Johann Salomo Semler und Gotthold Ephraim Lessing, die ähnlich argumentierten. Döderlein partizipierte an diesem Diskurs, indem er sich bestimmte Argumente herausnahm und sie selbstständig in seinen Werken verarbeitete. Dabei setzte er entscheidende eigene Akzente, die sich besonders dann zeigen, wenn er bestimmte Thesen nicht übernahm. So blieb Döderlein beispielsweise der Lehre des Neuen Testamentes treu, als er Lessings Behauptung eines dritten Zeitalters, der „Zeit eines neuen ewigen Evangeliums“, widersprach und betonte, dass Jesus kein neues Zeitalter verkündigt habe und keine weitere Offenbarung mehr komme. Das Neue Testament bildete für Döderlein zwar kein abgeschlossenes System und eine Weiterentwicklung der Religion wurde von ihm angenommen, aber Jesus Christus galt ihm bereits als der Vollender der göttlichen Offenbarung, mit dem das dritte Zeitalter begonnen hat. Im Gegensatz zu Lessing war für Döderlein auch nicht der Zielpunkt der Vervollkommnung eine sittliche Vernunft- und Humanitätsreligion,364 die eine Trennung zwischen Diesseits und Jenseits aufhebt.365 Döderlein hielt an der eschatologischen Perspektive fest und war davon überzeugt, dass die höchste Vollkommenheit erst im Jenseits möglich ist. 4. Das Wesentliche des Christentums: Die Frage nach den Glaubensartikeln Döderlein beschäftigte sich in seinen Prolegomena neben den Themen Religion und Schriftlehre auch mit der Frage, was unter einer Glaubenslehre und unter einem Glaubensartikel zu verstehen ist und welche Lehren diesen Status inne haben. Er erarbeitete diese Thematik, indem er erstens mittels einer positiven und einer negativen Definition angab, was ein Glaubensartikel ist. Zweitens unterschied er die Glaubensartikel nach ihrer Relevanz und gab Kriterien an, welche über den Wert eines Artikels bestimmen. In diesem Zusammenhang 363 Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 206. 364 Vgl. Hornig, Neologie und Aufklärungstheologie, 145. 365 Vgl. Fick, Lessing-Handbuch, 482.
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formulierte er ein Glaubensbekenntnis als die Summe aller Grundartikel und analysierte, was das Zentrale, das Wesentliche der christlichen Religion ist. Seine Darstellung ist mit zahlreichen anschaulichen Beispielen durchsetzt. Einige Aspekte, die ihm besonders am Herzen lagen, erwähnte er mehrfach. Diese Wiederholungen geben dem Text bisweilen einen unsystematischen Charakter.366 So ist beispielsweise die Definition eines Glaubensartikels verstreut an unterschiedlichen Stellen der Ausführung zu finden. 4.1. Definition und Merkmale eines Glaubensartikels Eine Glaubenslehre setzt sich aus mehreren Glaubensartikeln zusammen.367 Als Glaubensartikel bestimmte Döderlein „Sätze und Lehren, die der Verstand annehmen muß, wenn die Gesinnung entstehen soll, die wir Religion nennen, wenn das Herz so gebildet werden soll, wie der Geist der christlichen Religion es fordert“368. Es sind also Sätze, die eine „ruhige Verfassung des Gemüthes“369 und eine „gute Gesinnung“370 bewirken und die die „Vorstellungen von Gott aufklär[en]“371, „seine Absichten an uns“372 explizieren und zu einer würdigen Gottesverehrung führen.373 Noch deutlicher formulierte Döderlein allerdings, was kein Glaubensartikel ist. Alles, was nicht auf die menschlichen Empfindungen und Gesinnungen, auf die Seelenruhe und Herzensbesserung wirkt, darf seiner Meinung nach nicht als Wahrheit der Religion, nicht als Glaubensartikel bezeichnet werden. Es könne zwar sein, dass eine Meinung als unterhaltend, aufklärend und neu befunden werde,374 es könne „rühmliche, unterhaltende Wissenschaft“375 sein – wenn die eben genannten Kriterien nicht erfüllt werden, darf diese dennoch nicht in die Religionslehre aufgenommen werden.376 Denn das wäre eine „unverantwortliche Entstellung der Lehre Jesu, die gewiß auf etwas anders gieng, als auf Entdeckungen für die menschliche Neugierde, auf Narung für spitzfündige Spekulation“377. 366 Nicht nur an dieser Stelle fallen die mehrfachen Wiederholungen Döderleins auf. Schlichtegroll bemerkte dazu: „Da er [Döderlein] bey seinen vielfachen Amtsarbeiten nicht immer genug Zeit hatte, seine Schriften zu feilen, so entstand daraus öfters der Nachtheil, dass seine Perioden zu lang, durch Wendungen und Inversionen zu schwer wurden, und dass die gewählten und oft sehr gehäuften Bilder zuweilen die richtige Haltung nicht hatten, die zu einem vollendeten Styl erforderlich sind.“ Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 121. 367 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 409. 368 Ebd. 369 Ebd. 370 Ebd. 371 Döderlein, aaO., 410. 372 Ebd. 373 Vgl. ebd. An anderer Stelle definierte Döderlein: „Alles also, was mir Jesum werth, sein Evangelium glaubwürdig, seine Forderungen heilig, seine Zusagen zuverlässig macht, ist auch Glaubenslehre.“ Döderlein, aaO., 420. 374 Vgl. Döderlein, aaO., 410. 375 Döderlein, aaO., 413. 376 Vgl. Döderlein, aaO., 410.413. 377 Döderlein, aaO., 411.
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Hintergrund seiner Überlegungen bildete die für die Neologen charakteristische Unterscheidung von Religion und Theologie.378 Der Religionslehrer muss sich nach Döderlein immer vor Augen halten, welche Lehren für den Christen entscheidend sind: Was muss der Christ wissen, um so zu denken und zu handeln, wie es der Absicht Gottes gemäß ist – und was kann er entbehren und den Gelehrten überlassen? Was ist Lehre Jesu und was sind willkürliche Erläuterungen darüber? Was ist Glaubenslehre und was Schulweisheit oder Wissenschaft und Gelehrsamkeit? Anhand mehrerer Negativbeispiele akzentuierte Döderlein, dass oft das gelehrt werde, was kein Glaubensartikel sei. Dem Christen selbst gibt er als Unterscheidungshilfe den Hinweis, dass alles das, was ihm Trost gebe und zur Tat ermuntere, zu den Glaubensartikeln gehöre.379 Wie die Definition bereits vorgibt, müssen Glaubensartikel immer das „geistliche[] Beste[]“380 des Menschen aufzeigen. Döderlein nahm deshalb drei weitere Abgrenzungen vor. Erstens: Nicht jeder Satz eines theologischen Systems ist zugleich ein Glaubensartikel. Hintergrund ist Döderleins dogmenkritische Einstellung. Vielen Lehren fehlt seiner Meinung nach eine biblische Fundierung. Diese seien allein durch kirchliche Autoritäten bestimmt worden. Für Döderlein erhalten sie daher den Status einer Spekulation.381 378 Diese Unterscheidung findet sich beispielsweise auch bei Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Wilhelm Abraham Teller und Johann Salomo Semler. Entgegen mancher Behauptungen in der Forschung geht diese Differenzierung nicht auf Semler zurück. Vgl. Spehr, Aufklärung und Ökumene, 358, Anm. 121. Beutel hebt hervor, dass sie bereits „im Konfessionellen Zeitalter angedacht, von der Übergangstheologie reflektiert, vom Pietismus stillschweigend praktiziert“ und „von der Neologie wissenschaftlich ratifiziert“ wurde. Beutel, Religion zwischen Luther und Schleiermacher, 59. Die Unterscheidung kann als theologischer Topos innerhalb der Neologie beschrieben werden. Vgl. Spehr, aaO., 72, Anm. 104. Zu Semlers Trennung der Theologie als veränderlicher und korrekturbedürftiger Fachangelegenheit, die allein für Lehrer und Geistliche Bedeutung hat, von der Religion, welche die von allen Christen im Leben zu bewährende Glaubensüberzeugung, Frömmigkeit und Nächstenliebe bezeichnet, und die darauf aufbauende Unterscheidung von öffentlicher und privater Religion (vgl. Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk, 161) sei neben Hornig, aaO., Kap. V exemplarisch verwiesen auf Dirk Fleischer, Einleitung: Was ist Religion? Johann Salomo Semlers letzte Antwort auf diese Frage (in: Johann Salomo Semler, Letztes Glaubensbekenntniß über natürliche und christliche Religion [1792], mit Beilagen, hg., kommentiert und eingeleitet v. Dirk Fleischer [RFN 23], Nordhausen 2012, I–XXXIV); Friederike Nüssel, Die Umformung des Christlichen im Spiegel der Rede vom Wesen des Christentums (in: Religion und Aufklärung. Studien zur neuzeitlichen „Umformung des Christlichen“ [AKThG 14], hg. v. Albrecht Beutel/Volker Leppin, Leipzig 2014, 15–32), hier 23–26; Spehr, aaO., 362–364. Zur grundlegenden Fragestellung siehe Botho Ahlers, Die Unterscheidung von Theologie und Religion. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Praktischen Theologie im 18. Jahrhundert, Gütersloh 1980. 379 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 411 f. 424 f. 380 Döderlein, aaO., 410. 381 Vgl. Döderlein, aaO., 412 f. Döderleins traditions- und dogmenkritische Einstellung beruht auf dem Gedanken, dass die Dogmen geschichtlich bedingt sind (Dogmengeschichte) und damit keinen Absolutheitsanspruch besitzen. Zur Dogmengeschichte in der Aufklärung
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Zweitens: Obgleich die Heilige Schrift das entscheidende Kriterium für die Auswahl von Glaubensartikeln darstellt, so sind doch nicht alle darin enthaltenen Wahrheiten zugleich als Glaubensartikel zu beschreiben.382 Hier ist Döderleins Schriftverständnis entscheidend: Die Bibel entspricht nicht der Offenbarung, sondern ist nur Urkunde derselben.383 Ebenso spielt die Annahme, dass die biblischen Erzählungen aus verschiedenen Entwicklungsstadien der Menschheit stammen, in diese Argumentation hinein.384 Auf Grundlage dieser schrifthermeneutischen Prämissen konnte Döderlein festhalten, dass beispielsweise die Geschichte von der sprechenden Eselin Bileams kein Glaubensartikel ist. Dergleichen forderte er einen kritischen Umgang mit Texten des Neuen Testaments. Auch diese müsse man auf ihren eigentlichen Kern untersuchen.385 Drittens: Bloße Worte und Formeln sind keine Glaubensartikel. Döderlein unterschied wie andere Neologen zum Beispiel Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem und Wilhelm Abraham Teller386 zwischen Lehre und Lehrart. Die Lehre bleibt gleich, die Lehrart aber ist Veränderungen unterworfen. An dieser Stelle griff Döderlein auf die Theorie der Akkommodation zurück: Die Lehrart müsse sich jeweils den Zeitgegebenheiten anpassen. Auch Jesus und die Apostel hätten ihre neuen Lehrsätze mittels jüdischer Redensarten vorgetragen und sich damit an der Vorstellungswelt ihrer Zuhörer orientiert.387 Döderlein fragte daher: „Warum wollen wir also eine heilige Kraft in den Schall des Ausdrucks legen und aus der Religion eine Formularwissenschaft machen, da ihre Würde in der Wahrheit, und ihre Kraft in der deutlich erkannten Wahrheit und richtigen Vorstellungen der Sachen besteht, und nie Worte, sondern bloß Wahrheiten, die nie an einerley Worte gebunden sind, ein Gegenstand des Glaubens werden können?“388
Nach diesen Erläuterungen darüber, was ein Glaubensartikel nicht ist, stellt sich die Frage, welche „Wahrheiten“ Döderlein nun positiv als Glaubensartikel siehe Aner, Theologie der Lessingzeit, 223–233; Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 219; Filser, Dogma, Dogmen, Dogmatik, 501–512; Hornig, Neologie und Aufklärungstheologie, 137–141; Leder, Universität Altdorf, 132–138; Michael A. Lipps, Dogmengeschichte als Dogmenkritik. Die Anfänge der Dogmengeschichtsschreibung in der Zeit der Spätaufklärung (BSHST 48), Bern/Frankfurt a. M. 1983; Rohls, Offenbarung, Vernunft und Religion, 6 f.; Christopher Voigt, Dogmengeschichtsschreibung am Ende der Aufklärung (KuD 51, 2005, 207–216). Speziell zu Semler: Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk, 123–131; Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 212–215.229–248. 382 Vgl. Döderlein, aaO., 413. 383 Siehe Kapitel E/I, 2.1. 384 Siehe Kapitel E/I, 3.4. 385 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 413. 386 Dazu Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 507 f. Wilhelm Abraham Teller entfaltete in den „Vorerinnerungen zur dritten Auflage“ seines „Wörterbuchs“ ausführlich, was als Lehre und was als Lehrart zu beschreiben ist. Vgl. Wilhelm Abraham Teller, Wörterbuch des Neuen Testaments zur Erklärung der christlichen Lehre, Vierte mit Zusätzen und einem Register vermehrte Auflage, Berlin 1785, v. a. 42–55. 387 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 415 f. 388 Döderlein, aaO., 416 f.
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bestimmte. Döderlein vertrat hier einen subjektiv-individuellen Standpunkt389: Jeder Mensch sei verschieden, weshalb nicht jede Wahrheit jedem zugänglich sei. Eine universelle Festlegung ist seiner Meinung nach aus diesem Grund gar nicht möglich. Er betonte überdies, dass man nicht von sich auf andere schließen solle. Nur weil die Lehre für einen selbst nicht wichtig sei, bedeute dies nicht, dass es für den anderen auch so ist. Außerdem mahnte er zur Vorsicht. Es könne durchaus sein, dass eine Lehre erst auf den zweiten Blick oder in Verbindung mit anderen Lehren als nützlich erscheine. Daher sei eine genaue Prüfung notwendig, bevor man eine Lehre als entbehrlich verwerfen wolle.390 Döderlein blieb an dieser Stelle vage, was auch der genannten Grundannahme eines individuellen Standpunktes geschuldet ist. Seine Abhandlung verliert dadurch aber unübersehbar an Präzision und lässt dem Leser viel Interpretationsspielraum. 4.2. Gewichtung der Glaubensartikel Wird eine Lehre zum Glaubensartikel erhoben, dann muss in einem weiteren Schritt der Stellenwert dieses Artikels bestimmt werden. Denn nicht alle Artikel sind gleich wichtig. Wozu es führt, wenn man diese Differenzierung nicht vornimmt, ließ sich für Döderlein beispielsweise an den Ketzerverfolgungen erkennen. Da hier nicht zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterschieden worden sei und allen Glaubenslehren derselbe Status beigemessen wurde, sei jemand schnell als Ketzer beschuldigt worden, weil er bei einer bestimmten Lehre einen anderen Standpunkt vertrat. Dabei sollte doch nur der als Ketzer bezeichnet werden, der von zentralen Glaubenslehren gänzlich abweicht.391 389 Dass die Bestimmung eines Glaubensartikels vom individuellen Standpunkt abhängig ist, betonten auch Gottfried Less (vgl. Wagenhammer, Wesen des Christentums, 500) und Johann Salomo Semler (vgl. Wagenhammer, aaO., 218.222; Spehr, Aufklärung und Ökumene, 362). 390 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 421 f. 391 Vgl. Döderlein, aaO., 425 f. So äußerte sich auch Johann Salomo Semler, dessen Ausführungen Döderlein hier im Blick hatte. Semler hob hervor, dass mit dem Namen „Ketzer“ ein „grober, schrecklicher“ Begriff verbunden sei, als wären die so Bezeichneten keine Christen und hätten keinen Anteil an der Seligkeit. Joh[ann] Sal[omo] Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, zur Bestätigung und Erläuterung seines lateinischen Buchs, Halle 1777, § 7: „Ausschliessung der Ketzer bezog sich nur auf eine gewisse Kirche“, 13–16, hier 13. Das kirchliche Urteil, wer ein Ketzer ist, hatte für Semler keine Gültigkeit. Er betonte daher: „Es gehören also sehr viele Christen, die seit dem 2ten Jahrhundert in grosser Anzal den Häretikern beigezälet werden, mit zu den Christen, welche die Ausbreitung und Kraft der christlichen Lehre beweisen. Am wenigsten gehören alle jene Christen und Lehrer, welche in besondern Lehrbestimmungen von Lehrern anderer Parteien wissentlich sich, nach äusserlichen Umständen, unterschieden haben, zu solchen Ketzern, die in Gefar der Seligkeit sich befunden hätten; wenn sie gleich nach der Sprache der Kirche Häretiker oder Ketzer heissen, und zu den äusserlichen Mitgliedern der grössern Partey nicht gehören konten oder wolten.“ Denn diese sind ihrer inneren Überzeugung nach immer noch als Christen zu bezeichnen. Semler, aaO., § 54: „Von sogenanten Ketzern“, 167–170, hier 169 f.
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Was aber sind für Döderlein die Kriterien, nach denen eine Wahrheit als wichtig oder weniger wichtig eingeordnet werden kann? Festsetzungen von Kirchenlehrern und Kirchenversammlungen über diese Frage waren für Döderlein keine Richtlinie. Das Urteil einer Kirche oder vielmehr einer Religionsgemeinschaft hielt er für trüglich, da es vielen Gelehrten meistens nur darum gehe, ihr eigenes künstliches System zur Wahrheit zu erheben. Die Hauptlehren einer Partei könnten darum nicht als Hauptlehren des Christentums gelten. Döderlein bezog sich hierbei auch auf historische Erfahrungswerte: Die Geschichte zeige doch, durch was für Gewalttätigkeiten und Ungerechtigkeiten manche Lehrsätze zur alleinigen Wahrheit erklärt worden seien.392 Als weitere Möglichkeit der Gewichtung einer Wahrheit diskutierte er, ob die Wirkung der Wahrheit Orientierung geben könne, gemäß der Frage, welche Lehre die meiste Kraft zur Ermunterung des Herzens erzeugt. Doch diese Überlegung verwarf er sogleich aus zwei Gründen. Erstens sei das bei den Menschen je nach ihren Fähigkeiten und ihrer Lage sehr verschieden und zweitens wirke selten eine Lehre nur allein.393 Gleichermaßen fand das Kriterium, ein Lehrsatz habe die höchste Bedeutung, wenn er als Bedingung der Seligkeit fungiert, Döderleins Widerspruch. Denn weder Jesus noch die Apostel hätten einen Lehrsatz zur Voraussetzung der ewigen Seligkeit bestimmt.394 Außerdem sei es ein „sehr verwegner Eingriff in Gottes Rechte […], wenn Menschen sich erfrechen, ihren Nebenmenschen willkürliche Bedingungen zum Seligwerden vorzuschreiben“395. Döderlein kam letztlich zu dem Schluss, dass die Relevanz eines Glaubensartikels umso höher sei, „wenn die ersten Lehrer der christlichen Religion [Jesus und seine Apostel] darauf einen vorzüglichen Werth setzen und sie als wesentliche Bestandlehre des Christenthums vortragen“396. Die Grundsätze Jesu und seiner Apostel klassifizierte Döderlein somit als die Grundartikel des Christentums, als die wichtigsten Glaubenslehren beziehungsweise als Fundamentalartikel. Diese Grundartikel sind für ihn die Lehren, mit denen der erste Unterricht in der Religion erfolgte und durch die Menschen zum christlichen Bekenntnis bewegt wurden. Döderlein untersuchte zahlreiche Bibelstellen, aus denen er herausarbeitete, welche Lehren für den ersten Unterricht grundlegend waren. Er bezog sich dabei sowohl auf die „Apostolischen Reden“ als auch auf Paulus.397 Gleichwohl dieser Unterricht je nach Redner, Zuhörern und Orten verschieden ausgefallen sei, so zeige sich doch „Eine Absicht, […] Ein Gang, Ein Geist, Ein Hauptinhalt“398. 392 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 427 f. 431–433. 393 Vgl. Döderlein, aaO., 428–430. 394 Vgl. Döderlein, aaO., 433 f. 395 Döderlein, aaO., 434. 396 Ebd. 397 Vgl. Döderlein, aaO., 435.440–442. 398 Döderlein, aaO., 442. – Siehe dazu auch Döderleins Ausführungen in der ATB, wo er
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Auf Grundlage dieser Untersuchung formulierte Döderlein ein „Glaubensbekenntniß aus den ersten Zeiten des Christenthums“399, welches alle Grundartikel enthalte und als Summe des christlichen Glaubens in der damaligen Zeit zu verstehen sei.400 „Ich glaube, daß ein einziger höchster Gott ist, […] Schöpfer und Regent aller Dinge, […] den ich allein mit gänzlicher Entsagung alles Götzendienstes verehren will. […] Ich glaube, daß Jesus von Gott gesandt ist, Christus, Gottes Sohn, […] die Menschen zu beglücken, und von den Strafen der Sünde zu befreyen, […] daß er für die Sünden der Menschen starb, […] am dritten Tage ins Leben zurückkam, […] von Gott zum Herrn über alles gemacht ist, […] und einst vom Himmel wiederkommen, […] die Toden auferwecken, […] und alle Menschen richten wird. […] Ich will ihn daher verehren und seine Lehre, […] mit Hintansetzung der mosoischen [sic] Religion, […] und mit Entfernung von allem Laster, annehmen. […] Ich glaube an den heiligen Geist, der dem Christen verheissen ist, […] und will mich durch die Taufe zu dieser Lehre verpflichten.“401
Bei näherer Betrachtung dieses „Glaubensbekenntnisses“ stechen drei Beobachtungen hervor: Erstens baute Döderlein diese Grundartikel nach dem Grundmuster des Apostolikums auf: Gott/Vater – Sohn – Heiliger Geist. Inhaltlich gibt es zwischen dem „Glaubensbekenntnis“ und dem Apostolikum allerdings Differenzen. So werden beispielsweise die Formulierung „eingeborener Sohn“, die Jungfrauengeburt, der Abstieg Jesu ins „Reich des Todes“ und ekklesiologische Aussagen nicht mit aufgenommen. Im Zentrum des döderleinschen Glaubensbekenntnisses stehen soteriologische Aussagen: Jesu Sendung, die von ihm bewirkte Erlösung von den Strafen der Sünden, sein Tod, seine Auferstehung und eschatologische Angaben über Jesu Wiederkommen und das Gericht.402 diese These gegen Kritiker zu verteidigen suchte. Vgl. Doederlein, ATB 3, 2. Stück, 1784, 151–156. 399 Döderlein, ChRU 1, 21790, 443. 400 Vgl. Döderlein, aaO., 445. 401 Döderlein, aaO., 443–445. Die einzelnen Passagen des Glaubensbekenntnisses belegte Döderlein jeweils mit zahlreichen Bibelstellen. Diese werden hier ausgespart. 402 Dass Döderlein bestimmte Reduktionen vornahm, wurde von einigen Zeitgenossen kritisiert. In den „Gemeinnützige[n] Betrachtungen“ wurde darauf hingewiesen, dass Döderlein die in den Einsetzungsworten enthaltene göttliche Verheißung und das Abendmahl, wie auch die wichtige Lehre von der höheren Natur Christi nicht beachtet habe, obgleich diese doch für das Christentum zentral seien. Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften, 1. Stück, 1. Abtheilung, 1786, 24. – Von anderen Gelehrten, wie von Gottfried Benjamin Eisenschmid, erhielt Döderlein anerkennende Worte. Eisenschmid kritisierte, dass man gegenwärtig immer noch das Apostolische Glaubensbekenntnis beibehalte, obgleich es „weder von Christo, noch von den Aposteln“ aufgesetzt sei, sondern von „irrenden Menschen“ stamme und „noch lange das nicht in sich enthält, was ein vernünftiger, gutbelehrter Christ zu wissen und zu glauben nöthig hat“. Eisenschmid, Geschichte der Kirchengebräuche, 129. Eisenschmid fragte: „Sollten wir denn nun nicht bey unsern immer mehr aufgeklärtern und steigenden Erkenntnissen in den Religionswahrheiten die Freyheit haben, statt des alten fehlerhaften, ein anderes Fehler- und Irrthum freyes, dem Geiste des Christenthums und unsern Zeiten mehr angemessenes Glaubensbekenntniß zu gebrauchen?“ Eisenschmid, aaO., 130. „Wollen wir ein ande-
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Zweitens benannte Döderlein die christlichen Grundartikel hier konkret und nahm keine Vermischung mit anderen dogmatischen Bestimmungen vor. Das war ungewöhnlich. Denn beispielsweise Johann Salomo Semler, dessen Überlegungen zu den Grundartikeln Döderlein an dieser Stelle aufgriff,403 führte die Grundartikel nicht näher aus. Er sah sie vielmehr in der Taufformel und im Apostolikum enthalten.404 Was Döderlein allerdings von Semler übernahm, ist der Bezug zur Taufe. Die Taufe – als Ausdruck der Verpflichtung zu Jesu Lehre – wurde von Döderlein an das Ende des Glaubensbekenntnisses gesetzt.405 Als drittes fallen die Formulierungen „allein mit gänzlicher Entsagung alles Götzendienstes“406 und „mit Hintansetzung der mosoischen Religion“407 auf, die in dem Glaubensbekenntnis recht sperrig wirken. Hier bezog sich Döderlein erneut auf Semler. Für Semler bestand das Charakteristikum der Grundartikel in ihrer Unterscheidungsfunktion von den Glaubensaussagen der Juden und Heiden.408 Grundartikel sind also die Wahrheiten, welche das Judentum und Heidentum umstoßen: zum Beispiel dass Jesus der Messias ist, dass die mosaischen Einrichtungen nicht mehr gelten, dass es nur einen Gott gibt und dass Jesus eine richtigere Erkenntnis und Verehrung Gottes gelehrt und durch sein Leben bestätigt hat.409 Diesen Aspekt rezipierte Döderlein. res, dem Geiste des Christenthums angemessenes, für unsere Zeiten passendes und selbst aus den ersten Zeiten des Christenthums entlehntes Glaubensbekenntniß, welches alle Grundartikel enthält“, so sei, laut Eisenschmid, auf das vortreffliche Glaubensbekenntnis von Döderlein verwiesen, welches es verdiene „allgemein gebraucht zu werden.“ Eisenschmid, ebd. 403 Döderlein verwies zwar nicht explizit auf Semler, aber der Bezug ist offensichtlich. 404 Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 1777, 199: „Diese Grundartikel, sind in der Taufformel und in jenem Symbolo enthalten“. – Für Semler besaß das Apostolikum eine Autorität, welches er von theologischen Bestimmungen unterschied: „Schon in den ältesten Zeiten hat man die Artikel des sogenanten apostolischen Symbolum als den Grund der christlichen Religion, und den Hauptinhalt des sogenanten Glaubens unterschieden, von den Kentnissen der Gelehrten.“ Semler, aaO., 196 f. Zu Semler auch siehe Spehr, Aufklärung und Ökumene, 357. 405 Johann Salomo Semler beschrieb die Grundartikel der christlichen Religion als Lehrwahrheiten, „die gleich vom Anfange an da gewesen und in den Urkunden der christlichen Religion wirklich enthalten sind, […] welche daher von allen Christen bejahet, und bey der Taufe ausdrücklich bekennet wurden“. Semler, aaO., 198. 406 Döderlein, ChRU 1, 21790, 444. 407 Döderlein, aaO., 445. 408 Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 1777, 198: „Es ist ausgemacht, daß alle Christen, so verschieden sie übrigens in ihren Vorstellungen von einander sind, dennoch in einigen Artikeln oder Grundsätzen übereinkommen, wodurch sie sich von Juden und Heiden unterscheiden.“ 409 Vgl. Wagenhammer, Wesen des Christentums, 208. Semler formulierte: „Dieser einzige Grund der christlichen Religion […] [ist] nemlich bessere lebendige Erkentnis, von Einem GOtt, der aller Menschen würdigster Vater ist; gewisse Ueberzeugung, daß JEsus die beste und fruchtbarste Erkentnis GOttes, seine rechte geistliche thätige Anbetung, also die volkommensten Pflichten, in göttlicher Auctorität gelehret habe; wodurch die bisherigen jüdischen und heidnischen Irtümer und abergläubischen Meinungen ein für allemal aufgehoben werden; daß GOtt durch den heiligen Geist den Aposteln diese rechte Erkentnis, wozu GOtt einen
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Für Döderlein hatte dieses Glaubensbekenntnis mit den Grundartikeln dauerhafte Gültigkeit. Selbst wenn sich die Bedürfnisse der Christen ändern, mache dies keine Veränderung in den Grundartikeln erforderlich – allein die Methode des Vortrages müsse jeweils angepasst werden.410 Döderlein differenzierte an dieser Stelle erneut zwischen Lehre und Lehrart. Die wichtigsten Artikel des Christentums arbeitete Döderlein aus den Grundlehren Jesu und der Apostel heraus. Wie soll aber seiner Meinung nach mit den übrigen Glaubenslehren umgegangen werden? Er gab hier vier Kriterien an, nach denen sich der Stellenwert der übrigen Glaubensartikel klassifizieren lasse: 1) Hervorzuheben seien alle Artikel, die mehr aufklären und den Formeln mehr Deutlichkeit und Bestimmtheit geben. 2) Wichtig seien ferner die Artikel, durch die eine Lehre mehr Gewissheit erhalte. Denn christliche Religion fordere keinen Glauben ohne Gründe. 3) Wenn ein Artikel die vorhandenen Kenntnisse bereichert und den Menschen zum „vollkommnern Christen“ mache, sei er von Bedeutung. 4) Jede Lehre sei zentral, durch die der Christ lerne, die Grundwahrheiten auf sein „Herz und Leben“ anzuwenden. Denn die Lehren müssten mit der Zufriedenheit, Hoffnung und Tugend – mit der gesamten Glückseligkeit des Christen – in Zusammenhang stehen.411 Wenn das Wichtige vom Unwichtigen solchermaßen geschieden werde, dann werde die Religion wieder zu ihrer „ursprünglichen Einfalt“412 zurückgebracht. Döderlein hoffte auf die Zeit, in der zwischen der Privatmeinung, den Nebensachen, und dem Wesentlichen unterschieden wird. Er forderte theologische Toleranz. Jeder, der in den wesentlichen Punkten der Religion übereinstimmt, solle als wahrer Christ angesehen werden. Der Andersdenkende sei nämlich noch kein Irrender und der Irrende nicht gleich ein Ketzer, so lange sein Irrtum Nebenmeinungen betrifft.413 Wird dieser Grundsatz beachtet, dann gibt es nach Döderlein weniger „blinden Lärm“414, „freyere Untersuchungen“415 werden möglich und der Zustand der Religion wird ein „bessere[r]“416 sein. 4.3. Theologische Leitideen: die Lehre von den Fundamentalartikeln, das Konzept eines „Wesens des Christentums“ und das Ideal der Einfachheit Die Fundamentalartikellehre An Döderleins Argumentationsstruktur fällt auf, dass er mehrere Motive und Leitgedanken verarbeitete. Hintergrund für seine Überlegungen zum Stellenwert Christus bestimt habe“. Semler, Versuch einer freiern theologischen Lehrart, 1777, 198. (Hervorhebungen durch Semler). 410 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 21790, 445. 411 Vgl. Döderlein, aaO., 447–450. 412 Döderlein, aaO., 452. 413 Vgl. Döderlein, aaO., 452 f. 414 Döderlein, aaO., 453. 415 Ebd. 416 Ebd.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
von Glaubensartikeln und deren Abstufung ist die sogenannte Fundamentalartikellehre,417 obgleich Döderlein diesen Begriff selbst nur marginal gebrauchte. Auch bei dieser Lehre wurden die verschiedenen Glaubenslehren nicht als gleich wichtig betrachtet, sondern Differenzierungen in Fundamentalartikel erster und zweiter Ordnung und in nicht-fundamentale Artikel vorgenommen.418 Allerdings erfuhr diese Lehre bei Döderlein eine Transformation. Er setzte die Fundamentalartikel nicht mehr mit den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen und lutherischen Bekenntnisschriften gleich, so wie es lutherisch-orthodoxe Theologen handhabten.419 Für ihn waren die Fundamentalartikel identisch mit den Grundartikeln: „So wie in jeder Wissenschaft oder Kunst etwas zum Grund (Fundament) gelegt wird, womit der Anfang der Unterweisung gemacht wird, und worauf sich Fortschritte gründen: eben so gibt es auch in der christlichen Religion einige Lehren, […] [die] Grundartikel [genannt werden].“420
Wie oben gezeigt, zählte Döderlein unter die Grundartikel bestimmte christologische und soteriologische Aussagen. Daraus entwickelte er aber nicht ein genau bestimmtes System von verschiedenen Dogmen, die unbedingte Gültigkeit besitzen. Die von ihm vorgenommene Unterscheidung von Religion und Theologie lässt vielmehr seine dogmenkritische Einstellung erkennen. Für Döderlein hat die Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem überdies nicht mehr eine kontroverstheologische Funktion wie beispielsweise bei Abraham Calov. Dieser bezeichnete alle lutherischen Lehrartikel als fundamental und vertrat damit die Tendenz zu einer konfessionalistischen Lehr417 Die Lehre von den Fundamentalartikeln wurde im 16. und 17. Jahrhundert ausgearbeitet, wenngleich sie sich auf Ansätze in der Scholastik (Thomas von Aquin) und der Reformation (Philipp Melanchthon und Johannes Calvin) bezog und eine Fragestellung aufgriff, welche das Christentum von Anfang an begleitete. Vgl. Walter Schöpsdau, Art. Fundamentalartikel (RGG4 3, 2000, 412–414), hier 412. Ziel dieser Lehre war es, die verschiedenen Glaubenslehren nach ihrer Wichtigkeit, ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung zu unterscheiden. Außerdem wurde sie innerhalb der lutherischen Dogmatik herangezogen, um sich gegen irenische Bemühungen seitens reformierter Theologen abzugrenzen. Als Fundamentalartikel wurden diejenigen Lehren bezeichnet, die als heilsnotwendig galten. Die Fundamentalartikel selbst wurden in Artikel erster und zweiter Ordnung eingeteilt. Davon abgesetzt wurden die nicht-fundamentalen Artikel. Vor allem die von Nikolaus Hunnius vorgenommene Differenzierung wurde später als Grundgerüst von lutherischen Dogmatikern übernommen. Vgl. Filser, Dogma, Dogmen, Dogmatik, 197.202.207. Für weitere überblicksartige Hinweise zur Fundamentalartikellehre siehe Hornig, Die altprotestantische Orthodoxie, 83 f. und Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 374–377. 418 Vgl. Filser, aaO., 197. 419 Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, 2. Bd.: Reformation und Neuzeit, Gütersloh 42010, 439. 420 Döderleins kurze Unterweisung, 1, 25. So auch Döderlein, ChRU 1, 21790, 435: „Sehr natürlich ist jede Lehre, womit der Grund des christlichen Unterrichts gelegt wird, Fundamentalartikel oder Grundlehre“.
