Nationale Wissenschaft zwischen zwei Imperien: Die Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften, 1892–1918 [1 ed.] 9783737013901, 9783847113904


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Nationale Wissenschaft zwischen zwei Imperien: Die Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften, 1892–1918 [1 ed.]
 9783737013901, 9783847113904

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Open-Access-Publikation (CC BY-NC-ND 4.0) © 2022 V&R unipress | Brill Deutschland GmbH ISBN Print: 9783847113904 – ISBN E-Lib: 9783737013901

Wiener Galizien-Studien

Band 6

Herausgegeben von Christoph Augustynowicz, Kerstin S. Jobst, Andreas Kappeler, Andrea Komlosy, Annegret Pelz, Dieter Segert, Olaf Terpitz, Tatjana Thelen, Philipp Ther und Alois Woldan

Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.

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Martin Rohde

Nationale Wissenschaft zwischen zwei Imperien Die Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften, 1892–1918

Mit 15 Abbildungen

V&R unipress Vienna University Press

Open-Access-Publikation (CC BY-NC-ND 4.0) © 2022 V&R unipress | Brill Deutschland GmbH ISBN Print: 9783847113904 – ISBN E-Lib: 9783737013901

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Vienna University Press erscheinen bei V&R unipress. Gefördert durch das Doktoratskolleg »Austrian Studies«, den Forschungsschwerpunkt »Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte« und das Vizerektorat Forschung der Leopold-FranzensUniversität Innsbruck sowie den Schroubek-Fonds Östliches Europa. Überarbeitete Fassung der Dissertation, eingereicht an der Universität Innsbruck im März 2020. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Wo nicht anders angegeben, ist diese Publikation unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitungen 4.0 lizenziert (siehe https://creative commons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/) und unter dem DOI 10.14220/9783737013901 abzurufen. Jede Verwertung in anderen als den durch diese Lizenz zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Gruppenfoto der Enejida-Gedenkfeier 1898, Dim Franka, 169 mem. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-9710 ISBN 978-3-7370-1390-1

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Inhalt

Anmerkungen zu Schreibweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

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11 13 17 23 29

2. Imperiale Einordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Imperiale Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wissenschaftsvereine als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . .

37 45 52

3. Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein . . . 3.1 Die literarische Sˇevcˇenko-Gesellschaft, 1873–1892 . . . . . . 3.2 Konkurrenz? Ivan Franko als Wissenschaftsorganisator und Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Reformära: 1892–1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Oleksandr Barvins’kyj – Die Nova era als Wendepunkt 3.3.2 Mychajlo Hrusˇevs’kyj – Zwischen Akademisierung und Nationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Mitglieder und Marginalisierte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Sektionen und Kommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . .

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59 63

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68 73 75

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85 97 105

4. Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung 4.1 Die ›Universitätsfrage‹ . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Nachwuchsförderung . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Staatssubventionen – Kapital aus der Krise . . .

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121 122 129 137

Einleitung . . . . . . . . . . . . 1.1 Fragestellung . . . . . . 1.2 Forschungsstand . . . . 1.3 Theoretische Verortung 1.4 Quellen und Aufbau . .

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Teil I: Ukrainische Wissenskultur in Galizien

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6

Inhalt

4.4 Bibliothek und Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 ›Wissenschaftliche Ferienkurse‹ im Sommer 1904 . . . . . . . .

145 155

5. Vereinsagenda: ›Nationale Wissenschaft‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Nation definieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Nation abgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Wissenschaft für wen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Sprachen ›nationaler Wissenschaft‹ . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Literatur für die Nation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zwischen ideologischen und persönlichen Konflikten: Das NTSˇ bis 1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171 177 184 197 197 204 211

Teil II: Galizien erforschen, Ukraine machen . . . . .

233 237 244 254 275

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291 296

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309 312 316 320

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329 330 337 347

9. ›Nationale Wissenschaft‹ im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Stepan Rudnyc’kyjs »Osteuropa« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Das NTSˇ in Lemberg nach dem Kriegsausbruch . . . . . . . . .

357 382 388

6. Vom Grenzraum zum ethnographischen Territorium 6.1 Gebirgskultur im Dorf . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die »ungarische Rus’« . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Europäische Ethnographie im Grenzland . . . . 6.4 Physische Anthropologie . . . . . . . . . . . . .

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7. Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Statistische Kommission und nationale Eindeutigkeit 7.2 Von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zum politischen Protest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Der ›polnische Zählkommissar‹ . . . . . . . . . . 7.2.2 Volkszählung lokal . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Synthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Nation katalogisieren: Bibliographie . . . . . . . . . . 8.2 Nation visualisieren: Kartographie . . . . . . . . . . . 8.3 Nation kodifizieren: Auf dem Weg zur Enzyklopädie

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Teil III: Mobilisierung

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7

Inhalt

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397 399 403 411

Nachwort zur Erinnerungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

417

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

429

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

449

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

451

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

507

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

511

10. Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Ein transimperialer Wissenschaftsverein in Galizien 10.2 Selbstverortung – zwischen Wissensräumen . . . . . 10.3 Die Arbeit am Raumbild Ukraine . . . . . . . . . .

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Anmerkungen zu Schreibweisen

Zumal das Naukove tovarystvo im. Sˇevcˇenko (im Folgenden: NTSˇ), das im Zentrum dieser Arbeit steht, im deutschsprachigen Raum aktiv war und deutschsprachige Veröffentlichungen pflegte, nutzte es eine konsequente Selbstbezeichnung: Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften.1 Auch wenn ich in dieser Arbeit pragmatisch die ukrainische Abkürzung NTSˇ nutze, beziehe ich mich in den meisten Bezeichnungen auf das Vokabular der deutschsprachigen Vereinschronik und empfehle darüber hinaus, Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften als einheitliche Übertragung anstatt oft heterogener freier Übersetzungen zu nutzen. Alle historischen Schreibweisen ukrainischer Orts- und Personennamen werden in direkten Zitaten und Literaturangaben beibehalten. Im Text werden Namen konsequent entsprechend der heute geläufigen Schreibweise genutzt.2 In den Literaturangaben werden dagegen alle historischen Schreibweisen der Autorinnen und Autoren beibehalten, weil dieses Vorgehen nicht nur die Auffindbarkeit erleichtert, sondern auch die sprachliche Komplexität des Untersuchungsgegenstandes abbildet. Ortschaften, deren ukrainische Bezeichnungen in der Habsburgermonarchie nicht kodifiziert waren, sind entsprechend der heute üblichen Rechtschreibung angegeben. Problematisch ist die Verwendung der Ethnonyme ukrainisch und/oder ruthenisch. Im gegebenen Mikrokontext und genau zur Zeitspanne, der sich diese Arbeit widmet, wurden sie ausverhandelt. Die Bezeichnung ukrainisch-ruthe1 Auch die Benennung der Vereinsinstitutionen folgt keiner wörtlichen Übersetzung, sondern, sofern konsistent gebraucht, den Begriffen der deutschsprachigen Vereinschronik Chronik der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften. Inhaltlich zitiert wird hingegen ausschließlich aus der ukrainischen Originalvariante Chronika Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka. 2 Stanislav statt Stanyslav Dnistrjans’kyj, Fedir statt Chvedir Vovk. Galizismen, wie bspw. die irreguläre Nutzung von ›Hrusˇivs’kyj‹ statt ›Hrusˇevs’kyj‹, werden nicht berücksichtigt. Nachnamen haben konsequent das Weichheitszeichen zwischen ›s‹ und ›k‹ (also Barvins’kyj und nicht Barvinskyj, wie in manchen Quellen der 1880er und 1890er Jahre), obwohl sich die Schreibweise erst im Untersuchungszeitraum durchsetzte und nicht von allen ruthenischukrainischen Akteuren/Verlagen angenommen wurde.

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Anmerkungen zu Schreibweisen

nisch (ukrajins’ko-rus’kyj) hatte eine nicht minder ideologische Beimischung; sie sollte keineswegs nur einen diplomatischen Übergang der Begriffsnutzung ermöglichen, sondern in historischer Perspektive die Diskrepanz einer ruthenischen Vergangenheit mit einer ukrainischen Zukunft kontrastieren.3 Ruthenisch war keineswegs so neutral, wie häufig in der deutschsprachigen Forschungsliteratur angenommen.4 Deshalb habe ich mich zu einem komplexen Vorgehen entschieden: Die Nationalbewegung, ihre moderne Schriftsprache und die Menschen, die ihnen zweifelsfrei anhingen, werden als ukrainisch bezeichnet. Ansonsten werden ruthenisch, ukrainisch, ukrainisch-ruthenisch oder ruthenisch-ukrainisch (sowohl in deutschen als auch polnischen und ukrainischen Texten) entsprechend der Quellensprache benutzt; beim offiziellen, deutschsprachigen Gebrauch Cisleithaniens ist folglich von ruthenisch die Rede ist. Galizische, ungarische und russländisch-ukrainische Ortsnamen werden üblicherweise zweisprachig angegeben, ausgenommen sind die Namen bekannter Großstädte (Kiew, Krakau, Lemberg, Moskau, St. Petersburg), die in der üblichen Form als deutsches Exonym wiedergegeben werden. Diese Varianten sind nicht alle leserinnen- und leserfreundlich, verdeutlichen aber die kontextuell relevante Vielfalt; dabei gilt zu berücksichtigen, dass einige galizische Ortschaften auch einen jiddischen oder einen deutschen Ortsnamen benötigen würden, die hier allerdings ausgespart werden müssen. Wie im Kapitel 3.4 ausgeführt, waren Frauen im Verein marginalisiert und trotz sporadischer Mitgliedschaft nicht an den zentralen Forschungsprojekten oder der Vereinsadministration beteiligt. Ich spreche deshalb konsequent von männlichen Wissenschaftlern, um den Verein nicht künstlich weiblicher wirken zu lassen, als er war. Dies würde eine problematische Praxis des Vereins reproduzieren, wie sie etwa in Kapitel 4.5 angesprochen wird. Alle Übersetzungen sind meine eigenen.

3 Hyrycˇ 2012. 4 Einerseits war die latinisierte Ableitung der (ebenfalls nicht allgemeingültigen) Selbstbezeichnung rusyny eine imperiale Konstruktion, andererseits war der Begriff bisweilen sogar sarkastischer Kampfbegriff der Jugend oder ein bewusstes Loyalitätsbekenntnis gegenüber der Habsburgermonarchie. Ausführlicher zum zugrundeliegenden Problem Rohde 2021, Ruthenen.

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Einleitung »Ich schreibe doch hier, wie Sie sehen, nicht aus materiellen oder gar dienstfertigen Beweggründen, sondern nur dafür, um die ukrainische Arbeit ein wenig an die allgemeineuropäische Wissenschaft heranzuführen, um nach allen Kräften die Menschen öfter daran zu erinnern, dass es auf der Welt eine Ukraine gibt und um zu erreichen, dass sie anerkannt wird, wenn schon nicht in der Politik, dann doch in der Wissenschaft.«5 Fedir Vovk, Paris, 1895

Das Naukove Tovarystvo im. Sˇevcˇenka (Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften, nachfolgend NTSˇ) war ein ukrainischer Wissenschaftsverein im habsburgischen Galizien, der um 1895 begann, sich überregional zu vernetzen, um die Expertise zur (zu diesem Zeitpunkt politisch lediglich imaginierten) Ukraine zu bündeln. Damit operierte der Verein am Herzen eines Nationsbildungsprojekts und suchte Menschen aus allen ukrainischen Ländern sowie der Emigration zu verbinden, deren Biographien allesamt durch die verschiedenen imperialen Situationen der ukrainischen Länder geprägt waren, kurz: durch die Zwischenlage. Chvedir/Fedir Vovk (1847–1918) wurde in einem Dorf in der Region um Poltava geboren,6den russischen Namen Volkov nahm die ukrainische Familie an, als sie nach Nizˇyn/Nizˇen zog, um den Kindern eine Gymnasialbildung zu ermöglichen. Er studierte in Odessa und Kiew, wo er mit dem ukrainophilen Milieu in Kontakt kam und sich nach einer wissenschaftlich produktiven Zusammenarbeit letztlich rechtlicher Verfolgung ausgesetzt sah. Einige Dezennien später galt er – als Théodore Volkov – den wissenschaftlichen Kreisen im Paris des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts als Experte für Anthropologie, Ethnologie und Folklore des östlichen Europas und hatte darüber hinaus eine prämierte Dissertation zur medizinischen Anthropologie an der École d’anthropologie verfasst. 1895 wandte sich der junge Historiker Mychajlo Hrusˇevs’kyj (1866–1934) im Namen des NTSˇ mit einer Kooperationsanfrage an Vovk. Hrusˇevs’kyj war Schüler von Vovks ehemaligem Kiewer Kollegen Volodymyr Antonovycˇ (1834– 1908). Nachdem letzterer eine Professur im habsburgischen Lemberg (ukr. L’viv, poln. Lwów) abgelehnt hatte, brachte er Hrusˇevs’kyj dafür ins Spiel, der dieses Amt im Alter von 28 Jahren antrat. Dabei prägte ihn die Mission, die ruthenischukrainischen Wissenschaft Galiziens zu mobilisieren und mit der ukrainischen 5 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 4. Oktober 1895, LMH, t. 2, S. 106–108, hier S. 106. 6 ›Chvedir‹ ist eine historische Variante von ›Fedir‹; heute hat sich die letztere Schreibweise auch für Vovk durchgesetzt. Zur Biographie und Forschung Vovks vgl. Kap. 6.3 und die dortigen Referenzen.

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Einleitung

des Zarenreiches zusammenzuführen. Als Vehikel hierfür sollte neben seiner Professur das NTSˇ dienen, das auch diese beiden wechselvollen intellektuellen Biografien vernetzte. Der dynamische Wissenschaftler übernahm unmittelbar leitende Funktionen im NTSˇ: Er redigierte dessen wichtigste Zeitschrift und leitete seine historisch-philosophische Sektion und verfolgte das Maximalziel, eine informelle ukrainische Akademie der Wissenschaften aufzubauen. Hierfür inspirierte er neue Projekte, darunter die Gründung einer ethnographischen Kommission. Für diese suchte er Vovk zu motivieren, ukrainische Beiträge zu verfassen, seine französischen Artikel zur Übersetzung zur Verfügung zu stellen und letztlich eine eigene ukrainische Zeitschrift zur Ethnologie und Anthropologie im NTSˇ herauszugeben. Während sich Hrusˇevs’kyj also einen Transfer westeuropäischer Wissenschaften wünschte, beharrte Vovk zunächst auf seiner Priorität, Wissen über die Ukraine im frankophonen Raum zu verbreiten.7 Die beiden Wissenschaftler beeinflussten mit ihren (gemeinsamen) Projekten nachhaltig die ukrainische Wissenschaft. Ihre Biographien und Positionen illustrieren Grundprobleme und imperiale Prägungen, unter denen eine im Entstehen begriffene ukrainische scientific community zu operieren hatte. Beide wirkten, in unterschiedlicher Zeitspanne und Intensität, im ostgalizischen Lemberg für das NTSˇ und stießen dabei auf die spezifischen Herausforderungen dieses Milieus, das ihnen trotz ihres Selbstverständnisses als Ukrainer – und Ostgalizien betrachteten sie als ukrainisch – häufig ›fremd‹ erschien.8 Beide fanden hier allerdings auch wissenschaftlichen Nachwuchs, den sie in ihre Arbeit einbinden und im eigenen Sinne fördern konnten. Die Fälle Vovks und Hrusˇevs’kyjs zeigen dabei deutlich die Relevanz transregionaler, transgenerationeller und transkultureller Ansätze für eine Geschichte dieses Vereins. Diese Geschichte ist in drei wesentliche Phasen zu unterteilen: die Gründungsphase als literarische Gesellschaft 1873–1892, die darauffolgende Reformperiode mit einer aktiven Schaffensphase bis 1914/1918 – mit der Kriegszeit als wichtigem Bruch – und eine schwierige Zeit der Neupositionierung im polnischen Lwów bis 1939.9 Diese Arbeit widmet sich dem NTSˇ in der Habsburgermonarchie, um die ukrainische Wissenskultur und ihren Einfluss auf Forschungsprozesse dezidiert vor dem Hintergrund dieses politischen und kulturellen Möglichkeitsraums zu erforschen. Die zunächst literarische Sˇevcˇenko7 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 4. Oktober 1895, LMH, t. 2, S. 106–108. 8 Hrusˇevs’kyj 2002, Jak mene provadzˇeno. 9 Nachdem die sowjetische Okkupation die Auflösung des Vereins erzwang, formierten sich aus den Mitgliedern Ableger in der Diaspora. Diese Ableger unterstützten seit 1990 die Neugründung des Vereins im ukrainischen L’viv und konstituieren mit ihm den ›Weltrat der Sˇevcˇenko-Gesellschaften der Wissenschaften‹. Visnyk NTSˇ 55 (2016), Informacijne vydannja Svitovoji rady Naukovych tovarystv im. Sˇevcˇenka.

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Fragestellung

Gesellschaft wurde von der ukrainischen intelihencija aus der russländischen Ukraine initiiert und finanziert, musste aber aus formalen Gründen von österreichischen Staatsbürgern gegründet werden, so dass die galizischen narodovci (Volkstümler) diese Funktion ausfüllten und den Verein nach ihren eigenen Interessen ausrichteten.10 Die Phase von 1892 bis 1918 begann mit einer schon früher initiierten Transformation des Vereins in die Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften und war von zahlreichen Mikrozäsuren geprägt. Die formelle Umstrukturierung begann im Jahr 1892, wobei die grundlegende Reformperiode bis 1899 andauerte.11 Die Schaffensphase bis zum Ersten Weltkrieg darf als produktiv und in enger, aber wechselvoller Zusammenarbeit mit russländischukrainischen Intellektuellen gelten, wobei Hrusˇevs’kj zentrale Impulse zuzuschreiben sind. Er forcierte die Akademisierung, die Ausbildung der Vereinsinstitutionen und wesentlicher Periodika, die zu Markenzeichen des NTSˇ werden sollten. Gleichsam legte er mit ›nationaler Wissenschaft‹ bzw. Ukrajinoznavstvo (wörtlich ›Ukrainekunde‹) ein grundlegendes, aber loses Wissenschaftskonzept vor. In dieser Schaffensphase des Vereins war die ukrainische Wissenschaftslandschaft nahezu monozentrisch auf diesen Verein ausgerichtet. Durch diese Schlüsselfunktion lässt sich die aufkeimende ukrainische Wissenschaft unter nationalem Vorzeichen durch das Prisma des Vereinsgeschehens schlüssig erforschen, wobei stets breitere imperiale und transnationale Verflechtungskontexte berücksichtigt werden. Dabei geht es nicht um eine nationale Konfliktgeschichte, sondern vielmehr eine europäische Geschichte, die den Möglichkeiten nachspürt, die das imperiale System und der transnationale Austausch dieser werdenden Wissenskultur boten.

1.1

Fragestellung

Diese Arbeit fragt anhand des NTSˇ danach, inwiefern soziale und kulturelle Räume eine nicht-dominante Wissenskultur in imperialen Kontexten und darauf aufbauend Forschungen und Kommunikationsstrategien prägten. Dies ist vor 10 Die narodovci (Volkstümler, Volksfreunde) waren ruthenisch-ukrainische Eliten, die sich am narod (Volk) orientierten. Ihre ›ukrainophile‹ Ausrichtung postulierte eine kulturelle Eigenständigkeit der Ukraine und der Ukrainerinnen und Ukrainer, die sie politisch und kulturell zu manifestieren suchten. Zentrale Inspiration für diese Auffassung waren das literarische Werk Taras Sˇevcˇenkos durch seine Idealisierung der Volkskultur und der Kosakenkult. 11 Dazu die ersten Vereinsstatute im Archiv der polnischen Wojewodschaftsverwaltung der Zwischenkriegszeit (entnommen aus dem Archiv der galizischen Statthalterei) DALO, fond 1, op. 51, spr. 1233.

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Einleitung

den skizzierten Hintergründen des ukrainischen nationalen Projekts in unterschiedlichen Teilfragen zu betrachten, die sich in zwei Bündel zusammenfassen lassen. Hinsichtlich der Vereinsorganisation ist zu erarbeiten: Welchen organisatorischen und politischen Problemen standen diese Wissenschaftler bei der Realisierung ihrer Forschungsarbeit gegenüber und welche Strategien setzten sie ein, um diese zu umgehen? Wie gestalteten sich Kooperationen mit imperialen und (trans-) nationalen Akteuren unterschiedlicher Couleur? Auf welchen Wegen gelangten neue Anregungen zur Ausgestaltung der ukrainischen Wissenskultur nach Lemberg? Wie äußerten sich innerhalb des Vereins regionalistisch-ostgalizische Strömungen gegenüber gesamtukrainischen? Der zweite Block widmet sich der Wissenskommunikation und konkreten Forschungen entlang institutioneller, wissenschaftlicher und politischer Aspekte. Als Bindeglied dieser Cluster dient die Überlegung, welche sprachlich, politisch oder geographisch definierten Referenzräume sich diese ukrainische Wissenschaftsbewegung suchte und wie diese flexiblen Raumvorstellungen miteinander korrelierten, aber auch, wie Forschungen überhaupt mit den verfügbaren Ressourcen zu realisieren waren. Anhand historischer Forschungsprojekte zu Ethnographie, Anthropologie, Statistik und Kartografie wird diskutiert, aus welchen Einflüssen sich die ›nationale Wissenschaft‹ speiste, wie die Wissensproduktion zwischen Feld und Studierstube realisiert wurde und welche Rolle die ideologische Selbstverortung der Akteure hierbei spielte. Die Beschränkung auf den Zeitraum von 1892 bis 1918 ist nötig, um die ukrainische scientific community im Umfeld des NTSˇ in räumlich-politischen Kontexten, wissenschaftlichen Netzwerken und bisweilen mikrohistorischen Perspektiven auf Forschungsprozesse erforschen zu können. Diese Gruppe interagierte mit der deutschsprachigen Wissenschaft des habsburgischen Staates und darüber hinaus; mit russländischen Wissenschaften; mit ruthenisch-ukrainischen und nicht-ukrainischen Gruppierungen Galiziens; mit tschechischen wie ganz allgemein transnationalen, europäischen Institutionen. An ihrem Beispiel werden konstruierte Hierarchien und Hindernisse ebenso wie produktive Möglichkeiten des imperialen Umfeldes herausgearbeitet. Das Zusammenwirken von nationalem Aktivismus und Prägekraft staatlicher, imperialer Kategorien ist für andere Regionen der Habsburgermonarchie erarbeitet worden und wird auch im Rahmen dieser Arbeit reflektiert.12 Mit der parteiübergreifend einflussreichen Wissenschaftsorganisation, die im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht, sind diese Aspekte bisher nicht zusammengebracht worden. Diese Arbeit erhebt nicht den Anspruch, im Alleingang zu erklären, wie aus den heterogenen Gruppen, die die ukrainischen Länder bewohnen und bewohnten, Ukrainerinnen und Ukrai-

12 Stergar / Scheer 2018.

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15

Fragestellung

ner wurden.13 Sie analysiert jedoch den Anteil galizischer Wissenschaft in ihren imperialen, transimperialen und transnationalen Verflechtungen. Während in diesem Rahmen keine stringente Kollektivbiographie14 vorgelegt werden kann, entwickelt die vorliegende Studie ihre Thesen vorrangig anhand ausgewählter Biographien in Interaktion mit dem NTSˇ. Darüber hinaus gilt es, den in bisher allen einschlägigen Darstellungen omnipräsenten Vereinspräsidenten Hruˇsevs’kyj im kritischen Verhältnis zu seinem Netzwerk aus Freunden, Schülern und Gegnern zu betrachten. Die Arbeit trägt zu drei Forschungsfeldern bei: der Geschichte der Habsburgermonarchie, der ukrainischen Geschichte und der Schnittstelle von Imperienforschung mit neueren Ansätzen der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte. Aufgrund der komplexen Situation des ukrainischen Wissenschaftsvereins, eingebettet in die Habsburgermonarchie und den galizischen Mikrokolonialismus15 – d. h. der im späten 19. Jahrhundert institutionalisierten Dominanz der polnischen Sprachgruppe – mit den ukrainischen (›süd-‹ bzw. ›kleinrussischen‹) Regionen des Zarenreiches als nationalem Kommunikations- und Referenzraum, finden sich Herrschaftsbeziehungen, die es in ihrer Reziprozität mit der ukrainisch-nationalen Wissenschaft zu berücksichtigen gilt. Gleichfalls war das NTSˇ in die europäische Wissenschaftslandschaft, ihre Möglichkeiten, Grenzen und Sprachhierarchien einbezogen, suchte aber zu interagieren und sich zu integrieren, nicht zu isolieren. Diese unterschiedlichen räumlichen Bezugspunkte rechtfertigen eine Darstellung der Vereinsgeschichte als eine europäische Geschichte. National-, Staats- oder Regionalgeschichten werden nicht als abgrenzbare Entitäten sui generis, sondern kontinuierliche Aushandlungsprozesse zwischen Individuen, Gruppen und Räumen verstanden. Damit einhergehend kann die Geschichte des Vereins weder auf die selbst konstruierte intellektuelle Genealogie, eine Verortung in dem Staat, in dem sie gegründet wurde, noch auf einen ihr von der ukrainischen Nationalgeschichtsschreibung zugewiesenen Platz reduziert werden. Die monokulturelle Konzeption der ›Nation‹ nach Herder war das zentrale Ideal der Wissenschaften, die als nationsbildende Instanzen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert agierten. Mit ihrem normativen Anspruch suchten wissenschaftliche Disziplinen, eine Nation zu konstruieren und mittels Abgrenzungen den transkulturellen Status quo in den ukrainischen Ländern zu nivellieren.16 Prozesse der Abgrenzung von anderen Entitäten als transnationale Interaktion waren damit zentral für Nationsbildungsprozesse im plurikulturellen 13 Angelehnt an Eugen Webers (1976) zentrale Arbeit Peasants into Frenchmen. 14 Schröder 2011 zu Kollektivbiographien; zur Erforschung imperialer Biographien Buchen / Rolf (Hg.) 2015. 15 Feichtinger / Prutsch / Csáky (Hg.) 2003; Wendland 2010; Wendland 2013. 16 Zum Begriff der Transkulturalität Welsch 2017.

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16

Einleitung

Raum; folgerichtig konnten diese Prozesse nicht monokulturell sein.17 Die Nationalisierung ukrainischer Akteure erfolgte nicht »dank des Wirkens quasinaturgesetzlicher Kräfte«, »sondern infolge von Interaktion mit ihrer nichtukrainischen Umgebung«18. Genau diese Begriffe, Prozesse und Wahrnehmungen gilt es als konstituierende Elemente der frühen ukrainischen Wissenschaftsentwicklung zu historisieren, anstatt sie unkritisch zu reproduzieren oder als Analysekategorien zu verabsolutieren. Als Arbeitshypothese wird angenommen, dass die ›nationale Wissenschaft‹, durch die der Verein die ukrainische Kultur nachhaltig prägte, im Kern eine frontier-Wissenschaft war. Sie speiste sich schon in ihren Anlagen aus der frontier-Lage in der von dieser community maßgeblich mitkonstruierten ukrainischen Nation. Es handelt sich also um eine frontier, die erst durch die Imagination nationaler Aktivisten mit einer solchen Bedeutung aufgeladen wurde. Dabei gilt es zweierlei Selbstverortungen zu unterscheiden: einerseits die Betrachtung des gesamten ukrainisches Raumes als frontier umliegender Staaten und Bewegungen, andererseits konkrete transnationale Kontaktzonen an den Rändern dessen, was die ukrainische Nationalbewegung als homogenes Territorium definierte. Die Relevanz solcher frontier-Regionen ist dabei zeitlich nicht auf den Forschungszeitraum begrenzt, sondern war auch in der Zwischenkriegszeit und ist bisweilen auch noch heute ein persistentes Phänomen, betreffend etwa die ukrainische Oblast’ Zakarpattja (Transkarpathien) und ihre (süd-) westlichen Grenzregionen.19 Der habsburgische Möglichkeitsraum erlaubte – im Kontrast zum Zarenreich – eine vergleichsweise freie Entfaltung, führte gleichermaßen aber zur Intensivierung einer polnisch-ukrainischen Frontstellung in Galizien. Anhand dessen gilt es das NTSˇ in der (Wissenschafts-) Geschichte der Habsburgermonarchie sowie der ukrainischen Nationsbildungsprozesse inner- und außerhalb Galiziens zu verorten. Mit der Zentrierung auf einen Verein weicht diese Arbeit deutlich von neueren Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte ab, die häufig spezifische Disziplinen – prominent wären etwa Historiographie20, physische Anthropologie21 und Geographie22 – oder die multidisziplinäre Konstruktion einer Nation, eines Territoriums oder einer Bevölkerung in ihren Mittelpunkt stellen.23 Die Vorteile 17 18 19 20 21 22 23

Velychenko 1992, National History; Velychenko 1992, Shaping Identity; Plokhy 2005. Wendland 2011, S. 53. Magocsi 2015. Plokhy 2005; Wöller 2014. McMahon 2016; Mogilner 2013, Homo Imperii. Henniges 2014; Henniges 2015; Seegel 2012; Seegel 2018. Hansen 2015; Kotenko 2013. Maciej Górnys Arbeiten (2019, Vaterlandszeichner; 2019, Science) gehen ebenfalls transdisziplinär vor, haben aber den breiteren Anspruch, transnational vergleichende Ergebnisse zu liefern.

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17

Forschungsstand

dieses Vorgehens bestehen darin, das NTSˇ als Zentrum der ukrainischen scientific community und einer entstehenden Wissenskultur in Mikroperspektive untersuchen zu können. Dadurch lässt sich aufzeigen, wie ein Impuls – exemplarisch sei die Geschichtsschreibung Hrusˇevs’kyjs genannt – verschiedene Disziplinen und gleichzeitig die kulturelle Selbstverortung von Wissenschaftlern beeinflussten konnte. Das Wirken des Vereins war nicht auf einen engen Raum oder die offiziellen Vereinssitzungen begrenzt, denn es handelte sich um den Konzentrationspunkt eines breiten Netzwerkes, das sich mit individuellen Wissenschaftlern, Kulturvereinen sowie politischen Parteien vernetzte und dies nicht nur innerhalb der Habsburgermonarchie. Durch den Aspekt transimperialer Kommunikation lässt sich die Herausbildung einer als national verstandenen Wissenskultur untersuchen, auf die galizische Regionalität deutliche Einflüsse nahm. Einige Optionen moderner Imperien-, Wissenschafts- und Galizienforschung können dadurch nicht gleichberechtigt verfolgt werden. Auf die jüdische Bevölkerung Galiziens kann nur äußerst selektiv durch die Linse ruthenischukrainischer Statistiker im Kapitel 7 Bezug genommen werden. Russophile Vereine, die in geringerem Maße auch wissenschaftlich aktiv waren, können in diesem Rahmen nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit bedacht und entsprechend nur sektoral einbezogen werden. Sie sind im Wesentlichen als separate (scientific) community zu denken, die nur im Fall einiger Querverbindungen angesprochen wird, nämlich dann, wenn Wissenschaftler das ›Lager‹ wechselten, wobei ich davon ausgehe, dass die historiographisch gebrauchten Identifikationsmuster bisweilen fluider gedacht werden müssen. Dies zeigt sich besonders dann, wenn etwa Wissenschaftler in erster Linie Wissenschaft in ihrer Muttersprache betreiben und nicht (nur) nationale Aktivisten sein wollten. Nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass der Verein äußerst wenige weibliche Mitglieder hatte. Obwohl es weibliche ruthenisch-ukrainische Intellektuelle im weiteren Netzwerk des Vereins gab, die auch etwa durch ihr Literaturschaffen in Verbindung mit dem zunächst vom Verein geführten Literaturno-naukovyj vistnyk (Literarischwissenschaftlicher Bote) standen, scheinen Frauen im Vereinsleben marginal. Das Kapitel 3.4 versucht, ihre Rolle für den Verein zu rekonstruieren.

1.2

Forschungsstand

Einen wesentlichen Teil früher Darstellungen zum NTSˇ verfassten Zeitzeugen: direkt beteiligte, führungsnahe Wissenschaftler kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder die jüngere Generation während der Zwischenkriegs-

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18

Einleitung

zeit.24 Sie fassen Galizien als Ort relativer Freiheit gegenüber dem repressiven Zarenreich, das nationale Aspirationen unterdrückte und die ukrainische Sprache in den meisten Publikationen mit dem Valuev-Zirkular 1863 und Kulturveranstaltungen mit dem Emser Erlass 1876 verbot. Die russische Revolution 1905 leitete allmähliche Lockerungen ein, ohne dass ähnliche Freiheiten wie in der Habsburgermonarchie erreicht worden wären.25 Über den galizischen Raum, konkreter über Machtverhältnisse oder die Einbettung in staatliche Bildungsund Wissenschaftsräume, wird dabei nicht reflektiert. Die Spenden russländischer »ukrainischer Patrioten«26 scheinen omnipräsent, ihre ideelle und organisatorische Unterstützung weniger. Die Zeit als literarische Gesellschaft von 1873 bis 1892 wird dabei nur formell beachtet und nicht näher thematisiert,27 als wichtigste Zäsuren gelten die erste Ausgabe der Zapysky und die Ankunft Mychajlo Hrusˇevs’kyjs in Lemberg. Die Geschwindigkeit, mit der er die Kontrolle über die Gesellschaft übernahm, wird dabei auch gern überzeichnet. In dieser Hinsicht ähneln sich Texte des Ukrainischen Wissenschaftlichen Instituts Berlin und des NTSˇ in der Zwischenkriegszeit. Zu den wichtigsten Vereinschronisten gehörten der langjährige Sekretär Volodymyr Hnatjuk und der Bibliothekar Volodymyr Dorosˇenko (1879–1961). Hrusˇevs’kyjs Tätigkeitsberichte während seiner Vereinspräsidentschaft und biographische Beiträge zu ukrainischen Intellektuellengeschichten in den 1920er Jahren im Rahmen der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kyjiv waren ebenso einflussreich. Auch wenn sie nicht alle erfassten Episoden persönlich miterlebten und Quellen des Vereinsarchivs (nicht zitiert) benutzten, sind ihre Darstellungen grundsätzlich von der intensiven Mitarbeit und ihrer persönlichen Beziehung zur Vereinsleitung geprägt. Sie werden darum als Memoirenliteratur verstanden, zumal sie durch Probleme gekennzeichnet sind, die Bourdieu als »biographische Illusion«28 tituliert hat – einer narrativen Aufbereitung ex post. So werden etwa unliebsame Konflikte übergangen oder nur aus Perspektive der Vereinsleitung geschildert; marginalisierte bzw. oppositionelle 24 Hnatjuk 1984; Dorosˇenko, V. 1913; Dorosˇenko, V. 1951. Dazu gehören auch Beiträge zur Jubiläumsausgabe der Zapysky NTSˇ CL (1929), darunter vor allem Voznjak 1929 und Studyns’kyj 1929, Naukove Tovarystvo; Kubijowytsch 1974; zur späteren Phase auch Kubijovycˇ 1973. Roman Kucˇers (1925–1991, Sohn des NTSˇ-Physikers Volodymyr Kucˇer) Monographie basiert zwar nicht auf Zeitzeugenschaft, dafür aber fast ausschließlich auf solcher Memoirenliteratur. Kucˇer 1992. 25 Detailliert zur ukrainischen Nationalbewegung und ihrer Repression im Zarenreich: Miller 2003. 26 Mirtschuk 1941, S. 336. 27 Ausgenommen ist die 1926 erschienene Jubiläumsausgabe der Zapysky, in der Oleksandr Konys’kyj als Mitorganisator des Vereins und seiner ersten Zeitschrift besondere Aufmerksamkeit zukommt. 28 Bourdieu 1990.

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19

Forschungsstand

Mitglieder mussten sich damit zufriedengeben, dass ihre Leistungen nur als Posten auf Publikationsauflistungen gewürdigt wurden.29 Diese Werke haben vor allem dann einen Mehrwert als Quelle, wenn sie Vereinsepisoden aus einer persönlichen Position betrachten oder Details ergänzen, die andere Quellen nicht erfassten. Diese Literatur tradierte entsprechend des primordialistischen Modells einer ukrainischen Nationalgeschichte ein Narrativ vom NTSˇ als Kern nationaler Wissenschaftsorganisation, in einem teleologischen Fortschrittsnarrativ also als Vehikel ›nationaler Wiedergeburt‹. Insgesamt werden diese Texte jedoch häufig als ›neutrale‹ Forschungsliteratur herangezogen und eingeordnet, obwohl ihre Narrative und Perspektiven historisiert werden müssten.30 Die Monographien von Aleksievec’ et al, Zajceva und Vynar stellen die einzigen wissenschaftlichen Synthesen zur Vereinsgeschichte bis 1918 dar. Sie bleiben explizit auf Hrusˇevs’kyj zentriert und reproduzieren letztlich die grundsätzlichen Thesen der Erinnerungsliteratur von Hnatjuk und Dorosˇenko.31 Darüber hinaus betrachten sie den Verein ebenso isoliert wie die Chronisten; Zajceva hat gesamtukrainische Kontexte erstmals stärker berücksichtigt. Sie breitet zwar eine theoretische Grundlage aus, die sich auf Nationsbildung bezieht und gleichsam transnationale Beziehungen anspricht,32 erforscht diese Grundannahme aber nicht weiter. Andererseits stellt sie Strategien der Akademisierung und die »Integration des NTSˇ in den wissenschaftlich-informativen Raum«33 heraus, wodurch sie die Ausbildung ›nationaler Wissenschaften‹ von teleologischen Deutungen befreien konnte. Dennoch bleibt ihre Darstellung auf Hrusˇevs’kyj zentriert, die inhaltliche Seite der Wissensproduktion wird nicht behandelt, politische Kontexte34 und hierarchische Wissenschaftsorganisation in Galizien bzw. der Habsburgermonarchie werden nicht thematisiert. Auf dieser 2006 veröffentlichten und insgesamt gelungenen Darstellung ist bis heute nicht aufgebaut worden. In Überblickswerken zur ukrainischen Geschichte, etwa in Natalija Polons’kaVasylenkos klassischer Darstellung, wird das NTSˇ obligatorisch als Beleg für die ukrainische kulturelle Produktivität in Galizien angeführt. Zentral ist der Autorin dabei der Verweis auf die Unterstützung durch russländische Ukrainerin-

29 Dorosˇenko, V. 1913; Hnatjuk 1984; Studyns’kyj 1929, Naukove Tovarystvo. 30 Das leistet Konta 2014 mit Bezug auf die ethnologische Forschung im Verein. 31 Vynar 2006 (überarbeitete Fassung der Erstveröffentlichung von 1970); Zajceva 2006. Vielfältiger ist der Sammelband Kupcˇyns’kyj (Hg.) 1998, insbesondere der Beitrag Djadjuk 1998 zu weiblichen Vereinsmitgliedern. 32 Zajceva 2006, S. 13. 33 Ebd., S. 181. 34 Rubl’ov 2003; Rubl’ov 2004, Zachidnoukrajins’ka intelihencija u Naddniprjansˇcˇyni zur westukrainischen Intelligenz zwischen 1914 und 1921. Zur Ukraine in der europäischen Diplomatie nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Milow 2002.

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20

Einleitung

nen und Ukrainer.35 Zumal die Diaspora-Forschungen bis in die 1980er Jahre auf publizierte Quellen beschränkt waren, blieben die Fragestellungen entsprechend limitiert.36 Das stützte auch die Konjunktur nationalgeschichtlicher, biographischer Forschungen, die bis heute in der ukrainischen Wissenschaftsgeschichte dominieren. Durch seine dominante Rolle als wichtigster Nationalhistoriker, Wissenschaftsorganisator, erster Staatspräsident der kurzlebigen Ukrainischen Volksrepublik und wichtiges Mitglied der Akademie der Wissenschaften in der frühen Sowjetukraine sind Hrusˇevs’kyj ausführliche Biographien37, Quellenausgaben38 und Detailstudien39 gewidmet. Derart ausführlich wurde unter den NTSˇ-Mitgliedern nur Ivan Franko40 erforscht, der als ›revolutionärer Demokrat‹ allerdings auch in der Sowjetunion Konjunktur hatte. Zahlreiche Biographien verfassten Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Fächer, die die Arbeit ihrer ›Helden‹ in einem positivistischen Zuwachsnarrativ präsentieren.41 Das gilt auch für diverse einschlägige Sammelwerke sowie unveröffentlichte Dissertationen (kandydats’ka dysertacija im ukrainischen System) aus den letzten 20 Jahren, die einen biographischen oder ideengeschichtlichen Ansatz verfolgten. Neben zentralen Figuren sind auch Disziplinen, Kommissionen und Sektionen sowie das Museum und die Bibliothek des Vereins unter diesem Gesichtspunkt erforscht worden.42 Viele dieser Werke haben sich darum verdient gemacht, im komplexen ukrainischen Archivsystem verstreutes Material zusammengetragen zu haben, in Summe arbeiteten sie jedoch weitgehend faktographisch. Dass das Zusammenwirken von Wissenschaftlern zentral für die ukrainische nationale Imagination war, stellen nur wenige Studien heraus. Serhii Plokhy ist das für die Geschichtsschreibung Hrusˇevs’kyjs in einer grundlegenden Biographie gelungen.43 Andrew Wilson hat ausgewählte Wissenschaftler thematisiert, ohne das NTSˇ als zentrale Organisationskonstante zu erarbeiten.44 Im deutsch35 Polonska-Vasylenko 1998, S. 710. 36 Exemplarisch: Prymak 1987. 37 Darunter besonders gelungen Plokhy 2005; Nowacki / Telwak 2008. Für einen breiteren Kreis geschrieben, aber dennoch lesenswert ist Pyrih / Tel’vak 2016. Wichtige Detailstudien, die auf besonders detaillierter Kenntnis von Hrusˇevs’kyjs Ego-Dokumenten beruhen, hat Ihor Hyrycˇ (2016, Mychajlo) vorgelegt. 38 So die ZTIF, die LMH und die partiell erschienene Werkausgabe Hrusˇevs’kyjs. Zum Nachdruck der Werke Hrusˇevs’kyjs zwischen 1989 und 2006 Nowacki / Telwak 2008, S. 373–378. 39 Plokhy 2005 zu Hrusˇevs’kyjs Lebenslauf und Historiographie; Tel’vak / Pedycˇ 2016 zur Hrusˇevs’kyjs Schule und ihren Schülern; Tel’vak 2008 zur zeitgenössischen Rezeption des historiographischen Werks. 40 Hrycak 2006; Hrytsak 2009; Jakymovycˇ 2006 sind für die vorliegende Arbeit zentral und liefern Referenzen zur wichtigsten Forschung. 41 Gajda / Pljacko 2019; Sˇablij 1993; Sˇtojko 1997; Sˇtojko 2018; Holovac’kyj 2004; Jedlins’ka 2006. 42 Hlusˇko 2010; Kusˇnir 2012; Sapeljak 2000; Sˇumans’ka 2007; Svarnyk 2014; Tel’vak / Pedycˇ 2016. 43 Plokhy 2005. 44 Wilson 2015, S. 108–110.

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21

Forschungsstand

sprachigen Raum wird der Verein obligatorisch zur Nationsbildung in Galizien angeführt, seine zentrale Rolle für die Heranbildung neuer Eliten hat jedoch nur Svjatoslav Pacholkiv näher charakterisiert.45 Neuere ukrainische Darstellungen widmen sich der Etablierung einer Genealogie nationaler Wissenschaft.46 Dabei sehen sie das NTSˇ in einer Kontinuität mit der Kiewer Hromada und der Südwestlichen Abteilung der Imperialen Russischen Geographischen Gesellschaft, nicht aber mit wissenschaftlichen Organisationen anderer politischer Gruppierungen in Galizien. Die lang vernachlässigte räumliche Dimension des ukrainischen Nationalismus hat Anton Kotenko erforscht und dabei die Prävalenz der Kyjiver Ideologen und ihren Einfluss auf Galizien überzeugend herausgearbeitet.47 Die Interaktion des NTSˇ mit der ukrainisch-nationalen Öffentlichkeit ist auf Basis ukrainischsprachiger Quellen ausführlich erforscht worden, wobei kritische Momente und Uneinigkeiten nur selten thematisiert werden.48 Das Zusammenwirken diverser Institutionen wurde allenfalls episodisch betrachtet.49 Zahlreiche mehrsprachige Austauschprozesse, in denen der Verein, seine Mitglieder und seine Korrespondenten eingebunden waren, sind erst am Beginn ihrer Erforschung.50 Ein wichtiges Fallbeispiel zum scientific community building lieferten Tel’vak und Pedycˇ mit ihrer Arbeit zu Hrusˇevs’kyjs Schülern in Lemberg, die in seine Forschung und Vereinstätigkeit zurückwirkten.51 Selektiv sind solche Phänomene auch für die ethnographische Kommission angesprochen worden, zuletzt unter dem Schwerpunkt der Integration von Amateurwissenschaftlern bzw. lokalen Experten und der Inwertsetzung ihres spezifisch lokalen Wissens.52 Die Forschung zur ukrainischen Nationalbewegung in Galizien stützt sich wesentlich auf das polnisch-ukrainische Verhältnis. Ivan L. Rudnytsky betont sich unvermeidlich zuspitzende Konflikte seit dem Jahr 1848 bis zum Zerfall des Staates.53 Ein solches Narrativ stützt Robert A. Kanns dominante Darstellung der 45 46 47 48 49 50

Pacholkiv 2002, S. 258–263. Onoprijenko 1998; Homotjuk 2007; Kononenko 2005. Kotenko 2013. Zajceva 2006; Vynar 2006; Rohde 2020, Ukrainian Popular Science. Tel’vak 2008; Tel’vak / Radcˇenko 2018; Hresˇcˇuk (Hg.) 2008; Dovhaljuk 2006; Vovcˇak 2010. Ein hervorragendes Beispiel produktiven Austauschs ist das Projekt Slovjans’kyj svit Olafa Broka, das u. a. das heutige NTSˇ mit der Universität Oslo durchgeführt hat. Vgl. L’onngren / Chobzej (Hg.) 2018. 51 Tel’vak / Pedycˇ 2016. 52 Betrifft Vereinsnetzwerke, Amateurwissenschaftler, lokale Kollaborateure von Forschungsprojekten und das Zusammenspiel dieser Akteure mit dem Verein und ukrainischen Politikern hinsichtlich der Volkszählung 1910 in Galizien. Zur ethnographischen Kommission und ihren Netzwerken Sapeljak 2000; zur Folklore- und Volksliedsammlung Sokil, H. 2011; Dovhaljuk 2016. 53 Rudnytsky 1987, S. 325f. So auch Bachmann 2001.

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Einleitung

zentripetalen Kraft der Nationalbewegungen in der Habsburgermonarchie,54 bringt aber ebenso wechselseitige Einflüsse und gegenteilige Erscheinungen zum Verschwinden. Bis heute perpetuieren zahlreiche Darstellungen explizit oder implizit eine Konzeption national segregierter Gesellschaften,55 die so im plurikulturellen Galizien nicht bestanden.56 Vor allem die gemeinsame Vereinskultur Cisleithaniens und der Austausch von Interessengruppen über nationale ›Grenzen‹ hinaus ist dabei hervorzuheben.57 Eine ethnisch/sprachlich segregierte Gesellschaft war jedoch auch nicht mehr als das: eine nationale Vision. Kritische Detailstudien zum romantischen Nationalismus im Zarenreich,58 den frühen ukrainophilen narodovci der 1860er Jahre,59 zu Russophilen,60 zu ukrainischen, polnischen und jüdischen Parteien und Politikern,61 zur Historiographie in Galizien,62 zum Verhältnis von Landbevölkerung und Nationalbewegung63 und zur Relevanz der griechisch-katholischen Kirche für die Nationalbewegung64 wurden vor allem im deutsch- und englischsprachigen Raum vorgelegt. Sie bedienen sich kritischer Ansätze zur Nationsbildung und Ansätzen zu transnationaler Geschichtsschreibung. Eine derartige Darstellung zum NTSˇ wird hiermit erstmals vorgelegt und kann auf den oben genannten Werken zur galizischen Geschichte aufbauen. Prozesse nationaler Abgrenzung in transnationalen Dialogen sind bereits in jüngeren Studien zur Historiographiegeschichte deutlich herausgearbeitet worden.65 Außerdem hat der ›Nationalgeograph‹ Stepan Rudnyc’kyj (1877–1937) in den vergangenen Jahren erhebliches Interesse erregt und gerade durch die politisch und militärisch kontestierten Räume des ukrainischen Staatsgebiets seit 2014 neue Aufmerksamkeit erfahren. Kritische Forschungen zu territorialen Diskussionen während des Ersten Weltkrieges rekonstruieren durch Rudnyc’kyj ukrainische Positionen zur Abgrenzung von polnischen und russischen Konzepten und Akteuren.66 Steven Seegel und Maciej Górny haben überdies die Blickwinkel auf die transnationale Dimension der

54 Kann 1964. 55 Exemplarisch Zabusˇko 1993, mit direktem Bezug darauf Zajceva 2006, S. 13. 56 Hrycak 2006; Hrytsak 2009 am Beispiel Ivan Frankos. Vgl. die jüngste Galizien-Literatur: Baran-Szołtys et al. (Hg.) 2018; Haid / Weismann / Wöller (Hg.) 2015; zu früherer Literatur vgl. die Aufstellung in Kotenko 2015. 57 Janowski 2006; Leszczawski-Schwerk 2015. 58 Bilenky 2012. 59 Sereda 2003. 60 Wendland 2001, Die Russophilen. 61 Binder 2005; Jobst 1996. 62 Wöller 2014. 63 Struve 2005. 64 Himka 1999, Religion. 65 Velychenko 1992, National History. 66 Górny 2013; Górny 2014; Hausmann 2011; Hausmann 2014.

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Theoretische Verortung

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Biographien ostmitteleuropäischer Nationalgeographen beträchtlich erweitert,67 wobei sie auf die Einbettung in ukrainische Netzwerke weitgehend verzichteten. Neuere Forschungsimpulse betrachten die Entstehung ukrainischer ›nationaler Wissenschaft‹ als Ergebnis von Transfer- und Übersetzungsprozessen.68 Aleksandr Dmitriev bedient sich eines imperienhistorischen Ansatzes und betrachtet ausgehend von der ukrainischen Wissenschaft im Zarenreich des 19. Jahrhunderts das NTSˇ als ausgelagerte Möglichkeit der Wissensproduktion.69 Deutlicher wäre daran herauszuarbeiten, wie nicht nur etwa das polnische Umfeld auf die ukrainische Wissenschaft reagierte, sondern wie auch die lokale ruthenisch-ukrainische Gesellschaft in diese Prozesse involviert war. Maria Rhode hat in ihrer Untersuchung der polnischen Anthropologie dezidiert die Relevanz der Lokalisierung für das Entstehen einer spezifischen Wissenschaftskultur herausgearbeitet.70 Der galizische Standortfaktor ist dagegen noch nicht derart, hinsichtlich der Entstehung einer regionalen Wissenskultur im ukrainischen Kontext, befragt worden. Wichtige Beiträge für den habsburgischen Wissenschaftsraum hat Jan Surman geleistet und dabei die Einbindung Galiziens in eine habsburgische Wissenschaftsgeographie und dementsprechend in Zirkulationsprozesse demonstriert.71 Basierend darauf sind Wechselwirkungen zwischen Gesamtstaat und NTSˇ ebenso in die Analyse einzubeziehen, wie die Interaktionen mit ruthenisch-ukrainischen und polnischen Milieus.

1.3

Theoretische Verortung

Die Ausdifferenzierung von Sozial- und Humanwissenschaften, die wissenschaftliche Selbstorganisation und die »Verwissenschaftlichung der Nation«72 – allgemeine europäische Phänomene – fielen für die ukrainische Nationalbewegung mit besonders prägenden Phasen imperialer Herrschaft zusammen. Ziel dieser Darstellung wird sein, die daraus resultierenden Einflüsse auf die ukrainische Wissenschaft herauszuarbeiten. Seit der ›Wiederentdeckung‹ Ludwik Flecks stellt die Wissenschaftsgeschichte soziale Bedingungen der Wissensproduktion in den Vordergrund.73 Der spatial turn half, die soziale Produktion von Räumen in das Zentrum historischer Darstellungen zu rücken und die Verbin-

67 68 69 70 71 72 73

Górny 2019, Science; Górny 2019, Vaterlandszeichner; Seegel 2018. Dmitriev 2010; Dmitriev 2010–2011; Surman 2017. Dmitriev 2007. Rhode 2013; Rhode 2019. Surman 2015; Surman 2019, Universities. Weichlein 2006, S. 279. Fleck 2012.

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Einleitung

dung von Räumen und Kulturen herzustellen.74 Mit einem Begriff von Wissen als Kultur75 kann Wissen nicht mehr ohne seine historische Situierung gedeutet werden. Postkoloniale und imperiengeschichtliche Anregungen, die Wahrnehmung von Räumen zu historisieren, helfen dabei, Wissen als Macht76 zu hinterfragen und die Ko-Produktion von Wissen westlichen Diffusionsmodellen vorzuziehen.77 Der Wissensbegriff wird bewusst offen verstanden und richtet sich nach dem spezifischen historischen Verständnis von Wissen und Wissenschaft. Gerade durch die räumliche Historisierung von Wissen ergibt sich eine fluide Perspektive: »Situated knowledges are, by their nature, unfinished. But that is the character of all things human and alive.«78 Vor diesen Hintergründen ist von pluralen Wissenskulturen auszugehen, die spezifische Epistemologien prägten.79 Dementsprechend wird die Entstehung einer ukrainischen (wohlgemerkt: nicht ›ruthenischen‹) Wissenskultur thematisiert, die allerdings als offener Aushandlungsprozess betrachtet wird. Sich selbst als Wissenschaftler/in zu definieren und dabei Positionen fundiert durch fachliche Autorität zu vertreten, bedeutet gleichsam, eine Reihe von Wissensarten zu marginalisieren; Ethnographie kann lokales Wissen bei der Etablierung nationaler Narrative unterdrücken oder überhöhen. Die Auswahl eines Ortes als repräsentativ für eine Region kann bedeuten, andere Stimmen aus dieser Region – gewollt oder ungewollt – zum Schweigen zu bringen. Dementsprechend ist die Konstruktion wissenschaftlicher Autorität immer in vielerlei Stoßrichtungen prägend: die Etablierung eines nationalen Narrativs ist nicht nur in imperialen oder kolonialen, sondern auch lokalen und regionalen Dimensionen relevant80 und wirft die Frage nach Macht bei der Institutionalisierung von Wissen auf. Zur Kommunikation von Wissen benötigt es nach Foucault »institutions which prompt people to speak about it and which store and distribute the things that are said.«81 Im Sinne dieser Verbreitung von Wissen ist also der jeweilige Wirkungskreis der entsprechenden Institution zu untersuchen. Gleichzeitig betont er die Möglichkeit, über etwas zu sprechen; Institutionen scheinen damit auch als Werkzeug der Selbstermächtigung. Gerade durch den prekären Status ukrainischen Wissens angesichts multipler politischer Marginalisierungen in den ukrainischen Ländern, neben einem zunehmenden kollektiven Vergessen der Ukraine in West- und Zentraleuropa während des 74 75 76 77 78 79 80 81

Bachmann-Medick 2014, S. 285–329; Löw 2001. McCarthy 1996. Osterhammel 2001, S. 240–265. Raj 2013. McCarthy 1996, S. 120. Knorr-Cetina 2002. Foucault 1978, S. 64. Foucault 1980, S. 11.

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Theoretische Verortung

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19. Jahrhunderts,82 scheint dieses Problem virulent. Die Vereinsgeschichte des NTSˇ wird als offener Prozess des scientific community building gedacht, d. h. es werden Akteure thematisiert, die die Plattformen dieser Institution nutzen wollten, um Forschung zu betreiben, Wissen zu kommunizieren und die Möglichkeiten dieses Netzwerks im imperialen und regionalen Kontext auszudehnen suchten. Wissenschaft ist nicht frei von den Menschen, die sie produzieren. Galt es vor einigen Jahren noch, die ideologische Dimension von Wissenschaften im 19. und frühen 20. Jahrhundert ebenso nachzuweisen wie die regionale Prägung scheinbar globaler, universalistischer Phänomene, darf dies heute als anerkannt gelten.83 Weder das heutige noch das historische NTSˇ, das ist in aller Deutlichkeit zu unterstreichen, bestreitet oder bestritt einen ideologischen Standpunkt.84 Das nationale imagined territory85 nach Peter Haslinger ist, wie die einführenden Erläuterungen gezeigt haben, als zentraler Bezugspunkt für die Nationalbewegung und die ukrainische Intellektuellen- und Wissenschaftsgeschichte zu sehen. Unter der Prämisse, dass politische, soziale und kulturelle Umstände entscheidende Faktoren der Wissenschaftsentwicklung waren, konzentriert sich diese Arbeit auf die Vereinsgeschichte im habsburgischen Lemberg, d. h. bis 1918, wobei die erste Phase nur dahingehend betrachtet wird, als dass Kontinuitäten und Unterschiede zwischen der Wissenschaftsgesellschaft und ihrer Vorläuferorganisation aufgezeigt werden, um die Bedingungen der Reformierung nachvollziehen zu können. Aus politischer Perspektive waren sowohl der politische Status im Imperium als auch die Konkurrenz zur dominanten polnischen Nationalbewegung in Galizien zentrale Faktoren, die die ukrainischen Länder und insbesondere Galizien zur frontier von Nationalbewegungen und Imperien machten. Die quantitativ geringe ruthenisch-ukrainische Bildungs- und Mittelschicht Galiziens – insbesondere Lembergs – fungierte als Ressource für die Ausbildung einer scientific community.86 Aus kultureller Perspektive schränkten konkurrierende Identifikationsangebote für ruthenisch-ukrainische Intellektuelle diese community weiter ein, so wie die kulturelle Distanz zur ukrainischen intelihencija des Zarenreiches ebenso eine Hürde darstellte.87

82 Kappeler 2020. 83 Jessen / Vogel (Hg.) 2002; Feichtinger / Fillafer / Surman (Hg.) 2018. 84 Zum historischen Verein exemplarisch Hrusˇevs’kyj 1904, Ukrajins’ko-rus’ki naukovi kursy; Hrusˇevs’kyj 1905, Zapysky; zum heutigen Verein Visnyk NTSˇ 50 (2013), S. 3. 85 Haslinger 2010. 86 Pacholkiv 2002; Zajceva 2006; Anhänge III–V zu Vereinsmitgliedern. 87 Himka 1999, The Contruction; zur Nationalbewegung in Galizien während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kozik 1986; zu Russophilen Wendland 2001, Die Russophilen. In Wendlands zentraler Definition sind als Russophile jene galizischen Ruthenen zu verstehen, die eine Gemeinschaft aller Ukrainer und Russen propagierten sowie die kulturelle und

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Einleitung

Die ukrainische intellektuelle Genealogie im frühen 20. Jahrhundert konstruierte eine »literarische Wiedergeburt« seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, der langsam und mit zahlreichen Hindernissen Studien zur Ukraine während des 19. Jahrhunderts folgten. Die empfundene historische wie die zeitgenössisch erlebte Unterdrückung wurde damit zum zentralen Merkmal der Selbstverortung, weniger durch einen damit verbundenen Opfergestus als durch die Heroisierung von Demokratie, Freiheitsliebe – und dem ukrainischen Volk als Träger dieser Eigenschaften.88 Die ukrainische Wissenschaft definierte sich als eine Wissenschaft der Selbstbeschreibung; charakteristisch für diese ›nationale Wissenschaft‹ war deshalb das Streben nach Aneignung von Territorien, Landschaften, Menschen und kulturellen Texten. Die Abgrenzung von hegemonialen polnischen und russischen Narrativen, die im selbstgewählten Referenzraum Europas längst als akzeptiert galten,89 war ein selbstreferentieller kultureller Prozess von nachhaltiger Wirkung. Gleichzeitig beeinflusste sie die Forschungsschwerpunkte, etwa die Suche nach Freiheitsliebe und demokratischer Kultur in der Geschichte der Kosaken oder ukrainischer Folklore.90 Gleichzeitig verstand der Verein Wissenschaft als »die Angelegenheit der selbstständigen Nation«91, Wissenschaft wäre also ebenso Selbstzweck und Emanzipationsdiskurs wie wissenschaftliche Inhalte selbst. Die skizzierten Aspekte sind nur Impressionen einer Wissenskultur und einer werdenden Definition ›nationaler Wissenschaft‹ bzw. Ukrajinoznavstvo, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals als Quellenbegriff auftrat.92 Was darunter zu verstehen und wie sie organisatorisch umzusetzen sei, war Gegenstand intensiver Aushandlungsprozesse, die von einigen Vereinskrisen begleitet wurden. Die unterschiedlichen Figurationen und zugeschriebenen Missionen von (nationaler) Wissenschaft im Verein werden im Rahmen dieser Arbeit reflektiert. Nation und national fungieren im Rahmen dieser Arbeit nicht als Erkenntniskategorien, sondern werden als historische bzw. zu historisierende Probleme

88 89 90

91 92

politische Anlehnung an Russland als förderlich für die eigene Emanzipation verstanden. Ebd., S. 27. Zu Kosakenmythen vgl. Kappeler 2013; Plokhy 2013. Zur Verortung der Kosaken an der ˇ ornovol 2015. Zum frontier-Verständnis frontier des russländischen Reichs vgl. ebd., S. 12; C des ukrainischen Geographen Stepan Rudnyc’kyj, vgl. Rudnyc’kyj 1921, S. 24–26. Der einflussreiche deutsche Geograph Alfred Hettner (1859–1941) vertrat etwa die im Zarenreich übliche Position einer geographischen Einheit Russlands. Vgl. exemplarisch Hettner 1907; Hettner 1916; dazu die Kritik von Rudnyc´kyj 1918, S. 35. Der erstere Aspekt war bereits in der ethnographischen Arbeit Mykola Kostomarovs präsent, darunter in seinem 1847 konfiszierten Manuskript Knyhy bytija Ukrajins’koho Narodu (Kostomariv 1921), das in den Kreisen der kyrillisch-methodischen Bruderschaft bereits bekannt war. Vgl. dazu Saunders 2001. Chronika NTSˇ 58–59 (1914), 24. Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 181.

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Theoretische Verortung

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– im wertneutralen Sinn – begriffen.93 Normalisierende Muster, die die Erkenntnis letztlich vorstrukturieren, wenn sie von Idealbeispielen ausgehen, bergen die Gefahr, kultur- und wissenschaftspolitische Aspekte zu übersehen, die charakteristisch für imperiale und koloniale Kontexte sind und in Wechselwirkung zu als ›Nationen‹ verstandenen Gruppen und Identitäten standen. Typologien der Nationsbildung finden deshalb keine Anwendung. Die einschlägige Problematik einer ukrainischen Nationalgeschichtsschreibung im europäischen Kontext ergibt sich daraus, dass sie häufig anhand (west-) europäischer ›Normen‹ gemessen wird und dadurch als ›rückständig‹ oder anderweitig deviant gedacht wird.94 In diesem Sinne ist der Eurozentrismus auch für die Geschichte dieses in Europa lokalisierten Landes ein relevanter Faktor. Überdies kennt die vermeintlich ›kleine‹ ukrainische Nationalbewegung95 ein weites Spektrum politischer Orientierungen, von staatsloyal über galizisch-regionalistisch bis zu nationalstaatlich und von konservativ bis sozialistisch, deren weitreichende Verflechtungen Phasenmodelle transzendieren. Nicht zuletzt ist die verbreitete nationale Indifferenz,96 wie sie in vielen Regionen der Habsburgermonarchie herrschte, ein zu historisierendes Problem, das in modernisierungstheoretischen Modellen der Nationsbildung als Mangelerscheinung zu deuten wäre.97 Tatsächlich war sie Reflexionsfeld historischer Akteure, die etwa anhand der latynnyky – ukrainischsprachige Menschen römisch-katholischen Glaubens – über nationale Integration sinnierten.98 Gerade im Untersuchungszeitraum wandelten sich das Verständnis von ukrainischer Nation ebenso wie andere geographische, statistische und kulturelle Konzepte ihrer Untersuchung. Auch der Begriff ›ukrainisch‹ erfährt einen Bedeutungswandel, zumal er im 20. Jahrhundert nicht mehr nur die südwestlichen Provinzen des Zarenreiches, sondern auch die ruthenischen Gebiete der Habsburgermonarchie einschloss. Durch den Einfluss Benedict Andersons ist ›die Nation‹ zunehmend als Produkt vergleichsweise weniger Intellektueller gesehen worden, die die Produktion und Kommunikation einer imaginierten Gemeinschaft zu verantworten hätten.99 Während sich dies als produktives Forschungsfeld erwiesen hat, das zurecht den Einfluss bestimmter Institutionen – wie dem Museum oder der Statistik – hervorgehoben hat, verdeckte diese konstruktivistische Wende auch 93 Zum Problem des Primordialismus in der ukrainischen Geschichtsschreibung vgl. Kappeler 2011, S. 3f. 94 Hausmann 2016. 95 Zum Problem der ›kleinen Nationen‹ in der Nationsbildungstheorie vgl. Plokhy 1995; Kappeler 2003, Ein »kleines Volk«. 96 Zahra 2008; Zahra 2010; Judson 2006. 97 Hroch 2005. 98 Zu latynnyky vgl. Kap. 7.1.1. 99 Anderson 2005.

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Einleitung

die Ethnic Origins of Nations.100 Keine dieser Positionen gilt es zu verabsolutieren, vielmehr sind die konkret an Prozessen der Wissenszirkulation beteiligten Akteure in ihren transnationalen und transimperialen Bezügen zu historisieren, um die Vielfalt konkurrierender Nationaldiskurse und ihre wechselseitige Einflussnahme zu analysieren. Unter grundlegender Bezugnahme auf ukrainische (›ruthenische‹) Folklore sind auch die polnische und die großrussische Nation konstruiert worden,101 während sich Praktiken kultureller Essentialisierung in der ukrainischen Nationalbewegung im Umgang mit ethnokulturellen Texten und Gegenständen manifestierten.102 Eine isolierte Betrachtung von Nationalgeschichten im imperialen Raum lässt sich nicht mehr betreiben. Wie der Blick in historische Forschungsprozesse zeigen wird, operierten auch die ›großen Intellektuellen‹ weder allein noch im luftleeren Raum,103 auch wenn die Heroisierung früher ›Pioniere‹ bis heute problematisch in Wissenschaftsgeschichten wirkt. Die ukrainische Nationalhistoriographie muss als Musterbeispiel dieser Tendenz gelten, hat sie sich doch beispielsweise früh ausgehend von der eigenen Intellektuellengeschichte mit Zensur- und Unterdrückungsmechanismen im Zarenreich und ihrem Einfluss auf die Nationalbewegung befasst.104 Die Nutzung des raumbezogenen Imperienbegriffs bettet die vorliegende Untersuchung einer Organisation, die sich als integraler Bestandteil der ukrainischen Nationalbewegung verstand, in die europäische Geschichte105 ein. Wechselseitige Einflüsse, Kooperationen, aber auch aus Kontakten resultierende Abgrenzungen werden in das Zentrum der Betrachtung gerückt. In einem bewusst ergebnisoffen gedachten Begriff von Nationsbildungsprozessen und -strategien106 wird anhand der wissensproduzierenden Praktiken der nationalukrainischen scientific community danach gefragt, wie sie ›Nation‹ von bestehenden Identitätskonzepten abgrenzte. Identität und ihre Gegenbegriffe sind keine statischen Kategorien, vielmehr ist ihre argumentative Nutzbarmachung im Sinne akteursbezogener »Selbstermächtigung«107 im hierarchisierten plurikulturellen Kontext Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

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Smith 1986. Dazu auch Kappeler 2011. Schwitin 2013 zur polnischen Folkloristik. Rohde 2019, Local Knowledge. Raj 2006. Zur Vielfalt der Akteure und Institutionen für Wissenszirkulationen, die das Feld der Intellektuellen und universitär Gebildeten deutlich transzendieren: Habermas / Przyrembel (Hg.) 2013. Savcˇenko 1970. Ein solches Umdenken zu Nationalgeschichtsschreibungen fordert etwa Feichtinger 2016. Wöller 2014. Feichtinger 2016.

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Quellen und Aufbau

1.4

Quellen und Aufbau

Die erste Phase der Vereinsgeschichte, die hier nur als Vorgeschichte gestreift wird, ist relativ dünn dokumentiert; für den gegebenen Kontext genügen hierzu Dokumente der Vereinsleitung und publizistische Stellungnahmen, die durch die Memoiren Mychajlo Drahomanovs und Forschungsliteratur zu beteiligten russländischen Ukrainerinnen und Ukrainern ergänzt werden.108 Die zweite Phase ist multiperspektivisch dokumentiert. Ein wesentlicher Teil der offiziellen Vereinsdokumente sind erhalten und wurden im Zentralen Historischen Archiv der Ukraine (L’viv; im Folgenden CDIAL) gesichtet. Das beinhaltet Statute und Statutenprojekte, Jahresberichte, Briefwechsel der Vereinsadministration,109 Protokolle der Leitungsgremien, der Generalversammlungen sowie der wissenschaftlichen Sektionen und Kommissionen.110 Die publizierten Vereinschroniken (1900–1918) sind wichtige Quellen der ›offiziellen‹, d. h. redigierten Vereinsgeschichte, enthalten aber auch Zusammenstellungen von Mitgliederdaten und Berichte von Teilinstitutionen, die anderweitig nicht erhalten sind. Spezifische interne Informationen sind oft nicht verschriftlicht worden und finden sich stattdessen in den Protokollen.111 Diese Protokolle sind allerdings keine vollständigen stenographischen Mitschriften, sondern ebenfalls redigierte Ausschnitte. Außerdem herrschte keine Norm des Protokollierens; die Informationsauswahl und bisweilen auch die Lesbarkeit hingen vom zuständigen Sekretär ab.112 Der Schwerpunkt erhaltener Vereinsarchivalien sowie persönlicher Archive liegt auf den leitenden Vereinsmitgliedern. Während die Nachlässe Hrusˇevs’kyjs113 und seiner engen Mitarbeiter Ivan Franko114, Volodymyr Hnatjuk115

108 Drahomanov 1889–1892; Hyrycˇ 2012. 109 Große Bestände der ehemaligen Vereinskanzlei wurden während des Ersten Weltkriegs vernichtet, Aufstellung der Kriegsverluste, Brief an das Nationalkomitee, 25. November 1916, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 486, ark. 1. 110 CDIAL, fond 309, op. 1–2. Teile der Akten der ehem. Vereinsbibliothek und einige verstreute Bestände finden sich in der L’vivs’ka nacional’na naukova biblioteka im. V. Stefanyka, Viddil rukopysiv (= LNNB VR), fond 1, op. 1–2. 111 Das geht bspw. aus den Notizen zum Ausschlussverfahren Oleksandr Barvins’kyjs hervor, LNNB VR, fond 11, spr. 3, ark. 2. 112 Sektionen und Kommissionen hatten einen lokalansässigen Sekretär (mitsamt Stellvertreter). Während Volodymyr Levyc’kyj als Sekretär der mathematisch-naturwissenschaftlichärztlichen Sektion durchgehend die Anwesenden einer Sitzung dokumentierte, taten das die anderen Sektionen nicht mit der gleichen Sorgfalt und Konsequenz. Vgl. Protokollbuch der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion, 1893–1912, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39. 113 CDIAK, fond 1235. Weitere Materialien finden sich in IL VR, fond 122. 114 Instytut literatury NAN Ukraїny, viddil rukopysiv i tekstolohiji (= IL VR), fond 3.

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Einleitung

und Fedir Vovk116 weitgehend wohlgeordnet sind, haben sich von oppositionellen Wissenschaftlern wie dem Juristen und Statistiker Stanislav Dnistrjans’kyj (1870–1935), Volodymyr Ochrymovycˇ und Stepan Rudnyc’kyj nur wenige Dokumente erhalten.117 Deren Rollen und Positionen müssen durch Vereinsakten, publizierte Quellen und Briefe anderer Wissenschaftler erarbeitet werden. Briefe von Vereinsakteuren sind deshalb zentrale Materialien.118 Andere Vereinssammlungen, etwa aus dem ehemaligen Museum oder der Bibliothek, sind in der sowjetischen Periode119 in unterschiedlichen Institutionen der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine aufgegangen und in den entsprechenden Institutionen und Spezialsammlungen eingesehen worden.120 Separate Nachlässe anderer Wissenschaftler dienen der Betrachtung unterschiedlicher Teilthemen, etwa der Tätigkeit des Politikers Oleksandr Barvins’kyj (1847–1926) als Vereinspräsident von 1893–1897.121 Andere Fonds erlaubten, unveröffentlichte Vorträge und Manuskripte aufzufinden.122 Als ehemaliges Archiv der ukrainischen Nationalbewegung Galiziens während der Zwischenkriegszeit beinhaltet der Vereinsfond auch Akten zu Mitgliedern, die von persönlichen Dokumenten über Autobiographien bis zu unveröffentlichten Manuskripten reichen. Personal- und Studienakten zu Wissenschaftlern finden sich außerdem in Archiven der Universitäten Wien, Lemberg und Czernowitz.123 Sie geben Auskunft über individuelle Mobilität, Inhalte und Betreuungsverhältnisse von Dissertationen, Berufungsverfahren und Lehrtätigkeit. Für parlamentarische 115 Hnatjuks Materialien verteilen sich auf LNNB VR, fond 22, IMFE, fond 28 (außerdem fond 29 in seiner Funktion als Sekretär der ethnographischen Kommission), IL VR, fond 83 und das Vereinsarchiv des NTSˇ, CDIAL, fond 309. Die Materialien aus dem IMFE, fond 28 und 29 sind in Rohde 2019, Local Knowledge ausgewertet worden. 116 NA IA NANU, fond 1. 117 Volodymyr Ochrymovycˇs (CDIAL, fond 372, op. 1) und Stanislav Dnistrjans’kyjs (Derzˇavnyj Archiv Ternopil’s’koji Oblasti [= DATO], fond R-3430) Nachlässe enthalten im Wesentlichen spätere Materialien; Rudnyc’kyjs Nachlass im DATO (fond R-3462) enthält nur einige Fotografien. 118 LIV; LMH, 7 Bde.; LFV. 119 Zur Geschichte der Sammlungen vgl. Svarnyk 2005; Svarnyk 2006; Svarnyk 2010. 120 Kunstabteilung (= LNNB IDBMR) und Handschriftenabteilung (= LNNB VR) der Stefanyka-Bibliothek L’viv; Archive der Abteilungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine für Literatur (IL VR), Archäologie (NA IA NANU), Volkskunde (= Instytut narodoznavstva NANU) sowie Kunstwissenschaft, Folkloristik und Ethnologie (= IMFE). 121 LNNB VR, fond 3. Außerdem herangezogen wurden Materialien aus den Nachlässen Kyrylo Studyns’kyjs (CDIAL, fond 362), Stepan Tomasˇivs’kyjs (CDIAL, fond 368), Oleksandr Alesˇos (IMFE, fond 44). Darüber hinaus wurden einige Nachlässe, darunter die des Rechtswissenschaftlers Volodymyr Starosol’s’kyj (CDIAL, fond 360) und des Ethnographen Volodymyr Sˇuchevycˇ (CDIAL, fond 735), gesichtet, aber nicht herangezogen. 122 So der Nachlass Mychajlo Pavlyks (CDIAL, fond 663) und einer Manuskriptsammlung im CDAVO, fond 4465. 123 Archiv der Universität Wien; Archiv der Universität Lemberg, DALO, fond 26; Archiv der ˇ O, fond 216. Universität Czernowitz, DAC

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Quellen und Aufbau

Initiativen, die im Zusammenhang mit dem Verein oder als Politiker aktiven Mitgliedern stehen, wird auf die Stenographischen Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates (StP AH) zurückgegriffen. Die Unterlagen anderer Vereine erlauben die Kontextualisierung von Kooperationen und individuellen Verflechtungen.124 Administrative Dokumente ermöglichen die Betrachtung der Interaktion des NTSˇ mit den Verwaltungsbehörden. Das betrifft sowohl die Statthalterei, die für lokale Angelegenheiten zuständig war und deren Akten in L’viver Archiven zu finden sind,125 als auch die Ministerien in Wien, deren Dokumente im Österreichischen Staatsarchiv liegen.126 Das Ministerium für Cultus und Unterricht erhielt Förderungsgesuche des Vereins sowie von Einzelpersonen127; während sich ein großer Teil der betreffenden Dokumente als skartiert oder unauffindbar herausgestellt hat, sind einige Akten aus dem frühen 20. Jahrhundert erhalten geblieben.128 Darüber hinaus werden Verwaltungsdokumente für einzelne Teilthemen herangezogen.129 Vorgänge um die Volkszählung 1910 werden mittels Verwaltungsdokumenten der galizischen Statthalterei

124 Das betrifft direkte Abspaltungen vom NTSˇ: Pravlinnja tovarystva »Komitet akademicˇnoho domu u L’vovi« (DALO, fond 298), die Redaktion des Journals Literaturno-naukovyj vistnyk (CDIAL, fond 401) und indirekte wie die Tovarystvo ukrajins’kych naukovych vykladiv im. Petra Mohyly, CDIAL, fond 736; Tovarystvo prykhylnykiv ukraїnskoї nauky, literatury i shtuky, DALO, fond 298. Außerdem Unterlagen der Vereine Prosvita (CDIAL, fond 348; DATO, fond 294; Biblioteka Narodowa (= BNW) 68607), Rus’ke tovarysto pedahohicˇne (CDIAL, fond 206), Sicˇ (CDIAL, fond 834) und Ukrajins’ke naukove tovarystvo in Kiew im Archiv der Akademie der Wissenschaften, Instytut rukopysu, Nacional’na biblioteka Ukrajiny imeni V. I. Vernads’koho (= IR NBUV), fond X. Gesondert zum Ersten Weltkrieg wurden Archive der Ukrajins’ka Kul’turna Rada (CDIAL, fond 391), Zahal’na Ukrajins’ka Rada (CDIAL, fond 440), des Sojuz vyzvolennja Ukrajiny (Central’nyj derzˇavnyj archiv vysˇcˇych orhaniv vlady ta upravlinnja Ukrajiny [=CDAVO], fond 4404–4406) und zur Nachkriegszeit der Ukrainischen (Geheimen) Universität L’viv (CDIAL, fond 310) und der Ukrainischen Freien Universität Prag (CDAVO, fond 4418) herangezogen. 125 Das CDIAL (fond 146) hält die Statthaltereiakten bis 1921, von denen allerdings diverse Dokumente von der Wojewodschaftsverwaltung der polnischen Republik genutzt worden, die nunmehr im DALO (fond 1) zu finden sind. 126 Im Allgemeinen Verwaltungsarchiv (ÖstA-AVA, im Folgenden AVA) wurden vor allem Materialien der Ministerien für Inneres sowie für Cultus und Unterricht genutzt. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv (ÖStA-HHStA, im Folgenden HHStA) hält die Materialien des Außenministeriums Ersten Weltkrieg. 127 Ao. Prof. d. Österr. Privatrechtes an der Universität zu Lemberg, Dr. Stanislaus Dnistrjans’kyj, 4. Jänner 1907, AVA Unterricht CUM allg. 352/1907; Statthalter in Galizien unterbreitet befürwortend das Ansuchen des Professors ans der II. Stattsoberrealschule [sic!] in Lemberg Dr. Stephan Rudnicki um Verleihung eines Reisestipendiums, 19. Juni 1908, AVA Unterricht CUM allg. 29231/1908. 128 Galizische Vereine, AVA Unterricht CUM allg. Fasz. 3413; Akten zum NTSˇ sind nur von 1908 bis 1911 erhalten. Akten zu früheren und späteren Jahren wurden vielfach skartiert. 129 Vgl. exemplarisch Ansuchen und Legitimation von Professor Theodor Volkov, 7. Oktober ˇ O, fond 3, op. 1, spr. 9169, ark. 1–4. 1904, DAC

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Einleitung

und des Ministeriums des Innern kontextualisiert.130 In den Archiven der Ministerien des Innern und des Äußern finden sich relevante Unterlagen zum NTSˇ und einigen seiner Mitglieder während des Ersten Weltkrieges. Der Verein pflegte zahlreiche wissenschaftliche Zeitschriften, dazu gehören einerseits die thematisch breit aufgestellten Sektionsjournale und andererseits fachspezifische Periodika der wissenschaftlichen Kommissionen. Die wichtigste Zeitschrift waren die Zapysky Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka (Mitteilungen der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften, im Folgenden Zapysky NTSˇ), die zunächst als Zeitschrift aller Sektionen, ab 1897 als Zeitschrift der historischphilosophischen und philologischen Sektion geführt wurde. Zeitgleich wurde der Zbirnyk matematycˇno-pryrodopysno-likars’koji sekciji (Sammlung der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion, im Folgenden Zbirnyk MPL) als separate Zeitschrift eingeführt. Die Kommissionsjournale waren oft kurzlebiger; einige von ihnen dienten der Herausgabe von historischen und ethnographischen Quellen, andere veröffentlichten wissenschaftliche Arbeiten. Diese Journale enthalten ebenso die wesentlichen Forschungsarbeiten des Vereins. (Anhang I) Darüber hinaus stellen Veröffentlichungen in anderen Medien und Sprachen wichtige Quellen zu Forschungsprojekten und -ergebnissen dar. Chronistische Mitteilungen und (populär-) wissenschaftliche Artikel finden sich auch im seit 1898 vom Verein geführten Literaturno-naukovyj visnyk (Literarisch-wissenschaftlicher Bote; LNV), einer Revue, die von leitenden Vereinsmitgliedern und bis 1905 im Rahmen des Vereinsgeschehens herausgegeben wurde. Die 1903 in Wien gegründete Ruthenische Revue (ab 1906: Ukrainische Rundschau) war nicht direkt mit dem NTSˇ verbunden; sie förderte die Kommunikation der Nationalbewegung im Allgemeinen und der Wissenschaft im Besonderen mit dem deutschsprachigen Raum.131 Die Tageszeitung Dilo fungierte als Sprachrohr der narodovci und enthielt beispielsweise Veranstaltungsankündigungen oder auch kritische Berichte zum Verein.132 Weitere Zeitungen und Zeitschriften sind für Spezialthemen, die individuelle Tätigkeit diverser Wissenschaftler und Kooperationen mit anderen Vereinen relevant.133 Die bisher in der Forschung prominent genutzte Memoirenliteratur wird ergänzend herangezogen, um Einblicke in zwischenmenschliche Beziehungen zu erhalten oder Leerstellen in anderen Quellen zu füllen, sie stehen allerdings nicht im Vorder130 Materialien zur Organisation und Durchführung der Volkszählung, galizische Statthalterei, 1910–1914, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1216–1223; Volkszählung-Inland, in spezie, 1910– 1915, AVA Inneres MdI allg. Teil 2 A 2364–2372. 131 Zajceva 2001. 132 Zum Dilo vgl. Sˇapoval 1999. 133 Für die Rezeption des Vereins und die Vorbereitung seiner Reform sind vor allem Hromada, Narod, Pravda und Zˇytje i slovo relevant, zu anderen Aspekten die politischen Zeitungen Svoboda und Ruslan.

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Quellen und Aufbau

grund, zumal sie stark von der Perspektive der Vereinsleitung geprägt sind, die hier kontrastiert werden soll. Der erste Teil (Kapitel 2–5) der Arbeit befasst sich aufbauend auf der imperialen Verortung mit der Vereinsgeschichte von der Gründung bis zur Transformation in einen Wissenschaftsverein und den unmittelbaren Reformansätzen, die die Grundbedingungen zur Ausbildung einer eigenen Wissenskultur bedeuteten. Zunächst werden erste Versuche der Gründung eines transimperialen Wissenschaftsvereins, ihr Fehlschlag und vorübergehende Alternativen beleuchtet, um darauf aufbauend die Vereinsreformer in ihrer Verbindung zu Galizien und zur russländischen Ukraine zu betrachten. Daraufhin werden die Mitgliederstruktur in ihrem Wandel sowie die praktische Wissenschaftsorganisation und -finanzierung analysiert. Nach dieser Aufbauphase, die nicht die erhoffte Transformation in eine im Staatsbudget verankerte Akademie bedeutete, werden die Versuche des Vereins untersucht, ein alternatives Wissenszentrum – alternativ sowohl zur staatlichen Wissenschaft in der Habsburgermonarchie wie auch zu den begrenzten Möglichkeiten in der russländischen Ukraine – zu bilden. Dabei werden praktische regionale und transimperiale Organisation sowie Strategien der Institutionalisierung und des scientific community building analysiert. Hierbei wird zunehmend herausgearbeitet, wie eine Wissenschaftsideologie seitens Hrusˇevs’kyj und seiner Schule nach und nach in der Praxis entstehen, bevor sie niedergeschrieben wurde. Das Kapitel 5 und führt die in der Praxis implizierten Vorstellungen von Wissenschaft mit der 1914 erstmals ausführlicher als Ukrajinoznavstvo definierten ›nationalen Wissenschaft‹ zusammen und erklärt daraus Schwerpunkte der Vereinsarbeit und -forschung. Abschließend wird analysiert, wie ideologische, aber auch persönliche Konflikte in dieser dynamischen Phase das Vereinsleben prägten. Damit schlägt dieses Kapitel eine Brücke zwischen der Vereinsgeschichte, seiner Ideologie und der selbstgegebenen Mission zu Konzepten der ukrainischen Nation und ihren Definitionsversuchen, die bisweilen von Vorbildern des Zarenreiches übernommen wurden. Auf diesen Aspekten baut der zweite Teil (Kapitel 6–8) auf. Zunächst wird die Relevanz des westlichen Grenzraumes als ideologisch zentrale Projektionsfläche diskutiert, den Vovk mit den Mitteln moderner Anthropologie und Ethnologie erforschte und in ein gesamtukrainisches Narrativ einbettete. Das Kapitel 7 betrachtet anhand der statistischen Kommission und ihrem Engagement im Kontext der habsburgischen Volkszählung die Produktion der galizischen Bevölkerung in quantifizierender Perspektive, wobei der zweite Teil sich ausführlich mit den politischen Verschränkungen dessen befasst. Das Kapitel 8 widmet sich der Synthese von Wissen zur Ukraine, d. h. dem Zusammenführen des in Galizien produzierten Wissens in Projekten mit gesamtukrainischem Anspruch. Anhand der Bibliografie, nationaler Kartenprojekte und einer Enzyklopädie wird die

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Einleitung

Institutionalisierung von Wissen analysiert, wobei das NTSˇ nicht in allen Bereichen seinen alleinigen Führungsanspruch geltend machte, sondern stärker als sonst auf die Kooperation mit ukrainischen Wissenschaftlern in St. Petersburg und Kiew angewiesen war. Der dritte Teil (Kapitel 9) widmet sich dem Verein und seinen Akteuren während des Ersten Weltkrieges. Durch die Einnahme Lembergs und die Mobilisierung der Wissenschaft wurde die Vereinszentrale zum Nebenort, während die prominenteren Wissenschaftler und Politiker vor allem in Wien agierten. Anhand des Geographen Rudnyc’kyj und anderer Mitglieder einer jüngeren Generation, die unter anderem bei und von Hrusˇevs’kyj lernten, werden politisierte Geographie, beschleunigte Kartenproduktion und ethnographische Grenzziehung analysiert. Im Kontext des Krieges handelt es sich um eine Wissensproduktion unter Extrembedingungen, die nicht nur erheblich von Improvisation geprägt war, sondern auch die nationalistischen Elemente und Ansätze der neuen Wissenskultur umso deutlicher zutage förderte.

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Teil I: Ukrainische Wissenskultur in Galizien

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2.

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Die Frage, ob das traditionell als Kompositstaat134 gedachte Herrschaftsgebilde der Habsburgermonarchie ein Imperium sei, hat für einige Diskussionen gesorgt. In der vergleichenden Imperienforschung gilt sie mitunter als »Grenzfall«135, während die ›klassische‹ Österreichische Geschichte die Frage bisweilen übergeht.136 Wesentliche Impulse im deutschsprachigen Raum kamen deshalb auch aus der Ost- bzw. Ostmitteleuropäischen Geschichte.137 Seit Pieter Judsons The Habsburg Empire. A New History lässt sich eine Trendwende erkennen, wobei seine Ansätze auf den von ihm mitgeprägten Habsburg Studies und nicht der New Imperial History gründen.138 In diesem Kapitel möchte ich nicht zur Frage beitragen, was die Habsburgermonarchie insgesamt war, sondern thematisieren, wie sie sich gegenüber dem Kronland Galizien verhielt und welche Optionen sie seiner Bevölkerung zur wissenschaftlichen Betätigung darbot. Hierfür bieten die New Imperial History und darin integrierte Anregungen des postcolonial turn instruktive Anregungen. In der Definition Ulrike von Hirschhausens »erstreckten sich [Empires, M. R.] über große Räume, die sich durch kontinuierliche Expansion um ein metropolitanes Zentrum bildeten, und deren ethnokonfessionell heterogene Gesellschaften sie durch ein vielfältiges Herrschaftsrepertoire lose zu integrieren suchten.«139 Mit der New Imperial History, die Frederick Cooper und Laura Ann Stoler 1997 mit ihrem richtungsweisenden, gleichnamigen Text prägten, sowie durch die dort aufgenommenen Einflüsse Michel Foucaults und der postcolonial 134 135 136 137 138

Elliot 1992. Osterhammel 2011, S. 624. Winkelbauer (Hg.) 2016. Jobst / Obertreis / Vulpius 2008 und Leonhard / Hirschhausen 2011. Judson 2016. Zur New Imperial History vgl. Cooper / Stoler 1997; zum Russländischen Reich Gerasimov / Kusber / Semyonov (Hg.) 2009. 139 Hirschhausen 2015, 718. Die Autorin nutzt ›Empire‹, um das Problem zu umgehen, dass ›Imperiums‹ historisch vorbelastet als »politischer Kampfbegriff fungiert und tendenziell Assoziationen von politischer Unterdrückung, ökonomischer Ausbeutung und kultureller Hegemonie transportiert« (Hirschhausen 2015, 721).

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studies ist die Erforschung kultureller Aspekte kolonialer Herrschaftsbeziehungen in den Vordergrund gerückt und in die Imperienforschung integriert worden. Hierzu zählt insbesondere der Nexus zwischen Wissensproduktion und Herrschaft.140 Der Untersuchungsansatz will »historisch verbundene Räume« in ihrer »realen Verflechtung und gegenseitigen Abhängigkeit neu«141 erkennen, ohne koloniale Deutungsmuster zu reproduzieren. So werden etwa Elitenbildung und -wandel hinsichtlich Karrieren im Imperium untersucht, wobei wiederum individuelle Mobilität und individuelle Loyalitäten in Aushandlungsprozessen mit der jeweiligen Umwelt produktiv betrachtet werden können.142 In der Ukraine erfüllen postkoloniale Ansätze, wie sie der Intellektuelle Mykola Rjabcˇuk popularisierte, Funktionen der Selbstviktimisierung.143 Ulrich Schmids Hinweis auf derartige Verfahren ist berechtigt,144 die Folge ist aber nicht zwangsläufig.145 Praktiken der Homogenisierung und der Konstruktion von Differenz gerieten in den jüngsten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt der Betrachtungen zur Geschichte diverser Gruppen und Regionen der Habsburgermonarchie. Postkoloniale Theorien und ihre Anwendung auf die Habsburgermonarchie haben sich in den letzten Jahren vor allem in der »Analyse spezifischer Machtverhältnisse, Sehgewohnheiten und Selbstsichten«146 als produktiv erwiesen. Sie zeigen nicht nur, dass die Alterisierung Galiziens (und anderer östlicher Regionen Europas) als ›Halb-Asien‹ und damit verbundene Topoi angeblich geringerer Zivilisiertheit für die Innen- und Außenwahrnehmung des Kronlandes abträglich waren, sondern schärften das Verständnis damit einhergehender »Machtasymmetrien und kulturelle Hegemonien«147. Eine postkoloniale Analysehaltung kann so der Dekonstruktion von Argumenten dienen, die klassisch gegen die Verortung der Habsburgermonarchie als Imperium ins Feld geführt werden. So etwa die Einführung des geheimen, gleichen, direkten Allgemeinen Männerwahlrechts 1907 in Cisleithanien: Dieses gestand zwar das Wahlrecht ungeachtet der kulturellen Hintergründe zu, rechnete aber nicht allen sprachlich-national definierten Gruppen einen gleichberechtigten Anteil an Vertretern in den jeweiligen Repräsentationsorganen zu, begründet 140 Cooper / Stoler 1997. Eine in der Bilanz deutlich erweiterte Forschungsagenda präsentiert Howe 2010 und bezeugt damit den Einfluss des programmatischen Textes. Früh zur Anwendung Saids in der deutschsprachigen Osteuropäischen Geschichte: Jobst 2000. Während ›imperiale‹ Herrschaft zumeist territorial gedacht wird, bezieht sich ›kolonial‹ auf Herrschaftsbeziehungen. Osterhammel 2004; Osterhammel / Jansen 2012. 141 Hirschhausen 2015, S. 720. 142 Buchen / Rolf 2015 (Hg.). 143 Rjabcˇuk 2011. 144 Schmid 2020. ˇ ercˇovycˇ 2017; Pavlycˇko 2000; Zayarnyuk 2012. 145 C 146 Wendland 2013, S. 29. 147 Feichtinger / Uhl 2018, S. 106.

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durch den »antizipierten ›minderen‹ Zivilisationsgra[d]«148. Vor diesen Hintergründen gilt es zunächst, Galizien mit Bezug zur ruthenisch-ukrainischen Sprachgruppe im Lichte des Staates einzuordnen. 1772 annektierte die Habsburgermonarchie im Rahmen der ersten Teilung Polens jene Teile der Rzeczpospolita, die grob das Territorium der ehemaligen ruthenischen Fürstentümer Halycˇ und Volodymyr umfassten. In der Adelsrepublik waren die Woiwodschaft Krakau (województwo krakówskie) und die Ruthenische Woiwodschaft (województwo ruskie) administrativ getrennt.149 Infolge weiterer territorialer Veränderungen handelte es sich zwischen 1846 und 1918 um den östlichen Teil des ›Königreichs Galizien und Lodomerien mit dem Erzherzogtum Krakau und den Herzogtümern Auschwitz und Zator‹. Aus habsburgischer Perspektive erfolgte die Benennung, um die Annexion durch Berufung auf historische Gründe zu legitimieren,150 berücksichtigte aber keine ethnischen Kategorien. Das Kronland war also eine habsburgische »Erfindung«151 mit weitreichenden Folgen. Die aufklärerische Programmatik Maria Theresias und Josephs II. war von einem zivilisatorischen Impetus geprägt.152 Das 1787 an der Lemberger Universität eingeführte Studium Ruthenum,153 das der Ausbildung von griechisch-katholischen Geistlichen diente, sollte in Konzeption der Regierung zur »Zivilisierung Galiziens«154 beitragen. Das Toleranzpatent Josephs II. bedeutete durch religiöse Gleichstellung der jüdischen und griechisch-katholischen Konfessionen mit der römisch-katholischen einen langfristig relevanten Wandel in der hierarchisierten interkonfessionellen Kontaktzone, die die Region schon während der Adelsrepublik darstellte. Diese Politik erwies sich im 19. Jahrhundert als äußerst folgenreich: Zumal sich der ruthenische Adel – d. h. alle nicht-religiösen ruthenischen Eliten – während des 17. Jahrhunderts polonisierte, waren es primär Geistliche als ruthenischsprachige Bildungseliten, die im 19. Jahrhundert eine Nationalbewegung zu tragen begannen.155 Auch im Untersuchungszeitraum ist das Bildungswesen noch zu weiten Teilen religiös geprägt, was sich nicht nur in den familiären Hintergründen vieler Wissenschaftler, die hier behandelt werden, niedergeschlagen hat, 148 Jobst / Obertreis / Vulpius 2008, S. 37. 149 Stourzh 2011, S. 40. Detailliert zu territorialen Veränderungen zwischen 1772 und 1849 vgl. Mark 1994, S. 2–4. 150 Die Fürstentümer Halycˇ und Volodymyr gehörten seit dem 13. Jahrhundert zur ungarischen Stephanskrone und wurden laut des 1772 vorgelegten kaiserlichen Erlass widerrechtlich von den Jagiellonen annektiert. Die Bezeichnung »Galizien und Lodomerien« ist die latinisierte Fassung dieser historischen Ortsnamen. Maner 2007, S. 41; Wolff 2010. S. 15. 151 Wolff 2010. 152 Glassl 1975, S. 228. 153 Androchovycˇ 1921–1929. 154 Wolff 2010, S. 26. 155 Himka 1999, Religion. Zum Elitenwandel im L’viv der Frühen Neuzeit Kapral’ 2007.

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sondern auch in den Möglichkeiten der – bzw. sozialen Widerständen gegen die – Frauenbildung.156 In diese Reformperiode fällt auch die flächendeckende Einführung des Volksschulwesens, die langfristig für die ruthenisch-ukrainische Sprachgruppe höchst relevant werden sollte. Sie förderte nicht nur die Alphabetisierung, sondern auch Volksschullehrer als sozioökonomische Gruppe. Die Ereignisse des Jahres 1848 waren auch in Galizien eine entscheidende Zäsur der damals aufkeimenden ruthenischen Nationalbewegung, zumal eine erste politische Mobilisierung erfolgte. Die städtischen Eliten Lembergs formierten die Holovna Rus’ka Rada (ruthenischer Hauptrat) als Interessenvertretung. Die Religion fungierte als Brücke zur Landbevölkerung und förderte damit ihre Akzeptanz im Kronland. Bei diesem politischen Sprachrohr handelte es sich primär um konservative, geistliche Akteure, die sich loyal zur habsburgischen Regierung und skeptisch gegenüber radikaleren Forderungen der Bauernschaft verhielten.157 Konstituierend für nationale Identifikationsprozesse war neben der gemeinsamen Sprache und der Zugehörigkeit zur griechisch-katholischen Kirche auch ein Feindbild: Der Gegensatz zwischen ruthenischen ›Bauern‹ und polnischen ›Herren‹ (panowie), der von einem sozialen in einen nationalen Konflikt umgedeutet wurde.158 Dieses Schema forcierten die narodovci und später die ukrainische Nationalbewegung in den folgenden Dezennien. Durch die restriktive Politik des Neoabsolutismus und der Polonisierung des Kronlandes ab 1867 gewann zunächst die russophile Bewegung gegenüber den Konservativen an Boden. Die narodovci gründeten 1868 den Verein Prosvita (Aufklärung), der rasch an Einfluss gewinnen konnte; wenige Jahre später etablierte sich der Kacˇkovs’kyj-Verein als russophiles Pendant.159 Die Dominanz der narodovci ergab sich erst während der 1890er Jahre, durch die die russophile Bewegung allerdings keineswegs irrelevant wurde. Spricht die polnische Historiographie von einer ›galizischen Autonomie‹, ist dies keine zutreffende Einordnung des Kronlandes aus gesamtstaatlicher Perspektive, sondern entstammt dem vergleichenden Blick auf alle polnischen Teilungsgebiete.160 Betrachteten die polnischen Eliten, insbesondere der Adel, Galizien noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Ort der Unterdrückung,161 wandelte sich diese Haltung durch die russischen Niederschlagungen der polnischen

ˇ ercˇovycˇ 2017. 156 C 157 Subtelny 2009, S. 244f.; Struve 2005, S. 62. Zur ruthenischen Nationalbewegung in Galizien vor 1848 vgl. Kozik 1986. 158 Struve 2005, S. 106, 118f. 159 Ebd., S. 142–148; Sereda 2001, S. 209–212. 160 Binder 2006. 161 Vgl. Wendland 2000, S. 405, 409.

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Aufstände 1830/1831 und 1863/1864 drastisch.162 Bedingt ist dies nicht nur durch die günstigeren Entwicklungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft, sondern auch durch eine Reihe von Konzessionen, die der polnischen Sprache und der sie vertretenden Eliten infolge des österreichisch-ungarischen Ausgleichs zugestanden worden sind. Widerstand gegen die Staatsverfassung des Jahres 1867 bedrohte die Handlungsfähigkeit der Regierung der cisleithanischen Reichshälfte unter Graf Ferdinand von Beust (1809–1886).163 Sie konnte sich aber die Rückendeckung der polnischen Delegation des Reichsrates durch jene Zugeständnisse sichern und blieb dadurch regierungsfähig. Damit fanden polnische Interessen zunehmend auf Reichsebene Anerkennung.164 1867 genehmigte Wien bereits eine polnisch dominierte Schulbehörde, in den Folgejahren wurde Polnisch als Behörden- und Gerichtssprache (›innere Amtssprache‹) dekretiert und als Unterrichtssprache an den beiden Universitäten des Landes eingeführt. Das Towarzystwo Naukowe Krakowskie (Krakauer Wissenschaftliche Gesellschaft) bildete die Grundlage für die Errichtung der Akademie der Wissenschaften und Künste in Krakau – die zwölf durch den Kaiser genehmigten Gründungsmitglieder stammten alle aus diesem Verein.165 Die Befugnisse zur Selbstverwaltung des Schulwesens waren verhältnismäßig hoch, so bedurften die (zentralstaatlich finanzierten) Mittelschulen entgegen der in anderen Kronländern üblichen Verfahrensweise keines Erlasses der Zentralregierung, sondern des galizischen Landtages.166 Damit kam dem polnisch dominierten Landesschulrat eine verhältnismäßig große und staatlich kaum regulierte Macht zu. Wie Benno Gammerl für die Habsburgermonarchie gezeigt hat, war die Förderung regionaler und nationaler Gruppen in der Summe für das Entstehen »kooperativer Nationalismen«167 mitverantwortlich, die wiederum stabilisierende Effekte für das Staatswesen bedeuteten. Jana Osterkamp hat komplementär den Begriff des kooperativen Imperiums für die Habsburgermonarchie vorgeschlagen, der geeignet ist, bereits umrissene Ausnahmen zu fassen sowie Sonderrechte und Privilegien mancher Regionen in die Betrachtung einzubeziehen.168 Diese Form des divide et impera läutete eine »Auftragsverwaltung des Kronlandes«169 ein, die als galizischer Mikrokolonialismus zu deuten ist, zumal 162 Zum Novemberaufstand 1830/1831 Hildermeier 2013, S. 781f., zum Januaraufstand 1863/ 1864 und seinen Folgen Kappeler 2001, S. 181–182, 207–209. 163 Beust war von 1866 bis 1871 österreichisch(-ungarisch)er Außenminister, 1867 Ministerpräsident, 1867–1871 Reichskanzler. ÖBL Bd. 1, 1957, S. 79f. 164 Batowski 1980, S. 531f.; Shedel 1984, S. 24–28. 165 Lichocka 2015; ausführlich zum Towarzystwo Naukowe Krakowskie vgl. Wyrozumski (Hg.) 2016. 166 Sirka 1980, S. 94. 167 Gammerl 2010, S. 350. 168 Osterkamp 2016. 169 Wendland 2013, S. 25f.

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die Gleichstellung der ruthenischen Sprache de jure als Landessprache de facto nicht praktiziert wurde. Der Bildungs- und später auch Wissenschaftssektor stellte ein elementares Problemfeld dar. Die seit 1869 regelmäßig durchgeführten Volkszählungen förderten die quantitative Messbarkeit von Verteilungs(un)gerechtigkeit durch Schul-, Sprach- und Religionsstatistiken. Dies führte nicht nur dazu, dass die Umgangssprachenstatistik seit 1880 stark umkämpft wurde, sondern auch zur Nationalisierung des Ringens um Sprachenrechte beitrug. So war etwa die Abdeckung mit Elementarschulen auf dem Land im flächenmäßig nahezu doppelt so großen, aber dünner besiedelten Ostgalizien deutlich geringer als in Westgalizien und bis in die 1890er Jahre bestand nur ein ukrainischsprachiges Gymnasium. Das wichtigste Konfliktfeld aus Perspektive der Wissenschaftler war jedoch die Universität Lemberg, an der nur wenige Professuren mit ukrainischer Vortragssprache bestanden und Studentenproteste im frühen 20. Jahrhundert zum wiederkehrenden Phänomen wurden.170 Um die Zeit von der Zäsur des Ausgleichs bis zum Ersten Weltkrieg im Hinblick auf die ukrainischen politischen Bestrebungen zu fassen, empfiehlt sich eine von Harald Binder vorgeschlagene Periodisierung. Auf eine »Phase des Rückzugs des Zentralstaats zugunsten der Länder unter Bewahrung einer internen Balance zwischen den Landeskulturen (1859 bis 1867)«171 folgten die dargestellten Konzessionen an die polnischen Eliten seitens der Zentrale bis 1873. Zwischen 1879 und 1893 ist von einer »Hochphase polnischer Machtausübung«172 zu sprechen. Als Wendepunkt, das ist zu ergänzen, ist die sogenannte Politik der Nova era (Neue Ära) zu sehen, wenn sie auch kurzweilig und umstritten blieb.173 Es handelte sich dabei um eine Verständigungspolitik zwischen polnischen Parteien und narodovci im galizischen Landtag, die im November 1890 initiiert wurde. Der ruthenisch-ukrainischen Nationalbewegung verschaffte sie Vorteile, auf die sie in den kommenden Jahren aufbauen konnte. Dazu gehörten Landtagssubventionen für das NTSˇ, die Einrichtung eines »Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte mit der besonderen Berücksichtigung der Geschichte Osteuropas« in ukrainischer Vortragssprache,174 die Einführung der phonetischen Schreibweise des Ukrainischen im Schul- und Verwaltungswesen, die Einrichtung eines ukrainischsprachigen Gymnasiums in Kolomea/Kolomyja 170 171 172 173

Sirka 1980; Pacholkiv 2002. Binder 2006, S. 261f. Ebd., S. 262. Diese Politik blieb kurzweilig; von ruthenischer Seite wurde sie bereits 1892 für gescheitert ˇ ornovol 2000. erklärt, 1894 im galizischen Landtag beidseitig aufgekündigt. C 174 Diese eigentümliche Bezeichnung kam deshalb zustande, weil der angedachte Plan, eine Lehrkanzel mit der Denomination für ruthenische Geschichte einzurichten, am Kultusminister Paul Gautsch (Freiherr von Frankenthurn) scheiterte, der insistierte, dass »ruthenische Geschichte […] keine konkrete Wissenschaft« (Autobiographie Hrusˇevs’kyjs 1906, IL VR, fond 122, spr. 1, 4) wäre.

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und die Einführung der Zweisprachigkeit in den Lehrerseminaren Ostgaliziens.175 Ab 1900 sieht Binder schließlich eine »Phase des Rückgangs polnischer Hegemonie«176, die einerseits auf imperiale Reformen und andererseits auf die ruthenische Mobilisierung zurückzuführen ist. Ukrainische Wissenschaftler profitierten langfristig von den bildungspolitischen Neuerungen der frühen 1890er Jahre. Kurzfristig erleichterten die Subventionen dem NTSˇ den Ausbau seiner Publikationstätigkeit, langfristig bedeutete der Ausbau des Gymnasialwesens auch Arbeitsplätze für wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Wahlreform 1907 ermöglichte außerdem eine deutlich intensivere Interessenvertretung in Wien: Statt zuvor acht erhielten ruthenische/ukrainische Parteien 28 Mandate im Abgeordnetenhaus des Reichsrates.177 In den 1890er Jahren differenzierte sich die ukrainische Parteienlandschaft aus. Die Radikalen formierten 1890 die Ruthenisch-Ukrainische Radikale Partei (R-URP); ihr älterer Flügel vertrat einen Sozialismus, der sich nicht an Marx und Engels, sondern dem ukrainischen Politiker und Wissenschaftler Mychajlo Drahomanov orientierte. Die 1899 gegründete Ukrainische Sozialdemokratische Partei ging in Teilen aus dem marxistischen Flügel der R-URP hervor.178 Die Christlich-Sozialen bzw. Nationalkonservativen kooperierten eng mit der griechisch-katholischen Kirche und waren mit dem Verein Ruslan und der gleichnamigen Tageszeitung verflochten.179 1899 gegründete sich auch die Ukrainische Nationaldemokratische Partei (UNDP), die die »Konsolidierung der nationalprogressiven Kräfte« forcierte und dadurch als Sammelbecken unterschiedlicher Orientierungen auch zur politisch relevantesten Partei avancierte.180 Die Leitung des NTSˇ spielte hierbei eine entscheidende Rolle, wobei diverse Reichsratsabgeordnete der UNDP dem Verein angehörten. Das nationale Umfeld der scientific community wurde erheblich von den Parteien sowie dem ukrainischen Vereinsnetzwerk des Kronlandes geprägt. Der Theaterverein Rus’ka besida stellte seinen Saal im Narodnyj dim (Nationalhaus) für Kulturveranstaltungen und Vereinsversammlungen zur Verfügung, so auch für das NTSˇ.181 Erstarkende Frauenvereine hatten zunächst unterstützenden, seit dem frühen 20. Jahrhundert aber auch zunehmend eigenständigen, einflussreichen Charakter.182 Wissenschaftler des NTSˇ hielten auf Einladung Vorträge und brachten fachliche Expertise in andere Vereine ein, wodurch sie im Rückschluss auch die Relevanz 175 176 177 178 179 180 181 182

Pacholkiv 2002, S. 91f. Binder 2006, S. 262. Binder 2005, S. 263. Jobst 1996, S. 43, 105. Zum russophilen Parteiwesen Binder 2005, S. 149–156. Binder 2005, S. 136–140. Ebd., S. 142; vgl. Rasevycˇ 1996. Misˇcˇuk 2009, S. 61f. Zipper 1894, S. 89; Rohde 2020, Ukrainian Popular Science; Leszczawski-Schwerk 2015.

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ukrainischer Wissenschaft förderten. Dabei ist eine enge Verflechtung der Vereine durch gemeinsames Personal zu beobachten. So ist Julijan Celevycˇ (1843– 1892) im Verlauf der 1870er Jahre bis zu seinem Tod 1892 leitendes Mitglied der Prosvita, der Rus’ka besida und der Sˇevcˇenko-Gesellschaft gewesen.183 Damit war eine Arbeitsteilung der narodovci zu beobachten; besonders in der Gründungsperiode der Sˇevcˇenko-Gesellschaft diente diese maßgeblich als Druckerei für die Prosvita und andere Kulturprojekte.184 Als v Organisation mit völlig eigenständiger Programmatik, die weit über die Ideen und Ziele anderer narodovci-Vereine hinausging und diesen sogar widersprach, entwickelte sich das NTSˇ erst während der 1890er Jahre. Hinsichtlich des Zarenreiches, das durch die Situierung eines wesentlichen Teils der ukrainischen Nationalbewegung und damit für transimperiale Kommunikation ukrainischer Intellektueller noch relevant für diese Arbeit sein wird, ist die Kategorisierung als Imperium weniger umstritten. Der scheinbare Widerspruch zwischen russischem Imperium und russischem Nationalismus ließ sich durch das Konzept der Nationalizing Empires auflösen, das Nationalismus als staatliche Ideologie diverser Imperien als Muster des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts aufgedeckt hat.185 Die Reaktion auf Nationsbildungsprozesse an den westlichen und südlichen ›Peripherien‹ des Reiches stand in Wechselwirkung zur Ausbildung eines russischen Nationalismus. Aus staatlicher Perspektive stand weniger die Konstruktion ethnischer Differenz im Vordergrund, als eine »Assimilierungskraft, die von den ›inneren‹, russisch geprägten Gouvernements auf die heterogenen Randgebiete des Imperiums ausgehen sollte.«186 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Sprachenpolitik als Werkzeug zur Verwaltung von Identitäten und Eindämmung von Nationalbewegungen in den Vordergrund getreten. Seit den 1860er Jahren ist deshalb seitens der regionalen Verwaltungen, teilweise sogar ohne Zustimmung oder gegen die Instruktionen der Zentralverwaltung, eine rigide Russifizierung betrieben worden. Das Projekt der russischen Nation, das ›Groß-‹, ›Klein-‹ und ›Weißrussen‹ integrierte, erkannte von diesem Konzept abgegrenzte Identifikationen – etwa die ukrainische Nationalität – nicht an und reagierte mit der Herabsetzung des ›Kleinrussischen‹ als Dialekt des Russischen. Staatlich sanktionierte 1863 das Valuev-Zirkular zunächst das Verbot der ukrainischen Sprache in einem Großteil aller Druckwerke. Mit dem Emser Erlass 1876 kam es zu weiteren Restriktionen, einschließlich des Verbots ukrainischsprachiger Kulturveranstaltungen. Des Weiteren wurden ukrainische Aktivisten, die sich gegen diese Politik auflehnten, 183 184 185 186

Misˇcˇuk 2009. Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 2–2zv. Berger / Miller 2015. Jobst / Obertreis / Vulpius 2008, S. 45.

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politisch verfolgt.187 In diesem Fall scheint die kulturelle sowie politische Abgrenzung der ukrainischen Nationalbewegung deutlicher auf, wie noch an gegebener Stelle skizziert wird. Für den Imperienbegriff bleibt ein Fokus auf den rechtlichen Rahmen Cisleithaniens deshalb trügerisch, weil er davon ablenkt, dass die Auslegung des Rechts, besonders hinsichtlich heterogener Regionen, in der Praxis umstritten war. Gleichfalls sind regionale Unterschiede anzuführen: Weitgehend monoethnische, monolinguale und monoreligiöse Räume haben im Gegensatz zu plurikulturellen Kontaktzonen keine mikrokolonialen Strukturen aufgewiesen. Ein weiteres Beispiel, das mit der Anwendung physischer Gewalt einherging, ist das Vorgehen gegen Menschen, die nach Ausrufung des Kriegsrechts in der Habsburgermonarchie 1914 als unzuverlässig charakterisiert wurden und unter dem Vorwurf des Verrats oder der Spionage standen. Die Betroffenen gerieten aufgrund ethnischer Kategorien unter Generalverdacht und konnten sich ihrer formellen Gleichstellung als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger angesichts willkürlicher Gerichtsverfahren im geltenden Kriegsrecht nicht erfreuen.188 Dabei sind es nicht nur solche Extremsituationen, in denen ein kolonialer Gestus relevant wird, sondern auch alltägliche Kulturkontakte, die Wechselwirkungen hervorriefen. Eine nahezu typische Reaktion auf Kolonialismus sei nach Conrad und Randeria »kultureller Essentialismus […], der sich auf vorgebliche überzeitliche und ahistorische Traditionen bezieht, um die jeweilige Spezifik der eigenen Moderne zu propagieren.«189 Dies ist nicht nur eine regelmäßige Reaktion in ruthenischen/ukrainischen Identitätsprojekten,190 sondern auch im Detail anhand der Problemstellungen ›nationaler Wissenschaft‹ nachzuvollziehen.

2.1

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Imperien- und Nationsbildungsprozesse durch Wissenschaft bedienten sich grundsätzlich ähnlicher Muster, indem sie die Deutungshoheit über Geschichte, Räume, Sprachen, statistische Kollektive und Kultur im engen wie breiten Sinn verhandelten. Diese Diskurse entwickelten sich zu geschichtsmächtigen Instrumenten, mittels derer sich zunehmend seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Legitimität und Illegitimität staatlicher Grenzen diskutieren ließen. Der Kontext des multiethnischen Imperiums in der Zeit nach 1848 sah eine zunehmende Vielfalt solcher Prozesse, die allerdings sprachlich und kulturell hierarchisiert 187 Miller 2015, S. 325–329. Detailliert zur ukrainischen Bewegung und ihrer Unterdrückung im Zarenreich Miller 2003. 188 Wendland 2010, S. 228. 189 Conrad / Randeria 2002, S. 13, 35. 190 Wendland 2013.

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waren. Imperien, gerade kontinentale, die sich von Nationalstaaten und -bewegungen herausgefordert sahen, bedienten sich ebenso der Propagierung einer gemeinsamen Identität. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die »politische Leitkultur«191 – zumindest sprachlich kodiert, später häufig auch nationalisierend – als überlegener Träger einer kulturellen Mission in den beherrschten Gebieten figurierte. Wenn Wissenschaften als Instrument der Identitätsaushandlung in einem plurikulturellen Staat diskutiert werden, stellt sich also einerseits die Frage nach den wissenschaftlichen Inhalten, andererseits nach den institutionellen Hintergründen der jeweiligen Wissensproduktion und -kommunikation. Inwiefern reflektierten inhaltliche Aspekte der Wissenschaften diese Probleme, wie wurden solche dominanten Narrative institutionalisiert? Die Geschichtswissenschaft agierte seit ihrer Professionalisierung im 19. Jahrhundert als eine Legitimationswissenschaft. Das gilt nicht nur für Nationalstaaten und Imperien, sondern auch für nationale Bewegungen, die als ›geschichtslose Nationen‹ verstanden wurden. Die österreichische Historiographie definierte den »Kulturraum der Donaumonarchie als Einheit, dessen Legitimität aus dem historischen Zusammenwachsen des heterogenen Territoriums zu erklären sei.«192 Auch in der Begriffsprägung der Volkskunde, die die Gemeinsamkeiten der ›Volksstämme‹ der Habsburgermonarchie untersuchen wollte,193 ohne eine hierarchisierende Völkerkunde nach deutschem Vorbild zu sein, kommt diese Haltung zum Ausdruck. Laut Michael Haberlandt, einem der führenden Vertreter dieser Disziplin, würde »die bunte ethnographische Zusammensetzung Österreichs« eine vergleichende Betrachtung verlangen, durch die eben keine Unterschiede, sondern ein nicht näher definiertes »tieferes Entwicklungsprincip als das der Nationalität«194 herauszuarbeiten wäre. Als Haberlandt im Namen des Vereins für österreichische Volkskunde 1899 vom Kaiser die Verstaatlichung des eigenen Museums erbat, rechtfertigte er dies mit »patriotischen Bestrebungen« und inszenierte sich durch die Vertretung eines »österreichischen Staatsgedanken«195 – eines explizit übernationalen ohne tragende Titularnation, wie dies in nationalisierenden Imperien der Fall war. Die Geographie konnte ebenso als legitimitätsstiftende Ressource fungieren, indem sie die Einheit des Staates und seiner Bevölkerung mit seinem Naturraum hervorhob. Gerade Galizien war in dieser Hinsicht ein »Integrationsproblem«, das sich nur unter geopolitischen

191 192 193 194 195

Surman 2009, S. 129. Surman 2012, S. 128. Ebd., S. 126. Haberlandt 1895, S. 1. Eingabe um Verstaatlichung des Museums für österreichische Volkskunde, in Beitl 1997, S. 463.

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Aspekten – der nach den polnischen Teilungen direkten Nachbarschaft zu Russland – hat rechtfertigen lassen.196 Die skizzierten Aspekte waren sprachlich eindeutig kodiert: diese Wissenschaften bedienten sich dem Deutschen als imperialer Kultursprache. Das Deutsche war nicht nur die Verwaltungssprache Cisleithaniens (und damit auch äußere Amtssprache Galiziens), sondern durch die meisten (und prestigereichsten) Universitäten und Forschungsinstitutionen die vorrangige Wissenschaftssprache. Der Rückzug des Lateinischen seit dem späten 18. und seine flächendeckende Ersetzung durch ›Volkssprachen‹ im Verlauf des 19. Jahrhunderts veränderte das Wissenschaftssystem entscheidend.197 Auch an der Universität Lemberg übernahm das Deutsche die frühere Funktion des Lateinischen, bis sich die Universität in den 1870er Jahren die polnische Amtssprache gab. Die 1848 erstarkenden Nationalsbewegungen versuchten mit ihren Nationalsprachen, in jenes Vakuum zu drängen, das das Lateinische hinterließ. Im vielsprachigen Kontext kann im Gegensatz zu früheren oder auf einsprachige Räume fokussierte Darstellungen die Betonung von ›Volkssprachen‹ nur im Plural erfolgen und birgt den Hinweis auf Konflikte durch Hierarchisierungen, die sich aus der Nutzung als imperiale Verkehrssprachen sowie Sprachen imperialer oder internationaler Wissenschaft ergaben. Dies wirkte sich einerseits auf die praktische Anwendbarkeit einer Sprache in unterschiedlichen Räumen und Tätigkeiten aus, andererseits auch hinsichtlich der Perzeption der vermeintlichen (Hoch-) Kulturfähigkeit einer Sprache. Der Nexus von Sprachen und Fremdwahrnehmung sind ein europäischer Topos seit der Antike, hob doch schon die griechische Benennung des Barbaren onomatopoetisch auf den »Klang unverständlicher Sprache«198 ab. Die Hierarchisierung von Sprachen und ihrer kulturellen ›Leistungsfähigkeit‹ sowie die Kategorisierung von ›zivilisiert‹ und ›unzivilisiert‹ sind ein zentraler Teil kolonialer Blickwinkel, die sich im 18. und 19. Jahrhundert im außereuropäischen wie auch europäischen Kontext entwickelten.199 Die Wahrnehmung einer Sprache als »Weltsprache« oder »Kultursprache« wurde dadurch im späten 19. Jahrhundert letztlich zentral für ihre Wahrnehmung respektive die Frage, ob Texte in einer Sprache rezipiert werden mussten, um wissenschaftlichen Standards zu genügen. Wissenschaft in Spra-

196 Wöller 2010; zu anderen Aspekten naturräumlicher Rechtfertigung der Einheit: Surman 2009, S. 129. 197 Entscheidende Zäsuren für Latein als Unterrichtssprache bzw. verpflichtenden -gegenstand sind die Josephinischen Reformen sowie die Thun-Hohenstein’sche Universitätsreform. Sekyrková 2017, S. 182; Surman 2012, S. 50; Chierichetti / Polenghi 2017, S. 292, 298f. 198 Hall 1989, S. 4. 199 Kutzner 2012.

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chen, die nicht zum Inventar der ›Weltsprachen‹200 gehörten, musste sich auch in der Habsburgermonarchie Vorwürfen mangelnder Kredibilität stellen oder wurde schlichtweg übergangen.201 In der Habsburgermonarchie korrespondierte dieser Nexus eng mit dem Zivilisierungsgedanken deutscher »Culturarbeit«202 im ›Osten‹ des Staates. Diese Aspekte traten regelmäßig in bildungspolitischen Debatten zutage, zumal die angeblich ungenügende Ausbildung der jeweiligen Sprache eine gängige Argumentation zur Ablehnung ihres Einsatzes als Unterrichtssprache war. Der Universitätsreformer und langjährige Unterrichtsminister Leo von Thun-Hohenstein nutzte eine derartige Argumentation zur Rechtfertigung der Dominanz des Deutschen an habsburgischen Universitäten.203 Polnische Professoren und Politiker nutzten das Argument im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert auch, um Konzessionen gegenüber der ukrainischen Vortragssprache an der Universität Lemberg abzulehnen.204 Die Sprache zwischen nationalem Identifikations- und funktionalistischem Verständigungsmedium hat somit als Problem des Bildungssektors zu gelten, ohne dass diese Aspekte stets zu trennen wären. Die Publikationssprache wissenschaftlicher Arbeiten hatte und hat erheblichen Einfluss auf die Rezeptionsmöglichkeiten. Eine funktionalistische Fragerichtung führt zu der Annahme, dass die Auswahl der Sprache auf eine spezifische scientific community abzielt und eine Appellfunktion an dort gegebene Wissensformationen ausübt. Eine »›Demokratisierung‹ des Bildungszugangs« auf der einen und transnationale bzw. globale Möglichkeiten des inner- und außerfachlichen Austauschs auf der anderen Seite sind die gegebenen Spannungsfelder.205 Entsprechend blieb die Hegemonialstellung durch wissenschaftliche Institutionen für die Identitätsbildungsprozesse nicht folgenlos. Dominant nations nutzten sie, um non-dominant nations und ihren scientific communities die Eigenständigkeit abzusprechen.206 Derartige Aspekte konnten nicht folgenlos für wissenschaftliche Diskurse bleiben. Insbesondere der ukrainische Fall bezeugt eine rekurrente Behauptung einer separaten, d. h. nicht-polnischen und nicht-russischen Identität in wissenschaftlicher Kommunikation, sowohl durch Verweise auf die sprachliche Leistungsfähigkeit durch wissenschaftliche und literarische Produktion als auch 200 Dieses Inventar war durchaus wandelbar und umfasste im gegebenen Zeitraum Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch, gleichwohl die Akzeptanz von Sprachenhierarchien stets eine Frage des Blickwinkels war. Als Beispiele für die Wandelbarkeit dürfen die Dominanz des Englischen als internationale Verkehrssprache nach 1945 und des Russischen als Verkehrssprache der Staaten, die zum Warschauer Pakt gehörten, gelten. Gordin 2015. 201 Surman 2009, S. 124f. 202 Franzos 1876, S. 142. 203 Fillafer 2017, S. 71. 204 Bspw. Twardowski 1907. 205 Valkova 2002, S. 78. 206 Surman 2009, S. 123.

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hinsichtlich distinkter Merkmale in historischer, national-kultureller und physisch-anthropologischer Beziehung in den jeweiligen wissenschaftlichen Diskursen. Die Frage nach Hegemonien, empfundenem ›Kulturgefälle‹ und der internationalen Aushandlung von Identitäten führt zu einer weiteren Funktion nationaler und imperialer Wissenschaften seit dem 19. Jahrhundert: Prestige. Landes- und Weltausstellungen, ein verbreitetes Format in Europa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, letztere begleitet von internationalen wissenschaftlichen Kongressen, glichen einem Schaulaufen staatlicher Fortschrittsnarrative und waren damit eine oszillierende Aushandlungsarena von Identitäten in überregionalem bzw. globalem Rahmen.207 Sie verhandelten nicht nur richtungsweisend technischen, wissenschaftlichen sowie administrativen Fortschritt und beförderten die staatliche Identifikation mit entsprechenden Errungenschaften und Praktiken, sondern förderten auch den Wandel dieser Aspekte durch Standardisierung. Kongresse und Ausstellungen boten aber auch nationalen, nicht-staatlichen Akteuren Möglichkeiten, ihre Wissenschaftskonzeptionen und nationale Identifikationsformen zu präsentieren. Diese konnten ein anderes Forum erreichen, in dem sie konkurrierenden, oft sogar hegemonialen Akteuren auf anderer Ebene begegnen konnten.208 Die internationale Bühne aber auch sprachliche sowie kulturelle Übersetzungen, die das ukrainische Projekt leisten musste, um sich dort zu präsentieren.209 Wenn »kartographische Aufschreibesysteme […] Wissen über die räumliche Beschaffenheit« eines Landes bzw. einer administrativen Einheit »(re)produzieren«210, tun sie das nicht neutral. Dasselbe gilt auch für andere Nachschlageund Orientierungswerke, die administrativen oder anderen Zwecken dienen sollten. Benennung ist immer ein Akt der Aneignung bzw. Zuschreibung. Die Festlegung von Kategorien, die in tabellarische Einträge, die Legenden von Karten oder farbliche Aufteilung von Territorien Einzug hielten, auch die Sprachen, in denen sie verfasst wurden, folgten einer Deutungsmaxime und marginalisierten gleichsam andere. Statistiken wie auch reale Karten produzieren mental maps.211 Produzierte Daten an sich bieten keine objektive, allgemeingültige Wahrheit, sondern sind ausgehend vom Ort und den Akteuren, die sie produzierten, zu deuten. Wer konnte sich wie in die Wissensproduktion einschalten? Wie zirkulierte dieses Wissen und wie veränderte es sich währenddessen? Für wen galt eine produzierte Wissensformation als legitim und für wen nicht? Die k.k. Statistische Zentralkommission, die eng an der Schnittstelle von 207 208 209 210 211

Geppert 2001; Geppert 2002; Wörner 1999. Fuchs 2002; Randeraad 2011. Sˇtojko 2018, S. 193f. Gugerli / Speich 1999, S. 62. Schmidt 2005; Seegel 2012.

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Wissenschaft und Verwaltung arbeitete, produzierte zwischen 1880 und 1910 Umgangssprachenstatistiken, die Akteure unterschiedlicher Provenienz, auch aus politisch relevanten Kreisen, wegen ihrer Ungenauigkeit kritisierten.212 Hierzu gehörten in besonderem Maße auch ukrainische Statistiker, die die systematische Unterdrückung durch die polnische Administration mittels statistischer Daten fürchteten. Dennoch befindet ein aktueller Kartenband die Daten für unproblematisch.213 Zeitgenössische tschechische und ukrainische Projekte haben regionale Daten produziert, die die betreffenden Gebiete auch nach staatlich gesetzten Maßstäben womöglich akkurater beschreiben.214 Doch weder für die historische Wahrnehmung noch die historiographische Nachbetrachtung waren diese Daten relevant, denn sie haben 1. nicht ganz Cisleithanien unter den gleichen Maßstäben betrachtet, 2. haben private Zählungen nicht dieselbe administrative Kapazität aufweisen können, wie der Staat, dadurch weisen sie 3. Lücken auf und 4. vertreten sie spezifische regionale Perspektiven. Sie können also nicht denselben Grad an Objektivität215 mit Blick auf das Gesamtprodukt veranschlagen, wie die staatliche Zählung – genau das wäre allerdings nötig zu untermauern gewesen, um den Daten Kredibilität zu verschaffen.216 Um sich auf staatlich rezipierter Ebene in statistische Diskurse einschreiben zu können, hätten die entsprechenden Anliegen in der von der Zentralkommission selbst herausgegebenen Statistischen Monatsschrift abgedruckt werden müssen, denn diese war das autoritative Forum für die Volkszählung. Da diese wiederum nationalorientierte Beiträge ablehnte, erhielten nationale Statistiker keinen oder nur einen regulierten Zugang zu diesem Forum.217 Dies illustriert klar die Machtasymmetrie, die die Institution der k.k. Statistischen Zentralkommission als Staatsunternehmen geprägt hat. Die staatlichen Daten sind damit auch heute, wenn sie mittlerweile auch mit größerer Vorsicht genossen werden, in Anbetracht des Mangels einer zuverlässigeren Alternative legitim. Das waren sie auch historisch, obwohl die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen mit der Problematik der Daten bestens vertraut waren. Legitimität steht in klarer Abhängigkeit zur Macht. Wie dieses Problem zeigt, hat der Staat ein durch seine Wahrnehmungsinstanzen gleichsam verengtes und seinen eigenen Kategorien entsprechendes Sichtfeld, das nicht nur dazu führt, lokale Deutungsmuster zu überschreiben,218 sondern das in seiner Lückenhaftigkeit angesichts großer und heterogener Territorien auf Expertise angewiesen war. Neben regionalen Administrationen war 212 213 214 215 216 217 218

Brix 1982. Rumpler / Seger (Hg.) 2010. ˇ echische Revue 1911, S. 204, zur ukrainischen Kap. 7.1. Zur tschechischen Zählung vgl. C Zur Problematisierung Daston / Galison 1992. Bourdieu 1990, S. 169–179. Rohde 2016, S. 34f. Scott 1998.

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diese zumeist bei akademisch gebildeten Individuen im höheren Staatsdienst zu finden. Ein bedeutender Experte, herangezogen für diverse Fragen und Projekte, die die slavischen Räume der Habsburgermonarchie betrafen, war der Lehrstuhlinhaber für Slawische Philologie an der Universität Wien, Vatroslav Jagic´ (1838–1923).219 Als Slavist beherrschte er eine Vielzahl slavischer Sprachen zumindest passiv. Er pflegte enge Kontakte zu unterschiedlichen Wissenschaftlern aus den jeweiligen Wissenschaftsgemeinschaften – viele davon ehemalige Schüler und Mitarbeiter – und rezipierte deren Publikationen, von ihnen herausgegebene Organe usw. Zahlreiche seiner Schützlinge waren ukrainische Wissenschaftler der jüngeren Generation, die später im NTSˇ aktiv wurden.220 Folgerichtig war sein Wissen als imperialer Akteur keineswegs unabhängig von nationalen Wissenschaftlern. Außerdem übernahm er die Leitung internationaler Projekte, so wie die russischsprachige Enciklopedija slavjanskoj filologii (Enzyklopädie der slavischen Philologie) und das Archiv für Slavische Philologie, des ersten und wichtigsten internationalen Journals dieser Disziplin. Hierfür spielten nicht nur sein über Jahrzehnte des Austauschs erworbenes Wissen und seine Kontakte eine Rolle für eigene Standpunkte, er konnte Wissenschaftlern auch zu einer Stimme in diesen renommierten Instanzen verhelfen.221 Diese Ausführungen erhellen wiederum den Wirkungsgrad der Institution, die Jagic´ vertrat. Wenn schon auf die Berufungspolitik für Professuren rekurriert worden ist, muss in diesem Fall ergänzt werden, dass es sich bei Jagic´, wie in diesem Fach üblich, um eine austroslawisch-staatsloyale Besetzung einer Lehrkanzel dieses Fachs handelt.222 Beide Beispiele bezeugen eine Verflechtung imperialer und nationaler Akteure. Prozesse räumlicher Verdichtung während des 19. Jahrhunderts intensivierten auch transkulturelle bzw. transnationale Interaktionen, die auch aus globaler Sicht »das Streben nach Abgrenzung seit Mitte des 19. Jahrhunderts«223 forcierte. Sowohl im ukrainischen Fall als auch im transnationalen Kontext Galiziens ist dies bisher vor allem hinsichtlich der Historiographie erforscht 219 So fungierte er als Mitglied der Redaktion des Kronprinzenwerks und verfasste im Ersten Weltkrieg für die Regierung ein autoritatives Gutachten, in dem er dafür plädierte, dass ob der Begriff »Ruthenen« offiziell beibehalten werden sollte. Sitzungs-Protokoll des Redactions-Comités, WStLA, Kronprinzenwerk, B 1; Gutachten (Abschrift), Hofrat von Jagic´, 8. Oktober 1915, AVA Inneres MdI Präs, 17044/1915. 220 Rigorosenakt Kuziela, Zenon 1906, Archiv der Universität Wien, PH RA 2086; Rigorosenakt Kolessa, Alexander 1894, ebd., PH RA 837; Rigorosenakt Kolessa, Philaret 1911, ebd., PH RA 3190; Rigorosenakt Studzinski, Cirillus 1894, ebd., PH RA 824. 221 Vgl. ein einschlägiges Bittschreiben seines ehemaligen Studenten Ivan Franko: Franko an Jagic´, 11. September 1904, ZTIF, t. 50, S. 245–248. Zum früheren Betreuungsverhältnis Rigorosenakt Franko, Iwan 1893, Archiv der Universität Wien, PH RA 778. 222 Surman 2009, S. 127. 223 Conrad / Randeria 2002, S. 19.

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worden.224 Nationale Reaktionen auf die charakterisierten Aneignungsprozesse – besonders auch mit Bezug auf polnische und russische Wissenschaften – sind Gegenstand des zweiten Teils dieser Arbeit. Damit lässt sich feststellen, dass Wissenshegemonie, Zivilisierungsmission, administrative Dominanz im Wissenschaftswesen und delegierte Auftragsverwaltung in Galizien als wesentliche Faktoren gelten, die erlauben, die Habsburgermonarchie aus galizischer Perspektive als Imperium zu verstehen. Die erhebliche Anziehungskraft der ›Metropole‹ als wissenschaftliches Zentrum für ukrainische Wissenschaftler kann nicht übergangen werden. Während sich einige von ihnen dem Zentrum anzubiedern suchten, äußerte sich dies nicht zwangsläufig in einseitiger Wissensdiffusion. Professionelle Wissenschaft ist anhand der Beispiele zu Jagic´ und der k.k. Statistischen Zentralkommission als staatsgetragenes Unterfangen präsentiert worden. Der Staat fungierte als gesetzlicher Rahmengeber für Forschung und Lehre an Universitäten, der diese ebenso wie Akademien finanziell trug. Hinzu kamen gesonderte staatliche Institutionen, die wie etwa statistische Büros in nahezu allen europäischen Staaten an der Schnittstelle von Forschung und Verwaltung operierten.225 Die dezentrale, vereinsgestützte Wissenschaft als alternative und oft komplementäre Organisations- und Wissensform, die exemplarisch in dieser Arbeit untersucht wird, war dagegen weniger staatlichen Kontrollmaßnahmen ausgesetzt, wobei neben Synergieeffekten mit staatlichen Institutionen auch Wechselwirkungen mit dem Staat zu bedenken sind.

2.2

Wissenschaftsvereine als Alternative

Das wissenschaftliche Vereinswesen ermöglichte ein liberaleres Spektrum an Disziplinen und Sprachen als das Universitätswesen, es konnte alternative Wissensformen tragen. Deshalb sei zunächst auf sprach- und fachbezogene Einschränkungen des habsburgischen Universitätswesens eingegangen, um mögliche ergänzende Funktionen des Vereinswesens zu charakterisieren. Universitäten bewegten sich im Spannungsfeld zwischen Aushandlungsstätten kultureller Identität und Ausbildungsstätten loyaler Eliten; während sich diese Aspekte nicht grundsätzlich widersprechen, entfremdeten sie sich jedoch zunehmend im 19. Jahrhundert.226 Die Thun-Hohenstein’schen Universitätsreformen und ihre Lehr- und Lernfreiheit sind ein wichtiger Baustein der Modernisierung des Hochschulsystems gewesen, das sich eben nicht nur der Beamtenausbildung, 224 Velychenko 1992, National History. 225 Schneider 2013; Desrosières 2005. 226 Surman 2012, S. 5.

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sondern auch der praktischen Forschung und Schulung kritischen Denkens widmen sollte.227 Der Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes schrieb 1867 fest: »Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.«228 Die weitgehende Autonomie der Universitäten schrieb das Gesetz zur Organisation der Universitätsbehörden aus dem Jahr 1873 fest.229 Dennoch blieb das Ministerium für Cultus und Unterricht die zentrale Instanz für Entscheidung und Schlichtung. Bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie wurde die Berufung von Professoren mittels Kaiserlicher Entschliessung durchgeführt, wobei das Professorencollegium der Universität ein diesbezügliches Antragsrecht gegenüber dem Ministerium besaß.230 Institutionen wie das Professorencollegium und andere akademische Funktionsträger haben in ethnisch und sprachlich gemischten Regionen auch als Instrument der Unterdrückung nicht-dominanter Gruppen dienen können, wie noch am Beispiel der Universität Lemberg gezeigt wird. Das Österreichische Staatswörterbuch als ›Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes‹ definierte einen »Verein im technischen Sinne des Wortes« als »freiwillig durch Unterwerfung unter eine hierfür im Vorhinein aufgestellte Ordnung eingegangene, als verpflichtend gewollte Verbindung mehrerer Personen miteinander zur Förderung eines bestimmten Zweckes durch Leistungen der Verbundenen«231. Diese Formulierung charakterisiert explizit das Spannungsfeld von liberaler Gewährung des Vereinswesens und rechtlicher Einschränkung desselben. Zum ersteren Aspekt gehört, dass Vereinen als »mögliche Subjekte von Grundrechten« die »Betätigung der Nationalität nach Maßgabe des Art. 19«232 des Staatsgrundgesetzes und die Berufung auf denselben für entsprechende Gesuche und Rechtfertigungen möglich gemacht wurde. Vereine waren aber gleichzeitig Objekte der Überwachung zuständiger Behörden, die Kontrollfunktionen ausüben und Sanktionen verhängen konnten.233 Der politischen Landesstelle mussten die Statuten eines zu gründenden Vereins zur Einsichtnahme vorgelegt werden. Diese wiederum konnte die Vereinsgründung verbieten, sofern dieser »gesetz- oder rechtswidrig oder staatsgefährlich«234 war, wobei das Ministerium des Innern als Berufungsinstanz fungierte. Statuten hatten den Vereinszweck, die Mittel, den Vereinssitz, Vertretungs- und Leitungsinstanzen, Umstände der Mitgliedschaft, Kommunikation und Auflö227 Aichner / Mazohl 2017. Zur Ära Thun-Hohensteins gehört auch die Schaffung staatlicher Forschungseinrichtungen, dazu Höflechner 2017, S. 47. 228 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 1867, Nr. 142, S. 396. 229 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 1867, Nr. 63, S. 242–246. 230 Ebd., S. 244. 231 Österreichisches Staatswörterbuch, Bd. 4, S. 712. 232 Ebd., S. 720. 233 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 1867, Nr. 134, S. 377–381, hier S. 378 (§12). 234 Ebd., § 6, Hervorhebung im Original.

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sungsbedingungen zu definieren. Die Behörde war ebenso berechtigt, unangekündigt Einsicht in die zu erstellenden Sitzungsberichte zu nehmen. Mitgliedern zugesandte Rechenschaftsberichte hatten Vereine der Behörde in dreifacher Ausführung vorzulegen. Versammlungen waren im Vornherein anzukündigen, wobei Vertretern der zuständigen Behörde jederzeit Zugang und ein Platz seiner Wahl zu gewähren waren.235 Zumal die zuständige Behörde auch Appellationsinstanz für Mitglieder war, die die Statuten nicht gewahrt sahen, waren die Rahmenbedingungen geschaffen worden, um Vereinskulturen auf der Basis dieser neuen Rechtslage auszubilden. Unter einem Verein als historischer Akteur sei im Folgenden ein »die ständische Verfaßtheit der Gesellschaft transzendierende[r], auf Freiwilligkeit des Bei- und Austritts basierende[r], temporäre[r] Zusammenschluß rechtlich gleichgestellter Individuen, die statuarisch kodifizierte Ziele verfolgen«236 verstanden. Abseits der in Vereinen üblichen funktional ausgerichteten Verwaltungs- bzw. Leitungsstellen hatten wissenschaftliche Vereine eigene Hierarchien und Abstufungen von Mitgliedertypen, die sich häufig an den Leistungen der Mitglieder in einem jeweiligen Feld orientierten. Solche Schemata konnten an akademische Hierarchien – die etwa zwischen »wirklichen« und »korrespondierenden« Mitgliedern unterschieden – angelehnt sein oder völlig frei davon operieren. Außerdem konnten Vereine, wie im Fall des NTSˇ, nationale Zugehörigkeit als Beitrittskriterium festlegen. Wissenschaftliche Vereine können und konnten Menschen vernetzen, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zu Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen erhielten, die sich mit einer Disziplin befassten, die an Hochschulen nicht institutionalisiert war, oder die in Sprachen arbeiteten, die nicht oder nur eingeschränkt im Hochschulbetrieb angewandt wurden. Diese Aspekte sind vor allem hinsichtlich imperialer Situationen und geschlechterpolitischer Anliegen des 19. und 20. Jahrhunderts hervorzuheben. Dass es sich hierbei nicht um Ausnahmefälle und Randphänomene handelt, bezeugt nicht nur die Dichte an entstehenden Wissenschaftsvereinen in dieser Epoche und deren Relevanz bis heute, sondern auch die Überschneidung dieser Aspekte in vielen Fällen. Vereine konnten dazu dienen, Lücken eines akademischen Milieus zu institutionalisieren, sofern sich ausreichend Akteure (ggf. mit genügend Ressourcen) fanden, die ein solches Unternehmen trugen. Das Universitätssystem agierte vergleichsweise schwerfälliger und restriktiver. Für die Einrichtung einer neuen Lehrkanzel mit entsprechendem Lehr- und Forschungsauftrag musste zunächst das Professorencollegium die Antragsstellung an das Ministerium beschließen, bevor die Entscheidungsfindung auf Staatsebene fortgeführt 235 Ebd.; zur Ordnung der Vereinsversammlungen ebd., S. 379f. (§14–22). 236 Häfner 2002, S. 379.

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werden konnte.237 Die Relevanz des wissenschaftlichen Vereinswesens beschränkt sich damit aber nicht auf spezifisch national oder sprachlich kodierte Unterfangen. Dies lässt sich im Rückschluss dadurch feststellen, dass Disziplinen wie Ethnologie und Anthropologie zunächst nur von Vereinen getragen wurden, bis sie in der Habsburgermonarchie 1910 an der Universität Lemberg und 1913 an der Universität Wien – hier zunächst noch mit der Berufung Rudolf Pöchs (1870–1921) als Extraordinarius – mit Lehrstühlen bedacht wurden. Gerade in Wien zeigt die Anthropologie einen langwierigen Prozess der genaueren Verortung dieser vielfältig definierten Disziplin, der die Einrichtung des Lehrstuhls hinausgezögert hat. In diesem Sinne erwies sich der temporäre, flexible Charakter von Vereinen als hilfreich für in der Selbstfindung begriffene Fächer.238 Gerade unter diesen Umständen ist die Teilhabe von Individuen an zahlreichen Vereinen und Institutionen relevant. Vereine konnten Gemeinschaft durch geteiltes Wissen produzieren, wobei je nach Relevanz und Situierung von anderen Größenordnungen als bei öffentlichen Einrichtungen auszugehen ist, allerdings auch von einem alternativen Klientel. Durch die steigende Relevanz der citizen science-Bewegung bzw. ›Amateurwissenschaft‹ sowie Forschungen zur Wissenschaftspopularisierung sind in den letzten Jahren zunehmend Schlaglichter auf ›alternative‹ Formen der Wissenschaft geworfen worden, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in nahezu allen Disziplinen üblich waren.239 Das betrifft nationale ebenso wie staatliche Einrichtungen. Die Entstehung eines wissenschaftlichen Vereinswesens war ein bedeutender Faktor für Amateurwissenschaft und Wissenschaftspopularisierung; beide gehören zu den wesentlichen Aspekten der ukrainischen Vereinstätigkeit in Galizien einschließlich des NTSˇ. Diese Faktoren waren elementar für die Entstehung einer scientific community. Der Verein arbeitete an der Schnittstelle zur ukrainischen Gesellschaft Galiziens, zu anderen wissenschaftlichen Vereinen der Habsburgermonarchie, zur Universität Lemberg und zu ukrainischen Gruppierungen im Zarenreich. Diese Möglichkeiten eröffneten dem Verein eine Flexibilität und Intensität wissenschaftlicher Tätigkeit, die der ukrainischen community ansonsten in keiner anderen Weise in den ukrainischen Ländern geboten waren. Beweggründe zur Partizipation von Laienwissenschaftlerinnen und Laienwissenschaftlern waren vielfältig und können nur individuell erforscht werden.240 Die unbezahlte Unterstützung durch Helferinnen und Helfer ist nicht erst seit dem 21. Jahrhundert als attraktive Ergänzung für Berufswissenschaftlerinnen 237 238 239 240

Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 1867, Nr. 63, S. 244. Tarvnavs’kyj 2016; Ranzmaier 2013, zu Pöch ebd., S. 213–216. Vetter 2011; Habermas / Przyrembel (Hg.) 2013. Rohde 2019, Local Knowledge, S. 206–208.

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und Berufswissenschaftler zu sehen. Vereinsgestützte Wissenschaft zeichnet sich im Vergleich zur staatlichen durch stärker limitierte Ressourcen aus. Das ist insbesondere für Forschungen relevant, die sich einer großen Menge an Material oder – im Untersuchungszeitraum deutlich relevanter, als heute – der Überwindung größerer Distanzen zu stellen haben. Sammlungen von materieller und immaterieller Kultur in spezifischen Regionen sind deshalb entweder durch systematische Forschungsreisen professioneller Wissenschaftler oder durch die Unterstützung lokal angesiedelter Laien bewerkstelligt worden. Durch solche Arbeiten und andere Angebote war es Vereinen möglich, Nachwuchs für Wissenschaft zu interessieren und ihn sogar bei potenziellen Karrierewegen zu fördern. Das betrifft auch insbesondere Karrierewege, die (noch) nicht institutionalisiert waren, wie die Anthropologie oder Wissenschaft in einer spezifischen Sprache, etwa Ukrainisch. Durch die individuelle Einbindung einzelner Mitglieder in unterschiedliche und oft transnationale wissenschaftliche Netzwerke agierten Vereine oft an Schnittstellen und konnten Vernetzungsprozesse befördern. Sie arbeiteten an der Schnittstelle zur Öffentlichkeit und übernahmen auf diese Weise auch Funktionen für die Wissenschaftspopularisierung.241 Die cisleithanische Verwaltung kannte diverse verschiedene Vereinstypen entsprechend des jeweiligen Tätigkeitsfeldes. Für den gegebenen Kontext sei auf zwei Aspekte eingegangen. Für den politischen Verein galten besondere Bestimmungen, obwohl er ebenfalls nicht exakt definiert war.242 Die Einstufung nahm die jeweils zuständige Behörde vor. Ein Verein wurde noch nicht dadurch zum politischen erklärt, weil er sich mit »öffentlichen Angelegenheiten« befasste; in der Praxis etablierte sich die Tendenz, dass in einem politischen Verein »die ausgesprochene Tendenz vorwalten müsse, kompulsiv auf die Bildung staatlichen Willens […] hinzuwirken.« Intensivere Überwachung und andere Restriktionen, die sich etwa auf die Mitgliedschaft bezogen, die »Ausländer[n], Frauenspersonen und (physisch) Minderjährige[n]«243 nicht verliehen werden durfte, waren die Folge einer solchen Einstufung. Während Vereine als »Orte und Instrumente zunehmender Emanzipation, Demokratisierung und Partizipation«244 gedeutet werden, ist dies für politische Vereine der Habsburgermonarchie in den genannten Aspekten einzuschränken. Für wissenschaftliche Vereine galten diese Einschränkungen nicht; außerdem konnten sie als nicht gewinnorientierte Vereine – so wie etwa Landwirtschafts- oder Bildungsvereine – Subventionen für ihre Tätigkeit beim Ministerium für Cultus und Unterricht beantragen. Die systematisierte Benachteiligung von Frauen ist jedoch auch außer241 242 243 244

Daum 2002; Daum 2009. Bernatzik 1906, S. 351. Österreichisches Staatswörterbuch, Bd. 4, S. 717. Tenfelde 2012, S. 225f.

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Wissenschaftsvereine als Alternative

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halb politischer Vereine hervorzuheben, wie das Beispiel von Rutheninnen bzw. Ukrainerinnen zeigt. Sie wurden nicht nur aus ethnischen Gründen alterisiert, sondern auch innerhalb dieser Gruppe aus religiösen Motiven, nicht zuletzt von ihren Familien, bezüglich höherer (wissenschaftlicher) Ausbildung zurückgesetzt.245 Die daraus folgende geringe Anzahl höher gebildeter ukrainischer Frauen ist für den geringen Anteil weiblicher Mitglieder in einem elitären Wissenschaftsverein wie dem NTSˇ mitverantwortlich. Gleichsam führte diese Intersektionalität zu einer gewissen Konjunktur von ruthenischen bzw. ukrainischen Frauenbildungsvereinen, auch mit (populär-) wissenschaftlicher Ausrichtung.246 Die im europäischen Vergleich relativ späte Liberalisierung des Vereinswesens in Cisleithanien führte zu massenhaften Vereinsgründungen im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die österreichische Reichshälfte zählte 1880 rund 14.300, dreißig Jahre später bereits rund 103.700 registrierte Vereine.247 Für galizische Vereine liegt der von ukrainischen Akteuren selbst betriebene Vergleich mit dem Zarenreich nahe, durch den die Vorzüge der Staatsgrundgesetze sogar außerordentlich liberal erschienen, nicht nur bezüglich der Sprachenrechte. Die Zemstva (Organe der lokalen Selbstverwaltung), die mit den liberalen Reformen der 1860er Jahre in Teilen des Russländischen Reichs eingeführt worden sind und bedeutenden Einfluss auf die Ausbildung etwa des lokalen Bildungswesens hatten, wurden in den ukrainischen (bzw. ›süd-‹ oder ›kleinrussischen‹) Gouvernements erst im Jahr 1911 realisiert.248 Nationalvereine sowie (wissenschaftliche) Periodika in ukrainischer Sprache konnten sich erst infolge der Revolution 1905 formieren. Bildungsvereine aller Art, die sich eine nicht im engeren rechtlichen Sinne politische Mission gaben, entwickelten sich zu zentralen Akteuren der Nationalbewegung. In Galizien waren Bildungsvereine eng mit dem Konzept der organischen Arbeit (poln. praca organiczna) verbunden, das vom polnischen Positivismus geprägt worden ist. Die Imagination der Nation als lebendiger Organismus führte zur Vorstellung, jedes einzelne Glied müsse seine ökonomische, soziale und kulturelle Produktivität so gut als möglich zur Indienststellung für das ›große Ganze‹ ausschöpfen. Dieser zentrale Programmpunkt des Positivismus speiste sich aus den Enttäuschungen vergangener Aufstände, den Einschränkungen durch die imperialen Besetzungen und zog den evolutionären ˇ ercˇovycˇ 2017. 245 C 246 Ein wichtiges Beispiel aus dem frühen 20. Jahrhundert ist der Kruzˇok ukrajins’kych divcˇat (Zirkel ukrainischer Mädchen), der nicht nur seine Zielgruppe, sondern auch die Studentenbewegung im Allgemeinen sowie die ukrainische (Populär-) Wissenschaft beeinflusste. Dazu Rohde 2020, Ukrainian Popular Science. 247 Hoffmann 2003, S. 76. 248 Miller 2003, S. 249.

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Imperiale Einordnungen

dem revolutionären Weg zur Wiedererlangung staatlicher Souveränität vor. Die polnische Nationalbewegung sah dies gezielt als Vorbedingung zur Wiedererrichtung eines polnischen Staatswesens.249 Das Konzept ist zwar von narodovci und Russophilen adaptiert worden, für sie war die Transgression der Staatsgrenzen allerdings nur ein kulturell-imaginativer oder kommunikativer Akt, aber kein politisch ernstzunehmender Programmpunkt.250 Das änderte sich erst während des Ersten Weltkrieges. Die Ukrainische Nationaldemokratische Partei (gegründet 1899), die durch personelle Verflechtungen auch durch das Konzept organischer Arbeit geprägt war, suchte vielmehr die Strukturen des Kronlandes Galizien zu ändern.251 Die territoriale Abgrenzung eines ukrainischen Ostgaliziens vom vornehmlich polnischen Westgalizien unter Verbleib in der Habsburgermonarchie ist ein deutlich populäreres Ziel gewesen. Dieser bereits 1848 vorgebrachte Punkt gewann im frühen 20. Jahrhundert neuen Aufschwung, als ukrainisch-national ausgerichtete Akteure ihre Pläne, Gleichberechtigung sprachpolitisch und institutionell zu erarbeiten, nicht im gewünschten Ausmaß realisieren konnten. Bildung wurde als emanzipatorisches Momentund Vehikel der Abgrenzung verstanden.252 Die liberalisierenden Tendenzen, die in diesem Kapitel umrissen wurden, ermöglichten die wissenschaftliche Selbstorganisation durch explizites Zutun des Staates. Diese Grundbedingungen galten gleichermaßen für alle Kronländer Cisleithaniens. Während es mit Blick auf die Wissenschaftsgeschichte in Makroperspektive ob skizzierter Synergieeffekte nicht sinnvoll erscheint, staatsgestützte von vereinszentrierter oder professionelle von nichtprofessioneller Wissenschaft zu unterscheiden, stellen doch die Erkenntnisse dieses Kapitels die Grundbedingungen dar, vor denen sich im NTSˇ eine alternative Wissenskultur auszubilden begann.

249 250 251 252

Janowski 2004. Lozyns’kyj 1908; Struve 2005; Magocsi 1991. Grundlegend zur Parteigeschichte Rasevycˇ 1996. Pacholkiv 2002; Rohde 2019, Innerimperiale Lernprozesse?

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3.

Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

Die Zusammengehörigkeit der ›ukrainischen Länder‹ ist keine ahistorische Naturwahrheit. Abseits ethnischer und sprachlicher Gemeinsamkeiten, die Gegenstand zeitgenössischer wissenschaftlicher Aushandlung waren, war die Zusammengehörigkeit dieser Gebiete im ausgehenden 19. Jahrhundert noch keineswegs allgemein anerkannt.253 Dabei ist die transimperiale Kommunikation über bestehende Staatsgrenzen hinweg ein performativer Akt, den historische Akteure forciert und letztlich, wie dieses Kapitel zeigen wird, in Form des NTSˇ institutionalisiert haben. Dies gehört zur intellektuellen Vorgeschichte der Gründung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft, zur Genealogie, auf die das NTSˇ sich berief und zur Mission, die sich diverse Akteure auf die Fahnen schrieben.254 Das Kapitel untersucht diese Institutionalisierung im Kontext der frühen Vereinsorganisation bis zu den ersten Jahren der Ära Hrusˇevs’kyj. Die repressive Politik, die das Zarenreich infolge des 1831 gescheiterten Aufstandes gegen seine polnische Bevölkerung führte, intendierte die parallele Stärkung des ostslavischen Einflusses in seiner südwestlichen Provinz und schuf damit eine wichtige Grundlage für die Ausbildung ukrainischer Projekte. So wurde die Wilnaer Universität 1834 nach Kiew verlegt und trug dort erheblich zur Formierung einer »neuen Generation der regionalen Intelligenz«255 bei. Zwischen 1840 bis 1863 formierten sich in Galizien und im Zarenreich erste ukrainische politische Organisationen und führten Diskurse um die Findung eines ukrainisch-nationalen Raums.256 Mykola (Nikolai) Kostomarov (1817–1885), der als Gründer der populistischen ukrainischen Geschichtsschreibung zu gelten hat, initiierte 1845 die Kyrillisch-Methodische Bruderschaft, einen kurzlebigen Geheimbund nationaler Aktivisten. Zu den Mitgliedern gehörten neben den Autoren Pantelejmon Kulisˇ (1819–1897) und dem späteren Nationaldichter Taras 253 254 255 256

Kotenko 2018; Kotenko 2013. Hyrycˇ 2012; Studyns’kyj 1929, Zvjazky Oleksandra Konys’koho. Kotenko 2013, S. 61. Ebd., S. 19. Zur Nationalbewegung in Galizien bis 1849 vgl. Kozik 1986.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

Sˇevcˇenko auch weitere Akteure, die in den folgenden Dezennien als zentrale Figuren der Nationalbewegung aktiv waren, etwa der Publizist Vasyl’ Bilozers’kyj (1825–1899), der von 1861 bis 1862 die Zeitschrift Osnova (›Das Fundament‹) in St. Petersburg herausgab. Eingebunden in diese Tätigkeit waren nicht nur Kulisˇ, ˇ ubyns’kyj (1839–1884), sondern auch Kostomarov und der Ethnograph Pavlo C galizische Intellektuelle.257 In der Kiewer Hromada (wörtl. ›Gemeinde‹) formierte sich 1859 eine neue Generation ukrainischer Intelligenz unter den Studenten der Universität, die zunächst vor allem auf Volksbildung fixiert waren. Zu ihnen gehörten der Historiker Volodymyr Antonovycˇ (1834–1908) und der Literat Oleksandr Konys’kyj (1836–1900), die später eine bedeutende Rolle für die Geschichte der Sˇevcˇenko-Gesellschaft spielen sollten. Nachdem der Valuev-Zirkular Publikationen in ukrainischer (›kleinrussischer‹) Sprache eingeschränkt hatte,258 nahmen die Aktivitäten deutlich ab. 1869 erneuerte sich die Gruppe, verstärkt durch eine junge Generation von ˇ ubyns’kyj, Drahomanov, Mykola Lysenko (1842– Intellektuellen, unter ihnen C 1912), Oleksandr Rusov (1847–1915) und Vovk. Die letzteren drei wurden mehr als zwei Dezennien später Mitglieder des NTSˇ. Ihnen gelang es 1872/73, die Südwestliche Abteilung der Kaiserlichen Russischen Geographischen Gesellˇ ubyns’kyjs zu gründen, der mit seinen Stuschaft unter leitender Beteiligung C dien zu Volksbräuchen wichtige Vorarbeiten geleistet hatte. Sie gingen aus einer statistischen-ethnographischen Expedition der Jahre 1869–1870 hervor, die er u. a. zusammen mit Vovk bestritt. Dabei ging es einerseits darum, dem imaginierten nationalen Territorium ein wissenschaftlich fundiertes Konzept an die Seite zu stellen, andererseits, wie Kotenko in Auswertung relevanter Korrespondenz herausstellt, handelte es sich um eine staatliche Mission, der ukrainische Aktivisten ob ihres Eigeninteresses kooperationsbereit gegenüberstanden.259 Trotz der Ausarbeitung einer Partikaluridentität war dieses Projekt nicht ˇ ubyns’kyj publizierte die Ergebnisse der Expedition in sieben nationalistisch.260 C Bänden, die Folklore, Volksglaube, den Volkskalender, das Volksleben, die Volost’-Gerichte, Sprache, Statistik und andere Bevölkerungsgruppen der Region behandelten.261 Die von Antonovycˇ und Drahomanov in zwei Bänden veröffentlichte Volksliedsammlung etablierte ein Klassifikationsschema und galt ˇ ubyns’kyj C ˇ erednycˇenko 2005; 257 Ausführlich zur Osnova vgl. Moser 2017; Kotenko 2012. Zu C Kotenko 2014. 258 Zum Erlass und seiner Genese Miller 2003, S. 97–138. 259 Kotenko 2014. 260 Miller 2003, S. 158–160. 261 Die Bände I, III, VI und VII erschienen bereits 1872 unter dem Verweis auf die Herausgabe durch die Südwestliche Abteilung. Der Kiewer Generalgouverneur unterstützte die Gründung der Abteilung bereits 1872, wobei die konstituierende Versammlung erst im Februar 1873 stattfand. Miller 2003, S. 158f.

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deshalb für die ukrainische Folkloristik, insbesondere im späteren NTSˇ, als Epochenwerk.262 Das Journal der Abteilung bot ein weiteres Medium für die transdisziplinäre Regionalforschung.263 Die Südwestliche Abteilung stand bereits seit dem Sommer 1874 unter strenger Beobachtung der Kritiker der ›Ukrainophilie‹. Im Folgejahr wurde Drahomanov im Sinne einer demonstrativen Geste auf staatlichen Druck von seinem Universitätsposten entlassen, auch wenn die Kiewer Regionalverwaltung sich bemüht hatte, die Abteilung zu schützen.264 Der 1876 unterzeichnete Emser Erlass schränkte ukrainische Veröffentlichungen nicht nur weiter ein, sondern ˇ uschloss auch die Südwestliche Abteilung und exilierte Drahomanov und C 265 byns’kyj mit sofortiger Wirkung. Während Drahomanov nach Genf emigrieren ˇ ubyns’kyj durch Unterstützung der Geographischen Gesellmusste, erhielt C schaft die Möglichkeit, in St. Petersburg zu bleiben, wobei ihm verboten war, nach Kiew oder in die ›kleinrussischen Gebiete‹ zurückzukehren. Trotz alledem prämierte die Akademie der Wissenschaften seine Expedition 1879.266 Obgleich die Arbeit teilweise in der imperialen Metropole fortgeführt werden konnte, führten die intensivierten Repressionen zur Verlagerung der Bemühungen nationaler Aktivisten. Nachdem Kulisˇ 1864 eine Beamtenstelle in Warschau angetreten hatte, begann er seine Kontakte nach Galizien zu intensivieren und in dortigen Periodika zu publizieren. Zusammen mit dem in Galizien geborenen, späteren Physiker Ivan Puljuj (1845–1918), begann er in den 1860er Jahren in Wien, an einer ukrainischen Übersetzung der Bibel zu arbeiten; das Neue Testament wurde 1880 von der Sˇevcˇenko-Gesellschaft gedruckt, nach seinem Aufenthalt in Lemberg 1881 folgten weitere literarische Werke.267 Kulisˇ bereitete ebenfalls die Nova era vor und suchte bereits ein Jahrzehnt zuvor, die intellektuelle Landschaft für dieses Projekt zu ebnen.268 Gemeinsam mit Konys’kyj förderte und finanzierte er die galizische Zeitschrift Pravda (»Wahrheit«), die bis zur Gründung der Zeitung Dilo im Jahr 1880 das zentrale Organ der narodovci war. 262 Dragomanov / Antonovicˇ 1874–1875; Hyrycˇ 2012, S. 27. 263 Zapiski Jugo-Zapadnago Otdela Imperatorskago Russkago Geograficˇeskago Obsˇcˇestva 1–2 (1874–1875). 264 Miller 2003, S. 168–172. 265 Vyvody Osobogo Sovesˇcˇanija dlja presecˇenija ukrainofil’skoj propagandy posle ispravlenija v sootvetstvii s zamecˇanijami, sdelannymi Aleksandrom II 18 maja v g. Ems, zit. nach Miller 2003, S. 270–273. ˇ erednycˇenko 2005, S. 247. 266 Miller 2003, S. 192; C 267 Zu Kulisˇ vgl. Nachlik 2007; zur Veröffentlichung des Neuen Testaments Bd. 1, S. 358. 268 Ebd., S. 391. Die Verbindung blieb auch nach dem Tod Kulisˇs relevant: eine literarische Werkausgabe gab das NTSˇ im frühen 20. Jahrhundert auf den Wunsch von Kulisˇs Witwe Hanna Barvinok und auf Vermittlung von Puljuj heraus. Vgl. dazu den Briefwechsel der beiden, abgedruckt in Zbozˇna (Hg.) 2007.

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Sie wurde bis 1898 fortgeführt, allerdings mit Unterbrechungen – eine davon ereignete sich 1870 bis 1872 durch Kulisˇs Finanzierungsstop.269 Die Fragilität und Personenbezogenheit der transimperialen Verbindungen geht daraus klar hervor. Konys’kyj sah sich deshalb motiviert, eine Druckerei der narodovci zu initiieren, die die Pravda und andere Publikationsprojekte in Galizien, gerade angesichts der Schwierigkeiten seit dem Valuev-Zirkular im Zarenreich, verstetigen konnte. Das russophile Stauropygian-Institut als kyrillische Druckerei Lembergs galt ihm nicht als verlässlicher Partner.270 Deshalb sammelte er in seinem persönlichen Netzwerk Geld und begann Gespräche mit Stepan Kacˇala (1815–1888), einem Geistlichen und narodovci-Politiker, der 1868 die Prosvita gegründet hatte.271 Im September 1873 lag das Geld bereit; den Löwenanteil stellte die Mäzenin Jelizaveta Myloradovycˇ zur Verfügung, die daran die Bedingung knüpfte, dass ein zu gründender Verein die Druckerei im Sinne der russländischen Spenderinnen und Spender verwalten würde.272 Zumal nur österreichische Staatsbürger als Gründungsmitglieder auftreten konnten, folgte ein Aushandlungsprozess mit den narodovci. Wie dieser Abriss zeigt, wirkten diese Akteure nicht nur durch ihre publizistischen und literarischen Aktivitäten, sondern auch durch ihre Netzwerke, die im Rahmen der genannten Vereine und Projekte entstanden, ohne dass sie hier im Einzelnen expliziert werden konnten. Gleichwohl sie von unterschiedlichen Teilen der ruthenisch-ukrainischen Öffentlichkeit kritisiert wurden,273 waren sie zentral für den intellektuellen Austausch der ›ukrainischen Länder‹. Diese Netzwerke sollten jedoch auch für die weitere Entwicklung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft relevant bleiben.

269 270 271 272 273

Romanjuk / Halusˇko 2001, S. 67. Barvins’kyj 2010, S. 83. Hyrycˇ 2012, S. 69; Harat / Kocur A. / Kocur V. 2005, S. 55. Hromada 1879, S. 363; Narod 1893, nr. 12–13, S. 129. Drahomanovs harsche Kritik an den konservativen narodovci, die folgend angesprochen wird, ist in der Dilo mit zahlreichen Antworten und nicht selten Polemiken bedacht worden. Dazu Voznjak 1929.

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Die literarische Sˇevcˇenko-Gesellschaft, 1873–1892

3.1

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Die literarische Sˇevcˇenko-Gesellschaft, 1873–1892

»Damals [1873, M.R.] bin ich im Allgemeinen […] zu dem Schluss gekommen, dass das unzureichende Wissen über sein Land unausgesprochen eine spezielle Eigenschaft des Galiziers ist.«274 Mychajlo Drahomanov, 1889

Noch bevor die Gründung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft anvisiert wurde, erforschte Drahomanov das (ruthenisch-)ukrainische Kulturleben Galiziens275 und stieß bei seinen diesbezüglichen Kontaktversuchen auf ein für ihn überraschendes Unwissen, auch unter lokalen Intellektuellen. Als er Galizien 1873 bei seinen Europa-Reisen besuchte, lancierte er den Plan, in einer Versammlung der Prosvita ein mit der Südwestlichen Abteilung vergleichbares Forschungsprogramm vorzulegen. Vorab konsultierte er dazu den Beamten Kornylij Susˇkevycˇ (1840–1885), der später zu den Gründungsmitgliedern der Sˇevcˇenko-Gesellschaft gehörte. Dieser allerdings suchte die Ambitionen Drahomanovs im Keim zu ersticken. Während ebendieses Aufenthalts in Lemberg wurde Drahomanov – durch Konys’kyj, auf expliziten Wunsch Myloradovycˇs – gebeten, an den Gesprächen zur Vereinsgründung teilzunehmen. Ein von ihm vorgelegtes Statutenprojekt, das vor allem einen wissenschaftlichen und literarischen Verein im Sinn hatte, lehnten die galizischen Beteiligten ab.276 Das später noch zu diskutierende Statut, das die narodovci letztlich umsetzten, zielte primär auf die Verwaltung der Druckerei und wenige literarische Aktivitäten ab. Infolgedessen protestierte Drahomanov gegen die Kooperation mit den klerikalen narodovci und begann, die Kiewer Intelligenz – nicht erfolglos – für seinen Standpunkt zu mobilisieren.277 Die Einrichtung der Druckerei erfolgte im letzten Quartal des Jahres 1873. Als weitere Finanzen für die typographische Ausrichtung benötigt wurden, willigte Myloradovycˇ nur unter der Bedingung ein, dass zum ursprünglichen Vorschlag Drahomanovs zurückgekehrt werde. Das Geld wurde zwar ausgezahlt, die Ausrichtung des Vereins blieb aber unverändert. Dieses Vorgehen bildete eine langfristige Grundlage für das Misstrauen der russländisch-ukrainischen Intelligenz gegenüber dem Verein. Ein zusätzlicher Kredit musste aufgenommenen werden, um die Räumlichkeiten für die Druckerei anzumieten und einzurichten,278 so dass der Verein trotz aller Spenden in den Folgejahren finanziell belastet war.

274 275 276 277 278

Drahomanov 1889–1892, S. 174. Ukrainec’ [= Drahomanov] 1874; Drahomanov 1876. Narod 1893, nr. 12–13, S. 129. Hyrycˇ 2012, S. 69. Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 3zv, 6–7zv.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

Das erste Statut des Vereins, darüber herrscht belegbare Einigkeit in der Forschung, verfasste Konys’kyj unter Konsultation seines intellektuellen Netzwerks.279 Drahomanov ging davon aus, dass die finale Fassung vom Juristen Susˇkevycˇ stammen musste.280 Zumal Vereinsgründungen nur von österreichischen Staatsbürgern durchgeführt werden durften, tauchen die Initiatoren des Vereins in den offiziellen Dokumenten nicht auf. Kacˇala als Präsident, Kornylij Susˇkevycˇ als sein Stellvertreter (und Präsident direkt nach Vereinsgründung), der Ingenieur Teofil’ Baranovs’kyj, die Stadträte Mychajlo Dymet und Mychajlo Kossak, der Leiter einer Lemberger Versicherungsgesellschaft Longin Lukasˇevycˇ, der Redakteur und Universitätsdozent Oleksandr Ohonovs’kyj (1848–1891), der Lemberger Universitätsprofessor Omeljan Ohonovs’kyj (1833–1894) sowie der Gymnasiallehrer und spätere Politiker Julijan Romancˇuk (1842–1932) fungierten als Gründer.281 Diese Aufstellung zeigt, dass sich die Mitglieder vornehmlich aus der quantitativ geringen ruthenisch-ukrainischen Mittelschicht Lembergs rekrutierten. Die für das relativ arme Kronland282 hohen Beitrittsgebühren in Höhe von 100 Kronen (§ 12)283 müssen als bewusst gezogene Barriere gelten. Dieses Argument soll keine Stereotype vom ›Armenhaus‹ der Monarchie284 reproduzieren, doch das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen285 lag deutlich unter dem cisleithanischen Durchschnitt, so dass der hohe Mitgliedsbeitrag ein reales Hindernis für einkommensschwächere Schichten darstellte. Während des ersten Jahres versammelte der Verein 33 wirkliche und sieben unterstützende Mitglieder.286 Abgesehen von einem Studenten – Petro Ohonovs’kyj, dem Bruder von Oleksandr und Omeljan – bestätigte sich die Sozialstruktur unter den neu aufgenommenen Mitgliedern. Die größte vertretene Berufsgruppe stellten mit Abstand die Lehrer. Die einzige Frau war Severyna Susˇkevycˇ, die Frau Kornylijs.287 Auch den Universitätsprofessor und Historiker Izydor Sˇaranevycˇ, Mitarbeiter des russophilen Stauropygian-Instituts, nahm der Verein 1874 als Mitglied auf.288 Die elitäre Ausrichtung, hervorgerufen durch die Beitrittsgebühr, war Drahomanov ein Dorn im Auge; er selbst plädierte für erleichterte Zugangsbedin-

279 280 281 282 283 284 285 286 287 288

Kupcˇyns’kyj 2013, Statuty, S. 24f. Drahomanov 1889–1892, S. 177. Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 3. Zum durchschnittlichen Pro-Kopf-Verdienst in den Kronländern vgl. Komlosy 2004, S. 2. Zur Ökonomie in Galizien im Detail vgl. Kaps 2015, Ungleiche Entwicklung. Hier und im Folgenden Statut 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2. Zur Historisierung dieses Topos vgl. Kaps 2015, Ein Armenhaus. Komlosy 2004. Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 2. Ebd., ark. 4zv. Ebd. Zu Sˇaranevycˇ vgl. die von I. O. Levyc’kyj gesammelten biographischen Materialien, LNNB VR, fond 167, op. II, spr. 3400.

