Natura 2000: Kooperatives Vorgehen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bei der Errichtung eines Netzes von Schutzgebieten zum Zwecke des Artenschutzes [1 ed.] 9783428505968, 9783428105960

Eines der ehrgeizigsten Vorhaben der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft ist die Erhaltung des europäischen Natu

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German Pages 192 Year 2001

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Natura 2000: Kooperatives Vorgehen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bei der Errichtung eines Netzes von Schutzgebieten zum Zwecke des Artenschutzes [1 ed.]
 9783428505968, 9783428105960

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FRIEDRICH WICHERT

Natura 2000

Schriften zum Umweltrec ht Herausgegeben von Prof. Dr. Mi c h a e I K I o e p f er, Berlin

Band 115

Natura 2000 Kooperatives Vorgehen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bei der Errichtung eines Netzes von Schutzgebieten zum Zwecke des Artenschutzes

Von

Friedrich Wiehert

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Wiehert, Friedrich:

Natura 2000: kooperatives Vorgehen von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten bei der Errichtung eines Netzes von Schutzgebieten zum Zwecke des Artenschutzes I Friedrich Wiehert.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 115) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10596-6

Alle Rechte vorbehalten

© 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 09354247 ISBN 3428-10596-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2000/2001 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Ich habe sie vom Sommersemester 1998 bis zum Sommersemester 2000 angefertigt. Den Anstoß für das Thema gab mir mein Doktorvater Herr Prof. Dr. Rainer Wahl. Ich bin ihm dankbar für viele Anregungen, die ich, auch während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl, bei ihm sammeln durfte. Mein Dank gilt außerdem dem Land Baden-Württemberg, durch dessen Graduiertenförderung ich mich völlig auf die Doktorarbeit konzentrieren konnte. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Kloepfer für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in seine Schriftenreihe. In erster Linie aber danke ich den Menschen, die mich während meiner gesamten Ausbildung stets ermutigt und unterstützt haben: Meiner Mutter und meinem Vater. Meinem Vater kommt dabei eine besondere Rolle zu: Er hat bis zu dieser Dissertation alle meine Arbeiten mit kritischem Interesse verfolgt. Selbst nicht Jurist, hat er mir durch seine fachliche Unvoreingenommenheit Anstöße gegeben, die meinem Denken stets eine neue Richtung gaben. Ihm ist diese Arbeit gewidmet.

Holzminden, Mai 2001

Friedrich Wiehert

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . .. .. . .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. . . . .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. . .. . .. . .

17

I. Das Sachproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

I. Die Bedeutung der Natur und ihre Bedrohung, insbesondere mit Blick auf die Artenvielfalt .. .. . .. . .. . .. .. .. .. . .. .. . . .. . .. .. . .. .. .. .. . .. . .. .. . .. . .. ..

17

2. Defizite des überkommenen Biotopschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

3. Der ökologische Ansatz der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

4. Die Dringlichkeit eines gemeinschaftlichen Handelns, Stand der Umsetzung der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

II. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete nach der FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .

24

1. Das Rechtsproblem: Kooperativer und verfahrensbetonter Richtlinienansatz und das Spannungsfeld zwischen Kooperation und Richtlinienziel . . .

24

2. Nähere Beschreibung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

a) Mitgliedstaatliche Vorauswahl, Art. 4 Abs. 1 FFH-RL . . . . . . . . . . . . . . . .

28

aa) Normative Vorgaben der Richtlinie .. . . .. .. . .. .. . . .. .. . . . .. .. .. . .

28

( l) Präzise fachliche Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

(2) Mitgliedstaatliche Spielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

bb) Die Strukturierung des Auswahlprozesses durch einzelne Verfahrensschritte in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

(1) Ansatzpunkte für eine Strukturierung................. . ... . .

32

(2) Schilderung des Auswahlverfahrens am Beispiel der Verwaltungsvorschriftdes Landes Nordrhein-Westfalen . . . . . . . .

34

b) Erstellung der Gemeinschaftsliste .. . , .. . .. .. . .. . . .. .. . .. . .. .. . .. . .. . .

37

aa) Normative Vorgaben der Richtlinie .. . .. . . .. .. . .. .. .. .. .. . .. . .. . .

38

bb) Verfahrensmäßige Strukturierung des Abstimmungsprozesses durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

c) Ausweisung der SAC durch die Mitgliedstaaten, Festlegung des Gebietsmanagements und des Schutzregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

111. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

8

Inhaltsverzeichnis

B. Kompetenzrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

IV. Kompetenz für eine Richtlinie auf dem Gebiet des Arten- und Habitatschutzrechts nach Art 130s EGV .. .. .. . . .. . .. .. .. .. . . .. .. . . .. .. .. .. .. . . .. .. . .. . . . ..

44

V. Verwaltungskompetenz . . . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. . . .. .. . .. . .. . .. . . . . .

45

1. Die Auswahl der Gebiete für Natura 2000 als Verwaltungstätigkeit . . . . . . .

46

2. Verwaltungskompetenz der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Schutzgebietsausweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

a) Auslegung von Kompetenznormen mit Hilfe des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

b) Andere Vorgehensweise .. .. . .. .. . .. .. .. .. . . .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .

50

aa) Interessenabwägung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

bb) Der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts als Leitlinie für die Zuordnung von Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

cc) Das Gebot des Austarierens des Kräftegleichgewichts nach bundesdeutschem Verfassungsrecht .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. .. . . .. .. . .. ..

52

(1) Art. 23 GG .. .. .. . .. .. .. . . .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .

53

(2) Art. 9la GG..................... .. ................ .. ... .. ..

54

(3) Art. 28 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

(4) Vergleich der Rechtslage bei Art. 28 Abs. 2; 23; 9la GG

.. .

56

dd) Das Gebot des Austarierens des Kräftegleichgewichts nach europäischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

ee) Der Grundsatz der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

VI. Zusammenfassung . . . . .. .. . .. . .. .. .. .. . .. .. . .. . . .. .. . .. .. .. . . . .. .. . . .. .. . .. . .

61

C. Zielvorgaben der Richtlinie und Spielräume bei der Ausweisung . . . . . . . . . . . . . . . .

62

VII. Mitgliedstaatliche Vetorechte als Grenzen der rechtlichen Verbindlichkeit der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

VIII. Konturierung der Grenzen des Art. 3 FFH-RL, mitgliedstaatliche Spielräume? . . . .. .. . ... ... . .. . ... . .... .. . ... . ... . ... . . . . . ..... .. .. . .. . . . .. ... .....

69

1. Spielräume bei der Vogelschutz-RL . . .. . . .. . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . .. . . . .

70

2. Spielräume bei der FFH-RL .. .. . .. ... .. .. .. .. .. .. .. . ... .. . .. . .. .. . .. . .. ..

73

a) Zur Frage der Berücksichtigung fachfremder Belange . . . . . . . . . . . . . . . .

73

aa) Begriff der fachlichen Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

bb) Vereinbarkeil der Lösung der herrschenden Meinung mit höherrangigem Recht . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . .. . .

81

Inhaltsverzeichnis

9

(1) Prinzip der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

(a) Relevante Belange, insbesondere: gemeindliche Planungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

(b) Verhältnismäßige Beschränkung dieser Belange? . . . . . .

84

(aa) Räumliche Gesamtplanung: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

(bb) Andere Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

(2) Plangewährleistung, Bestandsschutz, Rechtssicherheit . . . . . .

94

(3) Abwägungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

(4) Insbesondere: Räumliche Gesamtplanung. Kompetenzrechtliche Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 cc) Historische Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 dd) Gilt eine grundsätzliche Ausnahme für prioritäre Gebiete? . . . . . . I 03 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Anzahl und Gesamtfläche der zu schützenden Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . 104

D. Zielführende Ausrüllung der Spielräume - Problemlösung durch Kooperation l 08 IX. Einordnung des Phänomens schwacher Ergebnissteuerung in den Zusammenhang von Europarecht und Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 l. Erscheinungsformen kooperativer und kontraktualistischer Mechanismen im Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l 09

2. Kooperative und kontraktualistische Mechanismen als Versuch der Bewältigung des Vollzugsdefizits durch bessere Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . llO 3. Deutsches Umweltrecht

ll5

X. Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll5 l. Das Kooperationsverhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll5

2. Zusammenfassung und weitere Vorgehensweise. Auswirkungen des effet utile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll8 3. Exkurs: Kooperation von Staat und Gesellschaft im Gemeinschaftsrecht? ll9 XI. Das Kooperationsverhältnis bei der Durchflihrung der Richtlinie - Kooperationspflichten als flankierende Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

l. Identitätsstiftende Faktoren .. . . . .. .. . . .. .. .. .. . . . .. . . .. .. .. . . .. .. . . . .. . .. . 122 2. Kooperation im AbstimmungsprozeR . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Rahmen der Abstimmung- Seminare als Politiknetzwerke . . . . . . . . . . . 124

10

Inhaltsverzeichnis aa) Exkurs: Der Planungsausschuß nach Art. 91a Abs. 3 GG- frühzeitige Einbindung der Länder in die Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 bb) Übertragung der Überlegungen des Exkurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Bundesstaatliche Probleme bei der Sicherstellung der Kooperationsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Art. 23 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Analoge Anwendung des Art. 23 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (1) Prinzip der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

