Ethnische Sphären: Über die emotionale Konstruktion von Gemeinschaft bei syrisch- und libanesischstämmigen Argentiniern [1. Aufl.] 9783839423363

Die Migration aus dem heutigen Libanon und Syrien nach Argentinien endete 1950. Doch die syrisch- und libanesischstämmig

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German Pages 276 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einführung
Die syrisch- und libanesischstämmige Bevölkerung in Argentinien
Die internationalen Migrationsströme nach Argentinien
Die syrische und libanesische Migration nach Argentinien
Die Ankunft in Argentinien
Die Bildung ethnischer Gemeinschaften: Integration, Ethnic Revival, ethnische Identität und ethnische Vereine
Sphären als Konzept zur Untersuchung menschlichen Zusammenlebens
Die Anliegen der sphärologischen Untersuchungsperspektive und das Phänomen der Sphären als Forschungsgegenstand
Gemeinschaft und Raum: vom Konzept der Lebenswelt zum Modell der Sphären
Das Modell der ethnischen Sphäre: Sphären, Ethnizität und ethnische Vereine
Die Feldforschung als methodischer Zugang zur Erforschung von Sphären
Der Zugang zum Untersuchungsgegenstand und die Feldforschung in Argentinien
Die Interviewpartner und das themenzentrierte Interview
Die teilnehmende Beobachtung und die Fotodokumentation: die Erfassung von Routinen und der materiellen Gestaltung der Sphären
Die Dateninterpretation und das Auswertungsschema
Ethnische Sphären der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien
Das Vereinsleben der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien
Die Beziehungen zwischen den ethnischen Vereinen
Libanesisch-argentinische Sphären
Die ethnischen Vereine als Orte der Verschränkung von ethnischen Sphären und der Bildung von ethnischer Gemeinschaft
Arabische Sphären in Argentinien und die Theorie der ethnischen Sphäre
Literatur
Verzeichnis statistischer Jahrbücher und der Kartengrundlagen
Verzeichnis der Abkürzungen
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Ethnische Sphären: Über die emotionale Konstruktion von Gemeinschaft bei syrisch- und libanesischstämmigen Argentiniern [1. Aufl.]
 9783839423363

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Tobias Boos Ethnische Sphären

Tobias Boos (Dr. rer. nat.) lehrt Kulturgeographie an der Johannes GutenbergUniversität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrationsforschung, Kultur- und Sozialtheorien sowie Lateinamerikaforschung.

Tobias Boos

Ethnische Sphären Über die emotionale Konstruktion von Gemeinschaft bei syrisch- und libanesischstämmigen Argentiniern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Tobias Boos, Ort: San Muguel de Tucumán, Jahr 2008 Lektorat: Hildegard Tischer, Wiesbaden; Hannes Leist, Mainz Satz: Tobias Boos Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2336-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einführung | 7 Die syrisch- und libanesischstämmige Bevölkerung in Argentinien | 13 Die internationalen Migrationsströme nach Argentinien | 19 Die syrische und libanesische Migration nach Argentinien | 28 Die Ankunft in Argentinien | 39

Die Bildung ethnischer Gemeinschaften: Integration, Ethnic Revival, ethnische Identität und ethnische Vereine | 44 Sphären als Konzept zur Untersuchung menschlichen Zusammenlebens | 55

Die Anliegen der sphärologischen Untersuchungsperspektive und das Phänomen der Sphären als Forschungsgegenstand | 56 Gemeinschaft und Raum: vom Konzept der Lebenswelt zum Modell der Sphären | 59 Das Modell der ethnischen Sphäre: Sphären, Ethnizität und ethnische Vereine | 80 Die Feldforschung als methodischer Zugang zur Erforschung von Sphären | 85

Der Zugang zum Untersuchungsgegenstand und die Feldforschung in Argentinien | 88 Die Interviewpartner und das themenzentrierte Interview | 94 Die teilnehmende Beobachtung und die Fotodokumentation: die Erfassung von Routinen und der materiellen Gestaltung der Sphären | 106 Die Dateninterpretation und das Auswertungsschema | 109 Ethnische Sphären der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien | 113

Das Vereinsleben der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien | 114 Die Beziehungen zwischen den ethnischen Vereinen | 130 Libanesisch-argentinische Sphären | 164 Die ethnischen Vereine als Orte der Verschränkung von ethnischen Sphären und der Bildung von ethnischer Gemeinschaft | 211

Arabische Sphären in Argentinien und die Theorie der ethnischen Sphäre | 237 Literatur | 253 Verzeichnis statistischer Jahrbücher und der Kartengrundlagen | 271 Verzeichnis der Abkürzungen | 273

Einführung

Mitten in Buenos Aires, in der Scalabrini Ortiz, eine Straße im Stadtteil Palermo, konzentrieren sich arabische Geschäfte. In dieser Straße befinden sich Verkaufsläden, die arabische Handwerkskunst und Accessoires für arabische Folkloretänze anbieten, arabische Restaurants, Schulen für arabischen Tanz und eine arabische Konditorei. In den Läden werden importierte Waren aus Syrien, dem Libanon, Ägypten und der Türkei von meist syrischstämmigen Argentiniern angeboten (vgl. Abb. 1). Abbildung 1: Die Scalabrini Ortiz, Buenos Aires, im Jahr 2008. Eine arabische Tanzschule im oberen Stockwerk. Im Erdgeschoss befindet sich das Geschäft eines syrischstämmigen Argentiniers. Links ist sein Warenangebot abgebildet

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

8 | ETHNISCHE S PHÄREN

In der República del Líbano, einer Straße im Stadtteil Recoleta in Buenos Aires befindet sich ein Denkmal, das an den libanesisch-amerikanischen Philosophen und Poeten Khalil Gibran erinnert (vgl. Abb. 2). Gibran wurde 1883 in Bischarri, Libanon, geboren und starb 1930 in New York. Der Künstler war als Kind aus dem heutigen Libanon in die Vereinigten Staaten von Amerika gezogen. Heute ist er für die libanesischstämmige Bevölkerung Argentiniens der Inbegriff des gebildeten und erfolgreichen libanesischen Auswanderers, der sein Leben in verschiedenen Ländern der Welt verbracht hat. Abbildung 2: Das Denkmal zur Erinnerung an Khalil Gibran. Es wurde im Jahr 1993 in der República del Líbano, einer Straße im Stadtteil Recoleta in Buenos Aires eingeweiht

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Libanesisch- und syrischstämmige Menschen und Elemente arabischer Kultur1 sind heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, feste Bestandteile des argentinischen 1

„Kultur“ wird in dieser Arbeit pragmatisch verwendet und orientiert sich am alltagsweltlichen Gebrauch des Begriffs. Einerseits werden unter „Kultur“ soziale Handlungen und Praktiken verstanden, die von den Handelnden als von den Ahnen überliefert bzw. als „traditionell“ angesehen werden. „Objekte“ sind in diesem Verständnis Elemente der Kultur, die als materieller Rahmen der Handlungen und Praktiken oder als Symbole auf die Lebensweise der Vorfahren verweisen. Andererseits wird der Begriff „Kultur“ für kulturelle Leistungen wie Literatur, Musik, Kunst und Architektur verwendet. Auf die Teilnahme an der wissenschaftlichen Debatte um den komplexen Begriff der Kultur wird in dieser Arbeit verzichtet.

E INFÜHRUNG

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Lebens. Arabisches Essen, arabische Literatur und Bauchtanz erfreuen sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit und syrische und libanesische Vereinslokale sind bekannte Adressen für kulturelle Aktivitäten. Doch wann kamen die Menschen und mit ihnen diese kulturellen Elemente aus dem Nahen Osten nach Argentinien? Als erster Anhaltspunkt zur Beantwortung dieser Frage dient die in Argentinien verbreitete Be5zeichnung „turco“ (Türke). Sie wird von der argentinischen Bevölkerung als Sammelbezeichnung für Personen verwendet, die aus dem Nahen Osten stammen. Da Personen aus den heutigen Gebieten Syrien und Libanon schon seit 1860 nach „Amerika“ und damit nach Argentinien kamen, reisten sie anfänglich mit einem osmanischen2 Pass ein (vgl. JOZAMI 1987: 61f.; KLICH 1992: 247). Seit dieser Zeit werden sie als Türken bezeichnet3. Die osmanischen Einwanderer kamen in ein Land, dessen Bevölkerung am Anfang des 20. Jahrhunderts zu ca. 30 % aus Immigranten bestand (INDEC 1996: 9). Wie die verschiedenen europäischen Migrantengruppen organisierte sich ein Großteil der Einwanderer aus Syrien und dem Libanon in ethnischen Vereinen. Diese dienten der sozialen Absicherung ihrer Mitglieder, in ihnen etablierten sich soziale Netzwerke, die bei der Arbeitssuche und bei Behördengängen halfen. Die Freizeit wurde in den Vereinen mit Kartenspielen, sportlichen und kulturellen Akti2

Als Osmanisches Reich bzw. Türkisches Reich wird das Reich der Dynastie der Osmanen bezeichnet, das im 13. Jahrhundert in Anatolien errichtet wurde. Das Reich expandierte in den folgenden Jahrhunderten, bis es im 17. Jahrhundert seine größte Ausdehnung erreichte. Der südöstliche Teil Europas, weite Teile des Nahen Ostens und der Osten von Nordafrika wurden zu dieser Zeit vom Osmanischen Reich regiert (vgl. QUATAERT 2005: 13ff.). Im 19. Jahrhundert verlor es seine nordafrikanischen Provinzen. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg gegen die Allianz mit den USA, Frankreich und Großbritannien an der Spitze fielen die arabischen Provinzen unter europäisches Mandat. Unter der Führung von Mustafa Kemal gelangten türkische Nationalisten 1922 an die Regierung und setzten das bisherige Sultanat ab. Das nach der Kriegsniederlage verbliebene Territorium des Osmanischen Reichs wurde dabei in den Nationalstaat Türkei überführt und die Hauptstadt vom heutigen Istanbul nach Ankara verlegt (vgl. ADANUR 1997: 118ff.; QUATAERT 2005: 175ff.).

3

In Argentinien werden bestimmte Einwanderergruppen mit Sammelbezeichnungen betitelt, die mit der heutigen Herkunftsnationalität nur bedingt in Verbindung stehen. So werden alle italienischstämmigen Argentinier als „tanos“, abgeleitet von Neapolitaner, und alle spanischstämmigen Argentinier als „gallegos“, abgeleitet von der spanischen Provinz Galizien, bezeichnet. Dabei spielt es keine Rolle, woher aus Italien und Spanien die einzelnen Personen tatsächlich stammten (vgl. BRIEGER und HERSZKOWICH 2002: 157).

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vitäten verbracht. Des Weiteren vertraten die Vereine die politischen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der argentinischen Regierung (vgl. BESTENE 1992; DEVOTO 2004: 242ff.; ESCHER 2000). Die größte Anzahl an Neugründungen syrischer und libanesischer Vereine fand in den 1920er Jahren statt (vgl. BESTENE 1992; VENERONI und ABÚ ARAB 2003: 69). Seit dieser Zeit haben sich die Zusammensetzungen und die Funktionen dieser Clubs und Institutionen geändert. Die heutigen Mitglieder der Vereine gehören zum Großteil der zweiten und dritten Generation der ethnischen Gemeinschaften an. Die Vereine öffneten sich, sodass heute auch nicht arabischstämmige Personen Mitglied werden können. Dennoch bilden sie noch immer „ethnisch-kulturelle Inseln“ in Argentinien, in denen viele Menschen eingebunden sind, die eine Kultur praktizieren und leben wollen, die auf ihre Herkunft aus dem Libanon oder Syrien verweist. Für diese Menschen sind die Vereine noch heute von großer sozialer, kultureller und emotionaler Bedeutung (vgl. BESTENE 1992; DEVOTO 2004: 379ff.; VENERONI und ABÚ ARAB 2003). Die Welt hat sich durch internationale Migration, internationalen Warenverkehr und die digitale Revolution seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegend gewandelt. Das Konzept der Nation als empirischer Bezugsrahmen zur Untersuchung ethnischer Ordnungen gerät zunehmend ins Wanken. Wie Larsen, Urry und Axhausen (2006) zeigen, werden durch das Web 2.0 soziale Ordnungen geschaffen, die quer zu nationalstaatlichen Ordnungen verlaufen. Autoren wie Glick Schiller, Basch und Blanc-Szanton (1992a, b) sowie Guarnizo und Smith (1998) verdeutlichen in ihren Arbeiten zur transnationalen Migration, also zu den wiederholten Überschreitungen nationalstaatlicher Grenzen durch zirkuläre und multidirektionale Wanderungen, dass Nationen, Gesellschaften und Gemeinschaften immer durch Heterogenität und Dynamik gekennzeichnet sind. Die Heterogenität von Gesellschaften und Gemeinschaften wird vor allem von den postkolonialen4 Arbeiten von Hall (1994b, c) und Gilroy (1999a, b, 2003) in 4

Der Postkolonialismus ist eine wissenschaftliche Bewegung, die Ende der 1970er Jahre entstand. Bedeutende Vertreter dieser Bewegung sind Stuart Hall, Homi Bhabha und Paul Gilroy. Sie stimmen mit der konstruktivistischen Ansicht der sozialen Konstruktion der gesellschaftlichen Welt überein. Kritisiert werden von ihnen die koloniale Herrschaft und die daraus entstandenen ungleichen Lebensbedingungen auf der Welt. Ihre Schriften wollen auf die Missstände, die durch die Kolonisation entstanden sind, aufmerksam machen und erheben in diesem Sinne den politischen Anspruch, die weltweiten Ordnungen der Ungleichheit anzuklagen. Da die Kolonisation und Dekolonisation keine linearen Prozesse sind und da sie durch zahlreiche Widersprüche geprägt sind, versuchen postkoloniale Theoretiker genau diese Widersprüche aufzude-

E INFÜHRUNG

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den Begriffen „Hybridbildung“ (HALL 1994b: 41) und „Double Consciousness“ (GILROY 2003: 66) konzeptionell gefasst. Die klassischen theoretischen Konzepte, die Menschen als Teil von homogenen Gesellschaften und Gemeinschaften begreifen, leisten zum Verständnis der heutigen dynamischen Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens keinen Beitrag. Die vorliegende Arbeit verfolgt daher zwei Ziele: (1) Es wird angestrebt, eine theoretische Folie zu entwickeln, die zum Verständnis der dynamischen Entwicklung von Gemeinschaft beiträgt. Im Kontext von Migration sind dabei Vereine als Orte der ethnischen Vergemeinschaftung und der Repräsentation von gemeinschaftlichen Identitäten5 von besonderem Forschungsinteresse. Ein mögliches Gemeinschaftskonzept ist das Modell der sphärischen Verfasstheit von Gemeinschaften, das von Sloterdijk in drei Bänden (1998, 1999 und 2004) entwickelt wird. Dieser theoretische Ansatz hebt die Pluralität und Heterogenität von Gemeinschaften hervor und betont die „Eigenräumigkeit“ (SLOTERDIJK 2004: 257) von Menschen, die miteinander zusammenleben. Dabei werden Gegenstände als Elemente aufgefasst, die Raum mitschaffen (vgl. SLOTERDIJK 2004: 257). In den theoretischen Überlegungen wird erörtert, ob das Konzept der Sphären geeignet ist, die Prozesse der Vergemeinschaftung und Verräumlichung in ehemaligen Migrationsgesellschaften zu erfassen. Wenn dies der Fall ist, stellen sich die konkreten Fragen: Wie schaffen syrische und libanesische Einwanderer sowie deren Nachfahren ihre gemeinschaftlichen Sphären in Argentinien

cken. Ihre Ausführungen betonen stets die Heterogenität der Gesellschaft und die verzweigten Wege der Geschichte. Sie lehnen die Annahme der Eindeutigkeit des Sinns und des Ursprungs von sozialen Ordnungen ab, die im modernen westlich geprägten Denken herrscht (vgl. CASTRO VARELA und DHAWAN 2005: 24f.). 5

Mit Esser (2001: 335) ist „die Identität eines Akteurs […] der Satz an schematischen Hypothesen, die der Akteur über sich in seiner Beziehung zu seiner sozialen Umgebung und sich selbst unterhält“. Sie entspricht somit dem Wertesystem und Bedeutungssystem von Personen, die diese in Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt bilden. Die Identität ist ein soziales Konstrukt, das ständigen Veränderungen unterworfen ist. Die Identität grenzt die Person einerseits von anderen Menschen ab und verbindet sie andererseits mit den Kollektiven, in denen sie lebt. Sie besitzt demnach einen individuellen und einen gemeinschaftlichen Teil. Letzterer ist die Identität, die die Personen mit anderen Personen der Gemeinschaft teilen. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Teile sind sie nur analytisch voneinander trennbar, werden aber von dem Individuum als Einheit wahrgenommen (vgl. ESSER 2001: 341ff.).

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und in welcher Relation steht die Sphäre zu ethnischen Vereinen und ethnischen Gemeinschaften? (2) Das gegenstandsbezogene Ziel der Arbeit ist es, zu verstehen, warum die als „ethnische Vereine“ zu bezeichnenden Vereine der syrischund libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien bis heute existieren. Welche Veränderungen gab es? Wie wird in den Vereinen soziale und kulturelle Zusammengehörigkeit hergestellt und reproduziert? Um die Ziele strukturiert zu bearbeiten, gliedert sich die Arbeit in fünf Kapitel. Das erste Kapitel widmet sich der Geschichte der libanesischen und syrischen Migration nach Argentinien. Bei der Darstellung der Geschichte der Einwanderung nach Argentinien zeigt sich, dass die libanesisch- und syrischstämmige Bevölkerung eine gemeinsame Migrationsgeschichte besitzt. Allerdings wird auch klar, dass weder die syrisch- und libanesischstämmige Bevölkerung als einheitliche Gemeinschaft aufgefasst werden kann noch die einzelnen ethnischen Gemeinschaften als soziokulturell homogene Entitäten. Im zweiten Kapitel wird aus den Studien zu Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung von Schütz und Husserl das Konzept der Sphäre als Untersuchungsperspektive und analytisches Werkzeug abgeleitet. Ähnlich der Gemeinschaft ist die Sphäre auf der analytischen Mesoebene anzusiedeln. Anschließend wird die Bedeutung des Ortes in den Raumtheorien Heideggers und Sloterdijks dargestellt, um zu einem Gemeinschaftskonzept zu gelangen, das die Materialität und Atmosphäre sozialer Ordnungen mit einschließt. Dabei werden die Mechanismen aufgezeigt, die eine Rückbindung gemeinschaftlicher Identitäten an konkrete Orte ermöglichen. Das dritte Kapitel wird die in der Arbeit angewandten Methoden der Feldforschung kritisch erläutern und beginnt mit den theoretischen Ausführungen zur Begründung der Methodenwahl. Danach werden die Strategien zur Aufbereitung der erhobenen Informationen und das der Datenanalyse zugrunde liegende Auswertungsschema erläutert. Abschließend erfolgt die Begründung der Kriterien zur Auswahl der in die Untersuchung einbezogenen Vereine. Im vierten Kapitel stehen die institutionellen Relationen der ethnischen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Buenos Aries und San Miguel de Tucumán im Fokus der Betrachtung. Anschließend werden libanesisch-argentinische Sphären vorgestellt, um darauf aufbauend die Wechselwirkungen zwischen ethnischen Sphären, ethnischen Vereinen und ethnischen Gemeinschaften zu diskutieren. Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse zur Theorie der ethnischen Sphäre zusammengefasst, die hier erstmals umrissen wird.

Die syrisch- und libanesischstämmige Bevölkerung in Argentinien

Bis 1920, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, gehörten die beiden heutigen Staaten Syrien und Libanon dem Osmanischen Reich1 an. Unter der osmanischen Herrschaft des 19. Jahrhunderts waren der heutige Libanon und das heutige Syrien in der Großregion Syrien zusammengefasst (vgl. LINDHOLM SCHULZ 1996: 57ff.). Die Auswanderung aus der Großregion Syrien begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Großteil der damaligen Auswanderer stammte aus dem Mount Lebanon2, der Küstenregion der damaligen Großregion 1

Die arabischen Gebiete des Nahen Ostens und damit das heutige Syrien und der heutige Libanon wurden zu Beginn des 16. Jahrhunderts von den Osmanen erobert (vgl. QUATAERT 2005: 21). Nach der Niederlage des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg wurde 1920 das Mandat, das heißt das territoriale Verwaltungsrecht, über das heutige Syrien und den heutigen Libanon vom Völkerbund an Frankreich übergeben. Die Grenze zwischen den Mandatsgebieten wurde von der französischen Mandatsmacht gezogen. Dabei entstanden das heutige Syrien sowie der Libanon in seinen heutigen Grenzen, der neben dem Mount Lebanon auch die gesamte Küstenregion von ca. 20 km südlich von Tyros bis ca. 27 km nördlich von Tripolis sowie die Bekaa-Ebene und Teile des Gebirgszugs Anti-Libanon mit einschließt (vgl. B RAND 2006: 136f.; HOURANI 2007: 12f.).

2

Der Mount Lebanon wurde 1861 als teilweise autonome Region von der damaligen Großregion Syrien abgespalten. Bis zu dieser Zeit war die Großregion Syrien in vier Provinzen (Vilayet) gegliedert: Dayr az-Zor, Aleppo, Beirut bzw. Sidon und Damaskus (vgl. LINDHOLM SCHULZ 1996: 57ff.). Die Bildung des Mount Lebanon folgte unmittelbar auf die Auseinandersetzungen der Glaubensgemeinschaften der Drusen und der Maroniten. Da die Maroniten unter dem Schutz der französischen Regierung standen, reagierte diese auf die gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Entsen-

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Syrien bis zu den Städten Hama und Homs sowie aus Damaskus (vgl. ISSAWI 1992: 13ff.). Vor allem Christen verließen diese Gebiete. Die Gründe der christlichen Emigration aus der osmanischen Großregion Syrien liegen in dem wachsenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss Europas3 sowie in den Kriegen dung von Truppen. Frankreich drohte dem Osmanischen Reich mit militärischen Interventionen, falls es den Streitigkeiten kein Ende bereiten würde. Nach dem Ende der Unruhen, 1860, wurden diplomatische Verhandlungen zwischen der Regierung des Osmanischen Reichs und den europäischen Mächten Frankreich, Großbritannien, Österreich und Russland begonnen. Die Ergebnisse der Verhandlungen wurden im Règlement Organique von 1861 festgehalten, wobei der Mount Lebanon das Privileg einer teilweise autonomen Verwaltung erhielt. Außerdem wurde garantiert, dass der Bezirk von einem osmanischen Christen verwaltet wurde. Diese Rechte wurden von den an den Verhandlungen beteiligten Ländern Frankreich, Großbritannien, Österreich und Russland garantiert (vgl. ISSAWI 1992: 13ff.; SALIBI 1988: 16, 138). Der Mount Lebanon umfasste Teile der Küstenregion des heutigen Libanons. Im Norden reichte das Territorium bis ca. 6 km südlich von Tripolis und im Süden bis ca. 4 km nördlich von Sidon. Im Osten reichte es bis an die Bekaa-Ebene. Die heute zum Libanon gehörenden Hafenstädte Beirut, Sidon, Tripolis und Tyre sowie die Bekaa-Ebene mit der Stadt Zahle gehörten nicht zum Mount Lebanon (vgl. SALIBI 1988: o. S.). 3

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte das Bestreben des Osmanischen Reichs, ein verbessertes Steuersystem auf territorialer Basis einzuführen, zu zahlreichen Bauernaufständen in der Großregion Syrien. Die Bauern wurden von den europäischen Mächten Großbritannien und Frankreich durch Waffenlieferungen unterstützt, um das Osmanische Reich zu schwächen. 1831 besetzten ägyptische Truppen die Großregion Syrien über acht Jahre hinweg (vgl. ISSAWI 1992: 14ff.). Das Reich war daher in dieser Zeit militärisch und politisch auf die Rückeroberung dieser Regionen fokussiert und machte den europäischen Mächten, die in die Regionen und auf die Märkte des Nahen Ostens drängten, wirtschaftliche und politische Zugeständnisse. ÖsterreichUngarn, Russland, Großbritannien und Preußen unterstützten das Osmanische Reich 1838 militärisch gegen die ägyptischen Truppen. Im Gegenzug wurden ihnen Handelsprivilegien eingeräumt. Nach dem Ende der ägyptischen Okkupation wurde die Macht der Christen und im Speziellen die der Maroniten in Syrien gestärkt. Dabei wurden die drusischen Familien zugunsten maronitischer Familien entmachtet. Nach drusischen Aufständen versuchte die Regierung, diese Tendenz umzukehren und die Macht der Drusen wieder zu stärken. Dieses Hin und Her führte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen der beiden Glaubensgemeinschaften um politische und wirtschaftliche Macht im Mount Lebanon (vgl. ISSAWI 1992: 17ff.; KHATER 2001: 30; QUATAERT 2005: 58).

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UND LIBANESISCHSTÄMMIGE

B EVÖLKERUNG

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A RGENTINIEN

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und Verfolgungen, die aus religiösen Konflikten resultierten. Die Konflikte zwischen Maroniten4 und Drusen5 im Mount Lebanon nahmen in den 1850er Jahren zu, bis sie in einen zweijährigen Bürgerkrieg (1858 bis 1860) zwischen beiden Parteien mündeten. Anschließend weiteten sich die Konflikte auf andere Gebiete der Großregion Syrien aus; 1860 kam es zu einem Massaker an Christen in Damaskus. Beendet wurden die Unruhen durch die diplomatische Intervention Frankreichs. Die Verluste der Maroniten waren ungleich höher als die der Drusen, wodurch sich die Massaker in das kollektive Bewusstsein der Maroniten als Verfolgung ihrer Glaubensgemeinschaft im Osmanischen Reich und als Beginn der Auswanderung einprägten (vgl. HOURANI 1992: 4f.; SALIBI 1988: 67f., 138). Die militärischen und diplomatischen Interventionen von Frankreich, Großbritannien, Russland und Österreich sowie die interne politische Neuordnung des Osmanischen Reichs führten zur teilweisen Autonomie der Region des Mount Lebanon. Der Mount Lebanon, die Küstenregion des heutigen Libanons und des 4

Die Maroniten sind Anhänger der syrisch-maronitischen Kirche von Antiochien. Ihre Gründung geht auf das Jahr 680 zurück, als sich die Gemeinde des Klosters des Heiligen Maro von der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien abspaltete. Das Kloster wird als Namensgeber der Glaubensgemeinschaft der Maroniten angesehen (vgl. HARRIS 1997: 68ff.; HYNDMAN-RIZIK 2009: 34; SCHIRRMACHER 2002: 193). Die maronitische Kirche war fortan eine von Rom und Konstantinopel (heutiges Istanbul) unabhängige Glaubensgemeinschaft (vgl. HYNDMAN-RIZIK 2009: 33). Anfang des 12. Jahrhunderts unterstützte sie die Kreuzzüge der katholischen Kirche und vereinigte sich 1182 schließlich mit dieser. Heute gehören die Maroniten zu den katholischen Christen, wobei sie einer orientalischen Liturgie folgen (vgl. HYNDMAN-RIZIK 2009: 35; SCHIRRMACHER 2002: 193). Sie bewohnten nach ihrer Gründung die Städte Homs und Hama sowie das Orontes-Tal im heutigen Syrien und im heutigen Libanon. Zwischen dem 10. und 11. Jahrhundert zogen sie sich aufgrund religiöser Verfolgung in die Bergregion des heutigen Nordlibanons, den Mount Lebanon, zurück (vgl. SALIBI 1988: 13). Noch heute wird diese Region von den Maroniten bewohnt (vgl. HARRIS 1997: 70f.).

5

Die Drusen sind Anhänger einer Geheimreligion, die 1017 aus dem schiitischismailitischen Glauben hervorging. Sie folgten dem Fatimidenkalifen al-Hakim (1021 gestorben), den sie als Manifestation Gottes ansehen. Ihr Glaube beinhaltet schiitischismailitische, christliche und gnostisch-neuplatonische Elemente. Die Dogmen der Glaubensgemeinschaft sind geheim und nur wenigen „Eingeweihten“ der drusischen Glaubensgemeinschaft bekannt. Heute leben die Drusen vor allem im Libanon und kleine Gruppen in Syrien, Israel und Jordanien (vgl. HARRIS 1997: 74f.; SCHIRRMACHER

2002: 467, 481)

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heutigen Syriens sowie Homs und Damaskus6 wurden im 19. Jahrhundert in die Weltwirtschaft integriert und es kam zu einer politischen und ökonomischen Öffnung dieser Gebiete Richtung Europa (vgl. KHATER 2001: 25; SALIBI 1988: 67f.). Bis 1900 verließen ca. 120.000 Personen die osmanische Großregion Syrien. Zwischen 1900 und 1914 wanderten weitere 225.000 Menschen aus (vgl. ISSAWI 1992: 30f.). Die Migrationsströme aus dem heutigen Libanon und dem heutigen Syrien wechselten seit Beginn der Auswanderung bis heute mehrfach ihre Richtung. Nach Labaki (2006: 3) können vier Phasen der Wanderung unterschieden werden: (1) Während sich die Wanderbewegungen aus dem heutigen Libanon und Syrien in der Phase von 1860 bis 1914 auf Latein- und Nordamerika konzentrierten, (2) diversifizierten sich die Migrationsrichtungen nach dem Ersten Weltkrieg. Es kam vermehrt zur Wanderung in Länder des afrikanischen Kontinents. (3) Nach dem Zweiten Weltkrieg waren hingegen die ölproduzierenden Golfstaaten die bevorzugten Auswanderungsziele. (4) Seit dem Bürgerkrieg im Libanon und den Ölkrisen in den 1970er Jahren wurden Europa, die Vereinigten Staaten und Australien die neuen Auswanderungsziele. Die Migration nach Argentinien aus den heutigen Staaten Syrien und Libanon fand in der ersten und zweiten Phase der Auswanderung statt und endete in den 1950er Jahren (vgl. JOZAMI 1994: 97f.). Aufgrund des fehlenden Nachzugs aus Syrien und dem Libanon lebten in Argentinien im Jahr 2001 nur noch 3.969 Personen, die in Syrien oder im Libanon geboren wurden (vgl. INDEC 2001). Die Anzahl der libanesischstämmigen Personen in Argentinien betrug im Jahr 2010 jedoch 1,5 Millionen Personen. Karte 1 „Die Verteilung der libanesischen und libanesischstämmigen Bevölkerung in der Welt (1986 und 2010)“ zeigt die 6

Durch den Ausbau der Transportwege und Kommunikationsmöglichkeiten in der Großregion Syrien wurden der Mount Lebanon, die Küstenregion des heutigen Libanons und des heutigen Syriens sowie Damaskus in den weltweiten Warenhandel eingebunden. In den 1830er Jahren wurde Beirut an den Linienschiffverkehr Frankreichs und Großbritanniens angebunden und 1892 eine moderne Straße zwischen Damaskus und Beirut gebaut. Im 19. Jahrhundert entstand ein Schienennetz, das die Städte Beirut, Tripolis, Damaskus und Aleppo untereinander und mit Europa verband. Auch die Kommunikationsmöglichkeiten verbesserten sich: 1861 wurde die Telegrafenleitung zwischen Beirut und Damaskus eingeweiht. Der Gütertransport zwischen den Handelszentren der Großregion Syrien wurde schneller und kostengünstiger. Auch die territoriale Mobilität der Bevölkerung erhöhte sich dadurch im 19. Jahrhundert erheblich (vgl. HOURANI 1992: 5; ISSAWI 1992: 24; KHATER 2001: 29; QUATAERT 2005: 119ff.).

D IE SYRISCH-

UND LIBANESISCHSTÄMMIGE

B EVÖLKERUNG

IN

A RGENTINIEN

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heutige weltweite Präsenz der Libanesen und der Nachfahren der Emigranten.7 Die größten Bevölkerungen befanden sich im Jahre 2010 in Brasilien, Argentinien und den USA. In Venezuela, Kolumbien, Mexiko, Kanada, Australien und Saudi-Arabien sind weitere große Bevölkerungen verzeichnet. Der Vergleich der Jahre 1986 und 2010 bestätigt die verstärkte Migration nach Europa in der vierten Phase der Emigration aus dem Libanon. Die Bevölkerungszahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika stiegen von 1986 bis 2010 von 2,3 Millionen auf 3,3 Millionen und in Australien von 390.000 auf 500.000 (vgl. NABTI 1992: 61ff. und o. A. 2010: 41f.). Die syrischen und libanesischen Gemeinschaften in Argentinien sind ein Teil der weltweit existierenden syrischen und libanesischen Gemeinschaften. Sie bestehen aus den Nachfahren der heute größtenteils verstorbenen Einwanderer und gehören der zweiten bis fünften Generation an, die ihre Herkunft noch heute in Syrien und dem Libanon verorten (vgl. JOZAMI 1994, 1996).

7

Allerdings erhebt die Karte 1 weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Genauigkeit. Bei den dargestellten Bevölkerungszahlen handelt es sich lediglich um Schätzungen. Für die beiden Schätzungen der Jahre 1986 und 2010 wird das Vorgehen nicht erläutert. Nabti (1992) schrieb zu ihrer Tabelle der Bevölkerungszahlen in verschiedenen Ländern der Welt lediglich: „The figures for Lebanese emigration include emigrants and their descendants. Both sets of figures were issued by the Lebanese World Cultural Union.“ (NABTI 1992: 63). Worauf die Schätzungen der Lebanese World Cultural Union beruhen, wird nicht erwähnt. Die unterschiedlichen Bevölkerungszahlen zwischen den Jahren 1986 und 2010 resultieren aus den unterschiedlichen Quellen der Schätzungen (NABTI 1992 und o. A. 2010). Es ist davon auszugehen, dass auch im Jahre 2010 noch libanesischstämmige Personen in Kuba, den zentralamerikanischen Staaten und der Elfenbeinküste lebten, auch wenn sie in der Schätzung von 2010 nicht mehr vertreten sind. Des Weiteren dürfen die Schätzungen nicht mit der tatsächlichen Größe der libanesischstämmigen Gemeinschaften in der Welt gleichgesetzt werden. Es ist fraglich, ob qualitative Elemente von Gemeinschaft, wie Affektivität, Wir-Gefühl, Abgrenzungsstrategien, soziale Praktiken und die territoriale Identität, bei der Einordnung der fraglichen Personen berücksichtigt wurden. Aus diesen Gründen ist die tatsächliche Anzahl der Personen, die sich den Diasporagemeinschaften zugehörig fühlen, als wesentlich geringer anzunehmen. Jozami (1996) weist im Fall der libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien darauf hin, dass sich nur ein geringer Anteil auch der libanesischen Gemeinschaft angehörig fühlt (vgl. JOZAMI 1996: 41f.).

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Karte 1: Die Verteilung der libanesischen und libanesischstämmigen Bevölkerung in der Welt. 1986 und 2010

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INTERNATIONALEN NACH ARGENTINIEN

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M IGRATIONSSTRÖME

Aufgrund der engen Verbindungen der christlichen Bevölkerung der heutigen Staaten Libanon und Syrien mit Europa im 19. Jahrhundert folgten ihre Migrationsströme der europäischen Massenauswanderung in die Länder Nord-, Mittelund Südamerikas. Sie waren Teil der europäischen Einwanderung nach Argentinien (vgl. KHATER 2001: 48; OWEN 1992: 33f.). Aus dem Vergleich der zeitlichen Entwicklung der Anzahl der im Ausland geborenen Personen, die in Argentinien leben, und der Anzahl der Gesamtbevölkerung in Argentinien von 1869 bis 2001 kann ein Schema der Einwanderung nach Argentinien abgeleitet werden (vgl. Abb. 3). Die Anzahl der im Ausland geborenen Personen, die in Argentinien leben, und die Anzahl der Gesamtbevölkerung wurden in den neun Zensus der Jahre 1869, 1895, 1914, 1947, 1960, 1970, 1980, 1991 und 2001 erhoben. Da die Zensus jeweils die Anzahl der außerhalb Argentiniens geborenen Personen erfasst und nicht direkt die Ein- und Auswanderung, kommt es zum verzögerten Niederschlag der Migrationsbewegungen in den vorliegenden Daten. Die Daten lassen dennoch Rückschlüsse auf den Saldo, also die Differenz aus Ein- und Auswanderung zu. Hierbei ist die Sterblichkeit der Einwanderer zu berücksichtigen8. Das Modell der Einwanderung in Argentinien besteht aus vier Phasen: (1) Geringe Einwanderung von der Unabhängigkeit Argentiniens bis ca. 1895. Die Anzahl der im Ausland geborenen Personen beginnt langsam zu steigen. Der Anteil der im Ausland geborenen Personen an der Gesamtbevölkerung wächst von 12 % im Zensus von 1869 auf

8

Steigt die Anzahl der außerhalb von Argentinien geborenen Einwohner von Argentinien von einem Zensus zum nächsten, ist der Saldo der Migration in dieser Zeitspanne positiv. Bleibt die Anzahl konstant, kann die Einwanderung die Auswanderung und die Anzahl der gestorbenen Einwanderer kompensieren. Es liegt ein positiver Saldo aus Ein- und Auswanderung vor. Das Wachstum der Einwanderung sinkt jedoch, da sie die alternden Jahrgänge der vorhergehenden Einwanderung nicht ausgleichen kann. Sinkt die Anzahl der im Ausland geborenen Personen, deutet dies auf einen negativen Saldo der Migration hin. Die sinkende Anzahl der im Ausland geborenen Personen kann auch damit zusammenhängen, dass aufgrund des hohen Alters von starken Jahrgängen der Einwanderung, die Sterberate in dieser Personengruppe hoch ist. In diesem Fall sinkt die Anzahl der im Ausland geborenen Personen trotz eines leicht positiven Saldos der Migration, denn die Einwanderung ist geringer als die Auswanderung und die Anzahl der gestorbenen Personen, die im Ausland geboren wurden.

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25 % im Zensus von 1895. (2) Zwischen 1895 und 1914 steigt die Anzahl der im Ausland geborenen Personen in Argentinien stark an. Es beginnt eine Masseneinwanderung, die bis zum Ersten Weltkrieg anhält. Der Anteil der im Ausland geborenen Personen an der Gesamtbevölkerung steigt weiter bis auf 30 % im Jahr 1914. (3) Von 1914 bis 1960 wächst die Anzahl der im Ausland geborenen Personen nur gering. Dies deutet auf eine Abschwächung der Wanderung hin. In dieser Zeit beginnt der Anteil der im Ausland geborenen Personen an der Gesamtbevölkerung zu schrumpfen. (4) Seit 1960 sinkt die Anzahl der im Ausland geborenen Personen in Argentinien. Die Einwanderung hat ihren Zenit überschritten, da die Einwanderung die Auswanderung und die Anzahl der gestorbenen im Ausland geborenen argentinischen Einwohner nicht kompensiert (vgl. Abb. 3). Abbildung 3: Die Entwicklung der Anzahl der im Ausland geborenen Personen, die in Argentinien leben, und der Gesamtbevölkerung Argentiniens, 1869–2001

40.000.000 35.000.000 30.000.000

Anzahl

25.000.000 20.000.000 15.000.000 10.000.000 5.000.000 0

          Jahr Gesamtbevölkerung

Im Ausland geborene Personen

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten von INDEC 1996: 9, 2001

Abbildung 4 „Die Entwicklung der Anzahl der außerhalb von Argentinien geborenen Einwohner Argentiniens nach Herkunftsland, 1869–2001“ zeigt die zeitliche Veränderung der Herkunftsländer der Immigranten. Es wird deutlich, dass bis 1960 der Großteil der Einwanderer aus Europa stammte. Auch die Einwanderung aus den heutigen Staaten Syrien und Libanon fand in diesem Zeitraum statt. Seit 1960 sinkt die Anzahl der in Europa geborenen Personen in Argentinien.

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Die Anzahl der in Syrien geborenen Personen sank zwischen 1960 und 2001 von 23.344 auf 2.350 und die Anzahl der im Libanon geborenen Personen von 11.851 auf 1.619. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf das Ende der Einwanderung aus diesen Gebieten nach Argentinien. Demgegenüber stieg die Einwanderung aus den Nachbarstaaten von 467.260 Personen im Jahr 1960 bis auf 1.041.117 Personen im Jahr 2001 an (vgl. Abb. 4). Abbildung 4: Die Entwicklung der Anzahl der außerhalb von Argentinien geborenen Einwohner Argentiniens nach Herkunftsland, 1869–2001

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten von INDEC 1996: 16ff., 2001

Die vier Migrationsphasen Argentiniens stehen in engem Zusammenhang mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Nach der Unabhängigkeit Argentiniens 1816 folgte eine Phase der politischen Konsolidierung, die mit der Trennung von der spanischen Kolonialmacht einherging. Die argentinische Regierung und die argentinischen Eliten verfolgten dabei eine nach innen gerichtete wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes. Infolgedessen wurde die Einwanderung weitgehend unterbunden, wobei vor al-

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lem Migranten aus dem ehemals herrschenden Spanien die Einwanderung verweigert wurde. Es fanden nur geringe Wanderbewegungen von und nach Argentinien statt (vgl. DEVOTO 2004: 17; EGGERS-BRASS 2006: 107–219). Mit der zunehmenden ökonomischen globalen Vernetzung im 19. Jahrhundert änderte sich die politische und wirtschaftliche Ausrichtung Argentiniens. Ab den 1830er Jahren wurde eine exportorientierte Wirtschaft aufgebaut, wobei die Küstenregion um Buenos Aires aufgrund des Hafens von Buenos Aires und der funktionierenden exportorientierten Agrarproduktion in die Weltwirtschaft eingebunden wurde. Buenos Aires und sein Umland waren fortan der wirtschaftliche Motor Argentiniens (vgl. EGGERS-BRASS 2006: 245f.; KLICH 1992: 243). Aufgrund fehlender Technologie sowie des Mangels an Ingenieuren und Wissenschaftlern, bei gleichzeitigem Überfluss an großen landwirtschaftlichen Nutzflächen9, beschränkte sich Argentinien auf den Export von Agrarprodukten aus Monokulturen, den Export von Rindfleisch und von Rohstoffen. Im Austausch hierfür erhielt Argentinien industriell hergestellte Güter aus Europa (vgl. EGGERS-BRASS 2006: 341). Zur Steigerung der Exporte, zur Belebung des Binnenmarktes und zur Sicherung des Territoriums strebte die argentinische Regierung ab den 1850er Jahren die Kolonisierung unbewohnter Flächen10 in Argentinien an. Da die Einwohnerzahl Argentiniens für die Ausweitung der arbeitsintensiven Agrarwirtschaft zu gering war (vgl. Abb. 3), begann die argentinische Regierung die Einwanderung gezielt zu fördern (vgl. DEVOTO 2004: 227f.; VENERONI 2003b: 318ff.). In der argentinischen Konstitution von 1853 wurden den Einwanderern erstmals die gleichen Bürgerrechte wie den in Argentinien geborenen Personen eingeräumt (vgl. DEVOTO 2004: 33). Der Wunsch, die vermeintlich unbewohnten Landstriche durch die Förderung der Einwanderung zu kolonisieren, schlug sich in der Rhetorik des argentinischen Politikers Juan Bautista Alberdi nieder, als er im Jahre 1852 zur Einwanderungs- und Bevölkerungspolitik sagte: „Gobernar es poblar“ („Regieren ist bevölkern“) (vgl. DEVOTO 2004: 229). In 9

Ein Indikator hierfür ist die geringe Bevölkerungsdichte Argentiniens Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Fläche von Argentinien beträgt 2.780.400 km2. Bei einer Bevölkerungszahl von lediglich 1.737.076 Personen im Jahr 1869 ergibt sich eine Bevölkerungsdichte von weniger als einem Einwohner pro km2. Deutschland wies im Jahr 2009 eine Bevölkerungsdichte von 229 Einwohnern pro km2 auf (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2011).

10 Weite Teile des Landes, wie Misiones, der Chaco, La Pampa und Patagonien, waren im Besitz der indigenen Bevölkerung. Im 19. Jahrhundert wurde diese in zahlreichen Kolonisationszügen vom argentinischen Militär und von Siedlern gewaltsam enteignet (vgl. EGGERS-BRASS 2006: 227, 231f.).

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der argentinischen Elite entwickelte sich in den 1850er und 1860er Jahren das Bild des „guten“ europäischen Einwanderers, der arbeitswillig und gebildet nach Argentinien kam. Dem Wunsch der politischen Elite folgend, sollte er den sozialen, kulturellen und technologischen Fortschritt aus Europa nach Argentinien bringen. Als Verkörperung dieses Ideals wurde der angelsächsische und nordeuropäische Einwanderer angesehen (vgl. DEVOTO 2004: 30ff.; EGGERS-BRASS 2006: 320ff.). Im Gesetz von Avellaneda 1876 wurden die rechtlichen Grundlagen und praktische Instrumente geschaffen, um die Einwanderung zu überwachen, zu kontrollieren und gezielt zu unterstützen. Einwanderer haben seitdem Rechtssicherheit, wenn sie Land erwerben. Mittellosen Einwanderern wurde kostenlos Arbeit auf fremdem Besitz vermittelt. Des Weiteren wurden Hotels für Immigranten eingerichtet, in denen sie eine Unterkunft für die ersten Tage nach ihrer Ankunft in Argentinien fanden (vgl. DEVOTO 2004: 80; VENERONI 2003b: 318ff.). Trotz der Fördermaßnahmen zeigt die detaillierte Darstellung der Einwanderung nach Argentinien und des Saldos der Migration in den Jahren zwischen 1873 und 1924 in Abbildung 5, dass der Saldo aus Ein- und Auswanderung bis zum Jahr 1881 auf nur geringem Niveau positiv ausfiel. Dies liegt an der schlechten wirtschaftlichen Lage Argentiniens bis in die 1880er Jahre. Indikator hierfür ist die argentinische Außenwirtschaft, die Mitte des 19. Jahrhunderts durch ein Außenhandelsdefizit geprägt war. Beispielsweise überstiegen im Jahr 1865 die Importausgaben die Exporterlöse um 3.000.000 Pesos (vgl. ROMERO 1959: 163).

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Abbildung 5: Die Einwanderung aus Übersee11 nach Argentinien von 1873– 1924 350.000 300.000 250.000 Anzahl

200.000 150.000 100.000 50.000 0 -50.000 -100.000 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1925 Jahr Einwanderung aus Übersee (alle Klassen)

Wanderungssaldo (alle Klassen)

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten der DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1925: o. S.

11 Es ist anzunehmen, dass die in Abbildung 5 dargestellten Einwanderungszahlen geringer sind als die tatsächliche Einwanderung. Im Laufe der Zeit änderte sich bei der Erhebung der Einwanderungszahlen in Argentinien die Kategorie des „Einwanderers“. Bis in das frühe 20. Jahrhundert wurden Personen als Einwanderer bezeichnet, die in der dritten Klasse mit Überseeschiffen in den Häfen von Argentinien ankamen. Personen der ersten und zweiten Klassen wurden als Touristen angesehen. Bei der Erstellung der Abbildung 5 wurden alle Klassen der Überseeschiffe berücksichtigt, um den unterschiedlichen Gebrauch der Kategorie „Einwanderer“ auszugleichen. Erst ab 1920 wurde die Ein- und Auswanderung über die Flüsse Argentiniens erfasst. Ab 1925 wurden auch die Migrationsströme über den Landweg erhoben. Bis in die 1920er Jahre sind die von der Dirección General de Migraciones angegebenen Zahlen der Einund Auswanderungen daher als zu gering anzusehen (vgl. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1919, 1929, 1924, 1925; KLICH 1992: 248; VELA RÍOS und CAIMI 1980: 128). Für weitere Kritik an den statistischen Datenreihen der Dirección General de Migraciones vergleiche Vela Ríos und Caimi (1980: 127f.).

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Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in den 1880er Jahren, bei dem die Exporterlöse die Importkosten im Jahre 1880 um 13.000.000 Pesos überstiegen (vgl. ROMERO 1959: 162), begann die Phase der Masseneinwanderung nach Argentinien (vgl. Abb. 5). Die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Massenauswanderung aus Europa erfasste das wirtschaftlich aufstrebende Land Argentinien (vgl. BÄHR 1992: 306; ROMERO 1959: 173). Der wirtschaftliche Boom ergab sich aus der positiven globalen Entwicklung der Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten und Rohstoffen, dem Ausbau des Finanzsektors in Argentinien und der Anbindung der Agrargebiete im Landesinneren an den Hafen von Buenos Aires durch den Bau von Eisenbahnlinien und Straßen. Infolgedessen wurde die Kreditaufnahme zur Expansion der landwirtschaftlich genutzten Fläche und für den Kauf neuer Maschinen zur Bewirtschaftung möglich. Die effektivere Bewirtschaftung der Agrarflächen und die Verbesserung der Transportwege von den Provinzen im Landesinneren an die Küste von Argentinien erhöhte die Produktion von Exportgütern (vgl. JOZAMI 1987: 69; ROMERO 1959: 162ff.). Die Einwanderung nahm bis auf 225.609 Personen im Jahr 1889 zu und der Saldo der Migration stieg im gleichen Jahr bis auf 181.050 Personen an (vgl. Abb. 5). Ein erneutes Außenhandelsdefizit in den 1890er Jahren mündete in einer Finanzkrise, wodurch die Masseneinwanderung nach Argentinien von 1890 bis ca. 1900 aussetzte (vgl. ROMERO 1959: 174). Doch schon von 1902 bis 1912 wuchs die Einwanderung wieder von 65.106 auf 348.570 Personen. Der Saldo der Migration stieg im gleichen Zeitraum von 14.735 auf 206.226 Personen an. Die erneute Zunahme der Einwanderung ist durch die einsetzende Kettenwanderung12 und den wirtschaftlichen Aufschwung Argentiniens begründet (vgl. DEVOTO 2004: 31f., 261ff.; ROMERO 1959: 174f.; VENERONI 2003b: 318ff.). Bis 1914 war die Einwanderungswelle nach Argentinien von Europäern geprägt, wie die Abbildung 6 „Der Anteil der außerhalb von Argentinien geborenen Einwohner Argentiniens nach Herkunftsland an der Gesamtzahl der im Ausland geborenen Einwohner, 1914“ zeigt. Die höchsten Anteile an der Gesamtzahl der ausländischen Bevölkerung stammten 1914 aus fünf Ländern: Italien mit 40 %, Spanien mit 35 %, Russland mit 4 % sowie Frankreich und dem Osmanischen Reich mit jeweils 3 % (vgl. Abb. 6).

12 Der Nachzug von Familienmitgliedern, Verwandten, Freunden und Bekannten in die neue Heimat der Auswanderer wird als Kettenwanderung oder Kettenmigration bezeichnet (vgl. BÄHR 1992: 357).

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Abbildung 6: Der Anteil der außerhalb von Argentinien geborenen Einwohner Argentiniens nach Herkunftsland an der Gesamtzahl der im Ausland geborenen Einwohner, 1914

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten von INDEC 1996: 16ff.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete die Einwanderungswelle (vgl. Abb. 5) und die argentinische Regierung änderte ihre Einwanderungspolitik. In der politischen Elite setzten sich verstärkt nationalistische, rassistische und xenophobe Ideen durch. Die argentinische Regierung begann die Einwanderung zu reglementieren. 1916 wurde von den Einwanderern erstmals ein Zertifikat verlangt, das ihnen bescheinigte, im Herkunftsland nicht kriminell auffällig geworden zu sein. Weitere Änderungen am Gesetz von Avellaneda in den Jahren 1917, 1921 und 1923 schrieben medizinische Untersuchungen sowie soziale und ökonomische Voraussetzungen für die Einwanderung nach Argentinien vor (vgl. DEVOTO 2004: 179; VENERONI 2003b: 324f.). Trotz des Versuchs, die nichteuropäische Einwanderung gesetzlich zu unterbinden, blieb die Migration nach Argentinien bis Mitte der 1920er Jahre auf einem hohen Niveau von meist über 50.000 Einwanderern pro Jahr (vgl. Abb. 5). Mit der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 rissen die Wanderbewegungen ab und die Einwanderung nach Argentinien kommt nahezu zum Stillstand. Auf den wirtschaftlichen Zusammenbruch Argentiniens folgte 1930 ein Staatsstreich, der die politische Phase der konservativen Nationalisierung von Argentinien einleitete. Diese Periode hielt bis 1943 an, wobei in dieser Zeit die Macht der konservativen Elite gefestigt und

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die Nationalisierung Argentiniens angestrebt wurde (vgl. ROMERO 1959: 229f.). General José Félix Uriburu wurde neuer Präsident Argentiniens. Nach seinem Tod 1932 wurde er von General Augustín P. Justo abgelöst. Die beiden Militärregierungen hielten sich bis 1938, wobei sich die politische Ausrichtung Argentiniens bis zum Jahr 1943 nicht änderte. Die gewählten Regierungen von 1938 bis 1943 wurden von den Militärs unterstützt und verfolgten die gleichen politischen und wirtschaftlichen Ziele. Im Argentinien des frühen 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Industrialisierung im Textilsektor sowie in der chemischen und metallverarbeitenden Industrie. Nach der Weltwirtschaftskrise wurden unter der Militärregierung, wie in weiten Teilen der Welt, Schutzzölle auf Importwaren gelegt, um auswärtige Produkte künstlich zu verteuern. Gleichzeitig subventionierte die Regierung die heimische Industrie. Durch diese beiden Maßnahmen wurde der argentinische Markt von der Weltwirtschaft abgetrennt, um die argentinischen Unternehmen vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. In den 1930er Jahren entwickelte sich die argentinische Wirtschaft nur langsam und zog kaum Immigranten an (vgl. ROMERO 2001: 67ff.). Unter den Regierungen von 1930 bis 1943 setzte sich die gesellschaftliche Idee durch, dass die argentinische Gesellschaft ein Schmelztiegel der „Rassen“ sei. Die politische Elite strebte die Nationalisierung der argentinischen Bevölkerung an. Am Ende der erwünschten Entwicklung sollte eine kulturell und rassisch homogene, gebildete Bevölkerung stehen. In dieser Zeit wurde jegliche Einwanderung als störend empfunden. Es wurde versucht, den Familiennachzug aus allen Ländern wurde versucht zu unterbinden, da er die Verschmelzung der „Rassen“ verzögern würde. Die Zeit der Masseneinwanderung nach Argentinien war endgültig zu Ende (vgl. DEVOTO 2004: 179; ROMERO 1959: 237ff.; VENERONI 2003b: 324f.). Nach einem erneuten Militärputsch im Jahre 1943 wurde Juan Domingo Perón 1946 Präsident von Argentinien13 und blieb es bis 1955. Der Weltmarkt stabilisierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 1949, wodurch die argentinischen Exporte anwuchsen. Gleichzeitig steigerte Perón die Staatsausgaben. Er investierte in die Infrastruktur, subventionierte die Industrie und schuf dadurch einen florierenden Binnenmarkt mit Vollbeschäftigung (vgl. ROMERO 2001: 104ff.). Aufgrund des kurzen wirtschaftlichen Aufschwungs und der Förderung der Immigration von Europäern durch die Regierung Peróns stieg die Einwanderung nach Argentinien zwischen den Jahren 1948 und 1953 leicht an 13 Nach dem Putsch von 1943 übernahmen die Generäle Pedro Ramírez und Edelmiro J. Ferrell die Regierung von Argentinien. Perón unterstützte den Sturz der Regierung und wurde 1943 Sekretär für Arbeit und anschließend Vizepräsident (vgl. ROMERO 2001: 97ff.).

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(vgl. DEVOTO 2004: 162f.; ORTIZ DE D’ARTERIO 2004: 44). Doch sie erholte sich nicht nachhaltig, da das Ende der Emigration aus Europa von den neuen Migrationsströmen aus den Nachbarstaaten Argentiniens nicht aufgefangen wurde (vgl. Abb. 4). Seit Mitte der 1950er Jahre halten sich Ein- und Auswanderung auf geringem Niveau die Waage, der Saldo der Migration ist ausgeglichen (vgl. DEVOTO 2004: 434ff.). Das Ende der Einwanderung nach Argentinien fällt somit in die Zeit politischer Instabilität in Argentinien. Mit einem Militärputsch wird Perón 1955 abgesetzt. Das gleiche Schicksal ereilt Arturo Frondizi im Jahre 1962 und seinen Nachfolger Arturo Umberto Illia 1966. Anschließend begannen die Jahre der autoritären Regierungen und Militärdiktaturen in Argentinien, die bis 1983 andauerten14. Die Einwanderung nach Argentinien ist seither durch Migration aus den argentinischen Nachbarstaaten geprägt (vgl. BESTENE 1988: 243; EGGERS-BRASS 2006: 507–627; VALVERDE 1992: 314).

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SYRISCHE UND LIBANESISCHE NACH ARGENTINIEN

M IGRATION

Abbildung 7 „Die Anzahl der im Osmanischen Reich bzw. in der Türkei, im Libanon und in Syrien geborenen Einwohner von Argentinien in den Zensus von 1895–2001“ zeigt im zeitlichen Verlauf die Anzahl der in Argentinien lebenden Personen, die in diesen Ländern geboren wurden. Die ersten Einwohner von Argentinien, die im Osmanischen Reich geboren wurden, sind im Zensus von 1895 zu finden15 (vgl. Abb. 7). Bereits 1914 wird mit 64.753 Personen die höchste Anzahl an im Osmanischen Reich geborenen Einwohner von Argentinien verzeichnet.

14 Unterbrochen wurden die Militärdiktaturen durch die erneute Regierung Peróns, ein jedoch ebenfalls autoritäres Regime. Nach Peróns Tod im Jahr 1974 übernahm seine Frau Isabela Perón die Regierung. Doch in der Periode der Regierung der Peróns kam es wie in den Militärdiktaturen zu Verschleppungen, Folter und Morden. Die peronistische Regierung führte vor allem gewaltsame Aktionen gegen die Kommunisten und Linken Argentiniens durch (vgl. ROMERO 2001: 195ff.). 15 Im Zensus von 1869 wurden keine Einwanderer aus dem Osmanischen Reich aufgeführt (vgl. JOZAMI 1987: 58ff.; KLICH 1992: 247).

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Abbildung 7: Die Anzahl der im Osmanischen Reich bzw. in der Türkei, im Libanon und in Syrien geborenen Einwohner von Argentinien in den Zensus von 1895–200116

60.000

Anzahl

50.000 Aus den Jahren 1914 bis 1947 sind keine Zensusdaten verfügbar

40.000 30.000 20.000 10.000

0 1890 1900 1910 1920 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 Jahr des Zensus Osmanisches Reich

Libanon

Syrien

Türkei

Libanon, Syrien und Türkei Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten von INDEC 1996: 16ff.; INDEC 2001: o. S.

Im darauffolgenden Zensus von 1947 geben noch 64.519 Personen an, in den ehemaligen osmanischen Gebieten Syrien, Libanon und Türkei geboren zu sein17. Der Zensus von 1947 zeigt ebenfalls, dass die Anzahl der in der Türkei geborenen Personen höher ist als die der im Libanon geborenen Personen18.

16 Palästina wird als Kategorie nicht erfasst, obwohl es bis 1920 auch zum Gebiet des Osmanischen Reiches gehörte. 17 Bis zum Zerfall des Osmanischen Reichs 1920 sind alle Einwanderer aus diesem Gebiet in einer Kategorie zusammengefasst. Die Bezeichnung der Kategorie änderte sich jedoch mehrfach. Dies führt zu Irritationen und Problemen bei der Erstellung von Zeitreihen. Zwischen 1878 und 1899 werden beispielsweise die Einwanderer aus dem Osmanischen Reich unter der Kategorie „Türken und Griechen“ („Turcos y Griegos“) bzw. nur „Türken“ („Turcos“) geführt. In den Jahren von 1899 bis 1912 werden sie als „Syrer“ („Sirios“) und danach bis 1920 als „Osmanen“ („Otomanos“) bezeichnet.

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Abbildung 8 „Darstellung des Saldos der Migration nach Argentinien. Verlauf nach Herkunft aus den ehemaligen Gebieten des Osmanischen Reichs, 1890–1958“ bestätigt die Angabe von Jozami (1994: 98), dass mehr Syrer als Libanesen nach Argentinien einwanderten. Die zeitliche Darstellung der Veränderung des Saldos der Migration zeigt, dass die Einwanderung aus den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs vor den 1950er Jahren zum Erliegen kam. In den 1960er Jahren haben die Menschen der Einwanderergeneration 1880 bis 1914 ein Alter zwischen 65 und 100 Jahren erreicht. Bei ausbleibendem Nachstrom begann die Anzahl daher rapide auf 48.223 im Jahre 1960 und 14.658 im Jahre 1980 zu sinken. 2001 war die Anzahl der in diesen Ländern geborenen Personen bis auf 5.350 gefallen, wobei 2.350 in Syrien, 1.619 im Libanon und 1.381 in der Türkei geboren wurden. Aus der genauen Darstellung der Entwicklung des Saldos der Migration in Abbildung 8 können fünf Perioden der Migration unterschieden werden (vgl. Abb. 8): (1) Die um 1900 beginnende und 1914 abrupt endende Masseneinwanderung. (2) Niedriger positiver Saldo der Migration von 1920 bis 1930. (3) Ein weitgehend ausgeglichener Saldo der Migration bis 1946. (4) Eine kurze Phase der erneuten Einwanderung von 1946 bis 1951 und (5) der Stillstand der Wanderbewegungen von 1951 bis heute.

Die Kategorien „Libanesen“ („Libaneses“), „Syrer“ und „Türken“ werden erstmals 1920 als getrennte Kategorien erfasst. Genaue Angaben über die Höhe der Einwanderung aus den Regionen Libanon und Syrien sind erst seit 1920 möglich (vgl. VELA RÍOS und CAIMI 1980: 127) 18 Die Anzahl der im Osmanischen Reich geborenen Einwohner in den Zensus von 1895 und 1914 darf nicht gleichgesetzt werden mit der Anzahl der aus dem heutigen Libanon und Syrien stammenden Einwohner. Wie der Zensus von 1947 zeigt, stammt ein Großteil der im ehemaligen Gebiet des Osmanischen Reichs geborenen Personen aus der Türkei. Dies lässt vermuten, dass ein Teil der in den Zensus von 1895 und 1914 aufgeführten Einwohner, die im Osmanischen Reich geboren wurden, aus der heutigen Türkei stammte.

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Abbildung 8: Darstellung des Saldos der Migration nach Argentinien. Verlauf nach Herkunft aus den ehemaligen Gebieten des Osmanischen Reichs, 1890– 1958 16.000 14.000 12.000 10.000

Anzahl

8.000 6.000 4.000 2.000 0 -2.000 -4.000 1890

1900

1910

1920

1930

Libanesen

Jahr Syrer

Türken

Palästinenser

1940

1950

1960

Osmanen

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten der DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1891, 1893, 1894, 1896, 1898, 1900, 1901, 1905, 1908, 1909, 1910, 1912, 1914, 1915, 1917, 1918, 1919, 1920, 1921, 1924, 1925, 1926, 1927, 1928, 1933, 1934, 1935, 1937, 1938, 1939, 1944, 1947, 1949, 1950, 1958, 1959; BESTENE 1988: 247; JOZAMI 1996: 29ff.; KLICH 1992: 244f. Da die Daten der Dirección General de Migraciones in einigen Jahren keine Angaben über die Emigration aus Argentinien nach Herkunft geben, ist es 19

nicht möglich, die gesamte Zeitreihe zu rekonstruieren .

Nach der wirtschaftlichen Krise in Argentinien zu Beginn der 1890er Jahre lag der Saldo der Migration der als „Türken“ bezeichneten Personen im Jahr 1895 19 Die Auswanderung wurde erst ab 1890 und anschließend nicht in statistischen Erhebungen aller Jahre erfasst. So weist Klich (1992) darauf hin, dass die Auswanderung aus Argentinien generell nicht präzise erfasst wurde, sondern lediglich die Einwanderung. Die Berechnung der Saldi aus Ein- und Auswanderung ist daher nicht für alle Jahre durchführbar. Eine genaue Angabe über die Höhe der in Argentinien verbliebenen Einwanderer ist aus diesem Grund nicht möglich (vgl. KLICH 1992: 249; VELA RÍOS und CAIMI 1980: 127f.).

32 | ETHNISCHE S PHÄREN

mit 330 Personen geringfügig im positiven Bereich (vgl. DEVOTO 2004: 261ff.). Danach beginnt der Saldo aus Ein- und Auswanderung schlagartig zugunsten der Einwanderung zu steigen und erreicht mit 14.233 Personen im Jahr 1913 seinen Höhepunkt. Gespeist wurde die Masseneinwanderung aus der Kettenmigration. Es bildeten sich Netzwerke unter den Migranten aus, die ethnisch und familiär geordnet waren und den Einwanderern Informationen sowie soziale und ökonomische Hilfen für die Einreise nach Argentinien bereitstellten (vgl. ALFAROVELCAMP 1998: 235; BESTENE 1988: 241f.; DEVOTO 2004: 183; ESCHER 2000: 355; HUMPHREY 1998: 170). Der Grund für das abrupte Ende der Einwanderung nach Argentinien liegt im Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In der Kriegszeit verschlechterten sich die Migrationsbedingungen, da der Linienverkehr von Europa nach Argentinien weitgehend eingestellt wurde. Weitere Gründe liegen in der Zerstörung der Häfen der Mittelmeerregion durch deren Bombardierung sowie in der eingeschränkten Kommunikation zwischen Verwandten und Freunden (vgl. DEVOTO 2004: 353f.). Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 erholte sich der Saldo aus Ein- und Auswanderung der aus Syrien und dem Libanon stammenden Einwanderer trotz deren Diskriminierung durch die Einwanderungsbehörde20. Der Saldo der Migration aus den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs bleibt von 1920 bis 1930 positiv (vgl. Abb. 8). Die Darstellungen der „Auswanderung aus Argentinien nach Nationalität zwischen 1920 und 1976“ in Abbildung 9 und der „Einwanderung nach Argentinien nach Nationalität zwischen 1920 und 1976“ in Abbildung 10 zeigen den zeitlichen Verlauf der Ein- und Auswanderung.

20 Die Einwanderer aus dem Nahen Osten entsprachen nicht dem Ideal des fortschrittlichen europäischen Bauern. Ihre Einwanderung war von der politischen und wirtschaftlichen Elite Argentiniens daher unerwünscht. Um ihre Einwanderung zu begrenzen, wurden Zuziehende aus den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs strengeren medizinischen Kontrollen unterzogen (vgl. ALFARO-VELCAMP 1998: 232; FARCUCH, ASTIZ und AZAR 2003: 403; KLICH 1992: 284; KLICH und LESSER 1998: ix).

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Abbildung 9: Die Auswanderung aus Argentinien nach Nationalität zwischen 1920 und 1976

1920 0

1930

1940

Jahr 1950

1960

1970

1980

-500

Anzahl

-1.000 N $

-1.500 -2.000 -2.500 -3.000 -3.500 -4.000 Syrer Türken

Libanesen Palästinenser

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten der DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1921, 1924, 1925, 1926, 1927, 1928, 1933, 1934, 1935, 1937, 1938, 1939, 1944, 1947, 1949, 1950, 1958, 1959, 1978; BESTENE 1988: 247; JOZAMI 1996: 29ff.

Die verstärkte Auswanderung der Einwohner Argentiniens, die aus den ehemaligen Gebieten des Osmanischen Reichs stammten, ist auf Rückwanderung zurückzuführen21. Vor allem die in Syrien geborenen Einwohner von Argentinien wanderten zu Beginn der 1920er Jahre aus (vgl. Abb. 9). Der Grund für die hohe Auswanderungszahl in dieser Personenkategorie war die Hoffnung auf einen unabhängigen syrischen Staat nach dem Ersten Weltkrieg. Doch die Hoffnungen der syrischen Bevölkerung währten nicht lange. Noch 1920 wurde die auf der Konferenz von San Remo22 1920 zwischen Frank21 Autoren wie Klich (1992: 249) und Humphrey (1998: 169f.) geben die durchschnittliche Rückwanderung mit ca. 30 % an. Dabei muss beachtet werden, dass das Auswandern nicht unbedingt mit Rückwanderung gleichzusetzen ist. Es ist auch denkbar, dass einige in andere Länder Amerikas, aber auch nach Europa oder Australien zogen. 22 Nach dem Sieg der Alliierten gegen Deutschland und seine Verbündeten, unter anderem auch das Osmanische Reich, trafen sich Vertreter der französischen und britischen Regierung zu Verhandlungen in San Remo. Die eroberten arabischen Gebiete des Osmanischen Reichs wurden unter Frankreich und Großbritannien aufgeteilt.

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reich und Großbritannien ausgehandelte Aufteilung der eroberten osmanischen Gebiete durch den Völkerbund bestätigt (vgl. BILAL 2003: 110f.). Infolgedessen schwächte sich die Auswanderung von Syrern von 4.000 Personen im Jahr 1920 auf unter 1.000 im Jahr 1930 ab. 1923 überstieg die Einwanderung aus den Gebieten des heutigen Libanons und Syriens (vgl. Abb. 10) die Auswanderung (vgl. Abb. 9) der in Argentinien lebenden Syrer und Libanesen wieder. Trotz der nochmaligen Verschärfung der Einreisebestimmungen in den 1920er Jahren blieb der Saldo der Migration leicht positiv, da die Auswanderung sank (vgl. Abb. 9) und die Einwanderung bis Ende der 1920er Jahre auf einem hohen Niveau verharrte (vgl. Abb. 10). Abbildung 10: Die Einwanderung nach Argentinien nach Nationalität zwischen 1920 und 1976 5.000 4.500 4.000 3.500 Anzahl

3.000 2.500 2.000 1.500 1.000

N$

500 0 1920

1930

1940 Libanesen Türken

1950 Jahr

1960

1970

1980

Syrer Palästineser

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten der DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1921, 1924, 1925, 1926, 1927, 1928, 1933, 1934, 1935, 1937, 1938, 1939, 1944, 1947, 1949, 1950, 1958, 1959, 1978; BESTENE 1988: 247; JOZAMI 1996: 29ff.

Frankreich erhielt die Gebiete des heutigen Syriens und des Libanons. Großbritannien sicherte sich die Gebiete Palästina und Mesopotamien, die den heutigen Gebieten Israel, West Bank, Gaza, Jordanien und Irak entsprechen (vgl. BILAL 2003: 110f.).

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Es sind die Wirtschaftskrise und die Diskriminierungen, die die Einwanderung von Syrern und Libanesen wiederum beendeten. Ein Beispiel der Diskriminierung ist das Verbot der Familienzusammenführung, das zu Beginn der 1930er Jahre für die syrische und libanesische Bevölkerung in Argentinien galt. Erst durch das Einschreiten des Patronato Sirio-Libanés23, einer Organisation, die die Interessen der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien vertrat, wurde dieses Verbot wieder aufgehoben. Die Einwanderer aus dem Libanon und Syrien erhielten 1933 die gleichen Rechte wie die Einwanderer aus Europa (vgl. DEVOTO 2004: 169ff.; VENERONI 2003b: 324ff.). Aufgrund des Niedergangs der Weltwirtschaft und aufgrund des Zweiten Weltkriegs blieben die Wanderbewegungen jedoch auf niedrigem Niveau (vgl. Abb. 9 und 10; DEVOTO 2004: 160ff.). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Wanderbewegungen in der kurzen Phase zwischen 1946 und 1952 wieder aktiviert. Die Auswanderungen stiegen (vgl. Abb. 9), da nun die Rückkehr in die unabhängig gewordenen Herkunftsländer möglich wurde. Die Einwanderung nach Argentinien stieg jedoch stärker als die Auswanderung, denn die Nachkriegsjahre in Argentinien gingen mit einem 23 Das Patronato Sirio-Libanés de Protección al Inmigrante wurde 1928 von Moises Azize und seiner Familie gegründet. Es deckte einen breiten Fächer an Bedürfnissen der syrischen und libanesischen Immigranten und deren Nachkommen ab. Das Patronato verteilte Kredite, unterhielt ein Krankenhaus für die Einwanderer aus Syrien und dem Libanon, half ihnen bei der Arbeitsvermittlung und sah sich als Vertreter der gesamten syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien an. Da die argentinische Regierung in den 1920er Jahren versuchte, die Einwanderung aus dem Nahen Osten zu unterbinden, etablierte das Patronato Institutionen in Marseille, Genua, Montevideo und Beirut. Diese ermöglichten den Familiennachzug und die Migration nach Argentinien, indem sie die Organisation des Transports und der Aufenthaltspapiere erledigte. Die Einwanderungswilligen wurden zunächst nach Uruguay gebracht, wo die Einreise leichter war. Von Uruguay wurden sie über Land- und Flusswege nach Argentinien eingeschleust, da es hier weniger strenge Kontrollen gab als im Überseehafen von Buenos Aires. Dem Patronato gelang es bei Verhandlungen mit der argentinischen Regierung 1933, die Syrer und Libanesen in Argentinien und die Einwanderer aus diesen Gebieten rechtlich den Europäern gleichzustellen. In den 1940er Jahren wurde die Organisation aufgelöst, da die Gesundheitsversorgung der Gemeinschaften vom Hospital Sirio Libanés, die Kreditvergabe von der Banco Sirio-Libanés und die diplomatischen Aufgaben nach der Unabhängigkeit von Syrien und des Libanons von den jeweiligen Botschaften übernommen wurden (vgl. BESTENE 1988: 265; VENERONI 2003a:

546; VENERONI und ABÚ ARAB 2003: 110ff.).

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wirtschaftlichen Aufschwung und einer politischen Stabilisierung unter Perón (1946 bis 1955) einher. Der Saldo der Migration ist in diesem Zeitraum leicht positiv (vgl. Abb. 8; ALFARO-VELCAMP 1998: 229). Tabelle 1 „Beispiele der Einwanderungswege von Libanesen und Syrern nach Argentinien in den Jahren 1920, 1936 und 1949“ zeigt, dass sich nicht nur die Intensität der Migration im Laufe der Zeit veränderte, sondern auch die Routen. Zu Beginn der Auswanderung aus dem Osmanischen Reich stand für die Emigranten das genaue Reiseziel meist nicht fest. Es ging nach Amerika, doch wohin genau, erfuhren viele Einwanderer erst nach ihrer Ankunft im Zielhafen. Einige libanesische und syrische Migranten wurden von der USEinwanderungsbehörde abgewiesen und setzten ihre Reise anschließend nach Lateinamerika fort. Andere kauften ein Ticket nach Amerika, ohne zu wissen, wohin die Reise genau ging. Es wird davon berichtet, dass die Auswanderer von den Reedereien, Ticketverkäufern und Schiebern bezüglich ihres Reiseziels belogen wurden. Anstatt eines Tickets in die USA wurde ihnen ein Ticket in ein lateinamerikanisches Land verkauft. Im Laufe der Zeit entschieden sich die Migranten bewusst für die Einwanderung nach Argentinien, da aufgrund sozialer Netzwerke die Informationen präziser wurden (vgl. ALFARO-VELCAMP 1998: 235; KHATER 2001: 62). Dass nicht nur ein Weg zur Einreise genutzt wurde, zeigen die in Tabelle 1 dargestellten Daten. Es werden die verschiedenen Einreisemöglichkeiten der syrischen und libanesischen Migranten nach Argentinien gezeigt. Die Einreise erfolgte 1920 größtenteils mit Überseelinien, doch reisten zu dieser Zeit bereits 13 % der Syrer über das Flusssystem nach Argentinien ein. Die Einreise über das Flusssystem bedeutet, dass sie über Uruguay, Paraguay bzw. Brasilien kamen. 1949 reisten jeweils mehr Libanesen und Syrer über das Flusssystem ein als mit Linienschiffen aus Übersee. Allerdings reisten auch ebenso viele bzw. mehr über den gleichen Weg aus. Die Ein- und Auswanderung über die Flüsse und über Land gleichen sich in den Jahren 1936 und 1949 nahezu aus. Die Saldi der Migration der Jahre 1920, 1936 und 1949 sind negativ bzw. auf geringem Niveau positiv. Die Daten legen folgende Vermutungen nahe: (1) Die Saldi der Ein- und Auswanderung über die Flusssysteme und über Land der Jahre 1920, 1936 und 1949 sind nahezu ausgeglichen. Die Saldi der Migration mit Überseeschiffen der gleichen Jahre nicht. Die Wege über Flüsse und Land scheinen stärker durch temporäre Migration, wie Verwandtenbesuche, Handelsreisen und Tourismus, geprägt zu sein als die Wanderungen aus und nach Übersee. (2) Dennoch fand Wanderung über Flüsse und Land statt. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Libanesen und Syrer über die nationalen Grenzen hinweg miteinander in Kontakt standen und Verwandtenbesuche in den Nachbarländern unternommen wurden. (3) Die Migration fand über verschiedene Wege statt und

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war nicht uni-, sondern plurilinear. Neben linearen Migrationsverläufen sind zirkuläre Migrationswege sehr wahrscheinlich. In den 1950er und 1960er Jahren begannen die europäischen Industriestaaten und die USA ihre wirtschaftliche Vormachtstellung auszubauen und in den ölproduzierenden arabischen Staaten sowie in Australien setzte ein wirtschaftlicher Aufschwung ein. Die ölproduzierenden arabischen Staaten, USA, Australien und Europa waren seitdem attraktive Migrationsziele und sind es bis heute. Da die familiären Netzwerke der Syrer und Libanesen häufig auch über Verbindungen in diese Regionen verfügten, entschieden sich die Auswanderungswilligen seit den 1950er Jahren gegen das wirtschaftlich unattraktive und politisch instabile Argentinien. Dieser Trend hält bis heute an (vgl. BESTENE 1988: 243; ESCHER 2000: 363ff.; VALVERDE 1992: 314). Seit 1977 sind keine Daten der jährlichen Migration vorhanden, da die Migranten aus Syrien, dem Libanon und Palästina unter der Rubrik „varios“ („verschiedene“) aufgeführt werden. Ihre Migrationsbewegungen sind für das statistische Institut von Argentinien zu gering, um weiter publiziert zu werden (vgl. JOZAMI 1996: 29).