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gungen und ein intellektuell wie politisch deutlich breiteres Mitgliederspektrum.289 Der Ausschuss fungierte als ständiger Vertretungskörper des Vereins und war von der jährlichen Generalversammlung jeweils neu zu wählen. Der Generalversammlung sind Rechenschaftsberichte über das vergangene Jahr vorgelegt worden; sie allein war kompetent für Änderungen am Statut. Das übergeordnete Ziel der Sˇevcˇenko-Gesellschaft war, die Entwicklung der »ruthenischen (kleinrussischen) Literatur« (§ 1) zu befördern. Dies sollte durch die Herausgabe vieler, niedrigpreisiger Bücher erreicht werden.290 Der weitgefasste Literaturbegriff schloss dabei wissenschaftliche Literatur und Schulbücher ein. Abgesehen jener auf die Druckerei bezogenen Möglichkeiten, sollte die kulturelle Tätigkeit auch die Ausschreibung von Prämien und Unterstützungen für Literaten, die Organisation von Kongressen für Wissenschaftler und Literaten sowie die Abhaltung öffentlicher Vorlesungen und literarischer Abendveranstaltungen umfassen. (§2) Während der ersten Generalversammlung im Mai 1874 ist die Führung der Druckerei als primäres, fast ausschließliches Tätigkeitsfeld des Ausschusses festgelegt worden.291 Hinzugefügt wurde einzig die Beteiligung an den Feiern zum 13. Todestag Sˇevcˇenkos, die die Prosvita federführend organisierte.292 Die Bedeutung der Druckerei legte Kacˇala mittels eines Vergleichs zu den bestehenden, von Russophilen geführten Alternativen dar. Bei der Neugründung handele es sich um die erste allgemein zugängliche »Volksdruckerei« (narodnja drukarnja), die erste galizisch-ruthenische unter Kontrolle der narodovci.293 Aufgrund der Konkurrenz sind hochwertige Maschinen in Wien erworben worden. Schwerpunkt der Druckerei waren zunächst u. a. einige Periodika, populäre Werke der Prosvita, Schulbücher und der Schematismus der griechisch-katholischen Kirche. Die Prosvita erhielt, und hier zeigt sich die kooperative Dimension der narodovci-Vereinsnetzwerke, einen deutlichen Druckkostenrabatt.294 Noch vor der ersten Generalversammlung bestellte der Verein bei einem Warschauer Bildhauer eine Sˇevcˇenko-Büste; weitere Kopien schrieb sie auch in der Pravda zum Verkauf aus. Zwar sind insgesamt nur zwölf verkauft worden,295 was die Initiatoren als Zeichen mangelnden Patriotismus werteten, doch dürfte Drahomanov und seine Anhängerschaft dies in dem Urteil, dass es sich nicht um einen literarischen, sondern kommerziellen Verein handelte, bestärkt haben. Die 289 290 291 292 293

Drahomanov 1889–1892, S. 177–180. Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 2zv. Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 3zv, 6–7zv. Ebd., ark. 4zv. Ebd., ark. 2. Referenz war u. a. die bedeutende russophile Druckerei von Mychajlo Bilous in Kolomyja/Kolomea, vgl. Hofeneder 2012. 294 Tätigkeitsbericht 1874, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 18, ark. 4. 295 Pravda 1874, S. 484f., 611f., 686f.; Pravda 1875, S. 247.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

Frage ist nicht, ob dieses Urteil Tatsachen oder lediglich seiner generellen Enttäuschung entsprach, doch als einer der wichtigsten ukrainischen Intellektuellen der Zeit wirkte sich Drahomanovs Bericht kaum förderlich für künftige Kooperationen aus. Das schließt nicht nur die Kiewer Intelligenz, sondern auch die späteren radikalen Politiker und andere junge Intellektuelle ein, insbesondere seine Anhänger Ivan Franko und Mychajlo Pavlyk (1853–1915), die ihrerseits seit den ausgehenden 1870er Jahren zunehmend einflussreich in Galizien wurden, vor allem auf die ruthenisch-ukrainische Jugend. Es ergaben sich ideologische Widersprüche zwischen den Anhängern Drahomanovs und den klerikalen narodovci, überdies artikulierten die letzteren sich arrogant gegenüber der ukrainischen Bevölkerung des Zarenreiches.296 Die Veröffentlichung der galizischen Memoiren Drahomanovs ab dem Jahr 1889, die Ivan Franko herausgab, intensivierte auch dessen Zerwürfnis mit der narodovci.297 Die von Drahomanov vorgelegten Thesen um die Unproduktivität des Vereins sind vorsichtig zu relativieren. Dem Verein gelang es, eine gewisse Anzahl von Menschen, im Wesentlichen die Eliten der narodovci, zusammenzubringen. Ein Teil des ukrainischsprachigen Schulbuchdrucks entfiel deshalb auf den Verein.298 Allerdings lieferten nachteilige Strukturen wie die geringe Anzahl von ukrainischsprachigen Professuren, die Existenz nur eines ukrainischsprachigen Gymnasiums und die Konkurrenz durch die russophile Bewegung keine optimalen Bedingungen für die Ausbildung einer pluralistischen Intelligenz. Wo sie existierte, verhinderte der politisch-konservative Tenor, der auf der Nähe zur griechisch-katholischen Kirche basierte, die Aufnahme von führenden Intellektuellen aus dem sozialistischen Lager. Auch die räumliche Distanz zwischen den Städten ermöglichte den engen Austausch noch nicht in dem Maße, wie 30 Jahre später. Das bezieht sich besonders auf Czernowitz, das 1875 zur Universitätsstadt wurde, aber auch auf Wien, Krakau und kleinere Städte in Galizien. In der Periode von 1874 bis 1892 war der Verein zunächst durch seinen Kredit gelähmt; aus oben umrissenen Gründen war dieses Problem selbst verschuldet. Die Druckerei blieb in diesem gesamten Abschnitt das hauptsächliche Aktivitätsfeld des Ausschusses.299 Mit fortschreitender Entschuldung konnte sich die Herausgebertätigkeit langsam ausweiten, doch seiner ›nationalen Mission‹ kam der Verein höchstens durch Druckkostennachlässe nach, wie auch spätere Polemiken unterstrichen.300 Als wissenschaftshistorisch relevante Werke dieses Zeitraums gelten vor allem Omeljan Ohonovs’kyjs (Emil Ogonowski) Studien auf 296 297 298 299

Hromada 1879, S. 363. Voznjak 1926, S. 76. Hofeneder 2009, S. 44f. Knyha protokoliv Zahal’nych zboriv cˇleniv tovarystva za 1883–1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 30. 300 Hnatjuk 1984.

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Die literarische Sˇevcˇenko-Gesellschaft, 1873–1892

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dem Gebiete der ruthenischen Sprache aus dem Jahr 1880 sowie seine Geschichte der ruthenischen Literatur (Ystorija literatury rus’koji), die er auf den Seiten der Zorja (Der Stern) in ukrainischer Sprache 1886 zu veröffentlichen begann.301 Der Autor rechtfertigte dabei sprachwissenschaftlich die Abgrenzung des ›Kleinrussischen‹ zum Russischen, polemisierte gegen die Annahme, es handele sich nur um einen Dialekt desselben und legte ein grundlegendes Werk über ukrainische Morphologie und Phonologie vor. Die Arbeit war primär an ein deutschsprachiges Publikum gerichtet und hatte durch ihre fachliche Ausrichtung eher fachwissenschaftlich-slavistischen als einen politischen Hintergrund.302 Dabei handelte es sich jedoch kaum um eine Vereinsleistung, sondern das Werk eines etablierten Universitätsprofessors, das lediglich vom Verein gedruckt wurde. Weiterhin ist die Übernahme der seit 1880 herausgegebenen literarisch-wissenschaftliche Zeitschrift Zorja ab dem Jahr 1885 hervorzuheben. Abseits der Absicherung der Zeitschrift sammelte der Verein hiermit wichtige Erfahrungen im Bereich der Verwaltung und Wissenschaftsorganisation.303 Die Kooperation mit der Kiewer Intelligenz stand nicht im Vordergrund; das steht im offensichtlichen Widerspruch zur Namensgebung des Vereins. Als anfänglich literarische Gesellschaft mit nationalem Sendungsbewusstsein liegt die Benennung nach dem bereits als Nationalschriftsteller geltenden und als Märtyrer verehrten Taras Sˇevcˇenko nahe. Die Prosvita war seit ihrer Gründung intensiv um die Etablierung eines Sˇevcˇenko-Kults bemüht,304 der eine gemeinsame ukrainische Identität zu stiften half; daran beteiligten sich zahlreiche weitere Nationalvereine, die in den folgenden Dezennien nach und nach gegründet wurden.305 Die Bedeutung, die sich die Gesellschaft durch die Auswahl dieses gesamtnationalen Symbols zuschrieb, kann besonders angesichts der Tatsache, dass sie zuerst diskutierte, sich »Halycˇ« zu nennen – ein Teilfürstentum der Kiever Rus’, das zwar Zugehörigkeit zum ostslavischen Raum symbolisiert, gleichzeitig aber primär regionale Bedeutung verkörpert hätte – kaum überschätzt werden.306 Letztlich blieb der Name in Anbetracht der ausbleibenden Kooperation zwischen 1874 und 1892 ein leeres Symbol. Vor diesem Hintergrund 301 Ogonowski 1880; vgl. auch Zajceva 2006, S. 30, Grusˇevskij 1914, Razvitie, S. 32. 302 Franko 2008 [1881]. 303 Vgl. etwa die Überlegungen, die Zeitschrift in eine Illustrierte zu überführen oder die Neubesetzung der Stelle des Herausgebers. Protokoll der Generalversammlung vom 23. März 1890, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 30, ark. 55–59zv, hier ark. 55zv.; Protokoll der Ausschusssitzung vom 05. September 1890, ebd., ark. 63zv–64, hier ark. 63zv. 304 Pasˇuk 2014. 305 Konzerte, Vorträge und andere Gedenkveranstaltungen fanden seit 1864 regelmäßig statt. CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 128; 129; 130; 131. Die Feiern 1911 zum 50. Todestag Sˇevcˇenkos galten als Generalprobe für die Feiern 1914; vgl. die Einladungen und Programme 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 132. 306 Istorija Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka 1949, S. 11.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

wird diese erste Phase der Vereinsgeschichte in der historischen Nachbetrachtung geringgeschätzt.307 Bei all den skizzierten Problemen ist jedoch darauf zu verweisen, dass lokal ein Fundament aufgebaut wurde,308 auf dem die Reformbemühungen der 1890er Jahre aufbauen konnten. Eine zentrale Kontinuität zwischen den Perioden war etwa die ständig erweiterte Druckerei, deren Seele aber nicht (nur) das Inventar, sondern insbesondere ihr Leiter war. Karlo (Karol’) Bednars’kyj (1848–1911) hielt diese Position von 1878 bis 1911, sammelte Erfahrungen, knüpfte Kontakte und bot das technische Wissen an, das der reformierte Verein für die Verstetigung seiner Periodika benötigen sollte.309 Derartige Grundlagen waren um 1890 nebst den bereits getätigten Subventionen das zentrale Argument dafür, mit dem bestehenden Verein weiterzuarbeiten anstatt eine neue Institution zu gründen.

3.2

Konkurrenz? Ivan Franko als Wissenschaftsorganisator und Herausgeber

Die konservative Vereinsführung und ihre restriktive Aufnahmepolitik war weder willens noch fähig, jüngere ruthenisch-ukrainische Intellektuelle zu integrieren, die ihren politischen Maßgaben nicht gerecht wurden. Daraus resultierten alternative Angebote zur Forschung und Wissenschaftskommunikation in Galizien; für zahlreiche von ihnen war der junge Dichter Franko verantwortlich, der in den 1890er Jahren zu einer tragenden Säule des NTSˇ werden sollte. Häufig agierte er im Verbund mit Mychajlo Pavlyk, den er seit der gemeinsamen Studienzeit kannte, als sie 1875 in der Redaktion der Zeitschrift Druh der russophilen Studentenvereinigung Akademicˇeskyj kruzˇok tätig waren. Im Folgejahr lernten sie Drahomanov bei dessen Besuch in Lemberg persönlich kennen und pflegten seitdem einen regelmäßigen Briefwechsel.310 Unter seinem Einfluss formierte sich innerhalb des Studentenvereins eine zahlenmäßig überlegene Gruppe, die den narodovci – allerdings nicht klerikal-konservativ und ruthenisch, sondern sozialistisch und ukrainisch – näher stand und den gesamten Ausschuss stellte.311 Bereits in diesem Rahmen wurde über gemeinsame wissenschaftliche Tätigkeit diskutiert, so trat etwa Pavlyk im Sommer 1876 während eines Abendvortrages für ethnographisch-statistische Forschungen in Galizien ein.312

307 308 309 310 311 312

Vgl. exemplarisch Hnatjuk 1984; Zajceva 2006. Ähnlich Andrusjak 2013 aus organisatorischer Perspektive. Kupcˇyns’kyj 2012, Bednars’kyj. Nazaruk / Ochrymovycˇ 1908, S. 400. Ebd., S. 400f.; Hrycak 2006, S. 168f. Nazaruk / Ochrymovycˇ 1908, S. 401.

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Die politische Tätigkeit war tatsächlich ein praktisches Hindernis für wissenschaftliche Arbeit. Vor der offiziellen Gründung der Ruthenisch-Ukrainischen Radikalen Partei waren die Radikalen im Untergrund tätig und operierten somit illegal.313 Franko wurde wegen sozialistischer Propaganda verhaftet und war von Juni 1877 bis März 1878 sowie drei Monate im Frühjahr 1880 inhaftiert.314 Dieser Lebensabschnitt wurde ihm in den folgenden Dezennien immer wieder vorgeworfen und sorgte dafür, dass er von zahlreichen (nicht nur) konservativen nationalen Akteuren dies- und jenseits Galiziens äußerst kritisch beäugt wurde, obgleich sein literarisches Werk deshalb keine geringere Schätzung erfuhr. Es hinderte ihn jedoch am Aufbau zahlreicher Beziehungen, die für seine Tätigkeit als Autor, Wissenschaftler und Herausgeber hilfreich gewesen wären. Nachdem Franko nach der Inhaftierung in Kolomyja/Kolomea im Juni 1880 zurückkehrte, zeigte er sich motiviert, seine Arbeiten als Wissenschaftler und Herausgeber voranzutreiben. Franko äußerte bereits 1881 gegenüber Drahomanov, dass er von der Notwendigkeit eines landeskundlich ausgerichteten Vereins überzeugt war und ein derartiges Vorhaben mit Pavlyk plante.315 Franko gründete 1883 eine ethnographisch-statistische Gruppe als Teil des Akademicˇne bratstvo (Akademische Bruderschaft), der umbenannten Nachfolgeorganisation des vorherigen Zirkels, nun primär ein narodovci-Studentenverein. Bei regelmäßigen Treffen verlasen Mitglieder – darunter auch der spätere Universitätsprofessor für ruthenische Literatur, Oleksandr Kolessa – ihre Arbeiten, diskutierten und bereiteten weitere Projekte vor.316 Franko sprach von je 30 bis 40 Teilnehmern während der ersten Lesungen.317 Während eine Abteilung eines Studentenvereins zunächst nicht allzu relevant klingen mag, deutet das Presseecho auf die Gründung ebendieser Gegenteiliges an.318 Franko war schon zu diesem Zeitpunkt eine einflussreiche Persönlichkeit, besonders mit Strahlkraft auf die galizisch-ukrainische Jugend, aber auch engen Verbindungen zur Intelligenz der russländischen Ukraine. Jaroslav Hrycak zeigt, dass dies keine Rückprojektion des späteren Franko-Kults ist, sondern sich unter anderem durch Briefkontakte junger Intelligenzler belegen lässt.319 In dieser Gruppe initiierte Franko unter Einbeziehung eines größeren Netzwerks an Korrespondenten die Sammlung von Folklore und das Zutragen ethnographischer Informationen unter Zuhilfenahme von zirkulierten Fragebögen. Unter dem Einfluss der komparativen Herangehensweise an Folkloristik, die Drahomanov geprägt 313 314 315 316 317 318 319

Jobst 1996, S. 33. Hrycak 2006, S. 156, 194. Franko an Drahomanov, o. D., LIF, S. 58. Nazaruk / Ochrymovycˇ 1908, S. 409. Franko an Drahomanov, o. D., LIF, S. 58. Jakymovycˇ 2006, S. 129; Drahomanov an Franko, 23. November 1883, LIF, S. 59–63, hier S. 60. Hrycak 2006, S. 206, 209, 387.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

hatte, suchte Franko beispielsweise zu diskutieren, welche Texte originär ukrainisch oder aber russischen oder belarussischen Ursprungs wären.320 Lehrer aus den ländlichen Gegenden Galiziens partizipierten an der Sammlung von Folklore ebenso wie Gymnasiasten – nicht nur aus Lemberg, sondern unter anderem auch aus Stryj.321 Wirkliche Mitglieder konnten zwar nur Angehörige der Akademicˇne bratstvo werden, doch all jene, die sich für die Anliegen des Vereins interessierten und dazu beitragen wollten, konnten für einen minimalen Mitgliedsbeitrag als korrespondierende Mitglieder aktiv werden.322 Bereits kurz nach der Gründung sprach Franko von zehn bis zwölf aktiven ›wirklichen Mitgliedern‹.323 Auch sie sammelten Material an ihren Heimatorten während der Ferienzeit. Als eine wichtige Aufgabe erachtete Franko zunächst die bibliographische Erarbeitung relevanter Literatur,324 wobei Desiderata lokaler Bibliotheken mittels Kontakt zu russischen und westeuropäischen Institutionen zu schließen versucht wurden.325 Er konzentrierte sich, auch auf Anraten Drahomanovs, zunächst auf Arbeiten zur Statistik, um seine Kollegen mit den jüngeren Methoden und Entwicklungen der Disziplin vertraut zu machen.326 Hinsichtlich statistischer Literatur waren Kooperationen mit Studenten aus Wien erwünscht, da diese in Lemberg nicht hinreichend zugänglich war.327 Von dieser Arbeit zeugen unveröffentlichte Bibliographien aus Frankos Archiv sowie die Ausstellung seiner Bücher auf der Allgemeinen Landes-Ausstellung 1894.328 Der Kontakt zu Drahomanov blieb essentiell hierfür, zumal er Anregungen lieferte und selbst Literatur zur Verfügung stellte.329 Abseits dessen muss die Organisation ethnographischer Wanderungen als wichtigster Beitrag Frankos zum scientific community building in diesem Rahmen gelten. Sie standen bereits initial als eine der zentralen Aktivitäten fest, so

320 Sokil, H. 2008. Drahomanov selbst äußerte sich kritisch über Frankos bisherige ethnographische und folkloristische Arbeiten, deshalb riet er ihm dazu, sich zunächst auf statistische und ökonomische Arbeiten zu konzentrieren. Drahomanov an Franko, 23. November 1883, LIF, S. 59–63, hier S. 60f. 321 Kyrcˇiv 2010. 322 Jakymovycˇ 2006, S. 125. 323 Franko an Drahomanov, o. D., LIF, S. 58. 324 Franko 2008 [1884], Zasidannja. 325 Nazaruk / Ochrymovycˇ 1908, 410; Sokil, H. 2008, S. 259. 326 Franko 1984; dazu ders. (Hg.) Zibrannja tvoriv, t. 44, kn. 1, S. 631; Drahomanov an Franko, 23. November 1883, LIF, S. 59–63, hier S. 60f. 327 Franko an Drahomanov, 27. Oktober 1883, LIF, S. 56–58, hier S. 57. 328 Smohorzˇevs’ka 2010; Providnyk po vystavi krajevij 1894. 329 Franko an Drahomanov, o. D., LIF, S. 58; Franko an Drahomanov, 24. Juni 1886, ebd., S. 209; Franko an Drahomanov, 26. November 1887, S. 266f., hier S. 267.

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dass sich ein Organisationskomitee unmittelbar formierte.330 Die erste dieser Reisen fand vom 27. Juli bis 20. August 1884 statt, wobei Franko ein Programmheft mit poetischer Wegbegleitung verfasste.331 Eine ethnische Teilnehmerbeschränkung gab es nicht: Zwar partizipierten mehrheitlich galizischukrainische Studenten, doch auch zwei galizische Polen und ein Student aus Kiew.332 Im Vorfeld nahmen die Organisatoren Kontakt mit zahlreichen Akteuren und Institutionen auf, die Kulturprogramme, oft unter Anteilnahme der lokalen Intelligenz und Schülerschaft, vorbereiteten und Kosten übernahmen. Diverse Treffen mit der Lokalbevölkerung – einschließlich Bauernfamilien, lokalen Vereinen und zahlreichen Geistlichen – standen neben ethnographischfolkloristischen und literarischen Aspekten sowie Bergwanderungen auf dem Plan. Neben den südlich von Lemberg gelegenen Städten Drohobycˇ/Drohobycz und Boryslav/Boryław – dem Zentrum der galizischen Ölförderung333 – konzentrierte sich diese erste Reise auf die heutige ukrainische Ivano-Frankivs’ka Oblast’, einerseits auf die Städte Kolomyja/Kolomea und Stanislaviv/Stanisławów/Stanislau (heute: Ivano-Frankivs’k), andererseits auf die Hucul’sˇcˇyna (›Huzulen-Land‹) und die Kleinstadt Kalusˇ/Kalusz.334 Geknüpfte Kontakte mit der ländlichen Intelligenz waren elementar für die spätere ethnographische Tätigkeit Frankos im NTSˇ, so beispielsweise die Bekanntschaft mit der Zaklyns’kiFamilie.335 Dieser Zirkel war nur kurzzeitig produktiv. Alle wissenschaftlichen Gruppen des Akademicˇne bratstvo waren vom Verdacht auf mögliche subversive Tätigkeiten betroffen. 1885 inspizierte die Lemberger Polizeidirektion die Vereinsbibliothek, fand unter 1.200 Büchern drei verbotene und konfiszierte daraufhin die gesamte Bibliothek; auch die Räumlichkeiten blieben geschlossen. Mit dem Fehlen eines Treffpunkts schliefen die wissenschaftlichen Gruppen des Vereins allmählich ein. Auch die ethnographisch-statistische Gruppe, deren Ferienexkursionen offenbar nicht erlaubt waren, geriet ins Visier des Rektorats der Universität Lemberg.336 Dennoch war dieser Abschnitt für Frankos spätere Tätigkeit äußerst relevant, nicht nur, weil er Erfahrungen sammelte und das Ansehen der akademischen Jugend gewinnen konnte. Auch die egalitäre Kommunikation und das volksnahe Forschen waren zwei wichtige Eckpfeiler für seine 330 Franko 1976 [1884], Ukrajins’ko-rus’ka students’ka mandrivka; Franko an Drahomanov, o. D., LIF, S. 58. 331 Franko 1976 [1884], V dorohu; Vgl. dazu ZTIF, t. 3, S. 417f. 332 Franko 1976 [1884], Ukrajins’ko-rus’ka students’ka mandrivka. 333 Frank 2007. 334 Franko 1993. 335 Ebd., S. 196. Zu den Zaklyns’ki und ihren Beiträgen zur Forschung des NTSˇ vgl. Rohde 2019, Local Knowledge. 336 Nazaruk / Ochrymovycˇ, 1908, S. 410f.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

späteren Anregungen für den NTSˇ.337 Die ›Volksnähe‹ Frankos, die durch zahlreiche Erinnerungen an ihn bestätigt wird,338 war allerdings kein Zufallsprodukt dieser Reise. Bereits in den späten 1870er Jahren entschied er sich unter dem Einfluss Drahomanovs dazu, nicht mehr nur für die Intelligenz, sondern für das gesamte Volk zu schreiben. Dadurch avancierte er auch zum scharfen Kritiker der etablierten Intelligenz, die sich nach Ansicht der Radikalen nur um sich selbst zu kümmern schien.339 Der Einfluss Frankos auf die Jugend und das intellektuelle Leben Galiziens im Allgemeinen ergab sich nicht nur durch seine organisatorischen Projekte und seine literarischen Werke, sondern auch die erfolgreiche Tätigkeit als Herausgeber und Redakteur. 1883 fungierte er als (Mit-) Redakteur des Dilo und der literarischen Zeitschrift Zorja, den beiden führenden Organen der narodovci zu diesem Zeitpunkt. Obwohl die narodovci dem jungen Radikalen ablehnend gegenüberstanden, konnten sie auf sein Redaktionstalent offenbar nicht verzichten – bzgl. der Zorja ist dies auch auf den Druck russländischer Ukrainer zurückzuführen. Als die Sˇevcˇenko-Gesellschaft 1885 die Zorja übernahm, verlangten sie, dass Franko ihr Redakteur bliebe. De facto blieb er das auch, allerdings – so die Kompromisslösung – mit einer Kontrollinstanz. Zeitweise schien dies zu funktionieren, so wurde Franko beispielsweise im Oktober 1885 zu einer Feier der Vereinsdruckerei eingeladen.340 Doch Franko hatte unter dieser Hierarchie zu leiden, deshalb ging dieses Bündnis einem raschen, beidseitig gewünschten Ende zu, als die Konservativen gegen ›amoralische‹ Veröffentlichungen des jungen Dichters protestierten.341 Die von 1890 bis 1895 erschienene Zeitschrift Narod (Das Volk) als Parteizeitschrift der Radikalen ist von Pavlyk in Kolomyja redigiert worden und speiste sich vornehmlich aus Beiträgen von ihm, Drahomanov und Franko. Nach dem Tod Drahomanovs und einer Erkrankung Pavlyks wurde das Projekt eingestellt.342 Schwerpunkte waren politische und gesellschaftliche Themen. Franko – nominell seine Frau Ol’ha – gab zwischen 1894 und 1897 die Zeitschrift Zˇytje i slovo (Leben und Wort) heraus, die der Literatur, Geschichte und Folklore gewidmet war, häufig aber auch das kulturelle Tagesgeschehen kommentierte. Franko erklärte für dieses Projekt, sich von parteipolitischen Standpunkten distanzieren und dem ›ganzen Volk dienen‹ zu wollen. Zwar suchte er zunächst 337 [Franko, Ivan:] Projekt statutu Naukovoho Tovarystva imeny Sˇevcˇenka, 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 9. 338 Voljans’kyj 2011. 339 Hrycak 2006, S. 174, 397. 340 Einladung der Druckerei der Sˇevcˇenko-Gesellschaft, 22. Oktober 1885, IL VR, fond 3, N 1608, ark. 6. 341 Hrycak 2006, S. 212. 342 Weitere politische Publikations- und andere Projekte Frankos skizziert Jakymovycˇ 2006.

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Reformära: 1892–1898

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den wissenschaftlichen Schwerpunkt in den Vordergrund zu rücken, griff aber ab 1896 zunehmend gesellschaftliche Themen auf – offenbar, um die Lücke zu schließen, die der Narod hinterlassen hatte. Zwar erreichte Franko im ersten Erscheinungsjahr rund 160 Abonnenten, diese Zahl reichte aber zur Selbstfinanzierung längst nicht aus.343 In diesem Rahmen kooperierte er nicht nur mit wichtigen zeitgenössischen Literatinnen und Literaten wie Osyp Makovej und Lesja Ukrajinka, sondern auch mit Volodymyr Hnatjuk, mit dem er gemeinsam die ethnographische Kommission des NTSˇ prägen sollte. 1895 ist Franko als Mitglied des NTSˇ aufgenommen worden und stellte sich schnell als eines der produktivsten Mitglieder heraus. Ende des Jahres 1897 wurden sowohl Zˇytje i slovo als auch Zorja eingestellt – anstelle der beiden Zeitschriften veröffentlichte das NTSˇ unter Mitarbeit von Franko den Literaturno-naukovyj vistnyk (Literarisch-wissenschaftlicher Bote; LNV). Andere Publikationsprojekte realisierte Franko im Rahmen der 1898 gegründeten Ukrajins’ko-rus’ka vydavnycˇa spilka (Ukrainisch-ruthenische Publikationsfirma, URVS). Die skizzierten Konkurrenzangebote waren eine Herausforderung für die narodovci, nicht nur aufgrund der ideologischen Orientierung, sondern auch, weil sie einander Gelder und Personal abwerben konnten. Dies betrifft den akademischen Nachwuchs Galiziens und die Gelder, die die ukrainische Elite im Zarenreich Gelder für nationalkulturelle und -politische Zwecke zur Verfügung stellte. Vor allem Zeitschriften, die sich finanziell nicht rentierten, wenn sie günstig genug verkauft werden mussten, um überhaupt gelesen zu werden, waren auf solche Zuwendungen angewiesen. Insofern herrschte ein direktes Konkurrenzverhältnis zwischen den Gruppierungen,344 was den Austausch umso mehr blockierte.

3.3

Reformära: 1892–1898

Die 1890er Jahre läuteten einen Umschwung für die narodovci in der galizischen Politik ein. Die sogenannte Nova era (Neue Ära) bezeichnete ihre Kooperation mit polnischen Konservativen im galizischen Landtag, die gleichsam die Abkehr von der Zusammenarbeit zwischen narodovci und Russophilen bedeutete. Ab 1890 wurde diese Politik im galizischen Landtag umgesetzt. Sie dauerte im Wesentlichen vier Jahre an, in denen Oleksandr Barvins’kyj die politische Leitfigur der narodovci war. Sein Name ist in dieser Phase und darüber hinaus mit staatsloyaler und kompromissfreudiger Politik in Verbindung zu bringen.345 Mit 343 Babjak 1968, S. 1–3. 344 Pavlyk 1906, S. 1f. 345 Rohde 2021, Galizische Erbschaften?

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

konkreten Plänen zur Vereinsreform trat Konys’kyj im Jahr 1888 an Barvins’kyj heran. Das ist auch das Jahr, in dem die Pravda im Programm der SˇevcˇenkoGesellschaft wieder aufgelegt wurde, mit Barvins’kyj als Herausgeber. Die Zeitschrift war das zentrale Kommunikationsmedium für die prospektive Transformation des Vereins.346 Barvins’kyj zog in diesem Jahr aus Tarnopol/Ternopil’ nach Lemberg, um eine neue Beschäftigung als Professor am Lehrerseminar wahrzunehmen; abseits seiner pädagogischen Tätigkeit trat er bis dato primär als Politiker und Autor von Volksschullesebüchern in Erscheinung.347 Russländische Intellektuelle, primär Antonovycˇ und Konys’kyj, bereiteten die politische Kooperation mithilfe Barvins’kyjs vor. Angesichts der skizzierten Restriktionen zur Publikation in ukrainischer Sprache war bei den russländischen Akteuren das Interesse, Galizien als ›ukrainisches Piemont‹ zu etablieren, ungebrochen.348 Diese an die italienische Nationalbewegung angelehnte Metapher schrieb Galizien durch seine liberalere Rechtslage die Funktion eines intellektuellen Stützpunktes der Nationalbewegung zu. Die in der Nova era erarbeiteten Konzessionen bereiteten diese Entwicklung teilweise vor, denn sie beinhalteten: die Nutzung der von den narodovci gebrauchten phonetischen Rechtschreibung für den Unterricht, die offiziell verstetigte Vergabe von Druckaufträgen für Schulbücher an den NTSˇ, die Einrichtung eines zweiten Gymnasiums mit ukrainischer Unterrichtssprache (Standort: Kolomyja), weitere Konzessionen in den Bereichen des Mittelschul- und Kirchenwesens, die Einrichtung der ruthenischen Versicherungsgesellschaft Dnister und die Einrichtung einer Professur für Allgemeine Geschichte mit der besonderen Berücksichtigung Osteuropas mit ruthenischer Vortragssprache an der Universität Lemberg.349 Der Historiker Antonovycˇ war zunächst selbst für die Besetzung der neuen Lehrkanzel vorgesehen, sagte aus gesundheitlichen Gründen jedoch ab. Stattdessen schlug er seinen Schüler Mychajlo Hrusˇevs’kyj vor, der zwar noch nicht habilitiert war, sich im Berufungsverfahren jedoch als politisch vermeintlich ungefährlichster Kandidat durchsetzen konnte. Angesichts dessen, dass Antonovycˇ sich nachweislich schwer damit tat, aktiv Ukrainisch zu sprechen,350 ist fraglich, ob dieser Plan aus seiner Sicht je eine ernstzunehmende Option dar346 Pravda (mit erneuerter Zählung als Misjacˇnyk poljityky, nauky i pysmenstva) I (1888), vyp. I, 1–13 zum Programm der erneuerten Zeitschrift; Pravda II (1889), vyp. V, S. 305–308, 379; vyp. VII, S. 83f.; Pravda II (1890), vyp. VI, S. 248; Pravda III (1890), vyp. VII, t. III, S. 75f.; Pravda III (1891), vyp. V, S. 341; Pravda III (1891), vyp. IX, S. 173f.; Pravda XII (1892), vyp. XXXVIII, S. 176f. 347 Romanjuk / Halusˇko 2001, S. 66–72. ˇ ornovol 2000, S. 40–89. 348 C 349 Ebd., S. 137–156. 350 Hyrycˇ 2012, S. 26f.

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stellte. Dem Tagebuch Hrusˇevs’kyjs ist zu entnehmen, dass der Plan deutlich weniger situativ entstand, als die frühere Forschung angenommen hat.351 Volodymyr Antonovycˇ verband mit seinen Plänen für Galizien bereits 1891, »solide wissenschaftliche Zirkel« mithilfe der jungen Radikalen aufzubauen, zumal sich unter ihrer »kostengünstigen Publizistik« durchaus »gutes Material« finden würde. In den politischen Agenden, zu denen sie mit Drahomanov im Rahmen der Zeitschrift Narod arbeiteten, sah er hingegen keine Zukunft.352 Insgesamt muss auf die herausragende Stellung russländischer Ukrainer für diesen Reformprozess verwiesen werden, die weit mehr als nur finanzielle Unterstützung für galizische Angelegenheiten leisteten. Konys’kyj hat die Diskussion nicht nur forciert, sondern zuvor auch die Kommunikationsoberfläche initiiert und abgesichert. Ihn als »Vater der ukrainischen Selbstständigkeit«353 zu bezeichnen ist deutlich von erinnerungskultureller Pathetik geprägt, was jedoch nichts daran ändert, dass er elementare Beiträge zur Organisation nationalukrainischer Akteure in Galizien leistete. In der Folgezeit konzentrierte er sich primär auf seine wissenschaftliche Tätigkeit – der Erforschung des Lebens und Werks Taras Sˇevcˇenkos – und blieb deshalb bis zu seinem Tod 1900 in Kontakt mit dem Verein, der auch diverse seiner Arbeiten veröffentlichte. Wie die Stagnation der Sˇevcˇenko-Gesellschaft in den vorangegangenen Dezennien jedoch gezeigt hat, waren kooperationswillige lokale Akteure die unmittelbare Voraussetzung für die Realisierung solcher Anliegen. Hingegen wurden ukrainische Ambitionen, Einfluss auf den Verein zu nehmen, häufig auch mit komplettem Unverständnis aufgenommen.354

3.3.1 Oleksandr Barvins’kyj – Die Nova era als Wendepunkt Die Generalversammlung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft nahm Barvins’kyj am 23. März 1890 als Vereinsmitglied auf.355 Noch am selben Termin stellte er dort seinen Plan zur Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Zeitschrift vor und skizzierte ein Statut, das einer wissenschaftlichen Gesellschaft gerecht werden sollte. Obwohl er auf Ressentiments stieß, einigte sich die Generalversammlung auf die Herausgabe zumindest eines wissenschaftlichen Bandes.356 Hintergrund 351 Hrusˇevs’kyj 1997, S. 94, 138f., 220. 352 Antonovycˇ an Vovk, 19. Februar 1891, abgedruckt in Nedrukovani lysty V. B. Antonovycˇa do F. K. Vovka, S. 97. 353 Hyrycˇ 2012, S. 53. 354 Hrusˇevs’kyj an Konys’kyj, 11. Oktober 1894, LMH, t. 3, S. 79–81, hier S. 80. 355 Protokoll der Generalversammlung vom 23. März 1890, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 30, ark. 55–59zv, hier ark. 58. 356 Ebd., ark. 58zv–59zv.

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seiner Vorschläge war die jüngere Transformation wissenschaftlicher Vereine zu Akademien der Wissenschaften, konkret rekurrierte er dabei auf die Geschichte der Krakauer Akademie.357 Zwar wurde direkt eine Kommission zur Erarbeitung des neuen Statuts gebildet, doch gab es auch ein Jahr später kaum Fortschritte zu verzeichnen, zumal der damalige Ausschuss bei einer außerordentlichen Generalversammlung am 5. Juli 1890 protestierend erklärte, im Falle einer Reform zurücktreten zu wollen. Wissenschaftlicher Arbeit und einer Publikationstätigkeit, so ein vermittelndes Argument, könne schließlich auch auf Grundlage des bestehenden Statuts nachgegangen werden.358 Massiven Widerstand gegen Reformen leistete der bis 1892 amtierende Vereinspräsident Demjan Hladylovycˇ (1845–1892),359 ebenfalls Mitglied der Statutkommission, gegen jegliche Transformation. Barvins’kyj kam sicherlich zugute sicherlich, dass er demselben politischen Lager angehörte wie die führenden Akteure, darunter der kurzzeitige Präsident Julijan Celevycˇ, der die Herausgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift besonders unterstützte,360 sowie Universitätsprofessor Omeljan Ohonovs’kyj.361 Nachdem Hladylovycˇ im Januar 1892 verstarb, übernahm sein Stellvertreter Volodymyr Sˇuchevycˇ (1849–1915) das Tagesgeschäft und Celevycˇ rückte in den Ausschuss nach.362 Celevycˇ wurde noch im selben Jahr zum Präsidenten gewählt und firmierte als Herausgeber der Vereinszeitschrift, allerdings verstarb auch er Ende des Jahres und konnte somit kaum weitere Spuren hinterlassen. Die Generalversammlung 1893 wählte daraufhin einstimmig Oleksandr Barvins’kyj als führenden Vereinsreformer zum Präsidenten.363 Das neue Vereinsziel lautete, »Wissenschaft und Kunst in ukrainisch-ruthenischer Sprache zu fördern und zu pflegen, sowie jegliche Zeugnisse, Antiquitäten und wissenschaftliche Gegenstände der Ukrajina-Rus’ zu sammeln und zu bewahren.«364 Dies sollte durch wissenschaftliche Forschung, Vorlesungen und Diskussionen, Kongresse von Wissenschaftlern, Literaten und Künstlern, der Herausgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift und anderen wissenschaftlichen 357 Barvins’kyj 2010, S. 85. 358 Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung vom 5. Juli 1890, CDIAL f. 309, op. 1, spr. 30, ark. 62zv–63; Protokoll der Generalversammlung vom 10. Mai 1891, ebd., ark. 68–70, hier ark. 68zv. 359 Nachlik Je. / Nachlik O. 2016. 360 Misˇcˇuk 2009, S. 80. 361 Barvins’kyj 2010, S. 86. 362 Protokoll der Ausschusssitzung vom 28. Januar 1892, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 30, ark. 74zv.; Protokoll der Ausschusssitzung vom 11. März 1892, ebd., ark. 75–78zv, hier ark. 76. 363 Protokoll der Generalversammlung vom 11. Mai 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 1a–8zv, hier ark. 4. 364 Statut Naukovoho Tovarystva im. Sˇevcˇenka u L’vovi, o. J. [1892], CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 3 (= Statut NTSˇ 1892 im Folgenden), § 3; Eingang bei der Statthalterei im selben Jahr, DALO, fond 1, op. 51, spr. 1233, ark. 63–70.

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Arbeiten, Prämierungen und Unterstützungen für Wissenschaftler und Literaten, die Materialsammlung für ein Museum und die Vereinsbibliothek sowie durch die Druckerei und eine eigene Buchhandlung geschehen (§4). Als Diskussionsplattformen des Vereins sollten die Sitzungen des vereinsleitenden Ausschusses, die jährlichen Generalversammlungen, Kongresse sowie Sektionsund Kommissionssitzungen fungieren (§6). Die drei wissenschaftlichen Sektionen entsprachen den festgelegten Schwerpunkten der Vereinstätigkeit: Es wurden eine historisch-philosophische, eine philologische und eine mathematischnaturwissenschaftlich-ärztliche gegründet. Sie waren für wissenschaftliche Arbeiten, ihre Diskussion und dementsprechend die Vorbereitung der Vereinszeitschrift gedacht. Die Sektionen durften separate Kommissionen für spezielle Aufgaben und Anliegen bilden, die weniger reglementierte Rechte und Pflichten hatten und außerdem Mitglieder hinzuziehen durften, die nicht zum Verein gehörten.365 Die konservativ-klerikale Ausrichtung, die Barvins’kyj auch mit in den Verein trug, ermöglichte zunächst keine politische Öffnung des NTSˇ. Die atheistisch ausgerichteten Radikalen wandten sich ebenso wie die Russophilen gegen die Nova era, die Barvins’kyj wie sonst niemand verkörperte; noch im 20. Jahrhundert galt der Begriff barvincˇuk als (oft spöttische) Bezeichnung für ukrainische Politiker, die pro-polnisch bzw. kooperativ und allzu staatsloyal agierten. Barvins’kyj gelang es, ein ebensolches staatsloyales Bild des Vereins nach Außen zu tragen und dadurch die Vereinsfinanzierung langfristig abzusichern. Er verschaffte dem Verein den Landtagsauftrag zum Druck ruthenischer Schulbücher, der langfristig bestand und die Vereinskasse in den folgenden Jahrzehnten stabilisierte.366 Dementsprechend gehörte die Aufrüstung der Druckerei, um dieser Aufgabe dauerhaft gerecht werden zu können, zu seinen Prioritäten im Rahmen der Vereinsreformierung.367 Darüber hinaus machte er seinen politischen Einfluss geltend, um Staats- und Landessubventionen einzuwerben. Der Beginn der Subventionen ist damit vor allem durch die Rechtfertigung ihrer Legitimität als entscheidende Zäsur der Vereinsgeschichte zu betrachten (Kap. 4.2). Die signifikante Verringerung der Mitgliedsbeiträge schaffte einen wichtigen Hinderungsgrund für die Aufnahme weiterer Mitglieder ab. 1891 hatte der Verein 365 Statut 1892, §10; Reguljamin, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 10, §41–43. Die Ordnung der Sektionsarbeit und weitere Aspekte des inneren Aufbaus hielt ein separates Regelwerk fest, das auch nach weiteren Statutenänderungen intakt blieb. Reguljamin, t. je vnutrjisˇnyj ustrij naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka, o. D., CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 10. Datiert von der Statthalterei auf das Jahr 1892, Reguljamin, DALO, fond 1, op. 51, spr. 1233, ark. 79–83, hier ark. 83. 366 C. k. Prezydyum Namiestnictwa we Lwowie, Do Szanownego Zarza˛du Towarzystwa imienia »Szewczenki«, LNNB VR, fond 11, op. 1, spr. 3674, ark. 1; Barvins’kyj 2010, S. 85. 367 Spravozdanje z dijal’nosty vydjilu tovarystva za cˇas vid 13 marta 1892 do 11 maja 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 3zv–7, hier ark. 6.

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48 Mitglieder368, 1892 kamen fünf hinzu. Nach erfolgter Reformierung ging die Anzahl auf 47 zurück, wobei die Generalversammlung 1893 – nach umgesetzter Beitragssenkung – 84 Neuzugänge verzeichnete. 56 von ihnen stammten aus der Habsburgermonarchie; neben wenigen Neueinschreibungen aus der Bukowina, Prag und Wien war der Großteil aus Galizien, allerdings nur rund ein Drittel aus Lemberg, der Rest vornehmlich aus kleineren Städten. Zu den mittelständischen Berufsgruppen, die weiterhin die wichtigste Einzugsgruppe blieben, gesellten sich auch junge Lehrer (bzw. Supplenten) und Studenten. Auch der Anteil der Geistlichen erhöhte sich. 28 der neuen Mitglieder stammten nicht aus der Habsburgermonarchie, der Großteil davon aus der russländischen Ukraine, allein elf Personen aus Kiew. Dazu gehörten vornehmlich die ›großen Namen‹ der Kiewer ukrainischen Intelligenz wie Konys’kyj, Antonovycˇ, der Autor Ivan Necˇuj-Levyc’kyj (1838–1918) und der Komponist Mykola Lysenko, außerdem der junge Historiker Mychajlo Hrusˇevs’kyj, der im Folgejahr nach Lemberg übersiedeln sollte. Weiterhin konnte der Verein international bekannte Wissenschaftler wie den krimtatarischen, ukrainophilen Orientalisten Ahatanhel Kryms’kyj (1871–1942) und den ukrainischen Anthropologen Vovk für sich gewinnen.369 Damit steht die Vereinsreform für den inklusiven, gesamtukrainischen Anspruch, der schon zuvor mit der Namenswahl angelegt wurde und gleichsam für die Hoffnung der im Zarenreich lebenden Ukrainer, nunmehr größeres Mitspracherecht zu erhalten. Die Sektionsvorsitze wurden allerdings dem Politiker und Musiker Anatol’ Vachjanyn (1841–1908), dem Universitätsprofessor Omeljan Ohonovs’kyj (1833–1894) und dem Gymnasialprofessor Ivan Verchrats’kyj (1846–1919) übertragen.370 Diese Besetzungen belegen, dass sich die grundlegende Struktur der tonangebenden Mitglieder keineswegs änderte. Das Drucken von Schulbüchern durch die Sˇevcˇenko-Gesellschaft war neben den einsetzenden, aber noch geringen Subventionen durch Staat und Landtag ein wichtiger Faktor für die künftige finanzielle Absicherung des Vereins. Wie Philipp Hofeneder gezeigt hat, ist der Druck von Schulbüchern mit wenigen Ausnahmen schon seit 1874 sukzessive von der Sˇevcˇenko-Gesellschaft über-

368 Protokoll der Ausschusssitzung 11. März 1892, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 30, ark. 75–78zv, hier ark. 76. 369 Protokoll der Generalversammlung vom 11. Mai 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 1a–8zv, hier 2zv–3zv. Auch in den Folgemonaten ereigneten sich zahlreiche Neuzugänge, Ausschusssitzung vom 8. September 1893, ebd., ark. 14–14zv. 370 Gründung der historisch-philosophischen Sektion, Protokoly zasjiidan’ sekcyji istorycˇnofil’ozoficˇnoji vid roku 1893 (do roku 1913), CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 3; Gründung der philologischen Sektion, Protokoly zasjiidan’ sekcyji fil’ol’ohicˇnoji vid roku 1893, LNNB VR, fond 1, op. 2, spr. 42a, ark. 3; Gründung der MPL-Sektion, Protokoly zasjiidan’ sekcyji matematycˇno-pryrodopysno-ljikarskoji vid roku 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39, ark. 2.

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nommen worden.371 Zurückzuführen ist das auf eine hohe Anzahl von Vereinsmitgliedern, die Schulbücher selbst verfassten. Mit der Ausweitung des ruthenisch-ukrainischen Mittelschulwesens und der Verstetigung des Produktionsauftrags ist diese Zäsur aber noch deutlich prägnanter. Die bis dato lukrativsten Druckaufträge waren die ruthenischen Volksschullesebücher; nachdem die diesbezügliche Vereinbarung des Landes-Schulrates mit dem russophil dominierten Stauropygian-Institut zunächst ausgelaufen war, wurden die Aufträge separat vergeben, so dass mit diesen Einkünften nicht langfristig zu kalkulieren war.372 Hier ist auf die Verflechtung der Behörden von Staat und Kronland hinsichtlich der Schulbücher hinzuweisen. Die Werke waren durch das Ministerium für Cultus und Unterricht für den Schulgebrauch zu approbieren, die separaten Druckaufträge erteilte jedoch die Statthalterei. Die Zuweisung des dauerhaften Druckauftrags für die Sˇevcˇenko-Gesellschaft im Jahr 1892 kam letztlich durch einen Antrag Barvins’kyjs beim Unterrichtsministerium zustande.373 Sein politischer Einfluss in der Nova era war somit zentral auch für diese Veränderung gewesen. Das Bestehen der Druckerei und die Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten waren infolge der Vereinsreform und der Auftragserteilung – Drahomanovs Kritik zum Trotz – grundlegend für die Finanzierung der wissenschaftlichen Tätigkeit in den folgenden Dezennien. Celevycˇ redigierte noch den ersten Band der Vereinszeitschrift Zapysky Tovarystva imeny Sˇevcˇenka (Mitteilungen der Sˇevcˇenko-Gesellschaft). Der alte Vereinsname war deshalb genannt, weil das Reformstatut noch nicht offiziell von der Statthalterei bestätigt war, allerdings führte die Zeitschrift schon im Untertitel an: »der Wissenschaft und Literatur des ukrainisch-ruthenischen Volkes gewidmet«374. Barvins’kyj redigierte die folgenden drei Bände, von denen 1893 einer und nach dem Einsetzen der Subventionen 1894 bereits zwei erscheinen konnten.375 Die lange kursierende These, Oleksandr Konys’kyj hätte die Zapysky insgeheim selbst redigiert, hat sich als unbelegbar erwiesen, dennoch pflegte er den Kontakt mit den Autoren aus der russländischen Ukraine und trug damit

371 Hofeneder 2009, S. 44f.; vgl. auch sein Primärquellenverzeichnis, S. 256f. 372 Odpis odezwy c.k. Rady Szkolnej krajowej, z dnia 21 grudnia 1891 l. 22738, do Wydziału Towarzystwa im. Szewczenki, jako włas´ciciela drukarni we Lwowie, LNNB VR, fond 11, spr. 3207. 373 C. k. Prezydyum Namiestnictwa we Lwowie, Do Szanownego Zarza˛du Towarzystwa imienia »Szewczenki«, LNNB VR, fond 11, op. 1, spr. 3674, ark. 1. 374 Deckblatt Zapysky I (1892). Das Statut ist erst am 15. November 1892 bestätigt worden, Protokoll der Generalversammlung vom 11. Mai 1893, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 1a–8zv, hier ark. 4. Dazu Voznjak 1929, S. 348. 375 Der Förderungsantrag ist nach Erscheinen des ersten Bandes gestellt worden, Protokoll der Generalversammlung vom 11. Mai 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 1a–8zv, hier ark. 5.

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einen Löwenanteil der Organisationsarbeit.376 Er zirkulierte einen standardisierten Aufruf des Vereins zur Mitarbeit, der ausgewählte Wissenschaftler aufrief, Beiträge einzusenden. Auch Drahomanov, der seit 1889 an der Universität Sofia lehrte, erhielt eine Einladung, wobei es in der Folge zu einem persönlichen Missverständnis kam. Er verfasste einen längeren Artikel, der nicht gedruckt wurde; Drahomanov verstand dies als persönlichen Affront und direkte Zensur seiner Arbeit, die für die gesamte Ukraine relevant gewesen wäre. Die Gegenseite verwies auf Missverständnisse und die Verzögerung durch die »hastige« Handschrift, kritisierte aber gleichzeitig auch seinen »allzu polemischen Ton« in dieser Angelegenheit. Darüber entbrannte ein Streit zwischen den betroffenen Parteien, der im Narod, im Dilo und in der Pravda ausgetragen wurde und alte Animositäten neu entfachte.377 Konys’kyj riet in der Folge explizit von der Kooperation mit den Radikalen, besonders aber mit Franko, ab.378 Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, dass der von Franko zur Veröffentlichung in den Zapysky eingeschickte Beitrag ebenfalls nicht angenommen wurde.379 Die Sektionen waren zwar als Nukleus wissenschaftlicher Tätigkeit deklariert, doch der Ausschuss blieb entscheidend für die Aufnahme von Beiträgen in die Zapysky, die den Kern wissenschaftlicher Tätigkeit in den ersten Jahren der Vereinsreform darstellten. Hier wurden Arbeiten zur Begutachtung für die eventuelle Veröffentlichung verteilt und die Aufnahme oder Ablehnung letztlich beschlossen. Dieses Verfahren wurde nicht nur für die Zapysky, sondern auch für größere Beiträge in der Zorja eingeführt.380 Darüber hinaus führte der Ausschuss in dieser wichtigsten ukrainischen Literaturzeitschrift Galiziens die phonetische Rechtschreibung ein,381 was wiederum die Verzahnung des NTSˇ mit der Nova era belegt. Insgesamt praktizierte der Verein also eine erste wissenschaftliche Qualitätskontrolle, die weder für potenzielle Autoren noch den Großteil der Vereinsmitglieder transparent war. Die Zapysky boten russländisch-ukrainischen Intellektuellen nach längerer Zeit wieder eine Möglichkeit zur Publikation in ukrainischer Sprache; nichtsdestotrotz nahmen diese die Zeitschrift nicht mit der erwarteten Euphorie an, hatte Konys’kyj doch größte Mühe dabei, ausreichend Autoren für die ersten vier Bände zu gewinnen, so dass er sogar auf die Möglichkeit zurückgriff, ein Honorar für Beiträge anzubieten.382 Noch mehr belegt 376 377 378 379

Zajceva 2006, S. 130–132. Narod 1893, nr. 11, S. 101–103. Voznjak 1929, S. 348. Protokoll der Generalversammlung vom 11. Mai 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 1a–8zv, hier ark. 4zv. 380 Protokoll der Ausschusssitzung vom 18. Februar 1894, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 18–18zv, hier ark. 18; Protokoll der Ausschusssitzung vom 1. Juli 1893, ebd., 13–13zv. 381 Ebd., 13zv. 382 Zajceva 2006, S. 131.

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der erste Band die Personalprobleme in Galizien: Unter zehn vertretenen Autoren fanden sich mit Barvins’kyj und Oleksandr Kolessa nur zwei Galizier, wobei ersterer nur eine vierseitige Mitteilung zur Vereinsreform beitrug.383 Das Echo auf die frühen Ausgaben war durchaus heterogen. Der Großteil der Reaktionen stammte aus der kleinen Gemeinschaft ukrainischer Intellektueller, zumal der Verein noch kaum darüber hinaus vernetzt war. Selbst in der Kievskaja Starina, der in Kiew von Ukrainern herausgegebenen historischen Zeitschrift, wurde erst 1895 eine Rezension zu den bisher erschienenen Bänden vorgelegt.384 Hrusˇevs’kyjs Beiträge erfuhren von polnischen und ukrainischen Rezensenten ein teils wohlwollendes, teils kritisches, aber keineswegs unsachliches Echo.385 Wichtige überregionale Zeitschriften wie das Archiv für Slavische Philologie haben sich mit diesen Frühwerken nicht befasst, abgesehen von einer außerordentlich lobreichen Besprechung zweier Beiträge Kolessas, die erst 1895 erschien.386 Dies ist wiederum auf Kolessas persönliche Verbindungen zurückzuführen: er promovierte in Wien bei Vatroslav Jagic´,387 dem Herausgeber der Zeitschrift und legte dem Rezensenten offenbar Separatabdrucke vor. Die Probleme der Produktion und Rezeption der frühen können auf die geringe Vernetzung der kleinen scientific community zurückgeführt werden. Der ukrainophile Ethnograf und Orientalist Ahatanhel Kryms’kyj monierte an den ersten beiden Heften, dass die großen Namen unter den ukrainischen Wissenschaftlern nicht zu lesen wären; der Grund dürfte auch auf die Pseudonyme zurückzuführen sein, die die russländischen Ukrainer zu Beginn noch verwendeten.388 Dass seine Rezensionen im wichtigen russischsprachigen Etnograficˇeskoe obozrenie erschienen, kann nur auf Kryms’kyj persönlich zurückgeführt werden. Die Sprache der Beiträge missfiel Konys’kyj und den russländischen Ukrainern,389 zumal sie »voll von Polonismen und absolut nicht kleinˇ ornovol 2000, S. 146. Kolessa war selbst Sozialist, aber von einschlägigen Vorbehalten 383 C offenbar nicht belastet – er begab sich aber auch nicht in Opposition zum Verein. Panfilova 2014, S. 84. Eine vergleichbare Ausnahme war der radikale Politiker Vjacˇeslav Budzynovs’kyj, der Vereinsmitglied werden konnte. Relevanter als die politische Orientierung war also die konkrete individuelle Haltung zum Verein und seiner Führung. Protokoll der Ausschusssitzung vom 18. Februar 1894, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 18–18zv, hier ark. 18. 384 Kievskaja Starina 51 (1895), S. 119; Rascher wurden spätere Spezialjournale von ihren Counterparts wahrgenommen, vgl. etwa die Erwähnung des ersten Etnohraficˇnyj Zbirnyk ˇ eský Lid 1896, S. 380, das regelmäßig auch weitere Arbeiten Hnatjuks rezensierte. (1895) im C Musˇynka 2012, S. 141. Ausführlich zur Rezeption anhand der Werke Hrusˇevs’kyjs Tel’vak 2008. 385 Tel’vak 2008, S. 27–35. 386 Archiv für Slavische Philologie 17 (1895), S. 270–278. 387 Rigorosenakt Kolessa, Alexander 1894, Archiv der Universität Wien, PH RA 837. 388 Krymskij 1893, »Zapysky naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka«. Tom II. 1893, S. 203. 389 Konys’kyj an Hrusˇevs’kyj, 11. Oktober 1894, LMH, t. 3, S. 79–81, hier S. 80.

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russischen grammatischen Formen«390 sei. Das galizische Ukrainisch schien ihnen als wissenschaftliche Hochsprache nicht geeignet. Trotz all dieser Kritik sind diese Bände, angelehnt an die frühen Gedanken um die Vereinsreformierung, als Startschuss für die Subventionen durch Staat und Kronland zu würdigen, außerdem als Arbeitsgrundlage für die weitere Entwicklung. Das radikale Lager beäugte die Vereinsreform äußerst kritisch. Das überschwängliche (Selbst-) Lob der ›galizischen Patrioten‹ in Barvins’kyjs historischem Abriss zum Verein391 schien besonders anzuecken, zumal die zuvor in der Pravda zirkulierten Pläne denen, die Drahomanov bereits 1873 geäußert hatte, nur allzu sehr ähnelten. Abseits der bereits angesprochenen Kritik an der frühen Vereinsarbeit, würdigte er die Leistung jener selbsternannten ›Patrioten‹ sarkastisch allem als Verzögerung seines Programms.392 Überdies wäre für Drahomanov der offene Umgang mit den vorherigen finanziellen Verfehlungen ein zentraler Programmpunkt einer Reform gewesen, um das Vertrauen ukrainischnationaler Akteure des Zarenreichs zurückzugewinnen.393 Diese Kritikpunkte finden sich allerdings nicht nur unter den Radikalen, sondern generell unter Vertretern der russländischen Ukrainer, die dem Verein mit der Hoffnung auf enge Kooperation in wissenschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten entgegen sehnten.394 Auch das neue Statut sorgte nicht für Begeisterung. Als kurzzeitiges Redaktionsmitglied der erneuerten Pravda diskutierte Franko während einer Sitzung mit Barvins’kyj und einem nicht benannten »Ukrainer« (vermutlich Konys’kyj) über die Vereinsreform; dabei ging er das vorliegende Statut von 1873 detailliert durch und äußerte seine Reformvorschläge. Er schlug die weitgehende Autonomie der Sektionen als Träger wissenschaftlicher Arbeit vor, außerdem die Kategorie der ›korrespondierenden Mitglieder‹, die an Sektionssitzungen teilnehmen dürften. Zu dieser sollten nicht nur gebildete Bauern und Studenten, sondern auch Spezialisten anderer Nationalität gehören, die zur Entwicklung des Vereins und ukrainischer Wissenschaft einen Beitrag hätten leisten können. Er wünschte die weitere Öffnung des Vereins durch noch weitere Absenkung der Mitgliedsbeiträge. Der befürchteten Bevormundung durch Vertreter anderer Nationalitäten wäre dadurch vorgebeugt, dass korrespondierende Mitglieder keinen Einfluss auf die Vereinsgeschäfte hätten.395 Es ist offensichtlich, dass sich diese Pläne an den positiven Erfahrungen in der statistisch-ethnographischen Gruppe orientierten, vor allem aber an einem Verständnis von Wissenschaft, das keinem bloßen Elitenprojekt glich. Laut Franko wäre Bar390 391 392 393 394 395

Krymskij 1893, »Zapysky naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka« 1892, S. 179. Barvins’kyj 1892. Narod 1893, nr. 12–13, S. 129. Ebd. Krymskij 1893, »Zapysky naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka«. 1892, S. 179. Franko 1893, S. 252.

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vins’kyj nicht nur interessiert gewesen, sondern ließ sich die Vorschläge sogar diktieren. Deshalb interpretierte Franko dessen Vorstöße zunächst als richtungsweisende Neuerungen hin zu den von ihm und Drahomanov in den letzten Jahren verfolgten Zielen. Er bewarb sich auch selbst auf eine Mitgliedschaft im neuen Verein – die die Generalversammlung mit einer Abstimmung ablehnte. Auch wenn keine Details über diese Entscheidungsfindung erhalten sind, ist davon auszugehen, dass sich die konservativen Kräfte gegen den Radikalen ausgesprochen hatten, den sie seit den 1880er Jahren in Franko sahen.396 Verbittert fragte dieser, ob in dem neuen Statut überhaupt noch Elemente der früheren Diskussion enthalten waren, wobei ihm klar war, dass diese Kehrtwende nicht nur an Barvins’kyj persönlich gelegen haben kann.397 Franko hielt das Ziel, den Verein in eine Akademie zu transformieren, nicht nur für unrealisierbar, sondern schlichtweg eine Phantasterei. Das begründete er dadurch, dass das »wissenschaftliche Gepäck [des Vereins, M. R.] nur allzu klein«398, sein Kapital zu gering und das Projekt letztlich auch eine diplomatische Herausforderung gewesen sei. Letzteres, zumal eine Akademie vom »Willen des Kaisers«399 abhinge, der üblicherweise einem Familienmitglied das Protektorat für eine Akademie übertrug; ein derartiges Entgegenkommen war angesichts der staatlich fixierten polnischen Hegemonie in Galizien außerhalb des Erwartungshorizonts. Sarkastisch zu verstehen gab Franko, dass vermutlich auch die Autoren des Statuts nicht an diesen Plan geglaubt haben könnten, zumal der neue Organisationsplan kaum dem einer Akademie ähnelte. Als Hauptprobleme sah er die starre Verengung des Tätigkeitsfeldes und die innere Zentralisierung durch die hervorgehobene Rolle des Ausschusses, demgegenüber auch wirkliche Mitglieder kaum Einfluss geltend machen konnten. Insgesamt hielt er die Mitgliedschaft schlichtweg für nicht attraktiv bzw. motivierend genug für Wissenschaftler.400 Dass nur Aufsätze gelesen werden sollten, die zum Druck in Vereinsschriften vorgesehen waren, die Sekretäre der Sektionen nur Aufsätze von wirklichen und Gründungsmitgliedern in den Sitzungen vorlegen mussten und an Sektionssitzungen nur eingeschränkt Gäste partizipieren durften, leuchtete dem diskussionsfreudigen Franko nicht ein. Diese und andere Aspekte galten ihm als Beleg dafür, dass sich an dem von der Gesellschaft abgekapselten Verein nicht viel ändern sollte.401 Die Reaktion auf seine zunehmende Kritik war, dass 396 Protokoll der Generalversammlung vom 13. März 1892, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 30, ark. 81; Franko 1892. Er kritisierte den Verein nicht nur im Narod, sondern trug die Debatte mit diesem Artikel auch in den polnischen Kurjer Lwowski. 397 Franko 1893, S. 252f. 398 Ebd., S. 252. 399 Ebd. 400 Ebd., S. 253. 401 Ebd., S. 253–255.

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nun auch seine Beiträge für die Zorja, u. a. aufgrund des Einflusses Barvins’kyjs, nicht angenommen wurden.402 Auch die personelle Zusammensetzung des Vereins galt als Problem. Barvins’kyj würde eine »reaktionäre Gesinnung« mit »wissenschaftlicher Schwäche« vereinen. Die mit seiner Person verbundene Nova era galt als Grundproblem, denn der Verein würde sich der Politik des Staates und des Kronlandes nur allzu sehr andienen. Das war nicht bloß ein Vorurteil, bewies Barvins’kyj doch auch vereinsintern seine Kaisertreue.403 Vachjanyn war zwar ausgebildeter Gymnasiallehrer, doch schätzte Pavlyk ihn nicht für sein Fachwissen; außerdem habe er keine wissenschaftlichen Arbeiten vorgelegt. Ohonovs’kyjs genanntes Werk zur ruthenischen Sprache war bekannt und geschätzt, ansonsten seien seine Ansichten zur Geschichte der ukrainischen Nationalkultur von konservativer Ideologie geprägt. Verchrats’kyj sei der (natur-) »wissenschaftlichen Welt als Spezialist unbekannt«404. Während er sich als Dialektforscher auch in deutschsprachigen Organen verdient machte, schien seine Qualifikation als Gymnasialprofessor in naturwissenschaftlichen Fächern den Erwartungen nicht zu genügen. An dieser Stelle soll keine der vorliegenden Positionen verabsolutiert werden; Frankos Vorschläge, das belegt seine Ablehnung als Vereinsmitglied, waren in der konservativen Umgebung schlussendlich nicht mehrheitsfähig. In Vorwegnahme kann jedoch angedeutet werden, dass das spätere NTSˇ viele Impulse Frankos umsetzte, wo sie sich unter den personellen und finanziellen Einschränkungen, unter denen alle ukrainischen Kultur- und Wissenschaftsvereine zu arbeiten hatten, als außerordentlich produktiv bewährten. Zu vermerken ist deshalb, dass es sich hierbei, abgesehen von Polemiken zwischen Einzelpersonen, um durchaus konstruktive Kritik zum Aufbau einer wissenschaftlichen Gesellschaft handelte, obwohl sie die Vereinsrealität und die vorherrschend konservative Struktur der galizischen Intelligenz nicht ernst genug nahm, als dass sie hätte angenommen werden können. Pavlyks Kritik am leitenden Personal wird zumindest dadurch bestätigt, dass Vachjanyn als Leiter der historisch-philosophischen Sektion rasch ersetzt wurde.405 Dass für die Transformation in eine 402 Protokoll der Ausschusssitzung vom 18. Februar 1894, CDIAL f. 309, op. 1, spr. 33, ark. 18– 18zv, hier ark. 18. 403 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1895, CDIAL f. 309, op. 1, spr. 33, ark. 24zv–26zv, hier ark. 25. 404 Narod 1893, nr. 11, 100. Seine Forschungen konzentrierten sich auf die volkssprachlich orientierte Terminologiearbeit in den Naturwissenschaften und ethnographisch-dialektologische Arbeiten. Zu seiner Biographie vgl. Surman 2019, Science; Kobiv 1992. 405 Ohonovs’kyj verstarb bereits 1894 und damit vor tiefergreifenden Veränderungen im Verein; Verchrats’kyj leitete die naturwissenschaftliche Sektion weiterhin, wobei diese Sektion mit Abstand die am wenigsten aktive war, zumal sich kaum Nachwuchs fand und die fachlich profiliertesten Mitglieder außerhalb Lembergs arbeiteten. Schon auf der Generalver-

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wissenschaftliche Gesellschaft ein verdienter Wissenschaftler als Präsident nötig war, betonte auch Konys’kyj kritisch in einem Brief an Barvins’kyj. Aus seinen Schreiben an das Umfeld des Vereins geht klar hervor, dass er Barvins’kyj für den bestmöglichen Vereinspräsidenten hielt.406 Barvins’kyj erklärte in seinen Memoiren, die einstimmige Wahl nur als vorübergehend angenommen zu haben, weil er durch seine zahlreichen beruflichen und politischen Aktivitäten, dieser Aufgabe nur bedingt gerecht werden konnte.407 Die skizzierte Frontstellung illustriert die diplomatische Leistung, diese Parteien letztlich zusammenzubringen und an Drahomanovs wissenschaftliche Ansichten anzuknüpfen. Dies ist erst Hrusˇevs’kyj gelungen, der dadurch loyale und aktive Mitarbeiter gewann, mit deren Hilfe er den Verein umgestalten konnte. Gleichzeitig konnte er den Verein dadurch von Vorwürfen der Parteilichkeit befreien und auch in langfristiger Perspektive ukrainisch-nationale Akteure aller politischen Ausrichtungen – einschließlich einiger weniger Russophiler – für den Verein gewinnen.

3.3.2 Mychajlo Hrusˇevs’kyj – Zwischen Akademisierung und Nationalisierung »Sowohl der Lehrstuhl als auch der Professor – gänzlich unsere Kinder!«408 Oleksandr Konys’kyj

Die Kiewer Intelligenz, insbesondere Konys’kyj, erachteten die Gründung des Lehrstuhls in Lemberg und die Besetzung mit dem jungen, nicht-habilitierten Kiewer Professor als »Krönung unserer 30-jährigen Arbeit«, die nicht nur eine symbolische Geste für die Verbindung der ukrainischen Länder sei, sondern auch als ein »erste[r] Schritt, mit dem eine neue Geschichte unserer Kultur und Wissenschaft beginnt.«409 Im Briefverkehr zwischen Konys’kyj und Hrusˇevs’kyj, die seit 1889 regelmäßigen Kontakt pflegten, wird deutlich, dass er die Mission des jungen Historikers auf die Belebung der galizischen scientific community und die Behebung der empfundenen Missstände im NTSˇ ausgedehnt sah. Pasika (Viehweide) nannte der metaphernfreudige Literat das Projekt, die ukrainische Kulturproduktion nach Galizien zu verlegen; Hrusˇevs’kyj übernahm das Sinnbild

406 407 408 409

sammlung 1895 monierte Barvins’kyj, diese Sektion sei die unproduktivste. Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1895, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 24zv–26zv, hier ark. 25. Voznjak 1929, S. 349. Barvins’kyj 2010, S. 642. Perebendja [Konys’kyj] an Dykarev, 11. Oktober 1894, zit. nach Voznjak 1929, S. 377f., hier S. 377. Perebendja [Konys’kyj] an Dykarev, 4. Mai 1894, zit. nach Voznjak 1929, S. 375f., hier S. 376.

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für seine Aufgabe, die er als »schrecklich, aber notwendig«410 erachtete und nur zögerlich – und unter Vorbehalt, die russische Staatsbürgerschaft beibehalten zu dürfen411 – annahm. In den folgenden Jahren ist Hrusˇevs’kyjs Arbeit in Galizien häufig als ›Mission‹ gedeutet worden, gerechtfertigt durch ein ›Mandat‹, das er von seinen russländischen Unterstützern erhielt.412 In der ukrainischen Diskussion um die Einrichtung der Professur war der nationale Gedankengang explizit betont: sie sollte als Ausbildungsstelle junger Wissenschaftler fungieren, die »künftigen Dienst zum Wohl des ukrainischen Volkes«413 verrichten würden. Während diese ideologische Komponente anhand der skizzierten Umstände vorauszuahnen war, fällt auf, dass Barvins’kyj implizit die Abwesenheit einer derartigen Institution monierte, nicht nur hinsichtlich der Geschichtswissenschaft. Die Relevanz, die der Verein dem jungen Geschichtsprofessor beimaß, zeigt sich auch daran, dass die Zapysky seine Antrittsvorlesung komplett abdruckten.414 Auch das mediale Interesse war groß; das Dilo berichtete zunächst ausführlich über die Vorlesung und druckte sie schließlich ebenfalls.415 Bereits zu den vorherigen Ausgaben der Zapysky lieferte der Historiker schon vor Abschluss seines Studiums je einen Beitrag unter dem Pseudonym M. Serhijenko,416 nach seiner Ankunft in Lemberg intensivierte er die Arbeit im Verein unmittelbar. Der erste Band der Zapysky hatte zunächst kaum den Charakter einer wissenschaftlichen Vereinszeitschrift, es handelte sich eher um einen Sammelband ohne thematischen Schwerpunkt. Der zweite Band enthielt bereits zwei Rezensionen,417 die beiden folgenden führten ausführlichere Bibliographien, Rezensionsteile und eine von Hrusˇevs’kyj betreute wissenschaftliche Chronik.418 Nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Lemberg nahm Hrusˇevs’kyj an einer Ausschusssitzung des NTSˇ teil, auf der Vachjanyn ihm die Leitung der historischphilosophischen Sektion und damit auch seinen Sitz im Ausschuss übergab. Hrusˇevs’kyj trug die Wünsche der russländischen Ukrainer ausführlich vor. Sie wünschten eine ständige Stimme im Ausschuss und ein Stimmrecht auf den Generalversammlungen, wenn sie nicht persönlich erscheinen konnten – was eher die Norm als die Ausnahme war. Die zentralen Reformanliegen waren jedoch an die Zapysky adressiert, die als wissenschaftliches Leitmedium über die 410 Hrusˇevs’kyj 1997, S. 220. 411 Ebd., vgl. auch S. 201. ˇ ykalenko 412 Hrusˇevs’kyj 2002, Jak mene provadzˇeno; den Begriff des ›Mandats‹ nutzte später C 2011, S. 299. 413 Oleksandr Barvins’kyj, zit. nach Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 55. 414 Hrusˇevs’kyj 1894. 415 Tel’vak 2008, S. 42; Hrusˇevs’kyj 2002 (Hg.), S. 545. 416 Serhijenko 1892; Serhijenko 1893. 417 Zapysky NTSˇ II (1893), S. 162–172. 418 Zapysky NTSˇ III (1894), S. 212–231; IV (1894), S. 151–200.

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Grenzen des Vereinsnetzwerks hinaus fungieren sollten. Zunächst sollten sie viermal jährlich erscheinen. Zumal sich die ukrainische Schriftsprache im Zarenreich infolge der Restriktionen weder kodifizieren noch entwickeln ließe, sollte die Rechtschreibung der Beiträge vereinheitlicht werden. Neben sprachpolitischen wären dafür auch symbolische Gründe geltend zu machen: die Demonstration sprachlicher Einheit der ukrainischen Länder. Rasch versuchte Hruˇsevs’kyj, eigene Akzente zu setzen und ersuchte um die Veröffentlichung historischer Quellen.419 Hierfür wurde wenige Monate später eine Erhöhung der staatlichen Subventionen beantragt.420 Anfang des Jahres 1895 übernahm Hrusˇevs’kyj die Verantwortung für die Vereinsbibliothek und die Redaktion der Zapysky.421 Seine Leitung der historisch-philosophischen Sektion darf als programmatisch für seine Vorstellung von der Ausgestaltung wissenschaftlichen Vereinswesens gelten. Das Reglement für Sektionen sah zwar vor, dass sie sich mindestens einmal monatlich zur Sitzung einfanden, in den Jahren 1893 und 1894 erreichte jedoch keine der drei Sektionen annähernd diese Aktivität (Tabelle 1). Zumal der Ausschuss noch federführend für die Zapysky verantwortlich war und ansonsten noch keine Projekte angelaufen waren, blieb der Wirkungskreis der Sektionen auf Diskussionen beschränkt. Hrusˇevs’kyj begann nicht nur, die vorgeschriebene Sitzungsanzahl einzuhalten, sondern zu übertreffen. Die historisch-philosophische Sektion hielt 1894 bis zu seinem Arbeitsbeginn im November nur zwei Sitzungen ab, zwischen Mitte November und 31. Dezember vier weitere. Bis er seine Pläne zur systematischen Quellensammlung vorlegte, aus denen 1895 die archäographische Kommission hervorging, fanden inhaltliche Diskussionen, die über die Aufsätze der Zapysky hinausgingen, nur in der philologischen Sektion statt. Wichtig scheint hier die Einführung einer Routine für Organisation und wissenschaftliche Arbeit,422 die für wissenschaftliche Plattformen üblich war und ist. Er nutzte die Plattform gezielt zur Diskussion vorliegender Arbeiten und Anbahnung eigener Projekte. Außerdem begann er Korrespondenz mit Wissenschaftlern, die die Sektions- und später auch Kommissionsarbeit zu bereichern versprachen.

419 Protokoll der Ausschusssitzung vom 13. Oktober 1894, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 22. 420 Protokoll der Ausschusssitzung vom 15. Februar 1895, ebd., ark. 26zv–27, hier 27. 421 Protokoll der Ausschusssitzung vom 15. Februar 1895, ebd., 26zv. 422 Zajceva 2006, S. 82.

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88 Jahr 1893 1894

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Hist.-philosophische423 2 6

Philologische424 5 5

Math.-naturwiss.-medizinische425 1 2

Tabelle 1: Sektionssitzungen, 1893–1894.

Regelmäßigkeit und Quantität setzte er auch bezüglich der Vereinsmitteilungen auf die Agenda: 1895 redigierte er vier, ab 1896 jährlich sechs Bände der Zapysky. Den Anteil chronistischer und kritischer Mitteilungen konnte er bedeutend steigern, indem er seine Studenten einbezog. Gleichsam konnte er dadurch den akademischen Nachwuchs mit dem Verein in Kontakt bringen und somit den Zuwachs der scientific community befördern. Durch Stipendien für Studien und finanzielle Unterstützung für Forschungsreisen konnte das NTSˇ vielversprechende junge Wissenschaftler langfristig fördern und ihnen so nach und nach größere Artikel und mehr Verantwortung im Rahmen von Projektarbeiten zumuten. Dies war zur erfolgreichen Pflege der Zeitschrift auch nötig, denn den erwarteten Enthusiasmus zur Publikation in ukrainischer Sprache fand Hrusˇevs’kyj unter russländischen Wissenschaftlern nicht – häufig mangelte es auch Ukrainerinnen und Ukrainern an ausreichendem Sprachniveau, zumal im Zarenreich jede systematische Sprachausbildung fehlte. Da primär originale Arbeiten zur Erstveröffentlichung in ukrainischer Sprache und keine Übersetzungen angenommen werden sollten, blieb der Kreis qualifizierter Beitragender klein. Der Nachwuchs ebenso wie galizische Intellektuelle, Amateurwissenschaftler eingeschlossen, die bisher keine Vereinsmitglieder waren, eine wichtige Quelle für wissenschaftliche Aufsätze.426 Charakteristisch für Hrusˇevs’kyjs Neuerungen sind zahlreiche Gesuche an andere Zeitschriftenredaktionen um Publikationsaustausch.427 Dies sollte ein zentrales Thema der folgenden Vereinsgeschichte bleiben und trug sowohl zur Erweiterung der Bibliothek als auch zur Integration der Vereinsschriften in internationale wissenschaftliche Diskurse bei. Durch den positiven Eindruck, den seine wissenschaftlichen Initiativen hinterließen, konnte er auch die private Unterstützung für den NTSˇ aus der russländischen Ukraine steigern. Bereits 1895 erhielt der Verein größere finanzielle Spenden,428 außerdem übereigenete Konys’kyj regelmäßig Büchersammlungen aus seinem Privatbesitz, zu denen vor 423 Protokollbuch der historisch-philosophischen Sektion, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 5–9. 424 Protokollbuch der philologischen Sektion, LNNB VR, fond 1, op. 2, 42a, ark. 4–9zv. 425 Protokollbuch der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 39, ark. 5–6. 426 Vgl. die Bibliographie der Zapysky Majcher 2003. 427 Protokoll der Ausschusssitzung vom 6. November 1894, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 22zv. 428 Protokoll der Ausschusssitzung vom 14. Juni 1895, ebd., ark. 28zv–29, hier ark. 29.

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allem seltene Ukrainica gehörten.429 Die beiden organisierten einen Spendenaufruf für den Verein, den die russländische ukrainische Intelligenz in ihren Netzwerken verbreitete. Daraus resultierte neben zahlreichen kleineren Spenden auch eine enorme Zuwendung des St. Petersburger Chirurgen Pavlo Pelechyn (Pavel Pelechin). Parallel kam es in der Vereinsleitung durch Barvins’kyjs parlamentarische Arbeit in Wien zu einem dauerhaften Vakuum: Ausschusssitzungen sind über Monate hinweg durch seinen Stellvertreter geleitet worden, entsprechend war der Vereinspräsident an vielen Entscheidungen nicht direkt beteiligt.430 Von zentralen Vereinsangelegenheiten wurde er nur brieflich unterrichtet.431 Dagegen wies die Unterstützung aus der russländischen Ukraine Hrusˇevs’kyj als herausragend vernetzten Organisator aus, in seiner Redaktionsund Sektionstätigkeit präsentierte er sich wiederum als ambitionierter Herausgeber und Wissenschaftler. 1896 bezeichnete Barvins’kyj ihn als treibende Kraft der wissenschaftlichen Vereinstätigkeit.432 Auf der Generalversammlung des Folgejahres gab Barvins’kyj bereits zu Beginn an, eine Wahl zum Vorsitzenden nicht annehmen zu wollen und bat, man möge nicht für ihn stimmen. Er übergab die Leitung der Versammlung deshalb an Hrusˇevs’kyj, den er damit in Stellung für seine Nachfolge brachte, und verließ anschließend den Raum. Die Mitglieder bestanden auf eine geheime Wahl; von 87 Stimmen entfielen 52 auf Hrusˇevs’kyj und 34 auf Barvins’kyj. Dass ein solch wesentlicher Teil der Anwesenden sich trotz dessen Bitte für Barvins’kyj aussprach, belegt den Zuspruch zu seiner Person im Kreise konservativer narodovci, die den Verein nach wie vor dominierten. Der Philologe und Czernowitzer Universitätsprofessor Stepan Smal’-Stoc’kyj (1859–1938) erklärte während der Versammlung, die Mitglieder hätten damit keine Ablehnung Hrusˇevs’kyjs, sondern ihren Respekt vor Barvins’kyjs Leistungen ausdrücken wollen. Während ihm einige Personen beipflichteten, konnten aber kaum alle Zweifel ausgeräumt werden.433 Angesichts der Wahl erklärte Hrusˇevs’kyj seinen Standpunkt zum Verein: Er hätte all seine Kräfte in die Entwicklung des Vereins investiert, weil er an die »groß[e] kulturell-gesellschaftlich[e] Bedeutung der Wissenschaft im Allge429 Protokoll der Ausschusssitzung vom 6. November 1894, ebd., ark. 22zv.; Protokoll der Ausschusssitzung vom 11. Oktober 1895, ebd., ark. 29zv–30, hier ark. 30. 430 Protokoll der Ausschusssitzung vom 3. April 1895, CDIAL f. 309, op. 1, spr. 33, ark. 27–27zv, hier ark. 27; 15. Mai 1895, ebd., ark. 28–28zv, hier ark. 28; 14. Juni 1895, ebd., ark. 28zv–29, hier ark. 28zv; 3. Juli 1895, ebd., ark. 29–29zv, hier ark. 29. 431 NTSˇ an O. Barvins’kyj, 13. März 1896, Bericht zur Ausschusssitzung, LNNB VR, fond 11, op. 1, spr. 3153/1, ark. 1–2. 432 Protokoll der Generalversammlung vom 4. Juni 1896, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 35–37, hier ark. 35. 433 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1897, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 52zv–57.

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meinen und speziell zur Hebung unseres Volkes«434 glaube. Er kritisierte politische Tendenzen im Verein und die bisweilen ablehnende Haltung gegenüber wissenschaftlicher Arbeit unter den betreffenden Menschen; er stellte klar, »der wissenschaftliche Verein kann keine Arena der Politik sein«. Die »große Ehre«, Vereinspräsident zu sein, wäre ihm weniger wichtig, als die weitere Entwicklung des NTSˇ sicherzustellen, deshalb legte er fest, im Falle der Weiterführung politischer Tendenzen das Amt niederlegen zu wollen. Er würde zu seinen Prinzipien stehen: »Der Wissenschaftsverein ist für die Wissenschaft, ausschließlich.«435 Diese Haltung sollte regelmäßig Stein des Anstoßes, gleichzeitig aber auch Ausdruck einer neuen, primär auf die Wissenschaft bedachten Leitlinie werden. Damit konnte Hrusˇevs’kyj seine Pläne zur Akademisierung weiter konkretisieren. Diese konnte er kaum allein realisieren, deshalb ist die Frage aufzugreifen, wie er neue Mitarbeiter rekrutierte. Wie aus dem Abriss über die bisherige Tätigkeit Frankos ersichtlich ist, befand dieser sich auf stetiger Suche nach einem Forum, das die bisherigen narodovci ihm zu bieten nicht gewillt waren. Nach den ersten Konflikten im Kurjer Lwowski suchte er bereits ergebnislos um Mitgliedschaft in der reformierten SˇevcˇenkoGesellschaft an. Franko war auch deshalb am Kontakt zu Hrusˇevs’kyj interessiert, weil dieser den innergalizischen Lagern weitgehend fernstand. Noch vor der persönlichen Bekanntschaft legte er Hrusˇevs’kyj brieflich den Plan zur Publikation von Apokryphen und Legenden vor,436 der zwischen 1896 und 1912 in der Reihe Pamjatky ukrajins’ko-ruskoji movy i literatury in sieben Bänden realisiert wurde. Hrusˇevs’kyj begann rasch, Erkundigungen über Franko einzuziehen und sah sich dabei mit den Polemiken der letzten Jahre konfrontiert.437 Die persönliche Bekanntschaft schien aber letztlich gegenüber Barvins’kyjs harscher Abwehrhaltung gegen diese Kooperation zu überwiegen. Bereits als Hrusˇevs’kyj 1895 die Redaktion der Zapysky übernahm, veröffentlichte er einen Beitrag Frankos. Noch im selben Jahr gaben sie zusammen den Etnohraficˇnyj zbirnyk (Ethnographische Sammlung) heraus und organisierten eine ethnographische Kommission im NTSˇ. Franko wurde daraufhin als Mitglied angenommen, was sicherlich auf Hrusˇevs’kyjs Einflussnahme auf den Ausschuss zurückzuführen ist.438 Als Mitarbeiter der polnischen Tageszeitung Kurjer Lwowski zwischen 1887 und 1897 hatte Franko Zugang zu einem wichtigen, viel gelesenen Medium, das er u. a. dazu nutzte, eine Artikelserie zur »galizischen Landeskunde« zu veröf434 435 436 437 438

Ebd., ark. 55zv. Ebd., ark. 56. Hrusˇevs’kyj 1926, Apostolovi praci, S. 5. Burlaka / Hyrycˇ 2016, S. 482. Protokoll der Ausschusssitzung vom 14. Juni 1895, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 28zv– 29, hier ark. 29.

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fentlichen, bei der er auch kritische Diskussionen polnischer Forschungen vorlegte.439 Nicht zuletzt konnte er hier die Vorgänge um die Sˇevcˇenko-Gesellschaft in einem Forum kommentieren, das den Verbreitungsgrad des radikalen Narod deutlich überstieg.440 Der linksliberale Kurjer war zunächst eine willkommene Möglichkeit für Franko, ein regelmäßiges Einkommen zu erwirtschaften und seine publizistische Tätigkeit zu verstetigen. Als Gründungsmitglied der Radikalen Partei kritisierte er jedoch zunehmend die Polnische Sozialdemokratische Partei aufgrund ihrer abschätzigen Haltung gegenüber ruthenischen Bauern, so dass Konfliktpotential schwelte und Franko zunehmend unzufrieden mit seiner Arbeitsstelle war. Im Mai 1897, einen Monat nach den Badeni’schen Sprachenverordnungen, die auch in Galizien nationales Konfliktpotential steigerten, veröffentlichte Franko in seiner regelmäßigen Kolumne der Wiener Die Zeit einen Artikel mit dem Titel »Der Dichter des Verrathes«, in dem er polnischen Eliten Doppelmoral vorwarf. Während diese sich in eigener Sache über nationale Ungerechtigkeiten beklagten, würdigten sie die polnische Politik gegenüber der ruthenischen Bevölkerung Galiziens nicht mit demselben kritischen Blick. Die Werke des polnischen Dichters Adam Mickiewicz würden diese Vorstellung prägen, während ihre Lektüre in Schulen zur Verbreitung dieser Sichtweise geführt hätte. Damit provozierte Franko einen Skandal, der ihn seinen Arbeitsplatz beim Kurjer schon am Tag nach der Veröffentlichung kostete. Das Echo war infolge der polnischen und russischen Übersetzung seines Artikels anhaltend spürbar. Er wurde persönlich bedroht, später schoss ein polnischer Student auf ihn, der ihn zwar verfehlte, damit aber den ersten Akt politischen Terrorismus in Galizien verübte.441 Franko publizierte danach nicht mehr auf Polnisch. Auch der polnische ethnographische Verein Towarzystwo ludoznawcze beendete die Kooperation mit Franko und anderen ukrainischen Mitgliedern.442 Diese Nationalisierung sollte sich rasch auch im NTSˇ bemerkbar machen. Nach dem völligen Bruch mit allen polnischen Vereinen und Zeitungen, mit denen Franko bis dahin kooperierte, eröffnete er Hrusˇevs’kyj seine materiellen Probleme. Dieser charakterisierte die Unterstützung Frankos später als zwischenmenschliche und nationale Ehrensache, damit sein Freund nicht an Armut leiden »und sich von den Leuten [dem Kurjer Lwowski bzw. der polnischen Intelligenz, M.R.] demütigen lassen müsste, die seine Erniedrigung herbeisehnten«443. Auch die Akademicˇna hromada (Akademische Gemeinschaft), die Nachfolgeorganisation des Akademicˇne bratstvo, bis 1898 geleitet vom glühen439 Franko 1986; erstveröffentlicht im Kurjer in Form von neun Artikeln, dazu ders. (Hg.) 1986: Zibrannja tvoriv, t. 46, kn. 2, S. 374. 440 Franko 1892. 441 Hrytsak 2009, S. 262f. 442 Kyrcˇiv 2013. 443 Hrusˇevs’kyj 1926, Apostolovi praci, S. 14.

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den Franko-Anhänger Volodymyr Hnatjuk, vertrat diesen Standpunkt und unterstützte den Dichter.444 Franko ist deshalb in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts als wichtigster Mitarbeiter Hrusˇevs’kyjs in seine Projekte integriert worden, wobei bezahlte Stellen geschaffen wurden, durch die Franko sich und seine Familie unterhalten konnte. Als Leiter der philologischen Sektion ab 1898 agierte Franko als verlängerter Arm des Vereinspräsidenten in diesem Rahmen. In den Folgejahren initiierte Hrusˇevs’kyj überdies eine Reihe symbolischer Handlungen, die darauf abzielten, der jungen nationalen Wissenschaft ein neues Selbstbewusstsein zu verleihen und ihre Abgrenzung von anderen Identitätskonzepten und nationalen Gruppen öffentlichkeitswirksam zu zementieren. So trug er Konflikte um seine Professur in die Öffentlichkeit. Die Abhaltung eines eigenen wissenschaftlichen Seminars – neben einer Vorlesung und einer Übung – ist ihm dauerhaft untersagt worden, weil die schon zuvor bestehenden Lehrstühle keine Kompetenz abgeben wollten und ein weiteres Seminar im Lehrplan nicht vorgesehen war. Erst über politische Umwege ist es ihm gelungen, seine quellenkundliche Übung de facto als Seminar abzuhalten.445 Im Professorenkollegium sorgte er für regelmäßige Konflikte, weil er sich einerseits mit der Schreibweise seines Namens als Gruszewski in den Universitätsdokumenten nicht zufriedengab, und andererseits ausschließlich Ukrainisch während der Sitzungen sprach. Gleichwohl alle seine Vorstöße von mäßigem Erfolg und letztlich auch Disziplinarmaßnahmen geprägt waren,446 ist die öffentliche Wahrnehmung der Unterdrückung seiner Person an der Universität für die Nationalisierung und Popularisierung der Universitäts- und Sprachfrage ein Baustein dafür gewesen, die ukrainische Wissenschaft Galiziens zu mobilisieren.447 Mit seiner Unnachgiebigkeit trat er explizit gegen die Politik der Nova era auf und machte sich unter ihren Vertretern zahlreiche Feinde, die ihm deshalb fehlende ›Dankbarkeit‹ für seine Position an der Universität vorwarfen. Nochmals unterstrich er im Rahmen dieser Polemik, weder sich noch das NTSˇ politisch vereinnahmen zu lassen.448 Hrusˇevs’kyj leistete überdies politische Vermittlungsarbeit, für die er durch seinen überparteilichen Habitus und die Integration Frankos in das NTSˇ geeignet erschien. 1897 trat der linke Flügel der narodovci mit der Bitte an beide heran, zu anderen Gruppen in der galizisch-ukrainischen Intelligenz und Politik zu vermitteln. Aus diesem Projekt ging die UNDP hervor; vormalige Radikale, konservativere Juristen, die sich um die rechtswissenschaftliche Kommission des NTSˇ gruppierten, und Eliten der narodovci formierten gemeinsam die erste ukrainische Massenpartei Galiziens. Hrusˇevs’kyj sah diesen Akt als wesentlich 444 445 446 447 448

Musˇynka 2008. Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 58–66. Hrusˇevs’kyj an Dekan Twardowski, 11. Juli 1901, LMH, t. 1, S. 196–198. Surman 2012, S. 304f. Hrusˇevs’kyj 2002, Jak mene provadzˇeno, S. 119–121.

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für die Rehabilitierung Frankos in den Zirkeln der narodovci an.449 In jedem Fall schien er in der Folge auch für die konservativeren Mitglieder des NTSˇ eine geeignete Führungsperson, denn 1898 wählte ihn die philologische Sektion zu ihrem Vorsitzenden. Beide Wissenschaftler überwarfen sich schnell mit der UNDP, agierte sie ihnen doch zu kompromissbereit und inkonsequent in der Realisierung kleinerer Etappenziele, während größere Anliegen wie die Errichtung einer ukrainischen Universität aus Perspektive des NTSˇ unbedingte Priorität gehabt hätten. Eine Reihe symbolischer Handlungen, die der Schaffung eines parteifernen Nationalbewusstseins dienen sollten, lassen sich bezüglich Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen im ausgehenden 19. Jahrhundert beobachten. Das Jahr 1898 kennzeichnete das Jubiläum zur 100-jährigen Veröffentlichung von Ivan Kotljarevs’kyjs Enejida, einer Travestie der Aeneis, die als erstes Werk der neueren ukrainischen Literatur zu gelten hat. Im Gedenken an die Erstveröffentlichung in St. Petersburg initiierte das NTSˇ mit einem von Hrusˇevs’kyj geleiteten Komitee zweitägige Feierlichkeiten, am 31. Oktober und 1. November 1898, die der »Ukrainisch-ruthenischen [sic!] literarischen Wiedergeburt«450 gewidmet waren. Die Initiative ging zwar vom neuen Vereinspräsidenten aus, geplant war die Veranstaltung aber schon bei der Vereinsreformation; Konys’kyj erhoffte sich bereits 1892, die ›nationale Akademie‹ hätte sich zum EnejidaJubiläum fest etabliert.451 Am Abend des 31. Oktober führte ein Ensemble unter der Leitung des Kiewer Komponisten Mykola Lysenko dessen Oper Natalka Poltavka auf, die auf dem gleichnamigen Lied Kotljarevs’kyjs basiert und zum Ausverkauf aller Plätze im großen Saal des Lemberger Theaters führte. Ansprachen von Ivan Franko und anderen führten zum spontanen Gesang der heutigen ukrainischen Nationalhymne Sˇcˇe ne vmerla Ukrajina (Noch ist die Ukraine nicht gestorben) durch das Publikum, deren Musik ebenso von Lysenko komponiert wurde. Der Gesangsverein Bojan sang, begleitet durch ein Militärorchester, Taras Sˇevcˇenkos Na vicˇnu pamjat’ Kotlarevs’komu (Zum ewigen Gedenken an Kotljarevs’kyj) und unterstrich damit eine zentrale Genealogie der ukrainischen Literatur. Am Folgetag fand eine ›wissenschaftliche Akademie‹ statt, in deren Zentrum drei Vorträge ukrainischer Professoren standen: Hrusˇevs’kyj sprach zum Verständnis der ›literarischen Wiedergeburt‹ und ihrer Bedeutung für ›das ukrainisch-ruthenische Volk‹, Kolessa zur der ukrainischen Literaturgeschichte des vergangenen Jahrhunderts und Smal’-Stoc’kyj befasste sich konkret mit Kotljarevs’kyj und der Enejida. Die feministische Intellektuelle Natalja Kobryns’ka sprach überdies zu 449 Hrusˇevs’kyj, Apostolovi praci, S. 15. 450 LNV, t. 4, 1898, S. 75. 451 Voznjak 1929, S. 346.

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Frauen in der ukrainischen Literatur; weitere Vorträge sind von Vereinsvertretern der Bauern und der Jugend gehalten worden. An der abendlichen Festveranstaltung im Hotel George nahmen rund 200 Gäste teil.452 Das während der Veranstaltung entstandene Foto ruthenisch-ukrainischer Intellektueller (s. Deckblatt) gehört zu den ikonischen Darstellungen des NTSˇ, auch wenn zum Beispiel Kobryns’ka kein Mitglied war. Das Jahr 1898 zeichnete auch das Gedenkjahr an den polnischen Nationalschriftsteller Adam Mickiewicz, das Folgejahr wiederum die Feiern zum 100. Geburtstag des russischen Nationaldichters Aleksandr Pusˇkin. In dieser Konkurrenz um Erinnerungen an große Dichter ist das Kotljarevs’kyj-Jubiläum eine bewusste Abgrenzungsstrategie gewesen, die eine ukrainische literarische Tradition mit einer eigenständigen Genealogie durch den Erinnerungsort Kotljarevs’kyj unterstrich.453 Sprechend für diesen Nationalisierungsprozess ist, dass weder Polen noch Russophile, abgesehen vom Landesmarschall Stanisław Badeni, an diesen Veranstaltungen teilnahmen. Das NTSˇ sicherte sich durch Organisation und Vorträge die wissenschaftliche Deutungshoheit über den Autoren, das Jubiläumsjahr und die ukrainische Literaturgeschichte als solche, die als eine gesamtnationale, mit dem Adjektiv ›ukrainisch-ruthenisch‹ bezeichnet, konzipiert war. Auch der 100. Geburtstag des tschechischen Nationalhistorikers Frantisˇek Palacký (1798–1876) wurde 1898 gefeiert. Die von Palacký geprägte ›austroslavische Idee‹, so die im LNV gedruckte Position, hätte zuletzt gänzlich im Zeichen der polnisch-tschechischen politischen Verständigung gestanden, der ruthenischen Bevölkerung Cisleithaniens aber zum Nachteil gereicht. Zumal eine ukrainische Delegation nicht als separate eingeladen worden ist, einigte sich zunächst das NTSˇ auf Hrusˇevs’kyjs Antrag hin, der Veranstaltung fernzubleiben und überzeugte davon letztlich auch andere Vertretungen der Radikalen und der narodovci, die gemeinsam ein erläuterndes Telegramm schickten.454 Solche demonstrativen Absagen beschränkten sich allerdings nicht nur auf repräsentative Veranstaltungen. Als Wissenschaftlern des NTSˇ untersagt wurde, Vorträge während des III. Archäologischen Kongresses in Kiew in ukrainischer Sprache zu halten (Kap. 5.3.1), sagten alle eingeladenen Vereinsmitglieder die Teilnahme ab. Eigene Jubiläen und Wissenschaftsveranstaltungen waren angesichts dieser demonstrativen Abgrenzung umso relevanter. Dies zeigte sich auch am Tag vor den Kotljarevs’kyj-Feierlichkeiten, als ein weiteres Jubiläum gefeiert wurde, das aus Perspektive des neuen NTSˇ keine minder wichtige Bedeutung hatte: das Jubiläum der 25-jährigen literarischen 452 Makovej 1898, Stolitni rokovyny. 453 Hyrycˇ 2016, Mychajlo, S. 386f. 454 LNV, t. 3, 1898, S. 50; Hyrycˇ 2016, Mychajlo, S. 387.

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Tätigkeit Ivan Frankos. Ausgerichtet hatte dies die Akademicˇna hromada. Volodymyr Hnatjuk, der in diesem Jahr als Vereinsleiter fungierte, stand seit einigen Jahren in Kontakt mit Franko und arbeitete eng mit ihm zusammen, besonders in der ethnographischen Kommission des NTSˇ, aber auch schon bei vorherigen Projekten. Hnatjuk nahm die Herausgabe einer Festschrift und die Sammlung von Geldern in der russländischen Ukraine zugunsten des verarmten Franko und seiner Familie auf sich. Diese Initiative belegt erneut den großen Einfluss Frankos auf die galizisch-ukrainische Jugend.455 Die Festschrift fiel annähernd so vielseitig wie Frankos Werk selbst aus, denn, entsprechend der Vielfalt seiner Anhänger und Freunde, sind wissenschaftliche und publizistische Texte unterschiedlicher Themen und Disziplinen ebenso beigetragen worden wie literarische Werke.456 Die Festveranstaltung am 30. Oktober 1898 bestand aus Ansprachen Hnatjuks und Hrusˇevs’kyjs, die das Werk des Jubilars aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchteten. Hnatjuk vertrat einen galizischen Standpunkt und sah in Franko eine Vorreiterrolle, als »ersten bei uns in Galizien«, der den Elfenbeinturm der früheren narodovci verließ und »den Weg zur weitläufigen europäischen Kultur in seinen Werken aufgezeigt habe«. Als Vertreter des akademischen Nachwuchses hob Hnatjuk auf die Strahlkraft Frankos auf die Jugend ab, die wiederum sein Erbe schützen und die begonnenen Pfade weiter verfolgen sollte.457 Hrusˇevs’kyj ordnete Franko in einem Rückblick auf die letzten 30 Jahre der Nationalbewegung ein und hob dabei nicht nur die Vielfalt seines Werks, sondern vor allem die Vielfalt seiner Adressaten hervor, zumal er nicht nur einen gesamtukrainischen Blickwinkel bewiesen habe, sondern auch die zahlenmäßig überwiegende Bauernschaft einbezog.458 Kobryns’ka verwies auf die Vielfalt weiblicher Figuren in Frankos Werk, besonders solche mit schweren Schicksalsschlägen in seinen realistischen Erzählungen; sie schätzte ihn deshalb, weil er die Aufmerksamkeit besonders auf die Unfreiheit von Frauen lenkte.459 Auch Vertreter der akademischen Jugend und der radikalen Partei hielten entsprechende Lobreden. Franko figurierte hier als Integrationssymbol über Partei-, Geschlechter-, Alters- und Staatsgrenzen hinweg, außerdem als wichtiger galizischer Anteil an der ukrainischen Literatur. Hryc’ Harmatij verbalisierte dies direkt, als er Franko während der Feier attestierte: »Du warst für die Jugend der 80er und 90er Jahre das, was Sˇevcˇenko für die Jugend der 50er und 60er Jahre war.«460 Die Konzeption als integratives Gedenkmoment durch Konzentration 455 456 457 458 459 460

Kryms’kyj an Hnatjuk, 24. Dezember 1897, in: Dasˇkevycˇ(Hg.) 1998, S. 36f. Hnatjuk (Hg.) 1898. Makovej 1898, Juvylej, S. 118f., Zitat S. 118. Ebd., S. 121. Ebd., S. 123. Ebd., S. 124.

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auf Frankos literarisches Jubiläum erfolgte bewusst, wie in seiner Entstehungsgeschichte umso deutlicher wird: In den ersten Ausschreibungen für Beiträge und Spenden 1897 erinnerte das Komitee noch an die publizistische und politische Tätigkeit Frankos. Die Wertschätzung dessen wäre, so der strategische Rat Kryms’kyjs, nicht nur abhängig von politischen Überzeugungen, sondern für Ukrainerinnen und Ukrainer im Zarenreich schlichtweg gefährlich; er schlug deshalb vor, sich auf das literarische Jubiläum zu konzentrieren, denn als Schriftsteller würde Franko auch in der russländischen Ukraine einen ausgezeichneten Ruf genießen.461 Die wichtigste Einzelhandlung aber, die sich an der Schnittstelle zwischen Symbolik und Notwendigkeit bewegte, war der Ankauf eines eigenen Gebäudes als Vereinszentrale in einer repräsentativen Gegend der Lemberger Innenstadt. (Abb. 1) Der Kauf wurde größtenteils durch Zweckentfremdung von Geldern finanziert, die der St. Petersburger Chirurg Pavlo Pelechyn (Pavel Pelechin) für die Einrichtung einer ukrainischen Universität und einer dort aufzubauenden chirurgischen Abteilung gespendet hatte.462 Hier sind nunmehr die Kanzlei, die Bibliothek, die Druckerei sowie Stauräume für die Sammlungen des späteren Museums eingerichtet worden. Symbolisch relevant ist, dass sich dieses Gebäude im polnisch bewohnten Nobelviertel befand; auch hier ergab sich Konfliktpotential, etwa bei späteren Versuchen, das Nebengebäude zu erwerben – die polnische Besitzerin weigerte sich schlichtweg, an Ukrainer zu verkaufen.463 Neben den skizzierten Aktionen Hrusˇevs’kyjs, denen es an medialer Aufmerksamkeit nicht mangelte, bahnte sich eine Vereinsreform an; hierbei war Franko für die Ausarbeitung eines neuen Statuts verantwortlich, das die Trennung administrativer und wissenschaftlicher Arbeit forcieren und das wissenschaftliche Niveau der Kernorgane steigern sollte. Neue Regularien zur wissenschaftlichen Expertise der Sektionen bedrohten die Stellung von Gymnasiallehrern und anderen Gruppen der konservativen narodovci im NTSˇ, so dass sich eine Opposition gegen die Vereinsreform bildete, die in den folgenden 15 Jahren – in wechselnder Zusammensetzung – gegen den Präsidenten arbeitete.

461 Kryms’kyj an Hnatjuk, 24. Dezember 1897, in: Dasˇkevycˇ (Hg.) 1998, S. 36f. 462 Die bis in die 1930er Jahre reichende Korrespondenz zu diesem Fall findet sich in CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 541, zur detaillierten Auswertung Rohde 2021, Galizische Erbschaften? ˇ arnec’kyj-Gasse 24, gerichtlich beglaubigt am 15. Juli 1912, 463 Kaufvertrag des Gebäudes C CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 561, ark. 91–96; zur Vorgeschichte Kupcˇyns’kyj 2014, S. 384.

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Mitglieder und Marginalisierte

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Abbildung 1: Vereinssitz.

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Mitglieder und Marginalisierte

Das erste Statut sah zur Einschreibung eine Gebühr von 100 Kronen vor.464 Auch wenn Ratenzahlung prinzipiell erlaubt wurde, bedeutete dies faktisch den Ausschluss von Laien und Studierenden, d. h. die Mitgliedschaft wurde durch diesen Mechanismus auf die akademisch gebildete, gesellschaftliche Mittelschicht beschränkt. Gleichsam war die frühe Sˇevcˇenko-Gesellschaft für eine Vielzahl Intellektueller, wie bereits aufgezeigt wurde, nicht ausreichend attraktiv. Die folgenden Statuten haben die Gebühren für den Beitritt sowie die Jahresbeiträge deutlich abgesenkt und außerdem eingeführt, die letzteren mit den periodischen Veröffentlichungen des Vereins zu vergüten.465 Dadurch gelang es dem Verein, zunehmend angehende und nicht-professionelle Wissenschaftler mit unterschiedlichen, individuellen Motivationen zu integrieren. Ehren- und Gründungsmitglieder wurden ab 1898 gänzlich von Gebühren befreit.466 Die nicht-wirklichen Mitglieder, sofern sie nicht in den Ausschuss berufen wurden, konnten administrative Entscheidungen nur durch ihre Stimme auf den Generalversammlungen beeinflussen. Sektionsmitglieder konnten ihre Anliegen 464 Statut 1874 [1873], §12. 465 Statut NTSˇ 1892, §17, § 21; Statut NTSˇ 1898, §18; Statut NTSˇ 1904, §9. 466 Statut NTSˇ 1898, §22.

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durch Sektionsdelegierte im Ausschuss artikulieren.467 Nicht zuletzt aber waren politisch relevante oder vereinsintern gut vernetzte Mitglieder in der Lage, die üblichen Hierarchien zu transzendieren.468 Der Ausschuss leitete mit dem öffentlich zeichnungsberechtigten Präsidenten an der Spitze die Vereinsgeschäfte. Der Sekretär und die von ihm besetzte Kanzlei waren der zentrale Anlaufpunkt für das Tagesgeschäft und Gesuche aller Art – etwa bezüglich Stipendien, einer Arbeitsstelle oder einer Wohnung im Vereinshaus. Der Ausschuss war prinzipiell in der Lage, den Vereinspräsidenten zu überstimmen. Dieser konnte lediglich in einer Patt-Situation seine entscheidende Stimme geltend machen. Letztlich, und das ist für Hrusˇevs’kyjs Personalpolitik äußerst bezeichnend, konnte er bis zu den größeren Konflikten 1911– 1913 darauf vertrauen, dass ihm der Ausschuss ausreichend gewogen war, um konkurrierende Stimmen (etwa durch delegierte Sektionsrepräsentanten) weitgehend zu übertönen. Um die Akademisierung des Vereins voranzutreiben, initiierte Hrusˇevs’kyj mit besonderer Unterstützung Frankos und in großer Eile ein Statut, das im Jahr 1898 im Verein beschlossen und nach formeller Bewilligung der Statthalterei im Juni des Folgejahres umgesetzt wurde.469 Die wissenschaftliche Profilierung des Vereins war das vordergründige Anliegen. Intendiert war zunächst eine klare Arbeitsteilung: Der Ausschuss sollte nur noch für administrative Angelegenheiten kompetent sein und wissenschaftliche Fragen an die Sektionen abtreten.470 In der Praxis ist dies allerdings nicht konsequent umgesetzt worden und führte zu Konflikten. Zuvor galten keine Beitrittsbeschränkungen für Sektionen, worauf eine große Menge von Mitgliedern folgte, von denen sich nur ein Bruchteil aktiv beteiligte. Bis zur endgültigen Umbildung 1899 hatte allein die historisch-philosophische Sektion 83 Mitglieder.471 Diese Diskrepanz sahen die Vereinsreformer nur durch eine Umarbeitung der Mitgliedertypen lösbar. Künftig war die folgende Einteilung vorgesehen: gewöhnliche Mitglieder, wirkliche Mitglieder, Ehren- und Gründungsmitglieder. Ehrenmitglieder waren durch die Generalversammlung auf Antrag des Ausschusses zu wählen. Gründungsmitglieder waren jene, die sich vor der Reformierung 1892 in den Verein eingeschrieben hatten; diese Kategorie wurde folgerichtig nicht erweitert. Gewöhnliche Mitglieder wurden nach wie vor 467 Statut NTSˇ 1892, §24. 468 Barvins’kyj und Pavlyk sicherten sich für ihre individuellen Auseinandersetzungen mit dem Vereinsausschuss die Rückendeckung wirklicher Mitglieder anderer Sektionen, um politischen Druck aufzubauen; individuelle Netzwerke – nicht selten entlang generationeller Prägungen und politischer Gesinnungen – waren hier relevanter als die formalisierten Handlungsmuster. 469 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 74–79zv, hier ark. 75zv. 470 Franko, Ivan, Motyvy do proektovanoji zminy Statutu, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 9. 471 Krypjakevycˇ 1991, S. 392f.

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durch den Ausschuss auf eigenen Antrag aufgenommen.472 Wirkliche Mitglieder konnten nur von den Sektionen – basierend auf wissenschaftlicher Profilierung und Mitarbeit im Verein – gewählt werden. Die Sektionen wurden dementsprechend im Juni 1899 reformiert und hatten jeweils zwischen zehn und zwölf Mitgliedern, die sich deutlich intensiver am dortigen Geschehen beteiligten und in vielen Fällen bereits promoviert waren.473 Der Status eines ›wirklichen Mitglieds‹ fungierte mit zunehmendem Prestige des NTSˇ als Anerkennung in der scientific community und auch darüber hinaus; in den Berichtsheften des Akademischen Gymnasiums in Lemberg wurde er gleich der Mitgliedschaft an einer offiziellen Akademie der Wissenschaften geführt.474 Die nicht erfüllte Forderung an den Staat wurde damit performativ innerhalb der eigenen community realisiert. Seinen ideellen Wert erhielt dieser Titel nicht nur durch die kontinuierlich steigende Relevanz des Vereins, sondern auch durch eingeschränkte Möglichkeiten, ihn zu erhalten. (Im-) Mobilität war nicht nur für ausländische, sondern auch für cisleithanische Mitglieder außerhalb Lembergs – in geringerem Maße auch für transleithanische475 – relevant. Universitätsprofessoren aus Prag konnten ebenso wenig zu jeder Sitzung erscheinen wie Geistliche aus galizischen Dörfern.476 Sie hatten aber nicht dasselbe Recht wie »ausländische« Mitglieder (d. h. solche Mitglieder, die keine Staatsbürger Österreich-Ungarns waren), ihre Stimmen brieflich an

472 Statut 1892, § 15–23. 473 Protokoll der gemeinsamen Sektionssitzung vom 1. Juni 1899, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 25–26. 474 Zvit dyrekcyji c.k. akademicˇnoji himnazyji u L’vovi za ˇskil’nyj rik 1910/1911, 1911, Ucˇytel’s’kyj Zbir, S. 3, 5–7; Zvit dyrekcyji c.k. akademicˇnoji himnazyji u L’vovi za ˇskil’nyj rik 1911/ 1912, 1912, Ucˇytel’s’kyj Zbir, S. 3, 5–8; Zvit dyrekcyji c.k. akademicˇnoji himnazyji u L’vovi za ˇskil’nyj rik 1912/1913, 1913, Urjadova cˇast’, S. 4, 7–8; Zvit dyrekcyji c.k. akademicˇnoji himnazyji u L’vovi za ˇskil’nyj rik 1913/1914, 1914, Urjadova cˇast’, S. 3–8. Die ideelle Bedeutung der Mitgliedschaft setzte sich auch in der Diaspora-NTSˇ fort. Rudnytzky 2012. 475 Im Übrigen lässt sich nicht eruieren, ob die wenigen transleithanischen Mitglieder auf Vereinssitzungen aktiv wurden. 476 Sie verhalfen sich in vereinspolitisch relevanten Angelegenheiten mit brieflichen Stellungnahmen bzw. der Delegation ihrer Stimme an andere Vereinsmitglieder. Vgl. exemplarisch die Briefe von o. Mychajo Zubryc’kyj (Msˇanec’, 11. Februar 1904), o. Mychajlo Oleksysˇyn (Bezirk Brody, o. D.) und dem Lehrer V. Kuz’mak (Bezirk Stryj, 8. März 1904) an Franko zur Unterzeichnung von Frankos Statutenprojekt 1904 in ihrem Namen, IL VR, fond 3, N4462; das briefliche Ansuchen der Prager Universitätsprofessoren Puljuj und Horbacˇevs’kyj bezüglich der Pensionszahlung Pavlyks an den NTSˇ-Ausschuss, 2. November 1902, Zbozˇna (Hg.) 2007, S. 314f.; Puljuj an Pavlyk, 2. November 1904 und 2. Dezember 1904, in ebd., S. 315f., 318f. Jedes Mitglied hatte seit dem ersten Statut das Recht, sich brieflich in Vereinsangelegenheiten an den Ausschuss zu wenden – mit der Verpflichtung des Ausschusses, das Ansuchen zur Kenntnis zu nehmen. (Statut 1873, §11) Darüber hinaus hatten Institutionen sowie auswärtige Mitglieder seit dem Statut des Jahres 1898 das Recht, ihre Stimme auf den Versammlungen vertreten zu lassen. Statut 1898, §25.

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Anwesende zu delegieren.477 Zumal Lehrern, stets die größte beteiligte Berufsgruppe, seitens des Landesschulrats ein Arbeitsplatz in kleineren Städten zugewiesen werden konnte, den diese wahrnehmen mussten, kam es infolgedessen zur Unterbrechung von Verbindungen zum NTSˇ und damit auch mittel- und längerfristigen Ausfällen wichtiger Vereinsmitarbeiter. In der Gruppe der Politiker – dies betrifft eine größere Personenzahl vor allem seit der Ausweitung ukrainischer Mandate im Abgeordnetenhaus des Reichsrates infolge der Wahlreform 1906 und den Reichsratswahlen 1907– fanden sich außerdem diverse Akteure, die mittel- oder langfristig ihren Lebensmittelpunkt nach Wien verlegten, um ihre Energie auf ihre politische Tätigkeit zu verwendeten. Ab diesem Moment schränkten viele ihre wissenschaftliche Tätigkeit ein und fielen im NTSˇ

eher durch Abwesenheit als Aktivität auf. Die Doppelbelastung von Professur und Mandat war ebenso nicht unproblematisch, wie zahlreiche universitätsinterne Vertretungsgesuche Dnistrjans’kyjs bezeugen478 Herkunfts- bzw. Wohnorte der Mitglieder waren sowohl hinsichtlich der Teilnahme an lokalen Aktivitäten als auch bezüglich der persönlichen Gesinnung und damit der Erwartungshaltung, die an den Verein getragen wurden, relevante Faktoren der Vereinsgestaltung. In Galizien fand sich um 1900 ein voll entwickeltes Spektrum politischer Orientierungen unter nationalem Vorzeichen. Im Zarenreich war eine politische Partizipation erst infolge der Revolution von 1905 möglich, so dass sich politisch-ideologische Gruppen erst danach offiziell formieren konnten.479 Die Betrachtung einer Generation lässt Rückschlüsse auf »moderne Erfahrungen gesellschaftlichen Wandels«480 zu, die mit erinnerungsgespeister Erwartungshaltung481 korrelieren. Für Generationen als historische Erkenntniskategorie mit explizitem Zeitbezug ist der Raum als wesentlicher Einflussfaktor herausgearbeitet worden.482 Der grundlegende Unterschied nationalpolitischer Haltungen der ukrainischen Eliten Galiziens und des Zarenreiches lässt sich dementsprechend anhand des Erfahrungsraums kontextualisieren. Trotz der Dominanz des Polnischen hat eine galizische Ukrainerin oder ein galizischer Ukrainer, die oder der um die Mitte des 19. Jahrhunderts geboren wurde, in ihrer oder seiner Lebenszeit zahlreiche im Sinne der Nationalbewegung wünschenswerte Veränderungen hinsichtlich der Förderung der ukrainischen Kultur- und Wissenschaftslandschaft in Galizien erlebt. Trotz mancher Enttäuschung waren 477 Statut 1898, §25. 478 Dnistrjans’kyj, Vertretungsgesuche an der Universität, Personalakte Dnistrjans’kyj, DALO, fond 26, op. 5, spr. 584. 479 Zum ukrainischen Parteiwesen im Zarenreich vgl. Vysoc’kyj 2004. 480 Jureit 2017. 481 Koselleck 2000. 482 Grothusen / Morais / Stöckmann (Hg.) 2014.

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also auch nationalpolitische Hoffnungsschimmer durch kleine Schritte erkennbar. Dies drückte sich etwa im Wunsch nach einer Teilung Galiziens in einen polnischen und einen ukrainischen Teil aus, anstatt der Forderung nach einem ukrainischen Nationalstaat, den einige Parteien nominell in ihren Programmen verankerten. Wenn UNDP-Politiker forderten, Wissenschaftler mögen sich auf tagesaktuelle Fragen und unmittelbar anwendbare Arbeiten – wie etwa Schulbücher – konzentrieren (Kap. 4.5), ist dieser Erfahrungsraum zu berücksichtigen. Das Konzept der ›organischen Arbeit‹ galt nach wie vor als zentral für die Selbstorganisation der narodovci und damit auch für das Wissenschaftsverständnis diverser Akteure dieses Lagers. Jüngere und radikalere Anhänger der ukrainischen Nationalbewegung zeichneten bisweilen ein deutlich negativeres Bild der Verhältnisse im Kronland, vor allem dann, wenn sie in den Zeiten fortgeschrittener polnischer Dominanz im Zeichen nationaler Konflikte ihre Gymnasial- und Hochschulbildung erhielten. Dies lässt sich etwa der Haltung der Moloda Ukrajina (Junge Ukraine) entnehmen, einer parteiübergreifenden nationalen Organisation, die Sobornist’ als ihr Selbstverständnis und ihre Aufgabe begriff. Aus ihrer Sicht agierten die führenden Politiker, allen voran Kost’ Levyc’kyj (1859–1941) als Vorsitzender der UNDP, zu konservativ – sie würden ›ruthenische‹, aber nicht ›ukrainische‹ nationale Ziele verfolgen, wobei ›ruthenisch‹ in diesem Kontext nahezu spöttisch zu verstehen ist.483 Die skizzierten Erfahrungen der ukrainischen Kiewer Bildungseliten sind den Konzessionen in Galizien diametral entgegengesetzt: Repressionen, Zensur, das Verbot der ukrainischen Sprache in Druckwerken und ihre Klassifizierung als Dialekt des Russischen waren der Rahmen für eine gänzlich andere Ausgangslage. Auch hier hat es freilich andere politische Orientierungen gegeben, so etwa Anhänger klein- oder südrussischer Identitätskonzepte,484 wie sie seitens des zaristischen Imperiums propagiert wurden – diese spielten aber wiederum für das NTSˇ keine Rolle. Die Erwartungen an das NTSˇ speisten sich aus ebendiesen Erfahrungen der Repression und den Hoffnungen sprachlicher Selbstverwirklichung. Wie anhand der Bemühungen seit den frühen 1870er Jahren gezeigt worden ist, waren die russländischen Mitglieder primär an der Auslagerung der im Zarenreich verbotenen Wissenschafts- und Kulturproduktion interessiert und ordneten galizische Interessen diesem gesamtnationalen Ziel unter. Galizischer Widerstand gegen die letztere Tendenz war zumindest unter den Konservativen eher die Norm als die Ausnahme. Hrusˇevs’kyjs Person und Biographie verkörperte dieses Ziel wie kein anderer Lemberger Wissenschaftler dieser Zeit, so dass er zunehmend interne Konflikte hervorrief. Zumal die wenigsten russländischen Mitglieder je im Verein zugegen waren, setzte sich Hrusˇevs’kyj ver483 Wehrhahn 2001, S. 215. 484 Hillis 2013.

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mehrt auch mit seinen Schülern zur Vertretung ihrer Interessen ein, so bei den Reformdiskussionen 1903 und 1904, die u. a. die Stimmberechtigung abwesender Mitglieder aushandelten. Galizien als Erfahrungs- und Sozialisationsraum spielte eine zentrale Rolle für mehrere Generationen ukrainischer Eliten. Konservative Anhänger der organischen Arbeit prägten die narodovci-Bewegung langfristig, zumal Geistliche als wichtigste Träger der Nationalbewegung in Galizien fungierten. Höhere Schulbildung in ukrainischer Sprache war zwar keine Voraussetzung für die Mitgliedschaft im NTSˇ, für ihren Zulauf im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aber zweifelsohne ein relevanter Faktor. Gymnasialbildung in ukrainischer Sprache wurde bis zu ihrer Einführung als Unterrichtssprache am Akademischen Gymnasium in Lemberg nicht angeboten. Höher gebildete Ruthenen fanden sich deshalb, vor allem am Land, primär unter griechisch-katholischen Theologen. Der galizische Konservativismus war demnach nicht nur für politische Parteien, sondern auch die Bildungslandschaft im Kronland zentral.485 Dies verstärkte letztlich die Auswirkungen konservativer Bildungspolitik in der rural geprägten galizischen Gesellschaft und konservierte althergebrachte Familienstrukturen nachhaltig. Die Auswirkungen zeigten sich deutlich im Bereich der Mädchen- und Frauenbildung: Klerikale Eliten, aus denen die jüngere Generation der intelihencija hervorging, waren an höherer Bildung für ihre Töchter in vielen Fällen nicht interessiert. Auch ruthenische Mädchenlyzeen zielten in ihrer Fachauswahl und -ausgestaltung stärker auf die Prägung kultivierter Hausfrauen denn auf die Ausbildung intellektueller Eliten ab und kamen damit nicht zuletzt dem Wunsch der Eltern nach.486 Dabei handelt es sich nicht um Einzelerscheinungen, sondern Strukturbedingungen, die die Zahl von Wissenschaftlerinnen denkbar klein hielten. Zwar erlaubte die Habsburgermonarchie das Frauenstudium ab 1897 an zwei Fakultäten,487 doch behinderten soziokulturelle Faktoren eine sprunghafte Entwicklung. Mit den wissenschaftlichen Exzellenzkriterien, die das NTSˇ für wirkliche Mitglieder einforderte, wurden Frauen also nahezu aus dieser Kate-

485 Der griechisch-katholische Geistliche Vasyl’ Il’nyc’kyj wurde 1868 zum Direktor des akademischen Gymnasiums Lemberg befördert, um seine ›Ruthenisierung‹/›Ukrainisierung‹ zu bewerkstelligen und blieb bis 1892 im Amt. Pacholkiv 2002, S. 140; Spravozdanje dyrektora ˇ ast’ urjadova, S. 1. Auch c.k. gimnazie akademicˇoi u L’vove za rik ˇskil’nyj 1892 1q1892, C darüber wurde der christlich-konservative Verein Ruslan die wichtigste private Fördereinrichtung des Gymnasiums ab 1894, Spravozdanje dyrekcyji c.k. akademycˇoji gimnazyji u ˇ ast’ urjadova, S. 33. Den Wandel eines kirchenbasierten L’vovi za ˇskil’nyj rik 1894 1894, C Nationalismus zu einem Kulturnationalismus während der 1860er Jahre beschreibt Sereda 2003, S. 198–299. ˇ ercˇovycˇ 2017; Bohacˇevs’ka-Chomjak 2018. 486 C 487 Blahyj 1998.

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Mitglieder und Marginalisierte

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gorie ausgeschlossen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie am Vereinsleben nicht partizipiert oder kein Interesse an Wissenschaft gezeigt hätten. Die einzige Frau, die sich konkret an lokaler Kommissionsarbeit beteiligte, war Sofija Moracˇevs’ka-Okunevs’ka.488 Sie studierte Medizin in der Schweiz und war die erste promovierte Ärztin Galiziens. Wie noch zu zeigen ist, blieb die Aktivität der medizinischen Kommission, die zur MPL-Sektion gehörte, im Allgemeinen marginal und beschränkte sich auf die Herausgabe weniger Ausgaben der Sektionszeitschrift als ›medizinischer Teil‹. Moracˇevs’ka -Okunevs’ka lieferte einen Artikel und diverse Rezensionen zu den zwischen 1897 und 1899 veröffentlichten Bänden.489 Als wirkliches Vereinsmitglied wurde Kateryna Antonovycˇ (1859–1942), die Witwe Volodymyr Antonovycˇs, aufgenommen. Sie selbst war zwar Archäologin und Historikerin, nahm am Vereinsleben allerdings nur marginal teil.490 Dass sie ausgerechnet unmittelbar nach dem Tod ihres Ehemannes zum wirklichen Mitglied erhoben wurde, suggeriert hierbei einen Ehrentitel anstatt eine auf Partizipation basierende Ernennung. Die wenigen Frauen unter den allgemeinen Mitgliedern hinterließen größtenteils keine rekonstruierbaren Spuren im Vereinsleben;491 das hat allerdings auch für zahlreiche männliche Mitglieder dieser Kategorie zu gelten, die womöglich nur deshalb eingetragen waren, um die Vereinsveröffentlichungen zu erhalten oder als Förderer aufzuscheinen. Auch diese Mitglieder trugen zur Zirkulation der Publikationen und durch ihre Mitgliedsbeiträge zur Vereinsfinanzierung bei, so dass sie in der Summe einen relevanten Faktor der Vereinsgeschichte darstellten. Zumal keine Anwesenheitslisten für die Generalversammlungen geführt worden sind, bei der allgemeine Mitglieder durch ihre Stimme Einfluss auf die Vereinsleitung nehmen konnten, kann dieser Aspekt nicht ausgewertet werden. Frauen konnten sich allerdings auch an der Vereinsarbeit beteiligen, ohne durch hervorgehobene Mitgliederkategorien sichtbar gemacht zu werden. Marija Vojakivs’ka (1868–1948, verheiratet Hrusˇevs’ka) arbeitete als Lehrerin, bis sie Mychajlo Hrusˇevs’kyj 1896 heiratete. Danach gab sie ihren Beruf auf, um sich gesellschaftlich zu engagieren, beispielsweise im Kljub Rusynok (Klub der Rutheninnen). Sie wurde als Übersetzerin aktiv und sorgte für zahlreiche literarische Übersetzungen aus dem Französischen und dem Russischen ins Ukraini488 Chronika NTSˇ 9 (1902), S. 24. 489 Naukove tovarystvo im. Sˇevcˇenka v Ukrajini, Bibliohrafija zbirnyka matematycˇno-pryrodopysno-likars’koji sekciji 2013,S. 2–4, 12f., 16f. 490 Sie war Teil der Kiewer intelihencija und wurde 1913 von Hrusˇevs’kyj persönlich zu den Beratungen um das weitere Vorgehen angesichts der Proteste gegen seine Person hinzuˇ ykalenko 2011, S. 296; zu ihrer Person ebd., S. 439. So tauchte sie als Untergezogen. C zeichnerin des Protests gegen die Statutenreform 1913 mit anderen Kiewer Mitgliedern auf. V spravi zminy statutu Naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka u L’vovi, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8, ark. 20–23, hier ark. 23. 491 Vgl. die Mitgliederlisten in den Anhängen III–V.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

sche für den LNV und die URVS.492 Dabei fand sich der Name der Übersetzerin stets an prominenter Stelle. Inhaltlich schien sie bisweilen mit ihrem Mann zu kooperieren, der etwa Begleitartikel verfasste.493 Sie wurde erst später auch Mitglied des NTSˇ und fungierte als Schatzmeisterin der wissenschaftlichen Ferienkurse 1904 (Kap. 4.5). Darüber hinaus lieferte sie einen ethnographischkunsthistorischen Beitrag zu den Zapysky.494 Abseits der Mitgliederlisten sind Frauen als bezahlte Mitarbeiterinnen des Vereins anzutreffen. Dazu zählte Stefanija Levyc’ka (1878–1917, verh. 1907 Kalitovs’ka), die Nichte von Marija Hrusˇevs’ka, die mit in ihrem Haus in Lemberg lebte. Sie schloss das Frauenlehrerseminar in Lemberg ab und war zwischen 1900 und 1906 als Vereinsbuchhalterin tätig. Zumal sie dafür keine Spezialausbildung hatte, sondern nur die Bereitschaft erklärte, sich das nötige Wissen anzueignen, schien die Beziehung zum Vorsitzenden äußerst relevant zu sein.495 Auch die Vereinsbuchhandlung beschäftigte eine Kassiererin, die – wenig überraschend – mit einem langjährigen Ausschussmitglied verwandt war.496 Frauen waren also durchaus am Vereinsgeschehen, an Publikationen und auch Forschungsprojekten – teilweise in Kooperation dem jeweiligen Ehemann – beteiligt. Sie waren allerdings nur dann sichtbar, wenn sie in den entsprechenden auch Publikationen erwähnt wurden. Stepan Tomasˇivs’kyj stellte in dem Vorwort seiner ethnographischen Karte der ungarischen Rus’ klar, dass seine Frau Olena nicht nur den »überwiegenden Teil der technischen und rechnerischen Arbeit auf sich« genommen hätte, sondern noch darüber hinaus »bei dieser Arbeit eine geschätzte Ratgeberin und Unterstützerin«497 gewesen war. Die aktiven Frauen als solche sichtbar zu machen oder aber verschwinden zu lassen, lag damit in den Händen von Männern. Bei eigenen Publikationen und der Belegung offizieller (bezahlter) Vereinsfunktionen war die Erwähnung obligatorisch, ansonsten beruhte sie offenbar auf »gutem Willen«. Ein ehemaliges Mitglied des Kruzˇok ukrajins’kych divcˇat (Zirkel ukrainischer Mädchen) erinnerte, dass ihr Verein an der Aufbereitung des NTSˇ-Museums mitwirkte, diese Information geht allerˇ echov 1899; C ˇ echov 1901; C ˇ echov 1902; C ˇ echov 1904; Kope 1900; Mikuljicˇ 1900; Mopasan 492 C 1900. 493 Dode 1899; Hrusˇevs’kyj 1899. 494 Hrusˇevs’ka 1903. 495 Bewerbungsschreiben Stefanija Levyc’ka [Levicka], 8. Juli 1900, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 440, ark. 13; Dzjuban 1996, S. 78; Pan’kova 2010; Chronika NTSˇ 25 (1906), S. 50; 27 (1906), S. 1. Insgesamt scheint lohnend, langfristig mit Blick auf die Zwischenkriegszeit zu erforschen, inwiefern die Nähe zu Vereinsmitgliedern Frauen auf ihren Karrierewegen half; Hnatjuks Tochter Olena konnte zwischen 1917 und 1920 vergleichsweise großzügige Vereinsstipendien zur wissenschaftlichen Ausbildung beziehen, die anfangs sogar noch ihr Vater mitunterzeichnete. Briefe des Vereins an Olena Hnatjuk, 1917–1920, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2186, ark. 22–27. 496 Chronika NTSˇ 25 (1906), S. 27. 497 Tomasˇivs’kyj 1910, S. 178.

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Sektionen und Kommissionen

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dings nicht aus den Vereinsquellen hervor.498 Nicht zuletzt hatte der Kruzˇok auch bedeutenden Einfluss auf die Mobilisierung der (weiblichen) Jugend für die Nationalbewegung, universitätspolitische Anliegen und populärwissenschaftliche Veranstaltungen, so dass er dadurch auch in das NTSˇ wirkte.499 All dies hielten offizielle Vereinsdokumente jedoch ebenso wenig fest. Deshalb ist davon auszugehen, dass Frauen die Vereinsaktivität oder individuelle Forschungen womöglich auch durch weitere Tätigkeiten bereicherten, die allerdings kaum dokumentiert wurden. In jedem Fall ist aber zu konstatieren, dass die fast schon ikonographisch gebrauchten Fotografien des Vereins, die beim Literaturjubiläum 1898 (Deckblatt) und den Ferienkursen 1904 (Abb. 3) aufgenommen wurden, das NTSˇ deutlich weiblicher darstellen, als es de facto war.

3.5

Sektionen und Kommissionen

Die wissenschaftlichen Kommissionen500 und Sektionen erhielten eine bedeutende Funktion als Austauschräume. Ein wesentlicher Aspekt dabei war, dass sich die Mitglieder über vorgestellte Aufsätze vor der Publikation berieten und ihre Aufnahme in die jeweiligen Periodika bewilligen oder ablehnen konnten, wobei auch Anmerkungen zum Änderungsbedarf vor der Veröffentlichung gegeben wurden.501 Die Relevanz dessen zeigt sich exemplarisch an einem sprachhistorischen Aufsatz des Nachwuchswissenschaftlers Ivan Pan’kevycˇ, der zwar umgehend für die Zapysky NTSˇ akzeptiert wurde, jedoch so viele Anregungen nach einer ausführlich dokumentierten Diskussion erhielt, dass das erste handschriftliche Manuskript u. a. um diverse Seiten grammatischer Analyse des untersuchten Textes ergänzt wurde.502 In diesem Sinne handelt es sich bei diesen 498 Zaliznjak 1950, no. 9, S. 7. 499 Lozyns’kyj 1904; Rohde 2020, Ukrainian Popular Science. 500 Angemerkt sei, dass auch Kommissionen für spezifische administrative bzw. organisatorische Anliegen ad hoc gebildet wurden, die ähnlich frei funktionierten. Sie hinterließen nur in den seltensten Fällen öffentlich dokumentierte Protokolle und erstatteten vorrangig dem Ausschuss Bericht. Nach Abschluss der Angelegenheiten – ein Beispiel hierfür ist der Bau und die Verwaltung des akademicˇnyj dim (Akademisches Haus) – übernahm ein Referent die Schirmherrschaft über das Projekt und die Kommunikation gegenüber dem Ausschuss. Chronika NTSˇ 25 (1906), S. 26; 29 (1907), S. 2; 37 (1909), S. 1. Vgl. exemplarisch die Aufstellung administrativer Kommissionen des Jahres 1901, Chronika NTSˇ 9 (1902), S. 24. 501 Sitzungsprotokoll der philologischen Sektion vom 14. Juni 1899, LNNB VR, fond 1, op. 2, spr. 42a, ark. 16zv. Die chronistischen Mitteilungen und Protokolle waren naturgemäß unvollständig und dokumentieren oft nur das Referieren eingegangener bzw. angenommener Beiträge. 502 Ja. Hordyns’kyj an Pan’kevycˇ, 18. März 1915, PNP, Nachlass Pan’kevycˇ, Karton 6, Mappe Pandekty Antioacha; handschriftliches Manuskript Pandekty Antioacha 1307 roku. Fil’ol’ogicˇna studija, ebd. Vgl. auch die veröffentlichte Variante, Pan’kevycˇ 1917.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

Plattformen um einen Mikroraum der Wissenszirkulation zu Spezialthemen, die sich den betreffenden Wissenschaftlern ansonsten nur in limitierten, selten auf ukrainische Anliegen spezialisierten Räumen boten. Sie schufen aber auch die Basis für unterschiedliche Kooperationsformate zwischen Individuen. Dazu gehörte die Beschaffung benötigter Quellen und Materialien, die Aufarbeitung wissenschaftlicher Literatur zu speziellen Themen – häufig in arbeitsteiliger Manier, besonders bei vielsprachiger Quellenlage – und die gemeinsame Forschung an unterschiedlichen Teilbereichen eines Schwerpunkts oder Projekts durch mehrere Personen. Konkrete inhaltliche Debatten lassen sich anhand der redigierten Kurzprotokolle, die vor allem Beschlüsse nannten, kaum eruieren; lediglich vereinzelt finden sich entsprechende Hinweise.503 Die Sektionssitzungen entschieden über die Aufnahme von Beiträgen in die Zapysky bzw. den Zbirnyk MPL. Der Herausgeber Hrusˇevs’kyj fungierte als entscheidende Planungsinstanz der Zapysky, so dass das Ziel, den Ausschuss von der wissenschaftlichen Tätigkeit abzusondern, allenfalls insofern realisiert wurde, als dass der Vereinspräsident noch mehr unregulierte Kompetenz erhielt. Darüber hinaus berieten und entschieden Sektionen über Forschungs- und Veröffentlichungsprojekte. Auch wenn die jeweiligen Sektionen für alle Journale als Entscheidungsorgane vorgesehen waren, wurden die Spezialperiodika de facto innerhalb der Kommissionen produziert. Diverse Zeitschriften sind von Hrusˇevs’kyj oder Franko selbst redigiert worden, die als Sektionsleiter keine Schwierigkeiten hatten, ihre Pläne umzusetzen. Vovk war vorab für die Redaktion der ethnologischen Materijaly vollständige wissenschaftliche Autonomie zugestanden worden. Die gesamte rechtswissenschaftliche Expertise im Verein war ebenso in der gleichnamigen Kommission gebündelt und Dnistrjans’kyj hatte als Leiter, Herausgeber der Zeitschrift und Autor zahlreicher Beiträge angesichts ausbleibenden Nachwuchses nicht mit einer Opposition oder Kontrollinstanzen, sondern eher mit mangelnder Unterstützung zu ringen.504 Somit konnten die Herausgeber relativ autonom agieren, waren jedoch gänzlich von der Finanzierungszusage des Ausschusses abhängig, sofern keine gesonderten Subventionen eingeworben werden konnten. Die meisten Kommissionen – ausgenommen die Sprachkommission, die medizinische505 und die physiographische – führten eigene Zeitschriften, auf die sich ihre Aktivität oft konzentrierte. Die ethnographische Kommission gehörte sowohl zur historisch-philosophischen als auch der philologischen Sektion. Sie 503 Historisch-philosophische Sektion, Sitzungsprotokoll vom 10. Juni 1896, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 14. 504 Dnistrjans’kyj 1928, Nasˇi pravnycˇi cˇasopysy, S. 5f. 505 Die medizinische Kommission gab insgesamt fünf Hefte des Zbirnyk MPL unter dem Titel Likars’kyj zbirnyk (Ärztliche Sammlung) heraus, damit ist aber weniger von einer ›eigenen‹ Zeitschrift als einer Herausgeberschaft der Sektionszeitschrift zu sprechen.

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Sektionen und Kommissionen

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forcierte ethnographische Forschungsreisen, die zu ihren beiden Forschungsgegenständen, Folklore und Ethnographica, beitragen sollten.506 Insofern trug sie nicht nur in besonderem Maße zur Entstehung des Vereinsmuseums bei, sondern bot zahlreiche Betätigungs- bzw. Einsatzmöglichkeiten für Nachwuchs- und Amateurwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Wie die archäographische führte auch die ethnographische Kommission zwei Journale; sie dürfen als die am besten finanzierten und kontinuierlich tätigen Kommissionen des NTSˇ gelten, wobei die jeweiligen Konjunkturen mit den Vereinsagenden korrelierten. (Anhänge I; VII) Die statistische (1906) und die bibliographische Kommission (1909) entstanden in Konfrontation mit spezifischen Forschungsproblemen und werden im Zusammenhang mit der Analyse dieser Teilthemen diskutiert (Kap. 7, Kap. 8.1). Die erste Kommission, die an der historisch-philosophischen Sektion angesiedelt wurde, war die archäographische als persönliches Projekt Mychajlo Hrusˇevs’kyjs. Durch die schulbildende Tendenz dieses Netzwerks gehört sie zu den ausführlich erforschten Kapiteln der Vereinsgeschichte und wird an gegebener Stelle nur kurz unter den Aspekten der Nachwuchsförderung (Kap. 4.3) betrachtet. Komplizierter verhält es sich mit der rechtswissenschaftlichen Kommission, die zunächst keine eigene Kommission darstellte, sondern einen wesentlichen Teil der historisch-philosophischen Sektion ausmachte. Die Kommissionen etablierten sich weniger durch strenge Regularien als durch Praxis.507 Zumal sie keinerlei Entscheidungsbefugnisse außerhalb ihres engen Wirkungskreises hatten, bestanden keine administrativen oder rechtlichen Hürden. Sie wurden vielfältig mit den bestehenden Institutionen – dem Museum, der Bibliothek, den Periodika und den Sektionen – verzahnt. Anhand der Kommissionsbildungen und ihrer Sitzungsaktivität (Anhang VII) lassen sich Konjunkturen der ukrainischen Wissenschaft im Allgemeinen, des Vereins im Besonderen, aber auch seiner Subgruppen eruieren. Letztlich war die Beteiligung an Kommissionen auch eine Möglichkeit für Nachwuchswissenschaftler, eine (informelle) forschungsnahe Aus- und Weiterbildung zu erhalten. Für Schüler Hrusˇevs’kyjs konnte sie auch direkt mit universitärer Ausbildung verzahnt werden.508 Während nur die wissenschaftlich bereits ausgewiesenen Experten als Sektionsmitglieder (d. h. wirkliche Mitglieder) fungieren konnten, stand die Kommissionsarbeit Personen unterschiedlichen Ausbildungs-, Mitglieds-, Berufs- und auch Altersstandes offen. Angesichts der limitierten Professuren und Dozenturen in ukrainischer Sprache (und entsprechend zu ukrainischen Themen) an den habsburgischen Universitäten war der Verein damit ein nicht zu 506 Sapeljak 2000 als Überblick zur Kommissionstätigkeit. 507 Formell basierte die Kommissionsorganisation noch immer auf dem früheren Regelwerk zum inneren Aufbau. Reguljamin 1892, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 10. 508 Tel’vak / Pedycˇ 2016.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

unterschätzender Faktor für den Erhalt und Ausbau der scientific community. Selbst in der kurzen Periode, die hier zur Untersuchung steht, trug dieses Schema trotz begrenzter Ressourcen zahlreiche Früchte. Die Funktionen und Tätigkeiten der Sektionen und Kommissionen werden im folgenden Überblick skizziert, wobei eine Aufstellung der Mitglieder und Aktivitäten (Anhänge III; V; VI) der Orientierung dient, zumal die Kommissionen im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Forschungstätigkeit in den entsprechenden Kapiteln genauer betrachtet werden. Die Begrenzung der Sektionsmitgliedschaft auf wirkliche Mitglieder im Jahr 1899 bedeutete für die historisch-philosophische Sektion, dass die Mitgliederzahl von 83 auf zwölf Personen sank. Damit sollten diese zwölf Personen die Forschung effektiv tragen. Der Historiker Ivan Krypjakevycˇ (1886–1967) monierte allerdings retrospektiv, dass von zwölf Mitgliedern nur sieben ortsansässig waren. Fünf von ihnen waren Rechtswissenschaftler, hinzu kamen Hrusˇevs’kyj und sein Schüler Tomasˇivs’kyj als Historiker.509 Zumal der größte Teil der Protokolle keine Teilnehmerlisten beinhaltet, lassen sich die Auswirkungen nur deduktiv erfassen. Sofern keine rechtswissenschaftlichen Arbeiten diskutiert wurden, partizipierten im folgenden Jahr nach der Reform vor allem Hrusˇevs’kyj, Franko, der Sektionssekretär Tomasˇivs’kyj und Vereinssekretär Volodymyr Hnatjuk.510 Die Rekrutierung von Nachwuchswissenschaftlern war elementar, um überhaupt historische Sektionsarbeit betreiben zu können. Mit seiner Übernahme der historisch-philosophischen Sektion suchte Hruˇsevs’kyj, die Zusammenkünfte quantitativ zu steigern, wie aus der Übersicht über Sektionssitzungen und -vorträge (Tabelle 2) ersichtlich wird. Dadurch sollte nicht nur eine Ritualisierung des wissenschaftlichen Betriebs und seiner Plattformen hergestellt werden, wie dies in anderen akademischen Kreisen mit Vorbildfunktion der Fall war; gleichsam war diese Häufigkeit nötig, um die Qualität der Beiträge für die nunmehr häufiger erscheinenden Zapysky zu sichern. Die Statistik zur Anzahl der Vorträge Hrusˇevs’kyjs einschließlich der von ihm referierten Aufsätze, belegt dabei eindeutig, dass die Aktivität der historischphilosophischen Sektion ohne sein eigenes Engagement – er verlegte einen Großteil seiner gesamten wissenschaftlichen Tätigkeit auf die Vereinsorgane – deutlich geringer ausgefallen wäre.

509 Krypjakevycˇ 1991, S. 394f. 510 Protokolle der historisch-philosophischen Sektion vom 28. Juni 1899 bis zum 5. Juli 1900, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 26–31. Franko, berichtete der Zeitgenosse Krypjakevycˇ, nahm regelmäßig an den Sitzungen teil, obwohl er selbst keine Arbeiten vorlegte, und hätte die Diskussionen enorm bereichert.

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Sektionen und Kommissionen

Jahr 1894 1895

Sitzungen 6 9

Vorträge 7 20

Vorträge Hrusˇevs’kyjs 2 7

1896 1897

15 11

24 28

7 6

1898 12 22 6 Tabelle 2: Vorträge in der historisch-philosophischen Sektion, 1894–1898.511

Nach dem Tod Ohonovs’kyjs übernahm der Czernowitzer Professor für Ruthenische Philologie Stepan Smal’-Stockyj den Vorsitz der philologischen Sektion. Allerdings konnte er durch die räumliche Trennung nicht an den Sitzungen teilnehmen; sie wurden zwischen Dezember 1894 von 1896 von seinem Stellvertreter Ivan Verchrats’kyj oder Hrusˇevs’kyj geleitet. In der Folge führte Ivan Franko die Sitzungen, bis er 1898 offiziell den Vorsitz der Sektion übernahm.512 In diesem Zusammenhang konnte eine gewisse Regelmäßigkeit herbeigeführt werden, die der Anbahnung erster Projekte wie der ethnographischen und apokryphischen Materialsammlung zugutekam.513 Zu den aktivsten Mitarbeitern, entsprechend der Protokolle, gehörten Franko, Hrusˇevs’kyj, Kyrylo Studyns’kyj, ab 1896 auch Oleksandr Kolessa und Volodymyr Hnatjuk. Letzteren berief die philologische Sektion mit der Reform im Juni 1899 zum wirklichen Mitglied, wodurch er auch ohne Doktorat in den Kreis etablierter Wissenschaftler gehoben wurde.514 Neben diesen unmittelbar sichtbaren Erfolgen, die dem neuen Vorsitzenden die Unterstützung von galizischen wie russländischen Vereinsmitgliedern sicherte, deuteten sich rasch deutliche Konflikte zwischen Hrusˇevs’kyj und anderen Interessengruppen des Vereins an, die nicht nur politisch, sondern wissenschaftlich motiviert waren. Sie zeigen sich im Umgang der Vereinsleitung mit der mathematisch-naturwissenschaftlich- ärztlichen Sektion sowie der rechtswissenschaftlichen Kommission. Eine Affinität zur Vereinsleitung – und bis auf den Sektionsdelegierten auch meist ohne Mitglieder im Ausschuss – hatte die mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztliche Sektion (matematycˇno-pryrodopsyno-likars’koji sekciji; weiter: MPL-Sektion). Sie war durch verschiedene Interessenlagen nur schwer mit Hrusˇevs’kyjs Interessen zusammenzubringen, auch wenn es partielle gemeinsame Anliegen im Bereich der Entwicklung einer Wissenschaftssprache gab. Der langjährige Sektionsleiter, Gymnasialprofessor Ivan Verchrats’kyj, arbeitete ei511 Krypjakevycˇ 1991, S. 396, ergänzt mittels der Protokollbücher der Sektionen. 512 Sitzungsprotokolle der philologischen Sektion vom 13. Dezember 1894 bis zum 9. Februar 1898, LNNB VR, fond 1, op. 2, spr. 42a, ark. 9zv–14zv. 513 Sitzungsprotokoll der philologischen Sektion vom 26. Februar 1895, ebd., ark. 11. 514 Sitzungsprotokoll der philologischen Sektion vom 14. Juni 1899, ebd., ark. 16zv.

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nerseits linguistisch zu regionalen Dialekten Galiziens, andererseits an naturwissenschaftlicher (v. a. biologischer) Terminologie, die er vor allem aus der Volkssprache zu sammeln und abzuleiten suchte.515 Diverse Mitglieder der Sektion, darunter die in Prag lehrenden Professoren Ivan Puljuj und Ivan Horbacˇevs’kyj, galten als Koryphäen der deutschsprachigen und internationalen Physik und Chemie. Sie nutzten die imperiale Bildungs- und Wissenschaftslandschaft geschickt für den persönlichen Aufstieg und waren gleichzeitig mit der ukrainischen Nationalbewegung verbunden.516 Sie begannen dennoch erst mit der Einführung der Publikationsorgane des NTSˇ, ihre Forschungen in ukrainischer Sprache zu veröffentlichen. Puljuj wirkte zwar unter anderem an einer ukrainischen Übersetzung der Bibel und anderen religiösen Texten mit, seine physikalischen Arbeiten erschienen aber bis in die späten 1890er Jahre ausschließlich deutschsprachig. Dass diese prominenten Forscher auf Ukrainisch publizierten und intensiv an ukrainischer Wissenschaftsterminologie in ihren Bereichen mitwirkten, ist dem frühen reformierten NTSˇ zu verdanken. Zu Beginn erschienen etwa die Arbeiten Puljujs und des Physik- und Mathematiklehrers Volodymyr Levyc’kyj noch in den Zapysky.517 Mit Hrusˇevs’kyjs Präsidentschaft bahnten sich weitere Neuerungen hinsichtlich der Zapysky an. Fungierte die Zeitschrift zuvor noch als Organ aller Sektionen mit gleichberechtigtem Zugang, ist die mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztliche Sektion 1897 ausgegliedert worden. Als einzige Sektion führte sie mit ihrer Sammlung (Zbirnyk MPL) eine separate Zeitschrift, während die Zapysky das wichtigste Organ der philologischen und historisch-philosophischen Sektionen blieben, die allerdings für spezielle Anliegen oder Fächer auch spezialisierte Zeitschriften zu führen begannen. Zunächst löste das regelmäßige Erscheinen des Zbirnyk MPL eine bisher ungekannte Produktion naturwissenschaftlicher Aufsätze in ukrainischer Sprache aus, die bis dahin allenfalls selten in galizischen Schulberichtsheften erschienen.518 Insgesamt erlaubt ein Vergleich der Sektionsaktivitäten, die MPL-Sektion als diejenige mit den wenigsten Sitzungen, Referaten und Veröffentlichungen zu identifizieren.519 Im Rückschluss auf die Publikationen im Zbirnyk MPL lässt sich festhalten, dass hier eher individuelle und oft auch übersetzte Forschungen aufgenommen wurden. Es handelte sich daher weniger um ein Diskussionsforum, das gemeinsame 515 516 517 518

Surman 2019, Science. Gajda / Pljac’ko 2019; Holovac’kyj 1995. Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 79, 84f. Dies zeigt sich bspw. an Horbacˇevs’kyj, der erst im Zbirnyk MPL begann, ukrainischsprachig zu publizieren, so auch die Ärzte Osyp Dakura und Jevhen Ozarkevycˇ. Vgl. Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 79f., 82. 519 Zajceva 2007, S. 398; Protokollbuch der MPL-Sektion (bis 1913), CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39.

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Projekte verfolgen würde. Im Vergleich mit den anderen beiden Sektionen ist hinzuzufügen, dass die Vereinsleitung keine Maßnahmen traf, um eine vergleichbar dynamische Entwicklung einzuleiten. Dies ist bereits ein erster Hinweis auf das von Hrusˇevs’kyj lancierte Konzept ›nationaler Wissenschaft‹, das zunächst undefiniert blieb: er gab geisteswissenschaftlicher Forschung eindeutig den Vorzug. Unter den Naturwissenschaften war es insbesondere die Geographie, der er einen wichtigen Platz einräumte, wie sich später im Verhältnis zu seinem Schüler Stepan Rudnyc’kyj zeigte, der nach einigen historischen Arbeiten als Geograph zu forschen begann. Dieser studierte von 1895 bis 1899 Geschichte an der Universität Lemberg, u. a. bei Hrusˇevs’kyj. Zwei Jahre später wurde er mit einer kosmographischen Arbeit über Sonnenflecken promoviert, die erst im polnischen Kosmos und dann erst im ukrainischen Zbirnyk MPL erschien.520 Während seine frühe Karriere nur unzureichend dokumentiert ist, wird zumindest anekdotisch davon ausgegangen, dass es Hrusˇevs’kyj war, der ihn motivierte, der Geographie den Vorzug zu geben, um das Vereinsprofil zu diversifizieren. Rasch wurde Rudnyc’kyj wirkliches Vereinsmitglied und wohl aktivster Mitarbeiter der MPL-Sektion. Die Sitzung, in der Rudnyc’kyj als wirkliches Mitglied in die MPL-Sektion aufgenommen und zum stellvertretenden Sekretär ernannt worden ist, war eine gemeinsame Sitzung aller Sektionen, an der also auch Hrusˇevs’kyj und Franko partizipierten. Das Protokoll erhellt den Stimmprozess nicht weiter, allerdings liegt nahe, dass der Vereinspräsident diesen Prozess forcierte, zumal ihm ein loyaler Schüler in der MPLSektion zweifelsohne genehm war.521 Rudnyc’kyj emanzipierte sich allerdings rascher von seinem ersten akademischen Lehrer, als diesem lieb sein konnte. Das entscheidende Moment hierfür ist sicherlich in seinem Semester an der Universität Wien zu sehen, während er bei den bekannten Geographen Albrecht Penck und Viktor Uhlig lernte. Vor allem die Beziehung zu Penck erwies sich als prägsam.522 Während der Generalversammlung des Jahres 1905 artikulierte Rudnyc’kyj Probleme, die für die geringere Aktivität der Sektion verantwortlich gewesen wären: »Der Grund für ihre geringe wissenschaftliche Produktion sei das Fehlen größerer periodischer Veröffentlichungen, die andere Sektionen haben. Die Zeitschrift der Sektion reicht nicht an diese heran, und der Ausschuss verhält sich nicht wohlwollend gegenüber ihren Bemühungen. Der Sprecher verweist auf die Absage des Ausschusses 520 Bericht des philos. Professorenkollegiums über die Erteilung der venia legendi aus der Geographie mit ruthenischer Vortragssprache an Herrn Dr. Stefan Rudnicki, Beilagen, DALO fond 26, op. 5, spr. 1648, ark. 19. 521 Protokoll der MPL-Sektionssitzung vom 13. März 1901, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39, ark. 14. 522 Seegel 2018.

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zur Herausgabe der ›Zoologie‹ von Dr. I. Verchrats’kyj und wünscht sich ein Umdenken in dieser Sache. Außerdem entspricht die Bibliothek nicht den Anforderungen der Sektionsmitglieder.«523

Rudnyc’kyjs Kritik an der institutionellen Nachrangigkeit der Sektion ist zweifelsfrei berechtigt, zumal sowohl für deren Literaturbedarf als auch deren Veröffentlichungen vergleichsweise deutlich geringere Beiträge aufgewandt wurden. Allerdings war seine Kritik insgesamt nicht nur auf finanzielle Aspekte bezogen, wie ein im selben Jahr veröffentlichtes Plädoyer für die Geographie unterstrich. Er monierte die »Einseitigkeit unserer Wissenschaftskultur«, die auch im internationalen Vergleich nicht »normal« wäre und die Entwicklung der jungen Wissenschaftskultur nachhaltig schädigen würde.524 Dabei richtete er sich nicht prinzipiell gegen ›nationale Wissenschaft‹, sondern plädierte für ihre naturwissenschaftliche Ausweitung, die er einerseits durch ihren »zentralen Standpunkt zwischen den Disziplinen«, andererseits durch ihre nationale Bedeutung zum »Erkennen des Heimatlandes« begründete. Mit einer geodeterministischen Argumentation suchte er die Relevanz der Disziplin auch im Zusammenhang mit den bisher so intensiv geförderten Wissensbereichen zu unterstreichen: »Jedes Volk ist verbunden mit dem Land, auf dem es lebt, mit einer unzähligen Anzahl von Knoten, teilweise auch bisher nicht erforschten. Die Natur des Landes beeinflusst die ökonomische und historische Entwicklung des Volkes, seine Lebensweise und Kultur, sogar, wie viele sagen, seinen Charakter und seine Poesie. Die Begriffe des Vaterlands und der Nationalität setzen sich aus verschiedenen Elementen zusammen: dem anthropologischen und ethnologischen, dem philologisch-literarischen, dem historisch-politischen und anderen, das geographische ist aber ohne Zweifel am wichtigsten, denn ein Volk ohne Heimatland, das ist wie eine Pflanze, die aus dem Boden gerissen wurde.«525

Diese Positionen ähneln den Überlegungen des österreichischen Geographen Friedrich Umlauft (1841–1899), der die »Geographie als Vaterlandskunde«526 verstand, allerdings sind in diesen Überlegungen bereits Anlehnungen an Friedrich Ratzel zu erkennen.527 Als Pflichtlektüre der anthropogeographischen Tradition, die unter den Schülern Pencks verbreitet war,528 ist davon auszugehen, dass Rudnyc’kyj vor allem jene Positionen äußerte, mit denen er sich in Wien vertraut gemacht hatte. Er agierte nicht mehr nur als Schüler Hrusˇevs’kyjs, sondern als internationaler Naturwissenschaftler mit eigenen nationalen Vor523 Protokoll der Generalversammlung vom 19. April 1905, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 31, ark. 27–34zv, hier ark. 33. 524 Rudnyc’kyj 1905, S. 31, Hervorhebung im Original 525 Ebd., S. 32. 526 Scharr 2013, S. 29. 527 Ratzel 1885. 528 Henniges 2015.

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stellungen. Gleichzeitig instrumentalisierte er die Umlauft’schen Überlegungen, um seine eigenen Forschungen als Teil der Vereinsgeschäfte zu institutionalisieren. So betonte er den »zentralen Standpunkt der Geographie zwischen Wissenschaften« als eine Vermittlungsinstanz zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, die überdies nationalen Zielen dienen würde, denn »die Geographie lehrt uns, das Heimatland zu erkennen.«529 Rudnyc’kyj konnte sich damit zwar die Unterstützung seiner Arbeit durch den Verein sichern, auch förderte Hrusˇevs’kyj die Publikation seiner ersten Monographie zur ukrainischen Geographie,530 am Status der Sektion änderte sich allerdings nichts. Darüber hinaus finden sich weitere Hinweise auf ein Zerwürfnis; so unterstützte der Präsident Rudnyc’kyj in den Jahren 1904–1906 nicht dabei, die nötige Finanzierung der Habilitationsforschungen aus den Vereinsmitteln zu erhalten. Außerdem hielt Rudnyc’kyj einen öffentlichen Vortrag, in dem er gegen die Position von Hrusˇevs’kyj und seinem Umfeld argumentierte, dass Kunst und Hochkultur ein Luxus wären, den sich Ukrainer nicht leisten könnten. Daraufhin entwickelte sich ein Streitgespräch mit dem Künstler Ivan Trusˇ, selbst ein Mitglied der Clique, dem auch Franko beiwohnte.531 Auch wenn sich diese Episode nicht genau datieren lässt, bietet sie eine schlüssige Erklärung für das abgekühlte Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer. Letztlich kann nur spekuliert werden, ob die vereinsintern marginalisierten Kollegen der MPL-Sektion Einfluss auf Rudnyc’kyj und diesen Konflikt nahmen. Besondere Herausforderungen der medizinischen Kommission lenken die Aufmerksamkeit auf einen weiteren Aspekt, der nicht primär im Verein zu suchen ist. Die medizinische Kommission formierte sich 1898 als Teil der MPLSektion und versammelte die etablierten ukrainischen Ärzte unter der Leitung von Jevhen Ozarkevycˇ. Es handelte sich hierbei, da nur sieben Sitzungen zwischen 1898 und 1904 abgehalten wurden,532 um eine äußerst sporadisch aktive Kommission, die sich ausschließlich mit der Herausgabe von sechs (Teil-) Bänden des Zbirnyk MPL durch Ozarkevycˇ beschäftigte. Mit einer Anfrage bezüglich der Gründung eines gesonderten Medizinervereins wendete sich der junge Arzt Oleksandr Kozakevycˇ an Ozarkevycˇ und Horbacˇevs’kyj. Ozarkevycˇ bemerkte dazu, der Großteil ukrainischer Mediziner würde sich gänzlich »apathisch«533 gegenüber der bisherigen medizinischen Kommission verhalten. Die beiden er529 Rudnyc’kyj 1905, S. 32. 530 Dazu der einschlägige Briefwechsel, LSR, S. 55–67. Die Schwierigkeiten des Publikationsprojekts, die auf den Kiewer Verlag zurückgingen, zu dem Hrusˇevs’kyj Rudnyc’kyj überredete, sollten sich als kaum förderlich für die beiderseitige Beziehung erweisen; der Kontakt riss bald darauf ab. 531 Karmans’kyj 2011, S. 418. 532 Buracˇyns’kyj 1975, S. 20. 533 Kozakevycˇ 1975, S. 8.

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fahrenen Wissenschaftler waren sich einig darin, dass der Erfolg eines einschlägigen Vereins ohne ein wissenschaftliches Institut – wie dies etwa tschechischen Medizinern gelang – kaum von großem Erfolg gekrönt sein dürfte. Der Verein ukrainischer Mediziner ist 1910 unter dem Vorsitz von Ozarkevycˇ gegründet worden, wobei der erste Paragraph des Statuts das größte Problem unterstreicht. Dort wird der Hauptsitz des Vereins zwar vorläufig auf Lemberg festgelegt, jedoch mit der Ergänzung, die Generalversammlung könnte diesen jederzeit auch in eine andere Stadt Galiziens oder der Bukowina verlegen. Ohne ein entsprechendes Institut als Kernorganisation war die Mobilität der (potenziellen) Mitglieder problematisch.534 Während die anderen beiden Sektionen durch die Verbindung mit Lehrstühlen der Universität Lemberg akademischen Nachwuchs produktiv einbinden konnten, galt das für die MPL-Sektion nicht. Folgerichtig konnte weniger neues Personal in die Organisation einbezogen werden. Letztlich kann aber nicht von der Hand gewiesen werden, dass die Sektion durch die Konzentration auf »nationale Wissenschaft« unter Hrusˇevs’kyj ebenso geringe Unterstützung durch den Vorsitzenden erfuhr, wie die rechtswissenschaftliche Kommission. Bei der Gründung der Ukrainischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Kiew, die Hrusˇevs’kyj zum Großteil dem NTSˇ nachempfand, schrieb er unmittelbar fest, die Forschungen der neuen naturwissenschaftlichen Sektion sollten »speziellen Bezug zum ukrainischen Volk und zur Ukraine haben.«535 Wie fast alle Beispiele der Sektions- und Kommissionsarbeit zeigen, basierte diese auf der Initiative einiger weniger Fachleute in Lemberg, wobei sich die anfängliche Aktivität später entfalten konnte. Dies verdeutlicht auch die kurzlebige physiographische Kommission, die 1909 auf Initiative Ivan Rakovs’kyjs gegründet worden ist. Durch längere Abwesenheit, Krankheit und Forschungsaufenthalte ihres Gründers hielt sie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs nur eine einzige Sitzung ab.536 Erst mit ansteigenden Beitritten junger Wissenschaftler im frühen 20. Jahrhundert wandelte sich die Situation, allerdings vorrangig für die geisteswissenschaftlichen Organisationen.537 Ein Vergleich der 534 Ebd., S. 6–9. 535 Hrusˇevs’kyj 1908, S. 6. 536 Gründungssitzung der physiographischen Kommission, 10. Juni 1909, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 1–2. Die Kommission wurde erst in der Zwischenkriegszeit reaktiviert, vgl. das Sitzungsprotokoll vom 14. Februar 1922, ebd., ark. 2–3zv. Zu Rakovs’kyjs Biographie vgl. Holovac’kyj 2004. 537 Vgl. im Vergleich dazu die Aktivität der MPL-Sektion: Die Sitzungen vom 4. April 1900 (ark. 13zv), 18. Juli 1901 (ark. 15), 20. Juni 1902 (ark. 19) und 27. Juli 1902 hatten nur drei Teilnehmer; die Sitzungen vom 3. April 1901 (14zv) und 28. Oktober 1901 (16zv) je vier. Auch vor der Reformierung verzeichneten die Sitzungen keinen großen Andrang, die Sitzung vom 15. Februar 1896 (ark. 8) wurde nur unter dem Beisitz dreier Personen abgehalten. Gemessen an der Länge der Protokolle waren die Sitzungen auch kürzer und weniger diskussionsin-

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Sektionen nach Sitzungsteilnahme ist jedoch nicht möglich, da nur die MPLSektion Anwesenheitslisten in dieser Konsequenz führte.538 In den späteren Jahren steigerte sich die Anwesenheit bei den Sitzungen durch einige Nachwuchskräfte, reduzierte sich im Jahr 1912 allerdings wieder,539 außerdem fanden Sitzungen, abgesehen von Schwerpunkten in den Jahren 1909 und 1911, immer seltener statt. Die MPL-Sektion musste mit der geringsten Zahl lokaler Wissenschaftler und wirklicher Mitglieder arbeiten, weshalb sie kaum Durchsetzungskraft gegenüber dem Vorsitzenden und seiner ›Clique‹ aufbrachte. Einen vergleichbaren Fall stellt die rechtswissenschaftliche Kommission dar, die Hrusˇevs’kyj weitestgehend aus dem Vereinsleben auszuschließen suchte. Diese zeitweise äußerst aktive und produktive Kommission avancierte unter dem neuen Vorsitzenden zum Politikum, das letztlich aus dem Verein gedrängt wurde. Dieses Beispiel sei im Folgenden ausführlicher beleuchtet, zumal diese Episode auch das Verhältnis der zuvor skizzierten Wissenschaftsideologie zur Vereinspolitik erhellt. Die rechtswissenschaftliche Kommission war kein genuin vom NTSˇ hervorgebrachtes, sondern– wie auch die Zorja – ein zuvor in den Reihen der narodovci bestehendes Netzwerk, das der Verein übernahm. Erste Mühen um eine institutionelle Vereinigung von Juristen der narodovci sind in der Gründung des Studentenvereins Kruzˇok pravnykiv (Juristenzirkel) an der Lemberger Universität zu sehen, welcher sich mit der Arbeit an ukrainischer Rechtsterminologie befasste.540 Der Zirkel gab den Cˇasopys pravnycˇa (Rechtswissenschaftliche Zeitschrift) von 1889 bis 1891 als Privatveröffentlichung heraus, um den sich vor allem Kost’ Levyc’kyj und Jevhen Olesnyc’kyj bemühten.541 Sie widmeten sich in den Folgejahren vor allem der Terminologieentwicklung und Abhandlungen zum cisleithanischen Recht. Ende des Jahres 1893 nahm der Ausschuss des NTSˇ den Vorschlag Levyc’kyjs an, die Zeitschrift ins Vereinsprogramm aufzunehmen,

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tensiv als die anderer Sektionen. Alle Angaben nach Protokollbuch der MPL-Sektion (bis 1913), CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39. So hat die historisch-philosophische Sektion die Anwesenden willkürlich im Wechsel protokolliert oder nicht protokolliert, (vgl. exemplarisch die Protokolle vom 5. Januar 1903 bis zum 26. November 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 49–55) oder auch anwesende Gäste nur als »Gäste« ohne Anzahl oder Namen aufgelistet. Ebd. ark. 52. Gemeint sind u. a. Rudnyc’kyj und Rakovs’kyj, wobei der letztere zunächst als Lehrer in Kolomea / Kolomyja gebunden war, bis er nach Lemberg versetzt wurde. Zur Anwesenheit vgl. die Protokolle vom 26. April 1904 bis zum 25. Juni 1912, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39, ark. 22–42zv. Trotz dieser allgemeinen Trends fanden sowohl besser besuchte Sitzungen in der frühen Phase (vor allem dann, wenn nicht-Sektionsmitglieder aus dem Ausschuss partizipierten) als auch schlechter besuchte Sitzungen in den späteren Jahren statt. Levyc’kyj 1928, Slovo, S. 1. Petriv, 2014, S. 6.

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wobei Levyc’kyj selbst als Redakteur vorgesehen war.542 Die mitarbeitenden Rechtswissenschaftler sind in die historisch-philosophische Sektion aufgenommen worden. Die Übernahme führte dazu, dass die Sektion zwischen 1893 und 1895 in zwei Teilen agierte, einem historischen und einem rechtswissenschaftlichen, welche nach den im Protokollbuch registrierten Wortmeldungen tatsächlich autonom voneinander agierten.543 Diese Teilung war laut Statut nicht vorgesehen und wurde deshalb 1895 aufgelöst,544 wobei die Frage im Zuge der Statutenreform des Jahres 1898 neu aufkeimte. Die Praxis der Kommissionsgründungen ermöglichte den Rechtswissenschaftlern ein eigenes Diskussionsforum, das jedoch nicht den vereinspolitischen Status einer Sektion hatte. Auf der Generalversammlung 1898 verhandelten die Mitglieder über die Namensgebung der historisch-philosophischen Sektion und diskutierten den Zusatz »rechtswissenschaftlich« mit aufzunehmen.545 Pavlyk beantragte, die Bezeichnung ›historisch-philosophische Sektion‹ weiterhin zu führen, weil dies auch in anderen wissenschaftlichen Gesellschaften üblich wäre. Nach einer längeren Debatte, in der er von Franko und Hrusˇevs’kyj unterstützt wurde, stimmte die Mehrheit für seinen Vorschlag.546 Neue Dynamik in das Vereinsleben im Allgemeinen und die rechtswissenschaftliche Kommission im Speziellen brachte der junge Rechtswissenschaftler Stanislav Dnistrjans’kyj. Er wurde 1870 in Tarnopol/Ternopil’ geboren und schloss dort das Gymnasium im Alter von 18 Jahren ab, um anschließend ein Studium der Rechtswissenschaft in Wien aufzunehmen. Hier wurde er 1894 promoviert und setzte seine wissenschaftliche Tätigkeit mit Unterstützung des Kultusministeriums im Deutschen Reich fort. Am 1. April 1899 bestritt er erfolgreich das Habilitationskolloquium an der Universität Lemberg und erhielt die venia legendi für österreichisches Privatrecht mit ruthenischer Vortragssprache. Im selben Jahr wurde Dnistrjans’kyj zum wirklichen Mitglied der historisch-philosophischen Sektion des NTSˇ ernannt.547 Im Folgejahr übernahm er den Vorsitz der rechtswissenschaftlichen Kommission sowie die Herausgabe 542 Protokoll der Ausschusssitzung vom 28. Dezember 1893, CDIAL f. 309, op. 1, spr. 33, ark. 16zv–17; vgl. auch ark 23zv. 543 Protokolle der historisch-philosophischen Sektion vom 11. Juni 1893–24. Oktober 1895, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 5–11zv. 544 Zajceva 2006, S. 105. 545 Ein lancierter Vorschlag lautete »Historisch-philosophische Sektion mit rechtswissenschaftlicher Subsektion«, Rechenschaftsbericht des NTSˇ-Ausschusses für das Jahr 1898, 1899, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 24, ark. 4. 546 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 74–79zv, hier ark. 76. 547 Schreiben Dnistrjans’kyjs an das Professorenkollegium der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 1899, einschließlich Publikationsliste und Curriculum vitae, Personalakte Dnistrjans’kyjs, DALO, fond 26, op. 5, spr. 584, ark. 132–135zv.

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ihrer Zeitschrift, die in den folgenden zehn Bänden bis 1912 unter dem Titel ˇ asopys pravnycˇa i ekonomicˇna (Rechtswissenschaftliche und Ökonomische C Zeitschrift) erschien. Mit dieser Ergänzung suchte Dnistrjans’kyj neuen soziologischen und ökonomischen Ansätzen in der Rechtswissenschaft Rechnung zu tragen, die vor allem in seinen eigenen rechtssoziologischen Arbeiten, insbesondere in seinem Aufsatz zum Einfluss ›sozialer Verbände‹ auf das Gewohnheitsrecht, zur Geltung kamen. Dabei handelt es sich um ein Rechtsverständnis, das sich nicht aus geschriebenem Gesetz, sondern praktizierter Norm ableitet.548 Deshalb waren auch ethnographische Informationen über lokale Normen von großem Interesse und sollten der Kommission mittels ausgesandter Fragebögen zugetragen werden.549 Die Zeitschrift wollte »zur vollständigen Gleichberechtigung unserer Sprache in Wissenschaft und Verwaltung«550 beitragen, doch obgleich sie auch eine terminologische Abteilung pflegte und Dnistrjans’kyj selbst seit 1900 an einem ukrainischen Rechtswörterbuch arbeitete,551 war dieser Aspekt nicht allein in linguozentristischer Perspektive, sondern gleichzeitig in politischer und rechtlicher Sicht zu verstehen. Etwa mit Berichten über jüngste Urteile war die Zeitschrift klar auch an praktizierende Anwälte gerichtet. Dnistrjans’kyj war nicht nur Herausgeber der Zeitschrift, sondern auch ihr aktivster Autor. In seinen Erinnerungen an diese Arbeit hob er nicht nur terminologische Schwierigkeiten – auch in der universitären Lehre, zumal er selbst bis zum Antritt seiner Stelle nur deutschsprachig arbeitete – hervor, sondern auch einen Mangel an Mitwirkenden.552 Seine rechtssoziologischen Annahmen waren nicht nur einflussreich für die ukrainische Rechtswissenschaft und seinen zuvor vorgelegten Nationsbegriff, sondern auch für seinen individuellen Werdegang und die Neuausrichtung von Teilen der rechtswissenschaftlichen Kommission. Dnistrjans’kyj verstand den Staat nicht als einzige Organisationsform, die Gesetze hervorbrachte, sondern wies diese Funktion allen ›sozialen Verbänden‹ zu. Diese gliederte er in ›organische‹ – Familie, Geschlecht, Stamm, Staat und Volk – und ›organisatorische‹ – Kirche, Klasse, Partei, Verein.553 Jeder dieser Verbände hätte eine »eigene 548 Ehrlich 1913, S. 374. ˇ asopys pravnycˇa i ekonomicˇna 1 (1900), S. 5f. Dnistrjans’kyj nutzte lokales Rechtsver549 C ständnis zur Untermauerung seiner rechtssoziologischen Theorien, allerdings verfolgte er diese Forschung später im Besonderen weiter. Vgl. das unveröffentlichte Manuskript Dnistrjans’kyj, Stanislav: Rodynne pravo Zakarpats’koji Ukrajiny, DATO, fond R-3430, op. 1, spr. 37. ˇ asopys pravnycˇa i ekonomicˇna 1 (1900), S. 6. 550 C 551 Dnistrians’kyj an Franko, 19. Oktober 1900, IL VR, fond 3, N1629, ark. 417. 552 Dnistrjans’kyj 1928, Nasˇi pravnycˇi cˇasopysy; Schema naukovych prac’ profesora St. S. Dnistrjans’koho, DATO, fond R-3430, op. 1, spr. 88, ark. 1a(zv). 553 Potul’nyc’kyj 1992, S. 171.

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Rechtsordnung«, die auf seinen »sozialethischen Grundsätzen«554 basieren würde, wobei die Verbandsorganisation der Interessenwahrung diente. Der Staat wäre anderen Verbänden durch kodifiziertes Recht, den Verwaltungsapparat und Zwangsmittel überlegen.555 Allerdings seien die Rechtsbedürfnisse des ›Volkes‹ nach Dnistrjans’kyj dynamischer als geschriebenes Recht.556 Zumindest aus ukrainischer Perspektive hat er als zentraler Vordenker des Gewohnheitsrechts zu gelten und redete lokalen und regionalen ruthenischen/ukrainischen Perspektiven in den Imperien das Wort. Er verfolgte diese Forschungen während der Zwischenkriegszeit als Professor an der Freien Ukrainischen Universität Prag weiter, wobei er in engem Austausch mit der deutschsprachigen Rechtswissenschaft blieb.557 Trotz einiger Gemeinsamkeiten entwickelte er seine Theorie vor und unabhängig vom Rechtssoziologen Eugen Ehrlich (1862–1922),558 womit auf ein Innovationspotential zu verweisen ist, das sich aus der politischen Marginalisierung der ukrainischen Bevölkerung Galiziens ergab. Dieses Rechtsverständnis war für ihn allerdings nicht nur eine theoretische Annahme, er zog auch praktische Folgen daraus. Wie seine Bemühungen in der Lemberger Universitätsfrage zeigten, war eine rein auf Recht basierende Argumentation unter galizischen Verhältnissen nicht von Erfolg gekrönt. Angesichts des skizzierten dynamischen Rechtsverständnisses lehnte er historische Argumente außerdem prinzipiell ab.559 Die strategische Folge, die er als Wissenschaftler und Politiker aus diesem Problem zog, war eine Hinwendung zur Statistik. 1906 regte er die Gründung einer statistischen Kommission des NTSˇ an, in der er sich vor allem gemeinsam mit Volodymyr Ochrymovycˇ, mit dem er schon in der rechtswissenschaftlichen Kommission kooperierte, der Konstruktion nationaler Mehrheitsverhältnisse im Kronland durch die Umgangssprachenstatistik annahm (Kap. 7). Der Statistik maß er überdies besondere Bedeutung zu, um als Politiker im Sinne des ›Volkes‹ agieren zu können und plädierte deshalb für detaillierte ethnographisch-statistische Forschungen in ländlichen Regionen Galiziens, die auskunftskräftig für nationale Verhältnisse wären.560 Sowohl die rechtswissenschaftliche als auch die statistische Kommission erhielten damit seitens Dnistrjans’kyjs eine politische 554 Dnistrzan´ski 1906, S. 100. 555 Potul’nyc’kyj 1992, S. 171f. 556 »Das Naturrecht existiert nicht: das Recht ist nicht unveränderlich, ist nicht im menschlichen Herzen tief eingegraben, ist keine Abstraktion, die aus den aprioristischen philosophischen Erwägungen sich deduktiv ergeben möge – es ist vielmehr ein Erzeugnis der Bedürfnisse des Gesellschaftslebens und unterliegt mitsamt den letzteren einer fortwährenden Fluktuation.« Dnistrzan´ski 1906, S. 164. 557 Schema naukovych prac’ profesora St. S. Dnistrjans’koho, DATO, fond R-3430, op. 1, spr. 88. 558 Darauf verweist Eugen Ehrlich selbst, Ehrlich 1913, S. 299. 559 Dnistrian´skyj 1907; Dnistrjanskyj 1916. 560 Dnistrjans’kyj 1910, Narodna statystyka.

