Änderung von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit: Abhilfe, Aufsicht und Prognose [1 ed.] 9783428451357, 9783428051359


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German Pages 120 Year 1982

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Änderung von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit: Abhilfe, Aufsicht und Prognose [1 ed.]
 9783428451357, 9783428051359

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HORST BONVIE

Änderung von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Schriften zum Prozessrecht Band 74

Änderung von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Abhilfe, Aufsicht und Prognose

Von

Dr. Horst Bonvie

DUNCKER & HUMBLOT /

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berl!n 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berl!n 65 Printed in Germany

© 1982 Duncker

ISBN 3 428 05135 1

Für meinen Großvater Wilhelm Kramer

t

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel

Einffibrung A. Ziel der Arbeit ....................................................

13

I. Abänderbarkeit und fehlerhafter Staatsakt; die Abänderbarkeit in den einzelnen Verfahrensordnungen ........................ 13 11. Die Abänderbarkeit in der freiwilligen Gerichtsbarkeit - Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

111. Der methodische Ansatzpunkt der Untersuchung: Die Unterscheidung zwischen generellen und speziellen Zwecken der Abänderbarkeit; Untersuchung der fG-Abänderbarkeitsnormen durch Vergleich mit Normen der ZPO und des VwVfG ....................

18

B. Die Abänderungsgrfinde ............................................

20

I. Die Abänderbarkeit im Spannungs feld von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit .................................................. 20 11. Warum überhaupt Korrektur einer Entscheidung? ..............

20

111. Warum Korrektur durch die erlassende Stelle? ................

21

IV. Bedeutung der Abänderungsgründe für die Differenzierung der Abänderbarkeitsnormen ........................................ 21 C. Die juristisch-technische AUsgestaltung der Abänderbarkeitsnormen 22 I. Die Abänderbarkeitsnorm als "prozessuale Hülle" bzw. als "ZweitBeurteilungsnorm" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Auswirkung auf die Unterscheidung zwischen verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher Abänderbarkeit .................. 23 D. Die Abänderbarkeit im AIt- bzw. Neuverfahren ....................

24

I. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverfahren für die Differenzierung der Abänderbarkeitsnormen ........ 24 11. Die Wirkung der Abänderbarkeitsnormen E. Ausblick

25 25

Inhaltsverzeichnis

8

2. Kapitel § 18 FGG -

Änderungsnorm zwischen Abhilfeund Aufsichtsgedanken

A. Die bisherigen Auslegungsversuche in der Literatur ................

26

I. Die weite Auffassung: § 18 FGG als umfassende Abänderbarkeits-

norm .......................................................... 26 1. Anfängliche und nachträgliche Unrichtigkeit ................ 26 2. § 18 FGG und die Beschwerdeentscheidung .................. 26 3. § 18 FGG und die Rechtskraft .............................. 29 4. Auswertung und Kritik ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

11. Die enge Auffassung: § 18 FGG als Abänderbarkeitsnorm für anfängliche Unrichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die vermittelnde Auffassung

31 33

B. Die Auslegung des § 18 FGG durch die Rechtsprechung ............

33

I. § 18 FGG und die einzelnen Fehlerquellen ......................

33

11. § 18 FGG im lnstanzenzug ......................................

35

111. Auswertung der Rechtsprechung ................................

36

c. Die Auslegung des

§ 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO; die Abhilfeänderung ...................................................... 36 I. Der Wortlaut ..................................................

36

11. Die Normgeschichte ............................................

37

111. Systematische und teleologische Aspekte ........................

38

1. Aspekte aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit....

a) § 23 FGG ................................................ b) Die Ausschlußtatbestände ................................ c) Die materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen ..........

38 38 39 41

2. Rechtsvergleichender Aspekt: § 571 ZPO ....................

42

D Die Durchbrechung des Abhilfeprinzips: Der Amtseinleitungs- und Amtsabänderungsgrundsatz .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 46 E. Zusammenfassung und Ausblick ....................................

47

3. Kapitel § 1696 BGB -

die Aufsichtsänderung

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum ............................ I. Die formale Auffassung: § 1696 BGB als Abänderungsgrundlage

im Neuverfahren ..............................................

48 48

Inhaltsverzeichnis

9

11. Die materiellen Auffassungen ..................................

48

1. § 1696 BGB und nachträgliche Unrichtigkeit ................ 2. § 1696 BGB: Abänderungsgrundlage auch für verdeckte Tatsachen......................................................

48

3. § 1696 BGB: ein veränderter Beurteilungsmaßstab? .......... 4. Auswertung ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 55

111. § 1696 BGB im Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

56

1. Bestandsaufnahme .......................................... 2. Kritik ......................................................

56 57

IV. Die Kombinationsthese Dorndorfs ..............................

57

V. Einzelne Auslegungsaspekte ....................................

62

1. § 1696 BGB und die Privatrechtsgestaltung ..................

2. § 1696 BGB und richterliches Ermessen ......................

62 63

B. Die Auslegung des § 1696 BGB durch die Rechtsprechung..........

65

I. § 1696 BGB und die Bindung an die eigene Entscheidung ........ 11. Abweichende Erkenntnisse

65 67

C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an §§ 48 ff. VwVfG; die Aufsichtsänderung ..............................................

69

I. Methodische Vorüberlegungen ..................................

69

52

1. Der Ansatz für eine Vergleichbarkeit: Ähnliche Sachprobleme 69 2. Wertende Rechtsvergleichung ................................ 70

11. § 1696 BGB als verwaltungsrechtsähnliche Norm... . . .. . ... . . ...

71

1. Die freiwillige Gerichtsbarkeit -

ein Teilbereich der Verwaltung? ...................................................... 71 2. Analyse des § 1696 BGB .................................... 72 a) Fundort der Norm: Bürgerliches Recht .................... 72 b) Analyse der Tätigkeitsbereiche .......................... 73 c) Die Stellung des Vormundschafts- bzw. Familienrichters als Auslegungstopos für § 1696 BGB .......................... 78 d) Historische Analyse des § 1696 BGB ...................... 80 e) Systematische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3. Ergebnis der Untersuchung 89 111. Neufundierung des § 1696 BGB 1. Die maßgeblichen Fehlerquellen ............................

a) Die Rechtslage im Verwaltungsverfahrensrecht ............ b) Folgerungen für die freiwillige Gerichtsbarkeit ..........

89 89 89 90

10

Inhaltsverzeichnis 2. § 1696 BGB und der Ablauf der Rechtsmittelfrist ............ 91 a) Voruberlegungen ........................................ 91 b) Die Rechtslage im Verwaltungsverfahrensrecht .......... 92 c) Folgerungen für § 1696 BGB .............................. 93 d) Die Rechtslage in den Fürsorgeangelegenheiten mit unbefristeter Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94 3. § 1696 BGB und die Rechtsmittelentscheidung .............. a) Voruberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtslage im Verwaltungsverfahrensrecht ............ c) Folgerungen für § 1696 BGB ..............................

95 95 95 98

D. Zusammenfassung und Folgerungen für § 18 FGG ..................

99

4. Kapitel Die Prognoseinderung: §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB; § 17 HRVO

A. Voruberlegungen

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 101

B. §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB und § 323 ZPO .................. 101 I. Analyse der §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB .................. 101

11. Rechtsvergleichender Aspekt

c.

103

Analyse des § 17 HRVO ............................................ 104 105

D. Zusammenfassung 5. Kapitel

Die neue Konzeption: § 47 FrGO 106

A. Vorbemerkung B. § 47 FrGO

........................................................ 107

I. Grundsatz und Kritik .......................................... 107

11. Abgrenzungen ............................................... . .. 110 6. Kapitel

Zusammenfassung

111

A. Allgemeine Aussagen

B. Folgerungen für die einzelnen Abänderbarkeitsnormen .............. 111 112

C. Die neue Konzeption

Literaturverzeidmis

113

Abkürzungsverzeichnis a.A.

andere Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

allg.

allgemein

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

bzw.

beziehungsweise

Einf.

Einführung

Fn.

Fußnote

gem.

gemäß

grds.

grundsätzlich

h.M.

herrschende Meinung

i. S. d.

im Sinnes des

i. V.m.

in Verbindung mit

Lit.

Literatur

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

Münch-Komm Münchener Kommentar Nachw.

Nachweise

o. a.

oben angegeben

Rdnr.(n)

Randnummer(n)

Rspr.

Rechtsprechung

S.

Seite

seil.

seilicet

v. vgl.

vor vergleiche

WRV

Weimarer Reichsverfassung

z.B.

zum Beispiel

Hinsichtlich weiterer im Text verwandter Abkürzungen wird auf Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 2. Aufl., Berlin 1968, verwiesen.

Erstes Kapitel Einführung

A. Ziel der Arbeit I. Abänderbarkeit und fehlerhafter staatsakt; die Abänderbarkeit in den einzelnen Verfahrensordnungen

Die Abänderbarkeit von Entscheidungen - seien sie rechtsprechender oder verwaltender Natur - stellt einen Ausschnitt aus der umfassenden Problematik dar, inwieweit auch der fehlerhafte Staatsakt Bestand haben kann1 • Abgesehen vom Fall der Nichtigkeit! ist grundsätzlich der von einer Entscheidung Betroffene aufgerufen, durch Einlegen eines Rechtsmittels eine Korrektur der Erstentscheidung herbeizuführen. Es gibt jedoch in vielen Verfahrensordnungen Normen, die eine Korrektur der Entscheidung durch die erlassende3 Stelle selbst4 von Amts wegen oder auf Antrag des Betroffenen vorsehen. Die Gewichtung zwischen Abänderbarkeit 5 und Rechtsmittelverfahren ist je nach Verfahrensordnung verschieden. 1. Die ZPO weist die Initiative für die Korrektur einer unrichtigen Entscheidung weitgehend den am Prozeß beteiligten Parteien zu, die auf die Einlegung eines Rechtsmittels hin Rechtsschutz erhalten können. Abänderungen durch das erlassende Gericht sind zwar vereinzelt 1 Vgl. grundlegend: Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt und seine Wirkungen, Tübingen 1908; Coester, Die Rechtskraft der Staatsakte, München 1927; im folgenden wird ein erweiterter Begriff der Fehlerhaftigkeit zugrundegelegt, der auch künftige "Unrichtigkeit" erfaßt. 2 Zum nichtigen Staatsakt grundlegend: Jellinek, S. 54 ff.; auf den Verwaltungsakt bezogen: Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte, S. 232 ff.; auf das gerichtliche Urteil bezogen: Götz, Urteilsmängel . '., Frankfurt 1956; speziell für die fG: Szafran, Fehlerhafte Entscheidungen ... , Berlin 1974. 3 Sei es eine Verwaltungsbehörde, sei es das Gericht. 4 Einem Rechtsmittel kommt grds. Devolutiveffekt zu: Rosenberg / Schwab, § 135 I 1 b, S. 758; Gilles, Rechtsmittel ..., S. 180 ff. 5 Auch zwischen Abänderbarkeit und Gegenvorstellung besteht ein VerwandtschaftsverhäItnis: vgl. Wolff / Bachof, Verw.R/Bd. III, § 161 IV, S. 400; H. Schmidt, Gegenvorstellungen ... , Bonn 1971; Ratte, Wiederholung ... , Berlin 1975. Abänderbarkeit in dem hier verwandten umfassenden Sinn kann also definiert werden als die Summe der Regeln, die eine von der Erstentscheidung abweichende Erkenntnis der erlassenden Stelle vorsehen mit Ausnahme der Gegenvorstellung.

14

1. Kap.: Einführung

vorgesehen'; ein nochmaliges Tätigwerden des ursprünglich mit der Sache beschäftigten Gerichts ist darüber hinaus aber durch die formelle (was das alte Verfahren anbetrifft) und die materielle Rechtskraft7 (im Hinblick auf ein neues Verfahren) begrenzt. Nur bei verändertem Streitgegenstand8 ist in einem neuen Verfahren eine Zweitentscheidung möglich. Auch eine derartige Zweitentscheidung setzt eine entsprechende Klage voraus: ein amtswegiges Wieder aufrollen ist nicht möglich. Diese Grundsätze entsprechen der im Zivilprozeß herrschenden Dispositionsmaxime' und rechtfertigen sich aus dem durchzusetzenden materiellen Recht: Es obliegt dem Inhaber eines subjektiven Rechts, dieses im Gerichtswege zu realisieren. 2. Das Verwaltungsverfahren hingegen wird vom Grundsatz der amtswegigen Abänderbarkeit bestimmt. Normen, die eine Abänderungsbefugnis10 der für den Erlaß der Erstentscheidung verantwortlichen Behörde vorsehen, finden sich teils in Spezialgesetzen (§ 15 GastG; § 21 BImschG), teils im Verwaltungsverfahrensgesetz selbst (§§ 48 ff. VwVfG). Die für das Verwaltungsverfahren geltende Abänderbarkeitsregelung bildet geradezu das Gegenstück zur ZPO: Im Verwaltungsverfahren gelten Untersuchungsmaxime und Offizialprinzip, im Zivilprozeß Dispositionsgrundsatz und Verhandlungsmaxime; im Verwaltungsverfahren ist eine Abänderung von Amts wegen möglich, im Zivilprozeß nur aufgrund einer Parteiinitiative. Die Behörde ist eben nicht wie der Zivilrichter Streitschlichter, sondern selber Partei, die einseitig, unmittelbar öffentliche Aufgaben wahrnimmt, während der Zivilrichter zweiseitig (auf die streitenden Parteien bezogen) mittelbar (im Vordergrund steht der Interessenausgleich zwischen den Parteien) • §§ 323, 571, 927, 936, 620 b ZPO; auch in diesen Fällen bedarf es immer eines Tätigwerdens von Seiten eines Beteiligten. Zum Begriff der Unrichtigkeit vgl. S. I/Fn. 1. 7 Zur Wirkung der Rechtskraft: Rosenberg / Schwab, § 150, S. 856 ff. a Zur Bestimmung des Streitgegenstandes: Habscheid, Der Streitgegenstand ... , Bielefeld 1957. , Zur Bedeutung der Dispositionsmaxime: Rosenberg / Schwab, § 79, S. 413 ff. 10 Das Verwaltungsverfahrensgesetz verwendet zwar nicht den Begriff "Abänderbarkeit", sondern unterscheidet zwischen "Widerruf" und "Rücknahme"; das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um ein und dasselbe rechtliche Lösungsschema handelt: §§ 48 ff. VwVfG beanworten ebenfalls die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die für die Erstentscheidung verantwortliche Stelle befugt ist, diese außerhalb eines Rechtsmittelverfahrens selbst zu ändern; fOlgerichtig spricht Kopp, § 48 Anm. 1, S. 507 von "Abänderbarkeit".

A. Ziel der Arbeit

15

das Interesse des Staates an Rechtsfrieden bzw. geordneter Rechtsdurchsetzung verfolgt. Auch die Abänderbarkeit im Verwaltungsverfahren ist nicht schrankenlos; es sind jedoch weniger verfahrensrechtliche Gründe, die die Abänderungsbefugnis der Behörde beschneiden (diese kann auch nach Unanfechtbarkeit noch abändernl l), sondern bestimmte Vertrauensschutzerwägungen. 3. Das FGG12 geht wie das VwVfG vom Grundsatz der Abänderbarkeit aus. Abänderungstatbestände finden sich im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit im materiellen Recht wie im Verfahrensrecht: Verfahrensrechtliche Abänderbarkeitsnorm ist § 18 FGG. Im materiellen Recht finden sich als Abänderungstatbestände: in den Familiensachen §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2, 1696 BGB; § 17 HRVO; in den Vormundschaftssachen §§ 1692, 1696, 1707 Satz 3, 1711 Abs. 2 Satz 3, 1759 ff., 1771 ff., 1836 Abs. 1 Satz 4, 1883, 1884 Abs. 1 Satz 1, 2, 1887 ff., 1904 Abs. 2, 1908 Abs. 2, 1919 ff. BGB; in den Nachlaßsachen §§'f2227, 2361 BGB. Diese Normen weisen eine Reihe von Besonderheiten auf, die den Grundsatz der Abänderbarkeit wieder durchbrechen bzw. modifizieren: So ist nach § 18 Abs. 2 FGG im Fall der sofortigen Beschwerde keine Abänderung möglich. Teilweise setzt die Abänderung einen Antrag des Betroffenen voraus, § 18 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. FGG sowie § 1382 Abs. 6 BGB. Zuweilen ist eine Abänderung erst möglich, wenn die Erstentscheidung rechtskräftig geworden ist, § 1587 d Abs. 2 BGB; andere Normen erfassen nur nachträgliche wesentliche Veränderungen, § 1382 Abs.6BGB. 4. Der FrGO-Entwurf geht wie die ZPO vom Grundsatz der Nichtabänderbarkeit aus, der jedoch durch eine verfahrensrechtliche Norm, § 47 FrGO, und durch die im BGB verankerten Abänd~rungstatbe­ stände durchbrochen13 wird.

11 Anders die Möglichkeit des Betroffenen, die Behörde zu einer neuen überprüfung zu veranlassen: nach Unanfechtbarkeit kann die Behörde ein solches Ansinnen mit Hinweis auf die Unanfechtbarkeit ablehnen; vgl. Knack / Klappstein, § 51 Anm. 9.1; Maurer, JuS 76, S. 29 ff. lZ Vgl. zur Abänderbarkeitsproblematik im französischen Recht: Martiny, Nichtstreitige Verfahren in Frankreich, München 1976. 18 FrGO-Entwurf, S. 102.

16

1. Kap.: Einführung

11. Die Abänderbarkeit in der freiwilligen Gerichtsbarkeit - Problemaufriß

Dieser Überblick hat gezeigt, daß die meisten Abänderbarkeitsnormen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu finden sind; hier bereitet die Abänderbarkeit aufgrund ihrer Vielgestaltigkeit auch die größten Schwierigkeiten: 1. a) Im Rahmen des geltenden Rechts ist noch nicht befriedigend geklärt, wo die Grenze zwischen der verfahrensrechtlichen Abänderbarkeitsnorm § 18 FGG und den materiellrechtlichen Vorschriften verläuft. 14 So muß beispielsweise die Auslegung des § 1696 BGB im Hinblick auf die Änderung einer Sorgerechtsentscheidung zwischen einem "Zuviel" und einem "Zuwenig" an Abänderungsmöglichkeit steuern. Jedes "Zuviel" verhindert eine Gewöhnung des Kindes an die neue Situation, ein "Zuwenig" birgt die Gefahr, daß das Kind in Verhältnissen heranwächst, die seiner Entwicklung abträglich sind l5 .

b) Unklar ist ferner, welche Beziehungen zwischen Abänderbarkeit und Rechtsmittelverfahren bestehen. So stellt sich zum Beispiel die Frage, welche Auswirkungen die Einführung einer befristeten Beschwerde auf die Abänderungsmöglichkeit nach § 1696 BGBl6 hat. 2. Auch einige - teils abgeschlossene, teils erst geplante - Gesetzesnovellierungen bieten Anlaß, die Abänderbarkeit in der freiwilligen Gerichtsbarkeit (insbesondere jene nach § 1696 BGB) erneut zu überdenken: a) Der Entscheidungsverbund von Scheidungs- und Folgesachen (§§ 621 a Abs. 1, 623 Abs. 1 ZPO; § 64 a Abs. 3 FGG) hat zu einer Verquickung l7 von ZPO-Regeln und FGG-Regeln geführt. § 621 a Abs. 1 Satz 2 ZPO schließt die Anwendbarkeit von § 18 Abs. 1 FGG nicht expressis verbis aus; die in § 621 e Abs. 1 ZPO angeordnete befristete Beschwerde deutet jedoch auf ein Eingreifen von § 18 Abs. 2 FGG hin, der einer Abänderbarkeit entgegensteht. Entsprechend unklar ist die 14 Vgl. nur Keidel / Kuntze / Winkler, § 18 Rdnr. 2: "Die Befugnis zur Änderung in solchen Fällen (seil.: bei einer durch Veränderung der Verhältnisse eingetretenen neuen Sach- oder Rechtslage) ergibt sich zum Teil aus dem materiellen Recht, zum Teil aus Sonderbestimmungen des Verfahrensrechts; sie muß aber darüber hinaus bei allen Verfügungen mit Dauerwirkung anerkannt werden." 15 Vgl. Goldstein (u. a.), Kindeswohl, S. 15. 18 §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB bieten hier eine klare Antwort: Abänderung setzt Rechtskraft der Erstentscheidung voraus. Zu § 1696 BGB: einerseits Rothe, Möglichkeiten ... , S. 27: materiellrechtliche Normen unterliegen keinen verfahrensrechtlichen Beschränkungen; andererseits Dorndorf, Rechtsbeständigkeit ... , S. 138 ff.: die materiellrechtlichen Normen wirken erst nach Eintritt der Rechtsbeständigkeit. 17 Vgl. Walter, FamRZ 79, S. 204 ff., 259 ff., 396 ff., 663 ff.; Fließ, FamRZ 78, 394.

A. Ziel der Arbeit

17

Stellungnahme im Schrifttum18 • Wendet man aber § 18 Abs. 1 FGG nicht an, so wird die bisherige Abänderungspraxis zum Teil erheblich eingeschränkt. Zu fragen ist daher, ob die auftretenden Lücken durch eine Anwendung des § 1696 BGB geschlossen werden könnenlu. b) Ist für Teilbereiche - eben für die fG-Folgesachen im Entscheidungsverbund - durch die entsprechende Anwendung von ZPO-Regeln bereits eine Annäherung an die ZPO erfolgt, so hat sich diese Tendenz zur Angleichung durch den Entwurf der FrGO noch verstärkt20 : § 18 Abs. 1 FGG soll entfallen; es wird dem in anderen Verfahrensordnungen geltenden Grundsatz gefolgt (§ 318 ZPO; § 173 VwGO), wonach das Gericht in der Regel an seine Entscheidung gebunden ist. Dies wird mit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit begründet 21 , nahegelegt durch die Anforderungen des Rechtsstaates; die generelle Einführung einer befristeten Beschwerde reiße zwar Lücken - diese seien aber durch die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens, ferner durch Abänderungsvorschriften des materiellen Rechts zu schließen. Diese Behauptung setzt jedoch Klarheit über die Reichweite der materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen voraus. Auch die Fr GO enthält schließlich in § 47 FrGO eine verfahrensrechtliche Abänderbarkeitsnorm, die sich auf den ersten Blick mit manchen materiell rechtlichen Vorschriften überschneidet. 3. Ist auf der einen Seite die Tendenz einer Angleichung des fG-Verfahrensrechts an die ZPO unübersehbar, so kann auf der anderen Seite nicht geleugnet werden, daß einige Sachgebiete der freiwilligen Gerichtsbarkeit materiell rechtlich starke Affinität zu Tätigkeitsbereichen der Verwaltung22 aufweisen. Auch ein Vergleich der Verfahrensordnungen ZPO, VwVfG, FGG und FrGO zeigt, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit in ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung eine MittelsteIlung zwischen Zivilprozeß und Verwaltungsverfahren einnimmt23 • Brüggemann, FamRZ 77, S. 1 ff., 20; Hagena, FamRZ 75, S. 379 ff., 383. Diese Frage wird auch aufgeworfen in: Münch-Komm / Hinz, § 1696 Rdnr.1. 20 Vgl. auch die Stellungnahmen zu diesem Entwurf: Winkler, DNotZ 79, S. 452 ff., 467; Arnold, Rpfleger 79, S. 161 ff., 241 ff.; Firsching, in: Festschr. f. Beitzke, S. 98. 21 FrGO-Entwurf, S. 102. 22 Vgl. Bettermann, in: Festschr. f. Lent, S. 17. 23 Einen Vergleich zwischen freiwilliger Gerichtsbarkeit und Verwaltungsverfahren unternimmt Lützenkirchen, Ein Vergleich zwischen dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und dem Verwaltungsverfahren, Münster 1967. 18 18

2 Bonvte

18

1.

Kap.: Einführung

4. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit der Blick auf diese Verfahrensordnungen Aufschlüsse über die Struktur der Abänderbarkeit in der freiwilligen Gerichtsbarkeit gibt und sich für die Auslegung der einzelnen Abänderbarkeitsnormen fruchtbar machen läßt.

m. Der methodische Ansatzpunkt der Untersuchung: Die Unterscheidung zwischen generellen und speziellen Zwedten der Abinderbarkeitj Untersuchung der fG-Abinderbarkeitsnormen durch Vergleich mit Normen der ZPO und des VwVfG Bei Beantwortung dieser Frage muß ein genereller und ein spezieller Aspekt unterschieden werden: 1. Jede Abänderbarkeitsnorm ist in doppelter Weise bedingt:

a) Die Abänderbarkeit ist abhängig von Zeitablauf bzw. Verfahrensstadium: aal Je mehr Zeit seit Erlaß der Erstentscheidung verstrichen ist, desto größer wird das Interesse am Bestand dieser Entscheidung. Das folgt zum einen daraus, daß die Beteiligten ihr Verhalten nach der Entscheidung ausrichten, zum anderen verschlechtern sich die Erkenntnismöglichkeiten. bb) Die Abänderbarkeitsbefugnis kann je nach Verfahrensstadium differieren. Der Erlaß einer Rechtsmittelentscheidung oder der Eintritt der Rechtskraft können nicht ohne Auswirkungen auf die Abänderbarkeit bleiben. b) Jede Abänderbarkeitsnorm muß Antwort auf die Frage geben, welcher Fehler der Erstentscheidung zur Abänderung berechtigt: aal Die Entscheidung kann von Anfang an unrichtig gewesen sein. Es liegt dann eine mangelnde Erkenntnis(möglichkeit) des Richters vor. Dieser kann in einem späteren Zeitpunkt als dem Erlaßzeitpunkt die Sachlage anders beurteilen, (1) weil damals bekannte Tatsachen jetzt anders bewertet werden (z. B. Würdigung von Beweisaufnahmen, von Aussagen oder Erklärungen der Beteiligten); (2) weil damals vorhandene Tatsachen erst jetzt bekannt werden (sog. verdeckte Tatsachen24 ); (3) weil eine damals zur Entscheidungsfindung verwandte Rechtsnorm jetzt anders ausgelegt wird; (4) weil eine bereits damals vorhandene Rechtsnorm jetzt erst bekannt wird. U

Begriffsbildung bei Rothe, S. 37.

A. Ziel der Arbeit

19

bb) Zum anderen kann die Entscheidung nachträglich unrichtig werden, weil sich die Sach- bzw. Rechtslage seit dem Erlaßzeitpunkt verändert hat. 25 Hier liegt die die Unrichtigkeit begründende Ursache nicht in der fehlenden Erkenntnis der erlassenden Stelle, sondern in der Veränderung der tatsächlichen bzw. rechtlichen Umstände im Laufe der Zeit. ce) Da diese Probleme sich bei jeder Abänderbarkeitsnorm stellen26 , lassen sich hierzu Aufschlüsse über die Struktur der Abänderbarkeit in der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus einem Vergleich mit den Normen in ZPO (§ 323 ZPO) und VwVfG (§§ 48 ff. VwVfG) erwarten.27 2. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die Abänderbarkeitsnormen sich in Sachgebieten der freiwilligen Gerichtsbarkeit befinden, die spezielle Zwecke verfolgen. Der Vergleich mit den Lösungen in anderen Verfahrensordnungen muß also immer vor dem Hintergrund dieser speziellen Zwecke erfolgen. 3. Diese überlegungen bedingen den Gang der Untersuchung: Es soll an Hand eines Vergleichs mit Normen der ZPO und des VwVfG versucht werden, die Auslegung der fG-Abänderbarkeitsnormen neu zu fundieren 28 • Die Ergebnisse werden an den von Abänderbarkeitsnorm zu Abänderbarkeitsnorm variierenden speziellen Abänderbarkeitszwecken zu überprüfen sein29 • Diese Vorgehensweise impliziert, in einer Vorüberlegung die Abänderbarkeitsgründe im allgemeinen zu bestimmen und die möglichen !6 Also sog. facta supervenientia zutage getreten sind; Begriffsbildung bei Bötticher, JZ 56, S. 582 ff., 583. tl Diese Frage stellt sich nicht nur im Rahmen einer Abänderbarkeitslehre, sondern ebenfalls bei der Rechtsmitteldoktrin: Die Bestimmung des für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkts hängt ab von Struktur und Funktion des Rechtsmittels. Das Problem gehört im Verwaltungsprozeß zum "klassischen Streitstand" , hat aber auch Bedeutung für den Zivilprozeß: vgl. Bettermann, ZZP 88, S. 370/371. !7 Zur innerprozessualen Rechtsvergleichung im Hinblick auf die freiwillige Gerichtsbarkeit: Grunsky, Grundlagen ... , § 47 11 2, S. 487 ff.; Kollhoser, Zur Stellung ... , S. 49 ff. 28 Die Untersuchung beschränkt sich in Anlehnung an den Kommissionsentwurf - auf die Vormundschafts-, Familien- und Nachlaßsachen; Probleme aus dem Bereich der Beurkundungs- und Registersachen werden nur vergleichend herangezogen. t9 Der Ansatzpunkt dieser Untersuchung ist somit ein anderer als bei Domdorf: Dorndorf begreift die Abänderbarkeitsnormen als Teil eines umfassenden prozeßrechtlichen Interessengeflechts und orientiert die Abänderbarkeit an der Rechtsmitteldoktrin: Dorndorf, S. 112 ff., 115 ff. sieht den wesentlichen Einschnitt für das Rechtsmittel wie für die Abänderbarkeit in der formellen Rechtsbeständigkeit (näher dazu noch im 3. Kapitel). In der vorliegenden Arbeit soll die Abänderbarkeit von der Rechtsmitteldoktrin gelöst und als eigenständiges Rechtsinstitut aus ihrem normativen Umfeld begriffen werden.



20

1. Kap.: Einführung

juristisch-technischen Ausgestaltungen der Abänderbarkeitsnormen3o sowie ihre verfahrensmäßigen Auswirkungen herauszuarbeiten. Ausgehend von dieser theoretischen Grundlage werden dann die einzelnen Abänderbarkeitsnormen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit untersucht.

B. Die AbänderungsgrüDde I. Die Abinderbarkeit im Spannungsfeld von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit

Jede menschliche Entscheidung31 ist mit einem Unrichtigkeitsrisiko behaftet. Kommt es zu einer fehlerhaften Entscheidung, so sieht sich die Rechtsordnung vor die Frage gestellt, ob diese Entscheidung Bestand haben soll oder nicht. Erwägungen der Rechtssicherheit 32 sprechen für einen Bestand der Entscheidung, die Gerechtigkeit32 verlangt eine Korrektur derselben. Jede Abänderbarkeitsnorm enthält implizit eine Abwägung zwischen diesen bei den Prinzipien und eine Entscheidung zugunsten der Gerechtigkeit. Die Herbeiführung einer richtigen Entscheidung und damit die Durchsetzung der Gerechtigkeit ist der allgemeinste Grund für Abänderbarkeit. Diese Prinzipien sind jedoch zu abstrakt, um konkrete Abänderbarkeitsregeln zu entwickeln oder um zwischen mehreren Abänderbarkeitsnormen zu differenzieren. Es muß also konkretere Abänderungsgründe geben. Entscheidend für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung ist also die Frage, wie diese spezielleren Abänderungsgründe zu ermitteln sind. D. Warum überhaupt Korrektur einer Entscheidung?

Der allgemeine Abänderungsgrund kann auf Grund einer Reihe von Kriterien präzisiert und damit spezialisiert werden: 1. So bestimmt zum Beispiel der Belastungsgrad einer Entscheidung

über deren Abänderbarkeit. Ein fehlerhafter belastender Verwaltungsakt ist eher abänderbar als ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt; vgl. § 48 VwVfG.

2. Weitere Kriterien sind aus dem Sachbereich ableitbar, in dem die Entscheidung ergangen ist. So ist in Statussachen (Adoption, Staatsangehörigkeit) die Abänderbarkeit eng begrenzt: eine tragfähige 30

Im folgenden B. und C.

Dies gilt im übrigen auch für die Willenserklärung eines Privaten. Die Anfechtungsregeln können so auch als Abänderbarkeitsnormen begriffen werden; vgI. dazu auch Baur, Lehrb., § 24 A I, S. 243. H VgI. zu Rechtssicherheit und Gerechtigkeit Radbruch, Rechtsphilosophie, § 9, S. 168 ff. sowie zu ihren Auswirkungen im Prozeß § 25, S. 280. 31

B. Die Abänderungsgründe

21

Eltern-Kind-Beziehung ließe sich nicht aufbauen, müßten die Adoptiveltern und das angenommene Kind ständig eine abändernde Entscheidung befürchten. 33 3. Ein weiterer Abänderungsgrund kann sich aus der Schwere des Fehlers34 ergeben: So ist eine Adoption aufhebbar, wenn dies aus schwerwiegenden Gründen zum Wohle des Kindes erforderlich ist, § 1763 BGB. 4. Entscheidend kann auch der Zeitpunkt sein, in dem die Unrichtigkeit zutage tritt: Eine Abänderbarkeit kann zum Beispiel bei nachträglichen Veränderungen gerechtfertigt, bei anfänglicher Unrichtigkeit aber fehl am Platze sein, vgl. § 1382 Abs. 6 BGB.

m.

Warum Korrektur durm die erlassende Stelle?

Der allgemeine Abänderungsgrund trifft auch auf das Rechtsmittel zu. Die Möglichkeit, ein Rechtsmittel einzulegen, soll Gerechtigkeit gewährleisten; gleichzeitig finden sich Beschränkungen (z. B. Fristen), die der Rechtssicherheit dienen. Es muß also auch in diesem Zusammenhang speziellere Gründe geben, die die Unterscheidung zwischen Abänderbarkeit und Rechtsmittel rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, daß eine Entscheidung überhaupt korrigiert wird 35 , sondern wer korrigiert. Das ist bei der Abänderbarkeit die erlassende Stelle, beim Rechtsmittel die höhere Instanz. Dieser Gedanke führt zu einer weiteren Eingrenzung des allgemeinen Abänderungsgrundes. 1. Die Abänderbarkeit durch die erlassende Stelle selbst kann durch

den Gedanken der Verfahrensbeschleunigung gerechtfertigt sein: Ist Beschwerde eingelegt und will das untere Gericht an seiner Entscheidung nicht festhalten, so wäre es unnötiger Aufwand, das Beschwerdeverfahren dennoch durchzuführen.

2. Die erlassende Stelle kann einen intensiveren Bezug zu dem Fall haben als die höhere InsUmz, die zum Beispiel einen weit größeren Gerichtsbezirk zu versorgen hat. IV. Bedeutung der Abinderungsgründe für die Differenzierung der Abänderbarkeitsnormen

Es sind auch Kombinationen zwischen den Gründen denkbar, die überhaupt eine Abänderbarkeit rechtfertigen und denen, die eine Abänderung durch die erlassende Stelle nahelegen. Auch sind die hier 33

U 35

Vgl. dazu Goldstein, S. 35. Zum Begriff der Fehlerhaftigkeit vgl. 1. Kap. Fn. 1. Das stand unter 1. Kap. B 11 im Vordergrund.

1. Kap.: Einführung

22

aufgezeigten Kriterien nicht abschließend. Es ist jedoch für die Auslegung und Differenzierung der fG-Abänderbarkeitsnormen wichtig, die verschiedenen Ansatzpunkte für eine Herausarbeitung spezieller Abänderungszwecke bei der weiteren Untersuchung im Blick zu behalten.

c.

Die juristisch-technisclte Ausgestaltung der Abänderbarkeitsnormen

I. Die Abänderbarkeitsnorm als "prozessuale Bülle" bzw. als "Zweit-Beurteilungsnorm"

Wie den einzelnen Abänderbarkeitsnormen verschiedene Abänderungszwecke zugrunde liegen, so lassen sich auch unterschiedliche tatbestandliche Ausformungen unterscheiden und zwar danach, wie die jeweilige Abänderbarkeitsnorm in Beziehung gesetzt wird zu der Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung36 : 1. Denkbar ist, daß die Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung Beurteilungsmaßstab auch für die Abänderungsentscheidung bildet. Haben die Voraussetzungen für die Erstentscheidung nicht vorgelegen oder fallen sie später weg, so ist bzw. wird diese Entscheidung materiell unrichtig. Die Abänderbarkeitsnorm hat lediglich die Aufgabe, die verfahrensmäßige Durchsetzung dieser Unrichtigkeit zu regeln; sie ist "prozessuale Hülle". Bei der Ausgestaltung der "prozessualen Hülle" sind zwei Konzeptionen zu unterscheiden:

a) Die Abänderbarkeitsnorm stellt keine weiteren Voraussetzungen auf. Im Vormundschaftsrecht (§ 1882 BGB) genügt zum Beispiel, daß die Voraussetzungen für die Erstentscheidung entfallen sind; die Abänderbarkeitsnorm ist rein deklaratorisch 37 • b) Die Abänderbarkeitsnorm enthält verfahrens rechtliche Besonderheiten; es wird zum Beispiel ein Antrag oder eine amtswegige Prüfung verlangt. Die Abänderbarkeitsnorm ist konstitutiv. 38 Alle Abänderbarkeitsnormen gelten erst nach Erlaß der Erstentscheidung; d. h. nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht die Entscheidung aus seiner Verfügungsgewalt entlassen hat, wenn sie also mit Willen des Gerichts der Außenwelt übergeben worden ist (vgl. Rothe, S. 21, 32 ff., 35; Bärmann, Lehrb., § 20 I, S. 142). Solange eine Entscheidung noch nicht erlassen ist, bleibt eine Gesinnungsänderung der erlassenden Stelle möglich - die Verfahrensbeteiligten dürfen sich bis zu diesem Zeitpunkt auf die Endgültigkeit der Entscheidungsfindung nicht verlassen. Erst nach diesem Zeitpunkt treten Rechtssicherheit (d. h. Vertrauen auf die Rechtsbeständigkeit der Entscheidung) und Richtigkeit (d. h. Bedürfnis nach Korrektur der Entscheidung) in die für die Abänderungsproblematik typische Konfliktlage. Vom Erlaß zu unterscheiden sind Bekanntmachung und Wirksamwerden der Entscheidung; vgl. Bärmann, § 20 11 u. 111, S. 143 f. 37 Vgl. Münch-Komm / Zagst, § 1882 Rdnr. 1.

