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German Pages 519 Year 2004
Schriften zum Europäischen Recht Band 101
Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland Von Sascha Michaels
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SASCHA MICHAELS
Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band 101
Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland Zwecke des Internationalen Verwaltungsrechts
Von Sascha Michaels
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-11072-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Mit dem vorliegenden Buch habe ich den Versuch unternommen, Fragen der Begründung und Wirkungsweise von Anerkennungspflichten im Wirtschaftsverwaltungsrecht der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik Deutschland systematisch aufzuarbeiten und in Beziehung zum Internationalen Verwaltungsrecht zu setzen. Die Anregung hierzu erhielt ich von meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Werner Meng. Die Abhandlung entstand auch in wesentlichen Teilen während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und Internationales Wirtschaftsrecht der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in den Jahren 1996 – 1999. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2001 an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation eingereicht. Für die Erstattung des Erstgutachtens danke ich herzlich Herrn Professor Dr. Werner Meng, jetzt Direktor des Europainstituts der Universität des Saarlandes Saarbrücken. Das Zweitgutachten hat Herr Professor Dr. Winfried Kluth, MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg, Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalts, übernommen, dem ich ebenfalls zu großem Dank verpflichtet bin. Bei Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten möchte ich mich für die Aufnahme in die Schriftenreihe „Schriften zum Europäischen Recht“ bedanken. Das Buch ist meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Berlin, im März 2003
Sascha Michaels
Inhaltsübersicht Erster Teil Grundlegung A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27
B. Gang der Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
C. Begriffe und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
I. Internationales Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
II. Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
Zweiter Teil Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
77
A. Willensfreiheit der Staaten bei der Anerkennung und Anerkennungspflichten . . . . . . .
77
I. Handlungsfreiheit der Staaten und völkerrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
II. Anerkennungspflichten aufgrund Völkerrechts oder bloßer Courtoisie . . . . . . . . . .
81
III. Negative Begrenzungen der Anerkennungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 B. Folgen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Akzessorietät von Gültigkeit und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Das Schicksal des anerkannten Hoheitsaktes nach der Anerkennung . . . . . . . . . . . . 105 III. Befugnis – oder gar Verpflichtung – zur Rechtmäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . 108 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 C. Ökonomischer Zweck der Anerkennung und von Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . 125 I. Anerkennung im Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. Ökonomische Analyse der Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Dritter Teil Anerkennungspflichten im Bundesstaat
145
A. Ausgangspunkt: Die Stellung der Länder im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Die Staatsqualität der Länder und die Geltung des Territorialitätsprinzips . . . . . . 148 II. Analogien zum Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
10
Inhaltsübersicht
B. Anerkennungspflichten der Länder gegenüber Bundesverwaltungsakten? . . . . . . . . . . . 155 C. Anerkennungspflichten der Länder untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Anerkennungspflichten der Länder untereinander beim Vollzug von Bundesrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Anerkennungspflichten der Länder untereinander beim Vollzug von Landesrecht D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Vierter Teil Anerkennungspflichten im Europäischen Gemeinschaftsrecht
188
A. Ausgangspunkt: Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Union und zueinander . . . . . . . . . . 189 B. Anerkennungspflichten gegenüber Rechtsakten der Gemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Ausgangspunkt: Das Fehlen eines Territorialitätsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Verschiedene Erklärungsmuster für die Geltung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 III. Schlußfolgerung für die Frage der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Anerkennungspflichten der Mitgliedstaaten untereinander beim Vollzug unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. „Quasi-bundesstaatliche“ Anerkennungspflichten im Rahmen der handelspolitischen Kompetenz der Gemeinschaft am Beispiel zweier Verordnungen . . . . . . . . . 208 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 D. Anerkennungspflichten der Mitgliedstaaten untereinander bei der Anwendung von nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Primärrechtliche (implizite) Anerkennungspflichten gegenüber nationales Recht anwendenden Rechtsakten anderer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 II. Sekundärrechtliche (explizite) Anerkennungspflichten gegenüber nationales Recht anwendenden Rechtsakten anderer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 E. Funktion von Anerkennungspflichten im europäischen Wirtschaftsverwaltungsrecht
399
I. Rechtliche Funktion von Anerkennungspflichten im europäischen Binnenmarkt
399
II. Ökonomische Funktion der Anerkennungspflichten im europäischen Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 III. Die Implantation ökonomischer Erkenntnisse in rechtliche Wertungen . . . . . . . . . 478
Fünfter Teil Zusammenfassung
482
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil Grundlegung
27
A. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
B. Gang der Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
C. Begriffe und Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
I. Internationales Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
1. Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
2. Internationales Verwaltungsrecht – das Attribut des Internationalen . . . . . . . . .
30
3. Entwicklung und systematische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
4. Die notwendige Eigenart der Kollisionsregeln des öffentlichen Rechts – die Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
a) Die Besonderheiten des öffentlichen Rechts als Ursache der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
aa) Die Besonderheit aus der Sicht des rechtsanwendenden Staates . . . . . .
42
bb) Die Besonderheit aus der Sicht des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
cc) Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
b) Anerkennung als Ausnahme von der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
c) Eingeschränkter Gegenstand des Internationalen Verwaltungsrechts . . . . . .
47
II. Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
1. Anerkennung von Hoheitsakten nach dem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
a) Ausgangspunkt: Territorialitätsprinzip als Wirkbereichsbeschränkung und Durchsetzungsvoraussetzung nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
b) Jurisdiktionsgrenzen – Unterscheidung zwischen Geltung und Wirkung . .
55
c) Völkerrechtliche Zulässigkeit der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
d) Anerkennung als Voraussetzung der Behandlung ausländischer extraterritorialer Hoheitsakte „als Recht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
e) Die Notwendigkeit des Merkmals der Geltungserstreckung – internationalverwaltungsrechtliche Anerkennung und bloße Achtung . . . . . . . . . . . . . .
63
12
Inhaltsverzeichnis 2. Anerkennungsbegriffe im Internationalen Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
a) Zweck und normsystematischer Gegenstand der Anerkennung – eigennützige und fremdnützige Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
b) Die Grade der eingeräumten Verbindlichkeit im eigenen Rechtsraum . . . .
70
c) Der normhierarchische Gegenstand der Anerkennung – Anerkennung von Einzelakten und von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
d) Keine Anerkennung von Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
e) Der Grad der zurückbehaltenen Befugnisse des anerkennenden Mitgliedstaates und der Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung – die Anerkennungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
f) Begriffliche Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Zweiter Teil Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
77
A. Willensfreiheit der Staaten bei der Anerkennung und Anerkennungspflichten . . . . . . .
77
I. Handlungsfreiheit der Staaten und völkerrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
II. Anerkennungspflichten aufgrund Völkerrechts oder bloßer Courtoisie . . . . . . . . . .
81
1. Anerkennungspflichten kraft Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
a) Anerkennung im amerikanischen Recht nach der Act of State Doctrine . .
86
b) Die mangelnde Völkerrechtsqualität der Act of State Doctrine . . . . . . . . . . .
89
c) Comity und Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
2. Völkerrechtliche Verträge und sonstige zwischenstaatliche Vereinbarungen .
96
3. Nationale Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
III. Negative Begrenzungen der Anerkennungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
1. Externe Begrenzung: Verbot der Anerkennung völkerrechtswidriger Hoheitsakte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
2. Interne Begrenzung: ordre-public-Vorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 B. Folgen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 I. Akzessorietät von Gültigkeit und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. Das Schicksal des anerkannten Hoheitsaktes nach der Anerkennung . . . . . . . . . . . . 105 III. Befugnis – oder gar Verpflichtung – zur Rechtmäßigkeitskontrolle . . . . . . . . . . . . . 108 1. Befugnis nach allgemeinem Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Befugnis bzw. Verpflichtung nach innerstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Inhaltsverzeichnis
13
a) Kein grundsätzliches Verbot der Anwendung ausländischen Rechts . . . . . . 114 b) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 C. Ökonomischer Zweck der Anerkennung und von Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . 125 I. Anerkennung im Kooperationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Anerkennung als Kooperationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Das Kooperationsmodell Axelrods . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Versuch einer Anwendung auf die internationalen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . 128 4. Kooperationsmodell und Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Ökonomische Analyse der Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Versuch einer Anwendung der ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Ausgangspunkt und Zielsetzung der ökonomischen Analyse des Rechts . . 136 b) Der Transaktionskostenansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Anwendung im Wirtschaftsverwaltungsrecht, insbesondere auf Anerkennungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 d) Senkung von Transaktionskosten durch Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Dritter Teil Anerkennungspflichten im Bundesstaat
145
A. Ausgangspunkt: Die Stellung der Länder im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Die Staatsqualität der Länder und die Geltung des Territorialitätsprinzips . . . . . . 148 II. Analogien zum Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 B. Anerkennungspflichten der Länder gegenüber Bundesverwaltungsakten? . . . . . . . . . . . 155 C. Anerkennungspflichten der Länder untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Anerkennungspflichten der Länder untereinander beim Vollzug von Bundesrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Geltungsbereich des Gesetzes und Geltungsbereich des Verwaltungsaktes . . . 157 2. Notwendigkeit eines einheitlichen Vollzuges von Bundesgesetzen durch die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Geltungsbereich eines Verwaltungsaktes als Bereich seiner Tatbestandswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
14
Inhaltsverzeichnis II. Anerkennungspflichten der Länder untereinander beim Vollzug von Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Keine automatische Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Art. 35 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 3. Anerkennungspflicht aus dem Grundsatz bundesfreundlichem Verhaltens . . . 166 a) Bundestreue und bundesfreundliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Kooperations- und Anerkennungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4. Grundrechte des einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 a) Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Gleichheit nur gegenüber einem Hoheitsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Anerkennung bei gleichwertigen Verwaltungsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 cc) Gleichheitsrechtliche Rechtsangleichungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Art. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Andere Grundrechte, insbesondere Art. 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 5. Subjektive Rechte des potentiell Anerkennungsbegünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Koordination und Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7. Anerkennung als Vollstreckungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
Vierter Teil Anerkennungspflichten im Europäischen Gemeinschaftsrecht
188
A. Ausgangspunkt: Verhältnis der Mitgliedstaaten zur Union und zueinander . . . . . . . . . . 189 B. Anerkennungspflichten gegenüber Rechtsakten der Gemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Ausgangspunkt: Das Fehlen eines Territorialitätsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 II. Verschiedene Erklärungsmuster für die Geltung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Originäre Geltung des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Geltung kraft Zustimmungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3. Unentscheidbarkeit der Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Schlußfolgerung für die Frage der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Inhaltsverzeichnis
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C. Anerkennungspflichten der Mitgliedstaaten untereinander beim Vollzug unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Die Geltung des Territorialitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Die mögliche Bundesstaatsparallele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. „Quasi-bundesstaatliche“ Anerkennungspflichten im Rahmen der handelspolitischen Kompetenz der Gemeinschaft am Beispiel zweier Verordnungen . . . . . . . . . 208 1. Artikel 250 des Zollkodexes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Artikel 6 Absatz 2 Satz 3 der Dual-Use-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 D. Anerkennungspflichten der Mitgliedstaaten untereinander bei der Anwendung von nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Primärrechtliche (implizite) Anerkennungspflichten gegenüber nationales Recht anwendenden Rechtsakten anderer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Anerkennungspflichten durch die Wirkungen der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . 215 a) Ausgangspunkt: Keine Anerkennungspflichten bei reinen Diskriminierungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Freiheit des Warenverkehrs nach Art. 28 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 aa) Anerkennung als Wirkung der Einfuhrfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (1) Die Warenverkehrsfreiheit als Beschränkungsverbot nach dem Dassonville-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 (2) Anerkennung von Warenzulassungsakten: Cassis de Dijon und der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung – das Herkunftsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 (3) Anerkennungspflichten gegenüber warenverkehrserleichternden Prüf- und Kontrollakten (Urteile „Biologische Producten“ u. a.) . 221 (4) Die Bedeutung der Gleichwertigkeitsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . 224 (5) Anerkennung von verkehrszulassenden Hoheitsakten und von begleitenden Akten, unechte Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 (6) Die Einschränkung der Dassonville-Formel durch das KeckUrteil und die Frage der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 (7) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Anerkennung und das Problem der Ausfuhrfreiheit des Art. 29 EG, Herkunfts- und Günstigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (1) Die restriktive Rspr. des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 (2) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 (3) Wirksamwerden des Diskriminierungsverbots für den Einfuhrstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 (4) Günstigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
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Inhaltsverzeichnis c) Freiheit des Dienstleistungsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Inhalt und Spezifika im Vergleich zu anderen Grundfreiheiten . . . . . . . 244 bb) Schutzumfang – Erweiterung des Art. 49 EG zum Beschränkungsverbot als Voraussetzung für Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 cc) Die Geltung der Keck-Formel für die Dienstleistungsfreiheit und die Anerkennungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 d) Die Freiheiten des Personenverkehrs als Grundlage für Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Die Eigenheit von Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Der Schutzumfang von Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 cc) Anerkennungspflichten aufgrund des Verbots versteckter Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 dd) Anerkennung mit beschränkter Rechtsfolge (Entscheidung Vlassopoulou) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 ee) Folgerungen aus der Verwendung des Anerkennungsbegriffes . . . . . . . . 262 (1) Anerkennungsberechtigter (Entscheidungen Knoors und Kraus) . 262 (2) Der Zweck der Anerkennung als Ersatz für den Erlaß eines nationalen Hoheitsaktes und das Problem des Rechtsmißbrauchs . . . . . . 265 ff) Exkurs: Anerkennungspflichten im Umfeld der Berufsausübung . . . . . 267 gg) Fazit für die Personenverkehrsfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 e) Die Freiheit des Kapitalverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 f) Zusammenfassung: Die Voraussetzungen primärrechtlicher Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 2. Anerkennungspflichten und die kollisionsrechtliche Funktion der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 a) Ausgangspunkt: Die Entgrenzungsfunktion der Grundfreiheiten . . . . . . . . . 277 b) Primärrechtliche Anerkennungspflichten als Instrumente des Internationalen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Keine bloße Tatsachenberücksichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 bb) Differenzierung nach dem Anerkennungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (1) Anerkennungspflichten gegenüber konkreten Genehmigungsakten in Ansehung der Verkehrsfähigkeit von Waren und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (2) Kollisionsrechtliche Anerkennungspflichten bezüglich konkreter Kontroll- und Prüfungsakte im Vorfeld oder als Nachwirkung dieser Genehmigungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 (3) Kollisionsrechtliche Anerkennungspflichten bezüglich verkehrsfähigkeitsregelnden Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
Inhaltsverzeichnis
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cc) Herkunftsstaatsprinzip als Kollisionsregel für die Anwendung des fremden Rechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 dd) Anerkennung als Voraussetzung für die Tatbestandswirkung ausländischer Hoheitsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 ee) Das Fehlen eines echten ordre-public-Vorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 ff) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 c) Folgen der kollisionsrechtlichen Funktionsweise der Grundfreiheiten – das Problem der umgekehrten Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Ungleichbehandlung trotz des Gleichwertigkeitserfordernisses? . . . . . 288 bb) Typische Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit der Inländerdiskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (1) Vereinbarkeit mit den Vorschriften über die Grundfreiheiten . . . . . 292 (2) Vereinbarkeit mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 I EG . 297 (3) Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot . . . . . 298 (4) Vereinbarkeit mit anderen Gemeinschaftsrechtssätzen, insbesondere einem Binnenmarkt- und Wettbewerbsprinzip . . . . . . . . . . . . . . 300 (5) Fazit: Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht aufgrund dessen kollisionsrechtlichen Charakters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 dd) Vereinbarkeit mit deutschem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 (1) Art. 3 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 (a) Grundsätzliche Bindung an den Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . 303 (b) Verstoß gegen Art. 3 I GG für den Fall einer Anwendbarkeit . 307 (c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 (2) Vereinbarkeit mit Freiheitsrechten des Inländers, insbesondere Art. 12 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 (a) Umwertung gesetzgeberischer Einschätzungen . . . . . . . . . . . . . . 311 (b) Paralysierung des Erfolges gesetzgeberischer Maßnahmen . . 313 (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 II. Sekundärrechtliche (explizite) Anerkennungspflichten gegenüber nationales Recht anwendenden Rechtsakten anderer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. Anerkennungspflichten in Richtlinien im Bereiche des Warenverkehrs, insbesondere zur Produktzulassung und technischen Sicherheit auf der Basis der Art. 94, 95 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Form der Anerkennung in Abhängigkeit vom innerstaatlichen Überwachungsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b) Konkret-aktuelle Anerkennung am Beispiele der Arzneimittelrichtlinien . 324 2 Michaels
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Inhaltsverzeichnis c) Abstrakt-antizipierte Anerkennungspflichten unter Kommissionsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 d) Anerkennung von Rechtsnormen über die Verkehrsfähigkeit bei nicht zulassungspflichtigen Waren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 e) Art. 94 und 95 EG als Kompetenzgrundlage für Anerkennungspflichten . 332 2. Anerkennungspflichten in Richtlinien im Bereich des Niederlassungsrechts, der Arbeitnehmerfreizügigkeit und des Dienstleistungsverkehrs, insbesondere in solchen nach Art. 47 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Art. 47 EG als Ermächtigung für Richtlinien im Bereich der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 b) Verbindung von Koordinierung (Art. 47 II EG) und Anerkennungsverpflichtung (Art. 47 I EG) in den vertikalen Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 c) Anerkennungspflichten in Umsetzung der Verpflichtung nach Art. 47 I EG ohne umfassende Koordinierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 aa) Anerkennungspflichten in der Richtlinie 89 / 48 / EWG über Hochschuldiplome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (1) Das horizontale Harmonisierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (2) Annex- bzw. Hilfsanerkennungspflichten im Bereich der Dienstleistungs- und Personenverkehrsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 (3) Mittelbare Ermöglichung gegenseitiger Anerkennung durch Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 bb) Anerkennungspflichten bei der Zulassung und Überwachung von Kreditinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 (1) Die Bankrechtskoordinierungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 (2) Rückgriff auf Rechtsgedanken hinter Art. 47 EG . . . . . . . . . . . . . . . . 354 cc) Anerkennungspflichten im Versicherungsrecht und im Bereich der Wertpapierdienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 3. Abstrakt-antizipierte Anerkennung als Ermächtigung zum Erlaß transnationaler Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 4. Folgefragen von Anerkennungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Rechtmäßigkeitskontrolle (und Aufhebungsbefugnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 aa) Rechtmäßigkeitsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 bb) Begrenzung der Anerkennungspflichten auf gemeinschaftsrechtskonforme Hoheitsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 cc) Rechtmäßigkeitskontrolle und Aufhebungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 b) Zur weiteren Sicherung der territorialen Verfahrenskonzentration . . . . . . . . 367 aa) Akzessorietätsfolgen bei Anerkennung von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . 367 bb) Akzessorietätsfolgen bei Anerkennung von Zulassungsakten . . . . . . . . . 369 (1) Akzessorietätsfolgen bei konkret-aktueller Anerkennung . . . . . . . . 369 (2) Akzessorietätsfolgen bei abstrakt-antizipierter Anerkennung . . . . 369
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c) Notkompetenzen zur Sicherung der Anerkennungsvoraussetzungen . . . . . . 371 aa) Notkompetenzen zur Aussetzung der Wirkungen der Anerkennung von Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 bb) Notkompetenzen im Gefolge von Anerkennungspflichten bezüglich konkret-individueller Zulassungsakte (Einzelaktsanerkennung) . . . . . . 375 (1) Notkompetenzen im Gefolge konkret-aktueller Anerkennung . . . . 375 (2) Notkompetenzen im Gefolge abstrakt-antizipierter Anerkennung
376
cc) Stellenwert der Notkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 d) Ordre-public-Vorbehalte gegen sekundärrechtliche Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 e) Verfassungslegitimation der eingeschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle, insbesondere bei antizipierten Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 aa) Die besondere Exterritorialisierungsqualität abstrakt-antizipierter Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 bb) Zulässigkeit der Übertragung von Hoheitsbefugnissen gem. Art. 24 I bzw. Art. 23 I 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 cc) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (1) Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 (2) Die Erfüllung der Anforderungen im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 (a) Gewährleistung von Grundrechten, insbesondere von Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 (b) Rechtsstaatsprinzip, insbesondere Gewaltenteilung . . . . . . . . . . 393 (c) Demokratische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 E. Funktion von Anerkennungspflichten im europäischen Wirtschaftsverwaltungsrecht
399
I. Rechtliche Funktion von Anerkennungspflichten im europäischen Binnenmarkt
399
1. Ausgangspunkt: Zweck und Notwendigkeit der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . 399 2. Das Verhältnis von Anerkennung und Harmonisierung bei der Herstellung und Vertiefung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 a) Binnenmarktziel und neuer Weg der Rechtsangleichung (Die Strategie der Kommission von 1985 [-1992]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 b) Die ungenutzte Möglichkeit zur Generalisierung der Anerkennung gem. dem früheren Art. 100b EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 3. Verpflichtung der Gemeinschaft zu Anerkennungslösungen anstelle von Harmonisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 a) Bedeutung der Schrankentrias des Art. 5 EG für Anerkennungslösungen . 416 aa) Folgerungen aus dem Prinzip der beschränkten Einzelermächtigung gem. Art. 5 I EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 2*
20
Inhaltsverzeichnis bb) Folgerungen aus dem Subsidiaritätsprinzip des Art. 5 II EG . . . . . . . . . . 418 (1) Zum Verständnis des Art. 5 II EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (a) Spezifisch gemeinschaftsrechtlicher Subsidiaritätsbegriff in Art. 5 II EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (b) Keine Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips bei der Interpretation des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 (c) Subsidiaritätsprinzip als Kompetenzausübungsschranke . . . . . 423 (d) Beschränkung des Art. 5 II EG auf den Bereich der konkurrierenden Gemeinschaftszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 (2) Verzicht auf Harmonisierungsmaßnahmen bei Möglichkeit gegenseitiger Anerkennung kraft Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 cc) Folgerungen aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip gem. Art. 5 III EG 432 (1) Spezifisch kompetenzschützendes Verhältnismäßigkeitsprinzip gem. Art. 5 III EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 (2) Anerkennungspflichten als im Sinne des Art. 5 III EG milderes Mittel gegenüber der Vollharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 b) Souveränitätsgewinn? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 c) Verhältnis der Beachtung des Subsidiaritätsprinzips bei der Schaffung von Sekundärrecht zur Auslegung des Primärrechts unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 d) Deregulierung durch Anerkennungspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 II. Ökonomische Funktion der Anerkennungspflichten im europäischen Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 1. Berechtigung von Effizienzüberlegungen im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . 444 2. Kooperationsmodell und EG-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 3. Systemwettbewerb im EG-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 a) Vertragliche Anhaltspunkte, aber keine zwingenden Gebote . . . . . . . . . . . . . . 448 b) Die Natur des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 c) Verschiedene Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 aa) Zum neoklassischen Wettbewerbsparadigma – Analogie zum Unternehmenswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 bb) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 (1) Ausgangspunkt: Beschränktes Wissen, Unmöglichkeit zentraler Planung und Notwendigkeit einer Vielzahl von „Entdeckern“ . . . . 453 (2) Konsequenz für das Recht – Beschränkung auf eine abstrakte Ordnung zur Ermöglichung einer spontanen (Markt-)Ordnung . . . 455 cc) Modellübertragung: Systemwettbewerb als Entdeckungsverfahren . . . 458
Inhaltsverzeichnis
21
d) Begrenztheit des (Modells des) Systemwettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 e) Die Notwendigkeit eines Wettbewerbsrechts für den Systemwettbewerb . . aa) Systemwettbewerb, Dezentralisierung und die Frage der Anerkennungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das rechte Maß von Anerkennung und Harmonisierung aus ökonomischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Problem des „Race to the Bottom“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Externalisierung von Kosten der Unternehmen auf Verbraucher und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
464 466 468 469 470 474
f) Institutioneller Wettbewerb durch Privatisierung von Regeln? . . . . . . . . . . . . 474 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 III. Die Implantation ökonomischer Erkenntnisse in rechtliche Wertungen . . . . . . . . . 478
Fünfter Teil Zusammenfassung
482
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
Abkürzungsverzeichnis a. A.
andere(r) Ansicht
a. a. O.
am angegebenen Orte
Abs.
Absatz
ACTE
Zulassungsausschuß für Telekommunikationsendgeräte
a. F.
alte(r) Fassung
allg.
allgemein
AMG
Arzneimittelgesetz
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
AtomG
Atomgesetz
Auff.
Auffassung
Aufl.
Auflage
AVR
Archiv des Völkerrechts
BayVerf
Bayerische Verfassung
BayVGH
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
betr.
betreffend
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BImSchG
Bundesimmissionsschutzgesetz
BK
Bonner Kommentar
BMVg
Bundesminister der Verteidigung
BSP
Bruttosozialprodukt
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
CMLR
Common Market Law Review
DB
Der Betrieb
DDR
Deutsche Demokratische Republik
d. h.
das heißt
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DV
Die Verwaltung
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
Abkürzungsverzeichnis
23
EA
Europaarchiv
EAG
Europäische Atomgemeinschaft, Vertrag über die Europäische Atomgemeinschaft
EEA
Einheitliche Europäische Akte
EG
Europäische Gemeinschaft oder EG-Vertrag
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Vertrag über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGV
EG-Vertrag (alte Bezeichnung)
EMRK
Europäische Menschenrechtskonvention
EP
Europäisches Parlament
EPIL
Encyclopedia of Public International Law
EU
Europäische Union oder EU-Vertrag
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuR
Europarecht
EUV
EU-Vertrag (alte Bezeichnung)
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EVP
Europäische Volkspartei
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FG
Festgabe
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
GA
Generalanwalt
GewArch
Gewerbearchiv
GS
Gedächtnisschrift
GSG
Gerätesicherheitsgesetz
GTE
Groeben / Thiesing / Ehlermann
HandwO
Handwerksordnung
HdBStR
Handbuch des Staatsrechts
HdBVerfR
Handbuch des Verfassungsrechts
h. L.
herrschende Lehre
h. M.
herrschende Meinung
HRG
Hochschulrahmengesetz
HZA
Hauptzollamt
i. d. F.
in der Fassung
i. e.
im einzelnen
i. E.
im Ergebnis
24
Abkürzungsverzeichnis
i. e. S.
im engeren Sinne / im eigentlichen Sinne
ILO
Internationale Arbeitsorganisation
IO
Internationale Organisation
i. S.
im Sinne
i. ü.
im übrigen
i. w. S.
im weiteren Sinne
i. V. m.
in Verbindung mit
JBl.
Juristische Blätter
Jh.
Jahrhundert
JuS
Juristische Schulung
KOM
Kommission
KritV
Kritische Vierteljahresschriften
LMBG
Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz
LWahlGLSA
Landtagswahlgesetz des Landes Sachsen Anhalt
m.
mit
m. E.
meines Erachtens
m. N.
mit Nachweisen
m. w. N.
mit weiteren Nachweisen
m. z. w. N.
mit zahlreichen weiteren Nachweisen
NIÖ
Neue Institutionenökonomik
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NVwZ
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
o.
oben
o. ä.
oder ähnliches
ÖAR
Ökonomische Analyse des Rechts
o. g.
oben genannt
ÖzöRV
Österreichische Zeitung für öffentliches Recht und Völkerrecht
PJZS
Polizeiliche und Justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen
RabelsZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Rabel
RdC
Recueil des Cours
RG
Reichsgericht
RGBl.
Reichsgesetzblatt
Rn.
Randnummer
Rspr.
Rechtsprechung
RuStAG
Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz
S.
Seite
s.
siehe
Abkürzungsverzeichnis
25
SchwJIR
Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht
SKL
Süddeutsche Klassenlotterie
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
s. o.
siehe oben
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SPE
Sozialdemokratische Partei Europas
StAG
Staatsangehörigkeitsgesetz
StIGH
Ständiger Internationaler Gerichtshof
st. Rspr.
ständige Rechtsprechung
s. u.
siehe unten
SVN
Satzung der Vereinten Nationen
u.
unten / und
u. a.
und andere / unter anderem
UAbs.
Unterabsatz
unstr.
unstreitig
usf.
und so fort
usw.
und so weiter
u. U.
unter Umständen
VerwArch
Verwaltungsarchiv
VvB
Verfassung von Berlin
VVDStRL
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz
WissR
Wissenschaftsrecht
WiVerw
Wirtschaft und Verwaltung
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis
WRV
Weimarer Reichsverfassung
ZaöRV recht
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völker-
z. B.
zum Beispiel
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
ZfRV
Zeitschrift für Rechtsvergleichung
ZG
Zeitschrift für Gesetzgebung
ZgS
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
ZVglRWiss
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
26
Abkürzungsverzeichnis
Hinweis Der Text paßt sich der durch den EuGH eingeführten neuen Bezeichnung „EU“ für EU-Vertrag, „EG“ für EG-Vertrag, „EAG“ für EAG-Vertrag und „EGKS“ für EGKS-Vertrag an. Kommentare, die sich auf den EU- bzw. EG-Vertrag in der alten Numerierung beziehen, wurden unter der bisherigen Bezeichnung „EUV“ bzw. „EGV“ zitiert, solche, die sich auf die Amsterdamer Fassung beziehen, wurden, unabhängig von der Verwendung in deren Text, mit der neuen Bezeichnung („EG“, „EU“) zitiert. Überall dort, wo im Text „EGV“ steht, bezieht sich der genannte Artikel auf den „alten“ Vertrag in der Fassung vor dem Amsterdamer Vertrag. Irrtümer sind (leider) nicht auszuschließen.
Erster Teil
Grundlegung A. Ziel der Untersuchung Schickt sich ein Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr, ob es sich um einen Warenproduzenten, Händler, Dienstleistungserbringer, um einen Arbeitnehmer oder um eine Bank handelt, an, die Grenze zu einem anderen Staat (tatsächlich oder virtuell) zu überschreiten, um dort seine Waren oder Dienste anzubieten, zu arbeiten, Finanztransaktionen auszuführen etc., ist er zunächst gehalten, sich dem Recht des anderen Staates unterzuordnen. Dieses nationale Recht kann – vielleicht gar im wohlverstandenen eigenen Interesse – die wirtschaftliche Tätigkeit von Ausländern erleichtern, es kann aber auch um des Schutzes der einheimischen Wirtschaft willen den ausländischen Wirtschaftssubjekten rechtliche Hürden bereiten, die sie überwinden müssen. Probleme entstehen immer dann, wenn die Ware aus dem Herkunftsland unter anderen rechtlichen Maßregeln produziert und in den Verkehr gebracht wird als in dem Zielstaat, wenn die Berechtigung zur Ausführung bestimmter Tätigkeiten in dem fremden Staat an andere Bedingungen geknüpft ist als in dem eigenen. Selbst dann, wenn sich ein Staat, etwa aufgrund besonderer völkerrechtlicher Verträge oder freiwillig, von einem Grundsatz der Inländergleichbehandlung leiten läßt, womit er immerhin schon ein beträchtliches Maß an Offenheit zu erkennen gibt, ist damit nicht alles getan, um den zwischenstaatlichen Verkehr von Hindernissen zu befreien.1 Die Europäische Gemeinschaft hat von Anbeginn an das Ziel eines gemeinsamen Marktes bzw. Binnenmarktes verfolgt, in dem der freie Fluß von Waren, Kapital und Dienstleistungen sowie die Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Selbständigen gewährleistet ist (Art. 14 II EG). Hier mußten Bedingungen hergestellt wer1 Dies wird unten Vierter Teil D.I.1. ausführlich zu erörtern sein. Bemerkenswert sind im Zusammenhang mit der Unterscheidung von reinem Diskriminierungsverbot und Beschränkungsverbot bereits die – freilich auf das Privatrecht bezogenen, aber durchaus übertragbaren – Bemerkungen Savignys, System des heutigen römischen Rechts, Achter Band, S. 27 f., Berlin 1849, vor 150 Jahren: „Denn diese Gleichheit muß in vollständiger Ausbildung dahin führen, daß nicht bloß in jedem einzelnen Staate der Fremde gegen den Einheimischen nicht zurückgesetzt werde (worin die gleiche Behandlung der Personen besteht), sondern daß auch die Rechtsverhältnisse in Fällen einer Kollision der Gesetze dieselbe Beurtheilung zu erwarten haben, ohne Unterschied, ob in diesem oder jenem Staate das Urtheil gesprochen werde.“
28
1. Teil: Grundlegung
den, um die soeben benannten rechtlichen Hürden für einen solchen – umfassend verstandenen – Verkehr beseitigen zu können, um rechtliche Genehmigungen, Produktkontrollen, Zertifikate, Berufsabschlüsse usw. aus dem jeweils anderen Land als ausreichend anzusehen, also anzuerkennen. Im Verhältnis zu nicht der Gemeinschaft angehörenden Staaten haben wir es aber weiter mit einer Situation zu tun, in der die Frage der Anerkennung solcher Entscheidungen des jeweils anderen Staates über die rechtliche Zulässigkeit der jeweiligen Wirtschaftstätigkeiten bzw. Wirtschaftsergebnisse der Lösung im Einzelfall bedarf. Im einen wie im anderen Fall treffen aber zwei Rechtsordnungen aufeinander, die des Ausgangsstaates und die des Zielstaates. Ein weiterer Fall des Aufeinandertreffens zweier Rechtsordnungen kann darin bestehen, daß ein Staat sinnbildlich die Grenze zu einem anderen Staat überschreiten muß, um seine Ziele durchzusetzen, daß er also Regelungen treffen muß, welche unmittelbar oder mittelbar Auswirkungen auf das Ausland haben. Da er hierbei möglicherweise nicht nur an körperliche, sondern auch an rechtliche, nämlich völkerrechtliche, Grenzen stoßen kann, sieht er sich gezwungen, andere Staaten um diejenige Unterstützung zu bitten, die es ihm ermöglicht, seine Ziele, etwa die Verfolgung eines „Steuerflüchtlings“, auf völkerrechtsgemäße Weise zu erfüllen. Der unterstützende Staat muß dann möglicherweise einen Hoheitsakt des anderen Staates, zu dessen Durchsetzung er sich bereit findet, anerkennen. Auch für die Ermöglichung eines ansonsten völkerrechtswidrigen bzw. rechtsunwirksamen ausländischen Staatshandelns spielt die Anerkennung also eine Rolle. Für das Aufeinandertreffen zweier Privatrechtsordnungen in einem Lebenssachverhalt haben sich die Staaten ein Internationales Privatrecht gegeben. Kollidieren zwei öffentliche Rechtsordnungen miteinander, sollte demnach ein Internationales Verwaltungsrecht vonnöten sein. Welche Rolle Anerkennungspflichten beim Funktionieren eines solchen internationalen Verwaltungsrechts spielen, falls dessen Existenz überhaupt anzuerkennen ist, soll hier ebenfalls Gegenstand der Untersuchung sein. Hierbei geht es auch darum, herauszuarbeiten, was genau im rechtlichen Sinne Anerkennung bedeutet. Von Interesse wird aber ebenso der ökonomische Zweck der Anerkennung und der gegenseitigen Verpflichtung der Staaten zur Anerkennung sein. Gleichzeitig soll ins Blickfeld kommen, daß dieses Internationale Verwaltungsrecht und mit ihm die Anerkennungsfrage im Verhältnis der EG zu den Mitgliedstaaten von ganz anderer Gestalt ist als zwischen Staaten, deren Beziehung zueinander nur durch die Regeln des Völkerrechts bestimmt ist. Diese Arbeit möchte deshalb untersuchen, woraus sich aufgrund Gemeinschaftsrechts im nationalen Wirtschaftsverwaltungsrecht Anerkennungspflichten ergeben können und ergeben. Weiterhin soll herausgearbeitet werden, welchen Inhalts diese sind. Ziel ist es schließlich auch, der Frage nachzugehen, welche Rolle Anerkennungspflichten in der Vergangenheit bei der Rechtsangleichung der Mitgliedstaaten gespielt haben, gegenwärtig spielen und in Zukunft spielen können bzw. sollten.
C. Begriffe und Systematik
29
B. Gang der Überlegungen Zunächst sollen über den Begriff und die Funktion von Anerkennungspflichten im nationalen und im internationalen Recht einige Überlegungen angestellt werden. In diesem Zusammenhang soll auch der Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts für die hier vorliegenden Untersuchungen bestimmt werden. Sodann ist darzustellen, aufgrund welcher gemeinschaftsrechtlichen Regelungen derartige Anerkennungspflichten im europäischen Recht begründet sind. Hierbei ist auf die einzelnen sogenannten Grundfreiheiten gesondert einzugehen und zu versuchen, die Frage zu beantworten, ob sich hier jeweils in gleichem oder in unterschiedlichem Maße Anerkennungsfragen stellen. Dabei ist notwendigerweise auf den Inhalt und die Funktionsweise der einzelnen Marktfreiheiten Wert zu legen, insbesondere darauf, ob sie als reine Diskriminierungsverbote oder als Beschränkungsverbote anzusehen sind, da dies Folgen für die Beantwortung der Frage, ob sich Anerkennungspflichten implizit aus den Normen des Primärrechts ergeben oder ob Normen des Sekundärrechts, insbesondere Richtlinien, notwendig sind, um den Mitgliedstaaten die Verpflichtung aufzuerlegen, Kontrollen, Zertifikate, Diplome etc. eines jeweils anderen Mitgliedstaates anzuerkennen. In rechtstatsächlicher Hinsicht soll versucht werden, die Frage zu beantworten, welche Form der Rechtsangleichung innerhalb der Gemeinschaft sich – vor allem auch unter (entscheidungs-)ökonomischem Aspekt – als die effizientere erwiesen hat, die der direkten, also auf Harmonisierung setzenden oder die der indirekten, mittelbaren und auf die Initiative des einzelnen Staates setzenden Variante. Schließlich soll gefragt werden, ob bzw. wie für die weitere (wirtschaftliche) Integration der Gemeinschaft Anerkennungspflichten noch eine Rolle spielen oder ob nicht gerade in der Situation, in der sich die Europäische Union befindet, nämlich in der eines Staatenverbundes1, weiterhin die Frage der Anerkennung von Hoheitsakten eine Rolle spielt. Bestünde nämlich ein einheitlicher europäischer Staat, so ergäbe sich die Verpflichtung zur Anerkennung von Hoheitsakten anderer Gliedstaaten in der gleichen Weise wie zwischen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb soll auch auf die Darstellungen dieser Parallelen Raum verwendet werden. Um diese Abstufungen sichtbar zu machen, soll vorher auch ein Blick auf die Anerkennungsproblematik im Bundesstaat geworfen werden.
C. Begriffe und Systematik Bevor mit der eigentlichen Untersuchung begonnen wird, ist es erforderlich, die Begriffe, mit denen operiert werden soll, festzulegen, insonderheit die Begriffe „Internationales Verwaltungsrecht“ und „Anerkennung“. Bei der Definition dieser
1
BVerfGE 89, 155 (181).
30
1. Teil: Grundlegung
Begriffe wird sich erweisen, daß die materiellen Probleme nicht nur bereits aufgeworfen, sondern auch reduziert werden können.
I. Internationales Verwaltungsrecht Um einer sachgerechten Problemerörterung willen kann im vorliegenden Zusammenhang der Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts nur in einer Weise verstanden werden, die eine Beziehung zu dem der Anerkennung aufweist. Eine solche untersuchungsspezifische Definition ist notwendig, da dieser Begriff höchst uneinheitlich verwendet wird.1 Während der Begriff des Verwaltungsrechts noch relativ klar umrissen zu sein scheint, gilt dies für das Attribut „international“ schon nicht mehr.
1. Verwaltungsrecht
Als Verwaltungsrecht wird gemeinhin derjenige Teil des öffentlichen Rechts verstanden, der – negativ definiert – nicht Staatsrecht ist, oder – positiv gewendet – der Inbegriff der Rechtssätze ist, die in spezifischer Weise für die Verwaltung gelten2. Zum Öffentlichen Recht zählen nach der für die Abgrenzung zum privaten Recht herrschenden sogenannten modifizierten Subjektstheorie (Zuordnungslehre) alle diejenigen Rechtssätze, die nur den Staat oder einen sonstigen Träger hoheitlicher Gewalt zum Zuordnungssubjekt haben.3 Wenn schließlich im folgenden vom Wirtschaftsverwaltungsrecht die Rede sein wird, dann ist damit jenes Verwaltungsrecht gemeint, deren spezifischer Regelungsgegenstand die Wirtschaft ist, d. h. derjenige Lebensbereich, der die Herstellung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen sowie die Bewegung von Kapital umfaßt.
2. Internationales Verwaltungsrecht – das Attribut des Internationalen
In der Umgangssprache wird der Begriff „international“ in durchaus unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht,4 d. h. nicht allein im Sinne von „zwischen-staatlich“, sondern mitunter (eigentlich unrichtig) auch im Sinne von „aus mehreren Ländern stammend“.5, 6 Daß eine solche variable Terminologie im Berei-
1 Vgl. Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 153, der für einen festeren Sprachgebrauch plädiert. 2 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 17. 3 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 17. 4 Vogel, Anwendungsbereich, S. 153.
C. Begriffe und Systematik
31
che des Rechts problematisch ist, versteht sich von selbst. Wenn dort etwa von „internationalrechtlichen Fragen“ die Rede ist, so werden damit zumeist Probleme des Völkerrechts – im Englischen ja auch treffend „public international law“ – oder jedenfalls des Rechts, welches in irgendeiner Weise Auslandsberührung hat, etwa des Internationalen Privatrechts, benannt. Differenzieren läßt sich ferner danach, ob es sich um das Recht zwischen einzelnen Staaten oder das Recht internationaler Organisationen handelt. Da aber auch letztere auf Verträgen zwischen einzelnen Staaten basieren, läßt sich die Einstufung als internationales Recht auch im Sinne der erstgenannten und dem Wortursprung am nächsten kommenden Bedeutungsalternative begründen. Getreu der oben festgestellten Verwendungsvielfalt des Begriffes „international“ hafte(te)n dem Terminus „internationales Verwaltungsrecht“ auch mehrere Bedeutungsinhalte an: So bezeichnet das internationale Verwaltungsrecht im Sinne der ersten Deutungsvariante genau genommen ein „Zwischenverwaltungsrecht“7, nach der anderen dagegen ein Verwaltungsrecht auf überstaatlicher Ebene, wobei hinsichtlich des letzteren zwischen dem Recht, welches in internationalen Verwaltungsunionen Anwendung findet, d. h. etwa durch internationale Verträge geschaffenem Recht, das sich auf die vertragsstaatlichen Verwaltungen bezieht, und zum anderen dem (internen) Verwaltungsrecht internationaler Organisationen, unterschieden wird.8 Die nachfolgenden Untersuchungen sollen auf der Grundlage des erstgenannten Begriffes, also der des Zwischenverwaltungsrechts, geführt werden, denn Anerkennung kann immer nur dort eine Rolle spielen, wo es um die Berücksichtigung von 5 Vgl. Duden, Deutsche Rechtschreibung, 20. Auflage, Mannheim 1991: „zwischenstaatlich, nicht national begrenzt“. 6 So wird etwa davon gesprochen, ein Musikfest habe unter „internationaler Beteiligung“ stattgefunden, wenn ausgedrückt werden soll, daß der Teilnehmerkreis nicht auf das Inland begrenzt war, etc. Eigentlich müßte dann von multinationaler Beteiligung die Rede sein. Zutreffend wäre dagegen die Rede von einem „internationalen Musikwettbewerb“. 7 Dieser Begriff wird i. ü. auch von Isay, Festgabe Zitelmann, 1923, S. 291 ff.; ders., Internationales Verwaltungsrecht, in: Stier-Somlo / Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Band III, S. 344 ff., verwendet. 8 Vgl. die Definition des Begriffes „Internationales Verwaltungsrecht“ bei Steindorff, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 581. Ähnlich Vogel, Anwendungsbereich, S. 153 f., der zwei Hauptauffassungen unterscheidet: Die eine gehe vom Begriff der Verwaltung aus und suche diesen in verschiedener Weise auf die Ebene des „Internationalen“ zu heben. Nach der anderen Auffassung solle der Begriff als sachliche Entsprechung der Begriffe „Internationales Privatrecht“, „Internationales Strafrecht“ etc. und also als eine Art Grenzrecht oder Rechtsanwendungsrecht verstanden werden. Vgl. auch ders., Internationales Verwaltungsrecht, in: Seidl-Hohenveldern, Lexikon des Völkerrechts, S. 160. Vgl. auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, S. 187 f. m. w. N.; Vogel, Administrative Law, International Aspects, in: Bernhardt, Encyclopedia of Public International Law, (EPIL), Bd. I, S. 22 (22 f.). Noch nicht so trennscharf Neumeyer, § 6 Internationales Verwaltungsrecht, in: Stengel / Fleischmann, Wörterbuch des Staats- und Verwaltungsrechts, Zweiter Band, Tübingen 1915, S. 444.