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Tabelle 1: Beispiele der Einwanderungswege von Libanesen und Syrern nach Argentinien in den Jahren 1920, 1936 und 1949 Libanesen Syrer EinAusEinAusSaldo Saldo reise reise reise reise 1920 (Anzahl der ein- und ausgereisten Personen nach Transportmittel und ihr prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Ein- bzw. Auswanderer) 25 12 13 2.428 3.849 –1.421 Übersee (96 %) (100 %) (93 %) (87 %) (97 %) (85 %) Wasserweg 1 0 1 353 101 252 Fluss (4 %) (0 %) (7 %) (13 %) (3 %) (15 %) Total 26 12 14 2.781 3.950 –1.169 1936 (Anzahl der ein- und ausgereisten Personen nach Transportmittel und ihr prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Ein- bzw. Auswanderer) 194 93 101 381 281 100 Übersee (64 %) (48 %) (91 %) (48 %) (41 %) (78 %) Wasserweg 94 96 –2 388 366 22 Fluss (31 %) (49 %) (2 %) (48 %) (53 %) (17 %) 4 0 4 1 2 –1 Paraguay (1 %) (0 %) (4 %) (0 %) (0 %) (1 %) 0 0 0 14 16 -2 Landweg Bolivien (0 %) (0 %) (0 %) (2 %) (2 %) (2 %) 9 5 4 17 19 –2 Chile (3 %) (3 %) (4 %) (2 %) (3 %) (2 %) 0 0 0 1 2 -1 Luftweg (0 %) (0 %) (0 %) (0 %) (0 %) (1 %) Total 301 194 107 802 686 116 1949 (Anzahl der ein- und ausgereisten Personen nach Transportmittel und ihr prozentualer Anteil an der Gesamtzahl der Ein- bzw. Auswanderer) 257 165 92 271 163 108 Übersee (29 %) (23 %) (43 %) (25 %) (17 %) (57 %) 320 334 –14 464 456 8 Wasserweg Fluss (36 %) (46 %) (7 %) (42 %) (49 %) (4 %) Kleines 22 24 –2 25 24 1 Boot (3 %) (3 %) (1 %) (2 %) (3 %) (1 %) 16 30 –14 23 39 –16 Paraguay (2 %) (4 %) (7 %) (2 %) (4 %) (8 %) 1 4 –3 3 4 –1 Bolivien (0 %) (1 %) (1 %) (0 %) (0 %) (1 %) Landweg 2 0 2 1 1 0 Chile (0 %) (0 %) (1 %) (0 %) (0 %) (0 %) 5 5 0 4 1 3 Brasilien (1 %) (1 %) (0 %) (0 %) (0 %) (2 %) 257 170 87 301 248 53 Luftweg (29 %) (23 %) (41 %) (28 %) (26 %) (28 %) Total 880 732 148 1.092 936 156 Einwanderungsweg

Quelle: DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1921: 551, 1937: o. S., 1950: 114

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Nachdem die osmanischen Pioniere in Argentinien angekommen waren, verteilten sie sich im gesamten Land. Karte 2 „Die Verteilung der im Osmanischen Reich geborenen Personen in den argentinischen Provinzen 1914“ macht zwei Charakteristika der Verteilung sichtbar: Erstens bildeten sich in einigen Provinzen osmanische Einwandererzentren, wie in Buenos Aires Capital Federal (Buenos Aires C. F.), der Provinz Buenos Aires, Santa Fe, Córdoba und Tucumán. Dies zeigt sich in der Anzahl der Einwanderer in den verschiedenen Provinzen und dem Anteil der im Osmanischen Reich geborenen Personen an der jeweiligen Gesamtbevölkerung der Provinzen (vgl. Karte 2). Die Anzahl der im Osmanischen Reich geborenen Einwohner war in Buenos Aires C. F. sowie den Provinzen Buenos Aires und Santa Fe mit über 10.000 Personen besonders hoch (vgl. Karte 2). Die Provinzen Córdoba und Tucumán bildeten mit 5.177 bzw. 4.155 Personen weitere Hauptziele der osmanischen Migration. Weitere wichtige Ziele waren Mendoza, Santiago del Estero und Entre Ríos. Der niedrigste Anteil osmanischer Einwanderer ist in den südlichen Provinzen Tierra del Fuego und Santa Cruz zu finden. Ein etwas anderes Bild der Verteilung zeigt sich, wenn der Anteil der im Osmanischen Reich geborenen Einwohner an der Gesamtbevölkerung der jeweiligen Provinz zugrunde gelegt wird. Die höchsten Anteile, zwischen 1,01 % und 1,25 %, weisen die Provinzen Santa Fe und Tucumán auf. Trotz der hohen Anzahl der im Osmanischen Reich geborenen Einwohner in Buenos Aires C. F. und der Provinz Buenos Aires liegen hier die Anteile lediglich in der zweithöchsten Kategorie zwischen 0,76 % und 1,00 % (vgl. Karte 2). Die Diskrepanz zwischen der hohen Anzahl der Einwohner, die im Osmanischen Reich geboren wurden, und deren geringem Anteil an der gesamten Einwohnerzahl in diesen Gebieten ergibt sich aus der Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung Argentiniens. Während Buenos Aires schon früh für die exportorientierte Wirtschaft erschlossen war, bevölkerte sich das Hinterland erst im Laufe des 19. Jahrhunderts von Buenos Aires aus. Dadurch waren die Bevölkerungszahlen in den Provinzen nahe Buenos Aires wesentlich höher als im Landesinneren und im Süden Argentiniens. Die höheren Einwohnerzahlen von im Osmanischen Reich geborenen Personen in diesen beiden Provinzen wurden von der höheren Gesamteinwohnerzahl überkompensiert (vgl. ORTIZ DE D’ARTERIO 2004: 42; VELA RÍOS und CAIMI 1980: 126). Zweitens zeigt die Darstellung des Anteils der im Osmanischen Reich geborenen Personen an der gesamten ausländischen Bevölkerung in den argentinischen Provinzen, dass die Ausbreitung der Osmanen in Argentinien anderen Dynamiken unterlag als die allgemeine Verteilung der Einwanderer. In den

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Nordwesten Argentiniens wanderten, gemessen an der Gesamtzahl der im Ausland geborenen Einwohner, mehr Personen aus dem Osmanischen Reich ein als in die übrigen Provinzen. Die Anteile in den Provinzen Tucumán, Santiago del Estero und Catamarca sind überproportional hoch und liegen in der höchsten Kategorie zwischen 10,01 % und 20,00 %. Demgegenüber liegen die Anteile in Buenos Aires C. F. und der Provinz Buenos Aires in der zweituntersten Kategorie von 1,01 % bis 2,50 %. In dieser Region wohnten 1914 im Vergleich zur Gesamtzahl der im Ausland geborenen Einwohner wenige Personen aus dem Osmanischen Reich (vgl. Karte 2). Das Verteilungsmuster der osmanischen Einwohner in Argentinien 1914 ergibt sich aus deren Berufstätigkeit, der internen Kettenmigration sowie aus den politischen Interventionen der argentinischen Regierung bei der Ansiedlung von Immigranten (vgl. Karte 2; JOZAMI 1987: 57ff.; SALEH DE CANUTO und BUDEGUER 1994: 13f.). Bei der Einwanderung der Osmanen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Ländereien der Pampa (Teile der Provinzen Entre Ríos, Santa Fe, Córdoba, San Luis und Buenos Aires) bereits in Privatbesitz umgewandelt. Die ankommenden Einwanderer konnten in dieser Region kein Land mehr erwerben. Ihnen blieben nur die Alternativen, Ackerland zu pachten oder im Dienstleistungsgewerbe und im Handel tätig zu werden. Die Agrarwirtschaft war in europäischer Hand. Der europäische Bauer entsprach dem damaligen argentinischen Ideal des Landwirts, wohingegen Einwanderern aus dem Osmanischen Reich die Fähigkeit zur Arbeit in der Landwirtschaft abgesprochen wurde. Aufgrund der hohen Konkurrenz, der schwierigen Landbesitzverhältnisse und der Diskriminierung im Agrarsektor waren die Einwanderer aus dem Nahen Osten vom Arbeitsmarkt der Landwirtschaft weitgehend ausgeschlossen. Der Handel hingegen bot bessere ökonomische Entwicklungsmöglichkeiten als die Pachtwirtschaft. Da diese Tätigkeit von den argentinischen Eliten und europäischen Einwanderern wenig geschätzt wurde, war die Konkurrenz in diesem Wirtschaftssektor gering. Gleichzeitig erhöhte sich mit wachsender Bevölkerung und der Kolonisierung des Landesinneren der Bedarf an Händlern. Die osmanischen Einwanderer fügten sich in diese wirtschaftliche Nische ein (vgl. ALFAROVELCAMP 1998: 238; ROMERO 2001: 53; VELA RÍOS und CAIMI 1980: 126ff.), wie die Darstellung der Berufstätigkeit in der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens im Jahr 1917 in Tabelle 2 belegt. Von 84.200 berufstätigen syrisch- und libanesischstämmigen Einwohnern arbeiteten 44 % im Handel und nur 14 % in der Landwirtschaft (vgl. KLICH 1992: 273). Im Gegensatz hierzu sind nach dem Zensus von 1914 lediglich 4 % der Argentinier und 8 % der ausländischen Bevölkerung im Handel tätig (SÁENZ PEÑA 1916: 395). Besonders im Nordwesten (Tucumán, Santiago del Estero, Catamarca und Salta)

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war der Bedarf an Händlern groß. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden hier große landwirtschaftliche Betriebe, die für den Export produzierten. Um die landwirtschaftlichen Produkte aus dem Nordwesten in den Hafen von Buenos Aires zu transportieren, wurde Tucumán und sein Umland 1876 durch eine Eisenbahnlinie an Buenos Aires angebunden. Die osmanischen Händler wanderten, dem Bedarf an Handelsware folgend, entlang der Bahnlinien in den Nordwesten Argentiniens. Von den Städten aus versorgten die ambulanten Verkäufer selbst abgelegene Siedlungen mit Textilien sowie mit Waren des kurzund mittelfristigen Bedarfs (vgl. ASFOURA DE ADAD 2003: 413; JOZAMI 1987: 69; ORTIZ DE D’ARTERIO 2004: 42; SAPAG 2003: 424; VELA RÍOS und CAIMI 1980: 138f.). Tabelle 2: Die von syrisch- und libanesischstämmigen Einwohnern Argentiniens ausgeübten Berufe im Jahr 1917 (Schätzung) Berufsgruppe Handel

Anteil in Prozent 43,94 %

Landwirtschaft

14,49 %

Arbeiter

21,38 %

Angestellte

11,88 %

Sonstiges

8,31 %

Quelle: KLICH 1992: 273

Der idealtypische Karriereverlauf der syrischen und libanesischen Einwanderer zu Beginn des 20. Jahrhunderts beeinflusste deren Ausbreitung in Argentinien. Die ankommenden Immigranten wurden zunächst von ihren Verwandten, Bekannten und Landsleuten aufgenommen. Oft wurden sie von ihnen in die Funktionsweise des Handels eingewiesen und hatten daraufhin den gleichen Beruf. Bei der Ausbreitung in Argentinien entwickelte sich eine interne Kettenmigration. Nachdem sich die Pioniere im Landesinneren niedergelassen hatten, folgten ihnen Familienangehörige, um ihnen in ihrem Geschäft zu helfen bzw. um den Verwandten nahe zu sein (vgl. ARIDA 2003: 359f.; ESCHER 2000: 363ff.; JOZAMI 1987: 66). Hatte der Einwanderer genügend Kapital angespart, investierte er es in die Errichtung eines Lagerhauses oder Geschäfts in einer Stadt. Dabei bevorzugte er Städte mit Bahnanschluss als Ausgangspunkt seiner häufigen Handelsreisen. Von dort aus konnten lange Strecken schnell überwunden werden und der Warennachschub aus den Metropolen war problemlos zu organisieren. Innerhalb dieser Städte bevorzugte der Einwanderer die Nähe des Bahnhofs, denn hier fand der Warenumschlag auf Märkten statt. Die Niederlassung in Bahnhofsnähe ver-

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kürzte auch den Transportweg der Ware bis zum Bahnhof (vgl. CAZORLA 1995: 43; JOZAMI 1987: 72ff.). Einen geringen Einfluss auf die Ausbreitung der im Osmanischen Reich geborenen Personen in Argentinien hatte die geplante Ansiedlung der Einwanderer durch die argentinische Regierung. Die staatliche Verteilung erfolgte nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Zwischen 1906 und 1915 nahmen 6.896 Osmanen (vgl. Tabelle 3) die Unterbringung in staatlichen Wohnungen und Hotels für Einwanderer in Anspruch. Es zeigt sich, dass die Anzahl der in staatlichen Hotels untergebrachten osmanischen Einwanderer gering ist und weitgehend deren Verteilung im Jahr 1914 (vgl. Tabelle 3 und Karte 2) entspricht (vgl. ASFOURA DE ADAD 2003: 419; JOZAMI 1987: 66; SALEH DE CANUTO, MARTA A. und BUDEGUER 1994: 13f.). Tabelle 3: Die Anzahl der in staatlichen Hotels untergebrachten osmanischen Einwanderer, 1906–1915 Provinz Buenos Aires

Anzahl

Provinz

Anzahl

1.288

Mendoza

506

Buenos Aires C. F.

101

Misiones

73

Catamarca

47

Neuquén

10

Chaco

104

Río Negro

22

Chubut

25

Salta

303

Córdoba

730

San Juan

98

Corrientes

113

San Luis

61

Entre Ríos

204

Santa Cruz

20

Formosa

32

Santa Fe

174

Jujuy

551

Santiago del Estero

792

La Pampa

190

Tierra del Fuego

La Rioja

9

Tucumán Total 6.896

Quelle: DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES 1916: 72f.

0 1.443

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Karte 2: Die Verteilung der im Osmanischen Reich geborenen Personen in den argentinischen Provinzen 1914

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D IE B ILDUNG ETHNISCHER G EMEINSCHAFTEN : I NTEGRATION , E THNIC R EVIVAL , ETHNISCHE I DENTITÄT UND ETHNISCHE V EREINE Bestene (1988), Humphrey (1998), Jozami (1996) und Valverde (1992) befassen sich ausführlich mit der Bildung ethnischer Identitäten unter den syrischen und libanesischen Einwanderern sowie deren Nachfahren. Die Zeit der Einwanderung aus dem heutigen Syrien und Libanon fällt in die Periode der Nationalisierung der argentinischen Bevölkerung. Die Autoren zeigen, dass sich die Einwanderer aufgrund der politischen Rahmenbedingungen bei ihrer Ankunft in die argentinische Gesellschaft integrierten und auch integrieren mussten. Integration verstehen sie hierbei als wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Eingliederung in den Nationalstaat, die mit dem Verlust der arabischen Sprache und Kultur einherging. Trotz ihrer Eingliederung in den Staat Argentinien pflegen die Folgegenerationen der syrischen und libanesischen Einwanderer bis heute kulturelle Praktiken ihrer Vorfahren, wie den Dabketanz und typisch arabisches Essen wie Kibbeh und Tabouleh. Die Gemeinschaft der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens verfügt über eine von ihren Mitgliedern geteilte Einwanderungsgeschichte. Es ist eine Erfolgsgeschichte der syrisch- und libanesischstämmigen Familien in Argentinien, in der sich die mittellosen Einwanderer zu ökonomisch erfolgreichen Geschäftsleuten hocharbeiteten. Mit Humphrey (1998: 185) muss jedoch bemerkt werden: „Ethnic history has been written and forged by the successful in the context of exclusionary discourses […]“ Die Geschichte der nicht erfolgreichen Einwanderer wurde davon überlagert. Ein Großteil der ökonomisch erfolglosen Familien ging in der Mehrheitsgesellschaft auf (vgl. HUMPHREY 1998: 185; VALVERDE 1992: 331). Der Nationalisierungsdruck, der in der Zeit der Ankunft der Migranten aus Syrien und dem Libanon seitens der argentinischen Regierung auf die Einwohner ausgeübt wurde, zeigt sich in der Entwicklung des Schulwesens bis 1960. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Argentinien vermehrt staatliche Schulen gegründet, es wurde ein einheitlicher Lehrplan erstellt und die Anerkennung als Lehrer wurde staatlich kontrolliert, um die Erziehung und Ausbildung unter nationale Aufsicht zu stellen24. In den 1940er Jahren waren nahezu alle

24 1884 wurde die Schulpflicht eingeführt. Die Schulen mussten öffentlich, gratis und weltlich orientiert sein. Ab 1889 mussten ausländische Lehrer ihren Abschluss staatlich anerkennen lassen und ab 1896 wurde in den Grundschulen ausschließlich die spanische Sprache gelehrt. Eine Zweitsprache durfte erst in weiterführenden Schulen

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Schulen der religiösen und auch der ethnischen Gemeinschaften in staatliche Schulen überführt worden (vgl. BIANCHI 2004: 67; OTERO 2011: 176ff.). 1901 wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Ziel dieser Maßnahmen war es, das Einwanderungsland Argentinien zu nationalisieren und eine homogene „argentinische Kultur“ zu etablieren. Dies sollte durch die „Argentinisierung“25 aller Einwohner und im Speziellen der Kinder der Einwanderer26 geschehen (vgl. DEVOTO 2004: 272, 307, 397ff.; OTERO 2011: 180f.). Der argentinische Staat intensivierte in den 1930er Jahren seine Bemühungen, die Einwanderer und deren Kinder kulturell zu integrieren. Er durchbrach die institutionellen Strukturen ethnischer Kolonien, indem er 1939 Vereine verbot, die aus dem Ausland finanziert wurden. Die Schulen der ethnischen Gemeinschaften wurden geschlossen bzw. unter staatliche Kontrolle gestellt (vgl. DEVOTO 2004: 397). Seit 1942 müssen alle Vereine für die gesamte argentinische Bevölkerung offenstehen, um von der argentinischen Regierung juristisch anerkannt zu werden. Der Migrationshintergrund darf kein offizielles Kriterium für die Zulassung als Mitglied sein (vgl. CAZORLA 1995: 73). Unter Perón wurden in den 1950er Jahren die ethnischen Vereine als Partner bei der Nationalisierung der Bevölkerung angesehen27. Perón unterrichtet werden. 1917 schrieb ein Gesetz vor, dass in Schulen, die von ethnischen Gemeinschaften betrieben werden, argentinische Lehrer angestellt sein müssen. 1941 mussten schließlich alle Lehrer in Argentinien geboren sein und über einen argentinischen Abschluss verfügen (vgl. OTERO 2011: 176ff., ROMERO 1959: 198). 25 Unter „Argentinisierung“ („argentinización“) werden Maßnahmen verstanden, die meist von staatlicher Seite ausgehen, wie die Standardisierung der Lehrpläne an Schulen und damit der Sozialisation durch den Staat, die Einführung der Wehrpflicht sowie die Einführung von Feiertagen, wie dem Unabhängigkeitstag, zum Gedenken an geschichtliche Ereignisse. Das Ziel der „Argentinisierung“ war es, aus den Einwanderern verschiedener Herkunft eine kulturell homogene argentinische Gesellschaft zu formen (vgl. DEVOTO 2004: 272; OTERO 2011: 181). Andererseits wird unter „Argentinisierung“ auch allgemein der Prozess der Bildung einer kulturell homogenen argentinischen Gesellschaft verstanden (vgl. DEVOTO 2004: 320, 423; OTERO 2011: 176). 26 Die Kinder der Einwanderer wurden im frühen 20. Jahrhundert von den argentinischen Regierungen als Problem bei der Nationalisierung angesehen. Unter der politischen Elite war die Meinung verbreitet, dass die Kinder die Verhaltensweisen und die Kultur ihrer Eltern übernehmen würden, wenn der Staat nicht in ihre Erziehung eingreift (vgl. DEVOTO 2004: 255, 278). 27 Das politische Ziel, eine nationalisierte argentinische Gesellschaft und Kultur zu schaffen, änderte sich unter der Regierung Peróns. Von 1930 bis 1943 orientierten sich die argentinischen Eliten an den Eliten Europas. Die Nachahmung der Kultur des

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unterstützte die Migrantenvereine, wenn diese sich seiner Partei anschlossen. Die politische Elite öffnete sich so für Mitglieder von syrischen und/oder libanesischen Vereinen (vgl. DEVOTO 2006: 430ff.). Von Mitte der 1920er Jahre bis 1960 fand eine Integration der syrischen und libanesischen Einwanderer und ihrer Nachfahren auf zwei Ebenen statt: Einerseits diversifizierten die syrischen und libanesischen Einwanderer und vor allem die zweite Generation die Felder ihrer Berufstätigkeit. Die Einwanderer arbeiteten verstärkt in der Landwirtschaft sowie in kleinen Fabriken. Ihre Kinder arbeiteten auch als Anwälte, Ärzte und Angestellte. Die erfolgreichen Händler stiegen durch den Kauf von Land und aufgrund ihrer ökonomischen Stärke in die Eliten europäischen Adels wurde angestrebt. In den politischen Diskursen wurde eine kulturelle Nähe zu Europa hergestellt, indem die europäischen Wurzeln der argentinischen Bevölkerung hervorgehoben wurden. Die Darstellungen der europäischen Wurzeln bezogen sich nicht auf die europäische Masseneinwanderung, sondern auf die Abstammung von den europäischen Kolonisatoren Argentiniens. Getragen wurde diese Politik von der wirtschaftlichen und politischen Elite Argentiniens, die im Gegenzug von der argentinischen Regierung Privilegien erhielt. Die Regierung war auf die Sicherung dieser Privilegien und die Konservierung der Macht der Eliten ausgerichtet. Unter „Kultur“ wurden alltagsweltlich die Verhaltensmuster der Menschen sowie Kunst, Architektur und die materielle Kultur, wie Bauwerke und Bilder, verstanden. Die Begriffe „Kultur“ und „Gesellschaft“ wurden häufig synonym verwendet (vgl. DEVOTO 365, 376ff.; ROMERO 1959: 228ff.). Obwohl Perón auch die europäischen Wurzeln Argentiniens hervorhob, stellte er seine Regierung auf das Fundament der breiten Mittelschicht. Er versuchte, die Homogenisierung der argentinischen Kultur durch die Integration der Massen zu erreichen, und erkannte die Einwanderung nach Argentinien als einen positiven Teil der argentinischen Geschichte an. Um sein gesellschaftspolitisches Ziel zu erreichen, sah er die Schaffung einer vereinigten Arbeiterschaft als notwendig an. Die Konstruktion einer homogenen argentinischen Gesellschaft und Kultur sollte über die Identifikation der Arbeiterschaft mit ihrem Heimatland Argentinien erfolgen. Dadurch sollte sich die argentinische Kultur von der Hegemonie der europäischen Kultur emanzipieren. Seine Politik zielte darauf ab, alle Bevölkerungsschichten in die peronistische Bewegung zu integrieren, die sich mit Argentinien identifizierten. Er schaffte auf diese Weise für die Immigranten und deren Nachfahren die Möglichkeit, sich zu einer argentinischen Gesellschaft zugehörig zu fühlen. Allein die Identifikation mit Argentinien wurde für den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aufstieg vorausgesetzt. Die Frage nach der Abstammung trat in den Hintergrund des politischen Diskurses (vgl. DEVOTO 2004: 410ff.; ROMERO 2001: 109ff.).

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Argentiniens auf. Einige Argentinier syrischer und libanesischer Herkunft traten während der Amtszeit Peróns in die peronistische Partei ein und konnten sich politisch integrieren. Gleichzeitig dienten die politischen Verbindungen ihrem wirtschaftlichen Erfolg. Beide Faktoren verstärkten sich wechselseitig und führten zu einem gesellschaftlichen Aufstieg eines Teils der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien, wie das Beispiel Carlos Menem28 zeigt (vgl. ALFARO-VELCAMP 1998: 239; VALVERDE 1992: 318; VELA RÍOS und CAIMI 1980: 140f.). Aufgrund des von der argentinischen Regierung und Bevölkerung ausgeübten Integrationsdrucks begann mit der zweiten Generation die arabische Sprache in Vergessenheit zu geraten. Heute spricht nur noch ein geringer Teil der syrisch- und libanesischstämmigen Argentinier arabisch29. Der Verlust der Sprache und die politisch instabilen Zeiten Argentiniens in den 1960er bis 1980er Jahren führten zur Schwächung der familiären Verbindungen in die Herkunftsländer (vgl. ABBOUD 2003: 242f.; JOZAMI 1996: 28ff.; SABRA 2003: 215; VALVERDE 1992: 320). Die Integration der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung von Argentinien wertet Jozami (1996) daher wie folgt: „Before the 1980s they were for the most part absorbed in a process of acculturation which was, by 1980, almost complete“ (JOZAMI 1996: 41). Doch Ende der 1980er Jahre und verstärkt in den 1990er Jahren begann die Wiedererstarkung der ethnischen Identität, das Ethnic Revival. Die erneute Betonung der ethnischen Identität ist auf Fremd- und Selbstzuschreibungen zurückzuführen. Das Ethnic Revival fiel in die Zeit des libanesischen Bürgerkriegs, des Golfkriegs, der israelischpalästinensischen Konflikte und weiterer Konflikte im Nahen Osten, die bis heute andauern. Die Stereotype vom „rückständigen Araber“, den mit „Drogen und 28 Carlos Menem wurde 1930 als Sohn syrischer Einwanderer aus Yabrut in La Rioja, im Nordwesten Argentiniens, geboren. Er trat in der Zeit Peróns in die peronistische Bewegung ein und begann in La Rioja seine politische Karriere. Auch sein Bruder Eduardo trat in die peronistische Partei ein und ist seitdem als Politiker tätig. 1989 wurde Carlos Menem zum Präsidenten gewählt (vgl. MORANDINI 1998). Heute ist Carlos Menem Senator von La Rioja und seine Familie gehört heute zur politischen Elite Argentiniens. 29 Abboud (2003: 242) gibt den Anteil der muslimischen syrisch- und libanesischstämmigen Argentinier, die arabisch sprechen können, im Jahre 2003 mit 4 % an. Mit Jozami (1996: 34) kann vermutet werden, dass der Anteil unter den christlichen arabischstämmigen Argentiniern geringer ist, da Muslime aus rituellen Gründen ein größeres Interesse besitzen, die arabische Sprache zu erlernen. Statistische Erhebungen hierzu wurden bisher nicht durchgeführt (vgl. JOZAMI 1996: 34).

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Waffen handelnden Syrern“ und den „korrupten Arabern“ kamen in den westlichen Medien und in Argentinien auf. Die Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Argentinier verzeichnen seitdem einen erneuten Zulauf und die Identifikation mit der Herkunft der Vorfahren verstärkte sich (vgl. JOZAMI 1996: 41f., 2003: 342f.; VALVERDE 1992: 331ff.). Trotz der angegebenen hohen Anzahl der in Argentinien lebenden Syrer und Libanesen und deren Nachfahren von 1,2 Millionen im Jahre 1986 (NABTI 1992: 61) ist der Anteil der in den ethnischen Gemeinschaften aktiven und/oder registrierten Personen gering. Genaue Zahlen fehlen jedoch. Dennoch blieb bei den Mitgliedern der Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens bis heute eine ethnische Identität erhalten bzw. bildete sich neu, die auf der Herkunft der Ahnen aus Syrien und dem Libanon basiert (vgl. JOZAMI 1996: 28; VALVERDE 1992: 331f.). Die ethnischen Grenzen der Gemeinschaften entwickelten sich auch aufgrund von Diskriminierungspraktiken30 in Argentinien und in den westlichen Ländern Europas und in den USA. Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Personen aus dem Nahen Osten von den argentinischen Migrationsbeamten in eine Zwischenkategorie zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ eingeordnet. Diese rassischen Abgrenzungen waren und sind bis heute mit charakterlichen Stigmen eng verwoben. Personen aus dem Nahen Osten galten als arbeitsscheu und ihnen wurde die Fähigkeit abgesprochen, sich in die neue soziokulturelle Umgebung einzufügen. Sie wurden und werden bis heute einfach als „turcos“ (Türken) bezeichnet. Gerade diese Gleichsetzung mit den ehemaligen Unterdrückern ist ein Ärgernis für die Mitglieder der Gemeinschaften (vgl. HUMPHREY 1998: 169f.; JOZAMI 1987: 69f., 2003: 339; KLICH und LESSER 1998: ix; VALVERDE 1992: 331). In den 1980er und 1990er Jahren wurden Personen aus dem Nahen Osten, egal ob Muslime oder nicht, durch argentinische und westliche Medien als muslimische Terroristen dargestellt bzw. als korrupte Machtmenschen oder mit dem Drogenmilieu in Zusammenhang gebracht. Auch die Nach30 Unter Praktiken werden im Folgenden Handlungen von Personen verstanden, die Wissensordnungen ausdrücken. Diese Wissensordnungen müssen den handelnden Personen nicht zwingend bewusst sein. Praktiken werden immer im Miteinander von Menschen ausgeführt und werden aus zwei Elementen gebildet: den „körperlichen Verhaltensroutinen“ (RECKWITZ 2008: 529) und den Sinnmustern, die diesen Routinen zugrunde liegen. Die Theorie der sozialen Praktik wird als Möglichkeit gesehen, einerseits die individuelle Motivation von Handlungen zu erfassen und andererseits den Einfluss der sozialen Strukturen der Gesellschaft auf die Individuen zu berücksichtigen (vgl. RECKWITZ 2008: 528ff.).

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fahren der syrischen und libanesischen Einwanderer, die der zweiten bis vierten Generation angehören, werden im täglichen Leben diskriminiert (vgl. JOZAMI 1996: 38f.). Die heutige ethnische Identität der Mitglieder der Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung ist heterogen. Jozami (2003) weist darauf hin, dass schon die Einwanderer des frühen 20. Jahrhunderts aus den osmanischen Gebieten Syrien und Libanon verschiedene Identitäten bezüglich ihrer Herkunft besaßen. Sie fühlten sich als Osmanen, Syro-Libanesen, Araber, Syrer, Libanesen, aber auch als Argentinier. Auch der Herkunftsort ist identitätsstiftend. Jozami (2003) gibt an, dass die von ihr befragten Interviewpartner häufig eine lokal-religiöse Antwort auf die Frage nach der individuellen Identität gaben: „Ich bin orthodoxer Christ31 aus Farbo“, „Ich bin Muslim aus Yabrut“ (eigene Übersetzungen aus dem Spanischen nach JOZAMI 2003: 342). Die Religion als Unterscheidungsmerkmal umfasst neben allgemeinen Angaben, wie Christ, Muslim, Druse und Jude, speziellere Angaben, wie Maronit, orthodoxer Christ, Sunnit, Schiit32, Alawit33, Sephardim34 und Mizrachim. Diese Identifika31 Das „Morgenländische Schisma“, das heißt, die erste große Spaltung der christlichen Kirche, erfolgte im Jahr 1054. Nach der Teilung des Römischen Reiches in West- und Ostrom im Jahr 395 begann ein langer Prozess der Entfremdung zwischen West- und Ostkirche, der schließlich zur Spaltung beider Kirchen führte. Aus der weströmischen Kirche entstand die katholische Kirche unter der Führung des Papstes und aus der oströmischen Kirche entstanden die orthodox-christlichen Patriarchate des Oströmischen Reiches, dessen Hauptstadt Konstantinopel (seit 1930 Istanbul) war. Die Ostkirchen lehnen den Leitanspruch des Papstes über die Christen ab (vgl. SCHIRRMACHER 2002: 23ff., 45ff.). Zur orthodoxen Kirche gehören mehrere autonom verwaltete, sogenannte autokephale Kirchen. Ihnen steht jeweils ein eigenständiger Patriarch vor, der ihr Kirchenoberhaupt ist. Die Anhänger der orthodoxen Kirche in Syrien, dem Libanon und Jordanien sind größtenteils Anhänger des Patriarchats von Antiochia oder des Patriarchats von Jerusalem (vgl. DUMORTIER 2004: 16). 32 Die Sunniten und Schiiten bilden zusammen mit den Haridjiten die drei großen Zweige des Islams, die sich nach dem ersten Schisma im 7. Jahrhundert etablierten. Im Jahr 610 begann Abu l-Quasim ibn Abdallah Muhammad (geboren um 569/570 und gestorben 632) mit der Verkündung des Islams in Mekka, weshalb dieses Jahr als Geburtsjahr des Islams gilt. Nach dem Tod Muhammads kam es zu Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern um seine Nachfolge, da er keine Nachfolgeregelung getroffen hatte (vgl. SCHIRRMACHER 2002: 443). Die Anhänger des Islams, die Muhammads Heerführer Abu Bakr zum ersten Nachfolger Muhammads, dem sogenannten Kalifen, wählten, nannten sich Sunniten (vgl. SCHIRRMACHER 2002: 536).

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tionsmuster scheinen bis heute wirksam zu sein (vgl. ESCHER 2006: 62; JOZAMI 1994: 113, 2003: 342; VENERONI und TAUB 2003: 277). Doch es traten weitere, politische Aspekte hinzu, die der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien als Unterscheidungsmerkmale dienen. Mit dem Beginn des französischen Mandats hielt die Bezeichnung „Syro-Libanese“ Einzug in die Gemeinschaften Argentiniens35. Sie wurde durch Führungspersönlichkeiten wie Ein anderer Teil der Muslime vertrat hingegen die Auffassung, dass nur ein Verwandter Muhammads die Nachfolge antreten darf. Sie folgten Muhammads Schwiegersohn Ali ibn Abi Talib und nannten sich Schiiten. Ali ibn Abi Talib gilt den Sunniten als vierter rechtgeleiteter Kalif und den Schiiten als erster Imam, der den Muslimen zwischen 656 und 661 vorstand (vgl. SCHIRRMACHER 2002: 531). Die dritte Gruppe, deren Mitglieder sich bis heute die Haridjiten nennen, setzte sich dafür ein, dass der jeweils fähigste Mann zum Anführer gewählt wird (vgl. SCHIRRMACHER 2002: 497). Um das Jahr 2000 gehörten weltweit ca. 1,2 Milliarden Menschen dem sunnitischen Glauben an. Mit ein Anteil von ungefähr 90 % stellen sie die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung dar (vgl. SCHIRRMACHER 2002: 536). 33 Die Herkunft der Alawiten ist umstritten. Einer Überlieferung zufolge gingen sie im 9. Jahrhundert aus dem ismailitisch-schiitischen Glauben hervor. Zunächst bezeichneten sie sich als Nusairier, benannt „[…] nach Muhammad ibn Nusair […], der vom elften Imam al-Hasan al-Askari […] geheime Offenbarungen empfangen haben soll“ (SCHIRRMACHER 2002: 466). Erst seit dem 20. Jahrhundert nennen sie sich Alawiten. Ihr Name leitet sich aus dem Namen ihres ersten Imam, Ali ibn Abi Talib, ab. Heute lebt der Großteil der Alawiten in der Türkei, Syrien und dem Libanon (vgl. SCHIRRMACHER

2002: 466).

34 Die Sephardim sind Teil der jüdischen Gemeinschaft, die während der arabischen Herrschaft über Spanien und Portugal (ca. 711 bis 1492) auf der Iberischen Halbinsel lebten. Nach der Reconquista 1492 wurden die Juden bis 1497 aus Portugal und Spanien vertrieben, wobei sie nach ihrer Vertreibung in verschiedenen Ländern Gemeinden bildeten. Es entstanden Gemeinden der Sephardim in Nordafrika, im Osmanischen Reich, aber auch in den Niederlanden, England, Süd- und Nordamerika (vgl. BORCHERS 2002: 287f.). Sie werden im Kontext der territorialen Herkunft gelegentlich von den Mizrachim unterschieden. Dieser Begriff bezeichnet Juden, die aus Asien und dem Nahen Osten stammen. Die Unterscheidung ist in den jüdischen Gemeinden jedoch wenig gebräuchlich (vgl. VENERONI und TAUB 2003: 277ff.). 35 Die französischen Botschaften in den verschiedenen Ländern der Welt waren ab 1920 für die syrischen und libanesischen Einwohner in diesen Ländern zuständig. Zwischen 1920 und 1926 wurde versucht, den Auswanderern einen Pass ihrer ehemaligen Herkunftsregion auszustellen. Hashimoto (1992: 76) schätzt, dass lediglich 8 % bis 10 %

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Moises Azize36, Gründer mehrerer syrisch-libanesischer Organisationen in Argentinien, verbreitet (vgl. BESTENE 1988: 263; KLICH 1992: 249f.; PASTOR DE MARIA Y CAMPOS 2009: 47ff.). Daneben entstanden seit Ende des 19. Jahrhunderts nationalistisch geprägte Identifikationsmuster; die Unterscheidung in Syrer und Libanese. Die nationalistischen Strömungen der Mandatsgebiete Libanon und Syrien erhielten in den 1930er Jahren auch in Argentinien großen Zulauf. Mit der Unabhängigkeit des Libanons und Syriens in den 1940er Jahren bekamen diese nationalen Tendenzen ihre juristische Legitimierung. Während Syrer sich häufig in der Ahnenfolge der Araber sehen, führen Teile der Libanesen ihre Abstammung auf die Phönizier zurück (vgl. HUMPHREY 1998: 172; JOZAMI 2003: 336ff.). Hierbei ergab sich eine Verbindung politischer, ortsgebundener und religiöser Identifikationsmerkmale. Maronitische Christen sind der Motor des libanesisch-phönizische Identifikationsmusters, während orthodoxe Christen und Muslime eine syrisch-libanesische Variante des Arabismus vertreten. Beide der im Ausland lebenden Syrer und Libanesen tatsächlich einen Pass beantragten. Die Gründe liegen darin, dass viele Auswanderer bereits eine andere Nationalität besaßen, mit der sie ohne Schwierigkeiten in ihre ehemalige Heimat einreisen konnten. Es bestand für sie keine Notwendigkeit, die bürokratischen Hürden auf sich zu nehmen (vgl. HASHIMOTO 1992: 76f.). Zur Zeit des französischen Mandats wurden Vertreter aus Syrien und dem Libanon entsandt, die die Diasporagemeinschaften besuchten, um die Interessen der französischen Mandatsmacht zu vertreten bzw. für diese zu werben. Dabei wurde das Label „syrisch-libanesisch“, „sirio-libanés“, „syro-lebanese“, bevorzugt, um der Kategorisierung als Araber und damit den panarabischen Tendenzen dieser Zeit entgegenzusteuern. Gleichzeitig versuchte Frankreich, in den verschiedenen Ländern eine vereinigte Vertretung zu etablieren, die die Interessen der syrischen und libanesischen Einwanderer in den jeweiligen Ländern artikulierten. Organisationen der Diasporagemeinschaften, die Ansprechpartner für die französische Mandatsmacht waren, änderten folglich ihre Namen und bedienten sich dabei des Labels „syrischlibanesisch“. Nur so wurden sie von der französischen Regierung als Ansprechpartner anerkannt und erhielten deren Unterstützung (vgl. PASTOR DE MARIA Y CAMPOS 2009: 47f., 58). Das von der Mandatsmacht Frankreich geforderte Label „syrischlibanesisch“ wurde von weiten Teilen der syrischen und libanesischen Kolonie in Argentinien übernommen. Heute bezeichnen die Gemeinschaften ihre Vereine als „syrisch und libanesisch“ bzw. „arabisch“ oder nur „syrisch“ oder „libanesisch“ (vgl. JOZAMI

2003: 340).

36 Ein Syrer aus Hama, der nach Argentinien emigrierte und dort zu Reichtum kam. Er war in verschiedenen Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung aktiv (vgl. JOZAMI 2003: 340).

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Muster finden in Argentinien ihren Ausdruck in der Arbeit zweier Dachorganisationen. Die 1978 gegründete Unión Cultural Argentino Libanesa (UCAL) vertritt das libanesisch-phönizischen Identifikationsmuster und die 1972 gegründete Confederación de Entidades Argentino Árabes (FEARAB) das syrischlibanesische Muster. Beide Organisationen geben sich konfessionslos und in ihnen sind alle Religionen vertreten. Aufgrund der schlechten Datenlage ist jedoch keine genaue Aussage über die religiöse Struktur der Mitglieder der Organisationen möglich (vgl. ARIDA 2008: 1; BRAND 2006: 147; FEARAB o. J.b; FEARAB CHILE 2001: 34). Weitere innere Grenzen der Gemeinschaften ergeben sich aus familiären Netzwerken und aus dem Sozialstatus von Familien und Personen (vgl. BESTENE 1992: 131). Bei der Ankunft in Argentinien bildeten die Einwanderer aus dem Libanon und Syrien ethnische Vereine und ethnische Organisationen. In der Entwicklung der Vereine spiegelt sich die Gleichzeitigkeit des inneren Zusammenhalts der Gemeinschaften und ihrer Fragmentierung wider. So implizieren die unterschiedlichen Namen der Vereine und Organisationen regionale, nationale und religiöse Differenzen. Die ursprünglichen Namen geben Auskunft darüber, welcher Region sich die Immigranten zugehörig fühlten. Die Adjektive in den Vereinsnamen, wie osmanisch (Sociedad Otomana de Socorros Mutuos de Balcarce, gegründet 1923 und später in Unión Árabe de Balcarce umbenannt), libanesisch (Sociedad Libanesa de Maipú, gegründet 1916), syrisch (Fraternidad Siria de San Pedro, gegründet 1917), syrisch-libanesisch (La Unión Sirio Libanesa de Salta, gegründet 1920) und arabisch (Sociedad Siria Árabe de Socorros Mutuos, gegründet 1929 und später in Asociación Mutual Árabe de General Pico umbenannt), weisen auf die verschiedenen nationalen und regionalen Identitäten hin. Daneben gibt es Zusammenschlüsse aus kleineren Regionen und konkreten Städten sowie Dörfern, wie die Sociedad Al Akariat (1927 gegründet) oder die Juventud Homsiense (gegründet 1925). Aber auch die Religion wird in den Namen in Form der Religionsbezeichnung oder der Namen wichtiger Heiliger bzw. religiöser Führer eingebracht, wie die Namen Sociedad Siria Ortodoxa San Jorge de Junín (gegründet 1928), Asociación Pan Alauita37 Islámica de Beneficencia (gegründet 1929) und Asociación Unión Israelita Sefaradí38 Or Torah (gegründet 1920) belegen.39 Noch heute existieren in Argentinien 183 Vereine, die sich als 37 Alauita ist das spanische Wort für die islamische Glaubensgemeinschaft der Alawiten. 38 Sefaradí ist das spanische Wort für die jüdische Glaubensgemeinschaft der Sephardim. 39 Die vorliegenden Daten beinhalten leider keine Angaben zu den Zeitpunkten eventueller Umbenennungen und sind darüber hinaus unvollständig, wodurch die Entwick-

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„libanesisch“, „syrisch“, „syrisch-libanesisch“ oder „arabisch“ bezeichnen (vgl. FUNDACIÓN LOS CEDROS 2003). Trotz der gemeinschaftsbildenden Faktoren kann die ethnische Identität der Mitglieder der Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens nicht als einheitlich angenommen werden. Es bildete sich keine allumfassende ethnische Gemeinschaft der Syro-Libanesen (vgl. JOZAMI 1994: 97, 2003: 342). Aufgrund der Verschiedenheiten und Spaltungen, die die Gemeinschaft syrisch- und libanesischstämmiger Personen in Argentinien durchziehen, ist es daher angebracht, von Gemeinschaften und nicht von einer Gemeinschaft zu sprechen. Wichtige Gründe der Fragmentierung sind die unterschiedlichen Herkunftsorte, Geschlecht, politische Einstellungen, Religion und Sozialstatus. All diese Faktoren scheinen nicht ausschließend zu sein. Beispielsweise konnte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein libanesischer Einwanderer in Argentinien als Libanese, aber in anderen Situationen auch als Osmane oder Araber bezeichnen. Die Personen können demnach gleichzeitig in verschiedenen Gemeinschaften Mitglieder sein (vgl. JOZAMI 1994: 97; VALVERDE 1992: 323). Heute verleiht ein Teil der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien seinem Selbstverständnis als Argentinier syrischer und libanesischer Abstammung durch seine Mitgliedschaft in ethnischen Vereinen Ausdruck (vgl. ARIDA 2008: 2; JOZAMI 2003: 336).

lung der Namen nicht nachvollzogen werden kann. Dadurch ist es auch nicht möglich, die Namensentwicklung mit der Entwicklung politischer Strömungen in Verbindung zu bringen. Die Daten stammen aus folgenden Artikeln: ABBOUD 2003; ABUD 2003; VENERONI und ABÚ ARAB 2003; BREIDE OBEID 2003; IBRAHIM SALAMEH 2003; SABRA 2003; HUSEIN 2003; MAHMUT 2003; MAHMUT, ABBOUD und HUSEIN 2003; VENERONI und TAUB 2003.

Sphären als Konzept zur Untersuchung menschlichen Zusammenlebens

„Die Sphäre ist das innenhafte, erschlossene, geteilte Runde, das Menschen bewohnen, sofern es ihnen gelingt, Mensch zu werden. Weil Wohnen immer schon Sphären bilden heißt, im Kleinen wie im Großen, sind die Menschen die Wesen, die Rundwelten aufstellen und in Horizonte ausschauen. In Sphären leben heißt, die Dimension erzeugen, in der Menschen enthalten sein können. Sphären sind immunsystemisch wirksame Raumschöpfungen für ekstatische Wesen, an denen das Außen arbeitet.“ (SLOTERDIJK 1998: 28)

Das obige Zitat gibt uns eine erste Annäherung an den für Sozialwissenschaftler sonderbar anmutenden Sphärenbegriff. In der theoretischen Perspektive der Sphären steht das Zusammenleben von Menschen im Fokus. Ein Individuum kann nur durch sein Zusammenleben zu einem Menschen werden. Menschen bilden demnach einen gemeinschaftlichen Raum, in dem sie sich gemeinsam einwohnen. Menschen leben in „[…] symbolisch verfassten und in Affektschwingungen vibrierenden Sphären […]“ (JONGEN 2008: 85), die keine geometrisch „präzise[n] Kugeln“ (SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 179) sein können. Das Individuum wird in diesem Konzept nicht mehr als instinktarmes „Mängelwesen“ (GEHLEN 1993) dargestellt, das zur Komplexitätsreduktion gezwungen ist. Vielmehr sind die Individuen „ekstatische Wesen“ (SLOTERDIJK 1998: 28), die im Zusammenleben ihre eigene Komplexität schaffen und vielschichtige Ordnungen bilden. Folgerichtig ist das Individuum nach Sloterdijk nicht mehr die kleinste soziale Einheit, sondern dem Paar wird die zentrale Stellung der gesellschaftlichen Konstitution eingeräumt (vgl. SLOTERDIJK 2004: 13, 2004: 705; VAN TUINEN 2009: 112). Die Menschen werden so von Opfern äußerer Umstände zu Erbauern gemeinschaftlicher Sphären in ein Äußeres hinein uminterpretiert. Unter „Sphären“ versteht Sloterdijk folglich Kontexte des Lebens. Es sind affektive Ordnungen des Zusammenlebens. Die Menschen sind dabei in verschiedenen Kontexten zugleich verortet und gleichzeitig Angehörige

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mehrerer Sphären; Menschen leben miteinander und ineinander verschachtelt. Neue Sphären werden unaufhörlich geschaffen, bestehende Sphären vergehen. Durch die Betonung des Zusammenlebens der Menschen sind sozialer und kultureller Wandel und strukturerhaltende Praktiken gleichberechtigt denkbar und keine unauflöslichen Gegensätze. Ein weiterer wichtiger sphärologischer Aspekt ist, dass die Sphäre nicht in eine totale Leere hineingebaut wird. Es ist vielmehr das Zusammenspiel von Innen und Außen, das das Leben von Menschen zum sphärischen Leben werden lässt (vgl. JONGEN 2008: 69ff.; LE CORBUSIER 1986: 191; SLOTERDIJK 1998: 28, 2004: 23ff., 64f.). Auf der Makroebene werden Gesellschaften von Sloterdijk als Verbände von Sphären konzipiert, die voneinander getrennt, jedoch gleichzeitig durch ihre Wände bzw. Membrane vereint sind sowie in Nachbarschaft zueinander liegen. Gesellschaften stimmen nicht mit Nationalstaaten überein, sie besitzen zwar territoriale Verweise, ohne jedoch erdräumlich fixiert zu sein (vgl. JONGEN 2008: 69f.; SLOTERDIJK 2004: 55f., 2004: 23ff.). Es sind nicht die Makrostrukturen, die unsere Lebenswelten in einen globalen Zusammenhang synchronisieren, sondern Gruppen und Gemeinschaften auf der Mikro- und Mesoebene. Die Fragmentierung der Gemeinschaft bei gleichzeitiger Eigendarstellung als soziokulturelle homogene Einheit kann mit dem Modell der Sphäre begreifbar gemacht werden (vgl. MORIN 2009: 68f.).

D IE ANLIEGEN DER SPHÄROLOGISCHEN U NTERSUCHUNGSPERSPEKTIVE UND DAS P HÄNOMEN DER S PHÄREN ALS F ORSCHUNGSGEGENSTAND Die Übernahme einer sphärologischen Perspektive verfolgt mehrere Ziele. Das erste Anliegen ist es, die Mythen des allumschließenden Ganzen und des irreduziblen essenziellen Kerns von Gesellschafts- und Raumkonzepten zu entzaubern. Dies wird einerseits dadurch erreicht, dass die Subjekt-Objekt-Trennung durchbrochen wird. Das Individuum kann nicht mehr den isolierten irreduziblen Kern einer Gesellschaft bilden. Andererseits geht der Mensch nicht vollkommen in den gesellschaftlichen Strukturen auf. Die Akzentuierung des Menschen als vergemeinschaftetes Individuum lässt eine solche dichotome Sichtweise nicht mehr zu (vgl. LATOUR 1998: 122; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 245; WALDENFELS 1999: 16, 171). Es kann weder eine allumschließende Sphäre geben, noch können geschlossene Gesellschaften bzw. Nationen existieren. Gesellschaften und Gemeinschaften sind vielmehr als Vielheiten zu denken, wodurch der Tendenz zur Naturalisierung und Fixierung sozialer Prozesse sowie der Annahme soziokulturell

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homogener Gemeinschaften der argumentative Boden entzogen wird (vgl. ELDEN und MENDIETA 2009: 7; SLOTERDIJK 2004: 56f.; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 182). Den Startpunkt der Theorie bildet dabei die gesellschaftliche Mesoebene der Gemeinschaft. Der Begriff „Gemeinschaft“ wurde entscheidend von Tönnies (1887)1 geprägt. „Gemeinschaft“ betont das affektgeladene Moment des Zusammenlebens. Die Betonung des Affektes trennt ihn vom Begriff der Gesellschaft. Gesellschaft ist im Verständnis von Tönnies durch geringe emotionale Bindungen charakterisiert und steht mit alltäglichen Interaktionen und sozialen Strukturen in Verbindung, die ohne affektgeladene Momente auskommen (vgl. TÖNNIES 1991: 3–37). Um die Prozesshaftigkeit und die vielschichtigen sozialen Wechselwirkungen von Gemeinschaften zu betonen, ist in Anlehnung an Simmel die Vergemeinschaftung2 ein zentraler Begriff, der in der Terminologie der Sphären Verwendung finden wird (vgl. SIMMEL 1958; TÖNNIES 1991). Ausgehend von dieser dynamischen Sichtweise ist auch die Verräumlichung als prozesshafter Vorgang anzusehen (vgl. GEPPERT, JENSEN und WEINHOLD 2005: 28). Sphären als Forschungsperspektive anzunehmen, bedeutet, eine multidimensionale Betrachtungsweise von Phänomenen zu verfolgen. Dabei müssen Lebenswelt, Kultur und menschliche Beziehungen in ihrer räumlichen Extension und Pluridimensionalität begriffen werden (vgl. GEPPERT, JENSEN und WEINHOLD 2005: 17f.; LATOUR 1998: 122, 1998: 59; SLOTERDIJK 2004: 23f., 2004: 56f.) und können sich nicht als Texte (GEERTZ 1983: 253ff.), Diskurse3 (vgl. AP1

Tönnies veröffentlichte sein Buch „Gesellschaft und Gemeinschaft“ erstmals im Jahr 1887.

2

Der Begriff der Vergemeinschaftung wird in Anlehnung an Simmels Begriff der Vergesellschaftung verstanden, um die soziokulturelle Dynamik von Gemeinschaften zu verdeutlichen. Simmel zieht den Begriff der Vergesellschaftung dem der Gesellschaft vor, da für ihn Gesellschaft das Resultat sozialer Wechselwirkungen ist. Soziale Ordnungen sind demnach nicht statisch fassbar, sondern nur dynamisch über ihren prozesshaften Charakter des ständigen Wandels und der Reproduktion (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 28ff.; SIMMEL 1958: 5ff.).

3

Als Diskurse werden in dieser Arbeit Argumentationslinien verstanden, die von mehreren Personen geteilt werden, wie sprachliche Legitimationsmuster der sozialen Ungleichheiten, die in Gemeinschaften herrschen. Sie zeigen die Machtverhältnisse sozialer Ordnungen, in denen die Menschen ihren Alltag leben. Den Menschen sind diese Ordnungen von Argumentationslinien meist nicht bewusst, sondern sie bilden ihren alltäglichen unhinterfragten Bedeutungshorizont (vgl. HEIN 2006: 44). In Anlehnung an Sloterdijk und Henrichs (2006: 265) kann der Begriff „Diskurs“ auch die routinierte Verwendung von Aussagen bezeichnen.

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1998: 12ff.; BHABHA 1997: 100ff.; CLIFFORD 1994: 306ff.) oder Kommunikation (vgl. LUHMANN 1998: 13) auffassen lassen. Dies verweist auf die Notwendigkeit, Gemeinschaft als geprägt durch die Prozesse der Vergemeinschaftung und Verräumlichung zu begreifen. Beide Prozesse sind durch ineinander verschachtelte Wechselwirkungen gekennzeichnet (vgl. GEPPERT, JENSEN und WEINHOLD 2005: 18; MÜLLER 2008: 58; SLOTERDIJK 1998: 337ff., 2004: 23f.; THRIFT 2009: 126ff.). Die vorangegangenen Darstellungen zeigen, dass im Konzept der Sphären Raum nicht als materielle Gegebenheit gelten kann. Es ist daher ein weiteres Anliegen des Ansatzes, die Vorstellungen von Raum und Gesellschaft aus ihrem Gefängnis des Containers zu befreien (vgl. SLOTERDIJK 1998: 337ff.). Raum ist nicht als dreidimensionaler Behälter zu verstehen, der erdräumlich fixiert ist. Er kann lediglich relational und multidimensional aufgefasst werden. Dabei lösen die Relationen zwischen Innen und Außen die Grenzen des Containers auf, wobei die psychischen, sozialen, kulturellen, emotionalen und affektiven Aspekte auf die Multidimensionalität des Raumkonzeptes verweisen (vgl. LE CORBUSIER 1986: 191; LUUTZ 2007: 42f.; SLOTERDIJK 1998: 84, 2004: 304ff., 2004: 64f.; WARDENGA 2002: 8ff.). Sozialer Raum und Territorium können in einem solchen Konzept nicht miteinander übereinstimmen. Dadurch wird der quasinatürlichen Vereinigung von Gesellschaft und Territorium, dem Bild einer Gesellschaft in einem geografisch umfassten Behälter, die Basis entzogen (vgl. GLICK SCHILLER und WIMMER 2003: 582; LUUTZ 2007: 42; SLOTERDIJK 1998: 340f., 1999: 1002). Gleichzeitig lehnt das Konzept der Sphären die Vorstellung der entgrenzten Welt ab und geht davon aus, dass Deterritorialisierungstendenzen immer auch mit Tendenzen der Reterritorialisierung einhergehen (vgl. LUUTZ 2007: 36ff.; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 201; WALDENFELS 2001: 191). Die Sphären als Phänomen aufzufassen, bedeutet, den Betrachtungsfokus von der individuellen Mikroebene und der Makroebene der Gesellschaft bzw. der Weltgesellschaft auf die Mesoebene der Gruppe und Gemeinschaft zu verschieben (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 155; SLOTERDIJK 2004: 652). PADURAI

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G EMEINSCHAFT UND R AUM : VOM K ONZEPT DER L EBENSWELT ZUM M ODELL DER S PHÄREN Seit der kulturellen Wende in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzt sich quer durch die Disziplinen der Sozial- und Geisteswissenschaften die Annahme durch, dass der Mensch nicht im Raum lebt, sondern das Leben räumlich ist (vgl. DÜNNE 2006: 289f.; LOSSAU 2007: 57). Dies findet im Reden von der „Produktion des Raumes“ (LEFEBVRE 2006: 333), der „Raumproduktion“ (BELINA und BORIS 2007: 8), dem „gelebten Raum“ (LEFEBVRE 2006: 333; WALDENFELS 2007: 72) und schließlich dem „Einwohnen in der Welt“ (SLOTERDIJK 1998: 337) seinen Ausdruck. Vergemeinschaftung und Verräumlichung sind daher stets als ineinander verschränkte Prozesse zu betrachten. Um beide Begriffe miteinander in Verbindung zu setzen, kann Raum nicht mehr auf seine physische Dimension reduziert werden. Verräumlichung und Vergemeinschaftung werden vielmehr als Prozesse alltäglicher Praktiken verstanden, die sich wechselseitig bedingen (vgl. GEPPERT, JENSEN und WEINHOLD 2005: 18). In Bezug auf die Materialität des Raumes sind in der aktuellen Diskussion zwei Standpunkte verbreitet. Einerseits wird davon ausgegangen, dass Objekte vom Menschen nicht in ihrer Materialität erfasst werden, sondern in ihrer symbolischen und bedeutungsvollen Dimension gesellschaftlicher Konstruktion. Materialität wird hierbei als außerhalb der Gesellschaft konzipiert, da sie über Diskurse und Kommunikation erst in die soziale Dimension transformiert werden muss, um wahrgenommen zu werden (vgl. LOSSAU 2007: 57, 2007: 66). Andererseits weisen Autoren wie Sloterdijk und Latour darauf hin, dass Materialität innerhalb sozialer Gebilde anzusiedeln ist, denn menschliches Zusammenleben ist von seinen Objekten nicht zu trennen. Für sie ist es ein Anliegen, neue Ansätze zu konzipieren, die Materialität und Leben in ihrer multidimensionalen Verschränkung erfassen. Dabei darf allerdings nicht der Fehler begangen werden, in einen Essentialismus und Geodeterminismus zurückzufallen (vgl. ALEXANDER 2008: 783; BUSCH 2007: 123; CASTRO NOGUEIRA 2009: 89; GEPPERT, JENSEN und WEINHOLD 2005: 17f.; LATOUR 1998: 88; SLOTERDIJK 2004: 94f.). Wie die Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar „Gemeinschaft“ und „Raum“ bzw. „Vergemeinschaftung“ und „Verräumlichung“ zeigt, ist es ratsam, zur Untersuchung sozialer Entitäten und Praktiken eine Sichtweise einzunehmen, die sozialen von physischem Raum entkoppelt, ohne die Materialität des Daseins zu vernachlässigen. In diesem Abschnitt bildet das Verhältnis von Lebenswelt und Raum den Ausgangspunkt weiterer Überlegungen. Denn dieser von Husserl und Schütz geprägte Ansatz der Gesellschaftskonstruktion zeigt die Möglichkeit auf, Materialität über Leiblichkeit (vgl. HUSSERL 2006: 156ff.; WALDENFELS

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2001: 183ff.) in die Vergemeinschaftung zu integrieren. Da bei diesem Ansatz nicht die Verschränkung des Zusammenlebens der Menschen im Mittelpunkt steht, bleibt das Lebensweltkonzept jedoch durch seine Subjektbezogenheit in einem Egozentrismus verhaftet (vgl. HUSSERL 2008c: 145ff.; SCHÜTZ 1972a: 55). Die der Lebenswelt inhärente strukturelle Gebundenheit sozialer Prozesse (vgl. HUSSERL 2008f: 24) erschwert zudem das Erfassen von gesellschaftlicher Heterogenität und sozialem Wandel (vgl. WALDENFELS 2007: 74f.). Aufgrund dieser Problematik werden anschließend der Ansatz der Sphären und sein Verhältnis zum Raum dargestellt. Der Akzent dieses Ansatzes liegt dabei auf den atmosphärischen und gestimmten Elementen der Verräumlichung durch Vergemeinschaftung (vgl. BUSCH 2007: 115; GÜNZEL 2006: 123). Das Konzept der Lebenswelt Die Phänomenologen Husserl und Schütz haben in ihren Ausführungen zur Lebenswelt die Grundlage dafür geschaffen, die Prozesse der Verräumlichung und Vergemeinschaftung miteinander zu verbinden. Dabei sehen beide Phänomenologen die menschlichen Erfahrungen und den gemeinsamen Erfahrungsraum der Lebenswelt als wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 17; CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 112; SOWA 2008: LIII–LXVII). Die Lebenswelt ist nach Husserl und Schütz der selbstverständliche und unhinterfragte Horizont, auf dem die Erfahrungen und Praktiken der Menschen basieren (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 109ff.; HUSSERL 2008a: 515; SCHÜTZ 1972c: 3ff.; WALDENFELS 2007: 73). Der Begriff spannt sich dabei zwischen drei Ebenen auf, die in ihren Ausführungen miteinander verschmolzen sind: die unmittelbare Welt, die konkrete bzw. intersubjektive Lebenswelt und die subjektive Lebenswelt (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 109f.; HUSSERL 2008a: 515, 2008c: 146ff.; SCHÜTZ 1972c: 9ff.; WALDENFELS 1999: 60ff.). Die unmittelbare Welt ist der Bedeutungshorizont, der dem Menschen nicht direkt zugänglich ist. Sie wird erst durch subjektive Bedeutungsverweise mittelbar und auf diese Weise in eine intersubjektive Lebenswelt transformiert (vgl. HUSSERL 2008b: 30f., 2008d: 46). Durch das Ansetzen an der subjektiven Lebenswelt zur Konstruktion von Welt wird der subjektive Standpunkt zum Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Ausführungen von Husserl und Schütz (vgl. HUSSERL 2006: 156; SCHÜTZ 1972c: 9ff.). Die zentrale Stellung nimmt jedoch die intersubjektive Lebenswelt ein. Denn das Ziel des phänomenologischen Ansatzes ist es, die intersubjektive Lebenswelt aus der „[…] Schnittmenge aller individuellen Phänomenwahrnehmungen […]“ (CLAESSENS und TYRADELLIS

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1997: 109f.) herauszuarbeiten. Mithilfe der eidetischen Reduktion4 sollen somit die universalen Strukturen5 der Lebenswelt ausfindig gemacht werden (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 109ff.; HUSSERL 2008b: 32, 2008c: 146ff., 2008d: 46; WILKE 2010: 94f.), die in Form „[…] von universalen Grundstrukturen der Geistestätigkeit“ (MOEBIUS 2009: 98) der Menschen bestehen. Nicht die Verschiedenheit der erfahrenen Phänomene ist von wissenschaftlichem Interesse, vielmehr gilt den „transzendental gereinigten Phänomenen“ (WILKE 2010: 94) das phänomenologische Erkenntnisinteresse. Neben diesem metaphysischen Aspekt besitzt die intersubjektive Lebenswelt jedoch eine konkrete Seite, da die Strukturen erfahrbar sind. Diese konkrete Lebenswelt wird von Schütz und Husserl im Rekurs auf das „Alltägliche“ (vgl. HUSSERL 2008e: 53ff.; SCHÜTZ 1972c: 5ff.) angedeutet. Berger und Luckmann (2003: 21) greifen den Begriff auf uns lassen ihn zur Standardbegrifflichkeit der Sozial- und Geisteswissenschaften heranreifen. Die intersubjektive Lebenswelt bildet den Raum der menschlichen Erfahrungen und schließt die Lücke zwischen der unmittelbaren und der subjektbezogenen Welt. Das heißt, sie gibt den Menschen den Bedeutungszusammenhang vor, in den sie hineingeboren werden, und ist gleichzeitig subjektiver Sinn. Aufgrund ihrer subjektiven Dynamik wird die konkrete Lebenswelt von den Autoren als historisch variabel angesehen, wobei die Suche nach universellen Strukturen dieser Auffassung zu widersprechen scheint (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 21ff.; SCHÜTZ 1972c: 10ff.; WALDENFELS 1999: 60ff., 2007: 73).

4

Die eidetische Reduktion ist das phänomenologische Verfahren Husserls, um das „Wesen“, das heißt die universalen Strukturen und „wesenhaften“ Eigenschaften von Dingen und der Welt, freizulegen. Um dies zu erreichen, muss der Wissenschaftler die konkreten Erfahrungen in mehreren Schritten von den subjektiven und variablen Bedeutungen befreien, wie zum Beispiel vom tradierten Wissen, von wissenschaftlichen Spekulationen und allen variablen Elementen von Dingen. Zurück bleibt das „Wesen“ der Dinge (vgl. HUSSERL 2008g: 260ff.).

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Der Begriff „Struktur“ muss an dieser Stelle vom Begriff der Ordnung getrennt werden. Während Strukturen, wie die Ausführungen von Schütz und Husserl implizieren, fixe soziale Muster sind, wird der Begriff der Ordnung in dieser Arbeit als sozial konstruiertes veränderliches Muster aufgefasst. Struktur wird daher nur im Zusammenhang mit Autoren verwendet, die den Strukturbegriff für unveränderlich in die Gesellschaft eingeschriebene kulturelle bzw. soziale Muster verwenden. Ansonsten wird in dieser Arbeit der Begriff der Ordnung bevorzugt, da er die Veränderlichkeit menschlicher Bedeutungsmuster betont (vgl. SCHÜTZ 1972; HUSSERL 2008).

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Nachdem der Begriff der Lebenswelt in seinen Grundzügen erläutert ist, wird im Folgenden verdeutlicht, wie aus phänomenologischer Sichtweise Raum aus Leiblichkeit entsteht und eine Topologie des Sozialen entwickelt wird. Leiblichkeit als Ausgangspunkt für die Raumkonstruktion In der Phänomenologie dient der Leib als Ausgangspunkt, um Räumlichkeit in ihren vielfältigen Facetten zu konstituieren. Unter „Leib“ wird die Einheit von Körper und Geist verstanden. Der Leib konstruiert Welt. Durch die Aufhebung des Körper-Geist-Dualismus im Konzept des Leibes überwindet die Phänomenologie die wissenschaftliche Trennung von physischer Außenwelt und mentaler Innenwelt, von äußerem Raum und innerer Zeit. Beide Welten sind in der Lebenswelt nicht voneinander zu trennen. Zeit und Räumlichkeit werden zu gleichberechtigten Kategorien beim Aufbau der Lebenswelt. Zusammen bilden sie die Topologie der Lebenswelt aus, die im Hier und Jetzt des Leibes, in seinen Wahrnehmungen und Erfahrungen, ihren zentralen Ausgangspunkt besitzt (vgl. GÜNZEL 2006: 105; HUSSERL 2008c: 146; WALDENFELS 2001: 193f., 2007: 70ff.). Die Zentralität des Leibes ergibt sich daraus, dass die Lebenswelt vom Leib sinnlich wahrgenommen und erfahren wird. Sie entspricht daher einem „gelebten Raum“ und einer „gelebten Zeit“ (WALDENFELS 2007: 72). Durch Bewegungen des Leibes und seine Wahrnehmung von Umwelt ergeben sich Erfahrungen, wodurch sich die Sinngebung als Anordnung von Erfahrungen und Bedeutungen um den eigenen Leib vollzieht. Dies bedeutet, dass die Lebenswelt den Horizont aller Erfahrungen darstellt und die Lebenswelt vom Subjekt um sein eigenes Ich und den eigenen Leib angeordnet wird. Es entsteht eine Topologie der Lebenswelt als Nah- und Fernfelder zum eigenen Ich (vgl. HUSSERL 2006: 156, 2008c: 146; SCHÜTZ 1972a: 55; WALDENFELS 2001: 186). Für die Phänomenologie sind das Erleben und die Erfahrung die fundamentalen Prozesse des Welterkennens. Die intersubjektive Lebenswelt gibt dabei den Erfahrungshorizont vor, der für alle Menschen gleich ist. Jedoch kreiert jeder Mensch um sich herum ein Geflecht von Bezügen, eine eigene Topologie des Erfahrungsraumes, eine Topologie des Wissens (SCHÜTZ 1972a: 56f.), eine Topologie von Handlungen (SCHÜTZ 1972a: 55), eine Topologie der Relevanz (SCHÜTZ 1972a: 55) usw. Der konkrete Ort ergibt sich ebenfalls aus Erfahrungen und setzt sich zu einer Topologie von Orten zusammen, die erst in ihrer Abstraktion zu einem Raumverständnis führen kann. Räumlichkeit besteht demnach aus mehrdimensionalen relationalen Bezügen, wodurch nicht ihre Ausdehnung von wissenschaftlichem Interesse ist, sondern ihre Struktur (vgl. EBELING 2007: 316; GÜNZEL 2006: 117, 2007: 17).

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Den Leib als Ausgangspunkt für Erfahrungen und letztlich Raumerfahrungen anzunehmen, ermöglicht damit einerseits, Ort und Raum als gleichberechtigte Partner der Zeit bei der Konstruktion der Lebenswelt zu konzipieren. Der Fokus auf das sinnliche Erleben des Leibes ermöglicht die Einbettung von Materiellem als lebensweltlichem Bestandteil sozialer Gebilde. Andererseits ist die Annahme eines universellen Erfahrungsraumes und von Strukturen der intersubjektiven Lebenswelt wenig dazu geeignet, kulturelle Differenzen und kulturellen Wandel zu verstehen. Die Zentralität des Individuums in der phänomenologischen Konzeption von Welt führt zu einem Egozentrismus der Topologie der Lebenswelt und verstellt den Blick auf die Bedeutsamkeit gemeinsamer Praktiken zur kollektiven Konstruktion von Welt. Die Mechanismen, die aus der individuellen Lebenswelt eine intersubjektive entstehen lassen, bleiben bei den Ausführungen von Husserl und Schütz weitgehend im Dunkeln. Auch ist in diesem Modell keine kulturelle Varianz von Lebenswelten vorgesehen. Die Prozesse zum Aufbau der Lebenswelt und kultureller Varianz werden im Folgenden beschrieben, wobei die Erweiterungen des zuvor genannten Ansatzes durch Berger und Luckmann Modelle und Mechanismen zum besseren Verständnis der Konstruktion intersubjektiver Lebenswelten bieten (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 63ff.; GÜNZEL 2006: 117; HUSSERL 2008c: 146ff.; RECKWITZ 2008: 623ff.; WALDENFELS 1999: 12, 2007: 74f.). Die Lebenswelt zwischen individueller Wirklichkeit und kollektiver Konstruktion Der phänomenologische Ansatz geht davon aus, dass Lebenswelt sowohl subjektiver Sinn als auch objektive Wirklichkeit ist. Mensch als Subjekt und Welt (Natur und gesellschaftliche Welt) als Objekt bilden in der Erfahrung eine Einheit und sind erst in der Abstraktion als voneinander getrennt vorstellbar (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 108; HUSSERL 2008b: 33, 2008d: 42). Doch wie wird gesellschaftliche Welt hergestellt? Die Mechanismen, die Individuum und Gesellschaft miteinander verzahnen, sind nach Berger und Luckmann Internalisierung, Externalisierung und Objektivation. Internalisierung meint dabei, dass der Mensch in ein bereits bestehendes Wirklichkeitsgefüge hineingeboren wird. Er entwickelt die Fähigkeit, zu generalisieren und die Perspektive anderer Menschen einzunehmen, wodurch er in der Sozialisation6 die Einstellungen der anderen Menschen, an denen er sich orientiert, verinnerlicht und sich die gesell6

Die Sozialisation ist der Prozess, in dem das Individuum seine Persönlichkeit ausbildet und zu einem gesellschaftlich handlungsfähigen Menschen wird (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 140f.).

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schaftlichen Sinngebungen einverleibt. In seinem täglichen sozialen Handeln entäußert der sozialisierte Mensch diesen Sinn und macht ihn für andere Personen sichtbar (Externalisierung). Durch ständige Wiederholung der Sinngebung und deren Übermittlung an andere Gesellschaftsmitglieder wird der entäußerte Sinn als objektive Wirklichkeit wahrgenommen. Objektivation heißt somit, dass die Menschen die gesellschaftlichen Sinngebungen als unhinterfragten Sinnzusammenhang und als unveränderliche Objekte hinnehmen (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 65). Das Außen der Welt wird in dieser Prozesstriade vom Individuum einverleibt und der subjektive Sinn des Individuums, als dessen Inneres, entäußert; Außen und Innen verschränken sich. Berger und Luckmann kommen daher zu dem Schluss: „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt“ (BERGER und LUCKMANN 2003: 65). Durch die drei Prozesse wird das Individuum gesellschaftlich und die Gesellschaft individualisiert, denn das Individuum entäußert gesellschaftlichen Sinn auf seine persönliche Weise, das heißt, der Sinn verändert sich dabei stets in einem gesellschaftlich akzeptablen Rahmen. So können gesellschaftlicher und kultureller Wandel und die gleichzeitige Reproduktion der gesellschaftlichen Ordnung erklärt werden, wobei radikale Veränderungen jedoch kaum denkbar sind (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003; RECKWITZ 2008: 629ff.). Eine zentrale Stellung in diesem Modell kommt den Routinen zu, denn sie bilden den unhinterfragbaren Hintergrund des alltäglichen Handelns. Routinen sind ständig wiederholte Handlungen, die an bestimmte Situationen gekoppelt sind. Durch sie wird verständlich, wie soziale Ordnungen entstehen können, denn beim Zusammentreffen von Individuen stellen sich in deren Interaktion Routinen quasi automatisch ein. Die Routinen lösen das Handeln von individueller Intention und Motivation und bringen durch ihren repetitiven sowie situativen Charakter sowohl Dauerhaftigkeit als auch Typisierungen hervor. Der einzelne Mensch bekommt hierdurch Erwartungssicherheit, wird von Entscheidungen entlastet, das Zusammenleben wird in Selbstverständlichkeiten geordnet und bekommt eine soziokulturelle Ordnung (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 58ff.; RECKWITZ 2008: 526). In komplexen sozialen Ordnungen entstehen Spezialisierungen, und die Lebenswelt beginnt, sich in Sublebenswelten zu organisieren, die Berger und Luckmann, in Anlehnung an den späten Schütz, als Sinnprovinzen (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 28; RECKWITZ 2008: 629f.) bezeichnen. Allerdings gehen auch diese beiden Autoren davon aus, dass diese Sinnprovinzen in eine oberste Wirklichkeit eingebettet sind und somit nur eine Lebenswelt für eine Gesellschaft existiert (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 90, 2003: 28). Es bleibt fest-

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zuhalten, dass das Lebensweltkonzept von Berger und Luckmann dynamisiert wird, indem sie ständigen sozialen Wandel bei gleichzeitiger Reproduktion des gesellschaftlichen Rahmens annehmen. Gleichzeitig pluralisieren sie die Lebenswelt mittels der Einführung der Sinnprovinzen. Durch die Akzentuierung von Routinen nähern wir uns dem Punkt an, menschliche Existenz als Zusammenleben zu konzipieren, und führen die Versuche von Schütz fort, dem Egozentrismus der Phänomenologie zu entkommen (vgl. RECKWITZ 2008: 525; SCHÜTZ 1972b: 85). Kritik am phänomenologischen Ansatz: Spannungen zwischen Welt und Subjekt Aus der Spannung zwischen Subjektzentriertheit und der Welt als universalem Rahmen bzw. der einzigen Vernunftwelt aller Menschen erwachsen die theoretischen Probleme des Konzeptes der Lebenswelt (vgl. HUSSERL 2008b: 32f.; SCHÜTZ 1972c: 9). Die Welt als unüberwindlicher Erfahrungshorizont aller Menschen und die damit verbundenen universellen Strukturen der intersubjektiven Lebenswelt stellen eine vom Menschen abgehobene Lebenswelt dar. Ihr ist eine historisch und kulturell invariable Erfahrungsstruktur zugrunde gelegt, die die Einbettung der Menschen in ihre konkreten Lebenssituationen weitgehend ignoriert. Aufgrund der enormen Variabilität sozialer Gebilde ist jedoch davon auszugehen, dass solche universellen Strukturen nicht existieren. Die Erweiterung des Konzeptes der Lebenswelt durch Sinnprovinzen ist hierbei ein erster Schritt, um diese Schieflage zu korrigieren, und es wird im theoretischen Modell der Sphären weiter konkretisiert (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 147f.; RECKWITZ 2008: 534, 2008: 629f.; WALDENFELS 1999: 60ff.). In der Logik der husserlschen und schützschen Phänomenologie wird die intersubjektive Lebenswelt lediglich aus den Motiven und Vorstellungen des Individuums verstanden (vgl. SCHÜTZ 1972c: 11f.). Eine kollektive Ordnung außerhalb des Subjektes und seiner Motivation sieht dieser Ansatz nicht vor, sodass sich die theoretische Verzahnung von Welt und Individuum in einem „individualistischen Dilemma“ (RECKWITZ 2008: 525) befindet. Der intersubjektiven Lebenswelt wird keine eigene Qualität zugewiesen, da sie der individuellen Motivation entspringt und sich somit zwischen universaler Welt und der Innenwelt der menschlichen Psyche aufspannt. Dabei werden die Handlungsordnungen vernachlässigt, die nicht der psychischen Verfasstheit der Individuen entspringen. Routinen und Institutionen, das heißt, verfestigte Routinen, die durch Typisierung von Interaktionssituationen und Handlungsabläufen entstehen und Ordnungen von Selbstverständlichkeiten hervorbringen, bleiben unberücksichtigt. Das Konzept der Sphären wird daher einen verstärkten theoretischen Fokus auf

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das Miteinanderleben legen (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 57ff.; RECKWITZ 2008: 524f., 2008: 567; WALDENFELS 2007: 74f.). Den universellen Strukturen der Lebenswelt entspricht eine Homogenitätsannahme von Kultur, da dieser unüberschreitbare Horizont der Erfahrungen allen Menschen gemeinsam ist. Aufgrund kultureller Kontingenz und historischer Variabilität ist mit Reckwitz zu konstatieren, dass eine „[…] konzeptuelle Wende vom ‚Bewusstsein‘ zu den ‚Praktiken‘, vom Projekt einer universalistischen Lebensweltanalyse [… zu einer …] Kontextualisierung und Historisierung der Sinnmuster“ (RECKWITZ 2008: 534) vollzogen werden muss. Praktiken sind hier kollektive Handlungsmuster und Routinen, die ohne subjektive Intention auskommen, diese allerdings nicht verleugnen (vgl. RECKWITZ 2008: 629ff., 2008: 534ff.). Mit Glick Schiller und Wimmer (2003: 599), Fillitz (2007: 4) sowie Claessens und Tyradellis (1997: 148) sollten Kollektive und Gemeinschaften nicht mehr als Teilbereiche in einer universellen Weltkonstruktion verstanden werden, sondern vielmehr als mit Zeit und Ort wechselnde Konfigurationen von sozialen und kulturellen Feldern, die verschiedene Orte überspannen können (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 147f.; FILLITZ 2007: 4; GLICK SCHILLER und WIMMER 2003: 599). Dies stellt ebenfalls die Methode der „phänomenologischen Reduktion“ in Frage, da diese versucht, invariable Sinnmuster einer Lebenswelt herauszuarbeiten, die im Denken in Feldern und Sphären verschwinden (vgl. SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 245). Schließlich führen die Subjektbezogenheit der Lebenswelt nach Husserl und Schütz und deren Ansetzen an der Leiblichkeit zur Konstruktion von Räumlichkeit zu einem Denken in Containern. Wird die Leiblichkeit als Ausgangspunkt von Raum genommen, erscheinen konkrete Orte als äußere Behälter, die vom Körper erfasst werden und in den Bewusstseinsstrom eines inneren Geistes aufgenommen werden. Es entsteht eine Innen-Außen-Dichotomie, die für ein Verständnis der Bedeutung von Orten für Gemeinschaften nicht geeignet ist. Um zu einem relationalen Raumverständnis zu gelangen, scheint es sinnvoller, Räumlichkeit als lebensweltlich erschlossenen Raum zu konzipieren, der durch gemeinsames Einräumen entsteht (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 90; BUSCH 2007: 117ff.; EBELING 2007: 322). Zum Verstehen und Erfassen des Untersuchungsgegenstandes der Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien soll das Konzept der Lebenswelt daher zur Theorie der Sphären weiterentwickelt werden. Im Folgenden wird das Modell der Sphären erläutert, in dem eine menschliche Grundverfasstheit angenommen wird, die Gemeinschaft und Territorium voneinander trennt, die Verteilung von Menschen sowie deren Gemeinschaften über mehrere Räume und Orte zulässt und die atmosphärische Verfasst-

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heit des Zusammenlebens erfasst (vgl. SLOTERDIJK 1998: 83, 1999: 999). Um es in den Worten von Sloterdijk zu formulieren: „Wo Lebenswelt war, muss Klimatechnik werden“ (SLOTERDIJK 2004: 69). Das Modell der Sphären: Gesellschaft, Gemeinschaft und Raum Das Konzept der Sphären kann als Weiterführung der bereits ausgeführten Gedanken der husserlschen und schützschen Phänomenologie verstanden werden. Insbesondere schließt es an die Überlegungen zu Intersubjektivität und an die Betrachtung der Alltagswelt als Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Interpretation von Welt, Lebenswelt und ihren Phänomenen an. Wie bei Husserl ist es die Fähigkeit des Menschen, die Perspektiven der anderen Menschen einnehmen zu können und somit das eigene Ich zu transzendieren, die ein Menschwerden möglich macht. Menschwerdung heißt, zu lernen, mit anderen Menschen zusammenzuleben. Genau an dieser Stelle liegt aber auch einer der Hauptunterschiede zwischen der Lebenswelt nach Husserl und dem Konzept der Sphären. Der Mensch wird nach Sloterdijk nicht in eine Lebenswelt hineingeboren und lernt, sich darin zu bewegen, sondern Menschsein heißt immer Zusammenleben mit anderen Menschen. Lebenswelt wird von den miteinander Lebenden kreativ aufgebaut, wodurch der Lebensweltbegriff pluralisiert wird, denn Menschen leben in verschiedenen Lebenswelten miteinander. Sloterdijk benötigt für seine Ausführungen keinen gemeinsamen Erfahrungshintergrund mehr, da immer Lebenswelten im Plural gebildet werden. Ähnliche Ordnungen in verschiedenen Lebenswelten ergeben sich nach Sloterdijk durch mimetische Aneignungen (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 112; SLOTERDIJK 1999: 1011, 2004: 259; WILKE 2010: 121ff.). Im Zentrum des Denkens von Sloterdijk stehen zwei Metaphern, die der Blase, die eine einzelne Sphäre meint, und die des Schaums, die Verbände von miteinander verbundenen Sphären bezeichnet. Diese Denkbilder und die metaphorische Schreibweise von Sloterdijk sollen Modelle evozieren, die direkt an die lebensweltlichen Phänomene anschließen. Es werden die affektiven Bande, die zwischenmenschlichen Beziehungen, in Denkbilder gefasst, die nicht in Worte fassbar sind, um so den wissenschaftlichen Fokus von den Substanzen, wie Individuen und Dingen, hin zu Relationen und Beziehungen zu verschieben (vgl. EBELING 2007: 314; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 138ff.)7.