C. Die juristisch-technische Ausgestaltung der Abänderbarkeitsnormen 23 2. Eine Abänderbarkeitsnorm kann jedoch auch eine weitergehende Bedeutung haben: Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtsnorm, die die Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung darstellt, zeitlich an den Erlaß dieser Erstentscheidung geknüpft ist. Sobald die Entscheidung erlassen ist, scheidet jene Rechtsnorm als Beurteilungsgrundlage aus. Dies führt dazu, daß die Erstentscheidung nicht deshalb unrichtig wird, weil ihre Voraussetzungen später weggefallen sind. Ob eine solche Entscheidung korrigiert werden kann, richtet sich nach einer zweiten Beurteilungsgrundlage, der Abänderbarkeitsnorm, die insofern materiellen Gehalt hat. Diese Konstruktion kann aus verschiedenen Gründen gewählt werden: a) Durch die Erstentscheidung ist die Rechtslage so verändert worden, daß die Voraussetzungen der ersten Beurteilungsgrundlage nicht mehr vorliegen. So ist in der Hausratsverordnung nach der Erstentscheidung kein gemeinsames Eigentum mehr zu verteilen38 • b) Die Änderung der Erstentscheidung soll nur unter erschwerten Voraussetzungen möglich sein.39 D. Auswirkuug auf die Untersclteldung zwisclten verfahrensreclttliclter und materiellreclttliclter Abinderbarkeit

Diese Unterscheidungen haben keinen Ausschließlichkeitscharakter. So ist zum Beispiel denkbar, daß eine Abänderbarkeitsnorm mit materiellrechtlichem Gehalt auch verfahrens rechtliche Elemente enthält. Auch erlaubt die juristisch-technische Ausgestaltung noch keine gesicherten Aussagen über Auslegung und Differenzierung der Abänderbarkeitsnormen im einzelnen. Hier müssen vielmehr die speziellen Abänderungszwecke hinzugezogen werden. Immerhin bietet diese Analyse einen ersten Ansatzpunkt für eine sachgerechte Unterscheidung zwischen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen4o •

as Vgl. Dorndorf, S. 140. se Vgl. die Gründe, die eine Aufhebung der Adoption ermöglichen, §§ 1759 ff. BGB. 40 Möglicherweise liegt hierin auch ein Grundgedanke für die Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverfahren, vgl. dazu sogleich unter D.

24

l. Kap.: Einführung

D. Die Abänderbarkeit im Alt- bzw. Neuverfahren I. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen AIt- und Neuverfabren für die Differenzierung der Abinderbarkeitsnormen

Kennzeichen eines Rechtsmittels ist, daß es nur Bedeutung für das alte Verfahren besitzt. Sind die Rechtsmittel ausgeschöpft, so ist das alte Verfahren beendet, die in diesem Verfahren getroffene Entscheidung formell rechtskräftig41 • Anders steht es um die Abänderbarkeit. Diese ist nicht notwendig auf das alte Verfahren begrenzt. So sollen manche Abänderbarkeitsnormen nur im alten Verfahren Bedeutung haben (so zum Beispiel § 18 FGG)42, manche Abänderungsgrundlage nur in einem neuen Verfahren sein. 43 Bedeutung hat diese Differenzierung für prozesstechnische Maßnahmen, zum Beispiel Armenrechtsgesuche, bzw. die Bestellung eines Vertreters". Der Grund für diese Differenzierung ist nicht eindeutig. Sie kann zum einen beeinflußt worden sein durch die juristisch-technische Ausgestaltung der jeweiligen Abänderbarkeitsnorm; so liegt es nahe, Abänderbarkeitsnormen, die als "prozessuale Hülle" ausgestaltet und damit auf die erste Beurteilungsgrundlage bezogen sind41 , auch nur im alten Verfahren anzuwenden. Zum anderen scheint diese Unterscheidung durch die Rechtskraftdoktrin beeinflußt worden zu sein: So ist das alte Verfahren durch die formelle Rechtskraft begrenzt, ein neues Verfahren jedoch möglich, soweit es nicht durch die materielle Rechtskraft ausgeschlossen ist." 41 Diese Unterscheidung findet sich auch zwischen Rechtsmittel und Wiederaufnahme: Das Rechtsmittel setzt das Verfahren fort, die Wiederaufnahme führt zum Verfahrensneubeginn, vgl. Gilles, S. 6,115. Die Abänderbarkeitslehre Dorndorfs zeigt sich von daher als Spiegelbild einer bestimmten Rechtsmitteldoktrin: Bis zur formellen Rechtsbeständigkeit wird das alte Verfahren fortgesetzt durch die Rechtsmittel bzw. § 18 FGG, danach findet ein neues Verfahren statt im Wege der Wiederaufnahme oder durch materiellrechtliche Abänderung. Ob diese Konzeption für die Rechtsmittel richtig ist, kann hier dahingestellt bleiben (vgl. kritisch Gilles, S. 6 ff.). Es darf jedoch bezweifelt werden, ob die Abänderbarkeit tatsächlich mit den Rechtsmitteln auf eine Stufe gestellt werden kann. 4! Anders KG NJW 1955, S. 1024. ca Vgl. nur BayObLG FamRZ 76, S. 38 ff., 39. 44 Vgl. hierzu Rothe, S. 26; Bedeutung hat diese Unterscheidung im Grundbuchrecht für Rangfragen: vgl. Bärmann, § 21 III 1, S. 155; Rothe, S. 43; ferner für die örtliche Zuständigkeit: BGHZ 21, 306 ff.; Staudinger / Donau, § 1696 Rdnr. 3l. 46 Vgl. unter l. Kap. C I. 48 Unklar ist die Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverfahren im Verwaltungsrecht: vgl. Kopp, § 48 Anm. 4: "Die Rücknahme eines VA bedeutet in sachlicher Hinsicht immer, daß durch einen späteren VA bezüglich desselben Sachverhalts eine andere Regelung getroffen wird. Trotz der insoweit unklaren Fassung des § 48 VwVfG (wie auch des § 49 VwVfG und des § 51 VwVfG) handelt es sich deshalb dann um keine Rücknahme, wenn aufgrund

E. Ausblick

25

D. Die Wirkung der Abinderbarkeitsnormen

Der Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverfahren kommt auch Bedeutung zu für die Frage, welche Wirkung einer Abänderungsentscheidung beizulegen ist: In einem Altverfahren wird die Erstentscheidung kassiert, sie wird "umgestaltet47 "; in einem Neuverfahren wird der durch die Erstentscheidung geschaffene Zustand verändert, es wird "neugestaltet"48, die Erstentscheidung in ihrem Bestand nicht berührt 49 . E. Ausblick Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß jede Abänderbarkeitsnorm Aussagen enthalten muß über folgende Punkte: Abänderungsgrund (Fehlerquelle), Abänderungsverfahren (Verhältnis zu den Rechtsmitteln, Alt- oder Neuverfahren), Abänderungswirkung (Umgestaltung oder Neugestaltung) Aufschlüsse hierüber lassen sich finden durch die juristisch-technische Ausgestaltung der jeweiligen Abänderbarkeitsnorm, ihrem Abänderungszweck sowie einem Vergleich mit anderen Abänderbarkeitsnormen. Im folgenden soll an Hand dieser Vorüberlegungen zuerst § 18 FGG überprüft werden.

einer Änderung der Rechts- oder Sachlage eine neue Regelung durch einen neuen VA in einer Angelegenheit getroffen wird, die bisher nur im Hinblick auf eine bestimmte andere und nunmehr nicht mehr gegebene Sach- oder Rechtslage geregelt war." - Soll die Verwaltungsbehörde etwa neu regeln können ohne Rücksicht auf die Eingrenzungen in § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG? 47 So beschreibt zum Beispiel Rothe die Wirkung des § 18 FGG. 48 Sehr bestimmt Rothe, S. 24: "Ein neues Verfahren ... kann niemals mit einer Änderungsverfügung, sondern nur mit einer zweiten, inhaltlich abweichenden Verfügung abschließen." Vielfach wird der Begriff "Änderung" einer Korrektur im Altverfahren vorbehalten und ansonsten von einer "inhaltlich abweichenden Verfügung" gesprochen; vgl. Rothe, S. 25; sowie Bötticher, JZ 56, S. 584 ff., 586. -41 Davon zu unterscheiden ist wiederum die Frage, ob eine Abänderung ex-tune oder ex-nune wirkt, vgl. dazu Rothe, S. 200 ff.

Zweites Kapitel

§ 18 FGG - Änderungsnorm zwischen Abbilfe- und Aufsichtsgedanken A. Die bisherigen Auslegungsversuche in der Literatur I. Die weite Auffassung: § 18 FGG als umfassende Abänderbarkeitsnorm

Im Hinblick auf "das Wesen und die Notwendigkeit zweckmäßiger Abwicklung der Aufgaben der fG"l zieht Rothe den Anwendungsbereich des § 18 FGG weit2 • 1. § 18 FGG umfaßt nach dieser Auffassung sowohl anfängliche wie nachträgliche Unrichtigkeit3 • Dies wird unter anderem damit begründet, eine Unterscheidung zwischen bei den Fehlerquellen sei undurchführbar: Zumeist rechtfertige sich die Abänderung erst aus einem Zusammentreffen beider Fehlerquellen. 4 Außerdem sei es willkürlich und mit dem Rechtsfürsorgegedanken der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht zu vereinbaren, den Zeitpunkt des Erlasses der Erstentscheidung über die Abänderbarkeit entscheiden zu lassen5 •

2. Der Rechtsfürsorgegedanke erzwingt nach Rothe eine weitere Ausdehnung der Abänderbarkeit: § 18 FGG eröffne nicht nur bis zur Entscheidung über die Beschwerde eine Abänderungsmöglichkeit, sondern ermächtige das erstinstanzliche fG-Gericht zur Änderung auch nach sachlicher Beschwerdeentscheidung6 : Zwar sei die Rechtslage nun nicht Rothe, S. 72. In der Tendenz ähnlich: Gäbelein, Grenzen, ... , Diss., Frankfurt 1951; wie Rothe: Jansen, FGG/Komm., § 18 Rdnr. 6, 8 (widersprüchlich). a Praktische Erheblichkeit: die nachträgliche Unrichtigkeit unterfällt § 18 Abs. 2 FGG; vgl. Rothe, S. 38, 40 ff. 4 Vgl. das Beispiel bei Rothe, S. 53. 6 Rothe, S. 46, 53. • Rothe, S. 60 ff., 67 ff. Von der hier interessierenden Frage, wie die sachliche Beschwerdeentscheidung die ÄnderungSbefugnis nach § 18 FGG beeinflußt, unterscheidet Rothe zwei weitere Fallkonstellationen: (1) Bei einer Verwerfung der Beschwerde als unzulässig - Rotlie, S. 62 bleibt die Änderungsbefugnis nach § 18 FGG in vollem Umfang erhalten. Die erstinstanzliche Entscheidung ist weder materiell in ihrem Inhalt überprüft, noch formell in ihrem Bestand angetastet worden. (2) Bei der Zurückverweisung zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung ist das erstinstanzliche Gericht - auch was § 18 FGG anbetrifft - an 1

Z

A. Die bisherigen Auslegungsversuche in der Literatur

27

mehr durch die Erstentscheidung, sondern durch die Beschwerdeentscheidung geordnet7; aus § 18 FGG ergebe sich aber die Berechtigung des erstinstanzlichen fG-Richters auch diese zu ändern8 • Eine Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts hingegen sei nicht anzunehmen.1I Könnte der fG-Richter erster Instanz aber jede Beschwerdeentscheidung ändern, so würde der Instanzenzug obsoletl°. Diese Konsequenz sucht Rothe zu vermeidenl l , indem er in bestimmten Fällen eine Bindung des erstinstanzlichen Richters an die Beschwerdeentscheidung bejaht und die Abänderbarkeit insofern begrenzt. Eine Bindung an die Beschwerdeentscheidung sei dann anzunehmen, wenn der Entscheidungsgegenstand des Änderungsverfahrens mit dem des Beschwerdeverfahrens identisch seP!. Da Entscheidungsgegenstand in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur der tatsächlich ermittelte und dem Gericht bei Erlaß seiner Verfügung bekannte Sachverhalt sei, blieben die nachträglich entstandenen und bekanntgewordenen13 Tatsachen bindungs frei und berechtigten den fG-Richter erster Instanz auch nach erlassener Beschwerdeentscheidung zur Abänderung nach § 18 FGG14. Der Rechtsfürsorgegedanke ist jedoch zu unbestimmt, um konkrete Regeln daraus ableiten zu können. Folgerichtig sucht Rothe nach einer positivrechtIichen Begründung: Auch die Beschwerdeinstanz sei Tatsacheninstanz, in der das Amtsermittlungsprinzip gelte. Die im Vergleich zum streitigen Verfahren die rechtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das höhere Gericht gebunden, Rothe, S. 63 ff. Zu der Frage, ob das rückverweisende Gericht bei erneuter Einlegung einer Beschwerde an seine Rechtsauffassung gebunden ist: Rothe, S. 99 ff. 7 Rothe, S. 24, 68. 8 Rothe, S. 69 ff. m. w. N. • Rothe, S. 92 ff. m. w. N. 10 Es käme zu einem unendlichen Regreß; diese Befürchtung wurde bereits im Kommissionsentwurf zum FGG laut: vgl. Hahn / Mugdan, Materialien ... , S. 120; ferner Rothe, S. 77, 78: "Die Änderungsbefugnis gemäß § 18 FGG muß gegenüber dem zwingenden Erfordernis jedes Rechtsmittelverfahrens zurücktreten, daß Rechtsmittelentscheidungen für untere Instanzen unabänderbar sein müssen." 11 Rothe, S. 78. t! Rothe, S. 79: Die Bindung an den Tenor ergänzt durch die Entscheidungsgründe - setzt voraus, daß dem erstinstanzlichen Gericht keine anderen, besseren Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen. 13 So Rothe, S. 79 ff., 80, 82; im Ansatz anders Gäbelein, S. 43, der den entscheidenden Grund gegen die Befugnis des erstinstanzlichen Gerichts, eine Beschwerdeentscheidung ändern zu dürfen, in der Stellung der Instanzen im Rechtsmittelverfahren findet. Die nachträgliche Unrichtigkeit bleibt jedoch bindungsfrei, Gäbelein, S. 90. 14 Ausnahme: während der Dauer des Rechtsbeschwerdeverfahrens (§ 29 Abs.3 FGG); Rothe, S. 88.

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

28

gesteigerte Bedeutung der öffentlichen Interessen ließe es nicht zu, die Bestimmung und Ermittlung des Verfahrensstoffs den Beteiligten zu überlassen. Da in dieser Instanz aber häufig über erstmals vorgebrachte Tatsachen entschieden werde, sei es - von diesem Grundgedanken her - inkonsequent, diese Tatsachen anders zu behandeln (also keine Abänderung zuzulassen, sei es durch das Beschwerdegericht, sei es durch das erstinstanzliche Gericht) als die in der ersten Instanz vorgebrachten Faktenl5 • Schließlich gebe es in der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine Präklusion für erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Tatsachenl6 • Dieser Gedankengang läßt aber unberücksichtigt, daß es sich im Fall der unbefristeten Beschwerde um ein Rechtsmittel handelt, das den Antrag von Seiten eines Beschwerdeberechtigten voraussetzt. Es handelt sich also bei der Beschwerdeentscheidung um eine in einem ganz anders initiierten Verfahren zustandegekommene Entscheidung, die mit der im Ausgangsverfahren getroffenen bereits insofern nicht vergleichbar ist. Auch der Hinweis auf die Grundsätze der Präklusion geht fehl: Immerhin kann der Beschwerdeführer sämtliches Tatsachenmaterial vortragen. Ob nach getroffener Beschwerdeentscheidung weiteres Tatsachenmaterial in einem Änderungsverfahren vorgebracht werden kann, ist keine Frage der Präklusion. Von Präklusion wird dort gesprochen, wo in einem anhängigen Rechtsmittelverfahren ein Tatsachenvorbringen ausgeschlossen werden soll.17 Diese Auffassung muß sich ferner über den Wortlaut des § 18 FGG hinwegsetzen; danach ist dem fG-Richter nur die Abänderung einer eigenen Entscheidung, nicht einer Beschwerdeentscheidung erlaubtl8 • Für die Ansicht Rothes scheint jedoch § 29 Abs. 3 FGG zu sprechen: Danach dürfen Amtsgericht und Landgericht einer weiteren Beschwerde nicht abhelfen. Grundgedanke dieser Vorschrift ist es, die Rechtseinheit im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu wahren, die durch eine umfassende Abänderungsbefugnis selbst nach Einlegung der weiteren Beschwerde gefährdet19 ist. Im Gegenschluß ließe sich behaupten, wo keine weitere Beschwerde eingelegt sei, sei eine Gefährdung der Rechtseinheit nicht zu befürchten, eine AbänderungsVgl. Rothe, S. 73.

1. Vgl. Rothe, S. 72.

16

17 Vgl. für die Präklusion im Berufungs- und Revisionsverfahren: Bruns, Zivilprozeßr., § 53 Rdnr. 269 b, S. 412; davon zu unterscheiden ist die Präklusion bei der Vollstreckungs gegenklage Bruns, § 43, Rdnr. 228 a, S. 362. 18 Wie Rothe selbst einräumt: a.a.O., S. 74. 1. Vgl. Rothe, S. 75, 88; Furbach, Recht 12, 761 leitet daraus ein Änderungsverbot (I) ab.

A. Die bisherigen Auslegungsversuche in der Literatur

29

befugnis durch Amtsgericht und Landgericht vielmehr stillschweigend vorausgesetzt. 20 Untersucht man jedoch die Entstehungsgeschichte der Norm sowie ihren eigentlichen Zweckgedanken so zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß diese Interpretation des § 29 Abs. 3 FGG nicht zutreffend ist. § 29 Abs.3 FGG wurde in Anlehnung an § 80 Abs. 2 GB021 konzipiert, wie sich der Denkschrift zum FGG entnehmen läßt 2z . § 80 GBO wiederum läßt sich zurückführen auf § 53 des preußischen AGGVG sowie § 76 des ersten Entwurfs zur GB023. Die weitere Beschwerde konnte nach diesen Normen sowohl beim Amtsgericht als auch beim Landgericht eingelegt werden; die Beteiligten sollten "freiere Hand haben"24. Im übrigen wurde das Verfahren der weiteren Beschwerde unter Verweisung auf die Normen der Beschwerde geregelt. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Befürchtung laut, aus dieser Generalverweisung sowie aus der Regelung über die Einlegung einer weiteren Beschwerde könne eine umfassende Abänderungsbefugnis für Amtsgericht und Landgericht geschlossen werden25 • Zur Vermeidung dieser Auslegung wurde § 80 Abs. 2 GBO konzipiert. § 80 Abs. 2 GBO wie § 29 Abs. 3 FGG bezwecken also lediglich eine KlarsteIlung gegenüber den in § 80 GBO, § 29 FGG normierten Voraussetzungen für die Einlegung der weiteren Beschwerde. Daraus, daß die weitere Beschwerde auch bei Landgericht und Amtsgericht eingelegt werden konnte, sollte nicht gefolgert werden, daß diese auch abänderungsbefugt seien. Rückschlüsse auf eine Abänderungsbefugnis von Amts- und Landgericht lassen sich daher diesen Normen gerade nicht entnehmen. 3. Auch nach Eintritt der Rechtskraft soll § 18 FGG zur Abänderung berechtigen28 . a) Die formelle Rechtskraft - so Rothe - habe nicht Unabänderbarkeit zur Folge. Formelle Rechtskraft bedeute eben nur Unanfechtbarkeit mit Rechtsmitteln; sie sage nichts darüber aus, ob das alte Verfahren zum Zwecke der Änderung der Entscheidung von Amts wegen %0 Die durch den Wortlaut des § 29 Abs. 3 FGG nahegelegte Konsequenz, eine Abänderungsbefugnis von Amtsgericht und Landgericht anzunehmen, wird jedoch - soweit ersichtlich - von niemandem gezogen. Sie führte auch zu einer Abänderungskonkurrenz von Amtsgericht und Landgericht. Bereits diese überlegung deutet an, daß der Gegenschluß wenig tragfähig sein wird; vgl. Rothe, S. 94. %1 Ebenso ergeben sich Parallelen zwischen § 75 GBO und § 18 FGG. %2 Vgl. Hahn / Mugdan, Materialien (FGG), S. 41. 23 Vgl. Hahn / Mugdan, Materialien (GBO), S. 175; Güthe, GBO, 2. Aun., Bd. II, § 80 Rdnr. 1. I ' Vgl. Hahn / Mugdan, Materialien (GBO), S. 173. !5 Hahn / Mugdan, Materialien (GBO), S. 175. ze Rothe, S. 110 ff.

30

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

oder auf Antrag fortgesetzt werden könne 27 . Diese Funktion komme der Unabänderbarkeit zu, die Rothe definiert als "Bindung des für die Änderung zuständigen erstinstanzlichen Gerichts, sofern es im gleichen Verfahren einschließlich eines Änderungsverfahrens erneut mit der gleichen Sache bei unverändertem Sachverhalt befaßt wird"28. b) Auch die materielle Rechtskraft bewirke keine Unabänderbarkeit: § 18 FGG gelte nur im alten Verfahren; die materielle Rechtskraft hingegen schließe ein neues Verfahren bei gleichem Streitgegenstand aus 28 . Unabänderbarkeit und formelle Rechtskraft 30 seien - gerade umgekehrt - Voraussetzungen der materiellen Rechtskraft 31 : Solange eine Verfügung auch bei unverändertem Sachverhalt frei nach § 18 FGG änderbar sei, diene es weder dem Rechtsfrieden noch der Rechtssicherheit unter den Beteiligten, wenn diese noch nicht endgültige Entscheidung in späteren Verfahren für verbindlich erklärt werde. 4. Nach Rothe statuiert § 18 FGG somit eine umfassende Abänderbarkeit32 , die nur durch gesetzliche Anordnung (zum Beispiel §§ 18 Abs. 2, 29 Abs. 3 FGG) bzw. durch die innerverfahrensrechtliche Bindung des erstinstanzlichen Gerichts an die sachliche Beschwerdeentscheidung begrenzt wird. Eine Abgrenzung zwischen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen kann von diesem Ansatz her nur über das formale Kriterium "Altverfahren - Neuverfahren" gelingen. Daß dabei die verfahrensrechtliche Abänderbarkeitsnorm auf einen Unrichtigkeitstatbestand (nachträgliche Unrichtigkeit) ausgedehnt wird, der seine Entstehung nicht im eigentlich verfahrensrechtlichen Bereich hat33 , ist jedenfalls in dem von Rothe angenommenen Maß bedenklich. Bedenken ergeben sich auch daraus, daß immer wieder zur Stützung der Ergebnisse auf den Rechtsfürsorgegedanken zurückgegriffen wird 34 • Rothe, S. 143. Rothe, S. 114. zu Rothe, S. 153 ff., insbesondere S. 173 ff. 30 Von Rothe als "Endgültigkeit" bezeichnet: S. 117. 31 Vgl. Rothe, S. 164, 174 ff. (175); Für die Frage, ob die materielle Rechtskraft in der freiwilligen Gerichtsbarkeit überhaupt anzuerkennen ist, läßt Rothe eine Bedürfnisprüfung entscheidend sein, S. 172: "Materielle Rechtskraft kann aber nur anerkannt werden aufgrund einer Interessenabwägung zwischen Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens (Vertrauen der Beteiligten auf den Bestand der Verfügung) einerseits und entgegenstehenden Erfordernissen der materiellen Gerechtigkeit oder auch des öffentlichen Interesses andererseits." 3Z Von seinem Standpunkt aus muß Rothe eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmeregeln der ZPO (§§ 578 ff.) mangels Gesetzeslücke ablehnen, S. 185 ff., 189/193; a. A.: Gäbelein, S. 90, der die verdeckten Tatsachen nicht unter § 18 FGG faßt und daher eine Gesetzeslücke bejaht. 33 Vgl. 1. Kap. A III. !7

18

A. Die bisherigen Auslegungsversuche in der Literatur

31

Die freiwillige Gerichtsbarkeit als heterogen zusammengesetzes Gebilde wird aber nicht als Ganzes, sondern nur in Teilen vom Rechtsfürsorgegedanken beherrscht. Entscheidend ist daher, den konkreten Zweckgehalt der einzelnen Abänderbarkeitsnormen zu ermitteln. 55 11. Die enge Auffassung: § 18 FGG als Ablnderbarkeitsnorm für anfängliehe Unriehtigkeit"

Die Auffassung, § 18 FGG sei auch auf nachträgliche Unrichtigkeit anwendbar, hat zur Folge, daß auch die im FGG enthaltenen Ausschluß tatbestände auf diese Fehlerquelle ausgedehnt werden. 57 Dieses Ergebnis wird von der engen Auffassung als nicht sachgerecht empfunden: Die nachträgliche Unrichtigkeit resultiere doch aus völlig anderen Umständen als die anfängliche Unrichtigkeit und könne daher nicht mit gleichen Maßstäben gemessen werden58 • Bei letzterer stünden dem Richter ja alle Erkenntnismittel zur Verfügung; Rechtssicherheit und Staatsautorität schlössen eine zu weitgehende Abänderbarkeit aus. Anders sei es bei den Fällen der nachträglichen Unrichtigkeit; hier spreche vieles für eine Abänderungsmöglichkeit - schließlich müsse man ja mit der Entwicklung gehen. § 18 FGG sei daher auf die Korrektur verfahrensspezifischer Fehler und damit anfänglich unrichtiger Entscheidungen zu begrenzen und durch einen allgemeinen materiellrechtlichen Abänderungstatbestand für nachträgliche Unrichtigkeit zu ergänzen39 • Veränderungen im Zuge der weiteren Entwicklung nach Erlaß der Erstentscheidung könne man eben nur mit Hilfe des materiellen Rechts begegnen. Anders als im Zivilprozeß (§ 318 ZPO) gebe es in der freiwilligen Gerichtsbarkeit zwar wegen § 18 FGG keine Bindung des Richters an M

Vgl. Rothe, S. 13, 47, 72, 94, 164; ähnlich auch Münch-Komm / Hinz,

§ 1696 Anm. 1: " ... da doch § 18 FGG generell dem rechtsfürsorgerischen

Charakter der freiwilligen Gerichtsbarkeit Rechnung trägt." Wie hier: Costede, Studien ... , S. 349. 35 Das Wesen eines Verfahrens läßt sich de lege lata nur aus dem Zusammenspiel der Normen wie aus den diesen zugrundeliegenden Wertungen entnehmen. Andernfalls wird die vom Norminterpreten zu beachtende Grenze zwischen Rechtsfortbildung und überlegungen de lege ferenda überschritten; vgl. auch die umfassende kritische Würdigung bei Dorndorf, S. 87 ff. 36 Innerhalb der engen Auffassung kann wieder danach unterschieden werden, ob die verdeckten Tatsachen zur anfänglichen Unrichtigkeit gerechnet werden oder nicht: bejahend: Baur, Lehrb., § 24, S. 243 ff.; Keidel/ Kuntze / Winkler, § 18 Rdnr. 2, 7; Pikart / Henn, Lehrb., D III 7 g, S. 103; Bassenge / Herbst, § 18 Anm. 3; Schlegelberger, § 18 Rdnrn. 5, 20 ff., Unger, ZZP 36, 1, ZZP 41, 143 ff., 182, 183; Soergel/ Siebert / Lange, § 1696 Rdnr.2; ablehnend: Habscheid, Lehrb., § 27 III b, S. 158. n Ausdrücklich Rothe, S. 53. M Vgl. 1. Kap. A 111. 18 So: Baur, § 24 A I 3, S. 244/245; § 24 C I, S. 258; Keidel / Kuntze / Winkler, § 18 Rdnrn. 28 ff.

32

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

die eigene Entscheidung4°; die Änderungsbefugnis nach § 18 FGG ende aber mit Erlaß einer Beschwerdeentscheidung41 bzw. mit Eintritt der formellen Rechtskraft. Die Unterscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unrichtigkeit bestimmt nach dieser Ansicht die Grenze zwischen verfahrensrechtlicher und materiellrechtlicher Abänderbarkeitsnorm wie zwischen Alt- und Neuverfahren. 42 Begründet wird diese These teilweise mit einer analogen Anwendung der vereinzelten materiell-rechtlichen Abänderbarkeitsnormen43 : Sie seien Ausprägungen des Grundsatzes, daß die Verfügungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit unter dem Vorbehalt gleichbleibender Verhältnisse ergingen. Teilweise wird ohne Angabe eines Rechtsgrundes unter Heranziehung "allgemeiner Grundsätze"44 darauf verwiesen, die nachträgliche Unrichtigkeit könne außerhalb von § 18 FGG in einem neuen Verfahren46 behandelt werden. Bedenklich stimmt, daß die strikte Trennung zwischen § 18 FGG und der allgemeinen Abänderbarkeitsregel für nachträgliche Unrichtigkeit Baur, § 24 A II 2 a, S. 246. Baur, § 24 B III 4, S. 254. Eine ältere Auffassung nahm an, auch bei sachlicher Beschwerdeentscheidung bleibe die erstinstanzliche Verfügung aufrechterhalten, so daß auch die Abänderungsbefugnis des unteren Gerichts bestehen bleibe, vgl. die Nachweise bei Dorndorf, S. 135/Fn. 7. Für diese Auffassung könnte die Möglichkeit einer wiederholten Beschwerdeeinlegung sprechen; dann wäre es nur folgerichtig, die Änderungsbefugnis auch nach sachlicher Beschwerdeentscheidung bestehen zu lassen; dagegen jedoch mit überzeugenden Gründen Rothe, S. 67 ff. 42 Baur, § 24 B II 3, S. 250; § 25 14 b, S. 267. 43 Baur, § 24 C I, S. 259. 44 Keidel/ Kuntze / Winkler, § 18 Rdnr. 32 m. w. N.; ein allgemeiner Grundsatz, daß bei Entscheidungen mit Dauerwirkung eine Abänderung wegen veränderter Verhältnisse möglich sein muß, ist jedoch nicht anzuerkennen; vgl. die überzeugende Begründung bei Dorndorf, S. 99; näher dazu noch im 5. Kapitel. 45 Hier zeigen sich Parallelen zur Rechtskraftdoktrin des Zivilprozesses: Die Bindung an den Tenor der Entscheidung besteht nur bei identischem Streitgegenstand; vgl. Bötticher, JZ 56, S. 584. Die Streitgegenstandsproblematik scheint gerade bei der Unterscheidung von nachträglicher Unrichtigkeit und verdeckten Tatsachen eine Rolle gespielt zu haben: In einem der Dispositionsmaxime unterstehenden Verfahren obliegt es den Parteien, den Streitstoff und damit auch die "verdeckten" Tatsachen zu beschaffen. Gelingt ihnen das nicht, so ist es gerechtfertigt, sie mit dem Vorbringen verdeckter Tatsachen auch in einem neuen Verfahren auszuschließen. Diese Vorstellung scheint infolge der Anlehnung an die ZPO-Doktrin auch Eingang in die freiwillige Gerichtsbarkeit gefunden zu haben, paßt aber für die Amtsverfahren nicht: hier obliegt dem Richter die Beschaffung des Streitstoffes. Die Ausschlußfunktion der Rechtskraft zur Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden tritt hinter dem Rechtsfürsorgeanliegen zurück; die Streitgegenstandslehre ist für die Abgrenzung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Abänderbarkeitsnormen insofern wenig erkenntnisträchtig; vgl. auch Grunsky, Grundlagen ... , S. 48. 40

41

B. Die Auslegung des § 18 FGG durch die Rechtsprechung

33

von Baur selbst nicht durchgehalten werden kann. So bejaht er in einigen Fällen die analoge Anwendung der für § 18 FGG geltenden Ausschluß tatbestände im Rahmen der allgemeinen Abänderungsnorm für nachträgliche Unrichtigkeit.'o Bereits dieses Bedenken zeigt47 , daß die Trennung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unrichtigkeit nicht den eigentlichen Kern des § 18 FGG wie auch der materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen trifft48 •

m.

Die vermittelnde Auffassun~

Eine vermittelnde Ansicht vertritt Schwoerer": Es sei zwar richtig, daß § 18 FGG auch die nachträgliche Unrichtigkeit erfasse50 ; schließlich sei nicht einzusehen, "warum das Vormundschaftsgericht eine Beschwerde abwarten sollte, um neue Tatsachen berücksichtigen zu dürfen, oder warum es die Berücksichtigung der Beschwerdeinstanz überlassen müßte" .51 Andererseits sei nach sachlicher Beschwerdeentscheidung jedenfalls nach § 18 FGG keine Abänderung mehr möglich52 . Nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen komme es dem unteren Gericht nicht zu, über die Sache anders zu entscheiden als das Beschwerdegericht53•

B. Die Auslegung des § 18 FGG durch die Rechtsprechung I. § 18 FGG und die einzelnen Fehlerquellen

Auch in der Rechtsprechung wird zum Teil davon ausgegangen, § 18 FGG erfasse auch die nachträgliche Unrichtigkeit". Der Zweck des § 18 Abs. 2 FGG, möglichst schnell eine endgültige Entscheidung herbeizuführen, treffe auch auf die nachträglich entstandenen Tatsachen zu. In die entgegengesetzte Richtung deutet ein Urteil des Kammergerichts55 ; hierbei ging es um die Abgrenzung von § 18 FGG und § 1696 BGB58: Baur, § 24 C I, S. 259. Vgl. weitere Ansätze der Kritik bei Bötticher, JZ 56, S. 583 ff. 48 So auch Bötticher, JZ 56, S. 584: Entscheidend sei die Identität des Verfahrens, nicht aber die Identität des Ausgangssachverhalts. 49 Staudinger / Schwoerer, § 1696 Anm. 2 ff.; so auch: Bärmann, § 21 11,111, 48

47

S. 151, 155.

Wie dies die unter 2. Kap. A I vorgetragene Ansicht behauptet. Staudinger / Schwoerer, § 1696 Anm. 11. 51 Wie dies die unter 2. Kap. All vorgetragene Ansicht behauptet. 53 Vgl. auch Bumiller / Winkler, § 18 Anm. 1,2. 54 So jedenfalls LG Mannheim MDR 60, 505; dieses Judiz ist jedoch kaum verallgemeinerungsfähig: Zum einen ist kein Sachverhalt mitgeteilt, zum anderen betraf es die Aufhebung einer Nachlaßverwaltung. 50

51

3 Bonvie

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

34

Das Landgericht als Vorinstanz hatte im Beschwerdeverfahren die elterliche Gewalt nach § 1671 a. F. BGB auf den Vater übertragen. Dieser Beschluß basierte auf einem Scheidungsurteil, in dem das überwiegende Verschulden der Mutter an der Scheidung festgestellt worden war. Nach einer Restitution dieses Scheidungsurteils beantragte die Mutter beim Amtsgericht die übertragung der elterlichen Gewalt; diesem Antrag wurde stattgegeben. Das Landgericht wies die Beschwerde des Vaters zurück. Das Kammergericht hatte über die weitere Beschwerde zu entscheiden. Das Kammergericht wirft nun die Frage auf, ob die Entscheidung des Amtsgerichts auf § 18 Abs. 1 FGG in Verbindung mit § 1671 a. F. BGB oder auf § 1696 BGB zu stützen sei. Das Gericht begründet die Relevanz dieser Fragestellung mit dem nicht näher präzisierten57 Hinweis, wegen der grundlegenden Verschiedenheit der beiden in Betracht kommenden Bestimmungen müsse die Entscheidung nicht zu demselben Ergebnis führen. Im Hinblick auf die nunmehr notwendige Abgrenzung der beiden Normen stellt das Kammergericht klar, § 1696 BGB habe eine Änderung der Umstände überhaupt nicht zur Voraussetzung. Entscheidend sei, ob das Wohl des Kindes eine Änderung der früheren Sorgerechtsregelung angezeigt erscheinen lasse. § 1696 BGB sei jedoch dann nicht anwendbar, wenn die die frühere Sorgerechtsregelung bestimmende Rechtslage mit rückwirkender Kraft fortgefallen sei. Dann gründe sich die Abänderungsbefugnis auf § 18 FGG in Verbindung mit § 1671 a. F. BGB68. Ist aber die frühere Sorgerechtsregelung rückwirkend unrichtig geworden, so liegt ein Fall anfänglicher Unrichtigkeit vor. Daraus, daß das Kammergericht eine Abgrenzung zwischen § 18 FGG und § 1696 BGB für notwendig erachtet, könnte gefolgert werden, das Kammergericht wolle § 18 FGG auf die Fälle der anfänglichen Unrichtigkeit begrenzen59 • KG FamRZ 59, 259. Der Beschluß des Kammergerichts erging auf einem Sachgebiet, in dem seit dem 1. 7. 77 die befristete Beschwerde gilt und § 18 FGG daher von vornherein ausgeschlossen ist. Da es jedoch auch nach der gegenwärtigen Rechtslage noch Verfahren mit unbefristeter Beschwerde gibt, § 18 FGG somit einen Anwendungsbereich hat, muß die Entscheidung des KG zur Ausdeutung des § 18 FGG herangezogen werden. 57 Möglicherweise sah sich das KG dadurch zu dieser Unterscheidung veranlaßt, daß das Kind sich an die jetzige Situation gewöhnt hatte (immerhin waren ca. 4 Jahre vergangen) und befürchtete Schwierigkeiten bei der Auslegung des Merkmals "triftige ... Gründe des Kindeswohls"; vgl. dazu die Ausführungen S. 260 (kleingedruckt) zu § 1671 BGB. 58 Dorndorf, S. 160 Fn. 97 hält von seinem Standpunkt aus nur eine Wiederaufnahme des Verfahrens analog §§ 580 ff. ZPO für möglich. 59 Das Urteil wird dementsprechend von Kommentaren zitiert, die eine Begrenzung des § 18 FGG auf anfängliche Unrichtigkeit annehmen: Erman / Ronke, § 1671, Rdnr. 59; Palandt / Diederichsen, § 1696 Anm. 3, 2; anders 55

18

B. Die Auslegung des § 18 FGG durch die Rechtsprechung

35

D. § 18 FGG im Instanzenzul'

Intensiver hat sich die Rechtsprechung mit der Frage auseinandergesetzt, welche Bedeutung § 18 FGG im Instanzenzug zukommt. Zu dieser Frage bildete sich seit Inkrafttreten des FGG eine Tendenz in der Rechtsprechung aus; es sind jedoch auch abweichende Urteile zu verzeichnen. 1. Schon früh 60 entschied das Kammergericht, § 18 FGG beziehe sich nur auf erstinstanzliche Verfügungen. Entscheidungen des Beschwerdegerichts könnten weder durch dieses Gericht selbst noch durch das unterinstanzliche Gericht abgeändert werden. § 18 FGG habe ferner nach Eintritt der formellen Rechtskraft keine Bedeutung81 : Die formelle Rechtskraft beende das alte Verfahren; dies gelte auch für die rein verfahrens rechtliche Norm § 18 FGG. Neben § 18 FGG gebe es aber die Möglichkeit, ein neues Verfahren einzuleiten. 82 Diese Möglichkeit werde nur durch die materielle Rechtskraft begrenzt83 • 2. Der Unterscheidung zwischen Alt- und Neuverfahren mißt das OLG Karlsruhe84 keine Bedeutung zu und kommt so zu einer abweichenden Erkenntnis: Die formelle Rechtskraft schließe die Abänderbarkeit nicht aus. Das OLG Karlsruhe gibt jedoch keine Rechtsgrundlage an für diese Abänderungsbefugnis nach formeller Rechtskraft. Deutlicher ist das Kammergericht85 : Das erstinstanzliche Gericht dürfe eine höherinstanzliche Entscheidung ändern; § 18 FGG sei Rechtsgrundlage auch in einem neuen Verfahren.