32
1. Teil: Grundlegung
etwas Fremdem geht, wenn nämlich die Rechtsordnungen zweier Staaten aufeinandertreffen, also ein Kollisionsfall auftritt. Daß bei einer derartigen Parallelisierung von Internationalem Privatrecht und Internationalem Verwaltungsrecht der Kreis der Rechtsnormen, der zu letzterem gehört, immer noch groß ist, hat seine Ursache darin, daß im Verwaltungsrecht eigene Kollisionsnormen nicht existieren, diese vielmehr in den Sachnormen enthalten sind,9 so daß alle auslandsbezogenen (internationalen) Tatbestände auch den Charakter von Kollisionsnormen haben.10 Eine nur praktische Einschränkung ist dabei jedoch zu machen: Regeln des innerstaatlichen Rechts, die sich speziell der rechtlichen Behandlung von Ausländern widmen, etwa das Ausländer- und Asylrecht, zählen nicht zum Internationalen Verwaltungsrecht in diesem Sinne.11, 12 Dem Attribut „inter-national“ inhärent ist der Zweck des internationalen Verwaltungsrechts, nur Kollisionsfälle zwischen dem Recht verschiedener nationaler Rechtsordnungen zu regeln. Als nationales Recht soll im vorliegenden Zusammenhang allein das Recht souveräner Staaten, unabhängig von der Ebene der Rechtsetzung angesehen werden. Unter Zugrundelegung dessen sind die Beziehungen zwischen den Gliedstaaten eines Bundesstaates nicht als „international“ anzuseZum Problem Vogel, Anwendungsbereich, S. 287 ff. Diese Folgerung unterschätzt womöglich Hoffmann, Internationales Verwaltungsrecht, in: von Münch, Besonderes Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1982, S. 989 (1000), wenn er einerseits das Internationale Verwaltungsrecht als Gegenstück zum IPR versteht und sich gleichzeitig in Entgegensetzung zu Vogel (s. vorige Fn.) dagegen wendet, auslandsbezogene (internationale) Tatbestände zum Internationalen Verwaltungsrecht zu zählen. 11 Vgl. bereits Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, Zürich 1936, S. 481, der betont, daß es „eine Erstreckung von äußerster Unzweckmäßigkeit (wäre), wenn nunmehr allem Eingang gewährt würde, was im Verwaltungsrecht Beziehung zu Ausland und Ausländern hat, im besonderen allem . . . ,Fremdenrecht‘. Die feste, wenn nicht juristisch, so doch soziologisch bestimmte Grenze ist mit Sachnormen gegeben, in denen Rücksicht auf fremde Verwaltung zum rechtlichen Merkmal wird. Vorschriften sammeln, in denen Auslandsbeziehungen von Privatpersonen rechtliche Bedeutung haben, hieße, einen gänzlich disparaten Rechtsstoff zusammenzutragen, und er müßte, in eine Darstellung des internationalen Verwaltungsrechts aufgenommen, die Übersicht empfindlich beeinträchtigen.“ Ähnlich für das sog. „Internationale Staatsrecht“ (als „Nachbargebiet“ des internationalen Verwaltungsrechts) Neumeyer, a. a. O., S. 47. Vgl. ferner Isay, in: Stier-Somlo / Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Band III, S. 344 (347). Anders dagegen anscheinend der italienische Rechtslehrer Biscottini, zit. nach Matscher, Gibt es ein internationales Verwaltungsrecht, in: FS Beitzke, S. 641 (645), nach dem das internationale Verwaltungsrecht die Gesamtheit von Normen eines Staates ist, welche Rechtsverhältnisse mit ausländischen Sachverhaltselementen regeln. Diese Definition weicht wohl ab von der aus dem IPR stammenden üblichen Unterscheidung zwischen Sachrecht(snormen) und Kollisionsrecht(snormen), auch wenn gerade im Verwaltungsrecht eine solche Unterscheidung gar nicht möglich ist, weil es kein selbständiges Kollisionsrecht gibt. 12 Daß die Ausscheidung eher praktisch-systematischer als dogmatischer Art ist, macht der gegen diese Einschränkung von Grof, Zum Internationalen Verwaltungsrecht, JBl. 108 (1986), 209 (210), erhobene Einwand deutlich, daß nämlich auch reinen Sachnormen des Fremdenrechts stets ein impliziter Rechtsanwendungsbefehl vorgeschaltet sei, nämlich der, daß inländisches Verwaltungsrecht überhaupt auf den Fremden anzuwenden sei. 9
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C. Begriffe und Systematik
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hen. Dies ist freilich weitgehend nur eine terminologische Frage. Nicht ausreichen kann es nämlich, zu betonen, das Recht eines Bundeslandes / Gliedstaates könne im Verhältnis zu dem des anderen nicht als „fremd“ gelten, weil beide einem gemeinsamen „Dachstaat“ untergeordnet und aus der Bundesverfassung einander berechtigt und verpflichtet seien.13 „Fremd“ kann vielmehr auch Recht sein, welches von nichtsouveränen Hoheitsträgern mit eigener Rechtsetzungsgewalt auf einem räumlich abgesteckten Geltungsbereich innerhalb eines staatlichen Verbandes (also aufgrund einer Form von Gebietshoheit) gesetzt wird (z. B. von den Bundesländern im Bundesstaat im Verhältnis zueinander).14 Beide Sachverhalte fallen unter den Oberbegriff des Verwaltungskollisionsrechts. Dagegen ist Recht mit originärem Geltungsanspruch auf einem bestimmten Teilgebiet, auf dem gleichzeitig Partikularrecht gesetzt werden kann (Bundesrecht im Bundesland), in der Tat nicht „fremd“. Das Erfordernis der gegenseitigen Fremdheit des Rechts kann deshalb dazu dienen, Kollisionen zwischen eigenem Recht verschiedener Ebenen eines Staates, also vertikale Berührungen aus dem Begriffsraum des Zwischenverwaltungsrechts auszuscheiden.15, 16 Derartige Kollisionen sind nicht Gegenstand des „horizontalen“ Zwischenverwaltungsrechts, sondern Fragen der „vertikalen“ Kompetenzverteilung, für die im deutschen Bundesstaat insbesondere Art. 30, 70 ff., 83 ff. und 31 GG heranzuziehen sind. Entscheidend für die Notwendigkeit eines Zwischenverwaltungsrechts ist demnach nicht die mangelnde Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Staatsverband,17 sondern das Bestehen eigener, voneinander unabhängiger Rechtsetzungs- und Rechtsdurchsetzungskompetenzen – das Bestehen (einer bestimmten Form) von Territorialhoheit. Eigenes Recht ist für den Normanwender also die Norm, die von den zuständigen Organen seines Staates (in föderalen Staaten: des Bundes oder eines Gliedstaates) erzeugt (d. h. autonom oder in Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrages gesetzt) worden ist.18 Nicht alle Probleme, die das Kollisionsrecht lösen soll, sind So aber Hoffmann, in: von Münch, Bes. VerwR, 1982, S. 989 (993, 998 f.). Hierzu unten Dritter Teil A.I. 15 Diese Kollisionen sind im Bundesstaat durch Kollisionsregeln wie die des Art. 31 GG zu bewältigen. Vgl. bereits Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, S. 22 (§ 347), freilich noch unter Heranziehung der damals geltenden und heute beinahe umgekehrten Regel, wonach das Recht mit enger abgesteckten Geltungsbereich demjenigen mit größerem (also Stadtrecht dem Landrecht und dem gemeinen Recht) vorgehe. 16 Demgegenüber sind Berührungen von Rechtssystemen auf einer Ebene zwischen verschiedenen Gliedstaaten, also horizontale Berührungen, durchaus mit Instrumenten des Internationalen Verwaltungsrechts handhabbar, wobei sich aber Differenzierungen anbieten und im Interesse einer klaren Begriffsverwendung besser von interlokalem, interregionalem oder intraföderalem Verwaltungsrecht die Rede sein sollte. 17 In diesem Sinne aber wohl Hoffmann, in: v. Münch, Bes. VerwR, 1982, S. 989 (993 f., 998 f.), der sogleich darauf hinweist, daß die Zugehörigkeit z. B. der Bundesrepublik und Frankreichs zu einer supranationalen Gemeinschaft die „Fremdheit“ einer EG-VO und des französischen Rechts nicht ausschließe (S. 994). Da auch supranationales Recht mit nationalem in Kollision geraten könne, bedürfe dieser Normkonflikt einer Lösung, was auch ein Fall des Internationalen Verwaltungsrechts sei. 13 14
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1. Teil: Grundlegung
also auf die bloße Zugehörigkeit zu verschiedenen Staatsverbänden zurückzuführen (und entfallen bei Zusammenfassung zu einem gemeinsamen Staatsverband). Quelle zwischenverwaltungsrechtlicher Probleme ist in erster Linie die territorial voneinander geschiedene Rechtsetzungs- und Rechtsdurchsetzungszuständigkeit, also die grundsätzliche Geltung des Territorialitätsprinzips. Anerkennungsfragen sind sonach u. U. auch bei Zugehörigkeit zu einem Staat zu beantworten.19 Deshalb darf der Begriff des Zwischenverwaltungsrechts als Oberbegriff zum Internationalen Verwaltungsrecht und zum interlokalen Verwaltungsrecht verwendet werden.20
3. Entwicklung und systematische Verortung
Das Internationale Verwaltungsrecht ist, obgleich es vom Begriff her nicht zu den neuesten Schöpfungen zählt, nicht von gleichem wissenschaftlichen Rang und scheinbar auch nicht von gleicher praktischer Bedeutung wie das Internationale Privatrecht, das Internationale Zivilprozeßrecht oder das Internationale Strafrecht, von denen sich insbesondere ersteres als selbständiger Wissenschaftszweig emanzipiert hat. Die Beschäftigung mit dem Internationalen Verwaltungsrecht seit dem vergangenen Jahrhundert weist eine bemerkenswerte Besonderheit auf – die Last, die Existenz des Untersuchungsgegenstandes, falls sie nicht überhaupt verneint werden soll21, rechtfertigen zu müssen.22 So wird zwar einerseits zugegeben, die Beachtlichkeit fremder Verwaltungsakte (von der vollen Anerkennung bis zur Beachtlichkeit als eine Tatsache spiele im praktischen Rechtsleben eine weitaus größere Rolle als allgemein angenommen,23 dieser Rechtsstoff aber andererseits für 18 In Anlehnung an die Formulierung von Hoffmann, in: von Münch, Bes. VerwR, 1982, 989 (994 f.), der in Gemäßheit seiner o. ausgeführten und hier abgelehnten Sicht der Fremdheit das Recht eines Gliedstaates, d. h. irgendeines Gliedstaates, nicht notwendigerweise das des Rechtsanwenders genügen läßt. 19 Hierzu unten Dritter Teil. 20 Es ergibt sich damit eine Parallele zum (selten so genannten) Zwischenprivatrecht, welches das Internationale Privatrecht und des Interlokale Privatrecht (welches früher auch im Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR relevant war) umfaßte. Daß zwischenprivatrechtliche Probleme im Verhältnis zwischen Bundesländern selten sind, findet seine Ursache darin, daß von der konkurrierenden Bundesgesetzgebungskompetenz für das bürgerliche Recht und das Prozeßrecht gem. Art. 74 I Nr. 1 GG ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Anders war das noch vor und zu Beginn der Geltung des BGB. 21 Dies tun wohl Mann, Conflict of Laws and Public Law, RdC 132 (1971 I), S. 107 (118 ff.); Matscher, in: FS Beitzke, S. 641 ff. 22 Der italienische Lehrer des Öffentlichen Rechts und Völkerrechts Biscottini ist, fußend auf der italienischen Rechtsposition, wonach jede staatliche Rechtsordnung einen Komplex von Normen enthalte, welche ihre Daseinsberechtigung von der Tatsache des Vorhandenseins fremder Rechtsordnungen ableiteten, von der Existenz eines internationalen Verwaltungsrechts ausgegangen (vgl. die Darstellung bei Matscher, in: FS Beitzke, S. 641 [645]). 23 Matscher, in: FS Beitzke, S. 641 (647), wofür er einige Beispiele parat hält.
C. Begriffe und Systematik
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so inhomogen gehalten, daß der Erstellung eines geschlossenen Systems Schwierigkeiten begegneten.24 Gelegentlich wird sogar das Vorhandensein irgendwelcher allgemeiner Regeln in der Art des IPR verneint.25 Demgegenüber wird aus den Reihen der Verfechter des Internationalen Verwaltungsrechts erklärt, dieses sei „kein Rechtsteil von einheitlichem Inhalt, so wenig wie die benachbarten Rechtszweige und im besonderen das internationale Zivilrecht“26, wird die Eigenart des Internationalen Verwaltungsrechts im Vergleich zum IPR also nicht für so gravierend gehalten, daß an seiner Existenz zu zweifeln wäre. Der dennoch bestehende Unterschied zwischen beiden läßt sich nur durch die noch in den Blick zu nehmenden Besonderheiten des öffentlichen Rechts im Unterschied zum Privatrecht erklären.27 Der Terminus „Internationales Verwaltungsrecht“ geht ursprünglich auf Lorenz von Stein zurück.28 Dieser hatte einen im wesentlichen materialen Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts, der von dem hier vorgestellten abweicht: Es habe sich, so Stein im Jahre 1866 (!), „in unserem Zeitalter . . . der positive Inhalt des Völkerlebens Bahn gebrochen, und das gegenseitige Bedingtsein der Völker und Staaten durch einander hat jenes Leben eben so gut als das Leben der Einzelnen zu einem Gegenstande der Verwaltung gemacht.“29 Ausgehend hiervon sah er das In24 Matscher, in: FS Beitzke, S. 641 (641), versucht die Frage, ob es sich hierbei um einen selbständigen Wissenschaftszweig handelt, danach zu beantworten, ob bestimmte Kriterien für dessen Existenz, nämlich ein umreißbarer Erkenntnisgegenstand und eine eigene Methode, erfüllt seien, und verneint diese Frage. Es fehle eine auch nur annähernde Homogenität des Erkenntnisgegenstandes und ermangele auch einer eigenständigen Methode. Er kommt, a. a. O., S. 649, wie oben bereits ausgedrückt, zu dem Ergebnis, daß für so viele unterschiedliche Materien kein gemeinsamer Nenner gefunden werden könne; wegen der zu geringen Homogenität ließe sich auch keine eigenständige, allumfassende Methode entwickeln. Matscher, a. a. O., S. 648, weist aber darauf hin, daß einige interessante Probleme auftauchen, so etwa dasjenige der Auswirkungen einer im Ausland vorgenommenen Gestaltung eines im Inland anerkannten Verwaltungsaktes (z. B. die Entziehung eines Führerscheins im Ausland, aufgrund dessen ein inländischer Führerschein ausgestellt worden war, die Aberkennung eines akademischen Grades, der Widerruf der ausländischen Staatsbürgerschaft, wenn zuvor die alte aufgrund der seinerzeitigen Verleihung verloren wurde). 25 Mann, RdC 132 (1971 I), S. 107 (118.). Er begründet dies vor allem damit, daß keinem Richter oder keiner Behörde jemals erlaubt sei oder es gar von ihnen gefordert würde, irgendein öffentliches Recht außer dem eigenen anzuwenden. Im äußersten Falle werde gefordert, daß ein Gesetzgeber spezifischen aufgrund fremden öffentlichen Rechts erlassenen Hoheitsakten eine gewisse begrenzte Anerkennung gewähren würde (vgl. zur Problematik der Einseitigkeit unten 4.). Eben hierum soll es dieser Untersuchung aber gehen, und eben dies ist gerade ein Beleg für die Existenz des Internationalen Verwaltungsrechts. 26 So Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 473. Er war also im Gegensatz zu Matscher nicht der Ansicht, daß sich die Kollisionsrechte in ihrer Potenz zur Systematisierung so gravierend unterscheiden. 27 Hierzu sogleich unter 4. 28 Dies weist Vogel, Anwendungsbereich, S. 154. mit Nachweisen zu Literatur über L. v. Stein nach. 29 v. Stein, Die Verwaltungslehre, II: Die Lehre von der inneren Verwaltung, 1866, S. 95.
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1. Teil: Grundlegung
ternationale Verwaltungsrecht als „ein neues Gebiet des Verwaltungsrechts“, das „auf dem selbständigen und einheitlichen Willen der einzelnen Staaten“ beruhe und „seiner Form nach ein Vertragsrecht, in seinem Inhalt ein Verwaltungsrecht“ sei.30, 31 Stein hatte dabei also noch nicht eigentlich das hier behandelte Zwischenverwaltungsrecht im Blick.32 Grund hierfür war, daß zu seiner Zeit die scharfe Trennung völkerrechtlicher von landesrechtlichen Normen, wie sie die dualistische Völkerrechtslehre Triepels entwickelt hat, noch keineswegs selbstverständlich war.33 Gemeinsam war den Ansichten derer, die sich in der Vergangenheit mit dem Internationalen Verwaltungsrecht beschäftigt hatten34, daß kein Unterschied danach gemacht wurde, ob das Internationale Verwaltungsrecht auf völkerrechtlichen Verträgen oder auf einzelstaatlichen Gesetzen beruhte.35 Später ist wiederum bei zahlreichen Autoren vom Internationalen Verwaltungsrecht nur als Teilgebiet des Völkerrechts die Rede gewesen.36 Ebenso wie Lorenz von Stein für staatenbündische Verhältnisse37 sah Otto Mayer das Internationale Verwaltungsrecht, welches etwa Internationale Verwaltungsunionen anwendeten, als besonders hochentwickelte Form gegenüber dem bloßen Kollisions- oder Rechtsanwendungsrecht an.38 Bei Otto Mayer findet sich jedoch der für das hier zugrunde gelegte Verständnis des Begriffes wesentliche und unten39 noch näher zu beleuchtende Ausgangspunkt – das Territorialitätsprinzip, also die Beschränkung der Staatsgewalt auf das eigene Territorium und die daraus folgende Notwendigkeit, Regeln zu entwickeln, nach denen ausnahmsweise fremde Hoheitstätigkeit im eigenen Land zugelassen und die Wirkung der eigenen Hoheitstätigkeit ins Ausland erstreckt werden kann.40 v. Stein, Die Verwaltungslehre, II, S. 95 (Hervorhebung nur hier). Zit. auch bei Vogel, Anwendungsbereich, S. 155. 32 Vgl. den Hinweis von Vogel, in: Internationales Verwaltungsrecht, in: Seidl-Hohenveldern, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 160. 33 Vogel, Anwendungsbereich, S. 157. 34 Vogel zeichnet hier ein anschauliches Bild der historischen Beschäftigung mit den Fragen des internationalen Verwaltungsrechts durch die verschiedensten Völkerrechtslehrer, wie etwa v. Martens (S. 158), Kazansky, Georg Jellinek, v. Ullmann (S. 159), Fedozzi und Gemma (S. 160). 35 Vogel, Anwendungsbereich, S. 160, S. 157 auch für L. v. Stein. Dieser Mangel an Unterscheidung sei erst mit der Lehre Triepels aufgehoben worden. 36 Vgl. Vogel, Anwendungsbereich, S. 165, mit Nachweisen im einzelnen. 37 Stein, Die Verwaltungslehre, II, S. 96 f., der den völkerrechtlichen Vertrag als erste Grundform des „internationalen Gesammtlebens“ bezeichnet, den Staatenbund als zweite. 38 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl. (1896), II, S. 459 f. 39 II.1.a). 40 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl., 1896, II, S. 453: „Unsere Staatsgewalt beansprucht nicht die Staatsgewalt zu sein für die ganze Welt. . . . Die Grundlage für die Ausübung dessen, was ihr zukommt gegenüber den anderen und was sie wieder als diesen zu30 31
C. Begriffe und Systematik
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Die Entwicklung des Internationalen Verwaltungsrechts zu Beginn des Jahrhunderts ist insbesondere mit den Namen Karl Neumeyer und Ernst Isay verbunden. Isay sah die Aufgabe des Internationalen Verwaltungsrechts bzw. „Zwischenverwaltungsrechts“ darin, dem Geltungsbereich der verwaltungsrechtlichen Normen in räumlicher Hinsicht die erforderlichen Grenzen zu setzen.41 Neumeyer42 unternahm schließlich im ersten Drittel dieses Jahrhunderts den ersten (und bisher in dieser Form einzigen) Versuch, das Internationale Verwaltungsrecht als ein eigenständiges Rechtsgebiet zu fassen und ein voll ausgebildetes System zu erstellen.43 Es lag aber in der Natur des öffentlichen Rechts44, daß es ihm nicht gelingen konnte, eine mit dem Internationalem Privatrecht vergleichbare Abstraktionsstufe zu erreichen.45 Auch später hat die Frage des räumlichen Anwendungsbereichs öffentlich-rechtlicher Normen das wissenschaftliche Interesse auf sich gezogen. Hier sind insbekommend anerkennt, bildet das Gebiet. . . . Es ist eine besonders zu begründende Ausnahme, wenn das Wirken einer fremden Staatsgewalt als rechtlich bedeutsam behandelt wird auf unserem Gebiet, und umgekehrt beansprucht unser Staat nur ausnahmsweise eine Wirkung seiner Ordnungen in das fremde Gebiet hinein.“ (Hervorhebung im Original) 41 Ernst Isay, Zwischenprivatrecht und Zwischenverwaltungsrecht, in: FG Zitelmann, 1923, S. 291 – 305. 42 Vgl. bei Vogel, Anwendungsbereich, S. 176, Fn. 1, die kurze Darstellung des Lebens Karl Neumeyers, aus der hervorgeht, daß dieser 1941 unter dem Druck der Verfolgung durch die Nationalsozialisten Selbstmord beging. 43 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, Zürich 1936. Dieser vierte Band enthält gleichsam als allgemeiner Teil die von Neumeyer formulierten Grundstrukturen dieses „Rechtsgebiets“. Neumeyer hat also versucht, aus den verschiedenen Regelungen mit internationalem Bezug in den unterschiedlichen verwaltungsrechtlichen Gesetzen das Gemeinsame herauszufiltern und „vor die Klammer“ zu ziehen. Bei der Herausbildung eines europäischen allgemeinen Verwaltungsrechts wird im übrigen die folgende Methode angewendet: Es werden Abstraktionen aus Regelungen des besonderen Verwaltungsrechts, in denen das Verfahren jeweils auf die Erreichung spezifischer Zwecke ausgerichtet ist, gebildet. Vgl. zur Methode allgemein und umfassend Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 1988. 44 Vgl. hierzu sogleich unten 4. 45 Sehr kritisch Vogel, Anwendungsbereich, S. 185, der bei aller Achtung der als Lebenswerk anzusehenden Systematisierungsversuche Neumeyers, seiner Verwunderung darüber Ausdruck verleiht, daß dieser angesichts der systematischen Durchdringung des gesamten Stoffgebiets und in Anbetracht seiner umfassenden, über Jahrzehnte sich erstreckenden Vorarbeiten keine allgemeinen Regeln über das „Wann“ bzw. „Wie“ der Anknüpfung und Verweisung zu geben vermocht habe, während er in älteren Schriften verschiedentlich die Anknüpfung überwiegend nach territorialen Kriterien und nur in Ausnahmefällen nach Maßgabe der Staatsangehörigkeit verfochten habe. Insgesamt habe Neumeyer das Versprechen einer abschließenden Systematisierung des „internationalen Verwaltungsrechts“ letzten Endes nicht zu halten vermocht, der vorliegende allgemeine Teil gebe lediglich eine Reihe formaler Kategorien, die Darstellung des Besonderen Teils nach Verwaltungszweigen hingegen, die zunächst nur der Vorarbeit gedient hätten, erschienen nunmehr als die einzige Form der Systematisierung, die im „Internationalen Verwaltungsrecht“ überhaupt möglich sei (Vogel, Anwendungsbereich, S. 186 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Neumeyer selbst, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 485 f., insbesondere in Fn. 5, der von einer Systematisierung der allgemeinen Lehren des Internationalen Verwaltungsrechts gesprochen hatte.
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1. Teil: Grundlegung
sondere die Arbeiten von Schlochauer46, Vogel47 und Meng48 zu nennen. Seither wird auch stärker zwischen innerstaatlichem und internationalem Recht unterschieden.49 Schlochauer50 ist davon ausgegangen, daß „jedem Teilgebiet der nationalen Rechtsordnungen ein Kreis internationalrechtlicher Normen zugeordnet“ sei, wobei das Internationale Verwaltungsrecht in ähnlicher Weise wie das IPR der Abgrenzung zwischen inländischem und ausländischem Recht zu dienen habe, dieses aber „nicht etwa zwischenstaatliches, sondern innerstaatliches Recht“51 sei. Von großer Bedeutung ist insbesondere der Beitrag Vogels zur Kristallisation von Regeln des Internationalen Verwaltungsrechts. Dieser hat eine spezifische „Feldtheorie“ (als Theorie des räumlichen Anwendungsbereiches52) des Verwaltungsrechts entwickelt.53 Aus der Verfassungsentscheidung des GG für eine „offene Staatlichkeit“54 ergebe sich für die Gesetzesanwendung ein verfassungsrechtlicher Auslegungsgrundsatz des Inhalts, daß in allen Zweifelsfällen bei der Auslegung eines Gesetzes derjenigen Gesetzesauslegung der Vorzug zu gewähren sei, die dem Verfassungsprinzip der „offenen Staatlichkeit“, also dem Bekenntnis des GG zur internationalen Zusammenarbeit und zum internationalen Austausch am besten entspreche.55 Für den Gesetzgeber, so Vogel, sei dies allerdings nur eine rechtspolitische Wertung.56
46 Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Schriftenfolge zur staatswissenschaftlichen Fortbildung der Beamten und Behördenangestellten, Heft 49 (1951), S. 1 ff.; ders., Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten nach dem öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland und nach internationalem Recht, 1962. 47 Vogel, Anwendungsbereich; ders., in: Bernhardt, EPIL, Bd. I., S. 22 ff. 48 Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit und Grenzen wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Hoheitsakte mit Auslandswirkung, ZaöRV 44 (1984), 675 ff.; ders., Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994. 49 Vgl. allerdings auch bereits Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, II, S. 454 m. Fn. 2, der darauf hinweist, daß es die Behörden eines Staates nichts angehe, ob ein Staat völkerrechtlich etwas nicht tun könne, ob sein Akt völkerrechtlich richtig sei. 50 Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 1; zust. Vogel, Anwendungsbereich, S. 188. 51 So Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 1 f., in Auseinandersetzung mit einer dort zitierten, früheren Gegenmeinung. 52 Vogel, Anwendungsbereich, S. 3, bezeichnet den räumlichen Anwendungsbereich als „Feld“, was an physikalische Erscheinungen gemahnt. 53 Vogel, Anwendungsbereich, S. 402 ff. 54 Diesen Begriff hat Vogel selbst geprägt; vgl. ders., Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit. Ein Diskussionsbeitrag zu einer Frage der Staatstheorie sowie des geltenden deutschen Staatsrechts, Tübingen 1964, abgedruckt in: Ausgewählte Schriften 1964 bis 1990, Heidelberg 1991. 55 Vogel, Anwendungsbereich, S. 415. 56 Vogel, Anwendungsbereich, S. 415.
C. Begriffe und Systematik
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Aus jüngster Zeit ist insbesondere der Beitrag von Meng57 hervorzuheben, der das Problem der extraterritorialen Jurisdiktion sowohl mit völkerrechtlichen wie mit internationalverwaltungsrechtlichen Methoden bearbeitet hat. Er setzt das Internationale Verwaltungsrecht zur Lösung der Frage der Zulässigkeit extraterritorialer Jurisdiktion58 im öffentlichen Wirtschaftsrecht, aufbauend auf völkerrechtlichen Vorentscheidungen zur Abgrenzung von Jurisdiktionsbereichen ein, da dieses im Unterschied zum Völkerrecht nicht allein nach der rechtlichen Zulässigkeit, sondern vor allem nach der Interessengemäßheit kollisionsrechtlicher Lösungen des Konflikts nationaler extraterritorialer Jurisdiktionen unter unterschiedlicher Anknüpfung fragt. Nicht selten ist in der Vergangenheit das Internationale Verwaltungsrecht als ein Teilgebiet des IPR angesehen worden.59 Dies dürfte vor allem von einer Bedeutung des Internationalen Verwaltungsrechts in Fällen der Verknüpfung von öffentlichem und privatem Recht herrühren, dann nämlich, wenn die Anwendung ausländischen Verwaltungsrechts durch die Gerichte für die Entscheidung privatrechtlicher Rechtsstreitigkeiten mit internationalem Bezug nötig ist, insbesondere in Enteignungs- und Währungsfällen.60 Ungeachtet der Tatsache, daß diese Frage in den Kreis des Internationalen Verwaltungsrechts einbezogen werden kann, soll sie nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein.61 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß das hier belangvolle Internationale Verwaltungsrecht ebenso wie das IPR ein Grenzrecht darstellt, also nationales Recht ist.62 In Abweichung von der überwiegenden Auffassung sieht Bleckmann63 auf Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994. Hierzu unten II.1.b). 59 Vgl. auch Vogel, Anwendungsbereich, S. 173 m. w. N. in Fn. 126. Vgl. aber etwa Kelsen, Principles of International Law, 1966, S. 379, der offenbar gemäß einer (damals?) gebräuchlichen Terminologie unter dem Begriff „Private International Law“ auch das Internationale Strafrecht und Verwaltungsrecht verstanden wissen wollte und deshalb gesondert darauf hinwies, daß dieser Begriff eigentlich nicht ganz richtig sei, auch wenn es immer um das gleiche gehe – die Anwendung fremden Rechts. Daß in meinen Ausführungen Anwendung fremden Rechts und Anerkennung fremder Rechtsakte unterschieden wird, soll an dieser Stelle ausgeklammert werden, da Kelsen auch dies in einem Zusammenhang darstellte. 60 Vgl. Vogel, Anwendungsbereich, S. 174 m. w. N.; ders., in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (25), sowie Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 8 f., der bei der Beurteilung von Vorfragen eine ausdrückliche Bestimmung der Anwendung fremden Rechts für entbehrlich hält. Hierauf legen auch die Autoren im Bereiche des IPR bei der Erörterung des internationalen öffentlichen Rechts Wert, vgl. etwa Kegel / Schurig, IPR, § 23 (S. 934 ff.). 61 Entsprechende Fallkonstellationen, z. B. ausländische Enteignungen, werden nur insoweit angesprochen, als sie für die Belegung allgemeiner Grundsätze von Bedeutung sind. 62 Vgl. nur Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 7 (S. 7); Hoffmann, in: von Münch, Bes. VerwR, 1982, S. 989 (999 f.); Grof, JBl. 108 (1986), 209 (210 f.); K. König, Die Anerkennung ausländischer Verwaltungsakte, S. 60, m. w. N. zur früheren Lit.; zum IPR: BVerfGE 31, 58 (73) – Spanier-Beschluß; Kropholler, IPR, § 1 V 1, S. 8; v. Bar, IPR, Bd. I, Rn. 131 (S. 124); Kegel / Schurig, IPR, § 1 IV 1 (S. 8). 57 58
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1. Teil: Grundlegung
der Grundlage der herrschenden dualistischen Völkerrechtslehre und unter ausdrücklicher Ablehnung des Monismus das Kollisionsrecht, insbesondere das Internationale Privatrecht, als Völkerrecht an, denn die Staaten formulierten als Sachwalter des Völkerrechts ihre kollisionsrechtlichen Regeln, die nichts anderes als Konkretisierungen der Zuständigkeitsregeln des Völkerrechts (Gebietshoheit, Personalhoheit etc.) darstellten.64 Diese Auffassung ist insofern problematisch, als dann die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung des Internationalen Privatrechts in den verschiedenen Staaten den Schluß erzwänge, einige von ihnen handelten völkerrechtswidrig. Gesteht man nun aber den Staaten ein „Konkretionsermessen“ zu, so muß es sich beim Kollisionsrecht auch um nationales Recht handelt, weil die Ermessensausübung auf der Entscheidung der nationalen Gesetzgeber beruht. Während es dem Völkerrecht um die Errichtung einer Minimalordnung zu tun ist, geht es dem Kollisionsrecht darum, mit äußerst differenzierten Methoden nach der optimalen Entscheidung des Einzelfalls zu suchen.65 Internationales Verwaltungsrecht, wie es im vorliegenden Zusammenhang verstanden werden will, ist die Gesamtheit der Rechtsnormen eines Staates, die Regelungen darüber treffen, ob von Verwaltungsbehörden oder Gerichten in verwaltungsrechtlichen Fällen inländisches oder ausländisches Recht anzuwenden ist66 63 Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen des internationalen Kollisionsrechts, 1992; anders noch ders., Die Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, DÖV 1979, 309 (317). Gegen eine solche Sicht schon explizit Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 124 f.: „Und daß vollends das Völkerrecht für jede denkbare Sachnorm eine Begrenzung bestimmter Art bereit hätte, bedeutet ein freies Spiel der Gedanken, hinter dem keinerlei Wirklichkeit steht.“ Klar dagegen auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 106 (dort Fn. 443). 64 Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 42, erklärt, das gesamte IPR beruhe auf dem aus dem Völkerrecht fließenden Prinzip, daß die Staaten grundsätzlich nur im Rahmen der ihnen vom Völkerrecht verliehenen Kompetenzen handelten und damit zur Gesetzgebung befugt seien. Vgl. näher oben Erster Teil C.I.3 am Ende. 65 Meessen, Kollisionsrecht als Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts: Völkerrechtliches Minimum und kollisionsrechtliches Optimum, in: FS F.A. Mann, 1977, S. 227 (238). Vom völkerrechtlichen Minimum und kollisionsrechtlichen Optimum spricht auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 458. 66 Isay, Internationales Verwaltungsrecht, in: Stier-Somlo / Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft III, S. 344; Schlochauer Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 2, der noch danach unterscheidet, ob die Regelungen anordnen, daß nur die inländische Rechtsordnung angewandt wird (einseitige bzw. unvollständige Kollisionsnorm) oder welcher ausländischen Rechtsordnung andernfalls die anzuwendende Sachnorm zu entnehmen ist (zweiseitige oder vollständige Kollisionsnorm); vgl. auch Hoffmann, in: von Münch, Bes. VerwR, 1982, 989 (998), Grof, JBl. 108 (1986), 209 (210); zu einseitig dagegen Mössner, Einführung in das Völkerrecht, S. 3: Internationales Verwaltungsrecht enthalte diejenigen nationalen Rechtsregeln, die die Anwendung oder Nichtanwendung des eigenen Verwaltungsrechts eines Staates auf internationale Sachverhalte regelten (z. B. Schulpflicht ausländischer Kinder, die sich in einem anderen Staat aufhalten). Hier wird zu stark auf die Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts (hierzu unten 4.) und auf den nicht (mehr) existierenden Grundsatz von der Nichtanwendbarkeit fremden öffentlichen Rechts abgestellt.
C. Begriffe und Systematik
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und welche rechtlichen Wirkungen ausländische Hoheitstätigkeit im Inland entfalten kann.
4. Die notwendige Eigenart der Kollisionsregeln des öffentlichen Rechts – die Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts
Wie schon angedeutet wurde, liegt die Problematik des Internationalen Verwaltungsrechts in der Besonderheit des öffentlichen Rechts, die es vom Privatrecht unterscheidet. Diese Besonderheit wird oft mit dem Begriff der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts umschrieben. Zweiseitig wäre ein Kollisionsrecht, wenn es maßgeblich auf Normen aufbaute, in denen ausdrücklich eine Entscheidung über die Anwendbarkeit des konkreten Rechts, des eigenen oder des fremden, programmiert wäre. Nur dann, wenn eine solche gleichsam offene Regel besteht, scheint auch von einem selbständigen Rechtsgebiet gesprochen werden zu können.
a) Die Besonderheiten des öffentlichen Rechts als Ursache der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts Das öffentliche Recht ist früher weitgehend als Hausrecht eines ein bestimmtes Territorium beherrschenden Souveräns verstanden worden, woraus sich der Grundsatz von der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts entwickelte,67 der sich in dieser allgemeinen Form allerdings nicht halten läßt68 und dahingehend zu reduzieren ist, daß anders als die reine Anwendung nur noch die Geltendmachung ausländischen öffentlichen Rechts prinzipiell ausgeschlossen ist,69 daß also „Ansprüche aus fremdem öffentlichen Recht“ von den Gerichten des Forumstaates nicht durchgesetzt werden70. Es entspricht der Praxis der nationalen Gerichte, daß ohne ausdrückliche vertragliche Grundlage ausländische verwaltungsrechtliche Hoheitsakte nicht durchgesetzt werden.71 Neumeyer hat in der Anordnung der An67 Grof, JBl. 108 (1986), 209 (212), unter Verweis auf die von Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 115 ff., vertretene Lehre von der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts. 68 Mann, Öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr, RabelsZ 21 (1956), 1 (3): „Das Dogma von der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts ist falsch, und es darf mit Befriedigung festgestellt werden, daß es in der deutschen Rechtsprechung und Literatur keinen Widerhall gefunden hat.“ 69 Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (4, 19, 5 ff. [Beispiele]). Als Anwendung wird dabei etwa die Feststellung von Unmöglichkeit der Leistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Verbote, als Geltendmachung etwa der Anspruch auf Herausgabe enteigneten Eigentums durch den Staat verstanden. Hier ließe sich auch von unmittelbarer und mittelbarer Anwendung öffentlichen Rechts sprechen. 70 Vgl. nur Kegel / Schurig, IPR, § 23 I 1, S. 936; weiter wohl BGHZ 31, 367 (371, m. z. w. N. auf vorangegangene Rspr.), für Devisenrecht der SBZ, obwohl auch in der Begründung auf die Verfolgung der staatspolitischen Zwecke abgestellt wird.
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1. Teil: Grundlegung
wendung ausländischen Rechts (die für eine Kollisionsregel nachgerade charakteristisch ist) einen Völkerrechtsverstoß erblickt, weil ein Staat nicht über den Anwendungsbereich des Rechts eines anderen Staates bestimmen könne und hieraus die Folgerung der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts abgeleitet.72 Die Einseitigkeit läßt sich aber noch besser aus der Sicht des rechtsanwendenden Staates selbst folgern:
aa) Die Besonderheit aus der Sicht des rechtsanwendenden Staates Bereits das Öffentliche Recht als solches zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus: Zum einen kann der Staat selbst Rechtsverhältnisse durch einseitiges Handeln, etwa durch Verwaltungsakt, gestalten (d. h. schaffen, ändern oder aufheben), ist also, um einen gewünschten rechtlichen Erfolg herbeizuführen, nicht auf ein gemeinsames Handeln mit dem betroffenen Bürger angewiesen.73 Zum anderen setzt sich der Staat sein Recht selbst, aufgrund dessen er tätig wird. Im Privatrecht gilt dagegen der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Hiernach können die Parteien Maßregeln treffen, durch die sie die nachgiebigen gesetzlichen Vorschriften abbedingen. Dieses Prinzip ermöglicht es ihnen, Gerichtsstandsvereinbarungen zu treffen, ja sogar der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu derogieren und zugunsten einer Schiedsgerichtsbarkeit zu prorogieren, und (in gewissen Grenzen) eben auch in grenzüberschreitenden Fällen zu bestimmen, welches Recht, inländisches oder ausländisches, angewendet werden soll. Durch seine sehr viel distanziertere Position wird dem Staat, der sich hier nur in einer Art Schiedsrichterrolle, nicht also in der eines Akteurs, befindet,74 ermöglicht, in Fällen mit Auslandsbezug eigenes und fremdes Recht als grundsätzlich gleichwertig zu behandeln und seinen Rechtsschutz den Vorschriften der fremden Privatrechtsordnung in gleicher Weise wie denen seiner eigenen Rechtsordnung zu gewähren, so daß man das IPR viel eher als zweiseitig ansehen kann.75 Des weiteren können die zivilrechtlichen Normen als vorstaatlich gedacht werden.76 Wenn sich bei den Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen Berührungspunkte zu mehren Rechtssystemen ergeben, 71 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 213 mit zahlreichen Beispielen aus der Rspr. (dort Fn. 932). 72 In diesem Sinne Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 115 f. 73 Ihm steht es natürlich in manchen Fällen frei, die Rechtsform des privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vertrages zu wählen. 74 Treffend Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 115: „. . . der Staat ist nicht in ihnen, sondern über ihnen [also den Lebensbeziehungen der Privaten]“. 75 Vogel, Anwendungsbereich, S. 205 ff. (vor allem S. 206). 76 Vgl. den Hinweis von Vogel, Anwendungsbereich, S. 217, auf Savigny, der als Vertreter der historischen Rechtsschule das Zivilrecht als vorgegebene Ordnung des Volksrechts angesehen habe, welche vom Staat nicht geschaffen, sondern nur durchgesetzt werde. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 194, betont die geistesgeschichtliche Grundlage dieser Ansicht – die im 19. Jh. vordringende Auffassung vom Dualismus von Staat und Gesellschaft.
C. Begriffe und Systematik
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entweder weil die handelnden Einzelnen ausländische Staatsangehörige sind oder das betreffende Rechtsgeschäft im Ausland vorgenommen wurde, ist auch der moderne Staat durchaus bereit, auf die Anwendung seines eigenen Rechts zu verzichten und statt dessen das Recht eines anderen Staates anzuwenden, wenn er der Ansicht ist, daß die rechtliche Beziehung zu diesem anderen Staat enger ist.77 Hierfür hat er im nationalen IPR detaillierte Regeln, insbesondere über die notwendigen Anknüpfungspunkte, zur Verfügung gestellt. Im Öffentlichen Recht kann freilich der Staat nicht wie die Partner eines zivilrechtlichen Vertrages frei bestimmen, welches Recht er anwenden soll, sein eigenes oder fremdes. Eine Rechtswahl des Staates ist hier aus mehreren Gründen ausgeschlossen.78 Sie widerspräche zum einen dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 III GG), weil sich die Exekutive nicht aussuchen kann, wann sie den Anordnungen der Legislative Folge leistet, zum anderen auch dem Demokratieprinzip 79 (Art. 20 I, II, 28 I GG): Derjenige, dem in einem Staat die innere Souveränität80 zukommt, legt fest, welche Interessen Gemeinwohlinteressen sind, die mit den besonderen Instrumenten des öffentlichen Rechts durchgesetzt werden sollen.81 Das öffentliche Recht ist damit das Mittel, mit dem in einem demokratischen Staat der Souverän, das Volk, sich selbst regiert. Diese Staatsinteressen sind zunächst einmal national begrenzt.82 Die rechtsanwendende Verwaltung Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (24). Vgl. Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 3, nach dem „die Anwendung des Rechts für die Justiz Selbstzweck, für die Verwaltung nur ein Mittel ist, um ihr erforderlich und nützlich Erscheinendes durchzusetzen.“ „Die Verschiedenheit erklärt sich“ deshalb bei ihm (a. a. O., S. 7) „daraus, daß das Internationale Privatrecht einer möglichst weitgehenden Verwirklichung privater Rechtsansprüche, das Internationale Verwaltungsrecht einer möglichst umfassenden Erfüllung staatlicher Verwaltungsaufgaben dient.“ 79 Das Demokratieprinzip kann i. ü. auch herangezogen werden, um die Vorzugswürdigkeit einer dualistischen gegenüber einer monistischen Theorie über das Verhältnis von Völkerrecht und nationalem Recht zu begründen. Vgl. hierzu Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 13 ff., 14: „Eine dritte Erklärung ist, daß aufgrund des Souveränitätsprinzips, nämlich der in Art. 20 III GG verankerten Volkssouveränität, im nationalen Rechtsraum nur die vom Willen des deutschen Volkes abgeleiteten und deshalb auf einem Gesetz beruhenden Rechtssätze gelten können und damit nicht das durch das Zusammenwirken der Exekutive zahlreicher Staaten entwickelte Völkerrecht.“ (S. 14) „Das Demokratieprinzip, auf welchem die umfassende Zuständigkeit des Parlaments beruht, verlangt dann aber eine wirksame Sanktion der Umgehung des Zustimmungserfordernisses, die nur darin bestehen kann, daß die innerstaatliche Wirksamkeit des Völkerrechts vom Vorliegen der parlamentarischen Zustimmung und von der Veröffentlichung abhängig gemacht wird.“ (S. 15) 80 Vgl. hierzu unten II.1.a). 81 So bereits im vordemokratischen Zeitalter Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, II, S. 457: „Ein derartiges Zusammenwirken besteht im Bereiche der Verwaltung von Haus aus nicht. Hier wollen und handeln die Staaten jeder für sein Interesse und jeder für sich.“ 82 Wie sich diese internationalisieren (können) und welche Folgen dies für die Frage der Anerkennung hat, das wird auch Gegenstand dieser Arbeit sein. Vgl. hierzu Bleckmann, Die Entwicklung der Allgemeininteressen aus den Grundrechten der Verfassung – Zur Staats77 78
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kann deshalb grundsätzlich nicht wählen, wessen Ziele sie verfolgen soll, die des eigenen Volkes oder die eines fremden. Dies ist kein nationalistisches, sondern ein unmittelbar demokratisches Postulat. Die freie Wahl fremden Rechts verstieße demnach gegen den Grundsatz des Art. 20 II GG, wonach „alle Staatsgewalt“, also auch jedes exekutive Handeln, an eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette83 gebunden sein muß. Ist damit das öffentliche Recht im Unterschied zum Zivilrecht Ausdruck dieser Staatsgewalt selbst,84 so kann es für den Staat keine Gleichwertigkeit des eigenen und des fremden Verwaltungsrechts geben; dieses setzt vielmehr die hoheitlichen Ziele durch und ist zentral auf die Verwirklichung der Ordnung der Lebensverhältnisse auf seinem Staatsgebiet ausgerichtet85. Ausdruck dieser Besonderheit ist es, daß in die Sachnormen des Öffentlichen Rechts gleichsam automatisch auch (immer) eine örtliche Beziehung tritt.86 Insoweit weist das Internationale Verwaltungsrecht eine Gemeinsamkeit mit dem ansonsten stärker verallgemeinerungsfähigen und verallgemeinerten Internationalen Strafrecht87 auf88, ohne daß dies aber bedeuten muß, daß die Anwendung fremden Rechts deshalb per se ausgeschlossen wäre.89 Sie muß aber die Ausnahme bleiben. Diese Sonderstellung des öffentlichen Rechts hatten auch diejenigen im Sinne, die feststellten, daß eine Rechtsgemeinschaft wie im Privatrecht auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts nicht bestehe.90 Unter Rechtsgemeinschaft wurde dabei die Verwirklichung abstrakter Willensäußerungen jedes Staates nicht nur durch seine eigenen Organe, sondern auch durch die Organe der anderen Staaten in dem Sinne verstanden, daß ein Staat die Legislative ausübt, die Exekutive aber nicht nur die
zwecklehre des Grundgesetzes und zur Interessenstruktur des Europäischen Gemeinschaftsrechts und des Völkerrechts, 1990. Der von ihm gebrauchte Topos vom Allgemeininteresse kann mit dem Begriff „Gemeinwohl“ identifiziert werden. 83 Vgl. nur Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 9. 84 Vogel, Anwendungsbereich, S. 237. 85 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 195. 86 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 474. 87 So wird betont, daß die §§ 3 bis 7 StGB im Unterschied zum Internationalen Privatrecht nur einseitige Kollisionsnormen enthalten und dem materiellen Recht angehören, vgl. Tröndle / Fischer, StGB, 49. Auflage, München 1999, Vor § 3 Rn. 2 m. w. N. 88 Der wesentliche Unterschied zwischen dem internationalen Strafrecht und dem internationalen Verwaltungsrecht besteht aber darin, daß im Bereiche des Strafrechts ein internationaler Konsens über die materielle Strafwürdigkeit von Taten und die daraus folgende Jurisdiktionsausübung besteht, während sich andere Ziele, etwa im Bereich des Kartellrechts, stärker unterscheiden. Dies kommt etwa in § 6 StGB zum Ausdruck, wo gemäß einem Weltrechtsprinzip weltweit als strafwürdig anerkannte Delikte aufgeführt sind, deren Verfolgung unabhängig vom Begehungsort angeordnet ist. Allerdings dürfte der weltweite Konsens tatsächlich noch viel weiter gehen. 89 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 199; vgl. auch Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (6). 90 Isay, FG Zitelmann, S. 291 (296); Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 3, der ein geringes Bedürfnis hiernach im öffentlichen Recht ausmacht. Ähnlich bereits Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, II, S. 456 f.