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gesetzlichkeit.421 Wie schon Friederike Nüssel anhand von Johann Franz Buddeus’ Überlegungen zeigt, so hat diese Lehre gleichermaßen bei Döderlein allein die Aufgabe, diejenigen christlichen Glaubensaussagen herauszufiltern, die wesentlich für die christliche Existenz sind.422 Diese Haltung ermöglichte ihm, sich positiv gegenüber anderen theologischen Positionen zu äußern. Solange deren Vertreter die Grundlehren nicht ablehnen, darf ihnen unabhängig von ihrer Konfession nicht das Christsein oder die Seligkeit abgesprochen werden. Aber noch an einer weiteren Stelle kann gezeigt werden, wie Döderlein vorhandene Begrifflichkeiten und Denksysteme der lutherischen Orthodoxie aufgriff, sie aber umgestaltete und neu akzentuierte. Lutherisch-orthodoxe Theologen hatten ein genaues Abstufungssystem entwickelt, in welches die Lehren eingeordnet wurden. Auch Döderlein nahm Abstufungen vor. Hierbei lässt sich eine Entwicklung innerhalb seines Werkes konstatieren. In seiner „Institutio“ kannte er noch einen Dreischritt: Neben den Grundartikeln (constitutivi) nannte er Artikel (consecutivi primarii), die entweder die Grundartikel deutlicher machen oder mit ihnen zusammenhängen. Alle übrigen Lehren bezeichnete er als nicht-fundamental. Sie haben seiner Meinung nach weniger oder gar keine Beziehung auf den Endzweck des Christentums.423 In seinem „Christliche[n] Religionsunterricht“ verließ er dieses orthodoxe Einteilungsschema. Die Grundartikel wurden wie in der „Institutio“ inhaltlich präzisiert, aber neben diesen sprach er allein von den „übrigen Glaubenslehren“424, für die er Kriterien zur Bestimmung angab. Anstelle der Unterscheidung fundamental – nicht-fundamental trat bei ihm nun die Differenzierung zwischen Theologie und Religion. Während alles, was zur Religion gehört, nämlich die Grundlehren, wesentlich ist, sind theologische Aussagen für den Christen nicht entscheidend. Wesen des Christentums Neben der Fundamentalartikellehre spielte ebenso die Debatte um das „Wesen des Christentums“425 in Döderleins Überlegungen hinein. Da die Dogmen in der Aufklärungstheologie aus historischer Perspektive betrachtet wurden und damit eine Relativierung erfuhren, entstand die Frage, was anstelle der dogmatischen Fundamentalartikel die christliche Religion eigentlich ausmache.426 Genau hier setzte die Konzeption eines „Wesens des Christentums“ an.427 Die Formel „Wesen des Christentums“, die keineswegs als Erfindung der Aufklärung gelten 421 Vgl. Hornig, Die altprotestantische Orthodoxie, 83. 422 Vgl. Nüssel, Umformung des Christlichen, 20. 423 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 1, 25 f. 424 Döderlein, ChRU 1, 21790, 447. 425 Dazu sei vor allem auf den Aufsatz von Nüssel, Umformung des Christlichen, und auf die Studie von Wagenhammer, Wesen des Christentums, verwiesen. Beide geben zudem nähere Literaturangaben und Verweise. 426 Vgl. Nüssel, Umformung des Christlichen, 26. 427 Vgl. Sparn, Vernünftiges Christentum, 50.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
kann,428 sondern sich beispielsweise schon bei Martin Bucer, im Pietismus und der französischen Mystik finden lässt,429 etablierte sich seit circa 1770 in der Aufklärungstheologie.430 Die Aufklärer verstanden unter dieser Formel entweder die Grundhaltung des Christen oder auch die ihr entsprechenden Glaubenslehren.431 Worauf die Betonung lag, war je nach Theologe sehr verschieden.432 Es existierten daher mehrere Bestimmungen vom „Wesen“ nebeneinander.433 Döderlein selbst arbeitete zwar keine Theorie darüber aus, aber an verschiedenen Stellen sprach er von dem „Wesentliche[n] des Christenthums“434. Bei ihm fand eine Gleichsetzung vom „Wesen des Christentums“ mit den Grundartikeln statt. Wenn daher das „Wesen des Christentums“ bei ihm vordergründig aus bestimmten Glaubenslehren besteht, so haben diese doch immer einen Bezug zur menschlichen Tugend und Glückseligkeit und bilden die Voraussetzung für die menschliche Gesinnung. Sie sind nämlich nur dann Glaubenslehren, wenn sie das Innere des Menschen betreffen.435 Die praktische Verwirklichung war für Döderlein essenziell. Einfachheit Döderleins Forderung, dass die Religion zu ihrer „ursprünglichen Einfalt“436 zurückkehren und den Christen das „simple Evangelium“437 gelehrt werden müsse, meint nicht, dass er entgegen seines Perfektibilitätsdenkens die Rückkehr zu 428 Vgl. Nüssel, Umformung des Christlichen, 17. 429 Vgl. Wagenhammer, Wesen des Christentums, 19. Wagenhammer untersucht die Entwicklungsgeschichte dieses Begriffes und verweist dabei auf zwei Hauptstränge, die zur aufklärerischen Frage nach dem Wesen des Christentums führten: nämlich die Formeln „substantia christianismi“ und „essentia christianismi“. Vgl. Wagenhammer, aaO., 20. 430 Vgl. Wagenhammer, aaO., 167. 431 Vgl. Wagenhammer, aaO., 205. 432 Vgl. Nüssel, Umformung des Christlichen, 21. 433 Vgl. Wagenhammer, Wesen des Christentums, 236. So war beispielsweise für Johann Joachim Spalding Religion wesentlich ein Verhalten. Glaubenslehren waren für ihn nur dann ein Teil der Religion, wenn sie das Innere des Menschen bewegen, ihm Zufriedenheit und Hoffnung geben. Vgl. Nüssel, Umformung des Christlichen, 22. Zur Wesensbestimmung bei Johann Salomo Semler gibt es zahlreiche Untersuchungen. Bei Hartmut H. R. Schulz, Johann Salomo Semlers Wesensbestimmung des Christentums. Ein Beitrag zur Erforschung der Theologie Semlers, Würzburg 1988 findet sich eine Bearbeitung dieser Thematik samt einer Schilderung des Forschungsstandes sowie Verweisen auf weitere Literaturangaben. 434 Döderlein, ChRU 1, 21790, 425. 435 Döderlein argumentierte hier ähnlich wie Johann Gottlieb Töllner, der eine Einschränkung auf eine bloße Sittenlehre ablehnte. Töllner zufolge muss die Erbauung zur Gottseligkeit dogmatische Wahrheiten beinhalten, da nur sie zu der Gesinnung führen kann, aus der die Tugend entsteht. Vgl. Wagenhammer, Wesen des Christentums, 183. 436 Döderlein, ChRU 1, 21790, 452. 437 Döderlein, aaO., 418. Döderlein gab hier an, dass er sich an dieser Stelle auf Wilhelm Abraham Teller bezieht, der in seiner Vorrede zur dritten Auflage seines „Wörterbuch[s] des Neuen Testaments“ forderte, Christen nicht erst zu Juden zu machen, indem auf sie bezogene Redensarten und Ausdrücke weiter verwendet werden, sondern ihnen „geradezu das simple Evangelium zu lehren“. Teller, Wörterbuch des Neuen Testaments, 53.
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einem Idealzustand proklamierte.438 Vielmehr insistierte er darauf, dass durch die Trennung des Wesentlichen vom Unwesentlichen – durch die Trennung von Religion und Theologie – wieder das Eigentliche, das Wesen der Religion offensichtlich werde. Seine Begrifflichkeiten des „[S]imple[n]“ und der „Einfalt“ erinnern an Jerusalems „Lieblingsausdruck“439 der „Simplizität“. Wie dieser begriff Döderlein darunter nichts Negatives im Sinne von Primitivität, sondern drückte damit aus, dass die Religion Jesu von jedem verstehbar ist.440 Laut Döderlein ist die Religion Jesu beziehungsweise sind die Grundartikel für alle Menschen verständlich, ganz im Gegensatz zu den theologischen Spekulationen. 4.4. Zusammenfassung Döderleins Ausgangsfrage, nämlich was eine Glaubenslehre ist, führte bei ihm zu einer Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Hauptinhalt, nach dem Zentralen des Christentums. Er nahm dabei eine Transformation der Fundamentalartikellehre vor, indem er sie, die Grundartikel und das Wesen des Christentums, unter eine Sinnlinie fasste. Die wesentlichen Lehren waren für Döderlein die, die von den ersten Lehrern des Christentums gelehrt wurden. Ihm war es wichtig, dass das Christentum ganz und gar auf den Lehren Jesu und seiner Apostel beruht und die „ursprüngliche Einfalt“ dieser Lehren wieder herausgearbeitet wird. Er verfolgte damit einen biblischen Ansatz. Diese Grundsätze des Christentums fasste er zu einem Glaubensbekenntnis zusammen. Die dort enthaltenen Sätze gelten für alle Christen – hier erfolgte also eine normative Fixierung des Glaubensinhaltes –, obgleich er bei allen anderen Glaubensartikeln einen subjektiv-individuellen Standpunkt behauptete. Alle Artikel, die das „Herz und Leben“ betreffen, die eine gute Gesinnung bewirken und die Vorstellungen von Gott aufklären – Artikel also, welche das Wesentliche der menschlichen Existenz betreffen –, sind Döderlein wichtig. Diese können allerdings von Mensch zu Mensch variieren. Diese Tendenz zur Individualisierung der Glaubensartikel bewirkte jedoch, dass Döderleins Darstellung punktuell unbestimmt und vage blieb. An den Stellen, an denen er präzise formulierte, wie bei seinem Glaubensbekenntnis, zeigt sich hingegen sein freier Umgang mit dogmatischen Festsetzungen. Grundlage dafür ist seine Beachtung der Entstehungsgeschichte der Dogmen und die Unterscheidung von Lehre und Lehrart sowie von Religion und Theologie. Indem Döderlein als Autorität allein Jesus und die Apostel gelten 438 Zur Perfektibilität siehe Kapitel E/I, 3. 439 Aner, Theologie der Lessingzeit, 150. 440 Vgl. Müller, Jerusalem, 76. Näheres zu Jerusalems „Simplizität“ findet sich neben Müller (Kap. V. Die Simplizität religiöser Aussagen, 76–88) unter anderem bei Spehr, Aufklärung und Ökumene, 71 f. Zum Begriff innerhalb der Aufklärungstheologie siehe auch Johann Hinrich Claussen, Einfachheit. Über ein Grundmotiv des aufgeklärten Protestantismus (in: Religion und Aufklärung. Akten des Ersten Internationalen Kongresses zur Erforschung der Aufklärungstheologie [Colloquia historica et theologica 2], hg. v. Albrecht Beutel/M artha Nooke, Tübingen 2016, 133–148).
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
ließ und nicht andere Personen und Positionen der darauf folgenden Jahrhunderte, gelangte er beispielsweise auch zu einer anderen Bewertung des Ketzerbegriffes und löste sich von dem kontroverstheologischen Anliegen der lutherischen Orthodoxie.441
II. Theologie der Mitte 1. Hamartiologie bei Döderlein „Da ohne Gebrauch des freyen Willens keine eigentliche Sünde, und ohne eigne Schuld keine gerechte Strafe statt findet: so getraue ich mir, die Verdorbenheit, die nach aller Eingeständnis ohne unsre Schuld, […] und schon vor dem freyen Gebrauch unsrer Vernunft bey uns vorhanden ist, nur ein Elend, aber keine Uebertrettung [sic] des Gesetzes, keine eigentliche Sünde oder ein Verbrechen zu nennen“.442 441 Diese Freiheit gegenüber dogmatischen Bestimmungen, verbunden mit der Verbindlichkeit gegenüber der Autorität Jesu und seiner Apostel, spiegelt sich ferner in einem Gutachten wider, welches Döderlein im Zuge des Religionsprozesses gegen den Prediger Johann Heinrich Schulz verfasste. Schulz, der sich 1791 gegenüber dem Kammergericht wegen Verletzung des Preußischen Religionsediktes verantworten musste, wurde vorgeworfen, er habe weder die Trinitätslehre in seinen Gemeinden gelehrt, noch bekenne er die Gottheit Christi, außerdem betrachte er die Versöhnung und Genugtuung Jesu nicht als die wahre Ursache seines Todes und er nenne Mose einen Betrüger. Aus diesen Gründen könne Schulz weder ein lutherischer noch ein christlicher Prediger genannt werden. Vgl. Dr. und Cons. R. Döderleins, Dr. und Prof. Eckermanns, und Dr. und Generalsup. Löfflers Gutachten über einige wichtige Religions-Gegenstände. In Beziehung auf den Religions-Prozeß des Prediger Schulz in Gielsdorf, Görlitz 1794, 140 f. Für Döderlein, der neben dem Gothaer Generalsuperintendenten Josias Friedrich Christian Löffler und dem Kieler Theologieprofessor Jakob Christoph Rudolf Eckermann vom Verteidiger von Schulz, dem Kriminalrat Karl Ludwig Amelang, um ein Gutachten gebeten wurde, galten diese Vorwürfe wenig. Er verwies darauf, dass es sich beispielsweise bei der Trinitätslehre bloß um theologische Untersuchungen handle, die sich ohnehin nicht für den Volksunterricht eignen würden. Auch die Lehre von der Natur Christi sei eine Angelegenheit der Theologen. Ebenso seien die Äußerungen gegen Mose, auch wenn sie unverantwortlich und unvorsichtig seien, keine Gefahr für das Ansehen Christi und der Apostel. Keiner dieser Punkte führte Döderlein dazu, Schulz eine Abweichung von den Grundwahrheiten der christlichen Religion oder der lutherischen Konfession vorzuwerfen. Schwierig würde es für ihn nur, falls Schulz die Geschichte und Autorität Jesu nicht zum christlichen Bekenntnis rechnen und Paulus’ Zeugnis und Ansehen anzweifeln würde. Da Schulz dessen aber nicht zweifelsfrei bezichtigt werden könne und diese Frage zudem nicht Teil der Untersuchungen gegen ihn sei, verfolgte Döderlein diesen Aspekt nicht näher. Vgl. Gutachten, 141–146. – Näheres zu Schulz und dem Religionsprozess siehe Paul Schwartz, Die beiden Opfer des Preußischen Religionsediktes vom 9. Juli 1788. J. E. Schulz in Gielsdorf und K. W. Brumbey in Berlin (JbbKG 27, 1932, 102–155; Fortsetzung: JbbKG 28, 1933, 96–127); Johannes Tradt, Der Religionsprozeß gegen den Zopfschulzen (1791–1799). Ein Beitrag zur protestantischen Lehrpflicht und Lehrzucht in Brandenburg-Preußen gegen Ende des 18. Jahrhunderts (Rechtshistorische Reihe 158), Frankfurt a. M. u. a. 1997; Leopold Volkmar, Religions-Prozess des Prediger Schulz zu Gielsdorf genannt Zopfschulz, eines Lichtfreundes des achtzehnten Jahrhunderts, actenmäßig dargestellt, Leipzig 1846; Uta Wiggermann, Woellner und das Religionsedikt. Kirchenpolitik und kirchliche Wirklichkeit im Preußen des späten 18. Jahrhunderts (BHTh 150), Tübingen 2010, 506–512. 442 Döderleins kurze Unterweisung, 2, 21 f.
II. Theologie der Mitte
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Dieser von Döderlein formulierte Satz bildet die Prämisse seines Sündenverständnisses. Anhand dieser kurzen Aussage lassen sich bereits zentrale Thesen von Döderlein eruieren, wie beispielsweise seine Definition von Sünde. Unter Sünde verstand er eine Bewegung oder Handlung, die mit dem Gesetz Gottes nicht übereinstimmt.443 Es ist für ihn aber nur dann „wirkliche Sünde“, wenn eine Kenntnis des göttlichen Gesetzes vorliegt und die Handlung dem freien Willen entspringt.444 Von dieser Definition hing auch sein Verständnis der Erbsünde ab: Da alle Menschen nach Adam nicht an dessen Fall selbst beteiligt waren, kann ihnen Adams Sünde nicht als Schuld zugerechnet werden. Zwar habe Adams Fall Auswirkungen auf das ganze menschliche Geschlecht – Döderlein sprach von einer Verderbtheit, die nun die menschliche Existenz ausmacht, – aber diese bezeichnete er als Elend und nicht als Sünde. Döderlein diskutierte hier eine Thematik, die in der Aufklärungszeit im Fokus von gelehrten Auseinandersetzungen stand. Er hinterfragte die Vorstellung der Imputation, der Zurechnung der Sünde Adams auf alle Menschen und damit einen grundlegenden Aspekt der Erbsündenlehre. Von vielen Aufklärungshistorikern wird betont, dass die Kritik an der Erbsündenlehre als Charakteristikum, als das „gemeinsame Band“445, der Neologie gelten kann.446 Die Erbsündenlehre habe im Fokus des Interesses gestanden, da sie mit dem optimistischen Menschenbild dieser Zeit in Konflikt stand.447 Augustin wird oft als der „meistgehaßte Mann“448 dieses Zeitalters bezeichnet, während auf der anderen Seite bemerkt wird, dass eine positive Rezeption von Pelagius erfolgte.449 Karl Aner spricht für die 1770er Jahre von einem „Sturmangriff auf die Erbsündenlehre“450, den Gelehrte wie Wilhelm Abraham Teller, Johann August Eberhard und Johann Salomo Semler durchführten.451 Als Kritiker an der Erbsündenlehre können neben diesen dreien auch August Friedrich Wilhelm Sack, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, Johann Joachim Spalding und Johann Gottlieb Töllner gelten.452 Obschon diese Gelehrte ihre Forderung nach einer Revision der Erbsündenlehre und die Ablehnung der Zurechnung einte, so sahen ihre Gewichtungen und Lösungsvorschläge verschieden aus. Teller klassifizierte beispielsweise die Erbsünde als Temperamentsünde, die durch die leibliche Geburt fortgepflanzt 443 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 3. 444 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 27 f. 445 Gunther Wenz, Sünde. Hamartiologische Fallstudien (Studium Systematische Theologie 8), Göttingen 2013, 143. 446 Vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit, 195. 447 Vgl. Sparn, Vernünftiges Christentum, 45. So auch Aner, Theologie der Lessingzeit, 163. 448 Aner, aaO., 162. 449 Vgl. Sparn, Vernünftiges Christentum, 45. 450 Aner, Theologie der Lessingzeit, 298. 451 Vgl. Aner, aaO., 195.298. 452 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 118.120; Aner, aaO., 298 f.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
wird.453 Spalding wiederum lehnte die Imputationslehre insbesondere deshalb ab, weil er es als sittlich anstößig empfand, einen Menschen ohne persönliche Verschuldung für verdammt zu erklären. Dahinter stand für ihn das Schreckbild eines willkürlich strafenden Gottes,454 welches wiederum das eigene sittliche Streben negativ beeinträchtigt.455 Der Gedanke einer Zurechnung wurde nicht nur abgewiesen, weil er im Widerspruch zur Güte und Gerechtigkeit Gottes gesehen wurde und weil er der Sittlichkeit schade,456 sondern generell sprachen sich viele Aufklärer, auch im Zusammenhang mit ihrem Perfektibilitätsdenken, gegen die Annahme einer grundlegenden Verderbnis der menschlichen Natur aus. So verwarf beispielsweise Jerusalem den Gedanken einer vollständigen Korrumpiertheit der menschlichen Natur.457 Betrachtet man den Forschungsstand zur Thematik der Sündenlehre in der Aufklärungstheologie, lässt sich ein Wandel konstatieren.458 Bei Karl Aner und Walter Sparn wird noch hervorgehoben, dass der Kampf „gegen die überkommene Lehre“459 – gegen die Erbsündenlehre – hauptsächlich den Neologen anzurechnen ist, gleichwohl eine Abkehr von diesem Dogma schon seit den 1740er Jahren festgestellt wird.460 Auch in dem RGG‑Artikel zur „Sühne/Schuld und Vergebung“ von Martin Abraham werden das Menschenbild von Altprotestantismus und Neologie gegeneinander gestellt.461 Bei Anselm Schubert jedoch, und in Anlehnung an diesen bei Gunther Wenz,462 werden die Kontinuitäten zwischen der lutherischen Orthodoxie und der Aufklärungstheologie betont.463 Schubert zeigt, in welcher Abhängigkeit die Aufklärung zu ihren eigenen Ursprüngen steht. Er rekonstruiert die Entwicklungslinien beziehungsweise die theologische Vorgeschichte der Aufklärung und zeigt, dass die neologische Dogmenkritik auf den Thesen der reformierten Theologie und der lutherischen Orthodoxie aufbaut.464 So arbeitet er beispielsweise heraus, dass die Ablehnung des Zurechnungsgedankens keine Neuerung der Aufklärung ist.465 Das Charakteris453 Vgl. Aner, aaO., 298. 454 Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 28 f. 455 Vgl. Aner, Theologie der Lessingzeit, 298. 456 Vgl. Christine Axt-Piscalar, Art. Sünde VII. Reformation und Neuzeit (TRE 32, 2001, 400–436), hier 410. 457 Vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 280 f. 458 Zum Forschungsstand siehe auch die Schilderung bei Anselm Schubert, Das Ende der Sünde. Anthropologie und Erbsünde zwischen Reformation und Aufklärung (FKDG 84), Göttingen 2002, 13–19. 459 Aner, Theologie der Lessingzeit, 158. 460 Vgl. Aner, aaO., 162; Sparn, Vernünftiges Christentum, 45. 461 Vgl. Martin Abraham, Art. Sühne/Schuld und Vergebung VI. Kirchengeschichtlich und dogmengeschichtlich 3. Neuzeit (RGG4 7, 2004, 1886 f.), hier 1886. 462 Vgl. Wenz, Sünde, 143. 463 Vgl. Schubert, Das Ende der Sünde, 172. 464 Vgl. Schubert, aaO., 17.20.173. 465 Vgl. Schubert, aaO., 108. Schubert verdeutlicht, dass die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Zusammenhang mit der Imputation der ersten Sünde im Luthertum seit circa
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tische an den Aufklärungstheologen ist allerdings, dass sie ihre Kritik sehr offen und deutlich formulierten, während Vordenker wie Samuel von Pufendorf, Johann Franz Buddeus und Siegmund Jacob Baumgarten ihre kritischen Anmerkungen noch in Unterkapiteln oder Nebensätzen versteckten.466 Somit bedeutet die Kritik der Aufklärer zwar einen Einschnitt im Sündenverständnis,467 aber keinen radikalen Bruch. Wie beteiligte sich Döderlein an diesem Diskurs innerhalb der Aufklärung? Seine Sündenlehre unterteilte er in der „Institutio“ in zwei Kapitel „Von der Sünde“ und „Von den Strafen der Sünde“, die er nochmals in mehrere Abschnitte gliederte. Insgesamt besteht seine Abhandlung aus 47 Paragraphen. In der vorliegenden Studie sollen zentrale Argumente Döderleins herausgegriffen und präsentiert werden. 1.1. Vom Ursprung der Sünde Wie bereits oben angesprochen legte Döderlein seiner Argumentation die Behauptung einer Verderbtheit des menschlichen Geschlechtes zugrunde, die er als Ursprung der Sünde bewertete und die er auf den Sündenfall zurückführte. Döderlein gab verschiedene Erklärungsmöglichkeiten an, wie der Sündenfall von zeitgenössischen Theologen, beispielsweise von Johann Georg Rosenmüller, Johann Gottfried Eichhorn, Gottfried Less und von Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, aufgefasst wurde. Sie verstünden die Geschichte allegorisch, mythologisch oder als historische Tatsache in dichterischer Ausschmückung. Döderlein wollte sich jedoch nicht an eine Interpretationsmöglichkeit binden. Für ihn war allein die Quintessenz dieser „alte[n] Erzählung“ wichtig: Der Mensch, den Gott frei von aller Verderbtheit erschaffen hat, wurde durch äußere Reize, die seine Begierden erregten und seine Vernunft einschläferten, dazu gebracht, das Unerlaubte zu tun. Die Folge war eine Zerrüttung der ursprünglichen Natur des Menschen. Alles Weitere ließ sich für Döderlein aus der Erzählung nicht sicher bestimmen, obgleich ihm die Giftbaumtheorie von Johann David Michaelis plausibel erschien.468 Michaelis vertrat die These, dass der Baum der Erkenntnis ein Giftbaum war. Das Essen der Frucht führte demzufolge zu einer andauernden und natürlichen Veränderung des Verhältnisses von Sinnlichkeit (Leib) und 1650 wichtiger wurde, nachdem bereits reformierte Theologen darüber diskutiert hatten. Er zeigt die Entwicklungslinie einer Abwertung der Imputationslehre über die Sozinianer und Arminianer über die Gelehrten Josué de La Place und Samuel von Pufendorf bis zu Buddeus und Baumgarten auf. Vgl. Schubert, aaO., 227 f. 466 Vgl. Schubert, aaO., 223. 467 Vgl. Wenz, Sünde, 143. 468 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 3–6. Die genauen Angaben (Autoren und ihre Werke) finden sich nur in der lateinischen Fassung seiner Dogmatik, nicht in der Übersetzung: Siehe Institutio, 2, 1787, 4–15. Einen ersten Überblick über die verschiedenen Deutungsmuster bietet Ludwig Diestel, Geschichte des Alten Testamentes in der christlichen Kirche, Jena 1869, 729 f.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Vernunft im Menschen. Er verstand Erbsünde also als eine leibliche Vergiftung. Dieser Erklärungsversuch von Michaelis wurde in zahlreichen Dogmatiken aufgenommen und hielt sich laut Emanuel Hirsch für ungefähr ein halbes Jahrhundert als Theologumenon.469 Derartige Theorien von Theologen, die die Giftbaumthese vertraten und auch von denen, die diese Behauptung ablehnten und eher von einem unschädlichen Baum ausgingen, aber das Nicht-Essen als eine Gehorsamsprobe ansahen,470 waren für Döderlein letztlich nebensächlich:471 Ihm kam es darauf an, dass Gott nicht als Urheber der Sünde beschrieben wird. Gott habe den Fall zwar vorausgesehen, aber die Menschen sollten lernen, ihre Kräfte richtig zu gebrauchen sowie den Widerstand gegen den Reiz der Sinne und den Gehorsam gegen Gott zu üben.472 Bei den Folgen des Falls unterschied Döderlein klassisch zwischen den Folgen für die „ersten Eltern“ und den Folgen für die Nachkommen. Die Folgen für die Eltern, die er als natürliche Strafen bewertete, sah er in dem Verlust der richtigen Beschaffenheit ihrer Kräfte. An Stelle von Unschuld machte nun Verderbtheit ihre Existenz aus, was sich im Körper durch den Keim des Todes und in der Seele durch die Gewalt der Sinnlichkeit äußerte. Zudem waren sie nun Übeln ausgesetzt. Zu den Übeln zählte er die Furcht vor Gott und die Beschwerlichkeiten des Lebens. Die Notwendigkeit des Todes resultierte für ihn aus dem durch die Beschwerlichkeiten und Leidenschaften geschwächten Körper.473 Auf die Nachkommen wurde die Verderbtheit fortgepflanzt. Sie lag für Döderlein in der Heftigkeit von sinnlichen Bewegungen – nicht in der Sinnlich469 Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 35. Heinrich Köster zeigt auf, welche Vorteile die Giftbaumtheorie in der Argumentation brachte: „[S]ie befreite die Weisung Gottes von dem Odium, eine willkürliche Einschränkung der Freiheit (ein arbiträres Verbot) zu sein; sie erlaubte, die Worte Gottes (Gn 2,16f ) nicht als Gebot, sondern als warnenden Rat zu deuten und so die Übertretung vom Charakter einer gegen Gott gerichteten Handlung zu befreien; sie bot eine Möglichkeit, eine erbliche Schädigung der Menschennatur als Kern der Erbsündenvorstellung verständlich zu machen.“ Heinrich Köster, Urstand, Fall und Erbsünde. Von der Reformation bis zur Gegenwart (HDG II. 3c), Freiburg/ Basel/Wien 1982, 133. Olearius analysiert, dass diese Giftbaumtheorie nicht völlig neu war, da sich Hinweise schon bei Melanchthon finden lassen, sie aber für die frühen Aufklärungstheologen charakteristisch gewesen sei. Christoph K arl Rüdiger Olearius, Die Umbildung der altprotestantischen Urstandslehre durch die Aufklärungstheologie, München 1968, 116 mit Anm. 173. 470 Vgl. Köster, aaO., 133; Olearius, aaO., 119. So bewertete beispielsweise Töllner die Anweisung Gottes, von diesem Baum nicht zu essen, als Übungszweck. Vgl. Olearius, aaO., 119, Anm. 192. 471 Döderlein äußerte zur Giftbaumtheorie von Michaelis: „[Seine] Hypothese ist zwar zur Erklärung der Fortpflanzung sehr bequem, scheinet auch an sich sehr wahrscheinlich, aber in der Anwendung auf die mancherley Arten, wie sich das Verderben erweiset, dürfte sie wol allen anscheinenden Credit wieder verliehren.“ Siehe Döderleins Rezension über Michaelisʼ Schrift „Gedanken über die Lehre der heiligen Schrift von Sünde und Genugthuung, als eine der Vernunft gemässe Lehre“ in der ATB 1, 6. Stück, 1780, 467. 472 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 6. 473 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 7–9.