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Diese Verschiebung des Fokus erscheint dem Autor dieser Arbeit ebenfalls notwendig, jedoch wird er die Bilder „Blase“ und „Schaum“ nicht übernehmen, da beide Begriffe geometrische Behälter suggerieren. Daher werden im Folgenden die Begriffe

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Das Zusammenleben als Grundverfasstheit des Daseins Mit Sloterdijk soll nun aufgezeigt werden, wie sich das Zusammenleben in Gemeinschaften in der heutigen globalisierten Welt auffassen lässt. Laut Morin (2009: 61) verfolgt Sloterdijk drei Thesen, die in den folgenden Abschnitten nachgezeichnet werden: (1) Menschen leben immer mit anderen Menschen zusammen und bilden Sphären starker persönlicher Beziehungen aus. (2) Menschliche Existenz ist ein räumlicher Prozess, wodurch Vergemeinschaftung und Verräumlichung als zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse gedacht werden. (3) Der Mensch kann nur in Sphären existieren. Um diese Thesen zu verstehen, gilt es zunächst, die Grundlagen des Sphärenkonzeptes darzulegen, die jenseits der Phänomenologie Husserls liegen. Den Ausgangspunkt bildet hierbei der Begriff „Dasein“, den Heidegger als Mit-Dasein konzipiert. Ein weiterer zentraler Punkt bei der Definition der Sphäre ist ihre Gestimmtheit, die sie von anderen soziologischen Theorien abgrenzt. Es sind gestimmte Räume, die sich Menschen teilen, und eine Atmosphäre des Zusammenseins, die eine Sphäre definieren. Während Husserl menschliches Leben mit den Grundbegriffen „Welt“, „intersubjektive Lebenswelt“ und „Subjekt“ zu fassen sucht, sind für Sloterdijk die von Heidegger geprägten Begriffe „Sein“, „Seiendes“, „Dasein“ und „Existenz“ der Ausgangspunkt seiner Konzeption. Das Sein ist bei Heidegger ein Verständnishorizont, der nicht direkt zugänglich ist. Im Sein sind alle Differenzen aufgehoben, es gibt weder Unterscheidungen nach Formen noch nach Anwesenheit und Abwesenheit. Dem Menschen begegnen Dinge jedoch nicht in ihrem undifferenzierten Sein, sondern stets als Seiendes. Es ist also das Seiende, das im Erfahren und Erleben zugänglich ist. Vom Seienden unterscheidet er das Dasein, das durch seine Existenz gekennzeichnet ist. Existenz bedeutet hierbei, dass das Dasein gegenüber dem Sein und Seienden eine aktive Haltung einnimmt, indem das Dasein sich dem Sein gegenüber „[…] so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält […]“ (HEIDEGGER 1986: 12). Existenz ist dem Dasein inhärent und scheidet es vom Seienden. Heidegger bringt dies wie folgt auf den Punkt: „Dasein existiert“ (HEIDEGGER 1986: 53). Das Dasein lässt sich Seiendes begegnen, das heißt, das Dasein erlebt und erfährt das Seiende und nicht umgekehrt. Das Begegnen-Lassen ist dabei eine Einstellung des Daseins zum Seienden (Dingen, Personen, Relationen etc.). Dass etwas begegnet, ist unausweichlich, jedoch das Wie der Begegnung ist veränderbar und somit auch das Was des Begegnenden in einem gewissen Rahmen. Dasein wird als Seinsart des Menschen angesehen, wodurch dem Dasein ein Vorrang vor dem Seienden gegeben wird. „Blase“ und „Schaum“ vermieden und stattdessen wird von Sphären und Nachbarschaften gesprochen (vgl. SLOTERDIJK 2004: 302).

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Es ist jedoch nicht mit einem Subjekt, einem einzelnen Menschen oder einem Vorhandensein mehrerer Subjekte gleichzusetzen, denn „im Dasein liegt eine wesenhafte Tendenz auf Nähe […]“ (HEIDEGGER 1986: 105) in einem doppelten Sinn: Nähe zu anderen Menschen im Miteinandersein und Nähe zu Seiendem, das vom Dasein erkannt wird (vgl. GUMBRECHT 2000: 92; HEIDEGGER 1986: 52f., 1986: 4ff.; SLOTERDIJK 1998: 639ff.). Das Dasein rückt das Seiende in seine Nähe, indem es dieses in seinen Zusammenhängen erkennt. Nähe bedeutet nicht Distanz oder Abstand, sondern meint eine relative Nähe durch affektive, sinnhafte Bezüge, die als starke Bindungen bezeichnet werden können. Auch Abwesendes kann dadurch nahe sein, wenn es in affektiver Nähe liegt (vgl. HEIDEGGER 1986: 102; MORIN 2009: 61; SLOTERDIJK 2004: 332). Dasein meint immer das Zusammensein mit anderen Menschen, den Aufbau starker Bindungen, wobei dieses Miteinandersein auch bedeutet, dass Menschen im gleichen Nähefeld jeweils die Perspektive des anderen Menschen übernehmen können, ohne in der Perspektive des anderen aufzugehen. Der andere bleibt auch in seiner Nähe undurchdringlich. Das Miteinandersein bedeutet nicht die Anwesenheit mehrerer Subjekte, sondern das Miteinandergestalten von Welt im Zusammenspiel von Menschen. Dabei wird der Fokus darauf gelegt, wie Menschen untereinander und die Dinge miteinander verbunden sind, also auf die Relationen und nicht auf das, was substanziell vorhanden ist (vgl. ELDEN und MENDIETA 2009: 6; HEIDEGGER 1986: 118ff.; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 264). Während Heidegger an einer Annäherung an das Sein durch eine Analytik des Daseins interessiert ist, gibt Sloterdijk dem Mitsein das Primat seiner Aufmerksamkeit und formuliert radikal die Nichtexistenz von Individuen: „Darum sage ich, es gibt keine Individuen, sondern nur Dividuen – es gibt die Menschen nur als Partikel oder Pole von Sphären. Es existieren ausschließlich Paare und ihre Erweiterungen – was sich für das Individuum hält, ist bei Licht gesehen meist nur der trotzige Rest einer gescheiterten oder verhohlenen Paarstruktur.“ (SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 144)

Durch diese Verschiebung vom Subjekt zum Dasein verschiebt sich die Ausgangsperspektive auf das menschliche Miteinander insgesamt, und zwar vom Subjekt als Hervorbringer einer Lebenswelt hin zum Miteinandersein als kreatives gemeinsames Aufbauen von Sphären starker Bindungen. Individuen und Dinge werden nur noch als Pole aufgefasst, zwischen denen sich Beziehungen aufspannen. Das Dasein, das Sloterdijk in Bezug auf Heidegger in den Fokus seiner Sphärologie rückt, stellt dem Subjekt somit das Mitsein als In-Sphären-

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Sein entgegen und kommt zu dem Schluss, dass Räumlichkeit dem menschlichen Miteinanderleben existenzial zugehörig ist (vgl. HEIDEGGER 1986: 59; MORIN 2009: 61; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 139ff.; THRIFT 2009: 124). Gleichzeitig weist das Zitat auf den ersten Wirkmechanismus der Sphäre hin, den der Ausweitung. Durch die Ausweitung von starken Beziehungen werden Sphären geschaffen und verändern sich (vgl. SLOTERDIJK 1999: 167; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 144). Die Erweiterung der Sphäre kann jedoch nicht in einer allumfassenden Sphäre enden, da die starken Bindungen nicht unbegrenzt generalisierbar sind und somit nicht auf alles ausgeweitet werden können. Bei der Erweiterung der Sphäre wird Unvertrautes in Vertrautes umgewandelt (vgl. SLOTERDIJK 2004: 59; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 185). Die Räumlichkeit und das Gestimmtsein als Fundamente des Daseins Durch die fundamentale Transzendenz des Ichs im Dasein ergibt sich für Sloterdijk, dass die miteinander Lebenden ein gemeinsames, mehrpoliges Interieur aus Beziehungen bzw. eine Sphäre bilden, die in die Welt hineinragt (vgl. MORIN 2009: 61). Nach Heidegger (1986: 54) ist das In-Sein dabei „[…] der formale existenziale Ausdruck des Seins des Daseins, das die wesenhafte Verfassung des In-der-Welt-Seins hat“. Dasein ist demnach immer als In-der-Welt-Sein zu verstehen. Das ekstatische Dasein, ekstatisch, da es sich seine Welt selbst aufbauen muss, ist in eine offene Welt hinausgehalten. Es ist gleichzeitig in der Welt draußen und in der Welt drinnen. „Dass Heidegger das In-der-Welt-Sein als Hinausgehalten-Sein ins Offene denkt, das InSein also paradoxerweise als ein Draußen-Sein, wurde bereits festgestellt […]. Der Durchbruch ins Außen erweist sich in einer Art coincidentia oppositorum als Erwachen zum Sein-im-Innern und umgekehrt.“ (JONGEN 2008: 77)

Das In-Sein als Hinausstehen oder Hinausgehalten-Sein kann somit nicht als ein In-Sein in einem Behälter gedacht werden. Die Welt befindet sich weder in einem Raum, noch ist der Raum eine bloße geistige Einbildung eines Subjekts. Vielmehr ist das Dasein selbst räumlich und muss sein In-Sein selbst ermöglichen (vgl. BUSCH 2007: 118ff.; HEIDEGGER 1986: 56, 1986: 111ff.; SLOTERDIJK 1999: 204). Sloterdijk nimmt diesen Gedanken des In-der-Welt-Seins auf und entwickelt ihn zur Formel „Zur-Welt-Kommen“ weiter. Damit verweist er darauf, dass Dasein nicht einfach ein Hinausgehalten-Sein in die Welt bedeutet, sondern Dasein immer innerhalb von Sphären in der Welt existiert. Um in der Welt anzukom-

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men, müssen Sphären eingerichtet werden, denn der Mensch kann nicht umstandslos in der Welt sein (vgl. BUSCH 2007: 121f.; JONGEN 2008: 69f.; SLOTERDIJK 2004: 332; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 139, 2006: 174; VAN TUINEN 2009: 107ff.). Mit der Geburt beginnt das Zur-Welt-Kommen, bei dem sich das Dasein in die Welt einwohnt. „Denn Menschen müssen nicht nur aus einer Mutter ins Freie gesetzt werden, sie stehen zudem vor der Herausforderung, ins ‚Haus des Seins‘ einzuziehen“ (SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 174). Beide Philosophen trennen somit in ihren Konzeptionen des In-der-Welt-Seins bzw. Zur-Welt-Kommens die Vorstellung von Räumlichkeit von der Vorstellung der Leiblichkeit, wie sie bei Husserl vorzufinden ist. Es ist nicht die Leiblichkeit, die Räumlichkeit schafft; Räumlichkeit wird nicht aus dem Geist hinausgeworfen, und der Körper befindet sich nicht im Raum, sondern Dasein ist existenzial räumlich (vgl. BUSCH 2007: 118ff.; HEIDEGGER 1986: 56, 1986: 111ff.; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 175). Anstatt aus der Leiblichkeit ergibt sich Raum vielmehr aus dem Einwohnen des Daseins in Sphären und somit durch ein Einwohnen in der Welt. Einwohnen meint das Sich-Einrichten und das SichAusrichten des Daseins in der Welt. Im Dasein werden Zusammenhänge zwischen soziokulturellen und physischen Dingen hergestellt, Unbekanntes wird in Bekanntes überführt. Die entstehenden Zusammenhänge werden verdichtet und ergeben Orte, die als Konstellationen von Beziehungen miteinander Lebender und den von ihnen einbezogenen Dingen aufzufassen sind (vgl. BUSCH 2007: 121f.; ELDEN und MENDIETA 2009: 6; HEIDEGGER 1986: 105, 1986: 71; SLOTERDIJK 1998: 337ff.). Das Dasein selbst wird dabei zu einem Ort: „Wer in der Welt ist, bewohnt einen Ort, an dem kraft der In-Struktur die starke Beziehung immer schon ihr Recht behauptet. Das Dasein ist selbst sein Ort, und dieser ist durch die Einwohnung der konfus Mit-Daseienden ineinander erschlossen. Er hat sich seit jeher aufgetan […].“ (SLOTERDIJK 1998: 641f.)

Dasein selbst ist demnach als Ort zu verstehen, an dem Welt erschlossen wird, wodurch Orte nicht mit territorialen Grenzen erfassbar sind. Es sind die zwischenmenschlichen Beziehungen in ihren emotionalen, sozialen und kulturellen, aber auch materiellen Ausformungen, die Orte ergeben. Die vom Dasein erschlossenen Dinge ergeben Orte, die einen Zugang zu Räumlichkeit erst im nächsten Schritt der Abstraktion ermöglichen, denn der Ort ist zunächst nur über Dinge und deren Bezüge erlebbar bzw. erfahrbar. Sind Orte konstruiert, wird über sie und durch die in ihnen eröffneten Relationen Räumlichkeit zugänglich und erfahrbar. Raum wird dadurch in seiner Räumlichkeit als Apriori erfahren, denn Raum ist der Erschließung von Welt immanent. Das heißt, Räumlichkeit

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wird bei der Welterschließung immer miterschaffen. Andererseits ist Raum bei der Ankunft in der Welt bereits eingerichtet und umfasst neben physisch Vorhandenem die verschiedenen Facetten des menschlichen Zusammenlebens, wie psychische, kulturelle und soziale Räume. Diese Auslegung von Raum erlaubt es, das Sein des Daseins topologisch zu erfassen: eine Topologie der Orte, an denen Welt entdeckt wird, wobei diese Erschließung beim Aufbau von Sphären geschieht (vgl. BUSCH 2007: 121f.; HEIDEGGER 1986: 102ff.; SLOTERDIJK 1998: 83, 1998: 641f., 1999: 999, 2004: 332). Sloterdijk kommt zu dem Schluss, dass Menschen aufgrund ihres Zur-WeltKommens immer zwischen Territorialisierung und Deterritorialisierung leben. Räumlichkeit konstituiert sich aus dem Selbstverständnis der jeweiligen miteinander Lebenden, die ihre Welten aufbauen, niederreißen und umgestalten. Damit ist in diesem Konzept Raum einer geschichtlichen und kulturellen Variabilität ausgesetzt, denn „[…] zur jeweiligen Welt gehört eine je spezifische Räumlichkeit“ (BUSCH 2007: 119). Dabei besitzen diese Welten, die sphärologisch aufgebaut sind, je eine eigene Stimmung, ein gestimmtes Miteinander (vgl. ELDEN und MENDIETA 2009: 6; SLOTERDIJK 1998: 84, 1999: 204, 2004: 504; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 201, 2006: 245). Das Gestimmtsein bringt nach Heidegger (1986: 134) „[…] das Sein in sein Da“. Dasein ist daher nicht nur existenzial räumlich, sondern ebenfalls existenzial gestimmt. Menschen leben gleichzeitig verschiedene Räume, wie den Handlungsraum, den psychischen Raum usw., die allerdings durch ihr In-der-WeltSein eine fundamentale Gemeinsamkeit durchzieht, ihre Gestimmtheit. Dem räumlichen Miteinander bzw. dem Dasein wohnt somit ein Gestimmtsein inne, das nicht in der menschlichen Seele gründet und vom Individuum auf andere „[…] Dinge und Personen abfärbt“ (HEIDEGGER 1986: 137). Vielmehr liegt das Gestimmtsein im Dasein selbst und somit im Miteinander von Menschen, in deren Welterschließung immer affektive Momente mitschwingen. Sloterdijk umschreibt das Gestimmtsein mit den Begriffen „Klima“ und „Atmosphäre“, die er als „[…] kommunitaristische Größe[n] und erst danach [als] einen meteorologischen Sachverhalt“ (SLOTERDIJK 1999: 147) ansieht. Damit wird es möglich, das Affektive in seinen Facetten plastisch und ausführlich zu beschreiben. Nicht nur die beteiligten Menschen wirken in dieser Atmosphäre, sondern auch die in ihr Nähefeld gerückten Dinge (vgl. BUSCH 2007: 125; HEIDEGGER 1986: 134ff.; SLOTERDIJK 1999: 147f.). Die jeweilige Atmosphäre bettet die Menschen in ihre Kontexte ein, die in ihrer Geschichtlichkeit und kulturellen Dynamik zu fassen sind. Bei der Einwohnung in der Welt bringen Menschen in ihrem Miteinander unterschiedliche Binnenklimata hervor, die von Sloterdijk als atmosphärische Gemeinschaften

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bzw. als Sphären bezeichnet werden. Es ist somit das Gestimmtsein des Daseins, das von Menschen geteilte Räume zu Sphären werden lässt (vgl. BUSCH 2007: 128; HEIDEGGER 1986: 134ff.; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 226). Sphärenbildung durch Insulation: Leben in Gruppen und Nachbarschaften Im den vorangegangenen Abschnitten wurden Sphären als gestimmte Räumlichkeiten des Miteinanders beschrieben, die, anders als Kugeln, weder wohl gerundet sind noch ein Zentrum besitzen. Sie sind eher als mehrpolare, vibrierende Gebilde zu verstehen, die in die Welt hineinragen und deren Grenzen nicht eindeutig definierbar sind. Der Aufenthalt der Menschen in der Welt wird daher zu dem Fraglichen. Die Frage nach dem, was der Mensch ist, verschiebt sich zu der Frage, wo der Mensch ist. Die Antwort hierauf wurde bereits gegeben. Er befindet sich in Sphären, wobei diese den Charakter von Kleingruppen besitzen (vgl. COUTURE 2009: 159; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 143f., 2006: 184). Doch wie entstehen diese Sphären und wo befinden sie sich? Für Sloterdijk liegt der Schlüssel zum Verständnis der Sphärenbildung in seinem Konzept des Zur-Welt-Kommens. Wie bereits dargestellt, findet beim Zur-Welt-Kommen das Einwohnen in die Welt durch ein Einwohnen in Sphären statt. Der Mechanismus, der zur Ausbildung dieser Sphären führt, ist die Insulation, die Sloterdijk oft als die Ausbildung eines Immunsystems beschreibt. Insulation meint hierbei, dass zusammenlebende Menschen unwillkürlich Selbstabschließungen betreiben und dabei die Regeln des Miteinanders festlegen, gleichsam eine „normative Verfassung“ konstruieren. Die Umschreibung als Immunsystem weist darauf hin, dass Menschen nicht umstandslos im Außen leben können und sich daher gegen das Außen abschließen, indem sie institutionalisierte „Antworten auf die Verletzungen“ (SLOTERDIJK 2004: 469) des Innen durch das Außen entwickeln müssen (vgl. CLAESSENS 1995: 20f.; CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 36; MORIN 2009: 61; SLOTERDIJK 2004: 449; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 142f.). Das gemeinsame Festlegen von Bedeutungen, Zeichen und Einstellungen vollzieht sich nach dem beschriebenen Modell des Zusammenwirkens von Internalisierung, Externalisierung und Objektivation sowie durch Routinisierung. Die Routinen werden nach SLOTERDIJK nach ihrer Entstehung durch Nachahmung weitergegeben (vgl. SLOTERDIJK 2004: 61). Durch diese mimetische Auffassung vom Aufbau sozialer Gebilde werden die Routinen teilweise von ihren Funktionen getrennt, denn sie müssen weder notwendigerweise die ursprünglichen Funktionen noch andere Funktionen für die sozialen Gebilde ausüben. Dabei verändern sich die Routinen durch Kombination und Anpassung an neue Kontexte (vgl. MARKOM 2009: 30). Allerdings scheint es

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notwendig, dieser Auffassung von Routinen und Institutionen auch Raum zur Kreation neuer Routinen zu gewähren, denn im Zusammenspiel mehrerer Menschen pendeln sich spontan Handlungsweisen ein. Es scheint nicht einleuchtend, dass alle Routinen mimetisch weitergegeben werden, neue Situationen erfordern nämlich häufig auch neue Lösungen und neue Routinen werden gebildet. Wichtig ist, dass es sich nicht um einen Akt des Aufbauens einer subjektiven Welt verschiedener Individuen handelt, aus deren Schnittmenge sich eine intersubjektive Lebenswelt ergibt. Der Aufbau funktioniert erst im gemeinsamen Festlegen von Relationen und in der gemeinsamen Umwandlung von Unvertrautem in Vertrautes (vgl. SLOTERDIJK 2004: 468; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 185). Das Außen bzw. die Welt wird in das Innen verschiedener Sphären umgewandelt. Dabei enthält das Innen der Sphäre auch ihr eigenes Außen. „Das Insulationsgeheimnis der Menschensphäre besteht darin, dass die Zusammenlebenden in koproduktiver Übertragung ein gemeinsames Innen im gemeinsamen Außen einrichten. Zu beachten bleibt, dass Übertragungen zunächst kollektiven Charakter haben und erst spät individualisiert werden […].“ (SLOTERDIJK 2004: 392)

Jedoch wird dadurch die Differenz zwischen Innen und Außen nicht aufgehoben, denn Äußeres kann immer nur in der inneren Logik erfasst werden. Das Sich-imAußen-Einrichten ist als eine Kippbewegung zwischen Innen und Außen zu verstehen, bei der innere Verweise auf ein Außen gebildet werden. Außen und Innen bedingen sich somit wechselseitig. Sie stehen durch sinnliche, kommunikative Öffnungen sowie Bedeutungsverweise in Verbindung, wobei für den Menschen, der in Sphären lebt, das Außen nur in der inneren Logik verstehbar ist (vgl. JONGEN 2008: 83; LE CORBUSIER 1986: 5; MÜLLER 2008: 36–55; SLOTERDIJK 1998: 131–132, 2004: 258). Das Einwohnen von Menschen in der Welt ist in der Transzendenz des eigenen Ichs begründet, die dem menschlichen Leben existenzial innewohnt. Im Dasein verschränken Menschen ihre Lebenswelten miteinander unter Einbeziehung von Seiendem. Die Verschränkung betrifft drei Bereiche: die Verschränkung einzelner Menschen, die Verschränkung von Menschen mit Seiendem und die Verschränkung von Räumen (vgl. MORIN 2009: 61; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 151; VAN TUINEN 2009: 112). Der Mensch ist kein in sich selbst ruhender Pol, sondern wirkt in andere Menschen, in Dinge und Verbindungen hinein und vice versa. Sloterdijk nennt dies das Prinzip Nachbarschaft, bei dem Menschen „[…] füreinander erreichbar und doch einander transzendent […]“ (SLOTERDIJK 2004: 14) sind. Nachbarschaft bedeutet nicht physische Nähe, sondern ein Vertrautsein. Die Menschen

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beinhalten sich durch ihr Vertrautsein wechselseitig und können sich doch nie ganz durchdringen. Auch Seiendes wird in die Nähe des Vertrauten einbezogen und von der Nachbarschaft erfasst. Dies bedeutet gleichzeitig, dass Menschen nicht nur im eigenen Körper heimisch sind, sondern auch in anderen Menschen und auch in Dingen (vgl. CASTRO NOGUEIRA 2009: 89; JONGEN 2008: 79f.; SLOTERDIJK 1998: 84ff., 2004: 14; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 185; VAN TUINEN 2009: 108ff.). Gleichzeitig werden im gemeinsamen Miteinander Räume verschränkt, da im Vollzug des Zusammenlebens verschiedene Räume hervorgebracht werden: Handlungsräume, Beziehungsräume, virtuelle Räume usw. Diese Räume sind nicht voneinander getrennt, sondern in den Sphären zusammengefügt (vgl. SLOTERDIJK 1998: 87, 2004: 361). Bei der Verschränkung sind auch Verweise zu Abwesenden mit eingeschlossen, die mittels Zeichen und Symbolen ausgebildet werden. Somit nehmen Abwesende, Tote inklusive, in ihrer Abwesenheit am Mitsein teil (vgl. HEIDEGGER 1986: 120; SLOTERDIJK 2004: 441; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 245). Die mehrpolige Verfasstheit von Sphären und ihr affektiver Nähecharakter lassen auf eine enge begriffliche Verwandtschaft zwischen Sphären und dem soziologischen Begriff der Gruppe als kleine Gemeinschaft persönlicher Beziehungen schließen. Nach Sloterdijk sind die ersten Sphären, in die ein Neugeborenes einzieht, die Mutter-Kind-Beziehung und die Kernfamilie, die zusammen mit der Liebesbeziehung seine Idealbeispiele von Sphären und Kleingruppen sind. Die Mitglieder von Sphären kennen sich demnach persönlich, leben gemeinsam und besitzen einen tiefe emotionale Bindung. Sloterdijk setzt die Sphäre weitgehend mit der Gruppe gleich, wobei der Begriff „Sphäre“ stärker als der Begriff „Gruppe“ den materiellen und emotionalen Charakter des menschlichen Zusammenlebens betont (vgl. CASTRO NOGUEIRA 2009: 88; CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 40; SLOTERDIJK 2004: 258; SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 166). Menschen wohnen sich jedoch in mehreren Sphären ein, die im Prozess des Sich-aufeinander-Abstimmens im Zusammenleben hervorgebracht werden. Dabei werden die den Mitgliedern der neuen Sphäre bekannten Antworten und Interpretationsschemata in Bezug auf das jeweilige Außen kombiniert und verändert. Nach der Stabilisierung dieser neuen Schemata durch ihre Institutionalisierung8, innerhalb derer auch affektive Bande geschlossen werden, entsteht eine eigene Atmosphäre (vgl. CLAESSENS 1995: 20f.; SLOTERDIJK 1999: 147f.).

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Unter „Institutionalisierung“ wird hier der Prozess der Routinisierung von Handlungen zu Handlungsmustern und Praktiken verstanden. Die Institutionalisierung führt dabei zur Bildung von Normen (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 56ff.).

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Durch die Ausbildung von Routinen und Institutionalisierung findet einerseits eine Entlastung der Zusammenlebenden statt, da sich Praktiken etablieren, die sie unhinterfragt anwenden können. Einstellungen und Verhaltensroutinen gegenüber dem begegnenden Außen werden übernommen und müssen nicht jeweils neu kreiert werden. Andererseits wird eine innere Komplexität aus Normen, Affekten und Relationen aufgebaut, die erst aus der Gemeinschaft erwachsen kann (vgl. BERGER und LUCKMANN 2003: 57; CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 46). Die Menschwerdung und das Sich-Einrichten in Sphären können daher nicht als bloße Komplexitätsreduktion und Ausbildung geordneter Systeme gesehen werden, wie es Gehlen in der Konzeption des Menschen als Mängelwesen vorschlägt (vgl. GEHLEN 1993: 65ff.). Sloterdijk konzipiert Leben eher als ekstatisches Miteinander, das neue Komplexität erschafft, und formuliert dies wie folgt: „Ich sage, Menschen sind Wesen, die das Treibhaus selbst hervorbringen müssen, in dem sie vorkommen können“ (SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 222). „[…] dass alle Menschen konstruktivistisch wohnen und dass sie ohne Ausnahme dem Beruf von wilden Innenarchitekten nachgehen, die unablässig an ihrer Einquartierung in imaginären, sonoren, semiotischen, rituellen, technischen Gehäusen arbeiten.“ (SLOTERDIJK 1998:

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Die Komplexität des Außen wird also reduziert und gleichzeitig in eine selbstreferenzielle innere Komplexität umgewandelt. Außen und Innen sind wechselseitig voneinander abhängig und gleichzeitig autonom. Die ständigen Wandlungen der Sphären sind sowohl der Mehrpoligkeit der Sphären und deren inhärenter Kreativität geschuldet als auch äußeren Impulsen. Die kreativ geschaffenen Innensituationen des Begegnen-Lassens von Welt, das heißt die Interpretationsschemata und Antworten auf Welt, und die selbstreferenziellen Muster können an anderer Stelle jeweils wiederholt werden. Weitere, ähnliche Sphären werden ausgebildet (vgl. CLAESSENS 1995: 12–28; CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 46; MORIN 2009: 61; SLOTERDIJK 2004: 258, 2004: 61). Menschen leben demnach nicht in einer Sphäre, die in ihrer Totalität alle Menschen enthält, sondern immer in mehreren Sphären zugleich. Hieraus ergibt sich, dass Sphären als Kontexte des Daseins verstanden werden können, zwischen denen Menschen wechseln können. Die Mehrfachzugehörigkeit zu verschiedenen Sphären ist daher selbstverständlich. Menschen besitzen die Möglichkeit, gleichzeitig hier und dort zu sein, zugleich in mehreren Sphären zu leben, und sie werden selbst zu Verbindungen, die die sinnhaften Grenzen der Sphären überwinden bzw. diese zusammenkitten. Der Mensch kann sich dadurch

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über verschiedene Orte verteilen, ohne dass daraus problematische seelische Zustände resultieren würden (vgl. SLOTERDIJK 2004: 498). Jeder Kontext, der eine Sphäre ausmacht, schließt andere Kontexte aus, jedoch sind die Sphären gleichzeitig miteinander verbunden (vgl. JONGEN 2008: 70f.; SLOTERDIJK 1999: 208, 2004: 817). Dies ist eine weitere Facette der Verschränkung, die im Dasein gründet. Die Sphären selbst sind ineinander verschränkt, wobei wiederum das Prinzip Nachbarschaft entscheidend ist, das Sloterdijk (2004: 604) im Zusammenhang benachbarter Sphären als Ko-Isolation bezeichnet. Außerhalb einer Sphäre ist demnach nicht „nur“ Welt, sondern dort sind andere, benachbarte Sphären. Nachbarschaft bzw. das „Ko“ der Ko-Isolation bedeutet dabei, dass Sphären, die ähnliche Elemente aufweisen, in Nachbarschaft zueinander liegen. Dabei werden Interpretationsschemata und Antworten auf das spezifische Außen von anderen Sphären mimetisch übernommen. Durch das Zirkulieren von Zeichen und Artefakten durch Sphären hindurch werden diese Schemata verbreitet und nachgeahmt. Der Wortteil „Isolation“ der Ko-Isolation weist darauf hin, dass die Sphären trotz ihrer Nähe zueinander und ihrer Verschränkungen ineinander gleichzeitig voneinander getrennt sind (vgl. CLAESSENS 1995: 34, 1995: 2; CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 59f.; JONGEN 2008: 70f.; SLOTERDIJK 2004: 56ff., 2004: 259). Es kann festgehalten werden, dass eine Sphäre immer von anderen Sphären umgeben ist, mit denen sie durch gemeinsame Bezüge mehr oder weniger verschränkt ist. Die aneinandergrenzenden Sphären bauen dabei komplexe Gebilde höherer Abstraktion auf, Gemeinschaften und Gesellschaften. Sloterdijk designt diese als Verbände miteinander verzahnter Sphären. Es ergibt sich eine Topologie von Gruppen, die mehr oder weniger benachbart sind. Dabei muss erneut darauf hingewiesen werden, dass Nachbarschaft hier nicht als Aneinandergrenzen in einem dreidimensionalen Raum zu verstehen ist. Verschränkungen und dadurch Nähe werden mittels Verweisen und Relationen geschaffen, die vor allem soziokulturelle und psychische Nähe bedeuten (vgl. FLUSSER 2006: 281f.; SLOTERDIJK 2004: 56f.). Gesellschaft und Gemeinschaft als Nachbarschaft Bevor nun gezeigt wird, wie Gesellschaft und Gemeinschaft sphärologisch zu begreifen sind, ist zunächst zu klären, wo der Unterschied zwischen den Begriffen „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“ liegt. Schon Tönnies stellt Anfang des 20. Jahrhunderts fest, dass im Sprachgebrauch beide Begriffe synonym gebraucht werden. So scheint es auch bei Sloterdijk zu sein, wenn er Völker als historische Gemeinschaften bezeichnet (vgl. SLOTERDIJK 1999: 1002). Gesellschaft und Gemeinschaft versteht er dabei als „Aggregat aus Mikrosphären“

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(SLOTERDIJK 2004: 59). Der Unterschied zwischen beiden Begriffen scheint bei ihm eine Frage der Aggregatsgröße zu sein; kleine Gemeinschaften sieht er als einzelne Sphären, größere Gemeinschaften bestehen aus mehreren Sphären und Gesellschaft ist für ihn lediglich ein größeres Aggregat von Sphären als die Gemeinschaft. Sowohl Gesellschaft als auch Gemeinschaft sind bei ihm affektive Gebilde, die durch Solidarität gekennzeichnet sind (vgl. SLOTERDIJK 1999: 188). Da beide Begriffe vom Affektiven als Definitionsgrundlage ausgehen und sie lediglich ein nicht definierter quantitativer Unterschied auseinanderhält, ist Sloterdijks ungenaue Verwendung der Begriffe nicht geeignet, um sich dem Untersuchungsgegenstand der Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens zu nähern. Es sind eben keine Gesellschaften, sondern Gemeinschaften, obwohl sie sich durch eine höhere Mitgliederzahl auszeichnen als manche Gesellschaft (vgl. SLOTERDIJK 1999: 188, 2004: 59, 2004: 301f.). Eine stringentere Separation der Begriffen „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“ ist den Schriften von Tönnies zu entnehmen, der in der affektiven Bindung der Mitglieder untereinander das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal sieht: „Das Verhältnis selbst, und also die Verbindung, wird entweder als reales und organisches Leben begriffen – dies ist das Wesen der Gemeinschaft, oder als ideelle und mechanische Bildung – dies ist der Begriff der Gesellschaft […]. Alles vertraute, heimliche, ausschließliche Zusammenleben (so finden wir) wird als Leben in Gemeinschaft verstanden. Gesellschaft ist die Öffentlichkeit, ist die Welt.“ (TÖNNIES 1991: 3)

Ohne nach quantitativen Maßstäben eine präzise Unterscheidung vorzunehmen, sind die Parameter der Differenz klar benannt. Gesellschaft befindet sich auf einem höheren lebensweltlichen Abstraktionsniveau als Gemeinschaft. Eine wirkliche Trennung der beiden Begriffe scheint dennoch unmöglich, denn sowohl Gemeinschaft als auch Gesellschaft erwächst aus dem Dasein. Dieses ist immer ein Mitdasein, das affektive Bande ausbildet. Eine Trennung ist daher lediglich über eine Abstufung nach Zusammenhalt möglich, wie sie Tönnies vorschlägt. Gesellschaft besitzt nach Tönnies einen Fokus auf politische, kommunikative und soziale Verbindungen, während Gemeinschaft die Solidarität und affektive Momente betont. Die Unterscheidung ist daher qualitativ und nicht quantitativ vorzunehmen, auch wenn zwischen Anzahl der Mitglieder und Abnahme der Solidarität ein Zusammenhang bestehen sollte.9 Im Folgenden soll die Abgrenzung 9

Larsen, Urry und Axhausen (2006: 80ff.) zeigen in ihrer Netzwerkanalyse, dass mit Zunahme der physischen Distanz die Kontakte und Bindungen zwischen den Men-

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von Tönnies benutzt werden, denn es stehen die qualitativen Differenzierungsmechanismen, wie Solidarität, Vertrauen und das Schaffen von Gemeinschaft, im Fokus der Untersuchungen. Gesellschaft wird lediglich zur Beschreibung sozialer Umwelten der in der Arbeit fokussierten Gemeinschaften gebraucht (vgl. HEIDEGGER 1986: 134; SLOTERDIJK 1999: 188; TÖNNIES 1991: 3). Die beiden wirksamen Mechanismen beim Aufbau von Gemeinschaften sind nach Sloterdijk die Erweiterung der Sphären (vgl. SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 185) und das Prinzip Nachbarschaft (vgl. SLOTERDIJK 2004: 55ff.). Gemeinschaft ist als ein aus der Abstraktion der Sphären entspringendes soziokulturelles Gefüge zu verstehen (vgl. SLOTERDIJK 2004: 55ff.). Auch wenn Sloterdijks unpräzise Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft fragwürdig erscheint10, ist sein Gedanke, Gemeinschaften als Nachbarschaften von Sphären zu entwerfen, zum Verständnis heutiger sozialer Gebilde besonders geeignet. In Zeiten der Globalisierung, in denen weltweite Verbindungen zwischen Menschen bestehen und gleichzeitig voneinander getrennte soziale Einheiten entstehen, kann das Zusammenleben nicht als ein Zusammenleben in einer allumfassenden Totalität der Solidarität verstanden werden. Weltgesellschaft, nationale Gesellschaften und Gemeinschaften, so zeigen es die postmodernen11 und postkolonialen Theorien, sind vor allem durch ihre Pluralität gekennzeichnet (vgl. JONGEN 2008: 69; MORIN 2009: 65f.; SLOTERDIJK 1999: 47). schen abnehmen; allerdings zeigen sie gleichzeitig auf, dass dieser Zusammenhang nicht linear ist. Familienbande und Freundschaften sind über weite Distanzen hinweg in das kommunikative System von Individuen eingebunden. Sie kommen zu dem Schluss, dass in der territorialen Nähe viele Fremde leben und in der territorialen Ferne viele Freunde und Verwandte. Es entstehen komplexe Geografien der affektiven Nahbeziehungen über Distanzen hinweg. 10 In dieser Arbeit werden die für die Erforschung der Gemeinschaften in Argentinien zielführenden Ideen von Sloterdijks Sphärenkonzept übernommen. Auf Kritik wird daher verzichtet. Eine fundierte Kritik an Sloterdijk wurde von Thrift (2009) in seinem Artikel „Different atmospheres of Sloterdijk, China, and site“ formuliert. 11 Die Postmoderne gilt als eine „[…] zeitdiagnostische Beschreibung der gegenwärtigen Kultur […]“ (HEIN 2006: 27) und beschäftigt sich mit den Problemlagen industrialisierter Gesellschaften. Ihre theoretische Ausarbeitung begann in den 1960er Jahren durch Vertreter wie Jean-François Loytard, Jacques Derrida, Michel Foucault und Roland Barthes. Sie betonen die Pluralität von Gesellschaften und sozialen Prozessen und lehnen die Existenz von universal gültigen Theorien ab (vgl. HEIN 2006: 28f.; RECKWITZ 2008: 725f.).

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Außerhalb von Sphären liegen nach Sloterdijk weitere Sphären, die im Mitsein in ein Außen hineingebaut werden. In diesem Konzept kommt zum Ausdruck, dass die verschiedenen Sphären der Nachbarschaft trotz ihrer Verschränkungen untereinander ihre eigene Logik behalten und sich gegeneinander abgrenzen. Auch wenn die weltweiten Verbindungen ein Zusammenleben als Ganzes suggerieren, ist ein Leben nur in Sphären möglich. Das Ganze zerfällt in viele Einzelteile, die sich nicht mehr zusammensetzen lassen (vgl. MORIN 2009: 67f.). Weltgesellschaft und Gemeinschaften können daher nur über ihre sphärologische Verfasstheit verstanden werden. Menschen können zwar aufgrund ihrer Mitgliedschaft in mehreren Sphären auf die Zusammenhänge der Sphären schließen, ein Ganzes werden sie jedoch nie erblicken. Somit wird die Gefahr gebannt, Gesellschaft und Gemeinschaft als homogene Einheiten zu denken. Auch Sphären selbst, wie im vorigen Abschnitt gezeigt, bestehen aus mehreren Polen und vielfältigen Verbindungen, die weder symmetrische noch homogene Entitäten entstehen lassen (vgl. JONGEN 2008: 70; NARHOLZ 2008: 92; SLOTERDIJK 2004: 56ff.). Die Dynamik von Gemeinschaften ergibt sich aus den Dynamiken innerhalb der Sphären, aus Veränderungen der Sphärenzusammenhänge, die sich auch außerhalb der Gemeinschaft fortsetzen, sowie aus Veränderungen des Außen (vgl. JONGEN 2008: 71; SLOTERDIJK 2004: 56ff.).

D AS M ODELL DER ETHNISCHEN S PHÄRE : S PHÄREN , E THNIZITÄT UND ETHNISCHE V EREINE Ethnische Gemeinschaften beziehen ihren jeweiligen Zusammenhalt aus Verweisen auf ihre Herkunft. Die Herkunft steht vor allem in Modellen der Ethnizität im Forschungsfokus. Es wird daher vorgeschlagen, das Modell der Gemeinschaft, die aus Sphären besteht, mit dem der Ethnizität zu kombinieren. Aus den vorhergehenden Ausführungen zum Modell der Sphäre geht klar hervor, dass nur eine konstruktivistische Bestimmung von Ethnizität mit der Theorie der Sphären kompatibel ist12. Barth entwirft in seinen Ausführungen über ethnische Gruppen

12 Essenzialistische bzw. primordiale Modelle konzipieren Ethnizität als grundlegenden Bestandteil der Vergesellschaftung. Dies wird einerseits auf einer biologischen Basis entwickelt und andererseits als kultureller Wesenszug aller Prozesse der Vergesellschaftung dargestellt. Abzulehnen sind diese Begriffsbestimmungen, da sie Ethnizität als gegeben voraussetzen. In dieser Arbeit steht das Schaffen bzw. Produzieren soziokultureller Ordnungen im Fokus. Diese Prozesse können mit den essenzialistischen

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Ethnizität als Resultat sozialer Kategorisierungsprozesse (vgl. BARTH 1996). Er definiert sie wie folgt: „First, we give primary emphasis to the fact that ethnic groups are categories of ascription and identification by the actors themselves, and thus have the characteristics of organizing interaction between people“ (BARTH 1996: 295). Demnach werden ethnische Gruppen durch die Mechanismen der Selbst- und Fremdzuschreibung erschaffen, reproduziert und umgeformt. Im Zuge dieser Prozesse entstehen ethnische Grenzen zwischen verschiedenen Gruppen, die sich situativ und dynamisch verändern. Eine ethnische Gruppe wird somit über ihre Differenzen zu anderen ethnischen Gruppen definiert (vgl. BARTH 1996: 299f., NAGEL 1994: 152). Als Grenzsteine dienen kulturell konstruierte Merkmale, die Differenzen markieren und deshalb in dieser Arbeit als Marker bezeichnet werden13. Die Marker sind als intersubjektive Differenzen der Gemeinschaften zu verstehen. Als ethnische Marker eignen sich Herkunft und Geschichte, Körpermerkmale, Objekte, Charaktereigenschaften und politische Einstellungen. Die typischen Merkmale werden durch Generalisierung hergestellt, um interne Differenzen der Gemeinschaft zu überbrücken. Sie sind nicht bei allen Mitgliedern ausgeprägt, müssen also weder bei der Mehrheit der Mitglieder noch signifikant häufiger als in anderen Gemeinschaften vorkommen. Die Marker sind arbiträr, allerdings nicht völlig beliebig konstruiert. Einerseits können sie nur aus einem bekannten Rahmen von Möglichkeiten ausgewählt werden und andererseits werden sie im Dialog mehrerer Gemeinschaften ausgehandelt (vgl. BARTH 1996: 299, 318; HEIN 2006: 69f.; LENTZ 1995: 153; NAGEL 1994: 154). Neben Differenzen und Grenzziehungen sind ethnische Gemeinschaften auch durch Gemeinsamkeiten und ein Wir-Bewusstsein der Mitglieder gekennzeichnet (vgl. HA 2000: 318; MINTZEL 1997: 114; WERNHART 2008: 81). Die Gemeinsamkeit wird von Theoretikern der postkolonialen Bewegung in einer kulturellen Identität der Gemeinschaften gesehen (vgl. HALL 1994a: 180, 1994c: 44; WERNHART 2008: 81). Die Konzeption von Ethnizität durch die Entwicklung spezifischer Identitäten erlaubt es, die Zugehörigkeit eines Individuums zu mehreren Gemeinschaften zu denken. Besonders deutlich wird dies bei den Ausführungen Halls (1994a, b, c) zum Thema Ethnizität und Diaspora. Der Vertreter der postkolonialen Strömung geht davon aus, dass Menschen, die in der Diaspora leben, den Bezug zum Herkunftsland ihrer Vorfahren auch über mehrere GeAnsätzen nur unzureichend ausgeleuchtet werden (vgl. LENTZ 1995: 22 ff.; MINTZEL 1997: 126). 13 Barth (1969) benennt diese Marker nicht weiter. Anscheinend sind alle als subjektiv wichtig erachteten Merkmale dafür geeignet.

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nerationen hinweg nicht verlieren. Hierbei wird eine besondere Identität ausgebildet, die er Diasporaidentität nennt. Sie ist sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der Ebene der Gemeinschaft verortet. Beide Ebenen werden von ihm unter dem Begriff der kulturellen Identität zusammengefasst. Die Mitglieder der Diaspora bilden eine kulturelle Identität aus, die zwischen den Identitäten und Kulturen der Ausgangsregion und denen der Zielregion liegt und daher als Hybrid bezeichnet wird. Das heißt, in der Diaspora werden Elemente der Kultur des Herkunftslandes mit Elementen der Kultur der Gastgesellschaft vermischt. Somit ist in diesem Konzept die Diasporaidentität Ausdruck des triadischen Verhältnisses der kulturellen Identität zu den Kulturen im Auswanderungsland, im Einwanderungsland und in der Diasporagemeinschaft (vgl. HALL 1994b: 33f.; KRINGS 2003: 149). Den Prozess der Hybridisierung beschreibt Hall (1994b: 33f.) im Rückgriff auf den von Jacques Derrida entwickelten Begriff der Différance14. Die Hybridisierung wird dabei als Übersetzung von Bedeutungen angesehen. Die Bedeutungssysteme der Kulturen der Herkunfts- und Aufnahmegesellschaften werden in der ethnischen Gemeinschaft von deren Mitgliedern in ihren spezifischen Lebenskontext übersetzt. Dabei findet eine Bedeutungsverschiebung statt, das heißt, die Bedeutungen innerhalb der Gemeinschaft stimmen nicht mehr exakt mit den Ausgangsbedeutungen überein, sind diesen jedoch ähnlich. Es entsteht eine neue kulturelle Identität, die Verweise auf die Bedeutungssysteme beider Gesellschaften in sich trägt, ohne mit ihnen übereinzustimmen. Diese Identität wird auch als hybride Identität bezeichnet. Die kulturelle Identität in der Diaspora ist durch ihre Zerrissenheit zwischen Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft, ihre traumatischen kolonialen Erfahrungen, Diskontinuitäten, Heterogenität und Brüche gekennzeichnet. Die postkolonialen Theoretiker postulieren dabei, dass die Entweder-oder-Logik der Identität bei Personen, die in der Diaspora leben, in eine Sowohl-als-auch-Logik umgewandelt wird. Mitglieder von Diasporagemeinschaften fühlen sich sowohl dem Land, in dem sie leben, zugehörig als auch dem Land, in dem ihre Vorfahren geboren wurden (vgl. HA 2005: 55; HALL 1994b: 33f.). Auch wenn alle Identitäten einer ständigen Konstruktion unterliegen, ist dies nach Hall (1994b: 29) bei der Diasporaidentität im besonderen Maße zu beobachten. Diaspora und Ethnizität werden bei den Postkolonialisten zu einem 14 „Différance“ ist eine Wortschöpfung von Derrida. Trotz der unterschiedlichen Schreibweise wird différance genauso ausgesprochen wie das französische Wort „différence“. Derrida weist hiermit darauf hin, dass Wörter, aber auch Handlungen, im Akt der Aussprache und bei ihrer Wiederholung, also durch ihre Verdopplung, eine Bedeutungsverschiebung erfahren (vgl. HALL 1994b: 33f.).

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Ort, von dem aus Menschen sprechen, sich diskursiv artikulieren. Ethnische Gemeinschaften und Diasporagemeinschaften sind durch Diskurse geprägt, die die Individuen im globalen und lokalen Gefüge soziokultureller Ordnungen positionieren, in dem sie leben (vgl. HA 2000: 381; HALL 1994b: 30; GILROY 1999b: 297). Dabei verwenden die Individuen bestimmte Merkmale und lassen andere Merkmale in den Diskursen aus, die innere Differenzen markieren (vgl. HA 2000: 282f.). Auffällig ist, dass sich die Diskurse in diesen Kontexten vor allem auf die Herkunft beziehen (vgl. KRINGS 2003: 137f.; HA 2000: 388; HALL 1994c: 60f.). Außerhalb der postkolonialen Strömung werden Familie bzw. Verwandtschaft und territoriale Herkunft als Charakteristika von Ethnien angegeben. Die Familie als wichtige soziale Einheit zum Erhalt von Ethnizität steht häufig im Vordergrund. In der Familie wird die Verbindung zur Herkunft der Ahnen von Generation zu Generation weitergegeben und somit Ethnizität tradiert (vgl. ESCHER 2006: 62; NAGEL 1994: 152f.; MINTZEL 1997: 114; WERNHART 2008: 82). Doch neben der Familie sind es auch Vereine, in denen Ethnizität erhalten wird. In der argentinischen Geschichtswissenschaft wurde die Forschungsrichtung des Asociacionismo (Vereinswesen) entwickelt, in deren Fokus die Untersuchung von Vereinen steht, die von Migranten und deren Nachfahren gegründet bzw. betrieben werden. In den Vereinen bewahren die Mitglieder die Erinnerung an die Herkunft ihrer Vorfahren und schaffen Solidarität untereinander durch gemeinsame Aktivitäten und Interessen. Konkret werden in den ethnischen Vereinen traditionelle Praktiken ausgeführt, die Mitglieder leisten sich gegenseitige soziale und ökonomische Hilfe und erzählen die Geschichten über die Ahnen und die Einwanderung. Die Vereine bieten ihren Mitgliedern somit Ankerpunkte für die Ausbildung einer ethnischen Identität (vgl. BESTENE 1992: 118; DEVOTO 1992: 178, 2004: 342). In folgenden Punkten knüpft das Modell der Sphäre an das der Ethnizität an: bei der Darstellung ethnischer Gemeinschaften als heterogene soziokulturelle Einheiten sowie bei den Prozessen der Fremd- und Selbstzuschreibung von ethnischen Zugehörigkeiten. Ethnische Sphären sind dabei als Sphären zu begreifen, in denen die affektive Bindung und die Sphärengrenzen hauptsächlich über ethnische Marker hergestellt werden, das heißt über Merkmale, die sich auf die Herkunft beziehen. Im Modell der Sphäre verschiebt sich die Ebene der Analyse von der individuellen Ebene des postmodernen Subjekts auf die Mesoebene der Sphäre. Menschen sind dabei immer in mehreren Sphären zugleich verortet. Das Vermischen kultureller Elemente wird zum Alltäglichen und muss nicht durch die Konstruktion hybrider Individuen erfasst werden (SLOTERDIJK und HEINRICHS 2006: 144). Ethnische Sphären beinhalten auch die Materialität menschli-

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cher Beziehungen, die in der postkolonialen Bestimmung von Ethnizität fehlt. Sphären werden nicht nur diskursiv, sondern auch durch Praktiken und symbolische Handlungen unter Verwendung von Artefakten gebildet (vgl. SLOTERDIJK und HEINRICHS 2004: 155). Das Modell der ethnischen Sphären betont die affektive Verschränkung von zusammenlebenden Menschen stärker als das Modell der Ethnizität. Sphären sind relativ kleine Gebilde, die sich situativ ausweiten können. Zu großen sozialen Ordnungen, wie globalen Gemeinschaften, werden sie durch Ausweitung der starken Beziehungen und durch das Prinzip Nachbarschaft (vgl. SLOTERDIJK 2004: 55). Demgegenüber werden Ethnien als soziale Kategorie aufgefasst (vgl. BARTH 1996: 295; LENTZ 1995: 29), die ein Wir-Bewusstsein (HA 2000: 381) besitzt. Die affektiven Bindungen können in diesen sozialen Ordnungen auch schwach ausgebildet sein. Die Kategorie der Ethnie kann sowohl kleine Gruppen als auch große Volksgemeinschaften und Nationen umfassen. Das Verhältnis kleiner sozialer Ordnungen zu großen Ordnungen bleibt ungeklärt (vgl. MINTZEL 1997: 111ff., WERNHART 2008: 86). Dadurch besteht die Gefahr, große soziale Ordnungen, wie Völker, als homogene soziokulturelle Einheiten aufzufassen, ohne auf deren Mikroordnungen zu achten (vgl. MINTZEL 1997: 120f.). Im Modell der Sphäre wird die Zugehörigkeit von Menschen zu mehreren Sphären und mehreren Nachbarschaften zur Selbstverständlichkeit. Nachbarschaft kann bedeuten: Nachbarschaft aller Sphären in der Weltgesellschaft, Nachbarschaft in der ethnischen Gemeinschaft, Nachbarschaft in einer religiösen Gemeinschaft oder wirtschaftliche Nachbarschaft bzw. Nachbarschaft, die sich anhand nationalstaatlicher bzw. politischer Merkmale ausbildet. In dieser Arbeit werden ethnische Sphären bzw. ethnische Nachbarschaften im Fokus der Betrachtung stehen. Sie sind durch Verweise auf territoriale und familiäre Herkunft geprägt. Ethnische Sphären lassen sich daher als Sphären beschreiben, die im Zusammensein von Menschen unter Rückgriff auf Kontexte der Ethnizität gebildet werden. In dem Modell der ethnischen Sphären sind soziale Gefüge, die quer zu nationalstaatlichen Organisationsmustern liegen, leicht vorstellbar, da territoriale und staatliche Grenzen keine affektiven und kulturellen Grenzen darstellen. Im Prinzip Nachbarschaft wird außerdem die Heterogenität ethnischer Gemeinschaften betont, denn Nachbarschaft bedeutet auch das Bestehen von Grenzen innerhalb von Gemeinschaften (vgl. CLAESSENS und TYRADELLIS 1997: 59f.; SLOTERDIJK 2004: 498, 2004: 56ff., 2004: 259).

Die Feldforschung als methodischer Zugang zur Erforschung von Sphären

Die Zeitschrift „Environment and Planning D: Society and Space“ veröffentlichte im Jahr 2009 eine Ausgabe mit dem Titel „The Worlds of Peter Sloterdijk“. Darin wurden zehn Artikel veröffentlicht, die sich dem Konzept der Sphären widmen. Wie auch in anderen zum Thema Sphären erschienenen Veröffentlichungen erschöpft sich die Auseinandersetzung mit dem Konzept von Sloterdijk in theoretischen Diskussionen. Empirische Arbeiten, bei denen das Konzept der Sphäre als theoretische Grundlage zur Erforschung von Prozessen der Vergesellschaftung oder Vergemeinschaftung dient, fehlen bis heute gänzlich. Zur sphärologischen Erforschung von Gemeinschaften existieren daher keine Vorlagen oder Hinweise, die bei der Auswahl der empirischen Methoden Orientierung bieten. Auch ein Schema für die Datenaufbereitung und -auswertung muss erst entwickelt werden. Sphären werden im Zusammenleben der Menschen gebildet. Sie sind soziale Gefüge, deren Mitglieder emotional miteinander verbunden sind und sich sozial, kulturell und auch materiell zusammen in der Welt einrichten (vgl. SLOTERDIJK 2004: 36). Bei der sphärologischen Untersuchung von Gemeinschaften liegt damit der empirische Fokus auf der Erfassung der emotionalen Bindungen der Mitglieder untereinander, der soziokulturellen Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Sphäre und ihrer Beziehungen zur Umwelt sowie zu den materiellen Elementen der Sphäre. Die Datenerhebung muss die gelebten Momente der Sphärenmitglieder und die dabei vorhandene Atmosphäre der ethnischen Sphären empirisch untersuchen. Diese Informationen können nicht nur beim Studium der Literatur oder durch Internetrecherche gesammelt werden, auch wenn die von der Gemeinschaft produzierten Dokumente und die Internetauftritte ihrer Vereine und Gruppen wichtige Aspekte der ethnischen Sphären und ethnischen Gemeinschaften bilden. Der Wissenschaftler muss vor Ort Erfahrungen sammeln, um einen Zugang zu den sphärologischen Prozessen der Vergemeinschaf-

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tung zu bekommen. Kern der Erhebung ist somit die Feldforschung, bei der der Forscher am Leben der Sphärenmitglieder teilnimmt (vgl. CAPPAI 2008: 15f.; CRANE 2005: 231f.; ROSENTHAL 2008: 106f.). Die Feldforschung ist dazu geeignet, den Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, indem im Feld ein Mix aus verschiedenen Methoden angewandt wird (vgl. HONER 1994: 89; LENTZ 1992: 317ff.). Um die verschiedenen Aspekte der Sphäre, wie Routinen, Wissensordnungen usw., zu erfassen, setzen sich die in der Arbeit angewandten Methoden zur Datenerhebung aus vier Bausteinen zusammen: (1) dem Sammeln von Dokumenten (Artikel, Flyer, Vereinschroniken etc.) vor Ort, die von den Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien angefertigt wurden, und Internetrecherche. Die Dokumente und die Internetauftritte der Vereine und Personen, die den Sphären syrisch- und libanesischstämmiger Argentinier angehören, liefern wichtige Informationen zur geschichtlichen Entwicklung und Selbstdarstellung der ethnischen Sphären und ethnischen Gemeinschaften. Die emotionale Verfasstheit, die sozialen Beziehungen der Mitglieder und die gruppenbildenden Momente werden durch die beiden Erhebungstechniken (2) des problemzentrierten Interviews und (3) der teilnehmenden Beobachtung erfasst. (4) Die materiellen Elemente der Sphären, aber auch soziale Praktiken werden durch Fotografien dokumentiert. Die vorliegende Arbeit verortet sich innerhalb der qualitativen Sozialforschung zwischen interpretativen Paradigma und normativen Paradigma. Dem interpretativen Paradigma folgend wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass sich Personen in Handlungen und Kommunikation interpretativ aufeinander beziehen. Der Erkenntnisgewinn des Wissenschaftlers resultiert aus der Interpretation des Datenmaterials (vgl. MAYRING 1996: 2; ROSENTHAL 2008: 14f.). Jedoch muss das normative Paradigma ebenfalls berücksichtigt werden, da alltägliche Interpretationen sich im Kontext von gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Ordnungen vollziehen. Die Arbeit des Wissenschaftlers bringt verdeckte, unbewusste Sinnordnungen zutage (vgl. CAPPAI 2008: 19f.). Ziel der Forschung ist es, gesellschaftliche Wirklichkeit lebensnah zu erfassen und soziokulturelle Ordnungen herauszuarbeiten. Dabei stehen das typische Handeln in Routinen sowie die Diskurse im Vordergrund (vgl. HITZLER 1993: 229f.). Das bedeutet, dass in dieser Arbeit sowohl individuelle Interpretationen als auch intersubjektive soziokulturelle Ordnungen berücksichtigt werden (vgl. RECKWITZ 2008: 297f.). Um die Vielschichtigkeit der Sphären zu erfassen, wurden, der qualitativen Sozialforschung folgend, die Theorie bzw. die Vorannahmen und das Gegenstandsverständnis ständig einander angepasst (vgl. MAYRING 1996: 18). Ein Dialog zwischen Theorie und Empirie ist notwendig, um einen dynamischen, zirku-

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lären Forschungsprozess zu vollziehen. Durch diese Vorgehensweise lässt sich die Theorie erweitern und die Forschung erschöpft sich nicht in der reinen Verifizierung der Theorie. Um die bereits dargestellte Theorie am Gegenstand entwickeln zu können und zu einer gegenstandsbezogenen Theorie zu gelangen, fand die Feldforschung zuerst statt. Es wurde lediglich ein Vorverständnis zu Gesellschafts- und Migrationstheorien aufgebaut, ohne eine spezielle Theorie im Feld „beweisen“ zu wollen. Während der Feldforschung verdichteten sich die Anzeichen, dass die Theorie der Sphären zum Verständnis der beobachteten Prozesse beitragen wird. Vertieft wurde das Studium der theoretischen Grundlagen der Sphären erst nach der Feldforschung. Dabei wurden die Entwicklung der theoretischen Folie und die Auswertung des Datenmaterials wechselseitig aufeinander bezogen (vgl. GLASER und STRAUSS 2010: 263ff.; HONER 1993: 253f.; ROSENTHAL 2008: 25). Die Feldforschung kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, da selektiv vorgegangen wird. Auch wenn in der ersten Phase im Feld explorativ geforscht wurde, fand durch das vorhandene Wissen schon eine Selektion von theoretisch und lebensweltlich vermeintlich interessanten Gesichtspunkten statt. Des Weiteren flossen in die Auswahl wesentlicher Themenbereiche bei den Gesprächen Vorannahmen aus theoretischen Modellen und der Lektüre von Studien über die syrisch- und libanesischstämmige Bevölkerung in Argentinien ein. Die Vorgehensweise der Selektion erlaubt es dem Wissenschaftler, den Gegenstand zielgerichtet zu erforschen, und ermöglicht eine zeitsparende Orientierung im Feld (vgl. CAPPAI 2008: 20; FISCHER 2002: 12f.). Im Ausland nimmt der Wissenschaftler die Perspektive des „Fremden“ ein, der außerhalb der dortigen sozialen und kulturellen Ordnungen steht. Dies entspricht in hohem Maße der phänomenologischen Methodik zur Erforschung des Alltags. Die Perspektive des „Fremden“ sollte nach Schütz auch in der vermeintlich „eigenen“ Kultur oder Gesellschaft eingenommen werden: „Deshalb bemerkt der Fremde häufig mit einer schmerzlichen Klarsichtigkeit das Heraufkommen einer Krise, welche den ganzen Grund der ‚relativ natürlichen Weltanschauung‘ bedroht, während alle Symptome von den Mitgliedern der in-group, die sich auf die Kontinuität ihres üblichen Lebensstils verlassen, unbeachtet blieben.“ (SCHÜTZ 1972a: 68)

Die Perspektive des Fremden erlaubt es dem Forscher, die intersubjektive Wirklichkeit zu reflektieren. Scheinbar unspektakuläre und triviale Routinen werden erfasst (vgl. CAPPAI 2008: 13f.; SCHÜTZ 1972a: 68). In „fremden“ Kontexten führen vorgefertigte Kategorien häufig zu fehlerhaften Interpretationen. Bei der

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Feldforschung in Argentinien fanden daher offene und flexible qualitative Untersuchungsmethoden Anwendung (vgl. CAPPAI 2008: 15ff.; LENTZ 1992: 317ff.). Die Feldforschung umfasste einen fünfmonatigen Aufenthalt in Argentinien im Jahr 2008. Eine am Geographischen Institut der Universität Mainz angebotene Projektstudie, die 2010 im Libanon durchgeführt wurde, ermöglichte einen 14-tägigen Aufenthalt im Libanon. Bei beiden Auslandsaufenthalten wurden die Erhebungen mit den vier genannten Techniken durchgeführt.

D ER Z UGANG ZUM U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND UND DIE F ELDFORSCHUNG IN ARGENTINIEN Nach dem Studium der einschlägigen Literatur über die arabischen Gemeinschaften in Argentinien wurden die Städte Buenos Aires und San Miguel de Tucumán vor dem Auslandsaufenthalt als mögliche Orte zur Durchführung der Feldforschung ausgewählt. Diese Regionen eignen sich besonders gut, da dort der Anteil der Argentinier syrischer und/oder libanesischer Abstammung groß ist. In beiden Gebieten haben die syrisch- und libanesischstämmigen Argentinier ethnische Vereine gegründet (vgl. JOZAMI 1994: 98ff.). Aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung von Buenos Aires und San Miguel de Tucumán bildeten sich in den beiden Regionen verschiedene soziale Wirklichkeiten aus. Buenos Aires auf der einen Seite, das in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht über starke internationale Verbindungen verfügt: Dort befindet sich der Hafen, in dem die Immigranten Anfang des 20. Jahrhunderts ankamen. Die Stadt ist bis heute das politische Zentrum Argentiniens, in dem die Botschaften ansässig sind. Im Gegensatz dazu ist das im Landesinneren gelegene Tucumán durch seine Monokulturen aus Zuckerrohr und seine provinzielle Atmosphäre charakterisiert (vgl. ROMERO 1959; ORTIZ D’ARTERIO 2004; VELA RÍOS und CAIMI 1980). Ein Vergleich beider Gebiete bietet die Möglichkeit, die Bildung von ethnischen Sphären und ethnischen Gemeinschaften unter verschiedenen sozialen Rahmenbedingungen zu untersuchen. Die Feldforschung in diesen zwei Gebieten erlaubt es, die Verbindungen zu betrachten, die zwischen den Mitgliedern von ethnischen Sphären und ethnischen Gemeinschaften in Buenos Aires und San Miguel de Tucumán bestehen. Es lässt sich nachvollziehen, ob die Sphären und Gemeinschaften nur lokal existieren oder ob überregionale Beziehungen vorhanden sind bzw. welcher Art diese sind. Der erste Schritt der Feldforschung besteht darin, Zugang zu den ethnischen Sphären und ethnischen Gemeinschaften zu erhalten, die im Forschungsfokus stehen. Theoretische Überlegungen und empirische Arbeiten legen nahe, dass

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Vereine eine wichtige Rolle bei der Bildung und Reproduktion ethnischer Gemeinschaften einnehmen. Heckmann (1992) gibt in seinen Ausführungen zur ethnischen Kolonie1 Hinweise zur Bedeutsamkeit von Vereinen für den Erhalt der Kolonie. Für ihn ist die ethnische Kolonie ein soziales Netzwerk, das auf Ethnizität beruht und im regionalen Kontext des Aufnahmelandes von Einwanderern gebildet wird. Die Einwanderer bauen zur Befriedigung ihres Bedürfnisses nach Orientierung und Sicherheit im fremden neuen Lebensort eine ethnische Kolonie auf. Im nächsten Schritt gründen Mitglieder der ethnischen Kolonie Vereine und Organisationen, um die Praktiken der wechselseitigen Hilfe unter den Einwanderern und deren Nachfahren zu institutionalisieren. Vereine sind seiner Auffassung nach die Orte, die für die Einwanderer die Funktion der Orientierung und der sozialen Sicherung in der Fremde erfüllen. Wird diese Funktion in der zweiten Generation nicht mehr benötigt, lösen sich die Vereine auf (vgl. HECKMANN 1992: 98ff.). Die Arbeiten argentinischer Wissenschaftler, die sich mit der Organisation von Vereinen von Migranten und deren Nachfahren beschäftigen, sind unter dem Schlagwort „Asociacionismo“ (Vereinswesen) zu finden. Sie beschäftigen sich nicht mit der Entwicklung ethnischer Kolonien, sondern mit den Prozessen der Vergemeinschaftung, die sich in ethnischen Vereinen abspielen. Die Autoren betonen die soziale und kulturelle Funktion von Vereinen. In den Vereinen werden die Ankerpunkte für die Ausbildung einer ethnischen Identität bewahrt und traditionelle Praktiken ausgeübt. Sie bieten Orientierung im Alltag und institutionalisieren die gegenseitige Hilfe. Die ethnische Gemeinschaft materialisiert sich in den Vereinen. Im Gegensatz zum Konzept der ethnischen Kolonie setzen die Autoren in diesem Ansatz die ethnische Kolonie bereits als gegeben voraus und legen ihren Schwerpunkt auf die Untersuchung der Vereine ethnischer Gemeinschaften. Anders als Heckmann gehen die Vertreter des Asociacionismo vom generationenübergreifenden Fortbestehen dieser Vereine und der ethnischen Gemeinschaft aus (vgl. BESTENE 1992: 118; 1

Bei der Entstehung der ethnischen Kolonie und deren Vereine spielen nach Heckmann drei Faktoren eine wichtige Rolle: (1) Durch Kettenwanderung wandern Menschen aus einer Familie bzw. aus der gleichen Herkunftsregion in bestimmte Zielregionen und bilden dort (2) aufgrund ähnlicher Erfahrungen und Bedürfnisse sowie vorheriger Beziehungen eine ethnische Kolonie. (3) Die Kolonie betrachtet er als die Fortführung innerethnischer Beziehungen, wobei „Beziehungen aus dem Herkunftskontext […] in die Einwanderergesellschaft ‚verpflanzt‘ bzw. am neuen Ort wiedererrichtet“ (HECKMANN

1992: 99) und institutionalisiert werden. Infolge der Institutionalisierung wer-

den Einwanderervereine als soziale Knotenpunkte der ethnischen Kolonie gegründet (vgl. HECKMANN 1992: 98ff.).

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DEVOTO 1992: 178, 2004: 342). Der soziale und ökonomische Aufbau der ethnischen Vereine ist intern heterogen. Neben der Familie als strukturierendem Element der ethnischen Vereine sind Menschen unterschiedlicher sozialer Position, mit unterschiedlichen ökonomischen Mitteln und aus unterschiedlichen Generationen darin organisiert. In ethnischen Vereinen ist daher ein komplexes soziales Gefüge vorhanden, wobei einzelne Mitglieder oder Gruppen auch unterschiedliche Interessen verfolgen (vgl. BESTENE 1992: 131; GANDOLFO 1992: 331; HECKMANN 1992: 110). Allen Ansätzen ist gemein, dass sie funktionalistisch sind. Die ethnische Kolonie und die Vereine besitzen für die Einwanderer und deren Nachkommen bestimmte Funktionen. Die Funktionen liegen je nach Autor im sozialen und kulturellen Bereich (vgl. BESTENE 1992: 126; DEVOTO 2004: 242; ESCHER 2000: 356; HECKMANN 1992: 111), reichen über ökonomische Hilfe (vgl. BESTENE 1992: 126; ESCHER 2006: 58ff.) bis hin zur Persönlichkeitsstabilisierung (vgl. HECKMANN 1992: 111). Devoto (1992) weist darauf hin, dass Vereine, aber auch Kirchen und Gesundheitseinrichtungen ethnischer Gemeinschaften nicht nur Funktionen erfüllen, sondern auch Orte sind, an denen die Mitglieder leben, ohne dass für die Mitglieder der funktionale Charakter im Vordergrund steht. In diesen Vereinen und Organisationen wird eine Fülle von gemeinsamen Aktivitäten und Praktiken ausgeübt, die in Verbindung mit dem Herkunftsland und dem aktuellen Lebensland stehen. Sie bieten Sprachunterricht an, ihre Mitglieder essen und tanzen zusammen oder verbringen einfach Zeit miteinander. Bei diesen Aktivitäten stehen die Pflege der affektiven Verbindungen zwischen den Mitgliedern untereinander und die emotionale Bindung zum Herkunftsland der Ahnen sowie zum heutigen Lebensland im Fokus, ohne bestimmte Funktionen auszufüllen (vgl. DEVOTO 1992: 185). Es liegt nahe, in Vereinen mit der Kontaktaufnahme zu Mitgliedern ethnischer Sphären zu beginnen, denn diese sind ebenfalls durch die affektiven Beziehungen gekennzeichnet. Bei der durchgeführten Feldforschung wurde daher über die ethnischen Vereine der Zugang zu den ethnischen Sphären und Gemeinschaften hergestellt. Der Forscher stellte sich zunächst bei den Vereinsvorsitzenden, anderen Schlüsselpersonen von ethnischen Vereinen und dem libanesischen Botschafter mit einer Bescheinigung des Geographischen Instituts der Universität Mainz offiziell als Wissenschaftler vor. In der Folgezeit wurde diese Bescheinigung nicht mehr benötigt, da alle weiteren Gesprächspartner den Personen vertrauten, die den Forscher an sie vermittelten. Es ist anzuraten, durch eine offizielle Forschungsbestätigung der Universität das Vertrauen der Mitglieder der Gemeinschaften zu erlangen. Dadurch wird die Ehrlichkeit der eigenen Person nachgewiesen. Der Wissenschaftler sollte sein Projekt verständlich erklären können, da die meisten Mitglieder der Gemeinschaften vor der Bereitstellung von Informationen den

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Wissenschaftler um Auskünfte über die Verwendung der Daten und das Ziel seiner Studie bitten. Während der Vorbereitungen für den Auslandsaufenthalt nahm der Forscher Kontakt zur libanesischstämmigen Geschichtswissenschaftlerin Gladys Jozami auf. Sie vermittelte ihm den Kontakt zum Institut für Geschichte der Universidad Nacional de Tucumán, das seine Feldforschungsarbeiten in San Miguel de Tucumán unterstützte. Gladys Jozami stellte auch den Kontakt zum Centro de Estudios Migratorios Latinoamericanos (CEMLA) her, das in Buenos Aires ansässig ist. Das CEMLA führt Forschungsprojekte zur Migration von und nach Argentinien durch und verfügt über eine umfangreiche Bibliothek zum Themenkomplex Migration. Neben wissenschaftlichen Artikeln umfasst die Bibliothek auch die statistischen Jahrbücher der Migration, die von der Dirección de Migraciones herausgegeben werden. Die Mitarbeiter des CEMLA unterstützten die Untersuchungen, indem sie dem Wissenschaftler für die ersten beiden Wochen einen Arbeitsplatz2 zur Verfügung stellten. Nach seiner Ankunft in Buenos Aires sichtete der Forscher im CEMLA das vorhandene Material und digitalisierte wichtige Daten. Per E-Mail nahm der Forscher vor dem Auslandsaufenthalt den Kontakt zur libanesischen Botschaft auf. Der Botschafter empfing ihn in der ersten Woche nach der Ankunft in Argentinien. Trotz der Unterstützung des Botschafters dauerte es noch rund vier Wochen, bis erste Interviewtermine mit den Mitgliedern der Vereine vereinbart werden konnten. Der Kontakt zu den Vereinen der libanesischstämmigen Argentinier entstand hauptsächlich über die Kirchengemeinde San Marón in Buenos Aires. Das CEMLA arrangierte einen Gesprächstermin mit Pater Naji, einem Missionar der Kirchengemeinde San Marón. Nach einem Treffen mit ihm in der Misión Maronita lud er den Wissenschaftler zur sonntäglichen Messe ein. Der Forscher kam der Einladung nach und wurde im Anschluss an die Messe den anwesenden Gemeindemitgliedern vorgestellt. Einige erklärten sich zu Gesprächen bereit. Ein wichtiger Moment für die weitere Feldforschung war die Begegnung mit den Eltern von Juan und Ernesto Saliba nach der Messe. Von dem Elternpaar Saliba bekam der Forscher die Telefonnummern der Söhne, die sich in der Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa von Buenos Aires (JUCAL Buenos Aires) 2

Mitarbeiter des CEMLA halfen dem Forscher bei der Suche nach Dokumenten und Statistiken in der hauseigenen Bibliothek, aber auch in anderen Bibliotheken. Außerdem stellten sie ihm einen Schreibtisch zur Verfügung und gewährten ihm Zugang zu einem Computer für die Eingabe von Daten und zur Internetrecherche. Er hält bis heute den Kontakt zu diesem Forschungsinstitut aufrecht.