C. Begriffe und Systematik
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eigenen, sondern auch die Behörden der anderen Staaten91.92 Im öffentlichen Recht, so hieß es, gebe es keine Gründe für eine Erstreckung der inländischen Exekutive auf Fälle, die fremder legislativer Zuständigkeit unterliegen, gebe es keinen Anlaß, durch eigene Behörden die Angelegenheiten fremder Staaten besorgen zu lassen.93 Die aufgrund ihrer Zweckrichtung besondere nationale Färbung des öffentlichen Rechts schließt allerdings, vor allem was die Methodik betrifft, vielfältige Beeinflussungen und Befruchtungen durch das (Internationale) Privatrecht nicht aus. Gleiches gilt i. ü. für die gegenseitige Beeinflussung der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen.94
bb) Die Besonderheit aus der Sicht des Individuums
Ebensowenig wie der Staat kann der Rechtsunterworfene sich aussuchen, welchen öffentlich-rechtlichen Regeln er folgen will. Er unterliegt der Territorialhoheit des Staates seines Aufenthalts (zudem, ungeachtet gewisser Durchsetzungsprobleme, der Personalhoheit des Staates, dessen Staatsbürger er ist) und hat sich damit dem öffentlichen Recht dieses bestimmten Staates zu unterwerfen, das für ihn konkrete Handlungs- oder Unterlassungspflichten normiert. Deshalb sollte ein weiteres in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden: Das öffentliche Recht wirkt sich für den einzelnen als grundrechtsbeschränkend aus. Die Grundrechtsschranken sind aber im GG mehr oder weniger genau festgelegt. Eine Rechtswahl des Grundrechtsträgers würde diesen in die Lage versetzen, sich einem stärkeren nationalen Grundrechtseingriff zu entziehen, wäre also prinzipiell grundrechtsfreundlich. Eine solche Flucht des Grundrechtsträgers aus dem staatlichen Eingriff mittels einer Wahl des öffentlichen Rechts stellte aber einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG dar, der angesichts der parallelen Betroffenheit von Freiheitsrechten nicht gering zu veranschlagen ist.95 Der Gleichheitssatz verIsay, FG Zitelmann, S. 291 (294). Gegen ein Abstellen hierauf Vogel, Anwendungsbereich, S. 200, der auch das Argument der Territorialität des öffentlichen Rechts (bzw. für den Strafrechtsbereich mit dem Satz „Nulla poena sine lege.“) nicht als ausschlaggebend für die Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts, sondern wohl für zirkulär hält. 93 Isay, FG Zitelmann, S. 291 (297); vgl. auch noch früher Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, II, S. 457. 94 Vgl. Schmidt-Aßmann, Zur Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts, in: FS Lerche, 1993, S. 513 (517 m. w. N.), der darauf hinweist, daß es bereits „im 19. Jahrhundert einen durchaus regen innereuropäischen Vergleich und Austausch auf den Gebieten des Verwaltungsrechts gegeben“ habe, „der die These von der Statik und Introvertiertheit gerade dieses Rechtsgebietes nicht durchgängig bestätig[e]“. 95 Die hier angestrengte Erörterung ist zwar rein hypothetisch. Sie ist aber angesichts verschiedener von Ökonomen eingebrachter Vorschläge vorzunehmen, nach denen im Rahmen der EU den Wirtschaftsteilnehmern eine Wahl des Wirtschaftsverwaltungsrechtsregimes ohne Ortsveränderung zu überlassen sei, vgl. dazu unten Vierter Teil E.II.3.f). 91 92
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1. Teil: Grundlegung
langt nämlich auch, daß die Frage, wann ein hoheitlicher Eingriff durch staatliches Recht erfolgt, im vorhinein gesetzlich festgelegt ist und nicht der Willkür der staatlichen Behörden unterliegt.96 Auch der Gesetzgeber wird daher keine internationalverwaltungsrechtlichen Regeln bereithalten, die eine echte Rechtswahl durch den Einzelnen ermöglichen.
cc) Schlußfolgerung Die Anwendung fremden öffentlichen Rechts kann nach allem als Regel nicht in Betracht gezogen werden.97 Vielmehr wenden die Staaten durch ihre Behörden hier entweder ihr eigenes Recht an oder handeln gar nicht.98 Nur in ganz seltenen Fällen wenden sie das Recht eines anderen Staates auf ihre eigenen Verwaltungsrechtsbeziehungen an,99 obwohl es immerhin gute Gründe gibt, sich im eigenen Interesse für die Anwendung fremden Rechts zu entscheiden.100, 101 Insofern kann davon gesprochen werden, daß das Internationale Verwaltungsrecht einseitig ist, weil es im Regelfall nur den Anwendungsbereich des eigenen materiellen Rechts beschreibt, nicht aber dem Rechtsanwender Regeln für die echte Entscheidung zwischen zwei Rechten an die Hand gibt.102 Auch die (oben bereits erwähnte) anerkannte Lehre, daß Ansprüche, die aus dem öffentlichen Recht des einen Staates fließen, vor den Gerichten eines anderen Staates nicht durchgesetzt werden können,103 darf als eine Folgerung aus diesem Gedanken der Einseitigkeit angesehen werden.104 Die Tatsache, daß das Internationale Verwaltungsrecht sich aufgrund seiner Besonderheiten nicht in der gleichen Weise zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickeln konnte wie das IPR, rührt auch und gerade daher, daß es im Unterschied zu letzterem nicht zweiseitig, sondern einsei96 Kein Verstoß gegen Art. 3 I GG liegt selbstverständlich dann vor, wenn sich ein Grundrechtsträger selbst der Gebietshoheit seines Staates durch Wegzug entledigt, weil hier ebenfalls im vorhinein der Ausschluß der Anwendung des innerstaatlichen Rechts angeordnet ist. 97 Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (24). 98 Isay, FG Zitelmann, S. 291 (297); Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (24). 99 Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (24). Er führt das interessante Beispiel an, daß die Sowjetunion dereinst bis zur Einführung eigener Gesetze für ausländische „kapitalistische“ Gesellschaften das Steuerrecht von deren Heimatstaaten zur Anwendung brachte. Die Seltenheit von Verweisungen auf fremdes öffentliches Recht hebt auch Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 8, hervor. 100 Vogel, Anwendungsbereich, S. 203 f. 101 Zur eigennützigen Anerkennung unten II.2.a). 102 So schon Isay, FG Zitelmann, S. 291 (297). Als Ausnahmen benennt er die verwaltungsrechtliche Rechtsgemeinschaft bei der Beurteilung von Vorfragen (S. 298 f.) und die Rechtshilfe (S. 299). 103 Hierzu unter Einbeziehung deutlicher Beispiele aus der in- und ausländischen Rspr. Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (5 ff.). 104 Vogel, Anwendungsbereich, S. 195 f.
C. Begriffe und Systematik
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tig angelegt ist.105 Daß dieses Defizit gegenüber dem IPR nicht zum Anlaß für grundsätzlichen Zweifel an seiner Existenz genommen werden muß, wird das sogleich in den Blick zu nehmende Problem der Anerkennung zeigen.
b) Anerkennung als Ausnahme von der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts Die Regel von der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts erleidet dort eine Ausnahme, wo es nicht um die Durchsetzung fremder Staatsinteressen geht, sondern wo das fremde öffentliche Recht selbst Rechtsverhältnisse gestaltet, die wiederum als Tatbestand der innerstaatlichen Rechtsanwendung zugrunde zu legen sind,106 in denen es also nicht um die Entscheidung von „Hauptfragen“, sondern von „Vorfragen“ aus dem fremden öffentlichen Recht geht, d. h. in den Fällen der „Verweisung“.107 Außerdem kennt das Verwaltungsrecht z. B. Regelungen, in denen es ausländische, d. h. auf ausländischem Recht beruhende, Verwaltungsakte (etwa Bescheinigungen und Erlaubnisse) in manchen Fällen anstelle der entsprechenden inländischen Verwaltungsakte genügen läßt,108 also die hier diskutierte Anerkennung. Wirklich einseitig ist das Internationale Verwaltungsrecht folglich nur insoweit, als es um Hauptfragen, d. h. um die Durchsetzung des öffentlichen Rechts, geht.109
c) Eingeschränkter Gegenstand des Internationalen Verwaltungsrechts Daß im öffentlichen Recht die Filterung eines Kollisionsrechts schwieriger ist als seine Schaffung im Zivilrecht nimmt allerdings nicht wunder: Im IPR stellt der ordre-public-Vorbehalt110 eine Möglichkeit dar, den Boden der relativ „staatsfreien“ (vgl. o.) privaten Rechtsbeziehungen zu verlassen und die (nach dem heutigen Verständnis allerdings auch im Zivilrecht verwirklichten) Staatsinteressen zur Gel105 Treffend bereits Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, II, S. 454: „Wenn dieses [das IPR] einen eigenen Wissenschaftszweig zu bilden vermochte, so fehlt uns der wesentliche Stoff dafür.“ 106 Es geht also um die von Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (3 f.), zum Zwecke des Widerspruchs gegen das Dogma von der Unanwendbarkeit des fremden öffentlichen Rechts angeführten Sachverhalte. 107 Vogel, Anwendungsbereich, S. 197 f. 108 Vogel, Anwendungsbereich, S. 199. In Fn. 22 nennt er beispielhaft die Anerkennung akademischer Grade von Ausländern. 109 Vogel, Anwendungsbereich, S. 196 – 198. 110 Vgl. allgemein zum ordre public Beitzke, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 665 ff. 111 Auch Vogel, Anwendungsbereich, S. 211, weist auf den ordre public als Grenze der kollisionsrechtlichen Toleranz des Staates gegenüber fremdem Privatrecht hin.
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1. Teil: Grundlegung
tung zu bringen.111 Durch den Ausweg des ordre public kann der Forumstaat die eigentlich angeordnete Anwendung ausländischen Rechts bzw. die Anerkennung fremder Hoheitsakte verweigern. Mit entsprechenden Vorbehaltsklauseln112 sichert er sich einen „unantastbaren Teil der eigenen Rechtsordnung“.113 Auch wenn sich nun das öffentliche Recht maßgeblich114 aus Normen zusammensetzt, die Ausdruck des staatlichen Interesses sind, kann zwar nicht davon die Rede sein, daß sie gleichsam einen ins einzelne verkörperten ordre public darstellen, denn nicht alle öffentlich-rechtlichen Normen sind in gleichem Maße „unantastbar“, aber eben doch meist von größerer Grundrechtsrelevanz (etwa bei der Verwirklichung staatlicher Schutzpflichten) als privatrechtliche, so daß öffentlich-rechtliche Rechtswirkungen des Auslands viel seltener zugelassen werden. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des IPR wird also im Internationalen Verwaltungsrecht gleichsam umgekehrt.115 Ausdruck dieser Besonderheit des öffentlichen Rechts ist es auch, daß es niemals eine Generalverweisung auf fremdes öffentliches Recht, abgesehen vielleicht von der Staatsangehörigkeit116, geben kann, sondern immer nur eine Einzelverweisung für bestimmte Rechtsfragen.117 Deshalb kann das IPR eine vom sachlichen Recht autonome, echte Meta-Rechtsordnung sein, während die Grenznormen und Verweisungen des öffentlichen Rechts Bestandteile des innerstaatlichen Sachrechts sind.118 Es fragt sich nur, ob in diesen beiden Bereichen überhaupt von Kollisionsrecht im gleichen Sinne wie beim IPR die Rede sein kann.119 Vogel etwa will dem von Neumeyer entworfenen Internationalen Verwaltungsrecht eine Bedeutung lediglich für einen Ausschnitt von Fragen zugestehen,120 nämlich für den Anwendungsbereich der eigenen Verwaltungsrechtsnorm, die Anwendung fremden Verwaltungsrechts als Rechtsfolgeoder Tatbestandsverweisung und die Anerkennung fremder Hoheitsakte ohne „révision au fonds“.121 Sowohl das erst- als auch das letztgenannte soll aber in der
So Art. 6 EGBGB; §§ 328 I Nr. 4, 1041 I Nr. 2 ZPO; § 16a Nr. 4 FGG. Vgl. Kegel / Schurig, IPR, § 16 I, S. 453. 114 Falls man der sog. Interessentheorie folgt: per definitionem. 115 Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 9, sieht im internationalen Verwaltungsrecht den ordre-public-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB will er im öffentlichen Recht analog anwenden) häufiger eingreifen. 116 Vgl. unten Zweiter Teil A.II.1. 117 In diesem Sinne Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 8, der sich zudem gegen die Zulässigkeit von Weiterverweisungen ausspricht. 118 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 195, mit Hinweis auf Vogel, Anwendungsbereich, S. 275, 299 ff. 119 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 201. 120 Vogel, Anwendungsbereich, S. 316 ff., der von einem „Restbestand von Problemen“ spricht (a. a. O., S. 316). 121 Vgl. die zusammenfassende Interpretation bei Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 195 f. 112 113
C. Begriffe und Systematik
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vorliegenden Untersuchung von Belang werden, das letztgenannte ohnehin, das erstgenannte deshalb, weil, wie noch zu zeigen sein wird, Anerkennungspflichten zu einer Art vorweggenommener Anerkennung führen können, die sich bei anderer Sichtweise auch als eine Erweiterung des Regelungsbereiches eines einzelnen Hoheitsaktes darstellen kann.122 Dieser Ausschnitt von Fragen ist nun aber doch noch groß genug, um von einem Internationalem Verwaltungsrecht sprechen zu können. Weitere vom IPR umfaßte Fragenkreise sind schon nach der subordinationsrechtlichen Struktur des Internationalen Verwaltungsrechts nicht denkbar. Aus der besonderen („einseitigeren“) Struktur des Internationalen Verwaltungsrechts ergeben sich Eigenheiten methodischer Art, die hervorgehoben werden müssen. Die im Verwaltungsrecht vorhandenen Regeln sind im Internationalen Verwaltungsrecht notwendigerweise weniger abstrakt als im Internationalen Privatrecht und enger mit der Struktur und den spezifischen Zielen des jeweiligen Sachrechts verbunden.123 Die Regelung in einem gesonderten Gesetz, wie etwa für das IPR im Zweiten Kapitel des Ersten Teils des EGBGB, ist deshalb nur schwer oder gar nicht möglich. Die letztlich vergeblichen Bemühungen Neumeyers machen dies deutlich. Die Struktur des von Neumeyer entworfenen bzw. induzierten Internationalen Verwaltungsrechts basiert danach im wesentlichen auf folgenden Bestandteilen:124 1. den sogenannten „Grenznormen des Inlands(verwaltungs-)rechts“, die zu den grundsätzlich jeder örtlichen Beziehung entbehrenden Sachnormen hinzuträten,125 und im Gegensatz zu den Kollisionsnormen des Privatrechts, welche über die Anwendbarkeit ausländischen Rechts befänden, nur den Anwendungsbereich inländischer Sachnormen bestimmten;126 2. den „Verweisungen“ auf das Verwaltungsrecht anderer Staaten, die auch in den verwaltungsrechtlichen Sachnormen enthalten seien;127 3. verschiedenen Rechtssätzen und Dienstanweisungen über eine Zusammenarbeit der Behörden in Gestalt von Rechtshilfe oder gemeinsamer Amtstätigkeit mehrerer Staaten (Amtshilfe), welche oft auch mit der Anwendung ausländischen Rechts oder der Anerkennung von Amtshandlungen anderer Staaten 122 123
Zum sog. transnationalen Verwaltungsakt vgl. u. Vierter Teil D.II.3. Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (26); vgl. auch Isay, FG Zitelmann, S. 291
(305). 124 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 473 – 481, im Rahmen des Abschnitts „Die Bestandteile des internationalen Verwaltungsrechts“. 125 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 473. Dieses Kriterium muß freilich als fingiert verstanden werden. 126 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 105. Hiermit wird wieder die oben besprochene Einseitigkeit angesprochen. 127 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 475 – 479, wobei er allerdings einräumt, die Verweisungen auf fremdes Recht spielten im Privatrecht eine bedeutendere Rolle (S. 476). Anders als für den Bereich des öffentlichen Rechts könne es im Privatrecht keine „rechtsleeren Räume“ gebe, es müsse also „Rechtsfürsorge durch Verweisung“ betrieben werden (S. 475).
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notwendig verbunden seien;128 4. den Regelungen über die Anerkennung ausländischer Amtshandlungen, die neben der durch Verweisung bewerkstelligten Anwendung ausländischen Rechts als eine Form der Überwirkung und gemeinsam mit dieser als Ausnahme von dem (o. g.) Grundsatz anzusehen sei, daß ausländisches Verwaltungsrecht und ausländische Verwaltungshandlungen rechtlich unerheblich seien;129 5. anderen Formen der Überwirkung fremder Verwaltung.130 Daß das Internationale Verwaltungsrecht nach Neumeyer im Unterschied zum Internationalen Privatrecht, welches durch die Wahl von Rechtsregeln (Rechtsregimen) konstituiert wird, auf Grenznormen aufbaut,131 hat seine Ursache wiederum in der soeben im einzelnen ausgeführten Einseitigkeit. Im vorliegenden Zusammenhang sind allerdings vor allem die Überwirkungen von Interesse. Zu Recht wird mitunter nämlich das Problem der Beachtlichkeit fremder Verwaltungsakte nicht nur als das Kerngebiet des Internationalen Verwaltungsrechts betrachtet, da hier der Bezugspunkt „fremde Rechtsordnungen“ am intensivsten sei, sondern auch die Anerkennung als praktisch wichtigste und rechtswissenschaftlich interessanteste Erscheinungsform der Beachtlichkeit eines fremden Hoheitsaktes angesehen. Erzeuge jeder Hoheitsakt ein öffentlich-rechtliches Verhältnis, welches für sich allein nur im Rahmen dieser Rechtsordnung Bedeutung habe, sei er für eine fremde Rechtsordnung nur dann beachtlich, wenn es von dieser angeordnet werde.132 Dieser Anerkennung gelten die nachfolgenden Ausführungen, wobei besonderer Wert auf die Definition im System des Internationalen Verwaltungsrechts zu legen ist.
II. Anerkennung Es dürfte im allgemeinsprachlichen Sinne des Begriffes „Anerkennung“ liegen, hierunter einen Vorgang zu verstehen, durch den jemand oder etwas für existent oder maßgeblich erklärt wird. Durch die Anerkennung bindet sich der Anerkennende mehr oder weniger. In jeder Bindung an eine Aussage liegt ein Verzicht auf die (vorher noch bestehende) Möglichkeit, etwas anderes (insbesondere das Gegenteil) zu behaupten. Auf der Seite derjenigen, die oder deren Handlungen anerkannt werden, findet sich diese Anerkennung als eine Art Sicherheit wieder, sie gewinnen etwas. Die Anerkennung kann in zwei Formen gedacht werden, die zugleich eine Abstufung darstellen.
Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 480. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 56 (für das „Internationale Staatsrecht“), 174, 407 f. 130 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 480 f. 131 Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (24). 132 So Biscottini, zit. nach Matscher, in: FS Beitzke, S. 641 (646). 128 129
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Zum einen kann damit eine Handlung beschrieben werden, durch die jemand einen bestimmten Ist-Zustand bestätigt, durch den er erklärt, daß er diesen Zustand nicht bestreiten werde. Oftmals ist diese Anerkennung, wenn es sich um eine Aussage handelt, ein Ausdruck bloßen Respekts vor der Auffassung des anderen und damit auch vor dem anderen selbst, ein Respektieren des anderen als Gleichen. Hier könnte insgesamt auch der semantisch schwächere Begriff der Achtung verwendet werden. Zum anderen aber läßt sich die Anerkennung so verstehen, daß sich der Anerkennende durch sie die Auffassung des anderen zu eigen macht, daß er etwa einen fremden Vorschlag akzeptiert und in gar in die Tat umsetzt. Diese Abstufungen kehren auf der (völker)rechtlichen Ebene wieder. Anerkennung wird in der völkerrechtlichen Terminologie zunächst einmal als ein einseitiges Rechtsgeschäft charakterisiert, und zwar als die allgemeine Erklärung eines Völkerrechtssubjekts, durch die eine Tatsache oder ein Anspruch eines Völkerrechtssubjekts als völkerrechtswirksam akzeptiert wird.133 Im Völkerrecht spielt der Begriff der Anerkennung eine hervorragende Rolle. Hintergrund dessen ist nämlich, daß nach dem sogenannten Estoppel-Prinzip die Rechtmäßigkeit eines einmal anerkannten Sachverhalts nicht nachträglich bestritten werden kann. Durch die Anerkennung erklärt der Staat, daß er einen von einem anderen Staat geschaffenen Sachverhalt als für sich selbst rechtsverbindlich hinzunehmen bereit ist.134 Deshalb ist die Anerkennung in gewisser Weise das Gegenstück zu einem anderen einseitigen Völkerrechtsakt – dem Protest, der genau das Gegenteil bewirkt. Sie trägt damit zur Klärung eines Rechtsverhältnisses bei. Die Anerkennung kann ausdrücklich oder stillschweigend geschehen. Sie ist eine nicht rücknehmbare, bedingungsfeindliche Rechtshandlung. Die Anerkennung von Staaten135, Regierungen, Aufständischen, Insurgenten etc. muß allerdings von der hier zu erörternden Anerkennung von Staatsakten, insbes. Verwaltungsakten, getrennt werden.136 Die Anerkennung im Völkerrecht betrifft oftmals nur eine Äußerung bloßer Achtung in dem oben beschriebenen Sinne. Es wird etwa ein neuer Staat, eine Regierung etc. anerkannt. Anders liegt es schon bei der Anerkennung der Grenze eines Nachbarstaates, wenn diese zugleich die eigene Grenze unmittelbar markiert. Gleiches gilt für die Enteignung im Ausland: Sind die Staatsbürger des ausländischen Staates bzw. in diesem belegene Sachen betroffen, bedeutet die Anerkennung der Enteignung nur eine Achtung gegenüber der Rechtssubjektivität des anVgl. Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 427 (§ 666): „Zustände aller Art“. Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 180; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 427 (§ 667); Mössner, Einführung in das Völkerrecht, München 1977, S. 20. 135 Hier wurde etwa in der Vergangenheit darüber gestritten, ob diese, was die Existenz des Staates anbetrifft, konstitutiv oder deklaratorisch ist, wobei sich heute die letztere Ansicht durchgesetzt hat; vgl. nur Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 642 ff. 136 K. König, Anerkennung, S. 37 m. w. N. (auch zu heute wohl eher erledigten Meinungsstreiten), unter Verfolgung eines konsequenten Effektivitätsgedankens (S. 38 – 42). 133 134
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1. Teil: Grundlegung
deren Staates, betrifft sie dagegen eigene Staatsbürger oder im eigenen Land belegene Sachen, ist eine Anerkennung als eine positive Identifikation mit dieser Handlung, ja als eine Unterstützung derselben zu werten. Es zeigt sich also, daß der Übergang von bloßer Achtung zu einem „Sich-Zu-Eigen-Machen“ fließend sein kann. Doch auch bei der Anerkennung i. S. eines Übernehmens einer fremden Aussage können sich Unterschiede daraus ergeben, wie eng die Beziehung zum eigenen Staat ist. Dies wird noch im einzelnen auszuführen sein.
1. Anerkennung von Hoheitsakten nach dem Völkerrecht
a) Ausgangspunkt: Territorialitätsprinzip als Wirkbereichsbeschränkung und Durchsetzungsvoraussetzung nationalen Rechts Nach der Drei-Elemente-Lehre 137 ist der Staat durch die Ausübung von Staatsgewalt über ein Staatsvolk in einem bestimmten Staatsgebiet gekennzeichnet. Dem Völkerrecht gleichsam logisch vorgelagert, aber wiederum nicht ohne dasselbe denkbar138 ist die Souveränität der Staaten. Hier darf zwischen äußerer und innerer Souveränität unterschieden werden, obschon beide ideengeschichtlich zusammenhängen und aufeinander einwirken.139 Aus der mangelnden Unterordnung des Herrschers – des Souveräns – unter den Willen eines anderen im eigenen Lande fließt auch die Freiheit des Staates (der erst seit der Neuzeit nach dem modernen Staatsverständnis als vom Herrscher getrennt angesehen wird) vom Willen eines fremden Staates. Souveränität bedeutet sonach in beiden Fällen Freiheit von Gesetz und Befehl eines anderen.140 Souveränität besitzt nach heutigem Verständnis derjenige Staat, der innerhalb seines eigenen Territoriums nicht der Regierungs-141,
137 So die Lehre von Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1914 (1922), S. 394 ff.; vgl. zur Rezeption etwa Verdross / Simma, Völkerrecht, § 380 (S. 224 f.); Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 622; K. Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 2 ff.; Hailbronner, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, III Rn. 63 ff. m. w. N. 138 Dies gilt hinsichtlich des Begriffes der Völkerrechtsunmittelbarkeit erst recht für die Monisten mit Völkerrechtsprimat wie Kelsen, Souveränität, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 278 (281). 139 Vgl. Quaritsch, Bodins Souveränität und das Völkerrecht, AVR 17 (1977 / 78), S. 257 ff., der nachweist, daß schon Jean Bodin, ohne bereits die Differenzierung von Völkerrecht und Landesrecht vorzunehmen, die Verselbständigung von ius gentium und ius inter gentes gesehen und wertvolle Beiträge für den Souveränitätsbegriff geleistet hat; Steinberger, in: Sovereignty, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 397 – 408; ferner etwa Kriele, Staatslehre, S. 46 ff. einerseits, 65 ff. andererseits. 140 Vgl. Quaritsch, AVR 17 (1977 / 78), 257 (268). 141 Die Regierung ist Teil der Exekutive, wird wegen ihrer herausgehobenen Stellung mitunter aber auch mit dem Begriff der Gubernative als von dieser abgehoben gekennzeichnet. 142 Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 397 (408).
C. Begriffe und Systematik
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Exekutiv-, Legislativ- oder Judikativgewalt eines fremden Staates oder einem fremden Recht außer dem Völkerrecht unterworfen ist.142 Agieren mehrere von sich aus als souveräne Staaten (zunächst) nebeneinander, so hat jeder die Souveränität des jeweils anderen – sofern er als Staat anerkannt ist – zu achten. So wie aber ein Gebrauch der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) durch den einzelnen zu Kollisionen mit dem anderen führen kann, der das gleiche tut, so kann auch eine Ausübung der Souveränitätsrechte verschiedener Staaten Reibungen verursachen.143 Es bedarf deshalb notwendigerweise der Begrenzung der Souveränität.144 Das Völkerrecht hat seine Aufgabe gerade (auch) in dieser Abgrenzung und Koordination der Interessen der souveränen Staaten. Das Nebeneinander souveräner Staaten als geborener Völkerrechtssubjekte bestimmt die Struktur der Völkerrechtsordnung. Eine für die Staatssouveränität nahezu begriffslogische Begrenzung stellt dabei das Territorialitätsprinzip dar: Frei von Gesetz und Befehl eines anderen kann ein Staat schließlich nur innerhalb seines eigenen Territoriums handeln. Das Territorialitätsprinzip betrifft also die räumliche Geltung der Staatsgewalt, es ließe sich als Ableitung aus der Verknüpfung von Staatsgewalt und Staatsgebiet als Elemente der Staatlichkeit herleiten (so wie sich das Personalitätsprinzip als Ableitung aus Verknüpfung von Staatsgewalt und Staatsvolk beschreiben ließe). Das Territorialitätsprinzip der staatlichen Rechtsordnung bestimmt die Begrenzung der drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) in räumlicher Hinsicht und ist gleichsam die logische Folge der Souveränität, genauer: der territorialen Souveränität der Staaten.145 Es ist die territoriale Souveränität ins Negative gewendet. 143 Diesen Vergleich vom innerstaatlichen zum internationalen Verhältnis zieht Bleckmann, AVR 23 (1985), 450 (465). 144 Kriele, Staatslehre, S. 66, stellt zu Recht fest, daß wegen der Beschränkung durch das Völkerrecht wiederum gar nicht mehr von einer Souveränität in dem Sinne gesprochen werden könne, selbst Quelle des Rechts und keinem Recht unterworfen zu sein. Deshalb muß auch bei der Definition der Souveränität die Präzisierung erfolgen, daß die staatliche Macht durch kein Recht außer dem Völkerrecht beschränkt wird. Dieser Gedanke ist allerdings den Vertretern eines Monismus mit Völkerrechtsprimat höchst willkommen, vgl. etwa Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 141, für den, weil „. . . [d]ie einzelstaatlichen Rechtsordnungen schon darum keine ausschließliche Geltung [haben], weil hier – wie überall – das Völkerrecht als überstaatliche Rechtsordnung gilt“, so daß sie „. . . überhaupt nur als Teilordnungen der universalen Völkerrechtsordnung gelten.“ 145 Dies gilt insbesondere, sofern man die rechtliche Funktion des Territoriums mit der sogenannten Jurisdiktionstheorie zu erfassen sucht (im Unterschied zur Theorie vom Territorium als Objekt bzw. als Subjekt); vgl. hierzu überblicksmäßig Santiago Torrez Bernandez, Territorial Sovereignty, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 487 (488 ff.); zur genannten Jurisdiktionstheorie Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 137 f., für den es „ein Geltungsraum, nicht der Wirkbereich der staatlichen Ordnung [ist], der mit dem Begriff des Staatsgebiets gemeint ist“ (a. a. O., S. 138), sowie Radnitzky, Zur Lehre von der Gebietshoheit und der Exterritorialität, AöR 28 (1912), 454 (454), für den die „Gebietshoheit nichts anderes als die örtliche Kompetenz, das Staatsgebiet nichts anderes als die örtliche Kompetenzsphäre des Staates“ darstellt. 146 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 1 – 6.
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1. Teil: Grundlegung
Die Jurisdiktion, unter der hier mit Meng146, in einem umfassenden Sinne nicht nur – wie herkömmlich – die Rechtsprechung, sondern auch Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung, d. h. Akte von Judikative, Legislative und Exekutive, verstanden wird, gehört zur positiven Seite der Souveränität, sie dient der Errichtung und Steuerung einer exklusiven Lebensordnung auf dem Staatsgebiet.147 Ist wie in demokratischen Staaten das Volk der Inhaber der Staatsgewalt (Volkssouveränität, Art. 20 II GG) so muß das nationale Verfassungsrecht nicht nur gewährleisten, daß sich der Wille dieses Souveräns gleichsam automatisch durchsetzen kann,148 sondern muß zugleich das Völkerrecht in Form der Anerkennung der Souveränität sicherstellen, daß die einzelnen Volkswillen (in nicht demokratischen Staaten nur der Herrscherwille) sich unabhängig voneinander, aber eben auch miteinander durchsetzen können.149 Die Abgrenzung von Jurisdiktionsbereichen schafft also erst die Voraussetzung, daß staatliche Politik, gegossen in Recht, eine Durchsetzungschance erhält.150 Das Territorialitätsprinzip ermöglicht die Koexistenz verschiedener nationaler Politiken. Die Begrenztheit der Staatsgewalt auf das eigene Territorium, die schon dadurch zum Ausdruck kommt, daß die beschlossenen Gesetze nur innerhalb des Staatsgebietes gelten,151 spiegelt sich in dem völkerMeng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 50. Vgl. Bleckmann, AVR 23 (1985), 450 (458, 462), der „die Gesamtheit der institutionellen und organisatorischen Garantien, welche sicherstellen, daß das objektive Recht und damit der Wille des Souveräns . . . sich in der Verfassungswirklichkeit automatisch durchsetzen“, als „objektives Rechtsstaatsprinzip“ bezeichnet. 149 Vgl. Bleckmann, AVR 23 (1985), 450 (466), der auch die Existenz von Allgemeininteressen der Völkerrechtsgemeinschaft (neben den Allgemeininteressen der einzelnen Völker) betont und diese wiederum in einen Zusammenhang mit der Entwicklung vom Koexistenzzum Kooperationsvölkerrecht stellt. 150 Wie unten noch eingehender erörtert werden soll, führt die Möglichkeit wirtschaftlichen Handelns mit globalen Auswirkungen zur Notwendigkeit politischen Handelns mit überstaatlichen, globalen Wirkungen und damit wiederum zu einer Aufweichung dieser strengen Jurisdiktionsabgrenzungen, und es müssen durch positive Schaffung neuen oder durch rechtsschöpferische Interpretation bestehenden Völkerrechts die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche transnationale Politik geschaffen werden, die dem friedlichen Zusammenleben der Völker zuträglich ist. 151 In diesem Zusammenhang sei an die besondere Erklärung der Geltung von Gesetzen, die der Deutsche Bundestag (ggf. unter Mitwirkung des Bundesrates) beschlossen hatte, für den Westteil Berlins in der Zeit zwischen 1949 und 1990 erinnert, die wegen der besonderen völkerrechtlichen Lage der Stadt (einerseits Teil der Bundesrepublik Deutschland, andererseits besatzungshoheitlicher Status) notwendig war. 152 Die Bestimmung dessen, was „innere Angelegenheiten“ sind, ist allerdings Wandlungen unterworfen, worauf etwa Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (3 m. w. N. auf Rspr. schon des StIGH) hinweist. So ist die Gewährleistung der Menschenrechte durch internationale Abkommen zunehmend aus diesem Bereich herausgewachsen. Die Verletzung als ius cogens angesehener Menschenrechte (z. B. bei einem Genozid) stellt die Verletzung einer erga-omnes-Verpflichtung dar. Die Frage der Reaktion der solchermaßen verletzten Staaten (Suspension vom Gewaltverbot, Vereinbarkeit mit der UN-Charta, Einhaltung des humanitären Völkerrechts) ist eine sich daran anschließende zweite Frage. Zum aktuellen Fall der Intervention zugunsten der Kosovo-Albaner 1999 vgl. hier etwa Nolte, Kosovo und Konstitutionalisierung: Zur 147 148
C. Begriffe und Systematik
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rechtlichen Grundsatz des Verbots der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten152 eines anderen souveränen Staates wider.153 Dem Territorialitätsprinzip kann eine negative und eine positive Komponente zugeschrieben werden,154 negativ im Sinne einer Abwehr fremder Jurisdiktion auf dem eigenen Staatsgebiet, positiv im Sinne einer Verpflichtung der anderen Staaten, Regelungen, die ein Staat auf seinem Staatsgebiet im Rahmen seiner Zuständigkeit setzt, hinzunehmen.155 Wie diese bloße Achtung geschieden wird von der Gewährung der Wirkung solcher ausländischen Akte im Inland und wie sich hieraus unterschiedliche Anerkennungsbegriffe ergeben, ist noch zu erörtern156. Wenn hiernach auf dem Territorium eines Staates nur das Recht des territorialen Souveräns gilt, bedeutet dies nicht, daß nur dieses Recht dort anzuwenden wäre.157 Das negative Territorialitätsprinzip schließt es also nicht grundsätzlich aus, daß die Rechtsordnung eines Staates an Vorgänge oder Handlungen, die sich im Ausland, d. h. im Staatsgebiet eines anderen Staates, ereignen, bestimmte innerstaatliche Rechtsfolgen knüpft (jurisdiction to prescribe), wobei sich Einschränkungen auch hier ergeben, wenn die von der innerstaatlichen Rechtsnorm betroffenen Personen zur Vermeidung von Nachteilen im Inland ihr Verhalten so einrichten, daß sie mit der Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates konfligieren müssen.158 Erklärt der Territorialstaat weitergehend selbst das Recht des anderen Staates für anwendbar, etwa im Wege des kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls, gilt dieses Recht aufgrund der Jurisdiktion eben dieses Staates.159 Das gleiche trifft für die Geltung eines fremden Hoheitsaktes kraft Anerkennung zu, so daß sich die (Notwendigkeit einer) Anerkennung geradezu als Bestätigung des Territorialitätsprinzips erweist.
b) Jurisdiktionsgrenzen – Unterscheidung zwischen Geltung und Wirkung
humanitären Intervention der NATO-Staaten, ZaöRV 59 (1999), 941 ff.; Thürer, Der KosovoKonflikt im Lichte des Völkerrechts: Von drei – echten und scheinbaren – Dilemmata, AVR 2000, 1 ff. 153 Vgl. Oppermann, Intervention, in: Bernhardt, EPIL, Bd. II, S. 1436 ff. 154 Mössner, Völkerrecht, S. 194 f. 155 Mössner, Völkerrecht, S. 195. 156 Unten II.1.e). 157 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 35 (Hervorhebung nur hier). 158 Mössner, Völkerrecht, S. 194 f. Hiermit wird bereits (inexplizit) die sog. Persuasionswirkung angesprochen, vgl. unten im Text d). 159 Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 504 (504); Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 35. 160 Vgl. etwa die oben schon angeführte Betonung des Umstandes, daß das Staatsgebiet den „Geltungsraum“, nicht den „Wirkbereich“ der staatlichen Ordnung beschreibe, bei Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 138.
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1. Teil: Grundlegung
Ausgangspunkt jeglicher völkerrechtlichen Jurisdiktionsabgrenzung muß die Unterscheidung zwischen Regelungs- und Geltungsbereich der staatlichen Rechtsordnung sein.160 Während der Regelungsbereich die Belegenheit der Tatbestände, an die tatbestandlich angeknüpft wird (Anknüpfungsbereich), betrifft, und außerdem den Bereich bezeichnet, in dem die Rechtsfolgen eintreten sollen (Rechtsfolgenbereich),161 wird mit dem Begriff des Geltungsbereiches allgemein der räumliche Bereich umschrieben, in dem sich die staatliche Hoheitsgewalt erstreckt.162 Der Geltungsbereich einer Rechtsnorm ist sonach im allgemeinen das Gebiet, in welchem dem Staat Gebietshoheit zusteht; das ist regelmäßig (mit beschränkenden und erweiternden Ausnahmen163) das Staatsgebiet. Dem Begriff „Regelungsbereich“ wird dabei größere Genauigkeit als dem Begriff „Anwendungsbereich“ zugeschrieben, da jener zum Teil synonym mit dem des Geltungsbereiches verwendet wird und dadurch zu Verwechslungen Anlaß gibt.164 Die Begriffe Geltungsbereich und Regelungsbereich werden hier wegen ihrer besseren Verständlichkeit auch den von Vogel165 verwendeten weitgehend synonymen Termini „intransitiver Anwendungsbereich“ (Erzwingungsbereich) und „transitiver Anwendungsbereich“ vorgezogen. Wegen dieser begrifflichen Trennung dürfen die soeben als Argumentationsgrundlage verwendete Territorialität des Geltungsbereichs von Normen und die Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 10. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 10 f. m. w. N. 163 Vgl. als Beispiel für einen Geltungsbereich, der kleiner ist als das Staatsgebiet das sog. partikuläre Bundesrecht, also solches Bundesrecht, welches nur für eines oder mehrere Länder gilt. Umgekehrt ist die Unterstellung von sog. Zollausschlußgebieten unter die Gebietshoheit eines anderen Staates, z. B. der österreichischen Gemeinden Jungholz und Mittelberg an der Grenze des Allgäu unter die deutsche Gebietshoheit, eine Erstreckung des Geltungsbereiches des Zoll- und Währungsrechts über das Staatsgebiet hinaus. Die Tatsache, daß Deutschland über diese Gemeinden die Gebietshoheit ausübt, obwohl die territoriale Souveränität Österreich zukommt, macht aber deutlich, daß nicht nur der (sachliche) Regelungsbereich des Zoll- oder Währungsrechts erweitert ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang § 4 I Nr. 1 AWG, wonach als „Wirtschaftsgebiet“ i. S. des Gesetzes der „Geltungsbereich dieses Gesetz“ genannt wird und dann die Formulierung „die österreichischen Gemeinden Jungholz und Mittelberg gelten als Teil des Wirtschaftsgebiets“ angehängt ist. Aus dem Umstand, daß diese beiden Gemeinden nur als Teil des Wirtschaftsgebietes „gelten“, ist zu schließen, daß sie nicht zum Geltungsbereich des Gesetzes gehören können. Da zahlreiche Vorschriften des AWG an den Begriff des „Wirtschaftsgebietes“ anknüpfen, gehören die Zollausschlüsse solcherart zum Regelungsbereich des AWG, und zwar in einem solchen Maße, daß schon von einem faktischen Geltungsbereich die Rede sein kann. 164 Vgl. auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 12, mit Beispielen zur uneinheitlichen Verwendung dieses Begriffes; anders wohl Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtsetzung, Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 11, 1973, S 7 (9 f.), der im Anschluß an das Internationale Strafrecht zwischen Geltungsbereich und Anwendungsbereich unterscheiden möchte, wobei das Gelten einer Rechtsordnung für einen bestimmten Sachverhalt bedeute, daß dieser in ihren Anwendungsbereich einbezogen und ihren Rechtsfolgen unterworfen werde (a. a. O., S. 10 m. w. N.). 165 Vogel, Anwendungsbereich, S. 3. Hierzu Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 12. 161 162
C. Begriffe und Systematik
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Territorialität ihres Regelungsbereichs nicht in eins gesetzt werden. Das Völkerrecht verbietet einem Staat, ohne die Zustimmung eines anderen auf dessen Hoheitsgebiet Hoheitsakte zu setzen,166 wobei es darauf ankommt, daß sich die Hoheitstätigkeit in dem fremden Staat irgendwie auswirkt.167 Von dieser Setzung von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet klar zu unterscheiden ist aber die Setzung von Hoheitsakten auf dem eigenen Staatsgebiet, die ihre Wirkungen auf fremdem Staatsgebiet zeitigen (sollen).168 In dem einen Fall wird mißachtet, daß der Geltungsbereich der staatlichen Rechtsordnung an den Grenzen endet, es sei denn, dem fremden Staat wurde das hoheitliche Handeln (ausdrücklich) erlaubt, oder ihm wurde gar Gebietshoheit eingeräumt.169 Im anderen Fall hat er nur die anders zu ziehenden Grenzen seiner Regelungszuständigkeit zu beachten. Beide Erscheinungsformen lassen sich unter den Begriff der extraterritorialen Jurisdiktion zusammenfassen. So beschreibt Meng170 mit diesem Begriff nicht nur die Vornahme von Hoheitsakten im Ausland, sondern – im weiteren Sinne – überhaupt die Ausübung von Hoheitsgewalt mit Auslandsbezug. Hinsichtlich dieser differenziert er nach Anknüpfung und Anordnung. Anknüpfung beschreibt danach den personellen und sachlichen Bezug der Regelung (z. B. die Qualifikation einer Person, deren Staatsangehörigkeit, Aufenthalt etc. oder auch ein Sachverhalt, z. B. Führen eines Kfz.). Die Anknüpfung ist extraterritorial, wenn sich die betreffenden Personen, Sachverhalte, Sachen, Vermögensgegenstände oder Rechtsverhältnisse im Ausland befinden.171 Neben der Anknüpfung ist es auch möglich, daß der Regelungsinhalt des Hoheitsaktes die Extraterritorialität der Jurisdiktion begründet.172 166 Vgl. Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 1363, Rn. 1504 ff.; das betonen auch Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 299, und Siegrist, Hoheitsakte auf fremden Staatsgebiet, 1987, S. 10, allgemein zur Frage der klassischen Setzung von Hoheitsakten auf fremden Staatsgebiet, S. 1 – 105; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 116. 167 Vgl. Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 456 (S. 227), die ausführen, daß deshalb etwa die Ordensverleihung oder die Vereidigung von Regierungsmitgliedern durch das im Ausland weilende Staatsoberhaupt völkerrechtlich zulässig sei. 168 Vgl. Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 504 f. (m. E. zu sehr auf das rein Faktische bezogen); Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, S. 10; Beyerlin, Rechtsprobleme der lokalen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, 1987, S. 240; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 74, der beides (vgl. u. im Text) unter den Oberbegriff der Extraterritorialen Jurisdiktion faßt; vgl. auch ders., ZaöRV 44 (1984), 675 (727 ff.). 169 Hier wird mit Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 73, nicht maßgeblich auf die territoriale Souveränität, sondern auf die Gebietshoheit abgestellt, da sie das Territorium der Geltung der staatlichen Rechtsordnung beschreibt. 170 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 74 m. w. N. 171 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 75. 172 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 75, der darauf hinweist, daß Auslandsanknüpfung und Auslandsregelung oft, z. B. in Wettbewerbssachverhalten, zusammenfallen. 173 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 76 f.; anders dagegen die Sichtweise von Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 504 f., der davon spricht, daß Hoheitsakte überhaupt nur im eigenen Staatsgebiet gelten und nur rein tatsächliche extraterritoriale Wirkungen hätten. Dies
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1. Teil: Grundlegung
Nicht mehr zu extraterritorialen Jurisdiktion zählen allerdings innerstaatliche Regelungen mit nur faktischen (beabsichtigten oder unbeabsichtigten) Auslandswirkungen.173 Eine entscheidende völkerrechtliche Frage geht deshalb dahin, ob neben dem Geltungsbereich auch der Regelungsbereich derselben begrenzt ist oder ob es statt auf die Regelung lediglich auf die Durchsetzung ankommt.174 Wer sich (als Ausländer) in das Territorium eines anderen Staates begibt oder freiwillig dort verbleibt, unterwirft sich dadurch stillschweigend der Herrschaftsgewalt dieses Staates175. Die betroffene ausländische Person kann also (anders als zur Zeit der Geltung eines weitgehenden Personalitätsprinzips im Altertum und im Mittelalter) nicht einfach grundsätzlich verlangen, nach „ihrem eigenen Recht“ behandelt zu werden. Der betreffende Staat macht vielmehr bei dieser Unterwerfung legitimerweise von seiner Gebietshoheit Gebrauch. Zugleich ist die Personalhoheit ein zulässiger Anknüpfungspunkt. Daß sich bei unterschiedlichen Anknüpfungspunkten Konflikte ergeben können, liegt auf der Hand. Ein Anwendungsfall des im Völkerrecht seit langem bekannten Problems, daß Regelungsbereich und Geltungsbereich einer Rechtsordnung auseinanderfallen, ist gerade der Konflikt zwischen Personalund Gebietshoheit,176 wenn nämlich ein Staat kraft seiner (rein immateriellen) Personalhoheit seinen Staatsbürgern aufgrund deren besonderen Verhältnisses von Schutz und Unterwerfung Anordnungen erteilt, auch wenn sich diese im Ausland befinden. Jedoch gerät er spätestens dann, wenn er diese Anordnungen durchsetzen will, in Konflikt mit der Gebietshoheit des ausländischen Staates. Wegen der unterschiedlichen Anknüpfungsgesichtspunkte – Territorialhoheit und Personalhoheit sowie Ordnungshoheit – ist es also unvermeidbar, daß Konflikte zwischen verschiedenen handelnden bzw. nicht handelnden177 Staaten auftreten können. Hier ist das traditionelle Internationale Verwaltungsrecht an seinem Ende.
trifft hinsichtlich der Betonung der territorial beschränkten Geltung zu; es scheint allerdings zu wenig danach unterschieden zu werden, ob die erzeugte Wirkung Gegenstand der Regelung oder (unbeabsichtigte) Nebenfolge ist. 174 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 34. 175 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 43 m. w. N. 176 In diesem Sinne Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 36; vgl. auch Bleckmann, The Personal Jurisdiction in the European Community, CMLR 17 (1980), 467 (471). 177 Vgl. Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit und Grenzen wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Hoheitsakte mit Auslandswirkung, ZaöRV 44 (1984), 675 (757 ff.), der den Blick auf den Umstand lenkt, daß sich auch Regelungskonflikte zwischen der beide Male aus der zum positiven Schutzbereich der Souveränität gehörenden Freiheit, zu handeln oder nicht zu handeln (d. h. bewußt Freiräume zu schaffen), ergeben können; diesem Ansatz folgt auch Happe, Die grenzüberschreitende Wirkung von nationalen Verwaltungsakten, S. 22, 24. 178 So offensichtlich noch Schwarz, Anerkennung, S. 3 f., die damit eine früher herrschende Ansicht allzu entschieden ablehnt; ähnlich wohl auch Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 504 (504), der einzig die Anerkennung durch den Territorialstaat in der Lage sieht, einem Hoheitsakt extraterritoriale Wirkung zuzuweisen.