II. Theologie der Mitte
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keit an sich, die schon Teil des Menschen in seiner unverderbten Natur war. Als Synonyme für den Begriff Verderbtheit (bei Döderlein „Verdorbenheit“) bot Döderlein überdies „Unvermögen“, „Zerrüttung“, „Unordnung“, „Fleisch“ an und verwies darauf, dass Theologen diesen Tatbestand „Erbsünde“ nennen. Diese Verderbtheit äußerte sich für Döderlein sowohl im Körper als auch in der mit dem Körper eng verbundenen Seele. Der Mensch lasse sich mehr von seinen Sinnen als von seinem Verstand leiten.474 Seine Argumentation erinnert dabei an Michaelis, der von einem vererbten Missverhältnis der sinnlichen Leidenschaften zur Vernunft sprach.475 Dass der Mensch wirklich verderbt ist, ließ sich für Döderlein nicht nur aus der Schrift beweisen, sondern ebenso aus der Erfahrung und dem eigenen Gefühl. Jeder Mensch sei davon betroffen, wenn auch in verschiedenen Abstufungen. Die Verderbtheit durchziehe das ganze Leben, und wurde von Döderlein daher als natürlich oder angeboren und angeerbt bezeichnet. Dies könne auch als „Erbübel“ benannt werden.476 Das „Erbübel“ bedeutet für ihn allerdings nicht, dass der Mensch „zu allem Guten erstorben sey[]“ und es ihm an „Erkänntniß“ mangle oder „gar eine angeborne Feindschaft gegen Gott“ bestehe.477 Wie aber wird diese Verderbtheit auf die Nachkommen fortgepflanzt? Döderlein stellte drei Möglichkeiten vor. Als erstes gab er an, dass die Fortpflanzung durch Nachahmung geschehen könne.478 Dieser schon von Pelagius479 vertretene Weg, der von den Sozinianern480 und später von Theologen wie Johann Salomo Semler481 aufgegriffen wurde, fand seine Ablehnung. Zwar könne die Jugend durch Erzieher verderbt werden, aber die hier angenommene Verderbtheit habe eine ganz andere Qualität und einen größeren Umfang.482 Auch die zweite Option, die Fortpflanzung durch Zurechnung, missbilligte er. Döderlein verwies darauf, dass Vertreter dieser Theorie sich zu Unrecht auf Röm 5,12 bezögen und die Bibel vielmehr diese Ansicht widerlege (Ez 18,4–20; Röm 2,6).483 Er griff an die474 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 10–14. 475 Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 35. – Siehe auch Döderleins Rezension in der ATB 1, 6. Stück, 1780, 463 f. 476 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 15–18. 477 Doederlein, ATB 1, 6. Stück, 1780, 463. 478 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 18. 479 Vgl. Heinrich Holze, Art. Sühne/Schuld und Vergebung VI. Kirchengeschichtlich und dogmengeschichtlich 1. Alte Kirche (RGG4 7, 2004, 1881–1883), hier 1882. 480 Vgl. Schubert, Das Ende der Sünde, 179: Die Sozinianer behaupteten, dass der Mensch eine Neigung zum Bösen hat, die allerdings nicht vererbt wird, sondern durch wiederholte Nachahmung der sündigen Handlungsweise anderer Menschen entsteht. 481 Vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 285. Semler erklärte sich die Weitergabe der Neigung zur Sündhaftigkeit durch Prägung und Erziehung. Ebd. 482 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 20. – So argumentierte auch Gottfried Less. Aus der Allgemeinheit des Verderbens schloss er, dass es sich um etwas Angeborenes, und nicht um etwas Erworbenes handeln muss. Vgl. Olearius, Umbildung, 124. 483 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 19 f.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
ser Stelle auf den schon von Erasmus484, jetzt aber mit Nachdruck besonders von Johann August Eberhard gemachten Einwand zurück, dass die Stelle Röm 5,12, auf die sich Augustins Erbsündenlehre und der Gedanke der Imputation beriefen, auf einer Fehlübersetzung des lateinischen Textes der Vulgata beruhten. Aus dem griechischen Text könne eine solche Argumentation nicht geschlussfolgert werden.485 Für Döderlein war es offensichtlich, dass in Röm 5 nur von der Allgemeinheit des durch die Sünde Adams eingedrungenen Todes, nicht aber von einer Zurechnung gesprochen wird.486 Gleichermaßen lehnte Döderlein die Hypothese von Adam als Bundeshaupt ab, wie sie in der Föderaltheologie vertreten wurde487 sowie die Unterscheidung von einer unmittelbaren und mittelbaren Zurechnung, wie sie von Ägidius Hunnius488 vorgenommen wurde.489 Die Lehre von der Zurechnung, obgleich sie jahrhundertelang als Lehrmeinung der Kirchen vertreten wurde, tat Döderlein nun als Privatmeinung ab. Er behauptete, dass die These von der Imputation keine öffentliche Lehre sei.490 Für Döderlein blieb allein die dritte Möglichkeit bestehen, nämlich die Fortpflanzung der Natur, „in die einmal das Gift der Sünde eingedrungen ist“491. Er verglich die Fortpflanzung der Verderbtheit mit der Fortpflanzung einer Krankheit auf die Nachkommen. Allerdings werde diese fortgepflanzte Verderbtheit wie oben gezeigt den Nachkommen nicht als Sünde angerechnet, da sie ohne eigene Beteiligung erfolgt. Deshalb sprach Döderlein auch von der Verderbtheit als einem Elend, aber nicht von Sünde, und lehnte die Bestrafung mit dem ewigen Tod ab.492 Döderlein argumentierte an dieser Stelle zudem mit der Sittenlehre. Die Verderbtheit gebe Antrieb, „die Hülfsmittel zur Tugend sorgfältig aufzusuchen“493. Was der Sittenlehre jedoch schade, seien unnütze Fragen, unvorsichtige Formeln und willkürliche Behauptungen, die seit dem Pelagianischen Streit in die Theologie eingeführt worden seien. Döderlein hielt nichts von Spekulationen, wie genau die Schwäche und der Tod von Adam auf die Nachkommen übertragen wurde. Es bringt seiner Meinung nach nichts, einen ungewissen Ursprung zu erforschen.494 484 Vgl. Wenz, Sünde, 79. 485 Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 47; Wenz, aaO., 79. 486 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 20. 487 Adam wurde hier als der Vertragspartner Gottes im Werkbund und als vertraglicher Stellvertreter aller seiner Nachkommen angesehen. Die Zurechnung wurde über diese Stellvertreterfunktion verstanden. Vgl. Schubert, Das Ende der Sünde, 212. 488 Hunnius unterschied zwischen einer „mittelbaren“ und einer „unmittelbaren“ Imputation. Unter der „mittelbaren“ verstand er die Sündigkeit der vererbten Konkupiszenz, unter der „unmittelbaren“ die Zurechnung der Schuld Adams. Eine „unmittelbare“ Zurechnung lehnte er ab. Allein die „mittelbare“ Imputation ließ er als Lehre gelten. Vgl. Schubert, aaO., 178. 489 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 21. 490 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 22 f. 491 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 19. 492 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 13.21 f. 493 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 25. 494 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 25 f.
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1.2. Von den „wirkliche[n] Sünden“ Von diesen Bemerkungen zum Ursprung der Sünde hob Döderlein die „wirkliche[n] Sünden“ ab, welche, wie bereits oben definiert, Handlungen und Bewegungen des Menschen sind, die dem göttlichen Gesetz entgegenlaufen.495 Die Sünden lassen sich für Döderlein noch näher einteilen: in Unterlassungssünden und Begehungssünden, in innere und äußere, in unwissentliche und wissentliche und in unvorsätzliche (aus Übereilung oder Schwachheit) und in vorsätzliche (aus Bosheit oder aufgrund des Lasters).496 Alle weiteren Einteilungen „der Scholastiker“ wie in Tod- und Erlasssünden lehnte er ab.497 Döderlein spielte hier auf die Unterteilungen Thomas von Aquins an, die auch noch in der lutherischen Orthodoxie wie beispielsweise von Johann Gerhard angewandt wurden.498 Vor allem sah er in der Einteilung der Sünden gegen Gott, gegen andere und gegen sich selbst keinen Sinn, da sich jedes Vergehen auf Gott, andere und sich selbst beziehe. Dass es allerdings schwerere und leichtere Sünden gibt, daran hielt er fest. Das Urteil über die Schwere einer Sünde stand seiner Meinung nach aber nur Gott zu, da sich das Urteil nicht nach der Größe der Folgen, sondern nach der Beschaffenheit des Täters richtet, in welche die Menschen gar keinen Einblick haben. Nicht nur die Sünden sind seiner Meinung nach verschieden, auch der Umgang mit ihnen unterscheidet die Menschen voneinander. Döderlein klassifizierte die Menschen in zwei Kategorien: Die einen (Heuchler, Gottlose, Lasterhafte) folgen ihren Begierden als Sklaven der Sünde, die anderen (Fromme) versuchen jede böse Begierde aus Ehrfurcht vor Gott zu unterbinden, gleichwohl es ihnen nicht immer gelingt. Ebenfalls gingen die Menschen im Umgang mit der durch die Sünde zugezogenen Schuld unterschiedlich um: Fühlten sich die einen durch ihren Glauben an Jesus Christus befreit (Stand der geistlichen Sicherheit), seien den anderen ihre Sünden und deren Folgen egal (Stand der fleischlichen Sicherheit); hingegen habe die dritte Gruppe zwar Angst, aber sie würden keine Mittel in Anspruch nehmen, um Abhilfe zu schaffen (knechtischer Zustand).499 1.3. Von den Strafen Wie verhält es sich aber mit den Strafen, die auf die Sünden folgen? Dieser Frage ging Döderlein in seinem zweiten Kapitel nach. Die Strafen treffen den Sünder entweder im gegenwärtigen Leben, im Tod oder nach dem Tod. Bei der Betrachtung der Strafen im gegenwärtigen Leben war es für Döderlein wichtig, die Stra495 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 27. 496 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 28–31. 497 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 36. 498 Zu dem jeweiligen Einteilungsschema von Thomas von Aquin und von Johann Gerhard siehe Horst Georg Pöhlmann, Abriss der Dogmatik. Ein Kompendium, Gütersloh 62002, 200 f. 203 f. 499 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 29.34 f. 37–39.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
fen von den Übeln zu trennen. Übel definierte er als Geschehnisse, die nicht als Folgen eigener Vergehen charakterisiert werden können. Zum Beispiel sterben Kinder, ehe sie etwas Gutes oder Böses getan haben oder es passieren Naturkatastrophen. Beides bewertete er nicht als Strafe, sondern als Übel.500 Die Strafen sind für ihn entweder Strafen des Verlusts (von Glückseligkeit, von Gütern) oder Strafen des Gefühls (Gefühl von Schmerzen) und können in natürliche und willkürliche/positive Strafen unterteilt werden. Natürliche Strafen folgen entweder aus der Handlung selbst (beispielsweise Krankheiten, die auf Schwelgerei folgen) oder sie treffen das Gemüt, welches sozusagen als „schlechtes Gewissen“ genau um das eigene Fehlverhalten weiß und nun Angst vor der Strafe hat. Über die willkürlichen Strafen, also Strafen, die mit der Sünde in keiner notwendigen Verbindung stehen, äußerte sich Döderlein kaum, da Gott deren Beschaffenheit nicht näher bestimmt habe. Sie könnten aber als weise, angemessen, heilsam und gerecht klassifiziert werden. Göttliche Strafen dienen seiner Meinung nach auch zur Abwendung eines größeren Übels und zur Erreichung eines höheren Guts.501 Ist aber der Tod als eine Strafe anzusehen? Döderlein verneinte diese Frage. Der Tod fungierte seiner Meinung nach nur bei Adam als Strafe und ging dann aufgrund der „Nothwendigkeit der Natur“502 auf alle Nachkommen über – auch auf Jesus Christus. Trost gegen dieses „sehr traurige[] Uebel“503 fand Döderlein in dem Glauben an die Auferstehung und dem Gedanken an die Vorsehung. Indem er an der platonischen Zweiteilung von Leib und Seele festhielt, konnte er zudem behaupten, dass der Tod nur den Leib und nicht die Seele betreffe.504 Seine Abhandlung über die Strafen nach dem Tod hielt Döderlein relativ kurz, da sich die Beschaffenheit der Strafen kaum bestimmen lasse. Denn die Bibel gebrauche nur Bilder. Döderlein nahm an, dass die Leiden vor allem physischer Natur sein werden: Der Mensch sei sich dann seiner begangenen Sünden bewusst, fühle Scham und Verzweiflung. Auch Gottes willkürliche Strafen treten 500 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 40 f. 501 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 41–46. Döderlein bemühte sich in seinem „Christliche[n] Religionsunterricht“, den missverständlichen Begriff „willkürlich“ zu erklären: „Die Besorgniß einer nach blinder Willkühr, ohne Endzweck und ohne Gründe ahndenden Gottheit könnte aus der Vertheidigung willkührlicher Strafen nicht entstehen, wenn es bedacht würde, daß die höchste Weisheit alle Willkühr verabscheut; […] daß, […], jede Ahndung ihre wohlthätige Absicht hat, daß jedes Besserungsmittel weise gewählt ist, und daß die Theologie diese Formel aus den Gerichtsstuben nahm, in denen jede Strafe willkührlich genennt wird, die ihrer Art nach, durch kein Gesetz dem Richter ausdrücklich vorgeschrieben und indispensabel gemacht ist, obgleich die Laune des Richters, bey ihrer Bestimmung, der Gerechtigkeit weicht, und der unpartheyischen Weißheit allein es überlassen bleibt, die Art der Strafen zu wählen, die nach seinem Urtheil ihren Entzweck am sichersten erreicht.“ Döderlein, ChRU 5, 1791, 103 – zum Thema Strafe: 85–153. 502 Döderleins kurze Unterweisung, 2, 47. 503 Ebd. 504 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 47–49.
II. Theologie der Mitte
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hinzu, über die man kaum etwas sagen könne, außer dass durch sie Besserung bewirkt werde. Einer ewigen Verdammnis und ewigen Höllenstrafen stand Döderlein kritisch gegenüber. Seiner Meinung nach finde sich dafür kein biblischer Beleg. Allerdings gab er zu, dass sich für die Meinung, die Strafen würden einmal zu Ende sein und alle hätten an der Seligkeit teil, ebenfalls keine biblische Fundierung verzeichnen lasse. Er hoffte es, aber wollte es nicht mit Gewissheit behaupten.505 Döderlein blieb auch hier äußerst vage. 1.4. Zusammenfassung Döderleins hamartiologische Ausführungen lassen erkennen, dass er mit dem zeitgenössischen Diskurs zu den Themen Sünde und Strafen vertraut war. In seiner „Institutio“ gab er dem Leser beispielsweise zum Thema „Erbsünde“ mittels der Anmerkungen in den Observationes eine Einführung, welche Konzepte zu einer bestimmten Frage (zum Beispiel zum Thema Giftbaum) existieren und von wem sie vertreten werden (mit genauer Werkangabe und Seitenzahl). Er selbst verwehrte sich an mehreren Stellen gegen Spekulationen, wie zum Beispiel gegen die Frage, wie die Strafen nach dem Tod genau beschaffen sind, und ging mit seiner Sündenlehre einen Mittelweg. Döderlein lehnte eine Zurechnung der Schuld Adams an dessen Nachkommen ab, aber hielt im Gegensatz zu anderen Aufklärungstheologen wie beispielsweise Gotthelf Samuel Steinbart506 daran fest, dass die Menschen als Folge des Falls von einer natürlichen Verderbtheit geprägt sind. Diese Verderbtheit wurde Döderlein zufolge ererbt. Allerdings ist sie nicht als Sünde zu bezeichnen. Der Verfasser der „Institutio“ ging auch nicht so weit, dass er den Wirkzusammenhang zwischen der adamitischen Sünde und den eigenen Tatsünden verwarf, wie es Semler tat.507 Die ererbte Verderbtheit bildete für ihn die zentrale Ursache der eigenen Sünden – nicht die Erziehung oder Prägung. Als Beweis für diese umfassende Verderbtheit legte er nicht nur die Bibel, sondern ebenfalls die eigene Erfahrung sowie das eigene Gefühl zugrunde. Neben einer inhaltlichen Ablehnung der Erbsündenlehre, die sich in seiner Ablehnung einer Zurechnung der adamitischen Schuld und in seiner Weigerung, die Verderbtheit als Sünde zu bezeichnen, zeigt, distanzierte sich Döderlein überdies begrifflich davon. Er benutzte kaum das Wort „Erbsünde“ (beziehungsweise in der lateinischen Fassung seiner „Institutio“ „peccatum 505 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 53–60. – Zur Debatte über die Endlichkeit der Höllenstrafen in der Aufklärung unter anderem Aner, Theologie der Lessingzeit, 277–285; Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 260 und Wenz, Versöhnungslehre, 1, 196–198. Einen instruktiven Beitrag über das Bild der Hölle im 17. und 18. Jahrhundert liefert Wolfgang Sommer, Der Untergang der Hölle. Zu den Wandlungen des theologischen Höllenbildes in der lutherischen Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts (in: Ders., Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze [FKDG 74], Göttingen 1999, 177–205). 506 Vgl. Heinrich, Geschichte der Lehrarten, 1790, 490. 507 Vgl. Schröter, Aufklärung durch Historisierung, 286.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
originale“) und wenn er es tat, dann nur, um dem Leser die Information zu liefern, dass die von ihm beschriebene Verderbtheit von Theologen „Erbsünde“ genannt werde. Zum Thema Strafen blieben seine Ausführungen oft vage. Wie bei der Frage nach der Ewigkeit der Höllenstrafen vermied er mehrfach, sich festzulegen. Ihm waren zwar neuere Konzepte und Ansätze bekannt, wie in diesem Fall Eberhards Ablehnung der ewigen Höllenstrafen, aber er adaptierte sie nicht. Döderlein wollte an dieser Stelle nicht gänzlich mit der Tradition brechen und verblieb überwiegend in den althergebrachten Denkmustern. 2. Döderleins Christologie und Soteriologie zwischen Tradition und Traditionskritik Ähnlich wie für Döderleins Sündenlehre, lässt sich auch für die Christologie und Soteriologie zeigen, dass Döderlein mit den zeitgenössischen Debatten vertraut war und einen Mittelweg einschlug. Döderleins Mittelweg ist ein weiterer Beleg für Gottfried Hornigs These, dass die oft vertretene Behauptung, die Neologie habe grundlegende Reduktionen in der Christologie vorgenommen und die altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse zur Christologie völlig verworfen, nicht plausibel ist.508 Nicht nur bei den Gelehrten Siegmund Jacob Baumgarten und Johann Salomo Semler, die Hornig als Beweis für seine These heranzieht, sondern ebenso bei Döderlein fand keine völlige Preisgabe christologischer Überlegungen statt. Bei Döderlein lassen sich gleichermaßen traditionelle und traditionskritische Elemente nachweisen. Emanuel Hirsch beschreibt zutreffend, dass sich bei Dogmatikern wie Döderlein ein „vorsichtig vereinfachendes Festhalten [an den] […] Grundaussagen“509 erkennen lässt, aber alles was darüber hinausgeht, kritisch betrachtet wird. Exemplarisch kann das an Döderleins Aufbau seiner christologischen Untersuchungen sowie an seinen Ausführungen zur Zweinaturen- und Versöhnungslehre gezeigt werden. 2.1. Aufbau der Untersuchung Döderlein entfaltete seine christologischen und soteriologischen Überlegungen in der „Institutio“ unter der Überschrift „Von der Wiederherstellung des menschlichen Geschlechts, vorzüglich durch Christum“. Diesen Abschnitt untergliederte er wiederum in drei Kapitel und einen Anhang. In dem ersten Kapitel setzte er sich mit der Geschichte Jesu auseinander, thematisierte dementsprechend Jesu zweifachen Stand und seine beiden Naturen. Was Jesus für das Heil der Menschen getan hat, fragte er in dem zweiten Kapitel. Er skizzierte hier Jesu „Geschäfte und Wohlthaten“, also die stellvertretende Genugtuung, die Auferstehung, die Erlösung von den Sünden und die durch Jesus erworbene Glückselig508 Vgl. Hornig, Semler. Studien zu Leben und Werk, 137. 509 Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 99.
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keit. Die Lehre vom dreifachen Amt Christi sowie die Frage, inwiefern im Alten Testament vom Messias gesprochen werden kann, untersuchte er in dem zwischen zweitem und drittem Kapitel eingeschobenen Anhang. Im dritten Kapitel widmete sich Döderlein der Soteriologie. Betrachtet man die Gliederung dieser Kapitel, fällt zunächst auf, dass Döderlein bestimmte Begrifflichkeiten wie „Von dem Stand der Erhöhung“, „Von der Person Christi“, „Verbindung beyder Naturen“ und „Von dem Werk Christi“ gebrauchte. Diese Terminologie findet sich auch in den Dogmatiken der lutherischen Orthodoxie. Blickt man allerdings auf die Anordnung dieser Punkte, wird ersichtlich, dass Döderlein von dem gängigen Anordnungsschema dieser Themen abwich. In der lutherischen Orthodoxie und der Übergangstheologie wurde der Stoff in der Regel nach folgendem Prinzip angeordnet: Person (Zweinaturen) – Stand – Amt oder Person – Amt – Stand.510 Döderlein jedoch zog die Lehre von den zwei Ständen vor die Zweinaturenlehre und untersuchte im Anschluss das Werk beziehungsweise die Wohltaten Jesu. Die Wohltaten Jesu analysierte er allerdings nicht unter der Prämisse seiner drei Ämter, da Döderlein eine solche Einteilung ablehnte, sondern unter der Frage nach dem Erlösungswerk Jesu (Befreiung von den göttlichen Strafen und Unterdrückung von der Herrschaft der Sünde) und der daraus folgenden Glückseligkeit. Döderlein missbilligte die bei ihm nur den Status eines Anhangs habende Lehre vom dreifachen Amt, da diese Einteilung in das prophetische, hohepriesterliche und königliche Amt „weder alt, noch faßlich, noch gründlich und genau“511 sei. Seiner Meinung nach sind diese „Geschäfte“ so nah miteinander verwandt und beeinflussen einander, dass man eine solche Trennung in Ämter nicht vornehmen kann.512 Döderlein griff hier Johann August Ernestis Thesen auf, der die Lehre vom dreifachen Amt als nicht schriftgemäß bezeichnete und forderte, Amt und Beruf Jesu müssten als etwas einheitliches aufgefasst werden.513 Dass sich Döderlein vor allem auf Ernesti bezog, verwundert nicht, denn Ernestis Einspruch bewirkte, dass die Lehre von den drei Ämtern „seit dem manchen mißfällig vorgekommen ist“514. Eine weitere Beobachtung sticht bei näherer Betrachtung der Gliederung hervor: Döderlein thematisierte im Zusammenhang mit Jesu Versöhnungstat 510 Vgl. Nüssel, Bund und Versöhnung, 93. Nüssel zeigt, dass Baier und Buddeus die Ständelehre nicht, wie es in der Konkordienformel und der Wittenberger Theologie üblich war, nach, sondern vor der Ämterlehre behandelten. Beispielsweise David Hollaz und Christoph Matthäus Pfaff untersuchten die Lehre von den Ständen hingegen erst nach der Lehre von der Person und dem Amt. Vgl. ebd. mit Anm. 30. 511 Döderleins kurze Unterweisung, 2, 148. 512 Vgl. ebd. 513 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 139. 514 So die Schilderung von Johann David Michaelis, Dogmatik, Zweite umgearbeitete Ausgabe, Göttingen 1784, 447. Johann David Michaelis selbst hielt an der Einteilung dieser Lehre fest, weil ihm „die Claßification selbst sehr bequem vor[kommt], und […] weil sie Einmahl in der Theologie so gewöhnlich geworden ist“. Ebd.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
nicht nur dessen Tod (Genugtuung) und die Fürbitte – beide Elemente finden sich in lutherisch-orthodoxen Dogmatiken unter der Rubrik des priesterlichen Amtes Jesu –, sondern gleichermaßen dessen Auferstehung, die seiner Meinung nach die durch Jesu Tod erworbene Hoffnung auf Vergebung bestätigt.515 Wie bereits im einführenden Kapitel über Döderleins Dogmatik516 festgestellt, verschiebt sich daher der grundsätzliche Aufbau seiner Dogmatik. Die Auferstehung wurde vorgezogen und anstelle einer Abhandlung über „die letzten Dinge“ nun an dieser Stelle untersucht. Auch das Thema „ewige Seligkeit“ wurde in Döderleins christologischen Untersuchungen integriert; nämlich als ein Bestandteil der Glückseligkeit, die Jesus zu verdanken ist. Döderlein nahm diesen Aufbau vor, weil die Themen Auferstehung und ewige Seligkeit für ihn inhaltlich eng zur Erlösungstat Jesu gehörten. Da die Notwendigkeit des Todes das härteste Übel sei, welches aus der Sünde entsprungen ist, müsse diese Tat Jesu, der den Menschen die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten gebe, als eine seiner Wohltaten bezeichnet werden.517 Außerdem sprach sich Döderlein gegen eine Reduktion des Verdienstes Jesu einzig auf dessen Tod aus.518 2.2. Zweinaturenlehre Döderlein hielt daran fest, dass Jesus, der „größte[] Lehrer[]“519, mehr als nur ein Mensch war, und grenzte sich eindeutig von dem Standpunkt derer ab, die Jesus auf sein menschliches Dasein reduzierten: „Doch aber denken die viel zu gering und schimpflich von ihm, die ihm ausser den menschlichen Eigenschaften und der Würde, die er durch seinen Tod erlangt hat, nichts weiter zugestehen wollen.“520 Beide Naturen, die göttliche und die menschliche, wurden von Döderlein als eine „unzertrennliche[] Verbindung“521 beschrieben und vereinigen sich für ihn in der Person des Christus. Allerdings stellte Döderlein die klas515 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 119. 516 Siehe Kapitel D/I. 517 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 123. 518 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 111. 519 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 76. Der Titel des „größten Lehrers“ kommt Jesus zu wegen des Inhalts seines Unterrichts, seiner angenehmen und deutlichen Lehrart, seinem durch Wahrheit und Wunder bewirkten Ansehen und durch seine erhabene Frömmigkeit. Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 75 f. 520 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 90. – Dass Jesus eine höhere Natur besitzt, belegte Döderlein insbesondere mit Eigenschaften, die sonst von keinem Menschen ausgesagt werden können, die ihm aber von der Heiligen Schrift zugesprochen werden: Er ist vom Himmel auf die Erde gekommen und hat schon vor seiner Geburt bei der Erschaffung der Welt in der göttlichen Herrlichkeit gelebt. Die Bibelstellen, die von Jesu höherer Natur sprechen, unterteilte Döderlein in drei Klassen: Stellen, die seinen Vorzug vor allen anderen Geschöpfen beschreiben, Stellen, in denen seine Ähnlichkeit mit Gott gelehrt wird und Stellen, die Aussagen über die Dreieinigkeit treffen. Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 91 f. 521 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 93.