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engagieren, einem Verein jugendlicher libanesischstämmiger Argentinier. Nach einem Telefongespräch mit Juan Saliba lud dieser den Forscher zu einer Sitzung der JUCAL Buenos Aires ein. Bei dem Treffen, das im Club Libanés in Buenos Aires stattfand, wurde der Wissenschaftler der Gruppe vorgestellt und eingeladen regelmäßig an kommenden Sitzungen und ihren Aktivitäten teilzunehmen. Da die Mitglieder der Kirchengemeinde San Marón und der JUCAL Buenos Aires über Bekanntschaften in verschiedenen libanesischen Vereinen verfügen, konnte der Wissenschaftler die Vorsitzenden des Club Libanés de Buenos Aires, der Unión Cultural Argentino Libanesa Buenos Aires, der Asociación Libanesa de San Isidro, des Club Los Cedros, des Hospital Sirio Libanés sowie Vertreter der maronitischen Kirchengemeinde Santísimo Clavario y Nuestra Señora del Líbano in San Martín kennenlernen. Nach den Gesprächen mit den Vorsitzenden und Vertretern der Kirchengemeinden wurden dem Forscher die Räumlichkeiten der Vereine und Kirchen gezeigt. Aufgrund der regelmäßigen Teilnahme an den Sitzungen der JUCAL Buenos Aires wurde der Wissenschaftler zum XI. Nationalen Kongress der JUCAL in Rosario eingeladen. Bei dieser Gelegenheit konnte er die Vereinsräume der Sociedad Libanesa de Rosario besichtigen. Der Zugang zu den syrisch-libanesischen Gemeinschaften gestaltete sich schwierig. Vom 14. bis 18. April 2008 fand die Kulturwoche „Primera Semana de la Cultural de los Países Árabes“ statt, die von der Confederación de Entidades Argentino Árabes de Buenos Aires (FEARAB Buenos Aires) organisiert wurde. Der Forscher lernte den Vizevorsitzenden dieser Organisation während der Veranstaltung kennen, der ihn zu einem Gespräch einlud. Das Ergebnis des Gesprächs war die Aufforderung, keine eigene Initiative zur Kontaktaufnahme zu unternehmen und auf eine Einladung der Vereine zu warten. Der Kontakt entstand erst vier Monate nach der Ankunft in Argentinien, als der Wissenschaftler in San Miguel de Tucumán Bekannte von Mitgliedern des Club Sirio Libanés in Buenos Aires kennenlernte. Diese brachten den Forscher mit Mitgliedern des Club Sirio Libanés de Buenos Aires in Kontakt. Anschließend konnte er mehrere Gespräche führen und wurde durch die Räumlichkeiten des Vereins geführt. Mit Vertretern der FEARAB Buenos Aires konnte trotz der Hilfe von Pater Naji und Gladys Jozami kein Treffen vereinbart werden. 3 Die Fundación Los Cedros wurde von mehreren Gesprächspartnern als wichtiger Verein der syrisch-libanesischen Gemeinschaften genannt. Nach einem Telefonat mit dem Sekretariat wurde ein Termin mit Vertretern der Institution vereinbart. Nach mehreren Besuchen in der Fundación Los Cedros und Gesprächen 3

Ausnahme ist Horacio Haddad, der den Forscher jedoch in seiner Funktion als Vorsitzender der Fundación Los Cedros empfing.

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mit dem Vorsitzenden Horacio Haddad kam ein Interview mit ihm in der von ihm geleiteten Klinik zustande. Da aus der Literatur zur arabischen Gemeinschaft in Argentinien hervorgeht, dass auch muslimische Einwanderer aus dem Libanon und Syrien nach Argentinien kamen, rief der Forscher im Sekretariat des Centro Islámico República Argentina an. Er wurde zur Kulturabteilung weitergeleitet und erhielt einen Interviewtermin. Nach einem Interview mit dem Vertreter des Centro Islámico República Argentina lud dieser ihn zum Besuch der Moschee Al Ahmad ein, die in der Nähe des Zentrums liegt. Bei den Gesprächen mit dem Vertreter des Zentrums stellte sich heraus, dass der Großteil der muslimischen Gemeinschaft aus Afrika stammt. Kontakte mit syrischen und libanesischen Muslimen waren nicht möglich. Die Feldforschungen in San Miguel de Tucumán führte der Wissenschaftler im Juni und Juli 2008 durch. Dort konnte er gleich nach seiner Ankunft mit Interviews beginnen, da sein Besuch von den Mitgliedern der JUCAL Buenos Aires angekündigt worden war. Die mit den Mitgliedern der JUCAL Buenos Aires befreundeten Mitglieder der JUCAL Tucumán unterstützten die Untersuchungen vom ersten Tag an. Außerdem bekam der Forscher von Gesprächspartnern in Buenos Aires die Telefonnummern von Bekannten und Verwandten in San Miguel de Tucumán. Die Mitglieder der JUCAL Tucumán versicherten dem Forscher, dass er auch ohne Anmeldung in die Vereine gehen kann, um mit den Mitgliedern zu sprechen. In der Tat traten bei einem unangemeldeten Besuch der Versammlung der Damengruppe der Asociación Libanesa de Tucumán keine Probleme auf. Nachdem sich der Forscher vorgestellt hatte, erklärten sich zwei Frauen zu einem Interview bereit und vermittelten ihm den Kontakt zum Vorsitzenden des Vereins. Bei dem Gespräch mit diesem Vorsitzenden wurde der Wissenschaftler durch den Verein geführt. Die Vorsitzenden der Asociación Libanesa und der JUCAL Tucumán luden den Wissenschaftler zum Besuch einer Messe in der maronitischen Kirche Nuestro Señor del Milagro y San Marón und zu einem anschließenden Fest in der Asociación Libanesa ein. Nach der Messe und während der Festlichkeiten konnte er weitere Gespräche führen und Beobachtungen machen. Bei einem unangemeldeten Besuch bei der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán wurde der Forscher über das Vereinsgelände geführt und erhielt die Kontaktdaten des Vereinsvorsitzenden. Dieser war noch in der gleichen Woche zu einem Interview bereit. Er empfahl dem Forscher ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica. Bei einem Besuch dieses Vereins wurde der Wissenschaftler durch die dortigen Räumlichkeiten geführt.

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Die Kontaktaufnahme erfolgte somit nach dem Schneeballprinzip, das heißt, die Kontakte wurden von Gesprächspartnern und Bekannten vermittelt. Dadurch bekam der Wissenschaftler Zugang zu Sphären von Freunden, wie den Jugendgruppen JUCAL Buenos Aires und JUCAL Tucumán, und zu Familien. Das Vorgehen ermöglichte es, diese Sphären zu untersuchen. Bei der Feldforschung konnten nur Sphären berücksichtigt werden, deren Mitglieder zu Gesprächen bereit waren. Aus dem dargestellten Untersuchungsverlauf zeigt sich auch, dass der erste Kontakt mit der maronitischen Mission in Buenos Aires den Forschungsverlauf beeinflusste. Aufgrund dieser Unterstützung bekam der Wissenschaftler vor allem Zutritt zu Sphären und Vereinen der libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens. Der verzögerte Zutritt zu den ethnischen Sphären und ethnischen Vereinen der syrischstämmigen Bevölkerung bzw. zu Vereinen, die sich als syrisch-libanesisch bezeichnen, führte dazu, dass diese soziokulturellen Gefüge nicht in gleicher Tiefe und Gründlichkeit erforscht werden konnten. Bei der Auswahl der aufgesuchten Vereine und Organisationen ließ sich der Forscher von den Aussagen der Gesprächspartner leiten, die die Frage beantworteten, welche Organisationen für sie persönlich wichtig sind und welche sie für den Erhalt und die Entwicklung der „syrischen und/oder libanesischen Gemeinschaft“ in Argentinien als wichtig erachten. Dieses Vorgehen führte dazu, dass hauptsächlich Vereine in die Untersuchung eingingen, die von den Mitgliedern der Sphären als räumlicher Bezugspunkt angesehen werden. Es stellte sich heraus, dass die ethnischen Sphären vor allem in soziale Vereine eingebunden sind, wobei alle Vereine auch einen kulturellen Charakter besitzen4.

D IE I NTERVIEWPARTNER UND DAS THEMENZENTRIERTE I NTERVIEW Die Erforschung der Sphären orientiert sich am Alltagswissen und an Alltagshandlungen der Menschen. Seit den 1970er Jahren setzt sich in der Sozialwissenschaft die Einsicht durch, dass alltagsorientierte Forschungen ein qualitatives Forschungsdesign bedingen (vgl. MAYRING 1996: 6ff.; REUBER und PFAFFEN-

4

Sogar das Hospital Sirio Libanés verfügt über eine Kulturabteilung, die die Außendarstellung der syrischen und libanesischen Gemeinschaften in Argentinien verbessern möchte. In der libanesischen Handelskammer sowie in den Botschaften werden diese Bemühungen ebenfalls unternommen.

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2005: 114f.). Den Anforderungen der qualitativen Sozialforschung5 folgend wurden problemzentrierte Interviews durchgeführt, die offen angelegt waren. In den Gesprächen wurden lediglich die Themenbereiche aus theoretischen Vorüberlegungen und der Lektüre vorheriger empirischer Arbeiten anderer Autoren entwickelt. Um in den Gesprächen zu den verschiedenen Themen vorbereitet überzuleiten, hatte der Forscher auf die jeweiligen Gesprächspartner zugeschnittene Eingangsfragen zu den verschiedenen Bereichen vorformuliert. Weitere Fragen ergaben sich aus dem Interviewverlauf. Der Wissenschaftler gab keine Antwortmöglichkeiten vor. Die Themenbereiche wurden somit während der Feldforschung ständig an den Gegenstand angepasst (vgl. MAYRING 1996: 50f.; GLÄSER und LAUDEL 2009: 41f.). Es wurden Themenbereiche für zwei unterschiedliche Kategorien von Interviewpartnern entworfen: (1) Fragen zum organisatorischen Aufbau, zu den finanziellen Mitteln der Vereine und Vereinsgeschichte stellte er nur den Vorsitzenden und Vorstandsmitgliedern der Vereine. Demgegenüber befragte er (2) alle Gesprächspartner zu den Bereichen Familiengeschichte, Vereinsleben, ethnische Gemeinschaft, transnationale Verbindungen, Herkunftsort der Familie und jetziges Lebensland. Die Themen wurden in flexibler Reihenfolge abgehandelt und je nach Gesprächssituation wurde zwischen ihnen hin- und hergewechBACH

5

Um den Ansprüchen der qualitativen Forschung nachzukommen, müssen nach Lamnek (2005: 5) sechs Prinzipien erfüllt werden: (1) Offenheit gegenüber dem Untersuchungsgegenstand und den in die Forschung einbezogenen Personen während der Datenerhebung und -auswertung. (2) Die Forschung wird als Kommunikation verstanden. Das bedeutet, dass die beteiligten Personen als Partner der Untersuchung angesehen werden. Forscher und Gesprächspartner interagieren miteinander und formen den Untersuchungsgegenstand zusammen. (3) Das Forschungsdesign muss flexibel angelegt werden, um die Untersuchungsrichtung nicht im Vorhinein einzuengen. Unerwartete Vorkommnisse und Ergebnisse werden in die Untersuchungen sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht eingebunden und nicht ausgeschlossen. Die Forschung ist demnach explorativ aufzubauen, wodurch sie (4) einen prozesshaften Charakter erhält. Zur Datenerhebung und -analyse sind daher offene Techniken anzuwenden. (5) Die Formulierung des Gegenstands und der Datenanalyse soll reflexiv erfolgen. Das bedeutet, dass Theorie und Gegenstand miteinander im Dialog stehen. Außerdem erfolgt die Interpretation der Informationen gegenstandsbezogen unter Berücksichtigung des Standpunktes des Wissenschaftlers als Beobachter. (6) Explikation bedeutet, dass der Forschungsverlauf kontrollierbar und nachvollziehbar gestaltet wird (vgl. LAMNEK 2005: 20).

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selt. Dieses Vorgehen ermöglichte es den Interviewten, den Interviewer durch aktive Gesprächsgestaltung auf wichtige Alltagssituationen in Bezug auf Familie und ethnische Gemeinschaft hinzuweisen. Von den Gesprächspartnern als wichtig angesehene neue Themenbereiche wurden auf diese Weise in den bereits bestehenden Themenkomplex aufgenommen. Der Forscher stellte Nachfragen in Gesprächspausen und unterbrach den Gesprächspartner so wenig wie möglich (vgl. GLÄSER und LAUDEL 2009: 117; MAYRING 1996: 54). Neben dem Schneeballprinzip entstanden Kontakte zu Gesprächspartnern durch die Teilnahme an Veranstaltungen. Bei geschlossenen Veranstaltungen ist es selbstverständlich, nur auf Einladung oder nach Rücksprache mit dem Veranstalter teilzunehmen. Besonders erfolgreich war die Teilnahme an den Veranstaltungen, wenn der Forscher zusammen mit einem Gemeinschaftsmitglied zu der Veranstaltung erschien. Während der Veranstaltung wurde der Forscher den anwesenden Freunden und Bekannten seines Begleiters vorgestellt. Anschließend kam es häufig zu ungezwungenen Gesprächen mit den vorgestellten Personen, die sich über das Forschungsprojekt informierten. Viele erklärten sich zu Interviews bereit und gaben dem Forscher ihre Kontaktdaten, um einen konkreten Termin zu vereinbaren. Die Vereinbarung der Interviewtermine wurde zu einem Großteil telefonisch vorgenommen. Einladungen zu informellen Gesprächen und zum Essen nahm der Forscher immer an, um Vertrauen aufzubauen und im nächsten Schritt nach einem Interviewtermin zu fragen. Natürlich waren nicht alle Personen zu Gesprächen bereit, wobei die Absagen nicht weiter begründet wurden. Um eine angenehme Gesprächssituation zu schaffen, wurde die Wahl des Gesprächsorts und -termins dem Interviewpartner überlassen. Der Gesprächspartner konnte auch entscheiden, anonym zu bleiben. Dies wurde jedoch von keinem als notwendig erachtet. Gegenfragen durch die Interviewten waren erwünscht, allerdings achtete der Gesprächsleiter darauf, dass sich die Rollen von Interviewer und Interviewtem nicht dauerhaft umkehrten. Der Forscher ging flexibel mit der Anzahl der bei den Interviews anwesenden Personen um und erlaubte die Anwesenheit mehrerer Personen während der Interviews. Waren mehrere Gesprächspartner involviert, ergaben sich durch Fragen, die sich die Gesprächspartner untereinander stellten, wissenschaftlich interessante neue Themenbereiche. Bei der Ankunft in Argentinien kamen für die Untersuchung alle Personen in Betracht, die ihre Herkunft in Syrien und/oder im Libanon sahen, sowie Personen, die in Vereinen der syrischen und/oder libanesischen Gemeinschaften Mitglied waren bzw. in ihnen arbeiteten. Insgesamt führte der Forscher 33 Interviews in Buenos Aires und 19 in San Miguel de Tucumán durch. Im Libanon

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entstanden drei Interviews. Die Gesprächsdauer schwankte zwischen 30 Minuten und drei Stunden, wobei zwei Interviews schriftlich erfolgten. Während der Gespräche waren oft mehrere Personen anwesend, sodass insgesamt 65 Personen interviewt wurden. Nach der Erhebungsphase stellte der Wissenschaftler weitere Kriterien zur Auswahl geeigneter Gespräche auf. So wurden nur Interviews mit denjenigen Personen transkribiert, die sich als Teil einer libanesischen und/oder syrisch-libanesischen Gemeinschaft fühlten. Insgesamt gingen Gespräche mit 50 Personen in die Auswertung ein (vgl. Tabelle 4). Sieben Gespräche entsprachen nicht den Auswahlkriterien und wurden aussortiert. 15 Gesprächspartner waren weiblich und 35 männlich, 46 Interviewpartner gehörten der ersten bis vierten Generation arabisch-, syrisch- und libanesischstämmiger Argentinier an. Drei Gesprächspartner sahen sich selbst als Libanesen und besaßen einen libanesischen Pass. Bei einem Interviewpartner war sowohl die Selbstidentifizierung als auch die Generationszugehörigkeit unbekannt. Die Interviews wurden digital mitgeschnitten, wobei zwei Interviews auf Wunsch der befragten Personen schriftlich geführt wurden (Interviewpartner 5 und 33 in Tabelle 4).

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Tabelle 4: Alphabetisch und nach Gesprächsort geordnete Liste der Interviewpartner und ihre Tätigkeiten im Jahre 2008 Nr.

Vorname

Nachname

Genera- Selbstidentition

fikation6

Tätigkeit in den Vereinen/Gemeinschaften

Buenos Aires, Argentinien Gehört keinem Verein an, ist Libanesisch1

Ramona

Unbekannt

3

stämmige Argentinierin

jedoch Mitglied der maronitischen Kirchengemeinde San Marón und möchte in Zukunft verstärkt in libanesischen Gemeinschaften mitwirken

Libanesisch2

Patricio

Abdala

4

stämmiger Argentinier Libanesisch-

3

Julio

Affif

2

stämmiger Argentinier

Mitglied der JUCAL Buenos Aires Vorsitzender der Asociación Libanesa de San Isidro und Mitglied der UCAL Buenos Aires Leitete die Fernsehsendung „Desde el Ajibe“ mit Fokus

4

Roberto

Ahuad

2

Arabisch- und

auf Araber in Argentinien, ist

syrischstäm-

Sprecher des Club Sirio Liba-

miger Argenti-

nés de Buenos Aires, Mitglied

nier

in der FEARAB Argentinien und Vizevorsitzender der FEARAB Amerika

5

6

Antonio

Arida

2

Libanesisch-

Sprecher der UCAL Buenos

stämmiger

Aires und Mitglied im Club

Argentinier

Libanés de Buenos Aires

Bei der Selbstidentifikation ist zu beachtet, dass hier nur die ethnische Hauptidentifizierung angegeben wird. Viele der befragten Personen der dritten und vierten Generation fühlen sich auch als spanisch-, italienisch-, englisch- und französischstämmige Argentinier, wenn auch in geringerem Maße.

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6

Yaohdat

Brahím

2

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Syrischstäm-

Ehemaliger Vorsitzender des

miger Argenti-

Club Sirio Libanés de Buenos

nier

Aires Versucht zurzeit, die Asocia-

7

Gustavo

Curi

3

Libanesisch-

ción Cultural Libanesa de San

stämmiger

Martín zu gründen, und ist

Argentinier

Mitglied der UCAL Argentinien Lehrer für arabischen Tanz in fünf arabischen Organisationen, darunter dem Club Sirio

8

Kamel

Darbo

2

Syrischstäm-

Libanés de Buenos Aires und

miger Argenti-

der Asociación de Beneficen-

nier

cia Siria Kaalat Yandal, und Vorstandsmitglied in der Asociación Islámica Alawita de Beneficencia José Ingenieros

9

10

11

12

Abdala

Ricardo

Sebastian

Elías

Edi

Elía

Ganem

Gattar

2

2

3

4

Libanesisch-

Koch des Restaurants des

stämmiger

Club Sirio Libanés de Buenos

Argentinier

Aires und dort auch Mitglied

Arabisch- und

Wissenschaftlicher Berater des

libanesisch-

Centro Islámico República

stämmiger

Argentina (CIRA) in Buenos

Argentinier

Aires

Libanesisch-

Vorsitzender der JUCAL Bu-

stämmiger

enos Aires und Mitglied des

Argentinier

Club Libanés de Buenos Aires

Libanesisch-

Mitglied der JUCAL Buenos

stämmiger

Aires und des Club Libanés de

Argentinier

Buenos Aires

100 | ETHNISCHE S PHÄREN

Arabisch- und 13

Horacio

Haddad

2

libanesischstämmiger Argentinier

14

Charbel

Merhi

1

Libanese

15

Georges

Moussa

1

Libanese

Gründer der Fundación Los Cedros und der FEARAB Argentinien, Generaldirektor der Clínica Los Cedros und Mitglied der FEARAB Amerika Maronitischer Bischof von Argentinien Mitglied der JUCAL Buenos Aires und des Club Libanés de Buenos Aires

Libanesisch16

Alfredo

Richa

2

stämmiger Argentinier Libanesisch-

17

Silvana

Rufail

3

stämmige Argentinierin Syrischstäm-

18

Roberto

Saba

2

miger Argentinier Libanesisch-

19

José

Saleh

2

stämmiger Argentinier

Vorsitzender des Club Libanés de Buenos Aires Mitglied der JUCAL Buenos Aires und Argentinien und ehemaliges Mitglied der JUCAL Córdoba Sprecher des Club Sirio Libanés de Buenos Aires Besitzer des Radiosenders „Radio Monte Líbano“ und Mitglied der maronitischen Gemeinde in Buenos Aires Mitglied des Club Libanés de

20

Ernesto

Saliba

2

Libanesisch-

Buenos Aires und ehemaliger

stämmiger

Vorsitzender der JUCAL Bu-

Argentinier

enos Aires. Seit 2010 Vorsitzender der UCAL Argentinien

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| 101

Ehemaliger Vorsitzender der Libanesisch21

Juan

Saliba

2

stämmiger Argentinier

JUCAL Buenos Aires, Vorsitzender der JUCAL Argentinien und der JUCAL International sowie Mitglied des Club Libanés de Buenos Aires Vorsitzender des Club Los

22

Miguel

Sarquís

2

Libanesisch-

Cedros, Mitglied des Club

stämmiger

Libanés und der Kulturabtei-

Argentinier

lung des Hospital Sirio Libanés 7

Passives Mitglied des Club 23

Amalia

Sfeir

3

Libanesisch-

Libanés de Buenos Aires und

stämmige

aktives Mitglied der maroniti-

Argentinierin

schen Gemeinde in Buenos Aires Stellvertretender Vorsitzender der Kulturabteilung des Hospital Sirio Libanés, ging auf die Schule San Marón, war

24

Ricardo

Simes

3

Arabisch- und

Mitglied des Club Los Cedros,

libanesisch-

war stellvertretender Vorsit-

stämmiger

zender der UCAL Buenos

Argentinier

Aires, Gründer des Círculo de Amigos de la Misión Libanesa Maronita, Mitglied der UCAL Buenos Aires und des Club Libanés de Buenos Aires

7

Passives Mitglied bedeutet, dass die Person Mitglied des angegebenen Vereins ist und zu Veranstaltungen geht, jedoch keine organisatorischen Aufgaben übernimmt.

102 | ETHNISCHE S PHÄREN

Libanesisch25

Felipe

Yaryura

2

stämmiger Argentinier

26

Martha

Zarif

2

Ehemaliger Vorsitzender des Club Libanés de Buenos Aires, war Mitglied der UCAL Buenos Aires

Syrischstäm-

Vorsitzende der Kulturabtei-

mige Argenti-

lung des Hospital Sirio Liba-

nierin

nés

San Miguel de Tucumán, Argentinien Mitglied der Sociedad Sirio 27

Pedro

Unbekannt

Unbekannt

Libanesa de Tucumán sowie Unbekannt

der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica de Tucumán

28

Elena

Albaca Fares

2

Libanesisch-

Mitglied der UCAL Tucumán

stämmige

und der Asociación Libanesa

Argentinierin

de Tucumán Ehrenamtlicher Konsul von

29

Yabra

Asfoura

1

Argentinier

Syrien in Tucumán und Mit-

und Syrer

glied der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán Mitglied der Asociación Liba-

Libanesisch30

Salma

Auad

2

stämmige Argentinierin

nesa de Tucumán und der dortigen Damengruppe ASCAL (Actividades Sociales Casa Libanesa) sowie der maronitischen Kirchengemeinde Gehört keinem Verein an, fühlt sich jedoch als Mitglied

31

Estela

Baaclini

3

Libanesisch-

der libanesischen Gemein-

stämmige

schaft in Argentinien. Ihre

Argentinierin

Eltern waren aktive Mitglieder der Asociación Libanesa de Tucumán

32

Héctor

Benjamín Mohammad

Syrischstäm2

miger Argentinier

Vorsitzender der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica de Tucumán und der FEARAB Tucumán

D IE F ELDFORSCHUNG

| 103

Passives Mitglied der Asocia33

Alberto

Bestani

2

Libanesisch-

ción Libanesa de Tucumán,

stämmiger

war in der Jugendgruppe der

Argentinier

maronitischen Kirchengemeinde

Arabisch- und 34

Alberto Junior8

Bestani

3

libanesischstämmiger Argentinier

35

Patricia

Bestani

3

Mitglied der JUCAL Tucumán sowie der Asociación Libanesa de Tucumán

Arabisch- und

Geht zu den Veranstaltungen

syrischstäm-

der Asociación Libanesa de

mige Argenti-

Tucumán und der Sociedad

nierin

Sirio Libanesa de Tucumán.

Libanesisch36

Victoria

Bestani

2

stämmige Ar-

Mitglied der UCAL Tucumán

gentinierin Fühlt sich als Mitglied der Gemeinschaft arabischstämmiger Argentinier und

37

Carlos

Budeguer

3

Arabisch- und

begleitet seine Frau zu den

libanesisch-

Veranstaltungen der FEARAB

stämmiger

Tucumán, der Sociedad Sirio

Argentinier

Libanesa, der Asociación Libanesa de Tucumán und der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica de Tucumán

Libanesisch38

Pedro

Bujazha

3

stämmiger Argentinier

8

Vorsitzender der Asociación Libanesa de Tucumán und ehemaliges Mitglied der UCAL Tucumán

Der Zusatz „Junior“ wurde Alberto zur Unterscheidung von seinem namensgleichen Vater (Alberto Bestani) gegeben.

104 | ETHNISCHE S PHÄREN

39

Ariel

Campero

3

Libanesisch-

Mitglied der JUCAL

stämmiger

Tucumán und der Asociación

Argentinier

Libanesa de Tucumán

Libanesisch40

Hugo

Caram

2

stämmiger Argentinier Libanesisch-

41

Christina

Caram

3

stämmige Argentinierin

Ehemaliger Vorsitzender der Asociación Libanesa de Tucumán und heute passives Mitglied Mitglied der UCAL Tucumán und passives Mitglied der Asociación Libanesa de Tucumán Ehemalige Vorsitzende der

Libanesisch42

Emilia

Caram

2

stämmige Argentinierin

Damengruppe ASCAL der Asociación Libanesa de Tucumán und heute passives Mitglied der Asociación Libanesa de Tucumán

43

Samir

Dayoub

1

Argentinier

Mitglied der Sociedad Sirio

und Syrer

Libanesa de Tucumán

Arabisch- und 44

Orlando

di Marco

3

libanesisch-

Vorsitzender der Sociedad

stämmiger

Sirio Libanesa de Tucumán

Argentinier Libanesisch45

José

Gandur

4

stämmiger Argentinier

Vorsitzender der JUCAL Tucumán

D IE F ELDFORSCHUNG

| 105

Mitglied der FEARAB Tucumán und der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán, 46

Amira

Juri de Budeguer

3

Arabisch-

geht auch häufig auf

stämmige

Veranstaltungen der

Argentinierin

Asociación Libanesa de Tucumán und der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica de Tucumán Mitglied der JUCAL Tucumán, der Asociación Libanesa de Tucumán und der

47

Cecilia

Made

3

Libanesisch-

maronitischen Kirchenge-

stämmige Ar-

meinde, geht häufig auf Ver-

gentinierin

anstaltungen der Sociedad Sirio Libanesa und der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica de Tucumán Mitglied der Asociación

48

Julio

Mustafa

2

Syrischstäm-

Cultural y Culto Pan Islámica,

miger Argenti-

besucht ab und zu die

nier

Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán Mitglied der Asociación Liba-

49

Elita

Saleme

2

Libanesisch-

nesa de Tucumán und deren

stämmige Ar-

Damengruppe ASCAL sowie

gentinierin

der maronitischen Kirchengemeinde

Zahle, Libanon 50

Malake

Haddad

Geschäftsführerin der Fundación Los Cedros in Zahle

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012

Die aufgezeichneten Gespräche wurden in spanischer Sprache und in vollem Umfang transkribiert. Die vollständige Verschriftung wählte der Forscher, da nur auf diese Weise die Äußerungen der Gesprächspartner in ihrem Aussagekontext ausgewertet werden können. Ein weiterer Vorteil gegenüber der Teiltranskription ist ihre Offenheit und Flexibilität bei der Bildung von Kategoriensystemen für

106 | ETHNISCHE S PHÄREN

die Auswertung, denn bei der Teiltranskription können die Kategorien nicht in ihrem vollen Kontext gebildet werden (vgl. GLÄSER und LAUDEL 2009: 193; MAYRING 1996: 69). Da bei der Auswertung vor allem die Inhalte im Vordergrund der Betrachtung stehen, erfolgte die Transkription in bereinigter Form, das heißt, Pausen, Stottern und Sätze, die aufgrund grammatikalischer Fehler keinen Sinn ergeben, wurden berichtigt. Gewisse Passagen interpretierte demnach der Autor und gab ihnen dem Kontext folgend Sinn. Dies hat den Vorteil der besseren Lesbarkeit und der dadurch vereinfachten Auswertung (vgl. MAYRING 1996: 70; REUBER und PFAFFENBACH 2005: 155f.). Die Transkription in spanischer Sprache geschah, um die Übersetzung nachvollziehbar zu gestalten. Theoretischen Überlegungen der Translationsforschung wurde Rechnung getragen, indem sich der Autor bewusst ist, dass Übersetzung Interpretation durch den Übersetzer bedeutet (vgl. CRANE, LOMBARD und TENZ 2009: 39ff.; RENN 2002: 15). Die Übersetzung orientierte sich an den Gesprächskontexten, mit deren Hilfe schwierige bzw. mehrdeutige Passagen übersetzt wurden. Eine sinngemäße Übersetzung wurde der wortgetreuen vorgezogen, um die Interpretation eindeutig zu gestalten. Übersetzt wurden die in dieser Arbeit wörtlich zitierten Gesprächsausschnitte. Nach den Interviews wurde die Gesprächssituation als Postskript festgehalten und der Transkription vorangestellt. Das Postskript enthält Informationen über Gesprächsatmosphäre, Gesprächsort, Gesprächsdatum sowie eine Zusammenfassung der persönlichen Daten der Gesprächspartner, zum Beispiel Alter, generationale Zugehörigkeit, ethnische und religiöse Selbstverortung und die in den Gemeinschaften bekleideten Ämter.

D IE

TEILNEHMENDE B EOBACHTUNG UND DIE F OTODOKUMENTATION : DIE E RFASSUNG VON R OUTINEN UND DER MATERIELLEN G ESTALTUNG DER S PHÄREN Bei der teilnehmenden Beobachtung werden der Alltag, in den die Personen eingebunden sind, sowie die innere Dynamik der Gemeinschaften lebensnah erfasst (vgl. LEGEWIE 1991: 189). Von wissenschaftlicher Relevanz waren lediglich die Ausschnitte des Alltags, die sich in den ethnischen Vereinen und ethnischen Sphären abspielten. Daher nahm der Autor an Aktivitäten teil, die im Kontext der ethnischen Sphären und des Vereinslebens stattfanden. Er besuchte regelmäßig die Sitzungen der Vereine und Jugendgruppen sowie Informationsveranstaltungen der Vereine und kirchliche Veranstaltungen, wie die Messen der maroni-

D IE F ELDFORSCHUNG

| 107

tischen Kirchen San Marón de Buenos Aires, Santísimo Clavario y Nuestra Señora del Líbano, Nuestro Señor del Milagro y San Marón, und das Freitagsgebet in der Moschee Al Ahmad. Besonders wertvolle Informationen konnte er während der Teilnahme an einem dreitägigen Kongress der libanesischen Jugendvereinigung JUCAL in Rosario und einem von der JUCAL Tucumán veranstalteten Fest gewinnen, da er in die Vorbereitungen zu diesen Veranstaltungen eingebunden war. Bei der Teilnahme vermindert sich die emotionale Distanz zum Untersuchungsgegenstand. Dies ermöglicht das Erfassen von Informationen über die emotionale und atmosphärische Verfasstheit der untersuchten Sphären. Dabei wahrt der Beobachter jedoch auch eine gewisse Distanz, damit er die Alltagsroutinen nicht als selbstverständlich hinnimmt (vgl. MAYRING 1996: 41f.; ROSENTHAL 2008: 106f.). Der Wissenschaftler bekam Einblicke in die alltäglichen Praktiken der Mitglieder der beteiligten ethnischen Sphären. Er wohnte auch sonstigen Aktivitäten bei, wie abendlichen Treffen zum gemeinsamen Essen, Tanzabenden und sportlichen Veranstaltungen. Die bildliche Dokumentation der im Feld erworbenen Eindrücke ist bei der Erforschung von Sphären von besonderer Bedeutung. Die Fotodokumentation erfasst zwei Bereiche, die durch die Auswertung von Interviews schwer zugänglich sind: (1) Fotografien von Veranstaltungen, wie Festen und Treffen, fangen das materielle Umfeld der Handlungsroutinen ein. (2) Die zur Ausstattung gehörenden Bilder, die an den Wänden der Vereinsräume hängen, wie Fotografien von Veranstaltungen, Bilder des Herkunftslandes der Vorfahren, Ahnentafeln und Stammbäume, sowie Gegenstände eignen sich für Gemeinschaften als manifeste „Beweise“ zum Tradieren von Geschichten, Mythen und Erinnerungen, die emotional aufgeladen sind. Die Fotografien der materiellen Ausstattung geben Aufschluss über die Verfasstheit der Sphären in der Dimension ihrer emotionalen kollektiven Erinnerungszusammenhänge (vgl. ALEXANDER 2008: 790; SCHLOTTMANN und MIGGELBRINK 2009: 19). Sie erlauben es, die Repräsentation von Gebäuden durch die Untersuchungsgruppen zu analysieren, und ermöglichen das „[…] Sichtbarmachen von Ereignissen, die im und durch das Bild/den Film dokumentiert werden […]“ (SCHLOTTMANN und MIGGELBRINK 2009: 19)9.

9

Zu unterscheiden ist die Fotodokumentation von der Bild- und Videoanalyse, die von einer Eigenlogik von Bildern ausgeht. Diese Eigenlogik ergibt sich nicht ausschließlich aus dem auf dem Bild Dargestellten, sondern im erheblichen Maße aus der Art der Produktion der Aufnahme. Nach Bohnsack (2009: 31f.) ist der Bildproduzent gar der Hauptgegenstand der Bildanalyse. Sie kann daher nicht auf selbst erstellte Fotografien von Gegenständen angewandt werden, da der Wissenschaftler bei der Analyse

108 | ETHNISCHE S PHÄREN

Während der Feldforschung wurde an folgenden Veranstaltungen teilgenommen, die teilweise fotografisch dokumentiert sind: Messen in der maronitischen Kirche in Buenos Aires und in San Miguel de Tucumán, Sitzungen der JUCAL Buenos Aires, sonstigen Aktivitäten der JUCAL Buenos Aires, wie gemeinsamen Fußballspielen im Club Los Cedros und gemeinsamen Abendessen, XI. Congreso Nacional de la JUCAL in Rosario (IX. Nationaler Kongress der JUCAL Argentinien), Empfängen und Buchvorstellungen in der libanesischen Botschaft sowie im Club Libanés de Buenos Aires, einer Veranstaltung des Hospital Sirio Libanés, Día de la Bandera (Tag der Flagge) der JUCAL Tucumán, Primera Semana de la Cultura Árabe in Buenos Aires (die Woche der arabischen Kultur) sowie Tanzabenden und Wochenendausflügen. Des Weiteren wurden Außenaufnahmen und Fotografien von der Innenausstattung der Räumlichkeiten der ethnischen Vereine und von Haushalten gemacht10.

dieser Fotografien selbst zum Untersuchungsgegenstand wird (vgl. BOHNSACK 2009: 32ff.; ESCHER und ZIMMERMANN 2001: 27ff.; FÖRSTER 2008: 331). 10 Die folgenden Vereine, Kirchen und Haushalte wurden fotografisch dokumentiert: in Buenos Aires wurden der Club Libanés de Buenos Aires, der Club Sirio Libanés de Buenos Aires (Club Homs und Club Honor y Patria), die Asociación Libanesa de San Isidro, der Club Los Cedros, die maronitische Kirche San Marón, die maronitische Kirche Santísimo Clavario y Nuestra Señora del Líbano in San Martín, das Hospital Sirio Libanés, die Fundación Los Cedros sowie das dazugehörige Hospital Los Cedros, die libanesische Botschaft, das Centro Islámico República Argentina und die dazugehörige Moschee Al Ahmad (in der Moschee war das Fotografieren nicht gestattet). Auch die Innenausstattung der Wohnung des maronitischen Bischofs Charbel Merhi wurde fotografisch dokumentiert. In San Miguel de Tucumán wurden Fotografien von der Asociación Libanesa, der Sociedad Sirio Libanesa, der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica, der maronitischen Kirche Nuestro Señor del Milagro y San Marón und der orthodoxen Kirche Iglesia Católica Apostólica Ortodoxa del Patriarcado de Antioquía angefertigt. In Tucumán wurden auch Aufnahmen von den Wohnungen der Familien Caram, Mijaíl und Bestani gemacht. Der nationale Kongress der JUCAL Argentinien fand in der Asociación Libanesa de Rosario statt. Bei dieser Gelegenheit wurden deren Räumlichkeiten fotografisch dokumentiert. Die 14-tägige Feldforschung im Libanon bot Gelegenheit, die Zweigstelle der Fundación Los Cedros in Zahle aufzusuchen und zu fotografieren. Bei den Auswertungen fanden nur die Fotografien Berücksichtigung, die zur Illustration der wissenschaftlichen Sachverhalte von Bedeutung sind.

D IE F ELDFORSCHUNG

| 109

D IE D ATENINTERPRETATION UND DAS AUSWERTUNGSSCHEMA Im Fokus der Interpretation der Daten stehen die Dynamiken der ethnischen Sphären. Das Zusammenspiel der ethnischen Sphären und die Wechselwirkungen mit den ethnischen Gemeinschaften sind der Schlüssel zum Verständnis der Prozesse der ethnischen Vergemeinschaftung. Bei der Untersuchung von ethnischen Sphären darf nicht vergessen werden, dass zum Verständnis ihrer Dynamiken auch die geschichtliche Entwicklung, die Repräsentation nach außen und die Zuschreibungen von anderen Gemeinschaften berücksichtigt werden müssen. Die von den Mitgliedern der ethnischen Sphären und von den ethnischen Gemeinschaften produzierten Dokumente (Flyer, Vereinschroniken, Internetseiten) müssen daher bei den Auswertungen einbezogen werden. Diese Materialien geben Aufschluss über die Selbstrepräsentation und die Diskurse der Gruppen, Vereine und Familien. Diese Daten bedurften keiner Aufbereitung, da sie beschreibenden und illustrierenden Charakter besitzen. Dokumente und Internetseiten der ethnischen Sphären und Gemeinschaften bieten wichtige Hintergrundinformationen für die Interpretation der Interviews und Beobachtungen. Die transkribierten Gespräche und die im Feld gemachten Beobachtungen wurden der qualitativen Inhaltsanalyse folgend ausgewertet (vgl. BOHNSACK 2008: 129f.; MAYRING 1996: 91f.). Die Beobachtungen fließen hierbei in die Analyse mit ein, indem bei der Auswertung die Interviewtexte stets in Beziehung zu den gemachten Beobachtungen und Erfahrungen gesetzt werden (vgl. ROSENTHAL 2008: 106f.). Bei der Datenanalyse werden die erhobenen Informationen zusammengefasst, interpretiert und strukturiert dargestellt. Im Vorfeld der Auswertung werden theoriegeleitet Kategorien erstellt, denen im Anschluss passende Ausschnitte der transkribierten Gespräche zugeordnet werden. Während der Durchsicht der Transkriptionen formuliert der Forscher aus den Aussagen der Gesprächspartner unter Berücksichtigung der Fragestellung und der Theorie weitere Kategorien. Anschließend ordnet er die relevanten Aussagen aus den Texten den Kategorien zu. Das Kategoriensystem ist während der gesamten Auswertung offen, das heißt, aus wichtigen Äußerungen der Gesprächspartner werden neue Kategorien erstellt. Außerdem kann der Forscher die Kategorien verwerfen, umbenennen oder zusammenlegen. Durch diese Herangehensweise erfasst er auch die von den Gesprächspartnern als wichtig erachteten Argumenta-

110 | ETHNISCHE S PHÄREN

tionen11. Die Theorie wird dem Gegenstand angepasst, wenn die Äußerungen und/oder Beobachtungen ihr widersprechen12 (vgl. GLÄSER und LAUDEL 2009: 201). Die Aufbereitung der Gesprächstexte erfolgte in der vorliegenden Arbeit mit der Software MAXqda zur qualitativen Datenanalyse. Zunächst wurden alle Transkriptionen der Interviews im Arbeitsfenster „Liste der Texte“ unter der Rubrik „Textgruppen“ in das Programm eingelesen. Im nächsten Arbeitsschritt wurden die ersten Transkriptionen im Arbeitsfenster „Text“ gelesen. Aus den Aussagen der ersten Interviews und aus der Theorie entwickelte der Autor Kategorien, die in MAXqda als „Codes“ bezeichnet und im Arbeitsfenster „Liste der Codes“ unter der Rubrik „Codesystem“ angelegt sind. Anschließend wurden alle Interviews im Arbeitsfenster „Text“ gelesen und passende Textstellen den erstellten Kategorien zugeordnet. Die Zuordnung erfolgte, indem die Textstelle markiert und anschließend in die betreffende Kategorie geschoben wurde. Das Programm erlaubt es, eine Textstelle in verschiedene Kategorien gleichzeitig einzubinden. In diesem Schritt, in dem alle Transkriptionen einmal bearbeitet wurden, erweiterte und veränderte der Autor das Kategoriensystem sukzessive. Auch die Auswertung der Transkriptionen erfolgte mithilfe der Software. Um die Textstellen, die einer Kategorie zugewiesen wurden, angezeigt zu bekommen, müssen sowohl die betreffenden Transkriptionen im Arbeitsfenster „Liste der Texte“ als auch die gewünschte Kategorie im Arbeitsfenster „Liste der Codes“ aktiviert werden. Nun erscheint im Fenster „Liste der Codings“ die Schnittmenge der Textstellen aus den aktivierten Transkriptionen und den aktivierten Kategorien. Zur weiteren Verwendung können die Textstellen in einem Word-kompatiblen Format abgespeichert werden. In der Word-Ausgabe ist die Quelle der jeweiligen Textstelle angegeben. Da der Autor die Aussagen von Mitgliedern der gleichen Sphäre verglichen hat, bot sich das Einrichten von sogenannten Sets im Arbeitsfenster „Liste der Texte“ an. Diese Sets entsprachen den vom Forscher identifizierten Sphären und der ethnischen Vereine. Die Zuordnung der Transkriptionen erfolgte durch deren Verschieben in das jeweilige 11 Die Selektion richtet sich zwar auch nach den Aussagen der Gesprächspartner, aber in letzter Instanz wählt der Wissenschaftler die Kategorien zielgerichtet zur Beantwortung seiner Fragestellungen aus (vgl. GLÄSER und LAUDEL 2009: 201ff.). 12 Dieses Vorgehen führt zum Dialog zwischen Theorie und Empirie. Die Theorie wird bei der Formulierung der Kategorien um Aspekte erweitert, die erst bei der Auswertung der Gespräche zutage treten. Wenn die aus den Gesprächen gewonnenen Kategorien der Theorie widersprechen, führt dies zur Revision der betreffenden Teile der Theorie (vgl. GLÄSER und LAUDEL 2009: 201).

D IE F ELDFORSCHUNG

| 111

Set. Die Einordnung der transkribierten Gespräche in mehrere Sets ist möglich, wobei zugleich alle Transkriptionen weiter der Rubrik „Textgruppen“ zugeordnet bleiben. Auf diese Weise konnten die Kategorien entweder im Kontext des gesamten Samples oder im Kontext manuell ausgewählter Personen oder im Kontext der jeweiligen Sphäre (Set) untersucht werden. Außerdem ermöglichte dies, die verschiedenen Sphären (Sets) bzw. eine einzelne Sphäre (Set) und das gesamte Sample einander gegenüberzustellen, um anschließend Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten (vgl. KUCKARTZ 2010). Die in die Auswertung eingefügten Bilder sind einerseits illustrierender Natur, wie die Fotografien der Gebäude der Vereine und Kirchen. Andererseits dienen die Bilder der Innenraumausstattung und von Handlungen und Routinen zur visuellen Unterstützung von Beobachtungen und Interviews. Bei der wissenschaftlichen Interpretation der Fotografien werden deren Entstehungskontext, die gemachten Beobachtungen und die Aussagen der Gesprächspartner berücksichtigt, da die Interpretation von Fotografien außerhalb ihres Bedeutungskontextes zu Fehlinterpretationen des Abgebildeten führt (vgl. BOHNSACK 2009: 30ff.; SCHLOTTMANN und MIGGELBRINK 2009: 19). Die Auswertung der Daten ist auf die Beschreibung und Interpretation der soziokulturellen Prozesse der ethnischen Sphären ausgerichtet. Dabei werden alle Informationstypen (Dokumente, Internetquellen, Interviews, Beobachtungen und Fotografien) gemeinsam ausgewertet, die den jeweils gleichen Prozess beschreiben oder zu dessen Interpretation dienen. Zur Unterscheidung der Quellenherkunft sind die Aussagen, die in aufgezeichneten Gesprächen gemacht wurden, mit dem vollen Namen der Person angegeben. Im Gegensatz dazu folgt die Zitation der Dokumente und Internetseiten den Regeln der Quellenangabe in wissenschaftlichen Arbeiten, das heißt, dem Nachnamen bzw. dem Namen der Institution folgen das Erscheinungsjahr und die Seitenangabe. Informationen, die aus der teilnehmenden Beobachtung gewonnen wurden und in die Arbeit eingingen, sind durch einen Hinweis in Klammern kenntlich gemacht. Zusätzlich werden in einer Fußnote die Rahmenbedingungen genannt bzw. die Veranstaltungen kurz beschrieben, auf denen die Interpretationen oder Beschreibungen beruhen. Das für diese Arbeit entwickelte Auswertungsschema beginnt mit der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung und der soziokulturellen Verbindungen der ethnischen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens. Da die ethnischen Sphären in einen Verein oder mehrere Vereine eingebunden sind, gibt dieser Auswertungsschritt wichtige Hintergrundinformationen zum Verständnis der soziokulturellen Beziehungen der ethnischen Sphären. Zunächst erfolgt die Beschreibung der geschichtlichen und politischen Entwicklung des Vereinswesens der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölke-

112 | ETHNISCHE S PHÄREN

rung in Argentinien. Hierfür wird auch auf wissenschaftliche Literatur zurückgegriffen. Eine Trennung von Literaturarbeit und Auswertung der empirischen Daten ist in diesem Teil nicht sinnvoll, da die Dynamiken der ethnischen Sphären direkt mit den historischen Ereignissen in Verbindung stehen und nur in diesem Kontext zu verstehen sind. Im nächsten Schritt folgt die Beschreibung der soziokulturellen Beziehungen zwischen den ethnischen Vereinen in Buenos Aires und San Miguel de Tucumán, mit denen die Mitglieder der im Anschluss analysierten ethnischen Sphären in Verbindung stehen. Der zweite Teil der Auswertung widmet sich der detaillierten Untersuchung von ethnischen Sphären. Es werden nur Sphären beschrieben, bei denen der Forscher mindestens zwei Mitglieder interviewte und teilnehmende Beobachtungen durchführte. Die Beschreibung der inneren Dynamiken einzelner ethnischer Sphären erlaubt es, die Prozesse der Bildung und des Erhalts der Sphären zu verstehen. Sie gibt auch erste Hinweise darauf, dass Sphären sich situativ ausweiten, sich miteinander verbinden, aber auch zerfallen können und in Nachbarschaften eingebunden sind. Bei der Feldforschung und den Auswertungen stellte sich heraus, dass die Prozesse „Nachbarschaft“ und „Ausweitung der ethnischen Sphäre“ besonders auf Veranstaltungen vonstattengehen. Die Wirkweise dieser beiden Prozesse wird daher am Beispiel des XI. Nationalen Kongresses der Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa demonstriert. Abschließend werden das Innere der ethnischen Sphäre und das Prinzip Nachbarschaft näher beleuchtet, indem der Autor darstellt, was sich außerhalb der ethnischen Sphäre befindet. Während der Auswertung der Informationen stellte sich heraus, dass die ethnischen Vereine wichtige emotionale Bezugspunkte für die Mitglieder der Sphären und ein bedeutendes Element bei der Bildung der ethnischen Gemeinschaft sind. Daher widmet sich der dritte Abschnitt der Auswertung zunächst der Bedeutung der Vereine für ihre Mitglieder. Anschließend beschreibt der Autor die Wechselwirkungen zwischen der ethnischen Sphäre, dem ethnischen Verein und der ethnischen Gemeinschaft, um schließlich in den Ergebnissen eine Theorie der Sphären entwerfen zu können, die den Erhalt der ethnischen Gemeinschaften und Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens verstehbar macht.

Ethnische Sphären der syrischund libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien

Die Auswertung von Interviews und Beobachtungen zeigt, dass die ethnischen Sphären Gruppen von Freunden und Familien sind, in denen Prozesse der ethnischen Vergemeinschaftung stattfinden. Sie sind die soziokulturellen Ordnungen, die ethnischen Vereinen und ethnischen Gemeinschaften ihre Dynamik verleihen. Die beiden soziokulturellen Ordnungen „Sphäre“ und „Gemeinschaft“ sowie die Vereine sind durch komplexe wechselseitige Verbindungen gekennzeichnet, die in der Auswertung herausgearbeitet werden. Vereine bieten einen materiellen und institutionellen Rahmen für die ethnische Vergemeinschaftung. An die ethnischen Vereine der ethnischen Gemeinschaften sind verschiedene ethnische Sphären angebunden. Um Aussagen der Interviewpartner und die gemachten Beobachtungen verstehen zu können, muss zunächst die Entwicklung des Vereinswesens innerhalb der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien beschrieben werden.

114 | ETHNISCHE S PHÄREN

D AS V EREINSLEBEN

DER SYRISCH UND LIBANESISCHSTÄMMIGEN B EVÖLKERUNG IN ARGENTINIEN Wie aus Abbildung 11 „Die Gründungsperioden der heutigen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien von 1899–2003“ hervorgeht, sind heute 183 Vereine1 (vgl. FUNDACIÓN LOS CEDROS 2003) in Argentinien ansässig, die sich als Repräsentanten von Gemeinschaften der syrischund libanesischstämmigen Bewohner verstehen. Mit einer Anzahl von 65 Entitäten wurde zwischen 1920 und 1929 der Großteil der ethnischen Vereine gegründet (vgl. Abb. 11). Danach sanken die Gründungen auf 16 zwischen 1940 und 1949 ab und verharrten anschließend bei unter zehn Neugründungen pro Jahrzehnt. Diese Zahlen lassen darauf schließen, dass der Großteil der Organisationen von den Eltern und Großeltern der heutigen Mitglieder gegründet wurde. Aufgrund des langen Bestehens der Vereine seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind sie eng mit der Geschichte der Einwanderung und der Entwicklung der Gemeinschaften der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens verbunden. Da bis heute eine hohe Anzahl an ethnischen Vereinen dieser Bevölkerungsgruppe existiert, liegt die Vermutung nahe, dass diese Vereine für ihre heutigen Mitglieder eine Verbindung mit ihren Vorfahren darstellen und die Erinnerungen an die Zeiten der Einwanderung konservieren. Da die Mitgliedschaft der ethnischen Vereine in Dachverbänden und politischen Strömungen in Syrien und dem Libanon eine Rolle in den Diskursen und Praktiken der interviewten Personen spielt, werden die Hintergründe ihrer Entstehung erläutert (vgl. BESTENE 1992: 118; PASTOR DE MARIA Y CAMPOS 2009: 31; VENERONI und ABÚ ARAB 2003: 68). Es ist wenig bekannt über die diplomatische Vertretung der syrisch- und libanesischstämmigen Bewohner Argentiniens Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch mit der Auflösung des Osmanischen Reichs und dem Beginn des französischen Mandats 1920 wurde die Aufgabe von der

1

Die Zahl ergibt sich aus der Auszählung der Vereine aus den Artikeln des Sammelbandes „Sirios, libaneses y argentinos. Fragmentos para una historia de la diversidad cultural argentina“, herausgegeben von der Fundación Los Cedros (2003). Dabei wurden lediglich die noch heute existierenden Vereine gezählt. Vereine, die mehrere Unterorganisationen beinhalten, zählten als ein Verein. Es wurde ausschließlich der jeweilige Hauptsitz der Vereine aufgenommen.

E THNISCHE S PHÄREN

DER SYRISCH - UND LIBANESISCHSTÄMMIGEN

B EVÖLKERUNG

| 115

französische Botschaft übernommen (vgl. ABBOUD 2003: 135f.; PASTOR DE MA40ff.).

RIA Y CAMPOS 2009:

Abbildung 11: Die Gründungsperioden der heutigen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien von 1899–2003 70 60 Anzahl

50 40 30 20 10 0

Gründungsperiode 1 

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012 nach Daten von ABBOUD 2003; ABUD 2003; BREIDE OBEID 2003; HUSEIN 2003; IBRAHIM SALAMEH 2003; MAHMUT 2003; MAHMUT, ABBOUD und HUSEIN 2003; SABRA 2003; VENERONI und ABÚ ARAB 2003; VENERONI und TAUB 2003

In den Gebieten der heutigen Staaten Arabische Republik Syrien und Libanesische Republik entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts eine panarabische2 Strömung und nationalistische Strömungen. Diese politischen Ideen überdauer2

Der Panarabismus ist eine politische Ideologie, die die Vereinigung aller arabischsprachigen Länder zum Ziel hat. An Gewicht gewann die panarabische Idee Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches. Ein wichtiger Vertreter der panarabischen Idee ist Gamal Abdel Nasser, der 1954 bis 1970 Staatspräsident von Ägypten war. Er strebte einen vereinigten arabischen Staatenbund unter der Führung Ägyptens an. Damit sollte ein politisches Gegengewicht zu den westlichen Staaten Europas und Nordamerikas etabliert werden. In Syrien entstanden politische Parteien, die einen panarabischen Staatenbund unter Führung Syriens anstrebten, wie die Arabisch-Sozialistische Baath-Partei, die 1966 gegründet wurde (vgl. KHALIDI 1997: 25ff.; LINDHOLM SCHULZ 1996: 59ff.).

116 | ETHNISCHE S PHÄREN

ten das französische Mandat und fanden auch Anhänger unter der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien. Einerseits gab es Anhänger der panarabischen Idee, die sich zum Beispiel auf dem Kongress der arabischen Organisationen 1937 in Argentinien trafen. Von den Panarabisten wurde eine politische und wirtschaftliche Verbindung der arabischen Staaten und arabischen Menschen weltweit angestrebt. Für die Menschen, die die panarabische Idee in Argentinien vertraten, sollte Syrien in dem vereinten arabischen Verbund die führende Rolle einnehmen. In Argentinien wandelte sich diese Idee und wurde in die nationalistische Idee von einem Großsyrien eingebunden. Diese Fraktion verlangte nach einem Großsyrien, in dem der Libanon und Syrien miteinander vereint sind. Sie trat für die einheitliche Vertretungsinstanz der Interessen aller arabischen Vereine in Argentinien ein. Eine andere Fraktion unterstützte die Idee von zwei getrennten Nationalstaaten, also eines Libanons und eines Syriens als zwei getrennte Nationalstaaten (vgl. BESTENE 1988: 263; JOZAMI 1996: 33; PASTOR DE MARIA Y CAMPOS 2009: 35ff., 2009: 58). Auf Grundlage dieser politischen Strömungen bildeten sich in den 1970er Jahren zwei Dachorganisationen, in denen die ethnischen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien bis heute organisiert sind. Dies ist zum einen die Confederación de Entidades Argentino Árabes (FEARAB), die sich für ein geschlossenes Auftreten der Araber und im Speziellen der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien einsetzt. Die zweite Dachorganisation ist die Unión Cultural Argentino Libanés (UCAL), die eine Aufrechterhaltung der nationalen Souveränität des Libanons anstrebt3 (vgl. ARIDA 2008: 2; FEARAB CHILE 2001: 34). Die Confederación de Entidades Argentino Árabes (FEARAB) 1968 kam es zum ersten Treffen syrisch-libanesischer Vereine in Tucumán, mit dem Ziel, eine Dachorganisation zu gründen, die alle arabischen Vereine in Argentinien untereinander vernetzt und ihre Aktionen koordiniert. Auf dem ersten argentinisch-arabischen Kongress, der in Tucumán 1971 stattfand, wurde die Gründungsabsicht der Dachorganisation FEARAB erklärt. Schließlich wurde die Confederación de Entidades Argentino Árabes 1972 auf dem zweiten argentinisch-arabischen Kongress in Córdoba unter Anwesenheit des damaligen syri3

Trotz einer gewissen Rivalität zwischen den Dachorganisationen gibt es Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien, die beiden Dachorganisationen angehören, wie die Sociedad Libanesa de Socorros Mutuos de General Madariaga (vgl. FEARAB o. J.b; UCAL BUENOS AIRES o. J.b).

E THNISCHE S PHÄREN

DER SYRISCH - UND LIBANESISCHSTÄMMIGEN

B EVÖLKERUNG

| 117

schen Botschafters Yaudat Attasi gegründet (vgl. MUNIR HADDAD und NASTA 2003: 172; POSANTI 1975: 27f.). Trotz ihrer politischen Verbindungen vor allem nach Syrien sieht sich die FEARAB als eine konfessionslose Nichtregierungsorganisation. Ebenfalls im Jahre 1972 wurde in Brasilien die FEARAB Brasilien gegründet, und es gab bereits Bestrebungen, die nationalen Organisationen in einer kontinentalen Organisation zu bündeln. Dies geschah auf dem ersten panamerikanisch-arabischen Kongress, der 1973 in Buenos Aires C. F. stattfand. Dabei waren Vertreter der Länder Argentinien, Brasilien, Venezuela, Chile, Uruguay, Bolivien und Paraguay anwesend. Die Ländervertretungen verständigten sich darauf, in allen teilnehmenden Staaten eine nationale FEARAB zu gründen und aus diesen anschließend die FEARAB Amerika zu formen. 1975 wurde die FEARAB Amerika in São Paulo, Brasilien, gegründet. Seitdem schließt sie alle nationalen FEARAB von Lateinamerika und der Karibik ein (vgl. FEARAB CHILE 2001: 34; MUNIR HADDAD und NASTA 2003: 174ff.). Nach der Umstrukturierung der FEARAB Argentinien von 1986 bis 1989 ist sie heute in drei Ebenen gegliedert. Auf der ersten Ebene befinden sich die arabischen Vereine und Organisationen. Mitglied bei FEARAB Argentinien können die Vereine werden, die von Arabern oder von deren Nachfahren gegründet wurden und heute noch von diesem Personenkreis geleitet werden. Sie schließen sich auf der zweiten Ebene zu den regionalen FEARAB zusammen. Die regionalen FEARAB in Argentinien sind: Buenos Aires C. F. und sein Umland, Bonaerense (Provinz Buenos Aires ohne den urbanen Gürtel um Buenos Aires C. F.), Córdoba, Entre Ríos, Santiago del Estero, Tucumán, La Rioja, Catamarca, Mendoza (einschließlich San Juan), Salta (einschließlich Jujuy), Santa Fe, San Luis sowie die Regionen Comahue (La Pampa, Neuquén und Río Negro), Noreste (Misiones, Corrientes und Chaco) und Patagonia (Chubut, Santa Cruz und Tierra del Fuego). Auf der dritten Ebene befindet sich der nationale Dachverband FEARAB, in dem sich die regionalen FEARAB zusammenschließen. Die Hauptaufgaben der Dachorganisation umfassen die Verbesserung des Austausches zwischen Argentinien und den arabischen Staaten sowie die Unterstützung der lokalen Vereine in vier Bereichen: (1) Rechtliche und organisatorische Unterstützung der arabischen Vereine bei der Gründung und im Umgang mit den argentinischen Behörden. (2) Hilfe bei der Planung, Koordinierung und Entwicklung sozialer und kultureller Projekte. (3) Vernetzung der Mitgliedsvereine, auch über die nationalen Grenzen hinaus. (4) Repräsentation der Mitglieds-

118 | ETHNISCHE S PHÄREN

vereine bei Veranstaltungen und gegenüber staatlichen Behörden (vgl. FEARAB CHILE 2001: 4; MUNIR HADDAD und NASTA 2003: 173ff.; HORACIO HADDAD4). Die Unión Cultural Argentino Libanés (UCAL) und ihre Jugendorganisation, die Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanés (JUCAL) Die Unión Cultural Argentino Libanés (UCAL) wurde 1978 gegründet und ist seitdem Mitglied in der Großregion Hispanisches Amerika und Karibik der World Lebanese Cultural Union (WLCU), Chedrawi-Zweig (vgl. ARIDA 2008 zit. nach BARBAGELATA MASMOUK 2008a: 2). Die WLCU wurde in den 1960er Jahren von Vertreten der libanesischen Gemeinschaften der amerikanischen Staaten gegründet. Die Bezeichnung WLCU, Chedrawi-Zweig, deutet auf ihre Spaltung hin, die sich 2005 vollzog. Damals wurde neben der ursprünglichen WLCU, die keine direkte Anbindung an ein Ministerium des Libanons besaß, dem libanesischen Außenministerium eine neue WLCU angegliedert. Beide Organisationen beanspruchen heute den gleichen Namen und die gleiche Entstehungsgeschichte für sich, arbeiten jedoch nicht zusammen5. Der Präsident des Zweigs der WLCU mit Sitz im Außenministerium des Libanons in Beirut ist Ahmad Nasser. Im Folgenden wird sie als WLCU, Nasser-Zweig, bezeichnet. Demgegenüber steht die WLCU, deren Präsident Eid Chedrawi ist und die daher in dieser Arbeit als WLCU, Chedrawi-Zweig, bezeichnet wird. Während die WLCU, Nasser-Zweig, eine große Nähe zur libanesischen Regierung besitzt, sieht sich die WLCU, Chedrawi-Zweig, als Vertreter der libanesischen Gemeinschaften außerhalb des Libanons (vgl. ARIDA 2008: 1; WLCU o. J.a; WLCU o. J.b; WLCU 2009: 1f.). Wie Karte 3 „Die weltweite Verbreitung der Mitgliedsvereine der World Lebanese Cultural Union (WLCU), Chedrawi-Zweig, 2008“ verdeutlicht, ist sie vor allem in Amerika und Australien aktiv. Zur Krise der WLCU und der Beziehung zwischen den Gemeinschaften der Libanesen außerhalb des Libanons und dem Außenministerium kam es in den 1990er Jahren. Mit der Gründung des Ministeriums für Auswanderer 1992 wurde die WLCU unter die Weisung dieses Ministeriums gestellt. Als 1993 Ridha

4

Ist der gesamte Personenname genannt und dem Namen keine Jahreszahl zugewiesen, handelt es sich um Aussagen der Gesprächspartner aus einem geführten Interview.

5

Beide Zweige besitzen eine eigene Homepage Die Seiten sind aber miteinander verlinkt. In der jeweiligen Geschichte der WLCU wird auf die internen Streitigkeiten nicht hingewiesen (vgl. WLCU o. J.a; WLCU o. J.b).

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Wahid, ein Schiit, Minister für Auswanderer wurde, kam es zu Unstimmigkeiten zwischen seinem Ministerium und der WLCU, da er die Rechtmäßigkeit der Vertretung der Auswanderer durch die WLCU anzweifelte. Das Ministerium entzog ihr noch im selben Jahr die staatliche Anerkennung, woraufhin sich die WLCU offiziell auflöste. Unter der Leitung des Ministeriums für Auswanderer durch Ali Khalil wurde die WLCU 1995 reorganisiert und als Vertreter der libanesischstämmigen Bevölkerung außerhalb des Libanons wieder anerkannt. Doch sie blieb zunächst inaktiv und begann erst mit der neuerlichen Eingliederung des Ministeriums für Auswanderung in das Außenministerium im Jahre 2000 aktiv zu werden (vgl. BRAND 2006: 156ff.). Es kam zur Neugründung der WLCU zwischen 2000 und 2001 auf einem Kongress in Mexiko unter der Präsidentschaft von Elie Hakme. Seit 2009 liegt die Präsidentschaft bei Eid Chedrawi (vgl. ARIDA 2008: 2; HOURANI 2007: 16f.). In Argentinien ist lediglich die WLCU, Chedrawi-Zweig, aktiv. Sie ist eine Dachorganisation, die sich in vier Ebenen gliedert: die globale, die regionale, die nationale und die lokale Ebene. Die globale Ebene wird vom Präsidenten und von einem Weltkomitee vertreten, das sich aus den Präsidenten der sechs Regionen Afrika, Brasilien, hispanisches Amerika und Karibik, USA und Kanada, Australien und Neuseeland sowie Europa zusammensetzt. Darunter befindet sich die Ebene der Regionen, deren Komitees sich aus den Präsidenten der jeweiligen nationalen Mitgliedsorganisationen zusammensetzen. Der nationale Präsident und das nationale Komitee werden wiederum von den zugehörigen lokalen Mitgliedsorganisationen gewählt. Nach dem gleichen Muster ist die Jugendorganisation der WLCU global, regional, national und lokal organisiert (vgl. ARIDA 2008: 2; WLCU 2005). Die Aufgabe der WLCU ist es, (1) die libanesische Identität und Kultur in den Lebensländern der Mitglieder libanesischer Gemeinschaften außerhalb des Libanons zu fördern, (2) den Mitgliedern der libanesischen Gemeinschaften außerhalb des Libanons die libanesischen Bürgerrechte zu verleihen, (3) die Libanesen in der Welt miteinander zu verbinden und (4) den Libanon in seiner Entwicklung zu unterstützen (vgl. WLCU BOSTON 2008). Die UCAL ist die nationale Vertretung der WLCU in Argentinien. Sie ist die Dachorganisation der libanesischen Vereine und Organisationen in Argentinien und definiert sich als konfessionslose Nichtregierungsorganisation. Das Gründungsjahr der UCAL (1978) hängt eng mit dem Bürgerkrieg im Libanon zusammen, da dieser zu einer erhöhten medialen Präsenz des Libanons und einer wachsenden Solidarität der libanesischstämmigen Personen, die außerhalb des

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Libanons leben, mit den Menschen im Libanon führte6 (vgl. ARIDA 2008, zit. nach BARBAGELATA MASMOUK 2008a: 2; HERMIDA 2003: 182). Die UCAL repräsentiert ihre Mitgliedsvereine bei den Treffen der Großregionen der WLCU. Weitere Aufgaben sind, (1) die libanesischen Vereine in Argentinien und international miteinander zu vernetzen, (2) die libanesische Kultur in Argentinien und die argentinische Kultur im Libanon bekannt zu machen, (3) soziale und kulturelle Aktionen der lokalen Vereine zu koordinieren und zu unterstützen sowie (4) für die Unabhängigkeit des Libanons einzutreten (vgl. ARIDA 2008: 2; ARIDA 2008, zit. nach BARBAGELATA MASMOUK 2008a: 2; BRAND 2006: 150; HERMIDA 2003: 183). Die UCAL verfügt ebenfalls über eine Jungendorganisation, die Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa (JUCAL), die in den 1980er Jahren gegründet wurde. In den 1990er Jahren löste sich die JUCAL in Argentinien aus unbekannten Gründen auf.7 Im Jahr 2000 wurde sie neu gegründet und hat seitdem stetigen Zulauf. Sie ist administrativ von der UCAL unabhängig, besitzt aber eine ähnliche innere Organisation. Sie ist territorial in vier Ebenen gegliedert: (1) die Jugend der WLCU, (2) die regionale Jugend, (3) die nationale Jugend, die in Argentinien JUCAL genannt wird, und (4) die lokale Jugend. Die lokalen JUCAL repräsentieren dabei meist konkrete Orte, wie Buenos Aires C. F. oder Madariaga, aber auch ganze Provinzen, wie zum Beispiel die JUCAL Tucumán. Letztere haben ihren Sitz in den jeweiligen Hauptstädten der Provinzen.

6

Aber auch vor der Gründung waren libanesische Vereine in Argentinien schon international angebunden, indem sie der Federación Interamericana de Entidades Libanesas (FIEL) angehörten. Die FIEL wurde von Vertretern von Vereinen aus den USA, Kuba, Brasilien, Mexiko, Argentinien und weiteren amerikanischen Ländern 1959 in Havanna gegründet. Sie trug dazu bei, dass die WLCU in den 1960er Jahren entstand, wobei die Mitglieder langsam von der FIEL in die WLCU übergingen (vgl. ARIDA 2008: 1f.).

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Wahrscheinlich ist die Auflösung der WLCU ein wichtiger Grund der Auflösung. Allerdings wurde dies weder von den Gesprächspartnern in Argentinien bestätigt, noch ist hierzu Literatur vorhanden. Auch im Internet sind zu diesem Thema keine Informationen zu finden.

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Karte 3: Die weltweite Verbreitung der Mitgliedsvereine der World Lebanese Cultural Union (WLCU), Chedrawi-Zweig, 2008

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Die Jugend der WLCU in Argentinien gilt als der Motor der weltweiten libanesischen Jugendorganisation und stellt im Jahre 2008 mit Juan Saliba8 den Vorsitzenden (vgl. HERMIDA 2003: 183f.; SALIBA 2008, zit. nach BARBAGELATA MASMOUK 2008c: 1). Um Mitglied in der JUCAL zu werden, muss die betreffende Person zwischen 18 und 35 Jahre alt sein. Bei Überschreiten dieses Alters ist keine offizielle Mitgliedschaft mehr möglich. Bevorzugt werden Mitglieder, die einen libanesischen Migrationshintergrund haben, jedoch werden auch Personen mit Migrationshintergrund aus arabischen Staaten wie Syrien, aber auch Argentinier aufgenommen, solange sie mit der Forderung nach einem unabhängigen libanesischen Nationalstaat konform gehen. Die Aufgaben sind die gleichen wie die der UCAL (vgl. JUAN SALIBA; SALIBA, 2008 zit. nach BARBAGELATA MASMOUK 2008b: 1f.; WLCU 2008: 2). Die ethnischen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung und deren Verteilung in Argentinien Die Sociedad Libanesa de Socorros Mutuos (Libanesische Gesellschaft für gegenseitige soziale Hilfe) wurde 1899 als erster libanesischer Verein Argentiniens in San Juan gegründet. Karte 4 „Die Verteilung und die Art der Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens nach Ortschaften und Provinzen, 2003“ gibt eine Übersicht über die Verteilung der ethnischen Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien. Trotz des geringen Anteils von in Syrien und im Libanon geborenen Personen an der Gesamtbevölkerung in den verschiedenen Provinzen Argentiniens sind noch heute 183 Vereine tätig, die sich auf die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder berufen (vgl. Karte 4). Des Weiteren sind die Verteilung der Organisationen in Argentinien sowie die Anteile der verschiedenen Arten von Vereinen an der Gesamtzahl der Vereine in den jeweiligen Provinzen dargestellt (vgl. Karte 4).

8

Seit 2007 ist Juan Saliba aus Buenos Aires C. F. Vorsitzender der Jugend der WLCU (vgl. BARBAGELATA MASMOUK 2008b: 1).

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Karte 4: Die Verteilung und die Art der Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens nach Ortschaften und Provinzen, 2003

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Die Verteilung der ethnischen Vereine in Argentinien hängt eng mit den Migrationsrouten der Einwanderer aus Syrien und dem Libanon zusammen. In den Gebieten, in denen sich der Großteil dieser Einwanderer zu Beginn des 20. Jahrhunderts niederließ (vgl. Karte 2), sind heute auch die meisten ethnischen Vereine zu finden. Die größte Anzahl von ethnischen Vereinen war im Jahr 2003 in Buenos Aires C. F., San Miguel de Tucumán, Mendoza, Rosario und Córdoba ansässig. Die Provinzen mit einer hohen Anzahl von syrischen und libanesischen Vereinen sind Buenos Aires, Mendoza, Santa Fe, Tucumán und Salta. In den nördlichen und nordöstlichen Gebieten sowie im Süden Argentiniens sind hingegen kaum Organisationen vorhanden (vgl. Karte 4). Eine Kategorisierung der ethnischen Vereine nach Funktionen ist sinnvoll, um die organisatorischen Rahmenbedingungen zu erläutern, in die die an sie angegliederten Sphären eingebettet sind. Es lassen sich Kategorien bilden, die die Hauptfunktion der Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung wiedergeben9. In Anlehnung an Bestene (1992: 118) sowie Veneroni und Abú Arab (2003: 68ff.) werden folgende vier Kategorien eingeführt: (1) Vereine, die sich der sozialen Absicherung ihrer Mitglieder und der kulturellen Repräsentation der ethnischen Gemeinschaft widmen und den Mitgliedern soziale Aktivitäten anbieten, werden als soziale Vereine bezeichnet. (2) Vereine, die vor allem die Verbreitung religiöser Ideen zum Ziel haben, werden konfessionelle Vereine genannt. (3) Vereine, die sich dem Geld- und Warenverkehr zwischen den Mitgliedern der ethnischen Gemeinschaft sowie zwischen den Staaten Syrien, Libanon und Argentinien widmen, werden als Vereine mit wirtschaftlicher Ausrichtung bezeichnet. (4) Kulturelle Vereine, Vereine der Gesundheitsversorgung und der Bildung sind hier aufgrund ihrer geringen Anzahl in einer Kategorie zusammengefasst. Es sind Organisationen, die sich für die künstlerische, wissenschaftliche und schulische Ausbildung sowie die Gesundheitsversorgung der Mitglieder der ethnischen Gemeinschaft einsetzen. Es wird deutlich, dass sich mit einer Anzahl von 100 der Großteil der Vereine sozialen Aufgaben widmet. 71 Vereine weisen einen überwiegend religiösen Hintergrund auf, drei einen wirtschaftlichen, und neun widmen sich kulturellen und wissenschaftlichen Aufgaben sowie der Bildung, sind Sportvereine oder in der Gesundheitsversorgung tätig (vgl. Karte 4). Die sozialen Vereine sind am weitesten verbreitet und auch in kleineren Ortschaften zu finden. Die restlichen Arten sind nur in den Provinzen mit Städten, die über ein weites Einzugsgebiet 9

Eine eindeutige Einordnung der Vereine in die Kategorien ist nicht möglich, da sich in ihnen verschiedene Funktionen und Merkmale vermischen. Daher wird hier die Einordnung der Vereine nach der jeweiligen Hauptfunktion vorgenommen.

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verfügen, zu finden. Dies folgt daraus, dass kirchliche und wirtschaftliche Einrichtungen nur bei einem kleinen Teil der ethnischen Gemeinschaften auf Interesse stoßen. Um eine ausreichende Mitgliederanzahl zu generieren, müssen diese Einrichtungen gut erreichbar sein sowie über eine gute Infrastruktur verfügen, die nur in Städten oder Stadtnähe gegeben ist. Beispiele hierfür sind: Buenos Aires C. F., Córdoba, Tucumán, Santa Fe und Mendoza (vgl. Karte 4). Es ist darauf hinzuweisen, dass die Vereine, egal welcher Art, Aufgaben der anderen Vereinstypen beinhalten. So unterstützen soziale Vereine Gesundheitsprogramme für ihre Mitglieder, bieten Sprach- sowie Fortbildungsmaßnahmen und sportliche Aktivitäten an. Kirchliche Organisationen betreiben gleichzeitig öffentliche Schulen, wie beispielsweise die Misión Maronita San Marón in Buenos Aires (vgl. FUNDACIÓN LOS CEDROS 2003). Nach der Ankunft der ersten Immigranten gründeten diese wie die italienischen und spanischen Einwanderer Vereine der gegenseitigen sozialen Hilfe, die Sociedades oder Asociaciones de Socorros Mutuos genannt werden. Diese sozialen Vereine hatten vielfältige Aufgaben. Sie vermittelten den neu angekommenen Einwanderern Arbeit, fungierten als Bank, stellten die medizinische Grundversorgung sicher, indem sie Fonds für Hilfsbedürftige einrichteten, die im Krankheitsfall die Kosten für die Mitglieder übernahmen, bzw. eröffneten kleine Kliniken und Arztpraxen für die Mitglieder. In diesen Organisationen wurden soziale Kontakte zu Landsleuten hergestellt, und die Mitglieder trafen sich regelmäßig zu sozialen Aktivitäten, wie zum Kartenspielen, gemeinsamen Essen und zu Tanzabenden. Sie stellten Friedhofsplätze für die Mitglieder bereit und organisierten Spendenaktionen für hilfsbedürftige Landsleute. Die sozialen Vereine vertraten die Interessen der Mitglieder vor lokalen und nationalen Behörden. Meist nahmen sie in ihre Statuten auf, dass sie parteilos und konfessionslos sind (vgl. BESTENE 1992: 126; CAZORLA 1995: 72f., 1995: 50f.; DEVOTO 2004: 242; POSANTI 1975: 25f.). Mit dem Wechsel der Generationen und der Einbürgerung des Großteils der Mitglieder der sozialen ethnischen Vereine veränderte sich deren Funktion. Doch trotz der Öffnung der ethnischen Vereine für alle Argentinier 1942 scheinen sie ihren ethnischen Charakter bis heute zu bewahren (vgl. CAZORLA 1995: 73; MIGUEL SARQUÍS). Die Mehrheit ihrer Mitglieder und Vorsitzenden sind libanesisch- oder syrischstämmig und in den Vereinsstatuten ist als Ziel die Bewahrung der libanesischen und syrischen Kultur festgeschrieben. Noch immer organisieren die sozialen ethnischen Vereine Hilfsaktionen für Bedürftige, die sich aber nicht auf ihre Landsleute beschränken, sondern sich verstärkt der lokalen Gemeinschaft widmen, gleich welcher Herkunft. Die sozialen ethnischen Vereine organisieren Sprach- und Tanzkurse, die Personen mit libanesischem

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und syrischem Migrationshintergrund als Zielgruppen ansprechen, und bilden noch immer Anlaufpunkte für die wenigen Einwanderer aus Syrien und dem Libanon. Als weiteres Betätigungsfeld geben sie den Einwanderern Hilfe bei der Arbeitssuche und im Umgang mit Behörden. Außerdem stellten sie den Mitgliedern in Bibliotheken und Archiven Informationen über ihre Einwanderungsgeschichte, über Argentinien und ihre Herkunftsländer zur Verfügung. Die Geschichte des Vereins, der Einwanderung sowie der Herkunftsländer der Ahnen wird häufig in Bildern und Informationstafeln an den Wänden in den Vereinsräumen ausgestellt. Die Mitglieder der Vereine bewahren somit das historische und kulturelle Erbe der eingewanderten Großeltern und Eltern. Sie werden zu einem sinngebenden Fixpunkt für die libanesisch- und syrischstämmige Bevölkerung Argentiniens10, die sich für ihre Herkunft interessiert (vgl. BESTENE 1992: 126; DEVOTO 2004: 242; ORLANDO DI MARCO; ALFREDO RICHA; ROBERTO SABA; MIGUEL SARQUÍS). Die syrisch- und libanesischstämmige Bevölkerung ist auch in religiösen Vereinen aktiv. Eine wichtige Stellung innerhalb der libanesischen Gemeinschaften besitzt bis heute die maronitische Kirche. In den Anfängen der Migration fungierten maronitische Priester als Organisatoren der Einwanderung. Es bildeten sich vier Kirchengemeinden heraus: Die Misión Libanesa Maronita in Buenos Aires C. F. war die erste maronitische Einrichtung in Argentinien und wurde 1902 gegründet. Die Kirche Nuestro Señor del Milagro y San Marón in San Miguel de Tucumán wurde 1916 eingeweiht. In Godoy Cruz, Mendoza, befindet sich die 1920 gegründete Kirche San Juan Marón, deren aktuelle Kirche 1967 eingeweiht wurde. In den 1920er Jahren wurde die Kirche Santísimo Calvario y Nuestra Señora del Líbano in Villa Lynch, Provinz Buenos Aires, eingeweiht (vgl. YARYURA TOBÍAS 2008: 5ff.). Die ständige Rotation der Missionare und Priester, die aus dem Libanon nach Argentinien versetzt werden, ermöglicht den Mitgliedern der sozialen und religiösen Vereine bis heute, aktuelle Informationen über das Leben im Libanon zu erhalten. Der zweiten und dritten Genera10 Es ist anzumerken, dass nicht alle Menschen libanesischer und syrischer Herkunft in ihnen organisiert sind. Es sind vielmehr die Elite und die Mittelschicht Argentiniens mit syrischer und libanesischer Herkunft, die sich in den Vereinen organisieren. Die dortigen Netzwerke ermöglichen ihnen den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg bzw. erhalten die soziale Position der Familie. Ein Großteil der Personen mit Migrationshintergrund aus diesen Gebieten ist aufgrund fehlender ökonomischer Mittel für die monatlichen Beiträge oder fehlenden Interesses nicht ethnisch organisiert (vgl. BESTENE 1992: 130, 1992: 124; ESCHER 2004a: 185; HUMPHREY 1998: 173f.; JOZAMI

1996: 41f.).