C. Begriffe und Systematik
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Meng hat im einzelnen herausgearbeitet, daß man weder davon ausgehen könne, daß eine extraterritoriale (Wirkung nationaler) Jurisdiktion per se ausgeschlossen sei,178 daß der Staat also unter gar keinen Umständen Sachverhalte außerhalb seines eigenen Staatsgebietes regeln dürfe, noch davon, daß die Regelungsmacht unbegrenzt sei, weil es allein auf die Durchsetzung ankomme179. Dies gelte schon deshalb nicht, weil es möglich sei, daß mehrere Staaten zu einer Angelegenheit einen Anknüpfungspunkt vorweisen können. Bei derartigen gemeinsamen Angelegenheiten180, also solchen, für die zwei Staaten völkerrechtsgemäß eine konkurrierende Jurisdiktion über den gleichen Sachverhalt ausüben könnten, müsse eine Differenzierung danach vorgenommen werden, ob es sich um eine zulässige oder um eine unzulässige extraterritoriale Jurisdiktion handele, was sich unter anderem danach bestimmen soll, ob ein hinreichender Anknüpfungspunkt besteht und ob eine extraterritoriale Maßnahme im Ergebnis der widerstreitenden Staateninteressen vertretbar ist.181 Auch unter Anlegung einer solchermaßen differenzierten Betrachtungsweise muß Ausgangspunkt aller Überlegungen das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip bleiben.182 Denn es geht um die Beantwortung der Frage, wann bzw. wie weit der Regelungsbereich vom Geltungsbereich der Norm abweichen darf. Sollen durch extraterritoriale Jurisdiktion entweder rechtliche Verhältnisse außerhalb des Geltungsbereichs einer Norm geregelt werden, wird also der Regelungsbereich über den Geltungsbereich hinaus erstreckt, dient die Anerkennung durch den vom Erlaßstaat ins Auge gefaßten Wirkungsstaat dazu, diese erwünschten Wirkungen zu legitimieren.183 Allerdings kann sich die Frage der Anerkennung auch dann auftun, wenn ein Hoheitsakt von vornherein in dem oben beschriebenen Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung, S. 40. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 471. 181 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 725 ff. (zur kollisionsrechtlichen Abwägung); vgl. auch Wildhaber, Jurisdiktionsgrundsätze und Jurisdiktionsgrenzen im Völkerrecht, SchwJIR 41 (1985), S. 99 (103 ff., 108). Zum Thema insgesamt auch Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 ff., Habscheid., Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 11, 1973, S. 47 – 76; Mann, The Doctrine of International Jurisdiction Revisited after Twenty Years, RdC 186 (1984 I), 9 – 116. 182 Vgl. Wildhaber, SchwJIR 41 (1985), 99 (103); differenzierend Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 733 („Soweit ein Vorrang der Anordnung, die sich auf das Territorialitätsprinzip stützt, vorgeschlagen wird, ist dies beim Konflikt sich widersprechender Anordnungen bereits vom Völkerrecht gefordert, beim Zusammenstoß von Anordnung und Freiheit ist die Begründung eines solchen Vorrangs nicht ersichtlich . . .“); a. A. offensichtlich Sandrock, Neuere Entwicklungen im Internationalen Verwaltungs- insbesondere im Internationalen Kartellrecht, ZVglRWiss 69 (1968), 1 ff., für den (a. a. O., S. 8), „Territorialitätsprinzip, Personalitätsprinzip usw. völkerrechtlich gänzlich unbeachtlich“ sein sollen, und zwar sowohl in ihrer rechtsbegründenden wie in ihrer rechtsbeschränkenden Form. Sandrock beruft sich unter anderem auf Vogel, Anwendungsbereich, und will Kollisionsfälle mit dem allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbot entscheiden, hiergegen wiederum Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (19 ff.). 183 Das muß erst recht nach der Meinung von Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 504 (504), gelten, der für jegliche extraterritoriale Wirkung die Anerkennung als erforderlich ansieht. 179 180
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Sinne noch gar nicht extraterritorial sein soll, sich aber für eine Erstreckung seines Geltungsbereiches ein Bedürfnis ergibt.
c) Völkerrechtliche Zulässigkeit der Anerkennung In Fällen, in denen der Staat für den Erlaß eines aus eigenem Recht fließenden Hoheitsaktes Rechtsakte des Auslands als Tatbestand zugrunde legt, z. B. für die Genehmigung eines Taxibetriebs den ausländischen Führerschein, knüpft er an einen ausländischen Sachverhalt an und erkennt gleichzeitig einen ausländischen Hoheitsakt an. Die innerstaatliche Norm, die die Anerkennung ausspricht, hat dann einen extraterritorialen Regelungsbereich, jedoch, da die Anerkennung nur für die Setzung von Rechtsfolgen im Inland erfolgt, einen rein innerstaatlichen Geltungsbereich. Deshalb erfolgt zwar im oben definierten Sinne extraterritoriale Jurisdiktion, jedoch kann die Anerkennung als solche nicht mit der Souveränität des fremden Staates in Konflikt geraten. Demgegenüber wird, was die Anwendung fremden Rechts betrifft, mitunter die Möglichkeit eines Einspruchs des fremden Staates, dessen Recht angewendet werden soll, hervorgehoben184, 185, obwohl doch die Anwendung fremden Verwaltungsrechts statt als eine Verletzung der Rechte des fremden Staates sehr viel eher als eine Beschränkung der Souveränität des eigenen Staates bezeichnet werden kann186. Warum in der Anwendung fremden Rechts jedoch auch völkerrechtliche Probleme im Hinblick auf die Souveränität des fremden Staates auftreten können, soll Gegenstand späterer Erörterungen sein.187 Da der Vollzug eines fremden Rechtssatzes im Interesse eines fremden Staates sich in der Tat als ein Einschnitt in die eigene Souveränität darstellt, weil sich der vollziehende Staat hier eines Teils seines „Imperiums“ (seiner Herrschaftsgewalt) in seiner Ausschließlichkeitsfunktion begibt, wird er dazu meist nicht ohne Gegenleistung, d. h. in der Regel nur aufgrund völkerrechtlichen Vertrages, bereit sein,
Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 37 f. Eindeutig Vogel, Anwendungsbereich, S. 203: „[D]aß die Staaten grundsätzlich frei sind, ausländisches öffentliches Recht nicht nur auf ,Vorfragen‘, sondern auch unmittelbar auf die von ihren Behörden und Gerichten zu entscheidenden ,Hauptfragen‘ anzuwenden, läßt sich in keiner Weise, weder mit völkerrechtlichen noch mit staatsrechtlichen Argumenten bestreiten.“ 186 Vogel, Anwendungsbereich, S. 201 – 202. So heiße es denn auch im Schrifttum gelegentlich, daß der Staat mit der Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts seine eigene Rechtssouveränität verneinen würde, daß er sich nicht dazu hergeben könne, die Ausübung fremder staatlicher Souveränität oder Macht innerhalb seines eigenen Staatsgebietes durch seine Organe zu unterstützen (a. a. O., S. 202 m. w. N. in Fn. 31). 187 Vgl. u. Zweiter Teil B.III.1. 188 Vogel, Anwendungsbereich, S. 202; Grof, JBl. 108 (1986), 209 (211); ähnlich bereits Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, 1. Aufl. (1896), II, S. 458. 184 185
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so daß der Grundsatz der Gegenseitigkeit eine größere Rolle spielt als im IPR, wo dem Staat die autonome Rechtsgestaltung eher gleichgültig sein kann.188 Eine Souveränitätsbeschränkung liegt auch in der Anerkennung, da bei ihr auf die Anwendung des eigenen Rechts verzichtet wird. Mit der Anerkennung eines fremden Hoheitsaktes bringt ein Staat seinen Verzicht zum Ausdruck, von seiner territorialen Souveränität Gebrauch zu machen. Die Anerkennung dispensiert den einzelnen von der aufgrund des Territorialitätsprinzips grundsätzlich möglichen Unterwerfung unter das territoriale Recht.
d) Anerkennung als Voraussetzung der Behandlung ausländischer extraterritorialer Hoheitsakte „als Recht“ Für die Beantwortung der Frage, wann eine Anerkennung zur Herstellung der extraterritorialen Wirksamkeit erforderlich ist und wann diese Wirksamkeit möglicherweise von selbst eintreten kann, scheint erforderlich zu sein, zwischen dem Geltungsbereich primärer Rechtssätze und der Sanktionsbefugnis, zwischen der jurisdiction to prescribe und der jurisdiction to enforce zu unterscheiden.189 Die eine betrifft die bloße Regelung, also etwa die gesetzliche, behördliche oder gerichtliche Anordnung an die Individuen, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, die andere aber meint die Durchsetzung, also die Erzwingung dieses angeordneten Verhaltens durch das ganze Arsenal der Machtmittel des Staates. Vertritt man die Ansicht, „daß die Staaten in der Befugnis zum Erlaß von extraterritorialen Hoheitsakten grundsätzlich frei, andererseits die von der Wirkung der Akte betroffenen Staaten hinsichtlich der Anerkennung nicht gebunden sind“,190 so muß man die extraterritoriale Jurisdiktion im stärkeren Sinne nicht als grundsätzlich völkerrechtswidrig, aber im Endeffekt (mangels Vollzuges) möglicherweise als wirkungslos ansehen. Hier wird offensichtlich allein auf die jurisdiction to enforce abgestellt, die Wirkung der bloßen jurisdiction to prescribe also anscheinend für völkerrechtlich neutral angesehen. Unterschätzt wird durch eine solche Ansicht jedoch der Umstand, daß es gar nicht immer eines klassischen Vollzugsaktes bedarf, um dem eigenen Hoheitsakt Wirkung im Ausland zu verschaffen, um also das mit der Regelung angestrebte Ziel tatsächlich zu erreichen.
189 Verdross / Simma, S. 635 f. (§ 1019), der betont, daß für die Abgrenzung der Staatsräume nur der zweite Begriff des räumlichen Zuständigkeitsbereiches in Frage komme, der als räumlicher Souveränitäts-(Herrschafts-)Bereich bezeichnet werde. Vgl. auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 6 f., 7 ff. 190 Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten nach dem öffentlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland und nach internationalem Recht, S. 40, der dies etwas einschränkend ausdrückt. Es spreche „vieles für die Annahme, daß . . .“. 191 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 8, 82 ff., in Auseinandersetzung gerade mit Schlochauer, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 40 ff. Zu nennen sind hier solche „Ersatz-
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1. Teil: Grundlegung
Berücksichtigt werden muß nämlich schon der präventive Effekt, den ein Verbot oder Gebot, ggf. sanktioniert durch andere dem Erlaßstaat zu Gebote stehende Mittel, die keine extraterritoriale Jurisdiktion bedeuten, in Form eines psychischen Rechtsbefolgungszwangs (aus Einsicht in die Nachteile des Zuwiderhandelns) auslöst, kurz: die sog. Persuasionswirkung.191 Deshalb ist es auch bei der Abwehr fremder extraterritorialer Jurisdiktion nicht immer mit der Reaktion einer bloßen Nichtanerkennung getan. Vielmehr werden oftmals regelrechte Abwehrgesetze erlassen. Es fragt sich aber weiter, welchen Zweck die Anerkennung außerhalb der Fälle dieser bloßen Persuasionswirkung erfüllt, ob sie nur dazu dient, den fremden hoheitlichen Akt i. e. S. vollzugsfähig zu machen, oder ob sie eigentlich eine grundlegendere Funktion erfüllt, nämlich diejenige, dem fremden Hoheitsakt überhaupt innerstaatlich die Qualität als Recht zuzuerkennen (ihn also i. w. S. „vollzugsfähig“ zu machen). Einer solchen Auffassung muß sich anschließen, wer für die Rechtsqualität einer Regel nicht (allein) die Durchsetzung, sondern (schon) die Verbindlichkeit für den Richter oder eine Behörde als entscheidend ansieht.192 Eine solche Vorstellung vom Begriff des Rechts müssen z. B. alle diejenigen für zwingend halten, die dem Völkerrecht nicht deshalb die Rechtsqualität absprechen wollen, weil es ihm an einer zentralen Durchsetzungsinstanz mangelt. Die Verbindlichkeit für den Richter ist mehr als die soeben behandelte bloße Persuasionswirkung. Anerkannt werden muß ein ausländischer Hoheitsakt also nicht nur, wenn er (falls dazu überhaupt geeignet) i. e. S. (also durch den Einsatz von Zwangsmitteln) durchgesetzt werden soll, sondern auch dann schon, wenn er vom Richter (oder einer Behörde) „als handlungen“ wie etwa das Verbot, in den Erlaßstaat einzureisen, oder die Enteignung von Vermögen im Erlaßstaat, wenn eine bestimmte Handlung außerhalb desselben von dem Ausländer vorgenommen wird. Hier kann von Sanktionierung, aber noch nicht i. e. S. von Durchsetzung gesprochen werden. Vgl. etwa aus jüngerer Zeit das wegen seiner einschneidenden extraterritorialen Regelungen höchst problematische Helms-Burton-Gesetz der USA. Hierzu umfassend Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion in der US-amerikanischen Sanktionsgesetzgebung, EuZW 1997, 423 ff.; ders., Wirtschaftssanktionen und staatliche Jurisdiktion – Grauzonen im Völkerrecht, ZaöRV 57 (1997), 269 ff. 192 Vgl. Bleckmann, Grundlagen, 1992, S. 23 f. 193 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1020 (S. 636), sprechen von Feststellungs- und Gestaltungswirkung über eine Vollstreckung i. e. S. hinaus. Im innerstaatlichen Recht wird im Zusammenhang mit Verwaltungsakten meist von Tatbestands- und von Feststellungswirkung gesprochen; vgl. etwa Kopp / Ramsauer, VwVfG, § 43 Rn. 18 ff., nach denen Tatbestandswirkung bedeutet, daß „außer der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, und dem Rechtsträger, dem sie angehört, sowie den Verfahrensbeteiligten . . . , denen gegenüber der Verwaltungsakt . . . wirksam geworden ist, auch alle Behörden und öffentlichen Rechtsträger . . . sowie grundsätzlich auch alle Gerichte . . . die Tatsache, daß der Verwaltungsakt erlassen wurde und rechtlich existent ist, als maßgeblich akzeptieren müssen.“ Vgl. auch J. Ipsen, Verbindlichkeit, Bestandskraft und Bindungswirkung von Verwaltungsakten, Versuch einer begrifflichen Klärung, DV 1984, 169 (176 ff.), der sich kritisch mit der Begrifflichkeit der Tatbestandswirkung auseinandersetzt.
C. Begriffe und Systematik
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Recht“ bzw. „als Tatbestand“193 zugrunde gelegt werden soll. Bei dieser „Beachtlichkeit als Recht“ im Inland geht es um nichts anderes als um eine Gleichstellung mit inländischen Akten. Nur dies wird nachstehend unter dem Begriff „Geltung“ verstanden. So lassen sich denn die zahlreichen Aussagen zum Anerkennungsbegriff unter diesem Gesichtspunkt deuten: Wenn nämlich betont wird, daß sich die Wirksamkeit eines hoheitlichen Aktes nur bis zu den Grenzen des territorialen (und personalen) Jurisdiktionsbereichs der Staaten erstrecken kann, so daß Hoheitsakte als Willensäußerungen des Staates von sich aus nicht über die Sphäre hinausreichen könnten, über die die betreffende Staatsgewalt herrscht,194 liegt dieser Aussage ein Begriff der Wirksamkeit zugrunde, der i. S. einer solchen Gleichstellung mit inländischen Hoheitsakten zum einen die o. g. bloße Persuasionswirkung nicht genügen läßt, zum anderen aber auch nicht unbedingt i. S. von Durchsetzbarkeit zu verstehen ist. Gleiches gilt für die Aussage, daß ein Staat seinen Verwaltungsakten nur Wirkung in seinem eigenen (territorialen oder personalen) Hoheitsbereich verleihen kann, dieser nur hier rechtliche Bedeutsamkeit hat, nicht aber mit seinen Rechtsakten in einem anderen Staat von sich aus Rechtsbeachtlichkeit hervorrufen kann,195 wenn also als maßgeblich angesehen wird, daß sowohl die Durchsetzung (jurisdiction to enforce) als auch die Behandlung „als Recht“ an diesem negatorisch verstandenen Territorialitätsprinzip des Wirkungsstaates scheitern muß. Nur wenn dieser den ausländischen Hoheitsakt, etwa das Gerichtsurteil auf Herausgabe einer in dem anderen Staat befindlichen Sache, anerkennt, kann er auch vollstreckt, also durchgesetzt werden. Die Differenzierung zwischen jurisdiction to prescribe und jurisdiction to enforce ist also nach hier vertretener Auffassung weder für die Frage entscheidend, ob überhaupt völkerrechtliche Grenzen der Jurisdiktion zu beachten sind (etwa nur bei der jurisdiction to enforce), noch für die Frage, ob es zwingend einer Anerkennung des ausländischen Hoheitsaktes bedarf oder nicht.196 Die Anerkennung ist vielmehr in beiden Fällen nötig. Eine extraterritoriale Wirkung ohne Anerkennung tritt nur in den Fällen sog. Persuasionswirkung ein. Die Definition des Begriffes der Anerkennung ergibt sich nun leicht aus dem, was oben zur Notwendigkeit der Anerkennung herausgestellt wurde.
e) Die Notwendigkeit des Merkmals der Geltungserstreckung – internationalverwaltungsrechtliche Anerkennung und bloße Achtung
Vgl. K. König, Anerkennung, S. 24. So eng aber K. König, Anerkennung, S. 24. 196 Anscheinend ist es diese Art von Wirkung (also Wirkung wie ein inländischer Akt), die Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 504 f., zur Legitimierung jeglicher extraterritorialen Wirkungen die Anerkennung als erforderlich ansehen läßt. 194 195
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1. Teil: Grundlegung
Im Laufe der vorangegangenen Erörterungen ist bereits darauf hingewiesen worden, daß der Begriff der Anerkennung in unterschiedlichen Bedeutungsvarianten verwendet wird. Anerkennung kann einmal, im Gewande eines bloßen Nichtbestreitens der Wirksamkeit von Hoheitsakten des fremden Staates auf dessen eigenem Gebiet, die sich nicht auf die Tätigkeit des anderen Staates auswirken, daherkommen, sie kann aber auch als positive Übernahme von Hoheitsakten des fremden Staates in die eigene Rechtsordnung in Erscheinung treten. Diese Differenzierung ist unmittelbar relevant für die Frage der völkerrechtlichen Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte197. Der Begriff des Internationalen Verwaltungsrechts wiederum wurde hier im Sinne eines Zwischenverwaltungsrechts, eines Kollisionsrechts verstanden. Dabei wurde auf den Topos von der Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts eingegangen, womit die Tatsache in Worte zu fassen versucht wird, daß das Internationale Verwaltungsrecht regelmäßig nur Aussagen über den Anwendungsbereich des eigenen Rechts trifft, nicht aber eine echte Rechtswahl zuläßt. Die Regeln über die Anerkennung wurden gerade als Ausnahme von dieser grundsätzlichen Einseitigkeit charakterisiert. Hieraus ist ersichtlich, daß es der Anerkennung im internationalverwaltungsrechtlichen Sinne nicht etwa wie der völkerrechtlichen Anerkennung von Staaten etc. (nur) um das Nichtbestreiten von Tatsachen, gleichsam um den Respekt vor dem Bestehenden, geht, sondern gerade um die ausnahmsweise Zulassung der Geltung fremder Hoheitsakte im eigenen Staatsgebiet. Durchaus zutreffend wird als Merkmal der Anerkennung ausländischer Hoheitsakte hervorgehoben, daß (innerstaatlich durchsetzbare) Rechte, Verbindlichkeiten usw. auf behördliche Akte des anderen Staates zurückgehen.198 Hiermit werden aber zunächst nur die Folgen einer Anerkennung beschrieben. Da diese (theoretisch) auch aus eigenem Recht eintreten können, bedarf es noch des wesentlichen Merkmals der Äußerung des inländischen Willens zu dem fremden Akt.199 Die Anerkennung trifft der Staat immer gemäß seinem eigenen Rechtssystem. Deshalb kann sie auch aufgrund einer unabhängigen Willensentscheidung des betr. Staates vorgenommen werden. Damit der ausländische Hoheitsakt im Inland ebenso wie ein inländischer wirken kann200, bedarf es eines inländischen Geltungsbefehls durch die einheimischen Organe staatlicher Gewalt, weil nur die innerstaatliche Gewalt im Inland in diesem Sinne ihren hoheitlichen Willen äußert.201 Dieser Anwendungsbefehl kann in jedem Einzelfall durch eine Behörde, kann aber auch für Hierzu unten Zweiter Teil A.II. So Schwarz, Die Anerkennung ausländischer Staatsakte, 1935, S. 2, die dies zunächst als vollständige Definition einführt. 199 K. König, Anerkennung, S. 26. Doch auch Schwarz, Anerkennung, S. 5, definiert die von ihr so genannte „volle Anerkennung“ als „diejenige Form der Aufnahme . . . , bei welcher der Staatsakt als solcher und völlig in seinen ursprünglichen Funktionen von der heimischen Rechtsordnung ergriffen und in die heimische Rechtsverwirklichung eingefügt wird.“ 200 Vgl. zur hier ausgeklammerten Persuasionswirkungen o. d). 201 K. König, Anerkennung, S. 24; zust. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 212. 197 198
C. Begriffe und Systematik
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eine unbestimmte Vielzahl von Fällen durch ein Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag erteilt werden. Es ist angebracht, zur Beantwortung der Frage, auf welche Weise ein fremder Hoheitsakt innerstaatliche Geltung erfährt, auf die für die Anwendbarmachung von Völkerrecht im nationalen Recht vertretene Vollzugslehre202 zurückzugreifen und diese gleichsam „analog anzuwenden“. Nach dieser Lehre wird Völkerrecht durch einen innerstaatlichen Rechtsakt, etwa durch ein Zustimmungsgesetz bei Vertragsvölkerrecht oder durch eine Verfassungsnorm bei Völkergewohnheitsrecht,203 innerstaatlich anwendbar gemacht, büßt dabei aber gerade seinen Charakter als Völkerrecht nicht ein. Unter Zugrundelegung dieser Sichtweise bleibt ein Hoheitsakt durch die Anerkennung hierbei ein ausländischer, wird also nicht in einen inländischen transformiert.204 König sieht die Anerkennung, bezogen auf Verwaltungsakte als „Verleihen von Wirkungen an einen Verwaltungsakt eines ausländischen Staates für die Rechtsordnung des Inlands durch den Willen des inländischen Staates“205 Den Umstand, daß die Anerkennung als Zustimmung zu einer Aussage verstanden werden muß und ihrer Rechtserheblichkeit einen weiteren rechtlichen Inhalt nicht hinzufügt,206 nimmt Meng zum Ausgangspunkt und definiert die Anerkennung als „Annahme einer durch fremdes Recht geschaffenen Rechtslage, als sei sie durch einen vergleichbaren eigenen Akt geschaffen worden.“207 Nichts anderes sagt Biscottini, für den die Anerkennung eines fremden Hoheitsaktes heißt, das von ihm erzeugte öffentlich-rechtliche Verhältnis mit den von der eigenen Rechtsordnung (der des anerkennenden Staates) vorgesehenen Garantien auszustatten.208 Auch Vogel be202 Zu deren Vorzügen gegenüber der Transformationslehre umfassend Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 1 – 155. Vgl. auch zu deren Anwendung in der völkerrechtlichen Fundierung des Kollisionsrechts Bleckmann, Grundlagen, S. 11 ff. 203 In Deutschland werden durch Art. 25 GG die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ (womit insbesondere das Völkergewohnheitsrecht gemeint ist) innerstaatlich anwendbar. 204 Möglicherweise mißverständlich Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 8 ff., der davon spricht, daß die „Anerkennung“ zur Erteilung der Wirksamkeit ausländischer Hoheitsakte die „Übernahme des Inhalts der fremden in eigene Hoheitsakte (»Nostrifikation«)“ darstelle (Hervorhebung nur hier). 205 K. König, Anerkennung, S. 27 in vorgängiger Auseinandersetzung mit diversen anderen Definitionen früherer Autoren. Entsprechend ist für ihn die Nichtanerkennung das Verweigern von Wirkungen an einen Verwaltungsakt eines ausländischen Staates für die Rechtsordnung des Inlands durch den Willen des inländischen Staates (S. 28). 206 So Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 295. 207 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90 f., der an anderer Stelle (a. a. O., S. 142), eben diese Definition für die fremdnützige (vgl. u.) Anerkennung verwendet. 208 Zit. nach Matscher, in: FS Beitzke, S. 641 (646). 209 Vogel, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 22 (26). Er nennt als Beispiele eine Genehmigung und das Bestehen einer Prüfung und sieht das als einen Fall der Anerkennung an. Dem stellt er den Fall des bloßen Berücksichtigens rechtlicher Wirkungen ausländischer Akte gegenüber.
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1. Teil: Grundlegung
findet sich auf dieser Linie, denn für ihn heißt, einen ausländischen Hoheitsakt anzuerkennen, diesen einen Akt ersetzen zu lassen, wie er durch eine Vorschrift des innerstaatlichen Rechts gefordert werde.209 Daß hier die Gleichstellung mit einem entsprechenden inländischen Akt hervorgehoben wird, ist insofern von Bedeutung, als damit zugleich ausgedrückt wird, daß die eben auch bloß persuasiven Wirkungen des Hoheitsaktes als solche hierdurch keineswegs ausschließlich an die Anerkennung gebunden sind, wohl aber die vollständige Einfügung in das inländische Rechtssystem, insbesondere die Vollzugsfähigkeit210. Es ist im übrigen unerheblich, in welcher Form die Anerkennung ausgesprochen wird, ob ausdrücklich oder (konkludent) bei Gelegenheit der Vornahme einer anderen inländischen Amtshandlung.211 Probleme können sich nur aus unterschiedlichen Bindungswirkungen ergeben. Zusammenfassend stellt sich die Anerkennung im Sinne des Internationalen Verwaltungsrechts hiernach als teilweise oder vollständige Erstreckung des Wirkungsbereiches eines ausländischen Hoheitsaktes unter Gleichstellung mit einem entsprechenden innerstaatlichen Akt dar. Hierdurch erhält der Hoheitsakt, unabhängig davon, ob sie schon von vornherein beabsichtigt war oder nicht, extraterritoriale Wirksamkeit.212 Indem die Anerkennung also immer an einen bereits bestehenden Hoheitsakt anknüpft, wird kein selbständiger inländischer Akt dieses Inhalts erlassen, d. h. kein inländischer Akt gleichen Inhalts geschaffen213.214 Dies läßt sich wiederum gut unter Zuhilfenahme der Vollzugslehre verdeutlichen. Deshalb soll an dieser Stelle besonders hervorgehoben werden, daß die Geltung, die einem Verwaltungsakt kraft Anerkennung zukommt, immer eine abgeleitete, d. h. also keine originäre Geltung ist. Diese abgeleitete (akzessorische) Geltung ist Ausgangspunkt für die Beantwortung einer Vielzahl im Zweiten Teil zu erörternder Fragen. Nach dieser Definition ist es möglich, die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte deutlich von der bloßen Beachtung, dem Nichtbestreiten der Geltung der HoVgl. bereits oben d). K. König, Anerkennung, S. 27. 212 Vgl. Schwarz, Anerkennung, S. 3, die eine früher verwendete Formulierung zitiert. 213 So aber nach der US-amerikanischen (im dortigen IPR beheimateten) „local law theory“, nach der nicht das fremde subjektive Recht anerkannt, sondern ein eigenes geschaffen wird, allerdings nach dem Muster fremder Rechtssätze, die von der eigenen Rechtsordnung nachgebildet sind; vgl. Kegel / Schurig, IPR, § 3 XI 1 b), S. 173. Eher dem hier verwendeten Begriff der Anerkennung entsprechen dürfte die sog. „vested rights theory“, vgl. hierzu wiederum Kegel / Schurig, IPR, a. a. O.; vgl. auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 104, der auf den Ursprung der vested rights theory aus der comity of nations hinweist. 214 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 105. 215 In diesem Sinne auch Happe, Die grenzüberschreitende Wirkung, S. 26 ff. (28). (Die bloße Beachtung sei ein „minus“ in den Rechtswirkungen gegenüber der Anerkennung. Sie erfordere kein positives Mitwirken an der Verwirklichung fremder Staatsinteressen [a. a. O., S. 28 f.].) 210 211
C. Begriffe und Systematik
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heitsakte eines ausländischen Staates auf dessen eigenem Territorium zu unterscheiden.215 Um diese Unterscheidung deutlich zu machen, könnte, da nicht selten von „Anerkennung“ die Rede ist, wo es um bloße Achtung geht, auch von respektierender Anerkennung i. S. der Achtung der Geltung des ausländischen Hoheitsaktes im Erlaßstaat und geltungserstreckender Anerkennung i. S. der Anordnung der Gleichstellung mit innerstaatlichen Parallelakten unterschieden werden. Da aber eine Anerkennung im internationalverwaltungsrechtlichen Sinne (Überwirkung) nur die geltungserstreckende Anerkennung sein kann216, soll im folgenden, wenn von Anerkennung die Rede ist, immer nur diese beschrieben werden. Im anderen Fall soll nur von Achtung bzw. Respektierung der fremden Hoheitsakte die Rede sein.217 Diese begriffliche Abgrenzung der Anerkennung vom bloßen Respekt gegenüber fremden Hoheitsäußerungen auf deren Territorium hat Bedeutung für die später noch zu behandelnde Frage der Pflicht zur Anerkennung.
2. Anerkennungsbegriffe im Internationalen Verwaltungsrecht
a) Zweck und normsystematischer Gegenstand der Anerkennung – eigennützige und fremdnützige Anerkennung Die Anerkennung dient zum einen dazu, (extraterritoriale) Hoheitsakte eines fremden Staates durchzusetzen, diese also vom Makel der ansonsten völkerrechtlich unzulässigen Einmischung zu befreien bzw., falls man ohne Anerkennung von der Nichtigkeit218 solcher Akte ausgeht, diesen erst zur Wirksamkeit zu verhelfen219. 220 Ihr kommt aber noch eine darüber hinausgehende Bedeutung für Ho216 Wenn K. König, Anerkennung, S. 28 (m. N. zur Gegenmeinung) es ablehnt, zwischen verschiedenen Formen der Anerkennung, nämlich der Anerkennung im Sinne der Behandlung eines ausländischen Verwaltungsaktes „als Hoheitsakt des fremden Staates“ und der „Verwertung“ des ausländischen Verwaltungsaktes im Sinne inländischer Geltungskraft zu unterscheiden, von der Anerkennung also immer nur im letzteren Falle sprechen will, läßt er also aus dem Begriff „Anerkennung“ – wegen seiner internationalverwaltungsrechtlichen Blickrichtung konsequenterweise – die hier angesprochene bloße Achtung herausfallen. 217 Der Begriff „geltungserstreckende Anerkennung“ wäre nach der oben gebrauchten Definition tautologisch. 218 Die bloße Persuasionswirkung wird also wiederum ausgeklammert. 219 Vgl. Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, S. 40, der allerdings darauf Wert legt, daß extraterritoriale Hoheitsakte nicht etwa wegen der Möglichkeit der Anerkennung per se zulässig seien, sowie Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (38), nach dem gegen die Übernahme einer völkerrechtlich unzulässig extraterritorial erstreckten Norm dann keine Bedenken bestehen, wenn die innerstaatliche Anwendung ansonsten in dem vom Völkerrecht gezogenen Grenzen liegt, andernfalls vermöge auch ein innerstaatlicher Rechtsanwendungsbefehl eine völkerrechtswidrige extraterritoriale Geltungserstreckung einer Norm nicht zu beseitigen. 220 Vgl. o. 1.d) und e).
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1. Teil: Grundlegung
heitsakte zu, die ursprünglich gar nicht extraterritorial sind. Diese Bedeutung wird durch die insbesondere von Meng verwendeten Attribute „eigennützig“ und „fremdnützig“ erhellt. Fremdnützig ist die Anerkennung dann, wenn sie ausländischen Hoheitsakten, ob sie von vornherein extraterritorial angelegt sind oder nicht, im Inland zur Durchsetzung verhilft.221 Die Anerkennung verdient dann dieses Attribut, weil sie dem ausländischen Staat die Verfolgung seiner Interessen über das eigene Staatsgebiet hinaus ermöglicht, aber auch Gerechtigkeit gegenüber Privaten (z. B. durch die Anerkennung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit) herzustellen vermag,222 weil sie diesen ermöglicht, bestimmte Rechtsstellungen, die sie in ihrem eigenen Land erworben haben und für die sie im ausländischen Staat ein Äquivalent finden, gleichsam dorthin mitzunehmen. Die fremdnützige Anerkennung ist getragen von der Erwartung, der andere Staat möge sich ebenso verhalten (Reziprozität), und dem Bestreben, im Personen- und Wirtschaftsverkehr nicht Hindernisse in Form von Rechtsunsicherheit, Unberechenbarkeit und Widersprüchlichkeit im Wege zu lassen.223 Daneben gibt es aber auch die eigennützige224 Anerkennung. So kann sich etwa ein Staat, der einen ausländischen Hoheitsakt anerkennt, mitunter die Kosten einer erneuten Überprüfung (z. B. der technischen Sicherheit eingeführter Waren) ersparen.225 Die eigennützige Anerkennung dient damit nicht der Durchsetzung ausländischen Rechts, sondern der Vermeidung doppelter Sachverhaltsfeststellungen. Mit ihr wird auch der Umstand ausgenutzt, daß der Ausgangsstaat häufig die entsprechende Sachlage besser einzuschätzen vermag, weil er eine größere Nähe zu ihr aufweist, der anerkennende Staat dagegen seine Sachverhaltsermittlung nicht gleich effektiv vornehmen könnte.226 Aber nicht nur der Zweck der Anerkennung fremder Rechtsakte kommt in den Begriffen „fremdnützig“ und „eigennützig“ zum Ausdruck. Der begrifflichen Differenzierung liegt vielmehr zugleich eine wesentliche normsystematische Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90, der zu letzterem auch noch ausländische Eheschließungen und Erbfolgen rechnet. 223 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 93. 224 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die interessante für das Bundesstaatsverhältnis (vgl. hierzu unten den Dritten Teil) entwickelte Terminologie von Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 185, der von „nutzender Anerkennung“ spricht, wenn dieselbe nur dem Interesse des anerkennenden Staates dient. 225 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90. 226 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 213. Er nennt es (S. 212 f.) ein Beispiel für die eigennützige Anerkennung, wenn ein Staat in Situationen des Mangels an bestimmten Berufsbewerbern ausländische Abschlüsse von Ausländern anerkennt, wenn dieser eine zusätzliche Prüfung trotz bester Kenntnisse und Erfahrungen möglicherweise nicht bestehen würde (z. B. wegen der Sprachbarriere). Ähnlich auch bereits Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 306. 221 222
C. Begriffe und Systematik
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Unterscheidung zugrunde. Bei der „eigennützigen Anerkennung“ wird nämlich der Tatbestand eines Verwaltungsaktes, der vom Erlaßstaat als Grundlage seines Aktes angenommen wurde, der Rechtsanwendung im Inland zugrunde gelegt; bei der „fremdnützigen Anerkennung“ dagegen wird die Rechtsfolge dieses Aktes zum Ausgangspunkt für die Rechtsanwendung im Inland genommen.227 Diese allenfalls auf den ersten Blick verwirrende Verknüpfung scheinbar außerrechtlicher (Nützlichkeit) mit rechtlichen Bestimmungsfaktoren (Tatbestand und Rechtsfolge) leuchtet ein: Ein Staat, der nur den Tatbestand – die vom anderen Staat ermittelten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse – zugrunde legt, geht keine rechtliche Bindung ein, er verringert nur den Aufwand, der in einer erneuten Sachverhaltsaufklärung etc. bestünde.228 Wenn er aber das rechtliche Ergebnis eines fremdstaatlichen Verwaltungsverfahrens gleichsam übernimmt – dies ist ja die Anerkennung im hier verstandenen Sinne –, handelt er nicht nur zum staatlichen Vorteil, sondern auch zu dem des betroffenen Adressaten des nationalen Aktes, weil sich dieser etwa nicht erneut um eine Genehmigung kümmern muß, mit allen Unwägbarkeiten und allem Aufwand des Verfahrens.229 Es ist dann auch möglich, daß die eigennützige Anerkennung zugleich fremdnützig in bezug auf den Erlaßstaat ist. Erkennt er z. B. akademische Grade oder sonstige Berufsabschlüsse eines Ausländers an, kann dies gerade der Integration des Ausländers ins inländische Leben dienen und damit sowohl fremd- wie eigennützig sein,230 falls man ein hierauf gerichtetes Interesse des Herkunftsstaates unterstellt. Das inländische Recht, das die Anerkennung 227 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 213. An anderer Stelle (S. 205) weist er aber darauf hin, daß in dem hier zur Untersuchung anstehenden Bereich der Verweisung auf fremdes Recht kraft völkervertragsrechtlicher oder gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtung die Unterscheidung in eigennützig und fremdnützig nicht notwendig sei, weil ein gemeinsames Interesse bereits durch den Vertrag begründet worden sei, was bei der EG sogar zu einer Souveränitätsbeschränkung und Vergemeinschaftung der Rechtsordnung geführt habe. 228 Der eigennützigen Anerkennung ähnlich sind die von Schwarz, Anerkennung, S. 20 f., beschriebenen „schwächeren“ Formen der Anerkennung, bei denen der Verwaltungsakt nicht in seiner ursprünglichen Funktion, also mit seinem in der Ursprungsordnung geschaffenen rechtlichen Ergebnis aufgenommen werde, sondern nur als Tatbestand für die Anknüpfung inländischer Rechtsfolgen diene. Diese bedeuteten keine Durchbrechung des Prinzips der ausschließlichen Zuständigkeit der deutschen Rechtsordnung. 229 Dieser Vorgang ist vergleichbar mit einem Falle, in dem ein Zivilgericht für die Ermittlung der Schadensersatzpflicht des Verletzers im Rahmen des § 823 I BGB auf die Ermittlung eines Strafgerichts zur Verursachung etwa eines Verkehrsunfalls zurückgreifen wollte (dann gleichsam eigennützige Anerkennung) bzw. im anderen Falle den Schuldspruch einer Verurteilung zu Schadensersatz gem. § 823 II BGB i. V. m. mit einer Strafnorm (z. B. § 263 StGB) zugrunde legte (dann quasi [für den Kläger] „fremdnützige“ Anerkennung). 230 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90. Hieraus ist möglicherweise zu schließen, daß Meng bezüglich der Fremdnützigkeit nicht allein auf den ausländischen Staat, sondern auch auf den privaten Einzelnen abstellt. 231 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 213 m. w. N. 232 So der oben I.4.c) bereits erwähnte Biscottini, L ’efficacité des actes admininistratifs étrangers, RdC 104 (1961 III), S. 635 (662); zit. nach Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 196.
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1. Teil: Grundlegung
ermöglicht, verweist dann auf das materielle ausländische Recht in einem oder beiden Aspekten (Tatbestand oder Rechtsfolge).231 Ebenso könnte zwischen reiner Anerkennung eines ausländischen Hoheitsaktes und Anerkennung der durch den einen solchen Akt geschaffenen rechtlichen oder faktischen Situation unterschieden werden.232 Um die Unterschiede deutlich zu machen, sollte in den Fällen, in denen es zunächst nur um die Vermeidung doppelter Sachverhaltsfeststellungen und um die Erleichterung der Integration eines Ausländers in die inländische Rechtsordnung geht (z. B. bei Berufsabschlüssen), in denen also bei der Zugrundelegung des ausländischen Hoheitsaktes als Tatbestand gleichsam nur bei Gelegenheit der Anerkennung zugleich dessen territorialer Geltungsbereich erweitert wird, von mittelbar fremdnütziger Anerkennung die Rede sein, in den anderen Fällen dagegen, in denen es um die extraterritoriale Durchsetzung fremder Hoheitsakte geht, von unmittelbar fremdnütziger Anerkennung gesprochen werden.
b) Die Grade der eingeräumten Verbindlichkeit im eigenen Rechtsraum Die Staaten regeln in ihrem Verwaltungsrecht auf ganz unterschiedliche Art und Weise, inwiefern sie Hoheitsakte eines anderen Staates bei der Anwendung ihres eigenen Rechts zugrunde legen. Fraglich ist deshalb, ob jede Form und jeder Umfang des Einräumens von Rechtserheblichkeit in der einheimischen Ordnung umfaßt ist. Geck233 will darauf abstellen, daß dem fremden Hoheitsakt im Anerkennungsstaat die „gleiche Rechtswirkung“ wie in der Rechtsordnung, die ihn gesetzt habe, zugemessen werde. Dagegen ist bei Neumeyer zu lesen, durch die Anerkennung werde nichts über die Art der Wirkung, die auf aufgrund der Anerkennung in dem anderen Staate eintreten soll, ausgedrückt, darüber also, ob, wenn die fremde Handlung vorliege, die Zuständigkeit des Inlands entfalle oder ob die Anerkennung ein Verbot der Nachprüfung enthalte.234 Neumeyer versteht die Anerkennung also lediglich in dem Sinne daß sie der fremden Amtshandlung Rechtserheblichkeit beimißt, ohne ein Urteil über den Umfang oder die Art ihrer Einwirkung zu fällen. Wenn Schwarz unter anderem zwischen voller Anerkennung und schwächeren Formen der Anerkennung unterscheidet,235 scheint auch sie diese großzügige Auffassung zu teilen. Für die strenge Auffassung Gecks scheint bereits die o. g. Definition der Anerkennung im internationalverwaltungsrechtlichen Sinne zu streiten, wurde diese 233 Geck, Anerkennung fremder Hoheitsakte, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 55. 234 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV S. 298. 235 Schwarz, Anerkennung, S. 9 ff., 19 ff. mit noch weiteren hier nicht mehr ausgeführten Differenzierungen. 236 Ähnlich Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90 f., 142.
C. Begriffe und Systematik
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doch gerade als Erstreckung des Wirkungsbereiches eines ausländischen Hoheitsaktes ins Inland unter Gleichstellung mit entsprechenden inländischen Akten definiert. Diese Gleichstellung bedeutet, daß der ausländische Akt so behandelt wird, als sei er von einer inländischen Behörde erlassen worden.236 Damit wird aber gerade nicht gesagt, daß dem ausländischen Akt genau der gleiche Rechtswert zukommen muß wie äquivalenten inländischen Akten. Der anerkennende Staat muß vielmehr bei der Anerkennung den Umfang der Geltung selbst bestimmen können. Ob das innerstaatliche Recht den ausländischen Hoheitsakt als dem innerstaatlichen völlig gleichwertig behandelt, hängt wesentlich davon ab, ob die Ziele, die durch das innerstaatliche Recht verfolgt werden, in ausreichendem Maße auch durch den anderen Akt erreicht werden können. Wenn ein Staat für einen vergleichbaren rechtlichen Zweck, für ein vergleichbares Verwaltungsverfahren etwa einen Verwaltungsakt eines anderen Staates anerkennt, drückt er damit zwar gleichzeitig aus, daß er die eigene Prüfung insoweit zurücknimmt. Jedenfalls aber dürfte Einigkeit über folgende Regel herrschen: Soweit der inländische Staat selbst darüber entscheiden kann, ob er anerkennt,237 muß er auch darüber entscheiden können, in welchem Umfang er anerkennt. Er muß dann frei darüber befinden können, ob er ein besonderes Anerkennungsverfahren vorsehen soll oder pauschal bzw. generell anerkennt (vgl. u.). Freilich ist der Unterschied zwischen beiden genannten Auffassungen ein rein terminologischer; er läßt sich einebnen, wenn in Fällen, in denen dem anerkannten Verwaltungsakt nicht die volle Rechtswirkung wie in seiner Heimatrechtsordnung zukommt, von „partieller Anerkennung“ gesprochen wird.
c) Der normhierarchische Gegenstand der Anerkennung – Anerkennung von Einzelakten und von Rechtsnormen Bisher wurde, bewußt verallgemeinernd, stets von der Anerkennung fremder Hoheitsakte gesprochen. Oben238 wurde nun ein Jurisdiktionsbegriff zugrunde gelegt, der Akte der Judikative, der Exekutive und der Legislative umfaßt. Es ist deshalb erforderlich, nunmehr genauer die möglichen Gegenstände der Anerkennung festzustellen. Auszuloten ist insbesondere, ob es möglich ist, außer Einzelakten auch Rechtsnormen eines anderen Staates anzuerkennen.
Hierzu unten Zweiter Teil A. Oben 1.a). 239 Hier wiederum bringt Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, S. 298, ein Beispiel aus dem Handelsvertrag zwischen Deutschland und Italien von 1930, in welchem die „Regeln und Vorschriften der inländischen Gesetzgebung über die Ausübung, Einrichtung und die Sicherheitsbedingungen der Schiffe“ anzuerkennen, vereinbart wurde. 240 Hierzu vgl. u. Vierter Teil E.I.2.b). 237 238
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1. Teil: Grundlegung
Neumeyer erklärt in der Tat, sogar die Gesetzgebung eines anderen Staates ließe sich „anerkennen“, wo ihr gegenüber die Anwendung des eigenen Rechts ausgeschlossen sein sollte,239 und auch der frühere Art. 100b EGV240 sprach von „Vorschriften“, die als „gleichwertig“ anerkannt werden. Hiergegen könnte aber der abstrakt-generelle Charakter der Rechtsnorm im Unterschied zum konkret-individuellen des Verwaltungsaktes (Einzelaktes) einerseits und die Definition der Anerkennung als Geltungserstreckung ins Inland unter Gleichstellung mit inländischen Akten andererseits sprechen. Ein Verwaltungsakt verpflichtet oder berechtigt regelmäßig einen konkreten Adressaten zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen. Diese Berechtigung oder Verpflichtung, die zunächst auf das Staatsgebiet des Erlaßstaates beschränkt ist, wird durch die Anerkennung auf das Gebiet des Anerkennungsstaates erweitert. Der Adressat darf dann etwa sein bestimmtes im Herstellungsland genehmigtes Produkt auch im Einfuhrland vertreiben, wenn dieses die Genehmigung anerkannt hat. Eine Rechtsnorm wendet sich (von Ausnahmen, wie z. B. Legalenteignungen, abgesehen) an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten für eine unbestimmte Zahl von Fällen.241 Die Abstraktheit und Generalität der Regelung wird nur durch das Territorialitätsprinzip eingeschränkt. Die Norm gilt nämlich nur für eine unbestimmte Zahl von Fällen auf dem Territorium des Staates und nur für eine unbestimmte Zahl von Adressaten auf diesem Staatsgebiet. Vergegenwärtigt man sich nun den Umstand, daß durch die Anerkennung ein Hoheitsakt extraterritoriale Wirksamkeit erlangt, so scheint eine Konsequenz in der Auffassung zu liegen, daß durch die Anerkennung von Rechtsnormen das in dieser Norm Angeordnete nun auch für alle Bürger des anerkennenden Staates in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen gälte, vielleicht nicht unbedingt einhergehend mit einer vollständigen Verdrängung der inländischen, aber i. S. einer Gleichstellung mit diesen, also einer parallelen Geltung,242 weil ja die Abstraktheit und Generalität des Satzes die Beschränkung durch das Territorialitätsprinzip für den Anerkennungsstaat abgeworfen hätte. Um das zu verhindern, könnte die Rechtsnormanerkennung begrenzt werden auf solche ausländischen Rechtsnormen die im Inland nicht auf eine parallele Norm stoßen, z. B. die Gesetze über die Enteignung von Angehörigen des Herkunftsstaates,243 und damit konkrete Rechtsverhältnisse gestalten, die nicht bereits durch einen Hoheitsakt des Inlands gestaltet werden. Ausscheiden müßten dann solche ausländischen Rechtsnormen, welche Sachverhalte regeln, die auch im Inland einer Regelung unterworfen sind, z. B. Bestimmungen über die Beschaffenheit von in den Verkehr gebrachten Produkten oder über die Berufsausübung. Eine derartige Eingrenzung möglicher Anerkennungsgegenstände würde aber den Anwendungsbereich der Anerkennung von Rechtsnormen im Gegensatz zur Anerkennung von
Vgl. auch Art. 19 I 1 GG. Vgl. den zweiten Teil der o. g. Definition der Anerkennung (Gleichstellung mit inländischen Akten). 243 Dies wäre ein Sachverhalt, den von Völkerrechts wegen nur der Sitzstaat regeln darf. 241 242
C. Begriffe und Systematik
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Einzelakten über Gebühr einschränken. Immerhin ist es für die Anerkennung ja gerade typisch, daß auf den Erlaß des inländischen Hoheitsaktes (und damit auf die Anwendung des inländischen Rechts) für den betreffenden Sachverhalt verzichtet und so eine Lücke geschaffen wird, die durch den anerkannten fremden Hoheitsakt gefüllt werden soll. Die Anerkennung würde bei Verfolgung einer solchen Auffassung ihres hauptsächlichen Zweckes beraubt. Um dieses Dilemma aufzulösen, bedarf es einer Art teleologischer Restriktion der Anerkennungsfolgen. Die Anerkennung hat nicht den Zweck, den Geltungsanspruch des inländischen Rechts für inländische Adressaten in inländischen Sachverhalten zurückzunehmen, sondern nur den Zweck, auf die Anwendung dieses Rechts in auslandsbezogenen Fällen (für Ausländer244) zu verzichten. Deshalb reicht die Anerkennung auch nur so weit. Nur für diejenigen Sachverhalte, die schon vor der Anerkennung abstrakt-generell von der ausländischen Normen erfaßt waren, entfaltet die Anerkennung extraterritoriale Wirkung; für sie wird der Geltungsbereich der Norm erweitert. Dagegen wird für Fälle, die von vornherein der zunächst territorial beschränkt geltenden Norm gar nicht unterworfen waren, nicht etwa eine neue Geltung der ausländischen Norm konstituiert. Diese allein vernünftige Sichtweise befindet sich in besonderem Einklang mit der bereits245 festgestellten akzessorischen Geltung anerkannter Hoheitsakte. Wird der territoriale Geltungsbereich einer Rechtsnorm auf das eigene Staatsgebiet erweitert, handelt es sich um eine partielle Geltungserstreckung des anerkannten ausländischen Rechts, nämlich beschränkt auf die ihm in seinem ursprünglich Geltungsbereich unterworfenen Fälle. Das internationalverwaltungsrechtliche Instrument der Anerkennung gerät dann schon sehr stark in die Nähe eines anderen: der Anwendung fremden Rechts. Nun wird allerdings im Kollisionsrecht häufig die Anwendung fremden Rechts von der Anerkennung fremder Rechtsakte getrennt. Während aber der Akt der Rechtsanwendung bei der Anerkennung von Einzelakten nicht mehr wiederholt wird246, ist die Anerkennung von Rechtsnormen in der Tat ein Akt der Rechtsanwendung.247 Der anerkennende Staat übernimmt im einen Fall das Ergebnis eines Jurisdiktionsprozesses des ausländischen Staates, während im anderen Fall das Recht selbst angewendet wird.248 Der Unterschied zwischen der Anwendung fremden Rechts und der Anerkennung von Rechtsfolgen 244 U. U. gilt sie auch für Inländer. Vgl. im Gemeinschaftsrecht unten Vierter Teil D.I.1.d)ee)(1). 245 Oben 1.e). 246 Nach Kegel / Schurig, IPR, § 23 II 1, S. 943, liegt in der Anerkennung (von Einzelakten) auch die Anwendung fremden Rechts, nämlich dann, wenn festgestellt werden soll, ob der anzuerkennende Rechtsakt tatsächlich vorliegt. 247 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 93. 248 Daß das Recht vom Ausgangsstaat richtig angewendet wurde, wird bei der Anerkennung oftmals im einzelnen nicht nachgeprüft; dies ist zwar möglich (hierzu unten Zweiter Teil B.III.1.), widerspricht aber dem guten Sinn der (eigennützigen) Anerkennung. 249 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 93.