(2) Art. 5 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (3) Gesamtstaatliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 d) Finanzierungsvorbehalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Vorherige und klare generelle Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Kopplungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Kooperation bei der Anfertigung der Vorschlagslisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Herleitung eines ökologischen Optimierungsgebots aus dem Auswahlermessen der Mitgliedstaaten und dem Ziel der Richtlinie . . . . . . . . . . . . 145 b) Organisationsrechtliche Kooperationspflichten zur Verwirklichung des ökologischen Optimierungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) Verfahrensrechtliche Kooperationspflichten zur Verwirklichung des ökologischen Optimierungsgebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Besondere Ermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (1) Umfassende und einheitliche Ermittlung aller geeigneten Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Fachliche Vorlaufplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (3) Beteiligung von Naturschutzverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (4) Bürgerbeteiligung und frühzeitige Festlegung des Gebietsmanagements .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 156 bb) Besondere Begründungspflicht .. ... . .. . .......... . .. .. ... . ...... 158 cc) Intensivierung und Erleichterung der (gerichtlichen) Kontrolle . . 159 d) Abstimmung von Natura 2000 mit der räumlichen Gesamtplanung I mitgliedstaatliche Stillhaltepflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Vor der Gebietsmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 (1) Bebauungspläne vor dem 05. 06. 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Inhaltsverzeichnis

11

(2) Andere Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (b) Lösung aus dem Gedanken der Kooperation . . . . . . . . . . . 168 (3) Stillhaltepflicht in Bezug auf die Realisierung von Vorhaben? .. . ... . ................. . .. . ................... . . ... ... 169 bb) Annex: Zeitraum zwischen der Gebietsmeldung durch die Mitgliedstaaten und der Erstellung der Gemeinschaftsliste: Realisierung von Projekten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . 170 4. Status der geeigneten Gebiete bei verzögerter Richtlinienumsetzung . . . . . . 172 a) Unmittelbare Anwendung des Schutzregimes des Art. 6 FFH-RL . . . . . 173 b) Eigene Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Verzeichnis der verwendeten nichtwissenschaftliehen Literatur mit speziellem Bezug zur FFH-Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Synopse der verwendeten EGV-Vorscbriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190

Abkürzungsverzeichnis A

A.

Autobahn Auflage

a.A. a.a.O. Abb. ABI.

anderer Ansicht am angegebenen Ort Abbildung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft

Abs.

Absatz Abgabenordnung

AO AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art. BauGB BayVBl.

Artikel Baugesetzbuch Bayerische Verwaltungsblätter

Bd. BfN BGBL BlmSchG BMU

Band

BMUJF BNatSchG BRD BR-Drs. BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE

Bundesamt für Naturschutz Bundesgesetzblatt Bundesimmissionsschutzgesetz Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Österreichisches Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie Bundesnaturschutzgesetz Bundesrepublik Deutschland Bundesratsdrucksache besonderer Teil Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (amtliche Sammlung)

BWaldG

Bundeswaldgesetz

ChemG

Chemikaliengesetz

CITES ders. dies.

Washingtoner Artenschutzübereinkommen derselbe dieselbe

Abkürzungsverzeichnis Dok.,OOK DÖV DVBI. EG EGV EHF endg. ENV

Dokument Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Verwaltungsblatt Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Habitats Forum endgültig Umwelt

et al. etc. ETC-NC EU EuGH EuR EUV EWG f.

und andere et cetera European Topic Center for Nature Conservation Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Fauna-Flora-Habitat

FAZ ff. FFH FFH-RL, FFH-Richtlinie FlugLG FN FS GA GD gern. GeschO Komm. GewArch GG GMBI.

GVOBI. GYIL h.M. Hsg. i.V.m. IBA IUCN JöR KOM KOM-E

13

Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie Fluglärmgesetz Fußnote Festschrift Generalanwalt Generaldirektion gemäß Geschäftsordnung der Europäischen Kommission Gewerbearchiv Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeinsames Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen und des Bundesministers für Wirtschaft mit Veröffentlichungen des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Gesetz- und Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern German yearbook of intemationallaw herrschende Meinung Herausgeber in Verbindung mit Important Bird Area Weltnaturschutzorganisation Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Kommissionsentwurf

14

Abkürzungsverzeichnis

KrW-/ AbfG

Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz

LGNW

Landschaftsgesetz für Nordrhein-Westfalen

LIFE

Finanzierungsinstrument für die Umwelt

Iit. LNatGM-V LÖBF/LAfAO

Buchstabe Landesnaturschutzgesetz für Mecklenburg-Vorpommern Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten I Landesamt für Agrarordnung Nordrhein-Westfalen

LPflG

Landschaftspflegegesetz für Rheinland-Pfalz

LPIG-BW

Landesplanungsgesetz für Baden-Württemberg

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

MKRO MURL

Ministerkonferenz für Raumordnung Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft Nordrhein-Westfalen Nichtregierungsorganisation

NGO NJW Nr. NRW NUA

Neue Juristische Wochenschrift Nummer Nordrhein-Westfalen Natur- und Umweltschutzakademie des Landes Nordrhein-Westfalen

NuL

Natur und Landschaft

NuR NVwZ

Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NWStGB p. Prof-E. pSCI

Nordrhein-Westfälischer Städte- und Gemeindebund Seite Professorenentwurf

Ratsdok. RL ROG

Ratsdokument Richtlinie Raumordnungsgesetz

Rz.

Randziffer siehe

s.

s. s.o. SAC

proposed Sites of Community Ioterest = Gebieten der Liste gemäß Art. 4 Abs. 1 FFH-RL

Seite, Satz sieheoben Special Area of Conservation = besonderes Schutzgebiet gemäß Art. 4 Abs. 4 FFH-RL

Slg.

amtliche Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs

Spstr.

Spiegelstrich

SRU

Sachverständigenrat für Umweltfragen Süddeutsche Zeitung

u. a.

unter anderem unter Umständen

sz

u.U.

Abkürzungsverzeichnis UAbs. UGB UN UPR UTR UVP V.

Var. VBIBW VerfGH VerwArch VGH vgl.

vo

Vorbem.

vs

VS-RL, VS-Richtlinie VVDStL VwGO VwVfG WHG z. B. ZUR

15

Unterabsatz Umweltgeseztbuch Vereinte Nationen Umwelt- und Planungsrecht Umwelt- und Technikrecht Umweltverträglichkeitsprüfung vom, von Variante Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Vogelschutz Vogelschutzrichtlinie Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Wasserhaushaltsgesetz zum Beispiel Zeitschrift für Umweltrecht

A. Einleitung I. Das Sachproblem 1. Die Bedeutung der Natur und ihre Bedrohung, insbesondere mit Blick auf die Artenvielfalt Die Natur ist wichtig. Bereits für die emotionale Befindlichkeit des Menschen spielt sie eine wichtige Rolle, denn es ist seit jeher ein "Grundbedürfnis der Menschen, in Harmonie mit der Natur zu leben und sich an ihr zu erfreuen"'. Dieses Grundbedürfnis führt bis hin zu ihrer transzendentalen Erhöhung in den Naturreligionen und zu ihrer Mystifizierung in der Romantik. Aber auch jenseits solcher Betonungen besitzt die Natur für den Menschen einen Eigenwert, in dem ihre Bedeutung zum Ausdruck kommt2 • In diesem Zusammenhang ist dann oft von ,,Rechten der Natur'' die Rede3 • Man spricht insoweit vom "ökozentrischen" Ansatz des Umwelt- und Naturschutzes, bei dem die Natur um ihrer selbst willen geschützt wird4 • Eine solch ökozentrische Ausrichtung besitzt auch der europäische Naturschutz5 • Diese Ausrichtung des Naturschutzes weist Ähnlichkeiten mit dem religiös motivierten Naturschutz au~. Denn aus Gottes Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen7 , folgt eine besondere Verantwortung des Menschen für die Natur. Und wegen dieser Verantwortung des Menschen vor Gott hat die Natur als Teil der Schöpfung neben dem Menschen eine von diesem losgelöste eigene Wertigkeit. Eine solche bestreitet der im deutschen I Die Kommission, Fünftes Aktionsprogramm für die Umwelt (1993-2000), ABI. 1992 Nr. C 138/1 (44), vom 28. 05. 92. 2 Die Bundesregierung spricht in der amtlichen Begründung zum Gesetzentwurf zum BNatSchG von "ideellen Werten von Natur und Landschaft". Vg1. insoweit auch: Michael Kloepfer, Umweltrecht, 2. A., München, 1998, § 11, Rz. 10. 3 Vgl. dazu insbesondere: Stone, Umwelt vor Gericht. Die Eigenrechte der Natur, München, 1992 und im übrigen die Nachweise bei Michael Kloepfer, a.a.O. (FN 2), § 1, Rz. 19, in FN49. 4 Michael Kloepfer, a.a.O. (FN 2). Zum ökozentrischen Ansatz des Umweltschutzes vgl. vor allem: Stone, a.a.O. (FN 3). s Cybulka, Rechtspflichten des Bundes und der Länder zur Ausweisung und Erhaltung von Schutzgebieten nach nationalem, europäischem und internationalem Recht, in: Di Fabio (Hsg.), Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts, 1996, (UTR Band 36), S. 235 (243). 6 Vgl. zu diesem und zu den anderen Ansätzen: Katja Rodi: Ist die biologische Vielfalt noch zu retten? Dritte Warnemünder Naturschutzrechtstage der Universität Rostock, Zusammenfassung des Referats von Pfordten, NuR 1998, 536 (537). 7 Gen 1, 28.