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tion helfen die Priester und Missionare bei der Kontaktaufnahme mit Verwandten im Libanon. Sie übersetzen Briefe und haben eine genealogische Datenbank angelegt, um Familienangehörige im Libanon zu finden. Zusammen mit sozialen ethnischen Vereinen organisieren sie Reisen in den Libanon und versuchen, libanesischstämmige Personen für den Libanon zu begeistern. Die Maroniten betreiben Schulen und Kindergärten, die für alle Argentinier offenstehen. Der Unterricht findet in spanischer Sprache statt und der Hauptanteil der Schüler hat keinen syrischen oder libanesischen Migrationshintergrund. Gleichzeitig unterstützt die maronitische Kirche in Argentinien die Aktivitäten der UCAL und der JUCAL (vgl. BREIDE OBEID 2003: 190ff.; KLICH 1992: 258f.; VALVERDE 1992: 322f.; CHARBEL MERHI). Melkitische11 Gemeinden befinden sich in Córdoba, Rosario und Buenos Aires C. F. Sie sind der orientalischen katholischen Kirche Argentiniens angegliedert und besitzen keinen eigenen Bischof in Argentinien. Es wurden zwei melkitische Kirchen gebaut, die bis heute in Córdoba und Rosario aktiv sind. Die Melkiten mit syrischem und libanesischem Migrationshintergrund außerhalb von Córdoba und Rosario gehen in katholische Kirchen. Dennoch werden in den melkitischen Gemeinden soziale und kulturelle Aktivitäten organisiert, die die Länder Syrien und Libanon als Diskussionsthema beinhalten. Der Großteil der melkitischen Bevölkerung hat einen syrischen und/oder libanesischen Migrationshintergrund (vgl. IBRAHIM SALAMEH 2003: 203ff.). Die orthodoxen Kirchen, vor allem die orthodoxe Kirche von Antiochia, errichteten mehrere Kirchen und Organisationen in Argentinien: 1917 in Tucumán die Kirche Iglesia Católica Apostólica Ortodoxa de Maria Santísima, 1924 die Kirche San Jorge in Santiago del Estero, 1935 in Mendoza das Centro Ortodoxo und 1954 die Kirche San Jorge. 1968 wurde die Federación Argentina de la Unión de la Juventud Ortodoxa (FAUJO) gegründet, die eine nationale orthodoxe Dachorganisation ist und auf globaler Ebene der World Fellowship of Orthodox Youth (Syndesmos) angehört. In diesen Organisationen weist der Hauptteil 11 Melkiten sind Anhänger der Melkitisch-griechisch-katholischen Kirche. Nach dem vierten Ökumenischen Konzil von Chalcedon 451 gehörten die Melkiten der Ostkirche an, die in drei Patriarchaten organisiert war: Alexandria, Antiochien und Jerusalem. Auch nach dem Morgenländischen Schisma gehörten sie der orthodoxen Ostkirche an. Im Jahr 1724 spaltete sich die melkitische Kirche in einen prokatholischen und einen orthodoxen Teil. Die prokatholischen Melkiten erhielten 1744 die volle Mitgliedschaft in der römischen Kirche. Heute bezeichnet der Begriff „Melkit“ lediglich den katholischen Teil der Melkiten. Sie leben vor allem in Syrien, dem Libanon, Israel, Ägypten und Jordanien (vgl. NASRALLAH o. J.; RAHEB o. J.).

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der Mitglieder keinen syrischen oder libanesischen Migrationshintergrund auf. Eine direkte Verbindung zu Syrien bzw. zum Libanon ist hier nicht erforderlich und stellt keinen Grundstein ihrer Vergemeinschaftungsprozesse dar (vgl. SABRA 2003: 211f.). Die ersten muslimischen Vereine waren die Sociedad Árabe Musulmana, gegründet 1928 in Córdoba, die Sociedad Árabe Islámica, gegründet 1922 in Buenos Aires C. F., die Asociación Pan Alauita Islámica de Beneficencia, gegründet 1929 in Buenos Aires C. F., und die Asociación Cultural y Culto Pan Islámica, die 1929 in San Miguel de Tucumán ins Leben gerufen wurde. Während in den sunnitischen und schiitischen Moscheen Personen mit syrischem und libanesischem Hintergrund in der Minderheit sind, stellen sie in alawitischen Vereinen die Mehrheit (vgl. ABBOUD 2003: 244; HUSEIN 2003: 247; JOZAMI 1996: 37, 41f.). Die jüdischen Vereine befinden sich vor allem in Buenos Aires C. F. Weitere Gemeinden finden sich in Córdoba, Santa Fe, Corrientes, Salta und Tucumán. Über den ethnischen Aufbau dieser Gemeinschaften ist wenig bekannt. Von den Interviewpartnern wurden sie nicht explizit als Teil der ethnischen Gemeinschaft der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung genannt (vgl. VENERONI und TAUB 2003: 277ff.). Rein erzieherische Einrichtungen, die von der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung betrieben werden, sind: die Escuela Árabe de Rosario, gegründet 1945, und das 1989 errichtete Colegio Ortodoxo San Jorge de Rosario. Die Schulen stehen der gesamten argentinischen Bevölkerung offen. In ihnen werden nur wenige Veranstaltungen durchgeführt, die sich mit den Herkunftsländern beschäftigen. Die Interviewpartner erwähnten die Schulen nie als wichtige Institutionen der ethnischen Vergemeinschaftung (vgl. VENERONI, AZIZE und TAUB 2003: 557f.). Wissenschaftliche Einrichtungen sind das 1984 gegründete Instituto Argentino Árabe de Tucumán und das 1962 in Buenos Aires C. F. gegründete Instituto Argentino Árabe de Cultura (IAAC). Das IAAC organisiert Kongresse und Veranstaltungen, bei denen eigene Forschungsergebnisse aus dem Bereich arabische Migration nach Argentinien und aus den Islamwissenschaften der Öffentlichkeit vorgestellt werden. An den Veranstaltungen der Organisation nehmen Forscher der syrischen und libanesischen Gemeinschaften teil und präsentieren zu diesen Gelegenheiten ihre Forschungsergebnisse (vgl. AZIZE, CAGNI und MARTÍNEZ NESPAL 2003: 573f.). Weitere wissenschaftliche Institute sind der Fundación Los Cedros angegliedert, die sowohl in Argentinien als auch im Libanon Zweigstellen besitzt. In Buenos Aires C. F. sind 1976 mit der Gründung der Fundación Los Cedros das Instituto de Docencia e Investigación en Medicina (medizini-

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sches Institut), das Institut Estudios Árabes y de la Cuenca del Mediterráneo (kulturell-wissenschaftliches Institut) und das Institut Arte y Diseño Hispanoárabe y Mudéja (Abteilung zur Unterstützung von lokalen Künstlern) aufgebaut worden. Zu den meist öffentlichen kulturellen Veranstaltungen werden die Mitglieder der syrischen und libanesischen Gemeinschaften eingeladen. Bei diesen Gelegenheiten werden ihnen und sonstigen interessierten Personen die neusten Erkenntnisse vorgestellt (vgl. CAGNI 2003: 579ff.; HADDAD 2003: 550). Im Gesundheitssektor angesiedelte Einrichtungen sind das Hospital Sirio Libanés in Buenos Aires C. F. und die Clínica Modelo Los Cedros in La Matanza nahe der argentinischen Hauptstadt. Beide Kliniken stehen der gesamten Bevölkerung offen. Das Hospital Sirio Libanés war in seiner Gründungszeit zur medizinischen Versorgung der Mitglieder der syrischen und libanesischen Gemeinschaft gedacht. Nach 1950 öffnete sich das Krankenhaus der gesamten Bevölkerung. Die Kulturabteilung des Hospital Sirio Libanés organisiert jedoch bis heute Veranstaltungen zum Thema Syrien und Libanon (vgl. RICARDO SIMES; VENERONI 2003a: 548). Demgegenüber ist die Clínica Modelo Los Cedros eine rein medizinische Abteilung. Sie organisiert keine kulturellen und sozialen Veranstaltungen mit ethnischen Inhalten (vgl. HORACIO HADDAD). Diese Einrichtungen sind primär der allgemeinen Gesundheitsversorgung zugeordnet. Jedoch sind sie eng mit den syrischen und libanesischen Gemeinschaften in Argentinien verbunden (VENERONI 2003a: 548). Mit dem Verein Los Cedros wurde lediglich ein reiner Sportverein gegründet. Heute besteht der Club Los Cedros zu 50 Prozent aus Mitgliedern ohne syrischen oder libanesischen Migrationshintergrund. Eine Teilnahme an ethnischen Veranstaltungen findet nur selten statt (vgl. MIGUEL SARQUÍS). Viele Vereine besitzen Sporteinrichtungen, die von ihren Mitgliedern benutzt werden. Der Club Sirio Libanés in Buenos Aires verfügt beispielsweise über Tennisanlagen und ein Schwimmbad. Auch in den Hallen der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán und der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica in San Miguel de Tucumán werden Kampfsportarten und Turnunterricht angeboten (vgl. HÉCTOR BENJAMÍN MOHAMMAD; ORLANDO DI MARCO; ROBERTO SABA). Organisationen mit wirtschaftlicher Ausrichtung entstanden vor allem in Buenos Aires C. F. und haben dort ihren Hauptsitz. Beispiele hierfür sind die 1924 in Buenos Aires C. F. gegründete Banco Sirio-Libanés (syrisch-libanesische Bank), die Cámara de Comercio Argentino-Árabe in Buenos Aires C. F. (arabische Handelskammer, früher syrisch-libanesische Handelskammer) und die 1977 gegründete Cámara de Comercio Argentino Libanesa (libanesische Handelskammer). Die syrisch-libanesische Bank war bis 1964 eine Aktiengesellschaft, deren Anteile von den Mitgliedern der syrischen und libanesischen Gemein-

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schaften gehalten wurden. Sie verteilte anfänglich vor allem Kredite an Mitglieder der Gemeinschaften und Einwanderer aus Syrien, dem Libanon, aber auch aus anderen arabischen Ländern. Zur Geldversorgung der Gemeinschaften unterhielt sie Filialen in San Miguel de Tucumán, Rosario, Salta, Córdoba, Santiago del Estero und Jujuy, die alle 1925 eröffnet wurden. Mit der zunehmenden Professionalisierung der organisatorischen Strukturen wurden Kredite an die gesamte Bevölkerung gegeben. Ihr ethnischer Charakter verschwand vollständig, als sie 1964 von der Banco del Directorio de Crédito Rural Argentino SA aufgekauft wurde. Heute erinnert lediglich der Name an die ethnische Vergangenheit der Bank. Die beiden Handelskammern versuchen, die wirtschaftlichen Abkommen zwischen den arabischen Staaten bzw. dem Libanon und Argentinien auszubauen. Sie unterstützen Veranstaltungen der Gemeinschaften und nehmen mit Vertretern daran teil (vgl. ARAMOUNI 2003: 454f.; AZIZE 2003: 443ff.). In allen vorgestellten Vereinstypen sind Prozesse der ethnischen Vergemeinschaftung anzutreffen und die Vereine sind über ihre Mitglieder miteinander verbunden.12 Auf Grundlage dieser Ausführungen werden im Folgenden die Beziehungen zwischen den ethnischen Vereinen in Buenos Aires und in San Miguel de Tucumán detailliert dargestellt.

D IE B EZIEHUNGEN

ZWISCHEN DEN ETHNISCHEN

V EREINEN

Die Beschreibung der Beziehungen zwischen den Vereinen in Buenos Aires und in San Miguel de Tucumán gibt über die affektiven und institutionellen Verbindungen zwischen ihnen Auskunft. Die affektive und institutionelle Nähe ist dabei ein qualitatives Maß, das sich aus der Auswertung der Aussagen der Interviewpartner, der teilnehmenden Beobachtung und den Selbstdarstellungen von Vereinen in deren Chroniken und Internetauftritten ergibt. Die geschichtliche Perspektive ist dabei von Bedeutung, da sie Hinweise auf die Entwicklung der Verbindungen gibt. Die historischen Beziehungen wiederum lassen Rückschlüsse auf die heutigen Beziehungen zu. Um die Komplexität dieser Beschreibung strukturiert darzustellen, werden zunächst die Verbindungen zwischen den Vereinen in den beiden Untersuchungsgebieten Buenos Aires und San Miguel de Tucumán getrennt voneinander dargestellt. Anschließend werden die nationalen und internationalen Verbindungen der Vereine vorgestellt und diskutiert sowie das Verhältnis physischer Distanz zu affektiver und institutioneller Nähe. Ab-

12 Wie Tabelle 4 zeigt, sind 26 der 50 Gesprächspartner Mitglied mehrerer Vereine.

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schließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und der schematischen Aufbau von Vereinen in Verbindung dargestellt. Dies geschieht, um die folgende detaillierte Darstellung von Sphären vorzubereiten. Die Beziehungen zwischen den ethnischen Vereinen in Buenos Aires Das Schaubild 1 „Die Beziehungen zwischen den Vereinen in Buenos Aires und deren lokale Einbettung, 2008“ zeigt, dass sich im Beziehungsgeflecht der Vereine in Buenos Aires zwei Zentren bildeten, der Club Libanés de Buenos Aires und der Club Sirio Libanés de Buenos Aires. Um diese beiden Vereine gruppieren sich die weiteren Vereine (vgl. Schaubild 1). Die Vereine und Organisationen sind im Schaubild als Kreise dargestellt, deren Größe das Vorhandensein eines eigenen Vereinshauses anzeigt. Es werden zwei Klassen gebildet: Große Kreise sind Vereine mit eigenem Vereinshaus und kleine Kreise sind Vereine und Organisationen ohne eigenes Vereinshaus. Die Einfärbung der Vereine gibt die ethnische Einordnung der Vereine durch die Interviewpartner und ihre jeweilige Internetpräsentation13 wider: Weiß verweist auf die Einordnung in eine libanesische Gemeinschaft, Schwarz bedeutet die Verortung in einer syrisch-libanesischen bzw. arabischen Gemeinschaft und Dunkelgrau ist die Verortung in beiden ethnischen Lagern. Die hellgraue Farbe gibt die Einbettung der Vereine in die lokalen Gegebenheiten an, die nicht mit der Herkunft aus dem heutigen Libanon und Syrien in Verbindung stehen. Sie sind also verknüpft mit den Bürger und den Verwaltungen der Stadt, Stadtviertel und Kommunen, in denen sie ansässig sind. All diese Akteure nehmen die Leistungen der Vereine in Anspruch bzw. stehen mit ihnen in institutioneller Verbindung. Die Intensität der Verbindungen zwischen den Vereinen wird durch die Nähe der Kreise zueinander und durch die Stärke der grauen Linien ausgedrückt. Dabei ergeben sich die Verbindungen aus gegenseitiger Hilfe bei der Organisation von Feiern, kulturellen und sozialen Veranstaltungen, wechselseitigen Einladungen bei Veranstaltungen, den Aussagen der Gesprächspartner zum Verhältnis ihres Vereins zu anderen Vereinen, Mehrfachmitgliedschaften und den persönlichen Kontakten der Mitglieder zu Mitgliedern anderer Vereine. Besonders eng

13 In der folgenden Darstellung wird klar werden, dass die Selbstverortung mit den politischen Einstellungen der Mitglieder und den politischen Zielen der Vereine und Organisationen in Verbindung steht.

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miteinander verbunden sind Vereine, deren Kreise sich überlappen. Die Stärke der grauen Linien gibt weitere zwei Stufen der Intensität der Beziehungen an. Die dicke Line verweist auf häufige und intensive Kontakte und die dünne auf weniger intensive. Im Folgenden werden die Entstehung der Vereine in Buenos Aires sowie deren gegenseitigen Beziehungen vorgestellt. Dabei werden die Beschreibungen von den beiden Zentren ausgehen: dem Club Libanés de Buenos Aires und dem Club Sirio Libanés de Buenos Aires. Die Clubverwaltung des Club Libanés de Buenos Aires (vgl. Abb. 12) besteht aus einem Vorsitzenden und den Vorstandsmitgliedern (vgl. CLUB LIBANÉS DE BUENOS AIRES 1996: 59ff.; ALFREDO RICHA). Abbildung 12: Außenaufnahme des Club Libanés de Buenos Aires, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

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Schaubild 1: Die Beziehungen zwischen den Vereinen in Buenos Aires und deren lokale Einbettung, 2008

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012. Erstellt auf Basis der Gespräche mit ALFREDO RICHA; JUAN SALIBA; SEBASTIAN GANEM; SILVANA RUFAIL; CHARBEL MERHI; ANTONIO ARIDA; JULIO

AFFIF; JOSÉ SALEH; AMALIA SFEIR; HORACIO HADDAD; ROBERTO SABA; YAOHDAT

BRAHÍM; ROBERTO AUAD; MIGUEL SARQUÍS

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Die zentrale Stellung des Club Libanés im Beziehungsgeflecht der Vereine von Buenos Aires ist auf das Vorhandensein von Räumlichkeiten zurückzuführen, die als Treffpunkte für die Mitglieder verschiedener Vereine dienen. In ihnen sind die JUCAL Buenos Aires, die UCAL Buenos Aires (vgl. SEBASTIAN GANEM; ALFREDO RICHA) sowie die Kulturabteilung des Hospital Sirio Libanés ansässig (vgl. RICARDO SIMES). Die genannten Vereine bzw. Organisationen verfügen im Club Libanés über eigene Büros. Die Zusammenarbeit zwischen diesen Institutionen ist eng, da sie die gleiche Infrastruktur nutzen und sich gegenseitig in ihren Aktivitäten personell und administrativ unterstützen. Es werden gemeinsame Aktivitäten wie der Unabhängigkeitstag des Libanons begangen und die beherbergten Vereine nutzen den Empfangssaal für ihre Informationsveranstaltungen, Ausstellungen und sonstigen Aktivitäten sowie den Sitzungssaal für ihre Treffen (vgl. RICARDO SIMES; SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; ALFREDO RICHA; ANTONIO ARIDA; teilnehmende Beobachtung14). Auch die Misión Maronita arbeitet mit diesen Vereinen eng zusammen und hat als älteste Institution der syrisch- und libanesischstämmigen Gemeinschaften Anteil an der Gründung dieser Vereine (vgl. CHARBEL MERHI). Der Zusammenhang der Vereine, die sich vor allem mit dem Libanon identifizieren, ist daher mit der geschichtlichen Entwicklung des Club Libanés de Buenos Aires und der Misión Maronita verbunden. Der Club Libanés wurde 1936 als Asociación Patriótica Libanesa auf Initiative der Missionare der Misión Maronita gegründet und war zunächst in der Mission ansässig. Um ein Vereinshaus zu erwerben, verkauften die Gründungsmitglieder Anteile am künftigen Clubhaus an kaufwillige Personen der libanesischstämmigen Bevölkerung. 1944 entstand das heutige Vereinsgebäude (vgl. Abb. 12) und 1945 erfolgte dessen Einweihung (vgl. CLUB LIBANÉS DE BUENOS AIRES 1996: 31ff.; ALFREDO RICHA; CHARBEL MERHI). Vor der Gründung des Club Libanés war die Misión Maronita eine herausragende Organisation für die christlichen syrischen und libanesischen Immigranten und deren Nachkommen. Die Mission (vgl. Abb. 13) wurde 1901 von zwei maronitischen Missionaren gegründet und 1902 nahm sie ihre Schule in Betrieb. Seitdem unterrichten maronitische Missionare zusammen mit argentinischen Lehrern Kinder in Buenos Aires. Die Herkunft ist für die Aufnahme in die Schule kein Auswahlkriterium. Während zu Beginn des Schulbetriebs ein Großteil 14 Die Zusammenarbeit wurde bei dem Besuch des Club Libanés deutlich, bei dem mir Alfredo Richa die Räumlichkeiten zeigte. In den Treffen der JUCAL Buenos Aires wurden die Teilnahme und Hilfe der Mitglieder der JUCAL bei der Vorbereitung von Veranstaltungen des Club Libanés und des Hospital Sirio Libanés besprochen.

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der Schüler der libanesisch- und syrischstämmigen Bevölkerung Argentiniens angehörte, ist die ethnische Zugehörigkeit im Jahr 2008 gemischt. Zunächst fühlte sich die Mission für alle christlichen libanesischen und syrischen Migranten verantwortlich. Doch mit dem global aufkommenden Nationalismus unterstützten die Missionare in den 1920er und 1930er Jahren vor allem die Gründung libanesischer Vereine, die sich für die Unabhängigkeit des Libanons einsetzten (vgl. JULIO AFFIF; CHARBEL MERHI). Heute unterstützt sie den Club Libanés, die UCAL (National und Buenos Aires) und die JUCAL (National und Buenos Aires) in organisatorischen Aufgaben und organisiert Fahrten in den Libanon. Die maronitischen Missionare sind außerdem über die Teilnahme an Veranstaltungen in der libanesischen Botschaft und persönliche Kontakte mit dem libanesischen Botschafter verbunden (vgl. RICARDO SIMES; SEBASTIAN GANEM; CHAR15 BEL MERHI; AMALIA SFEIR; teilnehmende Beobachtung ). Die Mission hat in der 1980er Jahren mit den Planungen einer Kirche neben dem Missionsgebäude begonnen (vgl. Abb. 13). Abbildung 13: Außenaufnahmen der Misión Maronita in Buenos Aires und der Kirche San Marón, 2008

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Durch Spenden von Gemeindemitgliedern und die Einnahmen der Mission aus einer von ihr betriebenen Tiefgarage konnte die Mission 1996 mit dem Bau der Kirche beginnen. Für den Bau wurden Steine aus dem Libanon nach Argentinien 15 Besuch der Botschaft am 30. April 2008 zu einer Buchvorstellung mit anschließendem Buffet.

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verschifft und ein aus dem Libanon stammender Architekt sowie aus dem Libanon und Syrien stammende Arbeiter errichteten das Gebäude. Im Jahr 2001 wurde die Kirche eingeweiht. Sie wird heute von Menschen aus dem Stadtviertel besucht sowie von syrisch- und libanesischstämmigen Maroniten und römischkatholischen Christen. Nach der Sonntagsmesse finden sich die Kirchgänger zum gemeinsamen Kaffee im Veranstaltungssaal der Misión Maronita ein, um ihre Kontakte zu pflegen (vgl. CHARBEL MERHI; JOSÉ SALEH; teilnehmende Beobachtung16). Die UCAL Buenos Aires ist eng mit dem Club Libanés de Buenos Aires verbunden. Ihr Sitz befindet sich im Vereinshaus des Club Libanés und ihre Veranstaltungen werden mit der Vereinsführung des Clubs abgesprochen. Antonio Arida (Zitat 1) schrieb zur Frage nach dem Verhältnis der UCAL Buenos Aires zum Club Libanés: Zitat 1: „Der Club Libanés ist der Sitz der Föderation [der UCAL] und sein wichtigstes Mitglied.“ (ANTONI ARIDA)

Die Unión Cultural Argentino Libanesa (UCAL) ist eine Dachorganisation, die einerseits in den verschiedenen Provinzen ihre lokalen Vertretungen besitzt. Andererseits versucht sie, Vereine der libanesischstämmigen Bevölkerung als Mitglieder der UCAL zu gewinnen. Die Mitgliedsvereine werden über die Ziele der UCAL informiert und zu deren Veranstaltungen eingeladen. Übermittelt werden die Einladungen via E-Mail, Telefon, SMS und bei persönlichen Treffen (vgl. SEBASTIAN GANEM; ANTONIO ARIDA; JULIO AFFIF; teilnehmende Beobachtung17). Die UCAL Buenos Aires ist Teil der UCAL Argentinien, die an den regelmäßigen internationalen Konferenzen der World Lebanese Cultural Union teilnimmt. Jedoch ist jede lokale Einheit der UCAL organisatorisch autonom und verfügt über einen Vorsitzenden. In Argentinien versucht die UCAL, die libanesischstämmige Bevölkerung Argentiniens zu vereinen und ihnen ihre Herkunft aus dem Libanon bewusst zu machen. Ein weiteres Ziel der UCAL ist es, die Unabhängigkeit des Libanons zu unterstützen (vgl. ANTONIO ARIDA18; RICARDO SIMES).

16 Besuch der Sonntagsmessen am 3. Mai 2008, 11. Mai 2008 und 24. August 2008. 17 Zur Wahl der argentinischen Ms. Libanon im Jahre 2008 wurde ich vom Vorsitzenden der UCAL per SMS eingeladen. 18 Diese Information stammt von Antonio Arida, er gab sie bei einer internen Sitzung 2008. Auf Wunsch der Teilnehmer wurde diese nicht aufgezeichnet.

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Zur Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa (JUCAL) pflegt die UCAL Buenos Aires eine besonders enge Beziehung. In regelmäßigen Treffen informiert die UCAL Buenos Aires die JUCAL Buenos Aires über ihre Aktivitäten und ihre politische Ausrichtung. Die JUCAL Buenos Aires wirkt bei den Veranstaltungen der UCAL Buenos Aires mit und nach Beendigung des 35. Lebensjahres gehen viele Mitglieder der JUCAL Buenos Aires in die UCAL Buenos Aires über (vgl. JUAN SALIBA; RICARDO SIMES; SEBASTIAN GANEM; teilnehmende Beobachtung19). Die libanesische Botschaft ist bei Veranstaltungen der UCAL eingebunden und die Asociación Libanesa de San Isidro ist ebenfalls Mitglied der UCAL (vgl. JULIO AFFIF). Zu den Veranstaltungen sind Vertreter der Federación de Entidades Argentino Árabes (FEARAB) und des Club Sirio Libanés eingeladen. Die Verbindung zu diesen beiden Organisationen ist aufgrund unterschiedlicher politischer Auffassungen angespannt. Während diese beiden Organisationen die arabischstämmigen Argentinier bzw. syrisch/libanesischstämmigen Argentinier als eine Einheit ansehen (vgl. HORACIO HADDAD; ROBERTO AHUAD; ROBERTO SABA), ist die UCAL auf die Betonung der eigenständigen Kultur sowie der Unabhängigkeit des Libanons bedacht (vgl. ALFREDO RICHA; JULIO AFFIF; AMALIA SFEIR; JUAN SALIBA). Die Vereine der arabischen Staaten, vor allem syrisch-libanesische Vereine, werden von der UCAL jedoch als Bruderorganisationen bezeichnet (vgl. ALFREDO RICHA; JULIO AFFIF; AMALIA SFEIR; JUAN SALIBA; teilnehmende Beobachtung20). Die UCAL Buenos Aires ist auch in die Politik Argentiniens, der Stadtverwaltung Buenos Aires und der Verwaltung des Stadtviertels Recoleta eingebunden sowie mit anderen Vereinen verbunden. Sie veranstaltet öffentliche Informationsveranstaltungen und öffentliche Feste, zu denen alle interessierten Bürger sowie Vertreter der Stadt und der Ministerien eingeladen werden (vgl. JOSÉ SALEH; RICARDO SIMES; ANTONIO ARIDA; teilnehmende Beobachtung21).

19 Antonio Arida gab den Mitgliedern der JUCAL Buenos Aires bei einer internen Sitzung 2008 Einblicke in die aktuelle politische Situation des Libanons und in die politische Position, die die UCAL und die WLCU dazu einnehmen. 20 Bei einem Abendessen in dem armenisch-libanesischen Restaurant „Burmana“ am 4. Juni 2008, das die UCAL mit Unterstützung der libanesischen Botschaft organisierte, waren ebenfalls Vertreter der FEARAB und des Club Sirio Libanés eingeladen. Auf dieser Veranstaltung traten zwei Vertreter(innen) der JUCAL Buenos Aires auf, eine als Bauchtänzerin und einer als Sänger. 21 Bei der Schenkung von Büchern an den Club Libanés am 14. Mai 2008 nahmen Vertreter der JUCAL Buenos Aires, der UCAL und des Hospital Sirio Libanés teil.

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Die JUCAL Buenos Aires trifft sich wöchentlich im Club Libanés de Buenos Aires, um ihre Aktivitäten, wie Hilfsaktionen für arme Kinder in Argentinien, aber auch ihre Informationsveranstaltungen und Feiern zu organisieren. Sie wurde in den 1980er Jahren als Jugendorganisation der UCAL gegründet und ist Mitglied der Jugend der World Lebanese Cultural Union. Sie verfolgt zwar die gleichen Ziele wie die Mutterorganisation, ist jedoch in ihrer Führung und Verwaltung unabhängig. In ihren Aktivitäten wird sie vom Club Libanés finanziell, organisatorisch und durch die Bereitstellung von Räumlichkeiten unterstützt. Auch von der UCAL, der Misión Libanesa, der libanesischen Botschaft und dem Hospital Sirio Libanés erhält sie Hilfe. Im Club Los Cedros verabreden sich die Mitglieder der JUCAL Buenos Aires gelegentlich zum Fußballspielen. Der Club Los Cedros gewährt ihnen unentgeltlich Zugang zu seinen Sporteinrichtungen, mit dem Ziel, sie als Mitglieder zu gewinnen. Die JUCAL Buenos Aires organisiert öffentliche Informationsveranstaltungen und arbeitet mit Jugendorganisationen anderer ethnischer Gemeinschaften zusammen (vgl. MIGUEL SARQUÍS; SILVANA RUFAIL; JUAN SALIBA; SEBASTIAN GANEM; CHARBEL MERHI; ALFREDO RICHA; teilnehmende Beobachtung22). Die Kulturabteilung des Hospital Sirio Libanés, die Asociación de Beneficencia Hospital Sirio Libanés, arbeitet eng mit dem Club Libanés de Buenos Aires zusammen und ist mit weiteren Vereinen syrisch- und libanesischstämmiger Argentinier verbunden. Sie besitzt ein Büro im Vereinsgebäude des Clubs und legt in den dortigen Aufenthaltsräumen Informationsmaterial aus (vgl. RI23 CARDO SIMES; teilnehmende Beobachtung ). Die Idee zur Gründung des Hospital Sirio Libanés stammte von der Damengruppe der Misión Libanesa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ursprünglich wurde das Krankenhaus gegründet, um Mitglieder der arabischen Gemeinschaft und Immigranten medizinisch zu versorgen. Im Jahr 2008 hatte das Krankenhaus eine Kapazität von 38.000 Betten und stand allen Personen offen. Auch das Personal besaß in seiner Mehrheit keinen arabischen Migrationshintergrund. Das Hospital unterhält lediglich über seine Kultur22 Die JUCAL Buenos Aires unterstützte eine Informationsveranstaltung des Hospital Sirio Libanés personell. Mitglieder der JUCAL arbeiteten als Platzeinweiser, dekorierten die Räume und ein Mitglied hielt eine Begrüßungsansprache. Zwei Mitglieder der JUCAL sind im Hospital Sirio Libanés angestellt. Am 8. Juni 2008 trafen sich Vertreter der JUCAL Buenos Aires und des Club Los Cedros in den Anlagen des Clubs zum Fußballspielen. Am Ende der Partie stand die Absicht, die Zusammenarbeit zu intensivieren. 23 Bei allen Besuchen des Club Libanés durch den Forscher lagen im Empfangssaal Informationsmagazine und Flyer des Hospital Sirio Libanés aus.

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abteilung eine Verbindung zu den Vereinen der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens (vgl. RICARDO SIMES). Dabei steht der Vorstand des Hospital Sirio Libanés mit dem Club Los Cedros in Verbindung. Bei Veranstaltungen wird wechselseitig für die Unterstützung der jeweils anderen Organisation geworben (vgl. RICARDO SIMES; MIGUEL SARQUÍS; teilnehmende Beobachtung). Ein Indikator dafür, dass die Asociación de Beneficencia Hospital Sirio Libanés in enger Verbindung zur JUCAL und UCAL steht, ist die Besetzung ihres Vorstandes. Ihm gehören fünf Personen der UCAL Buenos Aires und eine Person der JUCAL Buenos Aires24 an (vgl. Die Homepages de ASOCIACIÓN DE BENEFICENCIA HOSPITAL SIRIO LIBANÉS o. J. und der UCAL BUENOS AIRES o. J.a). Nun werden die schwächeren Verbindungen des Club Libanés beschrieben. In den 1940er und 1950er Jahren fungierte der Club als Empfangshaus für politische Vertretungen aus dem Libanon. Mit der Unabhängigkeit des Libanons richtete sich die Botschaft zunächst im Club Libanés ein, bis 1949 ein Botschaftsgebäude erworben wurde. Seitdem spricht sich die Clubführung mit dem Botschafter in seinen Aktionen ab und die Veranstaltungen werden wechselseitig nominell und in der Organisation unterstützt (vgl. ALFREDO RICHA; FELIPE YARYURA; CLUB LIBANÉS DE BUENOS AIRES 1996: 103f.). Die Asociación Libanesa de San Isidro unterhält nur noch gelegentlich Verbindung zum Club Libanés, da sie ihre Vereinsaktivitäten seit 2001 weitgehend eingestellt hat. Während der Feldforschung im Jahr 2008 fanden keine Veranstaltungen statt. Die Asociación wurde 1929 gegründet und bot in Zusammenarbeit mit der Gemeinde San Isidro bis 2001 Sprach- und Musikkurse kostenlos an. Auch die ehemaligen Verbindungen zu anderen Vereinen von San Isidro und der libanesischen Botschaft waren im Jahr 2008 nicht mehr vorhanden (vgl. JULIO AFFIF). Die Verbindungen des Club Libanés zum Club Los Cedros sind lose. Die Mitglieder laden sich gegenseitig zu Veranstaltungen ein. Eine institutionelle Anbindung und Absprachen in Bezug auf gemeinsame Veranstaltungen bestehen nicht. Als der Club Los Cedros 1969 als Sportclub (vgl. Abb. 14) gegründet wurde, waren die Verbindungen noch eng. Der Großteil der Mitglieder des Club Libanés war ebenfalls im Club Los Cedros Mitglied. Doch mit der zunehmenden Gründung von Sport- und Ferienanlagen in den Randbezirken von Buenos Aires in den 1990er Jahren wechselten viele Mitglieder zu anderen Sportvereinen. Gründe hierfür sind der weite Anfahrtsweg aus der Stadt und die Mitgliedschaft 24 Sebastian Ganem, der Vorsitzende der JUCAL Buenos Aires, ist der Vertreter der JUCAL in der Asociación de Beneficencia Hospital Sirio Libanés.

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der Kinder libanesischstämmiger Personen in den Sportvereinen ihrer Schulen. Die Eltern folgen ihrem Nachwuchs in dessen Sportverein, da ihre Kinder dort mit ihren Freunden aus der Schule spielen können und sie mit Eltern gleichaltriger Kinder Erfahrungen austauschen können. Heute wird der Club nicht mehr nur von der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung besucht, sondern mehrheitlich von Personen anderer Herkunft. Heute hat nur noch etwa die Hälfte der Vorstandsmitglieder einen arabischen Familienhintergrund (vgl. MIGUEL SARQUÍS; RICARDO SIMES). Abbildung 14: Außenaufnahme des Restaurants und Vereinshauses des Club Los Cedros sowie von Teilen der Sportanlagen, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Der Club Libanés steht der lokalen Bevölkerung offen und lädt Vertreter der Stadtverwaltung und der Verwaltung des Stadtviertels Recoleta zu offiziellen Veranstaltungen ein. Viele Informationsveranstaltungen dienen dazu, alle Argentinier über die Kultur und die Geschichte des Libanons sowie über die libanesischstämmige Bevölkerung Argentiniens zu informieren. Der Club versteht sich als Vertreter der libanesischstämmigen Argentinier gegenüber der argentinischen Regierung und Bevölkerung (vgl. ALFREDO RICHA). Der Club Libanés ist ein wichtiger Bestandteil der libanesischen Gemeinschaft, da er ein affektives und repräsentatives Zentrum seiner Mitglieder und der Mitglieder anderer libanesischer Vereine ist. Dies geht aus folgenden Zitaten hervor:

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Zitat 2: „Der Club [Club Libanés de Buenos Aires] verfügt über großes Prestige. Mit Konferenzen mit wichtigen politischen Themen. Du wirst die Konferenzen besuchen können … sagen wir mal, er hat einen bestimmten Einfluss auf die [libanesische] Gemeinschaft. Es ist auch ein Club mit einem bestimmten … mit viel Prestige.“ (JOSÉ SALEH) Zitat 3: „Ich bin hier [im Club Libanés de Buenos Aires] wegen meiner Zuneigung. Ich bin hier, weil mein Vater ein Kämpfer war.“25 (ALFREDO RICHA)

Zum einen werden hier wichtige Konferenzen abgehalten und zum anderen ist die Familiengeschichte vieler Personen mit der Geschichte des Clubs verbunden (vgl. SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; ELÍA GATTAR; AMALIA SFEIR). Die Verwaltung des zweiten Zentrums, des Club Sirio Libanés de Buenos Aires, setzt sich aus einem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter und sechs weiteren Mitgliedern zusammen. Anders als der Club Libanés ging der Club Sirio Libanés erst 2003 aus der Fusion der drei Vereine Club Sirio de Buenos Aires, Asociación Akarense de Beneficencia y Socorros Mutuos und dem Club Sirio Libanés Honor y Patria hervor. Der Club besitzt daher drei Vereinsgelände26. Er wird von einer zentralen Verwaltung geleitet und hat seinen Hauptsitz im Gebäude des ehemaligen Club Sirio (vgl. Abb. 15).

25 Der Vater von Alfredo Richa war Mitbegründer des Club Libanés und in den 1940er Jahren sein Vorsitzender. 26 Während des Feldforschungsaufenthalts war das Gebäude der Asociación Akarense geschlossen. Laut der Homepage des Club Sirio Libanés ist das Gebäude seit 2011 wieder geöffnet (vgl. CLUB SIRIO LIBANÉS DE BUENOS AIRES o. J.a).

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Abbildung 15: Außenaufnahme des Club Sirio, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Der Club Sirio de Buenos Aires wurde 1925 als Club Homsiense von Immigranten aus der syrischen Stadt Homs gegründet. Im Jahre 1938 benannte sich der Club in Homs Club um und seit 1975 heißt er Club Sirio de Buenos Aires. Heute finden hier Veranstaltungen in den Festsälen und Empfangshallen statt. Es ist der repräsentative Teil des Club Sirio Libanés. Die Asociación Akarense de Beneficencia y Socorros Mutuos wurde 1927 unter dem Namen Sociedad Al Akariat als wohltätiger Verein der gegenseitigen Hilfe von libanesischen Einwanderern aus der libanesischen Region Akkar gegründet. Beide Vereine dienten der sozialen und ökonomischen Absicherung der Einwanderer. 1932 gründete Moises Azize den Sportclub Club Sirio Libanés Honor y Patria. Heute befinden sich auf seinem Gelände die Sportanlagen (Tennisplätze und Schwimmbad) und zwei Veranstaltungssäle (vgl. Abb. 15), die alle Mitglieder des Club Sirio Libanés nutzen. Der Sportclub wurde gemeinsam von einer syrischstämmigen und einer libanesischstämmigen Person geleitet, wobei diese Praxis nach der Fusion zum Club Sirio Libanés beibehalten wurde. Der Zusammenschluss der drei Vereine erfolgte aus wirtschaftlichen Gründen. Heute zählt der Club Sirio Libanés mehr als 1.000 Mitglieder, von denen jedoch nur ein Bruchteil regelmäßig an den Veranstaltungen teilnimmt bzw. die kulturellen Angebote und Sportmöglichkeiten wahrnimmt. Die Mitgliedschaft ist nicht an die ethnische Herkunft gekoppelt. Viele der Mitglieder sind Ehepartner von syrisch- und libanesischstämmigen Personen und haben keinen arabischen Migrationshintergrund. Lediglich, um in die Clubleitung aufgenommen zu werden, wird die Abstammung von Syrern oder Libanesen vorausgesetzt (vgl. CLUB SIRIO LIBANÉS DE BUENOS AIRES O. J.a; ROBERTO SABA; teilnehmende Beobachtung). Im Gebäude des Club Sirio befin-

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det sich im dritten Stock ein Restaurant, das dem Club gehört und seit 1989 von Abdala Edi geführt wird. Es ist ein öffentliches Restaurant, das auch die Bewirtung bei Veranstaltungen des Clubs übernimmt (vgl. ROBERTO SABA; ABDALA EDI). Eine zentrale Rolle innerhalb des Beziehungsgeflechts spielt der Verein aufgrund seiner hohen Mitgliederzahl. Besonders eng sind die Beziehungen zur FEARAB Buenos Aires. Außerdem bestehen Verbindungen zur Fundación Los Cedros, zum Club Los Cedros und zum Centro Islámico República Argentina (vgl. ROBERTO SABA; HORACIO HADDAD; ROBERTO AHUAD; RICARDO ELÍA). Die Dachorganisation Federación de Entidades Argentino Árabes hat den Sitz ihrer lokalen Gruppe FEARAB Buenos Aires und deren Jugendgruppe27 im Gebäude des ehemaligen Club Sirio. Gleichzeitig ist der Club Sirio Libanés Mitgliedsverein des FEARAB Argentinien. Die Verbindung zwischen diesen Organisationen besteht in der gegenseitigen Unterstützung bei Veranstaltungen. Gleichzeitig stellt der Club Sirio Libanés der FEARAB seine Räumlichkeiten unentgeltlich zur Verfügung (vgl. ROBERTO SABA). Die FEARAB wurde 1972 in Buenos Aires auf Betreiben von Horacio Haddad gegründet. Ab 1986 vergrößerte sich die FEARAB und gewann Organisationen in ganz Argentinien als Mitgliedsvereine. 1987 wurde sie mit ihren lokalen Zweigstellen in ganz Argentinien unter Beibehaltung des Namens in ihrer jetzigen Form neu gegründet (vgl. HORACIO HADDAD). Die FEARAB verfügte bis zum Frühjahr 2011 über ein eigenes Fernsehprogramm mit dem Namen „Desde el Ajibe“, das sonntags von 11 bis 12 Uhr auf dem öffentlichen Kanal „Canal 7“ ausgestrahlt wurde. Die erste Folge wurde 2002 gesendet28. Das Programm widmete sich vor allem den aktuellen Veranstaltungen und dem privaten Leben von Mitgliedern der arabischen Gemeinschaften in Argentinien, aber auch politischen und kulturellen Themen Argentiniens, Lateinamerikas und der arabischen Länder des Mittelmeerraums. Die FEARAB und das Centro Islámico República Argentina unterstützen sich mit Informationsbeiträgen gegenseitig (vgl. ROBERTO AHUAD; PRENSA FEARAB

27 Da der Autor zur Jugendgruppe der FEARAB keinen Kontakt besaß, wird sie im Schaubild nicht dargestellt. Wie im Fall der UCAL ist in der FEARAB auch die Trennung in Erwachsene und Jugendliche zu finden. 28 Nach dem Tod der Mitarbeiterin Ninawa Daher im Frühjahr 2011 wurde das Programm im Mai 2011 eingestellt und der Sendeplatz an das Centro Islámico República Argentina übergeben (vgl. PRENSA FEARAB 2011a und 2011b). Die Prensa FEARAB ist ein Informationsblatt, das über einen E-Mail-Verteiler an registrierte Personen verschickt wird.

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2011b; teilnehmende Beobachtung29). Die FEARAB Amerika besteht aus den Vertretern der FEARAB der verschiedenen Länder Lateinamerikas. Ihr Hauptsitz ist in der Fundación Los Cedros untergebracht (vgl. Abb. 16). Beide Organisationen sind eng miteinander verbunden, da die Fundación Los Cedros die kulturelle Abteilung der FEARAB Amerika ist und beide Organisationen von Horacio Haddad30 geführt wurden (vgl. HORACIO HADDAD). Die Fundación Los Cedros (vgl. Abb. 16) wurde 1972 ins Leben gerufen und an die medizinische Abteilung des 1970 gegründeten Krankenhauses Clínica Modelo Los Cedros angegliedert. Die Fundación Los Cedros gibt wissenschaftliche und journalistische Studien über die Mittelmeerregion und die arabischen Gemeinschaften in Lateinamerika in Auftrag und organisiert kulturelle Veranstaltungen. Im Jahr 2008 verfügte die Fundación Los Cedros über zwei Sitze und die Clínica Modelo Los Cedros über drei Gebäude. Neben dem Hauptsitz in Buenos Aires besitzt die Fundación Los Cedros eine Zweigstelle in Zahle, Libanon, mit der sie in ständigem E-Mail- und Telefonkontakt steht. Die Geschäftsleitung in Zahle liegt bei Malake Haddad, der Nichte von Horacio Haddad. Die Klinik unterhält zusätzlich zu ihrem Hauptsitz in La Matanza, Provinz Buenos Aires, zwei weitere Gebäude: eine psychiatrische Klinik und ein Sanatorium. Die Fundación Los Cedros arbeitet auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Centro Islámico República Argentina (vgl. Abb. 17) zusammen und unterstützt gelegentlich deren Veranstaltungen (vgl. CAGNI 2003: 591 ff.; HADDAD 2003: 505 ff.; HORACIO HADDAD).

29 Die Primera Semana de la Cultural de los Países Árabes vom 14. bis 18. April 2008 wurde von der FEARAB Argentinien organisiert. Dabei unterstützten sie sowohl der Club Sirio Libanés als auch das Centro Islámico República Argentina mit Informationsveranstaltungen über den Islam, die arabischstämmige Gemeinschaft in Argentinien und einer arabischen Kochveranstaltung. 30 Die Position der Fundación Los Cedros, die in Schaubild 1 dargestellt ist, ist heute möglicherweise eine andere, da der Geschäftsführer Horacio Haddad, treibende Kraft und herausragende Persönlichkeit der Organisation, im Frühjahr 2010 starb.

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Abbildung 16: Außenaufnahme der Fundación Los Cedros, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Der Club Sirio Libanés hält mit dem Centro Islámico República Argentina (vgl. Abb. 17) Kontakt. Die Organisationen unterstützen sich gegenseitig bei Informationsveranstaltungen. Das Centro Islámico wurde in den 1920er Jahren gegründet und erhielt 1932 seine juristische Körperschaft. Es ist eine Dachorganisation, die alle islamischen Vereine und religiösen Einrichtungen in Argentinien miteinander verbindet. Davon ausgenommen ist die Moschee Rey Fahd, die von der saudi-arabischen Regierung betrieben wird. Die Verbindungen zum Club Sirio Libanés sind nur von gelegentlicher Art, da sich das Zentrum als religiöse Organisation versteht. Es fühlt sich für alle Muslime zuständig, gleich welcher ethnischen Herkunft (vgl. RICARDO ELÍA; teilnehmende Beobachtung31). Die Verbindungen zur FEARAB und zur Fundación Los Cedros sind eng, da sich die drei Organisationen bei Veranstaltungen gegenseitig mit Beiträgen zur Information über den Islam und/oder die arabische Gemeinschaft in Argentinien unterstützen (vgl. HORACIO HADDAD; RICARDO ELÍA; teilnehmende Beobachtung32).

31 Während des Festivals „Primera Semana de la Cultura de los Países Árabes“. 32 Während des Festivals „Primera Semana de la Cultura de los Países Árabes“.

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Abbildung 17: Außenaufnahme des Centro Islámico República Argentina in Buenos Aires Stadt, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Der Club Sirio Libanés führt seit 2008 mit dem Club Los Cedros Verhandlungen zur Zusammenlegung der beiden Organisationen. Dabei sieht Miguel Sarquís beide Vereine als komplementär an, da der Club Los Cedros über größere Fußball- und Rugbyfelder sowie ein anderes Sportangebot als der Club Sirio Libanés Honor y Patria verfügt. Die beiden Vereinsführungen laden sich gegenseitig zu Veranstaltungen ein (vgl. MIGUEL SARQUÍS; ROBERTO SABA). Der Club Sirio Libanés scheint über Verbindungen zur syrischen und zur libanesischen Botschaft zu verfügen, die jedoch in den Interviews nicht bestätigt wurden. Allerdings ist die Website des Clubs mit den Homepages beider Botschaften verlinkt (vgl. CLUB SIRIO LIBANÉS DE BUENOS AIRES o. J.b). Der Club Sirio Libanés ist darüber hinaus mit Vereinen arabischstämmiger und nicht arabischstämmiger Gemeinschaften in ganz Argentinien verbunden. Durch seine Mitgliedschaft in der FEARAB ist er mit den arabischen Vereinen in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Staaten verbunden. In die lokale Bevölkerung ist der Club durch das für alle Personen offenstehende Angebot an Tanzkursen, den Koch- und Sprachunterricht sowie das Restaurant eingebunden. Während die Sportveranstaltungen meist nur für Clubmitglieder offenstehen, sind die Kultur- und Informationsveranstaltungen auch für Außenstehende frei zugänglich. Die Asociación Akarense unterstützt auch bedürftige Personen in Argentinien durch Spendengelder und Hilfsaktionen. Sie unterhält beispielsweise eine Essensausgabe für arme Kinder in Buenos Aires (vgl. ROBERTO SABA; KAMEL DARBO).

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Auch der Club Sirio Libanés fungiert für seine Mitglieder als emotionales Zentrum. Wie die Gesprächsausschnitte zeigen, ist er für sie wie ein zweites Zuhause, ein Ort, an den Erinnerungen an die Familiengeschichte und an die Jugend geknüpft sind. Die Mitglieder suchen dort ihre Vergangenheit (vgl. KAMEL DARBO, ROBERTO AHUAD). Zitat 4: „Für mich ist der Club [Club Sirio Libanés] mein zweites Zuhause. Ich treibe Sport und daher bin ich permanent hier. Ich bin viermal in der Woche hier im Club, um an einer Aktivität teilzunehmen, egal ob im Bereich Sport, im Bereich des Sekretariats oder im kulturellen Bereich. Ich bin immer irgendwo und auf alle Fälle drei- bis viermal pro Woche. Daher ist er [der Club Sirio Libanés] ein Gefühl. Ich trage ihn in meinem Innersten und versuche überall einen Teil beizutragen, damit die Argentinier, die unsere Freunde sind, damit sie bei uns sind und unsere Kultur kennenlernen: unsere Gewohnheiten, unser Essen, unseren Tanz, unsere Bibliothek.“ (YAOHDAT BRAHÍM) Zitat 5: „Heute sind viele, die zu den Clubs kommen, schon erwachsen, in meinem Alter oder älter oder 50 Jahre, 60 Jahre. Sie haben ein großes Verlangen, zu ihren Wurzeln zurückzukehren, und vielleicht interessierten sie sich bis zu ihrem 30., 40. noch für keinen arabischen Verein.“ (ROBERTO SABA) Zitat 6: „Und klar, in den letzten Jahren mit der Vereinigung [der drei Vereine] … er war ein Sportclub [der Club Sirio Libanés Honor y Patria] mit sozialen und sportlichen Aktivitäten. Mit der Vereinigung, die wir eingingen, wurde es ein Club, der viel wichtiger innerhalb der Gemeinschaft wurde. Mit einer viel größeren Präsenz.“ (ROBERTO SABA)

Zu den Festen und Aktivitäten des Club Sirio Libanés sind auch die libanesischen Vereine der Stadt eingeladen, wodurch die persönlichen und institutionellen Verbindungen zwischen den libanesischen, syrisch-libanesischen und syrischen Vereinen ständig erneuert werden (vgl. YAOHDAT BRAHÍM; ROBERTO AHUAD; ROBERTO SABA). Die in Schaubild 1 dargestellten Verbindungen der Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung von Buenos Aires mit anderen ethnischen und nicht ethnischen Vereinen sowie mit der argentinischen Regierung und der Stadtverwaltung zeigen, dass die Vereine stark in die lokalen Kontexte der argentinischen Gesellschaft eingebunden sind. Die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen ist permanent und Beweis für die Einbettung der Vereine in die

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institutionelle Organisation von Buenos Aires und Argentinien.33 Der Kontext der argentinischen Gesellschaft umgibt die Vereine wie eine Matrix, die im Schaubild 1 als grauer Hintergrund dargestellt ist (vgl. SEBASTIAN GANEM; RICARDO SIMES; ROBERTO SABA; HORACIO HADDAD; teilnehmende Beobachtung34). Auch wenn die nationalen Beziehungen aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht dargestellt werden, besitzen alle Vereine Verbindungen zu verschiedenen Vereinen in Argentinien, sei es zu arabischen, libanesischen oder sonstigen Organisationen. Über die FEARAB und die UCAL sowie über bilaterale Verbindungen sind sie in internationale Kontexte eingebunden (vgl. SEBASTIAN GANEM; RICARDO SIMES; ROBERTO SABA; HORACIO HADDAD). Das Verhältnis zwischen den Clubs Club Libanés und Club Sirio Libanés, und mehr noch zwischen der UCAL und der FEARAB, kann als distanziert beschrieben werden. Wie bereits dargelegt, laden sich die Vereinsführungen zu ihren Veranstaltungen gegenseitig ein (vgl. teilnehmende Beobachtung35). Jedoch beklagen sich beide Seiten über die jeweils andere. Einerseits betonen die Vorstände des Club Libanés und der UCAL die Abstammung der Libanesen von den Phöniziern und distanzieren sich so von den arabischstämmigen Argentiniern und Arabern. Dies tun sie, um die Unabhängigkeit des Libanons vor den Besitzansprüchen Syriens auf geschichtlicher Grundlage zu legitimieren. Dem Club Sirio Libanés und der FEARAB werfen sie vor, zu sehr zu generalisieren und durch das Mischen der Kategorien „Libanon“ und „Syrien“ die Unabhängigkeit des Libanons in Frage zu stellen (vgl. CHARBEL MERHI; ALFREDO RICHA; JULIO AFFIF; JOSÉ SALEH, SEBASTIAN GANEM, JUAN SALIBA, RICARDO SIMES). Aufgrund dieser Differenzen lehnte der Club Libanesa den Vorschlag des Club Sirio Libanés ab, sich mit ihm institutionell zu vereinen (vgl. ROBERTO SABA). Andererseits betonen Mitglieder des Club Sirio Libanés sowie die FEARAB die Notwendigkeit, gegenüber der argentinischen Regierung als Einheit aller arabisch33 Die JUCAL Buenos Aires nimmt mit einem Stand an der Feria de las Colectividades (Fest der ethnischen Gemeinden) teil. Bei dieser Veranstaltung organisieren die verschiedenen ethnischen Gemeinschaften Informationsstände, um über ihre Herkunftsregionen und ihre Gemeinschaft in Argentinien zu informieren (vgl. SEBASTIAN GANEM).

34 So veranstaltete die FEARAB die „Primera Semana de la Cultura de los Países Árabes“ im Museo de Arte Español Larreta in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung von Buenos Aires. An einem Empfang im Club Libanés am 14. April 2008 waren ebenfalls Vertreter der Stadt anwesend. 35 Abendessen in dem armenisch-libanesischen Restaurant „Burmana“ am 4. Juni 2008.

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stämmigen Argentinier aufzutreten, um ihre Interessen leichter durchsetzen zu können. Sie sehen in den Bemühungen der UCAL und des Club Libanés, die phönizischen Wurzeln hervorzuheben, eine Gefährdung der arabischen Einheit. Allerdings zweifelt keiner der Gesprächspartner die Unabhängigkeit des Libanons an (vgl. HORACIO HADDAD; ROBERTO SABA; ROBERTO AHUAD). Trotz der Meinungsverschiedenheiten interessieren sich viele Mitglieder der Clubs nicht für diese politischen Auseinandersetzungen bzw. sind sie für ein Auftreten als arabische Einheit in Argentinien und für eine Trennung in Nationalitäten im Kontext der internationalen Politik (vgl. PATRICIO ABDALA; RICARDO SIMES; MIGUEL SARQUÍS; JUAN SALIBA; HORACIO HADDAD). Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass trotz der Differenzen einige Vereine in beiden Dachorganisationen Mitglied sind36.

36 Beispiele hierfür sind das Centro Social Libanés de Mar del Plata und die Asociación Libanesa de Tucumán (vgl. FEARAB o. J.a; UCAL BUENOS AIRES o. J.b)

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Die Beziehungen zwischen den ethnischen Vereinen in San Miguel de Tucumán Aus Schaubild 2 „Die Beziehungen zwischen den Vereinen in San Miguel de Tucumán und deren lokale Einbettung, 2008“ geht hervor, dass sich die Beziehungen zwischen den Vereinen in San Miguel de Tucumán37 von denen zwischen den Vereinen in Buenos Aires unterscheiden (vgl. Schaubild 1 und Schaubild 2).38 Es fällt auf, dass keine dunkelgrau getönten Vereine vorhanden sind, jedoch sind die beiden Lager, libanesische Vereine einerseits und syrischlibanesische Vereine andererseits hier in engerem Kontakt als in Buenos Aires39. Im Gegensatz zu Buenos Aires nimmt die UCAL in Tucumán eine periphere Position ein (vgl. Schaubild 2). Die Positionen ergeben sich auch hier aus der Bedeutung der Vereine für die Gesprächspartner, den von ihnen angegebenen Beziehungen zwischen den Vereinen sowie der geschichtlichen Entwicklung der Vereine. Eindeutige Zentren der Beziehungen wie in Buenos Aires haben sich hier nicht herausgebildet.

37 Die Vereine und Organisationen sind wiederum als Kreise dargestellt, wobei die Farbgebung der Darstellung der Beziehungen zwischen den Vereinen in Buenos Aires in Schaubild 1 entspricht. 38 Obwohl in Schaubild 2 die Kategorie „Schwach“ bei der Beschreibung der Intensität der Kontakte und die Kategorie „Zugehörigkeit zu beiden Gemeinschaften“ bei der ethnischen Selbstzuordnungen fehlen, werden beide Kategorien in der Legende aufgeführt. Dieses Vorgehen erleichtert die Vergleichbarkeit zwischen Schaubild 1 und Schaubild 2 und macht die Unterschiede sichtbar. 39 Die dargestellte Distanz und die Stärke der Linien korrespondieren wiederum mit der Intensität der Verbindungen und der Zusammenarbeit zwischen den Vereinen. Je geringer die Distanz und je stärker die Linien, desto enger sind die Verbindungen.

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Schaubild 2: Die Beziehungen zwischen den Vereinen in San Miguel de Tucumán und deren Einbettung, 2008

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012. Erstellt auf Basis der Gespräche mit PEDRO BUJAZHA; JOSÉ GANDUR; ARIEL CAMPERO; ALBERTO JUNIOR BESTANI; ORLANDO DI MARCO; AMIRA JURI DE BUDEGUER; ELITA SALEME; VICTORIA BESTANI; CHRISTINA CARAM; JULIO MUSTAFA; HÉCTOR BENJAMÍN MOHAMMAD

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Die Sociedad Sirio Libanesa (vgl. Abb. 18) wurde 1925 von syrischen und libanesischen Einwanderern und deren Nachfahren gegründet. Um in den Vorstand des Vereins gewählt werden zu können, muss ein Kandidat die syrische oder libanesische Herkunft bzw. Abstammung nachweisen. Der Verein zählte im Jahr 2008 ca. 300 Mitglieder, wobei die Mitgliedschaft an keine ethnische Herkunft gebunden ist40. Abbildung 18: Außenaufnahme der Sociedad Sirio Libanesa, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Der Verein verfügt über einen Kinosaal, in dem auch Theateraufführungen stattfinden, einen Veranstaltungssaal, der gleichzeitig als Sporthalle benutzt wird, ein Restaurant, das arabisches Essen anbietet, und einen Sozialraum mit Fernseher für Treffen sowie zum Karten- und Schachspielen. Darüber hinaus verfügt die Sociedad Sirio Libanesa über einen Gebäudekomplex, der an ein privates Unternehmen verpachtet ist, das Bingoveranstaltungen organisiert (vgl. ORLANDO DI MARCO; ELENA ALBACA FARES). Die Sociedad Sirio Libanesa stellt ihren Veranstaltungssaal einer Mädchengymnastikgruppe bereit und bietet Kampfsport sowie Sprachkurse für Arabisch, Französisch und Englisch an. Diese Angebote werden auch von der lokalen Bevölkerung wahrgenommen, gleich welcher Her40 Beim Gruppengespräch mit Orlando di Marco war ebenfalls Julio, Mitglied in der Sociedad Sirio Libanesa, anwesend. Julio ist ein Freund von Orlando di Marco und im Kreis von Freunden im Club, ohne Verwandte syrischer oder libanesischer Herkunft zu haben.

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kunft. Die kulturellen und Informationsveranstaltungen haben zum Ziel, den Verein sowie die syrische und libanesische Gemeinschaft in Argentinien bekannt zu machen. Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen ist für alle Interessierten offen. Sie finden häufig in Zusammenarbeit mit der Regierung der Stadt San Miguel de Tucumán statt und gelegentlich werden Vertreter anderer ethnischer Gemeinschaften eingeladen (vgl. ORLANDO DI MARCO). Die FEARAB Tucumán arbeitet eng mit der Sociedad Sirio Libanesa und der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica zusammen. Sie hält ihre Treffen abwechselnd in einem dieser beiden Vereinsgebäude ab. Gleichzeitig sind beide Vereine in der FEARAB Tucumán Mitglied (vgl. AMIRA JURI DE BUDEGUER; HÉCTOR BENJAMÍN MOHAMMAD). Abbildung 19: Außenaufnahme der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Die Asociación Cultural y Culto Pan Islámica (vgl. Abb. 19) ist eine religiöse Einrichtung, die 1929 gegründet wurde. Sie beherbergt einen Gebetsraum und einen Veranstaltungssaal, in dem unter der Woche Kampfsportkurse für Kinder und Jugendliche jeglicher Herkunft angeboten werden. Ein Unterrichtssaal dient als Raum für Kurse in arabischer Sprache für Vereinsmitglieder. Obwohl die Asociación Cultural y Culto Pan Islámica nicht über ethnische Herkunft definiert ist, arbeitet sie eng mit der Sociedad Sirio Libanesa und der Asociación Libanesa

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zusammen, und die Vorstände laden sich gegenseitig zu Veranstaltungen ein41 (vgl. HÉCTOR BENJAMÍN MOHAMMAD; JULIO MUSTAFA). Die Vereinsführung der Sociedad Sirio Libanesa bot der UCAL Tucumán und der JUCAL Tucumán an, ihre Treffen in ihrem Vereinshaus abzuhalten. Obwohl beide Organisationen ablehnten, nehmen sie an Veranstaltungen der Sociedad Sirio Libanesa teil und laden die Mitglieder dieses Vereins zu ihren eigenen Veranstaltungen ein. Die Verbindung der Sociedad Sirio Libanesa zur Asociación Libanesa ist eng. Die Vorsitzenden sind miteinander befreundet und die Mitglieder beider Organisationen werden zu den jeweiligen öffentlichen Veranstaltungen explizit eingeladen (vgl. CECILIA MADE; VICTORIA BESTANI; ORLANDO DI MARCO; CHRISTINA CARAM; EMILIA CARAM). Über eine spezielle Verbindung verfügen die Vereine Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán und die Asociación Libanesa de Tucumán (vgl. Abb. 20), da die Asociación Libanesa im Jahr 1935 aus der Abspaltung einer Gruppe von Mitgliedern der Sociedad Sirio Libanesa entstand. Die Trennung von der Sociedad Sirio Libanesa geschah auf die Bitte hin, die aus dem Libanon über Buenos Aires nach Tucumán übermittelt wurde, auf diese Weise die Unabhängigkeit des Libanons zu unterstützen42. Durch die Präsenz libanesischer Vereine in Argentinien sollte die argentinische Regierung zum Eintreten für einen unabhängigen libanesischen Staat bewegt werden. Die argentinische Regierung sollte Druck auf die französische Regierung ausüben, damit diese ihr Mandat über den Libanon niederlegt. Eine Gruppe von Einwanderern aus Bire, Libanon, kam dieser Bitte nach und gründete die Sociedad El Bire de Socorros Mutuos (vgl. PEDRO BUJAZHA). Im Jahre 1953 kauften die Mitglieder das heutige Vereinshaus (vgl. Abb. 20). Nach einigen Umbauten verfügte es im Jahr 2008 über einen Besprechungssaal, einen Veranstaltungssaal, eine Bibliothek, eine Küche und ein Mausoleum auf dem Friedhof, in dem die Mitglieder auf Wunsch beigesetzt werden. Die heutigen Aktivitäten der Asociación Libanesa beschränken sich auf die Verwaltung der Mitgliedsakten und die Instandhaltung des Gebäudes sowie des Mausoleums. Wer Mitglied der Vereinsführung werden will, muss die libanesische Abstammung nachweisen. Pedro Bujazha, der Vorsitzende der Asociación Libanesa, schätzt den Anteil

41 Viele Gesprächspartner berichten, dass sie gerne auf die Feste der Asociación Cultural y Culto Pan Islámica gehen, obwohl sie keine Muslime sind. Sie fühlen sich auf den Festen während des Ramadan wohl und zählen die Asociación zu den syrischen und libanesischen Einrichtungen (vgl. PEDRO BUJAZHA; ORLANDO DI MARCO; JULIO MUSTAFA; AMIRA JURI DE BUDEGUER; CECILIA MADE). 42 Wer diese Bitte genau übermittelte, ist unbekannt.

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libanesischstämmiger Argentinier an der Gesamtzahl der Mitglieder auf ca. 95 Prozent (vgl. PEDRO BUJAZHA; CHRISTINA CARAM; ELITA SALEME). Abbildung 20: Außenaufnahme der Asociación Libanesa de Tucumán, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Es gibt zwei aktive Gruppen bzw. Organisationen in der Asociación Libanesa: die Damengruppe Actividades Sociales Casa Libanesa (ASCAL) und die JUCAL Tucumán. Die ASCAL trifft sich alle 15 Tage in der Asociación Libanesa, um ihre Tätigkeiten zu koordinieren. Sie organisiert die Veranstaltungen der Asociación Libanesa, wie die Feier am Unabhängigkeitstag des Libanons und auf Wunsch Geburtstage von Vereinsmitgliedern. Des Weiteren organisiert sie öffentliche Informations- und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Mit dem Geld der Wohltätigkeitsveranstaltungen finanziert die ASCAL soziale Hilfsprojekte für die Mitglieder der Asociación Libanesa, aber auch für bedürftige Personen aus der Provinz Tucumán. Die Mitglieder der Damengruppe finden sich auch zu internen Treffen, wie Teekränzchen, ein und bleiben dabei unter sich (vgl. ELITA SALEME; SALMA AUAD). Die JUCAL Tucumán nutzt ebenfalls die Räumlichkeiten der Asociación Libanesa. Sie formierte sich im Jahr 2005, um sich nach kurzer Zeit wieder aufzulösen. Im Jahr 2007 bildete sie sich erneut und verfügte im Jahr 2008 über 20 bis 25 Mitglieder. Die JUCAL richtet regelmäßig Feste und Informationsveranstaltungen in der Asociación Libanesa aus. Bei ihren Aktivitäten wird sie häufig von der ASCAL bei den Vorbereitungen und der Durchführung personell unterstützt. Die Asociación Libanesa überlässt der JUCAL die Nutzung des Gebäudes unentgeltlich. Neben Mitgliedern der Asociación Libanesa nehmen auch Mitglieder

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der Sociedad Sirio Libanesa, der FEARAB Tucumán, der UCAL Tucumán und von Vereinen anderer ethnischer Herkunft an ihren Veranstaltungen teil. Des Weiteren treffen sich in der Asociación Libanesa regelmäßig acht Mitglieder der JUCAL Tucumán zum Dabketanzen (vgl. CECILIA MADE; AMIRA JURI DE BUDE43 GUER; JOSÉ GANDUR; ALBERTO JUNIOR BESTANI; teilnehmende Beobachtung ). Die UCAL Tucumán war im Jahre 2008 im Begriff, sich neu zu formieren. Sie bestand aus elf Personen, die sich unregelmäßig an verschiedenen Orten in San Miguel de Tucumán trafen. Obwohl die Mitglieder gerne in der Asociación Libanesa einen dauerhaften Sitz hätten, sprach sich die Vereinsführung der Asociación Libanesa dagegen aus. Das Angebot der Sociedad Sirio Libanesa, ihr Vereinsgebäude für ihre Treffen zu benutzen, lehnten sie ab, da sie gegen eine Vermischung der Kategorien „syrisch“ und „libanesisch“ sind. Vereinzelt trafen sie sich in der maronitischen Kirche Nuestro Señor del Milagro y San Marón (vgl. Abb. 21). Doch da in ihren Reihen auch Mitglieder muslimischen und jüdischen Glaubens sind, bevorzugen sie, ihre Treffen nicht an religiösen Orten abzuhalten (vgl. ORLANDO DI MARCO; PEDRO BUJAZHA; VICTORIA BESTANI; CHRISTINA CARAM). Die maronitische Kirchengemeinde Nuestro Señor del Milagro y San Marón besteht seit 1916 in San Miguel de Tucumán und weihte 1924 ihre gleichnamige Kirche (vgl. Abb. 21) ein. Sie tritt für die Unabhängigkeit des Libanons ein und unterstützt die Aktivitäten der Asociación Libanesa, der JUCAL Tucumán und der UCAL Tucumán. In den Messen sind noch heute viele libanesischstämmige Argentinier anzutreffen (vgl. ELITA SALEME; SALMA AUAD; teilnehmende Beobachtung44).

43 Die JUCAL Tucumán veranstaltete am 22. Juni 2008 ein Essen, bei dem ca. 150 Personen der arabischen Gemeinschaft anwesend waren. Die meisten Gäste waren Mitglieder der Asociación Libanesa. Jedoch nahm auch der Vorsitzende der Sociedad Sirio Libanesa an dem Essen teil. Die Mitglieder einer bolivianischen Jugendgruppe führten bei dieser Gelegenheit einen Tanz aus Bolivien auf. 44 Bei dem Besuch der Messe am 20. Juni 2008 beschrieben Ariel Campero und Pedro Bujazha die Kirchgänger als zum Großteil libanesischstämmige Argentinier.

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Abbildung 21: Außenaufnahme der Kirche der maronitischen Gemeinde Nuestro Señor del Milagro y San Marón, 2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Wie die folgenden Gesprächsausschnitte zeigen, sind auch in Tucumán die Vereine und deren Gebäude emotionale Zentren für die libanesisch- und syrischstämmige Bevölkerung, insbesondere für die Vereinsmitglieder. Sie sind Orte der Erinnerung an die eigene Vergangenheit, die Familiengeschichte sowie an die Geschichte der Einwanderung, und sie sind der Ort, an dem die Traditionen bewahrt werden, vor allem in Form von typischem Essen und Tanz (vgl. ELITA SALEME; SALMA AUAD; VICTORIA BESTANI; PEDRO BUJAZHA; CECILIA MADE; JOSÉ GANDUR; ALBERTO JUNIOR BESTANI; AMIRA JURI DE BUDEGUER; ORLANDO DI MARCO; SAMIR DAYOUB; JULIO MUSTAFA). Zitat 7: „Gut, sowohl die Asociación als auch die Kirche, beide in ihrem Bereich. Ich werde dir von beiden erzählen, da ich beide als meine eigenen ansehe. Das ist es, ich fühle beide teilweise als meine. Es ist nicht so, dass ich denke, sie gehörten mir, aber hierher sind meine Verwandten gekommen und haben dasselbe gemacht wie ich, das, was ich mache. Sie haben dazu beigetragen, dass das hier weiterläuft, damit das hier weiter der Gemeinschaft gehört. […]. Aber das sind zwei Orte, die Geschichte haben, etwas von meiner Familie haben. Verstehst du?“ (PEDRO BUJAZHA) Zitat 8: „Mir … für mich sind sie [die Kirche San Marón und die Asociación Libanesa] ein Treffpunkt. Es ... sich treffen, um ... jeder gibt das, was er im Herzen trägt und in seinem Verstand; Respekt gegenüber deinen Vorfahren.“ (SALMA AUAD)

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Zitat 9: „[Die Sociedad Sirio Libanesa] ist ein Ort, wo man Freunde treffen kann, Bekannte, um mit ihnen Zeit zu verbringen.“ (SAMIR DAYOUB) Zitat 10: „Na ja, sie [die Sociedad Sirio Libanesa] ist die erste Entität, wie der Doktor [Orlando di Marco] schon sagte, mit der größten Reichweite im Norden von Argentinien. Und in Argentinien ist sie ein Repräsentant, eine repräsentative Einrichtung, vor allem innerhalb der arabischen Gemeinschaft. Generell … es gibt keine … der ganzen arabischen Gemeinschaft. Egal ob syrisch oder syrisch-libanesisch oder katholisch oder muslimisch. Für alle. [...] Na ja, sie ist ein Verein, der alle Aktivitäten zusammenführt und wo man mit allen Leuten an einer Menge kultureller Aktivitäten teilhaben kann, die alle zusammen das kulturelle Gepäck ausmachen, das unsere Großeltern mitbrachten.“ (PEDRO) Zitat 11: „Ja, ja. Wir gehören alle der Sociedad Pan Islámica an. Wegen … erstens wegen ihrer religiösen Seite und auch wegen ihrer sozialen Komponente. Alle Treffen werden dort gefeiert, wie zum Beispiel das Ramadan-Fest und das Ende des heiligen Monats. Wenn der Monat endet, machen sie eine große Feier, und dort kommen alle Muslime aus Tucumán zusammen.“ (JULIO MUSTAFA)

Auch in San Miguel de Tucumán sind die Differenzen zwischen den Vereinen, die sich nur über den Libanon definieren, und den syrisch-libanesischen Vereinen spürbar. Seit der Abspaltung der Asociación El Bire de Socorros Mutuos von der Sociedad Sirio Libanesa ist diese Differenz institutionell verankert. Die Diskurse und Argumente unterscheiden sich nicht von denen in Buenos Aires. Auch hier schlug im Jahr 2007 die Sociedad Sirio Libanesa der Asociación Libanesa vor, sich wieder zu vereinen. Auch hier lehnte dies die Asociación Libanesa ab, um für die Unabhängigkeit des Libanons ein Zeichen zu setzen (vgl. ORLANDO DI MARCO; PEDRO BUJAZHA). Anders als in Buenos Aires ist in San Miguel de Tucumán die UCAL nur schwach vertreten und die JUCAL arbeitet eng mit der Sociedad Sirio Libanesa zusammen, denn ihre Mitglieder fühlen sich auch der Sociedad Sirio Libanesa zugehörig (vgl. PEDRO BUJAZHA; JOSÉ GANDUR; CECILIA MADE; VICTORIA BESTANI; CHRISTINA CARAM). Gleichzeitig arbeiten die drei Vereine Asociación Libanesa, Sociedad Sirio Libanesa und die Asociación Cultural y Culto Pan Islámica bei Veranstaltungen zusammen und die Vorstandsmitglieder sind kameradschaftlich miteinander verbunden. Die Trennung ist bei Veranstaltungen nicht zu spüren, sondern scheint auf der institutionellen Ebene zu liegen. So besuchen Mitglieder der UCAL, JUCAL und der Asociación Libanesa die Sociedad Sirio Libanesa, Freundschaften und Familien-

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bande bestehen über die institutionellen Grenzen45 hinweg (vgl. ORLANDO DI MARCO; JULIO MUSTAFA; HÉCTOR BENJAMÍN MOHAMMAD; PEDRO BUJAZHA; JOSÉ GANDUR; CHRISTINA CARAM; HUGO CARAM; AMIRA JURI DE BUDEGUER; ELITA SALEME; ALBERTO BESTANI; PATRICIA BESTANI; ALBERTO JUNIOR BESTANI). Wie in Buenos Aires sind die Vereine in Tucumán in die Matrix der argentinischen Gesellschaft eingebunden (vgl. ORLANDO DI MARCO; JULIO MUSTAFA; HÉCTOR BENJAMÍN MOHAMMAD; PEDRO BUJAZHA; JOSÉ GANDUR; CHRISTINA CARAM; HUGO CARAM; AMIRA JURI DE BUDEGUER; ELITA SALEME; ALBERTO BESTANI; PATRICIA BESTANI; ALBERTO JUNIOR BESTANI). Die nationalen und internationalen Verbindungen der ethnischen Vereine Die Vereine und Organisationen der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung in Argentinien stehen nicht nur auf lokaler Ebene miteinander in Verbindung, sondern auch national sowie regional in Lateinamerika, und international sind sie mit den Herkunftsländern und mit den Vereinen der syrischen und libanesischen Gemeinschaften weltweit verbunden46. Ein Beispiel der internationalen Verflechtung ist der institutionelle Aufbau der Dachorganisationen UCAL und FEARAB sowie ihrer Jugendorganisationen. Beide Organisationen wurden in Buenos Aires gegründet und von dort aus wurde die Gründung weiterer lokaler Gruppen in Argentinien unterstützt (vgl. HORACIO HADDAD; PEDRO BUJAZHA). Vertreter dieser Organisationen treffen sich regelmäßig auf den jeweiligen Ebenen (lokal, national, regional, global) und beraten über die Entwicklungsmöglichkeiten der Organisationen. Dabei werden Rahmenvorgaben von der globalen bis in die lokalen Gruppen weitergegeben und die lokalen Gruppen versuchen, diese angepasst umzusetzen47. Innerhalb

45 So sind viele Freundinnen von Elita Saleme Mitglied der Sociedad Sirio Libanesa, sie trifft sich dort häufig mit ihren Freundinnen (vgl. ELITA SALEME). Die Familienmitglieder der Familie Bestani sind in beiden Vereinen aktiv (vgl. ALBERTO BESTANI; PATRICIA BESTANI; ALBERTO JUNIOR BESTANI). 46 In den Schaubildern 1 und 2 müssten die Vereine daher mit zahlreichen Verbindungen nach außen dargestellt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde darauf verzichtet. 47 WLCU und JUCAL haben jährliche Treffen, bei denen sich die Vertreter der verschiedenen Großregionen treffen, um sich gegenseitig die bisherigen Entwicklungen in den Regionen aufzuzeigen und ihre Vorhaben miteinander abzusprechen bzw. Ent-

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Argentiniens finden jährlich Kongresse der JUCAL und der Jugend der FEARAB statt, auf denen sich alle Mitglieder treffen und neue Freundschaften zwischen Personen sowie lokalen Gruppen geschlossen werden (vgl. JUAN SALI48 BA; CECILIA MADE; teilnehmende Beobachtung ). Die lokalen Vertretungen der UCAL, JUCAL und FEARAB von Buenos Aires nehmen eine zentrale Stellung im nationalen Verbund ihrer Organisation ein. Da die Gründungen der drei Organisationen von dort unterstützt wurden, sind die Vertreter von Buenos Aires wichtige Ansprechpartner für die lokalen Gruppen im Landesinneren und erfüllen eine Vorbildfunktion (vgl. HORACIO HADDAD; CECILIA MADE; PEDRO BUJAZHA; SILVANA RUFAIL). Die lokalen Vereine stehen auf nationaler Ebene miteinander in Verbindung. Der Club Libanesa de Buenos Aires informiert die Asociación Libanesa de Tucumán regelmäßig über seine Veranstaltungen und auch die Mitglieder der beiden Vereine stehen miteinander in persönlichem Kontakt (vgl. ELITA SALEME; PEDRO BUJAZHA; CHRISTINA CARAM; SALMA AUAD). Die Verbindungen der lokalen Vereine zu Gemeinschaften anderer Länder der Welt scheinen hauptsächlich über die Dachorganisationen UCAL und FEARAB und über persönliche Beziehungen organisiert zu sein. Bei den Gesprächen wies keiner der Interviewpartner auf Verbindungen zu einem Verein außerhalb Argentiniens hin. Direkte internationale Verbindungen der lokalen Vereine liegen lediglich im Falle der Fundación Los Cedros vor (vgl. HORACIO HADDAD; MALAKE HADDAD). Doch auch die physische Distanz wirkt sich auf die Beziehungen zwischen den betrachteten Vereinen und Organisationen aus. Es zeigt sich, dass die Vereine, die sich ein Vereinshaus teilen, engen Kontakt miteinander pflegen (vgl. Schaubilder 1 und 2). Auf lokaler und nationaler Ebene stehen die Vereine miteinander in ständigem persönlichem und institutionellem Kontakt49. Auf internationaler Ebene sind die Vereine lediglich über die Vertreter ihrer Dachorganisa-

wicklungsziele zu formulieren. Während eines Treffens von Antonio Arida und der JUCAL Buenos Aires, dem der Wissenschaftler beiwohnte, wurden die politischen Ausrichtungen der JUCAL und der UCAL einander angeglichen (vgl. JUAN SALIBA; teilnehmende Beobachtung). 48 Auf dem Kongress der JUCAL 2008 trafen sich alle Mitglieder der JUCAL aus Argentinien. Es kamen auch Vertreter aus Uruguay, Chile und Venezuela. 49 Als persönlicher Kontakt sind hier informelle Gespräche unter Freunden zu verstehen. Mit institutionellen Kontakten sind offizielle Einladungen und Gespräche zwischen den Vorständen, Kommissionen und Mitgliedern der Vereine sowie Regierungen und Ministerien gemeint.