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1. Teil: Grundlegung
aus fremden Recht ist also nur systematischer Natur und nicht hinsichtlich der Rechtsfolgen relevant.249 Es könnte zwar daran gedacht werden, in einigen Fällen, in denen von der Anerkennung von Rechtsnormen die Rede ist, hieraus nur die Willensäußerung des einen Staates zu folgern, daß er die fremdstaatlichen abstrakt-generellen Regeln den eigenen als gleichwertig ansieht und sich deshalb im vorhinein verpflichtet, aufgrund dieses Gesetzes ergangene Hoheitsakte anzuerkennen, d. h. im eigenen Land mit der Geltung auszustatten, die den eigenen Verwaltungsakten zukommt. Hiermit würden allerdings nicht die Fälle erfaßt, in denen zur Verwirklichung des spezifischen gesetzgeberischen Willens gar kein die abstrakt-generelle Rechtsnorm konkretisierender Hoheitsakt ergehen muß, in denen also das Gesetz (oder die Verordnung bzw. der sonstige abstrakt-generelle Rechtssatz) unmittelbar Rechte und Pflichten bei den Rechtsunterworfenen auslöst.250 Deshalb ist daran festzuhalten, daß eine Anerkennung sowohl für Einzelakte als auch für Rechtsnormen erfolgen kann.251 Hinsichtlich solcher Rechtsakte, die zur Herstellung unmittelbarer Wirkung auf den Rechtsunterworfenen eines Vollzugsaktes bedürfen, kann dieser gleichsam als im vorhinein anerkannt gelten und soll hier (vgl. u.) mit dem Begriff der abstrakt-antizipierten Anerkennung bezeichnet werden, während in den Fällen, in denen es eines solchen Einzelaktes gar nicht bedarf, um im Einzelfall ein Rechtsverhältnis herzustellen, in der Tat allein von einer Anerkennung von Normen gesprochen werden kann. d) Keine Anerkennung von Tatsachen Wenn vorstehend von der Anerkennung fremder Hoheitsakte die Rede war, so wurde dadurch zugleich ausgedrückt, daß Tatsachen nicht zu den Gegenständen der Anerkennung gehören können. Auch Neumeyer erklärt, für das Recht komme primär eine Zustimmung zu den Aussagen über die Wirklichkeit und über die rechtliche Bewertung von Vorgängen und Zuständen in Betracht, dagegen sei es nicht möglich, eine Tatsache (oder ein Rechtsverhältnis) anzuerkennen, dies könne nur durch eigenes Urteil festgestellt werden.252 Dem ist zuzustimmen, denn wenn Anerkennung Geltungserstreckung ist, dann ist Geltung (im Erststaat) Vorausset250 In dem im Rahmen dieser Untersuchung belangvollen Wirtschaftsverwaltungsrecht wäre dies ein aufsichtsrechtliches Regime, in dem anstelle einer Zulassungspflicht (oder auch nur Anzeigepflicht) nur die Erfüllung abstrakt-generell festgelegter (Verhaltens-)Pflichten verlangt wird, deren Einhaltung ggf. durch Kontrollen sichergestellt und ein Zuwiderhandeln durch nachfolgende Untersagungsbefugnisse sanktioniert wird. Zu Beispielen aus dem Lebensmittelrecht und dem Recht der technischen Sicherheit vgl. u. Vierter Teil D.II.1.a). 251 Vgl. nur Meng, Recognition of Foreign Legislative and Administrative Acts, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 ff., wo diese beiden Möglichkeiten erläutert werden; ders. Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 92 f. (implizit). 252 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 297. 253 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90.
C. Begriffe und Systematik
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zung derselben. Tatsachen kommt aber für sich genommen keine Rechtsqualität zu. Werden sie aber bspw. in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren festgestellt, so hat diese Feststellung Rechtsqualität und ist sonach anerkennungsfähig. Von der mangelnden Möglichkeit der Anerkennung einer Tatsache ist jedoch wiederum die Zugrundelegung von ausländischen Rechtsakten als Tatbestände, die hier mit Meng253 als eigennützige Anerkennung bezeichnet wird, zu unterscheiden. Sie dient dem Zweck der „Einsparung“ eigener Sachverhaltsfeststellung. Anerkannt wird dann die rechtlich relevante (z. B. die Eignung, ein Fahrzeug zu führen) Feststellung des Sachverhalts, nicht der Sachverhalt selbst. e) Der Grad der zurückbehaltenen Befugnisse des anerkennenden Mitgliedstaates und der Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung – die Anerkennungstechnik Die Anerkennung eines ausländischen Einzelaktes läßt sich auf unterschiedliche Weise denken.254 Zum einen kann ein ausländischer Verwaltungsakt (z. B. die Verleihung eines akademischen Grades) vom Adressaten im anderen Staat vorgelegt werden, worauf dieser darüber befindet, daß dem Akt fortan die gleiche Wirkung wie im Erlaßstaat zukommen soll (der Adressat also auch im Anerkennungsstaat den bestimmten Grad verwenden darf). Hier kann von konkret-aktueller Anerkennung gesprochen werden.255 Anders liegt der Fall, wenn ein Staat im voraus erklärt, daß alle in einem bestimmten anderen Staat erlassenen Verwaltungsakte auch im eigenen Staat gelten sollen. Hier verzichtet der Staat auf eine Entscheidung im Einzelfall. Er prüft dann lediglich, ob ein bestimmter Verwaltungsakt im Ausland erlassen wurde. Hier soll von einer abstrakt-antizipierten Anerkennung die Rede sein.256 Möglich ist freilich auch im Falle einer konkret-aktuellen Anerkennung, daß bei Bestehen eines gesonderten Anerkennungsausspruchs eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses angeordnet wird. Die abstrakt-antizipierte Anerkennung gerät dann schon sehr stark in die Nähe der oben als möglich angesehenen Anerkennung fremder Rechtsnormen (also abstrakt genereller Rechtsnormen), und zwar solcher Rechtsnormen, die der Vollziehung durch einzelne Hoheitsakte fähig und bedürftig sind.257
254 Vgl. hierzu auch Schwarz, Anerkennung, S. 5 f., die zwischen Anerkennung aufgrund abstrakt-genereller Regelung und Anerkennung mit einem Verfahren „in der Sache selbst“ und anschließender Exequaturerteilung unterscheidet, wobei hier noch das Problem hinzutritt, ob eine inhaltlich Abänderung des Inhalts des Anerkannten möglich ist bzw. erfolgt. 255 Sie ist konkret, weil sie sich auf einen Einzelfall bezieht, und aktuell, weil sie erst dann erfolgt, wenn der Verwaltungsakt der entsprechenden inländischen Behörde „vorgelegt“ wird. 256 Sie ist abstrakt, weil für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen die Wirkungserstrekkung erklärt wird, und antizipiert, weil sie erfolgt, bevor der entsprechende Verwaltungsakt erlassen wird. 257 Vgl. o. c).
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1. Teil: Grundlegung
f) Begriffliche Ordnung Sonach läßt sich für die Anerkennung nach verschiedenen Kriterien eine bestimmte begriffliche Einteilung vornehmen: Zunächst ist die internationalverwaltungsrechtliche Anerkennung i. S. einer Geltungserstreckung von der bloßen Achtung der Wirksamkeit fremder Hoheitsakte auf dem Staatsgebiet des Erlaßstaates abzugrenzen. Gemäß dem Zweck und dem normsystematischen Gegenstand (Tatbestand, Rechtsfolge) lassen sich eigen- und fremdnützige Anerkennung unterscheiden. Des weiteren können, gemessen am normhierarchischen Gegenstand der Anerkennung die Anerkennung von Einzelakten und diejenige von Rechtsnormen auseinandergehalten werden; und schließlich ist eine Unterscheidung nach der „Anerkennungstechnik“ möglich, so daß von konkret-aktueller und von abstraktantizipierter Anerkennung gesprochen werden kann.
Zweiter Teil
Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten Nachdem im ersten Teil einige Worte zum Gegenstand des Internationalen Verwaltungsrechts, zu Zweck und Formen der Anerkennung verloren wurden, soll an dieser Stelle untersucht werden, warum sich die Staaten gegenseitig Anerkennungspflichten auferlegen. Hierzu soll zunächst dargestellt werden, in welchen Fällen sich eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung ergibt. Dann soll die Frage untersucht werden, welchen vorrechtlichen Hintergrund die Anerkennung hat, insbesondere welchen ökonomischen Zweck sie erfüllt.
A. Willensfreiheit der Staaten bei der Anerkennung und Anerkennungspflichten Das Völkerrecht dient nicht zuletzt der grundsätzlichen Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der Staaten und darf gewissermaßen als Minimum für die Lösung der Kollisionen zweier (oder mehrerer) Rechtsordnungen betrachtet werden, für die das Kollisionsrecht der Staaten konkrete Regeln bereitzuhalten hat.1 Oben2 wurde bereits festgehalten, daß die Anerkennung einen ausländischen Hoheitsakt mit inländischer Geltung ausstatten kann, sogar unabhängig davon, ob diese Geltung vom Erlaßstaat intendiert war (dann fremdnützige Anerkennung) oder nicht (dann eigennützige Anerkennung). Daß die extraterritoriale Geltung von Hoheits1 So im Grunde die h. M. Vgl. demgegenüber Bleckmann, Grundlagen, der die Auffassung begründet, daß die von den Staaten zwar gesetzten Regeln des IPR lediglich eine „Konkretisierung der Zuständigkeitsregeln des Völkerrechts“ (a. a. O., S. 38) darstellten. Obwohl er, was das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht betrifft, ausdrücklich von einem dualistischen bzw. „pluralistischen“ (Verdeutlichung des Nebeneinanders von Völkerrecht und vieler nationaler Rechtsordnungen) Standpunkt ausgeht, kommt er in dieser Frage zum gleichen Ergebnis wie die Vertreter des Monismus. Das gesamte IPR beruhe auf dem aus dem Völkerrecht fließenden Prinzip, daß die Staaten grundsätzlich nur im Rahmen der ihnen vom Völkerrecht verliehenen Kompetenzen handelten und damit zur Gesetzgebung befugt seien (a. a. O., S. 42). Weil sich Personal- und Gebietshoheit überschneiden und aus den Zuständigkeitsregeln des Völkerrechts die Regeln des IPR nicht voll abgeleitet werden könnten, falle „den Staaten die Aufgabe zu, als Sachwalter der Völkerrechtsgemeinschaft in ihrem IPR diese Zuständigkeitsbestimmungen des Völkerrechts näher zu konkretisieren.“ (a. a. O., S. 49) Eine große Rolle spielen in der Argumentation Bleckmanns die Topoi vom „Allgemeininteresse“ und von den „wohlerworbenen Rechten“. 2 Erster Teil C.II.2.a).
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
akten nicht ohne weiteres vom Erlaßstaat wirksam angeordnet werden kann, also die Grenzen des Territorialitätsprinzips in seiner positiven und negativen Ausformung zu beachten hat, wurde ebenfalls festgestellt. Am Territorialitätsprinzip scheitert jedenfalls, wer einen ausländischen Hoheitsakt im Inland vollziehen, also „bis zur letzten Konsequenz“ im Inland durchsetzen will; auch ohne Anerkennung sind dagegen Persuasionswirkungen fremder hoheitlicher Akte denkbar.
I. Handlungsfreiheit der Staaten und völkerrechtliche Grenzen Nicht nur für die Frage, ob und wie der nationale Jurisdiktionsbereich begrenzt ist, sondern auch – hiermit in logischem Zusammenhang stehend – für diejenige nach völkerrechtlichen Pflichten zur Anerkennung scheint von Bedeutung, „ob die Staaten nach dem allgemeinen Völkerrecht frei handeln können, bis sie an die Grenzen des Völkerrechts stoßen, oder ob sie nur so weit handeln dürfen, als das Völkerrecht ihnen positiv Kompetenzen zuordnet“,3 ob also staatliche Jurisdiktionsbefugnis erst durch das Völkerrecht verliehen werden muß4 (sog. Kompetenztheorie) oder ob die Staaten grundsätzlich frei sind und nur durch das Völkerrecht beschränkt werden5 (sog. Theorie von der staatlichen Handlungsfreiheit).6 Es könnte nämlich angenommen werden, daß jedenfalls dort eine Pflicht zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte besteht, wo der betr. ausländische Akt innerhalb der ihm vom Völkerrecht verliehenen Kompetenzen erlassen wird, bzw. daß überall dort die Anerkennung versagt wird, wo das Völkerrecht der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit Grenzen setzt. Die Vertreter eines Monismus mit Völkerrechts3 Bleckmann, Die Handlungsfreiheit der Staaten, in: ÖZöRV (Österreichische Zeitung für öffentliches Recht und Völkerrecht 1978, 173 ff.; hierzu bereits Bruns, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 1 (1929), 1 (6; 31 ff.); Mosler, Völkerrecht als Rechtsordnung, ZaöRV 36 (1976), 6 (38); eingehend auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 482 ff. 4 So etwa Isay, Internationales Verwaltungsrecht, in: Stier-Somlo / Elster, Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Bd. III (1928), S. 344 (347); Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (9); Mosler, ZaöRV 36 (1976), 6 (40 f.), die beide die Lückenlosigkeit des Völkerrechts betonen. 5 So etwa nachdrücklich Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 124 f.; Kaiser, Internationale und nationale Zuständigkeit, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 7 (1967), S. 1 (12) („Diese [staatliche Zuständigkeit] ist nicht durch das Völkerrecht begründet, sondern ist von ihm anerkannt. . .“); dto. Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (17), der dies für „nahezu unbestritten“ hält. Bleckmann, The Personal Jurisdiction in the European Community, CMLR 17 (1980), 467 (471), weist auf die Möglichkeit von gegenläufigen Regelungen hin, wenn etwa ein Staat von seiner Personalhoheit auf dem Territorium des anderen Staates Gebrauch machen könne, jener aber von der Territorialhoheit Gebrauch mache. In dieser Hinsicht gewähre das Völkerrecht nicht reale Befugnisse in der Hinsicht, daß nur ein Staat zur Regelung einer bestimmten Angelegenheit befugt sei. 6 Bleckmann, ÖZöRV 1978, 173, der es selbenorts nicht für „völlig absurd“ hält, beide Theorien zu verwerfen, weil sie von der Geschlossenheit der Völkerrechtsordnung, also davon ausgingen, daß das Völkerrecht für jeden Streitfall eine Regelung bereithalte. Dagegen erläutert Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 489 ff., mit welchen Methoden, etwa solchen der Lückenfüllung, Völkerrecht für Jurisdiktionsfragen operationalisiert werden kann.
A. Willensfreiheit der Staaten
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primat müßten sich, weil hiernach das Völkerrecht die Grundnorm ist, aus der sich das Landesrecht herleitet, notwendigerweise der Kompetenztheorie anschließen. Der umgekehrte Satz ist allerdings nicht gültig.7 Der StIGH8 scheint im Lotus-Fall9 immerhin von der Theorie der Handlungsfreiheit ausgegangen zu sein.10 Gegen eine Vorstellung von sich nur wechselseitig beschränkenden Staaten spricht der Umstand, daß Zuständigkeiten mitunter nicht nur horizontal, d. h. verschiedene nationale Zuständigkeiten voneinander, sondern auch vertikal, also nationale von internationalen Zuständigkeiten11, 12, abgegrenzt werden müssen. Dies gilt erst recht für die Verhältnisse innerhalb der Europäischen Union.13 Das heißt, eine Angelegenheit kann, da sie über die rein innerstaatlichen Verhältnisse hinausgeht, entweder zur Berücksichtigung fremder Staatsinteressen führen oder gar eine übernationale Zusammenarbeit erfordern. Die Globalisierung der Wirtschaft bereitet deshalb Abgrenzungsprobleme sowohl horizontaler als auch vertikaler Art.14
7 Vgl. nur Mosler, ZaöRV 36 (1976), 6 (38), der hervorhebt, daß die Anerkennung eines „Primats der Völkerrechtsordnung“ in dem Sinne, daß die Grenzen der völkerrechtlichen Kompetenz durch das Völkerrecht bestimmt werden (zu den Unklarheiten dieser Formulierung vgl. vorige Fn.), nicht die Anerkennung eines völkerrechtlichen Monismus i. S. eines Nichtigkeitsverdikts bedeute. Die Frage, ob das Völkerrecht als eine umfassende Handlungsordnung angesehen werden kann, muß also von der Frage nach der innerstaatlichen Wirkung nach außen verbindlichen Völkerrechts getrennt werden und kann auch ohne Verfolgung einer monistischen Auffassung bejaht werden, wie Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 497 f., in Entgegensetzung zu Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 11, der die Trennung beider Fragen vielleicht aber auch gar nicht in Frage stellt, betont. Für die monistische Auffassung kommt es also entscheidend auf die Nichtigkeit völkerrechtswidriger nationaler Akte an. 8 StIGH, Serie A Nr. 10, S. 18 f.: „Die erste und wichtigste Beschränkung, der ein Staat nach Völkerrecht unterliegt, ist die, daß er, wenn eine ausdrückliche Erlaubnis im gegenteiligen Sinne nicht erteilt worden ist, seine Gewalt in keiner Form im Gebiet eines anderen Staates ausüben kann.“, zit. nach Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (7). 9 Vgl. hierzu kurz Herndl, Lotus-Fall, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 431 – 434; ferner Schlochauer, Die extraterritoriale Wirkung, S. 71 ff., wo der Fall auch (auf Deutsch) abgedruckt ist; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 482 ff. 10 Bleckmann, ÖZöRV 1978, 173 (174); ähnlich auch bereits Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (32), und Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (18). 11 Vgl. hierzu Kaiser, Internationale und nationale Zuständigkeit, S. 1 ff. Die etwa bei Radnitzky, AöR 28 (1912), 454 (470), nachzulesende und als Allgemeingut anzusehende räumliche Abgrenzung zwischen ausschließlicher Kompetenz der Staaten auf ihrem Staatsgebiet und gemeinsamer Kompetenz der Staaten etwa auf hoher See, die zu niemandes Staatsgebiet gehört, läßt sich also gleichsam auch auf der sachlichen Ebene vollziehen. 12 Diese ist insbesondere für die Auslegung von Art. 2 Nr. 7 SVN notwendig, wo ein Eingreifen aufgrund der SVN für Angelegenheiten der inneren Zuständigkeit ausgeschlossen wird. 13 Vgl. Schwarze, Die überstaatliche Bedingtheit des Staates, Bemerkungen zu Grundpositionen Werner von Simsons auf dem Gebiete des Europarechts, EuR 1993, Beiheft 1, 39 (40), der unter Berufung auf von Simson auf die besondere Tatsache hinweist, daß der Gemeinschaft auch Kompetenzen übertragen wurden, die den Einzelstaaten ehedem gar nicht zu Gebote standen.
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
Die Crux der Entscheidung zwischen diesen Theorien liegt darin, daß äußere Souveränität und Völkerrecht sich begriffsmäßig bedingen,15 so daß die Frage, ob aus dem Fehlen einer Verbotsnorm schlicht die Handlungsfreiheit geschlossen werden kann oder ob es für die Annahme grundsätzlicher Handlungsfreiheit wieder eine völkerrechtliche Norm geben muß16, nicht eindeutig beantwortbar ist. Zutreffend dürfte es deshalb sein, den „genossenschaftliche[n] Charakter der Völkerrechtsordnung zu berücksichtigen, welche einerseits Rechte und Pflichten der Staaten festlegt, andererseits aber auch die Staaten, die selbst durch Rechtsordnungen konstituiert werden, gegeneinander abgrenzt, im räumlichen wie im Handlungsbereich.“17 Hieraus folgt, daß auch dort, wo keine konkreten völkerrechtlichen Pflichten durch Normen festzustellen sind, u. U. durch Lückenfüllung, abgeleitet aus einer dem Völkerrecht innewohnenden Systematik und ihrem Zweck, Friedensordnung zu sein, eine völkerrechtliche Lösung für Jurisdiktionsprobleme gefunden werden kann.18 Es kann also weder das eine noch das andere Prinzip uneingeschränkt gelten.19 Doch selbst wenn man davon ausgeht, daß das Völkerrecht die räumliche Geltung staatlicher Rechtssätze nur begrenzen kann, läßt sich die Bindungswirkung einseitiger Akte der Staaten doch nicht auf die Handlungsfreiheit der Staaten, auf die Souveränität zurückführen, sondern muß durch spezielle Rechtstitel begründet werden.20 Die innerstaatliche Wirkung von Normen einer fremden Rechtsordnung folgt also, soweit es um die verbindliche Geltung als Recht im Inland21 oder gar um die Durchsetzung geht, nicht aus ihrem eigenen Geltungsanspruch, sondern aus der Anerkennung durch den Staat, auf dessen Gebiet die Wirkung eintreten soll.22 Dies wird unten noch näher auszuführen sein.
14 Es darf die Auffassung vertreten werden, daß die Zunahme extraterritorialer Jurisdiktion, insbesondere im Wettbewerbsrecht, eine Antwort auf die globalisierte Wirtschaft und den Mangel an internationalen Regimen ist. 15 Vgl. schon oben Erster Teil C.II.1.a). 16 Zu letzterem Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 486. 17 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 489. Dieser Genossenschaftscharakter klingt bei Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (9, 46), und Mosler, ZaöRV 36 (1976), 6 (40), an, die beide jedoch die Kompetenztheorie vertreten. 18 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 489, 489 ff. Zur Lückenfüllung vgl. Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (25 ff.) an; hieran anknüpfend Mosler, ZaöRV 36 (1976), 6 (40 f.). 19 Bleckmann, ÖZöRV 1978, 173 ff. (überall u. zusammenfassend S. 193 f.), so im Grunde trotz stärkerer Kritik an der Theorie der Handlungsfreiheit auch Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 482 ff. (insbes. 489). 20 Bleckmann, ÖZöRV 1978, 173 (194, Fn. 58). 21 Vgl. oben Erster Teil C.II.1.d). 22 Beitzke, in: Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 504 (504); Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (11).
A. Willensfreiheit der Staaten
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II. Anerkennungspflichten aufgrund Völkerrechts oder bloßer Courtoisie Wenn eine allgemeine Berechtigung, extraterritoriale Hoheitsakte zu setzen, ebenso abgelehnt werden muß wie ein allgemeines Verbot derselben, soll nun gefragt werden, ob sich aus dem Völkerrecht im einzelnen die Pflicht des Staates ergibt bzw. ergeben kann, einen fremden Hoheitsakt anzuerkennen.
1. Anerkennungspflichten kraft Völkergewohnheitsrecht
Im Ersten Teil wurde die Anerkennung bereits als eine Methode des Internationalen Verwaltungsrechts charakterisiert. Für die Beantwortung der Frage nach Pflichten zur Anerkennung soll nun zunächst wieder das Völkerrecht ins Spiel kommen. Dieses kann nämlich äußerste positive wie äußerste negative Grenzen der Anerkennung setzen, also eine Anerkennung in bestimmten Fällen gebieten, in anderen aber verbieten. (vgl. o.) Von einer generellen völkerrechtlichen Pflicht zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte zu sprechen wäre unzutreffend. Vielmehr muß nach dem Grade des Bezuges des ausländischen Hoheitsaktes zum inländischen öffentlichen Recht differenziert werden. Logischer Anhaltspunkt für eine solche Abstufung soll die folgende Überlegung sein: Bei der Filterung des internationalverwaltungsrechtlichen Begriffes der Anerkennung wurde diese klar von der bloßen Achtung fremder Hoheitsakte abgegrenzt. Letzterer fehlt das Merkmal der Geltungsbereicherstreckung gänzlich, durch sie wird lediglich die Rechtmäßigkeit solcher ausländischen Hoheitsakte nicht bestritten, die allein rechtliche Wirkungen auf dem Gebiet des Erlaßstaates haben (sollen). Demgegenüber ist es der internationalverwaltungsrechtlichen Anerkennung gerade um eine solche Erstreckung des Geltungsbereiches des ausländischen hoheitlichen Aktes in die inländische Rechtsordnung zu tun. Es ist ohne weiteres zu erkennen, daß die Nichtachtung der Geltung eines Hoheitsaktes im Staatsgebiet des Erlaßstaates als Hoheitsakt dieses fremden Staates ein Bestreiten seiner Souveränität, seiner Befugnis, seine inneren Angelegenheiten selbst zu regeln, darstellen würde und daß dies, es sei denn, die Hoheitsakte sind von selbst nicht anerkannten Regierungen, Aufständischen o. ä. gesetzt, als Einmischung in die inneren Angelegenheiten völkerrechtswidrig wäre. Die so verstandene Achtung muß als völkerrechtliche Verpflichtung angesehen werden, weil der völkerrechtliche Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten diesen eine Eigensphäre gewährleistet, innerhalb derer ihrer Rechtsordnung ausschließliche bzw. primäre Regelungskompetenz zukommt, die sie gegenseitig zu respektieren haben.23 Rele23 Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (18); Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 7 (1967), S. 77 (99). Zum Kontext von Souveränität und Gleichheit vgl. auch Steinberger, Sovereignty, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, 317 (411 f.).
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
vant wird die Frage, ob Hoheitsakte in ihrer Geltung im Erlaßstaat anerkannt werden müssen, aber gerade dann, wenn sie der innerstaatlichen Rechtsanwendung zugrunde gelegt werden müssen. Würde dagegen eine Anerkennung i. S. einer Geltungserstreckung zur unbedingten und allgemeinen Verpflichtung erhoben, so würde wiederum die Freiheit des anderen Staates bei der Gestaltung seiner innerstaatlichen Rechtsordnung beschnitten. Es entstünde sonach ein logischer Widerspruch, wenn es einerseits ein Gebot der Achtung der Souveränität fremder Staaten wäre, deren Hoheitsakte zu achten und andererseits mit dem gleichen Souveränitätsgedanken alle Welt verpflichtet würde, fremde Hoheitsakte im eigenen Staatsgebiet mit innerstaatlicher Geltung auszustatten. Die angebliche Achtung der Souveränität des einen Staates würde geradezu auf eine Negierung der Souveränität des anderen (anerkennungspflichtigen) Staates hinauslaufen. Ein Staat kann deshalb nicht allgemein verpflichtet werden, für seine eigenen Sachverhalte fremdes Recht anzuwenden, liegt doch in der Anerkennung des fremden Hoheitsaktes zugleich die Anwendung des fremden Rechts24. Der Völkerrechtsgrundsatz der Achtung vor einem Staat verbietet zwar die Einmischung in seine hoheitliche Tätigkeit auf seinem Staatsgebiet, zwingt aber andere Staaten gerade nicht dazu, Hoheitsakten auf ihrem Staatsgebiet die gleichen Rechtswirkungen wie der Ursprungsstaat zuzubilligen, denn dies würde geradezu eine Erstreckung der Hoheitsgewalt des Ursprungsstaates auf fremdes Gebiet bedeuten.25 Die dahingehenden Regeln sind also in den einzelnen Staaten zu unterschiedlich, sie differieren auch nach einzelnen Sachgebieten und u. U. nach der Rechtsstellung und dem Verfahren der ausländischen Instanz, die den Hoheitsakt gesetzt hat, zu stark, als daß sich eine allgemeine Regel erkennen ließe. Sonach ist es abzulehnen, eine völkerrechtliche Pflicht zur Anerkennung zu postulieren.26 Von den unstreitig im Völkergewohnheitsrecht wurzelnden Grundanforderungen des Fremdenrechts abgesehen, steht es dem einzelnen Staat also frei, Ausländer nach seinem eigenen Recht zu behandeln; sie haben jedenfalls nicht auf die Anwendung eigener, nicht auf das spezifische, durch die Staatsbürgerschaft begründete Sonderverhältnis abstellende rechtliche Regelungen zu verzichten oder Hoheitsakte des anderen Staates anzuerkennen. Selbst wenn viele Staaten von ihrem die eigene Souveränität unterstreichenden Recht nicht allzeit Gebrauch machen, sondern vielmehr oft aus eigenem Interesse ausländische Hoheitsakte akzeptieren, zeigt sich darin noch kein Gewohnheitsrecht. Denn selbst wenn man eine tatsächliche Übung annähme, die festzustellen wegen zahlreicher Nichtanerkennungen, auf die noch gesondert einzugehen ist, schwierig ist, würde es an der Überzeugung fehlen, damit eine rechtliche Verpflichtung zu erfüllen. 24 Für Enteignungen Kegel / Schurig, IPR, § 23 II 1, S. 943: „Eine fremde Enteignung anerkennen heißt das fremde Enteignungsrecht anwenden.“ 25 Geck, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 55 f. 26 So die h. L., vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 99, m. z. w. N. in Fn. 415.
A. Willensfreiheit der Staaten
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Anders als in einem Falle, in dem auch die Geltung der fremden Hoheitsäußerungen im Erlaßstaat bestritten wird, berührt es also die völkerrechtliche Souveränität eines Staates nicht, wenn ein anderer Staat dessen Hoheitsakte nicht mit innerstaatlicher Wirkung ausstattet, da es dann gar nicht darum geht, über die Handlungen des anderen Staates zu Gericht zu sitzen.27 Darum ist die oben28 vollzogene und wiederholt angesprochene Unterscheidung zwischen Anerkennung (im Sinne rechtlicher Geltungserstreckung ins Inland) und bloßer Achtung der Geltung des Hoheitsaktes im Erlaßstaat zum Anlaß zu nehmen, den folgenden Spannungsbogen zu errichten: Hinsichtlich solcher Hoheitsakte, die ihre Wirkung allein im Erlaßstaat entfalten und eine ausschließliche Beziehung dieses Staates zum Adressaten aufweisen, sind alle anderen Staaten von Völkerrechts wegen zur Achtung verpflichtet. Hinsichtlich solcher Hoheitsakte, die sich auf die Rechtsordnungen der anderen Staaten auswirken (können), besteht dagegen keine allgemeine Anerkennungspflicht, und zwar unabhängig davon, ob diese Überwirkung erst durch die Anerkennung eines an sich hinsichtlich seines territorialen Wirkungsbereiches „neutralen“ Hoheitsaktes29 hergestellt werden müßte oder ob der Hoheitsakt schon von vornherein nach der Intention des Erlaßstaates extraterritorial sein soll. Erst recht besteht keine Pflicht zur Durchsetzung fremder Hoheitsakte (i. S. der jurisdiction to enforce). Zwischen diesen beiden Polen ergibt sich deshalb ein Kontinuum, für das die folgende grobe Regel aufgestellt werden kann: Je weiter die Berücksichtigung fremder Staatstätigkeit von der bloßen Achtung entfernt ist, je näher sie also an die Durchsetzung fremden Rechts reicht, desto weniger muß ein Staat als zur Anerkennung verpflichtet angesehen werden. Auf diesem Kontinuum liegt die Zugrundelegung eines Hoheitsaktes als Tatbestandsmerkmal der innerstaatlichen Rechtsanwendung zwischen der bloßen Achtung und der Durchsetzung (i. e. S.) eines fremden Hoheitsaktes. Gerade für diese Fälle muß untersucht werden, wie stark die Verbindung zum Erlaßstaat einerseits und zum potentiellen Wirkungsstaat andererseits ist. Diese grobe Regel bedarf nun aber in einem weiteren Schritt zusätzlicher Differenzierung. Es ist für die Beurteilung einer völkerrechtlichen Anerkennungspflicht nicht nur entscheidend, ob der Hoheitsakt seine Rechtswirkung zunächst im Normierungsstaat oder von vornherein auch im Ausland entfalten sollte30, sondern auch, ob es sich bei der Kompetenz des normierenden Staates zur Vornahme eines bestimmten Hoheitsaktes nach dem Völkerrecht um eine ausschließliche Kompe-
K. König, Anerkennung, S. 62. Erster Teil C.II.1.e). 29 Damit ist ein Hoheitsakt gemeint, der hinsichtlich der territorialen Geltung indifferent ist, z. B. die Erteilung eines beruflichen Abschlusses, bei denen sich nur aus der territorialen Beschränkung des hierzu ermächtigenden Gesetzes (bei einem Einzelakt) die auf das Staatsgebiet beschränkte Geltung ergibt. 30 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1021 (S. 636). 27 28
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tenz handelt oder ob diese mit der Kompetenz anderer Staaten konkurriert31, 32, falls es sich nicht gar um eine „internationale Kompetenz“ handelt33. Eben diese Differenzierung nach Kompetenzsphären liegt auch der Auffassung derjenigen34 zugrunde, die von einer allgemeinen völkerrechtlichen Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte, die der ausländische Staat im Rahmen seines eigenen Jurisdiktionsbereiches erlassen hat, sprechen, wird doch hier gleich das entscheidende Kriterium markiert: Der Hoheitsakt des fremden Staates wird nur insoweit anerkannt, als der Staat im Rahmen seiner eigenen Zuständigkeit handelt. Anerkannt werden muß deshalb jedenfalls eine Enteignung inländischer Vermögensrechte des Erlaßstaates, wenn der enteignende Staat „in den Grenzen seiner Macht“ gehandelt hat.35 Dies bedeutet, daß etwa die Enteignung von Sachen anerkannt werden muß, die zum Zeitpunkt der Enteignung im enteignenden Staat belegen waren.36 Konsequent fortgeführt wird dieser Trennungsgedanke, wenn bei der Enteignung von Gesellschaftsrechten im Falle der Belegenheit von Gesellschaftsvermögen im Ausland ggf. eine Spaltgesellschaft außerhalb des Enteignungsstaates gebildet wird.37 Enteignet der eine Staat aber auch Vermögenswerte des anderen Staates, kann jener nicht verpflichtet werden, diese Enteignung gleichsam auszuführen. Es besteht keine Anerkennungspflicht, jedoch, falls kein Völkerrechtsverstoß vorliegt (vgl. hierzu u.), ein Anerkennungsrecht. Unter der Voraussetzung, daß der betreffende Hoheitsakt gar nicht die Rechtssphäre anderer Staaten berührt, müßte also auch seine bloße Nichtzugrundelegung als Tatbestand als ein Bestreiten der Wirksamkeit dieses Hoheitsaktes durch einen anderen Staat angesehen werden. Man könnte dies gar als ein Bestreiten von des-
31 Geiger, GG und Völkerrecht, 1994, S. 323 ff. Ähnlich auch Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (18), der davon spricht, daß das, was ein Staat im Bereiche seiner eigenen Zuständigkeit gesetzmäßig vornehme, von anderen Staaten nicht als rechtlos behandelt werden dürfe. 32 Vgl. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 485 (§ 75 Anm. II.3), der keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Auffassungen von Verdross / Simma und Geiger sieht, weil man von einer ausschließlichen Kompetenz des normierenden Staates in der Regel dann ausgehen könne, wenn der Hoheitsakt darauf abziele, Wirkungen nur im Territorium des normierenden Staates zu entfalten. Das ist gewiß richtig. Jedoch werden damit die Fälle ausgeblendet, in denen der erlassende Staat nicht von vornherein eine Auslandsregelung erzielen wollte, aber dennoch ein Bedürfnis besteht, den erlassenen Hoheitsakt im Ausland als Tatbestandsmerkmal der dortigen Rechtsanwendung zugrunde zu legen. 33 Vgl. o. II. 34 So etwa Kelsen, Principles of International Law, S. 380: „. . . it cannot be denied that there are norms of general international law obligating the state to apply to certain cases the law of another state, for instance, the norm of general international law that the courts of a state are not allowed to question the legality of acts of another state performed within its jurisdiction.“ (Hervorhebung nur hier) 35 Vgl. Kegel / Schurig, IPR, § 23 II 1, S. 943; allg. zur Rechtslage bei Enteignungen a. a. O., § 23 II, S. 942 ff. 36 Kegel / Schurig, IPR, § 23 II 4, S. 946. 37 Vgl. Kegel / Schurig, IPR, § 23 II 4, S. 946.
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sen Souveränität oder der Rechtmäßigkeit seiner Regierung und damit durchaus als Einmischung in dessen innere Angelegenheiten für völkerrechtswidrig halten. Die Anerkennung eines Staates als Teil der Völkergemeinschaft, als Völkerrechtssubjekt, impliziert die Anerkennung seiner Berechtigung, Hoheitsakte auf dem eigenen Staatsgebiet, in seinem eigenen Kompetenzbereich zu setzen.38 Noch aus diesem Gedanken der Achtung heraus kann – weitergehend – auch eine wirkliche Anerkennungspflicht im internationalverwaltungsrechtlichen Sinne geschlossen werden. Eine solche muß etwa hinsichtlich der Staatsangehörigkeit angenommen werden, sofern ein „genuine link“39 vorhanden ist, denn die Einbürgerung ist eine interne Angelegenheit jedes Staates. Sie muß also der innerstaatlichen Rechtsanwendung zugrunde gelegt werden, z. B. bei der Entscheidung über eine Enteignung oder die Einbürgerung in den eigenen Staat. Jedenfalls bei der Anerkennung solcher ausländischen behördlichen Akte, welche elementare personenrechtliche Fragen (Personenstand, Name, Vaterschaft, Mutterschaft etc.) regeln, dürfte um der „Gerechtigkeit gegenüber Privaten“ willen40 von einer solchen tatsächlichen Übung und damit auch von einer Pflicht auszugehen sein.41 Erst recht muß dies, wie soeben ausgeführt, für die Staatsangehörigkeit angenommen werden. Hierbei handelt es sich allerdings auch um solche Bereiche, in den der Ausländer nicht mehr eigentlich als Rechtsfremder in einen rechtlichen Zusammenhang eintreten will, der dem eines Inländers nahekommen soll, wie dies etwa bei der Niederlassung eines Ausländers zur Gewerbeausübung gälte. Vielmehr geht es hier einzig und allein darum, diejenigen Verhältnisse anzuerkennen, die auch einem Fremden aufgrund seines personalen Status zukommen. Eine pauschale Nichtanerkennung auch elementarer personenrechtlicher Hoheitsakte, erst recht der Staatsangehörigkeitsverleihung42 würde in der Tat die Rechtssubjektivität des fremden Staates selbst in Zweifel ziehen. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit wird dies auch durch internationale Verträge bekräftigt.43 38 Vgl. Bruns, ZaöRV 1 (1929), 1 (46): „Mitglied einer Rechtsgemeinschaft sein bedeutet Anerkennung des Genossen und seiner Rechtspersönlichkeit, bedeutet in der Völkerrechtsgemeinschaft Anerkennung des staatlichen Verbandes und der ihn bildenden Verbandsgenossen.“ Es ließe sich hinzufügen: Wer jemanden als Rechtsgenossen anerkannt hat, muß dessen aufgrund dieses Rechts vorgenommenes Handeln respektieren. 39 Vgl. hierzu den Nottebohm-Fall des IGH; erläutert bei Makarov, Nottebohm-Fall, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 635 ff. 40 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90 (für die fremdnützige Anerkennung); K. König, Anerkennung, S. 72. Zum auch hier auftretenden Topos der „internationalprivatrechtlichen Gerechtigkeit“ vgl. Kegel / Schurig IPR, § 2 I, S. 106 ff. 41 Demgegenüber kann z. B. im Bereich der Berufsabschlüsse eine solche Übung nicht festgestellt, sonst hätten sich die Mitgliedstaaten der EG nicht mühsam um die Koordination und gegenseitige Anerkennung bemühen müssen; vgl. u. Vierter Teil D.II.2.c)aa). 42 Vgl. hierzu Clive Parry, ZaöRV 19 (1958), 337 ff. 43 Randelzhofer, Nationality, in: Bernhardt, EPIL, Bd. III, S. 501 (502); Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1192 (S. 788); Parry, ZaöRV 19 (1958), 337 (337); Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 95, verweisen darauf, daß das Haager Abkommen über gewisse
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a) Anerkennung im amerikanischen Recht nach der Act of State Doctrine Eine tendenziell striktere Anerkennungspflicht scheint aus der Act of State Doctrine zu folgen.44 Die geradezu klassische Formulierung der Act of State Doctrine durch den Supreme Court der Vereinigten Staaten im Falle Underhill v. Hernandez45 lautet: „Every sovereign state is bound to respect the independence of every other sovereign state, and the courts of one country will not sit in judgment on the acts of the government of another done within its own territory.“ Der letzte Halbsatz macht bereits deutlich, daß die amerikanische Act of State Doctrine durchaus nicht so weit geht, daß sie einen Staat dazu verpflichten würde, für seine eigenen Sachverhalte fremdes Recht anzuerkennen. Es geht allein um die Rechtsakte mit Wirkung „within its own territory“46, nicht aber um eine weltumspannende Erstreckung ihres Geltungsbereiches. Die Act of State Doctrine betrifft allerdings auch nicht nur die bloße Achtung von Hoheitsakten. Denn wenn es etwa im Enteignungsrecht um den Respekt vor der Geltung einer im Inland vollzogenen Enteignung inländischer Vermögensgüter geht und diese Geltung im Inland Tatbestandsmerkmal für die innerstaatliche Rechtsanwendung ist (z. B. bei einer gerichtlichen Entscheidung über einen Herausgabeanspruch eines Enteigneten bezüglich enteigneter und aus dem Enteignungsstaat verbrachter Vermögensgüter47), kann dies auch als Effektuierung der ausländischen Enteignung und damit als eine (schwache) Form der Unterstützung der ausländischen Staatstätigkeit begriffen werden. Die Entscheidung des britischen Court of Appeal48 von 1921 in der Sache Luther v. Sagor49, in der um einen Posten Holz gestritten wurde, der von der sowjetischen Regierung zusammen mit der produzierenden Fabrik konfisziert (also Fragen der Kollision von Staatsangehörigkeitsgesetzen, welches nicht weltweit gelte, in dem Sinne Völkergewohnheitsrecht nur wiedergebe, als es dazu verpflichte, die völkerrechtsgemäß verliehene Staatsangehörigkeit anzuerkennen. Vgl. etwa dessen Art. 18 (hier zitiert nach Parry, ZaöRV 19 (1958), 337 (337). 44 Vogel, Administrative Law, International Aspects, in: Bernhardt, EPIL, Bd. 1, S. 22 (26), macht darauf aufmerksam, daß die Act of State Doctrine in den USA nur für den Fall eingesetzt wird, in dem die rechtlichen Wirkungen eines ausländischen Verwaltungsaktes als quasi-faktische Basis für die Anwendung des innerstaatlichen Rechts in Betracht gezogen werde. 45 Supreme Court der Vereinigten Staaten, Underhill v. Hernandez, 168 U.S. 252, zit. nach Folz, Die Geltungskraft, S. 33. Folz, a. a. O., S. 34, meint, daß die Entscheidung Underhill v. Hernandez zur leading decision geworden sei, müsse der Tatsache verdankt werden, daß hier die Grundregel der Act of State Doctrine beispielgebend formuliert (hier mit der Besonderheit, daß sie sogar auf eine schließlich erfolgreiche Revolutionsmachthaber / eine Bürgerkriegsgpartei, die später zur Regierung Venezuelas wurde) und angewandt wurde. 46 Dies betont auch Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, S. 77 (100). 47 Vgl. den Fall des LG Hamburg, RIW 1973, 163. 48 Die Act of State Doctrine ist also nicht auf die USA beschränkt. 49 Vgl. bei Folz, Die Geltungskraft, S. 50.
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entschädigungslos enteignet) und später weiterverkauft und nach England ausgeführt wurde, ist illustrativ für die oben getroffene Feststellung, daß das Bestreiten der Gültigkeit eines Hoheitsaktes zugleich ein Bestreiten der Souveränität des Staates bzw. der Rechtmäßigkeit seiner Regierung bedeutet, daß also die Souveränität der fremden Hoheitsgewalt, deren Rechtsakt anerkannt werden soll, ein grundsätzliches Erfordernis der Act of State Doctrine ist.50 Hiervon zeugt der Umstand, daß die sich hier als Problem des Falles darstellende Wirksamkeit einer sowjetrussischen Enteignung maßgeblich, ja ausschließlich davon abhing, ob die sowjetische Regierung von Großbritannien anerkannt worden war oder nicht, so daß, nachdem dies noch während des mehrzügigen Verfahrens geschehen war, in der Entscheidung in zweiter Instanz (Court of Appeal), – unter ausdrücklicher Billigung der Vorentscheidung als aufgrund der damaligen Rechtslage rechtsfehlerfrei – ein die Enteignungsmaßnahme anerkennendes Urteil gefällt werden konnte. Denn – vordergründig51 – um der Souveränität des fremden Staates willen werden seine Handlungen anerkannt.52 Diese Überlegung gleichsam bestätigend, erklärte der amerikanische Supreme Court in einer auch die sowjetischen Verstaatlichungen betreffenden Entscheidung im Belmont Case53, daß die Verfassung, die Gesetze und die Grundanschauungen der Vereinigten Staaten außer für die eigenen Staatsbürger keine extraterritoriale Wirkung hätten. Wie ein anderes Land mit dem privaten Eigentum seiner Bürger54 verfahre, sei (in der Entscheidung) nicht Gegenstand rechtlicher Erwägung. Hier kommt sogar der zweite Aspekt der Act of State Doctrine zum Zuge, nämlich der, daß die Frage der Vereinbarkeit der fremden Hoheitsakte mit der public policy Sache der Exekutive, hier insbesondere der Bundesorgane, ist (hierzu sogleich). Im Falle Luther v. Sagor ging es ausschließlich um Rechtsfolgen, die durch einen fremdstaatlichen Hoheitsakt bereits in der fremden Rechtsordnung herbeige50 Folz, Die Geltungskraft, S. 50. Zu erwähnen ist an dieser Stelle noch, daß hier sogar eine entschädigungslose Enteignung anerkannt wurde, und dies mit dem Hinweis auf hohe Steuern im eigenen Land und der vertretbaren Auffassung einer Regierung, daß die Vergesellschaftung die beste Eigentumsform sei und also die Anerkennungsverpflichtung keinen Verstoß gegen die Public Policy darstelle. Folz bezeichnet die darin zum Ausdruck kommende Toleranz gegenüber prinzipiell anders konzipierten Eigentumsordnung zu Recht als „bemerkenswert“. Zu erwähnen bleibt noch, daß sich das englische Gericht ausdrücklich auf den vorerwähnten amerikanischen Fall Underhill v. Hernandez (vgl. bei Folz, Die Geltungskraft, S. 47 mit genauem Nachweis in Fn. 14.), bezog. 51 Vgl. sogleich unten b). 52 Folz, Die Geltungskraft, S. 50. 53 United States v. Belmont, 301 U.S. 324, zitiert wiederum nach Folz, Die Geltungskraft, S. 54 (dort Fn. 48). Hier klagte ausnahmsweise einmal die amerikanische Regierung (in der Zeit des zaristischen Rußlands begründete) Forderungen gegen amerikanische Schuldner ein, die im Roosevelt-Litwinow-Abkommen, durch das die USA 1933 die Sowjetunion anerkannt hatte, den USA zur Vorbereitung einer endgültigen Regelung der Forderungen und Gegenforderungen mit anderen in den USA befindlichen sowjetischen Vermögenswerten überlassen worden waren. 54 Hervorhebung nur hier.