2 Wiehert

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A. Einleitung

Recht vorherrschende8 sogenannte anthropozentrische Ansatz, nach dem Naturschutz ausschließlich zum Wohle des Menschen betrieben wird9 . Jedoch verliert die Aufgabe Naturschutz dadurch nicht an Bedeutung, denn es gibt gute Gründe, daß der Mensch die Natur auch dort im eigenen Interesse schützen muß, wo ein konkreter Nutzen nicht erkennbar ist. Denn wegen des teilweise nur lückenhaften Wissens über die Kausalzusammenhänge in der Natur ist es ein Gebot der Vernunft, möglichst wenig in die Natur einzugreifen, um mögliche dauerhafte und irreversible Schäden der natürlichen Lebensgrundlagen zu vermeiden 10• Der Streit um die Wertigkeit der Natur ist daher ein eher akademischeru. Für die Lösung konkreter Rechtsfragen ist die allen Ansätzen gemeinsame Erkenntnis wichtig, daß die Natur so bedeutsam ist, daß der Mensch mit ihr vorsichtig umgehen muß. Vermittelnd formuliert deshalb auch die Deklaration der Umweltkonferenz der UN von Stockholm: "Der Mensch ist sowohl Geschöpf als auch Gestalter seiner Umwelt"12. Der Schutz der biologischen Vielfalt, den sich die in der vorliegenden Arbeit untersuchte FFH-Richtlinie 13 zum Anliegen macht 14, ist eines der drei wesentlichen Aufgabenfelder des Naturschutzes 15. Die Artenvielfalt bildet "ein unschätzbares genetisches Reservoir, das für den medizinischen, biologischen, landwirtschaftlichen und sonstigen wissenschaftlichen Fortschritt unverzichtbar ist" 16. Gerade in diesem Bereich zeigt sich die Notwendigkeit, stets in Sorge um die Natur zu leben. Denn durch das Aussterben bereits einer einzigen Art kann eine Lücke im Gesamtgefüge der Natur entstehen, deren Folgen für das ökologische Gleichgewicht unüberschaubar sind 17. s Dabei stützt sich die Argumentation vor allem auf Art. 20a GG. Der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff der ,,natürlichen Lebensgrundlagen" ist bei natürlichem Verständnis so auszulegen, daß die Lebensgrundlagen des Menschen, und nicht die anderer Lebewesen, gemeint sind. Vgl. zur h.M.: Michael Kloepfer, a.a.O. (FN 2), § 1, Rz. 19m. w. N. 9 Vgl. auch dazu: Michael Kloepfer, a.a.O. (FN 2). IO Murswiek in: Michael Sachs (Hsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. A., München, 1999, Art. 20a, Rz. 26. 11 So auch Murswiek, a.a.O. (FN 10). 12 Stockholmer Resultate, Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 10, Berlin 1973, S. 161. Vgl. zum ganzen auch: Heinrich Frhr. von Lersner, Zum Rechtsbegriff der Natur, NuR 1999, 61 ff. 13 Richtlinie 92/43 EWG des Rates vom 21. 05. 1992, ABI. Nr. L 206/7. 14 Dritter Erwägungsgrund. 1s SRU, Umweltgutachten 2000, Kurzfassung, S. 27 f., Nr. 60 unter Berufung auf die Definition der Welt-Naturschutzorganisation (IUCN). Die beiden anderen wesentlichen Betätigungsfelder für den Naturschutz sind die Aufrechterhaltung der wesentlichen ökologischen Prozesse und der lebenserhaltenden Systeme und die nachhaltige Nutzung von Arten und Ökosystemen. 16 Die Kommission, a.a.O. (FN 1). 17 Felix Jeitner in: Kimminich/Lersner/Storm (Hsg.), Handwörterbuch des Umweltrechts, Bd. I, l. Auflage, Berlin, 1986, Artikel: Artenschutz, S. 122.

I. DasSachproblem

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Die Natur ist aber bedroht. In dramatischer Weise zeigt sich das gerade an der Entwicklung der biologischen Vielfalt. Deren Zustand wird regelmäßig in den sogenannten "Roten Listen" erfaßt 18• Danach sind von den höheren Pflanzenarten und den Brutvogelarten deutschlandweit jeweils 26% bestandsgefährdet 19. Für Säugetiere, Fische, Reptilien und Amphibien existieren keine deutschlandweiten Erhebungen. Die Werte variieren in den einzelnen Bundesländern zwischen 40% und 60%. Der Rückgang der Artenvielfalt ist auf Prozesse der Verinselung der Biotope, die die Arten beherbergen, zurückzuführen20: Der Landverbrauch der Zivilisation ist enorm. Täglich fallen ihm in Deutschland 120 ha Fläche zum Opfer. Jedes Jahr verschwindet in Deutschland eine Fläche von der Größe des Bodensees unter Beton und Asphalt21 • Die natürlichen und naturnahen Biotope der Tier- und Pflanzenarten werden deshalb zum einen immer kleiner, bis sie ganz verschwinden. Zum anderen zerschneiden Infrastrukturmaßnahmen diese Biotope und bewirken so Mobilitätshindernisse für Tiere, wodurch ,,Biotopinseln" entstehen. Die die Tier- und Pflanzenarten beherbergenden Biotope sind deshalb in ähnlicher Weise bedroht wie die Arten selber: Rund 70% aller in Deutschland vorkommenden Biotoptypen und nahezu sämtliche schutzwürdigen Biotoptypen sind als gefährdet einzustufen; 15% der Biotope sind von vollständiger Vernichtung bedroht. Dabei sind insbesondere die für den Naturschutz wertvollen Flächen betroffen22• Die Zerstörung der Biotope hat zwei Effekte: tierökologische und genetische. Unter tierökologischen Effekten versteht man, daß Tiere innerhalb der verinselten Biotope ein geringes Ressourcenangebot (Nahrung) und eine begrenzte Habitatvielfalt vorfinden. Außerdem ziehen die noch intakten Biotope eine hohe Anzahl biotopfremder, nicht angepaßter Arten an. Dies bewirkt einen Austausch der Spezialisten durch Generalisten, wodurch das ökologische Gleichgewicht in den einzelnen Biotopen gestört wird. Als genetische Effekte bezeichnet man den Verlust genetischer Diversität. Ein solcher Verlust bewirkt ebenfalls einen Rückgang der Artenvielfalt, denn die Entwicklung der Arten beruht auf dem von Mutationen beherrschten stetigen Prozeß der Veränderung der genetischen Ausstattung innerhalb der Populationen. Kann ein genetischer Austausch zwischen verschiedenen Populationen wegen der Mobilitätshindernisse nicht mehr stattfinden, werden die einzelnen Populationen schwächer und sterben aus. Wegen der wechselseitigen Abhängigkeit von Fauna und Flora haben diese Vorgänge auch Auswirkungen auf die Artenvielfalt bei den Pflanzen. 18 Veröffentlicht vom Bundesamt fiir den Naturschutz (BfN) unter: http:f/www.bfn.de/ daten/r_liste.htm (Stand: 01. 04. 00). 19 Unter "bestandsgefährdet" werden die Gefährdungsarten "vom Aussterben bedroht", "stark gefährdet" und "gefährdet" zusammengefaSt 20 Vgl. zum Folgenden: Günter Mader, Die Isolation von Tier- und Pflanzenpopulationen als Aspekt einer europäischen Naturschutzstrategie, NuL 1990,9 ff. 21 Angaben des BfN unter: www.bfn.de (Stand: 01. 04. 00). 22 Zur Gefährdung der Biotope vgl. Frank Niederstadt, Die Umsetzung der Flora-FaunaHabitatrichtlinie durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgetzes, NuR 1998,515.

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A. Einleitung

2. DefiZite des überkommenen Biotopschutzes Aus diesen Gründen kann die Beeinträchtigung und Zerstörung von Biotopen als Hauptursache für das Artensterben angesehen werden. Thr Schutz ist deshalb auch primäres Anliegen des Artenschutzes. Die daneben bestehende Möglichkeit, die Beeinträchtigung wild lebender Pflanzen und Tiere zu verbieten und Aktivitäten zu untersagen, die geeignet sind, deren Ausrottung zu provozieren (§§ 20 ff. BNatSchG, Art. 12 ff. FFH-RL), spielt daneben eine untergeordnete Rolle. Nach deutschem Recht besteht die Möglichkeit zur Ausweisung von Naturschutzgebieten zur Erhaltung von Lebensgemeinschaften oder Biotopen bestimmter wildlebender Tier- und Pflanzenarten, § 13 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG23 • Außerdem sind bestimmte Biotope nach Maßgabe näherer Bestimmungen gesetzlich geschützt, § 20c BNatSchG i.V.m. den entsprechenden Landesgesetzen. Dieser besondere Schutz von Flächen kann den geschilderten Ursachen für das Artensterben aber offenkundig nicht wirksam entgegentreten. Das liegt zum einen daran, daß insgesamt nicht ausreichend Fläche für den Biotopschutz in Anspruch genommen wird: Deutschlandweit sind nur rund 2% der Landesfläche als Naturschutzgebiet festgesetzt24, während nach Auffassung des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Naturschutz auf 10 bis 15% der Landesfläche absoluten Vorrang genießen sollte25 • Dabei sollten 5% einem Totalschutz unterliegen und deshalb gänzlich der Eigendynamik der Natur überlassen bleiben. Zwar ist rund ein Viertel des deutschen Territoriums als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen26, jedoch genießen Landschaftsschutzgebiete gegenüber Naturschutzgebieten einen wesentlich abgeschwächten Schutz27, weshalb sie der Forderung des SRU nach einem absoluten Vorrang der Naturschutzbelange 28 wohl nicht genügen können. Zum anderen sind die einzelnen Schutzgebiete selbst zu klein für einen wirksamen Schutz der Artenvielfalt Zwei Drittel aller Naturschutzgebiete in Deutschland sind kleiner als 50 ha, nur 11% erfassen eine Fläche von 200 ha oder mem29 • Die IUCN hat dagegen für Reservate von nationaler (und internationaler) Bedeutung eine Mindestflächengröße von 1000 ha angesetzt, für Wildreservate eine solche von 10.000 ha30• Bender / Sparwasser sprechen von I 00 ha je Schutzgebiet31 • 23 Außerdem können Nationalparke, Biosphärenreservate, Landschaftsschutzgebiete, Naturparke und geschützte Landschaftsbestandteile festgesetzt werden, §§ 14-16, 18 BNatSchG. 24 Angaben des Bundesamtes für den Naturschutz unter: www.bfn.de/daten/natur_d.htm (Stand: 13. 03. 00). 2S SRU, a.a.O. (FN 15), S. 30, Nr. 64. 26 Angaben des SRU, zitiert bei: Michael Kloepfer. a.a.O. (FN 2), § 11, Rz. 68. 27 Michael Kloepfer. a.a.O. (FN 26). 28 Vgl. oben bei FN 25. 29 BJN, a.a.O. (FN 24). 30 SRU, a.a.O. (FN 15), S. 30, Nr. 65. Allerdings gibt es auch eine Auffassung, die statt des Schutzes einzelner sehr großer Flächen den Schutz vieler kleiner Flächen favorisiert