3. Das OLG Ramm führt aus, nach § 18 FGG sei das Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit abweichend von § 318 ZPO von der Selbstbindung an seine Entscheidung befreit. Aufgrund dieser Bestimmung seien aber nur die erstinstanzlichen Gerichte zur Abänderung ihrer eigenen Entscheidung befugt. Wenn aber in der Sache eine Beschwerdeentscheidung ergangen sei, dürfe das Amtsgericht auch auf grund des Dorndorf, der aus dem Urteil des KG herleitet, § 18 FGG betreffe auch veränderte Umstände, S. 84 Fn. 18, S. 85 / Fn. 19. eo KGJ 31, A 352; 42, A 23 (25); 46, A 3; 53, A 11. 61 KGJ 32, A 76 (82); 42, A 23 (25); DFG 1, 128; JFG 13,245. 82 Es wird nicht klar, auf welchen Unrichtigkeitstatbestand dieses neue Verfahren gestützt werden kann (auch anfängliche Unrichtigkeit oder nur nachträglich entstandene Tatsachen). Dorndorf, S. 82 spricht von einem neuen Verfahren "in eadem re" (71). 83 Daraus ließe sich folgern, auf diesen Gebieten sei eine Abänderung wegen ursprünglicher Unrichtigkeit auch außerhalb des § 18 FGG möglich; eine Rechtsgrundlage wird jedOch nicht benannt. u OLG Karlsruhe Rpfleger 54, 316. 65 KG NJW 55, 1074. 3·

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

36

§ 18 FGG bei unveränderter Sach- -und Rechtslage keine abändernde Verfügung abweichenden Inhalts erlassen". 4. Das LG Bonne7 schließlich entnimmt § 18 FGG eine Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts.

m.

Auswertung der Rechtsprechung

Auch die Rechtsprechung läßt keinen überzeugenden Auslegungsansatz für § 18 FGG erkennen. Zu berücksichtigen ist ferner, daß in der Rechtsprechung § 18 FGG seit Beginn der siebziger Jahre kaum noch Berücksichtigung findet; die Abänderungsbefugnis wird weitgehend materiellrechtlichen Normen entnommen. Eine restriktive Tendenz zeigt sich auch in der Gesetzgebung. Die Familienrechtsreform vom 1. 7. 77 hat zu einem Ausschluß des § 18 FGG in Sorgerechtssachen geführt. Der FrGO-Entwurf sieht eine gänzliche Eliminierung des § 18 FGG vor6 8 • Wäre § 18 FGG - wie behauptete' die umfassende fG-Abänderbarkeitsnorm, so wären diese Restriktionsversuche ungerechtfertigt. Es muß daher versucht werden den eigentlichen Zweck des § 18 FGG aufzudecken.

C. Die Auslegung des § 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO; die Abhilfeänderung I. Der Wortlaut

1. Der Text des § 18 FGG ("erachtet nachträglich als ungerechtfertigt") enthält keine Lösung der Frage, auf welche Unrichtigkeitstatbestände diese Norm anwendbar ist. Der Wortlaut gibt nämlich keinen Aufschluß über den Zeitpunkt, der für das Urteil des Ungerechtfertigtseins maßgeblich sein soll: wählt man den Zeitpunkt des Erlasses, so wird die nachträgliche Unrichtigkeit von § 18 FGG nicht mehr erfaßt70 • Wählt man den Zeitpunkt, in dem zum ersten Male eine Abänderung in Betracht gezogen wird oder gar den Zeitpunkt der Abänderungsentscheidung, so ist eine Anwendung von § 18 FGG auf nachträgliche Unrichtigkeit auch vom Wortlaut her nicht ausgeschlossen. OLG Hamm NJW 70, 2118. LG Bonn MDR 56, 45. 88 FrGO-Entwurf, S. 102. ee Rothe, S. 203 ff. 70 Eine vergleichbare Fragestellung ist aus dem Verwaltungsverfahrensrecht bekannt: Stellt man für das im Hinblick auf die Abgrenzung von § 48 VwVfG und § 49 VwVfG entscheidende Merkmal der Rechtswidrigkeit auf den Zeitpunkt des Erlasses oder den der überprüfung/Abänderung ab? Vgl. Stelkens / Bonk / Leonhardt, § 48 Rdnr. 9, § 44 Rdnm. 5 ff. m. w. N. 18

87

C. Die Auslegung des § 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO

37

2. Der Wortlaut enthält jedoch ein Indiz für die Bedeutung des § 18 FGG im Instanzenzug: danach ("erachtet das Gericht eine von ihm erlassene Verfügung") ist der fG-Richter erster Instanz nur befugt, eine eigene Entscheidung abzuändern. Ist die erstinstanzliche Entscheidung aber durch die Beschwerdeentscheidung substituiert7 1 , so ändert der fG-Richter erster Instanz eine fremde Entscheidung, wofür der Wortlaut des § 18 FGG keine Grundlage bietet. D. Die Normgesddclde 1. Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren die Korrekturmöglichkeiten für Endentscheidungen auf dem Gebiet der Freiwilligen Gerichtsbarkeit nur unzureichend geregelt. Teils übernahm man Rechtsfiguren des kanonischen Rechts (das Extrajudizialappelationsverfahren72 ), teils orientierte man sich am Zivilverfahren (und zwar an der querele. simplex73); in Vormundschaftssachen gestattete man als Einspruchsmöglichkeit die Anrufung der Oberbehörde zwecks Ausübung der Aufsichtsgewalt". Aufschluß über die Struktur dieser Rechtsbehelfe wie Antwort auf die Frage nach ihrer Reichweite sucht man vergeblich75 •

Immerhin zeigt sich, daß von einer einheitlichen Quelle bzw. von einer kontinuierlichen Entwicklung in Anlehnung an eine einzige Verfahrensmaterie (also Verwaltungsverfahren oder Zivilprozeß) nicht gesprochen werden kann. Die im Anschluß an das GVG erfolgten landesgesetzlichen Regelungen nahmen vielfach auf die Beschwerde des Zivilprozesses Bezug"; diese Tendenz wird in der Denkschrift zum FGG aufgegriffen: § 18 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. FGG entspreche dem Abhilferecht des § 571 ZPO - aber mit der durch den Grundsatz des Amtsbetriebes gebotenen Abwandlung, daß es zur Änderung einer Beschwerde nicht bedürfe77 • § 571 ZPO bezweckt, die Angehung des Beschwerdegerichts zu ersparen, wo sie unnötig ist78 • Unnötig ist eine Beschwerde aber auch dann, wenn das Untergericht wegen veränderter Umstände an der Entscheidung nicht mehr festhalten will. Dieser Ge71 Zum nicht ganz unbestrittenen - Substitutionsgedanken: Unger, ZZP 41, 143 ff., 177; überprüft das Beschwerdegericht die Entscheidung im Ganzen, so ist die Annahme einer Substitution nur folgerichtig. 71 Unger, ZZP 34, 233 ff., 243. 7S Hormuth, Beschwerdeberechtigung ..., S. 52. n Hormuth, S. 52/53; diese Affinität zu Rechtsfiguren des Verwaltungsrechts wird bei § 1696 BGB - wie noch zu zeigen sein wird - eine gewichtige Rolle spielen. 75 Unger, ZZP 34, S. 235. 7. Hormuth, S. 52. 77 Hahn / Mugdan, Materialien, S. 39. 78 Stein / Jonas / Grunsky, § 571 Anm. I.

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

38

dankengang spricht dafür, § 18 FGG auch auf die Fallgruppe der nachträglichen Unrichtigkeit zu erstrecken. 2. Ein weiterer Nachweis dafür, daß den Gesetzgeber das Problem der nachträglichen Unrichtigkeit im Rahmen des § 18 FGG beschäftigt hat, läßt sich dem Kommissionsbericht entnehmen: Umstritten war, ob dem iudex a quo (auchFU im Falle der sofortigen Beschwerde ein Abänderungsrecht "wegen Tatsachen" zugestanden werden sollte, "die sich nach Erlaß der Verfügung zugetragen haben". Es sei doch nicht einzusehen, daß der Antragsteller die Beschwerdekosten tragen solle, der die neue Tatsache in seinem Antrag nicht habe berücksichtigen können, weil sie sich noch nicht ereignet hatte. Dieses Argument wurde von Vertretern des Bundesrates bekämpft mit dem Hinweis auf den die zeitliche Begrenzung des Beschwerderechts tragenden Zweck, nämlich schnell eine endgültige Entscheidung herbeizuführen. Hinter diesem Zweck müsse aber das Interesse des "schuldlosen" Antragstellers zurücktreten, nicht mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens belastet zu werden. Dieser Einwand verliert jedoch seine Berechtigung für die Fälle der einfachen Beschwerde, so daß der Rückschluß naheliegt, der Gestzgeber sei davon ausgegangen, § 18 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. FGG erfasse auch die nachträglich unrichtige Erstentscheidung. 3. Diese Überlegungen könnten auch den Schluß rechtfertigen, § 18 FGG sei nach sachlicher Beschwerdeentscheidung nicht mehr anwendbar. Die Normgeschichte ist jedoch keineswegs eindeutig. Es lassen sich auch Strömungen ausmachen, die den Rechtsfürsorgegedanken in den Vordergrund stellen und daher die Normgrenzen des § 18 FGG anders ziehen80 •

m.

Systematisdle und teleologisdle Aspekte

1. Aspekte aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit a) Nach § 23 FGG können nachträglich entstandene Tatsachen im Beschwerdeverfahren vorgebracht werdensI. Gleiches - so ließe sich folgern - hätte dann auch im Abänderungsverfahren nach § 18 FGG zu gelten: Könne der Beschwerdeführer nachträgliche Unrichtigkeit geltend machen, so müsse es doch erst recht dem zur Rechtsfürsorge berufenen fG-Richter in einem grundsätzlich dem Amtsbetrieb unterstehenden Verfahren möglich sein, auf veränderte Umstände zu reagieren. 7. Vgl. dazu: Hahn / Mugdan, S. 120; Rothe, S. 48, 49, der jedoch die Ergiebigkeit dieser Quelle in Zweifel zieht. 80 Vgl. Rothe, S. 47 m. w. N. 81 Vgl. Bärmann, § 21 III 2, S. 155.

c. Die Auslegung des § 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO

39

b) Die bisherigen Ausführungen legen es nahe, § 18 FGG als verfahrensrechtliche Abhilfenorm zu interpretieren, die alle Unrichtigkeitstatbestände erfaßt, nach sachlicher Beschwerdeentscheidung aber keine Bedeutung mehr hat. Diese Auslegung des § 18 FGG muß daraufhin überprüft werden, ob sich Unstimmigkeiten im Hinblick auf die veTschiedenen Ausschlußtatbestände zu § 18 FGG ergeben. aal In der ersten Normgruppe wird die Abänderbarkeit gemäß § 18 Abs. 2 FGG bei sofortiger Beschwerde ausgeschlossen: (1) §§ 53 Abs. 2 Satz 1, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG (abeT nUT bei stattgebenden Beschlüssen8! ):

§§ 1357 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz, 1365 Abs. 2, 1369 Abs. 2, 1426, 1430, 1452 Abs. 1, 1727, 1746 Abs. 3, 1748, 1749 Abs. 1 Satz 2, 1971 Abs. 3 Satz 2, 113 Abs. 4 BGB (2) §§ 56 c, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG: §§ 1600 lAbs. 2 i. V. m. 1600 g; 1599 Abs. 2 i. V. m. 1594; 1595 a,

1596 BGB

(3) §§ 56 b, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG (nUT bei stattgebendem Beschluß82):

§ 1740 a BGB

(4) §§ 55 b Abs. 2, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG: § 1600 n Abs. 2 BGB

(5) §§ 53 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG: § 1934 d Abs. 5 BGB (6) § 60 Abs. 1 NT. 2 FGG (nUT bei ablehnendem Beschluß):

§§ 1787 Abs. 2, 1786, 1792 Abs. 4, 1691 Abs. 1 BGB

(7) §§ 55 a, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG (nUT bei stattgebendem Beschluß82):

§ 1800 Abs. 2 BGB

(8) § 60 Abs. 1 NT. 4 FGG (nUT bei stattgebendem Beschluß82): §§ 1878 Abs. 2, 1879, 1880 Abs. 2 BGB (9) § 60 Abs. 1 NT. 3 FGG (nUT bei stattgebendem 82 Beschluß):

§§ 1886, 1887, 1888, 1792 Abs. 4,1691 Abs. 1 BGB

(10) § 60 Abs. 1 NT. 1 FGG (nUT bei stattgebendem82 Beschluß): §§ 1776 - 1778, 1899, 1900, 1792 Abs. 2, 1861, 1867 BGB

(11) §§ 83 a, 53 a Abs. 2, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG: §§ 1934 b Abs. 2, 2331 a Abs. 2 BGB (12) § 76 Abs. 2 FGG (nUT bei stattgebendem82 Beschluß): § 1981 Abs. 2 BGB 81 Die ablehnenden Beschlüsse fallen unter § 18 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGG.

40

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

(13) § 77 Abs. 1,2 FGG (nuT bei stattgebendem82 Beschluß): §§ 1994,2008,1995 Abs. 3,1996,2005 Abs. 2 BGB (14) § 80 FGG (nuT bei stattgebendem82 Beschluß): §§ 2151 Abs. 3 Satz 2, 2153 - 2155, 2198 Abs. 2 Satz 1, 2192, 2193 BGB (15) § 81 FGG (nuT bei stattgebendem82 Beschluß): §§ 2200, 2202 Abs. 3 Satz 1, 2227 Abs. 1 BGB (16) §§ 82 Abs. 2, 53 Abs. 1 Satz 1, 60 Abs. 1 NT. 6 FGG: § 2124 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BGB Dieser Ausschlußtatbestand entspricht § 577 Abs. 3 ZP083 und bestätigt somit die hier vorgeschlagene Auslegung. In den aufgeführten Tätigkeitsbereichen steht die Rechtsgewißheit im Vordergrund 84 ; dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit wird durch die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde Rechnung getragen. bb) Die zweite Normgruppe wird dadurch charakterisiert, daß eine Änderung nur auf Grund eines Antrags erfolgen kann, § 18 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGG: §§ 1357 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz; 1365 Abs. 2; 1369 Abs. 2; 1426; 1430; 1452 Abs. 1, 2; 1597 Abs. 1, 3; 1493 Abs. 2 Satz 2; 1612 Abs. 2 Satz 2; 1627; 1630 Abs. 2; 1642 Abs. 2; 1707; 1740 f; 1757 Abs. 2; 1758 Abs. 2 Satz 2; 1752; 1768; 1800 Abs. 2 Satz 1; 1879; 1878 Abs. 2; 1880 Abs. 2; 1889; 1953 Abs. 3 Satz 2; 2010; 2081 Abs. 2; 2146 Abs. 2; 2228; 2384 Abs. 2; 1981 Abs. 1,2; 2003; 2200; 2202 Abs. 3 Satz 1; 2216 Abs. 2 Satz 2; 2258 a, b BGB. Dieses Antragserfordernis wird zum Teil damit erklärt, nach abweisender Erstentscheidung habe sich der zugrundeliegende Antrag verbraucht85 ; richtig ist es, die Begründung im materiellen Recht zu suchen88 : Das überwiegen privater Belange führt im Hinblick auf die Abänderbarkeit zum Erfordernis einer Beteiligteninitiative. Auch dieser Ausschlußtatbestand ist mit der Interpretation des § 18 FGG als Abhilfeänderung vereinbar. 83 Diese Parallele ergibt auch einen Lösungsansatz für die Frage, ob § 18 Abs. 2 FGG eine Änderung nur vor oder auch nach einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde ausschließt (vgl. OLG Karlsruhe Rpfleger 54, 316; wohl auch Jansen, § 18 Rdnr. 18, wo ein Wiederaufleben der Änderungsbefugnis angenommen wird. Gegen diese Auffassung Keidel / Kuntze / Winkler, § 18 Rdnr. 13 m. w. N.: Die Abhilfeänderung hat Bedeutung nur bis zur Beschwerdeentscheidung, ein "Wiederaufleben" ist daher gar nicht möglich.) 84 Zweifelhaft ist, ob die §§ 1627, 1630 Abs. 2, 1639 Abs. 2 BGB von §§ 53 Abs. 1 Satz I, 60 Abs. 1 Nr. 6 FGG erfaßt werden; Nachweise zu diesem Problem bei Keidel / Kuntze / Winkler, § 53 Rdnr. 6/ Fn. 1. 85 Vgl. Baur, § 24 BIll, S. 248. M Vgl. Bärmann, § 21 II 3 a, S. 152.

c. Die Auslegung des § 18 FGG in Anlehn~l)g an § 571 ZPO

41

cc) In einer dritten Normgruppe wird § 18 FGG bereits mit Erlaß der Erstentscheidung ausgeschlossen. (1) § 56 a Abs. 1 Satz 2 FGG (nur bei stattgebendem Beschluß): § 1723 BGB

Satz 3 FGG (nur bei stattgebendem87 Beschluß): §§ 1752, 1768 BGB Diese Regelung will die Rechtsstellung des Kindes sichern88 • Wäre aber § 18 FGG eine reine Abhilfenorm, so hätte es dieses Ausschlußtatbestandes nicht bedurft, da die Entscheidung auch unanfechtbar ist: Eine Abhilfebefugnis hat aber nur dort Sinn, wo auch eine Beschwerdemöglichkeit existiert. Es ließe sich daher aus diesem Ausschlußtatbestand folgern, § 18 FGG müsse einen umfassenderen Zweck haben. (2) § 56 e

Bei dieser Normgruppe wird so eine Durchbrechung des Abhilfeprinzips ablesbarB8 : der Amtseinleitungs- bzw. Amtsabänderungsgrundsatz erklärt den vorstehenden Ausschlußtatbestand. dd) Die vierte Normgruppe bringt keine weiteren Aufschlüsse über die Struktur des § 18 FGG: Die Änderungsbefugnis erlischt aus Vertrauensschutzerwägungen bei einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung mit Wirksamwerden gegenüber dem Dritten: (1) § 55 Abs. 1 FGG" (sowohl Erteilung als auch Verweigerung der

Genehmigung werden unabänderlich mit Wirksam werden gegenüber dem Dritten) §§ 1411 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2; 1484 Abs. 2 Satz 2; 1491 Abs. 3, 1492 Abs. 3; 1595 Abs. 2; 1600 d Abs. 1; 1600 k Abs. 1 Satz 2, Abs. 2; 16151 Abs. 2; 1643; 1644; 1645; 1728 Abs. 2; 1809; 1810 Satz 2; 1812 Abs. 2, Abs. 3; 1814; 1819; 1820; 1821; 1822; 1824, 1825; 1902; 112; 2275; 2282 Abs. 2; 2290 Abs. 3; 2347; 2351 BGB; Art. 22 Abs. 2 Satz 2 EGBGB (2) § 55 Abs. 2 FGG § 1727 BGB c} Weiteren Aufschluß über die Auslegung des § 18 FGG könnten die materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen geben. Die Auslegung des 87

Ob ein ablehnender Beschluß grundsätzlich abänderbar ist, ist wegen

§ 1750 Abs. 4 Satz 1 BGB zweifelhaft; vgl. hierzu Keidel/ Kuntze / Winkler, § 56 e Rdnr. 31; Bassenge, JR 76, S. 187. 88 Keidel/ Kuntze / Winkler, § 56 a Rdnr. 16; § 56 e Rdnr. 2.

Vgl. dazu noch 2. Kap. D. § 55 Abs. 1 FGG gilt jedoch nicht für die sog. Innengenehmigung (Fälle, in denen das Vormundschaftsgericht von Aufsichts wegen um die Genehmigung angegangen wird und bei denen die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nicht materielle Voraussetzung der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts ist.); vgl. Jansen, § 55 Rdnr. 2. 8t 00

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2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

§ 18 FGG beeinflußt jedoch auch die Interpretation der materiellrechtlichen Abänderbarkeitsregeln. 91 Je weiter man den Anwendungsbereich des § 18 FGG faßt, desto geringer wird die Bedeutung der materiellrechtlichen Normen. Hier soll zuerst die Bedeutung des § 18 FGG beschrieben werden; welche systematische Stellung demgegenüber den materiellrechtlichen Normen zukommt, wird im dritten und vierten Kapitel zu untersuchen sein.

2. Rechtsvergleichender Aspekt: § 571 ZPO a) § 571 ZPO erfaßt anfängliche wie nachträgliche UnrichtigkeitS2 ; nur so werden eine überflüssige Inanspruchnahme der höheren Instanz vermieden, das Verfahren beschleunigt, die Kosten verringert 93 • Dieser Gedanke trifft nicht mehr zu, wenn eine Beschwerdeentscheidung erlassen ist. § 18 FGG weicht jedoch insofern ab, als eine Abänderung auch von Amts wegen möglich istS4• Das erklärt sich daraus, daß in der freiwilligen Gerichtsbarkeit - anders als im Zivilprozeß - die Einleitung eines Verfahrens auch von Amts wegen möglich ist Ss • b) Schwierigkeiten könnten sich jedoch ergeben, wenn man die systematischen Konsequenzen überdenkt, die eine Anlehnung des § 18 FGG an § 571 ZPO mit sich bringt. aal Geht man davon aus, daß die Wiederaufnahmeregeln der ZPO in der freiwilligen Gerichtsbarkeit analoge AnwendungS8 finden, so entsteht eine zum Verfahrensleerlauf führende Lücke für Tatsachenvorbringen bei unbefristeter weiterer Beschwerde: Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist gemäß §§ 578 ff. ZPO erst möglich nach Eintritt der formellen Rechtskraft. Da die Revision an bestimmte Fristen geknüpft ist, tritt die Rechtskraft in der ZPO auf jeden Fall mit Fristablauf ein:

81 Das war bereits bei Auswertung des Schrifttums deutlich geworden: Vgl. 2. Kap. A. VI Vgl. Bettermann, ZZP 88, S. 365 ff., 410. 8S Vgl. Stein / Jonas / Grunsky, § 571 Rdnr. 1. V4 Vgl. dazu noch 2. Kap. D . • 5 Zum Amtseinleitungsgrundsatz: Vgl. Habscheid, § 18 I, S. 97; § 19, S. 200 ff.; Jansen, Vorbem. §§ 8 - 18 Rdnr. 4; Hahn / Mugdan, Materialien (FGG), S. 37. 88 Eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmeregeln liegt gerade für denjenigen nahe, der § 18 FGG restriktiv interpretiert: Auf diese Weise lassen sich die Voraussetzungen einer Analogie nachweisen (Regelungslücke!): Vgl. einerseits Domdorf (§ 18 FGG restriktiv), S. 162 ff.; vgl. andererseits Rothe (§ 18 FGG extensiv) S. 185 ff.

c. Die Auslegung des § 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO

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Derjenige, der einen Wiederaufnahmegrund in tatsächlicher Hinsicht geltend machen will, kann diesen innerhalb einer vertretbaren Zeitspanne (eben nach Ablauf der Revisionsfrist) vorbringen. Diese Möglichkeit ist in der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch die unbefristete weitere Beschwerde versperrt; wer eine Wiederaufnahme erstrebt, müßte zuerst formelle Rechtskraft herbeiführen durch Einlegen einer weiteren Beschwerde und Abwarten des Beschwerdeentscheides. Der Wiederaufnahmeberechtigte müßte zu einem Rechtsmittel greifen, das seinen eigentlichen Zielvorstellungen nicht entspricht. bb) Dieses Ergebnis könnte zum einen durch eine Modifikation der Wiederaufnahmeregeln der ZPO vermieden werden mit dem Ziel, eine Wiederaufnahme in der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits nach Beschwerdeentscheidung zu ermöglichen. Damit würde jedoch der Charakter der Wiederaufnahme verfälscht'7. Diese Interpretation ist auch mit den Grundsätzen der Analogie nicht mehr in Einklang zu bringen98 • ce) Es kann noch eine weitere Lösung des Problems erwogen werden: Die aufgezeigte Lücke bestünde nicht, wenn sich eine auf § 18 FGG gestützte Abänderungsbefugnis des fG-Beschwerdegerichts nachweisen ließe". (1) Vom Wortlaut des § 18 FGG ist eine solche Auslegung gedeckt tOO ; das Beschwerdegericht würde ja eine eigene Entscheidung abändern. (2) Eine ähnliche Erscheinung ist auch aus dem Widerspruchsverfahren des Verwaltungsrechts bekannt 101 : Die Widerspruchsbehörde kann unter gewissen Voraussetzungen ihren Widerspruchsbescheid, einen Verwaltungsakt, nach den Grundsätzen von Widerruf und Rücknahme abändern 102 • Dies entspricht dem das Verwaltungsverfahren beherrschenden Grundsatz, daß die Verwaltungsbehörde im Hinblick auf die einmal getroffene Entscheidung weiterhin dispositionsbefugt bleibt. Eine Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts in der freiwilligen Gerichtsbarkeit könnte so auch mit Blick auf das Verwaltungs17 Vgl. zur Wiederaufnahme: Gaul, Die Grundlagen des Wiederaufnahmerechts und die Ausdehnung der Wiederaufnahmegründe, 1956. 18 Es kann insofern weitgehend auf die Ausführungen von Dorndorf, S. 162 ff. verwiesen werden, der die angesprochene Lücke jedoch nicht erörtert. Zu den Voraussetzungen und der Reichweite einer Analogie vgl. nur Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff. " In der Tat nehmen eine solche Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts an: LG Bonn MDR 56, S. 45; Unger, ZZP 41, S. 183. 100 2. Kap. C I. 101 Auch wer eine Wiederholung der Beschwerde für zulässig erachtet, geht in die gleiche Richtung; vgl. Rothe, S. 93 m. w. N. 10! Vgl. Stelkens / Bonk / Leonhardt, § 48 Rdnr. 55.

2. Kap.: § 18 FGG - Anderungsnorm

verfahren gerechtfertigt werden 103 • Dann müßte aber der Nachweis gelingen, daß das gesamte Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (d. h. unabhängig vom durchzusetzenden materiellen Recht) Charakteristika des Verwaltungsverfahrens aufweist. Das Beschwerdegericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit wäre - ließe sich dieser Nachweis führen - nicht Rechtsmittelinstanz, sondern "Widerspruchsinstanz". Gegen eine solche globale Zuhilfenahme verwaltungsverfahrensrechtlicher Grundsätze spricht jedoch, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit ein Sammelbecken unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche mit jeweils variierenden Zwecken ist. Dem Gesetzgeber stand ferner - wie sich aus den Gesetzesmaterialien nachweisen läßt 104 - bei Entwurf des FGG das Modell der Zivilprozeßordnung vor Augen, speziell das Beschwerdeverfahren der CPO. Ist aber das Beschwerdeverfahren des FGG in Anlehnung an die CPO als reines Rechtsmittelverfahren konzipiert, so ist für eine an das Verwaltungsverfahren angelehnte Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts kein Raum: Das Kontrollverfahren vor dem Beschwerdegericht wird trotz Amtsermittlungsgrundsatzes allein durch den Antrag des Beschwerdeführers initiiert und begrenzt. Ist die Entscheidung getroffen, so ist das Begehren des Beschwerdeführers erschöpft; eine Kontrolle bzw. Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts besteht nicht mehr. Die gegenteilige Auffassung begegnet erheblichen Bedenken: Da die Beschwerdeentscheidung eine Verfügung ist, die nur auf Antrag erlassen werden kann, greift § 18 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGG ein. Wird die Beschwerde zurückgewiesen, kann eine Änderung durch das Beschwerdegericht nur auf erneuten Antrag hin erfolgen. Wird der Beschwerde stattgegeben, so müßte im Wege des Gegenschlusses eine Abänderung durch das Beschwerdegericht gemäß § 18 Abs. 1 Satz1 1. Halbsatz FGG auch von Amts wegen möglich sein. Das widerspricht aber dem Charakter der BeschweJ:de als individuelles Rechtsmittel (Antragsgrundsatz, Beschwerdeberechtigung). Ferner läuft diese These auf eine reformatio in peius 105 hinaus, die im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich unzulässig istlOG. Die Parallele zum Verwaltungsverfah10a VgI. auch die Parallelen bei Domdorf, S. 108/ Fn. 98; S. 122/ Fn. 26, 27; S. 123/ Fn. 28; S. 124 - 125 / Fn. 29 - 32; S. 129/ Fn. 37; S. 152/ Fn. 66. 104 Für das FGG: Hahn / Mugdan, Materialien, S. 39; für die GBO: Hahn / Mugdan, Materialien, S. 172; vgI. allgemein zur Normgeschichte des § 18 FGG: 2. Kap. C II. lOG VgI. Lieb, Das Verbot der reformatio in peius im Zivilprozeß, im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und im Verwaltungsstreitverfahren. Würzburg 1972. lOG VgI. aus der ZPO: Zeiss, Zivilprozeßrecht, § 82 VII 5, S. 245.

C. Die Auslegung des § 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO

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rens recht ist insofern wenig erkenntnisträchtig: Auch im Verwaltungsverfahrensrecht ist umstritten, inwieweit der Widerspruchsbehörde eine reformatio in peius erlaubt ist 107• Der Blick ins Verwaltungsverfahrensrecht bietet somit keine sicheren Erkenntnisse für die Frage, ob dem fG-Beschwerdegericht eine Abänderungsbefugnis zukommt. (3) Eher gegen eine Abänderungsbefugnis des fG-Beschwerdegerichts spricht § 75 GBO, der für eine Abänderungsbefugnis des Beschwerdegerichts schon vom Wortlaut her keine Grundlage bietetl°8 • Immerhin beruhen § 75 GBO und § 18 FGG auf den gleichen Vorläufern lOD • (4) Zieht man ferner die Zivilprozeßordnung zu Rate, so zeigt sich, daß auch dort bei der unbefristeten Beschwerde eine Lücke für Tatsachenvorbringen klafft zwischen der Beschwerdeentscheidung und dem Eintritt der formellen Rechtskraft llo . Es handelt sich somit um eine nicht allein für die freiwillige Gerichtsbarkeit typische Problematik ein Gedanke, der die Anlehnung des § 18 FGG an zivilprozessuale Grundsätze bestätigt. Eine Lösung der Frage muß daher für beide Verfahrensordnungen in gleicher Weise erfolgen; dieser Forderung entspricht die FrGO mit Einführung einer sofortigen weiteren Beschwerde111 • dd) Aber auch für das geltende Recht wird es kaum Fälle geben, die zur Vermeidung der beschriebenen Lücke eine ausdehnende Interpretation des § 18 FGG nahelegen: So wird der Grundsatz des § 18 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGG durch eine Vielzahl von Ausschlußtatbeständen eingeschränkt. Ferner wird das aufgezeigte Problem in seiner Bedeutung gemindert durch die materiell rechtlichen Abänderbarkeitsnormen, wie noch im einzelnen auszuführen sein wird. c) Die systematischen Schwierigkeiten sprechen somit nicht gegen eine Interpretation des § 18 FGG in Anlehnung an § 571 ZPO. Die Auslegung des § 18 FGG als modifizierte Abhilfeänderung entspricht 107 Das hängt davon ab, ob man das Widerspruchsverfahren eher als Verwaltungsverfahren (reformatio in peius erlaubt) oder als Vorstufe zum Verwaltungsprozeß sieht (reformatio in peius unzulässig); vgI. Wolff / Bachof, VerwR Bd. 111, § 161 V e 5; Freitag, Die reformatio in peius im Verwaltungsverfahren, VwArch 1965, S. 335 ff. 108 "Erachtet das Grundbuchamt • ..". lot VgI. Hahn / Mugdan, Materialien (GBO), S. 173; vgI. Hahn / Mugdan, Materialien (FGG), S. 39. 110 Dieses Problem tritt in der ZPO zurück, da es dort kaum Materien mit unbefristeter Beschwerde gibt; vgI. die Zusammenstellung bei Stein / Jonas / Grunsky, § 567 Rdnr. 8; vor § 567 Rdnr. 13 (Rechtsmaterien mit einfacher Beschwerde außerhalb des Gebietes der ZPO). 111 VgI. §§ 68 ff. FrGO, insbesondere § 69 Abs. 1 FrGO: "Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat bei dem Gericht schriftlich einzulegen, das über die Beschwerde entschieden hat ..." .

2. Kap.: § 18 FGG - Änderungsnorm

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auch bereits angedeuteten teleologischen Gegebenheiten. Eine verfahrensrechtliche Norm ist im Lichte verfahrensrechtlicher Zwecke auszulegen112 • Jede über diese Zwecke hinausgreifende Interpretation muß zu Unstimmigkeiten und überschneidungen mit dem materiellen Recht führen 113 •

D. Die Durchbrecb.ung des Abhilfeprinzips: Der Amtseinleitungsund Amtsabänderungsgrundsatz Im Fall des § 571 ZPO kann das erstinstanzliche Gericht nur auf Initiative eines Beteiligten hin abändern. Haben zum Beispiel die Beteiligten auf die Beschwerde verzichtet, so entfällt die Abhilfemöglichkeit. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt jedoch teilweise der Amtseinleitungsgrundsatz und dementsprechend der Amtsabänderungsgrundsatz. Dieser Grundsatz steht aber mit dem Abhilfegedanken im Widerspruch114 : Verzichtet zum Beispiel ein Beteiligter auf das Rechtsmittel der Beschwerde, so wäre damit eine Abhilfeänderung ebenfalls ausgeschlossen. Die Abhilfe reicht nur so weit wie die Beschwerdemöglichkeit. Für § 18 FGG würde das bedeuten, daß die Beteiligten durch Rechtsmittelverzicht den Amtsgrundsatz unterlaufen könnten 115 • Dies steht aber in Widerspruch zur Offizialmaxime ll6 • Ein ähnliches Problem taucht auf bei der Frage, ob die Abänderungsbefugnis bestehenbleibt, wenn das Beschwerderecht verwirkt wurde117 • Es geht hierbei also um eine Kollision von Privatinitiative und Staatsmacht ll8 • Fraglich ist nun die Reichweite dieser Durchbrechung: Beschränkt sie sich in Amtssachen auf die Dominanz des Amtsprinzips über das AbVgl. zur Ermittlung des Zwecks einer Norm: Larenz, Methodenlehre, 322 ff.; zur Bedeutung der teleologischen Interpretation: F. Müller, Juristische Methodik, S. 163. 113 VgI. hierzu noch 3. Kap. D. 114 Das wurde im Verlauf der Untersuchung bereits deutlich bei der Normgeschichte (2. Kap. C II) sowie bei der Systematik der Ausschlußtatbestände (2. Kap. C III 1 b). 116 Vgl. Rothe, S. 133 ff. ue Diese Frage stellt sich jedoch nur dann, wenn in den Fällen, in denen die Abänderungsbefugnis einem öffentlichen Interesse dient, eine Zweitentscheidung kraft materiellen Rechts von Amts wegen unzulässig ist; vgI. Dorndorf, S. 137. 117 Vgl. Rothe, S. 138 ff. 118 Ein Vorrang der Staatsmacht gegenüber der Parteiinitiative bedeutet aber noch nicht, daß sich die Abänderungsmacht auch gegenüber dem Beschwerdegericht durchsetzen muß; vgI. die umfassende Auffassung von Rothe, 203 ff.; 2. Kap. AI 4.

s.

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E. Zusammenfassung

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hilfeprinzip bis zur sachlichen Beschwerdeentscheidung oder hat sie Bedeutung über dieses Verfahrensstadium hinaus? Nach sachlicher Beschwerdeentscheidung wird der Amtsgrundsatz jedoch wieder durch das Abhilfeprinzip begrenzt llD : Die Modifikation des § 571 ZPO in der freiwilligen Gerichtsbarkeit geht nur so weit wie ihr Grund. Das Amtseinleitungsprinzip hat aber für das Stadium nach sachlicher Beschwerdeentscheidung keine Bedeutung. § 18 FGG würde als verfahrens rechtliche Norm überstrapaziert, wollte man den Anwendungsbereich dieser Norm weiter ziehen120•

E. Zusammenfassung und Ausblick § 18 FGG erweist sich als eine Abänderungsnorm, die einem doppelten Einfluß unterliegt: Einerseits enthält die Norm Abhilfegedanken

(Bedeutung nur bis zur sachlichen Beschwerdeentscheidung, keine Begrenzung auf bestimmte Fehlerquellen), andererseits Aufsichtselemente (Abänderung auch von Amts wegen, Vorrang der Staatsmacht vor der Parteiinitiative). Eine im Hinblick auf das Amtsprinzip restriktive gesetzgeberische Tendenz muß sich danach fragen, ob damit diese historisch und teleologisch begründete Zweispurigkeit nicht sachwidrig aufgehoben wird. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn dort, wo § 18 FGG eine amtswegige Änderungsbefugnis vorsieht, sonstige Änderungsnormen existieren, die eine mögliche Änderungslücke schließen. Diese Funktion könnte zum Beispiel in den Sorgerechtssachen § 1696 BGB zukommen. Im dritten Kapitel werden daher Anwendungsbereich und Grundgedanke des § 1696 BGB näher zu bestimmen sein.

118 Dorndorf, S. 90 stützt das Ergebnis auf einen "Grundsatz, der in der zivilprozessualen Literatur als so selbstverständlich angesehen wird, daß er gar nicht mehr ausgesprochen wird: Ein unteres Gericht könne ein höherinstanzliches Vollendurteil weder widerrufen, noch kann es, da seine Entscheidungszuständigkeit beendet sei, eine abweichende Zweitentscheidung im selben Verfahren erlassen." 1!O Die vermittelnde Auffassung trifft somit den Kern des § 18 FGG; vgI. 2. Kap. A 111.