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tionen und über persönliche Beziehungen verbunden. Gemeinsame Aktivitäten organisieren die ethnischen Vereine auf dieser Ebene nicht. Die ethnischen Vereine: die Schnittstellen zwischen den Kreuzungen der Lebenswelten Die Verbindungen zwischen den Vereinen werden durch institutionelle und persönliche Kontakte gebildet. Sie beruhen auf der gegenseitigen Hilfe bei der Durchführung von Veranstaltungen, dem Zusammenleben in den Vereinen und dem gemeinsamen Erleben und Erinnern. Entscheidend bei der Zusammenarbeit der Vereine sind gemeinsame Ziele. So erklärt sich die Spaltung in Vereine der libanesischstämmigen Bevölkerung und Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung, die sich in beiden Untersuchungsgebieten, Buenos Aires und San Miguel de Tucumán, zeigten. Während die erstgenannten Vereine die Unterstützung und den Schutz der Unabhängigkeit und Souveränität des Libanons zum Ziel haben (vgl. ALFREDO RICHA; JUAN SALIBA; PEDRO BUJAZHA), fokussieren sich die Vereine der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung auf die Vereinigung der arabischen Gemeinschaft in Argentinien. Ihre Unterstützung gilt dabei den arabischen Staaten allgemein (vgl. AMIRA JURI DE BUDEGUER; HORACIO HADDAD). Doch beide Standpunkte sind nicht unvereinbar. Einige Gesprächspartner sprechen sich für ein gemeinsames Auftreten gegenüber der argentinischen Regierung in ihrer Außendarstellung aus, unter der Voraussetzung, dass auf die Unabhängigkeit des Libanons hingewiesen wird (vgl. RICARDO SIMES; ALBERTO JUNIOR BESTANI). Gleichzeitig erkennen die Befürworter des gemeinsamen Auftretens der arabischen Gemeinschaften in Argentinien die Unabhängigkeit des Libanons an (vgl. HORACIO HADDAD; ROBERTO SABA). Außerdem verfolgen die Vereine soziale und kulturelle Ziele, die von den politischen getrennt werden können. Bei gemeinsamen Projekten, bei denen die Traditionen des Nahen Ostens auf Veranstaltungen in Argentinien dargestellt werden sollen, oder sonstigen kulturellen und Sportveranstaltungen arbeiten sie daher zusammen (vgl. RICARDO SIMES; PEDRO BUJAZHA; ROBERTO SABA; JOSÉ GANDUR). Politisch uninteressierte Personen können in beiden Vereinstypen Mitglied bzw. häufige Gäste sein, sodass keine Grenzen im Sinne einer Abschottung gegenüber Mitgliedern und Aktivitäten anderer ethnischer Vereine vorhanden sind (vgl. ELITA SALEME; PATRICIO ABDALA). Der Vergleich Buenos Aires und San Miguel zeigt, dass die politische Spaltung in Buenos Aires tiefer sitzt als in San Miguel de Tucumán. Dies liegt an der exponierten Stellung der Vereine in Buenos Aires, die sich durch ihre Anbindung an Botschaften und ihre stärkere Einbindung in die nationale und internati-

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onale Politik dem Druck ausgesetzt sehen, sich politisch zu positionieren. Ein Indikator für die Anbindung an die Politik ihrer Herkunftsländer ist die Zusammenarbeit der Vereine, und vor allem der Dachorganisationen UCAL und FEARAB, mit der Botschaft Syriens und des Libanons (vgl. HORACIO HADDAD; CHRISTINA CARAM; VICTORIA BESTANI; JUAN SALIBA; SEBASTIAN GANEM). Weiter wurde deutlich, dass alle Vereine über nationale Verbindungen zu Vereinen der libanesisch- und syrischstämmigen Bevölkerung verfügen. Internationale Verbindungen sind vorwiegend über die Dachorganisationen UCAL/WLCU und FEARAB organisiert (vgl. JUAN SALIBA; ALFREDO RICHA; HORACIO HADDAD). Schaubild 3 „Schema der Gebäude sozialer Vereine und der in ihnen aktiven Gruppen, 2008“ beruht auf der Grundlage von Informationen aus der Begehung von acht sozialen Vereinen und den Interviews50. Die physisch-räumliche Ausstattung umfasst ein repräsentatives Vereinshaus, in dem der Empfangssaal, die Bibliothek, die Büros der Vereinsverwaltung sowie weiterer ansässiger Gruppen und die Unterrichtssäle untergebracht sind. Häufig verfügen die Vereine über einen Veranstaltungssaal bzw. eine Sporthalle, die, wie im Falle der Asociación Libanesa de Tucumán, direkt an das Vereinshaus angegliedert oder, wie im Falle des Club Sirio Libanés de Buenos Aires, außerhalb liegen. Die Zahl der Veranstaltungssäle variiert. An einige Vereine sind privat betriebene Restaurants angegliedert, wie im Falle der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán und des Club Sirio Libanés de Buenos Aires. Diese werden zwar von Vereinsmitgliedern betrieben, sind aber finanziell unabhängig und zahlen an den Verein eine Pacht. Außerhalb der Vereine befindet sich, wie im Falle der Asociación Libanesa de Tucumán und der Asociación Libanesa de San Isidro, ein Mausoleum, in dem die Mitglieder auf Wunsch beigesetzt werden. Doch nicht alle Vereine besitzen ein Mausoleum auf einem Friedhof, wie zum Beispiel der Club Libanés de Buenos Aires.

50 In dem Schaubild sind die physischen Elemente des Vereins rechteckig abgebildet und die darin verorteten Gruppen kreisförmig.

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Schaubild 3: Schema der Gebäude sozialer Vereine und der in ihnen aktiven Gruppen, 2008

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012. Erstellt auf Grundlage von Informationen, die bei den Besichtigungen der Vereinshäuser gesammelt wurden (Club Libanés de Buenos Aires; Club Sirio Libanés [Club Sirio und Club Sirio Libanés Honor y Patria]; Fundación Los Cedros; Asociación Libanesa de San Isidro; Club Los Cedros; Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán; Asociación Libanesa de Tucumán; Sociedad Libanesa de Rosario) sowie auf Grundlage von Gesprächen mit ALFREDO RICHA; ROBERTO SABA; HORACIO HADDAD; JULIO AFFIF; JUAN SALIBA; PEDRO BUJAZHA; ORLANDO DI MARCO; JOSÉ GANDUR; ELITA SALEME; AMIRA JURI DE BUDEGUER

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In den Vereinshäusern treffen sich verschiedene Gruppen, die auch außerhalb des Vereinshauses aktiv sind. Die vereinsinternen Gruppen bzw. sehr eng angeschlossene Gruppen sind dunkelgrau dargestellt. Es handelt sich um den Vorstand, meist eine Jugend und eine Damengruppe sowie die Mitglieder, die sich in Gruppen von Freunden und Familien untergliedern lassen. Der Vorstand wird von einem Vorsitzenden, dem stellvertretenen Vorsitzenden, dem Schatzmeister und drei bis vier weiteren Mitgliedern gebildet. Er übernimmt die Vereinsverwaltung. Neben dem Vorstand sind besonders die Damen und die Jugendgruppen in den Vereinen aktiv. Die sonstigen Mitglieder kommen bei Veranstaltungen und zur Benutzung der Einrichtungen. Die Vertreter anderer Vereine, die sich zur gleichen ethnischen Gemeinschaft zählen, sind hellgrau dargestellt. Aber auch Personen und Gruppen besuchen die sozialen Vereine, die ihre ethnische Herkunft nicht in Syrien oder dem Libanon sehen; diese weiß gekennzeichnet. Das Personal besteht aus Angestellten am Empfang, Putzpersonal und Hausmeister. Bei Veranstaltungen, wie Buchvorstellungen, Ausstellungen und auch bei Sprach- und Tanzunterricht sind die Vereine für alle Personen geöffnet. Es zeigt sich somit, dass in den ethnischen Vereinen keine homogene Gruppe aktiv ist, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und Personen. In ihnen kreuzen sich die persönlichen und kollektiven Lebenswelten der Mitglieder verschiedener Vereine und Organisationen (vgl. Schaubild 3).

L IBANESISCH - ARGENTINISCHE S PHÄREN Ausgehend von den in den Vereinen ansässigen Gruppen (vgl. Schaubild 3) sollen im nächsten Schritt einzelne Sphären beschrieben und analysiert werden. Die im Folgenden dargestellten ethnischen Sphären wurden ausgewählt, da sich die Mitglieder eng verbunden fühlen. Sie beziehen das Gefühl ihrer Verbundenheit aus ihrer Herkunft aus dem Libanon einerseits und aus Argentinien andererseits. Sie werden daher als libanesisch-argentinische Sphären bezeichnet. Das Vertrauen unter den Mitgliedern der Sphäre beruht dabei auf Freundschaft und/oder Familie. Die bisherigen Ausführungen lassen vermuten, dass die institutionellen und physischen Grenzen der Vereine keine Grenzen zwischen Freundschaften und Familien darstellen (vgl. SALMA AUAD; ELITA SALEME; ALBERTO BESTANI; VICTORIA BESTANI). Andererseits sind die Vereine institutionelle Rahmen, die durch ihre Aktivitäten das Kennenlernen von Personen und somit die Bildung von Freundschaften (vgl. CECILIA MADE; PATRICIO ABDALA) sowie die Wiederentdeckung der Familienbande (vgl. JOSÉ GANDUR) begünstigen. In diesem Ab-

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schnitt wird geklärt, welche soziokulturellen Wirkmechanismen dem Zusammenhalt ethnischer Sphären zugrunde liegen. Die Damengruppe Actividades Sociales Casa Libanesa (ASCAL) der Asociación Libanesa de Tucumán Anhand der Darstellung der Sphäre der Actividades Sociales Casa Libanesa werden die ersten grundlegenden Prozesse der Sphärenbildung und das Verhältnis von Individuum und Sphäre aufgezeigt. Diese Damengruppe der Asociación Libanesa de Tucumán trifft sich alle 14 Tage in der Asociación Libanesa, um ihre Aktivitäten zu planen. Sie besteht aus zehn bis 15 Frauen, die kurz vor ihrer Pensionierung stehen bzw. bereits pensioniert sind. Ihre gemeinsamen Ziele sind, die Traditionen ihrer Eltern und Großeltern zu konservieren, sich und Besucher der Asociación Libanesa über den Libanon und seine Geschichte zu informieren sowie wohltätige Projekte durchzuführen (Zitat 12 SALMA AUAD)51. Zitat 12: „Hier kümmert man sich um die sozialen Aktivitäten der Institution [der Asociación Libanesa]. Sagen wir so, wir sind die, die die Empfänge, die Feste am Jahrestag der Casa und den Unabhängigkeitstag des Libanons ausrichten. Wir sind es, die alle Veranstaltungen organisieren. Und außerdem sammeln wir, wir sammeln Spenden, wir machen Wohltätigkeitsveranstaltungen – Bingo, ein Lotteriespiel, das Bingo – zur sozialen Hilfe. Das ist unsere Funktion und außerdem pflegen wir ein wenig unser soziales Leben.“ (SALMA AUAD)

Die Erwähnung des „sozialen Lebens“ bedarf einer genaueren Betrachtung, denn die Damengruppe existiert nicht nur aufgrund ihrer Ziele, sondern auch wegen der emotionalen Bindung der Frauen untereinander. Sie fühlen sich wohl zusammen und genießen ihr Zusammensein (Zitat 13 ELITA SALEME)52. Zitat 13: „Und, na ja, die Kommission [der ASCAL] ist klein, aber – wie kann ich dir das sagen? – wir fühlen uns wohl. Wir alle sind ältere Personen, wie du wohl schon beobachten konntest, weil die jungen erst vor Kurzem dazugekommen sind. Und gut, für mich ist es das Zusammensein [...].“ (ELITA SALEME)

51 Vgl. ähnliche Aussage von Elita Saleme. 52 Vgl. ähnliche Aussage von Salma Auad.

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Sie treffen sich sonntags regelmäßig zum Tee, um ihren Alltag zu besprechen (vgl. ELITA SALEME). Es sind diese freundschaftlichen Beziehungen, ihre affektive Nähe, die die Damengruppe zur Sphäre werden lassen. Die emotionalen Bindungen werden vor allem durch die Erinnerungen an ihre Vorfahren aufgebaut. Der Rückgriff auf die Vorfahren verknüpft die Mitglieder untereinander, denn er schafft ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Herkunft und Identität sind bei ihnen mit dem Wissen über ihre Vorfahren und deren Herkunftsort sowie über das Herkunftsland Libanon verbunden. Die Suche nach Informationen über ihre Herkunft wird zum verbindenden Element ihrer Sphäre. Dabei ist ihr Treffpunkt die Asociación Libanesa, die sie „Casa Libanesa“ (libanesisches Haus) (Zitat 16 SALMA AUAD) nennen, ein physischer Ort, der sie an diese Verbindungen erinnert (Zitate 14 und 15 ELITA SALEME; Zitat 16 SALMA AUAD). Zitat 14: TOBIAS BOOS: „Was bedeutet die Asociación für Sie?“ ELITA SALEME: „Ein Ort der Zusammenkunft, des Erinnerns, des, wie man so sagt, Aktualisierens, was im Libanon und in unserer Gemeinschaft gerade passiert, und der mich an die vergangenen Zeiten erinnert, die so schön waren, so schön.“ Zitat 15: „Außerdem, was weiß ich, wenn ich denke, dass meine Eltern dort gelebt haben. Mein Vater, weil meine Mama hier lebte, und die Eltern meiner Mama kamen ebenfalls von dort. Sie sind von dort. Mich macht es stolz, Libanesin zu sein und mit libanesischen Leuten zusammen zu sein, die so anders sind. Ich sage nicht von anderen europäischen Rassen, aber mit den Argentiniern haben sie nichts gemein. Es ist nicht so, dass ich diskriminieren möchte, aber sie haben nichts gemein. Es gibt alle göttlichen Linien hier, aber, sagen wir, die Gastfreundschaft der Libanesen haben sie nicht.“ (ELITA SALEME) Zitat 16: „Ich habe meine Familie, ich habe meine Gruppe von Freunden und einen Haufen von Leuten. Es ist nicht so, dass ich die Casa Libanesa brauche, um Freundschaften zu schließen oder Bindungen. Nein, nein. Ich mache das wegen einer Liebe, wegen meiner Liebe meinen Vorfahren gegenüber und weil ich spüre, dass die Casa Libanesa so viel geben kann.“ (SALMA AUAD)

Die hier beschriebene Sphäre basiert somit auf Freundschaft, die sich aus gemeinsamen Zielen, dem gegenseitigen Vertrauen der Mitglieder und der wechselseitigen positiven emotionalen Bindung ergibt. Diese Komponenten, die den

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affektiven Zusammenhalt beschreiben, werden im Folgenden als Vertrautheit53 bezeichnet. Die Sphäre ist jedoch nicht geschlossen und starr, sondern weitet sich auf Festen und Aktivitäten ständig aus und zieht sich wiederum zusammen (Zitat 17 SALMA AUAD). Über ihre Mitglieder verfügt sie über ein internes Kommunikationssystem, das die Grenzen ihrer ethnischen Sphäre transzendiert. Die Mitglieder der ASCAL informieren sich gegenseitig über geplante Aktivitäten. Sie versenden auch Einladungen per Post oder auch per E-Mail an die Mitglieder der Casa Libanesa und anderer Vereine bzw. sie informieren potenzielle Gäste per Telefon (vgl. SALMA AUAD; ELITA SALEME). Zu den von ihnen organisierten Festen kommen zwischen 150 und 200 Personen (vgl. ELITA SALEME), auch Familien und Freunde, die nicht in der ASCAL Mitglied sind. Es wird gemeinsam getanzt und gegessen, wodurch eine fröhliche Atmosphäre und ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Anwesenden entstehen. Die Sphäre der ASCAL und die anwesenden Sphären beginnen sich auszuweiten und miteinander zu verschmelzen54 (Zitat 17 SALMA AUAD). Zitat 17: TOBIAS BOOS: „Wie ist es, wenn Sie in Zusammenkünften und Festen zusammenkommen? Wie ist das Ambiente?“ SALMA AUAD: „Ah, es ist großartig. Es ist großartig. [...] ja gut, du siehst, alles in allem hat sie einen vergnüglichen Geist, sehr vergnüglich, und nach dem Abendessen wird getanzt, und man teilt alles, sagen wir, es ist sehr herzlich. Es ist sehr schön, sehr schön. Du denkst: ‚Ach, wie schön! Warum machen wir das nicht öfter?‘ Es gibt Leute, die schnell bei der Sache dabei sind, und Leute, die das nicht sind. Es ist wie bei allen Rassen und an allen Orten. Es gibt Leute, die lustiger sind, und Leute, die weniger lustig sind. Aber alle Leute sind ergriffen während des Zusammenseins.“

Dabei dient die libanesische Abstammung als Anknüpfungspunkt, um Vertrautheit aufzubauen und das Zusammensein vor sich selbst und anderen zu legitimieren. Ähnliche Charaktereigenschaften, wie Ehrlichkeit (Zitat 18 ELITA SALEME) und Gastfreundschaft (Zitat 15 ELITA SALEME), werden auf die gemeinsame Ab53 Von Sloterdijk und Heinrichs (2006: 185) werden „Anheimelungstechniken“ und „Befreundungsverfahren“ als „Übertragung von Vertrautem auf Unvertrautes“ beschrieben. Vertrautheit wird von Sloterdijk nicht definiert. Aus seinen Schriften wird jedoch klar, dass Vertrautheit mit affektiver Nähe in einem positiven Zusammenhang steht. 54 Die Prozesse des Verbindens von Sphären und der Ausweitung werden in den folgenden Abschnitten detaillierter beschrieben, da das Datenmaterial im Falle der ASCAL keine detaillierten Einblicke in diesen Prozess zulässt.

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stammung zurückgeführt. Die Empfindungen, die die Mitglieder untereinander vereinen, scheinen nicht erklärbar zu sein und werden als nicht hinterfragbar angenommen, wie das folgende Gesprächszitat belegt: Zitat 18: TOBIAS BOOS: „Fühlen Sie sich wohler, wenn Sie mit libanesischstämmigen Menschen von hier zusammen sind?“ ELITA SALEME: „Mehr … ich fühle mich vertrauter. Es scheint mir, als wären die Leute ehrlicher. Natürlich gibt es gute Leute [Argentinier]. Ich sage dir nicht, dass es nicht so wäre, aber es ist ein anderes Charisma, eine andere Empfindung. Und dass … glaube nicht, dass ich nur mit Libanesen und Syrern zusammen bin. Ich bin mit allen Rassen zusammen. Ich habe eine Gruppe in der Merced [die katholische Kirchengemeinde, die sie besucht]. Außer in der Merced habe ich auch Freundschaften, die ich einging. Ich bin Dozentin. Alle meine Kolleginnen, aber nein … ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Wie uns das Sprichwort sagt: ‚Gott erschuf sie, und sie scharen sich zusammen.‘“

Außer in die ASCAL sind die Gesprächspartner in die Sphären ihrer Familien eingebunden. Auch die familiären Bande scheinen sich dazu zu eignen, die Vertrautheit auszuweiten. Dabei wird das Vertrauen auch auf völlig unbekannte Menschen ausgeweitet. Auch familiäre Sphären dehnen sich situativ aus, zum Beispiel bei Verwandtenbesuchen (vgl. SALMA AUAD; ELITA SALEME). Salma Auad berichtet von dem Besuch der Verwandten ihres Mannes in Syrien, die sie zuvor weder gesehen noch gesprochen hatte. Ihr Mann war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Zitat 19: „Ich war die Cousine. Ich war im Haus einer Cousine meines Mannes, einer Cousine zweiten Grades von meinem Mann, und es war praktisch … sie behandelten mich, als würden sie mich verehren, mit viel Zuneigung. Und ich verstand nicht viel, und es war so eine Zuneigung. Sie erkennen dich, wenn du sie dort besuchen kommst, sie erkennen dich, weil es die Familie ist, die zurückkehrt.“ (SALMA AUAD)

In diesem Abschnitt hat sich gezeigt, dass Freundschaft die Basis der Sphäre der ASCAL ist. Gemeinsame Handlungen und Diskurse bauen die ethnische Sphäre auf und verbinden die Mitglieder untrennbar mit der Sphäre. Die gemeinsamen Interessen und der Glaube, die Herkunft sei an bestimmte Charakterzüge gekoppelt, lassen ein Gefühl der Vertrautheit zwischen den Mitgliedern entstehen. Des Weiteren wurde deutlich, dass beide Gesprächspartnerinnen sich in mehreren Sphären gleichzeitig verorten. Sie sind in ihre Familien eingebunden, wie Salma Auad (Zitat 16) betont, und in andere Freundeskreise (Zitat 18 ELITA SALEME). Dabei werden die Freunde nicht nach der Herkunft ausgesucht, wie die Aufnah-

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me Elita Salemes in die Gruppe ihrer Kolleginnen und der katholischen Gemeinde nahelegt (Zitat 18 ELITA SALEME). Doch einführend lässt sich festhalten, dass gemeinsame Herkunft, Familie und Abstammung Elemente sind, die den thematischen Kontext von ethnischen Sphären ausmachen (vgl. SALMA AUAD; ELITA SALEME). Die Familie Bestani55 Die Familie als Ort der Sozialisation und des engen Miteinanders ist die Grundlage zur Tradierung ethnischer Marker und Selbstidentifikation. Sie ist daher Bestandteil von Definitionen von Ethnizität56. Die Familie bietet einen soziokulturellen Rahmen, in dem ethnische Sphären gebildet werden können. Exemplarisch sei die ethnische Sphäre der Familie Bestani dargestellt. Die Interpretation basiert auf den Aussagen von Alberto Bestani, Patricia Bestani, Victoria Bestani und Alberto Junior Bestani. Alberto und Victoria sind Geschwister, deren Vater aus Beit el Kama, Libanon, einwanderte und deren Mutter libanesischstämmige Argentinierin war (vgl. ALBERTO BESTANI; VICTORIA BESTANI). Patricia ist die Frau von Alberto, sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater waren syrischstämmige Argentinier (vgl. PATRICIA BESTANI). Ihr gemeinsamer Sohn heißt wie sein Vater Alberto. Aus den Gesprächen wird deutlich, dass die Einwanderungsgeschichte für die Bestani wichtig für ihre soziale Positionierung ist. Dabei positionieren sie sich in ihrem globalen Familienstammbaum sowie in ihrer lokalen Gemeinschaft (Zitat 20 ALBERTO JUNIOR BESTANI). Die Familiengeschichte verbindet sie mit ihren Ahnen, indem sie sie in eine lange Reihe von Vorfahren stellt (Zitat 21 ALBERTO JUNIOR BESTANI). Die Kenntnis dieser Geschichte erlaubt es den Familienmitgliedern, die Familie mit bestimmten Eigenschaften der Vorfahren in Verbindung zu bringen. Auf diese Weise ordnen sie ihre Familie und sich selbst im weltweiten Gefüge der familiären und ethnischen Beziehungen ein. Dabei benutzten die Bestani häufig die Metapher der Wurzel, als die sie ihre Familiengeschichte begreifen (Zitat 22 VICTORIA BESTANI).

55 Die Familie Bestani in San Miguel de Tucumán wurde gewählt, da hier Aussagen von vier Familienmitgliedern vorliegen und deren Aussagen beispielhaft für die übrigen Gesprächspartner sind. An ihnen lassen sich Interpretationen der Aussagen über Familie besonders anschaulich darstellen, die während der Gespräche mit anderen Personen immer wiederkehrten. 56 Die Rolle von Familie in Theorien der Ethnizität wurde im theoretischen Teil dargestellt.

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Zitat 20: „Der größte Teil meiner Familie ist aus Beit el Kama. Wir sind vom FremZweig. Es gibt verschiedene Zweige; in derselben Familie Bestani gibt es verschiedene Zweige. [...] Wir sind über die ganze Welt verteilt.“ (ALBERTO JUNIOR BESTANI) Zitat 21: „In unserem Fall, als Libanesen sind wir eine der Familien, die zu ihrer Zeit eine der größten Geschichten hatte, sie genießt eine große Anerkennung im Libanon, und es ist kompliziert, die Wertschätzung des libanesischen Nachnamens auszudrücken. [...] Was passiert? Ich stelle mich als Alberto Bestani vor und nicht nur als Alberto. Du musst den ganzen Namen sagen, weil er sehr wertvoll ist und eine lange Geschichte hinter ihm steckt.“ (ALBERTO JUNIOR BESTANI) Zitat 22: VICTORIA BESTANI: „Im Libanesisch-Sein, ja, da gehen wir immer ... vielmehr versuchen wir ständig, die ältesten Wurzeln unseres Seins zu finden. Wir suchen die Wurzeln ständig. Es ist eine Suche, die wir immer machen, vielleicht um dies zu übermitteln und eine Antwort zu geben.“ TOBIAS BOOS: „Eine Antwort auf was?“ VICTORIA BESTANI: „Für die Kinder. Damit es eine Einheit gibt.“

Es wird die Einheit aller Bestani und aller Libanesen angenommen, wobei selbst das Suchen nach den familiären Wurzeln zu einem gemeinsamen Charakteristikum der Libanesen stilisiert wird (Zitat 22 VICTORIA BESTANI). Die Annahme einer sphärenübergreifenden Einheit wird neben dem Rückgriff auf gemeinsame Vorfahren und einen gemeinsamen Stamm auch über die Annahme physischer oder genetischer Ähnlichkeiten hergestellt. So erzählt Victoria Bestani, dass sie während eines Begräbnisses einen Verwandten anhand seiner physischen Gestalt erkannt zu haben glaubt (vgl. VICTORIA BESTANI). Sie nimmt daher an, dass ein gemeinsamer genetischer Stammbaum der Bestani und aller Libanesen existiert (Zitate 23 und 24 VICTORIA BESTANI). Zitat 23: „Also … oder … etwas, das uns identifiziert. Ich weiß nicht, was uns identifiziert. Deshalb sage ich, dass es so etwas wie eine genetische Stammeserinnerung gegeben haben muss. Deshalb denke ich, dass es so etwas wie einen Stamm gegeben haben muss, der von einem libanesischen Anführer oder libanesischen Prinzen, der … aber es war ein Stamm, weil es immer so erscheint. Na ja, das ist meine Idee, mein Konzept.“ (VICTORIA BESTANI) Zitat 24: „Wir hatten das Konzept, und das kann etwas damit zu tun haben, dass wir eine Art Stamm waren, alle Bestani sind ein einziger (Baum-)Stamm.“ (VICTORIA BESTANI)

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Aus dem Vorangegangenen wird deutlich, dass sich die Familie Bestani nicht als Kernfamilie konzipiert, sondern als globalen Stamm (Zitate 23 und 24 VICTORIA BESTANI). Er umfasst nach Aussagen der Gesprächspartner ca. 30.000 Personen auf der ganzen Welt (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI). Veranschaulicht wird dies auf ihrer Familienhomepage (vgl. Abb. 22). Abbildung 22: Die Familienhomepage der auf der Welt verstreut lebenden Familie Bestani (Boustani; Bustani)

Quelle: BUSTANI FAMILY GLOBAL CONGRESS 2009

Dabei halten die Interviewpartner der Bestani-Familie über E-Mail, Telefon und gelegentliche Besuche Kontakt zu ihren Verwandten in Kanada, Spanien, Belgien, weiteren europäischen Staaten und im Libanon (vgl. VICTORIA BESTANI; ALBERTO BESTANI; ALBERTO JUNIOR BESTANI). Bei der Ausweitung von Vertrautheit wird die Annahme gleicher Werte und Verhaltensweisen der Stammesmitglieder dazu benutzt, eine Vertrautheit auf unbekannte Menschen und familiäre Sphären zu übertragen (Zitat 25 PATRICIA BESTANI; Zitat 26 VICTORIA BESTANI). Aber auch die Verknüpfung der familiären und territorialen Herkunft mit Bündeln von Erwartungen bildet einen weiteren Wirkmechanismus des Prozesses der Ausweitung von Vertrautheit (Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI).

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Zitat 25: TOBIAS BOOS: „Wie erfahren Sie, dass Familientreffen stattfinden?“ PATRICIA BESTANI: „Über eine Gruppe von Verwandten, die angefangen hatte, es vorzubereiten. Die, die das Treffen im Libanon [ein Familienkongress im Jahre 2009] organisierten, setzten sich über E-Mail mit uns in Kontakt.“ Zitat 26: „Ja, in Wirklichkeit, seit diesem Kongress haben wir angefangen, uns Informationen zuzuschicken. Und als uns von dem Kongress eine E-Mail zukam, hatten wir die … seitdem haben wir die Mailadressen der anderen, von vielen, und seitdem haben wir damit begonnen, Kontakte zu knüpfen.“ (VICTORIA BESTANI)

Die folgenden Zitate verdeutlichen, dass sich die Sphären der erweiterten Familie in Nachbarschaft zueinander befinden, denn sie verfügen über als ähnlich angenommene Werte und Handlungsroutinen (Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI). In der Familie werden die als typisch angesehenen libanesischen/syrischen/arabischen Traditionen und Verhaltensweisen weitergegeben. Dabei nehmen die Familienmitglieder an, dass die vom Elternhaus vermittelten Traditionen und Verhaltensweisen weltweit Bestand haben (Zitat 28 PATRICIA BESTANI). Es entstehen familiäre Sphären, die ähnliche soziale und kulturelle Muster aufweisen und deren Ähnlichkeiten, gleich ob real oder angenommen, als Ankerpunkte zur Ausweitung der Vertrautheit auf unbekannte Personen dienen (Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI; Zitat 28 PATRICIA BESTANI; Zitat 29 VICTORIA BESTANI). Zitat 27: „Ich kann dir sagen, dass die libanesische Abstammung gleichbedeutend mit arabischer Abstammung ist und gleichbedeutend mit dem Wissen oder der Herkunft der Familie, die jemand hat. Das ist das Wichtigste. Alles dreht sich um die Familie. Es ist nicht so, dass man allein ist, sondern man hat immer die Familie, auf die man sich bei allem verlassen kann. [...] Die Besonderheit, die, sagen wir, unser Zweig, unsere Familie hat; der Nachname ist der Unterschied. Für andere funktioniert er wie ein Plan, der ihnen sagt: ‚Eh, sie sind alle Verwandte.‘ Und ohne dich zu kennen, begegnen sie dir mit Wärme, und sie empfangen dich mit offenen Armen in allen Ecken der Erde, wo auch immer du hingehst. [...] Vertrautheit, das Vertrauen, mit dem sie dich behandeln … ja, wenn es etwas Libanesisches gibt, dann dass sie die Familie ein wenig mehr hervorheben, ohne einen zu kennen.“ (ALBERTO JUNIOR BESTANI) Zitat 28: „Ich glaube, dass es mehr oder weniger die ethnischen oder emotionalen Konnotationen sind … es gibt bestimmte Werte oder zum Beispiel, dass die Familie immer an erster Stelle steht, was die affektive Bindung anbelangt, oder anders gesagt, es sind Werte,

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die uns von unseren Eltern übermittelt wurden und die wie ein gemeinsamer Nenner unter den Nachfahren von Syrern und Libanesen sind.“ (PATRICIA BESTANI) Zitat 29: „Weil das, dass wir uns ständig suchen und uns anschauen und uns erkennen, passiert nicht ständig. Das passiert anderen Rassen nicht.“ (VICTORIA BESTANI)

Die Familienangehörigen sind immer da und verheißen Hilfe in jeder Situation. Dies gibt den Mitgliedern ein Gefühl der Sicherheit und schafft positive emotionale Bindungen (Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI). Die Herkunft wird zu einem Bündel von Erwartungen, die an das Gegenüber gerichtet werden. Es sind Erwartungen, wie herzlich empfangen zu werden oder ähnliche Werte und Charaktereigenschaften zu besitzen. Diese Erwartungen wiederum und deren Erfüllung oder potenzielle Erfüllung wecken ein Gefühl der Vertrautheit und ermöglichen die Ausweitung der Vertrautheit auf unbekannte Menschen und Sphären (Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI). Daher muss an dieser Stelle das Konzept der Vertrautheit erweitert werden. Neben gemeinsamen Zielen, gegenseitigem persönlichem Kontakt und der positiven emotionalen Bindung muss Erwartungssicherheit als weiteres Element aufgenommen werden. Mit dem Rekurs auf die Gemeinsamkeiten werden gleichzeitig Menschen ausgeschlossen, die einen anderen Familiennamen besitzen. Zudem sind die von Patricia Bestani (Zitat 28) als „gemeinsamer Nenner“ beschriebenen libanesischen und syrischen Werte ebenfalls ein Faktor, der Menschen anderer ethnischer Herkunft ausschließt. Das besondere Verhältnis zur Familie wird von Alberto Junior Bestani (Zitat 27) als typisch libanesisch bezeichnet, wodurch er Menschen anderer Herkunft ausklammert. Als gleich angenommene Werte, Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften, die mit ethnischen Zugehörigkeiten verbunden werden, erlauben es, bestimmte Menschen ein- und andere Menschen auszuschließen. Die Generalisierung von Charaktereigenschaften und deren Übertragung auf unbekannte Menschen ermöglichen den Mitgliedern der Sphäre die situative Ausweitung der Sphäre zu soziokulturellen Ordnungen, die durch lediglich schwache affektive Bindungen gekennzeichnet sind (Zitat 30 PATRICIA BESTANI). Zitat 30: „Es ist das Charakteristikum der Araber. Ja, der Araber öffnet die Türen seines Hauses. Er ist sehr herzlich. Das ist eine generelle Charaktereigenschaft.“ (PATRICIA BESTANI)

Neben Gemeinsamkeit werden somit Differenzen geschaffen, die die Sphären nach außen abgrenzen. Die Gemeinsamkeiten und Differenzen ergeben den Kon-

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text, an dem sich die Ausweitungsmöglichkeiten der Vertrautheit orientieren. Dabei werden die ethnische Herkunft und Familienangehörigkeit als Ankerpunkte genutzt, um diese Kontexte zu bilden (Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI; Zitat 28, 30 PATRICIA BESTANI; Zitat 29 VICTORIA BESTANI). Alle Gesprächspartner der Familie Bestani sind Mitglied der gleichen, aber auch unterschiedlicher ethnischer Vereine und Organisationen. So ist Alberto Junior Bestani Mitglied der JUCAL und der Asociación Libanesa (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI) und sein Vater Alberto Mitglied der Asociación Libanesa und er besucht gelegentlich die Kirche San Marón (vgl. ALBERTO BESTANI). Seine Mutter Patricia Bestani ist kein Mitglied ethnischer Organisationen, besucht jedoch ab und zu mit ihrem Mann die Asociación Libanesa, aber auch die Sociedad Sirio Libanesa (vgl. PATRICIA BESTANI). Victoria Bestani ist Mitglied der UCAL (vgl. VICTORIA BESTANI). Die familiäre Sphäre ist somit über ihre Mitglieder mit Sphären verschränkt, die in den Vereinen und Organisationen ansässig sind. Doch auch Diskurse, Gegenstände, Gefühle und Praktiken, die nicht durch die Aussagen der Familie Bestani belegt werden, bilden die familiäre Sphäre. Im Folgenden verlassen wir deshalb die Familie Bestani und greifen auf Aussagen anderer Gesprächspartner zurück, deren Familie als ethnische Sphäre gesehen werden kann. Die Familie als Sphäre stellt aufgrund ihrer emotionalen Aufgeladenheit einen besonderen Hintergrund zum Knüpfen von Kontakten dar und bindet die libanesisch- und syrischstämmigen Argentinier emotional an die Länder Argentinien, Libanon und/oder Syrien. Diese emotionale Bindung entsteht einerseits durch die Verbindung der Familiengeschichte mit den in dieser Geschichte enthaltenen Erinnerungen an das Leiden und die Ängste im Herkunftsland sowie während der ersten Jahre der Niederlassung in Argentinien (vgl. JOSÉ SALEH; RAMONA; ELENA ALBACA FARES; YAOHDAT BRAHIM). Andererseits wird das Herkunftsland der Ahnen als Paradies glorifiziert (vgl. ROBERTO AHUAD; AMALIA SFEIR; AMIRA JURI DE BUDEGUER; RICARDO SIMES; ALFREDO RICHA). Die Gesprächspartner heben die Chancen hervor, die Argentinien den Vorfahren und ihnen selbst zur Entwicklung ihrer Familie, ihrer Eltern, Kinder und Enkel sowie zu ihrer eigenen Entwicklung bot. Beide Länder werden über die familiären Verbindungen zu Ankerpunkten der Identität der Gesprächspartner (vgl. FELIPE YARYURA; SILVANA RUFAIL; HORACIO HADDAD; ABDALA EDI; RAMONA; ANTONIO ARIDA; SALMA AUAD; JOSÉ GANDUR; ARIEL CAMPERO). Als Beispiel dienen drei Passagen aus den Gesprächen.

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Zitat 31: „Wenn ich das Wort ‚Libanon‘ höre, glaube ich, dass ich an meine Verwandten denke, die von dort … mein Großvater, der eine sehr gute Person war und uns immer einschärfte, zu arbeiten und zu studieren [...].“ (PATRICIO ABDALA) Zitat 32: „Libanon? Empfindungen für meinen Großvater, Krieg, solche Dinge. Mein Vater erzählte mir, dass sein Vater sich nach einer Rückkehr sehnte, aber nie zurückkehren konnte. Er verbrachte Tage mit Weinen. Was für ein Martyrium! Weil, es muss sehr traurig gewesen sein, sehr hart, seine Familie nicht sehen zu können.“ (CECILIA MADE) Zitat 33: „Argentinien? Ich liebe dieses Land. Ich liebe, liebe das Land, ich liebe das Territorium, ich liebe alles. In Argentinien wurde meine Mutter geboren. Das Land ist wunderschön. Wir haben kein Bild, das mit dem Libanon konkurrieren würde. [...] Argentinien ist meine Identität, und der Libanon ist meine tiefe Identität, und die beschützen wir.“ (FELIPE YARYURA)

Andere Gesprächspartner berichten über ihre emotionalen Treffen bei Verwandtenbesuchen im Libanon oder Besuchen des Herkunftsdorfes (vgl. ABDALA EDI; SALMA AUAD). Amira Juri de Budeguer erzählt von ihrem Treffen mit ihrer Familie im Libanon, die sie zuvor nie gesehen hatte: Zitat 34: TOBIAS BOOS: „Und du hast dich dort [im Libanon] getroffen mit …?“ AMIRA JURI DE BUDEGUER: „Mit meiner Familie von dort. Sie erwarteten mich.“ TOBIAS BOOS: „Was hast du mit ihnen erlebt?“ AMIRA JURI DE BUDEGUER: „Wunderbar, weil wir die ganze Zeit weinten.“ TOBIAS BOOS: „Und das ist wunderbar?“ AMIR JURI DE BUDEGUER: „Wir weinten aufgrund unserer Gefühle, als wir uns trafen. Wir weinten vor Freude. Es war so schön. Ich war zwei Wochen im Haus meiner Familie und sah den Ort, in dem mein Großvater geboren wurde, und mein Nachname, der Nachname Juri bedeutet Priester. Mein Urgroßvater war Priester.“

Die Familiengeschichte verbindet Amira Juri de Budeguer mit ihrer Familie im Libanon, dem Herkunftsort und dem Herkunftsland ihrer Großeltern. Amiras Großvater ist nach seiner Auswanderung nicht wieder in den Libanon zurückgekehrt. Bevor er sein Herkunftsdorf noch einmal besuchen konnte, verstarb er. Deshalb nahm Amira Erde aus seinem Dorf mit nach San Miguel de Tucumán, um sie auf seinem Grab auszustreuen. Auf diese Weise verknüpfte sie sein Grab mit dem Ort seiner Geburt (vgl. AMIRA JURI DE BUDEGUER). Die Vorfahren sind also in den Sphären ebenfalls anwesend. Sie bieten den geschichtlichen Hintergrund und Handlungsrahmen, die den Verwandtenbesuchen und symbolischen

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Handlungen57 Sinn geben. Es wird zur Pflicht den Vorfahren gegenüber, das Herkunftsland sowie den Herkunftsort zu kennen und zu respektieren und auf diese Weise die Erinnerung an sie zu ehren (vgl. AMIRA JURI DE BUDEGUER; CECILIA MADE; JULIO AFFIF; ROBERTO SABA). An Treffpunkten, die mit der Herkunft in Verbindung stehen (zum Beispiel ethnische Vereine; spezielle Kirchen), vermittelt selbst die entfernte Familienzugehörigkeit Geborgenheit. Aufgrund der Familienzugehörigkeit werden die Personen als Verwandte bekannter Personen identifiziert. Dabei reihten sie sich in eine lange Familiengeschichte ein und es wird ihnen Vertrauen entgegengebracht. Außerdem bieten die Familie sowie deren Geschichte eine gemeinsame Gesprächsgrundlage und das Zusammensein wird von einem Klima der Vertrautheit geprägt (Zitat 35 JOSÉ GANDUR). Zitat 35: „Wenn es Ältere sind, fragen sie dich: ‚Junge, von wem bist du?‘ und sagen: ‚Ah, von Isaia. Du bist der Enkel von Isaia.‘ Und schon trittst du in eine affektive Verbindung mit dieser Frau, die deinen Großvater kannte, und du fängst an, dich zu unterhalten. Sie erklären es dir, und am Ende stellt sich heraus, dass du ein Verwandter bist. Weil in Wirklichkeit, nach all dem, was ich von der Geschichte von Tucumán verstanden habe, haben sich viele Landsleute untereinander verheiratet. Es scheint mir, dass du mit allen irgendwelche verwandtschaftlichen Verbindungen hast. […] Mit meinem Cousin zweiten Grades kommt die Gruppe oder vielmehr ein … eine Verbindung, sagen wir Verwandtschaft ist es; dass es familiäre Verbindungen zwischen allen gibt, ist das, was ein anderes Klima herstellt. Es ist nicht das Gleiche, in irgendeine Kirche zu gehen oder in die San Marón zu gehen, da ich mich mit der San Marón identifizieren kann. Sagen wir mal so, es ist nicht wegen dem Priester, nein, sondern weil alle Leute, die du siehst, Verwandte sind.“ (JOSÉ GANDUR)

Doch es sind auch Alltagsgegenstände, Gewohnheiten und sogar Gerüche, die Erinnerungen an die Vorfahren wecken und Gesprächspartner in ihrer Vorstellung mit dem Libanon verbinden (Zitat 36 AMALIA SFEIR; Zitat 37 CECILIA MADE). Zitat 36: „[...] als wir zum Beispiel im Libanon ankamen und in ein libanesisches Haus eintraten, begannen meine Cousinen und ich zu weinen. Und dann: ‚Weißt du nicht, an was mich das erinnert?‘ sagte die älteste: ‚Was fühle ich?‘, sagte sie. Und ich schaue sie an und sage: ‚Der Geruch‘, und sie sagt mir: ‚Ja‘, und die anderen auch. Klar, es war der 57 Unter symbolischer Handlung werden in dieser Arbeit Handlungen verstanden, die auf das Herkunftsland und die Vorfahren verweisen.

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Geruch des Hauses meiner Großmutter. Dieser spezielle Geruch der Gewürze, das Parfum der Blumen.“ (AMALIA SFEIR) Zitat 37: „Ich weiß nicht, wenn ich Dabke höre oder ich höre, was weiß ich, kommen mir die Tränen. Es ist sehr, sehr heftig, sehr heftig, zu wissen, wie meine Großeltern von dort hierhergekommen sind, die Entbehrungen, geflüchtet vor dem Krieg, nach einer Zukunft suchend, und die verließen ihre Familien, das heißt, sie hatten nichts, und man muss sehr viel Mut haben, um zu tun, was sie taten.“ (CECILIA MADE)

Diese Praktiken und traditionellen Gegenstände sind Elemente, die von der Gemeinschaft erkannt werden, und sie werden zu möglichen Gesprächsthemen, zu emotionalen Bindungen der Menschen, die um ihre Bedeutung wissen. Sie sind ebenso Teil der ethnischen Sphäre wie die Vorfahren, die verstorbenen Verwandten und Bekannten. Das Kreuzen der Lebenswelten in den Sphären scheint Werte, Verhaltensweisen, Diskurse und Objekte aneinander anzupassen. Die aufeinander abgestimmten Elemente stehen dabei als Möglichkeiten der situativen Ausweitung der Sphären zur Verfügung. Bei der situativen Ausweitung von Sphären zirkulieren Werte, Verhaltensweisen, Diskurse und Objekte bzw. werden angepasst, sodass die verschiedenen Sphären näher zusammenrücken und Nachbarschaften bilden. Die Familie stellt aufgrund ihrer Plurikontextualität besonders viele Elemente58 bereit, die es ermöglichen, emotionale Bindungen einzugehen und Vertrautheit auf entfernt bekannte Personen auszuweiten. Die Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa von Tucumán Die JUCAL Tucumán kann als Sphäre betrachtet werden, die sich über Freundschaft definiert. Die Gruppe umfasst zwischen 20 und 25 Personen, wobei jedes halbe Jahr ca. vier neue Mitglieder hinzukommen und vier alte Mitglieder ausscheiden (vgl. JOSÉ GANDUR). Allerdings ist die offizielle Mitgliedschaft in der JUCAL kein eindeutiges Kriterium für die Mitgliedschaft in der Sphäre JUCAL Tucumán, da einerseits einige Mitglieder nicht durch Freundschaft eingebunden

58 Die Elemente, um emotionale Bindungen aufzubauen, sind die Familiengeschichte, Fotos von und Geschichten über Vorfahren und über physische Merkmale, die als „typisch“ für eine spezielle Familie gelten. Gleichzeitig sind das Wissen um diese Elemente und die Teilhabe an diesen Elementen auch Zugangsbeschränkung für Personen, die nicht in die ethnischen Sphären eingebunden werden.

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sind und auch nicht lange in der Gruppe bleiben. Andererseits sind manche Nichtmitglieder der Gruppe aufgrund von Freundschaft Teil der Sphäre, haben jedoch wegen ihres Berufes keine Zeit, bei den Treffen anwesend zu sein. Ein Beispiel hierfür ist Ariel Campero, der nur an wenigen Tagen in Tucumán lebt, ansonsten in Buenos Aires. Er ist über E-Mail und Telefonkontakt über die Aktivitäten der JUCAL informiert und unterstützt die Gruppe, indem er Artikel über die libanesische Einwanderung nach Tucumán schreibt (vgl. ARIEL CAMPERO; teilnehmende Beobachtung59). Im Fall der JUCAL Tucumán lassen sich vier Komponenten ausmachen, auf denen ihre ethnische Sphäre beruhen und durch die Vertrauen, Gemeinsamkeit und Freundschaft begründet und hergestellt werden: Zusammengehörigkeitsgefühl, gemeinsame Interessen, Diskurse der Zusammengehörigkeit und Abgrenzung sowie gemeinsame Aktivitäten. Das Zusammengehörigkeitsgefühl können die Mitglieder nicht weiter erklären. Es beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Vertrautheit sowie einem Gefühl der Verantwortung füreinander, aus dem die gegenseitige Hilfe in Problemsituationen resultiert. Zitat 38: „Ich glaube, wegen der Freundschaften. Ich, wegen der Freundschaft. Mir scheint, dass ich mich wegen meiner Freundschaft engagiere.“ (ARIEL CAMPERO) Zitat 39: „Die Treffen [der JUCAL Tucumán], es ist eine schöne Gruppe von Freunden, die ich habe, eine Gruppe von bekannten Leuten und nicht mehr.“ (ALBERTO JUNIOR BESTANI)

Zitat 40: „Und wenn ich mir heute eine Zeit ohne diese Gruppe [die JUCAL] vorstellen würde, sagen wir, mittlerweile sind die Donnerstage für diese Gruppe reserviert. Ich weiß jetzt über die Kultur Bescheid, ich weiß, was wir sprechen, ist gut. Wenn ein Mädchen allein ist, sehen wir nach ihr, auch, sagen wir, sie ist Teil der Gruppe, wir müssen etwas machen. Ich weiß nicht, woher es kam, es machte klick. Es war nicht der Krieg, es war nicht so, dass ich sagte: ‚Okay, jetzt musst du was tun‘, sondern es war etwas, das in mir aufging, weil es aufging.“ (JOSÉ GANDUR)

59 Bei einem Ausflug mit Alberto Junior Bestani und Jessica, ebenfalls in der JUCAL, rief er aus Brasilien an, um zu fragen, wie es ihnen geht. Er schreibt Artikel über die Einwanderungsgeschichte, aber auch über die Entwicklung der maronitischen Kirche, um einen Beitrag zur Information der Mitglieder der JUCAL und anderer interessierter Menschen zu leisten (vgl. CAMPERO 2008a, b).

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Die gemeinsamen Interessen bestehen in der Suche nach den persönlichen und gemeinsamen Wurzeln und dem Wissen über die „libanesische Kultur“ (Zitat 41 JOSÉ GANDUR; Zitat 42 CECILIA MADE). Ihre Wurzeln sehen die Interviewten in der Familiengeschichte (vgl. ARIEL CAMPERO; JOSÉ GANDUR; CECILIA MADE; ALBERTO JUNIOR BESTANI), dem Wissen über die Geschichte der Aus- und Einwanderung (vgl. ARIEL CAMPERO; JOSÉ GANDUR; CECILIA MADE; ALBERTO JUNIOR BESTANI) und über die aktuelle Lage des Herkunftslandes ihrer Ahnen (vgl. JOSÉ GANDUR; ALBERTO JUNIOR BESTANI; CECILIA MADE). Zitat 41: „Die Kultur zu vermitteln. Wir sind eine Gruppe [die Mitglieder der JUCAL], die sich nicht in die Politik oder Religion einmischt … ich sehe sie nicht als JUCAL, ich sehe sie als Gruppe, weil wir uns so fühlen, wie du dich in der Casa Libanesa fühlen kannst. Wir sind eine Gruppe, die an der Kultur des Libanons interessiert ist.“ (JOSÉ GANDUR) Zitat 42: „Wir sind gerade nicht ... wir sind ein Teil der JUCAL, aber da ich nicht so sehr eingebunden bin, weil ich wenig Zeit für diese Dinge habe … ich versuche immer, mehr dabei zu sein und mehr zu erfahren. Für mich ist es sehr wichtig, jeden Tag etwas über die Kultur zu erfahren; zu erfahren, was der Libanon ist.“ (CECILIA MADE)

In der Sphäre zirkulieren Diskurse der Zusammengehörigkeit der Mitglieder und der Abgrenzung von Nichtmitgliedern. Dabei dienen Diskurse der Zusammengehörigkeit einerseits der Herstellung von Vertrautheit. Beispiele hierfür sind Diskurse über die gemeinsame Herkunft und Einwanderungsgeschichte (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI; CECILIA MADE; JOSÉ GANDUR; ARIEL CAMPERO), über die besondere Bedeutung der Familie (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI; CECILIA MADE; JOSÉ GANDUR), über die Einheit der libanesischen bzw. arabischen Gemeinschaft in Argentinien (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI; CECILIA MADE; JOSÉ GANDUR), über ähnliche „Traditionen“ (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI; CECILIA MADE; JOSÉ GANDUR; ARIEL CAMPERO) und über ihre Selbstidentifizierung als Argentinier mit libanesischen Vorfahren (vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI; CECILIA MADE; JOSÉ GANDUR; ARIEL CAMPERO). Andererseits werden durch die Aussagen über ihre Gemeinsamkeiten implizit andere Menschen ausgeschlossen. Diese Prozesse wurden bereits in den vorherigen Abschnitten zur Sphäre der ASCAL und zur familiären Sphäre besprochen. Sie scheinen daher generelle Prozesse der Zusammengehörigkeit zu sein, die Sphären miteinander verbinden bzw. ihre Ausweitung begünstigen. Durch die unterschiedlichen Inhalte der Diskurse der Gemeinsamkeit werden die Grenzen situativ geschaffen. Andere Sphären können auf diese Weise je nach Situation eingeschlossen oder ausgeschlossen werden. Ein Beispiel hierbei ist die Aussage von José Gandur

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(Zitat 43), der zunächst die eigene Gemeinschaft durch ihre gemeinsame „Kultur“, gemeinsame „Herkunft“ von anderen Gemeinschaften trennt, um danach die Gemeinsamkeit mit unspezifischen anderen Kollektiven bei „bestimmten“ Aktivitäten herzustellen. Zitat 43: „Es ist eine Gruppe [die Mitglieder der JUCAL], die sich der Vermittlung oder vielmehr der Förderung der libanesischen Kultur widmet. Diese besteht im Essen und im Tanz, in der Freundschaft zwischen Leuten der gleichen Herkunft, auch in der Gemeinschaft mit Leuten anderer Herkunft, weil wir auch mit anderen Kollektiven zusammenkommen bei bestimmten Aktivitäten, die … aber gut.“ (JOSÉ GANDUR)

Abbildung 23: Einladung zur Veranstaltung „Tag der Flagge“, die von der JUCAL Tucumán im Saal der Asociación Libanesa de Tucumán stattfand

Gemeinsame Aktivitäten, wie die regelmäßigen Treffen donnerstags in der Asociación Libanesa (vgl. JOSÉ GANDUR), das Dabketanzen (vgl. CECILIA MADE), das gemeinsame Essen und die Organisation von Veranstaltungen, schaffen Vertrautheit in einem ethnischen Kontext. Bei den regelmäßigen Treffen tauschen die Mitglieder der Sphäre Neuigkeiten aus dem Libanon aus und planen ihre Aktivitäten (vgl. JOSÉ GANDUR, ALBERTO JUNIOR BESTANI). Zu den Veranstaltungen laden sie die Mitglieder der Casa Libanesa, ihre Familien und Bekannten sowie Mitglieder der Sociedad Sirio Libanesa ein. Dabei verkaufen sie häufig Eintrittskarten (vgl. Abb. 23), um aus dem Erlös die Gage der Künstler, Essen und Getränke zu bezahlen. Das übrig bleibende Geld investieren sie in soziale Hilfsaktionen (vgl. JOSÉ GANDUR; ALBERTO JUNIOR BESTANI; teilnehmende Beobachtung).

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Am 20. Juni 2008 feierte die JUCAL Tucumán den Día de la Bandera (Tag der Flagge)60 im Veranstaltungssaal der Asociación Libanesa de Tucumán (vgl. Abb. 24). Die Besucherzahl lag bei rund 120 Personen (eigene Schätzung). Unterstützung bei den Vorbereitungen bekam die JUCAL Tucumán von den Frauen der ASCAL, die ihr beim Kartenverkauf und bei der Zubereitung der Speisen halfen. An diesem Beispiel werden nun die gemeinschaftsbildenden Praktiken und Symbole detaillierter als bisher dargestellt. Zunächst zeigt ein Blick auf die Einladung der JUCAL Tucumán (vgl. Abb. 23), dass die abgebildeten Nationalflaggen Symbole sind, die Gemeinsamkeit ausdrücken und reproduzieren. Es fällt auf, dass sowohl die argentinische als auch die libanesische Flagge abgebildet sind. Sie symbolisieren das Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder der Sphäre der JUCAL Tucumán zu beiden Ländern. Diesen Eindruck bestätigt auch das Veranstaltungsprogramm. Das Essen bestand aus einem Locro, einem Bohneneintopf aus weißen Bohnen und Ziegenfleisch, der im Nordwesten Argentiniens beliebt ist (vgl. Abb. 24). Während des Essens spielten argentinische Volksmusiker61. Mit dem Essen und der Musik wurde der lokale Charakter der Veranstaltung unterstrichen und die Identifizierung mit der Region Tucumán hervorgehoben. Anschließend führte eine junge Argentinierin ohne libanesische Wurzeln einen Bauchtanz auf. Bei dieser Gelegenheit klatschten die Besucher im Rhythmus und die Stimmung wurde merklich ausgelassener. Hier wurde den „Traditionen“ der Vorfahren gedacht, obwohl die Darbietung keiner Nachahmung von Bauchtänzen aus dem Libanon gleichkam. Der Tanz muss als eine symbolische Handlung des Erinnerns und Gedenkens an die Herkunft der Vorfahren gesehen werden. Die tatsächliche Übereinstimmung mit den Tänzen im Libanon spielte hierbei keine oder zumindest nur eine untergeordnete Rolle.

60 Der Día de la Bandera ist ein nationaler Feiertag in Argentinien, der an den Todestag des Schöpfers der argentinischen Flagge, Manuel Belgrano, am 20. Juni 1820 erinnert. 61 Es wurde zum Beispiel Chacarera gespielt. Chacarera ist ein Musikstil mit zugehörigem Folkloretanz, der hauptsächlich im Nordwesten Argentiniens verbreitet ist.

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Abbildung 24: Oben: ein Teller Locro, Eintopf aus weißen Bohnen und Ziegenfleisch, der von den Anwesenden als „typisches“ Essen im Nordwesten Argentiniens, speziell in Tucumán beschrieben wurde. Unten: eine Jugendband aus Tucumán, die Chacarera spielt, Folkloremusik und -tanz, die hauptsächlich im Nordwesten Argentiniens verbreitet sind

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Anschließend führte eine bolivianische Jugendgruppe einen bolivianischen Folkloretanz auf (vgl. Abb. 25). Dies zeigt, dass die JUCAL versucht, Verbindungen zu Gruppen anderer ethnischer Gemeinschaften zu knüpfen, die sie zu ihren Veranstaltungen einlädt. Auch der Vorsitzende der Sociedad Sirio Libanesa (vgl. Abb. 25) war eingeladen und nahm an der Veranstaltung teil (teilnehmende Beobachtung).

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Abbildung 25: Das obere Bild zeigt Orlando di Marco, Vorsitzender der Sociedad Sirio Libanesa (links), und Pedro Bujazha, Vorsitzender der Asociación Libanesa (rechts). Das untere Bild zeigt eine bolivianische Tanzgruppe

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Nach den Auftritten begannen einige Mitglieder der JUCAL Tucumán, Dabke zu tanzen (vgl. Abb. 26), wobei die Musik von einer CD kam (teilnehmende Beobachtung). Im Bildhintergrund von Abbildung 26 sind drei Mädchen und ein Junge in bolivianischen Trachten zu sehen. Sie gehören der bolivianischen Gemeinschaft von Tucumán an, die von der JUCAL zu diesem Event eingeladen wurde. Sie klatschen den Jugendlichen der JUCAL in der Bildmitte Beifall. Es fällt auf, dass sie etwas abseits stehen. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sie die restlichen Personen nicht kennen, einen anderen ethnischen Hin-

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tergrund besitzen und jünger sind als der Rest. Somit gehören sie weder zur Sphäre der libanesischstämmigen Mehrheit der Anwesenden, noch sind sie in die Jugendgruppe JUCAL eingebunden. Obwohl sie augenscheinlich von anderen Sphären ausgegrenzt sind, wird deutlich, dass die libanesischstämmigen Teilnehmer eine gewisse Offenheit gegenüber anderen Sphären besitzen, deren Mitglieder einladen und ein Interesse an deren kulturellem Leben zeigen. Die tanzende Gruppe in der Bildmitte ist altersmäßig weitgehend homogen (zwischen 22 und 32 Jahren). Abbildung 26: Einige Mitglieder der JUCAL Tucumán beim Dabketanzen

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Die Tänzer gehören alle der JUCAL Tucumán an. Personen, die kein Teil dieser Gruppe sind, tanzen nicht mit, auch nicht die Verwandten. Einige der Anwesenden versammeln sich halbkreisförmig um die tanzende Gruppe und klatschen Beifall (im Bild nicht zu sehen), halten jedoch Abstand (freie Fläche zum Publikum). Sie beteiligen sich nicht am Tanz, sondern beschränken sich aufs Klatschen und machen Fotos (rechts im Spiegel zu sehen). Die Stimmung ist zwar gut, allerdings zeigt sich hierin eine Spaltung zwischen Jung und Alt, zwischen Angehörigen der JUCAL Tucumán und Leuten, die nicht dazugehören. Obwohl sich auf dieser Veranstaltung die verschiedenen Sphären (familiäre Sphären, Sphären der Freundschaft) der libanesischstämmigen Anwesenden kreuzten, ist die Sphäre einiger JUCAL-Mitglieder hier deutlich gegen andere abgrenzbar. Auch wenn sich während der Veranstaltung Sphären situativ auf weitere Personen ausweiteten, waren die Grenzen der Sphären in bestimmten Situationen wie-

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der vorhanden. Personen, auch JUCAL-Mitglieder, die nicht Dabke tanzen wollten62, waren ausgeschlossen. Es bleibt festzuhalten, dass in verschiedenen Situationen Personen in verschiedenen Sphären verortet sind, ohne die jeweils andere zu verlassen (vgl. teilnehmende Beobachtung). Dieses Beispiel zeigt, dass die ethnische Sphäre der JUCAL Tucumán in verschiedene Nachbarschaften eingebettet ist. Die Nachbarschaft ist dabei als situativ, flexibel und kontextabhängig aufzufassen. Im Kontext der territorialen Herkunft der Vorfahren befindet sich die JUCAL Tucumán in Nachbarschaft zu anderen libanesisch-argentinischen, aber auch syrisch-libanesisch-argentinischen Sphären, etwa Sphären der Asociación Libanesa, verschiedener lokaler JUCAL, aber auch der Sociedad Sirio Libanesa. Im familiären Kontext sind sie an familiäre Sphären angebunden, die lokale Kontexte überspannen, wie das Beispiel der Familie Bestani zeigt. Im Kontext des Alters ist sie an Sphären jugendlicher Argentinier anderer Herkunft angeschlossen. Im lokalen Kontext überschneiden sich sowohl Sphären der lokalen Bevölkerung als auch Sphären der lokalen Jugend. Die JUCAL Tucumán ist somit an verschiedene Sphären angebunden. Sie weitet ihre Sphären situativ aus, wodurch ein erweitertes Gemeinschaftsgefühl entsteht, dessen Bestand meist nur von geringer Dauer ist. In bestimmten Situationen, wie beim Dabketanzen, ist ihre Sphäre wieder geschlossen. Auf Events wie dem Día de la Bandera werden die Verbindungen aufgebaut und verhandelt. Doch auch mit der JUCAL Buenos Aires verbindet sie eine Freundschaft, und die Mitglieder der beiden Sphären stehen in Kontakt, wie die folgenden zwei Abschnitte zeigen werden (vgl. CECILIA MADE). Die Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa von Buenos Aires Die JUCAL Buenos Aires besteht aus 20 bis 25 aktiven Mitgliedern. Dabei sind jedoch nicht alle im gleichen Maße in die Gruppe involviert. Je nach beruflichem Einsatz und Interesse sind sie verschieden stark in die Belange der JUCAL integriert (vgl. JUAN SALIBA; PATRICIO ABDALA). An wöchentlichen Treffen nehmen zehn bis zwölf Personen teil (teilnehmende Beobachtung63). Es ist daher anzu-

62 Es haben auch Personen mitgetanzt, die nicht an den Übungsstunden teilnehmen, aber der JUCAL Tucumán angehören. Sie haben spontan angefangen zu tanzen (teilnehmende Beobachtung). 63 Von Juni bis Oktober 2008 nahm der Autor an zehn der wöchentlichen Treffen, an drei gemeinsamen Abendessen und an einem Ausflug teil.

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nehmen, dass Teile der Mitglieder eine Sphäre bilden, die auf Freundschaft basiert (vgl. PATRICIO ABDALA; SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; ELÍAS GATTAR; SILVANA RUFAIL). Die JUCAL-Sphäre ist nicht als starres Gebilde aufzufassen, sondern sie ist ständigen Veränderungen unterworfen. Die Anzahl der Mitglieder schwankt immer, Freunde werden integriert und Freundschaften zerbrechen. Aber auch die institutionellen Rahmenbedingen tragen zur Veränderung der Sphäre bei. Ab dem 35. Lebensjahr ist die Mitgliedschaft in der JUCAL nicht mehr möglich, wodurch ehemalige Mitglieder der Sphären langsam den Kontakt zur Sphäre verlieren und aus ihr verschwinden (vgl. JUAN SALIBA). Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Personen durch ihren institutionellen Ausschluss direkt aus der Sphäre ausgeschlossen sind. Sie sind bei gemeinsamen Aktivitäten und Planungen meist noch in den Freundeskreis mit eingebunden. So nahm zum Beispiel Ernesto Saliba unregelmäßig an den wöchentlichen Sitzungen der JUCAL Buenos Aires teil, obwohl er aus Altersgründen schon seit mehr als einem Jahr ausgeschieden war. Er war ebenfalls bei den gemeinsamen Essen anwesend, und seine Meinung zu Themen, die in der JUCAL diskutiert wurden, war den anderen Mitgliedern der Sphäre wichtig (teilnehmende Beobachtung). Auch durch die Veränderungen der beruflichen und persönlichen Verhältnisse der Sphärenmitglieder, wie Wohnortswechsel, Heirat und Familiengründung, kommt es zu Veränderung in der Zusammensetzung der JUCAL Buenos Aires und infolgedessen auch der Sphäre (vgl. SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; SILVANA RUFAIL). Dabei ändern sich auch die Stimmungen und die emotionalen Bindungen der Sphäre. So beschreibt Sebastian Ganem (Zitate 44 und 45) die Veränderungen, die er persönlich durchlief und die mit dem Wechsel der Mitglieder der JUCAL einhergehen, exemplarisch wie folgt64: Zitat 44: „Ich sehe sie [die JUCAL Buenos Aires] als ein … in einem Moment war es eine sehr schöne Sache des Verliebtseins, wegen einer Liebesgeschichte, die ich hier drin hatte. Danach war sie, ich habe mich von ihr [der JUCAL Buenos Aires] entfernt, da sie mich aufzehrte. Danach war sie in einem schweren Moment die Rettung. Das heißt, ich kehrte in einem Moment zurück, als es Zeit war zurückzukehren. Das heißt, in meinem Kopf und in meiner Situation, siehst du: ‚Jetzt ist es Zeit, zu den Seinen zurückzukehren!‘ Ja, und ich kehrte zurück.“ (SEBASTIAN GANEM) Zitat 45: „Auch die JUCAL hat sich ein wenig verändert. Vorher gab es viele junge Leute, die ihren Abschluss in Politikwissenschaften hatten, Anwälte. Heute ist es mehr … eine 64 Vgl. ähnliche Aussagen von Patricio Abdala; Juan Saliba; Ernesto Saliba; Silvana Rufail.

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andere Stilrichtung, bei der es eine andere Sensibilität am Tisch gibt. Es veränderte sich. Es ist, na ja, Vanina, Pablo, Georges sind für mich Künstler, die da sind, und ich bin in Richtung Musik tätig [er organisiert Musikfestivals], Eduardo. Guadalupe ist Anwältin, singt aber. Das heißt, die Sensibilität ist anders als vor einigen Jahren, als die Runde am Tisch härter war, steifer, förmlicher in vielen Dingen.“ (SEBASTIAN GANEM)

Das Besondere der Sphäre ist jedoch, dass sie trotz ihrer Situativität und Dynamik dauerhaft ist. Trotz Änderungen institutioneller Rahmenbedingungen, wechselnder Mitglieder und veränderter Stimmungen besteht sie seit 2002 (vgl. JUAN SALIBA). Ein Grund für diese Dauerhaftigkeit ist ihre thematische Pluralität, die sich innerhalb eines ethnischen Themenbereichs bewegt. Sie ermöglicht es, Mitglieder mit verschiedenen Interessen einzubinden, die die übergeordneten gemeinsamen Themen Libanon, Familie und Einwanderungsgeschichte teilen. Sie bietet den Mitgliedern verschiedene Themen, mit denen sie sich identifizieren können. Auf diese Weise können Personen aus unterschiedlichen Gründen an der Sphäre teilnehmen, und sie wird zu einem Teil ihres Lebens, wie die folgenden Gesprächspassagen belegen: Zitat 46: „Wie ich dir bereits sagte, sind wir die Jugendlichen, die sich für die Situation [im Libanon] interessieren, und wir reden und sprechen unter uns [über politische Themen]. Es gibt aber auch Leute, die es nicht so interessiert, das heißt, es gibt Leute, die schnell ermüdet sind, wenn man über Politik spricht: ‚Nein! Ich mag das Tanzen!‘, ‚Ich mag das Essen.‘ Also, man sollte nicht alles offen besprechen, um die Leute nicht zu ermüden. Wer sich dafür interessiert, ist willkommen. Wer sich fragt, sich interessiert, kann mitreden und Ideen miteinander teilen und so.“ (JUAN SALIBA) Zitat 47: „Für mich? Für mich ist sie [die JUCAL Buenos Aires] ein Überdruckventil. Es ist mein Freundschaftskern und mein Überdruckventil. [...] Für mich ist sie ein Freiraum, den ich mir schaffe, der mich aufheitert. Sie bedeutet mir viel. Ich liebe die JUCAL. [...] Deshalb versuche ich … und binde die JUCAL in mein Leben ein und binde mein Leben in die JUCAL ein. Für mich ist sie ein Teil meines Lebens. Deshalb; ich habe meine Arbeit, ich habe meine Freundin, ich habe meine Probleme, ich habe meine Familie, ich habe die JUCAL, ich habe andere Sachen, ich habe Niederlagen, ich habe Triumphe.“ (SEBASTIAN GANEM)

Zitat 48: „Schau, sie [die JUCAL] ist eine Gruppe von Freunden. Mit manchen verbindet mich vielleicht eine etwas größere Affinität als mit anderen, aber es ist eine Gruppe von Freunden. Und zweitens weiß ich, dass sie etwas repräsentiert, von dem ich weiß, dass es meiner Großmutter gefallen hätte, dass ich es tue. Es repräsentiert, was der Libanon hier in

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Argentinien sein könnte. [...] Und deshalb komme ich weiterhin hierher, weil es mir gefällt, das heißt, ich verbringe eine schöne Zeit, und wir unternehmen viele Dinge, die unter anderem auch Spaß machen. Und wir machen nicht so viele politische Sachen.“ (PATRICIO ABDALA)

Zitat 49: ELÍAS GATTAR: „Außerdem war die Gruppe der Jugendlichen immer für mich da. Ich war … sie stand mir in meinen schwierigen Zeiten zur Seite, und ich war immer dort unabhängig davon, wer sonst noch da war, sondern die Gruppe an sich ist für mich viel mehr, als die libanesische Jugend. Für mich ist sie ein Ort, dem ich angehöre. Das ist gut.“ TOBIAS BOOS: „Das bedeutet auch …?“ ELÍAS GATTAR: „Ja, ja, ja. Für mich ist sie etwas sehr Starkes. Ich fühle, dass sie mir in allen Belangen eine große helfende Hand gereicht hat; als Mensch und als Berufstätigem. Weil, ich habe auch gelernt zu arbeiten, weil, außer dass wir eine Gruppe von libanesischen Jugendlichen sind, die sich gerne haben, realisieren wir viele Arbeiten und arbeiten in vielen Bereichen auf einem professionellen Niveau. Wirklich, ich habe hier viel gelernt.“ Zitat 50: „Ich denke, dass unser sozialer Zusammenhalt darauf beruht, dass wir für die Jugend ein freundlicher Ort sind. Sie [die JUCAL Buenos Aires] ist ein Ort des Treffens. Sie ist etwas sehr Starkes.“ (SILVANA RUFAIL)

Aus diesen Zitaten wird deutlich, dass zwei weitere Punkte die Dauerhaftigkeit der Sphäre begründen. Zum einen ist es das in der Sphäre erfahrene Vertrauen und Vertrautsein mit anderen Menschen. Die Sphären bedeuten für ihre Mitglieder Schutz (Zitat 44 SEBASTIAN GANEM), Ausgleichs- und Erholungsraum (Zitat 47 SEBASTIAN GANEM), ein angenehmer Raum des Zusammenseins (Zitat 48 PATRICIO ABDALA; Zitat 50 SILVANA RUFAIL), der persönlichen Entwicklung (Zitat 46 JUAN SALIBA; Zitat 49 ELÍAS GATTAR; vgl. SEBASTIAN GANEM) und der gegenseitigen Hilfe (Zitat 44 SEBASTIAN GANEM; Zitat 49 ELÍAS GATTAR). Die Sphäre ist für ihre Mitglieder ein emotionaler Bestandteil ihres Lebens, der durch eine angenehme Stimmung, freundschaftliche und/oder familiäre Bande geprägt ist (vgl. SILVANA RUFAIL; SEBASTIAN GANEM; PATRICIO ABDALA; ELÍAS GATTAR; JUAN SALIBA). Zum anderen verortet die Mitgliedschaft in Sphären die Personen in soziale Ordnungen, die sie als anonym ansehen, wie die Weltgesellschaft oder nationale Gesellschaften (Zitat 51 SEBASTIAN GANEM; Zitat 52 ELÍAS GATTAR)65. 65 Vgl. ähnliche Aussagen bei Silvana Rufail; Patricio Abdala.