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sischen biblischen Belegstellen für die Verbindung der zwei Naturen in Christus in Frage.522 Döderlein handelte im Folgenden weitere dogmatische Grundannahmen ab, mit denen er sich formal in den traditionellen Lehrbestand eingliederte. So führte er beispielsweise auf, dass die beiden Naturen sich verbanden, als Christus anfing, Mensch zu sein, und dass durch die Verbindung beider Naturen in Christus nicht deren Wesen und Eigentümlichkeiten verändert werden.523 Dabei fällt aber auf, wie reserviert er von dieser Thematik sprach, was sich unter anderem daran zeigt, welche Schlussfolgerungen er aus dem Gemeinschaftsverhältnis beider Naturen zog: „[Aus dieser Verbindung] entstehen verschiedene Redensarten, unter denen dieienigen am wenigsten Anstoß geben, wenn entweder dem ganzen Christus die einzelnen Naturen und deren Eigenschaften, oder jeder Natur das, was ihr eigen ist, oder endlich Handlungen, die von beyden verbundenen Naturen gemeinschaftlich bewirkt werden, einer von beyden beygelegt werden.“524
Seine Formulierung „am wenigsten Anstoß“ impliziert, dass a) alle anderen Redeweisen Anstoß erregen und b) er auch von dieser Variante nicht voll überzeugt war. Döderlein charakterisierte die Verbindung beider Naturen vielmehr als ein Verhältnis, „wo sich Liebe mit der thätigsten Mitwirkung verbindet“525. Er kritisierte nachdrücklich, dass diese „einfache und verständliche Wahrheit“526 durch „grübelnde[] Aengstlichkeit“527 und erfundene scholastische Formeln nicht nur verwirrt worden sei, sondern überdies zu heftigen Streitigkeiten geführt habe, die er näher darlegte. Alle Festlegungen zu diesem Thema seien auf den Konzilien durch Autorität und durch Stimmmehrheit beschlossen worden. Seiner Meinung nach sind derartige Festlegungen und die daraus resultierenden Fragen wie etwa über die Mitteilung der Eigenschaften und über das Verhältnis beider Naturen gegen den Vater der Sache des Christentums nicht dienlich gewesen. Döderlein äußerte sich in diesem Zusammenhang ebenfalls gegen die von der lutherischen Orthodoxie ausgebaute Lehre der communicatio idiomatum. Er lehnte sowohl das genus idiomaticum als auch das genus majestaticum wie auch das genus apotelesmaticum ab.528 Der Theologe empfahl, Ausdrücke dieser 522 Döderlein führte hier 1Tim 3,16; Joh 1,14 und 2Kor 5,19 an. Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 93. 523 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 93 f. 524 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 94. 525 Ebd. 526 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 95. 527 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 98. 528 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 95–98. Das genus idiomaticum besagt, dass die Eigenschaften der beiden Naturen von der ganzen Person ausgesagt werden können. Wird der menschlichen Natur Jesu realer Anteil an den Eigenschaften der göttlichen Natur zugesprochen, spricht man vom genus majestaticum. Im genus apotelesmaticum wird das Zusammenwirken beider Naturen aufgrund der unio personalis in den Werken und Handlungen des Gott-
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Art nicht anzuwenden, da man sich hier auf Beweisstellen beziehe, deren Auslegung fraglich sei, und weil es Missdeutungen befördere. Döderlein betonte zudem, dass diese Art der Wiederherstellung des menschlichen Geschlechts, bei der Jesus eine höhere Natur brauchte, nicht notwendig gewesen sei. Die Behauptung, Gott habe die Menschen nicht auf andere Art retten können, empfand er als Anmaßung gegenüber Gottes Weisheit und Güte.529 Er spielte an dieser Stelle auf die Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury an, der eine Notwendigkeit der Menschwerdung Gottes in Christus behauptete530 und dessen Konzeption von der altlutherischen Dogmatik weitgehend übernommen wurde.531 Abschließend wies Döderlein den Anspruch auf Verbindlichkeit der Zweinaturenlehre zurück: Wer an der von ihm als „Hypothese“ bezeichneten Bestimmung von der Person Christi als Gottmenschen festhalte, finde damit eine Stütze für seinen Glauben. Wer aber eine andere Vorstellung von der Person Christi habe, dem dürfe nicht die ewige Seligkeit abgesprochen werden. Döderlein rechtfertigte seine Position, indem er auf die Anfänge des Christentums verwies. Zu dieser Zeit habe man von keiner bestimmten Art der Verbindung der beiden Naturen gewusst. Erst später, „als man von der christlichen Einfalt abgekommen
menschen beschrieben. Vgl. Christian Danz, Grundprobleme der Christologie, Tübingen 2013, 96–98. 529 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 98 f. 530 Siehe Anselm von Canterbury, Cur deus homo. Warum Gott Mensch geworden, lateinsch und deutsch, München 41986. Anselms Versöhnungslehre war innerhalb der westlichen Theologie die wirkungsgeschichtlich bedeutendste. Gemäß Anselm hat der Mensch durch die Sünde die von Gott gesetzte Schöpfungsordnung zerschlagen und die Ehre des Schöpfers beleidigt. Diese Störung kann Gott nicht einfach vergeben. Die Ehre Gottes muss wieder hergestellt werden und zwar entweder durch Strafe oder durch Genugtuung. Da eine Bestrafung dem Heilsziel der Schöpfung widerspräche, blieb für Anselm allein der Weg der Genugtuung, die aber aufgrund der Schwere der Schuld nur von Gott selbst geleistet werden kann. Da die Genugtuung aber eigentlich vom Menschen erbracht werden muss, muss die Genugtuung für die Verletzung der Ehre Gottes von einem Gottmenschen aufgebracht werden: von Jesus Christus. Dessen satisfactio besteht im Kreuzestod. Er selbst ist sündlos, braucht das Opfer also nicht für sich und kann es deshalb den Menschen zugute kommen lassen. Die Menschwerdung Gottes ist demzufolge eine Folge des Sündenfalls. Vgl. Danz, Grundprobleme der Christologie, 79–81. 531 Vgl. Danz, aaO., 100. Döderlein verwies an dieser Stelle auf Johann Joachim Spalding, der sich in seiner Schrift „Ueber die Nutzbarkeit des Predigtamtes und deren Beförderung“ folgendermaßen zu diesem Thema äußerte: „Wenn eine deutliche göttliche Erklärung da ist, daß mir nach meinen Verschuldungen noch wieder eine Umkehrung verstattet werde, und ein Zugang zu meiner Glückseligkeit offen stehe; wenn mir in dieser Erklärung gesagt wird, daß mir dieß durch Jesum Christum vermittelt und zugewendet worden, so sehe ich nicht, warum mir dieser Grund meiner Beruhigung nicht zuverlässig genug seyn sollte. Eine solche allgemein erklärte Versicherung für unzulänglich zu halten, […] als bis ich selbst eingesehen, wie Gott diese Begnadigung habe möglich machen können, oder ob er auch befugt gewesen, Sünde zu vergeben, das hiesse, mir eine Art von Beurtheilung über die heiligen Regierungsgesetze Gottes anmaßen, die mir unmöglich zukommen kann.“ Spalding, Ueber die Nutzbarkeit, 144 f.
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war“, seien allen Christen bestimmte Meinungen und „dunk[le] Formeln“ aufgezwungen worden.532 Döderleins Anliegen lässt sich hier unmissverständlich erkennen: Alle dogmatischen Spitzfindigkeiten zur Zweinaturenlehre, die sowohl in der Alten Kirche als auch in der lutherischen Orthodoxie vorgenommen wurden, fanden seine Ablehnung. Er selbst griff zwar bestimmte Denkfiguren auf, aber insgesamt relativierte er sie und befürwortete das Ideal der „christlichen Einfachheit“. 2.3. Versöhnungslehre Jesus war für Döderlein mehr als ein Mensch und auch sein Tod war für ihn mehr als ein Märtyrertod, der die eigene Lehre bestätigen soll. Jesu Leben und Tod haben noch „eine höhere und wichtigere Absicht“533, nämlich „Erlösung“, also die Befreiung von der Herrschaft und den Strafen der Sünde.534 Wie erfolgt seiner Meinung nach aber die Befreiung von den Strafen der Sünde? Zunächst untersuchte Döderlein die Bezeichnung dieses Vorgangs. Von der Schrift werde dieses Geschehen als Versöhnung, Vergebung, Reinigung und Rechtfertigung beschrieben. Döderlein betonte, dass diese Erlösung alle Arten der Strafen betrifft: also die im gegenwärtigen Leben, im Tod und im Leben nach dem Tod. Gott erlasse dem umkehrenden Sünder um Christi willen die Strafe – behandle ihn also so, als ob er nicht gesündigt hätte. Die Schuld und der Sachverhalt des Sündigens würden damit nicht aufgehoben. Gott erlasse aber aus Gnade die Strafen.535 An späterer Stelle nahm Döderlein eine Einschränkung vor. Er behauptete, dass nicht alle Strafen durch den Tod Jesu beseitigt werden. Denn die natürlichen Strafen seien nach wie vor eine Folge der Sünde – durch Jesu Tod würden aber die willkürlichen Strafen wegfallen. Der Sünder habe nun die Versicherung, dass er von Gott nicht mehr als ein Strafwürdiger angesehen werde, sondern Anteil an seiner Gnade habe, was wiederum das Ende der Furcht vor Strafen bedeute.536 An dieser Stelle lässt sich erneut zeigen, dass Döderlein einen Mittelweg ging. Er kannte die Konzepte von Johann August Eberhard und Gotthilf Samuel Steinbart, die die Strafe als Besserungsmittel klassifizierten und sich daher gegen eine Übertragung aussprachen.537 Döderlein wollte dementgegen an dem versöhnen532 Döderleins kurze Unterweisung, 2, 100 f. 533 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 103. 534 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 103 f. 109. Döderlein akzentuierte hier die Wirkung des Lebens und des Todes Jesu. In früheren Ausgaben der „Institutio“ erwähnte er noch die Grotiussche Idee des Strafexempels. Bei dieser späten Ausgabe griff Döderlein diesen Gedanken nicht wieder auf. Vgl. Baur, Die christliche Lehre von der Versöhnung, 548, Anm. Zu Grotius siehe Joachim Schlüter, Die Theologie des Hugo Grotius, Göttingen 1919, v. a. 35–42 und Mühlegger, Hugo Grotius. 535 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 105–107. 536 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 117 f. Zu den Strafen siehe Kapitel E/II, 1.3. 537 Eberhard verstand Strafe als ein Erziehungsmittel zur sittlichen Besserung und sprach
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
den und genugtuuenden Tod Jesu festhalten und sah Jesu Erlösungswerk daher in der Beseitigung der willkürlichen Strafen begründet. Wie aber kommt diese Vergebung der Sünden zustande? Die Hoffnung auf Vergebung leitete Döderlein nicht nur von Jesu Tod, seinem leidenden Gehorsam, sondern auch von seiner Auferstehung und seiner Fürbitte im Himmel ab. Wie oben gezeigt, lehnte er eine zu starke Konzentration auf Jesu Tod ab.538 Bei der Untersuchung dieses Themas legte Döderlein einen Schwerpunkt auf die Frage nach dem leidenden Gehorsam. Er griff dabei die Debatte um Johann Gottlieb Töllners Thesen vom aktiven und passiven Gehorsam auf. Durch Töllners Buch „Der Thätige Gehorsam Jesu Christi“539 von 1768, welches an die Thesen Johannes Piscators anknüpfte, begann der Streit über den tätigen Gehorsam Jesu und die stellvertretende Genugtuung. Töllner lieferte mit dieser Publikation einen entscheidenden Beitrag zur Debatte um die Versöhnungslehre innerhalb der Aufklärungstheologie.540 Emanuel Hirsch würdigt dieses Werk daher als das „wichtigste aller seiner theologischen Leistungen“541. Töllner vertrat darin die Meinung, dass das Versöhnungswerk Jesu allein im passiven Gehorsam grünsich demzufolge in seiner „Neue[n] Apologie des Sokrates“ gegen die Übertragung der Strafe auf einen Dritten aus, da dann die Besserung, das Ziel der Strafe, wegfalle. Den Gedanken einer stellvertretenden Genugtuung lehnte er ab. Die biblischen Äußerungen über das Sühnopfer oder Lösegeld verstand er als Akkommodationen an die jüdische Denkungsart, die noch von Vorstellungen der alttestamentlichen Gesetzgebung geprägt waren. Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 260 f. Jesu Tod beschrieb er als eine freiwillige Selbstaufopferung, um die Menschen von Unwissenheit, Aberglauben und Sünde zu befreien. Durch seinen Tod bestätige Jesus, dass die Menschen Begnadigung erhalten, wenn sie bereuen, und eröffnete den Juden damit ein neues Gottesbild. Vgl. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 107. Als weiterführender Literaturhinweis sei Wenz, Versöhnungslehre, 1, 191–199 erwähnt. – Gotthilf Samuel Steinbart, der Schüler Baumgartens und Töllners, beteiligte sich mit seinem „System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums“ von 1778 an der Debatte um die Versöhnungslehre. Er griff darin auf Eberhard zurück und dachte dessen Argumente weiter. Vgl. Hirsch, ebd. Die kirchliche Versöhnungslehre lehnte er ab und behandelte sie unter dem Titel „Von den willkürlichen Hypothesen, welche den Einfluß des Christenthums auf die Glückseligkeit verhindern“. Wie Eberhard bewertete er die göttlichen Strafen als Maßnahme zur Besserung und Züchtigung. Hätte Jesus die Strafen stellvertretend übernommen, wäre dem Menschen damit das wichtigste Beförderungsmittel seiner moralischen Selbsttätigkeit geraubt worden. Vgl. Wenz, aaO., 204. Vielmehr sprach er der Erlösungstat Jesu eine sich allein auf die Juden beziehende Wirkung zu. Denn die Juden konnten durch Jesus erkennen, dass Gott kein Gott der Rache und Willkür ist, sondern ein Gott, der sich in väterlicher Liebe dem Menschen zuwendet. Vgl. Hirsch, aaO., 108. Die Erlösung erfolgt nach Steinbart also im Bewusstsein beziehungsweise in der Vorstellungswelt der Juden. Vgl. Ferdinand Christian Baur, Die christliche Lehre von der Versöhnung in ihrer geschichtlichen Entwicklung von der ältesten Zeit bis auf die neueste, Tübingen 1838, 509. 538 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 110 f. 539 Johann Gottlieb Töllner, Der Thätige Gehorsam Jesu Christi, Breslau 1768. 540 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 135 f. – Zum Streit, den Töllner auslöste: Aner, Theologie der Lessingzeit, 287 f. und Wenz, Versöhnungslehre, 1, 186 f. 541 Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 43.
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det. Der aktive Gehorsam sei kein Bestandteil der satisfaktorischen Leistung, sondern bilde allein eine mitwirkende Voraussetzung.542 Zum Erwerb der Seligkeit sei nur die Erwerbung der göttlichen Begnadigung erforderlich, kein vertretender Gehorsam Jesu. Dahinter stand Töllners Grundüberzeugung, dass für Tugendübungen keine Stellvertreterleistung ausgeübt werden kann. Fremder Gehorsam könne nicht übertragen werden. Der tätige Gehorsam Jesu galt für Töllner also nicht als stellvertretende Leistung, sondern soll den Menschen vielmehr zur Nachahmung bewegen.543 Döderlein wusste um diese Debatte und die darin vertretenen Standpunkte. Im Gegensatz zu Töllner trug seiner Meinung nach sowohl Christi Gehorsam im Leiden als auch im Tun zur Rettung der Menschheit bei. Aber er betrachtete Jesu Leiden und Tun als eine Einheit: Eine Trennung in leidenden und tätigen Gehorsam lehnte er mit Verweis darauf ab, dass sich eine solche Klassifizierung nicht aus der Schrift ableiten lasse.544 Obgleich sich für Döderlein die Verdienste Jesu also nicht auf dessen Tod beschränken lassen, so ist sein Leiden und Sterben zentral im Versöhnungsprozess. Döderlein zitierte viele Schriftstellen und griff deren Vokabular auf, indem er Formeln benutzte wie: „er [ist] für alle Sünder und Sünden gestorben“ oder „[er hat] die Strafen der Sünde auf sich genommen“.545 Döderlein sprach in diesem Zusammenhang daher von einem „versöhnende[n]“ und einem „genugthuende[n]“ Tod Jesu. Er fand an dieser Lehre nichts auszusetzen, sie sei der göttlichen Weisheit und Güte angemessen, gebe dem Menschen Trost und fördere die Tugend. Döderlein gab allerdings zu bedenken, dass „ältere und neuere Lehrer viele unerweisliche Zusäze eingemischt haben“546. Darunter fiel für ihn die Vorstellung eines zornigen und rachgierigen Gottes, der erst durch Jesu Tod besänftig worden sei. Gott handle vielmehr aus Liebe und wolle vergeben. Die Vergebung sollte allerdings auf den Tod Jesu gründen.547 Auch die Behauptung einer Errettung des Menschen aus der Gefangenschaft des Teufels, in welche die Menschen durch die Sünde geraten seien, wies Döderlein von sich – ebenso wie den Gedanken einer Schuld, welche die Menschen besäßen, weil sie Gottes Ehre geraubt hätten, die Jesus dann durch Tun und Leiden wieder restituieren musste.548 Mit dieser Kritik an den Lehren der Kirchenväter (vor allem an Anselm von 542 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 136. 543 Vgl. Wenz, Versöhnungslehre, 1, 179 f. 184 f. Weiteres zu Töllner siehe Wenz, aaO., 172–187; Baur, Die christliche Versöhnung, 478–504; Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 41–45. 544 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 110–112. 545 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 113. 546 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 115. 547 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 116. Warum Gott diesen Weg wählte, ließ Döderlein offen. Er zeigte mehrere Möglichkeiten auf: Entweder lägen Ursachen zugrunde, die der Mensch aufgrund seiner Schwäche nicht einsehen könne, oder es sei einfach das beste Mittel gewesen, um Ruhe und Heiligung zu fördern. Vgl. ebd. 548 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 116 f.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Canterbury) griff er Argumente auf, die bereits Hugo Grotius und später Johann August Eberhard geäußert hatten.549 Es kann daher konstatiert werden, dass Döderlein grundlegend an der Lehre von der Genugtuung festhielt und sich damit im Streit um die Genugtuungslehre auf die Seite ihrer Verteidiger stellte.550 Allerdings verbannte er bestimmte Vorstellungen aus seiner Konzeption, wie die des zornigen und beleidigten Gottes, an der viele Aufklärer wie Johann August Eberhard, Gotthilf Samuel Steinbart und Wilhelm Abraham Teller Anstoß nahmen. Döderlein schränkte Jesu Erlösungstat aber nicht nur auf den „wichtigsten Theil unserer Erlösung“, auf die Befreiung von den Strafen der Sünde, ein, so „wie [es] gewöhnlich geschieht“551, sondern weitete Jesu Erlösung überdies auf die Sünde selbst aus. Jesus habe das Menschengeschlecht von der Herrschaft der Sünde befreit. Eine Reduktion Jesu auf die Befreiung von den Strafen bewertete er als eine unvollkommene Erlösung, bei der die ganze Genugtuung vergebens wäre. Die Unterdrückung der Sünde erfolgt seiner Meinung nach durch deutliche Belehrung von der Natur der Sünde und durch Antriebe, die den Willen hervorbringen, das Lasterhafte und Sinnliche zu meiden.552 „Wir erlangen keine Fertigkeit anders, als durch Kenntnis guter Vorschriften und deren fortgesezte Befolgung.“553 Jesus habe die Befreiung durch sein Beispiel bewirkt, das zur Nachahmung auffordert, und durch seine Lehre. Jesus lehrte „besser[e] Gesetze“, die Döderlein besonders an seinen Aussagen in der Bergpredigt festmachte. Außerdem habe er durch den Inhalt des Evangeliums, seinen Tod und durch das Andenken an seine Majestät das Bestreben hervorgebracht, das Gesetz erfüllen zu wollen.554
549 Eberhard schrieb dazu in seiner Apologie: „Wer würde es jetzt ertragen, was Ambrosius und Augustinus sehr fromm behaupten, daß dem Teufel für unsere Befreyung ein Lösegeld habe müssen gegeben werden? Es lässt sich nichts anstößigeres denken. […] Die erste gründliche Untersuchung, die darüber angestellt, […] erhielt sie von dem berühmten Hugo Grotius […]. Es war immer als ein unumstößlicher Grundsatz angenommen worden, daß die Nothwendigkeit der Genugthuung natürlich aus der Beleidigung fließe, die der Mensch durch jede Sünde dem allerhöchsten Wesen zufügt. Grotius war viel zu scharfsichtig, als daß er nicht die Schwäche dieses Grundes hätte gewahr werden sollen. […] Zuförderst fühlte er, wie unanständig es sey, Vorstellungen, die bloß auf Menschen passen, auf die Gottheit übertragen, und sie sich, wie Menschen, als beleidigt zu denken.“ Johann August Eberhard, Neue Apologie des Sokrates, oder Untersuchung der Lehre von der Seligkeit der Heiden, Berlin/Stettin 1772, 1. Bd., Nachdruck, mit einer Einleitung hg. v. Walter Sparn (Historia scientiarum. Fachgebiet Philosophie), Hildesheim/Zürich/New York 2010, 83–86. Eberhard führte weitere Argumente des Grotius an und beachtete dabei ihren Kontext, nämlich die Auseinandersetzung mit den Thesen von Fausto Sozzini. Vgl. Eberhard, aaO., 88–93. 550 Diese Einordnung Döderleins als Verteidiger der Genugtuungslehre nimmt auch Baur vor: Baur, Die christliche Lehre von der Versöhnung, 530. 551 Döderleins kurze Unterweisung, 2, 131. 552 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 130–132. 553 Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 132. 554 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 133.
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2.4. Zusammenfassung Die ersten Hinweise auf Döderleins Standpunkt zu den Themen Christologie und Soteriologie lassen sich bereits in seiner Gliederung finden. Er durchbrach mit seinem Aufbau das klassische Anordnungsschema, da er sich gegen die Dreiämterlehre wandte und eine alleinige Konzentration auf Jesu Leiden und Tod ablehnte. Er befürwortete hingegen die Zweinaturenlehre und die Lehre von der Versöhnung. Bei beiden Lehren nahm er allerdings Einschränkungen vor. So sprach er sich beispielsweise gegen die Behauptung einer communicatio idiomatum aus. Mehrfach betonte er seine Abneigung gegenüber Spekulationen und dogmatischen Spitzfindigkeiten. Das zeigt sich exemplarisch bei seiner Antwort auf die Frage, ob Jesus hätte sündigen können: Da man wisse, dass Jesus nicht gesündigt habe, sei es auch unerheblich, ob er hätte sündigen können.555 Bei der Versöhnungslehre wiederum hob Döderlein hervor, dass Gott nicht als der Zornige, sondern als der Liebende zu betrachten ist. Damit vertrat er einen Standpunkt, der als Charakteristikum der Aufklärungstheologie gilt.556 Döderlein zeigte zudem an vielen Stellen, dass er mit den Debatten und unterschiedlichen dogmatischen Konzepten seiner Zeit vertraut war und konnte daher kritisch an diesen Diskursen partizipieren. Innerhalb seiner Argumentation ist ebenfalls eine starke Bibelorientierung maßgeblich. Oftmals belegte er seine Aussagen mit Bibelstellen, die seine Position untermauern sollten. Wilhelm Gaß ist daher zuzustimmen, der beobachtet, Döderlein habe den biblischen Grundlagen eine selbstständige Aufmerksamkeit geschenkt, ohne sie sofort mit kirchlichen Formeln zu vermischen.557 Einige Beweisstellen, zum Beispiel für die Zweinaturenlehre, wurden von Döderlein allerdings auch aufgrund seiner historisch-kritischen und exegetischen Untersuchungen angezweifelt und getilgt. Dabei ging er mit „Vorsicht“ und „Mäßigung“ vor – zwei Begriffe, die seine Dogmatik durchziehen und ein Charakteristikum für seinen sich zwischen Tradition und Traditionskritik bewegenden Standpunkt sind. Beide Worte fanden auch Anwendung bei der Höllenfahrt Jesu. Döderlein attestierte der Belegstelle 1Petr 3,18–20 eine zweifelhafte Auslegung und betonte, dass die Lehre in der Bibel nicht deutlich vorkomme, so dass „Vorsicht“ und „Mäßigung“ angesagt sei.558 Es zeigt sich überdies, dass Döderlein dogmengeschichtliche Entstehungsbedingungen in seiner Argumentation berücksichtigte. In den Observationes erläuterte er ausführlich, wie bestimmte Lehren der Christologie entstanden sind und bei welchen Konzilien sie beschlossen wurden. Er betonte dabei, dass sich einige Lehren nur aufgrund der dahinter stehenden Autoritäten durchsetzen 555 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, aaO., 74. 556 Vgl. Pöhlmann, Abriss der Dogmatik, 225.231. 557 Vgl. Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik, 125. 558 Vgl. Döderleins kurze Unterweisung, 2, 74.79. Dass die Höllenfahrt von einigen Theologen kritisch gesehen wurde, zeigt sich exemplarisch bei Michaelis, Dogmatik, § 146.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
konnten. Mit Verweis auf die Dogmengeschichte konnte er plausibel begründen, warum er bei bestimmten Lehren Einschränkungen vornahm oder sie ganz ablehnte. Eine Bindung an ein Dogma, welches allein von Autoritäten festgelegt wurde, lehnte er ab. Hier argumentierte er souverän als Aufklärungstheologe. 3. Wunder als Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion Döderlein stellte in seinem „Christliche[n] Religionsunterricht“ verschiedene Beweise zusammen, welche die Wahrheit der christlichen Religion belegen sollen. Mit dieser Herangehensweise stand er ganz in der Tradition christlicher Apologetik. Er selbst hob die zu dieser Thematik passenden Werke von Gottfried Less, Johann August Nösselt und August Friedrich Wilhelm Sack hervor, auf die er sich in seiner Argumentationsstruktur gelegentlich bezog.559 Als Beweise führte er Jesu eigenes Zeugnis, die Zeugnisse Gottes für Jesus, den Inhalt und die Wirkungen der christlichen Lehre, die Wunder, Weissagungen und den Umfang und die Dauer des Christentums an.560 Döderlein betonte die Gleichrangigkeit dieser verschiedenen Beweise. Eine Untersuchung, welcher Beweis der beste für das Christentum sei, lehnte er ab.561 Damit grenzte er sich von Zeitgenossen ab, die allein den Inhalt und die Wirkung der christlichen Lehre als Beweis für die Wahrheit des Christentums gelten ließen.562 Döderlein bezog auch hier einen dezidiert subjektiv-individuellen Standpunkt. Die Menschen würden verschieden denken und daher die Beweise unterschiedlich gewichten. Der Glaube beruhe selten auf einem einzigen Beweis.563 Im Gegenteil: Eine größere Anzahl von Beweisen gebe dem Gemüt noch mehr Festigkeit und Sicherheit.564 Die folgende Untersuchung konzentiert sich exemplarisch auf Döderleins Darstellung der Wunder als einem Beweis für die Wahrheit der christlichen Religion. Döderlein verfolgte in seiner Abhandlung über die Wunder, die schon seit Anbeginn des Christentums immer wieder als ein entscheidendes Argument für die Wahrheit der christlichen Lehre herangezogen wurden,565 ein apologetisches 559 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 380. Döderlein verwies auf folgende Werke, die jeweils gemäß ihrer Erstausgabe aufgeführt werden: August Friedrich Wilhelm Sack, Vertheidigter Glaube der Christen, 8 Bde, Berlin 1748–1751; Johann August Nösselt, Vertheidigung der Wahrheit und Göttlichkeit der Christlichen Religion, Halle 1766; Gottfried Less, Beweis der Wahrheit der christlichen Religion, Göttingen/Bremen 1768. 560 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, §§ 7–20. 561 Vgl. Döderlein, aaO., 374. 562 Vgl. Döderlein, aaO., 236. Döderlein spielte hier besonders auf Gotthold Ephraim Lessing an, der die Wahrheit des Christentums allein an die Vernünftigkeit seiner Lehren band. Vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 519. 563 Vgl. Döderlein, aaO., 375 f. 564 Vgl. Döderlein, aaO., 236. 565 Vgl. Stefan Alkier, Art. Wunder IV. Kirchengeschichtlich (RGG4 8, 2005, 1723– 1725), hier 1723. Zur Wunderthematik sei auf folgende Literatur verwiesen: Stefan Alkier,
II. Theologie der Mitte
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Interesse. Ihm war bewusst, dass das Thema Wunder aufgrund der „heftige[n] […] Angriffe“566 von den „Feinde[n] der Religion“567 ein heikles ist. Deshalb war ihm die Klärung der Fragen, ob Wunder wirklich geschehen sind und inwiefern sie als ein Beweis für die Wahrheit der christlichen Lehre gelten können, ein wichtiges Anliegen.568 In seiner Untersuchung grenzte er sich von mehreren anderen Wunderkonzepten ab: Er definierte erstens Wunder abseits der Gegenüberstellung von Naturgesetzen und der Allmacht Gottes und wandte sich zweitens gegen Versuche, Wunder natürlich zu erklären. Drittens kritisierte er das Wunderverständnis von David Hume, Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing. 3.1. Wunder als Bestätigung des göttlichen Gesandten Bei seiner Wunderdefinition verließ Döderlein die seit Thomas von Aquin vorherrschende klassische Fragestellung,569 nämlich inwiefern Wunder die Gesetze der Natur übersteigen und direkt auf die Allmacht Gottes zurückgehen. Eine solche Fragestellung ist seiner Meinung nach nicht weiterführend, zumal der Mensch trotz Zunahme an Kenntnis nicht alle Gesetze der Natur überblicke und daher auch nicht wisse, wo die Gesetze aufhören und die Allmacht zu wirken anfängt.570 Aber selbst wenn der Mensch einmal alle Naturgesetze kenne, helfe das bei der Frage nach der Wirklichkeit von Wundern nicht weiter. Es gehe nicht bloß um den Erfolg eines Geschehens, sondern um die Umstände des Handelnden. Döderlein wählte hier eine andere Perspektive auf die Wunderthematik. Eine Begebenheit könne dann als Wunder bezeichnet werden, wenn es die natürlichen Kräfte des Wundertäters übersteige. Döderlein betonte den individuellen beziehungsweise subjektiven Aspekt. Kann ein Geschehen bei dem Einen unter Betrachtung seiner Lage und seiner Fähigkeiten als Wunder klassifiziert werden – denn er selbst hat dazu nicht das Vermögen –, ist es bei dem Anderen die eigene Kraft und Fähigkeit.571 Wenn der Mensch dieses Geschehen nicht Wen wundert was? Einblicke in die Wunderauslegung von der Aufklärung bis zur Gegenwart (ZNT 7, 2001, 2–15); Bernhard Bron, Das Wunder. Das theologische Wunderverständnis im Horizont des neuzeitlichen Natur- und Geschichtsbegriffs (GTA 2), Göttingen 21979; Ernst Keller/M arie-Luise Keller, Der Streit um die Wunder. Kritik und Auslegung des Übernatürlichen in der Neuzeit, Gütersloh 1968; Thomas K. Kuhn, Art. Wunder (EdN 15, 2012, 263–270); Martin Ohst, Art. Wunder V. Kirchengeschichtlich (TRE 36, 2004, 397– 409); Winfried Schröder, Art. Wunder (HWPh 12, 2004, 1052–1071); Johannes Wendland, Der Wunderglaube im Christentum, Göttingen 1910. 566 Döderlein, ChRU 1, 1785, 237. 567 Ebd. 568 Vgl. ebd. 569 Vgl. Wendland, Wunderglaube, 31. 570 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 238.240. 571 Vgl. Döderlein, aaO., 240–243. Döderlein wählte hier das Beispiel eines Künstlers, der die Fähigkeit besitzt, durch Beimischung Wasser die Farbe von Blut und den Geschmack von Wein zu geben. Dieser dürfe nicht als Wundertäter bezeichnet werden. Wer diese Kunst
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