Drittes Kapitel

§ 1696 BGB - die Aufsichtsänderung A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum I. Die formale Auffassung: § 1896 BGB aIa AbiDderungsgrundla,e im Neuverfabren

Nach Rothe 1 besteht die maßgebliche Abgrenzung zwischen § 18 FGG und § 1696 BGB darin, daß § 18 FGG die Erstentscheidung umgestaltet, § 1696 BGB hingegen den durch die Erstentscheidung geschaffenen Zustand neugestaltet, ohne jedoch die Erstentscheidung in ihrer Substanz zu berühren2 • Folglich sei § 18 FGG Rechtsgrundlage, wenn das fG-Gericht umgestalten wolle; § 1696 BGB greife ein, wenn der fG-Richter eine Neugestaltung vornehmen wolle. Diese formales Abgrenzung gibt jedoch kein Kriterium dafür an, wann der fG-Richter umgestalten und wann er neugestalten muß. D. Die materiellen Anffassun,en

1. § 1696 BGB und nachträgliche Unrichtigkeit a) § 1696 BGB sei nur auf nachträgliche Unrichtigkeit anwendbar so lautet die Kehrseite der engen Auffassung zu § 18 FGG': sie interpretiert § 18 FGG als Korrekturmöglichkeit bei fehlerhafter Erkenntnis des fG-Richters und begrenzt den Anwendungsbereich dieser Norm auf anfängliche Unrichtigkeit. Mit § 1696 BGB hingegen soll der fG-Richter nicht auf eigene Fehler, sondern auf Veränderungen im Lebenssachverhalt reagieren. Dahinter Vgl. Rothe, S. 29. Vgl. zu dieser Unterscheidung zwischen förmlicher Änderung und abweichender Zweitentscheidung als "Schlüssel zur Lösung des Problems der materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen" Dorndorf, S. 104 ff., 112, wo Dorndorf auf die Gefahr des Geltungskonflikts zweier nicht aufeinander Bezug nehmender Entscheidungen hinweist. a Formal deshalb, weil diese Auffassung daran anknüpft, in welchem Verfahren (Alt- oder Neuverfahren) § 1696 BGB anwendbar ist. Davon zu unterscheiden ist ein formeller Ansatz, der die Stellung des § 1696 BGB im Instanzenzug betrifft. 4 Vgl. 2. Kap. A 11. 1

I

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

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verbirgt sich die Vorstellung, auf eine veränderte Sachlage könne nur das materielle Recht reagieren; Verfahrensfehler seien auch mit Mitteln des Verfahrensrechts zu revidieren5 • Diese Ansicht faßt § 1696 BGB materiell restriktiv. Eine derartige Tatbestandseingrenzung könnte sich aus dem Gedanken rechtfertigen, daß jede erneute Überprüfung der einmal getroffenen Entscheidung Unsicherheit in das Leben des Kindes bringt' (mag diese Prüfung auch zur Bestätigung des bisherigen Zustandes führen): das Jugendamt wird Gutachten erstellen, das Kind muß Rede und Antwort stehen. Jede neue Überprüfung birgt somit eine Gefahr für die ruhige und stetige Entwicklung des Kindes. Diese Gefahr könnte es als gerechtfertigt erscheinen lassen, § 1696 BGB restriktiv zu interpretieren. Immerhin müßte das Kind ein Wiederaufrollen der einmal getroffenen Entscheidung nur noch im Falle nachträglicher Unrichtigkeit befürchten. Eine Überprüfung wegen nachträglicher Unrichtigkeit erscheint aber tragbar: Bei der Erstentscheidung in Sorgerechtssachen handelt es sich ja nicht nur um die bloße Feststellung eines Rechtszustandes zur Herstellung von Rechtsfrieden (wie zum Beispiel bei den Leistungsklagen der ZPO; und selbst hier finden nachträgliche Veränderungen Berücksichtigung über § 767 Abs. 2 ZPO), sondern um eine auch unter Prognosegesichtspunkten getroffene zukunftsorientierte Gestaltung. Eine solche Prognoseentscheidung birgt jedoch ein erhöhtes Urteilsrisiko und bedarf daher der Kontrolle. Verändert sich die Situation nach Erlaß der Entscheidung, so muß die Prognose korrigierbar sein. Niemand kann darauf vertrauen, daß die Lebensumstände sich nicht verändern. b) aal Der Wortlaut des § 1696 BGB bietet jedoch keinen Anhaltspunkt für eine materiell-restriktive Auslegung. Das zeigt auch ein 5 Ob § 1696 BGB auch auf verdeckte Tatsachen anwendbar ist, wird nicht immer ganz klar; Keidel / Kuntze / Winkler zumindest scheint bei § 1696 BGB nur veränderte Umstände zulassen zu wollen, vgl. § 18 Rdnr. 2; vgl. auch Baur, § 24 C I, S. 258. • Vgl. dazu den Fall des OLG Hamm FamRZ 67, S. 409: 1961 wurden die Eltern des Kindes geschieden. Gemäß einer Vereinbarung der Eltern übertrug das Amtsgericht 1962 die elterliche Gewalt auf die Mutter. Dagegen legte der Vater Beschwerde ein, worauf das Landgericht am 23.4.63 die elterliche Gewalt auf den Vater übertrug. Die weitere Beschwerde der Mutter wurde vom OLG Stuttgart am 8. 8. 63 abgewiesen. Am 6.11.63 überträgt das Amtsgericht auf Antrag der Mutter dieser die elterliche Gewalt. Die Beschwerde des Vaters wird vom Landgericht zurückgewiesen. 1965 beantragt der Vater beim Amtsgericht die Übertragung der elterlichen Gewalt, was abgelehnt wird. Daraufhin erhebt der Vater Beschwerde, die das Landgericht zurückweist. über die weitere Beschwerde des Vaters hatte das OLG Hamm zu entscheiden (die Beteiligten waren inzwischen umgezogen), das den Fall an das Landgericht zurückverwies I

4 Bonvie

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

Vergleich mit den materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen §§ 1382 Abs. 6, 1585 d Abs. 2 BGB7, die das einschränkende Kriterium der nachträglichen Unrichtigkeit ("wesentliche Änderung der Verhältnisse nach der Entscheidung") enthalten. Daß der Gesetzgeber auch nach der Reform des Rechts der elterlichen Sorge vom 1. 1. 80 den Wortlaut des § 1696 BGB insofern unverändert gelassen hat, zeigt, daß § 1696 BGB nicht als eine diesen Normen ähnliche Vorschrift anzusehen ist. bb) überzeugen kann auch nicht der Hinweis darauf, ein beliebiges Wiederaufrollen müsse im Interesse der ruhigen und stetigen Entwicklung des Kindes vermieden werden. In Vormundschaftssachen ist eine erneute überprüfung im Rahmen des § 18 FGG auch für anfängliche Unrichtigkeit zu erreichen. Im übrigen genügt ja das bloße Behaupten nachträglicher Umstände, um den fG-Richter tätig werden zu lassen. Nicht etwa ist Voraussetzung das tatsächliche Vorliegen veränderter Verhältnisse. ce) In den Familiensachen führt die materiell-restriktive Auffassung zu Abänderungslücken8 , wenn nach der Einführung der befristeten Beschwerde durch § 621 e Abs. 1 ZPO § 18 FGG im gesamten Verfahrensablauf nicht mehr angewendet werden kann. Das hätte zur Folge, daß eine Abänderung wegen anfänglicher Unrichtigkeit vor Einlegung einer Beschwerde und nach Eintritt der formellen Rechtskraft ausgeschlossen, im übrigen eine Korrektur nur im Beschwerde- bzw. Wiederaufnahmeverfahren erreichbar wäre. Die Rechtslage ist unklar: In § 621 a ZPO, § 64 k Abs. 3 Satz 2 FGG wird § 18 FGG zwar nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Andererseits verweist § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO auf § 577 Abs. 3 ZPO, der eine Abhilfe durch das Gericht erster Instanz ausschließt. Der Stellungnahme des Bundesrates9 zur Familienrechtsreform wiederum ist zu entnehmen, die befristete Beschwerde in Familiensachen sei nicht eine sofortige Beschwerde im Sinne der §§ 22, 18 Abs. 2 FGG. Entsprechend widersprüchlich sind auch die Stellungnahmen im Schrifttum1o • Vgl. dazu noch näher im vierten Kapitel. Vgl. Münch-Komm / Hinz, § 1696 Rdnr. l. 8 In BT-Drucksache VI/3453, S. 113. 10 Vgl. auf der einen Seite Brüggemann, FamRZ 77, 1 ff., 20; auf der anderen Seite Hagena, FamRZ 75, 379 ff., 383. Die Unsicherheit rührt wohl auch daher, daß in § 18 FGG Aufsichtselemente enthalten sind (vgl. 2. Kap. D), die man nicht einfach eliminiert sehen möchte. Nicht eindeutig: Keidel / Kuntze / Wi,nkler, § 18 Rdnr. 4. 7

8

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

51

§ 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO ordnet für die in § 621 ZPO genannten Familiensachen die Anwendung der §§ 516, 552 ZPO an und knüpft somit die Einlegung der Beschwerde an die Ein-Monatsfrist. Diese Frist würde jedoch obsolet, ließe man eine Anwendung des § 18 Abs. 1 FGG zu: Die Frist könnte durch eine neue Abänderungsentscheidung des Gerichts erster Instanz mit der Folge eines entsprechenden Beschwerderechts umgangen werden. Ferner ordnet § 621 e Abs. 3 Satz 1 ZPO an, daß die Beschwerde stets beim judex ad quem einzulegen ist. Für Verfahren, in denen ein Abhilferecht für das Gericht erster Instanz besteht, ist jedoch typisch, daß die Beschwerde (auch) beim judex a quo eingereicht werden kann, der dann darüber entscheidet, ob er vorlegt oder abändert. Auch eine Abänderung vor Einlegung der Beschwerde wird durch den Verweis auf § 577 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen: Das Merkmal "seiner der Beschwerde unterliegenden Entscheidung" wird abstrakt verstandenl l • Es genügt die Möglichkeit, eine Beschwerde einzulegen: Dies ergibt sich daraus, daß auch dann (vor Einlegung einer sofortigen Beschwerde) jede weitere Abänderungsentscheidung die Beschwerdefrist hinausschieben würde. Die in § 621 e ZPO enthaltene Verweisung auf § 577 Ahs. 3 ZPO verhindert somit eine Anwendung des § 18 FGG im gesamten Verfahrensablauf der Familiensachen12 • Die Abänderbarkeit einer Entscheidung ist in den Familiensachen bei restriktiver Interpretation des § 1696 BGB also enger als nach bisherigem Recht. Das hätte folgende Konsequenzen: Der sich benachteiligt fühlende Elternteil würde, um eine form- und fristlose Abänderung zu erreichen, nach nachträglichen Veränderungen suchen. Das mag in krassen Fällen zu einer Überwachung des sorgeberechtigten Elternteils führen; ein Schutz des Kindes wird dadurch nicht erreicht. dd) Ferner ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß eine exakte Trennung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unrichtigkeit nicht möglich sein wird 13 • Erstreckt man aber § 18 FGG auch auf die Fallgruppe der nachträglichen Unrichtigkeit, so ist eine exakte Abgrenzung der beiden Normkomplexe unter diesem Vorzeichen nicht mehr durchführbar 14 • Vgl. Stein / Jonas / Grunsky, § 577 Anm. IV. Zum ersten Mal mit dieser Frage befaßt und noch unentschieden ist das OLG Oldenburg FamRZ 78, 138; vgl. zur Annäherung an das zivilprozessuale Rechtsmittelverfahren auch OLG Bremen FamRZ 79, 343, 344. Zu beachten ist jedoch, daß für Zwischenentscheidungen weiterhin die unbefristete Beschwerde gilt: vgl. OLG Köln FamRZ 78, 533 ff. 13 Vgl. 2. Kap. All. 11

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

ee) Schließlich wird diese Auffassung dem antinomischen Charakter des § 1696 BGB nicht gerecht: Ist eine Änderung im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Kindes aus triftigen Gründen angezeigt, so muß abgeändert werden können und zwar unabhängig vom Entstehungszeitpunkt der Fehlerquelle. Auf der anderen Seite muß ein ständiges Wiederaufrollen der Entscheidung auch im Falle nachträglicher Unrichtigkeit vermieden werden, da sonst kaum eine stetige und ruhige Entwicklung des Kindes erfolgen kann. Diesem Charakter des § 1696 BGB würde es zuwiderlaufen, wollte man eine Abänderung versagen, obwohl eine bei Erlaß der Erstentscheidung gegebene Unrichtigkeit dem Interesse des Kindes zuwiderläuft. Folgerichtig finden sich Stimmen im Schrifttum, die an der vorgetragenen Abgrenzung nicht mehr festhalten und § 1696 BGB auch auf anfängliche Unrichtigkeit erstrecken wollenu.

2. § 1696 BGB: Abänderungsgrundlage auch für verdeckte Tatsachen Eine andere Auffassung zieht den Kreis der Abänderungsgründe weiter 16 : Danach sollen auch verdeckte Tatsachen unter § 1696 BGB zu subsumieren sein17• Diese Ansicbt führt zu einer Überschneidung mit § 18 FGG, da auch diese Norm auf verdeckte Tatsachen anwendbar ist 18 •

3. § 1696 BGB: ein veränderter Beurteilungsmaßstab? Eine solche Überschneidung ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn - wie zum Teil stillschweigend unterstellt wird18 - § 1696 BGB und § 18 FGG gleichen Regelungsgehalt haben. Das muß jedoch die Ansicht bezweifeln20 , die in § 1696 BGB einen anderen Beurteilungsmaßstab sieht als er in § 18 FGG (in Verbindung mit den Rechtsgrundlagen für die Erstentscheidung) enthalten ist. 14 MÜllch-Komm / Hinz, § 1696 Rdnr. 1 bezeichnet die Abgrenzung als "dogmatisch-systematisch wünschenswert". 15 MÜllch-Komm / Hinz, § 1696 Rdnr. 1; § 1671 Rdnr. 69, der sein Ergebnis mittels berichtigender Auslegung erzielt. 18 Vgl. Staudinger / Schwoerer, § 1696 Rdnr. 18. 17 Schwoerer hält § 1696 BGB auch bei einem Wandel der Rechtsprechung für anwendbar: § 1696 Rdnr. 19. 18 Vgl. Staudinger / Schwoerer, § 1696 Rdnr. 14; Erman / Ronke, § 1696 Rdnr. 3; Soergel/ Siebert / Lange, § 1696 Rdnr. 4; RGRK-Scheffler, § 1696 Anm. 3; wohl auch Habscheid, § 27 III 6 b, S. 158; vgl. dazu auch 2. Kap. A II. 18 Vgl. Costede, S. 353, wo er ausführt, es gehe nach § 1696 BGB wie nach § 18 FGG um die Verbindlichkeit und um deren Einschränkung und zwar um eine Einschränkung, die sich daraus ergibt, daß der Gerichtsausspruch ungleichgewichtige Rechte berührt. 20 Vgl. Dorndorf, S. 139 ff., 141, 159 ff.; Dorndorf läßt das Problem jedoch offen. In diese Richtung wohl auch Jansen, § 18 Rdnr. 2: "Dieses Recht, eine

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

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a) Ein veränderter Beurteilungsmaßstab kann aus einer Reihe von Gesichtspunkten hergeleitet werden: aal So wird § 1696 BGB zuweilen einschränkend interpretiert wie die Formulierung des BayObLG zeigt2!: "Es ist nicht mehr wie bei der Erstentscheidung über die elterliche Gewalt abzuwägen, was unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse dem wohlverstandenen Interesse des Kindes am besten entspricht, sondern zu prüfen, ob Gründe vorliegen, die geeignet sind, die Bedenken gegen einen dem Wohl des Kindes grundsätzlich abträglichen Wechsel der Verhältnisse aufzuwiegen." Folgerichtig verlangt das Gericht als Voraussetzung für eine Abänderbarkeit "triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Grunde". bb) Umgekehrt sind eine Anzahl von Gerichten mit der Frage befaßt worden, ob die besonderen Voraussetzungen der für die Erstentscheidung relevanten Normen auch im Abänderungsverfahren gelten: (1) So stellte sich zum Beispiel die Frage 22 , ob das Vorrecht des schuld-

losen Elternteils gemäß § 1671 Abs. 3 Satz 2 a. F. BGB auch im Abänderungsverfahren zu berücksichtigen war. Dieses Problem entfällt durch die Umstellung auf das Zerruttungsprinzip.

(2) Für § 1671 Abs. 2 a. F. BGB soll ähnliches gelten. Würde man auf einen gemeinsamen Abänderungsvorschlag der Eltern § 1671 Abs. 2 a. F. BGB im Rahmen des § 1696 BGB anwenden, so wäre der fG-Richter erster Instanz weitgehend gebunden: Die Abänderung setzte nicht triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe voraus; vielmehr müßte das Gericht nachweisen, daß die Nichtabänderung zum Wohl des Kindes erforderlich ist23 • neue Regelung zu treffen ist einerseits gegenüber § 18 FGG eingeschränkt, weil in der Regel ein sachlich-rechtliches Tatbestandsmerkmal erfordert wird ..."; vgl. hierzu auch 1. Kap. CI 2 b über die juristisch-technische Ausgestaltung der Abänderbarkeitsnormen. !1 Vgl. nur BayObLG FamRZ 62, 165 ff., 166; die Einbeziehung der Rechtsprechung rechtfertigt sich zum einen daraus, daß das Schrifttum auf die folgenden Entscheidungen verweist - zum anderen wird so das System deutlicher. !2 OLG Neustadt FamRZ 61, 535 ff. meinte, § 1671 Abs. 3 Satz 2 a. F. BGB gelte nicht im Abänderungsverfahren und mußte daher klären, was gewollt war: Beschwerde (§ 1671 Abs. 3 Satz 2 a. F. BGB als Maßstab der Änderungsentscheidung) oder Abänderungsantrag (Maßstab § 1696 BGB); vgl. auch BayObLG FamRZ 76, 38 ff., 39; kritisch: Schwoerer, FamRZ 62, 29; anders: OLG Karlsruhe FamRZ 59, 258 ff. (der Maßstab des § 1671 Abs. 3 Satz 2 a. F. BGB gilt auch im Abänderungsverfahren), BayObLG FamRZ 64, 640 ff.; OLG Hamm FamRZ 67, 409; wieder anders: KG FamRZ 59, 253 ff., für den Fall, daß im ersten Sorgerechtsverfahren zugunsten des schuldigen Teils entschieden worden ist. !3 Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 59, 258; diese Problematik dürfte auch bei

54

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

(3) Hat das Abänderungsverfahren gemäß § 1696 BGB zum Ziel, das Sorgerecht auf einen Pfleger zu übertragen, so müssen auch die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 5 BGB erfüllt sein 24 . Dies ist - so wird argumentiert - aus dem vorrangigen Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu folgern. Umgekehrt ist eine Sorgerechtspflegschaft nicht erst bei Vorliegen triftiger, das Wohl des Kindes nachhaltig berührender Gründe aufzuheben, sondern bereits bei Wegfall der Gefährdung25 . (4) Gleiches gilt im Hinblick auf das Verhältnis von § 1666 BGB zu § 1696 BGB26.

b) aal Eine Aufklärung dieser Unstimmigkeiten läßt sich auf zwei Wegen erreichen: Zum einen könnten die Maßstäbe für die Erstentscheidung auch im Abänderungsverfahren Bedeutung haben - so das BayObLG, das dies damit begründet, beide Verfahren beträfen die elterliche Gewalt und seine Auffassung mit Grundrechtserwägungen abstützt26 • Zum anderen könnte § 18 FGG (in Verbindung mit der jeweils für die Erstentscheidung geltenden Norm) angewendet werden28 . § 1696 BGB wäre dann von § 18 FGG (in Verbindung mit der Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung) nicht nur formell, sondern auch im Hinblick auf die unterschiedliche Tatbestandsstruktur materiell zu unterscheiden. Postuliert man aber einen derartigen Unterschied, so muß eine Grenze gefunden werden, bis zu welcher der eine Maßstab (der des § 18 FGG) gilt, nach deren überschreiten aber der andere Maßstab (der des § 1696 BGB) heranzuziehen ist. Eine solche Grenzziehung ist jedoch bis jetzt noch nicht gelungen27 • bb) Einer derartigen Abgrenzung bedarf es nicht, wenn nachgewiesen werden kann, daß § 1696 BGB keinen im Verhältnis zu § 18 FGG veränderten Entscheidungsmaßstab aufweist, eine materiellrechtIiche Abgrenzung dieser Art daher fehlgeht: § 1671 n. F. BGB nicht entfallen, wohl aber reduziert sein: Das Zerrüttungsprinzip verhindert Abkommen wie: "Sorgerecht für Schuldübernahme". Vgl. auch: OLG Hamm FamRZ 68, 530 ff. = NJW 68, 1287 ff. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der ursprüngliche Vorschlag der Eltern auch im Abänderungsverfahren zu berücksichtigen ist: vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 68, 266 ff. U KG FamRZ 59, 256, 257; OLG Stuttgart FamRZ 75, 592 ff. (593). 16 Vgl. BayObLG FamRZ 76, 38 ff. 28 Tendenziell wohl KG FamRZ 59, 259. 27 Dorndorf, S. 159 ff.

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

55

(1) Die durch § 1671 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 a. F. BGB aufgeworfenen Probleme stellen sich seit Einführung des Zerrüttungsprinzips nicht mehr; das Verhältnis der §§ 1671 Abs. 5, 1666 BGB zu § 1696 BGB kann seit dem 1. 1. 80 als ebenfalls geklärt gelten. Die Aufhebung einer Sorgerechtspflegschaft ist nicht von triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen abhängig, § 1696 Abs. 3 n. F. BGB. Daß Maßnahmen nach § 1671 Abs. 5 BGB im Abänderungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 1671 Abs. 5 BGB angeordnet werden können, ist zwar nicht ausdrücklich normiert, ergibt sich aber aus der Wertentscheidung des Gesetzes: § 1696 Abs. 3 n. F. BGB stellt klar, daß dem Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder erhöhte Bedeutung beizumessen ist und nur bei Gefahr für das Wohl des Kindes durchbrochen werden kann. Der Maßstab des § 1671 Abs. 5 BGB gilt im Rahmen des § 1696 BGB somit auch in dieser Hinsicht 28 • (2) Zu klären ist noch, welche Bedeutung dem Merkmal "triftige, das

Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe"29 beizumessen ist. Hält man nämlich § 18 FGG auch bei nachträglicher Unrichtigkeit für anwendbar, so muß auch das nachträglich entstandene Beharrungsinteresse des Kindes Eingang in die Abänderungsentscheidung nach § 18 FGG finden. Das hat zur Folge, daß auch bei einer auf § 18 FGG gestützten Abänderung triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe gegeben sein müssen. Der maßgebliche Unterschied zwischen § 18 FGG und § 1696 BGB kann somit nicht in einem veränderten Entscheidungsmaßstab gefunden werden. 30

4. Auswertung

Die vorstehenden Auffassungen versuchen die Bedeutung des § 1696 BGB, ausgehend von der Stellung der Norm im materiellen Recht, auch materiell zu bestimmen. Bereits aus dem materiellen Recht ergeben 28 Eine Kollision mit § 18 FGG kann auf Grund der befristeten Beschwerde nicht mehr auftreten; wichtig bleiben diese überlegungen jedoch für 'das Verhältnis zum Beschwerdeverfahren. Was § 1666 BGB anbetrifft, so behält § 1696 Abs. 1 BGB Bedeutung für die Fälle, in denen die Änderung nicht die Wiederherstellung der elterlichen Gewalt zum Ziel hat. 29 Vgl. KG FamRZ 79, 832 ff., (833). 30 Daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, eine Abgrenzung zwischen § 18 FGG und § 1696 BGB sei nicht vonnöten (Costede, S. 352) ist allerdings voreilig: Ohne Aufschluß über den Unterschied zwischen verfahrensrechtlichen und materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen können die Fragen nach dem Verhältnis des § 1696 BGB zur befristeten Beschwerde in den Familiensachen, der tatbestandlichen Reichweite des § 1696 BGB sowie dem Schutz des Kindes vor ständigem Wiederaufrollen der Erstentscheidung nicht zutreffend beurteilt werden. '

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

56

sich gegen diesen Ansatz eine Reihe von Bedenken31 • Ferner bleibt bei einer materiellen Sichtweise die Stellung des § 1696 BGB im Instanzenzug ungeklärt32 •

m

§ 1696 BGB im IDstanzenzac

1. Bestandsaufnahme Zur Bedeutung des § 1696 BGB im Instanzenzug finden sich im Schrifttum Ansätze, die jedoch keinen einheitlichen Grundgedanken erkennen lassen: (1) So soll das Familiengericht während der Anhängigkeit des Be-

schwerdeverfahrens seine Erstregelung nicht wegen ursprünglicher Unrichtigkeit ändern könnenlS •

(2) Andererseits soll die Änderungsbefugnis auch gegenüber Entscheidungen der übergeordneten Beschwergegerichte bestehen34 ; allerdings verbiete sich (wenn bereits eine Sachentscheidung der Beschwerdeinstanz ergangen ist) eine Änderungsentscheidung nach § 1696 BGB, da das Gericht der unteren Instanz über den gleichen Sachverhalt nicht anders entscheiden darf als das Beschwerdegericht36 • (3) "Soweit die Änderung zulässig (ergänze: nach materiell rechtlichen

Abänderbarkeitsnormen) ist, kann sie auch auf Grund von Tatsachen erfolgen, die eingetreten sind, während die Angelegenheit beim Rechtsbeschwerdegericht anhängig war, weil dieses in der Regel solche Tatsachen nicht selbst verwerten kann"31.

(4) Baur37 meint, auch wenn das Beschwerdegericht oder das Gericht der weiteren Beschwerde entschieden hat, müsse eine Möglichkeit zur Änderung der Entscheidung bestehen. (5) Das Vormundschaftsgericht soll nicht befugt sein, bei einer lediglich rechtlich abweichenden Beurteilung des unverändert vorliegenden Sachverhalts eine Entscheidung des Beschwerdegerichts zu ändern, Vgl. die Kritik in 3. Kap. All 1 b, 3. Vgl. dazu sogleich im 3. Kap. unter A 111. 33 So Münch-Komm / Hinz, § 1696 Rdnr. 20; 1671 Rdnr. 69; eine Begründung für diese Ansicht sowie Ausführungen über die Rechtslage nach Erlaß der Beschwerdeentscheidung sucht man vergeblich. 34 So Staudinger / Schwoerer, § 1696 Rdnr. 138. as So Staudinger / Schwoerer, § 1696 Rdnr. 19; unklar bleibt, ob dies Ausdruck einer innerprozessualen Bindungswirkung der Beschwerdeentscheidung ist oder bereits aus der materiell-restriktiven Interpretation des § 1696 BGB folgt. 38 Keidel / Kuntze / Winkler, § 18 Rdnr. 35. S7 Baur, § 24 C IV, S. 262. 31

31

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

57

das eine frühere Anordnung des Vormundschaftsgerichts auf eine Beschwerde hin aufgehoben hatte 3B • (6) Rothe 31 schließlich führt aus, die materielle Abänderungsbefugnis sei unabhängig von verfahrensrechtlichen Beschränkungen und daher immer zulässig.

2. Kritik a) In den meisten der angeführten Äußerungen finden sich verfahrensrechtliche Beschränkungen des § 1696 BGB. Es hätte nun nahe gelegen, diese Beschränkungen aus der materiellen Rechtskraft zu rechtfertigen: § 1696 BGB soll sich ja - wie die materielle Rechtskraft - auf ein neues Verfahren beziehen. Dieser Erklärungsansatz führt zu der Frage, inwieweit die materielle Rechtskraft in der freiwilligen Gerichtsbarkeit überhaupt Bedeutung hat CO und endet in einem Kreisschluß: Das Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit erzwingt weite Abänderbarkeit, weite Abänderbarkeit schließt materielle Rechtskraft aus und wo die materielle Rechtskraft fehlt, gibt es keine Beschränkung der materiellen Abänderbarkeit 41 • b) Auch der Rückgriff auf eine innerprozessuale Bindung4! führt wie noch zu zeigen sein wird - ohne Bezugnahme auf den Zweck der jeweiligen Abänderbarkeitsnorm nicht weiteres. Außerdem betrifft die innerprozessuale Bindung die Bindung im Instanzenzug und damit im alten Verfahren. § 1696 BGB soll Abänderungsgrundlage nur im neuen Verfahren sein. IV. Die KombinatioDsthese Domdorfs

1. Welche Bedeutung § 1696 BGB im Instanzenzug zukommt, hat Dorndorf44 grundlegend untersucht. Er geht aus von der Erkenntnis, RGRK-Scheffler, § 1696 Rdnr. 3. Rothe, S. 29. 40 Vgl. hierzu die Arbeiten von: Fenge, Die materielle Rechtskraft in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Marburg 1958; Lorenz, Die materielle Rechtskraft und die Entscheidungen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, München 1954. 41 Sowohl Rothe, S. 29 zu den materiellrechtlichen Normen einerseits, S. 153 ff. zur materiellen Rechtskraft andererseits. 4! Vgl. zum Verhältnis von innerprozessualer Bindungswirkung und Rechtskraft H. Schmidt, Rpfleger 74, S. 177 ff. 43 Das hatte sich auch schon bei der Auslegung des § 18 FGG ergeben: Eines Rückgriffs auf eine innerprozessuale Bindung hatte es nicht bedurft; die Bedeutung des § 18 FGG konnte aus dem Zweck der um das Amtsprinzip erweiterten Abhilfeänderung geschlossen werden. « Diese Lehre vertritt - soweit ersichtlich - nur Dorndorf, S. 112 ff. 38

3D

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

daß die Abänderbarkeit nach § 18 FGG im Verfahrensrecht, die auf § 1696 BGB beruhende Befugnis, im materiellen Recht verankert ist. Dieser unterschiedlichen Zuordnung wird ordnungssystematische Bedeutung beigemessen45 , die aus bestimmten Zweckgedanken resultiert. Der Verfahrenszweck der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestimme sich nämlich (wie der Zweck des Zivilprozesses 46) nach dem angemessenen Ausgleich der auseinanderstrebenden Anforderungen an Richtigkeitsgewähr, Effektivität (Beschleunigungs-, Erhaltungs- und Gewißheitsinteresse) und Angemessenheit der sozialen Kosten47 • In der freiwilligen Gerichtsbarkeit komme es für die Richtigkeitsgewähr wie im Zivilprozeß auf Tatsachenermittlung an, aber qualitativ weniger auf den Beweis bestimmter Tatsachen, dafür um so mehr auf die Garantie für die sachgerechte Würdigung und Wertung. Der so definierte Verfahrenszweck bestimmt Restriktion wie Extension der Abänderbarkeit. Dieser Gedankengang führt zu einer Kombination von genereller verfahrensrechtlicher und spezieller materiellrechtlicher Regelung: § 18 Abs. 1 FGG dient in Verbindung mit dem Rechtsmittelsystem einer generellen Mindestgarantie für die Richtigkeit der Entscheidung. Ist die Garantie ausgeschöpft48 , so ist die Entscheidung formell rechtsbeständig; ein genereller verfahrensrechtlicher Ausgleich der oben beschriebenen Interessen erreicht. Von dem Zweck des jeweiligen materiellen Rechts" hängt es nun ab, inwieweit durch Zulassung von Zweitentscheidungen die schon verfahrensrechtlich verbürgte Mindestrichtigkeitsgarantie noch verstärkt wird. Fehlt eine solche materiellrechtliche Abänderbarkeitsnorm, so ist die Entscheidung materiell rechtsbeständig5o • Andernfalls ist eine Abänderung in einem Domdorf geht im Hinblick auf sein Untersuchungsziel (analoge Anwendung der §§ 578 ff. ZPO in der freiwilligen Gerichtsbarkeit) von der Frage aus, welche Rechtsgrundlagen für eine neue Entscheidung nach formell rechtskräftiger Erstentscheidung in der freiwilligen Gerichtsbarkeit festzustellen sind: s. 82. 46 Vgl. Domdorf, S. 127. "Vgl. Dorndorf, S. 115 ff.; Domdorf legt das Schwergewicht auf die Justizförmigkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 47 Vgl. Domdorf, S. 121, 122. 48 " ••• soweit eine Entscheidung oder ihre Rechtsfolgen weder auf Grund § 18 FGG noch auf Grund irgendwelcher anderer verfahrensrechtlicher Rechtsbehelfe oder Rechtsmittel geändert werden können"; Domdorf, S. 138. 48 Gerade diese speziellen Zwecke bleiben bei Domdorf im einzelnen weitgehend unerörtert; vgl. Domdorf, S. 115. 60 Domdorf unterscheidet vier Formen der materiellen Rechtsbeständigkeit: a) die absolute Rechtsbeständigkeit: die Umgestaltung der durch die Erstentscheidung herbeigeführten Rechtsänderung in einem neuen Verfahren ist absolut ausgeschlossen. Beispiel: wirksam gewordene Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung;

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

59

neuen Verfahren (aber erst nach Ausschöpfung der verfahrensrechtlichen Mindestrichtigkeitsgarantie) möglich; das Richtigkeits- bzw. Abänderungs interesse wird somit speziell, das heißt materiell gegenüber dem Erhaltungs- bzw. Gewißheitsinteresse verstärkt. Konstruktiv wird diese Ansicht mit dem Hinweis darauf begründet, die aus der Zivilprozeßordnung geläufige Aussage, die materielle Rechtskraft stehe einem neuen Verfahren nur bei gleichbleibendem Sachverhalt entgegen, bedeute nicht, daß gleichzeitig in allen Fällen (bei nachträglich entstandenen Tatsachen) auch eine Rechtsgrundlage für dieses Verfahren bestehen müsse. Fehle im Einzelfall eine materiellrechtliche Abänderungsnorm und bestehe ein Bedürfnis nach Neugestaltung, so helfe nur eine Analogie zu den einzelnen materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen51 ; einen allgemeinen Grundsatz der materiellrechtlichen Abänderbarkeit bei nachträglicher Unrichtigkeit gebe es nicht 52 • Zusammenfassend könne die Abgrenzung von § 18 FGG und § 1696 BGB dahingehend beschrieben werden, daß § 18 FGG bis zur formellen Rechtsbeständigkeit, § 1696 BGB hingegen erst ab diesem Zeitpunkt wirke. § 1696 BGB wird von Dorndorf als Durchbrechung der materiellen Rechtsbeständigkeit verstanden. b) objektiv begrenzte Rechtsbeständigkeit: Die Abänderung in einem neuen Verfahren ist nur bei objektiv veränderter Sachlage zulässig. Beispiel: § 1382 Abs. 6 BGB; c) modifizierte Rechtsbeständigkeit: Die Abänderung ist nur noch nach modifiziertem Entscheidungsmaßstab zulässig. Beispiel: § 1696 BGB; d) beweislastverändernde Rechtsbeständigkeit: Der Richter muß bei der Zweitentscheidung in dem neuen Verfahren den gleichen Beurteilungsmaßstab, aber andere Beweislastregeln anwenden. Beispiel: § 33 a VerschollenheitsG. Grunsky, S. 491 ff. bezweifelt, ob zwischen Rechtsbeständigkeit und Rechtskraft derart unterschieden werden kann; er meint, es handle sich insoweit um identische Begriffe. Zumindest, was den Begriff der materiellen Rechtsbeständigkeit anbetrifft, wird diese Kritik Dorndorf nicht gerecht: Leitet sich die materielle Rechtskraft in erster Linie aus verfahrensrechtlichen überlegungen ab, so ist die materielle Rechtsbeständigkeit Ausfluß materiellrechtlicher Wertung; vgl. auch Dorndorf, S. 146, 147. 51 Dorndorf, S. 125, der sich auf eine Reihe von Abwägungsgesichtspunkten stützt (zum Beispiel dem Erhaltungsinteresse auf der einen und den Richtigkeitsinteressen auf der anderen Seite); entsprechend ist eine teleologische Reduktion am Platz, "wo eine materiellrechtliche Norm eine abweichende Zweitentscheidung zuzulassen scheint, obwohl der Versuch einer nachträglichen Durchsetzung dieser Norm durch ihre ratio nicht mehr gedeckt wäre." 51 Die Konstruktion einer materiellen Rechtsbeständigkeit schafft die Gesetzeslücke, für die dann die analoge Anwendung der §§ 578 ff., ZPO Bedeutung hat; vgl. Domdorf, S. 139.

60

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

Nunmehr stellt sich die Frage, welchen sonstigen Sperrwirkungen die materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen unterliegen. Dorndorf läßt die Frage offen, ob eine Bindungswirkung höherinstanzlicher Entscheidungen anzuerkennen ist 53 • Er leitet vielmehr eine materiellrechtliche Sperrwirkung aus dem "besonderen Wert des Erhaltungs- und Gewißheitsinteresses" ab. 54 Eine abändernde Zweitentscheidung sei nur dann gerechtfertigt, wenn sich eine größere Richtigkeitswahrscheinlichkeit erwarten lasse. Das setze jedoch einen objektiven Anlaß für die Änderung voraus. Als objektiven Anlaß müsse man nicht nur den Vortrag neuer oder neu bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel ansehen, sondern auch eine Änderung der für die Erstentscheidung maßgeblich gewesenen Gesetzeslage oder Rechtsprechung. Dieser Grundsatz verhindert abweichende Zweitentscheidungen ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtsmittelfrist abgelaufen oder eine sachliche Beschwerdeentscheidung erlassen ist. 2. a) Für eine derartige Restriktion des § 1696 BGB finden sich keine Anhaltspunkte im Wortlaut der Norm. Das Merkmal "jederzeit" steht gerade wie auch immer gearteten zeitlichen Eingrenzungsversuchen entgegen.55 b) Vertritt man die oben skizzierte Auffassung auch nach Einführung der befristeten Beschwerde in den Familiensachen, so hängt in diesen Tätigkeitsbereichen die Korrektur einer unrichtigen Entscheidung weitgehend von der Initiative der Beteiligten ab. Ob eine solche Verfahrensausgestaltung dem Kindesinteresse entspricht, erscheint fraglich: das Kind darf jedenfalls nicht zum Spielball persönlicher Elternrivalitäten werden. Inwieweit neutralen Stellen (Jugendamt) Einflußmöglichkeiten verbleiben, hängt ab von der Ausgestaltung der Beschwerdeberechtigung. c) Für die Tätigkeitsbereiche, in denen noch eine unbefristete Beschwerde möglich ist, ergeben sich Ungereimtheiten im Verfahrensstadium der weiteren Beschwerde. In der Rechtsinstanz sind Tatsachenvorträge ausgeschlossen; wegen § 29 Abs. 3 FGG kann der fG-Richter auch nicht auf § 18 Abs. 1 FGG zurückgreifen. Der Weg über § 1696 BGB wäre ihm - versteht man 53 Domdorf, S. 149 ff., 151; in Fn. 57 verwirft Dorndorf die Parallele zum Verwaltungsrecht. Dorndorf geht dabei jedoch von einem für Rechtsvergleichung zu abstrakten Ansatz aus. Das wird im 3. Kap. C I zu erläutern sein. U Dorndorf, S. 154. 55 Im Hinblick auf § 1382 Abs. 6 BGB gilt das gegen die Ausgrenzung von Fehlerquellen Eingewandte entsprechend, vgI. 3. Kap. A 11 1 b aa.