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Mission. Der Fokus auf das gegenwärtige Österreich-Ungarn, den die rechtswissenschaftliche Kommission vertrat, hatte aus Perspektive führender Vereinsakteure »mit unserer nationalen Wissenschaft nicht viel gemeinsam«, dennoch würden sie wesentliche Gelder des Vereins beanspruchen.561 Zum Zeitpunkt dieser informellen, brieflichen Nennung war die Wissenschaftsideologie noch nicht expliziert, so dass dieses Argument vor allem als räumliche und sprachliche Abweichung vom gewünschten Forschungsgegenstand verstanden werden kann. Dagegen übernahm der Vereinspräsident selbst vorübergehend die Leitung der statistischen Kommission und betonte in den einleitenden Worten einer ersten Publikation, dass die Statistik ein zentrales Medium »zur Beschreibung unseres gesellschaftlichen, kulturellen und nationalen Lebens« wäre. Die Kommission könne zwar keine Parallele zu den Statistikbehörden des Staates oder des Landes darstellen, aber »die Aufgabe wird sein, die offizielle Statistik zu korrigieren«, so dass er das Projekt unterstützte, auch wenn es sich anfänglich nur »auf den gesamten Raum der österreichischen Ukraine« beschränkte.562 Die statistische Kommission ist 1906 unausgesprochen als Ersatz für die rechtswissenschaftliche gegründet worden. Die letztere hatte unter der Präsidentschaft Hrusˇevs’kyjs keinen den Geisteswissenschaften ebenbürtigen Status, nicht nur aufgrund der skizzierten Reorganisation, sondern auch in finanzieller Hinsicht. Während andere Zeitschriften aus der Vereinskasse und mit den allgemeinen Subventionen unterhalten wurden, musste Dnistrjans’kyj selbst 1902 beim galizischen Landtag um die Finanzierung der Zeitschrift ansuchen.563 Die Zeitschrift erschien noch regulär bis 1906, dann wurde sie unerwartet eingestellt. Dnistrjans’kyj ist 1907 als Abgeordneter in den Reichsrat gewählt worden und war entsprechend anderweitig gebunden. Er arbeitete zumeist in Wien und ließ sich auch in der universitären Lehre durchgehend vertreten oder veranstaltete seine Seminare am Wochenende.564 1909 gründete er den Verein UkrainischRuthenischer Juristen,565 der als Fortsetzung der juristischen Arbeit der rechtswissenschaftlichen Kommission zu verstehen ist, die zwischenzeitlich in aller Stille ihre Arbeit einstellte und schließlich aufhörte zu existieren. Bevor dieser neue Verein seine Zeitschrift veröffentlichte, drängte Dnistrjans’kyj Hrusˇevs’kyj brieflich dazu, wie versprochen eine letzte Ausgabe der rechtswissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlichen, nicht nur um »eine gerade Anzahl von zehn 561 Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 180. 562 Hrusˇevs’kyj 1906, Zavjazennje, S. 309. 563 Z komisyji pravnycˇoji Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka. L’viv, 28. cˇervnja 1902, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 62, ark. 33–33zv. 564 Personalakte Dnistrjans’kyj, Universität Lemberg, DALO, fond 26, op. 5, spr. 584, ark. 25–46. 565 Pravnycˇnyj Vistnyk 1 (1910), 58; vgl. auch Dnistrjans’kyjs Fördergesuch der Vereinszeitschrift, weitergeleitet von der Statthalterei für Galizien an das CUM, 28. August 1911, AVA Unterricht CUM allg. 37349/1911.

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Vereinsgeschichte: Vom Literatur- zum Wissenschaftsverein

[Bänden, M. R.]« zu erreichen, sondern vor allem »um diejenigen zu befrieden, die wütend darüber sind, dass die Zeitschrift für zwei Jahre nicht erscheinen konnte.«566 Offenbar hatten beide eine Absprache darüber getroffen, die rechtswissenschaftliche Arbeit im Verein zu beenden, wobei die ökonomischen und soziologischen Aspekte der Kommissionstätigkeit von der 1906 neu gegründeten statistischen Kommission übernommen werden sollten. Worin aber bestand der Interessengegensatz dieser beiden wichtigen Vereinsakteure? Zunächst stand der vorab skizzierte Streit um die Frage, ob ›ukrainische Wissenschaften‹ oder Wissenschaften in ukrainischer Sprache Gegenstand der Vereinstätigkeit sein sollten. Dies betraf nicht nur die im Verein gepflegte Wissenskultur, sondern auch Macht- und Abstimmungsverhältnisse innerhalb der Sektionen und basierend darauf den Umgang mit verfügbaren Geldern. Schnell erhielt dieser Konflikt auch eine starke persönliche Komponente, zumal Dnistrjans’kyj bereits beim vorläufig größten Zerwürfnis des Vereins mit Hrusˇevs’kyj ein zentraler Kritiker der Vereinsleitung war.567 Die versuchte Marginalisierung Dnistrjans’kyjs hatte nicht nur finanzielle, sondern auch persönliche und vereinspolitische Gründe, wobei mangelnder Nachwuchs und nicht zuletzt die politische Tätigkeit der zuvor aktivsten Kommissionsmitglieder die abfallende Produktivität bedingten. Vereinspolitik und Wissenschaft ließen sich dementsprechend nicht so einfach voneinander trennen, wie es die Reformstatute postulierten. Inwiefern gemeinsame und individuelle Ziele den Weg des Vereins zu einer respektierten wissenschaftlichen Organisation beeinflussten, wird das folgende Kapitel zeigen.

566 Dnistrians’kyj an Hrusˇevs’kyj, 21. April 1909, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 453, ark. 39–42zv, Zitat ark. 40zv. 567 Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 180.

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4.

Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

Vor dem Hintergrund der skizzierten inneren Vereinsentwicklung wird nun im Folgenden anhand zentraler wissenschaftspolitischer Herausforderungen betrachtet, wie der Verein suchte, in die (galizisch-) ukrainische Öffentlichkeit zu dringen und den sprichwörtlichen Elfenbeinturm zu verlassen. Als Sprachrohr der Wissenschaftler bemühte sich das NTSˇ, auf das cisleithanische bzw. galizische Schul- und Bildungssystem einzuwirken, damit dies für die Ausbildung ukrainischsprachiger und ukrainisch-national orientierter Fachkräfte eine förderlichere Gestalt annahm. Vereinsmitglieder schalteten sich nicht nur in Debatten um die Verbesserung des Unterrichts in ukrainischer Sprache ein,568 das NTSˇ spendete auch regelmäßig kleinere Geldbeträge für private Schulgründungen und sandte (privaten) Schulen – etwa der Prosvita-Handelsschule – kostenlos diverse Vereinspublikationen zu.569 Das Volks- und Mittelschulwesen war jedoch kein primäres Aktivitätsfeld des Vereins, zumal sich die Lehrerschaft in gesonderten Vereinen organisierte, die sich gezielt didaktischen Fragestellungen sowie dem Ausbau des privaten Schulwesens widmeten. Als Zentrum ukrainischer Wissenschaft, das dezidiert von Professuren und deren Möglichkeiten der Einbindung von Studenten in die Vereinstätigkeit profitieren konnte, hatte das NTSˇ ein durchaus vitales Interesse an der Umgestaltung der Universität Lemberg, dem sukzessiven Ausbau ukrainischsprachiger Lehre, an der Gründung einer eigenständigen ukrainischen Universität und anderen Formen der Institutionalisierung ukrainischer Wissenschaft. Während sich eine staatliche ukrainische Institution trotz diverser Versuche nicht realisieren ließ, ist dennoch instruktiv zu untersuchen, inwiefern das NTSˇ in diese Initiativen eingebunden war. Daraufhin wird nach alternativen Wegen gefragt, durch die der Verein das Fehlen einer stetigen, staatlich betriebenen ukrainischen Forschungs- und Ausbildungseinrichtung zu kompensieren suchte. Im 568 Memorandum an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 25. Mai 1902, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 59, ark. 5. 569 Chronika NTSˇ 57 (1914), Nr. 1, 46.

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Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

Zuge dieser Maßnahmen konnte der Verein, so meine These, zu einem alternativen Wissenschaftszentrum auf organisatorischer Ebene avancieren und für die Institutionalisierung ukrainischer – explizit: nicht ruthenischer – Wissenschaft sogar eine staatliche Teilfinanzierung einwerben.

4.1

Die ›Universitätsfrage‹

»Es begannen Kriegshandlungen gegen alles, das sich ukrainische Kultur nannte, gegen unsere Schulangelegenheiten und alles Streben nach höherer Kultur.«570 Stanislav Dnistrjans’kyj, 1928

Dnistrjans’kyjs Erinnerung zeigt eine Rückschau auf die Universitätsbestrebungen, die mit ersten Vorstößen im ausgehenden 19. Jahrhundert begannen. Während sich Dnistrjans’kyj als ein zentraler Akteur dieser Angelegenheit klar auf einen »politischen Kampf«571 bezog, verweist die martialische Sprache auf die rasche Radikalisierung dieses Problems. Zu diesem Abschnitt der galizischen Geschichte liegen zahlreiche Forschungen vor,572 doch mangelt es meist an der Verortung des NTSˇ als Knotenpunkt der Verflechtung von Wissenschaftlern, politischen Parteien und der ukrainischen Studierendenschaft. Dnistrjans’kyjs Aussage illustriert den Gegensatz, der für den NTSˇ zur politischen Realität wurde: Der Wunsch nach friedfertiger, produktiver Wissenschaftsentwicklung gegenüber systematischer Unterdrückung und dadurch letztlich die Verstrickung in Politisierung und bisweilen Radikalisierung. Träger der Gewalt war zwar die (männliche) Studierendenschaft, doch mit dieser war das NTSˇ eng verflochten, ja sie radikalisierte sogar konservativere Positionen der Wissenschaftler. Zunächst begannen die Initiativen zur Veränderung des Status quo an der Universität Lemberg ohne Dnistrjans’kyjs oder Hrusˇevs’kyjs Teilnahme. Danylo Tanjacˇkevycˇ (1842–1906), konservativer narodovec’ und Mitglied des NTSˇ,573 legte 1898 im Abgeordnetenhaus des Reichsrats eine Interpellation an den Minister für Cultus und Unterricht vor, mit der er die »Polonisierung« der Universität Lemberg anprangerte. Die zuvor festgelegte Gleichberechtigung der Landessprachen an der Universität würde durch die Allerhöchste Entschließung vom 27. April 1879, die die polnische Sprache als Amtssprache der akademischen Behörden Galiziens festlegte, gebrochen. Der Abgeordnete kritisierte, dass dadurch »das polnische Element in den Vollgenuss des jus possidendi eintrat«, mit 570 571 572 573

Dnistrjans’kyj 1928, V universytets’kij spravi, S. 2. Ebd. Vgl. die Literatur in Rohde 2019, Innerimperiale Lernprozesse? Voznjak 1942; Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 74–79zv, hier ark. 76.

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Die ›Universitätsfrage‹

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erheblichem Einfluss »auf die culturellen Bedürfnisse, auf die culturelle Entwickelung des ruthenischen Volkes«574. Beschwerden widmeten sich nicht nur der Sprache als Medium der Lehre und des Alltagsgeschäfts, sondern auch der systematischen Benachteiligung des wissenschaftlichen Personals: akademischer Nachwuchs hätte keine Stellen an den universitären Instituten erhalten können und Berufungen von Professoren mit ruthenischer Nationalität bzw. Vortragssprache würden nur zögerlich vollzogen.575 Der Problematisierung folgte eine Liste von Ansuchen, die den Minister im Allgemeinen aufforderten, sich gegen die ›Polonisierung‹ zu positionieren und praktische Schritte zu ergreifen, die den Status der ukrainischen Wissenschaftler verbessern sollten, darunter die Besetzung neuer Lehrkanzeln und Dozenturen sowie die finanzielle Förderung für wissenschaftlichen Nachwuchs und Habilitierende.576 Die Rhetorik Tanjacˇkevycˇs konzentrierte sich dabei nicht nur auf die grundgesetzlich proklamierte ›Gleichberechtigung aller Volksstämme‹, sondern auch auf die Untermauerung einer nationalen ›Reife‹, wie sie polnische und imperiale Diskurse zur gleichberechtigten Teilhabe am wissenschaftlichen Leben voraussetzten. Hierbei kam dem NTSˇ eine neue Symbolfunktion zu. »[U]nter Führung ihres energischen, ausdauernden und hochgebildeten Vorstandes, des Universitätsprofessors Michael Hruszewskyj« – der zu diesem Zeitpunkt erst ein Jahr als Vereinspräsident amtierte – hätte das NTSˇ in der kurzen Zeit nach seiner Reformierung erstaunliche Produktivität bewiesen. Daraufhin listete Tanjacˇkevycˇ, wie dies in vergleichbaren Anträgen üblich werden sollte, detailliert Periodika, Schriftenreihen und wichtige Monographien aus dem Portfolio des NTSˇ als Belege auf.577 Abgesehen von der Untermauerung seiner Forderungen illustrierte Tanjacˇkevycˇ ein neues Selbstbewusstsein im Feld der Wissenschaft, das sich gezielt aus dem NTSˇ und der Person Hrusˇevs’kyjs speiste. Ukrainische Studierende begannen sich erstmals auf einer Versammlung im Juli 1899 systematisch und gruppenübergreifend zu organisieren. Rund 500 Teilnehmer und Teilnehmerinnen578 sprechen für die Relevanz der Veranstaltung, zahlreiche Telegramme von Lehrern, Vereinen, Schulen und Privatpersonen aus zahlreichen Städten (Ost-) Galiziens, außerdem aus Wien, Prag und Czernowitz, illustrieren ihre öffentliche Wirksamkeit.579 Die Ereignisse des Vorjahres stellen wichtige Momente der Nationalisierung dar, die die gebildete

574 StP AH, 31. Sitzung der XV. Session, 20. Dezember 1898, S. 2132–2142, hier S. 2137. Hervorhebung im Original. 575 Ebd., S. 2137–2141. 576 Ebd., S. 2141f. 577 Ebd., S. 2139f., Zitat S. 2139. 578 Kacˇmar 1999, S. 34. 579 Krusˇel’nyc’kyj 1899, S. 39–47.

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Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

Jugend miteinbezogen: die Badeni-Krise,580 gefolgt von Frankos Kritik an der Gesinnung der polnischen Eliten Galiziens sowie die literarischen Jubiläen des Jahres 1898. Franko war auch deshalb eine zentrale Identifikationsfigur für die Universitätswünsche, weil seine 1895 angestrebte Habilitation als Privatdozent mit Verweis auf seine politische Vergangenheit verweigert worden war.581 Das NTSˇ und seine Aktivitäten, auch die publizistischen Stellungnahmen Hruˇsevs’kyjs zu diesem Thema,582 beeinflussten die ukrainische akademische Jugend insbesondere durch die dem Verein nahestehende Akademicˇna hromada. Sie agierte als Vermittlungsinstanz, wie im Rahmen des Franko-Jubiläums bereits illustriert wurde. Auch in den Vorträgen auf der studentischen Versammlung ist ein gewachsenes Selbstbewusstsein ukrainischer Wissenschaft durch das NTSˇ artikuliert worden.583 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Ziele der Versammlung deutlich über das Programm des konservativen Tanjacˇkevycˇ hinausgingen. Ein von 449 Studentinnen und Studenten sowie 57 Maturantinnen und Maturanten unterzeichnetes Memorandum forderte die Gründung einer vollständigen, separaten ukrainischen Universität; die Gründung einiger Lehrstühle wurde als unzureichend abgelehnt.584 Politisch blieben diese Proteste ungehört, wie auch vergleichbare Vorstöße in den Folgejahren.585 Die parallele Ignoranz des Staates gegenüber einfacher zu realisierenden, staatskonformen Lösungsvorschlägen beeinflusste langfristig die Haltung gemäßigter Politiker und Intellektueller. Als inneruniversitärer Lösungsversuch ist eine rechtswissenschaftliche Abhandlung Dnistrjans’kyjs zur Gleichberechtigung der Sprachen an der Universität zu verstehen, die er dem Professorenkollegium 1901 vorlegte.586 Dieser Vorstoß, der rechtliche Missachtungen sachlich schilderte und diesbezügliche eine Verbesserung innerhalb der existierenden Institution anstrebte, ist seitens des Kollegiums übergangen worden.587 Im Dezember 1901 erreichten die Vorstöße eine neue Ebene: anstelle

580 Diese Episode des deutsch-tschechischen Sprachenkonflikts beschränkte sich nicht auf Böhmen, sondern hatte auch lokale Effekte in Galizien, auch durch involvierte polnische Politiker in der Reichshauptstadt. Binder 2005, S. 227f. 581 Franko 1963. 582 Hyrycˇ 2002, S. 57. Die Nähe des Studierenden zum jungen Professor artikulierten sie auch, als sie anprangerten, dass er durch die politischen Verhältnisse an der Universität noch immer kein Seminar abhalten könnte und nicht in Prüfungskommissionen vertreten war. Krusˇel’nyc’kyj 1899, S. 15. 583 Krusˇel’nyc’kyj 1899, S. 20. 584 Ebd., S. 38. 585 Erst nach 1907 gewannen die Proteste durch einen aufsehenerregenden Hungerstreik und zunehmende Gewalt immer mehr an Aufmerksamkeit und durch die zunehmenden ruthenisch-ukrainischen Abgeordneten im Abgeordnetenhaus des Reichsrates (seit 1907 durch das allgemeine Männerwahlrecht) damit auch an politischem Gewicht. Binder 2006. 586 Publiziert als Dnistrjans’kyj 1902. 587 Dnistrjanskyj 1907.

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Die ›Universitätsfrage‹

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vorheriger Einzelinitiativen begann sich nun das NTSˇ dem Problem als Verein anzunehmen. Eine auf den 4. Dezember 1901 datierte Petition forderte erstmals die »Errichtung einer eigenständigen ruthenischen Universität zu Lemberg.«588 Wie auch schon das studentische Memorandum des Jahres 1899 bemühte die Petition, mit Jan Surman gesprochen, »the objective trinity«589 cisleithanischer Universitätswünsche: »law, history and statistics«. Argumente aus diesen Fachrichtungen zielten letztlich darauf ab, die postulierte Gleichberechtigung zu erlangen und dementsprechend an den »constitutionelle[n] Staat« zu appellieren. Gänzlich neu war, dass der Verein als solcher erklärte, die Herausforderungen bewältigen zu können und zu wollen, die die Einrichtung einer solchen Universität mit sich bringen würde.590 Mit einem ähnlichen Memorandum wurde 1902 eine Delegation des NTSˇ beim Cultus und Unterrichtsminister sowie dem Ministerpräsidenten vorstellig, der unter anderem Ivan Puljuj gehörte, der mit seinem Lehrstuhl in Prag als wohl international bekanntester ukrainischer Wissenschaftler dieser Zeit zu gelten hat. Puljuj setzte sich in der Diskussion dezidierter als die bisherigen Schriften mit möglichem Personal auseinander, doch letztlich konnte die Delegation nur eine Förderung für Nachwuchswissenschaftler und keine generelle Kursänderung erwirken.591 Dnistrjans’kyj spielte hierbei eine federführende Rolle, zumal er das erste Memorandum als stellvertretender Vorsitzender der historisch-philosophischen Sektion unterzeichnete und als Autor des zweiten Memorandums gilt.592 Klagen über den sprachlichen status quo fanden sich vom universitären Alltag bis hin zur Prüfungssituation. Dokumente wurden generell in polnischer Sprache ausgefertigt, was in den mehrheitlich ukrainischsprachigen Orten zu Problemen geführt habe.593 Symbolische Handlungen und Reden der Universitätsleitung fanden in polnischer Sprache statt und beinhalteten für die zunehmend sprachlich sensibilisierten ukrainischen Studierenden keine integrativen Momente. Erklärungen zur Bedeutung der Universität für die polnische Wissenschaft, etwa von einem ehemaligen Kultusminister, sind entsprechend negativ aufgenommen worden. Gleichzeitig handelt es sich bei vielen der vorgebrachten Aspekte um Probleme, die Lehr- und Forschungstätigkeiten erschwerten und 588 Petition der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften zu Lemberg um Errichtung einer selbstständigen ruthenischen Universität in Lemberg, 4. Dezember 1901, LNNB VR, fond 11, spr. 3676, ark 1. 589 Surman 2012, S. 154. 590 Petition der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften zu Lemberg um Errichtung einer selbstständigen ruthenischen Universität in Lemberg, 4. Dezember 1901, LNNB VR, fond 11, spr. 3676, ark 1zv.–2, Zitat ark 1zv. 591 Rohde 2019, Innerimperiale Lernprozesse? 592 Memorandum [betreffend die Universität Lemberg, 1902], verfasst von Stanislav Dnistrjans’kyj, CDAVO, fond 4465, op. 1, spr. 473. 593 Dnistrjans’kyj 1902, S. 37.

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Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

eine Integration verhinderten. In Kolloquien und mündlichen Prüfungen ist die Mehrsprachigkeit problematisch gewesen, wenn der oder die Geprüfte etwa in ukrainischer Sprache auf polnische Fragen antworten musste.594 Dabei gab es selbstredend konforme Akteure, die sich diese Problematik zunutze machen konnten: Der Geograph Rudnyc’kyj hielt seinen Probevortrag zur Habilitation 1908 anteilig in ukrainischer und polnischer Sprache, womit er sich die Sympathie der Kommission erarbeitet haben dürfte, zumal unter den 34 Anwesenden nur drei Ukrainer waren.595 Ein Gegenbeispiel zu diesem völlig problemlosen Ablauf findet sich zwei Jahre später, als der Historiker Stepan Tomasˇivs’kyj einen ersten Versuch der Habilitation unternahm. Der akademische Senat verweigerte aus politischen Gründen – verschärften Protesten um die Universität – die Weiterleitung der nötigen Dokumente an das Unterrichtsministerium. Letztlich konnte er sich erst 1911 habilitieren.596 Die Nationalisierung konnte damit individuelle Karrieren behindern; Anpassungsfähigkeiten an die damit einhergehenden Herausforderungen boten aber auch die Möglichkeit, sich als intermediär zu positionieren. Diese Schwierigkeit beschränkt sich nicht auf Studierende und Nachwuchswissenschaftler, sondern war auch im Professorencollegium spürbar. Hrusˇevs’kyjs Schwierigkeiten in diesem Gremium sind schon angesprochen worden; seine Weigerung, polnisch zu sprechen, war ein regelmäßiger Affront. Kyrylo Studyns’kyj unterstützte Hrusˇevs’kyj zwar prinzipiell und übersetzte bei Bedarf sogar für ihn, mahnte jedoch an, den Sprachenstreit im Professorencollegium nicht eskalieren zu lassen.597 Hiermit konnte er sich allseits als gemäßigter, diplomatischer und dafür respektierter Akteur etablieren. Hrusˇevs’kyj suchte hingegen, die Angelegenheit durch politische Einflussnahme zu lösen. Er wandte sich an das narodnyj komitet (Volkskomitee), die politische Zentrale der narodovci, das ihn allerdings darauf verwies, dass etwaige Anträge beim Ministerium für Cultus und Unterricht nur sinnvoll wären, wenn er sie nicht allein, sondern mit der Rückendeckung aller ruthenisch-ukrainischen Professoren stellen würde.598 Genau solche nahezu aussichtslosen Versuche würden die Stimmung jedoch nur weiter aufheizen, weshalb Studyns’kyj davon abriet.599 Die Studierenden waren nicht nur 1899, sondern auch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine aktive, sich stetig nationalisierende Gruppe, die dazu 594 Ebd., S. 35f. 595 Bericht des Philos. Professorenkollegiums über die Erteilung der venia legendi aus der Geographie mit ruthenischer Vortragssprache an Herrn Dr. Stefan Rudnicki, Beilagen, DALO fond 26, op. 5, spr. 1648, ark. 15, 22. 596 Chalak 1999, S. 40–42. 597 Studyns’kyj an Hrusˇevs’kyj, 13. Juni 1902, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 77, ark. 18f. 598 Narodnyj komitet an Hrusˇevs’kyj, 18. Juni 1902, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 77, ark. 20. 599 Studyns’kyj an Hrusˇevs’kyj, 13. Juni 1902, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 77, ark. 18f.

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Die ›Universitätsfrage‹

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beitrug, dass das Thema regelmäßig auf die politische Tagesordnung Galiziens sowie Cisleithaniens gesetzt wurde. Die sogenannte ›Sezession‹ von der Universität Lemberg bezeichnet die gezielte Abwanderung von rund 440 Studierenden an andere Universitäten der Habsburgermonarchie im Dezember 1901 für ein Semester.600 Das NTSˇ unterstützte diese Protestaktion, indem es in der ukrainischen Öffentlichkeit Gelder zur Unterstützung sammelte.601 Diese Aktion war durchaus aufsehenerregend und in manchen Fällen auch langfristig. Der bereits für den NTSˇ tätige Philologiestudent Zenon Kuzelja (1882–1952) kehrte nicht nach Lemberg zurück, sondern setzte sein Studium an der Wiener Universität fort. Hier blieb er bis 1908 eine wichtige Verbindungsperson zu Wiener Institutionen (Kap. 8.1). Mit Blick auf die Einrichtung einer separaten Universität blieb die ›Sezession‹ aber ebenso fruchtlos wie die sich in den folgenden Jahren häufenden Versammlungen und Proteste. Ein breites, internationales Echo erregten der Hungerstreik ukrainischer Studierender im Jahr 1907602 und die zunehmend gewaltsamer werdenden Proteste in den Folgejahren. Als Höhepunkt der Eskalation ist der Tod des protestierenden Adam Kocko im Jahr 1910 zu sehen. Dieser Zwischenfall verlieh den ukrainischen Bestrebungen politisches Momentum. Das Begräbnis wurde aufwändig inszeniert; der Leichenzug begann am akademicˇnyj dim (Akademisches Haus, ein Studentenwohnheim des NTSˇ) und endete auf dem berühmten Lycˇakivs’kyj-Friedhof. Laut eines Polizeiberichtes betonte der anwesende Hrusˇevs’kyj selbst, so wie auch andere Redner, »dass der Tod Kockos einen Schritt nach Vorwärts [sic!] in dem Kampfe um die Erlangung einer selbstständigen ruthenischen Universität bedeute.«603 Die gewünschte Universität wurde auch in den acht Folgejahren, trotz prinzipieller Einigung kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, nicht errichtet.604 Dem NTSˇ gelang es unterdes dennoch, sich gegenüber dem Staat als loyale, vermittelnde Instanz zu gebaren. In diesem Zusammenhang kann die drastisch steigende Vereinsfinanzierung – bei sich zeitgleich intensivierenden politischen Konflikten um die Universität – nicht als bloßer Zufall verstanden werden. Hiervon zeugt ein direkter Austausch zwischen galizischer Statthalterei, Unterrichtsministerium und Ministerium des Innern im September 1910. Zur Beruhigung der Verhältnisse in Lemberg tauschten sich die Ministerien mit führenden ukrainischen Politikern darüber aus, welche Maßnahmen hierbei hilfreich sein könnten. Neben Förderungsmaßnahmen für ukrainische Hochschullehrer ging es insbesondere um Förderungen für das NTSˇ und weitere Bildungsvereine. Kacˇmar 1999, S. 41–43. Hrusˇevs’kyj 1902, Sˇcˇo zrobyty. Surman 2010. Polizeidirektion Lemberg, Tages-Rapport, 4. Juli 1910, Nr. 119, AVA Inneres MdI Präs 7019/ 1910. 604 Ausführlich zu den weiteren Auseinandersetzungen Kacˇmar 1999. 600 601 602 603

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Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

Die Statthalterei zeigte sich kritisch gegenüber vielen Vorschlägen, auch um studentische Ausschreitungen nicht zu ›belohnen‹, die Förderung von Habilitanden und die Vereinssubventionen schienen aber offenbar als geringstes Übel, um die Situation zu beruhigen.605 Mit der Einführung des Allgemeinen Männerwahlrechts gelang es der UNDP, deutlich mehr Sitze im Abgeordnetenhaus zu erreichen als in den vorherigen Sessionen. Sie konnten damit ein von 31 Abgeordneten unterzeichnetes Memorandum zur Gründung einer »ukrainischen Universität«606 vorlegen, das Hrusˇevs’kyj verfasst hatte.607 Obwohl er sich längst von der Partei distanziert hatte und das NTSˇ sich mit Anfeindungen der Partei auseinandersetzen musste, war die sektorale Kooperation für dieses Ziel noch immer möglich. Als sich 1912 ein überparteiliches ukrainisches Komitee zur Einrichtung einer eigenen Universität bildete, lud es Hrusˇevs’kyj zur Teilnahme ein – mit einem Schreiben, das u. a. auch Pavlyk unterzeichnete.608 Diese Vorstöße blieben jedoch, wie auch vergleichbare Initiativen, gänzlich folgenlos.609 Zu konstatieren ist die (durch die Universitätsautonomie partiell rechtskonforme610 hochschulpolitische Unterdrückung ukrainischer Ambitionen. Koloniale Blickwinkel sind dabei durch wiederkehrende Verweise auf die nationale ›Unreife‹ ›der Ukrainer‹ (bzw. ›der Ruthenen‹) zum Ausdruck gekommen, die zum wirkmächtigen Argument der Ablehnung unterschiedlicher Gesuche wurden.611 Die kulturellen Diskurse um die angebliche Alterität der ukrainischen Bevölkerung hatten somit direkte bildungspolitische Folgen. In der dezidierten Betrachtung des NTSˇ und des wissenschaftlichen Nachwuchses lässt sich erkennen, dass es sich bei den ukrainischen Bestrebungen nicht um bloße nationale Symbolpolitik612 handelte, sondern um reale Bedürfnisse einer sich dynamisch entwickelnden Intelligenz. Dies belegt die rasche Nationalisierung der ukrainischen Studierendenschaft und ihre selbstgewählte Nähe zum NTSˇ. Das NTSˇ schaltete sich nicht nur in publizistische, politische und Expertendebatten ein, um die Einrichtung einer ukrainischen Hochschule und 605 Einsichtsakt des Ministeriums für Kultus und Unterricht, betreffend ein Schreiben an den Statthalter in Lemberg, in Angelegenheit der Erfüllung mehrerer ruthenischer Wünsche. 29. September 1910, AVA Inneres MdI Präs 9904/1910. 606 Beilagen zu den StP Ah, XVIII. Session 1907, Nr. 117. Eigene Hervorhebung. 607 Kommentar zu Hrusˇevs’kyj 2005, Memorijal, in ders. (Hrsg.) 2005, Tvory, t. 3, S. 544. 608 Mizˇpartijnyj Komitet dlja spravy ukrajins’koho unjiversytetu do M. S. Hrusˇevs’koho, 18. Juli 1912, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 86, ark. 26f. 609 Beilagen zu den StP Ah, XVIII. Session 1909, Nr. 1310; XIX. Session 1909, Nr. 245; XX. Session 1909, Nr. 488. 610 Binder 2006, S. 248–250. 611 Beispielsweise Twardowski 1907. 612 So Bachmann (2001, S. 160f.) angesichts des Streits um den Standort einer möglichen ukrainischen Universität.

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Nachwuchsförderung

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die Position der Studierendenschaft zu unterstützen. Zumal die hochschulpolitischen Ziele sich zumindest kurzfristig nicht erfüllen ließen, konzentrierte sich die Vereinsleitung zunehmend auf die materielle und ideelle Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.613

4.2

Nachwuchsförderung

Im reformierten NTSˇ, besonders aber ab der Präsidentschaft Hrusˇevs’kyjs, gehörten Unterhaltsstipendien für ambitionierte, aber finanzschwächere Studenten, Promovierende sowie einige wenige Habilitanden zu festen Posten des jährlichen Vereinsetats. Teilweise stammten diese aus dem regulären Budget, teilweise aus Fonds, die diverse Spender dem Verein zur Studienförderung überließen.614 Die Mitgliedschaft im Verein war keine Förderungsvoraussetzung, doch auch wenn die Vergabe nicht ausreichend transparent verlief, um sie rückwirkend als regelhaft darzustellen, war eine gewisse Nähe zum Verein oder einzelnen, vor allem leitenden, Akteuren definitiv förderlich, um ein Stipendium zu erhalten. Gerade in diesem Fall ist auch eine gewisse Flexibilität in der Reaktion auf akute materielle Notlagen der Geförderten zu beobachten.615 Besonders Studenten Hrusˇevs’kyjs, die sich etwa durch Rezensionen für die Zapysky in die Vereinstätigkeit einbrachten, finden sich häufig unter den Stipendiaten. Das liegt wiederum daran, dass Hrusˇevs’kyj auch Honorare, die ihm selbst für das Redigieren der Zapysky zustanden, als Stipendien ausschüttete.616 Ehemalige Stipendiaten blieben häufig in engem Kontakt zum Verein, wurden während ihrer späteren Laufbahn Mitglieder, übernahmen administrative Aufgaben, wirkten in Forschungsprojekten mit oder publizierten in Vereinsorganen.617 Das Schema der Nachwuchsförderung hatte dementsprechend großen Einfluss auf nachhaltiges scientific community building. Einer dieser Stipendiaten war Stepan Tomasˇivs’kyj. Er schloss das Gymnasium in Sambir mit Auszeichnung ab und schrieb sich 1896 an der philosophischen Fakultät der Lemberger Universität ein. Er studierte hauptsächlich Geschichte, 613 Auch hier räumte Hrusˇevs’kyj den Geisteswissenschaften bezüglich der Erziehung in ukrainischer Gesinnung unbedingte Priorität ein. Grusˇevskij 1907, S. 151–175. 614 Zajceva 2006, S. 305. 615 Protokoll der Ausschusssitzung vom 27. November 1904, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 34, ark. 55zv.–56, hier 55zv. 616 Zajceva 2006, S. 306. 617 Einschlägige Beispiele sind der Mediziner Hryc’ Harmatij und der Rechtswissenschaftler Ivan Makuch, die ihre spätere Karriere nicht direkt mit dem Verein verbanden, aber auch Stepan Tomasˇivs’kyj oder Volodymyr Hnatjuk. Chronika NTSˇ 5 (1901), S. 1, 4; Chronika NTSˇ 9 (1902), S. 1f.; Chronika NTSˇ 12 (1902), S. 4; Chronika NTSˇ 13 (1903), S. 1f. Zu Makuch vgl. seine Autobiographie Makuch 2001.

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Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

darunter bereits im ersten Semester bei Mychajlo Hrusˇevs’kyj. Tomasˇivs’kyj begann noch im selben Jahr, Literaturberichte zu aktuellen Zeitschriften für die Zapysky NTSˇ zu verfassen – eine Aufgabe, die er regelmäßig wahrnehmen sollte.618 Während seines Studiums war er langjähriger Stipendiat des Vereins und arbeitete im Ausschuss mit; noch vor dem Abschluss wurde er zum wirklichen Mitglied berufen.619 Zwischen 1901 und 1902 musste der junge Lehrer in Przemys´l/Peremysˇl’ unterrichten, 1903 beförderte der Landes-Schulrat Tomasˇivs’kyj zum Gymnasialprofessor und versetzte ihn nach Brzez˙any/Berezˇany. Hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war ihm mit dieser Relokalisierung kaum geholfen. Dem NTSˇ ging dieser wichtige Mitarbeiter zwar nicht gänzlich ›verloren‹, in Lemberg konnte er aber nur unregelmäßig präsent sein und damit auch keine administrativen Tätigkeiten mehr übernehmen. Hrusˇevs’kyj förderte seinen Schüler nach Kräften aus der Distanz. Ivan Krevec’kyj (1883–1940), seit 1905 Vereinsbibliothekar, schickte ihm regelmäßig Bücher, damit seine Forschungen nicht zum Erliegen kamen. Letztlich konnte Kyrylo Studyns’kyj seinen Einfluss geltend machen, um Tomasˇivs’kyj Ende des Jahres 1906 eine Stelle bei der Filiale des akademischen Gymnasiums Lemberg zu verschaffen. Mit seiner Rückkehr nahm er umgehend wieder administrative Funktionen im Verein wahr.620 Finanzielle und administrative Unterstützungen des Vereins ermöglichten ihm einen längeren Forschungsaufenthalt im Vatikan.621 Mit anderen Stipendiaten, die nahezu zeitgleich oder nur wenig später das Vereinsleben bereicherten, teilte er einige biographische Stationen. So begann er nur kurze Zeit nach Hnatjuk das Studium an der Universität Lemberg und trat der Akademicˇna hromada bei, die jener leitete. Die Studentenverbindung organisierte sich in wissenschaftlichen Sektionen ähnlich dem NTSˇ. Tomasˇivs’kyj teilte sich diese Konstellation mit weiteren angehenden ukrainischen Wissenschaftlern, unter ihnen Myron Korduba und Rudnyc’kyj, die auch mit dem NTSˇ arbeiteten und wenige Jahre später alle zu wirklichen Mitgliedern wurden.622 Es handelt sich hierbei um die erste Generation wissenschaftlicher ›Zöglinge‹, die unter Hrusˇevs’kyj akademisch ausgebildet wurden und lebenslang in der ein oder anderen Weise mit dessen Wissenschaftskonzept verbunden blieben. Sie alle bereicherten den Verein durch ihre individuellen Tätigkeiten; während Hnatjuk und Tomasˇivs’kyj dauerhaft in Galizien blieben, bildeten sich Korduba

618 619 620 621 622

Chalak 1999, S. 26. Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 24, 62f.; Chronika NTSˇ 5 (1901), f. 1, 4; Chronika NTSˇ 9 (1902), f. 1. Chalak 1999, S. 32–34; Chalak 2013, S. 343–347. Chronika NTSˇ 50 (1912), S. 15–17. Chalak 1999, S. 30; zu Rudnyc’kyj vgl. Kap. 8.2, zu Korduba vgl. Zajceva 2002; Fedoriv 2001; zu seiner Beziehung zu Hrusˇevs’kyj vgl. Vzajemne lystuvannja Mychajla Hrusˇevs’koho ta Myrona Korduby 2016.

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und Rudnyc’kyj in Wien fort.623 Auf diese Weise leisteten sie ihre Beiträge zum Wissenstransfer aus dem deutschsprachigen in den ukrainischen Raum. Diese permanente Verbindung trugen primär Nachwuchswissenschaftler.624 Die Wechselwirkungen zwischen NTSˇ und nationalukrainischer Studentenschaft sind elementare Faktoren der nationalen Mobilisierung von Nachwuchskräften der intelihencija.625 Als Hrusˇevs’kyj die archäographische Kommission im ausgehenden 19. Jahrhundert gründete, war er zunächst selbst ihr aktivster Mitarbeiter und Herausgeber der Zˇerela do istoriji Ukrajiny-Rusy (Quellen zur Geschichte der UkrajinaRus’). Er begann früh, seine Studenten, zuerst Tomasˇivs’kyj, in die Kommissionsarbeit zu integrieren. Dieser widmete sich primär Galizien zur Zeit Bohdan Chmel’nyc’kyjs (Mitte des 17. Jahrhunderts). Hierzu verfasste er nicht nur seine Dissertation, sondern füllte auch diverse Bände der Zˇerela.626 Die systematische Einbindung der Studierenden in die Forschungsagenda des Vereins lässt sich anhand des 1905 von Hrusˇevs’kyj initiierten Projekts zu Quellen der Geschichte des Kosakentums verdeutlichen. Zum Zeitpunkt des Projektbeginns waren die erfassten Quellen zu dieser Epoche, die Hrusˇevs’kyj als außerordentlich wichtig und interessant charakterisierte, noch rar und konzentrierten sich auf diplomatische und kriegsbezogene Akten. Er schlug einen systematischen Plan für eine Aktensammlung und -publikation vom späten 16. bis ins 18. Jahrhundert vor, die sich auf »das Studium des Kosakentums als sozial-nationales Phänomen, Produkt ökonomischer und sozial-politischer Umstände«, außerdem »kosakische Organisation und Verwaltung sowie Verhältnisse unter kosakischem Regime« bezog. Die betreffenden Archive, in denen er entsprechende Dokumente lokalisierte, lagen weit auseinander und waren für eine Einzelperson kaum zu ˇ ernihiv/C ˇ ernigov, Charkiv/Charkov, Kiew, bewältigen: Sie befanden sich in C Krakau, Moskau, St. Petersburg, Warschau und in kleineren Sammlungen an anderen Orten. Er verwies darauf, in seiner Übung regelmäßig historisches Quellenstudium zu unterrichten, so dass sich ausreichend Personal in Quantität 623 Korduba wurde 1897 in Wien promoviert, Rigorosenakt Miron Koruba, Archiv der Universität Wien, PH RA 1086 und leitete zeitweise den Wiener Sicˇ, Protokollbuch der Versammlung des Vereinspräsidiums und der Hauptversammlungen, CDIAL, fond 834, op. 1, spr. 18, ark. 3. Rudnyc’kyj bildete sich nach seiner Promotion in Lemberg für ein Semester bei den Geomorphologen Albrecht Penck und Viktor Uhlig fort. 624 Rudnyc’kyj transferierte Wissen zu neuesten geographischen Forschungen und Ansätzen; Rudnyc’kyj 1905; Rudnyc’kyj 2018 [1905], Desˇcˇo z nasˇoji. Korduba lieferte, ähnlich wie Zenon Kuzelja wenig später, aktuelle Literaturberichte mithilfe der ihm in Wien zugänglichen Ressourcen. Korduba 1896; Korduba 1898; Korduba 1899–1900; Korduba 1900–1901. 625 Mit Bezug auf Ivan Franko ist bereits gezeigt worden, dass die Akademicˇna hromada gleichzeitig in den NTSˇ zurückwirkte; das vorangegangene Kapitel zeugte vom Engagement in der Universitätsfrage. 626 Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 260–269; Zˇerela do istoriji Ukrajiny-Rusy 4 (1898); 5 (1901); 6 (1913).

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und Qualifikation für diese Aufgaben finden würde. Das Projekt wäre besonders für begrenzte wissenschaftliche (Qualifikations-) Arbeiten geeignet und würde gleichzeitig großen Mehrwert für die Forschung mit sich bringen.627 Hrusˇevs’kyj gewann insgesamt 15 Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin, von denen 11 (ehemals) bei ihm studierten.628 Diese Arbeit wurde vergütet und konnte damit einen relevanten Zusatzverdienst darstellen.629 Die Kommissionsarbeit war damit eng an Hrusˇevs’kyjs universitäre Lehrtätigkeit gebunden. Er entsandte seine Studierende in Archive, wodurch sie ihre Ausbildung als Historiker durch (brieflich) angeleitetes Quellenstudium ergänzen konnten. Vergleichbare Angebote hatte die Universität Lemberg nicht, zumal ukrainische/ostslavische Geschichte nur (inoffiziell) von Hrusˇevs’kyj vertreten wurde und dieser auch während seiner Tätigkeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs kein eigenes Seminar anbieten durfte. Die Kommission bot damit ein neues Diskussionsforum für ambitionierte Historiker und förderte den Ausbau einer wissenschaftlichen Elite. Dies lässt sich daran belegen, dass zahlreiche junge Historiker den Bildungsweg von Hrusˇevs’kyjs Unterricht über die archäographische Kommission bis hin zum wirklichen Mitglied des NTSˇ bestritten und entlang dessen auch kleinere und größere Publikationen vorlegten.630 Neben der Zeitschrift der Kommission, den Zˇerela do istoriji Ukrajiny-Rusy, erschienen die Arbeitsergebnisse auch in den Zapysky.631 Letztlich publizierten die Heimkehrer allerdings nicht alle ihre Funde, lagerten ihre Abschriften allerdings in der Handschriftenabteilung der Vereinsbibliothek, die unter anderem dadurch erste Charakterzüge eines beginnenden Nationalarchivs erhielt – mit dem Fokus auf jene Epoche, die der Vereinspräsident in seiner Forschung für die bedeutsamste hielt. Derartige Programme – partiell findet sich eine vergleichbare Forschungsförderung auch in der ethnographischen Kommission, allerdings eher bezogen auf Einzelfälle – legte der Verein nur für geisteswissenschaftliche Schwerpunkte auf, an denen Hrusˇevs’kyj selbst Interesse hatte. Weder für die rechtswissenschaftliche Kommission noch die MPL-Sektion waren vergleichbare Möglichkeiten gegeben. Die einzigen größeren Förderungen, die Mitgliedern dieser Sektion zuteilwurden, kamen anthropologischen (bzw. anthropometrischen), ethnographischen und geographischen Arbeiten zugute. Dabei handelte es sich um Disziplinen, deren Verortung in Fächergruppen durchaus flexibel verstanden Hrusˇevs’kyj 1905, Zapysky, S. 19. Hyrycˇ 2016, Mychajlo, S. 244; Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 73. Hyrycˇ 2016, Mychajlo, S. 245. Darunter bspw, Stepan Tomasˇivs’kyj, Ivan Dzˇydora, Ivan Krevec’kyj, Ivan Krypjakevycˇ, Myron Korduba, Vasyl’ Herasymcˇuk. Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 87. Zur vollständigen Aufstellung aller seiner Lemberger Schüler und ihrer Tätigkeitsgebiete Tel’vak / Pedycˇ 2016. 631 Vgl. exemplarisch Dzˇydzˇora 1908, Korduba 1911.

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wurde; für Hrusˇevs’kyj gehörten sie definitiv zum Ukrajinoznavstvo, zumal sie sich mit dem ukrainischen Territorium und seiner Bevölkerung befassten. Letztlich waren aber auch für Vertreter geförderter Fächer persönliche Beziehungen relevant für den Erhalt von Stipendien, wie das Beispiel Rudnyc’kyj zeigt. Zunächst ein Anhänger Hrusˇevs’kyjs, wurde er als Student längere Zeit vom Verein gefördert. Später kam es allerdings zu persönlichen Streitigkeiten zwischen Schüler und Lehrer; Rudnyc’kyj war 1903 und 1904 Teil der Opposition gegen Hrusˇevs’kyj.632 Zwischen 1903 und 1905 bemühte Rudnyc’kyj sich für seine Habilitationsforschungen um Unterstützung. Gerade 1903 bekam er aufgrund von »Missverständnissen«, wie er dem Ausschussmitglied und stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Studyns’kyj schrieb, keine Förderungen, auch danach blieben sie äußerst gering.633 Die Ungleichbehandlung wird besonders im Vergleich deutlich. Während Hnatjuk im Jahr 1900 und 1901 je 400, 1902 300 Kronen für Forschungsreisen erhielt,634 bekam Rudnyc’kyj 1904 und 1905 nur je 100 Kronen.635 Das NTSˇ förderte die Vernetzung zwischen Wissenschaftlern durch die Kommissions- und Sektionsprojekte, wovon der Nachwuchs ebenso profitieren konnte, zumal sich Austauschbeziehungen ergaben. Letztlich beruht dies jedoch auf individuellen Kontakten, die sich schwer systematisieren lassen und häufig nicht detailliert dokumentiert sind. Dazu zählen Privataudienzen seiner Schüler in Hrusˇevs’kyjs Villa, die sich jedem formalen Rahmen und damit auch einer Dokumentation abseits persönlicher Erinnerungen entziehen.636 Für junge Ethnographen, Folkloristen und Anthropologen avancierte Fedir Vovk trotz der Distanz zu einem wichtigen Mentor.637 Hnatjuk, der sich für seine ethnographischen und folkloristischen Arbeiten bis dahin primär an Franko orientierte, war ein regelmäßiger Korrespondent, dem Vovk Rückmeldungen zu seinen Forschungen gab, ihn bei der Literaturrecherche und eigenen Publikationsvor632 Projekt statuta NTSˇ, 8. November 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5. Eine erste Druckversion des Statuts weist Rudnyc’kyj als einen der ersten Unterstützer des Projekts aus (ark. 9); vgl. auch die endgültig eingereichte Variante, ark. 10–19 (ark. 18zv zu Rudnyc’kyj). 633 Rudnyc’kyj an Studyns’kyj, 20. September 1905, LSR, S. 173f.; Chronika NTSˇ 21 (1905), S. 2. 634 Letztlich ist der Nichterhalt einer Förderung auch im Licht der Budgetkürzungen für Forschungsförderungen und Stipendien im Jahr 1903 zu sehen, vgl. Chronika NTSˇ 17 (1904), S. 3f. 635 Studyns’kyj erhielt den oben genannten Brief zwar, wurde aber in der Folge nicht im Ausschuss aktiv, so dass sich keine kurzfristigen Änderungen für Rudnyc’kyj ergaben. Vgl. die Ausschussprotokolle vom 5. Oktober 1905 bis zum Jahresende, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 34, 70–73zv. 636 Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 65–66, S. 85. 637 Neben dem im Folgenden thematisierten Hnatjuk betrifft das vor allem Ivan Rakovs’kyj und Zenon Kuzelja, die zum Stammpersonal seiner Forschungsexpeditionen in der Habsburgermonarchie gehörten. Vgl. die Briefe von Kuzelja NA IA NANU fond 1 V/2714–2732 und Rakovs’kyj, ebd., 3781, 4974, 4988–4989, 5122.

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haben unterstützte. Hnatjuk monierte das Fehlen von moderner Sekundärliteratur zur Ethnographie und Folklore in Lemberg, die er für seine eigene Arbeit – die sich in den folgenden Dezennien vor allem um die ethnographische Kommission und die Herausgabe des Etnohraficˇnyj Zbirnyk drehen sollte – benötigen würde. Er gab an, auf Deutsch und nahezu allen slavischen Sprachen lesen zu können und reagierte enttäuscht, als Vovk darauf verwies, dass vornehmlich französische und englische Literatur den aktuellen Forschungsstand widerspiegeln würden. Vovk sandte ihm einige Literatur, darunter auch französische Materialien zum Selbststudium der Sprache, und gab ihm weitere Empfehlungen für zukünftige wissenschaftliche Arbeiten. Regelmäßig sandte Hnatjuk Aufsätze und Zeitschriften nach Paris, um weitere Hinweise zu erhalten.638 Er profitierte enorm von Vovks Auskünften – und damit auch die ethnographische Kommission als solche, da Hnatjuk als ihr Sekretär eine wichtige Multiplikationsfunktion ausübte. Außerdem vermittelte Vovk ihm Kontakte aus seinem persönlichen Netzwerk, darunter etwa zu Friedrich S. Krauss, in dessen Serie Hnatjuk zwei deutschsprachige Bände veröffentlichte.639 Gleichzeitig spricht Krauss’ Anerkennung für die Arbeit Hnatjuks dafür, dass dieser sich nunmehr zu den international etablierten Wissenschaftlern zählen durfte.640 Es handelte sich bei Vovk und Hnatjuk aber nicht um eine einseitige Beziehung und bloße Wissensdiffusion, sondern um ein Wechselverhältnis. Als Sekretär der Kommission war Hnatjuk seinerseits für die Kommunikation mit Vovk bezüglich der Materialy verantwortlich.641 Außerdem sandte er Veröffentlichungen des NTSˇ in dessen Auftrag an die Société und die École d’Anthropologie, so dass er ukrainische Forschungen weiter im französischen Raum zirkulieren ließ.642 Mit der Einführung der Vertretung auf den Generalversammlungen übergab Vovk außerdem seine Stimme regelmäßig an Hnatjuk. Dass er ihm dafür keinerlei Anweisungen gab, bestätigt die Gegenseitigkeit des Vertrauensverhältnisses.643 Es handelte sich aber auch um einen wechselseitigen Transfer. Als Vovk eine Forschungsreise in die ruthenischen Gebiete Ungarns vorbereitete, beriet Hnatjuk ihn bezüglich möglicher Routen und Kontaktpersonen.644 Nicht zuletzt blieb Hnatjuk eine wichtige und verlässliche Ansprechperson für Materialien, die nur in Galizien erhältlich waren.645 638 Briefwechsel Hnatjuks und Vovks, 1897–1899, LFV, S. 9–23. 639 Tarasevs´kyj / Hnatjuk / Krauss 1909; Hnatjuk 1912, Das Geschlechtsleben. 640 Krauss an Hnatjuk, 15. Februar 1910, LNNB VR, fond 22, spr. 292, ark. 1–1zv; Krauss an Hnatjuk, 2. Jänner 1912, ebd., ark. 2. Zu Krauss vgl. Burt 1990. 641 Ersichtlich beispielsweise aus Hnatjuk an Vovk, 6. Februar 1900, LFV, S. 26f. 642 Vovk an Hnatjuk, o. D. [Frühjahr 1900], LFV, S. 28f. 643 Vovk an Hnatjuk, 3. April 1905, ebd., S. 49. 644 Hnatjuk an Vovk, 28. Juni 1905, ebd., S. 51f. 645 Vovk an Hnatjuk, 18. Juni 1914, ebd., S. 159–162.

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Abgesehen von Individualförderung und konkreter Forschung ergab sich im frühen 20. Jahrhundert ein Großprojekt zur Förderung zahlreicher Studenten. Beim akademicˇnyj dim handelte es sich um ein ukrainisches Studentenwohnheim, das Hrusˇevs’kyj seit 1902 projektierte und 1904 mit der Zusicherung fiˇ ykalenko umzusetzen benanzieller Unterstützung durch den Mäzen Jevhen C gann. Laut dem Gründungsakt bedurfte es der ukrainischen akademischen Jugend schon lange an einem Ort, an dem sie eine hygienische und kostengünstige Unterkunft sowie Essen, andere lebensnotwendige Dinge und sogar kurzfristig Kredite finden konnte. In diesem Haus sollten sie sich überdies »in gesunder Arbeitsatmosphäre höheren geistigen Interessen, gesellschaftlichen und nationalen Verpflichtungen« widmen können, ohne »ihre Kräfte in Armut oder unangemessenen Lebensumständen«646 zu verschwenden. Deutlich wird hier der verstandene Nexus zwischen Förderung und nationaler Zukunftsorientierung durch Integration der aufgenommenen Studenten. Noch deutlicher wird der von Beginn an mitgedachte Beitrag zur Ausbildung der wissenschaftlichen Gemeinschaft, wenn Hrusˇevs’kyj den Bau vor dem Verein als »wichtige Unterstützung der akademischen Jugend – denjenigen Kreisen, aus denen sich die Wissenschaftler unseres Vereins rekrutieren«647 rechtfertigte. Bis Ende des Jahres 1904 waren mitsamt Zinsen rund 73.000 Kronen gesammelt worden, von denen ein Großteil aus dem Zarenreich, vor allem aber von ˇ ykalenko stammte. Bereits Anfang des Jahres 1904 erwarb das NTSˇ einen C Baugrund in der Lemberger Supins’kyj-Gasse (heute: vulycja Kocjubins’koho 21) und schrieb das Projekt für Architekten zum Jahresende aus.648 Nachdem die ˇ ykalenko und Hrusˇevs’kyj an, die galiziAuswahl rasch voranging, nahmen C schen Spenden würden nach Baubeginn zahlreicher fließen, so dass sie das Projekt noch ohne ausreichende Finanzierung fortführten.649 Hrusˇevs’kyj zeigte sich dementsprechend enttäuscht darüber, dass in der Folge nur geringfügig mehr Spenden eingingen und machte die Haltung der galizischen narodovci gegenüber der gesamtukrainischen Nationalbewegung dafür verantwortlich.650 Die Finanzen des NTSˇ gerieten dadurch unter enormen Druck. Ein Finanzierungsgesuch an das Kultusministerium blieb folgenlos und der galizische Landtag unterstützte das Wohnheim nur geringfügig.651 Im Herbst 1906 konnte der Bau fertig gestellt werden, so dass die Studenten in den kommenden Monaten

646 Chronika NTSˇ 21 (1905), S. 6. 647 Protokoll der Generalversammlung vom 19. April 1905, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 31, ark. 27–34zv, hier ark. 28. 648 Dilo, 5. Dezember 1904, Nr. 263, S. 2. ˇ ykalenko an Hrusˇevs’kyj, 25. Oktober 1903, LMH, S. 48f., hier S. 49. 649 C 650 Hrusˇevs’kyj 1905, Akademicˇnyj dim, S. 177. 651 Rohde 2020, Galizische Erbschaften?

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einzogen.652 Von 1907 bis in die Zwischenkriegszeit belastete den Verein ein notgedrungen aufgenommener Kredit, zumal aus dem gemeinnützigen Haus kein Profit generiert werden konnte. Als Übergangslösung entschied sich das NTSˇ, Vereinsinstitutionen wie die Bibliothek und das Museum zwischen 1907 und 1912 in den akademicˇnyj dim zu transferieren.653 Damit verfügte das Haus nicht nur über eine Mensa und Aufenthaltsräume, sondern auch einen akademischen Lesesaal. Alle diese Räume wurden zu wichtigen Treffpunkten, und im letzteren hielten sich nicht selten forschende Wissenschaftler des NTSˇ auf, die somit informell für den Nachwuchs adressierbar waren.654

Abbildung 2: Skizze zur Fassade des Akademicˇnyj dim.

ˇ ykalenko band seine Spende an die Bedingung, dass auch Studenten aus der C russländischen Ukraine die Möglichkeit zustünde, im Haus zu leben.655 Auch in der Zwischenkriegszeit blieb es ein Ort des Austauschs über Staatsgrenzen hin-

652 Moroz 2012. 653 Kupcˇyns’kyj 2014, S. 383f. 654 Beskyd 1962 beschreibt seine Erinnerungen an das Interieur der Zwischenkriegszeit, zu diesem Zeitpunkt ist das Haus allerdings nach seiner Verwüstung im Ersten Weltkrieg bereits renoviert worden. ˇ ykalenko an Hru655 Er sprach von »einigen Privilegien«, definierte sie aber nicht näher. C sˇevs’kyj, 30. Oktober 1902, LMH, t. 5, S. 44f., hier S. 44.

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weg. Doch nicht nur die langfristige Investition in den akademischen Nachwuchs, sondern auch kurzfristige Resultate sind an der Beschäftigung diverser Hausbewohner im Verein zu erkennen. Während sich die Bibliothek und das Museum im akademicˇnyj dim befanden, sind häufig Studenten– vor allem (politische) Emigranten aus dem Zarenreich – als Hilfskräfte in diesen Vereinsinstitutionen angestellt worden.656 Versehen mit der Möglichkeit langfristiger Integration sind dadurch junge Wissenschaftler mit dem Verein nachhaltig in Kontakt gebracht worden. Mit der steigenden Zahl von Studentinnen verwies Hrusˇevs’kyj 1913 darauf, dass ein vergleichbares Projekt für weibliche Bewohnerinnen notwendig wäre; sowohl die vereinspolitischen Veränderungen im gleichen Jahr als auch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderten aber jede Vertiefung eines solchen Plans.657 Unterschiedliche Fördermaßnahmen und Institutionen sollten jene empfundenen Lücken kompensieren, die durch systematische Benachteiligung entstanden. Damit waren sie im Fall einiger Berufswissenschaftler äußerst erfolgreich, auch im Hinblick auf die Vereinsentwicklung. Letztlich änderte sich dadurch aber noch nichts an der Breitenwirkung und an den universitären Unterrichtsfächern. Ab der Jahrhundertwende wurden Forderungen nach populärwissenschaftlichen Initiativen seitens ukrainischer Jugendgruppen lauter und hielten durch das Statutenprojekt 1903 auch Einzug in die Geschichte des NTSˇ. Wie im Folgenden gezeigt wird, kannte die Ablehnung populärwissenschaftlicher Tätigkeit eine höchst relevante Ausnahme.

4.3

Staatssubventionen – Kapital aus der Krise

Nur wenige wissenschaftsgeschichtliche Darstellungen befassen sich näher mit einem zentralen Problem, das nicht nur heutigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern auch der vereinsgestützten Wissenschaft bestens bekannt war: die ökonomische Dimension.658 Dabei war beispielsweise das Stiftungswesen, wie Thomas Adam am Beispiel des Deutschen Reiches um 1900 herausgearbeitet hat, ein zentraler Faktor der Wissenschaftsgeschichte und kann nicht nur als Marginalie des Kultur- und Wissenschaftsbetriebs gesehen werden.659 Für die Habsburgermonarchie liegen nur wenige Fallstudien vor,660 obwohl die Fördergeber zahlreicher national und religiös definierter Gruppen einen 656 Chronika NTSˇ 49 (1912), S. 40f. Zu den Einwohnern während der Frühzeit vgl. Belegung der Zimmer des akademicˇnyj dim 1906, DALO, fond 292, op. 1 spr. 8. 657 Hrusˇevs’kyj 2005, Bat’ky, S. 222. 658 Hagner 2001; Bourdieu 1998, S. 18f. 659 Adam 2004. 660 Mudrak 1990 am Beispiel Andrej Sˇeptyc’kyjs.

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vielfältigen Untersuchungsgegenstand für vergleichende Studien bieten. Dazu gehört auch ukrainische Philanthropie zugunsten des NTSˇ, auf die partiell schon eingegangen wurde: Transimperialer Geldtransfer war ein elementares Mittel für den Brückenschlag zwischen Galizien und dem Zarenreich. Ein gänzliches Desiderat bilden dagegen die Vereinsförderungen der Staats- und Landesstellen, die im Folgenden diskutiert werden. Unterschiedliche nationale Bildungs-, Schutz-, Schützen- oder Sportvereine Cisleithaniens konnten sich durch ihre Mitgliedsbeiträge erhalten, besonders wenn sie zahlreiche Ortsgruppen mit hoher Mitgliederzahl unterhielten.661 (Gemeinnützige) Wissenschafts- und Kulturvereine mit geringerer Mitgliederzahl, jedoch hohem Investitionsbedarf für unterschiedliche Forschungs- und Kulturprojekte, waren dagegen auf zusätzliche finanzielle Unterstützung angewiesen. Auch hier bestätigt die Ausnahme die Regel – die Österreichische LeoGesellschaft, ein katholischer Wissenschaftsverein, zählte im zehnten Jahr seiner Vereinstätigkeit bereits rund 2.400 Mitglieder, darunter 65 ausgewiesene Förderer und erhielt somit zahlreiche private Spenden.662 Die durch den Verein angesprochene scientific community bewegte sich allerdings in einer anderen Größenordnung als im Fall des NTSˇ, das sein Klientel überdies primär aus dem einkommensschwächsten Kronland der Habsburgermonarchie rekrutierte. Die höchst unregelmäßigen Zuwendungen von Mäzenen allein konnten keinen kontinuierlichen Wissenschafts- und Publikationsbetrieb gewährleisten, deshalb waren staatliche Subventionen neben den Einkünften der Vereinsdruckerei eine tragende Säule der Vereinsagenda. Das Ministerium für Cultus und Unterricht war im späten 19. Jahrhundert ein relevanter Faktor der Vereinsförderung und hat in diesem Sinne als zentralstaatlicher Akteur erheblich zur Dezentralisierung der Wissenschaften beigetragen. Es hat nicht nur die Akademien der Wissenschaften, die k.k. Statistische Zentralkommission, die Geologische Reichsanstalt und andere staatliche Forschungseinrichtungen unterhalten; auch Vereine konnten separat um Subventionen ansuchen. Dies belegen vielfach bewilligte Subventionsanträge aus allen Kronländern, die sich im Vergleich der Jahre 1895 und 1905 vervielfachten.663 Das NTSˇ beantragte Vereinssubventionen mit Blick auf seine gesamte Tätigkeit und der Auflistung all seiner Publikationen unter expliziter Berufung auf den Arti-

661 Vgl. den Überblick über Vereinstypen, ihre Tätigkeiten und Filialgründungen bei Hye 2006. 662 Schindler 1902. 663 Dazu die Aktenbücher AVA Unterricht UM allg. B 43 (1895) und AVA Unterricht UM allg. B 63 (P–Z, 1905); die Akten selbst sind vielfach skartiert und erlauben dementsprechend keine Analyse der Bewilligungsprozesse und -motive. Zu galizischen Vereinen hat sich nur ein Faszikel (AVA Unterricht UM allg. Fasz. 3413) erhalten, das die Periode zwischen 1908 und 1912 unvollständig abdeckt.

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kel 19 des Staatsgrundgesetzes.664 Separate Förderungen konnten wissenschaftliche und kulturelle Periodika erhalten,665 kulturelle Institutionen666 oder Publikationsprojekte.667 Gefördert wurden fachlich spezialisierte Vereine wie die Zoologisch-Botanische Gesellschaft Wien,668 der Verein (und sein Museum) für Österreichische Volkskunde,669 aber auch ideologisch oder sprachlich definierte Vereine wie der zur Förderung polnischer Wissenschaften in Lemberg670, die der katholischen Wissenschaft verschriebene Leo-Gesellschaft oder das NTSˇ als Vertreter ukrainischer Wissenschaft. Abgesehen von der dezidierten Vereinsförderung vergab das Ministerium auch Förderungen für wissenschaftliche Reisen, vornehmlich an Mittelschullehrer und wissenschaftliches Universitätspersonal.671 Dabei wird eine weitere Funktion wissenschaftlicher Vereine deutlich: Sie konnten aus ihren staatlichen Subventionen Forscher unterstützen, die im System des Ministeriums selbst keine Mittel erhalten konnten. Die Kronländer waren ebenso wichtige Fördergeber für unterschiedliche Vereine. Die Landtage und Landeschefs konnten auf unterschiedliche Arten Einfluss auf das Vereinsleben nehmen. Einerseits im Sinne direkter Förderung: Vom galizischen Landesausschuss sind auch in den 1870er und 1880er Jahren schon Subventionen, etwa für die Aufklärungsgesellschaft Prosvita und den Theaterverein Rus’ka besida (Ruthenisches Gespräch), gezahlt worden.672 Andererseits nahmen Landeschefs auch insofern Einfluss auf die Vergabe zentralstaatlicher Gelder, als dass die notwendigen Eingaben des Vereins an das Ministerium über die Statthalterei erfolgten. Die Landeschefs konnten dem Ministerium hierbei eine Einschätzung zur Förderwürdigkeit des jeweiligen Unterfangens liefern.673 Derartige Stellungnahmen, die üblicherweise auf Be664 Zur Problematisierung des »Verheißungsgesetz[es]’« Stourzh 1980, Zitat S. 1016. 665 Darunter das Allgemeine Litteraturblatt und die Quellen und Forschungen der Leo-Gesellschaft, Mittheilungen an die Mitglieder der Leo-Gesellschaft, Beilage zur Zeitschrift »Die Kultur«, Serie II (1901), Nr. 5, S. 1. 666 So etwa das niederösterreichische Landesmuseum, Telesko 2008, S. 213. 667 Bspw. das vom Österreichischen Verein für Bibliothekswesen herausgegebene Adressbuch der Bibliotheken der Oesterreich-ungarischen Monarchie 1900, Vorwort. 668 Lack 2006, S. 123. 669 Protokoll der Ausschuß-Sitzung des Vereins für österreichische Volkskunde, 15. Dezember 1900, Archiv des Museums für Volkskunde. 670 Verein zur Förderung polnischer Wissenschaften in Lemberg, 8. September 1911, AVA UM allg. 53174/1911. 671 Auch hier sind wesentliche Bestände des Ministeriums skartiert und nur einzelne Akten erhalten, seitens des Universitätspersonals lassen sie sich aber über die Personalakten rekonstruieren. Bspw. Personalakte Stefan Rudnicki [Stepan Rudnyc’kyj], DALO fond 26, op. 5, spr. 1648. 672 Misˇcˇuk 2009, S. 61, 70. 673 So bspw. die Befürwortung im Fall eines Gesuchs des NTSˇ zur Teilfinanzierung eines neuen Gebäudes, Statthalterei Galizien an das Ministerium, 16. 11. 1911, AVA Unterricht UM allgemein, Zahl 49533, 1911.

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richten der Polizei basierten, waren einflussreiche Mittel, die den Werdegang von Wissenschaftlern beeinflussten. Dies betraf Stipendien674 ebenso wie die Vergabe von Stellen. Barvins’kyj bekam in den 1880er Jahren eine Stelle als Direktor eines utraquistischen, d. h. zweisprachig polnisch-ruthenischen Lehrerseminars, nicht zugewiesen, obwohl er laut dem Statthalter der qualifizierteste Bewerber war, schon weil er als einziger die Lehrbefugnis in beiden Sprachen hatte. Basierend auf konstruierten politischen Verdachtsmomenten der Polizei – einer wahrlich erfundenen russophilen Gesinnung Barvins’kyjs, damit begründet, dass er Bücher in Kiew kaufte – riet die Statthalterei letztlich von dieser Besetzung ab.675 Die Ministerien waren aufgrund der Asymmetrie verfügbaren Wissens auf die Statthaltereien angewiesen, die ihre Macht dementsprechend auch willkürlich ausüben konnten, wie dieses Beispiel zeigt.676 Staatliche Gelder für Vereine, ganz gleich ob sie von einem Wiener Ministerium oder vom Kronland ausgezahlt wurden, waren damit an das Wohlwollen der Statthalterei gebunden. Im Rahmen der Nova era konnte Barvins’kyj durch sein politisches Kapital auf Landesebene eine derartige Förderung auch für das NTSˇ aushandeln, die sich regelmäßig erhöhte (Anhang II). Die Nova era beendete die Kooperation zwischen Russophilen und narodovci zugunsten der Verständigung von narodovci und polnischen Konservativen. Auch wenn die Russophilen damit nicht von der Bildfläche verschwanden, wurden sie doch aus dem politischen Zentrum zunehmend herausgedrängt, während die narodovci erstarkten. Dass sie als deutlich staatsloyaler galten, mag das wichtigste Motiv für die Förderung des Vereins aus Perspektive der Verwaltung gewesen sein. Die NTSˇ-Präsidentschaft Barvins’kyjs, die diesen Standpunkt durch die Beteiligung an reichsweit sichtbaren Großprojekten wie der Allgemeinen Landes-Ausstellung 1894 und den Beiträgen im ›Kronprinzenwerk‹ untermauerte, darf in ihrer Relevanz für die folgende Vereinsgeschichte deshalb nicht unterschätzt werden.677 Aus vereinsrechtlicher Perspektive war die Transformation von einem wirtschaftlichen in einen wissenschaftlichen Verein, die mit dem von Oleksandr Barvins’kyj 1892 eingebrachten Statutprojekt einherging, die Voraussetzung für die kontinuierliche Beantragung und Bewilligung von Subventionen auf Staats- und Landesebene.678

674 Vgl. die Stipendienstatistik Galiziens 1876–1905, Podre˛cznik Statystyki Galicyi, T. 8 (1908), S. 121. 675 Abschrift eines Berichts zur nicht erfolgten Berufung Barvins’kyjs, 14. Juli 1886, LNNB VR, fond 167, op. 2, spr. 112, ark. 30–32zv. 676 Die konkrete Förderungspraxis der Ministerien und Kronländer sind ein Forschungsdesiderat, das auch in vergleichender Perspektive vielversprechend wäre, hier aber nur durch Einzelfälle aufgezeigt werden konnte. 677 Vgl. ausführlich hierzu Rohde 2021, Huculska pies´n´. 678 Barvins’kyj 1892.

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Barvins’kyj legte die ersten erfolgreichen Anträge vor und war damit nachhaltig prägend für diese Textgenre im NTSˇ.679 Die Struktur und Argumentationsweise wurde in den folgenden Anträgen weitgehend beibehalten. Diese Arbeit fiel 1897 in Hrusˇevs’kyjs Aufgabenbereich, der allerdings des Deutschen nicht ausreichend mächtig war, um die Anträge selbst zu verfassen. Er stellte die einzubringenden Sachinformationen in einer groben, hastig geschriebenen, ukrainischsprachigen Skizze zusammen, die dann von seinen Vertrauten übersetzt wurde. Zumindest in den ersten Jahren ist durch seine klar identifizierbare Handschrift nachzuweisen, dass Ivan Franko, der im Allgemeinen zahlreiche Texte für den Vereinspräsidenten übertrug, diese Tätigkeit übernahm und damit im wörtlichen Sinne federführend für die Sicherung der Vereinsfinanzierung war.680 Wie auch in heutigen wissenschaftlichen Förderungsgesuchen üblich, lässt sich eine spezifische ›Antragslyrik‹ ausmachen, deren Analyse Auskunft über die Selbstverortung des Vereins im Verhältnis zur Staatskultur geben kann. Entsprechend des rechtlichen Ausgangspunktes, dass Vereine als Träger von Nationalitätenrechten gelten konnten, waren implizite Berufungen auf den §19 zur Gleichstellung der ›Volksstämme‹ der österreichischen Dezemberverfassung des Jahres 1867 allgegenwärtig. Folgerichtig war Staatsloyalität ein zentrales Element aller Anträge; Loyalitätsfloskeln verwiesen auf die »vom patriotischen Geiste beseelt[e] Thätigkeit«681 des Vereins. Die nationale Selbstbezeichnung und ihr situativer Gebrauch illustrieren dieses Phänomen deutlich. So fällt zunächst der zeitweise gebrauchte Zusatz als »ruthenische Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften« auf, den der Verein nur in den Anträgen und der deutschsprachigen Chronik derart benutzte.682 Während sich das NTSˇ um 1900 noch (unregelmäßig) 679 Subventionsgesuch des NTSˇ an das Ministerum für Cultus und Unterricht, 15. Juli 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 52, ark. 1–2. Außerdem war er durch seine politischen Funktionen auch nach dem Ende der Präsidentschaft noch einflussreich für die erfolgreichen Gesuche. Vgl. Gesuche des NTSˇ an den galizischen Sejm, 1897–1898, LNNB VR, fond 11, spr. 3678. 680 Do c.k. Minjisterstva Pros’vity u Vidni, ukrainische Übersetzungsvorlage, o. D., CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 52, ark. 16–21zv; Subventionsgesuch [Entwurf in der Handschrift Ivan Frankos], o. D., ebd., ark. 62–68zv; Subventionsgesuch des NTSˇ an das Ministerums für Cultus und Unterricht, handschriftliche Arbeitsvorlage, o. D. [1900], ebd., ark. 69–75 [Anmerkungen und Ergänzungen in der Handschrift Frankos]. Die erhaltenen Gesuche ab dem Jahr 1909, nach der Erkrankung Ivan Frankos, übersetzte jemand anderes. Entwürfe für Subventionsgesuche, 1909–1911, ebd., spr. 53, ark. 1–12zv. 681 Subventionsgesuch des NTSˇ an das Ministerum für Cultus und Unterricht, handschriftliche Arbeitsvorlage, o. D. [1900], CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 52, ark. 69–75, hier ark. 75. 682 Schreiben an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 15. Juli 1893, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 52, ark. 1–2, hier ark. 1; Bitte um Erhöhung der Subventionen für das Jahr 1898, o. D., ebd., ark. 3–6, hier ark. 3; Schreiben an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 18. März 1898, ebd., ark. 7–10, hier ark. 7. Eigene Hervorhebung.

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als eine ukrainisch-ruthenische Gesellschaft bezeichnete, legte sie den Zusatz »ruthenisch« bald ab. »Ruthenisch« blieb aber die offizielle Bezeichnung des »Volksstammes« in der Habsburgermonarchie. So rekurrierten Anträge auf den »Bildungsdrang des ruthenischen Volkes«683 und nutzten auch die Universitätsproblematik in diesem Sinne aus, wenn sie den »Mangel eines natürlichen wissenschaftlichen Centrums, wie es gewöhnlich die Hochschulen sind«684 beklagten. Es handele sich beim NTSˇ um die »einzige wissenschaftliche Institution der Ruthenen in Oesterreich Ungarn [sic]«, die überdies ein Sendungsbewusstsein für das Zarenreich hätte, zumal sie »den geistigen Mittelpunkt nicht nur für die oesterreichisch-ungarischen Ruthenen, sondern auch für die Ukrainer in Russland«685 bilden würde. Im Sinne einer solchen staatsloyalen Selbstinszenierung verwundert es nicht, dass als Ethnonym bewusst das Adjektiv ›ruthenisch‹ anstelle von ›ukrainisch‹ genutzt worden ist, auch noch in einem umfangreicheren Memorandum aus dem Jahr 1907, als die Vereinsperiodika bereits ›ukrainisch‹ im Titel trugen.686 Das Memorandum erschien in einer deutsch-ukrainischen Parallelausgabe. Der Vergleich des ukrainischen Originals mit der nicht-textgleichen deutschen Übersetzung zeigt zunächst marginal scheinende, im Kontext aber höchst relevante Unterschiede auf. Mit großer Selbstverständlichkeit ist im ersteren Text sowohl als Ethnonym als auch als Sprachbezeichnung ›ukrainisch‹ genutzt worden.687 Bereits in dieser Begriffswahl ist die veränderte Identifikation des Vereins seit der Präsidentschaft Barvins’kyjs angelegt. Agierte Hrusˇevs’kyj zunächst mit Blick auf seine noch ungefestigte Position moderater, brach er doch mit der fast bedingungslos staatsloyalen Ausrichtung Barvins’kyjs und vertrat, spätestens mit den sich seit der Russischen Revolution 1905 eröffnenden politischen Chancen der ukrainischen Nationalbewegung im Zarenreich, umso mehr Ansichten ukrainischer Sobornist’. Das war für ihn persönlich nicht neu, zumal er damit schon im eigenen Tagebuch die Annahme der Stelle in Lemberg begründete; auch hielt er sich damit in seinen publizistischen Werken im Dilo und im LNV nicht zurück. Die Kommunikation dieser Haltung vor der deutschsprachigen politischen Öffentlichkeit, die auch in einem von ihm verfassten Memorandum zur Gründung einer ukrainischen Universität im Reichsrat stattfand,688 683 Denkschrift an die Reichsratsabgeordneten in Sachen der Sicherung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften in Lemberg, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 51, ark. 3. 684 Ebd., ark. 5. 685 Gesuch an das Ministerium zur Aufnahme in das Staatsbudget 1911, o. D., CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 53, ark. 32–32zv, hier 32. 686 Denkschrift an die Reichsratsabgeordneten in Sachen der Sicherung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften in Lemberg, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 51. 687 Ebd., ark. 1zv–2. 688 StP AH, 13. Sitzung, XVIII. Session, 12. Juni 1907, 321/I, S. 44–46.

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war allerdings eine bedeutende Veränderung. Letztlich folgte er damit übergreifenden Trends; auch die in Wien veröffentlichte, vereinsnahe Ruthenische Revue änderte ihren Namen Anfang des Jahres 1906 in Ukrainische Rundschau.689 Die Selbstverortung des Vereins als ›ruthenisch‹ in den Anträgen war nur mehr Mittel zum Zweck, aber in der zuvor skizzierten ideologischen Ausrichtung des Vereinspräsidenten und seines Führungsstabes keine ehrliche Identifikation, denn diese wäre ›ukrainisch‹. Überdies legten die Anträge die wohlwollende Aufnahme der Vereinswerke, nicht nur in slavischsprachigen Publikationen inner- und außerhalb der Habsburgermonarchie, sondern etwa auch in der Wiener Volkskunde dar.690 Die Vereinsleitung untermauerte diese Aspekte durch die Stellung und das Ansehen der beteiligten Wissenschaftler in staatlichen Institutionen, vor allem der Professoren der Lemberger Universität, die in leitenden Funktionen an der Sektionsund Kommissionsarbeit beteiligt waren.691 Insgesamt hielt der Verein durchgehend an diesen Schwerpunkten der Antragsstellung fest und aktualisierte bisweilen von Jahr zu Jahr nur die Daten, wie anhand der Arbeitsvorlagen, die auf den Abschriften der Vorjahre basierten, nachzuvollziehen ist.692 Hinzu kamen separate Ansuchen mit spezifisch argumentierten Zielsetzungen, wie etwa eine einmalige Unterstützungen des akademicˇnyj dim693 oder des cˇasopys pravnycˇa i ekonomicˇna durch den Landtag. Außerdem unterstützte der Bukowiner Landtag in den Jahren 1910 und 1911 die Herausgabe der Werke vom Schriftsteller Osyp Jurij Fed’kovycˇ, der in Czernowitz lebte und arbeitete.694 Insgesamt war die Vereinsstrategie durchaus erfolgreich, zumal die dauerhaften Subventionen des Ministeriums von 2.000 K im Jahr 1894 auf 39.000 K im Jahr 1912 anstiegen (Anhang II). Die ›Antragslyrik‹ kann nicht als alleiniger Grund hierfür gesehen werden, wichtiger war sicherlich die politische Situation im Kronland Galizien, an die die Anträge geschickt appellierten. Für den starken Anstieg der Subventionen seit dem Jahr 1907 können drei Gründe herausgestellt werden: 1) den durch das Allgemeine Männerwahlrecht bedingten Anstieg ruthenisch-ukrainischer Abgeordneter im Reichsrat, die dem Verein und etwa seinem Memorandum des Jahres 1907 politisches Gewicht verleihen konnten,695 2) die Selbstdarstellung als parteilose, moderate Organisation im Kontrast zur 689 690 691 692 693 694

Ukrainische Rundschau 4 (1906), S. 1f. Schreiben an das CUM, 18. März 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 52, ark. 7–10, hier ark. 9. Ebd., ark. 7zv. Schreiben an das CUM, 18. März 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 52, ark. 7–10. Schreiben der Statthalterei vom 28. Februar 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 63, ark. 8. Zahlungsanweisung an die Bukowiner Landeskasse, 17. Juni 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 63, ark. 10; ebd., Schreiben vom 21. März 1910, ark. 6. 695 Zu den ukrainischen Parlamentariern vgl. Binder 2005; zum Memorandum Rohde 2019, Innerimperiale Lernprozesse?

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eskalierenden Gewalt in Galizien, 3) ein durch die Schwierigkeiten um die Universität und andere Konflikte im Kronland gestiegenes Bewusstsein für galizische Angelegenheiten in Wien. Dies verdeutlicht insbesondere die Geschichte der höchsten einzelnen Subvention, die der Verein je erhielt. Diese sollte 1913 dem Kauf der Czarnecki-Gasse 24, dem Nachbargebäude des Vereinssitzes dienen und zeigt gleichzeitig, wie eng das NTSˇ bis dahin mit der Landes- und Reichspolitik verflochten war. Die Zahlung in Höhe von 100.000 Kronen überstieg nicht nur die sonstigen jährlichen Zuwendungen für das NTSˇ, sondern auch das Jahresbudget etwa der Krakauer Akademie. Drei Jahre zuvor rief der Tod des ukrainischen Studenten Adam Kockos während der Studentenunruhen weitere Proteste hervor. Daraufhin signalisierte der Ruthenenklub des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, vertreten von den NTSˇ-Mitgliedern Oleksandr Kolessa und Teofil’ Okunevs’kyj, die Situation beruhigen zu können. Sie schlugen staatliche Maßnahmen vor, die die Gemüter beruhigen würden, darunter die Förderung angehender Hochschulprofessoren, Budgets für Studienstipendien und Subventionen für Kultur- und Wissenschaftsvereine. Der galizische Statthalter prüfte diese Liste kritisch und schloss die Idee, das NTSˇ in eine staatliche Akademie der Wissenschaften umzuwandeln ebenso wie den Wunsch nach einer eigenständigen ukrainischen Universität in Lemberg von Vornherein aus. Allerdings gab er seine Zustimmung zu einer großzügigen Subvention für das Museum des NTSˇ. Dies wäre allerdings nur akzeptabel, unterstrich er, sofern das Museum aus dem akademicˇnyj dim (Akademisches Haus) ausgegliedert werden würde, denn dieses wäre »als Heim der ruthenischen Universitätsstudenten eine Sammelstätte für das radikale Treiben der Universitätsjugend«.696 Die Subvention des Gebäudes, in das das Museum letztlich 1913/1914 umzuziehen begann, war damit eine Kompensation für nicht gewährte staatliche Institutionalisierungen des Wissenschaftsbetriebs. Auch die hohen Sprünge, die die staatlichen Jahressubventionen für das NTSˇ zwischen 1908 und 1914 machten (Anhang II), sind vor diesem Hintergrund zu verstehen. Wie auch seitens des galizischen Landtages kann die Förderung staatsloyaler narodovci darauf zurückgeführt werden, dass ein Gegengewicht zur russophilen Bewegung geschaffen werden sollte, die in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie zunehmend als politisches Problem des ans Zarenreich grenzenden Kronlandes wahrgenommen wurde. Es wäre jedoch verfehlt, das Wohlwollen des Ministeriums als allzu umfassend zu verstehen, denn auch politisch motivierte Förderung kannte finanzielle Grenzen. Die Finanzierungsgesuche

696 Einsichtsakt des Ministeriums für Kultus und Unterricht, betreffend ein Schreiben an den Statthalter in Lemberg, in Angelegenheit der Erfüllung mehrerer ruthenischer Wünsche. 29. September 1910, AVA Inneres MdI Präs 9904/1910.

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wurden zumeist deutlich unterschritten.697 Weder das angestrebte Höchstziel einer Gleichstellung mit einer Akademie der Wissenschaften, noch die dauerhafte Verankerung im Staatsbudget wurden gewährt.698 Das gilt auch für weitere, zusätzliche Projekt- und Publikationssubventionen, um die der Verein ansuchte. Manche Anfragen blieben auch gänzlich unbeantwortet. Die Subventionen erlaubten dem Verein, Periodika und andere Projekte zu verstetigen, ja sogar im Gegensatz zu großen europäischen Periodika dieser Zeit nicht nur die Herausgeber von Zeitschriften, sondern auch ihre Beitragenden finanziell zu honorieren und damit wichtige Anreize zu schaffen. Wissenschaftliche Arbeit konnte dadurch ein wertvoller Nebenverdienst für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden, die ihren Lebensunterhalt nicht oder nur partiell durch wissenschaftliche Tätigkeiten bestreiten konnten. Dies war ein entscheidender Beitrag, um die zahlenmäßig zunächst geringe wissenschaftliche Gemeinschaft zu erweitern. Dabei sticht aber heraus, dass die Vereinsleitung die Subventionen nicht nur im eigenen Namen, sondern auch im Namen des ›ruthenischen Volkes‹ beantragte, so dass es nicht verwundert, dass der Verein und seine Gelder in der Folge von unterschiedlichen ruthenisch-ukrainischen Akteuren weniger als hierarchisiertes Privatunternehmen, sondern als nationales Gemeingut angesehen wurden. Die Einigkeit hinsichtlich der Universitätsfrage bröckelte schließlich bei der vereinsinternen Ressourcenverteilung.

4.4

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Während im NTSˇ die Vision, in eine vom österreichischen Staat getragene Akademie transformiert zu werden, nach und nach verblasste, zielte die realistisch ausgelegte Reorganisation darauf ab, de facto die Funktionen einer ukrainischen Akademie der Wissenschaften übernehmen zu wollen. In der vereinsinternen Rhetorik fand der Begriff der ›Akademie‹ weiterhin Anwendung.699 Das ändert nichts daran, dass die Gleichsetzung mit einer offiziellen Akademie der Wissenschaften nicht nur rechtlich falsch war (und in der historiographischen Nachbetrachtung ist). Der Begriff verzerrt auch die Verhältnisse, unter denen der Verein im Vergleich zu finanziell wie organisatorisch besser situierten Akademien operierte. Durch das Ziel, dennoch als Keimzelle nationaler Wissen697 So beantragte die Vereinsleitung bspw. schon für das Jahr 1912 Subventionen in Höhe von 30.000 K. Schreiben an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 29. April 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 53, ark. 8–12. 698 Schreiben an das Ministerium für Cultus und Unterricht vom 15. März 1908, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. , ark. 87–89zv, hier ark. 89zv. 699 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 74–79zv, hier ark. 74.

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schaftsorganisation zu fungieren, erhielten der Aufbau eines Nationalmuseums und einer Nationalbibliothek zunehmend Gewicht. Die Vereinsleitung ging sogar noch darüber hinaus, indem sie die Idee einer kulturellen Mission des Vereins gegenüber allen formulierte, die sie als einer ukrainischen Nation angehörig definierte. Damit lässt sich von einer eindeutigen Sendungsdoktrin gegenüber allen in dieses Narrativ inkludierten Menschen, die sich nicht der ukrainischen Nation zugehörig fühlten, sprechen; allein die Übernahme kolonialer Rhetorik ist als Mimikry zu verstehen. Mit wachsender staatlicher Förderung ist auch der Ausbau dieser Institutionen, die der Verein offiziell seit dem erneuerten Statut des Jahres 1892 beherbergen sollte,700 ermöglicht worden. Das NTSˇ widmete sich zunehmend der Agenda, als nationaler Wissens- und Gedächtnisspeicher zu sammeln, zu bewahren und zu forschen. Selbst eine gütliche Lösung der Universitätswünsche hätte nicht in absehbarer Zeit zur Einrichtung zweier für moderne europäische Nationsdiskurse elementarer Institutionen in Lemberg geführt: einer Nationalbibliothek und einem Nationalmuseum. Sie waren elementare Bestandteile des Reformstatuts von 1892, konnten allerdings nur langsam umgesetzt werden. Auch, als sich im frühen 20. Jahrhundert dynamischere Entwicklungen andeuteten, waren die Prioritäten des Vereins Gegenstand ständiger Aushandlungen. Die Bibliothek ist zwar mit dem 1892 bestätigten Statut gegründet, doch erst in den beiden Folgejahren sind größere Buchbestände angenommen worden. Konys’kyj, Antonovycˇ und Celevycˇ spendeten dem Verein Teile ihrer Privatbibliotheken, die zusammen mit angekauften Ausgaben der Kievskaja Starina den Grundstock der Sammlung bildeten.701 Zunächst fehlten allerdings die finanziellen Möglichkeiten für systematische Ankäufe, so dass sich die Bibliothek auch in den folgenden Jahren primär durch Spenden erweiterte. Daran beteiligten sich nicht nur die ›großen Namen‹ der ukrainischen Intelligenz, sondern auch zahlreiche Amateurwissenschaftler und andere Privatpersonen, die mit dem Verein verbunden waren. Diese Tendenz begann bereits wenige Jahre nach der öffentlichen Etablierung der Bibliothek und intensivierte sich mit steigender Vernetzung und öffentlicher Wahrnehmung des Vereins.702 Hrusˇevs’kyj widmete sich nach seiner Ankunft der Organisation der Sammlung, die im Folgenden vom Ausschussmitglied Kost’ Pankivs’kyj (1855–1915) betreut wurde, allerdings nur für den internen Gebrauch gedacht war.703 Zunächst war die Bibliothek im Prosvita-Gebäude un700 701 702 703

Statut 1892. Krevec’kyj 1905, S. 152f. Chronika NTSˇ 4 (1900), Nr. 4, S. 24; Krevec’kyj 1923, S. 11–13. Franko 1905, Mychajlo Pavlyk, S. 182. Bei dem Artikel handelt es sich um eine schwere Polemik mit Pavlyk, der 1905 bereits zur Opposition gehörte, an dieser Stelle wird jedoch davon ausgegangen, dass die grundlegenden Daten zu Pavlyk im NTSˇ korrekt angegeben sind.

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tergebracht.704 Mit dem Kauf des neuen Gebäudes erhielt sie drei Räume im Erdgeschoss. Dort verblieb sie, bis sie zwischen 1907 und Anfang 1914 in das neu gebaute akademicˇnyj dim ausgelagert wurde. Nachdem der Umbau des neu erˇ arnec’kyj-Gasse 24 abgeschlossen war, ist die Biworbenen Gebäudes in der C bliothek in das erste Stockwerk des Hauses verlegt und mit entsprechend großen Magazinkapazitäten und Lesesälen ausgestattet worden.705 Auf eigenes Begehren und unterstützt von Franko bot sich Pavlyk 1897 an, als Bibliothekar zu arbeiten, so dass die Bibliothek an wöchentlich zwei Tagen für je zwei Stunden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte.706 Seine Beschäftigung und damit die Öffnungszeiten der Bibliothek wurden in den Folgejahren ausgedehnt. Nach Pavlyks Entlassung übernahm nach kurzer Übergangszeit Ivan Krevec’kyj den Posten des leitenden Bibliothekars und hielt diese Position bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Mit steigendem Arbeitsaufwand wurden studentische Mitarbeiter regelmäßig seit 1905 beschäftigt.707 Mit dem neuen Bibliotheksreglement des Jahres 1909 war die Bibliothek täglich, außer Sonn- und Feiertags, für drei Stunden geöffnet.708 Zumal der Lesesaal häufig von Vereinsmitgliedern, Forscherinnen und Forschern, Studentinnen und Studenten sowie Schülerinnen und Schülern frequentiert wurde, ist auch er zu einem relevanten Ort der Begegnungen geworden. Während der Schüler Ivan Pan’kevycˇ (1887–1958) ein Referat in der Bibliothek vorbereitete, schloss er Bekanntschaft mit Hnatjuk, der ihn nachhaltig zur Folkloresammlung und -erforschung inspirierte. In der Zwischenkriegszeit avancierte Pankevycˇ zu einem wichtigen Linguisten und Wissenschaftsorganisator in Transkarpatien, wobei er bis zu Hnatjuks Tod 1926 engen Kontakt mit ihm hielt.709 Seit 1895 begann sich Hrusˇevs’kyj systematisch an andere Akademien und Vereine mit der Bitte um Publikationsaustausch zu wenden.710 Dies bedeutete nicht nur eine größere Verbreitung der Periodika, allen voran die Zapysky und die deutschsprachige Vereinschronik, die ebenfalls Zusammenfassungen wissenschaftlicher Arbeiten sowie Forschungsberichte enthielt – sondern auch ein entsprechendes Wachstum der Bibliothek. Anders gewendet war durch dieses gängige Vorgehen der Ausbau der eigenen Publikationen elementar dafür, dass sich die Bibliothek auch ohne größeren finanziellen Aufwand stetig erweiterte und mehr aktuelle Forschungsliteratur beherbergte.

704 705 706 707 708 709 710

Svarnyk 2014, S. 35. Kupcˇyns’kyj 2014, Budynky, S. 383–385. Franko 1905, Mychajlo Pavlyk, S. 182f. Svarnyk 2014, S. 37. Chronika NTSˇ 38 (1909), S. 40. Musˇynka 2001. Dorosˇenko, V., 1936, S. 4f.; Krevec’kyj 1905, S. 153.

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Als Bibliotheksreferent und Redakteur der Zapysky hatte Hrusˇevs’kyj bereits seit 1895 die Möglichkeit, diese Angelegenheit eigenverantwortlich zu regeln. Rasch setzten Erfolge dieser Strategie ein: bereits 1899 bezog die Bibliothek 117 Periodika durch Austausch und in geringerem Maße auch durch Abonnements. Dazu gehörten vor allem slavischsprachige, aber auch deutsche und einige französische Veröffentlichungen.711 1913 waren es 236 Institutionen, die mit dem NTSˇ in Verbindung standen. Gleichwohl der Austausch mit slavischsprachigen Organen nicht abnahm, fanden sich zahlreiche wissenschaftliche Institutionen aus ganz Europa, den USA und auch Japan, die mit dem NTSˇ kooperierten.712 Dabei ist allerdings nicht, wie dies die Hrusˇevs’kyj-Anhänger unter den Vereinschronisten implizieren, der Vereinspräsident allein für diese Entwicklung verantwortlich.713 Persönliche Netzwerke spielten eine entscheidende Rolle, vor allem für den Austausch spezialisierter Zeitschriften. Der Bibliothekar der Smithsonian Institution in Washington, D.C. ist durch einen mit Vovk bekannten Kollegen auf die Materialy do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji aufmerksam geworden – bereits im März 1899, dem Jahr der ersten Veröffentlichung dieser Zeitschrift.714 Wenig später trat er mit Vovk in direkten Kontakt, woraufhin diese Institution von Weltrang wenig später und durchgehend bis 1914 im ständigen Austausch mit dem NTSˇ stand.715 Mit den steigenden Subventionen wurden letztlich auch Ankäufe und Zeitschriftenabonnements möglich. All diese Entwicklungen konnten dazu beitragen, dass die Bibliothek in der kurzen Zeitspanne von ihrer Gründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beträchtlich anwuchs. 1894 zählte die Bibliothek nur rund 600 Bände, im Juli 1900 knapp 8.000, im April 1905 19.134 und im Januar 1914 bereits 70.238 Bände.716 Dabei veröffentlichte die Vereinschronik regelmäßig Berichte über neu eingegangene Werke, um die Vereinsöffentlichkeit über die Forschungsressourcen auf dem Laufenden zu halten.717 Überdies sandten Krevec’kyj als Bibliothekar oder Hnatjuk auch entfernt lebenden Vereinsmitgliedern benötigte Literatur zu.718 Die Bibliothek stellte die Grundlage für die wissenschaftliche Arbeit der Vereinsmitglieder dar und verfügte in den letzten beiden Dezennien über wachsende Bestände in westeuropäischen Sprachen, die für die Erarbeitung laufender Forschungsdebatten elementar waren. 711 712 713 714 715 716 717 718

Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 89–91. Chronika NTSˇ 57 (1914), S. 34–45. Dorosˇenko, V., 1936, S. 4f. Cyrus Adler to Doctor Hough, 29. März 1899, NA IA NANU, fond 1, spr. V/318a, ark. 51; Cyrus Adler to Th. Volkov, 10. Juli 1899, ebd., ark. 52. Chronika NTSˇ 57 (1914), S. 44. Dorosˇenko, V., 1936, S. 11. Vgl. Dorosˇenko, V., o. J. Vgl. exemplarisch Chronika NTSˇ 56 (1913), S. 27–29. Chalak 1999, S. 34.

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Dementsprechend ist auch der Ankauf entsprechender Fachliteratur ein Politikum gewesen, durch das sich vor allem Vertreter naturwissenschaftlicher Fächer zurückgesetzt fühlten.719 Mit wachsenden Beständen unterteilte der Verein seine Bibliothek in eine Druck- und eine Handschriftensammlung.720 Die letztere beherbergte alle textlichen Arbeits- und Sammlungsergebnisse aus Vereinsprojekten sowie weitere Manuskripte, die die Vereinsmitglieder hinterließen. Dadurch richtete sich dieses beginnende Nationalarchiv, das erst in der Zwischenkriegszeit wirklich als Archiv bezeichnet wurde, klar nach den Vereinsschwerpunkten aus. Hier fanden sich schließlich auch die zentralen Vereinsakten, etwa die Protokollbücher aller Sektionen, der Leitungsgremien sowie die Kanzleiakten. Davon sind zahlreiche, insbesondere ein Großteil der Korrespondenz des Sekretärs Hnatjuk, während des Ersten Weltkrieges von russischen Soldaten vernichtet worden. Darüber hinaus übernahm der Verein auch ganze Sammlungen, vor allem aus Erbschaften und ließ diese als solche intakt. So etwa die Privatbibliothek Ivan Frankos mit knapp 8.000 Bänden nach dessen Tod im Jahr 1916; sie nahm in der Zwischenkriegszeit einen eigenen Raum in Anspruch. Darunter befanden sich zahlreiche gesammelte Handschriften, Autographen und das Privatarchiv des Schriftstellers,721 so dass es sich bei diesem Raum nicht nur um einen intellektuellen Gedächtnisspeicher, sondern zugleich einen Erinnerungsort handelte. Auf Erlass des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine wurden die Bibliothek und das Privatarchiv des Dichters 1950 dem Literaturarchiv in Kyjiv übergeben. Das ist aus L’viver Perspektive nicht nur ein Forschungs-, sondern auch ein Erinnerungsproblem.722 Eine kommentierte Bestandserfassung wird seit 2010 publiziert.723 Aus der Handschriftenabteilung erwuchs in der Zwischenkriegszeit ein Archiv, das nicht nur die Dokumente des NTSˇ, sondern auch zahlreicher weiterer galizischer Vereine beherbergte, die für die ukrainische Nationalbewegung relevant waren. Große Teile davon sind mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach Warschau abtransportiert worden und verbleiben bis heute in der dortigen Biblioteka Narodowa, weitere Materialien befinden sich in Wrocław. Die Rückführung dieser Sammlungen bleibt ein bedeutender erinnerungskultureller und -politischer Disput.724

719 Protokoll der Generalversammlung vom 19. April 1905, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 31, ark. 27–34zv, hier ark. 33. 720 Chronika NTSˇ 56 (1913), S. 27–30. 721 Krevec’kyj 1923, S. 6. 722 Svarnyk 2006. 723 Mel’nyk 2010; Kostenko 2016. 724 Svarnyk 2005.

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Die Bibliothek ist also ein wichtiges Beispiel dafür, wie eine vergleichsweise kurzzeitig tätige Institution auch über ihr Bestehen hinaus relevant blieb. Wichtig hierfür scheint insbesondere, dass zahlreiche Mitglieder der transimperialen ukrainischen Intelligenz, von Konys’kyj über Franko bis zur Intelligenz der Zwischenkriegszeit, den Verein mit ihren intellektuellen Hinterlassenschaften bedachten. Die Sammlungen aufzubereiten blieb aufgrund der äußerst dynamischen Zuwächse im frühen 20. Jahrhundert ein unübersichtliches Unterfangen, das stets Finanzen zur Beschäftigung weiterer Mitarbeiter benötigte. Diese Situation ist wiederum mit dem Museum durchaus vergleichbar. Den Unterschied zwischen existierenden Sammlungen ohne systematische Ordnung und einem Museum, das den Ansprüchen eines modernen ›bürgerlichen‹ Museums gerecht wird, bezeugt die folgende Szene, die sich während der Generalversammlung des Vereins am 1. April 1900 ereignete: »Oleks. Barvins’kyj stellte den Antrag, der Verein möge dann und wann ein Museum bei sich gründen, das teilweise eine Ergänzung zur Bibliothek darstellen würde […]. Der Vorsitzende erwiderte, der Verein besitze schon ein Museum, das auch einige Stücke besitze, wenn auch nicht viele.«725

Barvins’kyj selbst hatte das Statut des Jahres 1892 initiiert, das den Verein mit dem Erhalt eines eigenen Museums beauftragte, so dass die Situation durchaus sprechend für die kommunikative Situation im Verein ist. Entgegen der Behauptung Hrusˇevs’kyjs und mit ihm auch früherer Forschungen zum NTSˇ gibt es keinen Hinweis darauf, dass zu diesem Zeitpunkt, abgesehen von einigen gespendeten Gegenständen mit unbekanntem Lagerort, ein Vereinsmuseum im engeren Sinne des Begriffs existierte.726 Nichtsdestotrotz gibt auch ein kurzer Museumsführer aus der Zwischenkriegszeit als Gründungsjahr 1893 – das Jahr der Bestätigung des Statuts durch die Statthalterei – an.727 Hrusˇevs’kyj verwies darauf, er hätte das Museum bereits 1898 sektionsintern auf die Tagesordnung gesetzt, allerdings durch den Mangel an Finanzen und Personal keine konkreten Schritte einleiten können. Während Barvins’kyj vorschlug, entsprechende Subventionen im Landtag und beim Kultusministerium zu beantragen, lieferten andere Mitglieder Anregungen, das Museum mithilfe der ruthenisch-ukrainischen Intelligenz voranzubringen. Die Vernetzung mit Organisationen der griechisch-katholischen Kirche und eine Bitte an die Prosvita, dem prospektiven Museum eingelagerte Exponate zukommen zu lassen, wurden angedacht. Au-

725 Protokoll der Generalversammlung vom 1. April 1900, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 109–112zv, hier ark. 111–111zv. 726 Kusˇnir 2012, S. 825f. 727 Naukove tovarystvo im. Sˇevcˇenka u L’vovi: Providnyk o. J.

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ßerdem diskutierten die Versammelten, Spenden von Privatpersonen für das Museum zu erbitten.728 Diese Initiativen blieben zunächst folgenlos. Hrusˇevs’kyj veröffentlichte 1901 einen Aufruf mit der Bitte um Spenden für das Museum in den Zapysky. Die Sammlungsschwerpunkte definierte er wie folgt: Antiquitäten aus Ausgrabungen auf dem ukrainisch-ruthenischen Territorium; Geschirr, Instrumente und Kleidung; alte Ikonen und Porträts; alte Druckwerke aus ruthenischen Druckereien; historische Handschriften und Dokumente; Autographen ukrainischer Autoren und anderer bekannter Persönlichkeiten; Kunstwerke ukrainischer Künstler oder zu ukrainischer Thematik; ethnographische Stücke/Volkskunst.729 Zur wissenschaftlichen Erfassung sollten so detailreich wie möglich Informationen zu Herkunft und Entstehungskontexten der Objekte beigelegt werden.730 Während der folgenden Jahre lieferten insbesondere Amateurwissenschaftler aus der ländlichen Intelligenz einen zentralen Beitrag zur Ausstattung des Museums, insbesondere hinsichtlich der Ethnographica. Auch Studenten, Geistliche und zahlreiche, nicht näher identifizierbare Personen, die nicht im näheren Kontakt zum Verein standen, sandten Gegenstände ein.731 Schulen trugen zur Sammlung von Gegenständen und Folklore bei.732 Nur vereinzelt fanden sich auch Frauen, die als Spenderinnen zu identifizieren sind.733 Nicht zuletzt überließen Vereinsmitglieder dem Museum unregelmäßig Zufallsfunde oder Gegenstände aus ihrer Privatsammlung.734 Der wichtigste Ratgeber für die musealen Sammlungen war der Anthropologe und Ethnologe Fedir Vovk, der seit einigen Jahren mit dem Verein in intensivem Kontakt stand und die Tätigkeit der ethnographischen Kommission vor allem durch seine Briefe aus Paris bereicherte.735 Steigende Finanzen erlaubten dem Verein die Finanzierung anthropologisch-ethnographischer Mess- und Sammelreisen, zu denen etwa die zwischen 1903 und 1906 von Fedir Vovk geleiteten Karpatenexpeditionen gehörten. Systematische Reisen durch die ethnographischen Regionen Galiziens ermöglichten eine rasche Erweiterung der entsprechenden Bestände, die sich vor allem aus Kleidung, Schmuck und anderen in Heimarbeit produzierten Gütern zusammensetzten. Darüber hinaus fertigte er 728 Protokoll der Generalversammlung vom 1. April 1900, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 109–112zv, hier ark. 111–111zv. 729 Hrusˇevs’kyj 1901, S. 2. 730 Ebd., S. 3. 731 Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. I, Archiv Instytutu Narodoznavstva NANU (L’viv), S. 7f.; Inventar. Kn. 2, ebd., S. 8–13. 732 Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. II, ebd., S. 33; Rohde 2019, Local Knowledge. 733 Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. II, Archiv Instytutu Narodoznavstva NANU (L’viv), S. 33, 54, 96. 734 Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. I, Archiv Instytutu Narodoznavstva NANU (L’viv), S. 7f., 42; Inventar. Kn. II, ebd., S. 1–5, 14–16, 21, 61, 63–82, 104–111, 190–192. Dazu exemplarisch V. Dorosˇenko an Hrusˇevs’kyj, 5. Oktober 1910, LMH, t. 2, S. 243. 735 Tomasˇivs’kyj an Vovk, 09. Juli 1900, NA IA NANU, fond 1 V/4211.

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zahlreiche Fotografien zu seinen anthropometrischen und ethnographischen Forschungen an, die er teilweise dem Museum übergab.736 Bei geförderten Forschungsreisen wurden ethnographische Gegenstände für das Museum nicht selten als Nebenprodukt aufgelesen. Systematische Ankäufe und Bestellungen etwa von Häusermodellen, Kleidung oder Antiquitäten konnten nur bei ausreichendem Budget und damit erst in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg getätigt werden. Einer der wichtigsten Kontakte in dieser Hinsicht war Mykola Biljasˇivs’kyj (1867–1926), ein Bekannter Hrusˇevs’kyjs seit den frühen 1890er Jahren, der 1902 bis 1923 als Direktor des Museums für Antiquitäten und Kunst in Kiew arbeitete. Durch seinen Kontakt zu Ausgrabungsstätten konnte er dem NTSˇ archäologische Sammlungen vermitteln, deren größter Teil Anfang des Jahres 1910 angekauft wurde und zur Gründung einer eigenen archäologischen Abteilung des Museums gereichte.737 Doch auch in Galizien ergaben sich entsprechende Gelegenheiten. Zur ethnographischen Ausstellung, die 1912 in Kolomyja stattfand, wurde Oleksij Nazarijiv explizit mit dem Ziel entsandt, ethnographische Gegenstände anzukaufen, um die entsprechenden Sammlungen des Museums zu komplettieren.738 Öffentlichkeitsarbeit und Lehre standen auch hinsichtlich des Museums nicht auf der Prioritätenliste des NTSˇ. Als Ausnahme dürfen die Kurse Fedir Vovks gelten: Er ließ das Museum ein Skelett, Messinstrumente und andere Gegenstände für sein im November 1903 abgehaltenes Seminar in prähistorischer Anthropologie kaufen.739 Hrusˇevs’kyj ersuchte ihn außerdem, eine Sammlung einschlägiger Exponate in Paris zu erwerben.740 Diese Materialien nutzte Vovk letztlich auch für seinen Unterricht während der wissenschaftlichen Ferienkurse im Folgejahr. Insgesamt lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob die ethnographische Kommission nicht informelle Weiterbildungen unternahm, um ihrerseits Nachwuchswissenschaftler zu schulen. Angesichts der anderen Tätigkeiten des Vereins mangelte es an Finanzen für Personal zur systematischen Aufbereitung des Materials und zunächst auch an Räumlichkeiten für öffentliche Ausstellungen. Das Museum erhielt 1907 einige Räume im neu errichteten akademicˇnyj dim. 1909 soll es erstmals für die Öffentlichkeit regelmäßig zugänglich gewesen sein, allerdings sind dabei Ein-

736 Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. II, Archiv Instytutu Narodoznavstva NANU (L’viv), S. 39–42, 47f. 737 Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. I, Archiv Instytutu Narodoznavstva NANU (L’viv), S. 29–41; vgl. den Briefwechsel LMH, t. 2, S. 79–85. Zur Gründung der Abteilung Chronika NTSˇ 45 (1911), Nr. 1, S. 58. 738 Bericht O. Nazarijivs über die Resultate seiner Reise zur hausindustriellen Ausstellung in Kolomyja, 1912, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 84. 739 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 2. Juli 1903, LMH, t. 2, S. 188–190, hier S. 188. 740 Ebd., S. 190.

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schränkungen anzunehmen.741 Ende des Jahres 1910 erhielt das Museum weitere Räume im Erdgeschoss, die zuvor von Studenten bewohnt waren; ab diesem Zeitpunkt soll es täglich, Feiertage ausgenommen, zwei Stunden lang für Besucherinnen und Besucher geöffnet gewesen sein.742 Neben der Kanzlei, einem weiteren Arbeitszimmer und einem kleinen Fotolabor standen fünf Säle zur Verfügung. Der erste war mit naturkundlichen, der zweite mit geologischen sowie paläontologischen und der dritte mit ethnographischen Exponaten bestückt. Der vierte Saal war zugleich der Sitzungssaal des Vereins und mit archäologischen Ausstellungsstücken versehen, während der fünfte sich gänzlich der historischen Archäologie widmete.743 Mit dem Sitzungssaal erhielt das Museum also auch eine repräsentative Funktion für Vereinsveranstaltungen, beispielsweise als die Räumlichkeit für das große Sˇevcˇenko-Fest des Vereins zum 100. Geburtstag des Dichters im Jahr 1914 genutzt wurde.744 Die Raumsituation blieb dennoch für Ausstellungszwecke unbefriedigend. Als sich im September 1910 durch politisches Momentum die Möglichkeit ergab, Förderungsgesuche politisch durchzusetzen, mühte sich die UNDP, Mittel zum Ausbau des Museums vom Ministerium für Kultus und Unterricht einzuwerben. Die Statthalterei lehnte dies jedoch kategorisch ab, weil das akademicˇnyj dim als angebliches Zentrum der radikalen Studentenschaft nicht die geeignete Herberge eines politisch unbedenklichen Museums werden könnte. Eine Subvention dürfte deshalb nur erfolgen, wenn das Museum an anderer Adresse untergebracht werden würde.745 Die Museumssammlung war 1912 schon derart angewachsen, dass selbst die zentralen Kollektionen nicht mehr systematisch gelagert und aufbereitet, geschweige denn präsentiert werden konnten.746 Dies muss letztlich ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen sein, das Museum nach ˇ arnec’kyj Straße 24 zu verlegen. Hier zeigte sich, dass erfolgtem Umbau in die C das staatliche Entgegenkommen keine leere Worthülse war, zumal das Ministerium den Umbau mit 100.000 Kronen subventionierte.747

741 Kusˇnir 2012. 742 Chronika NTSˇ 45 (1911), Nr. 1, 60. 743 Nazarijiv, O.: Rechenschaftsbericht des Museums, 1. Oktober bis 31. Dezember 1912, [1913], CDIAL, fond, 309, op. 1, spr. 777, ark. 4–4zv. 744 Einladung zur Festveranstaltung des NTSˇ zum 100. Geburtstag Taras Sˇevcˇenkos, NA IA NANU, fond 1 V/365. 745 Einsichtsakt des Ministeriums für Kultus und Unterricht, betreffend ein Schreiben an den Statthalter in Lemberg, in Angelegenheit der Erfüllung mehrerer ruthenischer Wünsche. 29. September 1910, AVA Inneres MdI Präs 9904/1910. 746 Nazarijiv, Oleksa: Rechenschaftsbericht des Museums, 1. Oktober bis 31. Dezember 1912, [1913], CDIAL, fond, 309, op. 1, spr. 777, ark. 4–4zv, hier 4zv. 747 Chronika NTSˇ 57 (1914), 3.

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Die diesbezüglichen Arbeiten – insbesondere der Transport der Möbel und Sammlungen – ging allerdings nur langsam voran.748 Wie noch herausgestellt wird, sanken die Ambitionen in populärwissenschaftlicher Tätigkeit seitens der Vereinsleitung um das Jahr 1905. Dementsprechend hatte die öffentliche Zugänglichkeit des Museums geringere Priorität als die Veröffentlichung von Periodika; hinzu kamen die finanziellen Schwierigkeiten, die das akademicˇnyj dim verursachte. Dementsprechend dauerte die Aufbereitung der Sammlungen länger und ist nicht zuletzt durch Hilfskräfte bewerkstelligt worden.749 Noch Ende des Jahres 1912 blieben einige der früher erworbenen Sammlungen nicht aufbereitet.750 Einen Schritt zur öffentlichen Interaktion unternahm das Museum im Rahmen der Hausindustrie-Ausstellung in Kolomyja, für die es einige Exponate zur Verfügung stellte.751 Dennoch blieb das Sammeln, Bewahren und Forschen mindestens bis zum Ende des Ersten Weltkriegs im Vordergrund. In der Zwischenkriegszeit ist das Museum in zehn Sälen im neuen Vereinsgebäude in der ˇ arnec’kyj Straße 24 wieder aufgebaut und erweitert worden, wobei sich auch ein C gesonderter Raum mit dem Ersten Weltkrieg befasste.752 Der Verein öffnete sein Museum in den 1920er Jahren also zunehmend der Öffentlichkeit, gleichsam erhielten sich wichtige Teile der Forschungssammlung, an die Wissenschaftler in dieser deutlich finanzknapperen Periode anknüpfen konnten. Darüber hinaus ergab sich mit dem allmählichen Rückzug Hrusˇevs’kyjs aus den Vereinsgeschäften 1913, der noch diskutiert wird, eine Diversifizierung des Museums und der Vereinstätigkeit. Ivan Rakovs’kyj und Stepan Rudnyc’kyj zeigten sich seit 1913/1914 verantwortlich für das Museum.753 Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die Reorganisation im neuen Gebäude, die genau zu diesem Zeitraum stattfand. Das nunmehr zweistöckig angelegte Museum organisierte sich in den Abteilungen: »1) archäologische; 2) ethnologische; 3) naturkundliche; 4) Porträtgalerie; 5) Abteilung für kirchliche Kunst.«754 Rudnyc’kyj, nunmehr Dozent an der Universität Lemberg, sammelte mit seinen Studenten während zahlreicher Exkursionen in den Karpaten Exponate auf, die er dem Museum infolge dieser Neuordnung spendete. Auch darüber hinaus erweiterten zahlreiche Neuzugänge die naturkundliche Abteilung: Ivan Verchrats’kyj überließ dem Verein seine entomologische Sammlung, während Maksym Kova748 Nazarijiv, Oleksa: Rechenschaftsbericht des Museums, 1. Oktober bis 31. Dezember 1912, [1913], CDIAL, fond, 309, op. 1, spr. 777, ark. 4. 749 Zaliznjak 1950, no. 9, 7. 750 Nazarijiv, Oleksa: Rechenschaftsbericht des Museums, 1. Oktober bis 31. Dezember 1912, [1913], CDIAL, fond, 309, op. 1, spr. 777, 4zv. 751 Chronika NTSˇ 52 (1912), 2. 752 Naukove tovarystvo im. Sˇevcˇenka u L’vovi: Providnyk, o. J. 753 Chronika NTSˇ 57 (1914), S. 1f. 754 Chronika NTSˇ 63–64 (1920), S. 103.

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›Wissenschaftliche Ferienkurse‹ im Sommer 1904

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levs’kyj eine rund 1.000 Exponate zählende geologische und archäologische Sammlung aus dem Kaukasus zur Verfügung stellte.755 So zeigt sich eine zunehmende disziplinäre Diversifizierung, die nunmehr auch das Museum als eine Institution betraf, die außerhalb der Sektionshierarchien stand.

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›Wissenschaftliche Ferienkurse‹ im Sommer 1904

Im Lemberger Hotel Belle Vue fanden fanden vom 23. Juni bis zum 22. Juli 1904 erst- und einmalig ›wissenschaftliche Ferienkurse‹ statt, die dem Format einer heutigen Sommerschule ähnelten.756 Nominell verantwortlich war das Tovarystvo prychylnykiv ukrajins’koji literatury, nauky i ˇstuky (Verein der Liebhaber ukrainischer Literatur, Wissenschaft und Kunst). Der Verein wurde im selben Jahr von Franko, Hnatjuk, Hrusˇevs’kyj sowie dem Maler Ivan Trusˇ (1869–1941) 757 gegründet und war ein Instrument Hrusˇevs’kyjs, das die Möglichkeit bot, Projekte auszuführen, die im NTSˇ problematisch gewesen wären. Hinsichtlich der Ferienkurse ist dies aus zwei Gründen relevant: Erstens waren derartige Projekte politischer Sprengstoff in der Habsburgermonarchie, seit die Universitätsbegehren unterschiedlicher Nationalbewegungen aufflackerten und ein ähnliches Projekt in Innsbruck 1903 zu Ausschreitungen seitens deutschnationaler Studenten geführt hatte.758 Für das NTSˇ und seine Staatssubventionen hätte ein solcher Ausgang der Veranstaltung durchaus schädlich sein können. Zweitens waren die Kurse, die keinen Lehrenden aus der Opposition759 der Jahre 1903 und 1904 einbezogen, ein vereinsinternes Politikum. Sie standen im Mittelpunkt der Debatten darum, was ›nationale Wissenschaft‹ zu leisten hätte und stellen darüber hinaus den praktischen Versuch dar, eine der entsprechenden Visionen

755 Ebd., 104. 756 Kotenko 2018, S. 271, hat offenbar die Daten des julianischen Kalenders in seiner Darstellung verwendet, daraus ergibt sich diese Abweichung. 757 Ivan Trusˇ (1869–1941) war seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit dem NTSˇ affiliiert und fertigte diverse Porträts der Mitglieder an, die heute nahezu ikonischen Status besitzen. Er gehörte zum engeren Kreis um Hrusˇevs’kyj und richtete sein Atelier im ersten Vereinsgebäude ein. Zum Atelier vgl. Briefwechsel NTSˇ mit Trusˇ, 1901–1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 565. 758 Rohde 2019, Innerimperiale Lernprozesse?, S. 196–198. 759 Der Historiker Ivan Krypjakevycˇ (1886–1967) nahm an den Kursen teil und erwähnt eine Veranstaltung Stepan Rudnyc’kyjs. Diese ist weder in den offiziellen Dokumenten (darunter die Abrechnungen mit allen Lektoren) noch anderen Erinnerungen an die Kurse erwähnt. Kotenko 2018, S. 272. Wahrscheinlich ist, falls Krypjakevycˇs Erinnerungen korrekt sind, dass Rudnyc’kyj auf einer Abendveranstaltung auftrat, die der Kruzˇok ukrajins’kych divcˇat (Zirkel ukrainischer Mädchen) als Rahmenprogramm organisierte. Nova Chata 15 (1939), cˇ. 7–8, S. 7; Klymenko 2012.

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umzusetzen. Deshalb seien sie an dieser Stelle in einer ›dichten Beschreibung‹ aus unterschiedlichen Winkeln diskutiert. Hrusˇevs’kyj schien mit der Organisation dieser Kurse partiell auf Forderungen der Opposition reagieren zu wollen. Mychajlo Pavlyk bemühte sich seit 1902, das Projekt einer ›privaten‹ ukrainischen Universität bzw. einer ›(populären) Volksuniversität‹ unter dem Protektorat des NTSˇ mit Unterstützung der philologischen Sektion auf die Vereinsagenda zu setzen.760 Angesichts der ukrainischen Bestrebungen um eine separate Universität bzw. einer Gleichberechtigung an der Lemberger Universität sollte dieses Projekt symbolische Akzente setzen und der ukrainischen Öffentlichkeit zugutekommen.761 Ein unter anderem von Pavlyk und Dnistrjans’kyj eingebrachtes Statutenprojekt sah »einmalige Vorlesungen« sowie »systematische Kurse«762 als zentrale Vereinsaktivität vor. Während sich zwar Vereinsmitglieder, darunter auch Hrusˇevs’kyj und Franko, individuell für öffentliche Vorträge zur Verfügung stellten,763 waren diese Initiativen meist von anderen Vereinen getragen und nicht systematisch oder regelmäßig. Daraufhin organisierte die Vereinsleitung 1903 einen zweiwöchigen Kurs zu prähistorischer Anthropologie, den Fedir Vovk im Alleingang bestritt, sowie die Sommerkurse, die im Zentrum dieses Kapitels stehen. Die hiermit in Verbindung stehenden Zerwürfnisse, so argumentiere ich, führten mittelfristig zur Gründung eines separaten Vereins für populärwissenschaftliche Aktivitäten, der PetroMohyla-Gesellschaft für wissenschaftliche Vorlesungen. Dies kam keiner gänzlichen Abtrennung gleich, eröffnete aber ein separates Forum für andersdenkende Wissenschaftler.764 Als Vorbild figurierten Initiativen der Universitäten Oxford und Cambridge in Großbritannien, university extensions, die 1888 eingeführt wurden und entsprechend der Namensgebung den Wirkungskreis der Universitäten ausweiten sollten.765 Dieses Konzept hatte, beginnend in Wien, erheblichen Einfluss in den Universitätsstädten der Habsburgermonarchie. ›Volkstümliche Universitätskurse‹ wurden seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert regelmäßig in ganz Cis760 Pavlyk, Mychajlo, »Vil’nyj (pryvatnyj) ukrajins’kyj universytet pid provodom Naukovoho Tovarystva im. Sˇevcˇenka u L’vovi«, CDIAL, fond 663, op. 1, spr. 14; Protokoll der Sitzung der philologischen Sektion vom 30. März 1902, LNNB VR, fond 1, op. 2, spr. 42a, ark. 26zv. 761 Pavlyk 1905, S. 19f. 762 Projekt statutu 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5, ark. 1 [§3]. 763 Autobiographie Hrusˇevs’kyjs 1906, IL VR, fond 122, spr. 1, S. 5. 764 Laut Puljuj widersprachen sich die jeweiligen Vereinsagenden nicht. Puljuj an Pavlyk, 9. Januar 1905, Zbozˇna (Hg.) 2007, S. 326. Dieser Einschätzung ist prinzipiell zuzustimmen, intendierten Kolessa und Kollegen doch nicht die Durchführung von Forschungsreisen und -projekten. Statut Tovarystva ukrajins’kych naukovych vykladiv 1909; Statut Tovarystva ukrajins’kych naukovych vykladiv 1912. 765 Krevec’kyj 1904, S. 97. Das unten beschriebene Konzept der »Konferenz« nach den Lehrveranstaltungen ist dem britischen Beispiel direkt entlehnt.

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›Wissenschaftliche Ferienkurse‹ im Sommer 1904

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leithanien mit staatlicher Unterstützung abgehalten,766 so ab 1899 auch in Lemberg, in polnischer Sprache, allerdings durch einen privaten Verein.767 Fachspezifische Kurse, die auch, aber nicht nur Studierende als Zielgruppe hatten, wurden etwa in Frankreich von universitären Fakultäten angeboten, so beispielsweise von der École d’anthropologie. Vorbildhaft für den NTSˇ war das Konzept der Russischen Höheren Schule der Gesellschaftswissenschaften in Paris, an der neben Fedir Vovk auch Mychajlo Hrusˇevs’kyj unterrichtete.768 Vovk unterrichtete hier regelmäßig von 1901 bis 1905; Hrusˇevs’kyj hatte ihm eine Einladung als Dozent im Jahr 1903 zu verdanken.769 Wie Anton Kotenko gezeigt hat, war auch das Programm der ukrainischen Ferienkurse dem der Russischen Höheren Schule nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch nachempfunden.770 Bei derartigen Kursen handelte es sich um eine zirkulierende Idee im europäischen wissenschaftlichen Umfeld, das im lokalen Kontext eine dezidiert transimperiale Prägung erhielt. Noch wichtiger zum Verständnis des Interesses an derartigen Kursen in Lemberg war wohl eine Art Testlauf im Vorjahr, als Vovk über zwei Wochen 16 zweistündige öffentliche Vorlesungen zur prähistorischen Anthropologie hielt. In einem Brief an seinen Kyjiver Kollegen Mykola Biljasˇivs’kyj berichtete er, dass rund 200 bis 300 Personen teilnahmen, später sogar mehr.771 Hrusˇevs’kyj behauptete, die unmittelbare Anregung zur Veranstaltung wäre von jemandem aus der russländischen Ukraine geliefert worden.772 Dies scheint jedoch fraglich, war doch ein zunächst angesetztes Datum für Studierende im Zarenreich aufgrund der Semestertermine völlig problematisch. Der Historiker Dmytro Dorosˇenko (1882–1951) und seine Bekannten meldeten sich mit der Bitte beim NTSˇ, die Kurse im Sinne interessierter Studierender aus dem Zarenreich noch etwas zu verschieben, ansonsten wäre ihnen die Teilnahme unmöglich.773 Zwar ist die Veranstaltung tatsächlich nach hinten verlegt worden, doch musste Dorosˇenko trotzdem einige seiner Prüfungen verlegen, während andere seiner Kolleginnen und Kollegen aus terminlichen und organisatorischen Gründen nicht teilnehmen konnten, was sicherlich der Spontanität bei der Planung geschuldet war.774 Hrusˇevs’kyjs Bericht, der bislang die wichtigste Quelle für die Geschichte dieser Kurse war, weist weitere Ungereimtheiten auf. Seine Umschreibung als ›ukrainekundliche Kurse‹ kann nur ein ex post zugewiesenes 766 767 768 769 770 771 772 773 774

Stifter 2015. Rohde 2020, Ukrainian Popular Science. Krevec’kyj 1904, S. 98f.; dazu auch Franko 2000, S. 95. Franko 2000, S. 93–95. Kotenko 2018, S. 269. Vovk an Biljasˇivs’kyj, 29. November 1903, in: Naulko (Hg.) 2002, S. 34–36, hier S. 35. Hrusˇevs’kyj 1904, Ukrajins’ko-rus’ki naukovi kursy, S. 102. Dorosˇenko, D. 1949, S. 50f. Dorosˇenko, D. 1930, S. 2.

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Vereinswissenschaft: Alternative Institutionalisierung

Etikett sein, nicht aber das anfängliche Konzept, lud Ivan Franko doch den Orientalisten Ahatanhel Kryms’kyj noch im April mit der Bitte ein, »irgendeinen Kurs in ukrainischer Sprache zu lesen«775. Unbestreitbar ist hingegen die von Hrusˇevs’kyj geplante Symbolwirkung, inmitten neuer Vorstöße zur Universitätspolitik den Bedarf für ukrainischsprachige höhere Bildung zu demonstrieren. In diesem Sinne war das Projekt allerdings nicht erfolgreich: Im Gegensatz zu den im Sommer 1903 in Ausschreitungen geendeten italienischen Universitätskursen handelt es sich um bewusst friedliche und staatskonforme Zeichen, die die Veranstaltung setzen sollte.776 Dadurch verzichtete sie allerdings auf eine größere öffentliche Sichtbarkeit und wurde von den Behörden scheinbar ignoriert. Waren die Ferienkurse nun ein alleiniges Entgegenkommen an die Opposition? Durch den systematischen Ausschluss oppositioneller Dozenten aus dem Kursprogramm scheint es wahrscheinlicher, dem Klientel solcher Kurse eine Alternative zu bieten, die der Vereinsleitung die Loyalität der Öffentlichkeit sichern sollte. Wie zuvor demonstriert, war die galizisch-ukrainische Jugend wohl der Teil der Intelligenz, die der Vereinsleitung gegenüber am besten gesonnen war. Entgegen bisheriger Thesen schlage ich vor, dass die wesentliche Inspiration von einer Versammlung junger Frauen geliefert worden war, die der Kruzˇok ukrajins’kych divcˇat (Zirkel ukrainischer Mädchen) am 12. Februar 1904 abhielt. Dieser Verein arbeitete für die (populärwissenschaftliche) höhere Frauenbildung und war durch familiäre Bindungen eng mit der Lemberger Intelligenz verflochten. Der NTSˇ, das belegt ein ausführlicher Bericht des Journalisten Mychajlo Lozyns’kyj (1880–1919) im LNV, rezipierte die Veranstaltung eindeutig.777 Die zeitliche Koinzidenz bestätigt diese Deutung. Franko schrieb an Kryms’kyj, die Idee wäre von der ›Jugend‹ bei einer Vereinssitzung geliefert worden.778 Einen entsprechenden Vermerk liefern die Protokolle nicht. Möglicherweise meinte er die Versammlung des Kruzˇok, möglicherweise auch eine Redaktionssitzung des LNV, bei der Lozyns’kyjs Artikel zur Diskussion vorlag. In jedem Fall lässt sich die These, dass die wesentliche Initiative vom Kruzˇok ausging, dadurch stützen, dass er das Rahmenprogramm für die Gäste nach der Vorlesungszeit gestaltete und zu diesem Zweck ein Kulturprogramm, unter anderem mit Konzerten, organisierte.779 Tatsächlich bringen nahezu alle greifbaren gedruckten und archivalischen Quellen den Anteil des Kruzˇok an den Kursen zum Verschwinden, lediglich die Briefe der Studentin Anastasija (›Nastja‹) Hrincˇenko (1884–1908) an ihre Eltern zeigen die Verbindung deutlich auf und können durch vorhandene

775 776 777 778 779

Franko an Kryms’kyj, 18. April 1904, ZTIF, t. 50, S. 242f., hier S. 242. Rohde 2019, Innerimperiale Lernprozesse? Lozyns’kyj 1904. Franko an Kryms’kyj, 18. April 1904, ZTIF, t. 50, S. 242f., hier S. 242. Klymenko 2012, S. 151.

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Teilnahmeausweise bestätigt werden.780 In diesem Lichte könnte nun auch Hrusˇevs’kyjs Verweis, der Vorschlag wäre von jemandem aus der russländischen Ukraine gekommen, neu interpretiert werden. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass er Hrincˇenko damit gemeint haben könnte. Sie kam aus Kyjiv, absolvierte allerdings im gegebenen Zeitraum zwei Auslandssemester in Lemberg. Diese Annahme kann auch dadurch gestützt werden, dass sie nicht nur mit Franko persönlich bekannt war, sondern auch die Lehrveranstaltungen Hrusˇevs’kyjs besuchte.781 Dieser Ansatz scheint außerdem der bisher einzige, der die kurzfristige und überhastete Organisation erklären kann. Die endgültige Entscheidung, die Kurse abzuhalten, fällten die Organisatoren erst recht spät, vermutlich mit der Zusage ˇ ykalenko, die Veranstaltung zu finanzieren.782 Die Kommunikades Mäzenen C tion mit der in der Habsburgermonarchie lebenden ukrainisch-ruthenischen Gemeinschaft konnte zwar durch Medien wie dem Dilo und dem LNV bewerkstelligt werden,783 doch auf diese Ressourcen wurde erst spät zurückgegriffen. Die Bewerbung unter den russländischen Ukrainerinnen und Ukrainern konnte lediglich durch private Netzwerke erfolgen.784 Das führte zu einem häufig problematischen Informationsfluss: Dmytro Dorosˇenko ging bis zum endgültigen Kursprogramm davon aus, dass nicht nur Kryms’kyj, sondern auch der Charkower Professor für Literaturgeschichte Mykola Sumcov (1854–1922) Vorlesungen bestreiten würde.785 Der Student Oleksa Kovalenko (1880–1927) schrieb im Mai an Franko, dass er und sein Bekanntenkreis in Kiew das »Gerücht« vernommen hätten, dass Kurse im Sommer stattfinden würden, ansonsten allerdings keinerlei Details erfahren könnten.786 Franko konnte nur einen Teil der gewünschten Informationen bereitstellen. Für die Unterkünfte auswärtiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer und sonstige Erleichterungen der Anreise war nicht gesorgt worden, obwohl derartige Unterstützung zu Beginn kommuniziert wurde.787 Zwar bot Franko Kovalenko persönlich an, sich um eine Unterkunft zu bemühen,788 doch letztlich ist dessen Teilnahme nicht nachweisbar. 780 Zur ausführlicheren Diskussion des Kruzˇok und seinem Anteil an der Entwicklung ukrainischer Populärwissenschaft in Lemberg Rohde 2020, Ukrainian Popular Science. 781 Klymenko 2012. 782 Sitzungsprotokolle des Tovarystvo prychyl’nykiv, 4. Juni 1904, DALO, fond 298, op. 1, spr. 3, ˇ ykalenko an Hrusˇevs’kyj, 28. Juni 1904, LMH, t. 5, S. 54f., hier ark. 2zv–3, hier ark. 2zv.; C S. 54. 783 LNV, t. 26, 1904, S. 195; LNV, t. 27, 1904, S. 52–56. Einen Tag vor Beginn veröffentlichte das (Dilo, Beilage, 22. Juni 1904, S. 3) das Programm. 784 Die Organisatoren fürchteten, durch die Kommunikation innerhalb der russländischen Presse mögliche Schwierigkeiten für die Teilnehmer beim Grenzübergang zu evozieren. Zajceva 2006, S. 303. 785 Dorosˇenko, D. 1930, S. 14. 786 Kovalenko an Franko, 11. Mai 1904, abgedruckt in Tycholoz 2009, S. 194f., Zitat S. 194. 787 Dorosˇenko, D. 1949, S. 53.

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Das Personal bestand primär aus der Führung des NTSˇ: Als Organisatoren angegeben waren Ivan Franko, Volodymyr Hnatjuk, Mychajlo Hrusˇevs’kyj sowie dessen Frau Marija als Schatzmeisterin. Mit Hrusˇevs’kyj, Franko, Vovk, Studyns’kyj, Tomasˇivs’kyj, dem Philologen Ivan Bryk (1879–1947) und dem Gymnasialprofessor Rakovs’kyj handelte es sich um Dozenten, die sämtlich wirkliche Mitglieder des NTSˇ waren (Tabelle 3). Lediglich Mykola Hankevycˇ (1869–1931), Mitbegründer der Ukrainischen Sozialdemokratischen Partei, arbeitete mit einigen Vereinsaktivisten zusammen, ohne selbst Mitglied gewesen zu sein. Er war ebenfalls Mitglied der polnischen Towarzystwo »Uniwersytet Ludowy« im. Adama Mickiewicza (Adam-Mickiewicz-Volkshochschule) und damit ein seltenes Beispiel für transnationale Populärwissenschaft.789 Dozent Hrusˇevs’kyj, Mychajlo Tomasˇivs’kyj, Stepan Tomasˇivs’kyj, Stepan Hankevycˇ, Mykola

Kurs Übersicht der Geschichte der Ukrajina-Rus’

Dauer 9 Std.

Aus der Geschichte der ukrainisch-polnischen Beziehungen im 17. Jahrhundert

1 Std.

›Ungarische Rus‹

1 Std.

Aus der neueren Geschichte des westlichen Europas

15 Std.

Franko, Ivan Studyns’kyj, Kyrylo

Übersicht der ukrainischen Literatur von den frühesten Zeiten 18 Std. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Die Kulturbewegung in Galizien vom Auftreten Markijan 5 Std. Sˇasˇkevycˇs bis 1860

Vovk, Fedir Rakovs’kyj, Ivan

Ukrainische Anthropologie und Ethnographie Onto- und Philogenese des Menschen

Bryk, Praktischer Kurs in ukrainisch-ruthenischer Sprache Ivan Tabelle 3: Programm der wissenschaftlichen Ferienkurse 1904.790

6 u. 16 Std. 6 Std. 12 Std.

Den Schwerpunkt der Ferienkurse definierte Hrusˇevs’kyj als historische Ukrainekunde, vornehmlich betreffend Geschichte, Literaturgeschichte, Anthropologie und Ethnologie (Tabelle 3). Damit wurde der Begriff Ukrajinoznavstvo erstmals als Bezeichnung für die ›nationale Wissenschaft‹ genutzt, allerdings nicht weiter definiert. Ergänzt wurde dieses Programm durch eine kurze Vorlesung zur ungarischen Rus’ von Stepan Tomasˇivs’kyj und einen ukrainischen Sprach- und Grammatikkurs für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der russländischen 788 Franko an Kovalenko, 1904, ZTIF, t. 50, S. 244. 789 Wiedza dla Wszystkich 1 (1899), S. 34. Zu Hankevycˇ vgl. Strel’byts’ka 2015. 790 Zusammengestellt nach Hrusˇevs’kyj 1904; Ukrajins’ko-rus’ki naukovi kursy; Hnatjuk 1904.

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Ukraine. Ivan Rakovs’kyj hielt das einzige naturwissenschaftliche Seminar ab und beschäftigte sich mit der Onto- und Philogenese, d. h. der Einzel- und ›Stammesentwicklung‹ von Menschen entsprechend der Begriffe von Ernst Haeckel in Anlehnung an Charles Darwin.791 Gleichzeitig verhielt sich das Thema aber synergetisch zu Vovks anthropologischem Kurs. Während Studierende als primäre Adressaten galten, damit diese ihr Studium in Fächern erweitern könnten, die üblicherweise nicht an Universitäten angeboten werden, finden sich auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlichen Alters, beruflicher und geographischer Herkunft. Einige Teilnahmen belegen, dass der Verein sein breiteres Netzwerk sinnvoll (re-)aktivieren konnte. Der Lehrer Luka Harmatij (1866–1924) war seit Anfang der 1890er Jahre in diversen Volksschulen am Land tätig und eine wichtige Verbindungsperson für ethnographische Forschungen.792 Er nahm mit seinem Bruder Hryhorij (Hryc’) Harmatij (1872–1930) teil, ein promovierter Arzt, der während seiner Studienzeit Stipendiat des NTSˇ war.793 Ivan Makuch (1872–1946, promovierter Anwalt) war während seiner Studienzeit administrativer Mitarbeiter des Vereins.794 Jaroslav Hrusˇkevycˇ (1873–1964, promovierter Arzt), ein ehemaliger Vereinsstipendiat, nahm gemeinsam mit seinem Vater Teofil Hrusˇkevycˇ (1846–1915) teil.795 Der Richter Tyt Revakovycˇ (1845–1919) gehörte dem Verein schon vor seiner Reformierung an.796 Rund ein Drittel weibliche Teilnehmerinnen sprechen für das Interesse an höherer Bildung, die Frauen an der Universität Lemberg erst seit 1897 an zwei Fakultäten, den philosophischen und medizinischen, zunächst als außerordentliche und ab 1900 als ordentliche Hörerinnen, erwerben konnten. Dementsprechend fallen diverse Mitglieder des Kruzˇok ukrajins’kych divcˇat auf, 791 Die Begriffe gehen auf den deutschen Mediziner Ernst Haeckel (1834–1919) zurück, der damit eine auf Darwin aufbauende Evolutionstheorie begründete. Vgl. Haeckel 1906 [erstmals 1866]. 792 Die Kursteilnahme aller genannten Personen ist nachgewiesen durch: Legitimationskarten des Tovarystvo prychylnykiv ukrajins’koji literatury, nauky i sˇtuky, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206. 793 Legitimationskarten Hryc’ und Luka Harmatij, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 42, 132; Chronika NTSˇ 10 (1902), 6. 794 Legitimationskarte Ivan Makuch, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 38. Zu Makuch vgl. ders. 2001. 795 Legitimationskarten Jaroslav und Teofil Hrusˇkevycˇ, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 51, 96. Zur Familie vgl. Arkusˇa 2015. Chronika NTSˇ 10 (1902), 6. 796 Legitimationskarte Tytko Revakovycˇ, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 130. Er schrieb sich erst später ein, wesentlich früher hingegen seine Tochter Natalka (ebd., ark. 81). Zur Familie vgl. Sokil, V. 2014; Sokil, V. 2016; Sokil, V. 2017. Verwandtschaftliche Bande existierten zwischen den Hrusˇkevycˇi und den Revakovycˇ; Sofija Hrusˇkevycˇ heiratete außerdem den o.g. Dozenten Ivan Rakovs’kyj. Arkusˇa 2015, S. 244. Ähnlich schrieb sich Ivan Lypa mit seiner Frau Marija an. Legitimationskarten Ivan und Marija Lypa, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 87–88.

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darunter Hrincˇenko, die Sekretärin und spätere Vorsitzende Darija Sˇuchevycˇ sowie die Schatzmeisterin (und NTSˇ-Buchhalterin) Stefanija Levyc’ka.797 Die rund 150 Mitglieder (Stand: Februar 1904) lassen sich namentlich nicht komplett ermitteln,798 so dass von einem höheren Anteil unter den Teilnehmerinnen auszugehen ist, zumal der Kruzˇok als effektiver Multiplikator agierte. Wenn sich auch nur ein entsprechendes Beispiel findet, ist hier anzufügen, dass der Teilnahme keine ethnisch-nationalen Grenzen gesetzt waren: mit Salomea Perlmutter (1865–1936) partizipierte eine promovierte Lehrerin, Frauenaktivistin und Sozialistin jüdischer Herkunft mit polnischem Sprachhintergrund.799 Eine größere Gruppe stellten auch Emigrantinnen und Emigranten aus dem Zarenreich, die in Lemberg ansässig waren. Politische Emigrantinnen und Emigranten verwendeten teilweise Pseudonyme – wie Jevhen Holycyns’kyj (›Lozenko‹)800 und seine Frau Kateryna als Kapifyna Lozenko801 – und sind deshalb nicht komplett zuzuordnen. Die aus Kiew stammende Nastja Hrincˇenko studierte 1903 und 1904 in Lemberg.802 Sie machte die Gruppe von Gästen aus dem Zarenreich um Dmytro und Volodymyr Dorosˇenko mit den ukrainischen sozialistischen Kreisen Lembergs bekannt, die sich regelmäßig in Privaträumen in der Kurkova-Straße 10, der von ihnen sogenannten ›Kolonie‹ trafen.803 Zu dieser Gruppe gehörten auch der galizische Anarchist Mychajlo Lozyns’kyj und seine Frau Marija, eine Emigrantin aus der Nähe von Cherson, die ebenfalls an den Kursen teilnahmen.804 Dmytro Dorosˇenko erinnerte sich vor allem an lebhafte Diskussionen über Agrarfragen und allgemein Sozialdemokratie im konstitutionellen Staat, die für die russländischen Gäste bereichernd waren.805 In diesem Sinne boten die Ferienkurse nicht nur die Möglichkeit zur Bildung wissenschaftlicher, sondern auch politischer und allgemein persönlicher Netzwerke. Das während der Kurse entstandene Gruppenfoto (Abb. 3) zirkulierte in zahlreichen Kopien und hat heute eine nahezu ikonische Verknüpfung mit dem NTSˇ, obwohl es offiziell nicht der Veranstalter war. Bemerkenswert daran sind überdies zwei Aspekte: Erstens wirkt der Verein durch die Kursteilnehmerinnen deutlich weiblicher, als er war. Zweitens kündet dieses Bild eigentlich von einem

797 Legitimationskarten Darija Sˇuchevycˇ, Nastja Hrincˇenko und Stefanija Levyc’ka, ebd., ark. 1, 2, 16. 798 Leszczawski-Schwerk 2015, S. 85. 799 Stauter-Halsted 2015, S. 75; Leszszawski-Schwerk 2015, S. 83, 121f. 800 Legitimationskarte Jevhen Lozenko, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 14. 801 Legitimationskarte Kapifyna Lozenko, ebd., ark. 15; Klymenko 2012, S. 150. 802 Klymenko 2012. 803 Dorosˇenko, D. 1949, S. 59; Kacˇmar 2006, S. 116. 804 Legitimationskarten Mychajlo Lozyns’kyj und Marija Lozyns’ka, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206, ark. 17–18. Zu Lozyns’kyj vgl. Suchyj 2009. 805 Dorosˇenko, D. 1949, S. 59f.

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kolossalen Misserfolg: Von den 135 Teilnehmerinnen und Teilnehmern806 sind nur 42 Personen, Dozenten eingeschlossen, abgebildet.

Abbildung 3: Wissenschaftliche Ferienkurse 1904.

Dies ist durch zwei relevante Probleme zu kontextualisieren. Zunächst entspricht diese Zahl dem offiziellen Bericht; von den 132 erhaltenen Legitimationskarten sind diverse auch für Dozenten und deren Familienmitglieder – allein auf Ol’ha Franko, Ivans Frau, zwei Karten – ausgestellt worden. Ob sämtliche Karten erhalten sind, kann zwar nicht einwandfrei festgestellt werden, in jedem Fall bezeugen sie jedoch, dass zahlreiche Personen erst später anreisten.807 Außerdem spricht ein pragmatischer Grund für das Fernbleiben registrierter Teilnehmerinnen und Teilnehmer: mangelnde Begeisterung. Häufig partizipierten Personen nur an ausgewählten Seminaren. Dies erklärte Hrusˇevs’kyj mit einem zu hohen wissenschaftlichen Niveau und einem zu dichten Programm.808 Zumal die Lehrveranstaltungen sich zumeist nur auf die Vormittage beschränkten, scheint der Einwand unzureichend. Persönliche Erinnerungen sowie spontane Berichte und Reaktionen vermitteln hingegen, dass die Gründe bei den Dozenten selbst zu 806 Dabei handelt es sich um die offiziellen Zahlen nach Hrusˇevs’kyj 1904, Ukrajins’ko-rus’ki naukovi kursy. Wie im Folgenden erläutert, ist diese Zahl eher nach unten zu korrigieren. Die Angabe Zinajida Zajcevas, dass »[i]nsgesamt 153 Hörer registriert worden, von denen der Großteil aus Russland kam« (Zajceva 2006, S. 303), entbehrt in beiden Punkten jeglicher Substanz und einem Quellenbeleg. 807 Legitimationskarten des Tovarystvo prychylnykiv, CDIAL fond 309, op. 2, spr. 206. 808 Hrusˇevs’kyj 1904, Ukrajins’ko-rus’ki naukovi kursy, S. 113.

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suchen sind. Stepan Tomasˇivs’kyj vermochte derart wenig Interesse zu wecken, dass seine zweite Veranstaltung nur noch von sechs Personen besucht wurde und sämtliche anderen spontan gestrichen wurden.809 Auch Hrusˇevs’kyj, der wie üblich seine Vorträge komplett aus einem Manuskript ablas, konnte bei vielen Besucherinnen und Besuchern nur wenig Begeisterung wecken. Sein faktenlastiger Vortrag beinhaltete zwar ein neues historisches Narrativ, doch aus Sicht Dmytro Dorosˇenkos nichts grundsätzlich Neues für jemanden, der/die Geschichte im Zarenreich studierte.810 Differenzierter fiel Nastja Hrincˇenkos Urteil aus: Sie erfreute sich daran, dass seine Darstellungen aus ukrainischer Perspektive verfasst worden wären, seine Vorträge wären allerdings nicht studierendengerecht aufbereitet.811 Problematisch war, dass Hrusˇevs’kyj die Geschichte des 19. Jahrhunderts ausklammerte, die von großem Interesse für junge Anhängerinnen und Anhänger der ukrainischen Nationalbewegung war. Deshalb fand Mykola Hankevycˇs Kurs breiteren Anklang, der sich mit der westeuropäischen Geschichte von der französischen Revolution bis zu sozialistischen Bewegungen der 1870er Jahre befasste.812 Sind die Kurse angesichts der Kritik als Fehlschlag zu betrachten? Levko ˇ Cykalenko (1888–1965), der kein besonderes Interesse an ›alter ukrainischer Literatur‹ hegte, war dennoch fasziniert von Franko als Redner, vor allem aber seiner Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge in einfache Worte zu kleiden.813 Diverse Teilnehmerinnen und Teilnehmer äußerten eine vergleichbare Faszination für Franko. Seine Nahbarkeit – als großer Literat, als der er in der russländischen Ukraine primär bekannt war – war ein besonderes Faszinosum, zumal er nicht nur im Kaffeehaus Zeit mit einigen Besucherinnen und Besuchern verˇ ykalenko begleitete brachte, sondern sie auch zu sich nach Hause einlud.814 C Franko nach Abschluss der Kurse auf eine mehrtätige Reise zu dessen Bruder ins Dorf Nahujevycˇі815 und berichtete noch zwei Jahrzehnte später vom gemeinsamen Angelausflug.816 Einen ähnlichen Eindruck machten Stadtrundgänge mit Fedir Vovk, die von anregenden Gesprächen und Museumsbesuchen begleitet waren.817 Bei den Eindrücken und Verbindungen handelt es sich dennoch nicht nur um Marginalien, sondern um Belege für den Zusammenhang von Geselligkeit und 809 810 811 812 813 814 815 816 817

Ebd., S. 111. Dorosˇenko, D. 1949, S. 56f. Klymenko 2012, S. 149. Dorosˇenko, D. 1930, S. 2. ˇ ykalenko, L. 2011, S. 577; ähnlich positiv berichtete auch Dorosˇenko, D. 2011, S. 555. C ˇ ykalenko, L. 2011, S. 577. Dorosˇenko, V. 2011, S. 556; Dorosˇenko, D. 1949, S. 55f.; C Der Geburtsort Ivan Frankos liegt heute in der L’vivs’ka Oblast’, im Drohobyc’kyj Rajon. ˇ ykalenko, L. 2011, S. 578f. C Dorosˇenko, D. 1949, S. 57f.

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scientific community building. Dies lässt sich an späteren Kooperationen ablesen, ˇ ykalenko, der von 1907 bis 1909 von denen hier nur einige genannt seien. Levko C auf Drängen seines Vaters in Lausanne studierte, wechselte nach einem weiteren Treffen mit Vovk an die Universität St. Petersburg, um bei dem Anthropologen zu studieren und an anthropometrischen und archäologischen Expeditionen im Russländischen Reich mitzuwirken.818 In der Prager Emigration veröffentliche er teilweise die Ergebnisse der gemeinsamen Forschungstätigkeit.819 Er leistete einen wichtigen Beitrag zur Reorganisation Vovks archäologischer und ethnologischer Sammlungen, die nach seinem Tod dem Kiewer Kabinet antropolohiji ta etnolohiji im. f. Vovka auf Initiative eines weiteren Schülers aus St. Petersburg, Oleksandr Alesˇo, übergeben wurden.820 Dmytro Dorosˇenko wurde auf Wunsch Volodymyr Hnatjuks Mitglied des NTSˇ, um Hrusˇevs’kyj bei der kritischen Generalversammlung zu unterstützen, die während der Ferienkurse stattfand.821 Volodymyr Dorosˇenko emigrierte 1909 nach Lemberg und arbeitete als Vereinsbibliothekar. Er blieb auf Lebenszeit ein aktives Vereinsmitglied und war leitend am Wiederaufbau des Vereins in der Diaspora beteiligt.822 Dies sind nur einige der zahlreichen Verbindungen, die während dieser Kurse entstanden. Abgesehen von wenigen, kleineren Veranstaltungen basierte der Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Studentinnen und Studenten aus der russländischen Ukraine und Galizien bisher nur auf individuellen Kontakten. Die Erinnerungen an die Kurse pflegten nicht die Organisatoren, sondern die Besucherinnen und Besucher. Zumal es sich dabei um wichtige Akteure der ˇ ykalenko, L. 1955. C ˇ ykalenko, L. 1926. C 1917 bewarb Vovk sich auf die Professur für Ethnographie an der Kiewer Universität. Nachdem er für diesen Posten akzeptiert wurde und nach Kiew reiste, um ihn anzutreten, verstarb er auf dem Weg in der belarussischen Kleinstadt Zˇlobin. Testamentarisch erwirkte er, dass seine Handschriften, Materialsammlungen und seine Privatbibliothek »irgendeiner wissenschaftlichen Institution der Stadt Kiew« zukommen (Testament Fedor Volkov, o. J., NA IA NANU, fond 1 V/429), die sie für Forschungsziele einsetzen würde. Durch die Initiative Alesˇos ist am 29. März 1921 das Kabinet antropolohiji ta etnolohiji im. f. Vovka als Teil der Akademie Wissenschaften auf Basis von Vovks Sammlungen gegründet wurden, die er durch politische Mühen und Kontakte verlegen lassen konnte. Zusammen mit anderen Petersburger Schülern verdiente er sich an diesem Institut als Vovks Nachlassverwalter. Schreiben Vovks an das Dekanat der physisch-mathematischen Fakultät der Hl. VolodymyrUniversität Kiew, 29. November 1917, NA IA NANU, fond 1 V/429e; Alesˇo, O. J., Zur Organisation des Museums für Anthropologie und Ethnologie im Jahr 1921 vgl. IMFE, fond 44, spr. 2. In der Zeitschrift Antropolohija. Ricˇnyk Kabinetu veröffentlichten sie nicht nur eine unpublizierte Arbeit Vovks, sondern auch früher erhobene Daten. Als etablierte Wissenschaftler reüssierten sie in unterschiedlichen sowjetischen und internationalen Journalen. Detailliert zur Geschichte des Kabinetts, aus dem die Sammlung des Instituts für Archäologie an der heutigen ukrainischen Akademie der Wissenschaften hervorging: Kolesnikova / ˇ ernovol / Janenko 2012. C 821 Dorosˇenko, D. 1949, S. 58. 822 Danko 2010. 818 819 820

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ukrainischen (Wissenschafts-) Geschichte im Allgemeinen und des NTSˇ im Speziellen handelt, einen der wichtigsten Vereinschronisten eingeschlossen, sind die Kurse historiographisch relativ prominent. Einschränkend muss festgehalten werden, dass primär Erinnerungen von Personen aus der russländischen Ukraine erhalten sind, die ob der organisatorischen Hindernisse nur einen Bruchteil des anwesenden Publikums ausmachten. Bisherige Deutungen sehen die Kurse meist im Zusammenhang mit der Lemberger Hochschulproblematik.823 Sicherlich waren nicht alle Nebeneffekte intendiert, doch konnte hier gezeigt werden, dass Populärwissenschaft auch außerhalb der Universitätsstreitigkeiten ein ukrainisches Publikum hatte. Dass der Bericht des Vereinspräsidenten anderen Forschungen bisher als primäre Quelle zu den Forschungen diente, führte zur Einseitigkeit. Ein kritisches Gegenlesen alternativer Dokumente lässt allerdings die auffällige Personenkonstellation unter den Lehrenden – bis auf Hankevycˇ standen alle Hrusˇevs’kyj mehr oder minder nahe – in einem neuen Licht erscheinen. Pavlyk monierte in seiner Vereinskritik die Eigennützigkeit des Projekts und seiner Träger, anstatt einer Gemeinnützigkeit, die von solchen Kursen erwartet worden wäre.824 Das Dilo wurde noch expliziter, wenn es die Einseitigkeit in den Fachrichtungen und konkret das Fehlen Stanislav Dnistrjans’kyjs auf der Dozentenliste kritisierte.825 Kritiken hoben auch darauf ab, dass die Teilnahmegebühr so hoch war, dass diverse galizische Interessentinnen und Interessenten, vor allem von außerhalb der Landeshauptstadt, nicht teilnehmen konnten. Das Dilo interpretierte dies sogar als bewusste Ausgrenzungsstrategie.826 Hrusˇevs’kyj dementierte dies in seiner Rechtfertigung der Kosten und verzichtete wie auch Studyns’kyj auf ein Honorar,827 konnte damit den Eindruck seiner Vereinskollegen aber nicht mehr korrigieren. ˇ ykalenko berichtete nach Gesprächen mit Teilnehmerinnen und Jevhen C Teilnehmern aus der russländischen Ukraine brieflich an Hrusˇevs’kyj von insgesamt positiver Resonanz, äußerte nur vorsichtige Kritik an der Themenwahl des Historikers und einigte sich mit ihm darauf, die Kurse im kommenden Jahr wiederholen zu wollen. Doch dazu kam es letztlich nicht.828 Die Gründe dafür sind nun eher in Galizien zu suchen. Aus einem Brief Ivan Puljujs geht hervor, Vgl. exemplarisch Kacˇmar 1999, S. 57; Mudryj 1999, S. 60f. Pavlyk 1905, S. 19. Dilo, 25. Juni 1904, S. 2. Ebd.; Jarosˇevs’kyj 2011, S. 297. Ausschusssitzung des Tovarystvo prychylnykiv ukrajins’koji literatury, nauky i ˇstuky, 24. Juli 1904, DALO, fond 298, op. 1, spr. 3, ark. 3zv–4, hier 3zv. ˇ ykalenko an Hrusˇevs’kyj, 19. September 1904, LMH, t. 5, S. 55f.; In den Sitzungspro828 Je. C tokollen des Tovarystvo prychyl’nykiv findet sich kein Hinweis über entsprechende Überlegungen, DALO, fond 298, op. 1, spr. 3.

823 824 825 826 827

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dass nur ein halbes Jahr nach Ende der Kurse seitens Oleksandr Kolessa, Stepan Rudnyc’kyj und Stanislav Dnistrjans’kyj angedacht war, den Tovarystvo Ukrajins’kych Naukovych Vykladiv im. Petra Mohyly (Petro-Mohyla-Gesellschaft für Ukrainische Wissenschaftliche Vorlesungen) als neuen populärwissenschaftlichen Verein zu gründen. Puljuj fürchtete eine Spaltung, beruhigte sich aber vorläufig damit, dass sich die angedachten Agenden nicht mit dem NTSˇ überschneiden würden.829 Es handelt sich hier um eine direkte Reaktion darauf, dass die Ferienkurse nicht den Vorstellungen jener NTSˇ-Mitglieder entsprachen, die sich um öffentliche Veranstaltungen zur Wissen(schaft)spopularisierung mit dem 1903 eingebrachten Reformvorschlag bemühten. Die Vereinsgründung dauerte noch bis 1906, der Beginn erster Vorlesungsreihen bis 1909, doch alles in allem bildete sich damit ein Forum heraus, das ukrainisch-nationale Wissenschaft ohne Hrusˇevs’kyj betreiben wollte.830 Der Verein ist zwar nicht als offizieller Ableger des NTSˇ zu betrachten, doch rekrutierte sich sein Personal, vor allem das der zuerst gegründeten Zentrale in Lemberg, vornehmlich aus NTSˇMitgliedern.831 Ein großer Teil dieser und späterer Mitglieder gehörte zum NTSˇ und insbesondere zur Opposition gegen Hrusˇevs’kyj, die 1903 versuchte, populärwissenschaftliche Veranstaltungen auf die Vereinsagenda zu setzen. Sie führte das Konzept regelmäßiger populärwissenschaftlicher Vorträge am Sonntag ein und trug damit ihrerseits zum community building durch eine »Ritualisierung von Bildung«832 bei. Sie hatte dabei sicherlich ein anderes Publikum als das NTSˇ, zumal sie sich besonders mühte, die Jugend als Besucherinnen und Besucher zu mobilisieren sowie auch Naturwissenschaften in ukrainischer Sprache eine Plattform zu bieten. Sie expandierte nach und nach in andere regionale Zentren Ostgaliziens und finanzierte Vortragsreisen von Lemberger Wissenschaftlern, die damit an Popularität in der Region gewannen. Vor allem ab 1910 trug die Gesellschaft zunehmend zur Popularisierung nationaler Inhalte bei. Durch die Initiative und Beliebtheit der Vortragenden Stepan Rudnyc’kyj und Ivan Rakovs’kyj avancierten auch vergleichsweise junge Forschungsfelder wie die ukrai829 Puljuj an Pavlyk, 9. Januar 1905, Zbozˇna (Hg.) 2007, S. 326. Eine Aufstellung angedachter Tätigkeiten erhielt sich nur aus einem Rundschreiben des Jahres 1907: Tovarvysto ukrajins’kych naukovych vykladiv im. Petra Mohyly, Vazˇnjijsˇi postanovy statuta, 14. August 1907, IL VR, fond 3, N 2358, ark. 53–53zv. Das Statut wurde zwar 1906 von der Statthalterei angenommen, aber erst drei Jahre später der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Statut Tovarystva ukrajins’kych naukovych vykladiv imeny Petra Mohyly u L’vovi 1909. Insgesamt bestätigte die Agenda Puljujs Hoffnung, dennoch war damit ein organisatorischer Bruch von Interessengruppen zementiert. 830 Signifikanterweise war dies nicht mit einer pauschalen Ablehnung von Ukrajinoznavstvo verbunden, aber definitiv mit der Intention, Naturwissenschaften gleichberechtigt zu popularisieren. 831 Liste der Vereinsmitglieder, CDIAL, fond 736, op. 1, spr. 5. 832 Hüchtker 2014, S. 201.

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nische Geographie und Anthropologie mit ihren jüngsten Erkenntnissen zu einem regelrechten Publikumsmagneten.833 In diesem Sinne sind die wissenschaftlichen Ferienkurse neu zu bewerten. Zwar ist Anton Kotenko grundsätzlich zuzustimmen, wenn er auf die symbolische Zusammenführung der ukrainischen Länder im Rahmen der Veranstaltung hinweist.834 Allerdings ist diese Symbolwirkung nur für den Kreis der Anwesenden relevant: Auf die Ukraine-Wahrnehmung anderer Gruppen hatten die Kurse keinen nachweislichen Einfluss. Für die Anwesenden waren sie jedoch eine zentrale Erfahrung, die nicht nur auf Wissenstransfer, sondern vor allem auf die verschiedenen angeführten community building-Prozesse zurückzuführen ist. Für die innergalizischen Verhältnisse, die wesentlich stärker betroffen waren als die transimperialen Verbindungen, bedeutete die direkt als Folge zu verstehende Gründung der Mohyla-Gesellschaft positiv interpretiert eine Diversifizierung, negativ gewandt eine Spaltung des ukrainischen wissenschaftlichen Vereinswesens. Diese machte sich auch in breiteren Teilen der Öffentlichkeit bemerkbar. Die Idee einer populären ›nationalen Wissenschaft‹ in Anlehnung an die organische Arbeit stand angesichts limitierter Ressourcen der ukrainischen Nationalbewegung in einem scharf diskutierten Gegensatz zu »science proper«835. Sprechend für den Zugang der UNDP ist eine Polemik, die der Herausgeber des Parteiblatts Svoboda, Vjacˇeslav Budzynovs’kyj (1868–1935), um die Schwerpunkte des NTSˇ führte. Seiner Einschätzung nach investierte es Geld und Mühen für Veröffentlichungen, die »kein Ruthene liest oder jemals lesen wird«; der Vorwurf lautete, die im NTSˇ betriebene Wissenschaft würde nicht dem ›Volk‹ nutzen, lediglich der Wissenschaft selbst. In seiner Zuspitzung müsste sich in der politischen Situation des Jahres 1905 die ›ruthenische‹ Wissenschaft gänzlich auf die Arbeit an Schulbüchern und administrativ-politisch nützlicher Forschung beschränken: »jede andere wissenschaftliche Arbeit wäre jetzt nichts als nationale Schande.«836 Stanislav Dnistrjans’kyj teilte zwar keine derartige Extremposition, nutzte aber doch Wissenschaft ›als Ressource für die Politik‹,837 wie noch am Beispiel der rechtswissenschaftlichen und statistischen Kommissionen diskutiert werden wird. Er nutzte den NTSˇ soweit möglich zur Verwirklichung

833 Rohde 2020, Ukrainian Popular Science. Vgl. auch die Statistiken in Horbovyj (Hg.) 2012 und in den Materialien zum Tätigkeitsbericht der Mohyla-Gesellschaft, 1912, CDIAL, fond 736, op. 1, spr. 3. 834 Kotenko 2018. 835 Zum (künstlichen) Gegensatz von ›popular science‹ und ›science proper‹ in der Wissen(schaft)sgeschichte vgl. Topham 2009, Rethinking. 836 Budzynovs’kyj, Chlops’ka poljityka, t. IV (o. J., 1904/1905), S. 43. 837 Ash 2002. Zu ähnlichen Beobachtungen zu Dnistrjans’kyjs Tätigkeit gelangt auch Mischke 2021.

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eigener Projekte und zog sich zurück, als er die Möglichkeit dazu nicht mehr gegeben sah. Derartige Haltungen förderten langfristig Hrusˇevs’kyjs Ablehnung gegenüber den galizischen Parteien, einschließlich der von ihm selbst mitbegründeten UNDP. Während er sich auf sein Engagement in der russländischen Ukraine nach 1905 konzentrierte, polemisierte Franko im LNV zunehmend gegen die galizische Publizistik, wodurch beide das NTSˇ bzw. seine Führungsriege in der galizischen Öffentlichkeit zu isolieren begannen.838 So äußerte sich das wirkliche Vereinsmitglied Mychajlo Zubryc’kyj (1859–1919)839 gegen die Einschätzung, der Verein würde »Wissenschaft für die Wissenschaft« betreiben, sondern vielmehr »Wissenschaft für das Leben«. Er empfand einen deutlichen Umschwung der ukrainischen Wissenschaft seit der Ankunft Hrusˇevs’kyjs, weil Wissenschaftler seitdem in den ländlichen Gebieten Galiziens systematisch »zum Volk gehen«, sich mit ihm verbanden und sein Leben studieren würden. Seine Wahrnehmung war deutlich von seiner eigenen Position als Dorfgeistlicher geprägt. Seiner Einschätzung nach sollte die ruthenisch-ukrainische Presse sich vielmehr der Popularisierung dieser Tätigkeit widmen, anstatt Konflikte anzuheizen, die für alle Beteiligten schädlich wären. Er explizierte, dass er diese Auseinandersetzung für ein ganz und gar städtisches – Lemberger – Phänomen hielt, das aus Perspektive des Umlandes nicht nachvollzogen werden könnte.840 Im Namen der Vereinsführung schritt Franko korrigierend ein: Es handelte sich bei Zubryc’kyjs Entgegnung nicht um den offiziellen Standpunkt des Vereins, und verwies mit dem neuen Statut darauf, das NTSˇ würde aktuell wie in Zukunft keinerlei didaktische oder populärwissenschaftliche Aufgaben übernehmen. Die vertretene Idee ukrainischer Wissenschaft würde sich an die internationale Wissenschaft richten, die die ukrainische als eine Kulturnation wahrnehmen sollte – eine von der polnischen und russischen gänzlich distinkte.841 Wie diese Argumentation zeigt, sah sich ›science proper‹ aber einem zunehmenden Legitimationszwang durch die community ausgesetzt, wodurch sich Gegensätze – und auch das Argument nationaler Abgrenzung im plurikulturellen Raum – wiederum verschärften. Resümierend ist darauf zu verweisen, dass das NTSˇ mit seinen vielfältigen Aktivitäten im Bereich der Nachwuchsförderung und dem Einwirken auf Universitätspolitiken in allen Bereichen, sowohl zu community building als auch zur Nationalisierung beitrug. Dabei übernahm der Verein selbst die Rolle einer kompensierenden Institution, auch wenn das offenbar nur als Übergangslösung 838 839 840 841

Franko 1905, Desˇcˇo pro nasˇu presu. Sysyn 2013. Zubryc’kyj 1905, S. 72. Franko 1905, Desˇcˇo pro nasˇu presu.

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gedacht war. Emigrantinnen und Emigranten aus der russländischen Ukraine scheinen gerade in studentischen Netzwerken häufig Vorreiterrollen übernommen zu haben, wobei dies nicht nur – wie im Fall der studentischen Proteste – Radikalisierung bedeutete; vielmehr lassen sich im Fall Hrincˇenkos durchaus progressive Einflüsse auf junge feministische Zirkel beobachten. Der Fall der Ferienkurse belegt eindrücklich, dass diese beiden Aspekte nicht gleichzusetzen sind. Darüber hinaus zeigt sich gerade an diesem Fall, dass auch die vielfältigen Aktivitäten des NTSˇ zwölf Jahre nach der Vereinsreform keineswegs dazu führten, ein entspanntes Verhältnis zwischen Intellektuellen aus Galizien und der Zentralukraine herbeizuführen. Im breiteren Kontext der Vereinsgeschichte zeigt sich, dass die abschließenden Streitigkeiten um die Kurse charakteristisch für die gesamte Vereinsgeschichte vom Beginn des Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu sehen sind.

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Das Statut als rechtsgültiges Dokument und Ausgangspunkt der Vereinsorganisation wurde im frühen 20. Jahrhundert zum stetigen Zankapfel zwischen galizischen Konservativen gegenüber Hrusˇevs’kyj, der Kiewer intelihencija und den Lemberger Nachwuchswissenschaftlern, die ihn stützten. Neben administrativen Abläufen definierte das Statut auch die Vereinsziele – eine der wohl umstrittensten Kategorien. Hrusˇevs’kyj suchte hiermit, seinen geisteswissenschaftlichen und ukrainekundlichen Schwerpunkt zu fixieren und auszubauen. Gegensätzliche Konzepte ›nationaler Wissenschaft‹ bestimmten die Ideen der Vereinsorganisation und Wissenschaftsförderung, so wie sie auch zu internen Konflikten führten. Das Reformstatut 1892 formulierte, Wissenschaft in »ruthenisch-ukrainischer Sprache« betreiben zu wollen.842 Während der Statutendebatten der Jahre 1903–1904 hatten sich bezüglich einiger Fragen verhärtete Fronten gebildet. Ivan Franko versuchte mit seinem Statutenprojekt im Namen des Vereinsvorstandes, »jedwede didaktische Schwerpunkte«843 aus den Vereinszielen zu streichen. Außerdem suchte er zu präzisieren, worin die Forschungen im Verein bestehen sollten: »a) aus Philologie, Ethnographie und Literaturgeschichte, vor allem des ukrainischruthenischen Volkes; b) aus Archäologie, Ethnologie, Geschichte politischer, ökonomisch-sozialer und rechtlicher Theorien und Institutionen vor allem in der UkrainaRus’; c) aus mathematischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen.«844

In dieser Beschreibung war etwa die Tätigkeit der höchst produktiven, aber nicht führungskonformen rechtswissenschaftlichen Kommission gänzlich ausgeklammert. Das Projekt der oppositionellen Statutenkommission, angeführt vom Rechtswissenschaftler Stanislav Dnistrjans’kyj, wünschte, dass der Verein 842 Statut NTSˇ 1892, §3–4. Das Statut NTSˇ 1898 übernahm die betreffenden Punkte ohne wesentliche Veränderungen. 843 [Franko, Ivan] 1903, Projekt statutu, §2. Autorenschaft Frankos nachgewiesen durch Projekty statutu za redakcijeju I. Franka, o. D., CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 9. 844 Ebd., §2.

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»für den Fortschritt der ukrainischen Nation in allen Bereichen menschlichen Wissens sorgen«845 sollte. In der Begründung formulierte er, »die kulturellen Agenden unseres Vereins bedeutend ausweiten«846 zu wollen. Außerdem sollten Rechts- und Gesellschaftswissenschaften als eigenständiger Schwerpunkt der Vereinstätigkeit formuliert und damit ausgebaut werden. Die Kompromisslösung, die im ratifizierten Statut des Jahres 1904 aufgenommen wurde, war die wage Formulierung, die Nation in allen »Feldern menschlichen Wissens« voranbringen zu wollen, gleichzeitig aber auch die Ablehnung didaktischer Funktionen, worunter auch die populärwissenschaftliche Kommunikation verstanden wurde. Letztlich nannte das Statut keine disziplinären Schwerpunkte mehr, was auf die unübersehbare Relevanz der Opposition zurückzuführen ist. Auch wenn sich die Gruppe um Hrusˇevs’kyj mit dieser Zäsur partiell kompromissbereiter zeigen musste, waren diese Punkte doch charakteristisch für die ›Mission‹, die die leitenden Akteure dem Verein und damit der zeitgenössischen ukrainischen Wissenschaft zu geben gedachten. Die Transformation in eine (gesamt-) ukrainische geisteswissenschaftliche Akademie war das Ziel, nach dem sie ihre intensive Vereinsarbeit mehr als ein Jahrzehnt lang erfolgreich ausrichteten. Den ideologischen Maßgaben dieses Konzepts wird im Folgenden nachgegangen. Bereits seit der Jahrhundertwende zirkulierten undefinierte Begriffe von »nationaler Wissenschaft«, die Hrusˇevs’kyj erstmals anlässlich der Ferienkurse 1904 mit dem Begriff Ukrajinoznavstvo betitelte. Er führte damit Anthropologie, Ethnologie, Geschichte, Literaturgeschichte und Sprachwissenschaft mit ukrainischem Bezug zusammen.847 Anhand dessen lässt sich präzisieren, dass es sich vor allem um Geisteswissenschaften mit nationalem Impetus handelte. Damit ist das NTSˇ allerdings kein Ausnahmefall im östlichen Zentraleuropa; auch tschechische und polnische Nationalbewegungen verfolgten ähnliche Strategien.848 Dies berücksichtigend konnte ›Ukrainekunde‹ mangels Präzisierung nur wörtlich verstanden werden: als Kunde der Ukraine und als Wissenschaft mit national-territorialem Bezug. Im Jahr 1907, in einem Plädoyer zur Einführung des Faches im Zarenreich (als russ. Ukrainovedenie), fügte Hrusˇevs’kyj hinzu, das Fach hätte über die Inhalte bisheriger universitärer Disziplinen hinauszugehen, um das ukrainische »Leben« der Gegenwart gesondert zu erforschen. Die bisherigen Disziplinen wären alle auf Grundlage des »staatlichen Lebens« entstanden und dienten der Erhaltung desselben, während sie den »grundlegenden Charakter des Ukrainertums [Ukrainstva] als nichtstaatliche und grundlegend tief demokratische Strömung«, die »mit allen Nerven des 845 Projekt Statuta NTSˇ, zladzˇenyj statuvoju komisyjeju, 1. Dezember 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5., ark. 10–19, hier 16zv. 846 Ebd., § 3. 847 Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 181. 848 Surman 2019, Science, S. 286.