I. Das Sachproblem

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Schließlich vermag die punktuelle Ausweisung von Schutzgebieten die Verinselung von Biotopen nicht zu überwinden, weil die einzelnen Schutzgebiete nicht hinreichend aufeinander abgestimmt sind, um beispielsweise Wanderungsbewegungen von Tieren zwischen mehreren Gebieten zu ermöglichen. Erforderlich sind zum einen "Trittsteinbiotope" von geringer Größe als Ausgangspunkt und Zwischenstation für einen Individuenaustausch zwischen den großen Schutzgebieten, und zum anderen Korridore als Wanderwege zwischen den großflächigen Schutzgebieten und den kleinflächigen Trittsteinen32• Eine gewisse Koordinierung könnte hier zwar die Landschaftsplanung bewirken, bislang ist ihr das jedoch nicht gelungen.

3. Der ökologische Ansatz der FFH-Richtlinie Aus diesen Gründen orientiert sich die der Richtlinie 92/43 des Rates vom 21. 05. 1992 (FFH-Richtlinie)33 zugrundeliegende Naturschutzstrategie an vier innovativen Maximen. Es sind dies die Maximen der Großflächigkeit, der Langfristigkeit, der Kohärenz und der Verteilung34• Damit begreift die Richtlinie den Gebietsschutz als primäres Mittel des Artenschutzes35• Großflächigkeit bedeutet einerseits, daß jeweils große Flächen geschützt werden. So sehen beispielsweise die Naturschutzverbände in Nordrhein-Westfalen Gebiete von bis zu 1000 ha als nach der Richtlinie schützenswert an, wobei der Schwerpunkt des Schutzes freilich auf kleineren Gebieten liegt36• Andererseits sollen insgesamt 10-20% des mitgliedstaatlichen Territoriums geschützt werden, Gegenstand "strenger Schutzmaßnahmen" sollen jedoch nur 1-2% der Fläche Europas sein37• Unter Langfristigkeif ist ein strenges Ausnahmeregime zu verstehen, bei dem die Naturschutzbelange im Schutzgebiet nicht nach und nach gegenüber konkurrierenden Belangen in den Hintergrund treten. Entsprechend sieht die Richtlinie Ausnahmen vom Schutzregime in FFH-Gebieten nur bei "zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses" vor, Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Die Kohärenz gewährleistet eine Ab(SLOSS =Single Large Or Several Small) - eine Diskussion, die in die Auseinandersetzung um Integrations- und Segregationsmodell mündet, vgl. dazu: unten VIII.lO.a); Günter Mader, a.a.O. ( FN 20), S. 10. 31 Bernd Bender/Reinhard Sparwasser, Umweltrecht, 3. A., Heidelberg, 1995, § 3, Rz. 35. 32 Bernd Bender/Reinhard Sparwasser, a.a.O. (FN 31), § 3 Rz 35. 33 ABI. 1992 Nr. L 20617. 34 Günter Mader, a.a.O. (FN 20), S. 11. 35 Cybulka, a.a.O. (FN 5), S. 255. 36 Lo.ndesbüro der Naturschutzverbände Nordrhein-Wesifalen, CD-Rom: ,,FFH- und Vogelschutzgebiete in Nordrhein-Westfalen", Schattenliste der anerkannten Naturschutzverbände Nordrhein-Westfalen, 1998, Einleitung, S. 23. Freilich sind nach den Kriterien des IUCN (vgl. oben bei FN 30) auch diese Flächengrößen zu gering. 37 Die Kommission in: Begründung zum Vorschlag der FFH-Richtlinie, abgedruckt in: BR-Drs. 445/88 vom 23. 09. 88, S. 3.

A. Einleitung

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stimmung unter den verschiedenen Gebieten einschließlich ihrer inneren Verbindung durch sogenannte "Trittsteinbiotope" wie z. B. Hecken oder Flüsse38, um Wanderbewegungen von Tieren zwischen den einzelnen Schutzgebieten zu ermöglichen. Verteilung bedeutet eine Auswahl der Schutzgebiete unter Ökosystemaren Aspekten: Zum einen müssen besonders gefahrdete, zum anderen die ein bestimmtes Ökosystem prägenden (und daher für dieses System repräsentativen) Arten und Biotope geschützt werden. Diesen Anforderungen versucht die FFHRichtlinie Rechnung zu tragen, indem sie die Errichtung eines kohärenten europäischen ökologischen Netzes mit der Bezeichnung ,,Natura 2000" verlangt, das "den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes (der) natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet" gewährleistet, Art. 3 Abs. I FFH-RL. Die Richtlinie sieht einen Biotopschutz zum einen dann vor, wenn ein Gebiet eine Art des Anhangs li beherbergt, und zum anderen, unabhängig vom Vorkommen einer Art, wenn es sich um einen bestimmten schützenswerten, weil für bestimmte Arten grundsätzlich wertvollen Lebensraumtyp des Anhangs I handelt. Beide Anhänge führen die Schutzobjekte jeweils namentlich auf. Dabei sind diejenigen Lebensraumtypen und Arten, für deren Schutz der Gemeinschaft eine besondere Verantwortung zukommt {"prioritäre Lebensraumtypen und Arten") mit einem Sternchen gekennzeichnet. Die Einstufung der Biotope basiert auf der Inventarisierung der europäischen Biotope, die im Rahmen des Corine-Programms vorgenommen wurde39• In Deutschland wird der Schwerpunkt der Umsetzungsbemühungen auf dem Schutz der Lebensräume liegen. Diese sind teilweise bereits gesetzlich durch § 20c BNatSchG und die entsprechenden Landesgesetze geschützt. Ein Novum stellt der Schutz der Waldökosystemtypen dar, von denen in Deutschland noch beträchtliche Flächen vorhanden sind. Das gilt etwa für Gesellschaften der Buchenwälder, Eichen-Hainbuchenwälder, Schlucht- und Hangmischwälder, alte Eichenwälder der Sandebenen und montane Fichtenwälder. Neu ist auch der Schutz bestimmter magerer Flachland-Mähwiesen. Damit werden nicht nur Ökosysteme geschützt, die ohnehin nur noch selten zu finden sind, sondern auch solche, die in Deutschland einen Verbreitungsschwerpunkt haben40• Die Arten des Anhangs li FFH-RL kommen hierzulande selten vor, wie etwa Luchs, Biber, Otter, Seehund, verschiedene Fledermausarten, Europäische Sumpfschildkröte, Kammolch, Skabiosen-Scheckenfalter, Großer Feuerfalter, Schwarzer und Großer Moorbläuling, Hirschkäfer, Eichenbock- und Alpenbockkäfer. Betroffene Pflanzenarten sind Frauenschuh, Pinkbuche, Sumpf-Engelwurz, Arnika, Gelber Enzian, Sumpf-Glanzkraut und Keulen-Bärlapp41 • 38

Art. 10 FFH-RL.