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

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diese Norm als materiellrechtliche Erweiterung einer verfahrensrechtlichen Mindestrichtigkeitsgarantie66 - ebenfalls verschlossen. Tatsachenvorträge könnten erst nach Abschluß der Rechtsbeschwerdeinstanz Berücksichtigung finden - ein zum Verfahrensleerlauf führendes unbefriedigendes Ergebnis. Ferner entstehen Schwierigkeiten, sieht man - wie Dorndorf - in § 1696 BGB einen im Verhältnis zu § 18 FGG (in Verbindung mit der jeweiligen Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung) veränderten Entscheidungsmaßstab enthalten, der entscheidend vom Beharrungsinteresse des Kindes67 geprägt wird. Es ist aber nicht einzusehen, warum dieses Beharrungsinteresse des Kindes erst nach Ausschöpfung der verfahrensrechtlichen Mindestrichtigkeitsgarantie wirken soll. Folgerichtig fragt Dorndorf68 , ob § 1696 BGB dem alten Verfahren ebenfalls Grenzen setze (was auf eine Modifikation des § 18 FGG durch § 1696 BGB hinausläuft) und gibt so letztlich den wichtigen Einschnitt der formellen Rechtsbeständigkeit wieder auf61 • Überträgt man diese Überlegungen auf das Beschwerdeverfahren, so müßte konsequenterweise auch die Frage gestellt werden, ob der veränderte Entscheidungsmaßstab des § 1696 BGB auch im Beschwerdeverfahren gilt; eine schon im Hinblick auf die funktionelle Zuständigkeitsverteilung (§ 1696 BGB wendet sich an den fG-Richter erster Instanz80) merkwürdige Vorstellung. 5& Eine verfahrensrechtliche Abgrenzung müßte daher am Einschnitt der Einlegung einer weiteren Beschwerde orientiert sein und nicht am Zeitpunkt der formellen RechtskraftjRechtsbeständigkeit. Die verfahrensrechtliche Mindestgarantie für Tatsachenvorbringen endet eben nicht erst bei der formellen Rechtskraft, sondern wegen § 29 Abs. 3 FGG bereits mit Einlegung der weiteren Beschwerde. § 29 Abs. 3 FGG knüpft an die konkrete Erhebung der weiteren Beschwerde an und nicht wie § 18 Abs. 2 FGG an deren bloße Möglichkeit: Vgl. Keidel / Kuntze / Winkler, § 29 Rdnr. 46. § 29 Abs. 3 FGG will ja nicht anders als § 18 Abs. 2 FGG - die Korrektur einer Entscheidung von der Initiative der Beteiligten abhängig machen; vielmehr soll der fG-Richter seine Rechtsauffassung nicht gegen das Gericht der weiteren Beschwerde durchsetzen können. Diese Gefahr besteht nicht, solange noch keine weitere Beschwerde eingelegt ist. 67 Nur triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Griinde rechtfertigen eine Änderung. 58 Dorndorf, S. 156 ff. 51 Ferner wird nicht beachtet, daß auch im Zivilprozeß wegen fehlender Rechtshängigkeit bei Nichtidentität des Streitgegenstandes die Einleitung eines neuen Verfahrens nicht die Ausschöpfung einer verfahrensrechtlichen Mindestgarantie voraussetzt. so Dorndorf meint, § 1696 BGB könne keine funktionelle Zuständigkeitsregel entnommen werden, S. 141/ Fn. 26: Nach § 1696 BGB könne das erstinstanzliche Gericht auch eine vom Beschwerdegericht erlassene Entschei-

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

d) Die skizzierte Auffassung vermag ebenfalls nicht die Fallgruppen mit contrarius actus (Beispiel: die Abänderbarkeitsnormen im Adoptionsrecht 61 ) zu erfassen. Diese Normen wirken vom Erlaß der Entscheidung an, nicht jedoch erst nach Eintritt einer formellen Rechtsbeständigkeit. e) Auch der Abgrenzungsversuch Dorndorfs bleibt daher erheblichen Bedenken ausgesetzt. V. Einzelne Auslegungsaspekte 1. § 1696 BGB und die Privatrechtsgestaltung

Teilweise wird versucht, Auslegungsergebnisse aus dem Wesen der einer Abänderung nach § 1696 BGB unterliegenden Entscheidungen herzuleiten82 : Bei den Fürsorgeangelegenheiten handele es sich weitgehend um Entscheidungen, die eine Rechtslage gestalten63 • Im Grundsatz sei nun davon auszugehen, daß ein wirksamer Gestaltungsakt für die Zukunft auf unbestimmte Zeit verbindlich sei, es sei denn, die gestaltende Wirkung werde aufgehoben64 • Die Frage der Abänderbarkeit von Gestaltungsentscheidungen beantworte sich somit aus der Gestaltungswirkung und dem Umfang ihrer Relativierung65 • Eine Aufhebung der Gestaltungswirkung könne zum einen in dem alten Verfahren, zum anderen in einem neuen Verfahren erfolgen. Eine Abänderung im alten Verfahren normiere § 18 FGG; die Aufhebbarkeit der Gestaltungswirkung im neuen Verfahren gründe sich auf die materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen. Eine materielle Rechtsgrundlage sei deshalb erforderlich, weil bei Gestaltungsentscheidungen mit Eintritt der Gestaltungswirkung das Gestaltungsrecht erlösche66 ; ein neues Gestaltungsrecht setze aber eine erneute entsprechende Rechtsgrundlage (eben die materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen) voraus. Das Wesen der Fürsorgeangelegenheiten bestimme auch die Begrenzung des materiellen Änderungsrechts im Instanzenzug: Es sei ein allgemeiner Rechtsgedanke, daß der in einem Gestaltungsverfahren dung abändern. Das heißt aber nicht, daß das Beschwerdegericht § 1696 BGB als Maßstab heranziehen kann. 81 Vgl. 3. Kap. eIl 2 e bb. et Vgl. K. H. Schmidt, Privatrechtsgestaltung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, S. 119 ff., insbesondere S. 127 ff. U Vgl. grundlegend: Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 231 ff.; Nicklisch, Die Bindung ... , S. 129 ff. 84 K. H. Schmidt, S. 119. 85 Vgl. K.' H. Schmidt, S. 105 ff. ee Vgl. K. H. Schmidt, S. 141 m. w. N.

A. Die Auslegungsversuche im Schrifttum

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siegreiche Kläger durch eine "innerprozessuale" Bindungswirkung gegen Wiederholungsakte geschützt werde67 • Diese Auffassung macht zutreffend das Wesen der Fürsorgeentscheidungen für die Auslegung des § 1696 BGB fruchtbar 68 • Die eigentlichen Unterschiede zwischen § 18 FGG auf der einen und § 1696 BGB auf der anderen Seite können jedoch nur einer zusätzlichen Wertung, dem Zweck der jeweiligen Abänderbarkeitsnorm, entnommen werden69 • 2. § 1696 BGB und richterliches Ermessen

Anhaltspunkte für eine Auslegung des § 1696 BGB könnten ferner daraus herzuleiten sein, wieviel Entscheidungsspielraum der fG-Richter in den Fürsorgeangelegenheiten hat10 • Entscheidungsspielraum kann dem fG-Richter in zweifacher Hinsicht gewährt sein: Häufig enthalten die Normen der freiwilligen Gerichtsbarkeit in ihrem Tatbestand unbestimmte Rechtsbegriffe; es stellt sich die Frage, ob dem Richter bei der Subsumtion unter diese Merkmale ein "Beurteilungsspielrauml1 " oder "Tatbestands-Ermessen12" zusteht. Vielen Normen der freiwilligen Gerichtsbarkeit mangelt es auch an einer genauen Präzisierung und Spezifizierung der Rechtsfolgen. Hier stellt sich das Problem des "Rechtsfolge- oder Handlungsermessens13 ". Dieser Zweitteilung entspricht ein doppelter Erklärungsansatz im Hinblick auf die Abänderbarkeitsnormen: Stünde dem fG-Richter ein Beurteilungsspielraum bei unbestimmten Rechtsbegriffen (bei § 1671 BGB zum Beispiel das Merkmal "Interesse des Kindes") zu, so könnte sein Beurteilungsergebnis im Instanzenzug nicht umfassend überprüfbar sein74 • Dieser Korrekturmangel würde durch die Existenz der Abänderbarkeitsnormen ausgeglichen. Schlosser, S. 415 ff.; zur Kritik: Dorndorf, S. 150. Auch im Bereich der Privatrechtsgestaltung zeigen sich Parallelen zwischen freiwilliger Gerichtsbarkeit und Verwaltungsrecht: Vgl. Bengel, Der privatrechtsgestaltende Verwaltungs akt, Würzburg 1968; L. Schmidt, Unmittelbare Privatrechtsgestaltung durch Verwaltungsakt, Bielefeld 1975, S. 192 ff. 89 § 18 FGG normiert eine durch das Amtsprinzip erweiterte Abhilfeänderung; zu § 1696 BGB sogleich unter 3. Kap. C. 70 Vgl. Schumann, Das Ermessen ... , S. 9, 143 ff. 71 Zur Begriffsbildung im Verwaltungsrecht vgl. Bachof, JZ 55, 97 ff.; Wolff / Bachof, VerwR Bd. I, § 31, S. 185 ff. 72 So Schuhmann, S. 22 ff. 73 Vgl. Schuhmann, S. 72 ff., der zwischen "Zweckmäßigkeitsermessen" und "gerechtigkeitsbezogenem Ermessen" unterscheidet. 74 Vgl. für die Konsequenz im Verwaltungsrecht: Wolff / Bachof, VerwR 87

88

64

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

Schuhmann lehnt diesen Erklärungsansatz jedoch ab: Dem Richter sei kein "Tatbestands-Ermessen" eingeräumt7'. Die Lehre vom Beurteilungsspielraum beruhe auf einem gänzlich anderen Gedanken. Hier gehe es um Art. 20 Abs. 3 GG und das Gewaltenteilungsprinzip: Die Annahme eines Beurteilungsspielraums soll verhindern, daß die gerichtliche Subsumtionskontrolle zu einer stillschweigenden Kompetenzverlagerung zwischen Exekutive und Judikative führt 18 • Im übrigen seien Verwaltungsverfahren und freiwillige Gerichtsbarkeit nicht miteinander vergleichbar11 • Das Subsumtionsergebnis der Erstentscheidung könne daher im Instanzenzug voll überprüft werden. Die Abänderbarkeit nach § 1696 BGB resultiere somit nicht aus einem durch die Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung eingeräumten "Tatbestands-Ermessen". Weiter führt - so Schuhmann18 - ein anderer aus dem Rechtsfolgeermessen ableitbarer Erklärungsansatz: Bei den Fürsorgeangelegenheiten handele es sich zumeist um Zweckmäßigkeitsentscheidungen. Dem fG-Richter stünde auf diesen Gebieten ein "Zweckmäßigkeitsermessen" zu. Die Lebensverhältnisse seien wegen ihrer Vielfalt nicht gesetzgeberisch erfaßbar. Deshalb habe der Gesetzgeber ein "Zweckmäßigkeitsermessen" eingeräumt. Die Lebensverhältnisse seien jedoch auch bei der Rechtsanwendung durch den fG-Richter typischerweise nicht überschaubar. Seine Erkenntnis berge also ein erhebliches Unsicherheitsmoment79 • Daraus resultiere das Bedürfnis nach Abänderbarkeit. 80 Schuhmann stellt einen wichtigen Grundgedanken der Abänderbarkeit heraus. Dieser Grundgedanke bietet jedoch keinen Ansatzpunkt für eine Differenzierung von § 18 FGG und § 1696 BGB.81 Außerdem ist Bd. I, § 31 I c, S. 188 ff.; in der Tat wird diese Konsequenz teilweise auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit gezogen: Vgl. Keidel/ Kuntze / Winkler, § 27 Rdnr. 26, 31 a; Jansen, § 27 Rdnrn. 23 ff.; aus der Rechtsprechung: KG NJW

68, S. 1835.

15 Schuhmann folgert dies aus der Struktur des richterlichen Erkenntnisaktes: S. 35 ff. 18 Vgl. Schuhmann, S. 68. 11 Schuhmann, S. 106 ff.; Schuhmann geht wie Dorndorf - von einem zu globalen Vergleichsansatz aus. 78 Schuhmann, S. 143 ff. 78 Schuhmann, S. 83. 80 Schuhmann, S. 143 ff., 144; Frommann, Die Wahrnehmung der Interessen ... , S. 187 hält dieses Dilemma für ein Scheinproblem; nach Frommann ist § 18 FGG verfehlt, § 1696 BGB mißverständlich, vgl. S. 188 Fn. 1. 81 Das wird auch bei Schuhmann deutlich, S. 144/145: Schuhmann wirft dort die Frage auf, ob der Richter im Fall der § 18 FGG, § 1696 BGB zur Abänderung verpflichtet ist. Dieses Problem wird sich nicht auf die Frage "Rechtsfolgeermessen oder kein Rechtsfolgeermessen" reduzieren lassen.

B. Die Auslegung des § 1696 BGB durch die Rechtsprechung

65

eine scharfe Trennung zwischen "Tatbestands-Ermessen" und "Rechtsfolgeermessen" im Sinne Schuhmanns nicht möglich: Bei Prüfung des Merkmals "Interesse des Kindes" kann die zweckmäßige Rechtsfolge nicht außer Acht gelassen werden. 82

B. Die Auslegung des § 1696 BGBn durch die Rechtsprechung I. f 1696 BGB und die Bindung an die eigene Entscheidung

Das BayObLG hat in ständiger Rechtsprechung eine Begrenzung des § 1696 BGB vorgenommen84 : Die Abänderung nach § 1696 BGB setze voraus, daß sich seit der früheren Regelung entweder die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, oder daß Umstände zu Tage getreten sind, die zu einer anderen Beurteilung des der bisherigen Regelung zugrundgelegten Sachverhalts nötigen. Ansonsten sei der fG-Richter an die eigene Entscheidung gebunden. § 1696 BGB wird aus formellen Gründen restriktiv85 interpretiert. Eine Bindung an die eigene Entscheidung findet sich auch in der ZP086: Der Zivilrichter ist nach § 318 ZPO absolut an die eigene Entscheidung gebunden.87 Schuhmann macht im folgenden auch nicht klar, wie er entscheiden will, S. 146. Das Problem läßt sich nur aus dem Zweck der jeweiligen Abänderbarkeitsnorm lösen: So liegt es bei einer Interpretation des § 18 FGG als einer um das Amtsprinzip erweiterten Abhilfeänderung nahe, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Abänderungspflicht anzunehmen; vgl. dazu auch Rothe, S. 197. 81 Hierin liegt ein allgemeines Problem der Abgrenzung von unbestimmtem Rechtsbegriff und Rechtsfolgeermessen: vgl. nur Staudinger / Schwoerer, § 1671 Rdnrn. 183 ff.; vgl. grundlegend: Bachof, JZ 55, S. 97 - 102; Jesch, AöR 82, 163 - 249. 83 Vgl. zum Vorläufer des § 1696 BGB § 74 Abs. 6 EheG und seiner Auslegung: OLG Celle JR 49, S. 155 ff.; OLG Oldenburg JR 57, S. 143. 84 Vgl. BayObLG FamRZ 76, 38 ff. (39); DAVorm 79, 768 ff. (771); FamRZ 76, 41 ff. (42); FamRZ 74, 318 ff. (319); FamRZ 62, 32 ff. (34); noch zu § 74 Abs. 6 EheG: BayObLGZ 50/51 Nr. 87, S. 33; sonstige Gerichte: KG FamRZ 80,821 ff. (822); OLG Zweibrücken FamRZ 75, S. 172 ff. (176); LG Mannheim MDR 63, 501 = FamRZ 64, 92. 85 Vgl. KG FamRZ 77,65/66, wo diese Restriktion als Präklusion bezeichnet wird. Anders wieder das AmtsG Bruchsal in DAVorm 76, S. 600: Unter den Voraussetzungen des § 1696 BGB kann die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft durchbrochen werden: vgl. auch RGRK-Scheffler, § 1696 Rdnr. 3: "Auch hat die frühere Entscheidung keine Rechtskraft- oder Bindungswirkung." 8e Vgl. hierzu: Götz, JZ 59, 681 ff.; H. Schmidt, Rpfleger 74, 17 ff.; Stein / Jonas / Schumann / Leipold, § 318 Anm. 12. 87 Obwohl § 318 ZPO nur von Urteilen spricht, gilt diese Norm doch auch für Beschlüsse - hier ist jedoch die Ausnahme in § 571 ZPO zu beachten; vgl. Wieczorek, § 318 Anm. C. 5 Bonvie

66

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

Die formell restriktive Interpretation des BayObLG könnte sich aus einer Parallele zu § 318 ZPO rechtfertigen. Das würde auch erklären, warum sich kaum Ausführungen des BayObLG über die Bedeutung des § 1696 BGB im Instanzenzug finden88 • Die Kollision zwischen Änderungsbefugnis und Rechtsmittelentscheidung kann nur auftauchen, wo der Richter an seine eigene Entscheidung nicht gebunden ist. Ist er aber - wie der Zivilrichter an die eigene Entscheidung gebunden, so besteht daneben kein Bedürfnis für eine Bindung an die Entscheidung des Instanzgerichts. Ähnlich wäre es, wenn der erstinstanzliche fG-Richter an seine tatsächliche und rechtliche Würdigung des unveränderten Sachverhalts in restriktiver Interpretation des § 1696 BGB gebunden wäre. Eine Kollision zwischen der Änderungsbefugnis nach § 1696 BGB und der Rechtsmittelentscheidung wäre ausgeschlossen. Bei verdeckten Tatsachen und nachträglicher Unrichtigkeit scheidet zwar eine Bindung an die eigene Entscheidung aus. Der Verfahrensgegenstand bezieht sich in der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur auf die dem Gericht bekannten Tatsachen. s9 Hier stellt sich jedoch die Frage der Bindung an eine fremde Entscheidung aus einem anderen Grunde nicht: Eine solche Bindung ist ja nur im Rahmen des Verfahrensgegenstands möglich. Die These, § 1696 BGB sei in Anlehnung an § 318 ZPO restriktiv zu interpretieren, könnte sich auf die Justizförmigkeit des fG-Verfahrens stützen: Der Rechtsmittelzug ist der Kernbestand eines jeden justizförmigen Verfahrens. In der ZPO wird die Funktionsfähigkeit des Rechtsmittelzuges durch § 318 ZPO sichergestellt. Die Bindung des Zivilrichters an die eigene Entscheidung resultiert aus der Justizförmigkeit dieses Verfahrens. Daraus ließe sich folgern, der Grundsatz beanspruche Geltung für alle justizförmigen Verfahren, mithin auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit. Auch hier gilt jedoch, daß die freiwillige Gerichtsbarkeit als Sammelbecken unterschiedlichster Rechtsmaterien kaum einheitlichen Prinzipien folgt 90 • 88 Das lag auch am Fallmaterial: Das BayObLG hatte sich zumeist mit Sachverhalten auseinanderzusetzen, in denen der Erstentscheidung sofort das Änderungsverlangen folgte und erst die Entscheidung hierüber Beschwerde und weitere Beschwerde auslöste. Vgl. aber jüngst den Fall BayObLG DAVorm 79, 768 ff. (770), wo es um die Abänderung einer Beschwerdeentscheidung des LG München durch das Vormundschaftsgericht ging. Hierzu führt das BayObLG aus: "über eine Abänderung dieser Entscheidung hatten das Vormundschaftsgericht, das auch zu einer Änderung einer in einer höheren Instanz getroffenen Maßregel berechtigt ist, und das in den Grenzen des Rechtsmittels voll an seine Stelle tretende Beschwerdegericht nach § 1696 BGB zu entscheiden." 89 Dieser Gedankengang war schon bei § 18 FGG aufgetaucht; vgl. 2. Kap. AI2. 90 Vgl. dazu sogleich unter 3. Kap. C.

B. Die Auslegung des § 1696 BGB durch die Rechtsprechung

67

ß. Abweichende Erkenntnisse

Es finden sich jedoch auch Erkenntnisse, die mit den Thesen des BayObLG nicht zu vereinbaren sind: (1) Einem Beschluß des OLG Frankfurt91 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das Vormundschaftsgericht genehmigte am 30.8.63 eine Vereinbarung zwischen Vater und Mutter, wonach die elterliche Gewalt bei der Mutter, das Aufenthaltsrecht jedoch beim Vater verbleiben sollte92 • Am 21. 6.1965 beantragte der Vater beim Vormundschaftsgericht die übertragung der elterlichen Gewalt, gegen den abweisenden Beschluß des Vormundschaftsgerichts legte er Beschwerde und weitere Beschwerde ein. Auch das OLG Frankfurt versucht eine Abgrenzung von § 18 FGG und § 1696 BGB, ohne jedoch Ausführungen über die Erheblichkeit dieser Unterscheidung zu machen. Es referiert die These, § 18 FGG regele nicht die Abänderung von Verfügungen mit Dauerwirkung. Das Gericht läßt eine Entscheidung insofern aber offen, mit dem Hinweis, § 18 FGG sei jedenfalls dann nicht mehr anzuwenden, wenn seit dem Erlaß der abzuändernden Anordnung eine so lange Zeit wie hier verstrichen sei93 • Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung sei somit eine zeitliche Komponente: Der Maßstab des § 1696 BGB (Gewöhnung des Kindes) wirke aus Gründen der Rechtssicherheit auch gegenüber § 18 FGG94. Diesen Gedankengang stützt das Gericht mit einem weiteren Argument ab: Im Beschwerderecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei anerkannt, daß das Beschwerderecht durch Zeitablauf verwirkt werden könne 95 • Ein solcher Fall sei hier gegeben 96 . Sei das Beschwerderecht aber verwirkt, so erwachse die Erstentscheidung in formeller Rechtskraft. Eine formell rechtskräftige Entscheidung könne jedoch nicht durch § 18 FGG abgeändert werden. Anwendbar sei nur § 1696 BGB. OLG Frankfurt FamRZ 68, 100. Zur Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung: Staudinger / Schwoerer, § 1671 Rdnrn. 46 ff. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein gemeinsames elterliches Sorgerecht nach Scheidung möglich ist; dazu: Fehmel, FamRZ 79, 380 ff.; FamRZ 80, 758 ff.; aus der Rechtsprechung: KG FamRZ 80, 821; AmtsG Königstein FamRZ 80, 483 hält § 1671 Abs. 4 Satz 1 n. F. BGB für verfassungswidrig. 93 Vgl. hierzu auch KG Rpfleger 70, 339. 94 Vgl. zu diesem Gedanken 3. Kap. All 3. 85 Vgl. hierzu auch OLG Frankfurt Rpfleger 76, 213; jüngst OLG Hamm FamRZ 80, S. 193 ff., 194. 98 Dann hätte das OLG Frankfurt aber schon deswegen abweisen müssen, weil die Beschwerde zum Landgericht unzulässig war - eben wegen Verwirkung des Beschwerderechts. 91

t!

5"

68

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung (2) Das OLG Bremen97 hatte sich mit folgendem Sachverhalt98 aus-

einanderzusetzen:

In einem Sorgerechtsverfahren hatte das Landgericht in der Beschwerdeinstanz das Personensorgerecht dem Jugendamt übertragen. Auf Antrag eines Elternteils änderte das Amtsgericht gemäß § 74 Abs. 6 EheG" diese Regelung ab. Der andere Elternteil erhob Beschwerde beim Landgericht. Das Landgericht meinte, gegen den ersten Beschluß des Landgerichts vorgebrachte rechtliche Gesichtspunkte dürften weder vom Amtsgericht noch von ihm selbst nachgeprüft werden. Das OLG Bremen ist der Auffassung, § 74 Abs. 6 EheG erlaube eine Abänderung wegen abweichender rechtlicher WürdigungiOD auch nach Erlaß der Beschwerdeentscheidung und verneint somit eine Bindung des abändernden Amtsgerichts an die eigene wie an eine fremde Entscheidung. (3) Das OLG Oldenburg1o1 hatte einen Fall zu entscheiden, der die seit dem 1. 7. 77 veränderte Rechtslage (befristete Beschwerde) betraf: Durch Beschluß vom 13. 7. 77 hatte das Amtsgericht die elterliche Gewalt dem Vater übertragen. Die Mutter legt frist gemäß Beschwerde ein, der das Amtsgericht abhilft. Gegen diesen Beschluß legt der Vater Beschwerde ein. Das OLGI02 Oldenburg führt aus, das Amtsgericht habe der Beschwerde der Mutter nicht abhelfen dürfen: § 18 FGG sei nicht einschlägig, denn die Abänderung einer Entscheidung über die elterliche Gewalt aus materiell rechtlichen Gründen richte sich allein nach § 1696 BGB. Der Beschluß des Amtsgerichts könne aber auch nicht als Abänderungsentscheidung nach § 1696 BGB angesehen werden. Das Amtsgericht habe sein weiteres Verfahren selbst ausdrücklich als Abhilfeverfahren bezeichnet und seine Entscheidung im selben Verfahren und nicht in einem neuen, gesonderten Verfahren unter Berücksichtigung der für eine Abänderung nach § 1696 BGB erforderlichen Voraussetzungen getroffen. Das OLG Oldenburg umgeht auf diese Weise die naheliegende Frage, welche Auswirkungen die Einlegung einer Beschwerde auf die Abänderungsbefugnis nach § 1696 BGB hat 103. OLG Bremen MDR 54, 179. Der Sachverhalt lag anders als bei den meisten Erkenntnissen des BayObLG: Beschwerdeentscheidung - Abänderung - Beschwerde - weitere Beschwerde. 99 Dem Vorläufer des § 1696 BGB, vgl. dazu noch 3. Kap. C 11 2 d. 100 Anders das BayObLG DAVorm 79, 768 ff. (770). 101 OLG Oldenburg FamRZ 78, 138. 102 Vgl. §§ 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG; 64 a Abs. 3 Satz 1 FGG; 621 e Abs. 1 ZPO. 103 Vgl. MÜfich-Komm / Hinz, § 1696 Rdnr. 20. 87

98

C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

c.

69

Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an §§ 48 ff. VwVfG; die Aufsichtsänderung I. Methodisehe Voriiberlegungen

1. Der Ansatz für eine Vergleichbarkeit: Ähnliche Sachprobleme a) Es konnte bereits gezeigt werden, daß § 571 ZPO die Auslegung des § 18 FGG maßgeblich beeinflußt. 104 Der Anwendungsbereich dieser Norm ist daher schon für das geltende Recht beschränkt 105 . Der Schwerpunkt der Abänderbarkeit verlagert sich auf § 1696 BGBI06. Erste Schwierigkeiten bei der Auslegung des § 1696 BGB tauchen auf, wenn man die Tatbestandsfassung näher untersucht. So läßt sich allein aus dem Wortlaut nicht ableiten, inwieweit diese Norm eine Abänderungsgrundlage bei anfänglicher bzw. nachträglicher Unrichtigkeit bietet. Im Bereich der Familiensachen ist zweifelhaft, ob nach § 1696 BGB abgeändert werden kann, wenn die Erstentscheidung durch Verstreichenlassen der Beschwerdefrist rechtskräftig geworden ist. Für Vormundschafts- und Familiensachen stellt sich die Frage, welches Verhältnis zwischen Abänderbarkeit und noch anfechtbarer beziehungsweise schon rechtskräftiger Rechtsmittelentscheidung besteht. b) Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens stellen sich ähnliche Probleme: So muß Klarheit darüber bestehen, auf welche Fehler des Erstbescheids Widerruf bzw. Rücknahme gemäß §§ 48 ff. VwVfG gestützt werden können. Ist die Anfechtungsfrist verstrichen und der Erstbescheid daher bestandskräftig, so ist zu ermitteln, welche Auswirkungen die Bestandskraft107 auf Widerruf und Rücknahme hat. Ein weiteres Parallelproblem zeigt sich, wenn man die Möglichkeiten zu Rücknahme bzw. Widerruf im Falle einer noch anfechtbaren oder bereits rechtskräftigen Verwaltungsgerichtsentscheidung untersucht. VgI. 2. Kap. C 111 2. Nämlich auf das Stadium zwischen dem Erlaß der Erstentscheidung und dem der Beschwerdeentscheidung; in Familiensachen mit befristeter Beschwerde ist § 18 FGG nicht anwendbar; vgI. 3. Kap. All 1 b cc; gleiches gilt für den FrGO-Entwurf, vgI. dazu im 5. Kap. 101 Vgl. 2. Kap. E. 107 VgI. zur Bestandskraft und der auf diesem Gebiet herrschenden Begriffsverwirrung: Wolff / Bachof, § 52 I c, S. 443; Stelkens / Bonk / Leonhardt, § 43 Rdnrn. 3 ff.; Kopp, Vor § 35 Anm. 4 g: Man wird danach zwei Arten von "Bestandskraft" der Verwaltungsakte unterscheiden müssen: a) die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts: diese betrifft den Bürgeraspekt; die Behörde kann gemäß §§ 48 ff. VwVfG diese "Bestandskraft" durchbrechen. b) Bestandskraft durch Bestandsinteresse: Der Verwaltungs akt ist aufgrund der einschränkenden Voraussetzungen der §§ 48 ff. VwVfG (Vertrauensschutz) unabänderbar. 104

105

70

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

c) Im Bereich des Verwaltungsrechts werden diese Probleme schon seit geraumer Zeit kontrovers diskutiert und haben in jüngster Zeit zum Teil im VwVfG eine gesetzliche Lösung erfahren. Die Ähnlichkeiten in der Fragestellung legen es daher nahe, auch nach Ähnlichkeiten in der normativen Bewältigung dieser Fragen zu suchen. Untersuchungsziel ist die Beantwortung der Frage, inwieweit die im Verwaltungsverfahrensrecht vorgefundenen Lösungen für § 1696 BGB fruchtbar gemacht werden können. d) Eine derartige Auslegung rückt § 1696 BGB in die Nähe des Verwaltungsverfahrens und bildet damit die Gegenposition zu einer mehr an der Dogmatik des Zivilprozesses orientierten Betrachtungsweise 108• Aufgabe des § 1696 BGB wäre es, dem fG-Richter eine weitgehende Abänderungsmöglichkeit offen zu halten, was eine Ausdehnung des staatlichen Einflusses zur Folge hat. Im Gegensatz dazu wird die am Zivilprozeß orientierte Interpretation die Abänderung eher zugunsten der Beteiligteninitiative zurückdrängen.

2. Wertende Rechtsvergleichung a) Allein die Ähnlichkeit der Sachprobleme rechtfertigt jedoch nicht, die Lösungen des Verwaltungsverfahrens auf § 1696 BGB vorbehaltlos zu übertragen. Erhebliche Unterschiede finden sich zum Beispiel in der tatbestandlichen Ausformung wie in der verfahrensrechtlichen Stellung des entscheidenden Organs: In § 1696 BGB fehlen die in §§ 48 ff. VwVfG normierten detaillierten Vertrauensschu tztatbestände 1oe • Die an der Leistungs- bzw. Eingriffsverwaltung orientierte UnterßCheidung zwischen belastenden und begünstigenden Akten llO paßt nicht recht auf die Maßnahmen in Sorgerechtsverfahren111 • Ob eine Maßnahme für das Kind bzw. die Eltern belastend oder begünstigend ist, 108 Dieser Gedankengang zeigt, daß sich hinter der Frage nach der Abgrenzung von materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Abänderbarkeitsnormen und nach der Bestimmung ihrer Reichweite Probleme politischer Natur verbergen: Wieviel Staatsaufsicht und wieviel Privatinitiative? Vgl. allg. zur "Sozialisierung des Rechts": Henke JZ 80, 369 ff. 108 Wenn auch das Merkmal "Interesse des Kindes" diesen Vertrauensschutztatbeständen sehr ähnelt. Vgl. zur rechtlichen Bedeutung dieses Merkmals im einzelnen: Staudinger / Schwoerer, § 1671 Rdnrn. 88 ff.; MüllerFreienfels, JZ 56, 396 ff. (398); Strätz, FamRZ 75, 541 ff.; BayObLG FamRZ 80, 482; interdisziplinär: Simitis, Kindeswohl, 1980; kritisch: Goldstein, Jenseits des Kindeswohls, 1974; rechtsvergleichend: Neuhaus, Ehe und Kindschaft, S. 249 ff.; vgl. zum Vertrauensschutz im Verwaltungsrecht Maurer, Festschrift ... , S. 223 ff. 110 Vgl. hierzu: Schachtschneider, Neubescheidung ... , VerwArch 72, S. 112 ff., 115; Wolff / Bachof, § 47 VI, S. 394/395. 111 Zweifelnd: Dorndorf, S. 102.

C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

71

läßt sich kaum angeben und stellt sich in den meisten Fällen auch erst im Laufe der Zeit heraus 112 . Schließlich ist der fG-Richter nicht Partei wie die Verwaltungsbehörde. b) Eine analoge 113 Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG scheidet daher aus. Gezweifelt werden kann schon am Vorliegen einer Regelungslücke114 , da § 1696 BGB eine wenn auch ausfüllungsbedürftige Regelung enthält. Eine analogiefähige Ähnlichkeit des Lebenssachverhalts scheitert aus den dargelegten Gründen. Der Vergleich mit dem Verwaltungsverfahren kann aber Lösungsansätze für eine Präzisierung des § 1696 BGB bieten. Es handelt sich dabei methodisch nicht um einen Analogieschluß, sondern um ein Vorgehen im Wege wertender Rechtsvergleichung115 • Zu diesem Zweck wird auf die dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und dem Verwaltungsverfahren zugrundeliegenden allgemeinen Prinzipien zurückgegriffen. Die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden läßt Rückschlüsse auf die Bedeutung der Abänderbarkeit in beiden Verfahrensordnungen zu. Der Vergleich mit dem Verwaltungsverfahren kann so bei der Auslegung des § 1696 BGBll6 unterstützend herangezogen werden. Dann müßte § 1696 BGB auf Grundgedanken beruhen, die auch im Verwaltungsrecht Bedeutung haben. D. § 1696 BGB als verwaItungsrecbtsähnIicbe Norm

1. Die freiwillige Gerichtsbarkeit - ein Teilbereich der Verwaltung? § 1696 BGB wäre zumindest dann als verwaltungsrechtsähnliche Norm zu interpretieren, wenn die gesamte freiwillige Gerichtsbarkeit wesensmäßig Verwaltung ist.

Dieses Problem ist hauptsächlich im Hinblick auf die Haftung des fG-Richters 117 sowie in neuerer Zeit in Bezug auf Art. 92 GG118 diskutiert worden. 112 Das Begriffspaar "belastend begünstigend" wird hier von den Auswirkungen der elterlichen Gewalt her definiert; daß es noch andere Vergleichsansätze gibt, wird noch im einzelnen auszuführen sein; vgl. 3. Kap.

eIn.