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Volkslebens verbunden« wäre, nicht erfassen könnten.849 Sein Plädoyer ließe sich also auch abseits seiner eigenen Disziplin als Argument dafür lesen, ein Volk anstelle eines Staates ins Zentrum der Forschung zu setzen. Mit der ukrainischen Unabhängigkeit wurde dieser Begriff während der 1990er Jahre wieder aufgegriffen und ist entsprechend problematisch. Umso wichtiger erscheint es, die Deutung des Begriffs in seiner Entstehungs- und Entwicklungsphase zu historisieren. Wenn Oksana Homotjuk Ukrajinoznavstvo als »die Wissenschaft der Selbsterkenntnis des ukrainischen Volkes«850 definiert und Akteure seit der Mitte des 19. Jahrhunderts damit kategorisiert, ist das eine Projektion heutiger nationaler Ideen auf das Werk einer spezifischen Gruppe historischer Akteure, die Hrusˇevs’kyj erstmals in dieser Genealogie dachte. Er definierte Ukrainoznavstvo »als Studien von der Vergangenheit und Gegenwart des ukrainischen Volkes, seinen Attributen und Spezifika, seines Territoriums und verschiedenen Voraussetzungen, die sein Leben und seine Entwicklung beeinflussten […].«851 Im Wesentlichen betrachtete er die unter diesem neuen Begriff subsumierten Arbeiten als eine moderne wissenschaftliche Fortsetzung ukrainebezogener Wissensproduktion von Akteuren der russländischen Ukraine. Die im Folgenden knapp zusammengefasste ›Genealogie‹ der Erforschung der ukrainischen Länder war ebenso einflussreich wie sie instruktiv zur Illustration seines Wissenschaftskonzeptes ist, denn es handelt sich um nichts weniger als die Auswahl eines nationalen intellektuellen Kanons, was wiederum nicht nur mit In- sondern auch Exklusion von Werken, Autoren und Inhalten einherging. Typisch für Hrusˇevs’kyj war dabei die Vermischung wissenschaftshistorischer Aspekte mit dem Einsatz für ein ukrainisches Nationalbewusstsein. Insofern präsentierten sich seine wissenschaftshistorisch-genealogischen Beiträge häufig als »blurred genre«852, was nicht selten der Tatsache geschuldet ist, dass er sie auch in Nachrufen und anderen (publizistischen) Beiträgen zu Gedenktagen und ähnlichen Anlässen begründete. Mit Hryhorij Skovoroda (1722–1794), Ivan Kotljarevs’kyj (1769–1838), Hryhorij Kvitka-Osnovjanenko (1778–1843) und den romantischen Folklore-Studien des Kiewer Professors Mychajlo Maksymovycˇ (1804–1873) referierte Hrusˇevs’kyj Akteure des späten 18./frühen 19. Jahrhunderts, die heute zweifelsohne zum ukrainischen intellektuellen Kanon gehören. Gleichzeitig bemühte er sich, Galizien in dieser Zusammenschau nicht aus den Augen zu verlieren und erwähnte auch die galizischen Sprachdebatten seit dem späten 18. Jahrhundert und die Relevanz transimperialer Verbindungen, die zunehmend seit der zweiten 849 850 851 852

Grusˇevskij 1907, S. 190f. Homotjuk 2007, S. 3. So auch Kononenko 2005, S. 15. Grusˇevskij 1914, Razvitie ukrainskich izucˇenij, S. 1. Geertz 1983, S. 20–34.

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Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffen wurden. Als zentrales Werk der Geschichtsschreibung führte er die berühmte, 1846 in Moskau anonym erschienene Istorija Rusov auf. Der anonyme Verfasser des Werkes beschwor die heroische Geschichte der Kosaken und lieferte Argumente für eine ›kleinrussische‹ bzw. ukrainische Partikularidentität, auch wenn er das laut jüngsten Forschungen nicht intendierte.853 Direktere Verbindungen zwischen früheren und aktuellen Wissenschaftsbewegungen zog Hrusˇevs’kyj aufgrund personeller Verflechtungen anhand der im Zarenreich aktiven ›ukrainophilen‹ Organisationen und Projekte, die bereits skizziert wurden, darunter: die Kyrillisch-Methodische Bruderschaft, die volkskundlichen Forschungen Mykola Kostomarovs,854 die 1861 bis 1862 in St. Petersburg veröffentliche Zeitschrift Osnova (›Das Fundament‹), die Kiewer Hromada und ihre 1869 aktiv gewordene jüngere Generation sowie die Südwestliche Abteilung der Kaiserlichen Russischen Geographischen Gesellschaft. Die letzteren wiesen mit Antonovycˇ, Lysenko, Rusov und Vovk bereits direkte personelle Kontinuitäten zum NTSˇ auf. Aus den 1880er Jahren nannte Hrusˇevs’kyj vor allem historiographische Arbeiten Kostomarovs, Antonovycˇs und dessen Schülern, außerdem die 1882 in Kiew begründete Zeitschrift Kievskaja Starina. Dabei handelte es sich um wichtige Einflüsse für Hrusˇevs’kyjs persönliche Forschung, insbesondere in Bezug auf seinen akademischen Lehrer Antonovycˇ. Als wichtigste galizische Beiträge dieser Periode würdigte Hrusˇevs’kyj die Literatur- und Sprachgeschichten Omeljan Ohonovs’kyjs.855 Als Beginn einer neuen Ära präsentierte er die Umstrukturierung des NTSˇ seit Barvins’kyj und vor allem seine eigene Tätigkeit im Verein, die mit der Funktion und Aufgabe eines Ausbildungsund Kommunikationszentrums ›ukrainekundlicher‹ Wissenschaftler sowie der Transformation der Zapysky NTSˇ als hauptsächliches Organ des Ukrajinoznavstvo einherging.856 In seinen deutsch- und russischsprachig publizierten Berichten zur Forschungstätigkeit des NTSˇ suchte der Vereinspräsident diese Position auch schon früher gegenüber den Zentren der europäischen Wissenschaft zu verankern. Er verwies etwa darauf, dass in einigen Forschungsfeldern zur galizischen und ukrainischen Kultur und Geschichte »kein Forscher ohne 853 Wie Plokhy (2006) gezeigt hat, kann das in nationalen Deutungen so aufgeladene Dokument nicht, wie so häufig in früherer Forschung, als Beleg für wachsendes ›kleinrussisches‹/ ukrainisches Selbstbewusstsein gelten, zumal das Narrativ des Verfassers vornehmlich die Integration kosakischer Eliten in das russländische Imperium intendierte und damit als Ausdruck imperialer Politik gelten muss. 854 Zu Kostomarov äußerte Hrusˇevs’kyj ein zwiegespaltenes Urteil. Seinen späteren Werken räumte Hrusˇevs’kyj zwar einen wichtigen Platz für die Popularisierung ukrainischen Nationalbewusstseins ein, aber »schädlichen Einfluss sowohl für den rein wissenschaftlichen als auch ideologischen Wert seiner Arbeit.« Hrusˇevs’kyj 1907, Na spomyn. 855 Grusˇevskij 1914, Razvitie ukrainskich izucˇenij, S. 32f. 856 Ebd., S. 36f.

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genaue Bekanntschaft mit dem von der Sˇevcˇenko-Gesellschaft dazu Geleisteten und Publicirten auch nur einen Schritt vorwärts kommen«857 könnte. Genau solche Appelle an internationale Audienzen sind als Selbstermächtigung der scientific community zu verstehen, die dadurch reklamierte, dass die seriöse Forschung sie nicht mehr schlicht übergehen könnte. Letztlich verwiesen auch andere Vereinsmitglieder in ihren internationalen Arbeiten dezidiert auf die Arbeit des NTSˇ als Kollektiv und verhalfen ihm damit zu einer breiteren Akzeptanz.858 In dieser Form der Begründung einer eigenständigen Forschungstradition betrieb Hrusˇevs’kyj selbst eine »invention of tradition«859, indem er eben diese angesprochene Genealogie ukrainischer Forschung konstruierte und sich auf sie berief. Die Relevanz, die Hrusˇevs’kyj dieser Genealogie beimaß, ist nicht nur aus seinen zahlreichen Miszellen und längeren Abhandlungen zu einzelnen Forscherpersönlichkeiten im LNV und anderen Veröffentlichungen abzuleiten, sondern auch aus ihrer öffentlichen Inszenierung. Eine eigenständige ukrainische Kulturgeschichte in Galizien zu verbreiten und ihre Akzeptanz unter der Intelligenz zu steigern, war Teil des skizzierten Literaturjubiläums im Jahr 1898, wie diese Rekapitulation der Programmpunkte zu bezeugen vermag: Kotljarevs’kyj als Galionsfigur der »literarischen Wiedergeburt«, die Inszenierung der Oper von Oleksandr Lysenko, die Aufführung eines Liedes Sˇevcˇenkos, die ˇ ubyns’kyjs und der Musik Lysenkos, unterukrainische Hymne mit dem Text C stützt durch das Franko-Jubiläum und das wissenschaftliche Seminar. Die Genealogie entstand im Austausch und hatte letztlich eine reale Basis, wie der in Galizien höchst präsente Sˇevcˇenko-Kult illustriert, gleichsam aber auch die skizzierten transimperialen Kontakte. Dennoch bemühte sich Hrusˇevs’kyj um die Konstruktion eines einheitlichen ukrainischen Narrativs mit gemeinsamen Identifikationsfiguren, in dem keine partikularen Konzepte auftauchten. Der russophilen Bewegung und den altruthenischen Konservativen sowie ihren Kulturzentren, der Halyc’ko-Rus’ka Matycja, der Kacˇkovs’kyj-Gesellschaft und dem Stauropegian-Institut räumte Hrusˇevs’kyj keinen Platz in seiner Darstellung ein, auch wenn er zuvor beispielsweise Ysydor Sˇaranevycˇ als Mitglied des letzteren – aber eben auch der Sˇevcˇenko-Gesellschaft – durch einen Nachruf würdigte.860 Damit unterschied sich Hrusˇevs’kyjs Genealogie von Intellektuellengeschichten aus galizischer Feder. Barvins’kyj räumte der StauropegianBruderschaft durchaus einen wichtigen Platz im regionalen Kontext ein.861 857 Hrusˇevs’kyj 1905, Erstes Decennium; in russischer Parallelversion Grusˇevskij 1904; vgl. auch den Bericht in der Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 3–19. 858 Franko 1905, Eine ethnologische Expedition; Richard 2012 zu Vovks französischen Arbeiten. 859 Hobsbawm / Ranger 2000. 860 M. Hrusˇevs’kyj, Nachruf Sˇaranevycˇ 1901, LNNB VR, fond 167, op. II, spr. 3400, ark. 2zv–3. 861 Barvins’kyj 1886.

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Hrusˇevs’kyj erwähnte zwar Jakiv Holovac’kyjs Professur für ruthenische (bei Hrusˇevs’kyj: ukrainische) Sprache, aber nicht dessen Schaffensphase, nachdem dieser sich zur Russophilie bekannt hatte und ins Zarenreich emigriert war.862 Galizische Wissenschaftler maßen Jakiv Holovac’kyj – besonders wegen seiner Zugehörigkeit zur Rus’ka trijcja (›Ruthenische Trinität‹) und dem damit verbundenen folkloristischen Schaffen – deutlich größere Relevanz bei, wenn sie etwa wie der Philologe Kyrylo Studyns’kyj (1868–1941) eine partikulare galizische Bewegung nachzeichneten. Diese Kontrastierung bedeutet allerdings nicht, dass alle in Hrusˇevs’kyjs Genealogie aufgenommenen Gruppen, Personen und ihr Werk völlig unkritisch betrachtet worden wären. Spannend ist der Fall Drahomanovs, der zwar in der Hromada und der Südwestlichen Abteilung eine zentrale Figur war, doch Zeit seines Lebens in einem zumindest angespannten Verhältnis zur Sˇevcˇenko-Gesellschaft stand.863 Mit der durch Hrusˇevs’kyj geförderten Konjunktur der Ethnographie sind Drahomanovs einschlägige Arbeiten ein zentraler Bezugspunkt geworden. Während im Jahr 1895 die Relevanz seiner Person und seiner ethnographischen Arbeiten schon mit einer Todesanzeige in den Zapysky NTSˇ gewürdigt wurde,864 ließ die breitere Akzeptanz seines Wirkens noch auf sich warten. Franko und Pavlyk arbeiteten seit dem frühen 20. Jahrhundert mit Briefausgaben und anderen Werken in Bezug auf ihren früheren Mentor erfolgreich daran, seine Person als zentralen Bezugspunkt für die (linke) jüngere Generation von galizischen Intellektuellen und sein Werk als ideologischen Fixpunkt der ukrainischen Nationalbewegung zu deuten.865 In einem ausführlichen Artikel im Jahr 1922 sah Hrusˇevs’kyj Drahomanovs Bedeutung vor allem durch die von der Hromada begründete »Mission« der Europareisen und die erzwungene Emigration gegeben. Es wäre sein Verdienst, die ukrainische Bewegung aus ihrem »Provinzialismus« gelöst und in einen »breiten Weg einer universellen Kulturbewegung« geführt zu haben, die sich dann »an Perspektiven allgemeiner politischer und sozialer Befreiung«866 orientierte. Drahomanovs Einfluss ist damit nicht auf Wissenszuwachs zu reduzieren. Der zentrale Beitrag, den er während seiner Emigration für die ukrainische Bewegung ungeachtet der jeweiligen politischen Façon leistete, war, das Europa westlich der 862 Grusˇevskij 1914, Razvitie ukrainskich izucˇenij, S. 22. 863 Die wechselseitigen Attitüden zu Hrusˇevs’kyj und Drahomanov diskutiert Hyrycˇ 2006, S. 37, 42–48. 864 Hrusˇevs’kyj 1895; Hrusˇevs’kyj 1924. 865 Drahomanov (Hg.) 1906; Drahomanov (Hg.) 1908; Pavlyk (Hg.) 1906, Rozvidky; Pavlyk (Hg.) 1906, Lysty; Pavlyk 1906, Mychajlo; Pavlyk 1907. Dabei vertieften sie ihre durch gegenseitige Positionen im NTSˇ begonnenen Konflikte durch eine weitere Polemik um Drahomanov, vgl. Pavlyk 1906, Mychajlo, S. 41–44. 866 Hrusˇevs’kyj 1926, Misija Drahomanova, S. 3.

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polnischen Länder als wichtigen Referenzraum für die ukrainische Bewegung zu erschließen.867 Das betrifft nicht nur politische, sondern auch wissenschaftliche Interaktionsräume; so regte er Franko und seinen etnohraficˇno-statystycˇnyj kruzˇok nachhaltig dazu an, internationale Methoden auf nationale/regionale Inhalte anzuwenden.868 Der Grenzgänger Drahomanov hat damit einen Anstoß für die ukrainische ›nationale Wissenschaft‹ gegeben, der weit über bloße Beiträge zu einem einzelnen Forschungsfeld hinausging und ideologische Grenzen transzendierte.

5.1

Nation definieren

Zentral für die Arbeit an einer ›nationalen Wissenschaft‹ scheint zunächst eine abstrakte Definition von »Nation«, die kompatibel zur spezifischen ukrainischen Lage war. Hierbei ist zunächst zu bedenken, dass sich die ukrainischen Wissenschaftler sowohl innerhalb der eigenen wissenschaftlichen Genealogie als auch einer internationalen, vor allem (west-) europäischen Wissenskultur zu verorten suchten. Die russländische ukrainische Tradition stand dabei in dezidierter Auseinandersetzung mit imperialen Konstruktionen. Die romantische Imagination der ukrainischen Nation im Herder’schen Sinne, wie sie Kulisˇ und Sˇevcˇenko vertraten, dachte zentrale Aspekte nationaler Abgrenzung und eines distinkten ukrainischen Territoriums bereits vor. Die Idee einer unterdrückten Sprache war bereits in den 1840er Jahren präsent; in den 1850er Jahren wurde die Idee der russkost’ als koloniales Konzept angeprangert.869 Die letzteren beiden Gedanken wurden im Kontext eines kleinrussischen Patriotismus vorgebracht, der die kulturelle Eigenständigkeit der Region zu unterstreichen suchte. Die Imagination eines ukrainischen nationalen Territoriums war also um die Jahrhundertwende keine Neuheit, auch die Abgrenzung zu anderen nationalen und imperialen Projekten offenbar nicht. Neu waren hingegen 1) die Integration in ein partikulares ukrainisches Narrativ, das nach und nach breitere Intellektuellenschichten ansprach,870 2) die Einbindung Galiziens in die territoriale Imagination und 3) die Art und Weise, auf die sich ukrainische Akteure als Wissenschaftler in diese Diskurse einschrieben. Umstrittene territoriale Diskurse konnten mit wissenschaftlicher Autorität neu geführt werden. Diese Autorität gründeten Wissenschaftler nicht nur auf Genealogien nationaler Wissenschaften, sondern 867 868 869 870

Wendland 2009, Am Rande. Drahomanov an Franko, 1. Februar 1893, LIF, S. 438f.; Voznjak 1926, S. 118. Bilenky 2012, S. 253–259. Dies musste allerdings nicht zwangsläufig gegen das russische Staatswesen gerichtet sein, wie Drahomanovs Idee eines ostslavischen Föderalismus und ihre Konjunktur bezeugen.

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häufig auf ihre fachliche Spezialausbildung, ausgestattet mit der Reputation des internationalen Zentrums, an dem diese erworben wurde. Ein »nationales Territorium als Bezugseinheit durchzusetzen«871 erforderte in einem internationalen Dialog, die Sprachen der Wissenschaft sprechen zu lernen – nicht nur die wissenschaftlichen ›Weltsprachen‹,872 sondern vor allem die spezifische Sprache einer Disziplin.873 Wenn Hrusˇevs’kyj der Geographie des ukrainischen Nationalterritoriums unter allen Naturwissenschaften einen besonderen Platz einräumte,874 dann nicht, weil er dieses nicht bereits in einer wissenschaftlichen Arbeit postuliert hätte. Im Rückgriff auf Arbeiten der Südwestlichen Abteilung der Russischen Geographischen Gesellschaft skizzierte er ein ukrainisches Nationalterritorium, das von den Karpaten im Westen und dem Schwarzen Meer im Süden eingegrenzt wäre und sowohl das Donbas-Becken im Osten wie auch Teile der Prypjat’-Sümpfe im Norden einbezog.875 Hrusˇevs’kyj galten anthropologische, ethnographische und geographische Argumente als zentrale Elemente seines neuartigen, volkszentrierten Stils der Geschichtsschreibung. Er referierte sie im Wesentlichen aus der Sekundärliteratur, ohne gesonderte eigene Forschungen zu betreiben. Damit konnte er solchen zeitgenössischen Experten, die vor allem die dominante russische Sichtweise auf das Territorium des Zarenreiches adaptierten, im Feld der Geographie nichts entgegensetzen, als Argumente der historischen Geographie. Nach nur sechs Jahren gab Hrusˇevs’kyj bereits eine zweite Auflage seines ersten Bandes der Istorija Ukrajiny-Rusy (Geschichte der Ukrajina-Rus) heraus, die beträchtlich um jüngere Erkenntnisse aus der Anthropologie, Archäologie, Ethnographie, Statistik und Sprachforschung erweitert war. Eben diese Erkenntnisse sind auch in den Zapysky NTSˇ, im LNV und anderen Vereinspublikationen erschienen.876 Außerdem zog er aktuelle deutsch-, französisch-, polnisch-, russisch-, ungarischund vereinzelt auch englisch- und tschechischsprachige Forschungen in Betracht. Das betrifft vor allem die Abschnitte zur Anthropologie, der Evolution und der »Herausbildung des Slaventums«.877 Neueste Arbeiten aus der französischen Archäologie sind ihm von Vovk zugetragen worden.878 Insofern zeigt sich, dass er auch die eigene Arbeit als ›work in progress‹ betrachtete, die es an vielen Stellen noch zu legitimieren galt; wobei der Verein aber erheblichen Anteil haben 871 Haslinger 2005, S. 9. 872 Gordin 2015. 873 Seegel (2018, S. 3) verweist eindrücklich darauf, seine thematisierten Kartographen »learned to ›speak map‹«. 874 Hrusˇevs’kyj 2002, S. 279; Grusˇevskij 1907, S. 190f.; Hrusˇevs’kyj 2012. 875 Hrusˇevs’kyj 1904, Istorija Ukrajiny-Rusy, S. 2f. 876 Ebd., S. 4, 31. 877 Ebd., S. 14–52, Zitat S. 50. 878 Vgl. ebd., S. 19–22.

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konnte, sofern er ihn dazu nutzen konnte, die empfundenen Leerstellen zu füllen und sein persönliches Netzwerk zu erweitern. Im Zarenreich waren Kleinrussen als regionale Variante des allrussischen Volkes konzipiert, so dass sie in der ethnischen Hierarchie des Imperiums nicht mehr aufschienen, wie Andreas Kappeler argumentiert. Damit wurden sie, gleich den Belarussen, als Stamm (plemja) und nicht als Ethnos oder Nation verstanden; Ukrainisch bzw. »Kleinrussisch« galt als Dialekt (narecˇie), nicht als Sprache.879 Der slavophile Michail Pogodin, selbst einstiges Mitglied der kyrillischmethodischen Bruderschaft, argumentierte in einer 1856 erschienenen Arbeit, dass die Großrussen die autochthone Bevölkerung der Kyjiver Rus’ gewesen wären, während Kleinrussen erst im 14. Jahrhundert aus der Karpatenregion eingewandert wären.880 Während weitere Forschungen im Zarenreich, darunter auch ukrainisch-kleinrussische, vertreten etwa durch den erwähnten Maksymovycˇ, diesen Standpunkt zu widerlegen suchten und dabei maßgeblich von habsburgischen Slavisten gestützt wurden, verlor diese in der Ukrainekunde als »Pogodin-Hypothese« bekannte Ansicht doch nicht an Relevanz für nationalisierende (und) imperiale Diskurse um Sprache und Ethnos. Aktualisiert wurde die Hypothese 1883 durch den Philologen Aleksej Sobolevskij, der sie mit linguistischen Beispielen aus dem Kiew des 14. und 15. Jahrhunderts zu belegen suchte.881 Während auch russische Philologen wie Aleksej Sˇachmatov (1864– 1920), Mitglied der St. Petersburger Akademie und wirklicher Staatsrat, Sobolevskijs Ideen widersprachen,882 provozierten diese Debatten zahlreiche Reaktionen ukrainischer Wissenschaftler, die die Ideen der Abgrenzung umso mehr forcierten. Dabei verwundert wenig, dass insbesondere Sˇachmatov, aber auch Jagic´, zu diesem Zweck von ukrainischen Wissenschaftlern zitiert wurde.883 Pogodins Ideen blieben allerdings nicht auf das Zarenreich begrenzt, sondern reisten 1835 mit ihm nach Lemberg. Hier stellte er Kontakte zu galizischen Ruthenen her, darunter auch zu Holovac’kyj und dem Historiker Denys Zubryc’kyj. Insbesondere beim letzteren war Pogodins Initiative von frühem Erfolg gekrönt.884 Durch ihn und die spätere russophile Bewegung diffundierten Pogodins Ideen nach Galizien, wobei die Ideologie der frühen Russophilen keinen bloßen Import der Pogodin’schen Ideologie darstellte. Zubryc’kyj kombinierte diese mit dem ihm schon vor der Bekanntschaft eigenen Konservativismus. Nichtsdestotrotz importierte Zubryc’kyj die Idee, dass es in der großen Rus’ nur 879 880 881 882 883

Kappeler 2003, Mazepintsy, S. 168, 172. Pogodin 1856. Sobolevskij 1884. Sˇachmatov 1899; Sˇachmatov 1916. Jagic´ 1898; Kolessa 1896, S. 473–477; Ohonovskij 1894, S. 42–46; Hrusˇevs’kyj 1904, S. 511– 516. Ausführlich diskutiert die Debatte Krimskij 1898–1899. 884 Kotenko 2013, S. 68; Wendland 2001, Die Rückkehr, S. 181f.

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eine Standardsprache geben sollte: das (Groß-) Russische.885 Diese russophile Strömung ist als Antwort auf das Scheitern der Revolution von 1848 aus ruthenischer Perspektive zu betrachten, schlug aber langfristig Wurzeln in Galizien. Damit konzipierten auch Intellektuelle der Habsburgermonarchie die galizische (halyc’ka/galickaja), bukowinische (bukovyns’ka/bukovinskaja) und ungarische (uhors’ka/ugorskaja) Rus’ als russisch, und ihre ostslavische Bevölkerung damit als Teil eines Stammes, aber keiner eigenständigen Nation. Kostomarovs in der Osnova publizierte Konzeption zweier russischer Nationalitäten, die sich aus den ostslavischen Stämmen entwickelt hätten und eindeutig unterscheiden, aber auch ergänzen würden, war ein gefeierter Kerntext für die Ukrainophilen der 1860er Jahre. Die späteren Werke, in denen er dagegen das Ukrainische lediglich für den Hausgebrauch empfahl,886 fanden entsprechend auch keinen Platz in Hrusˇevs’kyjs Genealogie. In den 1860er und frühen 1870er Jahren war eine Koexistenz und Zusammenarbeit von Ukrainophilen und Kleinrussen im Rahmen der Südwestlichen Abteilung durchaus möglich. Die nationalisierenden Kräfte in der Südwestlichen Abteilung, allen voran Drahomanov, suchten die ukrainische Eigenständigkeit gegenüber Verfechtern (klein-) russischer Positionen durchzusetzen und scheuten dabei keine Polemiken, die wiederum individuelle Zerwürfnisse nach sich zogen.887 Diese nationale Ausrichtung der Ukrainekundler breitete sich in den kommenden Dezennien in Galizien und Wien ebenso aus wie in Kyjiv, St. Petersburg, Moskau und in der westeuropäischen Emigration (in den Zirkeln Drahomanovs). Im Zarenreich sahen sie sich mit russisch-nationalen und imperialen sowie »Kleinrussen« und ihren intellektuellen Speerspitzen konfrontiert, in Galizien wiederum mit russophilen und polnischen Aktivisten und Akademikern. Wie entwickelten sich in diesem Kontext die abstrakten Definitionen von Nation und Nationalität? In seinem einflussreichen Aufsatz Try nacional’ni typy narodni (Drei nationale Volkstypen) definierte Antonovycˇ Nationalität als: »die Summe der Eigenschaften, durch die sich eine Volksgruppe von einer ganzen Sorte anderer Gruppen unterscheidet. Diese Eigenschaften existieren in zwei Arten: eine den Menschen angeborene, erbliche, die von der Zusammensetzung der Rasse und vom Einfluss der lokalen Natur abhängt; man kann sie auf den Pfaden der Anthropologie finden, durch die Erforschung der Anatomie und der Physiologie des Menschen. Die anderen Eigenschaften rekurrieren auf die Erziehung und hängen von der Höhe der Kulturentwicklung und vom vergangenen Leben des Volkes ab, also von seiner Geschichte. Die Summe dieser Eigenschaften zeigt uns die ethnographische Individualität, die separate Nationalität.«888 885 886 887 888

Vendland 2015, S. 106–110. Kotenko 2013, S. 79–81. Baumann 2020, S. 42–72. Nyzenko [= Antonovycˇ] 1888, S. 157f.

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Nation versteht er dementsprechend als »eine Gruppe von Leuten, die miteinander verwandt und einander nah hinsichtlich ihrer Natur, Begabung, Charakter, Humor, Talent und Temperament sind.« Dabei erwähnt er auch, dass sowohl »natürliche« bzw. biologische als auch kulturelle Faktoren für die Ausbildung individueller Eigenschaften relevant wären.889 In der Folge suchte Antonovycˇ in seinem Aufsatz, die großrussische und die polnische von der ruthenisch-ukrainischen Nation durch die Benennung anthropologischer und kultureller Merkmale – bspw. aus den Bereich Architektur, Glauben, Kunst und Literatur – zu unterscheiden. Er konstruierte damit ein primordialistisches Nationsverständnis, das wenig mit einer Renan’schen Konzeption der Nation als tägliches Plebiszit zu tun hat. Hierfür bedient sich der Historiker Strategien zur »Verwissenschaftlichung der Nation«, die zu einem wesentlichen Teil aus dem deutschsprachigen Raum inspiriert waren. Hierbei ist anzuführen, dass die zugrundeliegende ukrainische Situation sicherlich speziell, aber nicht einzigartig ist – Belarus und die Belarussen waren von der allrussischen Konzeption nicht minder betroffen; belarussische Aktivisten und Wissenschaftler suchten, sich im frühen 20. Jahrhundert von ihr zu emanzipieren.890 Auch darüber hinaus ist die geisteswissenschaftliche Abgrenzung von umliegenden Gruppen keine Besonderheit der ostslavischen Geschichte, sondern findet sich analog bei anderen nicht-dominanten Gruppen, bspw. in der estnischen Nationalbewegung.891 Wie Górny gezeigt hat, zirkulierten diese Herangehensweisen im östlichen Europa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, häufig mit einem Ausgangspunkt im deutschsprachigen Raum.892 Hrusˇevs’kyjs 1914 vorgelegte Definition ähnelt der seines Lehrers: »Der Begriff des Volks [naroda] oder Nationalität [narodnosti], als eine bestimmte kollektive Individualität, existierend unabhängig von territorialer, politischer oder konfessioneller Trennung, vereint durch feste gemeinsame Charakteristika in der Gegenwart, Gemeinsamkeit des Erlebten in der Vergangenheit, Gemeinsamkeit der Aufgaben und Bestrebungen in der Zukunft, – erscheint überhaupt in seiner hauptsächlichen Gestalt als Produkt des 19. Jahrhunderts.«893

Zwar hatte Hrusˇevs’kyj in dieser Definition keine biologischen Kriterien übernommen, die in seiner ukrainischen Geschichte durchaus eine zentrale Rolle zur Abgrenzung des Volkes darstellen; sie könnten sich allerdings unausgesprochen hinter jenen »feste[n] gemeinsame[n] Charakteristika« verbergen. In jedem Fall zeigt sich hier, dass der Historiker sich auch nach knapp zwei Dezennien in 889 890 891 892 893

Ebd., S. 158f. Rudling 2014. Kalling / Heapost 2013, S. 85. Górny 2019, Science, S. 9–37. Grusˇevskij 1914, Razvitie ukrainskich izucˇenij, S. 1.

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Galizien kaum von den Ideen seines Lehrers Antonovycˇ sowie den intellektuellen Kontexten des Zarenreiches entfernt hatte. Er verortete die Genese dieses Verständnisses zwar im 19. Jahrhundert, bezog aber gleichzeitig seinen deckungsgleich gebrauchten Begriff des Volkes/der Nationalität auf ein einheitliches ukrainisches Volk, das bereits in der Kiewer Rus’ existiert hätte. Seine politische Einheitlichkeit – und in der Folge auch die religiöse – hätte es in den folgenden Jahrhunderten an Litauen, Polen, Ungarn und den Moskauer Staat verloren. Damit löste er sich bewusst von anderen Definitionen der Nationalität, die direkt auf Staatsangehörigkeit, Staatsterritorium oder gemeinsame Religion rekurrierten. Nicht zuletzt war dieses Argument relevant, um russische Ansprüche auf religiöser Grundlage – verbunden mit der Idee von Moskau als ›drittes Rom‹ und Vorposten der Orthodoxie – zu entkräften.894 Primordialistische Denkweisen und Argumentationen zur Konstruktion der ›Nation‹, das ist gesondert zu unterstreichen, waren kein ukrainisches oder ost(mittel)europäisches Spezifikum, sondern transnational präsent.895 Die Schwierigkeiten, die historische Akteure bei der Entwicklung dessen hatten, bestanden vor allem darin, dass sie mit intellektuellen Vorbildern (des westlichen) Europas896 brechen oder theoretische Fassungen zumindest für die spezifischen Bedingungen des ukrainischen Falles erweitern mussten. Differenzierter und primär gegenwartsorientiert argumentierte der Rechtswissenschaftler Stanislav Dnistrjans’kyj. Ihm galten »Natur, Kultur und Territorium« als zentrale Kriterien zur Fassung und Abgrenzung von »Völkern«. Natur und Kultur fluktuierten seiner Theorie nach, das Territorium hingegen würde eine unveränderliche Basis bilden, dem auch Personen und Gruppen in Emigration stets ideell verbunden blieben, sofern sie sich nicht anderweitig assimilierten. Kennzeichnend für die moderne, politisch definierte Nation bzw. Nationalität seien die »intellektuelle Aufklärung der Volksmassen bezüglich der nationalen Angehörigkeit und das politische Streben zur dauernden staatsrechtlichen Einigung«. Neben diesem politischen Moment der nationalen Idee seien für Nationen dieselben Kriterien zutreffend wie auch für Völker. Wie auch Hrusˇevs’kyj sieht Dnistrjans’kyj die wesentlichen Kennzeichen von Volk/Nation/Nationalität als unveränderlich an; auch wenn er ›Natur‹ und ›Kultur‹ als etwas Veränderliches verstand, so sah er die Verortung eines Volkes, abgesehen von den Faktoren Emigration und Assimilation, doch als statisch an. Das nationale Kollektiv betrachtete er als zusammengehöriges Ganzes und »Produkt eines historischen Prozesses«, wobei er einschränkte, dass »die charakteristischen Züge einer Na894 Zur ukrainischen Nationsbildung und orthodoxen Religion im Zarenreich vgl. Vulpius 2005. 895 So auch bspw. in der französischen Wissenschaft unter den Vorbildern Vovks. Richard 2002. 896 Zu den vielfältigen Definitionsversuchen von ›Volk‹ und ›Nation‹ in deutschen und britischen Enzyklopädien vgl. Behrndt 2003.

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Nation definieren

tionalität nicht immer bei einzelnen Mitgliedern gefunden werden müssen«. Dementsprechend erachtete er Nationalität nicht für ein subjektives Moment, sondern eine objektivierbare Tatsache; er subsumierte unter seinem Nationsbegriff auch jene Menschen, die sich nicht national verorteten bzw. aus nationaler Perspektive als ›indifferent‹ galten.897 Obwohl Dnistrjans’kyj aus seiner Perspektive als Politiker, Statistiker und Rechtswissenschaftler um einiges komplexer argumentierte und für eine analytische Erforschung komplexer Phänomene der Gegenwart plädierte, sind doch bedeutende Schnittmengen zu Hrusˇevs’kyj augenfällig. Während beide Wissenschaftler die historische Wandelbarkeit nahezu aller für relevant befundenen Kategorien einräumten, erschien ihnen das ukrainische Territorium als universale Konstante. Dies war gepaart mit einem monoethnisch gedachten Volk, das dieses Territorium besiedeln und sich auch, wenn es sich andernorts aufhalten würde, mit ihm verbunden fühlte. Diese beiden Wissenschaftler haben für nahezu alle im NTSˇ vertretenen Disziplinen, mit Ausnahme jener Naturwissenschaften ohne Ukraine-Bezug, als einflussreich zu gelten. Hrusˇevs’kyj beeinflusste vorrangig Geistes-, aber auch Sozialwissenschaften, Dnistrjans’kyj wiederum Rechtswissenschaften, Statistik und alle politisch aktiven Vereinsmitglieder, die sich der Argumente einer dieser Disziplinen bedienten oder gemeinsam mit ihm in der UNDP aktiv waren. Dennoch sind diese beiden Akteure (und ihre jeweiligen Anhänger) kaum als ein »Denkkollektiv« im Fleck’schen Sinne zu bezeichnen; sie teilten keinen disziplinären »Denkstil«898, auch wenn sie demselben Vereinskollektiv anhingen und von einem (nicht zwangsläufig deckungsgleichen) ukrainischen Nationalgedanken geprägt waren. Während Hrusˇevs’kyj einen Nationsbegriff vorlegen musste, der eine primordialistische Geschichtsschreibung begünstigte, beschränkte sich Dnistrjans’kyj auf die Erforschung der historischen Gegenwart in Nationalitätenstatistiken. Sie hatten einen jeweils anderen Bildungs- und Ausbildungshintergrund, spezialisierten sich für unterschiedliche Fächer, teilten andere politische Ziele und hegten eine massive Aversion gegeneinander. Hrusˇevs’kyj notierte in seinem Tagebuch, Migräne und Bluthochdruck von den gemeinsamen Sitzungen mit Dnistrjans’kyj davongetragen zu haben,899 während dieser wiederum Sitzungen mit Hrusˇevs’kyj bisweilen gänzlich vermied.900 Umso bemerkenswerter ist nun aber, dass sie bisweilen deckungsgleiche Konzepte des Nationalen verwendeten, da diese auf gemeinsamen Schlussfolgerungen zur spezifischen ukrainischen Situation beruhten.

897 898 899 900

StP AH, XIX. Session, 36. Sitzung, 24. Juni 1909, 1023/I, S. 5682f., Zitate S. 5682. Fleck 2012. Hyrycˇ 2016, Mychajlo, S. 31, 291, 294–296. Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 180.

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Vereinsagenda: ›Nationale Wissenschaft‹

Wie bereits diskutiert wurde, lehnte Hrusˇevs’kyj die rechtswissenschaftliche Kommission und ihr Journal ab, weil sie wenig mit seinen Vorstellungen von ›nationaler Wissenschaft‹ gemein hatte. Was nun in diesem Streit zum Ausdruck kommt, ist ein Kernproblem bei der Beantwortung der Frage, was mit nationaler Wissenschaft gemeint ist bzw. womit sich diese befassen sollte. Während die rechtswissenschaftliche Kommission sich in ukrainischer Sprache mit den staatlichen Strukturen beschäftigte, forcierte Hrusˇevs’kyjs Konzept eine Selbstbezogenheit in der Erforschung des ukrainischen Volkes und seines Territoriums. Dennoch – und dies zeigt sich später bei der Zusammenarbeit beider Wissenschaftler in der statistischen Kommission – konnten sie einen gemeinsamen Nenner finden: die Abgrenzung der Ukraine von anderen Nationen.

5.2

Nation abgrenzen

Die Konzeption der nationalen Wiedergeburt, die bei unterschiedlichen, insbesondere slavischen Nationalbewegungen große Prominenz genoss, ist bereits wiederholt angesprochen worden; zuletzt am Beispiel der »literarischen Wiedergeburt«, deren Jubiläum 1898 gefeiert wurde. Nicht minder wurde Wissenschaft als Triebfeder einer solchen Wiedergeburt verstanden, wobei nicht allein Hrusˇevs’kyjs Lager für diese Konzeption verantwortlich war. So schrieb etwa Omeljan Ohonovs’kyj 1894 zur Ethnographie, dass diese sich gegenwärtig als »Ausgangspunkt der Restauration der ruthenisch-ukrainischen Nationalität«901 positionieren würde. Es ist keineswegs nur die staatliche Grenze (border) zwischen den Imperien, die die ukrainische Wissenschaft in ihrer Entstehungsphase so nachhaltig prägte, sondern insbesondere der Umstand, dass die ukrainischen Länder als frontier unterschiedlicher nationaler und imperialer Projekte figurierten.902 Als frontier werden fluide Grenzen verstanden, die Gegenstand beständiger Aushandlung sind. Ostmitteleuropa ist deshalb in der Makroperspektive berechtigterweise als frontier-Region definiert worden, die sich gerade durch die Abweichung vom nationalstaatlichen Modell – einer Deckung der Staatsgrenzen mit ethnisch, konfessionell und linguistisch definierten Räumen – auszeichnet.903 Grenzlandschaften (borderlands) der europäischen Imperien waren vor allem dort lokalisiert, wo die Staatsgrenze bzw. Grenzregion als frontier zu deuten ist, insbesondere wenn linguistische oder konfessionelle ›Grenzen‹ die staatlichen 901 Ohonovskij 1894, S. 1. 902 Plochij 2013, S. 10; zur ukrainischen Geschichte als Geschichte einer frontier-Region Plochij 2016. 903 Livezeanu / Klimó 2017, S. 5f.

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transzendierten, wodurch im jeweiligen regionalen Kontext polyzentrische Identifikationsangebote entstanden. Nicht selten war die Kontrolle durch die Zentralmacht in borderlands schwächer ausgeprägt, im galizischen Fall sogar an die polnischen Eliten delegiert worden.904 Imperiale Verwaltungsmaßnahmen und Kategorienbildungen trugen maßgeblich zur Entstehung von frontiers und borderlands bei, zumal sich nicht zuletzt nationale Bewegungen auf diese berufen konnten.905 Hier geht es jedoch nicht darum, eine frontier etwa nach dem US-amerikanischen Modell zu postulieren, sondern den zentralen Stellenwert dieser Figur für das Gebaren und Handeln nationaler Aktivisten im Feld der Wissenschaft zu ermitteln: Das Ringen diverser Gruppen und Institutionen um die heterogenen Regionen forcierte oszillierende Imaginationen und Vereinnahmungen. Regionale, nationale und imperiale Projekte begrenzten sich dabei nicht auf literarische Phantasien,906 sondern involvierten unterschiedliche Berufs- und Fachgruppen, die sich ihrer professionellen Möglichkeiten bedienten, um Grenzräume zu vereinnahmen.907 Hierbei ist nicht zuletzt der produktive Austausch zwischen dominanten und nicht-dominanten Gruppen relevant, der Mary Louise Pratts Idee zur Transkulturalität in Kontaktzonen zugrunde liegt.908 Entsprechend der Einwände der Neueren Imperiengeschichte gilt es hierbei allerdings zu berücksichtigen, nicht in ein Zentrum-Peripherie-Verständnis909 oder ein wissenschaftshistorisches binäres Diffusionsmodell910 zu verfallen. Schon zur Mitte des 19. Jahrhunderts imaginierten polnische Ethnographien und Geographien den ruthenisch-ukrainischen Raum als frontier, welche die eigene Nationsbildung nachhaltig beeinflusste.911 Dabei beschränkte sich dieser Prozess nicht auf Alterisierungen, sondern umfasste auch die Aneignung ruthenisch-ukrainischer Folklore durch die polnische Ethnographie als Teil einer polnischen Nationalkultur. Im späten 19. Jahrhundert manifestierte sich dieser Trend in einer kolonialistischen Rhetorik gegenüber den kresy912 als eine Mission zur ›Hebung‹ des ›kulturellen Niveaus‹, die die Herrschaft über diese Gebiete 904 Wendland 2013, S. 26. 905 Rieber 2014; Stergar / Scheer 2018. Basierend auf den theoretischen Angeboten Riebers legte Cus,co (2017) eine überzeugende Untersuchung zu Bessarabien als umkämpftes Grenzgebiet zwischen Russland und Rumänien vor. 906 Thompson 2000. 907 Zur Kaiserlichen Russischen Geographischen Gesellschaft vgl. Weiss 2007. Zu Kartographen Seegel 2012; Seegel 2018. Zur Rolle von Vermessungspraktiken und -beamten im Rahmen des franziszeischen Katasters vgl. Liebhart 2013; Scharr / Ungureanu 2015, S. 81f.; zu den Seelenkonskriptionen der Habsburgermonarchie Tantner 2007. 908 Pratt 1992. 909 Cooper / Stoler 1997. 910 Raj 2013. 911 Seegel 2012, S. 178. 912 Porter 2000, S. 182–189.

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vorgeblich historisch begründete.913 Diese Kategorien sollten sich auch als folgenreich für das politische Handeln polnischer Nationalisten in Galizien erweisen. Die Konzeption des dreieinigen, allrussischen Volkes betrachtete die ukrainische/kleinrussische/süd(west)russische neben der weiß- und großrussischen Bevölkerung als integralen Teil der tragenden Nation des russländischen Imperiums. Diese Leitidee prägte nicht nur historische Narrative, sondern auch wissenschaftliche Positionen. Die Idee eines einheitlichen russisch-imperialen Territoriums,914 die Abwertung der ukrainischen Sprache zur »Bauernsprache«, zu einem Dialekt des Russischen915 und die Annahme einer engen ethnischen Verwandtschaft, die die Sowjetunion in den Topos der ostslavischen ›Bruderschaft‹ übersetzte,916 sind nur einige Beispiele dafür. Ambivalenter scheint das Verhältnis zur Habsburgermonarchie; während Proteste gegen spezifische politische und kulturelle Probleme im frühen 20. Jahrhundert regelmäßig auftraten, kann von österreichisch-ukrainischer oder deutsch-ukrainischer Konkurrenz keine Rede sein. Noch im Ersten Weltkrieg betonte der führende ukrainische Geograph Stepan Rudnyc’kyj (1877–1937), die ›österreichische Staatsidee‹ stünde, im Unterschied zur polnischen oder russischen, nicht im Gegensatz zur ukrainischen.917 Die versuchte Aneignung evozierte in zahlreichen Fällen ukrainische Abgrenzungsversuche von polnischen und russischen Ideen, Konzepten und Narrativen, die im Rahmen dieser Arbeit expliziert werden. Die junge ukrainische ›nationale Wissenschaft‹, die explizit nicht an altruthenische oder russophile Projekte anknüpfte, nutzte diese Abgrenzung als Strategie der Selbstermächtigung918 unter dem Eindruck multipler hegemonialer Diskurse, die auf das ukrainische Territorium und seine Bevölkerung zugriffen. Äußerst charakteristisch für den ukrainischen Fall im späten 19. Jahrhundert ist nun, dass das imaginierte ukrainische Volk für akademische ›Stellvertreterkriege‹ polnischer und russischer Nationsbildungsprojekte genutzt wurde, aus denen die ukrainische Nationalbewegung und ihre Wissenschaftler wiederum Vorteile generieren konnten. Aus russisch-imperialer Perspektive äußerte sich dies in den bereits erwähnten Förderungen kleinrussischer Kultur. Nicht nur die Gründung der Universität Kiew, sondern auch die nach dem Valuev-Zirkular 913 Wöller 2012. Zu ›Zivilisierungsmissionen‹ Osterhammel 2005. 914 Hettner 1916. 915 Kappeler 2017, S. 115. Das betrifft auch staatliche Kategorien, wie etwa in der Volkszählung 1897; dazu Kappeler 2012, Perepisi naselenija. Die Abwertung als »Bauernsprache« war auch in polnisch-galizischen Diskursen seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts präsent. Moser 2003, S. 354. 916 Velychenko 1992, Shaping Identity, 209. Vgl. zuletzt Kappeler 2017, der auch die Ursprünge des Konzepts zu fassen sucht. Zur aktuellen Relevanz in der Erinnerungspolitik der ostslavischen Staaten vgl. Fedor / Lewis / Zhurzhenko 2017. 917 Rudnyzkyj 1916, Zur politischen Geographie, S. 45–47. 918 Feichtinger 2016.

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ˇ ubyns’kyjs und der Südwestlichen Aberfolgte Förderung der Expeditionen C teilung stellten Meilensteine für die Konstruktion eines ukrainischen Nationalterritoriums dar. Und auch die direkte wissenschaftliche Arbeit des Imperiums konnte der Nationalbewegung zugutekommen. Infolge des polnischen Aufstandes von 1863 gab die Russische Imperiale Geographische Gesellschaft beim preußischen Kartographen Roderich D’Erkert/von Erckert einen Atlas in Auftrag, der die Aufgabe hatte, polnische Hegemonialvorstellungen im Westen des Reiches zu dekonstruieren, wobei besonders die jüdische und die (klein-) russische Bevölkerung zu diesem Zweck verstärkt sichtbar gemacht wurden.919 Ebenso hatten auch polnische Instrumentalisierungen des ›ruthenischen‹ Volkes wissenschaftliche Folgen, besonders langfristige im Fall des polnischen Ethnographen und Historikers Franciszek Henryk Duchin´ski (1813–1893). Dieser nahm eine Kulturgrenze zwischen ›arischen‹ und ›turanischen‹ Völkern an, die durch den Raum verlief, der als ostslavisch begriffen wurde und wird. Während die ›arischen‹ Ruthenen, gedacht als Vorläufer der Ukrainer, slavischen Ursprungs seien, wären die ›turanischen‹ Russen ›finno-mongolischen‹ Ursprungs. Während die ersteren einen zivilisierenden Einfluss auf die Rus’ gehabt hätten, seien sie doch nicht in der Lage gewesen, den ›finno-mongologischen‹ Charakter ihrer nordöstlichen Nachbarn zu verändern. Sowohl im frankophonen als auch germanophonen Raum fanden diese Theorien durchaus Anklang. Ivan L. Rudnyc’kyj argumentiert, dass diese Annahme und ihre Konjunktur die ukrainische Nationsbildung durchaus förderten.920 Insgesamt ist die Duchin´skiRezeption aus ukrainischer Perspektive allerdings differenzierter zu betrachten, wie noch im Rahmen der physischen Anthropologie diskutiert werden wird. Schon Kostomarov hatte der ›Finnenthese‹ in aller Deutlichkeit widersprochen; Oleksandr Konys’kyj hatte sie dagegen in einer – unter einem Pseudonym veröffentlichten – Broschüre wieder aufgegriffen und betonte in diesem Zusammenhang, dass der Charakter der Großrussen von ihrem »finnisch-tatarischen Blut« herrühren würde.921 Drahomanov schrieb einen längeren Verriss der Broschüre, in dem er deren Unwissenschaftlichkeit betonte.922 Wenig später bemängelte er, dass die galizischen Volkstümler das Erscheinen dieses Werkes gefördert hätten; bezeichnenderweise wurde es von der Sˇevcˇenko-Gesellschaft gedruckt.923 Hierbei zeigt sich also, dass das Streben nach nationaler Abgrenzung

919 920 921 922 923

Seegel 2012, S. 145–148. Lysjak-Rudnyc’kyj 1994, S. 265–279. Zit. nach ebd., S. 278. Drahomanov 1906. Kupcˇyns’kyj 2013, Vydavycˇa dijalnist’, S. 198.

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nicht zwangsläufig die Akzeptanz rassistischer Narrative bedeuten musste.924 Im späten 19./frühen 20. Jahrhundert lässt sich das Konzept aber vor allem als diskursives Gegenstück zur ›Pogodin-Hypothese‹ verstehen.925 Die ukrainischen Länder sind als ein mustergültiges Beispiel für Grenzlandschaften kontinentaler Imperien zu betrachten.926 Nationalen Aktivisten erschienen sie als frontier, d. h. als transnationale Kontaktzone mit beweglichen oder gänzlich ohne Grenzen.927 Die Grenzen der beiden ost(mittel)europäischen Imperien wurden unter dem Primat des Nationalen nicht akzeptiert; hier waren sich die polnischen und ukrainischen Nationalbewegungen einig. Die Abwesenheit »klare[r] Territorialgrenzen«928 ist ein zentrales Merkmal für multiethnische Regionen. Die Grenzräume zu anderen Gruppen, definiert in nationaler, sprachlicher und ethnographischer Hinsicht, blieben die entscheidenden Kriterien für die ›nationalen Wissenschaftler‹. Auch wenn solche Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden, bedeutete das nicht, dass nationalen Imaginationen damit Einhalt geboten wurde.929 Ganz im Gegenteil, enttäuschte Hoffnungen waren sogar ein Katalysator für die Entstehung radikal-nationalen Gedankenguts und dessen Einzug in wissenschaftlich ›legitimiertes‹ Wissen.930 Es handelte sich also nicht um eine ›reale‹ Grenze im Sinne eines Kolonisierungsprozesses, sondern eine durch nationale (und imperiale) Wissenschaften konstruierte, eine imaginierte frontier. Mit Bezug auf die ›nationale Wissenschaft‹ war diese frontier durch ihren imaginierten Charakter jedoch keineswegs weniger geschichtsmächtig. Grenzen beweglich zu denken und letztlich neu zu zeichnen, gehörte zu den zentralen Aufgaben dieser ukrainischen ›nationalen Wissenschaft‹. Die Kategorien nationaler Akteure gilt es zwar nicht zur Charakterisierung imperialer oder kolonialer Reiche zu verabsolutieren, ihre Modi der Selbstbeschreibung gilt es dennoch kritisch zu würdigen.931 Sie waren essentiell für die Ausrichtung dieser jungen ›nationalen Wissenschaft‹, die diese Auseinandersetzung mit geschichts-, territorial- und sprachwissenschaftlichem sowie ethnographischem 924 Dagegen unter rassistischem Vorzeichen aufgegriffen wurden diese Ideologeme im integralen Nationalismus von Dmytro Doncov, dem späteren Ideologen der Organisation Ukrainischer Nationalisten. Lysjak-Rudnyc’kyj 1994, S. 275. 925 Dem sei angefügt, dass auch Pogodin mit Duchin´ski polemisierte. Górny 2019, Science, S. 270. 926 Hagen 2007; Hillis 2012; Seegel 2012. 927 Übersicht zum frontier-Begriff Osterhammel 2011, S. 465–564; aus ukrainischer Perspektive ˇ ornovol 2015. C 928 Osterhammel 2011, S. 472. 929 Seegel 2018, S. 6. 930 Hausmann 2014 zur ukrainischen ›Kultur der Niederlage‹ zur Produktion ›legitimen Wissens‹ Daum 2009. 931 Gerasimov / Kusber / Semyonov (Hg.) 2009.

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Inventar führte. Während die ukrainische ›nationale Wissenschaft‹ den Vergleich zur US-amerikanischen frontier erst in der Zwischenkriegszeit als Selbstbeschreibung zog,932 war die Wahrnehmung als ›Grenzland‹ bereits charakteristisch für das vor allem seit der Jahrhundertwende gepflegte Selbstverständnis, das mit der Akzeptanz des Namens Ukrajina (›Grenzland‹) für das nationale Territorium Hand in Hand ging. Während die von Frederick Jackson Turner (1861–1932) postulierten ›Kulturgefälle‹ entsprechend der neueren Forschung kein zwangsläufiges Merkmal einer frontier-Region sein mussten,933 war die entsprechende Rhetorik im ukrainischen Fall äußerst präsent. Akteure praktizierten ›Othering‹, wenn sie sich gegenseitig als Feinde demarkierten oder sich gegenseitig absprachen, ›zivilisiert‹ zu sein. Das ist einerseits ein Phänomen der Metaebene in der Debatte zwischen Wissenschaftlern bzw. Intellektuellen,934 andererseits auch Inhalt wissenschaftlicher Wissensformationen wie der Etablierung eines historischen ›Bollwerkmythos‹ der Ukraine als ›Schutzschild‹ des ›kultivierten‹ Europas gegenüber dem ›barbarischen‹ Asien – oder im Ersten Weltkrieg auch gegenüber Russland, das mit nicht minder pejorativer Konnotation in Asien gedacht wurde.935 Charakteristisch für nationalisierende Narrative in plurikulturellen Regionen scheint dabei die Tatsache, dass sowohl polnisch- als auch ukrainisch-galizische Narrative die Idee der Antemurale christianitatis für sich zu vereinnahmen suchten.936 Der Begriff der scientific frontier diente im späten 19. Jahrhundert, im britischen Kolonialdiskurs um Indien, dazu, ›natürliche Grenzen‹ zugunsten komplexerer wissenschaftlicher Konstruktionen zu vernachlässigen. Der Begriff war Ausdruck einer neu verstandenen, verwissenschaftlichten Territorialität, die gleichsam mit politischer Bedeutung versehen wurde.937 Ähnlich figuriert auch der Begriff der ethnographic frontier als jene Grenze des bisher von der Anthropologie erforschten Raumes in der Arbeit von Rainer Buschmann. Er untersuchte diese frontier als Zone des verdichteten Kontakts der Lokalbevölkerung mit den Forschenden im kolonialen Kontext Neu Guineas und als bedeutsamen ˇ ornovol (2015, S. 165–166) führt dies auf die Bekanntheit von 932 Rudnyc’kyj 1923, S. 25f. Ihor C Turners Werk in den Kreisen der deutschsprachigen Geographie zurück, die Rudnyc’kyj so vertraut waren. Letztlich bleibt diese Annahme zu bezweifeln, zumal Rudnyc’kyj auf Turner nicht rekurriert. Dahingegen teilten beide Wissenschaftler einen zentralen Einfluss auf ihre Arbeiten: Friedrich Ratzel. Vgl. Rudnyc’kyj 1923, S. 6–9. 933 Osterhammel 2011, S. 470. 934 So etwa Polemiken zwischen Statistikern, vgl. Rohde 2016. 935 Wöller 2013; Mick 2005, S. 67f. Zu Bollwerkmythen in Konzeptualisierung und Vergleich vgl. Berezhnaya / Hein-Kircher (Hg.) 2019. 936 Woldan 2012. 937 Jilangamba 2019, S. 181–183. Bisweilen ist die Begrifflichkeit der scientific frontier im heutigen Gebrauch problematisch, weil sie zugleich als Figur zur Beschreibung für Horizonte und Herausforderungen globaler (Natur-) Wissenschaften dient. Colodny 1964; Du Sautoy 2016.

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Faktor für die Entwicklung der deutschen Anthropologie im globalen Kontext.938 Die kulturelle Fremdheit zwischen den Forschenden und den Erforschten war im ukrainischen Kontext kaum dieselbe und die Wissenschaftler, unter denen auch Dialektforscher waren, dürften nur wenige Verständnisprobleme gehabt haben. Dennoch verdient die Idee auch für die ukrainische ethnographische Feldforschung Beachtung und wird im Kapitel 6 zur Feldforschung in Grenzlandschaften thematisiert. Nicht zuletzt bezeichnet die frontier-Situation auch produktive Austauschprozesse. Dies sieht man im ukrainischen Fall durch die Nutzung der Institutionen und Organisationen der Imperien oder auch anderer nationaler Gruppen bestätigt. Im innergalizischen Fall betrifft dies polnische Wissenschaftsvereine – allerdings nur bis zu einem gewissen Grad und mit Bedacht auf moderatere Akteure, zumal Nationalisierungsprozesse zu zunehmend verhärteten Fronten führten und, wie im Fall Frankos, zum Vereinsausschluss führen konnten. Ein ähnliches Verhältnis sprachlich-ethnographisch gemischter Bevölkerung lässt sich zwar in der slowakisch-ukrainischen Kontaktzone im historischen Ungarn beobachten, das hatte aber in der Vorkriegszeit lediglich lokale Bedeutung und keinen Einfluss auf die Wissenschaftskonzeption an sich. Das erklärt sich dadurch, dass slowakische Nationalisten kaum einen Anspruch auf ukrainisches Territorium erhoben und die Debatten um nationale Zugehörigkeiten und lokale Dialekte vor allem mit tschechischen und anderen internationalen Wissenschaftlern ›auf Augenhöhe‹ geführt wurden.939 Die Erarbeitung von Grenzen war ein konstitutives Element des nationalen Territoriums und seiner transnationalen Kommunikation in Debatten, im bilateralen Dialog mit anderen Wissenschaftlern Ost- und Ostmitteleuropas ebenso wie im internationalen Forum. Insofern ist der hier veranschlagte, auch auf Austausch abzielende frontier-Begriff nicht mit der »language frontier« als Konfliktzone der durch sie mobilisierten nationalen Aktivisten940 gleichzusetzen. Heterogene, transkulturelle und sich von binären Zuschreibungen abhebende Regionen waren ein Anlass für internationale Wissenschaftler, sich der dortigen Forschung zu widmen. Am Beispiel der Dialektforscher wären insbesondere Slavisten zu nennen, die sich für die Verräumlichung von Sprachgruppen auch dort interessierten, wo die »eigene« nationale Gruppe nicht betroffen war. Ähnliches lässt sich etwa für slavische Ethnographen feststellen: u. a. tschechi938 Buschmann 2009. 939 Dies belegt etwa Hnatjuks tschechischer Aufsatz zu den ungarischen Ruthenen im Slovanský prˇehled, in dem er seine zentralen Thesen vorstellen konnte. Hnatˇuk 1899. Außerdem konnten Hnatjuk und Tomasˇivs’kyj im tschechisch-nationalen Ottu˚v slovník naucˇný das Lemma zu Ukrainern beitragen, indem sie ausführlich Ethnographie und ethnographische Grenzen darlegten. Ottu˚v slovník naucˇný, Bd. 16, 1900, S. 717–722. 940 Judson 2006.

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sche Forscher intensivierten den Austausch mit dem NTSˇ, aber auch anderen national definierten Wissenschaftszirkeln. Daraus resultierte nicht nur die regelmäßige Berichterstattung zu ukrainischsprachiger Forschung im ethnographischen Cˇeský lid (Das tschechische Volk) oder im slavenkundlichen Slovanský prˇehled (Slavische Rundschau),941 sondern es lassen sich auch Einflüsse auf epochale Darstellungen wie Lubor Niederles Slovanský sveˇt (Die slavische Welt) ausmachen. Niederle rezipierte Werke des NTSˇ, insbesondere solche von Vovk und Hrusˇevs’kyj; außerdem befand er sich mit beiden im persönlichen Austausch.942 Dieses Interesse an Grenzräumen ermöglichte nationalen, auf Abgrenzung zielenden Narrativen, die gar in ukrainischer Sprache verfasst waren, partiell vom internationalen Fachpublikum aufgegriffen zu werden und hierdurch größere Sichtbarkeit zu erlangen. In diesem Sinne ist der hier genutzte frontier-Begriff komplexer zu denken als die language frontier der Habsburg Studies, zumal breitere Interessenlagen und Akteurskonstellationen einzubeziehen sind. Nationale Abgrenzung als Ziel von Wissenschaftlern, die sich der »nationalen Wissenschaft« verschreiben, ist ein wichtiger Teil der frontier; sie erschöpft sich aber nicht damit. Nicht zuletzt hingen die zur Forschung und Wissenskommunikation zur Verfügung stehenden Mittel im ukrainischen Fall auch immer von entsprechenden Interessenlagen ab, die sich durch die frontierLage ergaben. Sowohl Duchin´ski als auch Drahomanov haben in ihrer Auseinandersetzung unter Beweis gestellt, wie relevant die Kommunikation über europäische Kanäle für die Wissenskommunikation zur Ukraine sein konnte; d. h. also, alternative Kanäle zu nutzen, um regionale Hierarchien zu umgehen. Wie noch in den folgenden Kapiteln immer wieder deutlich werden wird, blieb die internationale Wissenschaft – verstanden primär als ›europäische‹, aber auch als ›zivilisierte‹ oder ›kultivierte Welt‹ bezeichnet – ein zentraler Orientierungspunkt für die ukrainische Nationsbildung und Wissenschaftsentwicklung. Davon konnte die innere Vereinsentwicklung nicht unbeeinflusst bleiben. Franko argumentierte, das NTSˇ müsse sich genau diesen Herausforderungen internationaler Wissenschaft widmen, um ›nationale Reife‹ unter Beweis zu stellen. Das Problem scheinbar fehlender ›nationaler Reife‹ ist als klare Reaktion auf Zivilisierungsdiskurse zu verstehen, die Ukrainerinnen und Ukrainer als Objekt imperialer oder (mikro-) kolonialer Missionen betrachteten und dieses Argument nutzten, um Herrschaft bzw. Unterdrückung zu rechtfertigen.943 ›Nation‹ als Befreiungsideologie sah damit Bildung und Wissenschaft als ihre wichtigsten Instru941 Hnízdová 1998. 942 Niederle 1909; Górny 2019, Vaterlandszeichner, S. 64–66; Naulko 2001, Do pytannja;; Romanjuk 2017. 943 Zum Zarenreich und der Habsburgermonarchie Grusˇevskij 1907, S. 81–85.

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mente an.944 Dabei war aber die ›Befreiung‹ nicht der Versuch, aus dem Konzert europäischer Nationen auszubrechen, sondern unter Gleichberechtigten am Tisch Platz zu nehmen.945 Europäische Normen nationaler Wissenschaftsorganisation sind Leitlinien geworden, anhand derer der Verein seine Tätigkeit zu entfalten suchte. Wie die vorherige Episode zeigte, war der größere Teil der narodovci allerdings nach wie vor an ›organischer Arbeit‹ und nicht an ›science proper‹ interessiert. Eine Institutionalisierung der Forschung und Lehre sollte unter nationalem Vorzeichen erfolgen, wobei sich die Grenzen des Möglichen im habsburgischen Staat gerade im frühen 20. Jahrhundert stetig erweiterten. Eine nationale Akademie der Wissenschaften sollte entstehen; zumal auf die Einrichtung einer solchen nicht realistisch gehofft werden konnte, mühte sich das NTSˇ selbst, diese Funktion auch ohne imperiale Patronage – also inoffiziell – zu erfüllen. Das Niveau der Forschung und die Vereinsorganisation als solche sollten entsprechend dem Vorbild von Akademien der Wissenschaften angeglichen werden.946 Diese Angleichung verstanden die Protagonisten des Prozesses als Europäisierung, auch wenn etwa mit der Krakauer Akademie ein Vorbild im selben Kronland lag. Eine derartige Aufholjagd gegenüber vorbildhaften Nationalbewegungen schloss die rekurrente Einflussnahme auf Schul- und Universitätsfragen in der Habsburgermonarchie ein, wobei das NTSˇ vor allem an der letzteren arbeitete und das Rus’ke Tovarystvo Pedahohicˇne als ruthenisch-ukrainische Lehrervereinigung nur im Bedarfsfall unterstützte.947 Nicht zuletzt sollte die Sprache als Kommunikationsmedium geformt und genormt werden: Die Nationalsprache sollte in vollem Umfang funktional für wissenschaftliche Kontexte sein; sie musste sich dementsprechend nicht nur durch eine reiche (Fach-) Literatur, sondern auch die entsprechende wissenschaftliche Terminologie auszeichnen, um sich auf Ukrainisch ebenso fachlich präzise ausdrücken zu können

944 Pacholkiv 2002. 945 Hier ging es nicht per se ausschließlich um Nationalstaaten, sondern um die brisante Distinktion zwischen ›historischen‹ und ›ahistorischen‹ Nationen, die sich nicht nur als Quellen-, sondern lange noch als Analysebegriffe in der Forschung – inspiriert durch Friedrich Engels und damit die (neo-) marxistische Richtung – gehalten haben. Rosdolsky 1964; jüngst Car 2019, S. 456. Zur Persistenz dieses Verständnisses Kappeler 2016. 946 Barvins’kyj 1892. 947 Die beiden Vereine führten bspw. 1902 eine »Fachmännerenquete« zum Unterrichtsgegenstand »Ruthenisch« durch und verfassten ein gemeinsames Memorandum an das Ministerium für Cultus und Unterricht, 25. Mai 1902, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 59, ark. 5. In diesem Fall wurde das NTSˇ vermutlich zur Untermauerung wissenschaftlicher Autorität einbezogen, bezüglich der Volksschulen wurde hingegen die Prosvita aufgrund ihres organisatorischen Potentials aktiv. Fragebögen zum Volksschulwesen, 1912, CDIAL, fond 348, op. 1, spr. 6367.

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wie in den globalen Wissenschaftssprachen.948 Wie diese Punkte zeigen, hatten die Vereinsakteure die sie betreffenden Zivilisierungsnarrative internalisiert. Vor den Foren europäischer Wissenschaft diente wissenschaftlicher Fortschritt demnach auch dazu, nationale ›Reife‹ zu demonstrieren. Es handelt sich dabei um jene Instrumente, die zur Rechtfertigung von ›Eigenständigkeit‹ nötig waren. Zivilisierungsnarrative sind vor allem von polnischen und russischen Wissenschaften – darunter Geschichte ebenso wie Geographie, Statistik, Ethnographie und Anthropologie – gepflegt worden, womit diese nationale bzw. imperiale Ansprüche auf die ukrainischen Länder und ihre jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohner erhoben.949 Eben diese Darstellungen galt es vor einem europäischen Forum zu dekonstruieren, um die ukrainische unter den europäischen Nationen zu verankern. ›Reife‹ war in den entsprechenden Diskursen das Kriterium, um überhaupt wissenschaftlich wahrgenommen zu werden. Das ist keine grundsätzliche Neuerung durch die Agenda Hrusˇevs’kyjs; eine inhaltliche Kontinuität besteht etwa zu den populärwissenschaftlichen Initiativen der Barvins’kyj-Ära. Mit dem Ausbau der Vereinstätigkeit trat dieser Aspekt jedoch in bisher unbekannter Intensität und fachlicher Breite auf; es handelte sich bei den oben genannten um diejenigen Disziplinen, die das NTSˇ und Hrusˇevs’kyj am intensivsten zu fördern suchte. Dabei kam seinem historischen Konzept eine wichtige methodische Signalwirkung zu, wenn er Bevölkerung und Territorium ungeachtet von Staatsgrenzen als Aktanten ukrainischer Geschichte präsentierte. Hrusˇevs’kyj integrierte ethnographisches und folkloristisches Material sowie physisch-anthropologische Gesichtspunkte in den 1898 erstveröffentlichten ersten Band seiner Istorija Ukrajiny-Rusy als zentrales historiographisches Werk.950 Angesichts der von ihm beschriebenen Relevanz des Territoriums räumte er der Geographie eine zentrale Funktion für die ›nationale Wissenschaft‹ ein. Zumal ein ukrainischer Nationalgeograph fehlte,951 förderte er mit Stepan Rudnyc’kyj gezielt einen seiner Studenten der Geschichtswissenschaft in seiner Weiterbildung als Geograph.952 Außerdem institutionalisierte er 948 Surman 2016; Surman 2009. 949 Kleinmann 2009; Rhode 2019; Rustemeyer 2013. 950 Hrusˇevs’kyj 1904, Istorija Ukrajiny-Rusy, S. 1–61; vgl. auch das neue Vorwort der deutschen Übersetzung, Hrusˇevs´kyj 1906, S. III–VIII. 951 Diese Einschätzung ist insofern nicht richtig, als dass der erste promovierte Geograph im Verein, Hryhorij Velycˇko, schon in den 1890er Jahren einer ethnographischen Karte des ukrainisch-ruthenischen Volkes arbeitete und sie auch 1897 veröffentlichte. 1899 wurde er wirkliches Vereinsmitglied. Er teilte jedoch andere Schwerpunkte und wurde als Lehrer zwischen 1895 und 1903 häufig in Städte außerhalb Lembergs versetzt. Sˇablij (Hg.) 2012; Sˇtojko 2018. 952 Laut Musˇynka 1994 (S. 297), der sich auf die Erinnerungen der Nichte Rudnyc’kyjs beruft, motivierte Hrusˇevs’kyj Rudnyc’kyj persönlich, indem er darauf verwies, genügend Nachwuchs an Historikern zu haben, allerdings keinen Geographen, obwohl das Fach ›nicht weniger wichtig‹ wäre.

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die Herausgabe ukrainischer Folklore vor dem Hintergrund, dass sie nicht mehr in »fremden« – d. h. in polnischen oder russischen – Verlagen erscheinen müsste.953 Damit schuf er die Grundlage für die massenhafte Sammlung von Texten, die auch im europäischen Vergleich in ihrer Intensität heraussticht. Folklore war und ist bis heute in besonderem Ausmaß zentral für die ukrainische Nationalkultur.954 Eine derartig nationalisierte, auf Geisteswissenschaften fokussierte Wissenschaftsentwicklung, die nicht zuletzt wichtige Ausgangslagen in der Auseinandersetzung mit nationaler Heterogenität hat, ist in Ostmittel- und Südosteuropa keine exklusive Erscheinung. Umso wichtiger scheint es an dieser Stelle herauszustellen, dass es sich hierbei um keine Zwangsläufigkeit handelte; vielmehr grenzte sich die ›nationale Wissenschaft‹ auch von weiteren Traditionen ab, auf denen sie hätte aufbauen können. Zu den nicht gewählten Pfaden gehörten die bereits erwähnten russisch-imperialen und die wiederum darauf aufbauenden russophilen bzw. slavophilen Epistemologien, ebenso die im Russländischen Reich gepflegten Angebote des krajevedenie (Regionalforschung, ukr. krajeznavstvo) sowie einige Tendenzen internationaler Wissenschaft, die das NTSˇ vor und nach (teilweise auch während) der Ägide Hrusˇevs’kyjs vertrat. Die russophilen Geisteswissenschaften in Galizien mühten sich in ihrer slavophilen Ausrichtung, ostslavische Gemeinsamkeiten und Zusammengehörigkeit herauszustellen und sich mit diesem Narrativ gegenüber Polen abzugrenzen. Kern und historiographischer Hintergrund dieses Narrativs war deshalb die mittelalterliche Geschichte der Fürstentümer Halycˇ und Volodymyr.955 Demgegenüber war die nationalukrainische Herangehensweise in der Tat deutlicher auf allseitige Abgrenzung bedacht, während sie die Geschichte der Kiewer Rus zu nationalisieren suchte; weniger als diesbezügliche Detailstudien widmete sich die Historiographie im NTSˇ der Kosakenforschung. Dennoch sind russophile Wissenschaftler fluider zu denken: Sie befanden sich nicht zwangsläufig im ideologischen Kern der politischen Bewegung und sahen in den russophilen Institutionen womöglich für einige Zeit die alleinige Möglichkeit, ihrer Forschung nachzugehen. Mit einer relativ breiten Definition von Russophilie müssen die Fronten gegenüber den narodovci entsprechend weniger verhärtet gedacht werden. Ivan O./E. Levyc’kyj, ein Schriftsteller, Bio- und Bibliograph mit russophilem Hintergrund, brachte seine eigenen Ressourcen zur Arbeit in der bibliographischen Kommission des NTSˇ mit und bereicherte die Vorhaben zur ukrainischen Bibliographie damit entscheidend (Kap. 8.1). 953 Etnohraficˇnyj Zbirnyk I (1895), unpag. Vorwort. 954 Zur ukrainischen Folklore zuletzt Kononenko 2019; zur ukrainischen Folkloristik Harasym 2009. 955 Vgl. exemplarisch Sˇaranevycˇ 1863.

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Nation abgrenzen

Komplexer ist der Fall des Historikers Sˇaranevycˇ, dessen Mobilität zwischen politischen Lagern kein Phänomen seiner letzten Lebensjahre ist. Nach seinem Studium wurde der Lehrer und spätere Universitätsprofessor ein Mitglied der russophilen Halyc’ko-Rus’ka matycja, allerdings trat er 1871 auch der Prosvita bei. Er war für das Stauropegian-Institut tätig und begründete 1887 das dortige Museum; er arbeitete in dieser Funktion allerdings auch mit Oleksandr Barvins’kyj zusammen und trat 1890 der Sˇevcˇenko-Gesellschaft bei. Mit Iryna Orlevycˇ ließe sich »die Abwesenheit reiner politischer Ansichten bei ihm«956 annehmen, andererseits ließe sich aber auch hinterfragen, ob er nicht vielmehr als ein Regionalhistoriker zu sehen ist, der seine Arbeit dort betrieb, wo er sie betreiben konnte. Dieser Fall ist definitiv verschwommen, obwohl die Forschungsschwerpunkte mit denen der russophilen Bewegung übereinstimmen. Ähnlich ist der Kunst-, Kirchen- und Kulturhistoriker Iljarion Svjencic’kyj (1876–1956) zu sehen, wobei ein vergleichsweise deutlicher Bruch in seiner Biographie festzustellen ist. Er arbeitete zunächst für die Halyc’ko-Rus’ka matycja und das russophil dominierte Narodnyj dim (Volkshaus), bevor er Kustos des von Metropolit Sˇeptyc’kyj gegründeten Nationalmuseums wurde und sich gleichsam dem NTSˇ zuwandte.957 In einer ausführlichen Besprechung in der von Svjencic’kyj unter dem Pseudonym I. S’vjatyc’kyj herausgegebenen Zeitschrift Zˇyvaja mysl’ (Der lebendige Gedanke) charakterisierte Hnatjuk ihn schon 1904 als »Häretiker unter den Moskophilen«958. In dieser Hinsicht scheint Svjiencic’kyj sich schon früh durchaus flexibel orientiert zu haben und arbeitete mit den Organisationen zusammen, die an seiner Forschung interessiert waren bzw. ihm ein gesichertes Einkommen versprachen, ohne, dass er an einer kleinstädtischen Schule hätte unterrichten müssen. Letztlich hielt ihn dies nicht davon ab, weiterhin bei der matycja zu publizieren.959 Zumindest in diesen Einzelfällen ist die russophile Orientierung kaum als festgefahrene Identität zu begreifen, so wie das in der Forschung bisweilen gehandhabt wird. Levyc’kyj arbeitete aus pragmatischen Gründen beim NTSˇ mit, sammelte aber schon zuvor biographische und bibliographische Materialien zu Personen, die eindeutig keine Russophilen waren. Svjencic’kyjs Lagerwechsel darf zwar spätestens mit dem Beginn seiner Arbeit für das ukrainische Nationalmuseum bzw. für Metropolit Sˇeptyc’kyj als vollzogen gelten, was aber seinen Forschungsschwerpunkt nicht völlig verändert haben mag. In diesen Fällen scheint also geboten, mit Brubaker und der national indifference Forschung von Identifikation als Ereignis und nicht von permanenten Identitäten zu sprechen. 956 957 958 959

Orlevycˇ 2013. Koc’-Hryhorcˇuk 2008. Hnatjuk 1904, Jeretyk. Svencickij (Hg.) 1909.

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Andersherum gewendet und zugespitzt ließe sich also folgern: Ivan O./E. Levyc’kyj konnte seine Forschungen im Verbund des NTSˇ fortsetzen, sofern er im Kontext seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit im Verein nicht gegen dessen ideologische Maßgaben verstieß. Doch die Wissenschaften im NTSˇ haben noch einen weiteren Weg nicht gewählt: die Angebote des krajevedenie (Regionalforschung, ukr. krajeznavstvo), die nicht nur das imperiale Zentrum im Zarenreich verfolgten, sondern auch Wissenschaftler, auf die sich das NTSˇ direkt berief. Die bedeutsame Ethnographisch-statistische Expedition der Russischen Geographischen Gesellschaft ˇ ubyns’kyjs in den Jahren 1869–1870 stellte nach Südrussland unter der Leitung C sich in diese Tradition. Ihr Ziel war dezidiert, »Forschungen über Nationalitäten Südrusslands«960 zu betreiben, womit sie insbesondere der antipolnischen Agenda des Imperiums diente.961 Trotz des quantitativen Übergewichts der »Kleinrussen« in der Region und einem daraus folgenden Schwerpunkt der Forschung, war Polen, Juden und »Stämmen nicht-kleinrussischer Herkunft« ein eigener Band der Forschungsergebnisse gewidmet.962 Obwohl hierbei überwiegend Mitglieder der Hromada beteiligt waren, die später auch der Südwestlichen Abteilung beitraten und die eine nationale Agenda verfolgten, gingen diese den Kompromiss ein, um ihrer Forschung nachgehen zu können. Dies zeigt sich auch in den Publikationen: Während Ukrainisch nicht als Sprache für die wissenschaftlichen Texte erlaubt war, durften ukrainische Texte wie historische Quellen oder Folklore weiterhin ediert werden. In diesem Sinne waren die Mitglieder der Abteilung gleichzeitig nationale und imperiale Akteure. Wie fluide und gleichzeitig vernetzt alle hier skizzierten Tendenzen sind, zeigt sich auch dadurch, dass der russophile Bukowiner Ethnograph Gregor Kupczanko/Hryhorij Kupcˇanko (1849–1902) mit der Südwestlichen Abteilung zusammenarbeitete und ihre Zeitschrift nutzte, um die Ruthenen der Bukowina in das kleinrussische Narrativ einzupflegen.963 Dagegen arbeitete Kupcˇanko nicht mit dem NTSˇ zusammen. Letztlich wird auch das folgende Kapitel noch dezidiert zeigen, wie Natur- und Rechtswissenschaften, die zunächst einen festen Platz im NTSˇ hatten, zunehmend marginalisiert wurden und deren Vertreter sich zum Teil abspalteten, um eigene Vereine zu gründen. Fluidität und Flexibilität sollten damit als zentrale Merkmale dieser Kontaktzone gelten; und üblicherweise waren es solche Kontaktzonen, die zur frontier avancierten.

960 Ot kommissii po snarzˇeniju e˙tnograficˇesko-statisticˇeskoj e˙kspedicii v zapadno-russkij kraj (1872), S. III. 961 Zur Expedition vgl. Kotenko 2014. 962 Trudy e˙tnograficˇesko-statisticˇeskoj e˙kspedicii v zapadno-russkij kraj, 7 t., 1872–1878. 963 Kupcˇanko 1875.

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Wissenschaft für wen?

Angesichts der Ablehnung »didaktischer Aufgaben« mit dem Statut des Jahres 1904964 oder auch der Aufgabe einer Klärung der Verhältnisse zur Öffentlichkeit im Rahmen der Bibliothek, des Museums und der Ferienkurse stellt sich also nachdrücklich die Frage, an wen sich diese Wissenschaft und ihre Textproduktion genau richten sollte. Während Forschungen zu Leserinnen und Lesern außerhalb der Reichweite dieser Arbeit stehen, lassen sich anhand der im und um den Verein diskutierten Sprachfragen sowie der zum Verein gehörenden literarischen Institutionen wichtige Indikatoren für die potenziellen Adressaten ukrainischer Wissenschaftskommunikation ermitteln.

5.3.1 Sprachen ›nationaler Wissenschaft‹ Die demonstrative Absage des NTSˇ und somit die Nicht-Teilnahme am III. Archäologischen Kongress in Kiew 1899 war eine symbolische Handlung von erheblicher Tragweite. Die geplante Entsendung einer 15-köpfigen Delegation mit insgesamt 30 Vorträgen zeugte von einer Kooperationsbereitschaft mit Institutionen des Zarenreichs unter Vorbehalt der freien Sprachwahl, die auch jeder anderen dort vertretenen slavischen Sprachgruppe zustand. Nach dem aufsehenerregenden Protest wurde dem NTSˇ sogar vom russischen Unterrichtsministerium eingeräumt, ukrainische Vorträge halten zu dürfen, sofern sie nur in geschlossenen Räumen und mit einer Begrenzung auf 25 Zuhörerinnen und Zuhörer stattfänden. All diese Bedingungen wurden mit der Forderung nach Gleichbehandlung nicht akzeptiert.965 Gleichzeitig fand die Vereinsleitung eine Alternative: die Zapysky NTSˇ veröffentlichten die bereits verfassten Beiträge in einem Doppelband.966 Damit erreichten die Beiträge sicherlich ein anderes und deutlich begrenzteres Publikum, als dies auf einem internationalen Kongress und dessen Publikationen der Fall gewesen wäre. Die Delegation hätte beispielsweise auf Deutsch, Polnisch oder Russisch ausweichen dürfen, was aus funktionaler Perspektive kein Problem gewesen wäre, beherrschte doch jeder angedachte Teilnehmer mindestens eine dieser Sprachen fließend. War diese Handlung also gegen internationalen wissenschaftlichen Austausch an sich gerichtet? Keineswegs, denn das Vorwort, das die Ereignisse aus Perspektive der Vereinsleitung kommentierte, sowie auch ausführliche Zusammenfassungen 964 Statut 1904. 965 Zapysky NTSˇ XXXI–XXXII (1899), Perednje slovo. 966 Vertrauliches Rundschreiben an die angedachten Delegierten, 19. Juni 1899, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 77, ark. 4–4zv; später publiziert auch in Zapysky NTSˇ XXXI–XXXII (1900).

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aller Vorträge, druckten die Zapysky NTSˇ parallel in deutscher Sprache. Als vorherrschendes Thema zahlreicher Vereinssitzungen auf unterschiedlichen Ebenen967 hatte die Angelegenheit nicht nur eine nach außen getragene Relevanz, sondern auch eine innere, gruppenbildende Wirkung, die der Vereinsvorsitzende beispielsweise während der Generalversammlung des Folgejahres symbolisch auszunutzen wusste.968 Die Aktion bewies damit ein gehobenes Selbstbewusstsein und unterstrich die Bedeutung, die diese junge scientific community ihrer Wissenschaftssprache beimaß. Sie zeigt aber auch, dass die Vereinsleitung symbolische Kommunikation über den konkreten wissenschaftlichen Austausch stellte, wodurch sich wiederum die Frage aufdrängt, welchen Stellenwert der internationale wissenschaftliche Austausch konkret für den Verein haben sollte. Während deutsche und französische Abstracts sowie Paralleltitel zum Standard zahlreicher Druckwerke des Vereins gehörten,969 hatten die eigenen Periodika durch ihre primäre Sprache eine doch begrenzte Reichweite.970 Zumal russische und polnische Wissenschaftsdiskurse in (west-) europäischen Foren bzw. Wissenschaftssprachen bereits in deutlich höherem Grade Einzug gehalten hatten, galt es, diese Foren nach dem Drahomanov’schen Ideal zu erreichen und vom ukrainischen Narrativ zu überzeugen. Aufgrund der begrenzten Reichweite ukrainischer Publikationen waren Veröffentlichungen in anderen europäischen Sprachen, vor allem solchen mit hoher Sichtweite – wie etwa in den populärwissenschaftlichen Projekten der Habsburgermonarchie – von zentraler Be-

967 Chronika NTSˇ 2 (1900), S. 32; Zapysky NTSˇ XXX (1899), Z tovarystva, S. 1; Zapysky NTSˇ XXXIII (1900), Z tovarystva, S. 3. 968 Chronika NTSˇ 2(1900), S. 1f. 969 Die historische Quellensammlung Zˇerela do istoriji Ukrajiny-Rusy führte einen lateinische Paralleltitel, die Zapysky, die Studiji z polja suspil’nych nauk i statystyky und der EZ einen deutschen und die Materyjaly do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji (= MURE) einen französischen. Die jeweilige Sprachwahl hing offensichtlich von den fachlichen Verkehrssprachen ab, oder auch den individuellen Präferenzen der Herausgeber. Fedir Vovk als Herausgeber war die Schlüsselfigur zur Anbindung des Vereins in den frankophonen Raum und er vertrat eine primär französische Schulung der Ethnologie und Anthropologie. Dementsprechend suchte er, die Zeitschrift in seinem Pariser Arbeitsumfeld zu etablieren und legte dementsprechend Wert auf französische Zusammenfassungen. Vgl. Kap. 7.1 zu Vovk. Außerdem galt es, sich auf fachspezifische Aspekte hinsichtlich des Drucks spezifischer Texte, vor allem dialektaler Folklore, zu einigen. Vovk empfahl beim Abdrucken von Folklore, auf die Notation phonetischer Spezifika und lokaler Aussprachen zu verzichten, nicht nur um die Korrektur zu erleichtern, sondern auch damit die Inhalte für ausländische Slavisten zugänglich bliebe. Selbst Linguisten hätten seiner Einschätzung nach in den wenigen Fällen die nötige Spezialausbildung. Vovk an Hrusˇevs’kyj, 21. Februar 1896, LMH, t. 2, S. 114f., hier S. 115. 970 So schrieb Franko an seinen Lehrer Jagíc´, die Zapysky »genießen aber das traurige Privilegium, von den wenigsten Slavisten gelesen zu werden.« Franko an Jagic´, 26. Juni 1904, ZTIF, t. 50, S. 245–247, Zitat S. 247.

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deutung.971 Andere Möglichkeiten boten Fachorgane, die an der Ukraine oder ihren Teilregionen interessiert waren und den Wissenschaftlern damit einen Zugang zur Fachöffentlichkeit boten. Individuelle Möglichkeiten und Präferenzen waren letztlich die ausschlaggebenden Faktoren für die Mehrsprachigkeit der ukrainischen Wissenschaft. Hrusˇevs’kyj priorisierte in seiner Vereinstätigkeit zunächst den Ausbau der ukrainischen Publikationslandschaft, wie die massive Erweiterung des Zeitschriftenspektrums zeigt, und veröffentlichte auch seine Monographien zur ukrainischen Geschichte zunächst ausschließlich auf Ukrainisch. Als Wissenschaftler lag ihm später aber auch selbst daran, seine Geschichte der UkrajinaRus’ in einer europäischen Sprache zugänglich zu machen, um breitere Kreise von seinem neuen Narrativ der osteuropäischen Geschichte überzeugen zu können. Die Möglichkeit, eine Übersetzung einer solch umfangreichen Monographie zu finanzieren, hatten hingegen nur wenige Personen. Überdies waren solche Unternehmungen auf Sprachmittler angewiesen. Er selbst kannte sich in diesen Räumen mangels sprachlicher Kompetenz kaum aus und ersuchte Fedir Vovk deshalb um einen Rat bezüglich der französischen und deutschsprachigen Möglichkeiten.972 Nachdem die Entscheidung für eine deutsche Übersetzung gefallen war, benötigte Hrusˇevs’kyj die Unterstützung Frankos. Dieser leitete nicht nur die Gesamtredaktion des deutschen Bandes, sondern musste Hrusˇevs’kyj auch bei der Kommunikation mit Verlagen unterstützen und übersetzte ein entsprechendes Schreiben.973 Mittelfristig boten neue Kontakte auch neue Möglichkeiten zur Dissemination. Der deutsche Osteuropahistoriker Otto Hoetzsch (1876–1946) suchte den Kontakt zu Hrusˇevs’kyj um 1905, um sich mit ihm als »höchste Autorität in seinem Feld«974 persönlich bekannt zu machen. Im Folgejahr rezensierte er die deutsche Ausgabe des ersten Bandes der Geschichte der Ukrajina-Rus’, den Hrusˇevs’kyj ihm sicherlich mit dieser Intention schenkte, für die Historische Jahresschrift und blieb im regelmäßigen Kontakt zum Vereinspräsidenten. 1908 971 Dazu zählen bspw. die Beteiligung an der galizischen Landes-Ausstellung 1894, Beiträge im Kronprinzenwerk, die Kooperation mit dem Verein für Österreichische Volkskunde (Kap. 6.3) oder das Projekt »Das Volkslied in Österreich«. Rohde 2021, Huculska pies´n´. 972 Hrusˇevs’kyj an Vovk, 8. September 1902, LMH, t. 2, S. 166f. 973 Hrusˇevs´kyj 1906; vgl. Frankos Übersetzung des deutschen Vorworts, IL VR, fond 3, N 2367; Brief Hrusˇevs’kyjs bezüglich der Herausgabe einer Ausgabe der Istorija Ukrajiny-Rusy, Bd. 1. o. D., [Handschrift Frankos]. IL VR, fond 3, N 2365. Franko war bis zu seiner Erkrankung zentral für diverse wichtige deutschsprachige Korrespondenzen Hrusˇevs’kyjs, darunter offizielle universitäre Stellungnahmen und auch Förderanträge für den NTSˇ. Vgl. Separatvotum betreffend die Instruction über die Sprache bei den Rigorosenprüfungen auf der philosophischen Fakultät [Handschrift Frankos]. Ebd., N 2369; Schreiben an das CUM über die Einrichtung weiterer Katheder mit ukrainischer Unterrichtssprache an der philosophischen Fakultät der Lemberger Universität [Handschrift Frankos]. Ebd., N 2368. 974 Hoetzsch an Hrusˇevs’kyj, 1. Oktober 1905, abgedruckt in Tel’vak / Radcˇenko 2018, S. 216.

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lieferte Hrusˇevs’kyj auf dem Internationalen historischen Kongress in Berlin ein Plädoyer für die Einrichtung einer deutschsprachigen Zeitschrift zur Geschichte des östlichen Europas.975 Aus dieser Initiative entstand später die Zeitschrift für Osteuropäische Geschichte, die Hoetzsch zwischen 1911 und 1914 in Berlin herausgab.976 Dieser bat Hrusˇevs’kyj bereits 1909, als das Projekt offenbar Formen anzunehmen begann, um ausführliche Literaturhinweise zu relevanten ukrainischen Forschungszeitschriften und die Empfehlung geeigneter Mitarbeiter.977 Mit Myron Korduba, einem der Schüler Hrusˇevs’kyjs, arbeitete ab dem ersten Jahrgang 1911 ein ukrainischer Historiker für die Redaktion der Zeitschrift, der ukrainische Forschungen – auch unter dem Gebrauch des präferierten Ethnonyms – zusammenfasste und rezensierte.978 Dadurch gelang es letztlich, die intendierte Reichweite zumindest für die Geschichtswissenschaft im deutschsprachigen Raum zu institutionalisieren. Vovk zog es während der 1890er Jahre vor, Wissen über die Ukraine in europäischen wissenschaftlichen Kreisen zu etablieren und ließ sich erst durch Hrusˇevs’kyjs Avancen dazu überreden, ukrainisch zu schreiben und sogar zwei Kurse in Lemberg zu geben (Kap. 6.3). Die Sprachverwendung lässt in einem derartig vielsprachigen Umfeld direkt auf die Referenzräume einer scientific community oder eines Wissenschaftlers schließen – im ukrainischen Fall sind abseits des allgemein europäischen vor allem die deutsch-, polnisch-, russischund ukrainischsprachigen Wissenschaftsräume relevant. Der Adressatenkreis ukrainischer Texte war eine enge, nationalsprachliche scientific community, die auch Personen einbezog, die in anderen Sprachen kaum erreicht werden konnten. Die gruppenbildende – und damit auch gleichsam abgrenzende – Tendenz war damit auch auf funktionaler Ebene gegeben. Die Potenz einer Wissenschaftssprache zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie terminologisch in der Lage ist, ohne Einbußen über dieselben Inhalte zu diskutieren, wie die führenden Wissenschaftssprachen. Die Nationalsprache sollte in vollem Umfang funktional für alle wissenschaftlichen Disziplinen werden, auch das orientierte sich an den Idealen ›nationaler Reife‹. Für den NTSˇ äußerte sich das primär in dem großen Aufwand, den vor allem Natur- und Rechtswissenschaftler in Terminologiearbeit investierten. 975 Hruschewskyj, Michael: Denkschrift für die Gründung einer Zeitschrift für die Geschichte Osteuropas, unterbreitet dem internationalen historischen Kongresse in Berlin, CDIAL, fond 401, op. 1, spr. 12. Vgl. dazu auch Liszkowski 1988, S. 339, der aufzeigt, dass Hrusˇevs’kyj die angedachte Denkschrift zuvor gegenüber Hoetzschs Lehrer Theodor Schiemann (1847– 1921) erwähnte. 976 Schon 1907 vermerkte Hoetzsch in einem Brief, das Projekt persönlich mit Hrusˇevs’kyj besprochen zu haben; Hoetzsch selbst diskutierte das Projekt mindestens seit dem Vorjahr. Hoetzsch an Hrusˇevs’kyj, 16. Juni 1907, abgedruckt in Tel’vak / Radcˇenko 2018, S. 219. 977 Hoetzsch an Hrusˇevs’kyj, 1. Oktober 1905, abgedruckt in Tel’vak / Radcˇenko 2018, S. 216. 978 Zeitschrift für Osteuropäische Geschichte 1 (1911), S. 300f.; 3 (1912), S. 90, 265, 435, 623.

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Die narodovci vertraten das Ideal einer Wissenschaftssprache, die »für die breiten Massen verständlich sein«979 sollte. Auch international arbeitende Naturwissenschaften versuchten, in der Findung nationalsprachlicher Fachterminologie eine Partikularidentität zu untermauern. Dieses Phänomen war ein allgemein europäisches,980 wenn nicht sogar globales. Die dadurch bedingte Nationalisierung wissenschaftlichen Wissens war inner- und außerhalb Ostmitteleuropas allgegenwärtig.981 Einer der wichtigsten Übersetzer von Büchern für den Unterrichtsgebrauch war der bekannte Physiker Ivan Puljuj. Er arbeitete auch gemeinsam mit Kulisˇ an einer ukrainischen Übersetzung der Bibel, seine wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlichte er aber vor allem deutschsprachig.982 Der größte Teil seiner ukrainischen Aufsätze sind Übersetzungen eigener deutschsprachiger Texte, wobei er bisweilen selbst angab, aufgrund mangelnder Terminologie Schwierigkeiten bei der ukrainischen Fassung gehabt zu haben, obwohl er zweifellos ein geübter Übersetzer war.983 Der Zbirnyk MPL enthielt darüber hinaus regelmäßig eine eigene Terminologieabteilung, die naturwissenschaftliche Begriffe vor allem aus dem Deutschen übersetzte, darunter ein umfangreiches geographisches Wörterbuch von Stepan Rudnyc’kyj.984 Die Problematik war allerdings nicht rein naturwissenschaftlich und nicht ausschließlich in Spezialprojekten zu finden, sondern gehörte vielmehr zum Alltag der Produktion und Diskussion wissenschaftlicher Texte. Mitglieder der philologischen Sektion debattierten zum Beispiel ausführlich über die grammatische Terminologie einer Arbeit Ivan Verchrats’kyjs und entschieden sich, der Veröffentlichung ein eigenes Lexikon beizufügen.985 Um diese Arbeiten zu systematisieren, gründete der Verein 1918 sogar eine eigene Terminologiekommission.986 Wie diese Beispiele zeigen, stand die Sprachentwicklung im Vordergrund vieler Arbeiten – ein Phänomen, das Jan Surman treffend als Linguozentrismus bezeichnet hat.987 Im Allgemeinen war die Mehrzahl der Inhalte des Zbirnyk MPL auf Transfers aus der internationalen Wissenschaft ausgelegt. Abgesehen von den Abhandlungen Rudnyc’kyjs zur Geographie und Rakovs’kyjs zur Anthropologie, die beide ihren Anstoß durch andere Sektionen bzw. Ukrajinoznavstvo 979 980 981 982 983 984 985 986 987

Hofeneder 2014, S. 195. Surman 2016; Surman 2019, Science. Ash / Surman 2012. Gajda / Pljac’ko 2019. Puljuj an V. Levyc’kyj, 21. Januar 1905, Zbozˇna (Hg.) 2007, S. 329f., hier S. 329. Betrifft Puljuj 1905. Zur deutschen Version des Aufsatzes vgl. Puljuj an V. Levyc’kyj, 04. Januar 1904, in ebd., S. 255. Zu seinen deutschsprachigen Aufsätzen Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 83–85. Rudnyc’kyj 1908. Zapysky NTSˇ XXVII (1899), Z tovarystva, S. 2. Vgl. die Protokolle, 1918, LSR, S. 197–199. Surman 2019, Science. Dies bezeugen die Schwerpunkte der ärztlichen Kommission. Buracˇyns’kyj 1975.

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fanden, sind nur wenige eigenständige und originale Forschungen auszumachen.988 Versuche Ivan Verchrats’kyjs, eine naturwissenschaftliche Terminologie aus der ›Volkssprache‹, genauer aus verschiedenen galizischen Dialekten, abzuleiten, stießen jedoch auf Kritik, weil solch eine Terminologie kaum für alle ukrainischen Intellektuellen verständlich gewesen wäre.989 Die Umschrift europäischer wissenschaftlicher Termini war ein Diskussionsfeld an der Schnittstelle von Rechtschreibung und Terminologiearbeit. Vovk wünschte sich, die von ihm herausgegebene Zeitschrift als Materijaly do ukrajins’ko-rus’koji etnolohiji zu betiteln, wobei er besonders betonte, kein Weichheitszeichen (ь) in etnolohiji benutzen zu wollen.990 Hrusˇevs’kyj bekundete seine Zustimmung zum Titel, präferierte aber die Schreibweise etnol’ohiji (етнольогії), zumal sie dem weicheren ›l‹ in europäischen Sprachen eher entsprechen würde. Jedoch räumte er ein, dass die Schreibweise »uns, als Erzogene russischer Schulen, verschiedenartig« vorkäme. Die Angelegenheit suchte er, in Auseinandersetzung mit dem Verein und der dort üblichen Rechtschreibung abzustimmen.991 Letztlich erschien der erste Band der Zeitschrift unter dem Titel Materyjaly do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji (Материяли до українсько-руської етнольоґії)992 und wich von Vovks Schreibweise sowohl durch das Weichheitszeichen als auch durch das ›g‹ (ґ) anstelle von ›h‹ (г) ab. Diese Schreibweise normierte letztlich die von der philologischen Sektion akzeptierten Rechtschreibregeln für alle Entlehnungen aus (west-) europäischen Sprachen, die das Suffix ›-logie‹ (-льоґія) teilten.993 Auch hinter solchen vermeintlichen Marginalien verbirgt sich nicht nur eine längere Diskussion, sondern auch eine bewusste Abgrenzung von der russischen mitsamt der Hinwendung zu einer (zentral- und west-) europäischen Wissenschaftskultur. Die Problematik lokaler Varietäten bezog sich allerdings nicht nur auf terminologische Aspekte. Zahlreiche galizische Wissenschaftler bedienten sich der regionalen Varietät in ihren wissenschaftlichen Texten, die durch die intellektuellen Einflüsse der russophilen Bewegung auf die galizische Sprachentwicklung auch Russismen beinhaltete. Als Konys’kyj die erste Ausgabe der Zapysky kompilierte, sprach er primär Wissenschaftler aus der russländischen Ukraine an. Er wandte sich dabei auch notgedrungen an Amateure, obwohl in Galizien ˇ ajkovs’kyj 1927, S. 6; vgl. auch Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissenschaftlich988 C ärztlichen Sektion I (1924), S. 6f. zum Einzug der physischen Anthropologie in die Sektionstätigkeit. 989 Surman 2019, Science; Verchrats’kyj 1908. 990 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 24. Februar 1897, LSR, t. 2, S. 123–125, hier S. 124. 991 Hrusˇevs’kyj an Vovk, o. D. [1897], LSR, t. 2, S. 125f., hier S. 126. 992 MURE I (1899). Mit Band 8 (1906) änderte die ethnographische Kommission den Titel von Materyjaly in Materijaly und ab dem 11. Band (1909) ersetzte sie ukrajins’ko-rus’koji durch ukrajins’koji. 993 Smal’-Stockyj / Gartner 1918; Beger 2014, S. 39.

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ausreichend etablierte ruthenisch-ukrainische Wissenschaftler tätig gewesen wären, um einen Band zu füllen.994 Den Grund offenbarte er in seiner Reaktion auf den ersten Band, in der er vor allem den Beitrag des jungen Literaturwissenschaftlers Oleksandr Kolessa kritisierte und sich als Sprachpurist präsentierte. Redaktion und Korrektur der Beiträge hätten offenbar kaum stattgefunden; die folgenden Bände müssten nicht nur dies bieten, sondern auch ohne »jegliche Russismen [moskovyzmiv]«995 auskommen. Hnatjuk bediente sich ebenfalls einer idiomatischen Sprache in seinen frühen Arbeiten und Korrespondenzen, wofür er schwer kritisiert wurde.996 Er arbeitete allerdings intensiv an diesem Problem; nur kurze Zeit später war es seine Aufgabe als Mitherausgeber diverser Zeitschriften, die Sprache der Beiträge selbst zu korrigieren. Zur Standardisierung veröffentlichten die Zapysky Schreibregeln, an die sich die Autoren zu halten hatten.997 Insbesondere die russländischen Vereinsmitglieder blieben rekurrente Kritiker der Rechtschreibung in Vereinspublikationen.998 Insgesamt ist das Engagement des NTSˇ in Sprachfragen nicht allein in die Kontexte galizisch-zentralukrainischer Diskussionen einzuordnen, sondern auch in die breiteren Zusammenhänge der Habsburgermonarchie. Smal’-Stok’kyj als linguistisch profiliertestes Vereinsmitglied arbeitete an der Universität Czernowitz gemeinsam mit dem Romanisten Theodor Gartner an einer ukrainischen Grammatik. Noch unabhängig vom NTSˇ schalteten sich die beiden in die Bukowiner Sprachpolitik ein. Dieses Vorhaben war zunächst von wenig Erfolg gekrönt, allerdings diente das politische Klima der Nova era dazu, die phonetische Schreibweise basierend auf ihrer Grammatik in Galizien umzusetzen. Das Ministerium für Kultus und Unterricht wiederum griff daraufhin zum Zweck der Standardisierung ein und setzte die Regelungen auch für die Bukowina um.999 Erst durch Barvins’kyj wurde das NTSˇ also ins Zentrum der Sprachdebatten gerückt. Nicht nur das Drucken von Schulbüchern, sondern auch die Expertise zur sprachlichen Ausgestaltung lag damit in den Händen des Vereins. Nach der Übernahme Hrusˇevs’kyjs gründete sich eine eigene Sprachkommission als Spezialabteilung der philologischen Sektion des NTSˇ. Sie sollte zur Sprachstandardisierung und -entwicklung beitragen und sich an der Erarbeitung von Wörterbüchern – deutsch-ukrainisch, polnisch-ukrainisch, einsprachig – betei994 Zajceva 2006, S. 130. 995 Voznjak 1929, S. 347. 996 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 11. Juli 1897, LSR, t. 2, S. 143; Vovk an Hrusˇevs’kyj, 20. Dezember 1897, in ebd., S. 146f. Vgl. die Reaktion Hnatjuks in seinem Brief an Vovk, 20. Oktober 1897, LFV, S. 9–13. 997 Zapysky NTSˇ XX (1897), Vid redakcyji, S. 1f. 998 Chronika NTSˇ 1 (1900), S. 34. 999 Surman 2017; Rohde 2020, Mobile Akademiker.

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ligen.1000 Smal’-Stockyj veröffentlichte 1904 zusammen mit Gartner weitere Rechtschreibregeln, die gemeinsam mit der Kommission ausgearbeitet wurden und die sowohl das NTSˇ als auch der galizische Landesschulrat bestätigten.1001 Abseits eines dieser Publikation beigefügten, einsprachigen Wörterbuchs hat die Sprachkommission zwar keine weitere Tätigkeit entfalten können, diese Arbeit nahm allerdings Einfluss auf das zentrale, zwischen 1907 und 1909 von Borys Hrincˇenko veröffentlichte Wörterbuch der ukrainischen Sprache.1002 Zur Sprachkodifizierung und literarischen Sprachentwicklung trug außerdem der LNV als populär angelegte Zeitschrift bei, die weit größere Verbreitung auch in der russländischen Ukraine fand. Damit war eine intensiv genutzte Kommunikationsoberfläche geschaffen worden, die den Dialog förderte. Der Standardisierungsprozess war allerdings keineswegs abgeschlossen, vielmehr intensivierte er sich während der Zwischenkriegszeit. Das NTSˇ versuchte vor allem ab den 1920er Jahren eine Variante zu kodifizieren, die deutlich vom Projekt der Kiewer Akademie der Wissenschaften abwich.1003

5.3.2 Literatur für die Nation? »Darüber hinaus leitet der Verein Institutionen anderer Art, die keine Gewinne erzeugen oder je erzeugen werden, doch die für ihren Ausbau dauernd Zuschüsse benötigen, wenn sie wirklich ihre Kulturmission bei uns erfüllen und uns anderen Hochkulturnationen annähern sollen.«1004 NTSˇ-Rechenschaftsbericht, 1904

Die Feier des Literaturjubiläums 1898 führte zur Gründung zweier zentraler Institutionen zur ukrainischen Kulturförderung in Verbindung zum NTSˇ: des LNV und der Ukrajins’ko-rus’ka vydavnycˇa spilka (Ukrainisch-ruthenische Publikationsfirma, URVS), die dezidiert ukrainischsprachige – künstlerische wie auch (populär-) wissenschaftliche – Literatur produzieren sollten. Neben zahlreichen personellen Kontinuitäten zur Vereinsleitung verbanden beide Institutionen ein populäres Sendungsbewusstsein und eine Mission zur Förderung ukrainischsprachiger Literatur mit einer problematischen Verortung inner- oder außerhalb des Vereinsgefüges. Der LNV erschien seit 1898 monatlich, als Zusammenführung früherer Literatur- und Wissenschaftszeitschriften, namentlich des Zˇytje i slovo und der Zorja. Die Zeitschrift sollte in der Konzeption ihrer Initiatoren einen Meilenstein 1000 1001 1002 1003 1004

Chronika NTSˇ 2 (1900), S. 24. Smal’-Stockyj / Gartner 1918, S. 1. Hrincˇenko 1907–1909, dazu Ptashnyk 2012, Das Wörterbuch. Beger 2014; vgl. auch Paljuch 2014. Chronika NTSˇ 21 (1905), S. 5.

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darstellen, im Sinne einer ersten »europäischen Revue« in ukrainischer Sprache. Dies äußerte sich nicht nur durch die Dreiteilung in literarische Werke, (populär-) wissenschaftliche Aufsätze und chronistische Mitteilungen, sondern auch in der Gestaltung; das Deckblatt im Jugendstil reflektierte europäische Trends. Dabei verband das Journal mit dem NTSˇ vor allem eine wichtige Grundhaltung, die im deutlichen Gegensatz zu den ihr vorangehenden Blättern oder auch im Vergleich zur Pravda steht: eine Neutralität gegenüber dem galizischen Parteienspektrum.1005 Wie auch im Fall des Vereins ist hier einschränkend zu bemerken, dass ›Neutralität‹ lediglich meint, den galizischen politischen Strömungen keinen direkten Raum zu geben – ansonsten nutzte Hrusˇevs’kyj das Medium ganz eindeutig, um galizische Politik und auch einzelne ihrer Vertreter zu kritisieren. Das Ziel war, eine nationale, gesamtukrainische Revue zu schaffen, die vor allem im Zarenreich Anklang finden sollte. In Galizien gilt die Rezeption im Vergleich zur russländischen Ukraine dagegen als wenig enthusiastisch.1006 Die Zeitschrift diente der Förderung der ukrainischen – nicht nur galizischen – Nationalliteratur und ihrer Nähe zur europäischen Moderne. Gleichsam war sie eine nationale Chronik, die nicht nur laufend gegenwärtige Ereignisse kommentierte, sondern auch Nekrologe der nationalen Intelligenz lieferte.1007 Die Vereinigung ukrainischer literarischer Kräfte, aus der Habsburgermonarchie wie auch aus dem Zarenreich, sollte damit nicht zuletzt eine symbolische Bedeutung unterhalten,1008 die durch die Gründung des Journals im Jahr des Literaturjubiläums noch unterstrichen wurde. Die Redaktion wurde von Franko, Hrusˇevs’kyj, O. Borkovs’kyj und Osyp Makovej geleitet. Die letzteren beiden verließen die Redaktion bald darauf und wurden 1899 durch Volodymyr Hnatjuk ersetzt. Für Hnatjuk war diese bezahlte Stelle, zusammen mit seinen Verdiensten beim NTSˇ, die Möglichkeit, nicht als Lehrer in einer Provinzstadt arbeiten zu müssen und wissenschaftlich tätig zu bleiben.1009 Auch für Franko bot der LNV nach dem Wegfall seines Verdienstes beim Kurjer Lwowski eine Alternative. Hnatjuks Aufgaben als Redakteur umfassten 1) Verantwortung für die Redaktion zu übernehmen, 2) Redigieren und Beitragen zum chronistischen Teil, 3) gelegentliches Verfassen eigener Artikel oder Übersetzungen, 4) Übernahme einer Korrektur (die zweite oblag Franko) und 5) Korrespondenz mit Schriftstellern.1010 Dadurch erweiterten beide, insbesondere Hnatjuk, systematisch ihre persönlichen Netzwerke und waren außerdem in der Lage, ein in Verbindung mit

1005 1006 1007 1008 1009 1010

Vgl. dazu auch Franko 1903, S. XXXVI. Franko 1903, S. V–VIII; vgl. die Reaktion Mychajlo Kocjubyns’kyjs unten. Vgl. Jasins’kyj 2000 zum Überblick über die Zeitschrifteninhalte. Dorosˇenko 2000, V. S. 529. Musˇynka 2012, S. 58–61. Hnatjuk 1914, S. 10.

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ihrer Tätigkeit für den NTSˇ stabiles, wenn auch geringes Einkommen zu erwirtschaften. Scharfe Rezensionen im LNV führten dazu, dass Volodymyr Hnatjuk sich mehr als nur einmal vor Gericht zu verteidigen hatte,1011 sich aber auch interner Kritik seitens gemäßigter Mitglieder des NTSˇ ausgesetzt sah.1012 Das Ziel, vor allem auch jungen Literatinnen und Literaten ein Forum zu bieten, führte zu galizischer Kritik an modernen literarischen Strömungen im LNV und damit auch zur allgemeinen Kritik an der Zeitschrift.1013 Aus Vereinsperspektive war jedoch ein anderes Problem noch entscheidender: Der LNV stand außerhalb der übrigen Vereinsstruktur, weder auf die finanziellen Entscheidungen noch auf wissenschaftliche Inhalte konnten die Sektionen und ihre Vertreter im gewohnten Maße Einfluss nehmen. Dies führte langfristig zur Kritik durch Hrusˇevs’kyjs Opposition im Verein.1014 Angesichts der rekurrenten Widersprüche gegen die Gestaltung des LNV in den Streitigkeiten des Jahres 1904 übertrug Hrusˇevs’kyj die Zeitschrift der URVS. Durch diesen Umweg konnte er sein Programm ohne die Zustimmung der Vereinsmitglieder weiterführen, was die Opposition als Entmachtung und Aushöhlung der Vereinsordnung des NTSˇ empfand.1015 Hrusˇevs’kyj bediente sich wenige Jahre später bei der URVS desselben Musters wie etwa zeitgleich im NTSˇ: kritische Mitarbeiter wurden gegen seine loyalen Schüler ausgetauscht.1016 Die russische Revolution des Jahres 1905 führte zu einem erneuten Umdenken Hrusˇevs’kyjs. Nachdem die ukrainische Sprache wieder in Publikationsmedien genutzt werden durfte, gründeten sich Konkurrenzplattformen zu dem bewusst gesamtukrainisch ausgerichteten LNV. ˇ ykalenko finanzierte sowohl die Tageszeitung Rada als auch das Journal Nova C Hromada.1017 Volodymyr Dorosˇenko wertete in der Retrospektive, dass Hrusˇevs’kyj diesen Trend erkannt hatte und seine Verlegung des LNV nach Kiew, die er zum Ende des Jahres 1906 durchführte, damit folgerichtig war.1018 Die URVS war ein rechtlich vom NTSˇ getrennter Aktionärsverein, der zunächst der Förderung ukrainischer Literatur und der Übersetzung (west-) eu1011 Musˇynka 2012, S. 60. 1012 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1902, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 143–146zv, hier ark. 145–145zv. 1013 Franko 1903, S. IX, XXI. 1014 Pavlyk 1905. Ähnlich fürchtete Pavlyk darum, Hrusˇevs’kyj würde das Tovarystvo prychyl’nykiv entweder als Konkurrenzinstitution aufbauen oder aber Ressourcen dorthin verschieben. Ebd., S. 14. 1015 Pered Zahal’nymy zboramy Naukovoho tovarystvo im. Sˇevcˇenka, 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8. 1016 Katal’og vydan’ 1913, S. 5. ˇ ykalenko und seinen Förderungen der ukrainischen Nationalbewegung Starovojtenko 1017 Zu C 2009. 1018 Dorosˇenko, V. 2000, S. 531f.

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ropäischer Werke ins Ukrainische diente. Schwerpunkte waren literarische, (populär-) wissenschaftliche und politische Werke.1019 Angesichts der ökonomischen Lage bedeutete dies die möglichst kostengünstige Massenproduktion von Druckwerken. Bis 1908 verwirklichte die URVS rund 220 Broschüren und Bücher mit einer Gesamtauflage von 281.000 Exemplaren. Dabei gilt jedoch zu bedenken, dass der Großteil dessen schon bis Ende des Jahres 1905 entstand, da sich das übrige Programm durch die Übernahme des LNV stark reduzierte.1020 Trotz der offiziellen Trennung vom NTSˇ wies die Leitung beider Vereine durch die zentralen Funktionen von Hrusˇevs’kyj und seiner ›Clique‹ eine hohe personelle Kontinuität auf. Die URVS nutzte die Räumlichkeiten des NTSˇ, das auch deren Mitarbeiter finanzierte, allerdings ohne dass sich die breite Vereinsöffentlichkeit über die Sektionen oder Generalversammlungen in die Geschäfte einmischen konnte. Franko und Hnatjuk gehörten unter der Leitung von Hrusˇevs’kyj zur Direktion und waren gleichzeitig die aktivsten Mitarbeiter der Anfangsphase, wobei sie de facto den größten Teil der Redaktionstätigkeit übernahmen.1021 Als Sekretär war es Hnatjuks Aufgabe, einen Publikationsplan auszuarbeiten und dem Präsidium vorzulegen.1022 Darüber hinaus veröffentlichte Franko auch seine eigenen belletristischen Arbeiten in den Serien, so dass seine Tätigkeit für die URVS als Fortsetzung seiner früheren privaten Herausgebertätigkeit zu sehen ist.1023 Das Verlagsprogramm der URVS orientierte sich also an den von Hrusˇevs’kyj und seinen Vertrauten angenommenen ›Bedürfnissen‹ des ruthenisch-ukrainischen Volkes. Wie auch der LNV mühte sich die Verlagsgesellschaft, einen Beitrag zur Schaffung eines ukrainischen Kulturraums und einer ukrainischen Wissenskultur zu leisten. Ein elementarer Teil dessen waren Übersetzungen, die sowohl literarische Texte (insbesondere im LNV) als auch Sachtexte (vor allem im der URVS) umfassten. Diese Vernakularisierung von literarischen Texten der europäischen Moderne sowie anderssprachig produziertem Wissen kann als Akt der Aneignung und Selbstermächtigung gelesen werden.1024 Die Idee des Zugänglichmachens von Kultur und Wissen wird weiterhin durch die erschwingliche Verbreitung der jeweiligen Publikationen unterstrichen. Darüber hinaus wird das Paradigma der Verbreitung europäischer Zivilisierung – also eine kulturelle ›Angleichung‹ durch Partizipation an europäischer Hochkultur – desjenigen Teils des Adressatenkreises, der nicht bereits zur europäisch geStatut Ukrajins’ko-rus’koji vydavnycˇoji spilky 1904. Katal’og vydan’ 1913, S. 4f. Musˇynka 2008, S. 948f. Hnatjuk 1914, S. 9. Im Februar 1899 ist sie ins Handelsregister aufgenommen worden und begann offiziell ihre Tätigkeit. Jakymovycˇ 2006, S. 307–312. 1024 Surman 2017; Hofeneder / Surman 2019. 1019 1020 1021 1022 1023

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prägten Intelligenz gehört, überaus deutlich. Für die Anlehnung an das Europa westlich der polnischen Länder spricht, dass deutsch- und französischsprachige Werke eine relative Prominenz genossen. Gleichsam fanden sich im LNV auch russische Literaturübersetzungen.1025 Das zeigt nun, dass die ukrainischen Eliten des Zarenreichs keinesfalls das alleinige Zielpublikum waren, hätten sie doch Übersetzungen russischer Literatur zum reinen Verständniszweck nicht benötigt. Vielmehr ist in diesen Fällen anzunehmen, dass die Schaffung eines geteilten ukrainischen Wissensraums angestrebt war, handelt es sich doch um kanonische Texte, die der russländischen Intelligenz längst bekannt gewesen sein müssten. Neben LNV und URVS wurde 1898 auch der Ausbau eines vereinseigenen Buchladens priorisiert. Bereits 1892 mietete die Sˇevcˇenko-Gesellschaft ein Lokal für eine eigene Buchhandlung an, über die sie ihre Druckwerke vertrieb.1026 Um die Verbreitung der eigenen Arbeiten unter der Lemberger Bevölkerung sowie der ruthenisch-ukrainischen innerhalb und außerhalb der Habsburgermonarchie langfristig steigern zu können, setzte die Hrusˇevs’kyj-Administration diese Agenda fort. Das Projekt stellte von Beginn an ein finanzielles Risiko dar, zumal schon bei der initialen Diskussion auf der Generalversammlung 1898 bekannt war, dass die Unterhaltung des Ladens für die Dauer eines Jahres deutlich teurer werden würde, als der Verein im vergangenen Jahr durch Buchverkäufe eingenommen hatte. Hrusˇevs’kyj räumte der Angelegenheit dennoch eine wichtige lokale Funktion ein. Tanjacˇkevycˇ stellte daraufhin den Antrag, der Laden sollte nicht nur »ruthenische Bücher, sondern auch alle anderen, die von unserer intelihencija benötigt werden«, führen. Zunächst konnten nur kostengünstige Räumlichkeiten außerhalb der direkten Innenstadt angemietet werden; Relevanz und Reichweite genügten im ausgehenden 19. Jahrhundert und auch darüber hinaus nicht, um Gewinne zu erzielen. Verluste wurden billigend in Kauf genommen, um die Sichtbarkeit des Vereins in der Stadt zu erhöhen.1027 Die Prosvita vermietete dem NTSˇ ab 1906 ein Lokal für die Unterbringung der Buchhandlung, so dass diese künftig direkt in der Innenstadt lokalisiert war; durch den Ankauf des Nebengebäudes konnte diese 1910 erweitert werden.1028 Dennoch schrieb das Geschäft jahrelang rote Zahlen, die das ohnehin problematische Vereinsbudget belasteten. Die Druckerei, der Buchladen sowie auch die später eingerichtete Buchbinderei blieben essentielle Bezugspunkte für alle kultur- und bildungspolitischen 1025 Vgl. Jasins’kyj 2000 zu allen Beiträgen im LNV. 1026 Schreiben des Stadtmagistrats bezüglich der Miete des Ladenlokals ul. Akademicka 8 [ukr. vul. Akademicˇna, heute: Prospekt Sˇevcˇenka 8], 16. August 1892, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 636, ark. 1. 1027 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 74–79zv, Zitat ark. 74zv. 1028 Brief der Prosvita vom 30. März 1910, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 338, ark. 28.

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Vereine sowie auch Schulen.1029 Damit forcierte das NTSˇ Wissensdissemination aus den ausgewählten Schwerpunkten mit besonderer Emphase der eigenen Zeitschriftenproduktion. Außerdem boten sich Synergieeffekte mit der URVS, die ihre Werke in der Vereinsdruckerei kostengünstig produzieren und über die Buchhandlung vertreiben konnte. Die Buchhandlung diversifizierte dadurch wiederum ihr Angebot. Die Filialen der Prosvita pflegten in der Regel eigene Bibliotheken und suchten diese mit den aktuellen Werken des NTSˇ und der URVS zu füllen. Nicht selten erhielten sie kostenfreie oder vergünstigte Exemplare.1030 Der Vereinsausschuss bestätigte den professionellen Buchhändler August Dermal (Avhust Dermal’, 1874–1922) zu Beginn des Jahres 1905 als neuen Leiter des Geschäfts. Dieser verlieh dem Buchladen, wie die Vereinschronik später in einem Nachruf resümierte, ein »europäisches Antlitz«1031. Er förderte den internationalen Austausch von Büchern durch die gezielte Vernetzung mit anderen Verlagen, so dass er das lokale Buchangebot diversifizieren und die ukrainischen Druckwerke überdies weiter streuen konnte.1032 Masse statt Klasse? Wie wurde das Verlagsprogramm angenommen? Rudnyc’kyj schrieb der URVS eine große Bedeutung zu, zumal das Konzept derart günstiger Druckwerke mit populärem Anspruch ›den Bedürfnissen des ukrainischen Volkes‹ entsprechen würde. 1905 resümierte er jedoch, dass nur 12 der bisher rund 200 von der URVS veröffentlichten Werke naturwissenschaftliche wären. Darunter befänden sich durchaus wertvolle Arbeiten, wie zwei Aufsatzsammlungen Puljujs, bei denen es sich um Übersetzungen handelte, sowie einige originale Broschüren Rakovs’kyjs, die Rudnyc’kyj trotz einiger Kritik für nützlich befand. Dahingegen wurde aber auch ein Manuskript Frankos aus dem Jahr 1879 veröffentlicht, das laut Rudnyc’kyj schon zum damaligen Zeitpunkt nicht auf dem aktuellen Forschungsstand war; diese Veröffentlichung empfand er als gänzliche Verschwendung, »einen Skandal, wie er nur bei uns möglich ist.«1033 Der Veröffentlichungsplan schien ihm willkürlich; naturwissenschaftliche Werke zu publizieren wäre offenbar nur ein »malum necessarium« und die naturwis1029 Briefe des NTSˇ an das Rus’ke tovarystvo pedagogicˇne, CDIAL, fond 206, op. 1, spr. 15; Die Chronika NTSˇ führte regelmäßig Spenden – Bücher oder kleinere Summen – an unterschiedliche gemeinnützige Organisationen auf. 1030 Briefe der Prosvita an das NTSˇ, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 338, ark. 4–6, 16, 20, 22, 27. 1031 Chronika NTSˇ 65–66 (1922), S. 60. 1032 Rundschreiben der Buchhandlung der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften, Lemberg, Februar 1905, Buchhandelsarchiv der Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Bö-GR/B/2312. Vgl. auch den Bericht zur Dermals Einstellung, Chronika NTSˇ 21 (1905), S. 4f. 1033 Rudnyc’kyj 2018 [1905], Desˇcˇo z nasˇoji, S. 205–211, Zitat S. 211. Rudnyc’kyjs Zahlen stimmen mit dem Verlagsprogramm überein, die Klassifikation als ›naturwissenschaftlich‹ ist jedoch seine eigene. Vgl. Zvit z djijal’nosty ruskoho tovarystva pedagogicˇnoho za rik 1905, 1906, unpag. Anhang.

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senschaftliche Expertise würde der Leitung gänzlich fehlen, sie würde sich auch keine Ratschläge von Außenstehenden annehmen. Dementsprechend wäre das an sich wichtige Übersetzungsprogramm in vielerlei Hinsicht fehlgeleitet.1034 In jedem Fall zeigt die Buchproduktion der URVS, dass die Schwerpunktsetzung auf ein geisteswissenschaftliches Programm nicht nur auf das NTSˇ begrenzt war, sondern auch darüber hinaus in populärer Breitenwirkung zum Ausdruck kam. Rudnyc’kyjs Kritik richtete sich primär auf die Ressourcen, die für Naturwissenschaften aufgewandt wurden; dies ähnelt auch seiner Kritik an der Marginalisierung der MPL-Sektion im NTSˇ. Zwar handelt es sich dabei um die Kritik einer Einzelperson, sie darf allerdings als repräsentativ für die Vereinsopposition gelten, in die Rudnyc’kyj trotz seiner vormaligen Nähe zum Vereinspräsidenten bestens integriert war. LNV und URVS waren, aller Kritik zum Trotz, bedeutende Vehikel zur ukrainischen Vernetzung über Reichsgrenzen hinaus. Hier reflektierten sich auch die Debatten um Sprache als Medium und Symbol. Volodymyr Hnatjuk rekrutierte Mychajlo Kocjubyns’kyj also Autor für den LNV und ließ ihm dazu einige Leseproben zukommen, darunter die Zeitschrift und einige Druckwerke der URVS. Mychajlo Kocjubyns’kyj reagierte wiederum mit positiver Überraschung auf die Bücher- und Zeitschriftensendung aus Lemberg: »Zu den schönen Aspekten Ihrer Ausgaben gehört: europäische Gestaltung der Bücher, erlesener Inhalt und ein günstiger Preis. Zu ihren Defekten – eine nicht sehr eifrige Korrektur, die einen unangenehmen Eindruck beim Lesen macht.«1035

Auch in der bloßen Gestaltung der Werke gilt ›Europa‹ hier als positiv konnotierter Referenzraum, um die erfreuliche Entwicklung des jungen ukrainischen Buchdrucks in Galizien zu charakterisieren. Das österreichische Kronland wird hier mit Europäizität gleichgesetzt, die Kocjubyns’kyj offenbar bei vergleichbaren Erzeugnissen im Zarenreich vermisste. Allerdings konnotierte er Galizien nicht ausschließlich positiv: er kritisierte, die Sprache eines Werkes hätte »einen zu lokalen Charakter […], selbst für mich, der die galizische als seine Muttersprache bezeichnet.« Hnatjuk merkte dazu im Kommentar zur Briefausgabe Kocjubyns’kyjs an, einer der früheren Direktoren der URVS habe in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens die Sorgfalt in der Herausgebertätigkeit schleifen lassen und wäre dafür (mit-) verantwortlich.1036 Doch die Standardisierung einer gemeinsamen ukrainischen Literatursprache in Abgrenzung zu lokaler Sprache blieb ein rekurrentes Problem, wie sich auch im Falle der Wissenschaftssprache gezeigt hat. 1034 Rudnyc’kyj 2018 [1905], Desˇcˇo z nasˇoji, S. 213–214, Zitat S. 214, Hervorhebung im Original. 1035 Kocjubyns’kyj an Hnatjuk, 27. Oktober 1899, in Kocjubyns’kyj (Hg.) 1914, S. 30f. 1036 Ebd., S. 31.

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Zwischen ideologischen und persönlichen Konflikten: Das NTSˇ bis 1914

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Wie Hrycak demonstriert, ist die Forschung zur Leserschaft ein problematisches und spekulatives Unterfangen,1037 das sich hier nicht zu vertiefen lohnt. Die Frage, für wen diese Literatur also produziert wurde, lässt sich weder einfach noch mit letzter Sicherheit beantworten. Die selbstgegebene Kulturmission richtete sich zwar an das gesamte ukrainische Volk, die Leserschaft war allerdings begrenzt und durch politische Verflechtungen in Galizien unter Druck geraten. Weitere Forschungen müssten sowohl generationelle als auch räumliche Fragen vertiefen. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl LNV als auch URVS die literarische Mission des früheren Vereins weitertrugen, gleichzeitig aber auch als Erweiterungen von Hrusˇevs’kyjs Programm für das NTSˇ gesehen werden können. Die Bündelung all dieser Institutionen in den Händen einer Person bedeutete zum einen breite Optionen zur Gestaltung und Verbreitung eines ideologischen Programmes für Wissenschaft und Literatur, aber zum anderen – fast automatisch – eine entsprechende Angriffsfläche für seine Kritiker. Der rigide und bisweilen autoritäre Stil, mit dem Hrusˇevs’kyj diese Position füllte, war kaum in der Lage, die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Gleichzeitig ist jedoch deutlich geworden, dass konservative Teile des Vereins das finanziell nicht minder heikle Unterfangen des Buchladens im Gegensatz zur URVS unterstützen. Die Präsenz in der Kronlandshauptstadt scheint hierfür das ausschlaggebende Argument gewesen zu sein.

5.4

Zwischen ideologischen und persönlichen Konflikten: Das NTSˇ bis 1914

»Die Ereignisse in der Sˇevcˇenko-Gesellschaft sind nur in geringem Maß ein Reflex auf die Ereignisse in unserer Gesellschaft [der ruthenisch-ukrainischen, M. R.]. Weit stärker ist der gegenläufige Strom – also der Strom von dem Verein in die Gesellschaft.« Mychajlo Pavlyk, 19051038

Das Verlassen des elitären wissenschaftlichen ›Elfenbeinturms‹ und die Lokalisierung inmitten der ukrainischen Gesellschaft bedeutete, die Mission und Tätigkeit des Vereins mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen verhandeln zu müssen. Die staatlichen Subventionen für ruthenisch-ukrainische Kulturzwecke führten dazu, dass der Verein als nationales Gemeingut angesehen wurde. Rechtlich gibt es dafür keine Grundlage, doch wie sich im Verlauf des Kapitels zeigen wird, ließen sich Mitglieder dennoch durch öffentlichen Druck beeinflussen. Wenn die Vereinsleitung die unpolitische Rolle des Vereins betonte, legte sie dabei einen engen Politikbegriff an. Einerseits finden sich durch 1037 Hrytsak 2009. 1038 Pavlyk 1905, S. 6.

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die nationale Motivation, andererseits durch die politische Verortung der jeweiligen Mitglieder und nicht zuletzt durch Bemühungen um gesellschaftliche Einflussnahme unterschiedlichste Interessenlagen, die das Vereinsleben beeinflussen konnten. Während Pavlyk vor allem die Sendungsfunktion des Vereins hinsichtlich höherer Bildung betonte, ist doch zu hinterfragen, ob die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Vereinsleben wirklich so gering waren, wie er behauptete. Dieses Kapitel soll keine gänzliche Vereins- und Konfliktgeschichte dieser Jahre rekonstruieren, welche eine eigene Monographie in Anspruch nehmen könnte,1039 sondern primär auf regionale und ideologische Gruppendynamiken rekurrieren. Der Fokus liegt dabei auf den schwerwiegenden Vereinskrisen 1901/1902, 1903/1904 und 1913 in ihren Kontexten. In den vorangegangenen Kapiteln sind Hrusˇevs’kyjs Reforminitiativen, erste Programmpunkte und ideologische Ausrichtungen für den Verein skizziert worden. Vor allem die Maßnahmen, die gegen konservative Vereinsmitglieder und traditionelle Eliten der narodovci gerichtet waren, bereiteten Konflikte vor, die sich in den folgenden Jahren dann entfalteten. Allein das Statut, das wissenschaftlich inaktive Mitglieder in den Stand der ›gewöhnlichen‹ Mitglieder zurücksetzte und ihnen die aktive Teilnahme an wissenschaftlichen Sektionsdiskussionen entzog, sowie den russländischen Ukrainerinnen und Ukrainern eine Stimme auf der Generalversammlung verschaffte, erzeugte Unmut sowohl bei konservativen narodovci als auch bei Mychajlo Pavlyk.1040 Angesichts der bisherigen Verdienste Hrusˇevs’kyjs um die Vereinsarbeit hat ihre offene Kritik dessen interne Stellung nicht ad hoc beeinträchtigt, zumal dieselbe Generalversammlung, die das Statut verabschiedete, ihn einstimmig als Vorsitzenden bestätigte.1041 Bei den folgenden Krisen konnte er sich neben dem Rückhalt aus der russländischen Ukraine vor allem auf seine ›Familie‹ oder ›Clique‹ verlassen, wie seine engsten Mitarbeiter häufig bezeichnet wurden. Neben Franko sind mit diesem Quellenbegriff vor allem seine Schüler erster Stunde, Hnatjuk und Tomasˇivs’kyj, gemeint, die mit der Unterstützung des Vorsitzenden schnell in der Vereinshierarchie aufstiegen.1042 Es entstand ein Netzwerk der Freundschaft, das die strikt gedachten Grenzen der Vereinsorganisation transzendierte und damit Kompetenzen anhäufen konnte, wie anhand des LNV und der URVS gezeigt wurde. Hrusˇevs’kyjs Clique erhielt nicht nur bezahlte Stellen für ihre Loyalität, sie pflegte auch regelmäßige private Treffen, entweder in der Villa Hrusˇevs’kyjs oder dem Kaffeehaus ›Me1039 Vynar 2006. 1040 Ebd., S. 47. 1041 Protokoll der Generalversammlung vom 2. Februar 1898, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 33, ark. 74–79zv, hier ark. 79zv. 1042 Chalak 1999.

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tropol’‹ in der Lemberger Altstadt; sie erholten sich regelmäßig gemeinsam in den Karpaten oder verreisten gemeinsam, so wie Franko und Hrusˇevs’kyj einmal nach Italien. Ihrerseits waren sie mit ihren persönlichen Kontakten für die Ausweitung des Vereinsnetzwerks mitverantwortlich und fungierten als Vertraute, indem sie die Stimmrechte von Mitgliedern aus der russländischen Ukraine als brieflich übertragene Stimmen wahrnahmen. In der Vereinsgeschichte bis 1907 galt ihre Stimme im Sinne des Vorsitzenden bei allen Abstimmungen als sicher, bis persönliche Zerwürfnisse das Verhältnis zu trüben begannen. Die individuellen Beziehungen innerhalb der ›Familie‹, vor allem aber zum Vereinsvorsitzenden, waren äußerst heterogen und von inneren und äußeren Faktoren nicht unabhängig.1043 Hierbei ging es nicht nur um das persönliche Verhalten Hrusˇevs’kyjs oder seine publizistischen Artikel, sondern durch das geschaffene Abhängigkeitsverhältnis auch um Finanzielles. Zur Charakterisierung der ›Freundschaft‹ sind somit Abstufungen zu berücksichtigen, die nicht nur emotionale, sondern auch pragmatische Faktoren einbeziehen. Ein beidseitiger Nutzen widerspricht dabei dem Konzept der Freundschaft nicht.1044 Darüber hinaus lässt sich bei Hrusˇevs’kyj, Franko und den Schülern der beiden in größtem Maße ideologische Kompatibilität hinsichtlich des ukrainischen nationalen Projekts beobachten, durch das die Schüler wiederum auch als Stimmberechtigte für russländische Mitglieder fungieren konnten und das loyale Umfeld des Vorsitzenden absicherten. Die Beziehung zwischen Hrusˇevs’kyj und Franko verschlechterte sich nach den ersten Jahren inniger Freundschaft und nahm einen eher pragmatischen Charakter an: Für Hrusˇevs’kyj kamen gemeinsame Ziele dabei an erster, die persönliche Beziehung an zweiter Stelle.1045 Die Beziehungen zwischen Franko und Hnatjuk sowie Hnatjuk und Tomasˇivs’kyj blieben hingegen ungetrübt. Der Vereinspräsident war das zentrale Bindeglied, aber auch ein problematischer Faktor für die Gemeinschaft. Während sich Schwierigkeiten in den individuellen Beziehungen bereits 1905 andeuteten, blieb die ›Familie‹ noch bis 1907 intakt; in diesem Jahr notierte Hrusˇevs’kyj allerdings dann in seinem Tagebuch, dass sie nun zerbrochen wäre. Das hinderte Franko und Hnatjuk jedoch nicht am Schulterschluss mit dem Vereinspräsidenten in einigen wichtigen Vereinsangelegenheiten.1046 Um die Kontrolle über den Verein mit denselben Mechanismen halten zu können, ersetzte Hrusˇevs’kyj seine ›Familie‹ durch eine neue. Sie setzte sich aus Vertretern einer jüngeren Generation galizischer Intellektueller und 1043 Zur Beziehung von Franko und Hrusˇevs’kyj Burlaka / Hyrycˇ 2010; Hyrycˇ 2006; zu Franko, Hnatjuk und Hrusˇevs’kyj Musˇynka 2008; Musˇynka 2012; zu Hrusˇevs’kyj und Tomasˇivs’kyj Chalak 2013; Tel’vak / Pedycˇ 2016. 1044 Polexe 2011, S. 52–65. 1045 Hyrycˇ 2006, S. 40. 1046 Hyrycˇ / Burlaka 2010, S. 53f.

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jungen Emigranten aus der russländischen Ukraine zusammen, die auf die Förderung des Präsidenten angewiesen waren und ihm unbedingt loyal gegenüberstanden. Zur ›neuen Familie‹ zählten Hrusˇevs’kyjs Schüler Ivan Dzˇydzˇora, der seit 1905 tätige Bibliothekar Ivan Krevec’kyj und Mychajlo Mocˇul’s’kyj, der seit 1904 im Ausschuss tätig war und sich rasch mit der ›alten Familie‹ verband. Aus der russländischen Ukraine kamen Mykola Zaliznjak (1888–1950, geb. im taurischen Gubernium), Volodymyr Dorosˇenko (1879–1963, geb. in St. Petersburg) und der Publizist Jurij Tysˇcˇenko (1880–1953) hinzu, der die Redaktion des LNV in Kyjiv leitete. Weniger tragend, aber dennoch ein loyaler Mitarbeiter, war Oleksa Nazarijiv (auch Nazarijev, 1880–1918, geb. im Gubernium Poltava), dem eine persönliche Empfehlung Dmytro Dorosˇenkos zur Einstellung verhalf.1047 Die Beziehungen nahmen hiermit deutlich pragmatischere und wesentlich weniger freundschaftliche Formen an, als dies bei der früheren Clique der Fall war. Als Gegensatz zur ›Familie‹ trat die unstete Gruppe der Opposition auf. Sie lässt sich – ebenso wie die breitere Anhängerschaft des Vereinspräsidenten – nicht nur durch biographische Herangehensweisen ermitteln; es bestehen auch weitere Indikatoren zur Gruppendynamik (Anhang VIII), die beim Fehlen von Ego-Dokumenten herangezogen werden können, um zumindest temporäre Identifikationen zu ermöglichen. Sie lassen auch die Einordnung weiterer Mitglieder zu, die hier nicht im Einzelnen thematisiert werden können. Abgesehen von politischen und loyalitätsbezogenen Auseinandersetzungen waren die steigenden Subventionen der Grund für zahlreiche Streitigkeiten, die dafür verantwortlich waren, dass Hrusˇevs’kyj seine Funktion zwischen 1901 und 1902 für einige Monate niederlegte. Volodymyr Sˇuchevycˇ, Gymnasialprofessor, wirkliches Mitglied der MPL-Sektion und seit 1874 im Verein, war mit der Höhe des Honorars, das ihm für den ersten Band seines ethnographischen Werks Hucul’sˇcˇyna gezahlt wurde, nicht einverstanden. Als er – und auch andere Vereinsmitglieder – zunehmend höhere Bezahlungen verlangten, suchte auch Hrusˇevs’kyj die ihm zustehenden Honorare für die Herausgebertätigkeit im Verein während der letzten Jahre geltend zu machen, auf die er bis dahin zugunsten des Vereinsvermögens verzichtet hatte. Auch wenn Hrusˇevs’kyj diese Gelder in einen Vereinsfond zur Nachwuchsförderung investierte, konnte er den Vorwurf der Geld- und Machtgier, für die seine Kritiker in den Folgejahren weitere Beispiele fanden, bis zur endgültigen Niederlegung seiner Präsidentschaft nicht tilgen.1048 Dass sich der Fall Sˇuchevycˇ über mehrere Jahre zog und 1047 D. Dorosˇenko an Hnatjuk, 20. November 1907, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2259, ark. 11– 11zv. Zu Mocˇul’s’kyj Dzjuban (Hg.) 2004; zu Dzˇydzˇora Prysˇljak 2008. 1048 Dazu die explizit gegen Hrusˇevs’kyj gerichtete, anonym gedruckte und ›streng vertrauliche‹ Broschüre Pered Zahal’nymy zboramy Naukovoho tovarystvo im. Sˇevcˇenka, 1913, CDIAL,

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weitere Ausschussmitglieder einbezog, wird keine Abhilfe geschafft haben. Der Konflikt kulminierte 1904 und 1905, aber nur als einer von vielen Fällen im Rahmen der größeren Vereinskrise, zumal Sˇuchevycˇ vor allem konservative narodovci für sein Anliegen mobilisieren konnte.1049 Erst ein Gerichtsschreiben im Juni 1905 führte unter Androhung eines Strafverfahrens gegen Hnatjuk zur Klärung.1050 Der Ausschuss setzte im März 1905 eine eigene Kommission ein, die die Angelegenheit bereinigen sollte. Sie verlangte, ausstehende Zahlungen zu begleichen, kritisierte aber vor allem den Unfrieden, den das nicht-regelkonforme Verhalten der Vereinsleitung, besonders aber die polemische Haltung Hnatjuks verursachte. Als Sekretär sollte es doch seine vorrangige Aufgabe sein, »für Harmonie zwischen den Mitgliedern zu sorgen, die für die ruthenische Wissenschaft im Verein arbeiteten.« Deshalb drückte sie die Hoffnung aus, im Sinne des Vereinsprestiges das Thema weder in Zeitungen noch Generalversammlungen weiter zu verfolgen. Hnatjuk schien sich diesem Argument zu fügen und nahm nur gegenüber dem Ausschuss detaillierter Stellung zu dieser Angelegenheit.1051 Nicht nur die individuell ausgezahlten Gelder, auch die Aufwendung von Subventionen für Publikationen kam insbesondere in diesen frühen Jahren primär den Projekten Hrusˇevs’kyjs und Frankos zugute, wogegen etwa Oleksandr Kolessa als Universitätsprofessor und später einflussreicher Politiker opponierte. Franko war mit dessen Kritik vor allem deshalb nicht einverstanden, weil Kolessa sein eigenes Projekt für den Etnohraficˇnyj zbirnyk nicht rasch genug in den Druck gab.1052 An diesen Missverständnissen wird deutlich, dass die Opposition den Verein und seine (staatlichen) Subventionen als Gemeingut verstand, zu dem sie gleichberechtigten Zugang wünschten. Handelte es sich bei den Aktionen und Maßnahmen der leitenden Figuren also um bloßen Eigennutz? Dagegen wäre einzuwenden, dass auch Wissenschaftler wie Fedir Vovk, die der Clique nahestanden, mit Hrusˇevs’kyj in Konflikt über die Abgabe von Manuskripten gerieten. In diesem Sinne verband die Clique das Ziel eines straffen Publikationsplans mit optimaler Ausnutzung verfügbarer Subventionen. Dies muss weder als Aktivismus noch als diktatorisches Vorgehen interpretiert wer-

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fond 309, op. 1, spr. 8, ark. 1–8; dazu die Gegendarstellung von Rozdol’s’kyj, Mocˇul’s’kyj und Dzˇydzˇora, V oboronji pravdy, 1913, ebd., ark. 24–34zv. Bereits 1904 drohte er mit einem Gerichtsverfahren, bei dem er von Kost’ Levyc’kyj vertreten werden würde, der als einer der wichtigsten ruthenischen Politiker zu gelten hatte. Sˇuchevycˇ an den Ausschuss des NTSˇ, 6. November 1904, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2285, ark. 1. Schreiben des k.k. Bezirksgerichts Lemberg an Hnatjuk, 7. Juni 1905, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 416, ark. 4. Kommissionsbericht vom 15. Juni 1905 und Brief Hnatjuks, 1905, ebd., ark. 5–15zv. Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 179.

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den, die Vorgänge waren aber sicherlich nicht transparent genug, um sich diesen Vorwürfen zu entledigen. Stanislav Dnistrjans’kyjs Eintritt in den Verein entfachte auch vereinspolitisch eine neue Dynamik. Noch 1900 bat Hrusˇevs’kyj ihn, als Kassenwart in den Ausschuss einzutreten, jedoch lehnte Dnistrjans’kyj mit Verweis auf seine Tätigkeit als Dozent und Herausgeber ab.1053 Bereits im Folgejahr hegte er Ambitionen auf den Vorsitz, die von der konservativen Opposition unterstützt worden sind.1054 Zwar vertrat er Hrusˇevs’kyj während seiner Amtsniederlegung in der historisch-philosophischen Sektion, doch handelte es sich hierbei nur um eine kurze Episode: der damalige Ausschuss trat kollektiv von seinen Tätigkeiten zurück, wodurch ein wesentlicher Teil der Vereinsarbeit durch das Fehlen der bis dahin administrativ und wissenschaftlich aktivsten Mitglieder zum Erliegen kam. Die Auswirkungen dieser Krise waren nicht nur auf der zwischenmenschlichen Ebene, sondern auch für rund ein Jahr im offiziellen Vereinsleben zu spüren. Wie die Sitzungsstatistik der Kommissionen (Anhang VII) zeigt, war nach der Sommerpause 1901 nur noch die rechtswissenschaftliche Kommission aktiv, aber keine, die vornehmlich von Hrusˇevs’kyj und seiner ›Familie‹ getragen wurden. Auch in der ersten Hälfte des Jahres 1902 blieben die Aktivitäten der Kommissionen minimal. Das dadurch entstandene Vakuum konnte nicht gefüllt werden; zeitgleich übten Mitglieder aus der russländischen Ukraine brieflich Druck aus. Hrusˇevs’kyj fand sich auf Ansuchen der provisorischen Vereinsleitung auf der Generalversammlung 1902 zur Aussprache und letztlich zur Wiederwahl ein.1055 Dadurch schien seine Stellung gefestigt, allerdings nur kurzfristig, denn die zugrundeliegenden Unstimmigkeiten waren mit dieser Episode nicht gelöst. Zur Neuregelung der problematischen Verhältnisse zwischen dem Ausschuss und dem Rest des Vereins, fanden in der zweiten Hälfte des Jahres 1903 drei gemeinsame Sitzungen aller Sektionen statt, die eine eigene Statutenkommission einberiefen. In diese entsandten alle Sektionen einen Vertreter: Dnistrjans’kyj aus der historisch-philosophischen, Pavlyk aus der philologischen und Sˇuchevycˇ aus der MPL-Sektion.1056 Sie legten am 1. Dezember 1903 ein neues Statutenprojekt zur Diskussion vor.1057 Neben den drei Mitgliedern der Kommission unterzeichneten 13 wirkliche und 20 weitere Mitglieder das Projekt.1058 1053 1054 1055 1056 1057

Dnistrjans’kyj an Hrusˇevs’kyj, 21. März 1900, CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 453, ark. 3–4zv. Franko an Hrincˇenko, 20. November 1901, ZTIF, t. 50, S. 177–187, hier S. 180. Chronika NTSˇ 10 (1902), S. 1–11. Proekt statutu NTSˇ, 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5. Pavlyk gab später an, am vorgelegten Projekt hätte vornehmlich Stepan Rudnyc’kyj aus der MPL-Sektion mitgearbeitet, nicht Sˇuchevycˇ. Pavlyk 1905, S. 6. Kupcˇyns’kyj (Hg.) 2013 legte in seinem Sammelwerk zu Vereinsmaterialien eine andere, in vielen Vorschlägen ›entschärfte‹ Version des Projekts dieser Kommission vor, das nur in der Vereinschronik

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Das oberste Ziel des Projekts war eine Demokratisierung der Vereinsgeschäfte durch die Einführung eines Vereinsrates, der als ständige Kontrollinstanz des Ausschusses fungieren und selbst einen Generalsekretär wählen sollte. Die Ablösung leitender Funktionen, sowohl in den Sektionen als auch im Ausschuss, sollte jährlich geschehen. Berechtigt wandte Franko dagegen den möglichen Mangel an notwendiger Kontinuität ein.1059 Angesichts der vergangenen Jahre erachtete die Statutenkommission derartige Maßnahmen für notwendig, um die Gleichberechtigung zwischen allen Vereinsmitgliedern wiederherzustellen.1060 Dies betraf nicht allein interne Abläufe, sondern auch die konkrete Verantwortlichkeit für Vereinsperiodika, zumal die beiden öffentlichkeitswirksamsten Veröffentlichungen, die Zapysky und der LNV, intransparent und nicht zur Zufriedenheit aller Sektionen geführt werden würden. Dass seine diesbezügliche Rede auf der Generalversammlung nicht im LNV oder einem anderen Vereinsorgan gedruckt wurde, obwohl Pavlyk sich darum bemühte, bezeugt den ungleichen Zugang zu Vereinsressourcen.1061 Die Zapysky seien monoton gestaltet, die Inhalte überwiegend historisch und mit den »leider reinen Sisyphusarbeiten des Redakteurs« gespickt. Pavlyk missfiel nicht nur die Ausgliederung der MPLSektion, sondern auch die anhaltende Vernachlässigung philologischer Arbeiten. Dass Hrusˇevs’kyj den Mangel an Historikern dabei mit seinen Schülern auszugleichen suchte, schien Pavlyk in der Momentaufnahme von 1904 kaum zielführend, charakterisierte er deren Arbeiten doch als »grün« und »dilettantisch«.1062 Wegen des überwiegend literarischen Schwerpunkts des LNV wäre – so Pavlyk – mit Franko nur eine Person aus dem Kreis der Redaktion wirklich kompetent für dieses Feld. Pavlyk schlug vor, ihm die Leitung gänzlich zu übertragen und gleichzeitig eine Kontrollinstanz mit Personal aus allen Sektionen einzuführen.1063 Die Übertragung des Stimmrechts für russländische Mitglieder war ihm ein Dorn im Auge, aus ganz praktischen Überlegungen – sie waren bei den Diskussionen auf den Generalversammlungen ohnedies meist nicht anwesend und so auch nicht von den geregelten Abläufen selbst überzeugt. Deshalb konnte auch ihr Misstrauen bezüglich der zweckmäßigen Verwendung gespendeter Gelder nicht zerstreut werden. De facto richtete sich Pavlyks Aversion dagegen, dass Personen, die am regelmäßigen Vereinsleben nicht teilnahmen, der Vereinslei-

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gedruckt wurde. Dabei handelt es sich allerdings nicht um das ursprüngliche Projekt, das mitsamt der Schilderung der Motive nur vereinsintern als separate Broschüre zirkulierte. Proekt statutu NTSˇ, 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5, ark. 18zv–19. Franko, Ivan, Motyvy do proektovanoji zminy Statutu, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 9. Proekt statutu NTSˇ, 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5, ark. 16 zv. Pavlyk 1905, S. 19. Ebd., S. 16. Ebd., S. 17.

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tung Blankoschecks ausstellten, mit denen diese wiederum lokale Mehrheiten überstimmen konnte.1064 Das Projekt ist seitens der Vereinsleitung rigoros zurückgewiesen worden, zumal die vorgeschlagenen Maßnahmen als zu ›radikal‹ galten. Die ersatzlose Streichung der brieflichen Stimmübertragung konnte vor allem Hrusˇevs’kyj aus vereinspolitischen Gründen nicht hinnehmen. Franko übernahm deshalb im Namen des Ausschusses die Aufgabe, einen Gegenvorschlag zu liefern, der sich deutlich näher am Statut des Jahres 1898 bewegte. Der wesentliche Teil seiner Vorlage ist in das endgültige Statut übernommen worden.1065. Dafür lieferten auch die übertragenen Stimmen aus der russländischen Ukraine die entscheidende Mehrheit. Darüber hinaus festigte das neue Statut die Unterhaltung einer eigenen Buchhandlung und einer Buchbinderei in den Vereinszielen, die in den vergangenen Jahren vorangebracht worden waren. Um genau diese langfristigen Tätigkeiten auch angemessen erfüllen zu können, so die Argumentation, sollten die Ausschussmitglieder für zwei Jahre amtieren, statt wie zuvor nur für eines.1066 Die beißende, aber letztlich folgenlose Polemik Dnistrjans’kyjs warf dem Projekt vor, den Verein zunehmend in eine Aktiengesellschaft verwandeln zu wollen. Die relative Unzufriedenheit machte sich auch dadurch bemerkbar, dass die Generalversammlung Hrusˇevs’kyj mit einem deutlich schlechteren Wahlergebnis als in den Vorjahren bestätigte.1067 Mit der Statutendebatte entfernte sich der Konflikt allmählich von persönlichen Streitigkeiten, rückte dafür zunehmend in die ukrainische Öffentlichkeit und man widmete sich schließlich den Aufgaben, die dieser Kernorganisation der monozentrischen ukrainischen Wissenschaft zugeschrieben wurden. Diese Debatte ist dementsprechend eine entscheidende Zäsur, die spätere Entwicklungen vorbereitete. Was hatte nationale Wissenschaft – mit Hinblick auf den regionalen und den nationalen Rahmen – zu leisten? Im frühen 20. Jahrhundert festigte sich die skizzierte Tendenz des öffentlichen und politischen Interesses an der Vereinstätigkeit zusehends. Das ist nicht nur durch die sich in diesem Zeitraum ausweitende ukrainischsprachige Zivilgesellschaft bedingt, sondern auch dadurch, dass das NTSˇ zu derjenigen ruthenisch-ukrainischen Organisation avancierte, die mit Abstand am meisten Subventionen auf Staats- und Landesebene erhielt. Infolgedessen entwickelte sich ein gesellschaftliches Interesse am Verein, seiner Tätigkeit und folgerichtig auch an ›nationaler Wissenschaft‹, welches sich über die engeren Kreise der scientific community hinausbewegte. Die ausführlich diskutierten wissenschaftlichen Ferienkurse konnten dieses Interesse nicht befriedigen. Einerseits war selbst Außenstehenden klar, dass der 1064 Ebd., S. 11f. 1065 Notizen Frankos, angenommene Punkte des Statutenprojekts [1904], IL VR, fond 3, N 2373. 1066 Chronika NTSˇ 15 (1903), S. 4; Franko, Ivan, Motyvy do proektovanoji zminy Statutu, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 9; Statut 1904. 1067 Vynar 2006, S. 82.

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Vereinspräsident die Kurse zur Verwirklichung seines eigenen Programms nutzte; andererseits wurden viele UNDP-nahe Mitglieder des NTSˇ nicht als Dozenten bestellt. Letztlich würden, so das Dilo, die hohen Teilnahmegebühren den Kreis der Besucherinnen und Besucher bewusst verengen – und dadurch genau die galizischen Audienzen ausschließen, denen sich die UNDP andienen wollte.1068 Hrusˇevs’kyj war sich schon zuvor bewusst, dass seine Machtstellung im Verein angekratzt war; nun konnte er nicht mehr darauf vertrauen, dass seine Politik bei der Vertretung zentralukrainischer Interessen und seine Willkür bei der Verteilung von Geldern von den galizischen Vereinsmitgliedern entsprechend mitgetragen werden würde. Das im Februar 1904 mit seiner ›Clique‹ und anderen engen Vertrauten gegründete Tovarystvo prychyl’nykiv ukrajins’koji literatury, nauky i ˇstuky sollte ihm diese Spielräume zurückgeben. Dieser Verein hatte inoffiziell die Funktion, die Opposition des NTSˇ zu umgehen. Hrusˇevs’kyj diskutierte dies nicht öffentlich und auch das Statut wurde entgegen dem üblichen Vorgehen nicht in gedruckter Fassung zirkuliert.1069 Dennoch geht dieses Ziel aus ˇ ykalenko klar hervor. Dieser schrieb ihm, er könnte die der Korrespondenz mit C erhaltenen Spenden getrost auch bei dem neuen Verein hinterlegen, wenn er dies für angebracht hielte.1070 Diese These sieht sich durch diverse Indikatoren bestätigt, etwa die Angabe von Hrusˇevs’kyjs Privatanschrift als Vereinsadresse sowie intransparente Aufnahmebedingungen für potenzielle Mitglieder.1071 Als erstes Projekt ist eine Kunstausstellung in Kooperation mit dem Maler Ivan Trusˇ (1869–1941) geplant worden, die aber wiederum vom NTSˇ finanziert wurde und laut der Vereinschronik auch ihr »Protektorat«1072 übernommen hätte. Auch die Ferienkurse wurden nominell von diesem Verein durchgeführt. Obwohl der Verein formal bis 1914 bestand, also bis Hrusˇevs’kyj Galizien verließ, führte er abgesehen von kurzen Mitgliederversammlungen keine Projekte durch. Nach dem partiellen Zerwürfnis mit leitenden Mitgliedern besetzte Hrusˇevs’kyj die Stellen mit seinen loyalen Schülern neu. Das Vereinsvermögen, das aus Gewinnen bisheriger Aktivitäten sowie vom NTSˇ stammte, wurde primär zu Unterstützung seiner sonstigen Projekte, darunter auch die URVS, genutzt.1073 Die Auslagerung des LNV auf die URVS ist analog zu denken. 1068 Dilo, 12. Juni 1904, S. 2. 1069 Handschriftliche Statuten aus dem Frühjahr 1904 sind erhalten, vgl. DALO, fond 298, op. 1, spr. 1; spr. 2. ˇ ykalenko an Hrusˇevs’kyj, [vor dem 24. Januar] 1904, LMH, t. 5, S. 48f. 1070 C 1071 Dilo, 5. Juli 1904, S. 3. 1072 Chronika NTSˇ 21 (1905), S. 7. 1073 Protokollbuch des Tovarystvo prychyl’nykiv, Sitzungsberichte von 1911–1914, DALO, fond 298, op. 1, spr. 3, ark. 9zv–20; vgl. auch Kassenbuch des Tovarystvo prychyl’nykiv, ebd., spr. 9.

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Hrusˇevs’kyj trug Konflikte mit seiner politischen Publizistik selbst in die breitere Öffentlichkeit. Seit 1898 trat er als Kritiker der Nova era auf, von der er anfänglich selbst profitiert hatte.1074 In seiner 1906 publizierten Autobiographie erklärte er diesen Gesinnungswandel damit, dass er während seiner ersten Jahre in Galizien zunehmend die Überzeugung gewann, dass die Nova era kein Ausdruck des Sinneswandels der polnischen ›Herren‹ war: »sie verstehen keine anderen Beziehungen zu den Ruthenen als die Beziehung einer Herrennation zu einer dienenden [Nation, M. R.].« Damit problematisierte er die Zivilisierungsmission und ihre soziokulturellen Auswirkungen, die er auch in den Universitätsinstitutionen persönlich erfahren hätte.1075 Sein anhaltender Widerstand gegen jede ukrainisch-polnische Kooperation verprellte seine ehemaligen Förderer und andere Gruppen, die kompromissbereite Realpolitik als zielführenden Ansatz zur schrittweisen Realisierung ukrainischer Forderungen favorisierten. Gleichfalls agierte er selbst durch diese prinzipielle Haltung, die auch manche seiner Schüler annahmen, als Agent der Nationalisierung. Mit der Russischen Revolution des Jahres 1905 veränderte sich der Schwerpunkt von Hrusˇevs’kyjs Tätigkeit, zumal er sich neue politische Möglichkeiten für die russländische Ukraine erhoffte. Er forderte offensiv, dass alle ukrainischnationalen Kräfte aus allen ukrainischen Territorien gemeinsam an der nationalen Entwicklung arbeiten sollten.1076 Dabei verfolgte er ein Konzept ukrainischer Nationsbildung, das die Verbindung der politisch geteilten Räume auf ideologische und organisatorische Weise gewährleisten sollte. Durch sein Netzwerk galt er bereits zu dieser Zeit als einer der wichtigsten ukrainischen Politiker im Zarenreich, obwohl er kein Mandat für die Duma hatte und weiterhin seinen Lehrstuhl in Lemberg hielt. Er beteiligte sich zunehmend an ukrainischen publizistischen Initiativen im Zarenreich und hatte auch an seinem persönlichen Umzug nach Kiew gearbeitet; seine Familie verbrachte seit 1906 die meiste Zeit dort.1077 1907 gründete er die Ukrainische Wissenschaftliche Gesellschaft in Kiew nach dem Abbild des NTSˇ und suchte, beide Organisationen durch gemeinsame Initiativen zu vernetzen.1078 Im selben Jahr verlegte er auch die Redaktion des LNV in die Stadt.1079 Hrusˇevs’kyjs galizische Publizistik bezog sich nun zunehmend auf die ›Mission‹, die galizische Ukrainerinnen und Ukrainer seiner Ansicht nach für die gesamte Nation übernehmen sollten. Er begann seinerseits Ende des Jahres 1904, Hrusˇevs’kyj 2002, Jak mene provadzˇeno. Autobiographie Hrusˇevs’kyjs 1906, IL VR, fond 122, spr. 1, S. 5f., Zitat S. 5. Hrusˇevs’kyj 1906; Plokhy 2005, S. 56–58. Plokhy 2005, S. 62–65. Statut Ukrajins’koho Naukovoho Tovarystva u Kyjivi [1906, Arbeitsvarianten], CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 80, ark. 1–5zv; I–VI; Onoprijenko / Sˇcˇerban’ 2008. 1079 Plokhy 2005, S. 65. 1074 1075 1076 1077 1078

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als sich eine neue polnisch-ukrainische Kompromisspolitik seitens der UNDP abzeichnete, im LNV gegen die Partei zu agitieren. In eigener Darstellung wollte er den politischen Akteuren die Augen für die ›wirklichen Bedürfnisse‹ des ukrainischen Volkes öffnen und gegen die »Verblendung mit gesellschaftlich effektivem Feuerwerk« auftreten, wie er politische Effekthascherei titulierte, die er der Partei in ihrer jüngeren Tätigkeit vorwarf.1080 Darüber hinaus äußerte er sich auch gegen ein zentrales Vorhaben, das weite Kreise der galizisch-ukrainischen Gesellschaft unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit interessierte: die Gründung eines ukrainischen Theaters. 1905 wetterte Hrusˇevs’kyj gegen dieses Projekt und verlangte, der Errichtung weiterer ukrainischer Mittelschulen den Vorzug zu geben. Damit verärgerte er nicht nur Konservative und andere Akteure, die seit Dezennien auf die Theatergründung hinarbeiteten, sondern auch Freunde und Mitstreiter, wie Ivan Franko und den Künstler Ivan Trusˇ.1081 Insgesamt stießen Hrusˇevs’kyjs Positionen auf wenig Gegenliebe und trugen zunehmend zur eigenen Marginalisierung bei. Vereinzelte Kooperationen zwischen ihm und der UNDP fanden zwar noch hinsichtlich der Universitätsfrage statt,1082 und auch die Gründung der statistischen Kommission im NTSˇ, deren teilweise politische Motivierung und Nähe zur UNDP kein Geheimnis war, scheint ein partieller Versuch der Streitschlichtung gewesen zu sein. Letztlich verschärften sich aber die Gegensätze der Lager in der galizisch-ukrainischen Gesellschaft und damit gleichsam im NTSˇ. Sprechend für den Zugang der UNDP ist die bereits erwähnte Polemik zwischen Budzynovs’kyj und dem NTSˇ, die sich um die Aufgabe ›nationaler Wissenschaft‹ drehte. Einen vergleichbaren Richtungsstreit, der allerdings deutlich größere vereinsinterne Sprengkraft mit sich brachte, führten Akteure des christlich-sozialen Lagers vertreten durch den Ruslan. In einem Leitartikel Ende des Jahres 1905 griff der ungenannte Autor eine Polemik Hnatjuks im LNV auf, in dem dieser eine gesellschaftliche und politische Apathie der ukrainischen Jugend auf schädliche Einflüsse des Ruslan zurückführte. Der Ruslan drehte diese Kritik um und kritisierte den NTSˇ – genauer gesagt: die ›Clique‹ – dafür, die erhaltenen Gelder nicht im Sinne der ukrainischen Allgemeinheit des Kronlandes einzusetzen und den Großteil der Jugend mit »Autokratismus« und »Selbstliebe« zu verprellen, ja durch »Nepo1080 Autobiographie Hrusˇevs’kyjs 1906, IL VR, fond 122, spr. 1, S. 14. 1081 Vynar 1970, S. 54f.; in dieser Phase verließ Trusˇ gemeinsam mit seiner Frau den Tovarystvo prychyl’nykiv, den er mitbegründet hatte, ohne Angabe näherer Gründe. Trusˇ an den Ausschuss des Tovarystvo prychyl’nykiv, o. D., DALO, fond 298, op. 1, spr. 5, ark. 8. Vermutlich stammt der Brief aus dem Jahr 1908, in dem Trusˇ als Sekretär ersetzt wurde. Protokolle des Tovarystvo prychyl’nykiv, Ausschusssitzung 9. Februar 1908 und Generalversammlung 13. März 1908; verlesen wurde der Brief allerdings erst während der Ausschusssitzung vom 26. Mai 1911 – allerdings fanden in der gesamten Periode nur diese Sitzungen statt. DALO, fond 298, op. 1, spr. 3, ark. 7zv–11. 1082 Abschrift des deutschen Originals [Hrusˇevs’kyj] 1907, Memorandum.

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tismus [zu] demoralisieren«. Stattdessen würde nur ein geringer Teil der Jugend selbst in ihren Institutionen ausgebildet werden, und dies auch nur zur wissenschaftlichen Arbeit, nicht in anderen Aspekten nationaler Betätigung. Hier wiederholen sich zentrale Ansatzpunkte – das Vereinsvermögen als Gemeingut und ein Wissenschaftsverständnis, das, wie auch bei Budzynovs’kyj, entscheidend von der Idee ›organischer Arbeit‹ geprägt war. Nicht zuletzt unterstrich der Artikel den Vorwurf, es handele sich beim NTSˇ um einen Areopag (nach dem ›obersten Rat‹ des antiken Griechenlands), dessen Geschäfte gänzlich nicht einsehbar wären. Außerdem monierte der Ruslan, dass das NTSˇ die wissenschaftliche Arbeit namentlich von Verchrats’kyj und Rudnyc’kyj geringschätzen würde.1083 Der Ausschuss trat schon Ende des Jahres 1905 bezüglich dieses Artikels an Barvins’kyj heran, der keine persönliche Verantwortung annahm und stattdessen auf die (von ihm geführte) Redaktion des Ruslan verwies.1084 Im Folgejahr entspann sich zwischen Hnatjuk, Oleksandr Barvins’kyj und dessen Sohn Bohdan (1880–1958) ein Konflikt, der nicht beim Inhalt des Artikels verweilte, sondern den Barvins’ki überdies auch ihre Nähe zu polnischen Kreisen zum Vorwurf machte.1085 Vereinsintern eskalierte die Situation durch den Ausschluss Oleksandr Barvins’kyjs auf einer Ausschusssitzung im Dezember 1907.1086 Seine Anfrage an Hrusˇevs’kyj bezeugt, dass er kaum mit dieser Folge gerechnet hatte.1087 Zunächst sind die Gründe für den Ausschluss nicht kommuniziert worden, so dass sich eine eigene Deputation im Verein zur Fürsprache Barvins’kyjs gründete. Der Antwort auf deren Anfrage war zu entnehmen, dass der anonyme Artikel im Ruslan Barvins’kyj als Redakteur der Zeitschrift zugeschrieben wurde. Außerdem hätte sich ein Interessenkonflikt durch seine Haltung im Rus’ke tovarystvo pedahohicˇne ergeben.1088 Sˇuchevycˇ kündigte vorher brieflich den Protest der MPL-Sektion auf der kommenden Generalversammlung an.1089 Am 18. Oktober 1908 legten zwölf Mitglieder ein Protestschreiben vor, das in Abwesenheit von sechs weiteren, auswärtigen Personen unterstützt wurde. Darunter finden sich konservative, ältere Vereinsmitglieder ebenso wie Pavlyk, Universitätsprofessor Studyns’kyj, Makovej und jüngere Wissenschaftler, Rudnyc’kyj und 1083 Ruslan, 8. Dezember 1905, S. 1. 1084 O. Barvins’kyj an den Ausschuss des NTSˇ, 28. Dezember 1905, LNNB VR, fond 11, spr. 3, ark. 24. 1085 Bohdan Barvins’kyj an den Ausschuss des NTSˇ, 3. Februar 1906, LNNB VR, fond 11, spr. 3, ark. 8. B. Barvins’kyj war zunächst Hrusˇevs’kyjs Dissertant, schloss die Dissertation aber dann beim polnischen Historiker Ludwik Finkel ab. Tel’vak / Pedycˇ 2016, S. 98. 1086 Notizen zur Ausschusssitzung vom 31. Dezember 1907, LNNB VR, fond 11, spr. 3, ark. 2. 1087 O. Barvins’kyj an Hrusˇevs’kyj, 2. Januar 1908, LNNB VR, fond 11, spr. 3, ark. 23. 1088 An die Mitglieder der Deputation in Angelegenheit Oleksandr Barvins’kyjs, zu Händen Prof. I. Kokorudza, 23. Februar 1908, LNNB VR, fond 11 (barv.), spr. 3, ark. 1. 1089 Sˇuchevycˇ an den Ausschuss, LNNB VR, fond 11, spr. 3, ark. 5.

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Myron Korduba, die zu Hrusˇevs’kyjs ehemaligen Schülern zählten.1090 Dnistrjans’kyjs Fehlen auf dieser Liste darf als Indikator dafür gelten, dass er sich aus der Vereinspolitik weitgehend zurückgezogen hatte und sich nur mehr für die statistische Kommission engagierte, die eine wichtige Synergie zu seiner politischen Tätigkeit darstellte. Nach weiteren erhitzten Diskussionen ist der Ausschluss 1909 letztlich zurückgenommen worden, das Vereinsklima blieb aber nachhaltig vergiftet. Die jüngere Opposition, einschließlich einiger Schüler des Präsidenten, näherte sich der älteren Generation deutlich an. Hierdurch veränderte sich Hrusˇevs’kyjs Stellung in Galizien nun entscheidend. Konnte er sich bei den vorherigen Konflikten noch auf loyale und in der Vereinspolitik erfahrene Kollegen verlassen, die bestmöglich vernetzt waren, fehlte nun dieser Rückhalt. Durch die Verlegung des LNV nahm er seinen wichtigsten Mitarbeitern, Franko und Hnatjuk, wichtige Einkommensquellen und konnte sich in den Folgejahren nicht mehr auf ihre unbedingte Loyalität verlassen. Franko erkrankte 1908 schwer und war, abseits nötiger Erholungsmaßnahmen, durch die er längere Zeit nicht am Vereinsgeschehen teilnehmen konnte, nicht mehr in der Lage, mit den eigenen Händen zu schreiben; entsprechend war er dauerhaft auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen. Durch Hnatjuks Initiative erhielt er finanzielle Unterstützung durch den NTSˇ.1091 Als Hnatjuk selbst 1910 erkrankte und in seiner Arbeit an den Schreibtisch gebunden war, verlor er seine Anstellung bei der URVS. Seine Reaktion war geprägt von Existenzangst. An seinen Vertrauten Fedir Vovk berichtete er: »Hrusˇevs’kyj führt weiter Krieg gegen mich, allerdings in Etappen […]. Nun warte ich, dass er mir noch die Administration des LNV wegnimmt […].«1092 Ausschlaggebend für eine neuerliche Verschärfung der Verhältnisse im Verein scheinen zunächst öffentliche Diskussionen um die Rolle Galiziens für die ukrainische Nationalbewegung. In Kolumnen, die Hrusˇevs’kyj zwischen 1909 und 1911 erstmals im LNV veröffentlichte, kritisierte er die galizisch-ukrainische Politik für ihre Kompromissbereitschaft mit polnischen Politikern und ihr angeblich mangelndes Bewusstsein über die historische Rolle Galiziens für die ganze Ukraine. 1911 veröffentlichte der NTSˇ diese sieben Essays in einer Bro1090 Protestschreiben vom 18. Oktober 1908, LNNB VR, fond 11, op. 1, spr. 3, ark. 6. 1091 Spendenaufruf zur Unterstützung I. Frankos und seiner Familie, 22. April 1908, L’viv, LNNB VR, fond 22, spr. 768. 1092 Hnatjuk an Vovk, 25. November 1912, LFV, S. 120–122, hier S. 121. Hnatjuks Wahrnehmung der Vereinsgeschichte ist von diesem Wandel geprägt, wenn er die ›goldene Ära‹ auf die Jahre 1898 bis 1907 datiert. Die Posten, die Franko und Hnatjuk im NTSˇ, der URVS und dem Tovarystvo prychyl’nykiv bekleideten, übernahmen jüngere Schüler Hrusˇevs’kyjs. Als engster Vertrauter, der Hnatjuk ersetzen sollte, hat der Historiker Ivan Dzˇydzˇora zu gelten. Über diese Veränderungen berichtete Hnatjuk an Vovk, 15. März 1912, LFV, S. 110–113, hier S. 111; Protokollbuch des Tovarystvo prychyl’nykiv, 1904–1914, DALO, fond 298, op. 1, spr. 3.

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schüre mit dem Titel Nasˇa Poljityka (Unsere Politik).1093 Zunächst ist diese Veröffentlichung offenbar kaum zur Kenntnis genommen oder zumindest nicht allzu sehr skandalisiert worden; selbst der christlich-soziale Ruslan rezensierte die Broschüre nur beiläufig und lobte ihre sorgfältige Gestaltung.1094 Das Dilo veröffentlichte im Dezember 1911 anonyme Glossen zu Hrusˇevs’kyjs Werk, die kurze Zeit darauf als Sammelbroschüre erschienen. Darin heißt es, seine Kritik an der Parteiarbeit wäre weitgehend halt- und faktenlos, während die kleineren Erfolge durch die Kompromissbereitschaft der Politiker durchaus wichtig für die galizischen Ukrainerinnen und Ukrainer wären. Abgesehen von der angeblich unberechtigten Kritik und dem bewussten Übersehen gegenläufiger Parteiinitiativen, kritisierte die Broschüre auch, dass keinerlei positive Gegenvorschläge vorgebracht wurden. Der Tonfall war nicht nur äußerst kritisch, sondern auch durchaus sarkastisch und von persönlichen Vorwürfen der »Selbstreklame«1095 und der »Kontrollsucht«1096 über die ukrainische Nationalbewegung geprägt. Mit ihren persönlichen Angriffen lösten die Glossen deshalb einen handfesten Skandal aus,1097 denn trotz der skizzierten Meinungsverschiedenheiten blieb der ›Herr Professor‹ ein wichtiger Intellektueller in Galizien, der, obwohl er sich zunehmend selbst marginalisierte, eine gewichtige Stimme in vielen Kreisen behielt. Dies führte zu regen Spekulationen über die möglichen Autoren. Vor allem anhand von Briefwechseln konnte mittlerweile gesichert nachvollzogen werden, dass Tomasˇivs’kyj dieses Werk verfasste, während er selbst in den Archiven des Vatikans arbeitete und damit in ›sicherer Distanz‹ zu den galizischen Geschehnissen verweilte.1098 Die Motivation zur Veröffentlichung der Glossen ist erst anhand Tomasˇivs’kyjs weiterem Vorgehen nachvollziehbar. Nach seiner Rückkehr aus dem Vatikan im Januar 1912 begann er offenbar, Gesinnungsgenossen unter den Vereinsmitgliedern zu suchen, die bereit waren, gegen Hrusˇevs’kyj zu opponieren.1099 Die Glossen sollten ihn öffentlich demontieren und seine Stellung auch vereinsintern schädigen, um ihn angreifbarer zu machen, mehr noch als er es im Jahr 1904 war. Ob Tomasˇivs’kyj sich wirklich an Hrusˇevs’kyjs Haltung zur Politik der UNDP stieß oder die Kritik nur ein willkommenes Mittel war, um die ›traditionelle Hrusˇevs’kyj 1911. Vynar / Psˇenycˇnyj 2003, S. 6. Tomasˇivs’kyj 2003, S. 142. Ebd., S. 144. Vynar / Psˇenycˇnyj 2003, S. 11. Vorläufiger Rechenschaftsbericht zur Forschung in den Archiven des Vatikans, Chronika NTSˇ 50 (1912), S. 15–17; Vynar / Psˇenycˇnyj 2003, S. 13–17. V. Dorosˇenko informierte Hrusˇevs’kyj Ende Dezember 1911 darüber, dass er Tomasˇivs’kyj für den Autoren hielt, während er zeitgleich über die »rein ruthenische Kritik« der Broschüre spottete. V. Dorosˇenko an Hrusˇevs’kyj, 25. Dezember 1911, LMH, t. 2, S. 252f. 1099 Vynar 2006, S. 100f. 1093 1094 1095 1096 1097 1098

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Opposition‹ um die Konservativen und die UNDP-Mitglieder Dnistrjans’kyj und Kost’ Levyc’kyj für sein Vorgehen zu vereinnahmen, ist nicht zu klären. Die Glossen sind als strategisches Manöver für seine Ambitionen, die Vereinsleitung zu übernehmen, zu verstehen. Der kritische Termin für seinen Plan war die Generalversammlung des NTSˇ am 29. Juni 1913. Zuvor ist eine anonyme Broschüre gedruckt worden, die sich mit Hrusˇevs’kyjs Verhalten im Verein seit seiner Ankunft in Lemberg befasste, wobei sie als geheim und nur für den vereinsinternen Gebrauch vor der Versammlung ausgewiesen ist. Darin verschärften die Beschwerdeführer die früheren Vorwürfe um das despotische Verhalten und die autokratische Vereinsführung, besonders aber suchten sie, eine rigorose persönliche Bereicherung Hrusˇevs’kyjs an Vereinsgeldern nachzuweisen. Auch wenn sich, etwa bezüglich der Handhabung der URVS, zumindest moralische Ungereimtheiten nachweisen lassen, darf der Vorwurf, er hätte sich in den letzten 17 Jahren um rund 100.000 Kronen bereichert, angesichts der stets prekären finanziellen Situation des Vereins als haltlos gelten.1100 Hrusˇevs’kyj ist diese Broschüre erst kurz vor der Sitzung übergeben worden; entsetzt über den Inhalt erwartete er, ›volle Satisfaktion‹ für diesen Angriff zu erhalten. Ihm ist nicht nur dieser Wunsch verwehrt worden; auch seine Wiederwahl ist erst nach drittem Durchgang und mit schlechtem Wahlergebnis bestätigt worden, während sich der Rest des Ausschusses aus seinen Gegnern zusammensetzte.1101 Unmittelbar ist beschlossen worden, das Statut zeitnah verändern zu wollen, wobei rasch ein Projekt vorgelegt wurde, das dem Alternativvorschlag von Dnistrjans’kyj und Kollegen aus dem Jahr 1903 stark ähnelte und die Organisation eines ›wissenschaftlichen Rats‹ als Schlichtungs- und Appellationsinstanz vorsah. Außerdem wurde darin beabsichtigt, die Rechte auswärtiger Mitglieder zu beschränken und gleichzeitig auch Vereinsmitgliedern aus anderen Städten der Habsburgermonarchie ein briefliches Stimmrecht zu verleihen.1102 Hrusˇevs’kyj fühlte sich hingegen nicht in der Lage, mit diesem ihm ›feindlich‹ gesinnten Ausschuss zu arbeiten und verkündete im Oktober 1913 brieflich seine Resignation von allen Verpflichtungen der Vereinsleitung.1103

1100 Pered Zahal’nymy zboramy Naukovoho tovarystvo im. Sˇevcˇenka, 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8, ark. 1–8. Selbst Vovk, der sich inzwischen von Hrusˇevs’kyj distanziert hatte, empörte sich in einem Brief an Hnatjuk (4. August 1913, LFV, S. 134–136, hier S. 135) über die allzu persönlichen Angriffe. 1101 Protokoll der Generalversammlung vom 29. Juni 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 31, ark. 46–48; Vynar 2006, ark. 102–116. 1102 Statutenprojekt 1913, in unterschiedlichen Fassungen und Arbeitsstadien, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 12; zur letztendlich zirkulierten Fassung CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 80, ark. 6–13zv. 1103 Hrusˇevs’kyj an den Vereinsausschuss, 28. Oktober 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 405, ark. 1.