=

Corine Coordination de I' information sur I' environnement; vgl. dazu und zum Folgenden: Frank Niederstadt, a.a.O. (FN 22), S. 516. 40 Frank Niederstadt, a.a.O. (FN 22), S. 516. 41 Axel Ssymank et al., Das europäische Schutzgebietssystem NATURA 2000, Bonn, 1998, S. 1 (14 f.); Frank Niederstadt, a.a.O. (FN 22), S. 516. 39

I. Das Sachproblem

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4. Die Dringlichkeit eines gemeinschaftlichen Handelns, Stand der Umsetzung der FFH-Richtlinie Die Gemeinschaft bezeichnet die Errichtung von Natura 2000 als die "vielleicht größte Herausforderung" im Bereich der Erhaltung des europäischen Naturerbes42. Der Begriff der Herausforderung legt nahe, daß es bei der FFH-Richtlinie nicht nur um die Schaffung von gemeinsamem Recht geht, sondern daß ein gemeinsames aktives Handeln auch gegen mögliche Widerstände erforderlich ist. Entsprechend bezeichnet Breuer die Richtlinie als "A.ktionsrichtlinie"43 • Dieser Aktionscharakter der Richtlinie erinnert an ein biblisches Motiv: das der Arche Noah44 , die auch der repräsentativen Erhaltung der Arten diente45 • Wenngleich mit der Sintflut in der nächsten Zeit hoffentlich nicht zu rechnen ist, sollte das Bild der Arche doch die Dringlichkeit eines gemeinsamen Handeins veranschaulichen, die von der Gemeinschaft immer wieder hervorgehoben wird. Diese Dringlichkeit kommt in einem in der Richtlinie festgelegten Zeitplan zum Ausdruck: Die Richtlinie trat am 21. 05. I992 in Kraft und wurde am 05.06 desselben Jahres bekanntgegeben46. Für den Erlaß der für die Durchführung der Richtlinie erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften war eine Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie vorgesehen, also bis zum 05. 06. I99447 . Der erste Schritt des Auswahl- und Ausweisungsverfahrens48 , die Zuleitung von Vorschlägen der Mitgliedstaaten an die Kommission, welche Gebiete in Natura 2000 aufgenommen werden sollten, hätte gemäß Art. 4 Abs. I UAbs. 2 S. I FFHRL am 05.06. I99549 abgeschlossen werden müssen. Die Gemeinschaftsliste, die die auszuweisenden Gebiete abschließend festlegt, hätte bis zum 05. 06. I998 fertiggestellt sein müssen50• Für die Ausweisung dieser Gebiete läßt die Richtlinie den Mitgliedstaaten noch bis zum 05. 06. 2004 Zeit51 • Bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten noch nicht weit fortgeschritten. Der jewei42 Natura 2000, Newsletter der Europäischen Kommission, GD XI, Ausgabe Nr. I, Brüssel, 1996, S. I. 43 Rüdiger Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, Ziele, Wege und Irrwege, Berlin, 1993, S. 67 ff. 44 Gen 6, 5 -22; 7. 4S Gen 7, 2-3: ,,Darauf sprach der Herr zu Noach: Von allen reinen Tieren nimm dir je sieben Paare mit, und von allen unreinen Tieren je ein Paar, auch von den Vögeln des Himmels je sieben Männchen und Weibchen, um Nachwuchs auf der ganzen Erde am Leben zu erhalten". Im Hinblick auf die Pflanzen vgl. Gen 6, 21 : ,,Nimm dir von allem Eßbaren mit, und leg dir einen Vorrat an! Dir und ihnen (d. h. den Tieren) soll es zur Nahrung dienen." 46 Axel Ssymank et al., a.a.O. (FN 41), S. 17. 47 Art. 23 Abs. 1 FFH-RL. Vgl. insoweit: Axel Ssymank, a.a.O. (FN 46). 48 Vgl. dazu: sogleich unter A.II.2.a). 49 Axel Ssymank, a.a.O. (FN 46). so Art. 4 Abs. 3 FFH-RL. s1 Art. 4 Abs. 4 FFH-RL.

24

A. Einleitung

lige Stand der Gebietsmeldungen nach Brüssel wird in dem von der Kommission veröffentlichten ,,Natura-Barometer"52 bekanntgegeben. ·Danach ist die nationale Vorschlagsliste derzeit53 in keinem der Mitgliedstaaten vollständig. In zehn Staaten ist sie "im wesentlichen vorhanden, aber unvollständig" und in fünf Staaten "eindeutig unzureichend". Zur letzten Gruppe gehört auch Deutschland. Deutschland hat bislang 3% des nationalen Territoriums vorgeschlagen54 und bleibt damit weit hinter den Vorstellungen der Kommission von 10- 20% des Territoriums55 zurück. Der Fortschritt verläuft außerdem schleppend56. Bei deutlich unter zehn Prozent des nationalen Territoriums liegen auch die Gebietsmeldungen fünf weiterer Mitgliedstaaten, weshalb der Stand der Umsetzung deshalb als alles andere als befriedigend bezeichnet werden muß. Dies erklärt die zahlreichen Vertragsverletzungsverfahren wegen der Umsetzung der Richtlinie 57•

II. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete nach der FFH-Richtlinie 1. Das Rechtsproblem: Kooperativer und verfahrensbetonter Richtlinienansatz und das Spannungsfeld zwischen Kooperation und Richtlinienziel

Von den genannten vier Ansätzen der Richtlinie58 ist unter rechtlichen Gesichtspunkten vor allem der der Kohärenz von Interesse: Das europäische ökologische Netz soll ,,kohärent" sein, Art. 3 Abs. 1 FFH-RL. Kohärenz bedeutet Zusammenhang. Ein solcher Zusammenhang zwischen den Gebieten soll unter mehrerlei Gesichtspunkten entstehen: Zum einen ist darauf zu achten, daß die Zugwege der ges2 http://www.europa.eu.int I comm I environment I nature I barometer I barometer.htm außerdem veröffentlicht in: Die Kommission, natura 2000, Newsletter ,,Natur" der Europäischen Kommission, GD ENV, zuletzt: Ausgabe Nr. 11, Brüssel, April2000, S. 6 f. 53 Stand: 14. 04. 00. S4 Die Kommission, natura 2000, Newsletter ,,Natur" der Europäischen Kommission, GD ENV, Ausgabe Nr. 11, Brüssel, April 2000, S. 6 f. Allerdings differieren die Angaben. AGRA-EUROPE 12100, vom 20. 03. 00, Europa-Nachrichten, sprechen von 1,6 bzw. 1,5% der Landesfläche, wobei in einem Fall die Watt- und Wasserflächen nicht mitgezählt sind. Dort befindetsich auch eine Aufschlüsselung nach Bundesländern. Danach befinden sich insbesondere Thüringen (0,8%) und Mecklenburg-Vorpommem (1,2 bzw. 0,3%) im Rückstand, während Schleswig-Holstein (18,6 bzw. 1,7%), Harnburg (15 bzw. 5,7%), Niedersachsen (4,5 bzw. 1,8%), Sachsen-Anhalt (2,8%), Sachsen (2, 6%) und Berlin (2,0%) führende Positionen einnehmen. Die restlichen Bundesländer haben jeweils weniger als 2% der Landesfläche vorgeschlagen. 55 Vgl. bei FN 37. Die Kommission, natura 2000, Ausgabe Nr. 11, Brüssel, April2000, S. 7. Zur Klage der Kommission gegen die BRD vgl. die Klageschrift, auszugsweise abgedruckt in: NuR 1999, Heft 7, S. II ff. 58 Vgl. oben A.l.3. S6

57

li. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete

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schützten Arten in das Netz integriert werden59• Außerdem soll bei grenzüberschreitenden Ökosystemen der Schutz nicht an der Grenze zweier Mitgliedstaaten abbrechen, sondern solche Systeme sind als Ganzes zu schützen60• Schließlich sollen insbesondere die Lebensräume dort geschützt werden, wo sie typischerweise vorkommen61 • Auch die Ermittlung solcher typischer Vorkommen erfordert ein Vorgehen, bei dem mehrere Gebiete, die den betreffenden Lebensraumtyp beherbergen, vergleichend miteinander in Bezug gesetzt werden, und zwar sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Diese drei Gesichtspunkte sollen ausreichen, um zu zeigen, daß für die Herstellung von Kohärenz Gebiete in Zusammenhang und deshalb zueinander in Bezug gesetzt werden müssen. Dies ist nur aus einer übergeordneten Perspektive möglich. In Betracht kommen zum einen die mitgliedstaatliche Perspektive und zum anderen die europäische. Theoretisch reichte freilich die der mitgliedstaatliehen Perspektive übergeordnete europäische Perspektive aus. Mit der europaweiten Ermittlung und Bewertung aller geeigneten Gebiete wäre die Gemeinschaft jedoch wohl überfordert. Die Richtlinie verfolgt deshalb aus praktischen Erwägungen den Ansatz, daß die Mitgliedstaaten zunächst jeweils eine kohärente Vorauswahl aus dem mitgliedstaatliehen Blickwinkel treffen62• Anschließend wählt die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten und mit deren Einvernehmen aus dieser Vorauswahl die Gebiete für das ökologische Netz aus63 . Die Richtlinie sieht damit eine Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Gebiete für Natura 2000 vor, bei der mitgliedstaatliche und europäische Perspektive miteinander verbunden werden. Inwieweit eine solche Zusammenarbeit und damit eine Integration der Mitgliedstaaten in den Vorgang der Gebietsauswahl auch aus rechtlichen Gründen geboten ist, soll Gegenstand gesonderter Untersuchungen im Rahmen dieser Arbeit sein64•