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führt worden waren. Anders lag der sogenannte Amand-Fall, der die Inhaftnahme eines fahnenflüchtigen Niederländers in Großbritannien während des Zweiten Weltkriegs betraf. Hier wurde nämlich um Rechtsfolgen gestritten, die überhaupt erst durch die Organe der eigenen (britischen) Staatsgewalt (Polizei) aufgrund der eigenen Gesetzgebung herbeigeführt werden konnten.55 Über eine bloße Zugrundelegung der fremden (niederländischen) Hoheitsäußerung als Tatbestandsmerkmal bei der Rechtsanwendung im (britischen) Inland hinaus ging es hier um die Durchsetzung fremder Rechtsakte und damit um die aktive Förderung fremder Staatsinteressen, also um eine klassische (und vor allem: ausschließlich) fremdnützige Anerkennung.56 Es handelte sich also um die „Geltendmachung“ von Ansprüchen aus einem fremden Hoheitsakt57 bzw. im internationalverwaltungsrechtlichen Sinne um eine Entscheidung von Hauptfragen des ausländischen öffentlichen Rechts,58 die oben als in der Praxis des allgemeinen Völkerrechts grundsätzlich ausgeschlossen gekennzeichnet wurde. Hierzu bedurfte es auch nach der englischen Act of State Doctrine einer besonderen Rechtfertigung. Ein Staat findet sich zu einer solchen Unterstützung nur bereit, wenn der erlassende Staat in gewisser Weise als „verbündet“ zu betrachten ist.59 Weil es noch andere Fälle der Anwendung der Doktrin für fremdnützige Anerkennungen gab60, soll der Amand-Fall nicht als bloßer „Ausreißer“, als Übertreibung der Act of State Doctrine begriffen werden, was die Doktrin von den oben festgehaltenen Anerkennungsgrundsätzen wegführt. Daß amerikanische Gerichte in jüngster Zeit zwar an der Doktrin festgehalten, aber teilweise Einschränkungen vorgenommen haben, wenn es um die Frage der Überprüfung von Hoheitsakten ging, die eine frühere, nicht mehr im Amte befindliche Regierung vorgenommen hatte bzw. derselben schwere Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen waren,61 zeigt, daß die Doktrin trotz ihres (i. w. S.) völkerrechtsfreundlichen62 Ansatzpunktes auch ins Gegenteil umschlagen kann.
Folz, Die Geltungskraft, S. 66. Zum Fall bzw. den Fällen vgl. erneut daselbst, S. 59 ff. Folz, Die Geltungskraft, S. 66. 57 In dem oben Erster Teil C.I.4.a) unter Berufung auf Mann, RabelsZ 21 (1956), 1 (4, 19, 5 ff.) beschriebenen Sinne. 58 Im Sinne von Vogel, Anwendungsbereich, S. 197 f. 59 Dies gilt sowohl im Amand-Fall für die Kriegskoalition des Vereinigten Königreiches und der Niederlande, kann aber auch z. B. die gemeinsame Mitgliedschaft in der EG sein, vgl. den von Kegel / Schurig, IPR, § 23 II 2, S. 856, zitierten Fall der Anerkennung von Enteignungen in Frankreich 1981 durch deutsche Gerichte. 60 Vgl. den oben bereits kurz erwähnten Belmont-Case, in dem es schließlich um von der Sowjetregierung enteignete ausländische Konten ging. 61 Zu der insoweit uneinheitlichen Rspr. vgl. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 489 (§ 75 III 4) m. w. N. 62 Zu den unterschiedlichen Deutungen des Begriffes der Völkerrechtsfreundlichkeit unten B.III.2.b). 55 56
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b) Die mangelnde Völkerrechtsqualität der Act of State Doctrine Die Act of State Doctrine entspricht der Praxis des englischen und amerikanischen Richterrechts und der dortigen Regierungspraxis.63 Sie wird nur im angelsächsischen Bereich, wo sie entstanden ist, praktiziert. Sie ist als besondere Rechtstraditionen des angloamerikanischen Rechtskreises anzusehen und mithin nicht Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts.64 Obgleich sie aus der innerstaatlichen Anwendung des Völkerrechtsgrundsatzes der Achtung fremder Souveränität entstanden ist, was ggf. als eine „Überspitzung der territorialen Hoheitsgewalt“ angesehen werden kann,65 macht ihre Anwendung durch angloamerikanische Gerichte ihre eigenständige Entwicklung deutlich, weshalb sie nicht dem Völkerrecht angehört, sondern dem (Kollisionsrecht des) angloamerikanischen Common Law.66 Sie hat deshalb auch in ihrer strikten Form in die kontinentaleuropäische Rechtsprechung keine Aufnahme gefunden.67, 68 Dies mag vor allem aus dem Umstande zu erklären sein, daß mit der Doktrin nicht nur einem völkerrechtlichen Souveränitätsgedanken gehuldigt wird, sondern daß noch ein wesentlicher innerstaatlicher Begründungszusammenhang besteht. Die Achtung vor der fremden Staatsgewalt ist eingedenk ihres Zweckes nämlich auch ein Problem der (innerstaatlichen) Gewaltenteilung.69 Denn mit dieser Achtung wird der eigenen Exekutive (o. Legislative) die Möglichkeit eingeräumt, sich gemäß den eigenen nationalen Interessen eine Auffassung über die Rechtmäßigkeit 63 So Folz, Die Geltungskraft, S. 176, nachdem er zuvor die Rolle der Regierung bei der Herausbildung der Act of State Doctrine dargestellt hatte. Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten, NJW 1961, 705 (708 m. Fn. 43), nennt zudem zwei niederländische Entscheidungen. 64 Folz, Die Geltungskraft, S. 176, der darauf hinweist, daß dies vom amerikanischen Supreme Court im Sabbatino-Fall, 376 U.S. 421 ff., 427 – zit. nach Folz, Die Geltungskraft, S. 176 –, auch so dargelegt wurde. Vgl. sogleich unten im Text. 65 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, § 75 III 4, S. 488. 66 Folz, Die Geltungskraft, S. 176 f.; in dieser Richtung auch Geck, Anerkennung fremder Hoheitsakte, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 56; Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (41). Allenfalls, so Folz, S. 177, Fn. 35, könne sie als partikuläres (angloamerikanisches) Völkerrecht betrachtet werden. 67 Vgl. etwa Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 490 (§ 75 III 4). Aber auch in Amerika selbst ist der Kongreß gegen die Doktrin vorgegangen, in dem er ein Gesetz beschloß, nach welchem die Überprüfung ausländischer Enteignungen nicht abgelehnt werden dürfe, falls nicht der Präsident aus außenpolitischer Rücksichtnahme ein solches anordne, vgl. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 489, wo erklärt wird, die Bedeutung dieses sog. Hickenlooper Amendment sei gering geblieben. 68 Vgl. Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, § 75 III 4, S. 489. 69 Deshalb kann der Problemkreis auch in zwei Teile, die allerdings korrespondieren, zerschnitten werden. Nach Folz, Die Geltungskraft, S. 13, kennt das amerikanische Recht eine Unüberprüfbarkeit eigenstaatlicher Hoheitsakte und eine gerichtliche Respektierung fremdstaatlicher Hoheitsäußerungen. Ersteres wird mit dem Terminus Internal Deference der Gerichte vor den anderen Teilgewalten der eigenen Staatsgewalt bezeichnet, letzteres mit dem Begriff der External Deference vor der Staatsgewalt fremder Staaten.
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der fremden Hoheitsakte zu bilden. Die Gerichte sollen also keine (eigene) Außenpolitik betreiben. So stellte etwa der US Supreme Court bei der Begründung einer sog. „External Deference“70 im Sabbatino-Fall71 fest, die Act of State Doctrine gehe aus dem Grundverhältnis der staatlichen Gewalten in einem System der Gewaltenteilung hervor, sie verdeutliche in der Art der Formulierung in den bisherigen Entscheidungen den klaren Sinn der rechtsprechenden Gewalt dafür, daß die gerichtliche Nachprüfung fremder Staatsakte die Vereinigten Staaten bei der Verfolgung ihrer Ziele für sich selbst und für die Gemeinschaft der Nationen als ganzes eher behindern als fördern könnte.72 Zu Recht wird die Act of State Doctrine – mangels völkerrechtlicher Begründung – deshalb als Problem der Gewaltenteilung bezeichnet.73 Die Begrenzung richterlicher Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis, aber auch die Begrenzung der Kompetenz des Parlaments in Fragen der Außenpolitik74 kehrt in der deutschen Verfassungsjurisprudenz in dem Topos der „auswärtigen Gewalt“75 wieder, durch den besondere Reservatrechte der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag beschrieben werden.76 Auch außerhalb der auswärtigen Gewalt77 tritt die richterliche Selbstbeschränkung zugunsten der Exekutive im deutschen Verwaltungs- und Verfassungsrecht hervor: Schlagwortartig seien hier die Begriffe Ermessen und Beurteilungsspielraum als Grenze der Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte sowie gesetzgeberische Einschätzungsprärogativen in den Raum gestellt. Auch ist im deutschen Verfassungsrecht die ebenfalls aus dem amerikanischen Bereich herübergelangte judicial self restraint in (außen-)politischen Fragen keine unbekannte Größe. Beispielhaft sei an das Rudolf-Hess-Urteil78 erinnert, in dem der Bundesregierung ebenfalls ein weiter Ermessensspielraum zuerkannt wurde. Ihre Entscheidung, sich mit Rücksicht auf wichtigere außenpolitische Interessen bei den Alliierten (insbes. der ablehnenden UdSSR) nur mit humanitären und nicht mit rechtlichen Argumenten und nicht bei der UNO für die FreilasZum Begriff s. vorige Fn. Vgl. Folz, Die Geltungskraft, S. 99 ff. Es ging hier um den Anspruch auf den Verkaufserlös aus einer Ladung Zucker, die einer kubanischen Gesellschaft gehörte, die zu 90% in amerikanischer Hand war und von der kubanischen (Castro-)Regierung enteignet worden war. 72 376 U.S. 423, A.J.I.L. 58 (1964), 789, zit. nach Folz, Die Geltungskraft, S. 117, der die Äußerungen des die Entscheidung begründenden Justice Harlan wiedergibt. 73 Geck, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, S. 56; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 98, ders., in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). 74 Vgl. für die Bundesrepublik im Verhältnis Regierung – Parlament BVerfGE 68, 1 – Nachrüstung. 75 Er wird etwa auch von Mann, NJW 1961, 705 (708), verwendet. 76 Die eigenständige Regierungsfunktion ist i. ü. auch außerhalb der auswärtigen Beziehungen relevant, vgl. BVerfGE 10, 4 (19), betr. die Redezeit der Bundesregierung im Bundestag ohne verfassungsrechtlich zwingenden Ausgleich für die Oppositionsfraktionen. 77 Hier besteht eine Parallele zur sog. (vgl. o. Fn. 69) „Internal Deference“. 78 BVerfGE 55, 349 (364 ff.). 70 71
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sung des NS-Verbrechers Hess einzusetzen, wäre gleichsam ein unüberprüfbarer Act of State gewesen, der eine „Internal Deference“79 hervorruft. Daß die Act of State Doctrine im Grunde ein innerstaatliches (Gewaltenteilungs-)Problem darstellt, ist auch die Auffassung des US Supreme Court selbst.80 In dem unten81 noch näher behandelten Chilenischen Kupferminenfall hätte man auch nach der angloamerikanischen82 Act of State Doctrine zu dem gleichen Ergebnis kommen können. Dies ist ein Beleg dafür, daß im Ergebnis (nicht aber in der Begründung) die deutsche gar nicht so weit von der amerikanischen Rspr. entfernt liegt. Vermieden wird nach ersterer jedoch, einen ausdrücklichen Anerkennungsgrundsatz aufzustellen. Die Act of State Doctrine geht zwar über das völkerrechtlich gebotene Maß hinaus. In ihrem Kern83 aber, soweit sie die Anerkennung von völkerrechtsgemäßen Hoheitsakten fordert, die im territorialen Hoheitsbereich des ausländischen Staates vollzogen worden sind, wäre eine weltweite Befolgung wünschenswert, denn eine Völkerrechtsgemeinschaft ist nur möglich auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung der staatlichen Rechtsordnungen.84 Daß dies nur für Hoheitsakte gelten soll, die nicht gegen das Völkerrecht bzw. gegen den „internationalen ordre public“ verstoßen, versteht sich bei diesem Ansatz von selbst.85
c) Comity und Reziprozität Daß auch in Ermangelung einer völkerrechtlichen Verpflichtung – eine solche läßt sich freilich durch einen Vertrag herstellen – nicht selten fremde Hoheitsakte anerkannt werden, liegt daran, daß es sich dabei um çomity“, um völkerrechtliche Courtoisie, handelt.86 Schon Savigny stellte fest, daß die Anwendung fremden
Zum Begriff s. Fn. 69. So entschied er im Sabbatino-Fall, daß die Act of State Doctrine nicht notwendig der Natur der Souveränität immanent und auch kein zwingendes Prinzip des Völkerrechts sei, was insbesondere aus dem Mangel an Rechtsprechung internationaler Gerichte begründet wurde. (U.S. 376 420, 421, A.J.I.L. 58 (1964), 788 f., zit. nach Folz, Die Geltungskraft, S. 116. 81 Unten III.1. 82 Hier waren die USA freilich strikt gegen eine Anerkennung, weil sie ja US-Staatsangehörige als Anteilseigner betraf. 83 Fälle wie Amand und Belmont gehen über diesen Kern deutlich hinaus. 84 Vgl. die Aussage von Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, S. 77 (101), der meinte, sie entspreche der Praxis der Gerichte aller Staaten, wofür er allerdings nur auf den Fall Luther v. Sagor verweist, was m. E. nicht genügt, da es gerade nur um eine angloamerikanische Rechtspraxis geht. Vgl. wiederum auch Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350), nach dem sich amerikanische und kontinentaleuropäische Rechtsauffassung gegenwärtig einander ziemlich annähern. 85 Vgl. zu letzterem Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, S. 77 (113 ff.). 79 80
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Rechts eine „freundliche Zulassung unter souveränen Staaten“ (comitas) sei.87 Das läßt sich auch von der Anerkennung sagen. Hinter diesem Gedanken steht bei Savigny der Standpunkt „einer völkerrechtlichen Gemeinschaft der mit einander verkehrenden Nationen“; dieser habe „im Fortschritt der Zeit immer allgemeinere Anerkennung gefunden, unter dem Einfluß theils der gemeinsamen christlichen Gesittung, theils des wahren Vortheils, der daraus für alle Theile hervorgeht.“88 Der comitas-Gedanke darf ohnehin als der entscheidende Grund dafür betrachtet, daß es überhaupt ein Kollisionsrecht gibt.89 Völkercourtoisie (internationale Courtoisie, Völkersitte, comity of nations) ist eine Zwischenstufe zwischen der bloßen Übung und dem Völkergewohnheitsrecht; unter Umständen (vgl. die Steuerbefreiung von Diplomaten) kann ein freiwilliges Zugeständnis mit der Zeit zu einer Rechtspflicht erwachsen, wenn infolge der ständigen Übung letztlich der Eindruck entsteht, der Begünstigte könne nicht nur tatsächlich, sondern auch von Rechts wegen erwarten, daß ihm die gegenständliche Vergünstigung eingeräumt wird.90 Die Verletzung der Courtoisie ist regelmäßig ein unfreundlicher Akt, keine Völkerrechtsverletzung; sie kann also wiederum nur mit einem unfreundlichen Akt, einer Retorsion, beantwortet werden.91 Daß die sogenannte çomity of nations“ im 19. Jh. in zahlreichen angloamerikanischen Entscheidungen verwendet und statt für Völkerrechtssitte für das Völkergewohnheitsrecht verwendet wurde,92 heißt nicht, daß beides in eins gesetzt werden könnte, ist aber vielleicht einer der Gründe für die Unsicherheit über die Geltung der Act of State Doctrine als Völkergewohnheitsrecht. Die der Anerkennung innewohnende Selbstbeschränkung gründet sich auf Überlegung des gemeinsamen Interesses, der Reziprozität, der Rechtssicherheit, der ökonomischen Interessen und der Konfliktvermeidung,93 Für eine solche freundli86 Vgl. Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 636 (§ 1020); Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 484 (§ 75 II 1); Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). 87 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, § 348, S. 28, unter Bezugnahme auf die frühere Autoren Ulricus Huber, Johannes Voet und Jos. Story. Er fährt fort: „Nur darf diese Zulassung nicht gedacht werden als Ausdruck bloßer Großmuth oder Willkür, die zugleich als zufällig wechselnd und vorübergehend zu denken wäre. Vielmehr ist darin eine eigenthümliche und fortschreitende Rechtsentwicklung zu erkennen, gleichen Schritt haltend mit der Behandlung der Collisionen unter den Particularrechten desselben Staates“ Hierdurch macht er bereits die in der Courtoisie liegende Potenz, zum Völkerrecht zu werden, deutlich. Vgl. auch Kegel / Schurig, IPR, § 3 IX, S. 165. 88 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, S. 27. 89 Anders wohl Bleckmann, Grundlagen, der (vgl. o. Erster Teil C.I.3.) das Kollisionsrecht direkt aus dem Völkerrecht ableiten möchte. 90 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 469. 91 Vgl. Graf Vitzthum, in: ders., Völkerrecht, I Rn. 66; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 101. 92 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 470; MacCalister-Smith, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 671 (672).
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che Zulassung sprechen zum einen grundlegende Gemeinsamkeiten des inländischen und ausländischen (Wirtschafts-)Rechts und zum anderen das grundlegende Interesse an der Funktionsfähigkeit des internationalen Wirtschaftsverkehrs.94 Der Staat, der in geringerem Maße mit dem betreffenden Sachverhalt verbunden, an ihm interessiert oder von ihm betroffen ist, läßt dem anderen in der Regelung desselben gleichsam den Vortritt.95 Deshalb werden in der Praxis häufig Hoheitsakte dann anerkannt, wenn dies auch dem anerkennenden Staat nützt (sog. eigennützige Anerkennung) und gleichzeitig Ausländern ermöglicht, sich in das inländische Rechtssystem einzugliedern.96 Die Anerkennung erleichtert, indem sie Rechtsbeständigkeit schafft, den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, und sie hilft auf der anderen Seite den anerkennenden Staaten, Geld und Verwaltungsressourcen einzusparen, ist also für alle Seiten vorteilhaft.97 Soweit es jedoch um die Durchsetzung solcher Akte geht, geschieht dies fast ausschließlich erst aufgrund internationaler Wirtschaftsübereinkommen.98 Wenn die comity of nations / Courtoisie / Völkerrechtssitte eine Zwischenstufe zwischen der bloßen Übung und dem Völkergewohnheitsrecht ist (s. o.), bei ihr also (nur) die Überzeugung, mit einer bestimmten Praxis einem Gebote des (Völker) Rechts zu folgen (opinio iuris), fehlt, während der Aspekt der längeren Übung essentiell ist99, läßt sich die rechtliche Klassifikation der Anerkennung als Courtoisie gut vertreten. Doch die Übergänge vom bloß „freundlichen Verhalten“ zum Gewohnheitsrecht (ggf. auch umgekehrt) sind gerade auf der völkerrechtlichen Ebene fließend. Bei der Anerkennung handelt es sich um freiwillige, aus „Freundlichkeit“ vorgenommene Zugeständnisse. Wenn man trotz der Motivation des Staates, dieses Zu93 Vgl. Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 102, führt zum Beleg seiner Ansicht, daß die Anerkennung oft im eigenen wohlverstandenen Interesse der Staaten liege, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der (erwarteten) Reziprozität der Anerkennung und einer sachgerechten grenzüberschreitenden Harmonisierung diene, die BGH-Rechtsschöpfung heran, entgegen dem Wortlaut des § 237 I KO die Anerkennung von Auslandskonkursen auszusprechen, weil es dem Konkursrecht widerspräche, wenn der Konkurs nur im Inland keine Auswirkungen auf das Auslandsvermögen, das ins Ausland verschoben wurde, hätte. Dem Schutz der Gläubiger und der größeren Effektivität wegen sei mithin die Anerkennung des Auslandskonkurses von Vorteil. 94 Meessen, Zu den Grundlagen des internationalen Wirtschaftsrechts, AöR 110 (1985), 398 (408 f.); K. König, Anerkennung, S. 72, der die Gesichtspunkte der praktischen Bedürfnisse des internationalen Verkehrs und die allgemeine Rechtssicherheit als Hintergründe (m. w. N.) nennt. 95 Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). 96 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 90. 97 Vgl. Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). 98 Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). 99 Vgl. etwa Macalister-Smith, Comity, in: Bernhardt, EPIL, S. 671 (672), unter Verweis auf den IGH, ICJ Reports 1950, p. 266 (277, 286); Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, Rn. 469; K. Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 24.
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
geständnis deswegen zu machen, weil er erwartet, eine solches werde im Gegenzug auch ihm (bzw. seinen eigenen Staatsbürgern) zuteil, ist dies eigentlich nichts anderes als eine verantwortungsvolle Kosten-Nutzen-Analyse, d. h. eine Überlegung zur Optimierung des Eigennutzes. Doch auch dies ist nichts eigentlich Untypisches im Völkerrecht. Denn ein Staatshandeln, welches sich bewußt an die Regeln des Völkerrechts hält, ist letztlich eigennützig: Jeder Staat verhält sich völkerrechtsgemäß, weil er Grund hat zu glauben, andere Staaten werden sein Verhalten goutieren und sich ihrerseits in der gleichen Gegenseitigkeitserwartung völkerrechtsgemäß verhalten.100, 101 Was für die Beachtung des Völkerrechts gilt, erheischt auch für die darunter liegende comity Geltung.102 Da comity gerade kein Völkerrecht ist, kann sie auch nur in den Staaten berücksichtigt werden, in denen dies den Behörden und Gerichten verfassungs- und verwaltungsrechtlich gestattet ist (in denen sich also die Anerkennung fremder Hoheitsakte mit dem innerstaatlichen Recht vereinbaren läßt), eine direkte Berufung (des Richters) auf comity ist sonach dort nicht zulässig.103 Art. 25 GG etwa erklärt schließlich nur die allgemeinen Regeln des Völkerrechts, insbesondere also des Völkergewohnheitsrechts zum Bestandteil des Bundesrechts, nicht aber bloße Courtoisie ohne Rechtsqualität. Nach deutschem Recht wird lediglich eine Ermessensreduzierung in Richtung auf eine geltungserstreckende Anerkennung befürwortet, wenn der Hoheitsakt desselben Inhalts unter gleichen Umständen auch von deutschen Stellen erlassen werden könnte.104 Allerdings können sich auch hier aus Gründen der Erhaltung der Reziprozität Ausnahmen ergeben.
d) Zwischenfazit Sonach bleibt festzuhalten, daß ein völkerrechtlicher Satz, der zur Anerkennung fremdstaatlicher Hoheitsakte im Sinne einer Erweiterung von deren Geltungskraft auf das eigene Staatsgebiet zwänge, nicht existiert; vielmehr sind die Staaten hier grundsätzlich frei.105 Ausnahmen bestehen im wesentlichen nur hinsichtlich der 100 Vgl. Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 10 f. 101 Das gegenseitige Vertrauen der Rechtsgenossen in die Einhaltung von (gemeinsam aufgestellten) Regeln ist ohnehin die Basis des Rechts. Die Anerkennung dieses Umstands fällt im Völkerrecht wegen dessen größeren „Pragmatismus’“ bzw. „Realismus’“, d. h. seiner stärker dem Effektivitätsgedanken unterworfenen Wirkungsweise, naturgemäß einfacher als im innerstaatlichen Recht. 102 K. König, Anerkennung, S. 63, der erklärt, die comitas gentium sei deshalb kein tragendes Prinzip des internationalen Grenzrechts. 103 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 102, vgl. auch ders., in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350). 104 Hoffmann, in: v. Münch, Bes. VerwR, 6. Aufl. 1982, S. 989 (1008). 105 So i. E. auch K. König, Anerkennung, S. 64 f. nach vorangegangener intensiver Auseinandersetzung mit den einzelnen Ansatzpunkten; dto. Geck, in: Strupp / Schlochauer, Wör-
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Staatsangehörigkeit und hinsichtlich verschiedener personenrechtlicher Akte. Es erscheint aber durchaus als möglich, daß sich ein völkerrechtlicher Rechtssatz entwickelt, der da heißt, daß ausländische Hoheitsakte, die nicht gegen das Völkerrecht (hierzu wären auch grundlegende Menschenrechte zu zählen106) verstoßen, anzuerkennen sind, schließlich ist auch die comity als ein Faktor anzusehen, der das Völkerrecht beeinflußt107. Ggf. könnte dahingehend eine Verallgemeinerung getroffen werden, daß eine Anerkennung immer dann um so eher in Frage kommt, je eher eine extraterritoriale Geltungserstreckung eigenen Rechts möglich ist. Hier wiederum wird nach dem Grad der Inlandsbeziehung des ausländischen Sachverhalts unterschieden.108 Wenn demnach kein allgemeiner zur Anerkennung verpflichtender völkerrechtlicher Satz besteht, ist die Anerkennung der freien Entscheidung des Staates anheimgestellt, was selbstverständlich nicht ausschließt, daß dieser sich durch völkerrechtlichen Vertrag verpflichtet, ein solches zu tun.109 Während die NichtRespektierung der Wirksamkeit eines Hoheitsaktes auf dem Territorium des Erlaßstaates eine Einmischung darstellt, ist die Anerkennung eines extraterritorialen Aktes keine grundsätzliche Pflicht, da sie den ausländischen Staat in seiner Souveränität nicht tangiert. Wohl aber berührt eine Pflicht zur Anerkennung den Wirkungsstaat in seinem souveränen Recht, seine eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. In der Erstreckung der Wirksamkeit ausländischer Hoheitsakte in den eigenen Hoheitsbereich muß der einzelne Staat als frei angesehen werden. Von einer weitgehenden Praxis der Berücksichtigung ausländischer Verwaltungsakte kann noch nicht auf eine entsprechende Pflicht geschlossen werden.110 Eine Verpflichtung zur Anerkennung kann deshalb nur für solche Hoheitsakte angenommen werden, die sich allein auf die Regelung von Sachverhalten im Normierungsstaat beziehen, weil hier das Souveränitätspendel (vgl. o.) eindeutig in diese Richtung schlägt, d. h. es eine stärkere Infragestellung der Gebietshoheit dieses Staates als eine Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des anderen bedeutete. Die geltungserstreckende Anerkennung von Hoheitsakten, die nicht ausschließlich Sachverhalte im Erlaßstaat regeln, müssen dagegen nicht anerkannt werden. Hier erfolgt die Anerkennung nur kraft Courtoisie oder Vertrag.
terbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 55, 58; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 472 f., der darauf hinweist, daß die nationalen Vorschriften über die Nichtanerkennung und hieraus folgenden Nichtvollstreckung von bestimmten ausländischen Titeln nach gesicherter Staatenpraxis nicht zu beanstanden sei; im Grundsatz auch Schwarz, Anerkennung, S. 38 f. 106 Vgl. den von Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, S. 489 (§ 75 III 4) zitierten Fall einer Einschränkung der Act of State Doctrine. 107 Macalister-Smith, Comity, in: Bernhardt, EPIL, S. 671 (671 f.). 108 Vgl. etwa Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (22 ff.); Mann, The Doctrine of International Jurisdiction Revisited after Twenty Years, RdC 186 (1984 I), 9 (26 ff.). 109 Vgl. K. König, Anerkennung, S. 65. 110 Hoffmann, in: v. Münch, Bes. VerwR, 6. Aufl. 1982, S. 989 (1008).
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten 2. Völkerrechtliche Verträge und sonstige zwischenstaatliche Vereinbarungen
Wie oben bereits angedeutet, kann die freiwillige Anerkennung durch völkerrechtlichen Vertrag zu einer Pflicht gemacht werden. So haben die Staaten etwa Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung von Steuerforderungen, über die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen usw. geschlossen, in denen sie zu gegenseitigem Vorteil unmittelbar oder mittelbar fremdnützige Anerkennungspflichten vereinbart haben. Ein gern zitiertes111 Beispiel einer Bestimmung innerhalb eines multilateralen Vertrages, in der Pflichten zur Anerkennung öffentlich-rechtlicher Hoheitsakte eines anderen Mitgliedstaates normiert sind, ist Art. VIII Abschnitt 2 lit. b) des IWF-Abkommens112. Hiernach kann aus „Devisenkontrakten, welche die Währung eines Mitgliedstaates berühren und den von diesem Mitglied in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen aufrechterhalten oder eingeführten Devisenkontrollbestimmungen zuwiderlaufen, . . . in den Hoheitsgebieten der Mitglieder nicht geklagt werden.“ Das heißt nichts anderes als daß ein Mitgliedstaat devisenrechtliche Eingriffe eines anderen anzuerkennen hat.113 Auf den EG-Vertrag als einen ganz besonderen völkerrechtlichen Vertrag, aus dem sich vielgestaltige Anerkennungspflichten ergeben, wird im Hauptteil dieser Untersuchung einzugehen sein.
3. Nationale Grundrechte
Hinsichtlich einer Reihe von Hoheitsakten könnte erwogen werden, Anerkennungspflichten aus den nationalen Grundrechten abzuleiten.114 Zu denken ist dabei insbesondere an Hoheitsakte, die dem Adressaten bestimmte Berechtigungen verleihen (z. B. ein Diplom oder die Zulassung des Vertriebs von ihm hergestellter Waren). Eine Berufung auf Art. 3 I GG115 (Gleichbehandlung mit inländischen Adressaten vergleichbarer Hoheitsakte) dürfte regelmäßig ausscheiden, da der Gleichheitsgrundsatz nur verlangt, daß der inländische (deutsche) Staat in allen von ihm zu entscheidenden Fällen inländisches (deutsches) Recht für alle gleich Vgl. nur Kegel / Schurig, IPR, § 23 III 3, S. 960. Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds, BGBl. II 1952, S. 638, 728, in der vom Gouverneursrat genehmigten Neufassung vom 30. 4. 1976, BGBl. II 1978, S. 13, 838; Gesetz zur Dritten Änderung des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds vom 22. 7. 1991, BGBl. II 1991, 814. 113 Kegel / Schurig, IPR, § 23 III 3, S. 960. 114 Vgl. Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 57, der die internationalprivatrechtliche Lehre von den wohlerworbenen Rechten zum Anknüpfungspunkt hierfür nimmt. 115 Das spezielle Diskriminierungsverbot scheidet beim Abstellen auf die Staatsangehörigkeit ohnehin aus. 111 112
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setzt und anwendet, das Erfordernis einer inländischen Zulassung etc. aber gerade von Inländern und Ausländern gleichermaßen verlangt wird. Allerdings könnte dies im Einzelfall eine nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem und damit doch eine Verletzung von Art. 3 I GG darstellen. Möglicherweise sind aber Freiheitsrechte, insbesondere Art. 2 I GG tangiert, wenn argumentiert wird, daß die Anerkennung eines ausländischen Diploms, ggf. kombiniert mit einem Anpassungslehrgang, oder die Anerkennung einer unter vergleichbaren Voraussetzungen wie die inländische erteilte Warenzulassung, ggf. verbunden mit einer Stichprobenkontrolle, ein milderes Mittel zur Verfolgung des durch die nationale Zulassung verfolgten Zweckes darstellt.116 Im Internationalen Privatrecht muß etwa für die Anerkennung ausländischer Eheschließungen Art. 6 I GG berücksichtigt werden. Im Internationalen Wirtschaftsverwaltungsrecht spielt Art. 12 I GG eine Rolle. Eine schwierige Rechtsfrage ist es, in welchem Umfang der inländische Staat die Anerkennung aus Gründen der mangelnden Gewährleistung von Reziprozität verweigern darf.117 Wer die Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt ernst nimmt, wird diesen Kreis nicht zu weit ziehen können. III. Negative Begrenzungen der Anerkennungsfreiheit Nachdem soeben die Staaten als grundsätzlich frei erkannt wurden, ausländische Hoheitsakte anzuerkennen oder nicht anzuerkennen, und nur in den Fällen, in denen der Sachverhalt, der dem zur Anerkennung stehenden Hoheitsakt zugrunde liegt, eine eindeutig überwiegende Beziehung zum Erlaßstaat aufweist, eine völkerrechtliche Anerkennungspflicht formuliert wurde, mithin also die Grenzen der Nichtanerkennung ausgemessen wurden, ist nun umgekehrt danach zu fragen, welche Grenzen der (freiwilligen oder vertraglich vereinbarten) Anerkennung fremder Hoheitsakte gezogen sind, und zwar vom Völkerrecht und vom nationalen Recht. 1. Externe Begrenzung: Verbot der Anerkennung völkerrechtswidriger Hoheitsakte?
Eine wichtige Begrenzung der Anerkennungsfähigkeit ausländischer Hoheitsakte könnte deren Völkerrechtswidrigkeit sein.118 Hiernach dürfte möglicherweise In diesem Sinne Bleckmann, Die völkerrechtlichen Grundlagen, S. 57. Ein Beispiel außerhalb des Anerkennungszusammenhangs vermag die Grundrechtsproblematik zu verdeutlichen: So wird etwa Ausländern ganz selbstverständlich auch dann in Deutschland Religionsfreiheit zur Ausübung des Islam gewährt, wenn deren Heimatstaat (dort lebende deutsche) Christen unterdrückt. Vgl. Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, 538 (541). 118 Vgl. hierzu Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, S. 77 (113 ff.). Bei Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, § 75 III 2 c), S. 487, und Verdross / Simma, 116 117
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eine völkerrechtswidrige (entschädigungslose) Enteignung eines (Dritt-)Ausländers eigentlich nicht anerkannt werden. Eine dahingehende Staatenpraxis kann allerdings nicht festgestellt werden.119 So werden ausländische Enteignungen auch dann anerkannt, wenn sie nach dem Völkerrecht für unzulässig gehalten werden, nämlich unter der Bedingung, daß keine überragenden nationalen Interessen betroffen sind.120 Im sog. Bremer Tabakfall121 erklärte das OLG Bremen „Selbst wenn man unterstellen wollte, daß das indonesische Verstaatlichungsgesetz in mehrfacher Hinsicht gegen allgemein gültige Regeln des Völkerrechts verstoße, so kann dennoch nicht festgestellt werden, daß nach dem Stand der heutigen Völkerrechtslehre und Rechtsprechung deshalb das indonesische Gesetz Nr. 86 von vornherein von dem inländischen Richter als nichtig behandelt werden müsse, und daß der inländische Richter . . . mit der Anerkennung eines solchen völkerrechtswidrigen Verstaatlichungsgesetzes . . . seinerseits eine Völkerrechtswidrigkeit begeht.“122 Nicht zuletzt unter Berufung auf dieses Urteil weigerte sich auch das LG Hamburg im Falle der Enteignung der chilenischen Kupferminen durch die Allende-Regierung, von der auch Ausländer betroffen waren, die Anerkennung der Enteignungsakte wegen Völkerrechtswidrigkeit zu versagen.123 Es gebe „im modernen Völkerrecht keine allgemein anerkannten Grundsätze, daß der inländische Richter kraft Völkerrechts verpflichtet ist, einen ausländischen völkerrechtswidrigen Hoheitsakt von vornherein als nichtig zu behandeln, oder daß die Anerkennung eines von einem früheren Eigentümer geltend gemachten Herausgabeanspruches selbst wieder das Völkerrecht verletzen würde“.124 Bemerkenswert war, daß das LG Hamburg die Völkerrechtswidrigkeit lediglich im Rahmen der Anwendung des ordre-public-Vorbehalts des Art. 6 EGBGB in Erwägung zog und diese zwar bejahte, sie aber mangels „enge[r] Beziehung des Geschehens mit deutschen Interessen“125 nicht auf Art. 6 EGBGB durchschlagen ließ.126 Eine derartige Inlandsbeziehung wird also nicht in der Tatsache erblickt, Universelles Völkerrecht, § 1179 (S. 776), wird jedenfalls von einem Recht des Staates zur Verweigerung der Anerkennung des entsprechenden Hoheitsaktes gesprochen. 119 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I / 1, § 75 III 2 c), S. 487, führen aus, daß die Staatspraxis selbst von dem Recht nur zurückhaltend Gebrauch mache. 120 Vgl. Meng, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 348 (350), der gerade den Fall der chilenische Kupferminen (s. u. im Text) nennt. 121 OLG Bremen, AVR 9 (1961 / 62), 318 (351 ff.). 122 OLG Bremen, AVR 9 (1961 / 62), 318 (351 f.). 123 LG Hamburg, AWD=RIW 1973, 163 (164). Vgl. auch Alsten, Chilean Copper Nationalization, in: Bernhardt, EPIL, Bd. I, S. 577 ff., der einen Vergleich zum Urteil eines französischen Gerichts zieht. 124 LG Hamburg, AWD=RIW 1973, 163 (164). 125 Das Vorliegen einer ausreichend engen Beziehung zum Inland (Inlandsberührung) ist Voraussetzung der Anwendung des ordre-public-Vorbehalts, vgl. Kegel / Schurig, IPR, § 16 II, S. 458, § 16 III 2 b, S. 463.
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daß im Inland über die Frage des Eigentums an einer im Inland belegenen Sache befunden werden muß, sondern – vereinfacht – danach, ob die enteignete Sache ursprünglich im Enteignungsstaat oder außerhalb desselben belegen war.127 Davon abgesehen ist eine solche national-rechtliche Verengung des Problems auf den ersten Blick bedenklich, wird durch sie doch das Problem der Verweigerung der Anerkennung bei Betroffenheit nationaler Interessen mit dem der Verweigerung der Anerkennung wegen Völkerrechtswidrigkeit des Hoheitsaktes vermengt. Die Vorschrift des Art. 6 EGBGB soll aus Gründen des nationalen Rechts gegen eine Anerkennung in Stellung gebracht werden, kann aber nicht umgekehrt Maßstab für die Erheblichkeit einer Völkerrechtswidrigkeit sein. Weil die Pflicht zu völkerrechtsmäßigem Verhalten jedem Staat aufgrund seiner Eigenschaft als Glied der Völkerrechtsgemeinschaft obliegt und die Frage der Völkerrechtswidrigkeit nicht den nationalen, sondern den „internationalen ordre public“128 betrifft, scheint sie gar nicht geeignet, noch einmal auf eine besondere Beziehung zur Rechtsordnung des Anerkennungsstaates geprüft zu werden. Die Verweigerung der Anerkennung eines Hoheitsaktes wegen Völkerrechtswidrigkeit ist auf Art. 6 EGBGB gar nicht angewiesen, sondern kann als Berechtigung bzw. Verpflichtung kraft Völkerrechts begriffen werden.129 Es fragt sich sogar, ob der Staat, der völkerrechtswidrige Hoheitsakte anerkennt, nicht als Teilnehmer an einem völkerrechtlichen Delikt angesehen werden muß. Dies dürfte aber nicht schon dann gelten, wenn diese Anerkennung der innerstaatlichen Rechtsanwendung als bloßes Tatbestandselement zugrunde gelegt wird, sondern erst dann, wenn sie Voraussetzung für die Durchsetzung des völkerrechtlichen Hoheitsaktes des Erlaßstaates ist (fremdnützige Anerkennung), der anerkennende Staat also den Völkerrechtsverstoß mithilft herbeizuführen130. Freilich muß die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, völkerrechtswidrigen ausländischen Hoheitsakten die Anerkennung zu versagen, von der Frage getrennt werden, ob und inwieweit der innerstaatliche Richter dies seiner Rechtsentscheidung unmittelbar zugrunde legen kann. Die Völker126 LG Hamburg, AWD=RIW 1973, 163 (165). Die Frage des Art. 6 EGBGB diskutierte auch das OLG Bremen, AVR 9 (1961 / 62), 318 (356 ff.), das sich allerdings zuvor eingehend mit der Frage auseinandergesetzt hatte, ob schon von Völkerrechts wegen ein Anerkennungsverbot besteht. 127 So aber Mann, NJW 1961, 705 (707), der gerade die Verneinung der Inlandsbeziehung in solchen Fällen angreift. 128 Im Sinne von Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, S. 77 ff. 129 Vgl. Mann, NJW 1961, 705 (707), nach dem die Völkerrechtswidrigkeit des ausländischen Rechts von vornherein zu dessen Unanwendbarkeit führen soll, ohne daß es noch des Umwegs über den ordre public bedürfe. 130 Für den Fall der Anwendung völkerrechtswidrigen ausländischen Rechts geht etwa Engel, Die Bedeutung des Völkerrechts für die Anwendung in- und ausländischen Wirtschaftsrechts, RabelsZ 52 (1988), 271 (295), von einem völkerrechtlichen Delikt aus. Mann, NJW 1961, 705 (707), meint, das inländische Gericht würde sich in diesem Falle zum Werkzeug bei der Verwirklichung einer Rechtswidrigkeit machen.
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rechtswidrigkeit des ausländischen Aktes ist für den Richter nur dann beachtlich, wenn die verletzte Völkerrechtsnorm unmittelbar anwendbar ist, wenn es bei einem Vertrag einen speziellen Anwendungsbefehl gem. Art. 59 II GG gibt bzw. wenn es sich um eine allgemeine Regel des Völkerrechts handelt, die gem. Art. 25 GG als Bestandteil des Bundesrechts gilt. Für letztere erklärte das BVerfG immerhin (nicht bezogen auf einen Enteignungsfall), die deutschen Behörden und Gerichte seien „verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken.“131 Mit diesen Anforderungen steht eine Anerkennung völkerrechtswidriger ausländischer Enteignungen eigentlich nicht im Einklang.132 Bemerkenswert ist, daß sich eine Abschichtung einer Anerkennungsverweigerung danach, ob sich der zur Anerkennung stehende fremde hoheitliche Akt von vornherein auf das Territorium des Erlaßstaates beschränkt oder nicht, sowohl völkerrechtlich133 als auch national-rechtlich (über Art. 6 EGBGB) über das Erfordernis einer ausreichenden Inlandsanknüpfung) begründen läßt, was i. E. dazu führt, daß Enteignungen mit Wirkung nur im Enteignungsstaat oft anerkannt, Enteignungen von Vermögen im Territorium des ausländischen zur Entscheidung berufenen Staates dagegen nicht. Mangels ausreichender praktischer Befolgung muß es aber bei dem bloßen Postulat bleiben, völkerrechtswidrige Hoheitsakte generell nicht anzuerkennen. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn sich in Zukunft (nach dem Ende des den politischen Zusammenhang für zahlreiche Völkerrechtsverstöße bietenden Ost-West-Gegensatzes) die Einsicht durchsetzte, daß die Nichtanerkennung in diesen Fällen gerade als gute Möglichkeit der Durchsetzung des Völkerrechts genutzt werden sollte.134
131 BVerfGE 75, 1 (19); zit. bei Tomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HdBStR VII, § 172 Rn. 62. 132 So die zutreffende Auffassung von Mann, NJW 1961, 707 ff. Zumeist wird eine Verpflichtung zur Verweigerung der Anerkennung nur für den Fall der Verletzung von ius cogens angenommen; vgl. die umfangreichen Nachweise bei Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 95, Fn. 398, der außerdem den Fall der Einmischung in die inneren Angelegenheiten zur Anerkennungsverweigerung führen läßt. Soweit aber eine Anerkennungsverweigerung zur völkerrechtlichen Pflicht gemacht wird, wenn ius cogens verletzt ist, wird immerhin grundsätzlich anerkannt, daß der anerkennende Staat durch die Anerkennung an dem Völkerrechtsverstoß mitwirken kann. 133 Jaenicke, Zur Frage des internationalen ordre public, S. 77 (123), der einen gegen den internationalen ordre public verstoßenden Hoheitsakt die Anerkennung verweigern will und zu diesem internationalen ordre public wiederum die Normen zählt, „an deren Beachtung nicht nur der verletzte Staat, sondern die gesamte Völkerrechtsgemeinschaft als solche ein entscheidendes Interesse hat“ (S. 122), wobei er hierzu den „Grundsatz, daß ein Staat nicht befugt ist, Hoheitsakte mit Wirkung im ausschließlichen Kompetenzbereich eines anderen Staates zu setzen“ (S. 123) zählt. 134 In dieser Richtung Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1182 (S. 778).
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2. Interne Begrenzung: ordre-public-Vorbehalt
Von hochgradigem Interesse ist die Anwendung eines aus dem IPR bekannten sog. ordre-public- oder public-policy-Vorbehalts im Internationalen Verwaltungsrecht.135 In jedem Kollisionsrecht dient der ordre-public-Vorbehalt dem Zweck, von der durch Kollisionsregeln für bestimmte Fälle angeordneten Anwendung ausländischen Rechts abzusehen bzw. die eigentlich ermöglichte Anerkennung eines ausländischen Hoheitsaktes (eines Urteils etc.) zu versagen, wenn dies wesentlichen Grundsätzen der eigenen Rechtsordnung, insbesondere den Kernelementen der verfassungsmäßigen Ordnung, etwa den inländischen Grundrechten136, zuwiderliefe. Wenn Souveränität und Kooperation in Einklang gebracht werden sollen, ist ein solcher Vorbehalt unverzichtbar. Eine solche Regelung findet sich hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Entscheidungen etwa in § 328 I Nr. 4 ZPO und in § 16a Nr. 4 FGG. Ordre-public-Klauseln werden auch regelmäßig in Rechtshilfeverträge aufgenommen. Für die Anwendung fremden Rechts ist auf die bereits oben erwähnte Vorschrift des Art. 6 EGBGB zu verweisen. Daß das Internationale Verwaltungsrecht nicht gleichermaßen wie das IPR (bzw. das Internationale Zivilprozeßrecht) kodifiziert ist und also auch nicht eine Norm wie z. B. Art. 6 EGBGB und § 328 I Nr. 4 ZPO, § 16a Nr. 4 FGG vorweisen kann, bedeutet selbstverständlich nicht, daß ein Vorbehalt dieser Art nicht bestünde.137 Wenn von der grundsätzlichen Freiheit der Staaten bei der Anerkennung ausgegangen wird, so ist jeder Staat auch frei, seine Anerkennungspraxis unter einen ordrepublic-Vorbehalt zu stellen, in zweiseitigen Verträgen ordre-public-Ausnahmen aufzunehmen usf. Demnach gibt es die Vorbehaltsklausel in bezug auf die Geltung fremder Hoheitsakte nicht nur bei Zivilurteilen, sondern auch bei ausländischen Verwaltungsakten.138 Bei der Anwendung fremder Gesetze (wie sie von Art. 6 EGBGB geregelt ist) dient der ordre-public-Vorbehalt nur dazu, im Einzelfall untragbare Einzelfolgen dieser Anwendung fremden Rechts auszuschließen, nicht aber sollen einzelne ausländische Normen ausgeschlossen werden.139 Nichts anderes wird im Hinblick auf
135 Vgl. Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 338 ff.; Schwarz, Anerkennung, S. 35 ff., für die Anerkennung ausländischer Staatsakte nach dem IPR. 136 BVerfGE 31, 58 – Spanier-Beschluß. 137 Vgl. Beitzke, Ordre public, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 665 („teils ungeschriebenes von Judikatur und Leben entwickeltes Recht, teils mehr oder weniger umfassend normiert“). 138 K. König, Anerkennung, S. 90 mit zahlreichen Nachweisen zur (früheren) Literatur, der betont (S. 92), daß es keine feste begriffliche Richtlinie gebe für das, was zum ordre public gehöre. 139 Beitzke, in: Strupp / Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. II, S. 665; in diesem Sinne auch Kegel / Schurig, IPR, § 16 III 2 b, S. 462, § 16 IV 2 a, S. 464, für Art. 6 EGBGB; BGHZ 50, 370 (376), fragt, in Entgegensetzung zur RG-Rspr: „. . . ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelung
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die Anerkennung fremder Hoheitsakte vertreten. K. König vertritt deshalb die Auffassung, es komme nicht darauf an, „den ausländischen Verwaltungsakt als solchen am inländischen ordre public zu messen“, vielmehr sei „auf die Folgen seiner Anerkennung im Inland zu achten“ und seien „Wirkungen auszuschließen, die dem einheimischen ordre public“ zuwiderliefen.140 Über eine Berücksichtigung des rein materiellen Inhalts des Hoheitsaktes hinaus geht allerdings der BGH, wenn er gem. § 328 I Nr. 4 ZPO ein ausländisches Urteil auch dann nicht anerkennt, „wenn das Urteil des ausländischen Gerichts auf Grund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, daß nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.“141 Enthalten Verträge, die Anerkennungspflichten im wechselseitigen Verhältnis begründen, ordre-public-Klauseln, so sind diese regelmäßig in einer Weise zu deuten, daß sie auch die Anerkennung völkerrechtswidriger Hoheitsakte ausschließen.142 Eine derartige Auslegung ist zwingend, weil diese Verträge oftmals die Anerkennung gerade als Voraussetzung einer Vollstreckung beinhalten, die, wenn sie einen völkerrechtswidrigen Hoheitsakt betrifft, nach der hier vertretenen Ansicht selbst völkerrechtswidrig wäre.