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Die ukrainische Presse war regional gespalten. Auf die schriftliche Ankündigung der Statutenänderung, verbunden mit der Bitte um Kommentare und Vorschläge der Vereinsmitglieder,1104 reagierten vor allem die russländischen Mitglieder empört. Serhij Jevremov (1876–1939), ein Kiewer Publizist aus dem ˇ ykalenkos, polemisierte dagegen in der Kiewer ukrainischen Zeitung Umfeld C Rada.1105 Dmytro Dorosˇenko setzte sich nicht mit der Opposition auseinander, sondern verfasste im selben Blatt eine Lobrede auf Hrusˇevs’kyj.1106 Galizische Akteure erachteten eine Statutenreform für unbedingt notwendig. In einer Polemik mit Jefremov verwies Rudnyc’kyj darauf, dass die auswärtigen Mitglieder überhaupt nicht mit den Verhältnissen im Verein vertraut wären, zumal sie am lokalen Vereinsgeschehen nicht partizipierten.1107 Eine intermediäre Position nahm Franko ein, der sich zwar entschieden gegen unwahre und überzogene Vorwürfe aussprach, doch die Ambitionen des neuen Statuts öffentlich rechtfertigte.1108 Um Hrusˇevs’kyjs Position – und damit auch die eigene – im Verein zu sichern, verfassten 15 wirkliche Mitglieder aus dem Zarenreich, vornehmlich aus Kiew, ein Protestschreiben, in dem sie mit ihrem bedingungslosen Austritt drohten, sollte Hrusˇevs’kyj keine Entschuldigung erhalten und nicht auf den Posten des Präsidenten zurückberufen werden.1109 Um letztlich die Wogen zu glätten, reisten drei Delegierte dieser Fraktion zur außerordentlichen Generalversammlung nach Lemberg. Aufschlussreich ist ein längerer Tagebucheintrag ˇ ykalenkos, der dieses Vorhaben organisierte. Im Vorfeld der GeneralverC sammlung diskutierten die Delegierten mit UNDP-Parteichef Kost’ Levyc’kyj über die Geschehnisse, der sie zu schlichtenden Gesprächen einlud. In einem weiteren Treffen mit UNDP-Abgeordneten stellte sich heraus, dass diese an einem Zerwürfnis mit den russländischen Ukrainerinnen und Ukrainern, auch in Hinsicht auf die kommenden Landtagswahlen, keineswegs interessiert waren. ˇ ykalenko und Kollegen wurden daher eingeladen, ihren Standpunkt auf der C folgenden UNDP-Versammlung darzulegen und zu diskutieren. Zur Versammlung kamen zahlreiche Mitglieder der Opposition, moderate wie harsche Kriti1104 Rundschreiben bezüglich der Statutenänderung, 29. Oktober 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 213, ark. 48. 1105 CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8, 16–19. 1106 Ebd., ark. 15; V spravi zminy statutu Naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka u L’vovi, ebd., ark. 20–23. Vgl. auch die zahlreichen individuellen Reaktionen auf das Rundschreiben, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 213. 1107 Zunächst reagierte Tomasˇivs’kyj auf Jefremov mit einem Leserbrief in der Rada, Rudnyc’kyj unterstützte ihn dabei mit zwei Artikeln im Dilo. CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8, ark. 10–13zv. 1108 Franko, Ivan: Neporozuminnja v spravi zminy statuta Nauk. tov. im. Sˇevcˇenka u L’vovi [aus: Dilo, 25. Dezember 1913], abgedruckt in Vynar 2006, S. 358–360. 1109 V spravi zminy statutu Naukovoho tovarystva imeny Sˇevcˇenka u L’vovi, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8, ark. 20–23.

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ker. Während die Haltung der Delegation von Dnistrjans’kyj und Sˇuchevycˇ abgelehnt wurde, überzeugte sie die Versammlung mehrheitlich von ihrer Position, so dass eine gemeinsame Resolution die Generalversammlung des NTSˇ ersuchte, sich im Namen des Vereins bei Hrusˇevs’kyj zu entschuldigen und ihn zur Rückkehr zu bewegen. Hrusˇevs’kyj agierte als entscheidende Schnittstelle wissenschaftlicher Netzwerke zwischen Galizien und der russländischen Ukraine, deshalb teilten die betreffenden Mitglieder im Zarenreich vor allem seine Perspektive, wenn sie nicht wie Vovk oder Kryms’kyj individuelle Bezugspersonen hatten, die ihnen näherstanden und individuelle Blickwinkel auf das galizische Geschehen eröffneten. Sˇuchevycˇ verbalisierte diese entscheidende Funktion (nach der Wiederˇ ykalenkos) folgendermaßen: »[…] bevor Hrusˇevs’kyj in Lemberg war, gabe C verbanden sich die Galizier selbstständig mit der Ukraine, und die Ukrainer besuchten ihn [Sˇuchevycˇ, M. R.] in seinem Haus in Lemberg, doch als Hrusˇevs’kyj kam, gerieten all diese Beziehungen mit der Ukraine in seine Hände.«1110 ˇ ykalenko hielt dem entgegen, dass der Vereinspräsident die vertretende C Funktion keineswegs eigenmächtig ausführte, sondern vor allem seitens der Kiewer Intelligenz als ihr ›Gesandter‹ in Galizien betrachtet worden wäre. Dieses Bild erscheint jedoch nur in den Auseinandersetzungen der führenden Figuren der Konfliktparteien schwarz–weiß. Im privaten Gespräch mit moderaten Anˇ ykalenko heraus, dass die meisten seiner galihängern der Opposition stellte C zischen Gesprächspartner keine prinzipiellen Einwände gegen diese Funktion hatten, sondern sich lediglich gegen die bisher gängige Praxis verwehrten, dass Stimmen an zum Teil persönlich unbekannte Mitglieder blind übertragen wurden, wodurch die Mehrheitsentscheidungen verfälscht worden wären. Überdies erklärte ihm Rudnyc’kyj in einem Privatgespräch, dass die Redakteure des Dilo seine Kritik derart überarbeitet hätten, dass er selbst den veröffentlichten Artikel kaum noch als den seinen erkannt hätte. Nur dadurch wären die Missverständnisse entstanden. Rudnyc’kyj war es auch, der die gemeinsame Resolution auf der außerordentlichen Generalversammlung verlas, die nur von Pavlyk offen ˇ ykalenko und die galizischen Geangefochten wurde. Außerdem zeigten C sprächspartner auf, dass es sich bei den harschen Kritikern nur um eine geringe Anzahl aktiver Mitarbeiter aus Lemberg handelte, während die galizischen Mitglieder außerhalb Lembergs geschlossen hinter Hrusˇevs’kyj stünden, weil sie keine geeignete Alternative für seine Funktion sehen würden.1111 Diese Episoden führen zu zwei Korrekturen früherer Forschungspositionen: Levyc’kyj war zwar eine zentrale Figur des ukrainischen politischen Lebens in

ˇ ykalenko 2011, S. 299. 1110 C 1111 Ebd., S. 300–303.

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Galizien, aber in diesem Zeitraum kein Oppositionsführer im NTSˇ.1112 Die Verabsolutierung prominent geäußerter Positionen und der ›Hrusˇevs’kyj-Zentrismus‹ in der Historiographie führten dazu, dass ein Großteil der Mitglieder im Rahmen der Vereinsgeschichte als zweitranging behandelt wird. Während viele von ihnen in den verfügbaren Quellen schwer greifbar sind, zeigen Tagebuchˇ ykalenkos durchaus differenzierte Positionen auf. Klärende Gespräche einträge C kamen während der gesamten Zeit offenbar nicht zustande und scheiterten an individuellen Beziehungen. Auf Makroerscheinungen wie ideologische Differenzen zwischen der West- und Ostukraine, die Hrusˇevs’kyj selbst mitproduzierte,1113 lassen sich Schwierigkeiten nicht allein zurückführen; auch wenn sich Wissenschaftler oft regional verankerten, sahen sie sich als Teil einer transimperialen ukrainischen Elite, die teils besser, teils schlechter in die entsprechenden Netzwerke eingebunden war. Die Verbindungen und der Kommunikationsfluss dürfen neben der schwierigen Persönlichkeit der zentralen Integrationsfigur als Hauptursachen des Konflikts gelten. Auf der außerordentlichen Generalversammlung 1913 wurde Hrusˇevs’kyj gebeten, sein Amt als Vorsitzender weiter auszuführen. Erneut resignierte er brieflich.1114 Während er nominell weiterhin den Vorsitz hielt, handelte Tomasˇivs’kyj als gewählter Stellvertreter de facto als Vereinspräsident. Zur Statutenreform kam es nicht. Die massenhafte Aufnahme neuer wirklicher Mitglieder, vor allem auch ›ausländischer Mitglieder‹, die nun als gesonderte Kategorie geführt wurden (Anhang III), gehören zu den sichtbarsten Maßnahmen der neuen Administration. Sie sollten die nationale wie internationale Relevanz des Vereins steigern. Darüber hinaus veränderten sich auch die Zapysky NTSˇ unter der neuen Herausgeberschaft.1115 Hrycak resümiert, der Konflikt hätte keinerlei positive Veränderungen nach sich gezogen, zumal auch das neue Statutenprojekt nicht umgesetzt und der ›wissenschaftliche Rat‹ als Vereinsorgan erst 1938 eingerichtet wurde.1116 Der Tenor der populären wie wissenschaftlichen Vereinsgeschichten, die die Zeit von Hrusˇevs’kyjs Präsidentschaft als ›goldene Ära‹ betrachten, stimmt dieser Posi1112 Das hatte bspw. Prymak (1987, S. 43) angenommen. 1113 Hrusˇevs’kyj 1906, Halycˇyna. 1114 Hrusˇevs’kyj an den Vereinsausschuss, 28. Dezember 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 405, ark. 7–7zv. 1115 Während etwa Vovk lobende Worte im Vergleich zu den Ausgaben unter Hrusˇevs’kyjs Redaktion fand, erschien 1914 nur ein Band. Eine doppelbändige Sonderausgabe, die dem Sˇevcˇenko-Jubiläum gewidmet war, verzögerte sich durch den Kriegsausbruch bis 1917. Angesichts dessen scheint es kaum sinnvoll, diese kurzfristige Transformation zu evaluieren, zumal sie von der Umbruchphase des Führungswechsels geprägt war und über die Vereinstätigkeit kein Jahresbericht mehr vorgelegt wurde. Zapysky NTSˇ CXXI (1914); Zapysky NTSˇ CXIX–CXX (1917); Vovk an Hnatjuk, 28. Mai 1914, LFV, S. 154–157, hier S. 156. 1116 Hrycak 1992, S. 332.

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Zwischen ideologischen und persönlichen Konflikten: Das NTSˇ bis 1914

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tion folgerichtig zu.1117 Letztlich muss jedoch eine Diskussion dieser These dahingehend als wenig fruchtbar gelten, als dass die kurze Zeit bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kaum genügte, um neu gesetzte Akzente in der wissenschaftlichen Arbeit zu bemerken. Zu den Veränderungen gehörte, dass zunächst die Naturwissenschaften einen höheren Stellenwert erhielten – Rudnyc’kyj und Rakovs’kyj wurden leitende Akteure im neuen Verein. Außerdem unterstrich Tomasˇivs’kyj bei seiner Rede zum vereinsinternen Sˇevcˇenko-Fest im März 1914, dass »wissenschaftliche Forschungen in allen Feldern menschlichen Wissens«, wie es auch das Vereinsstatut akzentuierte, die Angelegenheit der »selbstständigen Nation«1118 sein müsste. Damit vertrat er eine Idee von ›nationaler Wissenschaft‹, die nicht mehr deckungsgleich mit Ukrajinoznavstvo war. Die Vereinsgeschichte in der Zwischenkriegszeit sieht ebenso eine stärkere Hinwendung zu Naturwissenschaften; allerdings erlaubt auch diese Phase keine derartige Schlussfolgerung über den Wandel nach Hrusˇevs’kyjs Weggang, zumal sich die politische Stellung des Vereins in der polnischen Republik derart veränderte, dass die Umstände mit der Vorkriegszeit nicht sinnvoll zu vergleichen sind. Insgesamt konnte durch die Betrachtung kollektiver und persönlicher Beziehungen, die der Vereinsreform folgten, gezeigt werden, dass die Etablierung eines transimperialen »ukrainischen Piemonts« in Galizien, wie die Nationalhistoriographie im Anschluss an Hrusˇevs’kyjs eigene Begriffsprägung postuliert, keineswegs selbstverständlich, sondern mit zahlreichen Fallstricken verbunden war. Das bedeutet nicht, dass gemeinsame Ziele und Ideale nicht auch sektoral zum produktiven Auskommen zwischen dem Vereinspräsidenten und konservativen älteren sowie jüngeren (politischen) Eliten führten. Das Gegenteil wurde am Beispiel der Hochschulpolitik demonstriert. Aus der Darstellung geht aber umso deutlicher hervor, dass die Bildung einer Hrusˇevs’kyj zugeneigten, ukrainisch-national gesinnten community zentral für die Realisierung eben seiner Projekte war. Einerseits zeigt das der mittelfristige Zusammenhalt seiner ›Familie‹ im Verein; andererseits deutet sich gerade mit dem Entstehen der ›zweiten‹ und deutlich jüngeren ›Familie‹ an, dass die (ideologische wie auch wissenschaftliche) Förderung und Integration einer jüngeren Generation von Forschenden ein zentraler Programmpunkt des Vereinspräsidenten sein musste. Das betraf sowohl die vereinsinterne Machtpolitik als auch die Realisierbarkeit wissenschaftlicher Projekte und die Einführung neuer Vereinsinstitutionen. Der Brückenschlag zu wissenschaftlichen Eliten und dem ukrainischen Nachwuchs 1117 Allerdings liegt der Verdacht einer gewissen Doppelzüngigkeit nahe, wenn dieselben Geschichten den Verein durch seine bekannten Mitglieder aus der internationalen Wissenschaft zu rühmen suchen, die erst nach der Vereinskrise durch den neuen Ausschuss aufgenommen wurden. Das betrifft zum Beispiel Kucˇer 1992, S. 31, wobei das lobpreisende Vorwort von Oleh Romaniv verfasst wurde; ebd., S. 3. Vgl. auch Romaniv 2003, S. 19. 1118 Chronika NTSˇ 58–59 (1914), S. 24.

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Vereinsagenda: ›Nationale Wissenschaft‹

aus dem Zarenreich blieb eine virulente Frage, die nicht nur das kulturelle Vereinsleben, sondern auch Möglichkeiten und Grenzen der Forschung und Institutionenbildung betraf. Zur Wissenskultur der Vereinsleitung und jenen, die ihr ideologisch folgten – und hierzu konnten trotz aller internen Querelen der Vorkriegszeit spätestens mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch zahlreiche konservativere Kräfte zählen – ist nun festzuhalten, dass ein primordialistisches Nationsbild der Ukraine bzw. ihres imagined territory der zentrale Bezugspunkt blieb. Die Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa als Abgrenzung zu Russland sollte axiomatisch werden; um dieses Faktum bestätigen zu lassen, maß die Vereinsleitung der transnationalen Wissenskommunikation bisweilen eine zentralere Rolle als der nationalen zu, trotzdem stand die Publikation in ukrainischer Sprache im Vordergrund. Dieser scheinbare Widerspruch wurde dadurch aufgelöst, dass die Potenz des Ukrainischen als Wissenschaftssprache als Grundbedingung für die Einstufung als vollwertige Nation betrachtet worden ist und ebendiese demonstriert werden sollte. Im Rückgriff auf die Ausführungen zu den Vereinsmitgliedern ist hervorzuheben, dass es sich um eine rein männliche Wissenschaft handelte, denn auch wenn Frauen gelegentlichen in unterstützenden Funktionen auftraten und gar Möglichkeiten nutzten, neue populärwissenschaftliche Initiativen anzuregen, konnten sie sich dennoch nicht in die Wissenskultur oder die Forschungsagenda des Vereines einschreiben.

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Teil II: Galizien erforschen, Ukraine machen

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6.

Vom Grenzraum zum ethnographischen Territorium

»[D]ie Karpaten […] sind dem ukrainischen Herz am teuersten. Denn sie sind die einzige Berglandschaft, die das ukrainische Volk von alters her bewohnt. Ein ganzes Drittel des großen Karpatenbogens besetzt das ukrainische Volk seit den frühesten Zeiten. Das karpatische Hochland umarmt die gesamte ungarische Ukraine und die südlichen Streifen der Länder Galiziens und der Bukowina.«1119 Stepan Rudnyc’kyj, 1919

Rudnyc’kyj war ein Gebirgs- und Exkursionsenthusiast. Als Forscher widmete er sich der Geomorphologie der Ostkarpaten, seinen Urlaub verbrachte er mit Vorliebe in den Bergen. Als Redner vor Jugendgruppen räumte er physischer Ertüchtigung, vorzugsweise in der Natur, größte Bedeutung ein.1120 Als Pädagoge plädierte er dafür, »im kindlichen Herzen Sympathie zu seiner Natur [der des Heimatlandes, M. R.]«1121 durch geographische Exkursionen zu wecken. Exkursionen und die verschiedenen Notationstechniken während derselben waren ein zentraler Bestandteil der Wiener Geographischen Schule, die auch Rudnyc’kyj besuchte.1122 Sein Lehrer und Vertrauter, der einflussreiche Geograph Albrecht Penck (1858–1945),1123 lehrte während seiner geographischen Exkursionen einen kritischen Blick auf geomorphologische Erscheinungen und die begründete Diskussion der individuellen Beobachtung. Eine solch kritische Haltung gestattete der deutschnationale Geograph seinen Studierenden hingegen kaum hinsichtlich der Erörterung nationaler Fragen. Angehenden Geographielehrern gegenüber betonte er, dass Patriotismus de facto ihre Berufsaufgabe wäre.1124 Rudnyc’kyj übernahm diese Positionen mit Bezug auf die Lehre der ukrainischen Geographie.1125 Damit trugen die Akademiker vorgefertigte nationale Positionen in die Feldforschung und bezeugten damit die Verflechtungen zwischen Orten der Wissensproduktion: Hörsaal, Studierstube und Feld. Zentral für ›nationale Geographie‹ waren nicht nur ›kulturgeographische‹ und ethnographische Aspekte, sondern auch ›natürliche‹ Landschaften als Grenzlandschaften. Als emotional aufgeladener, historisch mythisierter und territorial umstrittener Rudnyc’kyj 1919, Pocˇatkova geografija dlja narodnich ˇskil, S. 143. Sˇtojko 1997, S. 31. Ebd., S. 111. Matrikel Dr. Stefan Rudnicki, Archiv der Universität Wien, Phil. Nat. 227, Nationale der Philosophischen Fakultät, Sommersemester 1904, P-R, S. 276f. 1123 Zu Penck Henniges 2017. 1124 Henniges 2014. 1125 Rudnyc’kyj 1905, Nynjisˇnja heohrafiia.

1119 1120 1121 1122

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Vom Grenzraum zum ethnographischen Territorium

Grenzraum kam den ruthenisch-ukrainisch besiedelten Ostkarpaten eine hervorgehobene Position für die ›nationale Wissenschaft‹ zu: als Raum des Urlaubs und der Erholung Intellektueller, als Objekt wissenschaftlicher Forschung und als Interaktionsraum forschender Wissenschaftler mit der Lokalbevölkerung. Geographen bedienten sich der Fixierung vermeintlich natürlicher Grenzen, um Argumente für die Abgrenzung von Territorien zu liefern, die nicht nur ein historisches oder prähistorisches, sondern sogar ein geologisches Alter aufwiesen.1126 Aus Perspektive der österreichischen Geographie erwies sich Galizien aufgrund des Karpatengebirges als »geographisches Integrationsproblem«1127, das sich nur durch geopolitische Argumentation auflösen ließ. Rudnyc’kyj erforschte die Geomorphologie der podolischen Platte, die im Westen durch die Ostkarpaten begrenzt war. Sie schloss den östlich davon gelegenen Teil Galiziens, die Nordbukowina und Grenzgebiete der russländischen ukrainischen Länder, einschließlich eines wesentlichen Teils Wolhyniens, mit ein. Basierend auf Forschungsreisen, die er zwischen 1906 und 1911 unternahm, beschrieb Rudnyc’kyj die Geomorphologie der podolischen Platte in monographischer Länge, ohne dabei nationale Motive jedweder Art durchscheinen zu lassen.1128 In populären geographischen Werken wie seiner deutschsprachigen Landeskunde von 1916 nutzte er seine Forschungsergebnisse, um die podolische Platte als integralen Bestandteil der ›ukrainischen Platten‹ zu beschreiben, die wiederum eine geschlossene, zusammengehörige Landschaft bilden würden.1129 Die Ostkarpaten figurierten damit als bedeutsame Grenzlandschaft des Nationalterritoriums. Eine Herausforderung dieser Deutung war jedoch gleichsam die »Durchlässigkeit« der Karpaten, die Rudnyc’kyj positiv zu besetzen suchte. Wie die ukrainischen Flussverbindungen gen Westen galt ihm das durchlässige Gebirge als direkter Beleg für die Nähe der westlichen Ukraine (d. h. westlich des Dnipro) – die er im Allgemeinen in Osteuropa verortete – zu ›Mitteleuropa‹.1130 Zeitgenössische Kritiker interpretierten diese Durchlässigkeit beruhend auf Penck dahingehend, es hätte sich um keine echte ›natürliche Grenze‹ gehandelt.1131 Deshalb scheint es aus Rudnyc’kyjs Perspektive umso relevanter, diese Durchlässigkeit positiv zu besetzen. Gleichsam bot das Konzept des ›Durchgangslandes‹ die Möglichkeiten, einerseits ein nationales Opfernarrativ zu begründen und andererseits breit gedachte ›Grenzlandschaften‹ und Übergangsgebiete anstatt klarer ›natürlicher Grenzen‹ zu apostrophieren. Nicht nur Rudnyc’kyj war von dieser zentralen 1126 Scharr 2012; Proto 2017 zum Disput um die Alpenwasserscheide als Grenze zwischen Österreich und Italien. 1127 Wöller 2010. 1128 Rudnyc’kyj 1907; Rudnyc’kyj 1913. 1129 Rudnyc´kyj 1916, Ukraina, S. 41–59. 1130 Rudnyzkyj 1916, Zur politischen Geographie, S. 36. 1131 Sujkowski 1916.

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Bedeutung der Karpaten für die Ukraine überzeugt. Tomasˇivs’kyj verbalisierte sie als geographisches Ordnungskonzept seiner historischen Arbeit; er beschrieb die Karpaten als »natürliches Skelett«, um das die »Völker Mittel- und Osteuropas« ihre Staaten bildeten, womit er der Landschaft historisch-politische Bedeutung zuschrieb.1132 Angesichts ihrer Durchlässigkeit scheinen die Karpaten als ein Grenzraum zwischen verschiedenen räumlichen Konzepten und vermeintlichen ›Kulturgrenzen‹ auf, mit Blick auf die noch zu diskutierende ethnographische Diversität aber gerade deshalb als ein Raum, der von kultureller Vielfalt geprägt war. Wie dieser Aufriss zu ukrainischen Karpatendiskursen gezeigt hat, war er wesentlich vom transnationalen wissenschaftlichen Austausch geprägt, aber auch von den Versuchen, eine spezifisch ukrainische Variante als objektives Deutungsangebot durchzusetzen. Diese Makrointerpretationen hatten sich aber auf lokal generiertes Wissen zu berufen. Als roter Faden dieses Kapitels dient das Zusammenspiel zwischen einer transnational verflochtenen ›nationalen Wissenschaft‹ und dem lokalen Wissen – bzw. den Personen, die es trugen – im Feld. Dies wird sich besonders anhand der Forschungen Fedir Vovks zeigen, der seine anthropometrischen Untersuchungen im Labor der Pariser École d’anthropologie konzipierte und die gesammelten Daten erst dort und später in St. Petersburg auswertete. Das NTSˇ selbst unterhielt bis zur Zwischenkriegszeit kein eigenes Labor, dennoch wurden die im Unterrichtssaal oder dem Arbeitszimmer erarbeitete Kategorien ins Feld getragen und strukturierten die spätere Erkenntnis bereits vor.1133 Das lässt sich hinsichtlich der wissenschaftlichen Methodik der konkreten Forschung verstehen, aber auch hinsichtlich der Perpetuierung eines nationalen Vorverständnisses hinsichtlich der zu erforschenden Menschen und Landschaften. Dies war beeinflusst von der ›Genealogie nationaler Wissenschaften‹, dem Einfluss jüngster wegweisender Forschungen sowohl der nationalen als auch der fachlichen community und damit durch die Teilnahme an europäischen Diskursen. Diese hatten durch Zirkulationsprozesse ihre lokale Ausprägung gefunden. Das ›eigene‹, ungeteilte Nationalterritorium als Kriterium nationaler Existenz – in der Logik europäischer wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Diskurse – war nicht nur Voraussetzung einer ›Nation‹, sondern in seinen Grundzügen auch nie Gegenstand ernsthafter wissenschaftlicher Revision. Umrisse des Nationalterritoriums übernahm das NTSˇ nahtlos und unverändert von der Hromada und der Südwestlichen Abteilung. Wissensgenerierung im Feld war von disziplinären Methoden abhängig, die zunehmend durch technische Möglichkeiten erweitert wurden. Naturwissenschaftliche Objektivität, verstanden als die Möglichkeit einer exakten Abbildung 1132 Tomasˇivs’kyj 1909, S. 1. 1133 Köchy 2017.

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und Erfassung des Raumes, war von moderner Technik wie Fotoapparaten und Messgeräten geprägt. Eine solche naturwissenschaftliche Objektivität suchten die Forschenden auch in ethnographische und anthropologische Disziplinen zu importieren. Selbst die Musik- und Folkloreforschung war durch den Phonographen geprägt, der durch mehrmaliges Hören eine erhöhte Genauigkeit in der Notation ermöglichen sollte.1134 Standards der europäischen Wissenschaft galten der ukrainischen Wissenschaft auch in diesem Bereich maßgebend. Für ethnologische Forschungen war der Beobachter – und sicherlich auch der Phonograph als technische Innovation – eine »Quelle von Zwang«, dessen »Anwesenheit […] notwendig verändernden Einfluss auf das Verhalten von Menschen« ausübt, ein relevanter Faktor.1135 Das langsame Diktieren folkloristischer Texte, das die Ethnographen des NTSˇ als erforderliche Maßnahme zur akkuraten Erfassung dialektaler Aussprache verlangten,1136 ist ein eingängiges Beispiel. Inwiefern etwa die ethnographische Beobachtung von Hochzeitszeremonien diese letztlich veränderte, kann angesichts der Quellenlage höchstens Gegenstand von Spekulationen sein. Deutlich wird diese Tendenz beim Anfertigen anthropologischer Fotografien, für die sich die betroffenen Menschen zumeist in Profil- und Halbprofilansichten ablichten ließen, nicht selten auch in ethnographischen Kostümierungen, die in den hier thematisierten Regionen eher Sonntags- als Alltagskleidung gewesen sein dürfte.1137 Doch nicht nur vorgefertigte Methoden und Wissensformationen der Wissenschaftler waren ausschlaggebend für den Forschungsprozess. Für die ethnographischen und folkloristischen Feldstudien war lokales Wissen unmittelbar relevant. Wissenschaftler konnten ihrer Tätigkeit nur mit der Unterstützung von lokalen Experten – intermediaries – nachgehen, die mittels ihres lokalen Wissens die Möglichkeiten zur Forschung kommunizierten, die Organisation unterstützten, Vermittlungsarbeit zwischen der Lokalbevölkerung und den Forschenden leisteten und bei der Übersetzung dialektaler Begriffe behilflich waren.1138 ›Nationale Wissenschaftler‹ gewichteten lokales Wissen, indem sie seine Bedeutung für die Region einordneten. Dabei waren sich einige von ihnen durchaus bewusst, dass die Diskrepanz zwischen lokalem Brauchtum auch einander nahegelegener Ortschaften kaum zulässt, lokale Diagnosen auf eine re-

1134 1135 1136 1137

LNV, t. 17, 1902, S. 78. Dovhaljuk 2016; Gauß 2009. Köchy 2017, S. 263. LNV, t. 8, 1899, S. 176–178. Edwards 1992; Abb. 6; vgl. auch die Abbildungen in Franko 1905, Eine ethnologische Expedition und Vovk 1908. 1138 Franko 1905, Eine ethnologische Expedition. Die Herausgeber haben in ihren FolkloreEditionen nie Quellen für dialektale Ergänzungen gegeben, deduktiv lässt sich jedoch auf lokale Kontakte schließen. EZ III, 1897, S. XIV–XX.

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gionale Ebene zu heben.1139 Diese Tendenz findet sich in einer Kritik Ivan Frankos an Volodymyr Sˇuchevycˇs Serie Hucul’sˇˇcyna (wörtlich: Huzulen-Land), in der dieser lokales Wissen aus einem einzelnen Dorf derart überbetonte.1140 Die hucul’sˇcˇyna war gemeinsam mit der bojkivsˇcˇyna (Bojken-Land) und der lemkivsˇcˇyna (Lemken-Land) eine der zentralen Grenzlandschaften im Westen des von Wissenschaftlern konstruierten ukrainischen Nationalterritoriums. Die ethnographisch konstruierten Mehrheitsbevölkerungen dieser Karpatenregionen dienten als namengebende Gruppen ethnographischer Subregionen. Das Brauchtum dieser Gruppen, ihre vielfältigen Dialekte, Volkstrachten und ihre reiche Folklore galten als definierende Elemente der gesamten Region, während die Wissenschaftler sie alle unter einem ukrainisch-ruthenischen Narrativ zu vereinigen suchten. Als Bevölkerung der Ostbeskiden um Nowy Sa˛cz/Novyj Soncˇ/Neu-Sandez (Lemkinnen und Lemken), der Waldkarpaten (Bojkinnen und ˇ eremosˇ Bojken) und den östlichen Waldkarpaten mit den Tälern von Pruth und C im Grenzgebiet zwischen Nordost-Ungarn, Ostgalizien und der Bukowina (Huzulinnen und Huzulen) kam diesen Gruppen besondere Bedeutung in der ukrainisch-nationalen Imagination zu, wie dieses Kapitel anhand der Rhetorik um Grenzen, Abgrenzungen und Übergänge zeigen wird. Ähnlich war die Darstellung der ruthenischen Bevölkerung Ungarns in Abgrenzung zu slowakischsprachigen Anwohnerinnen und Anwohnern der Region. Lemkinnen und Lemken wurde ebenso die Nähe zur benachbarten slowakischen Bevölkerung nachgesagt; sie galten als »Grenzruthenen«1141 par excellence.

6.1

Gebirgskultur im Dorf

Die erforschten Räume wurden nicht nur im städtischen oder akademischen Kontext repräsentiert, sie veränderten sich auch selbst – mitunter äußerst langfristig – durch die Interaktion mit dem NTSˇ. Dies betrifft nicht nur einzelne Personen, wie den mehrfach herangezogenen Geistlichen Zubryc’kyj aus Msˇanec’, sondern auch ganze Ortschaften. In diesem Zusammenhang stelle ich die These auf, dass Volodymyr Hnatjuk maßgeblich zur ›Erfindung‹ des huzulischen Dorfs Kryvorivnja, gelegen im Rajon Verchovyna der heutigen ukrainischen Oblast’ Ivano-Frankivs’k, beitrug. Der Ethnograph und Vereinssekretär, der seinen Sommerurlaub regelmäßig in dem Ort verbrachte, hat durch seine so1139 Gleichfalls war die Nationalbewegung in den ländlichen Regionen Ostgaliziens kaum so stark, alternative Angebote zu verdrängen. Dies belegt die Koexistenz der russophilen Bewegung, die auf Landes- oder Staatsebene zwar weniger repräsentiert war, aber regional weiterhin relevant blieb. Zayarnyuk 2010. 1140 Franko 1902. 1141 Barwinski 1898, S. 387.

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zialen Netzwerke, d. h. durch seine Freunde und Gäste, die historische Lokalkultur ebenso wie die heutige Erinnerungskultur geprägt, wie im Folgenden gezeigt wird. Diese Annahme hat sich zwei Problemen zu stellen. Erstens ist Hnatjuk weder in der lokalen Erinnerung noch in der Historiographie eine dominante Figur. Zweitens war er auch keineswegs der erste Wissenschaftler, der diesen Ort betreten hätte.1142 Die Geschichte um diese »Erfindung« hat auch nicht mit Hnatjuk begonnen. Der Volksschullehrer Luka Harmatij unterrichtete zwischen 1893 und 1912 in diversen Ortschaften des Bezirks Kosów/Kosiv, darunter auch in Kryvorivnja. Hier leitete er gemeinsam mit dem Ortspfarrer Oleksa Voljans’kyj die Prosvita-Lesehalle in der kleinen Gemeinde, rund acht Kilometer westlich des lokalen Zentrums Z˙abie/Zˇabje (heute: Verchovyna). Harmatij bemühte sich mit großem Eifer um die nationale ›Aufklärung‹ seiner Schülerinnen und Schüler im Unterricht sowie der restlichen Ortsbevölkerung in der Lesehalle. Seine reiche Bibliothek und private Abonnements diverser Zeitungen und Zeitschriften machte er dabei auch der Lokalbevölkerung zugänglich. Aufgrund dessen wurde er in den Folgejahren mehrfach in der Umgebung zwangsversetzt. Das Kalkül der Bezirksverwaltung ging allerdings nicht auf; Harmatij gründete weitere Lesehallen mit Hilfe der jeweils ansässigen Eliten. Gleichsam avancierte er durch die genaue Kenntnis der Region zu einem wichtigen Ethnographen. Er hatte zwar keine formelle Ausbildung für das Fach, durch lokale Expertise und Kontakte war er aber ein wichtiger Sammler der regionalen materiellen Kultur für ethnographische Museen in Prag, St. Petersburg und insbesondere für das Museum des NTSˇ.1143 Vereinsmitglied wurde er offiziell im Oktober 1905.1144 Harmatijs Nationalisierungsbestrebungen schlugen offenbar nicht nur bei der Lokalbevölkerung, sondern auch bei Voljans’kyj an, der an den Feiern zum Literaturjubiläum 1898 partizipierte und erstmals Franko und Hnatjuk sah. Bei einer Zufallsbegegnung im Folgejahr mit Olena Hnatjuk und Ol’ha Franko – den Frauen Volodymyrs und Ivans – lud die Frau Voljans’kyjs die Familien ein, Kryvorivnja zu besuchen. Im Sommer 1900 verbrachten die beiden Familien die Sommermonate im Huzulendorf.1145 Durch den bestehenden Kontakt interes1142 Vgl. Arsenycˇ 2000 zur Zusammenstellung lokaler Wahrnehmungen und prominenter Gäste. 1143 Hnatjuk 1925, S. 6–12. Zur ethnographischen Sammlung für den NTSˇ, das Museum Alexanders III. (vertreten durch Fedir Vovk) und auch für Hrusˇevs’kyj privat vgl. die Briefwechsel in CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2259; NA IA NANU, fond 1/V1582–1584, V1586; CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 406. 1144 Protokoll der Ausschusssitzung vom 5. Oktober 1905, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 34, ark. 70–70zv, hier ark. 70. 1145 Musˇynka (2012, S. 56) verweist auf eine Bekanntschaft zwischen Hnatjuk und Luka Harmatij seit der gemeinsamen Zeit in der akademicˇna hromada. Musˇynka scheint ihn aber mit dessen jüngerem Bruder Hryc’ verwechselt zu haben – ein Brief Lukas an Hnatjuk legt

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sierte sich offenbar auch Volodymyr Hnatjuk für die Region, der zwischen 1900 bis 1913 stets die Sommerferien in Kryvorivnja verbrachte. Dazu lud er regelmäßig auch seine Bekannten und ihre Familien ein – zunächst seinen Mentor Ivan Franko und seinen Vorgesetzten Hrusˇevs’kyj.1146 Durch symbolische Handlungen der Wissenschaftler, wie den gemeinsamen Kirchgang mit der Ortsbevölkerung, konnten wechselseitig Vorurteile abgebaut werden, wie der Ortspfarrer in seinen Erinnerungen an Franko bekräftigt.1147 Sprechend ist auch ein Schreiben Voljans’kyjs an Hnatjuk, in dem er dazu aufrief, nicht nach Kryvorivnja einzuladen, weil er sich von anderen Intellektuellen kein Verständnis für die aktuelle (Mai 1905) Armut und Nahrungsmittelknappheit auf dem Dorf erwartete. Hnatjuk, der ebenfalls in einer armen Familie auf dem Land aufwuchs, nahm er davon explizit aus. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass die Verständigung weniger auf nationalen Kategorien, sondern geteilten Erfahrungen mit sozialen Problemen und nicht zuletzt auch Freundschaft beruhte. Die Kontakte sprechen für intensive Austauschbeziehungen zwischen den intellektuellen Zirkeln und den Ortsansässigen. Letztere politisierten sich im genannten Zeitraum dennoch zunehmend national, während das NTSˇ-Museum regelmäßig den Eingang von Gegenständen aus Kryvorivnja verzeichnete.1148 Nicht zuletzt nahm der leidenschaftliche Volksliedsammler Hnatjuk auch in seinem Urlaub weiter Folklore aus dem Ort auf.1149 Freundschaften entstanden und intensivierten sich bei der gemeinsamen ›Sommerfrische‹; sie erweiterten sich stetig durch den Besuch ukrainischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Literatinnen und Literaten in den Folgejahren. Diese Freundschaften und Besuche in Kryvorivnja sind nachhaltig auf Hnatjuk zurückzuführen, der in seiner Tätigkeit als Sekretär des Vereins, der ethnographischen Kommission, der URVS und als Mitherausgeber des LNV als kommunikative Schaltstelle fungierte.1150 Hnatjuk berichtete zwar nicht jedem von seinem Urlaub, wohl aber seinen intensiver gepflegten Brieffreundschaften. ˇ ernigov/C ˇ ernihiv (GouverneBesonderes Interesse vermochte er bei dem in C ˇ ment Cernigov, Russländisches Reich) lebenden Schriftsteller Mychajlo Kocjubyns’kyj (1864–1913) zu wecken, mit dem ihm eine Freundschaft verband, die

1146

1147 1148 1149 1150

nahe, dass sie sich erst durch diesen Kontakt vom 8. Januar 1900 bekannt wurden. L. Harmatij an Hnatjuk, 8. Januar 1900, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2267, ark. 7–8zv. Hnatjuk 1925, S. 13. Hnatjuk beschrieb, seit 1899 jeden Sommer (mit Ausnahme des Jahres 1913, als er eine Heilkur wahrnahm) in Kryvorivnja verbracht zu haben; Voljans’kyj (2011, S. 690f.) verwies hingegen darauf, Hnatjuk 1899 kennengelernt und für den nächsten Sommer nach Kryvorivnja eingeladen zu haben. Voljans’kyj 2011; Arsenycˇ 2000, S. 8. Arsenycˇ 2000, S. 5–8; Muzej NTSˇ, Inventar. Kn. II, Instytut Narodoznavstva NANU (L’viv), S. 53, 55–57. Hnatjuk 1919, S. 279. Musˇynka 2012, S. 68.

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sich durch die anhaltende Kommunikation um die Veröffentlichung von dessen Werken ergeben hatte. Im Sommer 1905, als Kocjubyns’kyj aus persönlichen Gründen ein geplantes Treffen mit Hnatjuk absagen musste, schrieb er von seiner ungebrochenen Sehnsucht nach einem entspannten Aufenthalt in der bergigen Natur und im selben Atemzug von ihrer gemeinsamen Leidenschaft für Kolomyjky.1151 Folklore und Landschaft bildeten keine zufällige Kombination. Derartige Pläne gehörten zum regelmäßigen Gesprächsthema der beiden, von denen sich Kocjubyns’kyj auch literarische Inspiration erhoffte, bis er sich diesen Traum 1910 und 1911 erfüllte. Nach seiner Rückkehr arbeitete er eifrig an einer »Erzählung auf Basis meiner Eindrücke aus den Karpaten«1152. Das Resultat, Tini zabutych predkiv (»Die Schatten vergessener Ahnen«), heute ein Klassiker der ukrainischen Literatur, veröffentlichte er mit Hnatjuks Unterstützung 1911 im LNV. Zu den Motiven der Erzählung gehören die lokale Natur, Folklore und lokale Gebräuche.1153 Kocjubyns’kyjs Novelle erhielt große Resonanz in der frühen Sowjetunion, unter anderem durch die enthusiastische Kritik Serhij Jefremovs.1154 Die gleichnamige kinematographische Umsetzung des Jahres 1964 (deutsch als »Feuerpferde« erschienen) gilt als bedeutendster ukrainischer Film und versinnbildlicht die mystifizierte ›huzulische Landschaft‹ wie kaum ein anderes Kulturprodukt.1155 Auch der Literat und Dramaturg Hnat Chotkevycˇ (1878–1938) aus Charkiv, der sich während seiner erzwungenen Emigration seit 1905 in Galizien aufhielt, verweilte zwischen 1906 und 1911 regelmäßig in Kryvorivnja.1156 Dabei erhielt er zeitweise auch Förderungen aus dem Literatenfond des NTSˇ.1157 Er wandte kritisch ein, Kocjubyns’kyjs Erzählung basierte kaum auf eigenen Beobachtungen und Ideen, und auch nicht, wie seine Fürsprecher behaupteten, auf der Bearbeitung von »Bergen an Material«, sondern primär auf den Hucul’sˇcˇyna-Bänden Sˇuchevycˇs und den Auskünften Hnatjuks und Harmatijs.1158 Chotkevycˇ selbst versuchte, in den eigenen literarischen Texten mit ethnographisch-folkloristischem Blickwinkel zu arbeiten, um damit eine möglichst authentische Darstellung vorzulegen.1159 1151 Kocjubyns’kyj an Volodymyr, 30. Juli 1905, in Kocjubyns’kyj (Hg.) 1914, S. 76–79, hier S. 76. Kolomyjky sind ein spezifisch ukrainisches Folklore-Genre, das aus zwei sich reimenden Versen besteht. 1152 Kocjubyns’kyj an Hnatjuk, 25. September 1911, in Kocjubyns’kyj (Hg.) 1914, S. 137f., hier S. 138. 1153 Kocjubyns’kyj 1912. 1154 Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Salij 2011. 1155 Paradzˇanov 2008 [1964]. 1156 Kocjubyns’kyj 1914, S. 92. 1157 Chronika NTSˇ 29 (1907), S. 7. 1158 Chotkevycˇ 1924, S. 3. 1159 Salij 2011; Chotkevycˇ 1920.

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Inspiriert durch das von ihm beobachtete ›huzulische Temperament‹, das er in seinen Inszenierungen abzubilden suchte,1160 initiierte er 1910 im nur wenige Kilometer entfernten Dorf Krasnojillja eine Amateur-Theatergruppe unter der örtlichen Jugend, die sich auf huzulische Folklore spezialisierte. Das hucul’s’kyj teatr (Huzulentheater) reiste bereits 1911 durch zahlreiche Ortschaften Galiziens und unternahm 1914 eine Tour durch das Zarenreich, wo es sein Programm hucul’s’ki vecˇory (Huzulische Abende) erfolgreich in Kiew, Charkov/ Charkiv und Moskau vorstellte.1161 Damit lieferte Chotkevycˇ nicht nur eine Theatralisierung des kulturellen Essentialismus, der durch die Bühnenkleidung unterstützt wurde (Abb. 4) und dem er in der Folge zahlreiche Bühnen bot, sondern begründete damit auch lokale Traditionen, die bis in die Zwischenkriegszeit gepflegt wurden, ab 1987 wieder auflebten und noch bis heute bestehen.1162

Abbildung 4: Huzulentheater.1163

1160 Chotkevycˇ 1943. 1161 Sˇlemko 2010. 1162 Atamanjuk 2012; Vovk 2018; Website: Narodnyj muzej Hucul’s’koho teatru H. M. Chotkevycˇa, o.D. 1163 Chotkevycˇ sitzt in der mittleren Reihe, zweiter von links.

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Nicht minder präsent ist die Erinnerung an die Zusammenkünfte in Kryvorivnja, das für einen Ort dieser Größe (rund 1.500 Einwohnerinnen und Einwohner) eine durchaus ausgeprägte öffentliche Erinnerungskultur besitzt, von der drei Museen zeugen: ein literarisches Franko-Museum, ein Hrusˇevs’kyj-Museum und ein Museum für den auf Kocjubyns’kyjs Erzählung basierenden Film. Das letztere ist neben dem Film und dem Hauptdarsteller bzw. der Hauptdarstellerin vor allem dem Regisseur Serhij Paradzˇanov (1924–1990, russ. Sergej, armen. Sarkis Paradschanian) gewidmet und beherbergt außerdem eine Sammlung lokaler Ethnographica.1164 Die ›klassische huzulische Landschaft‹, wie sie die Novelle Kocjubyns’kyjs und das ›Huzulentheater‹ kommunizierten, war damit ein Nebenprodukt von Hnatjuks privater Erholung und seinen Mühen um die Netzwerkbildung. Auch die wissenschaftliche Arbeit speiste sich elementar aus den regionalen Kontakten: Diverse Materialien, die Volodymyr Sˇuchevycˇ in den Bänden seiner Hucul’sˇcˇyna publizierte, lieferte ihm wiederum Luka Harmatij.1165 Die Huzulen figurierten in diesem Zusammenhang zwar als ethnographische Partikularidentität, dennoch aber als ›typisch ukrainisch‹. Das von der zeitgenössischen Ethnographie definierte Huzulenland war administrativ zwischen Ungarn, Galizien und der Bukowina geteilt und national höchst umstritten.1166 Als frontier der ›nationalen Wissenschaft‹ sind eben diese Regionen zu verstehen, die sich an den Außengrenzen des nationalen Territoriums befanden und von anderen ethnisch, national oder imperial definierten Gruppen beansprucht wurden. Nicht selten handelte es sich um plurikulturelle Kontaktzonen. Dies betrifft etwa die Nähe des lemkischen Dialekts zum Polnischen und Slowakischen, zumal diese Gruppe genau im Grenzbereich der vermeintlich nationaleindeutigen Gebiete im Westen und Osten Galiziens ansässig war.1167 Die Überschneidung wechselseitiger Ansprüche durch Wissenschaften mit unterschiedlichem politisch-ideologischem Hintergrund, eventueller Machtbasis und den Grundbedingungen der Interaktion mit der Lokalbevölkerung bedingten die komplexe frontier-Situation und die Umstände der Forschung. Ein nationales Territorium – aber im Allgemeinen auch Staatsterritorien in modernen geographischen Diskursen – definierte(n) sich zentral durch möglichst exakt vermessene und wissenschaftlich begründete Grenzen. Wenn Rudnyc’kyj die Ukraine als eine gleichförmige Landschaft definierte, die »von den Karpaten zum Kaukasus, vom Schwarzen Meer zu den unergründlichen Sümpfen Polesiens«1168 reichte, kam diesen vier Grenzlandschaften eine besondere Bedeutung zu. Diese 1164 1165 1166 1167 1168

Eigener Besuch im September 2015. Hnatjuk 1925, S. 12. Dabrowski 2005. Verchrats’kyj 1902. Rudnyc’kyj 1917, Ukrajina. Nasˇ ridnyj kraj, S. 26.

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Logik der frontier science hatte zur Folge, dass Kryvorivnja Teil eines Grenzraums verschiedener nationaler Diskurse werden sollte, obwohl der Ort selbst von administrativen Grenzen weit entfernt und ethnisch nicht allzu sehr durchmischt war, wie andere galizische Ortschaft. Die folgenden Teilkapitel beschäftigen sich mit den vier ethnisch-sprachlich definierten Gruppen, die an den ›Gebirgsgrenzen‹ des westukrainischen Territoriums lokalisiert wurden: Lemkinnen und Lemken (Ostbeskiden), Bojkinnen und Bojken (Waldkarpaten), Huzulinnen und Huzulen (östliche Waldkarpaten) und ungarische Rutheninnen und Ruthenen (transkarpatisches Tiefland/Oberlauf der Theiss). Diverse Disziplinen mühten sich um deren Nationalisierung, d. h. vor allem ihre Integration in ein ukrainisch-nationales Narrativ, aber an zweiter Stelle auch eine nationale Politisierung, wie vor allem die Auseinandersetzung mit der sogenannten ungarischen Rus’ zeigen wird. Solche imaginierten Grenzen diskursiv durchzusetzen und damit in das politische Feld einzuwirken, wobei dies Widersprüche von Akteuren unterschiedlicher nationaler und wissenschaftlicher Façon hervorrief, birgt diverse Schwierigkeiten, die als charakteristisch für die plurikulturellen Grenzlandschaften gelten dürfen und somit hier zu thematisieren sind. Die Versuche, diese durch Wissenschaft zu nationalisieren, werden deshalb als frontier science verstanden. Bestimmend für die Positionen ukrainischer Wissenschaftler sind nicht zuletzt emotionale Bezüge, wie sie zuvor schon anhand von Rudnyc’kyj deutlich wurden.1169 Sie stellen eine Gemeinsamkeit der zeitgenössischen ruthenischukrainischen Karpatendiskurse dar, die sich auch in Reiseberichten zahlreicher Intellektueller von Jakiv Holovac’kyj bis Ivan Franko wiederfanden.1170 Die Romantisierung des Berglebens in Ethnographie und Folklore zeigte sich anhand der Zusammenkünfte in Kryvorivnja. Hier verbanden sich nationale Metaphern mit kollektiver Begeisterung für Ethnographie und Lokalkultur, die letztlich zu einem wichtigen Faktor von Gruppenbildung wurde. Rudnyc’kyj partizipierte zwar nicht am ›ukrainischen Athen‹, doch als begeisterter Wanderer und pädagogisch versierter Exkursionsleiter teilte er eindeutig die Affektion zum ostgalizischen Gebirge. Dementsprechend wurde nicht nur die Bevölkerung der Grenzregionen zum Untersuchungsobjekt, sondern auch die Landschaften an sich dienten als Projektionsoberflächen nationaler Fantasien. Die Konstruktion nationaler Landschaften ist ein »gesamteuropäisches Phänomen«1171, an dem sich Kunst und Literatur nicht minder beteiligten als Wissenschaften. Zumal nationale Landschaften vor allem zur Abgrenzung von anderen Territorien 1169 Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zur ukrainischen Karpatenromantisierung zuletzt Sˇvec’ (Hg.) 2018. 1170 Val’o (Hg.) 1993. 1171 Guldin 2014, S. 15.

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dienten, kam den Gebirgslandschaften eine hervorgehobene Bedeutung zu.1172 Ukrainische Ausstellungen, so wie der Beitrag auf der galizischen Landes-Ausstellung 1894 und eine von Ivan Trusˇ 1905 geleitete Kunstausstellung, mühten sich um die kulturelle Essentialisierung der Gebirgsbevölkerung bei ihrer gleichzeitigen Integration in das Konzept der ukrainischen Nation.1173 Bei Rudnyc’kyj wie auch Vovk kam den Karpaten eine bedeutende Schutzfunktion der Gebirgsbevölkerung zu, die die Bewahrung der gepriesenen ›Ursprünglichkeit‹ erst ermöglichte.

6.2

Die »ungarische Rus’«

Auf der ukrainischen mental map des späten 19. Jahrhunderts mussten die ruthenisch besiedelten Gebiete Ungarns noch weitgehend als blinder Fleck gelten, auch wenn sie als ostslavische Region ein Teil des imaginierten ukrainischen Nationalterritoriums waren.1174 Einzelne Wissenschaftler und Intellektuelle reisten im Laufe des 19. Jahrhunderts in diese Region, publizierten Materialien, kurze Übersichten oder gar längere Abhandlungen.1175 Von einem spezifisch ruthenisch-ukrainischen Zugang zur Region lässt sich hingegen erst spät sprechen. Regelmäßige Kontakte und eine gemeinsame kulturelle Bewegung, wie sie einzelne Personen und Projekte zwischen Galizien und der russländischen Ukraine pflegten, existierten nicht. Drahomanov besuchte die Region zweimal in den Jahren 1875 und 1876; er plädierte für intensivere Bemühungen der Nationalbewegung um die ruthenische Bevölkerung Ungarns und beklagte noch kurz vor seinem Tod, dass seinem Gesuch niemand nachgekommen sei.1176 Die durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich des Jahres 1867 gänzlich anderen Grundbedingungen sprachlich-nationaler Entfaltung und damit der Elitenbil-

1172 Ebd., S. 41–65. 1173 Zur Landes-Ausstellung vgl. Wendland 2009, Eindeutige Bilder; zu Trusˇs Ausstellung vgl. Sydor 1998. ˇ ubinskij / Michal’cˇuk 1871; Holovac’kyj 1993 [Erstveröffentlichung 1841/1842]; Golova1174 C ckij 1878; Lukycˇ 1887. 1175 Ramisch-Paul 2021, S. 77–93. Zur Übersicht über die internationale Forschung im 19. Jahrhundert Francev 1901; zur Übersicht der Neuerscheinungen in den 1890er Jahren Hnatjuk 1899. Auch der norwegische Slavist Olaf Broch bemängelte in einer deutschsprachigen Arbeit 1897, dass bisher wenige Forschungen zu diesem Gebiet vorgelegt wurden, obwohl es gerade ob seiner Heterogenität so spannend für die sprachwissenschaftliche Forschung wäre. Broch 1897, S. 3. Ivan Verchrats’kyj (Werchratskij 1883) veröffentlichte eine deutschsprachige Arbeit zur ›Mundart der marmaroscher Ruthenen‹, erhielt aber erst später ein ukrainischsprachiges Forum mit den Zapysky für seine dialektologischen Arbeiten: Verchrats’kyj 1899; Verchrats’kyj 1901. 1176 Pavlyk 1907, S. 40–42.

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dung und -organisation seien im Folgenden reflektiert, um den Kontext der späteren ›Entdeckung‹ dieser Grenzlandschaft zu diskutieren. Im Gegensatz zur cisleithanischen Reichshälfte definierte sich das Königreich Ungarn nach dem Ausgleich als Nationalstaat. Damit ergab sich eine gänzlich andere Politik gegenüber den zahlreichen nicht-magyarischen Nationalitäten und Sprachgruppen. Das Gesetz Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten aus dem Jahr 1868 legte fest, dass »sämmtliche Landesbürger Ungarns auch nach den Grundprinzipien der Verfassung in politischer Hinsicht eine Nation bilden, die untheilbare einheitliche ungarische Nation«1177. Mit dem Schulgesetz desselben Jahres wurde der Unterricht in ruthenischer Sprache am Gymnasium Ungvár/Uzˇhorod eingestellt und auf die von der unierten Kirche betriebenen Volksschulen beschränkt.1178 Auf symbolischer Ebene gehörte die Magyarisierung von Namen zu den bekanntesten Maßnahmen, die nicht nur auf politischer Ebene stattfanden. Nach dem Ausgleich wurden gesellschaftliche Diskurse um die Magyarisierung von Familiennamen forciert. Sie sollte freiwillig begangen werden und damit als klares Nationsbekenntnis gelten. Eine erhebliche Senkung der Gebühr im Jahr 1881 förderte einen quantitativ drastischen Anstieg der Namensänderungen. Diese Möglichkeit wurde zumeist auch von Personen wahrgenommen, die gesellschaftliche oder transregionale Mobilität mit entsprechenden Aufstiegschancen wahrnehmen wollten.1179 Eine Gesetzesnovelle des Jahres 1883 forderte von allen Lehrkräften in gemischtsprachigen Ortschaften, frei Ungarisch zu sprechen. Derartige Maßnahmen unterstützten in der ethnisch stark gemischten Region den Status des Ungarischen als Kommunikationssprache der lokalen Intelligenz. Auch die religiösen Eliten der griechischkatholischen Eparchien Munkács/Mukacˇevo und Eperjes/Presˇov/Prjasˇov drängten seit den 1890er Jahren darauf, den Gebrauch des Ungarischen auszuweiten.1180 Verglichen mit der aktiven rumänischen Nationalbewegung, die auf einer sehr ähnlichen Sozialstruktur in den benachbarten Komitaten fußte, blieb die politische Mobilisierung unter der ruthenischen Bevölkerung spärlich. Dies ist nicht nur auf den geringen Bildungsgrad zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die griechisch-katholische Kirche nicht wie in Galizien als Natio-

1177 Ueber die Gleichberechtigung der Nationalitäten, in: Landesgesetz-Sammlung für die Jahre 1865/67 und 1868, S. 270–278, hier S. 270f. (Erstabdruck 9. Dezember 1868). 1178 Zˇeguc 1965, S. 72. In dieser Periode verbot der Staat auch die Übernahme galizischer Schulbücher und betrieb seinerseits seit den 1880er Jahren Sprachförderung mittels der Veröffentlichung von Grammatik-, Wörter- und Schulbüchern. Puttkamer 2003, S. 51. 1179 Maitz / Farkas 2008, S. 177–185. Hier reiht sich auch das Ortsnamensgesetz von 1899 ein, Puttkamer 2003, S. 32. 1180 Mandryk 2006, S. 180, 185. Zum ungarischen Schulwesen zwischen 1867 und 1914 vgl. Puttkamer 2003.

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nalkirche agieren konnte bzw. wollte, sondern stattdessen aktiv an der Magyarisierung mitwirkte.1181 Zwischen 1848 und 1868 suchten der Politiker Adolf Dobrjans’kyj (geb. im Komitat Zemplén, 1817–1901) und der Geistliche Oleksandr Duchnovycˇ (Alexander Duchnovicˇ, 1803–1865) aus Eperjes/Prjasˇov eine ruthenische Nationalbewegung unter russophilen Vorzeichen zu etablieren. Dieses Identitätsangebot war vor allem als Abwehr gegen ungarische Einflussnahme gedacht.1182 Der 1864 gegründete Bildungsverein Obsˇcˇestvo sv. Vasylija Velykoho (Gesellschaft des hl. Vasyl’ des Großen) avancierte rasch zum regionalen Zentrum der Bewegung und suchte, die kulturelle Produktivität nach dem Vorbild anderer slavischer Bildungsvereine in der Habsburgermonarchie zu fördern. Bis zu seiner Auflösung im Jahr 1902 gab er diverse Zeitschriften heraus. Dass die Entscheidung, die russische Schriftsprache als Vorbild der Literatursprache zu nutzen, auch lokale Schriftsteller von der Partizipation abhielt, belegt nur eindrücklich die Vielfalt an politischen und kulturellen Orientierungen in der Region.1183 Bei diesem Jazycˇije handelt es sich, wie auch im galizischen Fall, um eine Mischung aus Altkirchenslavisch und ruthenischer Sprache in regional-dialektaler Ausprägung in kyrillischer Schrift und etymologischer Schreibweise.1184 Mit der Reform des NTSˇ und durch Ivan Frankos Zeitschrift Zˇytje i slovo stieg die Aufmerksamkeit für die Region unter ukrainischen Intellektuellen und Politikern in Galizien enorm.1185 Einige Jahre nach seiner Reform setzte sich auch das NTSˇ zunehmend mit der Region auseinander. Im Wesentlichen ist diese Tendenz auf den jungen Ethnographen und späteren Vereinssekretär Volodymyr Hnatjuk zurückzuführen. Wie auch bei anderen Regionen standen folkloristische, ethnographische, statistische und anthropologische Forschungen auf dem Programm des NTSˇ. Zunächst begann Hnatjuks folkloristische Forschung, die das Interesse an der Uhors’ka Rus’ in nationalen Kreisen nachhaltig stimulierte. Er führte 1895 und 1896 insgesamt drei Reisen in die Region durch, die vornehmlich folkloristischen und dialektologischen Sammlungen in ländlichen Regionen dienten. Die erste Reise bestritt er gemeinsam mit Osyp Rozdol’s’kyj (1872–1945), ausgehend von den Stationen der Ungarisch-Galizischen Eisen1181 1182 1183 1184

Puttkamer 2003, S. 49–52. Magocsi 2015, S. 109. Zˇeguc 1965, 74; Svitlyk 2017. Der Sammelbegriff bezeichnet diverse Ausprägungen ruthenischer Schriftsprachen, die eine etymologische Schreibweise basierend auf der modernen russischen Literatursprache darstellten, einschließlich der Schriftsprache von Russophilen in Galizien und der ruthenischen Bevölkerung Ungarns. Dieses Phänomen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte allerdings durch lokalsprachliche Einflüsse und Sprachkontakte häufig deutlich komplexer ausfallen. Danylenko 2016, S. 83f. Zur Problematisierung des Begriffs vgl. Moser 2004. 1185 Mazurok / Mandryk 2014.

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bahn, durch die Komitate Ung/Uzˇans’ka zˇupa und Bereg/Bereh bis zum Westen des Komitats Máramaros/Marmarosˇ. Bei seinem Folgeaufenthalt konzentrierte er sich vor allem auf Bereg/Bereh. In diesen Regionen, die zur griechisch-katholischen Eparchie Munkács/Mukacˇevo gehörten, lokalisierten die staatlichen Statistiken den größten Anteil an Menschen mit ruthenischer Muttersprache. Bei der dritten Reise erforschte er, ausgehend von den lokalen Bahnhöfen, die nördliche Hälfte der heutigen ukrainisch-slowakischen Grenzregion, gelegen in den historischen Komitaten Zemplén/Zemplin und Ung/Uzˇans’ka zˇupa.1186 Hnatjuk und Rozdol’s’kyj wurden für ihre Arbeit vom NTSˇ gefördert, obwohl beide zu diesem Zeitpunkt noch Studenten waren.1187 Die Ergebnisse veröffentlichte Hnatjuk in zwei kompletten Bänden des Etnohraficˇnyj zbirnyk, die er nach Textgattungen ordnete.1188 Hinzu kam ein umfangreicher folkloristischer Apparat, der parallele Texte aus anderen europäischen Regionen und Sprachen herausarbeitete.1189 Ergänzt wurden die Bände durch ein Wörterbuch für Ausdrücke, die in der ukrainischen Literatursprache nicht bekannt waren.1190 Hnatjuk mühte sich bei seinen Reisen um eine ukrainisch-nationale Politisierung der ungarisch-ruthenischen Bevölkerung. Er organisierte die kostenlose Versendung des Zˇytje i slovo an interessierte Geistliche und verbreitete literarische Werke Frankos. Diese wurden wohlwollend aufgenommen, ihre phonetische Schreibweise allerdings bemängelt.1191 Jene lokale Geistlichen waren elementare Kontakte für die Forschung, etwa der im Dorf Strojne tätige Jurij Zˇatkovycˇ (1855–1920, ungar. Kálmán György Zsatkovics). Nur durch sie konnten notwendige lokale Kenntnisse erworben werden, die die Forschung erst ermöglichten. Entsprechend intensiv war der Austausch in diversen Einzelfällen.1192 Zˇatkovycˇ erwies sich als produktiver Ratgeber, zumal er bereits in anderen Orten tätig war, die Hnatjuk nachfolgend bereiste. Er wurde nicht nur Mitarbeiter der ethnographischen Kommission und des NTSˇ, sondern war auch für politische Agenden zu interessieren. Franko verfasste ein bekanntes Protestschreiben gegen die Magyarisierung der ungarischen Rutheninnen und Ruthenen, das er besonders von der jüngeren ukrainischen Intelligenz, aber auch etablierten Politikern und anderen Männern und Frauen unterzeichnen ließ.1193 Hnatjuk zirkulierte dieses Schreiben in Separatabdrucken auch mit einigem Widerhall im 1186 1187 1188 1189 1190 1191 1192 1193

Hnatjuk 1897, S. IX. Zapysky NTSˇ X (1896), Z tovarystva, S. 10. EZ III (1897); EZ IV (1898). Hnatjuk 1897; EZ IV (1898), S. 206–233. EZ IV (1898), S. 234–251. Hnatjuk an Franko, 23. Juli 1896, IL VR, fond 3, spr. 1637/1, ark. 5–8, hier ark. 7–8. Rohde 2019, Local knowledge; Zubryc’kyj (Hg.) 2013. ˇ ajkovs’kyj, 18. Juni 1896, ZTIF, t. 50, S. 77f.; Franko an Ochrymovycˇ, 18. Juni Franko an C 1896, in: ebd., S. 78.

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nordöstlichen Ungarn, während Zˇatkovycˇ deutsche und ungarische Übersetzungen anfertigte.1194 Seine Vermittlertätigkeit konzentrierte sich in der Folgezeit jedoch vermehrt auf literarische Texte; so übersetzte er Erzählungen Frankos und anderer ukrainischer Autoren ins Ungarische.1195 Während ihm die persönliche Teilnahme an den Jubiläumsfeierlichkeiten des Jahres 1898 in Lemberg aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich war, publizierte er einen Artikel zu Franko, in dem er die Bedeutung seiner Werke für die ruthenische Bevölkerung Ungarns unterstrich.1196 Unter der lokalen intelihencija suchte Hnatjuk, für das Projekt einer ukrainischsprachigen Zeitschrift für die betroffenen Gebiete zu werben. Das Ziel war die Vernetzung mit der ukrainischen Nationalbewegung in Galizien. Während er Franko von überwiegend positiven Rückmeldungen seitens einiger Intellektueller berichtete, resümierte er letztlich ernüchtert, die Zeitschrift müsste in etymologischer Rechtschreibung verfasst werden, weil sie ansonsten nicht gelesen werden würde.1197 In den folgenden Jahren war das zentrale Anliegen des NTSˇ und seiner Vertreter, die Zugehörigkeit der ruthenischen Bevölkerung Ungarns zur ukrainischen Nation zu rechtfertigen und eine möglichst eindeutige Grenze zur slowakischen Sprachgruppe zu ziehen. Hnatjuk reiste bis 1903 insgesamt sechsmal nach Ungarn und sammelte zahlreiches Material, das in diversen weiteren Bänden des EZ veröffentlicht wurde.1198 Außerdem legte er diverse Aufsätze vor, in denen er die folkloristischen Materialien aus den EZ ethnographisch und sprachwissenschaftlich auswertete. Die heterogenen Dialekte ordnete er dabei in allen Fällen dem Ruthenischen zu, wobei er »Ruthenisch« und »Ukrainisch« im Gegensatz zu anderen Sprachforschern deckungsgleich gebrauchte.1199 Die Zuordnung zur ukrainischen Nation rechtfertigte er nicht nur durch sprachliche und ethnographische Untersuchungen, sondern auch durch Bekenntnisse in publizierten Dokumenten, bei vergangenen Volkszählungen, als Reaktion auf Auseinandersetzungen, in angeforderten Stellungnahmen lokaler Intellektueller und den Eindrücken während seiner Reise.1200 Dialektologische Debatten forcierten die Frage nach einer eindeutigen Sprachgrenze zwischen ruthenisch- und slowakischsprachiger Bevölkerung der betreffenden Komitate im ausgehenden 19. Jahrhundert. Der norwegische Slavist Olaf Broch (1867–1961) kam in seinen 1194 1195 1196 1197 1198 1199

Hnatjuk an Franko, 23. Juli 1896, IL VR, fond 3, spr. 1637/1, ark. 5–8, hier ark. 6. Zˇatkovycˇ an Hnatjuk, 2. Januar 1897 [Erhalt des Briefs], in: Dasˇkevycˇ (Hg.) 1998, S. 23f. Mazurok 2010, S. 46–49. Hnatjuk an Franko, 12. August 1896, IL VR, fond 3, spr. 1637, ark. 9–12. EZ III (1897); EZ IV (1898); EZ IX (1900); EZ XXV (1909); EZ IXXX (1910); EZ XXX (1911). Hnatjuk 1912. Es ist möglich, dass der Herausgeber der Reihe, Friedrich Krauss, Ergänzungen an Hnatjuk 1912 vorgenommen hat. Ein Widerspruch Hnatjuks gegen diese ist nicht bekannt. Krauss an Hnatjuk, 2. Januar 1912, LNNB VR, fond 22, spr. 292, ark. 2. 1200 Hnatjuk 1898; Hnatjuk 1901; Hnatjuk 1905, Madjars’ka svoboda.

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Studien von der slovakisch-kleinrussischen Sprachgrenze, die der Sprache in zwei Ortschaften des Komitats Zemplin gewidmet waren, zu dem Schluss, es handele sich um einen ostslowakischen Dialekt.1201 Hnatjuk konstatierte in einer längeren Besprechung, Broch hätte eine wichtige, materialreiche Arbeit vorgelegt, die aber daran kranken würde, dass sie ein einzelnes Gebiet isoliert betrachtete. »Die gesamte ungarische Rus’« wäre in »zwei hauptsächliche Dialektgruppen« einzuteilen; »eine rein ruthenische Gruppe«, die vor allem in den Komitaten Máramaros/Marmarosˇ, Ugocsa/Uhocˇa, Bereg/Bereh, Ung/Uzˇans’ka zˇupa und im nord-östlichen Zemplin lokalisiert wäre, und eine »ruthenisch-slowakische« im restlichen Zemplén/Zemplin, in Sáros/Sˇarosˇ und in Szepes/Zips/Spisˇ/Spysˇ. Er entgegnete Broch deshalb die These, es handele sich bei der von ihm beschriebenen Sprache um einen von vielen »Übergangsdialekten.«1202 Hnatjuk trat in Briefkontakt zu Broch, in dem er offenbar den größten Teil des Inhalts dieser Rezension kommunizierte. Broch legte eine Replik, gemeinsam mit Rezensionen über Hnatjuks ethnographische Sammlungen, im Archiv für slavische Philologie vor. Hier entgegnete er, dass seine Benennung sich ausschließlich auf sprachwissenschaftliche Aspekte ohne nationale Implikationen bezog, er jedoch an der Bezeichnung ostslowakisch festzuhalten gedenke, was er vor allem durch phonetische Merkmale der diskutierten Dialekte begründete.1203 In einer weiteren Lokalstudie betonte Broch 1899 mit Bezugnahme auf Hnatjuk umso deutlicher, dass er sich den Austauschprozessen an solchen Sprachgrenzen durchaus bewusst war,1204 wobei er auch zuvor die Schwierigkeit einer eindeutigen Grenzziehung erwähnte.1205 Die beiden begannen keine Polemik, sondern einen produktiven Austausch, der bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges andauern und sich durch die Ernennung Brochs zum wirklichen Mitglied des NTSˇ auszeichnen sollte.1206 Seitens des tschechischen Sprachwissenschaftlers Frantisˇek Pastrnek (1853– 1940) und des russischen Aleksej Sobolevskij (1857–1929) erhielt Hnatjuk direkten Gegenwind; sie insistierten, es handele sich bei dem Dialekt, den Hnatjuk in der Bacˇka aufzeichnete, um einen slowakischen.1207 Mehr noch, es würde sich auch um eine slowakische Bevölkerung handeln. Hnatjuk entgegnete darauf in Rekapitulation seiner einschlägigen Arbeiten, dass er während seiner Forschungsaufenthalte in der ungarischen Rus’ »eine ganze Reihe von Übergangs1201 1202 1203 1204 1205 1206 1207

Broch 1897. Hnatjuk 1899, S. 40. Broch 1899, Aus der ungarischen Slavenwelt. Broch 1899, Weitere Studien, S. 100–102. Broch 1897, S. 3–8. Kuz’menko 2018. Pastrnek (1904) insistierte in einer ausführlichen Antwort weiterhin, es würde sich um Dialekte slowakischen Ursprungs handeln.

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Mundarten [perechodovich pidhovoriv]«1208 aufgezeichnet hätte. Dieses Phänomen hielt er für ein typisches Charakteristikum derartiger Grenzregionen; er aktualisierte damit die bekannte Sentenz des slowakischen Sprachwissenschaftlers Ján Kollár (1793–1852), der auf eine Vielzahl an »kleinern Mundarten und Untermundarten« slavischer Sprachen verwies, wobei er »die reinen wie die mit andern Sprachen vermischten [Mundarten, M. R.]«1209 einbezog. Die Einflüsse des Slowakischen auf den ruthenischen Dialekt verneinte Hnatjuk nicht, sondern thematisierte ihn selbst in seiner Arbeit; dieser Dialekt des Ruthenischen wäre gerade das Resultat der Interaktion mit seiner westslavischen Umwelt.1210 Er bestätigte, dass der Bacˇka-Dialekt weit von jenem entfernt ist, der »die Grundlage unserer Literatursprache« wurde. Er sah darin allerdings keinen Widerspruch und vermutete vergleichbare Erscheinungen in allen Grenzlandschaften: »Einen ausführlichen Vergleich von ihm [dem Dialekt, M. R.] mit unseren anderen Grenz-Sprachen [pohranycˇnymy hovoramy] kann aber derzeit aufgrund des fehlenden entsprechenden Materials, besonders aus den ukrainisch-polnischen und den ukrainisch-belarussischen Grenzstreifen, nicht durchgeführt werden.«1211

Hnatjuk erkannte damit durchaus an, dass Grenzen deutlich fluider bzw. konstruierter waren, als nationale Projekte dieser Zeit wünschten. Er regte an, detaillierte Studien zur ukrainisch-slowakischen Sprachgrenze vorzunehmen und für eine ethnographische Karte nutzbar zu machen. Aufgrund seiner Krankheit konnte er diesen Forschungen nicht selbst nachgehen.1212 Sein enger Freund, der Historiker Stepan Tomasˇivs’kyj, nahm diese Aufgabe wahr: die beiden verband nicht nur Studium und Vereinstätigkeit, sondern auch das gemeinsame Interesse an der Uhors’ka Rus’. Tomasˇivs’kyj hatte sich freiwillig gemeldet, seinen Wehrdienst in Ungarn abzuleisten, um Ungarisch zu lernen.1213 Mit dieser Kompetenz schloss er eine elementare Lücke in der personellen Aufstellung des NTSˇ. Für die Rezensions- und Bibliographieabteilung der Zapysky agierte er seit 1901 regelmäßig als Experte für ungarische Publikationen.1214 Tomasˇivs’kyj arbeitete in den folgenden Jahren intensiv an einer Karte des diskutierten Gebiets, in der es ihm um die möglichst präzise Verzeichnung der Grenzorte ging (Abb. 5). Die Sprachgrenze des Statistikers ist dabei, im Gegensatz zur Idee von Übergangsdialekten beim Sprachwissenschaftler Hnatjuk, zwangsweise eindeutig markiert. Dies war eine logische Folge der gewählten statistischen Methode und 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214

ˇ y bacˇvans’kyj hovir, S. 9. Hnatjuk 1905, C Kollár 1844, S. 9. Hnatjuk 1898. ˇ y bacˇvans’kyj hovir, S. 10. Hnatjuk 1905, C Tomasˇivs’kyj 1910, S. 178. Bortnjak 1992, S. 106. Tomasˇivs’kyj 1901; Tomasˇivs’kyj 1902; Tomasˇivs’kyj 1903; Tomasˇivs’kyj 1909, Uhors’ki istorycˇni cˇasopysy. Vgl. auch Bortnjak 1997.

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Die »ungarische Rus’«

Abbildung 5: Stepan Tomasˇivs’kyjs Karte der Uhors’ka Rus’, 1906.

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Vom Grenzraum zum ethnographischen Territorium

ihrer kartographischen Visualisierung. Sie hatte sich staatlicher Daten zu bedienen, die keine Übergangsstadien, sondern allenfalls die Markierung einzelner Sprachinseln kannten. Die Daten der vergangenen ungarischen Volkszählung waren angesichts der Magyarisierungspolitik eine Herausforderung für ukrainisch-nationale Statistiker. Jede neue Zählung würde aufgrund der alternierten Kategorien gänzlich neue Resultate hinsichtlich einer möglichen Sprachgrenze liefern; vor allem würde sich die Anzahl der ruthenischen Bevölkerung zu Gunsten der ungarischen und der slowakischen verringern.1215 Das Misstrauen war kein künstliches, sondern basierte auf der Feldforschung Hnatjuks. Er besuchte im Jahr 1903 Gemeinden, die er für ruthenisch hielt, die aber in den Statistiken nicht so ausgezeichnet waren. Tomasˇivs’kyj befasste sich deshalb nicht nur wissenschaftlich mit den Statistiken, sondern polemisierte auch anonym in der Ruthenischen Revue gegen sie.1216 Im Gegensatz zur Statistik Cisleithaniens, in der die Statistiker die polnische Verwaltung als ›Gegner‹ des ukrainischen Projekts sahen, identifizierte Tomasˇivs’kyj die staatlich forcierte Magyarisierung einschließlich der ungarischen Statistik als Hauptproblem. Sie begegnete ihm vor allem in Person des Statistikers Pál Balogh (1854–1933), der 1902 ein vom ungarischen Unterrichtsministerium autorisiertes ethnographischsprachstatistisches Übersichtswerk zum Königreich Ungarn herausgab.1217 Tomasˇivs’kyj schien das Problem, nationale Grenzen in der Uhors’ka Rus’ zu ziehen, äußerst dringlich, doch erlaubten mangelnde personelle wie materielle Ressourcen keine eigenen breiteren Erhebungen. Mangels Alternative arbeitete er deshalb mit den offiziellen Statistiken und verglich sie mit früheren sowie alternativen Daten; seine Kritik am staatlichen Vorgehen verstand er dabei stets als notwendige Einordnung. Seine Karte (Abb. 5) und die ausführlichen Daten, die er aufgrund von Verzögerungen erst nachträglich publizieren konnte, betrachtete er als vorläufiges Arbeitsergebnis und Grundlage für weitere Forschungen und Diskussionen.1218 Alle Gemeinden, die er für mehrheitlich ruthenische hielt, listete er geordnet nach Bezirken in einer Tabelle auf, in der er die offiziellen Religions- und Sprachdaten als Belege anführte. Sein Misstrauen gegenüber der Statistik veranlasste ihn außerdem, jene Gemeinden separat auszuzeichnen, die er aufgrund ungenannter Kriterien im Gegensatz zu den Daten für mehrheitlich ruthenisch hielt.1219 Die ungarische Rus’ blieb ein umkämpfter Raum, in dem sich die ukrainische Nationalbewegung keine dominante Rolle erarbeiten konnte. Abgesehen von der Distanz zu galizischen Ereignissen und Diskursen bedeutete die Lokalisierung in 1215 1216 1217 1218 1219

Tomasˇivs’kyj 1910, S. 180f. Fedorenko [= Tomasˇivs’kyj] 1904, S. 10; Tomasˇivs’kyj 1903; Tomasˇivs’kyj 1905. Balogh 1902, dazu Fedorenko 1904, Tomasˇivs’kyj 1903. Tomasˇivs’kyj 1910. Ebd., S. 223.

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Die »ungarische Rus’«

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Ungarn kulturelle Einflüsse, darunter Sprachkontakte zur ungarischen und slowakischen Bevölkerung, sowie das skizzierte ungarische Identitätsangebot. Nicht zuletzt konnte sich nur eine dünne Schicht an ruthenischen Eliten etablierten. Dementsprechend kursierten vielfältige Diskurse seitens staatsinterner und -externer Identitätsangebote. Der Historiker Timofej Florinskij (1854–1919), ein russischer Patriot und Gegner der ukrainischen Nationalbewegung aus Kiew, beschwor die ostslavische Einheit und beklagte gleichsam das »schwere Schicksal der ausländischen Rus’«. »Ukrainophilie« hätte »weder eine logische[,] noch eine historische Rechtfertigung«, die Bewegung als solche und ihr Einfluss in der gesamten ›ausländischen Rus’‹ (Bukowina, Galizien und Nordostungarn) lehnte er dementsprechend ab.1220 Eine ähnliche Stoßrichtung schlug die russophile Galicko-Ruska Matycja ein, die mit einem Dokumentenband die Slavophilie der ungarisch-ruthenischen Bevölkerung zu belegen suchte.1221 Ein separates, ›karpato-ruthenisches‹ Identitätsangebot entwickelte sich erst nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie mit der Schaffung der Podkarpatská Rus als administrative Einheit der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1919.1222 Dieser Schritt ist während der Pariser Friedensverhandlungen von der ruthenischen Diaspora in den USA angestoßen worden. Er erfolgte situativ im Hinblick auf mögliche Optionen für die territoriale Neugestaltung und unter der Bedingung regionaler Autonomie, die allerdings 1938 nur kurzzeitig realisiert ˇ SR unterstützte in den ersten Jahren zunächst die ukrainische wurde.1223 Die C Orientierung, wobei die Verbindungen zum NTSˇ für diesen Prozess schnell relevant wurden. Der Ethnograph und Linguist Ivan Pan’kevycˇ wurde Mitarbeiter der Schulbehörde, Gymnasiallehrer und zeitweise auch -direktor in Uzˇhorod sowie Initiator der Gründung einer Prosvita-Filiale in der Stadt mit zahlreichen Lesehallen in der Region.1224 Nicht minder schlagartig änderte sich diese Situation; 1924 verlor Pan’kevycˇ seine administrative Anstellung. Stepan Rudnyc’kyj, 1220 Florinskij 1900, S. 24. 1221 Svencickij (Hg.) 1909. 1222 Zur Geschichte der Provinz Ramisch-Paul 2021. Magocsi lieferte in den vergangenen 40 Jahren zahlreiche Beiträge zu dieser Region und gilt als Autorität auf diesem Gebiet, auch wenn sein Ansatz nicht unproblematisch ist und deshalb kurz Erwähnung zu finden hat. Er agierte mit seiner Idee einer ›vierten ostslavischen Nation‹, den ›Karpato-Ruthenen‹, nicht nur als Historiker, sondern auch als Nationsbilder. In seiner Konzeption schließen sich karpato-ruthenische und ukrainische Identität aus, wobei seine Sympathie für die erstere Orientierung die vorgelegten Arbeiten durchzieht. Magocsi 2015; Magocsi 1978; Plokhy 2011. Die russinische Sprache ist mittlerweile als eigenständige Sprache in vielen Ländern – die Ukraine ausgenommen – anerkannt, bleibt aber durch ihre Verteilung auf vier Staatsterritorien äußerst heterogen. Der Einfluss dieses Identitätskonzepts ist heute nicht zu bestreiten, dennoch agierte Magocsi bei seiner Rechtfertigung als Nationsbilder. 1223 Zˇegucˇ 1965. 1224 Musˇynka 2010.

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der als Professor der Freien Ukrainischen Universität Prag bereits seit einigen Jahren geomorphologische Forschungen in der Podkarpatská Rus durchführte, wurde plötzlich der Spionage für die Sowjetunion bezichtigt, wie ungenannte »galizische Emigranten« in wissenschaftlichen Kreisen verbreiteten.1225 Insgesamt blieb die Region ein transnational umkämpfter Raum mit zahlreichen Projekten, die Zugriff auf ebendiesen gewinnen wollten und dementsprechend Wissen produzierten.1226 Für den Verein blieben die Forschungen nicht nur leitend für die weitere Beschäftigung mit dem ungarisch-ruthenisch-slowakischen Grenzraum; auch auf die Auseinandersetzung mit Volkszählungsdaten, die hier erstmals im Verein aufkam, wurde in den folgenden Jahren aufgebaut. 1906 trat Tomasˇivs’kyj als Gründungsmitglied in die statistische Kommission ein und stellte seine methodische Expertise einer breiteren Vereinsöffentlichkeit zur Verfügung. Volodymyr Ochrymovycˇ führte zwischen 1909 und 1912 mehrere statistische Berechnungen zu galizischen Volkszählungsdaten durch, die in Methode und Argumentation sicherlich von Tomasˇivs’kyjs Arbeiten profitiert haben. Darüber hinaus lieferte die Karte einen Präzedenzfall für die Verbindung von Ethnographie und Sprachstatistik, die auch für spätere kartographische Arbeiten relevant wurde.

6.3

Europäische Ethnographie im Grenzland

Die Relevanz ethnographischer Forschungen in der Nationalisierung von Landschaften zeigte sich bereits in den vorherigen Abschnitten. Das NTSˇ hegte deshalb besonderes Interesse an verwandten Disziplinen: Schon einleitend wurde skizziert, wie Hrusˇevs’kyj an Vovk herantrat, um Ethnographie, Ethnologie und Anthropologie im NTSˇ zu professionalisieren. Vovk studierte zunächst für zwei Semester an der physisch-mathematischen Fakultät der Universität Odessa/Odesa, wo er unter anderem Zoologie bei Il’ja Mecˇnykov (1845–1916) hörte. 1866 wechselte er an die Universität Kiew, wo er mit dem ukrainisch-nationalen Netzwerk Hromada in engen Kontakt trat, das ihn 1872 aufnahm. 1873 trat Vovk als Gründungsmitglied der Südwestlichen Abteilung der Russischen Geographischen Gesellschaft in Erscheinung und zeichnete u. a. für ihr ethnographisch-folkloristisches Forschungsprogramm, die Volkszählung im Kiewer Stadtteil Podil und die des Archäologischen Kongresses 1225 Pokazannja S. Rudnyc’koho pro prychyl’nykiv idej Osteuropa v SRSR, 15. Juli 1933, in Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 71–114, hier S. 101f., Zitat S. 102. 1226 Vgl. Ramisch-Paul 2021, S. 93–132 zur tschechoslowakischen Wissensproduktion über die Podkarpatská Rus.

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1874 verantwortlich. In den beiden Folgejahren nahm er an archäologischen Ausgrabungen des Historikers Volodymyr Antonovycˇ (1834–1908) teil.1227 1876 emigrierte Vovk mit seiner Familie zeitweise nach Genf und beteiligte sich an den publizistischen Projekten des ukrainischen Sozialisten Mychajlo Drahomanov (1841–1895). Dabei blieb er mobil, um verbotene Bücher ins Zarenreich zu schmuggeln. Um die Mitte des Jahres 1878 kehrte er nach Kiew zurück, wo er für seine politischen Aktivitäten verfolgt wurde. Um einer Strafe zu entgehen, brach er eines Nachts im Frühjahr 1879 auf, um das Land über Odessa/Odesa mit dem Schiff zu verlassen. Dort wurde er jedoch verhaftet und konnte nur durch die Unterstützung persönlicher Kontakte freigelassen werden, wobei er sich schnellstmöglich nach Rumänien absetzte.1228 Zwei Jahre später zog er zurück nach Genf, wo er privat, beruflich und politisch im engen Kontakt zu Drahomanov blieb. 1887 begab er sich nach Paris, um das Studium der Anthropologie aufzunehmen.1229 Hier fand er schnell Anschluss an die wissenschaftliche Elite, die sich rund um die École d’anthropologie gruppierte. Er belegte bis einschließlich 1900 regelmäßig Vorlesungen, vornehmlich zur Archäologie, Anthropologie und vergleichenden Ethnographie. Regelmäßig frequentierte er Kurse des Archäologen und Prähistorikers Gabriel de Mortillet (1821–1898), seines Sohnes Adrien (1853–1931) und weiteren bekannten Pariser Professoren dieser Forschungsfelder.1230 Darüber hinaus partizipierte er regelmäßig an wis1227 Franko 2000, S. 55–62. 1228 Ebd., S. 65–68. Bekannt ist, dass er sich hier bis Ende des Jahres 1882 oder Anfang des Folgejahres an verschiedenen Orten aufhielt. Er hielt engen Kontakt zu seinen Bekannten aus der Hromada, vor allem aber der Gruppe um Drahomanov, durch die er auch den galizischen Autor, Politiker und Wissenschaftler Ivan Franko kennenlernte. Einerseits war Vovk weiterhin politisch tätig und bemühte sich um die Verbreitung illegaler Bücher. Andererseits interessierte er sich für wissenschaftliche Tätigkeit und dachte etwa über eine Promotion in Sozialökonomie nach, außerdem forschte er zur ›ruthenischen‹ (›rusnakischen‹) und russischen Bevölkerung Rumäniens. Tagebuch Fedir Vovks, 1879–1887, Naukovyj archiv instytut archeolohiji NAN Ukrainy (= NA IA NANU), fond 1 V/341a, ark. 1–30; Franko 2000, S, 68–70. 1229 Franko 2000, S. 77; ausführlicher zu Vovks zweitem Aufenthalt in Genf ebd., S. 72–77. 1230 Zu seinen Lehrenden gehörten weitere prominente Wissenschaftler wie Ernest Théodore Hamy (1842–1908), Jean Albert Goudry (1827–1908) und Georges Hervé (1855–1932). Notizbücher mit Vorlesungsmitschriften von Gabriel de Mortillet, 1888–1894, Anthropologie, Archäologie und Abstammung der französischen Nation, NA IA NANU, fond 1 V/74; Notizbücher mit Vorlesungsmitschriften von Adrien de Mortillet, 1889–1900, NA IA NANU, fond 1 V/75; sieben Notizbücher zu den Vorlesungen von Ernest Théodore Hamy aus Anthropologie und Archäologie, 1892–1896, ebd., fond 1 V/77; Vorlesungsmitschriften zu Georges Hervé, La population de la France, o. D., ebd., fond 1 V/78; Mitschriften von Kursen der École d’Anthropologie bei Èmile Carthailac und Jean Albert Goudry, 1890–1894, ebd., fond 1 V/79; France. Carte de glaciers quaternaires par G. de Mortillet, pour la paléontologie de l’Histoire, ebd., fond 1 V/81-a. Entgegen Mogilners Annahme (2013, Homo Imperii, S. 95) studierte Vovk aber nicht bei Paul Broca, dem Pionier der physischen Anthropologie in Frankreich. Dieser verstarb sieben Jahre vor Vovks Ankunft.

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senschaftlichen Exkursionen der Société d’anthropologie von 1891 bis 1901.1231 Die Société vereinte Wissenschaftler heterogener politischer und wissenschaftlicher Ansichten; der antiklerikale Zirkel unter Leitung von Gabriel de Mortillet hat als politisch radikalster von ihnen zu gelten. Vovk agierte in enger Zusammenarbeit mit dieser Gruppe; Adrien de Mortillet empfahl ihn für die Aufnahme an der Société, die 1895 erfolgte.1232 Vovk war damit, beruflich wie privat,1233 endgültig im Kreis hochrangiger europäischer Ethnologen, Archäologen und Anthropologen aufgenommen worden. Seine Expertise war nicht auf das östliche Europa beschränkt: seine preisgekrönte Dissertation verfasste er zu medizinischer Anthropologie, zu den Variationen des Fußskelettes bei Primaten und den Rassen des Menschen.1234 All diese Disziplinen, für die Vovk sich qualifiziert hatte, waren nicht nur für die eigenen Forschungen Hrusˇevs’kyjs von Interesse; sie eigneten sich auch in besonderem Maße, frontier-Regionen zu problematisieren. Vovk war durch Drahomanov, Franko und Antovonycˇ zwar in ukrainische Netzwerke eingebunden und formell Vereinsmitglied seit 1892, interagierte jedoch bis 1895 nicht intensiver mit dem NTSˇ. Vovk selbst stellte sich zu diesem Zeitpunkt die Aufgabe, noch während des Rests seines Lebens den »Anfang eines systematischen Zustandes der ukrainischen Ethnographie«1235 zu schaffen. Diesem Ziel konnte er allerdings in Paris nur teilweise nachkommen: Er beklagte sich nach einigen Jahren des Studiums und der Forschung darüber, dass »die ukrainische wis-

1231 Einladungen und Fotographien zu und von Exkursionen, 1894–1901, NA IA NANU, fond 1 V/84; Notizbuch zu Exkursionen, geführt ab 1891, ebd., fond 1 V/85. 1232 Richard 2012, S. 220f.; Bulletins et Mémoires de la Société d’Anthropologie de Paris Année 1904, no. 5, S. XXI. 1233 Gabriel de Mortillet adressierte Vovk schon 1894 als »Cher Collégue«. G. de Mortillet an Vovk, 4. August 1894, NA IA NANU, fond 1 A/3263. Nach dem Tod von Gabriel de Mortillet im Jahr 1898 organisierten seine Familie, Bekannten und Schüler Dîners zu seinem Gedenken, die regelmäßig in den Wintermonaten stattfanden und zu denen auch Vovk eingeladen war. Schlanger / Soulier 2002; Einladungen zu den Dîners de Mortillet, NA IA NANU, fond 1 V/84. 1234 1905 ist ihm der docteur des sciences für seine Arbeit verliehen worden. Die Arbeit ist bereits 1901 vorgelegt und ausgezeichnet worden, allerdings konnte Vovk vorerst nicht promoviert werden, weil er kein französischer Staatsbürger war und die Anerkennung einer wissenschaftlichen Institution aus dem Zarenreich benötigte. Diese erhielt er 1905 durch das ethnographische Museum Alexanders III. in St. Petersburg, das ihn zu Beginn des Folgejahres als Restaurator einstellte. Das Museum agierte ebenfalls als Agent der Zirkulation von Wissen und Gegenständen, zumal die im Folgenden thematisierten Forschungen Vovks vom Museum mitfinanziert wurden und Vovk im Gegenzug ethnographische Exponate aus Galizien und der Bukowina nach St. Petersburg schickte. 1906 übersiedelte Vovk in die Hauptstadt des Zarenreiches, 1907 begann er seine Tätigkeit als Privatdozent für Anthropologie und Archäologie an der St. Petersburger Universität. Franko 2000, S. 101f., 137f.; Tichonov 2003, S. 117. 1235 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 20. Juli 1895, LMH, t. 2, S. 103f.

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senschaftliche Arbeit in der Schublade liegt, wie sie lag«1236, während er zahlreiche andere Arbeiten zum Erwerb seines Lebensunterhalts zu verrichten hatte.1237 Dieses Kapitel betrachtet, wie Vovk moderne ›europäische‹ Einflüsse im NTSˇ zu installieren suchte und dazu eine Reihe von Forschungsreisen in westukrainischen frontier-Regionen durchführte. Der darauffolgende Abschnitt der Arbeit (Kap. 6.4) greift später die physische Anthropologie exemplarisch heraus und diskutiert Vovks Forschungsergebnisse vor einem breiteren akademischen Hintergrund. Hrusˇevs’kyj sandte Vovk im Herbst 1895 die jüngsten Veröffentlichungen des NTSˇ zu und bat besonders um dessen Rat hinsichtlich der ersten Ausgabe des Etnohraficˇnyj Zbirnyk, das unter anderem ein ethnographisches, folkloristisches und anthropologisches Forschungsprogramm enthielt, das Laien mittels Fragen motivieren sollte, eigenständig Informationen zu sammeln und dem Verein zukommen zu lassen.1238 Während Vovk die Veröffentlichung an sich begrüßte, missfiel ihm das Programm. Er kritisierte, es wäre stark an das 1873 veröffentlichte Programm der Südwestlichen Abteilung der Russischen Geographischen Gesellschaft angelehnt, das er selbst verfasst hatte; damit wäre es »sehr veraltet und überhaupt nicht wissenschaftlich«, überhaupt wäre die ukrainische Ethnographie seitdem nicht wesentlich weitergekommen. Vor allem aber, wie Vovk unterstrich, war die Arbeit weit von den in Westeuropa und den USA gepflegten Standards entfernt, an der sich die Forschung seiner Einschätzung nach orientieren müsste.1239 So ersuchte das Programm Laien um Zusendung anthropometrischer Daten. Dies wäre nach Vovk völlig sinnlos, zumal solche Daten nur bei professioneller Erhebung von wissenschaftlichem Wert wären: Spezialisten selbst müssten die benötigten Maße nach zuvor ausgearbeiteten Kategorien gleichförmig erheben.1240 Hrusˇevs’kyj verwies rechtfertigend auf den Personal1236 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 31. Januar 1896, ebd., S. 106–108, hier S. 107. 1237 Das betrifft vor allem offenbar schlecht bezahlte Übersetzungsarbeiten. Er übersetzte wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Texte bspw. vom Russischen ins Französische oder vom Tschechischen ins Russische und vollbrachte damit wichtige Transferleistungen. Dazu gehörte auch das zentrale Werk des tschechischen Anthropologen Lubor Niederle. Antonovycˇ machte Vovk Hoffnung auf die Gründung eines ukrainischen Museums in Lemberg, bei der Vovk eine leitende Stellung hätte einnehmen können; dieser schlug die Offerte aber aus, um für seine wissenschaftlichen Arbeiten die Ressourcen der Bibliothèque nationale in Paris zu nutzen, die zu diesem Zeitpunkt offenbar besser mit Ukrainica ausgestattet war als Institutionen der galizischen Landeshauptstadt. Hier zeigt sich, wie wichtig der Ausbau einer Bibliothek war, um die Stadt als Forschungsstandpunkt für ukrainische Projekte attraktiv zu machen. Vovk an Hrusˇevs’ky, 31. Januar 1896, LMH, t. 2, S. 106–108, hier S. 107. 1238 EZ I (1895), separat paginiertes Forschungsprogramm. 1239 So war auch von evolutionären Standpunkten, die zu diesem Zeitpunkt allgegenwärtig in der Ethnographie gewesen wären, nirgends eine Spur zu finden, wie Vovk monierte. 1240 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 31. Januar 1896, LMH, t. 2, S. 110–112, hier S. 111.

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mangel: müsste er vom Standpunkt des Perfektionismus agieren, würde überhaupt nichts vorangehen.1241 Diese Form des Aktionismus ist fraglos als Reaktion auf die jahrzehntelange Unproduktivität des Vereins und die bisherigen Schwierigkeiten, junges Personal einzubinden, zu verstehen. Hrusˇevs’kyj gestand damit zwar keine Fehler ein, zeigte sich aber offen für Vovks Pläne, um ihn in das Vereinsgeschehen zu integrieren. Aus Vovks Äußerungen folgten drei konkrete, langfristige Entwicklungen für die ethnographische Kommission: Erstens gab sie in den folgenden Jahren nur noch spezialisierte Fragebögen heraus, die sich auf Aufgaben beschränkten, die keine wissenschaftliche Ausbildung benötigten. Dieses Vorgehen erwies sich in den folgenden Jahrzehnten als außerordentlich erfolgreich. Zweitens spezialisierte sich der Etnohraficˇnyj Zbirnyk auf Folklore und ethnographische Beschreibungen, beides Bereiche, die von dieser Art der Einbeziehung von Amateurwissenschaftlern immens profitierten.1242 Drittens bot Hrusˇevs’kyj Vovk an, selbst eine Zeitschrift beim NTSˇ zu redigieren, die sich auf jene anthropologischen und ethnologischen Forschungen konzentrieren sollte, die in der Folge aus dem Etnohraficˇnyj Zbirnyk ausgeklammert werden sollten. Hieraus resultierten die Materialy do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji (Materialien zur ukrainisch-ruthenischen Ethnologie), welche die ethnographische Kommission als nahezu jährlich erscheinende Zeitschrift einführte.1243 Vovk legte der historisch-philosophischen Sektion 1902 Pläne zur Durchführung physisch-anthropologischer Forschungsreisen vor, die diese enthusiastisch annahm.1244 Schon 1901 gründete sich eine nie institutionalisierte Kommission zur Durchführung anthropologischer Messungen, vorwiegend unter den Naturwissenschaftlern, an der sich neben Verchrats’kyj, als damaligem Vorsit1241 Hrusˇevs’kyj an Vovk, 12. Februar 1896, ebd., S. 113. 1242 Rohde 2019, Local knowledge. 1243 Zu Erscheinungsjahren und späteren Namensänderungen vgl. Anhang I. Hrusˇevs’kyj an Vovk, o. D. [Anfang 1897], LMH, t. 2, S. 122. Seine Zusage, die Redaktion der Zeitschrift zu übernehmen, verband Vovk mit der Forderung, dabei »absolute wissenschaftliche Unabhängigkeit« (Vovk an Hrusˇevs’kyj, 21. Februar 1896, in ebd., S. 114–116) zu haben; dies resultierte sicherlich aus einer gewissen Skepsis gegenüber der bisherigen Vereinsleitungen in diesem Bereich. Die erste Ausgabe war keineswegs konfliktfrei. Vovk wollte ein möglichst optimales und ausführliches Resultat liefern, das ukrainischen Forscherinnen und Forschern Orientierung in diesem vergleichsweise neuen Feld bieten und gleichsam ein internationales Publikum überzeugen sollte. Vovk an Hrusˇevs’kyj, 24. Februar 1897, ebd., S. 123–125, hier S. 123. Hrusˇevs’kyj pochte jedoch auf einen raschen Redaktionsschluss, zumal er ansonsten riskierte, die Förderung für Vereinspublikationen für das Jahr zu verlieren. Vgl. den ausführlichen Briefwechsel zur Veröffentlichung von MURE 1 (1899) mit dem vorläufigen Zerwürfnis beider Wissenschaftler, 1897–1898, ebd., S. 125–161. Die Problematik führte zum vorläufigen Abbruch des regen Kontakts, außerdem wurden vorbereitete Materialien nie veröffentlicht, so die ukrainische Übersetzung eines Aufsatzes des polnischen Anthropologen Julian Talko-Hryncewicz zu Ukrainerinnen und Ukrainern in Sibirien. NA IA NANU, fond 1 V/317a. Zu Talko-Hryncewicz vgl. Rhode 2019. 1244 Hrusˇevs’kyj an Vovk an, 29. Mai 1903, LMH, t. 2, S. 187.

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zenden der MPL-Sektion, und den Ärzten Jevhen Ozarkevycˇ und Jaroslav Hrusˇkevycˇ auch Stepan Rudnyc’kyj und Stepan Tomasˇivs’kyj beteiligen wollten.1245 Vovks Initiative hatte allerdings nichts mit diesem unrealisierten Projekt oder anderen Vereinsschwerpunkten zu tun, sondern mit einem wissenschaftlichen Problem, das sich in der Pariser Société d’anthropologie ergab. Der französisch-russische Anthropologe Joseph Deniker, ein persönlicher Freund Vovks, war sich in seiner bekannten Klassifikation nicht sicher, wo in seinem Schema Ukrainer zu verorten gewesen wären. Ihm fehlten dazu ausreichende Daten, um zu ermitteln, ob sie eher seinen Kategorien zu Nordslaven oder zu Südslaven entsprechen würden.1246 In der Tat waren die Forschungen, derer er sich zu diesem Zeitpunkt bedienen konnte, äußerst selektiv. Die Ursache ist einerseits darin zu sehen, dass bis dahin nur regionale Teilgruppen erforscht wurde; so vermaß beispielsweise Izydor Kopernicki vor allem galizische Ruthenen, während Wladimir Diebold ausschließlich in Uman (Gouvernement Kiew) tätig war.1247 Augustin Weissbach vermaß für sein 1878 erschienenes Standardwerk nur neun Ruthenen in einer Kaserne in Olomouc/Olmütz, wodurch er späteren Zeitgenossen als unzuverlässig galt.1248 Auch Julian Talko-Hryncewicz, der das Konzept der russländischen liberalen Anthropologie nach Kraków importierte, arbeitete ähnlich, wenn er regionale Untersuchungen zur Anthropometrie Podoliens vorlegte und vor allem Vermischungen herausarbeitete.1249 Ganz ähnlich sind seine Forschungen zum ukrainischen anthropologischen Typ einzuordnen, die sich zu knapp 90 % auf Menschen aus einem einzelnen Bezirk in ˇ erkas’ka Oblast’ bezogen, wobei er diese später mit Stichproben der heutigen C aus anderen Regionen verglich.1250 Jedoch entstanden diese Forschungen jeweils mittels unterschiedlicher Messmethoden, so dass sie oft nur wenige Merkmale einbezogen, die wiederum den Pariser Standards nicht genügten. In der Nachbetrachtung kann nur geschätzt werden, wie die interne Diskussion hierzu ablief; Deniker war jedenfalls im Gegensatz zu zahlreichen seiner französischen Fachkollegen nicht auf Vovks Sprachkompetenz angewiesen, um sich mit den vorliegenden Arbeiten auseinanderzusetzen. Das NTSˇ hatte zu diesem Zeitpunkt keinerlei derartigen Schwerpunkt. Allerdings hatte Vovk die Vereinsleitung längst davon überzeugt, die Forschungen der ethnographischen Kommission professionalisieren, also vor allem europäisieren, zu müssen. Hrusˇevs’kyj verband mit der Unterstützung des Projekts die 1245 Protokoll der MPL-Sektionssitzung vom 13. März 1901, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39, ark. 14. 1246 Rakovs’kyj 1925, S. 1f. 1247 Diebold 1886; Kopernicki 1889. 1248 Weissbach 1878, S. 250–262; Diebold 1886, S. 20. 1249 Talko-Hryncewicz 1895. 1250 Talko-Hryncewicz 1890, S. [4].

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Hoffnung nach gezielter Spezialausbildung – Wissenstransfer aus dem renommiertesten Zentrum für physische Anthropologie – für Nachwuchswissenschaftler. Vovk hielt im November 1903 einen zweiwöchigen Kurs in »prähistorischer Anthropologie« ab.1251 Seine Expertise, erworben an der Pariser École d’anthropologie, sollte lokalen ukrainischen Wissenschaftlern zugänglich gemacht werden. Der Transferprozess wird etwa deutlich anhand Vovks Übersetzung von Gabriel de Mortillets palethnologischem Klassifikationsschema. Mortillet, und in der Folge auch seinem Sohn Adrien, diente dieses Schema als Grundlage für universitäre Vorlesungen und vergleichbare Spezialkurse. Vovk nutzte seine, vom NTSˇ gedruckte, ukrainische Fassung ebenfalls als Unterrichtsmaterial.1252 Vovk realisierte insgesamt vier Reisen zwischen 1903 und 1906. Zunächst war es für die Forschungen nötig, eine Erlaubnis der zuständigen Regionalverwaltung zu erhalten. Vovk und Hrusˇevs’kyj waren sich dessen offensichtlich nicht bewusst; Vovks Verbindungen zu Oleksandr Barvins’kyj führten allerdings dazu, dass dieser ihn rechtzeitig informierte.1253 Auch wenn Barvins’kyj 1903 nicht mehr in leitender Funktion tätig war, nahm er an der Sitzung der ethnographischen Kommission teil, die Vovks Antrag besprach, bot dort seine persönliche Unterstützung an und trug zum Gelingen des Projekts bei,1254 obwohl er vereinsintern nur noch ein marginaler Akteur war. In der Bukowina sowie in Galizien erhielt er problemlos eine Erlaubnis,1255 in Ungarn sogar die explizite Unterstützung des Kultusministeriums.1256 Angesichts der Unterdrückung nationaler Bestrebungen in Ungarn und mögliche Repressalien, vor denen Hnatjuk nur kurz zuvor gewarnt wurde, scheint dies nichts weniger als bemerkenswert. In den entsprechenden Schreiben agierte der Anthropologe nicht als Fedir Vovk, wirkliches Mitglied des NTSˇ, sondern als Théodore Volkov, »Professor an der

1251 LNV, t. 27, 1904, S. 101. 1252 Paleoetnol’ohicˇna sistema Gabrielja de Mortil’je, Kurs peredistorycˇnoji antropol’ohiji d. Ch. Vovka 1–15 lystopada 1903. NA IA NANU, fond 1, B/76 v. Dazu im Vergleich die französische Variante, die Mortillet für einen Kurs 1893 benutzte: Palethnologie, G. d. Mortillet 1893, ebd., B/76 b. 1253 O. Barvins’kyj an Vovk, 18. Juni 1903, NA IA NANU, fond 1 V/282. 1254 Barvins’kyj lud Vovk ein, während seines Aufenthalts in Lemberg bei ihm zu wohnen. Vovk war über die zwischenmenschlichen Probleme im Verein – insbesondere zwischen Barvins’kyj und Hrusˇevs’kyj – ausführlich informiert und witterte diplomatische Schwierigkeiten; er stand der Vereinsleitung bedeutend näher und hielt sich an Hrusˇevs’kyj. Vovk an Hrusˇevs’kyj, 31. Januar 1896, LMH, t. 2, S. 106–108, hier S. 107. ˇ O, fond 3, op. 1, spr. 9169, 1255 Legitimation: Professor Theodor Volkov, 7. Oktober 1904, DAC ark. 3–4; Legitymacya: Pan Teodor Wolków, galizische Statthalterei, 6. September 1903, NA IA NANU, fond 1 V/429a (erneuert 1904–1906). 1256 Vovk 1908, S. 3.

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Hochschule für Socialwissenschaften in Paris«1257. Die Kommunikationsstrategie ist bezeichnend, hat er doch hier nicht spezifiziert, dass er kein berufener Professor einer staatlichen Hochschule war, sondern nur gelegentlich an der von Maksim Kovalevskij gegründeten und privat betriebenen Russkaja vyssˇaja ˇskola obsˇcˇestvennych nauk (Russische höhere Schule für Sozialwissenschaften) unterrichtete. So wie auch Broch wurde er als internationaler Wissenschaftler und nicht als potenzieller nationaler Aufrührer wahrgenommen. Die technische Ausstattung war ein weiterer Faktor der Vorbereitung: sowohl anthropologische Porträts als auch ethnographische Aufnahmen von Gegenständen oder Häusern sollten produziert werden, wobei der Schwerpunkt aus Kostengründen und angesichts der großen anvisierten Menge auf den ersteren lag. Vovk erbat die Organisation eines Geräts, das gut sichtbare Porträtaufnahmen herstellt, vorzugsweise mit einem Zeiss-Objektiv.1258 Damit die entstandenen anthropologischen Typenfotographien mittels Ätzdruck massenhaft in Zeitschriften vervielfältigt werden konnten, mussten sie entsprechend hohe Qualität haben. Dadurch wurden Bilder mit angeblich stereotyper Bedeutung als Repräsentation spezifischer Gruppen verbreitet. (Abb. 6) Daran sieht sich die agency von Objekten bestätigt, die sich auch an anderen Beispielen zeigt, die wiederum modernen Standards genügen sollten. Für die anthropologischen Messungen musste das entsprechende Messgerät erworben werden, das nach Vovks Dafürhalten nur von einer namhaften Pariser Firma stammen durfte. Für die Ausbildung der Mitreisenden war auch die Anschaffung eines Skeletts nötig, das wiederum aus Wien bestellt werden musste.1259 Zirkulierende Objekte1260 waren damit eine Grundvoraussetzung für die Forschung und Ausbildung. Sie waren aber auch ein Vehikel, um in den anschließenden Publikationen wissenschaftliche Autorität zu rechtfertigen.1261 (West-) Europäische Technik galt als Maßstab dafür, moderne Wissenschaft zu betreiben. Vovk galt in diesem Sinne nicht nur in der ukrainischen scientific community als Agent einer westeuropäischen Moderne, der lokale Forschungsstandards zu überwerfen suchte, um die eigene Autorität zu unterstreichen, sondern auch im Zarenreich. Die Entwicklung der Aufnahmetechniken und -hilfsmittel für die anthropologischen Messungen folgte einer vergleichbaren Leitlinie. In enger ˇ O, fond 3, 1257 Vovk an das k.k. Landespräsidium in Czernowitz, eing. am 7. Oktober 1904, DAC op. 1, spr. 9169, ark. 1–2, Zitat ark. 1. 1258 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 1. August 1903, LMH, t. 2, S. 191. 1259 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 14. August 1903, ebd., S. 195f., hier S. 196. 1260 Zu Forschung und ›materialer Zirkulation‹ Scheidegger 2011. 1261 Franko 1905, Eine ethnologische Expedition am Beispiel vom Kopernicki. Diesen erachtete Vovk wiederum als einzigen Konkurrenten hinsichtlich der Anthropologie der ruthenischukrainischen Bevölkerung Galiziens, der eine quantitativ betrachtet ausreichende Menge an Personen vermessen hätte, um wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können.

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Abbildung 6: Typenkarten von Huzulen und Huzulinnen.

Kooperation mit Léonce Manouvrier (1850–1927), dem Direktor des anthropologischen Labors an der École des hautes études in Paris, bereitete Vovk die Aufnahmebögen für die anthropologischen Messungen vor,1262 die von der Druckerei des NTSˇ in ausreichender Anzahl bereitgestellt wurden. Auch die Auswertung der erhobenen Daten diskutierte Vovk mit Manouvrier in der Umgebung des Pariser Labors.1263 Zur Vorbereitung der ersten Reise im Jahr 1903 mussten potenzielle Mitarbeiter von Vovk in die Messpraxis eingewiesen werden, um technisch präzise arbeiten zu können, so seine Grundbedingung. Er favorisierte Medizinstudenten oder Ärzte, die bereits das nötige anatomische Vorwissen besäßen, damit er nur die technischen Aspekten des Messens vermitteln müsste.1264 Die Reise konzentrierte sich zunächst auf städtische Institutionen, in denen eine größere Menge an Personen unter einfacheren Umständen vermessen werden sollte: das Mili1262 Vovk 1908, S. 1. 1263 Ebd. 1264 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 9. August 1903, LMH, S. 194f., hier S. 194.

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tärhospital Przemys´l/Peremysˇl’, das städtische Hospital in Kolomyja/Kolomea und das Landesspital Czernowitz. Hier war die ansässige ukrainische Intelligenz elementar für die Vermittlung an die jeweiligen Institutionen, außerdem unterstützten einzelne Personen Vovk bei den Messungsarbeiten. Diese Umfelder ermöglichten die massenhafte Vermessung von Personen unter vergleichbar ›einfachen‹, labornahen Bedingungen. Komplizierter gestaltete sich das Vorgehen bei den Folgeprojekten.

Abbildung 7: Anthropometrische Messungen in Przemys´l/Peremysˇl’, 1903.1265

Einige wenige Dörfer und Kleinstädte der Hucul’sˇcˇyna besuchte Vovk bereits bei dieser Reise. Hier griff er, wie schon Hnatjuk in Ungarn, auf Dorfgeistliche als Ansprechpartner zurück. Das zeigte sich besonders in dem an der Bukowiner Grenze zu Galizien gelegenen Dorf Dovhopillja (rumän. Dovhopole) und in der ˇ eremosˇ. Für beide Lokalitäten war der Geistliche Ivan Kleinstadt Kuty am Fluss C Popel’ – und für Kuty auch ein lokaler Arzt – zentral für das Gelingen des

1265 Foto von Messungen in Przemys´l/Peremysˇl’, September 1903, LNNB IDBMR, II 28889.

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Vorhabens.1266 Popel’ machte seinen Einfluss in den von ihm betreuten Gemeinden geltend, um Vovk den Umgang mit ihnen zu erleichtern.1267 Die notwendige Vernetzungs- und Kommunikationsarbeit ist vor allem durch die ethnographische Kommission des Vereins geleistet worden, die durch ihre Mitarbeiter und die bereits einige Jahre andauernde ethnographische Forschungstätigkeit entsprechende Kontakte angesammelt hatte. Zu den Unterstützern gehörten auch (wirkliche) Vereinsmitglieder wie der in Kolomyja/Kolomea tätige Gymnasiallehrer Ivan Rakovs’kyj. Vor allem Mitglieder mit naturwissenschaftlicher und medizinischer Ausbildung nutzten die Möglichkeit der Weiterbildung, indem sie Vovk auch bei der praktischen Vermessung unterstützten. (Abb. 7) Hryc’ Harmatij, Arzt und ehemaliger Stipendiat des NTSˇ, und Mychajlo Rusov (1876–1909), Student der Geographie in Leipzig bei Friedrich Ratzel (1844–1909) aus der russländischen Ukraine, waren Vovk bei seinen Messungen behilflich.1268 Vovk lancierte die Option, in den Krankenhäusern weitere lokale Ärzte einzubeziehen. Er verwarf dies allerdings, zumal ihm mit den meist polnischsprachigen Kollegen – Vovk sprach kein aktives Deutsch – eine gemeinsame Umgangssprache fehlte.1269 Der Arzt Mychajlo Kos, NTSˇ-Mitglied und tätig im Garnisonsspital Przemys´l/Peremysˇl’, unterstütze Vovk 1903 bei der örtlichen Organisation und beschaffte die Erlaubnis des Festungskommandos.1270 In Kolomyja/Kolomea wurden ihm Wohnung und lokale Orientierung von Rakovs’kyj geboten, der Vovk im Gegenzug für einen populärwissenschaftlichen Vortrag im örtlichen ruthenischen ›Volkshaus‹ gewann.1271 Zu den vermessenen Bevölkerungsgruppen gehörten mehrheitlich Bojkinnen und Bojken sowie Huzulinnen und Huzulen, wobei der Schwerpunkt der Arbeit auf der Vermessung von Huzulinnen und Huzulen in der Bukowina wie auch in Galizien liegen sollte. Als vorläufiges Ergebnis hielt der Arbeitsbericht fest, dass sich der huzulische nicht allzu sehr vom allgemeinen ukrainischen anthropologischen Typ unterschieden, wie bisher angenommen, jedenfalls aber keine »östliche oder asiatische Herkunft«1272 der Huzulinnen und Huzulen anzunehmen sei. Der gestiegene Bekanntheitsgrad des Vereins führte unterdes zu neuen Kooperationsmöglichkeiten für die Forschungsaktivitäten. Der Verein für österreichische Volkskunde war seit geraumer Zeit auf der Suche nach qualifizierten Chronika NTSˇ 20 (1904), S. 11–13. Vovk 1908, S. 2. Ebd. Vovk an Hrusˇevs’kyj, 10. September 1903, LMH, t. 2, S. 199. Vovk an Hrusˇevs’kyj, 8. September 1903, ebd., S. 192f., hier S. 193. Einladung zum Vortrag »Frauen in prähistorischen Zeiten« von Chvedjir Vovk, Kolomyja, 4. Oktober 1903, NA IA NANU, fond 1 V/429; Vovk an Hrusˇevs’kyj, 30. September 1903, LMH, t. 2, S. 201. 1272 Kaindl 1894, S. 14.

1266 1267 1268 1269 1270 1271

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Experten, die ihnen ethnographische Materialien und Aufsätze zur ruthenischen Bevölkerung Galiziens liefern konnten. Der Kustos und Mitbegründer des Vereinsmuseums, Michael Haberlandt (1860–1940), trat mit der Bitte um eine entsprechende Kooperation an Ivan Franko heran.1273 In derselben Sitzung der ethnographischen Kommission, in der Franko sein Treffen mit Haberlandt kommunizierte, legte Vovk seinen Bericht über die vergangene Reise vor. Vovks Forschungen wurden von der Kommission positiv aufgenommen, sein unmittelbarer Folgeantrag koinzidierte mit dem Angebot Haberlandts und dem Wunsch nach einer Erweiterung des NTSˇ-Museums.1274 Vovks Plan sah vor, nach der massenhaften Datenakkumulation der ersten Reise eine alternative Strategie zu verfolgen, die die dezidierte Erforschung der ruthenisch-ukrainischen Karpatenbevölkerung vorsah. Im Gegensatz zu den vorherigen Reisen sollten die zu vermessenden Menschen an ihren Wohnorten aufgesucht und nach Möglichkeit ganze Familien vermessen werden. Der Grund dafür war eine anthropologische ›Ursprünglichkeit‹, die Vovk den Bewohnerinnen und Bewohnern entlegener (Gebirgs-) Regionen unterstellte. Diese ›Ursprünglichkeit‹ sollte sich für seine Betrachtung der ukrainischen physischen Anthropologie als zentral erweisen. Dadurch sollten auch »reine ethnographische Studien«1275 ermöglicht werden, zumal Bräuche und Lebensart an diesen Orten, nicht wie bereits in Städten, keine ›Mischformen‹ darstellen würden. Die Reaktion auf die plurikulturelle Situierung war damit die Suche nach etwas Essentiellem, das symbolisch für einen ›reinen‹ Ursprung der Nation stehen konnte. Wie ernst der Anthropologe sein Konzept nahm, mag sich allein dadurch belegt sehen, dass er in den folgenden Jahren einen deutlich höheren Arbeits-, Finanz- und Reiseaufwand in Kauf nahm, um eine geringere Anzahl von Personen in ihrer vermeintlich ›natürlichen‹ Lebensumgebung zu erforschen. Das NTSˇ genehmigte bald darauf die Unterstützung der gemeinsamen Exkursion, die vom 18. August bis zum 24. September 1904 stattfand. War die Reise von 1903 noch ausschließlich der anthropometrischen Datenakkumulation gewidmet, sollten zwischen 1904 und 1906 auch ethnographische und folkloristische Aufzeichnungen sowie Fotografien hergestellt und ethnographische Gegenstände gesammelt werden. Die zusätzliche Subventionierung der Reise durch Haberlandt ermöglichte eine Ausweitung des Personals und damit auch die Durchführung dieser Tätigkeiten. Bestritt Vovk zuvor die Reise allein und wurde nur lokal von einigen vereinsnahen Akteuren unentgeltlich unterstützt, fanden 1273 Briefe von Haberlandt an Franko, 1902–1912, IL VR, fond 3, N 1629, S. 3–41. Der genaue Zeitpunkt der Bekanntschaft der beiden lässt sich nicht feststellen; 1902 legte Franko (1902) eine Rezension in der Vereinszeitschrift vor, seit 1903 war er Mitglied des Volkskundevereins. Mitgliedskarte Franko, 1903, ebd., N 2349, S. 3. 1274 Chronika NTSˇ 16 (1903), S. 15f. 1275 Chronika NTSˇ 20 (1904), S. 13.

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die folgenden Unternehmungen mit einem Stammpersonal statt, das sich den jeweiligen Aufgaben arbeitsteilig annahm. Neben Vovk bestritt Zenon Kuzelja die gesamte Reise, Ivan Franko war von Beginn bis zum 5. September dabei, während Pavlo Rjabkov (1848–1926) als Fotograf später hinzustieß.1276 Franko nahm sich vor allem der Sammlung ethnographischer Gegenstände an und dokumentierte die Reise ausführlich für die Zeitschrift für österreichische Volkskunde. Kuzelja teilte sich mit Franko den ›Doktorvater‹ Vatroslav Jagic´. Als Praktikant des Wiener Volkskundemuseums und durch die Bekanntschaft mit dem NTSˇ war er womöglich sogar mitverantwortlich für das Zustandekommen dieser Kooperation. Er unterstützte vor allem Vovk bei den anthropometrischen Messungen, führte aber auch eigenständige Folklore-Aufzeichnungen durch.1277 Rjabkov war ein Ethnograph aus der russländischen Ukraine, der sich seit 1901 in Emigration befand. Er nahm 1904 an der Höheren Schule teil, an der Vovk einige Kurse unterrichtete, darunter in Ethnographie, Anthropologie und einige Einheiten auch konkret zur huzulischen Ethnographie.1278 Er fertigte vor allem Fotografien an und entwickelte diese im Anschluss.1279 Die Reiseverläufe sind in der Abbildung 8 schematisch nachvollzogen.1280 Die erste Hälfte der Reise 1904 führte wesentlich in die als ›Bojkenland‹ (bojkivsˇcˇyna) verstandenen Gebiete, die ethnographisch als von Bojkinnen und Bojken besiedelte Region definiert wurde. Die zweite Hälfte der Reise begann in Czernowitz, wo einige Tage anthropologische Messungen im Landesspital vorgenommen werden konnten. Von dort aus ist das »Bukowiner Huzulenland«1281 vor allem ˇ eremosˇ erforscht worden. Der Exkursionsbericht hielt unmittelbar entlang des C fest, dass rumänische Einflüsse sowohl aus ethnographischer als auch physischanthropologischer Perspektive höchst strittig seien. In seinen folgenden Arbeiten thematisierte Vovk die Nähe zur rumänischen Nachbarbevölkerung nicht weiter. Vovk bewertete die Reise als außerordentlich erfolgreich und suchte, die ›Ungarische Rus’‹ und das ›Lemkenland‹ in den kommenden Jahren zu erforschen, zumal diese Regionen seitens der physischen Anthropologie nahezu unbearbeitet gewesen wären.1282 Diese Pläne wurden mit Unterstützung des Vereins auch so realisiert. Die huzulischen Gebiete Ostgaliziens und Ungarns, außerdem die ruthenischen Siedlungen der Bacˇka, standen im Fokus der Reise 1905, 1276 Franko 1905. 1277 Kuzelja 1908, Bojkivs’ke vesjilje. 1278 Naulko 2001, Lystuvannja, S. 105; Kursprogramme der Russischen Höheren Schule für Gesellschaftswissenschaften 1904, NA IA NANU, fond 1 V/408b. 1279 Franko 1905, S. 17f. 1280 Zumal Vovk nicht immer angab, welche Routen und wann welche Reisemittel (v. a. Zugfahrten) genutzt wurden, können die Strecken nur schematisch wiedergegeben werden. Die zentralen Bahnstrecken Ostgaliziens sind komplementär eingezeichnet. 1281 Chronika NTSˇ 20 (1904), S. 12. 1282 Ebd., S. 13.

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während sich das Team 1906 dem östlichen Lemkengebiet Galiziens widmete (Abb. 8). Für den Beginn der Reise 1904 war der wichtigste Anlaufpunkt die Ortschaft Mszaniec/Msˇanec’ (heute: Ukraine, Starosambirs’kyj Rajon, L’vivs’ka Oblast’). Der Grund dafür war nicht allein die zentrale Lage in der Nähe weiterer Ortschaften, sondern insbesondere der griechisch-katholische Geistliche Mychajlo Zubryc’kyj (1856–1919), der seit seiner Studienzeit in Lemberg im regelmäßigen Austausch mit Ivan Franko stand.1283 Zubryc’kyj ging während seiner Berufstätigkeit der Passion lokalhistorischer und ethnographischer Forschungen nach, so dass er auch überregional als wichtiger Experte für das ›Bojkenland‹ galt.

Abbildung 8: Forschungsreisen unter Vovk, 1903–1906.1284

Bereits in den 1890er Jahren veröffentlichte Zubryc’kyj einige Miszellen in Frankos Zˇytie i slovo, nach der Transformation des NTSˇ und der Übernahme durch Hrusˇevs’kyj, den er besonders schätzte, wurde er regelmäßiger Beiträger für die Zapysky, den LNV, den EZ und die MURE1285 Zubryc’kyj organisierte den Transport der Gruppe von der ca. 20 km entfernten Bahnstation nach Mszaniec/ Msˇanec’,1286 das als erste Anlaufstelle fungierte. Er gewährte den Reisenden nicht

1283 Sysyn 2013; Zubryc’kyj (Hg.) 2016 zu seiner Biographie. 1284 Reiserouten rekonstruiert nach Chronika NTSˇ 16 (1903), S. 15f.; 20 (1904), S. 11–13; 24 (1905), S. 23–26; 28 (1906), S. 14f.; Franko 1905; Vovk 1908. Für die Georeferenzierung und die graphische Umsetzung der Karte sei Walter Liebhart (Klagenfurt) herzlich gedankt. 1285 Zubryc’kyj (Hg.) 2013. 1286 Franko an Zubryc’kyj, 13. August 1904, in Franko (Hg.) 1986, t. 50, S. 248f.

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nur eine Unterkunft, sondern verwies sie auch auf Forschungsmöglichkeiten, wie etwa einen nahegelegenen Jahrmarkt, der besonders günstige Möglichkeiten zum Erwerb ethnographischer Gegenstände bot. Am wichtigsten war wohl seine Vermittlungsarbeit, denn er empfahl die Gruppe nicht nur an andere Geistliche, die die Reisenden zuvorkommend unterstützen, sondern erleichterte auch das Auskommen mit den zu Erforschenden.1287 Ansonsten besuchte die Gruppe die kleinen Ortschaften entlang der Bahnstationen und etablierte damit ein Muster, das in den folgenden Jahren wiederholt angewandt wurde. Der zweite Teil der Reise sollte die Erforschung der hucul’sˇcˇyna fortsetzen. Nach einer Woche im Landesspital Czernowitz sind diverse huzulisch bewohnte Ortschaften der ˇ eremosˇ und des Schwarzen Bukowina, danach galizische Dörfer entlang des C ˇ eremosˇ erforscht worden. Nach einem kurzen Aufenthalt in Kryvorivnja in C Gesellschaft von Hnatjuk und anderen Urlauberinnen und Urlaubern endete die Reise im huzulischen Zentrum Z˙abie/Zˇabje. Das Folgeprojekt im Jahr 1905 sollte der Uhors’ka Rus’ gewidmet werden, einschließlich der huzulischen Gebiete und den ruthenischen Siedlungen in der Bacˇka, die Hnatjuk bereits erforschte. Die Reise bestritt Vovk erneut mit Kuzelja. Sie war auf drei Monate angesetzt, beinhaltete aber auch Abstecher zu Museen und Jahrmärkten1288, die nicht in der Karte verzeichnet sind. Dies eröffnete erneut die Möglichkeit, größere Mengen ethnographischer Gegenstände für diverse Museen zu beschaffen. Volodymyr Hnatjuk war der etablierte Experte für die ruthenisch besiedelten Territorien Ungarns, die Vovk vornehmlich bereisen wollte: die Komitate Bereg/Berezˇ’ka zˇupa und Máramaros/Marmarosˇ. Zu Vovks Bedauern war Hnatjuk aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, selbst mitzureisen. Er verwies Vovk an den Geistlichen Jurij Zˇatkovycˇ (Georg Zsatkovics), den er bereits vor einigen Jahren mit dem NTSˇ in Kontakt gebracht hatte, und gab ihm so weitere Anhaltspunkte für eine ertragreiche Forschungsreise.1289 Zˇatkovycˇ hatte selbst in unterschiedlichen Dörfern gearbeitet, die alle auf der Reiseroute lagen. Als bedeutender Kontakt der narodovci in Ungarn war er außerdem eine überaus wichtige Vermittlungsinstanz. Die anthropometrischen Forschungen Vovks konzentrierten sich auf die als huzulisch klassifizierte Bevölkerung. Vovks ursprünglicher Plan, deutlich ausgedehntere Forschungsreisen zu unternehmen, scheiterte an seiner Zeitknappheit sowie an der ausgebliebenen Teilnahme Hnatjuks. Gleichwohl Hnatjuk Vovk an Zˇatkovycˇ und andere Geistliche verwies, fehlte doch im Vergleich zum Vorjahr die vorbereitete lokale Unterstützung und ein Mitreisender mit lokaler Expertise. Abschließend wurde eine 1287 Franko 1905, Eine ethnologische Expedition, S. 18f. 1288 Nach Skole (Skolje im zeitgenössischen Ukrainisch) und Stryj. 1289 Vovk an Hnatjuk, 4. April 1905, LFV, S. 49–51; Hnatjuk an Vovk, 28. Juni 1905, ebd., S. 51f.; Hnatjuk an Vovk, 2. August 1905, ebd., S. 52.

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kurze Reise zu den ›ruthenischen Inseln‹ in der Bacˇka unternommen.1290 Hier wurden insgesamt 25 Personen vermessen und einige Fotografien angefertigt. Im Bericht deutete Vovk an, ermitteln zu wollen, ob es sich aus anthropologischer Perspektive hierbei um Ruthenen oder Slowaken handelte. Vorab wurde eine Tendenz zum ersteren Ergebnis genannt.1291 Die Daten wurden zwar umgehend in Paris ausgewertet,1292 aber erst 1916 veröffentlicht. Hier stellte er letztlich fest, es würde sich eindeutig um den ukrainischen anthropologischen Typ in seiner südlichen Ausprägung handeln.1293 Die etwas kürzere Reise in das ›Lemkenland‹ (lemkivsˇcˇyna) im Jahr 1906 bildete den Abschluss der Galizienforschung Vovks; er führte sie in dauerhafter Begleitung Kuzeljas und Rakovs’kyjs durch. Obgleich das Team bereits eingespielt war, gestaltete sich die Arbeit weniger produktiv als in den Vorjahren. Die Region war dem NTSˇ und auch Hnatjuk persönlich verhältnismäßig unbekannt, so dass Vovk sich mit lokalen Karten und einem Schematismus der griechischkatholischen Eparchie Przemys´l/Peremysˇl’ bei der Reiseorganisation behelfen musste, um Ortschaften zu ermitteln, in denen griechisch-katholische Geistliche als Unterstützer zu finden waren.1294 Der Mangel an gezielterer Vorbereitung mag der Hauptgrund dafür sein, dass verglichen mit vorherigen Reisen weniger Ortschaften besucht und weniger Messungen durchgeführt wurden. Damit darf diese Reise gleichsam als Lackmustest für die hervorgehobene Relevanz lokaler Unterstützer zum Gelingen der Forschungsprojekte gelten. Problematisch war jedoch auch ein Missverständnis zwischen Vovk und Franko; der letztere versprach, sich um die Finanzierung der Reise durch die ethnographische Kommission zu kümmern, letztlich findet sich jedoch kein Zeichen einer diesbezüglichen Initiative. Franko entschuldigte sich mit Bezugnahme auf seinen Gesundheitszustand, wobei Vovk um nachträgliche Finanzierung, zumindest für seine beiden Gehilfen ansuchte, die Hrusˇevs’kyj teilweise gewährte.1295 Letztlich räumte der von Rakovs’kyj unterzeichnete Bericht ein, dass durch die Exkursion die Region nicht in gewünschter Ausführlichkeit erforscht werden konnte, zumal sie Ortschaften südlich von Nowy Sa˛cz/Novyj Soncˇ/Neu-Sandez, nahe der heutigen Grenze Polens zur Slowakei, sowie Ortschaften im San-Tal (ukr. Sjan) aus Zeitgründen aussparen musste.1296 Damit wurden gerade die zu diesem Zeitpunkt unbekannteren Gebiete vernachlässigt. Insgesamt handelte es sich um eine 1290 Es handelt sich um die ruthenisch besiedelten Ortschaften Kocur (serb. Kucura) und Kerestur (serb. Ruski Krstur), die schon Hnatjuk erforscht hatte. 1291 Chronika NTSˇ 24 (1905), S. 24. 1292 Anthropologische Messungen, Auswertungsbogen: Bacˇka, NA IA NANU, fond 1 V/22. 1293 Volkov 1916, S. 444. 1294 Hnatjuk an Vovk, 25. April 1906, LFV, S. 58–60, hier S. 59. 1295 Pylypcˇuk 2016, S. 216. 1296 Chronika NTSˇ 28 (1906), S. 15.

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Region, die aufgrund ihrer Grenzlage deutlich geringere Aufmerksamkeit von der Nationalbewegung, etwa durch die Prosvita, erfuhr. Während des Ersten Weltkrieges diskutierte der Ukrainische Hauptrat, die Region als Westgrenze des ukrainischen Territoriums Ostgaliziens zu definieren.1297 Multiple regionale Identitäten machten sich jedoch während der Kriegszeit bemerkbar; nach der Organisation nationaler Räte existierte infolge des Krieges für mehr als ein Jahr eine separate Lemkenrepublik, die im Gegensatz zur huzulischen Republik nicht von der Westukrainischen Volksrepublik unterstützt wurde.1298 Auch in der Zwischenkriegszeit konnte von nationalen Eindeutigkeiten keine Rede sein, so dass die Prosvita eine eigene Kommission formierte, um die nationalen Verhältnisse der Region zu untersuchen und zukünftige Maßnahmen zur Nationalisierung zu planen.1299 In kolonialen Kontexten wird die anthropologische Vermessung als psychologischer Gewaltakt beschrieben. Im Gegensatz dazu ist zu bemerken, dass Vovk während seiner Exkursionen in die Dörfer von 1904 bis 1906 keine Zwangsmaßnahmen anwenden konnte; das Messen musste also mit dem Einverständnis der Personen geschehen. Vovks Expeditionsgruppe hat keine Berichte über die tatsächlichen Messvorgänge hinterlassen, die auf etwaige Probleme schließen ließen; allerdings lässt sich daran, dass teilweise nur ein bis zwei Personen in einer Ortschaft vermessen wurden, feststellen, dass die Gruppe nicht überall gleichsam erfolgreich war. Auch finden sich keine Stimmen der Vermessenen, die über das Vorgehen berichteten. Als städtischer Wissenschaftler, der keinen galizischen Dialekt des Ukrainischen, sondern einen zentralukrainischen mit zahlreichen Russismen sprach,1300 ist durchaus von einer kulturellen Distanz zwischen Vovk und den Vermessenen zu sprechen. Ebenso wie andere Wissenschaftler war er dem ländlichen Milieu entwachsen. Vor diesem Hintergrund muss insbesondere die Relevanz der Geistlichen, die das Vertrauen der Lokalbevölkerung besaßen, doch in vielen Fällen Briefkontakt zur städtischen Intelligenz hielten, auch als Vermittler zwischen Lokalbevölkerung und Wissenschaftlern betont werden. Vovk konnte den Vermessenen vermutlich kein größeres Honorar bezahlen, führte aber zumindest kleine Geschenke für Kinder mit,1301 auch wenn er keine Angabe darüber hinterließ, wann beziehungsweise

1297 [Stepan Rudnyc’kyj:] Das ukrainische Volksgebiet in Galizien, o. J. [vmtl. zw. 1916 und 1918], CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 1816. 1298 Magocsi 1993. 1299 Gegenwärtiger Stand der Lemkivsˇcˇyna, o. A., 1932, LNNB VR, fond 122, op. 1, spr. 1; Tätigkeit der Lemken-Kommission 1932–1933, ebd., spr. 3/1. 1300 Klymenko 2012, S. 148. 1301 Vovk an Hrusˇevs’kyj, 30. September 1903, LMH, t. 2, S. 201.

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aus welchem Grund er sie verteilte, zumal er primär Erwachsene (Männer ab 18 und Frauen ab 16 Jahren) untersuchte.1302 Die Reisen waren damit grundlegend für die Entstehung und Festigung von Kontakten, die zur Erweiterung der scientific community ebenso beitrugen wie zu individuellen Netzwerken. Die entstandenen Kanäle ermöglichten das Zirkulieren ethnographischer Gegenstände sowie auch ethnographischen Wissens um die bereisten Regionen mittels der Berichte, die das NTSˇ, der Verein für österreichische Volkskunde und die Société d’anthropologie publizierten. Die Verbindungen waren in diversen Fällen stabil und folgenreich. Vovk verkaufte auch nach den darauffolgenden Exkursionen ethnographische Gegenstände an Haberlandt.1303 Im Nachgang der Exkursion bestellte Haberlandt noch Modelle bojkischer Gebäude, die ihm Zubryc’kyj lieferte.1304 Auch das ethnographische Museum Alexanders III. in St. Petersburg, das Vovk 1906 einstellte, erwarb zahlreiche Gegenstände, die Vovk aufsammelte.1305 Einerseits konnte er damit einen Teil der Reisekosten decken, andererseits waren seine Exkursionen durchaus bedeutsam, um ethnographische Gegenstände aus Ostgalizien in europäischen Museen zu befördern. Gleichzeitig nahm Vovk als wissenschaftliche Autorität für seine Ansprechpartner wichtigen Einfluss auf die Deutung der Exponate und damit auch der gesamten Region. Die wesentlichen Beiträge zur ukrainischen Anthropologie und Ethnologie in französischer Sprache legte Vovk selbst vor.1306 Für das Volkskundemuseum in Wien hingegen galten das NTSˇ im Allgemeinen sowie Franko und später Kuzelja als wichtige Ansprechpartner, die auch die Vermittlung zu Vovk bewerkstelligten.1307 Die materielle Perspektive bestätigt einerseits die Relevanz der gestiegenen finanziellen Kapazitäten des Vereins, der sich derartige Ausgaben zuvor nicht hätte leisten können; andererseits zeigt sich auch, wie relevant die Kooperationen des Projekts waren, welche erst ermöglichten, dass auch Mitarbeiter finanziert werden konnten. Für Kuzeljas Karriere war die Mitarbeit bei diesen Reisen durchaus förderlich; in den Jahren, in denen er mitreiste, war er durchgehend Stipendiat des NTSˇ und trat 1905 in die ethnographische Kommission ein,1308 um 1909 (nach Abschluss

1302 Vovk 1908, S. 7. 1303 Dr. Ivan Franko, übermittelte Rechnung, 6. November 1907, ÖMV, Herkunftsakt 17.319– 348. 1304 M. Zubryc’kyj, übermittelte Rechnung, 16. November 1906, ÖMV, Herkunftsakt 17.349– 358. 1305 Franko 2000, S. 187–189. 1306 Richard 2012. 1307 Frankos konstante Überarbeitung und seine schwere Krankheit im Jahr 1908 führten zur Abschwächung und letztlich zum Abbruch des Kontakts. Dazu die Briefe Haberlandts an Franko in Beitl 1997. 1308 Chronika NTSˇ 23 (1905), S. 11.

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der Promotion) zum wirklichen Mitglied des Vereins berufen zu werden.1309 Auch seine Karriere im deutschsprachigen Raum profitierte sichtlich, zumal er selbst später kurze Beiträge zur ukrainischen Ethnographie in der Zeitschrift für österreichische Volkskunde veröffentlichen konnte.1310 Zubryc’kyj wurde nach der Exkursion des Jahres 1904 zum wirklichen Mitglied des NTSˇ gewählt und besiegelte damit seinen Aufstieg vom ›Amateur‹ zum ›Experten‹ in Perspektive der städtischen intelihencija. Ivan Rakovs’kyj bot Vovk seit der ersten Reise regelmäßig Unterkunft in Kolomea/Kolomyja, wobei sich offenbar eine Freundschaft entwickelte.1311 Er begleitete Vovk auf der Forschungsreise 1906.1312 Im Jahr 1910 führte er eigenständige Forschungsarbeit in Ostgalizien nach Vovks Anweisungen durch, die er in Volhynien fortsetzen sollte, allerdings verhinderte eine schwere Erkrankung die intensivere Kooperation für rund ein Jahr, das er auf Kur in Frankreich verbrachte.1313 Von 1912 bis 1913 studierte er bei Vovk in St. Petersburg, wo er auch in die Russische Anthropologische Gesellschaft aufgenommen wurde, und im Folgejahr an der École d’Anthropologie im Paris.1314 Er schloss seine Habilitation, die der Anthropologie der ›Tscheremissen‹ (heute: Mari) gewidmet war, unter Anleitung Vovks ab und publizierte sie mit einer Widmung an seinen Lehrer 1918 in den Materialy do ukrajins’koji etnolohiji.1315 Für Vovk waren die Forschungen weniger ein Karrieresprungbrett, als Teil seiner selbstgesetzten Aufgabe, die ukrainische Ethnologie und Anthropologie von Grund auf zu erneuern. Mit seiner Arbeit in St. Petersburg konnte er dieses Projekt durch seine Anbindung an die Universität auf eine gänzlich neue Grundlage stellen, wobei er die direkte inhaltliche und auch personelle Verbindung zu Lemberg halten wollte. Er vernetzte sich rasch mit der lokalen scientific community. 1906 wurde er wirkliches Mitglied der Russischen Anthropologischen Gesellschaft,1316 wo er eine intensivere Zusammenarbeit von Anthropologen, Archäologen und Ethnographen beschwor.1317 In den Vorträgen seiner Kollegen bemängelte er ungenaue Daten, inakkurate Kategorisierungen, veraltete Karten und ungeeignete Messinstrumente.1318 Im Jahr 1911 wurde er zum Chronika NTSˇ 41 (1910), S. 24. Schindler 1997. Hrusˇevs’kyj an Rakovs’kyj (für Vovk), 9. September 1903, LMH, t. 2, S. 200. Chronika NTSˇ 28 (1906), S. 14. Rakovs’kyj an Vovk, 9. August 1910, NA IA NANU, fond 1 A/5122. Holovac’kyj 2004, S. 24f. Rakovs’kyj 1918, Kosty. Ezˇegodnik Russkoho Antropologicˇeskogo obsˇˇcestva 2 (1908), 188. Protokoll der Sitzung vom 30. November 1906, Ezˇegodnik Russkogo Antropologicˇeskogo obsˇcˇestva 2 (1908), S. 192f., hier S. 193. 1318 Ebd., S. 192f.; Protokoll der Sitzung vom 14. Dezember 1907, ebd., S. 198f., hier 198; Protokoll der Sitzung vom 23. November 1908, Ezˇegodnik Russkogo Antropologicˇeskogo obsˇcˇestva 3 (1909), S. 155f., hier S. 155.

1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316 1317

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Präsidenten der Gesellschaft gewählt und nahm mit seinen Schülern erheblichen Einfluss auf die Gestaltung ihrer Veröffentlichungen.1319 Weiterhin war er unter anderem Mitglied der Russischen Geographischen Gesellschaft1320, der Russischen Archäologischen Gesellschaft1321 und des Ausschusses des Obsˇcˇestvo im. T. G. Sˇevcˇenka,1322, einem Verein, der sich für die Förderung ukrainischer Studentinnen und Studenten in St. Petersburg engagierte. In seine Lehrtätigkeit flossen die zentralen Werke der russländischen und der internationalen Wissenschaft ein; dazu gehörten auch die archäologischen Werke Volodymyr Antonovycˇs. Außerdem stellte er seinen Studenten deutsche, englische und französische Sekundärliteratur zum Selbststudium zur Verfügung. Seine Kontakte nach Paris nutzte er weiterhin, um die Bestände des Museums und seines Fachbereichs um archäologische Sammlungen zu erweitern.1323 Er agierte als internationaler Wissenschaftler französischer Prägung. Dadurch zog er mit seinen Schülern die Abneigung der bestehenden Schulen der Anthropologie- und Rassenforschung des Zarenreiches auf sich. Die St. Petersburger Schule konzentrierte sich auf koloniale Forschung im Osten des Zarenreiches, während die liberale Moskauer Schule sich der Erforschung von ›rassischer Vermischung‹ im europäischen Russland widmete.1324 Vovk vertrat eine primordiale Nationskonzeption, mit der er nationalen Imaginationen im Allgemeinen und der ukrainischen im Speziellen das Wort redete. Dabei handelte es sich nicht um eine Eigentümlichkeit des Anthropologen, sondern eine zirkulierende Idee innerhalb der europäischen Wissenschaften. Beispielsweise brachte auch Gabriel de Mortillet primordialistische archäologische Argumente in die Debatten um die Herkunft der französischen Nation ein.1325 Vovk transportierte seine Forschungskonzepte als Privatdozent letztlich auch nach St. Petersburg. Seine Lehre verlangte kein reines Auswendiglernen von Theorien, Fakten und Formeln; die genaue Ausbildung in anthropometrischen Techniken blieb sein zentrales Anliegen. Anthropologische Messinstrumente, ein Skelett, menschliche Schädel, archäologische Exponate und Karten gehörten deshalb zu seinem selbstverständlichen Unterrichtsinventar.1326 Seine Studenten hatten außerdem die Vermessung lebendiger Körper regelmäßig einzuüben. Zu 1319 1320 1321 1322 1323 1324 1325 1326

Ezˇegodnik Russkogo Antropologicˇeskogo obsˇcˇestva 4 (1913), S. 196. Schreiben der RGG an Vovk, 1910–1914, NA IA NANU, fond 1 V/359. Tichonov 2012, S. 307. Einladungsschreiben und Benachrichtigungen an Vovk, 1911–1915, NA IA NANU, fond 1 V/367; zumindest 1913 war er als Ausschussmitglied tätig: Protokoll der Sitzung vom 19. August 1913, ebd., fond 1 V/366 h. Tichonov 2003, S. 118. Mogilner 2013, Homo Imperii, S. 93–96. Richard 2002. Ein Foto einer solchen Unterrichtsszene ist abgedruckt in Tichonov 2003, S. 199 bzw. Tichonov 2012, S. 304; vgl. auch LNNB IDBMR, II 20088.

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diesem Zweck lud er, nach der in Frankreich üblichen Praxis, Modelle aus einem Kunststudio ein. Die Anforderungen dieses Lehransatzes evozierten in ihrer äußersten Konsequenz auch einen handfesten politischen Skandal, zumal er zum Missfallen konservativer Eliten des Zarenreiches auch Frauen zur Vermessung engagierte.1327 Seinen dortigen Schülern gab er noch zur Studienzeit die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Arbeit, etwa durch die Beteiligung an archäologischen Ausgrabungen, die Durchführung anthropologischer Messungen oder durch Veröffentlichungen im Jahrbuch der Russischen Anthropologischen Gesellschaft. Unter seinem Vorsitz vervielfachten sich die Sitzungen und gelesenen Referate in dieser Gesellschaft, die überdies ihren Tagungsort in Vovks Seminarraum verlegte. Damit bot er seinen Studenten auch zunehmend ein interessiertes Diskussionsforum für eigene Arbeiten. Gezielt dirigierte er seine Schüler, anthropometrische Forschungen in den ukrainischen Regionen durchzuführen. Zu seinen Lebzeiten konnte nur ein geringerer Teil dieser Arbeiten veröffentlicht werden. Sein Schüler Oleksandr Alesˇo sprach von rund 5.000 vermessenen Personen aus allen Regionen der russländischen Ukraine. Die gesammelten Daten sollten zum Projekt der anthropologischen und ethnographischen Kartierung des Zarenreiches durch die Russische Geographische Gesellschaft beitragen.1328 Dieses Projekt konnte zu Lebzeiten Vovks nicht mehr fertiggestellt werden, wobei er Teile dieser Forschungen für das enzyklopädische Werk Ukrainskij narod v ego prosˇlom i nastojasˇcˇem benutzte, welches er gemeinsam mit Hrusˇevs’kyj herausgab. Damit handelt es sich um translokale Transfers erprobter Methoden, die Vovk letztlich auch für die eigene Forschung zu Anwendung bringen konnte. Insgesamt bedeutete Vovks Initiative die Anbindung des NTSˇ an frankophone akademische Netzwerke, die in diesem Zeitraum als weltweit führend galten. Gleichsam suchte Vovk, die akademischen Zentren Lembergs und des Zarenreiches näher zusammenzuführen. Dies zeigt sich nicht nur am Beispiel der erwähnten Enzyklopädie, sondern auch seinen Plänen, St. Petersburg und Lemberg zu verbinden. 1914 dachte das NTSˇ unter neuer Leitung an, einen wissenschaftlichen Kongress zu organisieren, der den bisherigen Stand der ukrainischen Wissenschaften evaluieren und Pläne für die Zukunft erarbeiten sollte. Die Teilnahme von russländischen Ukrainerinnen und Ukrainern war explizit erwünscht.1329 Vovk gab nicht nur Anregungen für dieses Vorhaben, sondern plante auch, gemeinsam mit 12 bis 15 Personen aus St. Petersburg teilzunehmen, darunter auch einige seiner Studenten.1330 Offenbar sollten die entsprechenden Beiträge in den MURE erscheinen, die vorläufig eine eigene 1327 1328 1329 1330

Tichonov 2012, S. 305. Alesˇo 2012, S. 11. Hnatjuk an Vovk, 8. Mai 1914, LMH, S. 152–154. Vovk an Hnatjuk, 28. Mai 1914, ebd., S. 154–157, hier S. 155f.

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anthropologische Abteilung zu diesem Zweck planten, die wiederum Rakovs’kyj herausgeben sollte.1331 Unter der neuen Leitung, die Rakovs’kyj größere Kompetenzen einräumte, blieb die Verbindung zwischen dem Verein und Vovk unverändert eng, auch wenn der Kongress durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht mehr zustande kam.

6.4

Physische Anthropologie

»Diese Schlüsse können natürlich keine nationale, noch weniger eine politische Bedeutung haben, nachdem ja Rasse und Nation keineswegs dasselbe ist, aber sie können zweifellos und sie müssen auch für immer die ›echtrussische‹ und ›allpolnische‹ Legende, die Ukrainer seien polonisierte Russen oder russifizierte Polen, ein für allemal zerstören. Und dies ist heutzutage durchaus nicht unnütz.«1332 Fedir Vovk, 1908

Während sich frühere Forscher auf die Erhebung von Körpergröße, Augen- und Haarfarbe beschränkten, erforderte die im späten 19. Jahrhundert in Mode gekommene Pariser Schule der physischen Anthropologie immer mehr anatomisches Spezialwissen. Die Wissenschaftler vermaßen unter anderem Augen, Ohren, Nase, Stirn, Kiefer und Mund sowie Arme und Beine, berechneten Schädelund Gesichtsindizes.1333 Vovk sah entgegen vieler Zeitgenossen in »Rassen« keine Implikationen für »Nationen«, doch im selben Satz des einleitenden Zitats verwies er auf die ideologische Bedeutung seiner Forschungen: Ihre Ergebnisse widersprachen den hegemonialen Narrativen polnischer und russischer Wissenschaften, die er aus dem Bereich wissenschaftlich legitimierten Wissens verwies und als ›Legenden‹ deklassierte. Wie schon zuvor ausgeführt, stützten die durch Klassifikationsschemata forcierten Diskussionen über eindeutige Zuordnungen ethnisch-sprachlich definierter Gruppen zu anthropologischen Typen Vovks Strategien nationaler Abgrenzung. Damit begab er sich in Konkurrenz zur liberalen Anthropologie der Moskauer Schule im Zarenreich, die die Vermischung der Bevölkerung anhand unterschiedlicher Regionen untersuchte.1334 Diese direkte Konkurrenz um die anthropologische Verortung der ukrainischen Bevölkerung sollte sich bemerkbar machen, nachdem Vovk zunehmend in imperiale Institutionen vordrang. Abgesehen vom eingangs zitierten populärwissenschaftlichen Artikel, der 1906 auf Russisch erschien – allerdings im Ukrainskij vestnik, das kaum als fachwissenschaftliches Blatt gelten kann – und 1908 auch in 1331 1332 1333 1334

Chronika NTSˇ 58–59 (1914), S. 22. Wowk 1908, S. 493. Vovk 1908, S. 9–38. Mogilner 2013, Homo Imperii. Ein wesentlicher Vertreter dessen war A. A. Ivanovskij, den Vovk wiederholt zitierte. Vgl. Ivanovskij 1904.

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deutscher Übersetzung, blieb doch der größere Teil von Vovks empirischer Forschung zunächst unveröffentlicht, einzig der Huzulenregion widmete er eine gesonderte Darstellung.1335

Abbildung 9: Fedir Vovk: Anthropologische Karte der Hucul’sˇcˇyna, 1908.

Geographisch unterscheidet die Karte zwischen galizischen, bukowiner sowie ungarischen Huzulinnen und Huzulen; außerdem gibt es die Kategorie der »gemischten« aus sog. »alten huzulischen Gebieten«. Vovk ging es in seiner anthropologischen Forschung jedoch nicht darum, die regionalen Unterschiede zu zementieren, sondern auf eine gemeinsame anthropologische Identität aller Huzulen und ihre Zugehörigkeit zum ukrainischen anthropologischen Typ zu rechtfertigen. Insbesondere im Vergleich zu einer vorgezeichneten Kartenversion Vovks, die vor allem die Varianten der Größenverhältnisse ins Zentrum stellt, wird deutlich, dass die publizierte Karte – von einem vom Verein beschäftigten Zeichner – nicht so ausgeführt wurde, wie der Autor angedacht hatte.1336 Er mo1335 Volkov 1906; Wowk 1908; Vovk 1908. 1336 Handgezeichnete Karte des Huzulengebietes [vmtl. zwischen 1907 und 1908], NA IA NANU, f. 1 V/350, ark. 2.

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nierte brieflich gegenüber Hnatjuk, dass die Karte in der vorliegenden Form wohl eher eine geographische als eine anthropologische sei.1337 Vovks Intention, die Zusammengehörigkeit aller Huzulen darzustellen, wird in der Visualisierung der administrativen Grenzen durch die Schraffur der jeweiligen Regionen nicht bestätigt. Vovk sah in seinen Forschungen den Nachweis erbracht, dass bukowinische, ungarische und galizische Huzulinnen und Huzulen anthropologisch zusammengehörten und die Grenzen der administrativen Einheiten dementsprechend einen konstruierten Charakter hätten und für den anthropologischen Typ der ansässigen huzulischen Bevölkerung nicht aussagekräftig wären. Inwiefern Vovk selbst das thematisierte Territorium konstruiert, wird deutlich, wenn die Karte des Huzulenlandes (Abb. 9) mit den tatsächlichen Forschungsreisen (Abb. 8) kontrastiert wird. Der Vergleich der Darstellungen belegt, dass die Daten keineswegs so flächendeckend erhoben wurden, wie die Karte suggeriert. Somit verfolgt auch Vovks eigene, archiviert gebliebene Darstellung dieselbe Strategie. Außerdem ist ein weiterer Punkt zu problematisieren: Vovk gab zwar an, Huzulinnen und Huzulen von der übrigen (ruthenischen) Lokalbevölkerung unterschieden zu haben, aber nicht, nach welchen Kriterien er das getan hat.1338 In vielen Ortschaften, die auf der Karte klar als huzulisches Territorium aufscheinen, sind nur ein bis zwei Personen vermessen worden, viele wurden hingegen gar nicht bereist.1339 Er bestätigte mit den komplexen Daten die schon vorab geäußerte Annahme, dass die Huzulinnen und Huzulen eine »außergewöhnliche Uniformität« und insgesamt eine nur »sehr unbedeutende rassische Vermischung«1340 aufwiesen. Sie würden sich außerdem von anderen Ukrainern nicht so deutlich unterscheiden, als dass sie als separate anthropologische Gruppe zu verstehen wären. Seine wissenschaftliche Deutungshoheit rechtfertigte Vovk vor allem durch seine Ausbildung in Paris und berief sich auf die Anwendung der dort erlernten Methoden. Auch moderne Technik diente als Argument: Die Nutzung moderner anthropometrischer Apparate nach Léonce Manouvrier würde die Erhebung nach den international akzeptierten Forschungsrichtlinien gewährleisten.1341 Die Daten, die der polnische Anthropologe Izydor Kopernicki zur Bevölkerung Galiziens erhob, wurden u. a. mit der Begründung veralteter Instrumente für wissenschaftlich wertlos erklärt.1342 In seiner aus den Forschungsreisen hervorgegangenen Abhandlung zur Anthropologie der galizischen Huzulinnen und Hu1337 1338 1339 1340 1341 1342

Vgl. den Briefwechsel von Vovk und Hnatjuk, 1908–1909, LFV, S. 74–82. Vovk 1908, S. 7. Ebd. Ebd., S. 39. Vovk 1908, S. 1, 5. Franko 1905, S. 17, 20f.

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zulen unterstrich Vovk darüber hinaus, die Messergebnisse mit Manouvrier persönlich ausgewertet zu haben.1343 Messwerte für die Huzulen, die bis dato nur Kopernicki und Weissbach vorlegten, wiesen laut Vovk eine zu geringe Quantität und die Beschränkung auf lokale Zentren auf.1344 Neben seinen Forschungsergebnissen der Jahre 1903 bis 1906 delegierte er die Erforschung von Regionen, zu denen bisher keine Daten vorlagen, an seine Studenten der Universität St. Petersburg,1345 um die gesamte Breite dessen abzudecken, was er als ukrainisches Territorium definierte. Marina Mogilner ist deshalb zu widersprechen, wenn sie insistiert, Vovk »relatively easy abandoned his earlier studies of Galician Ukrainians«1346, um sich auf die Bevölkerung der russländischen Ukraine zu konzentrieren. Erstens konnte er die russländische Ukraine durch seine Zwangsemigration vor 1905 nicht erforschen, obwohl sein seit den 1890er Jahren erklärtes Ziel die systematische Ethnographie der gesamten Ukraine war; zweitens förderte er Rakovs’kyj, der die dezidierte Beschäftigung mit der ukrainischen Bevölkerung Galiziens fortsetzte; drittens reiste Vovk nach seiner Übersiedlung nach St. Petersburg noch in das bisher kaum erforschte ›Lemkenland‹. Für Mogilners These ließe sich argumentieren, dass Vovk eine zuvor angedachte Reise in die galizische Ebene nicht antrat, dies übernahm allerdings auf seinen Wunsch hin Rakovs’kyj.1347 Festzuhalten ist, dass Vovk Daten sammelte, die ein möglichst vollständiges Bild über alle ukrainischen Regionen liefern sollten; darüber hinaus ist dokumentiert, dass seine Schüler in St. Petersburg auch an der Auswertung von Daten beteiligt waren, die Vovk in der Habsburgermonarchie gesammelt hatte.1348 »Ukrainer«, so beschrieb Vovk den anthropologischen Typ, wären »in ihrer Masse von grossem Wuchs, brachykephalisch (breitschädlig) mit dunklen Haaren und Augen, gerader, schmaler Nase«1349. Er berief sich auf frühere Ideen des französischen Geographen Élisée Reclus, wenn er mit diesen Beschreibungen und seinen Daten untermauerte, dass es sich um einen anthropologischen Typ handelt, der dem der westlichen und südlichen Slaven ähnelte. Zumal Huzulen »große Nähe zu westlichen und besonders süd-westlichen Slaven« aufwiesen, würden sie »ost-ukrainische Gruppen mit den Südslawen verbinden«1350. Wenn Vovk die Nähe zu den Westslaven betonte, exkludierte er allerdings Polen. Die 1343 1344 1345 1346 1347

Vovk 1908, S. 1. Ebd., S. 7. Volkov 1916, S. 430. Mogilner 2013, Homo Imperii, S. 213. Sitzungsprotokoll der ethnographischen Kommission, 17. November 1906, LNNB VR, fond 1, op. 2, spr. 42a, ark. 26. 1348 Otcˇet o sostojanii i dejatel’nosti imperatorskago Sankt-Peterburgskago universiteta za 1908 god, 1909, S. 110. 1349 Wowk 1908, S. 492. 1350 Vovk 1908, S. 39.

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Huzulen dienten Vovk damit als der wichtigste geographische Brückenschlag, um Ukrainer im Allgemeinen nach Denikers 1900 in Les races et les peuples de la terre vorgelegtem Schema der ›adriatischen‹ beziehungsweise ›dinarischen Rasse‹ zuzuordnen.1351 Denikers Klassifikationsschema, das von fünf ›grundlegenden Rassen‹ ausging, hat als der einflussreichste Beitrag zu europäischen rassischen Klassifikationen zu gelten.1352 Damit berief sich Vovk auf seinerzeit international anerkannte Richtlinien, um die Scheidung des ukrainischen Typus von den polnischen und russischen Typen zu legitimieren. Damit würde der ukrainische ›Ur-Typ‹ zur dinarischen Rasse im Schema Denikers gehören, zu dem auch die ›südslawischen Rassen‹ zu rechnen wären. Mit Polen und Russen hingegen bestünde keine nähere Verwandtschaft, abseits der politisch bedingten ›Vermischung‹ in der jüngeren Geschichte. Dieses Argument spitzte Rudnyc’kyj zu, wenn er parallel darauf verwies, dass Polen und Russen im Gegensatz dazu nah miteinander verwandt wären, zumal sie »den miteinander verwandten Rassen: der Weichselrasse, beziehungsweise der orientalischen Rasse beizuzählen«1353 wären. Vovk unterschied Ukrainerinnen und Ukrainer der nördlichen, mittleren und ˇ ernigov/ südlichen Zone. Zur nördlichen Zone gehörten die Gubernien Kursk, C 1354 ˇ Cernihiv, Kiew (nördlich), Volhynien und Cholm. Zur mittleren zählte er die Gubernien Voronezˇ, Charkov/Charkiv, Poltava, Kiew (südlich), Podolien (nördlich), Volhynien sowie die ostgalizischen Rutheninnen und Ruthenen im Flachland, Bojkinnen und Bojken, Lemkinnen und Lemken und ungarische Rutheninnen und Ruthenen.1355 Die südliche Zone setzte er aus der Oblast’ Kuban, den Gubernien Taurien (Halbinsel Krim), Ekaterinoslav, Cherson, Podolien (südlich), außerdem den südlichen Bojkinnen und Bojken, Huzulinnen und Huzulen und den Rutheninnen und Ruthenen der Bacˇka zusammen.1356 Bei dieser Unterteilung hat Vovk ganz wesentlich auf den ukrainischen Dialektˇ ubyns’kyj und Kostjatyn Mychal’cˇuk schon 1871 gruppen aufgebaut, die Pavlo C infolge der Expedition kartographisch herausgearbeitet haben,1357 wie auch sein Mitarbeiter Nikolaj Mogiljanskij/Mykola Mohyljans’kyj (1871–1933) in seiner Rezension sehr unkritisch herausgestellt hat.1358 Diese Episode ist allerdings 1351 Deniker 1900, S. 333; Vovk (1908, S. 39) verwendete hier noch (im Unterschied zu Deniker) den Begriff ›adriatische Gruppe‹. Vovk und Deniker benutzten ›adriatisch‹ und ›dinarisch‹ gleichbedeutend. Vovk unterstrich, diese Gruppe könnte aus anthropologischer Perspektive ebenso ›slavische‹ genannt werden. 1352 McMahon 2016, S. 210. 1353 Rudnyc´kyj 1914. 1354 Volkov 1916, S. 438. 1355 Ebd., S. 443. 1356 Ebd., S. 444. ˇ ubinskij / Michal’cˇuk 1871. Vgl. ausführlicher hierzu Alymov / Podrezova 2017. 1357 C 1358 Mogiljanskij 1917, S. 133.

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entscheidend um zu verstehen, wie Vovk vorging. Er nutzte die bekannte linguistische Eingrenzung eines bekannten Territoriums und suchte, die Vorannahmen mit neuen epistemologischen Werkzeugen zu bestätigen. Ebenso ist er anhand geographischer und linguistischer Arbeiten bei seiner Forschung zur Hucul’sˇcˇyna vorgegangen. Die Annahme, »language communities were widely assumed to be biological races«1359, ist ein Produkt des langen 19. Jahrhunderts; diese wurde in dessen Verlauf immer weiter ausgearbeitet und beschäftigte verschiedene Disziplinen. Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Adolphe Quetelet propagierte Idee des »Durchschnittsmenschen« erlaubte Wissenschaftlern, nach der Vermessung einiger weniger Personen ganze Bevölkerungsgruppen, Nationen oder ›Rassen‹ zu charakterisieren.1360 Die Nutzung von Volkszählungsdaten und anderen Sprachstatistiken, um die Verteilung eines ›Typs‹ zu ermitteln, war also Normalität. Gleichzeitig ist damit festzuhalten, dass physische Anthropologie sich in dieselben Diskurse um Nation einschrieb, wie etwa Linguistik, Folkloristik, Ethnographie, Geschichte und Statistik. Die Messungen dienten also der wissenschaftlichen Konstruktion eines nationalen Körpers, der als Träger von Traditionen, Folklore und Sprache fungieren sollte, oder abstrakter: als Träger nationaler Mythen und Vorstellungen.1361 Der ukrainische ethnische Grundtypus sei nach Vovk im Südwesten am deutlichsten ausgeprägt und würde in Richtung Nordosten ›schwächer‹ werden. Dies führte er auf eine Mischung mit der historisch ansässigen finnischstämmigen Bevölkerung zurück. Damit bewegte er sich wiederum am Diskurs der Zeit; auch Kljucˇevskij als wichtigster Vertreter der liberalen russischen Historiographie räumte finnischen Stämmen einen wichtigen Einfluss bei der großrussischen und allgemein ostslavischen Ethnogenese ein.1362 Vovk argumentierte ähnlich, dass infolge politischer Umbrüche und durch Kontakte mit Nachbarvölkern seit dem Zerfall der Kiewer Rus’ der ursprüngliche ostslavische Typ verfälscht worden wäre, wobei er später Überlegungen anstelle, ob eine Diversifizierung der Ostslaven nicht schon weiter zurückliegen könnte.1363 Hier ist klar zu sehen, wie die Grenzlage – im Sinne einer historischen frontier – ein konstituierendes Argument für inhaltliche und methodische Voraussetzungen, überdies für die gesamte ukrainische Nutzbarmachung physischer Anthropologie wurde. Zumal Vovk eine ganze Generation an Schülern vor diesem Hintergrund 1359 McMahon 2016, S. 27. 1360 Desrosières 2005, S. 84–88. Systematische Massenvermessungen wurden erstmals in den Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkriegs praktiziert. Die Idee, Gefangenenlager für anthropometrische Zwecke zu nutzen, lässt sich auf die Balkankriege zurückführen. Górny 2014, S. 132, 134f. 1361 Yekelchyk 1993. 1362 Kljucˇevskij 1987, S. 299. 1363 Volkov 1916, Antropologicˇeskija osobennosti.

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in St. Petersburg ausbildete, überdauerte diese Sichtweise seine Lebenszeit bei weitem. Die »ethnische Verwandtschaft« mit Polen, Groß- und Weißrussen hätte historisch bestanden, würde sich aber nunmehr nur noch in der Sprache und nicht mehr im anthropologischen Typ manifestieren. Die anthropologische Ähnlichkeit sei durch die Vermischung mit Nachbarvölkern nach und nach verloren gegangen.1364 Im Allgemeinen ging Deniker als Vovks zentrale Referenz davon aus, dass Rassen aus der Mischung vorausgehender Rassen entstanden wären. Vovk wich in diesem Punkt von seinem Kollegen ab und stellte seinen ukrainischen Typ – nicht nur im ostslavischen, sondern auch im globalen, theoretischen Rahmen – als großen Ausnahmefall dar, denn jener sei zwar in den unterschiedlichen Regionen entsprechenden ›Mischungen‹ mit anderen Gruppen ausgesetzt gewesen, der ursprüngliche Typ könne aber noch immer in entlegenen Regionen ›unverfälscht‹ vorgefunden werden. Für seinen Ausnahmefall konstruierte Vovk ein Bedrohungsszenario durch fortschreitende Mischungen in transnationalen Kontakträumen, so wie etwa bei den Huzulen, deren ursprüngliches Territorium schon partiell einem »gemischten« gewichen wäre.1365 Damit unterstrich er gleichzeitig die Idee von den Ostkarpaten als ›ur-ukrainisches‹ Territorium und passte seine Darstellung an jüngste Narrative der ukrainischen Geschichte an, die etwa Hrusˇevs’kyjs Geschichtsschreibung zur Kiewer Rus’ als ukrainischer Staat und den ukrainischen Siedlungsbewegungen bot. Gleichfalls kann es kaum Zufall sein, dass sich diese ukrainischen ›ur-typischen‹ Merkmale am Stereotyp der ukrainischen Kosaken orientierten,1366 die die ukrainische Historiographie »als wichtigste Träger einer frühneuzeitlichen ukrainischen Nation«1367 verstand und versteht. Hrusˇevs’kyj hatte einen wesentlichen Anteil daran, dieses Narrativ wissenschaftlich zu stabilisieren und seine Studenten zu Quellensammlungen und weiteren Forschungen zu motivieren.1368 Die Kosaken gelten in ukrainischer Imagination als stereotype frontier-Bevölkerung,1369 so dass die eigene Parallelisierung mit Kosaken auch hinsichtlich der Selbstverortung als Ukrainer im wörtlichen Sinne, also als Bevölkerung des Grenzlandes, nicht zu unterschätzen ist. Die Reaktionen von Dmitrij Anucˇin (1843–1927), Vertreter einer liberalen Anthropologie und Professor an der Universität Moskau,1370 sind durchaus instruktiv für die Rezeption von Vovks Thesen durch die russisch-imperiale An1364 1365 1366 1367 1368 1369 1370

Wowk 1908, S. 492f., Zitat S. 492. Rohde [im Erscheinen], Ukrainian »National Science«. Mogilner 2013, Homo Imperii, S. 215f.; Yekelchyk 1993. Kappeler 2013, S. 8. Vgl. Kap. 4.2; Plokhy 2012. Rudnyc’kyj 1921, S. 24–26. Vgl. Mogilner 2013, S. 133–164 zu Anucˇin.

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thropologie. Vovk und Anucˇin lernten sich vermutlich in Paris kennen; seit 1893 wurde Anucˇin als auswärtiges Mitglied der Société d’anthropologie1371 geführt und stand seit 1895, soweit dies nachvollziehbar ist, im regelmäßigen brieflichen Austausch mit Vovk.1372 In einem letzten Brief aus dem Oktober 1917 reagierte Anucˇin auf die Veröffentlichung von Vovks Thesen sichtlich schockiert, was angesichts des nationalen Impetus von Vovks Anthropologie kaum verwundern kann. Hierbei kündigte er eine »eine kritische Auseinandersetzung zu ihrer [Vovks, M. R.] Abhandlung«1373 an, die sich zwar etwas verzögern sollte, allerdings schon im Folgejahr im Russkij antropologicˇeskij zˇurnal erschien. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass im selben Heft, in dem Anucˇins Verriss erschien, Vovk herzlich zum 70. Geburtstag gratuliert und dabei zum Ausdruck gebracht wurde, er möge »unserer Wissenschaft noch lange dienen.«1374 Hier ist allerdings zu beachten, dass es sich um die akademische Etikette des 19. Jahrhunderts handelte, die auch Anucˇin in seinem vorwarnenden Brief an Vovk zum Ausdruck brachte. Er betonte in seiner längeren Vorrede: »Ich halte es dabei nicht für überflüssig zu bemerken, dass ich mich ihnen gegenüber stets mit respektvoller Hochachtung verhalten habe und bereit zu Diensten war, und wenn ich mit ihnen aneinander geriet, dann nur in wissenschaftlichen Ansichten und Argumenten, und doch, Sie kennen ja das Sprichwort: Platon ist mir lieb, aber lieber noch die Wahrheit [im Original lat.: Amicus plato, sed magis amica veritas].«1375

Wie seine Akzentuierung von »Wahrheit« zeigt, war er nicht weniger als Vovk davon überzeugt, den objektiven Zugang zur physischen Anthropologie zu vertreten. So zeugte auch seine Rezension davon, dass die Auseinandersetzung eine etwas persönlichere Komponente annahm, als der Brief glauben macht. Anucˇin begann mit einer ausführlichen Einführung zu Vovk, in der er die Nationalität des Kritisierten sowie die Zugehörigkeit zu einem ausländischen ukrainischen Netzwerk – dem NTSˇ – thematisierte.1376 Das stellt durchaus einen wichtigen Bruch dar, zumal Vovk als Dozent, Kustos des Museums und Vorsitzender der Anthropologischen Gesellschaft in St. Petersburg stets als Volkov, als imperialer Akteur und russischsprachiger Mensch wahrgenommen wurde.1377 Dieser Diskussionsstil ist deshalb besonders hervorzuheben, weil er zum Ausdruck bringt, 1371 1372 1373 1374 1375 1376 1377

Bulletins et Mémoires de la Société d’Anthropologie de Paris Année 1904, no. 5, V. Briefe von Anucˇin an Vovk, 1895–1917, NA IA NANU, f. 1 V/128–163. Anucˇin an Vovk, 1895–1917, NA IA NANU, f. 1 V/159-L. Russkij antropologicˇeskij zˇurnal 1918, no. 1–2, S. 81. Anucˇin an Vovk, 1895–1917, NA IA NANU, f. 1 V/159-L. Anucˇin 1918, S. 49f. Maria Rhode (2019, 122f.) hat am Beispiel von Talko-Hryncewicz auf ähnliche Weise gezeigt, dass er ohne Rücksicht auf Nationalität in der imperialen scientific community St. Petersburgs tätig sein konnte, obgleich er in Galizien als polnischer Wissenschaftler tätig war.