selbst ausrichten kann, dann muss er durch eine andere Kraft unterstützt werden: durch die Kraft der Gottheit. Daraus ergaben sich für Döderlein zwei Möglichkeiten. Bei der ersten Variante wirkt der Wundertäter beim Wunder gar nicht, ist sich aber des Erfolges gewiss. Döderlein übernahm hier von Johann David Michaelis den Begriff des „Wunders der Vorsehung“. Ein Geschehen, wie beispielsweise die Austrocknung des Roten Meeres, erfolgte aufgrund natürlicher Ursachen. Es wurde aber zum Wunder, weil es selten erfolgt und weil es mit Gewissheit vorhergesagt wurde. Döderlein präferierte bei diesem und anderen alttestamentlichen Wundern eine rationale Erklärung. Die Annahme einer unmittelbaren Dazwischenkunft der Allmacht lehnte er ab. Bei der zweiten Möglichkeit wirkt Gott durch den Wundertäter. Dieser gebraucht seine eigenen Kräfte und diese werden im Augenblick der Handlung durch Gott erhöht, so dass eine ungewöhnliche Wirkung entsteht. Zu dieser Kategorie zählte Döderlein die Wunder Jesu. Bei den von ihm durchgeführten Heilungen werden Menschenkräfte durch Wirkung der Gottheit vergrößert. Dass Gott die menschlichen Kräfte verstärkt, setzt nach Döderlein ein enges Gemeinschaftsverhältnis des Wundertäters mit Gott voraus.572 Genau das ist für Döderlein die Absicht eines Wunders: Es soll ein Zeichen dafür sein, dass der Handelnde von Gott beauftragt ist und mit göttlichem Ansehen und Glaubwürdigkeit spricht.573 Deshalb sprach sich Döderlein auch gegen jegliche Überlegungen aus, ob Gott mit den Wundern Mängel in der Natur ausbessern wolle. Sowohl der Ansatz Baruch de Spinozas, der die Selbstoffenbarung Gottes mit dem gesetzlich verfassten Naturzusammenhang identifizierte und daher eine Durchbrechung dieses Zusammenhangs ausschloss, als auch der von Gottfried Wilhelm Leibniz, dass die durch das Wunder bewirkte Ordnung schon von jeher im Plan Gottes entworfen war,574 waren für Döderlein völlig irrelevant. Darum ging es ihm allerdings nicht beherrsche und trotzdem eine Umwandlung vollziehe, der sei ein Wundertäter. Vgl. Döderlein, aaO., 243. Döderlein griff an dieser Stelle eine Denkfigur auf, die sich später auch bei Heinrich Philipp Konrad Henke und Johann Friedrich Christoph Gräffe finden lässt, die den Wunderbegriff ebenso wie er auf die Kraft des Wundertäters bezogen. Vgl. K arl Gottlieb Bretschneider, Systematische Entwickelung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe nach den symbolischen Schriften der evangelisch-lutherischen Kirche und den wichtigsten dogmatischen Lehrbüchern ihrer Theologen. Nebst der Literatur, vorzüglich der neuern, über alle Theile der Dogmatik, Reutlingen 31826, 253. 572 Vgl. Döderlein, aaO., 243–246. 573 Vgl. Döderlein, aaO., 248 f. 574 Vgl. Ohst, Art. Wunder, 406. – Baruch de Spinoza bemerkte in seiner Schrift „Theologisch-politischer Traktat“ im sechsten Kapitel „Von den Wundern“, dass die Annahme der Durchbrechung der Naturgesetze auf einen Selbstwiderspruch Gottes und damit letztlich auf „Atheismus“ hinauslaufe. Er behauptete daher, dass es sich bei den biblischen Wundererzählungen entweder um dichterische Ausmalungen handle, die in der Vorstellungswelt der hebräischen Sprache beheimatet sind, oder dass den Wundern durch unzureichendes Wissen
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nicht, weil das seiner Meinung nach nicht die Absicht eines Wunders ist. Ein Wunder will ein Zeichen sein.575 Wunder dienen ihm nicht als Beweis der göttlichen Allmacht und sollen auch nicht die menschliche Neugierde befriedigen. Gott handelt nicht zum Zeitvertreib. Döderlein behauptete ferner, dass bei Vergegenwärtigung der eigentlichen Absicht eines Wunders offensichtlich werde, was bloße Täuschungen und Scheinwunder sind. Denn alle „läppischen Legendenwunder“, alle „Gaukeleyen in Klöstern“, Reliquien und Wunderkuren von Personen wie Johann Joseph Gaßner und Franz Anton Meßmer seien Erscheinungen ohne Ursache und Folgen, sie seien ohne einen würdigen Zweck.576 Döderlein definierte: „Aechte Wunder müssen wirklich erwiesen, der Handelnde bekannt, seine Kräfte selbst zu diesem Erfolg nicht hinreichend, und seine Absicht nicht bloß Befriedigung des gaffenden Zuschauers oder eine Wirkung, die durch andere Mittel erreicht werden konnte, seyn. Ein ausserordentlicher Mann, der eine ausserordentliche Bestimmung zu haben sich rühmt, Wunder nie zum Zweck, sondern zum Mittel macht, eine der Gottheit würdige Absicht zu erreichen oder zu befördern – dieser allein hat den Charakter eines göttlichen Wunderthäters.“577
Da die Wunder eine Bestätigungsfunktion haben, folgte für Döderlein daraus, dass es, seitdem das „Gebäude der Religion“ gegründet war, keine Wunder mehr gegeben hat.578 Mit diesem Gedankengang, dass die Wundertaten abgeschlossen zurück liegen, gliederte sich Döderlein in die Position ein, die bereits in der Alten Kirche beispielsweise von Eusebius von Caesarea vertreten wurde: Wunder waren anfangs als „Aufmerksamkeitszeichen“ notwendig und werden in der Gegenwart nicht mehr gebraucht.579 Döderlein lehnte kategorisch die Behauptung Johann Caspar Lavaters ab, die Wunderkräfte würden fortdauern. Nur im Falle einer Stiftung einer neuen Religion kann man Döderlein zufolge mit Wundern rechnen, dies sei aber nicht zu erwarten.580 um naturwissenschaftliche Zusammenhänge Wahrnehmungstäuschungen zugrunde liegen. Als dritte Erklärung bot er die sogenannte Verfälschungstheorie an. Vgl. Alkier, Wen wundert was?, 3 f. Weiterführend zu Spinoza: Manfred Walther, Spinozas Kritik der Wunder – ein Wunder der Kritik? Die historisch-kritische Methode als Konsequenz des reformatorischen Schriftprinzips (ZThK 88, 1991, 68–80) und der Kommentar zu Spinozas Traktat: Otfried Höffe (Hg.), Baruch de Spinoza. Theologisch-politischer Traktat (Klassiker Auslegen 54), Berlin 2014. 575 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 246 f. 576 Döderlein, aaO., 249 f. 577 Ebd. 578 Vgl. Döderlein, aaO., 292. 579 Vgl. Alkier, Art. Wunder, 1723. Zu Eusebius von Caesarea siehe h. e. V 7,1–6 (Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, München 62012). 580 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 308. Zu Lavaters Wunderverständnis siehe Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, 4. Bd., 191 f. und Daniela Kohler, Eschatologie und Soteriologie in der Dichtung. Johann Caspar Lavater im Wettstreit mit Klopstock
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
3.2. Ablehnung natürlicher Erklärungsversuche von Wundern Wenn Döderlein über die Wundertaten Jesu spricht, dann ist es für ihn selbstverständlich, dass dahinter göttliches Wirken steht. Jesus heilte Krankheiten aller Art ohne äußere Mittel.581 Bereits diese Betonung „ohne äußere Mittel“ zeigt Döderleins Abwehr gegen jegliche rationalistische Erklärungsmodelle, die das übernatürliche Geschehen natürlich erklären wollen, indem behauptet wird, die Evangelisten hätten die Mittel Jesu nur nicht genannt. Döderlein griff hier vor allem Erklärungsversuche Carl Friedrich Bahrdts auf, auch wenn er ihn namentlich nicht erwähnte.582 Dieser versuchte beispielsweise Jesu Gang auf dem Wasser mit einem schwimmenden Bauholz zu erklären. Jesus habe das Bauholz im Wasser gesehen und gemerkt, dass es ihn auf dem Wasser trägt, so dass er sich so dem in Ufernähe liegenden Schiff der Jünger nähern konnte. Die Jünger, die noch in den Vorurteilen ihres wundergläubigen Zeitalters gefangen waren, hätten das allerdings nicht registriert und aus diesem Vorgang ein übernatürliches Geschehen konstruiert.583 Döderlein warf einem solchen Ansatz vor, dass hier Ergänzungen vorgenommen oder sich Zusätze ausgedacht werden, für die es keinerlei Belege gebe, die so völlig aus der Luft gegriffen seien und die auf einen „kindischen Erfindungsgeist“ schließen ließen.584 Selbst wenn man eine und Herder (Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 192), Berlin/München/Boston 2015, 39–45. 581 Vgl. Döderlein, aaO., 253. 582 Bahrdt äußerte sich vor allem in zwei Bänden seiner „Ausführungen des Plans und Zweks Jesu“ kritisch über den Wunderglauben: [Carl Friedrich Bahrdt], Ausführungen des Plans und Zweks Jesu. In Briefen an Wahrheit suchende Leser, 2. Bd., Berlin 1784. Er besprach hier in mehreren Briefen die „Schädlichkeit des Glaubens an Wunder“ und die „Unmöglichkeit der Wunder“. Daneben: [Carl Friedrich Bahrdt], Ausführungen des Plans und Zweks Jesu. In Briefen an Wahrheit suchende Leser, 7. Bd., Berlin 1785, v. a. Briefe 66 bis 70. In diesen Briefen bemühte sich Bahrdt um konkrete Erklärungsversuche von bestimmten Wundern, wie beispielsweise von Krankenheilungen und Totenerweckungen. – Bahrdt betonte mehrfach, dass Jesus als Arzt tätig war und Heilmittel verwendete. [Bahrdt], Ausführungen des Plans und Zweks Jesu, 7. Bd., 66. Brief, 35. Doch die Jünger hätten nur Jesu Worte wahrgenommen, mit denen er ihnen die Genesung ankündigte und behaupteten daher, diese Worte hätten die Heilung bewirkt. Vgl. [Bahrdt], aaO., 29 f. „[We]nn man alle die Proben von Geistesschwäche zusammennimt, welche Jesus selbst seinen Jüngern so oft in dem kläglichsten Tone vorhält, und wenn man sich dabei besint, daß gerade die Neigung, alles Neue, Seltene, Unerklärbare, einer unsichtbaren Kraft Gottes oder eines Dämons zuzuschreiben, eine herrschende Neigung der Juden war; so wird es gar sehr begreiflich, wie die Jünger Jesu, als Juden, und als wirklich schwache und zum scharfen Denken unvermögende Männer, bei den Thaten Jesu nur die wunderbarscheinende Seite bemerkten und diese stets mit einer solchen Spannung ihrer Phantasie bemerkten, daß sie weiter gar nichts sahen und folglich auch alles so erzählten, daß nur die Umstände, welche die Sache seltsam und wunderhaft machten, zum Vorschein kamen und die, welche die Züge der Natur enthielten, in ihren Berichten ganz verloren giengen.“ [Bahrdt], aaO., 29. 583 Vgl. [Bahrdt], aaO., 7. Bd., 69. Brief, 62–64. – Wenige Jahre später machte Heinrich Eberhard Gottlob Paulus mit seiner „natürliche[n] bzw. psychologisch-pragmatische[n] Wundererklärung“ auf sich aufmerksam. Graf, Art. Paulus, 135. 584 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 263–265. Döderlein behauptete, dass bei diesen Vor-
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natürliche Erklärungsweise annehmen sollte, was Döderlein ablehnte, bliebe das Wunder trotzdem bestehen: Denn selbst wenn die Totenerweckung nur ein Aufwachen aus einer Ohnmacht war – auch diese These vertrat Bahrdt585 –, so sei es ein Wunder. Wer nämlich, so fragte Döderlein, erholt sich schon so schnell von einer 24stündigen Ohnmacht?586 3.3. Einwände gegen David Humes „Sophisterey“ Döderleins apologetisches Vorhaben lässt sich aber nicht nur daran erkennen, wie vehement er an der Glaubwürdigkeit der überlieferten Wunderberichte in den Evangelien festhielt, sondern auch in seiner umfassenden Auseinandersetzung mit den Thesen David Humes.587 David Hume verfasste als zehnten Abschnitt seines Werkes „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“588 eine Abhandlung über Wunder. Er behauptete darin mit Berufung auf die Erfahrung, die er als „einzige Führerin unseres Urteils über Tatsachen“589 beschrieb, dass kein menschliches Zeugnis so stark sein könne, ein Wunder zu beweisen.590 Er setzte dabei voraus, dass seine Zeitgenossen, genau wie er selbst, Wunder nicht selbst erlebt haben, sondern sich allein auf Zeugenberichte beziehen.591 Humes Hauptziel war es nicht, zu beweisen, dass Wunder nicht geschehen können, sondern darzulegen, dass man Wunderberichten, die auf den Zeugnissen anderer beruhen, keinen Glauben schenken darf.592 Der Philosoph versuchte seine These zu belegen, indem er darauf verwies, dass erstens kein Wunder durch eine ausreichende Zahl von Menschen mit gesundem Verstand, Erziehung und Bildung bezeugt wurde. Zweitens habe der Mensch einen Hang zum Glauben an wunderbare Ereignisse, was die zahlreichen Beispiele von gefälschten Wundern beweisen. Ferner seien die Berichte von Wundern hauptsächlich bei unwissenden und barbarischen Völkern zu finden. Und letztlich gebe es viele Zeugen dagegen. Die Wunderberichte würfen vieles offen bleibe: Wo habe Jesus diese Heilmittel gelernt? Als einjähriges Kind in Ägypten? Und warum sollten die Evangelisten von den natürlichen Mitteln schweigen? Denn wenn sie etwas gewusst haben, dann wäre ihre ganze Darstellung Betrug. Wenn sie aber nichts gewusst haben, wie konnten sie dann nach Jesu Muster Wundertaten vollbringen? Vgl. [Bahrdt], aaO., 265 f. 585 Siehe [Bahrdt], Ausführungen des Plans und Zweks Jesu, 7. Bd., 70. Brief, 70–88. 586 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 256. 587 Zu Humes Wunderkritik: Heiko Schulz, Das Ende des common sense. Kritische Überlegungen zur Wunderkritik David Humes (ZNThG 3, 1996, 1–38). Dort finden sich auch weiterführende Literaturhinweise. Zur Rezeption Humes in der deutschen Aufklärung: Gawlick/K reimendahl, Hume in der deutschen Aufklärung. 588 David Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, übersetzt und hg. v. Herbert Herring, durchges. u. verb. Ausg. 1982 [Nachdr.], Stuttgart 2006. 589 Hume, aaO., 142. 590 Vgl. Hume, aaO., 162. 591 Vgl. Schulz, Das Ende des common sense, 12. 592 Vgl. Schulz, aaO., 9.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
in den verschiedenen Religionen würden sich gegenseitig in ihrer Geltung aufheben.593 Derartige Behauptungen bewertete Döderlein als „Sophisterey“ und sie gehörten für ihn „unter die vielen witzigen und blendenden Einfälle der Gegner des Christenthums, welche bloß durch Neuheit und Ueberraschung einige Stärke erhalten, aber bey genauer Prüfung ganz matt und dürftig erscheinen“594. Döderleins Haupteinwand gegen Hume war, dass dieser die Erfahrung als entscheidende Bezugsgröße seiner Argumentation zugrunde legte. Für Döderlein war dies unverständlich, so dass er polemisch fragte: „und welcher vernünftige Beobachter der Vorfälle in der Welt würde seine Erfahrungen zum Maaßstab des Ur theils über alles, was je geschehen ist oder geschehen kann, machen wollen?“595 Denn die Erfahrung sage doch nur, dass ich eine solche Begebenheit, ein solches Wunder nicht gesehen oder erlebt habe. Es müsse differenziert werden zwischen einer Sache, die meiner Erfahrung widerspreche, und einem Geschehen, welches nicht durch die tägliche Erfahrung bestätigt werde. Alles Seltene, Ungewöhnliche und Interessante in der Geschichte weiche von alltäglichen Vorfällen, von den bekannten Erfahrungen ab. Wer nichts glaubt, was er nicht selbst gesehen hat, oder wer nur das glaubt, was wahrscheinlich ist, muss nach Döderlein oft das Wissenswürdigste verwerfen. Humes Behauptung, dass es keine ausreichende Zahl an Zeugen gebe, begegnete Döderlein mit dem Verweis, dass die Wahrheit nie nach der Zahl der Beobachter und Nichtbeobachter bestimmt werde. Solange kein Widerspruch zwischen den Zeugen bestehe, so gelte ein glaubwürdiges Zeugnis gegen das Stillschweigen der ganzen Welt.596 Selbstverständlich müssen die Zeugen auf ihre Glaubwürdigkeit untersucht werden. Dass dieses Kriterium bei den Evangelisten vorliegt, prüfte Döderlein eingehend.597 Hinzu trat für ihn noch eine „Menge von Zeugen“598, welche diese Glaubwürdigkeit untermauern. Es seien „tausende“ Menschen, die aufgrund der Nachricht von den Wundern die Lehre Jesu angenommen hätten. Ebenso führte Döderlein die schnelle Ausbreitung des Christentums sowie die Zeugnisse der Gegner als Beweise an.599 593 Vgl. Hume, Untersuchung, 150–156. Er kam aufgrund dieser vier Ergebnisse zu dem Schluss: „Im ganzen zeigt sich also, daß kein Zeugnis für irgendeine Art von Wunder jemals Wahrscheinlichkeit erlangt hat, viel weniger noch einen Beweis, und daß ihm – selbst angenommen, es würde bewiesen – durch einen anderen Beweis widersprochen würde – aus der Natur jener Tatsache hergeleitet, die er festzustellen versuchte. Einzig die Erfahrung gibt menschlichem Zeugnis Autorität, und zwar die gleiche Erfahrung, die uns der Naturgesetze versichert.“ Hume, aaO., 162. 594 Döderlein, ChRU 1, 1785, 273. 595 Döderlein, aaO., 274. 596 Vgl. Döderlein, aaO., 273–276. 597 Vgl. Döderlein, aaO., 276 f. 598 Döderlein, aaO., 279. 599 Vgl. Döderlein, aaO., 279 f. Bei den Zeugnissen der Gegner verwies Döderlein auf die Beweisführung von Arnobius und die Zusammenstellungen von Hugo Grotius und Gottfried Less.
II. Theologie der Mitte
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Anders als bei Hume müsse nicht die Erfahrung, sondern die Vernunft als Bezugsgröße für die Wunder gewählt werden. Döderlein handelte relativ kurz ab, dass die Wunder nicht der Vernunft entgegenstehen. Er verwies dabei erneut auf die Absicht eines Wunders: Es gehe nicht um die Verbesserung der Unordnung der Schöpfung, was der Vernunft und der Weisheit Gottes entgegenstehen würde, sondern allein um die Beglaubigung des göttlichen Gesandten.600 Döderleins Beurteilung von Humes Thesen verdeutlicht erstens, dass er zu der Gruppe von Gelehrten gehört, die sich auf Humes Thesen einließen und sich argumentativ mit ihm auseinandersetzten.601 Döderlein diskutierte zweitens Argumente, die sich auch bei anderen dieser Gruppe zugehörigen Personen finden lassen, wie etwa bei Johann Christian Förster und Gottfried Less. Besonders Less setzte sich in seiner Schrift „Wahrheit der Christlichen Religion“602 sehr intensiv mit den Thesen Humes auseinander und ging auf Details und Nebenaspekte ein. Sein Bemühen um eine Widerlegung zeigt, dass er die Angriffe Humes für gefährlich hielt. Less kritisierte neben vielen anderen Punkten, dass Hume als einzig zulässige Beweismethode die Erfahrung heranzog und merkte an, dass die Wunderfrage nicht auf empirischer Basis gelöst werden könne.603 Döderlein nutzte Less hier als Vorlage und verwandte einige zentrale Punkte von Less in seiner Argumentation. 3.4. Auseinandersetzung mit den Thesen von Moses Mendelssohn Für Döderlein besitzen Wunder eine Beweisfunktion für die Wahrheit der christlichen Lehre und sie sollen den göttlichen Gesandten bestätigen. Derartige Behauptungen waren allerdings der Kritik ausgesetzt. Neben Carl Friedrich Bahrdt604 stellte vor allem Moses Mendelssohn solche Thesen im Zuge der Aus600 Vgl. Döderlein, aaO., 259–261. 601 Siehe Gawlick/Kreimendahl und deren Einteilungsschema von Autoren, die zu Humes Wunderkritik Stellung genommen haben. Sie kategorisieren diese Autoren in drei Gruppen, wobei sie feststellen, dass das Niveau innerhalb jeder Gruppe sehr verschieden war. Die erste Gruppe charakterisieren sie als diejenigen, die sich bloß polemisch mit Humes Thesen auseinandersetzten. Als Beispiel wird Georg Wilhelm Alberti genannt. Die zweite Gruppe bestehe aus denen, die in ihrem Urteil entweder sehr allgemein blieben oder Humes Thesen ohne eigene Stellungnahme reproduzierten wie Friedrich Samuel Bock und Carl Friedrich Stäudlin. Zur dritten Gruppe werden die Autoren gezählt, die sich auf Humes Argumente einließen und sich um eine philosophische Auseinandersetzung bemühten. Hier werden die Detailuntersuchungen von Johann Christian Förster und Gottfried Less herangezogen. Vgl. Gawlick/K reimendahl, Hume in der deutschen Aufklärung, 144–147. 602 Gottfried Less, Wahrheit der Christlichen Religion, Zweyte sehr geänderte und vermehrte Ausgabe, Göttingen/Bremen 1773, 20 f. und 366–375 (§§ 33 „Prüfung der Humischen Einwürfe wider die Glaubwürdigkeit aller Wunder überhaupt“). 603 Vgl. Gawlick/K reimendahl, Hume in der deutschen Aufklärung, 147 f. 150. Weitere Argumente von Less finden sich überblicksartig zusammengestellt ebenfalls bei Gawlick/ Kreimendahl, aaO., 150. 604 Bahrdt behauptete, Wunder besäßen weder einen Zweck noch seien sie ein Zeichen. Sie seien schon gar nicht die Beglaubigung eines göttlichen Gesandten. Jesus habe Wunder auch
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
einandersetzung mit Johann Caspar Lavater in Frage.605 Nach Mendelssohn sind Wunder weder ein Kennzeichen für die Wahrheit oder für eine bestimmte Lehre, noch sind sie ein Merkmal für die göttliche Sendung. Denn auch falsche Propheten können seiner Meinung nach Wunder tun und sie für ihre Beglaubigung in Anspruch nehmen.606 Für ihn fällt der Offenbarungsbegriff nicht mit dem Wunderbegriff, sondern mit dem Begriff der öffentlichen Gesetzgebung zusammen.607 Döderlein fühlte sich bemüßigt, sein Festhalten an der Beweisund Bestätigungsfunktion von Wundern gegenüber Mendelssohn, „der sich mit dem kühnsten und scharfsinnigsten Deisten [Hume] gewiß messen darf “608, zu rechtfertigen. Er ging dabei auf zweierlei Art vor. Zum ersten bemühte er sich herauszustellen, warum trotzdem ein Zusammenhang zwischen Wunder und Wahrheit besteht, und zum zweiten wollte er zeigen, warum falsche Propheten Wunder nicht unglaublich machen. In seinem ersten Anliegen stimmte Döderlein Mendelssohn zu, dass keine unmittelbare Beziehung zwischen Wunder und Wahrheit existiere. Die Idee von einem einzigen Gott könne nicht durch Wunnie als Beweise für seine Lehrsätze gebraucht. Vgl. [Bahrdt], Ausführungen des Plans und Zweks Jesu, 7. Bd., 66. Brief, 26 f. 605 Zum Streit von Mendelssohn und Lavater sei vor allem auf die ausführliche Darstellung in Simon R awidowicz, Einleitungen I. Zum Lavater-Mendelssohn-Streit (in: Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, 7. Bd.: Schriften zum Judentum I, bearb. v. Simon R awidowicz, Faksimile-Neudruck der Ausgabe Berlin 1930, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, [XI]-LXXX) verwiesen. Dort werden der Verlauf des Streits, die Phasen, Beweggründe und Hintergründe beleuchtet. Daneben sei die Studie von Dominique Bourel, Mendelssohn und Lavater. Ein Fauxpas in der Aufklärung? (in: Das jüdisch-christliche Religionsgespräch [StGG 9], hg. v. Heinz Kremer/Julius H. Schoeps, Stuttgart/Bonn 1988, 41– 54) und der Aufsatz von Björn Pecina, Frömmigkeit und Dialog. Der Streit zwischen Mendelssohn und Lavater als Religionsgespräch (in: Protestantismus – Aufklärung – Frömmigkeit. Historische, systematische und praktisch-theologische Zugänge [APTLH 66], hg. v. Andreas Kubik, Göttingen 2011, 69–87) hervorgehoben. 606 Vgl. Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin von Johann Casper Lavater. Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn (in: Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, 7. Bd.: Schriften zum Judentum I, bearb. v. Simon R awidowicz, Faksimile-Neudruck der Ausgabe Berlin 1930, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, Mendelssohns Nacherinnerung: 41–55), hier 43 f.: „Nach meinen Religionslehren aber sind alle Wunderwerke kein Unterscheidungszeichen der Wahrheit, und geben von der göttlichen Sendung des Propheten auch keine moralische Gewisheit. Nur die öffentliche Gesetzgebung konnte nach unsrer Lehre, befriedigende Gewisheit geben, weil hier kein Crediti des Gesandten nöthig war, indem die gesamte Nation den göttlichen Auftrag mit ihren Ohren vernommen hat. Hier sollten nicht Wahrheiten durch Thathandlungen, nicht Lehren durch Wunderwerke bestätiget werden; sondern man sollte glauben, die göttliche Erscheinung habe diesen Propheten zu ihrem Gesandten ernennt, weil jedermann diese Ernennung selbst gehört hat. […] Ich finde auch entscheidende Stellen im A. und so gar im N. T., daß Verführer und falsche Propheten gar wohl Wunder thun können, […] So viel scheinet mir unwidersprechlich, daß nach den klaren Worten der Schrift, Wunderwerke für kein untrügliches Merkmal der göttlichen Sendung gehalten werden können.“ 607 Vgl. R awidowicz, Einleitungen, XLIII. „Nicht auf Wunderwerke also; auf die Gesetzgebung gründet sich unser Glaube an die Offenbarung.“ Mendelssohn, Nacherinnerung, 44. 608 Döderlein, ChRU 1, 1785, 261.
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derwerke hervorgebracht werden. Da aber Wunder das Ansehen eines göttlichen Lehrers bestätigen, kann daraus – sozusagen mittelbar – auf die Wahrheit und Göttlichkeit seiner Lehre geschlossen werden:609 „[Wunder] sind zur Bestättigung der Würde Jesu und der Wahrheit seiner Sendung von Gott, also auch seiner Lehre, geschehen.“610 Gegen Mendelssohns zweite Behauptung, dass auch Lügenpropheten Wunder tun können und damit Wunder keine Bestätigungsfunktion besitzen können, ging Döderlein mit verschiedenen Argumenten vor. Döderlein war fest davon überzeugt, dass nur aufgrund der Existenz von Lügenpropheten, er nannte hier exemplarisch Johann Joseph Gaßner, Franz Anton Meßmer und Benedikt Joseph Labre, und nur weil oftmals Leichtgläubigkeit vorherrsche, Wunder dadurch nicht unglaublich gemacht werden.611 Denn zwischen Wunder und Betrug könne gut unterschieden werden. Döderlein gab dafür neben dem Hinweis, dass Wunder zuverlässig bezeugt sein müssen und die Absicht eines Wunders entscheidend ist, drei Unterscheidungsmerkmale an. Es gelte erstens, dass derjenige Wundertäter, der eine falsche Lehre vorträgt, ein Betrüger sei. Eine Lehre sei dann falsch, wenn sie der Vernunft, den Wahrheiten der Religion widerspreche. Döderlein schloss also von der Lehre der Religion auf Wunder und umgekehrt. Zweitens seien Wunder, welche keine Bestätigungsfunktion für die Religion haben, falsch. Und drittens schätzte er Wunder, die nicht neue und wichtige Wahrheiten beglaubigen sollen, als sehr verdächtig ein.612 Döderlein nutzte hier die gleichen Parameter wie in seiner Offenbarungslehre.
609 Vgl. Döderlein, aaO., 287 f. 610 Döderlein, aaO., 288. 611 Vgl. Döderlein, aaO., 300. Döderlein sprach hier ein Phänomen der Spätaufklärung an, nämlich das besondere Interesse am Übernatürlichen, was sich am Auftreten von Personen wie Alessandro Cagliostro oder Franz Anton Meßmer erkennen lässt. Vgl. Hartmut H. R. Schulz, Art. Wunder (Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa, 1995, 447 f.), hier 447. Gegen einen solchen Wunderglauben äußerten sich die Aufklärer in Einzelschriften und Zeitschriften energisch. Vgl. Michael Maurer, Wunder und Aufklärung (in: Anfechtungen der Vernunft. Wunder und Wunderglaube in der Neuzeit, hg. v. R ainer Walz/Ute KüppersBraun/Jutta Nowosadtko, Essen 2006, 209–222), hier 219. – Ein vernichtendes Urteil über Benedikt Joseph Labre und über die katholische Kirche lässt sich beispielsweise in der „Berlinischen Monatsschrift“ finden. Aus aktuellem Anlass – dem Tod von Benedikt Joseph Labre – stellte Johann Erich Biester dessen Leben vor, und auf welche Art und Weise dieser nach seinem Tod berühmt wurde. Darin bewertete Biester allgemein den Glauben der Katholiken an Wunderkräfte, ihre Wallfahrten und die Verehrung von Reliquien äußerst negativ. In Bezug auf Labre war es ihm fraglich, wie die Menschen von dessen Wundertätigkeit überzeugt sein können. Es seien doch alles nur „fabelhafte Legenden“. Die Katholiken würden Labre jetzt als einen tugendhaften Mann beschreiben, obwohl er sein ganzes Leben lang das Gegenteil gewesen sei. Biesters abschließendes Fazit lautet trocken: „So denkt im Jahre 1783 die itzt aufgeklärt sein wollende katholische Kirche!“ [Johann Erich] B[iester], Labre, der neueste Heilige der katholischen Kirche (BM, 5. Bd., 1785, 277–288), hier 278.283–288. 612 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 300–307.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
3.5. Widerspruch zu Gotthold Ephraim Lessing Dass Döderlein an dem Beweischarakter von Wundern für die Wahrheit der christlichen Lehre festhielt, rechtfertigte er neben dem bereits genannten Argument der öffentlichen Beglaubigung eines göttlichen Gesandten besonders damit, dass Wunder den „Vortheil der Allgemeinheit“613 hätten, und dadurch eine hervorragende Bestätigung für den christlichen Glauben böten. Wunder würden sowohl den sinnlichen als auch den nachdenkenden Menschen ansprechen. Gleichwohl dieser Wunderbeweis für die ersten Zuschauer eindrücklicher gewesen sei als für uns, so könnten diese Wunder auch noch heute als Beweis dienen. Denn was einmal eine glaubwürdige Geschichte war, werde durch Länge der Zeit und örtliche Entfernung nicht seine Zuverlässigkeit verlieren.614 „Sie sind geschehen, sagt der Zuschauer, denn ich habe sie mit Augen gesehen. Sie sind geschehen, sagt der Christ, denn glaubwürdige Zeugnisse von mehrern Zeitgenossen versichern mir es so bündig, daß ich nicht zweifeln kann.“615 Döderlein formulierte an dieser Stelle gegen Gotthold Ephraim Lessing, der mittels seiner Unterscheidung von Vernunftwahrheiten und zufälligen Geschichtswahrheiten darauf verwies, dass die nur tradierten und nicht selbst erfahrenen Wunder nicht als Beweis des Geistes und der Kraft Gottes dienen können. Die Wunder Jesu sind seiner Meinung nach zeitbedingt. Sie waren damals notwendig, aber nun sind sie für den gegenwärtigen Glauben unbedeutend.616 3.6. Zusammenfassung: Festhalten am Wunderglauben trotz aller Kritik Obgleich die aufkommende Naturwissenschaft den Wunderglauben zunächst integrierte,617 so führte der durch sie veränderte Naturbegriff letztlich zu einer Wandlung des Wunderbegriffs und zur Bestreitung von Wundern.618 Neben der Wunderkritik Baruch de Spinozas, der die Wunderdebatte im späten 17. Jahrhundert entscheidend prägte,619 und David Hume war den Aufklärern auch die tiefgreifende Kontroverse der Frühaufklärung620 über Johann Lorenz Schmidt 613 Döderlein, aaO., 297. 614 Vgl. Döderlein, aaO., 296–299. 615 Döderlein, aaO., 298. 616 Vgl. Bron, Das Wunder, 44. Lessing formulierte diese Thesen im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Johann Daniel Schumann, der in seiner den Fragmentenstreit eröffnenden Schrift „Über die Evidenz der Beweise für die Wahrheit der christlichen Religion“ Wunder und Weissagungen als Beweise für die Wahrheit des Christentums deklarierte. Diesen Wunder- und Weissagungsbeweis lehnte Lessing ab. Vgl. Rohls, Schrift, Tradition und Bekenntnis, 517 f. Dazu auch Schilson, Kommentar. Fragmentenstreit – Erster Teil, 964– 969.993–999. 617 Vgl. Kuhn, Art. Wunder, 266. 618 Vgl. Wendland, Wunderglaube, 34. 619 Vgl. Schröder, Art. Wunder, 1059. 620 Vgl. Maurer, Wunder und Aufklärung, 214.