Anhang 111, Phase 2, lit. b, I. Var. FFH-RL. Anhang lll, Phase 2, lit. b, 2. Var. FFH-RL. 61 Vgl. Standard-Datenbogen (ABI. 1997 Nr. L 107/20 [28]), Punkt 3.1: ,,Anhand des Repräsentativitätsgrades ( ... )" - vgl. insoweit Anhang 111, Phase 1, lit. Aa - ,.( ... ) läßt sich ermessen, wie typisch ein Lebensraumtyp ist". Auf europäischer Ebene schlägt sich der Repräsentativitätsgrad in dem ,,relativen Wert des Gebiets auf nationaler Ebene" nieder (Phase 2, Nr. 2a). Gebiete, die einen auf nationaler Ebene untypischen Lebensraumtyp beherbergen, haben einen entsprechend niedrigen relativen Wert. 62 Art. 4 Abs. 1 FFH-RL. 63 Art. 4 Abs. 2 FFH-RL. 64 Vgl. dazu unten B. Dieses Verfahren wird ergänzt durch ein sogenanntes ,.Konzertierungsverfahren" (Art. 5 FFH-RL), das die Kommission in Ausnahmefallen einleiten kann, in denen sie mit einem Mitgliedstaat über die Aufnahme eines Gebiets mit einem prioritären Lebensraumtyp bzw. einer prioritären Art (hier: "prioritäres Gebiet") in die nationale Vorschlagsliste uneins ist. Wegen des ausdrücklich statuierten mitgliedstaatliehen Vetorechts (Art. 5 Abs. 3 FFH-RL) wird dieses Verfahren jedoch keine praktische Bedeutung haben. Deshalb soll es im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht gesondert erörtert werden. S9

60

26

A. Einleitung

Durch die Notwendigkeit einer mitgliedstaatliehen Vorauswahl ist die Gestaltung von Natura 2000 arbeitsteilig angelegt. Die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten ist konsensual ausgestaltet, wie im Erfordernis des mitgliedstaatliehen Einvernehmens mit dem Kommissionsvorschlag für die Gemeinschaftsliste und im Erfordernis der Einstimmigkeit bei der das Konzertierungsverfahren abschließenden Ratsentscheidung zum Ausdruck kommt, Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 und 5 Abs. 3 FFH-RL. Zwischen diesem konsensualen Ansatz und dem Richtlinienziel der Errichtung von Natura 2000 (Art. 3 Abs. 1 FFH-RL) besteht ein Spannungsfeld: Denn es muß verhindert werden, daß dieses Ziel dadurch unterlaufen wird, daß die Mitgliedstaaten sich auf etwaige Konsenserfordernisse zurückziehen und in nur unzureichendem Maße Schutzgebiete vorschlagen und ausweisen. So bliebe die Richtlinie ein "stumpfes Schwert" im Kampf gegen das Artensterben65 . Möglicherweise kann dieses Spannungsfeld dadurch gelöst werden, daß man das Auswahl- und Ausweisungsverfahren in zielführender Weise ausgestaltet. Der kooperative Ansatz der Richtlinie läßt nämlich Raum für gegenseitige Abstimmung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten im Wege von Verhandlungen. Solche Verhandlungen müssen so ausgestaltet werden, daß möglichst rasch ein Konsens entsteht, andernfalls kommt - jedenfalls nach dem Wortlaut der Richtlinie- Natura 2000 nicht zustande. Zu diesem Zweck bietet es sich an, den Akteuren zwar keine Vorschriften in Bezug auf das Ergebnis ihrer Auswahlbemühungen zu machen, um ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit nicht unnötig zu hemmen, wohl aber solche in Bezug auf die Führung der Verhandlungen, um einen kooperativen Verhandlungsstil zu erreichen. Dazu gehören auch Vorgaben für die Vorarbeiten im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 FFH-RL, mit denen sich die Mitgliedstaaten für die Verhandlungen mit der Kommission gleichsam "ausrüsten". Deshalb macht es sich die vorliegende Arbeit zum Ziel, Instrumente verfahrens- und organisationsrechtlicher Art zu entwickeln, welche die materiellen Vorgaben der Richtlinie "flankieren"66• Auch dieser verfahrensrechtliche Ansatz scheint in der Richtlinie angelegt zu sein, regelt diese doch in detaillierterer Weise als andere Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, wie die Akteure bei der Durchführung der Richtlinienbestimmungen vorzugehen haben. Beispielhaft sei auf die umfangreichen fachlichen Kriterien des Anhangs m verwiesen. Aus dieser Beschreibung des Regelungsansatzes der Richtlinie in Bezug auf die Errichtung von Natura 2000 werden die zwei Elemente deutlich, die die Richtlinie prägen: Es ist dies zum einen die Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten, die sich näher charakterisieren läßt durch die Begriffe ,,Arbeitsteiligkeit" 65 So auch die Befürchtung von Andreas Fisahn/Wolfram Cremer, Ausweisungspflicht und Schutzregime nach Fauna-Flora-Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie, NuR 1997, 268 (274); Andreas Fisahn, Ausweisungspflicht von FFH-Gebieten - Kontrollmöglichkeiten der Kommission - Potentiell faktische FFH-Gebiete, Natur- und Umweltschutzakademie des Landes Nordrhein-Westfalen (NUA) (Hsg.), Natura 2000 Ein Netzwerk von FFH- und Vogelschutzgebieten, Recklinghausen, 1998, S. 50 (59). 66 Vgl. unten DJ(J.

II. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete

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und "Konsens"67 . Zum anderen tritt der stark verfahrensbetonte Ansatz der Richtlinie hervor. Durch beide Elemente hebt sich die Richtlinie von ihrem Vorläufer, der Vogelschutzrichtlinie68 , deutlich ab. Diese sah nämlich eine Ausweisung der aus ornithologischer Sicht geeignetsten Gebiete durch die Mitgliedstaaten vor69, ohne die Kommission dabei einzubeziehen70• Die Neuartigkeit dieser Elemente ist der Grund, sie zum Gegenstand von Untersuchungen im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu machen.

2. Nähere Beschreibung der Regelung

Zum besseren Verständnis soll im Folgenden einführend die teilweise recht komplizierte Regelung der Ausweisung der besonderen Schutzgebiete vorgestellt werden. Dabei wird der Schilderung der verfahrensmäßigen Strukturierung des Ausweisungsprozesses besonderes Gewicht beigemessen. Gleichzeitig sollen bereits die Probleme aufgezeigt werden, die die Regelung insbesondere im Hinblick auf ihre Umsetzung in der Bundesrepublik aufwirft.

67 Den kooperativen Charakter der Richtlinie betonen ebenfalls Johannes Stemmler, Novellierung des Naturschutzrechts, Bundesbaublatt 1998, 13 (15) und Astrid Epiney, Vogelund Habitatschutz in der EU, UPR 1997, 303 (305). Die Bedeutung der Zusammenarbeit von Kommission und Mitgliedstaaten wurde nach Ansicht von Jörg Wagner bereits in Art. 9 des Richtlinienentwurfs (abgedruckt in BR-Drs. 445/88) deutlich. Diese Vorschrift verlangt von den Mitgliedstaaten, die Kommission bei der Förderung des gemeinsamen oder koordinierten Managements grenzüberschreitender Schutzgebiete, der Erhaltung von unberührten Naturgebieten in der Gemeinschaft und der Weitergabe des Fachwissens auf dem Gebiet des Managements besonderer Schutzgebiete zu unterstützen. Vgl. Jörg Wagner, Der Entwurf der Richtlinie ,,Fauna,Flora,Habitat" der Europäischen Gemeinschaft (88/C 247/03), NuR 1990, 396 (399); vgl. auch: Gerd Winter, Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft im Verwaltungsvollzug, in: Lübbe-Wo1ff (Hsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts, Berlin, 1996, 107 (113), der die Zusammenarbeit nach der FFH-Richtlinie als ,,kooperative Verwaltung" einordnet. 68 RL 79/409/EWG vom 02. 04. 79 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABI. Nr. L 103 vom 25. 04. 79. 69 Art. 4 Abs. 1 VS-RL lautet: ..( ... ) Die Mitgliedstaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, ( ... )." 70 Es ist daher verfehlt, beide Richtlinien ihrer "Struktur" nach als vergleichbar zu bezeichnen und Auslegungsschwierigkeiten bei der FFH-Richtlinie im Wege der Analogie zur Vogelschutzrichtlinie zu lösen. So aber Tania Rödiger-Vorwerk, Die Fauna-Flora-HabitatRichtlinie der Europäischen Union und ihre Umsetzung in nationales Recht, Berlin, 1998, S. 34 unter Berufung auf die Vergleichbarkeit der Richtlinien im Hinblick auf ihre ökologischen Zielsetzungen und ihre Regelungssystematik.