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was Vovk tat: Aus russisch-imperialen Institutionen heraus versuchte er, mit den Mitteln der physischen Anthropologie unter nationaler Prämisse den imperialen Diskurs der liberalen Anthropologie zu dekonstruieren. Vovk beendete seine Abhandlung zur ukrainischen Anthropologie mit einigen Schlussfolgerungen, die zunehmend spekulativer wurden. Zunächst stellte er, wie üblich, fest, dass Ukrainer zur »adriatischen oder dinarischen Rasse« gehören würden, »die wir« – wie er ergänzte – »gern slavische [Rasse, M. R.] nennen könnten.«1378 Anucˇin argumentierte, man müsste Vovks Ausführungen, die »auf den ersten Blick nicht ganz eindeutig sind, so verstehen, dass […] Polen, Belarussen [belorussy] und Großrussen [velikorussy] nur der Sprache nach, aber nicht nach dem [anthropologischen, M. R.] Typ und dem Blut Slaven« wären. Er schäumte weiter: »Von den russischen Slaven bewahrten nur die Ukrainer ihren Altslavischen Typ, und nur sie allein können zur slavischen Rasse gezählt werden, zu der auch alle Süd- und Westslaven gehören, mit Ausnahme der Polen.«1379 Er verstand also Vovks Vorschlag, von einer »slavischen Rasse« zu sprechen, derart, dass Vovk Polen und Russen gänzlich absprechen wollte, anthropologisch Slaven zu sein. Dabei übersieht er, dass Denikers Kategorie, auf die Vovk sich stützt, zwar nicht nur, aber überwiegend Slaven einbezieht. Vovk hat den Grund für diese vorgeschlagene Umbenennung mit keiner Silbe erläutert, so dass er damit tatsächlich zur Spekulation einlädt. In Denikers Schema waren die genannten Gruppen der »Vistulian race« und der »Eastern race«1380 zugeordnet, wobei Vovk kaum weiter dazu schrieb und diese Klassifikation nicht in Zweifel zog. Vovk stellte einen im Kern äußerst reinen ukrainischen anthropologischen Typ fest, den er beispielsweise in den Ostkarpaten auch sehr aufwendig gesucht hat. Die Erklärung für die konstatierte Reinheit fand er daraufhin offenbar in seinen archäologischen Forschungen, denn er nahm an, dass die Ethnogenese der Ostslaven womöglich schon weit früher stattfand, als bisher angenommen – womöglich sogar in der Jungsteinzeit. Dabei stützte er sich allerdings auch auf die Arbeiten des russischen Linguisten Aleksej Sˇachmatov und räumte weiterhin ein, dass diese Ideen zum gegebenen Zeitpunkt noch sehr allgemein wären und erst ausgearbeitet werden müssten. Er nutzte das Argument der angeblich frühen Abspaltung der Ukrainer von Bela- und Grußrussen, um einerseits die Nähe zwischen den »russischen Slaven«1381, wie der Anthropologe Dmitrij Anucˇin sie nennt, zu dekonstruieren und andererseits, um den ukrainischen Typ als möglich alt und nahe am Ur-Slavischen zu präsentieren.1382 Angesichts dessen be1378 1379 1380 1381 1382

Volkov 1916, S. 452. Anucˇin 1918, S. 50. Deniker 1900, S. 344f. Anucˇin 1918, S. 50. Volkov 1916, S. 452–454.

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mühte Anucˇin ein Argument, durch das er Vovk deutlich die Wissenschaftlichkeit absprechen wollte: er verglich seine Ausführungen mit der »Theorie der Nicht-Slavizität [ne-slavjanstva] der Großrussen, die von einigen polnischen Gelehrten und Literaten (besonders Herrn Duchinski) aufgestellt wurde.« Vovk würde allerdings deutlich über diese hinausgehen, weil er eben auch Belarussen und Polen ausschließen würde.1383 Diese Interpretation geht wiederum deutlich über das hinaus, was sich Vovks Ausführungen entnehmen lässt. Vovk bezog sich in seinem Text nicht auf Duchin´ski und verfasste auch sonst keine direkte Auseinandersetzung mit ihm, allerdings können die Gedanken von Vovks Freund Drahomanov zur Duchin´skiRezeption Oleksandr Konys’kyjs die Sachlage sicherlich erhellen. In seiner längeren Rezension charakterisierte Drahomanov dessen Vorgehen als unwissenschaftlich; einerseits wären präsentierte Fakten äußerst selektiv, andererseits würde sich die Arbeit trotz eines mehr oder minder wissenschaftlichen Anscheins keiner wissenschaftlich-vergleichenden Methode bedienen, die für die vorliegenden Fragen die angemessene Vorgehensweise wäre.1384 Antonovycˇs im gleichen Zeitraum erschienener Artikel Try nacional’ni typy narodni ignoriert die Debatte, aber auch Duchin´skis Thesen völlig, obwohl dieser und Konys’kyj seiner Darstellung einer ukrainischen anthropologischen Eigenständigkeit das Wort geredet hätten. Ist Vovk nun – mit Rückbezug auf Anucˇin – eher in die Tradition von Drahomanov und Antonovycˇ einzuordnen, oder kann Vovk eher der Denktradition von Duchin´ski und Konys’kyj zugeordnet werden? Im direkten Vergleich fällt auf, dass Vovk zumindest der Prüfung durch ukrainische Wissenschaftler – im Gegensatz zu Konys’kyj – großteils standhielt,1385 auch wenn seine Schüler Rakovs’kyj und Rudenko seine Thesen später abwandelten.1386 Vovks anthropologische Texte sind frei von politischen Forderungen, insofern ist er einer konservativeren Riege an Wissenschaftlern zuzuordnen. Nur bei einer bekannten Gelegenheit, einem allgemeinen Artikel zur »Ukrainian Question« im britischen The Russian Review 1912, argumentierte er für eine föderative Umgestaltung des Zarenreichs nach Drahomanov’schem Vorbild.1387 Damit unterschied er sich deutlich von den galizischen Wissenschaftlern, die nationalistischer und rassistischer argumentieren als auch den von Duchin´ski geprägten Diskurs aktualisieren sollten. Während Vovk ansonsten eine strenge Wissenschaftlichkeit nach Maßgabe der französischen Anthropologie einzuhalten suchte, räumte er selbst zum Ende seines Aufsatzes ein, dass einige der 1383 Anucˇin 1918, S. 50. 1384 Drahomanov 1906. Erstveröffentlichung der Besprechung 1888; Konys’kyjs Broschüre erschien im Vorjahr. 1385 Mogiljanskij 1916; Rakovs’kyj 1925. 1386 Rakovs’kyj / Rudenko 1927. 1387 Volkov 1912.

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vorgetragenen Thesen noch sehr allgemein gehalten und wenig ausgearbeitet wären.1388 Letztlich muss ihm bewusst gewesen sein, dass seine Darstellungen durchaus Assoziationen mit Duchin´skis Thesen wecken könnten und doch hat er dem nicht vorgegriffen; allerdings liegen keine weiteren Quellen zur Beurteilung dieser Problematik vor. Anucˇin bezeichnete Vovks anthropologische Thesen schon in einem Brief an ihn als »tendenziös« und bemängelte die »Frühreihe«1389 dieser abschließenden Punkte, doch er explizierte dort seine Interpretation des Textes nicht. Zumal keine weiteren Briefe vorliegen und Vovk auch die Rezension – die entweder kurz vor oder aber nach seinem Tod erschienen sein muss – vermutlich nicht mehr gelesen hat, konnte er sich zu dieser Kritik nicht mehr äußern. Es verwundert jedoch nicht, dass Vovks Arbeit in der ukrainischen scientific community auf offene Ohren stieß. Rudnyc’kyj und der UNDP-Politiker Lonhyn Cehel’s’kyj nutzten Vovks Vorlagen, um in radikalisierten nationalistischen Diskursen des Ersten Weltkrieges die »Mongoloisierung« von Großrussen zu thematisieren. Mit diesem Begriff hat Górny das Postulat mongolischer Einflüsse auf eine anthropologisch definierte Gruppe als zentralen Stigmatisierungsdiskurs der physischen Anthropologie im Ersten Weltkrieg verwiesen.1390 Die Idee ist mit Bezug auf den Mongolensturm, seinem Einfluss auf den ostslavischen Raum und die Zugehörigkeit zum mongolischen Weltreich deutlich älter; sie wurde gebraucht, um osteuropäischen Bevölkerungsgruppen die Zugehörigkeit zu Europa abzusprechen. Nicht zuletzt die Huzulinnen und Huzulen sind im 19. Jahrhundert mit Bezug auf ihre postulierte ›Andersartigkeit‹ in den Verdacht geraten, mongolischer Abstammung zu sein. Raimund F. Kaindls im deutschsprachigen Raum autoritative Monographie Die Huzulen widersprach schon Positionen, die in dieser Bevölkerungsgruppe »slavisirte Reste der Skythen, Gothen, der Rumänen und Mongolen erblicken«1391 wollten und verwies darauf, dass es sich eindeutig um Slaven handelte. Vovk war es ein zentrales Anliegen, diese Position aus anthropologischer Perspektive zu untermauern. Später wiederholte er dieses Argument mit Bezug auf den gesamten ukrainischen anthropologischen Typ; auch der im Nordosten veränderte Grundtyp wäre nicht auf mongolische Einflüsse zurückzuführen.1392 Stepan Rudnyc’kyj wiederholte diese Position im Ersten Weltkrieg und nutzte sie mit eindeutiger politischer Konnotation zur Abgrenzung vom ›russischen Typ‹. Dessen Abweichungen von anderen slavischen Gruppen interpretierte er wiederum als Hinweise »auf die bedeutende Beimischung des finnisch-mongo1388 1389 1390 1391 1392

Volkov 1916, S. 453. Anucˇin an Vovk, 1895–1917, NA IA NANU, f. 1 V/159-L. Górny 2014, S. 141. Kaindl 1894, S. 2. Wowk 1908.

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lischen Blutes«1393. Zum ukrainischen Typ stellte er hingegen fest: »Der anthropologische Typus der Ukrainer zeigt also eine vollkommene Selbständigkeit dem polnischen, weißrussischen, russischen Typus gegenüber und verrät keine merklichen Spuren einer mongolischen Beimischung.«1394 Die Zurückweisung mongolischer Einflüsse korrespondiert mit der Darstellung eigener Europäizität und gleichsam der Distanzierung von Russland und der ›großrussischen‹ Ethnie. Rudnyc’kyjs Argumentation erinnert an die schon zuvor erwähnten Thesen Franciszek Duchin´skis, die die ›finnisch-mongolische‹ Herkunft der Großrussen nachzuweisen suchten. Auch wenn Rudnyc’kyj ihn nicht namentlich erwähnt, lässt das kombinierte Adjektiv ›finnisch-mongolisch‹ durchaus auf eine unmittelbare Rezeption dieser Ideen schließen, wobei sie auch vermittelt durch Konys’kyj oder die deutschsprachige Wissenschaft erfolgt sein könnte. Auch Cehel’s’kyj, NTSˇ-Mitglied und wie Rudnyc’kyj ein galizischer Mitarbeiter des Sojuz Vyzvolennja Ukrajiny, aktualisierte diese Thesen mit Bezug auf die ›finnischmongolischen‹ Einflüsse auf Russland während des Ersten Weltkrieges in einer allein in der zweiten Auflage in 15.000 Exemplaren verbreiteten ukrainischsprachigen Broschüre.1395 In einer deutschsprachigen Broschüre ging er bedeutend weiter: »Die Politik wird nicht von der abstrakten Philologie, sondern von den Lebensinteressen einzelner territorialer Menschengruppen (Nationen oder Staaten) bedingt. Und deshalb werden die Ukrainer gewiß nie ihre politische Orientierung danach richten, ob diese oder jene Nation eine dem Ukrainischen mehr oder weniger ähnliche Sprache spricht – umso mehr, da die Russen ihrer Rasse nach ja gar keine Slawen, sondern slawisierte Finnen sind.«1396

Was unterscheidet nun also die Zugänge von Vovk, Rudnyc’kyj und Cehel’s’kyj? Vovk versuchte, die von Deniker gestellte Aufgabe zu erfüllen und den ukrainischen anthropologischen Typ dabei in aller Deutlichkeit von Polen und Russen abzugrenzen. Auch wenn Vovk, so wie auch andere europäische und selbst russische Wissenschaftler, finnische Einflüsse auf den großrussischen Typ thematisierte, war doch nicht sein Ziel, Großrussen ihre Europäizität abzusprechen. Außerdem erläuterte er, dass die Ausprägung des ukrainischen Typs im Nordosten auch von Finnen beeinflusst worden wäre. Obwohl Vovk weder eine ras1393 1394 1395 1396

Rudnyc´kyj 1916, S. 180. Ebd., S. 183. Cehel’s’kyj 1916. Cehelskyj 1915, S. 31. Hervorhebung M. R. Vgl. auch Górny 2019, S. 271. Die exakte Formulierung »slawisierte Finnen« geht vermutlich auf den Reiseautoren Johann Georg Kohl zurück, der schon 1868, sicherlich mit nicht ganz korrektem Rückbezug auf den in Charkiv/ Charkov geborenen Duchin´ski, schrieb: »Die Großrussen werden von den Ruthenen als ein neuerstandenes Mischvolk betrachtet und ihre Gelehrten möchten sie gar fast nur für slavisirte Finnen ausgeben.« Kohl 1868, S. 169.

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sische Argumentation noch ein Anteil an der Grundlegung des ukrainischen Rassismus der Zwischenkriegszeit abzusprechen ist, argumentierte er im Rahmen von Maßgaben, die innerhalb seiner Fachgemeinschaft ein großes Maß an (konstruierter) Objektivität genossen. Im Rekurs darauf ist festzustellen, dass auch Rudnyc’kyj Duchin´skis These nicht völlig übernahm, sondern sie unter Rückgriff auf Vovks Argumentation als eine »Beimischung« abschwächte – dies entsprach dem zeitgenössischen Forschungsstand deutlich mehr. Rudnyc’kyj suchte also, das Prädikat wissenschaftlicher Objektivität gegenüber der Fachöffentlichkeit zu wahren. Für den umso politischer argumentierenden Cehel’s’kyj galt dies nicht; ebenso wenig für diejenigen Schriften Rudnyc’kyjs, die er nur in ukrainischer Sprache und unter dem Pseudonym Levenko (dazu Kap. 9.1) veröffentlichte. Während Vovk noch eine gewisse Vorsicht hinsichtlich der Implikation von ›rassischen Typen‹ für ›Nationen‹ walten ließ und deren populärer Gleichsetzung widerspach,1397 teilten Rudnyc’kyj und Cehel’s’kyj, und mit ihnen weitere ukrainische Intellektuelle während der Kriegs- und der Zwischenkriegszeit, diese Einstellung nicht mehr. Die »Kultur der Niederlage«1398 im Nachgang des Ersten Weltkriegs radikalisierte nationalistische Positionen, auch wenn daraus keine direkten Bezüge zum integralen Nationalismus Dmytro Doncovs (1883–1973) und der Orhanizacija Ukrajins’kych Nacionalistiv (Organisation ukrainischer Nationalisten) abzuleiten sind.1399 Vovk suchte zwar, eine Ursprünglichkeit des ukrainischen anthropologischen Typs zu konstruieren und wies jegliche ›asiatischen Einflüsse‹ zurück; im Gegensatz zu seinen Schülern Ivan Rakovs’kyj und Serhij Rudenko konstatierte er jedoch keine ›Höher-‹ oder ›Minderwertigkeit‹ des ukrainischen Typs gegenüber ›asiatischen Rassen‹.1400 Auch das Konzept eines als ›schädlich‹ verstandenen »Fremdkörper[s]«1401 hielt erst in der Nachkriegszeit Einzug in ukrainische Diskurse um den nationalen Körper; dies korrelierte mit der Popularisierung von Diskursen um Eugenik und Sozialhygiene im Zusammenhang mit der »ukrainischen Rasse«, die neben den genannten Akteuren auch von Wissenschaftlern an der Freien Ukrainischen Universität Prag seit den frühen 1920er Jahren geführt wurden.1402 Rudnyc’kyj entwickelte sich in diesem Zeitraum zu einem Anwalt einer »nationalen biologischen Politik«1403, in der »moderne nationalistische Euge1397 1398 1399 1400 1401 1402

Diese Haltung teilten auch andere etablierte Anthropologen. Górny 2014, S. 133f. Hausmann 2014. Zu Doncov Zajcev 2019. Rakovs’kyj / Rudenko 1927. Planert 2000, S. 563. Zur Übersicht über Eugenik in der Vor- und Zwischenkriegszeit vgl. Turda 2010; Turda / Weindling (Hg.) 2007; Felder / Weindling (Hg.) 2013. 1403 Rudnyc’kyj 1923, S. 59.

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Vom Grenzraum zum ethnographischen Territorium

nik«1404 eine zentrale Rolle spielte. Damit plädierte er dafür, den ursprünglichen ukrainischen anthropologischen Typ durch gezielte Fortpflanzungspolitik zu stärken: »Man muss sich vor Kombinationen mit minderwertigen Personen des eigenen Volkes schützen, aber genauso, und vielleicht mehr noch, vor Kombinationen mit Personen eines fremden Volkes, wenn sie: a) zu einem rassisch minderwertigen Volk gehören; b) zu benachbarten oder unter uns lebenden Völkern gehören und durch die Vermischung mit ihnen der Einfluss fremder Völker [auf den ukrainischen anthropologischen Typ, M. R.] unerwünscht wächst. Aus dieser Sicht stellen sich für uns, die Ukrainer, Kombinationen unseres Elements mit der sogenannten nordischen Rasse (Skandinavier, größter Teil der Angelsachsen, Deutsche) und den mit uns rassisch verwandten Südslawen und Tschechen als nützlich dar. Dagegen unzweckmäßig stellen sich Kombinationen mit Polen, Russen [Moskaljamy], Rumänen, Turktatаren, Juden, usw. dar.«1405

Diese Biopolitik blieb gänzlich imaginiert und Rudnyc’kyj betrieb mit seinem Weggang nach Charkiv und der Gründung des dortigen geographischen Instituts wenige Jahre später auch keinerlei eugenische Forschung. Explizit sei darauf hingewiesen, dass Rudnyc’kyj keine der zuletzt aufgezählten Gruppen, die allesamt ›neben‹ oder ›unter‹ der ukrainischen Bevölkerung zu finden waren, explizit als ›minderwertig‹ tituliert hat; denkbar ist, dass er damit vor allem ›asiatische Rassen‹ bezeichnete, die Ivan Rakovs’kyj – an dem sich auch Rudnyc’kyj bezüglich rassenanthropologischer Forschungen orientierte – als ›minderwertig‹ im Vergleich zu ›europäischen Rassen‹ auswies.1406 Nichtsdestotrotz zeigen diese Ausführungen eine Radikalisierung der rassischen und rassistischen ukrainischen Diskurse der Kriegs- und Vorkriegszeit. Dies ist als modernistische Reaktion auf die Niederlagen, die fehlgeschlagenen Staatsbildungsversuche und menschlichen Verluste des Ersten Weltkrieges, die allseits diskutierte ›Degeneration‹ und nicht zuletzt auf die eugenischen Debatten in west- und zentraleuropäischen, aber auch allen umliegenden Staaten zurückzuführen.1407 Damit soll der rassistische Inhalt der Programmatik keineswegs gerechtfertigt, sondern erklärt werden: Nach wie vor orientierte sich die ukrainische Wissenschaft, auch in einer solchen Extremform, maßgeblich an gesamteuropäischen Diskursen. Darüber hinaus blieb die frontier-Problematik in der ukrainischen Anthropologie der Zwischenkriegszeit ein dominantes Thema. Die Lokalisierung in »Grenzgebieten«, in denen nach Rakovs’kyj »Nord-, Orient-, Alpen- und Adriarassen zusammenstoßen und sich gegenseitig beeinflüssen [sic!]« würden, würde 1404 1405 1406 1407

Ebd., S. 61. Ebd., S. 61f. Rakovs’kyj 1921. Turda 2010; Turda / Weindling (Hg.) 2007.

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Physische Anthropologie

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das »ukrainische Volk« und seine Wissenschaftler in eine exzeptionelle Lage versetzen. »Nur die ukrainische Anthropologie« könnte die anthropologischen Faktoren erforschen, die die »Bildung eines uralten Grundtypus, der in der Neolithperiode als Basis des anthropologischen Typus des ukrainischen Volkes diente«, beeinflusst hätten. Die frontier-Lage interpretierte er damit positiv gewendet als Quelle der Innovation. Dazu gehörten im Wesentlichen auch die Fragen nach einem gemeinsamen urslavischen Typ sowie die Zugehörigkeit des modernen ukrainischen Typs im Besonderen, zumal das Konzept der ›dinarischen Rasse‹ angesichts neuer Klassifikationsschemata in der Zwischenkriegszeit zunehmend in Zweifel gezogen wurde.1408

1408 Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion 1 (1924), S. 16.

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7.

Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910

Auf Klassifikationen beruht auch das Problem der cisleithanischen Umgangssprachenstatistik, das in diesem Kapitel aus ukrainischer Perspektive beleuchtet wird. Während das vorangegangene Kapitel sektoral untersucht hat, wie Ethnographie und Anthropologie dazu genutzt wurden, einen durch qualitativ untersuchte Personen definierten Raum zu schaffen, befasst sich dieses Kapitel mit der Problematik quantitativer Argumentationen aus der Makroperspektive. Gleichzeitig findet auch in diesem Fall ein wesentlicher Teil der Forschung außerhalb des akademischen Elfenbeinturms statt. Beim Feld der Volkszählung handelt es sich um eine Schnittstelle von Verwaltung und Wissenschaft, die erhebliches öffentliches Interesse für sich reklamierte und dadurch auch zentrales Arbeitsfeld staatlicher wie nationaler Politik im vielsprachigen Imperium wurde. Die Automatisierung der Auszählung durch neue technische Möglichkeiten ermöglichte auch die Vervielfältigung der Anwendungsbereiche. Die Volkszählung avancierte zur Institution, in die sich nicht nur staatliche Institutionen – das Innenministerium, das Kultusministerium und die vom letzteren unterhaltene k.k. Statistische Zentralkommission – einschrieben, sondern auch Wissenschaftler (individuell und in Gruppen), nationale Schutzvereine, wirtschaftliche Akteure usw.1409 Die Volkszählung erhielt damit selbst agency,1410 indem sich ihre Begriffe und Konzepte verselbstständigten und ihre Abhaltungen – v. a. die letzten beiden – als regelrechte Mikrozäsuren der Staats-, Regionalund Lokalgeschichte gelten müssen. Der Staat, seine Institutionen und die von ihnen geführten Kategorien und Daten figurierten als zentrale Problemfelder von Nationalbewegungen. Das betraf nicht nur Nationalvereine und Aktivisten, sondern auch Wissenschaft in plurikulturellen Kontaktzonen. Vor dem Hintergrund einer Skizze der Volkszählungen in Ostgalizien werden die prinzipiellen Maßnahmen der 1906 neu gegründeten statistischen Kommission des NTSˇ betrachtet und nationale 1409 Göderle 2016; Weichlein 2016; Kertzer / Arel 2002. 1410 Latour 2012, S. 205f., 219.

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Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910

Denkweisen zur Statistik reflektiert. Der zweite Teil des Kapitels ist der politischadministrativen Reaktion auf die von Seiten der Wissenschaft initiierten und begleiteten Maßnahmen gegen die Volkszählung 1910 und ihre Träger gewidmet. Dabei wird zu diskutieren sein, ob die Figur einer statischen Sprachgrenze zwischen West- und Ostgalizien für historische Akteure relevant war oder inwiefern von einer flexiblen und vielseitigen language frontier gesprochen werden muss.1411 Wie ich argumentieren werde, waren Stanislav Dnistrjans’kyj und die statistische Kommission des NTSˇ die kommunikativen, organisatorischen und wissenschaftlich-ideologischen Schnittstellen der gesamten Aktion. Dieser Komplex ist bisher nicht als solcher erforscht worden, Dnistrjans’kyj wurde nicht in dieser zentralen Rolle gesehen und die einschlägigen Archivalien im Archiv des NTSˇ und der galizischen Statthalterei verblieben bis dato unausgewertet.1412 Dieses Beispiel ist in besonderem Maße geeignet, die Verflechtung von Staat, Verwaltung, ukrainischer Wissenschaft und ukrainischer Politik in den Vordergrund zu rücken. Die kategoriale Taxonomie war eine definierende, kulturell einflussreiche Handlung, die Statistiken zur Abbildung von ›Wahrheiten‹ in Tabellenform nutzten. Das betrifft zwar alle Rubriken der Erhebungsbögen, doch lediglich eine hat zwischen 1880 und 1910 regelmäßig für politisches Furore gesorgt: die Umgangssprache. Die Umgangssprache (diejenige, der sich ein Mensch »im gewöhnlichen Umgange bedient«1413) sollte im Gegensatz zur ›Muttersprache‹ oder ›Nationalität‹, die in anderen europäischen Staaten und bisweilen etwa in Ungarn abgefragt wurden, nationale Agitation vermeiden. Zwischen 1880 und 1910 fanden im zehnjährigen Turnus Volkszählungen statt, die sich dieser Kategorie bedienten. Die erste Volkszählung 1857, die dem Verwaltungsapparat aufgrund kategorialer wie organisatorischer Aspekte der Erhebung als misslungen galt, hat die Nationalität erhoben.1414 Die folgende Zählung des Jahres 1869 erhob – sicherlich aufgrund der politischen Herausforderungen der jüngsten staatlichen Transformation – weder Sprache noch Nationalität. 1880 wurde die Kategorie der Umgangssprache letztlich eingeführt, um internationalen Standards Genüge zu tun.1415 In Cisleithanien verlangte das entsprechende 1411 Zum Begriff und seiner politischen Inwertsetzung durch Aktivisten Judson 2006. 1412 Schema naukovych prac’ profesora St. S. Dnistrjans’koho, DATO, fond R-3430, op. 1, spr. 88, ark. 5zv. Emil Brix (1982) diskutiert die Rolle Dnistrjans’kyjs im Reichsrat, dabei gelingt es ihm aber nicht, die Verbindung zwischen UNDP und NTSˇ herzustellen. Oleh Pavlysˇyn (2014) beschäftigt sich mit den latynnyky u. a. mit Ochrymovycˇ (1912, Rusynylatynnyky). In meiner Masterarbeit (Rohde 2016) habe ich die Problematik ausführlich anhand publizierter Quellen diskutiert. Auf dieser Untersuchung bauen Teile dieses Kapitels auf. 1413 Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder 1880, S. 372. 1414 Denkschrift der k.k. Statistischen Zentralkommission, S. 99. 1415 Prˇibram 1913, S. 661; Randeraad 2011.

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Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910

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Gesetz die eindeutige Festlegung auf eine der acht ›landesüblichen Sprachen‹ und dachte damit unterschiedliche nationale Konflikte der folgenden Dezennien vor. Nationalbewegungen konnten 1869 als Indikator der Zugehörigkeit allenfalls die Ziffern zur Religion instrumentalisieren; das funktionierte aber lediglich dort, wo national definierte Gruppen sich in heterogenen Territorien auch religiös unterschieden.1416 Die Umgangssprachenangabe ist hingegen von nationalen Akteuren aus allen Teilen Cisleithaniens als ›nationales Bekenntnis‹ gewertet worden. Zumal politische wie legislative Organe die Statistik als Grundlage zur Beurteilung von Sprachrechten – vor allem zur Einrichtung von Schulen – nutzten, konnte die Übersetzung von ›Umgangssprache‹ in ›Nationalität‹ auch nicht dadurch verhütet werden, dass führende Statistiker diese Annahme als unwissenschaftlich abkanzelten.1417 Diese Position verblasste jedoch durch die Auswahlpflicht mehrsprachiger Personen, auch in der Ansicht reichsweit führender Statistiker und Rechtswissenschaftler.1418 Mit der Denkfigur des ›nationalen Besitzstandes‹, die deutschnationale Gruppen in den 1880er Jahren einführten, avancierte die Volkszählung zu einer Möglichkeit, den Erfolg einer Nationalbewegung quantitativ zu messen, zumal Sprachstatistiken im Verhältnis zu Institutionen, vor allem Bildungsanstalten, betrachtet wurden.1419 Die Umgangssprachenzählung avancierte, ungewollt durch ihre Initiatoren, zu einem Steigbügelhalter der Nationalbewegungen, zumal sie eine Zuordnung jedes Individuums zu einer der vorgegebenen Sprachgruppen verordnete und damit als »Stereotypisierungs- und Etikettierungsmaschine«1420 fungierte. Solche nicht intendierten Folgen beschreibt auch James C. Scott in seinem zentralen Werk zum Blickwinkel des Staates.1421 National indifferente Personen, auch solche, die vielleicht zuvor noch nichts von ihrer Zuordnung zu dieser Sprachgruppe gehört hatten, wurden dadurch in diese integriert. Vertreterinnen und Vertreter von Sprach- und Dialektgruppen, die nicht in diese Kategorien passten, konnten ihnen dennoch nicht entfliehen, zumal die Zählkommissare sie in diesem Fall strafrechtlich belangen konnten und einer anderen Sprachgruppe – in der Regel der Mehrheitssprache der Gemeinde – zurechneten (Kap. 7.2.1). Da Jiddisch nicht als eigene Sprache, sondern als Dialekt des Deutschen verstanden wurde, mussten sich die zahlreichen Sprecherinnen und Sprecher einer anderen Gruppe zuordnen, während sie in den Statistiken nur durch das Religionsbekenntnis als zusammengehörig aufschienen. Auch Russophile in Galizien und 1416 So exemplarisch Szujski 1882, später auch ukrainische Wissenschaftler wie Dnistrjans’kyj 1910, Nacional’na statystyka, [36]; Ochrymovycˇ 1910, S. 120. 1417 Stourzh 1980; Mayrhofer von Grünbühel 1899, S. 107–109. 1418 Bernatzik 1910, S. 64. 1419 Judson 1995; Rauchberg 1905. 1420 Osterhammel 2011, S. 62. 1421 Scott 1998.

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der Bukowina, die das Russische als Literatursprache anerkannten, konnten diese nicht als Umgangssprache angeben. Lemkische, bojkische und huzulische Dialekte des Ruthenischen integrierte die Volkszählung in die Sprachgruppe Ruthenisch, sofern keine konkurrierende Angabe seitens der Zählenden oder Gezählten vorgebracht wurde. Nicht zuletzt aber führte die Eindeutigkeit, die diese Angabe verlangte, dazu, dass Menschen, die ihren Alltag mehrsprachig bestritten, sich auf eine Sprache festlegen mussten. Dies förderte einerseits den Bekenntnischarakter, den nationale Aktivisten und andere Theoretiker der Angabe attestierten; andererseits brachte sie die individuelle Mehrsprachigkeit sowie auch gemischtsprachige Familien in der Statistik folgenreich zum Verschwinden. In Galizien sah sich die ruthenische Sprachgruppe – zumindest die sie vertretenden Eliten – durch die polnische, in Form des zählenden Apparats mehrheitlich polnischer Zählkommissare, unterdrückt. Zwar thematisierte bereits 1881 das Abgeordnetenhaus des Reichsrates galizische Fälschungen der Volkszählung, allerdings wurde etwa die parlamentarische Anfrage des russophilkonservativen Abgeordneten Vasyl’ Koval’s’kyj (1829–1911) mit kaum mehr als einigen Floskeln beantwortet.1422 Darüber hinaus sticht die wissenschaftlich angelegte Darstellung des narodovec’ Volodymyr Barvins’kyj im Dilo hervor.1423 Signifikant ist, dass beide Akteure trotz gegensätzlicher politischer Orientierung erstaunlich ähnlich argumentierten. Während Koval’s’kyjs Fokus auf der bewussten Manipulation durch polnische Zählungsbeamte während der Datenaufnahme lag, beschrieb Barvins’kyj die vorherige Agitation polnischer Eliten als »nationale Seelenfängerei«1424. Beide schienen sich der Schutzlosigkeit der ruthenisch-ukrainischen Landbevölkerung gewiss und integrierten diese Aspekte in ein Opfernarrativ. In den folgenden Dezennien änderte sich nur wenig an der ruthenischukrainischen Wahrnehmung und dem Verfahren der Volkszählung. Es hatte sich ein grundsätzliches Misstrauen gegen die Zählkommissare gehalten, weshalb bei der kommenden Zählung erste Aufklärungsmaßnahmen ergriffen wurden, etwa in der auf die Landbevölkerung zugeschnittenen narodovci-Zeitung bat’kôvsˇcˇina (Das Vaterland).1425 Im Jahr 1900 gab der Politiker und Anwalt Kost’ Levyc’kyj eine eigene Broschüre zur Volkszählung heraus, die Leserinnen und Leser über den korrekten Ablauf und die Möglichkeiten, die Felder auszufüllen, aufklärte. Dabei betonte er zwar die Relevanz der Umgangssprache, allerdings keinesfalls mit derselben Intensität, in der vergleichbare Auseinandersetzungen etwa in 1422 StP AH, IX. Session, 108. Sitzung, 1. Februar 1881, S. 3836; StP AH, IX. Session, 152. Sitzung, ˇ ornovol 2010, S. 106–108, 138f. 14. Mai 1881, S. 5486–5489; zu Koval’s’kyj C 1423 Barvins’kyj, V. 1901. 1424 Ebd., S. 8. 1425 Bat’kôvsˇcˇina, 29. 08. 1890, S. 430; Bat’kôvsˇcˇina, 26. 12. 1890, S. 638.

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Böhmen ausgetragen wurden.1426 In diesen Dezennien zeigt sich zwar ein Problembewusstsein intellektueller und politischer Eliten, die Auseinandersetzung mit der Volkszählung war jedoch kein Massenphänomen. Wie kam es angesichts dieser marginalen Kenntnisnahme der Zählung zu den massiven Protesten im Vorfeld, Verlauf und Nachgang der Volkszählung 1910? Im Rahmen der Zählungen im Januar 1901 fälschte die regionale Administration im politischen Bezirk Gródek/Horodok die Umgangssprachenangabe von 6.669 der insgesamt 71.423 Personen zugunsten der polnischen Sprachgruppe. Die k.k. Statistische Zentralkommission konnte diesen unbestreitbaren Amtsmissbrauch aufdecken, nachdem sie entsprechenden Verdachtsmomenten nachgegangen war. Laut Emil Brix schlug ein »Vertrauen auf die praktizierte Anerkennung der Gleichberechtigung aller Volksstämme seitens der politischen Behörden« in ein »berechtigtes Mißtrauen der Ruthenen«1427 um. Er versucht seine These durch weitere Beschwerden, die das Innenministerium aus galizischen Bezirken erreichten,1428 zu stützen, doch mangelt es an einem Beleg für eine Skandalisierung der Vorfälle in Gródek/Horodok durch ruthenisch-ukrainische Politiker oder Intellektuelle. Die Österreichische Statistik 1903 erwähnt den Fall zwar in einer Fußnote,1429 doch die Nationalbewegung verwertete diesen nicht propagandistisch. Damit ist ernsthaft zu hinterfragen, ob er ihr überhaupt auffiel. Wie die vorangehenden Ausführungen zeigen, bestand bereits seit der Zählung 1880 Misstrauen ruthenisch-ukrainischer Eliten gegen die Verwaltung. Von einem zuvor skizzierten Vertrauen kann vielleicht im Rahmen der Nova era und seitens ihrer führenden Politiker die Rede sein, insgesamt verkennt Brix damit aber die Ausdifferenzierung des ruthenisch-ukrainischen Milieus. Misstrauen gegen die Verwaltung war auch durch die schon stereotyp für Manipulation verstandenen ›galizischen Wahlen‹ äußerst präsent; Wünsche um die Verwaltungsreform hinsichtlich eine ethnisch-sprachliche Ruthenisierung waren somit eine rekurrente politische Forderung.1430 Auch legte die URVS schon 1901 eine Wiederveröffentlichung der statistischen Arbeiten Volodymyr Barvins’kyjs vor, d. h. bevor Fälschungen bekannt wurden, und rechtfertigte dies durch die aktuelle Relevanz.1431 Die Ruthenische Revue/Ukrainische Rundschau beschäftigte sich seit ihrer Gründung 1903 regelmäßig mit Nationalitätenstatistiken und der Quantifizierung von Vertei1426 1427 1428 1429 1430

Levyc’kyj 1900; Brix 1982 zur Umgangssprachenerhebung in allen Regionen Cisleithaniens. Brix 1982, S. 368–370, Zitat S. 370. Ebd., S. 367. Österreichische Statistik 63 (1903), S. 3, 179. Promemoria des reichsrätlichen Ruthenenklubs, betreffend Wünsche und Beschwerden der Ruthenen auf dem Gebiete der politischen Verwaltung in Galizien, 17. Juli 1909, AVA Inneres MdI Präs 8295/1909. 1431 Barvins’kyj, V. 1901, Vorwort.

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Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910

lungsgerechtigkeit; derartige Berechnungen professionalisierten sich seit 1906 durch die statistische Kommission.1432 Zeitlich korreliert diese Tendenz mit der zunehmenden politischen Aktivität der UNDP und weiteren Vorstößen in der Universitätsfrage sowie dem Ausbau des ukrainischen Gymnasialwesens. Die Nationalbewegung entdeckte durch ihre Ziele – und den Argumenten, mit denen man ihr die Erfüllung von Wünschen absprach – statistische Daten als zentrales Problemfeld. Erst dadurch widmete sie der Volkszählung diese Aufmerksamkeit und begann, sich ausführlicher auch mit der symbolischen Bedeutung der Zählung auseinanderzusetzen.1433 Der 1906 begonnene Aufbau der statistischen Kommission innerhalb des NTSˇ zeigt ein gewachsenes Problembewusstsein für Hierarchien im Feld der (cisleithanischen) Statistik. Sie stellt den Versuch dar, sich langfristig in mehrsprachige Diskurse um Statistik einschreiben zu können, die bisher gänzlich von polnischsprachigen Akteuren – gefördert durch das statistische Landesbüro (Krajowe Biuro Statystyczne) Galiziens – dominiert wurden.1434 Dazu sollte die kritische Aufarbeitung der bisherigen Literatur zum Thema, die Popularisierung der Probleme der Umgangssprachenstatistik unter der ruthenisch-ukrainischen Bevölkerung und die Planung einer eigenen statistisch-ethnographischen Studie im Fokus der Kommissionsarbeit stehen. Als Dnistrjans’kyj 1906 die Gründung einer statistischen Kommission anregte, verheimlichte er die politischen Motive nicht: Sie sollte der Vorbereitung der cisleithanischen Volkszählung zum Stichtag des 31. Dezembers 1910 dienen. Womöglich hatte er dabei auch schon seine Kandidatur für den Reichsrat im Sinne; zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Volodymyr Ochrymovycˇ wurde er 1907 als Kandidat der UNDP ins Abgeordnetenhaus gewählt. Auch wenn Ochrymovycˇ sein Amt 1908 aus persönlichen Gründen niederlegte,1435 blieb er im ›Hintergrund‹ der Politik doch aktiv; gemeinsam mit Dnistrjans’kyj bildete er die Schnittstelle zwischen NTSˇ und UNDP, die bisher gänzlich übersehen worden ist.

7.1

Statistische Kommission und nationale Eindeutigkeit

Am 30. Juni 1906 unterbreitete Stanislav Dnistrjans’kyj der historisch-philosophischen Sektion im Namen der rechtswissenschaftlichen Kommission den Vorschlag, eine statistische Untersuchung zu »nationalen, industriellen und

1432 1433 1434 1435

Lozyns’kyj / Ochrymovycˇ 1910. Rohde 2016, S. 53–55. Ebd., S. 37, 54, 110. Binder 2005, S. 650f.

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Statistische Kommission und nationale Eindeutigkeit

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agrarischen«1436 Angelegenheiten Ostgaliziens durchzuführen. Bereits am 7. Juli konstituierten 18 Teilnehmer eine statistische Kommission, die wie auch die juridische der historisch-philosophischen Sektion zugeteilt wurde. Ihre Aufgabe sollte das Sammeln und Aufbereiten von Daten sein, die »ein möglichst allseitiges Bild des ethnographisch ukrainisch-ruthenischen Territoriums ÖsterreichUngarns«1437 zu zeichnen erlauben. Ihr oberstes Ziel war, eine eigene nationale Zählung durchzuführen und hierfür eigene Fragebögen an freiwillige Helferinnen und Helfer zu versenden.1438 Dnistrjans’kyj stellte den Antrag, die Kommission solle dem Abgeordnetenhaus des Reichsrates ein Memorandum zur Abänderung der Volkszählungskategorien vorlegen. Die Anwesenden unter dem Vorsitz Hrusˇevs’kyjs lehnten diesen Vorschlag zunächst ab, zumal die Kommission im November 1906 noch keine eigenständigen Arbeiten zur Statistik vorgelegt hatte. Stattdessen wurde empfohlen, Dnistrjans’kyj solle einen Artikel zu empfundenen Missständen für die Statistische Monatsschrift (Organ der k.k. Statistischen Zentralkommission) verfassen.1439 Dieser Artikel kam nicht zustande; hinsichtlich des Memorandums handelte Dnistrjans’kyj unabhängig von der statistischen Kommission als Abgeordneter der UNDP und reichte im Namen der Partei einen einschlägigen Antrag ein, der jedoch keine größere Beachtung fand.1440 Sein politischer Impetus für die Initiierung der Kommission wird hieraus jedoch ersichtlich. In den folgenden Monaten bereitete sie ukrainischsprachige Überblicksartikel und -vorträge zur Statistik vor, die im LNV publiziert wurden.1441 Möglichst schnell sollte eine eigene statistische Vierteljahresschrift eingerichtet werden, doch aus internen Gründen verspätete sich dieses Projekt bis ins Jahr 1909. Ein möglicher Grund dafür ist die Wahl Dnistrjans’kyjs und Ochrymovycˇs – beide treibende Kräfte der Kommission – als Reichsratsabgeordnete im Jahr 1907. Sie waren es, die 1909 die ausführlichsten Beiträge zur Zeitschrift lieferten. Dagegen spricht, dass Dnistrjans’kyj Mitte des Jahres bereits den vollständigen Inhalt des ersten Heftes vorstellte und ihn für den Herbst ankündigte.1442 Schlüssiger ist deshalb die These, dass die vereins1436 Sitzungsprotokoll der historisch-philosophischen Sektion, 30. Juni 1906, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 65. 1437 Sitzungsprotokoll der historisch-philosophischen Sektion, 7. Juli 1906, ebd., ark. 65zv. 1438 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 9. Juli 1906, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 66zv–67, hier ark. 66zv. 1439 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 1. November 1906, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 69. 1440 StP AH, XIX. Session, 36. Sitzung, 24. Juni 1909, 1023/I, S. 5685. 1441 LNV, t. 36, 1906, S. 308–340. 1442 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 12. September 1906, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 67zv.; Studiji z polja suspil’nych nauk i statystyky 1 (1909). Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 12. Juni 1907, ebd., ark.73. Endgültige Annahmen der Artikel in der Sitzung vom 2. Dezember 1908, ebd., ark. 82zv.

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Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910

internen Querelen zwischen Dnistrjans’kyj und Hrusˇevs’kyj zur Benachteiligung der statistischen Kommission führten. Die völlig untypische Platzierung der Kommissionsarbeit im LNV deutet wiederum auf eine überbrückende Kompromisslösung hin. Es ist davon auszugehen, dass die Kommission nur deswegen gebildet werden konnte, weil die zuvor problematisierte rechtswissenschaftliche Kommission vom Verein abgetrennt und in einen rechtswissenschaftlichen Verein verlegt wurde. Die statistische Kommission hingegen bot mehrere Anknüpfungsmöglichkeiten an ›nationale Wissenschaft‹, zumal sie den Zusammenhang zur Ethnographie betonte und auch helfen konnte, den Status quo der imaginierten Ukraine in Ziffern zu beschreiben und damit zu konstruieren. Stepan Tomasˇivs’kyj, der bereits zur ruthenischen Sprachgrenze in Ungarn arbeitete, war ebenfalls Gründungsmitglied der Kommission. Von seinen bisherigen Arbeiten konnte die Kommission entscheidend profitieren.1443 Insbesondere kann davon ausgegangen werden, dass sein Interesse dazu beigetragen hat, die Vereinsspitze von der Relevanz dieser Forschungen zu überzeugen, übte er doch beträchtliche Kritik an den staatlich produzierten Statistiken. Synergieeffekte mit dem von Tomasˇivs’kyj vorgelegten Projekt zur ethnographischen Kartographie (Kap. 8.2) sind kaum von der Hand zu weisen. Überdies kooperierte die statistische Kommission in ihrer Arbeit an einer gesamtukrainischen Statistik mit dem UNT.1444 Zunächst mussten jedoch Desiderate für die Bibliothek angekauft werden, um wissenschaftlich auf dem aktuellen Forschungsstand operieren zu können.1445 So wurden kritische Übersichten zu thematisch einschlägiger Literatur erstellt,1446 ein Vortrag befasste sich mit der Arbeit Galicya des polnischen Statistikers Franciszek Bujak (1875–1953), die zeitgenössisch die aktuellste und aus polnischer Perspektive die autoritative Publikation zum Kronland darstellte.1447 Aus diesen Materialien erarbeitete Dnistrjans’kyj einen Artikel zu theoretischen, historischen und vergleichenden Aspekten der Statistik und insbesondere der Volkszählung im europäischen Kontext.1448 Zwar konnten Ressourcen nationaler Vereine und Institutionen – wie der ruthenisch-ukrainischen Versicherungsge1443 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 4. September 1908, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 81. 1444 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 21. Oktober 1908, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 81–81zv. Dies bestätigt der kollektive Beitritt von UNT-Mitgliedern in die Kommission des NTSˇ am 2. Dezember 1908, ebd., ark. 82zv. Vgl. auch Anhang VI. 1445 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 9. Juli 1906, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 66zv–67, hier ark. 67. 1446 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 7. März 1909, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 85; 8. Juli 1909, ebd., ark. 91; 4. Februar 1910, ebd., ark. 97zv. 1447 Chronika NTSˇ 36 (1908), S. 7; Bujak 1908. 1448 Dnistrjans’kyj 1909, Nacional’na statystyka.

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sellschaft Dnister – genutzt werden,1449 dennoch herrschte eine grundlegende Asymmetrie im Vergleich zur polnischen statistischen Landesbehörde, die u. a. auch Bujak vertrat. Diese hatte einen privilegierten Zugang zu Dokumenten, publizierten Ressourcen und geschulten Mitarbeitern.1450 Die Ergebnisse der zentralen und aufwändigen Grundlagenarbeit der statistischen Kommission sind in ihrer Zeitschrift abgedruckt, die 1909 zum ersten Mal unter dem Titel Studiji z polja suspil’nych nauk i statystyky (Studien aus dem Feld der Sozialwissenschaften und Statistik) veröffentlicht werden konnte. Umso bedeutender ist die gemeinsame Kommissionsarbeit zu werten: Einzeln arbeitende Wissenschaftler hätten in diesem kurzen Zeitraum kaum vermocht, den wissenschaftlichen Rückstand aufzuarbeiten. Bereits 1909 legte Dnistrjans’kyj dem Reichsrat eine wissenschaftlich fundierte Kritik der Umgangssprachenstatistik in Galizien auf über 30 Seiten vor, die ohne Unterstützung und Zuarbeit der Kommission – insbesondere auch der von Ochrymovycˇ bearbeiteten Daten – nicht hätte entstehen können.1451 Der zentrale Wandel, der die frühen Statistiken vor 1880 von der Periode moderner Volkszählungen aus ukrainischer Perspektive unterscheidet, ist in der gefälschten Polonisierung des Kronlandes zu sehen. So zeigen die Daten zur Mitte des Jahrhunderts – einschließlich der autoritativen ethnographischen Karte Czoernigs – noch ein mehrheitlich ruthenisches Kronland und einen nahezu exklusiv ruthenischen Osten, abgesehen von kleineren Sprachinseln. (Anhang IX) Noch 1909 klagte der UNDP-Abgeordnete Jevhen Levyc’kyj, in Galizien wäre zwar »das Polnische in der Minorität«, würde »aber rechtlich, eigentlich widerrechtlich, zur Majorität gemacht«1452 werden. Die Ursache ist nicht darin zu sehen, dass der Abgeordnete die Statistiken nicht kannte, sondern dass er sie durch administrative Praxis für unwiederbringlich verfälscht hielt; eine Position, die sich durch die Forschungen der statistischen Kommission, der die UNDP nahestand, weitgehend bestätigt sah. So bemängelte Volodymyr Ochrymovycˇ etwa, die Sprachdaten des Kronlandes mit Stand 1900 führten rund 100.000 »fabrizierte ›Polen griechischen Glaubens‹«, die ethnographisch nicht nachweisbar wären.1453 Die ukrainische Ethnographie bekam hierdurch eine Vetomacht gegenüber staatlichen Daten. 1449 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 12. Juli 1907, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 72. Hier ergaben sich vor allem Synergien, zumal Ochrymovycˇ selbst auch Mitarbeiter und seit 1910 Präsident der Dnister-Gesellschaft war; entsprechend wies er seine Kollegen in die verfügbaren Materialien ein. Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 4. September 1908, ebd., ark. 81. 1450 Rohde 2016, S. 71. 1451 StP AH, XI. Legislaturperiode, XIX. Session, 24. Juni 1909, 1023/I, S. 5659–5694. 1452 StP AH, XI. Legislaturperiode, XX. Session, 6. Sitzung, 24. November 1909, S. 391. 1453 Ochrymovycˇ 1909, S. 82–84, 94–105, Zitat S. 102.

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Ein Plan zur Kontrolle der Volkszählung1454 koinzidierte mit der seit Beginn der Kommissionsarbeit formulierten Idee der Durchführung eigener statistischer Erhebungen, die mangels Ressourcen bis dahin nicht durchgeführt werden konnten. Die Fragen dieser Erhebungen sollten deutlich breiter angelegt werden als die der habsburgischen Volkszählung und somit genauere Erkenntnisse erlauben, die auch einen ethnographischen Mehrwert hätten. Dementsprechend brachte dies enorme organisatorische Herausforderungen mit sich. Auf dem Prosvita-Kongress 1909 stellte Dnistrjans’kyj ein Projekt zur Volksstatistik (narodna statystyka) vor. Fragen zu nationaler Selbstverortung, Religionsbekenntnis und Sprachgebrauch sollten die offiziellen Erhebungen, entsprechend den Bedürfnissen der Nationalbewegung, erweitern und vertiefen.1455 Am 6. November 1910 legte Ochrymovycˇ der Kommission einen Plan zur »Kontrolle einer Kategorie der Nationalitätenstatistik ostgalizischer Gemeinden« vor und präsentierte den Fragebogen.1456 Die erste Hälfte des Fragebogens bezog sich auf die lokalen Mengenverhältnisse unter der Lokalbevölkerung hinsichtlich der Glaubenskenntnisse und Sprachen; die zweite Hälfte stellte komplexere Fragen zu den lokalen Verhältnissen und Interaktionen zwischen Sprachgruppen. Hierbei standen die Sprache (Polnisch, Ruthenisch) und das Religionsbekenntnis (römisch-katholisch und griechisch-katholisch) im Vordergrund. Die Fragen waren auf diese Kategorien und ihre konkrete lokale Relevanz beschränkt, durch ihre Ausführlichkeit waren sie aber weitaus komplexer angelegt als die der staatlichen Volkszählung. Sie fragten nicht nach der Umgangssprache, sondern der häuslichen, d. h. die in der Familie gebrauchten Sprache sowie der Sprachbeherrschung, insbesondere auch entsprechend der Glaubenskenntnisse und mit Rücksicht auf jüngste Veränderung in der Zusammensetzung der örtlichen Bevölkerung. Die Fragen an sich waren sowohl sprachlich als auch kategorisch einfach gehalten, abgesehen von den Fragestellungen 19–25. Schwierige Begriffe wie ›Latinisieren‹ (latynsˇcˇat’ sja) wurden anbei erklärt; ›Ruthenisieren‹ (rusˇcˇat’ sja) oder ›Polonisieren‹ (pol’sˇcˇat’ sja) galten hingegen kaum mehr als Fremdworte für lokale Eliten, dafür trugen die überregionale Presse und insbesondere auch die Kampagne zur Volkszählung Sorge.1457 1454 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 6. November 1910, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 103zv. 1455 Dnistrjans’kyj 1910, Narodna statystyka, S. 197. 1456 Sitzung der statistischen Kommission vom 6. November 1910, Protokoly zasidan’ istorykofilosofs’koji sekciji tovarystva, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 103zv. 1457 Fragebogen nach CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2547, ark. 1–1zv.: Teil A) Welche Quantitäten? 1) Welcher Anteil spricht zuhause Ruthenisch? 2) Welcher Anteil der römisch-katholischen (latynnyky) Personen spricht zuhause Ruthenisch? 3) Welcher Anteil von jenen Polnisch? 4) Welcher Anteil der römisch-katholischen (latynnyky) Personen beherrscht Polnisch? 5) Welcher Anteil von ihnen spricht Polnisch zuhause? 6) Gibt es griechisch-katholische Personen, die zuhause Polnisch sprechen? Welcher Anteil? 7) Gibt es griechisch-katholi-

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Die Sektion bestätigte das Vorhaben und beschloss, andere Vereine um finanzielle Unterstützung zu bitten. Franko und Hrusˇevs’kyj, die den beteiligten Juristen so oft im Wege standen, schienen dem Plan zugestimmt haben, zumal sie bei der Sitzung anwesend waren.1458 Drei Tage später bewilligte auch der Ausschuss des NTSˇ 300 Kronen zur Vervielfältigung des Fragebogens.1459 Das Projekt sollte größere Ausmaße annehmen, als letztlich realisiert werden konnte; die Prosvita konnte wiederholten Ansuchen um finanzielle Unterstützung aufgrund von Budgetknappheit zum Jahresende nicht entsprechen.1460 Wie einige Hinweise aus den Protokollen zweifelsfrei belegen, fand die Privatzählung parallel zur Volkszählung statt.1461 Dadurch konnte sie vom Momentum der Angelegenheit profitieren, die sie nicht nur durch die publizistische Propaganda, sondern auch durch die Unterstützung des Metropoliten gewann.1462 Die Nachrichtenblätter der griechisch-katholischen Eparchie Przemys´l/Peremysˇl und der Lemberger Archieparchie informierten kurz vor der Zählung nicht nur pflichtgemäß über

1458 1459 1460

1461 1462

sche Personen, die nicht Ruthenisch sprechen können? 8) Welcher Anteil der Juden beherrscht sowohl Polnisch als auch Ruthenisch? 9) Welcher Anteil der Juden beherrscht nur Ruthenisch, aber nicht Polnisch? 10) Welcher Anteil der Juden beherrscht nur Polnisch, aber nicht Ruthenisch? 11) Welcher Anteil deutscher Christen spricht zuhause auf Deutsch? 12) Welcher Anteil deutscher Christen beherrscht Ruthenisch? 13) Welcher Anteil deutscher Christen beherrscht Polnisch? Dieser Teil fragte sowohl nach Gesamtzahl als auch prozentualem Anteil, allerdings lieferten die Antworten nur in den seltensten Fällen beide Auskünfte. Teil B) Andere Fragen: 14) Welche Sprache spricht die Mehrheit der Bürger: Polnisch oder Ruthenisch? 15) Gibt es viele Mischehen zwischen römisch-katholischen und griechisch-katholischen Personen? 16) Welche Sprache überwiegt in den Mischehen? 17) Latinisieren sich griechisch-katholische Personen? 18) Treten römischkatholische Personen zum griechischen Glauben über? 19) Polonisieren sich römischkatholische Personen mit der Zeit? Ruthenisieren sie sich? 20) Polonisiert oder ruthenisiert sich die Bevölkerung mit der Zeit? 21) Stammen entsprechend den lokalen Traditionen die örtlichen latynnyky von den Ruthenen, die irgendwann den lateinischen Glauben annahmen, oder können sie den Wurzeln der Polen (Masuren) abstammen? 22) Gibt es rusynylatynnyky, die sich bewusst als Ruthenen bezeichnen? Wie viele gibt es von ihnen? 23) Unterscheiden sich die örtlichen latynnyky von den griechisch-katholischen Personen hinsichtlich Kleidung und Bräuchen? Und um wie viel? 24) Gehören latynnyky zu den ruthenischen Lesehallen, Kreditkassen oder anderen lokalen Vereinen? 25) Gibt es eine Kolonie von Masuren aus Westgalizien? Wie viele Personen? Wie lange siedeln sie sich schon an? Sitzung der statistischen Kommission vom 6. November 1910, Protokoly zasidan’ istorykofilosofs’koji sekciji tovarystva, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 103zv. Ausschusssitzung des NTSˇ vom 9. November 1910, CDIAL, fond 309, spr. 34, ark. 130zv. Sitzung des Hauptausschusses der Prosvita vom 22. November 1910, S. 20–22, hier S. 22; Sitzung vom 20. Dezember 1910, S. 26f., hier S. 27, BNW 68607 (= CDIAL, kolekcija no. 9, spr. 5 (68607), Protokóły posiedzen´ zarza˛du głownego towarzystwa »Proswita« we Lwowie. T. 6: 11 X 1910–20 II 1923. Schreiben aus der Gemeinde Mychal’kiv (Bezirk Borsˇcˇiv) an Dnistrjans’kyj, 28. Januar 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 1247, ark. 54–64zv. Polizeidirektion Lemberg, Beratungen der ruthenischen national-demokratischen Partei, 29. Dezember 1910, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1114, 81–87, hier 86.

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die Aufforderung der Statthalterei, Zählkommissaren auf Wunsch die metrischen Bücher der Gemeinden zugänglich zu machten, sondern betonten überdeutlich die rechtlichen Umstände, unter denen die Volkszählung abzulaufen hätte, damit »das ruthenische Volk keinen Schaden erleidet.«1463 Die von Sˇeptyc’kyj geleitete Archieparchie forderte die Geistlichen zum späteren Leidwesen diverser Verwaltungsorgane sogar auf, die Zählung zu überwachen – zwar in unparteiischer Gesinnung, aber doch, um sicherzustellen, dass »alle Ruthenen, auch wenn sie dem lateinischen Glauben angehören, in den Konskriptionslisten als Ruthenen eingetragen werden.«1464 Damit begab sich die griechisch-katholische Kirche eindeutig in einen weltlichen, dezidiert nationalen Wirkungsbereich. Sie sensibilisierte den Klerus damit für ein, von der wissenschaftlichen Statistik angeprangertes, Problem und trug somit einerseits zur nationalen Mobilisierung der ländlichen ruthenisch-ukrainischen Bevölkerung und insbesondere lokaler Eliten während der Zählung bei; andererseits ist davon auszugehen, dass der Klerus dadurch auch für die angedachte wissenschaftliche Aufgabe mobilisiert wurde: Die eingegangenen Zählbögen zeigen einen deutlich überwiegenden Anteil an Geistlichen unter den Zählenden. Insgesamt sandten 210 Freiwillige1465 rund 290 ausgefüllte Fragebögen an Dnistrjans’kyj zurück, die damit Daten aus insgesamt 40 politischen Bezirken lieferten. Eine quantitative Auswertung der Zählung ergibt, dass sich die Intensität der Zählung nicht an einer Ost-West-Grenze zwischen den konstruierten Teilen des Kronlandes lokalisieren lässt. (Abb. 10) Wie die kartographische Darstellung zeigt, ist das Ausmachen einer wie auch immer konstruierten Sprachgrenze, an welcher der Aktivismus besonders sichtbar wäre, anhand der eingegangenen Dokumente gänzlich unmöglich. Vielmehr scheinen Gelegenheit und Motivation die individuellen Triebkräfte gewesen zu sein. In den drei Bezirken mit der höchsten Anzahl eingesandter Bögen – Lemberg (Land), Mos´ciska/Mostys’ka und Podhajce/Pidhajci – war jeweils eine Einzelperson für den Großteil oder sogar alle Bögen verantwortlich.1466 1463 Vestnik Peremyskoi Eparchii 1910, 133f. 1464 L’vôvsko-Archieparxijal’ni Vedomosti 1910, 135–138, Zitat 137. 1465 Diverse Fragebögen verzichten auf die Angabe des Absenders. Im Fall des Bezirks Mos´ciska/Mostys’ka wird durch die Handschrift und die Aktivitäten im Bezirk deutlich, dass Stepan Bajdala, aktives Mitglied der lokalen Prosvita-Filiale, für die meisten eingesandten Rückmeldungen verantwortlich war. Ob er alle Zählungen allein besorgte oder die Aktion mit mehreren Personen über seine Kanäle koordinierte und sich allein dafür verantwortlich zeichnete, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Rohde 2019, Local Knowledge. In Fall der Gemeinde Michałków/Mychal’kiv (Bezirk Borsˇcˇiv/Borszczów) unterzeichnete der gesamte Gemeinderat (ohne Angabe von Personen), die Zählung gemeinsam unternommen zu haben. CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2547, ark. 54. Damit stellt die Angabe der involvierten Personen lediglich einen Richtwert zur Orientierung dar. 1466 Statistische Erhebungen 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2550.

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Die größte Gruppe der Zählenden waren griechisch-katholische Geistliche, bei denen sich in einigen Fällen direkte Verbindungen zu einer Prosvita-Lesehalle beziehungsweise einer Filiale belegen lassen. Sie zählten allerdings meist nur in den Gemeinden, in denen sie beruflich zugegen waren und waren ansonsten vergleichsweise immobil. Unter den Akteuren, die eine zweistellige Anzahl von Bögen aus demselben Bezirk zurücksandten, finden sich ausschließlich weltliche Akteure. Zumal nur wenige derartige produktive Aktivisten partizipierten, ist die Relevanz der Geistlichen umso deutlicher hervorzuheben – ohne sie wären allenfalls aus fünf Bezirken eine größere Anzahl von Bögen eingegangen. Hier bestätigt sich die Adressier- und Mobilisierbarkeit dieser Akteure, einerseits durch die Kirche und andererseits auch durch die Prosvita, auf größerer Skala.1467

Abbildung 10: Statistische Privatzählungen, 1911.1468

Gleichwohl sich die Formulare um Verständlichkeit der Kategorien bemühten und einige Punkte auch gesondert erklärt wurden, waren viele von ihnen fehlerhaft oder nur partiell ausgefüllt.1469 Zumal die Fragenbögen auch nicht in gewünschter Dichte vorlagen und manche Bezirke kaum Berücksichtigung fanden, konnten diese kaum für eine flächendeckende Auswertung genutzt werden, 1467 Rohde 2019, Local Knowledge, S. 196–205. 1468 Basierend auf der Auszählung aller statistischen Bögen in CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2547–2553, zusammengeführt in Anhang X. Hierauf beruhen die folgenden Ausführungen zur Verteilung der Zählungsaktvititäten. 1469 Ebd.

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so wie es ihre Initiatoren angedachten hatten. Damit ist das Projekt partiell als Fehlschlag zu werten, der auch auf die mangelnde Finanzierung zurückzuführen ist. Volodymyr Hnatjuk, als leitendes Vereinsmitglied ein Gegner der Initiatoren des Projekts, monierte in den frühen 1920er Jahren, dass die Unterlagen nie ausgewertet wurden, obwohl sie spannendes ethnographisches Material beinhalteten.1470 Obwohl Hnatjuk im strengen Sinne dahingehend richtig liegt, dass nie eine dezidiert quantitative Auswertung der Bögen vorgenommen worden ist, bauen doch zwei statistische Arbeiten Ochrymovycˇs auf der Untersuchung auf. Überraschend muss hierbei die Auskunft vieler Gemeinden gewesen sein, dass sie sich in den jüngsten Jahren ruthenisieren würden.1471 Ochrymovycˇ, der diesen Faktor zuvor nicht in Betracht gezogen hatte, muss aus der Umfrage von diesem Phänomen gelernt haben und bezog dies als relevante Erscheinung in seine 1912 veröffentlichte Broschüre zu den latynnyky mit ein. Dass sich nicht nur latynnyky, sondern auch Polen zur ruthenischen Umgangssprache ›bekennen‹, würde die »große Assimilationskraft unserer Nation«1472 beweisen. Die latynnyky als ein vermeintliches Problem, das erst durch die Umgangssprachenstatistik und die Diskurse um potenzielle Fälschungen erzeugt worden ist, verdeutlichen die Herausforderungen des Transkulturellen für die moderne Nationalitäten- und Sprachstatistik, gleichwie an ihrem Beispiel die neuen Erkenntnisse der statistischen Kommission im Allgemeinen und Ochrymovycˇs im Besonderen betrachtet werden können. Galizien blieb auch außerhalb ethnographischer frontier-Regionen eine plurikulturelle Kontaktzone. Die intensivere Auseinandersetzung mit der Volkszählung und die Adaption eines statistischen Blicks auf die nationale Zusammensetzung Galiziens führten zu einer Neubetrachtung unterschiedlicher Phänomene. Schon in der Darstellung der ungarischen Rus’ wurde die Idee einer religiösen und sprachlichen Zusammengehörigkeit – ruthenisch-ukrainisch und griechisch-katholisch1473 – im ›nationalen Denken‹ angesprochen. Hinsichtlich der galizischen Statistik war das Phänomen der Abweichung von diesem nationalen Ideal quantitativ deutlich präsenter, wie schon die statistischen Artikel Volodymyr Barvins’kyjs andeuteten.1474 Diejenige Bevölkerung, die der römischkatholischen Kirche angehörte, Ukrainisch beziehungsweise einen dem Ukrai1470 Hnatjuk 1984, S. 76. 1471 Vgl. exemplarisch die Fragebögen CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 2547, ark. 5Zv, 6zv, 12zv, 24zv, 25zv; spr. 2548, ark. 3zv (»teilweise«), 4zv (»mehrheitlich«), 34zv; spr. 2549, 5zv, 12zv, 13zv, 16zv, 18zv, 20zv. Geographische Schwerpunkte lassen sich nicht systematisch feststellen. Die Tendenz der »Polonisierung« wurde allerdings nicht minder dokumentiert, vgl. exemplarisch ebd., spr. 2547, ark. 11zv, 14zv, 15zv, 22zv, 32zv, 35zv, 38zv, 48zv. 1472 Ochrymovycˇ 1912, Rusyny-latynnyky, S. 9. 1473 Ebd., S. 7. 1474 Barvins’kyj, V. 1901.

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nischen zugeordneten Dialekt sprach und primär in ostgalizischen Dörfern und Kleinstädten lebte, wurde zeitgenössisch als latynnyky oder rusyny-latynnyky (wörtlich: Lateiner oder Ruthenen-Lateiner) bezeichnet. Aus Perspektive der Nationalbewegungen, die eine Äquivalenz von Religion, Sprache und Nationalität postulierten, muss es sich hierbei um eine hybride Identität gehandelt haben. In transkultureller Perspektive setzt eine solche Hybridität jedoch die Existenz gänzlich segregierter kultureller Gruppen voraus, die so im plurikulturellen Kontaktraum nicht existierten. Damit verweist der Metabegriff rusyny-latynnyky auch nicht auf eine kollektive Identität, sondern eher auf eine Vielzahl von Individuen mit unterschiedlichen Geschichten. Auch in Ostgalizien könnte es sich beispielsweise um polnischsprachige Bauernfamilien aus Westgalizien handeln, die nach Ostgalizien migrierten und sich im dortigen Umfeld der ukrainischen Sprache bedienten; oder um ostgalizische Landbevölkerung, die u. a. aus Gründen des sozialen Aufstiegs zum römisch-katholischen Glauben übertrat; oder um Familien, die durch Heirat über sprachliche bzw. konfessionelle Grenzen hinweg entstanden.1475 Inwiefern waren diese nun in den nationalen Lagern zu verorten? John-Paul Himka hat auf eine soziale Solidarisierung der latynnyky mit der ruthenischen Landbevölkerung verwiesen. Diese wirkt durch geteilte Erfahrungen im Rahmen des Landlebens und lokaler Sozialisationsformen, etwa Feste und Gebräuche, aber auch durch Vereine als Identitätsangebote, nachvollziehbar. Sprache schien dagegen aus Perspektive der latynnyky nicht als relevante Kategorie auf, die dafür vorgebrachten Quellen können aber kaum als repräsentativ gelten.1476 In jedem Fall scheint plausibel, dass sie sich entsprechend der jeweiligen lokalen Umstände und Identitätsangebote flexibel verhielten und verorteten. Angesichts dessen wäre es ebenso übereilt, nationale Indifferenz für diese instabile und schwer greifbare, weil gänzlich von Nationalbewegungen konstruierte Gruppe, zu postulieren. Zumal sich die konstruierte Gruppe den zeitgenössischen Konzepten nationaler Eindeutigkeit so deutlich entzog, ließe sich keine Geschichte der Gruppe, sondern vor allem eine Geschichte der Nationalisierungsversuche polnischer- und ukrainischerseits schreiben.1477 Ich möchte für die These argumentieren, dass die latynnyky erst durch einen ›statistischen Blickwinkel‹ als vermeintliche Gruppe konstruiert wurden und infolgedessen auf die Agenda der ukrainischen Nationalbewegung rückten. Zwar war mit dem Konzept »gente rutheni, natione poloni« bereits seit dem 17. Jahrhundert die Idee polonisierter Eliten ruthenischer Abstammung präsent, was aber dem politischen Nationsbegriff der Adelsrepublik und nicht einem mo1475 Pavlysˇyn 2014. 1476 Himka 1988, S. 208–212. 1477 Pavlysˇyn 2014.

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dernen Nationsbegriff entsprach. Statistiker beider Nationalbewegungen übersetzten den Begriff jedoch in die historische Gegenwart. Die ukrainische Seite leitete daraus die omnipräsente Gefahr der Polonisierung ab, die sie auf die latynnyky wie auch alle anderen nicht national-identifizierten Gruppen übertrug, die sie als ukrainisch-ruthenisch verstand. Aus der Perspektive polnischer Statistiker waren Menschen römisch-katholischen Glaubens in Galizien prinzipiell als Polen zu werten, welcher Sprache auch immer sie sich bedienten.1478 Tomasˇivs’kyj argumentierte auf dem Prosvita-Kongress 1909, die ukrainische Nationalbewegung würde die latynnyky zwar seit 60 Jahren für Ruthenen halten, allerdings höchstens gegen ihre ›Polonisierung‹ protestieren, anstatt sie zu integrieren. Er unterstrich, dass es sich um keine statische Identität handelte; latynnyky könnten gänzlich polonisiert werden, wenn sich lokale ethnische oder politische Verhältnisse ändern würden. Darum müsste gezielt auf die latynnyky zugeschnittene nationale Aufklärung betrieben werden, damit diese sich dauerhaft mit der ruthenischen Nation identifizierten. Tomasˇivs’kyj argumentierte in seinem Vortrag dabei nicht für statistische Angelegenheiten, sondern die Notwendigkeit für die Prosvita, sich durch Herausgabe entsprechender Aufklärungsliteratur dem Phänomen zu widmen.1479 Latynnyky müssten in diesem Narrativ als stereotype Erscheinung für nationale Indifferenz gelten. Diese Einstufung wäre nun aus wissensgeschichtlicher Sicht ein grober Irrtum, handelt es sich doch um ein ›Problem‹, das die Statistik selbst erst erfunden hatte. Als Gründungsmitglied der statistischen Kommission und aktiver Forscher zu statistischen Problemen noch vor Kommissionsgründung, war Tomasˇivs’kyjs Blickwinkel auf nationale Verhältnisse von der Suche nach Eindeutigkeit geprägt. Die von den klerikalen narodovci ausgehende Konzeption national-religiöser Devianz1480 wurde auf diese Weise in die Sprache des Nationalismus übersetzt. Das Religionsbekenntnis war aber, wie noch aufzuzeigen ist, nicht mehr das zentrale Kriterium der ukrainischen Nationalbewegung – Konfession als statistische Angabe diente als Hilfsmittel zur Abgrenzung der Bevölkerung in Tabellenform. Bezeichnend ist, dass die griechisch-katholische Kirche sich aus religiösen Gründen gegen eine Konversion der latynnyky aussprach, auch wenn sich ihre Vertreter teilweise eine Ukrainisierung der latynnyky erhofften.1481 Die Bezifferung der latynnyky erwies sich aus den angeführten Gründen als äußerst problematisch. Volodymyr Barvins’kyj schätzte nach den Daten der Volkszählung des Jahres 1869 – die zwar die Religion, aber nicht die Umgangssprache abfragte – 200.000 Personen, die den römisch-katholischen Glauben 1478 1479 1480 1481

Bujak 1908. Tomasˇivs’kyj 1910, S. 106, 110. Barvins’kyj, V. 1901. Pavlysˇyn 2014, S. 190, 198; Brix 1982, S. 372.

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angaben, gemäß ihrer Sprache und ihren Bräuchen jedoch Ruthenen gewesen wären. Infolge der Sprachenerhebung des Jahres 1880 wurden in Galizien jedoch nur 34.367 Personen römisch-katholischer Konfession mit ukrainischer Umgangssprache aufgeführt.1482 Ochrymovycˇ berechnete ihre Anzahl aufgrund der offiziellen Daten des Zensus von 1900 auf rund 66.000 Personen in Ostgalizien, aufgrund angenommener Fälschungen hätten es seiner Einschätzung nach jedoch »in der Summe mindestens 130.000«1483 sein müssen. Die galizische statistische Landesbehörde nahm keinen staatlich-administrativen, unabhängigen sondern einen polnisch-nationalen Standpunkt an. Ihrer Interpretation zufolge hätten sich »mindestens 36.000 Personen römisch-katholischen Glaubens«1484 zur ruthenischen Sprache bekannt. Dabei blieben alle diese Schätzungen aber weitgehend im Rahmen der offiziellen Erhebungen.1485 Wie noch gezeigt wird, produzierte die intensive Auseinandersetzung mit der Statistik ein erhebliches Misstrauen, so dass Tomasˇivs’kyj propagieren konnte, dass im Kronland rund eine halbe Millionen latynnyky lebten.1486 Dnistrjans’kyj argumentierte, dass die heterogene Gruppe und ihre Entstehung sich nur durch ethnographisch-statistische Erhebungen erfassen lassen würde, die ungleich komplexer als die Erhebungen der Volkszählung sein müssten.1487 Dem Phänomen konnten sich die Statistiker angesichts der Volkszählungsmodalitäten und dem von ihr abgeleiteten Zwang zur (nationalen) Eindeutigkeit jedoch kaum nähern; die latynnyky – falls sie nicht andere, gar komplexere Identifikationen bevorzugten – verschwanden deshalb wieder im Nebel des Nationalen. Das entsprach nicht der Intention Ochrymovycˇs, doch als Statistiker konnte er Fälschungen nur errechnen, indem er Religions- und Umgangssprachenstatistiken miteinander verglich.1488 Im Nachgang der Zählung propagierte Ochrymovycˇ, die rusyny-latynnyky wären die wichtigste Angelegenheit, mit der sich die Nationalbewegung zu befassen hätte. Er sprach sich damit nicht generell gegen das Phänomen aus, sondern kritisierte die polnische Politik, latynnyky geschlossen als »Millionen von Polen in Ostgalizien« zu definieren und politisch bewusst polnisch zu nationalisieren; dementsprechend warnte er auch vor der nationalen Rolle der römisch-katholischen Kirche: »La-

1482 1483 1484 1485

Barvins’kyj, V. 1901, S. 11, 14. Ochrymovycˇ 1909, S. 103. Wiadomos´ci statystysczne o stosunkach krajowych XXI (1909), Z. 2, S. 156. Der Statistiker Wilhelm Hecke (1914, S. 704) argumentierte anhand der offiziellen Daten, dass maximal 42.822 Personen infrage kämen. Dazu Korduba 1918, S. 12. Spätere polnischnationale Publikationen nutzten Hecke darum als Referenz: Lutosławski / Romer 1919, S. 7. 1486 Tomasˇivs’kyj 1910, S. 106. Daran orientierte sich auch Rudnyc´kyj 1916, S. 145. 1487 Dnistrjans’kyj 1910, Narodna statystyka, 197. 1488 Ochrymovycˇ 1912, Rusyny-latynnyky, S. 7f.; Ochrymovycˇ 1909.

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tinisierung führt zur Polonisierung«1489. Kritischen Haltungen zu den latynnyky trat er entschieden entgegen: »Subjektiv betrachtet ist ein Ruthene-Lateiner mehr wert, denn unter den Umständen, in denen unser Volk lebt, ist es für einen Lateiner schwerer, Ruthene zu sein, als für einen Menschen griechischen Glaubens. Objektiv ist der Ruthene-Lateiner mehr wert, weil der Fakt, dass auch Lateiner sich zu unserer Nation bekennen, ein Beweis der Lebendigkeit unserer Nation ist.«1490

Zentral für seine Denkweise war die positive Integration der latynnyky in die Nationalbewegung. Es wäre »praktisch unklug, latynnyky als Ruthenen schlechterer Sorte oder schwächeren Kalibers zu behandeln, denn damit stoßen wir sie von uns und werfen sie in die Arme der Polen.«1491 Er hegte keine Abneigung gegen latynnyky und suchte das Phänomen nicht zu unterbinden oder gar aus seinem Verständnis der ukrainischen Nation zu streichen, sondern betonte unterschiedliche Haltungen zum Glauben innerhalb der Nationalbewegung. Er verwies dabei auf den Unterschied zwischen rus’kyj (ruthenisch) und ukrajins’kyj (ukrainisch); während der erstere Begriff in Galizien auch religiös konnotiert wäre, hätte das in den jüngeren Jahren von der Nationalbewegung präferierte Ethnonym eine inklusive Bedeutung: »Ein Ruthene-Lateiner ist ebenso ein echter Ukrainer, wie der griechische Katholik oder der Orthodoxe, […] nichts weniger wertvolles, etwas nicht-vollendetes, etwas vorübergehendes, – der Ruthene-Lateiner ist keine Anomalie, keine Sünde, keine Verschandelung, sondern etwas, das völlig in Ordnung ist.«1492

In 70 Gemeinden würden Ochrymovycˇs Auswertung zufolge mehrheitlich latynnyky leben.1493 Häufiger wären allerdings solche Gemeinden, in denen mehrere hundert latynnyky in einer mehrheitlich ruthenischen, griechisch-katholischen Umgebung lebten. Das nationale Axiom verleitete den Statistiker zu dieser Interpretation; er zog dagegen nicht in Betracht, dass es sich um römisch-katholische (oder gar: polnische) Menschen handeln könnte, die in einer ruthenischsprachigen Umgebung ihre Umgangssprache anpassten Diese wären besonders in den Bezirken Husiatyn/Husjatyn, Skałat/Skalat, Tarnopol/Ternopil’, Trembowla/Terebovlja und Zbaraz˙/Zbarazˇ zu finden; das sah er jedoch nicht als exklusives Phänomen dieser Bezirke an, vielmehr schloss er daraus, dass »zu unseren Gunsten die Statistik hier nicht verfälscht« worden

1489 1490 1491 1492 1493

Ochrymovycˇ 1912, Rusyny-latynnyky, S. 3. Ebd., Rusyny-latynnyky, S. 5. Ebd., S. 5f. Ebd., S. 25. Ebd., S. 15f.

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wäre.1494 Hieraus ließen sich keine ›klaren‹ Grenzen, keine ›reinen‹ beziehungsweise ›geschlossenen‹ nationalen Gebiete ableiten. Ochrymovycˇ setzte sich damit auch nicht weiter auseinander – er sah keine Notwendigkeit, diese Fragen zu stellen, zumal er für sich keinen Widerspruch zwischen ukrainischer Nationalität und rusyny-latynnyky ausmachte. Das kulturelle Phänomen schien ihm »nicht als dauerhafte Kategorie, nur als Übergangsphase«1495 und als »Beleg der historischen Entwicklung unserer Nation«1496. Damit wird deutlich, dass er sich an Dnistrjans’kyjs fluidem Nationsbegriff orientierte, für den das Territorium die einzige Konstante darstelle. Eine solche Definition ermöglichte nicht zuletzt und hier ist ihre utilitaristische Dimension zu unterstreichen die flexible Integration solch heterogener Gruppen.

7.2

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Die statistische Kommission begann früh nach ihrer Gründung, die gebildete ruthenisch-ukrainische Öffentlichkeit für die Relevanz der Volkszählung zu sensibilisieren. So fanden zwischen 1906 und 1909 einige öffentliche Vorträge in Lemberg statt.1497 Im politischen Diskurs ist die statistische Kommission derart zu verstehen, dass die UNDP und die mit ihr in Verbindung stehenden Wissenschaftler die bisherige wissenschaftliche und institutionelle Unterlegenheit im Feld der Statistik anerkannten, sie jedoch entsprechend aufzuarbeiten suchten mit dem Ziel, die hegemonialen Diskurse um den Zensus neu aufzurollen, an ihnen zu partizipieren und der ruthenisch-ukrainischen Bevölkerung Galiziens ein eigenes nationales Narrativ dazu präsentieren zu können. Mit der politischen Inwertsetzung der Forschung im Rahmen der Volkszählung 1910 rückten Tagespresse und Politik zunehmend in den Vordergrund, wobei sie grundsätzlich auf den Arbeiten der statistischen Kommission aufbauten, diese zu vermitteln und popularisieren suchten. Dnistrjans’kyj war die Schnittstelle zwischen UNDP, Prosvita und NTSˇ. Als zentrales Parteiorgan der UNDP fungierte die Wochenzeitung Svoboda (Die Freiheit), die im Jahr 1910 eindeutig von einem ›statistischen Blickwinkel‹ geprägt war. Im Januar 1910 begann sie bereits mit regelmäßigen Artikeln, die 1494 Ebd., S. 16–18, Zitat S. 18, eigene Hervorhebung. Mehrere ›latynnyky-Gemeinden‹ fanden sich neben den genannten Bezirken auch in Podhajce/Pidhajci, Brzez˙any/Berezˇany, Przemys´lany/Peremysˇlany und Buczacz/Bucˇacˇ. 1495 Ochrymovycˇ 1912, Rusyny-latynnyky, S. 6. 1496 Ebd., S. 12. 1497 Chronika NTSˇ 27 (1906), S. 11; Bericht der Mohyla-Gesellschaft, 1912, CDIAL, fond 732, op. 1, spr. 3, ark. S. 17, 22.

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Öffentlichkeit für das Anliegen der Volkszählung zu sensibilisieren.1498 Die komplexe Problematik der latynnyky, der sich Dnistrjans’kyj angesichts seines Forschungsprogramms sehr bewusst war, hielt seit April 1910 ausführlich Einzug in die Svoboda. Dies schloss ausführlichere Beiträge zum Thema ein, aber auch kurzgefasste Anzeigen, die die latynnyky auch als solche ansprachen und sie aufforderten, im Alltag und der Kirche bewusst Ruthenisch zu sprechen und darauf zu beharren, dass mit ihnen Ruthenisch gesprochen wird. In den Aufrufen rund um die Volkszählung wurden sie direkt aufgefordert, besonders auf die korrekte Eintragung der Umgangssprache zu achten.1499 Wissenschaftler des NTSˇ sind eindeutig für diese veränderten Inhalte verantwortlich, zumal sie es waren, die die latynnyky erst wieder ins öffentliche Bewusstsein riefen. Auch ausführliche Appelle an die Entwicklung des Nationalbewusstseins im Allgemeinen konnten zur Jahresmitte angesichts der langsam nahenden Volkszählung kein Zufall sein.1500 Die Zeitschrift veröffentlichte auch einen Bericht über eine parlamentarische Initiative Dnistrjans’kyjs, die Umgangssprache als Erhebungskriterium zu ändern.1501 Dnistrjans’kyj brachte insgesamt drei Anträge und Interpellationen in dieser Hinsicht vor, die jedoch alle erfolglos blieben.1502 Wiedergegeben in der Svoboda erschienen die Vorstöße hingegen nicht als relativ zwecklose Versuche, sondern letztlich als Argumente, das staatliche Vorgehen für illegitim angesichts der galizischen Verhältnisse zu betrachten. Die Volkszählung wurde überdies auch zum rekurrenten Thema auf politischen Veranstaltungen.1503 Dnistrjans’kyjs Broschüre Sˇˇco treba kozˇdomu znaty pro perepys naselennja? (Was sollte jeder über die Volkszählung wissen?), die in populärer Sprache auf die Probleme der Umgangssprachen- und Religionsstatistik aufmerksam machte, wurde nicht nur von der UNDP-Wochenzeitung Svoboda abgedruckt,1504 sondern auch als Separatabdruck in zwei Auflagen mit insgesamt 10.000 Exemplaren von der Volkskanzlei verkauft. Auch die zweite Auflage war Anfang Januar restlos vergriffen.1505 Seit dem Sommer 1910 war das Thema in der Svoboda omnipräsent. Wenige Monate später hatte sich die Organisation zur Entgegennahme von Beschwerden gefestigt: die Leserinnen und Leser wurden aufgefordert, jegliche Unregelmäßigkeiten umgehend an die Bezirkshaupt1498 Svoboda, 6. Januar 1910, S. 16–18. 1499 Svoboda, 7. April 1910, S. 1; 21. April 1910, S. 3; 15. Dezember 1910, S. 5f.; 29. Dezember 1910, S. 6; 5. Januar 1911, S. 2. 1500 Svoboda, 2. Juni 1910, S. 2f. 1501 Svoboda, 23. Juni 1910, S. 1. 1502 Brix 1982, S. 491f. 1503 Svoboda, 15. September 1910, S. 2. 1504 Svoboda, 4. August 1910, S. 4f.; 11. August 1910, S. 2f.; 18. August 1910, S. 4f.; Dnistrjans’kyj 1910. 1505 Svoboda, 5. Januar 1911, S. 11.

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mannschaften, die Volkskanzlei und ihre jeweils zuständigen Abgeordneten zu melden.1506 Regelmäßige Anzeigen und Schriftzüge in allen Dezember-Ausgaben der Svoboda, die dazu aufriefen, an die Volkszählung zu denken und ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken, führten dazu, dass wohl kein Leser und keine Leserin das Problem übersehen konnte. Damit verbunden waren stets Aufrufe, jegliches Fehlverhalten der Behörden penibel zu dokumentieren und die Svoboda-Redaktion oder direkt Dnistrjans’kyj in Wien zu benachrichtigen.1507 Das Dilo, dessen Reichweite erheblich größer war, teilte zwar nicht die Dichte der Berichterstattung mit dem UNDP-Blatt, veröffentlichte aber auch eine verkürzte Broschüre Dnistrjans’kyjs über den genauen idealen Ablauf der Volkszählung in größeren Städten1508 und druckte einen vergleichbaren Aufruf am 31. Dezember 1910, also genau ein Tag vor dem offiziellen Zählungsbeginn.1509 Die Aufrufe um Übersendung von Beschwerden trugen Früchte; aus ihnen speisten sich systematische Berichte über die Vorgehensweise, mit der mehrheitlich ruthenischukrainischen Gemeinden ihre gewählten Zählkommissare beziehungsweise ihr Bestellungsrecht abgesprochen wurden.1510 Im Januar berichtete die Svoboda in jeder Ausgabe, d. h. für die gesamte offizielle Dauer der Zählung, ausführlich über jene Verfehlungen, die die Zusendungen dokumentierten.1511 Auch das Dilo berichtete während des ersten Drittels des Monats in jeder Ausgabe ausführlich über die Vorfälle.1512 Damit konnten große Teile der national-orientierten Bevölkerung erreicht und in einen Nationalisierungsprozess eingebunden werden, der mit breiten Protestmaßnahmen einherging. Statistiker und Politiker übersetzten soziale massenhaft in nationale Problemstellungen und waren damit auf überregionaler Ebene bei der gebildeten Öffentlichkeit propagandistisch erfolgreich. Wie wurde Misstrauen propagandistisch produziert? Wie äußerte sich die Aktion auf lokaler Ebene? Welche Folgen hatten die Proteste? Diese Fragen werden in den folgenden Unterkapiteln beantwortet.

1506 Svoboda, 29. September 1910, S. 1f. 1507 Svoboda, 1. Dezember 1910, S. 4; 8. Dezember 1910, S. 4; 15. Dezember 1910, S. 1; 22. Dezember 1910, S. 1; 29. Dezember 1910, S. 4. 1508 Dilo, 14. Dezember 1910, 279, S. 2f.; 15. Dezember 1910, 280, 3f. 1509 Dilo, 31. Dezember 1910, S. 1. 1510 Svoboda, 8. Dezember 1910, S. 3; 15. Dezember 1910, S. 4; 22. Dezember 1910, S. 5; 29. Dezember 1910, S. 3f. 1511 Svoboda, 5. Januar 1911, S. 2; 12. Januar 1911, S. 3f.; 19. Januar 1911, S. 2; 28. Januar 1911, S. 7f.; 2. Februar 1911, S. 5. 1512 Dilo, 1. Januar 1911, S. 5f.; 3. Januar 1911, S. 4; 4. Januar 1911, S. 2f.; 5. Januar 1911, S. 3; 6. Januar 1911, S. 5; 10. Januar 1911, S. 3f.

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7.2.1 Der ›polnische Zählkommissar‹ »Mögen hunderte solcher Telegramme nach Wien geschickt werden!«1513 Stanislav Dnistrjans’kyj, 1911

Erst am 29. Dezember 1910, nachdem sowohl Dnistrjans’kyj »von allen Enden Galiziens«1514 als auch diverse Behörden mehrere Telegramme mit einschlägigen Beschwerden über das Fehlverhalten von Bezirkshauptmannschaften hinsichtlich der Auswahl von Volkszählungspersonal erhalten hatten, rief ebendieser spontan dazu auf, die Proteste zu intensivieren. Er lieferte Formulierungsmuster für Beschwerdeschreiben und schlug vor, diese direkt an den Ministerpräsidenten Bienerth in Wien zu telegraphieren. Am 5. Januar veröffentlichte er einen erneuten Artikel mit der Aufforderung, falsche Eintragungen während der Zählung sowie jegliches Fehlverhalten der Zählkommissare sofort an die Bezirkshauptmannschaften, die k.k. Statistische Zentralkommission und das Ministerium des Innern zu senden. Auch hierfür lieferte er ein komplett vorformuliertes Schreiben einschließlich der Verweise auf die Vorschriften des Volkszählungsgesetzes. Diese Aktion war weder willkürlich noch unbegründet; sie entsprang, wie er dokumentierte, der Frustration darüber, dass zuvor im Abgeordnetenhaus des Reichsrates eingereichte Interpellationen nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hatten.1515 Bereits Mitte Dezember berichtete der galizische Statthalter Michał Bobrzyn´ski dem Ministerpräsidenten, Dnistrjans’kyj hätte »unter der ruthenischen Bevölkerung eine intensive Agitation in Angelegenheit der Volkszählung entwickelt.«1516Diese wäre völlig ungerechtfertigt, zumal über die Hälfte der eingesetzten Zählkommissare die ruthenische Nationalität hätten.1517 Die Verlässlichkeit der Angabe ist in Zweifel zu ziehen; zwar findet sich in den Volkszählungsakten des Statthaltereiarchivs eine komplette Auflistung der Zählkommissare des Bezirks Brody, doch selbst hier ist das Zustandekommen dieser Kategorie ungeklärt.1518 Auch der polnische Statistiker Stanisław Smolka (1854– 1924) behauptete retrospektiv, dass »die Volkszählung auf dem flachen Lande […] von Dorfvorstehern durchgeführt wurde, also in ruthenischen Gemeinden 1513 Svoboda, 29. Dezember 1910, S. 6. 1514 Ebd. 1515 Svoboda, 5. Januar 1911, S. 2. Zu ersten Beschwerden, die über das MdI an die Statthalterei gelangten, vgl. CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1216. 1516 Ante repositionem mitgeteilter Einsichtsakt des Ministerratspräsidiums, betreffend die Agitation des Abg. Dr. Dnistrjanskyj anlässlich der Bestellung der Volkszählungskommissäre in ruthenischen Gemeinden Galiziens, 30. Dezember 1911 [Bericht vom 21. Dezember], AVA Inneres MdI allg. 51312/1910. 1517 Brix 1982, S. 376. 1518 Zählkommissare des Bezirks Brody, 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 67–69.

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von Ruthenen.«1519 Die Interpellationen berichteten vom Gegenteil, was sich etwa für die später exemplarisch zu diskutierenden Vorfälle in der Gemeinde Wolodz˙/ Volodzˇ anhand von Dokumenten der Statthalterei bestätigen lässt. Die Auslegung rechtlicher Bestimmungen, an denen sich die Debatten entwickelten, seien an dieser Stelle kurz wiedergegeben. Das Volkszählungsgesetz definierte die Gemeinden als Träger der Zählung; dementsprechend mussten sie hierzu Zählkommissare bestimmen. Der jeweilige Kommissar sollte zwar ein »hiezu [sic] geeignetes Individuum« sein, diese Eignungskriterien wurden allerdings nicht allgemein kodifiziert. Die Bezirkshauptmannschaften hatten die Aufgabe, alle Gemeinden rechtzeitig über ihre Aufgabe zu informieren und in problematischen Fällen für eine Ersatzzählung auf Kosten der Gemeinde zu sorgen. In breiter Auslegung war es den Bezirkshauptmannschaften so durchaus möglich, Gemeinden das Bestellungsrecht zu entziehen und sie lediglich mit den Kosten zu belasten.1520 Nach den ersten Dezennien wurde die Möglichkeit nationaler Vorteilnahme zunehmend auch organisatorisch in Betracht gezogen und dafür plädiert, dass alle an der Zählung beteiligten Akteure dem »nationalen Parteikampfe […] ferne stehen«1521 müssten. So wurden etwa Lehrpersonen in gemischtsprachigen ländlichen Regionen der nationalen Anteilnahme verdächtigt und deshalb kollektiv als Zählkommissare für die Volkszählung 1900 ausgeschlossen. Die Statthalterei Prag erwirkte 1910 hierfür jedoch eine Ausnahmeregelung, dort Volksund Bürgerschullehrer einsetzen zu dürfen, wo sie kein anderes geeignetes Personal hierzu finden würde. Ausgeschlossen wäre dies jedoch dort, wo gezielte nationale Agitation durch jenes Personal vermutet werden würde, d. h. primär in gemischtsprachigen Gemeinden. Einerseits sollte damit nationale Agitation in Schulen vermieden werden, andererseits standen Lehrer durch ihre Nähe zu nationalen Organisationen unter Kollektivverdacht.1522 In Ostgalizien war diese Ansicht nicht minder relevant, standen ländliche Lehrkräfte doch häufig dem polnischen Towarzsytwo Szkoły Ludowej, der ukrainischen Prosvita oder dem Rus’ke tovarystvo pedahohicˇne nahe.1523

1519 Smolka 1916, S. 443. 1520 Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 1869, S. 311f.; Mayrhofer von Grünbühel 1899, S. 41. Zu weiteren Auslegungen vgl. ebd., S. 23f. 1521 Mayrhofer von Grünbühel 1899, S. 193. 1522 Verwendung der Lehrerschaft bei der Volkszählung in gemischtsprachigen Gemeinden in Böhmen, AVA Inneres MdI allg. 50061/1910. 1523 Struve 2005 und Himka 1988, S. 122–142 zur Lehrerschaft und zur Geistlichkeit als Trägerschaft der Nationalbewegung. Zu den regionalen Filialen des Rus’ke tovarystvo pedahohicˇne vgl. Zvit z djijal’nosty Ruskoho tovarysva pedagogicˇnoho za rik 1905, 1906, S. 8– 11. Die Kooperation zwischen der polnischen TSL und den Volkszählungsorganen thematisiert die Interpellation StP AH, XX. Session, 88. Sitzung, 7. Februar 1911, 2488/I, 11431.

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Dnistrjans’kyjs sachlich-wissenschaftliche Argumentation wandelte sich im Rahmen der Proteste deutlich, wenn er gegen »allpolnische Chauvinisten«1524 polemisierte. Dennoch präsentierte er auch Belege in Form von Aktensignaturen für die dargestellten Vorfälle, wodurch er sich eine gewisse Glaubwürdigkeit sicherte. Anhand diverser Zirkulare deckte er eine Strategie in den Anweisungen für polnische Zählkommissare auf, die gegen die ukrainische Nationalbewegung und für die Eintragung des Polnischen als Umgangssprache – entgegen geltender Richtlinien – auftrat. Eine Reihe von Interpellationen vor der Zählung problematisierten die Zählkommissare in zahlreichen ostgalizischen Bezirken, deren Auswahl durch die Bezirkshauptmannschaften und das Übergehen der Gemeinde in den entsprechenden Fällen. Ruthenische Zählkommissare wären häufig ungerechtfertigt – durch die Pauschalbegründung mangelnder Eignung – zurückgewiesen und ersetzt worden. Sowohl kirchliche als auch weltliche Instanzen versuchten, Kommissare durch Weisungen zu beeinflussen.1525 Während des Zählvorgangs waren die Kommunikationssprache zwischen Lokalbevölkerung und Kommissaren sowie angebliches Fehlverhalten der letzteren rekurrente Probleme. Die Beschwerden im Abgeordnetenhaus widmeten sich der widerrechtlichen automatischen Eintragung von Personen römisch-katholischer Konfession (latynnyky) als Polen; häufig wären diese gar nicht nach ihrer Sprache, dafür aber etwa nach ihrer Nationalität gefragt worden. Außerdem seien die sprachlichen Anforderungen an Aufnahmebögen und nötige Sprachkompetenzen der Kommissare oft nicht gegeben gewesen. Unhöfliches, willkürliches oder betrunkenes Auftreten der Zählkommissare und die Androhung von Repressalien sind nur einige der weiteren Vorwürfe.1526 Andere Kommissare hätten die üblichen Fragen nicht gestellt, sondern lediglich Namen aufgenommen und die weiteren Rubriken willkürlich ausgefüllt. Lag hier nationale Vorteilsnahme oder bloß illegitime Arbeitszeitverkürzung vor? Dabei handelte es sich eher um Glaubensfragen, die nationale Akteure zu ihren Gunsten auslegten. Das ›Zählen‹ bedeutete nicht nur die Interaktion zwischen Mensch und Papier, sondern eine kulturelle Interaktion zwischen Individuen, die sich durch Regionalität, ethnische und soziale Zugehörigkeit sowie der Zugehörigkeit zum Verwaltungsapparat identifizierten konnten. Die Haltung der Zählenden, der Berufungsinstanzen und der Gezählten wurde zu einem entsprechend vielschichtigen Konfliktfeld. In der Beobachtung dieses Konfliktfeldes durch Nationalbewegungen konnte potenziell jeder Fehltritt als ›Chauvinismus‹ interpretiert werden und Anlass zur Problematisierung lokaler Ereignisse auf Reichsebene bieten. Hintergrund dessen waren wiederum nationale Kampagnen, die sich der Fälschung, 1524 StP AH, XX. Session, 88. Sitzung, 7. Februar 1911, 2488/I, S. 11433. 1525 Rohde 2016, S. 100–108. 1526 StP AH, XX. Session, 87. Sitzung, 2416/I, S. 11209; 88. Sitzung, 2489/I, S. 11449–11459.

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Berichtigung, Verschleierung oder Aufklärung der jeweiligen Anliegen widmeten. Dabei handelt es sich um eine in allen multiethnischen/multilingualen Kronländern Cisleithaniens während der Volkszählung präsente Erscheinung, deren Intensität von den regionalen Konflikten, dem Organisationsgrad nationaler Bewegungen und anderen lokalen Faktoren abhängen konnte. Die Gründe für Konflikte konnten ebenso vielfältig sein; außerdem steht zu bedenken, dass niemand über unproblematische Zählvorgänge berichtete. Sind nationale Auseinandersetzungen nun exklusiv für alle Schwierigkeiten des Zensus verantwortlich? Der polnische Abgeordnete Stanisław Głabin´ski problematisierte im Reichsrat berechtigt, dass die politischen Bezirke Galiziens im cisleithanischen Vergleich unverhältnismäßig groß und dementsprechend schwerer in der Verwaltung zu händeln wären, als dies bspw. in Böhmen der Fall war. Denkbar sind deshalb auch Kosteneinsparungen oder Zeitdruck als Einflussfaktoren. Die Angst der Lokalbevölkerung vor der Verwaltung – etwa dahingehend, dass wahrheitsgetreue Angaben zu höheren Steuern führen könnten – ist ebenso nicht zu unterschätzen, wie der auf die Landbevölkerung ausgerichteten narodovci-Zeitung bat’kôvsˇcˇina (Das Vaterland)1527 zu entnehmen ist. Auch die rechtliche Einschüchterung stellte ein Problemfeld dar: Widerstand gegen massenhafte Strafverhängungen für das Ignorieren der Vorgaben im Feld Umgangssprache ist vor allem für jüdische Gruppen dokumentiert. Auch die Inanspruchnahme polizeilicher Unterstützung durch manche Kommissare1528 mag bedrohlich gewirkt haben. Die Abgeordneten skandalisierten Muster ebenso wie Einzelfälle, die in der Summe dazu dienten, einen Kollektivverdacht zu konstruieren. Die polnischen Zählkommissare wurden seitens der UNDP als ›gefährliche‹ Akteure dargestellt, die die ukrainische Nation gezielt schädigen würden.1529 Mögliche Vorfälle in eher homogenen ruthenisch-ukrainischen Regionen erregten keine derartige Aufmerksamkeit. Eine geographische Betrachtung der Beschwerden widerspricht der Idee einer nationalen Aufladung der imaginierten Sprachgrenze 1527 Bat’kôvsˇcˇina, 29. August 1890, S. 430f. 1528 StP AH, XVIII. Session, 20. Mai 1908, S. 4701; XX. Session, 87. Sitzung, 26. Januar 1911, 2416/1, S. 11209. 1529 Dabei ist augenfällig, dass diese Beschwerden erhebliche Ähnlichkeit zu jenen aufwiesen, die tschechische Politiker während der vergangenen Volkszählungen vorbrachten. Brix 1982, S. 280, 286. Auch die Idee einer nicht-staatlichen Erhebung der Nationalität war nicht neu, sondern hatte böhmische Vorbilder. Cornwall 1994, S. 920. Auf dieser Grundlage kann ein innerimperialer Lernprozess angenommen werden. Einerseits könnte die galizische Verwaltung Muster der böhmischen adaptiert haben, andererseits könnten ruthenische Politiker bezüglich der Aufdeckung von Vergehen von den Erfahrungen der tschechischen Akteure profitiert haben. Diese Modelle schließen sich jedoch keineswegs aus: Alle der involvierten Akteure hatten die Möglichkeit, im Reichsrat, aus Printmedien oder in persönlicher Kommunikation von möglichen Strategien zu erfahren.

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zwischen Ost- und Westgalizien. Schwerpunkte lagen zwar auch in Bezirken wie Bóbrka/Bibrka, Brzozów/Bereziv1530 und Przemys´l/Peremysˇl’1531, aber weder exklusiv noch in herausragender Intensität. Vielmehr waren alle multilingualen und -religiösen Ortschaften, in denen sich nationaler Aktivismus niederschlug, in irgendeiner Form betroffen. Die Stigmatisierung polnischer Zählkommissare veränderte den Blick der intelihencija auf den Zählvorgang und damit auf alle produzierten Daten. Im Zusammenspiel mit der forcierten Eindeutigkeit der Sprachangaben führte dies zur statistischen Blindheit gegenüber transkulturellen Phänomenen. Der konstruierte Charakter nationaler Probleme wurde aber bei lokaler Betrachtung noch deutlicher. Das liegt prinzipiell nicht an der Glaubwürdigkeit der Beschwerden Dnistrjans’kyjs und seiner Kollegen, die stets Belege wie die Kennzahlen der Erlässe von Bezirkshauptmannschaften anführten, sondern an der Deutung der ihnen dargebrachten Inhalte. Theodore Porters Formel von »Trust in Numbers«1532 steht dafür, dass die Kredibilität von Statistiken nicht nur ein Ergebnis wissenschaftlicher, sondern besonders auch administrativer Prozesse war, und verweist damit auf den Zusammenhang von Vertrauen auf administrative Organe und der Glaubwürdigkeit der von ihnen produzierten Daten. Wie die Problematisierung der Zählkommissare und der sie bestellenden Verwaltungskörperschaften vorschlägt, sollte in diesem Falle von mistrust in politicized numbers gesprochen werden. Vielschichtige Möglichkeiten für Konflikte wurden auf exklusiv nationale Ursachen zurückgeführt. Die ethnisch-sprachliche Kodierung politisch-administrativen Misstrauens war durch galizische Wahlskandale längst kein Novum mehr, hatte aber durch die Volkszählung an neuer Intensität gewonnen. Der Informationsfluss, der zwischen lokalen Akteuren und nationalen Politikern herrschte, erscheint in diesem Konfliktfeld als administrative ›Stille Post‹.

7.2.2 Volkszählung lokal Die Gemeinde Wolodz˙/Volodzˇ führte seit Ende 1910 wiederholt Beschwerde gegen den ihr von der Bezirkshauptmannschaft Brzozów/Bereziv zugeteilten polnischen Zählkommissar Kazimierz Barucki, der als Förster in der Gemeinde tätig war. Die Gemeinde zählte (Stand: 1900) 775 Einwohnerinnen und Einwohner, von denen 558 die ruthenische und 217 die polnische Umgangssprache angaben. 658 waren griechisch-katholischer Konfession, 101 römisch-katholi1530 StP AH, XX. Session, 81. Sitzung, 16. Dezember 1910, 2293/I, S. 10751; 87. Sitzung, 26. Januar 1911, 2416/1, S. 11209f. 1531 Rohde 2016, S. 108. 1532 Porter 1995.

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scher und 16 israelitisch.1533 Die Zahlen deuten zwar Konfliktpotential in der statistischen Deutung durch einige mögliche latynnyky an, doch die Herausforderung der Mehrsprachigkeit lag für die lokale Administration in einem anderen Punkt: Die Gemeinde wählte eine ruthenischsprachige Vertretung, die sich mit übergeordneten polnischsprachigen Organen auseinanderzusetzen hatte. Barucki war der Gemeinde, entgegen deren einstimmiger Entscheidung für den lokalen Gemeindeschreiber, von der Bezirkshauptmannschaft zugeteilt worden. Die Gemeinde beschwerte sich zunächst darüber, dass ihre eigene Entscheidung für den ansässigen Gemeindeschreiber übergangen wurde.1534 In einem Folgeschreiben gab sie in erster Linie an, dass der geforderte Betrag von 36 Kronen für diese kleine Gemeinde unangemessen hoch wäre; im Budget läge nur die Hälfte als Honorar. Erst an zweiter Stelle bezog sie sich auf den ihr zugewiesenen Zählkommissar, »zu dem die gesamte Gemeinde kein Vertrauen« hätte.1535 Zumal die Bezirkshauptmannschaft nicht auf das Schreiben vom 18. Dezember 1910 reagierte, war auch kurz vor Durchführung der Zählung ungewiss, wer die Zählung nun übernehmen sollte. Für die Gemeinde handelte es sich durchaus um ein wichtiges Verwaltungsproblem; so wandte sie sich mit zwei weiteren Schreiben an die Bezirksverwaltung, in denen sie entschieden gegen das Vorgehen protestierte. Außerdem informierte sie die Abgeordneten der UNDP. Die Schreiben änderten zwar ihren Tonfall, wenn etwa das letzte betonte, der ausgewählte Zählkommissar wäre »verhasst in der hiesigen Gemeinde«1536. Spannend ist aber vielmehr, dass die beschwerdeführende Gemeinde vor dem Beginn der Zählung mit keinem Wort Sprache, Nation, ruthenisch/ukrainisch, polnisch, griechisch-katholisch oder römisch-katholisch erwähnte. Dahingegen verwies die Klage der Politiker im Abgeordnetenhaus darauf, dass die Bezirkshauptmannschaft »der Gemeinde einen Polen als Zählkommissar gegen ihren Willen aufdrängen« wollte und sich zum vorgeschlagenen »Gemeindeschriftführer Tymotej Wołynec´ (eine[m] Ruthenen)« nicht äußerte.1537 Einen mehr1533 Gemeindelexikon, Bd XII.: Galizien, 1907, S. 98. Die Diskrepanz der Zahlen ergibt sich daraus, dass die Umgangssprache nur von der ortsansässigen Bevölkerung aufgenommen wurde, die Konfession aber von allen im Ort gemeldeten Personen. Das betrifft bspw. Militärangehörige. 1534 Zverzˇnist’ hromads’ka, Volodzˇ 25. 12. 1910, Do c.k. Starostva v Berezovi, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 101f. 1535 Ebd., ark 106–107, Zitat ark. 107. Zur ursprünglichen Meldung des Zählkommissars: Zverzˇnist’ hromads’ka, Volodzˇ 09. 11. 1910, Do c.k. Starostva v Berezovi, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 94–97; zur gegensätzlichen Zuweisung des Zählkommissars Barucki: C.k. Starostwo we Brzozowie, dnia 14 grundia 1910, Do Zwierschnos´ci gminnej. Przełoz˙en´stwa obszaru dworskiego w Wolodzi, ebd., ark. 103f. 1536 Zverzˇnist’ hromads’ka, Volodzˇ 30. 12. 1910, Do c.k. Starostva v Berezovi, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. S. 110f., Zitat S. 110. 1537 Schreibweise entsprechend der deutschsprachigen Quelle. Interpellation Dnistrjans’kyj, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 93. Die Antwort der Bezirkshauptmannschaft an die

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schichtigen Lokalkonflikt, der sich im Kern um die Frage der Gemeindeautonomie drehte, interpretierte die UNDP demnach als einen eindeutig nationalen Konflikt, während die für die Gemeinde vorrangige finanzielle Dimension nicht aufschien. Die Bezirkshauptmannschaft nahm nach Aufforderung der Statthalterei zu diesem Fall Stellung und erklärte, die Gemeinde hätte kein Personal, das den Aufgaben eines Zählkommissars nachkommen könnte. Es ist davon auszugehen, dass die Gemeinde sich erst im Kontakt mit der Partei für Sprachfragen sensibilisierte. Insofern verwundert umso mehr, dass die Bezirkshauptmannschaft in der explosiven Atmosphäre keine größere Vorsicht walten ließ. Am 2. Januar 1911 wurde der Gemeindevorstand mit Wołynec´ in der Bezirkshauptmannschaft vorstellig, um diese von der Fähigkeit ihres Wunschkandidaten zu überzeugen. Dieser wurde einem spontanen Test unterzogen und sollte einen Beispielbogen ausfüllen.1538 Nachdem er für die Erfassung von zehn Personen zwei Stunden in Anspruch nahm, erklärte der Bezirkshauptmann gegenüber der Statthalterei, dass Wołynec´, der »keinerlei Intelligenz besäße und kaum in der Lage sei, die Aufgaben eines Gemeindeschreibers zu erfüllen«, ungeeignet scheint, die lokale Zählung durchzuführen. Die Gemeinde schlug daraufhin einen alternativen Kandidaten vor, den die Bezirksverwaltung für ebenso unqualifiziert hielt.1539 Barucki übernahm die Zählung zunächst, unterbrach die Tätigkeit jedoch nach einem Tag; die Gemeindebevölkerung forderte, dass er die Eintragungen auf einem ukrainischen Bogen in ukrainischer Schrift durchführte. Dieser hätte entgegnet, das würde ihn zu viel Zeit kosten, zumal er keine Übung darin hätte. Die Gemeinde wiederholte damit ihre Bitte, die Zählung selbst bewerkstelligen zu dürfen.1540 Die Bezirkshauptmannschaft delegierte daraufhin den polnischen Lehrer Andrzej Bielawski, um die Angelegenheit zu übernehmen, zumal sie der Ansicht war, dieser wäre mit ausreichenden Sprachkenntnissen ausgestattet. Er traf am 20. Januar mit Polizeischutz in der Ortschaft ein, um einen ruhigen

Statthalterei erwähnte zwar, dass die Gemeinde auch monierte, dass der ausgewählte Zählkommissar »lokale Verhältnisse nicht kennt« und »ruthenisch nicht gut beherrscht« (ark. 88), allerdings findet sich der letztere Aspekt nicht in der von ihr selbst beigelegten Fallakte, in dem alle genannten Bezugsschreiben aufgeführt waren; möglicherweise bezog sich diese Auskunft auf eine Vorgeschichte der Gemeinde mit Barucki, die ganz offensichtlich bestand, oder bezog sich erst auf das im Folgenden geschilderte Treffen. C.k. Starostwo w Brzozowie, dnia 5 stycznia 1911. Do Prezydyum c.k. namiestnictwa we Lwowie, ebd., ark. 88f. 1538 Von Wołynec´ ausgefüllter Volkszählungsbogen, 2. Januar 1911, ebd., ark. 90–92. 1539 C.k. Starostwo w Brzozowie, dnia 5 stycznia 1911. Do Prezydyum c.k. namiestnictwa we Lwowie, ebd.. ark. 88f., Zitat ark. 89. 1540 Zverzˇnist’ hromads’ka, Volodzˇ 30. 12. 1910, Do c.k. Starostva v Berezovi, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1220, ark. 130f.

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Ablauf zu gewährleisten.1541 Er ließ niemanden die Eintragungen kontrollieren, außerdem übergab er die Unterlagen nach Abschluss der Zählung einer Privatperson anstatt, wie üblich, der Gemeindeverwaltung. Bielawski begründete dies durch sein Misstrauen gegenüber der Lokalverwaltung. Nach dem folgenden Zerwürfnis verließ er zunächst die Gemeinde, obwohl er nur ein Viertel der Zählung durchgeführt hatte, worüber er auch die Bezirkshauptmannschaft telegraphisch informierte.1542 Diese hielt ihn dazu an, die Zählung zeitnah zu beenden und wies die Gemeindeleitung an, ihn nach Kräften dabei zu unterstützen.1543 Die polnischen und ukrainischen Originaldokumente erhellen die Hintergründe eines Vorfalls, auf dem nur ein Absatz einer von vielen Interpellationen der UNDP basiert. Grundsätzlich stimmen die Sachinformationen mit den meisten Inhalten der stark verkürzten Interpellationen überein. Sprache und Nationalität schienen seitens der lokalen Akteure allerdings nicht als dominante Probleme in der vorliegenden Auseinandersetzung auf. Erst, nachdem die ukrainischen Abgeordneten mit ihrer Interpellation eingriffen, wird deutlich, dass sich beide Seiten ethnisch-sprachlicher Kategorien in ihren Berichten bedienten. Bemühungen, das offenbar schon im Vorhinein problematische Verhältnis der Gemeinde zur Verwaltung und den auswärtigen Zählkommissaren zu schlichten oder auch Vertrauen herzustellen, können am Verhalten der Bezirkshauptmannschaft nicht abgelesen werden. Vielmehr verhielt sie sich den Gemeindevertretern gegenüber mehrfach herabwürdigend; erst dadurch sahen sich diese offenbar motiviert, die Nähe der UNDP zu suchen, die sich mittels der Presse für alle mit der Volkszählung in Verbindung stehenden Angelegenheiten der ruthenisch-ukrainischen Bevölkerung verantwortlich erklärte. Eindeutig ist, dass die UNDP lokale Konflikte, die auf längeren administrativen Interaktionen mit ihren individuellen Erfahrungen sowie auf längerfristig gewachsenem, beidseitigem Misstrauen basierten, in einer kurzen Meldung als eindeutigen Nationalitätenkonflikt interpretierte. Die Hypothese einer bewussten Überzeichnung liegt nahe, allerdings kann dieser ausführlich dokumentierte Einzelfall nicht unumwunden für alle Beschwerden stehen, zumal auch die originale Meldung der Gemeindeverwaltung an die UNDP nicht vorliegt. Denkbar wäre ebenso, dass sich die lokalen Akteure den von der UNDP angebotenen, nationalen Kategorien bedienten, um die Aufmerksamkeit der Partei für ein lokales

1541 C.k. Starostwo w Brzozowie, dnia 27. lutego 1911. Do Prezydyum c.k. namiestnictwa we Lwowie, ebd.. ark. 143f. 1542 Telegramm Bielawski an die Bezirkshauptmannschaft Brzozów/Bereziv, ebd., ark. 145; Interpellation Ceglin´ski, ebd., ark. 141f. 1543 C.k. Starostwo w Brzozowie, dnia 27. lutego 1911. Do Prezydyum c.k. namiestnictwa we Lwowie, ebd.. ark. 143f.

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Anliegen mit anderen Schwerpunkten zu erhalten, und dadurch die Interpellation ihre Gestalt annahm. Während dieses lokale Beispiel eindeutig den partiell konstruierten Charakter durch die Übersetzung von einer lokalen in eine ›nationale Beschwerde‹ zeigt, ändert das nichts an dem herablassenden Umgang der Bezirkshauptmannschaft mit dem Gemeindeschreiber und den administrativen Handlungen in einer rechtlichen Grauzone. Für die Gemeindeleitung war die Anlehnung an die Nationalbewegung ein Vehikel, regionale Hierarchien zu überwinden und dadurch überhaupt gehört zu werden.

7.3

Folgen

Der UNDP-Abgeordnete Cehel’s’kyj monierte in einer Anfrage an den Präsidenten des Reichsrates am 17. Januar 1911 zurecht, dass der Innenminister bis zu diesem Zeitpunkt noch keine der Interpellationen beantwortet hatte. Der Reichsratspräsident entgegnete, die Papiere wären dem Ministerium zugestellt worden, doch hätte der am 12. Dezember 1910 zurückgetretene Innenminister sich ihnen ebenso wenig angenommen wie sein Nachfolger. Er versprach zwar, die Interpellationen erneut vorzulegen,1544 doch sie blieben unkommentiert. Es scheint, als wollte die Regierung die Angelegenheit im Abgeordnetenhaus strategisch aussitzen. Sicherlich ist das auf personelle Kapazitäten zurückzuführen, letztlich protestierten nicht nur die UNDP-Abgeordneten, sondern auch Politiker aus allen mehrsprachigen Kronländern.1545 Doch blieb das Innenministerium gänzlich inaktiv und die ukrainischen Aktivitäten damit folgenlos? Einige Interpellationen der UNDP sowie zahlreiche Telegramme1546 aus unterschiedlichen Ortschaften sind innerhalb von wenigen Tagen mit nachdrücklichem Gesuch nach Aufklärung vom Innenministerium an die Statthalterei Lemberg geschickt worden.1547 Die Statthalterei wandte sich mit entsprechenden Anfragen hinsichtlich der Bestellung von Zählkommissaren an die Bezirksver1544 StP AH, XX. Session, 82. Sitzung, 17. Januar 1911, S. 4812f. 1545 Vgl. die Kapitel zu den jeweiligen Kronländern in Brix 1982. 1546 Die Grundlage lieferten dabei u. a. auch Dnistrjans’kyjs Vordrucke, vgl. Beschwerde des Michael Dulyba in Przegnojów (pol. Bez. Prz´emyslany), AVA Inneres MdI allg. 4182/1911; Beschwerde des Fedko Hryniuk und Gen. in Firlejów (politischer Bezirk Rohatyn), übermittelt von Dnistrjans’kyj, AVA Inneres MdI allg. 3632/1911. 1547 Zwischen dem 29. Dezember 1910 und 2. Januar 1911 schicke das Ministerium des Innern fünf Konvolute mit Telegrammen aus einzelnen Ortschaften an die Statthalterei, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1216, ark. 4–6, 11f. Zu den Beschwerden über die Bestellung von Zählkommissaren vgl. die folgende FN; zu den im Februar und Anfang März eingegangenen und bearbeiteten Interpellationen zum Ablauf der Zählung CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1218; spr. 1219, ark. 67–69; spr. 1220, ark. 47–71; spr. 1221, ark. 72–143.

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waltungen, von denen auch einige beantwortet wurden.1548 Auf einen großen Teil der Beschwerden gingen allerdings gar keine Reaktionen ein. Am 10. Januar sah sich die Statthalterei bewogen, ein Zirkular an alle Bezirkshauptmannschaften zu versenden, worin ermahnt wurde, dass Zählkommissare neutral in Sprachfragen agieren und die Möglichkeit, Angaben in polnischer, ruthenischer und deutscher Sprache zu leisten, zu gewährleisten hätten.1549 Zumal die Zählung jedoch – je nach Ortschaft – zu diesem Zeitpunkt schon fortgeschritten oder abgeschlossen sein konnte, war von näherer Aufklärung keine größere Wirkung zu erwarten. Zwischen dem 31. Dezember 1910 und dem 13. Januar 1911 erhielt das Ministerium des Innern diverse Berichte der Statthalterei, in der diese erwog, einzelne Zählpersonen zu ersetzen »und für den Fall des negativen Ergebnisses dieser Erwägung eine für alle Fälle gleichlautend formulierte Begründung der amtswegigen Bestellung der Zählorgane« auszusenden. Außerdem hatte sie bis 17. Januar 1911 – d. h. nach mehr als der Hälfte der angesetzten Zähldauer – auf zahlreiche der Beschwerden noch keinerlei Antwort vorgelegt. Das Innenministerium akzeptierte dieses Verhalten nicht und forderte energisch detailliertere Berichte ein.1550 Die Ahndung widerrechtlichen Vorgehens, wie von den UNDPPolitikern verlangt, geht aus keinem erhaltenen Bericht hervor. Abgesehen von Ermahnungen zeigen sich nur in Ausnahmefällen konkrete Reaktionen. Der Richter Ladislaus Becker, Zählkommissar im Bezirk Kamionka-Strumilowa/ Kamjanka-Strumylivs’ka, bezeugt einen der wenigen dokumentierten Fälle einer Enthebung der Stellung als Zählkommissar. Zahlreiche Beschwerden führten zu wiederholten Neuerhebungen, so dass das Oberlandesgerichtspräsidium Lemberg anwies, Becker zu entlassen. Die späte Maßnahme war kaum erfolgreich, zumal Becker selbst bereits zurückgetreten war.1551 Anfang Mai 1911 berichtete die Statthalterei in einer Kostenabrechnung der Volkszählung von der »Berichtigung der Irrtümer in den Zählpapieren«, wobei das Ausmaß und die Fälle, in denen eine solche Berichtigung nötig war, nicht besprochen wurden. Die bei-

1548 Vgl. die erhaltenen Briefwechsel und zirkulierten Interpellationen der Statthalterei mit den ˇ ortkiv, Bezirksverwaltungen in Brody, Brzez˙any/Berezˇany, Brzozów/Bereziv, Czortków/C Gródek/Horodok, Horodenka, Kałusz/Kalusˇ, Peczeniz˙yn/Pecˇenizˇyn, Rawa Ruska/Rava Rus’ka, Rohatyn, Skałat/Skalat und Zbaraz˙/Zbarazˇ zwischen dem 17. Dezember 1910 und dem 7. Januar 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 10–128. 1549 Zirkular des Präsidiums der k.k. Statthalterei Lemberg, 10. Januar 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 129. Eine allgemeine »Erinnerung betreffend Wahrung der Freiheit des Bekenntnisses der Umgangssprache bei der Volkszählung 1910« zirkulierte das MdI schon am 1. Dezember 1910 in Rücksicht auf die vielseitigen Proteste, AVA Inneres MdI allg. 46485/1910. 1550 Ministerium des Innern an k.k. Statthalter in Lemberg, 17. Januar 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1217, ark. 38–39, Zitat ark. 38. 1551 Einsichtsakt des Justizministeriums, betreffend die Bestellung des Richters Ladislaus Becker zum Volkszählungskommissar für Busk, AVA Inneres MdI allg. 2869/1912.

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gefügte Kostentabelle belegt jedoch keinen Schwerpunkt im vermehrt umstrittenen östlichen Galizien.1552 Auf Berichte zur Berufung von Zählkommissaren, die die Statthalterei erst am 15. und 23. Januar 1911 einsandte, konnte das Ministerium kaum mehr sinnvoll reagieren, selbst wenn es gewollt hätte. Diese Berichte sah das Ministerium allerdings auch erst im Juni ein.1553 Die Zeitpläne für nachfolgende Arbeiten waren jedoch äußerst knapp. Die statistisch-administrativen Übersichten, die aus den Daten der Volkszählung kompiliert wurden, galten für das gesamte Cisleithanien, deshalb mussten die politischen Landesstellen ihre Übersichten möglichst schnell fertigstellen. Behörden wie auch Wirtschaft hatten erheblichen Bedarf an diesen Publikationen und übten Druck auf die k.k. Statistische Zentralkommission und das Ministerium des Innern aus. Vorläufige Ergebnisse umfassten nur Daten zu Häusern, Wohnparteien und anwesender Bevölkerung basierend auf Gemeindedaten, die Anfang Februar abgeschlossen werden mussten.1554 Bezüglich der Erstellung von Bezirksübersichten sollte die Statthalterei Anfang Mai über ihre Fortschritte berichten und Ende Mai alle Übersichten fertiggestellt und eingesandt haben. Dabei handelt es sich, wie das Innenministerium betonte, um die »volle gesetzliche Frist«; die Bezirkshauptmannschaften sollten nochmal gesondert ermahnt werden, diese zu nutzen, um die von den Gemeinden eingesandten Unterlagen gewissenhaft zu prüfen, um negative Erfahrungen der vorherigen Zählung zu vermeiden. Im Juni sollte dann die »eigene Revisionsarbeit« der Landesstellen stattfinden, deshalb sollte die Statthalterei nachdrücklich zur Einhaltung aller Fristen ermahnen.1555 Die Statthalterei Böhmen berichtete Ende Mai ausführlich über die Probleme durch Protestaktionen, um weitere Bearbeitungszeit zu erhalten.1556 Ihr galizi-

1552 K.k. Statthalter Galizien an MdI, Nachweis der Restkosten für Verwendung von Schreibkräften bei der Volkszählung, 3. Mai 1911, AVA Inneres MdI allg. 15509/1911. Einzig die Bezirkshauptmannschaft Drohobycz/Drohobycˇ veranschlagte ungewöhnlich hohe Mehrkosten, diverse andere Bezirke in Ostgalizien hingegen keine. 1553 Ministerium des Innern an k.k. Statthalter in Lemberg, 23. Januar 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1222, ark. 1. 1554 Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den im Reichsrate vertretenen Königkeiten und Ländern. Bearbeitet und herausgegeben von der k.k. Statistischen Zentralkommission. Brünn 1911, AVA Inneres MdI allg. 12021/1911. 1555 Referentenerinnerung betreffend Verfassung und Vorlage der Bezirksübersichten, 21./ 28. April 1911, AVA Inneres MdI allg. 13597/1911. Vgl. auch Statistische Zentralkommission betreffend Einsendung der Ortschaftsverzeichnisse und Richtigstellung etwaiger Mängel dieser Verzeichnisse, 16. März 1911, AVA Inneres MdI allg. 9629/1911. Auch die schrittweise Einsendung des ›Urmaterials‹, d. h. der originalen Aufnahmebögen, sollte ab dem 1. Juli/ 10. Juli/ 1. September erfolgen. K.k. statistische Zentralkommission an Ministerium des Innern, 8. Februar 1911, AVA Inneres MdI allg. 12820/1911. 1556 K.k. Statthalterei in Böhmen an MdI, 31. Mai 1911, AVA Inneres MdI allg. 18556/1911.

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sches Pendant suggerierte dahingegen einen optimalen Verlauf.1557 Die Behörden mühten sich, Protestaktionen im Nachgang der abgeschlossenen Zählung so gering wie möglich zu halten. Individuen sollten nach einem Schema mehrerer Nationalbewegungen, das auch ukrainische Politiker verfolgen wollten, Vertreter bevollmächtigen, um ihre Eintragungen zu kontrollieren. Das Ministerium wies die Statthalterei – und mit ihr andere Landesstellen in plurikulturellen Regionen – im April 1911 an, bevollmächtigten Parteien nur in Einzel- und Ausnahmefällen Einsicht zu gewähren, um die Einflussnahme nationaler Aktivisten zu minimieren.1558 Korrektur- und Protestversuche, sofern sie nicht zu stillschweigenden Ausbesserungen seitens der Bezirkshauptmannschaften oder der k.k. Statistischen Zentralkommission führten, fielen der administrativen Routine zum Opfer. Aus verwaltungs- und datenbezogenener Perspektive erscheinen die Aktionen von UNDP, NTSˇ und lokalen Akteuren damit als Fehlschlag. Sie waren aber durchaus relevant, um der UNDP und ukrainischen Anliegen im Allgemeinen Gewicht zu verschaffen, wie der folgende Fall zeigt. Das Allgemeine Ortschaftsverzeichnis Cisleithaniens, ein zentrales administratives Hilfsmittel, wurde nach jeder Volkszählung neu kompiliert und wies aktualisierte Bevölkerungszahlen sowie veränderte Zusammensetzungen der Bezirke aus. Das Ortschaftsverzeichnis zur Zählung 1900 gab in anderen Kronländern die Ortsnamen nicht nur ein-, sondern auch zwei, drei und sogar viersprachig an.1559 Galizien stellte die einzige Ausnahme dar und berücksichtigte auch dort keine ruthenischen Ortsnamen, wo dies laut Richtlinien notwendig gewesen wäre. Auch die detaillierten Gemeindelexika erschienen üblicherweise in allen Landessprachen, mit der Ausnahme der Bukowina und einer ruthenischen Ausgabe für Galizien. Dies scheiterte jedoch nicht am Widerstand der Statthalterei, sondern einem Mangel an ›sprachkundigen Arbeitskräften‹ und Informationen bezüglich ruthenischer Ortsbezeichnungen.1560 Bereits in den Vorjahren setzten ukrainische Politiker,

1557 K.k. Statthalter Galizien an MdI, 25. Mai 1911, AVA Inneres MdI allg. 18152/1911. 1558 K.k. Ministerium des Innern an politische Landesstellen in Graz, Troppau, Klagenfurt, Lemberg, Innsbruck und Wien betreffend Einsichtnahme in die Volkszählungsbücher durch Bevollmächtigte der Interessenten, 8. –19. April 1911, AVA Inneres MdI allg. 13.996/ 1911; vertrauliches Schreiben des k.k. MdI an die k.k. Statthalterei Lemberg, Wien, 6. April 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1220, ark. 115–116. Schon früh forderte die Svoboda ihre Leserinnen und Leser auf, die Angaben zu kontrollieren, solange sie im Ort noch zugänglich waren. Svoboda, 05. Januar 1911, S. 3; 12. Januar 1911, S. 3. 1559 Statistische Publikationen über die Ergebnisse der Volkszählungen, AVA Inneres MdI allg. 23.384/1910. 1560 Statistische Zentralkommission betreffend die Herausgabe der statistischen Publikationen über die Ergebnisse der Volkszählung 1910, AVA Inneres MdI allg. 22665/1911. Für sämtliche Ortschaften Cisleithaniens sollten die Bezeichnungen in allen ortsüblichen Sprachen gleichzeitig mit der Zählung erhoben werden. Feststellung der Namen der Ge-

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federführend Dnistrjans’kyj im Abgeordnetenhaus, die ukrainischsprachige Benennung mehrheitlich ukrainischsprachiger Ortschaften auf die politische Agenda.1561 Die k.k. Statistische Zentralkommission erklärte sich in direkter Reaktion darauf schon 1909 »zur vollen Berücksichtigung der ruthenischen Sprache bereit«1562. Angesichts erheblicher Kosten und Verzögerungen, die die Zentralkommission vorhersagte, überrascht, dass auch das Ministerium dieser Forderung im Nachgang der Volkszählung 1910 große Bedeutung beimaß und selbst gegen politischen Widerstand durchsetzte.1563 Galizien-Minister Zaleski gab in einer ausführlichen Bemerkung zu diesen Plänen an, dass die damals von der Statthalterei vorgelegten Materialien »keineswegs mangelhaft oder unvollständig« gewesen wären. Sie hätten »deshalb so wenig ruthenische Namen ausgewiesen, weil ruthenische Ortsbezeichnungen vielfach erst in der letzten Zeit entstanden, zum grossen Teil wohl auch zu politischen Zwecken mit aller Beschleunigung künstlich geschaffen werden.« Es wäre »gleichgiltig, ob die Ortsnamen polnischen, deutschen oder ruthenischen Ursprungs« wären und außerdem wäre »tatsächlich […] niemals der Versuch unternommen, überlieferte Ortsnamen mit ruthenischem Lautklange […] zu polonisiren«. Die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert durch einen Erlass Josephs II. festgelegten Ortsnamen nun zu ändern, würde in der gegenwärtigen Verwaltung zu einer erheblichen »Unordnung in der Praxis« führen, darum würde die gewünschte Änderung wohl nicht »eines wirklichen praktischen Be-

meinden, Ortschaften etc. anlässlich der Volkszählung, 16. März 1910. AVA Inneres MdI allg. 15509/1911. 1561 Interpellation Dnistrjans’kyj, StP AH, XVIII. Session, 113. Sitzung, 3. Dezember 1908, 3800/ I, S. 12577f. Mit Bezug auf Galizien und die Bukowina vgl. Interpellation Ceglin´ski, StP AH, XVIII. Session, 113. Sitzung, 3. Dezember 1908, 3771/I, 12521f. In der Interpellation Dnistrjans’kyj, StP AH, XXI. Session, 13. Sitzung, 12. Oktober 1911, 574/I (unpag. Separatabdruck, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1223, ark. 86–87) verwies er auf diese beiden nochmals mit Nachdruck und Erfolg, wie die Reaktion des MdI belegt, das die weitere Verzögerung der benötigten Administrativwerke offenbar billigte, wie auch im Folgenden noch erläutert. Präsidium des Abgeordnetenhauses mit der Interpellation der R.R. Abgeordneten Dr. Dnistrjanskyj und Gen., betreffend Berücksichtigung der ruthenischen Sprache in den statistischen Publikationen auf Grund der letzten Volkszählung, 12. u. 21. Oktober 1911, AVA Inneres MdI allg. 35.132/1911. Eine Interpellation des Ruthenenklubs zu den Ortschaftsverzeichnissen der Zählung 1900, vorgelegt im Februar 1902, erfuhr nicht dieselbe Aufmerksamkeit; 1906 wurden diverse weitere Beschwerden aus unterschiedlichen Lagern bezüglich Ortschaften in Böhmen, Kärnten, Krain, der Steiermark sowie mährischen Gemeinden in Schlesien vorgelegt, vgl. Statistische Publikationen über die Ergebnisse der Volkszählungen, ad AVA Inneres MdI allg. 23.384/1910. 1562 Statistische Zentralkommission betreffend die Herausgabe der statistischen Publikationen über die Ergebnisse der Volkszählung 1910, AVA Inneres MdI allg. 22665/1911. 1563 Ebd.; Ministerium des Innern an k.k. Statthalter in Lemberg, 17. Januar 1911, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1223, ark. 45–46; K.k. Statistische Zentralkommission an MdI, 8. Mai 1911, AVA Inneres MdI allg. 16066/1911.

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dürfnisses doch ausschliesslich politischen Motiven entspring[en].«1564 Das Ministerium des Innern verwarf die Kritik mit Rekurs auf die rechtliche Grundlage und glaubte, durch die »Beseitigung einer von der einen Seite notorisch als verletzend empfundenen und der anderen Seite doch kaum zu reellem Vorteile gereichenden Disparität durchaus den wohlverstandenen Landesinteressen zu dienen«1565. Auch gegenüber der Statthalterei betonte das Ministerium, die angegebenen Namen im Verzeichnis wären nicht rechtlich bindend, jedoch minderte das die ihnen seitens der Statthalterei beigemessene Relevanz keineswegs. Diese agierte, wie auch Minister Zaleski, als Verweserin polnisch-nationaler Vorrechte im Kronland und suchte energisch, auch deutsche Schreibweisen von größeren Städten zu verhindern oder an die zweite Stelle hinter der polnischen zu setzen.1566 Das Innenministerium legte 1913 in Absprache mit der statistischen Zentralkommission und der galizischen Statthalterei fest, dass der Ortsangabe »[b]ei jenen Gemeinden und Ortschaften Galiziens, in welchen sich mindestens 20 % der Bevölkerung zur ruthenischen Umgangssprache bekannt habe«, »die ortsüblichen ruthenischen Bezeichnungen in cyrillischen Lettern in Klammern beigerückt«1567 werden müssen. Die vom Statthalter durchgesetzte Nutzung von Klammern bei Ortschaften, in denen die ruthenische Bevölkerung eine Minderheit darstellte, sowie auch das Zusammentragen der ortsüblichen ruthenischen Bezeichnungen, blieben Diskussions- und Arbeitsfelder, die den Ablauf verzögerten.1568 Der Einfluss des Statthalters als zentrale Figur in allen diesbezüglichen Angelegenheiten zeigt sich dadurch, dass der Amtswechsel im Jahr 1913 die vorherigen Verhandlungen zurückwarf und die Aushandlung von Neuem begann.1569 Letztendlich erschien das Handbuch erst 1915 und verzich1564 Einsichtsbemerkung des k.k. Ministers für Galizien zum Geschäftsstück des k.k. Ministeriums des Innern vom 4. August 1911 Z. 22665/11, 26. August 1911, AVA Inneres MdI allg. 35182/1911, Beilage zu Statistische Zentralkommission betreffend die Herausgabe der statistischen Publikationen über die Ergebnisse der Volkszählung 1910, AVA Inneres MdI allg. 22665/1911. 1565 Gegenbemerkungen des Ministeriums des Innern zur Einsichtsbemerkung Seiner Exzellenz des Herrn Ministers für Galizien vom 28. August 1911 zum h.o. Geschäftsstücke Z. 22.665/1911, ebd. 1566 Präsidialbureau des k.k. Minist. des Innern an den k.k. Statthalter Galizien, 18. Juli 1913, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1223, ark. 61–65, hier ark. 64f. 1567 Vertrauliches Schreiben des Ministeriums des Innern an die k.k. Statthalterei Lemberg, Wien, 24. Februar 1913, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1223, ark. 21–29, hier ark. 23. 1568 Ministeriums des Innern an die k.k. Statthalterei Lemberg, Wien, 1. April 1913, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1223, ark. 19–20; vgl. auch das Manuskript des k.k. Statthalters Lemberg an den Minister des Innern, 7. April 1913, ebd., ark. 30–34; Information zu dem beiliegenden Referate der k.k. Statthalterei in Lemberg, 1913, ark. 47–49. 1569 Der k.k. Minister des Innern an k.k. Statthalter Galizien, 20. Juni 1913, CDIAL, fond 146, op. 8, spr. 1223, ark. 37–42.

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Nationalisierung des »ethnographischen Territoriums«. Volkszählung 1910

tete auf die Klammern ebenso wie auf kyrillische Schriftzeichen. Ungeachtet sprachstatistischer Verhältnisse stand der polnische Ortsname stets an erster Stelle. Die Bezirksnamen und damit auch die Landesübersicht blieben einsprachig.1570 Die Markierung mehrsprachiger Ortschaften war ein deutlicher, wenn auch vergleichsweise kleiner Sieg der UNDP. Die Interpellationen wurden von den adressierten Ministerien klar zur Kenntnis genommen und dürfen ihren Teil dazu beigetragen haben, die UNDP als wichtige Akteurin auf der politischen Landkarte zu verankern. Folgenreicher war der generelle Konflikt um die Volkszählung für die ideologische Orientierung der ukrainischen Nationalbewegung, insbesondere für die UNDP. Ideengeschichtlich stellte die Statistik ein elementares politisches Argument dar, das die Erfüllung nationaler Forderungen, etwa in der Bildungspolitik, verhieß. Die institutionelle Unterlegenheit, die in allen Teilbereichen der Unternehmungen zur Volkszählung deutlich wurde, führte zum Misslingen anfänglicher Pläne der Selbstermächtigung durch Zahlen. Dasselbe Problem wurde in den Jahren 1912 bis Anfang 1914 deutlich, als Debatten um einen ›galizischen Ausgleich‹ geführt wurden, den die Politik 1914 letztlich beschloss, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges jedoch nicht mehr umsetzte. Statistische Materialien dienten auch hier als zentrale Diskussionsgrundlage. Politische Akteure beider Seiten nutzten Wissenschaft als politische Ressource und verliehen Daten somit Gewicht.1571 Die vorgesehene Wahlverordnung unterteilte die galizische Bevölkerung in zwei nationale Großgruppen, wobei nicht-ruthenische Bevölkerungsteile einschließlich der großen jüdischen Gruppe automatisch der polnischen Wählerliste zugeschlagen werden sollten, wenn sie sich nicht um eine Änderung bemühten. Indifferenz wurde damit in polnische Stimmen übersetzt. Die Umgangssprachenstatistik 1910 war wiederum die Grundlage, auf der die Einteilung basierte.1572 Die polnische Dominanz war damit auch nach dieser geplanten Umstrukturierung der Verwaltung sichergestellt. Die Unzufriedenheit ukrainischer Politiker mit dem Verhandlungsausgang befeuerte die Vorstellung, dass nur eine administrative Teilung des Kronlandes in einen polnischen Westen und einen ruthenisch-ukrainischen Osten Gleichberechtigung ermöglichen würde.1573 Angesichts der Relevanz der Statistik für die Wahrnehmung der Teile des Kronlandes wundert es wenig, dass der nunmehr zum Berufspolitiker avancierte Dnistrjans’kyj die administrative Teilung des Kronlandes in einen polnischen Westen und einen ukrainischen Osten mit der Garantie eines Minderheitenschutzes zur 1570 1571 1572 1573

Allgemeines Verzeichnis der Ortsgemeinden 1915, S. 317–399. Rohde 2016, S. 109–112. Kuzmany 2013, S. 128. Denkschrift des allgemeinen ukr. Nationalrates über die Teilung Galiziens und die Schaffung einer ukrainischen Provinz in Oesterreich, o. J., CDIAL, fond 440, op. 1, spr. 10.

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Folgen

Reichsreform im Jahr 1916 vorschlug.1574 Mit Mychajlo Lozyns’kyj befasste sich auch ein weiterer, in der statistischen Kommission aktiver, Rechtswissenschaftler intensiv mit Fragen der Landesautonomie und der administrativen Teilung Galiziens.1575 Damit lieferten beide eine rechtswissenschaftlich fundierte Grundlage für diesen zentralen Punkt auf dem politischen Programm der ukrainischen parlamentarischen Vertretung während des Ersten Weltkrieges. Die missglückten Versuche einer legalen Neuordnung während der Vorkriegszeit erhielten so letztlich politische Handlungsmacht während des Ersten Weltkrieges. Die quantifizierte Grenzziehung zwischen den Teilen des Kronlandes sowie die Nationalisierung in Zahlen hatte eine ideengeschichtliche Auswirkung sowohl auf die Wahrnehmung einzelner Gruppen als auch des nationalen Kollektivs in Zahlen. Wie im Fall der latynnyky und der Privatzählung gezeigt, ließen sich beim besten Willen keine ›Grenzen‹ der Auseinandersetzung ziehen; die language frontier erstreckte sich auf alle mehrsprachigen Gemeinden Ostgaliziens, selbst wenn sie in Bezirken lokalisiert waren, die zum größten Teil die ruthenische Umgangssprache angaben. Die Möglichkeiten, in diesen frontierGemeinden aktiv zu werden, war an die Freiwilligkeit Einzelner gebunden, die entweder Svoboda und Dilo, den griechisch-katholischen Metropolit oder auch die Prosvita zu mobilisieren suchten. Damit war nationale Indifferenz auch die Grenze des nationalen Aktivismus. Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass die gewünschte Grenzziehung abstrakter wissenschaftlicher Diskurse mittels ethnographisch-statistischer Argumente nach und nach von regionalen und lokalen Akteuren aufgenommen wurde; ein dezidierter Grenzaktivismus ließ sich dadurch allerdings nicht evozieren. Gerade die Schätzung möglicher Zahlen zu den latynnyky bezeugt, dass diese Umstände die Fantasie der Wissenschaftler nicht ausgebremst, sondern eher erst angekurbelt haben. Staatlich produzierte Zahlen blieben, trotz aller Hürden und dem wachsenden Misstrauen, die wichtigste Grundlage des Einzeichnens vermeintlich objektiver nationaler Grenzen auf Karten. Die latynnyky waren ein Vehikel, um Misstrauen in Zahlen zu übersetzen. Damit sind nachweisbare Fälschungen aus ebenso problematischen Motiven nicht zu übergehen; doch gerade die strukturelle Unterlegenheit, die zu Willkür und der Möglichkeit zur massenhaften Fälschung führte, ist das Kernproblem, das Wissenschaft und Politik zusammenbrachte.

1574 Dnistrjanskyj 1916. 1575 Lozyns’kyj 1912; Lozynskyj 1915; Lozyns’kyj 1915.

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8.

Synthesen

Die beiden vorangegangenen Kapitel haben bereits gezeigt, dass das Akkumulieren von Daten und Gegenständen ein elementarer Bestandteil der Forschungsarbeit war, den ideologische Maßgaben ebenso wie praktische Herausforderungen und ökonomische Hürden kennzeichneten. Im Zentrum dieses Kapitels steht die Frage, wie aus einer Masse gesammelter Daten, Texte oder Gegenstände letztendlich Wissen stabilisiert, kodifiziert und institutionalisiert werden konnte. Damit bezeichne ich hier nicht etwa die Bibliothek oder das Museum des Vereins, sondern im abstrakten Sinn eine Nationalbibliographie, eine nationale oder ethnographische Karte und ein Nachschlagewerk. Charakteristisch für diese Institutionalisierungen ist immer eine Kodifikation als Auswahlverfahren von Informationen, bei der auch Desiderate in aller Deutlichkeit hervortreten. Es wurde definiert, was als ›national‹ oder ›ukrainisch‹ galt und was nicht, welches Wissen hierfür besonders oder weniger relevant war und auch – wie der erste Abschnitt zur Bibliographie zeigen wird – was noch unbekannt war oder nicht zur Verfügung stand. Die Relevanz dieser Definitionsakte ist wiederum rückgebunden an die Relevanz des Vereins in unterschiedlichen Kontexten. Während zuvor diskutiert wurde, wie die konkrete Wissensproduktion des NTSˇ innerhalb der Habsburgermonarchie angesichts verschiedener Verflechtungen funktionierte, wird im Folgenden an die synthetische Dimension angeknüpft, die bereits das Kapitel 6.4 anhand der physischen Anthropologie in gesamtukrainischer Perspektive beschritt. Konkret wird danach gefragt, wie in Galizien produziertes Wissen in gesamtukrainische Kontexte eingeschrieben und dabei kodifiziert wurde; gleichsam wird sektoral zu diskutieren sein, welchen Einfluss galizische Diskurse – so wie etwa das ausführlich diskutierte Misstrauen in staatliche Wissensproduktion – auf die diskutierten Projekte zur Kodifikation nahmen.

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8.1

Synthesen

Nation katalogisieren: Bibliographie

Der Blick auf den Aufbau der Statistischen Kommission, der die Aneignung eines für den Verein größtenteils neuen Forschungszweiges darstellte, zeigt, dass am Anfang der Arbeit noch nicht die Erhebung von Daten stand, sondern die Erfassung und der Ankauf von Literatur. Die Vereinsbibliothek war insofern ein elementarer Bestandteil dieses und anderer Forschungsprozesse; das zuvor diskutierte Beispiel der MPL-Sektion belegt dagegen, dass der Mangel an Fachliteratur ein entscheidendes Problem war, durch das fruchtvollere Entwicklungen ausblieben. Einen vergleichbaren Stellenwert hatte das Vereinsmuseum als Sammlungs- und Forschungsort ethnographischer und archäologischer Funde. Dabei geht es im Wesentlichen um Disziplinen – ihre transnationale, vielsprachige Literatur – und ihre Anforderungen, um am aktuellen Stand der Forschung operieren zu können. Die Möglichkeit, dies im Rahmen einer Institution und ihrer Sammlungen tun zu können, war ein bedeutendes Kennzeichen einer modernen Forschungseinrichtung. Im Gegensatz dazu ist eine historisch ausgerichtete Nationalbibliographie, die möglichst alle die Ukraine betreffenden Publikationen sammeln wollte, ein spezifisches Unterfangen für eine Vereinsbibliothek, die in Ermangelung einer solchen zur ukrainischen Nationalbibliothek avancieren möchte. Beide Stränge führte die ukrainische wissenschaftliche Bibliographie im NTSˇ zusammen, wobei die Bedürfnisse der geisteswissenschaftlichen Ukrainekunde (und bisweilen auch Slavenforschung) im Vordergrund standen. Hrusˇevs’kyjs Wissenschaftliche Chronik als Teil der Zapysky war der Startpunkt für die bibliographische Arbeit im Verein in der Mitte der 1890er Jahre. In dieser Chronik dokumentierte er alle Neuerscheinungen, denen er eine Relevanz für die Ukraine und die ›nationale Wissenschaft‹ beimaß. Erst mit wachsendem Vereinsnachwuchs konnte er diese Aufgabe nach und nach delegieren, wobei seine Briefwechsel zeigen, dass er den Arbeitsprozess weiterhin intensiv steuerte.1576 Die Produktivität und die Auswirkungen dieses Verfahrens lassen sich an der Karriere Zenon Kuzeljas nachvollziehen. Er avancierte noch in seiner Studienzeit zu einem zentralen Akteur für die bibliographische Arbeit im NTSˇ und gab später den Anstoß zur Gründung einer eigenen Kommission – die Entwicklung der Disziplin und ihrer Schwerpunkte im Verein zeichnen sich bereits in seiner frühen wissenschaftlichen Biographie ab. Noch als Gymnasiast in Brzez˙any/Berezˇany war er Mitbegründer eines lokalen Ablegers der Moloda Ukrajina und beteiligte sich als Redakteur wie Beiträger an der gleichnamigen

1576 Besonders deutlich wird das am Beispiel Myron Kordubas, vgl. Vzajemne lystuvannja Mychajla Hrusˇevs’koho ta Myrona Korduby 2016.

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Nation katalogisieren: Bibliographie

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Zeitschrift.1577 In dieser Funktion nahm er als Mitglied der lokalen Delegation 1898 auch an den Feierlichkeiten zum Franko- und Enejida-Jubiläum teil.1578Nach einem Jahr an der Universität Lemberg, wo er unter anderem bei Hrusˇevs’kyj und Kolessa studierte, setzte er seine Studien in Slavischer Philologie und Geschichte von 1901 bis 1905 an der Universität Wien fort, wo er 1906 promoviert wurde, um sich danach im Bibliothekswesen ausbilden zu lassen. Vom 31. November 1906 bis zu seiner Übersiedelung nach Czernowitz Mitte 1909 war er Mitarbeiter der Wiener Universitätsbibliothek1579 und wurde Mitglied des Österreichischen Vereins für Bibliothekswesen.1580 Bereits 1901 druckten die Zapysky eine erste Rezension Kuzeljas.1581 Dass er rasch in engem Kontakt mit der Vereinsführung stand, wird allein daran deutlich, dass er einen Beitrag zur Festschrift lieferte, die Hrusˇevs’kyj zum zehnjährigen Jubiläum seiner Tätigkeit in Galizien 1904 gewidmet war.1582 In diesem Jahr beteiligte er sich auch an der ethnographischen Expedition mit Franko und Vovk.1583 1903 legte er einen zweiteiligen Literaturbericht zu jüngst erschienenen polnisch-, tschechisch-, russisch- und deutschsprachigen Werken zu den Anfängen des Slaventums vor.1584 Zwischen 1904 und 1909 intensivierte er seine bibliographische Tätigkeit, indem er laufende europäische Zeitschriften zur Ethnologie, Anthropologie, Landeskunde und Archäologie für die Zapysky auswertete. Dabei erweiterte er auch sein linguistisches Repertoire, beispielsweise um französische und italienische Werke.1585 Doch nicht nur seine eigenen Fertigkeiten, sondern allgemein die Zugänglichkeit des Materials war zentral für diese Arbeit. Während seines Studiums arbeitete er bei der k.k. Statistischen Zentralkommission, den anthropologischen und archäologischen Abteilungen des k.k. Naturhistorischen Hof-Museums und dem Museum für Österreichische Volkskunde. Für Vatroslav Jagic´ war er als Sekretär tätig.1586 Kuzelja studierte 1577 Chmil’ 2016, S. 5. 1578 Pacaj 2013, S. 36–38. ˇ O fond 216, 1579 Schreiben der k.k. Universitätsbibliothek Wien vom 31. Dezember 1909, DAC op. 3, spr. 128, ark. 9; Schreiben der k.k. Universitätsbibliothek Wien vom 15. April 1909, ebd., ark. 13. 1580 Mitteilungen des österreichischen Vereins für Bibliothekswesen 1907, Nr. 1–2, S. 89. 1581 Kuzelja 1901, Sbornik; Kuzelja 1901, Dr. M. Schorr. 1582 Kuzelja 1906, Slavjans’ki baljady. 1583 Franko 1905. 1584 Kuzelja 1903. 1585 Kuzelja 1904, Antropol’ogija; Kuzelja 1904, Etnografija; Kuzelja 1905, Antropol’ogicˇni i archeol’ogicˇni ˇcasopysy; Kuzelja 1905, Etnografija; Kuzelja 1906, Antropol’ogicˇni i archeol’ogicˇni cˇasopysy; Kuzelja 1906, Etnografija; Kuzelja 1907, Antropol’ogicˇni i archeol’ogicˇni cˇasopysy; Kuzelja 1907, Etnografija; Kuzelja 1908, Antropol’ogicˇni i archeol’ogicˇni cˇasopysy; Kuzelja 1908–1909. Von seiner rasch wachsenden Sprachkompetenz zeugen auch seine wissenschaftlichen Arbeiten, darunter Kuzelja 1906, Slavjans’ki baljady. 1586 Pacaj 2013, S. 40.

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Synthesen

unter anderem bei Michael Haberlandt, einem zentralen Organisator des Museums und Vereins für österreichische Volkskunde Wien.1587 Er verschaffte Kuzelja den Zugang zu Spezialbibliotheken, die seine bibliographische Tätigkeit erst ermöglichten.1588 Kuzelja fungierte demnach als Mittler zwischen dem NTSˇ und den ressourcenreichen Wiener Institutionen. Denn während das NTSˇ zwar im vorliegenden Zeitraum seinen Publikationsaustausch deutlich steigern und die Bibliothek dadurch auch durch aktuelle Zeitschriften erweitern konnte, war es nicht im vergleichbaren Umfang mit allen landeskundlichen Vereinen Bayerns, Böhmens, Hessens, Siebenbürgens, Tirols, Belgiens, Bosniens, Italiens, der Niederlande oder der Schweiz verbunden, deren Publikationen in diesen umfangreichen Zusammenstellungen besprochen wurden. Dabei handelte es sich nur um einige Regionen, zu denen Kuzelja Forschungsliteratur in seinen Berichten abdeckte.1589 Während die Entlohnung für diese Tätigkeit außerhalb der üblichen Autorenhonorare nicht vorgesehen war, wurde auf einer Sitzung der historischphilosophischen Sektion im Juli 1904 nach der Annahme seines Beitrags für die Zapysky beschlossen, den Ausschuss um »eine kleine Unterstützung während seines [Kuzeljas, M. R.] weiteren Aufenthalts in Wien«1590 zu ersuchen. Auch darüber hinaus schien Kuzelja sich jederzeit an den Ausschuss mit der Bitte um finanzielle Unterstützung wenden zu können, so auch im November 1904, als er in einem Brief schilderte, durch ausbleibende Stipendien und fehlende familiäre Unterstützung seine Studien nicht anders fortsetzen zu können.1591 Nur zwei Tage nach Entsendung des Briefs gewährte ihm der Verein eine vergleichsweise hohe Beihilfe/Subvention.1592 Sein Beispiel zeigt damit eindrücklich, wie die vergleichsweise kostengünstige Nachwuchsförderung aus Perspektive begrenzter Vereinsressourcen ein Vehikel zur Anbindung an den internationalen Forschungsstand sein konnte. Kuzelja beschränkte sich auch nicht auf einen bloßen Abriss von Themen und Titeln, sondern brachte Anmerkungen zu Schwerpunkten, methodischen Aspekten, Eingrenzungen und Definitionen der betroffenen Fächer und wissenschaftshistorischen Anmerkungen.1593 Damit richtete er sich direkt an die Desiderata der ethnographischen Kommission. Kuzelja transferierte allerdings nicht nur Wissen aus anderen Sprachen und Regionen ins Ukrainische, er veröffentlichte auch Kritiken und Bibliographien zu 1587 Beitl 1997; Nikitsch 2006. 1588 Kuzelja 1904, Antropol’ogija, S. 1. 1589 Kuzelja 1904, Etnografija, S. 20–24; Kuzelja 1905, Antropol’ogicˇni i archeologicˇni ˇcasopysy, S. 14f. 1590 Historisch-philosophische Sektion, Protokoll der Sitzung vom 24. Juli 1904, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 58. 1591 Kuzelja an den Ausschuss des NTSˇ, 25. November 1904, CDIAK, fond 1235, spr. 75, ark. 12. 1592 Protokoll der Ausschusssitzung vom 27. November 1904, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 34, ark. 55zv.–56, hier ark. 55zv. 1593 Dazu exemplarisch das Vorgehen in Kuzelja 1904, Antropol’ogija, S. 7–10.

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ukrainischen Themen in deutschsprachigen Periodika. 1910 legte er der Zeitschrift für Österreichische Volkskunde zahlreiche Rezensionen und Berichte vor, sowie auch zwei seiner ethnographisch-folkloristischen Arbeiten dort rezensiert wurden.1594 In der ›Österreichischen und ungarischen Bibliographie des Bibliothekswesens‹, die als Beilage zur ›Zeitschrift des österreichischen Vereines für Bibliothekswesen‹ erschien, war er für die ruthenischen Einträge verantwortlich. Im Rahmen der Bibliographie 1909–1910 war noch der Lemberger Universitätsbibliothekar Rudolf Kotula für die »polnisch-ruthenische« Literatur zuständig, brachte aber nur wenige ukrainischsprachige Publikationen ein.1595 Kuzelja verzeichnete akribisch Veröffentlichungen ukrainischer Vereine, nicht nur des NTSˇ, sondern auch der Prosvita und des Nationalmuseums.1596 Darüber hinaus brachte er auch Literatur aus der russländischen Ukraine, etwa aus ˇ ernihiv/C ˇ ernigov und Kiew ein.1597 Dieses Schema setzte er in Charkiv/Charkov, C den folgenden Ausgaben fort, bis seine Mitarbeit Ende 1913 zum Erliegen kam.1598 Dass mit seinem Wechsel nach Czernowitz seine Literaturberichte für den NTSˇ endeten, lag nicht nur an seiner Doppelbeschäftigung als Bibliothekar und Lektor für ukrainische Sprache, sondern auch an der Zugänglichkeit des Materials, das in Czernowitz ähnlich knapp wie in Lemberg gewesen sein muss. Doch im Oktober 1908, noch aus Wien, sandte er einen Brief an den Ausschuss des NTSˇ, in dem er die Gründung einer bibliographischen Kommission vorschlug. Er argumentierte, dass angesichts des gegenwärtigen Wachstums wissenschaftlicher Publikationsaktivität bibliographische Handbücher unbedingt nötig seien, um den Wissenschaften die nötige Literaturgrundlage für die aktuellen Forschungsstände zu bieten. Dies belegte er durch die Aufzählung von rund 40 westeuropäischen – vornehmlich deutsch-, englisch- und französischsprachigen – Zeitschriften, die der Bibliographie und dem Bibliothekswesen gewidmet waren. Auch als Referenz für Bibliothekskataloge und ihre Gestaltung orientierte

1594 Zeitschrift für Österreichische Volkskunde 1910, S. 51, 56–57, 233–235. 1595 Österreichische und ungarische Bibliographie des Bibliothekswesens 1909–1910 1911. 1596 Österreichische und ungarische Bibliographie des Bibliothekswesens 1910–1911 1912, Nr. 1, S. 3f., 7f., 13–16. Dabei handelt es sich nicht um das NTSˇ-Museum, sondern eine von Metropolit Andrej Sˇeptyc’kyj initiierte und gestiftete Einrichtung, die vom NTSˇ institutionell getrennt war und bis auf eine kurze, problematische Episode nicht kooperierte. Briefwechsel des NTSˇ mit dem ukrainischen Nationalmuseum, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 70. 1597 Österreichische und ungarische Bibliographie des Bibliothekswesens 1910–1911, 1912, Nr. 1, 4, S. 8f. 1598 Österreichische und ungarische Bibliographie des Bibliothekswesens 1910–1911, 1912, Nr. 2; 1912–1913, Nr. 1; in 1913, Nr. 2 findet sich kein ›ruthenischer‹ Eintrag mehr.

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Synthesen

er sich im Übrigen am Vorbild französischer und britischer Nationalbibliotheken.1599 Er verwies des Weiteren darauf, dass der Stand »unserer ukrainischen Bibliographie« im Vergleich zu tschechischen und polnischen Werken kaum entwickelt sei. Er benutzte diese Argumentation, die binär auf Fortschritt und Rückständigkeit verwies, gezielt, um den Ausschuss von seinen Plänen zu überzeugen. Er schlug vor, nach dem Muster eines vergleichbaren Projekts an der Krakauer Akademie, dass mindestens zehn Vereinsmitglieder eine Kommission bilden sollten, die in den ukrainischen Veröffentlichungszentren Galiziens, der Bukowina, der russländischen Ukraine, den ruthenischen Gebieten Ungarns und »Amerika« tätig waren, wobei er mit »Amerika« vermutlich die ruthenischukrainischen Immigrationszentren Nordamerikas meinte. Um dies zu ermöglichen, müssten Mitarbeiter in den jeweiligen Regionen gewonnen und einbezogen werden, wobei die Ukrainische Wissenschaftliche Gesellschaft in Kiew ein zentraler potenzieller Kooperationspartner sei. Diese Experten sollten ausführliche Literaturberichte für ihr jeweiliges Gebiet anfertigen. Zunächst müsste die ukrainische Bibliographie des frühen 20. Jahrhunderts mit dem Ziel der Vollständigkeit geführt werden, um bei wachsender Mitgliederzahl retrospektive Bibliographien zunächst des 19. und dann des 18. Jahrhunderts anzulegen. Sollten die finanziellen Mittel dies zulassen, schlug er eine entsprechende bibliographische Serie vor. Dabei würden nicht nur ukrainischsprachige, sondern auch ukrainekundliche Beiträge in anderen Sprachen berücksichtigt werden.1600 Im Mai 1909 beschloss die historisch-philosophische Sektion, Kuzeljas Vorschlag umzusetzen. Die Sektionen und Kommissionen entsandten Delegierte in die bibliographische Kommission, um die Expertise aus allen vertretenen Fächern einzubringen.1601 Den Vorsitz übernahm nicht, wie das bis dahin bei allen nicht-naturwissenschaftlichen Kommissionsgründungen üblich war, Hrusˇevs’kyj, sondern Ivan Omeljanovycˇ (Emeljanovycˇ) Levyc’kyj. Üblicherweise waren alle Vorsitzenden wirkliche Mitglieder, Levyc’kyj war dagegen überhaupt kein Vereinsmitglied, sondern machte von den flexiblen Möglichkeiten der Kommissionen Gebrauch. Außerdem gehörte er initial nicht den narodovci, sondern Organisationen der Russophilen an. Er sammelte seit Jahrzehnten detaillierte biographische und bibliographische Notizen, die nur in geringen Teilen publiziert sind bzw. aufgrund ihrer schieren Masse nicht komplett bearbeitet und publiziert werden konnten. Sie sind bis heute erhalten und stellen eine zentrale Quelle für bio-bibliographische Forschungen dar, zumal Levyc’kyj Dokumente und Zeitungsausschnitte zu allen Personen des öffentlichen Lebens sammelte, 1599 Kuzelja 2010, S. 409f. Faksimile des Briefs von Kuzelja, datiert auf den 26. Oktober 1908. 1600 Ebd., S. 411–415, Zitat S. 411. 1601 Chronika NTSˇ 39 (1909), S. 18.

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die er im weitesten Sinne als ›ruthenisch‹ verortete.1602 Die ersten beiden Bände von Levyc’kyjs ›Galizisch-ruthenischer Bibliographie des 19. Jahrhunderts‹ erschienen im Verlag des Stauropygian-Instituts und deckten die Zeit bis einschließlich 1886 ab.1603 1903 veröffentlichte er eine Bibliographie der Jahre 1772 bis 1800 in den Zapysky.1604 Zur Publikation seiner Bibliographien der letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts trat er bereits zwei Jahre zuvor an den Verein heran.1605 Die kommissionseigene Reihe Materijaly do ukrajins’koji bibliohrafiji (Beiträge zur ukrainischen Bibliographie) gab in den Folgejahren die drei Bände von Levyc’kyjs Bibliographie heraus, wobei diese unter dem auffällig geänderten Titel »Ukrainische Bibliographie Österreich-Ungarns« fortgeführt wurde. Bis 1911 erschienen drei Bände, die die Jahre von 1887 bis 1893 abdeckten. Anfang des Jahres 1913 verstarb Levyc’kyj, so dass seine weiteren Materialien unveröffentlicht blieben. Aus einem von Ivan Krevec’kyj verfassten Nachruf geht eindeutig hervor, dass der Respekt vor den bibliographischen Leistungen Levyc’kyjs überwog und seine (frühere) politische Orientierung keine Rolle mehr spielte.1606 Wenige Monate nach Kuzeljas Brief begann die Bibliotheksleitung abseits der Kommissionsarbeit damit, die ukrainekundlichen Bestände zu erfassen und zu komplettieren.1607 In den Jahren 1909 und 1910 sind Listen mit den Desiderata der Vereinsbibliothek in der Chronik veröffentlicht und mittels Separatabdrucken auch über die Reichweite der Vereinsorgane hinaus zirkuliert worden, um die Bibliothek mit den als einschlägig befundenen Werken des 19. Jahrhunderts zu komplettieren. Dabei sind Veröffentlichungen im Zarenreich systematisch von jenen aus der Habsburgermonarchie unterschieden worden. Die direkten Reaktionen darauf waren marginal, was allerdings durch die Rarität der gesuchten Werke zu erklären ist.1608 Darüber hinaus ist auf Ansuchen Hrusˇevs’kyjs ein bibliographisches Büro gegründet worden, das mit Volodymyr Dorosˇenko besetzt wurde. Die Aufgabe des Büros war, alle neuen ukrainischen Publikationen zu verzeichnen und an der Schnittstelle von bibliographischer Kommission und Bibliothek dafür zu sorgen, dass keine relevanten Neuerscheinungen – auch in Zeitschriften – den Argusaugen des Vereins entgingen. Die neuen Institutionen fügten der Vereinsbibliothek dementsprechend ein weiteres zentrales Merkmal einer Nationalbibliothek hinzu. Diesem Gedankengang folgten sie 1602 Magocsi 2002. Seine Materialien sammelte er parteiübergreifend. Sie sind erhalten in LNNB VR, fond 167, op. 2. 1603 Levyckij, I. 1888; Levyckij, I. 1895. 1604 Levyc’kyj, I. 1903. 1605 Chronika NTSˇ 39 (1909), S. 18. 1606 Krevec’kyj 1913. 1607 Chronika NTSˇ 38 (1909), S. 27. 1608 Desiderata biblioteky 1909; Desiderata biblioteky 1910. Chronika NTSˇ 38 (1909), S. 30–39; 43 (1910), S. 16–29.

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auch, wenn ukrainische Druckereien, Verlage und Vereine aus allen Regionen mittels eines Rundschreibens auf die »moralische Verpflichtung«1609 hingewiesen wurden, der Bibliothek des NTSˇ ein Belegexemplar jedes neuen Druckwerks zur Erfassung zukommen zu lassen. Das Büro wurde zwar Ende des Jahres 1913 aufgelöst, doch die Praxis ist auch in der Zwischenkriegszeit beibehalten worden und sorgte für die kontinuierliche Erweiterung der Bibliothek.1610 Zahlreiche Materialien der Kommission sowie auch Projekte zur ukrainischen Bibliographie des 18. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts wurden während der Okkupation Lembergs im Ersten Weltkrieg von der russischen Besatzungsadministration zerstört. Dazu gehörte auch eine Bibliographie ukrainischer Drucke der Jahre 1901 bis 1910, die Kuzelja und Volodymyr Dorosˇenko für einen folgenden Band der Serie vorbereiteten. Andere Projekte stellte die Kommission zunächst ein.1611 In der Zwischenkriegszeit setzte die Kommission ihre Arbeit, vor allem auch durch Dorosˇenkos Initiative, nahtlos fort.1612 Aufgrund der aktuellen Relevanz für die ›ukrainekundliche‹ Bibliographie ist 2006 ein monographisches Lehrbuch zur Arbeit dieser Kommission vorgelegt worden, das sich an einschlägige Forscherinnen und Forscher richtet.1613 Insgesamt stellte die bibliographische Arbeit eine bedeutende Voraussetzung für alle ukrainekundlichen Forschungsprojekte im Verein dar. Die überregionale Vernetzung sollte dafür sorgen, dass Wissenschaftler in Lemberg – das hinsichtlich der Wissenschaftslandschaft trotz dynamischer Entwicklungen im diskutierten Zeitraum nach wie vor als provinziell zu charakterisieren ist – den größtmöglichen Zugang und Überblick über die Ukraineforschung sowie die Forschungsstände und -ansätze der entsprechenden Felder gewinnen konnten. Angesichts der oft problematischen Zugänglichkeit bibliographischer Raritäten kann dies nicht als Bagatelle abgetan werden, wenn es etwa um spezialisierte historiographische, ethnographische oder kartographische Forschungen geht, wie insbesondere am Beispiel des Projekts einer neuen ethnographischen Karte deutlich wird.

1609 Bibliohraficˇni Komisija i Bjuro Naukovoho Tovarystva im. Sˇevcˇenka [1910]; vgl. auch Rybcˇyns’ka 2010, S. 38. 1610 Danko 2010, S. 105; Dorosˇenko, V., 1936; Krevec’kyj 1923. 1611 Il’nyc’ka / Moroz / Pich 2012, S. 570; Il’nyc’ka 2010, S. 408. 1612 Danko 2010. ˇ ernysˇ 2006. 1613 C

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»Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Statistik. Der Kultus der Zahlen artete bisweilen zu einer krankhaften Pedanterie aus. Alles wurde berechnet und festgestellt. Die Zahl der Angehörigen eines winzigen Volksstammes finden wir in jedem beliebigen Handbuch oder Lexikon verzeichnet. Umsomehr müssen die Variationen in den Angaben über die Anzahl der Ruthenen auffallen. Und es ist einleuchtend, dass da die politische Tendenz der Mächtigen dieser Welt im Spiel sein muss, sobald in diesem Punkt die allgemeine Vorliebe für Statistik so misshandelt wird. Sobald aber einmal in unserer Statistik die Politik die Hauptrolle spielt, kann keine Quelle als absolut verlässlich betrachtet werden […].«1614 Mychajlo Rusov, 1905

In seinem Beitrag zur Statistik und Heimat des ruthenischen Volkes belegt Mychajlo Rusov (1876–1909), dass die Relevanz der Statistik weder auf die Habsburgermonarchie noch auf politische Anliegen begrenzt war. Sie war ausschlaggebend für zwei Probleme, denen in Diskursen um nationale Selbstbeschreibung höchste Priorität zukam: erstens, die Nation als Zahlenkollektiv, dessen Gesamtzahl ein frequentiertes Medium zur Unterstreichung der eigenen Relevanz war; zweitens, das Ziehen territorialer Grenzen zu anderen Nationen/ Ethnien/Sprachgruppen entsprechend den Zielen eines jeweiligen Kartenprojekts. Wie die beiden vorangegangenen Kapitel zeigten, waren sich die Wissenschaftler des NTSˇ sicher, dass objektive Forschung gänzlich andere Resultate liefern würde. Wissenschaftlichkeit versprach ihnen eine ›Wahrheit‹, die mit der nationalen Ideologie deutlich kompatibler schien als die politisierten Zahlen der ›Mächtigen‹. Dementsprechend kritisierten Vereinsmitglieder regelmäßig andere Wissenschaftler, die, unabhängig von der individuellen Nationalität, Statistiken und andere Daten aus staatlicher Produktion unkritisch übernahmen.1615 1907 setzte Stepan Tomasˇivs’kyj die Erarbeitung einer ethnographischen Karte der gesamten Ukraine mit der genauesten Erforschung aller Grenzen auf die wissenschaftliche Agenda des NTSˇ. Es handelt sich dabei nicht um ein isoliertes, sondern ein Dachprojekt abgeschlossener, laufender und zukünftiger Forschungen im großen Maßstab. Die Prämisse war die gänzliche Ablehnung sämtlicher Daten, die beide Imperien produzierten. Deshalb müsste bestehendes 1614 Ruthenische Revue 1905, S. 9. 1615 Padjuka 2005, S. 265f. Diese Tendenz manifestierte sich auch in Schätzungen zur Gesamtzahl der Ukrainerinnen und Ukrainer in allen entsprechenden Ländern. Zwischen 1903 und 1908 lagen in der Ruthenischen Revue bzw. der Ukrainischen Rundschau Schätzungen vor, die sich von »weit über 25 Millionen« (Ruthenische Revue 1903, S. 1) mit einigen Zwischenschritten (Ruthenische Revue 1905, S. 10f., 145) bis hin zu 32 Millionen (Tomaschiwskyj 1908) bewegten, ohne dass in dieser Zeit neue Volkszählungen ausgeführt worden wären. Hier zeigt sich erneut der Glaube an massiven Betrug in Zahlen, sowohl in Cis- und Transleithanien als auch im Zarenreich.

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Material an Karten, (Sprach-) Statistiken, ethnographischen und folkloristischen Aufzeichnungen etc. komplett gesammelt und kritisch aufgearbeitet werden. Gleiches galt für die Forschungsliteratur zu allen diesbezüglichen Schwerpunkten. Dabei zeigen sich die synergetischen Effekte mit dem zuvor skizzierten bibliographischen Projekt und den Versuchen, die Desiderata, die die Bibliothek des NTSˇ an Ukrainica verzeichnete, zu erwerben. Sollte tatsächlich eine Revision aller älteren und neueren Ausweise des ukrainischen Territoriums stattfinden, müssten diese einerseits erfasst und andererseits zugänglich gemacht werden. Dies erforderte die nötigen finanziellen Mittel sowie personelle Ressourcen mit entsprechender Expertise, welche sich die bibliographische Kommission aneignete. Gleichzeitig war der Plan auch ein Rückgriff auf die Arbeit und die Pläne der statistischen Kommission. Die bibliographische, die ethnographische und die statistische Kommission waren also im Kern des Projekts, wobei darauf zu verweisen ist, dass diverse Wissenschaftler in zwei oder allen dieser Kommissionen eingeschrieben waren und am gemeinsamen Ziel mit unterschiedlichen Methoden arbeiteten. Für einige Beitritte zur statistischen Kommission war der Arbeitsplan zur ethnographischen Karte bereits ein wichtiger Hintergrund. Die Karte war demnach als eine Synthese der ukrainischen Forschung der letzten und der folgenden Jahrzehnte gedacht, als eine bildliche Zusammenfassung gemeinsamer Anstrengungen. Tomasˇivs’kyjs ethnographische Grenzen der ungarischen Rus’ waren dazu ebenso ein Beitrag wie Vovks anthropologische Karte der hucul’sˇcˇyna. Die Karte sollte auf Grundlage akkurater Militärkarten entstehen, die gleichsam einen Kostenfaktor und ein organisatorisches Problem darstellten.1616 Andere Karten als Hilfsmittel dienten dabei nicht nur nationaler Imagination zu politischen und national-mobilisierenden Zwecken. Fedir Vovk legte eine Reihe von Karten des ukrainischen Gebiets vor, die die regionale Verteilung anthropologischer Merkmale visualisierten. Die Idee, Karten zu Vergleichszwecken der Verteilung anzulegen, stammte von Deniker und wurde von Vovk in den ukrainischen Diskurs importiert. Vovk griff das Modell seines Freundes und Kollegen auf, der am Beispiel Europas die Existenz distinkter Rassen zu beweisen suchte, um für den ukrainischen Fall dasselbe zu tun. Durch diese Technik suchte er, seine These der regionalen Unterschiede des angeblichen stabilen ukrainischen ›Typ‹ und seinen Wandel von Südwesten nach Nordosten durch ›Fremdeinflüsse‹ zu belegen. Die Visualisierung der Daten war damit essentieller Teil der Forschung und nicht nur ein Vehikel, um den Lesenden Orientierung zu bieten. Die Verbreitung dieser Karten war auf das russischsprachige enzyklopädische Projekt Ukrainskij narod v ego prosˇlom i nastojasˇcˇem (Das ukrainische Volk in Vergangenheit und Gegenwart) beschränkt und damit vorrangig an wissen1616 Vovk an Hnatjuk, 18. Juni 1914, LFV, S. 159–162, hier S. 161f.