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Zitat 51: „Wenn ich der JUCAL angehöre, dann bin ich wie an einem geschützten Punkt. Es ist, als wenn dir irgendwer sagt, ich weiß nicht, Argentinier. Aber wenn du einer Institution angehörst, hast du einen Ort in der Welt, und es scheint mir, dass wir Nachfahren von Libanesen sind. Es gibt viele im Land und, was weiß ich … aber ich kann sagen, dass ich der JUCAL angehöre.“ (SEBASTIAN GANEM) Zitat 52: „Überall, wohin ich gehe, lasse ich die Leute von meiner libanesischen Herkunft wissen, und die ganze Welt kennt mich. Mein gesamtes Umfeld, auch wenn es weit entfernt ist, hat aus meinem Mund irgendwann schon mal etwas über den Libanon und die libanesische Jugend gehört.“ (ELÍAS GATTAR)

Die von den Mitgliedern postulierten Gemeinsamkeiten wie Herkunft (vgl. PATRICIO ABDALA; SEBASTIAN GANEM; ELÍAS GATTAR; JUAN SALIBA), Werte (vgl. SILVANA RUFAIL; PATRICIO ABDALA; SEBASTIAN GANEM) und Identifikation mit der ethnischen Sphäre (vgl. PATRICIO ABDALA; SEBASTIAN GANEM; ELÍAS GATTAR; JUAN SALIBA) sind relativ zu sehen und müssen nicht zwischen allen Mitgliedern bestehen. Die Relativität der Gemeinsamkeiten der Mitglieder der Sphäre JUCAL Buenos Aires wird an zwei Beispielen von Mitgliedern deutlich, die sich aufgrund ihrer Herkunft von den restlichen Mitgliedern der Sphäre unterscheiden. Zum einen ist hier Maya zu nennen, die weder libanesische noch syrische Vorfahren oder Verwandte besitzt. Dennoch ist sie ein aktives Mitglied der Sphäre und nimmt regelmäßig an den wöchentlichen Sitzungen, an den Abendessen und auch an dem jährlichen Kongress der JUCAL Argentinien teil. Sie engagiert sich bei Informationsveranstaltungen über den Libanon und die JUCAL ebenso wie für die sozialen Projekte der JUCAL Buenos Aires. Zum anderen war Georges Moussa ein aktives Mitglied der JUCAL Buenos Aires. Als Einziger wurde er im Libanon geboren und identifizierte sich nicht mit Argentinien. Er kehrte noch im Jahr 2008 in den Libanon zurück. Dabei verließ er auch die Sphäre, da er anschließend keinen Kontakt mehr zu den Mitgliedern pflegte (vgl. GEORGES MOUSSA; teilnehmende Beobachtung). Die Erzählungen der Mitglieder der JUCAL Buenos Aires zeigen die herausragende Stellung der Familie für die Bildung von Sphären. Obwohl die Sphäre JUCAL Buenos Aires auf Freundschaft beruht und die Mitglieder nicht alle miteinander verwandt sind, haben häufig Familienmitglieder den Eintritt in die JUCAL ausgelöst (vgl. PATRICIO ABDALA; SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; SILVANA RUFAIL). In Fällen wie bei Sebastian Ganem und Patricio Abdala bestand keine Intention, in eine Jugendgruppe einzutreten, bis sie von den Eltern (vgl. PATRICIO ABDALA) bzw. den Cousins (vgl. SEBASTIAN GANEM) zu Veranstaltungen der Jugendgruppe mitgenommen wurden. Da sie sich sofort mit der

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JUCAL identifizierten und sich wohlfühlten, engagierten sie sich anschließend (vgl. SEBASTIAN GANEM; PATRICIO ABDALA). Gegenüber Außenstehenden und sich selbst begründen die Mitglieder ihr Engagement in der JUCAL mit der Suche nach einer Verbindung zu ihren Vorfahren (Zitat 48 PATRICIO ABDALA). Sie engagieren sich, um mehr über ihre Familiengeschichte zu erfahren (vgl. SILVANA RUFAIL), da sie sich dadurch an ihre Großeltern erinnern und dem Beispiel ihrer Eltern folgen (vgl. PATRICIO ABDALA; JUAN SALIBA; SEBASTIAN GANEM; SILVANA RUFAIL) oder um sich den in der Generation ihrer Eltern verlorenen libanesischen Wurzeln und Traditionen wieder anzunähern (vgl. ELÍAS GATTAR). Im Folgenden werden nun die Prozesse detailliert erläutert, die Sphären bilden, sie erhalten und verändern. Dies sind zum einen Diskurse der Zugehörigkeit und Abgrenzung und zum anderen gemeinsame Aktivitäten. Dem dritten Komplex, dem der Symbole und Gegenstände, widmen sich die folgenden Abschnitte. Die Diskurse kreisen vor allem um die individuelle und gemeinschaftliche Identität der Gesprächspartner, die sie nicht voneinander trennen können. Es zeigt sich, dass die Aussagen über die individuelle Identität, wie „Ich kenne mich“ (vgl. Zitat 53 SEBASTIAN GANEM), nichts anderes sind als ein Verweis auf ein kollektives Wir. Das Ich wird in Bezug auf den abstrakten Anderen als „man“ konstruiert, wie in „Man isst Kibbeh“ oder „Man isst im Libanon das Gleiche“ (Zitat 53 SEBASTIAN GANEM). Zitat 53: „Ich für meinen Teil fühle, dass ich mich kenne. Wenigstens weiß ich, dass man in meinem Haus Kibbeh isst oder Kichererbsen, und ich weiß, dass man im Libanon das Gleiche isst und dass meine Alten [kollegialer Ausdruck für Eltern] die Gewohnheiten der Familie aufrechterhielten, die typischen Tischgewohnheiten und diese Sachen, nicht wahr? Das heißt, ich fühle, dass das gut ist, dass ich einen kulturellen Rückhalt habe in dem … du hast mich bis jetzt noch nicht besucht, aber selbst die Dekoration, die meine Mama hat, hatten bereits meine Großmutter und meine Onkel und Tanten in ihren Häusern.“ (SEBASTIAN GANEM)

Aus diesem Zitat werden zwei Diskurslinien der Gesprächspartner deutlich, die häufig miteinander in Verbindung auftreten: (1) Der Familiendiskurs und (2) der Diskurs um Traditionen (Zitat 53 SEBASTIAN GANEM; vgl. ELÍAS GATTAR; JUAN SALIBA; PATRICIO ABDALA; SILVANA RUFAIL). Die Familie bietet Rückhalt in schwierigen Situationen (Zitat 53 SEBASTIAN GANEM; Zitat 27 ALBERTO JUNIOR BESTANI) und über die Aufrechterhaltung der „Traditionen“ stellt der Gesprächspartner eine Verbindung mit seinen Vorfahren und Familienmitgliedern her (Zitat 53 SEBASTIAN GANEM). Er ordnet sich in seinen familiären, aber auch in den argentinischen Kontext ein und schafft sich seinen Platz in diesem Gefü-

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ge. Dieses Sich-Einordnen in den soziokulturellen Kontext scheint eine Stütze („kultureller Rückhalt“; Zitat 53 SEBASTIAN GANEM) zu sein, da in diesem Akt Orientierung, Erwartungssicherheit und Handlungsanweisungen enthalten sind. Die Gesprächspartner kennen die häuslichen Gepflogenheiten der Mahlzeiten, wissen, was Dabke ist und wie ihre Vorfahren lebten. Sie haben die Handlungen verinnerlicht, die sie als libanesischstämmig ausweisen. Dabei erfüllen sie, bewusst oder unbewusst, die Erwartungen, die daran geknüpft sind (vgl. SEBASTIAN GANEM; PATRICIO ABDALA; SILVANA RUFAIL; JUAN SALIBA). Eine Ausnahme bildet Elías Gattar, in dessen Familie keine libanesischen „Traditionen“ gepflegt wurden und der sein Wissen in der JUCAL Buenos Aires und der Familie seines Freundes Juan Saliba erworben hat. Er ist in der vierten Generation vonseiten seines Vaters libanesischstämmig, der sich laut Elías aber nicht mit seiner libanesischen Herkunft identifiziert (vgl. ELÍAS GATTAR). Über das Wissen um die Traditionen in ihrem familiären Kontext und in Verbindung mit der Herkunft wird Gemeinsamkeit hergestellt. Gleichzeitig werden Menschen anderer Herkunft ausgeschlossen und als different angesehen (Zitat 54 JUAN SALIBA; Zitate 55 und 56 SEBASTIAN GANEM). Zitat 54: „Und außerdem bedeutet es [das Interesse an den Traditionen], Gewohnheiten mit der Mutter zu teilen. Du hast mehr Dinge gemeinsam.“ (JUAN SALIBA) Zitat 55: „Für mich bedeutet es [Nachkomme von Libanesen zu sein], in dem Moment, in dem ich spreche, wenn jemand anwesend ist, der kein Libanese ist, bedeutet es einen Grad des Unterschiedes in einem Punkt. Das soll sich jetzt nicht böse anhören. Ich weiß nicht, wie viele Nachkommen von Italienern, Deutschen, Österreichern, Spaniern so fühlen oder sich mit unvorstellbarer Intensität danach sehnen, in das Herkunftsland ihrer Großeltern zu gehen.“ (SEBASTIAN GANEM) Zitat 56: „Um zur Frage zurückzukommen: Wie bemerkt man … und die Gewohnheiten? Sie bringen dich dazu … die Gewohnheiten bringen dich dazu, das Gleiche zu tun, das Gleiche miteinander zu teilen. Ich weiß jetzt schon, was einem Libanesen gefallen kann und wie ich es anstelle, damit es ihm gefällt.“ (SEBASTIAN GANEM)

Auch hier zeigt sich, dass die Familienmitglieder und Vorfahren in den Diskursen der Mitglieder der Sphäre JUCAL stets präsent sind, trotz ihrer physischen Abwesenheit (Zitat 54 JUAN SALIBA; Zitat 56 SEBASTIAN GANEM). Sie sind sogar für die Sphäre konstitutiv, indem sie den Mitgliedern einen Grund für ihre Teilnahme geben. Das Außen wird in den Diskursen in die innere Logik der Sphäre transformiert. Die ausgewählten Zitate geben einen Hinweis darauf, dass die

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Vorfahren und Familien auch über Bedeutungen, die „traditionellen“ Objekten (zum Beispiel arabische Schatullen) beigemessen werden, und ritualisierte Handlungen (zum Beispiel Dabketanzen) symbolisch in die Sphäre integriert werden (vgl. SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; SILVANA RUFAIL; PATRICIO ABDALA). Die Diskurse um gemeinsame Charaktereigenschaften, wie Fleiß, Professionalität, Geschmack (Zitat 56 SEBASTIAN GANEM; vgl. ELÍAS GATTAR; SILVANA RUFAIL; JUAN SALIBA), Gastfreundlichkeit (Zitat 57 SILVANA RUFAIL; vgl. JUAN SALIBA), Loyalität gegenüber der Herkunft und der Familie (Zitat 57 SILVANA RUFAIL; vgl. JUAN SALIBA; SEBASTIAN GANEM; PATRICIO ABDALA; ELÍAS GATTAR), sind verbindende Elemente innerhalb der libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens. Gleichzeitig impliziert dies wiederum die Trennung von anderen Bevölkerungsteilen Argentiniens. Zitat 57: „Zum Beispiel, wir loben uns immer, dass wir sehr gastfreundlich sind. Du kannst zum Beispiel, wenn wir uns treffen, oft hören: ‚Baiti baitak‘ – ‚Mein Haus ist dein Haus.‘ Immer … zum Beispiel, ich bin von der JUCAL Buenos Aires und gehe in eine andere Provinz, dann weiß ich, dass ich eine Unterkunft habe, im Haus von irgendeinem der JUCAL. Ich weiß, dass ich für seine Eltern nur eine Weitere im Haus bin. Und das ist bei uns allen so. Wir haben dieses ... sehr ... ein Gefühl für Gastfreundschaft. Es kommt daher. Ein anderer Typ von Werten, na ja, sind die Liebe zum Essen, zu den Tänzen, für die Traditionen, Dinge, die uns unsere Großeltern erzählten.“ (SILVANA RUFAIL)

Bei der Bestimmung der individuellen und gemeinschaftlichen Identität ist auch der Nationalstaat eine wichtige Referenzgröße. Die Gesprächspartner betonen hierbei ihre Zugehörigkeit zur Republik Argentinien. Argentinien ist der nationale Rahmen, in dem sie und ihre Familie sich entwickelten, Freunde haben und in dem sie sich wie im eigenen Viertel (Zitat 58 JUAN SALIBA) auskennen. Es ist ihr „Vaterland“ und verbindet sie mit der gesamten argentinischen Bevölkerung (Zitat 58 JUAN SALIBA; Zitat 59 SEBASTIAN GANEM; Zitat 60 SILVANA RUFAIL; Zitat 61 PATRICIO ABDALA). Zitat 58: „Mit Argentinien? Mein Land, mein Haus, mein Viertel, die Schule, meine Freunde. Mein ganzes Leben ist hier.“ (JUAN SALIBA) Zitat 59: „Offensichtlich ist da die ganze argentinische Seite. Ich verleugne diese überhaupt nicht. Ich bin Argentinier. Ich bin kein Libanese. Ich bin Nachfahre von Libanesen.“ (SEBASTIAN GANEM)

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Zitat 60: „Mein Vaterland ist Argentinien.“ (SILVANA RUFAIL) Zitat 61: „Ich glaube, dass wir, die in Argentinien leben, am besten Ort überhaupt wohnen.“ (PATRICIO ABDALA)

Sie trennen sich hierdurch vom Libanon ab, den sie als etwas „Entferntes“ (Zitat 62 SILVANA RUFAIL) wahrnehmen. Der Libanon wird als das Unbekannte und das Andere bezeichnet. Zitat 62: „Aber den Libanon fühle ich als etwas Entferntes. Sagen wir, ich habe ihn nicht präsent …“ (SILVANA RUFAIL)

Gleichzeitig beanspruchen die Mitglieder der JUCAL für sich eine tiefe Zuneigung und ein Zugehörigkeitsgefühl zum Libanon. Diese Zugehörigkeit legitimieren sie durch die eigene Familiengeschichte und sie erzählen begeistert von den kulturellen Errungenschaften des Libanons, seiner landschaftlichen Schönheit und seinen freundlichen und mutigen Bewohnern (Zitat 63 JUAN SALIBA; Zitat 64 SEBASTIAN GANEM; Zitat 65 SILVANA RUFAIL; Zitat 66 PATRICIO ABDALA). Wie im Fall der Diskurse über Familie und Vorfahren wird in diesen Diskursen der Libanon als abstraktes fernes Land mit unbekannter Bevölkerung über Mythenbildung und Familienrhetorik in die Nähe geholt und in das Sphäreninnere eingebettet (Zitat 64 SEBASTIAN GANEM; Zitat 65 SILVANA RUFAIL; Zitat 66 PATRICIO ABDALA). Die vielen Kriege in diesem Land lassen die Gesprächspartner mit der dortigen Bevölkerung mitfühlen. Sie stellen trotz ihrer Zugehörigkeit zu Argentinien und ihrer Abgrenzung vom Libanon Gemeinsamkeiten mit der dortigen Bevölkerung her und sprechen von „wir Libanesen“. Zitat 63: „Wir sind der unabhängige Libanon, freie Körperschaft.“ (JUAN SALIBA) Zitat 64: „In Wirklichkeit ... ich als Vorsitzender [der JUCAL Buenos Aires] nehme mir als ein zentrales Ziel vor, ein bisschen Klarheit zu schaffen, zu informieren, dass wir Libanesen keine Terroristen sind, dass sie uns, den Libanon, nicht mit dem Bild des Terrorismus assoziieren sollen.“ (SEBASTIAN GANEM) Zitat 65: „Schöne Landschaften und gebildete Leute. Ich weiß nicht, ich habe dieses Bild, dass man im Libanon viel studiert, eine niedrige Quote an Analphabeten. Ich denke an fähige Leute. Ich denke an wichtige Modedesigner, die Libanesen sind. [...] Ich sehe ihn [den Libanon] als einen Ort, der vor allem kosmopolitisch ist und im Mittleren Osten liegt. Das ist das Bild, das ich habe.“ (SILVANA RUFAIL)

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Zitat 66: „Mich erfüllt es mit Stolz, zu wissen, dass ein so kleines Land, in dem so viel Durcheinander herrschte, so viele Schwierigkeiten herrschten, dass es sich immer wieder erhoben hat und sich … das heißt, nach dem Krieg, und es war schlimm, ist es aufgestanden und hat weitergemacht. Und darüber hinaus zeigen sie diese Sachen im Fernsehen, und ich glaube, es ist … deshalb versuchen sie, in Frieden zu leben. Ja, trotz all dieser Konflikte, die sie haben. Wenn du solche Sachen siehst, erfüllen sie dich mit Stolz. Aber ich weiß nicht, ich fühle mit meinen Großeltern und Urgroßeltern, die sicherlich viel stärker als ich mit dem Libanon mitgefühlt haben. Aber ja, es ist eine Ehre, Nachfahre von Libanesen zu sein.“ (PATRICIO ABDALA)

Dadurch stellen sie Unterschiede zur argentinischen Bevölkerung her. Dieses scheinbar paradoxe Hin und Her der Zugehörigkeit, der Nichtzugehörigkeit ist der Sowohl-als-auch-Logik ihrer Identität geschuldet. Sie stellen in gewissen Punkten Gemeinsamkeiten und Unterschiede her, das Eigene und das Fremde werden im wechselseitigen Bezug zueinander konstituiert und ständig neu definiert (vgl. SEBASTIAN GANEM; SILVANA RUFAIL; JUAN SALIBA; PATRICIO ABDALA; ELÍAS GATTAR). Die Mitglieder der JUCAL fühlen sich als libanesischstämmige Argentinier, wodurch sie Distanz zu beiden nationalen Kategorien herstellen und gleichzeitig Gemeinsamkeit. Sie konstruieren sich als die dritte Kategorie zwischen diesen beiden. Aufgrund ihrer Einwanderungsgeschichte und der beschriebenen Diskurse um Familie und Traditionen reklamieren sie für sich eine eigenständige Position im ethnischen Gefüge Argentiniens (Zitat 67 PATRICIO ABDALA; Zitat 68 JUAN SALIBA)66. Zitat 67: „Ja, das heißt, ich bin Nachfahre … Nachfahre von Libanesen. In gewissem Maße, na ja, ich mache etwas für den Libanon, aber ich glaube, es gibt andere, die es viel mehr fühlen als ich.“ (PATRICIO ABDALA) Zitat 68: „Ich bin vor allem Argentinier. Hier fühle ich mich als Argentinier, und wenn ich in den Libanon gehe, fühle ich mich auch mehr als Argentinier denn als Libanese. Und Nachfahre von Libanesen zu sein ist etwas, das schwer zu erklären ist. Ich kenne keine andere Gemeinschaft, die wie die libanesische ist. Ich kenne keine. Der Zusammenhalt, der da ist, und die Liebe, die für den Libanon eingesetzt wird, und was die Libanesen, die außerhalb des Libanons leben, für den Libanon tun, ist unglaublich.“ (JUAN SALIBA)

66 Vgl. ähnliche Aussagen von Silvana Rufail; Elías Gattar; Sebastian Ganem.

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Jedoch stellen die interviewten Jugendlichen auch Unterschiede zur anderen libanesischstämmigen Personen in Argentinien her, die nicht aktiv auf die Herkunft ihrer Vorfahren verweisen. Sie bezeichnen sich dabei als die Aktiven und sehen sich als die Hüter libanesischer Traditionen. Zitat 69: „Ja, es ist jedes Mal ein bisschen schwerer … die Wahrheit ist, dass es viele libanesische Leute gibt und man versucht sie zu überzeugen: ‚Komm vorbei!‘, und trotzdem kommen sie nicht. Zum Friseur gehen zu müssen ist wichtiger. Es ist verständlich, es ist zu respektieren. Ihnen gefallen der Ort oder die Personen nicht. Die Fanatiker, Verrückten, wir sind in der JUCAL, und die anderen sind es nicht.“ (JUAN SALIBA)

Die JUCAL Buenos Aires ist in mehreren Bereichen aktiv. In den wöchentlichen internen Sitzungen planen die Sphärenmitglieder die sozialen Veranstaltungen und stimmten diese mit den Organisationszielen, das heißt der Verbreitung und Erhaltung der libanesischen Kultur in Argentinien und der Unterstützung der Souveränität des libanesischen Staates, ab. Hierbei verinnerlichen sie die Diskurse der Organisation um den Libanon und dessen kulturelle und politische Stellung in der nationalstaatlich gegliederten Welt (vgl. JUAN SALIBA; GEORGES MOUSSA; teilnehmende Beobachtung). Auch die sozialen Hilfsaktionen besprechen die Mitglieder der Sphäre bei dieser Gelegenheit. Ein Beispiel hierfür ist das Engagement für eine bedürftige Schule armer Kinder im Chaco, im Norden Argentiniens. Die JUCAL Buenos Aires ist ein Partner dieser Schule und unterstützt sie finanziell, aber auch durch Kleiderspenden. Im Gegenzug versuchen die Sphärenmitglieder, durch Vorträge über den Libanon bei den Schulbesuchen den Schülern die libanesische Kultur näherzubringen (teilnehmende Beobachtung; vgl. SEBASTIAN GANEM; SILVANA RUFAIL). Die JUCAL organisiert öffentliche Informationsveranstaltungen über den Libanon und die libanesische Gemeinschaft in Argentinien. Beispielsweise beteiligt sie sich mit einem Stand an der Feria de las Colectividades von Buenos Aires (Messe der ethnischen Gemeinden), wobei sie in Dialog mit Gemeinschaften anderer ethnischen Herkunft in Argentinien tritt. Sie organisiert politische Vorträge im Club Libanés, die für alle Interessierten offenstehen (vgl. SEBASTIAN GANEM; SILVANA RUFAIL), sowie Feste, auf denen vor allem Argentinier mit libanesischen und arabischen Wurzeln vertreten sind. Offen sind diese Veranstaltungen jedoch für alle Menschen. Ein Beispiel hierfür ist das Festival Libanés (das Libanesische Festival), das einmal jährlich stattfindet. Im Jahre 2010 wurde es zum vierten Mal ausgerichtet. Das Programm besteht zum Großteil aus musikalischen Beiträgen sowie Tanzeinlagen libanesischer und libanesischstämmiger Künstler und soll die libanesische Kultur in Argentinien bekannt machen (vgl. SEBASTIAN GANEM; ELÍAS

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GATTAR; GEORGE MOUSSA; SILVANA RUFAIL; teilnehmende Beobachtung; JUCAL BUENOS AIRES o. J.). Bei der Vorbereitung erhält die JUCAL organisatorische und finanzielle Hilfe von Organisationen der libanesischen Gemeinschaft, wie dem Club Libanés, dem Hospital Sirio Libanés und der Libanesischen Botschaft, aber auch von privaten Organisationen, wie Simes & Guiffre, in der Ricardo Simes Seniorpartner ist, und der Anwaltskanzlei Pablo Yaryura, die von der libanesischstämmigen Familie Yaryura geleitet wird. Andererseits werden die Sphärenmitglieder auch von Organisationen wie Turkish Airlines unterstützt, die nur wenig mit der libanesischen Gemeinschaft in Argentinien verbindet. Dieses Engagement lässt vermuten, dass bei diesem großangelegten Event die institutionellen und persönlichen Verbindungen innerhalb der helfenden Organisationen gefestigt werden (vgl. JUCAL BUENOS AIRES o. J.). Das Festival Libanés erzeugt ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Mitgliedern der JUCAL, da sie gemeinsam durch die anstrengende Vorbereitungszeit gehen. Die gemeinsamen Erfahrungen, Streitigkeiten und der gemeinsame Erfolg geben ihnen ein Gefühl der persönlichen Reife, die sie durch diese kollektive Aktivität erreichen (Zitat 70 ELÍAS GATTAR). Zitat 70: „Ja, ja, das heißt, um das Festival [Festival Libanés] zu organisieren, das wir machen, dort tritt weder irgendein Typ auf noch ein Typ, der es nicht kann, niemals. Das heißt, es gibt viel, was wir nicht wissen, aber es gibt jemand anderes, der es weiß, aber wir sind alle sehr professionell in dem Moment, wenn wir Verantwortung übernehmen müssen, und das hat mir die Jugendgruppe gegeben.“ (ELÍAS GATTAR)

Die gemeinsamen Aktivitäten stärken somit das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Teilnehmern der JUCAL Buenos Aires und sie sind eine Basis ihrer Freundschaft und ihres Engagements für die abstrakte libanesische Gemeinschaft. Die Aktivitäten leisten einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des gegenseitigen Vertrauens, da die Mitglieder sich durch gemeinsames soziales Handeln kennenlernen und Routinen aufbauen. Sie übernehmen Verantwortung für die anderen Mitglieder und die Außendarstellung der Sphäre. Ein weiteres Beispiel hierfür ist der jährlich stattfindende Congreso National JUCAL (Nationaler Kongress der JUCAL), bei dem sich alle Regionalgruppen der JUCAL Argentiniens treffen. Die Mitglieder stellen den Kongress als wichtiges Ereignis dar, das ihrem Zusammensein in der JUCAL Buenos Aires und ihrem Verbund als nationale JUCAL Sinn verleiht. Die gemeinsamen Erlebnisse auf diesen Kongressen

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verstärken die Sphären der libanesischen Jugend und bringen sie einander näher (Zitat 71 PATRICIO ABDALA)67. Zitat 71: „Und im Sommer danach gingen wir hin [in die JUCAL Buenos Aires], und sie sagten uns [ihm und seinem Bruder]: ‚Hey, wir gehen zum Kongress in Tucumán68.‘ Und ich sehe das wie einen Startpunkt, weil wir vor dem Kongress manchmal hingingen und manchmal nicht. Manche kamen ab und zu und andere gar nicht. Und seit dem Kongress in Tucumán und danach kamen alle regelmäßiger. Wir waren alle fröhlich. Und nach dem Festival [Festival Libanés] – wir organisierten ein Festival letztes Jahr – waren wir noch motivierter und seitdem sind wir alle noch motivierter. Ich wenigstens komme zu fast allen unseren Treffen.“ (PATRICIO ABDALA)

In diesem Abschnitt wurde deutlich, dass die Sphären als Lebenskontexte zu verstehen sind, die in verschiedenen Situationen bestehen und mit der Auflösung von Treffen nicht enden. Die Identifizierung von Personen mit Kontexten der ethnischen Sphäre ist Ausdruck emotionaler Bindungen der Sphärenmitglieder untereinander sowie an gemeinsame Ziele, Wertn und Gewohnheiten. Die Sphärenmitglieder sind auch während ihrer Abwesenheit weiterhin präsent, da die mit der Sphäre verbundenen Aktivitäten, ihre zirkulierenden Diskurse und Gebrauchsgegenstände als Identifizierungsmarker auch abwesende Mitglieder miteinbeziehen. Selbst außerhalb der Sphäre stehende Personen und unbekannte komplexe Objekte, wie das Herkunftsland der Vorfahren, werden symbolisch und diskursiv in die Sphäre eingebettet. Die Vertrautheit der Sphäre „JUCAL Buenos Aires“ gründet dabei weder ausschließlich auf dem faktischen libanesischen Migrationshintergrund noch auf Verwandtschaft, wie die Fallbeispiele von Maya und Georges Moussa verdeutlichen. Der Zusammenhalt entsteht durch Vertrauen, das durch das alltägliche Zusammensein und gemeinsame Durchleben von Ereignissen erzeugt wird. Es genügen einige Elemente der Gemeinsamkeit, gepaart mit Engagement und persönlichem Kontakt, um an Sphären teilzuhaben. In der Sphäre „JUCAL Buenos Aires“ sind ähnliche Diskurse und Praktiken erkennbar wie in der ASCAL und mehr noch wie in der JUCAL Tucumán. Die bisher beschriebenen Sphären scheinen daher zueinander in ethnischer Nachbarschaft zu liegen. Durch ihre Nachbarschaft und die Identifikation ihrer Mitglieder mit anderen Sphären besitzen ihre Aktivitäten soziale Auswirkungen auf das Zusammenleben auch außerhalb ihrer Sphären.

67 Vgl. ähnliche Aussagen von Silvana Rufail; Juan Saliba. 68 Der nationale Kongress der JUCAL fand 2007 in San Miguel de Tucumán statt.

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Die Beschreibung des Kongresses als einschneidendes Erlebnis für die Mitglieder der JUCAL (Zitat 71 PATRICIO ABDALA) gibt einen Hinweis auf einen Zusammenhalt der lokalen JUCAL. Es ist daher zu vermuten, dass auf den Kongressen das Prinzip Nachbarschaft und Prozesse der Ausweitung von Vertrautheit zu beobachten sind. Daher werden im Folgenden die Beobachtungen wiedergegeben und interpretiert, die der Autor 2008 auf dem XI. Nationalen Kongress in Rosario gemacht hat. Die Ausweitung von Sphären auf dem Nationalen Kongress der Juventud de la Unión Cultural Argentino Libanesa Der Congreso Nacional JUCAL findet jährlich statt, wobei sich die lokalen Zweigstellen der JUCAL Argentinien in der Ausrichtung der Veranstaltung abwechseln. Der XI. Kongress, an dem ca. 160 Personen teilnahmen, fand im Jahre 2008 in der Sociedad Libanesa de Rosario69 statt. Unter den Teilnehmern befanden sich vor allem die Mitglieder der lokalen Jugendgruppen Argentiniens, aber auch Gäste von Jugendgruppen aus Venezuela, Uruguay und Chile. Des Weiteren waren die damaligen Führungspersönlichkeiten der UCAL Argentinien, wie Maron Kuri und Antonio Arida, die Vereinsführung der Sociedad Libanesa de Rosario sowie der libanesische Botschafter Hicham Hamdan Hamdan und seine Frau, bei den offiziellen Teilen der Veranstaltung anwesend. Der Kongress stand unter dem Motto „Vivir el Líbano en Rosario“ („Den Libanon in Rosario leben“). Mit diesem Leitthema drückte die Jugendgruppe JUCAL Rosario ihren Wunsch aus, symbolische Beziehungen zum Herkunftsland ihrer Ahnen aufrechtzuerhalten und neu zu knüpfen. Außerdem nahmen sie damit Bezug auf die gemeinschaftliche Verbundenheit aller Jugendgruppen, deren Ankerpunkt sie in ihrer gemeinsamen Herkunft im Libanon sehen (teilnehmende Beobachtung). Der Kongress ersteckte sich über drei Tage, vom 16. bis 18. August 2008. Am ersten Tag fand von 10:30 bis 12:00 Uhr die Eröffnungsfeier auf dem Platz vor dem Monumento a la Bandera in Rosario statt. Zunächst wurden die argentinische und die libanesische Flagge festlich eingetragen. Daran schlossen die Begrüßungsreden des libanesischen Botschafters und des Vertreters der nationalen JUCAL an (teilnehmende Beobachtung). Dieses Vorgehen symbolisierte das Zugehörigkeitsgefühl der Anwesenden zu beiden Staaten: Libanon und Argenti-

69 Die JUCAL Rosario hat ihren Sitz in dem Gebäude der Sociedad Libanesa de Rosario und benutzt deren Räumlichkeiten für ihre Aktivitäten (teilnehmende Beobachtung; JUCAL ROSARIO o. J.).

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nien. Anschließend wurde die libanesische Flagge gehisst (vgl. Abb. 27) und dabei die libanesische Nationalhymne gesungen. Abbildung 27: Juan Saliba, Vorsitzender der JUCAL Argentinien (2. von links), hisst die libanesische Flagge zusammen mit dem libanesischen Botschafter Hicham Hamdan Hamdan (ganz links), 16.08.2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Der Text für die libanesische Nationalhymne wurde den Mitgliedern der JUCAL-Zweigstellen als Originaltext mit spanischer Übersetzung und in Lautschrift zur Verfügung gestellt (teilnehmende Beobachtung). Da der überwiegende Teil der libanesischstämmigen Argentinier kein Arabisch spricht, sangen sie den Text, wie es ihnen die Lautschrift vorgab (nicht aufgezeichnete Gespräche mit JUAN SALIBA und ELÍAS GATTAR). Danach ging es zum gemeinsamen Mittagessen in das Hotel Majestic, das für die Teilnehmer reserviert war. Um 14:30 Uhr begannen Vorträge über den Libanon, die Geschichte der Libanesen in Argentinien und ihrer Migration in verschiedene Provinzen Argentiniens. Es wurden Arbeitsgruppen gebildet, die jeweils zwischen acht und neun Personen umfassten. Die Besetzung der Arbeitsgruppen ergab sich aus den Aufgaben der Teilnehmer in ihrer lokalen JUCAL-Gruppe. In den lokalen JUCAL-Gruppen sind jeweils zwei bis drei Personen für verschiedene Bereiche zuständig, wie zum Beispiel für soziale Hilfe, kulturelle Veranstaltungen, arabischen Tanz und libanesisches Essen. Die lokalen Vertreter fanden sich in den nach Arbeitsbereichen gegliederten Gruppen ein, stellten ihre Aktivitäten vor und versuchten, gemeinsame Projekte zu entwerfen und zu koordinieren. In diesem Teil der Konferenz wurden somit die lokalen Sphären aufgebrochen und die verschiedenen

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Arbeitsbereiche miteinander in Einklang gebracht. Hierbei tauschten die Mitglieder der verschiedenen Sphären ihre Meinungen aus und glichen sie aneinander an (Zitat 72 CECILIA MADE; teilnehmende Beobachtung). Gleichzeitig trafen sich die Vorsitzenden aller lokalen JUCAL-Gruppen mit dem nationalen Rat und besprachen die politischen Verhältnisse im Libanon und ihre Auswirkungen auf die libanesischstämmigen Argentinier. Dabei informierten sich die Vertreter der einzelnen Gruppen über die Entwicklungen in den lokalen Gruppen70. Am Abend fand ein formelles Essen mit Programm statt, an dem auch die Vertreter der Sociedad Libanesa de Rosario, der libanesische Botschafter mit seiner Frau und die Vertreter der UCAL Argentinien teilnahmen. Das Essen bestand aus „traditionellen“ Gerichten aus dem Libanon, wie Kibbeh und Labneh etc., und argentinisch-libanesische Folkloregruppen führten Dabke auf (vgl. Abb. 28). Abbildung 28: Dabke der argentinisch-libanesischen Folkloregruppe Firqat Al Arz, 16.08.2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Nach dem Frühstück begann der zweite Tag mit einer gemeinsamen Tour durch Rosario. Auf dem Programm standen touristische Sehenswürdigkeiten und die Teilnehmer wurden mit dem Bus zu einem Sportclub71 am Rande der Stadt ge70 Die genauen Absprachen sind dem Autor nicht bekannt, da er an diesen Besprechungen nicht teilnehmen durfte. Inoffizielle Gespräche mit Juan Saliba und Sebastian Ganem ergaben diese vagen Aussagen. 71 Dieser Sportclub gehört nicht zur Sociedad Libanesa de Rosario und die Verbindung zwischen den beiden ist dem Autor nicht bekannt.

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bracht. Dort gab es ein gemeinsames Mittagessen, gefolgt von einer Periode der Gruppenarbeit nach dem Schema des Vortages. Nach der Gruppenarbeit blieb Zeit für gemeinsame sportliche Aktivitäten und gemeinsame Rate- und Aktionsspiele, wie „Bailando por un Cedro“72 („Tanzen für eine Zeder“). Abbildung 29: Gemeinsamer Dabke zum Abschluss des Kongresses am 18.08.08 als Ausdruck der erweiterten Sphäre. Libanesischstämmige Argentinier verschiedener JUCAL-Gruppen tanzen gemeinsam

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Dabei bildeten sich Paare, die anschließend improvisierend zur Musik ihrer Wahl tanzten. Der Rest klatschte Beifall und feuerte die Tänzer an. Nach einem gemeinsamen informellen Abendessen begann eine Party der Jugendlichen mit Party- und Clubmusik. Bei diesen Aktivitäten waren die Vertreter der UCAL und der Botschafter nicht mehr anwesend. Am dritten Tag wurde in der Sociedad Libanesa de Rosario ein Resümee der Gruppenarbeiten gezogen und einzelne lokale Sphären stellten ihre Arbeiten vor. Ein Teil der Anwesenden tanzte ein letztes Mal zusammen Dabke (vgl. Abb. 29) und die Teilnehmer verabschiedeten sich voneinander (teilnehmende Beobachtung; informelle Gespräche mit JUAN 72 Dieser Name leitet sich von der zu dieser Zeit in Argentinien beliebten Sendung „Bailando por un Sueño“ („Tanzen für einen Traum“) ab. Hierbei tanzte eine Prominente/ein Prominenter zusammen mit einem Profitänzer/einer Profitänzerin. Als Preis verwirklichte der Sender ein Hilfsprojekt, das die Profitänzerin bzw. der Profitänzer des Siegerpaares zuvor festgelegt hatte.

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SALIBA; SEBASTIAN GANEM; SULEIMAN, ein muslimischer Argentinier libanesischer Herkunft aus Córdoba). Aufgrund ihrer besonderen Atmosphäre und Stimmung hinterließen die zweieinhalb Tage des Zusammenlebens auf dem Kongress einen bleibenden Eindruck auf die Teilnehmer. Sie beschrieben die Atmosphäre als fröhlich und spektakulär. In diesem Zusammenleben wurde der Libanon, das Land der Herkunft ihrer Ahnen, verehrt. Dies kam in den symbolischen Handlungen, wie dem gemeinsamen Essen von als typisch libanesisch angesehenen Speisen und dem kollektiven Erfreuen an traditionellen Tänzen und traditioneller Musik zum Ausdruck. Die Herkunft aus dem Libanon und das Wissen um die als libanesisch erachteten Praktiken und Routinen, das gemeinsame Voneinander-Lernen sowie das gemeinsame Durchleben dieser zweieinhalb Tage wurden zum verbindenden Faktor für die Teilnehmer (Zitat 72 CECILIA MADE). Es wurden Gemeinsamkeiten hergestellt, die ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugten. Dies verdeutlichen die folgenden Aussagen von Cecilia Made (Zitat 72) und Juan Saliba (Zitat 73) aus Gesprächen über den Kongress des Jahres 2007 in Tucumán. Dieser Kongress hatte einen sehr ähnlichen Ablauf wie der vorgestellte Kongress im Jahre 200873. Zitat 72: „Vom Kongress … das Ambiente, glaube ich, das während des Kongresses herrschte, war mehr als spektakulär. Sehr gut organisiert. Während des Kongresses wurde erzählt, es gab Gespräche, Konferenzen über die Region, die Kultur. Danach gibt es Gruppen, die sich in verschiedene … thematisch, jede widmet sich einem Thema, wie zum Beispiel ‚Das arabische Essen‘, ‚Das libanesische Essen‘ oder ‚Der libanesische Tanz‘, und sie stellen es vor und tanzen und kochen. Es sind drei Tage des Zusammenlebens, die wirklich unvergesslich sind. In diesen Tagen gibt es einen Tag, an dem es ein arabisches Abendessen gibt, typische Gerichte, typische Tänze und, na ja, am letzten Tag wird der Kongress abgeschlossen mit den Ergebnissen und Schlussfolgerungen der Aktivitäten, die gemacht wurden. Was kann ich dir mehr erzählen? Ach ja, es ist gut, weil wir uns zusammentun, wir jungen Leute der gleichen Gemeinschaft, wir kennen uns, wir machen uns zu Freunden, und nebenbei lernen wir etwas. Ich glaube, dass jeder … das heißt, wir alle haben ein bisschen vom Gleichen, das wir erzählen können.“ (CECILIA MADE) Zitat 73: „Während der Kongresse sagen sie: ‚Es sind zwei, drei Tage, an denen wir im Libanon sind.‘ Wir sind nicht in Argentinien, weil sich der ganze Tag um den Libanon dreht, Libanon, Libanon. Gespräche über den Libanon, man singt über den Libanon. Al73 Ähnliche Aussagen werden auch von Silvana Rufail, Patricio Abdala, Elías Gattar, Sebastian Ganem und Alberto Junior Bestani gemacht.

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les! Unter Libanesen oder Personen libanesischer Herkunft fühlt man sich ... wie sie sagen, es sind zwei, drei Tage im Libanon, mehr als in Argentinien.“ (JUAN SALIBA)

Für viele ist der Kongress Motivation, um sich stärker für die Herkunft der Vorfahren zu interessieren, so zum Beispiel für Patricio Abdala (Zitat 71) und Silvana Rufail (vgl. SILVANA RUFAIL). Der Zusammenhalt wird gestärkt, und eine Begeisterung für die Gemeinschaft entsteht, wie folgendes Zitat nahelegt: Zitat 74: „Den Kongress wirst du erleben. Die Situation des Kongresses … viele von denen [von den acht Mitgliedern der JUCAL, die während des Gesprächs an unserem Tisch saßen] traten kurz vor einem Kongress ein und sie wurden fanatischer als ich, weil du die ganze Zeit das durchlebst, wie von einer Idee oder so etwas umgeben.“ (SEBASTIAN GANEM)

Während des Kongresses weiteten sich die Sphären der Freundschaft aus, die bereits zuvor bestanden. In bestimmten Situationen, wie beim gemeinsamen Singen, Tanzen (vgl. Abb. 29), Essen und bei den Diskussionen, der Gruppenarbeit (vgl. Abb. 30) und während der Eröffnung, entstanden situativ neue Sphären, die die alten Sphärengrenzen verschwimmen ließen. Die Kongressteilnehmer fühlten sich als eine Einheit und über ihre gemeinsamen Interessen und Lebensgeschichten miteinander verbunden (Zitat 75 PATRICIO ABDALA; Zitat 76 CECILIA MADE). Zitat 75: „Gesetzt den Fall … was passierte auf dem ersten Kongress [er meint den Kongress in Tucumán 2007]. Anfangs ging es mir wie ... ich hatte keine Lust, dahin zu gehen, da ich nicht wusste, was es ist. So ging es vielen. Zuerst beginnst du mit den anderen Nachfahren von Libanesen Kontakt zu knüpfen, die aus dem ganzen Land kommen. Du wirst dir bewusst, dass es stimmt. Du fühlst dich wie zu Hause, es ist gemütlich. Ich verbrachte eine sehr schöne Zeit. Es ist sogar mehr, ich kehrte diesen Sommer nach Tucumán zurück und besuchte die Leute von dort, da sie mich dort wirklich sehr gut behandelten. [...] Auch wenn du dorthin gehst, werden sie dich gut behandeln. Sie sind wie alle Libanesen, sie geben dir alles zu essen. Sie werden dich hierhin und dorthin bringen, ohne dich um eine Gegenleistung zu bitten.“ (PATRICIO ABDALA) Zitat 76: „Ja, ich ging zum Kongress in Buenos Aires 2005. Von da an … der war auch gut, weil die Integration mit den jungen Leuten des Kongresses sehr gut ist. Darüber hinaus, wie ich dir bereits sagte, hat jeder etwas zu sagen, ein Stück, das einem selbst erzählt wurde, und das ist sehr interessant. Es bleiben freundschaftliche Beziehungen zurück und

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gute Schwingungen zwischen den Personen, von allem, von allem ein bisschen. Es ist also gut.“ (CECILIA MADE)

In den Gruppenarbeiten (vgl. Abb. 30) lernten sich Unbekannte kennen, und damit vermischten sich deren Meinungen und Diskurse, die aufeinander abgestimmt und voneinander übernommen wurden. Sind sich die Personen sympathisch, können neue Sphären entstehen, die den Kongress überdauern (Zitate 72 und 76 CECILIA MADE; Zitat 75 PATRICIO ABDALA). Abbildung 30: Verschiedene Arbeitsgruppen sitzen beisammen. Gemeinsames Wissen wird geschaffen, Diskurse werden angeglichen, 17.08.2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Es wurde ein gemeinsames Wissen über die Ziele und Diskurse der jeweils anderen Sphäre und Gruppe geschaffen. Die Anwesenden thematisierten nicht ihre Differenzen bzw. sahen darüber hinweg. Andererseits entstanden gemeinsame Erfahrungen, wie die Erlebnisse während der informellen Party und beim „Bailando por un Cedro“, die fortan als Erzählungen in den verschiedenen Sphären zirkulieren können. Sie können zu Anknüpfungspunkten werden, über die die Beteiligten bei einem Wiedersehen sprechen (Zitat 75 PATRICIO ABDALA). Es ergaben sich gemeinsame Projekte, wie auf dem Nationalen Kongress 2007 in Tucumán. In dem Projekt begannen die Mitglieder aller JUCAL-Gruppen mit dem Sammeln von Flaschendeckeln, die anschließend in der Plastikannahmestel-

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le zu Geld gemacht wurden. Das Geld spendeten sie an hilfsbedürftige Schulen in Argentinien (teilnehmende Beobachtung74). Aus den bisher interpretierten Beobachtungen und Aussagen zum Nationalen Kongress lassen sich folgende Schlüsse in Bezug auf die Veränderungen der Sphären durch das Event ziehen: Es bilden sich neue Sphären, die den Kongress überdauern können (Zitat 75 PATRICIO ABDALA; Zitat 76 CECILIA MADE). Andere lösen sich auf, ausgeweitete Sphären schrumpfen wieder nach der gemeinsamen Aktion oder nach dem Kongress bzw. zerfallen in mehrere neue oder nun veränderte alte Sphären. Gemeinsame Zeichen, wie die libanesische und argentinische Flagge (vgl. Abb. 31) oder die Zeder („Bailando por un Cedro“), zeigen die Nachbarschaft der verschiedenen Sphären an. Abbildung 31: Das Eintragen der libanesischen und argentinischen Flagge bei der Eröffnungsfeier, 16.08.2008

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Während des Kongresses wird die Nachbarschaft durch die situative Ausweitung der Vertrautheit der Sphären gestärkt und enger. Durch die Ausweitung75 der 74 Das Projekt wurde während der regelmäßigen Sitzungen der JUCAL Buenos Aires mehrmals besprochen. 75 Benachbarte ethnische Sphären können sich auch voneinander entfernen. Bei Streitigkeiten wächst die affektive Entfernung, Nachbarschaften entfernen sich voneinander oder lösen sich auf. So entfernte sich die Sphäre der UCAL Tucumán aufgrund von Streitigkeiten von Sphären, die in der Asociación Libanesa ihren Bezugspunkt besitzen (vgl. VICTORIA BESTANI; PEDRO BUJAZHA).

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Vertrautheit und den damit einhergehenden Austausch von Wissen und Informationen werden Diskurse und Zeichen, ob bewusst oder unbewusst, von Sphäre zu Sphäre weitergegeben. Nach dem Zerfall der ausgeweiteten Sphäre in neue und veränderte alte Sphären ähneln sich die zuvor verbundenen Sphären und befinden sich nun in einer größeren affektiven Nähe als zuvor. Fortan zirkulieren die gemeinsamen Diskurse, Zeichen und Symbole, nicht ohne sich fortwährend zu verändern, in den verschiedenen Sphären und bieten Anknüpfungspunkte bei künftigen Treffen. Die Anknüpfungspunkte stehen dabei hauptsächlich mit der Herkunft aus dem Libanon in Verbindung, sodass sich das Nachbarschaftsgefüge durch den Kontext der gemeinsamen Herkunft ergibt. Andere Kontexte, wie Schulfreundschaften, werden andere Nachbarschaftskomplexe hervorbringen. Die Sitzordnung bei dem formellen Abendessen (vgl. Abb. 32) sowie Beobachtungen während der Eröffnungsfeier und der Party zeigen auch, dass die ethnische Sphäre der Bezugspunkt für die einzelne Person bleibt (teilnehmende Beobachtung). Die Sitzordnung der Teilnehmer wurde nach Provinzen vorgenommen, und auch während der Party bildeten sich häufig Gruppen von Leuten, die in ihrem lokalen Kontext eine ethnische Sphäre darstellten (teilnehmende Beobachtung). Während des Kongresses lösten sich die Grenzen daher nicht vollständig auf, sondern verschoben sich situativ. Eine Sphäre, die alle Personen umfasst, entstand während des Kongresses nicht.

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Abbildung 32: Nach Provinzen aufgeteilte Sitzordnung während des formellen Abendessens am 16.08.2008. Im Vordergrund die JUCAL Córdoba, in der zweiten Reihe die UCAL (links) und die JUCAL Tucumán (rechts)

Foto: TOBIAS BOOS 2008

Außerhalb der Sphäre Nachdem bisher dargestellt wurde, welche Wirkmechanismen die Sphäre charakterisieren, stellt sich nun die Frage, was sich außerhalb der einzelnen Sphären befindet. Eine mögliche Antwort ist, dass sich außerhalb der Sphären andere Sphären befinden. Bei genauerer Betrachtung lässt sich auf diese Frage jedoch keine eindeutige Antwort geben. Wie im theoretischen Kapitel bereits erläutert wurde, konstituieren sich Innen und Außen wechselseitig und verweisen jeweils auf das andere. Es existiert auch kein objektiver Indikator, der den Grad der Vertrautheit der Personen messen und so Grenzen eindeutig zuweisen könnte. Es gilt daher die Frage umzuformulieren. Das Verhältnis von Innen und Außen muss in den Fokus rücken und es muss nach der Innen-Außen-Spannung der Sphäre gefragt werden. Durch Diskurse und symbolische Handlungen werden die Innen-AußenGrenzen transzendiert. Die Familienmitglieder und Vorfahren sind demnach in den Diskursen der Mitglieder der Sphäre JUCAL stets präsent, trotz ihrer physi-

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schen Abwesenheit. Sie sind sogar für die Sphäre konstitutiv, indem sie den Mitgliedern einen Grund für ihre Teilnahme geben (Zitat 54 JUAN SALIBA; Zitat 56 SEBASTIAN GANEM). Das Außen wird in den Diskursen in die innere Logik der Sphäre transformiert. Die bisherigen Ausführungen geben einen Hinweis darauf, dass die Vorfahren und Familien auch über Bedeutungen von Flaggen, der Zeder, aber auch von Gerüchen (Zitat 36 AMALIA SFEIR) und ritualisierten Handlungen, zum Beispiel beim Tanzen von Dabke (vgl. Zitat 37 CECILIA MADE), symbolisch in das Innere der Sphäre gebracht werden (vgl. SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; SILVANA RUFAIL; PATRICIO ABDALA). Ein weiteres Beispiel des Nach-innen-Bringens-des-Außen sind Diskurse über Familie, Vorfahren und Herkunftsland. In diesen Diskursen werden der Libanon als abstraktes fernes Land und die Libanesen als unbekannte Bevölkerung in die Nähe gebracht und in das Innere eingebettet (vgl. JUAN SALIBA; SEBASTIAN GANEM; SILVANA RUFAIL). Die Grenzziehung zwischen den Sphären, Nachbarschaften und Gemeinschaften ist dynamisch, das heißt sie kann auf verschiedenen Argumenten beruhen, die je nach Kontext anders eingesetzt werden. Es werden auf der einen Seite Grenzen zu Personen anderer Herkunft postuliert. Andererseits wird die Gemeinsamkeit mit diesem zuvor ausgeschlossenen Personenkreis hergestellt, um sich von anderen Gemeinschaften abzugrenzen. So grenzt Roberto Saba (Zitat 77) beispielsweise die syrisch-libanesische Gemeinschaft von anderen ethnischen Gemeinschaften in Argentinien ab. Im darauffolgenden Satz jedoch gibt er an, dass „seine“ Gemeinschaft in der argentinischen Gemeinschaft, die er zuvor als ethnisch gegliederte Gemeinschaft darstellt, integriert ist. Er verwendet für die libanesische und die argentinische Gemeinschaft einfach das Wort „Gemeinschaft“, ohne genau zu spezifizieren, was er damit meint. Die Bedeutung ergibt sich lediglich aus dem Kontext der Aussagen76 (Zitat 77 ROBERTO SABA). Danach grenzt er die christlichen arabischen Einwanderer von den arabischen Einwanderern anderen Glaubens ab und weist auf seine Teilnahme an Gruppen und Sphären hin, die sich außerhalb der Sphären mit ethnischem Kontext befinden. Zitat 77: „Es ist etwas geblieben … etwas, das sehr wichtig ist in unserer Gemeinschaft, um die Differenz zu anderen Gemeinschaften zu verstehen, die es in Argentinien gibt. Es ist so, dass viele der Gemeinschaften, die es in Argentinien gibt, inklusive der deutschen, der jüdischen und anderer, der armenischen zum Beispiel, sind sehr geschlossen. Die unsrige war immer schon sehr offen und hat sich stark in die [argentinische] Gemeinschaft integriert. Deshalb ergab sich nie die Notwendigkeit außerhalb der Clubs, nicht wahr, oder 76 Vgl. ähnliche Aussagen von Elías Gattar und Cecilia Made.

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der Schulen, und dass deine Kinder unbedingt der arabischen Kultur folgen müssen, weil wir alle in die argentinische Gemeinschaft integriert sind, und andererseits – und ich glaube, auch das ist wichtig – da die meisten Araber, die hierherkamen, Christen waren, gibt es eine Ähnlichkeit … oder besser gesagt, es ist praktisch die gleiche Kirche wie die römisch-katholische Kirche, die in Argentinien existiert. Und daher hatten wir nicht die Notwendigkeit, in unsere Kirche zu gehen, sondern wir gehen in die Kirchen unserer Viertel, wie es sein muss, nicht wahr. In meinem speziellen Fall, ich gehe in die Kirche der Schule unserer Kinder, die zehn Blöcke von unserem Haus entfernt ist. Ich gehe nicht in die San Jorge [...].“ (ROBERTO SABA)

Zwischen den einzelnen Sphären, die einen Nachbarschaftskomplex bilden, werden Grenzen gezogen. Es werden Grenzen zwischen den einzelnen Zweigstellen der JUCAL Argentinien gezogen. Auch zwischen den lokalen Stellen der UCAL sowie zwischen den Sphären, die den gleichen Verein besuchen, bestehen Sphärengrenzen. Des Weiteren können Personen die Grenzen situativ erschaffen und transzendieren, da sie stets in mehreren Sphären verortet sind77 (Zitat 78 SILVANA RUFAIL). Zitat 78: „Ja, ich habe auch andere Zentren, weil sie [die JUCAL Buenos Aires] ist nicht mein einziges Interaktionszentrum. Ich habe auch andere Gruppen [...]. Es sind Freunde aus meiner Kindheit oder eine Gruppe von Freunden aus der weiterführenden Schule, und ich musste doch versuchen, diese Verbindungen weiter aufrechtzuerhalten, nicht wahr.“ (SILVANA RUFAIL)

Es wird deutlich, dass durch das Herstellen von Gemeinsamkeiten auch immer Differenzen zu einem spezifischen, aber situativ anderen Freundeskreis geschaffen werden. Das Innen und das Außen sind in einem ständigen Dialog und verändern einander. Sphären sind somit situative soziale Ordnungen, die aufgrund ihrer thematischen Komplexität anschlussfähig an eine Vielzahl anderer Sphären sind. Die Nachbarschaften werden wie die Sphären selbst durch ihre inhaltlichen Kontexte bestimmt, auf denen die Vertrautheit der Mitglieder beruht. Zwar sind diese Kontexte nicht vom Alltag getrennt, sind also bis zu einem gewissen Grad polykontextual, allerdings werden im Fall ethnischer Nachbarschaften Differenzen und Gemeinsamkeiten vor allem über die Diskurse, Praktiken und Symbole hergestellt, die sich auf die Familie, die Vorfahren, die Herkunft, die weltweite Gemeinschaft und den aktuellen Wohnort beziehen. Diese Kontexte weisen die77 Vgl. ähnliche Aussagen von Ricardo Simes; Hugo Caram; Orlando di Marco; Elita Saleme und Juan Saliba.

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se Sphären als ethnische Sphären aus, die sich von beruflichen, rein familiären oder anderen Sphären der Freundschaft unterscheiden. Diese anderen Kontexte sind jedoch nicht vollständig aus der Sphäre ausgeschlossen, sondern sie reichen auch in diese hinein (Zitat 78 SILVANA RUFAIL; Zitat 79 RICARDO SIMES)78. Der Hauptkontext der Sphäre sind jedoch die ethnischen Beziehungen und Bezüge. Zitat 79: „Als er [sein Sohn] in die erste Klasse kam – seine Schule ist eine sehr schöne argentinische Schule, die zwischen den Straßen Riobamba und Santa Fe liegt und eine sehr gute Schule hier in Argentinien ist – hatte sie [die Schule] ihre eigene Sportanlage. Und natürlich wollte er dorthin gehen, wo seine Schulfreunde waren. Also gingen wir nicht mehr in den Club Los Cedros.“ (RICARDO SIMES)

Beim Aufeinanderabstimmen der Diskurse, Symbole und Artefakte der Sphären, wie im Fall des Nationalen Kongresses der JUCAL beschrieben, verändern sich die Sphären stets. Die Sphäre besitzt durch ihre Nachbarschaften und die Identifikation ihrer Mitglieder mit ihr soziale Auswirkungen auf das Zusammenleben auch außerhalb der einzelnen Sphäre. Sie ist immer auch von anderen Sphären umgeben, wobei die Sphären sich wechselseitig beeinflussen. Nur ein Bruchteil der syrisch- und libanesischstämmigen Argentinier ist in den libanesischen und/oder syrischen Nachbarschaften und ethnischen Sphären organisiert, da sich nur wenige aktiv für den Fortbestand der ethnischen Sphären und Vereine einsetzen (Zitat 69 JUAN SALIBA). Diese passiven Personen sind ausgeschlossen oder werden nur in wenigen Situationen von den Mitgliedern ethnischer Sphären in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Ricardo Simes weist in Zitat 79 auch darauf hin, dass Personen aus Sphären ausscheiden können. Die meisten ethnischen Sphären überdauern die personellen Veränderungen, auch wenn sie dadurch selbst Veränderungen unterliegen. Ein anderes Beispiel hierfür ist die JUCAL Buenos Aires, in der eine hohe Fluktuation herrscht und deren Sphäre sich durch die personellen Veränderungen wandelt (Zitat 45 SEBASTIAN GANEM). Andere Sphären lösen sich auf bzw. sind am Rande ihrer Auflösung, wie im Fall der UCAL Tucumán (Zitat 69 CHRISTINA CARAM; vgl. VICTORIA BESTANI).

78 Vgl. ähnliche Aussagen von Orlando di Marco; Julio Affif; Elita Saleme; Sebastian Ganem; Hugo Caram; Patricio Abdala und José Gandur.

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Zitat 80: „Wir haben aufgehört, uns [die Mitglieder der UCAL Tucumán] zu treffen, aufgrund persönlicher Motive, nicht wahr, wegen des Berufs, wegen des Studiums, wegen der Gesundheit und, na gut. Das sind Dinge, die wir nicht mehr gemacht haben, aber jetzt beraumen wir wieder Zusammenkünfte an.“ (CHRISTINA CARAM)

Ein weiteres Beispiel hierfür sind die Sphären der JUCAL, die sich in den 1990er Jahren größtenteils auflösten und erst in den Jahren nach 2000 mit anderem Personal neu entstanden (vgl. SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA). Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass nicht alle Interaktionen in Sphären stattfinden. So bilden der Bäcker und sein Kunde, sofern sie nicht miteinander bekannt und befreundet sind, oder kurze Begegnungen und Unterhaltungen im Bus noch keine Sphäre, obwohl hier bestimmte Kontexte vorhanden sind bzw. gebildet werden, die zum alltäglichen Leben gehören. Seinen Beruf würden die syrisch- und libanesischstämmigen Gesprächspartner nicht zum Anlass nehmen, den Bäcker zu sich einzuladen. Wenn sich jedoch herausstellt, dass er ein Landsmann ist, ändert sich die Situation und Vertrautheit stellt sich ein. Auch eine Schulklasse ist keine Sphäre, obwohl sich in ihr Sphären bilden können. In den letztgenannten Beispielen sind die Vertrautheit der Personen und das gegenseitige Vertrauen zu gering, um sie als Sphären zu bezeichnen. Es sind zwar gewisse gemeinsame Ziele und eine gewisse Erwartungssicherheit vorhanden, da sich die Interaktionen in routinierten Handlungen vollziehen jedoch fehlen die positive emotionale Bindung und das wechselseitige Vertrauen, kurz: die Freundschaft zueinander.

D IE

ETHNISCHEN V EREINE ALS O RTE DER V ERSCHRÄNKUNG VON ETHNISCHEN S PHÄREN UND DER B ILDUNG VON ETHNISCHER G EMEINSCHAFT Die beschriebenen libanesisch-argentinischen Sphären sind allesamt an die materiellen und institutionellen Rahmenbedingungen eines ethnischen Vereins oder mehrerer Vereine gebunden. Die JUCAL Tucumán und Buenos Aires an die jeweilige Casa Libanesa von San Miguel de Tucumán und Buenos Aires sowie die ASCAL an die Casa Libanesa de Tucumán. Aber auch zu anderen Vereinen bestehen intensive Kontakte. Familien sind in verschiedene Vereine eingebunden, wie beispielsweise die Familie von Amira Juri de Budeguer, die in der FEARAB Tucumán, der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán und der Casa Libanesa Tucumán vertreten ist (vgl. AMIRA JURI DE BUDEGUER; CARLOS BUDEGUER). Die Familie Bestani ist in die UCAL Tucumán, JUCAL Tucumán,

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Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán und die Asociación Libanesa de Tucumán involviert (vgl. VICTORIA BESTANI; ALBERTO BESTANI; PATRICIA BESTANI; ALBERTO JUNIOR BESTANI). Sphären sind in verschiedene ethnische Vereine eingebettet und in den Vereinen sind unterschiedliche Sphären verortet. Bei den Prozessen der Ausweitung der Vertrautheit und der Bildung von Nachbarschaft bei Veranstaltungen in den ethnischen Vereinen verschränken sich die unterschiedlichen Sphären. Dadurch werden Gemeinsamkeiten hergestellt und emotionale Beziehungen zwischen den Mitgliedern verschiedener Sphären gebildet. Die Vereine werden durch ihre Bedeutung für die Mitglieder, die die Grenzen von Sphären überspannen, zu Knotenpunkten, in denen sich die Vergemeinschaftung vollzieht. Erste Anhaltspunkte, um die Bedeutung der Vereine für ihre Mitglieder darzustellen, sind Erzählungen der Gesprächspartner über ihren Eintritt in die ethnischen Vereine. Die Eintrittsgeschichten weisen auffällige Ähnlichkeiten auf. So berichten viele Personen, die im Alter von über 45 Jahren waren, dass sie in ihrer Kindheit mit ihren Eltern in die Vereine gingen. Als Jugendliche und junge Erwachsene entfernten sie sich vom Vereinsleben (vgl. ROBERTO SABA; RICARDO SIMES; JULIO AFFIF; ELITA SALEME; SALMA AUAD; ALFREDO RICHA; PEDRO BUJAZHA). Einige verloren den Kontakt (vgl. ALFREDO RICHA), andere hielten Verbindung, ohne sich zu engagieren (vgl. RICARDO SIMES; ROBERTO SABA). Im Alter von ca. 30 Jahren begannen sie in den Vereinen wieder aktiv zu werden (vgl. ROBERTO SABA; RICARDO SIMES; JULIO AFFIF; ELITA SALEME; SALMA AUAD; ALFREDO RICHA; PEDRO BUJAZHA). Die Gründe für ihr neu erstarktes Interesse sehen sie in dem Bedürfnis, ihre „Wurzeln“ zu finden (Zitat 81 ROBERTO SABA; Zitat 82 ALFREDO RICHA)79, und in einer für sie unerklärlichen emotionalen Bindung (Zitat 83 RICARDO SIMES)80. Zitat 81: „Gut, aber ja, es ist die Notwendigkeit vorhanden, zu den Wurzel zurückzukehren und mit den seinen weiterzuarbeiten. Ich glaube, ich bin hier in dem Club … in der Direktorenkommission seit annähernd 15 Jahren. Wenn ich zurückrechne, als ich 31, 30 Jahre alt war, trat ich in die Kommission der Direktoren ein.“ (ROBERTO SABA) Zitat 82: „Über viele Jahre hinweg, nachdem er [sein Vater] gestorben war, fand ich mich nicht mehr in diesem Haus [dem Club Libanés de Buenos Aires] ein. In diesem wichtigen Moment, in dem man fast das Anwesen verliert, es verkauft, in diesem Moment hatten sie mich ausfindig gemacht und mich zurückgeholt zu dem, was in mir immer Nostalgie aus79 Vgl. ähnliche Aussagen von Salma Auad; Elita Saleme; Pedro Bujazha. 80 Vgl. ähnliche Aussage von Alfredo Richa.

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löste, weil meine Kindheit eng mit meinem Vater verbunden ist, der sehr aktiv war und vonseiten der libanesischen Regierung einige Male aufgrund seiner Verdienste für das Vaterland geehrt wurde. All diese Dinge erfüllten mich mit Stolz und ich konnte das Angebot nicht ablehnen.“ (ALFREDO RICHA) Zitat 83: „Eh … das, was passiert ist. Es ist schwer zu begreifen, was die italienische oder die spanische Kultur ist, weil das hier die dominierenden Kulturen sind. Daher kann ich dir nicht sagen, dass ich spanischen oder italienischen Einfluss habe wegen meiner Mutter, weil ich den spanischen und italienischen Einfluss allein schon vom Laufen auf der Straße mitbekommen habe. Also ist es ein größerer Unterschied, das heißt, der Wesenszug der libanesischen Kultur markiert einen größeren Unterschied als andere. Eh … und generell, in Wirklichkeit ist es im Fall der dritten Generation so, dass es durch den Affekt weitergegeben wurde und nicht durch das Kulturelle. Das heißt, für mich, mehr als den kulturellen Wert, hatte es einen emotionalen Wert, wegen meinen Großeltern, weil … weil, sagen wir, ich spürte eine besondere Zuneigung zu den Großeltern väterlicherseits, weil ich mich repräsentiert fühlte – aber ich weiß nicht, ob das war, weil sie Libanesen waren. Weil, ja, weil Zuneigung nicht groß erklärbar ist. Vielleicht wegen dem Nachnamen. Ich weiß nicht, warum. Ja, natürlich hatte ich eine exzellente Beziehung zu meinen vier Großeltern und ich liebte sie alle. Nein, nein, nein, es gab keinen Unterschied in der Liebe, aber ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es gibt Dinge, die haben keine Erklärung. Und ich wiederhole, sie kommen in Wirklichkeit durch das Affektive.“ (RICARDO SIMES)

Diese Zitate zeigen, dass die Familiengeschichte und der persönliche Werdegang mit der Vereinsgeschichte in Verbindung stehen. Die Gesprächspartner verknüpfen die ethnischen Vereine mit Kindheitserinnerungen. Dabei werden die „Wurzeln“ der eigenen Vergangenheit in der Herkunft gesehen. Die Vereinsgeschichte als Boden, in dem die persönliche und familiäre Geschichte wurzelt Die Eintrittsgeschichten von Jugendlichen zeigen, dass neben der bereits genannten Suche nach den kulturellen Wurzeln (vgl. SEBASTIAN GANEM; JUAN SALIBA; JOSÉ GANDUR; ALBERTO JUNIOR BESTANI; PATRICIO ABDALA; SILVANA RUFAIL) auch die Familie und gemeinsame Aktivitäten Gründe für eine Mitgliedschaft sind. Einige der Mitglieder der JUCAL kamen auf Bitte ihrer schon aktiven Verwandten in die Vereine (vgl. SEBASTIAN GANEM; PATRICIO ABDALA; JOSÉ GANDUR). Die Geschichte der Vereine ist eng mit Familiengeschichten verbunden sowie mit den Erinnerungen an das Herkunftsland und den Einwanderungsgeschichten der Ahnen (Zitat 84 ROBERTO SABA; Zitat 85 SEBASTIAN

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GANEM; Zitat 86 ABDALA EDI; Zitat 88 HORACIO HADDAD). Die Vorfahren der Gesprächspartner waren in allen Fällen, außer im Fall von Elías Gattar, ebenfalls Mitglied libanesischer, syrischer oder syrisch-libanesischer Vereine. Das Wachhalten der Erinnerung an diese Personen ist das Ziel der Institutionen und entspricht den persönlichen Zielen der Mitglieder (Zitat 84 ROBERTO SABA)81. In ihren Aktivitäten wiederholen sie die Routinen der Vorfahren, füllen ähnliche Positionen in den Vereinen aus und inkorporieren so die Erinnerung an die Verstorbenen in ihr Leben. Ihr Engagement in den Vereinen stellt sie in die geschichtliche Reihe mit ihren Vorfahren und positioniert sie in der sozialen Ordnung, in die sie eingebettet leben (Zitat 85 SEBASTIAN GANEM)82. Sie umschreiben dies mit dem Bild der Wurzel, die sie nicht aktiv geformt, sondern von ihren Vorfahren erhalten haben. Diese „gegebenen Wurzeln“ fixieren sie an dem Ort in der Welt, in dem sie leben, und in den sozialen Ordnungen, in die sie eingebettet sind (Zitat 84 ROBERTO SABA). Die Vereine werden für die Gesprächspartner zu Ankerpunkten der individuellen und gemeinschaftlichen ethnischen Identität (Zitat 84 ROBERTO SABA; Zitat 85 SEBASTIAN GANEM; Zitat 86 ABDALA EDI; Zitat 87 JOSÉ GANDUR und ARIEL CAMPERO; Zitat 88 HORACIO HADDAD). Zitat 84: „Schau. Die fundamentale Mission, die wir haben – die, wie ich glaube, auch der Grund ist, warum ich hier bin –, ist es, die Wurzeln zu erhalten, etwas am Leben zu erhalten, das uns unsere Großeltern, unsere Eltern gaben. Und die Form, es am Leben zu erhalten, ist die Erhaltung – wenigstens innerhalb des Kontextes der Institution –, ist der Erhalt der Gewohnheiten. Egal ob die Gewohnheiten von der kulturellen Seite, von der Seite des Essens, das ebenfalls Teil der Kultur eines Volkes ist, von der religiösen Seite, weil … obwohl es keine alleinige bestimmte Religion gibt, hier gibt es drei oder vier Religionen, die es im Umfeld dieses Clubs [Club Sirio Libanés de Buenos Aires] gibt und die hier einen Ort des Treffens haben. Grundsätzlich ist es das Treffen mit seinen Leuten, das es ist, das … wenigstens, wenn du so alt bist wie ich, beginnst du dies sehr wertzuschätzen, nicht wahr. Es ist der Ort des Wiedertreffens mit den Verwandten, mit einem Teil deiner Geschichte.“ (ROBERTO SABA)

81 Vgl. ähnliche Aussagen von Sebastian Ganem; Alfredo Richa; Juan Saliba; Pedro Bujazha; Orlando di Marco; Horacio Haddad. 82 Vgl. ähnliche Aussagen von Yaohdat Brahím; Julio Affif; Roberto Saba; Miguel Sarquís; Horacio Haddad; Juan Saliba; Pedro Bujazha; Salma Auad; Gustavo Curi; Abdala Edi; Patricio Abdala.

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Zitat 85: „Es ist im Club [Club Libanés de Buenos Aires]. Ich werde es dir zeigen, das Foto meiner Mutter. Sie war im Club, als sich die Damengruppe bildete. Das wollen heute die jungen Frauen machen. Ich kenne sie, die Geschichte und wie sie sich wiederholt, sich das Gleiche wieder formt und diese Sachen.“ (SEBASTIAN GANEM)

In den Vereinshäusern wird die Geschichte der Vereine, die gleichzeitig Teil der Familiengeschichten ist, auch in Bildern dargestellt (Zitat 85 SEBASTIAN GANEM). Die Bilder halten auch Erinnerungen an Ereignisse, wie die Einweihung des Vereinsgebäudes, wach. Zudem befriedigen sie die Suche der Gesprächspartner nach ihren Wurzeln (vgl. Abb. 33–36). Auch die Erinnerung an ehemalige Mitglieder der Vereine und wichtige Ereignisse wird in den Vereinen mittels Bildern und Plaketten ausgestellt und somit für alle Mitglieder und Besucher zugänglich gemacht83. Die verstorbenen Verwandten sind auf diese Weise in den Vereinen anwesend und es wird eine Verbindung zu ihnen hergestellt. Die Vereine sind für die Mitglieder daher emotionale und spirituelle Orte, an denen sie ihrer Vorfahren gedenken und diese ehren (Zitat 86 ABDALA EDI; Zitat 87 JOSÉ GANDUR und ARIEL CAMPERO)84. Es sind das Gefühl der Nostalgie und das gemeinschaftliche Zelebrieren der Erinnerung, die die Vereine zu Orten der Zusammenkunft werden lassen (Zitat 86 ABDALA EDI; Zitat 87 JOSÉ GANDUR und ARIEL CAMPERO; Zitat 88 HORACIO HADDAD).

83 Bildergalerien von den ehemaligen Vorsitzenden, ehemaligen Mitgliedern und wichtigen Veranstaltungen sind auch in anderen sozialen und kulturellen Vereinen üblich, wie der Asociación Libanesa de San Isidro, der Sociedad Libanesa Católica de Socorros Mutuos Lanús oder der Fundación Los Cedros. Nur in wenigen Fällen wie im Club Sirio Libanés de Buenos Aires sind keine Bilder zu finden (Beobachtungen bei den Besuchen der Vereine). 84 Vgl. ähnliche Aussagen von Miguel Sarquís; Elita Saleme; Amira Juri de Budeguer; Alfredo Richa; Silvana Rufail; Héctor Benjamín Mohammad.

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Abbildung 33: Fotos und Erinnerungsstücke im oberen Wartesaal des Club Libanés de Buenos Aires. Oben: Fotos ehemaliger Vorsitzender und von Veranstaltungen. Unten: Tafel mit Unterschriften der Gründungsmitglieder, die mit dem Kauf von Aktien den Kauf des Hauses ermöglichten

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

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Abbildung 34: Fotografien und Erinnerungsstücke im Sitzungssaal der Asociación Libanesa de Tucumán. Links: Sitzungssaal mit der argentinischen und libanesischen Flagge. An der Wand hängen die Bilder der ehemaligen Vorsitzenden und Mitglieder der Direktionskommission. Rechts oben: Bild der Kommission der Jahre 1938 bis 1940, das auf dem linken Foto an der Wand hängt. Rechts unten: Tafel der Unterschriften der Gründungsmitglieder von 1933, als die Asociación noch Sociedad El Bire hieß

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

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Abbildung 35: Erinnerungsplaketten und -fotografien in der Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán. Oben: Glückwunschplaketten verschiedener Organisationen zum 80. Jahrestag aus dem Jahre 2005, ausgestellt im Eingangsbereich. Unten: Fotos der ehemaligen Vorsitzenden der Sociedad

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

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Abbildung 36: Erinnerungsplaketten im Empfangssaal des Club Sirio Libanés de Buenos Aires, ehemals Club Homs bzw. Club Sirio. Links: Oben ist eine Plakette zur Erinnerung an den 50. Jahrestag des Club Sirio de Buenos Aires von 1988 zu sehen. Darunter eine Plakette zur Ehrung der Gründungsmitglieder des Club Homs. Rechts: Erinnerungsplakette an die Vorsitzenden des Club Homs bzw. Club Sirio von 1939 bis 1992

Fotos: TOBIAS BOOS 2008 Zitat 86: TOBIAS BOOS: „Warum möchten Sie, dass dieser Club [der Club Sirio Libanés de Buenos Aires] wieder stärker wird und diese Dinge?“ ABDALA EDI: „Ich möchte das, weil er offensichtlich Teil meines Innersten ist. Er ist Teil meiner Erinnerung. Er ist Teil des Lebens meiner Großeltern, des Lebens meiner Eltern. Eh …, das bringt viele Erinnerungen, viele Anekdoten, die Erinnerung an geliebte Menschen, die uns schon nicht mehr begleiten. Eh … das heißt, es ist stark, es ist stark.“ Zitat 87: JOSÉ GANDUR: „Eh ... ich fühle, ich weiß nicht. Was fühle ich, wenn ich in der Casa Libanesa [in Tucumán] oder in der [maronitischen] Kirche [in Tucumán] bin? Ich erinnere mich an meine Großeltern. Ich stelle mir meine Verwandten vor, die Verwandten, die man gehabt hat. Aber nicht mehr.“ ARIEL CAMPERO: „Nostalgie.“ JOSÉ GANDUR: „Ja. Nostalgie.“ ARIEL CAMPERO: „Für mich ist es Nostalgie. Die Kirche San Marón ist Nostalgie. Ich weiß nicht, warum.“ TOBIAS BOOS: „Wie fühlst du dich, wenn du dort hineingehst?“ JOSÉ GANDUR: „Nostalgie.“

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ARIEL CAMPERO: „Nostalgie. Ich trete in dieses Haus [die Casa Libanesa de Tucumán] ein, ich erinnere mich daran, als ich ein kleiner Junge war, ich kam und ging. Ich hatte Geburtstag, ich erinnere mich, mit all diesen Kindern von sieben, acht Jahren. Eine Freundin verband mit der Konnotation Libanon die Casa Libanesa, es war die Casa Libanesa. Im Erwachsenenalter mit 30 ist es schon ein spezielles Gefühl, das ist das gleiche Gefühl wie beim Betreten der Kirche, ich habe etwas Nostalgie verspürt. In die Kirche zu gehen ist erneut Nostalgie.“ JOSÉ GANDUR: „Nostalgie, Erinnerungen.“ ARIEL CAMPERO: „Es ist nicht die Nostalgie aufgrund dessen, was der Libanon ist, der Libanon als Land, sondern eine Nostalgie wegen Menschen, die nicht mehr da sind.“ JOSÉ GANDUR: „Ja, die Großeltern.“ ARIEL CAMPERO: „Menschen, die nicht da sind. Ich habe eine Definition, die konkreter ist: Es ist Nostalgie wegen Menschen, die schon nicht mehr da sind.“

Wie das Zitat 88 von Horacio Haddad zeigt, verweisen die Aussagen der Gesprächspartner über ihre Herkunft sowohl auf die Familienmitglieder als auch auf die Herkunftsländer und das Aufnahmeland der Vorfahren.85 Zitat 88: „Die Institutionen sind vor allem dafür da, die Gewohnheiten, die Traditionen, die Erinnerung an die Vorfahren zu erhalten. Es ist vielleicht ein Phänomen, dass die Einwanderer ihren Kindern die Liebe zum neuen Land, in dem sie sich niederließen, beibrachten. Die Liebe zum neuen Vaterland und die Liebe zum Land beizubringen, in dem sie geboren wurden. Aber dies geschah, ohne sie von dem Land abzukoppeln, aus dem sie kamen, und es schafft ein Phänomen, das das folgende ist: Die Kinder, vielleicht mehr die Enkel, haben die Tradition bewahrt, die zweite … die dritte Generation hat ein Interesse daran, die Herkunft zu suchen, die Herkunft wieder zu studieren. [...] Es gibt ein generelles Interesse daran, die Herkunft der Vorfahren kennenzulernen, die nach Argentinien kamen.“ (HORACIO HADDAD)

Diese Verbindung zu Nationalstaaten, die in der heutigen Zeit allem Anschein nach ein starker Identifikationsmarker für Individuen und Kollektive ist, ist ebenfalls bildlich und symbolisch in der Ausstattung der Vereine zu finden. Landkarten vermitteln Wissen über das Herkunftsland der Ahnen (vgl. Abb. 37)86.

85 Vgl. ähnliche Aussagen bei Roberto Saba; Juan Saliba; Patricio Abdala; Amalia Sfeir. 86 Weitere Landkarten des Libanons sind in der Asociación Libanesa de San Isidro, der Sociedad Libanesa Católica de Socorros Mutuos Lanús vorhanden.

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Abbildung 37: Landkarten als Symbol für und Erinnerung an die Herkunft. Links: Eingangsbereich des Club Libanés de Buenos Aires. Rechts: Eingangsbereich der Asociación Libanesa de Tucumán

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Flaggen sind Symbole der Zugehörigkeit und zeigen das Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder zu den Staaten Argentinien und Libanon bzw. Argentinien, Libanon und Syrien (vgl. Abb. 34; Abb. 38). In allen aufgesuchten Vereinen sind die Flaggen vorhanden87.

87 Auch in der Asociación Libanesa de San Isidro, der Sociedad Libanesa Católica de Socorros Mutuos Lanús, dem Club Honor y Patria, dem Hospital Sirio Libanés und der Fundación Los Cedros. Die Räumlichkeiten des Sportclubs Los Cedros konnten nicht besucht werden, sondern nur die Sportanlagen, daher ist es nicht möglich, über diesen Verein eine Aussage zu machen. Da die Asociación Cultural y Culto Pan Islámica sich nicht über die nationalstaatliche Herkunft definiert, sind hier keine Flaggen zu finden.

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Abbildung 38: Flaggen als Symbole der Herkunft. Oben: Club Libanés de Buenos Aires. Unten: Club Sirio Libanés de Buenos Aires (Club Sirio)

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Die Bilder von den Herkunftsländern, Gegenstände, die aus diesen Ländern stammen, sowie Symbole wie die Zeder erhalten die Erinnerung an die Vorfahren (vgl. Abb. 39). Auffällig ist, dass ähnliche Gegenstände ausgestellt werden. Die Bilder vom Libanon in den Vereinen zeigen ähnliche bzw. die gleichen Motive88.

88 Das Motiv der Bekaa-Ebene in Abbildung 39 ist in der Asociación Libanesa de Tucumán und in der Asociación Libanesa de San Isidro ausgestellt. Die Maria von

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Abbildung 39: Gegenstände und Bilder als Symbole und Erinnerung. a) Veranstaltungssalon des Club Sirio Libanés de Buenos Aires – Vitrine mit Schatullen und Gefäßen aus Syrien. b) Treppe in den 2. Stock des Club Libanés de Buenos Aires – Plakat mit Bildern von Sehenswürdigkeiten im Libanon. c) Flur der Asociación Libanesa de Tucumán – Bild eines Flusses in der BekaaEbene im Libanon. d–g) Darstellungen der Zeder in der Asociación Libanesa de San Isidro (d), der Fundación Los Cedros, kulturelle Zweigstelle (e) im Club Libanés de Buenos Aires (f) und in der Asociación Libanesa de Tucumán (g)

Fotos: TOBIAS BOOS 2008

Jounhie und die Tempelanlagen von Baalbek sind ebenfalls häufig in Vereinen libanesischstämmiger Argentinier anzutreffen (Beobachtungen aus den Besuchen der Vereine).