II. Theologie der Mitte
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und seine „Wertheimer Bibel“ präsent, der Wunder strikt negierte.621 Döderlein wusste um diese Kritik an Wundern und versuchte sie zu widerlegen. Er hielt daran fest, dass Wunder geschehen sind, und wollte dem Christen zeigen, warum der Wunderglaube trotz aller Kritik seine Berechtigung hat. Den apologetischen Charakter seiner Darstellung unterstrich er, indem er sein Wunderverständnis dezidiert von anderen Entwürfen, denen von Carl Friedrich Bahrdt, David Hume, Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing zu unterscheiden wusste. Döderlein tat dies auch in Abgrenzung zu anderen Neologen, die gegenüber Wundern und deren Beweisfunktion eine eher zurückhaltende oder kritische Haltung einnahmen. Beispielsweise bestritt Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, dass Jesus durch Wunder legitimiert werde. Das geschehe nur durch seine Lehre und die Auferstehung.622 Ebenso lehnte Johann Salomo Semler den Wunderbeweis für das Christentum ab.623 Die oft von ihm herangezogene Theorie der Akkommodation übertrug er auch auf den Wunderglauben. Jesus und seine Apostel haben sich seiner Meinung nach an die Stufe der Menschheit, die noch an Wunder glaubt, angepasst. Der Wunderglaube gehört für ihn nun aber zu einem überholten Weltbild.624 Gleichwohl Döderlein bei vielen Themen Semler folgte und den Gedanken der Akkommodation selbst gerne zur Erklärung der biblischen Erzählungen anwandte – an dieser Stelle tat er es nicht! Döderlein nahm mit seinem Verständnis von Wundern als Bestätigungsfunktion des göttlichen Gesandten unverkennbar einen „wundergläubigen Standpunkt“625 ein, so dass Karl Aner ihm bescheinigt, er höre „wieder wertvolle Töne aus dem Erbe der Orthodoxie“626. Während Aner Döderleins Haltung hier positiv bewertet, wirft ihm beispielsweise Wolfgang Gericke vor, er sei in der Wunderfrage zu konservativ.627 Stellt man die zeitgenössischen Wunderkonzepte einander gegenüber, dann nahm Döderlein eine Zwischenposition ein. Für viele alttestamentliche Wunder legte er natürliche Ursachen zugrunde und versuchte so, den Kritikern wie Hermann Samuel Reimarus die Argumente zu entziehen und historisch-kritische Erkenntnisse aufzunehmen. Trotzdem hielt er mittels der Denkfigur „Wunder der Vorsehung“ am Wundercharakter des Geschehens fest. Den Wundern Jesu wiederum lagen seiner Meinung nach keine natürlichen Ursachen zugrunde, wie etwa Bauhölzer auf dem See Genezareth. Hinter Jesu Wirken stand vielmehr göttliches Handeln. 621 Vgl. Kuhn, Art. Wunder, 267. 622 Vgl. Müller, Jerusalem, 78 f. 623 Vgl. Schulz, Semlers Wesensbestimmung, 198. 624 Vgl. Alkier, Wen wundert was?, 5. 625 Aner, Theologie der Lessingzeit, 307. 626 Aner, aaO., 308. 627 Vgl. Gericke, Theologie und Kirche, 101.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
Döderlein war sich bewusst, dass viele seiner Zeitgenossen eine andere Ansicht gegenüber Wundern haben als er. Deshalb betonte er mehrfach, dass Wunder nicht das einzige Empfehlungsmittel der christlichen Religion seien und die Begierde nach Wundern zur Beglaubigung der Religion auch verwerflich sein könne, sie aber trotzdem ein wichtiges Beweismittel seien. Er räumte ein, dass man Christ sein könne ohne diesen Beweis, und wollte an dieser Stelle den Zweiflern an Wundern entgegenkommen, aber er forderte gleichermaßen von diesen Toleranz. Sie sollen nicht über diejenigen spotten, die wie er an den Wundern festhalten.628
Zwischenergebnis E: Potential und Grenzen von Döderleins Theologie „Als Dogmatiker war [Döderlein] […] im südlichen Deutschlande der erste, der von dem ältern Lehrsysteme so bedeutend abging, so streng in der Wahl der Beweisstellen, so reichhaltig in Anführung der verschiedenen ältern und neuern Meinungen, so bündig in ihrer Beurtheilung und doch dabey so vorsichtig war, seine Winke und Erläuterungen mehr nur in den Noten anzubringen und dadurch die Annahme seines Buchs zu erleichtern.“629 „[Döderlein wollte] die ältere und neuere theologische Welt mit einander […] vereinigen.“630
Was Friedrich von Schlichtegroll im Nekrolog über Döderleins „Institutio“ schrieb, kann grundsätzlich über Döderleins Theologie ausgesagt werden. Denn aus diesem Zitat lassen sich die drei Hauptcharakteristika hervorheben: Döderlein bemühte sich erstens (1) um einen theologischen Mittelweg, dabei blieb allerdings zweitens (2) sein eigener Standpunkt oft unklar und drittens (3) trennte er sich methodisch von Argumentationsmustern der lutherischen Orthodoxie. (1) Döderlein grenzte sich nachdrücklich von bestimmten Lehren der lutherischen Orthodoxie ab, was sich exemplarisch an seinem Standpunkt zur Frage nach dem Wahrheitsanspruch des Christentums und der natürlichen Gotteserkenntnis zeigt. Er argumentierte hier als Aufklärungstheologe. Andererseits blieb Döderlein der Tradition inhaltlich eng verbunden, wie bei der Lehre von den Wundern und der Christologie. Obgleich er bei diesen letztgenannten Lehren nur an Grundaussagen festhielt und eine Vereinfachung der Glaubenslehren durchführte, so nahm er damit aus Sicht einiger Aufklärer zu wenig Neuerungen vor.631 Döderlein muss deshalb als ein Mann der Mitte bezeichnet werden. 628 Vgl. Döderlein, ChRU 1, 1785, 308 f. 629 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 124. 630 Schlichtegroll, aaO., 108. 631 Vgl. Jenaische gelehrte Anzeigen, 24. Stück, 1787, 185.
Zwischenergebnis E: Potential und Grenzen von Döderleins Theologie
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Zu dieser Einschätzung kamen nicht allein die Zeitgenossen632 und die sich daran anschließende Literatur633, sondern schon er selbst forderte immer wieder die „Mittelstrasse“. Die Theologie müsse die Mitte finden zwischen alten und neuen Wahrheiten634 und in der Religion sei es erforderlich, das richtige Verhältnis – die „Mittelstrasse“ – zwischen Empfindung und Verstand zu finden.635 Es war sein Anliegen, vermittelnde Theologie zu betreiben. In diesem Zusammenhang stand ebenfalls sein doppeltes apologetisches Interesse. Seine Ausführungen richteten sie sowohl gegen radikalere, deistische Strömungen als auch gegen Theologen, die jegliche Neuerungen in der Religionslehre ablehnten und in dem Gedankengut der lutherischen Orthodoxie verhaftet blieben. Den Deisten wollte er zeigen, dass Bibel und Vernunft harmonisch zueinander stehen und die von ihnen angeprangerten religiösen Missstände schon längst behoben sind. Dass sie ein falsches Bild von Aufklärung und umsonst Angst vor neuen Lehren haben, warf er wiederum den Orthodoxen vor.636 Döderleins Ansatz, den Mittelweg zu gehen, äußerte sich überdies in seinem Wortschatz. Bei ihm war das Wort „maßvoll“ zentral. Er verlangte eine maßvolle Auseinandersetzung mit Personen, die einen anderen Standpunkt vertreten, einen maßvollen Umgang mit den alten Lehren der Kirchenväter und maßvolle dogmatische Änderungen. So formulierte Gustav Frank treffend: „[Döderlein] hat liberale Grundsätze verfolgt, aber mit schonender Mäßigung“.637 Dieses Bemühen um eine mittlere Position birgt ver632 Siehe die bereits im Kapitel D/I, 1.4. und 2.3. erwähnten Rezensionen: Sowohl über die „Institutio“ als auch über den „Christliche[n] Religionsunterricht“ wurde jeweils bemerkt, dass Döderlein immer wieder den Weg zwischen alten und neuen Lehrmeinungen suche. Zur „Institutio“ vgl. Journal für Prediger, 11. Bd., 1. Stück, 1780, 99. Zum „Christliche[n] Religionsunterricht“ vgl. Journal für Prediger, 17. Bd., 4. Stück, 1785, 448. Auch Strobel bezeichnete Döderleins Vorgehen als eine „Mittelstraße“. Vgl. Wotschke, Aus Briefen Strobels, 235. 633 So formulierte beispielsweise Wilhelm Gaß: „Döderlein ist ein Anhänger des festina lente, des bedachtsamen Fortschritts, der ohne tumultuarische Eingriffe doch den Bedürfnissen der Zeit Rechnung tragen und auf ihre Bestrebungen eingehen will.“ Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik, 120. Gaß behauptete zusammenfassend: „In der Hauptsache beherrschte ihn [Döderlein] noch der ältere doctrinale und theoretische Standpunkt, weshalb er denn auch nur wenige dogmatische Spitzen der Christologie und Gnadenlehre vollständig preisgegeben hat. Aber die überall angebrachten Milderungen, die zahlreichen kritischen Ansätze sowie die einfachere Feststellung des Fundamentalen führten ihn doch bis dicht an den Uebergang zu einer durchgreifenden Kritik, und nur seine Vorsicht und Geschicklichkeit konnten ihn auf jener Mittelstufe der ‚Neukirchlichen‘ festhalten, die Keiner besser als er vertritt.“ Gaẞ, Geschichte der Protestantischen Dogmatik, 127. Auch Klaus Leder behauptet, dass Döderlein den charakteristischen Mittelweg der grundlegenden Neologie gegangen sei. Vgl. Leder, Universität Altdorf, 212. Im „Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon“ wird Döderleins Dogmatik ein „Übergangscharakter von zurückhaltender zu entschiedener Aufklärungstheologie“ bescheinigt. Bautz (Hg.), Art. Döderlein, 1341. 634 Vgl. Döderlein, Institutio, 1, 1797, X. 635 Vgl. Döderlein, ChRU 3, 21791, 146. 636 Diese doppelte Frontstellung bestimmt Hornig als Charakteristikum der Neologie. Vgl. Hornig, Neologie und Aufklärungstheologie, 130. 637 Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 113.
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
schiedene Gefahren,638 muss aber auch als Stärke charakterisiert werden. Wie bereits Klaus Leder akzentuiert, konnten Döderleins Untersuchungen auf diese Weise von unterschiedlichen Theologengruppen genutzt werden.639 Sowohl die Theologen, die stärker mit der alten Lehrmeinung verbunden waren, als auch die progressiveren konnten bei Döderlein ihre Standpunkte wiederfinden.640 Döderlein ging mit „Vorsicht“ und „Mäßigung“ vor. Sein Prinzip war eine „stete Forschung und unerschrokene, aber vorsichtige Ausbreitung der Wahrheit“641, die sich für die Universität in Jena als angemessen erweisen sollte.642 Aufgrund dieses Mittelwegs eignete sich beispielsweise Döderleins „Institutio“ in besonderem Maße als Lehrbuch für die „Salana“.643 (2) Allerdings drückt sich Döderleins Interesse an einem Mittelweg auch darin aus, dass er oftmals sehr vorsichtig formulierte und seine eigene Meinung nicht akzentuierte. Die Rezensenten bemerkten daher, dass man „nicht recht klug aus dem Verfasser“644 werde. So äußerte sich Döderlein beispielsweise bei der Frage nach der Eingebung der Schrift undeutlich und ließ bestimmte Fragen in der Schwebe. Er scheute sich teilweise vor klaren Aussagen und behauptete dann, dass dieses Thema nicht wichtig sei. Stellenweise war sich Döderlein seiner „Vorsicht“645 bewusst, aber änderte sein Vorgehen nicht. Die Gründe dafür sind auf zwei Ebenen zu finden. Zum einen hatte er immer Sorge, seine Bücher könnten als häretisch verurteilt werden, weshalb er schon in der Vorrede zur „Institutio“ hervorhob, seine Ausführungen stünden nicht der Wahrheit der kirchlichen Lehren entgegen.646 Döderlein war zum anderen mehr ein Problem638 Siehe unten (2). 639 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 211. 640 Siehe Kapitel C/II, 1.3. 641 Brief Döderleins an den Rat der Reichsstadt Nürnberg, 6.7.1782, AUA 95,1, [3]. 642 Siehe die Anmerkung Griesbachs, in Jena müsse „mit möglichster Vorsicht und Mäßigung zu Werk“ gegangen werden. Brief von Griesbach an Voigt, 24.12.1792, ThHStAW, A 6146, 8v. 643 Siehe Kapitel C/II, 1.3. 644 Jenaische gelehrte Anzeigen, 24. Stück, 1787, 185. – So ähnlich formulierte es auch Carl Friedrich Bahrdt in seinem Ketzeralmanach: „[Döderlein] gehört vielleicht unter unsere halb aufgeklärten Theologen. Es ist nur heißere Stimme der reinen Wahrheit, die aus der Vorrede zu seiner institutio theologi Christiani – hervortönt, damit er nur erst die Ketzermacherey abzuwehren scheint; und ganz kann man doch nicht aus ihm klug werden.“ [Carl Friedrich Bahrdt], Kirchen- und Ketzer-Almanach. Zweytes Quinquennium, ausgefertiget im Jahr 1787, [Gibeon] [1787], 49 f. 645 Döderlein, ChRU 3, 21791, Vorrede, [4]. 646 In der Angst, für heterodox gehalten zu werden, sah auch Döring den Grund für Döderleins vorsichtige Äußerungen. Vgl. Doering, Die deutschen Kanzelredner, 41. So auch Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 125. Ammon bewertete Döderleins Mäßigung als Folge der Zeitbedingungen: „Es ist noch nicht lange her, daß man anfängt, Betrachtungen dieser Art in einen freyeren und für die Religionswissenschaft hoffentlich heilsamen Umlauf zu bringen. Damals [bei Döderlein] mußten ähnliche Winke mit der weisesten Mäsigung und Vorsicht gegeben werden“. Ammon, Döderlein, 7.
Zwischenergebnis E: Potential und Grenzen von Döderleins Theologie
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als ein Systemdenker und der Leser bekommt das Gefühl, dass er sich von einigen Gedanken und Lehren nicht lösen wollte oder konnte. Bei manchen Fragen schien sich Döderlein zudem selbst im Unklaren zu sein, welche Position er eigentlich vertreten wollte. (3) Was Döderlein allerdings unmissverständlich benannte und worauf sein Mittelweg ebenso gründete, ist sein Bemühen, die „Bedürfnisse der Zeit“ im Blick zu haben, plausible Argumente zu finden, der Vernunft eine zentrale Funktion zuzuerkennen und nur noch wenige polemische Äußerungen zur Untermauerung der eigenen Position heranzuziehen. Mittels gründlicher exegetischer Untersuchungen und einer historischen Verortung der Dogmen samt ihrer Entwicklung gelang es Döderlein, dieses Anliegen umzusetzen. Darauf basierte überdies seine Dogmenkritik und auch seine Einschränkung von Beweisstellen. Daneben zog er die Akkommodationstheorie heran und die Unterscheidungen von Lehre und Lehrart sowie von Religion und Theologie, um die ursprüngliche Einfachheit des Christentums zu akzentuieren. Die biblischen Schriften blieben ihm trotz aller exegetischen Erkenntnisse und trotz der in ihr enthaltenen Akkommodationen eine verbindliche Autorität. Neben diesen methodischen Aspekten, die zeigen, worin die Abgrenzung zur lutherischen Orthodoxie bestand und welche Schwerpunkte die Aufklärungstheologie setzte, wird Döderleins aufklärerischer Hintergrund ebenfalls am Sprachduktus ersichtlich. Er sprach häufig von „Aufklärung […] [und] Fortschritt“647, von der „Erleuchtung der Welt“648, der „Bekämpfung des blinden Glaubens […] [und] abergläubischer Meinungen“649, von „verdunkelt[en]“ Erkenntnissen650, „gereinigte[n] Einsichten“651 und „vernünftige[r] Religion“652. Neben diesen drei Hauptcharakteristika lässt sich noch ein weiteres Moment festhalten. Döderlein war kein innovativer Denker, insofern er völlig neue Theorien oder Leitgedanken entwickelte. Er ging eklektisch vor, indem er Ideen von aufklärerischen Denkern (zum Beispiel von Semler, Jerusalem, Lessing, Teller und Töllner) aufgriff und sie auf seine Konzeption hin modifizierte. Er war zudem mit den Schriften der Kirchenväter und diversen orthodoxen Kompendien vertraut. Einige der darin enthaltenen Gedanken wurden abgelehnt, andere wiederum transformiert. Was ihn allerdings von den Zeitgenossen abhob und was in Rezensionen immer wieder Betonung fand, ist die Art und Weise seiner Darstellung: Die Art der Zusammenstellung war beispiellos und wurde als sehr gut befunden.653 Diese, sein exzellenter Schreibstil und seine vermittelnde theo647 Döderlein, ChRU 2, 21790, 7. 648 Döderlein, aaO., 167. 649 Döderlein, ChRU 3, 21791, 224 f. 650 Döderlein, ChRU 1, 21790, 90. 651 Ebd. 652 Döderlein, ChRU 2, 21790, 7. 653 So heißt es beispielsweise in den „Erlangische[n] gelehrte[n] Anmerkungen“, dass
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E. Die Grundlinien von Döderleins vermittelnder Theologie
logische Position führten dazu, dass er Friedrich Schlichtegroll zufolge „unter die ersten Männer seines Faches unter seinen Zeitgenossen gezählt“654 wurde.
Döderlein oft sicherere und bessere Wege gehe als andere, auch wenn er zum gleichen Ziel komme. Vgl. Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten, 4. Stück, 1780, 38. 654 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 98. – Bei all den Lobeshymnen auf Döderlein oder sonstigen Charakterisierungen wird weder in den Quellen noch in zeitgenössischen Berichten erwähnt, Döderlein sei der „Melanchthon seiner Zeit“ oder der „Melanchthon des 18. Jahrhunderts“ gewesen, wie es erstmalig von Gustav Frank und dann später bei Gerhard Müller behauptet wird. Siehe Frank, Geschichte der Protestantischen Theologie, 113; Frank, Art. Döderlein, 280; Müller, Vom Regieren zum Gestalten, 106. Für diese Zuschreibung gibt es auch aus inhaltlichen Gründen keinerlei Veranlassung.
Schlussbetrachtung Der Schriftsteller Anton Kühl fragte in seiner Werbeschrift über die Universität Jena rhetorisch, ob „der Vorrath der einzuärndtenden Wissenschaften und Künste nicht groß in Jena’s Mauern“ sei.1 Er hatte mit dieser Aussage neben den anderen Fakultäten auch die Theologische Fakultät im Blick. Dieser „groß[e]“ „Vorrath“ an Wissenschaft wurde in der Theologischen Fakultät Ende des 18. Jahrhunderts insbesondere durch die Aufklärungstheologie, die Neologie, gewährleistet. Neben den Theologen Ernst Jakob Danovius, Johann Jakob Griesbach, Johann Gottfried Eichhorn und Johann Wilhelm Schmid kam Johann Christoph Döderlein hierbei eine maßgebliche Rolle zu. Seine Berufung nach Jena und sein Wirken an der „Salana“ sollten sich für die Jenaer Theologische Fakultät und für die Gesamtuniversität als äußerst vorteilhaft erweisen. Nach dem tragischen Tod des Theologieprofessors Ernst Jakob Danovius und den daran anschließenden Konflikten über die Neubesetzung dieser Stelle kam mit Döderlein 1782 ein angesehener Theologe nach Jena, der für Stabilität und Aufschwung an der Theologischen Fakultät sorgte. Der zu diesem Zeitpunkt 36-jährige Döderlein hatte zuvor fast zehn Jahre in Altdorf gewirkt, der Ort, an dem er auch studierte und mit dem er ein Leben lang eng verbunden blieb. In seiner Altdorfer Zeit wurde er über die Grenzen des Nürnberger Raums vor allem mit seinen exegetischen Arbeiten bekannt, die die Grundlage für sein gesamtes theologisches Arbeiten bildeten und seine erste Schaffensphase (1770– 1780) bestimmten. Döderleins Jesajakommentar, in dem er vermeintlich messianische Beweisstellen bestritt und die später als „Deuterojesaja“ bezeichnete Hypothese formulierte, sowie seine deutsche Übersetzung der „Sprüche Salomons“, in der er sich gegen eine dogmatische Auslegung des biblischen Textes positionierte, führten dazu, dass ihn die Zeitgenossen als wirkmächtigen Exegeten wahrnahmen. Ebenso trug Döderleins Entgegnung gegen die von Gotthold Ephraim Lessing herausgegebenen Fragmente des Hermann Samuel Reimarus dazu bei, dass ihn seine Zeitgenossen als Aufklärungstheologen kennenlernten, der immer zwischen zwei Fronten stand: Er trennte sich in seinem Schriftverständnis von den Konzepten der lutherischen Orthodoxie, indem er zwischen Offenbarung und Bibel unterschied, und grenzte sich gleichzeitig von radikaleren, oft deistischen Positionen ab, die die Möglichkeit einer göttlichen Offen1 [Kühl], Zeichnung der Universität Jena, 41.
354
Schlussbetrachtung
barung negierten oder der biblischen Darstellung Betrug vorwarfen. Als Exeget und „Antifragmentist“ hatte er sich auch in Jena einen Namen gemacht. Nach mehreren Berufungsanfragen Jenas entschloss sich Döderlein 1782, von Altdorf an die „Salana“ zu wechseln. Seine Berufung bildete den Abschluss und Höhepunkt des Neuausrichtungsprozesses der Theologischen Fakultät in Jena, der mit der Berufung des Theologen Ernst Jakob Danovius begonnen hatte. Jena war jetzt weniger „Hort des Luthertums“ als vielmehr ein Ort, an dem zeitgemäße, neologische Theologie betrieben wurde. Dass es sich bei der Theologischen Fakultät nun um eine aufgeklärte Fakultät handelte, machte sich für die Studenten auf vielfältige Weise bemerkbar. Es ließ sich beispielsweise am Vorlesungsangebot erkennen. Dogmatik wurde nicht mehr nach dem (spät-) orthodoxen2 Kompendium von Johann Wilhelm Baier gelesen, sondern diese Disziplin wurde hauptsächlich von Döderlein nach seinem eigenen Lehrbuch vorgetragen. Gleichermaßen boten die beiden anderen Professoren an der Theologischen Fakultät, Johann Jakob Griesbach und Johann Wilhelm Schmid, Vorlesungen an, die Ausdruck ihres aufklärerischen Standpunktes waren. So las Griesbach über die drei Evangelien nach seiner Synopse und Schmid griff in seiner Vorlesung über die „Theologische Moral“ die kantische Philosophie auf. Außerdem wurde unter Döderleins Leitung ein neues Gesangbuch für den akademischen Gottesdienst eingeführt, welches dezidiert für eine „vernünftige[] Andacht“3 konzipiert war. Dieses Gesangbuch ist Teil der auf Initiative der Neologen an verschiedenen Orten neu eingeführten Gesangbücher, bei denen die Lieder an die zeitgenössische Sprache und an die dogmatischen Vorstellungen der Aufklärungstheologie angepasst wurden. Döderlein sorgte in Jena aber nicht nur für Stabilität und brachte aufklärungstheologische Impulse, er war überdies ein beliebter Lehrer. Im Vergleich mit den anderen Theologieprofessoren besaß er bei seinen Vorlesungen das stärkste Auditorium. Auch das von ihm wieder belebte Predigerinstitut fand Zuspruch bei dem theologischen Nachwuchs. Die Erhalterstaaten der „Salana“ machten Döderlein mehrere Zugeständnisse, damit er in Jena blieb und nicht an eine andere Universität wechselte. Getrübt wurde dieser Erfolg als Dozent für Döderlein allerdings von seinem problematischen Verhältnis zu vielen seiner Kollegen. Auseinandersetzungen gab es nicht nur mit Johann Gottfried Eichhorn, sondern ebenfalls im Senat über die Frage nach dem Umgang mit den studentischen Orden. Die Konflikte im Senat, die zunächst sachlicher Art waren, führten zu persönlichen Zerwürfnissen unter den Professoren. Auch aufgrund dieser zwischenmenschlichen Animositäten wurde Jena für Döderlein zu keiner Zeit das zweite Altdorf. Richtig wohl fühlte er sich in Jena nie, obgleich er mit Johann Jakob Griesbach, Johann Gottfried Eichhorn und Johann Wilhelm Schmid im 2 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 221. 3 Siehe Titel des Gesangbuchs.
Schlussbetrachtung
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Gegensatz zu Altdorf Kollegen hatte, die der Aufklärungstheologie ebenso zugetan waren wie er. Anders als in Altdorf gab es an der Theologischen Fakultät in Jena für Döderlein keine gravierenden Konflikte über den theologischen Standpunkt. Die Etablierung der Neologie war in Jena abgeschlossen und befand sich auf ihrem Höhepunkt. Neben seiner Tätigkeit als Hochschullehrer arbeitete Döderlein weiter an diversen theologischen Abhandlungen, die ihn als bedeutenden und einflussreichen Vertreter der Neologie erkennen lassen. In seiner zweiten Schaffensphase (1780–1792), die in die letzten zwei Jahre in Altdorf fällt und dann den gesamten Zeitraum seines Wirkens in Jena einnimmt, beschäftigte er sich weniger mit exegetischen als vielmehr mit dogmatischen und ethischen Fragestellungen. Zwei Werke müssen vor allen anderen hervorgehoben werden: Er verfasste eine Dogmatik, die er zunächst auf Latein und später in abgewandelter Form auf Deutsch publizierte. Berücksichtigte Döderlein zunächst nur die akademische Welt als Adressaten, so erweiterte er das Zielpublikum in seiner deutschen Fassung um den „aufgeklärten Christen“. Döderlein bot hier eine Dogmatik, die auf den Thesen und Fragestellungen der lutherischen Orthodoxie aufbaute, diese aber veränderte und in der er aufklärungstheologische Akzente setzte, indem er zeitgenössische Erkenntnisse aus der Exegese, Dogmatik und Philosophie einbezog. Auch mit seiner „Sittenlehre“ bemühte sich Döderlein um eine an die Zeitbedingungen angepasste Ethik, die allerdings im vorkantischen Denken verhaftet blieb. Zwar sollte sein Konzept anschlussfähig an zeitgenössische theologische und philosophische Debatten sein, aber die populär werdende kantische Philosophie blieb ihm doch überwiegend fremd. Darüber hinaus stand für Döderlein die gelebte Religiosität im Fokus seiner Betrachtungen. Er publizierte neben der Dogmatik und „Sittenlehre“ mehrere Schriften zum Thema Gebet, in denen er ein verinnerlichtes und der Vernunft angemessenes Beten forderte, und beteiligte sich damit an praktisch-theologischen und liturgischen Diskursen der Aufklärungszeit. Alle Themenbereiche seines Œuvres umfassend und über die vollständige Zeit seines Wirkens hinweg verfasste Döderlein diverse Artikel für verschiedene Zeitschriften und gab selbst mehrere Zeitschriften heraus. Zu erwähnen ist vornehmlich die von Johann August Ernesti übernommene „Auserlesene Theologische Bibliothek“, die er in den Jahren von 1780 bis 1792 edierte. Döderlein wollte auch über das Medium der Zeitschrift aufklärerische Impulse setzen sowie den zeitgenössischen Diskurs über verschiedene theologische Fragestellungen beflügeln und kritisch untersuchen. Den Zeitgenossen erschien Döderlein mit Blick auf sein gesamtes Wirken als „Schriftsteller, Dogmatiker und Moralist[] […] [sowie] als Lehrer, als Erbauungsschriftsteller und als Kritiker“4. Dabei zeichnete sich Döderlein als 4 Ammon, Döderlein, 13.
356
Schlussbetrachtung
ein Theologe der Mitte aus, der sich von den Thesen der lutherischen Orthodoxie emanzipierte und sich gleichzeitig von radikalen aufklärerischen Entwürfen, wie von Reimarus und rationalistischen Behauptungen von Carl Friedrich Bahrdt, abgrenzte. Döderlein bemühte sich stets um einen Mittelweg, was sein ganzes theologisches Wirken prägte. Besonders wichtig war es ihm, die Vereinbarkeit von Vernunft und Christentum darzulegen. Charakteristisch für die Aufklärungstheologie wandte er sich den Fragestellungen nach dem Verhältnis von Vernunft und Offenbarung und von natürlicher und geoffenbarter Religion zu, sowie der Frage nach der Seligkeit der Heiden. Diese Fragen beantwortete er ganz neologisch, indem er ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis von natürlicher und geoffenbarter Religion bestimmte und der Vernunft eine zur Seligkeit ausreichende Gotteserkenntnis zugestand. Döderleins theologisches Denken ist zudem von der Vorstellung der Perfektibilität geprägt. Die Thesen von Friedrich Wilhelm Jerusalem, Johann Salomo Semler und Gotthold Ephraim Lessing aufgreifend, postulierte er einen Vervollkommnungsprozess in der Religion, der Geschichte und der individuellen Entwicklung. Indem er ferner die Entstehungsgeschichte der Dogmen beachtete und zwischen Lehre und Lehrart unterschied, trennte er sich von bestimmten Thesen der lutherischen Orthodoxie. Er verneinte die Vorstellung einer Erbsünde im Sinne einer Zurechnung der Schuld Adams an dessen Nachkommen und hielt in seiner Christologie nur noch an Grundaussagen fest. Es zeigt sich dabei aber immer ein „maßvoller“ Bruch mit der Tradition. Eine völlige Loslösung konnte und wollte Döderlein nicht vollziehen, was auch sein Festhalten an den Wundern Jesu zeigt. Bot Döderleins vermittelnde Position Raum für Kritik, so machte es ihn als akademischen Theologen und Lehrer in Jena attraktiv. Sein gemäßigter neologischer Standpunkt konnte gewinnbringend für die in der lutherischen Tradition verhafteten Studenten als auch für die progressiveren Studenten sein. Somit konnte in Jena an die Tradition als „Hort des Luthertums“ angeknüpft und gleichzeitig neologische Theologie gelehrt werden. Auch von seinen Zeitgenossen wurden Döderleins Theologie und sein Wirken überwiegend positiv eingeschätzt. Viele seiner Schriften wurden mehrfach aufgelegt, teilweise in andere Sprachen übersetzt, und die Rezensionen zu seinen Werken, wie beispielsweise zum „Esaias“, den Antifragmenten und seiner Dogmatik waren vornehmlich anerkennend. Döderlein wurde damit „[v]ielen durch schriftlichen und mündlichen Unterricht ein Führer zu einer geläuterten Kenntniss der Religion“5. Sein Tod am 2. Dezember 1792 wurde nicht nur als Verlust für Jena, sondern für die ganze theologische Wissenschaft gewertet. An seinen beiden Wirkungsorten, in Altdorf und in Jena, bemühte man sich, sein Erbe weiterzutragen. In Altdorf führte Döderleins Nachfolger Christian Gottfried Junge die Neologie fort, las beispielsweise die Dogmatik nach Döder5 Schlichtegroll, Nekrolog, Döderlein, 136.