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schaftliche Kreise gerichtet.1617 Durch einen ukrainischsprachigen Sammelband von Vovks Studien, veröffentlicht im Prag der Zwischenkriegszeit, fanden diese Arbeiten auch eine größere Verbreitung in ukrainischen Netzwerken.1618 Archivalien historischer Konskriptionen würden hingegen eine Möglichkeit der Überprüfung schaffen. Das ethnographische Territorium erschien schließlich nicht als wandelbare Größe, sondern ein diachron gefestigtes Gefüge, dessen Charakter lediglich verfälscht worden sei. Zumal neue Daten und Karten zu Ungunsten der ukrainischen Nation ausfielen, galten die Arbeiten Czoernigs1619 zur Mitte des Jahrhunderts als autoritativ; dasselbe galt für die frühen Erhebungen der Nationalität, die die k.k. Statistische Zentralkommission hingegen für wertlos hielt.1620 Die natürliche Bevölkerungsbewegung, die sehr wohl erforscht wurde,1621 ist letztlich nicht für so wesentlich gehalten worden, als dass sie das ukrainische ›Wohngebiet‹ gänzlich verändert hätte. Aktualisierung war dennoch ein wichtiges Anliegen: mittels Fragebögen müssten Informationen auf Gemeindeebene eingeholt werden, einschließlich der aktualisierten Ortsnamen in ukrainischer Sprache, die vielfach nicht erhoben oder gar kodifiziert waren. Insofern ist die Bedeutung der Neuerhebung von Ortsnamen in Galizien, die die UNDP erreichte, kaum zu überschätzen; die Kapazitäten des modernen Staates und seines Verwaltungsapparats konnten diese Daten schneller und einfacher beschaffen als eine Gruppe von Wissenschaftlern in Lemberg. Allein dieser Aspekt verdeutlicht den Umfang des Projekts unter Berücksichtigung des Wunsches, dass derartige Erhebungen auch für die gesamte russländische Ukraine durchgeführt werden sollten. Das Projekt hatte Tomasˇivs’kyj in Aufgabenverteilung und Kooperation mit der Ukrainischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Kiew angedacht, die das Projekt schon in ihrer ersten Ratssitzung diskutierte.1622 Das NTSˇ sollte die ukrainischen Länder der Habsburgermonarchie und angrenzende Regionen im Zarenreich übernehmen, der Rest sollte durch das UNT getragen werden. Zweifelsohne unterstützte der Forschungsplan die Vernetzung der Vereine und Wissenschaftler beider Imperien. So traten diverse Statistiker des UNT dem NTSˇ bei, während die statistische Kommission des UNT Ochrymovycˇ als Mitglied berief.1623 Die meisten Aufgaben waren in ihrer Dimension ohne politisch-administrative Unterstützung nicht realisierbar. Allein der Vorschlag, Subkommissionen für einzelne (administrative) Regionen zu bilden, überstieg bereits bei 1617 1618 1619 1620 1621 1622 1623

Volkov 1916. Vovk 1928. Dnistrjans’kyj 1916, S. 25. Dnistrjans’kyj 1909. Ochrymovycˇ 1912, Faktycˇni i fiktynvi straty. Protokoll der Sitzung vom 26. September 1907, IR NBUV, fond X, spr. 32919, ark. 3. Rusov an Ochrymovycˇ, 26. Oktober 1908, CDIAL, fond 372, op. 1, spr. 23, ark. 21.

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weitem die personellen Ressourcen der Vereine. Beim UNT sollten diese Aktivitäten durch die ethnographische Kommission koordiniert und durchgeführt werden. Auf deren Problem verwies Biljasˇivs’kyj schon 1907, kurz nach der Gründung des Vereins, in einem Brief an Vovk mit erkennbarer Verzweiflung: »Ich wollte hier im Rahmen der Kyjiver wissenschaftlichen Gesellschaft eine ethnographische Kommission zusammenstellen – es gibt keine Leute, es gibt sie nicht und es gibt sie nicht!«1624 Trotz dass sich also der Austausch intensivierte, zeigt allein diese Episode, weshalb die Produktion neuer Karten in der Folgezeit nicht explodierte, sondern an wenigen Personen lag. In der Ukrainischen Rundschau publizierte Tomasˇivs’kyj 1908 als ›Arbeitsvorlage‹ – in Ermangelung einer originären ukrainischen Arbeit – die auf der jüngsten Volkszählung des Zarenreiches des Jahres 1897 beruhende ›Karte des ukrainischen Wohngebietes‹ vom russischen Wissenschaftler D. Aithoff.1625 In seinem Kommentar zur Karte betonte Tomasˇivs’kyj dasselbe Misstrauen zur russischen wie zur habsburgischen Volkszählung. Für die vorliegende Karte kritisierte er außerdem, dass die Zugrundelegung von Sprachdaten ganzer Bezirke, anstatt einzelner Gemeinden, das Abstecken exakter Grenzen nicht ermöglichte. In diesem Zusammenhang problematisierte er die Herausforderungen einer nationalen Karte des ukrainischen Territoriums: »Vom national-politischen Gesichtspunkte aus muß als das ukrainische Territorium augenscheinlich nur jenes Gebiet betrachtet werden, welches geschlossen, ununterbrochen und massenhaft von der ukrainischen Bevölkerung bewohnt ist. Dieses Territorium erstreckt sich vom 19. bis 39. der östlichen Längengrade (von Paris) und 44. bis 53. der nördlichen Breitengrade. Die Oberfläche dieses ganzen Gebietes könnte man annähernd auf 750.000 Quadratkilometer schätzen. […] Auf diesem ganzen Gebiete wohnen gegen 40 Millionen, wovon die Ukrainer mehr als 80 Prozent, also 30 bis 32 Millionen ausmachen. Der übrige Teil der Bevölkerung ist in kleine national unterschiedliche Kolonien zersplittert, welche nirgends größere geschlossene Inseln bilden.«1626

Die ›Eckdaten‹ des Territoriums blieben damit auch in dieser Forschung unhinterfragt und lehnten sich an frühere Darstellungen an, die in einer ersten ethnographischen Karte aus dem Jahr 1861/1862 verzeichnet waren und die ˇ ubyns’kyj und Kostjantyn Mychal’cˇuk (1841–1914) im Rahmen einer SprachC karte von 1871 dialektologisch ausdefinierten.1627 Exakte Grenzverläufe in der Aushandlung mit anderen Ethnien/Nationen/Sprachgruppen wurden hingegen als künftiges Arbeitsfeld auserkoren. Eine erste geographische Abhandlung zur 1624 1625 1626 1627

Biljasˇivs’kyj an Vovk, 29. Dezember 1907, in Naulko 2002 (Hg.), S. 42. Unpag. Beilage zur Ukrainischen Rundschau 1908. Tomaschiwskyj 1908, S. 9–13, Zitat S. 12f. ˇ ubyns’kyj / Mychal’cˇuk 1871; Kotenko 2013, S. 43–59 zur Relevanz der Kotenko 2020; C Karte slavischer Länder, die der Slavist Pavel Sˇafárik (1795–1861) 1842 vorlegte.

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Ukraine aus ukrainischer Feder im europäischen Umfeld – mitsamt einer ethnographischen Karte – veröffentlichte Drahomanov 1880 in der Nouvelle Géographie Universelle, die Élisée Reclus (1830–1905) in Paris herausgab. Das ethnographische Territorium wurde vor allem unter dem Ausweis verschiedener ˇ ubyns’kyj und MyGeschichtsregionen produziert.1628 Das Referenzwerk von C chal’cˇuk blieb allerdings bis ins 20. Jahrhundert zentral, so diente es nicht zuletzt Vovk als Grundlage seiner eigenen Karten. Den ersten Versuch im NTSˇ, eine ethnographische Karte der Ukraine zu produzieren, hatte der Lehrer Hryhorij Velycˇko als erster promovierter ruthenisch-ukrainischer Geograph in den Jahren 1896–1897 unternommen.1629 Dazu hatte er eine Broschüre im Vereinsdruck verfasst, in der er das Nationalterritorium umschrieb und insbesondere Flüsse als natürliche Grenzen thematisierte. Insgesamt blieb die Arbeit deskriptiv.1630 Nachteilig für seine Arbeit war, dass genau im Jahr 1897 eine umfassende Volkszählung im russländischen Reich durchgeführt wurde, die die Erforschung der östlichen ukrainischen Gebiete auf eine neue Grundlage stellte.1631 Dagegen fehlten ihm kritische Arbeiten zur galizischen Statistik sowie breiter angelegte ethnographische Studien, die das NTSˇ erst durch die ethnographischen und statistischen Kommissionen systematisierte. Damit blieb seine Arbeit nur kurzfristig aktuell, auch wenn die Karten zunächst eine enorme Bedeutung für die populäre Kommunikation des Nationalterritoriums hatten, etwa auf der Pariser Weltausstellung, wo Vovk für ihre Platzierung sorgte.1632 Im gleichen Zeitraum arbeitete Velycˇko an einer Darstellung zur ukrainischen Geographie, die 1901 fertiggestellt war. Rudnyc’kyj referierte in der üblichen Praxis Velycˇkos Arbeit Geografija Rusy-Ukrajiny auf einer Sitzung der MPL-Sektion, wobei er beantragte, sie nicht zu drucken. Hrusˇevs’kyj verwies darauf, dass schon vor zwei Jahren entschieden worden wäre, die Arbeit zu drucken; letztlich setzte sich der Vorschlag durch, Velycˇko aufzufordern, die Kritikpunkte Rudnyc’kyjs zu überarbeiten.1633 Das ist allerdings nicht passiert und die Arbeit blieb unveröffentlicht. Velycˇko war an den späteren Projekten des NTSˇ nicht beteiligt; er widmete sich seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer.

1628 1629 1630 1631

Reclus 1880, S. 488. Stebelsky (2014, S. 9) datiert die Karte fälschlicherweise auf 1885. Rovencˇak 2012; Sˇablij 2012. Velycˇko 2012. Kappeler 2012, Perepisi zur Volkszählung. Snyder überzeichnet sein Argument, wenn er behauptet »The 1897 Russian imperial census, which inquired about language, created the mental map of a great land of ethnic Ukrainians to Galicia’s East.« (Snyder 2003, S. 131) Diese Vorstellungen transportierten bereits die genannten ethnographischen Karten seit den 1860er Jahren. 1632 Rovencˇak 2012, S. 53f. 1633 Protokoll der MPL-Sektionssitzung vom 13. März 1901, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 39, ark. 14.

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In diesem Zeitraum etablierte sich jedoch mit Rudnyc’kyj ein neuer Nachwuchsgeograph im Verein. Im Sommersemester 1904 war er mit staatlicher Unterstützung als außerordentlicher Hörer an der Universität Wien eingeschrieben und belegte Seminare und Exkursionen bei Albrecht Penck sowie dem Geologen Viktor Uhlig (1857–1911).1634 Das dort erworbene Wissen, nicht zuletzt auch den Enthusiasmus für Feldforschung als Teil der Lehre, setzte er in den Folgejahren zur Popularisierung der Geographie, der Professionalisierung ukrainischer Geographie-Didaktik und seinen eigenen geographischen und geomorphologischen Forschungen ein. Er avancierte zum ukrainischen Nationalgeographen und hatte großen Anteil an der Formulierung ukrainischer territorialer Konzepte, die während des Ersten Weltkrieges kommuniziert wurden. Seine Ausbildung und seine Forschungen profitierten von den Fördermaßnahmen des NTSˇ, aber vor allem auch die häufig vernachlässigte kooperative Dimension der Vereinsorganisation – die gemeinsame Arbeit mit Dnistrjans’kyj, Rakovs’kyj und Tomasˇivs’kyj – bereicherte seine Tätigkeit nachhaltig. Die erste Karte der Ukraine, die als wissenschaftlich fundiertes Kooperationsprojekt des Vereins galt, wurde von Volodymyr Gerynovycˇ (1883–1949) als Beilage zu Rudnyc’kyjs Geographie der Ukraine von 1910 gezeichnet.

Abbildung 11: Gerynovycˇs Karte der Ukraine, 1910.

1634 Stefan Rudnicki, Nationale der Philosophischen Fakultät, Sommersemester 1904 P–R, Archiv der Universität Wien, Phil. Nat. 227, S. 277.

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Diese Karte war die erste seit Velycˇko, die das ukrainische ethnographische Territorium aus Perspektive der Nationalbewegung und ihrer jungen Wissenschaft, im bewussten Kontrast zu existierenden Staatsgrenzen, zeigte. Dabei waren die Grenzregionen in vielen Fällen auch entsprechend des im NTSˇ konservierten Forschungsstandes noch sehr schematisch gezeichnet; Rudnyc’kyj selbst monierte die mangelhafte Qualität ihrer Ausführung.1635 Der zweite Band erschien 1914 und enthielt eine ›ethnographische Übersichtskarte‹, die das Nationalterritorium in prägnanter Farbe – entsprechend des später klassisch gewordenen Modells der Carte Rouge – akzentuierte.1636 Während diese Karte nicht-ukrainische Inseln im ukrainischen Territorium ebenso kennzeichnete, wie sie gemischte Territorien an Grenzen schraffierte, zeigte die deutschsprachige Karte, die im selben Jahr in Wien erschien, diese Einschränkungen nicht. Sie schraffierte lediglich einige partiell ukrainisch besiedelte Gebiete, die weit in den Kaukasus hineinreichten. Sie diente politischen Zwecken im Ersten Weltkrieg und musste dementsprechend hastig produziert werden (Kap. 9). Gerynovycˇs Karte schränkte die Ansprüche noch durch ihre Benennung »Geographische Karte der Länder, wo Ukrainer leben«1637 ein. Der feine semantische Unterschied im Titel der »Übersichtskarte der ukrainischen Länder«1638 transportierte hingegen eine ganz andere Bedeutung in der Arbeit Rudnyc’kyjs. Der anthropozentrische Blick würde – so Rudnyc’kyj – dazu führen, die Verbindung zwischen Mensch und Natur zu übersehen, stattdessen müssten Mensch und Land als Einheit betrachtet werden.1639 Folgerichtig waren seine eigenen Karten in den späteren Publikationen derart betitelt, dass sie eine Ukraine postulierten, die quasi naturgesetzlich deckungsgleich mit dem ukrainischen Siedlungsgebiet wäre. Keine der drei Karten weist die von Tomasˇivs’kyj geforderte Genauigkeit auf und bezeugt damit den work-in-progress-Charakter dieser Arbeiten. Ein Vergleich früherer Karten mit den späteren zeigt einen ähnlichen Trend wie die statistischen Daten: die (süd-)westlichen Grenzen verschoben sich zu ukrainischen Gunsten vor allem unter dem Eindruck der Politisierung, das ukrainische Territorium wuchs. Das liegt partiell auch an mangelnden Absprachen und/oder der technischen Ausführung. Gerynovycˇs Karte aus dem Jahr 1910 übernahm die Grenzen von Tomasˇivs’kyjs nicht, obwohl sich Rudnyc’kyj in seinen Ausführungen zur Uhors’ka Rus’ an Tomasˇivs’kyj orientierte. Auffällig ist, dass selbst Städte wie Ungvár/Uzˇhorod und Munkács/Mukacˇevo nicht mehr zum eingezeichneten ukrainischen Territorium gehörten; dafür scheinen angesichts der 1635 1636 1637 1638 1639

Rudnyc’kyj 1914, unpag. Vorwort. Seegel 2018, S. 65. Rudnyc’kyj 1910, unpag. Beilage. Rudnyc’kyj 1914, unpag. Beilage. Rudnyc’kyj 1905, S. 19.

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Abbildung 12: Ethnographische Übersichtskarte der Ukraine, 1914.

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Ansprüche auf die Uhors’ka Rus’ eher Darstellungsschwierigkeiten verantwortlich zu sein.1640 Die Karten, die während des Ersten Weltkriegs produziert wurden, litten nachweislich unter Zeitdruck und der räumlichen Trennung zentraler Akteure voneinander sowie von den in Lemberg akkumulierten Ressourcen. Darüber hinaus war keine ethnographische Grenze so intensiv erforscht wie die Uhors’ka Rus’ durch Tomasˇivs’kyj. Eine vergleichbare, ausführliche Auseinandersetzung mit der polnisch-ukrainischen Sprachgrenze begann erst während des Ersten Weltkrieges und konnte nicht beendet werden.1641 Rudnyc’kyj wird in der jüngsten Forschung der wesentliche Beitrag für diese Art des territorialen Denkens über die Ukraine zugeschrieben, wobei nicht übersehen werden darf, dass er in erster Linie physischer Geograph war. Dabei war er gänzlich darauf angewiesen, ethnographische, anthropologische und statistische Informationen sowie exakte Grenzziehungen, die auf diesen basierten, von seinen Kollegen aus Nachbardisziplinen zu übernehmen. Darüber hinaus konnte Kotenko frühere Annahmen zur Vorreiterrolle der galizischen Wissenschaft in der ukrainischen Kartographie widerlegen.1642 Geopolitische und anthropogeographische Arbeiten beschäftigten Rudnyc’kyj vor allem während des Ersten Weltkriegs und dessen unmittelbaren Folgejahren, wobei Vorarbeiten in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch stattfanden.1643 Er betrieb jedoch keine eigenständigen anthropologischen, ethnographischen oder statistischen Forschungen, so dass er primär Arbeiten anderer Wissenschaftler aus geographischer Perspektive interpretierte. Die bereits skizzierte kooperative Dimension des Ukrajinoznavstvo war damit eine unbedingte Voraussetzung seiner Herangehensweise. Wenn Steven Seegel sich auf die Patronage des NTSˇ und Hrusˇevs’kyjs für Rudnyc’kyj bezieht, scheint er einerseits die Unterstützung für Rudnyc’kyj zu überschätzen, die ideologische Beeinflussung des Geographen und seine Kooperation mit Gleichgesinnten hingegen zu unterschätzen. Hrusˇevs’kyj förderte Rudnyc’kyj, sicherlich bedingt durch das gern übersehene persönliche Zerwürfnis zwischen Schüler und Lehrer, kaum über die Vereins-

1640 Rudnyc’kyj 1910, unpag. Beilage. Diese Städte hatte schon Velycˇko als Grenzraum in das ukrainische Nationalgebiet einbezogen, Velycˇko 2012, S. 84. 1641 [Stepan Rudnyc’kyj:] Das ukrainische Volksgebiet in Galizien, o. J. [vmtl. zw. 1916 und 1918], CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 1816, ark. 7. 1642 Kotenko 2020. 1643 Materialien zum Tätigkeitsbericht der Mohyla-Gesellschaft, 1912, CDIAL, fond 736, op. 1, spr. 3, ark. 43; Horbovyj (Hg.) 2012, S. 204. Danach widmete er sich erneut der physischen Geographie, zunächst in Prag, wo er sich vor allem mit der Geographie der Podkarpatská Rus befasste, danach in Charkiv, wo er ein eigenes Forschungsinstitut leitete, das u. a. hydrographisch forschte. Rudnyc’kyj 1928; Rubl’ov 2018; Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007.

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tätigkeit hinaus.1644 Dahingegen war Ukrajinoznavstvo nicht nur eine Ansammlung von Fächern als deckender Begriff, sondern Ausdruck und Konzept einer ideologisierten Wissenschaft. Problematischer ist, dass Seegel übersieht, dass Rudnyc’kyj mit den ethnographischen Karten vor allem eine Synthesearbeit vorheriger Forschungen unter solch einem spezifischen Blickwinkel vorlegte. Darüber hinaus führte er viele Zeichnungen lediglich nach den Maßgaben anderer Wissenschaftler, vor allem Tomasˇivs’kyjs, aus. Das räumte Rudnyc’kyj in der Zwischenkriegszeit selbst ein.1645 In diesem Sinne sieht sich ein anfängliches Argument dieser Arbeit bestätigt: Bei all der Relevanz transnationaler Netzwerke und den Konjunkturen der Erforschung transnationaler Geschichte muss deutlich unterstrichen werden, dass nationale Netzwerke – die ebenso von zahlreichen transnationalen Kontakten geprägt sein konnten, wie bereits herausgestellt – nicht vernachlässigt werden dürfen, wenn Wissenschaftsgeschichte kritisch hinterfragt werden soll. Die Nähe der Geographie und Kartographie zur Statistik, Ethnographie und Anthropologie kam deutlich in den ersten Kartenprojekten der ukrainischen Wissenschaft zum Ausdruck. Sie entfernten sich von ausschließlich historischen Darstellungen, wie sie Hrusˇevs’kyj oder auch sein Lehrer Antonovycˇ1646 anhand historischer oder archäologischer Karten vorlegten. Ethnographische Karten lassen sich demnach in diesem wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr allein mit historischen Grenzen administrativer Räume begründen, wie Drahomanovs Karte in der Nouvelle Géographie Universelle das getan hatte. Ethnokartographie avancierte zu einem multidisziplinären Unterfangen, das komplexe Argumentationsmuster gezielt dazu nutzte, um andere abzulehnen. Die Nähe zur deutschen und französischen Wissenschaft beeinflusste die Wissenschaftler in ihrem Arbeitsprozess. Die Ablehnung staatlich produzierter Daten bzw. das Bewusstsein, diese umrechnen oder kontextualisieren zu müssen, ist als Transfer ex negativo aus dem politisierten Feld der Statistik zu betrachten. Die Nähe der 1644 Während Tomasˇivs’kyj und Hnatjuk ihre loyale Haltung weitaus länger bezeugten und sich damit stärkeren Rückhalt des Vereinspräsidenten sicherten, äußerte sich Rudnyc’kyj bereits weitaus früher, intern wie auch öffentlich, gegen die Vereinspolitik. Rudnyc’kyj bestritt seine Forschungen intensiver durch die Förderungen des Unterrichtsministeriums mithilfe seiner Arbeitsstellen. Er nutzte die Möglichkeiten des gegebenen Systems deutlich geschickter aus als andere, benötigte dafür aber auch stets Fürsprecher. Einer kurzen Phase der erneuten Kooperation mit Hrusˇevs’kyj rund um seinen ersten Band der ukrainischen Geographie (1910) folgte ein erneutes Zerwürfnis, das sich in Wien während der Zwischenkriegszeit bekräftigte. Eine Versöhnung erfolgte nur brieflich in der Zwischenkriegszeit, als sich Rudnyc’kyj für sein Verhalten entschuldigte und den ehemaligen Mentor damit zu Tränen rührte, wie der Überbringer des Briefes dokumentierte. Iz protokolu dopytu V. Gerynovycˇu pro vzajemyny S. Rudnyc’koho i M. Hrusˇevs’koho, 15. April 1933, in Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 184f., hier S. 184. 1645 Rudnyc’kyj 2017, Vidpovid’. 1646 Picˇkur 2013.

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Wissenschaft zur Politik sollte nicht nur in dieser Frühphase ukrainischer Kartenproduktion, sondern besonders auf ihrem ersten Höhepunkt während des Ersten Weltkrieges prägsam für Rudnyc’kyj und Kollegen bleiben. Bevor sich der Kriegszeit selbst angenähert wird, ist allerdings ein Projekt zu diskutieren, an dem Rudnyc’kyj und Kollegen schon einige Jahre vorher mitzuarbeiten begannen: an einer ersten ukrainischen Enzyklopädie.

8.3

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Nationale Enzyklopädien gehörten zu den zentralen Projekten der Nationalbewegungen in der Habsburgermonarchie, aber auch zu den finanziell und organisatorisch anspruchsvollsten. Der tschechische Nationalhistoriker Palacký projektierte eine Nationalenzyklopädie bereits 1829. Das tschechische Ottu˚v slovník naucˇný (Ottos Konversationslexikon), dessen erste Serie von 1888 bis 1909 erschien, teilte zwar den universellen Anspruch mit Meyers Konversationslexika oder der Encyclopedia Britannica und suchte den direkten Vergleich mit europäischen Projekten. Gleichsam artikulierte das Projekt aber, einen spezifisch ›nationalen‹ und ›slavischen‹ Blickwinkel zu vertreten. Damit war das Lexikon ein Sammelpunkt nationaler Imagination und der Kodifikation national geprägten Wissens in der Selbst- und Fremdbeschreibung, an dem sprechenderweise auch der erste tschechoslowakische Präsident Tomásˇ G. Masaryk zeitweise mitarbeitete.1647 Als sprachlich definierte Speicher kodifizierten Wissens trugen sie entscheidend zur Entstehung nationaler Wissensräume bei, gleichzeitig spricht der Typus der modernen Enzyklopädie aber auch für die Teilhabe an einem europäischen Wissensraum.1648 Parallelen zu Nationalbibliotheken und -museen nach europäischem Muster als nationale Projekte werden hierbei offensichtlich. Während ukrainische Wissenschaftler, darunter auch NTSˇ-Mitglieder, sowohl zu dieser Enzyklopädie als auch zur russischen Enzyklopädie Brokgauz-Efron beitrugen,1649 existierte im 19. Jahrhundert keine ›eigene‹ ukrainische Enzyklopädie. Die Publikation Ukrainskij narod v ego prosˇlom i nastojasˇcˇem (Das ukrainische Volk in Vergangenheit und Gegenwart) erschien 1914 und 1916 in zwei 1647 Sayer 2000, S. 96–98. Zum Projekt der polnischen Akademie der Wissenschaften in Krakau vgl. Encyklopedia polska, t. 1, 1912. Zu britischen und deutschen Enzyklopädien und ihren heterogenen Konzeptionen, die gleichsam Rückschlüsse auf Identitätsbildung zulassen, vgl. Behrndt 2003. 1648 Zur Übersicht über europäische enzyklopädische Projekte vgl Haß (Hg.) 2012; zum Nexus zwischen Enzyklopädien und Wissensräumen vgl. dies. 2012. 1649 Im Ottu˚v slovník naucˇný trugen Hnatjuk und Tomasˇivs’kyj bei (Kap. 5.2); im BrokhauzEfron finden sich u. a. Beiträge von Franko und Hryhorij Velycˇko. Parchomenko 2003.

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Bänden in St. Petersburg. Das Werk erscheint aus heutiger Perspektive eher als Sammelband denn als Enzyklopädie. Es bezeugte keinen universalistischen Charakter, sondern ist als Ausdruck eines partikularen ukrainischen Wissensraums und seiner Konstruktion zu sehen. Die Bände erschienen auf Russisch und belegen damit den imperialen Entstehungskontext, vor dem dieser nationale Wissensraum artikuliert werden sollte. Während die Veröffentlichung des zweiten Bandes zeitlich mit dem Höhepunkt der Veröffentlichung ukrainischer Kriegspropagandaschriften zusammenfiel, war das Projekt deutlich älter und ist nicht in diesem Kontext zu werten. Der Publizist Oleksandr Lotoc’kyj (1870– 1939), ansässig in St. Petersburg und seit 1900 wirkliches Mitglied des NTSˇ, war entsprechend seinen Memoiren der Ideengeber des Projekts. Nach der Streichung des Emser Erlasses projektierte er eine ukrainische Enzyklopädie, die im St. Petersburger Obsˇcˇestvo im. T. G. Sˇevcˇenka Form annahm.1650 Mit dem NTSˇ hatte dieser Verein allerdings nur den Namenspatron und durch Lotoc’kyj und Vovk zwei Mitglieder gemeinsam. Lotoc’kyj kooperierte seit 1906 mit Hrusˇevs’kyj und gewann ihn als Herausgeber des historischen Teils und Koordinator mit russländischen sowie galizischen Autoren. Hrusˇevs’kyj veranschlagte einen gesonderten Band für seine historische Abhandlung, so dass die ursprünglich angedachten drei auf vier Bände anwuchsen.1651 Maksym Kovalevs’kyj, seit 1907 Vereinsvorsitzender und vormaliger Organisator der Russischen Höheren Schule in Paris, fungierte als Leiter der siebenköpfigen Redaktion.1652 Vovk dachte schon seit den 1890er Jahren in Paris daran, eine ukrainische Nationalenzyklopädie zu schaffen; er wurde ein aktiver Mitarbeiter des Projekts und Redakteur der Abteilung zu ukrainischer Kunst.1653 Das Projekt unterlag mehrfacher Umdisponierung. Die Luxusausgabe mit vergleichsweise großzügigen Autorenhonoraren war zunächst als Teil der vielbändigen enzyklopädischen Serie »Völker Russlands« (narody Rossii) konzipiert, erschien aber letztlich unabhängig von dieser. Der enzyklopädische Charakter war zu Beginn angedacht, wurde jedoch aufgrund von Schwierigkeiten zwischen den Herausgebern aufgegeben.1654 Diese blieben auch in der Folgezeit für die Verzögerung des Projekts verantwortlich; lange Diskussionen um die Artikel, geschuldet auch der Anzahl an Herausgebern und ihrer Verteilung auf Moskau, St. Petersburg und Lemberg, verzögerten das Projekt erheblich.1655 Als Enzyklopädie hatte das Werk die Aufgabe, den Stand der Ukraine-Forschung 1650 Lotoc’kyj 1934, S. 155–166. 1651 Ebd., S. 155–157; Hyrycˇ 2016, Oleksandr; Pan’kova 2016; vgl. auch Vovk an Hrusˇevs’kyj, 22. September 1911, LMH, t. 2, S. 220f. 1652 Isajevycˇ 1966, S. 136f. 1653 Franko 2000, S. 314f. 1654 Isajevycˇ 1966, S. 137. 1655 Franko 2000, S. 314.

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zusammenzutragen, das ›nationale Wissen‹ zu speichern und zu kodifizieren. Der erste Band gliederte sich in Hrusˇevs’kyjs Genealogie des Ukrajinoznavstvo und eine über 300-seitige Darstellung zur Geschichte des ukrainischen Volkes von der Vorgeschichte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts; auch in dieser wertete er die Entfaltungsmöglichkeiten des NTSˇ und die Erscheinung des LNV als gesamtukrainische Revue als historische Zäsur. Es handelte sich dabei um eine bebilderte Darstellung, die deutlich populärer gehalten war, als sein einige Jahre zuvor in zwei Auflagen erschienener Korotkij ocˇerk istorii ukrainskago naroda (Kurze Skizze der Geschichte des ukrainischen Volks).1656 Der erste Teil des zweiten Bandes widmete sich geographischen und statistischen Beschreibungen des ukrainischen Territoriums. Oleksandr Rusov schrieb zur Statistik der ukrainischen Bevölkerung des europäischen Russlands und konzentrierte sich dabei vor allem auf Sprach-, Alters- und Sozialstatistiken. Er problematisierte dabei das Klassifikationsschema einer gemeinrussischen Sprache, die sich in drei Dialekte, den groß-, klein- und belarussischen gliederte; folglich übersetzte er die Angaben zum ›kleinrussischen Dialekt‹ in ukrainische Nationalität. Möglichkeiten des systematischen Vergleichs wie im Fall der galizischen Religionsstatistik fehlten, zumal sowohl die russische als auch ukrainische Bevölkerung des Zarenreichs vorrangig orthodoxer Konfession waren. Nach dem Muster russländischer imperialer Statistik arbeitete er sich deshalb an ständischen Aspekten und Differenzen zwischen Stadt- und Landbevölkerung ab; in fast jedem der 25 betrachteten Gubernien war der prozentuale Anteil der ukrainischen Bevölkerung am Land deutlich höher als in den Städten.1657 Hiermit unterstützte er die zirkulierende These der ukrainischen als ›Urbevölkerung‹ des ukrainischen Territoriums. Die weiteren Arbeiten des ersten Teils stammten von Rudnyc’kyj (Geographie der Ukraine), Ochrymovycˇ (Statistik Galiziens und der Bukowina) und Tomasˇivs’kyj (›Uhors’ka Rus’‹), die Kurzfassungen ihrer bereits an anderer Stelle thematisierten Arbeiten lieferten, so dass sie nicht erneut vertieft werden.1658 Für die vier galizischen Autoren war es die erste russischsprachige Publikation dieser Forschungsergebnisse, so dass sich ihnen durch den Band ein neues Forum eröffnete. Hrusˇevs’kyj vermittelte das Projekt über die statistische Kommission an die galizischen Wissenschaftler,1659 darüber hinaus übernahm er – zumindest im Falle Rudnyc’kyjs – auch die sprachliche Korrektur

1656 Grusˇevskij 1906; Grusˇevskij 1914, Istorija ukrainskago naroda; Grusˇevskij 1914, Razvitie ukrainskich izucˇenij. 1657 Rusov 1916, S. 385–392. Kritisch zur russländischen Volkszählung im Kontrast zur cisleithanischen vgl. Kappeler 2012, Perepisi naselenija. 1658 Rudnickij 1916; Ochrimovicˇ 1916, Galicija; Ochrimovicˇ 1916, Bukovina; Tomasˇevskij 1916. 1659 Sitzungsprotokoll der statistischen Kommission, 27. Dezember 1909, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 42, ark. 91zv.

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des russischen Textes.1660 Dass sich die Korrekturfahnen wiederum im Archiv des NTSˇ finden, bestätigt erneut, wie relevant der Anteil des Vereins am Entstehen des Werkes war, auch wenn sein Name nicht das Deckblatt zierte. Der zweite Teil war der ukrainischen Anthropologie, Ethnographie, Sprache und dem Gewohnheitsrecht gewidmet. Aufsätze zu den ersten beiden Themen lieferte Vovk; in ihrer Länge machten diese mehr als die Hälfte des zweiten Bandes aus. Seine Texte präsentieren sich als dichte wissenschaftliche Abhandlungen, die durch den Grad ihrer Spezialisierung weder enzyklopädischen noch populären Charakter haben. Dies ist dadurch begründet, dass Vovk sie als eine Art Habilitationsschrift für die Universität verfasste.1661 Wie bereits skizziert, begründete er damit wesentlich die ukrainische Eigenständigkeit in vergleichender ethnologischer und (rassen-) anthropologischer Perspektive. Der JuraStudent Taras Jefymenko verfasste einen Beitrag zum ukrainischen Gewohnheitsrecht, in dem er eine ukrainische Neigung zum »Individualismus« im Gegensatz zum russischen »Kollektivismus« konstatierte. Er fällt aus der Reihe der sonst prominentesten ukrainischen Wissenschaftler der Zeit. Seine ungleich bekanntere Mutter Oleksandra Jefymenko (1848–1918) erhielt ursprünglich den Auftrag von Vovk, dieses Thema zu bedienen, delegierte ihn jedoch aus gesundheitlichen Gründen an ihren Sohn und leitete ihn dabei an.1662 Aleksej Sˇachmatov (1864–1920) war der einzige russische Autor des Bandes. Nach der Promotion an der Universität Moskau lehrte er seit 1909 als Professor für russische Sprache an der Universität St. Petersburg. Er legte einen Überblick zur Geschichte der »kleinrussischen (ukrainischen) Sprache« vor. Die Begriffe ›kleinrussische‹ (malorusskij) und ›ukrainische Sprache‹ wären seiner Einschätzung nach keineswegs identisch. Kleinrussisch wäre eine südwestliche Abspaltung der »gemeinrussischen Vorsprache« (Altostslavisch) und damit deutlich breiter angelegt; unter dem Begriff ›Ukrainisch‹ für »die moderne Literatursprache der Ukrainer« könnten zahlreiche Dialekte, darunter ungarischruthenische, galizische und podlachische nicht subsumiert werden.1663 Wenn er auch den distinkten Charakter der modernen ukrainischen Sprache anerkannte, widersprach sein Konzept den ukrainischen Sprachwissenschaftlern aus der Habsburgermonarchie, die die genannten Dialekte als Teil der ukrainischen Sprache verstanden.1664 1660 Rudnyc’kyj, Stepan: Ocˇerk geografii Ukrainy [mit Korrekturen von M. Hrusˇevs’kyj], o. J., CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 1815. 1661 Lotoc’kyj 1934, S. 158f. 1662 Efimenko 1916; Kappeler 2012, Russland, S. 298f., Zitat S. 299. 1663 Sˇachmatov 1916, S. 664. 1664 Smal’-Stoc’kyj / Gartner 1914, S. 3; Hnatjuk 1912. Obwohl Smal’-Stoc’kyj / Gartner 1914 auch ihre dritte Auflage als Hramatyka rus’koji movy bezeichneten, reden sie im Folgenden vom »[u]krainischen (ruthenischen) Volk« (S. 3) und der »[u]krainischen Sprache« (S. 4).

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Bedingt durch den Ersten Weltkrieg kam es zu finanziellen Engpässen und nur die ersten zwei Bände konnten gedruckt werden. Vor allem Beiträge zur sozioökonomischen Entwicklung, zum zeitgenössischen kulturellen und gesellschaftlichen Leben der ukrainischen Bevölkerung des Zarenreichs und eine parallele Arbeit Volodymyr Hnatjuks1665 zu den ukrainischen Ländern der Habsburgermonarchie waren für die folgenden Bände angedacht und blieben unveröffentlicht. Weitere Arbeiten stammten vom Archäologen Mykola Biljasˇivs’kyj, dem Literaturkritiker Jevremov, dem Orientalisten und Ukrainisten Ahatanhel Kryms’kyj, dem Sprachwissenschaftler und Ethnographen Mykola Sumcov sowie den Archäologen Vadym (1876–1957) und Danylo Sˇcˇerbakivs’ki (1877–1927), die alle mit dem NTSˇ und/oder dem UNT in Verbindung standen.1666 Damit waren viele Wissenschaftler eingebunden, die zur internationalen wissenschaftlichen Spitze derjenigen gehörten, die sich zur ukrainischen Nation bekannten. Die Bände illustrieren dementsprechend auch das Ergebnis der Kooperation und Netzwerkbildung der beiden vergangenen Dezennien, vor allem die Vernetzung zwischen NTSˇ, UNT und weiteren ukrainischen Forschern. Die mit diesem Projekt verbundenen Ansprüche und ihre unvollständige Realisierung durch den Kriegsausbruch sind symptomatisch für die untersuchte Schaffensphase, lassen sie sich bisweilen doch auch auf die Beobachtungen zu Tomasˇivs’kyjs Kartenprojekt übertragen. Zumal die anderen Bände nicht erschienen, tragen die beiden veröffentlichten Werke einen umso deutlicheren Anstrich von Hrusˇevs’kyjs Konzeption ukrainischer Wissenschaft. Die Idee einer nationalen Enzyklopädie verlor keineswegs an Konjunktur. Stanislav Dnistrjans’kyj versuchte zu Beginn der 1920er Jahre, ein einschlägiges Projekt – mit tatsächlich enzyklopädischem Charakter – in den Kreisen der Freien Ukrainischen Universität zu realisieren, das allerdings keine Formen annahm.1667 Erst zwischen 1930 und 1933 realisierte das NTSˇ, nun unter gänzlich anderen Umständen, unter der Leitung von Ivan Rakovs’kyj die Ukrajins’ka zahal’na encyklopedija (Allgemeine ukrainische Enzyklopädie) in drei Bänden.1668 Die Veröffentlichung des ersten Bandes inspirierte außerdem ein analoges Projekt in der ukrainischen Sowjetrepublik unter dem Volkskommissar für Bildung Mykola Skrypnyk (1872–1933). Nach dem Ende der korenizacija wurde das Projekt als nationalistisch diffamiert, eingestellt und die bereits vorbereiteten Bände vernichtet. Das Projekt einer ukrainischen Sowjetenzyklopädie wurde erst in den 1950er Jahren unter sowjetischen ideologischen Vorzeichen wieder auf-

1665 1666 1667 1668

Vermutlich handelt es sich dabei um eine russische Variante von Hnatjuk 1916. Lotoc’kyj 1934, 163f. Rudnyc’kyj an Rakovs’kyj, 22. Oktober 1929, LSR, S. 162f. Savenko 2010. Zur Planung und Durchführung vgl. Rakovs’kyj an Rudnyc’kyj, 10. Oktober 1929, LSR, S. 288–291.

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genommen.1669 Eine an ukrainischer ›nationaler Wissenschaft‹ orientierte Enzyklopädie konnte dagegen nur in der Diaspora realisiert werden. Sie wurde als Encyklopedija Ukrajinoznavstva (Enzyklopädie der Ukrainekunde) von der Diaspora-NTSˇ unter der Leitung des Geographen Volodymyr Kubijovycˇ herausgegeben, zunächst in drei Bänden des ›allgemeinen Teils‹ zwischen 1949 und 1952. Diese enthielt, ähnlich wie Ukrainskij narod, wissenschaftliche Beiträge zum ukrainischen Territorium sowie zur ukrainischen Geschichte und Kultur.1670 Dem folge das zehnbändige Nachschlagewerk unter demselben Haupttitel, das zwischen 1955 und 1984 erschien.1671 Es diente als Vorbild der englischsprachigen Onlineausgabe Encyclopedia of Ukraine, die in den jüngsten Jahren teilweise überarbeitet wurde, aber noch bis heute das Wissen über die Ukraine im globalen Maßstab nach Maßgaben des NTSˇ zentral mitprägt. Wie so viele ukrainische wissenschaftliche Projekte dieser Zeit blieb die ukrainische Enzyklopädie vor dem Ersten Weltkrieg vor allem eines: unvollendet. Der Weltkrieg unterbrach nicht nur das lokale Vereinsleben des NTSˇ in Lemberg, sondern auch transimperiale Kooperationen, Finanzflüsse und die Drucklegung prinzipiell fertig kompilierter Bücher. Wie in der Gesamtschau also deutlich wird, verhinderte die Kriegszeit eine frühere ukrainische Enzyklopädie in Galizien. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass somit das erste Projekt dieser Art in russischer Sprache vorlag und nur äußerst schwer erhältlich blieb; der gewünschte Kodifikationsakt kann dadurch kaum als abgeschlossen betrachtet werden, wodurch die individuellen Beiträge natürlich nicht als entwertet zu verstehen sind. So sind etwa die beiden Arbeiten Vovks in der Prager Emigration in Übersetzung erschienen und wurden damit einem breiteren Kreis ukrainischer Wissenschaftler und Studenten zugänglich gemacht.1672 Wie dieses Beispiel zeigt, stabilisierte sich Wissen unter dem Einfluss wechselhafter Bedingungen dergestalt, dass die ›Gründerväter‹ ukrainischer Wissenschaft idealisiert und ihr Wissen bisweilen verabsolutiert wurden. Ihre Werke, Forschungssammlungen und Ansätze galten als Orientierung für die ukrainische Wissenschaft in der Zwischenkriegszeit und darüber hinaus. Während der jüngere Rudnyc’kyj selbst noch einflussreiche Lehrbücher und Übersichtswerke verfassen konnte, die das folgende Kapitel mitunter thematisiert, war Vovks wissenschaftliches Erbe zu großen Teilen davon abhängig, dass seine Schüler erschienene Texte kompilierten, das gemeinsam gesammelte Material auswerteten und sein Werk fortsetzten. Im Falle der jüngeren Wissenschaftler markierte 1669 Kuzelja 1949; auch hier folgte die Veröffentlichung der Sowjetenzyklopädie als Reaktion auf die Encyklopedija Ukrajinoznavstva, vgl. ausführlich dazu Kubijovycˇ / Markus’ 1961. 1670 Kubijovycˇ (Hg.) 1949–1952. 1671 Ptashnyk 2012, Enzyklopädie; zur Tätigkeit Kubijovycˇs vgl. ders. 1985, S. 274–278; Zˇukovs’kyj 1986. 1672 Vovk 1928.

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der Erste Weltkrieg allerdings nicht das Ende ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Die politische Mobilisierung der Wissenschaftler stellte eine andere Form der Zäsur dar, die im Folgenden analysiert wird.

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Teil III: Mobilisierung

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9.

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Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte die Lemberger Vereinsagenden zum schlagartigen Erliegen. Durch die galizische Grenzlage war die Landeshauptstadt unmittelbarer Schauplatz des Besatzungsgeschehens vom September 1914 bis Juni 1915, während die neue strategische Bedeutung der Ukraine im Krieg eine bisher unbekannte politische Relevanz für die ukrainische Wissenschaft bedeutete. Sie führte zur Neuordnung der Prioritäten zahlreicher Wissenschaftler. Anfang August 1914 formierte sich die Holovna Ukrajins’ka Rada (Ukrainischer Hauptrat, HUR) als ukrainische Vertretung, großteils aus aktiven galizischen Politikern und einigen Mitgliedern des NTSˇ.1673 Bereits hier offenbarte sich die Relevanz, die Wissenschaft für die politische Tätigkeit erlangen sollte; Kost’ Levyc’kyjs wichtigstes Accessoire für eine diplomatische Reise nach Berlin war, wie er sich später erinnerte, eine Karte der Ukraine von Stepan Rudnyc’kyj, die er deutschen Vertretern überreichte.1674 In der Folge ersuchte Levyc’kyj den Geographen, eine populäre Broschüre zur Ukraine herauszugeben, die in deutscher Sprache vor allem politische Kreise erreichen sollte.1675 In Ukraina und die Ukrainer, einer der wohl bekanntesten Kriegsschriften, die Rudnyc’kyj nur einen Monat später mit einer ethnographischen Karte als Beilage veröffentlichte, polemisierte er, man könne »die althergebrachten Gemeinplätze [der geographischen Einheit Russlands, M. R.] ganz getrost in die wissenschaftliche Rumpelkammer tragen«1676. Diese Broschüre markierte den Auftakt einer Nutzbarmachung der Wissenschaften und individueller Wissenschaftler für die politisch-territorialen Wünsche und Ambitionen, die ukrainische Ak1673 Aus dem NTSˇ partizipierten (wirkliche Mitglieder:) Kost’ Levyc’kyj (Vorsitzender), Mychajlo Pavlyk (stv. Vorsitzender), (allgemeine Mitglieder:) Stepan Baran, Lonhyn (L’ongin) Cehel’s’kyj, Ivan Kyveljuk, Dmytro Katamaj und Mychajlo Lozyns’kyj. Volodymyr Starosol’s’kyj war Mitglied der statistischen Kommission, aber nicht des NTSˇ. Levyc’kyj 1928, S. 489f. 1674 Levyc’kyj 1928, S. 28f. 1675 Ebd., S. 31, 46. 1676 Rudnyc´kyj 1914, S. 31.

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teure und Gruppierungen im Kriegsverlauf entwickelten, popularisierten und zu erstreiten suchten.1677 Diese waren im Übrigen durchaus vielfältig, so fanden sich Modelle, die ein ethnisch-ukrainisches Kronland mit galizischem Zentrum favorisierten und dabei die später neugewonnenen Territorien im Osten einbezogen,1678 aber auch aufkommende Bestrebungen nach einem ukrainischen Nationalstaat.1679 Die letztere Variante blieb, im Gegensatz zur Behauptung einiger früherer Forschungspositionen, bis zum Kriegsausbruch noch eine Minderheitenposition.1680 Wichtige Beiträge zur Ukraine im Krieg, insbesondere aus Perspektive der Mittelmächte,1681 liegen hierzu bereits vor. Der Krieg selbst war ein Schlüsselmoment für die kurzfristige Entstehung eines bzw. mehrerer ukrainischer Staaten.1682 Die verschärfte Nationalisierung von Soldaten und anderen Kriegs1677 Nicht nur gedruckte Denkschriften, sondern auch handschriftliche Notizen Rudnyc’kyjs zum ukrainischen Nationalterritorium fanden über politische Kanäle ihren Weg ins Außenministerium. Erläuterungen zur ethnographischen Karte der Ukraine, unterz. Prof. Dr. Stefan Rudnyckyj, Eingang 25. Juni 1915, HHStA, PA I 902–1. 1678 Die ZUR legte einen Plan für eine Angliederung Wolhyniens und des Cholmlandes vor: Staatsrechtliche Grundsätze betreffend die politische Neuordnung des ukrainischen Nationalgebietes im Osten des Reiches als einer österreichischen Provinz, Denkschrift der ukrainischen Parlamentarier betreffend die politische Gestaltung und Verwaltung der ukrainischen Gebiete im Osten des Reiches, Wien, Dezember 1916, HHStA SB NI Erasmus Handel 2–9. Vgl. auch Hagen 2007, S. 62–67. 1679 Die Unabhängigkeit der Ukraine wurde früh und energisch vor allem vom SVU gefordert: Bund zur Befreiung der Ukraine: An die öffentliche Meinung Europas, 25. August 1914, HHStA PA I 902–1; SVU an Alexander Graf Hoyos, 7. September 1914, ebd. Auch die ukrainische parlamentarische Vertretung der Habsburgermonarchie verstand eine ukrainische Unabhängigkeit als Maximalziel. Doch sie sah die freie Entwicklung »innerhalb der Grenzen Oesterreichs« als kurz- und ukrainische Eigenstaatlichkeit als langfristiges Ziel, wobei diese Äußerung einerseits realpolitisch und andererseits diplomatisch zu verstehen ist. Schreiben der ukrainischen parlamentarischen Vertretung an das Außenministerium, 24. Februar 1915, HHStA PA I 902–1. 1680 Frühere Gegenpositionen stützten sich vor allem auf Julijan Bacˇyns’kyjs (1924, Nachdruck, Erstveröffentlichung 1895) Ukrajina irredenta. Wie Kerstin Jobst (1997) aufzeigt, war sie klar sozialistisch orientiert und fand somit vornehmlich in linken Kreisen Anhängerinnen und Anhänger, besonders unter den russländisch-ukrainischen Emigranten Lembergs. In der Vorkriegszeit ist das Spektrum aber keineswegs repräsentativ für die ukrainische Öffentlichkeit um die UNDP, das NTSˇ, die Prosvita, das Dilo und andere große Zeitungen wie den christlich-konservativen Ruslan. Wenn sich auch diverse Parteien die ukrainische Unabhängigkeit auf die Fahnen schrieben, war das eher ein Lippenbekenntnis als ein Ziel, das für politisch realisierbar befunden und entsprechend vertreten worden wäre. (Jobst 1996, S. 44f.) Föderalistische Ideen, die die Ukraine als autonomen Teil Russlands sehen wollten, wie bspw. Drahomanov, waren weder in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch noch im Krieg präsent. Hrusˇevs’kyj begann diese Ideen zu popularisieren, als der Kriegsverlauf bereits neue Fakten geschaffen hatte. Plokhy 2005, S. 222. 1681 Golczewski 2010; Grelka 2005; Hagen 2007; vgl. auch Hausmann 2014 und die dort angegebene Literatur. 1682 Hagen 2007, S. 106.

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betroffenen, darunter auch Geflüchteten, die nicht zuletzt in österreichischen Lagern aufgefangen wurden, gehört in dieses Feld. Hinzu trat die Politisierung breiterer Kreise für die ukrainische Bewegung durch unterschiedliche Kriegspropagandaaktivitäten, die mentale Landkarten in Abgrenzung zu Gegnern des nationalen Projekts ausgestalteten.1683 Wissenskommunikation nimmt hierbei einen besonderen Platz ein, wobei ein schlichter Propagandabegriff zu kurz greift. Wie dieses Kapitel zeigen wird, handelt es sich bei den zahlreichen nationalen Schriften, die im Ersten Weltkrieg entstanden, zumeist um Wissen, das zuvor im NTSˇ produziert wurde, wenn auch häufig in vereinfachter, populärer Sprache. Neu ist hingegen die geopolitische Argumentation Rudnyc’kyjs und das bewusste Andienen an die Kriegsziele der Mittelmächte. Blieb die Staatsloyalität für zahlreiche Akteure im NTSˇ zuvor eher ein inszeniertes Lippenbekenntnis, setzten ukrainische Politiker bei der Realisierung ihrer Ziele verstärkt auf die Mittelmächte, wobei sie dabei nicht selten zum Spielball der ›großen Politik‹ wurden.1684 Dieses Kapitel skizziert die Verflechtungen des NTSˇ und zentraler Vereinsakteure mit ukrainischen und nicht-ukrainischen Organisationen. Das NTSˇ agierte weniger als Kollektiv denn in Splittergruppen, die sich unterschiedlichen Organisationen andienten; Stepan Rudnyc’kyj war in Kooperation mit Tomasˇivs’kyj und anderen für Synthesen und Popularisierungen früherer Vereinsarbeiten verantwortlich. Damit konzentriere ich mich im Folgenden nicht auf den Verein als Ganzes, sondern auf die Verwendung des zuvor geprägten Wissens. Eine ausführliche Analyse zur ukrainischen Wissenschaft im Krieg hätte in monographischer Länge zu erfolgen. Insgesamt kann hier nur das Ziel sein, bisher häufig übersehene Verflechtungen des NTSˇ in den Vordergrund zu stellen, um die Relevanz des Vereins und der von ihm initiierten ideologisierten Wissenschaft zu erfassen. Ein besonderer Schwerpunkt ist Rudnyc’kyj gewidmet, der sich zum aktiven Publizisten und geopolitischen Propagandisten entwickelte. Wie Maciej Górny in seiner vergleichenden Studie zum ›Krieg der Geister‹ bzw. Professoren gezeigt hat, arbeiteten ost- und ostmitteleuropäische Wissenschaftler, unter ihnen auch Rudnyc’kyj, dabei mit demselben Inventar und aus derselben sozialen Stellung heraus wie ihre west- und zentraleuropäischen Kollegen.1685 Der Kriegsausbruch traf den Verein während seiner üblichen Sommerpause. Zunächst zog die k.u.k. Armee diverse Vereinsmitglieder zum Militärdienst ein, darunter auch Stepan Tomasˇivs’kyj, der den Verein als stellvertretender Vorsitzender de facto leitete. Die Ausschusssitzung am 11. August 1914 beschloss, 1683 Hausmann 2014, S. 129–139; Mark 1984. 1684 Hagen 2007. 1685 Górny 2019.

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sicherlich auch mangels Alternativen, Volodymyr Ochrymovycˇ als ältestes Ausschussmitglied die interimistische Vereinsleitung zu übertragen.1686 Nach der Besetzung Ostgaliziens schloss das zaristische Regime alle ukrainischen kulturellen und politischen Vereine und verbot den Druck in ukrainischer Sprache.1687 Der Kiewer Zensor Sergej Sˇcˇëgolev (1862–1919) verfasste 1912 ein Werk, das sich der Ukrainischen Bewegung als moderne Etappe des südrussischen Separatismus (Ukrainskoe dvizˇenie kak sovremennyj e˙tap juzˇnorusskago separatizma) widmete. Dabei charakterisierte er Hrusˇevs’kyj nicht nur als führenden Vertreter dieser Bewegung und »Apostel der Kiewer Hromada in Galizien«1688, sondern besprach das NTSˇ als eine Keimzelle des von ihm verhassten Phänomens.1689 Wie Plokhy gezeigt hat, war die Broschüre Grundlage eines umfangreichen Polizeireports des Besatzungsregimes aus dem Januar 1915.1690 Insofern verwundert es nicht, dass Repressionen der russischen Armee unmittelbar gegen das NTSˇ gerichtet waren; Ochrymovycˇ als lokaler Leiter wurde umgehend nach Kiew deportiert.1691 Die detaillierten Vereinsstrukturen dürften den Behörden nach den jüngsten Umbrüchen unbekannt gewesen sein, doch wurden auch Vereinsmitglieder zufällig verhaftet, die Hrusˇevs’kyj in seiner Villa besuchen wollten.1692 Offenbar wussten diese nicht, dass Hrusˇevs’kyj, der längst nicht mehr Teil des Vereinsgeschehens war, sich zum Kriegsbeginn auf seiner Sommerfrische in Kryvorivnja befand. Von dort aus begann seine abenteuerliche Reise nach Kiew, wobei er wenige Tage nach seiner Ankunft im November 1914 verhaftet und nach Sibirien deportiert wurde.1693 So wie auch zahlreiche andere Menschen aus Galizien, flohen Wissenschaftler des NTSˇ vor dem Kriegsgeschehen nach Wien.1694 Jene Wissenschaftler, denen der Staat aufgrund ihrer Kenntnisse oder ihrer wichtigen Rolle für die Nationalbewegung eine kriegsentscheidende Funktion zudachte, konnten durch politische Vermittlung vom Kriegsdienst befreit werden.1695 Auch sie ließen sich in Wien nieder. Deutlich stärker als zuvor suchten die Wissenschaftler die Nähe zur Politik und dienten sich ihr auf unterschiedliche Art und Weise an. Das äußerte 1686 1687 1688 1689 1690 1691 1692 1693 1694 1695

Chronika NTSˇ 58–59 (1914), S. 10. Levyc’kyj 1928, S. 195. Sˇcˇëgolev 1912, S. 95. Ebd., S. 99–118. Plokhy 2005, S. 69. Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 3. Chronika NTSˇ 65–66 (1922), S. 60–63, hier S. 63. Plokhy 2005, S. 67f. Sydorcˇuk 2000, S. 467f. Rudnyc’kyj und Tomasˇivs’kyj wurden dementsprechend umgehend befreit. Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 3. Rudnyc’kyj sagte in den 1930er Jahren aus, nie Dienst an der Waffe geleistet zu haben. Pokazannja S. Rudnyc’koho pro prychyl’nykiv idej Osteuropa v SRSR, 15. Juli 1933, in Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 71–114, hier S. 96.

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sich durch Mitgliedschaft in Organisationen, Vortragstätigkeiten, durch politisch motivierte Publikationen ebenso wie wissenschaftliche Aufbereitung nationaler, insbesondere territorialer Fragen für die ukrainische Politik. Dementsprechend formierte sich um Stepan Tomasˇivs’kyj eine Vereinsvertretung in Wien, darunter Dnistrjans’kyj, der in Abwesenheit Hrusˇevs’kyjs faktischer Leiter der historischphilosophischen Sektion war; Vasyl’ Sˇcˇurat und Zenon Kuzelja für die philologische Sektion; Rudnyc’kyj als Sekretär der MPL-Sektion und ihr Vertreter im Ausschuss; außerdem das Ausschussmitglied Rakovs’kyj.1696 Das NTSˇ nahm seine lokale Tätigkeit nach dem Ende der Besatzung Lembergs wieder auf, allerdings nur in provisorischer Aufstellung. Die Wiener Gruppe um den inoffiziellen Vereinspräsidenten delegierte die Leitung vorläufig an Sˇcˇurat, der sich hierfür nach Lemberg begab und diese Aufgabe ab dem Januar 1918 auch dauerhaft übernehmen sollte.1697 Die Wissenschaftler agierten als Teil von oder in enger Abstimmung mit ukrainischen politischen Vertretungskörpern. In der kurzlebigen HUR waren weder die gewählten Vertreter der ukrainischen Parteien im Reichsrat noch Personen aus der russländischen Ukraine repräsentiert. Der Sojuz Vyzvolennja Ukrajiny (Bund zur Befreiung der Ukraina, SVU) formierte sich ebenfalls in Wien als Vertretung der russländischen Ukrainerinnen und Ukrainer als separate Organisation. Dieser entfaltete eine breite Palette an Tätigkeitsfeldern, darunter die diplomatische Vertretung der ukrainischen Nation aus den russländischen Gebieten, politische Propaganda, auch mittels diverser Vertretungen im Ausland,1698 ›nationale Aufklärung‹ von russländisch-ukrainischen Kriegsgefangenen in deutschen und österreichischen Gefangenenlagern sowie in den von den Mittelmächten ab 1915 besetzten ukrainischen Ländern des Zarenreiches.1699 Zentrale Funktionen übernahmen nicht nur geflüchtete ukrainische Eliten, sondern auch solche, die schon vor einigen Jahren nach Galizien emigrierten und dort mit dem NTSˇ zusammenarbeiteten, so wie Ivan Krypjakevycˇ und Volody1696 Die Vereinsmitglieder führten keine Protokolle und improvisierten, anstatt den üblichen Regularien zu folgen. Aus der wichtigsten politischen Vereinshandlung dieser Periode, den Antrag um Änderung des Nationalnamens, geht die Kooperation aus der gemeinsamen Unterzeichnung hervor. Darüber hinaus trafen sich diese Mitglieder in unterschiedlichen Konstellationen und Netzwerken zu Kooperationen. Zu den Vereinsfunktionen vgl. Chronika NTSˇ 57 (1914), S. 1–2, 7, 28–33; Chronika NTSˇ 58–59 (1914), S. 16. 1697 Stepan Rudnyckyj [für den Ausschuss des NTSˇ] an Wassyl Szczurat [Vasyl’ Sˇcˇurat], 23. August 1915; Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 2. Zu den weiteren lokalen Aussschussmitgliedern vgl. ebd., S. 4. 1698 Pater 2000. 1699 Ebd., S. 187–221. Schon Ende des Jahres 1914 wurde der SVU auf Bitten des Außenministeriums eingesetzt, um Kriegsgefangene zu verhören. Bericht über den Besuch der Delegierten des SVU im Gefangenenlager in Samorja, 12. Oktober 1914, HHStA PA I 902–1; Bericht des SVU über den zweiten Besuch seiner Delegierten im Kriegsgefangenenlager von Somorja, 27. Oktober 1914, ebd.

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myr Dorosˇenko.1700 Aufgrund früher Kompetenzstreitigkeiten der HUR und des SVU1701 stimmten sie der Bildung einer gemeinsamen Plattform zur Vertretung der Ukrainerinnen und Ukrainer aus allen ukrainischen Ländern zu. Am 30. April 1915 gründeten Mitglieder der HUR, des SVU und aller ukrainischen Parteien Cisleithaniens die Zahal’na Ukrains’ka Rada (Allgemeiner Ukrainischer Rat, ZUR) als Vertretung »des gesamten ukrainischen Volkes während der Kriegszeit«1702. Damit stieg die Anzahl von Delegierten aus der Bukowina sowie der radikalen und der sozialdemokratischen Parteien; aus dem ukrainischen Klub des Abgeordnetenhauses war nun auch Oleksandr Kolessa vertreten. Während die Anzahl der Wissenschaftler gegenüber den Politikern drastisch absank, blieben die Wissenschaftler doch im engen Austausch mit der ZUR und strebten gemeinsame Projekte an, beispielsweise eine ukrainische Ausstellung in Verbindung mit dem Wiener Forschungsinstitut für Osten und Orient.1703 Unabhängig davon formierten die emigrierten Ukrainerinnen und Ukrainer Wiens die Ukrajins’ka Kul’tur’na Rada (Ukrainischer Kulturrat) als gemeinsame Plattform in Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturbelangen im Januar 1915. Zwei Sektionen bemühten sich erfolgreich um ein ukrainisches Volks- und Mittelschulwesen in Wien,1704 die dritte war für höhere Bildung, populärwissenschaftliche Literatur, Wissenschaft und Kunst verantwortlich.1705 Zur dieser dritten Sektion gehörten neben anderen die wirklichen NTSˇ-Mitglieder Oleksandr Kolessa (Leiter), Ivan Rakovs’kyj und Stepan Rudnyc’kyj, der den Auftrag erhielt, ein geographisches Lehrbuch zu verfassen.1706 Die zum NTSˇ gehörenden Mitglieder dieser Gruppierungen teilten sich entsprechend ihrer politischen Neigungen auf, die schon für die frühere Lagerbildung im NTSˇ mitverantwortlich war; die HUR beinhaltete erfahrene, konserva1700 Provisorischer Bericht des BBU für die Zeit September–Dezember 1914, HHStA, PA I 903– 1. 1701 1914 ergaben sich Streitigkeiten um die Vertretung der Ukraine zwischen dem SVU und der HUR, als der SVU ohne Absprache größere Mittel zu Propagandazwecken vom Ministerium des Äußeren erhielt. Ukrainische Frage. Berichterstatter: Konsul Urbas, 11. September 1914, HHStA PA I 902–1. 1702 Levyc’kyj 1928, S. 151. 1703 Arbeitsplan zur Organisation einer ukrainischen Ausstellung, 10. Juli 1915, CDIAL, fond 440, op. 1, spr. 33. 1704 Zum Gymnasialwesen Zvit upravy gimnazyjnych naukovych kursiv z ukrajins’koju vykladovoju movoju u Vidny, za ˇskil’nyj rik 1914/15, 1915; Ukrajins’ki gimnazyjni kursy u Vidny v ˇskil’nym rocji 1916–1917 1917. 1705 Dokumente zur Gründung der Ukrajins’ka Kul’turna Rada, Januar 1915, CDIAL, fond 391, op. 1, spr. 1, ark. 1–17. Vgl. auch Levyc’kyj 1928, S. 116f. Zu den populärwissenschaftlichen ˇ epyha 1916. Veröffentlichungen bis 1916 C 1706 Mitgliederliste III. Sektion, CDIAL, fond 391, op. 1, spr. 1, ark. 16. Darüber hinaus suchte der Kulturrat, ein eigenes ukrainisches Kriegsarchiv und -museum in Wien zu pflegen. Zaklyns’kyj 1915, Opys, [46].

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tive Akteure; der SVU bezog zahlreiche junge Emigranten mit ein, die zu Hruˇsevs’kyjs loyalsten Unterstützern gehörten; der Kulturrat bestand u. a. aus jungen Nationaldemokraten, die sich zwar mit Ukrajinoznavstvo, aber nicht mit Hrusˇevs’kyjs Vereinspolitik identifizieren konnten. Die Gruppen waren, wie besonders an der ZUR deutlich wird, keineswegs abgegrenzt. Aus rechtlicher Perspektive konnte kein ›österreichischer Ukrainer‹ offiziell Mitglied des SVU werden, das hielt diese jedoch nicht davon ab, für den Bund tätig zu werden.1707 Rudnyc’kyj war unter verschiedenen Vorzeichen für alle diese neuen Institutionen tätig. Die Organisationseinheiten entstanden ad hoc mit spezifischen, eingegrenzten Zielen und wurden nahezu ebenso schnell bei Bedarf umgebildet.1708 Noch stärker als im NTSˇ der Vorkriegszeit scheinen die politischen Ziele der Wissenschaft auf. Die Institutionen und ihre Vernetzungen bewirkten eine dichte nationale Kommunikation in der Stadt, die unter dem Vorzeichen des Krieges den nationalen Aktivismus vieler förderte. In Wien formierte sich auch die Prosvita neu und organisierte ukrainische Vorträge zu aktuellen und historischen Themen, vornehmlich für die ukrainischen Geflüchteten in diversen Teilen der Alpenländer. Die eigens gebildete Vorlesungskommission konstituierte sich u. a. aus Rudnyc’kyj, O. Kolessa und Sˇcˇurat.1709 Ähnlich initiierte auch die Ukrajins’ka Kul’turna Rada populärwissenschaftliche ukrainische Vorträge in Wien.1710 Auch individuelle Initiativen dienten der Sichtbarmachung im Wiener Stadtraum, so hielt Rudnyc’kyj einen populärwissenschaftlichen Vortrag zum Thema Ukraina und die Ukrainer in der Wiener Urania, der in der Neuen Freuen Presse angekündigt wurde.1711 Bei den Aktivisten handelte es sich aber nicht nur um (Berufs-) Wissenschaftler der ›ersten Reihe‹ oder solche, die wie O. Kolessa und Dnistrjans’kyj ohnehin längst als Berufspolitiker agierten. Auch NTSˇ-Mitglieder, die üblicherweise weit abseits des nationalen Geschehens der Landeshauptstadt standen, integrierten sich in die neuen Strukturen. Zu ihnen gehörte etwa Bohdan Zaklyns’kyj, ein Volksschullehrer und ethnographischer Sammler aus der Hucul’sˇcˇyna. Er engagierte sich in der dritten Sektion des Kulturrats und 1707 Rudnyc’kyj an Joseph Partsch, 3. März 1916, Leibniz-Institut für Länderkunde, Archiv für Geographie, 60/327. Ivan Pater (2013, S. 350) geht von rund 40 galizischen und bukowinischen Mitgliedern/Mitarbeitern aus. 1708 So die Umformung der Ukrajins’ka Kul’turna Rada zur Zahal’na Ukrajins’ka Kul’turna Rada (Gesamtukrainischer Kulturrat) oder das Aufgehen der HUR in der ZUR. Die Zahal’na Ukrajins’ka Kul’turna Rada sollte »sämtliche ukrainische Parteien und Hauptterritorien vertreten […], die während der Kriegszeit ihrem heimischen Boden entrissen« waren und kulturelle Tätigkeit in Wien entfalteten. CDIAL, fond 391, op. 1, spr. 2, ark. 43– 44, hier ark. 44. 1709 Levyc’kyj 1928, S. 125. 1710 Ukrajins’ka Kul’turna Rada, CDIAL, fond 391, op. 1, spr. 1, ark. 12–17, hier ark. 13zv. 1711 Neue Freie Presse, Nr. 18240, Morgenblatt, 4. Juni 1915, S. 10, 13.

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verfasste populärwissenschaftliche Broschüren für den SVU und andere Organisationen.1712 Die Wissenschaftler agierten allerdings keineswegs national segregiert, sondern im Verbund mit Gesinnungsgenossen aus allen Teilen des Imperiums. Der in Westgalizien geborene Anthropogeograph Erwin Hanslik (1880–1940) gründete 1915 mithilfe eines privaten Financiers das Institut für Kulturforschung in Wien. In seiner 1907 bei Albrecht Penck eingereichten Dissertation äußerte er bereits Gedanken, die grundlegend für Pencks Ideen zur ›Volks- und Kulturbodenforschung‹ wurden. So waren auch seine Arbeiten am Institut von einer geopolitischen Stoßrichtung der Mitteleuropa-Forschung geprägt, wenn auch in deutlicher Abgrenzung zum deutschen Pendant.1713 Als Penck-Schüler liegt eine frühere Bekanntschaft Rudnyc’kyjs und Hansliks nahe; ein Brief Hansliks aus dem Jahr 1918 bestätigt ein freundschaftliches Verhältnis. Neben Rudnyc’kyj waren auch Kuzelja und Tomasˇivs’kyj 1916 Gründungsmitglieder des Forschungsinstituts für Osten und Orient, das als Teil des Instituts für Kulturforschung eingerichtet wurde.1714 Hinzu kamen Rakovs’kyj und Vasyl’ Sˇcˇurat.1715 Angesichts der personellen Überschneidungen kann es kaum ein Zufall sein, dass das Forschungsinstitut und der Ukrainische Kulturrat im selben Gebäude – Mölkerbastei 10, I. Bezirk – untergebracht waren.1716 Zumindest zeitweise war auch das provisorische NTSˇ unter dieser Adresse zugänglich.1717 Es darf angenommen werden, dass Rudnyc’kyjs Verbindung zu Hanslik die Nutzung der Räumlichkeiten ermöglichte. Die Kooperation ukrainischer und deutschsprachiger Wissenschaftler blieb jedoch nicht auf diesen Rahmen beschränkt, der vor allem organisatorische

1712 Zu Zaklyns’kyjs Biographie vgl. Kas’kiv 1998. Zaklyns’kyj 1915, Sˇcˇo treba znaty; Zaklyns’kyj 1915, Opys; Zaklyns’kyj 1916; Zaklyns’kyj 1917. Mitgliederliste, III. Sektion der Ukrajins’ka Kul’turna Rada, CDIAL, fond 391, op. 1, spr. 1, ark. 16. Seine Arbeit illustriert, dass Nationalisierung und Xenophobie auch während des Ersten Weltkrieges keine Wahlverwandten waren. Zwar beschwor er in seiner Broschüre zum ukrainischen Allgemeinwissen, dass in der Familie »eine ukrainische Seele, ein ukrainischer Charakter« herrschen sollte, predigte aber auch das Lernen von Fremdsprachen und das Reisen »in die Fremde«. Zaklyns’kyj 1915, Sˇcˇo treba znaty. 28, S. 34f. 1713 Henniges 2015. 1714 Das Institut – und die verwaltende Gesellschaft für Osten und Orient – waren offenbar nur kurzzeitig aktiv; laut dem Wiener Bezirks-Polizeikommissariat ließen sich nach 1918 keine Aktivitäten ausmachen; die Gesellschaft wurde 1939 behördlich aufgelöst. AdR BKA BKA-I BPDion Wien VB, XIV-797. 1715 Arbeitsplan zur Organisation einer ukrainischen Ausstellung, 10. Juli 1915, CDIAL, fond 440, op. 1, spr. 33. 1716 Zur Unterbringung des Kulturrats vgl. LSR, Foto des Gebäudes des Kulturrats, unpag. Beilage. 1717 Ausschuss des NTSˇ an Julijan Hirnjak, 15. Juli 1916, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 214, ark. 7.

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Aspekte und Diskussionen förderte.1718 In zwei der größten und wichtigsten österreichischen Forschungsprojekte während der Kriegszeit spielten Ukrainer eine entscheidende Rolle. Sowohl die anthropometrische Erforschung Kriegsgefangener unter Rudolf Pöch1719 als auch die Sammlung ethnographischen Liedguts in den Gefangenenlagern von Robert Lach (1874–1954), das Pöch an der Akademie der Wissenschaften in Wien anregte,1720 bedurften ukrainischer Expertise. Für das NTSˇ stellten Kuzelja und Rakovs’kyj – als eingespieltes Team Fedir Vovks – einen eigenen, jedoch erfolglosen Antrag zur anthropometrischen Forschung in Kriegsgefangenenlagern. Als dieser nicht bewilligt wurde, schrieb sich Rakovs’kyj in die Anthropologische Gesellschaft Wien ein und beteiligte sich an Pöchs einschlägigem Projekt.1721 Eine spätere Danksagung Hella Schürer von Waldheims (1893–1976, verh. Pöch), Pöchs Studentin und späterer Frau, belegt den direkten Austausch mit Rakovs’kyj sowie Rudnyc’kyj, die beide ihre Forschung unterstützt hätten.1722 Das Projekt des Musikwissenschaftlers Robert Lach war umso mehr auf ukrainische Sprachkenntnisse angewiesen, als dass es dezidiert Liedtexte erforschte. Hierfür warb er Ivan Pan’kevycˇ an, der als Sprachwissenschaftler NTSˇ-Mitglied wurde und einige Jahre Russisch an der Konsularakademie in Wien lehrte, womit seine staatsloyale Haltung als bewiesen galt.1723 Gemeinsame wissenschaftlich-politische Initiativen innerhalb der Habsburgermonarchie ließen nicht lang auf sich warten. Kost’ Levyc’kyj brachte im Namen der ukrainischen parlamentarischen Vertretung einen Antrag zur offi1718 Berichte des Forschungsinstituts für Osten und Orient 1 (1917), S. 13–20 zu den einzig dokumentierten Vorträgen Rudnyc’kyjs und Tomasˇivs’kyjs. 1719 Pöch 1915. 1720 Hist.-phil. Klasse der k. Akademie der Wiss. an Herrn Prof. Dr. Rudolf Pöch, 8. Juli 1916, Archiv der ÖAW, 496/1916; Pöch 1916. 1721 Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 45 (1915), [34]; 46 (1916), [20]; Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 3f. 1722 Pöch 1925, S. 290. Die Forschungen wurden während des Ersten Weltkrieges im Kriegsflüchtlingslager Grödig durchgeführt und in der Dissertation 1919 niedergelegt. Schürer von Waldheim, Hella: Anthropologische und vererbungswissenschaftliche Untersuchungen an wolhynischen Flüchtlingsfamilien. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades aus Anthropologie und Ethnologie, eingereicht bei Rudolf Pöch, Wien 1919, Naturhistorisches Museum, Somatologische Sammlung. 1723 Pan’kevycˇ, Ivan: Ukrajins’kych hovoriv na hramofonovych kruzˇkach, verfasst 1942–1943, Abschrift von Marta Dolnycka [Pan’kevycˇs Tochter, M. R.], Phonogrammarchiv der ÖAW, Korrespondenz mit Marta Dolnycka. Zu seinem Dienst an der Konsularakademie vgl. Mappe Dr. Pan´kewicz, HHStA, Archiv der Konsularakademie 94 (1911–1934), Akten zum Lehrpersonal der Akademie. Zu Lachs Projekt vgl. Lach, Robert: Vorläufiger Bericht über die Aufnahme der Gesänge russischer Kriegsgefangener im August und September 1916, Archiv der ÖAW, 729/1916. Die phonographischen Aufnahmen sind ediert und kommentiert in Lechleitner (Hg.) 2018. Für Rudolf Pöchs Projekt waren Sprachkenntnisse auch relevant, um Personalien zu erheben (dazu Pöch 1915, S. 221).

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ziellen Umbenennung des »ruthenischen« in den »ukrainischen« Volksstamm.1724 Eine ausführliche Begründung fand sich in einer Broschüre des NTSˇ, die von Dnistrjans’kyj, Tomasˇivs’kyj, Kuzelja, Rakovs’kyj und Rudnyc’kyj mitunterzeichnet, aber primär von Vasyl’ Sˇcˇurat verfasst war.1725 Einer allgemeinen Beschreibung des ukrainischen Territoriums folgend, diskutierte die Broschüre die Geschichte der Ethnonyme. ›Ruthenisch‹, ›kleinrussisch‹ und ähnlich gelagerte Begriffe würden allesamt »der national-politischen und kulturellen Individualität eines Volkes« – so wurde der Zweck »eines nationalen Namens« definiert – nicht entsprechen.1726 Gegenargumente würden primär polnischer- und russischerseits vorgebracht und wären »wissenschaftlich nicht stichhaltig«. Der selbstgewählte Nationalname wäre hingegen der einzig historisch sowie gegenwärtig akkurate: »Der Name ›Ukraine‹ bedeutet wirklich ›Grenzland‹, der Name ›Ukrainer‹ – ›Grenzer‹. Bereits die natürlichen und geschichtlichen Verhältnisse des Landes wiesen seit jeher auf diesen Namen hin. […] [D]er Lauf der geschichtlichen Entwicklung des Landes und seiner Bewohner ist von den ältesten Zeiten bis heutzutage derjenige eines Grenzlandes und eines Grenzvolkes.«1727

Die Diskurse um die ukrainische Grenzlage spitzten sich vor dem Hintergrund des Krieges so zu, dass die Wissenschaftler die gewählte Selbstbeschreibung auch in Übersetzung verdeutlichen. Die Ministerien verfolgten eine zunehmend kooperative Politik gegenüber den ukrainischen Organisationen und würdigten diesen Vorstoß mit dem Einholen zweier wissenschaftlicher Gutachten zur Beurteilung dieser Frage. Vatroslav Jagic´ reagierte mit einer ausführlichen wissenschaftlichen Besprechung des Anliegens und resümierte, der Begriff ›ukrainisch‹ wäre zwar präsent, würde aber keineswegs alle Mitglieder des ›ruthenischen Volksstamms‹ gleichermaßen ansprechen, deshalb wäre eine Änderung zum gegebenen Zeitpunkt »voreilig«.1728 Hans Uebersberger (1877–1962), der junge Ordinarius für osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, der durch das Forschungsinstitut für Osten und Orient eng mit den ukrainischen Wissenschaftlern zusammenarbeitete, plädierte für das Gegenteil. Seine Begründung fiel deutlich kürzer und politischer aus: er verwies auf ein zuneh-

1724 Präsidium der ukrainischen parlamentarischen Vertretung, gez. Kost’ Levyc’kyj, an die k.k. Regierung, Juli 1915, AVA Inneres MdI Präs, 17044/1915; Levyc’kyj 1928, S. 222. 1725 Schewtschenko-Gesellschaft der Wissenschaften in Lemberg: Denkschrift über die Notwendigkeit des ausschliesslichen Gebrauchs des Nationalnamens »Ukrainer«, 1915, AVA Inneres MdI Präs, 17044/1915. 1726 Ebd., S. 3. 1727 Ebd., S. 15f. 1728 Gutachten (Abschrift), Hofrat von Jagic´, 8. Oktober 1915, AVA Inneres MdI Präs, 17044/ 1915.

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mendes Bekenntnis zu diesem Nationalnamen.1729 Uebersberger hatte insofern Recht, als dass er einen bemerkenswerten Wandel registrierte, der sich allein darin zeigt, dass Levyc’kyj, der Anfang des 20. Jahrhunderts von der Moloda Ukrajina noch als rückschrittlicher ›Ruthene‹ verspottet wurde,1730 den Antrag zur Umbenennung einbrachte. Die konservativen Politiker der älteren Generation einigten sich über die Konvulsionen des Krieges schlagartig mit den jüngeren Kräften und befanden es für notwendig, eine gesamtukrainische Solidarität amtlich zu bekunden. Die Regierung gab allerdings Jagic´s Perspektive den Vorzug, angeblich aufgrund ihres wissenschaftlicheren Charakters.1731 Zweifel führten zu einer Bitte um ein drittes Gutachten an Theodor Gartner (1843–1925), Professor für romanische Philologie an der Universität Innsbruck, der während seiner Zeit in Czernowitz eine ›ruthenische Grammatik‹ mit Stepan Smal’Stoc’kyj herausgab, die während des Krieges als ›ukrainische Grammatik‹ neu veröffentlicht wurde. Gartner äußerte sich erst ablehnend zur Änderung, korrigierte diese Haltung aber kurze Zeit später aus persönlichem Impetus.1732 Das Thema blieb ein regelmäßiges Anliegen, auf das Gartners revidiertes Gutachten allerdings keinen Einfluss mehr hatte. Das Projekt einer Teilung Galiziens gewann zunehmend an Stellenwert auf der politischen Agenda der ukrainischen scientific community in Wien. Dies korrespondierte direkt mit den Zielen, die die ZUR gegenüber der k.k. Regierung artikulierte: »Der Herzenswunsch des ganzen ukrainischen Volkes ist eine vollständige und weitestgehende politisch-territoriale Separierung von Polen und zwar auf Grund der ethnographischen Siedlungsgrenzen.«1733 Dnistrjans’kyj, Rudnyc’kyj und Tomasˇivs’kyj konstituierten eine statistisch-geographische Kommission in der ZUR, die die politischen Forderungen nach einer Teilung Galiziens, der Angliederung der nördlichen Bukowina und der territorialen Autonomie der ukrainischen Nation in der Habsburgermonarchie wissenschaftlich untermauern sollte. Tomasˇivs’kyj arbeitete vor allem zu den ukrainisch-polnischen Beziehungen und einer möglichst exakten Sprachgrenze.1734 Aufgrund der Ansprüche der polnischen Nationalbewegung auf ethnographisch ukrainische Territorien, betrachtete Tomasˇivs’kyj den Verbleib in der Habsburgermonarchie als alternativlos für das ukrainisch-nationale Projekt in Galizi1729 Gutachten (Abschrift), Professor Hans Uebersberger [1915], AVA Inneres MdI Präs, 17044/ 1915. 1730 Wehrhahn 2001, S. 215. 1731 Ministerium für Cultus und Unterricht, Gebrauch des Volksnamens »Ukrainer« statt »Ruthenen«, AVA Inneres MdI Präs, 26517/1915. 1732 Gebrauch des Volksnamens »Ukrainer« statt »Ruthenen«, MdI an MdÄ, einschließlich der Gutachten von Gartner vom 25. Februar und 20. Mai 1916, HHStA, PA I, 1042. 1733 ZUR an Stephan Baron Burian v. Rajecz, k.u.k. Minister des Aeusseren, 16. August 1916, HHStA, PA I, 929. 1734 Rudnyc’kyj 2017, Ohljad, 303; Rudnyc’kyj 2017, Vidpovid’.

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en.1735 Auf der Versammlung der ZUR vom 28. Januar 1916 hielt Stepan Rudnyc’kyj einen geographischen Vortrag, ergänzt durch statistische Daten Tomasˇivs’kyjs, um die Westgrenze des ukrainischen Territoriums in der Habsburgermonarchie zu erörtern. Diese stimmte weitgehend mit der Grenze zwischen den Gerichtssprengeln überein, mit Ausnahme der ansonsten zu Westgalizien gehörenden lemkivsˇcˇyna, die gänzlich als ukrainisches Territorium verstanden wurde. In der Folge wurde entschieden, weitere Karten der ukrainischen Länder zu Propagandazwecken zu veröffentlichen.1736 Diese Perspektive übernahm die ZUR gänzlich in die Artikulation ihrer politischen Forderungen gegenüber der Regierung.1737 Tomasˇivs’kyj konzentrierte sich 1915 und 1916 auf die Erforschung der polnisch-ukrainischen Sprachgrenze, konnte diese Arbeit aber aufgrund anderweitiger Verpflichtungen nicht abschließen.1738 Von den vorläufigen Ergebnissen zeugen neben erhaltenen Datenreihen ein Aufsatz im Dilo und ein unpubliziertes Manuskript Rudnyc’kyjs, in dem er sich auf neue Daten Tomasˇivs’kyjs berief und eine Sprachgrenze anhand von Ortschaften benannte, die jüngsten statistischen Erkenntnissen entspräche. Die Arbeit zeugt aber vor allem davon, dass sich das Misstrauen in die polnischen Behörden und ›ihre‹ Statistik seit den frühen Tagen der statistischen Kommission noch deutlich verschärft hatte. Die Möglichkeiten des Staates und der k.k. Statistischen Zentralkommission, Fälschungen zu korrigieren, wurden damit für nichtig befunden.1739 Das führte für Rudnyc’kyj dazu, umso mehr zwischen »bodenständiger« Bevölkerung – im Sinne einer ›Ur-Bevölkerung‹ des Territoriums, die dieses dauerhaft besiedelte – und »anderen Beimischungen« zu unterscheiden. Diese wären »mit geringer Ausnahme (deutsche Kolonisten, polnische Grossgrundbesitzer, die über ein Viertel des Bodens besitzen) kein bodenständiges, sondern ein bewegliches Element.«1740 Damit sprach Rudnyc’kyj dem östlichen Galizien seinen plurikulturellen Charakter fast gänzlich ab, um eine ukrainische Vorherrschaft zu rechtfertigen. Dieses Argument sollte die ukrainische Beschreibung des Kronlandes auch in der Folgezeit maßgeblich bestimmen. Die gemeinsame Arbeit erschöpfte sich damit keineswegs, doch während seine Kollegen sich auch politischen Aufgaben widmeten, mauserte sich Rudnyc’kyj nicht nur zum international wichtigsten Experten der ukrainischen Geographie, sondern gleich1735 Chalak 2013, S. 354. 1736 Levyc’kyj 1928, S. 304. 1737 Promemoria vom Präsidium der ukrainischen parlamentarischen Vertretung, März 1916, HHStA, PA I, 929. 1738 Rudnyc’kyj 2017, Ohljad, S. 303. 1739 [Tomasˇivs’kyj, Stepan:] Notizen »Polnische Sprachinseln im ukrainischen Territorium«, CDIAL, fond 368, op. 1, spr. 70, 5–22; [Rudnyc’kyj, Stepan:] Das ukrainische Volksgebiet in Galizien, o. J. [vmtl. zw. 1916 und 1918], CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 1816, ark. 7. 1740 Ebd., ark. 9.

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sam zu einem wichtigen Ideologen der Nationalbewegung während der Kriegsund Folgezeit. Rudnyc’kyj war der wohl gefragteste Autor der ukrainischen Kriegspropaganda. Er beteiligte sich regelmäßig am Ukrainischen Korrespondenzblatt (ab 1917: Ukrainische Korrespondenz) der ZUR1741, das Kost’ Levyc’kyj herausgab, sowie diversen Publikationen des SVU, der auch seine noch zu diskutierende Landeskunde der Ukraine veröffentlichte.1742 Der ukrainischsprachige Vistnyk Sozuja Vyzvolennja Ukrajiny (Bote des SVU) popularisierte darüber hinaus diverse Arbeiten des Geographen.1743 In der Zeitschrift publizierte Rudnyc’kyjs Kollege Myron Korduba wiederum zum »ethnographische[n] Territorium der Ukraine«1744, wobei sich keine wesentlichen Unterschiede zu Rudnyc’kyjs Darstellungen ausmachen lassen. Zu Rudnyc’kyjs auflagenstarken Broschüren und Büchern, die während der Kriegszeit gedruckt und verbreitet wurden, kamen nicht nur seine Beiträge in breit zirkulierten Propagandablättern, sondern auch stark vereinfachte Darstellungen anderer Autoren, die sein Werk zur Referenz nahmen. Hierzu gehört auch Zaklyns’kyjs mehrfach neu aufgelegter Opys ridnoho kraju (Beschreibung des Heimatlandes), der Rudnyc’kyjs Werk als vertiefende Lektüre anpries.1745 Die Massenproduktion veränderte auch die ikonographische Dimension der Kommunikation des ukrainischen Raums. Karten wurden nicht nur in hochwertiger Ausfertigung mit prägnanten Farben zur Darstellung der national definierten Bevölkerung und des von ihr bewohnten Territoriums gedruckt, sondern bei Bedarf auch in kostengünstiger und äußerst hastiger Manier, wie die schematisch gehaltene, handbeschriftete Darstellung aus Zaklyns’kyjs Opys zeigt,1746 die in diesem Fall (Abb. 13) sogar schief abgedruckt wurde. Die zentrale Intention war, möglichst jedem Ukrainer und jeder Ukrainerin ein Bild des ukrainischen Raums abseits bestehender Staatsgrenzen zu präsentieren.

1741 Vgl. exemplarisch Rudnyzjkyj 1916, Beßarabien; Rudnyzkyj 1917, Die Völker. Die Ukrainische Rundschau stellte ihr Erscheinen im Laufe des Jahres 1915 ein. Die Hefte 2 und 3 sind ohne Autorenangabe, vermitteln jedoch ukrainische Geographie und Geopolitik sowie Karten des ukrainischen Territoriums; inhaltlich ähneln sie der Arbeit Rudnyc’kyjs und Tomasˇivs’kyjs in diesem Zeitraum. Vgl. auch Tomaschiwskyj 1915. 1742 Rudnyc’kyj 1917, Ukrajina; Rudnyc´kyj 1916, Ukraina. 1743 Vistnyk Sojuza vyzvolennja Ukrajiny 1915, Nr. 57–58, S. 15; 1916, Nr. 79–80, S. 157; Nr. 81– 82, S. 184; Nr. 83–84, S. 197–198; Nr. 93–94, S. 280; Nr. 117, S. 631. 1744 Korduba 1917, Etnohraficˇna terytorija; Korduba 1917, Naselennje. 1745 Zaklyns’kyj 1915, S. 3. 1746 Diese Praxis wurde auch in den Folgejahren beibehalten, auch wenn etwa Rudnyc’kyj deutlich ausgefeiltere Zeichnungen nutzte. Rudnyc’kyj 1917, Ukrajina im Pamjatkova knyzˇka sojuza vysvolennja Ukrajiny 1917, Beilage zw. 88 und 89. Dieselbe Karte nutzte auch Zaklyns’kyj für die dritte Auflage seiner Broschüre zum ukrainischen Allgemeinwissen, Zaklyns’kyj 1916.

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Abbildung 13: Karte der Ukraine aus Zaklyns’kyj 1915.

Neben der nationalen existierte auch eine internationale Stoßrichtung in der Veröffentlichungspolitik und Rudnyc’kyjs eigener Schreibinitiative. Die Propagandabroschüre Ukraina und die Ukrainer wurde nicht nur bereits 1915 neu aufgelegt, sondern vielfach übersetzt, darunter auf Rumänisch, Englisch und Ungarisch.1747 Eine italienische Ausgabe wurde in kürzester Zeit realisiert, außerdem projektierte der SVU eine bulgarische Übersetzung.1748 Die Nachfrage seiner Expertise beschränkte sich keineswegs nur auf ukrainische politische und intellektuelle Kreise. Durch seine herausragende Vernetzung und die Popularität der ›Landeskunde‹ wurde Rudnyc’kyj zu einem gefragten Redner auch in deutschsprachigen Institutionen.1749 Nicht zuletzt erreichten ihn zahlreiche An1747 Rudnyc´kyj 1914, Ukraina und die Ukrainer; Rudnyc´kyj 1915, Ukraina und die Ukrainer; Rudnickyj 1914, Ukraina és az ukrainaiak; Rudnyc´kyj 1914, Ucraina ¸si poporul Ucrain; Rudnitsky 1915, The Ukraine and the Ukrainians. 1748 Rudnizkyj [Stefano] 1914, L’Ucraina e gli ucraini; Dr. Hankiewicz an Graf Tarnowski, 10. November 1914, HHStA PA I 902–1; Denkschrift des SVU an das Außenministerium, 29. Dezember 1914, HHStA, PA I 903–1. Vasilij Choma-Dowski veröffentlichte 1916 eine gleichnamige Schrift in kroatischer Sprache in Zagreb im Auftrag des SVU, mit explizitem Bezug auf Rudnyc’kyj und einschließlich der letztgenannten Karte. Ein ähnliches Projekt verfolgte Hippolit Botschkowsky in tschechischer Sprache. Denkschrift des SVU an das Außenministerium, 29. Dezember 1914, HHStA, PA I 903–1. 1749 Präsidium der Geographischen Gesellschaft in Wien, 9. April 1918, in LSR, S. 395f.; Hermann Leiter (Telegramm) an Rudnyc’kyj, 7. April 1918, ebd., S. 266; Mittheilungen der kaiserlich-königlichen Geographischen Gesellschaft 60 (1917), S. 252; Mittheilungen der kaiserlich-königlichen Geographischen Gesellschaft 61 (1918), S. 236.

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fragen mit der Bitte um Kooperation auch aus deutscher Feder, die sich durch die wirtschaftsgeographischen und geopolitischen Argumentationen des Geographen überzeugen ließen.1750 Der Publizist Paul Rohrbach, der im Rahmen des Vereins »Freie Ukraina« seit 1915 für die ukrainische Sache lobbyierte, bezog sich zentral auf Rudnyc’kyj und auch andere NTSˇ-Mitglieder.1751 Rudnyc’kyj wiederum lieferte mehrere Artikel für die Verbandszeitschrift Osteuropäische Zukunft.1752 Albrecht Penck, der während des Ersten Weltkrieges anti-polnisch und pro-ukrainisch agierte, verfasste einen ausführlichen landeskundlichen und geographischen Bericht für die renommierte Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, in der er sich maßgeblich auf Rudnyc’kyj stützte und dessen herausragende Expertise beschwor.1753 Gleichzeitig konnte Rudnyc’kyj in demselben Jahrgang, vermutlich durch Vermittlung Pencks, eine Rezension zu Max Friederichsens Grenzmarken des europäischen Rußlands vorlegen, die die Ansichten des Verfassers auf die Nationalbewegungen und Unabhängigkeitsbestrebungen an jenen ›Grenzmarken‹ wesentlich dekonstruierte. Rudnyc’kyj zeigte auf, dass der Verfasser nahezu keine fremdsprachige Literatur rezipieren und angesichts mangelnder Informationen keinen objektiven Blick auf die ukrainische und andere ›Fragen‹ des Weltkrieges haben konnte.1754 Dieser positivistische Blick auf die notwendige ›Aufklärung‹ der deutschen Gelehrtenrepublik – die Kolonialgebiete bis dato weit ausführlicher erforschte als das östliche Europa, wie Rudnyc’kyj polemisierte – war der Ausgangspunkt seiner selbstgegebenen Mission während der Kriegszeit.1755 Das wohl bekannteste Werk Rudnyc’kyjs im deutschsprachigen Raum1756 ist der populärwissenschaftlich gehaltene Band Ukraina. Land und Volk. Eine gemeinfassliche Landeskunde, den der SVU im Jahr 1916 veröffentlichte.1757 Es 1750 Deutsch-Ukainisches Institut für Wirtschaft und Kulturpolitik, Vorbereitungsstelle, an Stepan Rudnyc’kyj, 6. Mai 1918, LSR, S. 391–393; Bibliothek der Nationen an Rudnyc’kyj, Januar 1918, ebd., S. 248–249; Perthes A.G. Verlagsbuchhandlung an Rudnyc’kyj, ebd., S. 284–285. Darüber hinaus publizierte er häufiger in der Feldzeitung Streffleurs Militärblatt: Rudnyckyj 1916, Wolhynien; Rudnyckyj 1915, Die ukrainische Frage; Neueste Militärliteratur Nr. 12, Beilage zu Streffleurs Militärblatt, 23. Dezember 1916, S. 3. 1751 Kuraev 2000, S. 13, 28f. 1752 Rudnyckyj 1916, Zur Landes- und Volkskunde in der Ukraine I; Rudnyckyj 1916, Zur Landes- und Volkskunde in der Ukraine II; Rudnyckyj 1917, Zur Landes- und Volkskunde in der Ukraine. 1753 Penck 1916, S. 476f. zu Rudnyc’kyj. Penck bezog sich dabei auch auf historische Karten aus dem zweiten, nur auf Ukrainisch veröffentlichten Band von Hrusˇevs’kyjs Istorija UkrajinyRusy, womit der weitere Einfluss Rudnyc’kyjs auf Pencks deutlich wird. Ebd., S. 469. 1754 Rudnyc´kyj 1916, Friederichsen, Max: Die Grenzmarken. 1755 Pokazannja S. Rudnyc’koho pro ruch »Osteuropa« v Nimecˇcˇyni, 9. August 1933, in Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 161–180. 1756 Erst 2018 wurde eine ukrainische Übersetzung vorgelegt, Rudnyc’kyj 2018, Ukrajina. 1757 Rudnyc´kyj 1916, Ukraina; vgl. die Erwähnungen in der deutschsprachigen überregionalen Tagespresse, exemplarisch: Jüdische Korrespondenz Nr. 13, 30. 03. 1916, S. 4; vgl. auch die

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handelte sich dabei um eine ergänzte Übersetzung und Zusammenstellung der beiden früheren ukrainischsprachigen Bände zur ukrainischen Geographie. Die Arbeit verfolgte das Ziel, die Ukraine als »geographische Einheit« zu deuten und dies vor der Fachöffentlichkeit zu rechtfertigen, auch wenn sie sich durch die Erfordernisse des Krieges selbst als populärwissenschaftliche Arbeit verstand. Die Bedeutung, die ukrainische politische Gruppen diesem vielleicht wichtigsten Werk der Kriegszeit zuschrieben, bestätigt auch die englische Übersetzung aus dem Jahr 1918.1758 Rudnyc’kyj argumentierte, es würde sich bei der Ukraine um ein »Übergangsland Osteuropas einerseits zu Mittel- und Südeuropa, andererseits zu Vorderasien«1759 handeln, also ein Grenzland per definitionem. Argumente, wie sie Hnatjuk zu Dialektgebieten führte, sehen sich hier in einem geographischen Makronarrativ integriert. In seinem zweiten, anthropogeographischen Teil suchte Rudnyc’kyj, die Einheit der ukrainischen Bevölkerung mit diesem Territorium zu untermauern.1760 Die Ukrainer wären »uralte autochthone«1761 Bewohner des Territoriums und hätten demnach, wie bereits am Fall Galiziens dargestellt, ein historisches Anrecht darauf. Dieses Geschichtsverständnis widersprach dem damaligen europäischen; die bisher ausgebliebene Eigenstaatlichkeit der Ukraine ließ sie in deren Diskursen als ahistorische Nation erscheinen.1762 Moderne Wissenschaften und ihre Messtechniken boten die Möglichkeit, geschichtswissenschaftliche Maximen zu dekonstruieren. Anhand physisch-anthropologischer Daten und Interpretationen, die nahezu vollständig auf Vovk und Rakovs’kyj zurückzuführen sind, suchte Rudnyc’kyj die biologische Eigenständigkeit des ukrainischen Körpers zu verifizieren. Dabei rekurrierte er nicht zuletzt auf eine ›Höherwertigkeit‹, indem er insistierte, dass es sich nicht wie in Europa üblich um eine ›Mischrasse‹ aus mindestens zwei anthropologischen Typen handelte, sondern eine vollständig separate Gruppe, die nur an ihren Grenzregionen von Mischungen betroffen wäre.1763 Zentrale Stütze dieses Werkes war Rudnyc’kyjs institutioneller Rückhalt. Die Ressourcen des SVU erlaubten den massenhaften Druck und die teilweise sogar kostenfreie Verteilung der Arbeit. Der SVU überzeugte die Außen- und Kriegsministerien Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches davon, Programme

1758 1759 1760 1761 1762 1763

prominent platzierte Werbung in Oesterreichisch-ungarische Buchhändler Korrespondenz 57, 23. Februar 1916, Nr. 8, S. 85. Das Werk war offenbar bis einschließlich 1918 konstant erhältlich: Oesterreichisch-ungarische Buchhändler Korrespondenz 59, S. 13. Februar 1918, Nr. 7, S. 6. Rudnitsky 1918. Rudnyc´kyj 1916, Ukraina, S. 5. Ebd., S. 163, 272. Ebd., S. 234. Hausmann 2011, S. 145. Rudnyc´kyj 1916, Ukraina, S. 165.

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zur ›nationalen Erziehung‹ für russländische Kriegsgefangene durchführen zu dürfen. Diverse Wissenschaftler des NTSˇ beteiligten sich in leitenden Funktionen an diesem Projekt, darunter Kuzelja, Tomasˇivs’kyj, Korduba und der zuvor in Czernowitz tätige Lehrer Vasyl’ Simovycˇ. Die Posten waren – wohl auch als Alternative zum Kriegsdienst – durchaus beliebt, so dass die Wissenschaftler ihre persönlichen Netzwerke um das NTSˇ auszunutzen suchten, um in den Lagern tätig werden zu können.1764 Der SVU schuf komplexe Lokalorganisationen, die Bildungseinrichtungen von Elementar- bis Hochschulniveau, Fortbildungsprogramme, Kulturprojekte und auch eine eigene Lagerpresse beinhalteten.1765 Die Lagerverwaltung unterstützte diesen Prozess durch die Ethnisierung der Lager: die ukrainischen Kriegsgefangenen wurden sorgsam von anderen russländischen getrennt.1766 Berichte der Lagerverwaltungen zeugen von einer gewissen Beliebtheit der Weiterbildungsangebote, da sie eine Möglichkeit darstellten, physischer Arbeit zu entgehen bzw. nachträglich aus einem Arbeitskommando abgelöst zu werden.1767 Erfolgreich waren diese Bildungseinrichtungen auf jeden Fall in der Zirkulation von Publikationen und Karten. Kriegsgefangene, die (geringes) Geld durch lokale Arbeit verdienten, erhielten das Angebot, Broschüren, Bücher und Karten zu kaufen. Doch nicht nur für private, sondern auch für Lehrzwecke waren ukrainische Fachliteratur sowie auch Belletristik gefragt. Die hohe Nachfrage erging vor allem an die Buchhandlung des NTSˇ, die nach der Beseitigung von Besatzungsschäden erneut zum Zentrum ukrainischer Buchzirkulation avan-

1764 Vasyl’ Simovycˇ an Anton Klym, k.k. Landesschulinspektor, 17. September 1915, CDAVO, fond 4405, op. 1, spr. 20, 233–234; f. Kolessa an SVU, 31. 5. 1916, ebd., ark. 526. 1765 Im Kriegsgefangenenlager Salzwedel gründete sich die Borys-Hrincˇenko-Volksschule, die 1916/1917 ein reguläres Unterrichtsprogramm von montags bis samstags anbot. Hinzu kamen andere wissenschaftliche Veranstaltungen, zum Beispiel Spezialkurse für Lehrer, technische Kurse sowie diverse Vorlesungen der sozialen, agronomischen und gesanglichmusischen Sektionen. Sitzungsprotokolle der Aufklärungssektion, CDAVO, fond 4418, op. 1, spr. 87, ark. 311–321; Vorlesungsprogramm der Borys-Hrincˇenko-Volksschule, ebd., spr. 137. In Rastatt bildete sich darüber hinaus eine eigene jüdische Aufklärungsgruppe: Statut des Vereins »Jüdische Aufklärungsgruppe«, CDAVO, fond 4406c, op. 1, spr. 157. 1766 Überstellung russischer Kriegsgefangener (Ukrainer) nach Freistadt in Ober=Österreich, K. u. K. Kriegsministerium an Außenministerium, 3. November 1914, HHStA PA I 902–1; K. u. K. Kriegsministerium an den Bund zur Befreiung der Ukraina, 8. März 1918, HHStA, PA I 939–5. 1767 Arbeitskommando Prezelle, Bericht vom 25. April 1917, gez. Attamantschuk, Vertrauensmann, CDAVO, fond 4418, op. 1, spr. 176, ark. 5; Ukrainische Angelegenheiten, Salzwedel, 18. Oktober 1916, ebd., ark. 8; Ukrainische Angelegenheiten, Salzwedel, 23. Oktober 1916, CDAVO, fond 4418, op. 1, spr. 176, ark. 22. Hingegen erlaubte erhöhte Arbeitsbelastung keine effektive ›Aufklärungsarbeit‹, dementsprechend war die Freistellung stets eine Aushandlung mit dem Lagerkommando. Vgl. dazu den Bericht vom 25. April 1917, Arbeitskommando Loppin, gez. W. Lappke, Vertrauensmann, Salzwedel, ebd., ark. 3.

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cierte, zumal sie zielgerichtet druckte und damit konstant lieferte.1768 Es wurden eigene Bibliotheken in den Lagern eingerichtet, allerdings mit großem Bedacht darauf, welche Literatur – in welchen Sprachen – den Kriegsgefangenen und den Lehrern zugänglich gemacht wurde. Russischsprachige Literatur sollte nur für Studienzwecke und Vorträge genutzt werden, wenn nötig; vom Verleih wäre gänzlich abzusehen, so die SVU-Leitung.1769 Die vom SVU eingesetzten Lehrkräfte waren nicht nur in dieser Hinsicht privilegiert; durch persönliche Kontakte zum NTSˇ in Lemberg konnten sie relativ schnell auch Neuerscheinungen für den propagandistischen wie auch wissenschaftlichen Gebrauch erhalten, ohne auf die Vermittlung durch die SVU-Zentrale, die 1915 ins Deutsche Reich verlegt wurde, warten zu müssen. Dies belegt der Kontakt zwischen Osyp Ochrymovycˇ (1858– 1920), einer wichtigen Figur des Lehrkörpers im Lager Freistadt, und Volodymyr Dorosˇenko, der 1916 nach Lemberg zurückkehrte, um das NTSˇ zu beaufsichtigen. Dorosˇenko agierte hierbei in einer Doppelfunktion, welche insbesondere die Verschränkung der jungen Emigrantengeneration zwischen SVU und NTSˇ belegt: einerseits als Mitglied und Bibliothekar des Vereins, andererseits als leitendes Mitglied des SVU.1770 Populärwissenschaftlich gehaltene Bildungsmaterialien wurden eigens zum Lagergebrauch verfasst; auch hier waren NTSˇ-Wissenschaftler eine bedeutsame Ressource, auf die das Projekt dankbar zurückgriff. Die wohl gefragtesten Materialien waren allerdings Karten der Ukraine aus Rudnyc’kyjs Feder ebenso wie seine mit fünf Karten supplementierte Landeskunde.1771 Aus den deutschen politischen und geographischen Kreisen um Penck wurde Rudnyc’kyj intensiv unterstützt. Rudnyc’kyj erinnerte sich später, bewusst die Nähe der deutschen Osteuropa-Bewegung gesucht zu haben, da ihr politisch motiviertes Interesse an der Ukraine den nationalen Zielen zugutekäme.1772 Wie Rudnyc’kyj selbst zurecht problematisierte, hatten sich deutsche Experten ohne slavische Sprachkenntnisse in ihren Ausführungen auf die ihnen zugänglichen Einschätzungen 1768 Zentralstelle SVU an die Aufklärungsstellen in Rastatt, Wezlar und Salzwedel, 27. März 1916, CDAVO, fond 4406, op. 1, spr. 84, ark. 46; Mychajlo-Drahomanov-Aufklärungsverein des Kriegsgefangenenlagers Freistatt, Tätigkeitsberichte, Mitteilung 5. Juni 1917, CDAVO, fond 4404, op. 1, spr. 233, ark. 5–6. 1769 Zentralstelle SVU Deutschland (Berlin) an Unterrichtsausschuss SVU in Rastatt, 15. 2. 1916, CDAVO, fond 4406, op. 1, spr. 84, ark. 13–17, hier ark. 16. 1770 O. Ochrymovycˇ an V. Dorosˇenko, 25. September 1916, PNP, Nachlass V. V. Dorosˇenko, Karton 13, Mappe Ochrymovycˇ Osyp. 1771 Das geht aus den Briefen der Zentralstelle des SVU an das Lager in Rastatt hervor, vgl. die Schreiben vom 14. März 1916 und 17. April 1916, CDAVO, fond 4406, op. 1, spr. 84, ark. 37, 54; siehe die vorgeschriebenen Unterrichtsmaterialien in Salzwedel, Unterrichtsplan der Borys-Hrincˇenko-Volksschule im Kriegsgefangenenlager Salzwedel, Dr. Vasyl’ Simovycˇ, CDAVO, fond 4418, op. 1, spr. 137, ark. 54. 1772 Pokazannja S. Rudnyc’koho pro prychyl’nykiv idej Osteuropa v SRSR, 15. Juli 1933, in Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 71–114.

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zu verlassen; keine der in der deutschen Wissenschaft zu vernehmenden Stimmen aus dem polnischen, russischen oder ukrainischen Umfeld kam ohne politische Schlagseite aus. Der polnische Raum war im deutschen Umfeld derart politisiert, dass es im deutsch-polnisch-ukrainischen Beziehungsgeflecht kaum eine ›neutrale‹ Haltung zu Rudnyc’kyjs Landeskunde geben konnte. Die geopolitischen Implikationen waren letztlich auch durch seine früheren Werke unverblümt geäußert worden.1773 Die Einschätzung/Haltung/Meinung des Geographen Franz Heiderich (1863–1926), Dozent an der Wiener Exportakademie,1774 käme einer solchen vermutlich am nächsten. Er verwies darauf, dass Rudnyc’kyjs Darstellung »an manchen Stellen einen starken polemischen Charakter« hätte, attestierte ihm doch »wissenschaftliche Fundierung« und schien sich über die Selbstverortung als Populärliteratur zu wundern. Es würde sich insgesamt um »ein[en] vorzügliche[n] Beitrag zur Landes- und Volkskunde« der ukrainischen Länder handeln,1775 ansonsten fasste er den Inhalt weitgehend neutral zusammen. Antoni Sujkowski (1867–1941) war ein polnischer Nationalgeograph, der 1918 selbst einen historischen Atlas Polens veröffentlichte.1776 Seine Rezension zu Rudnyc’kyjs Landeskunde in Polen. Wochenschrift für polnische Interessen darf als repräsentativ für eine polnisch-nationale Sichtweise auf das Werk gelten. Die spöttische Polemik verwehrte sich nicht nur gegen die Bezeichnungen ›Ukraine‹, ›ukrainisch‹ und bezeichnete das von Rudnyc’kyj untersuchte Gebiet durchgehend als »Rus´«. Sachlich liegt Sujkowski dahingehend richtig, dass Rudnyc’kyjs ethnographische und geographische Darstellungen von »historischen Voraussetzungen« ausgehen.1777 Darüber hinaus warf er Rudnyc’kyj vor, diverse Aspekte falsch und selektiv dargestellt zu haben. Rudnyc’kyjs Nationalgeographie war eine »futuristische Geographie«1778, die auf historischen Argumenten fußt und die in polnischen nationalen Diskursen ihre Parallelen kannte. Das kritisierte Sujkowski einseitig bei Rudnyc’kyj und sprach der Geographie als Wissenschaft das Recht ab, »sämtliche mehr oder weniger ruthenische Länder Ukraina zu benennen«1779. Während diese Punkte aus konstruktivistischer Perspektive völlig berechtigt erscheinen, legte Sujkowski zweierlei Maß an, wenn er ähnliche, polnische Tendenzen futuristischer Nationalgeographie verschwieg. In seiner Flut von Verweisen auf andere Forscher und Arbeiten tauchte ausgerechnet der Name

1773 1774 1775 1776 1777 1778 1779

Rudnyc´kyj 1915. ÖBL, Bd. 2 (1959), S. 243. Heiderich 1916, S. 408. Sujkowski 1918. Sujkowski 1916, S. 4. Górny 2013. Sujkowski 1916, S. 7.

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des polnischen Geographen Eugeniusz Romer (1871–1954) nicht auf.1780 Romer war ebenfalls ein Schüler Pencks, tätig als Professor an der Universität Lemberg und langjähriger Konkurrent Rudnyc’kyjs. Er argumentierte während des Ersten Weltkrieges für ein Territorium eines einzurichtenden polnischen Staates, das wesentliche Teile der heutigen Westukraine umfasste.1781 Stanisław Smolka kritisierte an Rudnyc’kyjs Arbeit schon allein die Vorgehensweise, anthropologische Daten zur Konstruktion eines gemeinsamen Typs zu verwenden, wenn auffällige Unterschiede zwischen den ukrainischen Ländern doch mit deutlich weniger aufwendigen Methoden zu erkennen wären. Wie Górny überzeugend darlegt, hegten polnische Wissenschaftler eine begründete Angst davor, dass die ukrainischen Positionen in derartiger wissenschaftlicher Aufbereitung auch deutlich ernster im deutschsprachigen Raum genommen werden könnten. Die antipolnische Stimmung der Geographie im Deutschen Reich traf Rudnyc’kyjs Konkurrenten Romer durchaus schwer, zumal die Verbreitung seines Atlanten verboten wurde.1782 Albrecht Penck, der Romer für einen »gefährlichen Großpolen«1783 hielt, versuchte gar, Romer wegen seines propagandistischen Werkes verhaften zu lassen, wobei Romer dem Zorn seines ehemaligen Lehrers über seinen Atlas nur durch die Unterstützung seiner österreichischen Gönner in hohen Positionen entkommen konnte.1784 Während Pencks Arm nicht in die Habsburgermonarchie reichte, so doch ins deutschbesetzte Generalgouvernement Warschau. Bei der Gründung der deutschen Universität Warschau 1916 kam Romer als Geographieprofessor in Betracht, allerdings blieb der Lehrstuhl nach Pencks brieflicher Intervention gegenüber dem deutschen Generalgouverneur Hans von Beseler unbesetzt. Doch war Pencks Einfluss auch in diesem Fall begrenzt, denn bekanntlich erhielt sein Favorit Rudnyc’kyj den Lehrstuhl nicht.1785 Wilhelm Kosch, Professor für deutsche Literaturgeschichte an der Universität Czernowitz, berücksichtigte Rudnyc’kyjs Arbeit in seinem Literaturbericht Das nationale Problem Osteuropas. In seiner Reaktion hatte er sich gänzlich auf Sujkowski und wenige andere, durchgehend antiukrainische Stimmen zu verlassen.1786 Gleichsam referierte die Wochenschrift Polen Koschs Ausführungen in aller Ausführlichkeit, um ihren Standpunkt auch zwei Jahre nach Erscheinen von 1780 1781 1782 1783 1784 1785 1786

Sujkowski 1916. Seegel 2012, S. 247–253, 258; Seegel 2018, S. 25; Górny 2013. Górny 2019, S. 75f. Zit. nach ebd., S. 78. Seegel 2018, S. 68. Górny 2019, S. 77f. Kosch 1917, S. 402f. Seine Einschätzung, »[s]prachlich verhält sich das Ruthenische zum Russischen etwa so wie das Holländische zum Plattdeutschen«, spricht jedenfalls kaum von sprachwissenschaftlicher Expertise. Ebd., S. 402.

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Sujkowskis Artikel zu bekräftigen.1787 Seine Perspektive war nicht minder von politischen Argumenten geprägt; er beendete seine Abhandlung mit der Einschätzung, eine austro-polnische Lösung – angelehnt an die polnische Vormacht in Galizien seit der ›Autonomie‹ – wäre die einzige Möglichkeit, die Habsburgermonarchie und die gegenwärtige Ordnung des Kontinents zu erhalten: »die Polen, auch wenn sie dem Haus Habsburg-Lothringen nicht so ergeben wären, wie sie es immer wieder beteuern, bedrohen weder das Deutschtum in Österreich, noch den österreichischen Staat als solchen, sie beanspruchen keinen Platz an der adriatischen Sonne. Tschechen und Südslawen dagegen können die deutsche Herzader Mitteleuropas treffen und der Einheit und Großmachtstellung Österreichs unter Umständen den Garaus machen. Angesichts dieser politischen Erwägung ergibt sich die Lösung aller polnischer Fragen für das Deutschtum und die Deutschen diesseits und jenseits der schwarz-gelben Grenzpfähle von selbst.«1788

Die polnisch-ukrainischen Territorialdiskurse waren damit weder abstrakte Auseinandersetzungen aus Elfenbeintürmen noch – und das ist der wesentliche Unterschied zur Vorkriegszeit – schlichtweg zu ignorieren. Wissenschaften stellten die zentrale Kommunikationsplattform für die Verwirklichung nationaler Ziele und letztlich auch die Schaffung einer Nachkriegsordnung dar. Daran beteiligten sich nicht nur Geographen, sondern unter anderem auch Statistiker und Rechtswissenschaftler. Am Beispiel Dnistrjans’kyjs ist schon darauf verwiesen worden, dass er die Idee der Teilung Galiziens im galizisch-ukrainischen Umfeld maßgeblich prägte. Die Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht lieferte mit einem Sonderheft zur Länderautonomie eine Diskussionsplattform, in der Professoren der Rechtswissenschaften aus allen Teilen Cisleithaniens die rechtliche Stellung der Kronländer diskutierten. Hier argumentierte Dnistrjans’kyj auf breiterer Basis, die Kronländer durch »Volksgebiete« zu ersetzen und in gemischten Territorien »nationale Sektionen« einzurichten, die ein »selbstständiges Rechtssubjekt« der Nationalitäten werden sollten.1789 Damit plädierte er für eine territoriale Autonomie, die die zentrale ukrainische Forderung mit den Plänen anderer Reformer der Habsburgermonarchie in Einklang brachte. Der polnische Rechtswissenschaftler Starzyn´ski hingegen insistierte mit noch expliziterem Bezug zu Galizien, die Autonomierechte der Kronländer hätten sich in den vergangenen Dezennien bewährt und müssten ausgeweitet werden; dies entsprach der akzeptablen ›austro-polnischen‹ Lösung für eine Nachkriegsgestaltung im Verbund der Habsburgermonarchie.1790

1787 Polen. Wochenschrift für polnische Interessen 4, Nr. 164, S. 238f. 1788 Kosch 1917, S. 409. 1789 Dnistrian´skyj 1916, S. 27f. Zu Plänen einer föderalistischen Neuordnung des Reiches Popovici 1906. 1790 Starzyn´ski 1916.

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Der Restaurationsgedanke konservativer Akteure zeigt sich hiermit im Gegensatz zur ›modernen‹ Betonung ethnographischer Grenzen. Durch die Aushandlung eines Separatfriedens mit dem Zarenreich holten die Mittelmächte Akteure an den Verhandlungstisch, die dem letzteren Gedanken anhingen. Die ukrainische Delegation handelte in Brest Litowsk nicht nur eine ethnographische Grenzziehung des neuen ukrainischen Staates aus, die unter Berücksichtigung der Wünsche der Bevölkerung durch eine eigenständige Kommission noch zu erarbeiten wäre.1791 Die ukrainische Delegation handelte auch die Teilung Galiziens und die Einrichtung einer eigenen ukrainischen Provinz aus, die im Habsburgerreich verbleiben sollte, wie ein Geheimprotokoll festhielt. Der neue ukrainische Staat musste dafür mit Getreidelieferungen im wörtlichen Sinne bezahlen.1792 Das verdeutlicht jedoch nur, wie sehr ›nationale Wissenschaft‹ auch die ukrainischen Eliten des Zarenreiches zu diesem Zeitpunkt geprägt hatte. Die symbolische Wirkung dieses Geheimprotokolls für die polnische wie auch die ukrainische Nationalbewegung in Galizien war allerdings enorm. So protestierten nicht nur polnische Abgeordnete,1793 sondern auch die polnischen Professoren der Universität Lemberg gegen das Abkommen, weil es eine ›austro-polnische‹ Lösung unmöglich gemacht hätte.1794 Wenige Monate später annullierten die Mittelmächte gegen den ausdrücklichen Protest der ukrainischen Regierung das Geheimprotokoll.1795 Die Relevanz dieser Teilung für den ukrainischen Staat und die damit einhergehende Opferbereitschaft zeigen klar, wie die Diskurse der vergangenen Jahre um ein ukrainisches Galizien die ukrainische (mentale) Landkarte entscheidend veränderten und politisch wirkmächtig werden ließen. Nach der Niederlage der Mittelmächte endeten die ukrainischen Initiativen für eine ihnen gefällige Neuordnung Europas keineswegs. Während damit der Wunsch nach einer Zugehörigkeit eines ukrainischen Kronlandes zur Habs1791 Telegramm, Graf Ottokar Czernin, Brest Litowsk, 9. Februar 1918, Geheimprotokoll betreffend die Teilung Galiziens und Bildung eines ukrainischen Kronlands OstgalizienBukowina, HHSTA, PA I, 523-2-7; Tagesbericht vom 29. Juli 1918, ebd. 1792 Telegramm, von Wiesner, an Prinz Hohenlohe (Berlin) und Graf Czernin (Bukarest), 9. März 1918, Geheimprotokoll betreffend die Teilung Galiziens und Bildung eines ukrainischen Kronlands Ostgalizien-Bukowina, HHSTA, PA I, 523-2-7. 1793 Bericht zur Haltung des Polenklubs, 13. Juli 1918, Geheimprotokoll betreffend die Teilung Galiziens und Bildung eines ukrainischen Kronlands Ostgalizien-Bukowina, HHSTA, PA I, 523-2-7. 1794 Rudnyc’kyj, Stepan: Antwort auf das Protestschreiben polnischer Professoren der Universität Lemberg [1918], LSR, S. 235. 1795 Annulierung des Geheimprotokolls über Galizien, 1. Juli 1918, Geheimprotokoll betreffend die Teilung Galiziens und Bildung eines ukrainischen Kronlands Ostgalizien-Bukowina, HHSTA, PA I, 523–2–7; Nachträgliche Protestnote der ukrainischen Regierung gegen die Annulierung des Geheimprotokolles über Galizien. Ablehnung ihrer Entgegennahme durch Grad Burián. 28. Juli 1918, ebd.; Telegramm, Graf Forgách, Kiew, 5. August 1918, ebd.; Telegramm, K.u.k. Botschaft, Berlin, 29. August 1918, ebd.

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burgermonarchie entfiel, rückten die Forderungen nach einem eigenständigen ukrainischen Staat – die seit Brest-Litowsk als realisierbar galten – auf die politische Tagesordnung der ukrainischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als zentraler Punkt von USPräsident Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programm leistete auch ukrainischen Bestrebungen Vorschub, die sich in Denkschriften, Statistiken und Karten äußerten. Das Dreigespann Dnistrjans’kyj, Rudnyc’kyj und Tomasˇivs’kyj zeigte sich erneut für die Nutzung der Wissenschaft als politische Ressource verantwortlich. Tomasˇivs’kyj war als Abgeordneter der Westukrainischen Volksrepublik und Organisator des ukrainischen Nationalkomitees ein zentraler Vertreter der Ukraine im Paris des Jahres 1919.1796 Dnistrjans’kyj zeichnete sich für eine längere Broschüre verantwortlich, die die ukrainische Position in englischer, französischer und tschechischer Fassung kommunizierte.1797 Dabei handelte es sich um einen politisierten Verschnitt der bisher diskutierten Inhalte um Statistik, Geschichte, Geographie und Grenzlage des Landes. Die interdisziplinäre Ausrichtung, die auch physische Anthropologie einschloss, präsentiert sich hier erneut als galizische Variante ukrainischen Wissens, das im NTSˇ erarbeitet wurde. Aufgrund des vielseitigen Spezialwissens, das zur Anwendung kam, ist davon auszugehen, dass es sich trotz Dnistrjans’kyjs Autorenschaft der Broschüre um ein Gemeinschaftsprojekt der drei Wissenschaftler handelt. Für die Pariser Friedenskonferenz legte Rudnyc’kyj eine Karte (Abb. 14) vor, in der die bunten Markierungen an den westlichen Grenzregionen solche Gebiete markierten, in denen kein ›rein‹ ukrainisches, sondern ein gemischtes Territorium vorlag. Damit ging er nochmal über die Gebietsforderungen hinaus, die in den früheren Karten präsentiert wurden. Es darf ihm diesbezüglich allerdings kein diplomatischer Fauxpas, sondern nur einmal mehr die Partizipation an gesamteuropäischen Diskussionen über Grenzlandschaften attestiert werden. Deutlich wird das im Kontrast zu Romer, der sich nach Kriegsausbruch beeilte, einen ganzen polnischen Atlas zu Propagandazwecken herzustellen, der als ›Konferenzatlas‹ in die Geschichte einging und die polnische Verhandlungsgrundlage auf der Pariser Friedenskonferenz darstellte. Hier zeigt sich, dass trotz aller Ressourcen des NTSˇ ein erhebliches institutionelles Ungleichgewicht im Rückhalt der beiden Konkurrenten bestand. Auch wenn Rudnyc’kyj eine wachsende Vielfalt an Karten während des Krieges produzierte, fehlte es doch an

1796 Chalak 1999, S. 71–92; Memorijal Tomasˇivs’koho Stepana dlja delegaciji ZUNR na myrnij konferenciji v Paryzˇi, CDIAL, fond 368, op. 1, spr. 70, ark. 1–4; Dopovidna zapyska Tomasˇivs’koho Stepana do prezydenta ZUNR Petrusˇevycˇa Jevhena, 1920, ebd., spr. 72. 1797 Dnistrianskyj 1919, Ukraina and the Peace-Conference; Dnistrjanskyj 1919, L’Ukraine et la Conférence de la Paix; Dnistrjans´kyj 1919, Ukrajina a mirova konference [gekürzte Übersetzung].

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Patronage für einen eigenen Atlas.1798 Verglichen mit Romer, der das polnische Territorium auf die administrativen Territorien »Litauen[s] und Klein-Rußland[s]« auszudehnen suchte, scheint Rudnyc’kyjs Programm in diplomatischer Perspektive nahezu konservativ.1799 Wendlands These, die polnische Seite hätte in Paris die ›besseren Karten‹ gehabt, kann letztlich nur sprichwörtlich angenommen werden,1800 denn wie Seegel gezeigt hat, war die Platzierung der Karten ausschlaggebender als ihre Qualität. Während Rudnyc’kyjs wichtigster Fürsprecher Penck zwar ein international anerkannter Geomorphologe war, hatte er keinerlei politischen Einfluss auf die Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg. Romer verband dahingegen eine enge Beziehung zu Isiah Bowman (1878–1950), der als führender Geograph der US-amerikanischen Delegation prägend für die territoriale Wahrnehmung und damit die Ziehung neuer Grenzen war.1801 Die polnisch-ukrainischen und polnisch-sowjetischen Kriege der Jahre 1919 bis 1921 bedeuteten, dass der Erste Weltkrieg weder für die Ukraine noch für Ostmitteleuropa insgesamt mit der klassischen Zäsur 1918 endeten.1802 Das war für die größere Geschichte nationaler Bewegungen, die 1918 in eine ungewisse Zukunft blickten, ebenso zentral wie für die Wiederaufnahme wissenschaftlicher Tätigkeit und die Biographien von Wissenschaftlern, die sich weiterhin politischdiplomatischen Projekten andienten. Nur kurze Zeit nach der polnischen Besetzung Lembergs begab sich Rudnyc’kyj zurück nach Wien, um seine Expertise der Exilregierung (dem ›Direktorium‹) der westukrainischen Volksrepublik zur Verfügung zu stellen.1803 Die ›ukrainische Frage‹ blieb noch bis 1923 auf der Agenda der europäischen Diplomatie und durchgehend ein entscheidender Faktor im Polen der Zwischenkriegszeit; jeweils unter der Beteiligung des NTSˇ und seiner Mitglieder, die sich jedoch im letzten Fall mit einigen Ausnahmen als vergleichsweise gemäßigte Akteure entpuppen sollten.1804

1798 1799 1800 1801

Seegel 2018, S. 54. Romer 1916, Karte »Administracya« (unpag.). Wendland 2012, S. 100. Seegel 2018. Pencks Unterstützung für Rudnyc’kyj äußerte sich auch darin, Romers ethnographische Darstellungen als Fälschungen abzutun. Ebd., S. 44. 1802 Borodziej / Górny 2018. 1803 Rudnyc’kyj, Stepan: Das ukrainische Problem und die Grossmächte. Ein(ige) Kapitel angewandter Geographie, unveröffentlichtes Manuskript, Wien, 1. Januar 1920, CDAVO, fond 4465, op. 1, spr. 727, ark. 1; Pokazannja S. Rudnyc’koho pro svoji rozmovy z nimec’kymy ucˇenymy ta rozmirkuvannja pro stan sprav v radjans’kij Ukrajini, 16. April 1933, in Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 31–65, hier S. 42. 1804 Milow 2002; Savenko, T. 2016. Zu jenen Ausnahmen gehört vor allem Dmytro Doncov (1883–1973), der Ideologe des ukrainischen integralen Nationalismus, der Vereinsmitglied war und den erneuerten Literaturno-naukovyj vistnyk redigierte, den er als Kommunikationsforum seiner Ideen nutzte. Zajcev 2019.

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Abbildung 14: Stepan Rudnyc’kyj: Carte de l’Ukraine, 1919.

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Stepan Rudnyc’kyjs »Osteuropa«

»Wenn wir das ukrainische nationale Territorium auf der ethnographischen Karte suchen, finden wir es am süd-östlichen Zipfel dieses Teils der Welt. Natürlich geht aus jeder Karte Europas hervor, dass die Ukraine gänzlich zu ihr [Europa, M. R.] gehört. Auf physischen Karten sind so auch andere als die von der Natur gezeichneten Linien zu finden; auf politischen [Karten, M.R.] zählt man das ganze Kaukasusland zu Europa. Da ist auch kein Hindernis zu sehen.«1805 Stepan Rudnyc’kyj, 1919

Rudnyc’kyj erkannte durch seine enge Verflechtung mit der deutschsprachigen Wissenschaft früh, dass der Plan, die Ukraine auf einer europäischen Landkarte zu verankern, erforderte, das östliche Europa mit einem neuen Ordnungskonzept zu versehen. Seine Auseinandersetzungen blieben in diesem Sinne germanozentrisch. Das war nicht nur seiner eigenen Biographie, sondern auch der geopolitischen Perspektive einer Anlehnung an die Mittelmächte geschuldet. Er argumentierte deshalb vielfach gegen die Einheitlichkeit des Zarenreiches, die in den Ansichten der deutschsprachigen Geographie Legion war und auch vor dem Hintergrund des Krieges noch 1916 durch den führenden deutschen Geographen Alfred Hettner (1859–1941) untermauert wurde.1806 Rudnyc’kyj dekonstruierte das europäische Russland in sechs morphologisch eigenständige Gebiete: Uralland, Ukraina, Baltien, Nordrussland, Großrussland und Kaspien.1807 Mit seiner anthropogeographischen Herangehensweise beschwor er die nationale Einheit zwischen Territorium und Bevölkerung. Die Übereinstimmung natürlicher Grenzen mit Merkmalen der Bevölkerung im Europäischen Russland (ohne Finnland) würde die Abteilung folgender Gebiete erlauben: »1. Ostseeländer, 2. Weißrußland, 3. Polen, 4. Ukraina.«1808 Mittels anthropologischer Differenz schied er »Ukraina« deutlich von »Großrußland«, denn dieses wäre »ein Land der slawisierten Finnen, das Saljesje, das seit dem 11. Jahrhundert von zwei ursprünglich nichtostslawischen Stämmen mit solchem Erfolge kolonisiert und slawisiert wurde, dass hier das größte slawische Volk, obzwar ein Mischvolk, die Großrussen, erwachsen ist.«1809

Ursprünglichkeit, anthropologische Differenz und die Explizierung nicht-slavischer Elemente dienten ihm zur Scheidung der beiden Länder. Doch die Dekonstruktion des Zarenreiches war kein rein ukrainisches, sondern ein vielstimmiges Projekt, wie Rudnyc’kyjs Aufteilung des europäischen Russlands 1805 1806 1807 1808 1809

Rudnyc’kyj 1919, Problemy heohrafiji Ukrajiny, S. 7. Hettner 1916; zu Hettner vgl. Wardenga 1995. Rudnyc´kyj 1918, Die Länder Osteuropas, S. 38f. Rudnyc´kyj 1915, S. 16. Rudnyc´kyj 1918, Die Länder Osteuropas, S. 40.

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Stepan Rudnyc’kyjs »Osteuropa«

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andeutet. Daran beteiligten sich zahlreiche Wissenschaftler der betroffenen Länder, darunter auch polnische, mit denen Rudnyc’kyj ansonsten in Konkurrenz stand.1810 Ukrainische Wissenschaftler wirkten auch an der territorialen Konstruktion anderer Staaten mit, etwa Weißrusslands/Belarus’. Ivan Pan’kevycˇ erörterte in der Österreichischen Monatsschrift für den Orient die Grenzen Weißrusslands/Belarus’. Der Sprachwissenschaftler stellte sich auf den Standpunkt seines Mentors Hnatjuk: eine exakte Grenze zwischen ukrainischer, belarussischer und russischer Sprache auf einer Karte einzuzeichnen, wäre aufgrund der zahlreichen Übergangsdialekte kaum möglich. Pan’kevycˇ supplementierte seine Ausführungen mit einer Karte, die den Prypjat’-Fluss als Grenze zwischen ukrainischem und belarussischem Territorium betrachtete, aber einen beträchtlichen Teil des südlichen Belarus als ukrainisches Einflussgebiet kennzeichnete.1811

Abbildung 15: Rudnyc’kyj: Ethnographische Übersichtskarte von Osteuropa, 1916.

1810 Ausführlich zu Geographen und der Konstruktion Ostmitteleuropas vgl. Górny 2013; Górny 2019; Seegel 2012; Seegel 2018. 1811 Pankiewicz 1915, S. 270.

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Mittels ausführlicher Darstellung aller ethnischen Regionen des östlichen Europas und seiner westlichen Grenzregionen visualisierte Rudnyc’kyj die Heterogenität des Zarenreiches. (Abb. 15) Auffällig ist dabei, dass die jüdische Bevölkerung kein ›eigenes‹ Territorium erhielt, obwohl es zweifelsfrei zahlreiche mehrheitlich jüdische Gemeinden, Ortschaften, Städte und Bezirke gab. Das zeigte einerseits, dass Rudnyc’kyjs ahistorisches Verständnis dieser Territorien die aktuellen Daten in dieser Hinsicht nivellierte, andererseits reflektierte er europäische Diskurse um das jüdische Territorium.1812 Signifikant ist, dass die Jüdische Korrespondenz Rudnyc’kyjs Landeskunde, der die Karte beilag, dennoch lobend erwähnte.1813 Die Ukraine mit einer modernen ethnographischen Karte, also einem europäischen Medium, zu beschreiben, hieß zwangsläufig, sie zum europäischen Methodeninventar und zu vorherrschenden räumlichen Diskursen in Beziehung zu setzen. Rudnyc’kyj wehrte sich diesbezüglich vehement dagegen, Osteuropa an (west- und zentral-) europäischen Kategorien zu messen und die Weiträumigkeit gleichförmiger Territorien nicht zu missinterpretieren. Die Heterogenität dieser Gebiete müsse trotz ihrer Weitläufigkeit entsprechend wahrgenommen werden. Er bezog diese Haltung auch auf den Umgang mit (Sprach-) Statistiken zur Ermittlung ethnographischer bzw. nationaler Territorien. Die ukrainischen Statistiken müssten hierfür in den Vergleich zum übrigen östlichen Europa gesetzt werden. So konstatierte er, »dass Ostgalizien zwar kein so rein ukrainisches Gebiet« sei wie etwa Deutschland und Frankreich deutsch und französisch wären, in dieser Heterogenität »wohl aber vielen anderen Gebieten, z. B. Russisch-Polen«1814 ähnelte. Gleichzeitig verlangten die geopolitischen Diskurse des Ersten Weltkrieges, denen er sich durch die Platzierung seiner Veröffentlichungen kaum entziehen konnte, die diskutierten Länder in Makroregionen zu verorten. Polen verortete Rudnyc’kyj in Mittel-, die Ukraine dagegen in Osteuropa: »Die Ostgrenze des polnischen Naturgebietes verläuft annähernd längs des 23°-Meridians bis in die Gegend von Przemys´l, wo die Ostkarpaten beginnen«. Im Weiteren bildeten der Karpatenbogen und das Kronstädter Becken die Westgrenze Osteuropas.1815 Flora, Fauna, Klima und Geomorphologie – alle diese Merkmale rechtfertigten 1812 So argumentierte schon Dnistrjans’kyj einige Jahre zuvor im Reichsrat: »Es gibt nur ein einziges Volk, das kein eigenes Territorium besitzt, und zwar das jüdische Volk. Aber auch dieses hatte einst sein territoriales Gebiet. Heute bietet ihm das Glaubensbekenntnis jenes Bindemittel, welches ihm das Territorium ersetzt.« StP AH, XIX. Session, 36. Sitzung, 24. Juni 1909, 1023/I, S. 5682. 1813 Jüdische Korrespondenz Nr. 13, 30. 03. 1916, S. 4. 1814 [Stepan Rudnyc’kyj:] Das ukrainische Volksgebiet in Galizien, o. J. [vmtl. zw. 1916 und 1918], CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 1816, ark. 5. 1815 Rudnyc´kyj 1918, Die Länder Osteuropas, S. 33.

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Stepan Rudnyc’kyjs »Osteuropa«

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laut Rudnyc’kyj eine deutliche Verortung der Ukraine in Osteuropa. Durch den bereits erwähnten Charakter als ›Durchgangsland‹ und die kulturelle Nähe zum süd(öst)lichen Europa, die er postulierte, wies er der Ukraine durch die intensiven Kulturkontakte gen Westen eine klare »Sonderstellung«1816 in Osteuropa zu. Darüber hinaus bediente er sich einer klimadeterministischen Argumentation, indem er die Zusammengehörigkeit der ukrainischen Länder durch klimatische Einflüsse postulierte. Gleichzeitig wandte er sich gegen andere klimadeterministische Argumentationen zu Herrschaftsverhältnissen im östlichen Europa, wenn er vehement bestritt, dass die »Ukrainer als ein verweichlichtes Südvolk« quasi per Naturgesetz von dem »abgehärteten Nordvolk der Großrussen unterjocht werden«1817 müssten. Insofern brach Rudnyc’kyj nicht mit den Diskursen seiner Zeit, er nutzte sie lediglich, um die Ukraine mit ihrer Hilfe in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen. In seinen kulturgeographischen Ausführungen orientierte Rudnyc’kyj sich offensichtlich an Friedrich Ratzel, demzufolge die »Kulturhöhe […], die wir selbst erreicht haben«1818 der Maßstab wäre, an dem Kultur gemessen werden würde. Rudnyc’kyj war dabei im Einklang mit seinem Freund Hanslik, wenn er die imaginierte Grenze zwischen West- und Osteuropa als ›Kulturgrenze‹ interpretierte.1819 Er konstatierte ein Kulturgefälle zwischen Mittel- und Osteuropa, das er anhand des russisch-polnischen Verhältnisses und den Russifizierungsversuchen im Zarenreich verdeutlichte: »Die polnische Nation ist mit ihren 19 Millionen Köpfen […] die drittgrößte slawische Nation, und wenn sie auch, was allgemeine Volksbildung und wirtschaftliche Tüchtigkeit anbelangt, hinter den Tschechen zurückbleiben mag, so ist sie kulturell eine der am höchsten stehenden slawischen Nationen. Daß sie den Russen kulturell überlegen ist, unterliegt keinem Zweifel, daher sind alle Russifizierungsgelüste, obgleich mit großer Macht und Energie vorgenommen, den Polen gegenüber bisher vollkommen unfruchtbar gewiesen.«1820

Europäische Zivilisierungsdiskurse und koloniale Blickwinkel gegenüber dem vermeintlich ›barbarischen‹ Osteuropa, das Galizien ebenso beinhaltete wie das Zarenreich, hatte Rudnyc’kyj längst akzeptiert und bisweilen internalisiert. Seinen beruflichen Stand beeinträchtigte das nicht; dem deutschnationalen Penck galt er als »assimilated, […] by nationality a German or at least Germanophile.«1821 Während Rudnyc’kyj selbst seine Nationalität sicherlich nicht als Deutsch Rudnyc´kyj 1916, Ukraina. Land und Volk, S. 5. Rudnyzkyj 1916, Zur politischen Geographie, S. 37. Ratzel 1885, S. 15. Zu Hansliks grundlegenden Ideen und seinen Einfluss auf Penck und dessen ›Schule‹ vgl. Henniges 2014. 1820 Rudnyc´kyj 1915, Der östliche Kriegsschauplatz, S. 75f. 1821 Seegel 2018, S. 45. 1816 1817 1818 1819

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angesehen hat, zeugt die Annahme deutlich davon, dass er sich außerhalb der zivilisatorisch-kolonialen Verortung Osteuropas bewegte. Die Nähe zur deutschen Wissenschaft belegt auch Rudnyc’kyjs Art und Weise, ethnographische Karten zu gestalten. Sie sind als nicht minder kolonial gegenüber allen anderen auf dem ukrainischen Territorium siedelnden Gruppen zu deuten. In dieser Hinsicht war Rudnyc’kyj vom ›einfachen Volk‹ längst entfremdet; während dies scheinbar dem Ideal der narodovci widersprach, war er damit als Angehöriger der intelihencija keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Er zeichnete ein Geschichtsbild der Ukraine, das den Opfermythos einer Hochkultur begründete; diese Hochkultur hätte längst existiert, musste aber wiedergeboren werden. Aufgrund der politischen Unterjochung hätten sie einen Zugang zu moderner Kultur nur durch Diffusion aus Mitteleuropa – Polen – gehabt. Die Nachbarschaft zu Polen, hier unterschied er sich vom zunehmend polenfeindlichen Hrusˇevs’kyj, befand Rudnyc’kyj in historischer Perspektive deshalb für einen großen Vorteil für die Entwicklung der ukrainischen Nation. Diese Einflüsse sind letztlich Rudnyc’kyjs Argument, um der ukrainischen Nation eine kulturelle Höherwertigkeit gegenüber der russischen zu attestieren.1822 Um die Nähe der Ukraine zu Mitteleuropa zu verdeutlichen, bediente sich Rudnyc’kyj jedoch nicht nur geographischer, anthropologischer und historischer Argumente, sondern auch der jüngsten, eigenständigen Kulturentwicklung. Dem Vorwurf, es handele sich beim Ukrainischen um einen ›unzivilisierten‹ Dialekt des Russischen, entgegnete er, es handele sich um eine eigenständige »Kultursprache«1823, die der Literatur und Wissenschaft ebenso genügen würde, wie jede andere (west-) europäische Sprache. Als Belege galten ihm nicht zuletzt die kulturelle und wissenschaftliche Entfaltung, die das NTSˇ in Galizien ermöglichte. Hiermit argumentierte er nicht nur mehr im Geiste der deutschen Geographie, sondern vielmehr des Ukrajinoznavstvo. Trotz des einstweiligen Zerwürfnisses blieb er hier auf einer Linie mit Hrusˇevs’kyj. Die Grenzlage der Ukraine und anderer Länder des europäischen Russlands, das Baltikum eingeschlossen, war zentral für die geopolitische Argumentation Rudnyc’kyjs: »diese Nationen« teilten historische Erfahrungen und auch Wünsche, denn sie würden sich »von diesem Weltkriege die Befreiung vom russischen Joche, ja die Errichtung eigener Nationalstaaten« erhoffen. Es wäre nur im Sinne der Mittelmächte, wenn anstelle »der West- und Südmarken des drohenden Kolosses […] starke Pufferstaaten entstehen«, denn diese würden nicht nur die Verbreitung ›europäischer‹ (und hiermit meint er offensichtlich: deutscher) Kultur fördern, sondern auch militärstrategisch als »Schutzwälle« dienen.1824 Die 1822 Rudnyzkyj 1916, Zur politischen Geographie, S. 20. 1823 Rudnyc´kyj 1916, Ukraina, S. 194. 1824 Rudnyc´kyj 1915, Der östliche Kriegsschauplatz, S. 59f.

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Stepan Rudnyc’kyjs »Osteuropa«

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Verbindung eines solchen historischen ›Bollwerkmythos‹ der Ukraine galt als zentraler Baustein des Versuchs, die Unterstützung der Mittelmächte für die nationale Agenda einzuwerben.1825 Rudnyc’kyj verband ihn ganz elementar mit dem frontier-Narrativ der ukrainischen Geschichte, demzufolge das Land während seiner Geschichte stets »Schild und Hort Europas gegen die asiatische Barbarei«1826 gewesen wäre. Derartige Mythen waren in Ostmitteleuropa unter zahlreichen Staaten verbreitet und nicht zuletzt Gegenstand transnationaler Erinnerungskultur, etwa hinsichtlich der Stadt Lemberg.1827 Die negativen Folgen der jahrtausendealten frontier-Situation der Ukraine nutzte Rudnyc’kyj ebenfalls argumentativ aus. Der Einfall »asiatischer« Völker sowie auch die Unterdrückung durch das Zarenreich und Polen in der jüngeren Geschichte galten ihm als Erklärung dafür, warum es sich bei dem ukrainischen – trotz des reichen Landes und den »höherstehenden Rassequalitäten«1828 – um ein äußerst armes Volk handelte.1829 Diese rassistische Argumentation, die wiederum auf Vovks Konzeption der ukrainischen Zugehörigkeit zur dinarischen Rasse fußte, findet sich in Rudnyc’kyjs deutschsprachigen Schriften vergleichsweise wenig ausgeprägt. Deutlicher artikulierte er sie in ukrainischen Texten, die er unter dem Pseudonym Levenko (wörtlich »Sohn des Lev«, entsprechend seines Vatersnamens L’vovycˇ) veröffentlichte.1830 Diese Gedanken überführte er allerdings nach seiner dauerhaften Emigration 1923 in die skizzierten eugenischen Überlegungen; sie sind in die transnationale Geschichte des rassistischen Modernismus in der Zwischenkriegszeit einzuordnen.1831 Ihre Rezeption inner- und außerhalb der ukrainischen Diaspora ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht erforscht. Rudnyc’kyjs Idee von Europa war vor allem vom Versuch geprägt, die Ukraine aus ›Halb-Asien‹ zu befreien, wobei ihm die Nähe zur deutschen Wissenschaft ein Werkzeug wie auch ein persönliches Anliegen war. Der Begriff ›Ostmitteleuropa‹ wäre anachronistisch und war Rudnyc’kyj damit freilich unbekannt, entstand er doch erst im Kalten Krieg. Gleichzeitig war er, so wie auch zahlreiche andere Geographen der Friedenskonferenz, an der Deutung dieser Makro-Geschichtsregion folgenreich beteiligt.

1825 Diese Argumentation bringt der SVU auch im direkten Austausch mit dem Verband ›Freie Ukraine‹. CDAVO, fond 4405, op. 1, spr. 20, ark. 539–540zv. 1826 Rudnyc´kyj 1916, S. 15. 1827 Berezhnaja / Hein-Kircher (Hg.) 2019; Woldan 2012. 1828 Rudnyc´kyj 1916, Ukraina. Land und Volk, S. 185. 1829 Rudnyc´kyj 1915, Der östliche Kriegsschauplatz, S. 51–53. 1830 Levenko [= Rudnyc’kyj] 1916, S. 11–16. 1831 Rudnyc’kyj 1923; Turda 2010.

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Das NTSˇ in Lemberg nach dem Kriegsausbruch

Der lokalgeschichtliche Blick auf den Verein verrät zunächst, dass führende Akteure den lokalen Institutionen eine geringere Priorität einräumten als der politischen Mission ›nationaler Wissenschaft‹. Doch auch wenn sie nicht in den Vereinshallen saßen und zumeist die Siegel anderer Institutionen unter ihre Arbeiten setzten, vertraten sie die junge, im Verein geprägte Wissenschaftstradition und agierten entlang der in Vorkriegszeiten entstandenen Netzwerke. Die Vereinsinstitutionen und ihr Schicksal im Krieg zeigen hingegen eine Seite der lokalen Tätigkeit, die sich von den Makronarrativen des Ersten Weltkrieges, politischen Hoffnungen und ideologisierten Wissenschaftsplänen unterschied. Vereinsmitglieder wurden von der zarischen Armee in das Russländische Reich deportiert. Zu ihnen gehörten der temporäre Leiter der lokalen Vereinsgeschäfte, Volodymyr Ochrymovycˇ, und der Geschäftsführer der Buchhandlung, August Dermal.1832 Mit ihrem Fehlen kamen die entsprechenden Tätigkeitsfelder schlagartig zum Erliegen. Die Kommunikation der Wiener Akteure mit ihren Lemberger Kollegen war auch nach dem Ende der russischen Besatzung Lembergs problematisch, zumal der telegraphische Privatverkehr 1915 bisweilen eingestellt war.1833 Ivan Krylovs’kyj, der amtierende Leiter der Druckerei,1834 war auch in der ˇ arnec’kyj-Gasse und berichtete im August 1915 an Kriegszeit regelmäßig in der C den Bibliotheksdirektor Krevec’kyj, dass »niemand von uns (vom Ausschuss nur B. Barvins’kyj) hier wäre«, weshalb er ihm die Lage in Kürze skizzierte. Er beschrieb erhebliche Verwüstungen nicht nur der Vereinsinstitutionen, sondern auch des von Sˇeptyc’kyj gegründeten Nationalmuseums. Die Möbel in der Bibliothek und im Museum wären ebenso betroffen wie die Sammlungen, wobei als Täter die zarische Armee ausgemacht war. Er berichtete unter anderem, dass »die Moskalji [Soldaten der russländischen Armee, M. R.] einige Bücher aus der Bibliothek entwendeten, aber was – das ist schwer, zu überprüfen«, weil die Kataloge ohne eine Spur verschwunden wären.1835 Später wurde angenommen, dass die Bibliothekskataloge mutwillig verbrannt wurden; das schädigte nicht nur die Bibliotheksorganisation, sondern auch langfristig die Nachvollziehbarkeit der Sammlungen.1836 Außerdem arbeitete vom Kriegsausbruch bis zum Ende des Jahres 1916 niemand in der Bibliothek. Hnatjuk berichtete dazu in seinen Memoiren, dass zwischenzeitlich keiner der Museumsangestellten mehr in 1832 Chronika NTSˇ 60–62 (1918), 3; 65–66 (1922), S. 60–63, hier S. 63. 1833 Telegraphenamt Wien 65 an V. Dorosˇenko, 22. November 1915, PNP, Nachlass Dorosˇenko, Karton 12, Mappe Osyp Nazaruk. 1834 Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 146. 1835 Krylovs’kyj an Krevec’kyj, 02. August 1915, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 995, ark. 19. 1836 Levyc’kyj 1928, S. 198.

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Lemberg war, um Schäden beseitigen und sich um das Museum kümmern zu können.1837 Volodymyr Dorosˇenko kehrte zwar bereits 1916 nach Lemberg zurück, um wieder für das NTSˇ tätig zu sein,1838 doch laut Hnatjuk begann er erst 1917, als er seine Tätigkeit für den SVU niederlegte, Schäden zu beseitigen und die ererbte Bibliothek des inzwischen verstorbenen Franko in einem gesonderten Zimmer einzurichten.1839 Am schwersten wurde der akademicˇnyj dim von der Kriegszeit in Mitleidenschaft gezogen. Nicht nur die österreichische, sondern auch die russische Armee requirierte das Haus als Stützpunkt und hinterließ schwere Schäden.1840 Das ˇ arnec’kyj-Gasse 24, das Nebengebäude des Verneuerworbene Haus in der C einshauptsitzes, sollte der neue Sitz von Museum, Bibliothek und Kanzlei werden, allerdings war der Umzug der Institutionen aus dem akademicˇnyj dim vor dem Kriegsausbruch noch nicht abgeschlossen, so dass zahlreiche Materialien aus der Kanzlei und der Bibliothek noch in der Supins’kyj-Gasse verblieben. Dies trug sicherlich dazu bei, dass etwa die Verluste der Bibliothek noch Ende 1916 nicht umrissen werden konnten.1841 Dennoch führten die Verantwortlichen vor Ort in diesem Zeitraum Bestandsaufnahmen durch, die die Problematik erhellen können. Das Vereinsarchiv verlor Korrespondenzen der Kanzlei zwischen 1894 und 1914, die in gedruckter Fassung rund »10 Bände ausgemacht hätten«. Historische Liedersammlungen anderer Sammler, darunter Drahomanovs, gingen ebenso verloren wie weitere Bestände an Ethnographica und folkloristischen Texten, die von der ethnographischen Kommission und weiteren galizischen Sammlern in den vergangenen Dezennien zusammengetragen worden waren.1842 Bücher, Akten und unveröffentlichte Arbeiten Stepan Tomasˇivs’kyjs wurden restlos vernichtet,1843 so auch Manuskripte der bibliographischen Kommissi-

1837 Hnatjuk 1984, S. 143. 1838 Das geht bspw. aus dem regelmäßigen Briefwechsel mit Osyp Ochrymovycˇ hervor, der seine Briefe an V. Dorosˇenko spätestens seit September 1916 an die Adresse des NTSˇ (Czarneckigasse 24; zeitweise auch die Adresse des akademicˇnyj dim in der Supinskygasse 21 oder eine Privatadresse in der Poninskigasse 6) richtete. PNP, Nachlass V. V. Dorosˇenko, Karton 13, Mappe Ochrymovycˇ Osyp. Die früheste Postkarte mit erhaltener Adresse ist O. Ochrymovycˇ an V. Dorosˇenko, 25. September 1916, ebd. 1839 Hnatjuk 1984, S. 132f. 1840 Vistnyk Sojuza vyzvolennja Ukrajiny 1915, Nr. 39–40, S. 15; Kostenvoranschlag zur Reparatur des akademicˇnyj dim, 07. Februar 1917, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 490, ark. 1–8zv, hier 7–7zv, 8zv. 1841 Aufstellung der Kriegsverluste, Brief an das Nationalkomitee, 25. November 1916, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 486, ark. 1. 1842 Hnatjuk an Hrusˇevs’kyj, Dezember 1925, Nacional’na biblioteka Ukrajiny imeni V. I. Vernads’koho, Instytut rukopysu – IR NBUV, fond X, spr. 17175, ark. 6–9; Chronika 60–62 (1918), S. 7f. 1843 Chalak 2013, S. 355.

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on.1844 Exponate des Museums zerstörten oder ›konfiszierten‹ die Besatzer teilweise willkürlich. Aus Angst vor einer erneuten Besatzung infolge der BrusilovInitiative 1916 schickte der Ausschuss kurzerhand die wertvollsten Exponate nach Wien, um sie zu schützen.1845 Die Möbel der Gebäude wurden ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie alle Vereinsinstitutionen; größere Schäden hatten auch die Druckerei (einschließlich teurer Maschinen), die Buchbinderei und die Buchhandlung zu verzeichnen. Nicht zuletzt verlor der Verein für die Besatzungsund Folgezeit die Einkünfte aus all ihren gewinnschöpfenden Institutionen, auch Subventionszahlungen des Staates und des Kronlandes fielen aus. Seinen materiellen Schaden bezifferte der Verein im November 1916 auf über 400.000 Kronen.1846 Sitzungen im Verein waren nicht mehr die Regel, sondern außerordentlichen Umständen geschuldet. So berief Oleksandr Kolessa im Februar 1916 eine gemeinsame Versammlung der Sektionen ein, um erneut ein Memorandum in Angelegenheit einer ukrainischen Universität zu diskutieren und vorzubereiten.1847 Erst mit Anfang des Jahres 1917 begann die Rekonstruktion der gemeinsamen Anstrengungen der vergangenen Jahre angesichts der verheerenden Bestandsaufnahme. Neben Dorosˇenko kehrte auch Rudnyc’kyj zurück, der seine privilegierte Situierung in Wien nach zwei Jahren aufgab und damit die Relevanz der lokalen Institutionen unterstrich. Nach wie vor verlief die Vereinstätigkeit eher improvisiert; Priorität hatte der Buchdruck zu Propaganda- bzw. ›Aufklärungszwecken‹.1848 Parallel dazu begannen Aufräumarbeiten. Der Verein konnte den akademicˇnyj dim nicht aus eigenen Kräften wiederaufbauen, deshalb überließ das NTSˇ dem Frauengymnasium des Basilianerinnenordens die Räumlichkeiten zur kostenfreien Nutzung auf Zeit im Gegenzug für die Überˇ arnec’kyj-Gasse blieben nahme der Reparaturkosten.1849 Die Gebäude in der C während der Kriegszeit unversehrt, aber auch ungepflegt und dementsprechend waren sie renovierungsbedürftig.1850 Den Schutt des Krieges abzuschütteln bedeutete auch, zu trauern. Zahlreiche Vereinsmitglieder starben während des 1844 Il’nyc’ka / Moroz / Pich 2012, S. 570. 1845 Hnatjuk 1984, S. 143. 1846 Aufstellung der Kriegsverluste, Brief an das Nationalkomitee, 25. November 1916, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 486; zur Aufsummierung ark. 6. Bei allen Sammlungsgütern handelt es sich um Schätzwerte, ark. 2. Die Reparaturkosten für die Schäden an den Vereinsgebäuden wurden wenige Monate später gesondert erhoben. Kostenvoranschlag für Gebäudereparaturen, 7. Februar 1917, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 490. 1847 Levyc’kyj 1928, S. 311f. 1848 Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 3–9. 1849 Ausschuss der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften an den Direktor des Gymnasium O.O. Vasylijanok in Lemberg, 27. Juli 1918, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 216, ark. 34; Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 5. 1850 Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 4.

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Krieges, wenn auch nicht durch Kampfhandlungen. Zu ihnen zählen vornehmlich altgediente Mitglieder, darunter Mychajlo Pavlyk (1915), Volodymyr Sˇuchevycˇ (1915), Ivan Franko (1916), Jevhen Ozarkevycˇ (1916), Petro Ohonovs’kyj (1917), Jevhen Olesnyc’kyj (1917), Fedir Vovk (1918) und Ivan Puljuj (1918). Insgesamt erhielt die erste Chronik, die nach Kriegsausbruch erschien, 16 Nachrufe.1851 Abgesehen von einigen Publikationsunternehmungen, die zunehmend auch wieder rein akademischen Charakter annahmen,1852 standen die Vereinsuhren während der Kriegszeit und der Folgejahre relativ still. In der polnischen Rzeczpospolita hatte das NTSˇ eine ihm deutlich weniger wohlgesonnene Umgebung. Das äußerte sich zunächst durch das plötzliche Wegbrechen der staatlichen Subventionen. Dadurch war der Verein auf private Spenden angewiesen, allein um die bisherigen Institutionen zu erhalten.1853 Im Jahr 1919 strich die nunmehr unter Kontrolle des polnischen Staates befindliche Universität Lwów die Stellen ukrainischer Hochschullehrer und entriss dem Verein damit die unmittelbare Verbindung zum wissenschaftlichen Nachwuchs.1854 Das Versprechen, eine eigenständige ukrainische Universität zu gründen, wurde überdies nicht erfüllt.1855 Dies führte zu einer Spaltung der westukrainischen Intelligenz in eine Fraktion, die nationale Ziele nur in der Emigration zu realisieren sah und eine andere, die bereit war, diese auch in der Illegalität im neuen polnischen Staat zu verfolgen. Als Reaktion darauf kündigten ukrainische Wissenschaftler, primär aus dem konservativen Flügel des NTSˇ, unabhängige wissenschaftliche Vorlesungen in Lwów für das Wintersemester 1919/1920 an. Darüber unterrichteten sie auch den »Leiter der polnischen Okkupationsmacht«, der dieses Unternehmen daraufhin direkt verbot.1856 Dennoch konnte sich das Projekt als »Ukrainische Universität« in den kommenden Jahren, beginnend im Herbst 1920, entwickeln. Anfang des Jahres 1921 zählte sie laut eigenen Angaben noch 101 Studierende, im Wintersemester 1921/1922 kamen bereits 1.028 Studierende und 58 Lehrende zusammen, verteilt auf drei Fakultäten mitsamt eines bürokratischen Apparats.1857 Diese Zahlen bezeugen einen Chronika NTSˇ 60–62 (1918), S. 89–131. Rakovs’kyj 1918; Rakovs’kyj 1919. Chronika NTSˇ 65–66 (1922), S. 92–113; 69–70 (1930), S. 49–64; 74 (1939), S. 27–29. Dr. Jurasz für den Senat der Universität Lwów an Rudnyc’kyj, 23. Juli 1919, LSR, S. 385. Mick 2016, S. 215. Memorandum zur ukrainischen Universität, 1922, CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 6, ark. 1. Die Dominanz der (auch jüngeren) konservativen Wissenschaftler aus der Sˇevcˇenko-Gesellschaft wird deutlich etwa in der Zusammensetzung der Anfang 1922 von der philosophischen Fakultät eingesetzten Kommission der Examen für Mittelschullehrer. Vgl. Schreiben an Kyrylo Studyns’kyj, 22. 02. 1922, CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 1, ark. 92. 1857 Gegenwärtiger Stand der Universität [o. J., vermutlich 1923], CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 1, ark. 35–38. Ein früher verfasster Bericht (29. 04. 1922) spricht von weniger Lehrenden, aber mehr Studierenden. CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 1, ark. 1–6. 1851 1852 1853 1854 1855 1856

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gänzlichen neuen Grad der Nationalisierung im Vergleich mit der Vorkriegszeit, insbesondere auch deshalb, weil die im Allgemeinen konservativeren Lehrkräfte das Unternehmen in der Illegalität fortsetzten. Selbstverständlich kamen diese Zahlen auch deshalb zustande, weil in den beiden vorangegangenen Dezennien die Zahlen ukrainischsprachiger Schulen und damit auch der Schülerinnen und Schüler anstieg, die nun entsprechend des in der Vorkriegszeit vorgezeichneten Bildungsweges versuchten, auch höhere Bildung in ihrer Muttersprache zu erhalten. Der Altphilologe Vasyl’ Sˇcˇurat, der 1918 den Vorsitz der Sˇevcˇenko-Gesellschaft übernahm, fungierte als erster Rektor.1858 Unterschiedliche ukrainischnationale Organisationen, die allesamt noch im habsburgischen Galizien gegründet wurden, beteiligten sich an diesem Projekt hinsichtlich der Lehrkräfte und der Bereitstellung von Räumlichkeiten. Prägnant ist, dass die Universität sich nicht als eine »geheime« bezeichnete, als die sie oft tituliert wird, sondern schlicht als »Ukrainische Universität in L’viv«. Angesichts der Rechte, die der »ruthenische Volksstamm« in der Habsburgermonarchie genoss, sowie der Diskurse um die Einrichtung einer separaten Universität, aber auch angesichts der Vereinbarungen des Vertrags von Saint-Germain en Laye, erachteten ihre Initiatoren die ›Ukrainische Universität in L’viv‹ als völlig legitim.1859 Laut einem Bericht aus Archivalien der Universität wären die Orte, an denen die Kurse stattfanden, der lokalen Polizei längst bekannt gewesen. Erst als die überregionale Presse Druck aufgebaut habe, wäre es zu Repressalien gegen die Universität gekommen.1860 Im Jahr 1925 musste die Ukrainische Universität endgültig geschlossen werden. Auch Christoph Mick sieht den Beginn dessen in Initiativen aus dem Zentrum,1861 nicht seitens lokaler Akteure. Dies spricht dafür, dass unterschiedliche Akteure der Stadtverwaltung noch immer ein Bedürfnis nach friedlicher Koexistenz teilten und die staatlich forcierte Unterdrückung der Ukrainerinnen und Ukrainer vorerst nicht mittrugen. Dies würde davon zeugen, dass das Erbe des nunmehr vergangenen österreichischen Galiziens auch in diesem Sinne zumindest partiell fortgewirkt hätte. Für diese Perspektive spricht außerdem, dass sie in die nationalen Narrative des Zeitzeugen Vasyl’ Mudryj (1893–1966), der diese Episode als einen ukrainischen Leidensweg gepaart mit großem Einfallsreichtum beschreibt, keinen Einzug gefunden hat.1862 Für ein 1858 Memorandum zur ukrainischen Universität, 1922, CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 6, ark. 4. 1859 Ebd., ark. 1–9. 1860 »Neue Verfolgungen der ukrainischen Universität in Lemberg«, CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 1, ark. 32. 1861 Mick 2016, S. 215. 1862 Beata Szymków hat in ihrem Vortrag auf der Konferenz »Was bleibt von Galizien? Kontinuitäten – Brüche – Perspektiven« (Wien, 20. 04. 2018) argumentiert, die Ressourcen der neuen polnischen Behörden hätten schlicht nicht ausgereicht, um die Universität zu un-

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differenzierteres Bild dieses Problems wäre allerdings eine tiefer schürfende Analyse basierend auf mehrsprachigen Quellen erforderlich. Doch auch abseits der offiziellen Politik befand sich das NTSˇ in einer ›brenzligen‹ Lage: Sowohl die Bibliothek1863 als auch der akademicˇnyj dim1864 waren von Bombenanschlägen im Jahr 1922 betroffen. Als Erbe des politischen Aktivismus ukrainischer Intellektueller während der Kriegszeit ist hingegen die Ukrainische Freie Universität zu betrachten. Sie konstituierte sich in Wien als Reaktion auf den artikulierten Bedarf seitens ukrainischer Studierendenorganisationen in der Stadt. Daran beteiligt waren insbesondere solche jüngeren Akteure aus dem NTSˇ, die eine leitende Rolle in der politischen Kommunikation und der Wissenskommunikation hatten: unter anderem Oleksandr Kolessa, Dnistrjans’kyj und Rudnyc’kyj. Sie alle lehnten sich an die Exilregierung der Westukrainischen Volksrepublik an, verloren gleichzeitig ihre Positionen in Lwów und teilten die Emigrationserfahrung im Ersten Weltkrieg, als sie gemeinsam in mehreren Organisationen wirkten. Das Projekt übersiedelte nach Prag, weil der tschechische Staat ihm konkrete Unterstützung zusicherte. Auch wenn diese Unterstützung während der 1930er Jahre deutlich nachließ, hatte sich infolge von Emigrationsprozessen und einem Jahrzehnt intensiver lokaler Netzwerkbildung eine Diaspora-community ausgeprägt, die sich partiell selbstständig aufrechterhalten konnte.1865 Das NTSˇ nahm angesichts der konkurrierenden Zentren in Prag, Kiew und später auch Warschau (1930–1939)1866 und Berlin1867 eine zunehmend regionale Funktion ein. Durch die fehlenden angebundenen Lehrstühle konnte es nicht mehr dieselbe Rolle in der Nachwuchsförderung einnehmen wie zuvor – obgleich der akademicˇnyj dim weiterhin zentral für die studierende Jugend blieb.1868 Die gesunkenen Finanzen ermöglichten nur eine geringe Publikationsaktivität im Vergleich zur Akademie der Wissenschaften in der Sowjetukraine. Gleichsam bemühte sich die Akademie, galizische Experten in ihre Arbeit einzubinden.1869 Das NTSˇ fand sich in dieser Rolle aber durchaus zurecht, wurde der Verein doch

1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869

terbinden. Gegen diese These spricht, dass ein ähnliches Projekt, das das russophile stauropygianische Institut im März 1920 ins Leben rufen wollte, dazu führte, dass das Institut von Polizei und Militär eingekreist und die Veranstaltung verboten wurde. CDIAL, fond 310, op. 1, spr. 6, ark. 3. Letztlich waren die ukrainischen Optionen bezüglich der Räumlichkeiten auch beschränkt, so dass zu einem konsequenten Vorgehen keine übermäßigen Ressourcen nötig gewesen wären. Hnatjuk 1984, S. 136. Moroz 2012. Narizˇnyj 1942. Kozak 2012. Kumke 1995. Beskyd 1962. Neben Rudnyc’kyj, Dnistrjans’kyj und Studyns’kyj zählte dazu auch der jüngere Mychajlo Voznjak. Kravec’ 2016.

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›Nationale Wissenschaft‹ im Krieg

die meiste Zeit auch von konservativeren Regionalisten geleitet. Das äußerte sich vor allem durch den intensivierten Betrieb nunmehr zweier Museen, die die regionale Identität transportierten; noch 1914 wurde auf Initiative Rudnyc’kyjs ein naturwissenschaftliches Museum neben dem bestehenden gegründet. Dabei erschienen viele Periodika weniger regelmäßig als in der Vorkriegszeit, gleichzeitig diversifizierten sie sich auch weiter.1870 Letztlich blieben die Kredite der Vorkriegszeit und ihre Bedienung ein zentrales Problem der weiteren Vereinsentwicklung; rein quantitativ bemessen konnte der Verein das Publikationsniveau der Vorkriegszeit nicht mehr erreichen. Auch die Chronik erschien seltener und war kürzer gehalten. Organe wie die deutschsprachigen Sitzungsberichte der MPL-Sektion wurden deshalb ins Leben gerufen, um die Fachöffentlichkeit über den aktuellen Arbeitsstand der Sektion informiert zu halten, waren aber letztendlich kaum mehr als separat veröffentlichte, chronistische Mitteilungen.1871 Hier wird allerdings ersichtlich, dass der vereinsinterne Stellenwert der Naturwissenschaften deutlich anstieg. Die ukrainischen Länder der Zweiten Polnischen Republik waren in ihrer Imagination als kresy Grenzländer im wörtlichen Sinne; die Idee der frontier blieb in unterschiedlichen Figurationen erhalten, sei es in der konstanten Auseinandersetzung um die Identität der ostslavischen Karpatenbewohner1872 oder bei der Einforderung von Minderheiten-, also nationalen Autonomierechten, die Polen im Gegenzug für die Angliederung des ehemaligen Ostgaliziens versprach, aber nicht einlöste. Zumal diese Bemühungen vergebens blieben und sich etwa ukrainische Lehrstühle nur außerhalb von Lwów realisieren ließen, verlor die Stadt zunehmend an Relevanz als ukrainischer Wissenschaftsstandort. Das NTSˇ blieb dennoch ein wichtiger Netzwerkknoten für die regionalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Verein blieb trotz seiner neuen Stellung im ukrainischen intellektuellen Raum nicht minder politisch aktiv; er kämpfte gegen Einschränkungen nationaler Rechte, einschließlich des Verbots des erst jüngst offiziell durchgesetzten Volksnamens »Ukrainer«.1873 Zusammen mit den wissenschaftlichen Einrichtungen der ukrainischen Diaspora in der Tschechoslowakei gründete das NTSˇ 1925 das Ukrainische Akademische Komitee in Prag, eine Dachorganisation für die nichtsowjetische ukrainische Wissenschaft. Dieses organisierte mit den Ukrainischen Wissenschaftlichen Konferenzen 1926 und 1932 nicht nur wichtige Netzwerktreffen, sondern schickte sich auch politisch an,

1870 1871 1872 1873

Savenko 2016, S. 148–167. Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion I (1924), [3]. Rohde 2021, Eine wissensgeschichtliche Perspektive. Denkschrift der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften in Lemberg aus Anlass des Verbotes des nationalen Namens 1923.

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Das NTSˇ in Lemberg nach dem Kriegsausbruch

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(west-) ukrainische Positionen vor dem Völkerbund zu vertreten.1874 Die leitenden Rollen von Ivan Horbacˇevs’kyj, Oleksandr Kolessa und Stepan Smal’Stoc’kyj in diesem Kontext1875 zeigen erneut, wie prägend das frühe NTSˇ sowie die habsburgischen Strukturen und Professuren für Netzwerke und individuelle Positionen waren; gleichsam unterstreicht die Gesamtkonstellation, dass das NTSˇ nur mehr ein Teil des Ganzen, aber nicht mehr das unbestrittene Zentrum war.

1874 Statut Ukrajins’koho Akademicˇnoho Komitetu v Prazi, o. J., Slovanská knihovna, Speciální sbírky, T-UAK (Ukrajinský akademický komitét (1924–1940)), inv. cˇ. 1; vgl. auch den Briefwechsel mit dem Völkerbund, ebd., inv. cˇ. 14. Zu den wissenschaftlichen Kongressen vgl. Ukrajins’kyj Naukovyj Zjizd u Prazi 3–7 Zˇovtnja 1926 r. 1928; II. Ukrajins’kyj naukovyj zjizd u Prazi 20–24 bereznja 1932 1932. 1875 Zapysky pro orhanizaciju Ukrajins’koho Akademicˇnoho Komitetu, 1925, Slovanská knihovna, Speciální sbírky, T-UAK, inv. cˇ. 16.

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10. Résumé

Diese Arbeit stellte die »unsichtbaren Ränder des Blickfelds«1876 der ostmitteleuropäischen Imperien ins Zentrum, ohne dabei ›Europa‹ oder das jeweilige Imperium zu provinzialisieren.1877 Im Gegenteil: es sind diese Verbindungen, durch die zahlreiche Akteure – auch im regionalen, galizischen Kontext – erst an agency gewannen. Gleichzeitig wurde versucht, die in allen staatlichen Kontexten prekären ukrainischen Wissensformationen für sich ernst zu nehmen, ohne sie aus einer post-1945-Perspektive mit Bezug zur Gewaltgeschichte, zum Holocaust oder zum integralen Nationalismus zu deuten. Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgewachsenen und (akademisch) sozialisierten Protagonisten dieser Geschichte waren, obgleich sie bis in die 1930er Jahre tätig waren oder von späteren Ideologen der Organisation Ukrainischer Nationalisten als Referenz zitiert wurden,1878 doch Akteure des 19. Jahrhunderts. Insofern müssen sie in den Strukturen und Rezeptionskulturen untersucht werden, in denen sie tätig waren.1879 Nur so lässt sich Kritik an der Wissenschaft mit der Suche einer Akteursgruppe nach Selbstermächtigung verbinden, ohne eine spezifische Perspektive auf ihr Wissen zu verabsolutieren. Trotz des Fokus auf ukrainische Akteure handelt es sich hier um keine klassische Nationalgeschichte, sondern die Geschichte einer sich nationalisierenden Gruppe von Wissenschaftlern und ihrem Umfeld, die in und zwischen zahlreichen Räumen agierte und Wissen nicht durch bloße Diffusion übernahm. Ukrainische Wissenschaftler und Intellektuelle adaptierten zentral- und westeuropäische Wissensformationen sowie Arbeitstechniken für ihre spezifischen Bedürfnisse. Wissen über die Ukraine bereiteten sie speziell für westeuropäische Foren auf und platzierten es entsprechend. Die Genealogie des Ukrajinoznavstvo,

1876 1877 1878 1879

Anderson 2005, S. 71. Chakrabarty 2010. Vgl. Rossolinski-Liebe 2019. Ähnlich argumentiert Seegel 2018.

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Résumé

die Hrusˇevs’kyj vorlegte, bot den Rahmen, in dem dieses Wissen konstruiert, überarbeitet und weitergedacht wurde. Die Konstruktion einer ukrainischen Nation und eines ukrainischen Territoriums beinhaltete notwendigerweise die Dekonstruktion anerkannter Raumkonzepte Ost- und Ostmitteleuropas. Damit setzte sich der Verein nicht immer derart systematisch auseinander wie Rudnyc’kyj während des Ersten Weltkrieges, doch musste sich der Verein entlang seiner Mission in diese Diskurse einschreiben. Das prägte die ukrainische Wissenschaft selbst, folgerichtig aber auch europäisches Wissen um die betroffenen Räume. Die Abwehrhaltung gegen polnische und/oder russische Identitätskonzepte und Aneignungsversuche findet sich in nahezu allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen sowie in der Anthropologie, Geographie und Statistik, sprich all jenen Disziplinen, die sich im weitesten Sinne mit den ukrainischen Ländern, ihren Bewohnerinnen und Bewohnern sowie ihrer Kultur befassten. Während diese Arbeit exemplarisch Statistik, Kartographie und die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Grenzlandschaften herangezogen hat, finden sich andere Beispiele, in denen sich die diskutierten Spezifika wiederfinden. Dazu gehört eine von Ivan Franko vorgelegte Konzeption ukrainischer Nationalliteratur mit ungewöhnlich zentraler Betonung von Folklore.1880 Erst durch diese Auseinandersetzungen ist aus Wissenschaften mit dem Bezug zu Grenzlandschaften eine mehrdimensionale frontier science geworden. Künftige Arbeiten müssten die These einer hervorgehobenen Relevanz solcher wissenschaftlichen frontier-Räume an anderen zeitlichen und räumlichen Beispielen prüfen. Aus dem ukrainischen Raum wären die westukrainischen Länder als kresy der Zweiten Polnischen Republik, die Podkarpatská Rus in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit oder die ukrainisch-belarussischen und ukrainisch-russischen Grenzräume treffende Untersuchungsgegenstände. Keineswegs muss der Ansatz auf die Ukraineforschung limitiert werden, bieten sich doch vergleichende Anknüpfungspunkte an die polnische Westforschung, deutsche Ostforschung oder die transkulturellen Kontaktzonen der Habsburgermonarchie. Gleichfalls könnten spezifische Landschaften in den Blick genommen werden, die nicht nur von zwei nationalen Projekten, sondern von einer Vielzahl an politischen und kulturellen Gruppen beansprucht wurden, etwa der Karpaten- oder Schwarzmeerraum, der Kaukasus oder die Alpen. Einen solchen Ansatz zu vertiefen bedeutet gleichsam, Wissen aus lokalen, regionalen und nationalen Denktraditionen ernst zu nehmen und seine Konstruktion im transkulturellen Dialog kritisch zu hinterfragen. Die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit werden entlang der drei großen Themenfelder dieser Arbeit zusammengefasst, also in ihrer regionalgeschicht1880 Vertij 2008.