Zu den Voraussetzungen einer Analogie: Larenz, S. 366 ff. m Vgl. zum Lückenproblem: Esser, Vorverständnis, S. 174 ff. 115 Vgl. zur innerprozessualen Rechtsvergleichung Kollhosser, Zur Stellung ... , S. 49 ff.; weitere Ausführungen bei Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 11 ff. 118 Vgl. bei § 18 FGG: 2. Kap. C III 2. 117 Vgl. Habscheid, § 511, S. 23. 113

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

72

Die auf das Wesen der freiwilligen Gerichtsbarkeit gestützte Diskussion führte rasch zur Ausbildung von Extrempositionen (hier: Gerichtsbarkeit; dort: Verwaltung119) mit geringem Aussagegehalt. Die Diskussion stützte sich weitgehend auf Zuordnungsargumente wie: "Die Verwaltung befiehlt und die Gerichtsbarkeit entscheidet"1!O, die im Zuge der Entwicklung zum sozialen Rechtsstaat kaum noch Begründungswert haben. Führt aber eine am Wesen des fG-Verfahrens orientierte Betrachtungsweise nicht weiter, so bleibt nur die Anknüpfung an der einzelnen Norm121 . Es muß daher § 1696 BGB selbst auf seinen verwaltungsrechtsähnlichen Charakter hin untersucht werden. 2. Analyse des § 1696 BGB a) Fundort der Norm: Bürgerliches Recht

Auf den ersten Blick scheint es systemwidrig, § 1696 BGB einen solchen Charakter zuzumessen, da diese Regelung im BGB verankert ist. Man ist eher geneigt, zivilrechtliche Grundsätze im Verwaltungsrecht analog anzuwenden (culpa in contrahendo, Geschäftsführung ohne Auftrag, Ungerechtfertigte Bereicherung, Grundsätze des Vertragsrechts)1!!, als den umgekehrten Weg zu gehen. Daß aber auch das öffentliche Recht ins BGB hineinwirkt, zeigt sich, wenn man die Ausgestaltung des Persönlichkeitsschutzes betrachtet123 , oder bei der Konstruktion des Verwaltungsprivatrechts12t• Gerade im Bereich des Familienrechts, wo der Staat aus öffentlichem Interesse ein Mitregelungs- bzw. Mitgestaltungsrecht beansprucht, werden die Grenzen fließend 125 : Das Familienrecht ist - wie Gernhuber Vgl. nur Baur, DNotZ 55, S. 507 ff., 509. Sehr weitgehend das Bundesverwaltungsgericht in JZ 55, S. 242, das 4las Verwaltungsgericht für entscheidungsbefugt hält und zwar nach den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeitl 110 So: Graßhoff, Festschrift Notarverein ... , S. 20 ff., 26; anders MünzeI, ZZP 66, S. 340: "Die freiwillige Gerichtsbarkeit ist staatliche Verwaltung, die wegen ihrer engen Beziehungen zu den Rechtsgebieten, die man zum Privatrecht rechnet, der Justiz übertragen ist." 111 So: Bettermann, Festschrift f. Lent, S. 24; Müller-Tochtermann, DRiZ 56, S. 4 ff. ltZ Vgl. nur Erichsen / Martens, Allg. VerwR, § 30. 123 Vgl. aus privatrechtlicher Sicht: Larenz, SchuR 11, § 72 111, S. 557; aus verfassungsrechtlicher Sicht Maunz / Dürig / Herzog, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr.38. m Zur privatrechtlichen Verwaltungstätigkeit: Vgl. Krause, Rechtsformen ... , S. 38 ff. lf5 Im übrigen findet sich verwaltende Tätigkeit auch in der ZPO: MünzeI, S.338. 118

110

C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

73

formuliert!!8 - über das System der subjektiven Rechte mit den anderen Teilen des BGB nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr handelt es sich um gewisse vom Staat auch grundrechtlich garantierte Institutionen, die bestimmte Zwecke auch im öffentlichen Interesse 127 verfolgen und bei deren Versagen der Staat regelnd und gestaltend eingreift. Allein die Tatsache, daß § 1696 ins BGB eingefügt ist, schließt eine Anlehnung an verwaltungs rechtliche Regeln nicht aus.1!8

b) Analyse der Tätigkeitsbereiche Die Frage, ob § 1696 BGB eine verwaltungsrechtsähnliche Norm darstellt und die §§ 48 ff. VwVfG daher für die Auslegung des § 1696 BGB heranzuziehen sind, könnte sich aus der Struktur der bezogenen Tätigkeiten beantworten. Es handelt sich bei den einer Änderung nach § 1696 BGB unterliegenden Aufgaben um Fürsorgeangelegenheiten129 • Lassen sich hier öffentlichrechtliche Elemente nachweisen, so liegt es nahe, auch § 1696 BGB entsprechend zu interpretieren.

aa) Verschiedene Auslegungsaspekte Diese Untersuchung kann an einer Vielzahl einzelner Kriterien orientiert werden. So könnte sich eine Antwort daraus ergeben, ob der fG-Richter in den angesprochenen Tätigkeitsbereichen Rechtsprechungsaufgaben oder Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. So kann das Fehlen des Antragserfordernisses "untrügliches Zeichen" für die Zurechnung zur Verwaltung sein1lO ; der Gestaltung durch Verwaltungsakt kann, wenn überhaupt ein Recht oder ein Anspruch auf diese Gestaltung besteht, immer nur ein Recht gegenüber dem Staat oder der Behörde zugrundeliegen, nicht auch ein Recht zu solcher behördlichen Gestaltung gegenüber dem von der Gestaltung betroffenen Dritten131 • Rechtsprechende Tätigkeit übt der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit dort, wo er verGemhuber, Lehrb., § 1 III 1, S. 7. Vgl. Geiger, FamRZ 73, 225. It8 Ähnliche Erscheinungen finden sich auch in anderen Teilen des BGB: So sind zum Beispiel das Vereinsrecht, das Recht der Aktiengesellschaften, die Registersachen öffentlichrechtlich beeinflußt; vgl. im Vereins recht die §§ 55 ff., 61 Abs. 2 BGB. Allgemein hierzu: Flückiger, Das Zivilrecht als Rechtsquelle ... , S. 137 ff.; Brauneder, Begriffe und Institute des Zivilrechts ... , S. 45 ff.; Chan-Lin-Tsai, über das Verhältnis von Prozeßhandlung, Rechtsgeschäft, Verwaltungs akt und Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit ... , in Festschrift f. Guldener, S. 329 ff. 19 Tätigkeiten des Vormundschaftsgerichts: §§ 1666, 1680, 1693 BGB; Tätigkeiten des Familiengerichts: §§ 1632 Abs. 3, 1634 Abs. 2, 1671, 1678 BGB. 130 Bettermann, S. 25, 30. 111 Bettermann, S. 33. 1Z8

117

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

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bindliche Feststellungen über Rechte oder Rechtsverhältnisse trifftl 32 • Ferner soll eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, deren Entscheidung nicht der materiellen Rechtskraft fähig ist, nicht zur Rechtsprechung gerechnet werden können l33 • Schließlich muß geprüft werden, ob auf dem betreffenden Sachgebiet volle Rechtsgebundenheit des fG-Richters besteht oder ihm Ermessen nach Art des Verwaltungsermessens eingeräumt ist1 34 • Eine Anwendung all dieser Kriterien auf die Sorgerechtsverfahren läßt diese Tätigkeit des fG-Richters - so wird gefolgert - als materielle Verwaltungstätigkeiterscheinen136. bb) Gemeinsames Kennzeichen: die Dejektsituation

Diese Kriterien bieten eine Anzahl brauchbarer Zuordnungsgesichtspunkte, geben aber nicht den inneren Grund an, der die Bezeichnung der Tätigkeit des Vormundschafts- bzw. Familienrichters auf diesem Sachgebiet als verwaltungsähnlich trägt und den Blick auf die §§ 48 ff. VwVfG rechtfertigt. Sie sind eher dem Verfahrensrecht zuzuordnen und vernachlässigen die materiellrechtlichen Bezüge. Grundsätzlich liegt die Erziehung eines Kindes in der Hand der Eltern: Sie bestimmen die Erziehungsinhalte. Sind die Eltern insofern unterschiedlicher Auffassung, so haben sie selbst136 eine Einigung herbeizuführen; die Gesellschaft hat zu Recht keine Eingriffsbefugnisse l37 • Dieser Grundsatz versagt jedoch dann, wenn eine Einigung über die Erziehungsinhalte typischerweise nicht mehr erreicht werden kann. In einer solchen "Defektsituation" besteht die Gefahr, daß das Kind zwischen widerstreitende Erziehungsinhalte gerät, oder daß die Erziehungsinhalte beider Elternteile für das Kind schädlich sind. In einem solchen Fall ist die Gesellschaft aufgerufen l3s , für eine kontinuierliche Entwicklung des Kindes zu sorgen. Kennzeichnend für die Tatbestände, auf die § 1696 BGB sich bezieht, ist eben jene Defektsituation: § 1671 BGB erfaßt den Fall des AusBettermann, S. 25. Bettermann, S. 25; in den §§ 1671, 1666 BGB findet sich ein auch für weite Teile des Verwaltungsrechts geltendes Handlungsermessen: Vgl. Münch-Komm / Hinz, § 1666 Rdnr. 33. 134 Bettermann, S. 28. 135 Bettermann, S. 33/34. 131 Vgl. nur Strätz, FamRZ 75, S. 543. 137 Unter bestimmten Voraussetzungen kommt jedoch dem Vormundschaftsrichter bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern eine Entscheidungsbefugnis zu: Vgl. Gemhuber, Lehrb., § 50 11 3, S. 755. 138 Gegenausnahme: der gemeinsame Elternvorschlag (vgl. § 1671 Abs. 2 BGB). 131 133

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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einanderbrechens einer Ehe; § 1666 BGB139 betrifft den Sorgerechtsmißbrauch durch einen Elternteil. Das Tätigwerden des fG-Richters in einer derartigen Defektsituation erfolgt nun einerseits zum Ausgleich privater Interessen. So muß zum Beispiel das private Verhältnis (Sorgerecht) der geschiedenen Eltern zu ihrem Kind geordnet werden. Andererseits wird der Vormundschafts- bzw. Familienrichter auch und gerade im öffentlichen Interesse tätig. Versagt nämlich die elterliche Gewalt und kommt es dadurch zu Störungen in der Entwicklung des Kindes, so besteht die Gefahr eines Mißlingens der gesellschaftlichen Integration des Heranwachsenden bis hin zu kriminellem Fehlverhalten. Die Tätigkeit des Vormundschafts- bzw. Familienrichters hat somit im Bezug auf die gestörten privaten Verhältnisse ausgleichenden Charakter. Was das Interesse des Kindes an einer kontinuierlichen Entwicklung anbetrifft, so steht der Fürsorgegedanke im Vordergrund. Betrachtet man das Interesse der Gesellschaft an einer Integration des Kindes, so zeigen sich Gefahrenabwehrmomente14o •

ce) Verjassungsrechtliehe Analyse Diese überlegungen lassen sich durch eine verfassungsrechtIiche Analyse stützen: Statuiert das Elternrecht des Art. 6 GG nämlich nicht nur einen Schutz elterlicher Eigeninteressenl4l , sondern enthält auch einen im Hinblick auf das Erziehungs- und Selbstentfaltungsrecht des Kindes pflichtbezogenen Charakter, so stehen Recht und Pflicht der Eltern aus Art. 6 GG in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Wo die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes nicht mehr gewährleistet oder gar gefährdet ist, besteht auch kein Grund für einen Schutz des Elternrechts vor einem Tätigwerden des fG-Gerichts 142. Wer die Eltern gar als Amtswalter143 des Staates versteht, wird das Elternrecht institutio13U Vgl. zu § 1666 detailliert: Höhne, Gerichtliche Kontrolle elterlicher Fehlentscheidungen 1974; Hinz, Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht, 1976. 140 Das wird bestritten von Müller-Tochtermann, S. 24 ff. Man kann eine doppelte Prävention unterscheiden: im Hinblick auf das Kind einerseits, im Hinblick auf die Gesellschaft andererseits. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß es im 17. und IB. Jahrhundert kein Vormundschaftsgericht gab, sondern eine Vormundschaftspolizei; vgl. dazu: Mitteis / Liebrich, Dt. Privatrecht, § 23 11, S. 77. 141 Vgl. dazu: Peters in Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, Bd. IV/I, S. 375; Soergel/ Siebert / Lange, § 1666 Rdnr. 14. 142 Vgl. 3. Kap. C II 2 b bb. 143 Eine insbesondere dem sozialistischen Rechtskreis geläufige Vorstel-

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

nell auch nur so lange als garantiert ansehen, wie die Amtswalterstellung auch tatsächlich wahrgenommen wird. Wo das nicht der Fall ist, wird der neben den Eltern weiterhin subsidiär zuständige Staat sein Amt wieder übernehmen. Diese Auffassung wie jene, die das Elternrecht als ausschließlich dem Schutze elterlicher Eigeninteressen dienend versteht, bezeichnen Extrempositionen, die mit der Wertordnung des Grundgesetzes nicht vereinbar sind: Jene Auffassung betrachtet das Kind als Objekt der elterlichen Persönlichkeitsentfaltung; den Eltern soll die Befugnis eingeräumt sein, ihr Persönlichkeitsbild nicht nur für die eigene Person zu realisieren, sondern zusätzlich auf die Kinder auszudehnen. 144 Das Kind wird zum bloßen Mittel degradiert, das fremder Interessenverfolgung dient. Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung wird entscheidend verkürzt und damit die Wertung der Art. 1,2,6 Abs. 2 GG145 übergangen. Das Verständnis der Eltern als öffentlichrechtlicher Amtswalter verkennt, daß sich der Staat des Grundgesetzes in seinem Handeln darauf zu beschränken hat, die Funktionsfähigkeit der gesellschaftlichen Systeme (und damit auch des Systems der elterlichen Gewalt, das ein privatrechtliches Verhältnis 146 ist) zu sichern. Nicht etwa hat der Staat die Macht, die Eltern mit der elterlichen Gewalt zu beleihen; diese steht vielmehr originär den Eltern zu, nicht aber ist sie ihnen als ein derivatives Recht zugewiesen147 • Diese überlegungen bestätigen, daß das gestaltende, von Amts wegen erfolgende Eingreifen des Staates (fG-Richters) eines objektiven Anlasses bedarf148 • Dieser objektive Anlaß ist in dem oben149 beschriebenen Defekt der elterlichen Gewalt zu sehen. Er findet sich in allen auf § 1696 BGB bezogenen Tatbeständen. Wo aber ein solcher Defekt besteht, muß der Staat, der ja nicht nur das Elternrecht, sondern auch das Recht des Kindes auf Persönlichkeitsentfaltung garantiert, zur Wahlung; vgl. nur § 42 Abs. 1 des Familiengesetzbuches der DDR; vgl. auch: Müller-Freienfels, Die Vertretung, s. 79 für die Bundesrepublik Deutschland. lU Vgl. Reuter, Kindesgrundrechte ... , S. 80. 145 Vgl. Gernhuber, FamRZ 62, S. 89 ff. (89); vgl. aus der Rechtsprechung: OLG Karlsruhe FamRZ 79, S. 57/58; OLG Stuttgart FamRZ 78, S. 827/828: "Auch geschiedene Eltern stehen im Verhältnis zu ihrem Kind in einer Verantwortungs- und Pflichtenbindung mit Vorrang der Interessen des Kindes im Konflikt unter den Eltern." Vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 78, S. 201 ff. (202); das OLG Karlsruhe weist in seiner Argumentation auf die Fremdnützigkeit des Elternrechts und ihre vorrangig dienende Funktion hin. 141 Vgl. Stockinger, Sozialisierung der Familie, München / Wien 1979. 147 Vgl. Reuter, S. 94. 148 Vgl. auch Beitzke, FamRZ 79, S. 8 ff.; Ossenbühl, FamRZ 77, 533; kritisch: Dieckmann, AcP 178, S. 298 ff.; Lüderitz, AcP 178, S. 264 ff., 270. 14' Vgl. 3. Kap. eIl 2 b/bb.

C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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rung dieses Kindesrechts eingreifen. Das Kindesrecht betrifft damit zum einen den status negativus, zum anderen den status positivus150 : Der Staat hat in die ungestörte Kindesentwicklung nicht einzugreifen, bei Störungen jedoch rechtsfürsorgend tätig zu werdenl5l • Dieser antinomische Charakter spiegelt sich in § 1696 BGB152 wieder. Ist die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes gewährleistet, so ist staatliche Beeinflussung grundrechtswidrig; Wo die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes gefährdet ist, wird Gestaltung staatlicherseits erforderlich. Nichts anderes als dieser Gedanke steckt hinter der Auffassung eine Abänderung setze triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe voraus l63 • Einen ähnlich antinomischen Charakter weisen auch §§ 48, 49 VwVfG auf: Ein belastender Verwaltungsakt kann und muß eher zurückgenommen werden als ein begünstigender Verwaltungsakt. Eingriffe von Seiten des Staates sind an Art. 2 GG zu messen (negativer, abwehrender Aspekt), einmal von Seiten des Staates gewährte Leistungen sollen dem Bürger, der sie zur Grundlage seiner Disposition gemacht hat, nicht ohne weiteres wieder entzogen werden (positiver, erhaltender Aspekt). dd) Hypothese: § 1696 BGB als Aufsichtsänderung

Festzuhalten bleibt somit, daß den Sachverhalten, auf die § 1696 BGB sich bezieht, ein öffentlich-rechtlicher Charakter nicht abgesprochen werden kann. Dieser Befund muß aber auch Auswirkungen auf die Abänderbarkeit nach § 1696 BGB haben: Die Abänderbarkeitsnorm dient der Durchsetzung der Zwecke, die für die einzelnen Tätigkeiten maßgeblich sind. Zeigt sich zum Beispiel, daß ein gemeinsamer Elternvorschlag dem Kind abträglich ist, so ist das Regelungsziel nicht erreicht. Selbst bei fortbestehendem elterlichen Willen muß daher der fG-Richter seine Erstentscheidung abändern können. Ferner konnte bereits gezeigt werden i54 , daß die Abänderungsbefugnis staatlicher Stellen danach variiert, ob im Einzelfall eher private oder öffentliche Interessen im Vordergrund stehen155 • 150 VgI. zu diesen Begriffen und den mit ihnen verbundenen Inhalten: Hesse, Grundzüge ..., § 9 11, S. 118 ff. 151 VgI. hierzu Maunz / Dürig / Herzog, Art. 6 Rdnrn. 26, 32; v. Münch, Grundgesetz, Art. 6 Rdnr. 19. 152 VgI. zur Verfassungsmäßigkeit des § 1696 BGB Palandt / Diederichsen, § 1696 Anm. 1; BayObLG FamRZ 62, S. 165 ff.; allerdings auf dem Boden einer materiell-restriktiven Interpretation; vgl. 3. Kap. All, B. 163 VgI. nur KG FamRZ 78, 832 ff., 833. 154 VgI. 1. Kap. A I.

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

c) Die Stellung des Vormundschafts- l56 bzw. Familienrichters als Auslegungstopos für § 1696 BGB

Diesen überlegungen zu widersprechen scheint die Tatsache, daß dem fG-Richter auf der einen und der Verwaltungsbehörde auf der anderen Seite im Verfahren eine unterschiedliche Stellung zukommt167 • Ist die Verwaltungsbehörde Partei, dem Bürger also diametral zugeordnet, so ist der fG-Richter eher gestaltender Vermittler. Eine Parteistellung der oben beschriebenen Art ist dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich fremd. Untersucht man jedoch die Tätigkeitsbereiche der Vormundschaftsund Familiengerichte, so stellt man fest, daß die Stellung des fG-Richters in den einzelnen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterschiedlich ausgestaltet ist. Wird er in den echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie ein Zivilrichter streitentscheidend 158 tätig, so ist seine Rolle in den Verfahren der §§ 1666, 1671 BGB eher rechtsgestaltend-anordnend. Indiz hierfür ist - was die echten Streitsachen anbetrifft - das Antragserfordernis, bei den §§ 1666, 1671 BGB die amtswegige Ermittlung. Dennoch bleiben, auch was die in den §§ 1666, 1671 BGB geordneten Tätigkeitsbereiche angeht, gravierende Unterschiede, die ein Blick auf das jeweilige Rechtsmittelverfahren verdeutlicht: Bei der Anfechtungsbzw. Verpflichtungsklage ist die Verwaltungsbehörde Beteiligte/Beklagte; eine vergleichbare Stellung hat der Richter im Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht1 59 • Dies könnte nun entscheidend gegen die in Aussicht genommenE: Parallele zu Rechtsgrundsätzen der Verwaltung sprechen, ist doch "Verwaltung im materiellen Sinne die mannigfaltige zweckbestimmtE:, nur teilplanende, selbstbeteiligt entscheidend durchführende und gestaltende Wahrnehmung der Angelegenheiten von Gemeinwesen und ihrer Mitglieder als solcher durch die dafür bestellten Sachwalter des Gemeinwesens" 160. Versucht man im Wege des Gegenschlusses die Stellung des fG-Richters in den auf § 1696 BGB bezogenen Tätigkeitsbereichen mit den entm Wer eine Einschränkung der Abänderbarkeit zugunsten des Elternrechts nicht befürwortet, muß notwendig eine Kompetenzsteigerung staatlicher Stellen in Kauf nehmen; kritisch Strätz, FamRZ 75, 541 ff. (543). 156 Jacoby, Ist das Vormundschaftsgericht eine Verwaltungsbehörde oder ein Gericht?, meint das Vormundschaftsgericht sei eine Verwaltungsbehörde. 157 Den Bezug zum Prozeßrichter behandelt Unger, ZZP 34, S. 233 ff., 271 ff. 158 Vgl. hierzu Habscheid, S. 30 ff. 159 Vgl. Bettermann, S. 37. 180 Wolff / Bachof, VerwR Bd. I, § 2 11 a 7, S. 10.

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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sprechenden Charakteristika des Rechtsprechungsbegriffs ("Rechtsprechung ist zu rechtskräftiger Entscheidung führende rechtliche Beurteilung von Sachverhalten, in Anwendung des geltenden objektiven Rechts durch ein unbeteiligtes Staatsorgan"181) in Einklang zu bringen, so ergeben sich Schwierigkeiten: Unbeteiligt in diesem Sinne ist nämlich nur, wem kein anderes Interesse zur Wahrnehmung anvertraut ist als das Interesse an der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung durch Feststellung dessen, was rechtens ist oder durch Gestaltung. Der fGRichter hat aber in den oben benannten Tätigkeitsbereichen darüberhinausgehende Interessen162 zu wahren: das des Kindes an einer ruhigen und stetigen Entwicklung und das der Gesellschaft an einem kontinuierlichen Heranwachsen des Jugendlichen. Zu diesem Zweck wird der fG-Richter nicht nur Rechtslagen feststellend bzw. gestaltend, sondern auch nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten tätig. 163 Die Stellung des fG-Richters kann somit als die eines mittelbar Beteiligten umschrieben werden164 . Aus diesen überlegungen folgt, daß die formelle Ausgestaltung als Rechtsprechung den materiellen Verwaltungscharakter nicht verändert, vielmehr nur einen erhöhten Schutz vor Fehlurteilen in diesem Verfahren bezweckt 166 : Früher entsprachen die rechtsstaatlichen Garantien im Verwaltungsverfahren eben noch nicht dem heutigen Standard 166. Ferner konnten die Schöpfer des FGG auf die Institution des Vormundschaftsgerichts zurückgreifen 167. Die formelle Zuordnung der hier untersuchten fG-Sachen zur Rechtsprechung erweist sich somit als historisch motiviert 188 und resultiert nicht aus der Natur der Sache. Wolff / Bachof, VerwR Bd. I, § 19 I b 3, S. 84. Jacoby, S. 27 ff., 31, 34 betont, daß das Vormundschaftsgericht Interessenvertreter des Staates sei. 183 Historisch nachweisbar ist die Auffassung, daß in der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Rechtsmittelgegner nicht ein beteiligter Privater, sondern der Richter (I) sei. VgI. Unger, ZZP 34, S. 246; Puchta, § 131 Nr. 5. 184 Dagegen spricht auch nicht, daß die Familiengerichte gemäß § 23 b GVG den Zivilgerichten zugerechnet werden. 185 VgI. Dorndorf, S. 114. 188 VgI. Hormuth, S. 52. 187 Daß dies nicht denknotwendig war, ergibt sich aus der Denkschrift zum FGG (vgI. Hahn / Mugdan, Materialien / FGG, S. 42): "selbstverständlich wird hierdurch ... Vorbehalt nicht berührt, und die einzelnen Bundesstaaten bleiben dadurch in der Lage, die Geschäfte des Vormundschaftsgerichts anderen als gerichtlichen Behörden zuzuweisen." 188 überhaupt ist die Trennung zwischen Verwaltung und Rechtsprechung jüngeren Datums. Im Kirchenrecht des Mittelalters und der frühen Neuzeit waren diese Elemente weitgehend miteinander vermischt. Da gerade das 181

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

Daß die Justizförmigkeit des fG-Verfahrens nicht zwingend gegen eine Interpretation in Anlehnung an Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts spricht, zeigt noch folgender Gedanke: Mit der Übertragung der Zuständigkeit an den Richter "spart" der Gesetzgeber ein nachträgliches Rechtsschutzverfahren. Rechtsschutz wird nicht repressiv wie im Verwaltungsprozeß, sondern präventiv l88 gewährt. 17O Damit kann festgehalten werden: Der fG-Richter ist in den oben benannten Tätigkeitsbereichen weder wie die Verwaltungsbehörde beteiligt noch wie der Zivilrichter unbeteiligt. Daß er zur Entscheidung als Richter berufen ist, hat eher formelle Gründe und steht einer Charakterisierung dieser Materie als verwaltungsrechtsähnlich nicht entgegenl7l . d) Historische Analyse des § 1696 BGB Im folgenden soll die These, § 1696 BGB enthalte in erheblichem Umfang öffentlich-rechtliche Elemente und sei daher in Anlehnung an §§ 48 ff. VwVfG zu interpretieren, historisch überprüft werden. aa) Vom Erlaß des BGB bis 1938

Vorläufer des § 1696 BGB ist § 1551 Satz 1 EI; beide Normen stimmen im Wortlaut fast überein 172 • In den Motiven wird § 1551 Satz 1 E I wie folgt begründet 173 : "Die Bestimmung des § 1551 Satz 1 BGB folgt daraus, daß die dort bezeichneten Anordnungen Ausfluß des dem Vormundschaftsgericht zustehenden Aufsichtsrechts sind." Um die Bedeutung dieser Aussage erfassen zu können, muß Klarheit bestehen über die Tätigkeiten, auf die § 1551 Satz 1 E I sich bezieht. Hier ist nun ein wesentlicher Unterschied zur heute geltenden Fassung des § 1696 BGB festzustellen: Das BGB ging in seiner ursprünglichen Fassung noch von einer patriarchalisch geordneten Kindererziehung aus 174 • Nach Scheidung der Ehe fiel die elterliche Gewalt - was die Familienrecht eine Domäne kirchlichen Rechts war, sind hier Einflüsse denkbar. 18e Von dieser formellen Prävention ist die materielle Prävention zu unterscheiden: Vgl. 3. Kap. C 11 2 b bb/cc. 170 Domdorf, S. 114 meint zutreffend, diese Präventivfunktion diene der Vermeidung von Verwaltungsstreitigkeiten. Lüderitz, NJW 80, S. 1088 meint, die durch gerichtliches Verfahren und richterliche Unabhängigkeit begründete erhöhte Bestandskraft verbiete eine schlichte Gleichbehandlung mit Verwaltungsakten. 171 Vgl. zu den Auswirkungen dieser These: 3. Kap. C 11. m "Das Vormundschaftsgericht kann die gemäß §§ 1545 bis 1550 getroffenen Anordnungen zu jeder Zeit aufheben." 173 Vgl. Mugdan, Motive Bd. IV, S. 851. 174 Vgl. § 1635 Abs. 1 a. F. BGB; zur Begründung vgl. Mugdan, Bd. IV,

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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Vermögenssorge der Kinder anbetraf - kraft Gesetzes dem Vater zu. Für eine Verteilung der elterlichen Gewalt durch eine staatliche Stelle war insoweit kein Raum. Eine Fürsorge- und Aufsichtspflicht des Staates bestand jedoch in den Fällen, in denen die elterliche Gewalt mißbraucht wurde175 (insbesondere § 1546 E I: Mißbrauch durch den Inhaber der elterlichen Gewalt). In diesen Fällen nimmt das Vormundschaftsgericht originär öffentliche Aufgaben wahr 176 • Dies wird deutlich, wenn man die Protokolle zur Kompetenz des Vormundschaftsgerichts heranzieht: Ein Antrag im Gesetzgebungsverfahren wollte die Entziehung der elterlichen Gewalt nur durch gerichtliches Urteil zulassen 177 ; dieser Antrag wurde jedoch von der Mehrheit abgelehnt. Die Vormundschaftsbehörde (!)178 sei als die geeignete Behörde für die Anordnung einer Beschränkung der elterlichen Gewalt anerkannt worden. Der Antrag 4 stelle das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, in den Vordergrund. Der modernen sozialen Auffassung entspräche es aber mehr, die elterliche Gewalt als eine mit der Vormundschaft parallel laufende Schutzgewalt aufzufassen, die wesentlich im Interesse des Kindes bestehe und wegfallen müsse, sobald das Interesse des Kindes es erfordert. In den Fällen des § 1546 E I liege der Schwerpunkt der Entscheidung mithin nicht in der Frage, ob die Eltern in ihrem Recht beschränkt werden sollten, sondern vielmehr in der Frage, ob ein Grund vorliege, eine besondere Fürsorge für das Kind zu übernehmen. Die Beantwortung dieser Frage richte sich im Wesentlichen nach Zweckmäßigkeitserwägungen. Festzuhalten ist, daß der Gesetzgeber dem fG-Richter in den Fällen der §§ 1546 ff. E I Befugnisse zugesteht, die weit über diejenigen eines Zivilrichters hinausgehen. Resultiert aber die Eingriffsbefugnis aus einem öffentlich-rechtlich begründeten Aufsichtsrecht, so enthält auch die Abänderbarkeit erhebliche öffentlich-rechtliche Elemente: eine Aufsicht ohne Reaktionsmöglichkeit ist sinnlos. Man kann § 1551 Satz 1 E I insofern auch als Aufsichtsänderung bezeichnen. § 1551 Satz 1 E I wird über § 1562 EIl als § 1671 a. F. BGB weitgehend unverändert ins BGB übernommen. Die spätere Auslegung der Norm entspricht der aufgezeigten öffentlich-rechtlichen Tendenz 179 •

s. 333 ff.: " ... der Vater vorzugsweise dazu geeignet, das Vermögen der Kinder zu verwalten und sie im rechtsgeschäftlichen Verkehr zu vertreten." Die Personensorge wurde gemäß § 1635 Abs. 1 Satz 2 a. F. BGB verteilt. 175 Wo also eine Defektsituation bestand. 171 Das kommt auch in Mugdan, Motive Bd. IV, S. 428 zum Ausdruck:. 177 Vgl. Mugdan, Protokolle Bd. IV, S. 994. 178 So wörtlich die Protokolle. 6 Bonvle

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

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Andererseits kommt dem Staat kein Einflußrecht zu, was die Verteilung der Vermögenssorge der Kinder nach Scheidung angeht. Hier zeigt das BGB in seiner ursprünglichen Fassung einen privatrechtlichpa triarchalischen Charakter. bb) Von der Einführung des § 81 Abs. 5 EheG 1938 bis 1945 Gegen die Regelung des BGB, die die Vermögenssorge nach Scheidung in jedem Fall dem Vater zuspricht, erheben sich unter der WRV verfassungs rechtliche Bedenken l80 • Die Mutter dürfe insoweit nicht unberücksichtigt bleiben; das Interesse des Kindes sei zu wahren l81 • Diesen Bedenken wird durch § 81 Abs. 5 EheG Rechnung getragen.

Standen zu Beginn dieser Diskussion eher privatrechtliche überlegungen im Vordergrund, so wurde § 81 Abs. 5 EheG schon bald im Lichte der nationalsozialistischen Ideologie zunehmend öffentlichrechtlich interpretiertl82 : über das Merkmal "Kindesinteresse" suchte der NS-Staat die Erziehung der Kinder im Sinne des Nationalsozialismus zu steuern. ce) Die Entwicklung der Abänderbarkeit in den Fürsorgeangelegenheiten seit 1946

§ 81 Abs. 5 EheG wurde durch § 74 Abs. 6 EheG/1946 unverändert übernommen. Später wurden diese Materien wieder in das BGB inkorporiert1 83 • Seit 1946 wurde versucht, § 1696 BGB wieder stärker privatrechtlich zu orientieren und die Abänderungsbefugnisse des fG-Richters zu beschneiden l84 • Dies führte in der weiteren Entwicklung zu der bereits beschriebenenl85 Auslegungsvielfalt. In jüngster Zeit wird durch das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge l86 wieder der öffentlich-rechtliche Aspekt betont l87 : der So kommentiert noch Staudinger / Engelmann (7./8. Aufl., 1913) zu a. F. BGB: "Ob genügender Anlaß zu einer derartigen Änderung besteht, hat das Gericht nach freiem Ermessen zu entscheiden." 180 Vgl. Art. 120 WRV; dazu: Nipperdey / Klumker, Die Grundrechte der Reichsverfassung, S. 95 ff., Anschütz, WRV-Komm., Art. 120 Anm. 2; vgl. zum Sorgerecht der geschiedenen Mutter nach römischem Recht: Wacke, FamRZ 80, S. 205. 181 In § 1551 Satz 1 E I fehlt das Merkmal "Kindesinteresse" noch. 182 Vgl. Volkmar, Großdeutsches EheR, § 81 EheG Anm. 8; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 400 ff. 183 Durch Art. I Ziff. 22 des Gleichberechtigungsgesetzes; vgl. Maßfeller, Das ges. FamR Bd. 1, S. 260, 45l. 184 Vgl. Godin, EheG 1946, § 74 Anm. 11; Gerold, EheG 1946, § 74 Rdnr. 35. 185 Vgl. 3. Kap. A. 188 Vgl. Luthin, FamRZ 79, S. 986 ff.; Diederichsen, FamRZ 78, 461 ff.; Lüderitz, FamRZ 78, S. 475. 187 Vgl. LecheIer, FamRZ 79, S. 1 ff., 5; kritisch: Lüderitz, AcP 178, S. 263 ff.; Schmitt-Glaeser, DOV 78, 629 - 635. 178

§ 1671

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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Vormundschafts- bzw. Familienrichter wird als Wahrer des Kindesinteresses begriffen. Das kommt auch in § 1696 Abs. 3 n. F. BGB zum Ausdruck, wo eine überprüfungsbefugnis des fG-Richters festgeschrieben worden ist.

dd) Ergebnis der Analyse Festzuhalten ist, daß § 1696 BGB in § 1551 Satz 1 E I einen öffentlichrechtlich intendierten Vorläufer hat. Im übrigen zeigt diese historische Skizze § 1696 BGB als eine Norm, die je nach den vorherrschenden gesellschaftlichen Auffassungen eher privatrechtlich bzw. öffentlichrechtlich ausgelegt worden ist. 188 e) Systematische Analyse

Es ist noch zu untersuchen, ob sich bei einer Auslegung des § 1696 BGB in Anlehnung an §§ 48 ff. VwVfG Widersprüche zu anderen Abänderbarkeitsnormen ergeben.

aa) Das Verhältnis zu § 18 FGG § 18 FGG wurde in Anlehnung an § 534 CPO als eine um das Amtsprinzip erweiterte Abhiljeänderung verstanden, die einem generellen verfahrens rechtlichen Zweck dient. § 1696 BGB hingegen stellt eine aus speziellen öffentlich-rechtlichen Zwecken abgeleitete Aujsichtsänderung dar.

Beide Abänderungstatbestände haben grundsätzlich unterschiedliche Zweckrichtung: Die Abhilfeänderung bezweckt eine Beschleunigung des Verfahrens sowie eine Kostenminimierung durch Nichtinanspruchnahme der Beschwerdeinstanz. Die Aufsichtsänderung dient dem Schutz bereits beschriebener Kindes-, Eltern- und Gesellschaftsinteressen. Die Abhilfeänderung folgt zivilverfahrensrechtlichen Grundsätzen, die Aufsichtsänderung verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen. Widersprüche zeigen sich somit nicht, diese Auslegung vermeidet sogar Abänderungslücken l89 •

bb) Die sonstigen materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormenl9o Die These, § 1696 BGB sei als Aufsichtsänderung zu interpretieren, würde gestützt, könnten auch bei anderen materiellrechtlichen Ab188 Zur Bedeutung der historischen Interpretation: Larenz, Methoden!., S. 315 ff. 188 Vgl. zu den Auslegungsergebnissen im einzelnen: 3. Kap. D. 190 Die §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB; § 17 HRVO werden im vierten Kapitel behandelt, da sie eine eigene Kategorie der Abänderbarkeit darstellen.



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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

änderbarkeitsnormen191 öffentlich-rechtliche Einflüsse nachgewiesen werden. (1) Am ehesten mit § 1696 BGB vergleichbar sind die §§ 1707 Satz 3, 1711 Abs. 2 Satz 3 BGB. Für eine ähnliche Struktur dieser Normen spricht bereits, daß die §§ 1707 Satz 3, 1711 Abs. 2 Satz 3 BGB in Anlehnung an § 1696 BGB entwickelt wurden 192 . Das bringt auch die amtliche Begründung zum Entwurf des NEhelG zu § 1706 (dem späteren § 1707 Satz 3 BGB) zum Ausdruck l83 • "Die Entscheidung muß geändert werden können, wenn sich später ergibt, daß die erste Entscheidung nicht dem Wohle des Kindes entsprach oder wenn sich die Lebenssachverhalte, die der ersten Entscheidung zugrundelagen, wesentlich geändert haben. Das Kind könnte gefährdet werden, wenn die Aufhebung der Beistandsschaft unwiderruflich wäre und ein Eingriff des Vormundschaftsgerichts nur unter den erschwerten Voraussetzungen der §§ 1666 ff. BGB gegeben wäre. Deswegen sieht Abs. 2 Satz 3 ausdrücklich vor, daß das Vormundschaftsgericht seine Entscheidung ändern kann, wenn dieses zum Wohle des Kindes erforderlich ist." Zu § 1711 BGB wird ausgeführt: " ... stellt sicher, daß die Vorschrift der §§ ... 1696 BGB auch auf die Mutter des nichtehelichen Kindes anwendbar ist."194 Versteht man §§ 1696, 1707, 1711 BGB als Ausprägung ein und desselben Gedankens, so ergibt sich eine dreigestufte Relation von Abänderungsbefugnis und Defektsituation: (a) §§ 1707, 1711 BGB betreffen die elterliche Sorge bei nichtbestehender Ehe; (b) § 1696 BGB betrifft in den Vormundschaftssachen Defekte bei bestehender Ehe; (c) § 1696 BGB betrifft in den Familiensachen das Problem der Verteilung der elterlichen Gewalt bei aufgelöster Ehe. Die Erstentscheidung, wie jede weitere Abänderungsentscheidung hat ihren eigentlichen Grund daher in einem Versagen der elterlichen Gewalt, was eine Eingriffsbefugnis des Staates begründet. 181 Auch für die Auslegung dieser Normen muß auf ihre speziellen Abänderungsgründe zurückgegriffen werden (vgl. 1. Kap. All); das kann hier im einzelnen nicht dargestellt werden. 191 Vgl. RGRK-Scheffler, § 1707 a. F., Anm. 9; dazu auch Göppinger, JR 69, S. 404 fi., 407. lU Amtliche Begründung zum Entwurf des NEhelG BT-Drucksache V /2370, S. 65 fi. 184 Amtliche Begründung BT-Drucksache, V/2370, S. 67.

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(2) Auch im Bereich des § 1836 Abs. 1 Satz 4 BGB bewirkt die geplante Einführung einer befristeten Beschwerde (FrGO-Entwurf) eine Einschränkung der Abänderungsmöglichkeiten: Anfänglich unrichtige BewiIIigungen sind nur noch im Beschwerdeverfahren rückwirkend abänderbar; bezieht man § 1836 Abs. 1 Satz 4 BGB nur auf nachträgliche Unrichtigkeit1 96 , so entfällt nach Eintritt der formellen Rechtskraft selbst eine für die Zukunft wirkende Korrektur anfänglich unrichtiger BewiIIigungen; es widerspricht aber dem Interesse des Mündels, dem Vormund diesem nicht zustehende Vergünstigungen zu Lasten des Mündels auch noch für die Zukunft zu gewähren. Diese Folge würde vermieden, ließe sich § 1836 Abs. 1 Satz 4 BGB wie § 1696 BGB als verwaltungsrechtsähnliche Norm interpretieren. Dafür spricht zum einen, daß das Vormundschaftsgericht auch hier einseitig Mündelinteressen wahrnimmt und somit wie das im Rahmen des § 1696 BGB tätig werdende Gericht eine AmtswaltersteIlung hat. Das kommt auch in den Materialien196 zum Ausdruck: "Das Vormundschaftsgericht, indem es das Honorar bewilligt, schließt nicht als Vertreter des Mündels mit dem Vormund einen Vertrag ab, sondern handelt kraft seiner Amtsgewalt und gewährt in dieser Eigenschaft dem Vormund ein Recht gegen den Mündel, aber nur ein solches Recht, das in seinem Bestande von dem Ermessen des Vormundschaftsgerichts abhängig sein soll." Diese Begründung verträgt sich aber nicht mit der Ausgrenzung bestimmter Fehlerquellen. Auch scheint die oben erwähnte 197, eine Begrenzung auf nachträgliche Unrichtigkeit nahelegende Stelle nicht eindeutig. Mit § 1836 Abs. 1 Satz 4 BGB sollte der Auffassung entgegengetreten werden, die Bewilligung schaffe ein wohlerworbenes Recht, das trotz veränderter Umstände nicht entzogen werden könne 198 • Es liegt daher nahe, die obige Stelle dahingehend zu interpretieren, sie bezwecke nur eine Zurückweisung dieser Auffassung, sage aber über die sonstige Reichweite der Norm (ihre Anwendbarkeit bei anfänglicher Unrichtigkeit) nichts aus. Dafür spricht auch, daß in der Begründung wie im Wortlaut der Norm eine Grenze nur für die Wirkung der Entscheidung gezogen wird, nicht aber im Hinblick auf das zeitliche Entstehen der Fehlerquelle. 195 "Vielmehr muß das Vormundschaftsgericht in der Lage sein, das zugebilligte Honorar für die Zukunft zu entziehen oder zu mindern, wenn es dies mit Rücksicht auf Änderungen in der Art und dem Umfang der Verwaltung als angemessen erachtet" - Mugdan, Motive Bd. IV, S. 1183. 198 Vgl. Mugdan, Materialien Bd. IV, S. 627. 117 Vgl. Mugdan, Motive Bd. IV, S. 1183. tu8 Vgl. Mugdan, Motive Bd. IV, S. 1183.