Schlussbetrachtung
357
lein6 und gab nach Döderleins Tod die restlichen Bände der deutschen Dogmatik sowie eine neue Ausgabe der döderleinschen Sittenlehre heraus. Junge machte Döderleins Theologie dadurch „bis in das 19. Jahrhundert hinein wirksam“7. In Jena wurden nach Döderleins Tod mit dessen Nachfolger Heinrich Eberhard Gottlob Paulus zunächst andere Schwerpunkte gesetzt. Paulus, als Vertreter des theologischen Rationalismus, repräsentierte eine andere Form der Aufklärungstheologie als Döderlein. Allerdings wurde in den ersten Lehrjahren von Paulus die Kontinuität zu Döderlein insofern gewahrt, dass Paulus seine Vorlesungen in der Dogmatik mehrere Semester lang nach Döderleins Ausführungen las. Als 1804 der aus Altdorf kommende und von Döderlein sehr geschätzte Johann Philipp Gabler8 die durch den Weggang von Paulus vakante theologische Professur übernahm, kam nicht nur ein Gelehrter an die „Salana“, der in Jena vor allem bei Griesbach und Eichhorn studiert hatte9 und damit als ein Schüler der Jenaer Neologen gesehen werden muss, sondern auch einer, der die Neologie erst in Altdorf und dann in Jena weiterführte. Gabler zählt als sogenannter Spätneologe10, der „die neologische Phase in Jena bis weit ins 19. Jahrhundert“11 verlängerte. Paulus und Gabler bauten beide auf dem Grund auf, den die Neologen Danovius, Griesbach, Eichhorn und besonders Döderlein in Jena gelegt hatten. Durch die Neologen blieb die Theologische Fakultät in Jena anschlussfähig an die zeitgenössischen Frage- und Problemstellungen, so dass die „Salana“ im Wettbewerb mit anderen Universitäten bestehen konnte. Es ist das Verdienst der Jenaer Neologen, dass der Theologischen Fakultät in Jena der Übergang ins 19. Jahrhundert gelang. Ebenso konnten auch der Freiheitsgedanke sowie die Freiheitsbewegung des 19. Jahrhunderts auf dem Grund aufbauen, welchen die neologische Theologie gelegt hatte. Der Einfluss und die Wirkung, den die Neologie in Jena hatte, waren somit folgenreich.
6 Vgl. Leder, Universität Altdorf, 256. 7 Leder, aaO., 258. 8 Döderlein befürwortete Gablers Bewerbung auf die durch Dietelmaiers Tod 1785 vakante theologische Professur in Altdorf. Vgl. Leder, aaO., 276 f. 9 Vgl. Leder, aaO., 274. 10 Vgl. Leder, aaO., 273. 11 Vgl. Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung, 142.
Anhang
Lebenslauf Johann Christoph Döderlein 20. Januar 1746 Geburt in Windsheim (heute Bad Windsheim/Bayern) als Sohn von Johann Georg Döderlein (Pfarrer) und Adriana Sibylla Döderlein, geb. Rücker März 1764
Beginn des Studiums an der Universität in Altdorf Nach Abschluss des Studiums Hauslehrer bei der Familie Scheurl in Engelthal
17. Mai 1768
Berufung nach Windsheim als Diakon
1770
Publikation der Schrift „Curarum exegeticarum et criticarum in quaedam veteris Testamenti oracula Specimen“
5. Juni 1771
Hochzeit mit Rosina Maria Merklein Mit ihr bekommt er die Kinder: – Johann Gerhard Christoph (*März 1772, †April 1802) – Maria Adriana Dorothea Barbara (*Juli 1774, †August 1774) – Christian Theodor Friedrich (*März 1776, †März 1803)
1772
Erhalt der Magisterwürde mit der Schrift „Quis sit ὁ Συρος Vet. Test. interpres graecus“
1772
Berufung zum Professor der Theologie und Diakon nach Altdorf
1773
Akademische Antrittsrede „de Prophetis oratoribus“
22. März 1774
Auf Grundlage der Abhandlung „De redemtione a potestate diaboli insigni Christi beneficio“ zum Doktor der Theologie promoviert
1775
Publikation des Jesajakommentars „Esaias, ex recensione textus hebraei ad fidem codd. quorundam mss et versionum antiquarum latine vertit notasque varii argumenti“
1778/1779
Veröffentlichung der „Antifragmente“ im sogenannten Fragmentenstreit
1780–1792
Herausgabe der „Auserlese[n] Theologische[n] Bibliothek“
360
Lebenslauf Johann Christoph Döderlein
1780/1781
Publikation der lateinischen Dogmatik „Institutio Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accommodata“
1782
Berufung an die Universität nach Jena
1784
Ernennung zum Geheimen Kirchenrat
1785–1791
Publikation der deutschen Dogmatik „Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit“
2. März 1787
Tod seiner Ehefrau Rosina Maria Döderlein, geb. Merklein
1789
Veröffentlichung der Ethik „Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre“
6. April 1790
Hochzeit mit Rosina Christina Eleonora von Eckardt Mit ihr bekommt er den Sohn Johann Ludwig Christoph Wilhelm (*Dezember 1791, †November 1863)
2. Dezember 1792
Tod des 46-jährigen Johann Christoph Döderlein in Jena
Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen Archiv der Universität Altdorf in der Universitätsbibliothek Erlangen (AUA) Personalakten von Altdorfer Professoren: 84: Den Professor Doederlein betrf. 1775–1778. 95: Die Ernennung des Pfarrers Junge zum 3. theologischen Professor betrf. 1782.
Goethe- und Schiller-Archiv Weimar (GSA) Bestand 20: Fritsch, Jakob Friedrich von Bestand 33: Goethe, Johann Wolfgang/Autographensammlung
Landeskirchliches Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (LAELKB) Bestand Ms 282
Nürnberger Stadtbibliothek (NStBibl) Bestand Will VIII. 80. Autographensammlung
Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW) Bestand A: Fürstenhaus und Hofwesen, Universität Jena, Kunst und Wissenschaft Hausarchiv (A XIX: Carl August)
Thüringisches Staatsarchiv Gotha (ThStAG) Geheimes Archiv: Bestand M sub Mond, Universität Jena
Universitätsarchiv Jena (UAJ) Bestand A: Rektor und Senat [1548–1834] Bestand J: Theologische Fakultät [1628–1970] Bestand M: Philosophische Fakultät [1597–1970]
362
Quellen- und Literaturverzeichnis
2. Gedruckte Quellen 2.1. Bibliographie der gedruckten Schriften von Johann Christoph Döderlein (Werkverzeichnis) Die Werke Johann Christoph Döderleins werden im Folgenden chronologisch nach dem Erscheinen der Erstauflage angeordnet. Bücher, die aus mehreren Bänden bestehen, werden direkt untereinander aufgelistet und nach dem Erscheinungsjahr des ersten Bandes in die Chronologie eingegliedert. Neuauflagen werden hinter der Erstauflage genannt. Einige wenige Schriften Döderleins können nicht mehr nachgewiesen werden. Um deren Existenz wissen wir allein aus Rezensionen und älteren Verzeichnissen seiner Werke. Diese Schriften sind mit einem Stern (*) gekennzeichnet. Die bibliographische Angabe wird in einem solchen Fall in der Regel aus dem Schriftenverzeichnis im „Nürnbergische[n] Gelehrten-Lexicon“ (siehe Quellenverzeichnis) übernommen. In der vorliegenden Bibliographie wird die exakte Schreibweise von Döderleins Namen beachtet, weshalb der Name vor jeder Schrift erneut angeführt wird. In Klammern ([]) stehende Angaben sind von der Verfasserin dieser Studie ergänzt. Doederlein, Io[hannes] Christoph[orus], Curarum exegeticarum et criticarum in quaedam veteris Testamenti oracula Specimen. Cum praefatione D. Joh. Barth. Riedereri, Altdorf/Nürnberg 1770. Doederlein, Iohannes Christophorus, Quis sit ὁ Συρος Vet. Test. interpres graecus, Diss. inaug. philos., Altdorf [1772]. Döderlein, Johann Christoph, Christliche Gesinnungen eines Lehrers zur Erweckung seiner Zuhörer bey Gelegenheit der Amts-Veränderung in einer AbschiedsPredigt zu Windsheim und einer Anzugs-Predigt zu Altdorf, Altdorf 1773. (Gemäß der Angabe im „Nürnbergische[n] Gelehrten-Lexicon“ sind beide Predigten zudem im „Repertorium von guten Casualpredigten und Reden, 1. Theil, Nürnberg 1779“ abgedruckt.) *Doederlein, Johannes Christophorus, Qua graecae litterae ut subsidium egregium interpretationis V. T grammaticae commendantur, Altdorf 1773. Döderlein, Johann Christoph, Christliche Gesinnungen eines Lehrers in Ansehung seiner Ehre in einer Predigt über das gewöhnliche Evangelium. Am Sonntag Judica in der Stadtkirche zu Altdorf einer zahlreichen Versammlung vorgetragen, Altdorf 1774. (Gemäß der Angabe im „Nürnbergische[n] Gelehrten-Lexicon“ ist die Predigt zudem im „Repertorium von guten Casualpredigten und Reden, 6. Theil, Nürnberg 1782“ abgedruckt.) Doederlein, Iohannes Christophorus, Dissertatio theologico-historica. De redemtione a potestate diaboli insigni Christi beneficio, partem primam, Altdorf [1774]. Doederlein, Ioh[annes] Christoph[orus], Dissertatio theologica. De redemtione a potestate diaboli ut insigni Christi beneficio, partem alteram, defendendam sumit Ernestus Fridericus Andreas Cnopf, Altdorf [1775]. [Döderlein, Johann Christoph], Materialien zum Kanzel-Vortrag. Ein jeglicher prüfe sein selbst Werk. Paulus, Altdorf/Nürnberg 1774. Doederlein, Io[hannes] Christoph[orus], Esaias, ex recensione textus hebraei ad fidem codd. quorundam mss et versionum antiquarum latine vertit notasque varii argumenti, Altdorf 1775, 21780, 31789.
2. Gedruckte Quellen
363
Döderlein, Johann Christoph, Nachricht statt einer Antwort auf einen iüngsthin geschehenen Angriff der Uebersetzung des Esaias, Leipzig 1776. Hugonis Grotii Annotationes in Vetus Testamentum, emendatius edidit et brevibus complurium locorum dilucidationibus auxit Georgius Ioannes Ludov. Vogel, post mortem b. Vogelii continuavit Iohannes Chistophorus Doederlein, Tomus II, Halle 1776. Döderlein, Johann Christoph, Einige Predigten zur christlichen Belehrung über verschiedene Wahrheiten der Religion, Halle 1777. Neue und vollständige Sammlung erbaulicher Predigten über die Sonn- Fest- und Feyertäglichen Evangelien von guten Canzelrednern, 1. Bd., Nürnberg 1777. In diesem Predigtband sind drei Predigten von Döderlein abgedruckt: – Am Fest der Reinigung Mariä: Daß die Ruhe bey dem Abschied von der Erde eine Würkung des Evangelii sey, 235–243. – Am Tage Philippi und Jacobi: Wie genau die Erkentniß Jesu Christi und die Erkentniß Gottes mit einander verbunden seyen, 465–472. – Am Tage Matthäi: Von dem Fehler, wenn wir die Handlung anderer nach unserm eigenen Betragen beurtheilen, 845–852. [Döderlein, Johann Christoph], Fragmente und Antifragmente. Zwey Fragmente eines Ungenannten aus Herrn Lessings Beyträgen zur Litteratur abgedruckt mit Betrachtungen darüber, nebst einigen Landkarten, Nürnberg 1778, 21780, 31782, 41788. –, Fragmente und Antifragmente. Einige von Herrn Lessing herausgegebene Fragmente abgedruckt mit Betrachtungen darüber, Zweiter Theil, Nürnberg 1779, 21781, 31788. Döderlein, Johann Christoph, Sprüche Salomons, neu übersezt mit kurzen erläuternden Anmerkungen, Altdorf 1778; zweyte durchaus verbesserte Ausgabe, Nürnberg/A ltdorf 1782, 31786. *Döderlein, Johann Christoph, Dem Grab seines Vaters geweiht, Altdorf 1779. Hugonis Grotii Annotationum in Vetus Testamentum Auctarium. Scripsit Ioh[annes] Christophorus Doederlein, Tom I., qui continet observationes in libros poeticos [auch unter dem Titel: Ioh[annes] Christoph[orus] Doederlein, Scholia in libros Veteris Testamenti poeticos, Iobum, Psalmos et tres Salomonis], Halle 1779. Doederlein, Joh[ann] Christoph, Auserlesene Theologische Bibliothek, darinnen von den wichtigsten theologischen in- und ausländischen Büchern und Schriften Nachricht gegeben wird, 4 Bde, Leipzig 1780–1792. Döderlein, Johann Christoph, Erläuterung des Vater Unsers für gemeine Christen, Nürnberg 1780, 21788. Sammlung vorzüglicher Predigten über alle Sonn- Fest- und Feyertäglichen Evangelien, hg. v. Georg Ernst Waldau, 2 Bde, Nürnberg 1780. Darin sind 13 Predigten von Döderlein enthalten: – Am Gedächtnißtage Andreas: Wie Eltern die Besorgung des leiblichen und geistlichen Wohls ihrer Kinder sorgfältig und christlichen verbinden sollen, 11–20. – Am Gedächtnißtage St. Thomas: Das Rührende an Jesu, 47–54. – Am Feste der Erscheinung Christi: Wie ferne können wir dem glücklichen Ausgang unsrer Erwartungen entgegen sehen?, 108–119. – Am Feste der Reinigung Mariens: Die Bereitwilligkeit zu sterben, 174–185. – Am Charfreytage: Die letzte wohlthätige Handlung Jesu, als eine der wichtigsten in seinem ganzen Leben, 321–330. – Am zweyten Ostertage: Wie viel Ursache wir haben, uns über die Auferstehung Jesu zu erfreuen, 338–346.
364
Quellen- und Literaturverzeichnis
– Am Tage Philippi und Jacobi: Die Freuden im ewigen Leben, 376–385. – Am Johannistage: Die Andacht, mit der man äusserliche Religionshandlungen ansehen soll, 480–491. – Am Tage Petri und Pauli: Wie verkehrt und gefährlich es sey, in Sachen der Religion den Urtheilen der Menschen blindlings zu folgen, 512–526. – Am Tage Jacobi: In welcher Verbindung stehen die Leiden auf Erden und die künftige Seeligkeit mit einander?, 577–587. – Am Tage Bartholomäi: Warum hat Jesus seinen Jüngern die Begierde nach Herrschaft untersagt?, 625–634. – Am Tage Matthäi: Die Entfernung von der Gesellschaft der Sünder ist kein sicheres Merkmal des Gnadenstandes, 680–688. – Am Gedächtnistage Simonis und Judä: Die Vortheile, welch die Erkenntniß von dem schaffet, was dem Christen begegnen wird, 751–762. Doederlein, Io[hannes] Christoph[orus], Institutio Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis nostris temporibus accommodata, 2 Bde, Nürnberg/A ltdorf 1780/1781, 21782/1783, 31784, 41787, 51791, 61797. Döderlein, Joh[ann] Chr[istoph], Giebt uns die Bibel Hofnung zu einer künftigen allgemeinen Judenbekehrung? Kurz untersucht, Nürnberg 1781. Döderlein, Joh[ann] Christoph, Ueber die christliche Fürbitte, Jena 1781. [Döderlein, Johann Christoph], De vi et usu formulae: Christum e coelo venisse, Jena 1782. Doederlein, Ioh[annes] Christoph[orus], Summa institutionis Theologi Christiani in capitibus religionis theoreticis. In usum praelectionum academicarum, Nürnberg/ Altdorf 1782, 21786, 31793. Auf Deutsch von einem Ungenannten herausgegeben unter dem Titel: Johann Christoph Döderleins kurze Unterweisung in den Lehrwahrheiten der christlichen Religion, 2 Bde, Nürnberg/A ltdorf 1791/1792. Doederlein, Johann Christoph, Zwey Predigten bey seinem Abzug von Altdorf zu Altdorf und Nürnberg gehalten, Nürnberg 1782. (Gemäß der Angabe im „Nürnbergische[n] Gelehrten-Lexicon“ sind beide Predigten zudem im „Repertorium von guten Casualpredigten und Reden, 8. Theil, Nürnberg 1783“ abgedruckt.) Doederlein, Ioh[annes] Christoph[orus], De difficultatibus in tradenda morum doctrina, Jena [1783]. [Döderlein, Johann Christoph], De historiae Iesu tenendae tradendaeque necissitate ac modo, 4 Teile, Jena 1783–1786. Doederlein, Johannes Christophorus, De Mutatione religionis publicae, Dissertatio Theologica, Jena [1783]. *Döderlein, Johann Christoph, Die Ermunterung zur christlichen Liebe aus der Gegenwart beym öffentlichen Gottesdienst, in einer Predigt über Hebr. 10, 24.25, Jena 1783. Doederlein, Joh[ann] Christoph, Predigt über 1 Mos. 1, 28. bey Gelegenheit der Geburt eines Erbprinzen von SachsenWeimar gehalten in der akademischen Kirche, Jena 1783. Döderlein, Johann Christoph, Salomons Prediger und hohes Lied. Neu übersezt mit kurzen erläuternden Anmerkungen, Jena 1784, 21792. Sammlung vorzüglicher Geistlicher Lieder zur Unterhaltung einer vernünftigen Andacht unter Christen, Jena 1784.
2. Gedruckte Quellen
365
Döderlein, Johann Christoph, Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Nach dem lateinischen von dem Verfasser selbst ausgearbeitet, – 1. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1785, 21790. – 2. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1786, 21790. – 3. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1787, 21791. – 4. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1789, 1793. – 5. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1791. Döderlein, Johann Christoph, Christlicher Religionsunterricht nach den Bedürfnissen unserer Zeit. Nach dem Lateinischen des seeligen Verfassers ausgearbeitet von Christian Gottfried Junge, – 6. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1796. – 7. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1798. – 8. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1799. – 9. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1800. – 10. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1801. – 11. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1802. – 12. Theil, Nürnberg/A ltdorf 1803. Döderlein, Johann Christoph, Am Grabe seiner geliebten Gattin Rosina Maria Döderlein, geb. Merklein, Jena [1787]. [Döderlein, Johann Christoph], Christum alienum fuisse a legibus civilibus ferendis, Jena 1787. [Döderlein, Johann Christoph], Commentatio ad locum Pauli Rom. VIII. 19–25, Jena 1788. Dieser Aufsatz wurde erneut in folgendem Sammelband abgedruckt: Doederlein, Ioh[annes] Christoph[orus], Commentatio ad locum Pauli Rom. VIII. 19–25 (in: Commentationes Theologicae, hg. v. Johann Caspar Velthusen/Christian Theo[phil] Kühnöl/Georg Alexander Ruperti, Vol. I, Leipzig 1794, 483–500). Döderlein, Johann Christoph, Kurzer Entwurf der christlichen Sittenlehre. Zum Gebrauch für Vorlesungen, Jena 1789, 21791, 31794. Doederlein, Ioh[annes] Christoph[orus], Opuscula Theologica, Jena 1789. [Döderlein, Johann Christoph], Observationes morales de obligatione ad normam quandam doctrinae Ecclesiae Evangelicae, Jena 1791. Döderlein, Joh[ann] Christoph, Theologisches Journal, 1. Bd., Jena/Nürnberg 1792. [Döderlein, Johann Christoph], Johann Sigmund Mörl (Neues theologisches Journal, 1. Bd., 3. Stück, 1793, 181–212). Döderlein, Johann Christoph, Leben und Verdienste Johann Sigmund Mörls vordersten Predigers, Professors und Bibliothekars in Nürnberg, Nürnberg/A ltdorf 1793. Biblia Hebraica olim a Christiano Reineccio edita et ad optimorum codicum et editionum fidem recensita et expressa, nunc denuo ad fidem recensionis Masoreticae cum variis lectionibus ex ingenti Codicum copia a. B. Kennicotto et. I. B. de Rossi collatorum ediderunt Io[hannes] Christoph[orus] Doederlein et Ioannes Henricus Meisner, Leipzig 1793. –, Biblia Hebraica olim a Christiano Reineccio evulgata post ad fidem recensionis masoreticae cum variis lectionibus ex ingenti codicum Mss. copia a Benj. Kennicotto et J. B. de-Rossi collatorum edita curantibus Jo[hannes] Christoph[orus] Doederleinio et Jo[hannes] Henric[us] Meisnero. Quorum editioni ante hos. XXV. annos e bibliopolio Lipsiensi emissae nunc emtionis iure in librariam orphanothrophei Ha-
366
Quellen- und Literaturverzeichnis
lensis translatae accessit Georgii Christiani Knappii praefatio de editionibus bibliorum Halensibus, Halle/Berlin 1818. Dr. und Cons. R. Döderleins, Dr. und Prof. Eckermanns, und Dr. und Generalsup. Löfflers Gutachten über einige wichtige Religions-Gegenstände. In Beziehung auf den Religions-Prozeß des Prediger Schulz in Gielsdorf, Görlitz 1794. Neben diesen aufgeführten Schriften verfasste Döderlein zahlreiche Aufsätze und Rezensionen für diverse Zeitschriften. Eine Übersicht darüber wird in Kapitel D/IV, 2. geboten. Aufgrund der überwiegend anonym gedruckten Artikel ist eine Zuordnung der Beiträge zu ihren Autoren nur selten möglich. Bekannt ist die Verfasserschaft allein bei folgenden Abhandlungen: [Döderlein, Johann Christoph], Von Correctoriis biblicis (Literarisches Museum 1, 1. Stück, 1777, 1–42; Fortführung des Aufsatzes 2. Stück, 1777, 177–204). [Döderlein, Johann Christoph], Zur Geschichte der Formula Concordiae (Literarisches Museum 1, 2. Stück, 1777, 204–254). [Döderlein, Johann Christoph], Beschreibung eines unverglichenen griechischen geschriebenen Euangelistarii. Aus der Nürnberger Staatsbibliothek (Literarisches Museum 1, 4. Stück, 1778, 475–519). D[öderlein], J[ohann] C[hristoph], Zu den Hexaplen des Origenes (Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur, hg. v. [Johann Gottfried Eichhorn], 1. Theil, 1777, 217–256; Fortführung des Aufsatzes im 6. Theil, 1780, 195– 207). [Döderlein, Johann Christoph], Vom Wort πνευμα, wenn es von Christo gebraucht wird (Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur, hg. v. [Johann Gottfried Eichhorn], 2. Theil, 1778, 1–24). Döderlein, Joh[ann] Christoph, Von arabischen Psaltern. Ein Beytrag zu einer Einleitung ins A. Test. (Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur, hg. v. [Johann Gottfried Eichhorn], 2. Theil, 1778, 151–179; Fortführung des Aufsatzes im 4. Theil, 1779, 57–96). [Döderlein, Johann Christoph], [Lebensbeschreibung] (Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, 1. Bd., 4. Stück, 1789, 105–110).
2.2. Weitere Quellen Acta Historico-Ecclesiastica Nostri Temporis. Oder gesammlete Nachrichten und Urkunden zu der Kirchengeschichte unsrer Zeit, Weimar 1774–1790. A[mmon], C[hristoph] F[riedrich], Johann Christoph Döderlein (Neues theologisches Journal, 1. Bd., 1. Stück, 1793, 1–15). [Anonym], Die Neuen Propheten. Nebst einem wohlgemeinten Bittschreiben an Sr. Hochehrwürden Herrn Johann Christoph Döderlein, der Gottesgelahrtheit Licentiat, und Professor zu Altdorf, von einem Verehrer des prophetischen Wortes aus dem Meißnischen Erzgebürge, Leipzig 1776. –, Die Neuen Propheten. Fortgesetzt in einem zweyten Sendschreiben an Se. Hochwürden Herrn D. Joh. Christoph Döderlein zu Altdorf, von einem Verehrer des prophetischen Wortes aus dem Meißnischen Erzgebürge, Leipzig 1776. Anselm von Canterbury, Cur deus homo. Warum Gott Mensch geworden, lateinsch und deutsch, München 41986.
2. Gedruckte Quellen
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Allgemeine Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Litteratur, 8 Bde, Quedlinburg 1784–1787. Allgemeine deutsche Bibliothek, hg. v. Friedrich Nicolai, 118 Bde, Berlin/Stettin (seit 107. Bd./1792 Kiel) 1765–1796. Allgemeine Literatur-Zeitung, Jena/Leipzig (seit 1803 Halle/Leipzig) 1785–1849. Allgemeine theologische Bibliothek, Mietau 1774–1780. Allgemeines Magazin für Prediger nach den Bedürfnissen unsrer Zeit, hg. v. Johann Rudolph Gottlieb Beyer, Leipzig 1789–1796. Allgemeines Verzeichniß neuer Bücher mit kurzen Anmerkungen. Nebst einem gelehrten Anzeiger, Leipzig 1776–1784. Antwort an den Herrn Moses Mendelssohn zu Berlin von Johann Casper Lavater. Nebst einer Nacherinnerung von Moses Mendelssohn (in: Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, 7. Bd.: Schriften zum Judentum I, bearb. v. Simon Rawidowicz, Faksimile-Neudruck der Ausgabe Berlin 1930, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, Mendelssohns Nacherinnerung: 41–55). Anzeigen und Beurtheilungen akademischer und anderer kleinen Schriften, Frankfurt a. M./Leipzig 1777–1778. Arnoldi, Albert Jakob, Zur Exegetik und Kritik des Alten Testaments, Erster Beitrag. Anmerkungen über einzelne Stellen der Sprüche Salomons, Frankfurt 1781. Augusti, Joh[ann] Christian Wilhelm, Ueber Johann Jakob Griesbach’s Verdienste. Eine akademische Vorlesung gehalten auf der Universität zu Breslau am 13. April 1812, Breslau 1812. Bahrdt, Carl Friedrich, System der Moraltheologie, Erfurt 1770. [Bahrdt, Carl Friedrich], Ausführungen des Plans und Zweks Jesu. In Briefen an Wahrheit suchende Leser, 12 Bde, Berlin 1784–1793. –, Kirchen- und Ketzer-Almanach. Zweytes Quinquennium, ausgefertiget im Jahr 1787, [Gibeon] [1787]. B[iester], [Johann Erich], Labre, der neueste Heilige der katholischen Kirche (BM, 5. Bd., 1785, 277–288). Danovius, Ernestus Iacobus, De Christi gloria ex divi Paulli sententia Psalmis LXVIII. et CII. celebrata, [Jena] [1759]. [Danovius, Ernst Jakob], Schreiben an den Herrn Doktor Semler zu Halle, desselben neuere Streitigkeiten betreffend, Jena 1770. Danovius, Ern[st] Iacobus, Theologiae Dogmaticae Institutio, 2 Bde, Jena 1772.1776. Danovius, Ernestus Iacobus, De Episcopis aetate Apostolorum, Jena 1774. Danovius, Ernestus Iacobus, Locorum quorundam scripturae s. divinitatem Jesu Christi probantium explanatio, Jena 1774. Danovius, Ernst Jakob, Drei Abhandlungen von der Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Aus dem Lateinischen übersezt. Nebst Beantwortung zweier, gegen des Verfassers Vorstellungsart von dieser Lehre herausgekommenen, Erlangischen Programmen, Jena 1777. –, Kurze Erklärung über die neue, von dem Herrn Geheimekirchenrath Seiler gegen ihn der Lehre von der Rechtfertigung halber herausgegebene Schrift, Jena 1778. Die neuesten Religionsbegebenheiten mit unpartheyischen Anmerkungen für das Jahr […], Gießen 1778–1797. Diez, Immanuel Carl, Briefe und Schriften (in: Immanuel Carl Diez. Briefwechsel und Kantische Schriften. Wissensbegründung in der Glaubenskrise Tübingen-Jena [1790–1792], hg. v. Dieter Henrich, Stuttgart 1997, 3–349).
368
Quellen- und Literaturverzeichnis
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2. Gedruckte Quellen
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3. Hilfsmittel Der neue Georges, ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch; aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel, ausgearbeitet von K arl-Ernst Georges, hg. v. Thomas Baier, bearb. v. Tobias Dänzer, 2 Bde, Darmstadt 2013. Marquardt, Manfred/Voigt, Christof, Wörterbuch Latein für Philosophie und Theologie, [Darmstadt] 2009. Sleumer, Albert, Kirchenlateinisches Wörterbuch, unter umfassendster Mitarbeit von Joseph Schmid, Hildesheim/Zürich/New York 1996.
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Register Im Personenregister sind alle erwähnten historischen Personen außer Döderlein aufgenommen. Alle Orte, Regionen und Länder – von Altdorf und Jena abgesehen – sind im Register der geografischen Namen gelistet. Das Sachregister ist in Ergänzung zum Inhaltsverzeichnis zu lesen.