IV. Zusammenfassung Jeder Staat ist berechtigt, im Rahmen seiner Zuständigkeit Hoheitsakte mit Geltung auf seinem eigenen Gebiet zu setzen. Diese territoriale Geltung darf von keinem anderen Staat in Frage gestellt werden. Darüber hinaus ist jeder Staat verpflichtet, solche ausländischen Hoheitsakte anzuerkennen, die ausschließlich Anknüpfungspunkte zu dem ausländischen Staat, nicht aber zum eigenen Staat haben. Kein Staat ist dagegen nach allgemeinem Völkerrecht verpflichtet, ausländische Hoheitsakte auf seinem eigenem Staatsgebiet durchzusetzen. Bis auf wenige Ausnahmen, zu denen insbesondere die Staatsangehörigkeit und elementare personenrechtliche Akte zählen, besteht auch keine völkerrechtliche Pflicht der Staaten, solche ausländischen Hoheitsakte anzuerkennen, die zwar nicht von vornherein extraterritorial gelten sollen, aber Tatbestandsvoraussetzung für die innerstaatliche und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß es für untragbar gehalten wird“ (S. 276 m. w. N.). 140 K. König, Anerkennung, S. 92. Er betont allerdings, daß der Staat nicht gehindert sei, ausländischen Staaten „generelle Vorbehalte“ zu machen. 141 BGHZ 48, 327 (331). 142 Engel, RabelsZ 52 (1988), 271 (298). Vgl. auch die Entscheidung des LG Hamburg, RIW 1973, 163, in der die Frage der Völkerrechtswidrigkeit im Rahmen der Anwendung des deutschen ordre public geprüft wurde, aber i. E. mangels ausreichender Betroffenheit des Inlands gar nicht mehr zu prüfen sei. Zur Kritik daran vgl. wieder oben III.1.
B. Folgen der Anerkennung
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Rechtsanwendung sein können, die also Anknüpfungspunkte zum eigenen Staat besitzen (z. B. Enteignung, die sich auch auf im eigenen Staat belegenes Vermögen erstrecken soll). Die Anerkennung beruht hier vielmehr weitgehend auf Courtoisie. Aus innerstaatlicher Sicht können sich allerdings unter Umständen Anerkennungspflichten aus den Grundrechten des einzelnen von der Anerkennung Begünstigten ergeben. In der Rechtswirklichkeit erkennen die Staaten allerdings dann freiwillig fremde Hoheitsakte an, wenn dies umgekehrt auch mit ihren Hoheitsakten geschieht. Diese Reziprozität kann durch völkerrechtliche Verträge, innerhalb derer spezielle gegenseitige Anerkennungspflichten statuiert werden, gleichsam institutionalisiert werden. Die Staaten sind hinsichtlich der Anerkennung aber auch negativen Begrenzungen unterworfen. Zum einen dürfen nach der hier vertretenen Auffassung völkerrechtswidrige Hoheitsakte nicht anerkannt werden, soweit diese hierdurch gleichsam vollziehen und effektuieren. Zum anderen kann die ansonsten ermöglichte Anerkennung u. U. am innerstaatlichen ordre public scheitern, zu dem insbesondere die nationalen Grundrechte zählen.
B. Folgen der Anerkennung Die Anerkennung von Hoheitsakten wurde hier als Erstreckung des Geltungsbereiches eines ausländischen Hoheitsaktes ins Inland unter Gleichstellung mit inländischen Hoheitsakten verstanden. Diese Charakterisierung der Anerkennung hat Folgen für das rechtliche Bestehen des fremden Hoheitsaktes im Inland.
I. Akzessorietät von Gültigkeit und Inhalt Stillschweigende oder ausdrückliche, vor allem aber selbstverständliche Voraussetzung der Anerkennung eines fremden Hoheitsaktes ist dessen Gültigkeit.1 Denn durch die Anerkennung soll gerade die territoriale Wirksamkeit über den Erlaßstaat hinaus auf den Anerkennungsstaat erstreckt werden. Es läßt sich insgesamt von einer nur abgeleiteten, abhängigen, unselbständigen Wirkung anerkannter ausländischer Hoheitsakte im Inland sprechen.2 Diese abgeleitete (im Gegensatz zu einer originären) Geltung des anerkannten Hoheitsaktes ist Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen.
Vgl. nur Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 335. Vgl. auch die Ausführungen von Schlochauer, Internationales Verwaltungsrecht, in: Die Verwaltung, Heft 49 (1951), S. 9 f., zur zeitlichen Geltung des anzuwendenden Rechts, in der diese Abhängigkeit ebenfalls zum Ausdruck kommt. 1 2
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
Wenngleich die Erklärung der Anerkennung selbst ein Rechtsakt rechtsbegründender Natur ist, und zwar insoweit, als die territoriale Gültigkeit des Verwaltungsaktes erweitert wird, d. h. im Inland erst etwas rechtlich Beachtliches entsteht, findet keine rechtliche Neubegründung des Hoheitsaktes, also kein Neuerlaß, statt. Ebensowenig wird der ausländische Hoheitsakt bei der Anerkennung in einen inländischen transformiert.3 Neubegründet wird ein inländischer Hoheitsakt nur dann, wenn zum Zwecke des Erlasses eines inländischen Hoheitsaktes bloße Tatsachen4, die im Ausland geschaffen wurden, etwa für die Zuständigkeit der Errichtung eines selbständigen Handwerksbetriebs die ausländische Berufserfahrung, als feststehender Sachverhalt zugrunde gelegt wird. Die Wirksamkeit des anerkannten Hoheitsaktes im Anerkennungsstaat ist zu vergleichen mit der Wirksamkeit eines völkerrechtlichen Vertrages. Nach der sog. Vollzugstheorie (im Gegensatz zur Transformationstheorie) gilt dieser Vertrag aufgrund eines innerstaatlichen Anwendungsbefehls, nicht aufgrund eines Neuerlasses eines Rechtssatzes für das Inland.5 Die Akzessorietät betrifft neben der Gültigkeit auch den Inhalt des anzuerkennenden Hoheitsaktes. Es entspricht durchaus dieser Vorstellung von Akzessorietät, wenn Neumeyer ausdrückt, in Zweifelsfällen entscheide das Recht des feststellenden Staates, welchen Inhalt seine Aussage habe.6 Wenn er weiter prägnant formuliert, „. . . die Bindung reicht nur so weit als sie beiden Rechten entspricht“7, bringt er zugleich zum Ausdruck, daß der Ursprungsinhalt die obere Grenze an inhaltlicher Geltung ist, bis zu welcher der Staat die Reichweite der Anerkennung bestimmen kann. Dieser Gedanke soll im folgenden vertieft werden. Zunächst entsteht das interessante Problem, welche Folgen die im Ursprungsstaat (Erststaat) begründete Fehlerhaftigkeit des anzuerkennenden VerwaltungsakVgl. o. Erster Teil C.II.1.e). Oben Erster Teil C.III.2.d) sind rein tatsächliche Vorgänge, die nicht im Erlaßstaat (dort) rechtsverbindlich festgestellt worden sind (z. B. Zahl der Kinder), als Anerkennungsgegenstände ausgeschieden worden, während die behördliche oder gerichtliche Feststellung dieses Sachverhaltes anerkennungsfähig ist. 5 Dem Gedanken der Transformationstheorie kommt dagegen die sog. „vested rights theory“ in den USA nahe, nach der das Souveränitätsproblem bei der zwecks Anerkennung vorgenommenen Anwendung fremden Rechts derart gelöst wird, daß man erklärt, es werde gar kein fremdes Recht angewendet, sondern nur die Tatsache zur Kenntnis genommen, daß durch eine in einem fremden Land vorgenommene Handlung nach dortigen Rechtssätzen ein subjektives Recht entstanden sei. Dieses subjektive Recht werde im eigenen Land anerkannt und nach dem eigenen Recht (durch novatorisches Urteil und ggf. durch Zwangsvollstrekkung) mit Rechtsschutz ausgestattet; vgl. hierzu und zur hiervon zu unterschiedenen „local law theory“ Kegel / Schurig, IPR, § 3 XI 1 b), S. 173. 6 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 308. 7 Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 311, unter erneuter Heranziehung des Beispiels des Todesregisters: Dieses könne nicht den Tod der betr. Person im Ausland bezeugen, wenn sie für das Inland lediglich die Feststellung enthalte, daß der Tod der Person angezeigt worden sei. 3 4
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tes im Anerkennungsstaat (Zweitstaat) hat. Hierbei sind die unterschiedlichen Formen der Fehlerhaftigkeit, nämlich Ungültigkeit (Nichtigkeit) und bloße Rechtswidrigkeit, zu unterscheiden. Da die Anerkennung nicht als eine Neubegründung eines entsprechenden inländischen Hoheitsaktes gelten kann (vgl. o.) – sonst wäre die Ungültigkeit im Herkunftsstaat bedeutungslos –, sondern vielmehr definitionsgemäß als eine Erstreckung der Geltung kraft inländischer hoheitlicher Willensäußerung angesehen werden muß, kann auch ein völlig ungültiger (nichtiger) Verwaltungsakt des Auslands im Inland keine Geltung entfalten.8 Wenn hier unbillige Rechtsfolgen vermieden werden sollen, kann lediglich ein Neuerlaß helfen.9 Gemäß dem oben aufgestellten Akzessorietätsprinzip und der Definition der Anerkennung muß die Anerkennung eines Hoheitsaktes, der vor der Anerkennung aufgehoben worden ist, auch ungültig sein, denn die (in Unkenntnis dieses Umstandes erfolgte) Wirksamkeitserstreckung ins Inland muß mangels Geltung im ausländischen Staat ins Leere greifen.10 Entsprechendes muß für den Fall gelten, daß der Hoheitsakt vor Anerkennung abgeändert wird, da die Geltung des fremden Aktes nur in derjenigen Form, in der er im Erlaßstaat gilt, ausgedehnt werden kann.11 Soll dagegen der ursprüngliche (also unabgeänderte) Hoheitsakt im Inland gelten, so müßte er von dem anderen Staat neu begründet werden, anerkannt werden kann nur noch der geänderte Verwaltungsakt.12 Dieses Ergebnis leuchtet ein, wenn die Änderung als Aufhebung und Neuerlaß gedeutet wird.
II. Das Schicksal des anerkannten Hoheitsaktes nach der Anerkennung Von größerem Interesse dürfte aber das weitere Schicksal eines anerkannten Hoheitsaktes, insbesondere eines Verwaltungsaktes, sein. Die Frage, ob ein ausländischer Hoheitsakt, der von einer Behörde des Inlands anerkannt wurde, für den Fall, daß er später nach den Vorschriften des Ursprungsstaates, desjenigen Staates also, der ihn erlassen hat, aufgehoben (im deutschen Sinne zurückgenommen oder widerrufen) wird, automatisch auch im Anerkennungsstaat seine Gültigkeit einbüßt, ist von der Anerkennungsdefinition und vom oben aufgestellten Akzessorietäts8 K. König, Anerkennung, S. 54. Zu erwähnen ist auch seine gleichsam umgekehrte ordrepublic-Argumentation (S. 55). Diese Ausnahme könne zwar unter u. U. einem ansonsten gültigen Akt die Wirkung im Inland versagen, nicht jedoch könne sie einem ohnehin ungültigen Akt die Wirkung verleihen. 9 K. König, Anerkennung, S. 55. 10 K. König, Anerkennung, S. 55. 11 K. König, Anerkennung, S. 56. Die Anerkennungsbehörde, so ist hinzuzufügen, muß aber im Augenblick der Anerkennung eine bestimmte Vorstellung vom Anerkennungsgegenstand haben. Diese Frage stellt sich nicht bei einer Anerkennung durch Gesetz, bei der abstrakt-generell bestimmt wird, ausländische Hoheitsakte welcher Art mit Geltungskraft im Inland ausgestattet werden sollen. 12 K. König, Anerkennung, S. 56.
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prinzip zu beantworten, von dem Ausgangspunkt also, daß keine Transformation erfolgt. Sieht man rein begrifflich den Anerkennungsakt als Erklärung der Überwirkung, so läßt sich folgern: Der Hoheitsakt ist dann ebensowenig im Anerkennungsland wie im Ursprungsland gültig, weil etwas gar nicht (mehr) Wirksames auch nicht „überwirken“ kann. Oben wurde festgestellt, daß durch den inländischen Anerkennungsakt lediglich die räumliche Geltung des bereits vorhandenen ausländischen Verwaltungsakts erweitert, aber kein neuer gleichlautender inländischer Verwaltungsakt mit selbständiger Rechtsgeltung erlassen worden ist (vgl. o.).13 Eines ausdrücklichen Widerrufes14 der Anerkennung bedürfte es von diesem Ausgangspunkt aus eigentlich nicht. Gesichtspunkte der Rechtssicherheit, gerade im zwischenstaatlichen Verkehr, sprechen aber dafür, einen solchen Widerruf vorzunehmen.15 Weil, wenn Aufhebung bzw. Änderung im Ausland nach der Anerkennung im Inland erfolgen, mit der ausländischen Aufhebungs- bzw. Änderungsentscheidung eine neue ausländische hoheitliche Anordnung vorliegt,16 wird bei Verwaltungsakten teilweise hinsichtlich der Rechtsform, in die die Aufhebungs- bzw. Änderungsentscheidung gegossen ist, zu differenzieren versucht: Sei der fremdstaatliche Akt durch ein Gesetz im materiellen Sinne aufgehoben worden, so bedürfe es zur Erreichung der gleichen Rechtsfolge im Inland der Anwendung der fremden Norm durch die einheimischen Organe, andernfalls bedürfe es der Anerkennung des (aufhebenden) fremden Staatsakts durch die inländischen Organe.17 Entsprechendes gelte für die Abänderung eines bereits anerkannten Verwaltungsaktes. Diese differenzierte Behandlung ist hinsichtlich der Aufhebung eines Hoheitsaktes nicht zwingend. Dem anerkennenden Staat kann es nämlich grundsätzlich gleichgültig sein, in welcher Form ein ausländischer Verwaltungsakt aufgehoben wird, entscheidend ist allein, daß er nach dem ausländischen Recht nicht mehr besteht. Deshalb kann auch von einer automatischen Geltungsbeendigung ohne jeglichen dazwischentretenden innerstaatlichen Akt ausgegangen werden. Diese Sicht-
13 Vgl. beispielhaft die Entscheidung des VGH Mannheim, NVwZ 1986, 397: „Wird ein ausländischer akademischer Grad im Herkunftsland entzogen, so kann das Ministerium für Wissenschaft und Kunst aufgrund der Tatbestandswirkung dieser Entscheidung eine nach § 2 I AkadGradG erteilte Führungsgenehmigung gem. § 49 II Nr. 3 (BadWürtt)VwVfG widerrufen, ohne die Rechtmäßigkeit der Entziehung nach dem Recht des Herkunftsstaats zu überprüfen.“ Es kann also im Bereich der Anerkennung ausländischer Verwaltungsakte von einer actus-contrarius-Akzessorietät gesprochen werden. 14 Es erfolgt deshalb Widerruf und nicht Rücknahme, weil der ursprünglich ergangene Anerkennungsverwaltungsakt rechtmäßig war. Darauf, daß der anerkannte ausländische Verwaltungsakt rechtswidrig war, kann es nicht ankommen, da Voraussetzung für die Anerkennung lediglich das Vorhandensein eines solchen fremdstaatlichen Aktes, nicht aber seine (innere) Rechtmäßigkeit war. 15 So auch die oben zitierte Entscheidung des VGH Mannheim, NVwZ 1986, 397. 16 K. König, Anerkennung, S. 57. 17 K. König, Anerkennung, S. 57.
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weise läßt besser die oben festgestellte Unselbständigkeit und Akzessorietät der innerstaatlichen Wirkung des ausländischen Hoheitsaktes hervortreten.18 Die vorgeschlagene Differenzierung ergibt aber einen Sinn, wenn es statt um die schlichte Aufhebung um die spätere Änderung des anerkannten Verwaltungsaktes geht. Für die Abänderung des Inhalts eines Verwaltungsakts durch ausländisches Gesetz ist ganz selbstverständlich, daß sich der Inhalt, die materielle Geltung, der Regelungsinhalt eines Verwaltungsaktes immer erst durch die Anwendung des ausländischen Rechts erschließt (Bsp.: Wozu ermächtigt ein ausländischer Magistergrad der Rechte im Erlaßstaat?), muß auch für die Feststellung der Änderung dieses Inhalts das nunmehr geänderte ausländische Recht angewendet werden. Wird der Inhalt des anerkannten Hoheitsaktes im Erlaßstaat dagegen durch Einzelakt geändert, ist dieser Änderungsakt bzw. der geänderte Hoheitsakt anzuerkennen. Diese Regeln ergeben sich schlicht bereits aus der Definition der Anerkennung als Geltungserstreckung kraft innerstaatlicher Hoheitsanordung. Da sich nach dem soeben Erörterten kein wesentlicher Unterschied daraus ergibt, wann der ausländische Verwaltungsakt im Erlaßstaat aufgehoben wird, bereiten auch die Fälle keine wesentlichen Schwierigkeiten, in denen ein Anerkennungszeitpunkt gar nicht feststellbar ist, etwa weil eine antizipierte (Global-)Anerkennung durch (Zustimmungsgesetz zu einem) völkerrechtlichen Vertrag erfolgt.19 Ginge man (gemäß dem oben vorgestellten Gegenmodell zur akzessorischen Wirksamkeit) von einer Neubegründung des anerkannten ausländischen Verwaltungsaktes im Inland aus, würde dieser gleichsam ins nationale Recht transformiert, könnte also nur durch gesonderte Aufhebung im Ursprungsstaat (bzw. Ersterlaßstaat) beseitigt werden. Denkbar wäre nur die als Nebenbestimmung i. S. des § 36 VwVfG formulierte Bedingung der Gültigkeit im Ausland, weil die Anerkennung nach ihrem Erklärungsinhalt bereits solcherart ein abhängiger Verwaltungsakt ist.20 Ein fremdstaatlicher (anerkannter) Hoheitsakt als Emanation einer fremden Hoheitsgewalt kann vom anerkennenden Staat weder geändert noch aufhoben werden,21 auch nicht mit Wirkung nur für den Staat, welcher ursprünglich anerkannt 18 Es wird nämlich vermieden, daß für den Fall, daß das ausländische aufhebende Gesetz einfach unangewendet bleibt, ein innerstaatlicher Hoheitsakt quasi „in der Luft hängend“ bestehen bleibt. 19 Hier müßte gefragt werden, ob die Anerkennung schon vor Erlaß im Erlaßstaat vorgenommen wird, mit ihm zusammenfällt oder zwar nachträglich, aber mit ex-tunc-Wirkung, erfolgt. 20 Nebenbei bemerkt, wurden ähnliche Überlegungen hinsichtlich des Anwendbarmachens völkerrechtlicher Verträge in der innerstaatlichen Rechtsordnung bei der Anwendung der Transformationstheorie angestellt. Um die aus dieser Sichtweise folgende Konsequenz zu vermeiden, daß nach der Transformation des völkerrechtlichen Vertrages in nationales Recht für den Fall, daß der Vertrag gekündigt wird, dieser innerstaatlich weiter (als nationales Recht) vollzogen wird, wurde zum Teil ein ausdrücklicher actus contrarius für notwendig gehalten; vgl. Partsch, Die Anwendung des Völkerrechts, S. 1 (138).
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hatte, da ein unmittelbares Einwirken eines Staates in die Hoheitssphäre des anderen Staates ohne dessen Zustimmung unzulässig ist. Demgegenüber kann die Anerkennung als Erweiterung des Wirkbereiches des ausländischen Verwaltungsaktes ins Inland selbstverständlich aufgehoben werden oder in ihrem Ausmaß verringert werden o. ä., denn dann wird ja lediglich der eigene hoheitliche (Anerkennungs-) Akt gestaltet.22 Die Aufhebung der Anerkennung ist actus contrarius zur Anerkennung. Sie muß auch aus Gründen des innerstaatlichen Rechts in der gleichen Rechtsform (Gesetz, Verordnung, Verwaltungsakt) wie diese erfolgen.23 Wird die Anerkennung eines ausländischen Verwaltungsaktes derart abgeändert, daß an den einheimischen Geltungsbefehl mehr Rechtsfolgen als ursprünglich geknüpft werden sollen, so ist die Abänderung eine weitere Anerkennung.24 Eine Verringerung der Rechtsfolgen stellt demgegenüber eine teilweise Aufhebung der Anerkennung dar.25 Wird dagegen eine Änderung in dem Sinne herbeigeführt, daß ganz neue, vom ausländischen Verwaltungsakt eigentlich gar nicht vorgesehene Rechtsfolgen angeordnet (nach einer früheren französischen Rechtspraxis sog. revision au fond26) werden,27 so kann von Anerkennung keine Rede mehr sein; vielmehr würde es sich um eine selbständige Anordnung des Inlands handeln, möglicherweise gar um eine Aufhebung der Wirkungsverleihung an den fremden Akt.28
III. Befugnis – oder gar Verpflichtung – zur Rechtmäßigkeitskontrolle Entschließt sich ein Staat aus eigenem Ermessen oder aber aufgrund spezieller bi- oder multilateraler Verträge dazu, einem ausländischen Rechtsakt Geltung im Inland zu verschaffen, fragt sich, ob er dies gleichsam „blind“ tun muß oder ob seine Organe diesen zur Anerkennung stehenden Hoheitsakt zunächst auf seine Rechtmäßigkeit prüfen dürfen bzw. durch das innerstaatliche Recht hierzu gar verpflichtet sind. Bei einer konkret-aktuellen Anerkennung wäre die Behörde, der der ausländische Hoheitsakt zur Anerkennung vorgelegt wird, diejenige, die prüfen würde, ob der Hoheitsakt dem geltenden innerstaatlichen Recht gemäß erlassen worden ist, ob er also rechtmäßig ist. Anders sieht dies im Falle einer abstrakt-antizipierten Vgl. nur K. König, Anerkennung, S. 98 ff. In diesem Sinne K. König, Anerkennung, S. 102. 23 Ähnlich K. König, Anerkennung, S. 103. 24 K. König, Anerkennung, S. 104. 25 K. König, Anerkennung, S. 104. 26 Vgl. hierzu Schwarz, Anerkennung, S. 22 f. 27 Dies läge z. B. vor, wenn ein Staat für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft keinen besonderen Vorbereitungsdienst vorsähe, sondern einen juristischen Universitätsabschluß ausreichen ließe und als diesem gleichgestellt ein deutsches Referendarexamen anerkennte. 28 Schwarz, Anerkennung, S. 17; K. König, Anerkennung, S. 104. 21 22
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Anerkennung aus. Hier kann definitionsgemäß eine Einzelfallprüfung nicht stattfinden. Da aber bei solchen im vorhinein durch völkerrechtliche Verträge oder sonstwie zur Verpflichtung gemachten Anerkennungen darauf abgestellt wird, daß die einzelnen Verwaltungsakte dem ausländischen Recht gemäß erlassen werden,29 aktualisiert sich die Anerkennung nur für diejenigen Einzelakte, die tatsächlich entsprechend dem Recht des Erlaßstaates ergangen sind, die also rechtmäßig sind. Hier könnte allerdings der Fall eintreten, daß der anerkennungspflichtige Staat sich weigert, einen eigentlich schon per Gesetz anerkannten Hoheitsakt der eigenen Rechtsanwendung als Tatbestand zugrunde zu legen, und für diese Weigerung die Begründung anführt, der Hoheitsakt sei rechtswidrig, er sei aber nur verpflichtet, rechtmäßige Hoheitsakte anzuerkennen. Deshalb stellt sich in allen Fällen die Frage, ob der (durch einen völkerrechtlichen Vertrag oder ein Verwaltungsabkommen) anerkennungspflichtige oder freiwillig anerkennungsbereite Staat berechtigt ist, die Rechtmäßigkeit des möglicherweise anerkannten bzw. zur Anerkennung stehenden Verwaltungsaktes zu überprüfen. Eine Rechtmäßigkeitsprüfung würde die Anerkennung nicht schon selbst ad absurdum führen, weil der Anerkennungsstaat selbst bei einer jedesmaligen Prüfung immerhin noch auf die Anwendung seines eigenen Rechts auf den betreffenden Sachverhalt verzichten würde und weil trotz allem das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der Beachtlichkeit fremder Hoheitsakte zugunsten der Anerkennung aufrechterhalten würde.
1. Befugnis nach allgemeinem Völkerrecht
Da sich im Falle von völkervertraglich vereinbarten Anerkennungspflichten möglicherweise Besonderes ergeben kann, ist die Frage, ob eine Rechtmäßigkeitskontrolle völkerrechtlich unbedenklich ist, ausgehend vom Falle einer freiwilligen Anerkennung bzw. der vertraglich vereinbarten Anerkennung ohne eine Aussage hierüber zu untersuchen. Die Rechtmäßigkeit eines ausländischen Hoheitsakts bestimmt sich nach ausländischem Recht, also nach dem Recht des Erlaßstaates. Dieses müßte bei einer Rechtmäßigkeitskontrolle ausgelegt und angewendet werden.30 In der Anwendung fremden Verwaltungsrechts könnte allerdings ein Angriff auf die Souveränitätsrechte des fremden Staates gesehen werden.31 Wenn nur an den Fall der fremdnüt29 Es wird etwa davon die Rede sein, daß alle gemäß den i. e. qualifizierten innerstaatlichen Bestimmungen erlassenen Bescheinigungen anzuerkennen sind. Vgl. i. ü. die im Vierten Teil D.II. genannten Beispiele für den Bereich der EG. 30 Daneben kommt noch eine Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht sowie mit dem inländischen ordre public in Frage. 31 Hiervon zu unterscheiden ist die Sicht von Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 115 f., der aus dem völkerrechtlichen Verbot, in die Angelegenheiten eines anderen Staates bestimmend einzugreifen, auch die Einseitigkeit des Internationalen Verwaltungsrechts, also die Unmöglichkeit, schlicht die Anwendung des ausländischen Rechts anzuordnen und damit dessen Anwendungsbereich zu erweitern, folgert. Vgl. o. Erster Teil C.I.4.a).
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zigen Anerkennung gedacht wird, erscheint zunächst nicht nachvollziehbar, wie eine über die vom Völkerrecht (Souveränität, Staatengleichheit) ohnehin geforderte (bloße) Beachtung hinausgehende Gewährung der Wirkung ausländischen Rechts auf dem eigenen Territorium, d. h. eine über seinen (eigentlichen) Geltungsbereich hinausgehende Erstreckung fremder Staatsakte (im Sinne einer Förderung fremder Staatsinteressen32) eine Verletzung von dessen Souveränität bedeuten, wie also ein „Mehr“ an Beachtung fremder Staatsaktivität das Völkerrecht verletzen können soll.33 Führt man sich jedoch vor Augen, daß in einem negativen Ergebnis der Rechtmäßigkeitskontrolle die Feststellung der Organe des inländischen Staates liegt, daß die Organe des fremden Staates ihr eigenes (!) nationales Recht falsch angewendet haben, so daß der erlassene Hoheitsakt eigentlich auch innerstaatlich (in deren eigenem Staat) rechtswidrig ist, könnte darin in der Tat eine Einmischung in dessen innere Angelegenheiten – hierzu gehört die Auslegung und Anwendung des eigenen Rechts – gesehen werden. Die genannte Feststellung des anderen Staates könnte als ein Urteil über die fremde Staatstätigkeit im Inland angesehen werden. Gegen ein solches Handeln könnte der Grundsatz sprechen, daß kein Staat über den anderen zu Gericht sitzen darf. Das Prinzip „Par in parem non habet imperium34“ liegt insbesondere dem Prinzip der Staatenimmunität 35 zugrunde, das als Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches staatlicher Hoheitsausübung36 aus dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten37 herzuleiten ist und für die Frage eine Rolle spielt, ob ein Staat über das Handeln eines anderen Staates Gerichtsbarkeit ausüben kann, eine Frage, die der hier vorliegenden zumindest verwandt ist38.39 Äußere Souveränität heißt nach dem oben40 Erörterten die Unabhän-
32 Vgl. Isay, FG Zitelmann, S. 291 (297); Happe, Die grenzüberschreitende Wirkung, S. 61, 77. 33 So sind wohl Papier / Olschewski, Vollziehung ausländischer Verwaltungsakte, DVBl. 1976, 475 (476), zu verstehen. So im Grunde auch Vogel, Der Anwendungsbereich, S. 201 f., der allgemein erklärt, „[m]it sehr viel mehr Recht“ könne in der Anwendung fremden Rechts eine Beschränkung der Souveränität des eigenen Staates als eine Verletzung der Rechte des ausländischen Staates liegen. 34 Bzw. “ . . . non sit in iuriam“, „. . . non habet iurisdictionem“, „. . . non habet iudicium“ o. ä.; Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1169 (S. 763, Fn. 2), weist auf die Erwähnung dieses Grundsatzes bei Bartolus hin. 35 Hierzu vgl. kurz Geiger, GG und Völkerrecht, § 60 II, S. 338 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 606; K. Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 16; eingehend Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 1168 ff. (S. 762 ff.). 36 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 166 (S. 761). 37 Sie ist heute in Art. 2 Nr. 1 SVN niedergelegt, war aber auch schon vorher anerkannt, vgl. K. Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 7 ff. 38 Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1178 (S. 774), betont, daß von der Frage, ob ein fremder Staat beklagt werden könne, jene zu unterscheiden, sei, ob nationale Gerichte Hoheitsakte fremder Staaten auf ihre Rechtmäßigkeit untersuchen dürften, behandelt beide jedoch unter dem Punkt der Begrenzung der staatlichen Souveränitätsbereiche in sachlicher
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gigkeit vom Willen eines anderen Staates; sie hindert einen Staat also möglicherweise daran, ein Rechtmäßigkeitsurteil über die Rechtsanwendung eines anderen Staates zu fällen. Der Gleichheit der Staaten wiederum widerstreitet es, wenn ein Staat sich zum Richter über den anderen aufschwingt. Zugleich könnte, wie bereits angedeutet, das Nichteinmischungsgebot41 betroffen sein, das sich als Gegenstück (bzw. notwendige Folge) der souveränen Gleichheit aus den Strukturprinzipien des Völkerrechts herleitet42. Infolge der wachsenden internationalen Zusammenarbeit und Verflechtung der Staaten muß aber nicht nur der sachliche Anwendungsbereich der Staatenimmunität eingeschränkt werden („restriktive Staatenimmunitätstheorie“). 43 Vielmehr ist die Staatenimmunität auch gleichsam in dem Sinne „teleologisch zu reduzieren“, daß die bloße Anwendung des fremden Rechts nicht als Immunitätsverstoß gesehen werden kann. Teilweise wird jeder Staat für grundsätzlich frei angesehen, „sowohl räumlich als auch zeitlich einen Sachverhalt dem Tatbestand und den Rechtsfolgen der Norm einer anderen als der eigenen Rechtsordnung zu unterwerfen“, es sei denn der ausländische Staat erhebt Einspruch.44 Ebenso muß die Anwendung des fremden Rechts jedenfalls dann völkerrechtlich unbedenklich sein, wenn eine echte Zwangswirkung (i. S. einer Durchsetzung des Rechtswidrigkeitsurteils) im Verhältnis zu diesem fremden Staat nicht auftritt. Es darf nämlich niemals von dem Zweck abstrahiert werden, zu welchem die Rechtmäßigkeit des ausländischen Hoheitsaktes überprüft wird. Die Wirksamkeit des ausländischen Hoheitsaktes im Inland ist eine akzessorische (vgl. o.). Ein im Ausland (Erlaßstaat) nicht gültiger Hoheitsakt kann auch durch Anerkennung nicht ins Inland wirken. Dient die Anerkennung also einzig dem Ziel zu klären, Hinsicht. Beide Male geht es um die Frage, ob ein Staat ein Rechtmäßigkeitsurteil über das hoheitliche Tun des anderen fällen darf. 39 Während etwa Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 456, mehr auf die souveräne Staatsgewalt abstellt, heben K. Ipsen, Völkerrecht, § 26 Rn. 16, und Geiger, GG und Völkerrecht, § 60 II, S. 338, mehr den Gleichheitsaspekt hervor. Der Wortlaut des o. g. Rechtssprichworts legt die Betonung auf die Gleichheit. Die enge Verbindung zwischen beiden kommt allerdings im Begriffe der souveränen Gleichheit zum Ausdruck. Beides führt auch Steinberger, State Immunity, in: Bernhardt, EPIL, Instalment 10, S. 428 (429, 432), heran. 40 Erster Teil C.II.1.a). 41 s. die Niederlegung des Interventionsverbots in Art. 2 Nr. 7 SVN, welches nur für die Vereinten Nationen, nicht aber für die einzelnen Staaten gilt. Vgl. allgemein Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, §§ 490 – 498, Oppermann, Intervention, in: Bernhardt, EPIL, Bd. II, S. 1436 ff. 42 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 49. 43 Vgl. hierzu Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, § 1168 ff.; Steinberger, in: Bernhardt, EPIL, 428 (429, 430 ff.). So wird nunmehr etwa die Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis getroffen, von denen nur erstere immun sind. Zur Anerkennung dieser Theorie in Deutschland BVerfGE 16, 27 (Iranische Botschaft). 44 Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (37 f.); für die Möglichkeit des Einspruchs auch Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 240.
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
ob ein gültiger Hoheitsakt vorhanden ist, kann keine verbotene Einmischung vorliegen.45 Doch muß die Berechtigung zur Rechtmäßigkeitskontrolle noch über die bloße Gültigkeitsfeststellung hinausgehen. Es muß dem Anerkennungsstaat auch gestattet sein, über die Feststellung der Gültigkeit des Hoheitsaktes im Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung hinaus eine Entscheidung über dessen Gültigkeitsperspektive zu treffen. Aus dem innerstaatlichen (deutschen) Recht sind Differenzierungen hinsichtlich der Folgen formeller und materieller Rechtsverstöße bekannt. Nicht jede Rechtswidrigkeit führt zur Nichtigkeit. Während verfassungs- bzw. schlicht rechtswidrige Normen nichtig sind, können rechtswidrige Verwaltungsakte auch bestandskräftig werden.46 Es ist dann aus innerstaatlicher Sicht ein Gebot der Rechtssicherheit, wenn ein rechtswidriger, aber deshalb nicht ungültiger ausländischer Verwaltungsakt im Inland nicht anerkannt wird, weil nämlich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, daß er in naher Zukunft aufgehoben (zurückgenommen) wird47.48 Die Feststellung der Rechtswidrigkeit wird in den genannten Fällen nicht mit dem Anspruch auf Durchsetzung im Erlaßstaat getroffen, löst also bei diesem nicht die oben benannte Zwangswirkung aus, denn das Ergebnis der Rechtmäßigkeitskontrolle würde ja nicht mit dem Anspruch auf Gültigkeit oder gar Durchsetzung im ausländischen Staat ausgesprochen, sondern soll lediglich den inländischen (Anerkennungsvorprüfungs-)Zwecken dienen.49 Da die Rechtmäßigkeitsprüfung allein als Vorfrage der Anerkennung angestellt wird, muß eine Einmischung in allen Fällen der Rechtmäßigkeitsprüfung im Vorfeld der Anerkennung verneint werden. Folge einer negativen Beendigung der Rechtmäßigkeitsprüfung ist die Verweigerung der Anerkennung des ausländischen Hoheitsaktes. Die Berechtigung zur Überprüfung ausländischer Hoheitsakte auf ihre Rechtmäßigkeit vor der Entscheidung über die Anerkennung wird deshalb oftmals in einem Atemzug mit dem So auch K. König, Anerkennung, S. 85. Sofern sie nicht an einem besonders schweren Mangel leiden und deshalb bereits nichtig sind, vgl. § 44 VwVfG. 47 Die erleichterte Aufhebbarkeit rechtswidriger Verwaltungsakte äußert sich insbesondere in der in § 49 I, II VwVfG verwirklichten Regel, wonach rechtmäßige Verwaltungsakte grundsätzlich nur mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden können, die nur von der Regelung des § 49 III VwVfG (früher § 44a BHO) durchbrochen wird, und der in § 48 I 1 VwVfG aufgestellten Regel, wonach rechtswidrige Verwaltungsakte grundsätzlich auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden dürfen. 48 In dieser Richtung auch K. König, Anerkennung, S. 86. 49 Das räumt aber offensichtlich auch Neumeyer ein, wenn er an anderer Stelle, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 344, erklärt, daß der Statthaftigkeit einer Nachprüfung nicht entgegengehalten werden könne, daß eine Gerichtsbarkeit über fremde Staaten unzulässig sei, denn mit der Nachprüfung werde dem fremden Staat kein Verhalten vorgeschrieben, sondern lediglich eine Voraussetzung für die Anwendung des eigenen Rechts klargestellt. K. König, Anerkennung, S. 86, stellt vor allem auf die Frage der Gültigkeit ab. 45 46
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Problem der Verpflichtung zur Anerkennung als solcher erörtert.50 Dies ist zwar m. E. nach dem soeben Ausgeführten nicht zwingend. Insbesondere läßt sich bei einer Sichtweise, wie sie hier zugrunde gelegt wurde, besser die Frage beantworten, wieviel Bewertungsmacht einem Staat noch verbleibt, der sich gegenüber einem anderen grundsätzlich zur Anerkennung bestimmter von diesem erlassener Hoheitsakte verpflichtet hat. Außerdem eröffnet die Trennung besser den Blick für das Problem möglicher verfassungsrechtlicher Pflichten des Anerkennungsstaates zur Rechtmäßigkeitsprüfung im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Anerkennungsverpflichtungen. Richtig ist jedoch, daß in jedem Fall nicht von dem Zweck abstrahiert werden darf, zu dem die Rechtmäßigkeitsprüfung erfolgt. Sonach kann festgestellt werden, daß es nach allgemeinem Völkerrecht weder verboten ist, eine Anerkennung zu verweigern, indem ein ordre-public-Vorbehalt geltend gemacht wird, noch, die Rechtmäßigkeit eines ausländischen Hoheitsaktes zum Zwecke der Entscheidung über die Frage der Anerkennung zu überprüfen. Etwas anderes kann sich aber aus den besonderen (völkerrechtlichen) Vereinbarungen zwischen Erlaß- und Anerkennungsstaat ergeben. Hier wird regelmäßig vereinbart sein, daß der Anerkennungsstaat (bei konkret-aktueller Anerkennung) nur das Vorliegen der formellen Voraussetzungen des ausländischen Hoheitsaktes (z. B. äußere Wirksamkeit des Steuerbescheides oder des ausländischen Urteils) prüft, nicht aber eine materielle Prüfung vornehmen darf. Diese Einschränkung der Überprüfungsmacht wird erleichtert durch die Aufnahme eines ordre-public-Vorbehalts. Schließlich darf darauf hingewiesen werden, daß eine jedesmalige Rechtmäßigkeitskontrolle der eigennützigen Anerkennung viel von ihrem Nutzen nehmen würde und deshalb im wesentlichen auf die Fälle der fremdnützigen Anerkennung beschränkt bleiben wird; und auch hier werden entsprechende völkerrechtliche Verträge mitunter einen Ausschluß der Rechtmäßigkeitskontrolle enthalten.51 Wie eingangs dargelegt, taucht das Problem der Rechtmäßigkeitsüberprüfung im wesentlichen nur bei der konkret-aktuellen Anerkennung auf, während bei der abstrakt-antizipierten Anerkennung eine solche Überprüfung schon konstruktiv ausgeschlossen ist und allenfalls im Rahmen einer nachträglichen Entscheidung über den Widerruf der Anerkennung im Rahmen einer Art „Notkompetenz“ von Bedeutung sein kann.
50 So etwa Dahm / Delbrück / Wolfrum, S. 485 (§ 75 II.2). Die Sichtweise, wonach eine Überprüfung ausländischer Hoheitsakte gegen den Grundsatz verstoße, wonach die Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen könnten, lasse unberücksichtigt, daß eine Rechtspflicht zur Anerkennung ausländischer Hoheitsakte eine Einschränkung der Gebietshoheit auf seiten des Wirkungsstaates darstellen würde. Vgl. auch Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, IV, S. 343: „Die Befugnis zur Nachprüfung bedarf keines besonderen Rechtsgrundes, vielmehr bedarf es eines besonderen Rechtssatzes, um eine Bindung an den fremden Staatsakt zu begründen.“ 51 Daß dieser aber möglicherweise aus innerstaatlicher Sicht problematisch sein kann, dazu unten unten 2.b).
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten 2. Befugnis bzw. Verpflichtung nach innerstaatlichem Recht
a) Kein grundsätzliches Verbot der Anwendung ausländischen Rechts Es bedarf keiner ausführlichen Erörterung, daß innerstaatliches (also deutsches) Recht des Anerkennungsstaates einer Überprüfung fremdstaatlicher Hoheitsakte nicht entgegensteht, denn diese betrifft allein Rechtsakte, welche außerhalb des Geltungsbereiches der eigenen nationalen Rechtsordnung erlassen wurden, und Prüfungsmaßstab wäre bzw. ist eben jene ausländische Rechtsordnung.52 Für innerstaatliche Hoheitsakte erreicht der Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes gem. Art. 20 III GG Geltung. Deutsche Hoheitsakte haben dem GG und deutschem einfachen Recht zu entsprechen. Daß der Grundsatz der Bindung aller staatlichen Gewalt an Gesetz und Recht (Art. 20 III GG) und damit – notwendigerweise – an innerstaatliches Recht (zu diesem könnten noch gem. Art. 25 GG allgemeine Regeln des Völkerrechts hinzutreten) sozusagen im Umkehrschluß eine Aussage beinhalten sollte, wonach ausländisches Recht niemals, also auch nicht mittelbar, Rechtmäßigkeitsmaßstab sein könne, entspricht erkennbar nicht dem Willen der Verfassung. Dies liefe vielmehr der in Vorschriften wie Art. 24 und 25 GG manifestierten „Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit“53 zuwider. Denn dann müßte auf jegliche Anwendung ausländischen Rechts kraft zwischenprivatrechtlicher oder zwischenverwaltungsrechtlicher Anordnung gänzlich verzichtet werden, was die Bundesrepublik aber isolieren und so auch dem Grundrechtsschutz in höchstem Maße abträglich wäre. Bei genauer Betrachtung wird dem in Art. 20 III GG zum Ausdruck kommenden rechtsstaatlichen und außerdem den Grundrechten inhärenten Gesetzesvorbehalt aber dennoch entsprochen. Schließlich bedarf die Anwendung ausländischen Rechts immer einer gesonderten innerstaatlichen Anordnung, während die Normen des innerstaatlichen Rechts aus sich heraus anwendbar sind.54 Wenn nunmehr für 52 Unverständlich ist deshalb, wenn Beyerlin, Rechtsprobleme, S. 250, 252, im Zusammenhang mit BVerfGE 63, 343 von einem Mangel der Überprüfung nach deutschem Recht spricht, obwohl (nach dem oben Ausgeführten selbstverständlich) das BVerfG der Frage nachging, ob es zulässig war, daß „[d]as Bestehen einer Abgabenschuld nach österreichischem Recht und die Ordnungsgemäßheit des österreichischen Verfahrens . . . [von den] deutschen Gerichten materiell nicht geprüft“ (BVerfGE 63, 343 [376, 376 ff.]; Hervorhebung nur hier) worden war. 53 So der Titel der bekannten Schrift von Vogel, Tübingen 1962, der auch von einer „offenen Staatlichkeit“ spricht und dies in bewußter Entgegensetzung zu Fichtes „geschlossenem Handelsstaat“ versteht (a. a. O., S. 13 f., 32) und nach dem diese Verfassungsentscheidung, „da sie . . . in einer grundsätzlichen Frage die konkrete Existenzform der Bundesrepublik Deutschland als Staat betrifft, um nichts geringer zu veranschlagen“ sein soll „als diejenige der Entscheidung für einen demokratischen, sozialen und föderalistischen Rechtsstaat in den Artikeln 20 und 28 GG“ (a. a. O., S. 42 f., Hervorhebung im Original). Vgl. auch Tomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HdBStR VII, § 172, der von der „staatsrechtlichen Entscheidung für die internationale Offenheit“ spricht.