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Die Zederndarstellung ist in allen aufgesuchten libanesisch-argentinischen Vereinen vorhanden89, denn sie ist das prominenteste Symbol für den Libanon. Die Zeder ist ein Bestandteil der libanesischen Flagge und wurde in den Interviews häufig als Symbol des Libanons genannt (vgl. MIGUEL SARQUÍS; HORACIO HADDAD; ELITA SALEME; SALMA AUAD; ELENA ALBACA FARES; JOSÉ GANDUR; EMILIA CARAM; CHRISTINA CARAM; AMIRA JURI DE BUDEGUER). Wie aus dem Vorausgegangenen ersichtlich wird, kreisen die Aussagen der Gesprächspartner über ihre Herkunft um zwei Kernbereiche: die familiäre und die territoriale Herkunft. Beide Elemente sind miteinander verbunden. Das Wissen über diese beiden Elemente gibt den Gesprächspartnern Aufschluss über ihre Wurzeln. Durch die Erinnerungen und Aktivitäten, die mit den Vereinen verbunden sind, wird eine Atmosphäre der Nostalgie, Sehnsucht und auch der Freude geschaffen, die die Mitglieder an die Vereine bindet. Die Ausstattungselemente der Vereine sind gleichzeitig in verschiedene Sphären eingebettet. So benutzen die JUCAL Buenos Aires, die UCAL Buenos Aires, das Hospital Sirio Libanés und familiäre Sphären den Club Libanés de Buenos Aires als Treffpunkt, Büro und Veranstaltungssaal. Die Räumlichkeiten der Sociedad Sirio Libanesa werden von verschiedenen Sphären und von verschiedenen Organisationen benutzt, genauso wie die Asociación Libanesa de Tucumán und die Sociedad Sirio Libanesa de Tucumán. Die Mitglieder der Sphären nutzen somit die gleichen Symbole und wissen um deren Bedeutungen. Es werden Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten hergestellt, die die Sphären zu Nachbarschaften werden lassen. Auch wenn die hier dargestellten Beispiele noch keine Aussagen über alle sozialen Vereine libanesisch- und syrischstämmiger Argentinier zulassen, sind die Ähnlichkeiten des institutionellen und baulichen Aufbaus sowie der Ausstattungselemente (vgl. Abb. 33–39) auffällig. Die Gespräche und Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass die Vereine Ankerpunkte für ähnliche Symbole, ähnliche Diskurse, ähnliche Gegenstände, ja sogar für ähnliche Stimmungen und Gefühle (zum Beispiel Nostalgie) sind. Auf diese Weise werden die in den Vereinen eingebetteten ethnischen Sphären mit ähnlichen Bedeutungszusammenhängen zwischen Gegenständen, Bildern sowie Symbolen einerseits und dazu passenden Gefühlen, Erinnerungen, Geschichten sowie Diskursen andererseits versorgt. Die Sphären können aufgrund der Ähnlichkeiten die Bedeutungen in verschiedenen Vereinen entschlüsseln und sie in den Kontext des eigenen Vereins und der eigenen Sphäre setzen. Bedeutungsver89 Sie ist auch in der Asociación Libanesa de San Isidro und der Sociedad Libanesa Católica de Socorros Mutuos Lanús ausgestellt, die in Abbildung 39 nicht gezeigt werden.

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schiebungen, die bei der Interpretation der Gegenstände und Diskurse von Sphäre zu Sphäre und von Verein zu Verein entstehen, bewegen sich in einem für die Mitglieder der ethnischen Sphäre bekannten Rahmen und werden von ihnen sogar beim Besuch von zuvor unbekannten Vereinen verstanden (Zitat 89 JULIO AFFIF)90. Zitat 89: „Generell fühle ich mich in allen libanesischen Vereinen wie zu Hause. In der Misión Libanesa. In der Misión, ja. Zum Beispiel in der Asociación ... der Asociación in der Hauptstadt.“ (JULIO AFFIF91)

Ethnische Sphären, die in den Vereinen neu entstehen, sind dabei sofort in die schon bestehende ethnische Nachbarschaft eingebunden. In den Vereinen überschneiden sich somit die Bedeutungshorizonte der Sphären, Nachbarschaft entsteht und Vergemeinschaftung findet statt. Vereine als das Zuhause, das zwischen Argentinien, Syrien und dem Libanon liegt Zitat 89 von Julio Affif zeigt, dass der Verein zu einem Zuhause oder zweiten Zuhause für seine Mitglieder wird. Der Verein ist ein emotionales Element im Leben der Mitglieder der ethnischen Sphären und Gemeinschaften. Er bringt die Mitglieder in eine Gemeinschaft mit Gleichgesinnten (Zitat 84 ROBERTO SABA). Die Bekanntschaft der Mitglieder untereinander, die gemeinsamen Erlebnisse, die Erinnerungen an die familiäre und territoriale Herkunft, die mit anderen Menschen geteilt werden, werden zum verbindenden Faktor (Zitat 90 ROBERTO SABA; Zitat 91 ELÍAS GATTAR). Der Fall von Elías Gattar ist hier interessant, da seine Eltern nicht in Vereinen libanesischstämmiger Argentinier aktiv sind. In der affektiven Beziehung zu seinen Freunden bei der JUCAL sucht er dennoch seine Wurzeln, die er in der familiären Herkunft seiner Urgroßeltern im Libanon sieht (vgl. ELÍAS GATTAR). Die Mitglieder der ethnischen Vereine vertrauen sich gegenseitig, wissen um ihre familiäre Geschichte und wissen, was sie von den

90 Vgl. ähnliche Aussagen von Kamel Darbo; Elita Saleme; Silvana Rufail; Amalia Sfeir. 91 Julio Affif ist Vorsitzender der Asociación Libanesa de San Isidro, Provinz Buenos Aires, deren Sitz ca. 20 Kilometer vor Buenos Aires Stadt liegt. Die Misión Libanesa und der Club Libanesa, den er hier Asociación nennt, sind in der Innenstadt von Buenos Aires Stadt gelegen.

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anderen Mitgliedern erwarten können. Auch wenn nicht in jedem Fall Freundschaften entstehen, werden emotionale Bindungen aufgebaut. Dies sind die idealen Bedingungen, um Sphären zu bilden, die im Kontext von Herkunft stehen (Zitat 90 ROBERTO SABA; Zitat 91 ELÍAS GATTAR)92. Zitat 90: „Das heißt, alle wissen schon, wer Roberto Saba, wer seine Familie ist, wie sie sich verhalten haben, wie er sich verhält, und manchmal hat sich die Zuneigung übertragen auf – heute passiert mir das mit einigen Freunden, die ich hier in der Gemeinschaft habe –, es ist das Übertragen der Zuneigung, die unsere Großeltern für sich empfanden. Also, es ist nicht nur, dass wir schon viel zusammen erlebten, sondern einfach schon diese vererbte Zuneigung, die macht, dass du dich hier drinnen im Club heimelig fühlst, nicht wahr?“ (ROBERTO SABA) Zitat 91: „Uh, der Club Libanés [de Buenos Aires] hat eine lange Geschichte. Der Club Libanés hat mich wachsen sehen. Für mich ist es also so, als ob ich direkt nach Hause gehe. Ja, wenn ich in den Club eintrete, fühle ich mich so, als ob ich mein Haus betrete.“ (ELÍAS GATTAR)

Ihre territoriale Herkunft verorten die Gesprächspartner zwischen ihrem Lebensland, Argentinien, und dem Herkunftsland von Teilen ihrer Vorfahren. Die Personen, die in den Vereinen der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens tätig sind und außerdem Vorfahren aus Italien, Spanien und/oder anderen Ländern haben, berichten davon, sich trotz ihrer vielfältigen Herkunft mit dem Libanon zu identifizieren. Dies begründen sie mit ihrer besonderen Zuneigung zu ihren Großeltern, die aus dem Libanon stammten (Zitat 83 RICARDO SIMES; Zitat 92 ELÍAS GATTAR)93. Zitat 92: „Und außerdem habe ich lediglich von der Seite meines Vaters libanesisches Blut. Von der Seite meiner Mutter ist es spanisches und italienisches, wie beim Großteil der Argentinier. Das, aber für mich … ich heiße so wie mein Großvater. Ich liebe es. Ich bin Fanatiker. Ich liebe die Sprache, das heißt, mir gefällt die Musik. Ich höre die ganze Zeit libanesische Musik, Dabke, arabische Musik.“ (ELÍAS GATTAR) 92 Vgl. ähnliche Aussagen von Miguel Sarquís; Yaohdat Brahím; Julio Affif; Kamel Darbo; Juan Saliba; Roberto Ahuad; Abdala Edi; Gustavo Curi; Orlando di Marco; Pedro; Sebastian Ganem; Patricio Abdala; Amalia Sfeir; Ramona; Alfredo Richa; Salma Auad; Cecilia Made; Pedro Bujazha. 93 Vgl. ähnliche Aussagen von José Gandur; Alfredo Richa; Patricio Abdala; Amalia Sfeir.

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In den Vereinen werden, wie das Beispiel der Flaggen (vgl. Abb. 39) zeigt, Verbindungen zu Argentinien und den Herkunftsländern der Vorfahren geschaffen. Sie werden damit als zwischen den verschiedenen Ländern stehende Entitäten dargestellt, die sowohl das jetzige Lebensland Argentinien als auch die Länder der Ahnen repräsentieren (Zitat 93 JUAN SALIBA94; Zitat 94 CHRISTINA CARAM; Zitat 95 SEBASTIAN GANEM95). Zitat 93: „Ja, sie [die JUCAL Buenos Aires] kostet dich viel Zeit. Nachdem ich Vorsitzender der Zweigstelle Buenos Aires wurde, war es genug für mich. Es gefiel mir sehr und alles, aber ich ließ dort viel Zeit, viele Dinge. Auch eine Freundin habe ich verlassen. Wenn ich alle Faktoren bedenke, ist es das gewesen. Es hat mich viel Zeit gekostet und Probleme, ich hatte Probleme … wenn jemand sich gut engagieren möchte, voll, kostet es ihn viel Zeit, das ist richtig, aber es ist eine Passion. Unsereiner liebt es, ihm gefallen Argentinien und der Libanon, und er macht es.“ (JUAN SALIBA) Zitat 94: „Nein, es ist die Luft, die Luft, die Luft, die man atmet. Die Luft, die man atmet in diesem Innenhof, den das Haus [die Asociación Libanesa de Tucumán] hat, die Halle. Es ist die Luft, die diejenigen machten, die das Haus machten, die alle hinterließen, die die Großeltern hinterließen, die meine Großeltern hinterließen, die so viel machten. Nein, die Anstrengungen meiner Eltern. All das ist dort. Für mich ist sie ein Stück vom Libanon, den ich nicht kenne und den ich dort kennenlernen kann.“ (CHRISTINA CARAM) Zitat 95: „Der Umstand, dass sie [die Mitglieder des Club Libanés] uns die Türen öffnen, und der Umstand, dass er [der Club Libanés] ein Teil Argentiniens ist, dieses Stück Erde, das in der Junín [eine Straße in Buenos Aires] ist, ist ein Teil des Libanons. Ja, zweifellos. Ja, ja, der Club Libanés hat eine wichtige soziale Rolle.“ (SEBASTIAN GANEM)

Die Verortung der ethnischen Vereine und ethnischen Sphären zwischen den Ländern durch ihre Mitglieder zeigt sich ebenfalls in den Aktivitäten der Vereine. Einerseits versuchen die Mitglieder, die Traditionen aufrechtzuerhalten sowie die Erinnerung an ihre Vorfahren und deren Herkunftsländer wachzuhalten. Andererseits versuchen sie, die argentinische Bevölkerung in ihre Aktivitäten 94 Vgl. ähnliche Aussagen von Alfredo Richa; Roberto Ahuad; José Saleh; Horacio Haddad; Miguel Sarquís; Roberto Saba; Alberto Junior Bestani; Cecilia Made; José Gandur; Hugo Caram; Orlando di Marco. 95 Vgl. ähnliche Aussagen von Alfredo Richa; Victoria Bestani; Juan Saliba; Elías Gattar; Cecilia Made; Gustavo Curi; Amalia Sfeir; Ramona; Pedro Bujazha; Patricio Abdala; Elita Saleme; Orlando di Marco.

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einzubeziehen, zum Beispiel durch Hilfsprojekte oder öffentliche Veranstaltungen, in denen sie ihre Herkunft anderen Bevölkerungsteilen näherbringen. Häufig erwähnen die Gesprächspartner ihre Dankbarkeit gegenüber dem Aufnahmeland ihrer Vorfahren, in dem sie sich integriert fühlen (vgl. HORACIO HADDAD; RICARDO SIMES; ROBERTO SABA; ORLANDO DI MARCO; PEDRO BUJAZHA; JUAN SALIBA). In den Veranstaltungen treffen die verschiedenen Sphären, die auf Freundschaft beruhen, und auch die familiären Sphären aufeinander. Gemeinsame Aktivitäten auf den Veranstaltungen und Kommunikation in den Vereinen führen zu einer Verschränkung der Sphären. Dabei sind die Verschränkungen nicht auf Sphären der syrisch- und libanesischstämmigen Bevölkerung Argentiniens begrenzt, sondern schließen Sphären mit ein, die außerhalb dieser ethnischen Nachbarschaft liegen. Jedoch zeigt sich in der Rhetorik der Gesprächspartner, dass ihr Hauptkontext ein ethnischer ist. Die Verschränkung der einzelnen Sphären durch Ausweitung der Vertrautheit und Nachbarschaft vollzieht sich daher in Richtung einer ethnischen Gemeinschaft. Die Bildung einer ethnischen Gemeinschaft: Ausweitung der Vertrautheit und das Prinzip der Nachbarschaft In den geführten Gesprächen bejahte der Großteil der Interviewpartner die Frage, ob es eine libanesische, arabische, syrische oder syrisch-libanesische Gemeinschaft in Argentinien gäbe. Auch die Gesprächspartner, die diese Frage verneinten, sprachen danach immer wieder von der libanesischen oder arabischen Gemeinschaft in Argentinien (vgl. SALMA AUAD). Jedoch ist eine Fragmentierung dieser Gemeinschaft bemerkbar, die nach territorialen und gesellschaftlichen Bezugsrahmen in eine syrische, libanesische und arabische Gemeinschaft unterteilt werden kann. Weitere innere Trennlinien können das Alter (Beispiel JUCAL und UCAL), die Generation (vgl. ELÍAS GATTAR; JOSÉ GANDUR; ALBERTO JUNIOR BESTANI), die Familie (vgl. AMIRA JURI DE BUDEGUER und CARLOS BUDEGUER), die Vereinszugehörigkeit, das Geschlecht und die Religion (Zitat 77 ROBERTO SABA96) sein.97 Die folgenden Zitate zeigen, dass die Differenzen situativ über-

96 Weitere Aussagen, die die innere Differenzierung nach religiösen Gesichtspunkten belegen, sind bei Silvana Rufail; Ricardo Simes; Charbel Merhi; Héctor Benjamín Mohammad; Victoria Bestani; Alberto Junior Bestani und Julio Affif zu finden. 97 Sozioökonomische Unterschiede wurden in der Datenerhebung nicht erfasst. Nach Bestene (1992: 130) ist eine interne Fragmentierung nach sozioökonomischen Gesichtspunkten gegeben.

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wunden bzw. verschoben werden. Es ergeben sich Zugehörigkeiten je nach Kontext, was den Widerspruch einer Entweder-oder-Logik – entweder der arabischen oder der syrischen oder der libanesischen oder der argentinischen Gemeinschaft angehören zu müssen – in eine Sowohl-als-auch-Logik umwandelt. Dabei ist die arabische Gemeinschaft die übergeordnete Kategorie, zu der sich syrische und libanesischstämmige Argentinier zugehörig fühlen (Zitat 28 ALBERTO JUNIOR BESTANI; Zitat 96 RICARDO SIMES; Zitat 98 ORLANDO DI MARCO), auch wenn einige die Abstammung der Libanesen auf die Phönizier zurückführen und diese nicht als Araber auffassen (vgl. VICTORIA BESTANI)98. Andere Differenzen, wie Religion, Familie und Generation, treten in Argentinien in den Hintergrund, da die Befragten hier in einem ethnisch geordneten Einwanderungsland leben99. Nach außen ist ihre nationale oder ethnische Zugehörigkeit ihr kollektives Identifikationsmerkmal (Zitat 97 RICARDO SIMES; Zitat 99 ROBERTO SABA). Zitat 96: „Nun gut, ich glaube, dass die Libanesen im Speziellen und die Araber generell, die haben ihm [dem Argentinier] eine wichtige Charakteristik gegeben. Weißt du, dass es im Inneren Dörfer gibt, in Rioja zum Beispiel, in Catamarca, wo bis vor einigen Jahren die Akten der Gemeinden noch in Arabisch geschrieben wurden?“ (RICARDO SIMES) Zitat 97: „Hier ist unser Sein als Argentinier so. Einige sind Argentinier, die etwas mehr italienisch sind, andere sind mehr spanisch, andere … und wir sind mehr arabisch. Das ist die Charakteristik, aber dennoch hören wir nicht auf, Argentinier zu sein.“ (RICARDO SIMES) Zitat 98: „Schau. Hier in der Sociedad Sirio Libanesa [de Tucumán] diskriminieren wir niemanden. Wir leben perfekt zusammen, die Syrer und die Libanesen. Es ist sogar so, dass wir momentan Libanesen und Syrer gemeinsam im Vorstand sind [...].“ (ORLANDO DI MARCO)

Zitat 99: „Das heißt, hier schauen wir nie darauf, ob ein Mitglied Muslim ist oder ob das Mitglied Christ ist, ob er römisch-katholisch ist, ob ein Mitglied Jude ist, was auch immer er ist.“ (ROBERTO SABA) 98 Vgl. ähnliche Aussagen von Alberto Bestani; Patricia Bestani; Amira Juri de Budeguer; Roberto Saba. 99 Sprach der Interviewer die Gesprächspartner auf religiöse Differenzen in den ethnischen Vereinen an, betonten diese die religiöse Offenheit der Vereine (vgl. ALFREDO RICHA; MIGUEL SARQUÍS; PEDRO BUJAZHA; VICTORIA BESTANI; JOSÉ GANDUR; JUAN SALIBA; RICARDO SIMES).

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Diskurse um die Staaten Libanon, Syrien und Argentinien stehen auf der Ebene der Gemeinschaft in Kontinuität mit den Aussagen der dargestellten libanesischargentinischen Sphären. Auch auf der Ebene der Gemeinschaft sind die Darstellungen der Gesprächspartner bezüglich ihrer Herkunft mit dem Rückgriff auf Tradition und Familie verbunden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Herstellen von Gemeinsamkeiten auch immer Abgrenzung von anderen bedeutet. Beide Prozesse kehren sich in ihr Gegenteil um: Abgrenzung/Differenz verweist auf Gemeinsamkeit und Gemeinsamkeit verweist auf Abgrenzung/Differenz. Diese Innen-Außen-Spannung durchzieht alle Zitate. In den libanesisch-argentinischen Sphären wird die Verbindung zum Libanon von den Gesprächspartnern über die Familie (Zitat 21 ALBERTO JUNIOR BESTANI; Zitat 31 PATRICIO ABDALA) und ihr Wissen über dieses Land hergestellt (Zitat 65 SILVANA RUFAIL). Über ihre Vorfahren stellen sie sich in eine Kontinuität mit der libanesischen Bevölkerung im Libanon (Zitat 21 ALBERTO JUNIOR BESTANI). Diese Argumentationsweise beschränkt sich nicht auf die Mitglieder der dargestellten Sphären, sondern sie wird auch von anderen Gesprächspartnern verwendet100. Auch Syrien wird so erschlossen (Zitat 100 ROBERTO SABA)101. Zitat 100: „Mein Vater wurde in Syrien geboren. Väterlicherseits bin ich direkt, und meine Mutter wurde in Argentinien geboren, aber die Väter der beiden, das heißt, alle meine Großeltern, kamen aus Syrien.“ (ROBERTO SABA)

Auffällig ist, dass der territoriale Bezugsrahmen der Gesprächspartner national ist. Einige Gesprächspartner bauen jedoch eine emotionale Bindung zum Herkunftsort der Vorfahren auf, über die sie in den Geschichten über ein emotionales Wiedersehen mit zuvor unbekannten Verwandten und den emotional aufgeladenen Besuch des Herkunftsorts der Vorfahren berichten (Zitat 34 AMIRA JURI 102 DE BUDEGUER; Zitat 36 AMALIA SFEIR) . Fragt der Interviewer nach der Herkunft, wählen sie zur territorialen Identifikation jedoch den nationalen Bezug: Argentinien, Libanon und/oder Syrien. Der Herkunftsort wird nur auf die direkte Frage nach dem Geburtsort der Vorfahren genannt. Die Nation betrachten die

100 Vgl. Aussagen von Cecilia Made; Felipe Yaryura; Amira Juri de Budeguer; Amalia Sfeir; Horacio Haddad; Abdala Edi; Ramona; Antonio Arida; Salma Auad; José Gandur; Ariel Campero. 101 Vgl. ähnliche Aussagen von Yaohdat Brahím; Kamel Darbo; Samir Dayoub; Julio Mustafa. 102 Vgl. ähnliche Aussagen von Salma Auad; Roberto Saba; Juan Saliba.

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Gesprächspartner als einen quasi natürlichen Identifikationsmarker (Zitat 101 ELENA ALBACA FARES). Dabei verwenden sie die Kategorien der Länder Syrien, Libanon und Argentinien und die gesellschaftlichen Kategorien syrisch, libanesisch, argentinisch zur wechselseitigen Abgrenzung. Die wechselseitige Abgrenzung dient ihnen zur Definition der eigenen Zugehörigkeit und damit von Gemeinsamkeiten (Zitat 15 ELITA SALEME; Zitat 101 ELENA ALBACA FARES)103. Ein Beispiel für die wechselnden Zugehörigkeiten ist das Zitat 102 von Pedro Bujazha. Er definiert sich als Argentinier, stellt damit eine Gemeinsamkeit mit den Argentiniern her und grenzt sich gleichzeitig von den Libanesen ab. Dennoch möchte er den Libanon als Nation unterstützen. Die Gemeinsamkeit mit diesem Land und den dortigen Menschen stellte er unter Bezugnahme auf seine Großeltern her (Zitat 102 PEDRO BUJAZHA). Zitat 101: „Nach dem Ersten Weltkrieg, als das Osmanische Reich zerfiel, die Nationalitäten waren dem Osmanischen Reich unterworfen, haben sie ihre eigene Identität wieder entdeckt und haben sich in Nationen wieder zusammengefasst. Eine von denen ist Syrien, eine andere der Libanon, eine andere Palästina etc.“ (ELENA ALBACA FARES) Zitat 102: „Dieses Land ist das meine und diese Gruppe, die in diesem Land lebt und nicht so sehr im Libanon. Der Libanon hat seine Leute, hat diejenigen, die ihm angehören, die dort geboren wurden. [...] Was kann ich beitragen? Und was kann ich auf dem Niveau beitragen, das meine Großeltern mir vorgelebt haben. Ich kann die Asociación am Leben erhalten, weil die Asociación den Namen erhält, hilft – verstehst du? – in diesem Sinn. Jetzt als Argentinier, ich bin Argentinier.“ (PEDRO BUJAZHA)

Die Diskurse der Selbstidentifikation sind sphärenübergreifend. Wie Pedro Bujazha (Zitat 102) betonen 46 der 49 Gesprächspartner, dass sie Argentinier sind. Auch hier ist der nationale Rahmen der Identifikationsmarker. Sie fühlen sich als Argentinier, da sie in diesem Land aufwuchsen bzw. den Großteil ihres Lebens verbrachten. In Argentinien befinden sich ihre nahe Verwandtschaft und ihre Freunde und sie sind dort berufstätig. Sie fühlen sich als integrierter Teil der argentinischen Gesellschaft (Zitat 58 SEBASTIAN GANEM; Zitat 68 JUAN SALIBA; Zitat 102 PEDRO BUJAZHA)104. Die Identifizierung als Argentinier mit arabischen, syrischen oder libanesischen Wurzeln wird zum Charakterzug der ethnischen

103 Vgl. ähnliche Aussagen von Horacio Haddad; Alfredo Richa; Ricardo Simes. 104 Vgl. ähnliche Aussagen von Elías Gattar; Silvana Rufail; Patricio Abdala; Cecilia Made; Amalia Sfeir; Alfredo Richa; Roberto Saba; Ricado Simes; José Gandur.

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Gemeinschaften (Zitat 97 RICARDO SIMES). Dies spiegelt sich auch in den Vereinen anhand der Flaggen wider (vgl. Abb. 39). Das Zugehörigkeitsgefühl zum Libanon, zu Syrien und/oder allgemein zu der arabischen Region grenzt die Gesprächspartner von Bevölkerungsteilen in Argentinien und Lateinamerika anderer Herkunft ab. Ein Beispiel ist Ricardo Simes (Zitat 97), der sich als Argentinier libanesischer Herkunft bezeichnet. Jedoch zeigt er ebenfalls, dass er es als sinnvoll ansieht, sich gegenüber den Personen, die seine Gemeinschaft diskriminieren, als Araber zu konzipieren. Durch die Erweiterung der Kategorie dehnt er die Gemeinsamkeit seiner Interessen auf eine hohe Anzahl von Personen aus. Davon verspricht er sich eine stärkere politische Vertretung seiner Interessen. Das Außen dieser ethnischen Gemeinschaften ist die restliche argentinische Bevölkerung (Zitat 103 RICARDO SIMES), zu der er sich in Zitat 97 noch als zugehörig bezeichnete. Durch die situative Verschiebung der Grenzen können die Gesprächspartner das Sowohl-als-auch ihrer Zugehörigkeit aufbauen (Zitat 97 RICARDO SIMESUND 103). Die Gesprächspartner können sich auf diese Art und Weise gleichzeitig als libanesische, arabische, syrische oder syrisch-libanesische Nachfahren sowie als Argentinier und Lateinamerikaner konzipieren (Zitat 104 RICARDO SIMES105). Auf die Frage, ob es in Argentinien eine libanesische, syrische, syrisch-libanesische oder arabische Gemeinschaft gibt, ist daher keine Antwort möglich, die die jeweilig andere Gemeinschaft ausschließen würde. Zitat 103: „Ich sehe eine arabische Gemeinschaft, die aus den libanesischen und syrischen Gemeinschaften besteht. Ich glaube nicht, dass wir dadurch unsere [libanesische] Identität verlieren sollten, aber ich glaube, dass wir versuchen müssen, nach außen eine einheitliche Nachricht zu tragen, weil uns die Leute diskriminieren. ‚Ah, der hat das gesagt, weil er Syrer ist, und der das, weil er Libanese ist.‘ Wir sind Araber! Ich sage dir weiter: Hier in Argentinien sagen sie zu uns Türke, obwohl wir keine Türken sind.“ (RICARDO SIMES) Zitat 104: „Es ist genauso wenig schlecht, wie wenn die Argentinier auswandern, und in Spanien und den USA sind sie mit anderen Lateinamerikanern zusammen, und ich kann mich leicht mit einem Mexikaner anfreunden und ich werde viele Kontaktpunkte finden, und wenn ich in New York bin und mit einem Uruguayer oder mit einem Chilenen zu105 Vgl. ähnliche Aussagen von Roberto Saba; Horacio Haddad; Ricardo Elía; Juan Saliba. Auf dem nationalen Kongress der JUCAL waren auch Abgesandte aus Venezuela, Chile und Uruguay anwesend. Dies zeigt ebenfalls die enge Verbindung der Sphären der JUCAL über die argentinischen Grenzen hinweg in einem lateinamerikanischen Kontext.

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sammenwohne, aber mit dem Chilenen oder dem Uruguayer werden wir einen Haufen gemeinsamer Dinge haben. Aber ich würde nie mein Argentinisch-Sein in Zweifel ziehen.“ (RICARDO SIMES)

Ein Mechanismus, die Trennlinien innerhalb der arabischen, libanesischen und/oder syrischen Gemeinschaften situativ zu überwinden, sind Generalisierungen bzw. Abstraktionen. Die vier in den Gesprächen wiederkehrenden Verallgemeinerungen sind: (1) die Schaffung einer gemeinsamen Einwanderungsgeschichte, (2) der Diskurs, in die argentinische Gesellschaft voll integriert zu sein, (3) die Tatsache, von außen als „turco“ bezeichnet zu werden, und (4) eine verallgemeinernde Familienrhetorik. Die Interviewpartner stilisieren die Geschichte der Einwanderung und die Zeit der Eingewöhnung in Argentinien zu einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. Hierbei begannen die arabischen Einwanderer als mittellose Hausierer und arbeiteten sich bis zum erfolgreichen Industriellen hoch106 (vgl. ELENA ALBACA FARES). Sie selbst sehen sich als in die argentinische Gesellschaft integriert an (Zitat 77 ROBERTO SABA)107. Gleichzeitig weisen sie aber auch auf Diskriminierungspraktiken hin, die andere Bevölkerungsteile Argentiniens bis heute auf sie ausüben. Sie empfinden die Bezeichnung „turco“ als entwürdigend (Zitat 103 RICARDO SIMES)108. Eine weitere Zuschreibung, der sie als libanesisches oder arabisches Kollektiv gegenüberstehen, ist die Zuschreibung terroristischer Ambitionen (Zitat 64 SEBASTIAN GANEM)109. Eine Ab106 Die Erzählungen von den entbehrungsvollen Reisen und der ersten Zeit nach der Einwanderung, als viele arabische Einwanderer als Hausierer arbeiteten, sind allen Mitgliedern der Vereine bekannt. Sie werden von vielen ungefragt erzählt, wenn sie allgemein nach der arabischen Gemeinschaft gefragt werden. Hieraus lässt sich ihre große Bedeutung als gemeinsames Identifikationsmerkmal ableiten. 107 Vgl. ähnliche Aussagen von allen Gesprächspartnern und im Besonderen von Amira Juri de Budeguer; Martha Zarif; Ricardo Simes; Alfredo Richa; Roberto Saba; Elena Albaca Fares; Victoria Bestani; Ariel Campo; Pedro Bujazha; Salma Auad; Elita Saleme; Felipe Yaryura. 108 Vgl. ähnliche Aussagen von Julio Affif; Ricardo Elía; Horacio Haddad; Roberto Ahuad; Yaohdat Brahím; Abdala Edi; Sebastian Ganem; Charbel Merhi; Gustavo Curi; Amalia Sfeir; Ramona; Felipe Yaryura; Alfredo Richa; Elita Saleme; Salma Auad; Elena Albaca Fares; Alberto Junior Bestani; Ariel Campo; Christina Caram und Estela Baaclini. 109 Vgl. ähnliche Aussagen von Patricio Abdala; Elena Albaca Fares. Generell sind davon Nachfahren arabischer Einwanderer betroffen (vgl. JOZAMI 1996: 38). Dies kann jedoch aus den geführten Interviews nicht belegt werden.

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grenzung sowie Gemeinsamkeiten werden daher nicht nur intern geschaffen, sondern auch von außen zugeschrieben. Familienrhetorik ist ein weiterer Mechanismus zum Aufbau von Gemeinsamkeiten. Dabei werden Metaphern der Familie generalisiert und auf andere Gemeinschaften und soziale Ordnungen ausgeweitet, die außerhalb der eigenen liegen. Die arabischen und syrischen Gemeinschaften werden von Mitgliedern der libanesischen Gemeinschaften als Brudergemeinschaften bezeichnet. Jedoch bildet die Verwandtschaftsbezeichnung gleichzeitig eine Grenze zu der „anderen“ Gemeinschaft (Zitat 105 JULIO AFFIF)110. Die arabische Gemeinschaft überschneidet sich für Julio Affif nicht mit der libanesischen, sondern beide Gemeinschaften sind nur brüderlich miteinander verbunden. Andere Gesprächspartner weisen auf die Ähnlichkeit der Gewohnheiten und Traditionen hin, die zwischen Syrern und Libanesen und auch zu anderen Arabern bestehen (Zitat 27 PATRICIA BESTANI). Aufgrund von Ehen zwischen libanesischen/libanesischstämmigen Personen und syrischen/syrischstämmigen wird auf die Verwandtschaft dieser Bevölkerungsteile in Argentinien geschlossen (Zitat 106 HORACIO HADDAD111). Zitat 105: „Also ich habe absolut nichts gegen unsere arabischen Brüder. Ja, arabische Brüder. Cousin sagen wir zu den Israelis.“ (JULIO AFFIF) Zitat 106: „Viele … in letzter Zeit haben sie sich verheiratet, weil die Kinder und Enkel von Syrern und Libanesen untereinander geheiratet haben. Du hast gemeinsame Aktivitäten, die Berufstätigen oder die Händler oder die Industriellen. Es ist eine Gemeinschaft, die sehr intim miteinander verbunden ist.“ (HORACIO HADDAD)

Die Familie ist es auch, die die Gesprächspartner in eine globale Gemeinschaft einbettet. Viele Gesprächspartner haben Verwandte in den USA, Kanada, europäischen und lateinamerikanischen Staaten (Zitat 107 HORACIO HADDAD; vgl. ALBERTO JUNIOR BESTANI; ROBERTO SABA; JUAN SALIBA)112. Damit wird die Teilnahme an einer globalen syrischen und/oder libanesischen Gemeinschaft 110 Vgl. ähnliche Aussagen von Georges Moussa; Yaohdat Brahím; Roberto Ahuad und Orlando di Marco. 111 Vgl. ähnliche Aussagen, dass Syrer und Libanesen sowie ihre Nachfahren oder generell Araber untereinander heirateten, bei Abdala Edi und Elena Albaca Fares. 112 Weitere Personen, die außerhalb Argentiniens Verwandte syrischer oder libanesischer Herkunft haben, sind Horacio Haddad; Roberto Ahuad; Yaohdat Brahím; Kamel Darbo; Ricardo Simes; José Saleh; Amalia Sfeir; Elita Saleme; Salma Auad und Samir Dayoub.

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signalisiert. Ausdruck der globalen und regionalen Gemeinschaft sind die Dachorganisationen UCAL, JUCAL und FEARAB. Allerdings wird die globale Gemeinschaft trotz Nachfragens in den Gesprächen nur selten angesprochen. Dies ist ein Indikator dafür, dass die Gesprächspartner die globale Ebene als eine abstrakte Ebene ansehen, da sie weiter von ihrem Alltag entfernt ist. Dennoch werden die globalen Verbindungen auf persönlicher und auf organisatorischer Ebene gepflegt und beeinflussen das Leben der Mitglieder der libanesischen und syrisch-libanesischen Gemeinschaften weltweit (Zitat 107 HORACIO HADDAD). Zitat 107: „Das markiert … es ist ein Kennzeichen, eine Erklärung, zum Beispiel warum sie der Libanon interessiert. Warum? Wegen seiner geografischen Lage zwischen Afrika und Europa. Weil seine Kinder in der ganzen Welt verteilt leben [...].“ (HORACIO HADDAD)

Die Vereine sind als Knotenpunkte zu sehen, die Sphären verschränken, ethnische Nachbarschaften begünstigen und somit die Abstraktion der Vertrautheit ermöglichen bzw. die Vertrautheit auf die Ebene von Gemeinschaft heben. Ethnische Gemeinschaften können dabei als ethnische Nachbarschaften begriffen werden. Die Sphären liegen jedoch nicht nur über die hier besprochenen ethnischen Elemente der Herkunft mit anderen Sphären in Nachbarschaft, sondern sind auch in nicht ethnische Kontexte eingebunden. Da sich Nachbarschaft aus dem thematischen Kontext ergibt, sind Sphären in mehreren Nachbarschaften zugleich verortet und überspannen die Grenzen von Gemeinschaften. Über Vereine sind die Sphären in lokale, nationale und globale Kontexte eingebunden und in all diesen Ebenen verschränkt. Beispielsweise besitzt die Fundación Los Cedros einen Sitz in Buenos Aires und in Zahle, Libanon. In Argentinien sind sie in den dortigen lokalen und nationalen Kontext eingebunden. Ihr Ziel ist es, die arabische und mediterrane Kultur in Argentinien bekannt zu machen (vgl. HORACIO HADDAD). Die Mitglieder in Zahle versuchen im Gegenzug, der Bevölkerung in Zahle und im Libanon ein Verständnis für die argentinische Kultur zu vermitteln (vgl. MALAKE HADDAD). Mit ihren Verbindungen zur FEARAB sollen die beiden Sitze die arabischen Gemeinschaften in Lateinamerika und im Libanon miteinander verbinden und in die lokalen Kontexte einbinden (Zitat 108 HORACIO HADDAD). Zitat 108: „Weil die Fundación Los Cedros die denkwürdigen Zedern des Libanons in ihrem Namen trägt. Der Fokus wurde darauf gelegt, dies in einen Zusammenhang umzuwandeln, in eine Verbindung, in eine imaginäre Brücke, die die orientalischen Länder und die Länder des mediterranen Beckens mit Argentinien vereint. Das war unser Ziel, und

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später, mit den Jahren haben wir das erweitert, damit es nicht nur eine Brücke mit Argentinien ist, sondern auch mit den anderen amerikanischen Ländern. Auf diese Weise hat sich die Fundación Los Cedros in den kulturellen Arm der FEARAB Amerika eingebunden [...]. Na ja, wir mussten diese Idee umsetzen. Um sie umzusetzen, muss man eine Brücke errichten mit zwei Köpfen, und das ist das, was wir taten; hier in Buenos Aires und dort im Libanon. Man nennt das zwei Brückenköpfe [die Fundación Los Cedros in Buenos Aires und in Zahle].“ (HORACIO HADDAD)

Wie schon die Sphären sind auch die Gemeinschaften kontextabhängig. Ihre Grenzen sind situativ und von affektiven Momenten abhängig. Die Grenzen sind keine Sinn- und Bedeutungsgrenzen, denn die Bedeutungen, die in den Gemeinschaften zirkulieren, können auch von Nicht-Mitgliedern verstanden werden. Es ist der Glaube der Mitglieder, eine Einheit zu bilden, der durch situative Verschiebung der Grenzen und Verallgemeinerungen aufrechterhalten wird. Beispielsweise grenzt sich in Argentinien eine libanesische Gemeinschaft von einer syrischen oder arabischen Gemeinschaft ab. Gleichzeitig solidarisieren sie sich jedoch in bestimmten Situationen mit diesen Gemeinschaften und bezeichnen sich als syrisch-libanesische oder arabische Gemeinschaft, um sich gegenüber anderen Bevölkerungsteilen in Argentinien und weltweit abzugrenzen. Die Gesprächspartner stellen über Diskurse der erweiterten Familienverbindungen und gemeinsamen Traditionen sowie über gemeinsame Aktivitäten, symbolische Handlungen und Symbole wechselnde Zugehörigkeiten her und legitimieren sie. Dies wurde in diesem Abschnitt durch die Darstellung der Kontinuität der Diskurse, der Ähnlichkeit der verwendeten Symbole und der sozialen Praktiken in den verschiedenen Sphären gezeigt. Die Diskurse und Symbole zirkulieren weltweit in Sphären und stellen diese zueinander in Nachbarschaft. Diese Elemente lassen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen, das Menschen arabischer Herkunft weltweit miteinander verbindet.

Arabische Sphären in Argentinien und die Theorie der ethnischen Sphäre

Ein Teil der argentinischen Bevölkerung ist im 21. Jahrhundert in Gemeinschaften organisiert, die sich als „libanesische“, „syrische“, „syrisch-libanesische“ und/oder „arabische“ Gemeinschaften bezeichnen. Meist sehen die Mitglieder dieser Gemeinschaften die Herkunft ihrer Vorfahren in der heutigen Arabischen Republik Syrien und/oder in der Libanesischen Republik. In diesen Gemeinschaften sind allerdings auch Menschen Mitglied, die die Herkunft ihrer Vorfahren in Argentinien und/oder anderen Ländern verorten. Die Gemeinschaften werden von ihren Mitgliedern als kulturell eigenständige Einheiten und als in die argentinische Gesellschaft integriert dargestellt. Die Mitglieder der „libanesischen“, „syrischen“, „syrisch-libanesischen“ und/oder „arabischen“ Gemeinschaften verbindet eine als gemeinsam angenommene Einwanderungsgeschichte. Von 1880 bis ca. 1950 erfolgte die Einwanderung nach Argentinien, wobei die argentinische Regierung auf die Immigranten großen Druck zur Integration1 in die argentinische Gesellschaft ausübte. Aufgrund des Strebens nach einem kulturell homogenen argentinischen Nationalstaat vollzog sich die Integration syrisch- und libanesischstämmiger Menschen in Argentinien bereits in der ersten Generation, verstärkt jedoch in der zweiten. Einerseits gab die argentinische Regierung die Integration mit zum Teil autoritären Mitteln vor. Andererseits bot sie den Einwanderern und deren Nachfahren auch soziale Aufstiegsmöglichkeiten. Schon in der zweiten Generation kam es zum 1

Die argentinische Regierung betrachtete Integration als politische und wirtschaftliche gesellschaftliche Eingliederung. Gleichzeitig strebte die argentinische Regierung die „Zivilisierung“ der Einwanderer nach dem Vorbild des nordeuropäischstämmigen Argentiniers an. Dieses Ideal zeichnete sich durch europäisch geprägte Schulbildung und bestimmte Verhaltensweisen im öffentlichen Leben aus.

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Verlust der arabischen Sprache und zum weitgehenden Verschwinden ethnischer Selbstdarstellungen im öffentlichen Leben. Die Gründe hierfür sind divers. So wurde durch die Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführte Schulpflicht in staatlichen Schulen das Spanische gefördert und das Lernen von Fremdsprachen erschwert. Außerdem wurde die Argentinisierung der Bevölkerung durch nationalistischen Geschichtsunterricht angestrebt. Die alltäglichen Diskriminierungen von Menschen, die nicht dem argentinischen Ideal des nordeuropäischstämmigen Einwanderers entsprachen, die eingeschränkten Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten während der Diktaturen sowie der ausbleibende Nachzug von Migranten aus dem Nahen Osten ab den 1950er Jahren, führten zum Zusammenbruch der zum Libanon und nach Syrien bestehenden kommunikativen Verbindungen. Gleichzeitig öffnete sich in den 1950er Jahren die argentinische Politik für Menschen, die die Nationalisierung unterstützten. Syrisch- und libanesischstämmige Personen konnten, wie alle Bürger, in die peronistische Partei eintreten. Für diese Menschen und ihre Familien ergab sich daraus die Möglichkeit, in die politischen und ökonomischen Eliten Argentiniens aufzusteigen. Diese Chance wurden von vielen syrisch- und libanesischstämmigen Personen in Argentinien genutzt, wie die Beispiele der Familien Azize und Menem zeigen. Auch ethnische Vereine wurden in soziale Vereine umgewandelt, die allen argentinischen Bürgern offenstanden. Sie übernehmen seitdem staatlich kontrollierte Aufgaben, wie die Gesundheitsversorgung für ihre Mitglieder, aber auch für die Bewohner des Stadtviertels, in denen die Vereine ihren Sitz haben. Dennoch konnten in den Vereinen durch kulturelle Veranstaltungen und geschlossene Aktivitäten der Mitglieder ethnische Merkmale bzw. „Traditionen“ bewahrt werden. Die Verbindung zur Herkunft der Vorfahren wurde auch an privaten Orten erhalten, wie in den Häusern syrisch- und libanesischstämmiger Familien. Familie und ethnische Vereine waren und sind bis heute soziale und kulturelle Rückzugsorte, in denen sich ethnische Sphären der Freundschaft und der Familie bilden und erhalten. Die Herkunft der Vorfahren, aber auch das jetzige Lebensland werden von den Menschen zur Konstitution der Sphäre verwendet. Durch die Dauerhaftigkeit der ethnischen Sphären erhielten sich die ethnischen Gemeinschaften bis heute. Die ethnischen Vereine bestehen demnach nicht einfach bis heute fort, sondern veränderten sich mit den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Sie werden von ihren Mitgliedern, die sich in ethnischen Sphären zusammenschließen, an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst. Die ethnische Sphäre ist als soziokulturelles Ordnungsmuster zu verstehen, das durch affektive Bindungen der sie konstituierenden Personen untereinander und zu bedeutungsgeladenen Praktiken und Objekten geschaffen wird. Gemein-

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same Aktivitäten und Routinen, zugeschriebene Charaktereigenschaften und Werte, Diskurse und Geschichten, aber auch Objekte wie Gebrauchsgegenstände, Bilder, Fotografien, Urkunden und Flaggen als Träger von Bedeutungen werden als ethnische Merkmale verwendet, die die Grenzen der Sphäre markieren. Die Marker werden im Kontext von Ethnizität verwendet2, da die Verwendung der Marker die Sphären an die Herkunft der Ahnen und das jetzige Lebensland rückbindet. Die Auswertung der empirischen Informationen gab dem Forscher die Möglichkeit, die Beschaffenheit der emotionalen Bindungen zwischen den Mitgliedern der ethnischen Sphäre zu spezifizieren. Die emotional positiv besetzten Bindungen beruhen auf einem Gefühl, das in der vorliegenden Arbeit als Vertrautheit bezeichnet wird. Diese emotionalen Beziehungen sind es, die Sphären wie Familien und Freundschaften zusammenhalten. Die Vertrautheit umfasst drei Komponenten, die sich wechselseitig bedingen: (1) gemeinsame Ziele und Interessen der Mitglieder, (2) Erwartungssicherheit, die aus dem Bekanntsein der Mitglieder untereinander erwächst und (3) ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das ein Gefühl der Verantwortung füreinander beinhaltet. Ein weiteres Ergebnis der Dateninterpretation ist die Erkenntnis, dass die Vertrautheit eine dynamische Bindung ist. Sie wird durch fünf Wirkmechanismen gebildet, erhalten, ausgeweitet und verändert: (1) die Übertragung von Werten und Charaktereigenschaften von einer Person auf andere Personen. Hierbei wird die Erwartung an die andere Person gerichtet, die gleichen oder zumindest ähnliche Charaktereigenschaften und Wertvorstellungen aufzuweisen, wie die eigene Person. Die Erwartungen sind in ethnischen Sphären an die territoriale und/oder familiäre Herkunft geknüpft, sodass die Herkunft als Zeichen für die erwarteten Charaktereigenschaften und Wertvorstellungen der anderen Person dient. Auf Personen gleicher Herkunft wird von den Sphärenmitgliedern eher Vertrautheit ausgeweitet als auf anderen Menschen. (2) Die Vertrautheit wird durch Diskurse der Gemeinsamkeit und der Abgrenzung ausgeweitet oder nicht gewährt. Mitglieder der ethnischen Sphäre erzeugen Gemeinsamkeiten und Grenzen situativ und dynamisch über die territoriale Herkunft, die familiäre Herkunft, das Wissen um Traditionen, um den jetzigen Wohnort und um die Gruppenzugehörigkeit. (3) In gemeinsamen Aktivitäten lernen sich die Mitglie2

Der Kontext des Ethnischen ist zwar vom Wissenschaftler als Kontext identifiziert worden und daher eine selektive Wahl, die unter vielen Möglichkeiten der Einteilung existiert. Im Feld sind in den Sphären mehrere Kontexte enthalten. Zur Bildung ethnischer Gemeinschaften ist der ethnische Kontext entscheidend, sodass sich der Forscher auf diesen fokussierte und andere Kontexte ausblendete.

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der der ethnischen Sphäre immer tiefer gehend kennen, ihre Gewohnheiten und Verhaltensweisen werden füreinander einschätzbar und Vertrauen wird aufgebaut. (4) Durch symbolische Handlungen erwächst eine gemeinsame Verbindung zum Herkunftsland der Ahnen, wie beim Dabketanzen, dem gemeinsamen Essen traditioneller Gerichte und auf Festen, die die Mitglieder der Sphäre an ihre Vorfahren erinnern. (5) Symbole und Gegenstände werden mit geteilten Bedeutungen aufgeladen, die Gemeinsamkeit implizieren. Symbole wie die Zeder, Landkarten, Gründungsplaketten und Nationalflaggen stellen Merkmale dar, die auf eine gemeinsame Herkunft und Geschichte der Mitglieder der ethnischen Sphäre verweisen. Sie werden also zu ethnischen Markern. Wie die Auswertung der empirischen Daten zeigt, ist für die Zugehörigkeit zur ethnischen Sphäre die faktische Herkunft der Vorfahren nicht zwingend ausschlaggebend. In die ethnische Sphäre können auch Personen eingebunden sein, deren Familie nicht aus dem Land stammt, das mit dem Herkunftsland der Vorfahren der anderen Sphärenmitglieder übereinstimmt. Freundschaft kann aus verschiedenen Gründen entstehen. Im Fall von ethnischen Sphären, die auf Freundschaft beruhen, sind das Interesse an der Herkunft der Vorfahren der anderen Mitglieder und die Identifizierung mit deren Zielen Grund genug für die Mitgliedschaft. Vertrautheit bildet sich vor allem durch häufiges Zusammensein und das gemeinsame Durchleben von Ereignissen und ist nicht rigide an bestimmte Merkmale gebunden. Die Konstruktion gemeinsamer ethnischer Marker macht die Mitgliedschaft in den ethnischen Sphären für eine Person jedoch wahrscheinlicher. Personen sind auch immer in verschiedenen Sphären zugleich eingebettet. Sie transzendieren unaufhörlich kulturelle, kommunikative und soziale Grenzen, aber auch die Sphärengrenzen. Sphären können sich auflösen, sich aber auch ausweiten, schrumpfen, zerfallen, und neue Sphären können entstehen. Das Auflösen der Sphären kann in verschiedenen Situationen geschehen, zum Beispiel wenn sich politische Rahmenbedingungen ändern, für viele Mitglieder einer Sphäre ein neuer Lebenszyklus beginnt und sie dadurch aus der Sphäre ausscheiden oder wenn Streitigkeiten ausbrechen. Dennoch sind Sphären durch Dauerhaftigkeit geprägt und überdauern das Ende von gemeinsamen Aktivitäten und den Wechsel ihrer Mitglieder. Die Dauerhaftigkeit ergibt sich aus der Fähigkeit der Mitglieder der Sphäre, die Grenzen der Sphäre situativ zu verschieben und den Kontext der Sphäre unaufhörlich an die gesellschaftlichen und materiellen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Vertrautheit der Mitglieder und der sinnstiftende Kontext der ethnischen Sphäre können jederzeit von den Mitgliedern der Sphäre aktiviert werden. Zwei dynamische Prozesse bewirken die Ausweitung, den Zerfall und das Schrumpfen der Sphäre: (1) die Ausweitung oder das Schwinden der Vertrautheit und (2) der

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Prozess bzw. das Prinzip der Nachbarschaft. Nachbarschaft bedeutet, dass ähnliche und emotional verbundene Sphären eng beieinander liegen. Beide Prozesse beeinflussen sich wechselseitig und laufen parallel zueinander ab. Ihre wechselseitige Abhängigkeit ist in Schaubild 4 „Die schematische Darstellung einer ausgeweiteten Sphäre und des Prinzips Nachbarschaft“ dargestellt. Die ethnischen Kontexte, familiäre und territoriale Herkunft, geben die Richtung der Ausweitung der Sphären in Schaublid 4 an. Bei der Ausweitung weitet sich keine einzelne Sphäre aus, sondern die Sphärenmitglieder weiten ihre Vertrautheit auf Personen und Objekte anderer ethnischer Sphären aus. Dadurch verschränken sich verschiedene Sphären und bilden zusammen eine ausgeweitete Sphäre. Die Intensität der Ausweitung hängt von der Vertrautheit ab, die sich die Mitglieder der verschiedenen ethnischen Sphären entgegenbringen. Aus der Auswertung geht hervor, dass sich die Ausweitung der ethnischen Sphären vor allem auf Veranstaltungen vollzieht, wie Tanzabenden, Festen und Informationsveranstaltungen. Bei gemeinsamen Aktivitäten auf diesen Veranstaltungen werden, ob bewusst oder unbewusst, Diskurse, Symbole, Wissen, Bedeutungen und Gewohnheiten aneinander angeglichen bzw. verhandelt und zirkulieren zwischen den verschiedenen Sphären. Die Kontexte der Sphären gleichen sich durch die gemeinsamen Aktivitäten und Bedeutungszuschreibungen einander an und verzahnen sich. Es zeigt sich, dass sich die Ausweitung zu einer die Sphären umfassenden großen Sphäre nicht komplett vollzieht. Die umfassende Sphäre umschließt zu keinem Zeitpunkt alle Sphären und Personen, die an der Aktivität teilnehmen. Dargestellt wird dies dadurch, dass sich die Sphärengrenzen der einzelnen ethnischen Sphären in Schaubild 4 nicht auflösen und die ethnischen Sphären nicht ganz eingeschlossen werden. Die ausgeweitete Sphäre ist nicht die Summe ihrer eingeschlossenen Sphären, da sie thematisch auf die Aktivitäten der Veranstaltungen ausgerichtet ist und daher in anderen Bedeutungszusammenhängen steht als die einzelnen Sphären. Nach der Veranstaltung zerfällt die ausgeweitete Sphäre wieder, aber nicht ohne die zuvor miteinander verzahnten Sphären zu verändern. Die Sphären werden durch ihre wechselseitige Angleichung und die Stärkung der emotionalen Beziehungen in eine engere Nachbarschaft als zuvor gerückt. Die neugeschaffenen Anknüpfungspunkte, wie die gemeinsamen Erfahrungen, die während der Veranstaltung gemacht wurden, begünstigen wiederum die Ausweitung der Sphären bei den nächsten Veranstaltungen in die Richtung von Kontexten, die auf Herkunft basieren. Es können auch neue Sphären entstehen, die fortan in den Nachbarschaftskomplex eingebunden sind, wie die „neue ethnische Sphäre“ die aus Mitgliedern und Objekten der „ethnischen Sphäre 1“, „ethnischen Sphäre 4“ und „ethnischen Sphäre 5“ gebildet wurde (vgl. Schaubild 4). Die Mitglieder und

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Objekte der „neuen ethnischen Sphäre“ bleiben zugleich in ihre ursprünglichen Sphären eingebettet. Ethnische Sphären können sich auch voneinander entfernen. Bei Streitigkeiten der Mitglieder verschiedener Sphären wächst die affektive Entfernung, Nachbarschaften entfernen sich voneinander oder lösen sich auf. In Schaubild 4 ist dies durch die Spaltung der „ethnischen Sphäre 6“ in zwei Teile dargestellt. Der Teil „ethnische Sphäre 6a“ bleibt dabei in die Nachbarschaft eingebunden, während sich die „ethnische Sphäre 6b“ entfernt und auflöst. Die „ethnische Sphäre 3“ hat sich aus der Nachbarschaft gelöst und ist zumindest zeitweise kein Teil der ethnischen Nachbarschaft mehr (vgl. Schaubild 4). Die Ausweitung der ethnischen Sphäre ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt. Sie vollzieht sich auch durch die Übertragung von Vertrautheit auf Personen, die nur weit entfernt verwandt sind bzw. bei denen eine Verwandtschaft lediglich angenommen wird. Dabei werden Gemeinsamkeiten, wie das Wissen um Familie und Herkunft (politische Situation, Traditionen, Gewohnheiten), als mögliche Ansatzpunkte zur Ausweitung genutzt.

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Schaubild 4: Die schematische Darstellung einer ausgeweiteten Sphäre und des Prinzips Nachbarschaft

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012

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Nachbarschaft beruht auf der Ähnlichkeit und einer emotionalen Nähe zwischen den Sphären und nicht auf einer territorialen Nähe. Sphären können in mehreren Nachbarschaften zugleich liegen, wobei sich die jeweilige Nachbarschaft aus dem Kontext der emotionalen Nähe ergibt. Die Nachbarschaft der ethnischen Sphären wird durch ähnliche Diskurse in Bezug auf Familie sowie durch politische und kulturelle Aussagen über das Herkunftsland der Vorfahren und das derzeitige Lebensland gebildet. Auch das Benutzen ähnlicher Symbole und Gegenstände, wie Flaggen, und das Wissen über Gegenstände und Traditionen, ähnliche Gewohnheiten, ähnlicher Geschmack und Bekundungen eines übergeordneten Zusammengehörigkeitsgefühls als Gemeinschaft bringen Sphären zueinander in Nachbarschaft. In dieser Arbeit wurden als Hauptkontext der Sphären Praktiken, Diskurse und Bedeutungsverweise ausgemacht, die auf die familiäre und territoriale Herkunft verweisen. Daher werden diese Sphärenkomplexe als ethnische Nachbarschaft bezeichnet. Dass Nachbarschaft situativ und kontextabhängig ist, wird in Schaubild 5 „Die schematische Darstellung des Prinzips Nachbarschaft und die kontextgebundene Verschiebung der Sphärengrenzen“ gezeigt. Daraus geht hervor, dass die ethnische Sphäre auch in Kontexte eingebunden ist, die nicht auf Ethnizität beruhen. Die unterschiedlichen Kontexte der Nachbarschaft sind in Schaubild 5 durch unterschiedliche Färbung dargestellt, wobei nur einige mögliche Kontexte berücksichtigt werden.3 Die ethnische Sphäre und sonstige Sphärenkomplexe befinden sich in einer Matrix aus Sphären, die als mit kleinen Kugeln gemusterter Hintergrund erscheint. Die Matrix in Schaubild 5 steht hierbei für mögliche Nachbarschaften, die in dieser Arbeit ausgeblendet wurden. Im Kontext der territorialen Herkunft der Vorfahren befindet sich die ethnische Sphäre in Nachbarschaft zu anderen ethnischen Sphären, deren Mitglieder für sich die gleiche Herkunft ihrer Vorfahren reklamieren (Grau). Im familiären Kontext ist sie an familiäre Sphären angebunden, die nicht mit der territorialen Herkunft in Verbindung stehen müssen (Dunkelgrau). Auch das Alter der Sphärenmitglieder kann einen Kontext für Nachbarschaft bilden und die ethnische Sphäre an Freundschaftskreise anschließen, die eine ähnliche Altersstruktur aufweisen (Weiß). Im lokalen Kontext kann die ethnische Sphäre an Sphären der lokalen Bevölkerung angeschlossen sein, die in territorialer Nähe der Mitglieder der Sphäre wohnen (Hellgrau). Da die Vertrautheit der Mitglieder der ethnischen

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Weitere Nachbarschaften, die in dieser Arbeit nur am Rande angesprochen bzw. nicht behandelt wurden, ergeben sich aus zum Beispiel religiösen und politischen Kontexten.

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Sphäre vor allem auf der Herkunft beruht, ist die Wahrscheinlichkeit der Ausweitung der Sphärengrenzen im Kontext der ethnischen Nachbarschaft höher als in anderen Kontexten. Das Innere der ethnischen Sphäre steht in einem Dialog zu ihrem Außen. Das Verhältnis dieser Innen-Außen-Spannung kann in drei Punkten zusammengefasst werden: (1) Das Außen wird nach innen gebracht und das Innen nach außen. Beide Seiten konstituieren sich wechselseitig, wobei Grenzen ständig transzendiert und verändert werden. (2) Es werden dynamische Grenzen aufgebaut, die sich je nach Kontext und Situation verschieben. (3) Die Sphäre ist in Nachbarschaften eingebunden, und es gibt Interaktionen, die nicht in Sphären stattfinden. Die Grenzen zum Außen werden durch kulturelle Praktiken und Diskurse der Abgrenzung von anderen Sphären gebildet. Hierdurch entstehen auch interne Gemeinsamkeiten. Bei der Betrachtung der Techniken der Grenzziehung, wird deutlich, dass sich keine fixe und exakte Trennung zwischen einem Innen und einem Außen der Sphäre vornehmen lässt. Abwesende, entfernte und bereits verstorbene Personen und abstrakte, unbekannte Objekte, wie Länder und Bevölkerungsgruppen, werden über symbolische Verweise in die ethnische Sphäre eingebettet. Kulturelle Praktiken, Diskurse und mit Bedeutung belegte Gegenstände erinnern an diese Personen und Objekte und reproduzieren deren Bedeutung. Auf diese Weise werden sie zu einem Teil der ethnischen Sphäre. Das Außen ist daher für die Sphäre konstitutiv und die Mitglieder der Sphäre schaffen sich selbst das Außen ihrer Sphäre. Die Grenzen der ethnischen Sphäre sind kontextgebunden und werden von ihren Mitgliedern situativ verschoben. Dabei führen ethnische Marker kontextgebunden zur Herstellung von Gemeinsamkeiten und Differenzen. Der Dialog zwischen dem Innen der Sphären und ihrem Außen ist durch die Gleichzeitigkeit von Abgrenzung und Einschließung gekennzeichnet. Einerseits werden bei Praktiken und Diskursen der Gemeinsamkeit Personen ausgegrenzt, mit denen diese Gemeinsamkeiten nicht bestehen. Andererseits schaffen Praktiken und Diskurse der Ausgrenzung Grenzen, die für die Mitglieder der Sphäre gemeinsame Grenzen sind und damit Teile ihrer Gemeinsamkeiten. Die Grenzen der ethnischen Sphäre bestehen zu anderen Sphären (vgl. Schaubild 5), die in der affektiven Nähe liegen, und zu affektiv entfernten Sphären. Das Außen wird auch durch Interaktionen von Personen gebildet, zwischen denen keine Vertrautheit besteht.

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Schaubild 5: Die schematische Darstellung des Prinzips Nachbarschaft und die kontextgebundene Verschiebung der Sphärengrenzen

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012

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Die libanesisch-argentinischen Sphären ergeben als Nachbarschaftskomplex eine ethnische Gemeinschaft. Diese ist nur situativ und symbolisch ortsgebunden, auch wenn Ortsbezüge und Gegenstände in die Sphärenbildung und Ausweitung der Vertrautheit einbezogen sind. Die libanesisch-argentinische Gemeinschaft kann als thematische Nachbarschaft von Sphären betrachtet werden (vgl. Schaubild 5). Gemeinschaft ist nicht mit der Summe ihrer Sphären gleichzusetzen und die Sphären erschöpfen sich nicht in ihrer Mitgliedschaft in einer oder mehreren Gemeinschaften.4 Die Dateninterpretation zeigt, dass Sphäre und Gemeinschaft durch eine Ebene der Abstraktion von Vertrautheit voneinander getrennt sind. In Schaubild 6 „Die wechselseitige Beeinflussung von Sphären und Gemeinschaft“ ist das Verhältnis von Sphären zu Gemeinschaft dargestellt. Entscheidend sind hierbei zwei Prozesse, die gleichzeitig in Diskursen, symbolischen Handlungen sowie in Bedeutungszuschreibungen und der Interpretation von zirkulierenden Symbolen ablaufen (vgl. Schaubild 6): (1) die Verinnerlichung von Elementen (Diskurse, symbolische Handlungen etc.) der Gemeinschaft in die Sphären. Dies geschieht in der Konkretisierung von Vertrautheit durch die Mitglieder der Sphäre, wobei unspezifische Merkmale in konkrete Marker der ethnischen Sphäre transformiert werden. (2) Die Generalisierung von Vertrautheit stellt die Sphären in einen allgemeinen und unkonkreten Zusammenhang. Dies zeigt sich in der Kontinuität von Diskursen um Herkunft sowie der Bildung von Gemeinsamkeiten durch gemeinsame Aktivitäten über Sphärengrenzen sowie lokale und nationale Grenzen hinweg. Die Generalisierung beinhaltet immer eine Bedeutungsverschiebung vom Speziellen zum Allgemeinen.

4

Da die Sphären auch in Kontexte eingebunden sind, die nicht mit der Herkunft in Zusammenhang stehen, eignen sich nur die Elemente, die mit der Herkunft in Verbindung stehen (Traditionen, Familie, territoriale Herkunft etc.) zur Verallgemeinerung im ethnischen Kontext und damit zur Herstellung einer ethnischen Gemeinschaft.

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Schaubild 6: Die wechselseitige Beeinflussung von Sphären und Gemeinschaft

Konkretisierung der Vertrautheit

Diskurse, symbolische Handlungen Sphären

(Traditionen),

Gemeinschaft

Bedeutungen, symbolische Objekte, Geschichten

Generalisierung der Vertrautheit

Entwurf: TOBIAS BOOS 2012

Die ethnischen Gemeinschaften werden durch mit ihr in Verbindung stehende Sphären stabilisiert. Die Verallgemeinerung von Vertrautheit öffnet für die Mitglieder der ethnischen Sphären einen weiten Interpretationsrahmen, indem generelle Gemeinsamkeiten hergestellt werden. Nur auf diesem unkonkreten Niveau ist die Ausweitung der Vertrautheit überhaupt vorstellbar, da die Übertragung von Vertrautheit auf unbekannte Personen erst durch das Auflösen der Verbindung von Gemeinsamkeit mit konkreten Personen möglich wird. Die internen Fragmentierungen von Gemeinschaften5 werden durch Verallgemeinerung von Vertrautheit und die für die Mitglieder der ethnischen Sphäre gewonnene interpretative Offenheit der Bedeutungen überwunden. Gleichzeitig wird bei der Ausweitung der Vertrautheit das Allgemeine durch konkrete Beispiele legitimiert. Die generalisierte Vertrautheit wird durch Verweise auf Konkretes, wie konkrete Werte, aber auch Objekte und körperliche Merkmale, in die ethnische Sphäre rückgebunden (vgl. Schaubild 6). Sphären und Gemeinschaften sind somit durch Verweise der Konkretisierung und Generalisierung von zirkulierenden Diskursen, Symbolen, Bedeutungen, Praktiken und Geschichten miteinander verbunden und konstituieren sich

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Zum Beispiel sozioökonomische, religiöse Unterschiede, aber auch Unterschiede der territorialen Ebenen werden durch Verallgemeinerungen situativ ausgeblendet.

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wechselseitig (vgl. Schaubild 6). Die Sphäre erhält sich durch unmittelbare Vertrautheit. Die Gemeinschaft ist die Verallgemeinerung von Charaktereigenschaften, Traditionen und familiären Verbindungen durch Mitglieder und Nichtmitglieder der Gemeinschaft. Sphären und Gemeinschaft durchdringen sich wechselseitig, wobei sich die Grenzen der ethnischen Sphären in der ethnischen Gemeinschaft nicht auflösen. Die ethnische Gemeinschaft ist der Bezugspunkt für die Ausbildung ethnischer Nachbarschaft. Sie schimmert als Verallgemeinerung des Zusammenhalts durch die Nachbarschaft hindurch, wobei Sphäre und Gemeinschaft eine jeweils eigene Logik besitzen. Die Interviews mit Mitgliedern der ethnischen Sphären und syrisch-libanesischer Vereine verdeutlichen, dass bei der Selbstidentifikation nationale Referenzbezüge vorherrschen. Dennoch positionieren sich die Gesprächspartner situativ in verschiedenen territorialen Ebenen. Die Vertrautheit kann weltweit ausgeweitet werden und sich zu einer abstrakten Sphäre ausdehnen, die aufgrund der schwachen Vertrautheit als Gemeinschaft bezeichnet werden kann. Die schwache Vertrautheit resultiert aus der Verallgemeinerung der Elemente, die Vertrautheit implizieren, und die Ausweitung der Vertrautheit auf unbekannte Personen. Die affektive Nähe der Mitglieder nimmt daher von der Sphäre hin zur Gemeinschaft ab. Es lässt sich festhalten, dass Gemeinschaft auf verschiedenen Ebenen entsteht: auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene. Alle Gemeinschaften haben relevante Auswirkungen auf die Prozesse der alltäglichen Vergemeinschaftung, beispielsweise in Form von politischen Organisationen, die überregional agieren, Vereinen mit transnationalen Verbindungen, Sphären, die sich über verschiedene Staaten und lokale Gegebenheiten erstrecken, sowie Wanderungen, etwa organisierten Besuchen der Herkunftsorte und -länder der Vorfahren sowie Besuchen bei Verwandten. Die Gemeinschaften der verschiedenen Ebenen sind ineinander verschachtelt, ohne miteinander übereinzustimmen. Das Verhältnis zwischen ethnischen Sphären und ethnischen Vereinen ist geprägt durch den institutionellen und materiellen Rahmen, den die Vereine bieten, und die dynamischen Prozesse, die in den Sphären vonstattengehen. Die ethnischen Vereine sind in die institutionellen Ordnungen und politischen Rahmenbedingungen der sie umgebenden Gesellschaften und Gemeinschaften eingebunden. Der institutionelle Rahmen der Vereine bettet auch die an sie angebundenen ethnischen Sphären in diese institutionellen Ordnungen ein. Durch die Aktivitäten der Mitglieder der Sphäre positionieren sie somit die ethnische Sphäre in den institutionellen Ordnungen und politischen Kontexten der sie umgebenden Gesellschaften und Gemeinschaften.

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An die Räumlichkeiten und die materiellen Elemente der Innenausstattung der ethnischen Vereine sind Bedeutungszusammenhänge und Geschichten geknüpft. Die materielle Ausstattung und die mit den Vereinen verbundenen Geschichten sind für die Mitglieder der Sphäre Verweise auf ihre Herkunft und dienen ihnen als emotional besetzte ethnische Marker. Bei der Verinnerlichung der Bedeutungszusammenhänge gehen sie eine emotionale Beziehung mit den Vereinen ein. Die Sphärenmitglieder nehmen die ethnischen Marker in ihren Praktiken und Diskursen auf. Dabei werden sie zur Markierung der Sphärengrenzen genutzt, aber auch zur Herstellung von Gemeinsamkeit unter den Sphärenmitgliedern. Das soziokulturell dynamische Moment der ethnischen Vereine sind die an sie angebundenen ethnischen Sphären. Die Mitglieder der ethnischen Sphäre organisieren Veranstaltungen, geben die Geschichten der Vereine an die nächste Generation weiter und stellen die Geschichten nach außen dar. Sie geben den materiellen Objekten Sinn, indem sie diese als ethnische Marker erkennen und verwenden. Beim Aufgreifen der vorhandenen Bedeutungszusammenhänge werden die Zusammenhänge reproduziert, aber auch neu organisiert und an die gesellschaftliche Wirklichkeit angepasst. Der ethnische Verein wird in seinen ethnischen Sphären reproduziert und transformiert. Die Persistenz der ethnischen Vereine resultiert daher aus den Aktivitäten der ethnischen Sphären, die die ethnischen Vereine mit Leben füllen. Ein weiterer Aspekt des Verhältnisses von ethnischen Sphären und der ethnischen Vereine ist, dass die Vereine ein Bindeglied zwischen ethnischen Sphären und ethnischen Gemeinschaften sind. Zum einen sind die Vereine Orte der Nostalgie und stabilisieren die ethnischen Gemeinschaften durch die Tradierung von emotionalen Bindungen unter ihren Mitgliedern. Zum anderen sind die Geschichte der Vereine sowie die emotional und mit Bedeutungen belegten Elemente ihrer Innenausstattung den Mitgliedern der ethnischen Sphären bekannt, die den ethnischen Verein aufsuchen. Verschiedene Sphären verschränken sich in den libanesischen und syrisch-libanesischen Vereinen. Die emotionale Bindung der Menschen an die Vereine steht mit der individuellen und gemeinschaftlichen Identität ihrer Mitglieder in Zusammenhang. Die Suche nach den persönlichen und kollektiven Wurzeln ist ein Diskurs, der sowohl die Sphären als auch die Vereine durchzieht. Die Wurzeln werden von den Interviewpartnern mit ihrer Herkunft in Verbindung gesetzt. Dabei vermischt sich die Zugehörigkeit der Interviewpartner zu einerseits den Herkunftsländern der Vorfahren (Syrien, Libanon) und andererseits zu ihrem Lebensland (Argen-

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tinien). Die Zugehörigkeiten werden dabei mit einer Sowohl-als-auch-Logik6 ausgebildet. Dies drückt sich auch in Bildern und Symbolen, wie Flaggen, in den Vereinen aus. Die ethnischen Vereine bedienen durch ihre kulturell hybriden Elemente das persönliche Empfinden der Mitglieder, zwischen Herkunftsland der Ahnen, dem aktuellen Lebensland und einer globalen Gemeinschaft zu stehen. Die Gesprächspartner betrachten die libanesischen und syrisch-libane sischen Vereine als Zuhause oder zweites Zuhause. Die Vereine werden zu spirituellen Orten, die über das Wachhalten der Erinnerung an die Ahnen emotional aufgeladen sind. Beschrieben werden die Gefühle beim Betreten der Vereine als zwiespältig. Einerseits ist es eine Freude, sich an vergangene Tage zu erinnern, andererseits ist hier der Verlust der Vorfahren und Freunde präsent. Einige Interviewpartner bezeichnen dieses zwiespältige Gefühl als Nostalgie. In den ethnischen Vereinen finden Aktivitäten statt, an denen die Mitglieder verschiedener ethnischer Sphären gemeinsam teilnehmen. Zudem sind die Mitglieder verschiedener Sphären im gleichen Verein Mitglied, wodurch sie den gleichen Pool von Symbolen und Zeichen kennen. Die Ausstattung der Vereine bettet verschiedene Sphären in die gleichen Bilder, Fotografien, Urkunden, Gegenstände und Geschichten und die daran geknüpften Bedeutungen ein. Die Bedeutungszusammenhänge der Symbole und Zeichen der Vereine sind den Mitgliedern der Vereine sphärenübergreifend bekannt. Gleichzeitig ähneln sich die Ausstattungselemente der verschiedenen ethnischen Vereine und die Handlungsmuster ihrer Mitglieder. In den Vereinen sind damit Elemente vorhanden bzw. werden geschaffen, die Gemeinsamkeit zwischen den in ihnen situierten Sphären herstellen. Diese gemeinsamen Elemente dienen wiederum der situativen Ausweitung der Vertrautheit, wobei ethnische Nachbarschaft gebildet, erhalten und verändert wird. Die Vereine können daher als Knotenpunkte für die Verschränkung der Sphären gesehen werden. Gleichzeitig tradieren die Vereine ethnische Nachbarschaft und damit die ethnische Gemeinschaft, da in ihnen die Bedeutungszusammenhänge in Bildern und Geschichten über Herkunft reproduziert werden und die Generationenwechsel überdauern. Die Prozesse der Vergemeinschaftung ethnischer Sphären sind aber nicht zwingend an ethnische Vereine und deren Räumlichkeiten gebunden. Aufgrund ihrer thematischen Ausrichtung auf soziokulturelle und ethnische Kontexte eignen sie sich jedoch besonders zum Erhalt und zur Bildung ethnischer Sphären sowie deren ethnischen Nachbarschaften. Das Beispiel der libanesischargentinischen Sphären zeigt, dass sich die Gemeinschaften, die sich als „libane6

Die Interviewpartner fühlen sich sowohl dem Libanon und/oder Syrien zugehörig als auch Argentinien.

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sisch“, „syrisch“, „syrisch-libanesisch“ und/oder „arabisch“ bezeichnen, sphärisch aufgebaut sind. Der Zutritt zu den Gemeinschaften vollzieht sich überwiegend durch das Eingebundensein des Menschen in eine ethnische Sphäre, also über die Familie und/oder Freundschaften. Das Modell der ethnischen Sphäre bietet einen Zugang zum Verständnis der Dynamik dieser ethnischen Gemeinschaften, die sich in Argentinien bildeten und über die nationalen Grenzen hinweg in andere Gemeinschaften eingebunden sind.

Literatur

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Verzeichnis statistischer Jahrbücher und der Kartengrundlagen

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272 | ETHNISCHE S PHÄREN

DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1937): Año 1936. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1938): Año 1937. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1939): Año 1938. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1944): Año 1943. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1947): Año 1946. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1949): Año 1948. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1950): Año 1949. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1958): Año 1957. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1959): Año 1958. Buenos Aires. DIRECCIÓN GENERAL DE MIGRACIONES (1978): Año 1977. Buenos Aires. ESRI (o. J.): Digitales Übungsmaterial. INSTITUTO GEOGRÁFICO UNIVERSIDAD NACIONAL DE TUCUMÁN (2000): Shape de polígones de Argentina. Nivel departamental. San Miguel de Tucumán. INDEC (1996): La población no nativa de la Argentina. 1869–1991. Buenos Aires. INDEC (2001): Censo Nacional 2001. Base de datos 2001. Online: http://www. indec.gov.ar/cgibin/RpWebEngine.exe/PortalAction?&MODE=MAIN&BAS E=CPV2001ARG&MAIN=WebServerMain.inl (Stand: 30.07.2008). INDEC (2008): Shape de puntos de las poblaciones de la República de Argentina. Buenos Aires. SÁENZ PEÑA, ROQUE (1916): Tercer censo nacional. Levantado el 1. de junio de 1914. Población. Bd. II, Buenos Aires. STATISTISCHES BUNDESAMT (2011): Gebiet und Bevölkerung. Fläche und Bevölkerung vom 31.12.2009. Online: http://www.statistik-portal.de/Statistik -Portal/de_jb01_jahrtab1.asp (Stand: 13.01.2012). WLCU (2008): WLCU chapters-feb2008. Online: www.wlcu.com/dmdocuments /WLCU%20Chapters-feb2008.doc (Stand: 01.12.2010).

Verzeichnis der Abkürzungen

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Global Studies Philipp Casula Hegemonie und Populismus in Putins Russland Eine Analyse des russischen politischen Diskurses September 2012, 350 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2105-1

Jörg Gertel, Sandra Calkins (Hg.) Nomaden in unserer Welt Die Vorreiter der Globalisierung: Von Mobilität und Handel, Herrschaft und Widerstand 2011, 304 Seiten, Hardcover, durchgehend vierfarbig bebildert, 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1697-2

Georg Glasze Politische Räume Die diskursive Konstitution eines »geokulturellen Raums« – die Frankophonie März 2013, ca. 258 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1232-5

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Global Studies Elisabeth Heidenreich Sakrale Geographie Essay über den modernen Dschihad und seine Räume 2010, 328 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1604-0

Fernand Kreff, Eva-Maria Knoll, Andre Gingrich (Hg.) Lexikon der Globalisierung 2011, 536 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1822-8

Philip Thelen Vergleich in der Weltgesellschaft Zur Funktion nationaler Grenzen für die Globalisierung von Wissenschaft und Politik 2011, 378 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1913-3

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Global Studies Seyhan Bayraktar Politik und Erinnerung Der Diskurs über den Armeniermord in der Türkei zwischen Nationalismus und Europäisierung 2010, 314 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1312-4

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Schirin Fathi (Hg.) Komplotte, Ketzer und Konspirationen Zur Logik des Verschwörungsdenkens – Beispiele aus dem Nahen Osten 2010, 326 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1341-4

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Heiko Grünwedel Schamanismus zwischen Sibirien und Deutschland Kulturelle Austauschprozesse in globalen religiösen Diskursfeldern März 2013, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2046-7

Ernst Halbmayer, Sylvia Karl (Hg.) Die erinnerte Gewalt Postkonfliktdynamiken in Lateinamerika April 2012, 340 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1858-7

Katharina Inhetveen Die politische Ordnung des Flüchtlingslagers Akteure – Macht – Organisation. Eine Ethnographie im Südlichen Afrika 2010, 444 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1378-0

Roman Loimeier Eine Zeitlandschaft in der Globalisierung Das islamische Sansibar im 19. und 20. Jahrhundert Februar 2012, 216 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1903-4

Stefan Luft, Peter Schimany (Hg.) Integration von Zuwanderern Erfahrungen, Konzepte, Perspektiven 2010, 360 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1438-1

Aldo Mascareño Die Moderne Lateinamerikas Weltgesellschaft, Region und funktionale Differenzierung Januar 2012, 260 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1971-3

Margarete Misselwitz, Klaus Schlichte (Hg.) Politik der Unentschiedenheit Die internationale Politik und ihr Umgang mit Kriegsflüchtlingen 2010, 300 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1310-0

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