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

Ferner ist die Führung der Vormundschaft 199 grundsätzlich unentgeltlich. Die Zubilligung einer Vergütung erfolgt aus Billigkeitserwägungen200 und muß daher im Mündelinteresse jederzeit korrigierbar sein. Auch § 1836 Abs. 1 Satz 4 BGB stützt also die zu § 1696 BGB entwikkelte Auffassung. (3) Auffällig ist der Bezug zum Verwaltungsverfahren auch bei den Aufhebungstatbeständen des Adoptionsrechts: Zum einen untersteht das Adoptionsrecht seit dem 1. 7. 77 dem Dekretsystem201 . Das Adoptionsverhältnis kommt nicht mehr durch vormundschaftsgerichtlich genehmigten Vertrag zwischen Annehmendem und Anzunehmendem bzw. dessen gesetzlichem Vertreter zustande; vielmehr bedarf es dazu eines Gerichtsbeschlusses 202 . Zum anderen zeigen sich Parallelen zu anderen im Verwaltungsrecht geregelten Materien, wie z. B. der Einbürgerung: Hier wie dort wird ein Status verliehen, der nur unter erschwerten Voraussetzungen entzogen werden kann (im Staatsangehörigkeitsrecht ist dieser Entzug wider Willen desjenigen, dem die Staatsangehörigkeit verliehen wurde, wegen Art. 16 GG nicht möglich). Folgerichtig wurde auf die frühere am Zivilrecht orientierte - Anfechtung wegen Willensmängel ganz verzichtet; die Aufhebung wurde als einzige Form der Beseitigung des Annahmeverhältnisses angesehen. Daß im Unterschied zu §§ 48, 49 VwVfG die Aufhebungstatbestände grundsätzlich von einer Unaufhebbarkeit ausgehen, ist Ausfluß des für Statussachen typischen Bedürfnisses nach Beständigkeit des Statusverhältnisses - ein dem öffentlichen Recht nicht unbekanntes Phänomen, wie auch die Parallele zum Ausländerrecht (Aufhebung einer Aufenthaltserlaubnis)203 zeigt. Schließlich findet sich auch im Adoptionsrecht die zu § 1696 BGB entwickelte Stellung des Vormundschaftsrichters als Wahrer von Kindesrechten und Gesellschaftsinteressen wieder: § 1763 BGB trägt insofern der strukturellen Gleichheit von elterlicher Gewalt und Adoptionsverhältnis (nach neuem Recht erlöschen die Bindungen zu den bisherigen Eltern völlig204) Rechnung. 1U9 Vgl. zu den öffentlich-rechtlichen Elementen der Vormundschaft Schreiber, AcP 178, S. 533, 534. 200 Vgl. die Begründung in RGRK-Scheffler, § 1836 Anm. 2. 201 Zu eng Gernhuber, Lehrb., § 62 11 2, S. 970, der in der Einführung des Dekretsystems nur eine "Umschichtung" sieht. 202 Daß dies nicht denknotwendig ist, zeigt ein rechtsvergleichender Aspekt: In vielen Ländern werden diese Aufgaben von VerwaItungsbehörden wahrgenommen; vgl. BT-Drucksache, VII/3061, S. 24. 203 Vgl. dazu § 5 AuslG i. V. m. §§ 9, 10 AusiG. 204 Vgl. Münch-Komm / Lüderitz, vor § 1741 Rdnm. 17,23 ff.

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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Andererseits zeigen sich wichtige Unterschiede in der Ausformung der Abänderbarkeitsnormen: So setzt § 1763 HGB voraus, daß die Aufhebung des Annahmeverhältnisses aus schwerwiegenden Gründen zum Wohle des Kindes erforderlich ist, während in § 1696 BGB nur vom Interesse des Kindes die Rede ist. § 1760 BGB enthält eine durch § 1761 Abs. 2 BGB begrenzte kasuistisch gefaßte Regelung, die eine Aufhebung auf Antrag ermöglicht. Diese unterschiedliche Ausgestaltung rechtfertigt sich aus folgender überlegung: Im Adoptionsrecht erlöschen die Beziehungen des Kindes zu den leiblichen Eltern. Es soll ein voll gültiges Eltern-Kind Verhältnis begründet werden, die ursprüngliche Defektsituation ist behoben. Dem Staat können daher nur eng begrenzte Eingriffsbefugnisse verbleiben205 . In den Fällen, auf die § 1696 BGB sich bezieht, bleibt die Beziehung des Kindes zu dem anderen Elternteil bestehen. Dadurch kann die ursprüngliche Defektsituation fortwirken. Den möglichen Auswirkungen kann nur durch erweiterte Eingriffsbefugnisse begegnet werden. Es sind jedoch auch angleichende Tendenzen festzustellen 206 . (4) Die Rechtslage im Bereich der Vormundschafts- und Pflegschaftssachen ist schwieriger zu beurteilen, da es verschiedenartige materiellrechtliche Abänderbarkeitstatbestände gibt. Diese wirken teils bereits mit Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, teils setzen sie einen entsprechenden Beschluß des Vormundschaftsgerichts voraus 207 . Das Gesetz unterscheidet zwischen Anordnung der Vormundschaft, § 1774 BGB208 und der Bestellung des Vormunds, § 1789 BGB. Entsprechend sind die Aufhebungsnormen aufgebaut: :05 Das bestätigt auch § 56 e Satz 3 2. Halbsatz FGG; zu berücksichtigen ist jedoch, daß auch in einem durch Adoption begründeten Eltern-Kind Verhältnis §§ 1666 ff. BGB anwendbar sind, vgl. BT-Drucksache VII/3061, S. 26. 208 Vgl. die einschränkende Auslegung bei § 1696 BGB einerseits, die allerdings auf die Erwachsenenadoption bezogene - ausdehnende Interpretation des OLG Köln in NJW 80, S. 63 andererseits; dazu kritisch: Lüderitz, NJW 80, S. 1087. Das OLG Köln bediente sich hierbei des § 138 BGB. Das bisherige Recht kannte nur die Anfechtung der Annahme sowie die Aufhebung durch Vertrag, war also zivil rechtlich orientiert. Erforderlich war eine Bestätigung von Seiten des Vormundschaftsgerichts, vgl. § 1741 a. F. BGB, dazu Soergel/ Siebert / Lade, § 1741 Rdnr. 6. Das OLG Köln scheint in seiner Argumentation noch dem alten Recht verhaftet zu sein: Der Annahmevertrag konnte aus allgemeinen Gründen (§ 138 BGB) nichtig sein. 207 Vgl. hierzu 1. Kap. C. 208 Diese Tatbestände geben Aufschluß über die Frage, ob überhaupt eine Vormundschaft erforderlich ist - unabhängig von der Frage, wer letztlich Vormund wird.

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

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Für die anfänglich unrichtige Anordnung einer Vormundschaft existiert keine materiellrechtliche Abänderbarkeitsnorm. Hier greift § 18 FGG209 ein. Den nachträglichen Wegfall des Anordnungsbedürfnisses regelt § 1882 BGB, der jedoch keinen Beschluß des Vormundschaftsgerichts voraussetzt. Lediglich in §§ 1883, 1884 BGB ist ein Tätigwerden des Vormundschaftsgerichts vorgesehen!10. Im Gegensatz hierzu weisen die eine Aufhebung der Bestellung ermöglichenden Normen, §§ 1886 ff. BGB, Parallelen zu dem bisher erörterten Abänderbarkeitsnormen auf. So spielt es bei § 1886 BGB keine Rolle, ob die Untauglichkeitsgründe bereits bei der Bestellung zum Vormund vorlagen oder erst später eingetreten sind. Auch hier zeigt sich, daß die Subsidiarität staatlichen Eingreifens im Falle eines Defektes (Untauglichkeit des Vormunds, Gefährdung der MündeIinteressen) endet211 • (5) Die materiell rechtlichen Abänderbarkeitsnormen im Nachlaßrecht212 folgen anderen Gesetzmäßigkeiten: {al § 2227 BGB setzt den Antrag eines Beteiligten voraus; die Entlassung durch das Nachlaßgericht erfolgt aus Gründen der Rechtssicherheit. (b) Die weite 213 Abänderbarkeit in § 2361 BGB rechtfertigt sich aus dem Schutze Dritter: Der Erbschein soll dazu dienen, Dritten die Prüfung des Erbrechts des Empfängers zu ersparen. Der gute Glaube dieser Dritten hat seine Grundlage in den Ermittlungen des Nachlaßgerichts und in der aus diesen Ermittlungen gewonnenen überzeugung des Nachlaßgerichts: "Das Interesse der Rechtssicherheit erfordert, daß das Gericht von Amts wegen einschreiten und die Fortdauer der Wirksamkeit des nach seiner überzeugung der wirklichen Sachlage nicht mehr entsprechenden Erbscheins beseitigen kann"214.

Vgl. MÜDch-Komm / Zagst, § 1882 Rdnr. 3. Vgl. Münch-Komm / Zagst, § 1883 Rdnr. 1; § 1884 Rdnr. 1. 211 Daß das Vormundschafts recht öffentlich-rechtliche Elemente aufweist, ist auch historisch nachweisbar: vgl. Mugdan, Motive, S. 543. Zu einer noch stärkeren öffentlich-rechtlichen Ausgestaltung (Fürsorge durch die Gemeinde, Mugdan, S. 536) hat man sich aber nicht durchringen können. Z12 Wie die anderen in den Registersachen zu findenden Abänderbarkeitsnormen, vgl. § 75 GBO; §§ 47 ff. PStG (hierzu: Dorndorf, S. 143 / Fn. 35 m.w.N.). rt3 Auch abweichende rechtliche Würdigung rechtfertigt die Abänderung, vgl. Staudinger / Firsching, § 2361 Rdnr. 15. m Mugdan, Motive Bd. V, S. 301. 208

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C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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cc) Auswertung der systematischen Analyse Die systematische Analyse hat die These bestätigt, daß die Struktur und die Reichweite einer jeden Abänderbarkeitsnorm aus ihrem speziellen Abänderungsgrund ermittelt werden muß. Es hat sich gezeigt, daß es neben § 1696 BGB eine Reihe weiterer Abänderbarkeitsnormen gibt, die öffentlich-rechtlichen Einflüssen unterliegen.

3. Ergebnis der Untersuchung Historisch, systematisch und teleologisch konnte festgestellt werden, daß § 1696 BGB öffentlich-rechtliche Elemente aufweist. Es soll daher im folgenden versucht werden, die §§ 48 ff. VwVfG rechtsvergleichend für § 1696 BGB fruchtbar zu machen.

m.

Neufundierung des § 1696 BGB

1. Die maßgeblichen Fehlerquellen a) Die Rechtslage im Verwaltungsverfahrensrecht

aal Teilweise wird behauptet, § 1696 BGB betreffe nur nachträgliche Unrichtigkeit, allenfalls noch die verdeckten Tatsachen; begründet wird diese Auffassung mit der Dauerwirkung der Erstentscheidung216 bzw. mit einer Bindung218 des fG-Richters erster Instanz an seine eigene Entscheidung. bb) Eine derartige Begrenzung findet sich in den §§ 48 ff. VwVfG nicht. Die Verwaltungsbehörde ist berechtigt, einen als unrechtmäßig erkannten Verwaltungsakt zurückzunehmen (§ 48 VwVfG), einen rechtmäßigen Verwaltungsakt zu widerrufen (§ 49 VwVfG). Rücknahmeund Widerrufsbefugnis variieren je nach dem, ob die Behörde einen den Bürger belastenden oder begünstigenden Verwaltungsakt ändern will. Ist letzteres der Fall, so ist die Behörde gebunden, soweit der Bürger zu Recht auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat217 • Die Verwaltungsbehörde ist also im Gegensatz zum Zivilrichter (§ 318 ZPO) grundsätzlich nicht an ihre Erkenntnisakte gebunden. Diese weitgehende Abänderungsbefugnis wird durch folgende Gesichtspunkte!18 gerechtfertigt: Vgl. 3. Kap. All 1, 2. Vgl. 3. Kap. B I. 217 In diesem Zusammenhang spielt dann auch die nachträgliche Unrichtigkeit eine Rolle in Verbindung mit der weiteren Voraussetzung einer Gefährdung des öffentlichen Interesses: Sie durchbricht das Vertrauen des Bürgers, § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. %18 Vgl. hierzu noch detaillierter die Arbeiten von: Ossenbühl, Die Rücknahme ... , S. 47 ff.; Saladin, Der Widerruf ... , S. 91 ff.; Hangartner, Widerruf und Änderung ... , S. 70. !15

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

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Die Verwaltungsbehörde ist an Gesetz und Recht gebunden. Das ist zwar auch der Zivilrichter. Beibringungsgrundsatz und Dispositionsmaxime zeigen jedoch, daß der Zivilrichter nur auf Parteiinitiative tätig werden soll. Eine an der Bindung an Gesetz und Recht orientierte Änderungsbefugnis des Zivilrichters wird ausgeschlossen durch den Rechtsmittelzug: Es obliegt dem Bürger, für die Richtigkeit der Entscheidung zu sorgen. Diese Wertung trifft auf die Verwaltungsbehörde nicht zu. Die Verwaltungsbehörde nimmt (Kennzeichen: Amtseinleitungs- und Amtsermittlungsgrundsatz) dem Bürger gegenüber originär öffentliche Aufgaben wahr. Handelt sie fehlerhaft, so ist es an ihr diesen Fehler zu korrigieren. Die Bindung an Gesetz und Recht sagt jedoch nichts aus über die Reichweite der Abänderbarkeit; schließlich stellt auch das Verwaltungsprozeßrecht einen Rechtsmittelzug zur Verfügung. Hinzukommen muß also eine weitere Wertung: Zur Ausübung der öffentlichen Aufgaben ist der Verwaltung Macht eingeräumt; der Bürger ist der Gewaltunterworfene 219 • Dieser Machtaspekt spricht für eine umfassende - nicht auf bestimmte Fehlerquellen beschränkte - Abänderungsbefugnis. Die Machtposition220 wird nur durch eine im Einzelfall höherrangige Vertrauensposition des Bürgers begrenzt. Das Eingreifen des Zivilrichters findet seine Grenze im Schlichtungs auf trag; deshalb ist es berechtigt, diese Bindung generell am Streitgegenstand anzuknüpfen und solche nachträglichen Veränderungen auszugrenzen, die außerhalb des Streitgegenstandes liegen. Die Verwaltungsbehörde hingegen ist bei Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage als dritte Staatsgewalt umfassend eingriffsbefugt. Nur im Einzelfall kann ihr eine höher zu bewertende Position des Bürgers entgegenstehen.

b) Folgerungen für die freiwillige Gerichtsbarkeit Das Wirken des fG-Richters in den Fürsorgeangelegenheiten ist ebenfalls nicht auf einen Schlichtungsauftrag begrenzt; der in den Materien des § 1696 BGB tätig werdende Richter nimmt öffentliche Aufgaben wahr. Folgerichtig enthält der Wortlaut des § 1696 BGB nur eine von m Vgl. Schachtschneider, S. 115. Dieser Machtaspekt ist auch bedeutsam für die Unterscheidung zwischen belastenden und begünstigenden Verwaltungsakten. Diese Begriffe sind auf das allgemeine Verhältnis von Bürger und Gemeinwesen bezogen. Eine für die Allgemeinheit nützliche (begünstigende) Leistung des Bürgers wird daher im Sinne des Verwaltungsrechts als nur den Bürger belastend angesehen. Noch aus einem weiteren Grund ist diese Differenzierung für die freiwillige Gerichtsbarkeit nicht ohne weiteres brauchbar: Die Entscheidung wird im Kindesinteresse gefällt; der Gesetzgeber geht von einer Identität von Kindesinteressen und Elternrecht aus. Die Eltern können nichts anderes verlangen, als was dem Interesse des Kindes entspricht. Daher kann in einer Sorgerechtsentscheidung keine Belastung oder Begünstigung im Sinn der verwaltungsrechtlichen Begriffsbildung gesehen werden. 220

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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Fall zu Fall zu präzisierende, am Interesse des Kindes orientierte Bindung. Es ist daher nicht berechtigt, bestimmte Fehlerquellen aus dem Tatbestand des § 1696 BGB auszugrenzen. Hinzu kommt eine weitere Wertung: Der fG-Richter hat es mit einer mit rechtlichen Maßstäben nur schwer zu erfassenden Sachlage zu tun. Im Zeitpunkt der Entscheidung wird er mit einer Vielzahl von Tatsachen konfrontiert, deren Würdigung im einzelnen unsicher sein kann. Dabei handelt es sich nicht nur um eine für Maßnahmen mit Dauerwirkung typische Prognoseentscheidung über die zukünftige Entwicklung. Es besteht in gleichem Maße ein Bewertungsrisiko hinsichtlich bereits in der Vergangenheit liegender, als solcher bereits offenkundiger Tatsachen. Die Entscheidung des fG-Richters im Fall der §§ 1666 ff. BGB ist insofern mit einem erheblichen Unsicherheitsrisiko belastet. Dem entspricht, daß der Gesetzgeber in diesen Bereichen weitgehend mit Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet sowie dem fG-Richter Handlungsermessen221 eingeräumt hat. Bei einer mit einem derartigen Unsicherheitsrisiko behafteten Tatsachenwürdigung besteht das Bedürfnis, auch nach getroffener Entscheidung wegen anfänglicher Unrichtigkeit zu korrigieren. Ein Schutz des Kindes vor einem Wiederaufrollen wird über das Merkmal "Kindesinteresse" erreicht. Im übrigen ist zu bedenken, daß ein Wiederaufrollen während der Rechtsmittelfristen im Instanzenzug ohne weiteres (d. h. ohne Begrenzung auf bestimmte Fehlerquellen) möglich ist222 • § 1696 BGB gibt dem fG-Richter somit eine umfassende Änderungsbefugnis, die - jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Umstände außer dem Interesse des Kindes keine weitere Einschränkung erfährt.

2. § 1696 BGB und der Ablauf der Rechtsmittelfrist a) VOTÜberlegungen

aal Bis zur Familienrechtsreform vom 1. 7. 77 bestand kein Anlaß, über das Verhältnis von Abänderbarkeit nach § 1696 BGB und Rechtsmittelfrist nachzudenken. In den Tätigkeitsbereichen, in denen § 1696 BGB anwendbar ist, galt die unbefristete Beschwerde223 • Durch die EinVgl. hierzu 3. Kap. A V 2. Auch diese Argumentation zeigt eine Parallele zum Verwaltungsverfahrensrecht auf: vgl. Kopp, § 48 Anm. 8, S. 523: "Bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung ist das Vertrauen bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit in der Regel (noch) nicht schutzwürdig, da der Begünstigte ja noch mit einer Aufhebung im Rechtsbehelfsverfahren rechnen muß." 223 Das Beschwerderecht konnte jedoch verwirkt werden (vgl. noch unter 3. Kap. C 111 2 d); auch ein Rechtsmittelverzicht war möglich; vgl. Keidel/ Kuntze / Winkler, § 19 Rdnrn. 81 ff.; Habscheid, § 2611 2 b, S. 151. 221

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

führung der befristeten Beschwerde könnte sich die Rechtslage geändert haben22C • Aus Gründen der Rechtssicherheit kann der Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht mehr mit Hilfe der Beschwerde angegangen werden. Er erwächst in Rechtskraft226 • Es stellt sich daher die Frage, wie sich die veränderte Rechtslage auf § 1696 BGB auswirkt. bb) Aufschluß über die Bedeutung des § 1696 BGB nach Ablauf der Rechtsmittelfrist könnte aus dem Zweck der Rechtsmittelfrist zu gewinnen sein. Es handelt sich um eine Ausschlußfrist, die der Herbeiführung von Rechtsfrieden dient. 226 Ihre Aufgabe ist es, die Kontrollwünsche des von einer Entscheidung Beschwerten zeitlich zu limitieren. Dem entspricht, daß auch nur der Beschwerte zur Einlegung des Rechtsmittels befugt ist. Die Abänderung nach § 1696 BGB hat demgegenüber eine andere Zweckrichtung. Allenfalls läßt sich sagen, daß dieses Instrument vom Beschwerten nicht als Quasi-Rechtsmittel zur Umgehung der Rechtsmittelfrist benutzt werden darf. Die Bedeutung der Rechtsmittelfrist legt die Vermutung nahe, daß die Abänderungsinitiative des von einer Entscheidung Beschwerten nach Ablauf der Rechtsmittelfrist limitiert ist. Wie das im Einzelnen auszusehen hat, kann aus der Anordnung einer Rechtsmittelfrist allein nicht hergeleitet werden.

b) Die Rechtslage im Verwaltungsverfahrensrecht aal Aufschlüsse über die nähere Ausgestaltung dieser Limitierung könnten aus den rechtlichen Folgen zu gewinnen sein, die ein Ablauf der Rechtsmittelfrist nach sich zieht. So erwächst im Zivilprozeß eine Entscheidung nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft, ein Verwaltungsakt wird bestandskräftig. Die materielle Rechtskraft hat zur Folge, daß ein neues Verfahren über denselben Streitgegenstand nicht mehr möglich wäre. Die Bestandskraft des Verwaltungsakts führt ebenfalls zu einer reduzierten Angreifbarkeit227 • Interpretiert man § 1696 BGB in Anlehnung an verwaltungsverfahrensrechtliche Grund224 In der Amtlichen Begründung zur Reform vom 1. 7. 77 finden sich hierzu keine Aussagen. ttl Bereits hier zeigt sich eine Parallele zum Verwaltungsverfahrensrecht: Nach Ablauf der Anfechtungsfrist wird der Verwaltungsakt bestandskräftig; vgl. zum Begriff der Bestandskraft: Kopp, vor § 35 Anm. 4 g. t!8 Vgl. Rosenberg / Schwab, § 13511, S. 760. 127 In der ZPO wird jedoch davon ausgegangen, daß derjenige, der kein Rechtsmittel einlegt, an einer Überprüfung der Entscheidung nicht interessiert ist. Entsprechend schwächer ist die Bestandskraft des Verwaltungsakts: Im Verwaltungsverfahren werden Staatsaufgaben wahrgenommen, die Behörde ist an Gesetz und Recht gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Das daraus resultierende Abänderungsbedürfnis steht einer Rechtskraft im Sinn der ZPO entgegen. Das wird auch deutlich durch die Verwendung des Begriffes "Bestandskraft" .

C. Die Interpretation des § 1696BGB in Anlehnung an VwVfG

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sätze, so liegt es nahe, an den Auswirkungen anzusetzen, die ein Ablauf der Rechtsmittelfrist auf die Beständigkeit eines Verwaltungsakts hat. bb) §§ 48 ff. VwVfG gehen davon aus, daß auch ein bestandskräftiger Verwaltungsakt noch durch die Behörde abgeändert werden kann228 • Eine Einschränkung erfährt dieser Grundsatz nur durch die in den §§ 48 ff. VwVfG festgeschriebenen materiellen Vertrauensschutzerwägungen. Betrachtet man hingegen die Problematik aus der Bürgerperspektive, so ergibt sich folgendes Bild: Es wird unterschieden zwischen dem Wiederaufgreifen des Verfahrens und der Entscheidung in der Sache selbst. Nur in den Fällen des § 51 VwVfG muß die Behörde wiederaufgreifen und neu bescheiden; dem Bürger steht insofern ein subjektives Recht zu. Ansonsten steht ein Wiederaufgreifen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde, insbesondere kann sie ein Wiederaufgreifen mit Rücksicht auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts ablehnen229 • Hat der Bürger den Verwaltungsakt unanfechtbar werden lassen, so soll er diese Wirkung grundsätzlich2SO nicht durch ein Abänderungsbegehren umgehen dürfen. Dieses stellt sich vielmehr als Anregung gegenüber der Verwaltungsbehörde dar. Die Verwaltungsbehörde urteilt aufgrund der Anregung des Bürgers über ihr eigenes Änderungsrecht. Daß dem Änderungsbegehren des Bürgers durch ein Wiederaufgreifen unter Umständen stattgegeben wird, ist bloßer Reflex des Abänderungsrechts der Behörde. c) Folgerungen für § 1696 BGB

Diese Lösung führt auch im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei § 1696 BGB zu einer differenzierten Behandlung der Abänderbarkeit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist: Es muß auch im Rahmen des § 1696 BGB unterschieden werden zwischen der Entscheidung über ein Wiederaufgreifen und der sich daran anschließenden Neubescheidung. Daß diese Unterscheidung auch für § 1696 BGB Berechtigung hat, zeigt § 1696 Abs. 3 n. F. BGB. Unter bestimmten Voraussetzungen trifft den fG-Richter eine Pflicht zum Wiederaufgreifen; so zum Beispiel, wenn sich später die Verhältnisse ändern. Anderenfalls entscheidet der fG-Richter über ein Wiederaufgreifen nach pflichtgemäßen Ermessen; so zum Beispiel, wenn keine neuen Tatsachen beigebracht werden, es also nur um die Unrichtigkeit VgI. die Formulierung in § 48 VwVfG: "auch nach Unanfechtbarkeit". Zweifelnd zur Rechtslage vor Erlaß des VwVfG: Sauer, DÖV 71, S. 150. Das VwVfG ist die übernahme der ganz herrschenden Auffassung: VgI. Gosch, JA 76, S. 681 ff. mit weit. Nachw. hinsichtlich der Rechtslage vor Erlaß des VwVfG. !So Ausnahme: § 51 VwVfG. 228

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

der Erstentscheidung geht. Auf diese Weise wird ein beliebiges Wiederaufrollen des Verfahrens zu Lasten des Kindes vermieden: Der fGRichter hat im Rahmen seines Ermessens abzuwägen zwischen dem Bestandsschutzinteresse des Kindes einerseits und dem Interesse des die Abänderung Begehrenden andererseits. Diese Vorprüfung schützt das Kind vor einer ständig wiederkehrenden Konfrontation mit seinen bisherigen Lebensverhältnissen. Dem Elternrecht wird durch die Unterscheidung zwischen Wiederaufgreifen und Ermessen231 Genüge getan. Diese Konzeption entspricht auch am ehesten der Amtswalterstellung des Rechtsfürsorge treibenden, gestaltenden fG-Richters. d) Die Rechtslage in den Fürsorgeangelegenheiten mit unbefristeter Beschwerde aal Im Bereich der Vormundschaftssachen bleibt es bisweilen bei der unbefristeten Beschwerde. Der FrGO-Entwurf sieht jedoch auch hier die befristete Beschwerde vor, so daß für die Vormundschaftssachen im Rahmen des FrGO-Entwurfs das für die Familiensachen Ausgeführte gilt. Die Einführung einer Rechtsmittelfrist auch für Vormundschaftssachen ist aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen. Die Abänderungsmöglichkeit über § 1696 BGB trägt dem Unrichtigkeitsrisiko hinreichend Rechnung.

bb) Im geltenden Recht findet sich die unbefristete Beschwerde. Es wird jedoch versucht, eine Limitierung des Beschwerderechts über das Rechtsinstitut der Verwirkung232 zu erreichen. Die Frage, welche Folgen eine Verwirkung der unbefristeten Beschwerde auf die Änderungsbefugnis nach § 1696 BGB hat, wird wie folgt beantwortet: Die Verwirkung in der freiwilligen Gerichtsbarkeit habe zwei Voraussetzungen: zum einen den Ablauf einer längeren Zeit233 , zum anderen besondere Umstände, die das Vertrauen234 des Gegners auf das Bestehenbleiben des eingetretenen Zustands rechtfertigen. Lägen beide Voraussetzungen vor, so fehle eine Beschwer des Beschwerdeführers; die Beschwerde sei als unzulässig zu verwerfen. Diese Rechtslage habe folgende Auswirkungen auf § 1696 BGB: Nicht die Beschwerde, nur § 1696 BGB sei das richtige Rechtsinstitut zur Gel231 Die Entscheidung des fG-Richters, in der er ein Wiederaufgreifen ablehnt, kann auf Ermessensfehler nachgeprüft werden. Diese Nachprüfung als solche führt jedoch noch nicht zu einem Wiederaufrollen des Verfahrens. 232 Vgl. zur Verwirkung im Prozeß: BaumgärteI, ZZP 67, S. 423; Keidel, Rpfleger 61, S. 240 ff.; aus der Rechtsprechung vgl. nur: BayObLG FamRZ

75, S. 647.

233 Der Zeitablauf hat den Eintritt eines Beruhigungszustandes zur Folge: vgl. Keidel, S. 241. 234 Vgl. BaumgärteI, S. 423 ff., 438.

c. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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tendmachung veränderter Verhältnisse. 235 Der Abänderungsgegner könne aber nicht darauf vertrauen, die Verhältnisse blieben stabil. Eine Verwirkung des Abänderungsrechts sei daher nicht denkbar, § 1696 BGB werde durch die Verwirkung des Beschwerderechts nicht berührt. Vielmehr sei ein Antrag trotz verwirkten Beschwerderechts in ein Abänderungsbegehren umzudeuten. Diese Argumentation ist jedoch nicht zutreffend, da auch die Beschwerde veränderte Umstände erfaßt. Allenfalls läßt sich sagen, der Beschwerdegegner habe darauf vertraut, nicht mehr im alten Verfahren mit veränderten Umständen behelligt und so um eine Instanz gebracht zu werden. Auch in den Fürsorgeangelegenheiten mit unbefristeter Beschwerde muß zwischen der Entscheidung über ein Wiederaufgreifen und der eigentlichen Änderung unterschieden werden. Die Verwirkung des Beschwerderechts hat nicht notwendig eine Beschränkung von Wiederaufgreifen bzw. Abänderung zur Folge: Das Beschwerderecht dient dem individuellen Rechtsschutz, § 1696 BGB ist auch Ausfluß staatlicher Aufsichtsbefugnis. Die Verwirkung des Beschwerderechts kann jedoch ein Indiz für eine Limitierung des § 1696 BGB sein. In einem solchen Fall kann das Vormundschaftsgericht eine Sachprüfung ablehnen. 3. § 1696 BGß und die Rechtsmittelentscheidung a) VOTÜberlegungen

Der maßgebliche Unterschied zum bloßen Ablauf der Rechtsmittelfrist besteht in einer Verstärkung der Richtigkeitswahrscheinlichkeit: Die durch Ablauf der Rechtsmittelfrist eingetretene Bestands- bzw. Rechtskraft will zwar die Rechtssicherheit fördern, ist aber noch mit einem erheblichen Unrichtigkeitsrisiko belastet. Die im Instanzenzug überprüfte Entscheidung kann hingegen eine erhöhte Richtigkeitswahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Erhöhte Richtigkeitswahrscheinlichkeit spricht aber für eine Einschränkung der Abänderbarkeit. b) Die Rechtslage im Verwaltungsverfahrensrecht

Hat das Verwaltungsgericht über einen Verwaltungsakt erkannt, so ergibt sich die Frage, inwieweit die Verwaltungsbehörde noch abändern kann236 • Zwei Konstellationen werden unterschieden: aal Der ursprüngliche Verwaltungsakt wird vom Verwaltungsgericht

aufgehoben und die Behörde möchte einen neuen Verwaltungsakt glei-

235 Baumgärtel wie Keidel, gehen von der Auffassung aus, § 1696 BGB betreffe nur die Abänderbarkeit wegen nachträglicher Unrichtigkeit. 238 Diese Problematik hat durch das VwVfG keine Regelung erfahren. Vgl. grundsätzlich zum Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß: Schwarze, Der funktionale Zusammenhang ... , Berlin 1974.

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3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

chen Inhalts erlassen. Da im Verwaltungsverfahren eine Bindung der Verwaltungsbehörde an die eigene Entscheidung unbekannt ist 237 , stellt sich nunmehr die Frage nach einer Bindung der Verwaltungsbehörde an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Eine solche Bindung wird für den Fall des aufgehobenen Verwaltungsakts bejaht238 : Der neue Verwaltungsakt darf nicht auf Gründe gestützt sein, die bereits für die Entscheidung des Gerichts maßgeblich waren. Diese Bindung wird aus der Rechtskraftregel in § 121 VwGO (die Behörde ist als Beteiligte des Verwaltungsgerichtsverfahrens im Rahmen des Streitgegenstandes gebunden) und § 113 Abs. 4 VwGO analog bzw. dem früheren § 70 Abs. 1 VGGRh. Pf. hergeleitet239 • Dann müßte der Rechtskraftregel in § 121 VwGO eine andere Bedeutung zukommen als derjenigen der ZPO: In der ZPO bedeutet materielle Rechtskraft, daß ein neues Gerichtsverfahren über denselben Streitgegenstand unzulässig (ne bis in idem) ist. Im Verwaltungsverfahrensrecht müßte die materielle Rechtskraft mehr bewirken240 , da "Beteiligte" im Sinne des § 121 VwGO auch die Verwaltungsbehörde ist. Diese hat aber eine Selbstentscheidungsbefugnis, d. h. die Befugnis durch Verwaltungsakt die Rechtslage zu gestalten. Es geht im Verwaltungsverfahrensrecht also nicht nur darum, daß ein neues Gerichtsverfahren über denselben Streitgegenstand ausgeschlossen wird, sondern auch ein neues Verwaltungsverfahren. Dieser Gedanke führt zu einer Bindung der Verwaltungsbehörde an ein rechtskräftiges richterliches Erkenntnis über ihren Verwaltungsakt241 • Gerechtfertigt wird die Bindung an eine fremde Entscheidung ferner durch die Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Letztere würde obsolet, könnte die Verwaltungsbehörde gegenteilig entscheiden. Das Interesse an einer kontrollierten, d. h. gebundenen Verwaltung

137 Sieht man einmal von den Vertrauensschutztatbeständen ab. Anders ist es im Zivilprozeß: Vgl. § 318 ZPO; Kopp (vor 35 Anm. 4 c) meint, der Vertrauensschutz sei § 318 ZPO "entfernt vergleichbar". § 318 ZPO beruht jedoch auf anderen Erwägungen als die Vertrauensschutztatbestände in §§ 48 ff. VwVfG. 238 Vgl. Ule, VerwProzeßr., § 59 11 2, S. 256 ff.; Ule, Das Verhältnis S. 247 ff.; Schachtschneider, S. 327; Gosch, JA 76, S. 760. m Vgl. zu den Argumenten im einzelnen: Schachtschneider, S. 121 ff. uo Vgl. zu § 121 VwGO: Ule, Verwprozeßr., § 59 11, S. 276. 141 Denkbar ist auch eine andere Konzeption: Die materielle Rechtskraft bindet die Verwaltungsbehörde nicht im Hinblick auf ein neues Verwaltungsverfahren, wohl aber im Hinblick auf ein neues Gerichtsverfahren. Eine solche Konzeption geht zu Lasten des Bürgers, da dieser erst Klage erheben muß, vgl. sogleich unter Fn. 242.

C. Die Interpretation des § 1696 BGB in Anlehnung an VwVfG

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wird insofern höher bewertet als die Durchsetzung sonstiger staatlicher Interessen24!. bb) Anders soll die Rechtslage sein, wenn die Verwaltungsbehörde in dem Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht ein für sie günstiges Urteil erstritten hat: Die Behörde könne zwar nicht auf die Rechtskraft dieses Urteils, wohl aber auf ihre Begünstigung durch das zusprechende Urteil verzichten. Auch der Gewinner eines Zivilprozesses sei nicht daran gehindert, zugunsten des Verlierers auf das Erstrittene zu verzichten243 • Konsequenterweise könne auch die Behörde zugunsten des unterlegenen Bürgers neubescheiden (positiver Zweitbescheid)244. Möglich sei auch, daß das Verfahren wiederaufgegriffen, aber durch einen negativen Zweitbescheid24' beendet werde. In diesem Fall könne der Bürger erneut vor dem Verwaltungsgericht klagen. Diese Möglichkeit entfalle, wenn die Verwaltungsbehörde ein Wiederaufgreifen unter Hinweis auf die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts abgelehnt habe. Dieser "Verzichtstheorie" wird entgegengehalten, sie verkenne die Bindung der Verwaltungsbehörde an Gesetz und Recht245 . Die Behörde ist von einer Partei im Zivilprozeß wesensmäßig verschieden. Auch paßt diese Argumentation nicht auf den Verwaltungsakt mit Doppelwirkung246 : die Behörde würde ja nicht nur auf einen eigenen Vorteil, sondern auch auf den des durch die Verwaltungsgerichtsentscheidung Begünstigten verzichten. Die Verwaltungsbehörde ist vielmehr an die rechtskräftige Verwaltungsgerichtsentscheidung in jedem Fall gebunden; bei unveränderter Sach- und Rechtslage ist ein Zweitbescheid bzw. eine Rücknahme oder ein Widerruf nicht mehr möglich. 1f2 Erläßt die Verwaltungsbehörde dennoch einen neuen Verwaltungsakt, so kann der Betroffene Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben: Diese ist nicht etwa wegen materieller Rechtskraft unzulässig. Die Selbstentscheidungsbefugnis der Verwaltungsbehörde zwingt vielmehr dazu, dem Bürger eine Rechtsschutzmöglichkeit einzuräumen. Der neue Verwaltungsakt begründet somit einen neuen Streitgegenstand. Die zulässige Klage vor dem Verwaltungsgericht ist auch begründet: Der durch die Verwaltungsbehörde erlassene Verwaltungsakt ist - unabhängig von Rechtmäßigkeit des ersten Verwaltungsakts - rechtswidrig, da die Verwaltungsbehörde an das verwaltungsgerichtliche Erkenntnis über den ersten Verwaltungs akt im Rahmen der Rechtskraft gebunden war; vgl. BVerwGE 14, S. 359 ff.; Ule, VerwProzeßr., § 59 11 2, S. 259. U3 Ule, Verwaltprozeßr., § 59112, S. 260; Gosch, Ja 76, S. 760; aus der Rspr.: BVerwGE 17, S. 256; vgl. auch: Eyermann / Fröhler, VwGO, § 121 Rdnr.33. 244 Vgl. zum Zweitbescheid, der keine Veränderung irgendwelcher Umstände voraussetzt: Eyermann / Fröhler, § 121 Rdnr. 30 b. 245 Vgl. zur Kritik im einzelnen Schachtschneider, S. 132 ff. ue Vgl. zum Verwaltungsakt mit Doppelwirkung: Laubinger, Der VA mit Doppelwirkung, Göttingen 1967, der jedoch auf dieses spezielle Problem nicht eingeht. ., Bonvte

98

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung c) Folgerungen für § 1696 BGB

Diese Streitfrage braucht hier nicht entschieden zu werden247 • Es genügt ihre Implikationen herauszuarbeiten und diese wertend den Bedingungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit gegenüberzustellen, um so die für § 1696 BGB zutreffende Lösung zu beschreiben. aal Daß eine "Verzichtstheorie" in der freiwilligen Gerichtsbarkeit kaum der richtige Lösungsansatz ist, zeigt bereits der Charakter der Fürsorgeangelegenheiten. Am ehesten mit der Situation bei Verteilung der elterlichen Gewalt vergleichbar ist nämlich die Konstellation des Verwaltungsakts mit Doppelwirkung. Die Zuteilung der elterlichen Sorge hat für denjenigen, der das Sorgerecht erhält, einen begünstigenden, für den anderen Elternteil einen belastenden Effekt 248 • bb) Ferner wird nun die judikative Ausgestaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit bedeutsam. Auch hier geht es zwar darum, ob der als Amtswalter beschriebene fG-Richter trotz richterlicher Zweiterkenntnis abänderungsbefugt ist. Es handelt sich aber im Fall des fG-Richters weder um einen im Rechtsmittelverfahren Beteiligten (im Sinne des § 121 VwGO) noch bei dem Abänderungsverfahren um ein außerhalb des Gerichtsverfahrens stehendes Verwaltungsverfahren. Entscheidender Ansatzpunkt für die Verzichtstheorie war die Vorstellung von der obsiegenden Behörde. Diese Vorstellung paßt auf den in den Instanzenzug eingegliederten Amtswalter nicht. Verzicht setzt Verfügungsgewalt, Rechtsträgerschaft voraus. Diese hat - wenn überhaupt - nur die Behörde. Der fG-Richter hat auf dem Gebiet der Rechtsfürsorge nur eine TreuhändersteIlung. Diese TreuhändersteIlung reicht aber nur soweit wie ihr Grund: Das Bewertungsrisik0249 ist aber durch die erneute überprüfung im Rechtsmittelweg verringert worden. Eine nochmalige überprüfung durch den fG-Richter erster Instanz ist durch das Bewertungsrisiko jedenfalls nicht mehr gerechtfertigt. 247 Die Streitfrage hat historische und funktionale Implikationen: Die Entscheidung hängt davon ab, wie man die Abänderungsbefugnis gemäß §§ 48 ff. VwVfG bestimmt. Sieht man in ihr eine Befugnis zur Selbstkontrolle (quasi als Ersatz für die fehlende Klagemöglichkeit, vgl. BVerwGE 39, S. 134), so wird man der "Verzichtstheorie" nicht folgen können. Behauptet man aber eine gesteigerte Dispositionsbefugnis (Verwaltungs akt als Machtmittel), so wird man das Ermessenstheorem für richtig halten. Entsprechend ist die Konzeption des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes jeweils eine andere; vgl. aus historischer Sicht, Erichsen, verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen ... , S. 207 ff., S. 237 ff. 248 Hier wird das Begriffspaar "belastend" "begünstigend" vom Elternrecht her definiert; vgl. aber auch: 3. Kap. C III 1 a bb. 249 Vgl. 3. Kap. C III 1 b.