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die Anwendung ausländischen Rechts eine allgemeine Einschränkung dahin gemacht wird, daß die anzuwendende Norm „fungibel“, d. h. nicht spezifisch in das öffentliche Recht des ausländischen Staates eingebettet sein sollte,55 so ist darin bei genauer Betrachtung eigentlich nichts anderes als ein verkappter ordre-publicVorbehalt zu sehen.
b) Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte Ein Verbot der Anwendung ausländischen Rechts ergibt sich aus dem inländischen Recht nicht. Wohl aber könnte aus ihm ein Gebot zur Rechtmäßigkeitskontrolle ausländischer Hoheitsakte anhand des ausländischen Rechts zu folgern sein, vor allem dann, wenn belastende Verwaltungsakte zur Anerkennung stehen.56 Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Fälle der fremdnützigen Anerkennung, in denen der betr. Staat den Willen hat, die Geltung derartiger belastender Verwaltungsakte auf den Bereich eines anderen Staates zu erstrecken, weil sich der Adressat dem Zugriff des Erlaßstaates durch (persönliche oder vermögensmäßige) Flucht ins Ausland entzogen hat oder wenn dieser (z. B. ein Steuerpflichtiger) überhaupt Ausländer ist.57 Dann besteht ein Interesse des Erlaßstaates, das durch seinen Verwaltungsakt Angeordnete auch im Ausland durchzusetzen. Um die Verfolgung eben dieses Interesses zu ermöglichen, haben die Staaten Verträge geschlossen, in denen sich der eine Staat gegenüber dem anderen zur Vollstreckung von dessen Steuerforderungen verpflichtet,58 was gerade als Ausnahme von dem oben59 betonten Grundsatz zu sehen ist, daß ausländisches öffentliches Recht nicht durchgesetzt wird. Voraussetzung einer solchen Vollstreckung ist die Anerkennung des jeweiligen im Ausland erlassenen Verwaltungsaktes, mit dem die Steuerforderung aktualisiert wird. Gemäß der hier verwendeten Definition der Anerkennung werden sonach bestimmte ausländische Verwaltungsakte innerstaatlichen gleichgestellt. Problematisch wird eine solche Anerkennung dann, wenn – wie regelmäßig – der ersuchte (deutsche) Staat die materielle Begründetheit der Steuerforderung Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (37). Vgl. Rudolf, Territoriale Grenzen, S. 7 (41), in Auseinandersetzung mit den Ansichten Vogels u. a. 56 Im engeren Sinne fremdnützige Anerkennungen betreffen meist für den Adressaten belastende Hoheitsakte, wie das Beispiel der durch Verwaltungsakt festgesetzten Steuerforderung zeigt. 57 Vgl. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 213, der dies als Bsp. für die fremdnützige Anerkennung anführt. 58 Vgl. zum Problem Papier / Olschewski, DVBl. 1976, 475 ff.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 214. 59 Erster Teil C.I.4.a). 54 55
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nicht im einzelnen nachprüft, sondern gleichsam als Titel hinnimmt, ebenso wie er in rein innerstaatlichen Fällen einen bestandskräftigen Grundverwaltungsakt vollstreckt, ohne dessen materielle Rechtmäßigkeit noch zu überprüfen60. Bei dieser Vollstreckung unterstützt das Inland nicht nur fremde Staatstätigkeit. Seine Behörden müssen bei Vollstreckung derartiger Forderungen auch regelmäßig in die Grundrechte der Betroffenen (insbesondere Art. 2 I, ggf. auch Art. 13 I GG usw.) eingreifen. Die (durch das Zustimmungsgesetz zum entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag bzw. durch das denselben umsetzende sonstige nationale Gesetz) zur Vollstreckung der fremden Steuerforderung (genauer: des diese aktualisierenden Verwaltungsaktes) berufene Behörde des ersuchten Staates wird damit zur Durchsetzung eines Hoheitsaktes tätig, den sie nicht selbst erlassen hat, mehr noch: dessen materielle Richtigkeit von keiner Behörde des eigenen Staates festgestellt wurde. Der nationale Gesetzgeber legt auf diese Weise zur Erfüllung seiner völkervertragsrechtlichen Verpflichtungen (ausländische) Hoheitsakte der eigenen Hoheitstätigkeit zugrunde, deren Inhalt er nicht beeinflussen kann. Damit begibt er sich auf das gleiche verfassungsrechtliche Konfliktfeld, das er auch schon dann betritt, wenn er auf Vorschriften anderer innerstaatlicher Kompetenzträger in der jeweils geltenden Fassung Bezug nimmt. Im Falle derartiger antizipierter und hierdurch dynamischer Verweisungen (d. h. Verweisungen auf die jeweils geltende Fassung eines anderen Gesetzes) gerät er bereits in die Gefahr, gegen das Rechtsstaatsprinzip (insbesondere die Gewaltenteilung [falls auf Verwaltungsvorschriften verwiesen wird], Rechtsklarheit61), das Demokratieprinzip (Identität von Regierenden und Regierten62) und ggf. auch gegen das Bundesstaatsprinzip (in Gestalt der hieraus fließenden Pflicht zur Wahrung der Eigenständigkeit, die durch die dynamische Verweisung als effektive Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf einen nicht zuständigen Kompetenzträger verletzt werden könnte) zu verstoßen.63 Hier, so wird kritisiert, werde ein Normsetzungs60 Darauf weist Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse im EG-Binnenmarkt, 1998, S. 235 f., hin, der im Unterschied zu Papier / Olschewski, DVBl. 1976, 475 (481), eine Überprüfung ausländischer Steuerforderungen selbst bei noch nicht unanfechtbaren Steuerforderungen ausschließen will. 61 Dagegen dürfte der Bestimmtheitsgrundsatz im Falle statischer Verweisungen nicht besser eingehalten werden als im Falle dynamischer Verweisungen, vgl. Klindt, Die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen auf EG-Recht aus verfassungs- und europarechtlicher Sicht, DVBl. 1998, 373 (376 f.). 62 Vgl. Papier / Olschewski, DVBl. 1976, 475 (479), für den Fall der Steuer: „No taxation without representation“, aufgegriffen vom Beschwerdeführer, dessen Prozeßvertreter der Zweitautor war, in BVerfGE 63, 343 (367). 63 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 ff., Fuß, Zur Verweisung des deutschen Umsatzsteuergesetzes auf den Gemeinsamen Zolltarif der Europäischen Gemeinschaften, in: FS Paulick, S. 293 (296 ff.); Ehlers, Die Anpassung der Landesverwaltungsverfahrensgesetze an das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes, DVBl. 1977, 693 (694), der von einer „Systemverschiebung am Grundgesetz vorbei“ spricht; differenzierend für die Zulässigkeit dynamischer Verweisungen eintretend dagegen Veh, Die dynamische Verknüpfung von Landes- und Bundesrecht, BayVBl. 1987, 225 (230 ff.); Schröcker, Die Übernahme von Bundesrecht als Landes-
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wille ohne eine Vorstellung von Inhalt und Tragweite des entsprechenden Beschlusses, ein „blinder Wille“ des Normsetzers zum Ausdruck gebracht.64 Eine dynamische Verweisung wird mit dem Argument für unbedenklich gehalten, der Gesetzgeber gebe seine Zuständigkeit gar nicht aus der Hand, habe er doch, wenn er dynamisch verweise, selbst eine Regelung getroffen, so daß Geltungsgrund ausschließlich der Wille des verweisenden Gesetzgebers bleibe, welcher zudem aus der eingeleiteten Dynamik auch wieder aussteigen könne.65 Dieses Argument verfängt nicht, denn das Parlament kann sich auch nicht durch eine einfachgesetzliche Regelung seiner Rechte begeben, die Selbstbefassung mit der im Gesetz zu regelnden Materie ist vielmehr ein Erfordernis der Repräsentation des Volkes in allen Phasen der Legislation.66 Was für die innerstaatliche dynamische Verweisung gilt, soll nach einer Auffassung auch für die bedingungslose Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Staatsakte gelten: Auch sie sei unzulässig, da der Sache nach ebenso auf das Willensprodukt eines anderen Gesetzgebers in der jeweiligen Fassung der zu vollziehenden Rechtsordnung Bezug genommen werde und der innerstaatliche Gesetzgeber zu einem „Sprung ins Dunkle“ die Exekutive zu Eingriffen ermächtige, deren Tragweite er noch gar nicht abschätzen könne.67 Nach der Rspr. des BVerfG ist zwar selbst eine dynamische Verweisung auf Recht eines anderen Gesetzgebers (innerhalb der Bundesrepublik) grundsätzlich möglich.68 Im Bereiche des Gesetzesvorbehalts, d. h. dann, wenn Grundrechte betroffen sind – was regelmäßig der Fall sein dürfte69 –, neigt das BVerfG allerdings dazu, sie wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip als verfassungsrechtlich recht, NJW 1967, 2285 (2289 ff.), der bemerkenswerterweise zur Unterstützung seiner die dynamische Verweisung für zulässig haltenden Auffassung gerade auch auf die Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts verweist (a. a. O., S. 2290 f.). 64 Ossenbühl, DVBl. 1967, 401 (402), Quaritsch m. w. N. zitierend; Fuß, in: FS Paulick, S. 293 (299); vgl. auch Veh, BayVBl. 1987, 225 (228). 65 So Schröcker, NJW 1967, 2285 (2290); Veh, BayVBl. 1987, 225 (230); Klindt, DVBl. 1998, 373 (376). 66 Dem Einwand Schröckers, Vehs und Klindts von der jederzeitigen Rückholbarkeit der Verweisung läßt sich leicht mit einem Hinweis auf den Parallelfall begegnen: Wenn Zuständigkeiten von einem verfassungsrechtlich bestimmten Organ auf ein anderes, z. B. vom Parlament auf den Bundespräsidenten, übertragen würden, kann auch nicht die jederzeitige Rückholbarkeit der Zuständigkeitsverlagerung zur Verfassungsmäßigkeit führen. Das Grundgesetz hat sowohl die Verbands- als auch die Organkompetenzen klar verteilt. Diese Verteilung kann durch keine unterverfassungsrechtliche Regelung aufgehoben werden. Das Grundgesetz ist nicht gleichsam „dispositives“ Recht. Die Parallele zu Organzuständigkeiten zieht auch Ehlers, DVBl. 1977, 693 (694), der auf BVerfGE 37, 363 (379 f.), hinweist und einen ErstRecht-Schluß vornimmt. 67 Papier / Olschewski, DVBl. 1976, 475 (477). 68 BVerfGE 26, 338 (365 ff.), sowie BVerfGE 47, 285 (311); 67, 348 (363), wo die dynamische Verweisung auch bei mangelnder Identität als „nicht schlechthin ausgeschlossen“ bezeichnet wird. 69 Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 45.
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nicht tragbar anzusehen.70 Eine eigenverantwortliche Prüfung des Gesetzgebers, in welchem Umfang und aus welchen Gründen er in das betreffende Grundrecht eingreife, sei in diesen Fällen nämlich nicht gesichert.71 Auch soweit die Verfassung eine Delegation von Normsetzungsbefugnissen vorsehe, dürfe der zuständige Gesetzgeber sich seiner Verantwortung für den Inhalt der Normen jedenfalls nicht völlig entäußern.72 Entsprechende dynamisch verstehbare Verweisungsregelungen müssen dann verfassungskonform in statische Verweisungen umgedeutet werden.73 Das BVerfG verweigert sich aber einer parallelen Sichtweise gerade dann, wenn es um die Inbezugnahme ausländischen Rechts geht. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1983 zum deutsch-österreichischen Steuerforderungsvollstreckungsabkommen74 hielt es eine Regelung über eine solche fremdnützige Anerkennung, wie sie oben angesprochen wurde, nach der nicht der materielle Bestand der Forderung im Ausland, sondern nur das Vorliegen der formellen Vollstreckungsvoraussetzungen überprüft wurde, für mit Art. 19 IV GG und dem Demokratieprinzip vereinbar.75 Die Rechtshilfe sei als Ausübung deutscher Staatsgewalt an das Grundrecht des Art. 19 IV GG und im Rahmen der Rechtfertigung sonstiger Grundrechtseingriffe an das Demokratieprinzip gebunden;76 jedoch werde durch ordre-public-Klauseln, also Regelungen, durch die ausnahmsweise die ansonsten geforderte Anerkennung und Vollstreckung der Forderung ausgeschlossen ist, die Bindung an die Grundrechte gewährleistet.77 Die Gegenmeinung78 hatte demgegenüber darauf hingewiesen, daß der einzelne gerade deshalb des demokratischformalen Schutzes in Gestalt eines (zwingenden) Parlamentsvorbehalts bedürfe, weil dies eine Kompensation dafür sein könnte, daß selbst beim innerstaatlichen Steuereingriff die Verhältnismäßigkeit als Schrankenschranke bereits am Erfordernis der Zwecklegitimation versage, weil der primäre Besteuerungszweck, die Ein70 BVerfGE 47, 285 (311 ff., etwas zögerlich: „jedenfalls im vorliegenden Falle [S. 312]); 64, 208 (214 f.); 73, 261 (272, hier verneinend für Sozialpläne). 71 So BVerfGE 47, 285 (313). 72 BVerfGE 47, 285 (313) unter Berufung auf seine Leitentscheidung zur Wesentlichkeitstheorie BVerfGE 33, 125 (157 ff.) – Facharzt. 73 So wie in BVerfGE 47, 285 (317); 67, 348 (364). 74 Gesetz zu dem Vertrag vom 11. September 1970 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchssteuer- und Monopolangelegenheiten vom 29. Juli 1971, BGBl. II, S. 1001. 75 BVerfGE 63, 343; zust. Tomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HdBStR VII, § 172 Rn. 57 f.; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 214; a. A. Papier / Olschweski, DVBl. 1976, 475 (475 ff.). 76 Das BVerfG (E 63, 343 [367]) ließ in dem betr. Fall die Beschwerdebefugnis hinsichtlich des Demokratieprinzips dahinstehen, führte aber eine materielle Prüfung durch. 77 BVerfGE 63, 343 (373 ff.); zust. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 215. Von Papier / Olschewski, DVBl. 1976, 475 (479), war dagegen (im Vorfeld dieser Entscheidung) der ordre-public-Klausel jede inhaltlich effiziente Begrenzung abgesprochen worden. 78 Papier / Olschewski, DVBl. 1976, 475 (478 f.).
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nahmeerzielung, zwar nur ein Zwischenziel, aber wegen des Nonaffektionsprinzips (Zweckungebundenheit der Einnahmen) als gleichsam zweckfrei gelten müsse.79 Das BVerfG80 hielt das Argument nicht für stichhaltig, denn der Steuereingriff gehe ohne demokratische Repräsentation nicht schlechthin unkontrollierbar weit, und verwies darauf, daß es schließlich auch möglich sei, daß die Mehrheit der Minderheit unkontrollierbare Lasten aufbürde. Das BVerfG forderte angesichts des Art. 19 IV GG allerdings zu Recht, daß im Vertragsstaat ein Mindestmaß an (materiell-rechtlichem) Rechtsschutz gewährleistet sein müsse.81 Die Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit in Art. 24 (den man hier zwar nicht unmittelbar, aber seinem Sinne nach für anwendbar hält82), 25 und 26 GG kann zwar die Geltung der Grundrechte nicht aussetzen oder einschränken. Es ist aber in der Tat nicht anzunehmen, daß das Grundgesetz die Rechtshilfe für fremde Staaten nach dem Gegenseitigkeitsprinzip (ansonsten wäre auch eine Rechtshilfe zugunsten Deutschlands nicht möglich) ausschließen wollte.83 Das Grundgesetz hat sich schließlich bewußt von einem Weg des Isolationismus der ersten Hälfte des 20. Jh. abgewendet, weil dieser bekanntlich in die Katastrophe geführt hatte.84 Daß die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Verweisungen auf Recht eines nichtidentischen Gesetzgebers in Fällen mit Auslandsbezug großzügiger gehandhabt werden (müssen) als in Fällen, die das Zusammenspiel zwar unterschiedlicher, aber immerhin einer (Gesamt-)Verfassung unterworfener Kompetenzträger betreffen, liegt damit auf der Hand. Dieser Widerspruch ist aber nur ein weiterer Ausdruck des vielfältige Reibungsflächen bietenden Nebeneinanders von internationalem und nationalem Recht. Der innerstaatliche Absolutheitsanspruch der Verfassung wird durch die internationale Zusammenarbeit notwendigerweise (!) relativiert, denn eine absolute Durchsetzung der nationalen Standards in Fällen grenzüberschreitender Kooperation würde diese selbst unmöglich machen.85 Dieser Gegensatz ist aber von der Verfassungsentscheidung für eine internationale Das Vorliegen dieses Problems räumte auch das BVerfG (E 63, 343 [367]) ein. BVerfGE 63, 343 (367). 81 BVerfGE 63, 343 (378). 82 Vgl. auch Schlag, Grenzüberschreitende Verwaltungsbefugnisse, S. 234, der feststellt, daß Art. 24 I GG sowohl die Öffnung für eine zwischenstaatliche, also auch die für eine ausländische Hoheitsgewalt umfasse, da sich der Gedanke der offenen Staatlichkeit, der in der Vorschrift zum Ausdruck komme, nicht auf die Zusammenarbeit in Form zwischenstaatlicher Einrichtungen beschränken lasse, wobei allerdings nicht ganz klar ist, ob er dies nur auf das Verhältnis der EU-Staaten zueinander so sehen will. 83 Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion, S. 214. 84 Vgl. Vogel, Verfassungsentscheidung, S. 9. 85 Vgl. Tomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HdBStR VII, § 172 Rn. 58. Vogel, Verfassungsentscheidung, S. 49 f. bemüht angesichts der Verfassungsentscheidung für einen offenen Staat, die er in weiten Teilen im Sinne einer Pflicht deutet, die „Näher-dran-Theorie“ aus BVerfGE 4, 157 (169 f.) – Saarstatut; 14, 1 (7) (Ausschluß des Rechtswegs gegen übergeleitete besatzungshoheitliche Entscheidungen. 79 80
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Zusammenarbeit (Art. 2486, 25 und 26 GG) gewollt. Die – hier wertfrei verstandene – „Relativierung“87 der Verfassung durch die internationale Kooperation durchzieht die gesamte Rspr. des BVerfG, was sich an zwei Beispielen festmachen läßt, die die Entscheidung des BVerfG zur Anerkennung als bloßen Abschnitt auf einer Rechtsprechungslinie sichtbar werden lassen. Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zur Unzulässigkeit dynamischer Verweisungen auf das Recht nicht identischer (innerstaatlicher) Gesetzgeber auch unter Rückgriff auf seine Wesentlichkeitstheorie begründet.88 Diese Wesentlichkeitstheorie – wie immer man zu ihr stehen will – hat im Bereich der innerstaatlichen Grundrechtssicherung eine hervorragende Rolle gespielt.89 Ihr ist aber in Fällen, in denen die Eingebundenheit der Bundesrepublik Deutschland in die internationale Gemeinschaft berührt war, die Anerkennung versagt worden,90 obwohl dies angesichts ihrer Ableitung (auch) aus dem Demokratieprinzip durchaus denkbar gewesen wäre91. Hierfür liefert die in der Verfassung angelegte „auswärtige Gewalt“ der Regierung, die dieser einen Handlungsspielraum sichern soll, der sie im Verhältnis zu anderen Staaten nicht in eine schlechtere Verhandlungsposition bringen soll, gleichsam das Stichwort. Im Verhältnis des Rechts der Europäischen Gemeinschaft zum deutschen Recht hat das BVerfG eine Modifizierung des innerstaatlichen Grundrechtsschutzes vornehmen können, weil ein gleichwertiger Grundrechtsschutz auf der supranationa86 Art. 24 I GG ist bekanntlich auch als Ausnahmevorschrift zu Art. 79 I, II GG i. S. der Ermöglichung einer „Verfassungsdurchbrechung“ anzusehen. 87 Von einer Relativierung des Grundrechtsschutzes spricht auch das BVerfG in der Eurocontrol-Entscheidung, wenn es gleichzeitig die Grenzen derselben feststeckt: „. . . Deshalb gestattet Art. 24 Abs. 1 GG nicht, den Grundrechtsteil des Grundgesetzes vorbehaltlos zu relativieren.“ Vgl. auch Pernice, Maastricht, Staat und Demokratie, DV 1993, 449 (478), der von einer „Relativierung der ‘nationalen’ Volkssouveränität spricht, die „Art. 24 GG immanent“ sei. 88 Vgl. o. Fn. 72. 89 Vgl. etwa BVerfGE 33, 125 (158) – Facharzt; BVerfGE 33, 303 (346) – numerus clausus; BVerfGE 34, 165 (192) – Hessische Förderstufe; BVerfGE 40, 237 (248 f.) – Rechtsmittel im Strafgefangenenverhältnis; BVerfGE 41, 251 (260 f.) – Ordnungsmaßnahmen im zweiten Bildungsweg; BVerfGE 45, 400 (417 f.) – Neuordnung der gymnasialen Oberstufe; BVerfGE 47, 46 (79) – Sexualkundeunterricht; BVerfGE 48, 210 (211) – Erlaß der Steuerpflicht bei Auslandseinkünften; BVerfGE 49, 89 – Schneller Brüter in Kalkar; BVerfGE 53, 30 (56 f.) – Mülheim-Kärlich; BVerfGE 56, 1 (13) – Kriegsopferversorgung; BVerfGE 57, 295 (320 f.) – Saarländisches Rundfunkgesetz; BVerfGE 58, 257 (268 f.) – Versetzungsregelung; BVerfGE 61, 260 (275) – NRW-Hochschulgesetz; BVerfGE 65, 1 – Volkszählung. 90 Vgl. BVerfGE 68, 1 – Nachrüstung; BVerfGE 90, 286 (380 ff.) – AWACS / Somalia. In beiden Fällen argumentierte das BVerfG nicht mit der Wesentlichkeitstheorie, im letztgenannten begründete es die Notwendigkeit einer Parlamentsentscheidung auf andere, durchaus nicht weniger „normativ freie“ Weise. 91 Vgl. hierzu insbesondere die abw. M. von Mahrenholz in BVerfGE 68, 1, 111 (130); vgl. ferner zum Somalia-Urteil Heun, JZ 1994, 1073 (1074), unter Berufung auf BVerfGE 33, 1; 34, 165; 40, 237; 41, 251; 47, 46; 49, 89.
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len Ebene besteht.92 Eben dieses Argument kehrt in der zitierten Entscheidung zum deutsch-österreichischen Steuervollstreckungsübereinkommen im Gewande der Forderung nach einem Mindestmaß an (materiell-rechtlichem) Rechtsschutz wieder. So wie hinter der besonderen Betonung der auswärtigen Gewalt der Regierung durch das BVerfG93 auch die Einsicht in die Notwendigkeit liegt, dieser ausreichende Handlungsfähigkeit und Verhandlungsflexibilität94 zu erhalten, so ist auch die zitierte Rspr. zur internationalen Vollstreckungshilfe von der Erkenntnis getragen, daß von fremden Staaten nur dann die Unterstützung der eigenen Staatstätigkeit verlangt werden kann, wenn der eigene Staat umgekehrt zu gleichem bereit ist, mit anderen Worten: daß die erweiterte Souveränitätsausübung in Gestalt der Vollstreckung von Steuerforderungen im Ausland einerseits nur durch einen Souveränitätsbeschränkung in Form der unterstützenden Gewährung der Wirksamkeit von ansonsten unwirksamen Hoheitsäußerungen „erkauft“ werden kann.95 Nicht unbeachtet bleiben darf zudem, daß der Staat, indem er es durch Steuervollstrekkungsabkommen auf der Basis der Gegenseitigkeit ermöglicht, inländische Steuerforderungen im Ausland durchzusetzen, nicht allein gemeinwohlorientierte Einnahmeziele verfolgt, sondern gerade auch der effektiven Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 I GG96 dient, also wiederum gerade grundrechtsschützend tätig wird.97, 98 92 BVerfGE 73, 339 (387) – Solange II; 89, 155 (175) – Maastricht („Kooperationsverhältnis“). 93 BVerfGE 68, 1 (87). Diese ist aber nicht grenzenlos, wie die Entscheidung 90, 286 (381 ff.) – AWACS / Somalia beweist. 94 Vgl. hierzu wiederum das bereits oben A.II.1.b) erwähnte Rudolf-Hess-Urteil des BVerfG (E 55, 349). 95 Vgl. auch die Entscheidung BVerfGE 4, 157, zum Saarstatut, wo das BVerfG den Gesetzgeber nicht zu einer Alles-oder-Nichts-Strategie verurteilte, sondern anerkannte, daß es ein Gebot der außenpolitischen Handlungsfähigkeit sein kann, durch völkerrechtlichen Vertrag einen Zustand zu erreichen, der dem verfassungsrechtlich geforderten nicht vollständig (hier: vollständige Rückgliederung des Saarlands in den deutschen Staatsverband) entspricht, jedoch „näher beim Grundgesetz steht“ als der bisherige Zustand (französische Besatzung). „Das Schlechte darf dem Besseren nicht weichen, weil das Beste (oder von diesem Standpunkt aus: das allein Gute) nicht erreichbar ist. Das kann vom Grundgesetz nicht gewollt sein.“ (BVerfGE 4, 157 [170]) Auch wenn es sich hier um einen Prozeß handelte, in dem die Erreichung eines verfassungsmäßigen Zustands zumindest erreichbar war, so läßt sich doch aus dieser Entscheidung des BVerfG der Grundsatz entnehmen, daß im Bereiche der auswärtigen Beziehungen mit einem „verfassungsrechtlichen Rigorismus“ (BVerfG a. a. O.) nichts erreicht würde. Im Grunde ähnlich BVerfGE 92, 26 (42) – Zweitregister: „Der deutsche Gesetzgeber steht deshalb vor der Alternative, den deutschen Grundrechtsstandard entweder ungeschmälert zu wahren, ihm damit aber im Bereich der Hochseeschiffahrt praktisch das Anwendungsfeld zu entziehen, oder ihm ein Anwendungsfeld zu erhalten, dann aber eine Minderung des Grundrechtsstandards in Kauf zu nehmen. Unter diesen Umständen ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt, den zweiten Weg zu wählen und Positionen von Koalitionen aufzugeben, die sich in der internationalen Rechtswirklichkeit ohnehin nicht behaupten ließen.“
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
Insgesamt darf dies alles als eine Konzession des Verfassungsrechts an das (Vertrags-)Völkerrecht im eigenen wohlverstanden Interesse, das durch den Grundsatz der Gegenseitigkeit zum Ausdruck kommt, verstanden werden. Dies entspricht dem Geiste des Grundgesetzes, das an zahlreichen Stellen99 Bezüge zum Völkerrecht aufweist, so daß man insgesamt von einer „völkerrechtsfreundlichen Tendenz“ der Verfassung zu sprechen vermag.100 Zählt man zur Völkerrechtsfreundlichkeit nicht nur die Respektierung und den Schutz der Interessen der Völkergemeinschaft101 bzw. einer bestimmten internationalen Organisation, deren Mitglied die Bundesrepublik ist102, sondern auch fremder Staaten,103, 104 so läßt sich ein derartiges kooperatives Verhalten als völkerrechtsfreundlich begreifen. Zieht man den Begriffskreis enger, und zwar i. S. einer Leitmaxime, dahingehend, im innerstaatlichen Rechtsraum die Befolgung völkerrechtlicher Gebote zu fördern und zu erleichtern,105 kann immer noch nur auf die oben bereits benannte, ebenfalls im GG beheimatete Entscheidung für die internationale Zusammenarbeit rekurriert werden. Hinter beiden Formen der Offenheit der deutschen Staatsgewalt nach außen steckt aber durchaus das nationale Reziprozitätsinteresse. In einer sich immer stärker vernetzenden Welt ist die Öffnung für die internationale Kooperation eine Überlebensfrage jeder Nation, so daß eigenstaatliche Interessen nicht mehr in star96 Es handelt sich sogar um ein äußerst schlichtes Beispiel für den in jedem freiheitlichen Gemeinwesen notwendigen Ausgleich zwischen Freiheit und Gleichheit. 97 Vgl. das Urteil BVerfGE 84, 239 (268 ff.), zur Quellenbesteuerung von Kapitalertragssteuern, wo hervorgehoben wurde, daß Art. 3 I GG nicht nur eine nominale, sondern eine effektive steuerliche Gleichbehandlung erfordert, und wo auf die dieser entgegenstehende leichte Steuerentziehungsmöglichkeit abgestellt wird. 98 Bereits oben wurde ja darauf hingewiesen, welche grundrechtsschützende Funktion die Anwendung ausländischen Rechts und die Anerkennung ausländischer Rechtsakte haben kann (vgl. den Topos von der „Gerechtigkeit gegenüber Privaten“). 99 Vgl. insbesondere Art. 25, aber auch etwa Art. 1 II, 24, 26, 9 II GG. 100 BVerfGE 6, 309 (362) (Konkordatsentscheidung); 18, 112 (121) (Auslieferung trotz Todesstrafendrohung [!]); 31, 58 (75) – Spanier-Beschluß; vgl. auch Bleckmann, Die Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, DÖV 1979, 309 ff.; zur Literatur vgl. i. ü. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 14 I 2, S. 476, Fn. 6. 101 Vgl. hierzu z. B. BGHZ 59, 82, wo ein Seevesicherungsvertrag, der gegen einen geplanten Vertrag der UNESCO verstieß, durch den die Ausfuhr von fremden Kulturgütern ohne Genehmigung des Ausfuhrstaates verboten werden sollte, gem. § 138 BGB als sittenwidrig angesehen wurde. Weitere Bsp. bei Bleckmann, DÖV 1979, 309 (315 f.). 102 BGHZ 34, 169 (177) (grundsätzliche Solidarität mit amerikanischem Waffenembargo gegen den damaligen Ostblock zum Schutz des Friedens und damit eines Wertes der Gemeinschaft); BVerwGE 42, 143 (NATO-Solidarität gegen Aufenthaltserlaubnis für wehrflüchtigen Griechen). 103 BVerfGE 31, 58 (75 f.); 18, 112 (116 ff.). 104 So Bleckmann, DÖV 1979, 309 (315), von dem die oben genannten Bsp. stammen und der betont, ebenso wie öffentliche „nationale“ Interessen auf den Schutz bestimmter Individualinteressen gerichtet sein könnten, könnte das internationale Allgemeininteresse dabei den Schutz bestimmter fremder Staatsinteressen umfassen. 105 Tomuschat, in: Isensee / Kirchhof, HdBStR VII, § 172 Rn. 8.
B. Folgen der Anerkennung
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rer Entgegensetzung zu fremdstaatlichen gedacht werden können und nationale nicht grundsätzlich in Opposition zu Weltinteressen stehen.106 Die Bundesrepublik darf nicht nur ihre Mitgliedschaft in zwischenstaatlichen Organisationen, denen sie gemäß Art. 24 II GG Hoheitsrechte übertragen kann, nicht davon abhängig machen, daß diese Einrichtungen vollständig dem Standard des Grundgesetzes entsprechen,107 sie kann auch bei der auf dem Grundsatz der Reziprozität beruhenden ausnahmsweisen Förderung fremder Staatsinteressen durch Anerkennung und Vollstreckung fremder Hoheitsakte nicht darauf bestehen, daß diese Akte den vom deutschen Grundgesetz geforderten in jeder Hinsicht entsprechen. Vielmehr muß es ausreichen, daß diese Hoheitsakte aufgrund eines Verfahrens ergangen sind, in dem die Rechte des betroffenen Grundrechtsträgers in einer Weise beachtet werden, die – um eine in anderem Zusammenhang vom BVerfG108 verwendete Formulierung aufzugreifen – dem deutschen Standard „im wesentlichen gleichkommt“.109 106 Vgl. zu diesem Komplex Kaiser, Internationale und nationale Zuständigkeit, S. 1 ff.; Neuhold, Die Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den Staaten: moralisches Postulat oder völkerrechtliche Norm?, in: FS Verdross, 1980, S. 575 ff.; Bleckmann, AVR 23 (1985), 450 ff.; ders., Die Entwicklung der Allgemeininteressen aus den Grundrechten der Verfassung, Saarbrücken 1990. 107 Die früher vereinzelt verlangte „strukturelle Konvergenz“ (vgl. etwa Kruse, Strukturelle Kongruenz und Homogenität, in: FS Kraus, 1954, S. 112 ff., im Anschluß an Kraus) geht auch schon vom Begriff her weiter als die vom BVerfG in den Solange-Entscheidungen (BVerfGE 37, 271 [280 ff.]; 73, 339 [387]) sowie der Maastricht-Entscheidung (BVerfGE 89, 155 [175, 178] – „Kooperationsverhältnis“) festgestellten Grundsätze. Zur Ablehnung dieses Erfordernisses vgl. Vogel, Verfassungsentscheidung, S. 7; Tomuschat, in: BK, GG, Art. 24 Rn. 55; Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 24 Rn. 106; Geiger, GG und Völkerrecht, § 33 II 2 a, S. 184. Vgl. rechtspolitisch für den Fall der EG Schwarze, EuR 1993, Beiheft 1, 39 (43). Zu dem, was an in Art. 20 I GG niedergelegten Grundsätzen auch in der internationalen Organisation vorhanden sein muß, vgl. in bezug auf die Rechtsstaatlichkeit Herzog, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20 Abschn. VII Rn. 82. Hiernach würde „[e]ine überstaatliche Einrichtungen, die überhaupt keine Gewaltenteilung und –kontrolle akzeptieren würde, die die Ideen der menschlichen Freiheit und Gerechtigkeit in keiner Weise als für sich selbst verbindlich erachten würde, die die prinzipielle Begrenztheit und Begründungsbedürftigkeit jeglicher öffentlichen Gewalt negieren und die z. B. auch das Willkürverbot nicht anerkennen würde, . . . mit Sicherheit nicht die Voraussetzungen für einen Beitritt der Bundesrepublik erfüllen.“ Es sollte also besser von einem Mindestmaß homogener Wertvorstellungen über Legitimation und Schranken hoheitlicher Befugnisse die Rede sein; vgl. Rojahn, in: v. Münch / Kunig, GG, Art. 24 Rn. 59 m. w. N.; Tomuschat, in: BK, GG, Art. 24 Rn. 57; krit. Randelzhofer, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 24 Rn. 107 ff., der in dieser Lehre von der Homogenität nur eine graduelle Abschwächung der Lehre von der strukturellen Kongruenz sieht. 108 BVerfGE 73, 339 (376) – Solange II. Die Formulierung bezog sich auf den Grundrechtsschutz durch den EuGH. 109 Auch die sog. „Struktursicherungssicherungsklausel“ in Art. 23 I 1 GG kann nicht so weit verstanden werden, daß die konkrete staatliche Struktur der Bundesrepublik verbindliches Leitbild für die Europäische Union wäre, vgl. Scheuing, Deutsches Verfassungsrecht und europäische Integration, EuR 1997, Beiheft 1, 7 (20). Vgl. auch Di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, Positivierung vollzogenen Verfassungswandels oder Verfassungsneuschöpfung?, Staat 32 (1993), 191 (199), der den neuen Art. 23 GG als „eine Art SolangeEntscheidung im großen Stil“ ansieht.
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
Daß in Fällen mit Auslandsbezug nicht die gleichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe wie für rein innerstaatliche Fälle gelten können, kommt etwa auch in Auslieferungsabkommen mit ausländischen Staaten zum Ausdruck, in denen regelmäßig eine Auslieferung deutscherseits nur dann ausgeschlossen wird, wenn dem Auszuliefernden die Todesstrafe droht,110 also nicht verlangt wird, daß das Strafverfahren vollständig den Anforderungen der Bundesrepublik entspricht. Hintergrund ist auch hier ohne Zweifel die Gegenseitigkeit solcher Vereinbarungen. Der Unterschied besteht aber immerhin darin, daß hier ausschließlich ausländische Staatsbürger betroffen sein können (vgl. Art. 16 II GG), was in den Fällen der Steuervollstreckungsabkommen nicht zwingend ist.111 Der neue Art. 16 II 2 GG, der nunmehr auch die durch besonderes Gesetz zu regelnde Auslieferung von Deutschen an ein internationales Gericht bzw. an einen Mitgliedstaat der EU ermöglicht, stellt dies aber auch an die Voraussetzung, daß rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sein müssen.112 Es ließe sich insgesamt auch von einer Kooperationsoffenheit des Grundgesetzes sprechen. Der Gedanke der Kooperation, der gerade bei der Anerkennung eine Rolle spielt, ist Gegenstand der im nächsten Abschnitt (B.) folgenden Überlegungen.
IV. Zusammenfassung Geltung und Inhalt eines anerkannten Hoheitsaktes im Anerkennungsstaat sind von demjenigen im Erlaßstaat abhängig. Dies gilt auch noch nach der Anerkennung. Der anerkannte Hoheitsakt bleibt ein ausländischer Hoheitsakt. Im Rahmen dieser Darstellung wurde die Frage nach einer grundsätzlichen Anerkennungspflicht von derjenigen nach der Berechtigung zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines ausländischen Hoheitsaktes, für den eine Anerkennungspflicht besteht bzw. übernommen wurde, getrennt. Der anerkennende Staat ist befugt, die Rechtmäßigkeit des anzuerkennenden Hoheitsaktes, dessen Übereinstimmung mit dem ordre public und mit dem Völkerrecht zu prüfen. Hinsichtlich der Völkerrechtsmäßigkeit besteht nach der hier vertretenen Auffassung sogar eine 110 Vgl. z. B. Art. 11 des Europäischen Auslieferungsabkommens vom 13. 12. 1957, BGBl. II 1964, 1371 ff., i. d. F. des Zweiten Zusatzprotokolls vom 17. 3. 1978, BGBl. II 1990, 119 ff. (allerdings besteht die Auslieferungspflicht gem. Art. 1 dieses Abkommens auch nur bei Straftaten, die auch im ausliefernden Staat mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist.); Vgl. aber BVerfGE 18, 112 (121); 31, 58 (75 f.), wo ein verfassungsrechtliches Auslieferungsverbot bei drohender Todesstrafe verneint wird. 111 Im Falle BVerfGE 63, 343, war gerade ein deutscher Staatsangehöriger, der Zigaretten unversteuert nach Österreich eingeführt hatte, Beschwerdeführer. 112 Vgl. Uhle, Auslieferung und Grundgesetz, NJW 2001, 1889 ff., der darauf hinweist, daß dies bereits vom Gesetzgeber als Ausdruck einer grundrechtlichen Schutzpflicht angesehen wurde (a. a. O., S. 1893).
C. Ökonomischer Zweck
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Prüfungspflicht, wobei die Frage, inwieweit die innerstaatlichen Rechtsanwendungsorgane dieser Pflicht nachkommen, von der unmittelbaren Anwendbarkeit der verletzten Völkerrechtsnormen abhängig ist. Nach deutschem Recht kann im Falle einer fremdnützigen Anerkennung ein Verzicht auf eine Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des anerkannten Hoheitsaktes nur gerechtfertigt werden, wenn im Erlaßstaat ein im wesentlichen vergleichbarer (Grund-)Rechtsschutz gewährleistet ist.
C. Ökonomischer Zweck der Anerkennung und von Anerkennungspflichten Nachdem im vorangegangenen Abschnitt die Frage zu beantworten versucht wurde, wie sich aus dem Völkerrecht Verpflichtungen zur Anerkennung fremder Hoheitsakte ergeben und hierbei festgestellt werden konnte, daß über die bloße Achtung hinaus Anerkennungspflichten nur aus vertraglichen Vereinbarungen fließen können, ansonsten aber bis auf wenige Ausnahmen, wie die Staatsangehörigkeit, Ausfluß bloßer Courtoisie sind, soll nun auf die vorrechtlichen, genauer gesagt: ökonomischen Gründe für die dennoch weitreichende Anerkennungspraxis eingegangen werden. Hierbei soll die Untersuchung in zwei Schritten erfolgen, die zugleich zwei durchaus aufeinander aufzubauende wissenschaftliche Ansätze zum Gegenstand haben. Zunächst ist ein spieltheoretischer, strategischer Ansatz zu verfolgen, der den Nutzen der Anerkennung als Kooperationsmittel in den Blick nimmt. Danach ist unter dem Blickwinkel der ökonomischen Analyse des Rechts die Frage nach dem konkreten Zweck der Anerkennung zu beantworten. I. Anerkennung im Kooperationsmodell 1. Anerkennung als Kooperationsmittel
Schon Savigny hat die Anwendung fremden Rechts als „freundliche Zulassung“ bezeichnet.1 Das wurde hier auch für die Anerkennung festgestellt. Diese ist ein Ausfluß der comitas gentium (comity, Courtoisie).2 Einem fremdstaatlichen Hoheitsakt im eigenen Hoheitsbereich Wirkungen zu verleihen bedeutet, mit dem Staat, der ihn erlassen hat, in irgendeiner Weise zu kooperieren. In einer sich durch wissenschaftlich-technische Entwicklungen (nicht nur, aber gerade auch in der Informationstechnologie) miteinander immer stärker vernetzenden Welt steigen die Chancen, durch Kooperation Gewinne zu erzielen, und sinken die natürlichen (technischen) Kosten für Kooperation (sprich: freien Handel). 1 2
Vgl. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, VIII, 1849, § 348, S. 28. Vgl. o. A.II.1.c).
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten 2. Das Kooperationsmodell Axelrods
Axelrod3 ist der Frage nachgegangen, wie Kooperation entsteht. Er hat auf der Grundlage einer breit angelegten spieltheoretischen Analyse4 ergründen wollen, welche Strategie im Zustand eines (auf zwei Personen bezogenen) Gefangenendilemmas5 diejenige ist, die den größten Gewinn, bezogen auf ein Turnier, erzielt. Als Gefangenendilemma 6 wird dabei eine Situation verstanden, in der es für beide Spieler (die voneinander nichts wissen) vorteilhafter ist zu defektieren (d. h. „untreu“ zu sein, also auszusagen und den anderen zu belasten), in der jedoch beiderseitige Defektion für jeden Spieler ungünstiger ist als wechselseitige Kooperation.7 Prämisse des Gefangenendilemmas ist also, daß sich einseitige Defektion (Belastung) mehr bezahlt macht als beiderseitige Kooperation (Nichtaussage). Sonach besteht ein gewisser Anreiz, den anderen Spieler auszubeuten. Die Strategie steht zudem unter der Annahme, daß die Belohnung R für wechselseitige Kooperation höher ausfällt als der Durchschnitt aus der Versuchung T zur einseitigen Defektion und der Auszahlung S des gutgläubigen Opfers. Hervorzuheben ist, daß die Untersuchungen Axelrods und folglich auch die hieraus gewonnenen Erkenntnisse strategisch und nicht genetisch sind8, also auch weder psychologischer noch soziologischer Natur sind. Das Kooperationsmodell Axelrods kann damit auf zahlreiche in anderen Modellen notwendige Annahmen verzichten. Hierzu gehört etwa die Annahme, daß die Auszahlungen der Spieler keinesfalls vergleichbar sein oder auch nur symmetrisch gemessen werden müssen, sondern vielmehr nur in Relation zueinander zu messen sind.9 Auch die Kooperation ist wertfrei zu verstehen, kann also, wie z. B. bei der Bildung von wettbewerbsbeschränkenden Kartellen, höchst Die Evolution der Kooperation, 4. Auflage, München / Wien 1997. Vgl. hierzu im einzelnen Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 25 ff. Hier bot eine Vielzahl von Personen, darunter ausgewiesene Spieltheoretiker, andere Wirtschaftswissenschaftler, Informatiker, aber auch sonstige Interessierte aus mehreren Ländern, die unterschiedlichsten Computer-Programme mit den jeweiligen Regeln an, die dann gegeneinander spielten. Die Strategie stand also – anders als etwa im Schachspiel – von vornherein fest und wurde bis zum Spielende verfolgt. 5 Das Gefangenendilemma ist keine Erfindung von Axelrod. Er selbst weist, Die Evolution der Kooperation, S. 22, Anm. 2, darauf hin, daß es um 1950 vom Merrill Flood und Melvin Dresher erfunden und kurz darauf von A.W. Tucker formalisiert wurde. 6 Die Bezeichnung rührt von der Situation zweier Gefangener her, die sich durch Aussage und damit zusammenhängenden Verrat des anderen Strafmilderung verschaffen können, die jedoch befürchten müssen, daß beide aussagen, und deshalb eher schweigen, woraus ein Dilemma entsteht. 7 Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 7. Es ist allerdings fraglich, inwieweit durch diese Grundannahme bereits der Erfolg für tit for tat gleichsam „definiert“ wird. 8 Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. IX. 9 Diese Annahme ist wichtig. Der Verzicht auf kardinale Nutzenmessungen und interpersonelle Nutzenvergleiche war auch gerade eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der – von der Axelrodschen Theorie zu unterscheidenden – ökonomischen Analyse des Rechts, vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 26 f., 43 ff. 3 4
C. Ökonomischer Zweck
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unerwünscht sein; und schließlich müssen die Spieler weder rational handeln noch überhaupt bewußt entscheiden.10 Als Sieger stellte sich in den spieltheoretischen Versuchen die schlichte Regel eines „Wie Du mir, so ich Dir“ heraus, die sogenannte „tit for tat“-Strategie.11 Diese defektiert niemals als erste, sondern beginnt freundlich, also kooperationsbereit, vergilt jedoch jede Defektion mit ihrerseitiger Defektion, um dann wieder auf Kooperation des anderen positiv zu reagieren. Axelrod hat ferner bewiesen, daß tit for tat auch beim Spiel gegen weit ausgefeiltere Strategien, bezogen auf die Gesamtzahl aller Turniere als Sieger hervorgeht. Zudem hat er (theoretisch) nachweisen können, daß tit for tat auch einer „ökologischen Analyse“ standhält, also „robust“ ist: Unter der Voraussetzung, daß Strategien proportional zu ihrem Erfolg in ihrer Zahl zunehmen und so immer häufiger die Umgebung anderer Regeln bilden, erhöht sich die Population von tit for tat, und sie bleibt die bedeutendste Strategie, während solche Strategien, die darauf setzen, „freundliche“, d. h. niemals als erste defektierende, Regeln auszubeuten, nach dem Aussterben ihrer extrem freundlichen „Opfer“ rapide in ihrer Zahl abnehmen.12 Besonders bemerkenswert ist an den Erkenntnissen Axelrods, daß die Kooperationsbereitschaft, d. h. die Neigung, mit dem anderen ein jeweils nur leicht überdurchschnittliches Ergebnis zu erzielen, anstatt auf Kosten des anderen ein (unsicheres) Maximalergebnis zu erreichen, völlig unabhängig von der Motivation (sogar von der Fähigkeit, überhaupt einen Willen zu bilden13) ist, da die Strategie nur am tatsächlichen Verhalten des anderen ausgerichtet wird und auch selbst durch ihr (einfach durchschaubares und gerade wegen seiner Regelmäßigkeit erfolgreiches) Verhalten zu erkennen ist. Noch ein weiterer Aspekt ist von Bedeutung: Es bedarf für die Nutzung der titfor-tat-Strategie noch nicht einmal so etwas wie Freundschaft zwischen den Beteiligten.14 Etwas anderes wäre auch mit dem rein strategischen und nicht psychologischen Ansatz unvereinbar. Vgl. zusammenfassend Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 15 f. Nachdem sich im ersten Versuch tit for tat als Sieger erwiesen hatte, wurde eine zweite Versuchsreihe, zu der die Teilnehmer der ersten in Kenntnis des Ergebnisses der ersten Session erneut Strategien liefern sollten. Wiederum gewann tit for tat (vgl. Axelrod, S. 25 ff.). 12 Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 42 ff. Axelrod hat hier eine ganze Folge zukünftiger Runden des Turniers theoretisch nachentwickelt, d. h. nicht real durchspielen lassen. Es bestand Grund zu der Annahme, daß extrem erfolglose Regeln in der jeweils folgenden Runde seltener oder nicht mehr angewendet werden, also „aussterben“ würden. Simuliert werden sollte also das „Überleben des Tüchtigsten“ getreu der Darwinschen Evolutionsbiologie. 13 Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 84 – 86, führt dies an einem Beispiel für Bakterien aus. 14 Vgl. explizit Teil III: Kooperation ohne Freundschaft oder Voraussicht, S. 65 ff., wo Axelrod das Beispiel des „Leben und leben lassen“ während des Stellungskrieges an der Westfront des 1. Weltkriegs schildert. 10 11
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2. Teil: Freiwillige Anerkennung und Anerkennungspflichten
Außerordentlich bedeutsam für den hier vorliegenden Untersuchungszusammenhang ist die Erkenntnis, daß Kooperation sogar von einer kleinen Gruppe in Gang gesetzt werden kann, die auf die Erwiderung von Kooperation eingestellt ist (also etwa tit for tat anwendet).15 Voraussetzung hierfür ist nur, daß der „Schatten der Zukunft“ ausreichend groß ist, d. h. daß der zukünftige Nutzen (wegen des drohenden Abbruchs des Kontakts oder aus ähnlichen Gründen) nicht gegenüber dem gegenwärtigen zu gering geschätzt (zu stark „diskontiert“) wird.16 Hat sich aber die Kooperation erst einmal etabliert, ist tit for tat derart robust, daß sich diese Regel gegen das Eindringen unkooperativer, „böswilliger“ (nicht freundlicher) Strategien schützen kann, der umgekehrte Fall zu dem eben beschriebenen kann also nicht eintreten.17 Die Strategie ist also „kollektiv stabil“.18
3. Versuch einer Anwendung auf die internationalen Beziehungen
Für die Anwendung dieser Erkenntnisse im Bereich der internationalen Beziehungen ist insbesondere der überraschende Umstand von Bedeutung, daß es weder der Voraussetzung der Freundschaft noch der Voraussicht bedarf, um Kooperation mittels tit for tat in Gang zu setzen. Aus der oben skizzierten Durchsetzungskraft von miteinander kooperierenden freundlichen Strategien (insbesondere tit for tat) in unfreundlicher Umgebung kann die Konsequenz gezogen werden, daß etwa die (handels-)politische Zusammenarbeit einer kleinen Zahl von Ländern in einer (fiktiv) nicht kooperationsbereiten (protektionistischen) Welt möglich ist. Wer sich die politische Lage vor dem Zweiten Weltkrieg vor Augen führte, konnte eine ausgemachte Kooperationsfeindschaft feststellen. Die Konsequenz daraus war unter anderem die Weltwirtschaftskrise 1929 – 32 und der Zweite Weltkrieg 1939 – 45. Aus dieser Katastrophe zogen die Staaten mit der Errichtung nicht nur der UNO (eingedenk des Zusammenbruchs des Völkerbundes am Vorabend des Krieges), sondern auch des Bretton-Woodsund GATT-Systems die richtigen Folgerungen.
Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 57 ff. Axelrod, Die Evolution der Kooperation, S. 11 ff. Axelrod stellt (a. a. O., S. 11 f.) auch dar, wie die höchstmögliche Diskontierung errechnet wird. Ist das Gewicht des nächsten Zuges relativ zum laufenden, w, gleich 1/2, so ergibt sich eine Folge von 1 + 1/2 + 1/4 + . . . , ein Ergebnis, das bei unendlicher Fortsetzung gegen 2 strebt., abstrakt ausgedrückt w+w2+w3+. . . . +wn=1 / (1-w) für 0