28

A. Einleitung

a) Mitgliedstaatliche Vorauswahl, Art. 4 Abs. 1 FFH-RL

aa) Nonnative Vorgaben der Richtlinie Der erste Verfahrensschritt, die Ausarbeitung der nationalen Vorschlagslisten, hat eine Regelung in Art. 4 Abs. I UAbs. I i.V.m. Anhang ill, Phase 1 FFH-RL erfahren. Danach schlägt jeder Mitgliedstaat anhand der Kriterien des Anhangs ill, Phase I FFH-RL die Gebiete vor, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt werden könnten (pSCf 1). Bezugsgröße ftir die Beurteilung der Gebiete ist das Territorium der Mitgliedstaaten72• Außerdem müssen der Kommission gleichzeitig mit der nationalen Vorschlagsliste für jedes der vorgeschlagenen Gebiete Infonnationen zugeleitet werden, Art. 4 Abs. I UAbs. 2 S. I FFH-RL. Diese Gebietsinformationen werden in standardisierter Weise übennittelt (Satz 2). Dazu dient der von der Kommission erarbeitete "Standard-Datenbogen'm. Standard-Datenbögen müssen nur für vorgeschlagene Gebiete ausgeftillt werden. Deshalb geht die Auswahl der pSCI dem Ausftillen der Datenbögen zeitlich voraus. ( 1) Präzise fachliche Auswahlkriterien

Die in Anhang III vorgegebenen Auswahlkriterien, die im Standard-Datenbogen zum Teil näher konkretisiert werden, sind rein naturschutzfachlicher Natur. Auffällig ist im Vergleich zum nationalen Naturschutzrecht, daß die naturschutzfachlichen Kriterien der Richtlinie relativ präzise sind74. Das zeigt sich bereits an der Bestimmung der jeweiligen Schutzobjekte: Knüpft beispielsweise§ I3 BNatSchG, der die Ausweisung von Naturschutzgebieten regelt, im Bereich des Artenschutzes allgemein an die Erforderlichkeil der Ausweisung "zur Erhaltung von Lebensgemeinschaften oder Biotopen bestimmter wildlebender Tier- und Pflanzenarten" an, so sind die vom Schutzzweck der FFH-Richtlinie erfaßten Arten in Anhang ll FFH-RL jeweils namentlich aufgeführt. Gleiches gilt ftir die von Anhang I erfaßten Lebensraumtypen. Mehr Präzision enthält die Richtlinie auch im Hinblick auf die Voraussetzungen ftir eine Schutzgebietsausweisung: Während § 13 BNatSchG allgemein auf die Erforderlichkeil zur Erhaltung der Schutzobjekte abstellt, müssen pSCI fünf naturschutzfachliche Kriterien erfüllen: So müssen der Erhaltungszustand und die Wiederherstellbarkeit der Gebiete sowohl für Lebensräume als auch ftir Arten beachtet werden. Für die Lebensräume sind außerdem deren Repräsenta-

71

Englisch: "proposed Sites of Community Interest".

n Vgl. Anhang III, Phase l,lit. A)b) und B)a) FFH-RL. 73 Veröffentlicht in: ABI. 1997 Nr. L 107/20 ff. 74 Axel Ssynumk, a.a.O. (FN 41), S. 22. Willy SpanMwsky, Vorgaben der räumlichen Gesamtplanung für die Ausweisung besonderer Schutzgebiete, in: Hans D. Jarass (Hsg), EGNaturschutzrecht und räumliche Gesamtplanung, Münster, 2000, S. 26 (47) bezeichnet den Kriterienkatalog der FFH-Richtlinie dagegen als "wenig stringent".

II. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete

29

tivität und relative Fläche, für die Arten deren relative Populationsgröße und lsolierungsgrad maßgeblich 75 •

Anband des Repräsentativitätsgrades läßt sich ermessen, wie typisch ein Lebensraum für das Territorium des Mitgliedstaats ise6 . SAC sollen also dort ausgewiesen werden, wo der betreffende Lebensraumtyp ein typisches Vorkommen hat. Zu diesem Zweck steht den Mitgliedstaaten ein von der Kommission herausgegebenes Auslegungshandbuch über die Lebensraumtypen des Anhangs I zur Verfügung, in dem Aussagen über typische Vorkommen gemacht werden77• Der Begriff des Erhaltungszustands wird in Bezug auf Lebensräume unterteilt in die Begriffe .. Erhaltungsgrad der Struktur" und .,Erhaltungsgrad der Funktionen". Wegen des gegenseitigen Einflusses dieser Faktoren aufeinander sollen sie kombiniert werden, wobei auch die Wiederherstellungsmöglichkeit einzubeziehen ist78 • Der Erhaltungsgrad der Struktur wird im Vergleich zu gleichen Lebensraumtypen in anderen Gebieten ermittelt, wobei wiederum das Auslegungshandbuch Anhaltspunkte bietet. Z. B. fordert das Handbuch für das Posidonion oceanicae eine Salzhaltigkeit des Wassers von 36-39 %o79• Der Erhaltungsgrad der Funktionen wird unabhängig von anderen Gebieten ermittelt und läßt sich beschreiben als die Wahrscheinlichkeit, mit der der betreffende Lebensraumtyp im Gebiet seine Struktur beibehalten wird80• Dabei sind alle negativen Gebietseinflüsse sowie alle realistischen Anstrengungen zur Erhaltung zu berücksichtigen. Die Wiederherstellungsmöglichkeit ist nicht nur unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu ermitteln, sondern es muß auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit etwaiger Erhaltungsmaßnahmen erörtert werden. Solche Maßnahmen müssen sich also "lohnen"81 • In Bezug auf Arten sollen insoweit der Erhaltungsgrad der für die betreffende Art wichtigen Habitatelemente und deren Wiederherstellungsmöglichkeit beurteilt werden82. Für die Ermittlung der relativen Fläche bzw. Populationsgröße muß die vom Lebensraumtyp im Gebiet eingenommene Fläche zur Fläche dieses Lebensraumtyps im gesamten Hoheitsgebiet bzw. die Population in diesem Gebiet zur nationalen Population in Bezug gesetzt werden. Wegen der Schwierigkeit der Ermittlung der entsprechenden Daten auf nationaler Ebene kann jeweils eine Schätzung "nach bestem Sachverstand" vorgenommen werden83 • Für den Isolierungsgrad einer Population läßt sich vereinfacht sagen, daß der Beitrag einer Population 1s Vgl. dazu: Axel Ssymank, a.a.O. (FN 41), S. 25, Tab. 5.

Standard-Datenbogen (FN 73), Erläuterungen, Punkt 3.1. n HAB 96/2/ Final-EN, www.europa.eu.int/ comm/ environment/nature/habit-en.pdf (Stand: 01. 04. 00). 78 Standard-Datenbogen (FN 73), Erläuterungen, Punkt 3.1. 79 Punkt 11.34. so Standard-Datenbogen, Erläuterungen, Punkt 3.1. 81 Standard-Datenbogen, Erläuterungen, Punkt 3.1. 82 Standard-Datenbogen, Erläuterungen, Punkt 3.2. 83 Standard-Datenbogen, Erläuterungen, Punkt 3.1 und 3.2. 76

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A. Einleitung

zur genetischen Vielfalt der Art um so größer ist, je stärker die Population vom natürlichen Verbreitungsgebiet der Art isoliert ist. Bei der sowohl für Lebensräume als auch für Arten erforderlichen Gesamtbeurteilung des Gebiets sind alle Kriterien mit der ihnen jeweils eigenen Gewichtung zusammenzufassen84• Auch andere Aspekte, wie z. B. menschliche Einflüsse und die ökologischen Beziehungen zwischen den Lebensraumtypen und Arten können hier relevant werden. Allerdings sollte diese Beurteilung der ökologischen Wertigkeit der Gebiete nicht bereits im Hinblick auf ihren Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt auf europäischer Ebene vorgenommen werden. Diese Einschätzung ist dem zweiten Verfahrensschritt, der Erstellung der Gemeinschaftsliste, vorbehalten. Die Mitgliedstaaten müssen sich vielmehr auf eine Beurteilung dieses Beitrags auf nationaler Ebene beschränken85 • Neben diesen Angaben zu der ökologischen Wertigkeit der vorgeschlagenen Gebiete, welche die fachlichen Kriterien des Anhangs m FFH-RL konkretisieren, verlangt der Standard-Datenbogen noch weitere Auskünfte von den Mitgliedstaaten: Insbesondere sind Angaben zur Lage des Gebiets86 und dessen allgemeine Beschreibung unter Gesichtspunkten wie ,.Verletzlichkeit" des Gebiets und dessen ,,Besitzverhältnisse" erforderlich87 • Außerdem sind ,,Einflüsse und Tatigkeit im Gebiet und in dessen Umgebung" zu nennen88 .

(2) Mitgliedstaatliche Spielräume Für die zur Auswahl von pSCI aufgerufenen Mitgliedstaaten ist natürlich die Frage von großer Bedeutung, ob und gegebenenfalls inwieweit die Richtlinie ihnen Spielräume bei der Anwendung der Kriterien des Anhangs m läßt. Dabei stehen insbesondere drei Fragen im Vordergrund: Zunächst ist zu klären, wem die Beurteilung von Gebieten nach den naturschutzfachlichen Kriterien des Anhangs obliegt. Kann die Kommission insoweit einer Einschätzung durch einen Mitgliedstaat widersprechen? Außerdem muß die Frage beantwortet werden, ob diese Kriterien abschließend formuliert sind, oder ob die Mitgliedstaaten daneben auch andere Kriterien, sogenannte ,.außerfachliche" oder ,.fachfremde" Kriterien, zum Maßstab ihrer Gebietsauswahl machen dürfen. Schließlich trifft die Richtlinie keine Regelung hinsichtlich der Anzahl und der Gesamtfläche der pSCI. Es muß untersucht werden, ob insoweit von den Mitgliedstaaten irgendwelche Vorgaben zu beachten sind. Standard-Datenbogen, Erläuterungen, Punkt 3.1 und 3.2. Str. Wie hier auch: Martin Gellermann, Natura 2000, Berlin, 1998, S. 36 f. m. w. N. auch zur Gegenmeinung. A.A. ist z. B. der Städte- und Gemeindeverbund, vgl.: ,,Mitteilungen", NWStGB 14/1999, S. 235 f., zitiert bei: Willy Spanrwwsky, a.a.O. (FN 74) S. 26 (27). Der Wortlaut der Richtlinie ist insoweit jedoch wohl klar. 86 Standard-Datenbogen, Punkt 2. 87 Standard-Datenbogen, Punkt 4. 88 Standard-Datenbogen, Punkt 6. 84