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Ein transimperialer Wissenschaftsverein in Galizien

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lichen Dimension, der Selbstverortung des Vereins und der Arbeit am ukrainischen Raum.

10.1 Ein transimperialer Wissenschaftsverein in Galizien Zwei Imperien prägten die Geschichte transimperialen Austauschs wesentlich, selbst wenn sie nicht immer im Vordergrund standen. Wie im polnischen Fall war die ukrainische Wissenschaftsgeschichte der Periode um die Jahrhundertwende zu einem wichtigen Teil ein transimperiales Unterfangen. Der Unterschied der polnischen und ukrainischen Wissenschaftsgeschichten ist in den Ressourcen, aber auch in kulturellem und sozialem Kapitel zu sehen, wie diese Arbeit wiederholt thematisiert hat. Das NTSˇ war die erste wissenschaftliche Organisation, die sich für alle ukrainischen Länder verantwortlich sah, ohne dabei völlig von der Gnade des Staates abhängig zu sein, in dem sie lokalisiert war. Das heißt nicht, dass der Verein nicht immens von den rechtlichen Grundbedingungen und der partiellen Unterstützung der Habsburgermonarchie profitiert hätte, aber es heißt, dass der Verein seine Inhalte nicht von diesem Staat oder den Hierarchien innerhalb des Kronlandes abhängig machen musste. Der einmalige Ausfall der Landessubventionen (Anhang II), der durch Kritik an der Verwendung von Geldern begründet war, brachte die Vereinstätigkeit nicht zum Erliegen. Die erzählte Geschichte begann mit transimperialer Kommunikation, Versuchen und Hindernissen, galizische Freiheit für die ukrainische Nationalbewegung nutzbar zu machen, die durch repressive Politik im Zarenreich in immer größere Bedrängnis geriet. Nicht nur rechtliche Rahmenbedingungen, sondern auch lokale Sozialstrukturen und ideologische Selbstverortungen der Lemberger Bezugsgruppe waren Grundbedingungen der Entfaltung des NTSˇ in der frühen Phase, die sich in der Nova era in förderlicher Art und Weise zu transformieren begannen. Die Erweiterungen ukrainischer Studiengänge führten zum Anstieg ukrainischer Studierender an der philosophischen Fakultät und der Ausbau des ukrainischen Schulwesens erlaubte die Erweiterung einer akademisch gebildeten Mittelschicht als Träger einer Wissenschaftsbewegung. Die rasche Integration von Nachwuchskräften war wiederum zentral für den Ausbau des NTSˇ. Die Verortung des Vereins außerhalb der Parteipolitik erlaubte auch die Integration von Wissenschaftlern älterer Generationen, abweichender politischer Ausrichtungen oder aus der ländlichen Intelligenz. Während der 1890er Jahre bewegte sich der Verein damit vom Rand in das Zentrum der galizisch-ukrainischen Gesellschaft, leistete unterschiedliche Beiträge zur Herausbildung einer nationalukrainischen Identität, zur politischen Verständigung unterschiedlicher Gruppen und zur Aushandlung diverser Positionen mit dem Staat. Damit scheint eine von der Politik abgegrenzte Wissenschafts- oder Vereinsgeschichte weder

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Résumé

möglich noch sinnvoll, zumal das NTSˇ ein zentraler Akteur der Wissenschaftslandschaft war, der die Sozial-, Politik-, Kultur- und Wissensgeschichte Galiziens, der ukrainischen Länder sowie der beiden Imperien in unterschiedlichem Maße beeinflusste. Hrusˇevs’kyjs Arbeit in Galizien war eine wichtige, wenn auch nicht unproblematische Kulturübersetzung, durch die sich das NTSˇ ebenso wie die ukrainisch-nationale Öffentlichkeit des habsburgischen Kronlandes mittelfristig veränderten. Zu seiner ideologisierten »nationalen Wissenschaft« bzw. Ukrajinoznavstvo konnten sich ukrainische Intellektuelle nicht neutral verhalten. Insofern forcierte Hrusˇevs’kyj damit die Lagerbildung innerhalb der ruthenischukrainischen Gesellschaft; mit allen Vereinskrisen gruppierten sich Anhänger und Oppositionelle neu. Ehemalige Schüler kooperierten 1913 intensiv mit frühen Gegnern, wie anhand von Rudnyc’kyj und Tomasˇivs’kyj gezeigt wurde. Nichtsdestotrotz transformierte Hrusˇevs’kyjs Arbeit auch Dnistrjans’kyjs Denken und Handeln mit Bezug zur Ukraine. Doch nicht nur als intellektueller Meilenstein, sondern auch als vereinsgeschichtlicher ist seine Präsidentschaft dahingehend hervorzuheben, dass er nicht nur die finanzielle Lage, sondern auch das überregionale Ansehen der ukrainischen scientific community nachhaltig veränderte. All diese Aspekte, die nicht in direkter Konkurrenz zu klassischen Narrativen der Vereinsgeschichte stehen, dürfen aber nicht verdecken, dass sich zahlreiche Wissenschaftler trotz dieses wichtigen Einflusses nicht als Anhänger des Präsidenten positionierten. Der ›schwierigen‹, bisweilen autoritären Persönlichkeit Hrusˇevs’kyjs geschuldet, ist es nicht möglich, Anhänger und Oppositionelle in statischen, schwarz-weiß gezeichneten Zuordnungen zu präsentieren, auch wenn Indikatoren (Anhang VIII) zumindest temporäre Identifikationen nachvollziehbar machen. Diverse Schüler wandten sich letztlich von Hrusˇevs’kyj ab, weil sie (auch) galizisch-ukrainische und eben nicht nur gesamt-ukrainische Interessen vertreten wollten. Deswegen waren aber ihre Ausbildung – im Verein und der Universität – und die ideologische Grundausrichtung des Ukrajinoznavstvo nicht weniger einflussreich für ihre Karrieren und ihre wissenschaftlichen Ansichten. Vovk, Rudnyc’kyj, Tomasˇivs’kyj, Barvins’kyj und Rakovs’kyj, Pavlyk und Franko kooperierten über unterschiedliche Zeitabschnitte mit dem Vereinspräsidenten, doch verfolgten sie dabei stets eigene Agenden und Projekte. Sie konnten ebenso als eigensinnige Nutznießer des von Hrusˇevs’kyj etablierten Systems auftreten wie andere ukrainische Intellektuelle. Die Schlaglichter auf Amateurforscher wie Mychajlo Zubryc’kyj zeigen, dass sich jeder in die Vereinsnarrative einschreiben konnte, der zumindest den ideologischen Leitlinien nicht widersprach und sich für den Verein bzw. die ukrainischsprachige Wissenschaft engagieren wollte. Diese Möglichkeiten endeten hingegen dort, wo Kritik am Vereinspräsidenten oder Ansprüche auf die Vereinsressourcen begannen.

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Ein transimperialer Wissenschaftsverein in Galizien

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Die Analysen zur Universitätspolitik, zur Nachwuchsförderung und den Ferienkursen als Kompensations- und Symbolprojekt haben klar die Möglichkeiten und Grenzen der Vereinstätigkeit im Austausch mit der galizischen Politik und Öffentlichkeit gezeigt. Während es für vereinzelte (politische) Projekte wie eine selbstständige ruthenische/ukrainische Universität einen kooperativen Zusammenhalt gab und konservative Akteure auf das NTSˇ allein wegen seiner Nähe zur Akademicˇna hromada nicht verzichten konnten, waren ideologisierte Projekte wie die wissenschaftlichen Ferienkurse ob differenzierter Interessen im Verein sowie in der galizisch-ukrainischen Gesellschaft bisweilen konfliktreich. Auch die Nachwuchsförderung war bis zu einem gewissen Grad an Kontakte und ideologische Kompatibilität gebunden. Das gilt auch im weiteren Sinne für Hilfskraft- und Verwaltungsstellen, die der Verein in den späteren Jahren immer häufiger in der Bibliothek oder dem Museum schuf.1881 Die Sammlungen befanden sich wiederum im engen Austausch mit den Forschungsprojekten des Vereins, so dass Nachwuchswissenschaftler schnell Anschluss an die Forschungen des Vereins finden konnten.1882 Solche Aufstiegsmöglichkeiten sind am Beispiel Kuzeljas exemplarisch gezeigt worden und waren im Rahmen ethnographischer Forschungsprojekte häufiger gegeben, nicht nur für Studenten, sondern auch für Amateurwissenschaftler. Das NTSˇ hat sich als Knotenpunkt zahlreicher Vernetzungen erwiesen, die äußerst prominente Kapitel der galizischen Geschichte prägten. Bei Auseinandersetzungen um die Universität Lemberg bzw. die Gründung einer eigenständigen ukrainischen Universität konnte gezeigt werden, dass sämtliche Expertise, die UNDP-Politiker für die Erarbeitung ihrer Stellungnahmen nutzten, in Verbindung mit dem NTSˇ entstand. Außerdem vermittelte der Verein zwischen ukrainischen Eliten und der universitären Jugend. Nicht zuletzt bot der Verein eine Plattform für extracurriculare Aktivitäten, die ukrainische Wissenschaftler – allen voran Professor Hrusˇevs’kyj – gern an der Universität durchgeführt hätten, aufgrund kollegialer Machtgefüge allerdings nicht konnten. Komplementär zu diesem Fall wurde gezeigt, wie die Expertise, auf die die ukrainische Politik im frühen 20. Jahrhundert und insbesondere während des Ersten Weltkrieges sowie der Pariser Friedenskonferenz zurückgreifen konnte, im NTSˇ entstand. Rudnyc’kyj, als prominentester Exponent ukrainischer ›Wissenschaftspropaganda‹, verfasste dementsprechend in vielerlei Hinsicht eher Synthesen und übernahm Wissen, das seine Kollegen zuvor produziert hatten. Das schmälert seine Rolle nicht, veränderte sich doch das Wissen im Zirkulationsprozess in vielen Fällen, sollte aber zumindest den Anstoß geben, seine mono-

1881 Bewerbungsschreiben von Privatpersonen an das NTSˇ, Bd. 1, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 440; Bd. 2, ebd., spr. 441; Bd. 3, ebd., spr. 442. 1882 Sapeljak 2000.

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Résumé

lithische Stellung in der Betrachtung der ukrainischen Intellektuellengeschichte der Kriegs- und Zwischenkriegszeit zu dekonstruieren und breitere ukrainische Netzwerke in künftige Betrachtungen dieser Periode einzubeziehen. Auch darüber hinaus hat die Arbeit Themen zur ruthenisch-ukrainischen Gesellschaft Galiziens aufgegriffen, die sich in die breitere Galizienforschung einschreiben. Die Flexibilität vermeintlich festgefügter Identitäten ist am Beispiel der Russophilen diskutiert worden; wenn auch nicht zahlreiche, so haben sich doch wichtige Intellektuelle oft zwischen den ›Lagern‹ bewegt. Darüber hinaus haben sich die Vereine auch gegenseitig wahrgenommen, oder aber zumindest mit dem Publikationsaustausch die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Ideologie abgelegt hätten, sie fanden aber einen Modus des Austauschs, bei dem Wissenschaft ideologische Voraussetzungen transzendieren konnte, so etwa bei den Arbeiten I. O. Levyc’kyjs in der bibliographischen Kommission. Er hatte zwar die Rechtschreibung des Vereins zu akzeptieren, sah sich dann aber bemächtigt, seine Bibliographien auf Vereinskosten zu publizieren. Außerdem ist die Geschichte der Frauen im NTSˇ eng an die Bildungsgeschichte Galiziens geknüpft. Durch die späte Einführung des Studiums für Frauen und die disparate Abdeckung mit ukrainischen Mädchenschulen, die zumeist im privaten Bereich verblieben, stieg die Zahl der Frauen in den männlich dominierten Tätigkeitsfeldern der intelihencija nur langsam. Die Sozialstruktur der griechisch-katholischen, ukrainischsprachigen Familien war kaum förderlich für diese Entwicklung. Häufig waren es griechisch-katholische Geistliche, die ihren Kindern höhere Bildung ermöglichten. Darum blieben ›traditionelle‹ Familienbilder selbst dann äußerst folgenreich, wenn Mädchen das Gymnasium besuchten. Der Fokus höherer Schulbildung sollte auf häuslichen Aufgaben und der Kindererziehung liegen, nicht auf der Vorbereitung einer akademischen Karriere.1883 Die wenigen Frauen, die im Vereinsleben eine direkte Rolle spielten, wurden in den historischen Quellen häufig zum Verschwinden gebracht, hatten aber doch einen gewissen Anteil am Vereinsleben, wenn sie auch nur selten als Forscherinnen in Erscheinung traten. Ein instruktiver Einzelfall ist die Ärztin Sofija Moracˇevs’ka-Okunevs’ka. Sie ist nicht marginalisiert worden – vielmehr litt die gesamte medizinische Kommission innerhalb der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion an Strukturschwächen, durch die sich um 1900 kein stabileres wissenschaftliches Netzwerk herausbilden konnte. Moracˇevs’ka-Okunevs’ka bezeugt vielmehr, dass der Verein jenen Frauen, die sich wissenschaftlich betätigen wollten und aus eigener Kraft eine Promotion erarbeiteten, durchaus einen Platz gab. Es findet sich allerdings kein Beleg dafür, dass Studentinnen mit der gleichen Intensität gefördert worden wären wie der ˇ ercˇovycˇ 2017; Bohacˇevs’ka-Chomjak 2018. 1883 C

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Selbstverortung – zwischen Wissensräumen

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männliche Nachwuchs um 1900. Insgesamt lässt sich bei aller Exzeptionalität des NTSˇ an diesem Beispiel zeigen, dass der Verein die Ordnungen imperialer Wissenschaft reproduzierte.

10.2 Selbstverortung – zwischen Wissensräumen Die Grenzlage war nicht nur ein Modus der Beschreibung ukrainischer Vergangenheit, sondern das zentrale Merkmal der individuellen Selbstverortung zahlreicher Wissenschaftler. Es handelte sich um eine überaus mobile Gruppe, die in Provinzregionen zweier Imperien kreative Lösungen für Situationen mit limitierten Ressourcen finden musste, um Wissenschaft auf Augenhöhe mit zentral- und westeuropäischen Wissenschaftlern betreiben zu können. Notwendigerweise veränderte sich dadurch der Fokus; es bestanden keine Ressourcen, um eine ukrainischsprachige Universalenzyklopädie zu verfassen, doch wenigstens eine Nationalenzyklopädie sollte das Ziel sein. Vergleichbare Einschränkungen mussten auch die Bibliothek und das Museum des Vereins hinnehmen, doch durch entsprechende Strategien entstand in raschem Tempo ein Forschungszentrum für ukrainische Angelegenheiten, das mit überregional bedeutenden Sammlungen ausgestattet war. Doch die Grenzlage drückte sich nicht nur in Ressourcen und organisatorischen Aufgaben, sondern auch wissenschaftlichen Inhalten aus. Das Misstrauen gegenüber staatlichen Daten, die Kritik an hegemonialen Narrativen und die Suche nach Ursprünglichkeit als Ressource transnationaler Abgrenzung waren die Folge. Diese Tendenz transzendierte die vereinsinterne Gruppenbildung, fand sich in der statistischen oder rechtswissenschaftlichen Kommission ebenso wie der ethnographischen, unter Hrusˇevs’kyjs Anhängern wie auch seinen Gegnern. Soziale und kulturelle Faktoren der Wissensproduktion sind von inhaltlichen Aspekten der Forschung nicht zu trennen. Der Verein suchte eine Wissenschaftssprache zu etablieren und tat dies nicht nur durch die Übertragung von Begriffen, sondern auch, indem er solche Modi der Selbstbeschreibung mit transgenerationellem Erfolg etablierte. Das ist ein wesentliches und häufig unterschätztes Vermächtnis seiner Arbeit in Galizien. Die Selbstbeschreibung in ›Grenzlage‹ bedeutet das Vorhandensein entsprechender Bezugsräume, zu denen sich der thematisierte Raum in ein Verhältnis setzt. Im Verlauf dieser Arbeit haben sich fünf größere Räume und Raumkonzepte herauskristallisiert, die sich für das NTSˇ in Lemberg als prägend erwiesen und vice versa. Das sind, in rein pragmatischer Nummerierung, 1) Ukraine, 2) Zarenreich, 3) Polen, 4) Habsburgermonarchie, 5) Europa. Wesentliche Punkte der multidimensionalen Vereinsgeschichte sind vor allem in Bezug auf diese Räume zu sehen, um ein nachhaltiges Fazit zu formulieren.

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1) Die Arbeit konnte zeigen, dass die ›Helden‹ oder Koryphäen der ukrainischen Wissenschaft keineswegs allein gehandelt haben. Das NTSˇ war nicht nur eine Organisationsplattform, die finanzielle Unterstützungen bereitstellte, sondern das zeitgenössisch effektivste Werkzeug, um die ukrainische Intelligenz zu beeinflussen, intellektuelle Auseinandersetzungen zu führen und Ideologien – das zeigt das Beispiel des Ukrajinoznavstvo – zu installieren. Gerade dieser ideologisch-genealogische Hintergrund der Wissenschaft zeigt umso mehr, wie relevant der Verein in der Ausbildung solcher Akteure wie Rudnyc’kyj und Tomasˇivs’kyj war, die Wissenschaft effektiv der Politik andienten. Die Bedeutung der Ausbildung und die Nutzbarmachung junger Kräfte hatten jedoch eine weitere Dimension für die ukrainische Intellektuellengeschichte. Seine Schüler trugen dem Nationalhistoriker Hrusˇevs’kyj die Quellen für sein opus magnum zu und erlaubten ihm dadurch erst, parallel zu seiner Berufs- und Vereinstätigkeit, zur Publizistik, Politik und Wissenschaftsorganisation ein vielbändiges Geschichtswerk abzufassen. Wie auch jene Karten, die als Herzstück und Synthese der ukrainischen Wissenschaftsgeschichte der diskutierten Periode zu verstehen sind, handelt es sich bei der Nationalgeschichte um eine Gruppenleistung. Ukrainische Wissenschaft zu institutionalisieren bedeutete, Grenzen zu transzendieren. Wie auch im Abschnitt zu Galizien verdeutlicht, handelte es sich ob spezifischer Wissensformen und des Wunsches nach einer spezifischen Vortrags- und Prüfungssprache nicht nur darum, die Grenzen staatlicher Wissenschaftspolitik und der Universitätsautonomie zu transzendieren, sondern auch die Grenzen von Staaten. Die Verbindung zwischen (Ost-) Galizien und den ukrainischen Territorien im Russländischen Reich war, entgegen nationaler Axiome ahistorischer Zusammengehörigkeit, keine Naturgegebenheit. Vielmehr wurde sie performativ produziert, durch Akteure, die sich für intellektuelle Verbindungen einsetzten und diese zu institutionalisieren suchten. Das Literaturjubiläum 1898, die wissenschaftlichen Ferienkurse oder die Errichtung eines Monuments für Kotljarevs’kyj in Poltava1884 funktionierten als community building durch wissenschaftliche und symbolische Kommunikation; sie alle zeugen von einer transimperialen ukrainischen Bildungselite, die ihre Qualifikation als Legitimation ihrer Führungsrolle verstand und sich mit breiteren Teilen, vornehmlich aus derselben Klasse, zu vernetzen suchte. Die imperiale Grenzlage war die Grundlage des scientific community building, dementsprechend unter erschwerten Bedingungen und limitierten Ressourcen. Strategien des community building in dieser Situation sind deshalb von besonderem Interesse. Die Grenze – im Sinne einer frontier – hatte damit bisweilen einigende Effekte auf die transimperial agierende Gruppe, wohingegen Anhänger gegensätzlicher Identifikationsangebote der transimperialen Kooperation abschwo1884 Jedlins’ka 2006, S. 267–275.

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Selbstverortung – zwischen Wissensräumen

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ren. Übersetzt kann das heißen, dass aufgrund imperialer Kohäsionspolitiken vielfach Indifferenz gegenüber spezifischen Projekten des transimperialen nation-building herrschte. Die Komplexität der Situation erlaubt hingegen kein Pauschalurteil; einerseits war die Verbindung, ob symbolisch oder real, ein zentrales Moment nationaler Selbstvergewisserung der narodovci. Andererseits hieß das eben nicht, dass sie ein Eingreifen in eigene Pläne erlaubten. Lokales Wissen war die unmittelbare Voraussetzung für ethnographische, folkloristische oder anthropologische Forschungen. Durch diese Relevanz schrieben sich lokale Akteure permanent in nationale Diskurse ein. Dementsprechend ist die Hypothese aufzustellen, dass lokales Wissen aus den Orten mit besonders kooperationswilligen Eliten, etwa Kryvorivnja oder Msˇanec’, das Wissen über die jeweilige Region im Vergleich zu anderen dortigen Dörfern unverhältnismäßig stark prägte. Bedeutsame Unterschiede sind hier jedoch zwischen Anthropologie und Ethnographie auf der einen Seite gegenüber der Statistik und folgerichtig der Kartografie auszumachen. Die Umgangssprachenstatistik räumte dem Lokalen kaum Platz ein; zur Volkszählung 1910 ist das wörtlich zu verstehen, zumal die für eine regionale Analyse benötigten Gemeindeverzeichnisse nicht mehr veröffentlicht wurden. Die statistischen Privatzählungen sollten ermöglichen, das Lokale auch in der nationalen Makroperspektive zu würdigen. Trotz des wissenschaftlichen Misserfolgs politisierte dieses Experiment die lokalen Eliten aber zunehmend. Limitierte Ressourcen waren die bestimmende Problematik, die sich nur sektoral durch Kooperationen wie im Fall der Forschung Vovks bewältigen ließen. Letztlich hing auch die Förderung von der Gnade des Vereinspräsidenten ab, der jedoch der historischen Quellensammlung den Vorzug gab und die statistische Forschung finanziell an der kurzen Leine hielt. Limitierte Ressourcen waren aber auch kein Problem, das sich exklusiv auf das NTSˇ beschränkte; so stießen auch das UNT und das Enzyklopädie-Projekt an die Grenzen organisatorischer und finanzieller Kapazitäten. Im Vergleich zu ihnen fanden sich die ukrainischen Vereine der Habsburgermonarchie durch ihre Staatsförderung noch in einer privilegierten Situation. 2) Die politische Situation im Zarenreich war elementar für die Auslagerung kultureller Initiativen und der nötigen finanziellen Mittel nach Galizien. Während sich diverse angesprochene Wissenschaftler mit dem russländischen Wissenschaftssystem arrangierten und von ihm profitierten, bot das habsburgische Galizien – allein die Veranstaltung der Ferienkurse 1904 belegt das – größere Freiheiten. Die politischen Lockerungen infolge der Russischen Revolution 1905 führten zwar zu diversen Akzentverschiebungen der Nationalbewegung und vor allem des Vereinspräsidenten, von denen auch das NTSˇ betroffen war, allerdings kann bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges von einem Statusverlust des Vereins innerhalb der Nationalbewegung nicht die Rede sein. Diese Verlagerung

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und insbesondere die Aktivitäten Hrusˇevs’kyjs verdienen eine gesonderte Behandlung, wie sie unter anderem Plokhy vorgelegt hat.1885 Die Definition der Ukraine spielte sich in den diskutierten Aspekten fast immer in Bezugssetzung zu Polen und Russland ab. Beide Räume schienen wiederholt als diskursive Größen auf, die teilweise in Form von Wissenschaftlern als Feindbilder auftauchen, teilweise als imaginäre Größen. Historische Staatswesen waren ebenso wie gegenwärtige Dominanz die Auslöser der letzteren Tendenz. In anderen Fällen, etwa Rudnyc’kyj und Romer, bildeten sich wissenschaftliche Auseinandersetzung aus, die über mehrere Jahre währten. Während seiner Zeit in St. Petersburg trug Vovk vergleichbare Streitigkeiten mit diversen Wissenschaftlern im Zarenreich aus.1886 Die Instrumente (west-) europäischer Wissenschaften boten beiden ukrainischen Wissenschaftlern Möglichkeiten, sich trotz kultureller und politischer Marginalisierung der ukrainischen Bevölkerungsteile in den jeweiligen Ländern über gegensätzliche Positionen hinwegzusetzen. 3) Wie auch das Zarenreich und die russische Nationalbewegung diente Polen allein durch die Geschichte der Rzeczpospolita bis zu den Teilungen und der polnischen Dominanz in Galizien als Negativfolie, als ›Organismus‹, von dem der ukrainische Körper in Begriffen der physischen Anthropologie abgespalten und kulturell abgegrenzt werden sollte. Mit dem Begriff des nationalen ›Organismus‹, der so relevant für die Idee der ›organischen Arbeit‹ war, ist ein zentraler Programmpunkt der ruthenischen narodovci genannt, der die Nationalbewegung prägte wie kaum eine andere Idee – und sie war von polnischen Positivisten vorgedacht. Obwohl sich polnische und ukrainische Nationalbewegungen an der galizischen frontier intellektuell zerstritten, waren Transfers ebenso wie produktiver Austausch keine einmalige Angelegenheit. Dass ukrainische Studierende auch gewinnbringend Kurse polnischer Professoren an der Universität Lemberg besuchten, findet sich in kaum einer Nationalgeschichte, auch wenn derartige Verbindungen hier nur am Rande Erwähnung finden konnten. Dem ist allerdings hinzuzufügen, dass sich Kooperationsmöglichkeiten zwischen polnischen und ukrainischen Wissenschaftlern häufig außerhalb der nationalen Frontstellung in Lemberg fanden, sowohl mit Kontakten aus dem westgalizischen Krakau als auch aus dem Zarenreich.1887 4) Die Habsburgermonarchie bot der ukrainischen Nationalbewegung weit mehr als nur Grundfreiheiten, die den Ausbau des Vereins- und Kulturwesens ermöglichten. Der Staat förderte den Verein direkt und konnte sich dafür seine 1885 Plokhy 2005. 1886 Mogilner 2013, Beyond. 1887 Eng war etwa die Kooperation zwischen dem Slavisten Jan Baudouin de Courtenay (1845– 1929) mit Franko und Hnatjuk. Dazu Hresˇcˇuk (Hg.) 2008.

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Loyalität zumindest symbolisch im öffentlichen Raum sichern. Auch darüber hinaus konnte die Arbeit zeigen, dass die Verbundenheit einiger Akteure mit dem Staatswesen mehr als nur ein Lippenbekenntnis war. Die Rolle des NTSˇ in Galizien erschöpft sich nicht im Zusammenwachsen der ukrainischen Länder in einem wissenschaftlichen Kommunikationsraum und nicht in der bloßen Diffusion von Wissen. Ideen aus dem transnationalen Fundus der habsburgischen Öffentlichkeit zirkulierten und wurden in den ukrainischen Wissensspeicher integriert, wie am Beispiel populärwissenschaftlicher Initiativen gezeigt wurde. Auch darüber hinaus blieben spezifische Problemstellungen wie Autonomiediskurse langfristig zirkulierende Ideen mit erheblicher Relevanz für das ukrainische nationale Projekt.Nicht nur das imperiale Bildungssystem, sondern auch imperiale Akteure dienten als Steigbügelhalter ukrainischer Wissenschaftsprojekte und bisweilen sogar Politik. Zugeständnisse äußerten sich nicht nur in Form von Loyalität, sondern auch das Antragen ukrainischen Wissens für imperiale Projekte, so für den Verein für österreichische Volkskunde und sein Museum, die galizische Allgemeine Landes-Ausstellung 1894, das Kronprinzenwerk und ein nicht zu Ende geführtes Projekt zum Volkslied in Österreich. Ohne ukrainische Kooperation hätten solche Projekte eben nicht die Vielfalt des Reiches derart darstellen können.1888 Die unmittelbare Nutzbarmachung ukrainischen Wissens für die Reichspolitik ließ hingegen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf sich warten. Die formalen Richtlinien der Vereinsorganisation bezeugten nicht nur Freiheit, sondern auch spezifische Regularien, die das NTSˇ mit Wissenschaftsvereinen aus allen Regionen Cisleithaniens teilte. Wie auch die Orientierungen an anderen cisleithanischen Akademien der Wissenschaften, etwa der in Krakau, bezeugen sie eine organisatorische Europäisierung. Indem die Vereinsstatuten des NTSˇ als Folie für die Gründung des UNT herangezogen wurden, ist auch diesbezüglich von einem transimperialen Transfer, diesmal in die entgegengesetzte Richtung, zu sprechen.1889 Das imperiale Zentrum muss zwar in viele der behandelten Prozesse einbezogen werden, etwa, weil es die für die ukrainische Selbstwahrnehmung Galiziens bedeutsame Umgangssprache einführte, allerdings stellte Wien im Gegensatz zu polnischen und russischen Initiativen keine direkte Konkurrenz dar, die die Identität ukrainischer Menschen oder ethnographischer Teilgruppen wie Lemken, Bojken oder Huzulen für sich beanspruchte. Das Zentrum warb zwar um die Loyalität als Staatsbürger, allerdings förderte die programmatische »Einheit in 1888 Das Volkslied in Österreich 2004. Die Parallelen dieser drei Projekt aus ukrainischer Perspektive thematisiere ich ausführlich in Rohde 2021, Huculska pies´n´. 1889 Statut Ukrajins’koho Naukovoho Tovarystva u Kyjivi [1906, Arbeitsvarianten], CDIAK, fond 1235, op. 1, spr. 80, ark. 1–5zv.

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der Vielfalt« doch die Volksstämme und ließ das Ruthenische eine staatlich geförderte Sprache sein, kein Dialekt wie das Kleinrussische im Zarenreich, das in Druckwerken und Schulen verboten war. 5) Die Artikulation ihrer Anliegen vor europäischen Foren erforderte eine Professionalisierung, keine Popularisierung, wie die Vereinsleitung im frühen 20. Jahrhundert argumentierte. Die strikte Trennung zwischen populärer und professioneller Wissenschaft ist als Produkt von Aushandlungsprozessen des 19. und 20. Jahrhunderts von eklatanter regionaler Abweichung zu verstehen, das in jedem Einzelfall historisiert werden muss.1890 Im galizisch-ukrainischen Fall war dieser Prozess im frühen 20. Jahrhundert keineswegs abgeschlossen, zumal einerseits in der relativ kleinen Intellektuellenschicht die Fachwissenschaftler häufig Wissenschaft popularisierten und andererseits populärwissenschaftliche Medien nicht selten frühere oder die einzigen Möglichkeiten waren, spezifische Inhalte zu kommunizieren.1891 Das NTSˇ bot zahlreiche Möglichkeiten der Wissenszirkulation, um den Verein und seine Mitglieder mit dem europäischen Raum zunehmend zu vernetzten. Dadurch fanden sich auch Akteure aus dem russländisch-ukrainischen Raum durch einen breiteren, aber nicht-russländischen Kanal mit Ländern westlich der Ukraine und ihren intellektuellen Netzwerken verbunden. Insofern weitete das NTSˇ jene Wege aus, die Drahomanov einige Dezennien zuvor im Alleingang und mit deutlich begrenzteren Möglichkeiten beschritten hatte. Mit dem akademicˇnyj dim war solch eine Mobilität nicht einmal mehr an die ökonomische Lage der (mehr oder minder jungen) Studenten gebunden, wie die Geschichten einiger russländischer Emigranten gezeigt haben. Die europäische Wahrnehmung ukrainischer Anliegen setzte voraus, dass eine ›nationale Reife‹ erreicht würde – oder praxisnah ausgedrückt, dass sich ukrainische Wissenschaftler in dieselben Kontexte einschreiben konnten wie ihre Fachkollegen anderer nationaler Orientierungen, d. h. beispielsweise in die internationalen Organe für Geographie, Ethnographie oder Slavistik. Das gelang nicht nur durch gestiegene wissenschaftliche Potenz, sondern im Ersten Weltkrieg auch durch breite Wahrnehmung angesichts der geopolitischen Relevanz des ukrainischen Territoriums. Dabei konnten ukrainische Wissenschaftler Europabilder mitbestimmen, wobei dieser Prozess in Paris 1919 nicht von politischem Erfolg gekrönt war. Auch wenn die ukrainische Wissenschaftsbewegung, insbesondere in Lemberg, eine starke Orientierung nach ›Europa‹ teilte, finden sich etwa mit der Bezeichnung ›Archäographie‹ Konzepte, die vorrangig im Zarenreich üblich waren und auf das intellektuelle Erbe der Südwestlichen Abteilung und Mychajlo Hrusˇevs’kyjs Studium in Kiew zurückzuführen sind. Mit 1890 Topham 2009, Introduction; Topham 2009, Rethinking. 1891 Rohde 2020, Ukrainian Popular Science.

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seiner Schule, die er mit seinen Anhängern in der archäographischen Kommission begründete, exportierte er diese Tradition und die quellenkundliche Herangehensweise der Schule Volodymyr Antonovys in die Habsburgermonarchie. Darüber hinaus waren die im NTSˇ gepflegten Europadiskurse in größtem Maße selbstreferentiell. Wenn das Dilo Anfang des 20. Jahrhunderts für die vergangenen Jahre resümierte, das ukrainisch-ruthenische Volk hätte jüngst »die kindlichen Jahre seiner Kulturentwicklung hinter sich gelassen«1892, spricht das deutlich für die Internalisierung westeuropäischer Zivilisierungsdiskurse. Das zeigt sich nicht nur durch die frühen auto-ethnographischen Projekte der 1890er Jahre, sondern auch in der Ausformung ›nationaler Wissenschaft‹, ihrer Anliegen und ihrem Aufbau von Institutionen, die de facto alle wissens- und wissenschaftsbezogenen Einrichtungen initiierte, die eine moderne Nation nach europäischen Standards haben sollte. Nationalmuseen und -bibliotheken entwickelten sich im Nachgang der französischen Revolution zu den Wissensspeichern der Nation, zu denen alle Mitglieder des imaginierten Kollektivs gleichberechtigten Zugang erhielten.1893 Wie auch der Wunsch einer eigenen ukrainischen Universität folgte der Aufbau dieser Institutionen dem Impetus, sich europäischen Ländern und Nationen anpassen zu wollen bzw. vorbildhaften Institutionen aus Nationalstaaten nachzueifern. Das habe ich bewusst nicht als Rückständigkeit1894 zu interpretieren gesucht, denn die ukrainische Nationalbewegung war trotz aller ethnisch-historischen Vorläufer ein organisatorisch junges Projekt, das unter erschwerten Bedingungen zu operieren hatte. Insofern scheint es angemessen, die Spezifika der Adaption an diese Bedingungen herauszustellen, wie im Rahmen dieser Arbeit geschehen. Mit Eisenstadts Anregungen zu multiple modernities1895 hat die Kulturtransferforschung versucht, »die Vorstellung von kulturellen Gefällen« zu negieren, »ohne die Bedeutung von politisch-militärischen Machtgefällen zu ignorieren, wie sie beispielsweise in kolonialen und imperialen Herrschaftsbeziehungen herrschen.«1896 Im vorliegenden Fall hat sich aber herausgestellt, dass die Programmatik der Anpassung an das imaginierte Europa bedeutete, dass die Wissenschaftler das von ihnen konstruierte Volk in einem Modell von Kulturgefällen platzierten, das sie aus europäischen Diskursen um ›nationale Reife‹ übernahmen. Das NTSˇ sah sich also in einer Kultur- oder Zivilisierungsmission für das imaginierte ukrainische Volk. Dabei handelte es sich vor allem um eine akademische Europäisierungsmission, die gleichsam der Bewahrung kultureller Eigentümlichkeiten gewidmet 1892 Dilo Nr. 124, 17. Juni 1904, S. 1. 1893 Leonhard 2009; Friedl 2016; Köstering 2016; Breuer / Holtz / Kahl (Hg.) 2015. 1894 Zur Rückständigkeit als geschichtswissenschaftliche Kategorie vgl. Hildermeier 1987; Häfner / Feest (Hg.) 2016; zur Problematisierung Rhode 2016. 1895 Eisenstadt 2002. 1896 Wendland 2009, Am Rande, S. 232.

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war. Hiermit zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass der Verein die Wertmaßstäbe der europäischen kolonialen Moderne übernommen hatte. Prägnant ist aber, dass sich die Wissenschaftler selbst davon ausnahmen und mit der ›zivilisatorischen Tätigkeit‹ des Vereins eine Mittlerfunktion zwischen europäischer Moderne und dem erforschten ukrainischen Volk einzunehmen suchten. Wissenschaft diente der Untermauerung europäischer Zivilisierungsdiskurse, dementsprechend konnte sie auch zu ihrer Dekonstruktion nutzbar gemacht werden. Mit einem Verständnis von Bildung als soziale Emanzipationsstrategie1897 kann demgegenüber die Verwissenschaftlichung des nationalen imagined territory als eine nationale Emanzipationsstrategie konzipiert werden, die sich (nicht erst) während des Ersten Weltkrieges und der Pariser Friedenskonferenz bemerkbar machte. Um den Quellenbegriff der ›nationalen Wissenschaft‹ einer abstrakteren Synthese zuzuführen, kann sie als Mittel der Übersetzung nationaler Subjektivität in transnationale Objektivität bezeichnet werden. Dabei müsste präziser von Objektivitäten im Plural gesprochen werden, zumal sich Objektivität nicht nur als zeitlich und räumlich wandelbare Kategorie darstellt, sondern auch je nach Disziplin mit anderen Mitteln konstruiert wurde. Die im NTSˇ gesetzten Schwerpunkte untermauern diesen Prozess im Kleinen. Sah Hrusˇevs’kyj noch die Geisteswissenschaften als effektivstes Mittel dazu und räumte daneben der physischen Anthropologie und der Geographie einen wichtigen Platz ein, war seine Opposition der Meinung, Forschung in allen wissenschaftlichen Feldern leisten zu müssen, um überhaupt als moderne Nation gelten zu können. Deutlich wird, vor allem an den Beispielen von Vovk und Rudnyc’kyj, aber auch Dnistrjans’kyj und Vovks Schülern, dass die individuellen Fachepistemologien rezipiert und für ukrainische Kontexte modifiziert wurden. Sind diese transnationalen Wissenschaftler damit, wie Seegel dies für Rudnyc’kyj und andere Geographen der Penck’schen Schule getan hat, als »transnational Germans«1898 zu verorten? Ein solches Argument würde sich für Hrusˇevs’kyj kaum führen lassen, Vovk wäre eher ein ›transnational French‹ und Franko, so wie viele gebildete Galizier, ein vielsprachiger Österreicher. Hrycak hat darüber hinaus gezeigt, wie sehr sich Frankos Zugehörigkeit zu verschiedenen Milieus, oft auch schlagartig, wandeln konnte. Dennoch fanden sie alle in einem national definierten Netzwerk zusammen, in dem sie als Wissenschaftler und als Ukrainer agierten. Wie die Episode in Kryvorivnja gezeigt hat, musste die Volksnähe dabei nicht nur eine politische Insignie sein, sondern konnte zumindest insoweit der Realität entsprechen, wie durch die vorhandenen Quellen nachvollzogen werden kann. Mit einem Fokus auf Identifikationen in ihrer Ereignishaftigkeit und Situativität anstelle konstruierter Identitäten lässt sich fle1897 Pacholkiv 2002. 1898 Seegel 2018, S. 5.

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xibles Verhalten von Wissenschaftlern bei der Transgression von organisatorischen, sprachlichen, räumlichen und professionellen Grenzen greifbar machen.

10.3 Die Arbeit am Raumbild Ukraine Das NTSˇ schrieb sich in die Übersetzung des Raumbildes Ukraine aus dem Zarenreich nach Galizien ein. Während auch Altruthenen und die frühen ukrainophilen narodovci eine gewisse Vorstellung der (russländischen) Ukraine hatten, war die Verbindung Galiziens, der Bukowina und der Uhors’ka Rus’ mit der Ukraine weniger eindeutig. Durch die Verbindung von Drahomanov und Franko ließ sie sich vermitteln und wurde letztlich von der Jugend im Verein aufgegriffen. Die hiermit sozialisierte Jugend, zu der etwa mit Dnistrjans’kyj, Hnatjuk, Korduba, Kuzelja, Rakovs’kyj, Rudnyc’kyj und Tomasˇivs’kyj ganz wesentliche Protagonisten der diskutierten Geschichte gehörten, war für ukrainisch-nationale Ideen deutlich empfänglicher als die Generation Frankos. Hrusˇevs’kyjs Geschichtsunterricht bewirkte schließlich keine schlagartige Nationalisierung, seine Worte stießen allerdings auf offene Ohren und fungierten als Katalysator. Der Verein übernahm ein Grundverständnis des ukrainischen Territoriums als einen Raum, der deckungsgleich mit den ukrainischen Siedlungsgrenzen sein müsste und schrieb dies als Grundwissen in die Wissenskultur ›nationaler Wissenschaft‹ ein, so dass diese Annahme eine Konstante (west-) ukrainischer Forschungen der Zwischenkriegszeit blieb. Die Eckdaten des ukrainischen Nationalterritoriums definierte das NTSˇ nicht grundlegend neu, der Verein betrieb also weniger die Erfindung eines Raumes als die kommunikative Durchsetzung sowohl im nationalen als auch im internationalen Umfeld. Das bedeutete, Grenzen klarer zu definieren und mit wissenschaftlichen Instrumenten – mal im metaphorischen, mal im wörtlichen Sinne – zu legitimieren, d. h. sich der jeweiligen fachlichen Spielregeln zu bedienen. Die Sammlung und Aneignung »europäischen« Wissens und wissenschaftlicher Herangehensweisen durch die Vereinsinstitutionen, der Transfer anthropometrischer Methoden und die dazu benötigten Geräte aus Paris sowie der Einfluss des Penck’schen Zirkels sind nur einige der hierzu diskutierten Beispiele. Während die methodischen Einflüsse der frontier science also kontinental waren, war das Raumbild Ukraine vor allem von der kulturellen und im Ersten Weltkrieg auch geopolitischen Zwischenlage geprägt. Die Auslagerung der Wissensproduktion nach Galizien war folgenreich: der Schwerpunkt der Forschungen im NTSˇ, partiell abgesehen von der Historiographie, waren aus pragmatischen Gründen eindeutig die westukrainischen Länder. Der östliche Grenzraum der imaginierten Ukraine, der unter anderem

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im Kuban vermutet wurde, hätte aus finanziellen und organisatorischen Gründen nicht derart intensiv erforscht werden können. Begrenzte Möglichkeiten – die bei Vovk vor seiner Rückkehr ins Zarenreich schon rechtliche Gründe hatten; Hnatjuk hegte ähnliche Sorgen in Ungarn – beeinflussten also den Fokus der Forschung. Die westlichen Grenzräume, d. h. der Ostkarpatenraum, stellten folglich einen wesentlichen Schwerpunkt der Forschungen im Verein dar. Wie am Beispiel Kryvorivnjas, aber auch Einzelpersonen wie Rudnyc’kyj, nachvollzogen werden kann, vermischte sich Wissenschaft dabei oft mit Privatem, so dass emotionale Zugänge zur Karpatenlandschaft schließlich auch etwa in Schulbücher Einzug hielten. Die westliche Grenzlandschaft wurde von einem geographisch peripheren zu einem zentralen Ort der ukrainischen territorialen Imagination, sowohl in anthropologischer als auch geographischer Perspektive. Die Konzeption als ur-ukrainischer Raum machte die Zugehörigkeit des heute als »Westukraine« verstandenen Raumes zur restlichen Ukraine in der anthropogeographischen Argumentation des frühen 20. Jahrhunderts plausibel, obwohl dies noch zwei Dezennien zuvor als Minderheitsposition galt. Die Ukraine präsentieren die diskutierten Forschungen als frontier unterschiedlicher nationaler Projekte bzw. Imperien, eingeschrieben in den konstruierten ›nationalen Körper‹ im Narrativ der physischen Anthropologie. Die hierbei geführten Argumentationen wurden dabei aus philologischen und historischen Kontexten auf ethnographische, anthropologische, statistische und letztlich biologistische Diskurse zur ukrainischen Nation ausgedehnt. Die für das Raumbild so zentrale Vorstellung vom ukrainischen Volk basierte dabei nicht zuletzt auf polnischen und russischen Diskursen des 19. Jahrhunderts, die äußerst wirkmächtig blieben, wie sich an Duchin´skis Hypothesen und ihren vielseitigen Interpretationen zeigt. Die räumliche Vorstellung der antemurale christianitatis konnte sich an diesem Beispiel auf biologistische Diskurse ausdehnen. Das Beispiel Duchin´ski macht auch deutlich, wie der hier genutzte frontier-Begriff die Überlegungen zum ukrainischen Territorium bereichern kann. Dieser polnische Wissenschaftler instrumentalisierte Ukrainer als Grenzbevölkerung gegenüber Großrussen; seine zirkulierende These wurde daraufhin in unterschiedlichen Kontexten wieder aufgegriffen, um die ukrainische von der russischen Gruppe abzugrenzen. Die Beispiele Drahomanov, Antonovycˇ und Vovk haben wiederum gezeigt, dass die Konstruktion wissenschaftlicher Objektivität als bedeutsames Gut im transnationalen Dialog galt, so dass bisweilen explizite Ablehnung gegenüber Duchin´ski geäußert wurde. Mit einer allenfalls impliziten Bezugnahme auf Duchin´ski hat Vovk die Grundlage für einen verwissenschaftlichten ukrainischen Rassendiskurs geschaffen, der insbesondere durch Rudnyc’kyj seine anthropogeographische Erweiterung fand. Dabei ist aber auch gezeigt worden, dass sowohl Rudnyc’kyj als auch andere

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Wissenschaftler, die wie Cehel’s’kyj keine anthropologische Ausbildung hatten, Vovk neu interpretierten. Vovk und seine Mitarbeiter leisteten allerdings nur qualitative Arbeit an wenigen Personen; für die quantitative Erfassung der gesamten Bevölkerung waren sie auf das Wissen anderer Disziplinen angewiesen, die letztlich die Übersetzung von den individuellen Daten auf Karten erlaubte. Die staatlichen Volkszählungen allein konnten diese flächendeckende Datenaufnahme leisten, dagegen konnte das NTSˇ nur drei mögliche Wege gehen: im Zusammenspiel mit politischen Parteien versuchen, die Rahmenbedingungen der Statistik zu ändern, Fehlerquellen der offiziellen Daten zu thematisieren und mögliche Abweichungen zu berechnen sowie mittels stichprobenartiger Forschungen selektive Gegenstudien zu liefern. Die statistische Kommission ist all diesen Wegen – mit begrenztem Erfolg – nachgegangen und hat dabei vor allem zwei bleibende Ergebnisse erzielt: die statistische Konstruktion der latynnyky und ein umfassendes, nachhaltiges Misstrauen gegen jegliche staatliche Zählung von Ukrainerinnen und Ukrainern. Die anthropologische Suche nach Eindeutigkeit am Beispiel weniger vermessener Menschen fand parallel zur Makroperspektive der Statistik statt. Galizien sticht im ukrainischen Vergleich der Auseinandersetzung mit Volkszählungen deutlich hervor. Einerseits war die Volkszählung in der Habsburgermonarchie im Gegensatz zum Zarenreich ritualisiert, andererseits war Ostgalizien deutlich stärker nationalisiert als die Bukowina oder die Uhors’ka Rus’. Während die statistische Auseinandersetzung in den übrigen ukrainischen Ländern weniger spektakulär verlief, projizierten Wissenschaftler die These der administrativen Verfälschung lokaler ruthenischer bzw. kleinrussischer Sprachenangaben auch auf die anderen ukrainischen Gebiete. Durch den omnipräsenten Fälschungsverdacht wurden die ethnographischen Räume als deutlich ›reiner‹ und weniger transkulturell konzipiert. Zumal Sprache und ›Rasse‹ bzw. anthropologischer Typ epistemisch verknüpft waren, konnten die anthropologischen Ergebnisse Vovks letztlich auf die statistisch imaginierte Gruppe bezogen werden. Eine Synthese beider Aspekte findet sich in den von Rudnyc’kyj gestalteten Karten, aber auch seinen diesbezüglichen Texten. Weitere Forschungen müssten diese Diskurse in den verschiedenen ukrainischen Institutionen der westukrainischen Länder sowie der zentral- und westeuropäischen Diaspora während der Zwischenkriegszeit verfolgen, um Kontinuitäten und Brüche hierzu herauszuarbeiten. Die Wissenschaftler sind, das ist dabei zu unterstreichen, im 19. und nicht im 20. Jahrhundert akademisch sozialisiert worden; sie waren keine Akteure einer Gewaltgeschichte. Ein generationeller Unterschied ist aber festzuhalten: Während Vovk das Ende des Ersten Weltkrieges nicht erlebte, begannen Cehel’s’kyj und Rudnyc’kyj sich währenddessen zu radikalisieren. Die Radikalisierung war

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aber keine Zwangsläufigkeit: Dnistrjans’kyj und Ochrymovycˇ verwehrten sich trotz politischer Tätigkeit und Internierung gegen einen derartigen Wandel. Wie Olga Linkiewicz zeigen konnte, blieben wesentliche Kategorien und imaginierte Herausforderungen der Nationalbewegungen, wie die latynnyky, im ehemals galizischen Raum während der Zwischenkriegszeit bestehen. Sie demonstriert, dass der Nationalisierungsschub des Ersten Weltkrieges die ländlichen Gebiete des ehemaligen Ostgaliziens keinesfalls so entscheidend erfasste, wie die Nationalbewegungen sich das wünschten. ›Indifferenz‹ gegenüber nationalen Projekten gehörte damit keineswegs der Vergangenheit an.1899 Regionale Herausforderungen ukrainischer Nationsbildungsstrategien überdauerten den Untersuchungszeitraum und sind teilweise bis heute präsent. Das gilt zunächst für die westlichen Grenzlandschaften. Eigenständige Eingaben einer ruthenischen Delegation aus den ehemals ungarischen Gebieten1900 und einer lemkischen Delegation1901 in Paris kratzten am ukrainischen territorialen Konzept und vor allem an seinen westlichen Außengrenzen. Aus der ersten folgte eine Angliederung der ungarischen Rus’ – nun als Podkarpatská Rus – an die Tschechoslowakei, während die zweite politisch folgenlos blieb. Beide, das belegen Nationalisierungsagenden des NTSˇ und der Prosvita in der Zwischenkriegszeit, kennzeichneten die Regionen als wichtige frontier der ukrainischen Nationsbildung.1902 War nationale Indifferenz oder Abwehrhaltung in den ethnischen Grenzregionen die größte Herausforderung für das ukrainische nationale Projekt, gab es weitreichende Folgen nach dem Zweiten Weltkrieg, zu denen die Akcja Wisła (Aktion Weichsel) 1947 gehörte, die lemkischen und bojkischen Minderheiten der polnischen Ostgrenzen zur »ethnischen Säuberung« in nordwestliche Teile Polens deportierte und damit die ethnisch umstrittenen frontierStellungen gewaltsam auflöste.1903 Die Begründung einer russinischen Sprache und Identität stellt hingegen bis heute eine Herausforderung für die Ukraine dar. Von jenen vier Staaten, in denen heute größere russinische Gruppen wohnen, ist der ukrainische Staat der einzige, der diese Sprache nicht anerkennt. Dies darf als Resultat historischer Erfahrungen der Nationalbewegung und der damit einhergegangenen Radikalisierung von Ideen ukrainischer ethnischer Einheit gelten. Seit 2014 sind diverse Vergleiche zwischen der Ukraine von 1914 und 2014 gezogen wurden. Diese sind um eine zusätzliche Perspektive zu erweitern: das Wissen zur Ukraine, das nationale Aktivisten im Ersten Weltkrieg kommunizierten, ist in den jüngsten Jahren im wahrsten Sinne des Wortes neu aufgelegt 1899 1900 1901 1902 1903

Linkiewicz 2018. Paul 2017; Ramisch-Paul 2021. Beskid / Sobin 1919. Tätigkeit der Lemken-Kommission 1932–1933, LNNB VR, fond 122, op. 1, spr. 3/1. Ther / Siljak (Hg.) 2001; zur Erinnerung an die Akcja Wisła vgl. Trzeszczyn´ska 2017.

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worden. Das betrifft nicht nur die ›großen Namen‹ der ukrainischen Wissenschaftsgeschichte. So veröffentlichte das Projekt »Liebt ukrainisch, erzieht ukrainisch« die Broschüre Sˇcˇo treba znaty kozˇdomu Ukrajincevy? (Was muss jeder Ukrainer wissen?), die der Pädagoge Bohdan Zaklyns’kyj 1915 für den SVU schrieb.1904 Dieses Argument muss durch zwei Kontexte eingeordnet werden: einerseits veröffentlichte ein Lemberger Verlag schon 2007 die Broschüre Cehel’s’kyjs mit der Anlehnung an Duchin´ski, andererseits legte ein Moskauer Verlag 2014 und 2015 Publikationen des russophilen Intellektuellen Kupcˇanko neu auf, die die »russische« Bevölkerung Galiziens und der Bukowina als Teile des allrussischen Volkes beschrieben.1905 Die Annexion der Krim und der Krieg im Donbas führten insgesamt zu neuen Disputen um das ukrainische Staats- und Nationalterritorium, die Rudnyc’kyj eine neue Konjunktur bescherten. Dadurch wurden mindestens seit 2018 unkritische, unkommentierte Nachdrucke von seiner ethnographischen Übersichtskarte der Ukraine (erstmals 1914) etwa in der L’viver Buchhandlung Globus vertrieben.1906 Die Karte zeigt nicht nur die annektierte Krim und den umkämpften Donbas als Teile der ethnographischen Ukraine, sondern auch das Kubangebiet, das der heutigen Ukraine nie angehörte. Rudnyc’kyj und seine Werke haben jedoch nicht nur in dieser jüngsten Episode an Relevanz gewonnen; infolge neuer Territorialdiskurse wanderte seine Akzeptanz vom Westen ins Zentrum des Landes. Das bezeugt die jüngste Veröffentlichung einer fünfbändigen Werkausgabe durch die Nationale Akademie der Wissenschaften, die neben anderen Mängeln trotz einer längeren Einleitung gänzlich unkritisch ist und sich die Popularisierung der Werke des Nationalgeographen auf die Fahne – respektive den Einband – schreibt. Ein kritisches Studium solcher Territorialkonzepte wie dem Rudnyc’kyjs, nicht nur im Ergebnis sondern auch der Genese, ist damit für das Verständnis der ukrainischen Gegenwart von höchster Relevanz. Doch nicht nur die ukrainischen Diskurse sind es wert, heute kritisch gewürdigt zu werden. Der jüngste Essay Vladimir Putins zum russisch-ukrainischen Verhältnis zeigt klar, dass die Idee eines eigenständigen ukrainischen Volkes bis heute Angriffen ausgesetzt ist, die ihrerseits bestens geeignet sind, um entsprechende Abwehrreaktionen zu provozieren.1907

1904 Zaklyns’kyj 2015. 1905 Cehel’s’kyj 2007; Kupcˇanko 2014; Kupcˇanko 2015. 1906 Eigener Besuch im September 2018 und Juni 2019. Für den nicht verzeichneten Autor der Karte hielt das Ladenpersonal fälschlicherweise Volodymyr Kubijovycˇ. 1907 Putin 2021; Instytut istoriji Ukrajiny NAN Ukrajiny / Hromads’kyj pros’vitnyc’kyj proekt »Likbez, Istorycˇnyj front« 2021.

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Nachwort zur Erinnerungskultur »Die Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften (NTSˇ) war die erste ukrainische nationale Akademie der Wissenschaften, gegründet 1873 in Lemberg von Verfechtern der Wiedergeburt des Ostens und des Westens der Ukraine, die zu dieser Zeit zwischen zwei fremden Imperien – Russland und Österreich-Ungarn – zerrissen waren.«1908 Oleh Romaniv, 2003

Das NTSˇ markiert nicht nur den Beginn einer ukrainischen Wissenschaftstradition, die diesen Namen – ›Ukraine‹, ›ukrainisch‹ – tragen wollte und durfte. Sie avancierte dadurch auch zum oszillierenden Fixpunkt nationaler Imaginationen. Das NTSˇ wurde nicht 1873 gegründet. In diesem Jahr gründete sich in Lemberg die literarische Sˇevcˇenko-Gesellschaft. Ihre Träger waren konservative galizische narodovci, die mit ihr eine Druckerei verwalteten und sich weder offiziell noch inoffiziell als ›ukrainisch‹ bezeichneten. Aus diesem Verein ging 19 Jahre später das NTSˇ nach einer turbulenten Reformperiode hervor. Dieser Verein war keine »ukrainische nationale Akademie der Wissenschaften« im rechtlichen Sinn und gab sich nicht einmal diesen Namen. Sie ist bei dem Versuch, diesen Status zu erlangen, gescheitert und hat diesen Titel nur inoffiziell, d. h. in der Selbstverortung diverser Vereinsmitglieder, geführt. Wie der Textausschnitt suggeriert, werden die Initiatoren – ebenso wie bedeutende Vereinsmitglieder – bis heute als Helden einer ›ukrainischen Wiedergeburt‹ verehrt. Dieser Konzeption der ›Wiedergeburt‹ liegt ein primordiales Nationsverständnis zugrunde, das die historischen Vereinsakteure, unter ihnen der ukrainische Nationalhistoriker Hrusˇevs’kyj, selbst mitbegründeten. Die zitierte Vereinsbeschreibung ist einer Broschüre entnommen, die der gleichnamige, 1989 neugegründeten Verein im Jahr 2003 anlässlich seines Jubiläums »130 Jahre Arbeit für die Ukraine«1909 herausgab und die Kontinuität zu seinen verehrten Vorgängern unterstrich. Dieser Verein ist zugleich tonangebend für die Geschichtsschreibung des historischen NTSˇ, dem es trotz – oder wegen? – seiner zentralen Bedeutung für die ukrainische Nationsbildung an einer kritischen Wissenschaftsgeschichte mangelt. Galizien gilt nicht nur in der Forschungsliteratur, sondern auch der nationalen Erinnerungskultur als »ukrainisches Piemont«, also diejenige Region, die 1908 Romaniv 2003, S. [3]. 1909 Untertitel von Romaniv 2003; parallel auch die Feiern zur 140-Jahr Feier, Rudnyc’kyj, L. 2012, S. 1.

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Nachwort zur Erinnerungskultur

angesichts der politischen Trennung als Orts des Rückzugs und der kulturellen Entfaltung der Nationalbewegung zu betrachten ist. Wie eng das NTSˇ mit diesem häufig unreflektierten Nationalmythos verflochten war, zeigt allein die Tatsache, dass Vereinspräsident Hrusˇevs’kyj diesen Begriff selbst geprägt hat.1910 Beim NTSˇ – und ideengeschichtlich auch bei der frühen Sˇevcˇenko-Gesellschaft – handelt es sich um die erste galizische Institution mit dezidiert gesamtukrainischer Mission. Die ukrainische Erforschung des Vereins und einzelner Wissenschaftler arbeitet sich bis heute eng an Phänomenen nationaler Erinnerungskultur ab, so dass wesentliche Etappen historisiert werden müssen. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte in der Sowjetukraine ein Narrativ, das den ›bürgerlichen Nationalismus‹ verbrämte und nur sektoral und kurzfristig erlaubte, an einschlägige Forschung anzuknüpfen. Die ukrainische Diaspora war hingegen für eine regelrechte Mythisierung des Vereins und einzelner Wissenschaftler verantwortlich. In der unabhängigen Ukraine, beginnend schon in der späten Perebudova (russ. Perestrojka), ist ein massiver Re-Import aus der Diaspora-Forschung festzustellen. Als Dreh- und Angelpunkt ukrainischer Kulturproduktion und Erinnerungsort zugleich stehen große Teile der Wissenschaftslandschau dem NTSˇ und seinen Nachfolgevereinen nicht neutral gegenüber. Die Problematik um Erinnerungen leitender Vereinsmitglieder ist schon wiederholt thematisiert worden. Sie würdigen das NTSˇ als Nukleus der ukrainischen Wissenschaftsbewegung und zentralen Faktor für die Nationalbewegung als solche.1911 An dieser Einschätzung ist nichts falsch, die folgende Heroisierung erschwert jedoch kritische Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Inhalten, die den Zeitgeist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts tragen. In der Diaspora sowie der frühen unabhängigen Ukraine erschienen regelmäßig derartiger Dokumente,1912 an denen sich die Forschung ausrichtete und sie bisweilen unkritisch verortete. Die Grenze zwischen Erinnerungs- und Forschungsliteratur verschwamm zu Ungunsten kritischer Auseinandersetzungen. Die DiasporaForschung, die aus politischen Gründen ohne Archivalien auszukommen hatte, stützte sich maßgeblich auf Memoiren und andere publizierte Quellen, durch die sie deren Narrative zwangsläufig. Die Diaspora-NTSˇ idealisierte die Periode Hrusˇevs’kyjs und apostrophierte sie weiterhin als goldenes Zeitalter des Vereins.1913 Das 1965 gegründete Ukrajins’ke istorycˇne tovarystvo (Ukrainischer Historischer Verein), das in enger personeller Kontinuität zum Diaspora-NTSˇ stand, publizierte historische, aber auch anekdotische Texte neben zahlreichen 1910 1911 1912 1913

Hrusˇevs’kyj 2002, Ukrajins’kyj Pjemont. Dorosˇenko, V. 1951; Hnatjuk 1984; Grusˇevskij 1914, Rasvitie. Vgl. exemplarisch Hnatjuk 1984; Mudryj 1999; Makuch 2001; Sakada 2003. Horak 1973, S. 261.

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Quellen in der Zeitschrift Ukrajins’kyj istoryk (Ukrainischer Historiker). Dezidiert hervorzuheben ist die Arbeit von Ljubomyr Vynar, der die Disziplin Hrusˇevs’koznavstvo (»Hrusˇevs’kyj-Kunde«) als »separate interdisziplinäre Wissenschaft«1914 in diesem Kontext etablierte. Diese wird in der heutigen Ukraine fortgeführt, unterrichtet und kennt parallele Erscheinungen wie Frankoznavstvo (»Franko-Kunde«).1915 Die deutschsprachige Diaspora-Forschung ist dabei aufgrund der Freien Ukrainischen Universität, die sich 1945 in München ansiedelte, aber auch der ukrainischen Diaspora in Deutschland und Österreich im Allgemeinen, nicht zu vernachlässigen. Der sowjetische Umgang mit der ukrainischen Wissenschaft – und die Möglichkeiten, sich mit ihrer Geschichte zu beschäftigen – ist eng an politische Phasen geknüpft. Die frühsowjetische Ideologie verfolgte eine Utopie, in der nationale Zugehörigkeiten keine Rolle mehr spielen sollten. In der Praxis erkannte sie allerdings die Wirkmächtigkeit nationaler Identitäten an und verfolgte dabei eine Übergangslösung im föderativen Staat, der aus national definierten Territorien als Sowjetrepubliken bestand. Ethnographische Forschungen, verbunden mit den jeweiligen Akademien der Wissenschaften in den einzelnen Republiken, dienten in der Sowjetunion der Legitimierung der Territorien bzw. Grenzen der jeweiligen Unionsrepublik.1916 In den 1920er Jahren war die Politik der korenizacija (Verwurzelung) bzw. ukrajinizacija (Ukrainisierung) das kulturpolitische Gegenstück zur liberalen Neuen Ökonomischen Politik. Die Kodifizierung der ukrainischen Sprache, ihre Förderung im Bildungssektor, im Publikationswesen, im öffentlichen und administrativen Raum gehören zu den Folgen. Nicht nur der Kultur-, sondern auch der ukrainische Wissenschaftssektor wurde staatlich gefördert.1917 Bereits 1918 ist die Ukrainische Akademie der Wissenschaft in Kyjiv gegründet worden,1918 wobei sie in der Sowjetukraine nicht nur dem Ausbau, sondern auch der Überwachung des Wissenschafts- und Literaturbetriebs diente.1919 In den 1920er Jahren sind gezielt Experten aus dem NTSˇ als Mitglieder eingeladen worden, darunter auch solche Wissenschaftler, die

1914 1915 1916 1917 1918

Vynar 1998, S. 17. Tel’vak 2011; Mnych 2016; Hnatjuk 2016, S. 90–100. Hirsch 2005. Kappeler 2015, S. 193. Zum Aufbau der Akademie Sˇmel’ov et al. (Hg.) 1993; differenzierter zum Verhältnis zwischen sowjetischer Macht und Wissenschaftlern Jurkova 2015. Zum Verhältnis zur Ukrainischen Wissenschaftlichen Gesellschaft Kyjiv (geleitet von Hrusˇevs’kyj) und der Akademie vgl. Onoprijenko / Rejent / Sˇcˇerban’ 1998; Onoprijenko / Sˇcˇerban’ (Hg.) 2008; Sˇcˇerban’ 1992. Zum Wissenschaftskonzept des ersten Präsidenten, Volodymyr Vernads’kyj, vgl. Jemec’ 2006. 1919 Martyn 2013, S. 276.

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nicht in die Sowjetunion übersiedelten.1920 In den 1930er Jahren fanden diese Integrations- und Entfaltungsprozesse allerdings ein jähes und oft gewaltsames Ende. Der zeitweise im Exil tätige Hrusˇevs’kyj ist Ende des Jahres 1923 an die Akademie berufen worden, wo er bis 1935 aktiv war. Er starb unter Beobachtung des Geheimdienstes, bei einer Routineoperation, unter ominös gebliebenen Umständen.1921Vovk wurde ein Akademieinstitut gewidmet, das vor allem seine ehemaligen Schüler führten, die seinen kompletten Nachlass von Petrograd nach Kyjiv transportieren lassen konnten. Seine Bibliothek und seine Forschungsmaterialien dienten als Grundstock der Forschung; Vovk wurde damit als Gründervater dieser Disziplinen in ukrainischer Sprache geschätzt.1922 Der Geograph Stepan Rudnyc’kyj migrierte 1926 in die Sowjetukraine, trat eine Professur in Charkiv an und begründete 1927 ein geographisches Forschungsinstitut. Hier suchte er frühere Forschungsstränge in enger Anbindung an die deutschsprachige und US-amerikanische Geographie nachzugehen, auch wenn er mit diversen Enttäuschungen konfrontiert wurde. Nachdem er mit gesundheitlichen Problemen pensioniert wurde, konstruierte das NKVD Vorwürfe, er wäre Faschist und deutscher Spion. Er wurde, so wie auch weitere Mitarbeiter seines Instituts und andere Mitglieder der ukrainischen Intelligenz, interniert und starb 1937 im Gefangenenlager Solovky (Solovecki-Inseln) – ein Schicksal, das zahlreiche ukrainische Kulturschaffende und andere politische Gefangene teilten.1923 Fälle wie diese liefern emotionalen Zündstoff und prägen die Erinnerungskultur an die frühe Sowjetunion sowie auch die betroffenen Wissenschaftler entscheidend mit.1924 Rudnyc’kyjs Werke sind, wie auch ethnographische Forschungen der 1920er Jahre, in stalinistischer Deutung diskreditiert worden.1925 Zur sowjetischen Historiographie über die ukrainische Nationalbewegung in Galizien und die Einbettung des NTSˇ in diesen Kontext kann exemplarisch die 1954 in L’viv publizierte Monographie V. K. Osecˇyns’kyjs herangezogen werden. Abseits der Überbetonung protosozialistischer Phänomene, die in diesem Kontext nicht weiter zu thematisieren sind, ist das positive Verhältnis ukrainischer narodovci zur Habsburgermonarchie ständiger Kritikpunkt des Autors. Die Betonung der »Austrophilie«1926 der galizischen Ukrainerinnen und Ukrainer 1920 Spysok cˇleniv Akademiji nauk Ukrajiny, in: Sˇmel’ov et al. (Hg.) 1993, S. 506–512; zu neuen Mitgliedern nach 1923 vgl. Terlec’kyj 1969, S. 23–42. 1921 Plokhy 2005. 1922 Alesˇo, O. J., Do spil’noho zibrannja ukrajins’koji akademiji nauk, IMFE, fond 44, spr. 2. 1923 Sˇtojko 1997, S. 85f.; Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007. 1924 Pidhajnyj 1947; Onoprijenko 1990; Rubl’ov 2004, Zachidnoukrajins’ka intelihencija u taborach. 1925 Rustemeyer 2013, S. 315. 1926 Osecˇyns’kyj 1954, S. 83.

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ging so weit, dass konstatiert wurde, ukrainische nationalistische Parteien seien »des österreichischen Kaisers Agenten«1927 gewesen. Der Mythos von Galizien als »ukrainisches Piemont« hat sich in der sowjetischen Historiographie allerdings ebenso hartnäckig gehalten.1928 Mychalo Hrusˇevs’kyj als »Ideologe[n] des ukrainischen Nationalismus«1929 zu werten ist zwar nicht fernab heutiger ukrainischer Betrachtungen des Nationalhistorikers, hatte in sowjetischer Ideologie aber selbstredend eine gänzlich andere Bedeutung, zumal er dadurch als »Pseudohistoriker«1930 abqualifiziert wurde. Dass dies der sowjetischen hegemonialen Deutung entspricht, bestätigt auch die sowjetukrainische historische Enzyklopädie, die konstatierte, Hrusˇevs’kyjs »bourgeois-nationalistische Konzeption« der ukrainischen Geschichte würde nur im Ausland von »reaktionären bourgeoisen Historikern und ukrainischen Nationalisten – Agenten des internationalen Imperialismus«1931 genutzt werden. Viele nationale Wissenschaftler wurden schlicht als »ukrainische bourgeoise Nationalisten«1932 verunglimpft. Die sowjetische Historiographie thematisierte das Werk wichtiger Figuren aus der ukrainischen Kultur und Geschichte im Allgemeinen und der NTSˇ im Besonderen selektiv, um entsprechend der Nationalitätenpolitik an Kontinuitäten anzuknüpfen, ohne sowjetische Sichtweisen aufzugeben. Der ukrainische Nationalheld und Namenspatron des NTSˇ, Taras Sˇevcˇenko, galt somit zu Sowjetzeiten nicht nur als salonfähig, sondern wurde geschichtspolitisch instrumentalisiert.1933 Wie auch der galizische Schriftsteller und Wissenschaftler Ivan Franko wurde er als »revolutionärer Demokrat«1934 gefeiert. Hrusˇevs’kyj wird als zentraler Bezugspunkt der späteren Biografie Frankos häufig als schlechter Einfluss verstanden. Doch nicht nur solche Wertungen, auch inhaltliche Probleme scheinen keine Seltenheit: Ein DDR-Sammelband zu den deutschen Werken Ivan Frankos schreibt ihm gar die Urheberschaft zentraler historischer Ideen seines Freundes Hrusˇevs’kyj und des ersten Bandes von dessen Geschichte der Ukraine in deutscher Sprache – die Franko zum Teil übersetzt und redigiert, aber nicht verfasst hatte – zu.1935 Gleichzeitig schafft es der Band, das NTSˇ, dem Franko fast zwei Jahrzehnte intensiver Mitarbeit auch in leitender Funktion 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933

Ebd., S. 121. Ebd., S. 57. Ebd., S. 72. Ebd., S. 8. Rubacˇ 1969, S. 484. Osecˇyns’kyj 1954, S. 8. Die reichhaltige Literatur zu ihm ist unterschiedlichen Genres zuzurechnen, doch zumal auch wissenschaftliche Werke ihre Quellen häufig nicht zitieren, erscheint, so Jenny Alwarts Einsicht, »[e]ine strikte Unterscheidung zwischen belletristischer und nicht-belletristischer Literatur über Sˇevcˇenko oft kaum möglich«. Alwart 2012, S. 77. 1934 Winter / Kircher (Hg.) 1963. 1935 Winter / Kircher 1963, S. 26f.

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widmete, aus seinem Lebenslauf verschwinden zu lassen.1936 Die Beziehung zwischen konformen und nonkonformen Figuren ließ sich auch ideologisch verwerten. Frankos spätere Kritik an Hrusˇevs’kyj ist im Kontext des persönlichen Zerwürfnisses zu sehen, wurde aber von Osecˇyns’kyj zur Verunglimpfung der Standpunkte des letzteren instrumentalisiert.1937 Charakteristisch für die Tauwetter-Periode waren verstärkte Möglichkeiten, ukrainische Interessen auch auf Staatsebene vorzubringen. Bereits Mitte der 1950er Jahre ergaben sich entsprechende Lockerungen; für die Geschichtswissenschaft ist insbesondere die 1957 erfolgte Gründung des Ukrajins’kyj istorycˇnyj zˇurnal (Ukrainische historische Zeitschrift) hervorzuheben. Unter dem Ersten Parteisekretär der Ukrainischen Sowjetrepublik, Petro Sˇelest (1908–1996), wurde die ukrainische Sprache im öffentlichen Raum gefördert, er selbst ermunterte zu deren Gebrauch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen.1938 Ukrainische Wörterbücher und Enzyklopädien folgten, außerdem konnten ehemalige Tabuthemen in der Forschung behandelt werden.1939 Während die fraglichen Themen der Nationalgeschichte nun zumindest selektiv angesprochen anstatt verboten wurden, änderte sich die ideologische Rahmung nicht. Dennoch konnten auch zuvor verfolgte Wissenschaftler wie Rudnyc’kyj erfolgreich rehabilitiert werden.1940 Gerade die Arbeit zu verfolgten und rehabilitierten Wissenschaftlern ist bis heute prominent in der ukrainischen Wissenschaftshistoriographie.1941 Unter Volodymyr Sˇcˇerbyc’kyj (1918–1990) als Erstem Parteisekretär kam es jedoch erneut zu verstärkten Repressionen gegen Intellektuelle und forcierter Russifizierungspolitik. Dies war mit der Abwertung der ukrainischen Sprache, ihrer Zurückdrängung in private Räume und dem Verbot bereits geplanter ukrainischer wissenschaftlicher Werke verbunden.1942 Exemplarisch für diese Phasen können Forschungen gelten, die vom FolkloreInstitut der Akademie der Wissenschaften in Kyjiv veröffentlicht wurden. In der Tauwetter-Periode konnte an ukrainekundliche Forschungen der 1920er Jahre angeknüpft werden.1943 Rostyslav Konta bewertet die faktenorientierte Darstellung der 1960er und frühen 1970er Jahre zur folkloristischen Tätigkeit des NTSˇ1936 1937 1938 1939

1940 1941 1942 1943

Gleichzeitig zitiert sie Vereinspublikationen aber als Quellen: ebd., S. 18, 26. Burlaka / Hyrycˇ 2016, S. 491f.; Osecˇyns’kyj 1954, S. 10. Boeckh / Völkl 2007, S. 154–156. Kappeler 2015, S. 233. Die wissenschaftlichen Aktivitäten der Diaspora blieben nicht ohne Einfluss: Das Projekt einer ukrainischen Sowjetenzyklopädie begann erst, nachdem der erste Band einer ukrainischen Enzyklopädie in der Diaspora erschien. Subtelny 2009, S. 493. Vgl. die erfolglosen Protestnoten des Kyjiver Kriegstribunals 1965, Babak / Danylenko / Plekan (Hg.) 2007, S. 194–200. Onoprijenko 1990; Vynokur et al. (Hg.) 1991; zuletzt Rubl’ov 2018 zu Rudnyc’kyj. Boeckh / Völkl 2007, S. 158–160. Rustemeyer 2013, S. 315.

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Mitglieds und Sekretärs Volodymyr Hnatjuk (1871–1926) abseits der ideologischen Wertungen durchaus positiv. Auch wären ethnographische Sammlungsund Ordnungspraktiken angemessen eingestuft worden.1944 Hierbei handelt es sich aber nur um einen bewusst gewählten Teil aus Hnatjuks Biographie – seine nationale Organisationstätigkeit in den ruthenischen Gebieten Ungarns wurde aus der Betrachtung ausgeklammert. Deutlich direkter machte Viktorija Malancˇuk ihre Auswahl in einer 1972 veröffentlichten Biographie zum Ethnographen und Juristen Volodymyr Ochrymovycˇ. Nachdem dieser im späten 19. Jahrhundert ein »aktiver bourgeoiser Nationalist« geworden wäre, hätten seine Forschungen »keinen ernsthaft-wissenschaftlichen Wert«1945 gehabt, so dass sie die gesamte Lebens- und Schaffensphase aus der Betrachtung ausschloß. Dem ist hinzuzufügen, dass die Autorin Ehefrau des hochrangigen Parteimitglieds Valentyn Malancˇuk (1928–1984) war. Dieser fungierte unter Sˇcˇerbyc’kyj zwischen 1972 und 1979 als Sekretär für Ideologie des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine und war für dessen Kulturpolitik maßgeblich mitverantwortlich.1946 Dies kann nur als Ausschnitt aus der sowjetischen Historiographie verstanden werden, da nur selten der Verein als solcher, sondern vor allem die Wissenschaftler individuell behandelt worden sind. Für eine detaillierte Auswertung dessen sei auf Kontas Monographie zur Historiographie der ethnologischen Forschungen im NTSˇ verwiesen.1947 Mit der Periode der perebudova (Umbau, analog zur russ. perestrojka) und verstärkt noch ab der ukrainischen Unabhängigkeit begann in ukrainischen (Geistes-) Wissenschaften eine Suche nach einer eigenen, distinkten ukrainischen Wissenschaft, deren Traditionen und Funktionen für den neuen Staat – Ukrajinoznavstvo. Dies bedeutete die schrittweise ›Wiederentdeckung‹ vieler Forscher als relevante Wissenschaftler wie oft auch als Nationalhelden. Damit ging die wissenschaftliche (Re-)Legitimierung ihrer nationalgeschichtlichen, -geographischen und -ethnologischen Arbeiten einher. Dies bedeutete zunächst einen Reimport aus der Diaspora-Forschung und Neuauflagen nationaler Forschungsliteratur, die wiederum teilweise auch von Diaspora-Organisationen finanziert worden. Dazu gehört auch die Neugründung des NTSˇ in L’viv im Jahre 1989. Der heutige Verein beruft sich auf das historische Erbe, erhielt wichtige – nicht zuletzt ökonomische – Unterstützungen der Diaspora-Abteilungen und hat maßgeblich zur Verbindung dieser Denkräume und damit zum positiv konnotierten Reimport ›nationaler Wissenschaft‹ beigetragen. Sie führt die historisch-biographische Reihe Vyznacˇni cˇleny NTSˇ 1944 1945 1946 1947

Konta 2009, S. 49. Malancˇuk 1972, S. 25. Boeckh / Völkl 2007, S. 158–160. Konta 2014.

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(Prominente Mitglieder des NTSˇ), die grundlegend positiv, teilweise apologetisch angelegt ist1948 und gibt eine eigene Enzyklopädie zum Verein und seinem breiten Netzwerk heraus.1949 Der heutige Verein arbeitet mit diesen Mitteln und auch populär orientierten Broschüren intensiv an der Konstruktion der ›eigenen‹ Geschichte. Häufig handelt es sich, insbesondere bei der Enzyklopädie, dennoch um akribisch recherchierte Darstellungen. Die Heroisierung ukrainischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht allerdings in der unabhängigen Ukraine deutlich über die westlichen Regionen hinaus und findet nunmehr auch in Kyjiv statt. Sprechend für diesen Prozess ist eine Serie von insgesamt 125 Radiosendungen mit dem Titel »Möge das Licht der Wissenschaft nie erlöschen« (nechaj ne hasne svit nauky), die der ukrainische Physiker Vasyl’ Sˇenderovs’kyj (geb. 1942) Ende des Jahres 1999 begann. Jede Sendung behandelte einen ukrainischen Wissenschaftler, der in Vergessenheit geraten oder zum Schweigen gebracht wurde.1950 Zwischen 2003 und 2017 sind die Beiträge in vier Bänden veröffentlicht worden, die teils mehrfach aufgelegt wurden; der erste ist 2016 auch in englischer Sprache erschienen. In mythisierendem Stil apostrophierte er seine Helden etwa als »ukrainischen Henry Ford«1951 oder »unübertroffenen Experten der Natur«1952. Einen Beitrag zum Anthropologen Fedir Vovk titulierte er damit, dieser hätte sich »sein Leben ohne den Dienst für seine Nation nicht vorstellen können«1953. Nationale ›Traditionen‹ wiederzuentdecken und für eine neue, staatszentrierte Wissenschaftskultur nutzbar zu machen, führte in diesem Rückschluss zu einem Klima, in dem Heroisierung anstelle eines kritischen Hinterfragens rückte. Anders gewendet kann herausgestellt werden, dass die Wissenschaftsgeschichte als Ressource genutzt zur Konstruktion einer eigenständigen Identität des neuen Staates genutzt wurde. Damit scheint augenfällig, dass das neugegründete NTSˇ einige Parallelen zu seinem historischen Vorbild aufweist, obgleich die postsowjetische Auseinandersetzung mit vergangenen Helden ungleich vielstimmiger ist. Das führt allerdings nicht zwangsläufig zu einer kritischeren Auseinandersitzung, wenn etwa der Staat aktiv in historische Deutungsprozesse eingreift. Internetpräsenzen der Regierung institutionalisieren und reproduzieren aktiv zuvor problematisierte Narrative. Ein zentraler Akteur für staatliche Erinnerungsdiskurse ist das Institut für Nationale Erinnerung (Instytut nacional’noji pam’jati) in Kyjiv. Dieses hat prinzipiell einen anderen Schwerpunkt, veröf1948 1949 1950 1951 1952 1953

Holovac’kyj 2004; Sˇtojko 2019; Sˇtojko 1997. Encyklopedija NTSˇ 2012–2016. Shenderovsky 2016, S. 7–18. Ebd., S. 84. Ebd., S. 171. Ebd., S. 44.

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fentlichte 2016 aber auch auf seiner Website in der Rubrik Informationsmaterialien für Schulen, höhere Lehranstalten und Medien einen Gedenkartikel zu Vovks 170. Geburtstag. Abseits offensichtlicher, inhaltlicher Fehler1954 unterliegt der Beitrag der monolingual-nationalistisch angelegten Haltung des Instituts und seiner Projekte. Ein Beispiel für die Folgen dessen ist, dass Vovks selbstverständliche Nutzung des russischen Namens ›Volkov‹ (›Wolkow‹ im Französischen und Deutschen) ebenso wie die parallele Verwendung des Russischen und seine Präsenz im russländischen Wissenschaftsdiskurs angesichts eines ukrainischen Opfernarrativs nicht angesprochen werden. Gleichzeitig war Vovk für den Transfer von physischer Anthropologie und Rassenklassifikationen aus dem westlichen Europa, vor allem aus Paris, in den ukrainischen wissenschaftlichen Diskurs verantwortlich.1955 Dies wird in keiner ukrainischen Publikation kritisiert. Ein Parallelbeispiel hierzu ist der Geograph Stepan Rudnyc’kyj, dessen anthropogeographische und in der Zwischenkriegszeit teilweise auch offen rassistische Werke im Zuge seiner Rehabilitierung nicht problematisiert werden. Die historisch bedingt als antisowjetisch verstandene Konzeption, der die Sowjetunion durch schlichte Auslöschung der Disziplin die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung nahm,1956 gilt nunmehr als formativ für die ukrainische Humangeographie; seine anthropogeographischen und kartographischen Werke dienen der Legitimierung des Nationalstaats und der Herstellung von Kontinuitäten mit der früheren Nationalbewegung.1957 Diese Episoden zeigen den grundsätzlichen Tenor, in dem ukrainische Wissenschaft historisch erforscht wird – nicht erst seit dem Ausbruch des Krieges 2014, doch ohne dass grundlegend andere Trends in Sichtweite wären.

1954 1955 1956 1957

Vgl. exemplarisch Ukrajins’kyj instytut nacional’noji pamjati 2017. Wowk 1908; Volkov 1916. Hausmann 2011, S. 155. Sˇablij 1993.

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Abkürzungsverzeichnis

Chronika NTSˇ EZ HUR LFV LIF LMH LNV LSR MdI MURE NTSˇ

StP AH SVU UNDP UNT URVS Zapysky NTSˇ ZTIF ZUR

Die Chronik der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften (ukr. Ausgabe) Etnohraficˇnyj zbirnyk Holovna Ukrajins’ka Rada Lystuvannia Fedora Vovka z Volodymyrom Hnatjukom Lystuvannja Ivana Franka ta Mychajla Drahomanova Lystuvannja Mychajla Hrusˇevs’koho Literaturno-naukovyj vistnyk Lystuvannja Stepana Rudnyc’koho Ministerium des Innern Materyjaly do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji Naukove Tovarystvo im. Sˇevcˇenka Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates Sojuz vyzvolennja Ukrajiny Ukrainische National-Demokratische Partei Ukrajins’ke naukove tovarysto Ukrajins’ko-rus’ka vydavnycˇa spilka Zapysky Naukovoho Tovarystva imeny Sˇevcˇenka Franko, Ivan (Hg.): Zibrannja tvoriv u p’jatdesjaty tomach Zahal’na Ukrains’ka Rada

Die Abkürzungen von Archivsignaturen sind auf den ersten Seiten des Quellenund Literaturverzeichnisses aufgelöst.

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Anhang

Anhang I: Periodika und Serien des NTSˇ Diese Aufstellung führt die vom Verein gepflegten Periodika und Serien auf, die bis einschließlich 1918 eingeführt wurden.1958 Die größte Kontinuität weisen die Sektionszeitschriften und die ukrainischsprachige Chronik auf, wobei sich die Publikationsfrequenz häufiger änderte. Andere Zeitschriften erschienen relativ regelmäßig bis 1914, um dann unterbrochen zu werden und ggf. kurzzeitig wieder aufzuleben.

Zeitschriften ˇ asopys pravnycˇa (bis 1899) / C ˇ asopys pravnycˇa i ekonomicˇna (ab 1900), 1894–1912 C Zeitschrift der ethnographischen Kommission Chronika Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka, 1900–1939 Chronik der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften, 1900–1914 Etnohraficˇnyj zbirnyk, 1895–1916, 1929 Zeitschrift der ethnographischen Kommission Literaturno-naukovyj vistnyk, 1898–1905 1906–1907 veröffentlicht von der URVS; 1907 nach Kiew transferiert. Materyjaly do ukrajins’koji bibliohrafiji, 1909–1937 Zeitschrift der bibliographischen Kommission Materyjaly do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji, 1899–1919, 19291959 Zeitschrift der ethnographischen Kommission Pamjatky ukrajins’ko-rus’koji movy i literatury, 1896–1912, 1930 Zeitschrift der archäographischen Kommission

1958 Für eine komplette Bibliographie vgl. Periodycˇni ta serijni vydannja 1991. 1959 Naukove tovarystvo im. Sˇevcˇenka v Ukrajini, Materijaly do ukrajins’ko rus’koji etnol’ogiji 2007. Seit 1906 (Bd. VIII) als Materijaly do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji, seit 1909 (Bd. XI) als Materijaly do ukrajins’koji etnol’ogiji.

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Anhang

Studiji z polja suspil’nych nauk i statystyky, 1909–1912 Zeitschrift der statistischen Kommisson Zapysky Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka, 1892–1937, 1948–heute1960 Bis 1896 Zeitschrift aller Sektionen, danach der historisch-philosophischen und der philologischen Sektionen. Zbirnyk matematycˇno-pryrodopysno-likars’koji sekciji, 1897–1938 Zeitschrift der MPL-Sektion; fünf Bände von 1898–1902 erschienen als Likars’kyj zbirnyk, hg. von Je. Ozarkevycˇ im Auftrag der medizinischen Kommission. Zˇerela do istoriji Ukrajiny-Rusy1961 Zeitschrift der archäographischen Kommission Zorja, 1880–1897

Serien Pravnycˇa biblioteka, 1901, 1909, 2 Bde. Rus’ka istorycˇna biblioteka, 1883–1904, 24 Bde. Ukrajins’ko-rus’ka biblioteka, 1902–1911, 8 Bde. Ukrajins’ko-rus’kyj archiv, 1906–1925, 15 Bde. Zbirnyk fil’ologicˇnoji sekciji Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka, 1898–1917, 1925–1930, 1937, 23 Bde. Zbirnyk istorycˇno-fil’osoficˇnoji sekciji Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka, 1898–1913, 15 Bde.1962

Anhang II: Vereinssubventionen Subventionen in Kronen Jahr 1894

Landtag 2.000

Ministerium -

1895 1896

2.000 5.000

2.000 4.000

1897 1898

5.000 7.000

4.000 4.000

1899 1900

8.000 10.000

6.000 6.000

1960 Seit 1948 in der Diaspora fortgesetzt; seit 1990 erscheinen die Zapysky als Zeitschrift des NTSˇ in L’viv. 1961 Viele Materialien bzw. angedachte Bände blieben unveröffentlicht, wie die Nummerierung der Ausgaben bezeugt. Bis 1908 erschienen die Bde. 1–8, 1911 erschien Band 12, 1913 Band 22 und 1924 Band 16, die dazwischen liegenden Nummern wurden nicht abgedeckt. 1962 Die Bände 1–14 (1898–1913) sind (Teil-) Bände von Mychajlo Hrusˇevs’kyjs Istorija Ukrajiny-Rusy. Darüber hinaus erschien ein Bd. 16, aber kein Bd. 15.

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431

Anhang

(Fortsetzung) Subventionen in Kronen Jahr 1901 1902 1903

Landtag 10.000 10.000 10.000

Ministerium 6.000 6.000 + 2.000 6.000 + 2.000

1904 1905 1906 1907

10.000 11.000 12.000 12.000

6.000 6.000 + 4.000 6.000 6.000 + 2.000

1908 1909

14.000 14.0001964

8.000 + 2.0001963 12.0001965

1910 1911

16.0001966 17.0001968

16.0001967 18.0001969 + 2.0001970

1912 1913

17.000 01972

22.0001971 30.0001973 + 50.0001974

1914 8.5001975 35.0001976 + 25.0001977 Jährliche Vereinssubventionen in Kronen. Angegeben sind die dauerhaften jährlichen Subventionen durch den galizischen Landtag und das Ministerium für Cultus und Unterricht, sowie ergänzend außerordentliche Zuschüsse für spezifische Projekte oder Ankäufe durch das Ministerium.

1963 Schreiben an das Ministerium für Cultus und Unterricht vom 15. März 1908, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. , ark. 87–89zv, hier ark. 88. 1964 Chronika NTSˇ 41 (1910), S. 2. 1965 Schreiben der Statthalterei vom 9. Februar 1909, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 60, ark. 15. 1966 Chronika NTSˇ 45 (1911), S. 3. 1967 Schreiben der Statthalterei vom 22. Mai 1910, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 60, ark. 21. 1968 Chronika NTSˇ 49 (1912), S. 2. 1969 Schreiben der Statthalterei vom 13. Januar 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 61, ark. 1. 1970 Schreiben der Statthalterei vom 13. Juli 1911, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 61, ark. 5. 1971 Chronika NTSˇ 53 (1913), S. 3. 1972 Durch eine Krise im Landtag keine Subventionen erhalten, Chronika NTSˇ 57 (1914), vyp. 1, 5, 63. 1973 Schreiben der Statthalterei vom 31. Mai 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 61, ark. 19–19zv, hier ark. 19 zv. ˇ arnec’kyj Gasse 24, Schreiben 1974 Zur Unterstützung des Kaufs des neuen Gebäudes in der C der Statthalterei vom 12. Juli 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 61, ark. 20–20zv, hier ark. 20zv. 1975 Chronika NTSˇ 58 (1914), 48. Laut Abrechnung bis einschließlich 30. Juni 1914. 1976 Schreiben an das Ministerium für Cultus und Unterricht vom 28. Dezember 1917, CDIAL fond 309, op. 1, spr. 53, ark. 25–26, hier ark. 25. 1977 Chronika NTSˇ 58 (1914), 48. Laut Abrechnung bis einschließlich 30. Juni 1914.

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432

Anhang

Anhang III: Wirkliche Vereinsmitglieder1978 Die Angaben der Anhänge III und IV basieren auf der Vereinschronik 1914 bzw. 1918; die Aufenthaltsorte sind eine Momentaufnahme von 1914. Ergänzungen bzw. Präzisierungen zu den Anhängen III, IV und V sind der Encyklopedija Ukrajinoznavstva entnommen. Alle wirklichen Mitglieder wurden von einer der drei Sektionen berufen; sie konnten keine wirklichen Mitglieder mehrerer Sektionen sein, aber an allen Sitzungen partizipieren. Wirkliche Mitglieder, die später zu Ehrenmitgliedern ernannt wurden, bleiben gesondert als wirkliche Mitglieder mit ihrer Sektionszuordnung aufgeführt. Das Geschlecht wird nicht gesondert aufgeführt; es handelt sich, abgesehen von Kateryna Antonovycˇ in der historisch-philosophischen Sektion, ausschließlich um Männer. Zur Nachvollziehbarkeit der frühen Vereinsgeschichte – und angesichts der ›Massenberufungen‹ 1914 – werden die Mitglieder geordnet nach ihrem Berufungsdatum aufgeführt. Die Daten beschränken sich auf die bis 1918 aufgenommenen Mitglieder. Die vom Verein eingeführte Kategorie der ›ausländischen Mitglieder‹ wird beibehalten.

Historisch-philosophische Sektion Name Antonovycˇ, Volodymyr Dnistrjans’kyj, Stanislav Hrusˇevs’kyj, Mychajlo Levyc’kyj, Kost’ Ochrymovycˇ, Volodymyr Olesnyc’kyj, Jevhen Sjicyns’kyj, Jefym Sˇul’hyn, Jakiv Terlec’kyj, Ostap Tomasˇivs’kyj, Stepan Vovk, Fedir Zobkiv, Mychajlo Lotoc’kyj, Oleksander Markevycˇ, Oleksij Korduba, Myron Zubryc’kyj, Mychajlo Lesevycˇ, Volodymyr Hrusˇevs’kyj, Oleksandr Krevec’kyj, Ivan Antonovycˇ, Kateryna Biljasˇevs’kyj, Mykola

Berufung 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 04. 1900 23. 03. 1901 01. 07. 1903 29. 07. 1904 20. 11. 1905 18. 12. 1907 18. 12. 1907 12. 05. 1909 12. 05. 1909

Ort Kiew Lemberg Kiew/Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Kamenec’ Kiew Wien Lemberg St. Petersburg Zagreb Kiew Odesa Czernowitz Msˇanec’ Kiew Lemberg Kiew Kiew

1978 Entsprechend dem Statut von 1898.

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433

Anhang

(Fortsetzung) Name Rusov, Oleksandr Levyc’kyj, Orest Lypyns’kyj, Vjacˇeslav Krypjakevycˇ, Ivan Vasylenko, Mykola Dzˇydzˇora, Ivan Barvins’kyj, Bohdan Javornyc’kyj, Dmytro Novyc’kyj, Oleksa Stryps’kyj, Hijador Verhanovs’kyj, Volodymyr Kubalja, Ljudvik Balej, Stefan Herasymcˇuk, Vasyl’ Pelens’kyj, Osyp Sribnyj, Fedir

Berufung 01. 02. 1910 01. 12. 1910 04. 03. 1911 15. 11. 1911 15. 11. 1911 27. 02. 1913 04. 03. 1914 04. 03. 1914 04. 03. 1914 04. 03. 1914 04. 03. 1914 14. 03. 1914 08. 03. 1917 08. 03. 1917 08. 03. 1917 08. 03. 1917

Ort Kiew Lemberg Wien (1918) Lemberg Kiew Lemberg Lemberg Katerynoslav Moskau Budapest Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg

ausländische Mitglieder Sˇachmatov, Oleksij Zˇukovyycˇ, Pljaton Jensen, Al’fred Kaindl, Raimund Friedrich Seignobos, Charles

12. 05. 1909 01. 12. 1910 15. 11. 1911 04. 03. 1914 04. 03. 1914

St. Petersburg St. Petersburg Stockholm Czernowitz Paris

Philologische Sektion Name Smal’-Stoc’kyj, Stepan Kokorudz, Illja Kolessa, Oleksandr Studyns’kyj, Kyrylo Barvins’kyj, Oleksandr Hnatiuk, Volodymyr Franko, Ivan Kocovs’kyj, Volodymyr Dykariv, Mytrofan Komar, Mychajlo Makovej, Osyp Kryms’kyj, Ahatangel Zˇytec’kyj, Pavlo Pypin, Oleksander Sumcov, Mykola Peretc, Volodymyr Romancˇuk, Julijan Kolessa, Filaret

Berufung 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 25. 03. 1901 18. 02. 1903 18. 02. 1903 18. 02. 1903 08. 07. 1903 03. 06. 1908 03. 06. 1908 22. 12. 1909 22. 12. 1909

Ort Czernowitz Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Sokil Katerynodar Odesa Czernowitz Kiew Kiew Petersburg Charkiv Kiew Lemberg Lemberg

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434

Anhang

(Fortsetzung) Name Kuzelja, Zenon Korsˇ, Fedir Mychal’cˇuk, Kost’ Hordyns’kyj, Jakob Tymcˇenko, Jevhen Tersˇakovec’, Mychajlo Sˇcˇurat, Vasyl’ Svjenjic’kyj, Iljarion Pavlyk, Mychajlo Zjilyns’kyj, Ivan Stesˇenko, Ivan

Berufung 22. 12. 1909 22. 12. 1909 05. 06. 1911 08. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 26. 01. 1915 20. 06. 1917 20. 06. 1917

Ort Czernowitz Moskau Kiew Lemberg Kiew Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Poltava

ausländische Mitglieder Jagicˇ, Vatroslav Petrov, Mykola Berneker, Erich Baudouin de Courtenay, Jan Brückner, Aleksander Broch, Olaf Gartner, Theodor Murko, Matija Novakovycˇ, Stojak Polívka, Jirˇí Sˇisˇmanov, Ivan

08. 03. 1903 05. 06. 1911 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 02. 1914 18. 03. 1914

Wien Kiew München Petersburg Berlin Christiana, Norwegen Innsbruck Leipzig Belgrad Prag Kiew, Sofija

Mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztliche Sektion Name ˇ ernjachivs’kyj, Oleksander C Dakura, Osyp Horbacˇevs’kyj, Ivan Levyc’kyj, Volodymyr Ohonovs’kyj, Petro Ozarkevycˇ, Jevhen Puljuj, Ivan Sel’s’kyj, Sˇcˇasnyj Sydorjak, Semen Velycˇko, Hryhorij Verchrats’kyj, Ivan Sˇuchevycˇ, Volodymyr Rudnyc’kyj, Stepan Rakovs’kyj, Ivan Hirnjak, Juljijan Kaljicun, Vasyl’ ˇ ajkovs’kyj, Mykola C

Berufung 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1899 01. 06. 1900 25. 03. 1901 08. 04. 1903 28. 01. 1908 28. 06. 1912 22. 10. 1913

Ort Kiew Wien Prag Lemberg Lemberg Lemberg Prag Lemberg Ternopil’ Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Lemberg Snjatyn Rava Rus’ka

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435

Anhang

(Fortsetzung) Name Cehel’s’kyj, Roman Kos, Mychajlo Lomnyc’kyj, Marijan Medveds’kyj, Julijan Rudenko, Serhij Volosˇcˇak, Evstachij Zalozec’kyj, Roman

Berufung 18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914

Ort Czernowitz Przemysl Lemberg Lemberg St. Petersburg Wien Wien

ausländische Mitglieder Anthony, Raul Bechterev, Vladimir Manouvrier, Léonce Chodounský, Karel

18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914 18. 03. 1914

Paris St. Petersburg Paris Prag

Anhang IV: Gründungs- und Ehrenmitglieder Gründungsmitglieder Name Oleksandr Borkovs’kyj Osyp Hanjincˇak Vasyl’ Hehelo Sydir Hlyns’kyj Volodymyr Huzar Vasyl’ Nahirnyj Josyfa Pan’kivs’ka Tyt Revakovycˇ Tovarystvo Sjicˇ Oleksandr Stefanovycˇ Severyna Susˇkevycˇeva Vasyl’ Tysovs’kyj Antin Chojnac’kyj Kyprijan Jasenyc’kyj

Berufung em. Gymnasialdirektor Bahningenieur Landbesitzer Geistlicher Gerichtsrat Direktor der »Narodnja Torhivlja« Lehrerin em. Gerichtsrat Verein Geistlicher, em. Katechet am Gymnasium Sekretärin Professor des Lehrerseminars Direktor der »Narodnja Hostynycja« Geistlicher

Ehrenmitglieder Volodymyr Antonovycˇ, ernannt 1890 für seine wissenschaftlichen Verdienste, geleistet im Rahmen der Erforschung der Geschichte des ukrainischen Volks Ivan Verchrats’kyj, ernannt 1905 zu Ehren seiner 40-jährigen Forschungstätigkeit Sydir Hromnyc’kyj, ernannt 1904 in Gedenken an seine langjährige administrative Vereinstätigkeit

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436

Anhang

Mychajlo Hrusˇevs’kyj, ernannt 1896 für seine wissenschaftlichen Leistungen im Rahmen des Vereins Ivan Necˇuj-Levyc’kyj, ernannt 1890 für seinen Beitrag zur ukrainischen Literatur Mykola Lysenko, ernannt 1904 zum Jubiläum seiner 35-jährigen Kompositionstätigkeit für seinen Beitrag zur Entwicklung der ukrainischen Musikforschung Ivan Franko, ernannt 1904 für seine wissenschaftlichen Leistungen im Rahmen des Vereins

Anhang V: Allgemeine Mitglieder1979 Name Avdykovycˇ, Orest Tov. Akademicˇna Hromada Alys’kevycˇ, Andrij Androchovycˇ, Amvr. Bandera, Andrij Bandrivs’kyj, Karol’ Baran, Stepan Barvins’kyj, Bohdan

Geschlecht Ort m Przemys´l Lemberg m Przemys´l m Lemberg Uhrynov m Staryj m Lemberg m Kolomyja m Lemberg

Bacˇyns’kyj, Volodymyr Berezˇans’kyj, Vasyl’ Byrcˇak, Volodymyr Bibljioteka Duchovnoji Seminariji Bilen’kyj, Teodor Bilen’kyj, Jaroslav Bilec’kyj, Vasyl’ Bilyns’kyj, Petro Biljins’kyj, D. Bodnar, Ivan Boracˇok, Severyn Brykovycˇ, Iljarion Bryk, Ivan

m m m

Lemberg Sambir Drohobycˇ

m m m m m m m m m

Lemberg Sambir Kolomyja Lemberg Zarvanycja Wien Ternopil’ Jajkivcji Ternopil’ Lemberg

Bryttan, Sydjir

m

Budz, Ivan Buracˇyns’kyj, Erast

m m

Lemberg Bleiburg (Kärnten) Berehomet

Beruf Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Geistlicher Finanzbeamter Advokat Bibliotheksmitarbeiter Direktor des Landeskreditverbandes Gerichtsrat Gymnasialprofessor Institution Professor des Lehrerseminars Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Geistlicher Dr., Arzt Professor des Lehrerseminars Geistlicher Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Sekretär der Versicherungsgesellschaft »Dnister« Bahnbeamter Förster

1979 Angesichts der Fluktuation unter den allgemeinen Mitgliedern, die aus dem Anhang III bereits hervorging, kann hier nur eine inhaltlich sinnvolle Momentaufnahme vom Stand Ende 1910/Anfang 1911 geliefert werden. Die Auflistung wurde aus Chronika NTSˇ 45 (1911), S. 25–30 transliteriert und übersetzt. Die Reihenfolge der Auflistung entspricht dem Original nach dem ukrainischen Alphabet. Ortsschreibweisen größerer Städte wurden an das Muster dieser Arbeit angepasst, bei Kleinstädten und Dörfern wurde aus dem Original transliteriert.

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437

Anhang

(Fortsetzung) Name Verbenec’, Volodymyr Verhanovs’kyj, Volodymyr Voznjak, Mychajlo Voljans’kyj, Ol.

Geschlecht m m m m

Ort Polja Lemberg Lemberg Kryvorivnja

Halusˇcˇyns’kyj, Mychajlo Hancˇakovs’kyj, V. Harmatij, Hr. Harmatij, Luka Herasymcˇuk, Vasyl’ Hovykovycˇ, Al’fred

m m m m m m

Rohatyn Krakau Terebovlja Holovy Lemberg Lemberg

Hrusˇevs’ka, Marija Hrusˇevs’kyj, Marko Hukevycˇ, Kost’ Hurkevycˇ, Volodymyr Decyk, Ivan Direktion des k.k. FranzJoseph-Gymnasiums Dzˇydzˇora, Ivan Dorosˇenko, Volodymyr Dorosˇenko, Dmytro Evyn, Fylyp Jendyk, Dmytro Jefremov, Serhij Zˇurkevycˇ, Maksym Zahajkevycˇ, Bohdan Zalec’kyj, Tadij Zaljisnjak, Mykola

w m m m m

Lemberg Subotovo Opava Stryj Ustjeriky

m m m m m m m m m m

Ternopil’ Lemberg Lemberg Katerynoslav Lemberg Zaluche Kiew Monastyr Lemberg Zaljisˇcˇyky Lemberg

Zan’ko, Volodymyr Zajac’, Ivan Zajacˇkivs’kyj, Mykola Zilyns’kyj, Ivan Ivancˇuk, Oleksa Ivasˇko, Mychajlo Rus’kyj Instytut dlja djivchat Kalytovs’kyj, Ironjim Karpyns’kyj, Pljato Kyveljuk, Ivan

m m m m m m

Poljijekt, Kmyt’

m

Kmit, Jurij Kobryns’kyj, Volodymyr Kozlovs’kyj, Vsevolod Kolodnyc’kyj, Omeljan Kopacˇ, Ivan Korenec’, Denys

m m m m m m

m m m

Rohatyn Smil’nyk Lemberg Stanislaviv Kosiv Vyzˇnycja Przemys´l Stryj Dychkiv Lemberg Drohobycˇ Zvynjacˇ Horisˇnyj Lemberg Lemberg Stryj Lemberg Przemys´l

Beruf Dr., Arzt Universitätsdozent Gymnasiallehrer Geistlicher Direktor des Privatgymnasiums Dr., Arzt Dr., Arzt Volksschullehrer Professor des Lehrerseminars Dr., Advokat Frau eines Universitätsprofessors Geistlicher Waldinspektor Dr., Advokat Lehrer Institution Kand. Phil. Kand. Phil. Autor Dr., Advokat Lehrer Autor Geistlicher Stud. Phil. Lehrer am Lehrerseminar Stud. Univ. Lehrer am ukrainischen Privatgymnasium Geistlicher Inspektor »Narodna Torhivlja« Gymnasialprofessor Lehrer Richter Institution Dr., Advokat Geistlicher Landesrat Geistlicher; Katechet des Gymnasiums Geistlicher Dr., Arzt Schriftsteller Gymnasialprofessor Referent des Landesschulrats Gymnasialprofessor

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438

Anhang

(Fortsetzung) Name Kormosˇ, Teofil’ Kos, Andrij Kos, Josyf Kos, Mychajlo Kossak, Lev Kryp’jakevycˇ, Ivan Krusˇel’nyc’kyj, Antin Krusˇel’nyc’kyj, Mychajlo Kulacˇkovs’kyj, Ol.

Geschlecht m m m m m m m m m

Ort Przemys´l Kalusˇ Kolomyja Przemys´l Lemberg Lemberg Kolomyja Przemys´l Wien

Kunkevycˇ, Vasyl’ Kurovec’, Ivan Kucˇer, Volodymyr Lavriv, Pavlo Levyc’kyj, Volodymyr Leontovycˇ, Volodymyr Leontovycˇa, Julija

m m m m m m w

Drohobycˇ Kalusˇ Ternopil’ Kiew Vynnyky Kiew Kiew

Lepkyj, Nykolaj Lypyns’kyj, Vjacˇeslav

m m

Lysynec’kyj, Gedymin Lytvynovycˇ, Mychajlo Lozyns’kyj, Mychajlo Lukijanovycˇ, Antin Lukijanovycˇ, Denys Ljubars’kyj-Pys’mennyj, Jevhen Ljudkevycˇ, Ostap Mel’nyk, Mykola Mykolajevycˇ, Jakiv Mysˇuga, Oleksander Monastyr OO. Vasyljan Monastyr OO. Vasyljan Monastyr OO. Vasyljan Mochnac’kyj, Stefan Mocˇul’s’kyj, Mychajlo Mudrak, Julijan Mudrakova, Marija Navroc’kyj, Ivan Nazarijiv, Oleksa Nedjil’s’kyj, Sofron Ohonovs’kyj, Hiljar Okunevs’kyj, Jaroslav Okunevs’kyj, Teofil’ Pavlovs’kyj, Filaret Panejko, Vasyl’ Pacˇovs’kyj, Mychajlo Pezˇans’kyj, Hr.

m m m m m

Kolomyja Krakau Vasˇkivci nad ˇ eremosˇom C Vyzˇnycja Lemberg Bibrka Vyzˇnycja

m m m m m

m m m w m m m m m m m m m m

Belgien Lemberg Lemberg Ternopil’ Warschau Krechiv Zˇovkva Lemberg Terebovlja Lemberg Lemberg Lemberg Stryj L’viv Kolomyja Lemberg Polja Horodenka Pryluky Lemberg Lemberg Lemberg

Beruf Dr., Advokat Dr., Advokat Dr., Arzt Dr., Arzt Dr., Arzt Kand. Phil. Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Dr., Advokat Geistlicher; Katechet des Gymnasiums Dr., Arzt Gymnasialprofessor Leiter LNV-Buchhandlung Notar Landbesitzer Frau eines Landbesitzers Geistlicher; emeritierter Katechet des Gymnasiums Stud. Phil. Gerichtsvorsteher Richter Journalist Richter Gymnasialprofessor Advokat Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Professor des Lehrerseminars Künstler, Sänger Institution Institution Institution Geistlicher Notar Ingenieur Frau eines Ingenieurs Dr., Arzt Stud. Jur. Direktor des ukr. Gymnasiums Gymnasialprofessor Dr., Arzt Dr., Advokat Geistlicher Journalist Gymnasialprofessor Ingenieur bei der Statthalterei

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439

Anhang

(Fortsetzung) Name Petrusˇevycˇ, Volodymyr Tovarystvo »Prosvita« Filija »Prosvity« Rybacˇek, Mychajlo Rozdol’s’kyj, Osyp Rondjak, Petro Rudovycˇ, Ivan Rus’ka Besjida Collegio Rutheno Filija Rus’koho Tov. Pedagog.

Geschlecht Ort m Kalusˇ Lemberg Ternopil’ m Lemberg m Lemberg m Kosiv m L’viv Przemys´l Rom

Savojka, Teodor Sanoc’kyj, Ivan

m m

Sajevycˇ, Omeljan Simovycˇ, Vasyl’ Tovarystvo Sjicˇ Sjicˇyns’kyj, Julijan Skobel’s’kyj, Atanas Stebnyc’kyj, Petro Ja. Stryjs’kyj, Ivan

m m m m m m

Lemberg Czernowitz Czernowitz Lemberg Zolocˇiv St. Petersburg Przemys´l

Susˇko, Zenon Tancˇakovs’kyj, Stepan Terlec’kyj, Mychajlo Tersˇakovyc’, Mychajlo Teslja, Stefan Tymins’kyj, Tyt Tymcˇenko, Jevhen Trusˇ, Ivan

m m m m m m m m

Lemberg Zolotyj Potik Boryslav Lemberg Zbarazˇ Dovhopole Warschau Lemberg

Turkevycˇ, Ivan

m

Lemberg

Fedak, Stefan

m

Lemberg

Fedusevycˇ, Julijan Fedjusˇka, Mykola

m m

Foljis, Josyf Fortysyna, Jevhen Chyrovs’kyj, Vasyl’ Vymbal, Vasyl’ ˇ ajkivs’kyj, Mykola C ˇ ajkivs’kyj, Julijan C

m m m m m m

ˇ echut, Pavlo C

m

Lemberg Lemberg Kul’parky, p. Sknyliv Lemberg Ternopil’ Kiew Ternopil’ Stanislaviv Firlijiv, p. Klesˇcˇivna

Zolocˇiv Selyska, p. Dyniv Nadvirna

Beruf Geistlicher Verein Verein Gymnasialprofessor Gymnasialprofessor Dr., Richter Geistlicher Verein Institution Verein Geistlicher Dr., Advokat Direktor des Landeskreditverbandes Professor Lehrerseminar Beamter Gerichtsrat o.A. Geistlicher Beamter der Versicherungsgesellschaft »Dnister« Notar o.A. Gymnasialprofessor Geistlicher; Arbeiter Geistlicher Beamter Maler Geistlichter; Katechet am Gymnasium Direktor der Versicherungsgesellschaft »Dnister« Geistlichter; emeritierter Katechet am Gymnasium Stud. Phil. Geistlicher Gymnasialprofessor Professor des Lehrerseminars Beamter Lehrer Gymnasialprofessor Geistlicher

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440

Anhang

(Fortsetzung) Name ˇ ykalenko, Jevhen C ˇ ubatyj, Osyp C Sˇmigel’s’kyj, Vasyl’ Sˇpytkovs’kyj, Ivan Sˇrah, Illja Sˇcˇerbakivs’kyj, Vadym Jarema, Oleksa Jarymovycˇ, Myroslava Jachno, Jakiv Jackevycˇ, Rakiv Juryk, St.

Geschlecht Ort m Kiew m Nadvirna Tourouvre, d. m Orne, FR m Przemys´l ˇ ernihiv m C m Lemberg m Przemys´l w Pidhajci Pidbuzh, k. m Drohobycz m Rava Rus’ka m Zolocˇiv

Beruf Gutsbesitzer Richter Dr., Arzt Gymnasialprofessor Advokat Kand. Phil. Gymnasialprofessor Notarstochter Geistlicher Realschulprofessor Dr., Geistlicher

Anhang VI: wissenschaftliche Kommissionen Im Einklang mit der vorherigen Tabelle wird – angesichts der Fluktuationen auch unter Kommissionen – eine Momentaufnahme vom Stand Ende 1910/Anfang 1911 geliefert, wobei zu bedenken ist, dass Mitglieder aus- oder eintreten konnten und alle Funktionen bei Bedarf neu gewählt werden konnten. Nach dem Wechsel der Vereinsleitung 1913/1914 gründete der Verein eine Kommission für klassische Philologie und eine Kommission für Kunstgeschichte, die allerdings bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges keine nennenswerte Tätigkeit entwickelten.

Archäographische Kommission Präsidium: Vorsitzender: Mychajlo Hrusˇevs’kyj; stv. Vorsitzender: Ivan Franko; Sekretär: Stepan Tomasˇivs’kyj Mitglieder: Dmytro Bahalij, Vasyl’ Herasymcˇuk, Volodymyr Hnatjuk, Oleksandr Hrusˇevs’kyj, Ivan Dzˇydzˇora, Ivan Kamanjin, Oleksandr Kolessa, Denys Korenec’, Volodymyr Kocovs’kyj, Ivan Krevec’kyj, Ivan Krypjakevycˇ, Kost’ Levyc’kyj, Vjacˇeslav Lypyns’kyj, Iljarijon Svjencic’kyj, Stepan Smal’-Stoc’kyj, Kyrylo Studyns’kyj, Ivan Sˇpytkocs’kyj, Oleh Celevycˇ

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441

Anhang

Statistische Kommission Präsidium: Vorsitzender: Volodymyr Ochrymovycˇ; stv. Vorsitzender: Stanislav Dnistrjans’kyj; Sekretär: Vasyl’ Panejko; stv. Sekretär: Mykola Zalisnjak Mitglieder: Stepan Baran, Volodymyr Dorosˇenko, Ivan Dzˇydzˇora, Ivan Franko, Maksim Hechter, Anton Hlodzyns’kyj, Mychajlo Hrusˇevs’kyj, Mychajlo Kocjuba, Vasyl’ Kosˇovyj, Ivan Krevec’kyj, Ivan Kuncjiv, Kost’ Levyc’kyj, Mychajlo Lozyns’kyj, Osyp Nazaruk, Jevhen Olesnyc’kyj, Bohdan Rozˇans’kyj, Stepan Rudnyc’kyj, Oleksandr Rusov, Omeljan Sajevycˇ, Volodymyr Starosols’kyj, Stepan Tomasˇivs’kyj, Volodymyr Zahajkevycˇ, Myroslav Zderkovs’kyj, Andrij Zˇuk

Bibliografische Kommission Präsidium: Vorsitzender: Ivan Om. Levyc’kyj; stv. Vorsitzender: Volodymyr Levyc’kyj; 2. stv. Vorsitzender: Ivan Krevec’kyj; Sekretär: Mychajlo Voznjak Mitglieder: Volodymyr Hnatjuk, Mychajlo Hrusˇevs’kyj, Dmytro Dorosˇenko, Mykola Zaliznjak, Illja Kokorudz, Filaret Kolessa, Mychajlo Komariv, Ivan Krypjakevycˇ, Zenon Kuzelja, Volodymyr Peretc, Ivan Rakovs’kyj, Stepan Rudnyc’kyj, Iljarijon Svjencic’kyj, Mykola Sumcov, Vasyl’ Sˇcˇurat

Ethnographische Kommission Präsidium: Vorsitzender: Ivan Franko; stv. Vorsitzender: Volodymyr Ochrymovycˇ; Sekretär: Volodymyr Hnatjuk Mitglieder: Mykola Biljasˇivs’kyj, Bohdan Vachjanyn, Fedir Vovk, Luka Harmatij, Borys Hrincˇenko, Mychajlo Hrusˇevs’kyj, Vasyl’ Domanyc’kyj, Jurij Zˇatkovycˇ, Mychajlo Zubryc’kyj, Filaret Kolessa, Ivan Krypjakevycˇ, Zenon Kuzelja, Volodymyr Levyns’kyj, Mykola Lysenko, Stanislav Ljudkevycˇ, Mychajlo Pacˇovs’kyj, Osyp Rozdol’s’kyj, Stepan Tomasˇivs’kyj, Jevhen Fortysyna, Volodymyr Sˇuchevycˇ, Vadym Sˇcˇerbakivs’kyj, Vasyl’ Sˇcˇurat

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442

Anhang

Sprachkommission Präsidium: Vorsitzender: Vasyl’ Sˇcˇurat; stv. Vorsitzender: Filaret Kolessa; Sekretär: Ivan Krevec’kyj Mitglieder: Vasyl’ Bilec’kyj, Volodymyr Hnatjuk, Mychajlo Hrusˇevs’kyj, Ivan Dzˇydzˇora, Volodymyr Dorosˇenko, Fylyp Evyn, Mykola Zaliznjak, Ivan Kopacˇ, Illja Kokorudz, Mychajlo Komariv, Oleksandr Kolessa, Filaret Kolessa, Ahatanhel Kryms’kyj, Zenon Kuzelja, Volodymyr Ochrymovycˇ, Mychajlo Pacˇovs’kyj, Ivan Rakovs’kyj, Osyp Rozdol’s’kyj, Stepan Smal’-Stoc’kyj, Kyrylo Studyns’kyj, Jevhen Tymcˇenko, Stepan Tomasˇivs’kyj, Ivan Franko

Physiographische Kommission Präsidium: Vorsitzender: Roman Zalozec’kyj; stv. Vorsitzender: Stepan Rudnyc’kyj; Sekretär: Ivan Rakovs’kyj Mitglieder: Hryhorij Bobjak, Hryhorij Velycˇko, Ivan Verchrats’kyj, Fedir Vovk, Ostap Volosˇcˇak, Lev Havans’kyj, Volodymyr Gerynovycˇ, Volodymyr Zan’ko, Mychajlo Kocjuba, Volodymyr Levyc’kyj, Julijan Levyc’kyj, Ivan Manuljak, Julijan Medvec’kyj, Mykola Mel’nyk, Fedir Trymak, o. Josyf Rakovs’kyj, Semen Sydorjak, Volodymyr Sˇuchevycˇ

Anhang VII: Kommissionsstatistik Mitgliederstatistik1980 Kommission Archäograph. Statistische Rechtswiss. Ethnographische Sprachliche Medizinische Bibliographische Physiographische

1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 12 14 14 14 18 18 19 18 18 22 25 27 28 17 17 18 20 23 22 22 27 27 28 19 19 20 20 18 18 18 12 12 12 13 14 14 14

1908 19 21 18 28 18 14

1909 1910 1911 1912 1913 22 21 28 28 28 24 29 26 25 25 24 24

25 26

23 26

22 27

22 25

20 18

19 21

20

23

22

1980 Ausgelassene Angaben bedeuten, dass die Kommissionen nicht mehr oder noch nicht existierten. Ausgenommen davon sind angesichts des Kriegsausbruchs die Angaben zum Jahr 1914. Die 1914 nur nominell existierenden Kommissionen für klassische Philologie und für Kunstgeschichte werden ausgeklammert.

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443

Anhang

Sitzungsstatistik1981 Kommission Archäograph. Statistische Rechtswiss. Ethnographische Sprachliche Medizinische Bibliographische Physiographische

1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 2 3 3 3 3 4 4 2 1 8 0 4 4 2 3 1 2 3 2 3 1 3 3 1 1 0 2 0 0 6 1 0 0 2 0 0 0

1908 7 3 0 4 2 0

1909 1910 1911 1912 1913 1914 7 6 8 6 3 0 5 3 1 1 1 0 4 2

3 1

3 1

3 0

3 6

3 0

2 1

3 0

2

3

1

1

Anhang VIII: Indikatoren zur Gruppendynamik Diese Personenlisten können die fluiden Gruppen der Opposition gegen Hrusˇevs’kyj im frühen 20. Jahrhundert einordnen bzw. die individuelle Positionierung von Wissenschaftlern kontextualisieren. Insbesondere die Punkte 1)–3), deren Relevanz im Kapitel 5.6 herausgearbeitet wurde, sind vergleichsweise unbekannt.

1)

Unterstützer des Statuts von Stanislav Dnistrjans’kyj, 1903 (Opposition)1982

Statutenkommission: Stanislav Dnistrjans’kyj, Mychajlo Pavlyk, Volodymyr Sˇuchevycˇ Wirkliche Vereinsmitglieder: Oleksandr Barvins’kyj, Ivan Verchrats’kyj, Illja Kokorudz, Volodymyr Levyc’kyj, Kost’ Levyc’kyj, Petro Ohonovs’kyj, Jevhen Ozarkevycˇ, Jevhen Olesnyc’kyj, Ivan Puljuj, Stepan Rudnyc’kyj, Petro Stebel’s’kyj, Mychajlo Zobkiv (mit einigen gewünschten Ausbesserungen) Allgemeine Vereinsmitglieder: Vasyl’ Bilec’kyj, Ivan Bobers’kyj, Volodymyr Berhanovs’kyj, Jaroslav Vytosˇyns’kyj, Mychajlo Halusˇcˇyns’kyj, Teofyl’ Hrusˇkevycˇ, Mykola Zajacˇkivs’kyj, Volodymyr L. Levyc’kyj, Julijan Levyc’kyj, Tadej Madybur, Jakiv Mykolajevycˇ, Ilarion Ohonovs’kyj, Mychajlo Pacˇovs’kyj, Tytko Revakovycˇ, Osyp Rozdol’s’kyj, Julijan Romancˇuk, o. Oleksandr Stefanovycˇ, Edvard Charkevycˇ, Mykola Sˇuchevycˇ

1981 Formell existierende Kommissionen ohne Aktivität werden durch eine 0 gekennzeichnet. 1982 Projekt Statuta NTSˇ, zladzˇenyj statuvoju komisyjeju, 1. Dezember 1903, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 5., ark. 10–19, hier ark. 18zv–19.

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444 2)

Anhang

Initiatoren der Petro-Mohyla-Gesellschaft für ukrainische wissenschaftliche Vorlesungen (Opposition)1983

Oleksandr Kolessa, Stanislav Dnistrjans’kyj, Kost’ Levyc’kyj, Illja Kokorudz, Volodymyr Levyc’kyj, Stepan Rudnyc’kyj, Jevhen Olesnyc’kyj, Stepan Smal’Stoc’kyj, Josyf Zˇuk, Edvard Charkevycˇ, Ivan Puljuj, Hryhorij Cehlyns’kyj

3)

Protestierende gegen O. Barvins’kyjs Verweis (Opposition)1984

Unterzeichner: Jevhen Olesnyc’kyj, Petro Ohonovs’kyj, Illja Kokorudz, Kyrylo Studyns’kyj, Mychajlo Pavlyk, Volodymyr Ochrymovycˇ, Volodymyr Sˇuchevycˇ, o. Al. Stefanovycˇ, Ivan Rakovs’kyj, Volodymyr Levyc’kyj, Stepan Rudnyc’kyj, Petro Suchevycˇ in Abwesenheit (brieflich) unterstützt von: Ivan Horbacˇevs’kyj, Ivan Puljuj, Osyp Makovej, Ivan Verchrats’kyj, Julijan Romancˇuk, Myron Korduba, Stepan Smal’Stoc’kyj

4)

Beitragende für Mychajlo Hrusˇevs’kyjs Festschrift, 1906 (pro-Hrusˇevs’kyj)1985

Mitglieder des Redaktionskollegiums: Volodymyr Hnatjuk, Denys Korenec’, Ivan Krevec’kyj, Stepan Tomasˇivs’kyj, Ivan Franko Beitragende: Ivan M. Levyc’kyj, Volodymyr Lesevycˇ, Ivan Franko (2 Beiträge), Ahatanhel Kryms’kyj, Myron Korduba, Jurij Zˇatkovycˇ, Ivan Krypjakevycˇ, Vasyl’ ˇ ajkovs’kyj, Stepan Tomasˇivs’kyj, Vasyl’ Domanyc’kyj, Denys Korenec’, Osyp C Herasymcˇuk, Fedir Goljijcˇuk, Ivan Dzˇydzˇora, Volodymyr Hnatjuk (2 Beiträge), Mychajlo Zubryc’kyj, Mychajlo Tersˇakovec’, Ivan Krevec’kyj, Mychajlo Lozyns’kyj, Serhij Jefremov, Borys Hrincˇenko, Mychajlo Mocˇul’s’kyj, Zenon Kuzelja, Fedir Vovk

1983 Tovarvysto ukrajins’kych naukovych vykladiv im. Petra Mohyly, Vazˇnjijsˇi postanovy statuta, 14. August 1907, IL VR, fond 3, N 2358, ark. 53–53zv. 1984 Protestschreiben vom 18. Oktober 1908 1985 Naukovyj Zbirnyk prys’vjacˇenyj profesorovy Mychajlovy Hrusˇevs’komu 1906.

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445

Anhang

5)

Protest gegen das Statutenprojekt 1913 aus der russländischen Ukraine (pro-Hrusˇevs’kyj)1986

Kateryna Antonovycˇ, Mykola Biljasˇivs’kyj, Mykola Vasylenko, Dmytro Dorosˇenko, Serhij Jefremov, Orest Levyc’kyj, Volodymyr Leontovycˇ, Julija Leontovycˇ, Konstjantyn Mychaj’cˇuk, Volodymyr Peretc, Oleksandr Rusov, Vasyl’ Cymbal, ˇ ernjachivs’kyj, Jevhen C ˇ ykalenko, Illja Sˇrah Oleksandr C

6)

Ausschuss nach der Generalversammlung vom 29. Juni 1913 (großteils oppositionell)1987

Vorsitzender: Mychajlo Hrusˇevs’kyj (Rücktritt im Oktober 1913) Ausschussmitglieder: Volodymyr Verhanovs’kyj, Volodymyr Levyc’kyj, Julijan Mudrak, Volodymyr Ochrymovycˇ, Ivan Rakovs’kyj, Stepan Tomasˇivs’kyj, Vasyl’ Sˇcˇurat Stellvertretende Ausschussmitglieder: Stepan Baran, Bohdan Barvins’kyj, Filaret Kolessa, Ivan Zilyns’kyj Sektionsdelegierte: Mychajlo Hrusˇevs’kyj (hist.-phil. Sektion), Ivan Franko (philolog. Sektion), Stepan Rudnyc’kyj (MPL-Sektion) Kontrollkommission: Josyf Hanincˇak, Illja Kokorudz, Julijan Sicˇyns’kyj Ämterverteilung (seit 10. September 1913): stellvertretender Vorsitzender: Stepan Tomasˇivs’kyj; Sekretär: Volodymyr Levyc’kyj; Kassenwart: Vasyl’ Sˇcˇurat; Gebäudereferent: Julijan Mudrak; Referent der Buchhandlung: Volodymyr Verhanovs’kyj; Referent des Museums: Stepan Rudnyc’kyj; Bibliotheksreferent: Bohdan Barvins’kyj

1986 Protestschreiben gegen die Statutenänderung aus Kiew, 18. Mai 1913, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 8, ark. 20–23, hier ark. 23. 1987 Chronika NTSˇ 60–62 (1918), 2.

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446

Anhang

Anhang IX: Umgangssprachen- und Konfessionsstatistik Galiziens 1880 1890

polnisch 3.058.400 3.509.183

ruthenisch 2.549.707 2.835.674

andere 330.354 233.978

gesamt 5.938.461 6.578.835

1900 1910

3.988.702 4.672.500

3.074.449 3.208.092

221.552 99.885

7.284.703 7.980.477

Bevölkerung Galiziens nach Umgangssprachenangabe, 1880–19101988 1869 1880

röm.-kath. 2.509.015 2.714.977

gr.-kath. 2.317.884 2.510.408

jüdisch 575.918 686.596

andere 41.872 46.926

gesamt 5.444.689 5.958.907

1890 1900

2.999.062 3.350.512

2.790.577 3.104.103

770.468 811.371

47.709 49.953

6.607.816 7.315.939

1910 3.731.569 3.379.569 871.895 42.949 1989 Bevölkerung Galiziens nach Konfessionsangabe, 1869–1910

8.025.982

Anhang X: Statistische Privatzählung 1911 Statistische Privatzählung (Kap. 7.1.2) der statistischen Kommission des NTSˇ im Rahmen des Vorgehens gegen die Volkszählung 1911 und der eigenen statistischen Forschungen. Datengrundlage der Abb. 10. politischer Bezirk Bóbrka Borszczów Brody Brzez˙any Brzozów Buczcacz Cieszanów Czortków Dobromil Dolina Drohobycz Gródek Horodenka Husiatyn Jaroslau Kamionka Strumiłowa

Zählbögen 12 13 2 12 1 7 9 9 6 5 4 5 1 5 8 9

politischer Bezirk Mos´ciska Nadwórna Przemys´l Przemys´lany Podhajce Rawa Ruska Rohatyn Sambor Skałat S´niatyn Sokal Stanislau Stryj Trembowla Tarnopol Tłumacz

Zählbögen 29 2 4 8 18 10 4 7 12 1 7 8 1 11 9 3

1988 Rohde 2016, S. 141. 1989 Ebd., S. 143f.

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447

Anhang

(Fortsetzung) politischer Bezirk Kolomea Kosów Lemberg (Land) Lisko

Zählbögen 2 1 24 4

politischer Bezirk Zaleszczyki Zbaraz˙ Z˙ółkiew Z˙ydaczów

Zählbögen 3 11 3 4

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Abbildungsverzeichnis

Deckblatt Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15

Gruppenfoto der Enejida-Gedenkfeier 1898, Dim Franka, 169 mem. Vereinssitz, Chronik der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften I (1900), S. 16. Skizze zur Fassade des Akademicˇnyj dim, Architekturfirma Levyc’kyj, 1905, CDIAL, fond 309, op. 1, spr. 561, ark. 53zv. Wissenschaftlichen Ferienkurse 1904, Dim Franka, 232 mem. Huzulentheater (Hucul’s’kyj teatr), LNNB IDBMR, III 2294. Stepan Tomasˇivs’kyjs Karte der Uhors’ka Rus’. Tomasˇivs’kyj 1906. Typenkarten von Huzulen und Huzulinnen. Vovk 1908, unpag. Beilagen. Anthropometrische Messungen in Przemys´l/Peremysˇl’, 1903, LNNB IDBMR, II 20089 Forschungsreisen Fedir Vovks, ausgefertigt von Walter Liebhart nach den zitierten Daten. Fedir Vovk: Anthropologische Karte der Hucul’sˇcˇyna, 1908. Unpag. Beilage zu Vovk 1908. Statistische Erhebungen 1911, ausgefertigt von Walter Liebhart nach den zitierten Daten. Gerynovycˇs Karte der Ukraine, 1910. Unpag. Beilage zu Rudnyc’kyj 1910. Rudnyc’kyj, Stepan: Ethnographische Übersichtskarte der Ukraina, 1914. Unpag. Beilage zu Rudnyc’kyj 1914. Karte der Ukraine. Zaklyns’kyj 1915, S. 6. [Rudnyc’kyj, Stepan], Carte de l’Ukraine, 1919. Autorenschaft nachgewiesen durch die Kartographieabteilung der LNNB. Rudnyc’kyj: Ethnographische Übersichtskarte von Osteuropa, 1916. Unpag. Beilage zu Rudnyc´kyj 1916, Ukraina.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Archive Archiv der Universität Wien, Wien Österreichisches Museum für Volkskunde – Archiv (ÖMV), Wien Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Wien Biblioteka Narodowa (= BNW), Warszawa – BNW 68607: Protokóły posiedzen´ zarza˛du głownego towarzystwa »Proswita« we Lwowie (= CDIAL, kolekcija no. 9, spr. 5 (68607)) Buchhandelsarchiv der Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. – Sammlung der Geschäftsrundschreiben der Börsenvereinsbibliothek Central’nyj derzˇavnyj istorycˇnyj archiv Ukrajiny u m. Kyjevi (= CDIAK) – fond 1235: Mychajlo Hrusˇevs’kyj Central’nyj derzˇavnyj istorycˇnyj archiv Ukrajiny u m. L’vovi (= CDIAL) – fond 146: Galizische Statthalterei – fond 206: Rus’ke tovarystvo pedagogicˇne – fond 309: Naukove Tovarystvo im. Sˇevcˇenka – fond 310: Ukrajins’kyj universytet u L’vovi – fond 368: Stepan Tomasˇivs’kyj – fond 372: Volodymyr Ochrymovycˇ – fond 391: Zahal’na ukrajins’ka kul’turna rada – fond 401: Redaktion der Zeitschrift »Literaturno-Naukovyj Vistnyk« – fond 440: Zahal’na ukrajins’ka nacional’na rada – fond 663: Mychajlo Pavlyk – fond 736: Petro-Mohyla-Gesellschaft für ukrainische wissenschaftliche Vorlesungen – fond 834: Tovarystvo »Sicˇ« in Wien

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452

Quellen- und Literaturverzeichnis

Central’nyj derzˇavnyj archiv vysˇcˇych orhaniv vlady ta upravlinnja Ukrajiny, Kyjiv (= CDAVO), ˇ echoslovacˇcˇyna) – fond 3859: Ukrajins’kyj vil’nyj universytet v Prazi (C – fond 4404: Orhanizaciji ukrajins’kych nacionalistiv v tabori vijs’kopolonenych u Frajsˇtati (Avstrija) – fond 4405: Sojuz vyzvolennja Ukrajiny – fond 4406: Orhanizaciji ukrajins’kych nacionalistiv v tabori vijs’kopolonenych u Rasˇtati (Nimecˇcˇyna) – fond 4418: Orhanizaciji ukrajins’kych nacionalistiv v tabori vijs’kopolonenych u Sal’cvedeli (Nimecˇcˇyna) – fond 4465: Dokumenty i materialy ukrajins’kych emihrants’kych ustanov, orhanizacij ta riznych osib (kolekcija) ˇ ernivec’koji Oblasti (= DAC ˇ O) Derzˇavnyj Archiv C – fond 3: K. k. Bukowiner Landes-Regierung – fond 126: Universität Czernowitz Derzˇavnyj Archiv L’vivs’koji Oblasti (= DALO) – fond 1: L’vovskoe voevodskoe upravlenie – fond 26: Universität Lemberg – fond 292: Pravlinnja tovarystva »Komitet akademicˇnoho domu u L’vovi« – fond 298: Tovarystvo prychyl’nykiv ukrajinskoji nauky, literatury i sˇtuky Derzˇavnyj Archiv Ternopil’s’koji Oblasti (= DATO) – fond 294: Filija ukrajins’koho tovarystva »Prosvita« v m. Ternopil’ – fond R-3430: Stanislav Dnistrjans’kyj – fond R-3462: Stepan Rudnyc’kyj Instytut literatury NAN Ukrajiny, viddil rukopysiv i tekstolohiji (= IL VR), – fond 3: Ivan Franko – fond 122: Mychajlo Hrusˇevs’kyj Instytut mystectvoznavstva, fol’klorystyky ta etnolohiji im. M. T. Ryl’s’koho NAN Ukrajiny (= IMFE) – Fond 28: Volodymyr Hnatiuk – Fond 29: Etnohraficˇna komisiia NTSh – Fond 44: Oleksandr Alesˇo Instytut narodoznavstva ta musej ethnohrafiji NAN Ukrajiny, L’viv (= Instytut narodoznavstva NANU) – Muzej NTSˇ: Inventarbücher Instytut rukopysu, Nacional’na biblioteka Ukrajiny imeni V. I. Vernads’koho, Kyjiv (= IR NBUV) – Fond X: Akademie der Wissenschaften

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Archive

Leibniz-Institut für Länderkunde, Archiv für Geographie Literární archiv Památníku národního písemnictví (= PNP) – Nachlass Volodymyr Dorosˇenko – Nachlass Ivan Pankevicˇ [= Pan’kevycˇ] L’vivs’ka nacional’na naukova biblioteka im. V. Stefanyka, Viddil rukopysiv (= LNNB VR) – fond 1: Biblioteka NTSˇ – fond 11: Barvins’ki – fond 22: Volodymyr Hnatjuk – fond 122: Prosvita – fond 167: Levyc’ki (I. O. ta O. P.) L’vivs’ka nacional’na naukova biblioteka im. V. Stefanyka, Instytut doslidzˇen’ bibliotecˇnych mystec’kych resursiv (= LNNB IDBMR) L’vivs’kyj nacional’nyj literaturno-memorial’nyj muzej Ivana Franka (= Dim Franka) Naukovyj archiv instytut archeolohiji NAN Ukrainy (= NA IA NANU) – fond 1: Fedir Vovk Naturhistorisches Museum Wien, Somatologische Sammlung Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Wien – Allgemeines Verwaltungsarchiv AVA – Ministerium des Innern (MdI) – Allgemeine Reihe (1848–1918) – Unterricht und Kultus – Unterrichtsministerium – Allgemeine Reihe (1848–1918) – Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) – Diplomatie und Außenpolitik – Ministerium des Äußern (1784–1918) – Politisches Archiv (1848–1918) – Akten (1839–1918) – PA I 451–524 Geheimakten, Geheimliassen (1839–1918) – PA I 810–1057 Liasse Krieg 1914–1918 – Sonderbestände (SB) – Nachlass Erasmus Handel (Nl Erasmus Handel) – Archiv der Republik (AdR) – Bundeskanzleramt (1918–2003) – Bundeskanzleramt-Inneres (1918–1938) – Bundespolizeidirektion Wien (1919–1938) – Vereinsbüro (1918–1939) Phonogrammarchiv, Wien

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Slovanská knihovna, Speciální sbírky, Prag – T-UAK: Ukrajinský akademický komitét (1924–1940) Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA)

Zeitungen und Zeitschriften Archiv für Slavische Philologie Bat’kôvsˇcˇina Berichte des Forschungsinstituts für Osten und Orient Bulletins et Mémoires de la Société d’Anthropologie de Paris Année 1904 ˇ asopys pravnycˇa i ekonomicˇna C ˇ eský Lid C Chronik der Sˇevcˇenko-Gesellschaft der Wissenschaften Chronika Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka. L’viv. (= Chronika NTSˇ) Dilo Etnohraficˇnyj Zbirnyk (= EZ) Ezˇegodnik Russkogo Antropologicˇeskogo obsˇcˇestva Hromada Jüdische Korrespondenz Kievskaja Starina Literaturno-naukovyj visnyk (= LNV) L’vôvsko-Archieparchijal’ni Vedomosti, 1910 Materialy do ukrajins’ko-rus’koji etnol’ogiji (= MURE) Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien Mittheilungen an die Mitglieder der Leo-Gesellschaft, Beilage zur Zeitschrift »Die Kultur« Mittheilungen der kaiserlich-königlichen Geographischen Gesellschaft Narod Neue Freie Presse Nova Chata Oesterreichisch-ungarische Buchhändler Korrespondenz Österreichische und ungarische Bibliographie des Bibliothekswesens. Beilage zur Zeitschrift des österreichischen Vereines für Bibliothekswesen Österreichische Statistik Polen. Wochenschrift für polnische Interessen Pravda (ab 1888: Pravda. Misjacˇnyk poljityky, nauky i pysmenstva) Pravnycˇnyj Vistnyk, 1910 Revue Internationale de Sociologie Russkij antropologicˇeskij zˇurnal Ruthenische Revue (seit 1906: Ukrainische Rundschau) Sitzungsberichte der mathematisch-naturwissenschaftlich-ärztlichen Sektion Streffleurs Militärblatt. Feldzeitung Studiji z polja suspil’nych nauk i statystyky

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Legislatur, Parlamentaria, Handbücher, Schul- und Universitätsberichte

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Svoboda Trudy e˙tnograficˇesko-statisticˇeskoj e˙kspedicii v zapadno-russkij kraj Vestnik Peremyskoi Eparchii Visnyk NTSˇ Vistnyk Sojuza vyzvolennja Ukrajiny Volja Wiadomos´ci statystysczne o stosunkach krajowych Wiedza dla Wszystkich Zapiski Jugo-Zapadnago Otdela Imperatorskago Russkago Geograficˇeskago Obsˇcˇestva Zapysky Naukovoho tovarystva im. Sˇevcˇenka (= Zapysky NTSˇ) Zapysky Ukrajins’koho naukovoho tovarystva Zbirnyk matematycˇno-pryrodopysno-likars’koji sekciji (= Zbirnyk MPL) Zeitschrift für Osteuropäische Geschichte Zˇerela do istoriji Ukrajiny-Rusy Zˇytje i slovo

Legislatur, Parlamentaria, Handbücher, Schul- und Universitätsberichte Allgemeines Verzeichnis der Ortsgemeinden und Ortschaften Österreichs. Nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 31. Dezember 1910. Hg. von der k.k. Statistischen Zentralkommission in Wien, Wien 1915. Gemeindelexikon der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, bearbeitet auf Grund der Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1900. Band XII.: Galizien, Wien 1907. Landesgesetz-Sammlung für die Jahre 1865/67 und 1868. Zweite verbesserte amtliche Ausgabe, Pest 1872. Österreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesamten österreichischen öffentlichen Rechtes. Bd. IV, R–Z, Wien 1909. Otcˇet o sostojanii i dejatel’nosti imperatorskago Sankt-Peterburgskago universiteta za 1908 god, 1909. Ottu˚v slovník naucˇný. Illustrovaná encyklopædie obecných veˇdomostí. Bd. 16: Lih–Media, Praha 1900. Podre˛cznik Statystyki Galicyi, t. 8 (1908), Lwów. Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Österreich 1867, Wien. Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder 1880, Wien. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, Wien, 1861–1918. (= StP AH) Spravozdanje dyrektora c.k. gimnazie akademicˇnoi u L’vove za rik sˇkil’nyj 1892, L’viv 1892. Spravozdanje dyrekcyji c.k. akademycˇnoji gimnazyji u L’vovi za sˇkil’nyj rik 1894, L’viv 1894. Spravozdanje dyrekcyji c. k. Akademycˇnoji gimnazyji u L’vovi za sˇkil’nyj rik 1894/5, L’viv 1895. Zvit dyrekcyji c.k. akademicˇnoji himnazyji u L’vovi za sˇkil’nyj rik 1910/1911–1913/1914. L’viv 1911–1914.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Zvit upravy gimnazyjnych naukovych kursiv z ukrajins’koju vykladovoju movoju u Vidny, III., ul. Radeckoho, cˇ. 2, za ˇskil’nyj rik 1914/15. Viden’ 1915. Ukrajins’ki gimnazyjni kursy u Vidny v sˇkil’nym rocji 1916–1917. Viden’ 1917.

Edierte Quellen Babak, O. I. / Danylenko, V. M. / Plekan, Ju. V. (Hg.): Praha-Charkiv-Solovky. Archivno-slidcˇa sprava akademika Stepana Rudnyc’koho, Kyjiv 2007. ˇ astyna tretja ta cˇetverta, Kyjiv Barvins’kyj, Oleksandr: Spomyny z moho zˇyttja. Tom 2. C 2010. ˇ ykalenko, Jevhen: Sˇcˇodennyk (1907–1917), Kyjiv 2011. C ˇ ykalenko, Levko: Jak my z I. Frankom lovyly rybu, in: Hnatjuk, Mychajlo (Hg.): Spohady C pro Ivana Franka, L’viv 2011, S. 576–579. Dasˇkevycˇ, Jaroslav (Hg.): Volodymyr Hnatjuk. Dokumenty i materialy, L’viv 1998. Dorosˇenko, Volodymyr: Ivan Franko, in: Hnatjuk, Mychajlo (Hg.): Spohady pro Ivana Franka. L’viv 2011, S. 553–564. Drahomanov, Mychajlo (Hg.): Dokumenty i materialy, L’viv 2001. Drahomanov, Mychajlo: Naukovyj metod v etnografiji, in: Pavlyk, Mychajlo (Hg.): Rozvidky Mychajla Drahomanova pro ukrajins’ku narodnju slovesnist’ i pys’menstvo, t. 3, L’viv 1906, S. 117–128. Dzjuban, Roman (Hg.): Lysty Mychajla Hrusˇevs’koho do Mychajla Mocˇul’s’koho, L’viv 2004. Franko, Ivan: [Rezension] Studien auf dem Gebiete der ruthenischen Sprache von Dr. Emil Ogonowski, in: ders. (Hg.): Zibrannja tvoriv u p’jatdesjaty tomach. Tom 53, Kyjiv 2008, S. 26–27. Franko, Ivan: Zasidannja etnohraficˇno-statystycˇnoho kruzˇka, in: ders. (Hg.): ZTIF, t. 53, Kyjiv 2008, S. 122–123. Franko, Ivan: Vandrivka rus’koji molodizˇi, in: Val’o, M. A. (Hg.): Podorozˇi v ukrajins’ki karpaty. L’viv 1993, S. 175–198. Franko, Ivan: Statystyka jako metoda i jako nauka (cˇytano pry zavjazannju etnohraficˇnostatystycˇnoho kruzˇka), in: ZTIF, t. 44, kn. 1, Kyjiv 1984, S. 248–254. Franko, Ivan: V dorohu, in: ZTIF, t. 3, Kyjiv 1976, S. 252–268. Franko, Ivan: Ukrajins’ko-rus’ka students’ka mandrivka litom 1884 r., in: ZTIF, t. 3, Kyjiv 1976, S. 250–252. Franko, Ivan (Hg.): Zibrannja tvoriv u p’jatdesjaty tomach. T. 3, 38, 44, kn. 2, 46, kn. 2, 50, 53, Kyjiv 1976–2008. (= ZTIF) Franko, Ivan: Meine Habilitation, in: Winter, E. / Kirchner, P. (Hg.): Ivan Franko. Beiträge zur Geschichte und Kultur der Ukraine. Ausgewählte deutsche Schriften des revolutionären Demokraten 1882–1915, Berlin 1963, S. 68–71. Hnatjuk, Mychajlo (Hg.): Spohady pro Ivana Franka, L’viv 2011. Holovac’kyj, Jakiv: Podorozˇ po Halyc’kij ta Uhors’kij Rusi …, in: Val’o, M. A. (Hg.): Podorozˇi v ukrajins’ki kartpaty, L’viv 1993, S. 22–101. Horbovyj, Bohsˇn (Hg.): Protokoly zasidan’ Tovarystva ukrajins’kych naukovych vykladiv im. Petra Mohyly (1906–1939 rr.), L’viv 2012.

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Edierte Quellen

Hresˇcˇuk, Vasyl’: Lystuvannia Ivana Franka ta Boduena de Kurtene, Ivano-Frankivs’k 2008. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo: [Rezension] S. Rudnyc’kyj, prof. L’vivs’koho universytetu. Korotka heohrafija Ukrajiny. Kyjiv 1910, in: Ders. (Hg.): Tvory u 50 tomach. Tom 16: Recenziji ta ohljady. 1905–1913. L’viv 2012, S. 159–160. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo: Bat’ky i dity, in: ders. (Hg.): Tvory u 50 tomach. Tom 2: Serija suspil’no-politycˇni tvory. 1907–1914, L’viv 2005, S. 216–222. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo (Hg.): Nasˇa polityka. Materijaly do istoriji konfliktu v NTSˇ 1913 roku, N’ju-Jork – Drohobycˇ 2003. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo (Hg.): Tvory u 50 tomach. Bd. 1, 2, 3, 16, L’viv 2002–2012. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo: Ukrajins’kyj Pjemont, in: ders. (Hg.): Tvory. Tom 1. Serija suspil’no-politycˇni tvory 1894–1907, L’viv 2002, S. 444–447. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo: Jak mene provadzˇeno do L’vova. Lyst do chv[al’noji] redakciji »Dila«, in: ders. (Hg.): Tvory. Tom 1. Serija suspil’no-politycˇni tvory 1894–1907, L’viv 2002, S. 117–122. Hrusˇevs’kyj, Mychajlo: Sˇcˇodennyk (1888–1894 rr.), Kyjiv 1997. Jarosˇevs’kyj, Bohdan: Nevykorystanyj skarb. Spomyny z vakacijnych vykladiv ukrajins’koji literatury d-ra Ivana Franka v 1904 r., in: Hnatjuk, Mychajlo (Hg.): Spohady pro Ivana Franka, L’viv 2011, S. 297–299. Karmansk’yj, Petro: Ukrajins’kyj mojsej, in: Hnatjuk, Mychajlo (Hg.): Spohady pro Ivana Franka, L’viv 2011, S. 416–420. Kocjubyns’kyj, Mychajlo (Hg.): Lysty do Volodymyra Hnatjuka. Z peredmovoju i pojasnenjamy Volodymyra Hnatjuka, L’viv 1914. Kovalevs’ka, O. (Hg.): Stepan Rudnyc’kyj (1877–1937). Istorija. Heopolitika. Heohrafija. V 5-ch kn., Kyjiv 2017–2018. ˇ ast’ 1 (= Socˇinenija v devjati tomach, t. 1), Kljucˇevskij, V. O.: Kurs russkoj istorii. C Moskva 1987. Kuzelja, Zenon: Do chval’noho Tovarystva im. Sˇevcˇenka u L’vovi. V spravy ukrajins’koji bibliohrafiji. Publykacija Lujisy Il’nyc’koji, in: Il’nyc’ka, Lujiza (Hg.): Bibliohraficˇna komisija Naukovoho tovarystva imeni Sˇevcˇenka u L’vovi (1909–1939). Naprjamy dijal’nosti ta postati. Zbirnyk naukovych prac’, L’viv 2010, S. 409–415. Lechleitner, Gerda et al. (Hg.): Recordings from Prisoner-of-War Camps World War I. Series 17/3: Russian-Ukrainian Recordings, Wien 2018. Lystuvannja Ivana Franka ta Mychajla Drahomanova, L’viv 2006. (= LIF) Lystuvannja Mychajla Hrusˇevs’koho. 7 Bde., Kyjiv – New York, NY 1997–2019. (= LMH) Lystuvannia Fedora Vovka z Volodymyrom Hnatjukom, L’viv 2001. (= LFV) Musˇynka, Mykola (Hg.): Lysty Stepana Rudnyc’koho do Sofiji ta Stanyslava Dnistrjans’kych (1926–1932). Edmonton 1991. Naulko, Vsevolod (Hg.): Lystuvannja M. f. Biljasˇivs’kyj – f.K. Vovk, Zaporizˇzˇja 2002. Naulko, Vsevolod: Lystuvannja Pavla Rjabkova z Fedorom Vovkom, in: Zapysky Naukovo-doslidnoji laboratoriji istoriji Pivdennoji Ukrajiny Zaporiz’koho derzˇavnoho universytetu: Pivdenna Ukrajina XVII–XIX st. 2001, nr. 6, S. 105–125. Naulko, Vsevolod: Do pytannja ukrajins’ko-cˇes’kych vzajemyn. Lysty Ljubora Niderle i ˇ eneka Zibrta do F. K. Vovka (Volkova), in: ders. (Hg.) Slovjans’ki kul’tury v jevroC pejs’kij cyvilizaciji. Do 60-ricˇcˇja doktora istorycˇnych nauk. Profesora Aljeksjejeva Jurija Mykolajovycˇa, Kyjiv 2001, S. 206–242.

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Gedruckte Quellen

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Danksagung

Kurt Scharr hat dieses Dissertationsvorhaben für eine Stelle als Universitätsassistent an der Österreichischen Geschichte in Innsbruck akzeptiert, gefördert und mir zahlreiche Freiheiten und Unterstützungen bei der Organisation der Forschungsaufenthalte gewährt. Kerstin S. Jobst hat die Zweitbetreuung übernommen, die Arbeit mit vielen kritischen Vorschlägen bereichert und mich damit zu wichtigen Schritten ermutigt. Beiden gilt mein herzlicher Dank für ihre stete Erreichbarkeit und Unterstützung. Die Forschungsarbeiten genossen die Förderung der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission, der Herder-Institute Research Academy (vormals Leibniz Graduate School »Geschichte, Wissen, Medien in Ostmitteleuropa«), des Doktoratskollegs Austrian Studies (Innsbruck), der Tiroler Wissenschaftsförderung (TWF), der Richard & Emmy Bahr-Stiftung in Schaffhausen, des Center for Urban History of East Central Europe (L’viv) sowie des International Relations Office und der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Innsbruck. Die überarbeitete, zur Publikation vorgelegte Fassung konnte außerdem von einem DobrovskýFellowship der Tschechischen Akademie der Wissenschaften sowie dem PostDoc-Überbrückungsstipendium des Vizerektorats Forschung der Universität Innsbruck profitieren. Den Herausgeberinnen und Herausgebern der Wiener Galizien-Studien sei außerdem für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe gedankt. Seit meiner Zeit in Göttingen ist Lutz Häfner mir ein wichtiger Ratgeber und teurer Gesprächspartner in allerlei Lebenslagen. Svitlana Adamenko verdanke ich die Initialzündung meines Ukraine-Interesses; sie hat mich nachhaltig zur Erforschung ukrainischer Geschichte inspiriert und stand mir stets als linguistische Ratgeberin zur Seite. Phillip Schroeder hat seit sechs Jahren nahezu jeden Text akribisch korrigiert, den ich verfasst habe, darunter auch das Manuskript dieses Textes in unterschiedlichen Entstehungsphasen. Anja Sips verdankte ich das kompetente Endlektorat des Manuskripts.

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Danksagung

Julia Barshadska, Daria Kozlova und Yuriy Remestwenski haben mich in den letzten Jahren auf vielen Stationen begleitet. Teile des Projekts habe ich bei unterschiedlichen Gelegenheiten in Augsburg, Göttingen, Halle, Innsbruck, Lüneburg, L’viv, Marburg/Lahn, Meran/Merano, Regensburg, Warszawa und Wien vorgestellt, besonders auch beim Doktoratskolleg Galizien, das mich häufig herzlich empfing. Mit Jakob Mischke und Jan Surman habe ich in den vergangenen Jahren Materialien und Hinweise ausgetauscht, ohne die der Quellenfundus dieser Arbeit schmäler gewesen wäre. Diskussionen mit Fabian Baumann, Johannes Feichtinger, Ellinor Forster, Peter Haslinger, Guido Hausmann, Yvonne Kleinmann, Anton Kotenko, Jakob Mischke, Sebastian Ramisch-Paul, Vasyl’ Rasevycˇ, Maria Rhode, Phillip Schroeder, Kai Struve, Jan Surman, Anna Veronika Wendland und Jagoda Wierzejska haben meine Ideen und Thesen besonders bereichert. Viele von ihnen haben Auszüge dieses Textes oder früherer Manuskripte kritisch kommentiert. Für alle freundlichen Einladungen, moralischen Unterstützungen, gewährten Vertrauensvorschüsse, Kritiken und Anregungen der letzten Jahre möchte ich mich herzlich auch bei allen bedanken, die nicht namentlich aufscheinen können. Sie haben die Arbeit entscheidend vorangebracht. Walter Liebhart hat mühevoll all meine Sonderwünsche für zwei thematische Karten umgesetzt. Martina Schmidinger hat mich bei ersten Gehversuchen mit tschechischen Quellen unterstützt. Meine Forschung und ihre Vorbereitung in ˇ ernivci, Kyjiv, L’viv und Ternopil’ haben Polina Barvins’ka, Maryna C ˇ eban, C ˇ ˇ Darija Cerkas’ka, Iryna Cernovol, Myroslava Djadjuk, Ivan Jacjuk, Kostjantyn Kondratjuk, Kateryna Kudin, Börries Kuzmany, Serhij Osacˇuk, Oleh Pavlysˇyn, Iryna Sklokina, Kai Struve, Halyna Svarnyk und Ihor Tseunov entscheidend unterstützt. In Wien durfte ich besonders von der Expertise von Margit Berner, Elisabeth Egger, Herbert Justnik, Susanne Kühberger und Gerda Lechleitner profitieren. Darüber hinaus habe ich in den vergangenen Jahren die Hilfsbereitschaft zahlreicher Archivarinnen und Archivare, Bibliothekarinnen und Bibliothekare sowie zweier Sammlungsleiterinnen aller in dieser Arbeit zitierten Forschungs- und Sammlungsinstitutionen sowie zahlreicher Bibliotheken in Österreich und der Ukraine in Anspruch genommen und bisweilen wohl auch strapaziert. Ihnen und allen anderen, die bei der Kürze dieses Vorworts namenlos bleiben mussten, bin ich für ihre unschätzbaren Beiträge zu meiner Arbeit sehr verbunden. Besonderer Dank gilt meiner Familie und engsten Freunden. Douglas Becker und Genossen gaben ihr Bestes, um mich auch bei gelegentlichem Hagelschauer bei Laune zu halten. Meine Eltern, Sabine und Frank Rohde, haben mir das Studium und den folgenden Berufsweg trotz aller Widrigkeiten erst ermöglicht. Andrea Rohde hat die Veröffentlichung dieser Arbeit leider nicht erlebt; ohne ihre Ermutigung wäre sie nie zustande gekommen. Meine Part-

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Danksagung

nerin, Lisa Kobler, hat alle Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Fehlschläge und Erfolge der letzten Jahre miterlebt, ertragen und mitgetragen. Mehr Unterstützung hätte ich mir kaum wünschen können. Ihnen allen ist diese Arbeit gewidmet. Martin Rohde

Herbstheim, 01. 10. 2021

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Personenregister

Alesˇo, Oleksandr 30, 165, 274, 420 Antonovycˇ, Kateryna 103, 432, 445 Antonovycˇ, Volodymyr 11, 60, 74f., 78, 103, 146, 174, 180–182, 255, 257, 273, 284, 346, 412, 432 Anucˇin, Dmitrij 281–285 Barvins’kyj, Bohdan 222, 433, 436, 445 Barvins’kyj, Oleksandr 9, 29f., 62, 74–77, 79, 81–86, 89f., 98, 140–142, 150, 174f., 192f., 195, 203, 222, 260, 294f., 304, 306f., 388, 400, 433, 436, 443f. Bednars’kyj, Karlo 68 Biljasˇivs’kyj, Mykola 152, 157, 340, 351, 432, 441, 445 Bowman, Isiah 380 Broca, Paul 255 Broch, Olaf 244, 248f., 261, 434 Bryk, Ivan 160, 436 Budzynovs’kyj, Vjacˇeslav 81, 168, 221f. Bujak, Franciszek 298f., 306 Cehel’s’kyj, Lonhyn 285–287, 320, 357, 413, 415, 435 Celevycˇ, Julijan 44, 76, 79, 146, 440 Chotkevycˇ, Hnat 240f. ˇ ubyns’kyj, Pavlo 60f., 175, 187, 196, 279, C 340f. ˇ ykalenko, Jevhen 86, 103, 135f., 159, C 164–166, 206, 219, 226–228, 440, 445 ˇ ykalenko, Levko 164f. C Deniker, Joseph 338

259, 279, 281, 283, 286,

Dermal, August 209, 388 Diebold, Wladimir 259 Dnistrjans’kyj, Stanislav 9, 30f., 100, 106, 116–120, 122, 124f., 156, 166–168, 171, 182f., 216, 218, 223, 225, 227, 292f., 296– 302, 307, 309–312, 314, 317, 320, 324, 326, 339, 342, 351, 361, 363, 366f., 377, 379, 384, 393, 400, 410f., 414, 432, 441, 443f. Dobrjans’kyj, Adolf 246 Doncov, Dmytro 188, 287, 380 Dorosˇenko, Dmytro 157, 159, 162, 164f., 214, 226, 437, 441, 445 Dorosˇenko, Volodymyr 18f., 147f., 151, 157, 159, 162, 165, 205f., 214, 224, 335f., 361f., 374, 388–390, 418, 437, 441f. Drahomanov, Mychajlo 29, 43, 60–66, 68– 72, 75, 79f., 82f., 85, 176f., 180, 187, 191, 198, 244, 255f., 284, 341, 346, 358, 374, 389, 408, 411f. Duchin´ski, Franciszek 187f., 191, 284– 287, 412, 415 Duchnovycˇ, Oleksandr 246 Dzˇydzˇora, Ivan 132, 214f., 223, 433, 437, 440–442, 444 Fed’kovycˇ, Osyp Jurij 143 Florinskij, Timofej 253 Foucault, Michel 24, 37 Franko, Ivan 20, 22, 26, 29, 51, 66–73, 80, 82–84, 90–93, 95f., 98f., 106, 108f., 111, 113, 116f., 119f., 124, 131, 133, 141, 146f., 149f., 155–160, 163f., 169, 171f., 175–177, 183, 190f., 198f., 205–207, 209,

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Personenregister

212f., 215–218, 221, 223, 226, 236–239, 242f., 246–248, 255f., 261, 265–269, 271, 277, 301, 331, 347f., 389, 391, 398, 400, 406, 410f., 419, 421f., 427, 433, 440–442, 444f. Gartner, Theodor 202–204, 350, 367, 434 Gerynovycˇ, Volodymyr 342f., 442, 449 Górny, Maciej 16, 22f., 181, 188, 191, 280, 285–287, 359, 375f., 380, 383 Haberlandt, Michael 46, 265, 271, 332 Hankevycˇ, Mykola 160, 164, 166 Hanslik, Erwin 364, 385 Harmatij, Hryhorij (Hryc’) 95, 121, 161, 264, 437 Harmatij, Luka 161, 238–240, 242, 437, 441 Haslinger, Peter 25, 178, 508 Hausmann, Guido 22, 27, 188, 287, 358f., 372, 425, 508 Heiderich, Franz 375 Hettner, Alfred 26, 186, 382 Himka, John-Paul 22, 25, 39, 305, 313 Hirschhausen, Ulrike von 37f. Hnatjuk, Volodymyr 18f., 29f., 66, 68, 73, 81, 92, 95f., 104, 108f., 129f., 133f., 147– 149, 155, 160, 165, 190, 195, 203, 205– 207, 210, 212–215, 221–223, 225, 228, 237–240, 242, 244, 246–250, 252, 260, 263, 268f., 274, 277, 304, 338, 346f., 350f., 372, 383, 388–390, 393, 406, 411f., 418f., 423, 440–442, 444 Hoetzsch, Otto 199f. Holovac’kyj, Jakiv 20, 110, 114, 176, 179, 243f., 272, 424 Holycyns’ka, Kateryna (»Kapifyna Lozenko«) 162 Holycyns’kyj, Jevhen (»Lozenko«) 162 Horbacˇevs’kyj, Ivan 99, 110, 113, 395, 434, 444 Hrincˇenko, Anastasija (›Nastja‹) 158f., 162, 164, 170 Hrincˇenko, Borys 26, 119f., 172, 183, 204, 215f., 373f., 441, 444 Hrusˇevs’ka, Marija 103f., 437

Hrusˇevs’kyj, Mychajlo 9, 11f., 15, 17–21, 25, 29, 33f., 42, 59, 74f., 78, 81, 85–96, 98, 101, 103f., 106–116, 119f., 122–124, 126–133, 135–137, 141f., 146–148, 150– 152, 154–160, 163–167, 169, 171–176, 178–184, 191, 193f., 198–200, 202f., 205–208, 211–229, 238f., 242, 254, 256– 262, 264, 267, 269f., 272, 274, 281, 297f., 301, 330f., 334f., 341, 345f., 348–351, 358, 360f., 363, 371, 386, 398, 400f., 403f., 406, 408, 410f., 417–422, 432, 437, 440–445 Hrusˇkevycˇ, Jaroslav 161, 259, 443 Hrycak, Jaroslav 20, 22, 68f., 72, 211, 228, 410 Jagic´, Vatroslav 51f., 81, 179, 198, 266, 331, 366f. Jefremov, Serhij 226, 240, 437, 444f. Jefymenko, Oleksandra 350 Jefymenko, Taras 350 Judson, Pieter 27, 37, 190, 292f. Kacˇala, Stepan 62, 64f. Kaindl, Raimund Friedrich 264, 285, 433 Kobryns’ka, Natalija 93–95 Kocjubyns’kyj, Mychajlo 205, 210, 239f., 242 Kocko, Adam 127, 144 Kolessa, Oleksandr 51, 69, 81, 93, 109, 144, 156, 167, 179, 203, 215, 331, 362f., 373, 390, 393, 395, 433, 440–442, 444f. Kollár, Jan 250 Konys’kyj, Oleksandr 18, 60–64, 74f., 78– 82, 85, 88, 93, 146, 150, 187, 202, 284, 286 Kopernicki, Izydor 259, 261, 277f. Korduba, Myron 130–132, 200, 223, 307, 330, 369, 373, 411, 432, 444 Kosch, Wilhelm 376f. Kossak, Mychajlo 64, 438 Kostomarov, Mykola 26, 59f., 174, 180, 187 Kotenko, Anton 16, 21f., 59f., 155, 157, 168, 179f., 196, 340, 345, 508 Kotljarevs’kyj, Ivan 93f., 173, 175, 404 Kovalevs’kyj, Maksym 155, 348

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Personenregister

Kozakevycˇ, Oleksandr 113 Krauss, Friedrich S. 134, 248 Krevec’kyj, Ivan 130, 132, 146–149, 156f., 214, 335f., 388, 432, 440–442, 444 Krylovs’kyj, Ivan 388 Kryms’kyj, Ahatangel 78, 81, 95f., 158f., 227, 351, 433, 442, 444 Krypjakevycˇ, Ivan 98, 108f., 132, 155, 361, 433, 440f., 444 Kulisˇ, Pantelejmon 59–62, 177, 201 Kupcˇanko, Hryhorij 196, 415 Kuzelja, Zenon 127, 131, 133, 266, 268f., 271, 330–336, 352, 361, 364–366, 373, 401, 411, 434, 441f., 444 Kvitka-Osnovjanenko, Hryhorij 173 Lach, Robert 365 Levyc’ka, Stefanija 104, 162 Levyc’kyj, Ivan 64, 194–196, 334f., 402, 441 Levyc’kyj, Jevhen 299 Levyc’kyj, Kost’ 101, 115f., 215, 225–227, 294f., 357, 360, 365–369, 388, 390, 402, 432, 440f., 443f. Levyc’kyj, Volodymyr (Mathematiker) 29, 110, 201, 434, 441–445 Levyc’kyj, Volodymyr L. (Notar) 438, 443 Lotoc’kyj, Oleksander 348, 350f., 432 Lozyns’kyj, Mychajlo 58, 105, 158, 162, 296, 327, 357, 438, 441, 444 Lysenko, Mykola 60, 78, 93, 174f., 441 Makovej, Osyp 73, 94f., 205, 222, 433, 444 Maksymovycˇ, Mychajlo 173, 179 Manouvrier, Léonce 262, 277f., 435 Mecˇnykov, Il’ja 254 Mocˇul’s’kyj, Mychajlo 214f., 438, 444 Mogilner, Marina 16, 255, 273, 275, 278, 281, 406 Moracˇevs’ka -Okunevs’ka, Sofija 103 Mortillet, Adrien de 255f. Mortillet, Gabriel de 255f., 260, 273 Mychal’cˇuk, Kost’ 279, 340f., 434 Nazarijiv, Oleksa 152–154, 214, 438 Necˇuj-Levyc’kyj, Ivan 78, 436 Niederle, Lubor 191, 257

Ochrymovycˇ, Osyp 374, 389 Ochrymovycˇ, Volodymyr 30, 68–71, 118, 247, 254, 292f., 296, 299f., 304, 307–309, 339, 349, 360, 374, 388f., 414, 423, 432, 441f., 444f. Ohonovs’kyj, Omeljan 64, 66, 76, 78, 84, 109, 174, 184, 391, 434, 438, 443f. Okunevs’kyj, Teofil’ 144, 438 Olesnyc’kyj, Jevhen 115, 391, 432, 441, 443f. Ozarkevycˇ, Jevhen 110, 113f., 259, 391, 434, 443 Pacholkiv, Svjatoslav 21, 25, 42f., 58, 102, 192, 410 Palacký, Frantisˇek 94, 347 Pan’kevycˇ, Ivan 105, 147, 253, 365, 383 Pankivs’kyj, Kost’ 146 Paradzˇanov, Serhij 240, 242 Pastrnek, Frantisˇek 249 Pavlyk, Mychajlo 30, 66, 68f., 72f., 84, 98f., 116, 128, 146f., 156, 166f., 176, 206, 211f., 216f., 222, 227, 244, 357, 391, 400, 434, 443f. Pelechyn, Pavlo 89, 96 Penck, Albrecht 111f., 131, 233f., 342, 364, 371, 374, 376, 380, 385, 410f. Perlmutter, Salomea 162 Plokhy, Serhii 16, 20, 26f., 174, 220, 253, 281, 358, 360, 406, 420 Pöch, Rudolf 55, 365 Pogodin, Michail 179, 188 Polons’ka-Vasylenko, Natalija 19 Puljuj, Ivan 61, 99, 110, 125, 156, 166f., 201, 209, 391, 434, 443f. Rakovs’kyj, Ivan 114f., 133, 154, 160f., 167, 201, 209, 229, 259, 264, 269, 272, 275, 278, 284, 287f., 342, 351, 361f., 364–366, 372, 391, 400, 411, 434, 441f., 444f. Ratzel, Friedrich 112, 189, 264, 385 Rhode, Maria 23, 193, 258, 282, 409, 508 Rjabcˇuk, Mykola 38 Rjabkov, Pavlo 266 Romancˇuk, Julijan 64, 433, 443f. Romer, Eugeniusz 307, 376, 379f., 406

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Personenregister

Rozdol’s’kyj, Osyp 215, 246f., 439, 441– 443 Rudenko, Serhij 284, 287, 435 Rudnyc’kyj, Stepan 22, 26, 30, 34, 111–113, 115, 126, 130f., 133, 139, 154f., 167, 186– 189, 193, 201, 209f., 216, 222, 226f., 229, 233f., 242–244, 253, 259, 270, 279, 281, 285–288, 341–343, 345–347, 349–352, 357–372, 374–376, 378f., 380–387, 390f., 393f., 398, 400f., 404, 406, 410–413, 415, 417, 420, 422, 425, 434, 441–445, 449 Rudnytsky, Ivan L. 21 Rusov, Oleksandr 60, 174, 264, 337, 339, 349, 433, 441, 445 Sˇachmatov, Aleksej 179, 283, 350, 433 Sˇaranevycˇ, Izydor 64, 175, 194f. Sˇcˇëgolev, Sergej 360 Sˇcˇerbakivs’kyj, Danylo 351 Sˇcˇerbakivs’kyj, Vadym 351, 440f. Sˇcˇurat, Vasyl’ 361, 363f., 366, 392, 434, 441f., 445 Seegel, Steven 16, 22f., 49, 111, 178, 185, 187f., 343, 345f., 376, 380, 383, 385, 397, 410 Sˇeptyc’kyj, Andrej 137, 195, 302, 333, 388 Sˇevcˇenko, Taras 9, 11–13, 32, 44, 59–63, 65, 67, 72, 74f., 78f., 90f., 93, 95, 97, 125, 141f., 153, 175–177, 187, 195, 208f., 211, 228f., 390–392, 394, 417f., 421, 427 Skovoroda, Hryhorij 173 Skrypnyk, Mykola 351 Smal’-Stoc’kyj, Stepan 89, 93, 203, 350, 367, 395, 433, 440, 442, 444 Smolka, Stanisław 312f., 376 Sobolevskij, Aleksej 179, 249 Stryps’kyj, Hijador 433 Studyns’kyj, Kyrylo 18f., 30, 59, 109, 126, 130, 133, 160, 166, 176, 222, 391, 393, 433, 440, 442, 444 Sˇuchevycˇ, Darija 162 Sˇuchevycˇ, Volodymyr 30, 76, 214–216, 222, 227, 237, 240, 242, 391, 434, 441–444 Sujkowski, Antoni 234, 375–377 Surman, Jan 23, 25, 46–48, 51f., 84, 92, 110, 125, 127, 172, 193, 201–203, 207, 508

Susˇkevycˇ, Kornylij 63f. Svjenjic’kyj, Iljarion 434 Talko-Hryncewicz, Julian 258f., 282 Tanjacˇkevycˇ, Danylo 122–124, 208 Tomasˇivs’kyj, Stepan 30, 104, 108, 126, 129, 130–132, 151, 160, 164, 190, 212f., 224, 226, 228f., 235, 250–252, 254, 259, 298, 306f., 337–340, 342f., 345–347, 349, 351, 359–361, 364–369, 373, 379, 389, 400, 404, 411, 440–442, 444f., 449 Trusˇ, Ivan 113, 155, 219, 221, 244, 439 Tysˇcˇenko, Jurij 214 Vachjanyn, Anatol’ 78, 84, 86, 441 Velycˇko, Hryhorij 193, 341, 343, 345, 347, 434, 442 Verchrats’kyj, Ivan 78, 84, 109, 112, 154, 201f., 222, 242, 244, 258, 434, 442–444 Voljans’kyj, Oleksa 72, 238f., 437 Vovk, Fedir 9, 11f., 30, 33, 60, 75, 78, 106, 133f., 148, 151f., 156f., 160f., 164f., 174f., 178, 182, 191, 198–200, 202f., 215, 223, 225, 227f., 235f., 238, 241, 244, 254– 287, 331, 338–341, 348, 350, 352, 365, 372, 387, 391, 400, 405f., 410, 412f., 420, 424f., 432, 441f., 444, 449 Voznjak, Mychajlo 18, 62, 66, 79f., 85, 93, 122, 177, 203, 393, 437, 441 Weissbach, Augustin 259, 278 Wendland, Anna Veronika 15f., 22, 25, 38, 40f., 45, 177, 179, 185, 244, 380, 409, 508 Wilson, Andrew 20, 379 Zajceva, Zinajida 19, 21f., 25, 32, 67f., 80, 87, 110, 116, 129f., 159, 163, 203 Zaklyns’kyj, Bohdan 362–364, 369f., 415, 449 Zaliznjak, Mykola 105, 154, 214, 441f. Zˇatkovycˇ, Jurij 247f., 268, 441, 444 Zubryc’kyj, Denys 179 Zubryc’kyj, Mychajlo 99, 169, 179, 237, 247, 267, 271f., 400, 432, 441, 444

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