D. Zusammenfassung und Folgerungen für § 18 FGG

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ce) Ferner ist das auf eine Beschwerde hin entscheidende fG-Instanzgericht an seine Beschwerdeentscheidung gebunden250 • Könnte der nach § 1696 BGB änderungsbefugte fG-Richter bei unveränderter Sach- und Rechtslage ändern, so müßte das Beschwerdegericht einer Beschwerde gegen diese Änderung ohne Prüfung der Sachlage allein unter Hinweis auf seine Bindung stattgeben. Dieses Ergebnis vermeidet eine innerprozessuale Bindung251 des erstinstanzlichen fG-Gerichts. dd) Der fG-Richter ist somit nicht an die eigene Entscheidung gebunden. Insoweit überwiegt seine Amtswalterstellung und damit das exekutive Element. Wird hingegen der Instanzenzug genutzt, muß auch die judikative Seite berücksichtigt werden. Der fG-Richter ist in den Instanzenzug eingegliedert und an die im Instanzenzug ergehende Entscheidung gebunden. Das hat seinen Grund darin, daß es bei § 1696 BGB auch um private Belange geht. Hat eine Kontrolle - von Seiten eines Beteiligten angeregt - stattgefunden, so ist in der Abwägung zwischen Amtswalterstellung und Privatinitiative der letzteren der Vorrang einzuräumen. Eine nochmalige Änderung der in privatautonomer Initiative erhaltenen Ergebnisse ist nicht mehr gerechtfertigt.

D. Zusammenfassung und Folgerungen für § 18 FGG Formale, materielle, formelle wie kombinatorische Erklärungsversuche können die Struktur des § 1696 BGB nicht umfassend beschreiben. Eine das Verwaltungsverfahren r~chtsvergleichend heranziehende Untersuchung führt zu folgenden Ergebnissen:

(1) § 1696 BGB ist im Gegensatz zu § 18 FGG als materiellrechtliche

Aujsichtsänderung zu qualifizieren.

(2) Die Änderungsbefugnis des fG-Richters folgt aus seiner Amtswalterstellung im Hinblick auf das Recht des Kindes. Die Beschränkung des Elternrechts aus Art. 6 Grundgesetz rechtfertigt sich aus der Defektsituation, die in den Fallkonstellationen des § 1696 BGB typischerweise vorliegt. 250 Die Bindung der Instanzgerichte findet sich in ZPO wie VwGO und entspricht der für alle Rechtsmittel geltenden Dispositionsmaxime. 251 Die innerprozessuale Bindung ist eine andere als die, die durch die Rechtskraft erreicht wird. Sie ist auch der noch nicht rechtskräftigen Instanzentscheidung eigen. Im Verwaltungsprozeßrecht steht der Rechtsfriedensgedanke und damit die rechtskräftige Verwaltungsgerichtsentscheidung im Vordergrund; zwischen der Verwaltungsbehörde als Partei und dem Bürger soll Rechtsfrieden hergestellt werden. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit geht es um die Kontrollfunktion: der fG-Richter erster Instanz ist nicht Partei, auch die noch nicht rechtskräftige Instanzentscheidung hat bereits Bindungswirkung.

100

3. Kap.: § 1696 BGB - die Aufsichtsänderung

(3) Tritt der fG-Richter als mittelbar Beteiligter auf, so ist eine § 318 ZPO vergleichbare Bindung an die eigene Entscheidung nicht anzunehmen. Diese Konsequenz ergibt sich auch aus dem Amtseinleitungs- und Amtsermittlungsgrundsatz. (4) Von diesem Ansatz her stellt sich die Frage nach den Einschränkungen des § 1696 BGB neu:

(a) Entsprechend dem weiten Wortlaut des § 1696 BGB findet eine Unterscheidung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unrichtigkeit nicht statt. Eine Bindung des fG-Richters kann sich nur aus materiellrechtlichen Gesichtspunkten, nämlich dem Kindesinteresse ergeben. (b) Nach Unanfechtbarkeit der Erstentscheidung gewinnen verfahrensrechtliche Einschränkungen an Bedeutung: Der fG-Richter kann ein Wiederaufrollen seiner Entscheidung unter Hinweis auf die Unanfechtbarkeit ablehnen. Ein "Kampf ums Kind" nach Ablauf einer längeren Zeit wird so vermieden. Andererseits verbleibt dem fG-Richter die Möglichkeit, auch nach Unanfechtbarkeit seine Erstentscheidung zu korrigieren. Das rechtfertigt sich aus dem erhöhten Bewertungsrisiko, das auch bereits bekannten Tatsachen anhaftet. (c) Dieses Bewertungsrisiko tritt hinter Rechtssicherheitserwägungen zurück, sobald eine Rechtsmittelentscheidung ergangen ist. Der fGRichter wird innerprozessual an diese Entscheidung gebunden. (5) Ein Ausschluß des § 18 FGG in den Fürsorgeangelegenheiten • 252 Der Ausschluß entspricht vielmehr führt nicht zu Abänderungslücken. der Struktur beider Normen: Der Amtsänderungsgrundsatz in § 18 FGG wird durch § 1696 BGB mitberücksichtigt. § 1696 BGB ist in den Fällen lex specialis, in denen eine Kollision mit § 18 FGG noch möglich ist.

Z5I

Vgl. die Fragestellung im 2. Kap. unter E.

Viertes Kapitel

Die Prognoseändf'rung: ~§ 1382 Abs. 6,1587 d Abs. 2 BGB; § 17 HRVO A. Vorüberlegungen Um § 47 FrGO zutreffend beurteilen zu können, muß noch eine weitere Gruppe von materiell rechtlichen Abänderbarkeitsnormen untersucht werden: §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB; § 17 HRVO. Diese Normen enthalten ein Merkmal, das sie von § 18 FGG und § 1696 BGB unterscheidet: Sowohl §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB als auch § 17 HRVO setzen eine "wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse" voraus. Demgegenüber ist zum Beispiel in § 18 FGG nur davon die Rede, die Entscheidung müsse sich nachträglich als unrichtig erweiseni, in § 1696 BGB fehlt ein entsprechendes Merkmal völlig. Die Vermutung liegt nahe, daß diese Normen wiederum eine eigene Kategorie der Abänderbarkeit darstellen. Im folgenden werden daher die Gemeinsamkeiten und Abweichungen bei den einzelnen Normen analysiert sowie die tragenden Zweckgedanken herausgearbeitet. Die entscheidende Frage wird lauten, ob diese Normen auf vergleichbaren Zwecken beruhen und so ein gemeinsamer übergreifender Gedanke ermittelt werden kann. Es soll- wie schon bei § 18 FGG und § 1696 BGB - auch hier versucht werden, Parallelen zu Zivilprozeß und Verwaltungsverfahren aufzuzeigen und die freiwillige Gerichtsbarkeit als von bei den Verfahrensordnungen beeinflußte und entsprechend auszulegende Rechtsmaterie zu begreifen.

B. §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB und § 323 ZPO I. Analyse der §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs.2 BGB

§ 1382 Abs. 6 BGB behandelt die Stundung der Zugewinnausgleichsforderung!; § 1587 d BGB betrifft das Ruhen der Verpflichtung zur Begründung von Rentenanwartschaften3 • 1 Worunter wie bereits gezeigt wurde - jede unrichtigkeitsbegründende Tatsache zu zählen ist. I Vgl. hierzu Palandt / Diederichsen, § 1382 Anm. 5.

102

4. Kap.: Die Prognoseänderung

Bei den Entscheidungen nach § 1382 BGB und § 1587 d BGB sind eine Vielzahl von Umständen zu berücksichtigen, deren Entwicklung sich für die Wirkungsdauer der Entscheidung nicht übersehen läßt. Die Entscheidung ist jedoch nicht abhängig von den jeweiligen Umständen; die ursprüngliche gerichtliche Entscheidung gilt auch bei einer Veränderung der Verhältnisse 4 • Der Fortbestand der Entscheidung trotz veränderter Verhältnisse kann nun für den einen Beteiligten von Vorteil, für den anderen von Nachteil sein. Daß aber eine verfehlte ursprüngliche Prognose nicht diese Auswirkungen haben darf, folgt bereits aus dem den §§ 1382, 1587 d BGB gemeinsamen Merkmal der Erforderlichkeit bzw. Billigkeits. Erweist sich die Prognose des fG-Richters als falsch, so muß daher die ursprüngliche Entscheidung durch eine neue Entscheidung abgelöst werden können. Dieses spezielle Abänderungsverfahren ist im Verhältnis zum Rechtsmittelzug subsidiär. Eine Konkurrenz mit dem Instanzenzug wie bei § 1696 BGB taucht nicht auf. I;>as wird durch das Merkmal "rechtskräftige Entscheidung" sichergestellte. Die Auslegung der weiteren Merkmale wird durch diesen Zweck der Norm bestimmt: So ist "wesentlich" eine Veränderung dann, wenn das Gericht bei seiner ersten Stellungnahme - hätte es die sich verändernden Umstände gekannt - zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre 7 • Ein nachträgliches Bekanntwerden von Umständen reicht nicht aus s; ebensowenig eine neue Beweismöglichkeit9 • Diese allgemeinen Prozeßrisiken auszuräumen, ist nicht Aufgabe der Abänderungsnormen §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB.I0

Vgl. hierzu Münch-Komm / Maier, § 1587 d Rdnr. 5. Das ist ein Gebot der Rechtssicherheit; im übrigen gilt diese Erkenntnis auch für andere Abänderbarkeitsnormen und ist kein Spezifikum der §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB; vgl. 1. Kap. C I. 6 Vgl. Staudinger / Felgentraeger, § 1382 Rdnr. 1; vgl. zu § 1587 d Abs. 2 BGB: Rolland, Das neue Ehe- und Familienrecht, S. 580. I Im Verfahrensstadium der weiteren Beschwerde besteht eine Abänderungslücke. 7 Münch-Komm / Gernhuber, § 1382 Rdnr. 55; nicht jede Art der Änderung genügt - es muß sich vielmehr um eine erhebliche Veränderung handeln. 8 Vgl. Staudinger / Felgentraeger, § 1382 Rdnr. 57. 9 Vgl. Münch-Komm / Gernhuber, § 1382 Rdnr. 58. 10 Vgl. Münch-Komm / Gernhuber, § 1382 Rdnr. 58. 3

4

B. §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB und § 323 ZPO

t03

D. Redltsvergleichender Aspekt Damit rücken §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB in die Nähe der zivilprozessualen Abänderbarkeitsnorm § 323 ZPOll. Auch die Verurteilung zu künftig wiederkehrenden Leistungen beruht auf einer Schätzung. Weicht die wirkliche Entwicklung wesentlich von der Schätzung ab, so wird das als auflösende Bedingung angesehen 12 • Die veränderten Verhältnisse werden jedoch wie bei §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB nur auf Beteiligteninitiative13 berücksichtigt

§ 323 ZPO wie §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB beruhen also auf einem gemeinsamen Grundgedanken: 11 Auf den ersten Blick befremden mag, daß es sich hierbei um eine prozeßrechtliche Abänderbarkeitsnorm handelt im Gegensatz zur materiellrechtlich normierten Abänderbarkeit in §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB. Man könnte versucht sein, diese unterschiedliche Zuordnung als Folge der materiellrechtlichen bzw. prozeßrechtlichen Rechtskrafttheorie zu erklären; vgl. Bötticher, Kritische Beiträge ..., S. 95 ff. Nimmt man nämlich mit der materiell rechtlichen Rechtskrafttheorie eine Umgestaltung der materiellen Rechtslage an, so liegt es nahe, auch eine Änderungsmöglichkeit materiell zu konzipieren. Sieht man in der Rechtskraft nur eine prozeßrechtlich wirkende Sperre, so wird man eine Abänderungsnorm im Prozeßrecht ansiedeln. Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber diesen Streit durch die Zuordnung zur ZPO oder zum BGB entscheiden wollte. Darüber hinaus ist bestritten, ob § 323 ZPO überhaupt eine Durchbrechung der Rechtskraft bildet, vgl. Stein / J onas / Schumann / Leipold, § 323 Anm. 1. Löst man aber die Abänderbarkeit von den Kategorien der Rechtsmittellehre, vgl. 1. Kap. A II, so liegt ein Begründungsversuch aus dem Annexgedanken nahe: Die Regelung der Abänderbarkeit folgt der Regelung der Hauptmaterie. Die unterschiedliche Zuordnung von § 323 ZPO und §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB ist somit auf ganz andere Gedanken rückführbar als die Stellung von § 18 FGG einerseits und § 1696 BGB andererseits. 1! Auch aus diesem Gesichtspunkt ließe sich eine Unterscheidung zwischen prozeßrechtlicher und materiell rechtlicher Abänderbarkeitsnorm konstruieren (vgl. 1. Kap. C I). Im Fall einer prozeßrechtlichen Abänderbarkeitsnorm ist die Veränderung der Verhältnisse materiell rechtlich bereits berücksichtigt durch die auflösende Bedingung. Aus Gründen der Rechtssicherheit bedarf es jedoch einer prozessualen Geltendmachung. Bei einer materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnorm haben die veränderten Umstände noch keine Veränderung des materiellen Rechts bewirkt. Die materiell rechtliche Norm bewirkt also nicht nur die verfahrensrechtliche Durchsetzung, sondern auch die Veränderung der materiellen Rechtslage. Ferner ist die Besonderheit der § 323 ZPO zugrundeliegenden Ansprüche zu berücksichtigen: Die von § 323 ZPO erfaßten Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen entstehen nach materiellem Recht nicht als einmalige Rechtsfolge eines abgeschlossenen Tatbestandes, um dann grundsätzlich unverändert zu bleiben. Sie sind vielmehr in ihrem künftigen Bestand von vornherein an die später bestehenden Verhältnisse geknüpft, entstehen also so gesehen.in jedem Augenblick neu. 13 Bei § 323 ZPO Klage, bei §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB Antragserfordernis.

104

4. Kap.: Die Prognose änderung

Zum einen ist eine Entscheidung, die auf Prognosen über künftige Entwicklungen beruht, mit einem erhöhten Unsicherheitsfaktor belastet; zum anderen soll keiner Partei daraus ein Vorteil oder Nachteil erwachsen, daß sich die Verhältnisse ändern. Daß Zusammenspiel dieser überlegungen bedingt, daß nur nachträgliche Veränderungen (d. h. nach Erlaß der Erstentscheidung entstandene Tatsachen) zur Abänderung berechtigen1'. Diese Abänderbarkeitsnormen können somit unter der Kategorie der Prognose änderung zusammengefaßt werden. Das Merkmal der Beteiligteninitiative (die Anpassung an die veränderten Verhältnisse ist nicht Aufgabe des Staates) unterscheidet diese Normen von § 1696 BGB.

c.

Analyse des § 17 HRVO

Auch § 17 HRVO scheint unter die Kategorie der Prognoseänderung zu fallen. So gilt auch diese Norm erst nach Eintritt der Rechtskraft und enthält das Merkmal einer wesentlichen Veränderung der Umstände. Dieses Merkmal wird jedoch bei § 17 HRVO teilweise anders verstanden als bei § 323 ZPO und §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB. Es soll vielmehr ausreichen, wenn nachträglich Umstände bekannt werden15. Auch ist umstritten, ob § 17 HRVO in Anlehnung an § 1 Abs. 1 HRVO einen Antrag voraussetzt11. Diese Streitfragen erklären sich aus dem Zweifel, ob § 17 HRVO außer Prognose- auch Aufsichtsprinzipien (wie bei § 1696 BGB) zugrundeliegen. Entscheidende Frage ist daher, ob dem fG-Richter im Fall des § 17 HRVO ähnliche Befugnisse zukommen wie im Fall des § 1696 BGB17. Dann müßte der Richter im Hausratsverfahren "Amtswalter" sein. Auch das Hausratsverfahren beruht auf einer "Defektsituation" , der Scheidung. Um eine solche Stellung des Richters zu rechtfertigen, muß jedoch noch ein Fürsorgeverhältnis hinzukommen. Im HausratsverfahSo wird auch § 323 ZPO ausgelegt: BGH NJW 79, S. 1656. Vgl. Hoffmann / Stephan § 17 HRVO Anm. 1; vgl. auch: BayObLG Z 63, S. 286 begründet dies aus Billigkeitserwägungen; darüber hinaus leitet das BayObLG aus § 17 HRVO eine Änderungsbefugnis des Rechtsbeschwerdegerichts ab, vor allem für verfahrensrechtliche Entscheidungen, insbesondere solche über die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde. Einschränkend: Rolland, Anm. 6 zu § 17 HRVO. 18 Ein Amtsverfahren bejaht: Hoffmann / Stephan, § 17 HRVO Anm. 4; anders: Rolland, § 17 HRVO Anm. 1 m. w. N. 17 Vgl. hierzu 3. Kap. eil. 14

15

D. Zusammenfassung

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ren sind jedoch zwischen den Ehegatten'8 widerstreitende Interessen auszugleichen, nicht einer gegen den anderen zu schützen. Eine ähnliche Fallkonstellation behandelt § 1587 d Abs. 2 BGB, wo es um den Ausgleich der Rentenanwartschaft nach Scheidung geht. Ein Vergleich mit dieser Norm zeigt deutlich, daß die Defektsituation zwar der Anlaß für die Erstregelung ist, die Abänderungsnorm jedoch von Prognosegesichtspunkten geprägt wird. Dementsprechend setzt § 17 HRVO einen Antrag voraus und ist entsprechend seinem Wortlaut nur auf nachträgliche Veränderungen anwendbar l '.

D. Zusammenfassung § 323 ZPO, §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB sowie § 17 HRVO bilden eine einheitliche Kategorie von Abänderbarkeitsnormen, die als Prognoseänderung bezeichnet werden kann. Kennzeichen einer Prognose änderung ist es, daß die Erstentscheidung eine Beurteilung künftiger Entwicklungen voraussetzt. Eine solchE' Prognose ist mit einem erhöhten Unrichtigkeitsrisiko belastet. Eine Abänderung rechtfertigt sich hier ferner aus dem Gedanken, daß kein Beteiligter infolge veränderter Umstände einen Vor- bzw. Nachteil haben soll. Der fG-Richter nimmt auf diesem Gebiet keine verwaltenden Aufgaben wahr. Seine Stellung ist vielmehr mit derjenigen des nach § 323 ZPO entscheidenden Zivilrichters vergleichbar. Der fG-Richter hat, mit anderen Worten, eine auf Antrag zu realisierende Anpassungsfunktion.

18 Nicht verkannt werden darf jedoch, daß der Hausrat die Lebensgrundlage auch für die Kinder darstellt. 18 Dorndorf, S. 108/109 stellt im Fall des § 17 HRVO noch ein weiteres Kriterium heraus, das die Abänderungsnorm trägt: Die materiellrechtlichen Bestimmungen, die die Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung abgeben, sind vielfach gar nicht darauf angelegt, auch die Frage der Zulässigkeit von Zweitentscheidungen zu regeln: Die Rechtsgrundlage für die Erstentscheidung, § 8 HRVO, erlaubt ja nur die Verteilung des gemeinschaftlichen Hausrats. Ist aber auf Grund dieser Norm ein Haushaltsgegenstand einem Beteiligten als Alleineigentum zugewiesen, so fehlt für eine erneute Anwendung des § 8 HRVO das Merkmal "gemeinschaftliches Eigentum".

Fünftes Kapitel

Die neue Konzeption: § 47 FrGO A. Vorbemerkung Der Entwurf einer FrGO geht in einigen Bereichen neue Wege. Erwähnt wurde bereits die generelle Einführung der befristeten Beschwerde, die zu einem Ausschluß der Abhilfeänderung für den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit führt. Soweit ersichtlich spielt dann dieser Abänderungstyp im deutschen Recht nur noch in Randbereichen eine Rolle 1• Die Fr GO geht somit weiter als die ZPO, die in § 571 ZPO eine - wenn auch in ihrem Anwendungsbereich beschränkte - Abhilfenorm kennt. Man hätte sich also zumindest fragen müssen, ob nicht der Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung die Abhilfeänderung stützen kann, ferner, ob die insofern einschlägigen Tätigkeitsbereiche der ZPO nicht mit denen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vergleichbar sind. Dennoch kommt auch die FrGO nicht ohne Abänderbarkeitsnorm aus2 : "Dabei wird nicht verkannt, daß es auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit Entscheidungen geben kann, die, abweichend vom gel Vgl. dazu: Stein / Jonas / Grunsky, vor § 567 Rdnr. 12, § 567 Rdnr. 8. Zur Begründung wird im Kommissionsbericht angeführt, a.a.O., S. 102: "Nach § 18 Abs. 1 Halbsatz 1 FGG ist das Gericht berechtigt, eine von ihm erlassene Verfügung nachträglich zu ändern. Die Vorschrift geht davon aus, daß das Beschwerderecht des Beteiligten grundsätzlich unbefristet ist. Dies zeigt § 18 Abs. 2 FGG, wonach dem Gericht eine Änderungsbefugnis nicht zusteht, wenn die Verfügung der sofortigen Beschwerde unterliegt. Da der Entwurf allgemein die befristete Beschwerde vorsieht, wird auch der Grundsatz des § 18 Abs. 2 FGG, daß eine Entscheidung nur im Rechtsweg abgeändert werden kann, übernommen. Der Rechtssicherheit ist nicht gedient, wenn sich die Beteiligten auch nach Erlaß der Entscheidüng auf ihren Bestand nicht verlassen können. Das geltende Recht ermöglicht es, daß sie in unabsehbarer Zeit vom Gericht oder einem Beteiligten in Frage gestellt wird. Noch weniger erträglich erscheint es, daß das Gericht seine Entscheidung mit dem Gedanken trifft, es könne sie jederzeit wieder ändern. Die Korrektur einer fehlerhaften Entscheidung wird durch die Möglichkeit der Beschwerde und die Wiederaufnahme des Verfahrens hinreichend sichergestellt. Dies spricht dafür, dem in anderen Verfahrensordnungen geltenden Grundsatz (§ 318 ZPO, § 173 VwGO), wonach das Gericht in der Regel an seine Entscheidung gebunden ist, zu folgen." ! FrGO-Entwurf, S. 102.

B. § 47 FrGO

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nannten Grundsatz, einer Abänderungsmöglichkeit bedürfen. Solchen Ausnahmefällen wird aber durch das materielle Recht (vgl. zum Beispiel § 1696 BGB) oder durch besondere Vorschriften des Entwurfs (vgl. zum Beispiel § 49 Abs. 2, § 203)3 Rechnung getragen." Daneben sieht der Entwurf in § 47 FrGO eine weitere Abänderungsmöglichkeit vor4 • Ausgehend von den in den ersten vier Kapiteln entwickelten Abänderungszwecken soll die Zuordnung und damit die Reichweite des § 47 FrGO im folgenden bestimmt werden. In einem zweiten Schritt muß dann noch untersucht werden, welches Verhältnis zu den materiellrechtlichen Abänderungsmöglichkeiten besteht.

B. §47 FrGO I. Grundsatz und Kritik 1. Die Regel

§ 47 FrGO eröffnet eine Abänderungsmöglichkeit nur für den Fall, daß das Gericht einen Dauerzustand regelt. Diese Abänderungsbefugnis ist verfahrensrechtlich limitiert: Sie gilt nur in einem neuen Verfahren, solange nicht ein Beschwerdeverfahren nach den §§ 53 bis 67 FrGO anhängig ist. In Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden, darf die Änderung nur auf Antrag erfolgen. Voraussetzung ist, daß sich die Verhältnisse, die für die Entscheidung maßgeblich waren, wesentlich geändert haben oder sonst Tatsachen festgestellt werden, die eine andere Entscheidung rechtfertigen. 2. Die Begründung

Begründet wird diese Norm mit dem Gedanken, bei der Regelung eines Dauerzustandes müsse im Falle wesentlicher Veränderungen eine Abänderungsmöglichkeit vorhanden sein. § 47 FrGO wird denn auch in der Begründung des Entwurfs ausdrücklich zu § 323 ZPO in Beziehung gesetzt5 :

3 § 49 FrGO betrifft die einstweilige Anordnung, § 203 Fr GO gilt im Freiheitsentziehungsverfahren. 4 "Hat das Gericht einen Zustand auf Dauer geregelt, so kann es ihn, solange nicht ein Beschwerdeverfahren nach den §§ 53 bis 67 anhängig ist, in einem neuen Verfahren anders regeln, wenn sich die Verhältnisse, die für die Entscheidung maßgebend waren, wesentlich geändert haben oder sonst Tatsachen festgestellt werden, die eine andere Entscheidung rechtfertigen. In Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden, darf die Änderung nur auf Antrag erfolgen." 5 FrGO-Entwurf, a.a.O., S. 102.

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5. Kap.: Die neue Konzeption

"Daneben8 sieht der Entwurf eine Abänderungsmöglichkeit für den Fall vor, daß das Gericht einen Dauerzustand regelt. Entsprechend dem Vorbild des § 323 Abs. 1 ZPO soll das Gericht in solchen Fällen bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse seine Entscheidung ändern können (§ 47 FrGO)." Auf den ersten Blick scheint es sich bei § 47 FrGO also um eine Prognoseänderung zu handeln.

3. Die Kritik Erste Zweifel in dieser Hinsicht wirft jedoch bereits die Begründung zur FrGO auf7 : "Ferner wird eine Änderungsmöglichkeit bei Regelung eines Dauerzustandes dann möglich sein, wenn sich die Umstände zwar nicht nachträglich ändern, jedoch nachträglich wesentliche Tatsachen festgestellt werden, die den Spruch des Gerichts in Frage stellen." Die Fehlerquelle der nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen beruht jedoch auf einem anderen Grund als nachträgliche Veränderungen: Es handelt sich um mangelnde Erkenntnis des Richters und nicht um eine tatsächliche Veränderung. Mangelnde Erkenntnis stellt aber ein allgemeines Prozeßrisiko dar. Ein Abänderungsbedürfnis kann jedenfalls nicht daraus hergeleitet werden. Daß Elemente einer Aufsichtsänderung in § 47 FrGO zu finden sind, zeigt sich darin, daß eine amtswegige Änderung (je nach Tätigkeitsbereich) möglich ist. Diese Norm spiegelt somit - das zeigt bereits diese kurze Analyse - mehrere Abänderungszwecke wieder. 4. Auslegungsprobleme

Aus dieser Zwiespältigkeit der Norm resultieren eine Reihe von Ungereimtheiten: a) Auslegungsschwierigkeiten erwarten läßt die Begründung zu § 47 FrGO, die auf § 323 ZPO verweist, aber gleichzeitig nachträglich bekannt gewordene Tatsachen in den Anwendungsbereich des § 47 FrGO einbezieht. Es empfiehlt sich, die Tätigkeitsbereiche der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf ihren Aufsichtscharakter bzw. auf Prognoseelemente hin zu untersuchen und dementsprechend den Abänderungszweck zu bestimmen, wie dies im materiellen Recht geschehen ist. Von daher erscheint es zweifelhaft, ob eine weitere Norm am Platz ist, die eine Aufsichtsänderung vorsieht. § 47 FrGO sollte als prozessualer Auffangtatbestand für Prognoseänderungen konzipiert werden. § 47 FrGO würde 8 Neben den materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnormen. 7 FrGO-Entwurf, S. 102, vgI. auch FrGO-Entwurf, S. 129.

B. § 47 FrGO

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dann an die Stelle des bisher ungeschriebenen Grundsatzes der Abänderbarkeit von Entscheidungen mit Dauerwirkung treten8 • b) Unklar ist auch das Verhältnis zwischen Änderungsbefugnis nach § 47 FrGO und Abhilfe nach § 18 FGG. Es lassen sich eine Reihe von Beschränkungen bzw. Erweiterungen ausmachen, deren Berechtigung im einzelnen zweifelhaft ist8 : So betraf die Abänderungsbefugnis nach § 18 FGG Verfügungen jeder Art, also nicht nur solche mit Dauerwirkung. Im Gegensatz zu § 18 FGG genügt für § 47 FrGO nicht mehr eine nachträgliche bessere Einsicht in die rechtliche oder tatsächliche Entscheidungsgrundlage. Entscheidungen, die mit sofortiger Beschwerde anfechtbar sind, können nicht nach § 18 FGG abgeändert werden. § 47 FrGO enthält solche Beschränkung nicht. Eine derartige Eliminierung der Abhilfeänderung erscheint aber unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung zweifelhaft10 • c) Begrüßt werden muß, daß § 47 FrGO eine Abänderungsmöglichkeit während des Verfahrensstadiums der Rechtsbeschwerde vorsieht ("solange nicht ein Beschwerdeverfahren nach §§ 53 bis 67 anhängig ist")l1. In der Rechtsbeschwerde können ja keine Tatsachen mehr vorgebracht werden, so daß eine Änderungslücke für nachträglich entstandene Tatsachen in diesem Verfahrensabschnitt entsteht.1! d) Andererseits erscheint diese Norm als zu weit gefaßt, wo sie eine Änderung vor Einlegung der Beschwerde bzw. Ablauf der Rechtsmittelfrist vorsieht 1s• Das folgt aus der Orientierung der FrGO an der ZPO und aus der Begründung des Entwurfs, der aus Gründen der Rechtssicherheit dem Rechtsmittelzug Vorrang einräumt l4 •

8 Vgl. Bärmann, § 21 III 3 b, S. 156. Zu beachten ist jedoch, daß nicht bei jeder Entscheidung mit Dauerwirkung eine Änderung angebracht ist; vgl. Dorndorf, S. 125/126. • Vgl. Baur, Bemerkungen ... , in Festschrift f. Bosch, S. 27 ff., 31 ff. 10 Vgl. Baur, S. 33 (Beispiel); Baur analysiert noch auf dem Boden des § 62 des Rohentwurfs von 1972: "Soweit das Gericht einen dauernden Zustand geregelt hat, kann es ihn in einem neuen Verfahren anders regeln, wenn sich die Verhältnisse, die für die Entscheidung maßgebend waren, wesentlich geändert haben oder Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen." 11 Erst §§ 68 ff. FrGO betreffen die Rechtsbeschwerde. U Vgl. Firsching, Zum Entwurf ... , Festschrift für Beitzke, S. 995. 13 Vgl. Baur, S. 32. 14 Vgl. FrGO-Entwurf, S. 91.

110

5. Kap.: Die neue Konzeption 11. Abgrenzungen

1. Im Verhältnis zu den spezialgesetzlich normierten Vorschriften, die eine Prognoseänderung vorsehen

Diese Konkurrenzfrage ist insofern wichtig, als die §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB erst nach Eintritt der Rechtskraft anwendbar sind, § 47 FrGO bereits im Stadium der Rechtsbeschwerde wirkt. Da die §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB und auch § 17 HRVO auf spezielle Tätigkeitsbereiche bezogen sind, müßte nach dem Grundsatz "lex specialis derogat legi generali" ein Vorrang der materiellrechtlichen Abänderbarkeitsnorm angenommen werden. Andererseits besteht ein Bedürfnis nach einer Abänderungsmöglichkeit während der Rechtsbeschwerde. Hier müßte der Gesetzgeber Klarheit schaffen. 2. Das Verhältnis zur Aufsichtsänderung Das Verhältnis zur Aufsichtsänderung in § 1696 BGB wird durch die unterschiedlichen Zwecke beider Normen bestimmt. § 47 FrGO ist daher gegenüber § 1696 BGB subsidiär.

Sechstes Kapitel Zusammenfassung A. Allgemeine Aussagen I. Die Struktur der Abänderbarkeitsnormen erschließt sich unter Berücksichtigung des jeweiligen Abänderungszwecks. 11. Der Abänderungszweck kann durch Analyse der Rechtsgrundlagen für die Erstentscheidung ermittelt werden sowie durch wertende innerdeutsche Rechtsvergleichung. III. In der freiwilligen Gerichtsbarkeit können Zivilprozeßordnung wie Verwaltungsverfahrensgesetz rechtsvergleichend herangezogen werden. Die freiwillige Gerichtsbarkeit weist Elemente beider Verfahrensordnungen auf. IV. Die Auslegung der jeweiligen Abänderbarkeitsnorm wird durch die so ermittelten privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Einflüsse bestimmt. V. Zu berücksichtigen sind daneben die Besonderheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie zum Beispiel ihre judikative Ausgestaltung. VI. Die Abänderbarkeit ist losgelöst von der Rechtsmitteldoktrin als eigenständiges Rechtsinstitut zu begreifen. B. Folgerungen für die einzelnen Abänderbarkeitsnormen I. § 18 FGG erweist sich als § 571 ZPO vergleichbare Abhilfeänderung. § 18 FGG hat daher nach sachlicher Beschwerdeentscheidung keine Bedeutung mehr. § 18 FGG verfolgt keine speziellen Abänderungszwecke, sondern normiert eine grundsätzlich für alle fGAngelegenheiten geltende verfahrensrechtliche Abänderbarkeit. Dieses Abhilfeprinzip wird durch den Amtsänderungsgrundsatz modifiziert, der sich aus der Offizialmaxime ergibt. Tendenzen, diese öffentlich-rechtlichen Elemente des § 18 FGG zurückzudrängen, sind nur berechtigt, wenn diese in speziellen Abänderungsnormen Ausdruck finden.

112

6. Kap.: Zusammenfassung

II. Eine solche spezielle Abänderbarkeitsnorm ist § 1696 BGB. Systematische, historische und verfassungsrechtliche Überlegungen ergeben, daß § 1696 BGB als Aufsichtsänderung erheblichen öffentlich-rechtlichen Einflüssen unterliegt. Daher können für die Auslegung dieser Norm die §§ 48 ff. VwVfG rechtsvergleichend herangezogen werden: (1) § 1696 BGB ist entsprechend seinem Wortlaut nicht auf bestimmte Fehlerquellen begrenzt. Auch ist der fG-Richter nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen (ähnlich wie bei § 318 ZPO) an seine eigene Entscheidung gebunden. Der fG-Richter erster Instanz ist vielmehr umfassend änderungsbefugt. Eine Bindung wird nur durch das Merkmal "Interesse des Kindes" erreicht. (2) Daran ändert auch der bloße Ablauf der Rechtsmittelfrist in den Familiensachen nichts. Der fG-Richter kann jedoch zum Schutze des Kindes ein Wiederaufgreifen des Sorgerechtsverfahrens ablehnen. In den Vormundschaftssachen, in denen noch die unbefristete Beschwerde gilt, sind ähnliche Ergebnisse über das Rechtsinstitut der Verwirkung zu erzielen. (3) Nach Erlaß einer Rechtsmittelentscheidung tritt das judikative Element der freiwilligen Gerichtsbarkeit in den Vordergrund: Der fG-Richter erster Instanz ist an die Entscheidung des Instanzgerichts gebunden. Eine Abänderung nach § 1696 BGB kommt nur noch bei verändertem Verfahrensgegenstand in Betracht. Abänderungslücken durch Ausschluß des § 18 FGG in den Familiensachen sind nicht zu befürchten. Sie werden durch die spezielle Abänderbarkeitsnorm § 1696 BGB gefüllt. III. Eine weitere Kategorie von materiell rechtlichen Abänderbarkeitsnormen stellen die §§ 1382 Abs. 6, 1587 d Abs. 2 BGB; § 17 HRVO dar. Gemeinsames Kennzeichen dieser Normen sind die Beurteilungsschwierigkeiten bei Prognoseentscheidungen. Hier ergeben sich Parallelen zu § 323 ZPO.

c.

Die neue Konzeption

Die neu konzipierte verfahrensrechtliche Abänderbarkeitsnorm § 47 FrGO kann nach allem nicht in jeder Hinsicht überzeugen. Sie enthält neben verfahrensrechtlichen auch materiellrechtliche Komponenten und verfolgt so unterschiedliche, zum Teil gegenläufige Zwecke. Daraus werden eine Reihe von Auslegungsschwierigkeiten resultieren, die ein neues Gesetz gerade vermeiden sollte.

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