8S

II. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete

31

In Bezug auf die Vogelschutzrichtlinie hat der EuGH zur ersten Frage entschieden, daß die Mitgliedstaaten einen "Ermessensspielraum" haben, der sich "auf die Anwendung dieser (d. h. der ornithologischen und deshalb naturschutzfachlichen) Kriterien für die Bestimmung der Gebiete" bezieht89• Denn die Mitgliedstaaten sind sachnäher als die Gemeinschaft und können deshalb am ehesten beurteilen, welche Arten in ihrem Hoheitsgebiet vorkommen und welche konkreten Gebiete sich am besten zum Schutz dieser Arten eignen90• Einen solchen Wissensvorsprung besitzen die Mitgliedstaaten auch in Bezug auf mögliche SAC. Ungeachtet der unterschiedlichen Bezeichnung durch den EuGH - der Gerichtshof unterscheidet bekanntlich nicht wie die deutsche Dogmatik zwischen dem Beurteilungsspielraum als Ermessen auf der Tatbestandsseite und dem Rechtsfolgeermessen91 - wird man deshalb hinsichtlich der naturschutzfachlichen Kriterien der Richtlinie entsprechend den Vorgaben des Gerichtshofs zur Vogelschutzrichtlinie einen Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten anzunehmen haben92• Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird es sein, die Grenzen dieses mitgliedstaatliehen Spielraums abzustecken.

Im Rahmen der Vogelschutzrichtlinie hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung ein Recht der Mitgliedstaaten abgelehnt, bei der Auswahl der zu schützenden Gebiete Belange nicht ornithologischer Natur zu berücksichtigen93 • Naturgemäß steht diese Frage im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten. Zur FFH-Richtlinie existiert noch keine Judikatur des Gerichtshofs. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in einem obiter dieturn die Berücksichtigungsfahigkeit fachfremder Belange jedenfalls für die Auswahl der pSCI ausgeschlossen94. Nicht auf dieser Linie liegen die Ministerkonferenz für Raumordnung und das LNatG M-V, die jeweils eine Abstimmung von Natura 2000 mit der nationalen Raumordnung vorsehen95 • Entsprechendes wird wohl auch für die mitgliedstaatliche Bauleitplanung96 gelten. Sollte sich Natura 2000 gegenüber der mitgliedstaatliehen Raumordnung als ignorant erweisen, so würde dies einen Einbruch in das System der rechtlichen Handhabung raumbedeutZuletzt: Slg. 1998, 3031 (3070), Nr. 60 f. S1g. 1991,93 (105), Nr. 9. 91 Jürgen Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Band I, Baden-Baden, 1988, S. 280 f. 92 Martin Gellermann, a.a.O. (FN 85), S. 19: "Beurteilungs- bzw. Errnessensspie1raum". 93 Zuletzt: Slg. 1998, 3031 (3070), Nr. 59. 94 NuR 1998, 544 (550). 95 Vom Hauptausschuß der MKRO gebilligtes Positionspapier des Ausschusses ,,Recht und Verfahren" der MKRO vom 19. März 1999, veröffentlicht in: DVBI. 1999, 970 (970 f.). Außerdem:§ 28 Abs. I S. 2 LNatG M-V, abgedruckt in: GVOBI. 1998,467 ff. 96 Die räumliche Gesamtplanung kann unterteilt werden in die Landesplanung (Raumordnung) einerseits und die Bauleitplanung andererseits. Vgl. zu diesen Begriffen: Wilfried Erbguth, Pflichten der räumlichen Gesamtplanung im Hinblick auf ausgewiesene und potentielle Schutzgebiete-am Beispiel der Raumordnung-, in: Hans D. Jarass (Hsg.), EG-Naturschutzrecht und räumliche Gesamtplanung, Münster, 2000, S. 58. 89 90

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A. Einleitung

samer Planungen und Maßnahmen im deutschen Recht97 bedeuten. Sollte sich dagegen herausstellen, daß die FFH-Richtlinie tatsächlich eine Berücksichtigung von Belangen nicht naturschutzfachlicher Art zuläßt, so stellt sich die Folgefrage, ob die Mitgliedstaaten solche Belange bereits bei der Auswahl der pSCI berücksichtigen dürfen oder erst auf einer späteren Stufe des Auswahl- und Ausweisungsprozesses. Damit ist die Frage angesprochen, auf welcher Ebene die entscheidenden Weichenstellungen ftir die Gestalt von Natura 2000 getroffen werden sollen, auf der mitgliedstaatliehen oder auf der europäischen. Die Frage berührt deshalb das Verhältnis der Gemeinschaft zu den Mitgliedstaaten während des Auswahl- und Ausweisungsprozesses. Außerdem muß geklärt werden, ob die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Anzahl und Gesamtfläche der Gebiete gebunden sind. Ausdrückliche Vorgaben macht die Richtlinie insoweit nämlich nicht. Diese Frage ist ftir die pSCI und die SAC, also für die erste und die dritte Stufe des Ausweisungsprozesses getrennt zu beantworten. Was die pSCI anbelangt, so will die Kommission, daß die Mitgliedstaaten so viele Gebiete wie möglich vorschlagen98 , also möglichst alle ftir eine Integration in Natura 2000 geeigneten Gebiete. Nur so kann sie sinnvoll eine Auswahl unter den vorgeschlagenen Gebieten vornehmen. Anderer Auffassung nach sollen nur die geeignetsten Gebiete vorgeschlagen werden99• Dies läuft in der Praxis dann darauf hinaus, daß nur so viele Gebiete vorgeschlagen werden, wie letztlich auch ausgewiesen werden sollen, was von der Kommission wiederum scharf kritisiert wirdHlO.

bb) Die Strukturierung des Auswahlprozesses durch einzelne Verfahrensschritte in Deutschland

( 1) Ansatzpunkte für eine Strukturierung Die Richtlinie gibt lediglich den Auftrag, anband der geschilderten naturschutzfachlichen Kriterien eine nationale Vorschlagsliste zu erstellen. Die Frage nach der Art und Weise, wie dies geschehen soll, läßt sie offen. Dies entspricht der Vorstellung des Art. 189 Abs. 3 EGV, wonach die Wahl von Form und Mitteln der UmVgl. insoweit die§§ 4, 14 ROO, I Abs. 4; 7 ~auGB Die Kommission, Klageschrift im Verfahren gegen die BRD vom 24. 02. 1999, NuR 1999, Heft 7, S. II ff. Nr. 30. 99 Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtsclwft Nordrhein-Westfalen (MURL), Einführungserlass zur Anwendung der nationalen Vorschriften (§§ 19a ff. BNatSchG) zur Umsetzung der Richtlinien 92143/EWG (FFH-RL) und 79/409/EWG (Vogelschutz-RL), Anlage I, 3. Schritt. Der Erlaß ist abgedruckt in: Hans D. Jarass (Hsg.), EG-Naturschutzrecht und räumliche Gesamtplanung, Kolloquium des Zentralinstituts für Raumplanung am 10. 11. 1999 in Münster, Münster, 2000, S. 93 ff.; ähnlich auch Alexander Schink, Auswirkungen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (EG) auf die Bauleitplanung, GewArch 1998,41 (46). 100 Die Kommission, a.a.O. (FN 98). 97 98

II. Die rechtlichen Aspekte der Ausweisung besonderer Schutzgebiete

33

setzung einer Richtlinie den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Die Regelungsdichte des nationalen Rechts im Hinblick auf die Gestaltung des Auswahlprozesses (Art. 4 Abs. 1 FFH-RL) ist bislang eher gering: § 19b BNatSchG grenzt die Bundes- von der Landeszuständigkeit ab, im Übrigen verweist die Vorschrift auf Art. 4 Abs. 1 FFH-RL. Außerdem regelt sie die Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung. Unter den landesrechtliehen Normen regelt allein§ 28 NatSchG MV 101 den Auswahlprozeß. Die Vorschrift bestimmt allerdings auch nur die Zuständigkeiten innerhalb des Bundeslandes. Verfahrensrechtliche Vorschriften enthält sie nicht. Detaillierte Regelungen hat das Land Nordrhein-Westfalen getroffen, allerdings lediglich im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift 102• Entsprechend den oben 103 angestellten Überlegungen bietet sich eine stärkere verfahrensmäßige Ausgestaltung des Auswahlprozesses auf mitgliedstaatlicher Ebene an. Die Regelung des§ 19b Abs. 1 S. 1 BNatSchG stößt auf die Schwierigkeit, daß die nationale Vorschlagsliste aus 16 Länderlisten entsteht, die ihrerseits völlig unabhängig voneinander erstellt und untereinander nicht abgestimmt sind. Das wirft insbesondere bei (Iänder-)grenzüberschreitenden Schutzgebieten Probleme auf. Außerdem hat die Kommission mit dem BMU einen Ansprechpartner, der selber mangels einer Kompetenz des Bundes auf die Gestaltung der nationalen Vorschlagslisten keinerlei Einfluß nehmen kann. Dies ist einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und der Bundesrepublik sicherlich nicht förderlich. Die Umsetzung muß solchen Problemen Rechnung tragen, weshalb an eine von der Regelung des BNatSchG abweichende Regelung der Zuständigkeiten zu denken ist. Was das Verfahren zur Auswahl der pSCI anbelangt, so muß es zwei Anforderungen Rechnung tragen: Wenn die Ents