Personen Alberti, Georg Wilhelm 343 Alexander I. von Russland, Zar 120 Amelang, Karl Ludwig 316 Ammon, Christoph Friedrich 10, 41, 44, 191 f., 194, 201, 218, 249 f., 350, 355 Aquin, Thomas von 312, 323, 337 Arnobius 342 Arnoldi, Albert Jakob 43 Athanasius 266 Augusti, Johann Christian Wilhelm 92, 174 Augustin 266, 297, 317, 322, 334 Ausfeld, Georg Gottlob 93, 111–115, 124, 134 Bahrdt, Carl Friedrich 75, 78, 80, 181, 220, 340 f., 343 f., 347, 350, 356 Baier, Johann Wilhelm 168, 194 f., 327, 354 Basedow, Johann Bernhard 80 Batsch, Johann Georg Carl 151 Baumann, Christian Friedrich 225 Baumgarten, Siegmund Jacob 26, 195, 213, 274, 286, 319, 326, 332 Becker, Heinrich Valentin 106, 109–111 Bernhold, Johann Balthasar 12 Bertholdt, Leonhard 250 Bertling, Ernst August 95 Bertuch, Friedrich Johann Justin 7, 129, 235
Biester, Johann Erich 345 Blasche, Johann Christian 9, 104, 106 f., 110–114, 169 Blau, Felix Anton 236 Bock, Friedrich Samuel 343 Breitkopf, Johann Gottlob Immanuel 40, 241, 245 Bucer, Martin 266, 314 Buddeus, Johann Franz 194 f., 213, 254, 257, 265, 313, 319, 327 Burscher, Johann Friedrich 95, 107 f., 117 Büsching, Anton Friedrich 187 Cagliostro, Alessandro 345 Calixt, Georg 211, 261, 274, 298 Calov, Abraham 96, 260 f., 273, 312 Calvin, Johannes 266, 312 Canterbury, Anselm von 330, 334 Carl August von Sachsen-Weimar- Eisenach, Herzog/Großherzog 127, 131, 134, 136, 139 f., 148, 152, 154, 170 Carpzov, Johann Benedict 168 Cellarius, Ludwig Friedrich 116 Cherbury, Herbert of 261 f. Chubb, Thomas 228 f. Cicero, Marcus Tullius 255 Clemens von Alexandrien 266 Cnopf, Ernst Friedrich Andreas 25 Colerus, Johann Christoph 7, 241
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Register
Corrodi, Heinrich 236 Cotta, Johann Friedrich 95 Danovius, Ernst Jakob 9, 15, 33, 85, 91– 108, 110, 112–114, 116–121, 141, 168, 353 f., 357 Dathe, Johann August 31, 35 Descartes, René 259, 297 Dietelmaier, Johann Augustin 12, 20–23, 26–28, 30, 110, 114, 357 Diez, Georg Wilhelm 19 Diez, Immanuel Carl 128, 149, 153 f. Diodor 55 Döbereiner, Johann Wolfgang 89 Döderlein, Adriana Sibylla (geb. Rücker) 19, 359 Döderlein, Christian Theodor Friedrich 359 Döderlein, Johann Georg 19, 359 Döderlein, Johann Gerhard Christoph 359 Döderlein, Johann Ludwig Christoph Wilhelm 149, 360 Döderlein, Maria Adriana Dorothea Barbara 359 Döderlein, Rosina Christina Eleonora (geb. Eckardt) 149, 156, 360 Döderlein, Rosina Maria (geb. Merklein) 129, 205, 246, 359 f. Döring (Doering), Heinrich 10 f., 13, 20 f., 31, 37, 39–41, 78 f., 92, 141, 169, 173, 218, 350 Eberhard, Johann August 7, 62, 267–269, 299, 317, 322, 326, 331 f., 334 Eberhard, Johann Peter 70 Eckardt, Johann Ludwig 146 f., 149, 156 Eckermann, Jakob Christoph Rudolf 201, 316 Eichhorn, Johann Gottfried 22, 30, 36– 38, 85, 89, 93, 109, 116, 123–126, 129– 140, 147 f., 156, 158, 161, 233 f., 319, 353 f., 357 Eiferts, Carl Traugott 113 Eisenschmid, Gottfried Benjamin 223 f., 230 f., 309 f. Engelhardt, Johann Georg Veit 250 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 322
Ernesti, Johann August 22, 24 f., 30–33, 39, 82, 96, 101–104, 169, 180, 241–245, 249 f., 255, 261, 299, 327, 355 Euke, Christoph Friedrich 113, 116 Eusebius von Caesarea 339 Fichte, Johann Gottlieb 89, 119 f. Flacius, Matthias (Illyricus) 90 Förster, Johann Christian 343 Friedrich II. von Preußen, König 105 Friedrich V. von Dänemark, König 56 Friedrich Wilhelm I. von Preußen, König 230 Fritsch, Jakob Friedrich von 107, 113– 115, 119, 127 Frommann, Erhard Andreas 95 Froriep, Justus Friedrich 106, 109 f. Gabler, Johann Philipp 12, 30, 139, 188, 250, 357 Gaßner, Johann Joseph 339, 345 Gedike, Friedrich 172 f. Gerhard, Johann 96, 195, 323 Gerling, Christian Ludwig 79 Goethe, Johann Wolfang von 1, 5, 85 f., 114, 116, 120, 129, 132–135, 140, 147, 150 Goeze, Johan Melchior 17, 72–81, 83, 116, 187, 292 Göritz, Ludwig Friedrich 152 Göttling, Johann Friedrich August 151 Gräffe, Johann Friedrich Christoph 338 Griesbach, Johann Jakob 3, 9, 85, 89, 92– 94, 104–121, 123–125, 127, 129 f., 133– 141, 143, 145–149, 152, 155, 157, 159– 166, 168–172, 188, 201, 236, 238, 299, 350, 353 f., 357 Grotius, Hugo 17, 38 f., 41 f., 82, 331, 334, 342 Gruner, Christian Gottfried 145 Gruner, Johann Friedrich 288 Haller, Albrecht von 8 Hänlein, Heinrich Carl Alexander 249 Harleß, Gottlieb Christoph 234 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 89 Heilmann, Johann David 96, 104, 168 Heinrich, Christian Gottfried 13, 96, 194–196, 200 f., 207, 325
Personen
Henke, Heinrich Philipp Konrad 135, 170, 338 Hensler, Christian Gotthilf 36 Herder, Caroline 134 Herder, Johann Gottfried 1, 5, 41 f., 108 f., 117 f., 123 f., 131–135, 180, 268 Heyne, Christian Gottlob 8, 39, 132, 134 Hieronymus, Sophronius Eusebius 22 Hirt, Johann Friedrich 33 f., 98–100, 104, 107–110, 117, 141 Hißmann, Michael 126, 130 Hoffmann, Andreas Gottlieb 166 Hofmann, Johann Georg 12, 21 Holland, Arminius von 297 Hollaz, David 273, 327 Hufeland, Gottlieb 151, 163 Hufnagel, Wilhelm Friedrich 234 Hume, David 288 f., 337, 341–344, 346 f. Hunnius, Ägidius 322 Hunnius, Nikolaus 312 Hutcheson, Francis 211 f. Hütter, Leonhard 195 Jäger, Wolfgang 238 Jerusalem, Johann Friedrich Wilhelm 49, 62, 80, 130, 192, 264, 284, 286–288, 299, 301, 303, 305 f., 315, 317–319, 347, 351, 356 Johann Friedrich I. von Sachsen, Kurfürst und Herzog 90 f. Junge, Christian Gottfried 12, 27, 29, 192, 205 f., 210, 356 f. Justin der Märtyrer 266 Kalhard, Karl 28 f. Kant, Immanuel 141–143, 169, 171, 212, 217 f., 236, 244, 251, 298 f., 354 f. Kennicott, Benjamin 40 Klüpfel, Emanuel Christoph 8 Köcher, Johann Christoph 92, 94, 96, 99 f., 141, 168 Koppe, Johann Benjamin 35, 37–39, 41, 133 Körner, Christian Gottfried 128 f., 149, 163 f. Kraft, Friedrich Wilhelm 241 f., 249 Kühl, Anton 1 f., 154, 353 Kühnöl, Christian Theophil 189
397
Kußler, Johann Friedrich 248 La Place, Josué de 319 Labre, Benedikt Joseph 345 Laktanz 255 Lang, Georg Heinrich 106, 109–113, 240 Lavater, Johann Caspar 50, 227 f., 299, 339, 344 Leibniz, Gottfried Wilhelm 217, 259, 282, 298, 338 Leland, John 228 f. Less (Leß), Gottfried 41, 62, 80, 130, 160, 162, 165–167, 185, 199 f., 207–209, 212 f., 215 f., 218, 224, 226, 277, 291, 299, 307, 319, 321, 336, 342 f. Lessing, Gotthold Ephraim 45–49, 51 f., 64, 70, 72, 75, 264 f., 284 f., 288, 290, 292, 303, 336 f., 346 f., 351, 353, 356 Locke, John 259 Loder, Justus Christian 89, 107, 113–115, 119 f., 136, 145, 147 f., 154 Löffler, Josias Friedrich Christian 316 Lowth, Robert 31, 35, 37 Lüderwald, Johann Balthasar 50 f. Lüdke, Friedrich Germanus 7, 47, 66 f., 72, 80, 181, 187 Luther, Martin 42, 74, 78, 90, 96, 291– 297, 299 Major, Johann 90 Marmontel, Jean-François 268 Mascho, Friedrich Wilhelm 48, 71 Matthäi, Christian Friedrich von 116, 134 Meisner, Johann Heinrich 40, 365 Melanchthon, Philipp 73 f., 78, 266, 293– 295, 312, 320, 352 Mendelssohn, Moses 264, 298 f., 337, 343–345, 347 Mereau, Friedrich Ernst Carl 151 Meßmer, Franz Anton 339, 345 Meyer, Gottlob Wilhelm 12 Michaelis, Johann David 8, 31 f., 35, 43, 195, 299, 319–321, 327, 335, 338 Mill, John 238 Miller, Johann Peter 185, 213 Moldenhawer, Johann Heinrich Daniel 50 f. Monath, Johann Caspar 248
398
Register
Montesquieu, Charles-Louis de Secondat 63 Mörl, Johann Sigmund 249 Morus, Samuel Friedrich Nathanael 162, 169, 201 Mosheim, Johann Lorenz 162, 213, 232, 274 Müller, Johann Daniel 95 Musäus, Johann Karl August 129 Mylius, August 184 Nagel, Johann Andreas Michael 20, 22 Neander, Christoph Friedrich 144 Neander, Johann Immanuel 144 Nicolai, Friedrich 7, 46, 80, 172, 186 Niebuhr, Carsten 56, 68 Niemeyer, August Hermann 201 Niethammer, Friedrich Immanuel 149 Nösselt, Johann August 2 f., 130, 299, 336 Oemler, Christian Wilhelm 109, 180 Oken, Lorenz 89 Paul I. von Russland, Zar 113 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 4, 9, 89, 124 f., 129, 135–140, 142 f., 150, 155 f., 158, 161, 169 f., 200, 236, 249, 340, 357 Pelagius 317, 321 Pfaff, Christoph Matthäus 274, 327 Planck, Gottlieb Jakob 3, 295 Polz, Christoph Friedrich 104, 106 f., 111–113, 115, 168 Pufendorf, Samuel von 319 Quenstedt, Johann Andreas 273 Rau, Johann Wilhelm 224, 230 Reichardt, Johann August 147 f. Reimarus, Hermann Samuel 45–47, 49, 52, 54–64, 70, 72, 83, 115, 262, 347, 353, 356 Reinhardt, Franz Volkmar 193, 205 Reinhold, Karl Leonhard 89, 142, 151, 164 Resewitz, Friedrich Gabriel 7 Reß, Johann Heinrich 48 Reuß, Jeremias David 39
Riederer, Johann Bartholomäus 12, 20 f. Rochlitz, Johann Friedrich 86 Rosenmüller, Johann Georg 106, 108– 111, 113 f., 319 Rossi, Giovanni Bernardo de 40 Rousseau, Jean-Jacques 228 Ruperti, Georg Alexander 189 Sack, August Friedrich Wilhelm 317, 336 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 89 Schiller, Friedrich 1, 5, 85, 89, 128 f., 149, 151 f., 163 f. Schlegel, Gottlieb 113 Schlegel, Johann Rudolf 236 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 171 Schlichtegroll, Friedrich von 10–12, 22 f., 25, 30, 34, 38, 40, 44, 123, 126, 129, 132, 154, 161, 173–175, 181, 192, 194, 208, 216–218, 240, 242, 245, 277, 304, 348, 350, 352, 356 Schmid, Carl Christian Erhard 89, 142 Schmid, Johann Wilhelm 93–95, 111 f., 116, 121, 123–125, 140–143, 150, 155, 160, 162, 164 f., 169, 171, 236, 353 f. Schmidt, Johann Lorenz 346 Schnauß, Christian Friedrich 107 f., 114, 116, 118, 128, 132, 136, 152 Schneider, Christian Wilhelm 123, 126, 170, 236, 239 Schreiner, Carl Christian 174 Schröckh, Johann Mathias 105, 162, 166 Schubert, Johann Ernst 180, 212 Schulz, Johann Heinrich 316 Schumann, Johann Daniel 47 f., 346 Schütz, Christian Gottfried 7, 92, 96, 99, 107, 113, 142, 151, 235 f. Schütz, Johann Gottfried 107, 113 Schwartz, Gottfried 95 Schwarz, Georg Christoph 238 Seiler, Georg Friedrich 9, 41 f., 101, 218, 223, 225, 234, 247 Semler, Johann Salomo 3, 22, 52, 69–72, 75, 77 f., 80, 96, 101, 104 f., 170, 257 f., 262, 272–274, 282, 285–288, 291, 294, 296 f., 301, 303, 305–307, 310 f., 314, 317, 321, 325 f., 347, 351, 356 Seneca 267
Geografische Namen
Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of 211 Sixt, Johann Andreas 12, 21, 23, 26 f., 114 Sokrates 58, 267, 288 Sozzini, Fausto 334 Spalding, Johann Joachim 3, 50, 75, 130, 176–181, 257, 288, 299, 314, 317 f., 330 Spener, Philipp Jacob 211, 298 Spinoza, Baruch de 217, 228, 297, 338 f., 346 Stäudlin, Carl Friedrich 217–219, 231 f., 343 Steinbart, Gotthilf Samuel 164, 259, 325, 331 f., 334 Strobel, Georg Theodor 27, 78 f., 110, 114 f., 123, 126, 238 f., 249, 349 Sturm, Christoph Christian 9 Succow, Lorenz Johann Daniel 148 Teller, Wilhelm Abraham 7, 80, 96, 104, 187, 259, 287, 305 f., 314, 317, 334, 351 Thieß, Johann Otto 79–81 Thomasius, Christian 172, 211 Tittel, Gottlob August 105 Tittmann, Carl Christian 162, 213 Töllner, Johann Gottlieb 187, 213, 261, 265, 267–269, 271, 314, 317, 320, 332 f., 351 Treumann, Georg Friedrich 70 Ulrich, Johann August Heinrich 111 f., 150 Velthusen, Johann Caspar 189 Vogel, Benedict Christian 40
Vogel, Georg Johannes Ludwig 39–41, 82 Vogel, Paul Joachim Sigmund 12 Voigt, Christian Gottlob von 86, 120, 135 f., 139 f., 150, 350 Voltaire 228 f., 280, 299 Walch, Albrecht Georg 200, 204, 206– 208, 238, 260, 269, 277, 281, 302 Walch, Carl Friedrich 145, 151 f. Walch, Christian Wilhelm Franz 107– 109, 117 Walch, Johann Georg 27, 92, 94, 96, 99, 101–104, 141, 164, 168, 171, 174 Weber, Ernst Adolph 107–111, 120 f. Weber, Georg Gottlieb 73 f., 78 Weber, Michael 111, 224 Wettstein, Johann Jakob 238 Wieland, Christoph Martin 1, 129, 235 Will, Georg Andreas 2, 5, 10, 17, 19–27, 30, 79 f., 82, 115, 124, 126–129, 131 f., 142–146, 165, 173, 182, 192, 202, 234, 236 f., 239 Winckler, Johann Dietrich 27, 95 Windheim, Christian Ernst von 40 Winer, Georg Benedict 250 Wolff, Christian 211, 217, 265, 282, 298 Zickler, Friedrich Samuel 92, 94, 96, 99– 101, 103 f., 106 f., 117, 141, 168 Ziegler, Werner Karl Ludwig 44, 139 f., 206 Zollikofer, Georg Joachim 223 Zöllner, Johann Friedrich 298 Zwingli, Huldrych 266
Geografische Namen Baden-Durlach 224 Baltikum 120 Bayern 240, 359 Berlin 40, 177, 184 f.
399
Danzig 94 f., 241
Coburg 95
Eisenach 123, 170, 236 Engelthal 20, 359 Erfurt 151, 202 Erlangen 5, 9, 40, 101, 218, 223, 235
Dänemark (dänisch) 56, 218
Franken (fränkisch) 17, 82, 140, 240
400
Register
Nürnberg 5, 17, 21, 25, 27 f., 30, 33 f., 47, 74, 80, 82, 115, 123 f., 126, 238, 240, 248 f., 350, 353
Frankendorf 241 Frankreich 150 Gera 223 Gießen 27, 95, 128 Gotha 8, 159, 316 Göttingen 3, 8, 86, 96, 107, 120, 126 f., 129 f., 132–137, 154, 185, 241 Greifswald 27, 29, 65, 115
Oettingen 240 Österreich 120 Palästina 59 Riga 113 Rinteln 95 Rolsum 56 Rostock 139, 206 Rotes (Rothes) Meer 55, 81 Rudolstadt 116
Halle 39 f., 70, 86, 91, 96, 101, 105, 168 Hamburg 27, 59 f., 77–80 Helmstedt 96, 128, 135 Holland (holländisch) 218 Jerusalem 59 Königsberg 27, 29, 109, 114 f., 141 Langensalza 93, 111 Leipzig 22, 24, 32–34, 90, 95, 101 f., 107, 111, 113, 116, 120, 162 f., 223, 235, 241 Livland 136, 140 Lübeck 140
Schleusingen 200 Schwaben 140, 240 Siebenbürgen 140 Sues 56 Tübingen 39, 120 Ungarn 119 f., 136, 140 Weimar 1 f., 5, 73 f., 86, 95, 101, 107, 129, 146, 152, 155, 239, 241 Wien 120 Windsheim 19 f., 359 Wittenberg 90, 107, 120, 165, 327
Mainz 151, 236 Mecklenburg 140 Merseburg 113 Moskau 116, 134 Nohra 151
Sachen Abendmahl 63, 78, 194, 215, 222, 309 Akkommodation/Akkommodationstheorie/Akkommodationslehre 179, 279, 283, 285–288, 302, 306, 332, 347, 351 Allgemeine Bibliothek der neuesten deutschen theologischen Litteratur 203 f., 207 Allgemeine deutsche Bibliothek (AdB) 7 f., 11, 21, 31, 41, 47 f., 60, 66–72, 177, 181, 186, 193, 199 f., 204, 206–208, 214 f., 225, 235, 238, 241, 254, 260, 269, 277, 281, 298, 302
siehe auch Neue allgemeine deutsche Bibliothek (NadB) Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) 6–9, 89, 142, 158 f., 174, 189, 193, 203 f., 206–208, 214–216, 235–237, 242, 245, 247 f., 254 Altes Testament 14, 21, 23 f., 35 f., 39, 42–45, 52, 77, 82, 156, 160–162, 170, 195, 210, 227, 235 f., 238, 244, 270, 276 f., 285, 290–292, 327, 332, 338, 344, 347 Ämter Christi 226, 327 f., 335
Sachen
Anonymität/anonym 6, 33–36, 46, 50, 80, 234, 236 f., 239 f., 249, 366 Apostel 53, 57, 59, 75, 209–211, 220, 270– 278, 286 f., 306, 308–311, 315 f., 347 siehe auch Jünger Apostolikum, siehe Glaubensbekenntnis/ Apostolikum Arminianer 319 Auferstehung 51 f., 54, 57–59, 72, 76 f., 185, 194 f., 309, 324, 326, 328, 332, 347 Aufklärung (Def. von) 298–301 Auserlesene Theologische Bibliothek (ATB) 32, 34–37, 42 f., 78, 183 f., 187, 191, 198, 230, 237, 240–250, 267, 270, 272, 275, 278, 308 f., 320 f., 355 Auszug der Studenten 149–154 Berlinische Monatsschrift (BM) 248 f., 298, 345 Berufung/Berufungspolitik 13–15, 21– 23, 27, 33, 85, 91–94, 104–107, 112, 114–121, 130, 132, 134, 140, 144, 168, 175, 353 f., 359 f. Bibelübersetzung 17, 21 f., 26, 30 f., 37, 41–44, 82, 291 f., 353 siehe auch Übersetzung Deismus 35 f., 45, 48, 54, 59, 62, 82, 228 f., 232, 262 f., 269, 271, 274, 276, 279 f., 344, 349, 353 Deuterojesaja 35–38, 81 f., 133, 353 siehe auch Jesaja Diktattheorie/Diktatlehre 273, 278 Disputation 24 f., 30, 101–103, 187, 243 Dogmengeschichte 26, 156, 161, 170, 190, 305 f., 335 f. Dogmenkritik 45, 104, 250, 268, 305, 312, 318, 351 Doppelstadt Weimar-Jena 86, 90 Duell 144, 149 f. Eid 77 f., 99, 213 Einfachheit/Simplizität 176, 289, 299, 311, 314 f., 326, 331, 348, 351 Ekklesiologie 194 f., 309 Erbsünde/Erbsündenlehre 96, 169, 178, 211, 280, 317 f., 320–323, 325 f., 356
401
siehe auch Hamartologie/Sündenlehre/ Sünde Erlangische gelehrte Anmerkungen und Nachrichten 8, 24, 26, 30 f., 40, 42–44, 65–69, 199 f., 230, 245 f., 351 f. Ethik 161, 185, 191, 211, 215, 218, 251, 355, 360 siehe auch Sittenlehre Exegese, historisch-kritisch 24, 26 f., 39, 45, 93, 214, 287, 355 Französische Revolution 150 Freimaurer 143 Fundamentalartikel 308, 311–313, 315 Fürbitte 191, 219, 225–227, 230–233, 328, 332 Gemeinnützige Betrachtungen der neuesten Schriften 9, 42, 44, 66–68, 174, 187–189, 203, 207, 216, 224 f., 234, 247, 277, 292, 309 Gesangbuch 125, 182–186, 190, 292, 299, 354 Gesetz (AT) 62, 80, 210, 213, 284, 332 Glaubensartikel 60, 170, 179, 253, 303– 312, 315 Glaubensbekenntnis/Apostolikum 304 f., 309–312, 315 Glückseligkeit 49, 62, 65, 178 f., 194 f., 212 f., 222, 226, 259, 264, 267, 272, 290, 311, 314, 324, 326–328, 330, 332 Gothaische gelehrte Zeitungen 8, 50, 65– 68, 189, 218, 230 f., 242 Gottesdienst 125, 152, 182–185, 190, 213, 215, 221–225, 229 f., 251, 354 Göttingische Gelehrte Anzeigen (Göttingische Zeitungen von gelehrten Sachen; Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen) 8, 39, 41 f., 188 f., 199 f., 207 f., 215 f., 224–226, 277, 291 Habakukbuch 21 Hamartologie/Sündenlehre/Sünde 183, 185, 194, 213, 253, 265, 269, 309, 316– 328, 330–334 siehe auch Erbsünde/Erbsündenlehre Heiden 60, 63, 261, 289, 310 siehe auch Seligkeit der Heiden
402
Register
Heterodoxie/heterodox 33 f., 79, 82, 99, 104, 108, 118, 200, 350 siehe auch Irrlehre Hinduismus 63 Hölle 325 f., 335 Homiletik 111, 160, 162, 164 f., 174 f., 177, 181 f. Hort des Luthertums 1, 89–91, 104, 118, 120 f., 354, 356 Humanismus 254, 282, 293, 296 Hussiten 293 Idealismus 86 Immatrikulationszahlen/Frequenz 86 f., 120, 149, 154, 173 Imputation/Imputationslehre 317–319, 322 Irrlehre 96–100, 103 siehe auch Heterodoxie/heterodox Islam/Muslime 60, 63, 260, 284 Israel/Israeliten 54–56, 81, 126, 284 Jesaja/Jesajakommentar 17, 26, 30–38, 40, 42, 81 f., 108, 115, 117, 133, 138, 160 f., 250, 353, 359 Journal für Prediger 9 f., 41, 66, 68, 70, 174, 177, 181, 194, 196, 199 f., 203, 207 f., 214, 224, 281, 291, 295, 299, 349 Juden/Judentum 35 f., 45, 60, 63, 75, 188, 260, 270, 276, 284 f., 289, 300, 310, 314, 332, 340 Judenbekehrung/Judenmission 63, 78 Jünger 47, 57–59, 302, 340 siehe auch Apostel Kantische Philosophie 4, 141–143, 169, 171, 217 f., 244, 299, 354 f. Katechetik 111, 162, 165 Ketzer 34, 103, 223, 307, 311, 316, 350 Köhler-Glaube 61, 172 Konkordienformel 187, 327 Landsmannschaften 143–150, 155 Lehrart 94, 186, 328 Lehre und Lehrart (Unterscheidung beider) 80, 275, 300, 306, 311, 315, 351, 356 Lehrveranstaltung 31, 159 f., 165, 171
Literarisches Museum 237 f., 241 Liturgie/Liturgische Bewegung 183, 185, 222–225, 229, 233, 299, 355 Lutherische Orthodoxie/orthodox 25 f., 28, 30, 32, 44, 59, 78, 81 f., 90 f., 94, 102, 107 f., 110, 117, 119, 121, 139–141, 168, 171 f., 194 f., 200, 202, 208, 260, 262, 265, 268–271, 273 f., 278, 281 f., 286, 296–301, 312 f., 316, 318, 323, 327–331, 347–351, 353–356 Messias 310, 327 Modernisierung/Aufbruch 1 f., 86, 88 f. Monotheismus 288 f. Nahumbuch 21 Naturreligion 62, 288 siehe auch Religion, natürliche Neue allgemeine deutsche Bibliothek (NadB) 40, 205 f. siehe auch Allgemeine deutsche Bibliothek (AdB) Neues Testament (NT) 45, 93, 105, 134, 156, 161, 166, 170 f., 195, 212, 220, 226, 238, 270–276, 287, 290–292, 303, 306, 344 Nürnbergische gelehrte Zeitung 8, 25, 42, 51, 69, 73 f., 79, 108, 177, 186, 188 f., 195, 197, 199, 204, 207, 214 f., 237, 239–242 Nutritoren 87, 89, 92, 95, 97–99, 103, 105, 107, 110, 112–118, 120 f., 127, 136, 144, 147 f. Offenbarung/geoffenbarte Religion 45, 52, 60–65, 179, 254 f., 262–269, 273 f., 278 f., 281, 283–290, 299–303, 306, 344, 353, 356 Pastoraltheologie 10, 109–111, 114, 135, 156, 160, 162, 165, 214 Pelagianismus 102, 322 Perfektibilität 187, 253, 281–283, 285 f., 288–290, 300–302, 314, 318, 356 Pfarrer/Pfarrerschaft 28, 30, 71, 82, 94, 126, 221, 223, 240 f., 245, 359 Philosophie 20, 27, 39, 62 f., 92, 95, 133, 141–144, 158, 171, 217 f., 236, 238, 244,
Sachen
247, 259, 262, 279, 282, 288, 293, 297– 299, 354 f. Pietismus 26, 220, 222, 257, 282, 297, 301, 305, 314 Polemik/polemisch 52, 69, 71, 76, 80 f., 94, 156, 159 f., 164, 171, 181, 196, 200, 223, 231, 291, 342 f., 351 Polygamie 63 Polytheismus 288–290 Prädestinationslehre 195 Predigerinstitut 125, 173–175, 182, 186, 190, 354 Predigt/Prediger 10, 12, 18 f., 24 f., 34, 70 f., 98–100, 106, 108–118, 164, 174– 182, 203, 207, 214, 222, 224 f., 229–231, 242–245, 248 f., 251, 253, 316 Propheten 32, 35–38, 40 f., 63, 133, 162, 234, 344 f. Psalm 21, 41 f., 45, 160 Rechtfertigung/Rechtfertigungslehre 100–102, 108, 178 Reformation 77, 79, 89, 162, 211, 221, 231, 254, 266, 291, 293–297, 301, 303, 312, 326 Religion (Definition) 255–258 Religion, natürliche 61–64, 254, 262–266, 269, 278 f., 281, 288, 290, 348, 356 siehe auch Naturreligion Religion-Theologie (Unterscheidung) 254, 305, 312, 351 Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur 93, 233 f. Romantik 86 Sachsen-Coburg-Saalfeld (Coburg) 87, 89, 102 f., 107, 110, 112–114, 117, 119 f. Sachsen-Gotha-Altenburg (Gotha) 87– 89, 95, 100, 103, 107 f., 110, 112, 114, 119–121, 127, 132, 135 f., 139 f., 152 f. Sachsen-Hildburghausen 87 Sachsen-Meiningen (Meiningen) 87, 95, 107, 110–112, 114, 119 f. Sachsen-Weimar-Eisenach (Weimar) 1, 8, 87–89, 95–105, 107–114, 116–121, 125, 127 f., 135 f., 139 f., 147, 149–153, 155, 175 Sakramente/Sakramentenlehre 194 f.
403
Salana 1, 85 f., 89–91, 97, 104, 106, 117, 121, 123, 128, 134, 142, 159, 186, 190, 350, 353 f., 357 Schmalkaldischer Krieg 90 Seligkeit der Heiden 62, 75, 78, 259, 266– 269, 307, 356 siehe auch Heiden Simplizität, siehe Einfachheit Sittenlehre 12, 75, 160, 162, 165, 185 f., 191, 195, 208–218, 232 f., 251, 314, 322, 355, 357, 360 siehe auch Ethik Soteriologie 326–336 siehe auch Zweinaturenlehre und Versöhnungslehre Sozinianer/Sozinianismus 102, 279, 319, 321 Sprüche Salomons 17, 41–44, 81 f., 353 Studentenorden/studentische Orden/ studentische Verbindungen 127, 140, 143–150, 154, 190, 354 Studentenunruhe/Tumult/Disziplinkrise 143–150, 153 f. Sünde, siehe Hamartologie/Sündenlehre/ Sünde Symbolische Bücher/Bekenntnisschriften 26, 78, 97, 99–102, 104, 118, 187, 189, 257, 297, 312 Taufe 63, 194, 222, 309 f. Teufel 24–26, 96, 98 f., 183, 280, 287, 333 f. Theologisches Journal 217, 233, 247–250 Toleranz 144, 183, 260, 262, 299, 311, 348 Trinität/Trinitätslehre 178, 280, 316 Übergangstheologie 195, 208, 262, 305, 327 Übersetzung 144, 192 f., 202 f., 254, 319 siehe auch Bibelübersetzung Universität, extraordinäre 88 f., 104 Universitätsvisitation 87 f., 94, 146 Vater Unser 191, 218–225, 231–233, 251 Verbalinspiration 59, 83, 273, 278, 286 Vernunft 61, 142, 195, 212 f., 229, 231, 233, 254, 263–270, 273, 278–281, 283,
404
Register
285, 287, 289 f., 292–300, 316, 319–321, 343, 345 f., 349, 351, 355 f. Vernunftreligion 4, 60–62, 261 f., 303 Versöhnungslehre/Satisfaktion 77, 178, 316, 326 f., 330–335 Vorlesungsangebot 156–162 Vorlesungspraxis 162–167, 192, 194, 200, 209, 218 Vorlesungsprogramm/Vorlesungsinhalte 167–172, 239 f., 354, 357 Vorsehung/Vorsehungsglauben 18, 23, 49 f., 176, 185, 194, 226 f., 229, 282, 295, 324, 338, 347
Waldenser 293 Weissagung 32 f., 36, 63, 75, 273, 336, 346 Wertheimer Bibel 45, 347 Wesen des Christentums 313–315 Wolffianismus 178, 281 Zensur (von Schriften) 6, 28–30, 46 f., 82, 97 Zweifel 49 f., 52–54, 57, 68 f., 83, 217, 279, 297 Zweinaturenlehre 178, 180, 326-331, 335